201 109 2MB
German Pages 444 Year 2011
Graf BGH-Rechtsprechung Strafrecht 2010
BGH-Rechtsprechung Strafrecht 2010 Die wichtigsten Entscheidungen mit Erläuterungen und Praxishinweisen
von
Dr. Jürgen P. Graf Richter am Bundesgerichtshof
De Gruyter
ISBN 978-3-11-025962-9 e-ISBN 978-3-11-025965-0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York
Datenkonvertierung /Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Noch nie, seit es juristische Veröffentlichungen, Fachzeitschriften und Entscheidungssammlungen gibt, waren die Entscheidungen oberster Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts so schnell und umfassend, über die entsprechenden Webseiten der jeweiligen Gerichte1 sogar kostenlos, für jedermann zum Abruf verfügbar. Gerade aber die Fülle der auf diesem Weg nunmehr ständig und jederzeit abrufbaren Entscheidungen macht es für den Anwender schwierig, die für seine praktische Arbeit und die jeweiligen Interessen wichtigen Erkenntnisse herauszufinden und dann nachzuvollziehen. Selbst wenn man die erforderliche Zeit hierfür aufwenden kann, gestaltet es sich mehr als freudlos, zahlreiche nur durch das Aktenzeichen und das Datum gekennzeichnete Dateien aufzurufen, um dann möglicherweise erst nach mehreren Minuten des Lesens feststellen zu können, ob die Entscheidung für die eigene Arbeit tatsächlich wichtig ist oder eher nicht. Auch die Aufarbeitung der Rechtsprechung mittels Fachzeitschriften stellt für sich allein keine geeignete Lösung dar. Zum einen werden viele Urteile und Beschlüsse erst mit einem zeitlichen Abstand von bis zu 18 Monaten publiziert, zum anderen sind zahlreiche Entscheidungen gerade nicht in allen Zeitschriften einer Fachrichtung veröffentlicht, so dass der interessierte Praktiker mindestens drei oder mehr Zeitschriften gleichzeitig lesen müsste. Nicht eingerechnet sind dabei Urteile und Beschlüsse, welche überhaupt nicht abgedruckt werden, sondern nur online verfügbar sind. Aber auch Studenten und Referendare, welche sich zur Vorbereitung für das jeweilige Examen über die aktuellsten Entscheidungen der letzten Monate informieren wollen, stehen vor einem ähnlichen Problem, zumal in dieser Phase meist ohnehin viel zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um auch nur annähernd gründlich wenigstens einige Fachzeitschriften durchzusehen. Mit der üblichen Ausbildungsliteratur kommt man nicht weiter; denn für Strafrecht und Strafprozessrecht wird regelmäßig nur eine kleine Besprechungsauswahl aktueller Entscheidungen angeboten, und das meistens mit einer durch die Bearbeitung bedingten erheblichen zeitlichen Verzögerung. Somit lag es nahe, die wesentlichen Entscheidungen im Strafrecht, Nebenstrafrecht und im Strafprozessrecht von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht für den aktuell zurückliegenden Zeitraum zusammenzustellen und mit erklärenden Anmerkungen hinsichtlich einzelner Entscheidungen zu versehen. Ausgangspunkt für diese Zusammenstellung ist dabei das zurückliegende Kalenderjahr 2010, wobei allerdings zur Vervollständigung noch die wichtigsten Entscheidungen hinzugefügt wurden, die in den letzten Monaten des Jahres 2009 ergangen sind. Insgesamt wurden dafür mehr als 900 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und über 100 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gesichtet und darunter
1
www.bundesverfassungsgericht.de; www.bundesgerichtshof.de.
VI
Vorwort
etwa 400 Urteile und Beschlüsse ausgewählt, welche für die Praxis und die Fortentwicklung der Rechtsprechung bedeutsam erschienen. Die Entscheidungen, welcher jeder am Straf- und Strafprozessrecht Interessierte unbedingt kennen sollte, wurden zusätzlich als „Topentscheidung“ gekennzeichnet; ein „Muss“ auch für Examenskandidaten! Wichtige Entscheidungen wurden außerdem in ihrer konkreten Bedeutung für die Praxis erläutert und teilweise auch mit „Praxistipps“ versehen. Um dem Leser ein mühsames Heraussuchen und Nachlesen der zitierten Erkenntnisse zu ersparen, sind die wesentlichen Ausführungen der Entscheidungen gleich auszugsweise mit abgedruckt, so dass der Benutzer alle wichtigen Informationen auf einen Blick erhält. Besteht danach zusätzlicher Bedarf, eine Entscheidung in ihrer Gesamtheit zu lesen, sind Datum und Aktenzeichen verzeichnet, so dass eine Recherche über die Webseiten der einzelnen Gerichte (s.o.) ebenso möglich ist wie der Abruf über die verschiedenen Online-Datenbanken der Juristischen Fachverlage oder über das Datenbanksystem Juris. Die systematische Einordnung der Entscheidungen in Tatbestände und Tatbestandsgruppen soll zusätzlich die Möglichkeit geben, sich im Wege einer eigenen Fortbildung in aktuelle Problemfragen bestimmter Tatbestände einzuarbeiten und die daraus resultierenden Lösungen der Rechtsprechung in die tägliche Arbeit als Richter, Staatsanwalt oder Rechtsanwalt einfließen zu lassen. Die überragende Bedeutung solchen Wissens gerade für Strafverteidiger braucht nicht näher dargelegt zu werden, zumal die Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO darstellt! 2 Um darüber hinaus auch Einzelfragen konkret nach aktuellen Rechtsprechungslösungen überprüfen zu können, sind die abgedruckten Entscheidungen auch über ein umfangreiches Stichwortverzeichnis auffindbar. Ergänzt wird dies durch eine nach Aktenzeichen geordnete Aufstellung der enthaltenen Entscheidungen. Im Übrigen bitte ich die Nutzer und Leser um Anregungen und Hinweise für künftige Zusammenstellungen, gerade auch bezüglich des Umfangs der Darstellung und Wiedergabe der Entscheidungen, oder auch eventuell vermisster Sachgebiete. Karlsruhe, Januar 2011 Jürgen Graf
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BGH, Beschl. v. 1.4.2010 – 4 StR 637/09; vgl. hierzu Rn. 321.
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. StGB – Allgemeiner Teil
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I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB . . . . . . . . . . . . a) Vorbereitungshandlung und Versuch . . . . . . . . . . . . b) Beendeter oder unbeendeter Versuch, Rücktritt . . . . . . . c) Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB . .
. . . . . . . . . . .
V XIII 1 1 1 2
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3 3 3 5 13
2. 3. 4. 5.
Mittäterschaft / Beihilfe – §§ 25, 27 StGB . . . . . . . . . . . . . Versuch der Beteiligung – § 30 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . Notwehrlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kompensation bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen b) Strafzumessung im engeren Sinn – § 46 StGB . . . . . . . . . .
14 18 19 21 21 27
6. 7. 8. 9.
Täter-Opfer-Ausgleich – § 46a StGB . . . . . . . . . . . . . . Aufklärungshilfe – § 46b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen – § 47 StGB . . . . Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB a) Tateinheit, Tatmehrheit – §§ 52, 53 StGB . . . . . . . . . . b) Gesamtstrafenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlerhafter oder fehlender Härteausgleich – §§ 54, 55 StGB
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41 42 47 48 48 56 56
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65 69 70 70
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73
12. Reihenfolge der Vollstreckung – § 67 StGB . . . . . . . . . . . . . 13. Maßregel nach §§ 69, 69a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . .
89 90 91
B. StGB – Besonderer Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 105 106
10. Strafaussetzung zur Bewährung – §§ 56 ff. StGB . . . . . 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung . . . . . . . . . a) Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – § 64 StGB b) Anordnung der Sicherungsverwahrung – § 66 StGB . . c) Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – § 66b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VIII
Inhaltsverzeichnis
II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB BT 1. Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – § 89a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Störung des öffentlichen Friedens – § 126 StGB . . . . . . . . . . . 3. Nichtanzeige geplanter Straftaten – § 138 StGB . . . . . . . . . . . 4. Geld- und Wertzeichenfälschung – §§ 146 ff. StGB . . . . . . . . . a) Gewerbsmäßiges Verschaffen von Falschgeld – § 146 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fälschung von Zahlungskarten – §§ 152a, 152b StGB . . . . . .
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5. Beischlaf zwischen Verwandten – § 173 StGB . . . . . . . . . . 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB a) Psychotherapeutisches Behandlungsverhältnis – § 174c Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern – § 176a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung – § 177 StGB . . . . . . d) § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB – Zum „Bestimmen“ bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution . . . . . . . . . . . . . .
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7. Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs – §§ 201 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 211 ff. StGB . . . . . . . . . . a) Tötungsvorsatz bei §§ 211, 212 StGB . . . . . . . . . . . . b) Mordmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Minder schwerer Fall des Totschlags – § 213 StGB . . . . . d) Körperverletzungshandlung und Tötung – § 212 / § 223 StGB e) Tötung auf Verlangen – § 216 StGB . . . . . . . . . . . . . f) Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Fahrlässige Tötung/Körperverletzung und „in dubio pro reo“
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9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB a) Vorsätzliche Körperverletzung – § 223 StGB . . . . . . . . . b) § 224 Abs. 1 StGB – Qualifikationsmerkmale . . . . . . . . . c) Misshandlung von Schutzbefohlenen – § 225 StGB . . . . . . d) Schwere Körperverletzung – § 226 StGB . . . . . . . . . . . e) Strafantragserfordernis / besonderes öffentliches Interesse – § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 107 108 110 110 112
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11. Diebstahl und Unterschlagung – §§ 242 ff. StGB . . . . . . . . . . a) Zueignungswillen bei § 242 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . b) Wohnungseinbruchsdiebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . .
166 166 167
12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . a) Gefährliches Werkzeug – § 250 Abs. 1 Nr. 1a / § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Waffe – § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . .
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10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB a) Entziehung Minderjähriger – § 235 StGB – . . . . . . b) Nachstellung – § 238 StGB . . . . . . . . . . . . . . c) Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme – §§ 239a, 239b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nötigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IX
Inhaltsverzeichnis
c) d) e) f) g)
Schwere körperliche Misshandlung – § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB Gewahrsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drohung – § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB . . . . . . . . . Zeitpunkt für Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonstige Fallgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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173 174 175 175 177
13. Hehlerei – § 259 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Geldwäsche – § 261 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15. Betrug und Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Selbstbedienungsbetrug – § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subventionsbetrug – § 264 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kreditbetrug – § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Untreue – § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt – § 266a StGB
184 185 188 188 188 188 189 190 200
16. 17. 18. 19. 20. 21.
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202 204 205 208 214 214
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217
Urkundenfälschung – §§ 267 ff. StGB . . . . . . . . . . Bankrott – § 283 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brandstiftung / Schwere Brandstiftung – § 306a StGB . . Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB Bestechlichkeit – §§ 332 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . Parteiverrat – § 356 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . .
C. Strafrechtliche Nebengesetze
I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen 1. Betäubungsmittelgesetz (BtMG) . . . . . . . . . . . 2. Jugendgerichtsgesetz (JGG) . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO) . . . . . 4. Waffengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) – § 4 VStGB . . . . . 6. Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Embryonenschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . D. Strafprozessordnung
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217 217 217 218 218 230 233 242 243 243 243
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I. Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des Verfahrensrechts: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbindung von Verfahren – §§ 4, 5 StPO . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO . . 3. Wiedereinsetzung – § 44 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeugnisverweigerungsrecht, Auskunftsverweigerungsrecht . . . . a) Zeugnisverweigerungsrecht – § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . b) Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche – § 53 Abs. 1 StPO . c) Auskunftsverweigerungsrecht / Zeugenbeistand . . . . . . . .
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X
Inhaltsverzeichnis
5. Vereidigungsverbot – § 60 Nr. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel (Gefahr im Verzug / Tatverdacht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gefahr im Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verdachtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Überwachungsmaßnahmen – §§ 100g, 100h StPO . . . . . . e) Nachträgliches Rechtsschutzverfahren – § 101 Abs. 7 StPO . f) Blutprobe ohne richterliche Anordnung – § 81a StPO . . . . g) § 111i StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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263
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7. Untersuchungshaft – §§ 112 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verbotene Vernehmungsmethoden – § 136a StPO . . . . . . . . 9. Verteidigung – §§ 140 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers in der HV – § 140 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wechsel des Pflichtverteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Akteneinsicht – § 147 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verteidigerpost – Verwertbarkeit bei beleidigenden Äußerungen
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279 282 282
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14. Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) durch Verlesung einer Vernehmungsniederschrift / Auslandszeuge b) ohne Gerichtsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 StPO .
313 313 314 314
15. § 249 Abs. 2 StPO – Selbstleseverfahren . . . . . . . . . . . . . 16. Verlesung früherer Aussagen / Vernehmung des Ermittlungsrichters nach Zeugnisverweigerung / sonstiger Urkundenbeweis – §§ 251 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Urkundenbeweis mit Protokollen – § 251 StPO . . . . . . . . b) Zeugenvernehmung des Vernehmungsrichters . . . . . . . . .
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318 318 319
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320 331 334 336 343 343 344 344 345
10. Fassung der Anklage; Eröffnungsbeschluss – §§ 200 ff. StPO . . 11. Gang der Hauptverhandlung – § 243 StPO . . . . . . . . . . . 12. Abwesenheit des Angeklagten / Unterrichtungspflicht – §§ 231b, 247 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einhaltung der formellen Voraussetzungen . . . . . . . . . c) Beweisermittlungsantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ablehnung von Beweisanträgen . . . . . . . . . . . . . . . e) Fristsetzung für die Stellung von Beweisanträgen . . . . . .
17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a Satz 3, § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO . . . . . . . . . 18. Letztes Wort – § 258 Abs. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . 19. Urteil – § 260 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20. Urteilsabfassung – §§ 261, 267 . . . . . . . . . . . . . . . . . 21. Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts – § 265 StPO . . . 22. Urteilsverkündung – § 268 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 23. Hauptverhandlungsprotokoll – §§ 273 f. StPO . . . . . . . . . 24. Beschränkung und Rücknahme von Rechtsmitteln . . . . . . . 25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen . . . . . . . . . . . .
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XI
Inhaltsverzeichnis
a) Revisionsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit von Revisionsrügen . . . . . . . . . . . . . . . . . 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO a) § 338 Nr. 1 StPO . . . . . . b) § 338 Nr. 3 StPO . . . . . . c) § 338 Nr. 5 StPO . . . . . . . d) § 338 Nr. 7 StPO . . . . . . .
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353 353 354 355 359
27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung 28. Rücknahme der Revision . . . . . . 29. Verletzung des rechtlichen Gehörs . a) Art. 103 GG . . . . . . . . . . . b) Anhörungsrüge – § 356a StPO . .
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Verbot der Schlechterstellung – § 358 StPO Adhäsionsverfahren . . . . . . . . . . . . Nebenklage . . . . . . . . . . . . . . . . Akteneinsicht – 474 ff. StPO . . . . . . . Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) . . . . . Art. 6 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . a) Faires Verfahren . . . . . . . . . . . . b) Verfahrensverzögerung . . . . . . . .
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378 379 381 382 383 385 385 387
36. WÜK (Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen) . 37. Einstweilige Anordnung / Vorlage / Klage beim Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
387 387
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch) . . . . . . . . . . . . . . . Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen) . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
391 407 417
30. 31. 32. 33. 34. 35.
. . . . .
345 346
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.F. a.M. aaO abgedr. abl. Alt. Anh. Anm. AnwK AO Aufl.
anderer Auffassung alte(r) Fassung anderer Meinung am angegebenen Ort abgedruckt ablehnend Alternative Anhang Anmerkung AnwaltKommentar Abgabenordnung Auflage
b.u.v. BayObLG BeckOK Begr. Beschl. BGBl. BGH BGHR BGHSt Bl. BR BT BtM BtMG BVerfG BVerfGK BVerwG BVerwGE BZRG
beschlossen und verkündet Bayerisches Oberstes Landesgericht Beck’scher Online-Kommentar Begründung Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH (systematische Sammlung) Entscheidungen des BGH in Strafsachen Blatt Bundesrat Bundestag Betäubungsmittel Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht Kammerentscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeszentralregistergesetz
DBAG ders. DNeuG Drucks., Drs. DStR DStZ
Deutsche Bahn Aktiengesellschaft derselbe Dienstrechtsneuordnungsgesetz Drucksache Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung
EGMR EGStGB Einl. EMRK entspr. ESchG EuGRZ
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention entsprechend Embryonenschutzgesetz Europäische Grundrechte-Zeitschrift
XIV
Abkürzungsverzeichnis
f., ff. Fn.
folgende Fußnote
GenDG GG GwG
Gendiagnostikgesetz Grundgesetz Geldwäschegesetz
h.L. h.M. Halbs.
herrschende Lehre herrschende Meinung Halbsatz
i.d.F. i.S.d. i.S.v. i.V.m.
in der Fassung im Sinne des/der im Sinne von in Verbindung mit
jew. JGG JR JuS JZ
jeweils Jugendgerichtsgesetz Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) JuristenZeitung
KMR KritJ
Kommentar zur StPO, begründet von Kleinknecht/Müller/Reitberger Kritische Justiz (Zeitschrift)
Lfg. LG lit. LK
Lieferung Landgericht litera (Buchstabe) Leipziger Kommentar zum StGB
m.N. m.w.N. MDR MedR MMR MRK MschrKrim MünchKomm, MüKo
mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Medizinrecht (Zeitschrift) Multimedia und Recht Menschenrechtskonvention Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform Münchener Kommentar
n.F. N/Sch/W NJW Nr. NStZ NStZ-RR NVwZ
neue(r) Fassung Niemöller/Schlothauer/Wieder (Kommentar zum VerstG) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OLG
Oberlandesgericht
PID
Präimplantationsdiagnostik
RAbgO RE RG
Reichsabgabenordnung Regierungsentwurf Reichsgericht
Abkürzungsverzeichnis
RGSt Rn., Rdn., Rdnr.
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer
S. s.o. SK-StGB SSW-StGB st. Rspr. StA StGB StPO StraBEG StraFo StrÄndG StRG StV
Seite siehe oben Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Satzger/Schmitt/Widmaier, Strafgesetzbuch, Kommentar ständige Rechtsprechung Staatsanwaltschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz über die strafbefreiende Erklärung Strafverteidiger Forum (Zeitschrift) Strafrechtsänderungsgesetz Strafrechtsreformgesetz Strafverteidiger (Zeitschrift)
ThUG TKG Tz.
Therapieunterbringungsgesetz Telekommunikationsgesetz Textziffer
u.ä. UA Urt.
und ähnliche Untersuchungsakte Urteil
v. Var. VerstG vgl. VO Vorbem. VStGB
vom Variante Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vergleiche Verordnung Vorbemerkung Völkerstrafgesetzbuch
wistra WPflG
Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wehrpflichtgesetz
z.B. ZDG ZevKR ZfL ZGR ZStW
zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
XV
Benutzungshinweis Die Originalzitate aus den jeweiligen Entscheidungen folgen den einführenden Bemerkungen einer Randnummer jeweils in der serifenlosen Schriftart.
A. StGB – Allgemeiner Teil I. Grundsätzliches 1. Überblick In der neueren und neuesten Rechtsprechung des BGH zum Allgemeinen Teil des StGB stechen die zahlreichen Entscheidungen hervor, welche – gerade auch unter dem Eindruck der Entscheidungen des EGMR – in den letzten 12 Monaten zu den Fragen der nachträglichen Sicherungsverwahrung ergangen sind,3 und die auch unter Berücksichtigung der jetzt neuen gesetzlichen Regelungen über die Sicherungsverwahrung 4 auch künftig ihre Bedeutung behalten werden. Zwar wird es für Verurteilungen ab dem 1.1.2011 nur noch die sogleich im Urteil ausgesprochene (§ 66 StGB n.F.) oder vorbehaltene (§ 66a StGB n.F.) Sicherungsverwahrung geben; dies gilt aber nicht für „Altfälle“ (Strafurteile bis zum 31.12.2010). Allerdings kann – im Gegensatz zum bisherigen Recht – in solchen Fällen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nur noch dann angeordnet werden, falls Gegenstand der Ausgangsverurteilung Gewalttaten gegen Leib oder Leben mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren oder Sexualdelikte sind; Vermögensstraftaten scheiden künftig als zulässige Ausgangsverurteilungen völlig aus (§ 66b StGB n.F.). Zahlreiche Entscheidungen sind zur Frage ergangen, ob im jeweiligen Einzelfall noch ein unbeendeter oder bereits ein beendeter Versuch vorlag.5 Was auf den ersten Blick wie die Befassung mit einem wissenschaftlichen Dogmenstreit aussieht, hat allerdings dann erhebliche praktische Auswirkungen, wenn es um die Frage geht, ob ein Täter wirksam zurückgetreten ist oder nicht. Insbesondere bei versuchten Tötungshandlungen kann dies entweder eine mehrjährige Freiheitsstrafe bedeuten oder aber nur eine regelmäßig erheblich geringere Strafe wegen eines nach Rücktritt verbleibenden Körperverletzungsdelikts. Hinsichtlich der Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen sind weitere Fragen durch die Rechtsprechung geklärt worden, nämlich die Anwendbarkeit auch im Verfahren gegen Heranwachsende und in berufsrechtlichen Verfahren.6 Erste Entscheidungen sind auch zur neuen Regelung der Aufklärungshilfe gem. § 46b StGB und auch zu dem Verhältnis zur ehemaligen Regelung des § 31 BtMG a.F. ergangen,7 wodurch in der Praxis noch Vorteile in „Altfällen“ erlangt werden können, was Verteidiger nicht übersehen dürfen! 3 4 5 6 7
Vgl. nachstehend dazu Rn. 105 ff. BGBl. I S. 2300; vgl. auch Rn. 9 f. Vgl. hierzu Rn. 15 ff. Vgl. hierzu Rn. 36 f. Vgl. hierzu Rn. 63 ff.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Eine größere Anzahl von Entscheidungen betraf Einzelfragen zu Verfalls- und Einziehungsanordnungen, insbesondere das Verhältnis zu möglichen Ansprüchen Dritter, die Voraussetzungen von Anordnungen gegenüber Tatgehilfen sowie die Zulässigkeit von Anordnungen auch gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden.8 Auch wenn als Hauptbelastung eines Urteils regelmäßig die Höhe einer ausgesprochenen Freiheitsstrafe gesehen wird, sollte zumindest der Verteidiger nicht übersehen, dass die sich aus einer Verfallsanordnung ergebenden finanziellen Konsequenzen für einen Täter möglicherweise zeitlich erheblich länger andauern und damit belastender für sein weiteres Leben sein können als die mit einer Verbüßung erledigte Freiheitsstrafe! Daneben überwiegen die Entscheidungen zu den „klassischen“ Rechtsfehlern, die Tatgerichten unterlaufen sind, also etwa a) zur Aufrechterhaltung einer Sperre nach § 69a StGB im Urteil, obgleich zu diesem Zeitpunkt die Dauer der Sperre bereits abgelaufen war,9 b) zu den Voraussetzungen einer Beihilfehandlung für den Fall einer psychischen Beihilfe 10 oder überhaupt zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe, c) zu den Konkurrenzen, z.B. dem Verhältnis der versuchten Anstiftung eines anderen und der danach erfolgten eigenen Begehung dieser Straftat 11 oder der Verabredung mehrerer Verbrechen gemäß § 30 Abs. 2 StGB, wobei sich die Beurteilung der Konkurrenzen nach dem Konkurrenzverhältnis der vereinbarten und später zu begehenden Taten richtet,12 d) zur Strafzumessung, vgl. z.B. Beendigung des Beamtenverhältnisses infolge der Verurteilung als bestimmender Strafzumessungsgrund 13 und e) zur Gesamtstrafenbildung, vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 21.10.2009.14
2. Ausblick 8
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Die Durchsicht der Entscheidungen des Berichtsjahres zeigt, dass es derzeit keine grundlegenden Probleme in der Rechtsprechung im Hinblick auf Fragen des Allgemeinen Teils des StGB gibt. Vielmehr ging es darum, Einzelfragen weiter zu klären, welche teilweise aber auch von dem jeweiligen konkreten Sachverhalt abhingen. Dies zeigt sich am Besten bei den zahlreichen Entscheidungen, welche die Frage behandeln, ob bereits ein beendeter Versuch vorlag oder dieser noch nicht als beendet anzusehen war. Wichtige Entscheidungen grundsätzlicher Natur sind in der nächsten Zeit für den Bereich der Sicherungsverwahrung zu erwarten, indem es gilt, die neuen gesetzlichen Bestimmungen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 15 auszulegen und aus-
8 9 10 11 12 13 14 15
Vgl. hierzu Rn. 119 ff. BGH, Urteil v. 28.10.2009 – 2 StR 351/09, vgl. auch Rn. 85. BGH, Urteil v. 6.7.2010 – 3 StR 12/10, vgl. auch Rn. 25. BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 2 StR 87/10, vgl. auch Rn. 27. BGH, Urteil v. 13.1.2010 – 2 StR 439/09, vgl. auch Rn. 28. BGH, Beschl. v. 3.11.2009 – 4 StR 445/09, vgl. auch Rn. 58. BGH, Beschl. v. 21.10.2009 – 2 StR 377/09, vgl. hierzu auch Rn. 83. BGBl. I S. 2300.
II. 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB
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zuloten, inwieweit nämlich die Rechtsprechung die Sicherungsverwahrung sogleich mit dem Urteil anordnet oder aber zunächst die Möglichkeit ergreift, die Anordnung zunächst vorzubehalten und dann später über diese zu entscheiden. Auf jeden Fall wird die Zahl der angeordneten Sicherungsverwahrungen bereits deswegen geringer werden, weil Anlasstaten insoweit nur noch schwere Gewalt- und Sexualdelikte sein können oder in den Fällen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) StGB n.F. eine Straftat begangen wurde, welche im Höchstmaß mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist. Ein wichtiger Aufgabenbereich wird vor allem sein, die bislang angeordneten Sicherungsverwahrungen zu überprüfen, ob deren grundsätzliche Voraussetzungen gem. § 66b StGB n.F. noch fortbestehen oder aber eine andere Bewertung angezeigt ist. Dies wird nicht allein die Gerichte und Staatsanwaltschaften betreffen; vielmehr sind zur Beschleunigung hiervon betroffener Verfahren in besonderer Weise auch die Verteidiger berufen. Lag der Anordnung einer Sicherungsverwahrung allein die Begehung von Vermögensdelikten zu Grunde, dürfte es angezeigt sein, auf eine sofortige Freilassung des in Sicherungsverwahrung sich befindlichen Verurteilten hinzuwirken; ob das Zuwarten von bis zu sechs Monaten bis zu einer Freilassung (§ 66b StGB n.F. i.V.m. Art. 316e Abs. 3 Satz 2 EGStGB), um diesen hierfür vorzubereiten, rechtmäßig ist, ist bislang noch nicht geklärt. Abzuwarten bleibt, in welchem Ausmaß aus der Sicherungsverwahrung entlassene Straftäter in der sogenannten Therapieunterbringung gemäß dem Gesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter (Therapieunterbringungsgesetz – ThUG) vom 22.12.2010 16 untergebracht werden können, weil Voraussetzung hierfür das Vorliegen einer psychischen Störung gem. § 1 Abs. 1 ThUG ist, welche bei weitem nicht bei jedem hartnäckigen Straftäter vorliegen dürfte. Auch ist hierbei noch ungeklärt, ob diese Unterbringungsvariante letztlich mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention übereinstimmt. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit vier Urteilen vom 13.01.2011 17 (noch nicht rechtskräftig) seine Rechtsprechung aus dem Dezember 2009 bestätigte, wobei es allerdings wiederum um sog. „Altfälle“ ging und die neue Reformgesetzgebung keine Erwähnung gefunden hat. Allerdings wurde Deutschland nachdrücklich gemahnt, für die Umsetzung seiner Rechtsprechung Sorge zu tragen.
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II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB Allgemeiner Teil 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB a)
Vorbereitungshandlung und Versuch
Eine nicht unerhebliche Fehlerquelle bei Entscheidungen ist die oftmals bereits im Rahmen der Feststellungen schwierige und dann bei der darauf beruhenden rechtlichen Subsumption nicht einfachere Frage, ob einer bestimmten Tathandlung in Abgrenzung zur bloßen Vorbereitung bereits eine Versuchsstrafbarkeit zugrunde 16 17
BGBl. I S. 2305. EGMR, Urteile vom 13.1.2011 – Beschwerde-Nrn. 6587/04, 20008/07, 27360/04 und 42225/07.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
liegt, und ob gegebenenfalls der Tatrichter darüber hinaus von einem Rücktritt auszugehen hat. Gerade bei den an der Zahl zunehmenden Sachverhalten, bei denen Täter „versuchen“, an Bankautomaten verwendete Zahlungskarten zu kopieren, um danach mit den erbeuteten Daten Kartendubletten herzustellen, sind diese Tatbegehungen (zumindest soweit sie nicht erfolgreich sind) entsprechend der getroffenen Feststellungen rechtlich genau einzuordnen und danach die evtl. Versuchsstrafbarkeit zu bestimmen, wie sich aus dem Beschluss vom 14.9.2010 18 ergibt: Diese Feststellungen bilden keine tragfähige Grundlage für eine Verurteilung wegen versuchter gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion, weil die Schwelle zum Versuchsbeginn noch nicht überschritten ist. Mit seinen gescheiterten Bemühungen, durch den Einsatz des Skimmers in den Besitz der Daten zu gelangen, hat der Angeklagte noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt (§ 22 StGB). Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen nur bei solchen Handlungen vor, die nach Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (vgl. BGH NJW 2010, 623 m.w.N.). Danach ist ein Versuch des gewerbs- und bandenmäßigen Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion erst dann gegeben, wenn die Täter vorsätzlich und in der tatbestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung selbst beginnen (BGH aaO). Zum Versuch des Nachmachens setzt daher – wie vorliegend – noch nicht an, wer die aufgezeichneten Datensätze noch nicht in seinen Besitz bringen und sie deshalb auch nicht an seine Mittäter, die die Herstellung der Kartendubletten vornehmen sollten, übermitteln konnte. Der Rechtsfehler führt gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog in den genannten Fällen aber lediglich zur Änderung des Schuldspruchs. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei alle notwendigen Feststellungen hinsichtlich der Verabredung der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (§ 30 Abs. 2, § 152a Abs. 1 und § 152b Abs. 1 und 2 StGB) getroffen. Die Vorschrift des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Der zum Tatgeschehen geständige Angeklagte hätte sich gegen den veränderten Schuldvorwurf nicht anders verteidigen können.
■ PRAXISHINWEIS
Wird ein Täter beim Skimmen von Kartendaten festgestellt, liegt noch kein Versuch der Fälschung von Zahlungskarten vor. Weil das Auslesen der Magnetstreifen der Karten auch keine Straftat nach § 202a StGB darstellt,19 verbleibt es nur bei einer möglichen Verabredung der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (§ 30 Abs. 2 i.V.m. § 152a StGB).
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BGH, Beschl. v. 14.9.2010 – 5 StR 336/10. BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – 4 StR 555/09, vgl. Rn. 162.
II. 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB
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Dies gilt auch für den ähnlichen Sachverhalt, dass versucht wird, Kartenrohlinge zum späteren Kopieren der „erbeuteten“ Magnetkartendaten zu erlangen:20
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Die Schwelle zum Versuch des Verbrechens nach § 152b Abs. 1 und 2, 152a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB ist noch nicht überschritten. Mit ihren gescheiterten Bemühungen, das Paket mit den Zahlungskartenrohlingen ausgehändigt zu erhalten, haben die Angeklagten noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt (§ 22 StGB).
Versuch wurde bei einem beabsichtigten Raubüberfall angenommen, welcher daran scheiterte, dass das Opfer die Wohnungstür nicht öffnete.21
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Im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nicht wegen Verabredung zu einem Verbrechen, sondern wegen des Versuchs einer besonders schweren räuberischen Erpressung strafbar gemacht: Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte mit weiteren Tatbeteiligten bereits im Zuge der Planung des Überfalls zu Fall II. 3. vereinbart, auf der Rückfahrt von M. am gleichen Tag bei dem Zeugen H. in R. vorbeizufahren, um diesen unter Gewaltandrohung mittels sämtlicher mitgeführter gefährlicher Werkzeuge zur Herausgabe von Betäubungsmitteln zu zwingen. Nach dem Fehlschlag ihres Vorhabens im Fall II. 3. fuhren sie zur Wohnung des Zeugen H. Da dieser weder auf Klingeln noch auf Klopfen an der Wohnungstür reagierte sowie auf einen Mobiltelefonanruf hin wahrheitswidrig behauptete, nicht zu Hause zu sein, gaben der Angeklagte und die weiteren Beteiligten ihren Tatplan als gescheitert auf. a) Durch das Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür des Zeugen H. haben die Tatbeteiligten, welche die zur Gewaltanwendung vorgesehenen Gegenstände einsatzbereit mit sich führten, nach ihrer Vorstellung bereits unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat im Sinne des § 22 StGB liegt bei Handlungen des Täters vor, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen (vgl. BGHSt 26, 201; 32, 236; BGHR StGB § 22 Ansetzen 33; BGH NStZ 1984, 506). Der Versuch schlug mangels Öffnens der Tür durch das Tatopfer fehl. Der Senat hat den Schuldspruch geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht anders hätte verteidigen können. Die Einzelstrafe ist von der Schuldspruchänderung nicht berührt. Das Landgericht hat die Strafe dem nach § 30 Abs. 1 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB entnommen, so dass der Strafrahmen für das versuchte Verbrechen keinesfalls geringer sein kann.
b) Beendeter oder unbeendeter Versuch, Rücktritt Insbesondere bei Tatbeständen, bei welchen ein Tötungsvorsatz nicht von der Hand zu weisen ist und bei denen das Opfer glücklicherweise dennoch überlebt hat, stellt sich die Rücktrittsfrage, wenn der Täter, aus welchen Gründen auch immer, seine zunächst begonnenen Handlungen nicht fortgesetzt hat. Dabei ist es grundsätzlich erforderlich, den Sachverhalt danach abzugrenzen, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, wie sich aus nachfolgender Entscheidung vom 19.1.201022 ergibt:
20 21 22
BGH, Urteil v. 13.1.2010 – 2 StR 439/09. BGH, Beschl. v. 11.5.2010 – 3 StR 105/10. BGH, Beschl. v. 19.1.2010 – 4 StR 605/09.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Vor dem Hintergrund der Feststellungen bestand Anlass für die Prüfung der Frage, ob der Angeklagte vom unbeendeten oder beendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs.1 Satz 1 StGB). a) Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 39, 221, 227; 35, 90; 33, 295, 298; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 29). Ist dies der Fall, so ist der Versuch beendet und damit ein strafbefreiender Rücktritt durch bloßes Absehen von weiteren tatbestandsmäßigen Handlungen nicht möglich. Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus der Sicht des Täters noch möglich ist (BGHSt 39, 221, 227), so dass die freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung genügt. b) Der neue Tatrichter wird die Rücktrittsvoraussetzungen – für jeden Geschädigten gesondert – unter Berücksichtigung der Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluss der jeweils letzten konkret vorgenommenen Ausführungshandlung prüfen müssen, da sich die Gründe des angefochtenen Urteils dazu nicht verhalten. Dabei wird es hinsichtlich der Geschädigten C. S. auf die Vorstellungen des Angeklagten zu dem Zeitpunkt ankommen, in dem diese infolge seiner Axthiebe ohnmächtig wurde, woraufhin er von ihr abließ. Hätte er sich bei Aufgabe der weiteren Tatausführung hier keine Vorstellungen über die Folgen seines Angriffs auf die Geschädigte gemacht, kommt ein beendeter Versuch in Betracht (BGHSt 40, 304, 306). Was einen möglichen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Totschlags im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB zum Nachteil der D. M. angeht, als sich der Angeklagte von dieser Geschädigten ab- und dem U. S. zuwandte, wird das Landgericht insbesondere bedenken müssen, dass Strafbefreiung im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB den Entschluss des Täters voraussetzt, auf die weitere Durchführung der Tat im Ganzen und endgültig zu verzichten (BGHSt 7, 296, 297; 35, 184, 187). Nicht aufgegeben ist die Tat dagegen, solange der Täter mit dem Versuch ihrer Begehung lediglich vorübergehend innehält (BGH, Urteil vom 1. April 2009 – 2 StR 571/08, NStZ 2009, 501). Im Hinblick auf den Geschädigten U. S. wird zu erörtern sein, ob der Angeklagte die Vorstellung hatte, er könne U.S. noch erreichen, als dieser sich nach der letzten Angriffshandlung des Angeklagten zur Flucht wandte, ob also aus seiner Sicht eine Vollendung noch möglich war. Anderenfalls und auch dann, wenn der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt davon ausging, der Geschädigte S. werde die Polizei alarmieren oder Hilfe holen, wird ein fehlgeschlagener Versuch in Betracht zu ziehen sein. ■ PRAXISHINWEIS
Hat sich der Tötungsvorsatz des Täters gegen mehrere Geschädigte gerichtet, sind die Rücktrittsvoraussetzungen – für jeden Geschädigten gesondert – unter Berücksichtigung der jeweiligen Vorstellungen des Angeklagten – zu prüfen! 16
Auch beim nachfolgenden Sachverhalt hatte das Ausgangsgericht mit fehlerhafter Begründung einen bereits beendeten Versuch angenommen und deshalb das Vorliegen eines Rücktritts nicht ausreichend geprüft: Rechnet der Täter nach der letzten Ausführungshandlung (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus Sicht des Täters noch möglich
II. 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB
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ist. In diesem Fall genügt das bloße Aufgeben weiterer Tatausführung, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen.23 2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes zum Nachteil des Zeugen R. hat keinen Bestand, weil die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts durch das Landgericht rechtlicher Prüfung nicht standhält. a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte seine damalige Verlobte, die Zeugin K., die nach einem gemeinsamen Diskothekenbesuch infolge einer Kreislaufschwäche auf einem Parkplatzgelände lag, sowie die Zeugen S. und R., die ihr helfen wollten und neben ihr knieten, mit seinem Kastenwagen vorsätzlich an, wobei er schwere, auch tödliche Verletzungen der drei Personen in Kauf nahm. Die Zeugen K. und S. wurden von dem Fahrzeug überrollt und erlitten schwere Verletzungen, der Zeuge R. wurde lediglich „streifend am Arm“ erfasst und nur geringfügig verletzt. Bevor sich der Angeklagte vom Tatort entfernte, betrachtete er die beiden Schwerverletzten. Er unternahm weder einen weiteren Angriff noch sorgte er für ärztliche Hilfe. Zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts hat das Landgericht ausgeführt, dass es aus der Sicht des Angeklagten nicht nötig gewesen sei, seinen Opfern weitere Verletzungen beizubringen, „da N. K. bereits offenbar schwer verletzt und vor Schmerzen laut schreiend auf dem Boden lag und er also sein Ziel, N. K. für ihr Verhalten ihm gegenüber zu bestrafen, schon erreicht hatte. Die Frage eines etwaigen Rücktritts stellt sich damit nicht, der Tötungsversuch war bereits beendet“ (UA 83). b) Dies hält, soweit es die Tat zum Nachteil des Zeugen R. betrifft, rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Urteilsfeststellungen nicht belegen, dass insoweit ein beendeter Versuch vorlag. aa) Für die Abgrenzung des beendeten vom unbeendeten Versuch kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; Urteil vom 22. August 1985 – 4 StR 326/85, BGHSt 33, 295, 299; Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227) oder sich keine Gedanken darüber macht, ob sein bisheriges Verhalten ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304). Hält er den Erfolgseintritt für möglich, so ist der Versuch beendet. In diesem Fall setzt ein strafbefreiender Rücktritt voraus, dass der Täter den Erfolgseintritt durch eigene Tätigkeit verhindert oder sich, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt, darum bemüht. Rechnet der Täter dagegen nach der letzten Ausführungshandlung (noch) nicht mit dem Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, so ist der Versuch unbeendet, wenn die Vollendung aus Sicht des Täters noch möglich war. In diesem Fall genügt das bloße Aufgeben weiterer Tatausführung, um die strafbefreiende Wirkung des Rücktritts zu erlangen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter von weiteren Handlungen absieht, weil er sein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel erreicht hat. bb) Dafür, dass der Angeklagte den Tod des Zeugen R., der von dem Fahrzeug nicht wie die anderen Geschädigten überrollt, sondern nur am Arm leicht erfasst worden ist, für möglich hielt, ergeben sich aus den Urteilsgründen keine hinreichenden Anhaltspunkte. Das Urteil verhält sich zwar nicht ausdrücklich dazu, wo sich dieser Zeuge befand, als der Angeklagte die beiden Schwerverletzten betrachtete und ob der Angeklagte dessen 23
Beschl. v. 22.7.2010 – 4 StR 180/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
vergleichsweise geringe Verletzungen bemerkte. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte sowohl im Augenblick des Überrollens als auch beim Anblick der beiden Schwerverletzten erkannte, dass er nur zwei und nicht drei Personen überfahren hat. Entsprechend äußerte er sich zudem unmittelbar nach der Tat gegenüber seinen Eltern (UA 29).
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Aber auch wenn nur ein unbeendeter Versuch vorliegt, kann dennoch ein Rücktritt ausscheiden, wenn zwar der Beschuldigte freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben hatte, aber zumindest die Möglichkeit billigend in Kauf nahm, dass der Geschädigte möglicherweise doch tödlich verletzt sei:24 a) Da offen bleibt, ob weitere Stiche möglich gewesen wären, liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor. b) Der Angeklagte hat keine Rettungsmaßnahmen ergriffen. Im rechtlichen Ansatz zutreffend geht die Jugendkammer davon aus, aus diesem Grund komme kein Rücktritt in Betracht, da hier ein beendeter Versuch vorliege. Der Versuch sei deshalb beendet, weil der Angeklagte davon ausging, dass er sein Ziel, die Kampfunfähigkeit des Geschädigten, erreicht habe (gemeint: dass er davon ausging, dass dies demnächst eintreten werde). Dies ist allerdings unzutreffend. Ob ein Versuch beendet ist oder nicht, richtet sich nicht nach der Vorstellung des Täters über ein außertatbestandsmäßiges Handlungsziel, sondern über den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs (Rücktrittshorizont). Auch bei Erreichung des außertatbestandsmäßigen Ziels kann ein unbeendeter Versuch vorliegen, so dass bloßes Aufgeben weiterer Tatausführung für Rücktritt genügte (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 ff.). c) Dennoch hat das Urteil im Ergebnis Bestand. Der Angeklagte hatte eine mögliche tödliche Wirkung des Stichs billigend in Kauf genommen. Daher legt die Feststellung, der Angeklagte habe bei seiner Flucht unmittelbar nach dem Stich mit dessen baldiger Wirkung gerechnet, die Annahme nahe, er habe (auch) den baldigen Tod des Geschädigten für möglich gehalten. Zumindest wird aber deutlich, dass der Angeklagte jedenfalls keine gegenteiligen Erwägungen angestellt hat, er sich also – allenfalls – überhaupt keine Vorstellungen darüber gemacht hat, ob der Geschädigte sterben könne oder nicht, sodass jedenfalls deshalb beendeter Versuch vorliegt (BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264, 266; BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306), von dem der Angeklagte nicht zurückgetreten ist.
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Auch der Sachverhalt, welcher dem Urteil vom 25.3.2010 25 zugrunde liegt, konnte nicht zutreffend entschieden werden, ohne eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein beendeter oder noch unbeendeter Versuch vorlag, denn erst danach konnte auch die Frage eines erfolgreichen straffreien Rücktritts abschließend geprüft werden: 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Angeklagte hielt sich am Abend des 16. November 2008 mit Freunden in Augsburg in der Gaststätte „M.“ auf und konsumierte 1 1/2 Flaschen Wodka sowie nicht alkoholische Getränke. Als der Angeklagte bemerkte, dass er nicht genügend Geld bei sich hatte, um die Zeche zu bezahlen, bat er zunächst eine Bedienung mit dem Namen „A.“, ihm Geld zu leihen, damit er weitere Getränke bestellen könne. Dies lehnte die Bedienung ab, weil sie selbst kein Geld bei sich
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BGH, Beschl. v. 13.9.2010 – 1 StR 423/10. BGH, Urteil v. 25.3.2010 – 1 StR 601/09.
II. 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB
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hatte und aus der Kasse kein Geld nehmen wollte. „Anschreiben lassen“ wollte der Angeklagte nicht, weil er befürchtete, die Rechnung könnte später mehr Getränke enthalten, als er tatsächlich konsumiert hatte. Gegen 2.50 Uhr, als die Bedienung „A.“ ihre Schicht bereits beendet und die Gaststätte verlassen hatte, ging der Angeklagte zur Bar, um nun die dort ebenfalls als Bedienung tätige Zeugin S. aufzufordern, ihm Geld zu leihen. Er legte eine Eisenstange vor sich auf der Theke ab, ohne die Zeugin direkt damit zu bedrohen, und forderte sie auf, ihm 200 Euro zu geben. Dies lehnte die Zeugin mit dem Bemerken ab, sie könne ihm kein Geld geben, weil sie keines habe und sich auch in der Kasse keines befinde. Nun begab sich der Angeklagte mit der Stange in der Hand hinter den Tresen und forderte die Zeugin S. auf, ihm dann zumindest 150 Euro zu geben. Dabei äußerte er, dass er sich häufiger von dem Barinhaber P. Geld leihe, um die Zeche zu bezahlen. Er forderte nun die Zeugin auf, P. anzurufen, damit er ihr erklären könne, dass sie ihm Geld geben könne. Auf die Ankündigung hin, sie werde nach draußen gehen, um P. von dort aus anzurufen und ihn zu fragen, ob sie dem Angeklagten Geld leihen dürfe, ließ der Angeklagte die Zeugin mit dem Telefon in der Hand passieren. Der Angeklagte setzte sich zunächst an die Bar, begab sich dann aber zum Ausgang der Bar und blieb dort im Türrahmen stehen, während die Zeugin S. vor dem Lokal telefonierte. Er ging ihr nicht nach und forderte auch nicht erneut Geld. Vielmehr unterhielt er sich mit anderen Personen und wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben werde … . 2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hatte zwar Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten, er habe sich das Geld nur leihen wollen, ist dieser Frage aber nicht näher nachgegangen, weil es „von einem strafbefreienden Rücktritt überzeugt“ war. Das Landgericht ist der Ansicht, der Versuch sei noch nicht beendet gewesen, weil aus der Sicht des Angeklagten „noch nicht alles Nötige getan war, um den Tatbestand zu vollenden“. Er hätte der Zeugin S. während des Telefonats folgen und im Falle einer negativen Antwort erneut Geld fordern können. Dies habe er jedoch nicht getan. Vielmehr habe er die weitere Tatbestandsverwirklichung aufgegeben, während er auf die Rückkehr der Zeugin gewartet habe. Der Versuch sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht fehlgeschlagen gewesen, weil der Angeklagte aus seiner Sicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mittel – der Eisenstange – den Tatbestand hätte vollenden können und lediglich darauf lediglich darauf gewartet habe, ob die Zeugin ihm noch Geld geben werde. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Zeugin zwischenzeitlich die Polizei gerufen hatte. 3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind lückenhaft; sie sind schon aus diesem Grund nicht geeignet, die Wertung des Landgerichts zu tragen, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten (unten a). Zudem enthält die rechtliche Würdigung des Landgerichts auch einen Wertungsfehler, weil der Umstand, dass der Angeklagte die Zeugin S. beim Telefonieren nicht begleitet hat, ein Aufgeben der weiteren Tatausführung nicht belegt (unten b). …. a) Die vom Landgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind lückenhaft. Sie lassen eine abschließende Prüfung, ob der Angeklagte vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht zu. Das Landgericht durfte hier nicht offenlassen, welches Ziel der Angeklagte mit seinem Vorgehen erstrebte und ob überhaupt ein Versuch der räuberischen Erpressung gegeben war. Denn diese Fragen haben Bedeutung für das Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt eines möglichen Rücktritts und damit für die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts. Während bei einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB die freiwillige weitere [Aufgabe der] Tatausführung zur Straffreiheit führt, setzt ein strafbefreiender Rücktritt bei einem beendeten Versuch voraus, dass der Täter die Vollendung der Tat verhindert (§ 24
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB) oder, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet, dass er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hatte, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch kommt ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein nicht in Betracht. Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben (st. Rspr.; vgl. BGHSt 14, 75, 79). Unbeendet ist der Versuch, wenn er glaubt, zur Vollendung des Tatbestands bedürfe es noch weiteren Handelns. Für die Abgrenzung kommt es dabei auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (BGHSt 31, 170, 175; 40, 304, 306). Entscheidend ist, ob der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGHSt 39, 221, 227). Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB allein durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung kam hier daher nur dann in Betracht, wenn der Versuch zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war. Welche Vorstellung der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung hatte – als er die Zeugin S. aufgefordert hatte, den Barinhaber P. anzurufen –, lässt das Landgericht hier rechtsfehlerhaft offen. Es stellt lediglich fest, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiter darauf wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben würde. Ob er dabei glaubte, er erhalte nun vom Barinhaber freiwillig ein Darlehen, oder ob er annahm, er erhalte das Geld (als Darlehen oder ohne Rückgabevereinbarung) allein aufgrund vorangegangener Drohungen mit der Eisenstange, stellt das Landgericht indes nicht fest. Dessen hätte es aber bedurft, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine versuchte räuberische Erpressung vorlag, und wenn ja, ob der Versuch unbeendet oder bereits beendet war. ■ PRAXISHINWEIS
Sollen die späteren Feststellungen zu einem strafbefreienden Rücktritt führen, werden solche Feststellungen regelmäßig dadurch erleichtert, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt ein (noch) unbeendeter Versuch vorliegt! 19
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Gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täters müssen [zur Annahme eines Rücktritts] zusätzlich auch noch Umstände festgestellt werden, welche die Wertung mit zulassen, dass er nach Beendigung seiner Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten hat. Dies kann nicht ohne weiteres unter Anwendung des Zweifelssatzes unterstellt werden. Ebenso kann nicht einfach unterstellt werden, das Opfer werde noch rechtzeitig durch die Hilfe anderer Personen gerettet werden.26 Auch wenn grundsätzlich ein Rücktritt möglich wäre, muss sich aus dem Urteil ergeben, dass ein zurücktretender Täter sich jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemüht hat, eine Vollendung der Tat zu verhindern; dabei sind höhere Anforderungen zu stellen, wenn ein Menschenleben gefährdet ist:27 2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei strafbefreiend vom (tateinheitlich begangenen) Totschlagsversuch zurückgetreten, hält auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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BGH, Urteil v. 8.12.2010 – 2 StR 536/10. BGH, Urteil v. 20.5.2010 – 3 StR 78/10.
II. 1. Versuch und Vollendung – §§ 22 ff. StGB
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Das Landgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Totschlagsversuch beendet war; denn der Angeklagte glaubte, dass seine Mutter an den ihr zugefügten Verletzungen versterben konnte. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts vom beendeten Versuch sind hingegen nicht ausreichend belegt. Die Urteilsfeststellungen sind insoweit lückenhaft und erlauben nicht den Schluss, dass der Angeklagte entweder die Vollendung der Tat freiwillig verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. StGB) oder sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). a) Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB kommt zwar auch in Betracht, wenn der Täter unter mehreren Möglichkeiten der Erfolgsverhinderung nicht die sicherste oder „optimale“ gewählt hat (BGHSt 48, 147). Erforderlich ist aber stets, dass der Täter eine neue Kausalkette in Gang gesetzt hat, die für die Nichtvollendung der Tat ursächlich, oder jedenfalls mitursächlich wird (BGHSt 33, 295, 301; BGH NStZ 2008, 508). Mit den Voraussetzungen dieser Rücktrittsregelung hat sich das Landgericht nicht ausdrücklich befasst. Es hat lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die aus anderen Gründen herbeigerufenen Rettungskräfte in die Wohnung der Geschädigten einließ. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses Verhalten im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB für die Erfolgsverhinderung kausal oder zumindest mitursächlich wurde, enthält das Urteil indes nicht. Es verhält sich insbesondere nicht dazu, ob der Angeklagte den Notarzt und die Sanitäter, die nicht zur Rettung seiner Mutter herbeigerufen, sondern von dieser wegen seines Selbstmordversuchs alarmiert worden waren, über die veränderte Sachlage in Kenntnis setzte und ihnen den Weg zu seiner verletzten Mutter wies und auf diese Weise deren Rettung erleichterte oder beschleunigte – was in Anbetracht der konkreten Umstände für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. StGB ausgereicht hätte –, oder ob der Notarzt die Wohnung der Verletzten auch ohne Zutun des Angeklagten ohne wesentliche Verzögerung betreten, das Tatopfer finden und dieses damit auch ohne Mitwirkung des Angeklagten retten konnte (BGH NJW 1990, 3219; BGH NStZ aaO). b) Dass sich der Angeklagte – wovon das Landgericht ausgegangen ist – im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB jedenfalls freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Vollendung zu verhindern, ist durch die Feststellungen ebenfalls nicht hinreichend belegt. § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB setzt voraus, dass der Täter alles tut, was in seinen Kräften steht und nach seiner Überzeugung zur Erfolgsabwendung erforderlich ist, und dass er die aus seiner Sicht ausreichenden Verhinderungsmöglichkeiten ausschöpft, wobei er sich auch der Hilfe Dritter bedienen kann (BGHSt 33, 295, 301 f.; BGH NStZ 2008, 329). Allerdings sind, wenn – wie hier – ein Menschenleben auf dem Spiel steht, insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Der Täter muss sich um die bestmögliche Maßnahme bemühen. Hilft er nicht selbst, so muss er sich zumindest vergewissern, ob die Hilfspersonen das Notwendige und Erforderliche veranlassen (BGHSt aaO).
Auf Rücktrittsbemühungen im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 StGB kommt es nicht an, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist. Umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an. Hierfür ist die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des § 24 Abs. 1 StGB stets, in Fällen des § 24 Abs. 2 StGB mittelbar dann von Bedeutung, wenn sich die (gemeinsame) Verhinderungsleistung von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann.28 28
BGH, Urteil v. 19.5.2010 – 2 StR 278/09.
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a) Soweit das Landgericht bei allen Angeklagten bedingten Tötungsvorsatz festgestellt hat, begegnet dies im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann bei Vornahme offenkundig äußerst gefährlicher Gewalthandlungen das Vertrauen auf einen glücklichen Ausgang so fern liegen, dass sich die Annahme bedingten Vorsatzes aufdrängt und eine nähere Erörterung in den Urteilsgründen nicht erforderlich ist. So lag es hier. Auch unter Berücksichtigung des Alters sowie des Bildungs- und Kenntnisstands der Angeklagten drängte sich die Lebensgefährlichkeit des Übergießens einer (zudem noch entkleideten und gefesselten) Person mit mehreren Litern Benzin und des Entzündens in einem solchen Maß auf, dass die Einlassung, auf einen „glücklichen Ausgang“ oder gar darauf vertraut zu haben, es werde „nichts passieren“, vom Tatrichter ohne Rechtsfehler als gänzlich fern liegend angesehen werden konnte (vgl. UA S. 70). Hinsichtlich des Angeklagten V. war insoweit auch seine nachträgliche Äußerung gegenüber dem Nebenkläger zu berücksichtigen, dieser könne sich (für sein Überleben) bei Va. und K. bedanken; hieraus erschließt sich unmittelbar, dass der Angeklagte die Todesgefahr zutreffend erkannt und ihre Verwirklichung jedenfalls in Kauf genommen hatte. Das gilt entsprechend auch für den Angeklagten L. Bei den Angeklagten Va. und K. hat das Landgericht zwar den Umstand nicht ausdrücklich gewürdigt, dass diese Angeklagten möglicherweise versuchten, V. vom Inbrandsetzen der Benzinspur durch Zurufe abzuhalten; hieraus konnte geschlossen werden, dass sie zu diesem Zeitpunkt den Taterfolg nicht billigten. Im Ergebnis begegnet es aber keinen durchgreifenden Bedenken, wenn das Landgericht, soweit erkennbar, insoweit auf den Zeitpunkt unmittelbar nach diesen (halbherzigen) Bemühungen abgestellt hat. Denn als V. und L. trotz der Intervention der Angeklagten Va. und K. ihre Tathandlungen fortsetzten und diese es unterließen, dem wirksam entgegenzutreten, hatten sie die Möglichkeit schwerer und unter Umständen tödlicher Verletzungen erkannt. Dass der Tatrichter aus ihrer Untätigkeit auf ein billigendes Inkaufnehmen zu diesem Zeitpunkt geschlossen hat, ist eine mögliche, nicht rechtsfehlerhafte Schlussfolgerung. Soweit die Urteilsgründe eher auf Kriterien der Fahrlässigkeit abzustellen scheinen – etwa Erwägungen, ob die Angeklagten auf einen glücklichen Ausgang vertrauen „durften“, was sich ihnen aufdrängen „musste“, usw. (vgl. UA S. 71) –, handelt es sich dabei nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nur um Unklarheiten der Formulierung. b) Die Erwägungen des Landgerichts zu einem möglichen Rücktritt vom Versuch sind nicht frei von Rechtsfehlern. Diese wirken sich allerdings für die Angeklagten unterschiedlich aus. Eine sich nach den Feststellungen aufdrängende Differenzierung zwischen den beiden Angeklagten V. und L. einerseits, die das Tötungsdelikt durch aktives Tun versucht haben, und den Angeklagten Va. und K. andererseits, die das Landgericht jeweils als Nebentäter durch Unterlassen angesehen hat, hat der Tatrichter zu Unrecht nicht vorgenommen. Die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts gem. § 24 StGB hat das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei erkannt. aa) Die Erwägung, die Angeklagten V. und L. seien vom Versuch des Totschlags nicht zurückgetreten, weil V. „nicht einmal rudimentäre Rücktrittsbemühungen“ habe erkennen lassen und sich L. nicht an den Rettungsversuchen von Va. und K. beteiligt habe (UA S. 84 f.), geht von einem falschen Ausgangspunkt aus. Auf Rücktrittsbemühungen im Sinne von § 24 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 StGB kommt es nicht an, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist (ständ. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 227; 44, 91, 94; BGH NStZ-RR 2006, 168; Fischer StGB 57. Aufl. § 24 Rn. 7 f. m.w.Nachw.). Das ist der Fall, wenn der Täter nach seiner letzten auf den Taterfolg gerichteten Ausführungshandlung erkennt, dass der Erfolg nicht eingetreten ist und mit nahe liegenden Mitteln ohne wesentliche Änderung des Tatplans und Begründung einer neuen Kausalkette auch nicht mehr verwirklicht werden
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kann. Für die Beurteilung kommt es daher im Ausgangspunkt auf die Sicht des Täters nach der (objektiv erfolglosen) Tathandlung an. Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des § 24 Abs. 1 StGB stets, in solchen des § 24 Abs. 2 StGB mittelbar dann von Bedeutung ist, wenn sich die (gemeinsame) Verhinderungsleistung von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann (vgl. BGHSt 42, 158, 162; BGH NStZ 1989, 317, 318; Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl., § 24 Rn. 400; Rudolphi in SK § 24 Rn. 27d; Kudlich in SSW § 24 Rn. 57; Fischer aaO § 24 Rn. 40). Auf der Grundlage der rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts war hier hinsichtlich der Angeklagten V. und L. ein Fehlschlag des Versuchs gegeben. Ein Tatvorsatz dieser Angeklagter war jedenfalls in dem Moment gegeben, als der Angeklagte V. mit aktiver Unterstützung des Angeklagten L. dazu ansetzte, die Benzinspur und damit den Geschädigten in Brand zu setzen. Denn als in diesem Moment die weiteren Angeklagten Va. und K. darauf verzichteten, dem Handeln der beiden anderen Angeklagten ernsthaft und Erfolg versprechend entgegen zu treten, konnte V. zu Recht davon ausgehen, dass eine konkludente Billigung dieser Handlung und ihrer möglichen Folgen vorlag. Dies änderte sich aber, nachdem der Geschädigte tatsächlich in Brand geraten war. Auch wenn nach den Feststellungen des Landgerichts die Angeklagten Va. und K. nur „die letzten Flammen“ löschten, nachdem der Geschädigte brennend durch den Wald gelaufen, dann „zurückgekehrt“ war und sich auf dem Boden wälzte, war doch für alle Beteiligten offensichtlich, dass ein zuvor durch Stillhalten zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis dieser Angeklagten mit der möglichen Tötung des Geschädigten nicht mehr fortbestand. Dass er dies zutreffend erkannte, brachte auch die spätere Äußerung V.s zum Ausdruck, der Nebenkläger könne sich bei Va. und K. (für sein Überleben) bedanken. Die Angeklagten V. und L. konnten daher, wenn sie mit der Tötung des Geschädigten hätten fortfahren wollen, auf die Unterstützung der beiden anderen Täter nicht mehr rechnen; sie hätten daher, um den Erfolg – etwa durch Einsatz anderer Tatmittel – noch herbeizuführen, einen ganz neuen, abweichenden Tatplan entwickeln und umsetzen müssen, wobei sie unter Umständen mit Widerstand von Seiten der Mitangeklagten hätten rechnen müssen. Aus Sicht dieser beiden Täter stellte sich die bedingt vorsätzlich versuchte Tötung des Geschädigten daher als (endgültig) fehlgeschlagen im Rechtssinn dar. Auf eine Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch oder auf die Kausalität oder Ernsthaftigkeit späterer zur Rettung des Geschädigten führender Handlungen kam es danach nicht mehr an. Die Verurteilung dieser beiden Angeklagten wegen versuchten Tötungsdelikts erweist sich daher im Ergebnis als zutreffend. Dass die Angeklagten nicht wegen versuchten Mordes – Verwirklichung der Mordmerkmale der Grausamkeit und der sonstigen niedrigen Beweggründe – verurteilt worden sind, beschwert sie nicht.
c)
Möglichkeit der Strafmilderung gemäß § 49 Abs. 1 StGB
Hinsichtlich der Frage einer Milderung nach § 49 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 2 StGB hat der 3. Strafsenat im Beschluss vom 28.9.2010 29 ausgeführt, dass es für die Ablehnung einer Milderung nicht ausreicht, eine Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände vorzunehmen; vielmehr müssen bei dieser Entscheidung insbesondere die versuchsbezogenen Tatumstände Berücksichtigung finden: 29
BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 3 StR 261/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Der Strafausspruch hält bei beiden Angeklagten rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB, bei dem Angeklagten K. gemildert nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB, entnommen. Eine – bei dem Angeklagten K. weitere – Milderung wegen Versuchs nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat es abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, in diesem Zusammenhang sei eine „Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände“ vorzunehmen; lediglich solche hat es sodann erwogen. Dies genügt den Anforderungen an die Strafrahmenwahl bei einem Versuch nicht. Dabei hat das Tatgericht neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei vor allem die versuchsbezogenen Gesichtspunkte, namentlich insbesondere die Nähe der Tatvollendung, die Gefährlichkeit des Versuchs und die eingesetzte kriminelle Energie, in einer Gesamtschau umfassend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 17. März 1988 – 1 StR 104/88, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 4; Urteil vom 23. September 1993 – 3 StR 430/93, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 12; Beschluss vom 27. Oktober 2000 – 2 StR 381/00, BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 13; Beschluss vom 6. November 2002 – 5 StR 361/02, NStZ-RR 2003, 72; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 23 Rn. 4). Hieran fehlt es.
■ PRAXISHINWEIS
Gerade beim Vorliegen mehrerer Milderungsmöglichkeiten können sich „Auswahlfehler“ bei der Strafrahmenwahl einerseits und der Festlegung der Strafe andererseits ergeben. Insoweit kann eine diesbezügliche Rüge eher erfolgreich sein als eine bloße Rüge zur Strafzumessung!
2. Mittäterschaft/Beihilfe – §§ 25, 27 StGB 23
Das Fahren eines Fluchtfahrzeugs muss nicht stets zur Annahme von Mittäterschaft führen; ein solches Verhalten kann sich – je nach den weiteren Tatumständen – auch als Beihilfe darstellen.30 b) Das Landgericht ist zur Annahme einer täterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten Q. mit der Begründung gelangt, dass das Fahren des Fluchtfahrzeugs zu den wesentlichen Voraussetzungen für die erfolgreiche Durchführung eines Überfalls gehöre, was für eine mittäterschaftliche Beteiligung spreche (UA S. 14). Weitere Erwägungen hat es nicht angestellt. c) Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern will, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Ob ein Beteiligter dieses enge Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten von seiner Vorstellung umfassten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte hierfür können gefunden werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der Tatbeteili-
30
BGH, Beschl. v. 13.1.2010 – 5 StR 506/09.
II. 2. Mittäterschaft/Beihilfe – §§ 25, 27 StGB
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gung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH StraFo 1998, 166; NStZ 2006, 94). Eine Bewertung nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht nicht vorgenommen. Zwar ist es richtig, dass Mittäterschaft nicht zwingend auch eine Mitwirkung am Kerngeschehen erfordert (vgl. BGH NStZ 2009, 25) und dass dem Fahren des Fluchtfahrzeugs als einem unverzichtbaren Beitrag für das Gelingen der Tat hinsichtlich der Frage der Täterschaft wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 74). Entgegen der durch die Strafkammer wohl vertretenen Auffassung ist jedoch nicht grundsätzlich anerkannt, dass das Fahren eines Fluchtfahrzeugs stets zur Annahme von Mittäterschaft führt; vielmehr kann sich ein solches Verhalten – je nach den weiteren Tatumständen – auch als Beihilfe darstellen (vgl. etwa BGH aaO sowie BGH NStZ 2006, 94). … b) Keinen Bedenken begegnet es, dass die Strafkammer die Voraussetzungen eines Rücktritts nach dem hier allein in Betracht kommenden § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB verneint hat. Nach den Feststellungen haben die Angestellten des Autohauses die Eingangstüren verschlossen, nachdem sie I. und S. gesehen und wegen eines sechs Wochen zuvor erfolgten Überfalls den Verdacht eines bevorstehenden neuerlichen Überfalls geschöpft hatten. l. und S., die zu dieser Zeit etwa fünf bis sechs Meter von der vorderen Ladentür entfernt waren, bemerkten dies und brachen die weitere Tatausführung ab, weil sie erkannten, dass ein Überfall auf das Autohaus jetzt nicht mehr möglich war (UA S. 7). Diese Feststellungen, auf deren Grundlage eine freiwillige Aufgabe des Vorhabens im Sinne von § 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB ausgeschlossen ist (vgl. BGH NStZ 1998, 510; Fischer, StGB 57. Aufl. § 24 Rdn. 19a), hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise anhand der äußeren Umstände in Verbindung mit den Aussagen der Zeugen K. und T. getroffen. Der Einlassung des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten I. gemäß Vernehmungsniederschrift vom 8. Oktober 2008, er habe das Vorhaben aufgegeben, weil ihm seine frühere Strafverbüßung in den Sinn gekommen sei, musste die Strafkammer nicht folgen. Auf die überflüssige Anmerkung, dass I. bei dieser zweiten Aussage anwaltlich vertreten war, hat das Landgericht seine Beweiswürdigung dabei nicht gestützt. Die in diesem Zusammenhang von der Verteidigung erhobene Inbegriffsrüge geht daher schon aus diesem Grunde ins Leere. PRAXISHINWEIS ■
Die vorliegende Entscheidung scheint althergebrachte Überzeugungsregeln aufzubrechen; tatsächlich wird aber nur nachdrücklich festgestellt, dass die Einordnung als Täter und Gehilfe immer vom konkreten Tatbeitrag abhängt und der weiteren Frage, wie die betroffene Person zur Tat beiträgt, insbesondere ob sie über Tatherrschaftsmöglichkeiten verfügt. Die Entscheidung erinnert aber daran, bei jedem neuen Sachverhalt diese Fragen jeweils neu zu stellen und zu untersuchen! Weiterhin zeigt die Entscheidung aber auch einen zweiten Problembereich auf, nämlich den abgebrochenen Versuch einer Tat, weil bereits bei der Annäherung festgestellt wurde, dass die Tat aufgrund gegebener aktueller Umstände nicht mehr ausführbar war. Soweit es sich bei der beabsichtigten Tat um ein Verbrechen gehandelt hätte, wäre danach kein freiwilliger Rücktritt vom Versuch der Beteiligung mehr möglich gewesen (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 StGB)!
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Konnte der Angeklagte durch das bloße Zurücklassen des dem Tod geweihten Opfers die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan worden war, scheidet mangels eines Beitrags zu einer aktiven Tatbestandsverwirklichung die Annahme sukzessiver aktiver Mittäterschaft aus.31 Das Landgericht ist von einer sukzessiven Mittäterschaft durch aktives Tun des Angeklagten ausgegangen, weil diesem der – nach dem Grundsatz in dubio pro reo (vgl. BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 8; BGH StV 2007, 284, 286; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 459/06 Tz. 5) dem unbekannten T. zugeschriebene – verletzungsintensive Schlag mit der Flasche wegen anschließender gemeinsamer Tatvollendung durch Zurücklassen des Opfers zuzurechnen sei. Hierbei hat das Landgericht indes übersehen, dass der Angeklagte durch das bloße Zurücklassen des dem Tod geweihten Opfers die weitere Tatausführung nicht mehr fördern konnte, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan worden war. Mangels eines Beitrags zu einer aktiven Tatbestandsverwirklichung scheidet hier die Annahme sukzessiver aktiver Mittäterschaft aus (vgl. BGH NStZ 1984, 548, 549 m.w.N.; BGH StV 2007, 284, 285). b) Die fehlerfrei getroffenen Feststellungen rechtfertigen aber auch im Übrigen nicht die Annahme eines mittäterschaftlichen Totschlags und einer mittäterschaftlichen Freiheitsberaubung. Es fehlt insoweit an der gebotenen umfassenden Würdigung des Beweisergebnisses (vgl. BGH NJW 2010, 92, 97 m.w.N.). Zwar vermag der Senat dem Zusammenhang der Urteilsgründe noch zu entnehmen, dass der Angeklagte – wie es das Landgericht bei der Verbringung des R. in das Taxi beweiswürdigend überzeugend dargelegt hat – auch aktiv beim Ausladen des Verletzten aus diesem Fahrzeug mitgewirkt hat. Dieses aktive Handeln scheidet indes als Grundlage für die Annahme mittäterschaftlichen Handelns ebenfalls aus. Das Landgericht hat die festgestellten Tatbeiträge des schweigenden Angeklagten weder dahingehend gewürdigt, ob sie in einem Unterordnungsverhältnis zu denen des unbekannt gebliebenen T. stehen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 5 StR 219/08 Tz. 299), noch hat es Erwägungen zum Bestehen und des Umfangs eines Tatinteresses des Angeklagten angestellt (vgl. BGHSt 37, 289, 291; BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2006 – 5 StR 459/06 Tz. 6). c) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen drängten hier zu der Annahme, der Angeklagte habe lediglich als Gehilfe des T. gehandelt. Ausführender des Entführungsauftrags war nicht der Angeklagte, sondern der unbekannt gebliebene T., der zudem das polnische Tatfahrzeug stellte und allein über Kontakte zu den deutschen Auftraggebern verfügte. Das Landgericht hat diesen selbst als Haupttäter und den Angeklagten als dessen jüngeren Begleiter bezeichnet (UA S. 19). Im Rahmen der Strafzumessung hat es dem Angeklagten zugute gebracht, dass er „nach den möglichen Feststellungen nicht der „treibende Keil“ bei der Tatausführung gewesen ist“ (UA S. 28). Bei der gemeinsamen Verbringung des R. in das Tatfahrzeug ist das Landgericht lediglich von einer leichten Hilfestellung des am rechten Arm und an der rechten Hand behinderten Angeklagten ausgegangen.
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Aber auch die Annahme psychischer Beihilfe erfordert, dass die Tatbegehung des Haupttäters in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde.32 31 32
BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 5 StR 143/10. BGH, Urteil v. 6.7.2010 – 3 StR 12/10.
II. 2. Mittäterschaft/Beihilfe – §§ 25, 27 StGB
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Die Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Beihilfe zum Computerbetrug nicht. Das Hilfeleisten im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB braucht für den Taterfolg zwar nicht ursächlich zu sein, es muss jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Tathandlung des Haupttäters oder den Erfolgseintritt erleichtern oder fördern (BGHSt 46, 107, 109; 48, 301, 302; Fischer StGB 57. Aufl. § 27 Rdn. 14 m.w.N.). Dies gilt auch für den vorliegend vom Landgericht offenbar angenommenen Fall der psychischen Beihilfe (BGH NStZ 1995, 490 f.; 1996, 564). Die Strafkammer konnte keine Überzeugung davon gewinnen, dass der Angeklagte selber falsche Kartendaten an dem POS-Terminal eingegeben hat und hat lediglich festgestellt, dass ,der Angeklagte S. von den Plänen und Taten der Mitangeklagten K. und G. (wusste), die er billigte (UA S. 22)‘. Dies genügt für die Annahme einer Beihilfe zu den Haupttaten der Angeklagten K. und G. nicht, denn die Billigung der Tat ist nur dann ein als Hilfeleisten zu wertendes Handeln, wenn sie gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht und dieser dadurch in seinem Tatentschluss oder in seiner Bereitschaft ihn weiter zu verfolgen, bestärkt wird (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleistung 17). Letzteres ist jedoch weder den Feststellungen noch den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit zu entnehmen. Unbeschadet dessen bedarf es bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art für die Annahme einer psychischen Beihilfe durch positives Tun – hier fehlender – sorgfältiger und genauer Feststellungen, dass die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde (BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 12, 13, 14, 17, 18 m.w.N.), die wiederum auf entsprechende Anhaltspunkte gestützt werden müssen (BGH NStZ 1996, 563 f.). Eine strafbare Beihilfe zum Computerbetrug durch Unterlassen kann den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden. Weder aus der formalen Position des Angeklagten als ,Secretary‘ der L. Ltd. noch aus seiner Einbindung in den Hotelbetrieb lässt sich vorwiegend die notwendige Garantenstellung herleiten.
Diese Grundsätze werden auch in der Entscheidung vom 13.4.2010 bestätigt:33 Geht der Haupttäter einen Vertrag ein und erfüllt damit den Tatbestand des Betruges, so genügt die Anwesenheit an seiner Seite beim Vertragsschluss für sich allein noch nicht den Anforderungen, die nach § 27 StGB an eine Beihilfe zu stellen sind. Soweit keine Garantenpflicht besteht, setzt auch die psychische Beihilfe ein aktives Handeln voraus; es muss den Haupttäter im Tatplan, im Tatentschluss oder im Tatausführungswillen bestärken und so dessen tatbestandsmäßiges Handeln erleichtern oder fördern. PRAXISHINWEIS ■
Die vorstehenden Entscheidungen zeigen, dass nicht nur im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität 34 von der Rechtsprechung für die Annahme von Mittäterschaft inzwischen höhere Anforderungen an die Feststellungen zur Tat(mit)herrschaft gestellt werden. Bereits an diesem Punkt entscheidet sich nämlich der Tenor eines späteren Schuldspruchs. Dies erweist sich beispielhaft in der Person des Fahrers eines Fluchtfahrzeugs, welcher zwar insoweit sicherlich „ein Stückchen Tatherrschaft“ innehat; soweit er jedoch in einem Unterordnungsverhältnis zum Haupttäter steht oder ihm jegliches maßgebliches Interesse an der Tatbestandsverwirklichung fehlt, wird er nur als Gehilfe abzuurteilen sein.
33 34
BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – 3 StR 24/10. Vgl. hierzu nachstehend Rn. 279 ff.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
3. Versuch der Beteiligung – § 30 StGB 27
Wenn nach einer versuchten Anstiftung der Auffordernde selbst das Verbrechen begeht oder zu begehen versucht, zu dem er einen anderen vergeblich zu bestimmen versucht hat, tritt die versuchte Anstiftung als mitbestrafte Vortat zurück.35 Durch § 30 StGB werden einzelne Vorbereitungshandlungen wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit unter Strafe gestellt; für eine Verurteilung nach § 30 StGB ist indes dann kein Raum mehr, wenn nach einer versuchten Anstiftung der Auffordernde selbst das Verbrechen begeht oder zu begehen versucht, zu dem er einen anderen vergeblich zu bestimmen versucht hat (BGHSt 8, 38 ff.; BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Konkurrenzen 3 und 6). Die versuchte Anstiftung tritt dann als mitbestrafte Vortat zurück, der diesbezügliche Schuldspruch entfällt, ohne dass es insoweit eines Freispruchs bedarf (BGHR aaO Konkurrenzen 2 und 3 vgl. auch Rissing-van Saan in LK, 12. Aufl. vor § 52 Rdn. 150 m.w.N.).
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Bei der Verabredung mehrerer Verbrechen gemäß § 30 Abs. 2 StGB richtet sich die Beurteilung der Konkurrenz nach dem Konkurrenzverhältnis der vereinbarten und später zu begehenden Taten:36 1. Das Landgericht hat die Angeklagten allerdings mit Recht nur der Verabredung der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion schuldig gesprochen. Die Schwelle zum Versuch des Verbrechens nach § 152b Abs. 1 und 2, 152a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB ist noch nicht überschritten. Mit ihren gescheiterten Bemühungen, das Paket mit den Zahlungskartenrohlingen ausgehändigt zu erhalten, haben die Angeklagten noch nicht unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt (§ 22 StGB). a) Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung von Vorbereitungshandlungen zum strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Gefährdungshandlungen vor, die nach der Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht. Dabei ist im Einzelfall bei der Abgrenzung in wertender Betrachtung auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2008, 409, 410; BGHR AO § 373 Versuch 1 m.w.N.). b) Danach ist ein Versuch des (gewerbs- und bandenmäßigen) Nachmachens von Zahlungskarten mit Garantiefunktion (§§ 152b Abs. 1 und 2, 152a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) erst dann gegeben, wenn der Täter vorsätzlich und in der tatbestandsmäßigen Absicht mit der Fälschungshandlung selbst – also dem Herstellen der falschen Karte (vgl. BGHSt 46, 146, 152) – beginnt. Zum Versuch des Nachmachens setzt hingegen noch nicht an, wer sich lediglich – wie hier – darum bemüht, Kartenrohlinge ausgehändigt zu erhalten, um zu einem nicht festgestellten späteren Zeitpunkt mit der Manipulation zu beginnen (vgl. OLG Jena wistra 2009, 204; Fischer StGB 57. Aufl. § 152a Rdn. 16). …
35 36
BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 2 StR 87/10. BGH, Urteil v. 13.1.2010 – 2 StR 439/09.
II. 4. Notwehrlage
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c) Auch ein Versuch des (gewerbs- und bandenmäßigen) Sichverschaffens falscher Zahlungskarten mit Garantiefunktion im Sinne der §§ 152b Abs. 1 und 2, 152a Abs. 1 Nr. 2 StGB scheidet aus, da es sich bei den in dem von „D.“ versandten Paket befindlichen Zahlungskartenrohlingen noch nicht um „falsche Karten“ im Sinne des Gesetzes gehandelt hat. … d) Der Senat hat jedoch in den Schuldsprüchen gegen die drei Angeklagten die Zahl der verabredeten und tateinheitlich zu begehenden Einzelfälle aufgenommen (vgl. auch Senat NStZ 2008, 568 sowie allgemein BGHSt 49, 177, 185; Senat, Beschl. v. 29. Juli 2009 – 2 StR 160/09). Bei der Verabredung mehrerer Verbrechen gemäß § 30 Abs. 2 StGB richtet sich diese Beurteilung nach dem Konkurrenzverhältnis der vereinbarten und später zu begehenden Taten, hier der Verbrechen der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion. Bereits die Verabredung der Verbrechen ist der Beginn des Rechtsgutsangriffs (vgl. BGHSt 9, 131, 134; 10, 388, 389; Fischer aaO § 30 Rdn. 2a); daher ist für das Verhältnis der Taten zueinander darauf abzustellen, was verabredet ist. Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 152b Abs. 2 StGB kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht, auch die gleichzeitige und sich (teilweise) überschneidende Herstellung mehrerer oder sogar aller Falsifikate unter Verwendung der in dem sichergestellten Päckchen befindlichen Rohlinge. Daher ist der Senat nach dem Grundsatz in dubio pro reo von einer tateinheitlichen Begehung der in Aussicht genommenen Verbrechen nach § 152b Abs. 2 StGB ausgegangen. Er hat die Schuldsprüche insoweit klargestellt und insgesamt neu gefasst; § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Die Revision ist insoweit nicht wirksam auf die im Revisionsantrag genannten 98 Fälle beschränkt. 2. Der Angeklagte V. hat sich außerdem der Vorbereitung der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in 382 tateinheitlich begangenen Fällen schuldig gemacht. Er hat in der genannten Zahl von Fällen Hologramme verwahrt (§ 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 Nr. 3 StGB). Ob darüber hinaus die bei ihm sichergestellten weiteren 23 Zahlungskartenrohlinge von § 152b Abs. 5 i.V.m. § 149 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst werden (vgl. dazu Puppe in NK-StGB 2. Aufl. § 152b Rdn. 27), kann dahinstehen. Denn der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt zugunsten des Angeklagten davon aus, dass die Rohlinge mit Hologrammen aus dem vorgefundenen Bestand vervollständigt werden sollten; da verschiedene Vorbereitungshandlungen, die sich auf denselben Gegenstand erstrecken, nur eine Tat darstellen (Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 149 Rdn. 12), käme den 23 weiteren Rohlingen ohnehin keine gesonderte Bedeutung zu. Die Schwelle zum Verbrechensversuch nach § 152b Abs. 1 und 2 StGB hat V. auch insoweit nicht überschritten; die Feststellungen ergeben insbesondere nicht, dass er zu einer Fälschungshandlung in Bezug auf die 23 Rohlinge (vgl. oben Ziff. 1c) unmittelbar angesetzt hat (oben Ziff. 1b).
4. Notwehrlage Auch wenn ein Angegriffener unter Verstoß gegen das Waffengesetz unberechtigt ein Messer bei sich führt und dieses dann bei einer Notwehrhandlung gegen den Angreifer einsetzt, entfällt hierdurch weder das Notwehrrecht, noch ist ihm ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen.37
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BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 2 StR 118/10.
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Das Verhalten des Angeklagten mochte im gewissen Maße den Geboten der Vorsicht und der Lebensklugheit zuwiderlaufen; eine vorwerfbare Provokation eines rechtswidrigen Angriffs, die zu einer Einschränkung der Notwehrbefugnisse führte, ist darin aber ebenso wenig zu sehen wie eine einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründende Pflichtverletzung. c) Der Angeklagte handelte in Bezug auf den Verletzungserfolg auch nicht deshalb pflichtwidrig, weil er das zur Tat verwendete Butterflymesser mit sich führte. Obgleich seinem Sohn Schläge angekündigt worden waren und der Angeklagte um die Reizbarkeit und Gewalttätigkeit des Nebenklägers wusste, war er nicht verpflichtet, dem Nebenkläger aus dem Weg zu gehen oder diesem nur schutzlos zu begegnen. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit eines rechtswidrigen Angriffs des Nebenklägers ist dem Angeklagten kein Vorwurf daraus zu machen, dass er sich nicht von seinem Messer getrennt und sich einer möglichen Aggression des Nebenklägers nicht schutzlos ausliefert hat (vgl. BGH NJW 1980, 2263). Der Umstand, dass der Angeklagte das Messer vorliegend unter Verstoß gegen § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG unberechtigt mit sich führte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Auch wenn ein Angegriffener eine Waffe unberechtigt führt, ist ihm deren Einsatz nicht verwehrt, wenn ihm kein anderes zur Abwehr des Angriffs geeignetes Mittel zur Verfügung steht (vgl. BGH, NStZ 1986, 357 mwN). Durch Notwehr waren daher nicht nur die gefährliche Körperverletzung und das versuchte Tötungsdelikt gerechtfertigt, sondern auch das Führen des Butterflymessers, soweit dies mit den Verletzungshandlungen unmittelbar zusammenfiel (vgl. BGH, StV 1991, 63, 64). Auch ein Rückgriff auf das verbotene Führen des Butterflymessers zur Zurechnung des Verletzungserfolgs unter dem Gesichtspunkt fahrlässigen Handelns ist nicht zulässig. Es wäre ein Widerspruch, wenn die Rechtsordnung zum einen die Befugnis erteilte, das Notwehrrecht auszuüben, zum anderen aber gerade für diesen Fall die Bestrafung aufgrund eines Delikts androhte, dessen tatbestandliche Voraussetzungen mit der Ausübung dieser Befugnis erfüllt werden (Erb in MünchKomm – StGB, § 32 Rn. 203; Roxin, ZStW 93 (1981), S. 68, 92). Dies gilt jedenfalls dann, wenn – anders in dem Fall, der der Entscheidung des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zugrunde lag (NJW 2001, 1075 f. mit abl. Anm. Roxin JZ 2001, 667 f.) - für den Fahrlässigkeitserfolg nicht an eine vorwerfbare Provokation der Notwehrlage angeknüpft werden kann. Die Feststellungen des Landgerichts bieten daher keine Grundlage für die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, so dass dieser Schuldspruch entfällt. Es bleibt allein ein Verstoß gegen das Waffengesetz wegen des unerlaubten Führens des Butterflymessers bis zum Eintritt der Notwehrlage als strafbares Verhalten. ■ PRAXISHINWEIS
Auch der Einsatz einer unerlaubt geführten Waffe lässt einen Notwehrtatbestand nicht entfallen! 30
Das Notwehrrecht erfährt nicht dadurch eine Beschränkung, dass sich ein Angeklagter auf einen Zweikampf einlässt, obgleich er nach den Umständen damit rechnen muss, dass es möglicherweise dabei nicht verbleibt, jedenfalls solange er die Notwehrlage nicht provoziert hat.38
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BGH, Beschl. v. 10.11.2010 – 2 StR 483/10.
II. 5. Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfährt das Notwehrrecht unter anderem dann eine Einschränkung, wenn der Verteidiger gegenüber dem Angreifer ein pflichtwidriges Vorverhalten an den Tag gelegt hat, das bei vernünftiger Würdigung aller Umstände des Einzelfalles den folgenden Angriff als eine adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheinen lässt. In einem solchen Fall muss der Verteidiger dem Angriff unter Umständen auszuweichen suchen und darf zur lebensgefährlichen Trutzwehr nur übergehen, wenn andere Abwehrmöglichkeiten erschöpft oder mit Sicherheit aussichtslos sind (BGHSt 26, 143, 145; BGH, Urteil vom 7. Februar 1991 – 4 StR 526/90). Darüber hinaus vermag bereits ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten das Notwehrrecht nur einzuschränken, wenn zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Ursachenzusammenhang besteht und es nach Kenntnis des Täter auch geeignet ist, einen Angriff zu provozieren (vgl. BGH NStZ 2006, 332, 333; BGHSt 42, 97, 100). b) Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Angeklagte die Notwehrlage in rechtswidriger oder sonst sozialethisch zu missbilligender Weise vorwerfbar provoziert hätte. Der Angeklagte hat – nachdem der auf Vorschlag der Gegenseite begonnene Zweikampf für alle erkennbar abgeschlossen war und er sich wieder erhoben hatte – in keiner Weise zum Fortgang der Auseinandersetzung sei es verbal oder körperlich beigetragen und von daher den anschließenden Angriff gegen ihn provoziert. Er wurde von diesem ersichtlich überrascht. Auch an sein Verhalten vor dem abgeschlossenen Zweikampf kann nicht zu seinen Lasten angeknüpft werden. Allein der Umstand, dass der Angeklagte mit den drei Zeugen eine verbale Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beleidigungen geführt und sich auf einen Zweikampf mit einem der Zeugen eingelassen hat, vermag keine vorwerfbare Provokation des nachfolgenden Angriffs gegen ihn begründen. Die Auseinandersetzung gründete zwar darauf, dass der Angeklagte Verhaltensweisen und Äußerungen der drei Zeugen fälschlicherweise auf sich bezogen hatte. Es fehlt indes bisher ein Anhalt, dass der Angeklagte die Auseinandersetzung als solche gezielt gesucht oder besonders gefördert hätte. Das Notwehrrecht erfährt vorliegend auch nicht deshalb eine Beschränkung, weil sich der Angeklagte auf den Zweikampf eingelassen hat, obgleich er damit rechnen musste, dass es aufgrund der aggressiven Stimmung der Zeugen mit diesem Zweikampf nicht sein Bewenden haben würde. Denn ein für sich genommen erlaubtes Tun führt nicht allein deshalb zu Einschränkungen der Notwehr, weil der Täter wusste oder wissen konnte, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtswidrigen Angriff veranlasst werden könnten (vgl. BGH NJW 2003, 1955, 1959; Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 118/10).
5. Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB a)
Kompensation bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen
Während in der Vergangenheit rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen regelmäßig bei der Strafzumessung als Strafmilderungsgrund Berücksichtigung gefunden hatten, hat der Große Senat für Strafsachen des BGH bekanntlich in seinem Beschluss vom 17.1.2008 (NStZ 2008, 234) diese „Strafabschlagslösung“ durch ein „Vollstreckungsmodell“ ersetzt. Seither sind zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung viele Judikate ergangen. In der neuesten Rechtsprechung der letzten Monate erscheinen folgende Entscheidungen von besonderer Bedeutung:
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A. StGB – Allgemeiner Teil
■ TOPENTSCHEIDUNG
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Die nachstehende Kammerentscheidung des BVerfG bekräftigt nicht nur, dass ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fortbesteht und dass Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip die angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens gewährleistet.39 Die Entscheidung legt auch beispielhaft dar, welche besonderen Beschleunigungsmaximen in welchem Stadium eines Ermittlungs- und Strafverfahrens Geltung haben und im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens einer möglichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung Berücksichtigung finden müssen. Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 25. Januar 2010 befasst sich zwar mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen, hat aber nicht alle Gesichtspunkte, die zu einer Verfahrensverzögerung geführt haben könnten, gewürdigt und in seine Abwägung einbezogen. Dadurch verletzt das Oberlandesgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 20, 45 ; 21, 184 ; 21, 220 ; 21, 223 ; 36, 264 ; 46, 194 ). Im Verfahren über die Aussetzung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Betracht, wenn das Freiheitsrecht nach den Umständen des Einzelfalls gerade durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NJW 2001, S. 2707, und vom 6. April 2006 – 2 BvR 619/06). Dabei ist die Frage, ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen (vgl. BVerfGE 55, 349 ). Bei dieser Beurteilung sind insbesondere der Zeitraum der Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer der Strafvollstreckung und des Verfahrens über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung, die Bedeutung dieses Verfahrens im Blick auf die abgeurteilte Tat und die verhängte Strafe, der Umfang und die Schwierigkeit des Entscheidungsgegenstandes sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens verbundenen Belastung des Verurteilten zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sind ferner das Prozessverhalten des Verurteilten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NJW 2001, S. 2707, und vom 19. Januar 2004 – 2 BvR 1904/03, 2 BvR 32/04) und die Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09). Eine Beschleunigung ist auch bei solchen Verfahren nicht grundsätzlich ausgeschlossen, in denen das Gericht bei der Entscheidungsfindung auf die Mitwirkung von Sachverständigen angewiesen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ). Beispielsweise kann das Vollstreckungsgericht bei der Auswahl und Beauftragung eines Sachverständigen die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit berücksichtigen und der voraussichtlichen Bearbeitungsdauer bei der Auswahl des Sachverständigen entscheidendes Gewicht beimessen. Während der Bear39
BVerfG, 3. K., Beschl. v. 13.9.2010 – 2 BvR 449/10.
II. 5. Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB
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beitung des Gutachtens ist der Zeitfaktor durch zeitnahe Überwachung der gutachterlichen Tätigkeit und durch das Setzen von Bearbeitungsfristen im Blick zu behalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503 ). Es kann unzureichend sein, den Sachverständigen an die Abgabe seiner Stellungnahme zu erinnern und darauf zu vertrauen, dass das Gutachten zeitnah erstellt wird (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. April 2006 – 2 BvR 619/06). Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich die mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um die Beschleunigung und den Abschluss des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, NJW 2008, S. 503 ; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09), sowie die Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung. Dem verfahrensrechtlichen Gebot einer zureichenden richterlichen Sachaufklärung kommt gerade im Fall des Freiheitsentzugs die Bedeutung eines Verfassungsgebotes zu (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juli 2009 – 2 BvR 328/09). b) Die Begründung einer fachgerichtlichen Entscheidung darüber, ob ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot in Haftsachen vorliegt, muss erkennen lassen, dass das Gericht geprüft hat, ob und gegebenenfalls welche Verfahrensverzögerungen eingetreten und welche Ursachen hierfür maßgeblich sind. Nur wenn diese Grundlagen konkret benannt werden, ist eine sachgerechte Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Freiheitsgrundrecht des Inhaftierten gewährleistet (vgl. BVerfGK 8, 1 ). c) Diesen Maßstäben hält die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht stand. Das Oberlandesgericht geht in seinem Beschluss pauschal davon aus, dass das Verfahren allenfalls um die zwei Monate verlängert worden sei, die zwischen der aufgehobenen Entscheidung des Landgerichts vom 15. April 2009 und dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 15. Juni 2009 liegen. Es verneint damit im Ergebnis, dass bereits vor dem 15. April 2009 eine relevante, den Beschwerdeführer in seinen Freiheitsrechten verletzende Verzögerung eingetreten sein kann. Diese Einschätzung ist insofern fehlerhaft, als der Beschwerdeführer zum einen bereits unter dem 23. Dezember 2008 beantragt hat, seine Reststrafe zur Bewährung auszusetzen, zum anderen aber die Justizvollzugsanstalt unter dem 18. Februar 2009 – eingegangen beim Landgericht am 2. März 2009 – zur Reststrafenaussetzung umfangreich Stellung genommen hat. Weder der Abteilungsdienst noch der Werkdienst sahen Gründe, die gegen eine vorzeitige Haftentlassung sprachen. Der Sozialdienst führte aus, dass zwar eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt aufgrund des nicht ganz tadellosen Vollzugsverhaltens (illegaler Handybesitz in der Justizvollzugsanstalt im April 2008) und der schwerwiegenden Umstände der abgeurteilten Tat nicht vertretbar sei, aber grundsätzlich eine Bewährungsentlassung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt in Betracht komme. In einem derartigen Fall hätte das Landgericht angesichts der hinreichend positiven Beurteilung durch die Justizvollzugsanstalt nach Zugang der Stellungnahme am 2. März 2009 gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben müssen. Dadurch wäre eine Prüfung über die Reststrafenaussetzung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt am 1. Juli 2009 vorbereitet worden. Es ist davon auszugehen, dass das Landgericht, hätte es bereits Anfang März 2009 einen Sachverständigen mit einem Prognosegutachten beauftragt, zu einem erheblich früheren Zeitpunkt – wohl bereits zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt am 1. Juli 2009 – über die Ausset-
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zung der Reststrafe zur Bewährung hätte entscheiden können. Insoweit könnte durch die Beauftragung des Gutachters am 14. Juli 2009 und die Haftentlassung des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2009 eine fast viermonatige, vermeidbare Verzögerung des Verfahrens eingetreten sein. Ob darüber hinaus weitere vermeidbare Verfahrensverzögerungen, insbesondere wegen der fehlenden Fristsetzung für die Erstellung des Gutachtens (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StPO), eingetreten sind, hat das Oberlandesgericht nicht geprüft und insoweit daher die gebotene Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers auf unzureichender Grundlage vorgenommen.
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Keine Kompensation für Zeitbedarf eines Verfahrens, welcher sich aus der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems ergibt: Dem Beschwerdeführer steht keine Kompensation für eine Verfahrensverzögerung zu, welche im Umfang über den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB hinausginge.40 Das Landgericht hat seiner Entscheidung einen als Verfahrensverzögerung zu berücksichtigenden Zeitraum von lediglich 24 Monaten zu Grunde gelegt, nämlich die nach dem Urteil des Landgerichts vom 12. April 2007 bis zu seinem zuletzt ergangenen, von der Revision angegriffenen Urteil verstrichene Zeit. Dies rügt die Revision im Ergebnis zu Recht. Allerdings bestand hier für das Landgericht kein Anlass, als kompensationspflichtigen Konventionsverstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 EMRK den gesamten Zeitraum seit dem ersten in dieser Sache ergangenen Urteil des Landgerichts vom 10. März 2006 zu berücksichtigen. Denn bis zu der – was auch die Revision nicht in Frage stellt – innerhalb angemessener Frist ergangenen Entscheidung des Senats vom 26. September 2006 ergab sich der Zeitbedarf aus der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems und war deshalb unbeschadet des Verfahrensfehlers, der zur Aufhebung des ersten Urteils führte, der Überlänge des Verfahrens nicht hinzuzurechnen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2228). Dies folgt hier schon daraus, dass der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens auch dann frühestens mit der Senatsentscheidung vom 26. September 2006 eingetreten wäre, wenn die Revision des Angeklagten seinerzeit erfolglos geblieben wäre. Hingegen hätte das Landgericht der ermittelten Überlänge den Zeitraum nach der Senatsentscheidung vom 26. September 2006 hinzurechnen müssen. Denn von da an, und nicht erst seit dem weiteren Urteil des Landgerichts vom 12. April 2007, diente das Verfahren der Korrektur der der Justiz anzulastenden Verfahrensfehler. Der Senat hatte deshalb – worauf die Revision zu Recht verweist – in seinem Beschluss vom 15. Januar 2009 (NStZ 2009, 472) auch ausdrücklich auf die erste in dieser Sache ergangene Revisionsentscheidung als dem maßgeblichen Bezugspunkt für die überlange Verfahrensdauer abgestellt. Das Landgericht hätte danach zu dem seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Zeitraum einer Verfahrensverzögerung von 24 Monaten weitere siebeneinhalb Monate hinzurechnen müssen. Der Senat schließt nicht aus, dass das Landgericht, hätte es dies bedacht, die Kompensation höher als geschehen bemessen hätte. Dies wäre an sich Anlass, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache wiederum an den Tatrichter zurückzuverweisen. Zur Vermeidung einer dadurch erneut eintretenden weiteren Verzögerung kann hier jedoch der Senat ausnahmsweise auf der Grundlage der Zumessungstatsachen des angefochtenen Urteils selbst in der Sache entscheiden. Er setzt deshalb auf den ergänzenden
40
BGH, Beschl. v. 22.9.2009 – 4 StR 292/09.
II. 5. Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB
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Antrag des Generalbundesanwalts in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO das Maß der Kompensation mit zehn Monaten fest, die als vollstreckt gelten. Diese Erhöhung um drei Monate ist angemessen im Sinne der genannten Vorschrift. Dem weiter gehenden Antrag des Beschwerdeführers, als Kompensation insgesamt 15 Monate Freiheitsstrafe als vollstreckt zu erklären, vermag der Senat nicht zu entsprechen. Denn gegenüber dem Maß der für die vom Landgericht angenommene Verfahrensverzögerung von 24 Monaten isoliert betrachtet rechtsfehlerfrei zuerkannten Kompensation von sieben Monaten bedeutete die von dem Beschwerdeführer angestrebte Kompensation bezogen auf den weiter zu berücksichtigenden Zeitraum von siebeneinhalb Monaten eine „Anrechnung“ von zusätzlich acht Monaten, die mithin sogar über den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB hinausginge (vgl. BGH, Urt. vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08). PRAXISHINWEIS ■
Auch wenn das Tatgericht einen Verfahrensfehler begangen hat, ist die Zeit bis zu einem nach angemessener Dauer ergangenen Rechtsmittelurteil nicht als Verfahrensverzögerung zu kompensieren. Erst die Zeit ab dem Rechtsmittelurteil infolge eines der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers ist als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu berücksichtigen! Zwar lassen sich allgemeingültige Kriterien für die Bemessung der Kompensation für der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerungen (hier: im Zwischen- und Ermittlungsverfahren) nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wobei zu berücksichtigen ist, ob die Verfahrensdauer als solche und die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. Die Anrechnung hat sich aber im Regelfall auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken.41
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Im Hinblick auf die im angefochtenen Urteil vorgenommene Anrechnung von vier Monaten der erkannten Strafe für eine im Zwischenverfahren eingetretene Verzögerung von sechs Monaten bemerkt der Senat, dass er eine derartige Kompensation für überzogen hält. Zwar lassen sich allgemeingültige Kriterien für die Bemessung der Kompensation nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Verfahrensdauer als solche und die damit verbundenen Belastungen des Angeklagten – wie auch vorliegend – bereits strafmildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind. Die Anrechnung hat sich aber im Regelfall auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken (vgl. BGHSt 52, 124, 146 f.; BGH, Urt. vom 9. Oktober 2008 – 1 StR 238/08; Beschl. vom 11. März 2008 – 3 StR 54/08; Senatsbeschl. vom 24. November 2009 – 4 StR 245/09). Im Hinblick auf § 358 Abs. 2 StPO darf im vorliegenden Fall der nach Abzug des für vollstreckt zu erklärenden Teils der schuldangemessenen Strafe verbleibende Strafanteil jedenfalls acht Monate nicht übersteigen.
Bei einer Verzögerung des Revisionsverfahrens um 9 Monate durch Abwarten der Übersendung der Akten, bis das dieselbe Tat betreffende Verfahren gegen 7 weitere frühere Mitangeklagte abgeschlossen war, wurde vom BGH eine Kompensation von
41
BGH, Beschl. v. 2.2.2010 – 4 StR 514/09.
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2 Monaten als ausreichend angesehen, zumal eine besondere Belastung des nicht inhaftierten Angeklagten nicht ersichtlich sei.42 Zur Kompensation einer während des Revisionsverfahrens eingetretenen, der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung ist ein angemessener Teil der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt anzuordnen (vgl. BGHSt – GS – 52, 124). Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 18. Juli 2008 ist seitens der Justizbehörden das Gebot zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt worden, weil die Akten erst am 16. Juni 2009 beim Generalbundesanwalt eingegangen sind. Mit der Übersendung der Akten wurde gewartet, bis das dieselbe Tat betreffende Verfahren bezüglich weiterer sieben der ursprünglich zehn früheren Mitangeklagten abgeschlossen war. Zwar mag ein kurzes Abwarten sachgerecht sein, um denselben Sachverhalt betreffende Urteile dem Revisionsgericht vorzulegen. Hier war aber bei Ablauf der Revisionsbegründungsfrist im vorliegenden Verfahren noch keines der sieben weiteren Urteile ergangen und es war auch nicht abzusehen, dass dies zeitnah geschehen würde. Durch diese Sachbehandlung ist eine unangemessene Verfahrensverzögerung von etwa neun Monaten eingetreten. Um dies auszugleichen, stellt der Senat fest, dass zwei Monate der erkannten Freiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Einer höheren Kompensation bedarf es nicht, weil eine besondere Belastung des nicht inhaftierten Angeklagten nicht ersichtlich ist.
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Auch im Verfahren gegen Heranwachsende kommt eine Kompensation nach Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung in Betracht, nämlich dann, wenn Jugendstrafe allein wegen Schwere der Schuld verhängt worden ist. Noch nicht entschieden ist die Frage einer über die bloße Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hinausgehenden Kompensation im Wege des sog. Vollstreckungsmodells, falls die Jugendstrafe auch auf das Vorliegen schädlicher Neigungen gestützt worden ist.43 Der Senat stellt auf Grund des zutreffenden Sachvortrages der zulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobenen Verfahrensrüge fest, dass die Erledigung des Verfahrens gegen den Angeklagten gegen das Zügigkeitsgebot verstoßen hat. Der mehrere Monate umfassenden Sachbehandlung nach irrtümlich beim örtlich unzuständigen Gericht erhobenen Anklage durch die Staatsanwaltschaft und der damit ersichtlich nicht korrespondierenden Verfahrensförderung durch die Strafkammer entnimmt der Senat im Ergebnis eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von sechs Monaten. Eine über diese Feststellung hinausgehende Kompensation (vgl. hierzu EGMR EuGRZ 1983, 371; BVerfG [Kammer] NJW 2003, 2225, 2226; Tepperwien NStZ 2009, 1, 3 m.w.N.) der Konventionsverletzung etwa entsprechend den vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs in dessen Beschluss vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124, 129 ff.) entwickelten Grundsätzen ist hier mit Blick auf den besonders gravierenden Vorwurf, die schwierige Beweissituation und das noch überschaubare Ausmaß der Verzögerung auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung zügigen Prozessierens im Jugendstrafverfahren nicht erforderlich. Der Senat kann nach der Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung dahinstehen lassen, ob eine weitergehende Kompensation im Wege des sogenannten Vollstreckungsmodells im Jugendstrafverfahren auch dann möglich wäre, wenn die Jugend-
42 43
BGH, Beschl. v. 24.11.2009 – 4 StR 245/09. BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 5 StR 330/10.
II. 5. Strafzumessung – §§ 46 ff. StGB
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strafe neben der Schwere der Schuld auch auf das Vorliegen schädlicher Neigungen gestützt worden ist. Eine Übertragung des sogenannten Vollstreckungsmodells auf das Jugendstrafverfahren hat er anerkannt, sofern Jugendstrafe allein wegen der Schwere der Schuld verhängt worden ist (vgl. BGH NStZ 2010, 94, 95). Anders als der 3. Strafsenat (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 30, 15; dazu aber Eisenberg, JGG 14. Aufl. § 18 Rdn. 15 f. m.w.N.) – vor der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 52, 124) – neigt der Senat dazu, die Frage zu bejahen.
Die Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung ist auch im berufsrechtlichen Verfahren geboten. Indes muss in solchen Fällen immer auch die Gesamtverfahrensdauer in Rechnung gestellt werden, weil auch durch eine besondere Beschleunigung in späteren Verfahrensabschnitten bereits eingetretene Verfahrensverzögerungen kompensiert werden können.44 Für die Frage der Kompensationsentscheidung hat der Senat folgende Grundsätze aufgestellt:
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a) In leichten Fällen wird es ausreichen, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellen und gegebenenfalls ihre konkreten Auswirkungen, insbesondere bei einem großen zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil, im Rahmen der allgemeinen Rechtsfolgenbemessung zu berücksichtigen (vgl. BGHSt 52, 124, 146; BGH wistra 2009, 347). b) In schwerer wiegenden Fällen wird sich der Tatrichter im berufsrechtlichen Verfahren der Steuerberater an der Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofes zur sogenannten Vollstreckungslösung (vgl. BGHSt 52, 124) zu orientieren haben. Danach ist eine Entschädigung für die durch staatliche Stellen verursachte Verzögerung in einem gesonderten Schritt nach der eigentlichen Strafzumessung vorzunehmen. In Fällen besonders schwer wiegender Verfahrensverzögerung käme im Einzelfall auch eine Verfahrenseinstellung nach §§ 153, 153a StPO in Verbindung mit § 153 StBerG in Betracht.
b) Strafzumessung im engeren Sinn – § 46 StGB Zweifelhafte oder sogar ersichtlich fehlerhafte Formulierungen des Tatrichters bei seinen Ausführungen zur Strafzumessung sind nicht selten Grund für eine Aufhebung des Urteils zumindest bezüglich des Strafausspruchs, so z.B. beim Beschluss des BGH vom 11.5.2010:45 Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte die Nebenklägerin im Schlafzimmer seines Hauses gefesselt und vergewaltigt. Als die Polizei bei ihm nach dem Verbleib der Nebenklägerin fragte, leugnete er jede Kenntnis und versteckte die Frau aus Sorge vor weiteren polizeilichen Ermittlungen. Die Strafkammer hat straferschwerend gewürdigt, „dass der Angeklagte trotz mehrfacher Nachfrage durch die Polizei, als er erkennen musste, dass eine folgenlose Freilassung der Nebenklägerin für ihn nicht mehr in Betracht kam, deren Anwesenheit nicht preisgegeben hat. Darüber hinaus war zu seinen Lasten zu berücksichtigen, dass der Angeklagte um seiner eigenen Sicherheit Willen, nämlich um eine
44 45
BGH, Urteil v. 7.12.2009 – StBSt (R) 2/09. BGH, Beschl. v. 11.5.2010 – 3 StR 125/10.
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Entdeckung der Nebenklägerin zu verhindern, diese zwang, sich für ca. 2 1/2 Stunden unter das Lattenrost mit Matratze in einen geschlossenen Bettkasten zu legen, wo sie lediglich zufällig von den durchsuchenden Beamten wahrgenommen worden ist.“ Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, hat das Landgericht damit gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verstoßen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 16 m.w.N.). Dies gilt ohne jede Einschränkung für den ersten Satz dieser Urteilspassage. Auch dem zweiten Satz stehen Rechtsbedenken entgegen, soweit er die Motivation des Angeklagten („eigene Sicherheit“) aufgreift. Die für das Opfer mit der Unterbringung im Bettkasten verbundenen zusätzlichen Beschwernisse könnten allerdings – isoliert betrachtet – straferhöhend berücksichtigt werden.
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Ebenfalls unzutreffende Formulierungen führten zum Beschluss vom 27.4.2010,46 wobei hier das Gericht auch noch zusätzlich Fehler bei Prüfung der Strafmilderungsmöglichkeiten gemacht hatte: Das Landgericht hat ersichtlich nicht bedacht, dass nach Ablehnung des Vorliegens eines minder schweren Falles auf der Grundlage einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, zunächst eventuell gegebene gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur Fischer, StGB 57. Aufl. § 50 Rdn. 4). Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen. Ferner hat das Landgericht im Rahmen seiner konkreten Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten berücksichtigt, dass das Opfer der Angeklagten „objektiv betrachtet keinerlei Anlass für die Tat geboten hatte“ und damit einen nicht gegebenen Strafmilderungsgrund strafschärfend herangezogen. Dies ist hier rechtsfehlerhaft (vgl. BGHSt 34, 345, 350).
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Auch das Urteil, welches der Entscheidung vom 19.5.201047 zugrunde liegt, wies Fehler auf, welche das Gericht bei der Begründung der Strafe gemacht hatte, die sich allerdings zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hatten und daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft insoweit zur Aufhebung führten: Jedoch rügt die Revision der Staatsanwaltschaft zu Recht, dass die Strafkammer bei der Strafzumessung im engeren Sinn nicht anerkannte Strafzumessungsgründe strafmildernd herangezogen hat. Das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten die Trennung von seiner Familie durch die Verurteilung berücksichtigt. Umstände, die insoweit eine besondere über das normale Maß hinausgehende Haftempfindlichkeit belegen würden, hat es nicht dargelegt. Dies ist rechtsfehlerhaft. Die Trennung des Angeklagten von seiner in Deutschland lebenden Familie ist eine zwangsläufige Folge der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe und als solche kein die Strafe mildernder Gesichtspunkt. Die Strafkammer hat darüber hinaus fehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er sich bereits länger als sechs Monate in Untersuchungshaft befunden hat. Der Vollzug der Untersuchungshaft an sich darf jedoch nicht mildernd berücksichtigt werden (vgl.
46 47
BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – 3 StR 106/10. BGH, Urteil v. 19.5.2010 – 2 StR 102/10.
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Senat BGH NJW 2006, 2645 m.w.N.; BGH 5 StR 456/08, insoweit in NStZ 2009, 202 nicht abgedr.). Dass der Täter in der zur Verhandlung anstehenden Sache Untersuchungshaft erlitten hat, ist bei der Verhängung der Freiheitsstrafe regelmäßig ohne Bedeutung, da die Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird. Zusätzliche, den Angeklagten besonders beschwerende Umstände im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft hat das Landgericht nicht festgestellt.
Gleich zweimal hatte das Landgericht gegen das Doppelverwertungsverbot in dem Urteil verstoßen, welches dem Beschluss vom 27.07.2010 48 zugrunde lag:
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a) Hinsichtlich des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (gleichzeitige Aufbewahrung von zum Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmitteln und eines griffbereiten, geladenen Gasrevolvers sowie eines Baseballschlägers) hat das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Lasten des Angeklagten unter anderem die „besondere Gefährlichkeit des bewaffneten Handeltreibens“ (UA 22) gewertet. Damit hat es einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, dessen Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB verstößt, weil die Bewaffnung Tatbestandsmerkmal des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juni 2005 – 2 StR 144/05; vgl. auch Weber aaO § 30a Rn. 259). Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese Erwägung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. b) Bei den vier Fällen der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige hat das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu Lasten des Angeklagten unter anderem gewertet, dass er „seine Drogengeschäfte ohne Rücksicht auf das Alter des Abnehmers mit nahezu Jedermann abwickelte“, dabei „vor allem seinen Profit im Auge hatte“ und „das Gesamtbild eines regelmäßigen und planmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln neben dem Kioskbetrieb“ bot (UA 20). Diese Erwägungen begegnen im Hinblick auf das Doppelverwertungsverbot ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unerlaubte Abgabe an eine minderjährige Person gehört zum Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG, die weiteren Erwägungen zum gewerbsmäßigen Handeln im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG (vgl. hierzu Weber aaO § 29 Rn. 1701 m.w.N.).
Auch bei der Entscheidung vom 13.4.2010 49 hatte das Landgericht denselben Umstand in unzulässiger Weise zweimal verwertet:
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Versagt der Tatrichter bei der Verurteilung wegen versuchten Totschlags (§§ 212, 213 StGB) eine Versuchsmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB wegen der Nähe zur Tatvollendung, so ist eine erneute Berücksichtigung der Erfolgsnähe und damit gerade eines bestimmenden Merkmals des Tatbestandes bei der Strafzumessung mit § 46 Abs. 3 StGB nicht zu vereinbaren.
Ebenso lag der Entscheidung v. 19.10.2010 50 eine Strafzumessungserwägung zugrunde, welche bereits den Tatbestand mitbegründete:
48 49 50
BGH, Beschl. v. 27.7.2010 – 4 StR 165/10. BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – 5 StR 113/10. BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 4 StR 465/10.
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Der Strafausspruch hat schon deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht bei der Strafrahmenwahl zu Lasten des Angeklagten seine hohe kriminelle Energie berücksichtigt hat, die darin zum Ausdruck komme, dass er bei der Tatplanung und -ausführung die Dunkelheit sowie die Vereinzelung der Geschädigten ausgenutzt habe. Damit hat die Strafkammer entgegen § 46 Abs. 3 StGB ein Merkmal des Tatbestandes bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten herangezogen, das der Gesetzgeber bereits bei der Bestimmung des Strafrahmens als maßgeblich angesehen hat. Die Strafvorschrift der gefährlichen Körperverletzung in der Begehungsweise des hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) setzt einen für das Tatopfer unvorhergesehenen Angriff voraus, der von einem planmäßigen, auf Verdeckung der wahren Absichten berechneten Vorgehen – etwa durch Auflauern – gekennzeichnet ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 – 1 StR 62/04, NStZ 2005, 40; SSW-StGB/Momsen § 224 Rn. 22). Dass sich der Angeklagte zur Ausführung der Tat im Schutz der Dunkelheit hinter einer Mauer an einer unbelebten Stelle verbarg, also hinterlistig handelte, durfte das Landgericht daher für sich genommen nicht straferschwerend berücksichtigen. Die Urteilsgründe lassen auch nicht erkennen, dass mit dieser Erwägung lediglich die „Art der Tatausführung“ im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB gewertet worden ist.
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Auch bei der nachstehenden Entscheidung haben die bei den Begründungen zur Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten herangezogenen Argumente letztendlich gegen das Verbot der Doppelverwertung verstoßen:51 Wird dem Mitarbeiter eines Sicherungsdienstes, welcher eine andere Person von einem Gelände wegbringen und zuvor durchsuchen wollte, diese aber wegen deren Gegenwehr zu Boden presste und dadurch letztlich deren Tod herbeiführte, vorgeworfen, dass er eine gut ausgebildete Sicherungskraft war, welche in der konkreten Situation durchaus Handlungsalternativen hatte, etwa auch loslassen und die Polizei um Hilfe rufen konnte, verstößt gegen das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB), weil diese Erwägungen es als strafschärfend werten, dass er die Tat überhaupt begangen hat, anstatt von deren Begehung Abstand zu nehmen.
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Allgemein nivellierende Äußerungen über die abgeurteilten Taten etwa dergestalt, sämtliche Taten seien gleich schwerwiegend einzuschätzen, sind nur dann wirklich überzeugend und nachvollziehbar, wenn es sich tatsächlich um völlig gleichartige Taten und Tatbegehungen handelt, bspw. bei gleichartiger Täuschung einzelner Personen mit vergleichbaren Schadenssummen. Dies wird regelmäßig aber nicht für Körperverletzungs- oder andere Gewalthandlungen gelten, weil diese bereits nach dem jeweiligen Sachverhalt und den Begleitumständen kaum vergleichbar sein werden.52 … hält der Strafausspruch in diesen Fällen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zu den Körperverletzungen lediglich festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Jahr 2007 am ganzen Körper schlug (Fall 1 der Anklage), dass er sie am 5. oder 6. August 2008 beschimpfte und schlug (Fall 7 der Anklage), dass er sie am 2. oder 3. September 2008 erneut beschimpfte und ihr Schläge mit der Hand versetzte (Fall 11 der Anklage), und dass er sie ebenso am Abend des 30. November 2008 (Fall 14 der Anklage) und am Morgen des 3. Dezember 2008 (Fall 15 der Anklage) schlug. Für jeden dieser Fälle hat das Landgericht eine Einzelstrafe von sechs Monaten festgesetzt. Dabei hat es berück-
51 52
BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – 3 StR 218/10. BGH, Beschl. v. 11.11.2010 – 4 StR 489/10.
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sichtigt, dass die Folgen der Taten für die Nebenklägerin nicht gravierend waren und weiter ausgeführt: „Innerhalb der Bandbreite möglicher Begehungsweisen des Tatbestandes des § 223 Abs. 1 StGB … sind die Taten des Angeklagten durchweg am unteren Rand der denkbaren Tatschwere angesiedelt. Die einzelnen Körperverletzungshandlungen waren jeweils als gleichwertig einzustufen.“ Diese Begründung begegnet durchgreifenden Bedenken. Aus den Feststellungen ergibt sich nicht, wie oft und wie heftig der Angeklagte zugeschlagen hat, ob die Nebenklägerin durch die Schläge über die körperliche Misshandlung hinaus an der Gesundheit geschädigt worden ist und in welchem Ausmaß sie gegebenenfalls solche Beeinträchtigungen erlitten hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, ob die Tathandlungen in allen Fällen gleich schwer wogen, zumal lediglich in einem Fall mitgeteilt ist, wohin der Angeklagte die Nebenklägerin geschlagen hat. Insgesamt ist nicht nachvollziehbar, dass Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten für den nicht vorbestraften Angeklagten tat- und schuldangemessen sind.
Die bloße Gewinnerzielungsabsicht beim Handel mit Betäubungsmitteln darf nicht straferschwerend Berücksichtigung finden, denn das Handeltreiben im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt stets voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht.53
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a) Das Landgericht hat neben anderen Zumessungserwägungen zu Lasten des Angeklagten gewertet, „dass ihm der Ausstieg aus den illegalen Geschäften jederzeit möglich war, denn er war weder in finanzieller Not noch selbst drogenabhängig. Ein daraus abzuleitendes Motiv ist nicht ersichtlich. Er wollte mit den Geschäften Gewinne erzielen bzw. eigene Aufwendungen ersparen“ (UA 21). b) Diese Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Mit der Gewinnerzielungsabsicht hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten einen Umstand in die Strafzumessung eingestellt, dessen Berücksichtigung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstößt, denn das Handeltreiben im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG setzt stets voraus, dass der Täter nach Gewinn strebt oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht (vgl. BGH – Großer Senat –, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05 –, BGHSt 50, 252, 256; BGH, Beschlüsse vom 23. November 1988 – 3 StR 503/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 15 m.w.N., und vom 24. September 2009 – 3 StR 294/09, NStZ-RR 2010, 24, 25). Auch die strafschärfende Erwägung, dass der Angeklagte von der Möglichkeit, von der Begehung der Taten Abstand zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht hat, stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2003 – 2 StR 332/03 m.w.N.). Schließlich begegnet es auch rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht das Fehlen möglicher Strafmilderungsgründe (Suchtmittelabhängigkeit, finanzielle Notlage) zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat.
Allgemeine Folgen der Tötung eines Menschen dürfen ebenfalls nicht ohne weitere Begründung strafschärfend zu Grunde gelegt werden.54 Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Ehemann K. die Angeklagte im Rahmen von Auseinandersetzungen wegen seiner Eifersucht und wegen finanzieller Probleme in der Vergangenheit mehrfach misshandelt und verletzt. Am Tattag, dem 31. Dezember
53 54
BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 532/10. BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 489/10.
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2009, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen und Beleidigungen der Angeklagten durch ihren Ehemann. Daraufhin zog sie sich zunächst zurück, versuchte aber kurz vor Mitternacht, eine Versöhnung herbeizuführen. Sie lehnte jedoch die Aufforderung ihres bereits alkoholisierten Ehemanns ab, gemeinsam Whisky zu trinken, was ihn wiederum erzürnte und zu neuen Kränkungen veranlasste. Der Ehemann führte einen Zierdolch über den Körper der Angeklagten, was sie als Bedrohung auffasste. Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf die Angeklagte den Dolch zu fassen bekam. Auf die Äußerung des Ehemanns: „du stichst doch eh nicht zu, du Hure“, versetzte sie ihm einen tödlichen Messerstich, damit „es endlich vorbei ist“. Darin hat das Landgericht zutreffend einen Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB gesehen und den Strafrahmen aus § 213 (1. Alternative) StGB zu Grunde gelegt. Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es der Angeklagten angelastet, dass „die Tat in Bezug auf Beleidigungen eine völlig unangemessene Reaktion“ dargestellt habe, ferner, dass „die Angeklagte durch die Tat ihren Kindern den Vater genommen“ habe. Insbesondere dagegen wendet sich die Revision der Angeklagten. Insoweit ist das Rechtsmittel begründet. Es begegnet bereits im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer den Verlust des Vaters für die gemeinsamen Kinder als bestimmenden Strafschärfungsgrund bewertet hat. Jedenfalls in dieser Allgemeinheit erscheint die Erwägung rechtsfehlerhaft (vgl. BGH Beschluss vom 3. Februar 2004 – 4 StR 403/03), denn es gehört zu den regelmäßigen Tatfolgen eines vollendeten Tötungsverbrechens, dass der Täter den Angehörigen des Opfers Leid zufügt. Ob die Strafkammer zum Ausdruck bringen wollte, dass die (erwachsenen) Kinder, die nach der Todesnachricht „sehr geschockt und tief getroffen“ waren sowie unmittelbar nach der Tat vom Kriseninterventionsteam betreut wurden (UA S. 9), in ungewöhnlich schwer wiegender Weise von der Tat betroffen waren, kann offen bleiben. Jedenfalls kann der Strafausspruch wegen der weiteren Erwägung, dass der durch Beleidigungen motivierte Totschlag eine „völlig unangemessene Reaktion“ gewesen sei, keinen Bestand haben. Diese Erwägung steht im Widerspruch dazu, dass der Provokationsaffekt im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB als die Tat auslösendes Moment, unbeschadet der Tatsache, dass die Tötung eines Menschen als Reaktion auf Kränkungen stets unangemessen ist, strafmildernd wirkt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass in der Vergangenheit mehrere Auseinandersetzungen vorangegangen waren, bei denen die Angeklagte auch erheblich körperlich verletzt worden war, ferner dass sie die der Tat unmittelbar vorausgehenden Handlungen des Ehemanns mit dem Dolch als Bedrohung empfand. In der Gesamtschau erlangen diese Umstände größeres Gewicht als dasjenige von bloßen Beleidigungen. Zudem ist zu besorgen, dass die Strafkammer mit ihrer Erwägung letztlich die Erfüllung des Straftatbestands zu Lasten der Angeklagten bewertet und dadurch § 46 Abs. 3 StGB verletzt hat.
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Natürlich dürfen Strafzumessungserwägungen auch keinesfalls gegen die Feststellungen der Entscheidung verstoßen, d.h. wenn nur von einem Versuch ausgegangen wird, kann im Rahmen der Strafzumessung nicht „überraschend“ ein Vollendungsschaden strafschärfend zu Grunde gelegt werden! 55 Das Landgericht hat bei der Bemessung der wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung verhängten Freiheitsstrafe strafschärfend gewertet, dass durch den Brand an dem Gebäude ein hoher Sachschaden entstanden ist. Dies ist – wie die Revision zu Recht rügt – 55
BGH, Beschl. v. 30.3.2010 – 4 StR 67/10.
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rechtsfehlerhaft, da die erkennende Strafkammer sich gerade nicht hat davon überzeugen können, dass das Brandgeschehen, das zu der erheblichen Beschädigung des Wohngebäudes geführt hat, durch die vom Angeklagten auf das Sofa geworfene Zigarette verursacht worden ist. Infolge dessen hat sie ihn auch nur wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung verurteilt. Dem Angeklagten kann daher der entstandene Brandschaden nicht als verschuldete Auswirkung seiner Tat im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. PRAXISTIPP ■
Revisionsangriffe gegen die Höhe einer verhängten Strafe sind regelmäßig ohne großen Erfolg. Will die Verteidigung im Ergebnis eine niedrigere Strafe erreichen, kann es vielmals helfen, die Strafzumessungserwägungen selbst „unter die Lupe“ zu nehmen. Verstöße gegen das Doppelverwertungsverbot im Rahmen der Strafzumessungserwägungen sind durchaus häufiger anzutreffen, zuweilen auch Widersprüche zwischen den Feststellungen zum Sachverhalt und den später erfolgten Begründungen zur Strafzumessung. Es verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip des GG noch die aus Art. 6 Abs. 2 MRK folgende Unschuldsvermutung, wenn vor dem Tatzeitraum liegendes Verhalten des Täters im Strafurteil bei der Strafzumessung Berücksichtigung findet.56 a) Die Unschuldsvermutung ist eine besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und hat damit Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 74, 358 ). Sie verbietet zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen – nicht notwendiger Weise rechtskräftigen – Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten diese im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 ; 35, 311 ; 74, 358 ). Bei der Bestimmung von Inhalt und Reichweite der grundgesetzlichen Unschuldsvermutung sind Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als Auslegungshilfe heranzuziehen (vgl. BVerfGE 74, 358 ; 111, 307 ). Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK ist anwendbar, wenn und soweit eine Person einer Straftat angeklagt ist („charged with a criminal offence“), wobei diese Voraussetzung durch den EGMR autonom ausgelegt wird (vgl. hierzu nur EGMR, Urteile vom 11. Februar 2003 – Y. ./. Norwegen –, Rn. 39 ff., und vom 19. Mai 2005 – Diamantides ./. Griechenland –, Rn. 35; ferner Meyer-Ladewig, EMRK, 2. Aufl. 2006, Art. 6 Rn. 85). Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR ist die Unschuldsvermutung verletzt, wenn in einer gerichtlichen Entscheidung die Auffassung zum Ausdruck gebracht wird, die angeklagte Person sei schuldig, ohne dass zuvor der Schuldnachweis in einer dem Gesetz entsprechenden Weise erbracht worden ist, wobei insbesondere die Verteidigungsrechte des Beschuldigten beachtet worden sein müssen (vgl. nur EGMR, Urteile vom 25. März 1983 – Minelli ./. Schweiz –, Rn. 37, und vom 10. Oktober 2000 – Daktaras ./. Litauen –, Rn. 41). Sobald der Beschuldigte einer bestimmten Straftat ordnungsgemäß überführt worden ist, findet Art. 6 Abs. 2 EMRK keine Anwendung mehr im Hinblick auf Vorwürfe („allegations“),
56
BVerfG, 2. K., Beschl. v. 5.4.2010 – 2 BvR 366/10.
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die als Teil der Strafzumessung im Hinblick auf die Persönlichkeit des Angeklagten erhoben werden, sofern sie nicht nach Art oder Umfang einer neuen Anklage im Sinne der autonomen Bedeutung dieses Begriffs in der EMRK gleichstehen (vgl. EGMR, Urteile vom 3. Oktober 2002 – Böhmer ./. Deutschland –, NJW 2004, S. 43 ff., Rn. 55, und vom 8. Juni 1976 – Engel et al. ./. Niederlande –, Rn. 90). b) Nach diesen Maßstäben ist es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht Hildesheim im vorliegenden Fall die zu vor dem eigentlichen Tatzeitraum liegenden Taten des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen sowohl als Indiz für die Umstände der Begehung der angeklagten Taten als auch in gewissem Umfang im Rahmen der Strafzumessung verwendet hat. Dies gilt insbesondere auch unter dem Blickwinkel des Art. 6 Abs. 2 EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung (vgl. allgemein BGHSt 34, 209; Peukert, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, Art. 6 Rn. 275; Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Bd. 8, 25. Aufl. 2005, Art. 6 EMRK, Rn. 146 f.; Theune, in: Strafgesetzbuch – Leipziger Kommentar, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 46 Rn. 177; kritisch Vogler, in: Festschrift für Theodor Kleinknecht, 1985, S. 429 ; Stuckenberg, StV 2007, S. 655 ). Schon die Anwendbarkeit der konventionsrechtlichen Unschuldsvermutung ist fraglich. Soweit ersichtlich, sind die Taten, hinsichtlich derer der Beschwerdeführer die Unschuldsvermutung verletzt sieht – also mögliche Untreuehandlungen vor September 2003 – zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines gegen den Beschwerdeführer gerichteten Verfahrens gewesen, noch gibt es irgendwelche Anhaltspunkte, dass sie es – sofern dies aus Rechtsgründen überhaupt in Betracht kommt – noch werden könnten. Insbesondere mit dem angegriffenen Urteil sind nicht etwa diese Taten (mit) bestraft worden, was auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzulässig gewesen wäre (vgl. nur BGH, Urteil vom 16. Dezember 1975 – 1 StR 755/75 –, NStZ 1981, S. 99 m.w.N.); vielmehr hat das Gericht im Rahmen der Strafzumessung unter anderem das vor dem Tatzeitraum liegende, zur Überzeugung des Gerichts festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers zu dessen Lasten in seine Überlegungen einbezogen, wozu es nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB („Vorleben des Täters“) berechtigt war (vgl. nur Theune, in: Strafgesetzbuch – Leipziger Kommentar, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 46 Rn. 177). Von daher erschiene die Annahme, der Beschwerdeführer sei dieser Taten im Sinne der Konvention angeklagt gewesen, fragwürdig. Geht man dennoch von der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 EMRK aus, so ist die Vorschrift jedenfalls nicht verletzt. Denn anders als das Verfahren über den Bewährungswiderruf (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 3. Oktober 2002 – Böhmer ./. Deutschland –, NJW 2004, S. 43 ff.; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Dezember 2004 – 2 BvR 2314/04 –, juris, und vom 23. April 2008 – 2 BvR 572/08 –, juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. August 2008 – 2 BvR 1448/08 –, juris) und anders als ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 18. Dezember 2008 – Nerattini ./. Griechenland –) ist das zu einem Urteil führende strafrechtliche Hauptverfahren zur Widerlegung auch und gerade der konventionsrechtlichen Unschuldsvermutung geeignet; es muss dem Angeklagten insbesondere die von der Konvention geforderten Verteidigungsrechte (Art. 6 Abs. 1, 3 EMRK) in vollem Umfang gewähren. Diese schützen ihn auch im Hinblick auf die Feststellung nicht im eigentlichen Sinn verfahrensgegenständlicher Tatsachen. Gerade im vorliegenden Fall ist dem Rechnung getragen worden. So wurde Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a EMRK auch bezüglich der nicht angeklagten Vorwürfe ersichtlich beachtet. Nach dieser Vorschrift haben die Strafverfolgungsbehörden jede angeklagte Person über Art und Grund der Beschuldigung in allen Einzelheiten zu unterrichten. Dem ist vorliegend bereits mit der Anklageschrift vom 2. November 2007 Genüge getan worden, die im Rahmen des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen intensiv auf die
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Entwicklung der Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers seit 1991 und den Verdacht, dass hierbei Straftaten zu Lasten seines Arbeitgebers eine Rolle gespielt haben könnten, eingegangen ist (dort S. 45 bis 73). Der Beschwerdeführer war sich während der Hauptverhandlung offensichtlich über die mögliche indizielle Bedeutung der Herkunft seines Vermögens im Klaren, wie sein Aussetzungsantrag vom 21. Juli 2008 beweist. Zudem hat die Strafkammer, wie sich ebenfalls aus dem Antrag ergibt, einen dahingehenden Hinweis erteilt, der durch den Beschluss vom 23. Juli 2008, mit dem eine Aussetzung abgelehnt wurde, wiederholt wurde. Eine weitergehende Konkretisierung zu verlangen, wie dies der Beschwerdeführer für richtig hält, hieße die Augen vor der Tatsache zu verschließen, dass es letztlich doch nur um eine Vorfrage im Rahmen einer primär auf genau konkretisierte Vorgänge bezogenen strafgerichtlichen Untersuchung ging.
Das zulässige Verteidigungsverhalten eines Angeklagten darf keinesfalls, gerade auch im Rahmen der Strafzumessung, zu seinem Nachteil gewertet werden:57
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Während der Schuldspruch rechtlicher Nachprüfung standhält, muss der Rechtsfolgenausspruch aufgehoben werden. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens abgelehnt. Als für den Angeklagten sprechend hat es das Teilgeständnis gewertet, zugleich aber diesen Umstand relativiert, da der Angeklagte einerseits nur das gestanden habe, was man ihm ohnehin hätte nachweisen können; „zum anderen hat er, durch die Beweisaufnahme widerlegt, versucht, seine Tat ansonsten wie auch die ihr vorausgehenden Umstände wider besseres Wissen mit falschen Angaben zu verharmlosen bzw. zu beschönigen“ (UA S. 26). Das Landgericht hat weiterhin dargelegt, die mildernden Umstände wögen nicht so schwer, dass sie angesichts der schärfenden Aspekte den Regelstrafrahmen als unangemessen erscheinen lassen würden, und hat dazu abschließend ausgeführt: „Insbesondere konnte bzw. wollte der Angeklagte die positiven und aus Sicht der Kammer grundsätzlich besonders gewichtigen mildernden Gesichtspunkte eines umfassenden Geständnisses sowie einer qualifizierten Aufklärungshilfe nicht für sich in Anspruch nehmen. Indem er bis zuletzt seine Tat fälschlich erheblich relativierte, hat er Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Willens zur Verantwortungsübernahme geweckt“ (UA S. 28). Während die erstgenannte Urteilspassage noch dahin verstanden werden kann, dass das Landgericht einen grundsätzlich für den Angeklagten sprechenden Umstand (Geständnis) in seiner Tragweite nur etwas einschränken wollte, ist dies bei der zweiten Erwägung nicht mehr möglich. Vielmehr ist zu besorgen, dass das Landgericht hier das Verteidigungsverhalten des Angeklagten rechtsfehlerhaft zu dessen Nachteil gewertet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1995 – 3 StR 177/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 16 mwN). Dies führt zur Aufhebung der Strafe, da der Senat diese unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände auch nicht als „angemessen“ im Sinne von § 354 Abs. 1a StPO ansehen kann.
Der Beruf der Eltern oder deren gesellschaftliche Stellung kann grundsätzlich keine die Tatschuld steigernde Wirkung haben, insbesondere dann nicht, wenn ein Elternteil denselben Beruf ausübt wie das Tatopfer:58 Die Jugendkammer hat bei der Bemessung der verhängten Freiheitsstrafe … zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass seine eigene Mutter Taxifahrerin ist und die Tat [Überfall auf Taxifahrerin] insoweit als besonders verwerflich erscheint. Diese Erwägung ist rechtsfeh-
57 58
BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 3 StR 192/10. BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 4 StR 371/10.
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lerhaft, weil sich aus dem Umstand, dass die Mutter des Angeklagten den gleichen Beruf ausübt wie das Tatopfer, keine gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben. … Auch unter dem Gesichtspunkt der aus der Tat sprechenden Gesinnung kommt diesem Umstand keine die Tatschuld steigernde Bedeutung zu.
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Auch der Einräumung von Teilen der objektiven Tatbestandsverwirklichung kann der grundsätzlich zugunsten des Beschuldigten zu wertende Charakter eines Teilgeständnisses zukommen. Liegen erhebliche straferschwerende Umstände vor, bedarf es einer eingehenden Begründung, warum die Verhängung der Mindeststrafe schuldangemessen ist.59 2. Die Jugendschutzkammer hat auf die zutreffend nach § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB beurteilte Tat den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB angewandt, da hinreichende Gründe, die Regelwirkung der Vergewaltigung zu verneinen, nicht gegeben seien. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden. 3. Gegen die Verhängung der Mindeststrafe von zwei Jahren wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft zu Recht. Der Tatrichter hat seiner Strafzumessung Erwägungen zugrunde gelegt, die nicht frei von Rechtsfehlern und vom Revisionsgericht daher zu beanstanden sind. a) Die Erwägung, der Angeklagte sei als Ausländer mit „unzureichenden Sprachkenntnissen“ besonders haftempfindlich, wird von den Feststellungen nicht getragen. Hiernach lebt der Angeklagte seit dem Jahr 2003 in Deutschland, geht seit mehreren Jahren einer regelmäßigen Arbeit nach und unterhielt sich vor der Tat mit den beiden Mädchen „unter anderem über die Arbeit des Angeklagten, die Schule und über Beziehungen“ (UA S. 4). Er verfügt daher ersichtlich über Kenntnisse und Fähigkeiten, die ihm eine kommunikative Teilnahme am Alltagsleben ermöglichen. Konkrete andere Anhaltspunkte, warum die Strafhaft für den Angeklagten besonders belastend sein sollte, ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht. b) Es kann dahinstehen, ob die weiteren von der Revision angeführten Bewertungsfehler gegeben sind. Der Senat muss insbesondere nicht entscheiden, ob der Tatrichter die Gewaltausübung durch den Angeklagten zutreffend als „gering“ bewertet hat. Auch ob die Wertung des Landgerichts rechtsfehlerfrei ist, das „Teilgeständnis“ des Angeklagten sei strafmildernd zu berücksichtigen, kann dahinstehen. Dagegen spräche zwar nicht der von der Revision hervorgehobene Umstand, dass der Angeklagte die Ausführung des Geschlechtsverkehrs mit der Maßgabe eingeräumt hat, sie sei freiwillig erfolgt, dass er also „ein strafbares Verhalten“ nicht gestanden habe, denn auch der Einräumung von Teilen der objektiven Tatbestandsverwirklichung kann der grundsätzlich zugunsten des Beschuldigten zu wertende Charakter eines Teilgeständnisses zukommen. Hier war aber andererseits zu berücksichtigen, dass der Angeklagte in seiner Einlassung über die Behauptung der Freiwilligkeit hinausgegangen ist und der Nebenklägerin wahrheitswidrig ein besonders aktives, tatursächliches Verhalten zugeschrieben hat. c) Der Strafausspruch erweist sich auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil es an einer hinreichenden abwägenden Begründung für die Verhängung der Mindeststrafe von zwei Jahren fehlt. Da sich die vom Landgericht hervorgehobenen Milderungsgründe teilweise als fehlerhaft, teilweise als jedenfalls zweifelhaft erweisen, hätte es angesichts der durchaus gravierenden gegen den Angeklagten sprechenden Zumessungsumstände, namentlich der Ausnutzung des Vertrauens der gerade am Tattag dem Kindesalter entwachsenen, sehr kindlichen und ersichtlich selbstunsicheren Nebenklägerin sowie der psychischen Folgen der 59
BGH, Urteil v. 28.4.2010 – 2 StR 77/10.
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Tat für das Tatopfer, einer eingehenden Begründung dafür bedurft, warum hier die Verhängung der Mindeststrafe schuldangemessen sei. Hieran fehlt es; die zusammenfassende Würdigung beschränkt sich auf die Floskel, die Strafzumessungsgesichtspunkte seien abgewogen worden (UA S. 16). PRAXISTIPP ■
Strafzumessungsbegründungen dürfen sich keinesfalls auf bloß floskelhafte Wendungen beschränken. Dies gilt sowohl für Erwägungen zugunsten als auch zulasten eines Angeklagten. Erkennt die Verteidigung einen solchen angreifbaren Mangel, welcher sich im Ergebnis zu Gunsten eines Angeklagten auswirkt, könnte es sich empfehlen, kurzfristig ins Gespräch mit der Staatsanwaltschaft einzutreten, um eine entsprechende Rüge möglichst zu vermeiden! Eine auf die vereinbarte Übergabe von Falschgeld zielende konkrete Einwirkung des verdeckten Ermittlers ist bei der Strafzumessung ausdrücklich zu würdigen.60
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Die auf die – ursprünglich auch vereinbarte – Übergabe von Falschgeld zielende polizeiliche Einwirkung auf den Angeklagten hätte bei der Strafzumessung ausdrücklich gewürdigt werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1988 – 2 StR 399/88, BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 4; BGH, Beschluss vom 21. Juli 1993 – 2 StR 331/93, BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 10). Der Erwägung, es habe „von Anfang an eine lückenlose polizeiliche Überwachung der Taten“ vorgelegen (UA 18), kann der Senat nicht entnehmen, dass das Landgericht dem hier erörterten Sachverhalt, der eigenständige Bedeutung hat, das ihm zukommende Gewicht beigemessen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht, wenn es den genannten Umstand in die Erwägungen einbezogen hätte, zu einer günstigeren Einzelstrafe im Hinblick auf die Geldfälschung gekommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1988 – 2 StR 399/88, BGHR StGB § 46 Abs. 1 V-Mann 4).
Im Regelfall sind ausreichende Feststellungen zur Person des Täters immer erforderlich, unabhängig davon, ob es zu einer Verurteilung oder einem Freispruch kommt:61 1. Feststellungen zu Werdegang, Vorleben und Persönlichkeit der Angeklagten sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind; das ist auch dann der Fall, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind. 2. Die Notwendigkeit, nähere Feststellungen zu Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit der Angeklagten zu treffen und in den Urteilsgründen darzulegen, ergibt sich im vorliegenden Fall aus der ihr zum Vorwurf gemachten Straftat, die auf einer Handlung im fami-
60 61
BGH, Beschl. v. 6.5.2010 – 4 StR 98/10. Vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – 4 StR 22/10.
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liären, häuslichen Bereich beruht und eine Gewalttat im Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern zum Gegenstand hat.
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Bei Verhängung einer Jugendstrafe ist es erforderlich, dass die Jugendkammer in ihrer Entscheidung darlegt, woraus sie das Vorliegen schädlicher Neigungen ableitet:62 Das Landgericht hat das Vorliegen schädlicher Neigungen i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG ausschließlich mit den strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten begründet (UA S. 20). Dieser sei in der Vergangenheit immer wieder und ,auch erheblich’ strafrechtlich in Erscheinung getreten (aaO). Die Jugendkammer hat es aber versäumt, die Vorverurteilungen inhaltlich darzustellen, so dass eine Beurteilung, ob es sich um erhebliche Straftaten handelte, aus denen sich auf schädliche Neigungen schließen ließe, nicht möglich ist (vgl. BGH Beschluss vom 9. Juni 2009 – 5 StR 55/09). Die bloße Mitteilung der Verurteilungen (UA S. 3) genügt hier schon deshalb nicht, da sich aus den erwähnten jugendstrafrechtlichen Sanktionen keine unmittelbaren Schlüsse auf ,erhebliche‘ Straftaten ziehen lassen. Die Feststellung schädlicher Neigungen bedarf zudem des Nachweises schon vor der Tat bestehender Persönlichkeitsmängel, die auf die Tat Einfluss hatten, im Zeitpunkt der Entscheidung noch bestehen und weitere Straftaten befürchten lassen (BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.; BGH StV 1998, 331; Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. 2002 § 17 Rdn. 12 m.w.N.). Die knappen Angaben zur Person des Angeklagten (UA S. 3) reichen hierzu nicht aus. Gerade angesichts der vom Landgericht im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung angeführten positiven Aspekte (UA S. 22) hätte die Annahme schädlicher Neigungen einer eingehenden Begründung bedurft. Die Verhängung einer Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld wird von der knappen Begründung im Urteil nicht getragen. Die Kammer stützt ihre Bewertung ausschließlich darauf, dass der Angeklagte einen Verbrechenstatbestand verwirklicht hat und es sich bei der abgeurteilten Tat um ein Gewaltdelikt der schweren räuberischen Erpressung handelt (UA S. 21). Bei der Beurteilung der Schuldschwere i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG kommt jedoch dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr die innere Tatseite, d.h. inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGHR JGG § 18 Abs. 2 Tatumstände 2; Senat NStZ-RR 2001, 215, 216). Ausführungen hierzu enthält das Urteil nicht, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kammer unmittelbar vom äußeren Unrechtsgehalt auf die ,Schwere der Schuld‘ i.S.d. § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG geschlossen hat. Auch die konkrete Strafzumessung (UA S. 21) begegnet Bedenken, da aus den Urteilsgründen nicht erkennbar ist, ob die Jugendkammer sich hierbei gemäß § 18 Abs. 2 JGG vorrangig am Erziehungszweck orientiert hat. Eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens in den Urteilsgründen genügt nicht (BGH StV 1998, 335; vgl. Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. 2002 § 17 Rdn. 7a). Das Landgericht gibt zwar an, dass es sich bei der Bemessung der Jugendstrafe in erster Linie von erzieherischen Erwägungen habe leiten lassen (UA S. 21). Nachfolgend werden jedoch ausschließlich Zumessungserwägungen mitgeteilt, die auch im Erwachsenenstrafrecht maßgeblich sind. Auch an anderer Stelle des Urteils finden sich keine Hinweise darauf, dass die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe den Vorrang des Erziehungszwecks beachtet hat.
62
BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – 3 StR 400/09.
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39 PRAXISHINWEIS ■
In Jugendsachen stellt es einen Rechtsfehler dar, wenn die Jugendkammer bei Verurteilung zu einer Jugendstrafe nicht darlegt, worauf die Annahme schädlicher Neigungen beruht; dabei ist eine Begründung mit Vorverurteilungen nur dann ausreichend, wenn diese nachvollziehbar inhaltlich dargestellt werden. Im Rahmen der Strafzumessung können jugendstrafrechtliche Vorbelastungen nur unter besonderen Voraussetzungen verwertet werden, wenn es sich nämlich um Verurteilungen zu Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe oder eine andere freiheitsentziehende Maßregel der Sicherung und Besserung gehandelt hat. Andere Eintragungen im Erziehungsregister, welche vor Vollendung des 24. Lebensjahres eingetragen sind, dürfen danach nicht mehr verwertet werden:63 Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung ausdrücklich zum Nachteil des Angeklagten erwogen, dass er bereits seit 2001 ,insgesamt neunmal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist‘, wobei es sich bei acht der betreffenden Entscheidungen um solche handelt, die gemäß § 60 BZRG in das Erziehungsregister einzutragen sind (UA S. 13 i.V.m. UA S. 3 f.). Der Angeklagte war zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 24 Jahre alt (UA S. 3). Die jugendstrafrechtlichen Vorbelastungen hätten daher nur dann verwertet werden dürfen, wenn im Zentralregister eine Verurteilung zu Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Jugendstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung eingetragen gewesen wäre (§ 51 Abs. 1 BZRG i.V.m. § 63 Abs. 1, 2 und 4 BZRG). Dies ist jedoch nicht der Fall (UA S. 3 f.). Der gegen den Angeklagten u.a. verhängte Jugendarrest wegen Zuwiderhandlung gegen Auflagen aus der Verurteilung vom 17. Januar 2006 (UA S. 4, 13) ist nach § 4 Nr. 1 BZRG nicht in das Zentralregister einzutragen. Er stellt als Ungehorsamsfolge keinen Strafarrest im Sinne des § 63 Abs. 2 BZRG dar (Senat StV 2004, 652 f.). Das Landgericht hat daher nicht beachtet, dass für die vor der Vollendung des 24. Lebensjahres des Angeklagten in dem Erziehungsregister enthaltenen Eintragungen zum Zeitpunkt der Urteilsfindung ein Verwertungsverbot bestand.
PRAXISHINWEIS ■
Gerade bei jüngeren Angeklagten, welche erst vor kurzem das 24. Lebensjahr vollendet haben, kann die zu Beginn des Ermittlungsverfahrens eingeholte Strafliste veraltet sein, d.h. inzwischen erfolgte Löschungen von jugendstrafrechtlichen Verurteilungen64 noch nicht berücksichtigen, so dass die Strafzumessungserwägungen des Gerichts fehlerhaft sein können! Es ist daher darauf zu achten, beim Erlass des Urteils einen aktuellen Auszug aus dem Bundeszentralregister vorliegen zu haben.
63 64
BGH, Beschl. v. 12.10.2010 – 3 StR 381/10. Die Löschungsverpflichtung betrifft gem. § 63 Abs. 1 BZRG nicht Eintragungen wegen Verurteilungen zu Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßnahmen der Besserung und Sicherung; demgegenüber sind auf Jugendarrest lautende Entscheidungen nicht betroffen und somit mit Vollendung des 24. Lebensjahres zu löschen.
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„Ausländerrechtliche Folgen einer Tat sind in der Regel keine bestimmenden Strafzumessungsgründe.“ 65
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Der Umstand, dass eine strafgerichtliche Verurteilung nach den Vorschriften des Beamtenrechts die Beendigung des Beamtenverhältnisses zur Folge hat, ist bei der Straffestsetzung regelmäßig als bestimmender Strafzumessungsgrund i.S.d. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zu erörtern, der nicht nur bei der konkreten Wahl der Strafe zu berücksichtigen ist, sondern bereits bei der Entscheidung über das Vorliegen eines minder schweren Falls:66 Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der Festsetzung der schuldangemessenen Strafe die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehören dazu auch die berufs- und standesrechtlichen Folgen der Strafe (Senatsbeschluss vom 14. September 1982 – 4 StR 436/82 – NStZ 1982, 507; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1996 – 5 StR 492/96 – NStZ-RR 1997, 195). Deshalb ist der Umstand, dass eine strafgerichtliche Verurteilung nach den Vorschriften des Beamtenrechts die Beendigung des Beamtenverhältnisses zur Folge hat, bei der Straffestsetzung regelmäßig als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zu erörtern (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1986 – 2 StR 501/86 – BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2).
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Bei der strafrechtlichen Verurteilung eines Rechtsanwalts (hier: wegen Beihilfe zum (versuchten) Betrug) sind im Rahmen der Strafzumessung auch die drohenden anwaltsrechtlichen Sanktionen nach § 114 Abs. 1 BRAO zu berücksichtigen. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann von Bedeutung, wenn dieser durch sie seine berufliche und wirtschaftliche Basis verliert.67 Die Strafzumessung begegnet aber aus anderen Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Zumessungserwägungen des Landgerichts lassen nicht erkennen, ob es bei der Festsetzung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe die drohenden anwaltsrechtlichen Sanktionen gemäß § 114 Abs. 1 BRAO berücksichtigt hat. Die Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung auf das Leben des Täters sind jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn dieser durch sie seine berufliche oder wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH, Beschl. vom 27. August 1987 – 1 StR 412/87, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 8; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 46 Rdn. 9 m.w.N.). Der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen, dass das Landgericht niedrigere Freiheitsstrafen verhängt hätte, wenn es dies bedacht hätte.
60
Wertungen, wonach wegen der nicht eingeschlagenen Möglichkeit eines Alternativverhaltens eines Angeklagten seine stattdessen vorgenommene Handlung eher straferschwerend gewertet wird, sind nicht immer rechtsfehlerfrei, insbesondere beim Entgegenstehen anderer tatsächlicher Feststellungen:68
65 66 67 68
BGH, Beschl. v.29.7.2010 – 1 StR 349/10. BGH, Beschl. v. 3.11.2009 – 4 StR 445/09 BGH, Beschl. v. 2.2.2010 – 4 StR 514/09. BGH, Beschl. v. 15.9.2010 – 2 StR 369/10.
II. 6. Täter-Opfer-Ausgleich – § 46a StGB
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Das Landgericht hat dieses Tatgeschehen zutreffend als Körperverletzung mit Todesfolge gewertet. Bei der Strafrahmenwahl und bei der Strafbemessung im engeren Sinne hat es zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er „durchaus die Möglichkeit“ gehabt habe, „an der Situation etwas zu ändern, Hilfe Dritter anzunehmen und einen Schlussstrich zu ziehen“ (UA S. 35). Dies ist rechtsfehlerhaft, denn diese Wertung ist nicht ohne weiteres mit der Feststellung zu vereinbaren, dass der Angeklagte zuvor den Versuch unternommen hatte, mit Unterstützung des Jugendamtes seine Ehefrau zur Durchführung einer Alkoholtherapie zu bewegen. Dieser Maßnahme hatte sie sich entzogen und war längere Zeit verschwunden. Daraus, dass der Angeklagte nicht in der Zeitspanne zwischen der Rückkehr seiner Ehefrau aus Tschechien und dem Tag ihres Operationstermins weitere einschneidende Maßnahmen ergriffen hat, kann kein bestimmender Strafzumessungsgrund zu seinem Nachteil hergeleitet werden. Denn er wollte einerseits seiner Ehefrau die Operation ermöglichen und war andererseits bestrebt, die Tochter T., „die ein emotional sehr enges Verhältnis zu ihrer Mutter hatte“ (UA S. 36), keiner Gefahr auszusetzen. PRAXISTIPP ■
Statt einen Revisionsangriff unmittelbar gegen die Höhe einer ausgesprochenen Strafe zu richten, sollte die Verteidigung stattdessen eher überprüfen, ob die Strafzumessungserwägungen angreifbar sind, bspw. weil dem Angeklagten nicht nur der Tatbestand einer Handlung vorgeworfen wird, sondern darüber hinaus bei der Strafzumessung nachteilig herangezogen wird, dass er nicht überhaupt anders gehandelt hat.
6. Täter-Opfer-Ausgleich – § 46a StGB TOPENTSCHEIDUNG ■
Die gerichtliche Anerkennung eines Täter-Opfer-Ausgleichs und damit die Frage einer Strafmilderung für den Angeklagten stehen insbesondere dann in Frage, wenn die Ausgleichsbemühungen letztlich nicht erfolgreich waren. Eine gewisse Klärung der entsprechenden Voraussetzungen bringt für solche Fallgestaltungen die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 25.8.2010,69 wonach auch ein Versuch, zum Ausgleich zu gelangen, sich für den Angeklagten strafmildernd auswirken kann, nicht aber dann, wenn der Angeklagte zugleich dem Geschädigten zu Unrecht die Schuld oder zumindest eine erhebliche Mitschuld an dem Geschehen zuweisen will: Grundsätzlich kann auch ein Versuch, mit dem Opfer zu einem Ausgleich zu gelangen, Rückschlüsse auf die innere Haltung des Täters zulassen und sich strafmildernd auswirken (Theune in LK 12. Aufl. § 46 Rn. 214), auch wenn er an fehlender Einigung über die Durchführungsmodalitäten gescheitert ist. Die Auffassung, bei der konkreten Gewichtung dieses Versuchs sei es aus Rechtsgründen bedeutungslos, ob der Angeklagte zugleich sein Fehlverhalten uneingeschränkt einräumt oder ob er dem Geschädigten zu Unrecht die Schuld, zumindest ein erhebliches Mitverschulden, an dem Geschehen zuschiebt, trifft nicht zu. Dies folgt aus den Grundsätzen zum Täter-Opfer-Ausgleich. Auch § 46a StGB verlangt, dass der Angeklagte die Rolle des Geschädigten (insbesondere eines Sexual- oder, hier, Gewalt69
BGH, Beschl. v. 25.8.2010 – 1 StR 393/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
delikts) als Opfer respektiert. Verteidigt er sich dagegen mit dem (unzutreffenden) Hinweis auf Fehlverhalten des Geschädigten, kommt eine Strafmilderung im Blick auf einen TäterOpfer-Ausgleich auch dann nicht in Betracht, wenn zugleich Zahlungen erfolgen oder angeboten werden (vgl. BGHSt 48, 134, 141 f.). Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist es daher hier nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer bei der Bewertung des Angebots des Angeklagten an den Geschädigten sein sonstiges Verteidigungsverhalten nicht aus dem Blick verloren hat.
62
In die gleiche Richtung (Ausdruck der Übernahme von Verantwortung gerade gegenüber dem Opfer) weist die Entscheidung des 2. Strafsenats vom 10.2.2010:70 Voraussetzung des § 46a Nr. 2 StGB ist, ebenso wie bei § 46a Nr. 1 StGB, dass die Leistung des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung gerade gegenüber dem Opfer ist. Daran fehlt es jedoch, wenn der Angeklagte die Tat als Notwehrhandlung gegen einen rechtswidrigen Angriff des Tatopfers hinstellt und somit schon die Opfer-Rolle des Geschädigten bestreitet.
7. Aufklärungshilfe – § 46b StGB 63 64
Erste Entscheidungen gab es zu der am 1.9.2009 in Kraft getretenen Vorschrift des § 46b StGB, welche die alte „Kronzeugenregelung“ ersetzt hat. In der Entscheidung vom 19.5.2010 71 werden die grundsätzlichen Anwendungsvoraussetzungen dieser Vorschrift näher darlegt. Der 5. Strafsenat führt darin aus, dass über § 31 BtMG hinaus in den Genuss der Regelung des § 46b StGB nicht nur Tatbeteiligte sondern auch Opfer einer in § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten Straftat kommen können. Der Strafausspruch kann insgesamt keinen Bestand haben. Das Landgericht hat den Regelungsinhalt des § 46b StGB verkannt. a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte durch Offenbarung seines Wissens über einen an ihm selbst verübten erpresserischen Menschenraub (§ 239a StGB) in Tateinheit mit räuberischer Erpressung (§ 255 StGB) wesentlich zur Aufklärung dieser Tat beigetragen. Obgleich eine Katalogtat im Sinne von § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 100a Abs. 2 Nr. 1 lit. i und k StPO in Frage steht, hat die Strafkammer § 46b StGB für nicht anwendbar gehalten, weil es sich bei dem Angeklagten nicht um einen Tatbeteiligten, sondern um das Tatopfer handele. Zudem seien die Angaben des Angeklagten im Hinblick auf seine Aussagepflicht als Zeuge nicht freiwillig erfolgt. b) Diese Erwägungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. aa) Nach der vom Gesetzgeber bewusst überaus weit ausgestalteten Tatbestandsfassung des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass es sich bei dem „Kronzeugen“ um einen Tatbeteiligten handelt (Regierungsentwurf in BT-Drucks 16/6268 S. 10, 12; Fischer, StGB 57. Aufl. § 46b Rdn. 13a). Der „Kronzeuge“ muss lediglich Aufklärungshilfe zu „einer“ der in § 100a Abs. 2 StPO aufgeführten Taten leisten. Ein Zusammenhang mit den von ihm verübten Taten ist nicht vorausgesetzt. Die vom Landgericht in diesem
70 71
BGH, Urteil v. 10.2.2010 – 2 StR 391/09. BGH, Beschl. v. 19.5.2010 – 5 StR 182/10.
II. 7. Aufklärungshilfe – § 46b StGB
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Zusammenhang zitierte Vorschrift des § 46b Abs. 1 Satz 3 StGB enthält keine Eingrenzung auf Tatbeteiligte, sondern statuiert für den Tatbeteiligten das zusätzliche Erfordernis einer Aufklärung über den eigenen Tatbeitrag hinaus. Hieraus ergibt sich im Gegenschluss, dass der „Kronzeuge“ ansonsten lediglich Wissen über irgendeine Katalogtat offenbaren muss. bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts wird das Merkmal der Freiwilligkeit nicht mit Blick auf eine strafprozessuale Aussagepflicht des Zeugen (vgl. §§ 51, 70 StPO) ausgeschlossen. Freiwilligkeit ist nach der insoweit auf § 46b StGB übertragbaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 31 BtMG dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte frei zur Offenbarung entschließen kann; unfreiwillig handelt hingegen, wer meint, nicht mehr anders handeln zu können (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Freiwillig 1 und 2). Abgesehen davon, dass gesetzliche Anzeigepflichten betreffend begangene Straftaten nach geltender Rechtslage die Ausnahme bilden und der Zeuge – was das Landgericht im Grundsatz nicht verkennt – etwa bei polizeilichen Vernehmungen nicht aussagen muss, führt eine gegebene Zeugnispflicht nicht dazu, dass er nicht Herr seiner Entschlüsse ist und eine Aussage daher nicht mehr auf einem autonomen Entschluss beruhen kann. Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber den Tatbestand des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB und damit das Freiwilligkeitserfordernis selbst bei Bestehen einer strafbewehrten Anzeigepflicht nach § 138 StGB nicht in Frage gestellt sieht (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des federführenden Rechtsausschusses des Bundestages in BT-Drucks 16/13094 S. 5). Anders läge es, wenn der Zeuge erst nach gegen ihn konkret ergriffenen Erzwingungsmaßnahmen (vgl. §§ 51, 70 StPO) aussagen würde. Hierzu enthält das Urteil indessen keine Feststellungen.“ PRAXISTIPP ■
Die Entscheidung des 5. Strafsenats bestätigt den künftigen, wohl weiten Anwendungsbereich des § 46b StGB. Verteidiger sollten diese Option der Strafmilderung rechtzeitig erwägen und dabei die Frist des § 46b Abs. 3 StGB nicht übersehen. Selbst wenn im Einzelfall keine Strafmilderung nach § 46b StGB erfolgen sollte, so bleibt doch jedenfalls eine Milderung über § 46 StGB oder möglicherweise auch das Entfallen der Regelbeispielswirkung eines besonders schweren Falles. Die negativ formulierte Überleitungsvorschrift des Art. 316d EGStGB bedeutet nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften – und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46b Abs. 3 StGB – ohne Weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB).72 Die vorstehende Entscheidung wird nochmals bestätigt durch den Beschluss desselben Strafsenats vom 27.4.2010:73
72 73
BGH, Beschl. v. 18.3.2010 – 3 StR 65/10. BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – 3 StR 79/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Zwar sind nach § 316d EGStGB die Vorschriften der § 46b StGB und § 31 BtMG n.F. nicht auf Verfahren anwendbar, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem 1.9.2009 beschlossen worden ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Vorschriften – und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46b Abs. 3 StGB – automatisch auf alle Verfahren anzuwenden ist, in denen ab dem 1.9.2009 die Eröffnung beschlossen wurde. Vielmehr kann dennoch eine für den Angeklagten vorher gültige günstigere Regelung (zB § 31 BtMG a.F., § 261 Abs. 10 StGB a.F.) Anwendung finden. ■ PRAXISTIPP
Die beiden Entscheidungen werden für eine gewisse Übergangszeit Bedeutung haben. Verteidiger müssen daher berücksichtigen, dass Mandanten bei vor dem Stichtag begangenen Taten auch dann noch in der Hauptverhandlung durch entsprechende Aussagen eine Milderung nach § 31 BtMG a.F. erlangen können, wenn das Verfahren nach dem 31.8.2009 eröffnet worden ist. Außerdem ist allgemein zu berücksichtigen, dass § 31 BtMG a.F. nur zu einer Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB führte, während nach § 31 BtMG n.F. gem. § 49 Abs. 1 gemildert werden kann! Gerade bei schwereren Straftaten kann die dadurch ermöglichte Reduzierung des Höchstmaßes deutlich vorteilhaft für einen Angeklagten sein! 67
Zu den Voraussetzungen einer Strafmilderung nach § 31 BtMG vgl. auch die Entscheidung vom 26.10.2010:74 1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. a) Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte nach einem Verständigungsgespräch in der Hauptverhandlung ein umfassendes Geständnis hinsichtlich der 15 ausgeurteilten, zwischen dem 20. März 2009 und dem 12. August 2009 begangenen Taten abgelegt. Außerdem hat er bei einer am 15. Juni 2010 – zwischen dem ersten und dem zweiten Hauptverhandlungstag – durchgeführten polizeilichen Vernehmung erstmals Angaben zu weiteren Tatbeteiligten gemacht. Die beiden Vernehmungsbeamten haben bekundet, dass die Angaben des Angeklagten zu seinem Abnehmer B. M. und zu der Beteiligung der Ehefrau und der Söhne des gesondert Verfolgten A. an dessen Rauschgiftgeschäften den Ermittlungsbehörden noch nicht bekannt waren und die Ermittlungen gegen diese Personen erst ermöglicht bzw. wesentlich erleichtert haben (UA 13). b) Das Landgericht hat zwar sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung berücksichtigt, dass der Angeklagte durch diese Angaben Aufklärungshilfe geleistet hat (UA 15); das Urteil verhält sich aber nicht dazu, ob dadurch ein wesentlicher Aufklärungserfolg eingetreten ist, der eine Strafmilderung nach § 31 BtMG ermöglicht hätte. Dies war nicht etwa deswegen entbehrlich, weil der Angeklagte die Angaben zu weiteren Beteiligten erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn, die am 1. Juni 2010 erfolgt war, gemacht hat. Zwar ist durch die Präklusionsregelung nach § 46b Abs. 3 StGB, § 31 Satz 2 BtMG i.V.m. Art. 316d EGStGB (jeweils in der Fassung des 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009, BGBl I S. 2288, in Kraft seit dem 1. September 2009) eine zeitliche Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit einer Aufklärungshilfe eingeführt worden. Diese Regelung ist aber nicht generell auf alle Verfahren anzuwenden, in denen die Eröffnung des Haupt-
74
BGH, Beschl. v. 26.10.2010 – 4 StR 495/10.
II. 7. Aufklärungshilfe – § 46b StGB
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verfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Vielmehr gelten für die Frage des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts die allgemeinen Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neue Recht in seiner Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2010 – 3 StR 65/10, NStZ 2010, 523, 524). Hier ist die zur Tatzeit geltende Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG die für den Angeklagten günstigere Gesetzeslage, weil diese eine zeitliche Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit nicht vorsah. c) Der Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Landgericht geringere Strafen verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des § 31 Nr. 1 BtMG festgestellt und von der Milderungsmöglichkeit Gebrauch gemacht hätte.
Ebenfalls das Verhältnis zwischen der Anwendung von § 31 BtMG a.F. und Neuregelung betrifft die Entscheidung vom 5.10.2010,75 wobei im Einzelfall die nunmehr geltende zeitliche Grenze für Aufklärungshilfe nicht angewendet wurde:
68
Die Strafkammer hat einen „gemäß § 31 BtMG i.V.m. § 49 StGB gemilderten“ Strafrahmen des § 29a BtMG von 3 Monaten bis 11 Jahre und 3 Monate Freiheitsstrafe angenommen. Ein solcher ergibt sich bei einer Milderung des Strafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG nach § 49 Abs. 1 StGB, auf den die Neufassung des § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG (idF des 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009, BGBl I 2288, in Kraft seit 1. September 2009) verweist. Demgegenüber weist der Umstand, dass das Landgericht die vom Angeklagten erst nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses geleistete Aufklärungshilfe nicht als gemäß § 31 Satz 2 BtMG nF i.V.m. § 46b Abs. 3 StGB verspätet angesehen hat, darauf hin, dass es – in der Sache zutreffend (vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 2010 – 3 StR 65/10, NStZ 2010, 523, 524) – für die im Mai und August 2009 begangenen Taten III. 1. und III. 2. der Urteilsgründe die alte Fassung des § 31 Nr. 1 BtMG angewandt hat, die eine solche zeitliche Grenze für die Aufklärungshilfe nicht vorsieht. § 31 Nr. 1 BtMG aF ermöglicht jedoch eine Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB und eröffnet damit einen Strafrahmen von Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe von einem Monat bis 15 Jahre Freiheitsstrafe. PRAXISHINWEIS ■
Die Regelung von § 31 BtMG a.F. kann für einen Angeklagten Vorteile bieten und letztlich zur vorteilhaften Absenkung des Strafrahmens nach § 49 Abs. 2 StGB führen! Der 3. Strafsenat hat mit Beschluss vom 5.8.201076 eine Aufklärungshilfe abgelehnt, weil einerseits sich die Aufklärungshilfe nicht auf Katalogtaten i.S.d. § 100a Abs. 2 StPO bezog und andererseits erstmals in der Hauptverhandlung und damit verspätet erfolgte. Im Übrigen sei in Anlehnung an die Rspr. zu § 31 BtMG von einer erfolgreichen und deshalb strafmildernden Aufklärungshilfe nicht bereits dann auszugehen, wenn der Angeklagte eine Person benannt hat, die nach seiner nicht bewiesenen Darstel-
75 76
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 339/10. BGH, Beschl. v. 5.8.2010 – 3 StR 271/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
lung als Mittäter in Frage kommt. Voraussetzung ist vielmehr die Überzeugung des Tatrichters, dass die Darstellung des Angeklagten über die Beteiligung eines anderen an der Tat zutrifft. In Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 31 Nr. 1 BtMG ist von einer erfolgreichen und deshalb strafmildernd wirkenden Aufklärungshilfe nicht bereits dann auszugehen, wenn der Angeklagte eine Person benannt hat, die nach seiner nicht bewiesenen Darstellung als Mittäter in Frage kommt. Voraussetzung ist vielmehr die Überzeugung des Tatrichters, dass die Darstellung des Angeklagten über die Beteiligung des anderen an der Tat zutrifft. Die Ausführungen des Landgerichts machen deutlich, dass es diese Überzeugung nicht gewonnen hat, sondern ersichtlich Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des Angeklagten zu dem weiteren Mittäter hatte. Der Grundsatz in dubio pro reo gilt jedoch insoweit nicht (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1988 – 4 StR 154/88, BGHR BtMG § 31 Nr. 1, Aufdeckung 7). Das Landgericht war auch nicht gehalten abzuwarten, bis die zuständigen Polizeidienststellen entsprechende Ermittlungen zur Überprüfung der Angaben des Angeklagten angestellt hatten (vgl. zu § 31 Nr. 1 BtMG: BGH, Beschluss vom 28. August 2002 – 1 StR 309/02, NStZ 2003, 162).
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Mit Beschluss vom 3.12.2010 77 hat der 1. Strafsenat entschieden, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Präklusion offenbarten Wissens i.S.v. § 46 Abs. 3 StGB der Zeitpunkt ist, zu dem der Eröffnungsbeschluss erlassen wird, nicht derjenige, mit dem der Angeklagte Kenntnis – z.B. durch Zustellung – von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt. Eine Milderung war hier gemäß § 46b Abs. 3 StGB ausgeschlossen, weil der Angeklagte sein Wissen erst offenbarte, nachdem die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 207 StPO) gegen ihn bereits beschlossen war. Maßgeblich für die Präklusion offenbarten Wissens i.S.v. § 46b Abs. 3 StGB ist der Zeitpunkt, zu dem der Eröffnungsbeschluss erlassen wird, nicht derjenige, zu dem der Angeklagte – z.B. durch Zustellung des Beschlusses (vgl. § 215 StPO) – Kenntnis von der Eröffnung des Hauptverfahrens erlangt. Denn mit der Regelung des § 46b StGB soll dem Gericht ermöglicht werden, ermittlungsrelevante Angaben noch vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens überprüfen zu lassen und die Akten gegebenenfalls zum Zwecke weiterer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft zurückzusenden. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens und der damit regelmäßig einhergehenden Terminierung der Hauptverhandlung und Ladung der Zeugen sowie der übrigen Prozessbeteiligten besteht für das Gericht nicht selten eine nur noch eingeschränkte Möglichkeit, vom Angeklagten erhobene Behauptungen auf deren Wahrheitsgehalt ohne wesentliche Verzögerung des Hauptverfahrens zu überprüfen. ■ PRAXISTIPP
Wird von der Verteidigung erwogen, zur Erlangung der Voraussetzungen gem. § 46b StGB Wissen des Angeklagten zu offenbaren, sollte gerade im Vorfeld einer anstehenden Eröffnung des Hauptverfahrens keine wertvolle Zeit verloren werden, weil ansonsten der Angeklagte die Ausschlussfrist versäumen könnte.
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BGH, Beschl. v. 3.12.2010 – 1 StR 538/10.
II. 8. Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen – § 47 StGB
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Liegen die Voraussetzungen einer Aufklärungshilfe nach § 46b StGB vor, gelten für die Ermessensentscheidung des Gerichts, ob eine Strafmilderung (§ 46b Abs. 1 Satz 1 StGB) oder sogar ein Absehen von Strafe (§ 46b Abs. 1 Satz 4 StGB) geboten ist, die Regeln über die Anwendung eines vertypten Strafmilderungsgrundes, dessen Anwendung ausdrücklich zu erwägen ist.78
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Nach den Feststellungen der Kammer hatte die Angeklagte bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens umfassende Angaben zum Tatablauf gemacht, Mittäter benannt und auch ihre eigenen Tatbeiträge offen dargelegt, wodurch sie maßgeblich an der Überführung der zunächst nicht geständigen Mittäter mitgewirkt hat. Die geleistete Aufklärungshilfe hat das Landgericht nach Verneinung der Annahme eines minder schweren Falles lediglich im Rahmen der konkreten Strafzumessung als allgemeinen Strafmilderungsgrund berücksichtigt. Dies ist rechtsfehlerhaft; denn obwohl nach den getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB, § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO vorlagen, hat das Landgericht nicht geprüft, ob die Strafe gemäß § 46b Abs. 1 Satz 1 StGB zu mildern oder gar nach § 46b Abs. 1 Satz 4 StGB zu verfahren ist. Die Strafkammer hat demgemäß auch nicht bedacht, dass die Aufklärungshilfe in die Gesamtabwägung, ob ein minder schwerer Fall im Sinne des § 263 Abs. 5 StGB bejaht werden kann, nicht nur als allgemeiner strafmildernder Gesichtspunkt, sondern als vertypter Milderungsgrund einzustellen ist. Hierauf beruht das angefochtene Urteil. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einem abweichenden Rechtsfolgenausspruch gelangt wäre, wenn es § 46b StGB in seine Erwägungen einbezogen hätte.
8. Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen – § 47 StGB Eingriffe des Revisionsgerichts in die Strafzumessung eines Tatrichters sind eher selten. Als rechtsfehlerhaft stellte sich beim angefochtenen Urteil, welches der Entscheidung vom 8.9.2010 79 zugrunde lag, die Begründung der Verurteilung zu einer kurzen Freiheitsstrafe dar: Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe hält rechtlicher Nachprüfung indes nicht stand. Grundsätzlich ist die Strafzumessung Sache des Tatrichters und eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ausgeschlossen. Dieses darf lediglich nachprüfen, ob dem Tatrichter ein Rechtsfehler unterlaufen ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Auflage § 46 Rn 146). Davon ausgehend ist zu besorgen, dass das Landgericht bei der Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne von § 47 Abs. 1 StGB vorgelegen haben, von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten hat regelmäßig nur dann Bestand, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar bzw. „unerlässlich“ (§ 47 Abs. 1 StGB) erweist (BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 6; Fischer aaO § 47 Rn 7). Die Strafkammer hat die kurze Freiheitsstrafe anstelle einer Geldstrafe jedoch lediglich für „geboten“ (UA S. 10) erachtet. Dass eine Freiheitsstrafe „geboten“ (d.h. angebracht, sinnvoll, präventiv Erfolg versprechend usw.) ist, reicht allerdings nicht aus (Fischer
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BGH, Beschl. v. 23.11.2010 – 3 StR 403/10. BGH, Beschl. v. 8.9.2010 – 2 StR 407/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
aaO; OLG Stuttgart StraFo 2009, 118 f.). Zwar war sich die Kammer des Ausnahmecharakters der Vorschrift des § 47 StGB durchaus bewusst (vgl. UA S. 10). Jedoch vermögen auch die Erwägungen der Kammer zur Begründung der kurzen Freiheitsstrafe – namentlich die Ausführungen zum Lebenswandel des Angeklagten und dessen Haltung zur Tat (UA S. 10) – nicht zu belegen, dass die Kammer – entgegen dem von ihr gewählten Wortlaut – die kurze Freiheitsstrafe für unerlässlich gehalten hat. Auch diese Ausführungen sprechen dafür, dass die Kammer die Freiheitsstrafe lediglich für geboten erachtet hat.
9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB a)
Tateinheit, Tatmehrheit – §§ 52, 53 StGB
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Die Beurteilung, ob mehrere Taten (noch) in Tateinheit oder in Tatmehrheit stehen und im letztgenannten Fall der Täter dann zu mehreren Strafen zu verurteilen ist, stellt angesichts der Verschiedenheit der möglichen Sachverhalte und Alternativen immer wieder ein nicht unerhebliches rechtliches Problem dar und führt nicht selten auf Rechtsmittel zur Aufhebung oder Abänderung des Schuldspruchs und damit zumeist auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.
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Beim Sachverhalt, welcher Fall dem Urteil vom 22.07.2010 80 zugrunde lag, war das Ergebnis des Ausgangsurteils zutreffend, wonach mehrere während einer Geiselnahme an dem hilflosen Opfer durch den Täter begangene Vergewaltigungen in Tateinheit stehen. Dabei sind allerdings im Schuldspruch die einzelnen Übergriffe als tateinheitlich zusammentreffende Fälle der Vergewaltigung zu bezeichnen: 2. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte die Nebenklägerin entführt, um sie in seiner Wohnung durch Todesdrohung zur Duldung der darauf folgenden sexuellen Übergriffe zu nötigen, § 239b Abs. 1 1. Alt. StGB (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 1/94, BGHSt 40, 350). Daneben hat der Angeklagte die Nebenklägerin im Verlauf der mehrtägigen Geiselnahme bei insgesamt fünf Gelegenheiten jeweils durch Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für das Leben zum Beischlaf und ähnlichen, das Opfer besonders erniedrigenden sexuellen Handlungen genötigt (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die eingesetzte Gewalt bestand darin, dass er das Opfer über den gesamten Tatzeitraum eingesperrt hatte, um sie am Weglaufen zu hindern und damit die sexuellen Übergriffe zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 1 StR 739/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10; BGH, Urteil vom 9. März 1993 – 5 StR 1/93, NStZ 1993, 340; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1998 – 4 StR 347/98, NStZ 1999, 83; BGH, Beschluss vom 9. März 2000 – 4 StR 513/99, NStZ 2000, 419; BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42). In jedem dieser Fälle hat der Angeklagte bei der Tat ein Messer als Drohmittel verwendet (§ 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB). Zwar ist nur für den ersten sexuellen Übergriff festgestellt, dass der Angeklagte mit dem Messer ausdrücklich drohte, indem er
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BGH, Urteil v. 22.7.2010 – 3 StR 156/10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4.11.2010 – 4 StR 374/10 hinsichtlich der Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen; siehe ebenso BGH, Beschl. v. 10.11.2010 – 5 StR 464/10 hinsichtlich der Verklammerung mehrerer Vergewaltigungen nebst einem Delikt der gefährlichen Körperverletzung durch Freiheitsberaubung (§ 239 StGB).
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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das Opfer fragte, ob er es „immer noch halten müsse“, und es sodann auf die unmittelbar neben dem Bett stehende Kommode legte. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich indes, dass er in den weiteren Fällen mit dem Einsatz des Messers, welches während sämtlicher Übergriffe an diesem Ort verblieb, jeweils konkludent drohte und das Opfer dies auch entsprechend der Vorstellung des Angeklagten als Drohung empfand. 3. Auch die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses durch das Landgericht hält im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. a) Bei jedem der Übergriffe zwang der Angeklagte die Nebenklägerin jeweils zur Vornahme oder Duldung verschiedener sexueller Handlungen. Wegen des unmittelbaren Ineinanderübergehens der abgenötigten Handlungen und des fortdauernd eingesetzten Nötigungsmittels liegt dabei in jedem Fall trotz der Mehrheit der abgenötigten Handlungen nur eine Tat der besonders schweren Vergewaltigung vor. b) Für das Verhältnis der Vergewaltigungstaten zueinander gilt Folgendes: aa) Zwischen den vier Taten besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits deshalb Tateinheit, weil die objektiven Ausführungshandlungen teilweise identisch sind. Alle Vergewaltigungen sind mittels eines einheitlichen, durchgehend und ohne Zäsuren im Geschehensablauf eingesetzten Nötigungsmittels, nämlich der Einsperrung des Opfers zu dem Zweck, sexuelle Übergriffe an ihm vornehmen zu können, begangen worden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 1993 – 1 StR 739/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10; BGH, Urteil vom 9. März 1993 – 5 StR 1/93, NStZ 1993, 340; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1998 – 4 StR 347/98, NStZ 1999, 83; BGH, Beschluss vom 9. März 2000 – 4 StR 513/99, NStZ 2000, 419; BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42; BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 – 3 StR 15/05; LK-Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 52 Rn. 20 m.w.N.). bb) Da somit schon unter dem Aspekt der rechtlichen Handlungseinheit nur eine Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vorliegt, kommt es nicht mehr darauf an, ob die verschiedenen vom Angeklagten begangenen Gesetzesverletzungen auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit oder der Klammerwirkung eines durchgängig verwirklichten Dauerdelikts zur Tateinheit verbunden werden. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin gegen die Rechtsfigur der Tateinheit aufgrund Klammerwirkung erhobenen Einwände bemerkt der Senat lediglich, dass auch dieser Fall keinen Anlass geben könnte, hiervon Abstand zu nehmen (vgl. zum Zusammentreffen von Vergewaltigung mit Geiselnahme insoweit BGH, Urteil vom 10. Dezember 2008 – 2 StR 338/08, bei Pfister, NStZ-RR 2009, 361, 365 Nr. 35; BGH, Urteil vom 8. November 2007 – 3 StR 320/07, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 10). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können die während der Geiselnahme begangenen Straftaten im Schuldspruch voll – nämlich als durch „in mehreren tateinheitlich zusammentreffenden Fällen“ begangen – erfasst werden. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt dargelegt, dass auch bei der Bestrafung eine Berücksichtigung der weiteren Taten möglich ist – wie nicht zuletzt die hohe, an die Höchstgrenze einer zeitigen Freiheitsstrafe heranreichende Strafe beweist, die das Landgericht gegen den noch jungen, bislang nicht bestraften Angeklagten verhängt hat. cc) Da alle Vergewaltigungen nur eine Tat im materiellen Sinn darstellen, sind sie sämtlich auch Gegenstand der Anklage (st. Rspr.; vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 264 Rn. 6 m.w.N.). Das Landgericht wäre deshalb im Rahmen seiner Kognitionspflicht gehalten gewesen, den Angeklagten nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises auch wegen des fünften – erst durch die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung zutage getretenen – Übergriffs abzuurteilen. Um die Anklage zu erschöpfen, hat der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts insoweit eine Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO vorgenommen.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
c) Zu der (besonders schweren) Vergewaltigung steht die Geiselnahme in Tateinheit. Die objektiven Ausführungshandlungen sind auch hier teilweise identisch. Die bei der Entführung des Opfers angewendete Gewalt und das Verbringen an einen Ort, an dem es dem ungehemmten Einfluss des Täters weiterhin ausgesetzt war, war zugleich Teil der Gewalt, mit der der Angeklagte sodann die sexuellen Handlungen erzwang (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2003 – 2 StR 421/02). d) Zur Klarstellung des begangenen Unrechts (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1998 – 4 StR 272/98, BGHSt 44, 196, 198) sind im Schuldspruch die einzelnen Übergriffe als tateinheitlich zusammentreffende Fälle der besonders schweren Vergewaltigung zu bezeichnen. Dies ist für die Fälle der gleichartigen Tateinheit anerkannt (vgl. Meyer-Goßner, aaO § 260 Rn. 26). Für die Fälle mehrfacher Verwirklichung des Vergewaltigungstatbestands im Wege fortlaufender Gewaltanwendung kann nichts anderes gelten. Der Senat hat deshalb den Schuldspruch entsprechend geändert. ■ PRAXISHINWEIS
Finden in engem zeitlichem Abstand, insbes. wenn zudem eine gleichartige Tatausführung vorliegt und auch das Nötigungsmittel beibehalten wird, mehrere Vergewaltigungen desselben Opfers durch denselben Täter statt, liegt eine rechtliche Handlungseinheit i.S.v. § 52 StGB vor. Ob davon unabhängig die Taten auch durch eine andauernde Geiselnahme hätten geklammert werden können, hat der Senat offen gelassen. 75
Die Teilnahme eines Mittäters an tatmehrheitlichen Taten anderer Mittäter kann für den erstgenannten Mittäter u.U. nur eine materiell-rechtliche Tat (§ 52 StGB) sein.81 Sind an einer Deliktsserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, so ist die Frage, ob die einzelnen Straftaten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden; maßgeblich ist dabei der Umfang seines Tatbeitrages bzw. seiner Tatbeiträge. Erfüllt ein Mittäter hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten – soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt – als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Allein die organisatorische Einbindung des Täters in ein betrügerisches Geschäftsunternehmen ist nicht geeignet, diese Einzeldelikte der Tatserie rechtlich zu einer Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die übrigen Beteiligten die einzelnen Delikte gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. etwa BGH wistra 2001, 336; NJW 2004, 2840, 2841 m.w.N). Nach diesen Maßstäben belegen die Feststellungen nur eine materiellrechtliche Tat des Angeklagten (§ 52 StGB); denn seine Tätigkeit erschöpfte sich darin, an dem Aufbau und dem allgemeinen Betrieb der GmbH mitzuwirken, indem er den Zeugen K. als Geschäfts-
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BGH, Beschl. v. 6.10.2009 – 3 StR 373/09.
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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führer gewann, diesen bei der Gründung der GmbH unterstützte sowie Büropersonal für das Unternehmen anwarb und bei dessen Tätigkeit motivierte. Ein konkreter Tatbeitrag zu den einzelnen betrügerischen Verkäufen der LKWs lässt sich demgegenüber den Feststellungen nicht entnehmen. Ein solcher kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Angeklagte den Zeugen K. beim Abheben der auf dem Firmenkonto der GmbH eingegangenen Gelder und bei der Weitergabe derselben an den Mitangeklagten F. bzw. dessen Mittelsmänner begleitete. Zu diesen Zeitpunkten hatten die Geschädigten durch die Überweisung der jeweiligen Beträge bereits einen endgültigen Vermögensverlust erlitten; der Betrug zu ihrem Nachteil war somit beendet.
Eine unterschiedliche Beurteilung kann sich gerade auch bei mehreren Betrugstaten ergeben, so dass Einzeltaten des unmittelbar gegenüber dem Geschädigten Handelnden beim Mittäter oder Hintermann demgegenüber als einheitliche Tat zu beurteilen sein können:82 Bei mehreren Tatbeteiligten ist die Frage der Handlungseinheit oder -mehrheit für jeden Beteiligten nach der Art seines Tatbeitrags selbstständig zu ermitteln. Bei Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft sind selbstständige Betrugstaten der unmittelbar gegenüber den Geschädigten Handelnden beim Mittäter oder Hintermann, dessen Handlung sich in nur einer Tätigkeit erschöpft, als eine einheitliche Tat anzusehen (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2841; Beschluss vom 18. Oktober 2007 – 4 StR 481/07, NStZ 2008, 352 f.; Fischer, StGB, 57. Aufl., Vor § 52 Rn. 34 m.w.N.). Das Einreichen der falschen Rechnung durch die Patientinnen bei zwei unterschiedlichen Kostenträgern stellt sich damit für den Angeklagten, der jeweils nur eine unrichtige Rechnung ausstellte, als eine einheitliche Tat dar. Dauert die Verabredung zu einem Verbrechen bis zur Durchführung der verabredeten Tat an und führt der Verabredende am Tattage eine Schusswaffe mit sich, welche er dann zur Durchführung der eigentlichen Tat einem Mittäter überlässt, steht die Verbrechensverabredung in Tateinheit mit den Delikten nach dem Waffengesetz, wie Führen einer Waffe und Besitz von Munition.83
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Im Fall II. 5 war die Verabredung des Überfalls auf den Geldboten des Wettbüros nicht mit der geraume Zeit vor der geplanten Tat getroffenen Absprache beendet, sondern dauerte bis zu deren Durchführung an. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte die geladene Schusswaffe, die er „im Vorfeld“ des geplanten Überfalls vom Mitangeklagten B. ausgehändigt erhalten hatte, am Tattag mit sich und überließ sie, nachdem er sie zuvor entladen und die Munition in seinem Fahrzeug verwahrt hatte, zur Durchführung des bevorstehenden Überfalls einem weiteren Mittäter. In Anbetracht dieser Umstände liegt eine natürliche Handlungseinheit vor mit der Folge, dass im Fall II. 5 die Verbrechensverabredung in Tateinheit steht mit dem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe und dem Besitz von Munition (BGH, Beschluss vom 4. Januar 1994 – 1 StR 785/93).
Bestellt ein Täter an verschiedenen Tagen zahlreiche gleichartige Gegenstände für Einbauten, um diese jedoch später abredewidrig auf eigene Rechnung zu verkaufen, liegt hinsichtlich der am selben Tag erteilten Aufträge natürliche Handlungseinheit vor:84 82 83 84
BGH, Beschl. v. 14.9.2010 – 3 StR 131/10. BGH, Beschl. v. 10.8.2010 – 3 StR 251/10. BGH, Beschl. v. 3.8.2010 – 4 StR 157/10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 21.4.2010 – 4 StR 635/09.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Die jeweils am selben Tag erteilten Montageaufträge stehen jedenfalls in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 1. September 1994 – 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Montageaufträge wurden in den aufgeführten Fällen jeweils am selben Tag demselben Auftragnehmer zum Nachteil derselben Geschädigten hinsichtlich solcher Heizthermen erteilt, deren Bestellungen auch das Landgericht als jeweils einheitlichen Vorgang gewertet hat. Es liegt daher nahe, dass der Angeklagte die jeweilige Vergabe der Aufträge zusammen erledigte und nicht auf Grund eines neuen Tatentschlusses handelte.
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Erfolgen Barabhebungen bzw. Überweisungen jeweils am selben Tag und betreffen auch dasselbe Konto einer Geschädigten, liegt es nahe, dass diese Untreuehandlungen jedenfalls in natürlicher Handlungseinheit stehen und nicht jeweils auf Grund eines neuen Tatentschlusses erfolgten.85 [BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 4 StR 182/10]: a) Nach den Feststellungen überwies der Angeklagte am 10. Oktober 2006 von demselben Girokonto bei der Sparkasse E. zweimal jeweils 8.000 € auf sein eigenes Konto und verbrauchte das Geld für sich (Taten 18 und 19). Am 25. Oktober 2006 sowie am 15. Juni 2007 hob er von diesem Konto jeweils Geld zum persönlichen Verbrauch ab und veranlasste zugleich je eine Überweisung zu eigenen Zwecken (Taten 21 und 22 sowie 67 und 68). b) Danach stehen die jeweils am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Barabhebungen jedenfalls in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 1. September 1994 – 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Barabhebungen bzw. Überweisungen erfolgten jeweils am selben Tag und betrafen auch jeweils dasselbe Girokonto der Geschädigten bei der Sparkasse E., was nahe legt, dass der Angeklagte die Verfügungen jeweils zusammen erledigte und nicht auf Grund eines neuen Tatentschlusses handelte. [BGH, Beschl. v. 14.09.2010 – 4 StR 422/10] a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen reichte der Angeklagte am 10. Juli 2006 bei der Volks- und Raiffeisenbank unberechtigt zwei Lastschriften ein, mit denen er von einem bei der Kreissparkasse geführten Konto des Zeugen D. 25.000 Euro und weitere 56.780 Euro einzog. Vor Eingang der durch den Widerspruch des Zeugen veranlassten Rücklastschriften verfügte er in Höhe von insgesamt 51.578,53 Euro über das auf seinem Konto verbuchte Guthaben. Er hatte den Widerspruch vorausgesehen und war zum Ausgleich des verbliebenen Minussaldos nicht in der Lage. b) Danach stehen die beiden am selben Tag eingereichten Lastschriften jedenfalls in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit straf85
BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 4 StR 182/10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 14.9.2010 – 4 StR 422/10.
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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rechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 1. September 1994 – 4 StR 259/94, NStZ 1995, 46). Diese Voraussetzungen sind hier, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, gegeben (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 4 StR 182/10). PRAXISTIPP ■
Den vorstehenden Entscheidung ist, auch wenn die fortgesetzte Tat eigentlich „abgeschafft“ ist, dennoch der Grundsatz zu entnehmen, dass gleichartige Handlungen mit gleichartiger Zielsetzung regelmäßig in Tateinheit stehen, soweit diese jedenfalls am selben Tag erfolgen. Es wird demgemäß auch Aufgabe des Verteidigers sein, in entsprechenden Fällen darauf hinzuwirken, dass der Angeklagte insoweit nur wegen einer Tat verurteilt wird und nicht, wie in der Praxis teilweise üblich, diesbezüglich Tatmehrheit angenommen wird. Nimmt der Täter einer Bestechlichkeit dafür, dass er Diensthandlungen vorgenommen hat oder künftig vornehme, wiederkehrend Zuwendungen entgegen, so stehen die einzelnen Tathandlungen dann in tatbestandlicher Handlungseinheit, wenn sie Teilleistungen betreffen, die auf einer einheitlichen, die Gewährung eines bestimmten Vorteils insgesamt umfassenden Unrechtsvereinbarung beruhen.86 Zu drei dieser Zuwendungen (Fall II. 2.b) aa) der Urteilsgründe) hat das Landgericht festgestellt: Der Angeklagte erwarb am 21. März 2000 einen Pkw Audi A 6. Auf den Kaufpreis hatte er bei Auslieferung 54.000 DM anzuzahlen; einen weiteren Teilbetrag von 32.250 DM finanzierte er über einen Bankkredit. Als „Beitrag zur Finanzierung“ übergab ihm ein Mitarbeiter des Bauunternehmens, der Zeuge S., zunächst Anfang Mai 15.000 DM in bar, die er für die geschuldete Anzahlung verwendete. Zur Rückzahlung der noch offenen Darlehensforderung erhielt der Angeklagte vom Zeugen S. dann im Januar und im Februar 2001 weitere Bargeldbeträge von 10.000 DM bzw. 12.000 DM. b) Nimmt der Täter dafür, dass er Diensthandlungen vorgenommen hat oder künftig vornehme, wiederkehrend Zuwendungen entgegen, so stehen die einzelnen Tathandlungen dann in tatbestandlicher Handlungseinheit, wenn sie Teilleistungen betreffen, die auf einer einheitlichen, die Gewährung eines bestimmten Vorteils insgesamt umfassenden Unrechtsvereinbarung beruhen (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 331 Rn. 39 m.w.N.). Eine Übereinkunft des Angeklagten mit den Verantwortlichen des Bauunternehmens dahin, dass dieses ihm zur Finanzierung seines Pkw-Kaufs einen vorab der Höhe nach festgelegten und in Teilbeträgen auszuzahlenden Zuschuss gewähren werde, hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Aus den Feststellungen ergibt sich vielmehr, dass jeder der Zahlungen eine eigenständige Unrechtsvereinbarung zu Grunde lag. Dies führt zu drei rechtlich selbständigen Taten. c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Schon aufgrund der Einlassung des Angeklagten schließt der Senat aus, dass eine neue Hauptverhandlung zur Feststellung einer einheitlichen, alle drei Zahlungen umfassenden Unrechtsvereinbarung führen kann.
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BGH, Urteil v. 24.6.2010 – 3 StR 84/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Danach hat der Zeuge S. dem Angeklagten zur Finanzierung des Pkw-Kaufs zunächst 15.000 bis 20.000 DM angeboten. Auf seine – des Angeklagten – Bemerkung, dieser Betrag reiche aus, erhielt er vom Zeugen 15.000 DM. Erst einige Zeit danach stellte ihm der Zeuge zur rascheren Tilgung des Kredits noch „weiteres Geld“ in Aussicht. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass der Angeklagte nach der Aussage des Zeugen S. den Wunsch nach einem Pkw geäußert und der als Geschäftsführer des Bauunternehmens auftretende frühere Mitangeklagte K. hierauf entschieden hat, der Angeklagte bekomme einen Pkw Audi A 6, jedoch solle ihm der dafür erforderliche Geldbetrag in Raten ausbezahlt werden, um Abhängigkeit zu erzeugen. Dies belegt allein die Absicht des früheren Mitangeklagten K., der ersten Zahlung weitere folgen zu lassen.
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Auch wenn eine Diebesbeute aus zwölf selbstständigen Einbruchstaten herrührt, folgt daraus nicht zwingend, dass auch die Hehlerei an den Beuteteilen als zwölf rechtlich selbstständige Hehlereitaten zu beurteilen ist. Ist nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon auszugehen, dass das zur Weiterveräußerung der Beute begründete Herrschaftsverhältnis des Hehlers in mehreren, sich unmittelbar an die Diebstahlstaten anschließenden rechtlich selbstständigen Taten erfolgte, ist zugunsten des Hehlers davon auszugehen, dass er die Tatbeute zwar möglicherweise in mehreren Teilakten in Besitz genommen und weiterveräußert hat, welche aber eine Tathandlung im Rechtssinne darstellen.87 Die von der Kammer vorgenommene konkurrenzrechtliche Beurteilung hält indes revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Dass die Diebesbeute aus zwölf Einbruchsdiebstählen stammt, begründet für sich allein noch keine zwölf Hehlereitaten. Erwirbt der Täter jeweils mehrere aus einer oder aus verschiedenen Vortaten stammende Sachen in einem Akt, liegt nur eine Hehlerei vor (Senat, NStZ-RR 2005, 236; BGH, Beschluss vom 05. Mai 1998 – 5 StR 157/98; vgl. auch BGH, wistra 2003, 99, 100 entsprechend zur Absatzhilfe). Aus den Feststellungen ergeben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass das zur Weiterverwertung der Beute begründete Herrschaftsverhältnis des Angeklagten in mehreren, sich unmittelbar an die Diebstahlstaten anschließenden rechtlich selbständigen Taten erfolgte. Angesichts der mehrfachen Diebstahlstaten in einer Nacht beziehungsweise in aufeinander folgenden Nächten, liegt dies auch fern. … Da infolge des Zeitablaufs und des Umstandes, dass ausschließlich Zigaretten entwendet und weiterveräußert wurden, insoweit keine ergänzenden Feststellungen zu erwarten sind, aus denen sich mit der erforderlichen Sicherheit eine Mehrzahl von (rechtlich selbständigen) Hehlereitaten des Angeklagten ergeben könnte, ist zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er die aus den zwölf Vortaten stammende Tatbeute in mehreren Teilakten in Besitz genommen und weiterveräußert hat, die eine Tathandlung im Rechtssinne darstellen. Die konkurrenzrechtliche Einordnung der Einzelaktivitäten des Angeklagten als eine Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB steht der Annahme der Gewerbsmäßigkeit nicht entgegen (vgl. BGHR § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Gewerbsmäßigkeit 1).
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Nimmt sich der Betreiber eines Internet-Shops vor, dass er bei den erwarteten Bestellungen künftiger Kunden trotz bereits geleisteter Zahlung häufig gar nichts, nicht die bestellte Ware oder aber die bestellte in nicht ordnungsgemäßem Zustand oder nur einen Teil der bestellten Ware liefern werde, bei Nachnahmebestellungen häufig ein leeres Paket oder Päckchen oder aber einen Karton mit gegenüber dem
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BGH, Beschl. v. 7.9.2010 – 4 StR 393/10.
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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jeweils Bestellten geringerwertigem Inhalt liefern werde, liegt weder ein Gesamtvorsatz noch natürliche Handlungseinheit vor. Vielmehr ist mangels näherer Feststellungen von jeweils verschiedenen Taten auszugehen.88 1. Die Strafkammer hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Angeklagte bot im Zeitraum Februar bis Anfang November 2008 über eine von ihm gegründete Gesellschaft im Internet Waren zum Kauf gegen Vorkasse oder per Nachnahme an. Als er die Produkte „ins Netz stellte“, hatte er von Anfang an die Vorstellung, dass er auf die einzelne Bestellung „zumindest häufig – nicht nur vereinzelt – trotz bereits geleisteter Zahlung des Kunden (also in der Vorkasse-Variante) gar nichts, nicht die bestellte Ware oder aber die bestellte in nicht ordnungsgemäßem Zustand oder nur einen Teil der bestellten Ware liefern würde. Für den Fall, dass der jeweilige Kunde die Nachnahme-Variante wählen sollte, hatte der Angeklagte die Vorstellung, dass häufig – nicht nur vereinzelt – ein leeres Paket oder Päckchen oder aber ein Karton mit gegenüber dem jeweils Bestellten geringerwertigem Inhalt geliefert werde“ (UA S. 6). Im Tatzeitraum erfolgten zumindest 119 Warenbestellungen von Kunden, die entweder keine oder nicht die geschuldete Warenlieferung erhielten. Bei der Handlungsweise des Angeklagten sei rechtlich von einer einzigen Handlung auszugehen. Für die Anzahl der in Rede stehenden Handlungen komme es nicht etwa auf die Bestellungen der Kunden oder diesen nachgelagerte Vorgänge maßgeblich an, sondern auf das Präsentieren der Ware im Internet. Es sei diejenige Handlung entscheidend, die die Täuschung einleite, insbesondere würden nicht etwa weitere Ausführungshandlungen Tatmehrheit herbeiführen (UA S. 34). 2. Diese rechtliche Würdigung des Landgerichts ist fehlerhaft. Für die Annahme eines Gesamtvorsatzes, der durch die Feststellung, der Angeklagte habe häufig – nicht nur vereinzelt – keine Ware oder nur geringwertigere Ware liefern wollen, ohnehin nicht hinreichend belegt wäre, ist nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung (BGHSt – GS – 40, 138) kein Raum mehr. Entgegen der Auffassung des Landgerichts bietet auch das Präsentieren von verschiedenen Waren im Internet keinen Anknüpfungspunkt für die Annahme eines Gesamtvorsatzes, zumal die fehlende Erfüllungsbereitschaft des Angeklagten hinsichtlich aller von ihm angebotenen Waren gerade nicht festgestellt ist. Auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit liegt insbesondere angesichts des lang gestreckten Tatzeitraums eine einheitliche Tat nicht vor. Es ist vielmehr von jeweils selbständigen Taten auszugehen, die jeweils auf einen neuen Tatentschluss beruhen.
PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung dürfte erheblichen Einfluss auf die Behandlung der Betrugsfälle haben, in denen „Verkäufer“ bei Internetauktionen hochwertige Waren zu einem günstigen Preis einstellen, jedoch von Anfang an weder entsprechende Ware besitzen, noch eine Beschaffung überhaupt planen, sondern vielmehr allein darauf aus sind, möglichst schnell „Geld einzusammeln“, bevor die Käufer bemerken, dass sie getäuscht worden sind und Anzeige erstatten!
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BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – 5 StR 226/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
b) Gesamtstrafenbildung 83
Die Bildung der Gesamtstrafe ist ein eigenständiger und zu begründender Strafzumessungsakt, der gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB durch die Erhöhung der höchsten Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe) erfolgt und sich nicht an der Summe der Einzelstrafen oder an rechnerischen Grundsätzen zu orientieren hat, sondern an gesamtstrafenspezifischen Kriterien. Einer eingehenden Begründung bedarf es, wenn die Gesamtstrafe sich auffallend von der Einsatzstrafe entfernt.89 Diesen Anforderungen wird die Begründung des Landgerichts nicht gerecht. Es hat die Gesamtstrafe „aus den verhängten Einsatzstrafen“ gebildet (UA S. 29) und bei einer (vom Gericht nicht konkret benannten) Einsatzstrafe von neun Monaten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten erkannt. Dabei hat es – abgesehen von einer floskelartigen Verweisung auf vorangehende Strafzumessungserwägungen – nur den strafmildernden Umstand eines Härteausgleichs angeführt (UA S. 29). Auf gesamtstrafenspezifische strafschärfende Umstände wird zur Begründung der Gesamtstrafe nicht ausdrücklich abgestellt. Die Begründung legt vielmehr nahe, dass das Gericht die Bildung der Gesamtstrafe auf Grund rechnerischer Überlegungen auf Basis der Summe der 65 Einzelstrafen vorgenommen hat.
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Demgegenüber hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 25.8.2010 90 ausgeführt, dass eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe einen Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung gemäß § 54 StGB nicht ohne weiteres nahe legt. ■ PRAXISHINWEIS
Die beiden vorstehenden Entscheidungen verdeutlichen, dass der Vorgang einer Gesamtstrafenbildung in der Revision durchaus mit Erfolg angegriffen werden kann, wobei dieser letztlich aber allein davon abhängt, wie ausreichend und überzeugend die Begründung ausgefallen ist, wobei sicherlich umso höhere Anforderungen zu stellen sind, je mehr sich die Gesamtstrafe – allerdings unter Berücksichtigung von Zahl und Höhe der weiteren Einzelstrafen – von der Einsatzstrafe entfernt. 85
Bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Berufungsverfahren ist die im erstinstanzlichen Urteil angeordnete Sperre nach § 69a StGB nicht aufrechtzuerhalten, wenn die Sperrfrist zum Zeitpunkt der Verkündung des Berufungsurteils bereits abgelaufen und die Fahrerlaubnissperre gegenstandslos i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB war.91 c)
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Fehlerhafter oder fehlender Härteausgleich – §§ 54, 55 StGB
Gerade im Zusammenhang mit der Bildung von Gesamtstrafen ergibt sich nicht selten die Problematik, dass an sich zu berücksichtigende Vorverurteilungen entweder 89 90 91
BGH, Beschl. v. 5.8.2010 – 2 StR 340/10; vgl. auch Beschl. v. 21.10.2009 – 2 StR 377/09 BGH, Beschl. v. 25.8.2010 – 1 StR 410/10. BGH, Urteil v. 28.10.2009 – 2 StR 351/09.
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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bereits vollstreckt sind oder aus anderen Gründen nicht unmittelbar einbezogen werden können. Unterbleibt in solchen Fällen dann zusätzlich auch ein Härteausgleich wegen der nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung, ist immer zu prüfen, ob dieses Unterlassen einen Rechtsfehler darstellt, welcher dann eine Aufhebung des Strafausspruchs nach sich zieht: Entsprechend der Entscheidung vom 20.1.2010 92 soll auch bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Wege der Vollstreckungslösung gewährt werden: Während das angefochtene Urteil zum Schuldspruch keine Rechtsfehler aufweist und die Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 21. September 2009 dargelegten Gründen keinen Erfolg haben, hält der Strafausspruch insoweit der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, als eine Entscheidung über einen im Wege der Vollstreckungslösung durchzuführenden Härteausgleich unterblieben ist. Nach der Entscheidung des Großen Senats vom 17. Januar 2008 zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung im Vollstreckungsmodell (GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) ist nunmehr in Abkehr von früherer Rechtsprechung (BGH NStZ 1999, 579, 580 f.; BGH Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89 –) auch bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Vollstreckungsmodell zu gewähren (so auch BGH Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09 –, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). a) Grundgedanke des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGHSt 7, 180, 181; 15, 66, 69; 17, 173, 174 f.; 32, 190, 193). Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132). Die Gerichte sind allerdings an die Gesetze gebunden (Art. 20 Abs. 3 GG); sie haben auch beim Härteausgleich die durch das StGB vorgegebenen Grenzen der Strafenfindung zu beachten. Da das Gesetz für Mord, sofern keine gesetzlichen Milderungsgründe vorliegen, nur die lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, konnte ein Härteausgleich in diesen Fällen nicht gewährt werden (vgl. zur Kompensation wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung BGHSt 52, 124, 134 Rdn. 29; BGH NJW 2006, 1529, 1535). b) Nunmehr gestattet das vom Großen Senat für Strafsachen vorgegebene Vollstreckungsmodell (BGHSt 52, 124, 135 f. Rdn. 31; vgl. dazu auch EGMR StV 2009, 561, 563 m. Anm. Krehl) in den Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung den gebotenen Ausgleich ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung bei der lebenslangen Freiheitsstrafe durchzuführen. Im Falle einer lebenslangen Freiheitsstrafe kann die Kompensation durch Anrechnung des als vollstreckt geltenden Teils der Strafe auf die Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfolgen. Die Frage, ob das Vollstreckungsmodell auch auf andere Fallgestaltungen zu übertragen ist, wird unter den Senaten des Bundesgerichtshofs nicht einhellig beantwortet. Der 5. Strafsenat hat die Kompensation eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. B Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) im Wege des Vollstreckungsmodells bejaht. Dem ist der 3. Strafsenat ausdrücklich entgegen-
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BGH, Beschl. v. 20.1.2010 – 2 StR 403/09.
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getreten (Urteil vom 20. Dezember 2007 – 3 StR 318/07 –, BGHSt 52, 110, 118 Rdn. 25 f.). Er hält eine Kompensation von Verfahrensfehlern im Vollstreckungswege generell für unzulässig. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung. Der Senat hält es jedoch für angezeigt, auf der Grundlage einer doppelt analogen Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die Kompensation im Vollstreckungswege auf den Härteausgleich wegen nicht mehr möglicher Gesamtstrafenbildung zu übertragen (erwogen bereits in den Beschlüssen des 5. Strafsenats vom 23. Juli 2008 – 5 StR 293/08 – [BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15] und vom 28. Mai 2009 – 5 StR 184/09 –). Diese Verfahrensweise bietet die Möglichkeit, ein Übermaß von Strafe aufgrund zufällig getrennter Aburteilung ohne systemwidrige Eingriffe in die Strafbemessung zu beseitigen und damit dem Anliegen der Rechtsprechung zum Härteausgleich auch im Sonderfall der lebenslangen Freiheitsstrafe Rechnung zu tragen. Auf diese Weise wird auch eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Fällen vermieden, in denen das Tatgericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt hat. In diesen Fällen hat es der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofes für zulässig angesehen, den Umstand, dass Freiheitsstrafe aus einer an sich gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung vor Erlass des auf lebenslange Freiheitsstrafe lautenden Urteils verbüßt worden war, bei der Festsetzung der Verlängerungsdauer der Mindestverbüßungszeit nach § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB zu berücksichtigen (Beschluss vom 9. Dezember 2008 – 4 StR 358/08 –, NStZ-RR 2009, 104; vgl. auch BVerfG Beschluss vom 29. Januar 2007 – 2 BvR 2025/06 –). Durch die Anwendung des Vollstreckungsmodells wird vermieden, dass Täter in den „Normalfällen“ schlechter dastehen als bei Verwirklichung besonderer Schuldschweregründe. Darüber hinaus wird damit auch in den Fällen mit besonderer Schuldschwere die Bemessung der Höhe der Kompensation, die dem Bereich der tatrichterlichen Strafzumessung unterfällt, wieder dem hierfür zuständigen Tatgericht übertragen (vgl. dazu BVerfG Beschluss vom 29. Januar 2007 – 2 BvR 2025/06). ■ PRAXISHINWEIS
Wird ein Angeklagter zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und konnte eine an sich einbeziehungsfähige, vorangegangene weitere Verurteilung deswegen nicht mehr berücksichtigt werden, weil diese bereits vollstreckt war, ist darauf zu achten, dass jedenfalls im Wege der Vollstreckungslösung grundsätzlich ein Härteausgleich zu gewähren ist. 88
Die Entscheidung vom 27.1.2010 93 betrifft die Berücksichtigung ausländischer Vorverurteilungen, welche an sich bei einer Gesamtstrafenbildung nicht herangezogen werden können: Die Begründung der zweiten im Urteil gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe (VI. 1. 6 der Urteilsgründe) begegnet durchgreifenden sachlichrechtlichen Bedenken. Die Strafkammer hat zwar zu Recht aus den vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg durch rechtskräftiges Urteil vom 21. Juni 2006 verhängten Einzelgeldstrafen und der Einzelfreiheitsstrafen für die Fälle II. 1, II. 2 und II. 11 der Urteilsgründe eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Sie hat auch den mit der Zäsurwirkung der amtsgerichtlichen Verurteilung verbundenen Nachteil mehrerer zu bildender Gesamtfreiheitsstrafen noch hinreichend berücksichtigt. Die Erwägungen der Strafkammer sind indes lückenhaft, soweit eine ausländische Vorverurteilung im Rahmen dieser Gesamtstrafenbildung soweit ersichtlich unberücksichtigt geblieben ist: 93
BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 432/09.
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Zu dieser Vorverurteilung hat das Landgericht festgestellt, dass der Beschwerdeführer „anlässlich eines Diebstahls im Frühjahr 2007 in Dänemark verhaftet und zu einer viermonatigen Freiheitsstrafe verurteilt“ worden ist. Die Freiheitsstrafe verbüßte er „bis Juni 2007“ (UA S. 10). a) Zwar war keine nachträgliche Gesamtstrafe im Sinne des § 55 StGB aus diesem dänischen Erkenntnis und den übrigen durch die Strafkammer festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen zu bilden. Im Ausland verhängte Strafen sind der nachträglichen Gesamtstrafenbildung über § 55 StGB nicht zugänglich, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 43, 79; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16; BGH NStZ 2008, 709, 710). b) Mit Rücksicht auf die insoweit tragende Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 16) musste sich das Tatgericht auch nicht veranlasst sehen, den in der Rechtsprechung zum Recht der Gesamtstrafenbildung entwickelten Rechtsgedanken des sogenannten Härteausgleichs auf diesen Fall zu übertragen. Ein Härteausgleich dieser Art scheidet demzufolge aus, wenn eine Aburteilung im Ausland begangener Straftaten in Deutschland mangels entsprechender rechtlicher und tatsächlicher Voraussetzungen grundsätzlich nicht oder allenfalls theoretisch unter dem Aspekt der stellvertretenden Strafrechtspflege möglich ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB). … e) Um jedenfalls dem gemeinschaftsrechtlichen Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme Rechnung zu tragen, ist eine Erörterung des mit der ausländischen Vorverurteilung möglicherweise verbundenen Gesamtstrafübels in den schriftlichen Urteilsgründen regelmäßig notwendig. Aus Gründen der Strafgerechtigkeit muss dies auch für feststehende entsprechende Bestrafungen in Drittländern gelten. Die Strafzumessung muss dabei erkennen lassen, inwieweit diesem Umstand strafmildernde Wirkung beigemessen worden ist. Angesichts grundsätzlicher Geltung der gesetzlichen Grenzen der Strafrahmen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 200) wird in ganz anders als hier gelagerten Fällen eine Anwendung der Vollstreckungslösung zu erwägen sein (vgl. BGHSt 52, 124 sowie Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09 Tz. 10 m.N., zur Aufnahme in BGHSt bestimmt, für den Fall nicht mehr möglicher Gesamtstrafenbildung von Geldstrafe mit lebenslanger Freiheitsstrafe). In Ermangelung eines echten Härteausgleichs (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 478/09) hält der Senat zunächst indes die generelle Anwendung der Vollstreckungslösung auf Fälle dieser Art nicht für zwingend. 3. Das Landgericht hat es hier unterlassen, das mit der zweiten Gesamtfreiheitsstrafe und der dänischen Vorverurteilung verbundene Gesamtstrafübel in seinen Urteilsgründen darzulegen. Angesichts der Höhe der Einzelstrafen und des engen zeitlichen Zusammenhangs war eine ausdrückliche Erörterung hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. BGH NStZ 2000, 137, 138). PRAXISTIPP ■
Auch wenn mit ausländischen Vorverurteilungen – natürlich nur bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – keine Gesamtstrafe gebildet werden kann, ist das deutsche Tatgericht gehalten, Ausführungen zu dem mit der deutschen Verurteilung und dem mit der ausländischen Vorverurteilung verbundenen Gesamtstrafübel zu machen.
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Wirkt sich die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranziehung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als Einsatzstrafe für den Angeklagten überaus nachteilig aus, erfordert dies die Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15 m.w.N.). Für diese Fallkonstellation eines vorzunehmenden Härteausgleichs ist die Anwendung des Vollstreckungsmodells vorzugswürdig.94 [Dem hat allerdings der 4. Strafsenat mit der Entscheidung vom 9.11.2010 in bindender Weise zugunsten einer Anrechnung bei der Bemessung der Strafe widersprochen – s. Rn. 91]. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung (Einzelfreiheitsstrafe sieben Monate), wegen Freiheitsberaubung in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen je zwei Monate), wegen unerlaubten Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch in zwei Fällen (Einzelfreiheitsstrafen zwei Monate und ein Monat) und wegen Beleidigung (Einzelfreiheitsstrafe ein Monat) unter Einbeziehung der vom Landgericht Bremen in dessen Urteil vom 9. Oktober 2008 verhängten und zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und von weiteren Vorwürfen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten ist hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Indes bedarf das Urteil der Ergänzung um einen Härteausgleich wegen entgangener anderweitiger Gesamtstrafbildung. 1. Die im angefochtenen Urteil ausgeurteilten Taten waren zwischen Ende Februar und dem 26. März 2007 begangen worden. Nachdem eine Gesamtstrafenbildung mit der zunächst eine Zäsur begründenden Nachverurteilung durch Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 2. August 2007 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je zehn Euro wegen vollständiger Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe zehn Tage vor der hier erfolgten Verurteilung nicht mehr möglich gewesen ist, hat das Landgericht folgerichtig, in der Sache zutreffend und unvermeidbar mit der nächsten noch nicht erledigten Strafe – der wegen eines am 14.Februar 2008 begangenen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung durch Urteil des Landgerichts Bremen vom 9. Oktober 2008 verhängten zweijährigen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe – die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Zu deren Begründung hat das Landgericht ausgeführt: „Andererseits war nicht zu übersehen, dass die Aussetzung der Vollstreckung der zweijährigen Freiheitsstrafe zur Bewährung zwar somit keinen Bestand mehr haben konnte, die jetzt erforderliche Gesamtstrafenbildung dem Angeklagten wiederum aber insoweit zugute kommt, als bei Einbeziehung allein der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 02.08.2007 die dann bestehend bleibende zweijährige Einzelstrafe sowie die im Übrigen zu bildende Gesamtstrafe der Summe nach zu einer höheren Gesamtsanktion geführt hätte“ (UA S. 38). 2. Die hier erfolgte Gesamtstrafenbildung ist nur aufgrund vollständiger Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung notwendig geworden, die den Wegfall einer den Angeklagten begünstigenden Zäsur zur Folge hatte. Die zitierte Erwägung des Landgerichts lässt diese Besonderheit des Verlusts der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der zweijährigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 9. Oktober 2008 – die Widerrufsvoraussetzungen des § 56f Abs. 1 StGB lagen nicht vor – unberücksichtigt. Der Angeklagte hat die ausgeurteilten Taten nicht nach der Aussetzungsentscheidung, sondern weit über ein Jahr zuvor begangen. Ohne die vollständige Ersatzfreiheitsstrafenvollstreckung wäre die Strafaussetzung infolge anderweitiger Gesamtstrafenbildung bestehen geblieben.
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BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 478/09.
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Damit wirkt sich die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe unter Heranziehung einer erheblichen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe als Einsatzstrafe für den Angeklagten überaus nachteilig aus (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 1994 – 2 StR 740/93); dies erfordert die Gewährung eines besonders nachhaltigen Härteausgleichs (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15 m.w.N.). Diesen nimmt der Senat zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vor. 3. Dabei hält er auch für den in dieser Fallkonstellation vorzunehmenden Härteausgleich nunmehr die Anwendung des Vollstreckungsmodells für vorzugswürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09 Tz. 10 m.w.N., zur Aufnahme in BGHSt bestimmt, für den Fall nicht mehr möglicher Gesamtstrafenbildung von Geldstrafe mit lebenslanger Freiheitsstrafe). Die Überlegenheit dieser Vorgehensweise gegenüber der herkömmlich vorgenommenen Herabsetzung der (Gesamt-)Strafe hat der Große Senat für Strafsachen in BGHSt 52, 124, 136 der Sache nach anhand von Fällen notwendigerweise systemwidriger Eingriffe in die Strafzumessung zur Verwirklichung des Härteausgleichs (BGHSt 31, 102 – Unterschreiten der Untergrenze des § 54 Abs. 1 StGB; BGHSt 36, 270 – Milderung von Einzelstrafen) anerkannt. Seine Anwendung ist aber darüber hinaus auch sonst sachlich geboten. Die Verwirklichung des Härteausgleichs knüpft nicht an der maßgeblichen Grundlage der Strafhöhe, der Tatschuld (§ 46 Abs. 1 StGB) an, sondern erstrebt die Festsetzung eines gerechten Ausgleichs dafür, dass aufgrund verfahrensrechtlicher Zufälligkeiten eine den Angeklagten beschwerende getrennte bzw. – hier – zusammengefasste Strafbemessung stattgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO). Die Anwendung des Vollstreckungsmodells erleichtert die Straffestsetzung ferner, weil bisher zu berücksichtigende, getrennt zu bewertende Umstände nicht mehr berührt werden. Dies erleichtert zudem maßgeblich die in Fällen dieser Art besonders sachgerechte abschließende Entscheidung durch das Revisionsgericht. Zudem wird die Transparenz hinsichtlich des gewährten Härteausgleichs, aber auch bezüglich der Straffestsetzung erhöht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 aaO m.w.N.).
Der Beschluss vom 8.12.2009 95 betrifft den nicht seltenen Fall, dass die Untersuchungshaft unterbrochen wird, um zwischenzeitlich eine bereits rechtskräftige andere Strafe, vorliegend eine Ersatzfreiheitsstrafe, zu vollstrecken. Wird der Angeklagte später zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, unterbleibt nach der geltenden Gesetzeslage eine Anrechnung: Allerdings hat es das Landgericht unterlassen, für in Unterbrechung der Untersuchungshaft vollstreckte 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe einen Härteausgleich zu gewähren. Dies hat der Senat nachzuholen (§ 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO). 1. Der Vornahme eines Härteausgleichs stehen prinzipielle Bedenken nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein Härteausgleich (vgl. BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132) bei Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe zumindest dann in Betracht, wenn die Geldstrafe als Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden ist und daher bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht mehr einbezogen werden kann (BGH NStZ 1990, 436). So liegt es hier. Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde – was grundsätzlich zulässig ist (vgl. § 122 StVollzG; s. aber BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 – 5 StR 217/09) – in Unterbrechung von Untersuchungshaft vollständig vollstreckt. Dementsprechend konnte keine Gesamtstrafe mehr gebildet werden.
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BGH, Beschl. v. 8.12.2009 – 5 StR 433/09.
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2. Ohne Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe hätte das Landgericht in Anwendung der § 55 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe erkennen müssen. Der Geldstrafe lag ein Strafbefehl des Amtsgerichts Göttingen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr vom 18. November 2008 zugrunde, der für das hier abgeurteilte Tötungsverbrechen vom 4. September 2008 zäsurbegründend ist. Die Annahme besonderer Schwere der Schuld in Anwendung des § 57b StGB (hierzu BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; BGH, Beschluss vom 28. Mai 2009 – 5 StR 184/09) wäre bei der Einbeziehung der im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung nicht schwer wiegenden Geldstrafe ausgeschlossen gewesen (vgl. Fischer, StGB 56. Aufl. § 57b Rdn. 2 m.w.N.). 3. Mithin ist ein Härteausgleich für den entstandenen Nachteil zu gewähren.
■ TOPENTSCHEIDUNG
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Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegende Härte ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen.96 Der Gesamtstrafenausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer einen Härteausgleich für die wegen der Vollstreckung der Strafe nicht mehr mögliche Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 Euro aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 10. Juli 2007 mit nicht tragfähiger Begründung versagt hat. Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegende Härte ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen. 1. Grundgedanke der Vorschrift des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären. Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so erfordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 StR 403/09, NStZ 2010, 386). Die Strafkammer hat eine einen Härteausgleich erfordernde Benachteiligung des Angeklagten durch die nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung mit der Geldstrafe aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 10. Juli 2007 deshalb verneint, weil sie wegen des Wegfalls der Zäsur durch die Verurteilung vom 10. Juli 2007 eine nachträgliche Gesamtstrafe mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 20. Dezember 2007 gebildet hat. Dabei hat sie allerdings nicht bedacht, dass die Vollstreckung der zweijährigen Freiheitsstrafe im Urteil vom 20. Dezember 2007 zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die nur infolge der Erledigung der früher verhängten Strafe zwingend vorzunehmende Gesamtstrafenbildung mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil vom 20. Dezember 2007 hat für den Angeklagten den Verlust der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge, die bei einer nachträglichen Gesamtstrafe unter Einbeziehung der an sich gesamtstrafenfähigen Geldstrafe aus der Verurteilung vom 10. Juli 96
BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 441/10.
II. 9. Tateinheit, Tatmehrheit, Gesamtstrafenbildung – §§ 52 ff. StGB
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2007 bestehen geblieben wäre. Hierin liegt ein besonderer Nachteil, welcher einen Härteausgleich erforderlich macht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 478/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; Urteil vom 2. März 1994 – 2 StR 740/93). 2. Der danach gebotene Härteausgleich ist hier bei der Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe vorzunehmen. a) Der Nachteil, der darin liegt, dass eine an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr in Betracht kommt, weil die frühere Strafe bereits vollstreckt oder anderweitig erledigt ist, ist nach der bisherigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der neu zu erkennenden Strafe auszugleichen … Auf welche Weise der Tatrichter den Härteausgleich vornimmt, steht dabei in seinem Ermessen. Er kann von einer unter Heranziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten „fiktiven Gesamtstrafe“ ausgehen und diese um die vollstreckte Strafe mindern oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe ausscheidet, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist nur, dass er einen angemessenen Härteausgleich vornimmt und dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 1982 – 4 StR 75/82, aaO; vom 23. Januar 1985 – 1 StR 645/84, aaO). Kann der Ausgleich ausnahmsweise nicht bei der Gesamtstrafenbildung erfolgen, ist der Nachteil bei der Bemessung der Einzelstrafe zu kompensieren (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 – 1 StR 105/97, aaO). b) Der 5. Strafsenat erachtet es nunmehr in Anknüpfung an seine Entscheidungen zum Härteausgleich bei lebenslanger Freiheitsstrafe (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 5 StR 433/09, NStZ 2010, 385; vom 23. Juli 2008 – 5 StR 293/08, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – 2 StR 403/09, NStZ 2010, 386; vom 9. Dezember 2008 – 4 StR 358/08, NStZ-RR 2009, 104) auch bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen für vorzugswürdig, die Kompensation des Nachteils in Anwendung des Vollstreckungsmodells vorzunehmen, weil die Verwirklichung des Härteausgleichs nicht an der Tatschuld als der maßgeblichen Grundlage für die Strafhöhe anknüpfe und die Transparenz hinsichtlich des gewährten Ausgleichs und der Straffestsetzung erhöht werde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 478/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; vom 28. September 2010 – 5 StR 343/10). c) Der Senat hält demgegenüber bei zeitiger Freiheitsstrafe daran fest, dass die Benachteiligung durch eine entgangene Gesamtstrafenbildung bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen ist. Bei dem Ausschluss einer an sich möglichen Gesamtstrafenbildung infolge der Vollstreckung der früheren Strafe handelt es sich um einen Nachteil, der aus der Anwendung zwingender strafzumessungsrechtlicher Vorschriften über die Gesamtstrafe resultiert und damit einen unmittelbaren Zusammenhang zum Vorgang der Strafzumessung aufweist. Er ist vom Tatrichter ebenso wie andere schuldunabhängige Zumessungsfaktoren im Rahmen der Strafzumessung zu bewerten und kann systematisch stimmig bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt werden. Anders als bei der – mit der Strafzumessung nicht wesensmäßig zusammenhängenden – Kompensation der Konventions- und Rechtstaatswidrigkeit von Verfahrensverzögerungen, für welche der Große Senat für Strafsachen die Vollstreckungslösung entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124), besteht für den Ausgleich der in einer nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung liegenden Härte kein Grund, diesen aus dem Vorgang der Strafzumessung herauszulösen und durch die bezifferte Anrechnung auf die verhängte Strafe gesondert auszuweisen. d) Durch die Entscheidungen des 5. Strafsenats vom 26. Januar und 28. September 2010 ist der Senat nicht gehindert, wie dargelegt zu entscheiden. Den Beschlüssen ist entscheidungstragend nicht zu entnehmen, dass der gebotene Härteausgleich ausschließlich in Anwendung des Vollstreckungsmodells und nicht jedenfalls auch – entsprechend der bis-
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A. StGB – Allgemeiner Teil
herigen einheitlichen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs – bei der Festsetzung der Strafe erfolgen darf. Für dieses Verständnis spricht im Übrigen, dass der 5. Strafsenat bislang davon abgesehen hat, ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG einzuleiten. ■ PRAXISHINWEIS
Entgegen der Tendenz, welche den Entscheidungen des 5. Strafsenats 97 zugrunde lag, hat mit der vorliegenden Entscheidung der 4. Strafsenat bindend entschieden, dass eine Anrechnung in diesen Fällen bereits bei der konkreten Bemessung der zu verhängenden Strafe zu erfolgen hat. 92
Kann ein Gericht zusammen mit einer anderen Verurteilung deswegen keine Gesamtstrafe mehr bilden, weil die Freiheitsstrafe aus dieser Vorverurteilung bereits vollstreckt ist, ist der hierin für den Angeklagten liegende Nachteil unter Berücksichtigung der durch die Regelung des § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB gezogenen Grenzen zu berücksichtigen.98 Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB darf eine Gesamtfreiheitsstrafe 15 Jahre nicht übersteigen. Wären hinsichtlich der Verurteilung zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe die Voraussetzungen des § 55 StGB noch gegeben gewesen, hätte das Landgericht unter Einbeziehung der in dieser Verurteilung verhängten Einzelstrafen demgemäß eine neue Gesamtfreiheitsstrafe bilden müssen und diese auf höchstens 15 Jahre bemessen dürfen. Durch die getrennte Aburteilung und die inzwischen durchgeführte Vollstreckung darf der Angeklagte nicht schlechter gestellt werden. Kann eine frühere Strafe nicht mehr zur Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB herangezogen werden, weil sie bereits vollstreckt ist, so ist die darin liegende Härte bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen. Dies folgt aus dem Grundgedanken des § 55 StGB, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen. Der Täter soll im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt werden. Wie der Tatrichter diesen Härteausgleich im Einzelfall vornimmt, bleibt zwar ihm überlassen. Jedoch darf ein Angeklagter, wenn wie hier durch die getrennte Aburteilung eine gesetzliche Höchstgrenze für die Bestrafung gegenstandslos geworden ist, im Ergebnis nicht schlechter stehen (BGHSt 33, 131). ■ PRAXISHINWEIS
Immer dann, wenn aufgrund irgendwelcher Umstände eine Gesamtstrafe mit einer an sich einbeziehbaren Vorverurteilung nicht mehr gebildet werden kann, ist dieser Nachteil zugunsten des Angeklagten bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Unterlässt das Tatgericht dies, dürfte eine Rüge insoweit regelmäßig (wenn meist auch nur zu einem geringen Anteil) erfolgreich sein! Wie eine Anrechnung zu erfolgen hat, ergibt sich aus der vorstehenden Leitsatzentscheidung.
97 98
Vgl. hierzu Rn. 88 und 89. BGH, Beschl. v. 18.8.2010 – 2 StR 231/10.
II. 10. Strafaussetzung zur Bewährung – §§ 56 ff. StGB
65
Um die (unterlassene) Bildung von Gesamtstrafen nachprüfbar zu machen, ist es unbedingt erforderlich, dass das Tatgericht den Stand der jeweiligen Vollstreckung hinsichtlich einzelner Vorverurteilungen feststellt.99
93
Der Ausspruch über die Gesamtstrafe kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht für die verschiedenen an sich gesamtstrafenfähigen Verurteilungen des Angeklagten zu Geldstrafen keine Feststellungen zu dem jeweiligen Vollstreckungsstand getroffen hat. Dies hat zur Folge, dass revisionsrechtlich nicht geprüft werden kann, ob der Tatrichter bei der Bildung der Gesamtstrafe die zwingende Vorschrift des § 55 StGB beachtet hat. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuzuweisen.
10. Strafaussetzung zur Bewährung – §§ 56 ff. StGB Ausnahmsweise kann Bewährung auch bei einem erheblich vorbelasteten Täter, welcher auch bereits schon mehrere Haftstrafen verbüßt hat, in Betracht kommen, soweit Besonderheiten vorliegen.100 Das Landgericht hat den jetzt 27jährigen seit frühester Jugend psychisch kranken und süchtigen Angeklagten, der weite Teile seines bisherigen Lebens in Heimen und psychiatrischen Kliniken untergebracht war, zu sieben Monaten Gesamtfreiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Der Verurteilung lagen fünf Vergehen zugrunde, die der Angeklagte während mehr als zwei Jahre vor dem angefochtenen Urteil vollstreckter Untersuchungshaft zum Nachteil von Vollzugsbediensteten begangen hatte – versuchte Körperverletzung, Beleidigung, drei Fälle der Bedrohung –, ferner ein mehr als eineinhalb Jahre vor dem angefochtenen Urteil begangener Diebstahl eines Mopeds. Die auf die Überprüfung der Strafaussetzung beschränkte, mit der Sachrüge begründete Revision der Staatsanwaltschaft bleibt – gegen den Antrag des Generalbundesanwalts – erfolglos. Das Tatgericht hat den ihm bei der Prognose nach § 56 Abs. 1 StGB zustehenden weiten Beurteilungsspielraum (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 56 Rdn. 11 m.w.N.) trotz Vorbelastungen des Angeklagten und wiederholter Haftverbüßungen aufgrund gegebener Fallbesonderheiten nicht überschritten. Solche durfte das Gericht bei der ihm obliegenden Gesamtwürdigung im umfassenden Geständnis des Angeklagten – in dessen Motivation keine ausschlaggebende Bedeutung gefunden werden muss – sowie in dem beträchtlichen Zeitablauf seit Tatbegehung sehen. Entscheidend kommt hinzu, dass der in seiner Steuerungsfähigkeit möglicherweise krankheitsbedingt erheblich verminderte Angeklagte unter umfassende Betreuung gestellt worden ist und nunmehr regelmäßig medikamentös behandelt wird, was einen erheblichen Stabilisierungsfaktor ausmacht. Das Landgericht hat den Risikofaktor einer für die Behandlung ungünstigen „nicht ganz unerheblichen Alkoholmissbrauchssymptomatik“ (UA S. 13) beachtet und ihn durch Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen der Betreuung – die bei deren vorauszusetzender verantwortungsvoller Wahrnehmung fraglos ausreichend konkret sind – im Ergebnis ebenso wenig als negativ ausschlaggebend angesehen wie eine vom Angeklagten eingeräumte Beteiligung am Diebstahl zweier Schnapsflaschen. Diese Beurteilung ist – zumal angesichts der dem geständigen Angeklagten infolge seiner Verurteilung für den Fall wiederholter 99 100
BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – 4 StR 469/10. BGH, Urteil v. 22.7.2010 – 5 StR 204/10.
94
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Straffälligkeit nunmehr sofort konkret drohenden erneuten Strafvollstreckung – nicht unvertretbar. Das angefochtene Urteil lässt keine relevanten Lücken erkennen, die ein Eingreifen des Revisionsgerichts veranlassen müssten. Dass sich der psychiatrische Sachverständige konkret gegen die Voraussetzungen einer Strafaussetzung ausgesprochen hätte, ist dem Urteil, auf das die Überprüfung aufgrund der allein erhobenen Sachrüge beschränkt ist, nicht zu entnehmen. Das Gericht musste für die Aussetzungsentscheidung den Rat des Sachverständigen – der gemäß § 246a StPO zu einer Maßregel nach § 63 StGB gehört wurde, deren Voraussetzungen nicht vorlagen – weder einholen noch dessen etwa gleichwohl erfolgte Einschätzung ausdrücklich referieren. ■ PRAXISHINWEIS
Vorliegend konnte das Revisionsgericht in dem angefochtenen Urteil keine relevanten Lücken erkennen, die sein Eingreifen veranlasst hätten. Dass sich der psychiatrische Sachverständige konkret gegen die Voraussetzungen einer Strafaussetzung ausgesprochen hätte, ist dem Urteil, auf das die Überprüfung aufgrund der allein erhobenen Sachrüge beschränkt ist, nicht zu entnehmen. Auch war das Gericht nicht gehalten, für die Aussetzungsentscheidung den Rat des Sachverständigen – der gemäß § 246a StPO zu einer Maßregel nach § 63 StGB gehört wurde, deren Voraussetzungen nicht vorlagen – einzuholen oder jedenfalls dessen gleichwohl erfolgte Einschätzung ausdrücklich zu referieren.
■ PRAXISTIPP
Auch bei einem Wiederholungstäter und Mehrfachverbüßer kann die Forderung nach Strafaussetzung zur Bewährung Erfolg haben, wenn Besonderheiten bei der Tatbegehung und insbesondere dem weiteren Verhalten oder der Behandlung des Täters nach der Tat vorhanden sind. 95
Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das Tatgericht die Verneinung besonderer Umstände, die eine Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen können, u.a. darauf gestützt hat, es fehle an einem „von Einsicht und Reue getragenen Geständnis“. Darauf, dass der Angeklagte die Tat bestritten hat, darf die Verneinung besonderer Umstände nicht gestützt werden.101 ■ TOPENTSCHEIDUNG
96
Auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen ist ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung geboten. Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, müssen auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben. Auch Entscheidungen im sogenannten Freibeweisverfahren sind daraufhin überprüfbar, ob sie dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung genügen. Für den Fall 101
BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – 3 StR 8/10.
II. 10. Strafaussetzung zur Bewährung – §§ 56 ff. StGB
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des Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB muss sich der Richter für die Beurteilung, ob und gegebenenfalls wie der Verurteilte gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat, um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemühen und die Entscheidung auf einen umfassend ermittelten Sachverhalt stützen.102 Der Widerruf der Strafaussetzung in der Fassung der Beschwerdeentscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG. Die angegriffenen Beschlüsse berücksichtigen nicht den für das Freiheitsgrundrecht maßgeblichen Grundsatz bestmöglicher Sachverhaltsaufklärung. 1. a) Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur aus besonders gewichtigen Gründen eingeschränkt werden darf (Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 1 GG). Neben einer gesetzlichen Grundlage fordert die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG und der Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens ein Mindestmaß an zuverlässiger Wahrheitserforschung (vgl. BVerfGE 57, 250 ). Diese Voraussetzungen sind nicht nur im strafprozessualen Hauptverfahren, sondern auch für die im Vollstreckungsverfahren zu treffenden Entscheidungen zu beachten. Unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen (vgl. BVerfGE 58, 208 ) und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 ). b) Gemäß § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt. Diese Voraussetzungen muss das Gericht positiv feststellen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl., § 56f Rn. 13). Bei der nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB zu treffenden Entscheidung handelt es sich um die Auslegung und Anwendung einfachen Gesetzesrechts, die Sache der Strafgerichte ist und vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin überprüft wird, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 ; 72, 105 ). Auch in denjenigen Verfahren, die dem so genannten Freibeweis unterliegen, ist vom Bundesverfassungsgericht zu prüfen, ob die angegriffenen Entscheidungen dem Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297 ) genügen. Für den Fall des Bewährungswiderrufs nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB verlangt dieses Gebot, dass der Richter sich für die Beurteilung, ob und gegebenenfalls wie der Verurteilte gegen Bewährungsauflagen verstoßen hat, um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemüht und die Entscheidung auf einen umfassend ermittelten Sachverhalt stützt. 2. Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen Anforderungen nicht. Die Fachgerichte haben den Widerruf damit begründet, der Beschwerdeführer sei der Bewährungsauflage zur Zahlung von Kindesunterhalt nicht nachgekommen, ohne die besonderen Umstände des vorliegenden Falles hinreichend zu ermitteln und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Angesichts des vorliegenden Schriftsachverständigengutachtens des Landeskriminalamts und des erst zwei Tage vor demselben Amtsgericht und demselben Richter erfolgten Freispruchs vom Vorwurf der Urkundenfälschung hätte sich das Amtsgericht nicht damit begnügen dürfen, sich auf die telefonischen und per E-Mail übermittelten Angaben der Kindesmutter zu verlassen. Der Beschwerdeführer hat in der Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Urkundenfälschung nicht nur diesen Vorwurf bestritten, sondern auch die Modalitäten der behaupteten Geldübergabe geschildert. 102
BVerfG 3. K., Beschl. v. 28.9.2010 – 2 BvR 1081/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Im Widerrufsverfahren bedurfte es danach für die Annahme, die vorgelegte Quittung belege keine Unterhaltszahlungen und der Beschwerdeführer habe die Gerichte insoweit getäuscht, weitergehender Sachverhaltsaufklärung, als die Gerichte geleistet haben. Die Gerichte haben bestehenden Möglichkeiten, den vom Beschwerdeführer dargestellten Sachverhalt – etwa durch Anhörung der Kindesmutter – weiter zu klären, nicht in der gebotenen Weise ausgeschöpft. Unter anderem haben sie die Angaben der Kindesmutter über die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers ohne eigene Prüfung übernommen, obwohl diese angegeben hat, seit 17 Jahren keinen Kontakt zu dem Beschwerdeführer gehabt zu haben. Die Richtigkeit der Behauptung der Kindesmutter, der Beschwerdeführer sei mittellos und hätte den Betrag in Höhe von 25.000,– € niemals aufbringen können, wird auch nicht durch die Feststellungen im Urteil vom 2. März 2010 belegt. Der Beschwerdeführer hat in der Hauptverhandlung vom 2. März 2010 zwar angegeben, Schulden in Höhe von 250.000,– € zu haben. Dies allein ist indes kein Beleg für Mittellosigkeit. Die Fachgerichte hätten vielmehr berücksichtigen müssen, dass der Beschwerdeführer dort – zwei Tage vor dem Widerrufsbeschluss – ein laufendes monatliches Einkommen in Höhe von ca. 4.500,– Sfr. angegeben hat. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer am 17. März 2010 offensichtlich 10.000,– € aufbringen konnte, um die Sicherheitsleistung für die Außervollzugsetzung des Sicherungshaftbefehls zu hinterlegen. Das Landgericht hat das Aufklärungsgebot zudem dadurch verletzt, dass es seine Feststellungen zu der behaupteten Barzahlung ohne weitere Ermittlungen auf vermeintliche Lebenserfahrungssätze gestützt hat. Nach Auffassung des Landgerichts hätte es nahegelegen, die Zahlung auf offiziellem Wege oder über den Verteidiger abzuwickeln. Woraus das Landgericht diese Erfahrungssätze ableitet, teilt es nicht mit. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass es durchaus möglich erscheint, dass jemand, der Verbindlichkeiten in Höhe von 250.000,– € hat, Bargeld zur Begleichung weiterer Verbindlichkeiten nicht auf ein Konto einzahlt oder einen Verteidiger mit der Weiterleitung beauftragt.
■ PRAXISHINWEIS
Die starke Belastung der Gerichte führt dazu, dass insbes. Nebenentscheidungen möglichst „zeitsparend“ gefertigt werden. Hierzu gehören auch die nachträglichen Bewährungsentscheidungen. Mit dem vorliegenden Beschluss hat das BVerfG jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass auch für Bewährungsfolgeentscheidungen eine ausreichende Tatsachengrundlage erforderlich ist und ggfs. insoweit ausreichende Ermittlungen durch das entscheidende Gericht zu veranlassen sind!
97
Das Beschleunigungsgebot betrifft alle Teile des Ermittlungs- und Strafverfahrens – auch noch nach Beendigung der erlittenen Beeinträchtigung, wie bspw. bei verzögerter Entscheidung über eine Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung: Es würde der Bedeutung des Schutzes der Freiheit (Art 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht entsprechen, wenn das Recht auf verfassungsrechtliche Klärung einer behaupteten Freiheitsverletzung nach deren Beendigung ohne Weiteres entfiele. Angesichts des mit der Freiheitsentziehung erlittenen Eingriffs in ein besonders bedeutsames Grundrecht besteht ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme auch nach deren Erledigung fort. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip die angemes-
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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sene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens.103 Die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 25. Januar 2010 befasst sich zwar mit dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen, hat aber nicht alle Gesichtspunkte, die zu einer Verfahrensverzögerung geführt haben könnten, gewürdigt und in seine Abwägung einbezogen. Dadurch verletzt das Oberlandesgericht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die angemessene Beschleunigung des mit einer Freiheitsentziehung verbundenen gerichtlichen Verfahrens (vgl. BVerfGE 20, 45 ; 21, 184 ; 21, 220 ; 21, 223 ; 36, 264 ; 46, 194 ). Im Verfahren über die Aussetzung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Betracht, wenn das Freiheitsrecht nach den Umständen des Einzelfalls gerade durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NJW 2001, S. 2707, und vom 6. April 2006 – 2 BvR 619/06). Dabei ist die Frage, ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu beurteilen (vgl. BVerfGE 55, 349 ). Bei dieser Beurteilung sind insbesondere der Zeitraum der Verfahrensverzögerung, die Gesamtdauer der Strafvollstreckung und des Verfahrens über die Reststrafenaussetzung zur Bewährung, die Bedeutung dieses Verfahrens im Blick auf die abgeurteilte Tat und die verhängte Strafe, der Umfang und die Schwierigkeit des Entscheidungsgegenstandes sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens verbundenen Belastung des Verurteilten zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen sind ferner das Prozessverhalten des Verurteilten (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NJW 2001, S. 2707, und vom 19. Januar 2004 – 2 BvR 1904/03, 2 BvR 32/04) und die Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, NJW 2001, S. 214 ; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09).
11. Maßregeln der Sicherung und Besserung Ein Angeklagter kann ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn (neben der Strafe) keine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Denn die angeordnete Maßregel stellt grundsätzlich ein zusätzliches Übel neben der Freiheitsstrafe dar. Durch das Unterlassen der Maßregelanordnung ist ein Angeklagter daher nicht beschwert. Soweit ein Rechtsmittel die Nichtanordnung der Maßregel beanstandet, ist es mithin unzulässig.104
103
104
BVerfG, 3. K., Beschl. v. 13.9.2010 – 2 BvR 449/10; zum weiteren Abdruck der Entscheidungsgründe vgl. Rn. 32. BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – 3 StR 375/10; ebenso Beschl. v. 2.12.2010 – 4 StR 459/10.
98
70 a) 99
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – § 64 StGB
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG vorrangig. Daher hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB gegeben sind. Hieran hat sich durch die Neufassung dieser Vorschrift nichts geändert.105 Die Ablehnung der Aussetzung des Vollzugs einer Unterbringung kann nicht damit begründet werden, dass der unter einer Funktionsstörung oder Schädigung des Gehirns leidende Angeklagte, welcher zusammen mit seiner Mutter lebte und bislang nur dieser gegenüber aggressiv geworden war, nachdem sie ihn zuvor bedroht oder geschlagen hatte, in seine alte Umgebung zurück müsste und es dann zu weiteren Straftaten kommen könnte;106 denn es sei zumindest zu erwägen, durch Begründung eines Betreuungsverhältnisses seinen Aufenthalt räumlich getrennt von seiner Mutter zu bestimmen, so dass auf den Vollzug der Maßregel verzichtet werden könnte. b) Anordnung der Sicherungsverwahrung – § 66 StGB
101
Auch wenn mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 107 die Anordnungsvoraussetzungen des § 66 StGB neu bestimmt worden sind, wird die nachstehende Entscheidung abgedruckt, weil deren Ausführungen zur Feststellung des „Hanges“ weiter fortgelten. ■ TOPENTSCHEIDUNG
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1. Auch Gelegenheits- und Augenblickstaten können Ausfluss eines inneren Hangs zu Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB sein. Dies ist der Fall, wenn sie ihre Ursache darin haben, dass der Täter, etwa aufgrund einer erhöhten Aggressionsbereitschaft, dazu neigt, mit einer neuen strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatanstoß zu reagieren. Selbst der Umstand, dass ein Täter seine kriminellen Handlungen völlig ungeplant begeht und sich ihm bietende Gelegenheiten spontan ausnutzt, ohne Vorbereitungen für seine Taten zu treffen, schließt einen Hang nicht aus. 2. Für einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründenden Taten ist nicht stets erforderlich, dass die Symptomtaten gleichartig sind oder das gleiche Rechtsgut verletzen. Selbst bei Straftaten, die ganz verschiedener Art sind, ist ihr Indizwert für einen schwerkriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit nicht ausgeschlossen; dieser bedarf lediglich besonders sorgfältiger Prüfung nach Anlass und Umständen der Tatbegehung sowie der Täterpersönlichkeit. 3. Der Umstand, dass Vortaten wegen Eintritts der Rückfallverjährung nicht mehr als Symptomtat herangezogen werden können, hindert nicht ihre Verwertung als sonstiges Beweisanzeichen für die Hangtäterschaft im Rahmen der Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten.108 105 106 107 108
BGH, Beschl. v. 15.6.2010 – 4 StR 229/10. BGH, Beschl. v. 23.11.2010 – 5 StR 492/10. BGBl. I S. 2300. BGH, Urteil v. 24.2.2010 – 2 StR 509/09.
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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b) Das Landgericht hat zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung ausgeführt, der von ihm beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gelangt, der Angeklagte neige infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten und sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich: Die beim Angeklagten zu diagnostizierende dissoziale Persönlichkeitsstörung erscheine durch vergangene Erlebnisse einschließlich der erfahrenen Bestrafungen nicht änderungsfähig. Dem vermochte sich die Strafkammer nicht anzuschließen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und Abs. 3 StGB vor. Die im Jahre 1986 abgeurteilten Taten trügen jedoch „jugend- und entwicklungsspezifischen Charakter“. Sowohl einer Verurteilung aus dem Jahr 1998 wegen gefährlicher Körperverletzung als auch dem jetzigen Verfahren lägen spontane Taten des Angeklagten zugrunde, bei der früheren Verurteilung sei er zudem vom damaligen Nebenkläger provoziert worden. Er habe in der sich an seine letzte Vorverurteilung durch das Landgericht Mainz vom 25. Februar 2004 anschließenden Haftzeit eine positive Entwicklung erfahren und in der JVA B. ein Antiaggressivitätstraining erfolgreich absolviert. Mit seiner jetzigen Ehefrau, die ein Tätowierstudio betreibe, verbinde ihn eine konkrete Zukunftsvorstellung. Daher vermögen die vom Angeklagten verwirklichten Straftaten eine fest eingewurzelte Neigung oder einen dauerhaften Entschluss, Straftaten zu begehen, nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu belegen (UA 70). Auch von einer Anordnung nach § 66a StGB habe die Kammer abgesehen. c) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer nicht hinreichend bedacht hat, dass für die Annahme eines Hanges ein „dauerhafter Entschluss“, Straftaten zu begehen, nicht erforderlich ist. Vielmehr kann eine entsprechende, in der Persönlichkeit liegende Neigung (vgl. BGH NStZ 2003, 201; 2005, 265 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8; Urt. v. 4. November 2009 – 2 StR 347/09) auch bei sog. Gelegenheits- und Augenblickstaten zu bejahen sein; denn auch solche Taten können Ausfluss eines inneren Hanges zu Straftaten sein. Dies ist der Fall, wenn sie ihre Ursache darin haben, dass der Täter – etwa wie hier festgestellt aufgrund einer erhöhten Aggressionsbereitschaft – dazu neigt, mit einer neuen strafbaren Handlung auf einen äußeren Tatanstoß zu reagieren (BGH NStZ 1994, 280). Selbst der Umstand, dass ein Täter seine kriminellen Handlungen völlig ungeplant begeht und sich ihm bietende Gelegenheiten spontan ausnutzt, ohne Vorbereitungen für seine Taten zu treffen, schließt einen Hang nicht aus (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 337). Im Übrigen wäre auch, was die hier abgeurteilte Anlasstat anbelangt, die Annahme einer Gelegenheitstat mit den sonstigen Urteilsgründen unvereinbar. Der Umstand, dass der Angeklagte sich mit mehreren gefährlichen Werkzeugen bewaffnet hatte, belegt, dass er keineswegs zufällig in eine ihn etwa nur überfordernde Situation geraten ist.
PRAXISHINWEIS ■
Die Feststellung eines inneren Hangs zu Straftaten ist auch nach der gesetzlichen Neuordnung der Bestimmungen zur Sicherungsverwahrung ein wichtiges Kriterium als Voraussetzung für eine Sicherungsverwahrung. Insoweit werden gerade die diesbezüglichen Feststellungen und deren Begründung Gegenstand einer Überprüfung im Revisionsverfahren sein. Die in vorstehender Entscheidung ausgeführten Grundsätze bieten die Grundlage für die Überprüfung der entsprechenden Ausführungen des Tatgerichts und zugleich die Argumentationsbasis für eine mögliche Revisionsrüge! (s.a. die nachfolgende Entscheidung).
72 103
A. StGB – Allgemeiner Teil
Das Merkmal „Hang“ im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest vergewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand.109 Nach den Feststellungen drang der nur geringfügig wegen eines Straßenverkehrsdelikts vorbestrafte Angeklagte jeweils in die Wohnung ihm fremder Frauen ein, um diese im Schlaf sexuell zu missbrauchen. In einem Fall führte er einen Finger in die Scheide des schlafenden Opfers ein, ansonsten berührte er die Geschädigten an deren Vagina oder Brüsten. Im letzten Fall versuchte er, mit der erwachten Frau den Oralverkehr auszuüben, ließ aber von ihr ab, nachdem sie sich seinem Ansinnen widersetzt und er mit seinem Penis ihre Wange berührt hatte. Teilweise entwendete der Angeklagte in der Wohnung vorgefundene Geldbeträge. Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen der Norm vor; das Landgericht hat jedoch einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht tragfähig begründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die anzustellende Prognose, ob der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist. Das Merkmal „Hang“ im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt – nach sachverständiger Beratung – unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz vorheriger Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Urteil vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09, Rn. 4; Urteil vom 14. Juli 1999 – 3 StR 209/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es begründet den Hang u.a. damit, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten erst 28 bzw. 29 Jahre alt gewesen, habe sein Leben erkennbar augenblicksbezogen gestaltet, was sich daraus ergebe, dass er den Großteil seiner Einkünfte für den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs sowie für Betäubungsmittel aufgewendet und sich in den Nächten herumgetrieben habe, so dass von einer ausgereiften Persönlichkeit keine Rede sein könne. Damit stützt sich das Landgericht auf Kriterien, denen – jedenfalls im vorliegenden Fall – für die Frage, ob der Angeklagte aufgrund eines eingeschliffenen inneren Zustands immer wieder neue Straftaten begeht, allenfalls eine geringe 109
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 274/10.
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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Aussagekraft zukommt; denn weder der Gebrauch des PKW noch der Konsum der Betäubungsmittel stehen in einem näheren Zusammenhang mit den begangenen Straftaten. Die Strafkammer lässt bei ihrer Bewertung zudem außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen durch den positiven Einfluss seiner langjährigen Freundin dazu motiviert wurde, zukunftsgerichtet zu denken sowie sich beruflich neu zu orientieren, im Jahre 2005 eine Ausbildung zum Bäcker abschloss und danach in diesem Beruf arbeitete. Diese Gesichtspunkte wären in die Gesamtwürdigung ebenso einzustellen gewesen wie der Umstand, dass der Angeklagte fast alle Taten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen beging. Von Belang könnte zudem sein, seit wann die Vorstellung sexueller Erlebnisse mit schlafenden Partnern zu den Bedürfnissen des Angeklagten zählte und er Computerdateien zum Thema „Sleep Sex“ konsumierte; hierzu verhalten sich die Feststellungen nicht. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals verhandelt und entschieden werden. Dabei wird sich empfehlen, einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.
c)
Nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung – § 66b StGB
Durch das Urteil des EGMR vom 17.12.2009 110 (rechtskräftig seit dem 10.5.2010), wonach es sich bei der Sicherungsverwahrung nicht um eine Maßregel, sondern um eine Strafe i.S.v. Art. 7 EMRK handle, die dem Rückwirkungsverbot unterliege, ist das ganze deutsche System von Strafen und Maßregeln auf den „Prüfstand gestellt“. Insbesondere für ältere Verurteilungen (bis 1998 galt für die Sicherungsverwahrung eine gesetzliche Höchstfrist von zehn Jahren) war danach die Zulässigkeit einer nun nachträglich unbegrenzten Sicherungsverwahrung fraglich. Mit weiteren Urteilen vom 13.1.2011111 bestätigte der EGMR erneut diese Rechtsprechung und forderte Deutschland nachdrücklich auf, die den Urteilen zugrunde liegende Rechtsauffassung des Gerichts umzusetzen. – Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22.12.2010 112 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Neuverurteilungen abgeschafft. Für bereits verurteilte Straftäter gelten die Regelungen aber eingeschränkt fort. Die wesentlichen Entscheidungen sind daher für die „Altfälle“ weiter grundlegend, weshalb sie nachstehend in Auszügen abgedruckt sind. Mit Beschluss des 5. Strafsenats vom 21.7.2010 113 wurde unter Berücksichtigung der EGMR-Entscheidung vom 17.12.2009 ein Beschwerdeführer freigelassen, gegen den im Jahr 2009 die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet worden war: 3. Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hält indes die Ermessensausübung des Landgerichts revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht Stand. In allen Fällen des § 66b StGB trifft das Tatgericht eine Ermessensentscheidung, im Rahmen derer der Vertrauensschutz des Verurteilten sowie sein Freiheitsrecht gegen das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit abzuwägen sind. Bei der Anwendung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB haben die Strafgerichte darüber hinaus im Blick zu behalten, dass der verfas-
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EGMR, Urteil v. 17.12.2009 – Beschwerde-Nr. 19359/04. EGMR, Urteile vom 13.1.2011 – Beschwerde-Nrn. 6587/04, 20008/07, 27360/04 und 42225/07. BGBl. I S. 2300. BGH, Beschl. v. 21.7.2010 – 5 StR 60/10.
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sungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit es gebieten kann, über die gesetzlichen Beschränkungen des Anwendungsbereichs der Norm hinaus auf die mit erheblichen Eingriffen in die Freiheitsrechte des Betroffenen verbundene nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu verzichten, wenn eine Gesamtabwägung im Einzelfall ein Überwiegen der Freiheitsrechte gegenüber den Allgemeininteressen ergibt (BVerfG – Kammer – NJW 2009, 980, 982). a) Nach den dargestellten Grundsätzen sind in die Ermessensausübung auch die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihrer Ausformung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzubeziehen. … Diese vom Gerichtshof für § 67d StGB aufgezeigten Bedenken sind ebenfalls auf die Regelung des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB zu übertragen. Danach beruht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht auf einer „Verurteilung“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK. Denn diese setzt die Schuldfeststellung wegen einer Straftat und die Auferlegung einer Strafe oder einer anderen freiheitsentziehenden Maßnahme voraus (EuGRZ aaO Rdn. 87, 95). Die Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung enthält indes keine Schuldfeststellung. Auf die Anlassverurteilung kann hier nicht abgestellt werden, weil – unter Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertretenen Grundsätze (aaO Rdn. 100) – ein hinreichender kausaler Zusammenhang zwischen ihr und der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht besteht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1997 bedeutete, dass er nach spätestens zwölf Jahren aus der Haft zu entlassen sein würde, und zwar unabhängig von einer bei der Entlassung bestehenden Gefährlichkeit. Ohne die nachträgliche Einführung des § 66b StGB hätte er nicht in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden können; seine Unterbringung wurde nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahre 2007 möglich und geschah aufgrund eines neuen gerichtlichen Erkenntnisses. 4. Vor diesem Hintergrund ist bei konventionskonformer Ermessensausübung von einem grundsätzlichen Überwiegen des Freiheitsrechtes und des Vertrauensschutzes des Beschwerdeführers auszugehen. Damit hat das Landgericht die fortbestehende Gefährlichkeit des Verurteilten im Ergebnis aus der dissozialen Prägung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges abgeleitet, die sich in den von ihm begangenen Straftaten niedergeschlagen hat, verbunden mit dem Umstand, dass er nie zu einer therapeutischen Aufarbeitung seiner Straftaten bereit war. Hinreichend konkrete Hinweise auf die Begehung künftiger Straftaten von höchster Schwere hat das Landgericht demgegenüber nicht festgestellt. Diese sind indes auf der Grundlage der – nach dem angefochtenen Urteil ergangenen – Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedenfalls erforderlich, um die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB rechtfertigen zu können. … 5. Die Maßregelanordnung war demzufolge aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zurückzuweisen. Der Verurteilte ist unverzüglich auf freien Fuß zu setzen.
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Mit Entscheidung vom 9.11.2010 114 hat der 5. Strafsenat bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob sie seiner Rechtsauffassung zustimmen, wonach es infolge der Entscheidung des EGMR115 keine „automatische“ Entlassung konventionswidrig untergebrachter Sicherungsverwahrter gebe.
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BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 5 StR 394, 440 und 474/10. Vgl. hierzu Rn. 104.
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB. Der Senat fragt beim 4. Strafsenat an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird. 3. Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG werden die Akten an die vorlegenden Oberlandesgerichte zur Fortführung der nach § 67e Abs. 1 Satz 1, § 67d Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 StGB gebotenen Überprüfungen zurückgegeben. Gründe Die verbundenen Vorlegungsverfahren (§ 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG) betreffen die Frage der Fortgeltung der bis 30. Januar 1998 gültigen Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) in „Altfällen“. Der Senat hat darüber zu entscheiden, ob das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (M. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, EuGRZ 2010, 25) die deutschen Gerichte dazu zwingt, in Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) begangen worden waren, die Maßregel nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären. Die vorlegenden Oberlandesgerichte Stuttgart, Celle und Koblenz möchten – wie bereits in vorangegangenen Entscheidungen (OLG Stuttgart Justiz 2010, 346; OLG Celle NStZ-RR 2010, 322; OLG Koblenz JR 2010, 306; vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 2010, 574) – jeweils in Fällen über zehn Jahre hinaus vollstreckter Sicherungsverwahrung sofortige Beschwerden von Untergebrachten gegen Fortdauerbeschlüsse der zuständigen Landgerichte verwerfen. Sie vertreten die Auffassung, dass auch unter Zugrundelegung der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Erledigterklärung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in Altfällen nach Vollzug von zehn Jahren trotz fortbestehender Gefährlichkeit des Verurteilten nicht geboten sei. … Dem Senat liegen zwölf weitere gleichgelagerte Vorlegungsverfahren vor. Er möchte in den drei zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren – im Ergebnis in Übereinstimmung mit den Anträgen des Generalbundesanwalts – grundsätzlich im Sinne der vorlegenden Oberlandesgerichte entscheiden. Er sieht sich daran jedoch durch bindende Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gehindert; darüber hinaus sieht der Senat in der aufgeworfenen Frage eine solche von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG). Die Rechtsansicht der vorlegenden Oberlandesgerichte, dass sich trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus in Altfällen allein nach der gegenwärtigen Regelung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB richte, ist unvereinbar mit der bindenden Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567). 1. Durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen schweren Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 160) hat der Gesetzgeber die durch das 2. Strafrechtsreformgesetz vom 4. Juli 1969 (BGBl I 717) eingeführte strikte Höchstdauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB
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a.F.) aufgehoben und die unbefristete Vollstreckung der Maßregel ermöglicht, jedoch nur unter den in § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB genannten engeren Voraussetzungen. Zum zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift bestimmt die allgemeine Regelung des § 2 Abs. 6 StGB, dass für Maßregeln der Besserung und Sicherung das zur Zeit der Entscheidung geltende Recht anzuwenden ist, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB ist daher grundsätzlich auch auf Altfälle anwendbar (BVerfGE 109, 133, 182). 2. Für den Anwendungsbereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 3 StGB sieht der 4. Strafsenat (aaO) in Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine anderweitige gesetzliche Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB (ebenso Grabenwarter JZ 2010, 857; Gaede HRRS 2010, 329, 332 ff.), welche eine Anwendung des § 66b Abs. 3 StGB auf Altfälle ausschließe. a) Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Einordnung im deutschen Recht als Maßregel der Besserung und Sicherung – im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK gilt (Rdn. 124 bis 133). Der Gerichtshof hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (aaO Rdn. 127 bis 130). b) Der 4. Strafsenat legt zugrunde, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdn. 76) – bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen sind. Dies führe zum Ausschluss rückwirkender Anwendung. Zwar handele es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gelte. § 2 Abs. 6 StGB schreibe die Maßgeblichkeit des geltenden Rechts jedoch nur dann vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt“ sei. Eine derartige andere Bestimmung stelle Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dar (BGH aaO S. 568). 3. Trifft die Auffassung des 4. Strafsenats zu, so ist die Vorlegungsfrage zwingend dahingehend zu beantworten, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB auf die hier zu beurteilenden Altfälle ausschließt. Nach dem zum jeweiligen Tatzeitpunkt geltenden Recht war die Dauer des Vollzugs der Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre begrenzt; alle Verurteilten wären somit – ungeachtet fortdauernder Gefährlichkeit – nach Fristablauf freizulassen. Die Frage des Rückwirkungsverbots kann im Rahmen des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB nicht anders beantwortet werden als im Rahmen des für die Entscheidung des 4. Strafsenats maßgebenden § 66b Abs. 3 StGB (vgl. auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, 322). III. Der Senat ist indessen – in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts – der Meinung, dass einer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB in diesem Sinne zwingende Rechtsgründe entgegenstehen. 1. Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wurde als völkerrechtlicher Vertrag durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht
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transformiert. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung kommt den Regelungen der Konvention der Rang einfachen Bundesrechts zu. Die Konvention ist bei der Interpretation des nationalen Rechts im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 317). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sie den aktuellen Entwicklungsstand der Konvention widerspiegeln (BVerfGE aaO S. 319). Zeigt eine Entscheidung des Gerichtshofs, wie vorliegend, über den entschiedenen Einzelfall hinaus strukturelle Mängel des nationalen Rechts auf, so gebietet die Verpflichtung innerstaatlicher Beachtung der Konvention – ungeachtet der beschränkten Bindungswirkung nach Art. 46 Abs. 1 MRK – eine konventionskonforme Ausgestaltung des nationalen Rechts (Gollwitzer aaO Rdn. 77b). Auch in Ermangelung einer § 31 Abs. 1 BVerfGG entsprechenden Vorschrift, wonach alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, gehört zur Bindung an Gesetz und Recht, dass Gewährleistungen der Konvention in ihrer Ausformung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu berücksichtigen sind (BVerfGE aaO S. 323). Aus dem Stellenwert der Europäischen Menschenrechtskonvention als lediglich einfaches Bundesrecht folgt indes, dass die Verpflichtung deutscher Gerichte zu vorrangiger konventionskonformer Auslegung auf Fälle vorhandener Auslegungs- und Abwägungsspielräume beschränkt ist (BVerfGE aaO S. 329). Die Zulässigkeit konventionskonformer Auslegung endet aus Gründen der Gesetzesbindung der Gerichte dort, wo der gegenteilige Wille des nationalen Gesetzgebers deutlich erkennbar wird … a) Dass der Gesetzgeber die aus der Konvention resultierenden völkerrechtlichen Verpflichtungen, namentlich den Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, nicht als Ausnahmevorschrift im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB verstanden, sondern als Prüfungsmaßstab zur Frage der Übereinstimmung der Norm mit der Konvention herangezogen hat, ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. … b) Im Anwendungsbereich des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber keine besondere gesetzliche Anordnung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB für Altfälle getroffen. … c) Ebenso zweifelsfrei ist der gesetzgeberische Wille für eine Rückwirkung im Bereich der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB. Die Norm wurde mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 109, 190), das auch spätere entsprechende Anwendungen in all ihren Varianten unbeanstandet gelassen hat (BVerfG – Kammer – NStZ 2007, 87; NJW 2009, 980; NStZ 2010, 265), gerade auch für solche Fälle geschaffen, in denen bei Tatbegehung noch keine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung vorgesehen war, weitgehend auch für Fälle, in denen die nachträgliche Anordnung an formelle Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung anknüpfte, die bei Tatbegehung noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat – ersichtlich im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers – unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine insoweit rückwirkende Anwendung des § 66b StGB wiederholt gebilligt (vgl. nur BGHSt 52, 205, 209 ff. m.w.N.). d) In diesem Zusammenhang wäre es im Übrigen kein gangbarer Weg, über § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK eine Rückwirkung nur bei den Regelungen zu verhindern, denen, weil auch „Neufälle“ umfassend, bei Ausschluss rückwirkender Anwendung noch ein sinnvoller Anwendungsbereich verbliebe. Diese Interpretation würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass lediglich die „reine Altfallregelung“ des § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB Bestand haben müsste (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 566), obgleich sie dem Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK insgesamt und damit am deutlichsten widerstreitet.
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3. Aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a MRK, auf dessen Verletzung der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (aaO) den Konventionsverstoß bei rückwirkender Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB gleichfalls stützt, da ein ausreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers und seinem fortdauernden Freiheitsentzug fehle (Rdn. 92 bis 101), folgt nichts anderes. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK überhaupt eine – in § 2 Abs. 6 StGB vorausgesetzte – zeitliche Begrenzung für die Anordnung strafrechtlicher Rechtsfolgen ableiten lässt. Jedenfalls stünde einer Berücksichtigung im Rahmen des § 2 Abs. 6 StGB – ebenso wie bei Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK – die dargelegte eindeutige Gesetzeslage entgegen. Angesichts dessen fehlt auch für eine im Schrifttum vorgeschlagene (vgl. Grabenwarter aaO S. 867 f.) Anwendung von § 67d Abs. 4 StGB jede Grundlage. 4. Der Senat beabsichtigt daher tragend zu entscheiden, dass sich aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB ergibt. IV. Mit Blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB im Falle rückwirkender Anwendung allerdings einschränkend auszulegen. 1. Bei der Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und ihren Folgeentscheidungen erfordert das Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 62 StGB), die Schutzinteressen der Allgemeinheit und den Freiheitsanspruch des Untergebrachten im Einzelfall abzuwägen. … 2. Hieraus folgt, dass bei konventionsfreundlicher Gesamtwürdigung von einem grundsätzlichen Überwiegen dieser Rechtspositionen des Verurteilten auszugehen ist. Im Lichte der neuen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bedarf es einer noch weiter eingeschränkten Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB, als sie bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 109, 133) verlangt hat. Danach ist in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist. In den Vorlegungssachen der Oberlandesgerichte Stuttgart und Koblenz ergeben sich aus dem Vollzugsverhalten der Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für nach einer Entlassung unmittelbar drohende entsprechende schwerste Straftaten, durch die die Opfer physisch oder psychisch massiv geschädigt werden. Ansonsten kann die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung nur dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte – etwa mit hoher Rückfallgeschwindigkeit, während gewährter Lockerungen oder bereits im Vollzug geplant – mehrere Vortaten im genannten Sinn begangen hat und sich im Rahmen des Vollzugs der Sicherungsverwahrung keine positiven Anhaltspunkte ergeben haben, die eine Reduzierung der im Vorleben des Verurteilten dokumentierten massiven Gefährlichkeit nahelegen. Zu dieser Fallgruppe kann die Vorlegungssache des Oberlandesgerichts Celle gerechnet werden, hier allerdings vorbehaltlich kontraindizierender Erkenntnisse über das aktuelle physische Gewaltpotential des Verurteilten. Nur unter diesen sehr eng zu handhabenden Voraussetzungen erscheint es vertretbar, dass als Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten unter Berücksichtigung seines auf höchster Stufe schutzwürdigen Vertrauens in die Unabänderbarkeit der zur Tatzeit bestimmten Rechtsfolge – auch in ihrer Dauer – einerseits und der Sicherheitsinteressen der
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Allgemeinheit andererseits eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen werden darf (vgl. BGH NStZ 2010, 565, 567). …. 3. Durch eine derartige erheblich einschränkende Auslegung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB wird den konventionsrechtlichen Bedenken des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 MRK in weitem Umfang Rechnung getragen. Die rückwirkende Anwendung wird auf Fälle begrenzt, in denen das tangierte Freiheitsrecht des betroffenen Verurteilten mit im Bereich der Europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten wichtigen Rechten Dritter kollidiert. … 4. Bei derart erhöhter Gefahrenprognose, ohne deren Vorliegen die Vollstreckung der Maßregel für erledigt zu erklären ist, wird – anders als es der Generalbundesanwalt vertritt (insoweit unklar Radtke NStZ 2010, 537, 544 f.) – eine Aussetzung der Maßregel zur Bewährung nach § 67d Abs. 2 StGB nur selten in Betracht kommen. Sie ist indes – anders als der systematische Zusammenhang von § 67d Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 StGB auf den ersten Blick nahelegt – nicht etwa prinzipiell ausgeschlossen. Vielmehr wird die Aussetzung in § 463 Abs. 3 Satz 4 StPO sogar vorausgesetzt. Sie wird in Erwägung zu ziehen sein, wenn eine hochgradige Gefahr im dargelegten Sinne zwar prognostiziert wird, diese aber durch den Widerrufsdruck und mit einer Aussetzung zur Bewährung zu verbindende Weisungen so weit reduziert werden kann, dass angenommen werden kann, der Verurteilte könne von der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abgehalten werden (in diesem Sinne Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 67d Rdn. 74). In solchen Konstellationen stellt die Aussetzung zur Bewährung anstelle einer sonst zwingend fortdauernden Vollstreckung die „konventionsfreundlichste“ Maßnahme dar. 5. Ob der weitere Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach den dargelegten Kriterien noch gerechtfertigt ist, hat das zuständige Gericht von Amts wegen aufgrund einer aktuellen Gefährlichkeitsprognose zu prüfen, auch wenn zwei Jahre seit der letzten Prüfung noch nicht vergangen sind. Die Entscheidung des Gerichtshofs ist eine Tatsache, die eine erneute Prüfung einer Erledigterklärung der Sicherungsverwahrung nach § 67e Abs. 1 StGB oder einer Aussetzung ihrer Vollstreckung unerlässlich macht (vgl. Grabenwarter JZ 2010, 857, 865; Radtke NStZ 2010, 537, 544). V. Nach den vom Senat entwickelten Maßstäben erscheint in den aufgezeigten Fällen im Blick auf die getroffenen Feststellungen und Wertungen der Oberlandesgerichte die weitere Vollstreckung der Sicherungsverwahrung naheliegend, weswegen in den vorliegenden Fällen auch das Ergebnis der unter II. 2. dargestellten Entscheidung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs widerstreitet. 1. Der Senat fragt daher beim 4. Strafsenat an, ob die entgegenstehende Rechtsprechung aufgegeben wird. a) Die Anfrage wird nicht dadurch gehindert, dass sich die Entscheidung des 4. Strafsenats auf die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 3 StGB bezieht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betrifft unmittelbar den hier relevanten § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB. Der 4. Strafsenat hat indessen die in der Entscheidung des Gerichtshofs aufgezeigten Grundsätze auf den Fall der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung übertragen. … 2. Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob der dargelegten Rechtsauffassung zugestimmt wird. a) Die Frage der Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB ist eine solche von grundsätzlicher Bedeutung. Sie ist auch über die vorliegenden Fälle hinaus bedeutsam, weil einschlägige
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Fallgestaltungen in der Praxis der Strafkammern (nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung) und der Strafvollstreckungskammern (Entscheidung nach § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB und Folgeentscheidungen) häufig zu erwarten und von großem Gewicht für die Betroffenen sind. Bei einer die Rückwirkung hindernden Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB wäre zudem in Fällen nachträglich angeordneter wie rückwirkend verlängerter und derzeit vollzogener Unterbringung in der Sicherungsverwahrung – unbeschadet anhängiger Verfassungsbeschwerden – die Maßregel unverzüglich für erledigt zu erklären (vgl. Veh in MünchKomm-StGB § 67d Rdn. 35). Auch deshalb ist die Frage grundsätzlich klärungsbedürftig. b) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung führt der Senat daher das Anfrageverfahren auch bei den anderen Senaten durch (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Anfrage Hannich aaO § 132 GVG Rdn. 16; Kissel/Mayer, GVG 6. Aufl. § 132 Rdn. 38; vgl. auch BGHSt 16, 351, 353). … VII. Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG gibt der Senat die Akten den vorlegenden Oberlandesgerichten zurück. Er weist hierzu auf Folgendes hin: 1. Das Verfahren wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Während dieser Zeit wird die Unterbringung gegen die Verurteilten weiterhin vollstreckt, der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, dessen Zulässigkeit in den Vorlegungsverfahren in Zweifel steht, mithin stetig weiter vertieft. Dies erfordert, dass die Oberlandesgerichte bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage aktuell zu überprüfen haben, ob – unabhängig von der Vorlegungsfrage – die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Die Prüfung hat den vorstehend (oben IV.) bezeichneten, für die Oberlandesgerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG verbindlichen Maßstäben zu folgen. 2. Geboten ist zunächst eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den engeren Kriterien zu Verhältnismäßigkeit und Gefahrenbegriff zu orientieren hat. 3. Für den Fall, dass die bisherige oder eine erneute Sachprüfung auch unter Zugrundelegung dieser Grundsätze konkreter höchster Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit eine weitere Vollstreckung der Maßregel unerlässlich erscheinen lässt, ist zu beachten: a) Auf etwa während des Vorlegungsverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 132 GVG auftretende neue Entwicklungen, die für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten bedeutsam sein können, muss unverzüglich mit einer neuen Sachprüfung der Unerlässlichkeit weiterer Freiheitsentziehung reagiert werden. b) Es ist denkbar, dass die Prüfung im Verfahren nach § 132 GVG entgegen dem Votum des erkennenden Senats zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung gelangt. Dies zöge die sofortige Entlassung aller betroffenen Untergebrachten nach sich. Im Hinblick darauf ist eine vorsorgliche Vorbereitung sofort umsetzbarer, im Entlassungsfall angezeigter – insbesondere fürsorglicher – Maßnahmen zwingend geboten, die einer sozialen Gefährdung entlassener Verurteilter und einer damit einhergehenden Gefährdung der Allgemeinheit entgegenzuwirken vermögen. Durch eine unvorbereitete Eilentlassung würde diesen Gefahren Vorschub geleistet. Auf geeignete Maßnahmen hinzuwirken, ist auch Aufgabe der im Erledigungsverfahren tätigen Vollstreckungsgerichte einschließlich der vorlegenden Oberlandesgerichte.
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Demgegenüber hat das BVerfG mit Entscheidung vom 30.6.2010 116 den Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten eines Betroffenen, welcher nachträglich untergebracht worden war, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR abgelehnt.
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1. Der wegen zahlreicher schwerer Sexualstraftaten vorbestrafte Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die anlässlich seiner letzten Verurteilung vom 2. Februar 1990 wegen versuchter Vergewaltigung und wegen Mordes nachträglich gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet worden ist. Im Hinblick auf das zwischenzeitlich rechtskräftige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rechtssache M. ./. Deutschland) beantragt er, die Vollziehung der Maßregel im Wege der einstweiligen Anordnung auszusetzen. 2. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE 66, 39 ; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht hingegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 ; 89, 109 ; stRspr). 3. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Die aufgeworfenen Rechtsfragen werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein. 4. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, hätte aber die Verfassungsbeschwerde später Erfolg, so entstünde dem Beschwerdeführer in der Zwischenzeit durch den Vollzug der Sicherungsverwahrung ein schwerer, nicht wieder gutzumachender Verlust an persönlicher Freiheit. Wenn die einstweilige Anordnung erginge und der Verfassungsbeschwerde später der Erfolg zu versagen wäre, entstünden ebenfalls schwerwiegende Nachteile. Das Landgericht Baden-Baden hat auf der Grundlage zweier psychiatrischer Sachverständigengutachten nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer einen Hang zu schweren Sexualstraftaten (sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung) habe und deshalb im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechende Delikte verüben werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schweren Schaden nehmen würden. Angesichts der besonderen Schwere der drohenden Straftaten überwiegt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit das Interesse des Beschwerdeführers an der Wiedererlangung seiner persönlichen Freiheit.
Insoweit konsequent hat der 5. Strafsenat mit Beschlüssen vom 10.11.2010 117 zahlreiche weitere bei ihm anhängige Verfahren auf Beschwerden der Verurteilten wegen Unterbringung in Sicherheitsverwahrung über die Höchstfrist von zehn Jahren hin116 117
BVerfG, 2. K., Beschl. v. 30.6.2010 – 2 BvR 571/10. BGH, Beschl. v. 10.11.2010 – 5 StR 377/10, 389/10, 397/10, 408/10 und weitere.
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aus, welche bei Tatzeit maximal als Höchstdauer von Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte, an die jeweils zuständigen Oberlandesgerichte zurückgegeben, damit diese bis zur Entscheidung über das von ihm eingeleitete Verfahren nach § 132 GVG,118 dessen Klärung erst in einigen Monaten zu erwarten sei, selbst und bis dahin unabhängig von der Vorlegungsfrage über eine Fortdauer der Freiheitsentziehung zu entscheiden haben. Nach Rechtskraft des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25), das die rückwirkende Anwendung des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 ohne Beachtung der nach § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. bei Tatzeit geltenden Höchstfrist von zehn Jahren für die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wertet, hat das Landgericht Regensburg zuletzt am 16. Mai 2010 die Fortdauer der Maßregelvollstreckung angeordnet. Das Oberlandesgericht Nürnberg möchte die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten verwerfen. Im Blick auf entgegenstehende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, die im Anschluss an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine abweichende Regelung von der grundsätzlich geltenden Rückwirkung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB gesehen haben, hat es die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 GVG vorgelegt. Beim Senat sind bislang 15 gleichartige Vorlegungsverfahren anhängig. Mit zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmtem Anfragebeschluss vom 9. November 2010 – 5 StR 394, 440 und 474/10 – hat der Senat, der eine rückwirkende Anwendbarkeit des § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB n.F. grundsätzlich bejaht, wegen von seiner Auffassung zur Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB divergierender Rechtsprechung des 4. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zur identischen Rechtsfrage bei Auslegung des § 66b StGB und wegen grundsätzlicher Bedeutung dieser Rechtsfrage das Verfahren nach § 132 GVG eingeleitet. Dabei hat der Senat § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB n.F. allerdings weiter einschränkend dahin ausgelegt, dass in Altfällen die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug für erledigt zu erklären ist, sofern nicht eine hochgradige Gefahr schwerster Gewaltoder Sexualverbrechen aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist (Leitsatz 2 des genannten Beschlusses). Bei diesem Maßstab kommt nur in Ausnahmefällen auch eine Aussetzung der weiteren Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung in Betracht (§ 67d Abs. 2 StGB). Bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG hat der Senat in den drei Verfahren, die Gegenstand der Anfrage sind, die Akten den vorlegenden Oberlandesgerichten zurückgegeben. Die Parallelverfahren, die wegen möglicher identischer Entscheidungserheblichkeit des Anfragegegenstandes bis zur Erledigung des Verfahrens nach § 132 GVG zu ruhen haben, sind in gleicher Weise zu behandeln. 1. Das Verfahren nach § 132 GVG – und damit das anzuordnende Ruhen der Parallelsachen – wird voraussichtlich mehrere Monate andauern. Während dieser Zeit wird die Unterbringung gegen die Verurteilten weiterhin vollstreckt, der Eingriff in das Freiheitsgrundrecht, dessen Zulässigkeit in den Vorlegungsverfahren in Zweifel steht, mithin stetig weiter vertieft. Dies erfordert, dass die Oberlandesgerichte bereits vor Klärung der Vorlegungs-
118
Vgl. Rn. 106.
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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frage aktuell unabhängig von ihr zu überprüfen haben, ob die Freiheitsentziehung gegen den Verurteilten zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist. Die Prüfung hat den vorstehend bezeichneten, für die Oberlandesgerichte wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Senats nach § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG verbindlichen Maßstäben zu folgen. Geboten ist eine neue Sachentscheidung nach § 67e Abs. 1 Satz 1 StGB aus Anlass des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ihr ist ein aktuelles Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO), das sich an den engeren Kriterien zu Verhältnismäßigkeit und Gefahrenbegriff zu orientieren hat.
Der 4. Strafsenat wendete in seinem Beschl. v. 12.5.2010 119 noch unmittelbar die Rechtsprechung des EGMR auch auf den Fall an, dass ein Verurteilter zunächst nach § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war und dann 2005, nachdem der Zustand des § 20 StGB nicht mehr gegeben war, dessen nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde: Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind. Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung – ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ – im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124–133). … Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss. Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. … Erstmals § 66b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen. 119
BGH, Beschl. v. 12.5.2010 – 4 StR 577/09.
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Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind – ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) – bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf. … Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach)gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch – wie bereits ausgeführt – die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich. ■ PRAXISHINWEIS
Ob die in vorstehenden Entscheidungen zugrunde liegende Streitfragen durch die gesetzliche Neuregelung vom 22.12.2010120 erledigt sind, ist derzeit noch offen. Zwar spricht vieles dafür, dass in den verbliebenen Fällen eine nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungsgemäß ist. Ob dies ggfs. aber auch vom EGMR gebilligt werden wird, muss abgewartet werden. 110
Das von Verfassungs wegen mit einem hohen Rang ausgestattete Freiheitsgrundrecht eines Betroffenen gebietet es, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung stellt, bevor die Strafvollstreckung aus dem Ausgangsverfahren beendet ist. Wird der Antrag erst danach gestellt, liegt ein Verfahrenshindernis vor.121 1. Der Verurteilte war vom Landgericht mit Urteil vom 29. November 1995 wegen versuchten Mordes und sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren (Einzelstrafen zwölf Jahre und fünf Jahre) verurteilt worden. Er verbüßte diese Strafe unter Berücksichtigung der am 4. April 1995 begonnenen Untersuchungshaft bis zum 2. April 2009 vollständig. Im Anschluss daran wurde gegen ihn eine Restfreiheitsstrafe von 305 Tagen aus dem Urteil des Amtsgerichts K. vom 25. Juli 1989 vollstreckt. Mit Datum vom 23. Juli 2009 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Am 23. Dezember 2009 wurde der Verurteilte unter Berücksichtigung von Arbeitsleistungen aus der Strafhaft entlassen. Seitdem ist er auf Grund des Unterbringungsbefehls des Landgerichts vom 10. Dezember 2009 vorläufig in der Sicherungsverwahrung untergebracht. 2. Die vollständige Verbüßung der Strafe aus der Anlassverurteilung vor der Stellung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung steht der Fortsetzung des Verfahrens entgegen. Zwar regeln § 66b StGB, § 275a StPO die formellen Anforderungen an die Durchführung des Verfahrens auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in allen Einzelheiten. § 66b Abs. 1 Satz 1 StGB ist insoweit zu entnehmen, dass die auf eine 120 121
BGBl. I S. 2300; vgl. hierzu Rn. 9. BGH, Beschl. v. 26.5.2010 – 2 StR 263/10.
II. 11. Maßregeln der Sicherung und Besserung
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erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten hinweisenden neuen Tatsachen vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe aus der Anlassverurteilung erkennbar geworden sein müssen. Aus § 275a Abs. 1 Satz 3 StPO folgt, dass das Verfahren nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durchgeführt wird. Der Antrag soll spätestens sechs Monate vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung gestellt werden. Wie zu verfahren ist, wenn der Antrag später, gar erst nach Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe aus der Anlassverurteilung gestellt wird, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Allerdings ist der Regelung in Art. 1a Satz 3 EGStGB zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Antragsfrist nicht für bedeutungslos gehalten hat; in diesem Fall hätte es einer Ausnahmeregelung für die in Satz 1 der Vorschrift angeführten Fälle der Unterbringung besonders gefährlicher Straftäter nach Landesgesetzen, in denen der Vollzug der Strafhaft aus der Anlassverurteilung beendet war, nicht bedurft. Der Senat hat bereits entschieden, dass die Wiedererlangung der Freiheit nach Vollverbüßung der Haftstrafe aus der Anlassverurteilung einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht entgegensteht (BGHSt 50, 180, 182 ff.). Er hat in jener Entscheidung ausgeführt, dass in der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 275a StPO das Bestreben deutlich wird, Verfahren über den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu beschleunigen und dem Vertrauensschutz des Verurteilten Rechnung zu tragen. Um sowohl dem gesetzgeberischen Anliegen eines möglichst effektiven Schutzes der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Gewalt- und Sexualstraftätern als auch dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz für den Verurteilten hinreichend Rechnung zu tragen, ist es danach aber erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft dem Verurteilten noch während des Strafvollzugs die Einleitung ihres Prüfungsverfahrens mitteilt und sie den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung stellt, bevor die Strafvollstreckung aus dem Ausgangsverfahren beendet ist (BGHSt 50, 180, 184; 294, 290). An dieser Auffassung hält der Senat fest. … Die vom Senat vorgenommene Auslegung von § 66b StGB, § 275a StPO ermöglicht es zum einen, bei der Entscheidung über die nachträgliche Maßregelanordnung auch solche für die Gefährlichkeitsprognose wichtigen Tatsachen noch zu berücksichtigen, die erst kurz vor dem Vollzugsende erkennbar werden. Zum anderen wird ausgeschlossen, dass der Verurteilte ohne zeitliche Begrenzung auch nach vollständiger Beendigung der Vollstreckung der Strafe aus der Ausgangsverurteilung noch mit einer nachträglichen Maßregelanordnung rechnen muss. Das Rechtsstaatsprinzip, die Grundrechte und die Europäische Menschenrechtskonvention begrenzen die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpfen. … Der Senat hat deshalb hier das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO eingestellt.
Hinsichtlich der Frage, ob und wann eine „neue“ Tatsache vorliegt, welche die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung rechtfertigt, hat der BGH mit Beschluss vom 14.1.2010 122 eine erst in der Strafhaft festgestellte Therapieunfähigkeit des Verurteilten bei fortbestehender qualifizierter Gefährlichkeit als „neue“ Tatsache i.S.v. § 66b Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 StGB anerkannt. Nach den Feststellungen des Landgerichts erwiesen sich sämtliche Bemühungen, die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten – zunächst während der Unterbringung gemäß § 63 StGB und später in der Strafhaft – zu behandeln, als erfolglos. Die Unterbringung in einem
122
BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – 1 StR 595/09.
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psychiatrischen Krankenhaus – dem LKH G. – wurde vor dem Erreichen eines Behandlungserfolges für erledigt erklärt, weil bei dem Verurteilten weder ein Leidensdruck, eine Krankheitseinsicht noch eine „echte“ Behandlungsmotivation erkennbar waren und eine Fortsetzung der Therapie deshalb als aussichtslos erachtet wurde. Von Juli 2002 bis Dezember 2003 nahm der Verurteilte an einem Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter in der Sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt T. teil. Auch hier stellte sich ein Behandlungserfolg nicht ein, da eine „wirkliche“ Bearbeitung der schweren Sexual- und Persönlichkeitsstörung durch den Verurteilten nicht stattfand. Sein Verhalten wurde vielmehr – zur Erlangung von Vollzugslockerungen – als manipulativ und taktierend beschrieben. Von September 2006 bis März 2009 wurde der Verurteilte erneut in der Sozialtherapeutischen Anstalt der Justizvollzugsanstalt T. behandelt. Auch hier gelang es nicht, einen Therapieerfolg herbeizuführen, da der Verurteilte noch immer nicht in der Lage war, seine Straftaten aufzuarbeiten und sich mit seiner Persönlichkeitsstörung differenziert auseinanderzusetzen. Die – nunmehr – festgestellte Therapieunfähigkeit des Verurteilten stellt damit eine „neue“ Tatsache dar, auf die das Landgericht seine Überzeugung von der fortbestehenden qualifizierten Gefährlichkeit des Verurteilten stützen konnte. Das für die Aburteilung der Anlasstat zuständige Gericht ist in dem Ausgangsverfahren aufgrund der Ausführungen des damaligen psychiatrischen Sachverständigen noch von einer Therapierbarkeit des Verurteilten ausgegangen. Es hat daraufhin von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen und den Verurteilten gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Für das damalige Tatgericht war dabei nicht erkennbar, dass das von einer Therapierbarkeit des Verurteilten ausgehende Sachverständigengutachten auf einer unwahren Tatsachengrundlage beruhte. Der Verurteilte hatte gegenüber dem damaligen Sachverständigen hinsichtlich seiner Biographie und seiner Sexualanamnese gelogen, um eine Anwendung des § 21 StGB zu erreichen. Durch dieses Verhalten gelang es ihm, einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entgehen. Die Täuschung des Sachverständigen – und des damaligen Tatgerichts – gab der Verurteilte erst im Laufe des Strafvollzuges im Jahr 2001 zu. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Gericht die Täuschung bei gebotener Sorgfalt schon damals im Ausgangsverfahren hätte erkennen müssen, sind nicht ersichtlich.
112
Auch die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 11.5.2010123 befasst sich mit der Begriffsbestimmung „neue Tatsachen“: 1. Als „neue“ Tatsachen i.S.d. § 66b Abs. 2 Satz 1 StGB kommen nur solche in Betracht, die in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen und schon für sich genommen von besonderem Gewicht sind. Diese Voraussetzungen können im Einzelfall auch psychiatrische Befundtatsachen erfüllen, nämlich dann, wenn sie die an sich bereits zuvor erkannte Gefährlichkeit des Verurteilten in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen. In speziellen Konstellationen ist allerdings eine besonders sorgfältige Prüfung des Gewichts der in Betracht gezogenen Befundtatsachen geboten. 2. Eine psychiatrische Befundtatsache in Form der (erstmaligen) Diagnose des sexuellen Sadismus ist „neu“ i.S.d. § 66b StGB, wenn der Verurteilte seine sexuellen Phantasien und Begehrenshaltungen erst nach 8jährigem Strafvollzug und umfangreichen therapeutischen und rückfallpräventiven Maßnahmen gegenüber einem neuen Gutachter offenbart hat. 3. Bei der nach § 66b Abs. 2 StGB gebotenen Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten kommt es nicht maßgeblich auf den wissenschaftlichen Kenntnisstand der Rückfall-
123
BGH, Urteil v. 11.5.2010 – 1 StR 40/10.
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forschung, namentlich die empirischen Rückfallbasisdaten, an, entscheidend ist vielmehr allein die jeweilige individuelle Prüfung der Gefährlichkeit des Verurteilten, die anhand tatspezifischer, biografischer und psychiatrischer Kriterien sowie der Entwicklung während des Strafvollzugs vorzunehmen ist (Festhaltung BGH, 11. Oktober 2007, 4 StR 246/07, NStZ-RR 2008, 40).
Weiterhin hat der BGH mit Urteil vom 11.5.2010,124 darauf hingewiesen, dass es – unabhängig von der Frage des Vorliegens „neuer“ Tatsachen – jedenfalls für die Gefährlichkeitsprognose allein auf das Ergebnis der jeweiligen individuellen Prüfung ankommt und nicht auf allgemeine statistische Werte. Insofern konnte offen bleiben, ob es sich dabei um „neue“ Tatsachen handelt, wenn im Ausgangsverfahren der Gutachter deswegen keine Erkenntnisse zu den sexuellen Phantasien des Verurteilten erlangen konnte, weil dieser damals schwieg, während er sich erst nach langen Jahren der Haft dann öffnete und Näheres mitteilte. b) Die erstmalig im Jahre 2006 vom Verurteilten offen gelegten Phantasien und den infolge dessen diagnostizierten sexuellen Sadismus hat die Strafkammer als die für die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung erforderlichen Nova angesehen. Die Frage, ob die Kammer diese Umstände hat insofern ausreichen lassen dürfen, braucht der Senat letztlich nicht zu entscheiden. aa) An die Annahme neuer Tatsachen sind ohnehin stets strenge Anforderungen zu stellen (BGH, Beschl. vom 12. Januar 2010 – 3 StR 439/09), zumal die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung den Bestand eines rechtskräftigen Urteils tangiert und nach dem Willen des Gesetzgebers auf seltene Einzelfälle beschränkt sein soll (BGHSt 50, 275, 278 m.w.N.; BVerfG StV 2006, 574, 575; NJW 2009 980, 982). Als „neue Tatsachen“ kommen deshalb nur solche in Betracht, die in einem prognoserelevanten symptomatischen Zusammenhang mit der Anlassverurteilung stehen (BGHR StGB § 66b Neue Tatsachen 3) und schon für sich genommen von besonderem Gewicht sind (BGH StV 2006, 67, 71). bb) Diese Voraussetzungen können – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – im Einzelfall zwar auch psychiatrische Befundtatsachen erfüllen, nämlich dann, wenn sie die an sich bereits zuvor bekannte Gefährlichkeit eines Verurteilten in einem grundsätzlich anderen Licht erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Kammer, Beschl. vom 23. August 2006 – 2 BvR 226/06; BGH NStZ-RR 2007, 199). Der Senat neigt aber für die nachfolgend dargestellte (cc.) spezielle Konstellation dazu, eine besonders sorgfältige Prüfung des Gewichts dieser in Betracht gezogenen Befundtatsachen für notwendig zu halten. cc) Das Landgericht hat – im Rahmen der Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose – die Meinung vertreten, § 66 StGB hätte weder zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung noch später die Anordnung von Sicherungsverwahrung bereits mit der ersten Verurteilung vorgesehen. Dies trifft nicht zu, da § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB bereits mit Wirkung zum 31. Januar 1998 in das Gesetz eingefügt worden war. Ob die im Ursprungsverfahren zuständige Kammer möglicherweise demselben Rechtsirrtum unterlegen war, teilt das angefochtene Urteil nicht mit. Wäre dies so, könnte bereits dieser Umstand der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung entgegenstehen. Denn durch die Anwendung des § 66b StGB dürfen im Ausgangsverfahren bei der Prüfung der primären Sicherungsverwahrung begangene Rechtsfehler oder Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden nicht korrigiert werden (vgl. BGHSt 50, 121, 126; BGH, Beschl. vom 12. Januar 2010 – 3 StR 439/09; BGH, Urt. vom 13. Januar 2010 – 1 StR 372/09). 124
BGH, Urteil v. 11.5.2010 – 1 StR 40/10.
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Dem Urteil lässt sich jedoch hinreichend deutlich entnehmen, dass die Strafkammer des Ursprungsverfahrens bei zutreffender Beurteilung der Rechtslage die nun als Nova gewerteten Umstände auch bei sorgfältiger, am Maßstab des § 244 Abs. 2 StPO gemessener Prüfung (vgl. BGH StV 2006, 413; BGH, Urt. vom 23. März 2006 – 1 StR 476/05) nicht hätte erkennen können. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass auch der mit der Begutachtung des zum damaligen Zeitpunkt über seine sexuellen Phantasien schweigenden Verurteilten beauftragte psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. R. in dessen sexuellen Vorstellungen und Begehrenshaltungen keine auffälligen Inhalte erkennen konnte und es bis zur „Öffnung“ des Verurteilten mehreren psychologischen und psychiatrischen Fachkräften über acht Jahre hinweg nicht gelungen war, Näheres über die diesbezüglichen Vorstellungen zu erfahren (vgl. BGHSt 50, 275, 280). c) Die Strafkammer hat jedenfalls rechtsfehlerfrei die zukünftige Gefährlichkeit des Verurteilten i.S.d. § 66b Abs. 2 StGB verneint. Dem Tatgericht kommt insofern ein Beurteilungsspielraum zu; seine Entscheidung unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung nur eingeschränkt (BGH NStZ-RR 2008, 40, 41). Diese hat keinen Rechtsfehler ergeben.
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Zu schwierigen Fragen der „Rückfallverjährung“ gem. § 66 Abs. 4 StGB, insbes. nach Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung vgl. BGH, Beschl. v. 2.2.2010, 3 StR 527/09: Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte u. a. wegen einer am 20. Juli 1999 begangenen Tat am 10. August 2001 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten und wegen einer Tat, die er am 21. September 2006 verübte, am 8. Februar 2007 zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt wurde. Unter Berücksichtigung der im Strafvollzug verbrachten Zeit habe zwischen diesen beiden Taten ein Zeitraum von vier Jahren, elf Monaten und einem Tag und damit weniger als fünf Jahren gelegen; „Rückfallverjährung“ nach § 66 Abs. 4 Satz 3, 4 StGB sei somit nicht eingetreten. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn bei der Berechnung des von Verwahrung freien Zeitraums nach § 66 Abs. 4 Satz 3 StGB kommt es auf den Zeitraum zwischen den einzelnen nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB relevanten, das heißt den zur Begründung der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung in Betracht kommenden Vortaten, für die Einzelfreiheitsstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden sind, sowie auf die Frist zwischen der letzten relevanten Vortat und der abzuurteilenden neuen Straftat an (BGHSt 25, 106, 107; BGHR StGB § 66 Abs. 3 Satz 3 Fristberechnung 1; BGH, Beschl. vom 3. September 2008 – 5 StR 281/08; Fischer, StGB 57. Aufl. § 66 Rdn. 20; Sinn in SK-StGB § 66 Rdn. 9). Danach musste hier die Verurteilung vom 8. Februar 2007 außer Betracht bleiben. In dieser wurde eine Freiheitsstrafe von acht Monaten und damit weniger als einem Jahr verhängt; sie ist deshalb nicht geeignet, die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu erfüllen. Nach den bisherigen Feststellungen hätte das Landgericht vielmehr prüfen müssen, ob zwischen der Tat vom 20. Juli 1999 als letzter nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB relevanter Vortat und der neuen, am 1. April 2008 begangenen Straftat ein Zeitraum von fünf Jahren liegt, in welchem der Angeklagte sich nicht in behördlicher Verwahrung befand. b) Entsprechendes gilt, soweit die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützt hat. Dies setzt u.a. wenigstens eine Vortat voraus, deretwegen der Angeklagte zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Die Regelungen der „Rückfallverjährung“ nach § 66 Abs. 4 StGB gelten hier ebenfalls (Rissing-van Saan/Peglau in LK 12. Aufl. § 66 Rdn. 62). Daraus folgt, dass für die Berechnung des Zeitraums von fünf Jahren nur die nach § 66 Abs. 3
II. 12. Reihenfolge der Vollstreckung – § 67 StGB
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Satz 1 StGB relevanten Vortaten sowie die neu abzuurteilende Tat maßgebend sind. Das Landgericht stellt indes lediglich auf eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen einer am 30. Dezember 1991 begangenen versuchten schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung ab und verweist für die Frage der „Rückfallverjährung“ pauschal auf seine Ausführungen zu § 66 Abs. 1 StGB. Diesen lässt sich eine weitere, im Rahmen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB relevante Vortat nicht entnehmen. Das Landgericht hätte deshalb bei der Prüfung des § 66 Abs. 4 Satz 3, 4 StGB auf den Zeitraum zwischen der Tat vom 30. Dezember 1991 und der neuen Tat vom 1. April 2008 abstellen müssen.
Auch gegen bei der Anlassverurteilung heranwachsende Straftäter wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung als zulässig erachtet:125
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1. § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. § 7 Abs. 2 JGG verstößt weder gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG noch gegen das Doppelbestrafungsverbot (ne bis in idem) des Art. 103 Abs. 3 GG (Rn. 40). Auch ein Verstoß gegen das rechtsstaatliche und grundrechtliche Gebot des Vertrauensschutzes, Art. 2 Abs. 2, Art. 20 Abs. 3 GG liegt nicht vor (Rn. 41). Die Neuregelung des § 7 Abs. 2 JGG wahrt trotz des mit ihr verbundenen Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rn. 50). Die Europäische Menschenrechtskonvention ist ebenfalls nicht verletzt (Rn. 60). 2. Die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung (hier: gegen einen wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilten Straftäter) setzt das Vorliegen neuer Tatsachen („Nova“) nicht voraus (Rn. 17). Ebensowenig ist die Feststellung eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten erforderlich (Rn. 22) (Rn. 28). 3. Die äußerst belastende Maßregel der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung bei nach Jugendstrafrecht Verurteilten ist nur in außergewöhnlichen, seltenen Ausnahmefällen gegen Straftäter berechtigt, bei denen die konkrete Gefahr besteht, dass sie in absehbarer Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Vollzug der Jugendstrafe besonders schwere Straftaten der in § 7 Abs. 2 JGG bezeichneten Art begehen werden. An Inhalt und Qualität der Prognose sind in jedem Fall strengste Anforderungen zu stellen. Eine hohe Wahrscheinlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn (nur) überwiegende Umstände auf eine künftige Delinquenz des Verurteilten hindeuten. Es bedarf vielmehr unter Ausschöpfung der Prognosemöglichkeiten einer positiven Entscheidung über die Gefährlichkeit des Verurteilten.
12. Reihenfolge der Vollstreckung – § 67 StGB „Iudex non calculat“. Gemäß diesem Motto entstehen immer wieder Fehler bei der Berechnung des Vorwegvollzugs gem. § 67 StGB:126 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass sechs Jahre und zwei Monate der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu
125 126
BGH, Urteil v. 9.3.2010 – 1 StR 554/09. BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 4 StR 448/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
vollziehen sind. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die zu seinen Gunsten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam „auf den Ausspruch über die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der ausgeurteilten Freiheitsstrafe vor Beginn der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ beschränkt; insoweit rügt sie die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe vor der Maßregel ist rechtsfehlerhaft. Sie verstößt gegen § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB. Danach ist, sofern bei einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren nicht ausnahmsweise von einer Vikariierung abgesehen wird, der vorweg zu vollstreckende Teil der Freiheitsstrafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt, möglich ist. Ein Beurteilungsspielraum für den Tatrichter besteht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2008 – 1 StR 644/07, StV 2008, 248 und vom 8. April 2008 – 4 StR 21/08). Da der Halbstrafenzeitpunkt hier bei fünf Jahren Freiheitsstrafe liegt, kann der Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs nicht bestehen bleiben. 2. Der Senat kann die Dauer des Vorwegvollzugs nicht analog § 354 Abs. 1 StPO selbst festlegen (vgl. Senat aaO). Das Schwurgericht hat es nämlich – ebenfalls rechtsfehlerhaft (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 67 Rdn. 11a m.w.N.) – unterlassen, eine Prognose darüber zu treffen, wie lange die Unterbringung in der Maßregel voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2008 – 1 StR 478/08, NStZ 2009, 87, 88). 3. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) – bei der Berechnung des vorweg zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe die voraussichtlich notwendige Therapiedauer feststellen und diese von den fünf Jahren – der Hälfte der (nunmehr rechtskräftig) erkannten Freiheitsstrafe – abziehen müssen.
13. Maßregel nach §§ 69, 69a StGB 117
Aufzuheben war ferner die Maßregelanordnung der Festsetzung einer isolierten Sperre gemäß § 69a StGB. Den Urteilsgründen ist nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, an welche rechtswidrige Tat die Maßregel anknüpft. Es bleibt letztlich offen, ob sie wegen eines Verkehrsdelikts oder wegen einer im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangenen Straftat der allgemeinen Kriminalität (Zusammenhangstat) angeordnet wurde. Wird eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB aber an Zusammenhangstaten angeknüpft, muss sich aus den Urteilsgründen die Überzeugung des Tatrichters ergeben, dass die festgestellten Umstände den konkreten Anhalt begründen, der Täter stelle eine Gefahr für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs dar.127
127
BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 509/10.
II. 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB
91 PRAXISHINWEIS ■
Auch wenn zwischenzeitlich im Rahmen gesetzgeberischer Reformbemühungen in Zweifel gezogen wurde, ob Führerscheinentzug und Sperre nicht auch bei Taten allgemeiner Kriminalität verhängt werden sollten, hat der für Straßenverkehrssachen zuständige 4. Strafsenat nochmals die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen bestätigt, wonach bei allgemeiner Kriminalität eine entsprechende Maßregelanordnung nur in Betracht kommt, wenn sich aus den Umständen der Tat ergibt, dass das Verhalten des Täter die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gefährdet hat.
14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB Die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Allgemeinen Teil des StGB hat sich in den zurückliegenden Monaten gleich mehrfach mit Verfallsentscheidungen (§§ 73 ff. StGB) befasst. Grundlegend ist dabei die Entscheidung vom 17.6.2010,128 wonach eine Verfallsanordnung oder der Verfall des Wertersatzes auch gegen Jugendliche oder Heranwachsende zulässig ist: 3. Die Ablehnung der Anordnung des Verfalls und des Wertersatzverfalls hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Die Vorschriften der §§ 73 ff. StGB sind über die Verweisung in § 2 Abs. 2 JGG auch im Jugendstrafrecht anwendbar (Altenhain in Münch-Komm/StGB § 2 JGG Rdn. 7; Eser in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. vor § 73 Rdn. 11). Hieran knüpft § 8 Abs. 3 JGG an, wonach der Richter neben Jugendstrafe auf die nach dem Jugendgerichtsgesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkennen kann. Damit sind auch die im Siebenten Titel des 3. Abschnitts des Strafgesetzbuchs genannten Maßnahmen des Verfalls und der Einziehung (§ 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB) gemeint (Altenhain aaO § 8 Rdn. 3; vgl. BGH, Beschl. vom 12. Juli 2000 – StB 4/00 zur Einziehung nach § 74 Abs. 1 und 2 Nr. 1 StGB). Hiervon nimmt § 6 JGG lediglich die dort genannten Nebenfolgen aus (Altenhain aaO § 6 JGG Rdn. 6). Diese gesetzgeberische Entscheidung kann nicht unter Berufung auf erzieherische Interessen unterlaufen werden; § 6 JGG ist eine Ausnahmevorschrift (vgl. Dallinger/Lackner JGG 2. Aufl. § 6 Rdn. 10). Deshalb ist nicht nur die Anordnung des Verfalls, sondern auch diejenige des Verfalls des Wertersatzes zulässig (Altenhain aaO Rdn. 8; unklar Eisenberg aaO § 6 Rdn. 5). b) Für dieses Ergebnis streiten auch systematische Erwägungen: Das Jugendgerichtsgesetz geht in § 76 Satz 1 JGG selbst von der Zulässigkeit der Anordnung des Verfalls aus. Die Anordnung des Wertersatzverfalls entspricht auch nicht der Verhängung einer – im Jugendgerichtsgesetz nicht vorgesehenen – Geldstrafe. Zwar wird die vom Gericht bestimmte Geldsumme wie eine Geldstrafe beigetrieben (§ 459 g Abs. 2 StPO); dem zu Wertersatzverfall Verurteilten droht jedoch im Falle der Uneinbringlichkeit keine Ersatzfreiheitsstrafe (Meyer-Goßner aaO § 459g Rdn. 7; vgl. demgegenüber BGH, Urt. vom 13. Juli 1954 – 1 StR 465/53, BGHSt 6, 258 zu § 401 Abs. 2 RAbgO). Das Jugendgerichtsgesetz sieht zudem verschiedentlich die Auferlegung von Geldzahlungen vor (vgl. nur § 15 Abs. 1
128
BGH, Urteil v. 17.6.2010 – 4 StR 126/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Satz 1 Nr. 1 und 4 JGG) und bewehrt deren schuldhafte Nichterfüllung mit Jugendarrest (§ 15 Abs. 3 Satz 2 JGG). Insbesondere ermächtigt das Jugendgerichtsgesetz auch zur Abschöpfung des strafbar erlangten Gewinns durch Zahlung eines Geldbetrages (§ 15 Abs. 2 Nr. 2 JGG; vgl. dazu Eisenberg aaO § 15 Rdn. 18). c) Daher ist die Verhängung der in §§ 73 ff. StGB vorgesehenen Maßnahmen auch bei Jugendlichen und solchen Heranwachsenden zulässig, auf die Jugendstrafrecht angewendet wird, und zwar, wie sich schon aus § 73a StGB ergibt, unabhängig davon, ob der Wert noch im Vermögen des Jugendlichen vorhanden ist (Altenhain aaO; a.A. Diemer in Diemer/Schoreit/Sonnen JGG 5. Aufl. § 6 Rdn. 3; wohl auch Brunner/Dölling JGG 11. Aufl. § 6 Rdn. 3, 6, 7). Der Vermeidung von Härten dient allein § 73 c StGB.
120
§ 73c StGB ist überhaupt immer in den Blick zu nehmen, wenn der Wert des Erlangten nicht mehr im Besitz des Betroffenen vorhanden ist:129 Das Landgericht hat sich bei der Verfallsanordnung ersichtlich allein daran orientiert, dass der Angeklagte, der dies auch eingestanden hat, für seine Beteiligung an den in der Zeit von Ende 2004 bis Anfang 2007 begangenen, verfahrensgegenständlichen Taten insgesamt 172.500 Euro erhalten hat [SH 3 R, 4 R, 9 R]. Es hat jedoch nicht geprüft, ob gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB von der Anordnung des Wertersatzverfalls zumindest teilweise abgesehen werden kann und zwar soweit der Wert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten nicht mehr vorhanden ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 4 StR 233/02, BGHSt 48, 40 ff.; vgl. auch Fischer, StGB, 57. Aufl., § 73c Rn. 4 f. und LK-Schmidt, StGB, 12. Aufl., § 73c Rn. 9 f., jeweils m.w.N.). ■ PRAXISHINWEIS
Es ist immer zu beachten, ob bei Verfallsanordnungen ein vollständiger Verfall eine unbillige Härte sein könnte und eine Anordnung daher bzgl. eines Teils oder ganz zu unterbleiben hat (vgl. § 73c Abs. 1 StGB)! 121
Keinesfalls darf ungeklärt bleiben, ob erlangtes Geld noch bei dem Betroffenen vorhanden ist und – falls nicht – sind erst recht die Voraussetzungen des § 73c StGB zu prüfen.130 Das Landgericht hat sich bei der Verfallsanordnung ersichtlich allein daran orientiert, dass der Angeklagte für seine Beteiligung an dem Anbau der Marihuanaplantage insgesamt mindestens 22.500 € erlangt hat (UA S. 11, 18). Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang dieses Geld bei dem Angeklagten noch vorhanden ist, hat die Kammer nicht getroffen. Womöglich hat sie sich bei der Anordnung des Verfalls von Wertersatz aber von der nicht näher konkretisierten Vorstellung leiten lassen, dass das Geld bei dem Angeklagten nicht mehr vorhanden war. Sollte dies der Fall sein, hätte das Landgericht schon deshalb prüfen müssen, ob von der Anordnung des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB ganz oder teilweise abgesehen werden kann (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 144). Andernfalls hätte sich das Landgericht angesichts des Umstands, dass das Konto des Angeklagten am 1. September 2009 einen geringfügigen negativen Saldo aufwies (UA S. 11), und mit Blick auf seine
129 130
BGH, Beschl. v. 27.7.2010 – 4 StR 84/10. BGH, Beschl. v. 18.11.2010 – 2 StR 397/10.
II. 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB
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Einlassung, er habe aus Geldnot gehandelt (UA S. 7), zu einer solchen Prüfung gedrängt sehen müssen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 94). Dass die Kammer die Möglichkeit des § 73c StGB bedacht und das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, kann dem Urteil jedenfalls nicht entnommen werden. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der aufgezeigte Erörterungsmangel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, ist die Verfallsanordnung aufzuheben.
Die alternative Anordnung eines erweiterten Verfalls oder des Wertersatzverfalls kommt allenfalls dann in Betracht, wenn tatsächlich bei allen nicht ausgeschlossenen Fallgestaltungen jeweils eine der beiden Anordnungen in Betracht käme.131 Insoweit werden die Anordnungsvoraussetzungen ausreichend vom Tatgericht zu begründen sein, zumeist aber nicht alternativ vorliegen. Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen die Angeklagte A. hat es wegen Beihilfe zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Außerdem hat es 27 Kilogramm Haschisch eingezogen, von den Angeklagten bei der Tat mitgeführte 1.300 € für verfallen erklärt und „hinsichtlich der in der Wohnung der Angeklagten sichergestellten 5.700 €“ den erweiterten Verfall angeordnet. Das auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel des Angeklagten H. und das unbeschränkt eingelegte Rechtsmittel der Angeklagten A. haben Erfolg, soweit das Landgericht in Höhe von 5.700 € den erweiterten Verfall angeordnet hat. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Nach der Aufdeckung der Straftat wurde auf der Grundlage eines Beschlusses des Amtsgerichts Kleve die Wohnung der Angeklagten durchsucht. Dabei entdeckten Zollbeamte im Schrank verstecktes Bargeld, das sichergestellt wurde. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass dieses Geld „im Gesamtbetrag von 5.700 €“ aus rechtswidrigen Taten stammt. Hierzu hat sie ausgeführt: „Entweder haben sie das Geld aus zurückliegenden Rauschgiftgeschäften erlangt … oder sie verfügten über andere Einkünfte und/oder Vermögenswerte, die sie nicht angegeben haben, als sie um die Gewährung von Sozialleistungen nach dem SGB II nachsuchten; damit haben sie indes einen Betrug zum Nachteil der die Sozialleistungen verwaltenden Stellen begangen. Auch bezüglich der Anordnung des erweiterten Verfalls vermag die Kammer keinen Umstand festzustellen, angesichts dessen ihre Entscheidung für die Angeklagten eine unbillige Härte darstellt (vgl. §§ 73d Abs. 4, 73c StGB).“ Gegen die Begründung, mit der der erweiterte (Wertersatz-)Verfall angeordnet worden ist, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Bereits der vom Landgericht errechnete Gesamtbetrag in Höhe von 5.700 €, der in der Wohnung der Angeklagten sichergestellt worden sein soll, lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen. Die Summe der an drei verschiedenen Stellen aufgefundenen Geldscheine ergibt lediglich 5.200 € (2.900, 2.100 und 200 €). Vor allem hat die Strafkammer nicht bedacht, dass bei der von ihr als möglich gehaltenen Alternative, die Angeklagten hätten das Geld durch einen Betrug zum
131
Vgl. BGH, Beschl. v. 23.11.2010 – 3 StR 421/10.
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Nachteil der Sozialbehörden erlangt, die Anordnung des erweiterten Verfalls ausgeschlossen ist. Denn gemäß § 73d Abs. 1 Satz 3 Abs. 2, § 73 Abs. 1 Satz 2, § 73a StGB kommt der erweiterte (Wertersatz-)Verfall ausnahmsweise nicht in Betracht, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Durch diese Regelung sollen eine doppelte Inanspruchnahme des Täters/Teilnehmers verhindert und die Schwierigkeiten vermieden werden, die bei einer Konkurrenz zwischen staatlichem Rückerstattungs- und zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch entstehen würde (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 73 Rn. 17). Ein zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch der Sozialbehörden würde sich aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB ergeben.
123
Der Beschluss des 5. Strafsenats vom 27.10.2009 schränkt die Voraussetzungen für Verfallsanordnungen gegenüber bloßen Gehilfen ein:132 Der kurzfristige Besitz des Gehilfen, der das Entgelt aus dem Rauschgiftgeschäft unverzüglich an den Verkäufer weiterleiten soll, reicht grundsätzlich nicht aus, um das Geld als an ihn zugeflossen anzusehen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 366). Er erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB den Besitz nur „gelegentlich“ seiner Tat (Fischer, StGB 56. Aufl. § 73 Rdn. 13) und übt ihn von Anfang an nur für den Verkäufer aus, an den er den Erlös absprachegemäß übergeben will (vgl. Winkler NStZ 2003, 247, 250). Die fehlende Tatherrschaft über die Geschäftsabwicklung unterscheidet ihn von einem Zwischenhändler, der mit dem Verkaufserlös seinerseits seinen Lieferanten bezahlt (vgl. BGHSt 51, 65, 68 Tz. 14 f.). Die Verfallsanordnung des Landgerichts war deshalb dahingehend zu korrigieren, dass nur das, was der Angeklagte als Lohn für seine Gehilfentätigkeit erhalten hat (viermal 50 €), dem Verfall unterliegt.
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Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kann nur derjenige sein, dessen Individualinteressen durch das vom Täter übertretene Strafgesetz geschützt werden sollen.133 Verletzter im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kann nur derjenige sein, dessen Individualinteressen durch das vom Täter übertretene Strafgesetz geschützt werden sollen. Soweit der Angeklagte wegen Bestechlichkeit verurteilt worden ist, trifft dies weder auf das Bundeseisenbahnvermögen noch auf die Deutsche Bahn AG oder die ihrem Konzern zugehörigen Unternehmen zu. Schutzgut des § 332 Abs. 1 Satz 1 StGB ist nicht das Vermögensinteresse der Anstellungskörperschaft, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (BGHSt 30, 46, 47 f.; BGH, NStZ 1999, 560; 2000, 589, 590). bb) Der Verfall ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Deutsche Bahn Netz AG durch die pflichtwidrigen, auch als Untreue (§ 266 Abs. 1 1. Alt. StGB) zu bewertenden Diensthandlungen einen Vermögensnachteil erlitten hat, zu dessen Ersatz der Angeklagte nach § 75 Abs. 1 BBG – auf ihn anwendbar nach § 7 Abs. 1 BundesbahnneugliederungsG, § 12 Abs. 4 Deutsche Bahn GründungsG – verpflichtet ist. Erhält der Amtsträger aufgrund der mit einem Dritten getroffenen Unrechtsvereinbarung für eine den Dienstherrn schädigende Untreuehandlung eine Belohnung, so hat er diese grundsätzlich „für“ die Tat zulasten des Dienstherrn und nicht „aus“ ihr erlangt; auf Erlangtes „für“ die Tat bezieht sich
132 133
BGH, Beschl. v. 27.10.2009 – 5 StR 242/09. BGH, Urteil v. 24.6.2010 – 3 StR 84/10.
II. 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB
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§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht (BGHSt 30, 46, 47; BGH, NStZ 1999, 560). Dass hier nicht unmittelbar der Dienstherr geschädigt und die Deutsche Bahn AG zur Geltendmachung des Anspruchs berechtigt ist, ändert daran nichts (vgl. § 1 Nr. 25 DBAG-ZuständigkeitsVO). „Aus“ der Tat zum Nachteil des Dienstherrn ist der Bestechungslohn allerdings dann erlangt, wenn er mit dem durch das pflichtwidrige Handeln entstandenen Schaden inhaltlich so verknüpft ist, dass der Vermögensnachteil des Dienstherrn und der Vermögenszuwachs beim Täter gleichsam spiegelbildlich miteinander korrespondieren, etwa wenn einem Dritten Vorteile aus dem Vermögen des Dienstherrn verschafft werden, die dessen Aufwendungen für den Bestechungslohn kompensieren oder die ganz oder teilweise dem Täter zufließen sollen (vgl. BGHSt 47, 22, 31; BGHR StGB § 73 Verletzter 4, 5; BGH, NStZ 2003, 423). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor, denn das Bauunternehmen hat die dem Angeklagten zugeflossenen Bestechungsgelder nicht aus dem aufgrund der Untreuehandlungen des Angeklagten unberechtigt erhaltenen Anteilen ihres Werklohns finanziert, sondern dort aus anderen Quellen gespeisten „schwarzen Kasse“ entnommen. ... cc) Zwar hat ein Bundesbeamter nach § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG i.d.F. des DNeuG vom 5. Februar 2009 (BGBl. I 160) einen Vermögensvorteil, den er in Bezug auf sein Amt angenommen hat, dem Dienstherrn herauszugeben (so schon zum früheren Rechtszustand BVerwGE 115, 389 m.w.N.; zur Geltendmachung gegenüber zugewiesenen Beamten des Bundeseisenbahnvermögens nunmehr § 1 Nr. 25 DBAG-ZuständigkeitsVO). Dies führt jedoch nicht zu einer doppelten Inanspruchnahme des Beamten, wenn er den Vorteil zugleich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB für eine rechtswidrige Tat oder aus ihr erlangt hat, denn nach dem Wortlaut von § 71 Abs. 2 Satz 1 BBG kann der Dienstherr die Herausgabe nur verlangen, soweit nicht im Strafverfahren der Verfall angeordnet worden ist.
Lässt der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung die Tatvorteile einem nicht an den Taten beteiligten Dritten unentgeltlich oder auf sonst bemakelte Weise zukommen, um sie dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen oder die Tat zu verschleiern, kann auch gegen den Dritten die Anordnung des Verfalls nach § 73a i.V.m. § 73 Abs. 3 StGB ergehen. Der Anordnung des Verfalls stehen in diesen Fällen auch keine Ansprüche des Steuerfiskus als Verletztem i.S.d. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegen, weil dem Steuerfiskus kein Anspruch gegen den nicht an den Taten beteiligten Dritten entstanden ist.134 Die Anordnung des Verfalls richtet sich gegen die Verfallsbeteiligte B., weil ein sog. Verschiebungsfall vorliegt. Bei dieser Fallgestaltung lässt der Täter oder Teilnehmer die Tatvorteile einer anderen Person unentgeltlich oder aufgrund eines jedenfalls bemakelten Rechtsgeschäfts zukommen, um sie dem Zugriff des Gläubigers zu entziehen oder um die Tat zu verschleiern (vgl. BGHSt 45, 235, 245f.). Hier hat B. die Geldsumme in ununterbrochener Bereicherungskette jeweils unentgeltlicher Zuwendungen ausgehend vom Angeklagten und vermittelt durch E. erlangt. Der Anordnung des Verfalls stehen auch keine Ansprüche des Steuerfiskus als Verletztem im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegen. Zwar kann auch der Steuerfiskus Verletzter im Sinne dieser Vorschrift sein (vgl. BGHR § 73 StGB Verletzter 3). Dem Steuerfiskus ist jedoch aus den Taten des Angeklagten kein Anspruch gegen die Verfallsbeteiligte B. entstanden. Im Gegensatz zum Angeklagten und zu E. war B. weder Täterin einer Steuerhinterziehung, noch war sie an den Steuerstraftaten des Angeklagten beteiligt. Sie haftet deshalb auch nicht gemäß § 71 AO für die von dem Angeklagten verkürzten Steuern. 134
BGH, Beschl. v. 13.7.2010 – 1 StR 239/10.
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A. StGB – Allgemeiner Teil
Eine Einziehung von Gegenständen ist nur möglich, wenn diese für die abgeurteilte Tat verwendet wurden.135 Jedoch ist die Einziehungsanordnung hinsichtlich mehrerer Gegenstände aufzuheben. Zutreffend hat das Landgericht im Fall II. 3. der Urteilsgründe zwar die Einziehung der Pistole Walther PPK mit sieben Schuss Munition, die bei dem spätestens Anfang November 2008 verabredeten Banküberfall verwendet werden sollte, auf § 74 Abs. 1 StGB gestützt. Diese Vorschrift ermöglicht jedoch nicht die Einziehung der Gegenstände, die vor dieser Tat bei der Polizeikontrolle vom 17. Oktober 2008 sichergestellt worden waren. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass die für einen Banküberfall typischen Tatmittel – wie es § 74 StGB voraussetzt (Fischer, StGB 57. Aufl. § 74 Rdn. 4, 6 m.w.N.) – bei der im Fall II.3. der Urteilsgründe abgeurteilten Tat eingesetzt werden sollten; denn einen bereits am 17. Oktober 2008 hinreichend konkret verabredeten Banküberfall hat das Landgericht nicht festgestellt. Eine Einziehung der gestohlenen Kfz-Kennzeichen nach § 74 StGB wäre im Übrigen auch deshalb nicht in Betracht gekommen, weil sie nicht im Eigentum des Angeklagten standen (§ 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Der Double-Action Revolver Alfa mit neun Patronen Munition sowie die ebenfalls außerhalb des eigenen befriedeten Besitztums geführte Schreckschusspistole unterliegen als Beziehungsgegenstände gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 2a) und b), § 54 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 und 2 WaffG der Einziehung. Für die Einziehung der weiteren Gegenstände (Reizgas, Brillenaufsatz, Kfz-Kennzeichen, Sturmhauben, Signaldetektor) fehlt es hingegen an einer Rechtsgrundlage. ■ PRAXISTIPP
Auch wenn bei dem vorliegenden Sachverhalt kaum ein von einem Verteidiger beratener Angeklagter sich geweigert hätte, einer Einziehung der Gegenstände zuzustimmen, erweist eine genaue rechtliche Prüfung, ob und inwieweit es für die einzelnen Gegenstände tatsächlich eine Rechtsgrundlage für eine Einziehung gibt. Immerhin könnte dann ein dennoch freiwillig erklärter Verzicht die Verhandlungsposition eines Angeklagten durchaus verbessern! 127
Bei einer Angeklagten, die den Tätern eine Digitalkamera und ein Mobiltelefon zur Ausspähung möglicher Tatobjekte eines geplanten Überfalls zur Verfügung gestellt hat, an der Verabredung des Überfalls jedoch nicht als Täterin beteiligt war und Beihilfe hierzu nicht leisten konnte, kommt lediglich eine Dritteinziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht. Bei mehreren Beteiligten an einer Tat ist im Hinblick auf die Einziehung des Erlangten (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB) entscheidend, was der einzelne Beteiligte selbst tatsächlich erlangt hat. Zwar reicht es aus, dass er die wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt an dem Vermögensgegenstand erlangt, jedoch kann ihm nach § 73 StGB nicht darüber hinaus auch das zugerechnet werden, was ausschließlich von einem anderen Tatbeteiligten erlangt worden ist.136
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BGH, Beschl. v. 2.3.2010 – 3 StR 53/10; vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 15.11.2010 – 4 StR 413/10. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 3 StR 17/10.
II. 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB
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Die Entscheidung vom 10.11.2009 gibt Hinweise für den Umfang von Verfallsanordnungen sowie das schwierige Verhältnis gegenüber den Regelungen des § 111i StPO:137 2. Dagegen hält die Anordnung des Verfalls der bei dem Angeklagten sichergestellten 10.000 Euro der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Nach den hierzu getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte dieses Geld von dem gesondert verfolgten Schuster für den Verkauf eines Teils der Beute aus dem zusammen mit den Mitangeklagten H. S. und C. S. bei dem Geschädigten Fiedler am 23. September 2008 verübten Diebstahl erhalten. Die an Schuster verkauften Gegenstände konnten sichergestellt werden und gelangten an den Geschädigten zurück. Über den Verbleib des übrigen Teils der Beute, deren Gesamtwert zwischen 70- und 80.000 EUR betrug, teilt das Urteil nichts mit. Das sichergestellte Geld war danach – wie das Landgericht im Ansatz zu Recht angenommen hat – Surrogat im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB für die entwendeten, an Schuster veräußerten Teile der Beute. Ansprüche des Verletzten stünden – so das Landgericht – der Anordnung des Verfalls nicht entgegen, weil der Geschädigte die Gegenstände aus der Beute, für deren Veräußerung der Angeklagte die 10.000 EUR erlangt hat, zurückerhalten habe. a) Diese Begründung trägt die Verfallsanordnung des Landgerichts nicht. Zwar hat das Landgericht ersichtlich der Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB Rechnung tragen wollen, die eine Verfallsanordnung ausschließt, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde. Die Begründung im angefochtenen Urteil greift aber zu kurz. aa) Das Landgericht hat bei seiner Verfallsentscheidung zum Einen nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte aus der Diebstahlstat nicht nur diejenigen Gegenstände im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB „erlangt“ hat, die an den Geschädigten zurückgelangt sind, sondern auch weitere Beutegegenstände, über deren Verbleib das Urteil nichts mitteilt, so dass dem Geschädigten noch (weiter gehende) Ansprüche zustehen können, die im Umfang ihres Bestehens gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB einer Verfallsanordnung entgegenstehen. Letzteres gilt auch für den Fall der Anordnung des Verfalls eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB (vgl. BGH NJW 1986, 1186; Fischer StGB 56. Aufl. § 73 Rdn. 27), und zwar dann, wenn – wie hier – der Verletzte zwar insoweit befriedigt ist, ihm darüber hinaus „aus der Tat“ aber noch weiter gehende Ansprüche erwachsen sind. Denn durch § 73 Abs.1 Satz 2 StGB soll nicht nur eine „doppelte“ Inanspruchnahme des Täters vermieden werden (vgl. BGHR StGB § 73 Anspruch 1; Fischer aaO Rdn. 17), sondern auch, dass die Realisierung von Ansprüchen des Verletzten durch die Anordnung des Verfalls gefährdet wird. Das Landgericht durfte bei der Prüfung der einer Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehenden Ansprüche des Verletzten deshalb nicht allein auf die Teile aus der Beute abstellen, für die der Angeklagte H. die für verfallen erklärten 10.000 EUR erlangt und die der Geschädigte wieder zurück erhalten hat. Vielmehr musste es die gesamte von dem Angeklagten (und den Mitangeklagten) bei der Tat erlangte Beute im Wert von 70.000 bis 80.000 Euro in den Blick nehmen. In diesem Umfang stand dem Geschädigten „aus der Tat“ ein Herausgabeanspruch bzw. im Fall seiner Undurchführbarkeit ein Schadensersatzanspruch zu. Dass der Geschädigte die Beute insgesamt zurück erhalten hat, ist
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BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 4 StR 443/09.
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nicht festgestellt. Damit liegt nahe, ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Geschädigte aus dem Diebstahl unbeschadet der an ihn zurück gelangten Teile der Beute, die der Angeklagte H. an S. veräußert hat, noch weiterhin einen Anspruch gegen den Angeklagten (und die Mitangeklagten) zumindest in Höhe des bei dem Angeklagten H. sichergestellten Geldbetrages hat und deshalb die Verfallsanordnung nicht ergehen durfte. bb) Des Weiteren hat das Landgericht nicht bedacht, dass hier über die Anordnung des Verfalls eines Ersatzgegenstandes hinaus die Anordnung von Wertersatzverfall nach § 73a StGB zu prüfen war. Soweit dessen Anordnung nur deshalb ausscheidet, weil Ansprüche des Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen (vgl. Eser in Schönke/ Schröder StGB 27. Aufl. § 73a Rdn. 6), musste das Landgericht die durch die am 1. Januar 2007 in Kraft getretene Neufassung des § 111i StPO (Gesetz vom 24. Oktober 2006, BGBl. I 2350 ff.) geschaffene Möglichkeit für einen verstärkten Opferschutz durch verbesserte Rückgewinnungshilfe in den Fällen beachten, in denen eine Verfallsanordnung wegen Ansprüchen Verletzter nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausscheidet (vgl. dazu Senat, Urteil vom 7. Februar 2008 – 4 StR 502/07, NJW2008, 1093). b) Durch die Anordnung des Verfalls ist der Angeklagte H. auch beschwert. Auch wenn das Verfahren über die Opferanspruchsbescheidung nach Maßgabe des § 111i Abs. 2 StPO (vgl. dazu Nack in KK StPO 6. Aufl. § 111 i Rdn. 14 f.) nach Ablauf der Dreijahresfrist (§111i Abs. 3 Satz 1 StPO) gemäß Abs. 5 der Vorschrift zum Auffangrechtserwerb des Staates führt, soweit der Verletzte bis dahin nicht aus den sichergestellten Vermögenswerten Befriedigung erlangt hat, stellt sich dies gegenwärtig als die für den Angeklagten gegenüber der Verfallsanordnung günstigere Rechtsposition dar. Denn mit der vom Landgericht getroffenen Verfallsanordnung fällt das Eigentum an den sichergestellten 10.000 EUR gemäß § 73e StGB unmittelbar an den Staat, ohne dass sich der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegenüber dem Angeklagten (und den Mitangeklagten) entsprechend verringert. Demgegenüber besteht bei der Verfahrensweise nach § 111i Abs. 2 StPO für den Angeklagten (und die Mitangeklagten) jedenfalls die Chance, in Höhe dieses Betrages von der Verbindlichkeit gegenüber dem Geschädigten Befreiung zu erlangen. c) Ob und inwieweit die Voraussetzungen nach § 111i StPO wegen (noch) bestehender Gegenansprüche des Geschädigten vorliegen, kann der Senat allein auf der Grundlage der Gründe des angefochtenen Urteils nicht abschließend beurteilen. Insoweit ist deshalb eine neue tatrichterliche Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. dazu Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 111i Rdn. 8 m.w.N.) geboten.
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Ein deliktischer Anspruch eines Dritten, der aus dem strafbaren Verhalten entstanden ist, reicht aus, um den Verfall nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auszuschließen; jedenfalls insoweit ist der Dritte Verletzter im Sinne der Norm. Entscheidend ist, dass sich der Ersatzanspruch aus dem historischen Sachverhalt herleitet, der auch der Verwirklichung der Strafnorm zugrunde liegt.138 Entscheidend ist nämlich nicht, ob sich aus einer Verletzung eines Strafgesetzes der Ersatzanspruch eines Dritten ergibt. Maßgeblich ist vielmehr, dass sich der Ersatzanspruch aus dem historischen Sachverhalt herleitet, der auch der Verwirklichung der Strafnorm zugrunde liegt. Eine solche auf das tatsächliche Geschehen abstellende Auslegung des Verletztenbegriffs im Sinne des § 73 Abs.1 Satz 2 StGB folgt aus dem Normzweck der Vorschrift, dem Geschädigten das ungeschmälerte Vermögen des Schädigers zu erhalten (BGHR StGB § 73 Verletzter 3). Um dies sicherzustellen, kann es nur – was im Übrigen auch
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BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 254/09.
II. 14. Verfall und Einziehung §§ 73 ff. StGB
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der mit § 264 StPO korrespondierende Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB nahe legt – auf die Tat als tatsächliches Geschehen und nicht auf die einzelne Gesetzesverletzung ankommen. Aufgrund einer am Schutzzweck des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB orientierten Auslegung hat der Bundesgerichtshof auch die Anordnung des Verfalls von Bestechungslohn abgelehnt, wenn dem Bestechungslohn spiegelbildlich ein Schaden gegenübersteht, obwohl Schutzgut der Bestechung nicht das Vermögen, sondern das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes ist (BGHR StGB § 73 Verletzter 4). Eine solche Auslegung vermeidet zudem Zufälligkeiten, die zu Lasten des verletzten Dritten dadurch entstehen würden, dass drittschützende Straftatbestände nach §§ 154, 154a StPO ausgeschieden werden. Auch dies belegt, dass der Anspruch des verletzten Dritten nicht unmittelbar an den verwirklichten Straftatbestand anknüpfen kann (BGHR StGB § 73 Verletzter 3, 4). Entscheidend ist vielmehr, inwieweit eine zwingende innere Verknüpfung zwischen dem erlangten Vorteil und dem ersatzfähigen Schaden eines Dritten vorliegt (BGHR StGB § 73 Verletzter 4).
Der Beschluss vom 6.5.2010 befasst sich damit, was bei Betäubungsmittelgeschäften erlangt ist und inwieweit der Erlös aus der Verwertung sichergestellter Sachen angerechnet werden kann:139 2. Der Ausspruch des Landgerichts über die Anordnung des Verfalls hat keinen Bestand. Die Strafkammer hat im Fall II. 1. der Urteilsgründe zu Unrecht das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen angenommen und ferner eine Anrechnung auf den Verfallsbetrag angeordnet, für die es keine gesetzliche Grundlage gibt. Das Landgericht hat den ausgesprochenen Verfallsbetrag im Wesentlichen – und insoweit rechtsfehlerfrei – unter Anwendung des Bruttoprinzips aus den festgestellten, vom Angeklagten in den Fällen II. 2. bis 5. der Urteilsgründe vereinnahmten Verkaufserlösen errechnet (insgesamt 29.165 €). Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hat es demgegenüber den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von (weiteren) 2.000 € damit begründet, dass der an diesem Drogengeschäft beteiligte Mitangeklagte K. einen solchen Geldbetrag aus seinem Vermögen für den Angeklagten und in dessen Auftrag an einen Unbekannten in Albanien gezahlt hat. Dadurch sei der Angeklagte in dieser Höhe „von dem Zahlungsverlangen des Verkäufers frei“ geworden und habe „den Betrag somit erhalten“. Dies kann die Anordnung von Wertersatzverfall in dieser Höhe nicht rechtfertigen. Die Anordnung von Verfall nach § 73 Abs. 1, § 73a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der an einer rechtswidrigen Tat (als Täter oder Teilnehmer) Beteiligte für die Tat oder aus dieser etwas erlangt hat. Der Begriff „etwas“ umfasst die Gesamtheit des materiell Erlangten (sog. Bruttoprinzip). Aus der Tat sind alle Vermögenswerte erlangt, die dem Tatbeteiligten unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes zufließen (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 73 Rdn. 7 ff.). Daran gemessen ist das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe 2.000 € im Sinne der Verfallsvorschriften erlangt hat. Da weder der Angeklagte oder sein Tatgenosse noch der Lieferant über die entsprechenden Erlaubnisse verfügten, verstieß das Drogengeschäft gegen ein gesetzliches Verbot (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG), die daran Beteiligten machten sich strafbar (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG). Der Kaufvertrag war daher nichtig (§ 134 BGB; vgl. Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 15 m.w.N.). Somit hatte der Drogenlieferant durch Abschluss des Betäubungsmittelgeschäfts weder einen Kaufpreisanspruch (§ 433 Abs. 2 BGB) über 2.000 € noch andere zivilrechtliche Ansprüche in dieser Höhe erworben, von denen der Angeklagte durch die
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BGH, Beschl. v. 6.5.2010 – 3 StR 62/10.
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festgestellte Zahlung hätte frei werden können. Im Übrigen hätte der Angeklagte durch die Zahlung des Tatbeteiligten an den Drogenlieferanten, deren rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund das Landgericht nicht festgestellt hat, selbst bei zivilrechtlicher Wirksamkeit des Geschäfts nach den getroffenen Feststellungen die 2.000 € nicht unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG erlangt. Ferner ist die Verfallsanordnung auch insoweit rechtsfehlerhaft, als das Landgericht ausgesprochen hat, dass auf den Verfallsbetrag 8.920 € Bargeld sowie der Erlös aus der Verwertung des sichergestellten Pkw anzurechnen seien. Die Anordnung einer solchen Anrechnung ist rechtlich nicht möglich. Wie sich aus den Urteilsgründen eindeutig ergibt, hat das Landgericht vom Verfall dieser Vermögensbestandteile nach der Härtevorschrift des § 73c Abs. 1 StGB aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgesehen. Dies hat indes nicht die Anordnung einer Anrechnung zur Folge; vielmehr hätte das Landgericht diese Werte von dem nach dem Bruttoprinzip Erlangten in Abzug bringen und den Verfall des danach verbleibenden Betrages anordnen müssen. Allerdings leidet die Verfallsanordnung insoweit zusätzlich unter dem rechtlichen Mangel, dass der sich aus einer Verwertung des Pkw ergebende Erlös nicht feststeht.
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Ein Vermögenswert ist aus der Tat im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen ist, er an ihm also unmittelbar aus der Tat (tatsächliche, aber nicht notwendig rechtliche) Verfügungsmacht gewonnen und dadurch einen Vermögenszuwachs erzielt hat. Ein lediglich erzielbarer Vermögenszuwachs kann nicht für verfallen erklärt werden; das gilt auch für den Verfall von Wertersatz.140 Eine Verfallsanordnung ist nicht begründet, wenn einem Angeklagten Geldbeträge nicht für die Taten, sondern für deren Durchführung überlassen werden, beispielsweise für die Anmietung einer Sattelzugmaschine und eines Trailers zur Erweiterung des Speditionsgewerbes des Angeklagten, um diese bei sich bietender Gelegenheit zum Transport von größeren Betäubungsmittelmengen zu verwenden.141 1. Die Anordnung des Wertersatzverfalls gegen den Angeklagten K. hält nur in Höhe von 12.000 € rechtlicher Überprüfung stand. Dieser Betrag stellt den Gesamterlös dar, den der Angeklagte K. aus den getätigten Drogengeschäften in den abgeurteilten Fällen erlangt hat. Hinsichtlich des diesen Erlösanteil übersteigenden Betrages in Höhe von 29.600 €, der dem Angeklagten im Zusammenhang mit der Anmietung einer Sattelzugmaschine und eines Trailers sowie für Mautgebühren zugeflossen ist, liegen die Voraussetzungen einer Verfallsanordnung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a StGB nicht vor. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 StGB unterliegt dem Verfall, was der Täter für die Tat oder aus der Tat erlangt hat. „Aus der Tat erlangt“ sind alle Vermögenswerte, die dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zufließen, insbesondere also die Beute; „für die Tat erlangt“ sind demgegenüber Vermögenswerte, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber – wie etwa ein Lohn für die Tatbegehung – nicht auf der Tatbestandsverwirklichung selbst beruhen (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005 – 5 StR 119/05, BGHSt 50, 299, 309 f.; Urteil vom 22. Oktober 2002 – 1 StR 169/02, NStZ-RR 2003, 10).
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BGH, Beschl. v. 2.11.2010 – 4 StR 473/10. BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 4 StR 277/10.
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Nach den Feststellungen war es Bestandteil der Bandenabrede, dass der Angeklagte K. sein Gewerbe erweitert und für die Spedition eine Zugmaschine sowie einen Trailer anmietet, um diese bei sich bietender Gelegenheit im Interesse der Bande zum Transport von größeren Betäubungsmittelmengen zu verwenden. Die monatlichen Kosten für die Anmietung der Zugmaschine und des Trailers sowie die Mautgebühren sollten von den in den Niederlanden ansässigen Bandenmitgliedern getragen werden. Bei dieser Sachlage hat der Angeklagte K. den Geldbetrag, der ihm zur Deckung der Mietkosten und der Mautgebühren überlassen wurde, nicht für die Taten, sondern für deren Durchführung erlangt. Der festgestellte Sachverhalt ist mit der Geldübergabe an einen Drogenkurier zur Finanzierung der Kurierfahrt und der damit verbundenen Aufenthalte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. November 2006 – 5 StR 453/06; a.A. zu Reisespesen aber: BGH, Beschluss vom 20. Februar 1993 – 1 StR 808/92, BGHR StGB § 74 Abs. 1 Tatmittel 4; Beschluss vom 23. Juli 2002 – 3 StR 240/02, BGHR StGB § 73 Erlangtes 3) nicht vergleichbar. Auch eine Wertersatzeinziehung gemäß § 74c StGB ist für den Betrag in Höhe von 29.600 € nicht möglich. Die im Sinne der Bandenabrede bestimmungsgemäße Verwendung der Gelder für die Spedition kann nicht zugleich als Vereitelungshandlung gemäß § 74c StGB angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 1991 – 2 StR 387/91, BGHR StGB § 74c Abs. 1 Vereitelung 1). Der angeordnete Verfall ist daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO aufzuheben, soweit er 12.000 € übersteigt. PRAXISHINWEIS ■
Im Rahmen von Verfallsanordnungen ist genau zu prüfen, in welchem Zusammenhang ein Angeklagter Geldmittel von Dritten erhalten hat, d.h. ob er diese „für die Tat“, etwa als Tatlohn, erhalten hat. Ist ihm Geld etwa zur Schaffung einer Infrastruktur für ein Gewerbe überlassen worden, ist weder eine Verfallsanordnung noch eine Wertersatzeinziehung möglich. Das Urteil vom 22.7.2010 lässt hinsichtlich der zumindest erforderlichen Mitverfügungsgewalt am Verkaufserlös aus Rauschgiftgeschäften nicht ausreichend sein, dass der Angeklagte ein führendes Mitglied der Bande war oder die bloße Feststellung von dessen Mittäterschaft an einer konkreten Straftat.142 1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. März 2009 unter Hinweis auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt: „,Erlangt‘ im Sinne der § 73 Abs. 1 Satz 1, § 73a Satz 1 StGB ist ein Vermögensvorteil nur dann, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat (vgl. BGH NStZ 2003, 198 f.). Mit der pauschalen Angabe, aus den Betäubungsmittelgeschäften sei ein Umsatz von mindestens 135.000 € erzielt worden, wird dieser Umstand nicht belegt. Die bloße Annahme mittäterschaftlichen Handelns vermag die fehlenden Darlegungen des tatsächlichen Geschehens hierzu nicht zu ersetzen; denn eine Zurechnung nach den Grundsätzen der Mittäterschaft gemäß § 25 Abs. 2 StGB mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn sich die Beteiligten darüber einig waren, dass dem Angeklagten zumindest Mitverfügungsgewalt
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BGH, Urteil v. 22.7.2010 – 3 StR 147/10.
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über die jeweiligen Erlöse habe zukommen sollen (vgl. BVerfG StV 2004, 409, 411; BGH NStZ 2003, 198 f.) und er diese auch tatsächlich hatte (BGH NStZ-RR 2007, 121). Feststellungen hierzu hat das Landgericht nicht getroffen.“ 2. Die Gründe der nunmehr angefochtenen Entscheidung enthalten gleichwohl keine Feststellungen zu dem tatsächlichen Geschehen, die über diejenigen in dem Urteil vom 7. Mai 2007 hinausgehen; die Strafkammer hat lediglich aus den Feststellungen dieses Urteils, insbesondere der Stellung des Angeklagten in der Bande, den Schluss gezogen, „nach ihrer Auffassung“ habe er Mitverfügungsgewalt über den gesamten Erlös aus der Veräußerung des Rauschgifts gehabt. Dies ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft: a) Bereits der tatsächliche Ausgangspunkt des Landgerichts begegnet durchgreifenden Bedenken. Die Strafkammer stellt darauf ab, nach ihrer Überzeugung habe der Angeklagte innerhalb der Bande „zumindest den gleichen Rang“ innegehabt wie „J.“. Damit setzt sie sich in Widerspruch zu den bindenden Feststellungen des Urteils vom 7. Mai 2007. Danach nahm der Angeklagte zwar innerhalb der Organisation eine maßgebliche Position ein, aus der heraus er das Geschehen mitlenkte. Jedoch war „J.“ W. der „Chef“ bzw. „Rädelsführer“ der aus ihm, dem Angeklagten und drei weiteren Personen bestehenden Gruppe, der das Unternehmen steuerte, die Abwicklung der Schmuggelfahrten bestimmte und die notwendigen Kontakte sowohl zu den Lieferanten als auch zu den Abnehmern hergestellt hatte. b) Im Übrigen bieten die Feststellungen des Urteils vom 7. Mai 2007 für den vom Landgericht gezogenen Schluss, der Angeklagte habe Mitverfügungsgewalt an dem gesamten Verkaufserlös des Rauschgifts gehabt, keine ausreichende tatsächliche Grundlage. Für diese Folgerung reicht allein der Umstand, dass der Angeklagte ein führendes Mitglied der Bande war, die sich zum Transport von Betäubungsmitteln zusammengeschlossen hatte, ebenso wenig aus wie die bloße Feststellung der Mittäterschaft an einer Straftat. Erforderlich waren vielmehr Darlegungen zu dem konkreten, für die Anordnung des Wertersatzverfalls relevanten tatsächlichen Geschehen, die zumindest eine Mitverfügungsgewalt des Angeklagten über den vollständigen Veräußerungserlös belegen. Hieran fehlt es. Nach den Feststellungen war der Angeklagte Teil einer Bande um „J.“ W., die Haschisch- und Marihuanatransporte erheblichen Umfangs von den Niederlanden nach England und in andere europäische Länder organisierte und durchführte; auf Liefer- und Abnehmerseite war er nicht Mitglied der Gesamtorganisation. In den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe wurden die Betäubungsmittel aus Amsterdam nach England gebracht und dort vereinbarungsgemäß an unbekannte Abnehmer übergeben. Im letzten Fall sollte der Transport aus den Niederlanden durch Deutschland nach Dänemark stattfinden. Weder die Gründe des Urteils vom 7. Mai 2007 noch diejenigen der nunmehr angefochtenen Entscheidung enthalten Hinweise z.B. auf den weiteren Verbleib der Betäubungsmittel in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sowie darauf, welche finanziellen Vereinbarungen die Beteiligten – Lieferanten, Transporteure und Abnehmer des Rauschgifts, die sich in mehreren Ländern aufhielten, – getroffen hatten. So bleibt etwa offen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die für den Transport zuständige Gruppe, welcher der Angeklagte zugehörte, an dem Verkaufserlös partizipieren oder ob sie für das jeweilige Verbringen des Rauschgifts eine feste, naheliegend von Menge und Art bzw. Qualität des transportierten Rauschgifts abhängige Vergütung erhalten sollte. Festgestellt sind lediglich die Beträge, welche die unmittelbaren Kuriere in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe von „J.“ W. erhielten. Bezüglich der Verteilung des weiteren Gewinns zwischen diesem und dem Angeklagten fehlen demgegenüber belastbare Angaben zu den Absprachen zwischen den Beteiligten und deren tatsächlicher Umsetzung. Die Urteilsgründe teilen insoweit lediglich mit, dass der Angeklagte an den Drogentransporten selbst wirtschaftlich beteiligt war bzw. sich
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dadurch einen erheblichen finanziellen Gewinn versprach. Hieraus und aus dem weiteren Umstand, dass der Angeklagte wegen des fehlgeschlagenen letzten Transports 60.000 € zu zahlen hatte, von denen er 8.000 € von einem Kurier zurückforderte, lässt sich indes für die Frage, was der Angeklagte aus den Straftaten konkret erlangte, nichts Wesentliches herleiten. Insgesamt erweist sich unter diesen Umständen der Schluss der Strafkammer, die Beteiligten seien sich darüber einig gewesen, dass dem Angeklagten als Teil allein der für den Transport des Rauschgifts zuständigen Gruppierung Mitverfügungsgewalt über die gesamten in England beim Verkauf des Rauschgifts durch unbekannte Dritte erzielten Erlöse habe zukommen sollen und er diese auch tatsächlich hatte, als reine Spekulation.
Auch wenn die Voraussetzungen des Verfalls nach § 73 StGB nicht vorliegen, ist ggfs. zu prüfen, ob nicht ein erweiterter Verfall gem. § 73d StGB in Betracht kommt:143 Zur Frage der Verfallsanordnung hat das Landgericht aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zutreffend ausgeführt, dass § 73 StGB keine Anwendung finde, weil der im April 2009 aufgefundene Geldbetrag in keinem Zusammenhang mit dem Betäubungsmittelgeschäft im Juli 2009 stehe (UA S. 10), und dass § 74 StGB zu verneinen sei, da der Angeklagte den Geldbetrag weder für die Tat noch aus ihr erlangt habe (UA S. 18). Die Anordnung des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB bleibt jedoch im Urteil unerörtert. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei der vom Angeklagten begangenen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 27 StGB kommt der erweiterte Verfall in Betracht, weil § 33 Abs. 1 Nr. 2 BtMG auf § 73d StGB verweist. Nach dieser Regelung können Gegenstände eines an der rechtswidrigen Tat Beteiligten bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift für verfallen erklärt werden, wenn das Tatgericht nach Beweiserhebung und Beweiswürdigung davon überzeugt ist, dass die von der Verfallsanordnung erfassten Gegenstände für rechtswidrige Taten oder aus ihnen unmittelbar erlangt worden sind, ohne dass diese im Einzelnen festgestellt werden müssen (vgl. BGHSt 40, 371, 373; BGHR StGB § 73d Gegenstände 4; Fischer, StGB 57. Aufl. § 73d Rdn. 5 m.w.N.). Dass die Anknüpfungstat vor der hier abgeurteilten Tat begangen worden ist, steht einer Anordnung nach § 73d StGB nicht entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 384; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 73d Rdn. 14 m.w.N.).
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BGH, Urteil v. 4.8.2010 – 5 StR 184/10.
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B. StGB – Besonderer Teil I. Grundsätzliches 1. Überblick Die wichtigsten Bereiche des Besonderen Teils des Strafrechts, zu denen im zurückliegenden Jahr Entscheidungen des Bundesgerichtshofes ergangen sind, waren vor allem auch die Sachverhalte, bei denen erfahrungsgemäß eher selten Gespräche über einen möglichen Deal in Betracht kommen, insbesondere Tötungsdelikte, Körperverletzung, Raub und räuberische Erpressung sowie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz. Im Einzelnen zu nennen sind: • Entscheidungen zu besonders aktuell häufiger vorkommenden Straftaten, wie Skimming-Delikte144 bzw. die missbräuchliche Verwendung von Geld- und Kreditkarten.145 • zahlreiche Entscheidungen zum Tötungsvorsatz bei gefährlichen Handlungen,146 • die immer ausgefeiltere Rechtsprechung zur Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs147 oder einer lebensgefährlichen Behandlung, • zahlreiche Entscheidungen zum Raub und zur räuberischen Erpressung, insbes. zum Waffenbegriff sowie ebenfalls zum gefährlichen Werkzeug,148 aber auch zum Spannungsverhältnis zwischen möglicher Strafbarkeit wegen Erpressung und einem dem Täter oder einer ihm nahestehenden Person zustehenden Anspruch, • differenzierende Entscheidungen zum Untreuetatbestand149 sowie • mehrere Entscheidungen zum Tatbestand der schweren Brandstiftung150 gem. § 306a StGB sowie der teilw. erforderlichen Abgrenzung bei gemischtgenutzten Gebäuden, insbes. bei Brandlegung im geschäftlich genutzten Bereich eines Gebäudes, welches auch noch Wohnungen enthält, • mehrere Entscheidungen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr bzw. Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315b, 315c StGB), gerade bei Selbsttötungsabsicht des Fahrers eines Kfz,151
144 145 146 147 148 149 150 151
Vgl. hierzu Rn. 147 ff. sowie 162. Vgl. Rn. 147 ff. Rn. 164 ff. Vgl. hierzu Rn. 184 ff. Rn. 209 ff. Rn. 231 ff. Rn. 244 ff. Rn. 252 f.
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B. StGB – Besonderer Teil
• schließlich auch noch Entscheidungen wegen Bestechung und Bestechlichkeit152 sowie wegen • Parteiverrats.153
2. Ausblick 137
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Nachdem das BVerfG in seinen Entscheidungen bezüglich des Untreuetatbestands keine grundsätzlichen Bedenken geäußert hat und der Gesetzgeber sich derzeit eher gelassen bis untätig hinsichtlich irgendwelcher Reformbestrebungen zum StGB BT zeigt, sind aktuell auch keine grundlegenden Änderungen in der Rechtsprechung zu erwarten. Die nunmehr ausgefeilte Rechtsprechung zur Frage, wann aus besonders gefährlichen Tathandlungen auf das Vorliegen eines Inkaufnehmens eines Tötungserfolges als Indizwirkung geschlossen werden kann, lässt die Möglichkeiten einer Verteidigung einerseits „schrumpfen“, gibt andererseits bei „geschicktem“ Verteidigungshandeln doch noch größere Chancen, die subjektiven Elemente – auch mittels Einlassung des Angeklagten – zu dessen Gunsten herauszuarbeiten. Im Übrigen dürfte in solchen Fällen das Angebot des Gesetzes zur Herbeiführung einer Verständigung möglicherweise besondere Bedeutung erlangen. Bei den Tatbeständen von Raub und Erpressung steht nunmehr fest, dass diese jedenfalls dann nicht eingreifen, wenn dem Täter oder einem Dritten, für welchen der Täter unzweifelhaft auftritt, ein vermögensrechtlicher Anspruch zusteht. Die nun vorliegende Entscheidung zur Geldwäsche bedeutet, dass im Gegensatz zur Hehlerei auch das erzwungene Einverständnis des Vortäters ausreicht, um sich Gegenstände i.S.v. § 261 Abs. 1 StGB zu verschaffen. Damit wird der Tatbestandsbereich in sinnvoller Weise erweitert, um dem Anliegen der Vorschrift in ausreichender Weise Rechnung zu tragen und entstandene Strafbarkeitslücken zu beseitigen. Die Delikte in Verbindung mit Skimming oder anderen Möglichkeiten zur Erlangung von Geld- und Kreditkartendaten werden weiter zunehmen und die Justiz beschäftigen. Nachdem durch die Entscheidung des 5. Strafsenats feststeht, dass das Auslesen der aktuellen Magnetstreifen auf diesen Karten nicht dem Schutz des § 202a StGB unterfällt,154 bleibt es abzuwarten, wie neue Sicherungsmerkmale der Karten und insbesondere die künftige Speichermöglichkeit auf dem Kartenchip als Sicherung für die enthaltenen Daten angesehen werden. In welchem Ausmaß künftig gerade bei bandenmäßiger Begehung durch verschiedene Mitglieder, wobei die einen Kartendaten beschaffen während die anderen mit den Kartenduplikaten Geld oder Waren beschaffen, die unterschiedlichen Tatbeiträge in Konkurrenz zueinander stehen oder – wenn Personen sich in beiden Tätergruppen befinden – die einzelnen Tathandlungen aufgrund der schon beim Beschaffen der Kartendaten eingeplanten weiteren Verwendung auf Kartenduplikaten als einheitliche Tat zu sehen sind, wird sicherlich noch in den unterschiedlichsten Varianten zur Aburteilung kommen. Dies gilt auch für das Verhältnis von bereits vorab geplanten Skimming-Angriffen an
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Rn. 257 f. Rn. 259. Vgl. hierzu Rn. 162.
II. 2. Störung des öffentlichen Friedens – § 126 StGB
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mehreren Tagen eines Wochenendes bei ein- und derselben Bank bzw. den Einkäufen an mehreren Tagen hintereinander mit zumindest teilweise denselben gefälschten Kartendubletten.
II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des StGB BT 1. Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat – § 89a StGB Zu den Voraussetzungen einer staatsgefährdenden Straftat gemäß § 89a StGB sowie der Strafbarkeit hinsichtlich ausländischer terroristischer Vereinigungen nach § 129b StGB gibt die Entscheidung vom 15.12.2009 grundsätzliche Auslegungshinweise:155
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1. Eine im Ausland außerhalb der Europäischen Union begangene Tathandlung im Sinne von § 129b Abs. 1 Satz 1, § 129 Abs. 1, § 129a Abs. 1 bis 5 StGB kann nicht über § 129b Abs. 1 Satz 2 1. Var. StGB unter dem Gesichtspunkt zur Anwendbarkeit dieser Strafvorschriften führen, dass ein eventuell durch die Handlung bewirkter Erfolg (§ 9 Abs. 1 StGB) im Inland eingetreten ist. 2. Der Begriff des Opfers im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 2 3. Var. StGB bezieht sich nicht auf die Organisationstaten nach § 129b Abs. 1 Satz 1, §§ 129, 129a StGB, sondern auf die von der Vereinigung in Verfolgung ihrer Zwecke oder Tätigkeiten begangenen Straftaten.
2. Störung des öffentlichen Friedens – § 126 StGB Gestört ist der öffentliche Frieden, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines ,psychischen Klimas‘, in dem Taten wie die angedrohten begangen werden können, aufgehetzt werden. Allerdings muss eine solche Störung noch nicht eingetreten sein; jedoch muss die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen sein. Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt. Eine Ankündigung gegenüber einem Einzelnen kann dann genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der angekündigte Angriff einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden wird.156 2. a) Den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens erfüllt, wer eine der im Straftatenkatalog des § 126 Abs. 1 StGB aufgeführten Straftaten androht und dabei zum Ausdruck bringt, dass die Verwirklichung der angedrohten Tat in seinem Machtbereich liegt (MünchKommStGB/Schäfer § 126 Rdn. 11; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben § 126 Rdn. 5). Insoweit hat die Strafkammer zutreffend die Voraussetzungen nach Abs. 1 Nr. 2 in beiden
155 156
BGH, Beschl. v. 15.12.2009 – StB 52/09. BGH, Beschl. v. 19.5.2010 – 1 StR 148/10; vgl. hierzu auch Beschl. v. 20.9.2010 – 4 StR 395/10 und Beschl. v. 30.11.2010 – 3 StR 428/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
Fällen angenommen. Sofern im Fall III. Ziff. 7 Bedenken bestünden, wäre auch die Tatalternative nach Abs. 1 Nr. 5 erfüllt. b) Allerdings muss das Androhen jeweils zusätzlich in einer Weise erfolgen, die zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist. Dies hat das Landgericht in beiden Fällen nicht ausreichend dargetan. Gestört ist der öffentliche Frieden, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines ,psychischen Klimas‘, in dem Taten wie die angedrohten begangen werden können, aufgehetzt werden (BGH NJW 1978, 58, 59; BGHSt 34, 329, 331). Allerdings muss eine solche Störung noch nicht eingetreten sein; jedoch muss die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen sein (BGHSt 34, 329, 331 f.). Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt (MünchKommStGB/Schäfer § 126 Rdn. 31), woran es vorliegend allerdings in beiden Fällen fehlt. Eine Ankündigung gegenüber einem Einzelnen kann dann genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der angekündigte Angriff einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden wird, entweder bei einer Zusendung an die Medien oder an einen nicht näher eingegrenzten Kreis von Personen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist (BGHSt 34, 329, 332); bei einer Mitteilung an Betroffene könnte dies gelten, wenn man davon ausgehen könnte, dass diese aus Sorge um Opfer oder aus Empörung über die Drohung sich an die Öffentlichkeit wenden könnten (BGH aaO). Solches hat die Strafkammer nicht festgestellt. c) Sind, wie in den hier maßgeblichen Fällen, Adressaten der Drohungen staatliche Organe, wird regelmäßig damit zu rechnen sein, dass diese zwar Maßnahmen zur Vermeidung der angedrohten Taten ergreifen oder veranlassen, jedoch regelmäßig im Übrigen mit Diskretion vorgehen, einerseits um die Präventivmaßnahmen nicht zu gefährden (BGHSt aaO), andererseits um auch die Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres zu beunruhigen. ■ PRAXISHINWEIS
Die eher selten angewandte Strafvorschrift des § 126 StGB wird in der vorstehenden Entscheidung dahingehend konkretisiert, dass die Tathandlung tatsächlich auch in einer Weise erfolgen muss, welche zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist. Damit werden bloße Unmutsbekundungen, welche durchaus beleidigenden Charakter aufweisen können, von den tatsächlich ernsthaften Bedrohungen tatbestandlich getrennt.
3. Nichtanzeige geplanter Straftaten – § 138 StGB ■ TOPENTSCHEIDUNG
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Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Tatverdacht der Beteiligung und dem Tatbestand der Nichtanzeige: Nach Durchführung eines Anfrageverfahrens unter den Strafsenaten des BGH hat der 5. Strafsenat mit Urteil v. 19.5.2010157 entschieden, dass die Verurteilung 157
BGH, Urteil v. 19.5.2010 – 5 StR 464/09.
II. 3. Nichtanzeige geplanter Straftaten – § 138 StGB
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wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass der Verdacht der Beteiligung an einer in § 138 Abs. 1 und 2 StGB bezeichneten Katalogtat fortbesteht. 4. Der Schuldspruch der Strafkammer begegnet keinen sachlichrechtlichen Bedenken. Eine doppelte Anwendung des Zweifelssatzes ist in der vorgenannten Konstellation rechtlich nicht geboten. a) Vielmehr ist die Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung des Angeklagten wegen einer Straftat nach § 138 StGB eröffnet. Zwischen der Katalogtat und ihrer Nichtanzeige nach § 138 StGB besteht ein normativ-ethisches Stufenverhältnis. Erforderlich dafür ist, dass die alternativ in Betracht kommenden Straftaten einen gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten, in der Intensität indes abgestuften Angriff aufweisen (vgl. Wolter, Wahlfeststellung und in dubio pro reo 1987 S. 64 ff.; Dannecker in LK 12. Aufl. Anh. zu § 1 Rdn. 60, 91; Rudolphi/Wolter in SK-StGB 110. Lfg. Anh. zu § 55 Rdn. 21 ff.; Frister in NK 3. Aufl. nach § 2 Rdn. 49; jeweils m.w.N.). Gegebenenfalls kann nach dem Zweifelssatz aus dem milderen Gesetz verurteilt werden. Der Unrechtsgehalt der Nichtanzeige geplanter Straftaten geht vollständig in dem der Katalogtat auf. … b) Bleibt der Angeklagte der Katalogtatbeteiligung nach abgeschlossener Beweisaufnahme verdächtig, ist er aus § 138 StGB als dem milderen Gesetz zu bestrafen. Der von ihm (mit-)verursachte tatbestandliche Unrechtserfolg ist ihm – freilich in einer im Vergleich zum Täter der Katalogtat abgestuften Intensität – zuzurechnen (vgl. Rudolphi/Stein aaO; Hanack aaO; Wolter aaO). Der Grundsatz in dubio pro reo überwindet fortbestehende Zweifel über den vom Täter verwirklichten Zurechnungsgrad zugunsten einer minderen Zurechnungsform (vgl. Wolter aaO S. 63). Das so gefundene Ergebnis – eindeutige Verurteilung des der Katalogtat weiterhin Verdächtigen nach dem echten Unterlassungsdelikt – fügt sich ohne Brüche in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vergleichbaren Konstellationen ein. So hat der Bundesgerichtshof bereits für Täterschaft und Teilnahme (vgl. BGHSt 31, 136, 138; 43, 41, 53; BGH NStZ-RR 1997, 297), Vorsatz und Fahrlässigkeit (vgl. BGHSt 32, 48, 57) sowie insbesondere für die Beteiligung an der Begehungstat und unterlassene Hilfeleistung (vgl. BGHSt 39, 164, 166) entschieden (zum Verhältnis § 323a StGB und Rauschtat vgl. Fischer aaO § 323a Rdn. 11a ff.). Auf diese Weise werden sachwidrige Strafbarkeitslücken vermieden (Wolter aaO S. 63; Westendorf aaO S. 168) und die für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten notwendige Rechtssicherheit geschaffen (vgl. Joerden Jura 1990, 633, 640 f.). Die Entscheidung auf eindeutiger Grundlage unter Anwendung des Zweifelssatzes geht einer – hier überdies möglicherweise fraglichen – (echten) Wahlfeststellung vor (vgl. Dannecker aaO Rdn. 58 ff.; Rudolphi/Wolter aaO Rdn. 15, 20). Die Wahlfeststellung hätte eine nicht gerechtfertigte Bemakelung des Angeklagten mit einem Schuldspruch zur Folge, der zugleich eine schwerere, allerdings zweifelhaft gebliebene Strafbarkeit ausdrücken würde. c) Die im Antwortbeschluss des 3. Strafsenats vom 9. März 2010 – 3 ARs 3/10 geltend gemachten Bedenken teilt der Senat nicht. Dass die bisherige Rechtsprechung – ohne ausdrückliche dogmatische Einordnung in den Verbrechensaufbau – dem erwiesenermaßen Vortatbeteiligten eine Anzeigepflicht erlässt (vgl. die Nachweise zu 2a), verhindert zu seinen Gunsten eine zusätzliche Strafbarkeit aus § 138 StGB; dies zwingt – zumal im Blick auf das Fehlen einer ausdrücklichen tatbestandlichen Voraussetzung der Fremdheit einer Katalogtat – nicht zu einer Gleichbehandlung mit den Fällen echter Wahlfeststellung. Vielmehr kann mit der vom Senat vorgenommenen Interpretation das bestehende Spannungsverhält-
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B. StGB – Besonderer Teil
nis aufgelöst werden. Bei den hier alternierenden Straftatbeständen ist eine eindeutige Verurteilung auf mehrdeutiger Tatsachengrundlage erfolgt. Allein die Intensität der Zurechnung des Unrechtserfolges ist nach Abschluss der Beweisaufnahme zweifelhaft geblieben, was sich zugunsten des Täters auswirkt. Die vom 3. Strafsenat erwogene Verurteilung des Angeklagten im Wege der sogenannten Präpendenzfeststellung würde zum selben Ergebnis führen (vgl. Joerden JZ 1988, 847, 853; Küper in Festschrift für Lange [1976] S. 65, 79). ■ PRAXISHINWEIS
Ab sofort gilt: Bestätigt sich der Verdacht der Beteiligung an einer Katalogtat nach § 138 StGB nicht, muss der Zweifelssatz nicht doppelt angewendet werden, was eine Bestrafung wegen der Katalogtat als auch wegen deren Nichtanzeige ausschließen würde. Vielmehr ist der Beschuldigte dann wegen eines Vergehens nach § 138 StGB zu bestrafen. Die Anklage wegen einer in § 138 StGB genannten Katalogtat enthält auch den Vorwurf, das beabsichtigte Verbrechen nicht angezeigt zu haben. Daher muss nur ein Hinweis nach § 265 StPO erfolgen, dass anstelle des angeklagten Verbrechens eine Verurteilung nach § 138 StGB in Betracht kommt.
4. Geld- und Wertzeichenfälschung – §§ 146 ff. StGB a)
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Gewerbsmäßiges Verschaffen von Falschgeld – § 146 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB:
Nicht gewerbsmäßig handelt, wer sich eine Falschgeldmenge zwar in einem Akt verschafft hat, seine Absicht aber lediglich darauf gerichtet ist, die falschen Banknoten in mehreren Teilmengen in den Verkehr zu bringen:158 … liegt eine gewerbsmäßig begangene Straftat nach § 146 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nicht vor, wenn der Täter sich wie hier eine Falschgeldmenge in einem Akt verschafft und lediglich seine Absicht darauf gerichtet ist, die falschen Banknoten in mehreren Teilmengen im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB in Verkehr zu bringen, es hierzu aber nicht kommt. Denn die besondere Kennzeichnung einer gewerbsmäßigen Straftat besteht nicht darin, dass der Täter durch die – gegebenenfalls sukzessiv erfolgende – Verwertung des durch die Straftat erlangten Gegenstandes eine Gewinnerzielung zur Finanzierung seiner Bedürfnisse anstrebt (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2004, 335). Der Täter einer Geldfälschung nach § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB handelt deshalb nur dann gewerbsmäßig im Sinne des § 146 Abs. 2 StGB, wenn er beabsichtigt, sich die erstrebte Einnahmequelle gerade durch die wiederholte Begehung der von ihm begangenen konkreten Straftat – mithin dem wiederholten Sichverschaffen von Falschgeld in der Absicht, dieses als echt in Verkehr zu bringen oder ein solches Inverkehrbringen zu ermöglichen – zu erschließen. Die bloße Absicht, wiederholt eine Straftat nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu begehen, macht das einmalige Sichverschaffen von Falschgeld im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB demgegenüber nicht gewerbsmäßig und vermag eine Qualifikation der nach dieser Tatbestandsalternative strafbaren Tat im Sinne des § 146 Abs. 2 StGB nicht zu begründen.
158
BGH, Beschl. v. 1.9.2009 – 3 StR 601/08.
II. 4. Geld- und Wertzeichenfälschung – §§ 146 ff. StGB
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Hat ein Täter bereits Falschgeld in Besitz und bewahrt er dieses auf, weil er sich noch unschlüssig ist, ob und wie er es verwenden soll, hindert der mit der Rechtskraft einer zwischenzeitlichen Verurteilung wegen Weitergabe von einigen Scheinen aus derselben Menge entstandene Strafklageverbrauch eine spätere Verurteilung wegen Geldfälschung, nachdem sich der Täter später entschlossen hatte, das Falschgeld zur Tilgung von Schulden einzusetzen.159 1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei mit Blick auf die Aushändigung des Falschgeldes an S. „um Weihnachten des Jahres 2004 herum“ wegen Geldfälschung gemäß § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu bestrafen (UA 19), ist rechtsfehlerhaft. Zwar kann die Tatbestandsvariante des Inverkehrbringens auch durch die Hingabe von Falschgeld als Sicherheit erfüllt werden (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 146 Rn. 21). Das Landgericht hat aber nicht bedacht, dass der Angeklagte durch Strafbefehl vom 16. März 2005, rechtskräftig seit dem 20. April 2005, wegen Inverkehrbringens von Falschgeld zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist. Dem liegt zu Grunde, dass der Angeklagte am 21. März 2004 eine Rechnung mit drei unechten 10-Euro-Scheinen bezahlt hatte. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil hatte der Angeklagte „spätestens im Herbst 2004 … eine größere Summe Falschgeld in Form von nachgemachten 10,– €-Scheinen im Nennwert von mindestens 39.000 Euro in seinen Besitz gebracht“ (UA 5). Es handelte sich hierbei um dieselbe Fälschungsklasse, der auch die drei unechten, am 21. März 2004 benutzten Banknoten zugehörten (UA 17, 21). Die Strafkammer geht selbst davon aus, dass es „ohne weiteres plausibel (ist), dass der Angeklagte, nachdem er zuvor bei dem Versuch ertappt worden ist, das in seinem Besitz befindliche Falschgeld selbst in Verkehr zu bringen, weitere Absatzgeschäfte als zu risikoreich beurteilt hat und sich dazu entschlossen hat, das Falschgeld zunächst als Sicherheit und später zur Tilgung seiner bei dem Zeugen S. bestehenden und von diesem mit Nachdruck eingeforderten Schulden weiterzugeben“ (UA 17). 2. Danach steht einer Aburteilung der Weitergabe des Falschgeldes um Weihnachten des Jahres 2004 herum die Rechtskraft des Strafbefehls vom 16. März 2005 entgegen (§ 410 Abs. 3 StPO). Es ist nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils zumindest nicht auszuschließen, dass das mit dem Strafbefehl abgeurteilte Inverkehrbringen von Falschgeld dieselbe Falschgeldmenge betraf, aus der auch die zu Weihnachten 2004 dem Zeugen S. übergebenen Falsifikate stammten; insoweit ist vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2009 – 3 StR 273/09, NStZ 2010, 160). 3. Dies führt hier allerdings nicht zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß § 206a StPO, sondern nur zu einer Änderung des Schuldspruchs. Denn der Angeklagte hat den Zeugen S. „um die Jahreswende 2005/2006 herum“ aufgefordert, das Falschgeld weiter zu verkaufen. Zwar hat er sich hierdurch nicht einer „erneuten“ mittäterschaftlichen Verwirklichung des § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gemacht. Denn Mittäter nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB kann nur sein, wer bereits Mittäter des Delikts nach § 146 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB war (Ruß in LK 12. Aufl. § 146 Rn. 29); eine solche Mittäterschaft liegt beim Angeklagten und dem Zeugen S. nicht vor. Jedoch hat der Angeklagte diesen Zeugen durch die vorgenannte Aufforderung dazu bestimmt, das falsche Geld, das der Zeuge sich unter den Voraussetzungen des § 146 Abs. 1 Nr. 2 StGB verschafft hatte, als echt in Verkehr zu bringen. Hierunter fällt auch der Absatz durch einen Eingeweihten (vgl. BGHSt 35, 21, 23; 42, 162, 168). Die der Rechtskraft des Strafbefehls zeitlich nachfolgende Anstiftungshandlung wird vom Verbrauch der Strafklage nicht umfasst (vgl. Ruß aaO § 146 Rn. 3). Der Ange159
BGH, Beschl. v. 20.9.2010 – 4 StR 408/10.
146
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B. StGB – Besonderer Teil
klagte hat sich daher gemäß § 26 StGB der Anstiftung zum Verbrechen nach § 146 Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gemacht. Der Vorwurf der Anstiftung ist von der zugelassenen Anklage umfasst. Die Aufforderung des Zeugen zum Weiterverkauf des ihm zuvor als Sicherheit überlassenen Falschgeldes ist im konkreten Anklagesatz beschrieben. ■ PRAXISTIPP!
Unstreitig hemmt die Aburteilung einer im natürlichen oder rechtlichen Sinne einheitlichen Handlung die (neuerliche) Verurteilung wegen weiterer enthaltener Tathandlungen. Die Strafklage ist insoweit verbraucht, so dass wegen des Sachverhalts nicht erneut Anklage erhoben werden kann. Auch wenn die Frage des Strafklageverbrauchs durch das Gericht von Amts wegen zu prüfen ist, zeigt der vorliegende Beschluss, dass (auch) über den Umfang des Strafklageverbrauchs Unsicherheit herrschen kann. Ein etwaiger Strafklageverbrauch sollte daher nicht nur vom Gericht, sondern stets auch von der Verteidigung geprüft und vorliegendenfalls geltend gemacht werden!
b) Fälschung von Zahlungskarten – §§ 152a, 152b StGB 147
Gefälschte Kreditkarten werden inzwischen häufig gerade von ausländischen Tätergruppierungen eingesetzt, welche oftmals nur für einen kurzen Zeitraum einreisen und dann mit diesen Karten hochpreisige Waren einkaufen, um diese danach ins Ausland zu verbringen. Auch ein geplanter mehrfacher Einsatz solcher Karten stellt nicht unbedingt eine einzige Tat dar:160 Am 4. und 5. November 2009 traten die beiden Angeklagten in Frankfurt am Main und Stuttgart auf und setzten in insgesamt 13 festgestellten Fällen insgesamt acht verschiedene gefälschte Kreditkarten zum Kauf von Waren, Bezahlung von Bahntickets und Begleichung von Rechnungen in Restaurants und Hotels ein. Der Angeklagte J., der in der Hierarchie der Gruppe höher angesiedelt war, händigte hierbei L. die Karten aus und gab jeweils vor, wo sie für welchen Zweck eingesetzt werden sollten. Die einzelnen Schäden lagen, soweit sie vom Landgericht festgestellt wurden, zwischen 11 € und 4.790 €. Die Angeklagten handelten gewerbsmäßig. Das Landgericht hat weiterhin festgestellt, dass „der Besitz der zahlreichen gefälschten Kreditkarten einen Gesamtvorsatz umfasste, die Karten so oft wie möglich einzusetzen“; daher liege nur eine einzige Tat vor. Soweit auch bandenmäßige Begehung in 10 Fällen, gewerbs- und bandenmäßiger Betrug und gewerbs- und bandenmäßiger Computerbetrug angeklagt war, sei das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StGB „auf die dargestellte Tat“ beschränkt worden. Diese rechtliche Würdigung war offensichtlich fehlerhaft. Für die Annahme eines „Gesamtvorsatzes“ auf „möglichst häufige“ Begehung selbständiger Taten ist nach Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung im Jahr 1994 (BGHSt 40, 138) kein Raum mehr. Da der Besitz von gefälschten Zahlungskarten als solcher nicht strafbar ist, bildet er entgegen der Ansicht des Landgerichts auch keinen Anknüpfungspunkt für einen solchen „Gesamtvorsatz“. Auch unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit lag hier 160
BGH, Beschl. v. 1.9.2010 – 2 StR 418/10.
II. 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB
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keine einheitliche Tat vor; vielmehr handelte es sich bei den 13 im einzelnen festgestellten Taten offensichtlich um jeweils selbständige, auf jeweils neuen Tatentschlüssen und Vorgaben beruhende Taten.
Das Herstellen zahlreicher Zahlungskarten mit Garantiefunktion ist nur dann eine Tat im Sinne des § 152a StGB, wenn es jeweils in einem durchgehenden Arbeitsgang in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erfolgt (BGH NStZ 2005, 566). Werden die Dubletten in der Absicht hergestellt, sie später zu gebrauchen, werden das Nachmachen und das Gebrauchmachen zu einer deliktischen Einheit verbunden. Zu dieser Tat steht der Computerbetrug in Tateinheit. Gleiches gilt, wenn der Täter sich in einem Vorbereitungsakt mehrere gefälschte Karten in der Absicht verschafft, diese alsbald einzusetzen.161
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Ebenso auch die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 28.9.2010:162
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Die Beschaffung gefälschter Kreditkarten bildet als Vorbereitungsakt mit deren Einsatz als Ausführungsakt eine einzige Tat, wenn der Täter sich die Kreditkarte mit der Absicht verschafft, diese alsbald einzusetzen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter sich mehrere gefälschte Zahlungskarten in einem Vorbereitungsakt verschafft hat (vgl. BGH NJW 2010, 623; NStZ 2008, 568). Den Urteilsgründen ist indes nicht zu entnehmen, dass sich der Angeklagte die beiden verwendeten Kreditkarten durch zwei selbständige Handlungen verschafft hat. Vielmehr sprechen der gleichlautende Name des angeblichen Karteninhabers und der zeitliche Zusammenhang des Einsatzes beider Kreditkarten dafür, dass der Angeklagte sie sich durch eine Handlung beschafft hat.
5. Beischlaf zwischen Verwandten – § 173 StGB Der Tatbestand des § 173 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter mit einem leiblichen Abkömmling den „Beischlaf“ vollzieht; beischlafähnliche Handlungen werden von § 173 StGB nicht erfasst. Hat der Angeklagte die Geschädigte ausschließlich gezwungen, an ihm den Oralverkehr auszuüben, genügt dies für den Tatbestand des Beischlafs zwischen Verwandten nicht.163
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6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB a)
Psychotherapeutisches Behandlungsverhältnis – § 174c Abs. 2 StGB
Täter des § 174c Abs. 2 StGB kann nur sein, wer zum Führen der Bezeichnung „Psychotherapeut“ berechtigt ist und sich bei der Behandlung wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren bedient (BGH, Beschl. v. 29.9.2009, 1 StR 426/09). b) Das Tatbestandsmerkmal der „psychotherapeutischen Behandlung“ ist bislang höchstrichterlich nicht ausgelegt worden. …
161 162 163
BGH, Beschl. v. 23.6.2010 – 2 StR 243/10. BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 5 StR 383/10. BGH, Beschl. v. 7.9.2010 – 4 StR 342/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
Dort wird überwiegend die Ansicht vertreten, der Begriff der „psychotherapeutischen Behandlung“ sei im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm weit zu verstehen. Ihm werden daher nicht nur Therapien subsumiert, die anerkannten Regeln der Berufsverbände folgen und sich einer der sog. Schulen zuordnen lassen, sondern auch „alternative“ Therapieformen einschließlich zahlreicher Therapie- und Psychotrainingsprogramme, die von Weltanschauungsgemeinschaften und religiös auftretenden Gruppierungen angeboten werden (Fischer, StGB 56. Aufl. § 174c Rdn. 6). Zudem soll es nicht auf eine bestimmte Amtsstellung, Ausbildung und Qualifikation des Täters ankommen (Fischer aaO Rdn. 13; Wolters in SK-StGB § 174c Rdn. 11). Vielmehr sollen auch Behandlungen durch Außenseiter und „Scharlatane“ erfasst werden (Renzikowski in MünchKomm, StGB § 174c Rdn. 2, 21; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 174c Rdn. 1, 8). … c) Einem derartigen Verständnis des Merkmals der „psychotherapeutischen Behandlung“ vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar mag es sich noch innerhalb der Wortlautgrenze halten, da sich der Begriff der Psychotherapie allgemein mit „Heilbehandlung der Seele“ übersetzen lässt und darunter in der klinischen Praxis alle Formen der Behandlung von psychischen und psychosomatischen Störungen und Erkrankungen mit psychologischen Mitteln zusammengefasst werden (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch 261. Aufl. Stichwort: „Psychotherapie“). Eine derart weite Auslegung wird aber weder dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot gerecht (aa) noch steht sie in Einklang mit den gesetzgeberischen Vorstellungen (bb). aa) Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verlangt, dass ein Strafgesetz seinen Anwendungsbereich möglichst genau in einer für den Bürger vorhersehbaren Weise zu umschreiben hat, d.h. der Normadressat muss erkennen können, ob er sich mit seinem Verhalten strafbar macht. Dem Bestimmtheitsgebot ist daher auch bei der Auslegung eines Straftatbestandes zu entsprechen (BGHSt 50, 105, 114 f.). Diesem Erfordernis genügt das vom Landgericht im Anschluss an die Literatur vertretene Verständnis des Begriffs der „psychotherapeutischen Behandlung“ nicht. … bb) Im Unterschied dazu lässt sich der Anwendungsbereich des § 174c Abs. 2 StGB eindeutig bestimmen, wenn man als „psychotherapeutische Behandlung“ ausschließlich eine solche ansieht, die von einer Person durchgeführt wird, die berechtigt ist, die Bezeichnung „Psychotherapeut“ zu führen. Dies ist neben Ärzten lediglich Psychologischen Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten gestattet (§ 1 Abs. 1 Satz 4 PsychThG), nicht aber Heilpraktikern wie dem Angeklagten. Hinzu treten muss, dass sich der Behandelnde wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren bedient, um Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, festzustellen, zu heilen oder zu lindern, denn nur dann handelt es sich nach der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 PsychThG um die Ausübung von Psychotherapie. Allerdings hat der Gesetzgeber davon abgesehen, den in Betracht kommenden Täterkreis ausdrücklich nach Berufsgruppen zu bestimmen, wie dies in dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17. September 1993 noch vorgesehen war (BRDrucks. 656/93). … Die vom Senat vorgenommene Auslegung wird schließlich dadurch gestützt, dass der Gesetzgeber in der Begründung des Entwurfs eines Strafrechtsänderungsgesetzes – § 174c StGB – vom 21. Juli 1997 selbst über Fälle sexuellen Missbrauchs berichtet, die er als „außerhalb des durch den hier vorgeschlagenen § 174c StGB erfassten Bereichs“ angesiedelt beurteilt. Hierzu werden insbesondere sexuell motivierte Berührungen eines Heilpraktikers im Brust- und Genitalbereich seiner Patientinnen gezählt (BTDrucks. 13/8267 S. 5 f.). Dementsprechend ist bei der näheren Erläuterung des Sinns der gesonderten Regelung des
II. 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB
115
§ 174c Abs. 2 StGB allein von der „Konsultation eines Psychotherapeuten“ die Rede (BTDrucks. 13/8267 S. 7). Der vorgenommenen Auslegung steht schließlich nicht die Begründung des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 24. August 1995 entgegen, auf die in der Literatur Bezug genommen wird. Die dort vom Bundesrat vorgeschlagene – nicht Gesetz gewordene – Fassung des § 174c StGB verzichtete zwar ausdrücklich darauf, den Täterkreis durch Berufsbezeichnungen zu definieren, „weil die Vorschrift dadurch notwendigerweise lückenhaft bliebe“ und sie stattdessen auch „Scharlatane“ erfassen solle (BTDrucks. 13/2203 S. 4). Insofern hatte aber die Bundesregierung bereits in ihrer Stellungnahme eingewandt, im weiteren Gesetzgebungsverfahren sollte eine engere Fassung des Tatbestands geprüft werden (BTDrucks. 13/2203 S. 6).
b) Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern – § 176a Abs. 1 StGB Die Rückfallklausel des § 176a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Wiederholungstat nach einer einschlägigen rechtskräftigen Verurteilung begangen worden ist. Tateinheit liegt vor, wenn dieselbe Handlung des Täters sowohl § 176a Abs. 1 StGB als auch § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB verletzt.164 2. Danach erweist sich die Verurteilung des Angeklagten wegen zweier Verstöße gegen § 176a Abs. 1 StGB durch die beiden Übergriffe auf K. im April 2009 als rechtsfehlerhaft. Zwar hat der Angeklagte jeweils vorsätzlich sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren (Kind) vorgenommen (§ 176 Abs. 1 StGB). Jedoch war der Angeklagte zu den Tatzeitpunkten im April 2009 nicht „innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer solchen Straftat rechtskräftig verurteilt worden“ (§ 176a Abs. 1 StGB). Denn die (einzige) Vorverurteilung des Angeklagten vom 17. Dezember 2008 ist erst am 29. Mai 2009 rechtskräftig geworden. Die Rückfallklausel des § 176a Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Wiederholungstat nach einer einschlägigen rechtskräftigen Vorverurteilung begangen worden ist (vgl. Renzikowski in MünchKomm StGB § 176a Rdn. 12, 15 sowie speziell zu dem Fall des noch laufenden Rechtsmittelverfahrens Hörnle in LK StGB 12. Aufl. § 176a Rdn. 10). Dem steht der Hinweis der Strafkammer, dass „hinsichtlich der Fristberechnung auf den Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung abzustellen ist“ (UA 22), nicht entgegen. Diesem Zeitpunkt wird zwar teilweise für die Beantwortung der Frage, welches Ereignis die Fünfjahresfrist in Lauf setzt, Bedeutung beigemessen (vgl. zu dieser Streitfrage näher Wolters in Satzger/ Schmitt/Widmaier StGB § 176a Rdn. 8; Hörnle aaO Rdn. 14 m.w.N.). Dies hat jedoch nichts mit dem schon aus dem Wortlaut der Vorschrift folgenden Erfordernis einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu tun (vgl. z.B. Renzikowski aaO Rdn. 16). Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert; § 265 StPO steht nicht entgegen. … 3. Zutreffend hat das Landgericht in den sechs Fällen des Oralverkehrs an K. im Juli 2009 angenommen, dass der Angeklagte tateinheitlich zu dem Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB die Voraussetzungen des § 176a Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Die erforderliche rechtskräftige Vorverurteilung lag nunmehr vor (zu deren Warnfunktion vgl. BGH, Beschl. vom 13. September 2001 – 3 StR 269/01, NStZ 2002, 198, 199). Der Senat ist mit der Strafkammer der Auffassung, dass die Verletzung sowohl des § 176a Abs. 1 als auch des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zueinander in Tateinheit steht (so auch Hörnle aaO Rdn. 95; Wolters aaO Rdn. 22; ders. in SK-StGB § 176a Rdn. 28; Frommel in NK StGB 3. Aufl. § 176a Rdn. 18), ohne dass dies notwendig im Tenor zum Ausdruck gebracht werden muss 164
BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 4 StR 139/10.
152
116
B. StGB – Besonderer Teil
(§ 260 Abs. 4 Satz 5 StPO). Allerdings wird dieses Konkurrenzverhältnis nicht einheitlich beurteilt. So wird auch vertreten, es liege nur eine einzige Tat vor, wenn der Täter durch eine Handlung mehrere Alternativen des § 176a StGB verwirklicht (Renzikowski aaO Rdn. 43; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 176a Rdn. 6). Teilweise wird auch angenommen, der Tatbestand des § 176a Abs. 2 StGB verdränge Absatz 1 (Lenckner/Perron/Eisele in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 176a Rdn. 16; Fischer StGB 57. Aufl. § 176a Rdn. 23; BeckOK-StGB/Ziegler § 176a Rdn. 23). Dem vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Bei § 176a Abs. 1 und 2 StGB handelt es sich um unterschiedliche, jeweils auf der Verwirklichung des Grundtatbestands des § 176 StGB aufbauende Qualifikationen. Die Strafverschärfungen in Absatz 1 und Absatz 2 betreffen jeweils unterschiedliche Unrechtsaspekte, welche die Handlung zum Verbrechen aufwerten (Hörnle aaO). Absatz 1 qualifiziert Wiederholungstaten zum Verbrechen, Absatz 2 Nr. 1 besonders erhebliche sexuellen Handlungen, die durch ihre Intensität das sexuelle Selbstbestimmungsrecht in hohem Maße berühren (Renzikowski aaO Rdn. 2, 12, 20).
153
154
Wurde die Tat am 14. Geburtstag des Tatopfers begangen, ist sie nicht nach §§ 176, 176a StGB strafbar. Denn an seinem 14. Geburtstag war das Tatopfer bereits 14 Jahre alt, weil bei der Berechnung des Lebensalters der Tag der Geburt nicht mitgerechnet wird.165 § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt jeweils nicht nur in objektiver Hinsicht voraus, dass das Opfer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sondern auch, dass der Täter ein solches Alter des Opfers zumindest billigend in Kauf nimmt.166 Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit versuchtem schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes nicht. Die Tatbestände des § 176 Abs. 1 StGB und § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzen jeweils nicht nur in objektiver Hinsicht voraus, dass das Opfer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sondern auch, dass der Täter ein solches Alter des Opfers zumindest billigend in Kauf nimmt. Feststellungen zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht jedoch rechtsfehlerhaft nicht getroffen (vgl. Meyer-Goßner StPO 53. Aufl. § 267 Rn. 7). Hierzu folgt auch aus dem Urteilszusammenhang nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2002 – 3 StR 358/02, StV 2003, 393); dem angefochtenen Urteil lassen sich insbesondere keine Feststellungen etwa zur körperlichen Entwicklung und zum Erscheinungsbild des zur Tatzeit 12 Jahre alten Opfers entnehmen, die klar ersichtlich machen, dass dem Angeklagten das Alter seines Opfers zumindest gleichgültig gewesen war (vgl. BGH, Beschluss vom 16. April 2008 – 5 StR 589/07, NStZ-RR 2008, 238). ■ PRAXISHINWEIS
Die Vollendung des 14. Geburtstags eines Tatopfers führt zum Ausschluss des § 176a StGB für ab diesem Zeitpunkt begangene Taten. Vorher kommt es einerseits darauf an, dass das Opfer jünger als 14 Jahre ist, und andererseits der Täter diesen Umstand zumindest billigend in Kauf nimmt. Allerdings können Indizien, insbes. das Aussehen des Opfers oder etwa eine nähere Bekanntschaft zur Familie diese Kenntnis und damit zumindest auch die billigende Inkaufnahme nahelegen.
165 166
BGH, Beschl. v. 16.2.2010 – 4 StR 574/09. BGH, Beschl. v. 2.11.2010 – 4 StR 522/10.
II. 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB
117
Gerade bei sexuellen Straftaten zum Nachteil von Kindern handelt ein im Familienkreis lebender Täter oftmals in zahlreichen Fällen, welche bei einer erst nach Jahren erfolgten Anzeige kaum mehr genau nach Tatzeitpunkt und Tatanzahl festgelegt werden können. Entscheidungen müssen mit ihren Feststellungen dabei folgende Grundsätze einhalten:167
155
1. Auch bei Serienstraftaten, wie sie bei länger andauerndem sexuellem Kindesmissbrauch vorkommen, muss das Tatgericht von jeder einzelnen individuellen Straftat überzeugt sein. Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen auf Grund der Feststellungsschwierigkeiten solcher oft gleichförmig verlaufender Taten über einen langen Zeitraum zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, die in der Regel allein als Beweismittel zur Verfügung stehen, zwar keine überzogenen Anforderungen an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil gestellt werden. Das Tatgericht muss sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. 2. Dabei steht nicht in erster Linie die Ermittlung der Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser ist ausgehend vom Beginn der Tatserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen Straftaten in dem gegebenen Tatzeitraum nach dem Zweifelssatz festzustellen und abzuurteilen.
c)
Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung – § 177 StGB
Hat bei einverständlichen sexuellen Handlungen der Täter das Opfer mit einer Handlung überrascht, durch welche er schwere Verletzungen des Opfers herbeiführte, konnte dieses insoweit möglicherweise keinen Abwehrwillen bilden, weshalb eine solche Handlung den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann nicht erfüllt, wenn der Täter dabei Gewalt anwendete (BGH, Beschl. v. 12.5.2010 – 4 StR 92/10). a) Das Landgericht ist nach dem Zweifelsgrundsatz davon ausgegangen, dass es zwischen dem zur Tatzeit 26 Jahre alten Angeklagten und der damals 15jährigen Nebenklägerin, die merklich unter Alkoholeinfluss stand und ein Stück einer Tablette mit einem unbekannten Wirkstoff sowie eine „Portion“ eines Kokain-Amphetamin-Gemischs zu sich genommen hatte, „zunächst zu anfänglich möglicherweise auch einvernehmlichen sexuellen Kontakten“ gekommen war, und zwar „mit hoher Wahrscheinlichkeit zum vaginalen Geschlechtsverkehr“. Schließlich „drückte“ der Angeklagte die Nebenklägerin auf den Rücken und drang entweder mit einer Faust oder einem stumpfen Gegenstand zumindest gleichen Durchmessers mit hohem Kraftaufwand gewaltsam in deren Scheide ein. Die Nebenklägerin erlitt einen Dammriss ersten Grades von 5 cm Länge und blutete stark. b) Auch wenn die Strafkammer mit insoweit rechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese vom Angeklagten mit zumindest bedingtem Körperverletzungsvorsatz ausgeführte Handlung nicht von dem Einverständnis der Nebenklägerin mit sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten gedeckt war, rechtfertigt dies nicht ohne weiteres die Annahme, dass der Angeklagte die Nebenklägerin, sofern sie nicht widerstandsunfähig im Sinne des § 179 Abs. 1 StGB gewesen ist, jedenfalls im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Gewalt zur Duldung der sexuellen Handlung genötigt hat. Nach den bisherigen Feststellungen ist vielmehr nicht ausgeschlossen, dass der
167
Vgl. BGH, Beschl. v. 25.3.2010 – 5 StR 83/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
Angeklagte die Nebenklägerin bei der Vornahme einverständlicher sexueller Handlungen mit der die schweren Verletzungen herbeiführenden Handlung überrascht hat, so dass die Nebenklägerin einen Abwehrwillen nicht hat bilden können. Eine solche sexuelle Handlung erfüllt den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch dann nicht, wenn der Täter dabei zugleich Gewalt anwendet (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 – 2 StR 669/81, BGHSt 31, 76 zu § 178 StGB a.F.). Nach dieser vom Landgericht nicht ausgeschlossenen Sachverhaltsvariante kommt aber in Anwendung des Zweifelsgrundsatzes nur eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, möglicherweise – was das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat – wegen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB in Betracht.
■ PRAXISHINWEIS
Die vorstehende Entscheidung differenziert erstmals deutlich für solche Fälle danach, ob ein Opfer bei Gewaltausübung tatsächlich die reelle Chance hatte, einen Abwehrwillen bilden zu können und dies dann auch getan hat. Bislang war eigentlich klar, dass selbst bei einverständlichem Geschlechtsverkehr der Täter von keiner Bereitschaft des Partners ausgehen konnte, ungewöhnliche und insbesondere schmerzhafte Praktiken zu erdulden. Siehe dazu auch nachfolgende Entscheidung! 157
Eine ähnliche Problematik betrifft die Entscheidung vom 17.8.2010,168 der ein Sachverhalt mit eigenen erpressten sexuellen Handlungen des Opfers nach Drohungen durch den Täter und anschließenden eigenen Handlungen des Täters an dem Opfer zugrunde liegt: Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung nicht. Durch die Nötigung der Nebenklägerin, sich die Spraydose selbst einzuführen, hat der Angeklagte den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht verwirklicht; denn taugliche Nötigungserfolge des § 177 StGB sind allein sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an dem Opfer sowie sexuelle Handlungen des Opfers am Täter oder einer dritten Person. Sexuelle Handlungen vor dem Täter (oder einem Dritten) sind hingegen von diesem Tatbestand nicht erfasst (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 177 Rn. 48). In solchen Fällen kommt (lediglich) die Begehung einer Nötigung im besonders schweren Fall gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. StGB in Betracht. Soweit der Angeklagte im weiteren Fortgang die Dose selbst gewaltsam eingeführt und damit eine Vergewaltigung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) begangen hat, fehlt es an der Feststellung, dass er bei der Tat – also bei dieser Vergewaltigung – als Nötigungsmittel ein gefährliches Werkzeug verwendet hat. Es lässt sich auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass der Angeklagte, als er die Geschädigte zwang, sich den Gegenstand selbst einzuführen, bereits den Vorsatz zu der nachfolgenden Handlung hatte und deshalb mit der Drohung mit dem abgebrochenen Sektglasstiel bereits zur Begehung der sich anschließenden Vergewaltigung ansetzte; ebenso wenig ist zu erkennen, dass der Angeklagte bei diesem zweiten Übergriff zumindest konkludent erneut mit dem Einsatz des gefährlichen Werkzeugs drohte. Letztlich bleibt auch offen, ob die Geschädigte das Einführen der Dose durch den Angeklagten aufgrund der ursprünglichen oder einer
168
BGH, Beschl. v. 17.8.2010 – 3 StR 265/10.
II. 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB
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erneuter Drohung mit dem Glasstiel duldete. Dies versteht sich angesichts der zahlreichen Nötigungshandlungen des Angeklagten und der nach der ersten Handlung veränderten Begleitumstände auch nicht von selbst.
Schließt ein Täter die Tür seines Zimmers ab, um dadurch ein Entkommen des Opfers zu vereiteln, ist eine dann durchgeführte Vergewaltigung nur i.S.v. § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen, nicht auch in der Alternative des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB).169
158
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe außer § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB auch die Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfüllt, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat die Strafkammer darin gesehen, dass der Angeklagte durch das Verschließen der Tür seines Zimmers für die – später auch geschlagene und mit einem Messer bedrohte – Nebenklägerin eine Lage geschaffen hatte, in der sie dem Angeklagten schutzlos ausgeliefert war und die dazu beitrug, den sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin zu überwinden. Das Einschließen des Opfers in einem umschlossenen Raum in der Absicht, es am Verlassen des Raumes zu hindern, um auf diese Weise die Vornahme sexueller Handlungen zu ermöglichen, stellt sich indes als Gewaltanwendung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar (vgl. BGH, Urteil vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43 m.w.N.; Beschluss vom 23. November 1993 – 1 StR 739/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 10; Fischer StGB 57. Aufl. § 177 Rn. 7). Die durch eine fortdauernde tatbestandsmäßige Gewalteinwirkung erst geschaffene hilflose Lage des Opfers wird als Teil der Gewalt durch die Regelung des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst. Die Begehungsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gelangt daneben nicht zur Anwendung, weil sie jedenfalls auf der Konkurrenzebene zurücktritt (vgl. SSW/Wolters § 177 Rn. 33).
Frühere Gewalteinwirkungen können als (konkludente) Drohung gegenüber dem Opfer zu beurteilen sein, den körperlich wirkenden Zwang erneut anzuwenden, falls das weitere Vorgehen des Täters auf Widerstand stoßen sollte. So kann vorangegangene Gewalt in diesem Sinne fortwirken, wenn das Opfer angesichts der früheren Gewaltanwendung und der gegebenen Kräfteverhältnisse aus Furcht vor weiteren Gewalttätigkeiten von einer Gegenwehr absieht, sofern der Täter zumindest erkennt und billigt, dass das Opfer sein Verhalten als Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben empfindet.170 Das Landgericht hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass seine erneute Annäherung von der Zeugin B. als eine konkludente Drohung empfunden werde. Die Beweisergebnisse, die den Tatrichter zu dieser Würdigung geführt haben, teilt er jedoch im angefochtenen Urteil nicht mit. Mit seiner umfangreichen Beweiswürdigung zum Fall III. 1 der Urteilsgründe belegt das Landgericht lediglich, dass die Zeugin auf Grund der von ihr empfundenen Angst weiteren Widerstand nicht zu leisten in der Lage war und den Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen erduldete (UA 15, 30). Nicht belegt hat es in der Beweiswürdigung jedoch, aus welchen Gründen es zu der Überzeugung gelangt ist, der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die Zeugin die erneute Annäherung als eine konkludente Drohung empfand und infolge der
169 170
BGH, Beschl. v. 26.10.2010 – 4 StR 397/10. BGH, Beschl. v. 24.6.2010 – 4 StR 260/10.
159
120
B. StGB – Besonderer Teil
Anwendung dieses Nötigungsmittels die Durchführung des Geschlechtsverkehrs duldete (vgl. zur finalen Verknüpfung BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2004 – 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268, 269 m.w.N.); dies ist insbesondere bei erheblicher Alkoholisierung kritisch zu prüfen (vgl. Fischer, StGB 57. Auflage § 177 Rdn. 52 m.w.N.). Nach den Umständen des Falles liegt auch nicht auf der Hand, dass der Vorsatz des Angeklagten hier die finale Verknüpfung von Nötigungsmittel und Nötigungserfolg umfasst hat. Zwar hatte die Zeugin sich auch früher schon geweigert, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn dieser abends betrunken nach Hause kam. Hier besteht aber die Besonderheit, dass der Angeklagte, nachdem er die Zeugin mit dem Kerzenständer an der Schulter getroffen hatte, sich bis zu 30 Minuten in der Küche aufhielt. Es versteht sich nicht von selbst, dass der Angeklagte, als er sodann in das Schlafzimmer zurückkehrte, in sein Bewusstsein aufgenommen hatte, Frau B. werde sein Erscheinen nunmehr als eine konkludente Drohung mit erneuter Gewaltanwendung empfinden und nur deshalb den zuvor abgelehnten Geschlechtsverkehr über sich ergehen lassen. In diesem Zusammenhang erweist sich die Beweiswürdigung auch insoweit als lückenhaft, als das Landgericht zwar wiederholt ausführt, die Zeugin habe es auch bei früherer Gelegenheit abgelehnt, mit dem Angeklagten geschlechtlich zu verkehren, wenn er Alkohol zu sich genommen habe (UA 17, 18). Die Strafkammer teilt aber nicht mit, welche Folgen diese Ablehnungen jeweils hatten. Das weitere Verhalten der Zeugin und des Angeklagten kann durchaus Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite für das hier zu beurteilende Geschehen zulassen. ■ PRAXISHINWEIS
Die beiden vorstehenden Entscheidungen haben eine weitere Klärung zum Gewaltbegriff gebracht. Das Einschließen des Opfers in einem Raum, um es am Entweichen zu hindern, stellt danach Gewalt i.S.v. § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Außerdem kann eine vorangegangene Gewalteinwirkung fortwirken, etwa die Androhung, das Opfer mit einem Messer zu verletzen, ohne dass das Messer auch bei weiteren Handlungen unmittelbar in Reichweite sein muss. 160
Es ist rechtsfehlerhaft, wenn der Umstand als strafmildernd berücksichtigt wird, dass das Tatopfer durch den Einsatz eines Messers und die wiederholt erzwungenen sexuellen Handlungen keine körperlichen Verletzungen davongetragen hat. Dass der Täter kein Verhalten gezeigt hat, durch das er den Tatbestand noch eines weiteren Strafgesetzes verwirklicht hätte, kann ihm im Rahmen der Bemessung der Rechtsfolgen nicht zugute gehalten werden.171 Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht als strafmildernd berücksichtigt, dass die Nebenklägerin durch den Einsatz des Messers und die wiederholt erzwungenen sexuellen Handlungen keine körperlichen Verletzungen davongetragen hat. Dass der Täter kein Verhalten gezeigt hat, durch das er den Tatbestand noch eines weiteren Strafgesetzes verwirklicht hätte, kann ihm im Rahmen der Bemessung der Rechtsfolgen nicht zugute gehalten werden (vgl. BGH bei Miebach NStZ 1998, 132; BGH NStZ 2007, 464, 465). Nicht frei von Rechtsfehlern ist auch die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte sei als Ausländer besonders strafempfindlich. Die Ausländereigenschaft begründet für sich 171
BGH, Urteil v. 8.7.2010 – 3 StR 151/10.
II. 6. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung – §§ 174 ff. StGB
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alleine keine besondere Strafempfindlichkeit; nur besondere Umstände wie Verständigungsprobleme, abweichende Lebensbedingungen und erschwerte familiäre Kontakte können ausnahmsweise zu einer anderen Beurteilung führen (BGHSt 43, 233; BGH NStZ 2006, 35; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 46 Rn. 43b). Konkrete Feststellungen hierzu fehlen.
d) § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB – Zum „Bestimmen“ bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution In einem Urteil vom 10.2.2010172 hat der 5. Strafsenat des BGH näher dargelegt, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen der Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei auch bei ansonsten freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution gegeben ist: … Die Urteilsfeststellungen belegen, dass das von V. C. und seinen Mittätern in dem von ihnen kontrollierten Berliner Straßenteil errichtete „Regime“ den Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei zum Nachteil der dort tätigen Prostituierten gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklichte. Dies gilt auch bei der im Lichte des Prostitutionsgesetzes gebotenen einschränkenden Auslegung des Tatbestandes (vgl. hierzu BGHSt48, 314). a) Zu einer strafrechtlich relevanten Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts ungeeignet sind danach allerdings Regelungen der Prostitutionsausübung, die auch hinsichtlich der Erbringung anderer Dienstleistungen wirksam zu vereinbaren gewesen wären (BGH aaO S. 319). Mithin scheidet die Festlegung von Zeit, Ort und Mindestentgelten als „Bestimmen“ im Sinne der Strafvorschrift grundsätzlich aus. Für die Festsetzung von Mieten und sonstigen Zahlungspflichten gilt im Prinzip nichts anderes, … b) Das von den Haupttätern errichtete und den Prostituierten auferlegte „Regelwerk“ enthielt demgegenüber jedoch mehrere wesentliche Bestimmungen, die im Rahmen eines „legalen“ Arbeitsverhältnisses oder auch bei selbständiger Berufsausübung nicht wirksam zu vereinbaren gewesen wären und denen in ihrer Gesamtheit (vgl. BGHSt 48, 314, 317; BGH NStZ 1986, 358) eine Eignung zur Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Prostituierten ohne Weiteres innewohnte. Im Rahmen der hierfür gebotenen Gesamtschau der festgestellten Regelungen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler maßgeblich sowohl auf willkürlich auferlegte Zahlungspflichten zugunsten der Tätergruppe als auch die den Prostituierten drohenden Sanktionen im Falle von Regelverstößen abgestellt. Hierdurch wurden sie zur nachhaltigen Prostitutionsausübung angehalten und in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt (vgl. BGHSt aaO). aa) Das Landgericht hat bei seiner Bewertung der durch die Tätergruppe aufgestellten Regelungen zu Recht ganz wesentlich auf die Erhebung von „Standgeld“ abgestellt. Die „Standgelder“, aus denen sich die männliche Tätergruppe weitgehend finanzierte, begründeten eine finanzielle Abhängigkeit der Prostituierten. In diesem Sinne waren diese täglich anfallenden Zahlungspflichten geeignet, die Prostituierten zu nachhaltiger Prostitutionstätigkeit zu veranlassen. Diesen „Standgeldern“ standen auch keine Gegenleistungen gegenüber. … bb) Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei insbesondere die getroffene Vereinbarung berücksichtigt, nach der die vorzeitige Beendigung der Dienstleistung wegen Unwohlseins Strafgelder auslöst. Diese ist hier sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB) und mithin unwirksam. Gleiches gilt für die Androhung von Strafgeldern im Fall von Verspätungen aus nicht verschuldeten oder gar zwingenden persönlichen Gründen.
172
BGH, Urteil v. 10.2.2010 – 5 StR 328/09.
161
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B. StGB – Besonderer Teil
cc) Die – schon für sich faktisch einen Arbeitszwang begründenden – willkürlichen Zahlungspflichten und Sanktionen wurden ergänzt durch engmaschig kontrollierte und abermals durch Strafgelder bewehrte Verhaltenspflichten, die als weitere unangemessene Arbeitsbedingungen die persönliche Freiheit der Prostituierten beeinträchtigten. In dieser Weise sanktioniert waren Kontaktgebote (Pausengestaltung nur mit bestimmten Personen) und das Verbot von Kontakten mit anderen Frauen und allen Männern, derentwegen Unruhe im „Geschäftsablauf“ oder Konkurrenz entstehen konnte. Den Prostituierten war zudem erst nach Genehmigung erlaubt, außerhalb der Pension die Dienstleistungen anzubieten. Schließlich war eine autonome Beendigung der Tätigkeit im genannten Straßenteil nicht ohne Weiteres möglich. …
7. Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs – §§ 201 ff. StGB ■ TOPENTSCHEIDUNG
162
Keine „Ausspähung von Daten“ bei „Skimming-Taten“ – § 202a StGB: Eine für die inzwischen immer stärker um sich greifenden Skimming-Taten (Heimliches Auslesen von Magnetdaten auf Zahlungskarten zum Zweck der Herstellung von Dubletten bei gleichzeitigem Ausspionieren des PIN-Codes) wichtige Entscheidung hat nach Durchführung des Anfrageverfahrens gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG der 4. Strafsenat mit Beschluss vom 6.7.2010 dahingehend getroffen, dass das bloße Auslesen der auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, nicht den Tatbestand des § 202a Abs. 1 StGB erfüllt.173 aa) Dass Daten magnetisch und damit nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind, stellt keine besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang dar. Vielmehr handelt es sich gemäß § 202a Abs. 2 StGB nur bei Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert oder übermittelt werden, um Daten im Sinne des ersten Absatzes dieser Vorschrift. Demgemäß schützt § 202a Abs. 1 StGB nur diejenigen nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten im Sinne des § 202a Abs. 2 StGB, die darüber hinaus besonders gesichert sind. Das sind nur solche Daten, bei denen der Verfügungsberechtigte durch seine Sicherung sein Interesse an der Geheimhaltung der Daten dokumentiert hat (vgl. BTDrucks. 10/5058, S. 29 zu § 202a StGB a.F.; BTDrucks. 16/3656, S. 10). Erforderlich ist, dass der Verfügungsberechtigte – hier das Unternehmen, das die Zahlungskarte mit Garantiefunktion ausgegeben hat (vgl. BGH, Urt. vom 10. Mai 2005 – 3 StR 425/04, NStZ 2005, 566) – Vorkehrungen getroffen hat, um den Zugriff auf die auf dem Magnetstreifen der Zahlungskarte gespeicherten Daten auszuschließen oder wenigstens nicht unerheblich zu erschweren (vgl. BTDrucks. 16/3656 aaO; Fischer StGB 57. Aufl. § 202a Rdn. 8 jeweils m.w.N.). Eine Schutzvorkehrung ist jedoch nur dann eine Zugangssicherung im Sinne des § 202a Abs. 1 StGB, wenn sie jeden Täter zu einer Zugangsart zwingt, die der Verfügungsberechtigte erkennbar verhindern wollte (BTDrucks. 16/3656 aaO; Fischer aaO Rdn. 9). Der Überwindung einer solchen Zugangssicherung bedarf es jedoch nicht, wenn die auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten
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BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – 4 StR 555/09.
II. 7. Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs – §§ 201 ff. StGB
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lediglich ausgelesen werden. Dies ist ohne Weiteres mittels eines handelsüblichen Lesegeräts und der ebenfalls im Handel erhältlichen Software möglich. bb) Der Umstand, dass sich der Angeklagte und seine Mittäter mittels des an den jeweiligen Geldautomaten angebrachten Lesegeräts den Zugriff auch auf jene Daten verschafften, die in Verbindung mit der über eine Tastatur gesondert einzugebenden PIN vor der unbefugten Verwendung einer Zahlungskarte schützen sollen, führt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zu keinem anderen Ergebnis. Die Autorisierung bei der Verwendung einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion erfolgt ausschließlich über die Eingabe der PIN (vgl. Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch § 54 Rdn. 14b). Diese wird nicht durch Lesen der Daten aus dem Magnetstreifen ermittelt, sondern mit dem Triple-DES-Algorithmus, einem 128-Bit-Schlüssel, aus der auf dem Magnetstreifen gespeicherten Kontonummer, der Kartenfolgenummer und der jeweiligen Bankleitzahl des Karten ausgebenden Instituts – nunmehr ausschließlich online (vgl. Gößmann aaO) – errechnet und mit der vom Benutzer des Geldautomaten eingegebenen PIN verglichen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Oktober 2004 – XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 311; Gößmann aaO; Koch/Vogel in Langenbucher/Gößmann/Werner Zahlungsverkehr § 5 Rdn. 10). Die für die Berechnung der PIN erforderlichen Daten sichern die auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten aber lediglich vor unbefugter Verwendung der Daten beim Benutzen der Karte, nicht jedoch vor dem unberechtigten Zugang zu den Daten durch Auslesen mit einem Lesegerät. cc) Die Sicherung der der Berechnung der PIN zugrunde liegenden Daten durch Verschlüsselung mittels kryptografischer Schlüssel (Koch/Vogel aaO) stellt zwar nach wohl herrschender Meinung (vgl. Fischer aaO Rdn. 9a) eine besondere Zugangssicherung dar, die aber ausschließlich vor der Erfassung des Bedeutungsgehalts der Daten schützt (MünchKomm StGB/Graf aaO Rdn. 40). Beim bloßen Auslesen und Abspeichern der verschlüsselten Daten auf einen Datenträger des Täters bleibt die Verschlüsselung indes unangetastet, sodass mangels Überwindung der Zugangssicherung der Tatbestand des § 202a Abs. 1 StGB nicht erfüllt ist (vgl. MünchKomm StGB/Graf aaO Rdn. 46; Bosch in Satzger/ Schmitt/Widmaier StGB § 202a Rdn. 6; Gröseling/Höfinger MMR 2007, 549, 551). Gleiches gilt für sonstige möglicherweise in verschlüsselter Form auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherte Daten. PRAXISHINWEIS ■
Nachdem in der Rechtsprechung zunächst umstritten war, inwiefern Daten auf einer Magnetspur der Zahlungskarte deswegen besonders gegen einen unberechtigten Zugang i.S.v. § 202a StGB gesichert sind, indem diese Daten nicht ohne weiteres auslesbar sein sollten, hat die technische Entwicklung und zudem die inzwischen leichte Verfügbarkeit entsprechender Lesegeräte für jedermann diese Diskussion entfallen lassen. Nachdem solchen Lesegeräten zwischenzeitlich auch noch geeignete Software (zumindest zu Testzwecken) beigefügt ist, so dass Täter nicht unbedingt auf in Deutschland ansonsten nicht verfügbare Produkte angewiesen sind, fehlt es tatsächlich an einer besonderen Sicherung und damit an der Tatbestandsmäßigkeit des § 202a StGB.
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B. StGB – Besonderer Teil
8. Straftaten gegen das Leben – §§ 211 ff. StGB a) 163
Tötungsvorsatz bei §§ 211, 212 StGB
Die kulturelle Prägung eines Angeklagten führt auch zusammen mit dem Stellenwert, der einer Männerfreundschaft im arabischen Raum zukommt, nicht zu einer möglichen Verminderung der Schuldfähigkeit im Rahmen eines versuchten Tötungsdelikts:174 Eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB hat das sachverständig beratene Landgericht mit sorgfältiger Begründung rechtsfehlerfrei verneint. Es hat insbesondere dargelegt, warum es sich nicht vom Vorliegen einer Affekttat überzeugen konnte. Soweit der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang eine weiter gehende Berücksichtigung der kulturellen Prägung des Angeklagten und des Stellenwerts, der einer Männerfreundschaft im arabischen Raum zukomme, vermisst, kann dem nicht gefolgt werden.
164
Mit der gerade bei Körperverletzungsdelikten immer wieder auftauchenden Frage, ob der Angeklagte einen Tötungsvorsatz hatte, befasste sich ausführlich der 3. Strafsenat auf eine Revision der Staatsanwaltschaft gegen ein freisprechendes Urteil.175 „Die Beweiswürdigung, auf welche die Überzeugung der Strafkammer gründet, es sei lediglich ein Körperverletzungs-, nicht aber ein – auch nur bedingter – Tötungsvorsatz festzustellen, weist nach den Maßstäben sachlichrechtlicher Überprüfung durch das Revisionsgericht (s. allgemein BGH NJW 2005, 2322, 2326) einen durchgreifenden Rechtsfehler nicht auf. Hierzu gilt: 1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Da die Schuldformen des bedingten Vorsatzes und der bewussten Fahrlässigkeit im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das – selbstständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist (st. Rspr.; s. BGH NStZ 2009, 91 m.w.N.). 174 175
BGH, Urteil v. 25.2.2010 – 4 StR 575/09. BGH, Urteil v. 28.1.2010 – 3 StR 533/09.
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
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2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen entspricht das angefochtene Urteil. a) Das Landgericht hat die gebotene Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände vorgenommen und dabei insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlungen, den Tathergang, die Motivationslage des Angeklagten sowie sein Nachtatverhalten bedacht. Bei seiner Bewertung der Beweistatsachen hat es sich nicht mit allgemeinen, formelhaften Wendungen begnügt; vielmehr hat es seine Überzeugung, es sei lediglich der subjektive Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB feststellbar, mit auf den konkreten Fall abgestellten Erwägungen begründet. b) Die von dem Angeklagten gegenüber dem am Boden liegenden Nebenkläger abgegebene Erklärung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dahin interpretiert, der Angeklagte habe einschüchternd, erzieherisch und belehrend auf den Nebenkläger einwirken wollen. Hieraus hat es den – möglichen – Schluss gezogen, die Äußerung spreche für das Vorliegen lediglich des Vorsatzes zur Verletzung, nicht aber zur Tötung des Nebenklägers; denn die Warnfunktion der Erklärung habe nur dann Erfolg haben können, wenn dieser überlebt. Dass eine andere Interpretation ebenfalls in Betracht gekommen wäre, gefährdet den Bestand des Urteils selbst dann nicht, wenn diese näher gelegen hätte. Soweit die Staatsanwaltschaft die Äußerung als „verbalisiertes Tötungsmotiv“ qualifiziert, das für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes spreche, ersetzt sie lediglich die tatrichterliche Bewertung durch eine eigene. Hiermit kann sie im Revisionsverfahren nicht mit Erfolg gehört werden. c) Es ist weiter nicht zu besorgen, das Landgericht habe bei der Würdigung der Bemerkung verkannt, dass zur Beurteilung der Frage des Vorsatzes der Tatzeitpunkt maßgebend ist; denn die Strafkammer hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich sowohl den Zeitpunkt, in dem der Angeklagte dem Nebenkläger die Messerstiche beibrachte, als auch denjenigen in den Blick genommen, in dem der Angeklagte den am Boden liegenden Nebenkläger verließ und flüchtete. d) Das Landgericht war entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft auch nicht gehalten, in die Erwägungen zum Tötungsvorsatz ausdrücklich einzustellen, dass der Angeklagte durch eine weitere Person von dem Nebenkläger weggezogen wurde; denn zu diesem Zeitpunkt hatte er den potentiell tödlichen Angriff mit dem Messer bereits beendet ohne erkannt zu haben, dass er den Nebenkläger tödlich verletzt haben könnte, und schlug „nur noch“ mit den Händen auf ihn ein. e) Die Hinweise der Strafkammer, aus bestimmten Umständen könnten „nicht zwingend“ bestimmte Schlüsse auf den Tötungsvorsatz gezogen werden, begründen hier nicht die Besorgnis, das Tatgericht habe zu hohe Anforderungen an seine für eine Verurteilung notwendige Überzeugung gestellt. Zwar müssen die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse nicht „zwingend“ sein; die Feststellung von Tatsachen verlangt keine absolute, von niemandem anzweifelbare Gewissheit (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urt. vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 427/06 m.w.N.). Jedoch hat das Landgericht zu Beginn seiner Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz ausgeführt, die Feststellungen genügten nicht, den „für eine Verurteilung erforderlichen sicheren – vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden – Schluss“ zu ziehen, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Damit hat die Strafkammer zunächst deutlich gemacht, dass sie für die Überzeugungsbildung ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit als genügend ansieht, das vernünftige, nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht aufkommen lässt; sodann hat sie die einzelnen relevanten Umstände einer näheren Betrachtung unterzogen. Der Senat schließt vor diesem Hintergrund trotz der – allerdings für sich betrachtet rechtlich bedenklichen – späteren Formulierungen aus, dass der Strafkammer bei der konkreten Bewertung der einzelnen Beweistatsachen der zuvor zutreffend angegebene Maßstab aus dem Blick geraten sein könnte.“
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B. StGB – Besonderer Teil
■ PRAXISHINWEIS
Es reicht für die Annahme eines Tötungsvorsatzes des Täters nicht aus, dass er eine äußerst gefährliche Gewalthandlung gegenüber dem Tatopfer vornimmt; er muss einen eventuell eintretenden Tötungserfolg dabei auch in Kauf nehmen! Allerdings ist diese Annahme näherliegend, je gefährlicher die Handlung ist. Insgesamt ist eine Gesamtschau der bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände geboten, welche die objektive Gefährlichkeit der Verletzungshandlungen, den Tathergang, die Motivationslage des Angeklagten sowie sein Nachtatverhalten berücksichtigt. 165
Zur Frage eines Tötungsvorsatzes bei einer spontanen gravierenden Gewalthandlung im Zustand der erheblichen Alkoholisierung und affektiven Erregung hat der 2. Strafsenat mit Urteil vom 24.2.2010 ausgeführt:176 Als der Angeklagte aufgrund der Gegenwehr des Nebenklägers befürchtete zu unterliegen, holte er aufgrund eines spontanen Entschlusses sein Messer hervor, klappte es unbemerkt auf, zog den Nebenkläger am Hemd zu sich hin und stach sofort zu. Er stach hierbei ungezielt von unten nach oben in die rechte Flanke des Nebenklägers. Der Stich drang etwa 10 cm tief ein, verletzte die Leber und verfehlte eine große Hohlvene nur um etwa 2 cm. Bei geringfügig anderem Stichverlauf hätte konkrete Todesgefahr bestanden. Der Nebenkläger, der den Stich bemerkt hatte, wandte sich zur Flucht. Der Angeklagte verfolgte ihn, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Die Verletzungen des Nebenklägers sind folgenlos ausgeheilt. Das Landgericht hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte den Stich mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführt habe. Es hat gesehen, dass die sehr gefährliche Tathandlung zwar ein Indiz für einen solchen Vorsatz war, und hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur das Bein des Nebenklägers treffen wollen, als widerlegt angesehen. Andererseits hat es angenommen, der Stich sei ungezielt gewesen (UA S. 44); überdies habe der Angeklagte bis zur Flucht des Nebenklägers nur einmal gestochen, obgleich ihm weitere Stiche (entgegen der Einlassung des Angeklagten selbst) möglich gewesen wären (UA S. 47). Auch seine erhebliche, zur Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führende Alkoholisierung spreche gegen einen Tötungsvorsatz; weiterhin der Charakter der Tat als spontane Einzelhandlung in affektiver Erregung (UA S. 49). 2. Gegen diese Beweiswürdigung und die Verurteilung in diesem Fall nur wegen gefährlicher Körperverletzung wendet sich die Revision mit Recht. Die tatrichterliche Würdigung der Beweislage zum subjektiven Vorstellungsbild des Täters ist in Fällen wie dem vorliegenden nur rechtsfehlerfrei, wenn sie auf einer umfassenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen beruht; Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass die Beweisbedeutung einzelner Umstände zutreffend erkannt und deren Gewicht fehlerfrei beurteilt wird. Hieran fehlt es vorliegend, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat. Die vom Landgericht angeführten Beweisanzeichen gegen einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten sind schon für sich nicht geeignet, das Beweisergebnis zu tragen. Weder eine erhebliche Alkoholisierung noch gar ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses sprechen gegen das Vorliegen von Tötungsvorsatz zum Handlungszeitpunkt; vielmehr sind diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade beson-
176
BGH, Urteil v. 24.2.2010 – 2 StR 577/09.
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ders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem aufgrund schwerster Berauschung oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung schon die Erkenntnisfähigkeit des Täters beeinträchtigt ist, sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben.
Wird bei zwei ähnlichen Sachverhalten vom Tatgericht ohne nähere Begründung in einem Fall zumindest bedingter Tötungsvorsatz angenommen, im anderen Fall aber abgelehnt, kann dies einen Rechtsfehler darstellen.177 Dies gilt umso mehr, wenn auch noch eine heimtückische Begehungsweise in Betracht kommt. Zudem übersah das Tatgericht, dass die vorliegende Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls begangen wurde. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ließ sich der Angeklagte in der Absicht, Überfälle auf Taxifahrer zu begehen, am 24. Mai 2009 (Tat 1) von dem Nebenkläger M. und am 8. Juni 2009 (Tat 2) von dem Nebenkläger R. an einen unbelebten Ort in Köln fahren, nachdem er die Taxis der Nebenkläger zufällig an Taxiständen in der Innenstadt ausgewählt hatte. Zur Vorbereitung der geplanten Überfälle führte er jeweils einen Teleskopschlagstock sowie ein großes Gepäckstück mit sich, um hierdurch die Taxifahrer zum Aussteigen und Öffnen des Kofferraums am Zielort zu veranlassen. Plangemäß schlug der Angeklagte im Fall 1, als der Nebenkläger M. den Koffer des Angeklagten aus dem Kofferraum hob, den Geschädigten zunächst überraschend mit dem Teleskopschläger heftig auf den Kopf; als M. zu Boden stürzte, versetzte er ihm weitere fünf heftige Schläge auf den Kopf und ins Gesicht. Sodann nahm er die in der Ablage der Fahrertür befindliche Geldbörse des Geschädigten mit etwa 250,00 € Bargeld an sich; die in der Geldbörse befindlichen Papiere und die Bankkarte entnahm er und ließ sie auf Bitte des Nebenklägers zurück. Das Mobiltelefon des Geschädigten nahm er an sich, um eine rasche Alarmierung der Polizei zu verhindern. Sodann fuhr er – ohne eine Fahrerlaubnis zu besitzen – mit dem Taxi etwa 400 m weit, bis er außer Sichtweite des Geschädigten war; dann stellte er das Fahrzeug ab, um nicht im Rahmen einer polizeilichen Fahndung oder von Kollegen des Geschädigten gestellt zu werden. Der Geschädigte M. erlitt durch die Schläge mehrere Frakturen der Gesichtsknochen mit geringgradiger Verschiebung sowie zahlreiche Platzwunden, Hämatome und massive Schwellungen. Konkrete Lebensgefahr bestand für ihn nicht. Die Verletzungen sind bis auf mehrere Narben im Gesicht folgenlos verheilt. Im Fall 2 ging der Angeklagte entsprechend vor. Als der 67 Jahre alte Taxifahrer R., der an einer koronaren Herzkrankheit leidet und sich im Jahr 1998 einer Bypass-Operation unterzogen hatte, das Gepäckstück des Angeklagten aus dem Kofferraum hob, schlug der Angeklagte mit dem mitgeführten Teleskopschlagstock wiederum heftig auf Kopf und Gesicht des Geschädigten ein; dieser trug eine Schirmmütze, die er bei dem Tatgeschehen auch nicht verlor. Der Angeklagte nahm bei den Schlägen den Tod des Geschädigten billigend in Kauf. Dieser saß nach den Schlägen stöhnend auf dem Boden und versuchte aufzustehen. Der Angeklagte setzte sich, ohne weiter mit dem Tatopfer zu sprechen, in das Taxi und fuhr davon, da er zuvor gesehen hatte, dass der Geschädigte seine Geldbörse nicht einsteckte, als er ausstieg. Der Angeklagte fuhr mit dem Taxi ca. 13 km quer durch Köln und stellte es vor 4.20 Uhr auf einem Parkplatz ab. Aus dem Fahrzeug nahm er den Geldbeutel des Geschädigten mit ca. 100 € Bargeld an sich. Das Landgericht hat festgestellt, der Angeklagte habe, als er sich entfernte, aufgrund der Lichtverhältnisse und der vom Nebenkläger getragenen Mütze die Schwere der Verlet177
BGH, Urteil v. 20.10.2010 – 2 StR 434/10.
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zungen des Geschädigten nicht erkannt und zu diesem Zeitpunkt den Tod des Geschädigten nicht mehr für möglich gehalten. Der Geschädigte R. wurde durch die Schläge lebensgefährlich verletzt. Er erlitt mehrfache Mittelgesichtsbrüche mit offener Verbindung zum Schädelinnenraum, Schädelbasisbrüche unter Beteiligung der Augen- und Kiefernhöhlen sowie eine Aussprengung eines Knochenfragments im Stirnbereich. Der Geschädigte wurde etwa 30 Minuten nach der Tat von zwei Zeugen auf der Straße stehend in bewusstseinsgetrübtem Zustand angetroffen. Die Zeugen hielten ihn zunächst für einen Betrunkenen; erst bei näherer Untersuchung und Anleuchten des Gesichts erkannten sie seine Gesichtsverletzungen. Im Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung erlitt der Nebenkläger einen Herzinfarkt, ein massives Lungenödem und einen kardiogenen Schock. Er ist bis heute von den Folgen der Verletzungen stark beeinträchtigt, kann nicht mehr Autofahren und nur kurze Strecken unsicher gehen, hat 60 % seiner Sehkraft verloren und kann eines seiner Augenlider nicht mehr komplett schließen. 2. Die Revision der Staatsanwaltschaft, die sich mit der Sachrüge gegen die Beweiswürdigung im Fall 2 wendet und insoweit eine Verurteilung auch wegen versuchten Mordes erstrebt, ist begründet, da die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom versuchten Tötungsdelikt der rechtlichen Prüfung nicht standhält. a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht hat nur zu prüfen, ob ein Rechtsfehler vorliegt; es kann aber nicht eine eigene Würdigung an die Stelle der tatrichterlichen setzen. Rechtsfehler der Beweiswürdigung liegen unter anderem vor, wenn das Gewicht oder die Beweisrichtung von Beweisergebnissen verkannt worden sind, wenn Schlussfolgerungen des Tatgerichts widersprüchlich oder sonst denkfehlerhaft sind oder wenn der rechtliche Maßstab für die erforderliche richterliche Gewissheit unzutreffend bestimmt ist. b) Solche Rechtsfehler sind hier gegeben. Das Landgericht hat zunächst, ohne dies näher zu begründen, im Fall 2 der Urteilsgründe bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten angenommen. Da es an anderer Stelle darauf hinweist, die Gewalteinwirkung sei in beiden Fällen gleich gewesen, mangelt es der Differenzierung hinsichtlich des Vorsatzes an hinreichender Begründung. Wenn das Landgericht die Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes auf die Form und Intensität der massiven Gewalteinwirkung gegen den Kopf des Tatopfers gestützt hat, was nach den Umständen nahe lag, so bedurfte es, um zur Annahme eines unbeendeten Versuchs aus der Perspektive des so genannten Rücktrittshorizonts zu gelangen, der Feststellung tatsächlicher Umstände, aufgrund derer der Angeklagte nach Abschluss der plangemäß durchgeführten Gewalteinwirkungen und zum Zeitpunkt seiner Flucht vom Tatort zu der Annahme gelangt sein soll, der Tod des Nebenklägers R. sei – entgegen seiner bisherigen Annahme – nicht mehr möglich. Soweit sich das Landgericht, ohne dies freilich im Einzelnen auszuführen, auf eine Gleichsetzung der Nachtatsituation in beiden Fällen stützt, geht dies schon aus tatsächlichen Gründen fehl, denn im Fall 2 lagen Umstände, die im Fall 1 gegen eine (fortbestehende) Todesgefahr sprachen, gerade nicht vor: Nach den Feststellungen des Landgerichts fand weder ein Gespräch des Angeklagten mit dem Nebenkläger R. statt noch zeigte dieser ein Verhalten, das Anlass zu der Annahme geben konnte, die zuvor für möglich gehaltenen Gefahren der Gewalteinwirkung könnten nicht eintreten. Dies ergab sich insbesondere nicht schon daraus, dass der Nebenkläger stöhnend auf der Straße saß und (vergeblich) versuchte aufzustehen (UA S. 10). Auf die Frage, ob die von der Revision und auch vom Generalbundesanwalt vorgetragenen sonstigen Indizien vom Tatrichter im einzelnen zutreffend gesehen und gewürdigt worden sind, kommt es nicht an. Insoweit hat das Revisionsgericht mögliche und nicht fern
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liegende Schlussfolgerungen des Tatgerichts in der Regel hinzunehmen und kann sie nicht durch eine eigene, abweichende Beweiswürdigung ersetzen. Ein durchgreifender Beweiswürdigungsfehler liegt hier aber darin, dass es an widerspruchsfreien, durch objektive Beweisanzeichen hinreichend gestützte Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten fehlt. Die Erwägung, es sei von der für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit, „seinen Angaben in der Hauptverhandlung“, auszugehen gewesen (UA S. 31), lässt eine hinreichend kritische Prüfung der – auch in sich nicht widerspruchsfreien und teilweise widerlegten – Einlassungen vermissen, stützt sich aber letztlich auf nicht mehr als die Behauptung des Angeklagten, er habe den Tod des Nebenklägers nicht (mehr) für möglich gehalten, weil dieser nicht bewusstlos gewesen sei. Dies wird unter den hier gegebenen Voraussetzungen den Anforderungen an die Feststellung eines unbeendeten Versuchs nicht gerecht. 3. Zutreffend hat der Generalbundesanwalt im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Taten jeweils als besonders schwerer Raub zu bezeichnen waren. Rechtsfehlerhaft war auch die tateinheitliche Verurteilung nur wegen (einfacher) Körperverletzung. Es war vielmehr eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben, da die Verletzungen mit der Waffe von der Verwirklichung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a und b StGB nicht umfasst werden. Der neue Tatrichter wird, wenn er zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangt, auch die Frage heimtückischer Begehungsweise zu prüfen haben, im Übrigen auch die Qualifikation der Hinterlist gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB. PRAXISTIPP ■
Liegen gleichartige Begehungssachverhalte vor, kann eine unterschiedliche Beurteilung durch das Gericht (und möglicherweise bereits durch die Anklage) im Rechtsmittelverfahren evtl. nicht bestehen bleiben. Sofern die Verteidigung diese Gefahr sieht, könnte ein Gespräch mit der Staatsanwaltschaft vor dem Urteil dem vorbeugen. Aber auch bei gefährlichen Handlungen des Täters muss die Möglichkeit des fehlenden Tötungsvorsatzes grundsätzlich in der Entscheidung geprüft werden:178 Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der bei einem Blutalkoholgehalt von 2,99 Promille erheblich alkoholisierte und unter dem Einfluss von Medikamenten stehende Angeklagte am 25. April 2009 im Rahmen eines Streits seine Lebensgefährtin P. E. durch einen Stich mit einem Küchenmesser in den linken oberen Rückenbereich. Dazu war er auch dadurch bewegt worden, dass die Geschädigte ihn zuvor mit der Hand ins Gesicht geschlagen hatte. Bei dem Messerstich „handelte der Angeklagte in dem Bewusstsein, dass die Geschädigte hierdurch zu Tode kommen könnte, was er zumindest bereit war, hinzunehmen“. Das Landgericht hat die Beweisgrundlagen für diese Annahme, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, nicht dargelegt. Tötungsvorsatz versteht sich auch nicht ohne weiteres nach den Tatumständen von selbst. Daher wären bewusste Fahrlässigkeit, Lebensgefährdungs- oder Tötungsvorsatz genau voneinander abzugrenzen gewesen. Dazu ist eine Gesamtschau aller bedeutsamen objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich. In der Rechtsprechung ist zwar anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Ge-
178
BGH, Beschl. v. 1.9.2010 – 2 StR 179/10.
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walthandlungen der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt (vgl. BGH NStZ 2010, 511, 512); ein zwingender Schluss folgt daraus aber noch nicht. War der Täter – wie hier – zur Tatzeit durch Alkohol oder Medikamente erheblich in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt, dann bedarf es einer näheren Begründung im Urteil, wenn der Tatrichter gleichwohl seinen Tötungsvorsatz aus der Gefährlichkeit der Tathandlung herleiten will (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141 f.). Daran fehlt es im angefochtenen Urteil. Die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf sind rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Ergänzende, nicht divergierende Feststellungen sind auch insoweit möglich. Für den Fall der erneuten Annahme eines Totschlags wird der neue Tatrichter auch die Frage des Vorliegens eines Provokationsaffekts im Sinne von § 213 (1. Alternative) StGB im Tatzeitpunkt zu erörtern haben.
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Es ist allgemein bekannt, dass ein als äußerst gefährliche Gewalthandlung anzusehendes Verschließen der Atemwege grundsätzlich zum Tode führen kann. Allerdings stellen Dauer und Intensität des Erstickungsvorgangs vor diesem Hintergrund zur Beurteilung des individuellen Tötungsvorsatzes geeignete und in der Rechtsprechung anerkannte Anknüpfungstatsachen dar, weshalb das Tatgericht hierzu Feststellungen zu treffen hat. Fehlt es hieran, wird dem Revisionsgericht insoweit eine Nachprüfung erschwert oder unmöglich gemacht.179 Es ist allgemein bekannt, dass ein als äußerst gefährliche Gewalthandlung anzusehendes Verschließen der Atemwege grundsätzlich zum Tode führen kann. Allerdings ist hierbei die Erheblichkeit des Zeitmoments ebenso im allgemeinen Bewusstsein verankert. Dauer und Intensität des Erstickungsvorgangs stellen vor diesem Hintergrund zur Beurteilung des individuellen Tötungsvorsatzes geeignete und in der Rechtsprechung anerkannte Anknüpfungstatsachen dar. Vorliegend lassen die Urteilsgründe befürchten, dass die gerichtliche Überzeugungsbildung auf einer unklaren Tatsachengrundlage beruht, da keine Mindestdauer des Erstickungsvorgangs dargelegt wird. Die Strafkammer verabsäumt es, möglichst genaue Feststellungen dahingehend zu treffen, wie lange und intensiv der Angeklagte auf die Geschädigte beim Verschließen der Atemwege eingewirkt hat. Damit fehlen wesentliche Anknüpfungspunkte für die Tätervorstellung von der Lebensgefährlichkeit seiner Handlungsweise. Insoweit kann in Ermangelung einer Darstellung des Zeitverständnisses des Gerichts auch nicht beurteilt werden, was das Schwurgericht unter einem ,längeren Zeitraum‘ versteht. Mit einer derart allgemein gehaltenen Beschreibung des Erstickungsvorgangs durfte sich das Landgericht nicht begnügen (vgl. BGHR StGB § 212 Vorsatz bedingter 10), zumal diese ungenaue Darstellung sich nicht mit den Ausführungen im Sachverständigengutachten deckt, dem sich die Schwurgerichtskammer angeschlossen hat. Nach dem Sachverständigengutachten ist der Tod ,in relativ kurzer Zeit, nach wenigen, vielleicht nur drei Minuten‘, eingetreten; aufgrund des Blutverlustes sei die Kompensationsfähigkeit des Herzens schon sehr beansprucht gewesen, so dass anzunehmen sei, dass der Tod durch Ersticken auch ,schnell‘ eingetreten sei (vgl. UA S. 29). Es kann vor dem Hintergrund dieser unpräzisen Ausführungen auch nicht aus dem Gesamtkontext nachvollzogen werden, ob das Landgericht dem Gutachten folgend von
179
BGH, Beschl. v. 21.7.2010 – 5 StR 246/10.
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einem Verschließen der Atemwege über mindestens drei Minuten ausgeht und dies vom Landgericht – abweichend vom Sachverständigengutachten – als ,längerer Zeitraum‘ gewertet worden ist. Das Vorstellungsbild des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seiner Handlungsweise ist insbesondere auch angesichts des massiven Blutverlusts der Geschädigten möglichst genau festzustellen, um auf dieser Grundlage beurteilen zu können, ob dieser die hohe Gefährlichkeit seines Handelns in sein Bewusstsein aufgenommen hat und nicht mehr ernstlich auf einen glimpflichen Ausgang vertraute. Es ist auch zu besorgen, dass die Strafkammer dem festgestellten Tatmotiv bei der Vorsatzfrage eine überbordende Rolle beigemessen hat. Das vom Schwurgericht festgestellte Tatmotiv, ,Ruhe zu haben und bei den Nachbarn keine Aufmerksamkeit zu erregen‘ (vgl. UA S. 6 f., 35), weist – anders als es die Urteilsgründe suggerieren – gerade nicht eindeutig auf einen Tötungsvorsatz. Die weitere Begründung des Tötungsvorsatzes, wonach sich dem Angeklagten der mögliche Eintritt der Todesfolge aufdrängen ,musste‘, da bei Verschließen der Atemwege ,über einen längeren Zeitraum‘ das Ausbleiben des Todes nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (vgl. UA S. 35), lässt eine klare Abgrenzung zum lediglich bewusst fahrlässigen Handeln vermissen, ebenso wie die nachfolgende unscharfe Verneinung von Anhaltspunkten ,dafür, dass der Angeklagte die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder darauf vertraut haben könnte, dass der Tod nicht eintreten werde‘ (vgl. UA S. 35). PRAXISHINWEIS ■
Leitet das Tatgericht aus dem Wesen der Gewalthandlung eines Täters im Ergebnis das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes ab, bedarf es insoweit aller erforderlichen Feststellungen, welche dem Revisionsgericht eine entsprechende Nachprüfung ermöglichen. Fehlt es an hierfür erforderlichen Anknüpfungstatsachen, kann dies einen Rechtsfehler darstellen, welcher eine Aufhebung des Urteils diesbezüglich nach sich zieht.
b) Mordmerkmale Nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung hindert einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen. Vielmehr ist bei erhaltener Einsichtsfähigkeit auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt. Kommt der Tatrichter dennoch zu dem Ergebnis, dass der Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände auf Grund seiner Erregung nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat, so muss er die Beweisanzeichen dafür darlegen und würdigen.180 Das Landgericht hat ein heimtückisches Handeln des Angeklagten mit der Begründung abgelehnt, er habe die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosigkeit des Nebenklägers nicht bewusst ausgenutzt. Seine affektive Erregung und das Gefühl der Hilflosigkeit und Demütigung, gepaart mit seinem spontanen Tatentschluss, hätten ihm den Blick dafür versperrt, dass dem Nebenkläger auf Grund der Schnelligkeit des Angriffs jegliche Abwehrmöglichkeit genommen gewesen sei. 180
BGH, Urteil v. 10.2.2010 – 2 StR 391/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
Diese Würdigung entbehrt einer tragfähigen Grundlage: Für das bewusste Ausnutzen der – durch das Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten – Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH BGHR § 211 Abs. 2 Heimtücke 25, 26; NStZ 2005, 688, 689; 2009, 501, 502). Zwar kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlt (BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.). Andererseits hindert aber nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen (BGH NStZ 2006, 167, 169; 2009, 571, 572, jew. m.w.N.). Vielmehr ist bei erhaltener Einsichtsfähigkeit auch die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (BGH NStZ 2008, 510, 511 f.; Beschl. v. 24. November 2009 – 1 StR 520/09). Kommt der Tatrichter dennoch zu dem Ergebnis, dass der Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände auf Grund seiner Erregung nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat, so muss er die Beweisanzeichen dafür darlegen und würdigen. Eine solche umfassende Beweiswürdigung hat die Schwurgerichtskammer nicht vorgenommen. Sie hat, bezogen auf den Tötungsvorsatz, festgestellt, dass der Angeklagte in vollem Umfang über die kognitiven Fähigkeiten verfügte, sowohl die objektiven Umstände seines Tuns als auch dessen Konsequenzen subjektiv zu erfassen. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, ist sie davon ausgegangen, dass die Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht seiner Tat erhalten geblieben war. Demgegenüber hat das Landgericht das Ausnutzungsbewusstsein mit einer unzulänglichen Begründung verneint, die konkrete Umstände nicht aufzeigt, auf Grund derer die Fähigkeit des Angeklagten, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, trotz erhaltener Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt war. Das Schwurgericht hat sich insbesondere nicht mit dem Umstand befasst, dass die ablehnende Haltung des Nebenklägers für den Angeklagten nicht überraschend kam, sondern dass es sich um eine ihm aus seinen früheren Auseinandersetzungen mit den Fahrern des Taxiunternehmens hinlänglich bekannte Alltagssituation handelte (UA 8, 23). Den von ihm in dieser Situation gefassten Entschluss, den Nebenkläger zu töten, setzte der Angeklagte entgegen der Einschätzung des Landgerichts gerade nicht spontan in die Tat um. Vielmehr entschied er sich dazu, ein geeignetes Tatwerkzeug herbeizuholen, und verließ zu diesem Zweck den späteren Tatort zunächst für mehrere Minuten, ehe er mit der Machete zurückkehrte. Dass der Angeklagte ungeachtet seiner vom Landgericht festgestellten Gemütsverfassung zu einer derart erfolgsorientierten Vorgehensweise in der Lage war, stellt ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme fehlenden Ausnutzungsbewusstseins dar, das der neue Tatrichter in seine Würdigung einzubeziehen haben wird. ■ PRAXISHINWEIS
Auch die affektive Erregung, welcher ein Täter unterworfen ist, hindert diesen regelmäßig kaum daran zu erkennen, dass ein Opfer in der konkreten Situation, in welcher sich dieses befindet, arg- und wehrlos ist!
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
133
Ob das Tatmerkmal der Verdeckungsabsicht vorliegt, hängt davon ab, ob die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des Täters auch Mittel der Verdeckung sein soll. Wenn jedoch der Täter annimmt, dass eine Aufdeckung der anderen Straftat unabhängig von der Verdeckungshandlung und von deren Tötungserfolg nicht eintreten wird, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv „verdeckenden“ Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg.181 2. Das Landgericht hat in der neuen Hauptverhandlung hierzu ergänzend unter anderem festgestellt, die Angeklagten hätten, als sie vom Tatort wegfuhren, den Geschädigten R. für fähig gehalten, sich zur Straße zu begeben und Hilfe zu erlangen. Bei dem Gespräch in den Morgenstunden hätten die Angeklagten T. und F. den für möglich gehaltenen Tod des Geschädigten hingegen billigend in Kauf genommen; er sei ihnen „als willkommene Folge ihres Tuns (erschienen), weil sie dann sicher sein konnten, dass ihre Tat nicht entdeckt werde“ (UA S. 34). Die Angeklagten hätten „den Tod des Geschädigten nicht als zwingend zur Verdeckung der Raubtat angesehen“ (UA S. 40); bei anonymer Alarmierung eines Notarztes hätten sie ihre Beteiligung an der Raubtat nicht zwingend offenbaren müssen (UA S. 39). Das Landgericht hat die Angeklagten T. und F. daher nur wegen schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 StGB) sowie wegen versuchten Verdeckungsmordes (§§ 211, 22 StGB) verurteilt. Für die Raubtat hat es gegen F. eine Einzelfreiheitsstrafe von acht Jahren, für den versuchten Mord – unter dreifacher Milderung des Strafrahmens gemäß §§ 13 Abs. 2, 21, 23 Abs. 2 StGB, jeweils in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB – eine Einzelstrafe von vier Jahren verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten gebildet. Den Angeklagten T., der nicht revidiert, hat es zur Einheitsjugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten (einbezogen drei frühere Urteile) verurteilt, den Angeklagten B., der ebenfalls nicht revidiert, wegen Raubs (§ 249 Abs. 1 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. 3. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten F. hat teilweise Erfolg und führt insoweit zur Erstreckung auch auf den Mitangeklagten T. gemäß § 357 StPO. a) Dass das Landgericht den Angeklagten nicht auch wegen lebensgefährdenden besonders schweren Raubs (§ 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB), wegen Aussetzung (§ 221 StGB) und wegen gefährlicher Körperverletzung durch lebensgefährliche Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verurteilt hat, weil es rechtsfehlerhaft annahm, das Nichtvorliegen bedingten Tötungsvorsatzes schließe auch den subjektiven Tatbestand dieser Vorschriften aus (UA S. 37), beschwert den Angeklagten nicht. b) Die Verurteilung wegen versuchten (Verdeckungs-) Mordes hält, wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar kommt die Annahme von Verdeckungsabsicht im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch dann in Betracht, wenn der Tod des Opfers nicht mit direktem Vorsatz angestrebt, sondern nur bedingt vorsätzlich in Kauf genommen wird (vgl. BGHSt 41, 358, 359 ff.; BGH NJW 1992, 583 f.; 1999, 1039 f.; 2000, 1730 f.; NStZ 2004, 495, 496), wenn nicht im Einzelfall der Tod des Opfers sich als zwingend notwendige Voraussetzung einer Verdeckung darstellt (vgl. Fischer, StGB,
181
BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 2 StR 239/10.
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57 Aufl., § 211 Rn. 79). Voraussetzung ist aber stets, dass die Verdeckungshandlung selbst nach der Vorstellung des Täters Mittel der Verdeckung sein soll (vgl. Schneider in Müko, StGB, § 211 Rn. 196). Wenn der Täter annimmt, eine Aufdeckung der anderen Straftat werde unabhängig von der Verdeckungshandlung und von deren Tötungserfolg nicht eintreten, fehlt es an der erforderlichen (vorgestellten) Kausalität einer möglicherweise objektiv „verdeckenden“ Handlung für den subjektiv angestrebten Erfolg. So lag es hier. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der für möglich gehaltene – bereits eingetretene oder noch eintretende – Tod des Tatopfers den Tätern gerade deshalb „scheiß egal“, weil dieser Erfolg für die Frage einer möglichen Aufdeckung ihrer Beteiligung an der Raubtat ohne Bedeutung war. Sie gingen davon aus, das Opfer habe sie nicht erkannt und werde sie auch im Fall seines Überlebens nicht identifizieren können. Es fehlt daher an den subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht. Da weitere Feststellungen insoweit ausgeschlossen erscheinen, hat der Senat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts den Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte nur des versuchten Totschlags schuldig ist. ■ PRAXISHINWEIS
Geht ein Täter – aus welchen Gründen auch immer – davon aus, dass seine Tat auf keinen Fall entdeckt werden wird, fehlt es bei einer in dieser Situation erfolgten Tötung des Opfers an einer konkreten Verdeckungsabsicht. Nachdem diese Möglichkeit aber nicht die Regel sein dürfte, bedarf es hierzu konkreter Feststellungen des Tatgerichts. 171
Vom Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, gibt es Ausnahmen. Ein solcher Ausnahmefall ist beispielsweise gegeben, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei der Ausführung der Tat noch andauern. Eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag dessen Arglosigkeit nicht zu beseitigen.182 Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr., vgl. u.a. BGH NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Arglosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2008 – 5 StR 189/08 – m.w.N.). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGHSt 22, 77, 79 f.; 32, 382, 385 f.; Schneider in MüKo StGB § 211 Rdn. 131 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der
182
BGH, Urteil v. 10.2.2010 – 2 StR 503/09.
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
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Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (BGHSt 22, 77, 79 f.; BGH NStZ 1989, 364; BGH, Urteile vom 14. Juni 1960 – 1 StR 73/60 – und vom 9. Dezember 1980 – 1 StR 620/80 –). Das Landgericht geht offenbar davon aus, dass der Angeklagte Frau Cˇ. in eine Falle gelockt hat, als er sie in sein Auto einsteigen ließ, denn es prüft die Arglosigkeit der später Getöteten zu diesem Zeitpunkt (UA S. 56). Weshalb es zu dieser Annahme gekommen ist, hat das Landgericht nicht dargelegt, ebenso wenig wie es die Feststellung, dass der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt (UA S. 15) entschlossen war, Frau Cˇ. zu töten, auf festgestellte Tatsachen gestützt hat. Der Angeklagte ist hierdurch nicht beschwert, denn dass er jedenfalls bei der Tat mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, belegt bereits die Tatausführung selbst. Zu seinem Vorteil greifen aber die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Arglosigkeit von Frau Cˇ. schon beim Einsteigen verneint hat, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu kurz. Die Ausführungen des Landgerichts belegen zwar, dass Frau Cˇ. grundsätzlich Angst vorm Angeklagten hatte. Eine auf früheren Aggressionen und einer feindseligen Atmosphäre beruhende latente Angst des Opfers vermag aber dessen Arglosigkeit nicht zu beseitigen (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 14 m.w.N.; NStZ-RR 2004, 234). Es kommt insofern vielmehr allein darauf an, ob das Opfer im Tatzeitpunkt mit Feindseligkeiten des Täters rechnet (vgl. BGHSt 39, 353, 368). Hiermit hat sich das Landgericht für den Zeitpunkt des Einsteigens ins Fahrzeug nicht konkret auseinander gesetzt. Die Umstände, die hier gegen eine solche Erwartung von Frau Cˇ. sprechen konnten, nämlich dass sie ihrer Bekannten telefonisch mitgeteilt hatte, dass alles in Ordnung sei und jene sich nach Hause begeben könne, dass sie bei einem späteren Telefonat ihr eigenes Erscheinen in F. angekündigt hatte und dass sie überhaupt mit dem Kind in das Fahrzeug eingestiegen ist, hat das Landgericht nicht erörtert. PRAXISHINWEIS ■
Wie auch die nachfolgende Entscheidung zeigt, kann der ehemalige Grundsatz, wonach ein Täter nur dann heimtückisch handeln könne, wenn das Opfer bei Tatbeginn arglos sei, nicht mehr ausnahmslos gelten. Ansonsten würden die Fälle, in denen ein Täter – bspw. im Rahmen ehelicher Auseinandersetzungen – eine ständig andauernde Drohkulisse aufbaut, nicht zutreffend rechtlich eingeordnet werden können. Denn auch in solchen Fällen muss das Opfer davor geschützt sein, dass es nicht in eine Falle gelockt wird und dann trotz der andauernden Angst keine Abwehrmaßnahmen mehr ergreifen kann. Nach der Entscheidung vom 25.8.2010183 erfordert das Mordmerkmal der Heimtücke regelmäßig nicht, dass sich im bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit noch eine besondere Tücke und Verschlagenheit, ein verwerflicher Vertrauensbruch, zeigt. Von daher kann schon allein die Ausnutzung eines Überraschungseffekts die Annahme von Heimtücke tragen. „Kurz nach dem Erwerb verkaufte der Angeklagte einen einer Bank sicherungsübereigneten Pkw, die auch den Kfz-Brief hatte. Im Vertrauen auf die Angabe des Angeklagten, er sei
183
BGH, Beschl. v. 25.8.2010 – 1 StR 393/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
Eigentümer, leistete der Käufer eine Anzahlung. Mit dem ebenso falschen Vorbringen, dort sei der Kfz-Brief, lockte ihn der Angeklagte in seine Wohnung, wo er scheinbar den KfzBrief suchte. Der Käufer schaute selbst einen Ordner durch, in dem der Kfz-Brief angeblich sein könnte. Dabei versetzte der Angeklagte ihm, vorgefasster Absicht gemäß, in Tötungsabsicht Messerstiche in den Bereich von Hals und Oberkörper, weil er weder den Pkw noch die Anzahlung herausgeben wollte. „Nicht ausschließbar“ wollte sich der voll schuldfähige Angeklagte daneben auch wegen seiner „Zukunftsängste“ des Käufers „entledigen“, wenn sich dies auch sowenig wie ein etwaiges „Rangverhältnis“ dieser Motive feststellen ließ. Es kam zu einem Kampf, wobei der Käufer sich des Messers bemächtigen konnte und damit dem Angeklagten mehrere Stiche in den Bereich der Beine versetzte; der Angeklagte seinerseits zerschlug auf dem Kopf des Käufers eine Porzellanfigur. Zuletzt konnte der dank glücklicher Zufälle nicht lebensgefährlich verletzte Käufer fliehen. Die Revision meint, das Mordmerkmal Heimtücke erfordere eine besonders verwerfliche, tückische Gesinnung, nicht nur die hier allein festgestellte Ausnutzung eines Überraschungseffekts. Der Senat teilt schon die tatsächliche Bewertung der Feststellungen nicht. Der Angeklagte hat nicht nur ausgenutzt, dass der Käufer ihm die Lüge glaubte, der KfzBrief könne in dem Ordner sein, sondern er hat den Käufer zunächst betrogen und dann planmäßig in Tötungsabsicht in die Wohnung gelockt. Dies geht weit über bloßes Ausnutzen eines Überraschungseffektes hinaus. Unabhängig von diesen Umständen des Einzelfalles teilt der Senat aber auch den rechtlichen Ansatz der Revision nicht. Regelmäßig erfordert Heimtücke nicht, dass sich im bewussten Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit noch eine besondere Tücke und Verschlagenheit, ein verwerflicher Vertrauensbruch, zeigt (vgl. schon BGHSt 11, 13a, 144 f.; BGHSt 30, 105, 115 f.; vgl. auch eingehend Schneider in MK § 211 Rn. 152 ff., 159 m.w.N.). Von besonderen, hier offenbar nicht in Betracht kommenden Fallgestaltungen abgesehen, bei denen die Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit nicht notwendig zur Annahme von Heimtücke führt (vgl. z.B. BGHSt 30, 105, 119; Fischer, StGB, 57. Aufl. § 211 Rn. 48 jew. mwN), kann daher schon allein die Ausnutzung eines Überraschungseffekts die Annahme von Heimtücke tragen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 10).“ ■ PRAXISHINWEIS
Der BGH spricht in seiner Entscheidung deutlich aus, dass bereits in der Ausnutzung eines Überraschungseffekts durch den Täter die Annahme von Heimtücke begründet sein kann. Somit ist regelmäßig nicht erforderlich, dass auch noch eine besondere Tücke und Verschlagenheit zusätzlich aus der Tat heraus erkennbar sind; ein verwerflicher Vertrauensbruch muss also nicht unbedingt vorliegen! 173
Nicht immer muss Handeln aus Eifersucht zwingend ein Handeln aus niedrigen Beweggründen darstellen:184 1. Die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bezüglich der versuchten Tötung der Zeugin K. begegnet schon in objektiver Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken. a) Beweggründe zu einem Tötungsverbrechen sind „niedrig“, wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als
184
BGH, Beschl. v. 22.7.2010 – 4 StR 180/10.
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
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bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen; die Beurteilung dieser Frage hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 127; Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 4 StR 499/00, StV 2001, 571). b) Das Landgericht begründet die Annahme, der Angeklagte habe die Zeugin K. aus niedrigen Beweggründen töten wollen, damit, dass der Angeklagte in erster Linie aus krankhaft übersteigerter Eifersucht gehandelt habe. Er habe die Zeugin „als ihm gehörend, als sein Eigentum und damit lediglich als Objekt“ betrachtet, „das er bestrafen und lieber tot sehen wollte, als zuzulassen, dass sie ihn noch einmal verließ.“ Das Landgericht hat dabei nicht bedacht, dass Gefühlsregungen wie Eifersucht, aber auch Rache, Wut und Hass nach ständiger Rechtsprechung nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, was am ehesten der Fall ist, wenn diese Gefühlsregungen jeglichen nachvollziehbaren Grund entbehren (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1992 – 2 StR 551/91, BGHR § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 22; Beschluss vom 21. Dezember 2000 – 4 StR 499/00 aaO, jeweils m.w.N.; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 211 Rn. 19 m.w.N.). Die vom Landgericht zum Verhalten der Zeugin K. gegenüber dem Angeklagten getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Bewertung der Eifersucht als „krankhaft übersteigert“ nicht, denn danach bestand für den Angeklagten mehrfach begründeter Anlass zur Eifersucht, weil die Zeugin Kontakte zu anderen Männern suchte und sich zweimal wegen einer neuen Bekanntschaft kurzzeitig vom Angeklagten getrennt hatte. Auch während des der Tat vorangegangenen Diskothekenbesuchs, für dessen Kosten – wie stets – der Angeklagte aufkam, flirtete sie intensiv mit dem Zeugen R., außerdem verursachte sie eine ungewöhnlich hohe Zeche, die nahezu zwei Fünftel des monatlichen Einkommens des Angeklagten betrug. Im Rahmen der Strafzumessung bezeichnet das Landgericht die Empörung des Angeklagten über das Verhalten seiner Verlobten als nachvollziehbar und hält dem zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten zugute, dass dieser sich in einer in gewisser Weise sogar noch verständlichen Aufwallung von Jähzorn, Enttäuschung, Wut aber auch Angst davor, verlassen zu werden, zur Tat entschlossen habe. Diese Erwägungen hätte das Landgericht auch in die Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe einbeziehen müssen.
c)
Minder schwerer Fall des Totschlags – § 213 StGB
Der minder schwere Fall des Totschlags ist vorrangig zu prüfen, auch wenn die allgemeinen Strafmilderungsgründe allein für die Annahme nicht ausreichen, d.h. ggfs. ist auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB für eine Prüfung der Voraussetzungen des § 213 StGB heranzuziehen:185 Das Landgericht hat eine Strafrahmenmilderung nach § 213 StGB rechtsfehlerhaft nicht geprüft. Unter den gegebenen Umständen hätte sich das Gericht aber zu der Erörterung gedrängt sehen müssen, ob nicht jedenfalls die Voraussetzungen eines sonst minder schweren Falles des Totschlages nach § 213 Alt. 2 StGB vorlagen. Bereits an dieser Stelle wären die im Rahmen der konkreten Strafzumessung zugunsten des Angeklagten angeführten Strafmilderungsgründe (frühzeitiges Geständnis, ernsthafte Reue, alkoholbedingte Enthem-
185
BGH, Beschl. v. 29.9.2010 – 2 StR 463/10.
174
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B. StGB – Besonderer Teil
mung, spontaner Tatentschluss und anfängliche Notwehrsituation) unter Berücksichtigung der Strafschärfungsgründe zu würdigen gewesen. Hätten nach Bewertung des Tatrichters die allgemeinen Strafmilderungsgründe allein zur Begründung eines minder schweren Falles nicht ausgereicht, hätte auch der vertypte Strafmilderungsgrund des § 21 StGB neben allen anderen, in den Urteilsgründen dargestellten Milderungs- und Erschwerungsgründen im Rahmen einer Gesamtbewertung erörtert werden müssen. 2. Der Strafausspruch kann auf diesem Rechtsfehler beruhen. Zwar hat das Landgericht die fakultative Strafrahmenmilderung nach § 21 StGB bejaht und den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB zugrunde gelegt. Doch schon der einfach gemilderte Strafrahmen des § 213 StGB wäre für den Angeklagten günstiger, wobei auch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei zutreffender Gesamtwürdigung der Strafrahmen des § 213 StGB wegen des – zur Begründung des minder schweren Falles womöglich nicht benötigten – vertypten Strafmilderungsgrundes noch einmal herabgesetzt worden wäre. ■ PRAXISTIPP
Der vorliegende Sachverhalt verdeutlicht, dass unterschiedliche Milderungsgründe am Ende doch zusammenwirken können, um eine sonst nicht erreichbare Milderung, insbes. einen minder schweren Fall des Tatbestands, zu erreichen. Das Plädoyer entsprechend einzurichten, ist in solchen Fällen eine der Hauptaufgaben der Verteidigung.
d) Körperverletzungshandlung und Tötung – § 212 / § 223 StGB 175
Geht der Täter während seines Handelns vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz über, so kann er wegen vollendeten Totschlags nur dann verurteilt werden, wenn er die zum Tode führenden – gegebenenfalls den Todeseintritt beschleunigenden – Handlungen mit Tötungsvorsatz ausgeführt hat. Steht dagegen fest oder ist nicht auszuschließen, dass für den Todeseintritt bereits solche Handlungen ursächlich waren, die der Täter noch mit Körperverletzungsvorsatz vorgenommen hat, so kommt nur eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge und versuchten Totschlags in Betracht.186 Ob der für das zentrale Regulationsversagen ursächliche Sauerstoffmangel erst dadurch hervorgerufen wurde, dass der Angeklagte sein Opfer noch über den erkannten Eintritt der Bewusstlosigkeit hinaus strangulierte, gegebenenfalls, ob dies ein bereits in Gang befindliches, zum Tode führendes körperliches Geschehen weiter beschleunigte, ist den Feststellungen indes nicht zu entnehmen. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, zum Tatgeschehen insgesamt neue Feststellungen zu treffen. ■ TOPENTSCHEIDUNG
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1. Haben Angeklagte von einer Autobahnbrücke Steine auf die Fahrbahnen geworfen, um Unglücksfälle herbeizuführen, so drängt sich eine Prüfung des Vorsatzes der gefährlichen Körperverletzung auch dann auf, wenn es den Tätern auf Personenschäden nicht ankommt. 186
BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – 3 StR 224/10.
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2. Einzelfallabhängig ist die Frage zu entscheiden, ob bei Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes die Steinwürfe als Tötung bzw. Tötungsversuche mit gemeingefährlichen Mitteln zu werten sind. Trifft der Täter bei einem solchen Steinwurf ein bestimmtes Fahrzeug, so schließt ein solcher Angriff gegen dessen Insassen, also bereits individualisierte Opfer, zwar die Annahme, er habe ein gemeingefährliches Mittel eingesetzt, nicht vor vorneherein aus. Eine tödliche Gefahr für eine Vielzahl von Menschen wird jedoch zumeist nur dann bestehen, wenn dichter Verkehr herrscht und in der Folge des durch den Steinwurf unmittelbar verursachten Unfalls eine unbestimmte Anzahl weiterer Personen – also regelmäßig die Insassen anderer Fahrzeuge – tödliche Verletzungen erleiden können.187 b) Es ist revisionsrechtlich auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht in den Fällen 2 bis 4 einen Tötungsvorsatz der Angeklagten bejaht hat. Es durfte aus dem jeweiligen Tathergang und den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten den – schon nach dem äußeren Geschehen nahe liegenden – Schluss ziehen, dass sie bei Begehung der Taten den Tod der Fahrzeuginsassen zumindest billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02 [insoweit in BGHSt 48, 119, 120 nur abgekürzt wiedergegeben]; BGH, Urteile vom 6. Mai 1982 – 4 StR 133/82, VRS 63, 119; vom 15. Mai 1997 – 4 StR 118/97, NStZ-RR 1997, 294, 295; Beschluss vom 10. Oktober 2000 – 4 StR 381/00, NZV 2001, 133). Ausführungen zur Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes gegenüber bewusst fahrlässigen Tötungsversuchen vermisst der Senat nicht. Ebenso musste sich das Schwurgericht nicht näher mit der Einschätzung eines Polizeibeamten zum Vorsatz des Angeklagten T. befassen und auch die Frage nicht (noch) ausführlicher erörtern, warum es weitgehend den Angaben dieses Angeklagten zum jeweiligen äußeren Tathergang, aber nicht zur subjektiven Tatseite folgt. Die Bejahung des Mordmerkmals der Heimtücke (vgl. zu dieser BGHSt 48, 119, 120; BGH, Urteil vom 15. Mai 1997 – 4 StR 118/97, NStZ-RR 1997, 294, 295) sowie die Verurteilung wegen (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (vgl. BGHSt 48, 119, 120 ff.; BGH, Beschluss vom 12. November 2002 – 4 StR 384/02, NStZ 2003, 206) begegnen ebenfalls keinen Bedenken. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln ist erfüllt, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährden kann, weil er die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Dabei ist nicht allein auf die abstrakte Gefährlichkeit eines Mittels abzustellen, sondern auf seine Eignung und Wirkung in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der persönlichen Fähigkeiten und Absichten des Täters (BGHSt 38, 353, 354; BGH, Urteile vom 16. August 2005 – 4 StR 168/05, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Gemeingefährliche Mittel 2, und vom 16. März 2006 – 4 StR 594/05, NStZ 2006, 503, 504). … Auf dieser Grundlage hängt es vom konkreten Einzelfall ab, ob Steinwürfe von einer Autobahnbrücke bei Vorliegen eines entsprechenden Vorsatzes als Tötung bzw. Tötungsversuche mit gemeingefährlichen Mitteln zu bewerten sind. Trifft der Täter bei einem solchen Steinwurf ein bestimmtes Fahrzeug, so schließt ein solcher Angriff gegen dessen Insassen, also bereits individualisierte Opfer, zwar die Annahme, er habe ein gemeingefährliches Mittel eingesetzt, nicht vor vorneherein aus. Eine tödliche Gefahr für eine Vielzahl von Menschen wird jedoch zumeist nur dann bestehen, wenn dichter Verkehr herrscht und in der Folge des durch den Steinwurf unmittelbar verursachten Unfalls eine unbestimmte
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BGH, Urteil v. 14.1.2010 – 4 StR 450/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
Anzahl weiterer Personen – also regelmäßig die Insassen anderer Fahrzeuge – tödliche Verletzungen erleiden können (vgl. BGHSt 38, 353, 355; Schneider in Münchner-Kommentar StGB § 211 Rdn. 104 m.w.N.). Nichts anderes gilt in den Fällen, in denen der Täter bei dem Steinwurf noch kein bestimmtes Fahrzeug im Auge hat, sondern sich die Tat auf ein beliebiges, sich möglicherweise noch außerhalb seines Sichtbereichs befindliches Fahrzeug und dessen Insassen bezieht. Auch hier fehlt es bezogen auf die Kollision zwischen diesem Fahrzeug und dem auf der Fahrbahn liegenden Stein regelmäßig daran, dass allein hierdurch eine Mehrzahl von Menschen an Leib und Leben gefährdet werden kann, weil der Täter die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat. Daher wird auch in solchen Fällen eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln – von Ausnahmefällen wie etwa einer Kollision eines voll besetzten Omnibusses mit dem Stein abgesehen – nur dann in Betracht kommen, wenn Folgeunfälle mit tödlichen Verletzungen drohen. Ausgehend hiervon hat das Schwurgericht zu Recht in den Fällen 2 bis 4 einen mit gemeingefährlichen Mitteln begangenen Mordversuch verneint und lediglich eine heimtückische Tatbegehung bejaht. Es hat dabei rechtsfehlerfrei vorrangig darauf abgestellt, dass zu den Tatzeiten am späten Abend jeweils ruhiger Verkehr herrschte. Zudem hat die Strafkammer eine Gefährdung Dritter durch oder infolge der Unfallgeschehen nicht festgestellt. Vielmehr war es – soweit das Urteil dies mitteilt – den jeweiligen Fahrern gelungen, die Pkws auf dem Standstreifen bzw. an der Mittelleitplanke zum Stehen zu bringen und ordnungsgemäß abzusichern; der am 12. März 2007 verwendete Stein befand sich dabei immer noch unter dem Fahrzeug von H., die am 8. März 2007 zur Tat benutzten Steine konnten nicht sichergestellt werden. Feststellungen dazu, dass nach den Kollisionen mit den Steinen weitere Unfälle von oder mit dritten Fahrzeugen drohten, hat das Landgericht nicht getroffen. ■ PRAXISHINWEIS
Fälle mit vorliegendem oder einem ähnlichen Sachverhalt sind immer „dramatisch“. Insoweit ist es aber die Verpflichtung aller Prozessbeteiligten, den jeweiligen Verantwortungsgrad deutlich herauszuarbeiten. Entsprechend der Grundsätze der Entscheidung liegt demnach in solchen Fällen das Mordmerkmal des Einsatzes gemeingefährlicher Mittel nur dann vor, wenn nach den Umständen, insbesondere der bestehenden Verkehrsdichte, eine tödliche Gefahr für eine Vielzahl von Menschen herbeigeführt wurde.
e) 177
Tötung auf Verlangen – § 216 StGB
Ein ernstliches Tötungsverlangen im Sinne von § 216 Abs. 1 StGB liegt dann nicht vor, wenn das Tötungsverlangen erkennbar nur einer Augenblicksstimmung entspringt und ihm daher keine tiefere Reflexion des Tatopfers über seinen Todeswunsch zugrunde liegt.188
188
BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – 3 StR 168/10.
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
f)
141
Sterbehilfe TOPENTSCHEIDUNG ■
Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzung oder Beendigung einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) ist gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht (§ 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Ein Behandlungsabbruch kann sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden.189 Der Begriff der Sterbehilfe durch Behandlungsunterlassung, -begrenzung oder -abbruch setzt voraus, dass die betroffene Person lebensbedrohlich erkrankt ist und die betreffende Maßnahme medizinisch zur Erhaltung oder Verlängerung des Lebens geeignet ist. Nur in diesem engen Zusammenhang hat der Begriff der „Sterbehilfe“ einen systematischen und strafrechtlich legitimierenden Sinn. Vorsätzliche lebensbeendende Handlungen, die außerhalb eines solchen Zusammenhangs mit einer medizinischen Behandlung einer Erkrankung vorgenommen werden, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung dagegen von vornherein nicht zugänglich; dies ergibt sich ohne Weiteres aus § 216 und § 228 StGB und den diesen Vorschriften zugrunde liegenden Wertungen unserer Rechtsordnung. Eine durch Einwilligung gerechtfertigte Handlung der Sterbehilfe setzt überdies voraus, dass sie objektiv und subjektiv unmittelbar auf eine medizinische Behandlung im oben genannten Sinn bezogen ist. Erfasst werden hiervon nur das Unterlassen einer lebenserhaltenden Behandlung oder ihr Abbruch sowie Handlungen in der Form der so genannten „indirekten Sterbehilfe“, die unter Inkaufnahme eines möglichen vorzeitigen Todeseintritts als Nebenfolge einer medizinisch indizierten palliativen Maßnahme erfolgen. Das aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG abgeleitete Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen legitimiert die Person zur Abwehr gegen nicht gewollte Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit und in den unbeeinflussten Fortgang ihres Lebens und Sterbens; es gewährt ihr aber kein Recht oder gar einen Anspruch darauf, Dritte zu selbständigen Eingriffen in das Leben ohne Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung zu veranlassen. Eine Rechtfertigung durch Einwilligung kommt daher nur in Betracht, wenn sich das Handeln darauf beschränkt, einen Zustand (wieder-)herzustellen, der einem bereits begonnenen Krankheitsprozess seinen Lauf lässt, indem zwar Leiden gelindert, die Krankheit aber nicht (mehr) behandelt wird, so dass der Patient letztlich dem Sterben überlassen wird. Nicht erfasst sind dagegen Fälle eines gezielten Eingriffs, der die Beendigung des Lebens vom Krankheitsprozess abkoppelt (vgl. zu dieser Unterscheidung auch Höfling JuS 2000, 111, 113; Verrel, Gutachten zum 66. DJT, 2006, C 64). Eine solche Unterscheidung nach den dem Begriff des Behandlungsabbruchs immanenten Kriterien der Behandlungsbezogenheit und der Verwirklichung des auf die Behandlung bezogenen Willens der betroffenen Person ist besser als die bisherige, dogmatisch fragwürdige und praktisch kaum durchführbare Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Handeln geeignet, dem Gewicht der betroffenen Rechtsgüter in der Abwägung Geltung zu verschaffen und für alle Beteiligten eine klare rechtliche Orientierung zu bieten. Die tatbestandlichen Grenzen des § 216 StGB bleiben hierdurch unberührt. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgeset189
BGH, Urteil v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09.
178
142
B. StGB – Besonderer Teil
zes, wonach Handlungen, die der Ablehnung einer medizinischen Maßnahme oder der Untersagung ihrer Fortführung durch den betroffenen Patienten Rechnung tragen, von einer Tötung auf Verlangen i.S.d. § 216 StGB strikt zu unterscheiden sind (vgl. BT-Drucks. 16/8442 S. 3, 7 f.).
179
Wer eigenmächtig einen vermeintlichen Patientenwillen umsetzt und einen Behandlungsabbruch herbeiführt, ist jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn auch im Übrigen die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind.190 Der Angeklagte beschloss nunmehr, unter Berufung auf die Patientenverfügung, deren Inhalt ihm unbekannt war, bei den ungeliebten „Besserwissern“ von Ärzten das Abstellen der medizinischen Geräte zu erzwingen und, falls dem nicht nachgegeben werden sollte, selbst Hand anzulegen und Perfusoren sowie Sauerstoffgerät abzuschalten. Für diesen Entschluss war sowohl maßgebend, dass er im Krankenhaus nicht unnötig weiter „rumsitzen“ und warten wollte, als auch insgeheim seine Besorgnis, dass eine nach erfolgreichem Krankenhausaufenthalt etwa pflegebedürftige Schwiegermutter ihm und seiner Familie zur Last fallen könne, was sie – wie er sich einredete – nie gewollt habe. Der Angeklagte forderte die Stationsärztin unter Hinweis auf die Patientenverfügung mehrfach in aggressivem Ton und schließlich ultimativ auf, sofort alle Geräte abzustellen. Diese kam dem Verlangen des Angeklagten nicht nach und verlangte von ihm nach Rücksprache mit einer Oberärztin die Vorlage der Patientenverfügung. Kurz nach 20.00 Uhr ging die Patientenverfügung per Fax auf der Intensivstation ein. Das mit Datum vom 3. Juli 2004 versehene Schriftstück hatte auszugsweise folgenden Wortlaut: „Patientenverfügung Für den Fall, dass ich nicht mehr in der Lage bin, meine Angelegenheiten selbst zu regeln, verfüge ich: An mir sollen keine lebensverlängernden Maßnahmen vorgenommen werden, wenn festgestellt ist, dass ich mich im unmittelbaren Sterbeprozess befinde, bei dem jede lebenserhaltende Maßnahme das Sterben oder Leiden ohne Aussicht auf erfolgreiche Behandlung verlängern würde, oder dass es zu einem nicht behebbaren Ausfall lebenswichtiger Funktionen meines Körpers kommt, der zum Tode führt. Ärztliche Begleitung und Behandlung sowie sorgsame Pflege sollen in diesen Fällen auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtet sein, selbst wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist … Maßnahmen aktiver Sterbehilfe lehne ich ab. Ich unterschreibe diese Verfügung nach sorgfältiger Überlegung und als Ausdruck meines Selbstbestimmungsrechts. Ich wünsche nicht, dass mir in der akuten Situation eine Änderung meines hiermit bekundeten Willens unterstellt wird. Sollte ich meine Meinung ändern, werde ich dafür sorgen, dass mein geänderter Wille zum Ausdruck kommt … Für den Fall, dass ich außerstande bin, meinen Willen zu bilden oder zu äußern, benenne ich hiermit als Person meines besonderen Vertrauens A. B. geb. K. … und erteile ihr hiermit Vollmacht, an meiner Stelle mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen.
190
BGH, Beschl. v. 10.11.2010 – 2 StR 320/10.
II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
143
Die Vertrauensperson soll meinen Willen einbringen und in meinem Namen Einwendungen vortragen, die die Ärztin oder Arzt berücksichtigen soll …“ Der Angeklagte, der den Text der Patientenverfügung nicht zur Kenntnis genommen hatte, verlangte unter Hinweis darauf zu wissen, wann die Geräte endlich abgestellt würden. Die Zeugin Dr. P. erwiderte erneut, sie dürfe die Geräte nicht abschalten, weil sie sich sonst wegen Sterbehilfe strafbar mache; außerdem müsste die gerade erst eingegangene Patientenverfügung zunächst geprüft und bewertet werden, zumal die Patientin, obwohl die beiden ersten Tage wach und ansprechbar, eine solche Verfügung weder erwähnt, noch in ihren Unterlagen mitgeführt habe. Auf die Weigerung der Zeugin reagierte der Angeklagte mit den Worten: „Gut, dann mach ich das jetzt selbst!“ Dann begab er sich zu den Perfusoren und betätigte gegen 20.15 Uhr die Ausschalter der Bedienelemente der Geräte vom oberen beginnend bis zum unteren. Dadurch unterbrach er die Zufuhr von fünf Medikamenten, darunter das für Frau K. zur Aufrechterhaltung der Kreislauffunktionen lebenswichtige Adrenalin. Der Angeklagte wollte durch das Abschalten der Perfusoren und der Sauerstoffzufuhr unter Berufung auf deren angeblichen Willen den alsbaldigen Tod von Frau K. herbeiführen. Er stellte sich vor, dass durch seine Maßnahmen die Sterbephase unumkehrbar eintreten werde. Das Abschalten der Geräte bewirkte innerhalb von Sekunden einen dramatischen Abfall des Blutdrucks und der Herzfrequenz von Frau K. Sodann wollte der Angeklagte das hinter dem Bett stehende Beatmungsgerät abschalten. Hieran wurde er jedoch durch den Zeugen S., zur Tatzeit Krankenpfleger auf der Intensivstation, gehindert, der sich schützend vor die Sauerstoffpumpe stellte und sich auch durch Drohungen des Angeklagten, handgreiflich zu werden, nicht beeindrucken ließ. In der Zwischenzeit schaltete die Zeugin He. auf Anweisung der Stationsärztin die Perfusoren, die durch das Eingreifen des Angeklagten mindestens zehn Sekunden außer Betrieb gewesen waren und bereits Alarm gegeben hatten, wieder ein. Die Adrenalindosis musste massiv erhöht werden, um die Blutdruckwerte von Frau K. zu stabilisieren. Frau K. verstarb um 23.49 Uhr an einem septischen Schock als Folge einer schweren, eitrigen Pneumonie. Das kurzfristige Abschalten der Perfusoren durch den Angeklagten war hingegen nicht nachweisbar todesursächlich. 2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags (§§ 212, 22, 23 StGB). Der Angeklagte stellte sich vor, dass er durch die Unterbrechung der Zufuhr lebenserhaltender Medikamente und das beabsichtigte Kappen der Sauerstoffzufuhr die Sterbephase unumkehrbar einleiten würde und wollte dadurch den Tod von Frau K. unmittelbar herbeiführen. Eine Tötung auf Verlangen im Sinne von § 216 StGB hat das Landgericht zutreffend schon deshalb verneint, weil nach den Feststellungen ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen im Sinne dieser Vorschrift nicht vorlag. Vielmehr hatte Frau K. in ihrer Patientenverfügung zum Ausdruck gebracht, dass sie aktive Sterbehilfe ablehne, also ärztlich behandelt werden wolle, solange noch eine Chance auf Genesung bestand. Außerdem hat sie zu einem Zeitpunkt, als sie noch ansprechbar war, auf die Nachricht, dass sie bei einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes auf die Intensivstation verlegt werden müsse, ruhig und ohne Widerspruch reagiert. Dies hat das Landgericht rechtlich zutreffend als stillschweigende Einwilligung zumindest in die Verlegung auf die Intensivstation und die dort zunächst veranlassten ärztlichen Maßnahmen interpretiert. Das Vorgehen des Angeklagten war auch nicht als Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens nach den Grundsätzen der Entscheidung des Senats vom 25. Juni 2010 gerechtfertigt (2 StR 454/09 – NJW 2010, 2963). Danach ist zwar Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht
144
B. StGB – Besonderer Teil
(vgl. § 1901a BGB) und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Keine der danach für eine Rechtfertigung der versuchten Tötung erforderlichen Voraussetzungen war jedoch im vorliegenden Fall gegeben. Der Angeklagte kann sich schon nicht darauf berufen, er habe den Willen von Frau K. umgesetzt. Dies ergibt sich ohne weiteres bereits daraus, dass er nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen ihren Willen nicht im Einzelnen kannte und auch nicht bereit war, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Außerdem lagen die in der Patientenverfügung vorgesehenen Bedingungen für einen Behandlungsabbruch nicht vor. Aus medizinischer Sicht befand sich Frau K. weder im unmittelbaren Sterbeprozess noch war es bei ihr zu einem nicht mehr behebbaren Ausfall lebenswichtiger Funktionen des Körpers gekommen, der zum Tode führt. Dies wusste der Angeklagte. Von den behandelnden Ärzten war er darüber informiert worden, dass der Zustand von Frau K. zwar ernst, aber nicht hoffnungslos war. Insofern kann der Angeklagte auch nicht geltend machen, er habe sich im Irrtum über den Zustand von Frau K. befunden und sei davon ausgegangen, ihrem Willen Geltung zu verschaffen. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass in Fällen, in denen zukünftig ein rechtfertigender Behandlungsabbruch auf der Grundlage des Patientenwillens nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung vom 25. Juni 2010 in Rede steht (2 StR 454/09 – NJW 2010, 2963), die Voraussetzungen der §§ 1901a, 1901b BGB – eingefügt durch Gesetz vom 29. Juli 2009 mit Wirkung vom 1. September 2009 und damit nach dem festgestellten Tatgeschehen – zu beachten sein werden. Diese Vorschriften enthalten verfahrensrechtliche Absicherungen, die den Beteiligten bei der Ermittlung des Patientenwillens und der Entscheidung über einen Behandlungsabbruch Rechts- und Verhaltenssicherheit bieten sollen (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucksache 16/13314, S. 3 f. u. 7 f.) und bei der Bestimmung der Grenze einer möglichen Rechtfertigung von kausal lebensbeendenden Maßnahmen auch für das Strafrecht Wirkung entfalten (vgl. Senat BGH NJW 2010, 2966). Sie dienen zum einen der Verwirklichung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts von Patienten, die selbst zu einer Willensäußerung nicht (mehr) in der Lage sind (Senat aaO). Hierin erschöpft sich ihre Funktion jedoch nicht. Vielmehr tragen sie zum anderen gleichgewichtig dem von Verfassungs wegen gebotenen Schutz des menschlichen Lebens Rechnung, indem sie die notwendigen strengen Beweisanforderungen an die Feststellung eines behandlungsbezogenen Patientenwillens verfahrensrechtlich absichern (vgl. Senat aaO 2967). Unter letzterem Gesichtspunkt ist zunächst sicherzustellen, dass Patientenverfügungen nicht ihrem Inhalt zuwider als Vorwand benutzt werden, um aus unlauteren Motiven auf eine Lebensverkürzung schwer erkrankter Patienten hinzuwirken. Darüber hinaus muss in der regelmäßig die Beteiligten emotional stark belastenden Situation, in der ein Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen ist, gewährleistet sein, dass die Entscheidung nicht unter zeitlichem Druck, sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der medizinischen Grundlagen und des sich gegebenenfalls in einer Patientenverfügung manifestierenden Patientenwillens erfolgt. Dass es solcher das Verfahren regelnder Vorschriften bedarf, um einen missbräuchlichen und/oder vorschnellen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen zu verhindern, macht gerade der vorliegende Sachverhalt deutlich. Frau K. hatte zunächst in die Verlegung auf die Intensivstation und die damit verbundene lebenserhaltende Behandlung konkludent eingewilligt. Die weitergehenden medizinischen Maßnahmen und das Versetzen in ein künstliches Koma nach der Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes waren erst am Morgen des Tages vorgenommen worden, an dem nach der Vorstellung des Angeklagten unmittelbar und ohne nähere Prüfung, ob der tatsächliche Gesundheitszustand dem in der Patientenverfügung vorausgesetzten entsprach, die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch herbeigeführt werden sollte. Der Angeklagte ließ sich dabei nach den Feststellun-
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II. 8. Straftaten gegen das Leben – §§ 221 ff. StGB
gen auch von der Besorgnis leiten, seine nach erfolgreicher Behandlung etwa pflegebedürftige Schwiegermutter könne ihm finanziell zur Last fallen. Für die Feststellung des Patientenwillens als Grundlage für den rechtfertigenden Abbruch lebenserhaltender medizinischer Maßnahmen sehen die §§ 1901a und 1901b BGB daher grundsätzlich folgendes Verfahren vor: Gemäß § 1901a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB ist nur der Betreuer bzw. Bevollmächtigte (§ 1901a Abs. 5 BGB) befugt, die Übereinstimmung der Festlegungen in der Patientenverfügung mit der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation des Patienten zu prüfen und auf dieser Grundlage dem Willen des Patienten gegebenenfalls Geltung zu verschaffen. Darüber hinaus setzt die Entscheidung über einen Behandlungsabbruch gemäß § 1901b Abs. 1 BGB zwingend ein Zusammenwirken von Betreuer bzw. Bevollmächtigtem und Arzt voraus. Danach prüft der behandelnde Arzt in eigener Verantwortung, welche ärztliche Behandlung im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des Patienten indiziert ist und erörtert dies mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens als Grundlage für die zu treffende Entscheidung. PRAXISHINWEIS ■
Die vorstehende Entscheidung stellt eine wichtige Ergänzung zum Urteil vom 25.6.2010191 dar und bestätigt die dortigen Grundsätze auch für andere Fälle des Behandlungsabbruchs. Vor allem muss nach ärztlichem Befund feststehen, dass der Sterbeprozess eingeleitet und nach aller Bewertung nicht mehr umkehrbar ist. Ein bloß ernsthafter Krankheitszustand reicht hierfür keinesfalls aus. Auch kann sich auf eine Patientenverfügung nur derjenige berufen, welcher diese auch tatsächlich kennt!
g)
Fahrlässige Tötung/Körperverletzung und „in dubio pro reo“
Zur Beurteilung der Kausalität bei den (unechten) Unterlassungsdelikten ist auf die hypothetische Kausalität, die so genannte „Quasi-Kausalität“ abzustellen. Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten also nur dann angenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht dazu gekommen wäre. Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo.192 Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung sind Erfolgsdelikte. Strafbarkeit liegt bei diesen nur dann vor, wenn das tatbestandsrelevante Verhalten den Erfolg verursacht, wenn der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht. Folgenlose Fahrlässigkeit ist nur bei fahrlässigen Tätigkeitsdelikten (z.B. § 316 Abs. 2 StGB) strafbar und kann gegebenenfalls als Gefährdungsdelikt erfasst werden. „Fahrlässiger Versuch“ ist straflos (vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 179). Zur Beurteilung der Kausalität bei den (unechten) Unterlassungsdelikten ist auf die hypothetische Kausalität, die so genannte „Quasi-Kausalität“ abzustellen. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung zu setzen, wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert … 191 192
Rn. 178. BGH, Urteil v. 12.1.2010 – 1 StR 272/09.
180
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B. StGB – Besonderer Teil
Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten also nur dann angenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht dazu gekommen wäre, wenn der Erfolg nicht unabhängig davon eingetreten wäre. Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Vielmehr muss sich dies aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichten, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist … Es genügt nicht, dass ein Unterlassen der gebotenen Handlung das Risiko erhöht (zur Risikoerhöhungstheorie vgl. Vogel in LK 12. Aufl. § 15 Rdn. 193). Es kann hier dahinstehen, ob Ursächlichkeit angenommen werden kann, wenn bei Vornahme der Handlung der Erfolg zwar nicht vermieden, aber mit Sicherheit die dem Erfolg zugrunde liegende Gefahrensituation durch Beeinflussung des Kausalverlaufs verändert worden wäre (so Roxin, Kausalität und Garantenstellung bei den unechten Unterlassungen, GA 2009, 73, 76 f.). Die nach den bisherigen Feststellungen vorliegende Situation nacheinander erfolgter Unterlassungen ist nicht mit der auf gleicher Ebene angesiedelten Entscheidung von Kollektivorganen vergleichbar, nichts zu veranlassen, (vgl. dazu BGH, Urt. vom 26. Juni 1990 – 2 StR 549/89 – [BGHSt 37, 106] – Lederspray-Fall) bzw. mit kollektivem Untätigbleiben der Mitglieder entsprechender Gremien (vgl. dazu BGH, Urt. vom 6. November 2002 – 5 StR 281/01 – [BGHSt 48, 77] – Politbüro-Fall). Beschließen etwa die Geschäftsführer einer GmbH einstimmig, eine gebotene Handlung zu unterlassen, so liegt – nur – hinsichtlich dieser Entscheidung selbst mittäterschaftliches Handeln vor. Keiner der Beteiligten kann dann seinen Beitrag zu dieser Pflichtverletzung damit in Frage stellen, dass er sich darauf beruft, im Falle seines Widerspruchs wäre er überstimmt worden (BGHSt 37, 106, 129). Entsprechendes gilt beim stillschweigenden Konsens der Angehörigen eines Gremiums, dem die Schadensabwendungspflicht als Ganzes obliegt, nichts zu tun. Auch dann kann sich keines der – parallel – schweigenden Mitglieder darauf berufen, sein Widerspruch hätte ohnehin kein Gehör gefunden. Die Frage, ob die so getroffene Kollegialentscheidung – das kollektive Unterlassen, die kollektive Pflichtwidrigkeit – für den Erfolg kausal war, beantwortet sich auch dann nach den Regeln der hypothetischen Kausalität (vgl. BGHSt 37, 106, 126 f.).
■ PRAXISHINWEIS
Die Entscheidung grenzt die Strafbarkeit bei Fahrlässigkeitstaten auf die Fälle ein, in denen feststeht, dass bei Unterlassungsdelikten eine an sich gebotene Handlung den Tatbestandserfolg verhindert hätte. Dies muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, wobei zusätzlich zugunsten eines Angeklagten auch der Zweifelssatz streiten kann. Ausreichend ist weiterhin nicht, dass durch die gebotene, aber unterlassene Handlung das Risiko für den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs nur erhöht wurde!
II. 9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB
147
9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB a)
Vorsätzliche Körperverletzung – § 223 StGB
Das Festhalten einer anderen Person im „Schwitzkasten“ stellt ein unangemessenes, übles Behandeln dar, welches das körperliche Wohlbefinden der geschädigten Person nicht nur unerheblich beeinträchtigt.193
181
b) § 224 Abs. 1 StGB – Qualifikationsmerkmale Das Beibringen von KO-Tropfen erfüllt den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB.194
182
Am frühen Morgen des 25. Dezember 2008 schüttete der Angeklagte in einer Diskothek KO-Tropfen in das Getränk der ihm bis dahin unbekannten P., um deren Widerstandskraft zu schwächen und dann gegen deren erkennbaren Willen sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Es gelang ihm mehrfach mit der Hand in die Hose des Opfers zu gelangen und an dessen Scheide und Gesäß zu manipulieren, um sich sexuell zu erregen. Nach dem Verlassen der Diskothek rief der Angeklagte ein Taxi und ließ sich zusammen mit dem Opfer in der Nähe seiner Wohnung absetzen. Infolge der Wirkung der KO-Tropfen fiel P. zu Boden, wobei sie sich eine Schürfwunde an der Hand sowie eine Prellung an der Hüfte zuzog. Der Angeklagte hob sie auf, lehnte sie gegen eine Hauswand und küsste sie mehrfach, wobei er ihre eingeschränkte Widerstandsfähigkeit, wie von ihm durch die Gabe der KO-Tropfen beabsichtigt, ausnutzte. 2. Das Landgericht hat den Vorfall in der Diskothek (II 3.1 der Urteilsgründe) rechtsfehlerfrei als schwere sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB; in Betracht gekommen wäre weiter § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB – vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 21. April 2009 – 4 StR 531/08) gewertet. In dem Geschehen an der Hauswand hat das Landgericht eine selbständige Tat der Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gesehen.
Die Frage, ob ein Elektrokabel ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist, hatte der 4. Strafsenat des BGH mit Beschluss vom 12.1.2010195 zu entscheiden und dabei auf die konkrete Art der Verwendung abgestellt: 1. Nach den Feststellungen legte der Angeklagte der vor dem Computer sitzenden Nebenklägerin ein etwa ein Meter langes Elektrokabel locker um den Hals, ohne es allerdings zuzuziehen und ohne dass das Kabel mit ihrem Hals in Berührung kam. Er wollte ihr lediglich einen heftigen Schrecken einjagen. Die Nebenklägerin bemerkte das Kabel, ergriff es von oben mit beiden Händen und zog es mit einem heftigen Ruck dem Angeklagten aus der Hand, so dass es auf den Fußboden fiel. Spätestens jetzt rief der Angeklagte: „Ich bringe dich um.“ Die Nebenklägerin, der es im weiteren Verlauf gelang, den Angeklagten aus dem Zimmer zu drängen und in die Küche zu flüchten, erlebte Todesängste, verspürte eine Beklemmung und litt noch geraume Zeit nach der Tat unter Angstzuständen.
193 194 195
BGH, Urteil v. 15.9.2010 – 2 StR 400/10. BGH, Beschl. v. 23.2.2010 – 1 StR 652/09. BGH, Beschl. v. 12.1.2010 – 4 StR 589/09.
183
148
B. StGB – Besonderer Teil
2. Diese Feststellungen belegen zwar noch die Annahme einer vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB). Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung kann jedoch keinen Bestand haben. Denn entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte die Körperverletzung nicht mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB begangen. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein gefährliches Werkzeug jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. nur Senat, Beschl. vom 5. September 2006 – 4 StR 313/06, NStZ 2007, 95). Bereits diese Eignung erscheint hier zweifelhaft. Zwar kann ein Kabel, wenn es zum Würgen eingesetzt wird, nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Verwendung erhebliche Verletzungen herbeiführen. Hier legte der Angeklagte der Nebenklägerin jedoch das Kabel lediglich locker um den Hals, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Wird eine Strangulation aber nur vorgetäuscht, sind erhebliche Verletzungen regelmäßig nicht zu befürchten. Dass es sich hier ausnahmsweise, etwa aufgrund einer besonderen Disposition der Nebenklägerin, anders verhielt, ist nicht festgestellt. b) Darüber hinaus verlangt § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass die Körperverletzung „mittels“ eines solchen Werkzeugs begangen wird. Das Tatmittel muss hierbei unmittelbar auf den Körper des Opfers einwirken (Senat, Urt. vom 22. Dezember 2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573, Beschl. vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405; Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rdn. 7). Jedenfalls daran fehlt es hier. Das Kabel kam zwar mit dem Körper der Nebenklägerin in Berührung. Es entfaltete jedoch als bloße „Requisite“ bei der Inszenierung einer scheinbar lebensbedrohlichen Situation seine Wirkung nicht unmittelbar körperlich, sondern psychisch vermittelt. Dies vermag den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aber ebenso wenig zu erfüllen wie der Einsatz einer Maske oder die Vorlage einer gefälschten Todesbescheinigung mit dem Ziel, das Opfer in Schrecken zu versetzen.
184
Unter die Ferse der Geschädigten geklebte Reißzwecken stellen jedenfalls dann noch keine Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs dar, solange diese nur gezwungen ist, notfalls auch stundenlang auf den vorderen Fußballen zu stehen:196 Im Fall II. 12 der Urteilsgründe belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte die Körperverletzung „mittels“ eines gefährlichen Werkzeugs begangen hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ 2010, 512 f.). Das körperliche Wohlbefinden der Geschädigten wurde nicht unmittelbar durch die unter ihre Fersen geklebten Reißzwecken erheblich beeinträchtigt, sondern dadurch, dass sie stundenlang gezwungen war, auf den vorderen Fußballen zu stehen. Der Angeklagte hat sich mithin nur der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit Nötigung strafbar gemacht.
185
Mit der Frage, welche Art von Schuhen bei welcher Art der Benutzung als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen sind, befasste sich der 2. Strafsenat bei dem Urteil vom 15.9.2010197 sowie weiterhin mit der Frage, wann die Begehung mittels eines hinterlistigen Überfalls anzunehmen ist: a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob der Schuh am Fuß des Täters als ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB
196 197
BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 4 StR 264/10. BGH, Urteil v. 15.9.2010 – 2 StR 395/10.
II. 9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB
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anzusehen ist, auf die Umstände des Einzelfalles an, unter anderem auf die Beschaffenheit des Schuhes sowie auf die Frage, mit welcher Heftigkeit und gegen welchen Körperteil mit dem beschuhten Fuß getreten wird (vgl. BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 Werkzeug 1). Ein Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug anzusehen, wenn damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Das gilt jedenfalls für Tritte in das Gesicht des Opfers. Entsprechendes ist anzunehmen, wenn der Täter feste Turnschuhe der heute üblichen Art trägt, wovon das Landgericht ausgegangen ist. Daher liegt die Annahme nahe, dass durch das Verhalten des Angeklagten L. auch der Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist. Der Geschädigte hatte nach der Tat erhebliche Schwellungen und Blutergüsse im Gesicht; sein rechtes Ohr war „schwarz angelaufen“. Dies kann auf die Tritte des Angeklagten L. mit seinen beschuhten Füssen zurückzuführen sein. b) Das Landgericht hat ferner die Anwendung von § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erwogen, obwohl ein solcher Fall nach den Feststellungen nahe liegt. Eine gefährliche Körperverletzung liegt danach vor, wenn der Täter die Tat mittels eines hinterlistigen Überfalls begeht. Ein Überfall ist allerdings nicht schon dann hinterlistig, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer nur ein Überraschungsmoment ausnutzt (vgl. BGH NStZ 2005, 97). Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung der wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 77, 78). Eine solche Fallgestaltung kann darin zu sehen sein, dass die Angeklagte M. den Geschädigten in eine Falle lockte, als sie ihn außerhalb der Geschäftszeiten in die Geschäftsräume bat und ihn unter einem Vorwand alleine in ihr Büro gehen ließ, während ihm L., Me. und S. auflauerten.
Ob Reizgas ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist, hängt von der konkreten Verwendung und den Vorstellungen des Täters über die möglichen Folgen seines Handelns ab:198 a) Nach den Feststellungen besuchte der alkoholisierte und aggressiv auftretende Angeklagte die mit ihm befreundete Nebenklägerin in deren Wohnung. Unter (nicht verfahrensgegenständlichen) Tätlichkeiten gegen ihre Person hielt er ihr angebliche „Männergeschichten“ vor, bis der ihn begleitende Zeuge L. zum Aufbruch drängte. Nunmehr verlangte der Angeklagte von der Nebenklägerin Geld. Aus Angst verwies sie ihn auf ihre Handtasche, die vor ihr auf dem Fußboden stand. In hockender Haltung durchsuchte der Angeklagte die Handtasche und fand ein Reizgasspray. Mit der Frage, was sie damit anfangen wolle, sprühte er „aufwärts in … Richtung“ der nur wenig entfernt auf dem Sofa sitzenden Nebenklägerin. Diese, der Zeuge und der Angeklagte „bekamen von dem Reizgas ab“. Danach setzte der Angeklagte die Durchsuchung der Handtasche fort, entnahm ihr das Portemonnaie der Nebenklägerin und steckte es in seine Hosentasche, um es samt Inhalt für sich zu behalten. Anschließend begab sich der Angeklagte mit der Nebenklägerin ins Bad, um ihr beim Auswaschen der Augen zu helfen. Zur Beruhigung der Lage verabredete man, zusammen mit dem Zeugen in dessen Pkw zur Schwester des Angeklagten zu fahren. Vor dem Verlassen der Wohnung legte der Angeklagte das Portemonnaie im Flur ab, ohne etwas entnommen zu haben. …
198
BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 3 StR 338/10.
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b) Die Feststellungen tragen – bezogen auf das Sprühen des Reizgases – nicht den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen; diese Merkmale müssen vom Vorsatz des Täters umfasst sein (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 224 Rn. 9, 13). Zu den Vorstellungen des Angeklagten über die möglichen Folgen seines Handelns verhält sich das Urteil indes nicht. Dass er damit rechnete und es billigte, das Reizgas sei – so wie er es verwendete – geeignet, die Nebenklägerin überhaupt und noch dazu erheblich zu verletzen, versteht sich hier wegen der besonderen Umstände des Falles nicht von selbst. Vorkehrungen gegen Einwirkungen des Gases auf die eigene Person hat der Angeklagte nicht getroffen; zudem folgt das Landgericht ersichtlich der Aussage des Zeugen L., der Angeklagte habe „allenfalls vage“ in Richtung der Nebenklägerin gesprüht, und geht weiter davon aus, dass die Tatfolgen deshalb „relativ geringfügig“ blieben. ■ PRAXISHINWEIS
Mit dieser Entscheidung wird verdeutlicht, dass allein die Feststellung der Verwendung eines in seiner konkreten Anwendung gefährlichen Werkzeugs nicht ausreicht. Vielmehr muss der Tatrichter künftig auch die subjektiven Elemente genau aufklären, ob nämlich der Täter im Rahmen des Einsatzes im konkreten Fall dem Tatmittel auch die Eignung der Herbeiführung nicht unerheblicher körperlicher Beeinträchtigungen beigemessen hat. Gerade dieses, zur Begründung der Eigenschaft als gefährliches Werkzeug zusätzlich notwendige neue subjektive Element ist in den Entscheidungsgründen darzulegen. 187
Glasreinigungsmittel als gefährliches Werkzeug:199 1. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben, soweit die Strafkammer den Angeklagten wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat; denn es fehlt – anders als im Fall II. 2. der Urteilsgründe – an der Feststellung, dass durch den Einsatz des gefährlichen Werkzeugs – das Besprühen des Gesichts des Opfers mit Glasreinigungsmittel – eine Körperverletzung verursacht worden ist. Die Feststellungen tragen aber die zum schweren Raub in Tateinheit stehende Verurteilung wegen des Versuchs der gefährlichen Körperverletzung. Das von dem Angeklagten verwendete Glasreinigungsspray war nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall – Sprühen ins Gesicht – geeignet, erhebliche Körperverletzungen zumindest an den Augen der Opfer herbeizuführen. Dies zeigt der Umstand, dass die der Zeugin R. im Fall II. 2. der Urteilsgründe zugefügte Augenverletzung eine Einlieferung in die Augenklinik und anschließend eine dreimonatige Behandlung mit Augentropfen erforderlich machte.
188
Eine lebensgefährdende Behandlung i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt nur dann vor, wenn die Tathandlung zumindest abstrakt geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden:200
199 200
BGH, Beschl. v. 17.2.2010 – 3 StR 10/10. BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 4 StR 442/10.
II. 9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB
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… von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die zwar nicht dazu führen muss, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden.
Der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist nur dann erfüllt, wenn die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben zu gefährden. Das Werfen des Opfers auf die Fahrbahn kann nicht bereits für sich als lebensbedrohlich in diesem Sinne angesehen werden.201
189
a) Entgegen den insoweit missverständlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil (UA 35) ist für die Tatbestandsverwirklichung des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB keinesfalls nur auf eine konkrete Gefährdung des von der Zeugin V. geführten Fahrzeugs abzustellen. Anders als in der vom Landgericht zitierten Senatsentscheidung vom 13. Juni 2006 – 4 StR 123/06 – NZV 2006, 483 f. hat sich der Geschädigte hier die Verletzungen nicht bereits bei dem Sturz auf die Fahrbahn zugezogen. Vielmehr ist dadurch, dass der Geschädigte vom Angeklagten auf die Fahrbahn geworfen wurde, angesichts des noch vorhandenen Fahrzeugverkehrs eine weitere – zunächst noch abstrakte – Gefahrenlage für den Geschädigten entstanden, die sich in dem nachfolgenden Unfallgeschehen auch realisiert hat (vgl. Senat, Beschluss vom 26. August 1997 – 4 StR 350/97). b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte tateinheitlich zu der schweren Körperverletzung auch eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden (st. Rspr.; vgl. Fischer aaO § 224 Rdn. 12 m.w.N.). Die Feststellungen belegen indes nicht, dass das Werfen auf die Fahrbahn bereits für sich als lebensbedrohlich in diesem Sinne angesehen werden kann. Zwar ist es infolge der dadurch verursachten Lage des Geschädigten auf der Fahrbahn zu einem dessen Leben bedrohenden Unfallgeschehen gekommen. Dies ist aber für die rechtliche Bewertung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ohne Relevanz, weil der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Unfall und nicht „mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten eingetreten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Juni 2006 aaO).
Stiche mit einem 7 cm langen, harten, spitzkantigen Schraubendreher in Richtung des Brustbereichs sind generell geeignet, lebensgefährdende Verletzungen hervorzurufen. Darauf, dass der Geschädigte infolge seiner Abwehr letztlich nur leichtere Verletzungen erlitten hat, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung nicht an. Dabei ist es für die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erforderlich, aber auch genügend, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden; einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht.202 a) Entgegen der Ansicht der Revision belegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes. Danach hatte sich zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen M., die zuvor eng befreundet gewesen waren, aus vielschichtigen Gründen eine hasserfüllte Abneigung entwickelt. Bevor der Angeklagte den Zeugen auf-
201 202
BGH, Beschl. v. 5.1.2010 – 4 StR 478/09. BGH, Urteil v. 25.2.2010 – 4 StR 575/09.
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suchte und sogleich zweimal mit einem Schraubendreher mit einer etwa sieben Zentimeter langen Spitze auf ihn in Richtung des Brustbereichs einstach, hatte sich der Angeklagte seinen eigenen Angaben zufolge entschlossen, „den Streit zwischen ihm und dem Zeugen M. im Kampf einer abschließenden finalen Lösung zuzuführen“. Hieraus und aus der Art des schnellen tätlichen Angriffs, der erst durch das Eingreifen weiterer Personen beendet werden konnte, hat das Landgericht geschlossen, dass auch das neben dem Wissenselement selbständig erforderliche Wollenselement des Tötungsvorsatzes beim Angeklagten vorgelegen hat. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit die Revision eine eigene, andere Würdigung der Feststellungen vornimmt, kann sie damit im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. b) Dass das Landgericht tateinheitlich mit dem versuchten Totschlag auch eine gefährliche Körperverletzung in den Begehungsformen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB angenommen hat, begegnet – entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift – keinen rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls generell geeignet ist, das Leben des Opfers zu gefährden; einer konkreten Gefährdung bedarf es nicht (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. vom 29. April 2004 – 4 StR 43/04 = NStZ 2004, 618; Beschl. vom 23. Juli 2004 – 2 StR 101/04 = NStZ 2005, 156, 157; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 224 Rdn. 12 mit zahlreichen Nachweisen). Die Stiche mit dem Schraubendreher, bei dem es sich nach den Urteilsfeststellungen um einen harten, spitzkantigen Gegenstand handelte, waren, wie das Landgericht – den Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen folgend – festgestellt hat, generell geeignet, lebensgefährdende Verletzungen hervorzurufen. Darauf, dass der Zeuge infolge seiner Abwehr letztlich nur leichtere Verletzungen erlitten hat, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung nicht an.
191
Derselbe Senat hatte mit Urteil vom 25.3.2010203 die gerade bei Körperverletzungsdelikten durch mehrere Täter oftmals gegebene Problematik zu entscheiden, wann ein nicht oder nicht maßgeblich Beteiligter an der Tat dennoch als Mittäter der gemeinschaftlichen Körperverletzung oder nur als Gehilfe anzusehen ist: aa) Mittäterschaft liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann vor, wenn ein Tatbeteiligter nicht bloß fremdes Tun fördern, sondern seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils will. Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, handelt mittäterschaftlich, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 37, 289, 291 m.w.N.). Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH aaO). Dabei ist dem Tatrichter, vor allem in Grenzfällen, ein Beurteilungsspielraum eröffnet, der revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüft werden kann. Enthalten die Urteilsgründe eine hinreichende Darlegung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, ist die tatrichterliche Wertung vom Revisionsgericht auch dann hinzuneh-
203
BGH, Urteil v. 25.3.2010 – 4 StR 522/09.
II. 9. Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – §§ 223 ff. StGB
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men, wenn im Einzelfall eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre (Fischer StGB 57. Aufl. § 25 Rdn. 12 m. Nachw. zur Rspr.). Auch bei der gefährlichen Körperverletzung in der Tatvariante „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ sind die Tatbeiträge nach diesen allgemeinen Regeln abzugrenzen. bb) Eine Verurteilung des Angeklagten als (Mit-)Täter der gefährlichen Körperverletzung kommt im vorliegenden Fall nicht schon deshalb in Betracht, weil der Mitangeklagte M. die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als Täter erfüllt hat. Zwar ist gemeinschaftliches Handeln, wie es § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB voraussetzt, auch ein Kennzeichen der Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, aber weder deren einzige Voraussetzung noch auf diese Beteiligungsform beschränkt (LK/Lilie StGB 11. Aufl. § 224 Rdn. 34). Dass das Zusammenwirken eines Täters mit einem Gehilfen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausreichen kann (vgl. dazu BGHSt 47, 383, 386), führt nicht dazu, dass der Gehilfe schon deshalb als Mittäter zu bestrafen wäre (BGH, Beschl. vom 22. Oktober 2008 – 2 StR 286/08, NStZ-RR 2009, 10). cc) Auch im Übrigen hält sich die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei lediglich Gehilfe gewesen, noch im Rahmen des dem Tatrichter insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums. Allerdings erweist sich die Erwägung der Strafkammer, Beihilfe im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB liege schon deshalb vor, weil dem Angeklagten eine konkrete Verletzungshandlung nicht zweifelsfrei habe nachgewiesen werden können, für sich genommen als nicht tragfähig. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann vielmehr auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausführt, jedoch auf Grund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beiträgt (Senatsurteil vom 19. Januar 1984 – 4 StR 742/83, StV 1984, 190). Nach den vom Landgericht getroffenen weiteren Feststellungen wirkte der Angeklagte jedoch ohne eigenen Vorteil lediglich zur Unterstützung eines von dem gesondert verfolgten G. mit dem Mitangeklagten M. abgesprochenen Vorhabens mit, das ausschließlich auf dem persönlichen Motiv des G. beruhte, den Zeugen A. für die Misshandlung seiner Freundin M. S. zu bestrafen. Ein maßgebliches Tatinteresse des Angeklagten, etwa in Form einer für die Mitwirkung zugesagten Belohnung, ergibt sich aus den Urteilsgründen ebenso wenig wie ein auch nur ansatzweiser Einfluss auf Einzelheiten der Tatausführung. Auch wenn vor dem Hintergrund der zur konkreten Tatausführung getroffenen Feststellungen eine andere Entscheidung vertretbar gewesen wäre, nimmt der Senat den Schuldspruch daher hin.
c)
Misshandlung von Schutzbefohlenen – § 225 StGB
Die Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB verdrängt § 171 StGB.204
192
d) Schwere Körperverletzung – § 226 StGB Ein nur teilweiser Verlust des Wahrnehmungsvermögens genügt nicht zur Erfüllung des Tatbestands nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB; dies gilt nicht, wenn nur noch eine „wertlose Restfähigkeit“ zurückbleibt.205
204 205
BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 2 StR 298/10. BGH, Beschl. v. 8.12.2010 – 5 StR 516/10.
193
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B. StGB – Besonderer Teil
Die Nebenklägerin ist infolge der durch den Angeklagten ausgeführten Schläge auf dem rechten Ohr taub geworden; auf dem linken Ohr besteht ein Resthörvermögen von 5 %. Ohne Hörgerät nimmt sie „einen neben ihr startenden Lastkraftwagen vergleichbar wahr wie eine Person mit intaktem Gehör eine neben sich zu Boden fallende Stecknadel“; mit Hörgerät vermag sie notwendig sehr lautes Sprechen nur zu verstehen, wenn sie zugleich von den Lippen des Sprechenden ablesen kann, wobei das Risiko weiterer Verschlechterung des Leidens besteht (UA S. 17). Damit sind die Voraussetzungen des § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt. Zwar genügen für die Annahme eines Verlusts des Wahrnehmungsvermögens auch schwere Herabminderungen grundsätzlich nicht; jedoch ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass von dem genannten Merkmal nach dessen Wortsinn sowie dem Normzweck des § 226 StGB Fälle wie der hier gegebene umfasst werden, in denen eine für den Geschädigten im Ergebnis wertlose Restfähigkeit zurückbleibt (RGSt 71, 119, 120; 72, 321; MünchKommStGB/ Hardtung, § 226, Rn. 19, 21, 23; vgl. auch BGH, Urteil vom 15. März 2007 – 4 StR 522/ 06, BGHSt 51, 252, 256 f.). Dass es der Nebenklägerin unter den bezeichneten schwierigen Bedingungen mithilfe eines Hörgeräts notdürftig gelingt, andere Personen zu verstehen, vermag keinen rechtlich relevanten Ausgleich für den faktischen Verlust des Hörvermögens zu schaffen. Denn hierdurch werden nur die Auswirkungen der Schädigung – geringfügig – gelindert.
e) 194
Strafantragserfordernis / besonderes öffentliches Interesse – § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB
Die Voraussetzungen des § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB sind erfüllt, wenn die Staatsanwaltschaft bereits in der Anklageschrift das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht, „soweit erforderlich“.206
10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB a) 195
Entziehung Minderjähriger – § 235 StGB –
Die Bereicherungsabsicht des § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 StGB ist ebenso wie die Tatbegehung gegen Entgelt nach § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 StGB kein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 StGB:207 1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der in Belgien lebende gesondert verfolgte A. beauftragte Anfang Juni 2007 die als Detektive tätigen Angeklagten, seine inzwischen in Deutschland lebende vierjährige Adoptivtochter zu observieren. Hintergrund hierfür war, dass die Kindesmutter sich nach zweijähriger Ehe Ende 2004 von ihm getrennt hatte und mit dem Kind nach Deutschland verzogen war. Seitdem versuchte A., die Rückführung des Kindes nach Belgien gerichtlich durchzusetzen. Ihm war 2006 durch ein belgisches Gericht ohne Kenntnis der Kindesmutter das alleinige Sorgerecht für das Kind übertragen worden. Der Titel war zwar in Deutschland für vollstreckbar erklärt worden, jedoch fehlte es an einer zur gewaltsamen Rückführung des Kindes berechtigenden besonderen gerichtlichen Verfügung gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 FGG a.F. Deshalb weigerten sich die zuständigen Behörden, A. das Kind unter Anwendung von Zwangsmitteln zuzuführen. Zwischenzeitlich hatte die Kindesmutter die Rückübertragung des alleinigen Sorgerechts vor einem deutschen Gericht 206 207
BGH, Beschl. v. 11.11.2010 – 4 StR 489/10. BGH, Beschl. v. 14.7.2010 – 2 StR 104/10.
II. 10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB
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beantragt. Die Angeklagten rechneten damit, dass eine gewaltsame Wegnahme des Kindes unzulässig ist. Sie entschlossen sich gleichwohl, A. bei der geplanten Entführung des Kindes zu unterstützen. Der Angeklagte N. übersandte A. mit Kenntnis des Angeklagten K. ein Schreiben, in dem er eine mögliche Entführungsstrategie darlegte. Der Angeklagte K. verfasste zudem Anfang Juni 2006 ein Schriftstück, worin er A. um Erteilung eines schriftlichen Auftrags zur Rückführung seiner Tochter bat. Ob es tatsächlich zu einer Auftragserteilung durch A. kam, konnte nicht geklärt werden. Wenige Tage vor der eigentlichen Entführung überführten die Angeklagten im Auftrag von A. einen Mietwagen aus Frankreich. Sie wussten, dass dieser bei einer möglichen Entführung des Kindes Verwendung finden würde. Am 26. Juni 2007 entführten drei unbekannte Täter auftragsgemäß mit diesem Mietwagen das Kind und verbrachten es zu A. nach Belgien. Ob die Angeklagten sich hierunter befanden, konnte nicht geklärt werden. Für ihre Tätigkeiten erhielten die Angeklagten einen Betrag von mindestens 10.400 € von A. 2. Die Strafkammer hat die Angeklagten wegen Beihilfe zu dem Qualifikationstatbestand des § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB (Tatbegehung gegen Entgelt oder in Bereicherungsabsicht) verurteilt. Dies ist rechtlich unzutreffend, da die Angeklagten sich lediglich wegen Beihilfe zu dem Grundtatbestand des § 235 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. Zwar handelten sie selbst in Bereicherungsabsicht, sie waren jedoch nicht Täter des § 235 Abs. 4 StGB und der Haupttäter A. verwirklichte lediglich den Grundtatbestand des § 235 Abs. 1 StGB. Die Bereicherungsabsicht nach § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 2 StGB stellt ebenso wie die Tatbegehung gegen Entgelt nach § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 StGB kein besonderes persönliches Merkmal i.S.v. § 28 Abs. 2 StGB dar, da sie das Tatunrecht kennzeichnet, weshalb die Angeklagten akzessorisch aus dem Strafrahmen des § 235 Abs. 1 StGB haften. 3. Die Strafe des Teilnehmers richtet sich grundsätzlich nach der für die Haupttat geltenden Strafandrohung. § 28 Abs. 2 StGB enthält Ausnahmen von diesem Grundsatz der akzessorischen Teilnehmerhaftung. Die Rechtsprechung folgt mit der noch h.L. der Auffassung, dass § 28 Abs. 2 StGB zu einer Tatbestandsverschiebung führt (BGHSt 6, 308, 311; 8, 205, 208, BGH StV 1994, 17; BGH StV 1995, 84; Lackner/Kühl StGB 26. Aufl. § 28 Rn. 1; Joecks in Münchener Kommentar StGB § 28 Rn. 53; Heine in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 28 Rn. 28; Baumann/Weber/Mitsch Strafrecht Allgemeiner Teil 11. Aufl. § 32 Rn. 28, 35; Jescheck/Weigend Strafrecht Allgemeiner Teil § 61 VII S. 657). Wenn beim Täter oder Teilnehmer besondere persönliche Merkmale vorliegen, die die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, wird die Strafe demzufolge dem strengeren oder milderen Strafrahmen entnommen. Die Rechtsprechung differenziert zwischen täterbezogenen Umständen, die als besondere persönliche Merkmale nach § 28 StGB behandelt werden und tatbezogenen Merkmalen, für die § 28 StGB nicht gilt. Bei den Merkmalen des § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB handelt es sich nicht um besondere persönliche Merkmale i.S.v. § 28 StGB, sondern um tatbezogene Merkmale, die die akzessorische Haftung des Teilnehmers nicht durchbrechen. Dies hat das Landgericht ersichtlich nicht bedacht. … Das Merkmal der Tatbegehung gegen Entgelt gemäß § 235 Abs. 4 Nr. 2 Alt. 1 StGB ist tatbezogen, da die Entgeltlichkeit einen die Tat beschreibenden Umstand darstellt. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung noch nicht entschieden, ob die Bereicherungsabsicht i.S.v. § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB ein besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 StGB darstellt. … Der Umstand, dass die Bereicherungsabsicht im Kontext von § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB einen Qualifikationstatbestand darstellt, ändert an der Einordnung als tatbezogenes Merkmal nichts (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 235 Rn. 123). Dementsprechend betrachten Rechtsprechung und h.L. z.B. auch im Rahmen von § 271 Abs. 3 StGB, der das gleiche
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B. StGB – Besonderer Teil
Qualifikationsmerkmal enthält wie § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB, die Bereicherungsabsicht als tatbezogenes Merkmal (BGH StV 2009, 589, 591; Zieschang in LK 12. Aufl. § 271 Rn. 108; Puppe in NK 3. Aufl. § 271 Rn. 66; Cramer/Heine in Schönke/Schröder StGB 28. Aufl. § 271 Rn. 45; a.A. Hoyer in SK-StGB 6. Aufl. § 271 Rn. 36). Der Schutzzweck des § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB legt ebenfalls eine Tatbezogenheit seiner Qualifikationsmerkmale nahe. Die Reformierung des Tatbestandes der Entziehung Minderjähriger im Zuge des 6. Strafrechtsreformgesetzes vom 26. Januar 1998 diente insbesondere der Eindämmung des organisierten und kommerziellen Kinderhandels (BT-Drs. 13/8587 S. 23). Sofern die Tathandlung gegen Entgelt oder in Bereicherungsabsicht vorgenommen wird, handelt es sich typischerweise um kommerziellen und professionellen Kinderhandel, was mit einer Erhöhung des Tatunrechts und einer Steigerung der Gefährlichkeit für die durch § 235 StGB geschützten Rechtsgüter einhergeht. Besonders deutlich wird dies bei der Alternative der Tatbegehung gegen Entgelt gemäß § 235 Abs. 4 Nr. 2 StGB. Strafschärfungsgrund ist hier der Umstand, dass die Tat gegen eine Gegenleistung erfolgt. Hierbei handelt es sich, wie bereits oben ausgeführt, zweifelsfrei um einen die Tat beschreibenden Faktor. Nichts anderes gilt auch für die Bereicherungsabsicht. ■ PRAXISHINWEIS
Bei der vorliegenden Entscheidung zeigt sich der Unterschied infolge der Einordnung eines Merkmals als tatbezogenes bzw. persönliches (täterbezogenes) Merkmal. Dies hat zur Folge, dass in den Fällen, in denen die Täter und demgemäß ihre Motive unbekannt geblieben sind, in aller Regel auch der Gehilfe wohl nicht wegen Beihilfe zum besonders schweren Fall des § 235 Abs. 4 StGB verurteilt werden kann. Dies gilt in gleicher Weise auch für andere tatbezogene Merkmale, wie z.B. die Absicht, Nachteil zuzufügen in § 274 StGB, oder die Zweckverfolgung in den §§ 129, 234, 267, 288, 289 StGB.
b) Nachstellung – § 238 StGB ■ TOPENTSCHEIDUNG
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Eine grundlegende Entscheidung hat der 3. Strafsenat zu der erst 2007 eingeführten Vorschrift des Stalking mit folgendem Leitsatz getroffen:208 Beharrliches Handeln i.S.d. § 238 StGB setzt wiederholtes Tätigwerden voraus. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers in der Absicht handelt, sich auch in Zukunft entsprechend zu verhalten. Eine in jedem Einzelfall Gültigkeit beanspruchende, zur Begründung der Beharrlichkeit erforderliche (Mindest-)Anzahl von Angriffen des Täters kann nicht festgelegt werden. Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwiegend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten veranlasst wird, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. – § 238 StGB ist kein Dauerdelikt. 208
BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – 3 StR 244/09.
II. 10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB
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Zur Begründung hat der Senat unter anderem ausgeführt: „b) Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB. aa) Der u.a. in § 292 Abs. 1 Nr. 1, § 329 Abs. 3 Nr. 6 StGB verwendete Begriff des Nachstellens erfasst das Anschleichen, Heranpirschen, Auflauern, Aufsuchen, Verfolgen, Anlocken, Fallen stellen und das Treibenlassen durch Dritte (Kinzig/Zander JA 2007, 481, 483; Valerius aaO S. 321). Im Kontext des § 238 StGB umschreibt der Begriff im Grundsatz damit zwar alle Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters in SK-StGB § 238 Rdn. 7). Jedoch sind in § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB die Handlungsformen abschließend beschrieben, auf die sich die Pönalisierung erstreckt. Während allerdings § 238 Abs. 1 StGB in seinen Nr. 1 bis 4 näher konkretisierte Tatvarianten umschreibt, öffnet § 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB das Spektrum möglicher Tathandlungen in kaum überschaubarer Weise, indem er ohne nähere Eingrenzungen jegliches Tätigwerden in die Strafbarkeit einbezieht, das den von § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 StGB erfassten Handlungen „vergleichbar“ ist. Ob Letzteres im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot Bedenken begegnen könnte, bedarf hier indes keiner näheren Betrachtung. § 238 Abs. 1 Nr. 1 StGB soll physische Annäherungen an das Opfer wie das Auflauern, Verfolgen, Vor-dem-Haus-Stehen und sonstige häufige Präsenz in der Nähe der Wohnung oder Arbeitsstelle des Opfers erfassen. Erforderlich ist ein gezieltes Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer (BTDrucks. 16/575 S. 7; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 238 Rdn. 4; Wolters aaO Rdn. 10; Mitsch NJW 2007, 1237, 1238; Valerius aaO S. 321). § 238 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst Nachstellungen durch unerwünschte Anrufe, E-Mails, SMS, Briefe, schriftliche Botschaften an der Windschutzscheibe oder Ähnliches und mittelbare Kontaktaufnahmen über Dritte (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters aaO Rdn. 11; Mitsch aaO S. 1239). …. bb) Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Der Begriff „beharrlich“ wird auch an anderer Stelle im StGB verwendet (§ 56f Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 67g Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 70 b Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 184e StGB) und dort regelmäßig als wiederholtes Handeln oder andauerndes Verhalten interpretiert, das eine Missachtung des Verbots oder Gleichgültigkeit des Täters erkennen lässt (Fischer aaO § 184e Rdn. 5; Valerius aaO S. 322; vgl. auch BGHSt 23, 167, 172 f.). In § 238 Abs. 1 StGB dient das Merkmal einerseits dazu, den Tatbestand einzuschränken; andererseits soll es die Deliktstypik des „Stalking“ zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen (BTDrucks. 16/575 S. 7) von unerwünschtem „Stalking“ abgrenzen (Kinzig/Zander aaO S. 484; insoweit kritisch Mitsch aaO S. 1240). Dem Begriff der Beharrlichkeit im Sinne des § 238 StGB wohnen objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne (Fischer aaO § 238 Rdn. 19; Wolters aaO Rdn. 15); er ist nicht bereits bei bloßer Wiederholung erfüllt. Vielmehr bezeichnet das Tatbestandsmerkmal eine in der Tatbegehung zum Ausdruck kommende besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung indiziert. Eine wiederholte Begehung ist danach zwar immer Voraussetzung, genügt aber für sich allein nicht (Lackner/Kühl aaO Rdn. 3; Gazeas JR 2007, 497, 502). Erforderlich ist vielmehr, dass aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers mit der Absicht gehandelt wird, sich auch in Zukunft immer wieder entsprechend zu verhalten. Der Beharrlichkeit ist imma-
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B. StGB – Besonderer Teil
nent, dass der Täter uneinsichtig auf seinem Standpunkt besteht und zäh an seinem Entschluss festhält, obwohl ihm die entgegenstehenden Interessen des Opfers bekannt sind. Die erforderliche ablehnende Haltung und gesteigerte Gleichgültigkeit gegenüber dem gesetzlichen Verbot manifestieren sich darin, dass der Täter den vom Opfer ausdrücklich oder schlüssig geäußerten entgegenstehenden Willen bewusst übergeht (vgl. Wolters aaO). Die Beharrlichkeit ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere auch der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (BTDrucks. 16/575 S. 7; Valerius aaO S. 322; kritisch Mosbacher aaO S. 666; Neubacher/Seher JZ 2007, 1029, 1032). … c) Der Tatbestand ist vom Gesetzgeber als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden (vgl. BTDrucks. 16/3641 S. 14; Wolters aaO Rdn. 2; Mosbacher aaO S. 667; Neubacher/Seher aaO S. 1030); die Tathandlung muss zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BTDrucks. 16/575 S. 7; Wolters aaO Rdn. 4). Sie wird beeinträchtigt, wenn das Opfer durch die Handlung des Täters veranlasst wird, ein Verhalten an den Tag zu legen, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte; stets festzustellen ist demnach eine erzwungene Veränderung der Lebensumstände (BTDrucks. 16/575 S. 8; Wolters aaO Rdn. 5). Dieses weite Tatbestandsmerkmal erfährt nach dem Wortlaut des Gesetzes eine Einschränkung dahin, dass die Beeinträchtigung schwerwiegend sein muss. Erfasst werden damit im konkreten Kontext ins Gewicht fallende, gravierende und ernst zu nehmende Folgen, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende und zumutbare Modifikationen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen (BTDrucks. 16/3641 S. 14; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 175; Wolters aaO Rdn. 3; Mosbacher aaO; kritisch Mitsch aaO S. 1240). Nicht ausreichend sind daher weniger gewichtige Maßnahmen der Eigenvorsorge, wie beispielsweise die Benutzung eines Anrufbeantworters und die Einrichtung einer so genannten Fangschaltung zum Zwecke der Beweissicherung. Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers, wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend anzusehen (BTDrucks. 16/575 S. 8; OLG Hamm aaO; Lackner/Kühl aaO Rdn. 2; Wolters aaO Rdn. 6). Danach schützt der Tatbestand weder Überängstliche noch besonders Hartgesottene, die sich durch das Nachstellen nicht beeindrucken lassen (vgl. Wolters aaO Rdn. 2; Mitsch aaO; Mosbacher aaO). … d) Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten des Angeklagten als einheitliche Nachstellung zu bewerten. § 238 Abs. 1 StGB stellt zwar kein Dauerdelikt dar; die verschiedenen Angriffe des Angeklagten, mit denen der zur Vollendung des Delikts erforderliche Erfolg nur einmal herbeigeführt wurde, bilden jedoch eine tatbestandliche Handlungseinheit (im Ergebnis für das Vorliegen nur einer Tat auch Lackner/Kühl aaO Rdn. 12; Wolters aaO Rdn. 24; Mosbacher aaO S. 669; Valerius aaO S. 323). aa) Bereits der Umstand, dass die Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ein beharrliches Nachstellen voraussetzt, spricht dagegen, die einzelnen Angriffe des Angeklagten als materiellrechtlich selbstständige Taten im Sinne des § 53 StGB zu werten; denn dem Begriff des Nachstellens ist ein gewisses Maß an Dauerhaftigkeit immanent (Fischer aaO Rdn. 9). Mit dem zusätzlichen Erfordernis der Beharrlichkeit wollte der Gesetzgeber den spezifischen Unrechtsgehalt der fortwährend stattfindenden Verfolgung erfassen, deren Strafbarkeit das Regelungsziel des § 238 StGB war (BTDrucks. 16/575 S. 6). Wenn damit auch eine Anknüpfung an eine bloße Wiederholung der das Opfer beeinträchtigenden Handlung nicht beabsichtigt war, so vermag doch ein einmaliger Angriff des Täters das Merkmal der Beharrlichkeit von vorneherein nicht zu erfüllen. Objektive Voraussetzung ist vielmehr ein wieder-
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holtes, d.h. mindestens zweifaches Nachstellen im Sinne des § 238 Abs. 1 StGB, das indes gemäß den obigen Darlegungen zusätzlich subjektive und normative Kriterien aufweisen muss. Diese komplexe Struktur des Tatbestandsmerkmals bringt es mit sich, dass eine in jedem Einzelfall Gültigkeit beanspruchende, absolute (Mindest-)Anzahl von notwendigen Angriffen des Täters nicht festgelegt werden kann; denn die Beurteilung der Beharrlichkeit eines Verhaltens kann nur auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller Elemente des Tatbestandsmerkmals erfolgen. Diese stehen nicht isoliert nebeneinander; vielmehr bestehen Wechselwirkungen, die jeweils Rückschlüsse auf das Vorliegen der anderen Kriterien erlauben. So hängt etwa die erforderliche Anzahl der notwendigen Angriffe u.a. von dem konkreten Gewicht der sonstigen Elemente ab. Greift der Täter mit seinen Handlungen besonders intensiv in die Rechte des Opfers ein, so mögen grundsätzlich bereits wenige Vorfälle, unter Umständen auch eine einzige Wiederholung, das erforderliche Maß an rechtsfeindlicher Gesinnung und Hartnäckigkeit zu belegen. … bb) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass der Taterfolg nicht durch eine isolierte einzelne Handlung des Angeklagten sondern durch die insgesamt fünf Angriffe herbeigeführt wurde. (1) Das aus diesem Umstand ersichtlich werdende – geradezu typische – Verhältnis zwischen Tathandlung und Taterfolg im Rahmen des § 238 Abs. 1 StGB belegt zunächst, dass die mehreren Angriffe des Angeklagten nicht deshalb zur Tateinheit im materiellrechtlichen Sinn zusammengefasst werden können, weil sie Teile einer Dauerstraftat sind; denn § 238 Abs. 1 StGB stellt trotz insoweit mehrdeutiger Passagen in den Gesetzesmaterialien kein Dauerdelikt im rechtstechnischen Sinne dar (Gazeas aaO S. 503 f.; ders. KritJ 2006, 247, 261 ff.; Valerius aaO S. 323). … Gegen die Annahme einer Dauerstraftat sprechen in der Sache der typische Charakter von „Stalking“-Angriffen sowie die Struktur des Tatbestands. Als Dauerdelikt sind nur solche Straftaten anzusehen, bei denen der Täter den von ihm in deliktischer Weise geschaffenen rechtswidrigen Zustand willentlich aufrecht erhält oder die deliktische Tätigkeit ununterbrochen fortsetzt, so dass sich der strafrechtliche Vorwurf sowohl auf die Herbeiführung als auch auf die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands bezieht (BGHSt 42, 215, 216; Fischer aaO Vor § 52 Rdn. 58). „Stalking“-Angriffe zeichnen sich demgegenüber durch zeitlich getrennte, wiederholende Handlungen aus, die nicht zu einem gleichbleibenden und überbrückenden deliktischen Zustand führen (Gazeas JR 2007, 497, 504). Die Beeinträchtigung der persönlichen Lebensgestaltung des Opfers wird durch jede einzelne Handlung des Nachstellens erneuert und intensiviert (Valerius aaO S. 324). § 238 Abs. 1 StGB ist zudem als Erfolgsdelikt ausgestaltet, wobei die insoweit erforderliche schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers in der Regel nicht bereits durch den ersten Angriff des Täters, sondern erst durch sein beharrliches Handeln herbeigeführt wird. Solange der Tatbestand indes noch nicht vollständig verwirklicht worden ist, liegt noch kein in deliktischer Weise geschaffener rechtswidriger Zustand vor, den der Täter im Sinne der Begehung eines Dauerdelikts willentlich aufrechterhalten kann. (2) Die Tatbestandsstruktur des § 238 Abs. 1 StGB weist jedoch Elemente auf, die denen eines Dauerdelikts durchaus ähnlich sind. Die Vorschrift umfasst objektiv nach ihrem Wortlaut und ihrem durch Auslegung zu ermittelnden Sinn typischerweise ein über den Einzelfall hinausreichendes, auf gleichartige Wiederholung gerichtetes Verhalten und soll somit typischerweise ganze Handlungskomplexe treffen (BGHSt 43, 1, 4 zu § 99 StGB). Es liegt deshalb auf der Hand, in Fallgestaltungen wie der vorliegenden von einer sukzessiven Tatbegehung auszugehen (Gazeas KritJ 2006, 247, 262; ders. JR 2007, 504: iterative, d.h. wiederholte Tatbestandsverwirklichung), die eine ununterbrochene deliktische Tätigkeit oder einen in deliktischer Weise geschaffenen Zustand nicht voraussetzt (Rissing-van Saan
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in LK 12. Aufl. Vor § 52 Rdn. 24). Die sukzessive Tatbegehung ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass sich der Täter dem tatbestandlichen Erfolg nach und nach nähert; dabei werden diejenigen einzelnen Handlungen des Täters, die erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen, unter rechtlichen Gesichtspunkten im Wege einer tatbestandlichen Handlungseinheit zu einer Tat im materiellen Sinne zusammengefasst, wenn sie einen ausreichenden räumlichen und zeitlichen Zusammenhang aufweisen und von einem fortbestehenden einheitlichen Willen des Täters getragen sind (Rissing-van Saan aaO Rdn. 36). Anders als bei der natürlichen Handlungseinheit ist dabei indes kein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang des strafbaren Verhaltens zu fordern. Vielmehr können zwischen den einzelnen tatbestandsausfüllenden Teilakten erhebliche Zeiträume liegen (BGHSt 43, 1, 3 zu § 99 StGB). cc) Danach liegt hier nur eine Handlung im Rechtssinne vor. Die Angriffe des Angeklagten bewirkten erst in ihrer Gesamtheit den tatbestandlichen Erfolg im Sinne einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers. Sie waren von einer durchgehenden, einheitlichen Motivationslage des Angeklagten bestimmt und wiesen trotz der teilweise mehrwöchigen Unterbrechungen eine genügende räumliche und zeitliche Nähe auf. e) Die Nachstellung nach § 238 Abs. 1 StGB verklammert die von dem Angeklagten ebenfalls verwirklichten Delikte der Bedrohung und Beleidigung, so dass insgesamt Tateinheit gegeben ist (aA Valerius aaO S. 324).
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Eine weitere Klärung hat der Tatbestand der Nachstellung erfahren, was den qualifizierenden Tatbestand des Abs. 2 (Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung) betrifft:209 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: a) Der nicht vorbestrafte, zu den Tatzeiten 59 Jahre alte Angeklagte neigt aufgrund seiner psychischen Erkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auch auf eine hirnorganische Komponente – beruhend auf jahrelangem Alkoholkonsum und einem 1987 erlittenen Schädel-Hirntrauma – zurückzuführen ist, etwa seit 2007 dazu, ohne erkennbaren Anlass einige Nachbarn massiv zu bedrohen, sie zu beleidigen und ihnen nachzustellen (UA S. 3, 6). Bei ihm liegt eine kombinierte Persönlichkeitsstörung vor, die durch emotionale Instabilität mit Neigung zu impulsivem Agieren, durch paranoide Akzentuierung sowie narzisstische Anteile geprägt ist. Diese erfüllt das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB; die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war zu den Tatzeitpunkten zwar nicht aufgehoben, jedoch erheblich eingeschränkt gemäß § 21 StGB. b) Der Angeklagte hat in diesem Zustand, nachdem ihm durch eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Flensburg unter anderem untersagt worden war, den Nebenklägern nachzustellen und sie zu beobachten, am 25. Juni 2009 auf einem Maisfeld, das sich hinter seinem Grundstück und dem Grundstück der Nebenkläger befindet, Gras gemäht, sich den Nebenklägern, die in ihrem Garten saßen, auf 20 Meter genähert und sie beobachtet. Am 5. Juli 2009 versteckte er sich auf der gemeinsamen Grundstücksauffahrt hinter einem Busch und betrachtete die Nebenkläger beim Fernsehen. Am 22. Juli 2009 brüllte er die Nebenkläger von seinem Grundstück aus mit den Worten „komm’ da rüber“ an. Am 23. Juli 2009 schrie er die gerade ihre Wohnung verlassende Nebenklägerin an, sie solle verschwinden, sonst bekäme sie den „Arsch voll“. Er ergriff hierbei einen Knüppel, schwang diesen mehrfach in Richtung der Nebenklägerin und schrie, sie solle „abhauen“, er komme jetzt, worauf diese flüchtete. Am 24. Juli 2009 lauerte der Angeklagte der Nebenklägerin auf und brüllte sie mit den Worten an, „Ich mach’ dir Beine, hau ab, du blondes Miststück, 209
BGH, Beschl. v. 22.7.2010 – 5 StR 256/10.
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los hau’ ab, dich sollen sie mitnehmen nach Schleswig, du hast ab jetzt keine ruhige Nacht mehr“. Als er der Nebenklägerin näher kam, lief diese weg. Die Nebenklägerin wurde durch die Handlungsweise des Angeklagten ebenso wie ihr Ehemann psychisch stark beeinträchtigt. Sie hatte massive Angst, von dem Angeklagten geschlagen oder gar umgebracht zu werden. Der Nebenkläger befürchtete in hohem Maße, dass seiner Ehefrau etwas geschieht. Die Nebenklägerin erlitt psychosomatische Zusammenbrüche mit intensiven schweren Magenkrämpfen und eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie verlor zehn Kilogramm an Gewicht. Beide Nebenkläger waren nach eigenem Bekunden „eigentlich nicht mehr in der Lage“ (UA S. 4), ihrer freiberuflichen Tätigkeit nachzugehen (Tat 1). c) Am 22. Juli 2009 brüllte der Angeklagte einen anderen Nachbarn nach einem Wortwechsel an: „Hau ab, sonst schlag’ ich dich in die Fresse, dass dir alle Zähne auf einmal rausfliegen“ (UA S. 4). Einem weiteren Nachbarn rief er zu, dass das auch für ihn gelte, wenn er nicht gleich wegfahre. Zur Vermeidung einer Eskalation fuhren die Geschädigten weg (Tat 2). Während einer Haftvorführung beleidigte der Angeklagte am 24. Juli 2009 zwei Polizeibeamte mit den Worten „die Idioten haben auch eine Menge Mist aufgeschrieben“ (Tat 3). In einer Hauptverhandlung des Amtsgerichts Flensburg trat der Angeklagte am 23. September 2009 der Nebenklägerin mit dem Fuß gegen das Bein, wodurch diese ein handflächengroßes Hämatom im Bereich des Sprunggelenks und des Spanns erlitt (Tat 4). Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Die Anordnung der Unterbringung sei auch nicht unverhältnismäßig. Bis auf die „vielleicht als Bagatelldelikt anzusehende Beleidigung“ seien die übrigen Delikte „schon von einigem Gewicht“ und die zu erwartenden Taten „bei dem Aggressionspotenzial des Angeklagten auch nicht unerheblich“ (UA S. 8 f.). 2. Der Schuldspruch wegen des qualifizierenden Tatbestandes der Nachstellung gemäß § 238 Abs. 2 StGB hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Vorschrift setzt voraus, dass das Opfer oder eine andere dem Opfer nahe stehende Person durch die Nachstellung in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung gebracht wird. Solche Tatfolgen hat das Landgericht indes nicht festgestellt. Die psychosomatischen Beschwerden einhergehend mit depressiven Erschöpfungszuständen sind nicht hinreichend belegt. Dies gilt umso mehr, als die Strafkammer sich bei der Feststellung der Tatfolgen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen. Die von den Nebenklägern lediglich empfundene Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit reicht ersichtlich nicht aus. PRAXISHINWEIS ■
Die beiden Entscheidungen zum sog. Stalking legen folgende Grundsätze fest: Beharrliches Handeln i.S.d. § 238 StGB setzt wiederholtes Tätigwerden voraus; weiterhin muss der Täter aus Missachtung des entgegenstehenden Willens oder aus Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers in der Absicht handeln, sich auch in Zukunft entsprechend zu verhalten. Als Folge des Täterhandelns muss die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigt werden, insbesondere zu einem Verhalten veranlasst werden, das es ohne Zutun des Täters nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnittliche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung erheblich und objektivierbar hinausgehen. Außerdem ist § 238 StGB kein Dauerdelikt!
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B. StGB – Besonderer Teil
Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme – §§ 239a, 239b StGB
Der 2. Strafsenat des BGH hat sich einmal mehr mit der Frage der Bemächtigungssituation und deren (nach der Rspr.) erforderliche Stabilisierung im Rahmen einer Strafbarkeit (auch) wegen Geiselnahme befasst:210 1. Die (tateinheitliche) Verurteilung wegen Geiselnahme wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen. a) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte das 10-jährige Tatopfer am 2. Juni 2009 gegen 21.00 Uhr unter dem Vorwand, diesem „ein besonderes Tier“ zeigen zu wollen, von einem Wirtschaftsweg zwischen W. und B. auf ein etwa 100 m abseits gelegenes, vom Weg aus nicht einsehbares Gelände gelockt hat. Dabei habe der Angeklagte beabsichtigt, sich an dem Kind sexuell zu vergehen. An der vom Weg abgelegenen Stelle habe er es zunächst festgehalten und sein Gesäß gestreichelt. Das Kind habe sich allerdings losgerissen und habe flüchten wollen, wobei es jedoch sogleich gestürzt sei. Diese Gelegenheit habe der Angeklagte genutzt, habe sich auf das Mädchen gelegt, diesem den Mund zugehalten und ihr schließlich ein zuvor geöffnetes Taschenmesser mit drohenden Worten an den Hals gehalten. Nachdem er sodann seinen Unterkörper und auch das Tatopfer entkleidet hatte, kam es zu dem letztlich gescheiterten Versuch, mit diesem den Geschlechtsverkehr auszuführen (UA S. 9 f.). Die Kammer hat in diesem Verhalten des Angeklagten auch eine Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB gesehen. Dieser habe das Tatopfer mit der List, diesem ein besonderes Tier zeigen zu wollen, entführt, um dort die geplante Tat auszuführen. Er habe die von ihm geschaffene und stabilisierte Bemächtigungslage zur Durchführung einer Nötigung unter Einsatz der durch die Verwendung eines Messers unterstrichenen Todesdrohung ausgenutzt. Das abgenötigte Schweigen des Kindes und die damit einhergehend erstrebte widerstandslose Duldung des Geschlechtsverkehrs stünden in einem zeitlich – räumlichen Zusammenhang mit der Tatbegehung (UA S. 12). b) Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen Geiselnahme (§ 239b StGB) strafbar gemacht. aa) Es kann dahinstehen, ob der Angeklagte das Tatopfer durch listiges Weglocken im Sinne von § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB entführt (fraglich nach BGHSt 22, 178, 179 im Hinblick auf einen danach erforderlichen ungehemmten Einfluss des Täters auf den Entführten) oder ob er sich dadurch dessen bemächtigt hat. Jedenfalls fehlt es für diesen Zeitpunkt an der erforderlichen qualifizierten Nötigungsabsicht, das Tatopfer oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen. Dass der Angeklagte, als er das Mädchen von dem Weg weglockte, beabsichtigte, sich an diesem sexuell zu vergehen, besagt nichts darüber, ob er schon zu diesem Zeitpunkt entschlossen war, dieses Ziel auch unter Einsatz von qualifizierten Drohungen zu verfolgen. … bb) Soweit sich der Angeklagte nach dem Sturz des Kindes auf dieses legte, diesem den Mund zuhielt und es mit dem Messer bedrohte, hat er damit zwar physische Gewalt über das Opfer erlangt und sich dadurch dessen im Sinne von § 239b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB bemächtigt. Der sich daraus erstmalig ergebenden Bemächtigungssituation, die mit der durch den Messereinsatz unterstrichenen Todesdrohung zeitlich einherging, fehlt es aber an
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BGH, Beschl. v. 11.8.2010 – 2 StR 128/10.
II. 10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB
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ihrer nach der Rechtsprechung vorausgesetzten Stabilisierung. Fallen wie hier Sich-Bemächtigen und qualifizierte Drohung praktisch zusammen, kommt eine Strafbarkeit – auch nicht in der Alternative des Ausnutzens einer durch Entführen oder Sich-Bemächtigen geschaffenen Lage zu einer Nötigung (§ 239b Abs. 1 Halbsatz 2 StGB) – nicht in Betracht (vgl. BGHSt 40, 355, 359).
Auch der 3. Strafsenat befasste sich mit der Bemächtigungslage im Rahmen der Prüfung eines erpresserischen Menschenraubs – allerdings mit umgekehrtem Ergebnis an Hand des zugrunde liegenden Sachverhalts:211 Das Landgericht hat es – ebenso wie die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung – unterlassen, den Sachverhalt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des erpresserischen Menschenraubs (§ 239a StGB) zu würdigen. a) Bereits die Feststellungen zum ersten Teil des Tatgeschehens legen die Erfüllung dieses Tatbestands in der Variante des Sich-Bemächtigens mit Erpressungsabsicht (§ 239a Abs. 1 1. Halbs. StGB) nahe. Ein Sich-Bemächtigen im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen anderen erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss. Allerdings ist bei einem – auch bei zwei Mittätern gegebenen – „Zwei-Personen-Verhältnis“ (Täter-Opfer) weitere Voraussetzung, dass die Bemächtigungssituation im Hinblick auf die erstrebte Erpressungshandlung eine eigenständige Bedeutung hat; sie erfordert daher eine gewisse Stabilisierung der Beherrschungslage, die der Täter zur Erpressung ausnutzen will (vgl. BGHSt 40, 350 ff., 359; BGH StV 1996, 266; BGH NStZ 2006, 448 m.w.N.). Nach den Feststellungen kann dies hier der Fall gewesen sein. Die Angeklagten überfielen den Nebenkläger, brachten ihn zu Boden und fesselten ihn dort. Der Nebenkläger erklärte sich aus Angst um sein Wohl danach sofort bereit, den Angeklagten den Zugriff auf seine im Tresor befindlichen Wertgegenstände zu ermöglichen. Bei diesem Ablauf liegt es nahe, dass die Angeklagten bereits eine stabile Bemächtigungslage geschaffen hatten, der die vom Tatbestand geforderte eigenständige Bedeutung zukommt, und sie dies auch erreichen wollten, die Tat also in der Absicht begingen, die Sorge des Nebenklägers um sein Wohl zu einer Erpressung (oder zu einem Raub, vgl. BGH NStZ 2003, 604) auszunutzen. Damit hätte die Fesselung nicht nur als Mittel zur Begehung eines Raubes gedient (vgl. BGH StraFo 2008, 163). b) Sollten sich die Angeklagten des Nebenklägers nicht bereits in Erpressungsabsicht bemächtigt haben, so liegt es nach den Feststellungen zum weiteren Tatablauf nahe, dass sie die stabilisierte Bemächtigungslage zumindest zu einer Erpressung ausnutzten (§ 239a Abs. 1 2. Halbs. StGB). Denn auch als der Nebenkläger nach Öffnen des Tresors gefesselt am Boden lag, verlangten die Angeklagten unter Einsatz der Taschenlampe als Schlagwerkzeug weiterhin von ihm, dass er ihnen die Aufbewahrungsorte weiterer Vermögensgegenstände nennt. Damit setzten sie zu weiteren Erpressungen an (vgl. Fischer aaO § 239a Rdn. 12, 14 m.w.N.). Hinzu kommt, dass sich die Angeklagten im Verlauf des Tatgeschehens auch der Nebenklägerin bemächtigt hatten. Beide Opfer lagen an Händen und Füßen gefesselt nebeneinander auf dem Boden, als die Angeklagten erneut Geld forderten. Es drängt sich daher auf, dass die Angeklagten diese, nunmehr auch auf die Nebenklägerin ausgedehnte Bemächtigungssituation dazu ausnutzten (§ 239a Abs. 1 2. Halbs. StGB), um die Sorge des Nebenklägers um das Wohl seiner Lebensgefährtin zusätzlich als Nötigungsmittel für eine Erpressung einzusetzen. Allein dies genügte für die Vollendung des Tatbestandes. 211
BGH, Urteil v. 22.10.2009 – 3 StR 372/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
Das Ausnutzen einer stabilen Bemächtigungslage wurde von demselben Strafsenat auch bei folgenden Feststellungen bejaht:212 „… suchten die Angeklagten am Tatabend in sog. Chatrooms im Internet, in denen sie sich unter einem Frauennamen angemeldet hatten, nach einem Mann, um diesen zu einer vermeintlichen Verabredung an einen günstigen Ort zu locken und dort sodann mittels Gewalt an dessen Geld zu gelangen. Als Lockvogel diente ihnen die mit dem Angeklagten W. befreundete Nichtrevidentin S. Es gelang ihnen, den Nebenkläger zu einem nächtlichen Treffen am Busbahnhof Viersen zu veranlassen, wo die Nichtrevidentin auf ihn wartete und ihn in den nahe gelegenen Stadtpark führte. Plangemäß wurde er dort von den Angeklagten überfallen. Der Angeklagte Ö. brachte ihn durch einen Faustschlag zu Boden. Sodann traten und schlugen beide auf ihn ein. Der Angeklagte W. hielt ihm eine Machete an den Hals. Unter der wiederholten Drohung, ihm Körperteile abzuschneiden, forderten beide Angeklagte die Herausgabe von Geldbörse, Armbanduhr und Mobiltelefon. Der Nebenkläger übergab den Geldbeutel und die Uhr. Das Telefon hatte er bei dem Sturz verloren. Als sich im Portemonnaie nur ein paar Münzen anfanden, zwangen die Angeklagten den Nebenkläger, in sein Fahrzeug einzusteigen, und fuhren mit ihm zur Sparkasse, wo er 200 € am Geldautomaten abheben und an sie übergeben musste. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, legen diese Feststellungen nahe, dass die Angeklagten mittels Gewalt und Drohung mit Leibes- und Lebensgefahr die physische Herrschaft über ihr Opfer erlangt hatten und eine so von ihnen geschaffene stabile Bemächtigungslage (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 1/94, BGHSt 40, 350; Beschluss vom 3. August 1995 – 4 StR 435/95, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 4; Urteil vom 8. März 2006 – 5 StR 473/05, NStZ 2006, 448; Urteil vom 31. August 2006 – 3 StR 246/06, BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 9) für die Fortsetzung ihres erpresserischen Verhaltens ausnutzten, indem sie den Nebenkläger zwangen, mit ihnen in seinem Auto zur Sparkasse zu fahren, Geld abzuheben und ihnen zu übergeben.“
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Zu einer Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs bedarf es neben der tatrichterlichen Feststellung des objektiven Tatbestands auch der Feststellung der Absicht des Täters, die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung während der Bemächtigungslage auszunutzen. Den Tatbestand der Geiselnahme erfüllt ein Täter, wenn er das Opfer zunächst ohne Nötigungsabsicht in seine Gewalt bringt und anschließend den von ihm geschaffenen Zustand zur Nötigung mittels einer qualifizierten Drohung ausnutzt.213 1. Als durchgreifender Rechtsfehler erweist es sich bereits, dass das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob die Angeklagten und ihre Mittäter sich des erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 1. Alt. StGB schuldig gemacht haben. Denn nach den Feststellungen bemächtigten sie sich des Zeugen We., den sie zunächst mit dem Zeugen S. verwechselt hatten, „um ihn zumindest weiter einzuschüchtern und ihn zur Herausgabe von Geld oder Drogen aufzufordern“. Damit sind sowohl der objektive Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes als auch die Absicht festgestellt, die Sorge des Opfers um
212 213
BGH, Urteil v. 2.9.2010 – 3 StR 273/10. BGH, Urteil v. 5.8.2010 – 3 StR 210/10.
II. 10. Straftaten gegen die persönliche Freiheit – §§ 232 ff. StGB
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sein Wohl zu einer Erpressung während der Bemächtigungslage auszunutzen (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 239a Rn. 5 f.). Ob die Angeklagten und ihre Mittäter dabei davon ausgingen, sich zu Unrecht zu bereichern, hängt von ihren Vorstellungen über das Bestehen einer materiellrechtlich durchsetzbaren Forderung ab. … 2. Mit Recht beanstandet die Beschwerdeführerin zudem, dass das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen Geiselnahme nicht rechtsfehlerfrei verneint hat. a) Den Tatbestand der Geiselnahme erfüllt, wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt und dabei beabsichtigt, sein Opfer während der Dauer der Bemächtigungslage (BGH, Urteil vom 10. Juni 2007 – 1 StR 157/07, NStZ-RR 2007, 243; BGH, Beschluss vom 14. Mai 1996 – 4 StR 174/96, StV 1997, 302; Fischer, aaO § 239b Rn. 6) durch die Drohung mit dem Tode, einer schweren Körperverletzung oder mit Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen (§ 239b Abs. 1 1. Alt. StGB) Dasselbe gilt, wenn der Täter das Opfer zunächst ohne Nötigungsabsicht in seine Gewalt bringt und anschließend den von ihm geschaffenen Zustand zur Nötigung mittels einer qualifizierten Drohung ausnutzt (§ 239b Abs. 1 2. Alt. StGB). In beiden Fällen genügt es für den Vorsatz, dass der Täter weiß oder zumindest damit rechnet und es billigt, die beabsichtigte (Alt. 1.) oder geäußerte (Alt. 2.) Drohung könne von der bedrohten Person für ernst gehalten werden und in ihr Furcht vor ihrer Verwirklichung hervorrufen. Nicht notwendig für die Erfüllung des Tatbestandes ist es dagegen, dass der Täter den Betroffenen von der Ernsthaftigkeit seiner Drohung überzeugen will. Denn schon Zweifel daran, ob die Drohung wahr gemacht wird, können die Willensfreiheit des Geschädigten beeinträchtigen. Unerheblich ist auch, ob das Opfer die geäußerte Drohung (Alt. 2.) tatsächlich als Zwang empfindet und der Täter entschlossen ist, sie in die Tat umzusetzen (BGH, Urteil vom 16. März 1976 – 5 StR 72/76, BGHSt 26, 309, 310; BGH, Urteil vom 21. Mai 1985 – 1 StR 175/85, NStZ 1985, 455). b) Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung bedeutet dies: Die Angeklagten und ihre Mittäter hatten den Geschädigten entführt und sich damit seiner bemächtigt. Während der Bemächtigungslage drohte der gesondert Verfolgte W. ausdrücklich, den Zeugen We. abzustechen, um ihn zur Kooperation zu nötigen, und verstärkte diese konkrete Todesdrohung dadurch, dass er mit einem Messer herumfuchtelte. Diese qualifizierte Drohung geschah unmittelbar nach der Anwendung erheblicher körperlicher Gewalt gegen das Tatopfer, das geschlagen und mit einem Schlagstock bedroht worden war. Zwar haben die Angeklagten und der gesondert Verfolgte W. auch nicht qualifizierte Drohungen ausgesprochen. Dies nimmt jedoch bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Todesdrohung nicht ihre Eignung, im Zeugen We. Furcht vor ihrer Ernsthaftigkeit und möglichen Verwirklichung hervorzurufen. Die Angeklagten distanzierten sich in der Folgezeit von der Todesdrohung nicht und beteiligten sich aktiv an der weiteren Tatausführung. Die Aufforderung des Angeklagten M. an W., das Messer wegzustecken, kann auch als Aufforderung verstanden werden, das Messer nicht sofort einzusetzen. Hinzu kommt, dass der Angeklagte M. und W. im weiteren Verlauf der Tatbegehung noch Todesdrohungen zum Nachteil des S. aussprachen, was die Furcht des Zeugen We. vor der Umsetzung der zuvor ihm gegenüber ausgesprochenen Todesdrohung verstärkt haben kann. Unter diesen Umständen liegt es nicht fern, dass beide Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahmen, der Geschädigte We. werde auch aus Furcht vor der ausgesprochenen Todesdrohung gegen seinen Willen ihren Anweisungen weiter Folge leisten. Mit der Vorstellung der Angeklagten von der Wirkung der Todesdrohung auf die Willensentschließung und Willensbetätigung des Tatopfers befassen sich die Urteilsgründe indes nicht.
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B. StGB – Besonderer Teil
■ PRAXISHINWEIS
Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs setzt voraus, dass der Täter eine von ihm durch eine in § 239a Abs. 1 1. Alt. StGB beschriebene Handlung geschaffene Lage zu einer Erpressung ausnutzt. Daher muss bei einer zunächst absichtslosen Schaffung einer Gewaltlage – in einem zweiten Akt – eine diese ausnutzende Nötigungshandlung hinzukommen. Hat allerdings ein Dritter diese Lage geschaffen, oder ist das Opfer durch andere Umstände in diese Situation geraten, so genügt es nicht, wenn der Täter diese Umstände zu einer Erpressung ausnutzt. Vielmehr bedarf es in solchen Fällen vor einer Verurteilung wegen erpresserischen Menschenraubes einer genauen tatrichterlichen Feststellung der objektiven und subjektiven Umstände in jedem Stadium des Geschehens.
d) Nötigung 202
Nötigung, keine Anzeige zu erstatten: Nicht selten werden die Opfer einer Straftat zusätzlich mit Konsequenzen für den Fall bedroht, falls sie wegen der Straftat Anzeige erstatten. Nach dem Beschluss vom 24.11.2009214 ist eine vollendete Nötigung in solchen Fällen nur dann gegeben, wenn das Tatopfer die Anzeige endgültig oder zumindest vorübergehend unterlassen hat: Besteht das abgenötigte Verhalten – wie im vorliegenden Fall – in einem Unterlassen, kann Vollendung zum einen dann eintreten, wenn das Opfer die Handlung infolge des Zwangs ganz unterlässt (Fischer StGB 56. Aufl. § 240 Rn. 55a). So liegt der Fall hier nicht, da der Geschädigte D., dem gegenüber der Angeklagte aus Anlass der Eintreibung einer unberechtigten Forderung geäußert hatte, er werde ihn „in den Kopf schießen, wenn er die Polizei rufen würde“, bei der Polizei wegen dieses Vorfalls Anzeige erstattete. Vollendete Nötigung kann zum anderen auch dann gegeben sein, wenn das Tatopfer die Erstattung einer Strafanzeige nur vorübergehend unterlässt, mag es auch fest entschlossen sein, die Anzeige nach Wegfall des Zwangs nachzuholen (Träger/Altvater in LK, 11. Aufl. § 240 Rn. 66; Fischer aaO). Auch dafür geben die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen keinen Anhalt, da der Geschädigte die Strafanzeige noch am selben Tage erstattete. Daher ist lediglich der Versuch einer Nötigung gegeben (§ 240 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 StGB).
203
Der Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) ist gegenüber der zugleich verwirklichten Nötigung (§ 240 StGB) lex specialis. Im Hinblick darauf entfällt die tateinheitliche Verurteilung wegen Nötigung.215
11. Diebstahl und Unterschlagung – §§ 242 ff. StGB a) 204
Zueignungswillen bei § 242 Abs. 1 StGB
Fast klausurmäßig hat sich der 4. Strafsenat am 8.9.2009216 bei einem alltäglichen Fall mit dem speziell fehlenden Zueignungswillen befasst, welcher fehlen soll, wenn
214 215 216
BGH, Beschl. v. 24.11.2009 – 4 StR 524/09. BGH, Beschl. v. 1.9.2010 – 5 StR 324/10. BGH, Beschl. v. 8.9.2009 – 4 StR 354/09.
II. 11. Diebstahl und Unterschlagung – §§ 242 ff. StGB
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der Täter einen Geldbeutel aus einer fremden Handtasche in der Erwartung entwendet, dieser werde Geld enthalten, sich dieses Geldbeutels aber sogleich wieder entledigt, nachdem er festgestellt hat, dass dem nicht so ist. Daher liegt in diesem Fall (aus Sicht des Täters) nur ein fehlgeschlagener Versuch vor. Diese Rechtsprechung setzt derselbe Senat mit seiner Entscheidung vom 5.5.2010217 fort:
205
„Hinsichtlich des Falles 15 hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte und seine Mittäter aus dem Bürogebäude, in welches sie gewaltsam eingedrungen waren, einen verschlossenen Tresor entwendeten, in dem sie Bargeld oder andere wertvolle Gegenstände vermuteten. Tatsächlich befanden sich in dem Tresor nur Papiere der geschädigten Firma. Der Tresor wurde sodann in einem See versenkt (UA S. 18). Diese Feststellungen belegen einen vollendeten schweren Bandendiebstahl nicht. Will sich der Täter, wie hier, nicht das Behältnis, sondern in der Hoffnung auf möglichst große Beute allein den vermuteten Inhalt aneignen, so fehlt es hinsichtlich des Behältnisses am Zueignungswillen zum Zeitpunkt der Wegnahme. Es liegt insoweit lediglich ein – aus Sicht des Täters fehlgeschlagener – Versuch vor (Senat, Beschluss vom 8. September 2009 – 4 StR 354/09 – unter Hinweis auf BGH NStZ 2004, 333).
b) Wohnungseinbruchsdiebstahl Zur Frage des Wohnungseinbruchdiebstahls gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 27.7.2010218 entschieden, dass das Öffnen eines gekippten Terrassentürflügels und das Betreten des Hauses auf diesem Weg kein „Einsteigen“ i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB darstellt, weil Einsteigen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung des Hauses erfolgt, während demgegenüber Terrassentüren nach Ihrer allgemeinen Eignung gerade zum Betreten eines Gebäudes vorgesehen sind. Das Landgericht hat zu Unrecht ein „Einsteigen“ i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB angenommen. Einsteigen in einen Raum ist über den engeren Sprachsinn hinaus jedes nur unter Schwierigkeiten mögliche Eindringen durch eine zum ordnungsgemäßen Eintritt nicht bestimmte Öffnung (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 243 Rdn. 6 mN). Eine im Erdgeschoss gelegene Terrassentür ist demgegenüber allgemein zum Betreten des Gebäudes vorgesehen. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 16. Juni 2010 zutreffend ausgeführt hat, liegt in solchen Fällen ein Einsteigen selbst dann nicht vor, wenn der Täter zum Öffnen der Tür zunächst durch einen gekippten Türflügel in die Wohnung hineingreifen muss (vgl. BGH, Beschl. vom 6. September 1968 – 4 StR 390/68; BGH, Urt. vom 5. Februar 1957 – 5 StR 526/56, BGHSt 10, 132, 133; Vogel in LK StGB 12. Aufl. § 243 Rdn. 22). Der Angeklagte hätte deshalb insoweit nur wegen einfachen Diebstahls gemäß § 242 StGB schuldig gesprochen werden dürfen.
217 218
BGH, Beschl. v. 5.5.2010 – 4 StR 72/10. BGH, Beschl. v. 27.7.2010 – 1 StR 319/10.
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168 207
B. StGB – Besonderer Teil
Hinsichtlich der lange umstrittenen Frage der unbefugten Verwendung eines fremden Schlüssels hat nun der 2. Strafsenat am 5.8.2010219 entschieden, dass ein Täter auch dann eine durch ein verschlossenes Behältnis besonders gesicherte Sache stiehlt, wenn er als Unberechtigter den ordnungsgemäß dafür vorgesehenen Schlüssel verwendet. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der Angeklagte und die gesondert abgeurteilte N. dazu entschlossen, Geld aus der Postfiliale in N. zu entwenden. N. war dort als Angestellte am Schalter eingesetzt. Dort nahm sie am 22. Juli 2008 entsprechend dem gemeinsamen Tatplan zuerst heimlich 11.000 € Bargeld an sich. Dann bat sie ihren Kollegen R. darum, sie beim Bedienen eines Kunden am Schalter zu vertreten. Diese Ablenkung nutzte sie dazu aus, um unbeobachtet den in der offenen Kasse am Schalter ihres Kollegen R. liegenden Schlüssel zum Haupttresor an sich zu nehmen, den sie grundsätzlich nicht benutzen durfte. Sie öffnete damit den Tresor und entnahm daraus weitere 113.000 € Bargeld. Mit ihrer gesamten Beute verließ sie die Postfiliale und floh zusammen mit dem Angeklagten in dessen Fahrzeug. 2. Diese Handlung hat das Landgericht zu Recht als Diebstahl im besonders schweren Fall im Sinne der §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB bewertet. Das Regelbeispiel des Diebstahls aus einem verschlossenen Behältnis ist erfüllt. Dies entspricht dem Wortlaut und dem Zweck des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Dient das Behältnis nach seiner erkennbaren Zweckbestimmung wenigstens unter anderem auch zur Sicherung der darin aufbewahrten Sache gegen Diebstahl, wie es bei einem Tresor idealtypisch der Fall ist, dann ist das verschlossene Behältnis ein Spezialfall einer Schutzvorrichtung im Sinne der Vorschrift. Das Regelbeispiel setzt voraus, dass das Behältnis verschlossen ist. Weitere Sicherungen, etwa durch Wegschließen des Schlüssels, sind danach zu seiner Erfüllung nicht mehr erforderlich. Der Täter muss – sofern er nicht sogar die Sache mitsamt dem Behältnis stiehlt – die Sicherung überwinden, wobei es aber nicht darauf ankommt, wie er das bewirkt (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 403; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 243 Rn. 17). § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB betont nämlich die besondere Sicherung des Diebstahlsobjekts, während § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StGB besondere Arten der Tatausführung bei einer allgemeinen Sicherung des Gegenstands hervorhebt; auf eine besondere Gestaltung der Tathandlung über das Überwinden der Sicherung hinaus kommt es dagegen bei § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB nicht an (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1988, 3028). Daher scheidet die Anwendung des Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall des Diebstahls wegen der Wegnahme einer Sache aus einem verschlossenen Behältnis auch dann nicht aus, wenn der Verschluss mit dem dafür vorgesehenen Schlüssel geöffnet wird. Allenfalls dann, wenn der Benutzer des Schlüssels zu dessen Verwendung befugt ist, könnte für ihn die Eigenschaft des Behältnisses als besondere Diebstahlssicherung entfallen (vgl. OLG Hamm, JR 1982, 119 mit abl. Anm. Schmid; Schmitz in MünchKomm, StGB, 2003, § 243 Rn. 35). Jedenfalls wenn ein Unbefugter den Schlüssel an sich nimmt und er damit das Behältnis öffnet, überwindet er die Diebstahlssicherung, die sich aus dem Verschlusszustand des Behältnisses ergibt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2010, 48; Fischer, StGB, § 243 Rn. 17; LK/Vogel, StGB, 12. Aufl., § 243 Rn. 32). Die Erfüllung des Regelbeispiels führt grundsätzlich zur Anwendung des Ausnahmestrafrahmens. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass auch nach den Umständen des konkreten Falles kein Grund dafür besteht, die Regelwirkung hier entfallen zu lassen. 219
BGH, Beschl. v. 5.8.2010 – 2 StR 385/10.
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II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
PRAXISHINWEIS ■
Mit dieser Entscheidung wird die Auffassung bestätigt, die beim Regelbeispiel des § 243 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 StGB nicht auf eine besondere Art und Weise der Tatausführung, sondern auf die besondere Sicherung des Diebstahlobjekts abstellt, so dass es nun gleichgültig ist, ob eine besondere Sicherungsvorrichtung durch einen echten oder einen falschen Schlüssel überwunden wird; es muss lediglich darauf abgestellt werden, ob der Täter zur Verwendung des Schlüssels berechtigt ist oder nicht! Außerdem wurde klar festgelegt, dass bei Erfüllung eines Regelbeispiels allenfalls höchst ausnahmsweise die Regelwirkung entfallen könne.
12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB Zu den bereits aus objektiven und erst Recht aus subjektiven Gründen oftmals schwierigen Tatbeständen des Raubes und der räuberischen Erpressung hat es seit dem Herbst 2009 zahlreiche wichtige und abgrenzende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs gegeben. a)
Gefährliches Werkzeug – § 250 Abs. 1 Nr. 1a / § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB
Das Urteil vom 18.2.2010 220 bekräftigt ausdrücklich, dass der bei einem Raubüberfall mitgeführte und dann dem Opfer leicht mit der abgebrochenen Spitze gegen dessen Rücken gedrückte Schraubendreher ein gefährliches Werkzeug sowohl i.S.v. § 250 Abs. 1 Nr. 1a als auch nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sein kann. Außerdem ist mit der Wegnahme von Geld aus einer Ladenkasse und dem Einstecken in die eigenen Hosentaschen in aller Regel bereits Gewahrsam begründet und die Wegnahme vollendet: 2. Dieses gefährliche Werkzeug hat der Angeklagte A. E. nicht (nur) im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB bei sich geführt, sondern gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch verwendet. Das Landgericht ist von einem rechtlich unzutreffenden Begriff des Verwendens ausgegangen. a) Das Tatbestandsmerkmal des Verwendens umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch eines objektiv gefährlichen Tatmittels. Nach der Konzeption der Raubdelikte bezieht sich das Verwenden auf den Einsatz des Nötigungsmittels im Grundtatbestand, so dass es immer dann zu bejahen ist, wenn der Täter zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben gebraucht (BGHSt 45, 92, 94 f. m.w.N.; BGH NStZ 2008, 687; Sander in MünchKomm-StGB § 250 Rdn. 58). Dabei setzt (vollendetes) Verwenden zur Drohung voraus, dass das Opfer das Nötigungsmittel als solches erkennt und die Androhung seines Einsatzes wahrnimmt. Drohung ist das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt (BGHSt 16, 386) und dessen Verwirklichung er nach dem Inhalt seiner Äußerung für den Fall des Bedingungseintritts will. Die Äußerung der Drohung kann ausdrücklich oder
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BGH, Urteil v. 18.2.2010 – 3 StR 556/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
konkludent erfolgen (Fischer, StGB 57. Aufl. § 240 Rdn. 31 m.w.N.). Kein Verwenden ist das bloße Mitsichführen und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn es offen erfolgt (BGH NStZ-RR 2004, 169; Fischer aaO § 250 Rdn. 18). b) Danach hat der Angeklagte A. E., indem er dem Kassierer den Schraubendreher – den dieser gesehen hatte – in den Rücken drückte, entgegen der Auffassung des Landgerichts den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB objektiv verwirklicht. Er drohte durch diese Handlung – im Zusammenwirken mit der vorangegangen Äußerung, wenn sich der Zeuge ruhig verhalte, werde (ihm) nichts geschehen – konkludent damit, bei Widerstand und Nichtbefolgung seiner Forderungen dieses gefährliche Werkzeug als Stichwerkzeug gegen ihn einzusetzen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts setzt der Begriff des Verwendens nicht voraus, dass sich aus der Art des Einsatzes des objektiv gefährlichen Tatmittels eine konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen ergibt. Vielmehr genügt jedes Benutzen solcher Tatmittel bei der Anwendung von Gewalt oder – wie hier – als Drohmittel (BGHSt 45, 92, 94 f.). 3. Die Auffassung des Landgerichts, die Angeklagten hätten hinsichtlich der aus der Kasse entnommenen 800 € in Banknoten und der Münzrolle im Wert von 50 €, die sich die Angeklagten schon in ihre Hosentaschen gesteckt hatten, bevor die Polizei eintraf und sie festnahm, „noch keinen hinreichenden neuen Gewahrsam begründet“ und somit die Tat nur versucht, begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. a) Die vollendete Wegnahme setzt voraus, dass fremder Gewahrsam gebrochen und neuer Gewahrsam begründet ist. Letzteres beurteilt sich danach, ob der Täter die Herrschaft über die Sache derart erlangt hat, dass er sie ohne Behinderung durch den früheren Gewahrsamsinhaber ausüben kann. Für die Frage der Sachherrschaft kommt es entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens an. Dabei macht es sowohl für die Sachherrschaft des bisherigen Gewahrsamsinhabers wie für die des Täters einen entscheidenden Unterschied, ob es sich bei dem Diebesgut um umfangreiche, namentlich schwere Sachen handelt, deren Abtransport mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, oder ob es nur um kleine, leicht transportable Gegenstände geht. Bei unauffälligen, leicht beweglichen Sachen, wie etwa bei Geldscheinen sowie Geld- und Schmuckstücken, lässt die Verkehrsauffassung für die vollendete Wegnahme schon ein Ergreifen und Festhalten der Sache genügen. Steckt der Täter einen Gegenstand in Zueignungsabsicht in seine Kleidung, so schließt er allein durch diesen tatsächlichen Vorgang die Sachherrschaft des Bestohlenen aus und begründet eigenen ausschließlichen Gewahrsam. Die Verkehrsauffassung weist daher im Regelfall einer Person, die einen Gegenstand in der Tasche ihrer Kleidung trägt, die ausschließliche Sachherrschaft zu (vgl. BGHSt 16, 271, 273 f.; 23, 254, 255 m.w.N.). Der Annahme eines Gewahrsamswechsels steht in diesen Fällen nicht entgegen, dass sich der erbeutete Gegenstand, wie etwa bei Festnahme des Täters am Tatort, noch im Gewahrsamsbereich des Berechtigten befindet. Die Tatvollendung setzt keinen gesicherten Gewahrsam voraus. Die alsbaldige Entdeckung des Täters und seine Festnahme gibt nur die Möglichkeit, ihm die Sache wieder abzunehmen. Auch eine etwaige Beobachtung dieses Tatvorgangs ändert an der Vollziehung des Gewahrsamswechsels nichts, da der Diebstahl keine heimliche Tat ist und die Beobachtung dem Bestohlenen lediglich die Möglichkeit gibt, den ihm bereits entzogenen Gewahrsam wiederzuerlangen. Demgemäß nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung regelmäßig Vollendung der Wegnahme an, wenn der Täter innerhalb fremder Räume leicht bewegliche Gegenstände in seine Kleidung steckt (vgl. BGHSt 26, 24, 25 f.; Schmitz in MünchKomm-StGB § 242 Rdn. 52, 61, 72). b) Nach diesen Maßstäben war hier die Wegnahme mit dem Einstecken des Geldes in die Kleidung vollendet. Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung rechtfertigen
II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
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könnten, liegen nicht vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Strafkammer zur Begründung ihrer rechtlichen Würdigung herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs in StV 1985, 323, die eine andere Fallgestaltung zum Gegenstand hat. Dahinstehen kann deshalb, ob auch die Wegnahme der in die Säcke gepackten Zigarettenstangen bereits vollendet war, zumal die bisherigen Feststellungen offen lassen, wie groß und schwer diese ganz bzw. teilweise befüllten Behältnisse waren (vgl. Ruß in LK 11. Aufl. § 242 Rdn. 42 m.w.N.). PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung stellt nicht nur klar, dass ein Schraubendreher ein gefährliches Werkzeug sein kann, sondern dass durch das Drücken des Werkzeugs in den Rücken des Opfers eines Raubes dieses damit bedroht wird, in den Rücken gestochen zu werden, und damit auch der Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Weiterhin wird die Rechtsprechung bestätigt, dass bereits mit dem Einstecken von fremdem Geld in die eigene Hosentasche Gewahrsam begründet wird und damit die Wegnahme vollendet ist! Die Verwendung eines an sich ungefährlichen Kunststoffbandes betrifft das Urteil vom 5.8.2010,221 wobei die konkrete Verwendung bei der Tat objektiv gefährlich war, so dass der Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht werden konnte: 1. Die Angeklagten und ein weiterer, anderweitig verfolgter Beteiligter entschlossen sich, einem Freier der als Prostituierte tätigen Angeklagten K. Geld wegzunehmen und diesen dabei mit einer ungeladenen Waffe zu bedrohen. Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend veranlasste die Angeklagte K. das spätere Tatopfer, sich mit ihr zu treffen. Unter dem Vorwand, er könne sie mit seinem Pkw in die Nähe ihrer Wohnung bringen, dirigierte sie den arglosen Zeugen zu einem dunklen Platz, wo die beiden Mitangeklagten und der weitere Tatgenosse warteten. Nachdem das Opfer seinen Pkw angehalten hatte, stieg der Angeklagte H. absprachegemäß durch eine der hinteren Türen in das Kraftfahrzeug ein, umfasste den Überfallenen mit einem Arm am Hals, hielt ihm mit der anderen Hand die Augen zu und sagte ihm, er solle ruhig bleiben und seine Arme auf das Lenkrad legen. Sodann legte der Angeklagte H. – entgegen der ursprünglichen Planung – ein etwa 60 Zentimeter langes, stabiles Kunststoffband in der Art eines Schnürsenkels mit einem Holzanhänger, das er zuvor als Armband getragen hatte, um den Hals des Tatopfers, um dieses zu fixieren und an einer Gegenwehr zu hindern. Dem Überfallenen gelang es jedoch, eine Hand unter das Band zu schieben und es wegzureißen, sodass es auf der Mittelkonsole des Pkw zu liegen kam. Nachdem der nunmehr an der geöffneten hinteren rechten Autotür stehende Angeklagte T. den Zeugen verbal eingeschüchtert hatte, nahm er dessen Mobiltelefon und Jacke an sich, ließ sich dessen Armbanduhr aushändigen und nahm dem Opfer sodann auch die Geldbörse weg, in der sich unter anderem 60 € Bargeld befanden. Entgegen der Erwartung der Täter hatte der Zeuge indes an diesem Abend – anders als am Tag zuvor, als er für die Angeklagte K. wahrnehmbar 33.000 € mit sich geführt hatte – keinen größeren Bargeldbetrag bei sich. Daher ließen die Täter nach einer Durchsuchung des Pkw von ihrem Opfer ab und entfernten sich mit ihrer Beute, die zunächst der Angeklagte T. an sich nahm. Das Mobiltelefon des Opfers verblieb schließlich bei der Angeklagten K. Das weggenommene Geld teilten die Täter unter sich auf. 221
BGH, Urteil v. 5.8.2010 – 3 StR 190/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
Dass bei der Tat – wie ursprünglich geplant – eine (ungeladene) Waffe verwendet oder – wie vom Angeklagten T. nach der Tat behauptet – von diesem ein Messer mitgeführt wurde, vermochte die Kammer nicht festzustellen. 2. Das Landgericht hat diese Tat als – gemeinschaftlich begangenen (§ 25 Abs. 2 StGB) – schweren Raub gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB gewürdigt. Die Strafkammer ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt seien. Ein anderes gefährliches Werkzeug im Sinne dieser Vorschrift sei nur ein generell und nicht erst durch die konkrete Art seiner Anwendung gefährlicher Gegenstand. Diese Voraussetzung erfülle das eingesetzte Kunststoffband nicht. Ferner habe der Angeklagte H. das Werkzeug auch nicht verwendet im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes. Zwar wäre das Band grundsätzlich zum Strangulieren geeignet gewesen. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass es hierzu auch benutzt worden sei. Der Angeklagte habe dem Zeugen das Band lediglich über den Kopf geworfen bzw. um den Hals gelegt. Er habe auch nicht damit gedroht, den Zeugen damit zu strangulieren. Dass bei der Tat das Kunststoffband und nicht – wie ursprünglich geplant – eine ungeladene Waffe verwendet worden sei, stelle eine unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom geplanten Kausalverlauf dar, den sich die Angeklagten K. und T. zurechnen lassen müssten. II. Revision der Staatsanwaltschaft 1. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts hält auf der Grundlage der Feststellungen der Nachprüfung nicht stand. Zwar ist die Ansicht des Landgerichts, dass es sich bei dem von dem Angeklagten H. verwendeten Band nicht um ein objektiv gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB handelt, nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Auffassung der Strafkammer, auch der konkrete Einsatz des Bandes durch den Angeklagten H. könne nicht als Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gewertet werden. a) Ein gefährliches Werkzeug im Sinne dieses Qualifikationstatbestandes wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch, wenn sich die objektive Gefährlichkeit eines an sich ungefährlichen (neutralen) Gegenstandes erst aus seiner konkreten Verwendung ergibt, weil diese geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen; die Gefährlichkeit kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird (vgl. – je m.w.N. – Fischer, StGB, 57. Aufl., § 250 Rn. 6 f. und 20 f.; MünchKommStGB/ Sander, § 250 Rn. 60 f.). Der Begriff des Verwendens umfasst jeden zweckgerichteten Gebrauch. Nach der Konzeption der Raubdelikte bezieht er sich auf den Einsatz des Nötigungsmittels im Grundtatbestand, so dass das Verwenden immer dann zu bejahen ist, wenn der Täter zur Wegnahme einer fremden beweglichen Sache eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug gerade als Mittel entweder der Gewalt gegen eine Person oder der Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für deren Leib oder Leben gebraucht (BGH, Urteil vom 11. Mai 1999 – 4 StR 380/98, BGHSt 45, 92, 94 f. m.w.N.; BGH, Urteil vom 8. Mai 2008 – 3 StR 102/08, NStZ 2008, 687; Sander, aaO, Rn. 58 ff.). Die Drohung kann ausdrücklich oder konkludent geäußert werden (vgl. Fischer, aaO, § 240 Rn. 31 m.w.N.). Das (vollendete) Verwenden eines Werkzeuges zur Drohung setzt voraus, dass das Opfer das Nötigungsmittel als solches erkennt und die Androhung seines Einsatzes wahrnimmt (BGH, Beschluss vom 1. September 2004 – 2 StR 313/04, NJW 2004, 3437). Bedient sich der Täter zur Drohung eines objektiv ungefährlichen Gegenstandes, so verwendet er ihn dann als gefährliches Werkzeug, wenn er ankündigt, ihn in einer Weise zu benutzen, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2007 – 2 StR 34/07, BGHSt 51, 276, 278; LK-Vogler, 12. Aufl., § 250 Rn. 32).
173
II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
b) Danach kann der Angeklagte H. den Tatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB entgegen der Ansicht des Landgerichts verwirklicht haben. Dabei kann dahinstehen, ob er dadurch, dass er dem Opfer zu dessen Fixierung das – nach den Feststellungen des Landgerichts zum Strangulieren generell geeignete – Band von hinten um den Hals legte, dieses – insbesondere auch wegen erwarteter Abwehr- oder Fluchtreaktionen – zu einer Gewaltausübung nutzte, die geeignet war, erhebliche Verletzungen zu verursachen; denn naheliegend hat er durch sein Verhalten dem Überfallenen objektiv und subjektiv jedenfalls mit einer konkret gefährlichen Verwendung des Bandes gedroht, nämlich konkludent damit, dieses am Hals zuzuziehen, falls der Zeuge sich der beabsichtigten Wegnahmehandlung widersetzen sollte. Nach seiner wehrhaften Reaktion hat der Genötigte das Band als Nötigungsmittel wahrgenommen und dessen Einsatz wohl auch als Drohung mit einer Strangulation verstanden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt es nicht darauf an, dass der Angeklagte den Zeugen tatsächlich nicht stranguliert hat. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist weiter ohne Belang, dass der Überfallene das Band wegreißen konnte und es im weiteren Fortgang der Tat nicht mehr verwendet wurde; denn die Qualifikation ist verwirklicht, wenn das Werkzeug – wie hier – im Zeitraum vom Ansetzen zum Versuch bis zur Beendigung der Tat eingesetzt wird (Fischer, aaO, § 250 Rn. 18 m.w.N.). PRAXISHINWEIS ■
Auch an sich ungefährliche Gegenstände können durch deren konkrete Verwendung bei einer Tat im Ergebnis die Voraussetzungen eines gefährlichen Werkzeugs erfüllen! Um diese Qualifikation zu vermeiden, muss die Feststellung getroffen werden, dass auch die konkrete Verwendung bei einem Raub nicht objektiv gefährlich war!
b) Waffe – § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB Eine weitere Klärung des Waffenbegriffs nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB brachte die Entscheidung vom 9.2.2010, wonach keine „durchgeladene“ Schusswaffe erforderliche ist, sondern ein „Unterladen“ der Waffe ausreicht, d.h. durch Einfügen eines bestückten Magazins in die Waffe; bei Schreckschusswaffen gilt dies allerdings nur dann, wenn der Explosionsdruck nach vorne austreten kann.222 Eine geladene Schreckschusspistole unterfällt nur dann dem Waffenbegriff des § 250 StGB, wenn feststeht, dass beim Abfeuern der Waffe der Explosionsdruck nach vorne aus dem Lauf austritt und deshalb die Waffe nach ihrer Beschaffenheit geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.223 c)
223 224
212
Schwere körperliche Misshandlung – § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB
Der Begriff der schweren körperlichen Misshandlung einer Person bei einem Raub i.S.v. § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB wird im Urteil vom 15.9.2010 geklärt.224
222
211
BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 3 StR 17/10. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 3 StR 11/10. BGH, Urteil v. 15.9.2010 – 2 StR 395/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
c) Die Mittäter haben den Geschädigten ferner nach den Feststellungen im Sinne von § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB bei der räuberischen Erpressung körperlich schwer misshandelt. Der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsreformgesetzes hat den Begriff der schweren körperlichen Misshandlung nach § 250 Abs. 3 Buchst. a StGB aus § 176a Abs. 4 Nr. 1 StGB (§ 176 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB aF) übernommen (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 32, 45), auf den zur Auslegung des Begriffes zurückgegriffen werden kann (vgl. Eser/Bosch in Schönke/ Schröder, StGB, 28. Aufl. § 250 Rn. 33; Sander in MünchKomm, StGB, 2003, § 250 Rn. 65; einschränkend Vogel in LK StGB, 12. Aufl., § 250 Rn. 39). Danach ist zur Annahme einer schweren körperlichen Misshandlung nicht der Eintritt einer schweren Folge im Sinne von § 226 StGB oder einer schweren Gesundheitsschädigung im Sinne von § 239 Abs. 3 Nr. 2 StGB erforderlich. Es ist jedoch vorauszusetzen, dass die körperliche Integrität des Opfers entweder mit erheblichen Folgen für die Gesundheit oder aber in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, beeinträchtigt wird (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 175; Eser/Bosch aaO; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 250 Rn. 26; NK/Kindhäuser, StGB, 2010, § 250 Rn. 23; von Heintschel-Heinegg/Wittig, StGB, 2010, § 250 Rn. 11). Dies hat das Landgericht außer Betracht gelassen, obwohl es davon ausgegangen ist, dass der Geschädigte durch die Tat „erhebliche Verletzungen“ erlitten hat, die schmerzhaft waren. Auf die Schmerzzufügung war es den Mittätern angekommen, um dem Opfer die Unterschrift unter das vorbereitete Schriftstück und den dauernden Verzicht auf die Geltendmachung seiner Forderung abzupressen.
d) Gewahrsam 214
Mit Fragen des Gewahrsams befasste sich der 2. Strafsenat im Beschluss vom 6.7. 2010,225 wonach ein Täter, welcher zunächst durch die Weigerung der Rückgabe eines ihm kurz vorher übergebenen Handys einen Geldbetrag erpressen wollte, wobei es ihm dabei nicht auf das Handy ankam. Erst als der Eigentümer des Handys eine Zahlung ablehnte, fasste er den Entschluss, dieses zu behalten. Als darauf der Zeuge ihm folgte und sein Handy herausverlangte, schlug er ihn mit der flachen Hand ins Gesicht. Räuberischer Diebstahl setzt nach § 252 StGB als Vortat eine von Zueignungsabsicht getragene vollendete Wegnahme – den Bruch fremden und die Begründung neuen eigenen Gewahrsams – voraus (Fischer, StGB, 57. Aufl., § 252 Rn. 3 f.). Dies hat das Landgericht nicht verkannt. Es ist indes der Auffassung, dass der Angeklagte, als er dem Zeugen das Mobiltelefon aus der Hand genommen habe, dessen Gewahrsam nur gelockert habe; gebrochen habe er ihn erst, als er dieses, nunmehr in Zueignungsabsicht, eingesteckt und sich damit entfernt habe. Dem kann sich der Senat nicht anschließen. Der Täter bricht fremden und begründet neuen eigenen Gewahrsam dann, wenn er unter Ausschluss des Berechtigten die tatsächliche Sachherrschaft erlangt. Bei handlichen und leicht zu bewegenden Gegenständen genügt hierfür ein bloßes Ergreifen und Festhalten jedenfalls dann, wenn der Berechtigte seine ungehinderte Verfügungsgewalt nur noch gegen den Willen des Täters und unter Anwendung von körperlicher Gewalt wiederherstellen könnte (BGH NStZ 2008, 624, 625 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben war die Wegnahme bereits vollendet, als der Angeklagte dem Zeugen das Mobiltelefon aus der Hand nahm, denn um die ungehinderte eigene Verfügungsgewalt wiederzuerlangen hätte der Zeuge es ihm gegen dessen Wider-
225
BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – 3 StR 180/10.
II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
175
stand entwinden müssen. Der Wille des Angeklagten, den Zugriff des Zeugen hierauf auszuschließen, ergibt sich schon daraus, dass ihm der Sachentzug als Mittel zur Durchsetzung seiner unberechtigten Geldforderung dienen sollte.
e)
Drohung – § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB
Schwere räuberische Erpressung ist auch bei Verwendung handelsüblicher Gegenstände als Drohmittel, welche unproblematisch erwerbbar sind, nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB strafbar, selbst wenn die objektive Ungefährlichkeit eines vorgeblich gefährlichen Werkzeugs klar auf der Hand liegt. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob das Tatopfer im konkreten Einzelfall eine entsprechende Beobachtung gerade machen konnte oder der Täter dies vereitelt.226
215
Die Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung (Fall 3) und versuchter schwerer räuberischer Erpressung (Fall 2) – jeweils unter Anwendung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB – begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die vom Angeklagten verwendeten Gegenstände – eine handelsübliche Sporttasche und ein Mobiltelefon – waren zwar nach ihrer objektiven Beschaffenheit ungefährlich, so dass, wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, Fälle des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB jedenfalls nicht vorlagen. Es war aber, entgegen der Ansicht der Revision und des Generalbundesanwalts, hier auch kein Sonderfall gegeben, in welchem die Drohungswirkung eingesetzter Gegenstände nicht auf deren objektivem Erscheinungsbild, sondern ausschließlich auf täuschenden Erklärungen des Täters beruht. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Fall, wenn die objektive Ungefährlichkeit eines vorgeblich gefährlichen Gegenstands schon nach dessen äußeren Erscheinungsbild offenkundig auf der Hand liegt; hierbei kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Einzelfall das Tatopfer eine solche Beobachtung tatsächlich machen konnte oder ob der Täter dies durch sein täuschendes Vorgehen gerade vereitelt (vgl. BGHSt 38, 116; BGH NStZ 1997, 184; 1998, 38; 2007, 332, 333 f.; weitere Nachw. bei Fischer, StGB, 57. Aufl., § 250 Rn. 10a). Ein solcher Fall lag hier nicht vor. Für einen objektiven Beobachter war die Gefährlichkeit der vom Angeklagten verwendeten Gegenstände, die er täuschend als „Bombe“ bezeichnete, überhaupt nicht einzuschätzen; der äußere Augenschein gab keinen Anhaltspunkt dafür, ob die Behauptung des Angeklagten über die Gefährlichkeit zutraf. Der Sachverhalt lag daher im Ergebnis nicht anders als bei Verwendung sonstiger als „Scheinwaffen“ bezeichneter, objektiv ungefährlicher Gegenstände, so dass die rechtliche Einordnung durch das Landgericht sich als zutreffend erweist.
f)
Zeitpunkt für Qualifizierung
Zwei Entscheidungen befassten sich mit der in der Praxis (und den entsprechenden Einlassungen) durchaus nicht unwichtigen Frage, zu welchem Zeitpunkt einer Tat eine Qualifikationswirkung noch eintreten kann, d.h. ob der Einsatz einer Waffe noch qualifiziert, wenn der Täter bspw. nicht mehr mit dem Vorsatz der Wegnahme oder zumindest Beutesicherung, sondern nur noch zur Ermöglichung seiner Flucht handelt.
226
BGH, Urteil v. 18.8.2010 – 2 StR 295/10.
216
176 217
218
B. StGB – Besonderer Teil
Der 5. Strafsenat bejaht die Erfüllung der Qualifikation mit Beschluss vom 25.2.2010227 für den Fall, dass der Täter, vom Opfer wahrgenommen, nach Vollendung, aber noch vor Beendigung der Raubtat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug mit dem Ziel weiterer Wegnahme einsetzt, so dass dies für ein Verwenden „bei der Tat“ im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch dann (noch) genügt, wenn die angestrebte weitere Wegnahme nicht vollendet wird. Mit gleicher Zielrichtung, aber umgekehrt formuliert es der 2. Strafsenat in seiner Entscheidung vom 8.4.2010,228 wonach die qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung des Raubopfers nach Vollendung der Tat oder Scheitern ihres Versuchs verneint wird, wenn die die Lebensgefahr verursachende Handlung nicht mit der Motivation der Beutesicherung vorgenommen wird: 2 StR 17/10: Soweit das Landgericht die Verurteilung auch auf § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB gestützt hat, hält dies rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach dieser Vorschrift ist die Tat qualifiziert, wenn der Täter eine andere Person „durch die Tat“ in die (konkrete) Gefahr des Todes bringt. Diese Formulierung weicht von derjenigen des Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 Buchst. a („bei der Tat“) ab, entspricht aber der Formulierung des Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c. Für die Fälle des § 250 Abs. 2 Nr. 1 sowie des Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden, dass die Qualifikationswirkung jeweils nur dann eintritt, wenn die auf den Qualifikationserfolg gerichteten Handlungen des Täters (noch) Teil „der Tat“, also des auf Verwirklichung des Raubtatbestands (§ 249 StGB) gerichteten Geschehens sind. Entgegen der in der Literatur vorherrschenden Ansicht hat der Bundesgerichtshof die Qualifikationswirkung in dem Zeitraum zwischen Vollendung des Raubs und Beendigung der Tat (§ 78a StGB) daher für möglich gehalten, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr mit Wegnahmevorsatz, aber mit der Absicht der Beutesicherung handelt … Auf die Streitfrage, ob die zeitliche Grenze für die Qualifikation schon mit der Vollendung der Tat – entsprechend: mit Fehlschlag des Versuchs – anzunehmen ist, kommt es hier nicht an, wenn eine Qualifikationswirkung nach diesem Zeitpunkt jedenfalls fortbestehende Beutesicherungsabsicht des Täters voraussetzt. Dies ist, soweit ersichtlich, für den Fall des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b StGB bisher nicht entschieden. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt der Ansicht, dass ein sachlicher Grund für eine von den anderen genannten Fällen abweichende Auslegung nicht besteht. Auch die qualifizierende Wirkung einer konkreten Lebensgefährdung „durch die Tat“ nach §§ 249, 255 StGB setzt daher jedenfalls voraus, dass die die Lebensgefahr verursachende Handlung (noch) vom Vorsatz der Tatbestandsverwirklichung, nach Vollendung von Beutesicherungsabsicht getragen ist. Im Fall der Lebensgefährdung nach Fehlschlag des Versuchs der räuberischen Erpressung kommt die Anwendung der Qualifikation daher nicht in Betracht, da Beutesicherungsabsicht hier ausscheidet. Soweit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu § 251 StGB entnommen werden könnte, dass die Anwendung von § 251 StGB nach Raubvollendung auch dann nicht ausgeschlossen sein soll, wenn der Einsatz nicht mehr der Beutesicherung, sondern (nur noch) der „bloßen Fluchtsicherung“ dient (vgl. BGHSt 38, 295, 299; die Entscheidung spricht an anderer Stelle allerdings von „Flucht- und Beutesicherung“), so kann hier dahinstehen, ob hieran unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu den Qualifikationsfällen des § 250 StGB (sowie auch zu § 176a Abs. 5 und § 177 Abs. 4 StGB) festzuhalten wäre. Durch
227 228
BGH, Beschl. v. 25.2.2010 – 5 StR 542/09. BGH, Beschl. v. 8.4.2010 – 2 StR 17/10.
II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
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die Nichterörterung des § 251 StGB – in der Form des „Versuchs der Qualifikation“ – ist der Angeklagte nicht beschwert. PRAXISHINWEIS ■
Die beiden Entscheidungen des BGH schränken die Auslegung der Qualifikationen des § 250 Abs. 2 Nr. 3 StGB etwas ein. Künftig wird der Tatrichter genauer zu prüfen haben, ob neben den tatsächlichen Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB auch die Voraussetzungen von Nr. 3 Buchst. b und der daraus resultierenden Mindeststrafe von nicht unter fünf Jahren vorliegen. Soll nämlich die Verwirklichung weiterer Qualifikationen strafschärfend berücksichtigt werden, verlangt deren Berücksichtigung zukünftig genaue Feststellungen, inwieweit eine schwere körperliche Misshandlung nur „bei Gelegenheit“ eines bereits vollendeten oder eines – wie hier – fehlgeschlagenen versuchten Raubes die Anhebung der Mindeststrafe und damit den schwerwiegenderen Strafrahmen veranlasst.
g)
Sonstige Fallgestaltungen
Fast schon „klausurmäßige“ Verwicklungen ergaben sich bei dem Sachverhalt des Beschlusses vom 25.11.2009,229 bei dem ein Täter vom Opfer, ohne hierauf irgendeinen Anspruch zu haben, die Erstellung eines Schuldscheins verlangte, hierbei aber davon ausging, dass er auf den Schuldschein nie irgendeine Zahlung erhalten werde, Nach den Feststellungen des Landgerichts suchte der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten S. den Geschädigten D. auf, um eine tatsächlich nicht bestehende angebliche „Schadensersatz“-Forderung von 17.000 € geltend zu machen. Der Angeklagte rechnete nicht damit, von D. eine Zahlung erlangen zu können. Der Mittäter S. nahm irrig an, die Forderung bestehe tatsächlich; auf Bitte des Angeklagten führte er zur Einschüchterung des D. eine nicht geladene Pistole und einen Teleskopschlagstock mit sich. In der Wohnung des D. wurde dieser vom Angeklagten und S. bedroht und geschlagen: der Angeklagte forderte die Zahlung von 20.000 €, wobei er wusste, dass ein solcher Anspruch gegen D. tatsächlich gar nicht bestand. Unter Drohungen erreichte er, dass D. ihm einen „Schuldschein“ aushändigte und die Zahlung von monatlich 2.000 € zusagte. Hierbei nahm der Angeklagte nach den Feststellungen nicht an, dass D. sofort oder später zahlen (können) werde. Da sich in der Wohnung kein Bargeld fand, nahmen die Angeklagten eine Reihe von technischen Geräten des Geschädigten mit; der Mitangeklagte S. nahm D. zudem 50 € Bargeld weg. D. wurde durch die fortbestehenden Drohungen dazu gezwungen, eine „Quittung“ über einen angeblichen Verkauf der Geräte an den Angeklagten für 500 € auszustellen. Das Landgericht hat die Nötigung zur Erstellung des Schuldscheins und den Abtransport der Geräte als (einheitliche), durch den Einsatz des Teleskopschlagstocks gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB qualifizierte schwere räuberische Erpressung angesehen. Dies ist, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, hinsichtlich des Schuldscheins schon deshalb unzutreffend, weil nach den Feststellungen des Landgerichts mit einer Verwendung
229
BGH, Beschl. v. 25.11.2009 – 2 StR 495/09.
219
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B. StGB – Besonderer Teil
dieser Urkunde zur rechtlichen Durchsetzung der angeblichen Forderung nicht ernstlich zu rechnen war; der Angeklagte beabsichtigte solches auch nicht. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts liegt aber auch kein Versuch der schweren räuberischen Erpressung vor. Das Landgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte weder mit einer sofortigen noch einer zukünftigen Zahlung des D. rechnete (UA S. 17/18). Der erforderliche Tatvorsatz ist damit nicht festgestellt. Die Erpressung des „Schuldscheins“ und der „Quittung“ ist als Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB zu werten. Hinsichtlich der Wegnahme der Sachen liegt nicht räuberische Erpressung, sondern schwerer Raub vor, den der Angeklagte gemeinsam mit S. begangen hat.
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An dem Erpressungstatbestand fehlt es naturgemäß dann, wenn dem nötigenden Angeklagten ein Rückzahlungsanspruch zusteht:230 Hat ein Angeklagter (sowie dessen Helfer) versucht, einen dem Zuhälter einer russischen Prostituieren gezahlten „Freikaufpreis“, gewaltsam zurückzuerlangen (hier: durch Verprügeln mit Axtstielen), trägt dieser Sachverhalt zwar den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchter Nötigung, nicht aber eine Verurteilung wegen schwerer räuberischer Erpressung, denn der Angeklagte hatte nicht die Absicht sich zu Unrecht zu bereichern. Dem Angeklagten stand vielmehr ein Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Geldes (hier: 10.000 Euro) zu, denn der Rückzahlungsanspruch ergibt sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Die Zahlung war ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil die Vereinbarung über den „Freikaufpreis“ bereits nach ihrem Inhalt gegen die guten Sitten verstieß und deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig war. Der Rückzahlungsanspruch ist auch weder nach § 814 Alt. 1 BGB noch nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen.
221
Aber auch, wenn dem Angeklagten ein fälliger Rückzahlungsanspruch zusteht, hat er keinen Anspruch auf Vermögenswerte, von denen er annimmt, dass diese das Opfer selbst unrechtmäßig an sich gebracht hat.231 Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch. Dies gilt auch, soweit das Landgericht angenommen hat, der Angeklagte habe sich wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung strafbar gemacht. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts fehlt es weder an der Absicht der rechtswidrigen Zueignung noch an der der unrechtmäßigen Bereicherung. 1. Bei der Erpressung ist die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils normatives Tatbestandsmerkmal, auf das sich der zumindest bedingte Vorsatz des Täters erstrecken muss (Senatsbeschluss vom 17. Juni 1999 – 4 StR 12/99, StV 2000, 79). Der Täter will sich dann zu Unrecht bereichern, wenn er einen Vermögensvorteil erstrebt, auf den er keinen rechtlich begründeten Anspruch hat (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1998 – 3 StR 434/98). Allein der Umstand, dass ein fälliger Anspruch mit Nötigungsmitteln durchgesetzt werden soll, macht den begehrten Vorteil nicht rechtswidrig (BGHSt 20, 136, 137). Entsprechendes gilt für das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit der Zueignung beim Tatbestand des Raubes im Sinne des § 249 StGB (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2001 – 3 StR 153/01). 2. a) Gemessen daran ist die Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich zu Unrecht bereichern wollen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
230 231
BGH, Beschl. v. 23.2.2010 – 4 StR 438/09. BGH, Urteil vom 28.10.2010 – 4 StR 402/10.
II. 12. Raub und Erpressung – §§ 249 ff. StGB
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Zwar hatte der Angeklagte gegenüber dem Geschädigten nach den Feststellungen zwei fällige und einredefreie Forderungen in Höhe von insgesamt etwa 670 € aus Zechschulden. Auch blieb der vom Angeklagten unter dem Druck der Misshandlungen herausgegebene Geldbetrag mit 30 € deutlich unter der im Ergebnis berechtigten Gesamtforderung. Die Strafkammer hat jedoch ferner festgestellt, dass sich der Angeklagte von dem Geschädigten die EC-Karte sowie die auf einem Zettel vermerkte PIN der Zeugin K. aushändigen ließ, um sie zur Abhebung von Geldbeträgen in nicht näher festgestellter Höhe einzusetzen, und dabei in der Vorstellung handelte, der Geschädigte habe diese Karte einer unbekannten Berechtigten zuvor entwendet. Damit ist die Absicht rechtswidriger Bereicherung hinreichend dargetan, da der Angeklagte, wie das Landgericht weiter ausgeführt hat, sich darüber im Klaren war, dass er keine Berechtigung hatte, sich durch Abhebung von einem nicht dem Angeklagten gehörenden Konto im Hinblick auf seine Forderungen gegen diesen schadlos zu halten. b) Auch die subjektive Seite des Raubtatbestandes ist ausreichend belegt. Der Angeklagte hatte die erforderliche Absicht der rechtswidrigen Zueignung. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte, der nicht glaubte, dass der Geschädigte seine Taschen vollständig entleert hatte, unter Mitwirkung des Mitangeklagten G. dessen Kleidung – im Ergebnis ohne Erfolg – nach weiteren, möglicherweise versteckten Wertgegenständen und anderen EC-Karten durchsuchte, um sich diese zur Verwertung ohne Rücksicht darauf zuzueignen, in wessen Eigentum sie standen. Dabei ging der Angeklagten insbesondere davon aus, dass die weiteren EC-Karten, nach denen er suchte, vom Geschädigten den jeweils Berechtigten zuvor entwendet worden waren. 3. Auch die Annahme von Tateinheit zwischen dem Tatbestand des versuchten Raubes und dem der versuchten schweren räuberischen Erpressung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Es trifft zwar zu, dass für die Abgrenzung des Raubes von der räuberischen Erpressung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein das äußere Erscheinungsbild des vermögensschädigenden Verhaltens des Verletzten maßgeblich ist (vgl. nur BGHSt 7, 252, 254; BGH, Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 4 m.w.N.) und der Tatbestand des (versuchten) Raubes hinter dem der vollendeten räuberischen Erpressung zurücktreten kann, wenn die erzwungene Herausgabe der verlangten Sache und nicht die Duldung ihrer Wegnahme das Tatbild prägt (so Senatsbeschluss vom 21. Oktober 1997 – 4 StR 464/97). Das Landgericht hat indes im vorliegenden Fall ein – rechtsfehlerfrei als Tateinheit bewertetes – zweiaktiges Geschehen festgestellt, bei dem der Geschädigte zunächst unter dem Eindruck von erheblichen Misshandlungen verlangte Sachen herausgab und im Anschluss (zusätzlich) die – erfolglose – Durchsuchung seiner Kleidung nach weiteren Wertgegenständen durch den Angeklagten und den Mittäter G. dulden musste. PRAXISHINWEIS ■
Die beiden vorstehenden Entscheidungen machen deutlich, dass einerseits der Raub- oder Erpressungstatbestand entfällt, wenn in Höhe der erlangten Vermögenswerte ein fälliger Anspruch des Täters bestand, allerdings dann nicht, falls der Täter davon ausgeht, dass die auf diese Weise erlangten Vermögenswerte entweder dem Opfer nicht gehören oder er gar diese unrechtmäßig erlangt habe! Allerdings verbleibt es im ersten Fall regelmäßig bei einer Strafbarkeit wegen der angewendeten Nötigungsmittel.
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B. StGB – Besonderer Teil
Keine vollendete räuberische Erpressung ist trotz Erlangung von Geldkarte und PIN des Opfers gegeben, wenn das betroffene Konto keine Deckung aufweist und damit ein Vermögensschaden von vorneherein ausgeschlossen ist:232 Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist durch das Abpressen der PIN dem Vermögen des Genötigten kein Nachteil zugefügt worden. Zwar kann die Kenntnis von den geheimen Zugangsdaten zu einem Bankkonto jedenfalls dann das Vermögen des Opfers beeinträchtigen, wenn sich der Täter zudem im Besitz der zugehörigen Bankkarte befindet und ihm deshalb die jederzeitige Zugriffsmöglichkeit auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten gegenüber der die Karte akzeptierenden Bank eröffnet ist (BGH, Beschluss vom 17. August 2004 – 5 StR 197/04, NStZ-RR 2004, 333, 334). Voraussetzung für die Zufügung eines Vermögensnachteils ist jedoch, dass durch die zusätzlich erlangte Kenntnis von der Geheimzahl mit wirtschaftlichen Nachteilen für das Vermögen des Genötigten bzw. des betroffenen Bankinstituts ernstlich zu rechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2000 – 4 StR 599/99, NStZ-RR 2000, 234, 235). Nach den Feststellungen war dies nicht der Fall. Vielmehr war die Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen des Opfers oder der die Karten ausgebenden Bankinstitute von vorneherein ausgeschlossen, da mangels Deckung der Konten des Zeugen S. Geldabhebungen nicht möglich waren, mithin die Gefahr eines Vermögensverlusts nicht bestand. Da die Angeklagten dies nicht wussten, stellt sich das Abpressen der PIN lediglich als Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung dar.
223
Nicht die allgemein diskutierten Probleme des Ankaufs einer sog. Steuerdaten-CD betrifft das Urteil vom 10.6.2010233 sondern den üblicherweise vorausgehenden Sachverhalt, wonach Steuerschuldner und helfende Bank mit der angedrohten Weitergabe von Informationen erpresst werden. Hierbei hat der Senat letztlich die bislang bekannten Grundsätze über die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Drohens mit einer Strafanzeige bestätigt: Der Angeklagte F. gelangte im Frühjahr 2005 in den Besitz von etwa 2400 Kontobelegen der Landesbank AG (im Folgenden: L.), die ein inzwischen rechtskräftig verurteilter ehemaliger Mitarbeiter der L. entwendet hatte. Die Belege betrafen die Anlage von Vermögenswerten nahezu ausschließlich in Deutschland wohnhafter Kunden der L., die die daraus erzielten Einkünfte, im Wesentlichen Zinserträge und Anlagegewinne, nicht ordnungsgemäß in Deutschland versteuerten und dies auch in Zukunft nicht zu tun beabsichtigten. Zur gewinnbringenden Verwertung der Kontobelege fasste der Angeklagte F. den Plan, dort aufgeführte Kunden der L. anzusprechen und von diesen zur Vermeidung einer Veröffentlichung der auf den Belegen enthaltenen Informationen und einer damit verbundenen strafrechtlichen Verfolgung Geldbeträge in Höhe von mehreren hunderttausend Euro zu fordern. Auf Anweisung des Angeklagten F., der im Hintergrund bleiben wollte, nahm der gesondert verfolgte Thomas K. im Mai und im Juni 2005 Kontakt zu vier Kunden der L. auf, um den Plan in die Tat umzusetzen. Der Zeuge Pe. erklärte sich nach mehreren Telefonaten bzw. Treffen mit K. am 7. Juni 2005 dazu bereit, einen Betrag in Höhe von 300.000 Euro zu zahlen. Pe. hatte jedoch zuvor die L. von der Kontaktaufnahme durch K. sowie dessen Forderung in Kenntnis gesetzt. Eine Geldübergabe fand nicht statt, weil K. auf Anweisung des Angeklagten F. den Kontakt mit der Begründung abbrach, der Zeuge arbeite mit der L. zusammen. Am 3. Juni 2005 nahm K. Kontakt zu dem Zeugen Ko. auf, der jedoch (wahr-
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BGH, Urteil v. 30.9.2010 – 3 StR 294/10. BGH, Urteil v. 10.6.2010 – 4 StR 474/09.
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heitswidrig) erklärte, kein Konto bei der L. zu unterhalten. K. und der Angeklagte F. gingen daraufhin davon aus, der Zeuge Ko. sei nicht erpressbar und die weitere Ausführung ihres Vorhabens nicht mehr möglich. Am 10. Juni 2005 wurde der Zeuge R. von K. aufgefordert, zur Vermeidung der Weitergabe von Kontobelegen an das Finanzamt einen Geldbetrag zu zahlen. Nachdem der Angeklagte F. in der Zwischenzeit aber direkt mit der L. in Kontakt getreten war, ihr die Rückgabe der Kontounterlagen gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages angeboten und ferner zugesagt hatte, die Kunden der L. nicht weiter zu behelligen, wurde K. angewiesen, auch den Kontakt zum Zeugen R. abzubrechen. Noch einige Tage zuvor hatte K. den Zeugen D., ebenfalls Kunde der L., angerufen und diesem einen Tag später in dessen Büro sein Anliegen vorgetragen. Er erzielte jedoch mit seiner Drohung keinen Erfolg; der Zeuge D. kündigte an, die Polizei einzuschalten. Die Angaben des Zeugen Pe. gegenüber der L. veranlassten die Bank zur Einschaltung der Privatdetektei R. Management GmbH; deren Mitarbeitern gelang die Aufdeckung der Identität des Angeklagten F. und des K. Daraufhin waren die Entscheidungsträger der L. bereit, zur Vermeidung der vom Angeklagten F. angekündigten Weitergabe der Kontounterlagen an die Finanzbehörden eine Summe von insgesamt 13 Millionen Euro zu zahlen. Die Geldübergabe sollte in drei Raten Zug um Zug gegen Rückgabe der Belege erfolgen; ferner sollten keine weiteren Kopien der Kontenbelege den deutschen Finanz- und Strafverfolgungsbehörden übergeben und keine Kunden der Bank mehr angesprochen werden. In der Folgezeit wurden an den Angeklagten F. am 31. August 2005 7,5 Millionen Schweizer Franken übergeben, am 29. August 2007 weitere vier Millionen Euro, jeweils gegen Rückgabe von Teilen der Kontounterlagen. Die letzte Rate in Höhe von 4 Millionen Euro, die für Ende August 2009 abgesprochen war, zahlte die L. nicht mehr, da der Angeklagte F. Ende 2007 festgenommen wurde. Die Angeklagten A. und P. unterstützten den Angeklagten F. nach Erhalt der ersten Raten unter anderem bei der Beutesicherung, indem sie behilflich waren, einen Teil der durch die L. gezahlten Gelder unter Verschleierung der Herkunft in den Wirtschaftskreislauf einfließen zu lassen, insbesondere durch die Vermittlung eines Darlehensvertrages und durch Herstellung eines Kontakts zu einem Treuhänder. … 1. Die von den Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen führen, wie der Generalbundesanwalt in der Begründung seines Terminsantrages vom 10. Dezember 2009 zutreffend ausgeführt hat, nicht zum Erfolg. 2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der erhobenen Sachrügen hat auch unter Berücksichtigung des jeweiligen Revisionsvorbringens weder hinsichtlich des Schuld- noch hinsichtlich des Strafausspruchs Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. a) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten F. in den Fällen II. 2 und 4 der Urteilsgründe als versuchte Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, 3 i.V.m. § 22 StGB gewertet. Indem K. auf Anweisung des Angeklagten mit den Zeugen Ko. und D. Kontakt aufnahm und diesen gegenüber ankündigte, die im Besitz des Angeklagten F. befindlichen Kontounterlagen den deutschen Finanzbehörden zuleiten zu wollen, wurde mit einem empfindlichen Übel gedroht und damit zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt. Denn die Geschädigten mussten damit rechnen, nach Auswertung der Unterlagen vom deutschen Fiskus nachveranlagt sowie steuerstrafrechtlich verfolgt zu werden. Nach den Feststellungen nannte K. den Geschädigten nach Absprache mit F. die jeweiligen Kontodaten. So sollten sie nach der Vorstellung des Angeklagten erkennen, dass er über die entsprechenden Unterlagen verfügte und die ihnen drohende Strafverfolgung nach deren Übergabe an die deutschen Behörden tatsächlich in seinem Machtbereich lag. Das Landgericht hat die Ein-
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lassung des Angeklagten, er habe von vornherein vorgehabt, ausschließlich „ins Geschäft mit der Landesbank“ zu kommen, und K. habe sich bei seiner Kontaktaufnahme mit den Geschädigten weisungswidrig verhalten, rechtsfehlerfrei als widerlegt angesehen. Der Angeklagte wollte sich auch zu Unrecht bereichern, denn auf die von den Geschädigten eventuell geleisteten Zahlungen hatten er und der gesondert verfolgte K. keinen Anspruch. Die Annahme, der Angeklagte hätte an die Berechtigung seiner Geldforderungen gegenüber Ko. und D. geglaubt, liegt nach den getroffenen Feststellungen fern. Die Vorstellung des Angeklagten, auch auf anderem Wege, nämlich unmittelbar von der L., mit einer entsprechenden Drohung (noch höhere) Geldbeträge erlangen zu können, ändert nichts daran, dass er, was ihm bewusst war, die Zahlungen von den beiden Bankkunden nur auf der Grundlage der ihnen gegenüber gezielt herbeigeführten Zwangssituation erhalten würde. b) Das Landgericht hat den Tatbestand einer vollendeten Erpressung zum Nachteil der L. im Fall II. 5 der Urteilsgründe ebenfalls zu Recht als erfüllt angesehen. aa) Dass die Zahlungen an den Angeklagten aus dem Vermögen der L. als einer juristischen Person auf Veranlassung des aus mehreren Personen bestehenden Verwaltungsrates erfolgten, stellt dies nicht in Frage. Mit ihren dagegen gerichteten Angriffen verkennt die Revision des Angeklagten F., dass der Tatbestand der Erpressung nicht nur bei der erzwungenen Preisgabe eigenen Vermögens erfüllt ist, sondern auch bei einer solchen, die fremdes Vermögen betrifft. Genötigter und Geschädigter brauchen nicht identisch zu sein, sofern der Genötigte das fremde Vermögen schützen kann und will (BGH, Urteil vom 20. April 1995 – 4 StR 27/95, BGHSt 41, 123, 125; vgl. auch MünchKommStGB/Sander § 253 Rn. 23 m.w.N.; SSW-StGB/Kudlich § 253 Rn. 21). So liegt der Fall hier. Da es sich bei den Genötigten im vorliegenden Fall um die Mitglieder des Aufsichtsgremiums einer juristischen Person des Privatrechts handelte, bedurfte das vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für derartige Fallkonstellationen geforderte Näheverhältnis keiner weiteren Erläuterung. bb) Auch im Übrigen hält der Schuldspruch wegen vollendeter Erpressung zum Nachteil der L. rechtlicher Nachprüfung stand. Da die Rechtsordnung im Bereich der Vermögensdelikte ein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin ungeschütztes Vermögen nicht kennt (BGH, Urteil vom 4. September 2001 – 1 StR 167/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 3), sind die mit der Zahlung der L. an den Angeklagten verfolgten Zwecke, nämlich eine vom Verwaltungsrat möglicherweise beabsichtigte Verdeckung von Steuerhinterziehungen der Kunden der L., ohne Belang. Dass der Angeklagte F. auch im Fall 5 der Urteilsgründe mit Bereicherungsabsicht handelte, weil er auf die von der L. gezahlten Geldbeträge keinen Anspruch hatte, liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen auf der Hand. Der Frage, welchen „Marktwert“ die in den Kontobelegen verkörperten Informationen hatten, brauchte die Strafkammer in diesem Zusammenhang nicht nachzugehen. … c) Die Bejahung der Rechtswidrigkeit der Taten gemäß § 253 Abs. 2 StGB lässt einen Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. Dabei hat der Senat aus Anlass dieses Falles nicht über die zivilrechtliche Wirksamkeit oder eine etwaige strafrechtliche Relevanz des Verkaufs entwendeter Kontodaten an staatliche Stellen zu entscheiden. Denn unabhängig von der rechtlichen Bewertung einer Weitergabe der Kontobelege ist die Verwerflichkeit im Sinne des § 253 Abs. 2 StGB zu bejahen. aa) Entsprechend ihrem Zweck, nicht strafwürdig erscheinende Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich des § 253 StGB auszunehmen, sind die Voraussetzungen der Ver-
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werflichkeitsklausel erfüllt, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles ein erhöhter Grad der sozialethischen Missbilligung der für den erstrebten Zweck angewandten Mittel festzustellen ist (BGH, Urteile vom 19. November 1953 – 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 256; vom 11. Mai 1962 – 4 StR 81/62, 17, 328, 331 f.; BGH, Beschluss vom 13. Januar 1983 – 1 StR 737/81, 31, 195, 200). Hierbei ist das rechtlich Verwerfliche nicht einseitig in dem angewandten Mittel oder in dem erstrebten Zweck zu suchen, sondern in der Beziehung beider zueinander (BGH, Beschluss vom 18. März 1952 – GSSt 2/51, BGHSt 2, 194, 196; BGH, Urteil vom 11. Mai 1962 – 4 StR 81/62, 17, 328, 331). Die Abgrenzung einer strafwürdigen Nötigung von einer nicht zu missbilligenden Willensbeeinflussung hat der Bundesgerichtshof etwa im Fall der Drohung mit einer Strafanzeige danach vorgenommen, ob der Sachverhalt, aus dem sich das Recht zur Strafanzeige herleitet, mit dem durch die Drohung verfolgten Zweck in einer inneren Beziehung steht oder beides willkürlich miteinander verknüpft wird (BGH, Urteil vom 19. November 1953 – 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 258). Auch der an sich erlaubte Zweck rechtfertigt nur die Anwendung sozial hinnehmbarer Mittel (BayObLG, wistra 2005, 235; Träger/Altvater in LK, StGB, 11. Aufl., § 240 Rn. 69, 88). bb) Gemessen daran hat die Strafkammer die Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 StGB im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei als erfüllt angesehen. Dabei kann offen bleiben, ob Verwerflichkeit – auch bei rechtlicher Zulässigkeit der Drohung – regelmäßig schon dann anzunehmen ist, wenn die erstrebte Bereicherung mit dem eingesetzten Nötigungsmittel in keinem Zusammenhang steht und die Entscheidungsfreiheit des Bedrohten durch Forderung eines sog. inkonnexen Vorteils beschnitten wird (so MünchKommStGB/Sander § 253 Rn. 37; SSW-StGB/Kudlich § 253 Rn. 33; Fischer aaO § 253 Rn. 21; Günter in SK-StGB § 253 Rn. 38). Jedenfalls bei einer sachlich nicht gerechtfertigten, willkürlichen Verknüpfung von angewandtem Mittel und erstrebtem Zweck liegt Verwerflichkeit im Sinne des § 253 Abs. 2 StGB vor (BGH, Urteil vom 19. November 1953 – 3 StR 17/53, BGHSt 5, 254, 258; ebenso OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 5, 6). So verhält es sich hier: Die vom Angeklagten erstrebte Bereicherung stand mit dem eingesetzten Nötigungsmittel, der angedrohten Weitergabe vertraulicher, einer Bank entwendeter Kontodaten einer großen Zahl von Kunden an die deutschen Finanzbehörden, in keinem nachvollziehbaren, sozialethisch zu billigenden Zusammenhang. Weder verfolgte der Angeklagte rechtlich geschützte eigene Interessen (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NStZ-RR 1996, 296), noch handelte er in einem übergeordneten, billigenswerten Interesse (vgl. dazu BayObLG aaO).
Verwirklicht ein Täter eine Qualifikation des Raubtatbestands, muss dies nicht unbedingt auch für einen Gehilfen gelten:234 Die Verurteilung wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die Annahme der Kammer, dem Angeklagten sei sicher bewusst gewesen, dass die Mitangeklagten Mittel im Sinne von § 250 Abs. 1 Ziff. 1b StGB bei sich gehabt hätten, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Feststellungen dazu, dass über den Einsatz der Gaspistole (als Mittel im Sinne von § 250 Abs. 1 Ziff. 1b StGB) vor Tatbegehung im Auto gesprochen worden sei, fehlen genauso wie konkrete Hinweise darauf, dass der Angeklagte etwa bemerkt haben könnte, dass der Mitangeklagte S. eine Waffe mit sich geführt hat. Die Kammer stellt deshalb bei ihrer Würdigung auch gar nicht auf die konkret mitgeführte Gaspistole, sondern allgemein darauf ab, ihm sei bewusst gewesen, dass die Mitangeklagten – um die Tat mit dem notwendigen
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BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 2 StR 100/10.
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Nachdruck ausführen zu können – Mittel im Sinne von § 250 Abs. 1 Ziff. 1b StGB einsetzen würden. Diese Schlussfolgerung wäre zwar dann nicht zu beanstanden, wenn nach der Lebenserfahrung tatsächlich eine Tatbegehung wie im vorliegenden Fall ohne den Einsatz von Mitteln im Sinne von § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nicht vorstellbar wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Sowohl ein Vorgehen unter bloßer Anwendung von Gewalt oder Drohungen gemäß § 249 StGB als auch unter Verwendung eines nicht von § 250 Abs. 1 Ziff. 1b StGB erfassten offensichtlich ungefährlichen Gegenstandes (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl. § 250, Rdn. 10a) kommt bei einer mit Nachdruck ausgeführten Tat in Betracht. Soweit das Landgericht darüber hinaus noch anführt, eine andere, dem Angeklagten günstigere Annahme sei lebensfremd, entbehrt dies jeglichen greifbaren Tatsachenkerns. Damit erweist sich die landgerichtliche Würdigung letztlich als eine bloße Vermutung, auf die eine Verurteilung des Angeklagten nicht gestützt werden darf. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung kann deshalb keinen Bestand haben. Sie muss – auch soweit darin eine an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung enthalten ist – insgesamt aufgehoben und neu verhandelt werden, da der Senat nicht ausschließen kann, dass noch weitere Feststellungen zur Kenntnis des Angeklagten vom Einsatz der Gaspistole getroffen werden können.
13. Hehlerei – § 259 StGB 225
Eine vollendete gewerbsmäßige Hehlerei in der Begehungsform des Absetzens setzt nicht notwendig voraus, dass ein Förderungserfolg eingetreten ist. Jedoch muss das Bemühen um Absatz geeignet sein, die rechtswidrige Vermögenssituation aufrecht zu erhalten oder zu vertiefen. Letzteres kann zweifelhaft sein, wenn der Angeklagte bereits vor der Übernahme des Diebesguts von der Polizei observiert und bei Besteigen des Lkws, mit welchem er die gestohlenen Waren zum Abnehmer bringen wollte, festgenommen wurde, er mithin Handlungen zum Absatz des entwendeten Guts nicht entfalten konnte.235 Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall 9 der Anklage wegen gewerbsmäßiger Hehlerei gemäß § 260 Abs. 1 Nr. 1 StGB verurteilt worden ist. Zwar setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die herrschende Meinung in der Literatur allerdings mit beachtlichen Argumenten entgegentritt (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 259 Rdn. 21 ff. m.w.N.), eine vollendete (gewerbsmäßige) Hehlerei in der Begehungsform des Absetzens, wie sie hier vorliegt, nicht notwendig voraus, dass ein Förderungserfolg eingetreten ist. Jedoch muss auch nach der Auffassung der Rechtsprechung das Bemühen um Absatz geeignet sein, die rechtswidrige Vermögenssituation aufrecht zu erhalten oder zu vertiefen (BGHSt 43, 110 ff.; BGH NStZ 2008, 152). Letzteres könnte hier zweifelhaft sein, da der Angeklagte nach den getroffen Feststellungen bereits vor der Übernahme des Diebesguts von der Polizei observiert und bei Besteigen des Lkws, mit welchem er die gestohlenen Waren zum Abnehmer bringen wollte, festgenommen wurde, er mithin Handlungen zum Absatz des entwendeten Metalls nicht entfalten konnte.
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BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – 3 StR 555/09.
II. 14. Geldwäsche – § 261 StGB
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14. Geldwäsche – § 261 StGB Mit Urteil vom 4.2.2010236 hat der 1. Strafsenat in Abgrenzung von bisherigen Entscheidungen festgestellt, dass „Sich-Verschaffen“ im Sinne des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB kein kollusives Zusammenwirken von Geldwäscher und Vortäter erfordert. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt nur, dass der Geldwäscher die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand im Einvernehmen mit dem Vortäter erlangt. Dabei setzt Einvernehmen nicht voraus, dass das Einverständnis des Vortäters frei von Willensmängeln ist. Deshalb ist es ohne Bedeutung, wenn der Vortäter infolge von Täuschung oder Nötigung in die Übertragung der Verfügungsgewalt „einwilligt“. Indem die Angeklagten Ga., G., E. S. und R. S. M. dazu zwangen, auch von ihm betrügerisch eingeworbene Anlegergelder in Höhe von 375.000 Euro an sie auszuzahlen, haben sie sich wegen Geldwäsche nach § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht. Nach dieser Bestimmung begeht Geldwäsche, wer „sich“ einen in § 261 Abs. 1 StGB bezeichneten Gegenstand „verschafft“. Vortat war hier ein gewerbsmäßig begangener Betrug des M. (§ 261 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a StGB). „Sich-Verschaffen“ im Sinne des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB fordert kein kollusives Zusammenwirken von Geldwäscher und Vortäter. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt nur, dass der Geldwäscher die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand im Einvernehmen mit dem Vortäter erlangt. Einvernehmen setzt nicht voraus, dass das Einverständnis des Vortäters frei von Willensmängeln ist. Deshalb ist es ohne Bedeutung, wenn der Vortäter infolge von Täuschung oder Nötigung in die Übertragung der Verfügungsgewalt „einwilligt“. 1. Aus dem Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „sich ... verschafft“ lässt sich allerdings das Erfordernis eines Einvernehmens – und damit auch das Einverständnis des Vortäters – noch nicht ableiten. Der Wortlaut spricht eher gegen eine solche Einschränkung, weil diese Tatvariante nur die Handlung des Geldwäschers („sich verschafft“) umschreibt. Dementsprechend ist das Sich-Verschaffen in anderen Strafvorschriften, wie beispielsweise in § 96, § 146 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 152a Abs. 1 Nr. 2 StGB auch weiter zu verstehen und schließt dort sogar ein Handeln gegen oder ohne den Willen des früheren Inhabers der Verfügungsgewalt ein. Das zeigt namentlich die Auslegung der beiden Tatbestandsvarianten „erwirbt oder sich sonst verschafft“ in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG. Dazu hat der BGH (BGHSt 42, 123, 128) ausgeführt: „In § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind der unerlaubte Erwerb und das Sichverschaffen in der Weise einander gegenübergestellt, dass u.a. mit Strafe bedroht ist, wer Betäubungsmittel unerlaubt erwirbt oder sich ‚in sonstiger Weise‘ verschafft. Daraus folgt, dass nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes der unerlaubte Betäubungsmittelerwerb im Sinne der rechtsgeschäftlichen Erlangung der eigenen tatsächlichen Verfügungsgewalt über Betäubungsmittel durch einverständliches Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer lediglich einen Unterfall des grundsätzlich weiterreichenden, sämtliche Fälle der Besitzerlangung umfassenden Sichverschaffens darstellt.“
236
BGH, Urteil v. 4.2.2010 – 1 StR 95/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
Der unterschiedliche Bedeutungsinhalt dieses Tatbestandsmerkmals in anderen Straftatbeständen zeigt, dass das „Sich-Verschaffen“ tatbestandsspezifisch – anhand des jeweiligen Normzwecks – auszulegen ist (vgl. auch BGHSt 42, 196, 197 zur Hehlerei). 2. Normzweck des § 261 Abs. 2 StGB ist es, den Vortäter gegenüber der Umwelt zu isolieren, indem der aus einer der in § 261 Abs. 1 Satz 2 StGB genannten Straftaten herrührende Gegenstand „praktisch verkehrsunfähig“ gemacht wird (BGH NStZ-RR 2010, 53, 54). Der Isolierungstatbestand des § 261 Abs. 2 StGB ist damit auf die Vortat bezogen und schützt zugleich deren Rechtsgüter (BTDrucks. 12/989 S. 27; 12/3533 S. 13). a) Deshalb verlangen Rechtsprechung und auch ein Teil der Literatur, dass der Geldwäscher die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand auf abgeleitetem Wege, sprich im Einvernehmen mit dem Vortäter erlangt hat (BVerfG NJW 2004, 1305, 1306; BGH NStZ-RR 2010, 53, 54; Hoyer in SK-StGB 120. Lfg. § 261 Rdn. 15; Ruß in LK 11. Aufl. § 261 Rdn. 14; Neuheuser in MüKo-StGB § 261 Rdn. 66; BeckOK-StGB/Ruhmannseder § 261 Rdn. 31; Schröder/Textor in Fülbier/Aepfelbach/Langweg, GwG – Kommentar zum Geldwäschegesetz, 5. Aufl. § 261 StGB Rdn. 42; Leip, Der Straftatbestand der Geldwäsche, 2. Aufl. S. 140; Körner, Geldwäsche, Teil 1 Rdn. 33; aA Altenhain in NK-StGB, 2. Aufl. § 261 Rdn. 114; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 261 Rdn. 8, 9; Otto, Grundkurs Strafrecht – BT, 7. Aufl. § 96 Rdn. 34; Spiske, Pecunia olet? S. 133; Mitsch, Strafrecht – BT 2, § 5 Rdn. 33; Kindhäuser, Strafrecht – BT II, 4. Aufl. § 48 Rdn. 12). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Erlangt der Täter die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand ohne das Einverständnis des Vortäters, also ohne oder gegen dessen Willen, so fehlt es am inneren Zusammenhang zwischen dem Isolierungszweck des § 261 Abs. 2 StGB und der Ächtung des Tatobjekts (BGH NStZ-RR 2010, 53, 54: gewaltsame Wegnahme durch Raub ist kein Sich-Verschaffen). b) Einvernehmen setzt freilich nicht voraus, dass das Einverständnis des Vortäters frei von Willensmängeln ist. Deshalb ist es ohne Bedeutung, wenn der Vortäter infolge von Täuschung oder Nötigung in die Übertragung der Verfügungsgewalt „einwilligt“. Diese Auslegung belegt insbesondere die Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB. … bb) Auch die Geldwäscherichtlinien (1. Richtlinie 91/308/EWG vom 10. Juni 1991; 2. Richtlinie 2001/97/EG vom 4. Dezember 2001; 3. Richtlinie 2005/60/EG vom 26. Oktober 2005) verpflichten (auch hinsichtlich weiterer Katalogtaten als Vortat) dazu, u.a. den „Erwerb“ von Gegenständen als Geldwäsche zu bestrafen, wenn dem Betreffenden bei der Übergabe dieser Vermögens[gegen]stände bekannt war, dass diese Gegenstände aus einer kriminellen Tätigkeit oder aus einer Teilnahme an einer solchen Tätigkeit stammen. Die Mitgliedstaaten können zur Verhinderung der Geldwäsche auch strengere Vorschriften erlassen (Art. 5 der 3. Geldwäscherichtlinie) und auch weitere Straftaten benennen (Art. 1 E der 1. Geldwäscherichtlinie idF der 2. Geldwäscherichtlinie). cc) Der Gesetzgeber, der danach auch die Möglichkeit gehabt hätte, (nur) den „Erwerb“ unter Strafe zu stellen, hat sich für die – weitergehende (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) – Tathandlung des „Sich-Verschaffens“ entschieden. Schon das spricht dafür, dass er damit Tathandlungen, die über die engere Variante „Erwerb“ hinausgehen, unter Strafe stellen wollte. Er wollte die Tathandlung des „Sich-Verschaffens“ dem Hehlereitatbestand des § 259 StGB entnehmen, „so dass die dazu in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze anwendbar sind“ (BTDrucks. 12/989 S. 27 und 12/3533 S. 13). Nach der zu diesem Zeitpunkt in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung – auf die der Gesetzgeber Bezug nahm – war es für das Sich-Verschaffen noch ohne
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Bedeutung, ob im Rahmen des § 259 Abs. 1 StGB der Vortäter durch Täuschung oder Nötigung zur Übertragung der Herrschaftsgewalt veranlasst wurde (RGSt 35, 278, 281 [zum identischen Merkmal des „Ansichbringens“]; Dreher/Tröndle, StGB 45. Aufl. § 259 Rdn. 16; Lackner, StGB 19. Aufl. § 259 Rdn. 10; Stree in Schönke/Schröder, StGB 24. Aufl. § 259 Rdn. 42; Ruß in LK 10. Aufl. § 259 Rdn. 17 jew. m.w.N.; aA Rudolphi JA 1981, 1, 5; Otto Jura 1988, 606, 607; Seelmann JuS 1988, 39, 40; aA möglicherweise BGH wistra 1984, 22, 23, jedoch ohne nähere Begründung). Der Senat entnimmt deshalb den Materialien, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Vorschrift von diesem weiten Begriffsverständnis des Sich-Verschaffens ausging. dd) Dieselbe Auslegung des Merkmals „Sich-Verschaffen“ in § 261 Abs. 2 Nr. 1 StGB rechtfertigt sich auch aus dem geschützten Rechtsgut dieser Vorschrift. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Strafvorschrift gegen Geldwäsche dazu beitragen, die rechtlichen Möglichkeiten zur Abschöpfung illegal erlangter Gewinne zu verbessern (BTDrucks. 12/3533 S. 10/11). Sie soll den staatlichen Zugriff auf inkriminierte Vermögenswerte gewährleisten und deren Einschleusen in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf verhindern (vgl. BTDrucks. 12/989 S. 26; BGHSt 53, 205, 209; 50, 347, 354 m.w.N.). Geschützt werden soll die Aufgabe der staatlichen Rechtspflege, die Wirkungen von Straftaten zu beseitigen (BTDrucks. 12/3533 S. 11; BGHSt 53, 205, 209). Insbesondere § 261 Abs. 2 StGB soll – als Auffangtatbestand – auch dazu beitragen, den Vortäter in finanzieller Hinsicht gegenüber der Umwelt zu isolieren und den inkriminierten Gegenstand praktisch verkehrsunfähig zu machen (BTDrucks. 12/3533 S. 11; 12/989 S. 27). ee) Dieses vom Gesetzgeber verfolgte Ziel kann nur dann – wie vom Wiener Übereinkommen verlangt – effektiv erreicht werden, wenn die Vorschrift des § 261 StGB möglichst alle wirtschaftlichen Transaktionen im Zusammenhang mit den Katalogtaten weitgehend erfasst und daraus resultierende wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden und zwar unabhängig davon, ob der Vortäter die Verfügungsgewalt über den inkriminierten Gegenstand aufgrund einer Willensbeeinflussung durch Täuschung oder Druck übertragen hat. … 4. Im vorliegenden Fall hat M. – wenn auch nicht aus freien Stücken – so doch gleichwohl im Einvernehmen mit den Angeklagten und damit auch „gewollt“ die betrügerisch eingeworbenen Anlagegelder ausbezahlt. Die „Vereinbarung“ vom 3. September 2004 war das Ergebnis seiner „Verhandlungen“ mit dem Angeklagten G. Die Bezahlung bewirkte M., indem er am selben Tag und auch drei Tage später Überweisungen ausstellte. Schon nach diesem äußeren Erscheinungsbild haben sich die Angeklagten die Gelder nicht auf eine Art und Weise verschafft, die auch nur im Grenzbereich zu einem Raub liegt. PRAXISHINWEIS ■
Während bislang die h.M. unzweifelhaft davon ausging, dass wie im Fall der Hehlerei auch bei der Geldwäsche ein Gegenstand nur im Einverständnis mit dem Vortäter „kollusiv“ erlangt werden kann, reicht es künftig auch aus, wenn dieses Einverständnis auch nur als Folge einer Bedrohung erzwungen wurde; beim Tatbestand der Hehlerei bleibt es allerdings bei der bisherigen Rechtsprechung.
188
B. StGB – Besonderer Teil
15. Betrug und Untreue a) 227
Selbstbedienungsbetrug – § 263 StGB
Den in der Praxis alltäglichen Fall des Nichtbezahlens einer Tankschuld an einer Selbstbedienungstankstelle betrifft der Beschluss vom 3.12.2009,237 wonach ein vollendeter Betrug nur dann vorliegt, sofern das betreffende Betanken des Fahrzeugs überhaupt vom Kassenpersonal bemerkt wurde, weil es ansonsten an der erforderlichen Irrtumserregung fehlt und somit nur ein versuchter Betrug in Betracht kommt. ■ PRAXISHINWEIS
Der alltägliche Sachverhalt ist vorliegend juristisch korrekt subsumiert. Dennoch dürfte das erreichte Ergebnis in der Praxis kaum befriedigen, weil nämlich entsprechende Feststellungen oftmals nur schwierig zu einem „richtigen“ Ergebnis führen werden, entweder weil das Kassenpersonal nach seinen Angaben „immer“ alle Betankungsvorgänge überwacht oder aber jegliche Erinnerung fehlt, ob ausgerechnet das betroffene Fahrzeug als Ausnahme zufällig nicht beobachtet wurde.
b) Vermögensschaden 228
Der Wert einer Leistung bestimmt sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Marktes, also nach Angebot und Nachfrage. Ist für die angebotene Leistung lediglich ein einziger Nachfragender vorhanden, führt dies aber – jedenfalls in rechtlicher Hinsicht – nicht dazu, dass ein Marktpreis oder der Wert der Leistung nicht festgestellt werden könnte. Vielmehr bestimmt sich der wirtschaftliche Wert der Leistung dann nach dem von den Vertragsparteien vereinbarten Preis unter Berücksichtigung der für die Parteien des fraglichen Geschäfts maßgeblichen preisbildenden Faktoren. Lediglich dann, wenn die vertraglichen Vereinbarungen keine sicheren Anhaltspunkte für die Preisbildung bieten, sind allgemein anerkannte betriebswirtschaftliche Bewertungsmaßstäbe zur Bestimmung des Wertes eines Unternehmens im Strafverfahren heranzuziehen.238 c)
229
Subventionsbetrug – § 264StGB
Leichtfertigkeit i.S.v. § 264 Abs. 4 StGB ist enger als die bloße Fahrlässigkeit und als vorsatznahe Schuldform zu verstehen, die eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraussetzt.239 2. Das Landgericht hat jedenfalls die Leichtfertigkeit im Sinne des § 264 Abs. 4 StGB nicht ausreichend dargetan. Leichtfertigkeit ist enger als die bloße Fahrlässigkeit und von der
237 238 239
BGH, Beschl. v. 3.12.2009 – 4 StR 477/09, BGH, Beschl. v. 14.7.2010 – 1 StR 245/09. BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 5 StR 138/10.
II. 15. Betrug und Untreue
189
Rechtsprechung bislang als vorsatznahe Schuldform verstanden worden, die eine besondere Gleichgültigkeit oder grobe Unachtsamkeit voraussetzt (BGHSt 43, 158, 167 m.w.N.). Worin hier das Landgericht dieses erhöhte Maß an Fahrlässigkeit sieht, wird aus den Urteilsgründen nicht deutlich und versteht sich auch im Blick auf den vom Landgericht zugrunde gelegten Sachverhalt nicht von selbst. Ein erhöhtes Maß der Fahrlässigkeit ist den bislang getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen. Dies gilt im besonderen Maße im Hinblick auf den Angeklagten K. Dieser war nach den Urteilsgründen für die Außenbeziehungen, insbesondere für die Kundenbeziehungen zuständig. Entgegen der Auffassung des Landgerichts war er als der nach der internen Aufgabenverteilung jedenfalls nicht primär Zuständige nicht verpflichtet, die Anträge seines Mitgeschäftsführers und Mitgesellschafters, des Angeklagten W., inhaltlich zu überprüfen. Er konnte grundsätzlich auf dessen Handeln vertrauen. Dies gilt jedenfalls solange, als sich für den ressortmäßig nicht zuständigen Organwalter keine Anhaltspunkte für Zweifel oder Unstimmigkeiten ergeben (vgl. BGHSt 46, 30, 35; Raum in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts 3. Aufl. S. 205 ff.). Dass diese Voraussetzungen hier gegeben sein könnten, ist gleichfalls nicht erkennbar.
d) Kreditbetrug – § 265b StGB Ein Kreditbetrug i.S.d. § 265b StGB scheidet jedenfalls dann aus, wenn die Kreditaufnahme nicht für einen Betrieb erfolgt und insbesondere zur Finanzierung des Lebensbedarfs benötigt wird.240 Allein der Umstand, dass einer der Kreditnehmer als selbstständiger Arzt tätig ist, führt nicht zur Erfüllung des Tatbestands aus § 265b StGB, wobei zusätzlich offen bleibt, ob eine Arztpraxis überhaupt ein Betrieb im Sinne des § 265b III Nr. 1 StGB ist. 2. Die Verurteilung wegen Kreditbetruges nach § 265b StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. § 265b StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt eine Strafbarkeit im Vorfeld des Betruges auch ohne Eintritt eines Vermögensschadens begründet, ist beschränkt auf Kredite „für einen Betrieb oder ein Unternehmen“. Dies erfordert, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung der Kreditnehmer ein (bereits existierendes oder als solches vorgetäuschtes) Unternehmen sein muss, das – nach der Legaldefinition des § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB – einen nach Art und Umfang in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb hat (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – 5 StR 508/02, wistra 2003, 343; vgl. auch BayObLG NJW 1990, 1677). Die Feststellungen des Landgerichts belegen die Annahme eines solchen Betriebskredits nicht. Es kann offen bleiben, ob auch in einem hier vom Landgericht angenommenen Fall der Täuschung über den Kreditzweck die Abgrenzung zu Privatkrediten, die nicht dem Anwendungsbereich des § 265b StGB unterfallen, danach erfolgen kann, wem der beantragte Kredit nach seiner tatsächlichen, „wahren“ Zweckbestimmung wirtschaftlich zugute kommen soll (vgl. Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 265b Rn. 5, Hoyer in SK-StGB, § 265b Rn. 26; Saliger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, § 265b Rn. 4) oder vielmehr darauf abzustellen ist, wer nach dem Darlehensvertrag rechtlich als Kreditnehmer anzusehen ist oder wäre (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 11. Aufl., § 265b Rn. 29, Wohlers in MüKoStGB, § 265b Rn. 9 m.w.N.). Denn selbst wenn man dem Landgericht in der Annahme fol-
240
BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – 1 StR 502/10.
230
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B. StGB – Besonderer Teil
gen würde, die Arztpraxis der Angeklagten sei ein Betrieb i.S.d. § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB, wäre dieser nach den Feststellungen nicht der Kreditnehmer und zwar weder formell noch faktisch, auch nicht nach der Zielsetzung. Der mit den Darlehen durchgeführte Immobilienerwerb ist ebenso privater Natur wie die Begleichung der von der Angeklagten geschuldeten Steuer auf ihr Einkommen aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) oder die vom Landgericht als „Kompensation von Mindereinnahmen“ umschriebene Finanzierung von deren Lebensbedarf. Dass die Kreditaufnahme nicht für einen Betrieb erfolgte, zeigt sich auch daran, dass nicht nur die persönlich auftretende Angeklagte Kreditnehmerin war, sondern auch ihr Ehemann, der an der Arztpraxis nicht beteiligt ist. ■ PRAXISHINWEIS
Die Entscheidung stellt klar, dass nicht jeder „Versuch“, durch unvollständige oder unrichtige Angaben ein Darlehen zu erlangen, das abstrakte Gefährdungsdelikt des § 265b StGB erfüllen kann, soweit zusätzlich auch noch ein selbstständig Tätiger gehandelt hat; erforderlich ist weiterhin, dass der Kredit für das Unternehmen erlangt werden soll, nicht aber für private Anschaffungen oder Verpflichtungen. Relevant werden diese Fragen wegen des (allerdings strittigen, vgl. jedoch BGHSt 36, 130, 132) Vorrangs von § 263 StGB aber nur dann, wenn das Stadium eines Versuchs von § 263 StGB noch nicht erreicht wurde bzw. weder ein konkreter Schaden noch ein darauf bezogener Schädigungsvorsatz gegeben ist.
e) 231
232
Untreue – § 266 StGB
In den zurückliegenden Monaten waren die Auslegung des Untreuetatbestands und hier insbesondere die Begriffe des Vermögensschadens und der Vermögensgefährdung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht unumstritten, auch wenn die Konturen hierzu allmählich klarer werden. Zunächst sei hier aber die seit langem erwartete, nachstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erwähnt, auch wenn diese die aufgeworfenen Fragen nicht endgültig klären konnte, jedoch aber hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots eine Klärung herbeigeführt hat. ■ TOPENTSCHEIDUNG
233
Nach den Urteilen des BVerfG vom 23.6.2010241 ist der Untreuetatbestand mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG noch zu vereinbaren. Zwar habe das Regelungskonzept des Gesetzgebers im Interesse eines wirksamen und umfassenden Vermögensschutzes – zu einer sehr weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift geführt. § 266 Abs. 1 StGB lasse jedoch das zu schützende Rechtsgut ebenso klar erkennen wie die besonderen Gefahren, vor denen der Gesetzgeber dieses mit Hilfe des Tatbestandes bewahren will. Der Untreuetatbestand lässt eine konkretisierende Auslegung zu, die die Rechtsprechung in langjähriger Praxis umgesetzt und die sich in ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion grundsätzlich als tragfähig erwiesen hat. Verfassungsrechtliche Bedenken, die die Weite eines Straftatbestandes 241
BVerfG, Urteile v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559/08, 105/09 u. 491/09.
II. 15. Betrug und Untreue
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bei isolierter Betrachtung auslösen müsste, können durch eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung entkräftet werden. Die Rechtsprechung ist daher gehalten, verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung nach Möglichkeit auszuräumen (Präzisierungsgebot). Aufgrund des in Art. 103 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden strengen Gesetzesvorbehalts ist die Kontrolldichte des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der Rechtsanwendung durch die Fachgerichte im Bereich des materiellen Strafrechts erhöht. Von den drei Entscheidungen, welche dem Urteil des BVerfG zugrunde lagen, wurde nur eine aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen, weil die – den Begriff der Untreue weiter als die übrigen Fallgestaltungen auslegende – Annahme eines Vermögensgefährdungsschadens nicht in ausreichender und wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise festgestellt worden war. Um eine derartige verfassungswidrige Überdehnung des Untreuetatbestands in den Fällen des Gefährdungsschadens zu vermeiden, ist es notwendig – aber auch ausreichend –, die bereits dargelegten Maßgaben für die präzisierende und restriktive Auslegung des Nachteilsmerkmals strikt zu beachten. Danach sind auch Gefährdungsschäden von den Gerichten in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise festzustellen. Anerkannte Bewertungsverfahren und -maßstäbe sind zu berücksichtigen; soweit komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen sind, wird die Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein. Die im Falle der hier vorzunehmenden Bewertung unvermeidlich verbleibenden Prognose- und Beurteilungsspielräume sind durch vorsichtige Schätzung auszufüllen. Im Zweifel muss freigesprochen werden. PRAXISHINWEIS ■
Die lang erwartete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Untreuetatbestand. Die teilweise in der Rechtsprechung aufgetretenen unterschiedlichen Ansichten zur Annahme eines Gefährdungsschadens werden dahin beschieden, dass auch insoweit ausreichende Feststellungen zu treffen sind und – soweit Schätzungen erforderlich werden – diese unter Heranziehung von Sachverständigen nachvollziehbar zu begründen sind. Die Frage einer Untreue gegenüber einer Stiftung durch Ankauf von Kunstwerken u.a. durch den vertretungsberechtigten Vorstand ist Gegenstand der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 24.6.2010.242 Da die Untreue ein Vermögensdelikt ist, schützt § 266 Abs. 1 StGB das zu betreuende Vermögen als Ganzes in seinem Wert, nicht aber die allgemeine Dispositionsfreiheit des Vermögensinhabers. Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, ist durch einen Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach dem beanstandeten Rechtsgeschäft nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen (vgl. BGHSt 43, 293, 297 f. und 47, 295, 301 f.; BGH NStZ 2001, 248, 251; Fischer aaO § 266 Rdn. 115). Beim Kauf tritt ein Vermögensnachteil regelmäßig nur ein, wenn die erworbene Sache weniger wert ist als der gezahlte Kaufpreis
242
BGH, Urteil v. 24.6.2010 – 3 StR 90/10.
234
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B. StGB – Besonderer Teil
(vgl. Fischer aaO § 266 Rdn. 165). Bei wirtschaftlich ausgeglichenen Kaufverträgen können Gesichtspunkte eines individuellen Schadenseinschlags einen Vermögensnachteil nur in engen Ausnahmefällen begründen, etwa wenn der Vermögensinhaber durch deren Abschluss zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder nicht mehr über die Mittel verfügt, die zur ordnungsgemäßen Erfüllung aller seiner Verbindlichkeiten unerlässlich sind, und er hierdurch einen Vermögensnachteil erleidet (vgl. BGHSt 16, 321, 327 f.; Fischer aaO § 263 Rdn. 146 ff. m.w.N.). b) Ein Vermögensschaden der Stiftung ist nach diesen Maßstäben nicht festgestellt. Da die vom Angeklagten gekauften Archive und Kunstgegenstände einen Wert in Höhe des jeweiligen Kaufpreises hatten, wurde das Stiftungsvermögen durch die Ankäufe insgesamt nicht verringert. Aus diesem Grunde kann der Schaden auch nicht mit entgangenen Anlagezinsen begründet werden. Die Urteilsgründe belegen auch einen Schaden nach den Grundsätzen über einen individuellen Schadenseinschlag nicht. Aus ihnen ergibt sich insbesondere nicht, dass die Stiftung als Folge der Ankäufe zu vermögensschädigenden Maßnahmen wie die Aufnahme eines Darlehens zu einem überhöhten Zinssatz oder den wirtschaftlich ungünstigen Verkauf eines Sachwertes genötigt wurde. Ein Nachteil für das Gesamtvermögen der Stiftung dadurch, dass nach der Wertung des Landgerichts die für den laufenden Betrieb der Stiftung unerlässlichen Geldmittel nicht mehr zur Verfügung gestanden haben sollen, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit die Dispositionsfreiheit der Stiftungsorgane durch die Ankäufe beeinträchtigt worden ist, genügt dies für die Annahme eines Vermögensschadens nicht. ■ PRAXISHINWEIS
Die Frage einer Haftung bei Ankäufen von Kunstwerken und anderen Wertgegenständen für Stiftungen stellt sich immer wieder, jedenfalls dann, wenn irgendwann Streit im zuständigen Verwaltungsgremium entstanden ist. Die vorliegende Entscheidung verneint einen Vermögensnachteil dann, wenn durch die Ankäufe letztlich sogar die Dispositionsfreiheit der Stiftung beeinträchtigt worden ist, sofern aber die angekauften Gegenstände den bezahlten Kaufpreis „wert sind“ und der Kauf im allgemeinen Stiftungsinteresse liegt. 235
Das Urteil vom 13.4.2010243 befasst sich mit Handlungen, welche zum Nachteil einer ausländischen Gesellschaft gereichten, für welche der Täter als „Director“ tätig war. Für den Fall einer ausländischen Limited wird dabei die entsprechende Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts abgelehnt. Ob in diesem Fall fremde Vermögensinteressen zu betreuen waren, konnte aufgrund der Feststellungen des Landgerichts revisionsrechtlich nicht überprüft werden. Auf solche Feststellungen durfte auch nicht deswegen verzichtet werden, weil die Gesellschaft dazu gegründet und dafür bestimmt war, als Teil eines auf Hinterziehung russischer Einfuhrabgaben gerichteten Unternehmensgeflechts zu agieren. Allerdings hat der Strafsenat für die neue Hauptverhandlung auch darauf hingewiesen, dass Gegenstand des Verfahrens eine eigenmächtig vorgenommene Beuteteilung unter ausländischen Straftätern nahezu ohne Inlandsbezug sei. Dieser Hintergrund lasse einen überaus schonenden Einsatz justizieller Ressourcen durch die Strafverfolgungsbehörden angezeigt erscheinen. Dementsprechend seien alsbaldige Einstellungsmöglichkeiten zu erwägen!
243
BGH, Urteil v. 13.4.2010 – 5 StR 428/09.
II. 15. Betrug und Untreue
193
3. Im Falle einer Limited als EU-Auslandsgesellschaft ist zur Bestimmung der Pflichten des „Director“ im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB auf das ausländische Gesellschaftsrecht zurückzugreifen … a) Eine entsprechende Anwendung deutschen Gesellschaftsrechts kommt nicht in Betracht (a.A. Hoffmann in Sandrock/Wetzler, Deutsches Gesellschaftsrecht im Wettbewerb der Rechtsordnungen 2004 S. 227, 258 ff.). Abgesehen davon, dass einer solchen Interpretation das strafrechtliche Analogieverbot widerstreiten könnte, stehen ihr die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche die Anwendung des Gründungsrechts der Gesellschaft vorschreibt, der eindeutige Wortlaut der relevanten Vorschriften (vgl. nur § 84 GmbHG) sowie das Fehlen einer Regelungslücke entgegen (vgl. auch Rönnau ZGR 2005, 832, 855 Fn. 111; Worm aaO S. 103 f., 106 f.). b) Die gebotene Anwendung des Gründungsstatuts einer EU-Auslandsgesellschaft bei der Bestimmung pflichtwidrigen Handelns ihres „Director“ ist auch mit dem verfassungsrechtlich garantierten Bestimmtheitsgebot vereinbar (Art. 103 Abs. 2 GG). Aus dem Untreuetatbestand lassen sich für beide Tatbestandsalternativen noch vollständige abstrakt-generelle Verhaltensnormen ableiten (vgl. zum Vermögensnachteil auch BVerfG [Kammer] NStZ 2009, 560). Welches Verhalten in Bezug auf die Betreuung fremden Vermögens pflichtwidrig ist, regelt die Strafbestimmung zwar nicht selbst; sie eröffnet aber über das normative Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit die Möglichkeit einer einfachgesetzlichen oder auch privatautonomen Konkretisierung, namentlich durch Satzung oder Vertrag (vgl. BGHR StGB § 266 Pflichtwidrigkeit 4; BGH NStZ 2006, 214, 217, insoweit in BGHSt 50, 331 nicht abgedruckt). … Bedenken unter dem Aspekt der Vorhersehbarkeit des Strafbarkeitsrisikos bestehen nicht. Für die Bestimmung der Fremdheit einer Sache ist die Anwendung ausländischen Rechts anerkannt (vgl. RGSt 27, 135, 136 f.; Dannecker aaO Rdn. 149; Werle/Jeßberger in LK 12. Aufl. Vor § 3 Rdn. 335; Hoyer aaO; Liebelt NStZ 1989, 182; Mankowski/Bock aaO S. 744 f.). Eine Anwendung des ausländischen Gesellschaftsrechts im Rahmen des § 266 Abs. 1 StGB greift über diese anerkannten Grundsätze nicht hinaus. … 4. Aus alledem folgt, dass die Strafkammer die maßgeblichen Vorschriften des ausländischen Rechts, insbesondere den IBC Act, sowie die Satzungen, gegebenenfalls auch weitere Abreden berücksichtigen und anhand dieses Maßstabs Feststellungen hätte treffen müssen. Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht – auch im Blick auf mögliche Ansprüche Dritter gegen die Limited – einen „Durchgriffsanspruch“ gegen die Gesellschaft unmittelbar prüfen müssen, der sich aus einem möglichen Auseinandersetzungsanspruch gegen seinen Mitgesellschafter ableiten und einen Vermögensnachteil in Frage stellen könnte. 5. Der vom Landgericht bemühte Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) liegt ebenso fern wie die Rechtfertigungsgründe des Notstands oder der Selbsthilfe. Von der Limited ging zu keiner Zeit ein unmittelbarer Angriff auf Rechtsgüter des Angeklagten aus. Abgesehen von einem Verteidigungswillen fehlte es auch an einer Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung. Es ist nicht ersichtlich, dass mildere, insbesondere zivilprozessuale Maßnahmen vom Angeklagten zuvor ausgeschöpft worden wären. 6. Die Sache wird an eine Wirtschaftsstrafkammer zurückverwiesen. Diese ist als Gericht höherer Ordnung (vgl. § 74e Nr. 2, § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 lit. a GVG) angesichts des vom Angeklagten eingesetzten grenzüberschreitenden Unternehmensgeflechts zuständig (vgl. zur gleichgelagerten Frage der Rückverweisung an das Schwurgericht RGSt 10, 192, 195; 14, 19, 28; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 355 Rdn. 2, 7). Der gegenteilige Eröffnungsbeschluss interpretiert das Kriterium besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens fallbezogen zu eng.
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B. StGB – Besonderer Teil
IV. Gegenstand des Verfahrens ist eine eigenmächtig vorgenommene Beuteteilung unter ausländischen Straftätern nahezu ohne Inlandsbezug. Dieser Hintergrund lässt einen überaus schonenden Einsatz justizieller Ressourcen durch die Strafverfolgungsbehörden angezeigt erscheinen. Dementsprechend werden alsbaldige Einstellungsmöglichkeiten zu erwägen sein. Für eine gleichwohl etwa erforderliche Hauptverhandlung weist der Senat höchstvorsorglich auf Folgendes hin: Stellt sich der Sachverhalt der Wirtschaftsstrafkammer zur objektiven Tatseite in seinen wesentlichen Elementen so dar, wie er im angefochtenen Urteil festgestellt ist, und sollten – was hier keinesfalls fern liegt – ergänzende, ein pflichtwidriges Handeln des Angeklagten tragende Feststellungen getroffen und ein Vermögensnachteil angenommen werden können, so wird die Strafbarkeit des Angeklagten von der subjektiven Tatseite abhängen. Belegen die durch das Tatgericht festzustellenden Umstände auch weiterhin ein internationales Handelsgeschäft erfahrener Kaufleute in nicht nur geringem Umfang über einen längeren Zeitraum hinweg und deren bewusste Unterwerfung unter fremdes Recht, müssen Zweifel am Wissen um die durch ausländisches Recht konstituierten Pflichten nicht aufkommen (vgl. dazu Worm aaO S. 112; Rönnau ZGR 2005, 832, 856).
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Die Entscheidung vom 20.10.2009244 betrifft die Vermögensbetreuungsverpflichtung eines Notars. Dieser hatte entgegen der mit einer Bank geschlossenen Treuhandvereinbarung den auf sein Notaranderkonto überwiesenen, von der Bank einem Grundstückskäufer gewährten Darlehensbetrag i. H. v. 2,7 Mio. DM an die Verkäufer des Grundstücks ausgezahlt, obwohl weder die Kosten für die Eintragung einer als Sicherheit für das Darlehen bestellten Grundschuld in das Grundbuch bezahlt worden waren noch für ihre Zahlung eine Sicherheit oder eine Gebührenbefreiung vorlag. Erst im Jahre 2003 wurde die erstrangige Grundschuld in das Grundbuch eingetragen, sodass die das Darlehen gewährende Bank nachträglich die vertraglich vereinbarte Sicherheit erhielt. In dem angefochtenen Urteil hatte das Landgericht bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass die „schadensgleiche Vermögensgefährdung“ der Bank mit jedenfalls 500.000 € besonders hoch gewesen sei und ausgeführt, zur Feststellung der Höhe der „Vermögensgefährdung“ sei der Wert des durch die Grundschuld gesicherten Darlehensrückzahlungsanspruchs dem Wert der ungesicherten, von einem Totalverlust gefährdeten Forderung gegenüberzustellen. Der BGH führt hierzu aus: Gegen die Berechnung des durch die treupflichtwidrige Handlung des Angeklagten der Darlehensgeberin entstandenen Vermögensnachteils bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken, sodass die vom Landgericht zugemessene Strafe nicht bestehen bleiben kann. Die Höhe des der Kredit gewährenden Bank durch die Auszahlung der Darlehenssumme als Kaufpreis an die Grundstücksverkäufer entstandenen Vermögensnachteils im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB bestimmt sich nach einem Vergleich der Vermögenslage der Bank vor und nach der treuwidrigen Verfügung des Angeklagten. Die Vermögenslage der Bank vor der Verfügung war dadurch gekennzeichnet, dass sie durch die Überweisung der Darlehensvaluta auf das Treuhandkonto des Angeklagten den Kreditbetrag bereits aus ihrem
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BGH, Beschl. v. 20.10.2009 – 3 StR 410/09.
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Vermögen weggegeben hatte. Dem standen indessen ihre Ansprüche gegen den Angeklagten aus dem Treuhandvertrag gegenüber, weil dieser die Darlehensvaluta nur bei Erfüllung der Treuhandauflagen als Kaufpreiszahlung an die Grundstücksverkäufer auskehren durfte. Da die Feststellungen keinen Anhalt dafür bieten, dass der Angeklagte von Anfang an die ihm erteilten Auflagen nicht einhalten wollte, stand der Bank daher zu diesem Zeitpunkt in Höhe des vollen Darlehensbetrages eine gleichwertige Sicherheit als Vermögensposition zu. Diese entfiel, als der Angeklagte die Darlehenssumme an die Grundstücksverkäufer auszahlte. An ihre Stelle trat der Darlehensrückzahlungsanspruch gegen den Grundstückskäufer sowie zu dessen Absicherung die dinglich vereinbarte und bewilligte erstrangige Grundschuld, deren zeitnahes wirksames Entstehen durch Eintragung in das Grundbuch jedoch wegen der fehlenden Kostendeckung bzw. -befreiung noch nicht sichergestellt war. Zutreffend ist das Landgericht vor diesem Hintergrund zwar davon ausgegangen, dass der der Bank durch die treuwidrige Verfügung des Angeklagten entstandene Vermögensnachteil durch einen Vergleich dieser Situation mit der Vermögenslage der Bank zu ermitteln ist, die sich ergeben hätte, wenn der Angeklagte die Darlehensvaluta auftragsgemäß erst nach Deckung der Kosten für die Eintragung der Grundschuld in das Grundbuch ausgekehrt hätte. Denn nach der in den vertraglichen Vereinbarungen zum Ausdruck gekommenen Risikoabschätzung der Bank wäre in diesem Fall der Darlehensrückzahlungsanspruch in nicht geringerer Weise gesichert gewesen als es ihr Rückzahlungsanspruch gegen den Angeklagten für den Fall des Nichteintritts der Auszahlungsbedingungen gewesen war. Dies entspricht dem Grundsatz, dass der Vermögensnachteil des Treugebers allein an den das Vermögen mindernden Auswirkungen gerade der treupflichtwidrigen Handlung zu bemessen ist. Die Auffassung des Landgerichts, die Forderung der Bank auf Darlehensrückzahlung sowie deren Absicherung durch die vereinbarte und bewilligte, aber noch nicht im Grundbuch eingetragenen Grundschuld sei mit 0 € zu bewerten, wird jedoch von den Feststellungen nicht getragen. Diese Forderung wäre nur dann völlig wertlos, wenn der Darlehensnehmer und Grundstückskäufer nicht willens oder in der Lage gewesen wäre, den Kredit aus seinem Vermögen und seinem Einkommen, zu denen die zu erwartenden Einnahmen aus der Nutzung des erworbenen Grundstücks zählen, auch nur teilweise zu tilgen. Hierfür ist nichts ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar, dass die vereinbarte und zur Eintragung ins Grundbuch bewilligte und beantragte Grundschuld nur deshalb zur (teilweisen) Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs völlig wertlos war, weil ihrer Eintragung allein noch die fehlende Kostendeckung entgegenstand, für die notfalls die Bank selbst hätte sorgen können (s. zur Bestimmung des Vermögensnachteils im vergleichbaren Fall einer treuwidrigen Darlehensgewährung BGH, Urt. vom 13. August 2009 – 3 StR 576/08 – Rdn. 25). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird den durch die treupflichtwidrige Verfügung bedingten Minderwert des Darlehensrückzahlungsanspruchs der Bank nach bilanzrechtlichen Maßstäben zu errechnen (BGH NStZ 2009, 330, 331) oder – bei verbleibenden Unsicherheiten – unter Beachtung des Zweifelsatzes im Wege der Schätzung zu bestimmen (BGH NJW 2008, 2451, 2452) und sich hierzu gegebenenfalls der Unterstützung durch einen Sachverständigen zu bedienen haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass Veränderungen des Marktwertes des in Rede stehenden Grundstücks und des Wertes der bewilligten Grundschuld als Sicherheit ebenso wie Änderungen in der finanziellen Leistungsfähigkeit des Grundstückserwerbers, die erst nach der treuwidrigen Verfügung des Angeklagten entstanden sind, für die Bestimmung des Vermögensnachteils im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB keine Relevanz gewinnen; denn derartige Umstände liegen in dem von der Bank durch die Darlehensgewährung eingegangenen wirtschaftlichen Risiko und stehen in keinem zurechenbaren Zusammenhang mit der Pflichtverletzung des Angeklagten.
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B. StGB – Besonderer Teil
Das Urteil des 2. Strafsenats vom 27.8.2010245 betrifft den Fall der Untreue in einer GmbH, deren Geschäftsführer der Muttergesellschaft bei einer in der Schweiz domizilierten „Briefkasten“-Gesellschaft eine schwarze Kasse eingerichtet hatte, die nicht in der Buchführung auftauchte. Zweck dieser schwarzen Kasse war die Finanzierung „nützlicher Aufwendungen“, mit denen u.a. bei politischen Entscheidungsträgern eine positive Haltung zu verschiedenen Projekten der Unternehmensgruppe erzeugt werden sollte. Technisch wurde die schwarze Kasse dadurch genährt, dass die besagte „Briefkasten“-Gesellschaft Zahlungen für fingierte und tatsächlich nicht erbrachte Beratungsleistungen erhielt und bei Bedarf Geldbeträge in bar zurückführte. Über die Einrichtung und Existenz der schwarzen Kasse war zwar die Mehrheitsgesellschafterin der Muttergesellschaft im Bilde; die Minderheitsgesellschafterin war hierüber indes nicht informiert worden: Ein Geschäftsführer einer GmbH und ein Vorstand einer AG können sich wegen Untreue strafbar machen, wenn sie unter Verstoß gegen § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG und unter Verletzung von Buchführungsvorschriften eine schwarze Kasse im Ausland errichten. Ein den Untreuetatbestand ausschließendes Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter einer GmbH setzt voraus, dass auch die Minderheitsgesellschafter mit der Frage der Billigung der Pflichtwidrigkeit befasst waren (LS). a) T. war als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer bzw. alleinvertretungsberechtigtes Vorstandsmitglied der T. GmbH/AG zur Wahrung deren Vermögensinteressen verpflichtet. Zutreffend hat das Landgericht den Untreuevorwurf jeweils an seine einzelnen darauf gerichteten Weisungen geknüpft, Vermögensbestandteile der Treugeberin mittels fingierter Geschäftsvorfälle und inhaltlich unrichtiger Buchungsvorgänge aus der Buchhaltung des Unternehmens auszusondern und in eine im Ausland verdeckt geführte Kasse zu transferieren. Zwar lag die Verletzung der T. obliegenden qualifizierten Vermögensbetreuungspflicht nicht in der Eigenmächtigkeit der durch ihn betriebenen Mittelverlagerung im Sinne einer Verletzung gesellschaftsrechtlicher Kompetenzvorschriften. T. war als Mitglied des zur Geschäftsführung der Gesellschaft berufenen Organs hinsichtlich seiner Entscheidungen über den Einsatz und die Koordinierung von Unternehmensressourcen nicht in der Weise beschränkt, dass er eine Zustimmung der (Mit-)Gesellschafter hätte einholen müssen. Eine Pflicht zur Vorlage ergab sich weder aus den vom Landgericht festgestellten gesellschaftsvertraglichen Grundlagen oder der Beschlusslage der Gesellschaftsorgane, noch erreichten die Zahlungen an die S. AG im Vergleich zum Gesamtumsatz der T.-Gruppe einen solchen Umfang, dass eine Vorlagepflicht unter dem Gesichtspunkt eines tiefgreifenden Eingriffs in Mitgliedschafts- und Vermögensrechte der Gesellschafter in Betracht gekommen wäre (BGHZ 83, 122, 131; 159, 30, 41 ff.). Bei der Einrichtung und Verwendung eines Bankkontos für bestimmte Geschäftsvorfälle handelt es sich, soweit diese sich innerhalb des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands halten und die Grundsätze der Unternehmenspolitik unberührt lassen (BGH, NJW 1991, 1681 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 35 Rn. 30), zunächst typischerweise um eine Maßnahme der laufenden Geschäftsführung (so auch Rönnau in FS für Tiedemann S. 713, 723), die grundsätzlich in den originären Zuständigkeitsbereich des geschäftsführenden Gesellschaftsorgans fällt (vgl. auch BGHSt 28, 371, 372). T. verletzte aber seine Treuepflicht dadurch, dass er entgegen der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG) bzw. eines ordentlichen und gewissenhaften
245
BGH, Urteil v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09
II. 15. Betrug und Untreue
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Geschäftsleiters (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie unter Verstoß gegen das handelsrechtliche Gebot der Vollständigkeit und Richtigkeit der Buchführung (§ 239 Abs. 2 HGB) Vermögensgegenstände durch inhaltlich falsche Buchungsvorgänge aus der Buchhaltung aussonderte, um unter gezielter Umgehung der gesellschaftsinternen Kontrollen und seiner Rechenschaftspflichten über Vermögensbestandteile der Treugeberin nach Maßgabe eigener Zwecksetzung verfügen zu können. Die Einrichtung und Unterhaltung einer „Kriegskasse“ im Ausland verletzte in gravierender Weise die von T. zu beachtende Sorgfalt in beiderlei Hinsicht. Er verschleierte die von ihm vorgenommenen Vermögensverschiebungen durch das Auslassen tatsächlicher und Hinzufügen fingierter Vorfälle in den Geschäftsbüchern nicht nur zur Täuschung des Finanzamts, sondern auch um Abweichungen gegenüber den unter Beteiligung der Mitgesellschafterin aufgestellten Jahreswirtschaftsplänen zu verhindern, den Scheincharakter der Rechnungen gegen kritische Fragen und Kontrollen von Organvertretern der Mitgesellschafterin abzusichern (UA 41/42, 51) und die Speisung seiner „Kriegskasse“ zu ermöglichen. Damit unterlief T. gleichzeitig die der Mitgesellschafterin von Gesetzes wegen eingeräumten Minderheitsrechte, insbesondere das Recht auf Einberufung der Gesellschafterbzw. der Hauptversammlung nach § 50 GmbHG, § 122 AktG, das Recht auf Auskunftserteilung und Einsicht in die Bücher und Schriften nach § 51a GmbHG sowie die Aktionärsrechte auf Auskunftserteilung und auf Einleitung einer Sonderprüfung durch gerichtlich bestellte Prüfer nach § 131, § 142 Abs. 2 AktG. … bb) Zugleich verletzte T. damit die ihm nach § 41 GmbHG, § 91 AktG obliegende Verpflichtung, für die ordnungsmäßige Buchführung der Muttergesellschaft zu sorgen, was auch die Konzernbuchhaltung für die zum Konsolidierungskreis des T.-Konzerns gehörenden Tochterunternehmen U. und I. einschloss (§ 290 HGB). Die Buchführungsvorschriften beinhalten eine Konkretisierung der Leitungs- und Geschäftsführungsaufgaben des jeweiligen Organs und des ihm durch die Generalklauseln auferlegten Sorgfaltsmaßstabs (Kort in Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl., § 91 Rn. 1; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 91 Rn. 1). PRAXISHINWEIS ■
Die vom BGH aufgeworfene Frage, ob die handelsrechtlichen Buchführungspflichten auch dem Schutz des Vermögensträgers selbst oder allein dem Gläubigerschutz dienen, wurde zwar offen gelassen. Jedoch ist in der Entscheidung festgelegt, dass zumindest bei gravierenden Verstößen gegen die Buchführungspflichten eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft vorliegt; dies gilt insbesondere für bewusste Nicht- und Falschbuchungen zur Bildung und Verschleierung von schwarzen Kassen. Nicht jede Normverletzung eines Unternehmensangehörigen bei der Ausgabe von Mitteln des Unternehmens ist zwingend pflichtwidrig i.S.v. § 266 StGB; vielmehr gilt das nur dann, wenn die verletzte Rechtsnorm auch zumindest nur mittelbar vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat.246
246
BGH, Beschl. v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09.
238
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B. StGB – Besonderer Teil
1. Eine nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 i.V.m. § 20 Abs. 2 BetrVG strafbare Beeinflussung der Wahl des Betriebsrats liegt jedenfalls dann vor, wenn der Arbeitgeber einer Wahlvorschlagsliste durch die Zuwendung von Geldmitteln ermöglicht, sich im Zusammenhang mit der Wahl nachhaltiger als sonst möglich zu präsentieren, und wenn dabei die finanzielle Unterstützung der Kandidaten durch den Arbeitgeber verschleiert wird. 2. Eine Normverletzung ist in der Regel nur dann pflichtwidrig i.S.d. § 266 StGB, wenn die verletzte Rechtsnorm ihrerseits – hier der Straftatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG – wenigstens auch, und sei es mittelbar vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat, mag die Handlung auch nach anderen Normen pflichtwidrig sein und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegenüber dem Treupflichtigen begründen. cc) Der Senat hat jedenfalls Bedenken, dass die Annahme des Landgerichts zutrifft, der Mitangeklagte Fe. habe die ihn treffende Vermögensbetreuungspflicht auch deshalb verletzt, weil die Zahlungen an das Unternehmen des Angeklagten S. gegen die Strafvorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG verstoßen. Denn bei dieser Norm handelt es sich nicht um eine das zu betreuende Vermögen – hier der Siemens AG – schützende Vorschrift. Schutzzweck dieser Strafvorschrift ist vielmehr – allein – die Integrität der Wahl des Betriebsrats, namentlich die Freiheit der Willensbetätigung der Wahlbeteiligten i.S.d § 20 BetrVG. (1) § 266 StGB ist ein Vermögensdelikt; die Norm schützt das zu betreuende Vermögen im Sinne der Gesamtheit der geldwerten Güter einer Person (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 – 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295, 301). Umfang und Grenzen der im Rahmen von § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich relevanten Pflichten richten sich nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Es besteht daher eine Anbindung an die zivil- oder öffentlichrechtlichen Grundlagen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187; BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 – 1 StR 372/01, BGHSt 47, 295, 297; BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 – 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147, 155; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 335; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 95 sowie Fischer, StGB, 57. Aufl., § 266 Rn. 58 und SSWStGB/Saliger § 266 Rn. 31 mwN). Das Pflichtwidrigkeitsmerkmal erschöpft sich dabei aber nicht nach Art eines Blankettmerkmals in der Weiterverweisung auf genau bezeichnete Vorschriften (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., Rn. 97); es handelt sich vielmehr um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal (vgl. BVerfG aaO mwN). Bei dessen Auslegung ist es von Verfassungs wegen geboten, die Anwendung des Untreuetatbestands auf Fälle klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken, Wertungswidersprüche zur Ausgestaltung spezifischer Sanktionsregelungen zu vermeiden und – was hier ausschlaggebend ist – den Charakter des Untreuetatbestands als eines Vermögensdelikts zu bewahren (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1955 – 3 StR 234/55, BGHSt 8, 254, 257 ff.; BGH, Urteil vom 4. November 1997 – 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 297; vgl. auch BVerfG aaO Rn. 110). Im Hinblick auf die tatbestandliche Weite des § 266 Abs. 1 StGB kann daher nicht in jedem (strafbewehrten) Verstoß gegen die Rechtsordnung auch eine i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB strafrechtlich relevante Pflichtverletzung erblickt werden. Das folgt aus dem Schutzzweck des § 266 Abs. 1 StGB, der das zu betreuende Vermögen schützt. Eine Normverletzung – hier eine Straftat i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG – ist deshalb in der Regel nur dann pflichtwidrig i.S.v. § 266 StGB, wenn die verletzte Rechtsnorm ihrerseits – wenigstens auch, und sei es mittelbar – vermögensschützenden Charakter für das zu betreuende Vermögen hat, mag die Handlung auch nach anderen Normen pflichtwidrig sein und unter Umständen sogar Schadensersatzansprüche gegenüber dem Treuepflichtigen auslösen. Nur dann, wenn die unmittelbar verletzte Rechtsnorm selbst vermögensschützenden Charakter hat, liegt der untreuespezifische Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und geschütztem
II. 15. Betrug und Untreue
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Rechtsgut i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB vor. Fehlt es daran, kann der Gesetzesverstoß, soweit er für sich sanktionsbewehrt ist, nach Maßgabe des diesbezüglichen Sanktionstatbestandes geahndet werden. Der Gesetzesverstoß kann darüber hinaus auch geeignet sein, Schadensersatzansprüche zu begründen. Eine – daneben tretende – Pflichtwidrigkeit i.S.d § 266 StGB wegen Untreue kann allein aus diesem Gesetzesverstoß aber grundsätzlich noch nicht abgeleitet werden. Ob etwas anderes gilt, wenn an die Verletzung einer solchen Rechtsnorm eine spezifische, sich vermögensmindernd auswirkende Sanktion anknüpft, lässt der Senat offen. Das BetrVG jedenfalls sieht eine solche sich vermögensmindernd auswirkende Sanktion nicht vor. (2) Bei einer Aktiengesellschaft bestimmen sich Umfang und Grenzen der Vermögensbetreuungspflichten der Organe grundsätzlich nach Maßgabe der §§ 76, 93, 116 AktG (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331, 335 f. für den Aufsichtsrat; BGH, Urteil vom 17. September 2009 – 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148 Rn. 36 für den Vorstand). Die den Organen einer Aktiengesellschaft angehörenden Personen haben deshalb – auch gegenüber der Aktiengesellschaft selbst – die rechtlichen Pflichten und Vorgaben der Rechtsordnung einzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 127; Spindler in MünchKomm-AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 63 ff. m.w.N.). Die somit für die Organe einer Aktiengesellschaft bestehende Legalitätspflicht bedingt, dass kein aktienrechtlich geschützter Handlungsspielraum für „profitable Pflichtverletzungen“ besteht (vgl. Fleischer, ZIP 2005, 141, 145 m.w.N.). Verstöße gegen die Legalitätspflicht können auch im Verhältnis zur Gesellschaft selbst nicht mit dem Vorbringen gerechtfertigt werden, sie lägen in deren Interesse; die Bindung an gesetzliche Vorschriften hat vielmehr Vorrang (BGH, Urteil vom 27. August 2010 – 2 StR 111/09 m.w.N.). Gesetzesverstöße, wie hier der Verstoß gegen § 119 BetrVG, stellen daher – in aktienrechtlicher Hinsicht – eine Verletzung der in § 93 Abs. 1 und § 116 Satz 1 AktG statuierten Pflichten dar und können zivilrechtliche Rechtsfolgen begründen.
Ein Notar, der schon vor der Beurkundung Kenntnis von einem von den Kaufvertragsparteien zum Nachteil des finanzierenden Geldinstituts geplanten Betrug erlangt hat und trotzdem hinterlegte Gelder auszahlt, verstößt gegen § 54d Nr. 1 BeurkG und handelt pflichtwidrig im Sinne des § 266 StGB.247 Die V. GmbH, hinter der wirtschaftlich die Zeugen K. und Ka. standen, erwarb im Jahr 2000 ein mit Wohngebäuden bebautes ehemaliges Kasernengelände in B. zum Preis von 1 Mio. DM. Aus den Weiterverkäufen eines Teils der geplanten Eigentumswohnungen – z.T. unter Zwischenschaltung einer spanischen Gesellschaft – erzielten die Zeugen einen Gesamterlös von knapp 2,6 Mio. DM. Die Kreissparkasse B. finanzierte sowohl die Kaufpreise als auch die um ein Mehrfaches höheren Kosten der anstehenden Sanierung der Wohnungen durch die Käufer in voller Höhe. Der Angeklagte nahm als Notar beim Ankauf und Verkauf der Wohnungen die Beurkundungen vor; die Abwicklung der Zahlungen sollte in allen Fällen über von ihm geführte Notaranderkonten erfolgen. Ihm war bekannt, dass sich K. und Ka. in finanziellen Schwierigkeiten befanden, dass sie die Kreditentscheidungen der Sparkasse in allen Fällen nur durch Täuschung über die mangelnde Bonität der Käufer und über die Werthaltigkeit vereinbarter Sicherheiten herbeiführen konnten und dass sie in den meisten Fällen auch darüber täuschten, dass die beurkundeten Kaufpreise um den Betrag von Kick-back-Zahlungen
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BGH, Beschl. v. 7.4.2010 – 2 StR 153/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
an die Käufer und/oder verdeckter Vermittlungsprovisionen in Höhe von mehr als 50 % des jeweiligen Kaufpreises überhöht waren. Die Kreissparkasse überwies in allen Fällen die Darlehensvaluta bzw. Teile hiervon in mehreren Tranchen auf das jeweilige Anderkonto des Angeklagten. Dieser buchte sämtliche Zahlungseingänge jeweils umgehend auf ein allgemeines Geschäftskonto seiner Anwaltskanzlei um, um die weiteren Zahlungsflüsse vor der Darlehensgeberin zu verschleiern und der Überwachung durch die Notaraufsicht zu entziehen. Aus den Einlagen auf dem Geschäftskonto bediente der Angeklagte in der Folge nicht nur die Kaufpreis- und Werklohnansprüche. Vielmehr erbrachte er auf Grund unwiderruflicher Zahlungsanweisungen der Verkäuferseite auch die vereinbarten Kick-back-Zahlungen an die jeweiligen Käufer und die Vermittlungsprovisionen unmittelbar vom Kanzleikonto. Die Kredite wurden in sämtlichen Fällen notleidend. ■ PRAXISHINWEIS
Notare sollten sich diese Entscheidung „verinnerlichen“, zumal wenn sie mit Verträgen befasst werden, bei denen der Verdacht naheliegt, dass Verkäufer und Käufer darin zusammenwirken, zum Nachteil des Finanzierungsinstituts Gelder „zu verschieben“ und letztlich überhaupt kein wirklicher Erwerbswille bzw. keine wirtschaftliche Fähigkeit dazu auf Käuferseite gegeben ist.
f) 240
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt – § 266a StGB
Neue Abgrenzung zu den erforderlichen Feststellungen bei der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt i.S.v. § 266a Abs. 1 StGB in Fällen der Nichtzahlung ordnungsgemäß angemeldeter Sozialversicherungsbeiträge:248 In den Fällen B. IV. 2. Taten 1–19 der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 StGB verurteilt, da er als verantwortlicher Geschäftsführer der F. GmbH unterlassen hatte, die jeweils fälligen Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle abzuführen. Für Fälle der vorliegenden Art – und so auch hier – ist typisch, dass der Arbeitgeber die Beitragsnachweise für die ordnungsgemäß gemeldeten Arbeitnehmer bei der zuständigen Krankenkasse einreicht und lediglich in der Folge die auf der Grundlage der Beitragsnachweise geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlt. Tathandlung ist insoweit – anders in Fällen illegaler Beschäftigung, bei denen der Arbeitgeber die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht oder nicht in richtigem Umfang meldet – die schlichte Nicht-Zahlung der geschuldeten Beiträge; weitere Unrechtselemente enthält das Tatbestandsmerkmal des Vorenthaltens in diesen Fällen nicht (Fischer StGB 57. Aufl. § 266a Rn. 10). Für Fälle dieser Art besteht – soweit die Taten nach dem 1. April 2003 datieren – nach Auffassung des Senats entgegen früherer Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1991 – 1 StR 496/91, NStZ 1992, 145; Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93,
248
BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – 1 StR 424/10.
II. 15. Betrug und Untreue
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StV 1993, 364; Beschluss vom 22. März 2004 – 1 StR 31/94, wistra 1994, 193; Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543) grundsätzlich kein Anlass dafür, im Urteil umfangreiche Feststellungen über die Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten, das zu zahlende Arbeitsentgelt und zur Höhe des Beitragssatzes der zuständigen Krankenkasse zu treffen. Vielmehr bedarf es in solchen Fällen – anders als in Fällen illegaler Beschäftigungsverhältnisse (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10) – neben den Feststellungen, aus denen sich die Arbeitgeberstellung des Täters und – daraus folgend – die diesem obliegenden Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern ergeben, in der Regel lediglich der Feststellung der Höhe der vorenthaltenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge und der darin enthaltenen Arbeitnehmeranteile, der durch das Vorenthalten geschädigten Krankenkasse sowie der Beitragsmonate, in denen die Arbeitnehmeranteile vorenthalten wurden. Weitergehende Feststellungen waren nach der bis zum 31. März 2003 geltenden Rechtslage insbesondere deshalb erforderlich, um ausschließen zu können, dass zu den Arbeitnehmern geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV zählten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 1991 – 1 StR 496/91, NStZ 1992, 145; Beschluss vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93, StV 1993, 364; Beschluss vom 22. März 2004 – 1 StR 31/94, wistra 1994, 193; Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543), für die allein Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung anfallen, deren Nichtabführen nicht gemäß § 266a Abs. 1 StGB strafbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543 m.w.N.). Durch Art. 2 Nr. 14 des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I, 4621, 4625) wurde indes § 28i SGB IV mit Wirkung vom 1. April 2003 (vgl. Art. 17 Abs. 1a des Zweiten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) dahingehend erweitert, dass bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen i.S.v. § 8 SGB IV ausschließlich die Bundesknappschaft (nunmehr Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See) als Träger der Rentenversicherung zuständige Einzugsstelle für die Sozialversicherungsbeiträge ist (§ 28i Satz 5 SGB IV nF). Vor diesem Hintergrund kann bei Sozialversicherungsbeiträgen, die zum Nachteil einer Krankenkasse vorenthalten wurden, ohne weitere Feststellungen ausgeschlossen werden, dass sich darunter Beiträge für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse befinden. Auch zur Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmeranteile – und somit zur Bestimmung des Schuldumfangs – sind in der Regel weitergehende Feststellungen als die vorgenannten nicht erforderlich. Denn nach § 28f Abs. 3 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Höhe der geschuldeten Beiträge zur Sozialversicherung selbst zu berechnen und der Einzugsstelle nachzuweisen (vgl. auch Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht 66. Ergänzungslieferung 2010, § 28f SGB IV Rn. 14). Dieser sog. Beitragsnachweis gilt nach § 28f Abs. 3 Satz 3 SGB IV für die Vollstreckung als Leistungsbescheid der Einzugsstelle und im Insolvenzverfahren als Dokument zur Glaubhaftmachung der Forderungen der Einzugsstelle. Er belegt somit die geschuldeten und demnach auch in der Regel die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge. Die Feststellung des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags ermöglicht dem Revisionsgericht daher in hinreichendem Maße die Überprüfung des Urteils. Mit Feststellung des im Beitragsnachweis vom Arbeitgeber nachgewiesenen Gesamtsozialversicherungsbetrags geht einher, dass die nachgewiesenen Beiträge auf Grundlage der im jeweiligen Beitragsmonat tatsächlich geschuldeten Bruttogehälter unter Anwendung des maßgeblichen Beitragssatzes berechnet wurden. Lediglich dann, wenn mangels rechtzeitiger Einreichung der Beitragsnachweise das für die Beitragsberechnung maßgebende Arbeitsentgelt nach § 28f Abs. 3 Satz 2 SGB IV geschätzt wurde, oder wenn sich im konkreten Fall aus anderen Gründen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge mit dem den Arbeitnehmern im jeweiligen Beitragsmonat
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B. StGB – Besonderer Teil
geschuldeten Bruttoarbeitsentgelt nicht in Einklang zu bringen sind, besteht Anlass zu weitergehenden Feststellungen. In Fällen der vorliegenden Art kann sich aufgrund der vorgenannten Umstände regelmäßig auch die Beweiswürdigung darauf beschränken, darzulegen, dass seitens des Arbeitgebers Beitragsnachweise eingereicht wurden, in denen die Sozialversicherungsbeiträge in der festgestellten Höhe ausgewiesen sind. Lediglich dann, wenn aufgrund der Einlassung des Angeklagten oder anderweitiger besonderer Umstände Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Beitragsnachweis ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge nicht den tatsächlich geschuldeten entsprechen, wird das Tatgericht gehalten sein, die getroffenen Feststellungen eingehender, z.B. unter Berücksichtigung der kaufmännischen Erfahrung des Arbeitgebers oder der Ergebnisse durchgeführter Betriebsprüfungen nach § 28p Abs. 1 SGB IV, zu belegen. Denn weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst ist es geboten, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, wistra 2010, 310 m.w.N.). ■ PRAXISHINWEIS
Die vorliegende Entscheidung hat erhebliche Bedeutung für die Praxis der Gerichte. Während bislang umfangreiche Feststellungen zu Anzahl der Beschäftigten, deren Beschäftigungszeiten, das Arbeitsentgelt und Beitragshöhe der betroffenen Krankenkassen nötig waren, reicht es nunmehr aus, dass festgestellt wird: Der Arbeitgeber hat Beitragsnachweise eingereicht, in denen Sozialversicherungsbeiträge in bestimmter Höhe ausgewiesen wurden (welche nicht bezahlt worden sind). Nur wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Zahlen unzutreffend sind, werden entsprechende Feststellungen ausdrücklich zu treffen sein.
16. Urkundenfälschung – §§ 267 ff. StGB 241
Urkundenfälschung liegt dann nicht vor, wenn ein Angeklagter einen vermeintlich zustande gekommenen Grundstückskaufvertrag lediglich mit seinem eigenen Namenszug unterschrieben hat; denn insoweit liegt keine Täuschung über den Aussteller der Gedankenerklärung vor sondern es handelt sich nur um eine schriftliche Lüge, weil aus dem so geschaffenen Schriftstück der Angeklagte als Aussteller zu ersehen ist. Mitaussteller sind hier auch nicht etwa die anderen Vertragsbeteiligten, da deren Namenszüge lediglich einkopiert sind und ihnen die Authentizität einer Originalunterschrift fehlt. Durch das Zufügen von Kopien der Unterschriften der angeblichen Vertragspartner erfüllt der „Grundstückskaufvertrag“ nicht die Merkmale einer Urkunde, da das Schriftstück insoweit nach außen als Reproduktion erscheint. Der Angeklagte hat auch keine echte Urkunde verfälscht, da er für die Herstellung der Kopie des vermeintlichen Grundstückskaufvertrages lediglich Kopien von echten Urkunden verwendete. Die vom Landgericht festgestellte Täuschungsabsicht legt es zwar nahe, dass der Angeklagte von der hergestellten Vorlage eine weitere Kopie zumindest fertigen wollte, um das Werk insgesamt als Kopie eines unterschriebenen Originals erscheinen zu lassen. Dies begründet indes auch keine Strafbarkeit wegen eines Versuchs des Gebrauchens einer ge-
II. 16. Urkundenfälschung – §§ 267 ff. StGB
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fälschten Urkunde (vgl. Fischer aaO), weil zu keinem Zeitpunkt eine (falsche) Urkunde vorgelegen hat.249
Der bloße Ausdruck einer Computerdatei (hier: eingescannter Grundstückskaufvertrag) weist nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen notariellen Kaufvertrag bzw. die Ausfertigung eines solchen prägen. Er spiegelt für den Betrachter erkennbar lediglich ein Abbild eines anderen Schriftstücks wider. Mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers ist dem Ausdruck kein Urkundencharakter beizumessen.250 Um das Geld anlegen zu können, gebrauchte der Angeklagte gegenüber seiner Schweizer Bank eine manipulierte notarielle Urkunde über einen Grundstücksverkauf. Hierzu ging er wie folgt vor: Er verfügte über eine CD, auf der eine eingescannte Version des zwischen ihm und dem Geschädigten im September 2003 geschlossenen notariellen Kaufvertrages abgespeichert war. Die eingescannte Version war in mehreren Punkten verändert worden, wobei das Landgericht nicht festzustellen vermochte, dass der Angeklagte selbst die Manipulationen vorgenommen hatte. So war im Original die Wohnanschrift des Angeklagten in Deutschland aufgeführt. Diese war in eine Briefkastenanschrift in Thailand verändert. Der Kaufpreis von ehemals 80.000 € war auf 571.000 € erhöht, das Datum der Fälligkeit vom 1. November 2003 auf den 5. Februar 2004 verschoben. Darüber hinaus war in der verfälschten Version bestimmt, dass der Kaufpreis vom Geschädigten auf das Konto des Angeklagten in Thailand zu überweisen sei. Anfang April 2004 druckte der Angeklagte die veränderte Version des Kaufvertrags aus. Er übermittelte sie am 5. April 2004 per Telekopie an seine Schweizer Bank. Die Bank akzeptierte den Nachweis und legte den größten Teil des Geldes zu seinen Gunsten in verschiedenen Fonds an. … aa) Das ausgedruckte Exemplar des manipulierten Schriftstücks erfüllte den Urkundenbegriff nach § 267 Abs. 1 StGB nicht. Urkunden im Sinne des Strafrechts sind verkörperte Erklärungen, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt sind, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lassen (st. Rspr.; vgl. etwa BGHSt 4, 60, 61; 24, 140, 141; Fischer aaO § 267 Rdn. 2 m.w.N.). Zwar kann im Wege computertechnischer Maßnahmen wie der Veränderung eingescannter Dokumente grundsätzlich eine (unechte) Urkunde hergestellt werden (vgl. BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde 5). Dafür muss die Reproduktion jedoch den Anschein einer von einem bestimmten Aussteller herrührenden Gedankenäußerung vermitteln, also einer Originalurkunde so ähnlich sein, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (BayObLG NJW 1989, 2553, 2554; Fischer aaO § 267 Rdn. 12d). Daran fehlt es hier. Der bloße Ausdruck der Computerdatei wies nicht die typischen Authentizitätsmerkmale auf, die einen notariellen Kaufvertrag bzw. die Ausfertigung eines solchen prägen. Er spiegelte für den Betrachter erkennbar lediglich ein Abbild eines anderen Schriftstücks wider. Damit stand er einer bloßen Fotokopie gleich, der, sofern als Reproduktion erscheinend, mangels Beweiseignung sowie Erkennbarkeit des Ausstellers ebenfalls kein Urkundencharakter beizumessen ist (vgl. BGHSt 20, 17, 18 f.; 24, 140, 141 f. m.w.N.; BGH wistra 1993, 225; 341).
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BGH, Urteil v. 23.3.2010 – 5 StR 7/10. BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 5 StR 488/09.
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B. StGB – Besonderer Teil
bb) Mit der Übermittlung des Schriftstücks per Telekopie und dessen Ausdruck auf dem Empfängergerät hat der Angeklagte desgleichen keine Urkunde hergestellt. Nicht anders als bei einer („gewöhnlichen“) Fotokopie enthält die beim Empfänger ankommende Telekopie eines existenten Schriftstücks – für den Adressaten und jeden Außenstehenden offensichtlich – nur die bildliche Wiedergabe der in jenem Schriftstück verkörperten Erklärung (vgl. OLG Zweibrücken NJW 1998, 2918; OLG Oldenburg NStZ 2009, 391; Erb in MünchKomm-StGB § 267 Rdn. 89; Zieschang in LK 12. Aufl. § 267 Rdn. 125; Fischer aaO § 267 Rdn. 12d; Beckemper JuS 2000, 123). Eine Beweisbedeutung kann ihr demgemäß mangels Erkennbarkeit eines Ausstellers und damit verbundener eigener Garantiefunktion für die Richtigkeit des Inhalts (vgl. BGH wistra 1993, 341) jedenfalls unter den hier gegebenen Umständen (zu den in Betracht kommenden Fallgestaltungen Beckemper aaO) nicht beigemessen werden. ■ PRAXISHINWEIS
Für den Rechtsverkehr bedeutet diese Rechtsprechung, dass Täuschungen mittels durch Fotokopie oder Computerausdruck veränderter Texte grundsätzlich nicht dem strafrechtlichen Schutz des § 267 StGB unterliegen. Wer eine gewisse Sicherheit für die durch den Aussteller verbürgte Richtigkeit eines Schriftstücks haben will, wird darauf achten müssen, dass die Texte Urkundsqualität aufweisen, etwa dass es sich um Originalurkunden, beglaubigte Ausfertigungen oder sonstige Urkunden handelt, die so gestaltet sind, dass sie eine von einem bestimmten Aussteller herrührende Gedankenäußerung enthalten. Insoweit gilt grundsätzlich auch weiterhin kein Urkundenschutz für die immer gebräuchlicheren Scans als Anhang von E-Mails.
17. Bankrott – § 283 StGB 243
Der Bankrotttatbestand des § 283 StGB kann auch Privatinsolvenzen erfassen. Ein Beiseiteschaffen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt aber nur dann vor, wenn ein Schuldner einen zu seinem Vermögen gehörenden Gegenstand dem alsbaldigen Gläubigerzugriff entzieht oder den Zugriff zumindest wesentlich erschwert. Dies kann entweder durch eine Änderung der rechtlichen Zuordnung des Vermögensgegenstands oder durch eine Zugriffserschwerung aufgrund tatsächlicher Umstände geschehen.251 aa) Eine Vereitelung des Gläubigerzugriffs durch eine Änderung der rechtlichen Zuordnung ist etwa zu bejahen bei der Übereignung eines Gegenstandes, der Abtretung einer Forderung oder einer Verpfändung, wenn dies ohne adäquate Gegenleistung geschieht. Dasselbe gilt für die Überweisung eines Geldbetrages auf ein fremdes Konto mit der Folge, dass der überwiesene Geldbetrag nicht mehr zum Vermögen des Schuldners gehört (Tiedemann aaO Rdn. 25; Hoyer aaO Rdn. 30; Fischer aaO Rdn. 4). Die Rechtsprechung hat daher Fälle, in denen der Schuldner eine ihm zustehende Forderung von einer anderen Person über deren Konto, über das er nicht verfügungsberechtigt war, einziehen ließ (BGHSt 34, 309, 310 f.) oder Geld auf Konten von ihm beherrschter, aber rechtlich selbständiger Gesellschaften
251
BGH, Urteil v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09.
205
II. 18. Brandstiftung/Schwere Brandstiftung – § 306a StGB
übertrug (OLG Frankfurt NStZ 1997, 551), als ein Beiseiteschaffen eines Vermögensbestandteils aus rechtlichen Gründen angesehen. bb) Ein Beiseiteschaffen in tatsächlicher Hinsicht ist gegeben, wenn der Schuldner einen Vermögensgegenstand an einen anderen Ort verbringt oder verbringen lässt und dadurch – ohne eine Änderung der rechtlichen Zuordnung – den Zugriff der Gläubiger auf diesen objektiv unmöglich macht oder zumindest wesentlich erschwert, etwa indem er ihn verbirgt oder in eine Lage bringt, die ein Zugreifen der Gläubiger zumindest deutlich schwieriger macht, als dies zuvor der Fall war. Dies gilt selbst bei einer späteren Kenntniserlangung des Insolvenzverwalters von der Vermögensverlagerung. Daher kann ein Beiseiteschaffen aus tatsächlichen Gründen vorliegen, wenn der Schuldner in der wirtschaftlichen Krise Geld von einem Girokonto in bar abhebt und auf ein eigenes, nur ihm bekanntes Konto im In- oder Ausland einzahlt … Rechtsgut des § 283 StGB ist neben dem Schutz des gesamtwirtschaftlichen Systems vor allem der Schutz der etwaigen Insolvenzmasse vor einer unwirtschaftlichen Verringerung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger (BGHSt 28, 371, 373; BGH NStZ 2008, 401, 402; Tiedemann aaO Vor § 283 Rdn. 45 ff.; Hoyer aaO Vor § 283 Rdn. 3; Fischer aaO Vor § 283 Rdn. 3). Im Gegensatz zu § 288 StGB (Vereitelung der Zwangsvollstreckung), der das Recht des einzelnen Gläubigers auf Einzelbefriedigung aus dem Schuldnervermögen (BGHSt 16, 330, 334; Fischer aaO § 288 Rdn. 1) schützt, dient § 283 StGB somit dem Schutz der Gesamtvollstreckung (Insolvenz). Da im Falle der Insolvenz der Insolvenzverwalter die Interessen der Gläubigergesamtheit wahrnimmt, ist daher die Prüfung bezogen auf die rechtlichen und tatsächlichen Zugriffsmöglichkeiten eines (gedachten) Insolvenzverwalters unter Berücksichtigung seiner Auskunftsrechte gegenüber dem Schuldner (§ 97 InsO) unmittelbar nach der Tathandlung durchzuführen. PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung macht deutlich, dass für § 283 StGB nur entscheidend ist, ob der Insolvenzverwalter auf die Vermögensmasse zugreifen kann, und es nicht darauf ankommt, ob für einzelne Gläubiger der Zugriff erschwert ist. Die Durchsetzung von deren Zwangsvollstreckungsansprüchen wird über § 288 StGB geschützt, wobei es sich hierbei aber nur um ein Antragsdelikt handelt (§ 288 Abs. 2 StGB).
18. Brandstiftung/Schwere Brandstiftung – § 306a StGB Die Art der von § 306a StGB besonders geschützten Objekte ist Gegenstand mehrerer Entscheidungen des BGH im Berichtszeitraum. Nach dem Beschluss vom 20.10.2009252 erfüllt bei einem einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude, die Inbrandsetzung nur gewerblich genutzter Gebäudeteile nur dann den Tatbestand nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn nicht auszuschließen ist, dass sich das Feuer auch auf Gebäudeteile ausweitet, die für das Wohnen wesentlich sind.
252
BGH, Beschl. v. 20.10.2009 – 3 StR 392/09.
244 245
206 246
B. StGB – Besonderer Teil
Auch die nachstehende Entscheidung vom 26.1.2010253 betrifft die Brandlegung in einem gemischt-genutzten Gebäude: 1. Haben Angeklagte in dem von ihnen im Erdgeschoss eines Gebäudes betriebenen Imbisslokal an mehreren Stellen Feuer gelegt, um die Versicherungssumme für das Inventar zu erlangen, zerstörte der Brand das Inventar fast vollständig, wurde er aber von der Feuerwehr gelöscht, bevor er Gebäudeteile so erfasste, dass sie selbstständig weiterbrennen konnten und wurden letztlich nur die Räume des Lokals unbenutzbar, trägt dies nicht den Schuldspruch wegen vollendeter besonders schwerer Brandstiftung nach § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB, da die Angeklagten kein der Wohnung von Menschen dienendes Gebäude in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung zerstört haben (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB). 2. Allerdings genügt es für ein vollendetes Inbrandsetzen nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. StGB, wenn in einem – wie hier – einheitlichen, teils gewerblich, teils zu Wohnzwecken genutzten Gebäude nur solche Gebäudeteile selbstständig brennen, die für die gewerbliche Nutzung wesentlich sind, aber nicht auszuschließen ist, dass das Feuer auf Gebäudeteile übergreift, die für das Wohnen wesentlich sind. Besteht der durch die Brandlegung bewirkte Erfolg indes nicht darin, dass wesentliche Gebäudeteile der gewerblich genutzten Räume selbstständig brennen, sondern allein in der ganzen oder teilweisen Zerstörung dieser Räume durch die Brandlegung, so führt dies auch dann nicht zu einer vollendeten schweren Brandstiftung nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. StGB, wenn die Gefahr bestand, dass das Feuer auf den Wohnzwecken dienenden Teil des Gebäudes übergreift. Eine (teilweise) Zerstörung kann auf vielfältigen durch die Brandlegung ausgelösten Umständen beruhen, etwa wie hier auf einer Rußentwicklung oder auf der Einwirkung von Löschmitteln. Sie ist deshalb, wenn sie die gewerblichen Räume betrifft, nicht typischerweise auch mit einer Gefährdung der Personen verbunden, die sich in dem zu Wohnzwecken genutzten Gebäudeteil aufhalten. Auf diesen Gebäudeteil bezogen liegt der Sachverhalt nicht anders als bei einer Brandlegung, deren Erfolg ausgeblieben ist.
247
Betrifft eine Brandstiftung nur Baulichkeiten, welche als Ladengeschäfte nachts regelmäßig nicht zum Aufenthalt von Menschen dienen, kann der Tatbestand des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB dennoch erfüllt sein, falls das Gesamtgebäude auch nur zum Teil Räumlichkeiten enthält, welche zum zeitweisen Aufenthalt von Menschen dienen.254 Die Reinigung, in der die Angeklagte den Brand gelegt hat, stellt als solche keine Räumlichkeit im Sinne des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, da sich dort zur Nachtzeit keine Menschen aufzuhalten pflegten. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Tatbestand des § 306a Abs. 1 Nr. 3 StGB indes auch dann erfüllt sein, wenn ein einheitliches zusammenhängendes Gebäude nur zu einem Teil Räumlichkeiten enthält, die zum zeitweisen Aufenthalt von Menschen dienen. Ausschlaggebend für die „Einheitlichkeit“ des Gebäudes ist allein seine bauliche Beschaffenheit. Insoweit genügt es nicht, wenn eine Räumlichkeit „angebaut“ ist, unmittelbar angrenzt oder sich in räumlicher Nähe befindet (BGHSt 35, 283, 285; BGH NStZ 1991, 433). Erforderlich ist insbesondere, dass zwischen den verschiedenen Gebäudeteilen eine Verbindung besteht, beispielsweise durch ein gemeinsames Treppenhaus (BGHSt 34, 115, 120), einen gemeinsamen Flur oder ineinander übergehende Räume (BGHSt 35, 283, 286; Wolff LK, 12. Aufl. StGB § 306a Rn. 12, 21 mwN). Gegen ein
253 254
BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 3 StR 442/09. BGH, Beschl. v. 15.9.2010 – 2 StR 236/10.
II. 18. Brandstiftung/Schwere Brandstiftung – § 306a StGB
207
einheitliches Gebäude kann das Vorhandensein einer Brandmauer, besonderer sonstiger Brandschutzvorrichtungen oder einer nur ausnahmsweise, unter Beseitigung besonderer Schutzvorrichtungen benutzbaren Verbindung sprechen (BGHSt 35, 283, 286). Ob sich die Reinigung vorliegend mit einer zum Aufenthalt von Menschen dienenden Räumlichkeit in einem einheitlichen Gebäude befand, lässt sich den Feststellungen der Kammer nicht hinreichend deutlich entnehmen. Das Fitness-Studio – auf das die Strafkammer offensichtlich abstellt – liegt zwar im gleichen Teil der „Ladengalerie“, in dem sich auch die Reinigung befindet. Weitergehende Feststellungen zur baulichen Beschaffenheit, die eine Bewertung der Einheitlichkeit des Gebäudes zulassen, fehlen indes. Aufgrund der Feststellungen erscheint es zwar möglich, dass das Fitness-Studio mit der Reinigung über einen gemeinsamen Korridor verbunden ist; dies jedenfalls dann, wenn die Kammer den Begriff „Ladengalerie“ als Korridor und nicht etwa als Baukomplex als solcher verstanden haben will. Dagegen spricht allerdings, dass sie den unmittelbar an die Reinigung angrenzenden Teil, der vorliegend als gemeinsamer Korridor in Betracht käme, abweichend als „Ladenpassage“ bezeichnet (UA S. 8). Unabhängig davon bleibt offen, ob diese vor der Reinigung befindliche Passage allseits abgeschlossen ist und damit überhaupt ein verbindender Raum sein kann.
Die Entscheidung vom 1.4.2010255 betrifft ein auf einem Parkplatz stehendes Wohnmobil, in welchem der Eigentümer sich zum Schlafen aufhielt: Nach den Feststellungen des Landgerichts bespritzte der Angeklagte nachts ein auf einem Parkplatz stehendes Wohnmobil an der linken Heckseite mit Feuerzeugbenzin, setzte das Fahrzeug in Brand und entfernte sich. Das Landgericht konnte nicht ausschließen, dass er dabei davon ausging, dass sich kein Mensch in dem Wohnmobil aufhielt. Tatsächlich aber hatte sich dort der Eigentümer zum Schlafen hingelegt. Die von einem zufällig vorbeifahrenden Autofahrer alarmierte Polizei konnte das Wohnmobil, das inzwischen selbständig zu brennen begonnen hatte, löschen. Hiervon wurde der Eigentümer wach und konnte das Fahrzeug unverletzt verlassen. Ohne das Eingreifen Dritter hätte das Feuer den gesamten hölzernen Aufbau des Wohnmobils ergreifen und Gesundheit oder Leben des Insassen gefährden können. Zutreffend hat das Landgericht den Angeklagten insoweit wegen schwerer Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt. Bei dem in Brand gesetzten Wohnmobil handelt es sich um eine „andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient“. Durch das 6. StRG ist der Bereich der besonders geschützten Tatobjekte erweitert worden. Er umfasst nicht mehr nur Gebäude, Schiffe und Hütten, sondern allgemein Räumlichkeiten, die der Wohnung von Menschen dienen. Damit sollen auch ungewöhnliche Formen des Wohnens etwa in Wohn- oder Künstlerwagen geschützt werden (vgl. BGHSt 48, 14, 18 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien BTDrucks. 13/8587 S. 68, 86, 88). Das Wohnmobil dient seinem Nutzer – wie schon seine Bezeichnung nahelegt – zumindest vorübergehend als Mittelpunkt der (privaten) Lebensführung und damit zur Wohnung (vgl. BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 5 m.w.N.; Heine in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 306a Rdn. 4). Es wird nicht nur zur Fortbewegung, sondern – ähnlich einem auch zu Wohnzwecken dienenden Schiff – auch zum Aufenthalt untertags, zur Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten sowie zum Schlafen benutzt. Diese Eigenschaft verliert es nicht dadurch, dass es in der Regel nur für bestimmte Zeiträume – während einer Reise – als Wohnung genutzt und im Übrigen auch für u.U. längere Zeit abgestellt oder nur als Fortbe-
255
BGH, Beschl. v. 1.4.2010 – 3 StR 456/09.
248
208
B. StGB – Besonderer Teil
wegungsmittel genutzt wird. Insoweit kann für ein Wohnmobil nichts anderes gelten wie für ein nur zeitweise benutztes Ferienhaus (vgl. BGHR StGB § 306 Nr. 2 Wohnung 10). Ob für unverkaufte Wohnmobile auf dem Gelände eines Herstellers bzw. Händlers oder für solche Fahrzeuge, die zur Vermietung auf dem Gelände eines Unternehmens bereitstehen, etwas anderes zu gelten hätte, muss der Senat nicht entscheiden. Die Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB lagen hier deshalb vor. Die Eigenschaft des Brandobjekts, als Wohnung zu dienen, hat der Angeklagte erkannt. Dass er glaubte, es halte sich dort zum Tatzeitpunkt niemand auf, ist bei § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB bedeutungslos (Wolff in LK 12. Aufl. § 306a Rdn. 24).
249
Bedingter Vorsatz bei Brandstiftungsdelikten:256 Ein bedingter Brandstiftungsvorsatz liegt nur dann vor, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs für möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in einer Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung entweder billigend in Kauf nimmt oder sich wenigstens damit abfindet. Um dies festzustellen, bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände (hier: Anzünden des Inhalts eines Mülleimers und einige Tage später eines mit leeren Pappschachteln befüllten Kartons nahe der gläsernen Schiebetür an der Gebäudewand eines Lebensmittelmarkts).
19. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB 250
Mehrere Entscheidungen des für diesen Tatbestand allein zuständigen 4. Strafsenats betreffen vorsätzlich herbeigeführte Verkehrsunfälle, wobei drei dieser Taten (vielleicht nicht immer nur zufällig) in zeitlichem Zusammenhang mit gescheiterten Beziehungen standen. ■ TOPENTSCHEIDUNG
251
Grundlegend ist aber zunächst die Entscheidung vom 16.3.2010,257 in welcher allgemein gehalten ausgeführt ist: 1. § 315b StGB erfasst ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu „pervertieren“ und dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt. 2. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn ein Fahrzeugführer absichtlich mit seinem Fahrzeug gegen einen Streifenwagen fährt, der ihm den Weg versperrt. Hierfür reicht es nicht aus, dass eine Sache von bedeutendem Wert, wie hier der Streifenwagen, nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße gefährdet wird. b) Im Fall II. 2 ist der Beschuldigte zwar absichtlich mit seinem Fahrzeug gegen den Streifenwagen, der ihm den Weg versperrte, gefahren. Angesichts der vom Beschuldigten eingehaltenen mäßigen Geschwindigkeit ist der Schluss des Landgerichts, der Beschuldigte
256 257
BGH, Beschl. v. 4.3.2010 – 4 StR 62/10. BGH, Beschl. v. 16.3.2010 – 4 StR 82/10.
II. 19. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB
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habe dadurch „Leib oder Leben der Polizeibeamten gefährdet“ (UA 8), aber nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig belegen die bisherigen Feststellungen die konkrete Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert. Hierfür reicht es nicht aus, dass eine Sache von bedeutendem Wert, wie hier der Streifenwagen, nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße gefährdet wird; vielmehr muss der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfangs sein.
Dem Urteil vom 25.3.2010258 lag zugrunde, dass der Angeklagte nach einem gescheiterten Wiederannäherungsversuch an seine ehemalige Lebenspartnerin seinem Leben ein Ende setzen wollte und deshalb mit einer Geschwindigkeit von etwa 140 km/h in einem Baustellenbereich, in dem nur 50 km/h zugelassen waren, seinen Pkw auf einen auf der Gegenfahrbahn mit 50 km/h entgegenkommenden Kleinwagen steuerte. Glücklicherweise erlitten die drei Insassen des Kleinwagens keine lebensgefährlichen Verletzungen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Auf die Revision der StA hat der BGH die Entscheidung insoweit aufgehoben, damit erneut geprüft werden kann, ob der Angeklagte nicht auch mit (bedingtem) Tötungsvorsatz, möglicherweise sogar mit einem gemeingefährlichen Mittel im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Die dafür vom Landgericht herangezogenen Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. a) Die Auffassung des Landgerichts, dem Angeklagten sei lediglich ein Körperverletzungsvorsatz bezüglich der drei Insassen des von ihm gerammten Fahrzeugs nachzuweisen, lässt besorgen, dass es zu hohe Anforderungen an das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelements gestellt hat. Zwar ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Hier hätte der Tatrichter aber insbesondere den Umstand in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den Unfall zu dem Zweck verursacht hat, seine Selbsttötungsabsicht zu verwirklichen. Von dieser Absicht hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei dadurch überzeugt, dass der Angeklagte kurz vor dem Unfall seinen Vater telefonisch davon unterrichtet und unmittelbar nach dem Unfall dem Zeugen Z. erklärt hat, es habe sich um einen Selbsttötungsversuch gehandelt. Es ging dem Angeklagten demnach darum, einen so heftigen Zusammenstoß beider Fahrzeuge herbeizuführen, dass er diesen nicht überleben würde, obwohl er – wenn auch nicht angeschnallt – in einem kompakten und technisch einwandfreien Fahrzeug der Mittelklasse saß. Deswegen erschließt es sich nicht, warum der Angeklagte ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben sollte, die Insassen des betroffenen Kleinwagens würden im Gegensatz zu ihm den heftigen Zusammenstoß überleben. b) Auch die weiteren Argumente des Landgerichts tragen sein Ergebnis nicht. aa) Aus der Tatsache, dass der Angeklagte im Rahmen früherer, gegenüber der Zeugin Se. geäußerter Selbsttötungsfantasien, bei denen es ebenfalls um die Herbeiführung eines Unfalls mit einem anderen Fahrzeug ging, mehrfach betont hat, keinen anderen mit in den Tod nehmen zu wollen, kann kein tragfähiger Schluss auf die innere Tatseite zum Zeitpunkt
258
BGH, Urteil v. 25.3.2010 – 4 StR 594/09.
252
210
B. StGB – Besonderer Teil
der vorliegenden Tat gezogen werden. Wie der psychiatrische Sachverständige – nach Ansicht des Landgerichts überzeugend – ausgeführt hat, hat der Angeklagte damals keine ernsthaften Suizidabsichten gehegt, sondern die Äußerungen lediglich in noch jugendtypischer Manier eingesetzt, um seinen Willen durchzusetzen. bb) Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die in dem gerammten Fahrzeug befindlichen Personen aus der Sicht des Angeklagten durch Karosserie, Kopfstützen und Sicherheitsgurte wenigstens rudimentär vor dem Erleiden tödlicher Verletzungen geschützt gewesen seien, entbehrt dies schon angesichts der eingehaltenen Geschwindigkeit und der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge jeder Grundlage.
253
Demgegenüber hat der BGH in einem Fall, in dem der Ehemann seine Ehefrau „verfolgte“, welche sich von ihm trennen wollte, neben einer konkreten Gefährdung bereits den subjektiven Tatbestand des § 315b StGB abgelehnt. Außerdem hat der 4. Strafsenat in dieser Entscheidung nochmals bestätigt, dass die Strafbarkeit bei einem so genannten verkehrsfeindlichen Inneneingriff voraus setzt, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz, etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug, missbraucht; erst dann liegt eine über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende verkehrstypische „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr i.S.d. § 315b Abs. 1 StGB vor:259 Aus Wut, Enttäuschung und Verzweiflung verfolgte der Angeklagte mit seinem Pkw seine Ehefrau, die sich von ihm trennen wollte und sich auf dem Heimweg zu ihrer Wohnung im Haus ihrer Eltern befand. Dieses Haus befindet sich am Ende eines Stichweges. Der Angeklagte erblickte seine Ehefrau, als er in den Stichweg einbog. Er beschleunigte seinen Pkw innerhalb von zwei Sekunden und einer Strecke von 20 m auf 45 bis 48 km/h. Er wollte seiner Ehefrau den Weg in ihr Elternhaus abschneiden und sie noch einmal wegen der Trennung zur Rede stellen. Nach zwei Sekunden maximaler Beschleunigung leitete der Angeklagte jedoch eine Vollbremsung ein, „um – was zu seinen Gunsten unterstellt werden muss – seine Ehefrau nicht weiter zu gefährden“. Weiter heißt es in dem Urteil: „Der Angeklagte erkannte dabei, dass er seine Ehefrau durch sein hoch riskantes Fahrmanöver konkret gefährdete, wollte diese indes nicht verletzten und vertraute darauf, dass sie von dem Pkw nicht erfasst würde.“ Sie hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt und konnte dem von hinten herannahenden Fahrzeug des Angeklagten ausweichen und sich auf das Grundstück ihrer Eltern flüchten. Der Pkw des Angeklagten kam nur wenige Zentimeter vor dem Jägerzaun dieses Grundstücks zum Stehen. Der Angeklagte stieg aus, lief seiner Ehefrau hinterher und schlug sie an der Haustür zu Boden. Diese Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315b StGB nicht. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 17. November 2009 zutreffend ausgeführt hat, ergeben die Feststellungen nicht, dass Leib oder Leben der Ehefrau des Angeklagten (oder fremde Sachen von bedeutendem Wert) bereits konkret gefährdet worden sind, wie dies § 315b Abs. 1 StGB voraussetzt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 StR 408/09, vom 3. November 2009 – 4 StR 373/09 – und vom 10. Dezember 2009 – 4 StR 503/09). Davon abgesehen, scheitert eine Verurteilung des Angeklagten nach § 315b StGB unter den hier gegebenen Umständen bereits am subjektiven Tatbestand. Denn nach den Fest259
BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 4 StR 556/09.
II. 19. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB
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stellungen des Landgerichts hat der Angeklagte nur mit Gefährdungsvorsatz gehandelt, der hier nicht genügt. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGHSt 48, 233) setzt die Strafbarkeit bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, wie ihn das Landgericht hier festgestellt hat, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzu kommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz – etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug – missbraucht; erst dann liege eine – über den Tatbestand des § 315c hinausgehende und davon abzugrenzende – verkehrsatypische „Pervertierung“ des Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB vor.
Die Entscheidung v. 3.11.2009 betrifft Herbeiführung einer konkreten Gefahr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie die Frage einer eventuellen Versuchsstrafbarkeit und eines Rücktritts:260 Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen stellte der Angeklagte der Nebenklägerin, seiner früheren Lebensgefährtin, wiederholt nach, nachdem sie die Beziehung zu ihm beendet hatte. Als die Nebenklägerin am Vorfallstag gegen 14.30 Uhr mit ihrem Pkw ihre Arbeitsstätte in S. verlassen hatte, um nach Hause zu fahren, kam ihr noch innerorts der Angeklagte mit seinem Pkw entgegen. Der Angeklagte erkannte die Nebenklägerin in ihrem Pkw und lenkte seinen Pkw bewusst auf die Gegenfahrbahn. Dies entsprach seiner früheren Ankündigung: „Wenn ich Dich fahren sehe, fahre ich drauf zu, auch wenn wir beide in den Himmel kommen“. Der Angeklagte beschleunigte seinen Pkw. „Ihm war auf Grund seiner gemachten Äußerung und dem Beschleunigen seines Fahrzeuges klar, dass zumindest die Möglichkeit eines Frontalzusammenstoßes der Kraftfahrzeuge mit der Gefahr der Lebensgefährdung für die [Nebenklägerin] bestand, jedoch wollte er keinen konkreten Unfall mit schwerwiegenden Folgen für den Unfallgegner herbeiführen“. Die Nebenklägerin, die mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h fuhr, sah den auf sie zufahrenden Pkw des Angeklagten und lenkte ihren Pkw nach rechts, um einen Unfall zu vermeiden. Auch der Angeklagte lenkte seinen Pkw nach rechts. Beide Fahrzeuge fuhren aneinander vorbei. „Wäre auch nur ein Kraftfahrzeug nicht nach rechts ausgewichen, wäre es zu einem Zusammenstoß der Kraftfahrzeuge gekommen“. Diese Feststellungen belegen die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (Senat, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315c StGB und Urteil vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315b StGB). Nach den dazu entwickelten Maßstäben genügen die Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem „Beinahe-Unfall“ gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“ (Senat aaO) –, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Dass sich beide Fahrzeuge beim Gegenverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere belegen die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Ange260
BGH, Beschl. v. 3.11.2009 – 4 StR 373/09.
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klagten und der Nebenklägerin etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Reaktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen. Vielmehr legen die Feststellungen nahe, dass die Nebenklägerin noch ohne Weiteres nach rechts ausweichen konnte, bevor eine kritische Situation im Sinne des „Beinahe-Unfalls“ entstanden war. Verhielte es sich so, fehlte es an einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB und es käme deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Absatz 2 der Vorschrift in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 4. September 1995, aaO). Der neue Tatrichter wird deshalb zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, tunlichst unter Hinzuziehung eines Sachverständigen für Verkehrsunfallrekonstruktion, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, NJW 1995 aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander unmittelbar vor der Einleitung der Ausweichbewegungen, zur Breite der Fahrbahn und der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine – wie beschrieben – konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ bereits vorlag. Vermag der neue Tatrichter eine dahingehende Feststellung nicht zu treffen, so wird er bei der Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit nach § 315b Abs. 2 StGB zu bedenken haben, dass für die subjektive Tatseite ein bloßer Gefährdungsvorsatz, wie ihn das Landgericht angesichts der Formulierung auf UA 11 möglicherweise als ausreichend erachtet hat, nicht genügt, vielmehr der Täter mit – mindestens bedingtem – Schädigungsvorsatz handeln muss (Senat, BGHSt 48, 233, 237 f.). Schließlich wird auch zu prüfen sein, ob der Angeklagte von einem Versuch nach § 315b Abs. 2 StGB mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten ist, indem er seinerseits nach rechts ausgewichen ist und dadurch eine Kollision beider Fahrzeuge verhindert hat. Im Übrigen kommt unabhängig von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315b StGB eine Verurteilung des Angeklagten jedenfalls wegen vollendeter Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 2 StGB) in Betracht (zur Konkurrenz mit § 315b StGB – Tateinheit – Senat, BGHSt 48, 233, 237 f.; König in LK-StGB 12. Aufl. § 315b Rdn. 93). Denn der Angeklagte hat nach den bisher getroffenen Feststellungen durch sein Verhalten die Nebenklägerin mit Gewalt zum Ausweichen gezwungen.
255
In der Entscheidung vom 20.10.2009261 bemängelt der Senat trotz mehrerer absichtlich herbeigeführter Verkehrsunfälle durch den Angeklagten Feststellungen zur konkreten Gefährdung von Leib oder Leben anderer Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert: Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass in den genannten Fällen Leib oder Leben eines anderen Menschen konkret gefährdet worden sind. Im Fall II. 2. wurde dies von der Strafkammer im Hinblick auf das konkrete Unfallgeschehen offensichtlich von vorneherein ausgeschlossen. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe wurde die Zeugin P. zwar nicht verletzt, allerdings sei – so die Strafkammer – bei dieser Art von Unfall regelmäßig ein HWSTrauma zu erwarten (UA 9). Eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen ist damit jedoch nicht hinreichend belegt; insbesondere fehlen Angaben zu den Geschwindigkeiten der Pkws im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen. 261
BGH, Beschl. v. 20.10.2009 – 4 StR 408/09.
II. 19. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr – § 315b StGB
213
b) Auch die konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist in den Fällen II. 2. und 5. nicht festgestellt. Bei der Prüfung, ob einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, sind stets zwei durch entsprechende Feststellungen gestützte Prüfungsschritte erforderlich: Zunächst ist zu klären, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelte. Dies kann etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein. Handelte es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden (vgl. Beschluss des Senats vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07 m.w.N.). Solche Feststellungen enthält das Urteil zu den Fällen II. 2. und 5. nicht. In beiden Fällen ist an den nicht von der Angeklagten geführten Fahrzeugen kein Sachschaden entstanden. Allein aus der Höhe der von der Angeklagten bei der gegnerischen Haftpflichtversicherung bzw. der Zeugin P. für die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs betrügerisch erlangten oder geforderten Beträge kann nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit der Schluss gezogen werden, dass den jeweils beteiligten Fahrzeugen der anderen Unfallbeteiligten ein bedeutender Sachschaden drohte. Darüber hinaus fehlen bezogen auf den Fall II. 5. der Urteilsgründe auch Feststellungen dazu, ob das Fahrzeug der Geschädigten P. zum Unfallzeitpunkt einen „bedeutenden Wert“ hatte (vgl. dazu BGH aaO m.w.N.; vgl. zur Wertgrenze auch Heine in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. Vorbem. §§ 306 ff. Rdn. 15). PRAXISHINWEIS ■
Die vorstehenden Entscheidungen zu § 315b StGB gehen von mehr oder weniger absichtlich durch einen Angeklagten als Fahrer eines Pkw herbeigeführten Unfällen aus. Dennoch ist nicht automatisch der Tatbestand des § 315b StGB gegeben. Vielmehr wird durch § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann erfasst, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt. Hierauf muss sich auch der subjektive Tatbestand beziehen. Außerdem muss es zu einer (vorsätzlich oder zumindest fahrlässig herbeigeführten) konkreten Gefährdung von Leib oder Leben anderer Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert gekommen sein, wofür nicht ausreichend ist, wenn eine Sache von bedeutendem Wert (bspw. ein Streifenwagen) nur in wirtschaftlich unbedeutendem Maße gefährdet worden ist. Eine Gefährdung für fremde Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB reicht zur Tatbestandserfüllung nur aus, wenn auch der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfangs war. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH liegt die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert bei mindestens 750 Euro. Für eine Anhebung dieser Wertgrenze sieht der Senat keinen Anlass. Eine Angleichung an die Wertgrenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nicht angezeigt, weil die Vorschriften unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen.262
262
BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 4 StR 245/10.
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B. StGB – Besonderer Teil
20. Bestechlichkeit – §§ 332 ff. StGB 257
Die Indizwirkung eines verwirklichten Regelbeispiels des § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB kann durch entlastende Faktoren beseitigt werden, d.h. dann, wenn auf Grund der gebotenen Gesamtwürdigung tragfähige Milderungsgründe anzunehmen sind. Als der Indizwirkung des Regelbeispiels widerstreitende Gesichtspunkte können die vertretbar als „eher gering“ einzustufenden Vorteile, die der Täter aus der Tat erzielt hat, und der erhebliche Zeitraum zwischen der Tat und deren Verurteilung herangezogen werden.263 3. In den Fällen der Bestechlichkeit hat das Landgericht zwar das Regelbeispiel des § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB als verwirklicht angesehen, dessen Indizwirkung aber verneint und seiner Strafzumessung wegen der tateinheitlich – ebenfalls gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande – begangenen Beihilfe zur Untreue (§ 266 Abs. 1 und 2, § 263 Abs. 3 Nr. 1, § 27 StGB) unter Beachtung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB jeweils einen von sechs Monaten bis sieben Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Hiergegen bestehen im Ergebnis keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. 4. Die Beschwerdeführerin beanstandet allerdings, das Landgericht hätte den Strafrahmen des § 335 StGB und nicht denjenigen des § 332 Abs. 1 Satz 1 StGB anwenden müssen. Sie meint, die vom Landgericht herangezogenen Gründe für die Widerlegung der Indizwirkung des Regelbeispiels des § 335 Abs. 2 Nr. 3 StGB seien nicht tragfähig, zudem habe das Landgericht die Systematik der drei für Bestechlichkeit vorgesehenen Strafrahmen verkannt. Beides trifft aber, wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 26. November 2009 dargelegt hat, nicht zu. Der Senat hebt ergänzend lediglich Folgendes hervor: Die Indizwirkung eines verwirklichten Regelbeispiels kann durch entlastende Faktoren beseitigt werden. Die insofern gebotene Gesamtwürdigung hat das Landgericht vorgenommen und sich hierbei auf insgesamt tragfähige Milderungsgründe gestützt. Das Landgericht hat die vom Angeklagten in jedem Einzelfall erzielten Vorteile vertretbar als „eher gering“ eingestuft, nicht aber – worauf die Revision abhebt – als „geringwertig“. Auf die etwa für § 248a StGB maßgebliche Geringwertigkeitsgrenze kommt es daher nicht an. Gleiches gilt für von der Revision als relevant angesehene Bestimmungen niedersächsischen Beamtenrechts, weil dieses lediglich Grenzen für die Annahme von Zuwendungen in generell erlaubter oder jedenfalls genehmigungsfähiger Höhe vorsieht. Den erheblichen Zeitraum zwischen den Taten und deren Verurteilung durfte das Landgericht als der Indizwirkung des Regelbeispiels widerstreitenden Gesichtspunkt heranziehen.
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Werden bei mehreren Vorteilsannahmen die Gegenleistungen auf alle Unrechtsvereinbarungen teilweise zusammengefasst erbracht, so liegt insoweit Tateinheit vor.264
21. Parteiverrat – § 356 StGB 259
Eine im Anschluss an die Senatsentscheidung vom 25.6.2008265 erfolgte Verurteilung wegen Parteiverrats nach § 356 Abs. 2 StGB verstößt schon deshalb nicht gegen das durch Art. 103 Abs. 2 GG geforderte Verbot der rückwirkenden Ver263 264 265
BGH, Urteil v. 23.2.2010 – 1 StR 623/09. BGH, Beschl. v. 9.6.2010 – 2 StR 554/09. Vgl. BGHSt 52, 307.
II. 21. Parteiverrat – § 356 StGB
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schärfung der Strafbarkeit, weil dieses bei einer Änderung der Rechtsprechung bei gleichbleibendem Gesetzeswortlaut nicht eingreift.266 PRAXISHINWEIS ■
Die vorliegende Entscheidung, bei welcher der angeklagte Rechtsanwalt selbst einen Verbotsirrtum eingewandt hatte, mag erschrecken, ist aber ein Hinweis auf die Verpflichtung der Rechtsanwaltschaft, sich in allen Sachfragen, welche Gegenstand der übernommenen Mandate sind, rechtzeitig fortzubilden; denn die Materie, welche vorliegend einer Rechtsprechungsänderung unterworfen war, war bereits einige Zeit vor der angeführten Entscheidung des BGH Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen, so dass eine Kenntnis dieser Streitfrage bei einem prozessbeteiligten Anwalt vorauszusetzen war!
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BGH, Beschl. v. 8.4.2010 – 5 StR 491/09.
C. Strafrechtliche Nebengesetze I. Grundsätzliches 1. Überblick In der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finden sich zu den strafrechtlichen Nebengesetzen eine Vielzahl von Entscheidungen zum Betäubungsmittelstrafrecht, zahlreiche Leitentscheidungen zum Steuerrecht (AO) durch den hierzu ab Mitte 2008 zuständigen 1. Strafsenat sowie zum Arzneimittelgesetz, zum Embryonenschutzgesetz und zum Völkerstrafgesetzbuch.
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2. Ausblick Im Betäubungsmittelstrafrecht hat die Entscheidung des 1. Strafsenats konkrete Auswirkungen auf den Medikamentenhandel über das Internet. Künftig weiß jedermann, dass die in der Anlage III zum BtMG aufgeführten Medikamente weder eingeführt, ausgeführt noch über das Gebiet der Bundesrepublik durchgeführt werden dürfen. Damit können zwar Bestellungen über Online-Plattformen entgegengenommen werden; der Versand kann aber nicht über Deutschland erfolgen, und ebenso kann ein im Ausland befindlicher (Lohn-)Versender nicht aus Deutschland mit diesen Medikamenten versorgt werden. Im Übrigen dürften nach den zahlreichen Entscheidungen des vergangenen Jahres viele Transportpersonen von Betäubungsmitteln künftig nur noch als Gehilfen zu bestrafen sein, was allerdings dann nicht gilt, wenn diese BtM nach Deutschland einführen, weil sie insoweit auch weiterhin in aller Regel als Täter der Einfuhr anzusehen sind. Im Betäubungsmittelrecht sind nunmehr auch zahlreiche Fragen bzgl. Verfall und Ersatzverfall klarstellend entschieden, so dass diese Rechtsfolge in Zukunft sicherlich häufiger Anwendung finden wird. Ebenso werden nach den zahlreichen Entscheidungen zur Frage eines bewaffneten Handeltreibens (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) auch diese Tatbestände wohl des Öfteren zur Anklage kommen. In Verfahren gegen Heranwachsende ist nicht nur in politischen Reformüberlegungen, sondern teilweise auch in der Rechtsprechung eine Tendenz erkennbar, Heranwachsende eher, insbesondere wenn die Vollendung des 21.Lebensjahres nicht mehr lange aussteht, dem Erwachsenenstrafrecht zu unterwerfen und auch weitere Rechtsfolgen zu verhängen. Angesichts teilweise hoher Brutalität bei Straftaten, welche von dieser Altersgruppe immer häufiger begangen werden, sowie dem sonstigen Auftreten von Tätern vor und nach solchen Straftaten fällt es jedenfalls zuweilen schwer, dies allein auf Reifeverzögerungen zurück zu führen oder eine solche Tat als bloße Jugendverfehlung zu charakterisieren.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen 1. Betäubungsmittelgesetz (BtMG) 265
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Die in den vergangenen Monaten ergangenen wesentlichen Entscheidungen betreffen Fragen des Handeltreibens, die Beihilfeproblematik, Fragen des Verfalls, die Anwendung von § 31 und § 35 BtMG sowie die Festlegung der nicht geringen Menge bestimmter Medikationen. Mit Urteil vom 2.11.2010267 hat der 1. Strafsenat erstmals die nicht geringe Menge für bestimmte Medikamente, insbesondere aus der Familie „Diazepam“ festgelegt, welche immer häufiger auch als Ersatzdroge und zur Erreichung bestimmter Zustände Verwendung finden. Dabei ist eine Strafbarkeit etwas versteckt geregelt in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG, wonach die Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr dort geregelter Medikamente für strafbar nach dem BtMG erklärt wird (Anlage III zweiter Gedankenstrich lit. b Satz 2). Die Grenzwerte für die nicht geringe Menge der hier zu betrachtenden Benzodiazepine und Zolpidem sind somit nach der oben dargestellten, in der Rechtsprechung bewährten Methode (Konsumeinheit/Tagesbedarf multipliziert mit der Maßzahl 60) wie folgt festzulegen: Diazepam: 2.400 mg ( 40 mg · 60) Alprazolam: 240 mg ( 4 mg · 60) Clonazepam: 480 mg ( 8 mg · 60) Lorazepam: 480 mg ( 8 mg · 60) Lormetazepam: 360 mg ( 6 mg · 60) Midazolam: 1.800 mg ( 30 mg · 60) Oxazepam: 7.200 mg (120 mg · 60) Temazepam: 4.800 mg ( 80 mg · 60) Tetrazepam: 4.800 mg ( 80 mg · 60) Triazolam: 120 mg ( 2 mg · 60) Zolpidem: 4.800 mg ( 80 mg · 60).
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In einer Entscheidung vom 3.2.2010268 hat der 2. Strafsenat des BGH entschieden, dass Handeltreiben auch noch nach der Sicherstellung der Betäubungsmittel möglich ist: Zu der trotz Sicherstellung der Betäubungsmittel noch nicht beendeten Haupttat konnte der Angeklagte daher grundsätzlich noch Beihilfe leisten. Hierzu hätte er die auf die Erlangung der Betäubungsmittel gerichteten Bemühungen der Drogenkäufer erleichtern oder fördern müssen (vgl. BGH NJW 2008, 1460, 1461; Senat, NStZ 2008, 284 jeweils m.w.N.). So wie das strafrechtliche Verhalten des Haupttäters den tatsächlichen Umsatzerfolg nicht zu umschließen braucht, weil das hierauf abzielende Verhalten genügt, reicht es für den Gehilfen aus, dass er dieses auf Erfolg abzielende Verhalten unterstützt (vgl. BGH NJW 1994, 2162; NJW 2008, 2276; anders der 5. Strafsenat, NStZ 2008, 465 f. für den Sonderfall der Unterstützung einer nach Sicherstellung der Betäubungsmittel von den Ermittlungsbehörden angeschobenen und lediglich zum Schein vereinbarten Geldübergabe). Ob und mit welchen Verhaltensweisen der Angeklagte einen solchen die Tatbegehung fördernden oder erleich-
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BGH, Urteil v. 2.11.2010 – 1 StR 581/09. BGH, Urteil v. 3.2.2010 – 2 StR 368/09.
II. 1. Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
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ternden Beitrag geleistet hat, hat das Landgericht infolge seines fehlerhaften rechtlichen Ausgangspunkts nicht erörtert. Zwar liegt es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nahe, dass eine strafbare Beihilfe jedenfalls in dem von dem Angeklagten mit den Drogenlieferanten am frühen Morgen des 8. Juli 2008 geführten Telefongespräch gesehen werden kann. Entnimmt man diesem nicht nur die bloße Mitteilung des Angeklagten an den Lieferanten über das Nichteintreffen des Kuriers, sondern auch den Versuch, den Aufenthaltsort des Kuriers in Erfahrung zu bringen, läge darin jedenfalls dann eine Förderung der Haupttat, wenn der Angeklagte die aus diesem Gespräch gewonnenen Erkenntnisse an den Drogenkäufer A. M. weitergeleitet hätte. Dies hat das Landgericht – obwohl es mit Blick auf dessen zuvor geäußerte Bitte, mit dem Verkäufer hinsichtlich des Verbleibs des Kuriers zu telefonieren, nach der Lebenserfahrung auf der Hand liegt – allerdings nicht festgestellt. Auch hat sich die Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage befasst, ob der Angeklagte nicht bereits zuvor, als er die Bitte des A. M. um ein Telefonat entgegennahm, eine taugliche Beihilfehandlung begangen hat. Denn schon einer womöglich zu diesem Zeitpunkt gegebenen Zusage, ein solches Gespräch später zu führen, könnte eine die Haupttat fördernde bzw. erleichternde Wirkung zugekommen sein.
Der Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt u.a. voraus, dass der Täter die Schusswaffe beim Handeltreiben mit sich führt. Das heißt nicht, dass die Waffe am eigenen Körper getragen werden muss; es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet. Ein Vorhandensein der in einem Behältnis gelagerten Schusswaffe in einem anderen Raum ist in der Regel dafür nicht genügend, zumal dann, wenn für das Öffnen des Behältnisses etwa 30 Sekunden benötigt werden.269 Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II. 2 der Urteilsgründe nicht (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG). Der Tatbestand setzt u.a. voraus, dass der Täter die Schusswaffe beim Handeltreiben mit sich führt. Ein Mitsichführen liegt dann vor, wenn er die Schusswaffe bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Am eigenen Körper muss die Waffe nicht getragen werden; es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet. Der Wille des Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht erforderlich. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, reicht es zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (vgl. nur BGHSt 42, 368; 43, 8, 10; BGH NJW 1999, 3206, 3207). Nach den Urteilsfeststellungen war das in der Wohnung des Angeklagten sichergestellte Rauschgift (136,51g Haschisch mit einem THC-Gehalt von 8,5 g) im Wohnzimmer gelagert. Die mit Gaspatronen durchgeladene Schreckschusspistole Marke Walter befand sich in einem verschlossenen Tresor im Abstellraum der Wohnung; nach Eingabe eines Zahlencodes war sie binnen eines Zeitraums von 30 Sekunden gebrauchsbereit (UA S. 7, 10). Von einem Mitsichführen im Sinne des Tatbestandes kann bei der gegebenen Fallgestaltung nicht ausgegangen werden. Ein Vorhandensein der in einem Behältnis gelagerten Schusswaffe in einem anderen Raum ist in der Regel nicht genügend (BGH NStZ 2000, 433). Ist, wie vorliegend, allein für das Öffnen des in einem anderen Raum befindlichen Behältnisses eine größere Zeitspanne erforderlich, kann von einer jederzeitigen Zugriffs-
269
BGH, Beschl. v. 23.6.2010 – 2 StR 203/10.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
möglichkeit im Sinne der tatbestandlichen Norm nicht mehr die Rede sein. Dies erhellt sich auch daraus, dass selbst bei einer etwaigen Übergabe des Rauschgifts an den Käufer in der Wohnung nichts anderes gelten würde.
269
Bei einem mitgeführten Dolch mit einer Klingenlänge von 12 cm handelt es sich um eine Waffe im technischen Sinne. Wird diese bewusst gebrauchsbereit zusammen mit für zum Weiterverkauf bestimmten Rauschgift verwahrt, liegen die Voraussetzungen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG vor:270 Im Fall II. 22. der Urteilsgründe ist der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an Personen unter 18 Jahren schuldig. Das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) tritt als Grunddelikt hinter der Qualifikation des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) zurück (Weber, BtMG, 3. Aufl., § 30a Rn. 196). Soweit die Strafkammer keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob bei der in der Wohnung des Angeklagten sichergestellten Schreckschusspistole der Explosionsdruck nach vorne austritt, was Voraussetzung für das Vorliegen einer Schusswaffe im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG wäre (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2005 – 2 StR 298/05, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Waffe 1; Weber, aaO, Rn. 95 f.), gefährdet dies den Bestand des Schuldspruchs nicht. Denn bei dem in der Wohnung, aus der der Angeklagte das Cannabis verkaufte, ebenfalls aufgefundenen Dolch mit einer Klingenlänge von 12 cm handelt es sich um eine Waffe im technischen Sinn und damit einen Gegenstand, der zur Verletzung von Personen bestimmt und geeignet ist (Weber, aaO, Rn. 108). Der Angeklagte führte den Dolch im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG mit sich, weil er diesen bewusst gebrauchsbereit zusammen mit einem Teil des zum Weiterverkauf bestimmten Rauschgifts verwahrte, sodass er ihn jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand benutzen konnte (BGH, Beschluss vom 18. April 2007 – 3 StR 127/07, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 8). Für die Erfüllung des Tatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ist es ausreichend, dass der Dolch nur während einzelner Verkäufe aus der Gesamtmenge von 200 Gramm Marihuana (Wirkstoffgehalt 8,5 % THC) zur Verfügung stand (Weber, aaO, Rn. 144 f.). ■ PRAXISHINWEIS
Werden beim Täter des Handeltreibens Waffen gefunden, kommt es darauf an, ob diese gebrauchsbereit in örtlicher Nähe mit den Verkaufsaktivitäten aufbewahrt wurden und ob der Täter sich insoweit dessen bewusst war. 270
Demgegenüber kann bewaffnetes Handeltreiben möglicherweise entfallen, wenn der Täter nur ein Taschenmesser bei sich führt und im Übrigen nicht einsetzt; jedenfalls wäre aber zumindest ein minder schwerer Fall nach § 30a Abs. 3 BtMG anzunehmen:271 Angesichts der vergleichsweise geringen Gefährlichkeit des überdies nicht eingesetzten zeigefingerlangen Taschenmessers ist die Strafrahmenwahl im Fall II. 2d (§ 30a Abs. 3 BtMG, UA S. 99 f.) ersichtlich ermessensfehlerfrei. Jedenfalls in Bezug auf die Höchststrafe gilt die Obergrenze des § 30a Abs. 3 BtMG (vgl. BGH StraFo 2010, 395). 270 271
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 353/10. BGH, Urteil v. 14.10.2010 – 5 StR 299/10.
II. 1. Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
221 PRAXISTIPP ■
Die vorliegende Entscheidung ermöglicht der Verteidigung die Chance, auch in anderen Fällen weniger gefährlicher Waffen, allerdings nur bei deren Nichtanwendung, zumindest die im Strafrahmen erheblich mildere Möglichkeit nach § 30a Abs. 3 BtMG zu erreichen. Die vorstehenden Grundsätze finden ihre allgemeine Bestätigung in dem Beschluss vom 25.5.2010,272 wonach bei einem gängigen Gebrauchsgegenstand, wenn nach den Umständen des Falles die Möglichkeit in Betracht kommt, der Täter habe ihn aus sonstigen Gründen mit sich geführt, die gegenteilige Annahme, er habe ihn zur Verletzung von Menschen bestimmt, konkret zu begründen ist; der Hinweis, dass dieser Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit zur Verletzung von Menschen geeignet sei, genügt dann nicht! Der Angeklagte verkaufte aus einem Vorrat von etwas mehr als einem Kilogramm Haschisch, den er, wie er angibt, von einem inzwischen verstorbenen und aus „Pietätsgründen“ nicht benannten Lieferanten erhalten hatte, an B. zwischen Ende November und kurz vor Weihnachten 2008 zweimal je 100 Gramm Haschisch und einmal 200 Gramm Haschisch. Bei der dritten Lieferung erklärte er, er könne erst wieder im Januar liefern. Am 13. Februar 2009 wollte er dann vereinbarungsgemäß 300 Gramm Haschisch liefern, wurde aber vor der Übergabe festgenommen. Er hatte drei Haschischplatten mit einem Gewicht von zusammen 291,3 Gramm dabei, außerdem in seiner Hosentasche ein Springmesser. Bei diesem springt die Klinge seitlich aus dem Griff heraus, der aus dem Griff herausragende Klingenteil ist nicht länger als 8,5 cm. Es ist nicht zweiseitig geschliffen, aus „starkem“ Material und spitz zulaufend. Der Angeklagte erklärte hierzu, er habe das Messer nicht einsetzen wollen, sondern es wegen seiner Tätigkeit als Hausmeister in der Hosentasche gehabt. … a) Eine Bestrafung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt voraus, dass der Täter bei der Tat eine Schusswaffe – hier nicht einschlägig – oder einen Gegenstand mit sich führt, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist. Daran, dass das in Rede stehende Messer seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet ist, besteht kein Zweifel. Hinzukommen muss eine subjektive Zweckbestimmung durch denjenigen, der den Gewahrsam an dem Gegenstand hat, hier also den Angeklagten. Diese Zweckbestimmung, die von dem Bewusstsein, den Gegenstand gebrauchsbereit mit sich zu führen, zu unterscheiden ist, braucht nicht im Hinblick auf die konkret beabsichtigte Straftat getroffen worden zu sein, da § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG insoweit keine Verwendungsabsicht erfordert; es reicht aus, wenn die genannte Zweckbestimmung zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Tatbegehung erfolgt ist (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Franke/Wienroeder BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 16 m.w.N.). b) Vielfach ergibt sich diese Zweckbestimmung ohne weiteres aus den äußeren Umständen; hierzu können etwa die Beschaffenheit des Gegenstandes ebenso zählen, wie seine sonstigen Verwendungsmöglichkeiten oder Ort und Art seiner Aufbewahrung (vgl. zusammenfassend Weber BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 116 m.w.N.). Fehlt ein nachvollziehbarer Grund dafür, dass der Täter einen objektiv gefährlichen Gegenstand griffbereit mit sich führt, ohne dass er ihn je zur Verletzung von Menschen bestimmt hätte, bedarf die 272
BGH, Beschl. v. 25.5.2010 – 1 StR 59/10.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
Annahme einer entsprechenden Zweckbestimmung durch ihn regelmäßig keiner besonderen Begründung (vgl. BGHSt 43, 266, 269; BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 5; Körner aaO § 30a Rdn. 57, 58; Weber aaO Rdn. 117, 124 jew. m.w.N.). Kommt dagegen bei einem gängigen Gebrauchsgegenstand (vgl. die Beispiele bei Weber aaO Rdn. 118) nach den Umständen des Falles die Möglichkeit in Betracht, dass ihn der Täter aus sonstigen Gründen mit sich führte, so ist die Annahme, er habe ihn zur Verletzung von Menschen bestimmt, konkret zu begründen; der Hinweis, dass dieser Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit zur Verletzung von Menschen geeignet sei, genügt dann nicht (st. Rspr.; vgl. d.N. bei Weber aaO Rdn. 118). c) So verhält es sich hier. Der Angeklagte war zur Tatzeit als Hausmeister tätig. Er hat erklärt, er habe das Messer – keinen unter § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG fallenden verbotenen Gegenstand (vgl. Anlage 2 zum WaffG Abschnitt 1 Unterpunkt 1. 4. 1, Satz 2) – deswegen bei sich gehabt. Die Unrichtigkeit dieser Einlassung versteht sich weder von selbst, noch hat die Strafkammer hierzu Ausführungen gemacht. Es fehlt daher an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme, der Angeklagte habe das Messer (auch) zur Verletzung von Menschen bestimmt. ■ PRAXISHINWEIS
Die vorliegende Entscheidung schränkt die Möglichkeit ein, allein aus der Objekteigenschaft, dass dieses nämlich zur Verletzung oder gar Tötung von Menschen geeignet ist, auf die Motive des Täters zu schließen, weshalb er die Waffe bei sich trug. Allerdings wird diese Einschränkung wohl nur für eher im Alltag gebräuchliche Gegenstände, wie Taschenmesser oder sogenannte Tools, gelten – und nur dann, wenn der Beschuldigte einigermaßen überzeugende Gründe für ein Mitsichführen nennen kann. 272
Das in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannte Qualifikationsmerkmal prägt, auch wenn es nur bei einem einzelnen auf Umsatz gerichteten Teilakt verwirklicht ist, das gesamte einheitliche Geschehen, so dass eine Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorliegt. Der Tatbestand des Erwerbs ist dann erfüllt, wenn der Täter – wie hier – die Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer erlangt hat; nur wenn es an einem einverständlichen Zusammenwirken fehlt, liegt der Tatbestand des Sichverschaffens vor.273 b) Das Verhalten des Angeklagten erfüllt hinsichtlich der gesamten zum Weiterverkauf bestimmten Heroinmenge den Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Das in § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG genannte Qualifikationsmerkmal prägt, auch wenn es nur bei einem einzelnen auf Umsatz gerichteten Teilakt verwirklicht ist, das gesamte einheitliche Geschehen, so dass eine Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 1996 – 1 StR 609/96, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 2; vgl. auch Weber BtMG 3. Aufl. § 30a Rdn. 196). Für eine tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist daneben kein Raum. Der bis zu der Verkaufsfahrt allein erfüllte Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2
273
BGH, Urteil v. 8.7.2010 – 4 StR 210/10.
II. 1. Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
223
BtMG wird durch den Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch dann verdrängt, wenn dieser nur beim letzten Teilakt des Gesamtgeschehens verwirklicht wurde (vgl. BGH aaO). Soweit der Angeklagte die Betäubungsmittel zum Eigenkonsum erworben hat, erfüllt dies – entgegen der Ansicht des Landgerichts – nicht die Alternative des unerlaubten Sichverschaffens, sondern die des unerlaubten Erwerbs im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG. Der Tatbestand des Erwerbs ist dann erfüllt, wenn der Täter – wie hier – die Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer erlangt hat (vgl. Weber aaO § 29 Rdn. 1046 m.w.N.); nur wenn ein solches Zusammenwirken nicht vorliegt oder nicht nachweisbar ist, liegt der Auffangtatbestand des Sichverschaffens vor (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 1993 – 4 StR 318/93, StV 1993, 570 f.; vgl. auch Weber aaO § 29 Rdn. 1110).
Eigennützig i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG handelt, wer vom Streben nach Gewinn geleitet wird oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht, durch den er materiell oder, bei entsprechender Sachlage, immateriell besser gestellt wird. Allein die Bewaffnung des Gehilfen kann nicht die Verurteilung wegen Beihilfe zum bewaffneten Betäubungsmittelhandel rechtfertigen.274 „Unter Handeltreiben ist jedes eigennützige Bemühen zu verstehen, das darauf gerichtet ist, den Umsatz von Betäubungsmitteln zu ermöglichen oder zu fördern (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 70). Eigennützig handelt, wer vom Streben nach Gewinn geleitet wird oder sich irgendeinen anderen persönlichen Vorteil verspricht, durch den er materiell oder – bei entsprechender Sachlage – immateriell besser gestellt wird (BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 2, 26, 33, 34). Die Strafkammer hat festgestellt, dass der in Strafhaft befindliche drogenabhängige Lebensgefährte der Angeklagten, R., und sein Mithäftling E. den Zeugen V. aufforderten, für sie und für andere Inhaftierte Heroin bei der Angeklagten abzuholen (UA S. 5). Anlässlich eines Besuchs bei der Angeklagten habe diese den Zeugen gefragt, ob er etwas für ihren Freund mitnehmen könne und ihm schließlich 12 Gramm Heroin in Kugeln zu je 3 Gramm abgepackt und ausgehändigt (UA S. 6). Zu einer Bezahlung der Betäubungsmittel verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Auch lassen sie nicht erkennen, ob R. und E. diese mit Wissen der Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt gewinnbringend zu veräußern beabsichtigten. Die Feststellung, dass sie von dem Zeugen V. die Bezahlung der verloren geglaubten Betäubungsmittel verlangten (UA S. 6), lässt keinen zureichenden Schluss auf geplante Rauschgiftgeschäfte in der Justizvollzugsanstalt zu, welche die Angeklagte gegebenenfalls hätte ermöglichen oder fördern wollen. Auch geht aus den Feststellungen nicht hervor, dass für die Angeklagte mit der Aushändigung der Betäubungsmittel an den Zeugen V. irgendein sonstiger materieller oder immaterieller Vorteil verbunden war. Angesichts der Tatumstände erscheint es jedenfalls nicht fernliegend, dass die Angeklagte die Betäubungsmittel ihrem drogenabhängigen Lebensgefährten zukommen lassen wollte, ohne damit einen Gewinn oder anderweitigen Vorteil zu erstreben.“ … Bei Annahme täterschaftlichen oder mittäterschaftlichen Handeltreibens der Angeklagten mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge wird der neue Tatrichter mit Blick auf den Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG Gelegenheit haben, den Ladezustand der Schreckschusspistole festzustellen (BGH NStZ 2006, 176, 177). Sollte die neue 274
BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – 3 StR 75/10.
273
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
Hauptverhandlung zu einer Verurteilung der Angeklagten wegen (ggfs. tateinheitlich zum Betäubungsmittelbesitz begangener) Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge führen, weist der Senat rein vorsorglich darauf hin, dass allein die Bewaffnung des Gehilfen nicht die Verurteilung wegen Beihilfe zum bewaffneten Betäubungsmittelhandel rechtfertigen kann (BGH NStZ-RR 2002, 277; BGH StV 2005, 558). ■ PRAXISHINWEIS
Neben der ausführlichen Beschreibung des Begriffes „eigennütziges Handeln“ ruft die vorliegende Entscheidung nochmals deutlich in Erinnerung, dass es sich bei dem Mitsichführen eines Gegenstandes i.S. des § 30 Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht um ein besonderes persönliches Merkmal mit der Folge handelt, dass § 28 Abs. 2 StGB anwendbar wäre, sondern um ein tatbezogenes, qualifizierendes Unrechtsmerkmal, so dass eine Bewaffnung des Gehilfen, welche dem Haupttäter nicht bekannt ist und von ihm auch nicht gebilligt wird oder gerade gewünscht ist, nicht die Annahme eines bewaffneten Betäubungsmittelhandels rechtfertigt. 274
Die Frage der Eigennützigkeit ist auch Thema der anschließenden Entscheidung,275 deren Leitsätze lauten: 1. Die für täterschaftliches Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG unerlässliche Eigennützigkeit liegt bei arbeitsteilig abgewickelten Drogengeschäften nicht fern, sodass nähere Ausführungen hierzu im Urteil wegen Offenkundigkeit dieses subjektiven Moments der Tathandlung zuweilen entbehrlich sein können. 2. Ein solcher Evidenzfall ist aber nicht gegeben, wenn der Angeklagte in die konkrete Veräußerungsabrede nicht einbezogen war und allein seine Tathandlung eine Beteiligung am Verkaufserlös oder sonstige Form eines Vorteils nicht ohne Weiteres erkennen lässt. Hält das Tatgericht dem Angeklagten zudem im Rahmen der Strafzumessung zu Gute, aus der abgeurteilten Tat keinen persönlichen Gewinn gezogen zu haben, so erweist sich die Notwendigkeit gesonderter Ausführungen zum Eigennutz des Angeklagten als besonders dringend.
275
Fragen der Schuldfähigkeit und der Anwendbarkeit der Regelungen über einen minder schweren Fall waren im Wesentlichen Gegenstand der Entscheidung v. 10.8. 2010,276 wobei der Senat entsprechende Feststellungen bzw. Ausführungen vermisste: 1. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Ausführungen des Landgerichts zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB begegnen zwar rechtlichen Bedenken, soweit von einer erheblichen Verminderung „der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit“ ausgegangen wird, denn die Anwendung des § 21 StGB kann nicht zugleich auf seine beiden Alternativen gestützt werden (st. Rspr., vgl. u.a. BGH, Urteil vom 2. Februar 1966 – 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27, 28; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 4 StR 314/05 – Rn. 7). Dieser Mangel gefährdet aber den Bestand des Urteils nicht, weil sich aus dem Gesamtzusammenhang ergibt, dass das sachverständig beratene Landgericht das Fehlen der Einsicht in Folge verminderter Einsichtsfähigkeit rechtsfehlerfrei verneint hat. 275 276
BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 5 StR 122/10. BGH, Beschl. v. 10.8.2010 – 4 StR 333/10.
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@) 2. Die Überprüfung des Urteils im Strafausspruch hat einen Rechtsfehler insoweit ergeben, als das Landgericht bei der Bestimmung des anzuwendenden Strafrahmens das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG nicht geprüft hat. Angesichts des Vorliegens von zwei vertypten Milderungsgründen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und § 31 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 49 Abs. 1 StGB lässt sich letztlich nicht ausschließen, dass der Tatrichter aufgrund eines oder beider vertypter Milderungsgründe einen minder schweren Fall bejaht hätte, auch wenn dies angesichts der einschlägigen Vorstrafen und des Bewährungsversagens des Angeklagten eher fern liegt. Hiervon kann die Höhe der verhängten Einzelstrafen beeinflusst sein. Bei der Strafrahmenwahl hinsichtlich der Tat 1 der Urteilsgründe (Beschaffungsfahrt im August 2009) wird der neue Tatrichter entsprechend den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Juli 2010 auch die Frage der Anwendbarkeit der neuen oder der alten Regelung des § 31 BtMG zu prüfen haben.
Der gleichzeitige Besitz zum Eigenverbrauch bestimmter – auch verschiedenartiger – Betäubungsmittel verletzt das Gesetz nur einmal. Dies gilt auch dann, wenn es sich um unterschiedliche Betäubungsmittel handelt, welche auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten beschafft wurden, solange sie zu einem einheitlichen Vorrat zusammengeflossen sind.277 Zwar vermag der Besitz verschiedener von vorneherein zu unterschiedlichem Handel bestimmter Betäubungsmittel, die niemals zu einem Depot verbunden worden sind, nicht bereits auf Grund zeitlicher Überschneidung eine Bewertungseinheit zu begründen. Hat der Angeklagte jedoch die Verkäufe teilweise jeweils zugleich aus Ankaufsfällen getätigt, so besteht insoweit wegen der damit gegebenen Identität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen Tateinheit.278
276
277
Zwar vermag der Besitz verschiedener von vornherein zu unterschiedlichem Handel bestimmter Betäubungsmittel, die niemals zu einem Depot verbunden worden sind, nicht bereits auf Grund zeitlicher Überschneidung eine Bewertungseinheit zu begründen (vgl. BGHR BtMG § 29 Bewertungseinheit 9). Das Landgericht hat aber bei der Bewertung der Konkurrenzverhältnisse nicht bedacht, dass nach den Feststellungen der Angeklagte die Verkäufe in den Fällen II. 6. bis 31. (je 2 g Haschisch schlechter Qualität) jeweils zugleich mit Heroin aus den Ankaufsfällen II. 1. bis 5. getätigt hat. Wegen der damit gegebenen Identität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen bestand somit zwischen den Taten II. 1. bis 5. und II. 6. bis 31. richtigerweise Tateinheit (vgl. BGH, Beschl. vom 25. März 1998 – 1 StR 80/98).
Nach der Entscheidung vom 30.9.2009278a genügt das bloße Überlassen der gemeinsam genutzten Wohnung gegenüber dem BtM-Händler nicht zur Begründung einer strafbaren Beihilfehandlung: Den widersprüchlichen Ausführungen des Landgerichts kann nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, dass die Angeklagte den Betäubungsmittelhandel des Mitangeklagten A. durch aktives Tun gefördert hätte. Die nicht weiter mit Tatsachen belegte Begründung der Strafkammer, die Angeklagte habe ihm die Wohnung zur Verfügung gestellt, genügt nicht. Nach den Feststellungen teilten sich die Angeklagte und der Mitange277
BGH, Beschl. v. 17.3.2010 – 2 StR 67/10. BGH, Beschl. v. 18.2.2010 – 4 StR 633/09. 278a BGH, Beschl. v. 30.9.2009 – 2 StR 329/09. 278
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klagte A. bereits seit mehreren Jahren die Wohnung, bevor Letzterer mit dem Handel mit Betäubungsmitteln begann. A. nutzte hierfür das allein ihm zugewiesene Schlafzimmer. Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich nicht entnehmen, inwieweit die Angeklagte hierbei die „Wohnung“ zur Verfügung gestellt haben sollte. Allein die Kenntnis und Billigung der Lagerung und des Vertriebs der Betäubungsmittel in der Wohnung erfüllt für den Wohnungsinhaber die Voraussetzung strafbarer Beihilfe nicht (vgl. BGH NStZ 1999, 451; StV 2003, 280; 2007, 81). Ebenso wenig begründet es die Strafbarkeit der Angeklagten, dass sie gegen die Aktivitäten des A. nicht vorgegangen ist. Dies käme vielmehr nur in Betracht, wenn sie als Wohnungsinhaberin rechtlich verpflichtet gewesen wäre, gegen den von A. in dem ausschließlich von ihm genutzten Schlafzimmer betriebenen Betäubungsmittelhandel einzuschreiten (§ 13 Abs. 1 StGB). Eine solche Rechtspflicht des Wohnungsinhabers ist aber grundsätzlich nicht gegeben (vgl. BGH, jew. aaO).
279
280
Hat ein im Rahmen der Einfuhr Beteiligter weder Einfluss auf den Erwerb der Betäubungsmittel noch auf deren Weiterverkauf, erstreckt sich vielmehr dessen Tätigkeit darin, den Einführenden bei der Einfuhr der Betäubungsmittel durch die Anwesenheit zu unterstützen, ist ein solcher Tatbeitrag rechtlich nicht als täterschaftliches Handeltreiben, sondern als Beihilfe zu dem Handeltreiben des anderen zu werten.279 In derselben Entscheidung wird weiterhin auch noch einmal das Verhältnis zwischen § 73 StGB (Verfall) und § 73d (erweiterter Verfall) thematisiert und klargestellt, dass vor einer Anwendung von § 73d StGB auszuschließen ist, dass nicht die Voraussetzungen von § 73 StGB erfüllt sind. Können bei einem Angeklagten, welcher für Beschaffung und Transport der Betäubungsmittel zuständig war, keine eigennützigen Motive festgestellt werden, liegt die Annahme einer fremdnützigen Beihilfe zum Handeltreiben durchaus nicht fern:280 Nach ständiger – vom Großen Senat bestätigter (BGHSt 50, 252, 256) – Rechtsprechung des BGH ist ,Handeltreiben‘ im Sinne der §§ 29 ff. BtMG ,jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit‘. Vorliegend hat das Landgericht zwar festgestellt, dass der Angeklagte das bei ihm bestellte Heroin als Lieferant ,besorgen und den Transport über die deutsch-niederländische Grenze durch einen Kurier organisieren‘ sollte (UA S. 8) und dies auch getan hat. Es hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte hierbei aus eigennützigen Motiven gehandelt hat. Ein – zumindest erwarteter – Gewinn liegt zwar nicht fern, da der Angeklagte den von K. und D. zu zahlenden Kaufpreis ausgehandelt hat (UA S. 8, 18) und auch in weiteren Fällen (UA S. 9) Heroin lieferte, andererseits aber hat die Kammer gerade nicht festgestellt, dass dem Angeklagten die – an den Kurier übergebene – Kaufpreissumme oder ein Teil davon zugeflossen ist (UA S. 26). Da das Gericht auch keine sonstigen vom Angeklagten aus den Geschäften zumindest erstrebten Vorteile festgestellt hat, fehlt es an der ,Eigennützigkeit‘, so dass die Verurteilung wegen Handeltreibens keinen Bestand haben kann. Da jedoch nicht ausgeschlossen werden kann, dass noch Feststellungen dazu getroffen werden können, dass die Handlungen des Angeklagten nicht nur – fremdnützige – Beihilfe darstellten, sondern er doch irgendwelche materiellen oder immateriellen Vorteile gezogen oder dies zumindest angestrebt hat, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. 279
280
BGH, Beschl. v. 20.4.2010 – 4 StR 119/10; vgl. auch BGH, Beschl. v. 2.2.2010 – 3 StR 4/10 – und BGHSt 51, 219, 223 Rn. 11. BGH, Beschl. v. 22.7.2010 – 4 StR 286/10.
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Die Beschlussentscheidung vom 5.10.2010281 grenzt allgemein danach ab, ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint, und führt das im weiteren aus:
281
Ob die Beteiligung an unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Mittäterschaft oder Beihilfe zu werten ist, beurteilt sich nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (BGH, Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 156/07, NStZ 2007, 531; Beschluss vom 20. Dezember 2000 – 2 StR 468/00, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 56). Diese Grundsätze gelten auch für denjenigen, der ein Betäubungsmittelgeschäft vermittelt (Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rn. 394 und 611 m.w.N.). Nach diesem Maßstab rechtfertigen die bisherigen Feststellungen nur die Annahme einer Beihilfe des Angeklagten zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Er vermittelte und begleitete lediglich ein fremdes Umsatzgeschäft, wofür ihm ein vergleichsweise geringer Festbetrag als Entlohnung zugesagt war. Einen eigenen Einfluss auf das Betäubungsmittelgeschäft, die angefragte Menge, deren Preis sowie deren Weiterverkauf hatte er nicht; ebensowenig sollte er eigenständigen Besitz an dem gehandelten Kokain erlangen. Auch enthält das landgerichtliche Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu, dass mit der Begleitung des Haupttäters bei der Übergabe des Rauschgifts Aktivitäten des Angeklagten verbunden waren oder sein sollten, die geeignet gewesen wären, Tatherrschaft zu begründen.
Allerdings ist bei einem Transport über längere Strecken durch einen Kurier neben der Beihilfe zum Handeltreiben regelmäßig auch von einem (mit)täterschaftlichen Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG auszugehen.282 Ein Betäubungsmittelkurier, der inkorporierte Betäubungsmittel aus den Niederlanden nach Deutschland verbringt, um sie von dort gegen eine Belohnung in Tschechien an den Käufer zu übergeben, ist wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln zu bestrafen. Da dem Kurier die inkorporierten Betäubungsmittel in Deutschland zur Verfügung standen, kommt eine Durchfuhr i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 2 und des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BtMG nicht in Betracht.283 Der Angeklagte verschluckte am 7. März 2009 in Amsterdam 100 Substanzpresslinge mit insgesamt rund einem Kilogramm Kokain (knapp 300 g KHC), um sie gegen eine Belohnung mit einem Mietwagen einem in Prag ansässigen Betäubungsmittelkäufer zu überbringen. Nach einem Hinweis tschechischer Zollbehörden wurde der Angeklagte gegen 22.30 Uhr in Begleitung seines 8-jährigen Sohnes vor Verlassen der Bundesrepublik Deutschland gestellt.
281 282 283
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 339/10. BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 3 StR 359/10. BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 509/09.
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„Wegen nicht auszuschließender gesundheitlicher Komplikationen musste das Ausscheiden der Bodypacks im Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt bis zum 10.03.2009 ärztlich – und zusätzlich polizeilich – überwacht werden. Hierdurch entstanden Kosten in Höhe von 1.638,41 €“ (UA S. 6). 2. Dies rechtfertigt den Schuldspruch auch wegen vollendeter Einfuhr. Dem Angeklagten stand das inkorporierte Rauschgift in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung, was eine Durchfuhr im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 und des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BtMG ausschließt (BGH, Beschluss vom 5. September 2008 – 2 StR 375/08; Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 774).
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Die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG a.F. betrifft die Entscheidung vom 2.6. 2010,284 wonach das Ermessen des Tatrichters hinsichtlich der Anwendungsvoraussetzungen einer revisionsrechtlichen Nachprüfung unterworfen wird. Aus den Urteilsfeststellungen muss sich in Fällen mit Anhaltspunkten für § 31 BtMG jedenfalls bei einer Nichtanwendung dieser Vorschrift ergeben, weshalb Aufklärungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung sind. Auch hinsichtlich § 30a BtMG gilt der allgemeine Grundsatz, dass nach § 2 Abs. 1 StGB die Strafe sich nach dem zur Tatzeit geltenden Gesetz bestimmt; ändert sich dieses vor der Entscheidung, ist das mildeste Gesetz anzuwenden (§ 2 Abs. 3 StGB). Vorliegend war es so, dass die zur Tatzeit im April 2009 geltende Fassung des § 30a Abs. 3 BtMG für minder schwere Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln noch eine Strafrahmenobergrenze von fünf Jahren vorsah. Erst durch Art. 5 Nr. 7 des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17.07.2009, in Kraft seit dem 23.07.2009, wurde die Strafandrohung auf bis zu zehn Jahre Freiheitsstrafe erhöht. Deshalb hätte das Landgericht im vorliegenden Fall seiner Strafzumessung weiterhin eine Strafrahmenobergrenze von lediglich fünf Jahren zugrunde legen müssen.285 Hinsichtlich der Zurückstellung der Strafvollstreckung gegenüber einer Therapie gemäß § 35 BtMG hat der 5. Strafsenat mit Beschluss vom 4.8.2010286 entschieden, dass eine nach § 454b Abs. 2 StPO unterbrochene, nicht gemäß § 35 BtMG zurückstellungsfähige Strafe eine im Sinne des § 35 Abs. 6 Nr. 2 BtMG zu vollstreckende Strafe darstellt, die die Zurückstellung einer weiteren Strafe nach § 35 BtMG hindert. Die vom Angeklagten geleistete Aufklärungshilfe ist auch bei Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 31. August 2009 durch eine Milderung nach § 31 Nr. 1 BtMG a.F., § 49 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen, wenn sich das Gericht am unteren Bereich des Strafrahmens orientiert und diese Fassung deshalb aufgrund der geringeren Mindeststrafe gegenüber der Neuregelung nach § 31 Satz 1 Nr. 1 BtMG n.F. in Verbindung mit § 49 Abs. 1 StGB das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB ist.287 Der bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigte Umstand, dass sich der Angeklagte mit den anderen Bandenmitgliedern nicht aus persönlichen Gründen, sondern „nur zur Erlangung des wirtschaftlichen Ziels
284 285 286 287
BGH, Beschl. v. 2.6.2010 – 5 StR 42/10. BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 3 StR 140/10. BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 5 AR (VS) 22/10. BGH, Beschl. v. 1.6.2010 – 3 StR 167/10.
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des Verkaufs von Drogen“ zusammengeschlossen habe, verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB.288 Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass sich dieser mit den anderen Bandenmitgliedern nicht aus persönlichen Gründen, sondern „nur zur Erlangung des wirtschaftlichen Ziels des Verkaufs von Drogen“ zusammengeschlossen habe. Diese Erwägung verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB; denn mit dem Straftatbestand des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist eine solche Intention wegen der für das Handeltreiben vorausgesetzten Eigennützigkeit jedenfalls bei täterschaftlicher Begehungsweise notwendig verknüpft. PRAXISHINWEIS ■
Die an sich unverdächtigen Formulierungen im angefochtenen Urteil scheinen auf den ersten Blick sogar ausgesprochen vernünftig und überzeugend, weshalb man leicht übersehen kann, dass ein Zusammenschluss zum gemeinsamen Handel gerade aus wirtschaftlichen Gründen natürlich alle Merkmale des ohnehin mit erhöhter Strafandrohung versehenen Bandenhandels enthält und damit keine weitere Zurechnung zu Lasten des Angeklagten erfolgen kann! Auch bei mangelnder Therapiemotivation eines Angeklagten kann sich die Strafkammer bei der Ablehnung einer Maßnahme nach § 64 StGB nicht allein hierauf berufen; vielmehr muss sich diese dann auch damit auseinandersetzen, ob diese fehlende Motivation nicht gerade im Unterbringungsvollzug behoben werden kann.289 I. Das Landgericht hat bei dem Angeklagten, der seit 1997 heroinabhängig ist, in den letzten Monaten vor seiner Festnahme wöchentlich 10 g Heroin konsumierte, zur Tatzeit unter Heroineinfluss stand und sich mit der vorgeworfenen Tat 1,18 kg Heroin zum Eigenbedarf beschaffen wollte, wegen Fehlens einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht von der Anordnung der Maßnahme nach § 64 StGB abgesehen. Im Einzelnen hat es dies wie folgt begründet: „So hat der Angeklagte G. gegenüber dem Gutachter eine klar ablehnende Haltung gegenüber der Anordnung der Maßregel geäußert. Er wolle nicht, dass an seiner Persönlichkeit gearbeitet werde. In diesem Sinne hat sich der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung vor der Kammer geäußert. Er wolle auf keinen Fall in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf Nachfrage der Kammer erläutert, dass derzeit auch keine konkrete Aussicht dahingehend bestünde, dass eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden könne. Er sei beim Angeklagten G. diesbezüglich auf eine „große Sperre“ gestoßen. Eine entsprechende Therapiewilligkeit könne zwar auch reifen. In naher Zukunft sei damit aber nicht zu rechnen. Diese Einschätzung des Sachverständigen wird auch von der Kammer geteilt, zumal sich der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung gegen eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ausgesprochen und sich in diesem Kontext verschlossen und abwehrend gezeigt hat.“
288 289
BGH, Beschl. v. 15.4.2010 – 3 StR 89/10. BGH, Beschl. v. 22.9.2010 – 2 StR 268/10.
289
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Diese Begründung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; mit ihr ist nicht im erforderlichen Maße das Fehlen einer hinreichend konkreten Aussicht dargetan, dass der Angeklagte durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt geheilt oder eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den suchtbedingten Rauschmittelkonsum bewahrt werden könnte (§ 64 S. 2 StGB). Mangelnde Therapiemotivation, wie sie in der ablehnenden Haltung des Angeklagten zum Ausdruck kommt, kann allerdings unter Umständen ein Indiz dafür sein, dass eine Entwöhnungsbehandlung keine Erfolgschancen hat. Dazu bedarf es jedoch einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit, insbesondere einer Darstellung der Gründe und Wurzeln des Motivationsmangels, ohne deren Kenntnis sich nicht beurteilen lässt, ob er nicht gerade im Unterbringungsvollzug zu beheben ist. Dass eine solche Gesamtwürdigung angestellt worden wäre, ist den Urteilsausführungen nicht zu entnehmen. Die gewählte Begründung des Landgerichts gibt darüber hinaus Anlass zu der Besorgnis, es könne letztlich allein darauf abgestellt worden sein, dass der Angeklagte, der es ablehnt, dass an seiner Persönlichkeit „gearbeitet“ werde, die Maßregel ablehnt. Dies aber kann die Ablehnung der Maßregel nicht tragen, woran im Übrigen nichts ändert, dass sich die Kammer bei ihrer Beurteilung sachverständiger Hilfe bedient hat.
2. Jugendgerichtsgesetz (JGG) 290
Schädliche Neigungen eines Jugendlichen, welche nach § 17 Abs. 2 JGG die Verhängung einer Jugendstrafe erfordern, müssen als erhebliche Persönlichkeitsmängel regelmäßig auch schon vor der Tat zu Tage getreten sein:290 2. Das Landgericht hat die Jugendstrafe neben der Schwere der Schuld auch mit dem Vorliegen schädlicher Neigungen gemäß § 17 Abs. 2 JGG begründet und hierfür auf die ganz erhebliche Beteiligung des Angeklagten an einem besonders schweren Delikt, wenn auch nicht als treibende Kraft, abgestellt. Es hat ferner ausgeführt: „Der bis dahin nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte M. hat zur Überzeugung der Kammer erkennbare Defizite, sich von möglicherweise als falsch erkannten Handlungen zu distanzieren. Die Probleme, sich abzugrenzen, und die ihn prägenden Helfertendenzen führten zur Überzeugung der Kammer dazu, dass der Angeklagte M. aus falsch verstandener Kameradschaft auch bereit war, sich an erheblichsten Straftaten zu beteiligen. In der Tat sind schädliche Neigungen in einem Umfang hervorgetreten, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer nicht nur unerheblicher Straftaten in sich bergen.“ 3. Diese Erwägungen tragen die Annahme schädlicher Neigungen nicht. a) Hierfür sind erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel erforderlich, die in aller Regel nur bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren (BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.; BGH NStZ 2010, 280, 281). Solche hat das Landgericht aber nicht festgestellt. aa) Die Jugendstrafkammer ist dem Gutachten des jugendpsychiatrischen Sachverständigen zur Persönlichkeit des Angeklagten gefolgt, das keine Auffälligkeiten im Sozialverhalten des Angeklagten festgestellt und ihn als hilfsbereite Persönlichkeit beschrieben hat, die über kein großes Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen verfüge und unter Prüfungsangst leide (UA S. 165). Er sei eine um Bestätigung bemühte Person, die nicht leicht eine eigene klare Position definieren könne und eher Tendenzen zeige, sich mit seinen Proble-
290
BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – 5 StR 199/10.
II. 2. Jugendgerichtsgesetz (JGG)
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men einem Erwachsenen anzuvertrauen. Im Verhältnis zu den Eltern habe noch keine deutliche Emanzipation stattgefunden, der Angeklagte sei „jugendtypisch anlehnungsbedürftig“ (UA S. 187). Damit hat das Landgericht im Ergebnis lediglich Umstände festgestellt, die eine Reifeverzögerung belegen (vgl. BGHR aaO). bb) Soweit die Jugendkammer eine vom Angeklagten geübte falsch verstandene Kameradschaft als schädliche Neigung anerkannt hat, fehlt es hierfür an der gebotenen Begründung (vgl. BGH StV 1985, 419, 420). Deren Annahme widerspricht zudem der festgestellten Tatmotivation. Insoweit hat das Landgericht dargelegt, dass der Angeklagte bei der – ihm persönlichkeitsfremden (UA S. 168) – Tötungshandlung mitgewirkt habe, um anerkannt zu werden bzw. die Anerkennung nicht zu verlieren (UA S. 167). … cc) Das Landgericht hat ferner den Umstand nicht in seine Bewertung einbezogen, dass sich der Angeklagte während eines von den Mittätern eskalierend geführten Tatgeschehens spontan zur Mitwirkung an der Tötung entschlossen hat, was eine Würdigung als ein der Annahme schädlicher Neigungen tendenziell entgegenstehendes situationsbedingtes Versagen erfordert hätte (vgl. Eisenberg, JGG 14. Aufl. § 17 Rdn. 19). b) Auch soweit das Landgericht – ohne weitere Darlegung – schädliche Neigungen noch als zum Urteilszeitpunkt bestehend angenommen hat, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Es hat in diesem Zusammenhang wesentliche gegenläufige Feststellungen nicht erwogen, die Zweifel an der Fortdauer schädlicher Neigungen oder die Annahme von deren Überwindung hätten begründen können (vgl. BGH bei Böhm NStZ 1997, 481; Eisenberg aaO § 17 Rdn. 23). Der Angeklagte hat bereits neun Tage nach der Tat am 24. April 2008 sein den Mittätern gelobtes Schweigen gebrochen und sich den Ermittlungsbehörden gestellt, ohne gegen ihn bereits laufende Ermittlungsmaßnahmen gekannt zu haben (UA S. 34). Auch wenn der Angeklagte seinen eigenen Tatbeitrag teilweise geleugnet hat, hat das Landgericht die zutreffende Belastung der Mitangeklagten (todesursächliches Strangulieren durch den Angeklagten B. und Verlegung der Atemwege mittels gewaltsamer Einführung einer Zwiebel durch den Angeklagten L.) als frühen Aufklärungsbeitrag gewürdigt (UA S. 190). Darüber hinaus hat sich der Angeklagte nach zwei Entlassungen aus der ihn beeindruckenden Untersuchungshaft (UA S. 190) dem weiteren Verfahren jeweils gestellt, sein relativiertes Tatverhalten als falsch erkannt, sich entschuldigt (UA S. 190) und keine weitere Straftat mehr begangen.
Wird vom Gericht auf Heranwachsende Jugendstrafrecht angewendet, muss die Jugendkammer hierbei zusätzlich berücksichtigen, falls bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht bzgl. der vorgeworfenen Tat ein minder schwerer Fall hätte angenommen werden müssen:291 Das Landgericht hat auf die zu den Tatzeiten 18 und 19 Jahre alte Angeklagte gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG Jugendstrafrecht angewendet und die Verhängung einer Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 JGG) für geboten gehalten. Diese Entscheidung hat es unter Darlegung der Entwicklung der Persönlichkeit der Angeklagten, insbesondere mit Blick auf ihr zunehmendes Abgleiten in ein kriminelles Umfeld und ihre Unerreichbarkeit mit ambulanten Maßnahmen rechtsfehlerfrei begründet. Bei Bestimmung der Strafhöhe hat es – zutreffend – den Erziehungsgedanken in den Vordergrund gestellt. Allerdings ist es bei der insoweit gebotenen Gesamtabwägung nicht darauf eingegangen, ob bei der Angeklagten bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht
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BGH, Urteil v. 30.9.2010 – 3 StR 294/10.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
auf die Tat II. 4. ein minder schwerer Fall im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB hätte angenommen werden müssen (BGH, Beschluss vom 4. November 1987 – 3 StR 482/87, BGHR JGG § 18 Abs. 1 Satz 3, Minder schwerer Fall 3). Indes drängten die Feststellungen im Hinblick auf die vielfältigen Vorahndungen der Angeklagten, denen ausschließlich Gewaltdelikte zugrunde liegen, hier ebenfalls nicht zu einer entsprechenden Erörterung. Jedenfalls lässt sich angesichts der ausführlichen Darlegungen zu dem erheblichen Erziehungsbedarf der Angeklagten aber ausschließen, dass die Bemessung der Jugendstrafe auf der vermissten Prüfung beruht. ■ PRAXISHINWEIS
Die vorliegende Entscheidung hebt erstmals ausdrücklich die Wechselwirkung der Strafzumessung nach Jugendrecht und Erwachsenenstrafrecht hervor. Somit wird es künftig darauf ankommen, ob eventuell dessen Anwendung unter Berücksichtigung eines möglichen minder schweren Falls nicht günstiger für den Heranwachsenden wäre, was dann Rückwirkungen auf die zu verhängende Jugendstrafe hätte! 292
Zuständigkeit des Jugendgerichts: Wird an Stelle des zuständigen Jugendgerichts der Angeklagte von einem Erwachsenengericht verurteilt, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 StPO vor. Einer Rüge steht nicht entgegen, dass der Angeklagte keinen Einwand gegen die Zuständigkeit des Erwachsenengerichts erhoben hat. Eine dem § 6a StPO entsprechende Vorschrift sieht das Gesetz für das Verhältnis von Erwachsenen- und Jugendgericht nicht vor.292 Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass nicht das Erwachsenen-, sondern das Jugendgericht zuständig gewesen wäre. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 4 StPO vor. a) Die Rüge ist zulässig. Ihr steht nicht entgegen, dass die Angeklagte in dem Verfahren vor der Strafkammer keinen Einwand gegen die Zuständigkeit des Erwachsenengerichts erhoben hat. Eine dem § 6a StPO entsprechende Vorschrift sieht das Gesetz für das Verhältnis von Erwachsenen- und Jugendgericht nicht vor (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2002 – 2 StR 344/02, BGHR StPO § 338 Nr. 4 Jugendgericht 3; BGH, Urteil vom 23. Mai 2002 – 3 StR 58/02, BGHSt 47, 311, 313 m.w.N.). b) Die Rüge ist auch begründet. Die – zunächst auch gegen drei erwachsene Mitangeklagte geführte – Hauptverhandlung fand vor der VI. Strafkammer des Landgerichts Essen statt, der keine Zuständigkeiten als Jugendkammer zugewiesen waren. Die am 20. Januar 1985 geborene Angeklagte hat die erste festgestellte Kurierfahrt im November 2005 unternommen, war mithin bei dieser Tat Heranwachsende. Aus diesem Grund wäre für die Verhandlung und Entscheidung der Sache gemäß §§ 107, 108 Abs. 1, 33 JGG das Jugendgericht zuständig gewesen.
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BGH, Beschl. v. 17.8.2010 – 4 StR 347/10.
II. 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)
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3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO) Gerade in Verbindung mit dem Auftauchen sog. Steuer-CDs ist das Thema „Strafbefreiende Selbstanzeige“ in der Öffentlichkeit erheblich in die allgemeine Diskussion geraten. Nachdem diese Frage aber bislang nicht an den BGH zur Entscheidung vorgelegt worden ist, hat nun aber das BVerfG die Frage der Verwertbarkeit solcher Daten, auch wenn diese ursprünglich illegal erworben wurden, entschieden:
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TOPENTSCHEIDUNG ■
Verwendung von Daten aus angekaufter Daten-CD: Der für eine Wohnungsdurchsuchung erforderliche Anfangsverdacht kann ohne Verfassungsverstoß auf Daten gestützt werden, die ein Informant aus Liechtenstein auf einem Datenträger an die Bundesrepublik Deutschland verkauft hat.293 3. Im Übrigen hat die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG. Mit einer Durchsuchung wird schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen. Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für eine solche Zwangsmaßnahme im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus (vgl. BVerfGE 44, 353 ; 59, 95 ). Der für die Durchsuchung erforderliche Anfangsverdacht einer Steuerstraftat ist in den angegriffenen Entscheidungen ausreichend dargelegt worden. … bb) Bei der Frage, ob die aus Liechtenstein stammenden Daten für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts für eine strafprozessuale Durchsuchung zugrunde gelegt werden dürfen, geht es nicht um die unmittelbare Geltung eines Beweisverwertungsverbotes, denn dieses betrifft grundsätzlich lediglich die unmittelbare Verwertung von rechtswidrig erlangten Beweismitteln im Strafverfahren zur Feststellung der Schuldfrage (vgl. MeyerGoßner, StPO, 53. Aufl. 2010, Einl. Rn. 55). Ob und inwieweit Tatsachen, die einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, zur Begründung eines Anfangsverdachts einer Durchsuchung herangezogen werden dürfen, betrifft vielmehr die Vorauswirkung von Verwertungsverboten und gehört in den größeren Zusammenhang der Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten (vgl. Beulke, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 152 Rn. 26 f.). Insoweit ist anerkannt, dass Verfahrensfehlern, die ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel zur Folge haben, nicht ohne weiteres Fernwirkung für das gesamte Strafverfahren zukommt (vgl. auch BVerfGK 7, 61 ). cc) Unabhängig davon besteht von Verfassungs wegen kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnen Beweise stets unzulässig wäre (vgl. BVerfGK 9, 174 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 – 2 BvR 1990/96 –, NStZ 2000, S. 488; Beschluss der 3.Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 – 2 BvR 75/94 –, NStZ 2000, S. 489; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 –, NStZ 2000, S. 489 ; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 –, NStZ 2006, S. 46; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 –, NJW 2009, S. 3225). … 293
BVerfG, Beschl. v. 9.11.2010 – 2 BvR 2101/09.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
Die Strafgerichte gehen in gefestigter, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Rechtsprechung davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, demzufolge jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 – 2 BvR 784/08 –, NJW 2008, S. 3053; BGHSt 38, 214 ; 44, 243 ; 51, 285 ; vgl. auch Nack, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, vor § 94 Rn. 10). Auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, schränkt die Annahme eines Verwertungsverbotes eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts ein, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen hat und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Das Rechtsstaatsprinzip gestattet und verlangt die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 ; 46, 214 ; 122, 248 ). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 ; 46, 214 ; 122, 248 ; stRspr). Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGHSt 40, 211 ; 44, 243 ; 51, 285 ). … Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfGK 9, 174 ; BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. April 2000 – 2 BvR 1990/96 –, NStZ 2000, S. 488, und – 2 BvR 75/94 –, NStZ 2000, S. 489; vom 1. März 2000 – 2 BvR 2017/94, 2 BvR 2039/94 –, NStZ 2000, S. 489 ; vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 1502/04 –, NStZ 2006, S. 46; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 –, NJW 2009, S. 3225). Dies gilt auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 8. November 2001 – 2 BvR 2257/00 –, StV 2002, S. 113; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 –, NJW 2009, S. 3225 ). Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen aber zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten (vgl. BVerfGE 113, 29 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juli 1998 – 2 BvR 446/98 –, NJW 1999, S. 273 ; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. März 2006 – 2 BvR 954/02 –, NJW 2006, S. 2684 ). … dd) Bei der Prüfung, ob die angegriffenen Entscheidungen die Grenzen richterlicher Rechtsfindung wahren, hat das Bundesverfassungsgericht die Auslegung einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode nicht umfassend auf seine Richtigkeit zu untersuchen. Vielmehr beschränkt es auch im Bereich des Strafprozessrechts seine Kontrolle auf die Prüfung, ob das Fachgericht bei der Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 82, 6 ; 96, 375 ; 122, 248 ). Die Beurteilung der Frage, welche Folgen ein möglicher Verstoß gegen strafprozessuale Verfahrensvorschriften hat und ob hierzu insbesondere ein Verwertungsverbot zählt, obliegt
II. 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)
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in erster Linie den zuständigen Fachgerichten (vgl. BVerfGK 4, 283 ; 9, 174 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Juli 2008 – 2 BvR 784/08 –, NJW 2008, S. 3053 ). Das Bundesverfassungsgericht prüft die von den Fachgerichten vorgenommene Abwägung zwischen dem durch den Verfahrensverstoß bewirkten Eingriff in die Rechtsstellung der Beschwerdeführer einerseits und den Strafverfolgungsinteressen des Staates anderseits daher nicht im einzelnen nach. Die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich vielmehr auf die Kontrolle, ob die Fachgerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise den Schutzbereich der verletzten Verfahrensnorm verkannt oder die weiteren Anforderungen für die Annahme eines Verwertungsverbotes hinsichtlich rechtswidrig gewonnener Beweise überspannt haben. b) Ausgehend von diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. aa) Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt haben. Die Gerichte haben für ihre Bewertung, ob die Daten einem für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht nicht zugrunde gelegt werden dürfen, unterstellt, dass die Beschaffung der Daten nicht mit geltendem Recht übereinstimmt. Gleiches gilt für die Behauptung der Beschwerdeführer, dass die Beschaffung der Daten gegen völkerrechtliche Übereinkommen verstoßen habe. Auch insoweit unterstellen die angegriffenen Entscheidungen, dass diese Übereinkommen bei der Beschaffung umgangen worden sein könnten. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde unter anderem gegen die einfachrechtliche Beurteilung des Verhaltens von Amtsträgern im Zusammenhang mit dem Erwerb der Daten aus Liechtenstein. Insoweit ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Rechtslage im Einzelnen nachzuprüfen. … (1) Soweit die angegriffenen Entscheidungen darauf abstellen, dass sich die Beschwerdeführer nicht auf die von ihnen gerügten Völkerrechtsverstöße berufen können, greifen die Rügen der Beschwerdeführer in ihrer Verfassungsbeschwerde nicht durch. … Auch die Wertung des Landgerichts, dass selbst bei einer etwaigen Umgehung der völkerrechtlichen Übereinkommen der möglicherweise vorliegende Rechtsverstoß abgeschlossen gewesen sei und die Nutzung der Daten für einen Anfangsverdacht keine erneute Beeinträchtigung der Übereinkommen bedeute, ist jedenfalls nicht willkürlich. (2) Soweit die Beschwerdeführer rügen, dass die Beschaffung der Daten rechtswidrig oder gar strafbar gewesen ist, ergibt sich aus ihren Ausführungen ebenfalls nicht, dass die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Auslegung des Strafrechts unvertretbar ist oder Grundrechte der Beschwerdeführer nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Das Landgericht hat die Frage, ob die Beschaffung der Daten rechtswidrig oder gar strafbar gewesen ist, nicht abschließend beurteilt, sondern für die Beurteilung der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, unterstellt, dass sich die Amtsträger nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig verhalten oder sogar Straftatbestände verwirklicht hätten. Damit hat das Landgericht die von den Beschwerdeführern insoweit für sich in Anspruch genommenen Positionen bei der Prüfung des für eine Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdachts hinreichend berücksichtigt. Soweit die Beschwerdeführer sich im Übrigen mit der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit des Verhaltens bei dem Erwerb der Daten auseinandersetzen, stellen sie lediglich ihre eigene Rechtsauffassung derjenigen der Fachgerichte entgegen. Dies genügt jedoch nicht, um die Unvertretbarkeit der angegriffenen Entscheidungen zu belegen.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
bb) Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch keine Grundrechtsverletzung auf, soweit sie die in den angefochtenen Entscheidungen vorgenommene Abwägung zwischen den Belangen der Beschwerdeführer und dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung angreift, die zu dem Ergebnis führt, dass die erlangten Daten weiteren Ermittlungsmaßnahmen zugrunde gelegt werden dürfen. … Bei der Beurteilung, ob der Verwendung der Daten für einen Anfangsverdacht schwerwiegende Rechtsverletzungen entgegenstehen, haben die Gerichte zugunsten der Beschwerdeführer unterstellt, dass nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt worden sei. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich die Vorschriften der Strafprozessordnung zur Beweiserhebung und -verwertung nach Systematik, Wortlaut und Zweck ausschließlich an die staatlichen Strafverfolgungsorgane richten. Beweismittel, die von Privaten erlangt wurden, sind – selbst wenn dies in strafbewehrter Weise erfolgte – grundsätzlich verwertbar (h.M.; vgl. BGHSt 27, 355 ; 34, 39 ; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 6. Aufl. 2008, Rn. 397 m.w.N.). Dies bedeutet, dass allein von dem Informanten begangene Straftaten bei der Beurteilung eines möglichen Verwertungsverbotes von vornherein nicht berücksichtigt werden müssen. Ausgehend von der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung durch das Landgericht ergibt sich auch nicht aus dem von den Beschwerdeführern als verletzt angesehenen Trennungsgebot, dass die Daten für weitere Ermittlungsmaßnahmen nicht verwendet werden dürften. Amtsgericht und Landgericht sind davon ausgegangen, dass der Bundesnachrichtendienst die Daten im Wege der Amtshilfe lediglich entgegengenommen und weitergeleitet habe. Weder der Bundesnachrichtendienst noch die Strafverfolgungsbehörden hätten veranlasst, dass die Daten hergestellt, beschafft oder auf sonstige Weise erfasst worden seien. Der Informant habe sich vielmehr von sich aus an den Bundesnachrichtendienst gewandt. Die angegriffenen Entscheidungen haben diesen Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass eine Verletzung des Trennungsgebots von vornherein ausscheidet. Dieses Gebot besagt, dass Geheimdienste keine polizeilichen Zwangsbefugnisse besitzen dürfen, also etwa keine Vernehmungen, Durchsuchungen, Beschlagnahmen durchführen oder anderen Zwang ausüben dürfen. Sie dürfen mithin nicht zur gezielten Erlangung von Zufallsfunden für nicht-nachrichtendienstliche Zwecke eingesetzt werden (vgl. Roggan/Bergemann, NJW 2007, S. 876). Die Behauptung der Beschwerdeführer, der Bundesnachrichtendienst sei nur eingeschaltet worden, um dessen besondere Möglichkeiten auszunutzen, ist durch nichts belegt. Soweit die angegriffenen Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Daten aus Liechtenstein verwendet werden dürfen, um den Anfangsverdacht für die Durchsuchung zu begründen, ist dies nachvollziehbar und lässt eine verfassungsrechtlich relevante Fehlgewichtung nicht erkennen. Die von den Gerichten unterstellten Verfahrensverstöße und die Möglichkeit rechtswidrigen oder gar strafbaren Verhaltens beim Erwerb der Daten führen nicht zu einem absoluten Verwertungsverbot. Die Gerichte haben die verschiedenen rechtserheblichen Aspekte erkannt und in die Abwägung zwischen den Rechten der Beschwerdeführer, insbesondere dem Anspruch auf Einhaltung der Regeln für strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen, und dem konkreten Strafverfolgungsinteresse eingestellt. Soweit die Gerichte aufgrund ihrer Abwägung zu dem Ergebnis kommen, dass ein Verwertungsverbot für die gewonnenen Daten nicht besteht, wird der fachgerichtliche Wertungsrahmen nicht überschritten. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass es sich bei den unterstellten Rechtsverletzungen um schwerwiegende, bewusste oder willkürliche Verfahrensverstöße handelt, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass es sich hier lediglich um die mittelbaren Wirkungen eines als verfahrensfehlerhaft unterstellten Erwerbs der Daten handelt.
II. 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)
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Mit der vorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfte der jahrelange Streit, ob illegal beschaffte Daten aus einer dem Staat zum Ankauf angebotenen sog. Steuer-CD auch als Beweismittel bzw. als Anlass für weitere Ermittlungen verwendet werden dürfen, nunmehr beendet sein. Nach der Auffassung des BVerfG kommt es im Ergebnis nicht auf die Entscheidung der Streitfragen an, ob durch den Ankauf der Daten gegen innerstaatliches Recht oder gegen Völkerrecht verstoßen wurde oder welche möglichen Straftaten der Informant begangen haben könnte. Das BVerfG löst diesen Konflikt, indem es darauf abstellt, dass es keinen feststehenden Rechtssatz gebe, wonach aus einem Beweiserhebungsverbot zwingend ein Beweisverwertungsverbot folge! Mit Beschluss vom 20.5.2010294 hat der für Steuerstrafsachen allein zuständige 1. Strafsenat des BGH im Einzelnen dargelegt, welche Anforderungen bei der Anerkennung einer strafbefreienden Selbstanzeige zu berücksichtigen sind. Zunächst einmal setzt eine strafbefreiende Selbstanzeige i.S. des § 371 Abs. 1 AO vollständige und richtige Angaben voraus; eine Teilselbstanzeige ist nicht ausreichend. Aber unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen dürfen auch keine der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO oder des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegenstehen. Insgesamt wurde die klare Aussage getroffen, dass es sich bei der Strafbefreiung nach § 371 AO um eine restriktiv auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, was sich auch auf die Auslegung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO auswirkt. 2. Nach § 371 Abs. 1 AO kommt demjenigen ein persönlicher Strafaufhebungsgrund zugute, der in den Fällen des § 370 AO bei der Finanzbehörde unrichtige Angaben berichtigt, unvollständige ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt. Straffreiheit tritt nicht ein, wenn ein Sperrgrund des § 371 Abs. 2 AO vorliegt. a) Diese im Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch liegende Privilegierung des Steuerstraftäters gegenüber anderen Straftätern bedarf einer doppelten Rechtfertigung: Zum einen sollen verborgene Steuerquellen erschlossen werden; zum anderen soll dem Steuerhinterzieher ein Anreiz gegeben werden, zur Steuerehrlichkeit zurückzukehren. Aus fiskalischen Gründen soll für den Steuerhinterzieher ein Anreiz geschaffen werden, von sich aus den Finanzbehörden bisher verheimlichte Steuerquellen durch wahrheitsgemäße Angaben zu erschließen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 35, 36, 37; BGH wistra 2004, 309, 310 m.w.N.). Allein fiskalische Interessen an der Entrichtung hinterzogener Steuern können diese Privilegierung aber schwerlich rechtfertigen. Hinzukommen muss die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit; diese soll honoriert werden (BGHSt 3, 373, 375 und 12, 100, 101 zu § 410 RAO; BGH DB 1977, 1347 zu § 395 RAO; BGH wistra 1985, 74 zu § 371 AO; vgl. auch bereits die Gesetzesmaterialien zu § 410 RAO 1951 BTDrucks. I/2395). b) Eine Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ist dann gegeben, wenn der Täter nunmehr vollständige und richtige Angaben – mithin „reinen Tisch“ – macht. Erst dann liegt eine strafbefreiende Selbstanzeige i.S.d. § 371 Abs. 1 AO vor. Das folgt auch aus dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO. Unrichtige oder unvollständige Angaben müssen berichtigt oder ergänzt, unterlassene Angaben müssen nachgeholt wer294
BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 1 StR 577/09.
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den. Die Benennung aller denkbaren Handlungsvarianten zur Korrektur von unrichtigen und unvollständigen Angaben – aufgezählt mit einem (nicht exklusiven) „oder“ – macht deutlich, dass das Gesetz die vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit will. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Täter straffrei. Das auf die Nennung dieser Voraussetzung folgende Wort „insoweit“ bezieht sich nicht auf den Umfang der gemachten Angaben, sondern allein auf den Umfang der Strafbefreiung. Diese tritt also erst dann ein, wenn die Angaben insgesamt richtig sind. … c) Im Hinblick darauf, dass der fiskalische Zweck, noch unbekannte Steuerquellen zu erschließen, angesichts der heute bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten und der verbesserten internationalen Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung verloren hat, erlangt der weitere Zweck, Rückkehr zur Steuerehrlichkeit, zusätzliches Gewicht. Der Senat hält eine Teilselbstanzeige nicht für ausreichend, um die Strafbefreiung zu erlangen. Denn hier fehlt gerade die Rückkehr zur vollständigen Steuerehrlichkeit (vgl. auch BGH wistra 1993, 66, 68). Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bislang eine solche Teilselbstanzeige als wirksam angesehen worden ist, weil das Wort „insoweit“ in § 371 Abs. 1 AO eine nur teilweise Nachholung fehlender zutreffender Angaben erlaube (vgl. BGHSt 35, 36; BGH wistra 1988, 356; 1999, 27), hält der Senat daran nicht fest. Einer Anfrage bei anderen Senaten bedarf es nicht (vgl. Hannich in KK-StPO 6. Aufl. § 132 GVG Rdn. 6 m.w.N.). Eine danach nicht ausreichende Teilselbstanzeige ist beispielsweise gegeben, wenn ein Steuerpflichtiger seine unvollständige Einkommensteuererklärung dahin „berichtigt“, dass er von bislang gänzlich verschwiegenen Zinseinkünften nunmehr nur diejenigen eines Kontos angibt, aber immer noch weitere Konten verschweigt, weil er insoweit keine Entdeckung durch die Finanzbehörden befürchtet (dolose Selbstanzeige). Nach Ansicht des Senats läge in einem solchen Fall keine wirksame Selbstanzeige vor. … 3. Einer strafbefreienden Selbstanzeige steht hier jedenfalls der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO entgegen. Nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. AO tritt Straffreiheit schon dann nicht ein, wenn vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen i.S.v. § 371 Abs. 1 AO ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist. Dieser Sperrgrund betrifft nicht nur solche Taten, die vom Ermittlungswillen („zur Ermittlung“) des erschienenen Amtsträgers erfasst sind. Er erstreckt sich auch auf solche Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsgegenstand in sachlichem Zusammenhang stehen (vgl. BGH wistra 1983, 146; 2000, 219, 225; 2004, 309). … b) Zudem ist zu bedenken, dass die Strafbefreiung nach § 371 AO eine Ausnahmevorschrift ist, die schon deswegen entgegen der weit verbreiteten gegenteiligen Auffassung (vgl. z.B. BayObLG MDR 1985, 519; Keller/Kelnhofer wistra 2001, 369, 370) – auch im Hinblick auf den Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch – restriktiv auszulegen ist. Das hat auch Auswirkungen auf die Auslegung der Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass bei der Auslegung der mittelbar (wieder) strafbegründenden Tatbestände des § 371 Abs. 2 AO das strafrechtliche Analogieverbot und der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG zu beachten sind (vgl. Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 AO Rdn. 34). c) Diese Auslegung folgt auch aus den oben genannten Gründen für die Strafbefreiung. Das gilt namentlich für den Normzweck, bisher unbekannte Steuerquellen zu erschließen. Dieser Normzweck erfordert die Erstreckung der Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. AO auch auf solche steuerlichen Sachverhalte, bei denen – soweit sie nicht
II. 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)
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bereits von dem bisherigen Ermittlungswillen erfasst sind – unter Berücksichtigung des bisherigen Überprüfungsziels einerseits und den steuerlichen Gegebenheiten des beschuldigten Steuerpflichtigen andererseits bei üblichem Gang des Ermittlungsverfahrens zu erwarten ist, dass sie ohnehin in die Überprüfung einbezogen würden (vgl. Jäger wistra 2000, 228). Dies ist jedenfalls stets dann der Fall, wenn sich die neuen Tatvorwürfe lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen erstrecken. … d) Allenfalls dann, wenn eine Erschließung weiterer sonstiger Steuerquellen durch bereits laufende Ermittlungen auszuschließen ist, kann dieser Sperrgrund noch zur Anwendung kommen. In diesem Fall ist – wie sonst auch – für die Strafbefreiung maßgeblich, dass die Aufdeckung bislang unerkannter Steuerquellen im Wesentlichen auf die Initiative des Steuerpflichtigen zurückgeht, die in der Rückkehr zur Steuerehrlichkeit zum Ausdruck kommt (vgl. BGHSt 3, 373, 375). Unvereinbar mit dem Normzweck wäre demgegenüber eine Auslegung, die honorierte, dass der Steuerpflichtige – ist der Amtsträger erst einmal erschienen – den „Wettlauf mit den Ermittlungsbehörden um die Rechtzeitigkeit“ gewonnen hat (vgl. Jäger wistra 2000, 228). e) Hier ist der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO gegeben. Die Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Veranlagungszeitraum 2000 war zwar zu Beginn der Durchsuchungsmaßnahme noch nicht vom Ermittlungswillen der Verfolgungsbehörden erfasst. Das Ermittlungsverfahren und auch die Durchsuchungsbeschlüsse hatten nämlich bis dahin lediglich die Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zum Gegenstand. Vorliegend ist aber der die Sperrwirkung auslösende Zusammenhang zwischen der Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 mit der Hinterziehung hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 gegeben. Die neuen Tatvorwürfe erstrecken sich lediglich auf weitere Besteuerungszeiträume hinsichtlich derselben Steuerarten bei identischen Einkunftsquellen. Eine solche Fallgestaltung reicht stets für die Annahme eines sachlichen Zusammenhangs aus (vgl. BGH wistra 1983, 146). 4. Einer strafbefreienden Selbstanzeige steht hier zudem der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entgegen. Nach den Feststellungen war die Tat – wenigstens zum Teil – bereits entdeckt. a) Nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist erforderlich, dass die „Tat“ ganz oder zum Teil bereits entdeckt war. … b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NStZ 1983, 415; wistra 2000, 219, 225) liegt Tatentdeckung dann vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist. Diese Definition enthält eine doppelte, zweistufige Prognose. Zunächst ist – auf der Grundlage der vorhandenen, regelmäßig noch unvollständigen Informationen – die Verdachtslage, und zwar vorläufig, zu bewerten. Aufbauend auf dieser bloß vorläufigen Bewertung muss der Sachverhalt, auf den sich der Verdacht bezieht, zudem rechtlich geeignet sein, eine Verurteilung wegen einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen. Ist das Vorliegen eines Sachverhalts wahrscheinlich, der die Aburteilung als Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit rechtfertigen würde, ist die Tat entdeckt. … c) Das besagt zunächst, dass – entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung (Kohlmann, Steuerstrafrecht 41. Lfg. November 2009 § 371 AO Rdn. 204; Randt/Schauf DStR 2008, 489, 490; Fehling/Rothbächer DStZ 2008, 821, 824) – ein hinreichender Tatverdacht i.S.v. § 170 Abs. 1, § 203 StPO gerade nicht erforderlich ist und auch nicht gefordert werden kann. Die in § 170 Abs. 1, § 203 StPO für einen hinreichenden Tatverdacht notwendige Prognose der Verurteilungswahrscheinlichkeit baut nämlich auf einem auser-
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
mittelten Sachverhalt auf. Eine derartige Prognose lässt sich bei der Entdeckung der Tat – eine Entdeckung „zum Teil“ genügt – noch nicht verlässlich stellen. Die Entdeckung bildet vielmehr erst den Ausgangspunkt der dann gebotenen Ermittlungen. d) Daher ist – anders als bei § 203 StPO – auch nicht erforderlich, dass der Täter der Steuerhinterziehung bereits ermittelt ist, schon deshalb, weil das Gesetz nur an die Entdeckung der Tat, nicht aber an der des Täters anknüpft (BGH NStZ 1983, 415; wistra 2004, 309). e) Diese Auslegung folgt auch aus der Systematik der (anderen) Sperrgründe des § 371 Abs. 2 AO. … f) Die Kenntniserlangung von einer Steuerquelle stellt für sich allein noch keine Tatentdeckung dar. … g) Der Begriff der Tatentdeckung in § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist zu unterscheiden vom Begriff der Entdeckung der Tat in der Vorschrift des § 7 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StraBEG, die einen abweichenden Wortlaut hat. Dort ist die Entdeckung eines Teils der Tat für die Tatentdeckung nicht ausreichend. Die hierzu ergangene, einer normspezifischen Auslegung des § 7 StraBEG folgende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH wistra 2009, 201) ist daher nicht auf die strafbefreiende Selbstanzeige gemäß § 371 AO zu übertragen. h) Nicht erforderlich für die Tatentdeckung in § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist, dass aufgrund der Tatsachen bereits ein Schluss auf vorsätzliches Handeln gezogen werden kann. Die Sperrgründe des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a 2. Alt. und Abs. 2 Nr. 2 AO sind bei Erscheinen eines Amtsträgers zur „Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit“ bzw. dann gegeben, wenn dem Täter die – zeitlich davor liegende – „Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist“. … i) Demnach war vorliegend die Hinterziehung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlags für den Veranlagungszeitraum 2000 durch den Angeklagten i.S.v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zu dem Zeitpunkt entdeckt, als den Beamten der Steuerfahndung im Rahmen der Durchsuchung bekannt wurde, dass der Angeklagte bereits für diesen Veranlagungszeitraum unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG war. … Die Tatentdeckung war dem Angeklagten vor diesem Hintergrund auch bekannt. Jedenfalls musste er mit der Entdeckung rechnen. … 5. Auch unter dem Gesichtspunkt der sog. gestuften Selbstanzeige – bei der die konkreten Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen erst noch „nachgereicht“ werden – wäre vorliegend keine Straffreiheit nach § 371 Abs. 1 AO eingetreten. Hier war nämlich bereits ebenfalls zum Zeitpunkt der ersten denkbaren berichtigenden Erklärung zu Beginn der Durchsuchungsmaßnahmen der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO gegeben. Der Senat ist im Übrigen der Ansicht, dass mit einer „gestuften Selbstanzeige“ die Sperrwirkung nicht umgangen werden kann. Soweit dem Steuerpflichtigen aufgrund unzureichender Buchhaltung oder wegen fehlender Belege eine genau bezifferte Selbstanzeige nicht möglich ist, ist er nach Auffassung des Senats gehalten, von Anfang an – also bereits auf der ersten Stufe der Selbstanzeige – alle erforderlichen Angaben über die steuerlich erheblichen Tatsachen, notfalls auf der Basis einer Schätzung anhand der ihm bekannten Informationen, zu berichtigen, zu ergänzen oder nachzuholen. Diese Angaben müssen in jedem Fall so geartet sein, dass die Finanzbehörde auf ihrer Grundlage in der Lage ist, ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt vollends aufzuklären und die Steuer richtig festzusetzen (BGHSt 3, 373, 376; BGH wistra 2004, 309 m.w.N.; BGH DB 1977, 1347 m.w.N.). Genügen die Angaben – bei Anwendung eines strengen Maßstabes – diesen Anforderungen nicht, liegt eine wirksame Selbstanzeige nicht vor. Vielmehr ist dann lediglich die Ankündigung einer Selbstanzeige gegeben.
II. 3. Steuerstrafrecht und Abgabenordnung (AO)
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Nachdem die Zuständigkeit für steuerstrafrechtliche Entscheidungen ab 1.Juni 2008 auf den 1. Strafsenat des BGH übergegangen ist, sind einige Entscheidungen getroffen worden, welche gegenüber früheren Entscheidungen insbesondere allgemeine Strafzumessungsgrundsätze und -regeln aufgestellt haben. In diesen Bereich gehört auch der Beschluss vom 28.07.2010:295
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Bei der versuchten Steuerhinterziehung (hier: unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung bei Geltendmachung eines Vorsteuerbetrages aus gefälschten Rechnungen) tritt die Regelwirkung des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO auch dann ein, wenn die Verkürzung bzw. die nicht gerechtfertigte Vorteilserlangung in großem Ausmaß lediglich versucht wurde. Dabei sind bei der Bestimmung des für den strafbaren Deliktsversuch geltenden Strafrahmens die Regelbeispiele besonders schwerer Steuerhinterziehung im Ergebnis wie ein Tatbestandmerkmal zu behandeln, weil sie einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisieren. Ist der Schuldgehalt der versuchten Tat geringer, kommt auch für den Strafrahmen des besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO) die Strafrahmenverschiebung des § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs.1 StGB in Betracht. PRAXISHINWEIS ■
Auch bei nur versuchter Steuerhinterziehung in großem Ausmaß muss bei einer Verurteilung damit gerechnet werden, dass in diesem Fall die Regelwirkung für den Strafrahmen des besonders schweren Falles eingreift. Fehlt im Steuerstrafverfahren für die Schätzung der hinterzogenen Steuer eine verlässliche Tatsachengrundlage, kann bei der Schätzung auch auf eine generalisierende Methode zurückgegriffen werden; außerdem kann die Verletzung der Buchführungs- und Aufbewahrungspflicht als Strafschärfungsgrund herangezogen werden:296 2. Ist bei der Ermittlung des Schuldumfangs einer von einem Gewerbetreibenden (hier: Gastronom) begangenen Steuerhinterziehung (Umsatz-, Gewerbe- und Einkommenssteuer) mangels ausreichend verlässlicher Tatsachengrundlage infolge völligen Fehlens von Buchungsbelegen eine konkrete Schätzung der tatsächlichen Umsätze der einzelnen Jahre unmöglich, darf das Tatgericht auf eine generalisierende Schätzungsmethode zurückgreifen und dabei unter Heranziehung der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen einen Rohgewinnaufschlag (hier: 190 %) auf die in den Einnahmen- und Überschussrechnungen bzw. Bilanzen enthaltenen Wareneinsatzbeträge zugrundelegen sowie einen Mischwert aus zwei Richtsatzwerten im Verhältnis der jeweiligen Umsatzanteile bilden. 3. Die zur Höhe des Schuldumfangs getroffenen Feststellungen sind jedoch fehlerhaft, wenn die Urteilsgründe weder die aus den Gewinn- und Verlustrechnungen bzw. Bilanzen entnommenen Wareneinsatzbeträge noch die daraus errechneten Gesamtumsätze enthalten, und zudem der Inhalt der jeweils abgegebenen Steuererklärungen und damit ein überprüfbarer Vergleich zwischen Ist-Steuer und Soll-Steuer fehlt.
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BGH, Beschl. v. 28.7.2010 – 1 StR 332/10. BGH, Beschl. v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
4. Waffengesetz ■ TOPENTSCHEIDUNG
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Verkauft ein Angeklagter einen Revolver an eine Vertrauensperson der Polizei, erfüllt ein solches „Scheingeschäft“ nicht den Tatbestand des „Überlassens“ im Sinne des § 52 Abs. 3 Nr. 7 WaffG, da das von dieser Vorschrift geschützte Rechtsgut, nämlich zu verhindern, dass Waffen unter Missachtung der waffenrechtlichen Vorschriften in Umlauf kommen bzw. bleiben, in einer solchen Fallgestaltung nicht gefährdet wird. Jedoch steht allein der Umstand, dass es sich bei dem Waffengeschäft um ein Scheingeschäft mit einer Vertrauensperson der Polizei gehandelt hat, einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schusswaffen nicht entgegen. Handeltreiben stellt auch im Waffenrecht kein Erfolgsdelikt dar. Deshalb ist es für die Tatvollendung rechtlich unerheblich, ob der durch das Handeltreiben erstrebte Umsatz im Einzelfall überhaupt möglich oder undurchführbar war, weil die zum Schein als Käufer auftretende Vertrauensperson der Polizei diesen Umsatz durch ihren Einsatz gerade verhindern wollte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über mehrere Waffen, auch wenn diese nicht unter dieselben Strafbestimmungen fallen, zur Folge, dass die verschiedenartigen Verstöße gegen das Waffengesetz bzw. das Kriegswaffenkontrollgesetz tateinheitlich zusammentreffen. Dies gilt selbst dann, wenn diese Waffen – wie im vorliegenden Fall – an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden.297 Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte am 26. April 2009 auf einer Waffenmesse in Belgien einen weiteren Revolver, den er nach Deutschland verbrachte und in seiner Wohnung aufbewahrte, wo er am 9. Juli 2009 zusammen mit einem Gewehr und Munition von der Polizei sichergestellt wurde. Damit stehen das Verbringen des Revolvers nach Deutschland und das gleichzeitige Ausüben der tatsächlichen Gewalt über diesen sowie über die weiteren in seiner Wohnung und in dem Waffendepot auf dem Gartengrundstück gelagerten Waffen nebst Munition bis zu deren Sicherstellung durch die Polizei entgegen der Annahme des Landgerichts ebenfalls in Tateinheit zueinander (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1997 – 3 StR 383/97 mwN). In weiterer Tateinheit hierzu könnte auch ein unerlaubtes Handeltreiben mit Schusswaffen gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG stehen, wenn der Angeklagte schon beim Erwerb des Revolvers vorgehabt hätte, diesen im Wege gewerbsmäßigen Handelns in Deutschland zu verkaufen. … ist aus den Urteilsgründen nicht hinreichend ersichtlich. Das Landgericht hat schließlich rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob hier möglicherweise sämtliche Taten oder zumindest ein großer Teil von ihnen durch die andauernde Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffen im Wege der Verklammerung tateinheitlich verbunden sind. Hierfür könnte sprechen, dass der Angeklagte nach seiner im Urteil wiedergegebenen geständigen Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass das auf dem Gartengrundstück befindliche Waffendepot bereits „im Jahr 2008 oder Anfang 2009“ eingerichtet worden sei. Bei der Einrichtung habe er, der Angeklagte, gesehen, welche „Gegenstände“ dort versteckt worden seien. Aufgrund der Einlassung des Angeklagten besteht daher die nahe liegende Möglichkeit, dass die Errichtung des Depots und dessen 297
BGH, Beschl. v. 30.11.2010 – 1 StR 574/10.
II. 7. Embryonenschutzgesetz
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Bestückung mit Waffen zeitlich mit der ersten vom Landgericht abgeurteilten Tat des Angeklagten, dem Verbringen des Revolvers von Belgien nach Deutschland im Oktober 2008, zusammenfällt. In diesem Fall kann der Besitz und Erwerb sämtlicher vom Angeklagten seit der Errichtung und Bestückung des Waffendepots angesammelter Schusswaffen und Munition, losgelöst von deren waffenrechtlicher Einordnung, zu einer tateinheitlichen waffenrechtlichen Dauerstraftat verbunden sein, deren Bindeglied der zeitgleiche Besitz der vielen Waffen bildet.
5. Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) – § 4 VStGB In dem Beschluss vom 17.6.2010298 hat der BGH erstmals zu der Frage der Verantwortlichkeit von Vorgesetzten ausländischer Truppen für von diesen begangene Straftaten Stellung genommen. Die Problematik ergibt sich vor allem daraus, dass sich die von dieser Vorschrift erfassten Personen oft weit entfernt vom jeweiligen Kampfgebiet – zumeist in einem anderen Staatsgebiet aufhalten und direkte Anweisungen – soweit es solche überhaupt gibt – oft nicht erkannt werden können:
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1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. 2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u.a. erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich.
6. Arzneimittelgesetz Das unerlaubte Inverkehrbringen von Gamma-Butyrolacton (GBL) zu Konsumzwecken ist nach dem Arzneimittelgesetz strafbar.299
300
7. Embryonenschutzgesetz Die nach extrakorporaler Befruchtung beabsichtigte Präimplantationsdiagnostik mittels Blastozystenbiopsie und anschließender Untersuchung der entnommenen pluripotenten Trophoblastzellen auf schwere genetische Schäden hin begründet keine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG. Deren Durchführung ist keine nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbare Verwendung menschlicher Embryonen.300 1. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG ist nicht verletzt. Eine Strafbarkeit nach dieser Vorschrift setzt in der hier einschlägigen Variante voraus, dass das Unternehmen der künstlichen Befruchtung 298 299 300
BGH, Beschl. v. 17.6.2010 – AK 3/10. BGH, Urteil v. 8.12.2009 – 1 StR 277/09. BGH, Urteil v. 6.7.2010 – 5 StR 386/09.
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C. Strafrechtliche Nebengesetze
nicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet ist. Sie tritt dementsprechend nicht ein, wenn der Handelnde eine Schwangerschaft bewirken will. So lagen die Fälle hier. Das Tun des Angeklagten war jeweils von dem Willen getragen, bei den von ihm behandelten Patientinnen – von denen die entnommenen Eizellen auch stammten – eine Schwangerschaft herbeizuführen. a) § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG verlangt nach allgemeiner Meinung (vgl. Günther in Günther/Taupitz/Kaiser, ESchG 2008 vor § 1 Rdn. 38; § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rdn. 18 m.w.N.) Absicht im Sinne eines auf den Erfolg ausgerichteten dolus directus ersten Grades (vgl. BGHSt 9, 142, 146; 18, 151, 155 f.; 29, 68, 72 f.). Kommt es dem Täter auf den Erfolgseintritt an, so stehen der Annahme des Absichtserfordernisses weitere Beweggründe bzw. Nebenzwecke nicht entgegen (BGHSt 18, 151, 156). Gleichfalls ist die Absicht – wie der Vorsatz allgemein – nicht „bedingungsfeindlich“; anerkanntermaßen kann der Täter sein Handeln vom Eintritt objektiver Bedingungen abhängig machen, ohne dass an der Endgültigkeit seines Tatentschlusses zu zweifeln wäre (BGHSt 12, 306, 309 f.). b) Der Angeklagte war im Zeitpunkt der Befruchtungen entschlossen, die jeweils befruchtete einzelne Eizelle auf seine Patientinnen zu übertragen und auf diese Weise eine Schwangerschaft herbeizuführen. Allerdings wollte er die Schwangerschaft nur mit einem gesunden Embryo bewirken. Für den – nicht erhofften, aber befürchteten – Fall eines positiven Befundes wollte er von der Übertragung absehen. Letzteres stellt seinen bereits endgültig gefassten Handlungsentschluss in Richtung auf Herbeiführung der Schwangerschaft jedoch nicht in Frage. Nicht etwa war die genetische Untersuchung der eigentliche (und mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG unverträgliche) Zweck der Befruchtung (a.M. Beckmann ZfL 2009, 125, 127 ff.). Der negative Befund war nach der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise vielmehr objektive Bedingung der Übertragung (vgl. Günther aaO § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rdn. 21; Schneider MedR 2000, 360, 362; Schroth NStZ 2009, 233, 234). Für den Fall ihres Eintritts sollte der Embryo nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten übertragen werden, wobei er nach Lage der Dinge auch mit dem Einverständnis der Patientinnen rechnen durfte. Dass die Patientinnen vor der Übertragung des Embryos in die Gebärmutter nochmals aufgeklärt und um ihr Einverständnis gebeten wurden, entspricht üblichem ärztlichem Vorgehen. Wie bei anderen mehraktigen Behandlungen auch muss es der Patient in der Hand haben, deren Fortführung jederzeit autonom zu beenden. Der Behandlungsablauf liefert deshalb kein Zeugnis dafür, dass die Entscheidung über die Herbeiführung der Schwangerschaft erst nach Abschluss der Untersuchung fallen sollte (a.M. Beckmann aaO S. 128 f.). c) Der Wille des Angeklagten, die PID durchzuführen, und der Wille, den einzelnen Embryo bei positivem Befund nicht zu übertragen, können nicht als alternative, zur Annahme der Strafbarkeit führende Absichten im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG angesehen werden. … (c) Ein gesetzliches Verbot der PID kann schließlich nicht aus dem Umstand gefolgert werden, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 des im Wesentlichen am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen Gendiagnostikgesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl I S. 2529) vorgeburtliche genetische Untersuchungen (nur) während der Schwangerschaft (vgl. § 2 Abs. 1 GenDG) ausdrücklich erlaubt. Denn der Gesetzgeber hat die Problematik ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausgenommen (BTDrucks. 16/10532 S. 20). Hätte er mit dem Erlass des Gendiagnostikgesetzes die PID strikt ausschließen wollen, so wäre angesichts der ihm bekannten, langjährigen Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit der Untersuchung de lege lata eine ausdrückliche Regelung im Gendiagnostikgesetz oder auch im Embryonenschutzgesetz zu erwarten gewesen, zumindest aber dahin zielende eindeutige Aussagen in den Gesetzesmaterialien. Das ist nicht geschehen.
D. Strafprozessordnung I. Grundsätzliches 1. Überblick Nicht erst seit diesem Jahr wird die allgemeine Diskussion in Fragen des Strafverfahrens dominiert von dem zumindest theoretisch weiter anhaltenden Streit um die Verständigung im Strafverfahren – und inzwischen auch über erste Streitfragen, welche aus der Anwendung dieser teilweise doch nicht vollständig durchdachten Regelungen entstanden sind.301 Daneben ging die Diskussion weiter um die Folgen der Entscheidung über die Rügeverkümmerung in Revisionssachen und – neu – um die Frage der Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen.302 Demgegenüber ist von der Gesetzgebung noch nichts entscheidend Neues zu berichten, wenn man davon absieht, dass die im Koalitionsvertrag vorgegebene Tendenz, Rechtsanwälte und Journalisten möglichst von justiziellen Eingriffen freizustellen, nunmehr mit dem am 1.2.2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu Rechtsanwälten im Strafprozessrecht 303 umgesetzt worden ist. Dadurch wurde die bislang nur für Verteidiger geltende Ausnahme in § 160a Abs. 1 StPO, wonach Ermittlungsmaßnahmen gegen diese unzulässig sind, allgemein auf Rechtsanwälte erweitert. Insoweit ist geplant, auch die Möglichkeit von Eingriffsmaßnahmen gegenüber Medienangehörigen einzuschränken und die Rechtswidrigkeit von Beihilfehandlungen zu § 353b StGB durch diese auszuschließen.304 Ins Parlament eingebracht ist ein Gesetzentwurf über den „Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“,305 durch welchen ein Urteil des EGMR vom 26.10.2000 306 umgesetzt werden soll, in dem Verfahrensbeteiligten für eine Verzögerung des Verfahrens ein bestimmter Geldbetrag als pauschalierte Entschädigung zuerkannt wird. Ob allerdings angesichts der vielfältigen Kritik aus der Praxis, welche dem Gesetzesvorhaben bereits entgegengehalten wurde, eine Umsetzung in der vorliegenden Form überhaupt wahrscheinlich ist, bleibt abzuwarten.
301 302 303 304 305 306
Vgl. hierzu Rn. 398 ff. Vgl. hierzu Rn. 386. BGBl. 2010 I S. 2261. Vgl. BT-Drs. 17/3355. BZ-Drs. 17/3802. EGMR, Urteil v. 26.10.2000 (Nr. 30 210/96).
302
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D. Strafprozessordnung
2. Ausblick 306
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Für Fragen des Strafprozessrechts dürfte das Jahr 2011 eher nicht sehr viel Neues bringen. Aktuell liegt dem Bundestag noch der vorgenannte Gesetzentwurf zur Stärkung der Pressefreiheit im Straf- und Strafprozessrecht 307 vor; weitere Initiativen des Gesetzgebers sind derzeit nicht in Sicht. Dies gilt auch für die Frage einer – infolge europarechtlicher Vorgaben erforderlicher – Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung. Außerdem steht die Entscheidung an, ob künftig auf Dauer eine Besetzung der Strafkammern mit zwei Berufsrichtern generell zugelassen wird oder man wieder zum herkömmlichen Besetzungsmodell mit drei Berufsrichtern zurückkehrt;308 insoweit dürften am Ende fiskalische Gründe den Ausschlag geben. Schwerpunkte der Rechtsprechung dürften die Klärung weiterer Nebenfragen zu den Verständigungsregelungen sein, außerdem das Spannungsverhältnis zwischen für notwendig gehaltenen Maßnahmen auf dem Gebiet der Telekommunikationsüberwachung und der Berufung auf Grundrechtspositionen durch die von solchen Maßnahmen Betroffenen. Zu erwarten ist wohl auch keine gleichartige Regelung für eine – nach Polizeirecht mögliche – Onlinedurchsuchung von Computern, so dass bis dahin entsprechende Erkenntnisse aus präventiven Maßnahmen von Polizei und Verfassungsschutzbehörden weiterhin in Ermittlungsverfahren nicht verwertet werden dürfen.
II. Neuere höchstrichterliche Rechtsprechung zu Einzelfragen des Verfahrensrechts 1. Verbindung von Verfahren – §§ 4, 5 StPO 308
309
Nach §§ 4, 5 StPO können zusammenhängende Strafsachen (§ 2 StPO), von denen eine im ersten Rechtszug beim Amtsgericht und die andere im ersten Rechtszug beim (übergeordneten) Landgericht anhängig ist, durch die Strafkammer miteinander verbunden werden. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StPO ist für den Verbindungsbeschluss das Gericht höherer Ordnung zuständig, wenn die übrigen Gerichte zu seinem Bezirk gehören.309 Ein unwirksamer Verbindungsbeschluss lag teilweise auch der Beschlussentscheidung vom 16.11.2010 310 zugrunde und führte zur Rückgabe der abgegebenen Sache an das zuständige Abgabegericht. Die Verurteilung im Fall 16 der Urteilsgründe (Tat vom 12. Mai 2009) hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 1. Oktober 2010 keinen Bestand. Der Verbindungsbeschluss, mit welchem das Landgericht Kempten das beim Amtsgericht Nördlingen anhängige und bereits eröffnete Verfahren mit den bei ihm anhängigen Verfahren verbunden hat, ist unwirksam, weil es hierfür nicht zuständig war; denn das Amtsgericht Nördlingen gehört nicht zum Bezirk des Landgerichts Kempten. Die Verbindung, die nicht
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Vgl. BT-Drs. 17/3355. Vgl. hierzu Rn. 488. BGH, Beschl. v. 23.2.2010 – 1 StR 627/09. BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – 1 StR 539/10.
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II. 2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO
nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betraf, konnte nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte (§ 13 Abs. 2 StPO), sondern nur durch Entscheidung des Oberlandesgerichts München als dem gemeinschaftlichen oberen Gericht (§ 4 Abs. 2 StPO) herbeigeführt werden (BGH, Beschluss vom 26. Juli 1995 – 2 StR 74/95, NStZ 1996, 47 mwN; BGH, Urteil vom 23. März 2006 – 3 StR 458/05). Die Prozessvoraussetzung der sachlichen Zuständigkeit ist gemäß § 6 StPO vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten. Entsprechend § 355 StPO war das Verfahren insoweit an das Amtsgericht Nördlingen zurückzugeben. PRAXISHINWEIS ■
Gerade wenn es um Hinzuverbindung von weiteren (eher geringfügigen) Ermittlungsverfahren zu einem bereits eröffneten Verfahren geht, haben Gericht und Staatsanwaltschaft die Beschleunigung des Verfahrens, die Verteidigung meist die Möglichkeit eines weiteren Strafzusammenzugs im Wege der Gesamtstrafenbildung im Auge. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass im Wege eines Verbindungsbeschlusses nur die im Bereich eines Landgerichts anhängigen Verfahren verbunden werden können. Liegen die Verfahren im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Landgerichte, muss die Verbindung vom zuständigen Oberlandesgericht beschlossen werden; sofern unterschiedliche Oberlandesgerichte betroffen sind, ist eine Verbindung vom BGH auszusprechen (vgl. § 4 Abs. 2 StPO). Wird die Verbindung von einem unzuständigen Gericht ausgesprochen, ist diese rechtsunwirksam und vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten. Sie kann allerdings vom zuständigen Gericht nachgeholt werden, wenn die Sache im Wege der Revision zu diesem gelangt.311
2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO Eine Entscheidung des BGH befasst sich mit dem in der Rechtsprechung eher selten auftauchenden Problem der Mitwirkung eines wegen Vorbefassung ausgeschlossenen Richters; weitere Entscheidungen betreffen die teilweise erfolgreichen Rügen der Befangenheit von Gerichtspersonen, welche erst im Rahmen von Verfahrensrügen im Revisionsverfahren erfolgreich waren. Die Beschlussentscheidung vom 12.8.2010 312 gibt einer Rüge statt, mit welcher eine Verletzung des § 22 Nr. 4 StPO beanstandet worden war, weil die beisitzende Richterin bereits in der Sache als Staatsanwältin tätig gewesen und somit kraft Gesetzes ausgeschlossen war (§ 338 Nr. 2 StPO). Sie hatte als Staatsanwältin dem Vertreter der Geschädigten Akteneinsicht gewährt, die Frist für eine eventuelle Stellungnahme eingeräumt und den Zeitpunkt der Wiedervorlage bestimmt. Die Entscheidung vom 17.12.2009 313 betrifft ebenfalls einen Fall der Vorbefassung, allerdings als Richter in einem anderen Verfahren, was der Senat grundsätzlich als Grund ablehnt, es sei denn, weitere Umstände treten hinzu:
311 312 313
BGH, Beschl. v. 8.8.2001 – 2 StR 285/01. BGH, Beschl. v. 12.8.2010 – 4 StR 378/10. BGH, Beschl. v. 17.12.2009 – 3 StR 367/09.
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D. Strafprozessordnung
Nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 1. Alt. StPO kann das Gericht ein Ablehnungsgesuch als unzulässig verwerfen, wenn ein Grund zur Ablehnung nicht angegeben wird. Dem Fehlen einer Begründung wird – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NJW 2005, 3410, 3412; 2006, 3129) – der Fall gleichgestellt, dass die Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist (BGH NStZ 1999, 311; 2006, 644, 645 m.w.N.). Bei der Prüfung, ob die für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit vorgebrachte Begründung in dem genannten Sinne völlig ungeeignet ist, muss wegen des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) allerdings ein strenger Maßstab angelegt werden (BGH NJW 2005, 3434, 3435; NStZ 2006, 644, 645 m.w.N.). Entscheidend für die Abgrenzung zu „offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfasst und damit nach § 27 StPO zu behandeln sind, ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist. Über diese bloß formale Prüfung hinaus dürfen sich abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zu „Richtern in eigener Sache“ machen (BGH NJW 2006, 2864, 2866). Im Zweifel ist einem Vorgehen nach § 27 StPO der Vorzug zu geben (BVerfG NJW 2006, 3129, 3131; Siolek aaO § 26a Rdn. 7). Nach diesen Kriterien unbedenklich ist die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs, das lediglich damit begründet wird, der Richter sei mit der zur Aburteilung stehenden Tat bereits in einem anderen Verfahren befasst gewesen (BGHSt 50, 216, 221; BGH NJW 2006, 2864, 2866). Da eine solche Vorbefassung vom Gesetz vorgesehen ist, kann sie als solche die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht begründen, so dass die nur auf diese Tatsache gestützte Ablehnung ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verworfen werden kann (BGHSt 50, 216, 221; BGH NJW 2006, 2864, 2866). Anders verhält es sich dagegen in Fällen, in denen weitere Umstände hinzutreten, die über die Tatsache der bloßen Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. So liegt es hier. Das Ablehnungsgesuch stützte sich auf den im Haftbefehl verwandten Indikativ in Bezug auf die Tatbeiträge der Angeklagten sowie auf die als feststehend formulierten Sachverhaltsschilderungen, insbesondere im Hinblick auf die Höhe der entstandenen Schäden sowie auf ein Alibi des Angeklagten K. Ein in dieser Weise detailliert begründetes Ablehnungsgesuch kann nicht mit einem nicht begründeten Ablehnungsgesuch gleichgesetzt werden. Zwar enthalten die Ausführungen im Haftbefehl gegen Na. keine unsachlichen Werturteile über die Angeklagten (vgl. BGHSt 50, 216, 221 f.), jedoch steht die Entscheidung darüber, ob die Angeklagten K. und N. nach Kenntnis von deren Inhalt bei verständiger Würdigung davon ausgehen konnten, die Richter seien von ihrer Schuld bereits endgültig überzeugt, nicht den abgelehnten Richtern selbst zu. Eine sachliche Entscheidung über die Ablehnungsanträge hätte vielmehr nach § 27 StPO ohne die abgelehnten Richter unter Berücksichtigung ihrer dienstlichen Stellungnahmen (§ 26 Abs. 3 StPO) getroffen werden müssen. Ob das Ablehnungsgesuch in der Sache begründet war, ist ohne Bedeutung (BVerfG NJW 2006, 3129, 3133), weil nicht die gesetzlichen Richter entschieden haben.
313
Die Entscheidung vom 30.6.2010 314 bestätigt die vorstehenden Ausführungen zur grundsätzlichen Unbedenklichkeit bezgl. einer den Verfahrensgegenstand betreffenden Vortätigkeit eines Richters und erkennt in dem zu entscheidenden Sachverhalt ebenfalls „weitere Umstände“: 314
BGH, Urteil v. 30.6.2010 – 2 StR 455/09.
II. 2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO
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Nach diesen Kriterien grundsätzlich unbedenklich ist die Mitwirkung an einem Urteil über dieselbe Tat gegen einen anderen Beteiligten in einem abgetrennten Verfahren (BGHSt 50, 216, 221). Da eine solche Beteiligung an Vorentscheidungen im nämlichen und in anderen damit zusammenhängenden Verfahren von Strafprozessordnung und Gerichtsverfassungsgesetz ausdrücklich vorgesehen und vorausgesetzt wird, kann die Vorbefassung als solche – abgesehen von den in § 22 Nr. 4 und 5, § 23 und § 148a Abs. 2 Satz 1 StPO genannten Ausschließungstatbeständen – die Besorgnis der Befangenheit aus normativen Erwägungen grundsätzlich nicht begründen. Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies wäre etwa der Fall, wenn Äußerungen in früheren Urteilen unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über einen der jetzigen Angeklagten enthalten oder wenn ein Richter sich bei seiner Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (BGHSt aaO S. 221 f.). Hier wurde der Befangenheitsantrag u.a. darauf gestützt, dass sich die Strafkammer durch die abschließende Entscheidung in einem abgetrennten Verfahren zwangsläufig eine Meinung über die Täterschaft der verbliebenen Angeklagten gebildet habe. Eine notwendige Vorbefassung des Gerichts ist jedoch – wie ausgeführt – für sich gesehen grundsätzlich kein geeigneter Befangenheitsgrund; dies gilt auch, wenn Verfahren gegen einzelne Angeklagte zur Verfahrensbeschleunigung abgetrennt werden und anschließend ein Schuldspruch wegen Beteiligung an später abzuurteilenden Taten erfolgt (BGH NJW 2006, 2864, 2866). bb) Vorliegend waren besondere Umstände gegeben. Sie hatten einen Ursprung in der am ersten Hauptverhandlungstag bekannt gegebenen Zusicherung des Gerichts an den früheren Mitangeklagten D., er könne bei einem „umfassenden, glaubhaften Geständnis“ mit einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren rechnen – eine im Hinblick auf den gegen D. erhobenen Anklagevorwurf von 15 Verbrechen des schweren Bandendiebstahls ungewöhnlich milde Straferwartung. Zwar ist eine solche auf einer Absprache beruhende Zusicherung nicht schon für sich allein im Hinblick auf eine mögliche Befangenheit bedenklich; etwas anderes ergab sich hier aber aus dem Zusammenhang zwischen Absprache, Beweisantrag und Abtrennungsentscheidung, so dass in der Kumulation dieser Umstände der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen konnte. Die Hauptverhandlung stand bis zur Trennung der Verfahren ersichtlich im Zeichen der Konfrontation zwischen den Einlassungen der Angeklagten A. und T., die D. eine führende Rolle in der Bande zuwiesen und die eigene Tatbeteiligung, soweit sie eingeräumt wurde, eher als randständig beschrieben, und der Einlassung des Mitangeklagten D., der den Angeklagten A. als den führenden Kopf der Bande und den Angeklagten T. als für das Gelingen der Taten überaus wichtigen Mittäter bezeichnete, seine eigene Rolle aber eher als die einer Randfigur beschrieb. Zumindest für die Bestimmung des Schuldumfangs und die Entscheidung über die Rechtsfolgenfrage musste es daher, für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig, um die Frage gehen, welcher der gegensätzlichen Einlassungen zu folgen war. In dieser Verfahrenslage wurden am 17. Dezember 2008 die Beweisanträge gestellt, die durchweg ausdrücklich auf einen Nachweis der Unglaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten D. abzielten. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft erklärte daraufhin, sie könne zu den Anträgen vorerst nicht Stellung nehmen. Gleichwohl beantragte sie – ebenso wie der Verteidiger des Mitangeklagten – die Abtrennung des Verfahrens gegen D., woraufhin das Landgericht die Verfahren alsbald antragsgemäß trennte, ohne über die Beweisanträge verhandelt, beraten oder entschieden zu haben. Hierzu konnte das Landgericht ersichtlich nur gelangen, wenn es den Beweisanträgen für das Verfahren gegen D. von vornherein keine Bedeutung beimaß. Dies wurde dadurch bestätigt, dass die Hauptver-
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D. Strafprozessordnung
handlung gegen D. nach der Verfahrensabtrennung ohne weitere Beweisaufnahme alsbald abgeschlossen und mit der Urteilsverkündung – entsprechend der Zusage des Gerichts – beendet wurde. Das der Zusicherung des Gerichts und den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidiger entsprechende Urteil gegen D. stand unter der ausdrücklichen Bedingung, dass die Einlassung dieses Angeklagten „umfassend und glaubhaft“ sein müsse; es handelte sich daher nicht, wie es in anderen Konstellationen der Fall sein könnte, um eine in Anwendung des Zweifelssatzes getroffene Entscheidung. Unter diesen besonderen Bedingungen musste sich aus Sicht des Beschwerdeführers der Eindruck aufdrängen, das Gericht stehe ihm selbst nicht mehr unbefangen gegenüber, sondern habe sich bereits eine abschließende Meinung gebildet (vgl. Meyer-Goßner aaO § 24 Rdn. 13; Siolek aaO R 24 Rdn. 49). cc) Darauf, dass das Landgericht in der fortgesetzten Hauptverhandlung gegen die Angeklagten A. und T. über die am 17. Dezember 2008 gestellten Beweisanträge entschieden und die beantragten Beweise teilweise noch erhoben hat, kommt es hier nicht an. Entscheidend für die Begründetheit des Befangenheitsgesuchs war vielmehr der objektive Standpunkt des Angeklagten zum Zeitpunkt der Verfahrensabtrennung. Unter den genannten besonderen Umständen konnte sich dem Beschwerdeführer zu Recht der Eindruck aufdrängen, das Gericht habe sich auch in seiner Sache bereits eine endgültige Meinung gebildet und stehe ihm nicht mehr unbefangen gegenüber. Die vom Generalbundesanwalt in der mündlichen Hauptverhandlung angesprochene Besorgnis einer allgemeinen Erschwerung von Verfahrensabtrennungen in Verfahren gegen mehrere Tatbeteiligte ist unbegründet. Ob eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO besteht, ist eine stets für den konkreten Einzelfall zu entscheidende Frage; weder selbständige Vorentscheidungen in Verfahren gegen einzelne von mehreren Tatbeteiligten noch verfahrensökonomisch begründete und durch das Recht jedes Angeklagten auf ein zügiges Verfahren legitimierte Verfahrensabtrennungen können schon für sich allein die Besorgnis der Befangenheit begründen.
314
Demgegenüber wird im Urteil vom 12.11.2009 315 die Befangenheit eines Vorsitzenden Richters abgelehnt, welcher einen Zeugen, der berechtigt von seinem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, ergänzend belehrte: Zwar kann ein Zeuge, dem ein Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zusteht, nach seinem eigenen freien Ermessen darüber entscheiden, ob er hiervon Gebrauch machen will. Dies schließt es jedoch nicht aus, dass der Richter einen Zeugen im Rahmen der gemäß § 55 Abs. 2 StPO gebotenen Belehrung über Umstände unterrichtet, die für die vom Zeugen zu treffende Entscheidung von Bedeutung sein können (vgl. BGHSt 21, 12, 13 zu § 52 StPO; BGH, Urteil vom 30. Juni 1988 – 1 StR 150/88, BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Belehrung 2). Allerdings war die Belehrung des Zeugen, er könne im Falle der Auskunftsverweigerung in dem gegen ihn gerichteten Verfahren Probleme bekommen, unzutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es unzulässig, Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten daraus zu ziehen, dass dieser sich als Zeuge in einem anderen, den gleichen Tatkomplex betreffenden Strafverfahren auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen hat, wenn er sich – wie hier – bis zur Verweigerung der Auskunft nicht zur Sache geäußert hatte (BGHSt 38, 302, 305). Dass ein Richter eine unzutreffende Rechtsmeinung geäußert hat, rechtfertigt jedoch in der Regel nicht die Annahme der Befangenheit. Verfah-
315
BGH, Urteil v. 12.11.2009 – 4 StR 275/09.
II. 2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO
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rensverstöße, die auf einem Irrtum oder auf einer unrichtigen Rechtsansicht beruhen, stellen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. Zwar gilt dieser Maßstab dann nicht, wenn die vom Richter geäußerte Rechtsauffassung abwegig ist oder sogar den Anschein der Willkür erweckt (vgl. BGHSt 48, 4, 8; Meyer-Goßner aaO § 24 Rn. 8 m.w.N.). Hierfür bestehen aber im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Dass der Vorsitzende den Zeugen durch seine Belehrung gezielt zu einer für den Angeklagten nachteiligen Aussage drängen wollte, musste für einen verständigen Angeklagten schon deshalb fern liegen, weil der Zeuge im Ermittlungsverfahren nicht ausgesagt und den Angeklagten somit gerade nicht belastet hatte. Welchen Inhalt seine Aussage haben würde, war daher noch offen. Besonderheiten, wie sie in der vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift angeführten Entscheidung BGHSt 1, 34 im Fall einer nach § 52 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Ehefrau gegeben waren, liegen hier nicht vor. b) Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden kann sich auch nicht daraus ergeben, dass er dem Zeugen nicht die Hinzuziehung seines Verteidigers als Zeugenbeistand ermöglicht hat, die der Zeuge im Übrigen auch nicht verlangt hatte. Wie das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO dient auch das Recht eines Zeugen, in einem solchen Fall einen Beistand hinzuzuziehen, allein dem Schutz des Zeugen, nicht aber auch dem des Angeklagten (vgl. BGHSt 11, 213, 216/217 [GSSt]; Meyer-Goßner aaO § 55 Rn. 1 m.w.N.).
Keine Besorgnis der Befangenheit bei unzulässig kurzer Fristsetzung für Beweisanträge.316 Die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs und die anschließende Mitwirkung der abgelehnten Richter an der Verurteilung verletzt die Beschwerdeführer nicht in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. 1. Dieses prozessuale Grundrecht schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter, indem es eine sachfremde Einflussnahme auf die rechtsprechenden Organe verbietet (vgl. BVerfGE 22, 254 ). Hierdurch wird dem Einzelnen garantiert, vor einem Richter zu stehen, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Diesem Ziel dienen die strafprozessualen Vorschriften der §§ 24 ff. StPO über die Ablehnung von Richtern (vgl. BVerfGK 5, 269 ). Da sich die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt, rechtfertigt aber nicht jede fehlerhafte Anwendung der einfachgesetzlichen Bestimmungen über die Richterablehnung das Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts. Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind erst überschritten, wenn sich die Handhabung der §§ 24 ff. StPO im Einzelfall als willkürlich oder offensichtlich unhaltbar erweist oder wenn die richterliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 ). … 2. Nach diesen Maßstäben sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Obgleich die der Befangenheitsrüge zugrunde liegende Rechtsanwendung des Landgerichts mit dem Recht des Angeklagten auf aktive Teilhabe an der Wahrheitsfindung kollidiert und in einigen Punkten nicht die seitens des Bundesgerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, ist hierin im Ergebnis kein Grund zur Befangenheit zu sehen. 316
BVerfG, 2. K., Beschl. v. 24.3.2010 – 2 BvR 2092/09, 2 BvR 2523/09.
315
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Das Setzen einer Frist zur Stellung von Beweisanträgen im Strafverfahren ist verfassungsrechtlich dem Grunde nach nicht zu beanstanden. Eine solche Fristsetzung wird jedoch nur in gewissen Prozesskonstellationen ernsthaft in Betracht zu ziehen sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08 – Absatz-Nr. 29). … Diese Möglichkeit auf effektive Teilhabe an der Sachverhaltsaufklärung wird vorliegend durch die sehr kurze Frist von unter 24 Stunden unzulässig beschnitten. ... Im Ergebnis stellt es jedoch keine Verkennung von Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar, wenn diese Rechtsanwendung nicht als die Besorgnis der Befangenheit begründender Umstand angesehen wird. Das Verhalten ist insgesamt betrachtet nicht willkürlich. Das Setzen einer Frist zur Stellung von Beweisanträgen verstößt als solches weder gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens noch stellt es eine unzulässige Rechtsfortbildung dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08 – Absatz-Nr. 17). Es fehlt ferner an Anhaltspunkten, dass allein infolge der Äußerung des Verteidigers der Beschwerdeführerin zu 2), man werde in der Hauptverhandlung „schon ordentlich Feuer“ machen (vgl. Bl. 35 UA LG), ein nicht ausschließlich auf die Wahrheitserforschung zielendes Verteidigerverhalten vorlag. … Zudem wurden die Beschwerdeführer durch die Fristsetzung im Ergebnis nicht unzumutbar beeinträchtigt. Das Gericht hat bereits zuvor auf einen baldigen Abschluss der Beweisaufnahme hingewiesen, wodurch die Beschwerdeführer in der Lage waren, ihr Verteidigungsverhalten entsprechend einzurichten. Da es sich um keine Ausschlussfrist handelt, kann sich ein Angeklagter auch nach Fristablauf noch aktiv an der Sachverhaltsaufklärung beteiligen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08 – Absatz-Nr. 27), was in einer Gesamtschau die mit der Fristsetzung einhergehende Beschränkung der Rechte abmildert.
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Keinen Zweifel an der Befangenheit eines Schöffen lässt die Entscheidung vom 28.4.2010:317 Ein offenes Bekenntnis eines Schöffen zu Methoden der Selbstjustiz und zur Eintreibung von Forderungen mit Hilfe rechtswidriger Drohungen in seiner beruflichen Tätigkeit als Inkassounternehmer begründet jedenfalls dann die Besorgnis der Befangenheit, wenn eine – wenn auch nur mittelbare – Verbindung eines solchen Verhaltens zu dem Strafverfahren besteht, in dem der ehrenamtliche Richter tätig ist. Das Ehrenamt des Schöffen in Strafgerichten stellt an die rechtliche Gesinnung und die Rechtstreue des Schöffen hohe Anforderungen. Dem Schöffen kommen in seiner Eigenschaft als zur Entscheidung berufenen Richter grundsätzlich dieselben Rechte und Pflichten zu wie den Berufsrichtern; insbesondere hat seine Stimme bei der Abstimmung in Schuldund Straffragen dasselbe Gewicht. Das Gesetz stellt daher an ehrenamtliche Richter dieselben Anforderungen der Unbefangenheit und Rechtstreue, wie sie für Berufsrichter gelten, und lässt konsequent die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit unter denselben Voraussetzungen wie bei jenen zu (§ 31 Abs. 1 StPO). Vorliegend hat das Verhalten des Schöffen ohne Zweifel die Besorgnis der Befangenheit begründet. Dabei kam es nicht darauf an, dass zwischen dem von dem Schöffen betriebenen Zivilverfahren und dem vorliegenden Strafverfahren keine unmittelbare Verbindung
317
BGH, Beschl. vom 28.4.2010 – 2 StR 595/09.
II. 2. Ausschließung vom Richteramt, Befangenheit – §§ 22 ff. StPO
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bestand. Zu den Mindestanforderungen an die Rechtstreue und charakterliche Eignung eines Schöffen gehört es, dass er sich – namentlich in rechtlich geregelten Verfahren – dem Recht verpflichtet fühlt. Ein Schöffe, der sich offen zur Selbstjustiz und zur Durchsetzung von (angeblichen) Forderungen mittels rechtswidriger Drohungen oder Gewalt bekennt, begründet regelmäßig Zweifel an seiner Rechtstreue. Vorliegend kam hinzu, dass eine immerhin mittelbare Verbindung beider Verfahren über die Person des Verteidigers bestand. Dass der Schöffe diesen möglicherweise gar nicht persönlich kannte, ist unerheblich. Denn Wortlaut und Tonfall des Schreibens an den Schuldner ergeben unzweifelhaft, dass der Schöffe der Tätigkeit des – abschätzig als „Spannmann“ titulierten – Prozessvertreters des Schuldners von vornherein geringschätzig und abwertend gegenüberstand.
Im Zusammenhang mit Gesprächen über eine Verständigung ist eine gewisse Zurückhaltung bei den Richtern erforderlich:318 Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBI I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, VerstG, 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).
318
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 287/10.
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D. Strafprozessordnung
■ PRAXISTIPP
Die vorstehenden Entscheidungen zeigen, dass gerade bei prozessualen Handlungen und Äußerungen von Richtern eine erhebliche Zurückhaltung gegeben ist, Befangenheit anzunehmen. Daher wird es im Regelfall einer Verteidigung nicht weiterhelfen, wenn das Gericht unablässig mit Befangenheitsanträgen „bombardiert“ wird. Stattdessen sollte abgewartet werden, ob und bis tatsächlich ein Umstand auftaucht, welcher eine tatsächliche Befangenheit begründen könnte!
3. Wiedereinsetzung – § 44 StPO 318
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Entscheidungen zur Wiedereinsetzung in abgelaufene Rechtsmittel- oder Begründungsfristen wiederholen sich Jahr für Jahr; dennoch sind die geltend gemachten Umstände zuweilen zumindest originell, vielfach wiederholen sich aber immer dieselben Fehler, welche dann – eher unerfreulich für Anwalt oder Mandant – den Antrag als unzulässig erscheinen lassen. Kein Glanzlicht eines Verteidigerantrags ist in der Entscheidung vom 4.8.2010319 geschildert, wobei hier aber geradezu beispielhaft die grundlegenden Voraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrags aufgeführt sind. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht eingehalten wurden. Die Antragsbegründung äußert sich nicht dazu, wann das Hindernis, das einer rechtzeitigen Revisionsbegründung entgegenstand, weggefallen ist. Entscheidend für den Beginn der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Fristversäumung durch den Angeklagten. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, NStZ 2006, 54 f.). Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 45 Rn. 5). Erforderlich war demnach die Mitteilung, wann der Angeklagte von der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Kenntnis erhalten hat. Daran fehlt es. Im Übrigen sind die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht worden (§ 45 Abs. 2 Satz 1 StPO). Aus dem Hinweis auf ein „Büroversehen“ ist nicht zu entnehmen, dass den Angeklagten auch kein mitwirkendes Verschulden trifft.
320
Die Entscheidung vom 11.5.2010320 bestätigt erneut die bereits bekannte Grundentscheidung, dass es keine Wiedereinsetzung bei nicht formgerecht erhobenen und damit unzulässigen Verfahrensrügen gibt. Verwunderlich ist allerdings, dass immer noch solche Versuche gestartet werden; denn eigentlich müsste die ablehnende Begründung des Revisionsgerichts jeden Anwalt erschauern lassen in Anbetracht des somit selbst dokumentierten und dadurch konkret drohenden Regressanspruches. 319 320
BGH v. 4.8.2010 – 2 StR 365/10; vgl. auch BGH v. 5.8.2010 – 4 StR 313/10. BGH, Beschl. v. 11.5.2010 – 4 StR 117/10.
II. 3. Wiedereinsetzung – § 44 StPO
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Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten zur Anbringung einer Verfahrensrüge ist unzulässig. Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Pflichtverteidiger mit der Sachrüge und einer – allerdings nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden – Verfahrensrüge fristgerecht begründet worden ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge kommt grundsätzlich nicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08, StV 2008, 394 m.N.). Sie kommt nur ausnahmsweise in besonderen Prozesssituationen in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör unerlässlich erscheint (vgl. BGH aaO). Eine solche Ausnahmesituation liegt hier nicht vor.
Sicherlich keine Freude dürfte Rechtsanwälten auch die Entscheidung vom 1.4.2010321 bereitet haben, welche allerdings trotz des Entstehungsdatums keinen Aprilscherz darstellt: Die zu späte Kenntnisnahme des Angeklagten oder seines Verteidigers von einer gesetzlichen Bestimmung – ebenso wie die Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung – stellt keine Verhinderung i.S.d. § 44 Satz 1 StPO dar und begründet demgemäß auch keine Wiedereinsetzung!
321
Das Wiedereinsetzungsgesuch wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Rechtsmittelverzicht gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO n.F. unwirksam gewesen sei. Hätte der Angeklagte dies gewusst, hätte er fristgerecht Revision eingelegt. 2. Der Wiedereinsetzungsantrag bleibt ohne Erfolg. a) Bedenken bestehen bereits gegen seine Zulässigkeit, weil die Begründungsschreiben – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat – nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit den Zeitpunkt des Wegfalles des Hindernisses im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO erkennen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. September 2005 – 4 StR 399/05, NStZ 2006, 54). b) Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Zwar ist es zutreffend, dass nach § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO in der Fassung des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) der in der Hauptverhandlung vom 14. August 2009 nach Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht nicht zulässig war. Dies hat zur Folge, dass der Rechtsmittelverzicht unwirksam ist, so dass dem Angeklagten die – hier erheblich überschrittene – einwöchige Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) zur Verfügung gestanden hätte. Der Angeklagte war jedoch nicht – wie in § 44 Satz 1 StPO gefordert – ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Revision zu wahren. Denn die zu späte Kenntnisnahme des Angeklagten oder seines Verteidigers von einer gesetzlichen Bestimmung stellt – ebenso wenig wie die Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2005 – 5 StR 354/05, wistra 2006, 28 m.w.N.) – keine Verhinderung im Sinne dieser Vorschrift dar.
Unzulässig war auch der Wiedereinsetzungsantrag eines Angeklagten, mit welchem sich dieser darauf berufen hatte, sein Verteidiger habe aus ihm unbekannten Gründen keine Revision eingelegt, obwohl er ihn ausdrücklich darum gebeten habe – 321
BGH, Beschl. v. 1.4.2010 – 4 StR 637/09.
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D. Strafprozessordnung
ohne allerdings zugleich zu behaupten, dass der Verteidiger ihm die Einlegung des Rechtsmittels auch tatsächlich zugesagt habe.322 Anwaltsverschulden eines Nebenklägervertreters bei Fristversäumung: Besteht in der Rechtsanwaltskanzlei die klare Anweisung, dass dem Anwalt Fristsachen einschließlich der Briefumschläge vorzulegen sind, und wird dem Anwalt ein Urteil mit einem Eingangsstempel ohne den Briefumschlag vorgelegt, vermag der Umstand, dass der Eingangsstempel unrichtig war, ein fehlendes Verschulden des Anwalts an der Fristversäumung nicht zu begründen, wenn weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, weshalb der Anwalt sich nicht nach dem Briefumschlag erkundigt hat.323 1. Das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten ist dem Nebenkläger nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Für die Frage, inwieweit der prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt für Verschulden seines Kanzleipersonals haftet, kommt es darauf an, ob dieses sorgfältig ausgewählt und überwacht wird und ob eine zur Verhinderung von Fristüberschreitungen taugliche Büroorganisation vorhanden ist (MeyerGoßner StPO 52. Auflage § 44 Rn 19 f., KK-Maul StPO 6. Auflage § 44 Rn 34 f. jeweils m.w.N.). 2. Die Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert grundsätzlich eine genaue Darlegung und Glaubhaftmachung aller zwischen dem Beginn und Ende der versäumten Frist liegenden Umstände, die für die Frage bedeutsam sind, wie und gegebenenfalls durch wessen Verschulden es zur Versäumung gekommen ist (BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 1; KK-Maul aaO § 45 Rn 6). Daran fehlt es vorliegend. ■ PRAXISHINWEIS
Die vorstehenden Entscheidungen spiegeln die ständige Rechtsprechung wider, wonach es keine Wiedereinsetzung in die Versäumung von Revisionsbegründungsfristen gibt, wenn jedenfalls Verfahrensrügen bereits fristgemäß erhoben wurden; dies gilt demgemäß auch für die Wiedereinsetzung zur Heilung bislang unzulässig erhobener Rügen, bspw. durch Nachschieben von fehlenden Unterlagen oder Protokollauszügen. Besonders bedeutsam ist die Entscheidung, welche eine Berufung des Prozessvertreters auf eine ihm nicht bekannte Rechtsänderung zurückweist, was auch für die Behauptung eines Verbotsirrtums des Prozessvertreters Anwendung finden dürfte.
4. Zeugnisverweigerungsrecht, Auskunftsverweigerungsrecht a) 324
Zeugnisverweigerungsrecht – § 52 Abs. 1 StPO
Die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht wegen eines mit dem Angeklagten bestehenden Verlöbnisses erfolgt zwar seltener als noch vor einigen Jahren, dennoch kann eine daraufhin unterlassene Aussage einer Zeugin prozessentscheidend sein. Verweigert das Gericht die Anerkennung des behaupteten Verlöbnisses, kann der Verteidiger in der laufenden Hauptverhandlung nichts unternehmen. Mit der Ent322 323
BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 1 StR 510/10. BGH, Beschl. v. 17.3.2010 – 2 StR 27/10.
II. 4. Zeugnisverweigerungsrecht, Auskunftsverweigerungsrecht
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scheidung des 4. Strafsenats vom 9.3.2010 324 kann diesbezüglich eine Verfahrensrüge im Rahmen einer Revision nur noch dann erhoben werden, wenn er eine Entscheidung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt hat. Die Revision macht mit der Verfahrensrüge geltend, dass T. in der Hauptverhandlung als Verlobte des Angeklagten gemäß § 52 Abs. 1 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt gewesen sei. Wäre sie – wie geboten – bei ihrem zweiten Erscheinen in der Hauptverhandlung entsprechend belehrt worden, hätte sie hierauf und nicht nur auf § 55 Abs. 1 StPO gestützt auch bei dieser Vernehmung die Aussage verweigert. Dann hätte einer Verwertung der Angaben des Polizeibeamten und des Ermittlungsrichters das aus § 252 StPO herzuleitende Verwertungsverbot entgegengestanden. b) Die Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Revisionsführer gegen die „Feststellung“ der Vorsitzenden, dass die Zeugin T. nicht die Verlobte des Angeklagten sei, keine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO erhoben und keine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat. aa) Zweck des § 238 Abs. 2 StPO ist es, die Gesamtverantwortung des Spruchkörpers für die Rechtsförmigkeit der Verhandlung zu aktivieren, hierdurch die Möglichkeit zu eröffnen, Fehler des Vorsitzenden im Rahmen der Instanz zu korrigieren und damit Revisionen zu vermeiden. Dieser Zweck würde verfehlt, wenn es im unbeschränkten Belieben des um die Möglichkeit des § 238 Abs. 2 StPO wissenden Verfahrensbeteiligten stünde, ob er eine für unzulässig erachtete verhandlungsleitende Maßnahme des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO zu beseitigen sucht oder stattdessen hierauf im Falle eines ihm nachteiligen Urteils in der Revision eine Verfahrensrüge stützen will. Er hat daher grundsätzlich auf Entscheidung des Gerichts anzutragen; unterlässt er dies, kann er in der Revisionsinstanz mit einer entsprechenden Rüge nicht mehr gehört werden (BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 147; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsprechung: BVerfG, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 2 BvR 2557/06). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Anordnung des Vorsitzenden eine strafprozessuale Regelung zu Grunde liegt, die ihm für die Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen einen Beurteilungsspielraum eröffnet oder ihm auf der Rechtsfolgenseite Ermessen einräumt, und die Revisionsrüge auf eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums oder einen Ermessensfehlgebrauch gestützt werden soll (BGH aaO). Umso mehr ist eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO geboten, wenn das Revisionsgericht an solche tatrichterlichen Feststellungen gebunden ist, wie dies die Rechtsprechung bezüglich der Voraussetzungen eines Verlöbnisses annimmt (vgl. die Nachweise bei BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 [dort offen gelassen] und bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 52 Rdn. 33, § 337 Rdn. 17). Gerade wenn dem Revisionsgericht eine Richtigkeitsprüfung infolge einer Bindung an die Feststellungen des Tatrichters verwehrt ist, besteht für den späteren Revisionsführer Anlass, sich mit der Maßnahme des Vorsitzenden nicht zu begnügen, sondern diese und ihre im Nachhinein selbst im Freibeweisverfahren kaum rekonstruierbare Tatsachengrundlage zunächst zur Überprüfung durch das gesamte Tatgericht zu stellen. Unterlässt er diese Anrufung des Gerichts, so gibt er damit zu erkennen, dass er die Grenzen des Beurteilungsspielraums des Vorsitzenden nicht als überschritten und die Anordnung nicht als rechtswidrig ansieht. bb) Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Entscheidung, ob eine Zeugin Verlobte des Angeklagten ist, ihr deshalb das Aussageverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO zusteht und sie hierüber zu belehren 324
BGH, Beschl. v. 9.3.2010 – 4 StR 606/09.
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D. Strafprozessordnung
ist, ist durch § 238 StPO dem Vorsitzenden anvertraut. Hierfür hat er die insofern relevanten Umstände festzustellen, wobei er in Fällen, in denen der Zeuge das Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt, nach seinem Ermessen deren Glaubhaftmachung verlangen kann (vgl. Meyer-Goßner aaO § 56 Rdn. 1, § 52 Rdn. 4). Da das Verlöbnis ein allein vom Willen der Betroffenen abhängiges, an keine Form gebundenes Rechtsverhältnis ist, dessen Auflösung sogar dann in Betracht kommt, wenn einer der Beteiligten einseitig den Heiratswillen aufgibt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2003 – 2 StR 445/02, BGHSt 48, 294, 300 f.), unterliegt die „Feststellung“, ob ein Verlöbnis vorliegt, als Maßnahme der Verhandlungsleitung der wertenden Beurteilung des Vorsitzenden nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls. Sie ist deshalb nach § 238 Abs. 2 StPO angreifbar (ebenso für die Bewertung der Verfolgungsgefahr im Sinne des § 55 Abs. 1 StPO: BGH, Urteile vom 27. Oktober 2005 – 4 StR 235/05, NStZ 2006, 178, und vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 146). Dementsprechend hält die Rechtsprechung eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO etwa dann für erforderlich, wenn der Vorsitzende die Befragung eines Zeugen trotz einer von anderen Verfahrensbeteiligten als Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts angesehenen Erklärung des Zeugen fortsetzt (BGH, Urteil vom 26. August 1998 – 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94, 95). Der Erforderlichkeit einer Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO steht dabei nicht entgegen, dass § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO die Belehrung zwingend vorschreibt, wenn der Zeuge zur Verweigerung der Aussage berechtigt ist. Hat sich der Vorsitzende über eine Verfahrensvorschrift hinweggesetzt, die keinen Entscheidungsspielraum zulässt oder hat er eine von Amts wegen gebotene unverzichtbare Maßnahme unterlassen, so scheidet eine Präklusion der Revisionsrüge bei Verzicht auf den in § 238 Abs. 2 StPO vorgesehenen Zwischenrechtsbehelf zwar grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 7. März 1996 – 4 StR 737/95, BGHSt 42, 73, 77 f. m.w.N.). Ein solcher Fall ist aber nicht gegeben, wenn – wie hier – dem Vorsitzenden bei der Bewertung der tatsächlichen Grundlagen einer zwingend vorgeschriebenen und unverzichtbaren Verfahrensvorschrift ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (vgl. zu § 55 StPO: BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, BGHSt 51, 144, 148). ■ PRAXISHINWEIS
Die hier dargestellten Grundsätze werden auch für die weitere, noch wichtigere Fallgruppe des § 52 Abs. 2 StPO, nämlich der Beurteilung der Verstandesreife minderjähriger oder kranker Personen, heranzuziehen sein. Die Verteidiger müssen, wenn sie sich die Möglichkeit einer entsprechenden Verfahrensrüge nicht verbauen wollen, stets die Vorschrift des § 238 Abs. 2 StPO im Auge behalten, zumal das Revisionsgericht die vorgenommene Beurteilung nur auf Rechtsfehler überprüft und ihm eine eigenständige Beurteilung versagt ist.
b) Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche – § 53 Abs. 1 StPO 325
Eine Pflicht zur Belehrung in Fällen des § 53 StPO besteht nicht. Das Gericht darf regelmäßig davon ausgehen, dass der Zeuge sein Recht zur Zeugnisverweigerung kennt. Dies gilt auch für den Geistlichen aus einem fremden Land jedenfalls dann, wenn er sich in Deutschland dauerhaft aufhält und hier eine Gemeinde betreut.325
325
BGH, Urteil v. 4.2.2010 – 4 StR 394/09.
II. 4. Zeugnisverweigerungsrecht, Auskunftsverweigerungsrecht
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1. a) Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das Landgericht habe die aus Kroatien stammenden Zeugen V. und D. nicht über das ihnen als katholische Geistliche zustehende Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO belehrt, hat keinen Erfolg. aa) Da sich ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO nur auf Tatsachen erstreckt, die dem betreffenden Geistlichen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind und nicht auf das, was er in ausschließlich karitativer oder fürsorgerischer Tätigkeit erfahren hat (BGHSt 51, 140, 141; vgl. auch BVerfG NJW 2007, 1865), kam jedenfalls dem Zeugen D. ein solches Zeugnisverweigerungsrecht nicht zu. Denn der Angeklagte bat den Zeugen zunächst lediglich darum, ihm für einige Tage Unterkunft zu gewähren, was dieser jedoch ablehnte. Weder bei diesem ersten noch bei dem zweiten Zusammentreffen mit dem Angeklagten erfuhr der Zeuge D. den Grund für dieses Hilfeersuchen. bb) Im Hinblick auf das, was dem Zeugen V. anlässlich seines Zusammentreffens mit dem Angeklagten bekannt wurde, mag die Rechtslage anders zu beurteilen sein, denn der Angeklagte, der sich schon in der Vergangenheit an diesen Zeugen mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand gewandt hatte, äußerte bei dieser Gelegenheit sinngemäß, eine schlimme Tat begangen zu haben. Gleichwohl kann die Rüge nicht durchgreifen. Eine Pflicht zur Belehrung in Fällen des § 53 StPO besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1991 – 5 StR 516/90, NJW 1991, 2844, 2846, in BGHSt 37, 340 insoweit nicht abgedruckt; Senatsurteil vom 27. Mai 1971 – 4 StR 81/71, VRS 41 (1971), 93, 94); das Gericht darf regelmäßig davon ausgehen, dass der Zeuge sein Recht zur Zeugnisverweigerung kennt (Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 53 Rdn. 44). Dies gilt für den Geistlichen eines fremden Landes jedenfalls dann, wenn er sich – wie der Zeuge V. – in Deutschland dauerhaft aufhält und hier eine Gemeinde betreut. Im Übrigen wurde der Zeuge aus Anlass seiner polizeilichen Vernehmung am 2. Oktober 2008 über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und äußerte daraufhin, in „Glaubens- und Gewissensdingen“ werde er keine Angaben machen. Seine Bekundungen zur Begegnung mit dem Angeklagten hat er demnach in Kenntnis seines Rechts zur Verweigerung des Zeugnisses gemacht; Anhaltspunkte für ein dahin gehendes Missverständnis sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der 4. Strafsenat des BGH hat mit Urteil vom 15.4.2010 – 4 StR 650/09 – im Hinblick auf yezidische Geistliche entschieden, dass der Zweck von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO nicht eine Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen auf Angehörige der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften erfordert. Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO schützt in erster Linie das Vertrauensverhältnis zwischen dem Geistlichen und demjenigen, der sich ihm anvertraut (vgl. BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 – 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99, BVerfGE 109, 279, 322). Dem Rat- und Hilfesuchenden soll die Möglichkeit eröffnet sein, sich mit einem Geistlichen zu besprechen, ohne befürchten zu müssen, dass dieser die ihm mitgeteilten Tatsachen und Umstände als Zeuge offenbaren muss. Der Schutz erfolgt um der Menschenwürde des Gesprächspartners des Seelsorgers willen (BVerfG aaO). Denn „das Zwiegespräch mit dem Seelsorger ist dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen, der dem staatlichen Zugriff schlechthin entzogen ist, und bedarf daher umfassenden Schutzes vor staatlicher Kenntnisnahme“ (BTDrucks. 16/5846 S. 35 [zu § 53b StPO-E, dem jetzigen § 160a Abs. 1 Satz 1 StPO]; ähnlich dort S. 25). Mit diesem Schutzzweck des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ist eine Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen, die auf den rechtlichen Status der Religionsgemeinschaft abstellt, unvereinbar.
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(1) § 53 StPO gibt dem Schutz des Vertrauens in die Verschwiegenheit bestimmter Berufe den Vorrang vor dem Interesse der Allgemeinheit an vollständiger Sachaufklärung im Strafverfahren (BTDrucks. 12/870 S. 5). Mit der Beschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO auf Geistliche der staatlich anerkannten, öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften – wie sie vom Gesetzgeber (ausdrücklich) etwa in § 132a Abs. 3 StGB (dazu BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 1984 – 2 BvR 1837/83) vorgenommen wurde – verfolgt die herrschende Lehre das an sich berechtigte Anliegen, eine Ausuferung und einen Missbrauch dieses Rechts zu verhindern und die Berechtigung zur Aussageverweigerung von einem auch in der täglichen Praxis schnell und leicht überprüfbaren Kriterium abhängig zu machen. Dem kann jedoch bei § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO – auch ohne Anknüpfung an den rechtlichen Status einer Religionsgemeinschaft – dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass der Begriff des „Geistlichen“ dahin ausgelegt wird, dass diesem die seelsorgerische Tätigkeit von der Religionsgemeinschaft übertragen und ihm ein entsprechendes Amt – verbunden mit einer herausgehobenen Stellung innerhalb der Religionsgemeinschaft – anvertraut sein muss. Vorausgesetzt wird ferner, dass das von dem Geistlichen geführte seelsorgerische Gespräch einem ihm von der Religionsgemeinschaft auferlegten Schweigegebot unterliegt. Allein bei Vorliegen dieser Voraussetzung ist das Vertrauen seines Gesprächspartners darauf, der Geistliche werde den Inhalt des Gesprächs oder die ihm in Zusammenhang mit diesem sonst bekannt gewordenen Tatsachen nicht weitergeben, schutzwürdig und schutzbedürftig. Auch besteht die das Zeugnisverweigerungsrecht ergänzend rechtfertigende Konfliktsituation des – einer Strafbarkeit nach § 203 StGB nicht unterworfenen – Geistlichen nur dann, wenn ein solches Schweigegebot besteht. Belegt wird diese über die allein funktionale Stellung als Seelsorger hinausgehende Notwendigkeit einer in diesem Sinne statusgebundenen und damit dem Selbstordnungs- und Selbstregelungsrecht der Religionsgemeinschaften Rechnung tragenden Beschränkung des Personenkreises der Geistlichen durch die systematische Einordnung des Aussageverweigerungsrechts der Geistlichen in § 53 StPO. Denn diese Vorschrift regelt nur Zeugnisverweigerungsrechte „aus beruflichen Gründen“ (dazu auch BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865; Seelemann ZevKR 2004, 639, 641 f.), lässt also eine allein religiös motivierte, indes nicht mit der Übertragung eines entsprechenden Amtes verbundene seelsorgerische Tätigkeit nicht genügen. …. (2) Ob das im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO erforderliche „Berufsbild“ zwingend an eine hauptamtliche Beauftragung anknüpft, erscheint jedoch zweifelhaft. Dagegen könnte schon sprechen, dass es sich hierbei nicht um ein „Wesensmerkmal“ des Begriffs des Geistlichen handelt, da ansonsten der entsprechende Zusatz in § 10 ZDG, § 11 WPflG entbehrlich wäre (zu den sich aus dem „hauptamtlich“ ergebenden zusätzlichen Anforderungen: BVerfG, Beschlüsse vom 12. Januar 1987 – 2 BvR 160/85, NVwZ 1987, 676, und vom 11. April 1990 – 2 BvR 828/87, NVwZ 1990, 1064). Vor allem aber würde die Notwendigkeit, die Seelsorge als Hauptamt auszuüben, zu einer Privilegierung der großen und einer Benachteiligung der kleinen Religionsgemeinschaften führen können (ähnlich Korioth in Maunz/Dürig GG [Stand 2009] Art. 136 WRV Rdn. 46) und das durch Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 Abs. 3 Satz 2 WRV gewährleistete Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht der Religionsgemeinschaften in Bezug auf die Ämterverteilung beeinträchtigen. Auch wenn aber vom Erfordernis einer hauptamtlichen seelsorgerischen Tätigkeit abgesehen wird, erscheint im vorliegenden Fall eine an einen Status im oben beschriebenen Sinne gebundene Betätigung der Zeugen Sü. und D. schon deshalb als nicht unproblematisch, weil diese Zeugen ihre Berechtigung zur seelsorgerischen Betätigung aus der Zugehörigkeit
II. 4. Zeugnisverweigerungsrecht, Auskunftsverweigerungsrecht
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zu einer Kaste herleiten, der – nach dem Vortrag der Revision – etwa ein Drittel der Yeziden angehört. Ob derartige „Geistliche“ Berufsträgern im Sinne von § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO zugerechnet werden können, muss der Senat jedoch nicht abschließend entscheiden. cc) Jedenfalls handelte es sich bei ihrer Teilnahme an dem „Versöhnungsgespräch“ nicht um eine seelsorgerische Tätigkeit im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO. (1) Seelsorge im Sinne dieser Vorschrift umfasst nur eine von religiösen Motiven und Zielsetzungen getragene Zuwendung, die der Fürsorge für das seelische Wohl des Beistandsuchenden, der Hilfe im Leben oder Glauben benötigt, dient. Zu ihr gehören dagegen nicht Gespräche, Erkenntnisse oder Tätigkeiten des Geistlichen auf dem Gebiet des täglichen Lebens bei Gelegenheit der Ausübung von Seelsorge ohne Bezug zum seelischen Bereich. Deshalb ist ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht anzuerkennen, soweit es sich um eine karitative, fürsorgerische, erzieherische oder verwaltende Tätigkeit des Geistlichen handelt (BGH, Beschluss vom 15. November 2006 – StB 15/06, BGHSt 51, 140, 141 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 – 4 StR 394/09; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 20. Juli 1990 – StB 10/90, BGHSt 37, 138, 140). (2) Die Frage, ob einem Geistlichen Tatsachen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind, ist objektiv und in Zweifelsfällen unter Berücksichtigung der Gewissensentscheidung des Geistlichen zu beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 2 BvR 26/07, NJW 2007, 1865, 1866 f.; BGH, Beschluss vom 15. November 2006 – StB 15/06, BGHSt 51, 140, 141). Vorrangig ist sie dem Tatgericht anvertraut, das bei seiner Entscheidung den ihm etwa aus Zeugenaussagen oder der Einlassung des Beschuldigten bekannten Inhalt des Gesprächs zu berücksichtigen und auch zu beachten hat, dass die Rechtsprechung von einer Unterscheidbarkeit seelsorgerischer und nichtseelsorgerischer Teile eines Gesprächs ausgeht (BVerfG und BGH aaO). …
c)
Auskunftsverweigerungsrecht / Zeugenbeistand TOPENTSCHEIDUNG ■
Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG durch Verweigerung der Zuziehung eines anwaltlichen Beistandes zur Zeugenvernehmung im Strafprozess: Nicht die Zuziehung eines Beistands bedarf einer Rechtfertigung, sondern dessen Ausschluss.326 In einem Strafverfahren vor dem Amtsgericht Gummersbach, welches Korruptionsvorwürfe in der Energiewirtschaft zum Gegenstand hatte, wurde der Beschwerdeführer als Zeuge geladen. Er erschien mit einem zuvor mandatierten Rechtsanwalt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls gestaltete sich der Verfahrensablauf wie folgt: Aufruf des Zeugen G. Der Zeuge G. erschien in Begleitung seines Zeugenbeistands Rechtsanwalt Dr. V. Herr Rechtsanwalt Dr. V. erklärte, dass sein Mandant, Herr Rechtsanwalt G., eine Unterstützung bei seiner Aussage im Hinblick auf § 55 StPO benötige und wünsche. Es wurde Gelegenheit zu Stellungnahmen gegeben. Die Staatsanwaltschaft sah unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung und des § 55 StPO keine Veranlassung, Herrn Rechtsanwalt Dr. V. als Zeugenbeistand zuzulassen. Das Gericht zog sich um 10:09 Uhr zur Beratung zurück. Die Sitzung wurde um 10:18 Uhr mit allen Prozessbeteiligten wie vor der Unterbrechung fortgesetzt. Es erging folgender Gerichtsbeschluss: b.u.v. Es wird festgestellt, dass der Zeuge 326
BVerfG, 2. K., Beschl. v. 10.3.2010 – 2 BvR 941/09.
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nicht berechtigt ist, einen Zeugenbeistand zu seiner Vernehmung hinzuzuziehen. Rechtsanwalt Dr. V. beantragte zu diesem Beschluss rechtliches Gehör. Das rechtliche Gehör wurde Herrn Rechtsanwalt Dr. V. gewährt, er gab eine Erklärung ab. Die Erklärung wurde durch das Gericht zur Kenntnis genommen. Herr Rechtsanwalt Dr. V. erklärte für den Zeugen, dass dieser sich das Recht vorbehalte, Verfassungsbeschwerde einzulegen. Rechtsanwalt Dr. V. nahm im Zuschauerraum des Sitzungssaales Platz. Einvernahme des Zeugen G.: … Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. 1. Die diesem immanente Forderung nach verfahrensmäßiger Selbständigkeit des in ein justizförmiges Verfahren hineingezogenen Bürgers bei der Wahrnehmung ihm eingeräumter prozessualer Rechte und Möglichkeiten gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten gebietet es, auch dem Zeugen grundsätzlich das Recht zuzubilligen, einen Rechtsbeistand seines Vertrauens zu der Vernehmung hinzuzuziehen, wenn er das für erforderlich hält, um von seinen prozessualen Befugnissen selbständig und seinen Interessen entsprechend sachgerecht Gebrauch zu machen. Die Lage des Zeugen, der sich in Erfüllung seiner allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflichten der Gefahr eigener Verfolgung aussetzt, weist enge Bezüge zu der Situation des Beschuldigten auf (vgl. BVerfGE 38, 105 ). Im Gegensatz zu diesem unterliegt der Zeuge jedoch grundsätzlich der Aussage- und Wahrheitspflicht mit den sie sichernden Zwangsmitteln und Strafandrohungen. Er darf Belastendes nicht bloß verschweigen, sondern muss ausdrücklich ablehnen, ihm gefährlich erscheinende Fragen zu beantworten mit den damit verbundenen ungünstigen Auswirkungen gegenüber Verfahrensbeteiligten und Öffentlichkeit. Frei vom Aussagezwang ist dieser Zeuge erst, wenn er selbständig und sachgerecht über die Ausübung oder Nichtausübung des Auskunftsverweigerungsrechts entscheiden kann (vgl. BVerfGE 38, 105 ). Das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet dem Zeugen jedoch nicht schlechthin ein allgemeines Recht auf Rechtsbeistand. Mit dem Postulat der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege ist es nicht vereinbar, die Mitwirkung eines Rechtsbeistands in jedem Fall und ohne jede Einschränkung zu dulden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt vielmehr eine Abwägung zwischen dem Anspruch des Zeugen und dem öffentlichen Interesse an der Effizienz des Strafprozesses, die die Behörden und Gerichte unter Beachtung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen haben. Für die Hinzuziehung eines Rechtsbeistands bedarf es daher einer besonderen rechtsstaatlichen Legitimation, die sich in unterschiedlicher Ausprägung aus der jeweiligen besonderen Lage des Zeugen, insbesondere aus den ihm im eigenen Interesse eingeräumten prozessualen Befugnissen bei der Erfüllung der allgemeinen staatsbürgerlichen Zeugenpflichten ergibt (vgl. BVerfGE 38, 105 ). 2. Diesen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses eines Zeugenbeistands entspricht die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts Gummersbach nicht. Es fehlt an einer Abwägung zwischen den Interessen des Zeugen und denen des Staates an der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege. Unabhängig von der Frage, wie sich bereits das Fehlen einer expliziten Rechtsgrundlage für den Ausschluss eines Zeugenbeistands (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2000 – 1 BvR 1331/99 –, NStZ 2000, S. 434 ; zur Untauglichkeit des § 68b StPO a.F. als Rechtsgrundlage vgl. BTDrucks 13/7165, S. 8; 16/12098, S. 10, 15; Ignor/Bertheau, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2008, § 68b Rn. 1) im Rahmen der Prüfung des fairen Verfahrens auswirkt, ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Zurückweisung des Beistands zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich war. … a) Eine Abwägung ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Zeuge vor Beginn seiner Vernehmung keine näheren Angaben zum Grund der Hinzuziehung eines Beistands machte,
II. 5. Vereidigungsverbot – § 60 Nr. 2 StPO
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sondern sich zunächst lediglich pauschal auf § 55 StPO berief. Nicht der Zeuge muss deren Notwendigkeit darlegen; der Ausschluss des Beistands bedarf der Rechtfertigung (vgl. auch Rogall, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 62. Lieferung [Juli 2009], Vor § 48 Rn. 108; vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 – 2 BvR 307/83 –, NStZ 1983, S. 374 ). Maßgebend ist, ob der Zeuge die Mitwirkung des Beistands für erforderlich hält, um seine prozessualen Rechte wahrzunehmen. … Den Interessen an einer effektiven Strafverfolgung und einem geordneten, auf die Wahrheitsfindung fokussierten Ablauf der Hauptverhandlung ist dann Rechnung getragen, wenn der Beistand bei einer Gefährdung dieser Ziele ausgeschlossen werden kann. Um dies zu ergründen, ist das Gericht durchaus befugt, die Umstände der Hinzuziehung eines Zeugenbeistands aufzuklären und entsprechende Fragen sowohl an den Zeugen als auch an dessen Beistand zu stellen, da es erst hierdurch in die Lage versetzt wird, etwaige Ausschlussgründe – jetzt gemäß § 68b Abs. 1 StPO – zu prüfen. Demgegenüber trifft den Zeugen grundsätzlich keine Rechtfertigungspflicht für das Erscheinen in Begleitung eines Rechtsbeistands. Eine Beeinträchtigung der effektiven Strafverfolgung besteht in der Regel nicht bereits dann, wenn der Zeuge keine Angaben zur eigentlichen Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Beistands macht (vgl. König, in: Festschrift für Riess, 2002, S. 243 ; BGH, Urteil vom 20. April 1989 – 4 StR 69/89 – Rn. 8). PRAXISHINWEIS ■
Die Kammerentscheidung des BVerfG stärkt die Rechte eines Zeugen, sich in entscheidenden Verfahrenssituationen der Unterstützung eines Zeugenbeistands zu versichern. Nunmehr stellt sich die Zulassung eines Beistands als Regelfall dar, dessen Ablehnung durch das Gericht nachvollziehbar zu begründen ist.
5. Vereidigungsverbot – § 60 Nr. 2 StPO Mit der Rüge, Zeugen seien trotz Verdachts einer Straftat nach § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB und eines damit bestehenden Vereidigungsverbots dennoch zunächst vereidigt, später nach nochmaliger Vernehmung unvereidigt entlassen worden, befasst sich der Beschluss vom 20.7.2010.327 Die von der Revision aufgeworfene Frage war allerdings deshalb nicht entscheidungserheblich, weil hinsichtlich einer auf in mehreren Teilen gemachten Aussage eines Zeugen auch nach der Neufassung der Vereidigungsvorschriften nur einheitlich über eine Vereidigung entschieden werden kann. Wird ein solcher Zeuge bei seiner letzten Vernehmung nicht vereidigt, ist dessen gesamte Aussage als uneidlich zu behandeln, selbst wenn er bei einer vorangegangenen Aussage in der Hauptverhandlung diesbezüglich vereidigt worden ist. Wird ein Zeuge in einem späteren Abschnitt der Hauptverhandlung nochmals vernommen, bedarf es einer neuen Entscheidung über die Vereidigung. Diese bezieht sich grundsätzlich auf die gesamte bis dahin erstattete Aussage. Denn der Tatrichter kann frühestens nach dem Abschluss der gesamten Aussage alle diejenigen Umstände überblicken, die für die Ausübung seines Ermessens von Bedeutung sein können; dabei bindet ihn seine frühere Entscheidung über die Vereidigung nicht. Eine unterschiedliche Entscheidung über die Vereidigung eines
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D. Strafprozessordnung
Zeugen kommt – auch bei einer wiederholten Vernehmung – nur für Teile einer Aussage in Betracht, die verschiedene Taten betreffen. Selbst dabei ist aber zu beachten, dass eine Teilvereidigung dann nicht statthaft ist, wenn die Taten in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen, insbesondere ein nicht oder nur schwer trennbares Gesamtgeschehen bilden. Ebenso kann ein Eid weder auf einzelne Bekundungen noch auf zeitlich getrennte Abschnitte eines Tatsachenkomplexes beschränkt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 – 3 StR 222/02, BGHSt 48, 221, 232 m.w.N.). Es besteht auch mit Blick auf die Neufassung der Vereidigungsregeln durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198, vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – 3 StR 429/08, NStZ 2009, 343; Beschluss vom 12. März 2009 – 3 StR 568/08, NStZ 2009, 397) kein Anlass, von diesen Grundsätzen abzuweichen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 59 Rn. 7, § 60 Rn. 26; KK-Senge, 6. Aufl., § 59 Rn. 4; SK-StPO/Rogall § 59 Rn. 11; LR-Ignor/Bertheau, StPO, 26. Aufl., § 59 Rn. 13 f.). Danach sind die Aussagen der Zeugen – der maßgebenden letzten Entscheidung des Landgerichts entsprechend – insgesamt als uneidlich zu werten. Hiermit in Einklang steht, dass die Strafkammer ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe bei der Beweiswürdigung nicht darauf abgestellt hat, dass die Zeugen unter Eid Angaben gemacht haben. Soweit die Revision versucht, durch die Mitteilung eines Instanzverteidigers darzutun, dass die Aussagen der Zeugen in ihren letzten Vernehmungen lediglich ergänzenden Charakter gehabt hätten, steht einer entsprechenden Bewertung durch den Senat bereits das revisionsrechtliche Rekonstruktionsverbot entgegen. Im Übrigen wären die Ausführungen der Revision nicht geeignet, einen Ausnahmefall zu belegen, der eine Teilvereidigung rechtfertigen könnte; denn Gegenstand des Verfahrens war mit der Tötung des M. K. nur eine Tat.
6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel (Gefahr im Verzug/Tatverdacht) a) 329
Gefahr im Verzug
Nachdem der 3. Strafsenat des BGH bereits mit Beschluss vom 16.6.2009 328 – allerdings nur in einem obiter dictum entschieden hatte, dass das erkennende Gericht auch dann nicht von der grundsätzlichen Pflicht entbunden sei, die Verwertbarkeit der durch eine Durchsuchung gewonnenen Beweise zu prüfen, selbst wenn der Angeklagte die Rechtsschutzmöglichkeit entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genutzt hatte, hat derselbe Strafsenat in seinem nachstehend teilweise abgedruckten Beschluss vom 19.1.2010 329 die Voraussetzungen nochmals dargelegt, unter denen – ausnahmsweise – noch die Annahme von Gefahr im Verzug möglich ist. Ausdrücklich offen gelassen wurde insoweit die Frage, ob es in einer deutschen Großstadt zulässig ist, in der Zeit von 21.00 Uhr bis 6 Uhr morgens keinen richterlichen Bereitschaftsdienst vorzuhalten. Nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist auszuschließen, dass sie den für die Durchsuchung einer Wohnung regelmäßig bestehenden Richtervorbehalt bewusst missachtet haben.
328 329
BGH, Beschl. v. 16.6.2009 – 3 StR 6/09. BGH, Beschl. v. 19.1.2010 – 3 StR530/09.
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
265
Dass die Ermittlungsbeamten nicht schon am 21. oder 22. Januar 2009 eine richterliche Durchsuchungsanordnung für das Durchsuchungsobjekt beantragt haben, stellt sich allenfalls als geringfügiges Versäumnis dar, das kein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat. … Dass dies wegen der anderen durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen, insbesondere der Observation des Angeklagten, nicht bereits am nächsten oder übernächsten Tag nach der Zeugenaussage geschah, weil zunächst die Observation weiter durchgeführt werden sollte, stellt – wenn überhaupt – jedenfalls keine derartig gravierende Nachlässigkeit im Ermittlungsablauf dar, dass allein hieraus die Unverwertbarkeit der Erkenntnisse aus der am 23. Januar 2009 ohne richterliche Anordnung vollzogenen Durchsuchung des Zimmers abgeleitet werden könnte. Erst nachdem der Angeklagte die Observation bemerkt hatte, deshalb am 22. Januar 2009 gegen 22.00 Uhr festgenommen worden war und eine Wohnung, die der Angeklagte zusammen mit seiner Lebensgefährtin nutzte, aufgrund einer bereits vorliegenden richterlichen Anordnung erfolglos nach Betäubungsmitteln durchsucht worden war, bestand für die Polizeibeamten zwingend akuter Handlungsbedarf für die sofortige Durchsuchung des von der Zeugin M. beschriebenen Zimmers. Unter diesen Umständen kann es den Polizeibeamten nicht als grobes Versäumnis vorgeworfen werden, dass sie die Zeugin erst jetzt zur Lokalisierung des Zimmers herbeischafften, statt dies schon am 21. oder 22. Januar 2009 getan und auf dieser Grundlage einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt zu haben. Als die herbeigerufene Zeugin M. die Wohnung, in der sich das als Bunker für Betäubungsmittel genutzte Zimmer des Angeklagten befand, identifiziert hatte, durften die Polizeibeamten ohne die Anordnung eines Richters oder nachrangig eines Staatsanwalts die Durchsuchung jedenfalls dann durchführen, als die in der Wohnung befindlichen Personen durch die Ungeschicklichkeit einer Polizeibeamtin sogleich aufmerksam geworden waren und sich nach Öffnen der Wohnungstür teils unkooperativ verhielten oder zu fliehen versuchten. Denn spätestens zu diesem Zeitpunkt lagen die engen Voraussetzungen der „Gefahr im Verzug“ vor, weil bis zur Einholung einer Entscheidung durch den Richter oder zumindest den Staatsanwalt der Zweck der Durchsuchung gefährdet gewesen wäre (BVerfG NJW 2001, 1121, 1123; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 98 Rdn. 6). Es bestand die nahe liegende Gefahr, dass ohne eine sofortige Durchsuchung Beweismittel vernichtet werden könnten, zumal bereits nach der Durchsuchung der ersten Wohnung die Ermittlungen gegen den Angeklagten bekannt geworden waren. Dass diese Situation durch die Ungeschicklichkeit der Polizeibeamtin ausgelöst worden war, begründet ebenfalls kein Verwertungsverbot; denn dieser Umstand ist nicht annähernd solchen Fallgestaltungen vergleichbar, in denen durch bewusst gesteuertes oder grob nachlässiges polizeiliches Ermittlungsverhalten die „Gefahr im Verzug“ gleichsam heraufbeschworen und damit der Richtervorbehalt gezielt oder leichtfertig umgangen wird.
PRAXISHINWEIS ■
Aus der Entscheidung folgt, dass Fehler von Ermittlungsbeamten nicht grundsätzlich zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der darauf erlangten Beweismittel führen. Jedenfalls geringfügige Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten haben kein Beweisverwertungsverbot zur Folge. Anderes würde dann gelten, wenn bspw. ein „bewusst gesteuertes oder grob nachlässiges“ Ermittlungsverhalten „Gefahr im Verzug“ gleichsam heraufbeschwören würde und dadurch der Richtervorbehalt gezielt oder zumindest leichtfertig umgangen würde!
266
D. Strafprozessordnung
b) Verdachtslage 330
Mit Beschluss vom 11.6.2010 hat das BVerfG 330 ausgesprochen, dass zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung Verdachtsgründe einer Straftat erforderlich sind, welche über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. An diesen Anforderungen fehlt es, wenn sich plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen. I. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in dieses Grundrecht ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 ; 115, 166 ; 117, 244 ). Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332 ; 11, 88 ). II. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht. Die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts ist von Verfassungs wegen nicht haltbar. Bei dem Beschwerdeführer selbst wurden keine Betäubungsmittel aufgefunden. Anders als bei dem Fahrer des PKW wurde auch kein Drogenschnelltest durchgeführt, der zu weiteren tatsächlichen Anhaltspunkten für den Besitz von Betäubungsmitteln hätte führen können. Auch die übereinstimmenden Aussagen des Beschwerdeführers und des Fahrers zum Zweck ihrer Fahrt waren nicht derart fernliegend oder in sich widersprüchlich, dass diese als unglaubwürdig und damit als ein weiterer hinreichender Anknüpfungspunkt für einen Tatverdacht gewertet werden konnten. Die fünf Vorverurteilungen des Beschwerdeführers wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz aus den Jahren 1987 bis 2006 waren ohne das Vorliegen weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte keinesfalls ausreichend, um einen Tatverdacht auf eine aktuelle Straftat anzunehmen. Schließlich begründet auch die Gesamtschau der aufgeführten Indizien keinen auf tatsächlichen Gründen beruhenden Tatverdacht. Daran ändert auch die Einlassung des Beschwerdeführers auf die Mitteilung der Durchsuchungsanordnung hin nichts, weil für das Vorliegen eines Tatverdachts hier auf den Zeitpunkt der Anordnung abzustellen ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2008 – 2 BvR 683/08 –, ZIP 2008, S. 2027 ). Den Ermittlungsbehörden lag kein Hinweis darauf vor, dass der Fahrer des PKW die bei ihm aufgefundenen Betäubungsmittel von dem Beschwerdeführer erhalten hat. Auch geht aus den Ermittlungsakten nicht hervor, dass der Beschwerdeführer den Eindruck erweckt hatte, Betäubungsmittel konsumiert zu haben. Die Annahme eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen.
331
Die Ausführungen der vorstehenden Entscheidung werden bestätigt durch den Kammerbeschluss vom 10.9.2010,331 wonach ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung der Rechtfertigung durch den Verdacht bedarf, dass eine Straftat
330 331
BVerfG, Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 3044/09. BVerfG, 1. K., Beschl. v. 10.9.2010 – 2 BvR 2561/08.
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
267
begangen worden sei. Erforderlich sind dabei Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehen. Eine Durchsuchung darf zudem nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; vielmehr setzt sie einen Verdacht bereits voraus. Jedoch ist die Annahme eines ausreichenden Tatverdachts von Verfassungs wegen nicht haltbar. Der Verdacht der Hehlerei (§ 259 StGB) setzt unter anderem den Verdacht voraus, dass die Sache durch einen Diebstahl oder ein anderes Vermögensdelikt erlangt worden ist. Im vorliegenden Fall wird der Tatverdacht allein darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer in kurzer Zeit eine große Anzahl von Mobiltelefonen, von denen einige originalverpackt gewesen sind, über die Internetplattform ebay versteigert und dabei Verkaufserlöse erzielt hat, die in der Regel unter dem Preis der billigsten Anbieter gelegen haben. Hierbei handelt es sich indes noch nicht um zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Mobiltelefone aus einer gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat stammten. Allein aus der Anzahl der verkauften Mobiltelefone kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht auf eine Straftat geschlossen werden. Solche weiteren tatsächlichen Anhaltspunkte werden in den angegriffenen Beschlüssen indes nicht aufgezeigt. Der Hinweis auf die Verkaufserlöse ist eine bloße Behauptung; es hätte zumindest der beispielhaften Gegenüberstellung von erzielten und handelsüblichen Preisen bedurft. Auch aus dem Auftreten des Beschwerdeführers als Privatperson kann nicht ohne weiteres auf die Verwirklichung des Straftatbestandes der Hehlerei geschlossen werden. Die Annahme des Verdachts der Hehlerei beruhte daher auf bloßen Vermutungen, die den schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre nicht zu rechtfertigen vermögen. PRAXISHINWEIS ■
Die vorstehenden Erkenntnisse des BVerfG bestätigen den sich bereits aus der StPO und den letzten Neuregelungen ergebenden Grundsatz, dass Eingriffsmaßnahmen nur möglich sind, wenn diesen eine qualifizierte Verdachtslage zugrunde liegt, welche entweder gegen einen Beschuldigten diese zulässt – oder bei gesetzlich vorgesehenen Fallgestaltungen auch gegen involvierte Dritte.
c)
Verhältnismäßigkeit
Das eine Durchsuchungsanordnung hindernde Beschlagnahmeverbot in den Räumen der Rundfunkanstalt gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO entfällt, wenn einzelne Mitarbeiter der Teilnahme an einer Straftat verdächtig sind; jedoch ist auch dann den Ausstrahlungswirkungen der Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Rechnung zu tragen. Dies verlangt eine tragfähige Gewichtung des sich auf die konkret zu verfolgenden Taten beziehenden Strafverfolgungsinteresses einerseits und der mit der Durchsuchung verbundenen Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit andererseits.332 Bei der Anordnung einer Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei sind besondere Anforderungen zu stellen, wobei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen besonders sorgfältig zu be332
BVerfG, Beschl. v. 10.12.2010 – 1 BvR 1739/04, 2020/04.
332
333
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D. Strafprozessordnung
rücksichtigen ist. Dies gilt auch bei der Beschlagnahme von Akten in der Kanzlei oder der Kopie von Computerdateien.333 1. Mit der Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung durch Art. 13 Abs. 1 GG erfährt die räumliche Lebenssphäre des Einzelnen einen besonderen grundrechtlichen Schutz, in die mit einer Durchsuchung schwerwiegend eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 42, 212 ; 96, 27 ; 103, 142 ). Dem Schutz unterfallen auch beruflich genutzte Räume wie Rechtsanwaltskanzleien (vgl. BVerfGE 32, 54 ; 42, 212 ; 96, 44 ). a) Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 ; 115, 166 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 – 2 BvR 1219/07 –, NStZ-RR 2008, S. 176 ). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 103, 142 ). Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende, plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 – 2 BvR 1219/07 –, NStZ-RR 2008, S. 176 ). Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2008 – 2 BvR 1219/07 –, NStZ-RR 2008, S. 176 ). Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 113, 29 ). b) Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und zur Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Auch muss der jeweilige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 59, 95 ; 96, 44 ; 115, 166 ). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166 ). c) Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. BVerfGE 42, 212 ; 103, 142 ). Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten (vgl. BVerfGE 42, 212 ; 103, 142 ). 2. Die Beschlagnahme der Akte ist an Art. 14 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06 –, NJW
333
BVerfG, 1. K., Beschl. v. 31.8.2010 – 2 BvR 223/10.
269
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
2009, S. 281 ). Soweit Daten aus dem Rechner kopiert wurden, ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eröffnet (vgl. BVerfGE 113, 29 ). Bei einer Maßnahme nach § 94 StPO muss der Tatverdacht ebenfalls in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zur Stärke des Tatverdachts stehen und für die Ermittlungen notwendig sein (vgl. BVerfGE 20, 162 ; 113, 29 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06 –, NJW 2009, S. 281 ). Schließlich ist auch hier die mittelbare Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juli 2008 – 2 BvR 2016/06 –, NJW 2009, S. 281 ). PRAXISHINWEIS ■
Nach den Grundsätzen der vorstehenden Entscheidung wird es künftig schwierig sein, rechtsfehlerfreie Eingriffsmaßnahmen gegen Rechtsanwälte anzuordnen, weil danach erst sämtliche anderen verfügbaren Beweismittel erhoben werden müssen. Beschlagnahmen oder Kopien von EDV-Material müssen sich punktuell auf das jeweilige Mandat als Anlass der Ermittlungen beschränken; alles was darüber hinaus einer Beschlagnahme unterworfen werden sollte, dürfte erfolgreich durch eine Beschwerde nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO beanstandet werden können. Im Übrigen ist hier auch die gesetzliche Neuregelung des § 160a StPO zu beachten, welche seit 1.2.2011 Geltung hat.334
d) Überwachungsmaßnahmen – §§ 100g, 100h StPO Die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung gemäß §§ 113a und 113b des Telekommunikationsgesetzes in der Fassung des Art. 2 Nr. 6 sowie § 100g Abs. 1 Satz 1 der StPO in der Fassung des Art. 1 Nr. 11 des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vom 21.12.2007 verstoßen gegen Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes und sind nichtig.335 Diese Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung ist sehr umfangreich, aber vielfach abgedruckt. Sie soll daher hier nur als Merkposten und mit den Aktenzeichen zur jederzeit möglichen Recherche abgedruckt werden. Festzuhalten bleibt aber, dass das Bundesverfassungsgericht die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung nicht generell als unvereinbar mit Art. 10 GG angesehen hat, sondern dies nur für die mit dem Reformgesetz von 2007 festgelegten Regelungen ausgesprochen hat! Aktuell gibt es jedoch – trotz vielfältiger Kritik von Strafverfolgungsbehörden – keine gesetzgeberischen Initiativen zu einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung.
334 335
Vgl. hierzu Rn. 304. BVerfG, Urteil v. 2.3.2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08.
334
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D. Strafprozessordnung
■ PRAXISHINWEIS
Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind unmittelbar darauf alle vorhandenen Vorratsdaten gelöscht worden. Die Frage, ob ehemals rechtmäßig entsprechend den damaligen einstweiligen Anordnungen herausgegebene Daten dennoch weiter verwertbar sind, liegt derzeit dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. Unabhängig hiervon besteht die Verpflichtung Deutschlands aus der Richtlinie 2006/24/EG vom 15.3.2006 fort, die Speicherung von Verkehrsdaten für mindestens sechs Monate auf Vorrat zuzulassen. Ob und wann Deutschland dieser Verpflichtung erneut mit einer gesetzlichen Regelung nachkommt, ist derzeit offen. Gesetzliche Reformüberlegungen sind weder bekannt noch liegen solche dem Deutschen Bundestag aktuell zu einer Beratung und Beschlussfassung vor. 335
Die Nutzung von Erkenntnissen aus einer während der Geltungsdauer einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nach deren einschränkenden Vorgaben gerichtlich angeordneten und vollzogenen Ermittlungsmaßnahme bleibt rechtmäßig, auch wenn das Bundesverfassungsgericht in der später ergangenen Hauptsacheentscheidung (vgl. vorstehende Rn.) die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt hat.336 Im Übrigen hat das BVerfG in dem in Gesetzeskraft erwachsenen Tenor seiner Entscheidung vom 2.3.2010 337 selbst festgelegt, dass die im Rahmen von behördlichen Auskunftsersuchen erhobenen, aber einstweilen nicht nach § 113b Satz 1 Halbsatz 1 TKG an die ersuchenden Behörden übermittelten, sondern gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten unverzüglich zu löschen sind und nicht an die ersuchenden Stellen übermittelt werden dürfen. Eine Löschungsanordnung oder ein Verwertungsverbot für gemäß der einstweiligen Anordnung übermittelte Daten wurde gerade nicht ausgesprochen. a) Das Amtsgericht Münster hat seinen Beschluss vom 16. Januar 2009 rechtsfehlerfrei auf § 100g Abs. 1 StPO in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) nach Maßgabe der bis zur Entscheidung in der Hauptsache und damit im Beschlusszeitpunkt geltenden einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 11. März 2008 – 1 BvR 256/08, BGBl. I S. 659; BVerfGE 121, 1) und der dort getroffenen (einschränkenden) Übergangsregelung gestützt. aa) Gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dies umfasst nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die Befugnis, im Wege einer solchen einstweiligen Anordnung das Inkrafttreten eines Gesetzes hinauszuzögern, ein bereits in Kraft getretenes Gesetz – ganz oder teilweise – wieder außer Kraft zu setzen oder dessen Anwend-
336 337
BGH, Beschl. v. 4.11.2010 – 4 StR 404/10. BVerfG, Urteil v. 2.3.2010 – 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08.
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
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barkeit einzuschränken (vgl. nur BVerfGE 104, 23, 27 f.; 112, 284, 292; 117, 126, 135; 122, 342, 361 f.; BVerfG, Beschluss vom 14. September 2010 – 1 BvR 872/10, Tz. 2). Wird eine gesetzliche Regelung, wie im vorliegenden Fall, durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig modifiziert, bedeutet dies für die Zeit ihrer Geltung regelmäßig eine endgültige Regelung der Rechtslage. Eine nachträgliche Korrektur für den Geltungszeitraum der einstweiligen Anordnung scheidet aus (vgl. dazu Graßhof in Maunz, BVerfGG, § 32 Rn. 8 f. [Stand: Juli 2002] m.w.N.; Volkmer NStZ 2010, 318, 320). Zwar wird die Gesetzeskraft einer solchen Entscheidung, anders als bei der Hauptsacheentscheidung (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG), nicht ausdrücklich gesetzlich angeordnet; eine der Gesetzeskraft zumindest entsprechende Wirkung der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG angeordneten Anwendungseinschränkung ergibt sich aber – für die Geltungsdauer der Anordnung – aus ihrer Funktion als Modifikation eines Gesetzes im formellen Sinne und wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 28. August 2003 – 2 BvR 1012/01, NJW 2004, 279, Tz. 15 zur Zulässigkeit der Informationsweitergabe gem. § 3 Abs. 5 Satz 1 G 10 auf der Grundlage einer im Wege einstweiliger Anordnung ausgesprochenen Übergangsregelung trotz in der Hauptsacheentscheidung festgestellter Unvereinbarkeit mit Art. 10 GG). Dementsprechend ordnet das Bundesverfassungsgericht bei Erlass einer einstweiligen Anordnung, die in die Geltung eines Gesetzes eingreift, regelmäßig die Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt an; dies ist auch im vorliegenden Fall geschehen (vgl. BGBl. I 2008 S. 659). bb) Die Verkehrsdaten wurden im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit den einschränkenden Vorgaben der ergangenen einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) übermittelt und konnten deshalb im angefochtenen Urteil verwertet werden. Aus der Entscheidungsformel der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) ergibt sich, dass eine Verpflichtung zur Datenübermittlung an die ersuchende Behörde auf Grund eines Beschlusses nach § 100g Abs. 1 StPO für die Dauer der Geltung der Anordnung nur bestand, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO war und die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO vorlagen. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, sind diese Maßgaben im vorliegenden Fall eingehalten worden. Zum Zeitpunkt des Beschlusses des Amtsgerichts Münster vom 16. Januar 2009 wurde gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verdachts schwerer Bandendiebstähle gemäß § 244a StGB ermittelt; diese Straftat ist Katalogtat gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. j StPO. b) Eine andere rechtliche Beurteilung der gerichtlich angeordneten Übermittlung der entscheidungserheblichen Verkehrsdaten ergibt sich auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in der am 2. März 2010 ergangenen Hauptsacheentscheidung die §§ 113a, 113b TKG sowie § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Verstoßes gegen Art. 10 Abs. 1 GG teilweise für nichtig erklärt hat. Die ex-tunc-Wirkung dieser Entscheidung lässt die selbständige Legitimierungsfunktion der einstweiligen Anordnung im Rahmen der dort näher umschriebenen einschränkenden Maßgaben als sog. normvertretendes Übergangsrecht (vgl. dazu Graßhof aaO, § 32 Rn. 8, 190; Berkemann in Mitarbeiterkommentar zum BVerfGG, 2. Aufl., § 32 Rn. 369 f.) unberührt. Dies ergibt sich im Übrigen auch unmittelbar aus den Gründen des Urteils vom 2. März 2010: Das Bundesverfassungsgericht hat eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten – für eine qualifizierte Verwendung – im Rahmen der Strafverfolgung nicht für schlechthin unvereinbar mit Art. 10 Abs. 1 GG angesehen (BVerfG aaO, S. 615, Tz. 213). Es hat ferner ausgeführt, dass
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D. Strafprozessordnung
lediglich die aufgrund der einstweiligen Anordnung erhobenen, aber einstweilen nicht an die ersuchenden Behörden übermittelten, sondern gespeicherten Verkehrsdaten unverzüglich zu löschen sind und nicht an die Behörden übermittelt werden dürfen (BVerfG aaO, S. 623, Tz. 306). Auf diejenigen Verkehrsdaten, die unter den Vorgaben der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (1 BvR 256/08, BVerfGE 121, 1) bereits übermittelt wurden, bezieht sich das Gebot der unverzüglichen Löschung gerade nicht. ■ PRAXISHINWEIS
Die vorstehende Entscheidung regelt (allerdings nur in einem obiter dictum) die seit mehreren Monaten unter den Oberlandesgerichten umstrittene Frage, ob gemäß den Bedingungen der einstweiligen Anordnung des BVerfG herausgegebene Vorratsdaten auch nach dem Urteil des BVerfG, welches die maßgeblichen Vorschriften der Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärte und deren sofortige Löschung anordnete, weiter in Strafverfahren Verwendung finden können. Wie auch die bisherige Mehrheit von OLG-Entscheidungen spricht sich der 4. Strafsenat mit gut abgewogenen Gründen für eine Fortgeltung der Verwertung aus, so dass die ansonsten umgekehrt entstehende Frage, wie es um bereits beendete Verfahren stünde, in denen solche Daten verwendet wurden, nicht auftaucht! 336
Zulässigkeit der Aufzeichnung und Nutzung von Videoaufnahmen zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gem. § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG:338 Mit seiner fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vor allem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und des allgemeinen Gleichheitssatzes in seiner Bedeutung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG). Er macht geltend, dass § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG nicht als Rechtsgrundlage herangezogen werden könne, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten. Dies gelte erst recht für die Übersichtsaufnahmen, deren Anfertigung ebenfalls Eingriffsqualität zukomme. Die Befugnis greife nur bei der Herstellung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken, nicht dagegen bei der Fertigung von Lichtbildern zur Beweissicherung und Auswertung. Außerdem sei die Einschätzung des Messbeamten nicht ausreichend, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen Anfangsverdacht annehmen zu können. a) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das seine Träger gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten schützt (BVerfGE 103, 21 stRspr), ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit genügt und verhältnismäßig ist (BVerfGE 65, 1 stRspr). Das Oberlandesgericht hat als Rechtsgrundlage § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen. Die Norm erlaubt die Anfertigung von Bildaufnahmen ohne Wissen des Betroffenen, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung
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BVerfG, 2. K., Beschl. v. 12.8.2010 – 2 BvR 1447/10.
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
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des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger Erfolg versprechend oder erschwert wäre. … b) Die Auslegung und Anwendung des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG durch die Fachgerichte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts kann nicht festgestellt werden. aa) Die Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung von einfachem Recht den grundgesetzlichen Wertmaßstäben Rechnung zu tragen. Die fachgerichtliche Rechtsprechung unterliegt jedoch nicht der unbeschränkten verfassungsgerichtlichen Nachprüfung (BVerfGE 18, 85 ). Eine umfassende Kontrolle der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts findet nicht statt. Das Bundesverfassungsgericht überprüft – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur, ob die angefochtenen Entscheidungen Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 ; 85, 248 ; 87, 287 ). Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt vor, wenn übersehen worden ist, dass bei Auslegung und Anwendung der einfachgesetzlichen Vorschriften Grundrechte zu beachten waren, wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist (vgl. BVerfGE 18, 85 ; 101, 361 ; 106, 28 ). bb) Ein derartiger Verstoß gegen Grundrechte wurde vom Beschwerdeführer nicht plausibel geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Er rügt lediglich die fehlerhafte Anwendung der einfachgesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. Die obergerichtliche Rechtsprechung zieht diese Regelung überwiegend als Rechtsgrundlage für die Anfertigung von Bildaufnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr heran, wenn der Verdacht eines Verkehrsverstoßes gegeben ist. … (1) Das Oberlandesgericht geht zutreffend davon aus, dass bei Anfertigung von Bildaufnahmen mittels der Identifizierungskamera ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 –, NJW 2009, S. 3293 f.). Als Rechtsgrundlage hat es § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen und ausgeführt, dass diese Eingriffsbefugnis Video- und Filmaufnahmen zur Erforschung des Sachverhalts sowie zu Ermittlungszwecken ermöglicht, ohne auf Observationszwecke beschränkt zu sein (ebenso OLG Rostock, Beschluss vom 24. Februar 2010, – 2 Ss [OWi] 6/10 I 19/10 –, juris; Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 22. Februar 2010 – 1 Ss [OWi] 23 Z/10 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 – 4 Ss 1525/09 –, DAR 2010, S. 148 f.; Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59 Rn. 143, 145a). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers, der mit einer Auffassung in der Rechtsprechung und in der Literatur eine Beschränkung dieser Befugnis auf die Anfertigung von Bildaufnahmen zu Observationszwecken befürwortet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Februar 2010 – IV-3 RBs 8/10 –, DAR 2010, S. 213 ff.; MeyerGoßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 100h, Rn. 1; Wolter, in: SK StPO, § 100h Rn. 4 [April 2009]), hat das Oberlandesgericht dadurch den Schutzbereich von Grundrechten nicht verkannt oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt. Die Heranziehung dieser Befugnisnorm begegnet nicht nur im Hinblick auf die Anfertigung von Einzelaufnahmen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris), sondern auch hinsichtlich von Videoaufnahmen. Es handelt sich um eine Frage der Anwendung und Auslegung einfachen Rechts, die vom Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen ist. Ein Verstoß gegen das Will-
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D. Strafprozessordnung
kürverbot, der voraussetzen würde, dass diese Rechtsauffassung unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar wäre (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. August 2009 – 2 BvR 941/08 –, NJW 2009, S. 3293 ff.), ist nicht ersichtlich. Entsprechendes gilt auch für die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass eine verdachtsabhängige Anfertigung von Bildaufnahmen stattgefunden hat und dass auch die weiteren Voraussetzungen der Rechtsgrundlage vorliegen. (2) Die angefochtenen Entscheidungen lassen auch keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten erkennen. Zweck derartiger Maßnahmen ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit – angesichts des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsübertretungen – der Schutz von Rechtsgütern mit ausreichendem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 1996 – 2 BvR 616/91 –, NJW 1996, S. 1809 f.). Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10 –, juris; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 –, NJW 2002, S. 2378 ). Die Anfertigung von Bildaufnahmen zum Beweis von Verkehrsverstößen ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet. Durchgreifende Zweifel an der Erforderlichkeit sind nicht ersichtlich. Die fachgerichtliche Rechtsprechung geht nachvollziehbar davon aus, dass aufgrund der Eigenart des fließenden Verkehrs keine weniger belastende Maßnahme in Betracht kommt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11. März 2010 – 5 RBs 13/10 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. März 2010 – 1 SsBs 23/10 –, juris). Der Beschwerdeführer hat auch keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht, dass die mit der konkreten Maßnahme verbundenen Eingriffe außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich einerseits um verdeckte Datenerhebungen handelt, was regelmäßig zur Erhöhung der Eingriffsintensität führt (vgl. BVerfGE 107, 299 ; 115, 166 ; 115, 320 ), dass aber anderseits nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet werden, die grundsätzlich für jedermann wahrnehmbar sind, so dass das Gewicht des Eingriffs für den Einzelnen reduziert ist (vgl. BVerfGE 120, 378 ). Die Maßnahme zielt nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben haben, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes besteht (vgl. BVerfGE 109, 279 ; 113, 348 ; 120, 378 ). Andere Personen dürfen gemäß § 100h Abs. 3 StPO nur betroffen sein, wenn dies unvermeidbar ist. Nach den Darlegungen des Oberlandesgerichts beschränken sich die jeweiligen Videoaufnahmen nur auf wenige Sekunden. Einschüchterungseffekte und eine Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten sind nicht zu erwarten (vgl. BVerfGE 120, 378 ). Vielmehr zielt die Verkehrsüberwachung lediglich auf die Einhaltung der aus Gründen der Verkehrssicherheit erlassenen Abstands- und Geschwindigkeitsregelungen. Schließlich entfaltet die Maßnahme über die Ahndung der Verkehrsordnungswidrigkeit hinaus grundsätzlich keine belastenden Wirkungen für den Betroffenen. Im Übrigen enthält § 101 StPO grundrechtssichernde Verfahrensvorschriften über die Benachrichtigung, Kennzeichnung und Löschung von Daten (vgl. auch Seitz, in: Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, vor § 59 Rn. 145a). Es bestehen daher im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken. c) Soweit das Oberlandesgericht auch die Anfertigung der Übersichtsaufnahmen für zulässig gehalten hat, ist ebenfalls kein Verfassungsverstoß gegeben.
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II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
PRAXISHINWEIS ■
Die vorliegende Kammerentscheidung des BVerfG hat den mehr als ein Jahr dauernden Streit zwischen den Oberlandesgerichten beendet, ob und wie eine Videoüberwachung von Verkehrsverstößen zulässig ist. Nunmehr gilt, dass Übersichtsaufnahmen des Verkehrsflusses und zur Ausfilterung von verkehrswidrig fahrenden Verkehrsteilnehmern zulässig sind, soweit dadurch keine Identifizierung einzelner unbeteiligter Verkehrsteilnehmer möglich ist. „Verkehrssünder“ können aber weiterhin mittels einer konkreten Gesichtsaufnahme festgehalten und der Verstoß damit nachgewiesen werden. Dies wird auch durch die nachstehende Entscheidung bestätigt.
Eine Bildaufnahme, bei der Fahrer und Kennzeichen seines Fahrzeugs identifizierbar sind, stellt zwar einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der Zweck derartiger Maßnahmen der Verkehrsüberwachung, nämlich die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs, dient jedoch dem Schutz von Rechtsgütern mit ausreichendem Gewicht und rechtfertigt deshalb eine Beschränkung der grundrechtlichen Freiheiten. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um verdeckte und damit zu einer Erhöhung der Eingriffsintensität führende Datenerhebungen handelt. Ferner werden nur Vorgänge auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet, die für jedermann wahrnehmbar sind, so dass das Gewicht des Eingriffs für den Einzelnen reduziert ist. Schließlich zielt die Maßnahme nicht auf Unbeteiligte, sondern ausschließlich auf Fahrzeugführer, die selbst Anlass zur Anfertigung von Bildaufnahmen gegeben haben, da der Verdacht eines bußgeldbewehrten Verkehrsverstoßes besteht.339 e)
Nachträgliches Rechtsschutzverfahren – § 101 Abs. 7 StPO
Zwei Entscheidungen des BGH befassen sich mit der erst zum 1.1.2008 eingeführten Vorschrift des § 101 Abs. 7 StPO, wonach von einer Maßnahme nach §§ 100a ff. StPO Betroffene ein nachträgliches Rechtsschutzverfahren einleiten können. Nach dem Beschluss vom 22.9.2009340 kann den Antrag nach § 101 Abs. 7 Satz 2–4 StPO auch der Angeklagte selbst stellen. Sein Akteneinsichtsrecht richtet sich in diesem Fall nach § 147 StPO, bei anderen Beteiligten nach §§ 475 ff. StPO. Ebenfalls mit dem Überprüfungsanspruch aus § 101 Abs. 7 Satz 2 bis 4 StPO des Beschuldigten befasst sich der Beschluss vom 29.10.2009.341 Insbesondere der Wechsel der Zuständigkeit mit Anklageerhebung führt zur Unzulässigkeit eines danach beim Ermittlungsrichter angebrachten Antrags. Zudem gilt der Zuständigkeitswechsel auf das erkennende Gericht (§ 101 Abs. 7 Satz 4 StPO) auch für Betroffene, welche am Ermittlungsverfahren ansonsten nicht beteiligt sind.
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BVerfG, 2. K., Beschl. v. 5.7.2010 – 2 BvR 759/10. BGH, Beschl. v. 22.9.2009 – StB 28/09. BGH, Beschl. v. 29.10.2009 – StB 20/09.
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D. Strafprozessordnung
Blutprobe ohne richterliche Anordnung – § 81a StPO
Hinsichtlich § 81a Abs. 1, Abs. 2 StPO muss eine effektive nachträgliche Kontrolle der nichtrichterlichen Eilanordnung gewährleistet sein. Die Ermittlungsbehörden müssen zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Soll eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Ermittlungspersonen auf Gefahr im Verzug gestützt werden, so muss die Gefahrenlage mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet werden.342 1. Die angegriffenen Entscheidungen der Gerichte verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG, soweit sie das Bestehen der polizeilichen Eilkompetenz mit einer Begründung angenommen haben, die den einfachrechtlichen Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO bei Blutentnahmen zur Feststellung der Blutalkoholkonzentration im Regelfall „leer laufen“ lassen würden. Die Erledigung des Eingriffs steht dem Rechtsschutzbedürfnis und damit der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegen (vgl. BVerfGK 10, 270 ). a) Das Recht auf effektiven Rechtsschutz garantiert bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung. … Auch im Fall der Blutentnahme nach § 81a Abs. 1 und Abs. 2 StPO muss eine effektive nachträgliche Kontrolle der nichtrichterlichen Eilanordnung gewährleistet sein (vgl. BVerfGK 10, 270 ; 12, 374 ). Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu (vgl. BVerfGK 10, 270 ). Der Richtervorbehalt zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der konkreten strafprozessualen Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 96, 44 ; 103, 142 ; BVerfGK 10, 270 ). Die Ermittlungsbehörden müssen zunächst regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehenden Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen (vgl. BVerfGK 10, 270 ). Die Gefahrenlage muss dann mit auf den Einzelfall bezogenen Tatsachen begründet werden, die in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfGK 10, 270 ). b) Die Fachgerichte haben den Prüfungsauftrag nicht in einer diesen Anforderungen gerecht werdenden Weise wahrgenommen. Insbesondere das Landgericht erschöpft die Prüfung im Wesentlichen mit der Darlegung seiner generalisierenden Rechtsauffassung zur Gefährdung der Beweissicherung bei der Feststellung der Blutalkoholkonzentration. Die weitere Annahme des Landgerichts, dass richterliche Eilentscheidungen generell nur nach Vorlage schriftlicher Unterlagen getroffen werden könnten und dass diese wegen des zur Prüfung des Sachverhalts sowie zur Erstellung des Beschlusses notwendigen Zeitraums zwangsläufig mit der Gefährdung des Untersuchungszwecks einhergingen, würde dazu führen, dass Entscheidungen des Ermittlungsrichters zur Blutentnahme bei Verdacht auf Trunkenheit im Verkehr in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht mehr erholt werden würden. Der Richtervorbehalt in § 81a Abs. 2 StPO würde bei rein abstrakter Bestimmung der Gefährdungslage im Regelfall bedeutungslos werden. Dies wird weder der gesetzlichen Intention noch der Bedeutung des Richtervorbehalts für den Grundrechtsschutz des Einzelnen gerecht. ... Die 342
BVerfG, 1. K., Beschl. v. 11.6.2010 – 2 BvR 1046/08.
II. 6. Beschlagnahme, Durchsuchung, Einsatz techn. Mittel
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Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die vorherige Einholung einer richterlichen Anordnung ist daher in jedem Einzelfall konkret zu überprüfen und festzustellen. c) Die Beschwerdeführerin hat ihrerseits hinreichend substantiiert vorgetragen, dass eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs bei Erholung einer richterlichen Anordnung nicht zu befürchten gewesen wäre. Die Gerichte hätten dieses konkrete Vorbringen würdigen müssen. aa) Die Annahme des Landgerichts, dass sich die Notwendigkeit der Blutentnahme erst nach der Zeugenaussage des Ehemannes und dem Eintreffen auf der Polizeiinspektion gegen 18.15 Uhr gezeigt habe, lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Das Gericht prüft nicht, ob von dem Ermittlungsrichter eine kurze schriftliche Entscheidung unter Einschaltung der Staatsanwaltschaft auch ohne schriftliche Antragsunterlagen in einem angemessenen Zeitraum hätte erwartet werden können und abgewartet werden müssen. Die Erforderlichkeit der Blutentnahme stellte sich bereits unmittelbar nach dem Atemalkoholtest gegen 17.55 Uhr heraus. Auf die Zeugenvernehmung des Ehemanns kam es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr entscheidend an, da sich der Tatverdacht bereits aus dessen Anruf bei der Polizeiinspektion und dem Atemalkoholtest ergeben hatte. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Anordnung der Blutentnahme gegen 18.30 Uhr und deren Durchführung gegen 18.40 Uhr hätte ausreichend Zeit für den Versuch bestanden, eine richterliche Anordnung oder zumindest eine staatsanwaltschaftliche Weisung zu erhalten, ohne den Ermittlungserfolg zu gefährden. PRAXISHINWEIS ■
Trotz vielfältiger Kritik aus der Praxis, welche nunmehr auch zu gesetzgeberischen Reformbestrebungen führte, hat das BVerfG daran festgehalten, dass auch im Falle des § 81a StPO der Richtervorbehalt für die Anordnung einer Blutprobe ohne Einschränkungen aufrecht zu erhalten ist. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Blutproben, welche von der Staatsanwaltschaft oder ihren Ermittlungspersonen angeordnet wurden, ohne dass tatsächlich Gefahr im Verzug vorlag, nicht doch verwertbar sein können!
g)
§ 111i StPO
Mehrere Entscheidungen des BGH betreffen die erst seit dem 1.1.2007 geltende Vorschrift des § 111i StPO, durch welche verhindert werden soll, dass sichergestellte Vermögenswerte an den Täter zurückgegeben werden müssen, wenn ein Verletzter, dem aus der Tat Ansprüche entstanden sind, diese nicht geltend macht bzw. dessen Ansprüche bestritten sind. Dabei hat der 2. Strafsenat mit Beschluss v. 17.2.2010 343 bekräftigt, dass die nach § 111i StPO notwendige Feststellung in die Urteilsformel aufzunehmen ist und dies nicht durch einen nach der Urteilsverkündung getroffenen Beschluss erfolgen darf. Andernfalls wäre dies mit der Revision anzugreifen. Nach dem Beschluss vom 12.8.2010 kommt eine Anwendung von § 111i StPO auf Taten, welche vor dem 1.1.2007 beendet worden sind, nicht in Betracht.344
343 344
BGH, Beschl. v. 17.2.2010 – 2 StR 524/09. BGH, Beschl. v. 12.8.2010 – 4 StR 293/10.
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D. Strafprozessordnung
Voraussetzung für die Anwendung des § 111i Abs. 2 StPO ist, dass das Gericht nur deshalb nicht auf Verfall, Verfall von Wertersatz oder erweiterten Verfall erkannt hat, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB entgegenstehen. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB hindert eine Verfallsentscheidung aber nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer „aus der Tat“ einen Vermögensvorteil erlangt hat und Gegenansprüche eines Verletzten bestehen; das „für die Tat“ Erlangte unterliegt dem Verfall hingegen ohne Rücksicht auf Ansprüche Verletzter.345 „Aus der Tat“ sind diejenigen Vermögenswerte erlangt, die dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes selbst in irgendeiner Phase des Tatablaufs zugeflossen sind, insbesondere also die Beute. Um Vorteile „für die Tat“ handelt es sich demgegenüber, wenn die Vermögenswerte als Gegenleistung für sein rechtswidriges Tun gewährt werden, etwa wenn ein Lohn für die Tatbegehung gezahlt wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2002 – 1 StR 169/02, BGHR StGB § 73 Erlangtes 4 m.w.N.). Im vorliegenden Fall fand eine Beuteteilung zwischen dem Angeklagten und den übrigen Bandenmitgliedern nicht statt, vielmehr wurde der Angeklagte „für seine Tatbeiträge“ unabhängig vom Eintritt des Taterfolges bezahlt. Die Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB findet somit keine Anwendung. Damit hat auch die Anordnung nach § 111i Abs. 2 StPO keinen Bestand. Der Senat hebt das Urteil daher insoweit auf und lässt die Anordnung entfallen, da eine Zurückverweisung zur Nachholung einer Verfallsanordnung nach §§ 73 Abs. 1 Satz 1, 73a Satz 1 StGB im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) nicht in Betracht kommt.
346
Will der Tatrichter eine Feststellung gemäß § 111i Abs. 2 Satz 1 StPO treffen, so hat er nicht nur das Erlangte (§ 111i Abs. 2 Satz 2 StPO) bzw. den Geldbetrag, der dem Wert des Erlangten entspricht (§ 111i Abs. 2 Satz 3 StPO), zu ermitteln, sondern – im Falle einer schon im Urteilszeitpunkt feststehenden Abweichung – auch den Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag zu benennen, den der Staat unter den Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt.346 Diesen dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegenden Vermögenswert muss der Tatrichter im Urteilstenor bezeichnen. Bei der Bestimmung des Vermögensgegenstandes bzw. Zahlungsanspruchs, der dem Staat unter den Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO zufällt, ist bei mehreren Tätern und/oder Teilnehmern von deren gesamtschuldnerischer Haftung auszugehen, wenn und soweit sie zumindest Mitverfügungsmacht an dem aus der Tat erzielten Vermögenswert hatten. Zudem ist § 73c Abs. 1 StGB zu beachten. Diese Vorschrift ist auch in den Fällen der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer Täter und/oder Teilnehmer anwendbar; sie kann zur Folge haben, dass gegen sie – auch in verschiedenen Urteilen – in Bezug auf den dem Auffangrechtserwerb des Staates unterliegenden Vermögenswert unterschiedlich hohe Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO getroffen werden, für die sie – entsprechend „ihrer“ Feststellung – als Gesamt- und teilweise auch als Alleinschuldner in Anspruch genommen oder betroffen werden.
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Für eine Feststellung nach § 111i StPO reicht es nicht aus, dass der Angeklagte Beträge aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat (§ 73 Abs. 1 Satz 1 StGB); erfor345 346
BGH, Beschl. v. 9.11.2010 – 4 StR 447/10. BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – 4 StR 215/10.
II. 7. Untersuchungshaft – §§ 112 ff. StPO
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derlich sind weiterhin auch Feststellungen, ob sich der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Angeklagten befindet (§ 73c StGB).347 Ebenso hat nach dem Beschluss vom 5.8.2010 348 vor einer Anwendung von § 111i StPO die Härtefallregelung des § 73c StGB nicht außer Betracht zu bleiben. Bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen sind Erörterungen hierzu in dem Urteil des Tatrichters erforderlich.
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PRAXISHINWEIS ■
Hat der Tatrichter hinsichtlich der Anwendung des § 111i StPO keine Feststellungen dazu getroffen, ob sich der Wert des Erlangten noch im Vermögen des Verurteilten befindet, liegt regelmäßig ein Rechtsfehler vor, welcher insoweit zur Aufhebung führen dürfte.
7. Untersuchungshaft – §§ 112 ff. StPO Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht; er setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgende Beschleunigungsgebot in Haftsachen gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten. Die Anforderungen des Beschleunigungsgebots mindern sich nicht grundsätzlich deswegen, weil Gegenstand des Verfahrens Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstraferwartung im Raum steht. Allein diese Faktoren können jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes ist auch im Verfahrensrecht Rechnung zu tragen, etwa durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen.349 1. a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 sowie BVerfGE 20, 45 ; 36, 264 ; 53, 152 ). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 ). … 347 348 349
BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 514/10. BGH, Beschl. v. 5.8.2010 – 2 StR 254/10. BVerfG, 2. K., Beschl. v. 24.8.2010 – 2 BvR 1113/10.
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D. Strafprozessordnung
b) Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 ) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 ; 36, 264 ). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (vgl. BVerfGK 7, 421 ). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45 ; 36, 264 ; 53, 152 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 –, StV 2008, S. 198). … Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten … c) In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch das Verfahrensrecht beeinflusst. Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 ; 63, 131 ). Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation (vgl. BVerfGE 17, 108 ; 42, 212 ; 46, 325 ) des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, insbesondere durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 ). … 2. Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen an die Entscheidungen der Gerichte im Rahmen der Haftprüfung werden weder der angegriffene Haftbefehl des Landgerichts Hannover noch die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Celle gerecht. Sie genügen nicht den Begründungsanforderungen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft lassen die Gerichte die gebotene Abwägung mit dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers nicht erkennen. Sie gehen nicht auf die Frage der hinreichend beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens ein, und dies obwohl die Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots bereits im September 2007 durch das Bundesverfassungsgericht angemahnt worden war und das Landgericht Hannover selbst in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ausging. a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen des Beschleunigungsgebots dadurch nicht grundsätzlich geringer werden, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstraferwartung im Raum steht. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2652/07 –, StV 2008, S. 198 ; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 – 2 BvR 388/09 –, EuGRZ 2009, S. 414 ). Ein in Untersuchungshaft befindlicher Beschwerdeführer, dem schwere Taten zur Last liegen, hat vielmehr ebenfalls Anspruch auf eine Durchführung des Strafver-
II. 7. Untersuchungshaft – §§ 112 ff. StPO
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fahrens, die den Grundsätzen des Beschleunigungsgebots genügt. Dafür streitet schon der Resozialisierungszweck der Strafhaft; denn wird die verhängte Freiheitsstrafe zu einem erheblichen oder überwiegenden Teil durch Anrechnung der Untersuchungshaft verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (vgl. BVerfGK 7, 140 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 – 2 BvR 806/08 –, EuGRZ 2008, S. 621 ). Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in Bezug auf die drei abgeurteilten Taten aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme – trotz Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof – die Begehung einer Straftat durch den Beschwerdeführer als erwiesen angesehen worden ist. Damit vergrößert sich zwar das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, doch stellt die verhängte Freiheitsstrafe grundsätzlich nur ein Indiz für das Gewicht der zu verfolgenden Straftat dar (vgl. BVerfGK 7, 140 ). Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass jedenfalls in Bezug auf die elf abgetrennten Taten noch keine erstinstanzliche Verurteilung vorliegt und insoweit ein Tatnachweis bisher nicht geführt worden ist. b) Die eingetretenen Verfahrensverzögerungen verletzen das Beschleunigungsgebot und führen dazu, dass die Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch die Anordnung weiterer Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt, wenn nicht festgestellt wird, dass die Verzögerungen unvermeidbar oder von den Gerichten nicht zu vertreten waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die bereits erlittene Untersuchungshaft von über vier Jahren und zwei Monaten an deren weitere Fortdauer strengste Anforderungen zu stellen sind. Dies ergibt sich schon daraus, dass insgesamt gesehen nach Beginn der Hauptverhandlung das Verfahren ersichtlich zu wenig gefördert wurde, indem zu wenig verhandelt wurde. Die Hauptverhandlung dauerte insgesamt über zweieinhalb Jahre, nämlich vom 31. Oktober 2005 bis zum 28. Mai 2008. In dieser Zeit wurde an 88 Tagen verhandelt; dies entspricht einer Frequenz von 0,65 Verhandlungstagen pro Woche. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot in Haftsachen fordert aber stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfGK 7, 140 ). Die Hinweise im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Anzahl der monatlichen Verhandlungstage wurden nicht beachtet, ohne dass stichhaltige Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in Bezug auf die elf noch nicht abgeurteilten Taten jedenfalls 15 Monate lang, nämlich von Anfang Juni 2008 bis etwa Ende August 2009, ein völliger Verfahrensstillstand eintrat. Nach der diesbezüglichen Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 28. Mai 2008 begann das Gericht erst im August/September 2009 damit, die Fortführung der Hauptverhandlung mit Blick auf das gesamte Verfahren ab Dezember 2009 zu planen. Der Haftbefehl wurde zwar mit Beschluss vom 28. Mai 2008 in Bezug auf die elf nicht abgeurteilten Taten aufgehoben. In der Folge blieb der Beschwerdeführer jedoch bis zum 24. August 2009 in Haft. Durch die teilweise Aufhebung des Haftbefehls wurde er insoweit nicht entlastet. c) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht beim Neuerlass des Haftbefehls am 21. Dezember 2009 dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht genügend Gewicht beigemessen, als es davon ausging, die erneute Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertige sich durch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen der Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 sowie durch das Gewicht der elf noch nicht abgeurteilten Taten und die aus beidem folgende Höhe der zu erwartenden Gesamtstrafe. Mit diesen Erwägungen allein lässt sich hier die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht begründen.
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D. Strafprozessordnung
■ PRAXISHINWEIS
Die Entscheidung des BVerfG bestätigt nachdrücklich die hohen Anforderungen, welche an die Verhängung und erst Recht an die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft nach längerer Dauer geknüpft sind. Entscheidend ist dabei, dass auch bei sehr schweren Straftaten und einer hohen Straferwartung diese Anforderungen nicht geringer werden und vor allem auch das Beschleunigungsgebot weiter Geltung hat. Dies bedeutet aber nicht, dass schwierige und zeitaufwändige Beweiserhebungen deswegen unterbleiben müssten; insoweit allerdings dürfte die notwendige Abwägung hierfür zwischen erforderlichem Zeitaufwand und der erkennbaren Straferwartung mit ihrem Ergebnis in die Gesamtbeurteilung maßgeblich einfließen. Auf jeden Fall muss bei einer solchen Sachlage die sich anschließende Hauptverhandlung mit besonderer Beschleunigung geführt werden, ohne dabei aber prozessuale Grundsätze außer Acht lassen zu können.
8. Verbotene Vernehmungsmethoden – § 136a StPO 350
Das Gespräch, das ein Konsularbeamter mit einem in ausländischer Haft befindlichen deutschen Beschuldigten in Erfüllung seiner Hilfspflicht nach § 7 KonsG führt, ist keine Vernehmung im Sinne von § 136a StPO. Wird ein Beschuldigter in ausländischer Haft bei Vernehmungen geschlagen, so führt dies nicht zur Unverwertbarkeit seiner Äußerungen im Rahmen eines Gesprächs, das er während der Haft mit einem deutschen Konsularbeamten führt, wenn hierbei die Misshandlungen keinen Einfluss auf den Inhalt seiner Angaben mehr haben.350
9. Verteidigung – §§ 140 ff. StPO a) 351
Anwesenheit eines notwendigen Verteidigers in der HV – § 140 StPO
Die Entscheidung des 3. Strafsenats vom 13.4.2010 351 betrifft die fehlende Vertretung eines Angeklagten bei der Entscheidung über Abtrennung des ihn betreffenden Teils eines Verfahrens, bei der keiner seiner beiden Verteidiger anwesend war. Der BGH führt insoweit aus: Die Rüge hat Erfolg, denn während der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung war entgegen § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO kein Verteidiger des Angeklagten anwesend. a) Rechtsanwalt Sch. war nicht der Verteidiger des Angeklagten. … b) Allerdings liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nur vor, wenn die Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung abwesend war. Bei der Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenstrennung war dies indes der Fall, denn es ist nicht bereits denkgesetzlich ausgeschlossen, dass das Urteil gegen den Angeklagten auf der Abwesenheit eines Verteidigers während
350 351
BGH, Beschl. v. 14.9.2010 – 3 StR 573/09. BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – 3 StR 24/10.
II. 9. Verteidigung – §§ 140 ff. StPO
283
dieses Verfahrensabschnitts beruht (vgl. Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 36; BGH NStZ 2006, 713). aa) Werden Strafsachen gegen mehrere Angeklagte, die wegen eines sachlichen Zusammenhangs miteinander verbunden waren (§§ 2, 3 StPO), wieder getrennt, so führt dies zu einer grundlegenden Veränderung des prozessualen Verhältnisses der Angeklagten zueinander. Die Trennung kann den weiteren Gang der Untersuchung beeinflussen und die Verteidigung beschränken, denn ihre Wirkung erschöpft sich nicht allein darin, dass ein bisheriger Mitangeklagter die verfahrensrechtliche Stellung eines Zeugen erhält. Sie kann auch die Möglichkeiten des Gerichts und des Angeklagten beeinträchtigen, sich mit Abweichungen oder Übereinstimmungen in den wechselseitigen Einlassungen unmittelbar auseinanderzusetzen. Dem entspricht es, dass eine Verfahrenstrennung im Einzelfall die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO verletzen kann (Meyer-Goßner aaO § 2 Rdn. 14). Aus demselben Grund sind auch der Schlussvortrag des Verteidigers eines Mitangeklagten und dessen letztes Wort grundsätzlich wesentliche Teile der Hauptverhandlung (vgl. BGHSt 32, 270; BGH NStZ 1983, 34). Der denkbare Ausnahmefall, dass es an jeglichem Bezug der den Mitangeklagten (noch) angelasteten Taten zueinander fehlt, liegt hier nicht vor, denn dem Mitangeklagten lagen vier Fälle der Urkundenfälschung zur Last, zu denen dem Angeklagten Anstiftung vorgeworfen wurde (vgl. Taten 9, 13 und 14 der Urteilsgründe). Die Verfahrenstrennung steht nach § 4 Abs. 1 StPO im Ermessen des Gerichts. Damit bleibt die Möglichkeit, dass der Angeklagte, wäre er verteidigt gewesen, der Verfahrenstrennung widersprochen und das Landgericht zu einer anderen Entscheidung bewogen hätte. bb) Dass das Landgericht die Trennung auch außerhalb der Hauptverhandlung hätte beschließen können, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn darin läge eine andere Gestaltung des Verfahrens mit eigenständigen prozessualen Regelungen zur Wahrung der Rechte der Verteidigung. So wäre eine dem Angeklagten gegen die Trennung abweichend von § 305 StPO eröffnete Beschwerde (Meyer-Goßner aaO Rdn. 13) nicht durch den unmittelbaren Fortgang der Hauptverhandlung gegen den Mitangeklagten gegenstandslos geworden. Hier hat das Landgericht den Weg der Entscheidung in der Hauptverhandlung gewählt; das Verfahren muss sich deshalb an den dafür geltenden Vorschriften messen lassen. …
b) Wechsel des Pflichtverteidigers Hat der Angeklagte nach beantragtem Pflichtverteidigerwechsel in der Hauptverhandlung unter ausschließlicher Mitwirkung seines bisherigen Pflichtverteidigers eine Verständigung i.S.d. § 257c Abs. 2 StPO getroffen, so kann er die Nichtverbescheidung seines Antrags auf Pflichtverteidigerwechsel aus dem Zwischenverfahren nicht mehr mit der Verfahrensrüge geltend machen. Im Abschluss einer Verständigung unter Mitwirkung des allein tätig gewordenen Pflichtverteidigers liegt eine wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechslung des Pflichtverteidigers.352 Die Verfahrensrüge, die auf dem – nicht verbeschiedenen – vor Eröffnung des Hauptverfahrens gestellten Antrag des Angeklagten auf Auswechselung des Pflichtverteidigers aufbaut, ist nach den Maßstäben von BGHR StPO § 218 Ladung 6 und § 24 Revision 1 unzulässig. Der hier vorliegende Fall, in dem der Angeklagte nach beantragtem Pflichtverteidigerwechsel in dem Hauptverhandlungstermin vom 14. September 2009 unter ausschließlicher Mitwir-
352
BGH, Beschl. v. 24.2.2010 – 5 StR 23/10.
352
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D. Strafprozessordnung
kung des bisherigen Pflichtverteidigers eine Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 2 StPO getroffen hat, und die Nichtverbescheidung seines Antrags aus dem Zwischenverfahren gleichwohl mit der Revision rügt, ist nicht anders zu behandeln als das Beharren auf einer Verletzung von § 218 Satz 1 StPO oder § 24 Abs. 1 StPO nach einer wirksamen Verständigung. Ob Rechtsprechung des 3. Strafsenats (StV 2009, 628, 629) dem entgegen stünde, bedarf keiner Vertiefung. Die Rüge ist nämlich auch unbegründet. Im Abschluss einer Verständigung unter Mitwirkung des allein tätig gewordenen Pflichtverteidigers liegt eine wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechselung des Pflichtverteidigers (vgl. BGHR StPO § 218 Ladung 6).
c) 353
Akteneinsicht – § 147 StPO
1. Zwar besteht nach § 147 Abs. 2 StPO die Möglichkeit, dem Verteidiger vor Abschluss der Ermittlungen die Einsicht in die Akten ganz oder teilweise zu versagen. Auch kann die Unterrichtung über die Durchführung einer Observation bis zu zwölf Monate ohne richterliche Zustimmung zurückgestellt werden. Dies gestattet im Hinblick auf den fair-trial-Grundsatz jedoch weder die Darstellung eines unwahren Sachverhalts in den Ermittlungsakten noch die aktive Täuschung des Beschuldigten über den wahren Hintergrund seiner Festnahme (hier: Vortäuschen eines „Zufallsfunds“ einer größeren Menge Kokains im Rahmen einer als Verkehrskontrolle getarnten Observierung). 2. Ein etwaiger Verstoß gegen den fair-trial-Grundsatz wirkt sich in diesem Fall nicht zum Nachteil des Angeklagten aus, wenn dieser im Ermittlungsverfahren zu keinem Zeitpunkt Angaben gemacht hat und mit der Anklageerhebung über den wahren Sachverhalt unterrichtet wurde.353 a) Nach den Feststellungen stand der anderweitig verfolgte L. wegen des Verdachts der Begehung von Betäubungsmittelstraftaten unter polizeilicher Observation. In diesem Zusammenhang wurde am 17. Januar 2009 in M. ein Treffen zwischen L. und dem Angeklagten beobachtet. Der Angeklagte, der zuvor bei L. telefonisch zwei Kilogramm Kokaingemisch bestellt hatte, war bis dahin der Polizei nicht als Abnehmer des L. bekannt. Nachdem der Angeklagte von L. ca. 1,7 kg Kokaingemisch übernommen hatte, verbrachte er die Drogen in einen von ihm zuvor in M. am Hauptbahnhof abgestellten Pkw, um anschließend mit diesem zu seinen Eltern nach B. zu fahren. Da sich die weitere Observierung des Angeklagten auf der Autobahn bei schlechter Witterung und wegen der von ihm streckenweise eingehaltenen sehr hohen Geschwindigkeiten schwierig gestaltete und er nach Einschätzung der Polizeibeamten zu entkommen drohte, entschloss sich die polizeiliche Einsatzleitung zum Zugriff, als der Angeklagte die Autobahn verließ, um an einer Gaststätte eine Pause einzulegen. Nachdem der Angeklagte sich in die Gaststätte begeben hatte, ließen Beamte der observierenden Einheit Luft aus dem rechten Vorderreifen des vom Angeklagten geführten Fahrzeugs. Anschließend täuschten zur Unterstützung herbeigerufene örtliche Polizeibeamte eine allgemeine Verkehrskontrolle vor, um nicht zu offenbaren, dass es sich um eine observierende Ermittlung handelte, deren weiterer Erfolg nicht gefährdet werden sollte. Auf Grund „vermeintlich oder tatsächlich nervöser Reaktion“ des Angeklagten wurde der Pkw durchsucht und eine Teilmenge von 700 g Kokain gefunden. Bei einer späteren weiteren Durchsuchung des Fahrzeugs wurde die Restmenge von ca. 1 kg Kokain sichergestellt.
353
BGH, Urteil v. 11.2.2010 – 4 StR 436/09.
II. 9. Verteidigung – §§ 140 ff. StPO
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b) Der Angeklagte hat im Ermittlungsverfahren keine Angaben zur Sache gemacht. In der Hauptverhandlung hat er die Tat gestanden und eingeräumt, das Kokain von L. zum Zwecke des Weiterverkaufs erworben zu haben. Weitere Angaben, etwa zu den Hintergründen und der Vorgeschichte der Tat, zu dem Umfang seiner Kontakte zu L. und zu den Namen seiner Abnehmer hat er unter Hinweis auf eine mögliche Gefährdung seiner persönlichen Sicherheit nicht gemacht. 2. Die Revision beanstandet, dass dem Angeklagten weder bei seiner richterlichen Vernehmung anlässlich des Erlasses des Haftbefehls vom 18. Januar 2009 noch bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 19. Januar 2009 noch bei seiner Vernehmung anlässlich des Haftprüfungstermins vom 27. Februar 2009 die Tatsache der vorausgegangenen Observation offenbart worden sei. Er sei vielmehr davon ausgegangen, dass das Rauschgift bei einer zufälligen Verkehrskontrolle bei ihm vorgefunden worden sei. Auch in den Ermittlungsakten, in die sein Verteidiger Einsicht genommen habe, sei der Vorgang so beschrieben gewesen, als habe es sich wegen einer Reifenpanne um einen Zufallsfund gehandelt. 3. Der Rüge bleibt bereits deshalb der Erfolg versagt, weil sie nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht. a) Nach dieser Vorschrift müssen die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (st. Rspr., vgl. nur Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 38 mit zahlr. Nachw.). Dem wird das Revisionsvorbringen in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. b) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen schon deshalb, weil weder der Inhalt des anlässlich der Festnahme des Angeklagten angefertigten polizeilichen Aktenvermerks noch Einzelheiten zu seiner Beschuldigtenvernehmung vom 19. Januar 2009 und zum Haftprüfungstermin vom 27. Februar 2009 mitgeteilt werden. … 4. Die Rüge wäre aber auch unbegründet. a) Allerdings ist das Verhalten der Ermittlungsbehörden mit Blick auf den fair trial – Grundsatz rechtlich bedenklich. Zwar hätte bei Gefährdung des Untersuchungszwecks nach § 147 Abs. 2 StPO die Möglichkeit bestanden, dem Verteidiger vor Abschluss der Ermittlungen die Einsicht in die Akten insgesamt oder teilweise zu versagen (zur Problematik bei richterlichen Entscheidungen im Ermittlungsverfahren – namentlich bei Haftentscheidungen – vgl. aber Lüderssen/Jahn in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 147 Rdn. 75 ff.; Meyer-Goßner StPO 52 Aufl. § 147 Rdn. 25a). Auch die Unterrichtung über die Durchführung der Observation hätte aus diesem Grunde bis zu zwölf Monaten ohne richterliche Zustimmung zurückgestellt werden können (vgl. § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 12, Abs. 5, Abs. 6 Satz 1 StPO). Die vorgenannten Vorschriften gestatten jedoch weder die Darstellung eines unwahren Sachverhalts in den Ermittlungsakten noch die aktive Täuschung des Beschuldigten über die wahren Hintergründe seiner Festnahme. b) Ob ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliegt, bedarf hier jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da auszuschließen ist, dass ein solcher sich zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben kann. aa) Der Angeklagte hat zu keinem Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren Angaben zur Sache gemacht. In Anbetracht der klaren Beweislage – das Rauschgift wurde in dem zur Tatzeit allein von ihm benutzten Fahrzeug vorgefunden – kann ausgeschlossen werden, dass sich das Verschweigen der gegen L. gerichteten Observationsmaßnahme und das Vortäuschen eines „Zufallsfundes“ bei der Haftentscheidung zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Der Angeklagte hat zudem – was die Revision ebenfalls vorzutragen unterlässt –
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im Haftprüfungstermin vom 27. Februar 2009 durch seinen Verteidiger den Haftprüfungsantrag zurückgenommen. bb) Der Angeklagte ist mit Anklageerhebung über den wahren Sachverhalt unterrichtet worden. Seine Verteidigungsrechte in der Hauptverhandlung sind daher durch die Falschdarstellung in keiner Weise berührt worden. Die Revision räumt insoweit selbst ein, dass das beanstandete Verhalten für den Angeklagten „keine unmittelbaren Folgen“ gehabt habe. cc) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass sich der gerügte Verstoß auf den Strafausspruch ausgewirkt haben kann. Dafür, dass der Angeklagte – hätte er bereits im Ermittlungsverfahren die wahren Umstände seiner Festnahme gekannt – von der Möglichkeit des § 31 BtMG Gebrauch gemacht hätte, ist nichts ersichtlich. Vielmehr spricht dagegen, dass er es auch in der Hauptverhandlung in Kenntnis des wahren Sachverhalts abgelehnt hat, Angaben im Sinne des § 31 BtMG zu machen. Zudem war er bereits bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 19. Januar 2009 nach § 31 BtMG belehrt worden; dessen ungeachtet hat er weder zu diesem Zeitpunkt noch später, etwa als er erstmals mit Anklageerhebung von den Hintergründen seiner Festnahme erfuhr, von der Möglichkeit der Offenbarung von Wissen im Sinne dieser Vorschrift Gebrauch gemacht.
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Ein Verteidiger hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Übergabe von Kopien der Ermittlungs- und Gerichtsakten. Er kann sie sich bei Akteneinsichtnahme selbst fertigen.354 Gleichwohl wird sinnvoller Weise häufig anders verfahren, wenn dies aus Gründen der Fairness, der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung angezeigt erscheint; so dann ja auch im vorliegenden Fall noch während der Vernehmung des Zeugen. Zwingend war dies hier nicht. Das – im Text – zweiseitige und bei mündlichem Vortrag ohne weiteres verständliche Schreiben des Polizeipräsidenten wurde zur Information der Verfahrensbeteiligten vom Vorsitzenden vorgelesen. Dem damaligen Verteidiger des Beschwerdeführers wurde das Fax zur Einsichtnahme übergeben. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Angeklagte oder sein Verteidiger dann noch in ihren Verteidigungsrechten beschnitten gewesen sein könnten oder ein entsprechender Eindruck beim Angeklagten hätte entstehen können. ■ PRAXISTIPP
Die vorstehende Entscheidung verdeutlicht, dass die inzwischen verbreitete Praxis, Verteidigern Akten entweder als Aktendoppel und/oder elektronische Dokumentensammlung spätestens bei Anklageerhebung zu übergeben, keinen entsprechenden Anspruch des Verteidigers garantiert. Insoweit sollten Anfragen als solche diesem Umstand entsprechen, weil bei umgekehrtem Verhalten von Ermittlungsbehörden ein solcher Wunsch (derzeit) wohl nicht durchsetzbar wäre.
d) Verteidigerpost – Verwertbarkeit bei beleidigenden Äußerungen 355
Soweit die StPO (insbesondere § 94 i.V.m. § 97 Abs. 1 Nr. 1, § 53 Abs. 1 S 1 Nr. 2 StPO sowie § 148 StPO) den Schutz der Vertraulichkeit des Verteidigungsverhältnis354
BGH, Beschl. v. 3.11.2010 – 1 StR 500/10.
II. 9. Verteidigung – §§ 140 ff. StPO
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ses sowie die Beschlagnahme und Verwertung von Verteidigerpost regelt, bezieht sie sich auf die Berufsausübung des als Strafverteidiger tätigen Rechtsanwalts und greift in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG ein, soweit sie diese Maßnahmen zulässt. In Anbetracht der verfassungsrechtlichen Erfordernisse der Wahrheitserforschung im Strafprozess und der funktionstüchtigen Strafrechtspflege stellen Verwertungsverbote eine begründungsbedürftige Ausnahme dar. Ein Beweis kann im Einzelfall dann unverwertbar sein, wenn er unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften erhoben worden ist. Bei der Auslegung und Anwendung von § 185 StGB als Schranke der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 GG muss die Bedeutung und Tragweite des Art. 5 Abs. 1 GG mittels einer fallbezogenen Abwägung berücksichtigt werden. Bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebensbeziehungen wird die Vertraulichkeit im Sinne einer beleidigungsfreien Sphäre geschützt, wenn die Mitteilungen Ausdruck des besonderen Vertrauens sind und mit ihrer Weitergabe an Dritte nicht gerechnet werden muss.355 c) Der in der Verwertung des vom Beschwerdeführer verfassten Briefs liegende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ist gerechtfertigt. aa) Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird (vgl. BVerfGE 94, 372 ). Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter dem Gebot der Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 54, 301 ). Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl. BVerfGE 101, 331 ). Im Einzelfall ist dies durch die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften seitens der damit befassten Fachgerichte sicherzustellen. Insofern prüft das Verfassungsgericht lediglich, ob eine gerichtliche Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Grundrechte beruht, deren Verletzung geltend gemacht wird, oder ob das Auslegungsergebnis selbst die geltend gemachten Grundrechte verletzt (vgl. BVerfGE 18, 85 ; 30, 173 ). bb) Die gesetzliche Grundlage der Verwertung des im Haftraum seines Mandanten beschlagnahmten Briefs des Beschwerdeführers ergibt sich aus den Regelungen der Strafprozessordnung. Die Vorschriften des § 244 Abs. 2 und des § 261 StPO berechtigen und verpflichten das Gericht, die Beweisaufnahme zur Ermittlung des wahren Sachverhalts grundsätzlich auf alle zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erstrecken. Damit trägt das Gesetz den verfassungsrechtlichen Erfordernissen der Wahrheitserforschung im Strafprozess (vgl. BVerfGE 57, 250 ) und der funktionstüchtigen Strafrechtspflege (vgl. BVerfGE 122, 248 ) Rechnung. Verwertungsverbote stellen demgegenüber eine begründungsbedürftige Ausnahme dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 2009 – 2 BvR 2438/08 –, juris, Rn. 7 m.w.N.). Ein Verwertungsverbot kann sich nach der ständigen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jedoch im Einzelfall nach Abwägung der betroffenen Belange dann ergeben, wenn der Beweis unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften erhoben worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2009 – 2 BvR 2225/08 –, juris, Rn. 15 ff. mit umfassenden Nachweisen).
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BVerfG, 2. K., Beschl. v. 20.5.2010 – 2 BvR 1413/09.
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D. Strafprozessordnung
cc) Vorliegend hat der Bundesgerichtshof die Verwertung des vom Beschwerdeführer verfassten Schreibens schon deswegen für zulässig erachtet, weil die Durchsuchung der Haftzelle des T., die Durchsicht der dabei aufgefundenen Verteidigerpost und schließlich die Beschlagnahme des Briefs rechtmäßig gewesen seien. Diese Auffassung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Sie ergibt sich aus einer willkürfreien Auslegung des § 97 und des § 148 StPO und verkennt auch nicht Bedeutung und Reichweite der hiervon berührten Grundrechte, namentlich der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers und des Anspruchs seines Mandanten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG). Vielmehr ist der Bundesgerichtshof im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass das staatliche Interesse an der Wahrheitserforschung die Belange des Beschwerdeführers und seines Mandanten überwog. (1) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof die zum Zeitpunkt der Anordnung und Durchführung der Durchsuchung gegebene Verdachtslage für ausreichend erachtet hat, um die Durchsuchung – wie geschehen – auf im Haftraum des T. aufgefundene, vom Beschwerdeführer stammende Verteidigerpost zu erstrecken. Insbesondere aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar 2007 („Cicero“-Urteil, BVerfGE 117, 244) lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Dort hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf den vom Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) umfassten Informantenschutz für die Durchsuchung bei einem Presseunternehmen wegen des Verdachts des Geheimnisverrats durch einen Journalisten spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung des Journalisten gefordert (vgl. BVerfGE 117, 244 ). Ein diesen Anforderungen genügender Verdacht gegen den Beschwerdeführer lag – was dieser selbst nicht verkennt – vor: Wie der Bundesgerichtshof im Einzelnen ausgeführt hat, bestanden zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses gewichtige Anhaltspunkte für eine (versuchte) Strafvereitelung des Beschwerdeführers, die über den für den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses erforderlichen Anfangsverdacht hinausgingen. Mithin kann letztlich offen bleiben, ob und inwieweit die sehr spezifisch auf den Fall der Durchsuchung bei einem Presseunternehmen wegen des Verdachts des Geheimnisverrats zugeschnittenen Anforderungen des genannten Urteils vom 27. Februar 2007 auf den vorliegenden Fall der Durchsuchung (Durchsicht) von Verteidigerpost in einem auch gegen die Person des Strafverteidigers selbst gerichteten Ermittlungsverfahren wegen (versuchter) Strafvereitelung zu übertragen sind. ■ PRAXISHINWEIS
Die nur auf den zweiten Blick erkennbare Bedeutung der Entscheidung – und unabhängig von der konkreten Frage der Verwertung von Verteidigerpost – liegt vor allem darin, dass das BVerfG eher beiläufig feststellt, dass Verwertungsverbote in Strafverfahren Ausnahmecharakter haben, welche deswegen auch in besonderer Weise zu begründen sind!
10. Fassung der Anklage; Eröffnungsbeschluss – §§ 200 ff. StPO 356
Ein für die Praxis nicht unerhebliches Problem stellt die Frage dar, wie genau der Anklagesatz die angeklagten Taten bezeichnen muss oder ob es bei einer großen Zahl gleichartiger Tatausführungen ausreichend ist, neben der Gesamtzahl der Taten, dem Tatzeitraum und der Schilderung der gleichartigen Tatausführung nur noch den Gesamtschaden aufzuführen und die weiteren Details zu den Einzeltaten in
II. 10. Fassung der Anklage; Eröffnungsbeschluss – §§ 200 ff. StPO
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einem getrennten – nicht zu verlesenden Teil – der Anklage genauer zu beschreiben. Der 1. Strafsenat hat diese Problematik dem Großen Senat für Strafsachen mit nachstehendem Beschluss vorgelegt.356 Genügt, wenn einem Angeklagten eine große Zahl von Vermögensdelikten zur Last gelegt wird, die einem einheitlichen modus operandi folgen, der Anklagesatz den Anforderungen des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn in diesem, der allein in der Hauptverhandlung nach § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO zu verlesen ist, neben der Schilderung der gleichartigen Tatausführung, die die Merkmale des jeweiligen Straftatbestandes erfüllt, die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie der Gesamtschaden bezeichnet werden und die Einzelheiten der Taten, d.h. die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und die jeweiligen Einzelschäden, ergänzend in einem anderen nicht zu verlesenden Teil der Anklageschrift detailliert beschrieben sind? TOPENTSCHEIDUNG ■
Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat die Vorlage mit Beschluss vom 12.1.2011357 dahingehend entschieden, dass es in jedem Fall einer Konkretisierung der angeklagten Taten im Anklagesatz bedarf, eine wörtliche Verlesung aber nur insoweit erforderlich ist, als die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben wird und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden bestimmt sind. Einer darüber hinausgehenden Verlesung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder der Einzelakte bedarf es dann nicht. 1. § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO in der aktuell geltenden Fassung schreibt vor, dass in der Hauptverhandlung vor der Mitteilung über Erörterungen der Möglichkeit einer Verständigung (§ 243 Abs. 4 StPO), der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht (§ 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) und dessen Vernehmung zur Sache (§ 243 Abs. 5 Satz 2 StPO) der Staatsanwalt den Anklagesatz zu verlesen hat. Diese Regelung verweist auf die Legaldefinition des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach Anklagesatz der Teil der Anklageschrift ist, in welcher der Angeschuldigte, die ihm zur Last gelegte Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung sowie die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften zu bezeichnen sind. 2. Nach forensischer Erfahrung besteht vor allem in Verfahren, in denen massenweise und gleichförmig begangene Delikte angeklagt sind, das praktische Bedürfnis, die Hauptverhandlung von der zeitaufwändigen Verlesung von Details der einzelnen Taten zu entlasten. … 3. Dem oben genannten praktischen Problem kann nicht in allen Fällen durch Beschränkung des Verfahrensstoffs begegnet werden. Ebenso wenig können die Regelungen über das Selbstleseverfahren auf den Anklagesatz übertragen werden. Auch eine einschränkende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt nicht in Betracht. a) Verfahrensbeschränkungen nach §§ 154, 154a StPO sind nicht generell geeignet, diesem praktischen Problem entgegenzuwirken. Eine Beschränkung des Verfahrensstoffs gem. 356 357
BGH, Beschl. v. 24.2.2010 – 1 StR 260/09; vgl. hierzu Rn. 357. BGH (Großer Senat für Strafsachen), Beschl. v. 12.1.2011 – GSSt 1/10.
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§§ 154, 154a StPO bei umfangreichen Testserien würde nur dann zu einer Beschränkung des zu verlesenden Anklagesatzes führen, wenn sie bereits von der Staatsanwaltschaft vorgenommen würde (§ 154 Abs. 1 StPO, § 154a Abs. 1 StPO); eine Einstellung durch das Gericht ist erst nach Anklageerhebung möglich (§ 154 Abs. 2 StPO, § 154a Abs. 2 StPO) und erfolgt nach aller Erfahrung regelmäßig erst nach Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung. Auch würde eine Verfahrensbeschränkung erheblichen Umfangs, selbst wenn sie schon vor Anklageerhebung erfolgte, dem Unrechtsgehalt namentlich solcher Tatserien nicht gerecht, bei welchen die einzelnen Schäden gering sind, der Gesamtschaden hingegen hoch ist. b) Die Regelungen über das Selbstleseverfahren sind auf die Verlesung des Anklagesatzes nicht übertragbar. Die Anklage ist Grundlage der Hauptverhandlung; die Anklageschrift selbst kann daher nicht Gegenstand der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung sein. Im Übrigen ist die Einführung des Inhalts der Anklageschrift in die Hauptverhandlung in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO abschließend geregelt; die Verlesung des Anklagesatzes ist nicht Teil der Beweisaufnahme, sondern muss dieser vorausgehen. c) Ebenso wenig lässt sich die aufgezeigte Problematik durch eine Her-absetzung der Anforderungen an den Anklagesatz im Wege einer einschränkenden Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO lösen. Nach Ansicht des Großen Senats für Strafsachen ist eine einengende Auslegung des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO in Bezug auf die Individualisierung der Taten im Ergebnis ausgeschlossen. Sie könnte zwar, ohne dass dem der erkennbare Wille des Gesetzgebers entgegenstünde, an die frühere Rechtsprechung zur notwendigen Konkretisierung der so genannten fortgesetzten Tat anknüpfen. Hier hat der Bundesgerichtshof bei ausreichender Konkretisierung des Gesamt-Lebenssachverhalts eine Darstellung der Einzelakte in der Anklage für nicht erforderlich gehalten (vgl. etwa Urteil vom 27. Mai 1975 – 5 StR 184/75; Urteil vom 2. Mai 1985 – 4 StR 142/85). Der Tatbegriff des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO entspricht indes demjenigen des § 264 Abs. 1 StPO. Er umfasst daher alle individualisierenden Merkmale der vorgeworfenen Tat, die erforderlich sind, um diese zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion der Anklage von anderen Lebenssachverhalten abzugrenzen. Diese individualisierenden Merkmale können daher auch in den hier in Rede stehenden Fällen aus der Umschreibung der angeklagten Taten und damit aus dem Anklagesatz nicht ausgeklammert werden. Ansonsten bestünde die Gefahr einer Veränderung des Tatbegriffs, deren Auswirkungen schwer zu übersehen wären. Gerade die aufgrund unzureichender Konkretisierung des Tatumfangs auftretenden Probleme etwa bei den Fragen der Verjährung oder des Strafklageverbrauchs waren Gründe, welche den Großen Senat für Strafsachen zur Aufgabe der Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung bewogen haben (vgl. BGH [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 148 ff.). Für eine Herabsetzung der Anforderungen an die Individualisierung lässt sich auch die Rechtsprechung nicht fruchtbar machen, die Einschränkungen bei der Konkretisierung von Einzeltaten zulässt, wenn anders die Verfolgung und Aburteilung strafwürdiger Taten nicht möglich wäre. Dies ist als Ausnahme auf Fälle beschränkt worden, in denen typischerweise bei einer Serie gleichartiger Handlungen einzelne Taten etwa wegen Zeitablaufs oder wegen Besonderheiten in der Beweislage nicht mehr genau voneinander unterschieden werden können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 152/98, NStZ 1999, 42; Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 48). Diese Voraussetzungen liegen aber in den vom Vorlagebeschluss genannten Fällen serienmäßiger, in allen Einzelheiten feststellbarer Wirtschaftsstraftaten nicht vor. In Fällen zwingender Rechtsfolgeentscheidungen etwa gem. § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, die gerade im Bereich des Vermögensstrafrechts häufig sind, könnte überdies auf eine Individualisierung von Einzelschäden schon aus materiellrechtlichen Gründen nicht verzichtet werden.
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4. Daraus, dass danach der Anklagesatz die Einzeltaten auch in Fällen der in Rede stehenden Art so beschreiben muss, dass sie sich von anderen nach der Begehungsweise gleichartigen Taten der Tatserie abgrenzen lassen, folgt indes nicht, dass die zur Individualisierung erforderlichen Details notwendigerweise auch bei der Verlesung der Anklage zu Beginn der Hauptverhandlung wiedergegeben werden müssten. Allerdings kann der Begriff des Anklagesatzes in § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht in anderem Sinne verstanden werden als in § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO, der ihn gesetzlich definiert. Die Möglichkeit einer Beschränkung ergibt sich aber aus dem Begriff des „Verlesens“ im Sinne des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Dieser ist dahin zu interpretieren, dass es bei Anklagen wegen einer Vielzahl gleichförmiger Taten oder gleichförmiger Tateinzelakten genügt, wenn der Anklagesatz nur insoweit wörtlich vorgelesen wird, als in ihm die gleichartige Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, beschrieben und die Gesamtzahl der Taten, der Tatzeitraum sowie bei Vermögensdelikten der Gesamtschaden dargestellt sind. Einer Verlesung der näheren individualisierenden Umstände der Einzeltaten oder Tateinzelakte bedarf es in diesen Fällen nicht, da die Hauptverhandlung durch sie ohne erkennbaren verfahrensrechtlichen Gewinn belastet würde. a) Diese Auslegung ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift im Wege teleologischer Reduktion des Begriffs der Verlesung geboten. Gemessen an der Funktion, die der Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung zukommt, ist es ausreichend, den Anklagesatz in der Hauptverhandlung den Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit so zu präsentieren, dass die zur Aburteilung stehenden Lebenssachverhalte in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern verständlich werden und somit der Gang der Hauptverhandlung nachvollzogen werden kann. Hierfür ist die Mitteilung aller Einzeltaten zumindest dann nicht geeignet und erforderlich, wenn deren Details schon aufgrund der Menge an Information intellektuell nicht aufgenommen und im Gedächtnis gespeichert werden können. aa) Die dem Anklagesatz zukommende Umgrenzungsfunktion ist durch eine solche Auslegung nicht betroffen, denn diese Funktion der Anklage bleibt vom Umfang des in der Hauptverhandlung zu verlesenden Anklagesatzes unberührt. Die vom Großen Senat für Strafsachen in der Entscheidung zur fortgesetzten Tat hervorgehobene Pflicht des Staatsanwalts, in der Anklageschrift die Anklagevorwürfe nicht nur pauschalierend und ungenau darzustellen, sondern sämtliche Vorwürfe exakt zu beschreiben und zu konkretisieren (vgl. BGH [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, 150, 161) ändert sich durch eine Einschränkung des zu verlesenden Teils der Anklage nicht. bb) Auch die vom Großen Senat für Strafsachen in der vorgenannten Entscheidung angesprochene Gefahr, dass die „Verteidigung des Angeschuldigten durch vage, unbestimmte Vorwürfe“ beeinträchtigt werde (vgl. BGH [GSSt], Beschluss vom 3. Mai 1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt aaO 150, 161), steht der einschränkenden Auslegung des Verlesungsbegriffs nicht entgegen. Ihrer Informationsfunktion gegenüber dem Angeklagten (und seinem Verteidiger) genügt die Anklageschrift, wenn sie über die Einzelheiten des Anklagevorwurfs unterrichtet, so dass Gelegenheit besteht, das Prozessverhalten hierauf einzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 47 f.). Diese Funktion entfaltet die Anklageschrift im Wesentlichen dadurch, dass sie vollumfänglich (also nicht nur ihr zu verlesender Teil) dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger alsbald nach Eingang durch den Vorsitzenden des Gerichts mitzuteilen ist (§ 201 Abs. 1 Satz 1 StPO). Damit werden der Angeschuldigte und sein Verteidiger so früh wie möglich umfassend und zuverlässig unterrichtet, um eine sachgerechte Verteidigung gegenüber dem Gericht bereits vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu ermöglichen. Durch die Verlesung
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des gesamten Anklagesatzes in der Hauptverhandlung unter Einschluss aller die Einzelheiten einer Tatserie konkretisierenden Umstände werden die Möglichkeiten einer sachgerechten Verteidigung nicht erweitert. Die Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung soll zwar dem Angeklagten nochmals die gegen ihn erhobenen Vorwürfe verdeutlichen. Hierfür genügt jedoch eine Verlesung, die sich auf den Kern, nicht aber auch auf alle Details der Vorwürfe bezieht. Eine daraus resultierende Beschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten ist nicht erkennbar. cc) Die eingeschränkte Verlesung des Anklagesatzes in der Hauptverhandlung behindert auch die Schöffen bei der Wahrnehmung ihres Amtes nicht. …
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Die immer wieder umstrittene Frage, ob im Anklagesatz fehlende Umschreibungen zur angeklagten Tat hilfsweise aus dem Ergebnis der wesentlichen Ermittlungen ergänzt werden können, hat der 1. Strafsenat in einem umfangreichen Urteil zu anderen Fragen gegen Ende der Entscheidung verneint:358 Gegenstand der Urteilsfindung ist nach § 264 Abs. 1 StPO „die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt“. Dieser verfahrensrechtliche Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 29, 341, 342; 34, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Den Rahmen der Untersuchung bildet daher zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage beschreibt (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 m.w.N.). Vorliegend schildert der Anklagesatz keine Vorgänge, aus denen sich eine Strafbarkeit des Angeklagten J. im Fall B.II.2 der Urteilsgründe ergeben könnte. Vielmehr wird ausschließlich seine Beteiligung im Fall B.II.1 wiedergegeben. Die uneinheitlichen und teils widersprüchlichen Schilderungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen vermögen eine wirksame Anklageerhebung auch insofern nicht herbeizuführen (vgl. oben Ziffer II.2). Unerheblich ist insofern – entgegen der Auffassung der Revision –, dass das Tatgeschehen dieses Vorfalls im Anklagesatz enthalten ist, soweit die Anklage diesbezüglich andere Personen als Täter beschuldigt. Zur Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO gehört zwar nicht nur der in der Anklage umschriebene Geschehensablauf, sondern das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (st. Rspr., vgl. BGHSt 32, 215, 216; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 33 jew. m.w.N.). Die Einbeziehung weiterer, von der Anklage nicht beschriebener Vorgänge in den Tatbegriff kommt allerdings nur in Betracht, falls auch der in der Anklage nicht erwähnte, mit dem geschilderten Geschehen eine Einheit ergebende Vorgang das Verhalten desselben Angeklagten betrifft. Denn Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO kann stets nur das dem einzelnen Angeklagten zur Last gelegte Vorkommnis sein (BGHSt 32, 215, 216 f.). Demgemäß kann vorliegend das Geschehen im Fall B.II.2 der Urteilsgründe, das einen von der Tat B.II.1 der Urteilsgründe trennbaren, sich damit nicht überschneidenden Vorgang darstellt und das mit der Anklage den (früheren) Mitangeklagten des Angeklagten J. zur Last gelegt wird, nicht als Teil der Tat gelten, die den Gegenstand des gegen den Angeklagten J. erhobenen Tatvorwurfs bildet.
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Ergibt sich nach der Hauptverhandlung nicht eindeutig, welche von mehreren Taten eines Angeklagten denen entspricht, welche Gegenstand der Anklage sind, ist der
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BGH, Urteil v. 28.10.2009 – 1 StR 205/09.
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Angeklagte dennoch jedenfalls insoweit zu verurteilen, als der Tatrichter von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt ist.359 Einen möglichen Flüchtigkeitsfehler mit erheblichen Folgen für das Verfahren beschreibt die Beschlussentscheidung vom 22.6.2010.360 Voraussetzung für eine rechtswirksame Eröffnung des Hauptverfahrens ist die Beschlussfassung in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern, so dass eine Beschlussfassung in einer reduzierten Hauptverhandlungsbesetzung mit zwei Berufsrichtern – auch unter Hinzuziehung der für die Hauptverhandlung berufenen zwei Schöffen – nicht wirksam ist.
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Das Verfahren ist in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe einzustellen, da es insofern an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. a) Wegen der Fälle 1 bis 36 der Urteilsgründe hatte die Staatsanwaltschaft am 28. Mai 2009 Anklage erhoben, die das Landgericht mit Beschluss vom 8. Juli 2009 unverändert zum Hauptverfahren zugelassen hat; zugleich hat es beschlossen, die Hauptverhandlung mit der Vorsitzenden und – neben den Schöffen – nur einer Beisitzerin durchzuführen. In der daraufhin begonnenen Hauptverhandlung beschloss die Strafkammer am 6. Oktober 2009, die am 23. September 2009 ferner erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen, mit der dem Angeklagten die später als Fälle 37 bis 44 abgeurteilten Taten zur Last gelegt wurden. b) Diese Verfahrensweise war fehlerhaft. Bezüglich der dem Angeklagten in der Anklage vom 23. September 2009 zur Last gelegten Taten fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses. Denn die große Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen entschieden, sondern in der gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen. Damit besteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 37 bis 44 der Urteilsgründe und zur Einstellung des Verfahrens führt (zum Ganzen BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 – 2 StR 142/08, NStZ 2009, 52, und – auch zur Kostenentscheidung – Urteil vom 21. Januar 2010 – 4 StR 518/09 jeweils m.w.N.). PRAXISTIPP ■
Wird bei laufender Hauptverhandlung gegen einen Angeklagten ein weiteres Verfahren eröffnet und hinzuverbunden, ist der Eröffnungsbeschluss nur wirksam, wenn diesen die drei Berufsrichter der Kammer beschlossen haben. Im Übrigen ist eine Verbindung durch die Strafkammer nur möglich, wenn auch die weitere Anklage aus demselben Landgerichtsbezirk stammt.361 Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Gerichts bestimmt (§ 213 StPO). Gleichwohl ist es gerade in Großverfahren regelmäßig angezeigt, mit den Verfahrensbeteiligten (insbesondere mit den Wahlverteidigern des Vertrauens, aber etwa auch mit dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft) die Haupt359 360 361
BGH, Urteil v. 24.6.2010 – 3 StR 69/10. BGH, Beschl. v. 22.6.2010 – 4 StR 216/10. Vgl. im Übrigen Rn. 308 f.
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verhandlungstermine abzustimmen, dies jedenfalls zu versuchen. Findet der Versuch einer Terminsabsprache nicht statt, muss sich der Vorsitzende bei substantiierten Verlegungsanträgen eines Verteidigers, der das Vertrauen des Angeklagten genießt, jedenfalls ernsthaft bemühen, dessen nachvollziehbarem Begehren im Rahmen der zeitlichen Möglichkeiten der Strafkammer – und anderer Verfahrensbeteiligter – Rechnung zu tragen. Dies gilt im besonderen Maße, wenn der Verteidiger durch der Justiz zuzurechnende Versehen mehrfach übergangen worden war.362
11. Gang der Hauptverhandlung – § 243 StPO 362
Schweigen des Protokolls bzgl. Verlesen der Anklage: Ergibt sich aus dem Protokoll nicht die Verlesung der Anklage und wird in der Folge auch kein Protokollberichtigungsverfahren durchgeführt, liegt ein Verfahrensfehler vor, bei dem regelmäßig nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf diesem beruht.363 2. Die Revision beruft sich zu Recht auf eine Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO. Da dem Hauptverhandlungsprotokoll eine Verlesung der Anklage nicht zu entnehmen ist, ergibt sich im Hinblick auf die Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO), dass eine Verlesung der Anklage nicht stattgefunden hat. Das Protokoll ist auch weder lückenhaft noch widersprüchlich, sondern insoweit eindeutig. a) Nach § 274 Satz 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Als Gegenbeweis lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§ 274 Satz 2 StPO). Darüber hinaus kann zwar nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs durch eine nachträgliche Berichtigung des Protokolls auch einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge zum Nachteil des Revisionsführers die Tatsachengrundlage entzogen werden (BGHSt 51, 298; BVerfG NJW 2009, 1469). Eine solche nachträgliche Protokollberichtigung hat vorliegend jedoch nicht stattgefunden und kann unter den hier vorliegenden Umständen auch nicht nachgeholt werden. b) Die Entscheidung des Großen Senats hat zu einer substantiellen Änderung des Strafverfahrensrechts dahingehend geführt, dass Protokollmängel in erster Linie im Protokollberichtigungsverfahren zu beseitigen sind (BGH, NJW 2010, 2068, 2069). Grundlage einer jeden Protokollberichtigung ist die sichere Erinnerung der Urkundspersonen. Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht mehr berichtigt werden (BGHSt 51, 298, 314, 316). Für das Verfahren gilt, dass vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung die Urkundspersonen zunächst den Beschwerdeführer zu hören haben. Widerspricht er der beabsichtigen Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen der Überprüfung durch das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung (BGHSt 51, 298, 315 f.; vgl. BGH, NStZ 2008, 580, 581). Das gilt im Ergebnis auch, wenn das vom Großen Senat vorgegebene Verfahren der Protokollberichtigung nicht eingehalten oder nicht durchgeführt wird.
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BGH, Beschl. v. 14.7.2010 – 1 StR 123/10. BGH, Beschl. v. 14.7.2010 – 2 StR 158/10.
II. 12. Abwesenheit des Angeklagten / Unterrichtungspflicht – §§ 231b, 247 StPO
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c) Der Senat sieht keine Veranlassung die Akten zum Zwecke der Einleitung eines Protokollberichtigungsverfahrens zurückzusenden (vgl. insoweit BGH, wistra 2009, 484). Die Akten waren dem Vorsitzenden der Kammer bereits durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf die Rüge der nicht verlesenen Anklage zurückgesandt worden, ohne dass ein Berichtigungsverfahren eingeleitet wurde. Beide Urkundspersonen haben in Kenntnis dieser Rüge lediglich dienstliche Erklärungen abgegeben. Eine nochmalige Rücksendung ist vor diesem Hintergrund nicht geboten und käme überdies dem Fall einer Wiederholung eines nicht ordnungsgemäßen Verfahrens unter Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren gleich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 271 Rn. 26a). Neben einer ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs allein unter Berücksichtigung abgegebener dienstlicher Erklärungen und damit unter geringeren Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren nach erhobener Verfahrensrüge und zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht (BGHSt 51, 316 f.; vgl. BGH, NStZ 2005, 281, 282; StV 2004, 297; NStZ 2000, 47; BGHR StPO § 274 Beweiskraft 8, 11 und 13 jeweils mwN). Ob hiervon in Fällen krasser Widersprüchlichkeit Ausnahmen zu machen sind (vgl. BGH, NJW 2010, 2068, 2069), kann offen bleiben. Eine solche liegt hier nicht vor.
Unterbrechung der Hauptverhandlung – § 229 Abs. 2 u. 4 StPO: Ob die an einem Hauptverhandlungstag erfolgte Neubestellung der Nebenklagevertreterin („Umbeiordnung“) eine Verhandlung zur Sache im Sinne der Unterbrechungsvorschriften darstellt, kann dahinstehen. Jedenfalls die Mitteilung des Vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag (der Verteidigung) benannten Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen, erfüllt die Kriterien für eine wirksame Fortsetzung der Hauptverhandlung; denn sie diente der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, dass dem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben worden war.364
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12. Abwesenheit des Angeklagten / Unterrichtungspflicht – §§ 231b, 247 StPO Die Frage, wie und in welchem Umfang ein während der Hauptverhandlung aufgrund eines Gerichtsbeschlusses partiell abwesender Angeklagter nach seiner Rückkehr in die Hauptverhandlung über das dazwischenliegende prozessuale Geschehen zu unterrichten ist, wird zwar im Wesentlichen in Bezug auf § 247 StPO erörtert. Der Beschluss vom 14.1.2010 365 betrifft demgegenüber die ähnliche Problematik bei § 231b StPO: a) Das Urteil muss aufgehoben werden, weil das Landgericht es unterlassen hat, den Angeklagten vom wesentlichen Inhalt dessen zu unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist, nachdem der Angeklagte, der wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt war, wieder vorgelassen worden ist (Verstoß gegen § 231b Abs. 2, § 231a Abs. 2 StPO).
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BGH, Urteil v. 19.8.2010 – 3 StR 98/10. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – 3 StR 403/09.
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D. Strafprozessordnung
a) Das Landgericht hat den Angeklagten am 5. Verhandlungstag wegen massiver Störung der Hauptverhandlung nach § 177 GVG aus dem Sitzungszimmer entfernt und von der Möglichkeit des § 231b StPO, ohne den Angeklagten zu verhandeln, Gebrauch gemacht. Es hat sodann in seiner Abwesenheit die Nebenklägerin erneut vernommen und entlassen. Am 7. Verhandlungstag ist die Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten fortgesetzt worden. Nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme, Feststellungen zum Vollstreckungsstand einer Vorverurteilung, Erteilung eines rechtlichen Hinweises und erneutem Schluss der Beweisaufnahme sind die Schlussvorträge gehalten worden. Über den wesentlichen Inhalt der Verhandlung während seiner Abwesenheit ist der Angeklagte nicht unterrichtet worden. Dies rügt die Revision zutreffend als einen Verstoß gegen § 231 b Abs. 2, § 231a Abs. 2 StPO. b) Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Hierzu im Einzelnen: aa) Ein Urteil beruht schon dann auf einem Rechtsfehler, wenn es als möglich erscheint oder wenn nicht auszuschließen ist, dass es ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre. An dem Beruhen fehlt es nur, wenn die Möglichkeit, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat, ausgeschlossen oder rein theoretisch ist (Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 337 Rdn. 255). Die Entscheidung über das Beruhen hängt – insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht – stark von den Umständen des Einzelfalls ab (Hanack aaO Rdn. 257). bb) Vorliegend ist in Abwesenheit des Angeklagten die Nebenklägerin erneut vernommen worden. Vom Inhalt dieser Aussage hat das Landgericht den Angeklagten nicht unterrichtet. Dem Senat ist die Rekonstruktion dieser weiteren Aussage untersagt. Aus dem Umstand, dass die Nebenklägerin bereits am 3. Verhandlungstag vernommen worden war, kann – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – nicht mit der notwendigen Sicherheit darauf geschlossen werden, dass sie bei ihrer erneuten Vernehmung nur für die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten Unbedeutendes ausgesagt hat. Nach aller Erfahrung dienen ergänzende Vernehmungen von Belastungszeugen der Abklärung von Widersprüchen, die sich im Verlauf der Beweisaufnahme nach der ersten Vernehmung ergeben haben; dies spricht vielmehr für die Bedeutung der weiteren Aussage. Hinzu kommt, dass die Nebenklägerin die einzige Zeugin für das von dem Angeklagten bestrittene Tatgeschehen war. Allein auf ihrer Aussage beruht die Überzeugung der Strafkammer, dass der Angeklagte die Nebenklägerin durch eine Vergewaltigung dazu gebracht hat, eine Tätigkeit als Prostituierte aufzunehmen. Das Landgericht legt in seiner Beweiswürdigung dar, warum es der Darstellung der Nebenklägerin folgt, und setzt sich dabei mit mehreren Umständen auseinander, die gegen die Glaubhaftigkeit der Darstellung der Nebenklägerin sprechen könnten. So hat die Nebenklägerin, nachdem sie in einem Bordell als Prostituierte aufgefallen und polizeilich nach den Hintergründen befragt worden war, nicht sogleich, sondern erst im Verlauf einer weiteren Vernehmung davon berichtet, durch eine Vergewaltigung zur Prostitution gebracht worden zu sein. Zu den Details dieser Vergewaltigung hat sie im Verlauf mehrerer Vernehmungen ebenso unterschiedliche Angaben gemacht wie zu den Umständen, unter denen sie, nachdem der Angeklagte seine Tätigkeit als Wirtschafter in einem Bordell aufgegeben hatte, in ein anderes Bordell verbracht worden war. Wenngleich die Beweiswürdigung des Landgerichts, das sich trotz dieser Besonderheiten im Aussageverhalten der Nebenklägerin von der Richtigkeit ihrer Angaben überzeugt hat, einen sachlichrechtlichen Fehler nicht erkennen lässt, kann der Senat angesichts der Gesamtumstände nicht ausschließen, dass der Angeklagte weitere Verteidigungsmöglichkeiten gehabt hätte, wenn ihm der Inhalt der ergänzenden Vernehmung der Nebenklägerin mitgeteilt worden wäre.
II. 12. Abwesenheit des Angeklagten / Unterrichtungspflicht – §§ 231b, 247 StPO
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Bezüglich § 247 StPO ist in erster Linie die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen vom 21.4.2010 366 zu nennen, wonach die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen keinen Teil seiner Vernehmung mehr darstellt, weshalb die fortdauernde Abwesenheit eines nach § 247 StPO während einer Zeugenaussage entfernten Angeklagten bei der Verhandlung über die Zeugenentlassung regelmäßig den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO begründet. Die Zulässigkeit der Revisionsrüge der fortdauernden Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit vernommenen Zeugin scheitert nicht an der mangelnden Beanstandung der in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten getroffenen Entlassungsentscheidung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO; eine solche Beanstandung ist keine Rügevoraussetzung.367
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Im Einklang mit bisheriger Rechtsprechung (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352) sieht der Große Senat in der Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen keinen Teil der Vernehmung im Sinne von § 247 StPO. Demgemäß begründet die hierbei fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten regelmäßig – so auch hier – den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO. Die Entlassungsverhandlung war hier wesentlicher Teil der Hauptverhandlung; der Verfahrensfehler ist auch nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat weder von sich aus im Rahmen seiner Unterrichtung über die Abwesenheitsvernehmung gemäß § 247 Satz 4 StPO noch etwa auf Befragen ausdrücklich erklärt, keine Fragen mehr an die Nebenklägerin stellen zu wollen.
In einer vorangegangenen Entscheidung, welche aber durch die Entscheidung des Großen Senats nicht berührt sein dürfte, hatte der 5. Strafsenat in einer anderen Sache mit Urteil v. 11.11.2009 368 entschieden, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht erfüllt ist, wenn nach Entfernung des Angeklagten während einer Zeugenvernehmung gemäß § 247 StPO in andauernder Abwesenheit des Angeklagten eine förmliche Augenscheinseinnahme erfolgt und wenn danach dem Angeklagten das in seiner Abwesenheit in Augenschein genommene Objekt bei seiner Unterrichtung nach § 247 Satz 4 StPO gezeigt wird. Ebenfalls begründet es nach dem Beschluss vom 15.9.2010 369 keinen durchgreifenden Revisionsgrund, wenn das Landgericht nach Entfernung des Angeklagten während der Vernehmung der Nebenklägerin in seiner Abwesenheit ein mündliches Gutachten des anwesenden Sachverständigen zur Frage deren weiterer Vernehmungsfähigkeit an diesem Tag eingeholt hat. Es hat nicht gegen den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO verstoßen, da nur die Abwesenheit bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung die Revision begründet. Die Frage der Vernehmungsfähigkeit eines Zeugen unterliegt dem Freibeweisverfahren (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 22; BGH, Beschluss vom 30. Juli 1992 – 1 StR 271/92). Da die Klärung der Vernehmungsfähigkeit damit auch außerhalb der Hauptverhandlung hätte 366 367 368 369
GS BGH, Beschl. v. 21.4.2010 – GSSt 1/09. BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – 5 StR 460/08. BGH, Urteil v. 11.11.2009 – 5 StR 530/08. BGH, Beschl. v. 15.9.2010 – 2 StR 281/10.
368
369
298
D. Strafprozessordnung
erfolgen können, erstreckte sich die Abwesenheit des Angeklagten nicht auf einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 17, 24).
370
Werden in Abwesenheit des entfernten Angeklagten Fotografien während einer Zeugenvernehmung förmlich in Augenschein genommen, begründet es den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO, wenn der Angeklagte nach seiner Wiederzulassung zur Hauptverhandlung zwar vom Vorsitzenden über den Inhalt der Aussage der Zeugin und auch zu deren Angaben zu den Lichtbilden informiert wird, eine (nochmalige) förmliche Augenscheinnahme aber nicht mehr stattgefunden hat.370 a) Das Lichtbild wurde förmlich in Augenschein genommen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das gegenständliche Lichtbild lediglich – was als Teil der Vernehmung zulässig gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 234/02) – als Vernehmungsbehelf herangezogen wurde. Das Vorhalten von Urkunden und die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlauf einer Zeugenvernehmung hätten keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2000 – 1 StR 488/00, NStZ 2001, 262). Hier wird durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung jedoch bewiesen (§ 274 StPO), dass eine förmliche Beweisaufnahme stattgefunden hat. Umstände, die die Beweiskraft des Protokolls in Zweifel ziehen könnten, liegen nicht vor. Zwar ist der Inhalt eines Hauptverhandlungsprotokolls insoweit auslegungsfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2004 – 2 StR 492/03, NStZ-RR 2004, 237). Die hier gewählte Formulierung enthält (anders als in dem der Entscheidung vom 4. Mai 2004 – 1 StR 391/03 – zugrunde liegenden Fall) indes keine Unklarheiten und lässt Zweifel daran nicht aufkommen, dass ein förmlicher Augenschein durchgeführt wurde. Außerdem wird die Durchführung einer förmlichen Beweisaufnahme durch die dienstliche Stellungnahme des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft bestätigt („Lichtbild wurde … in Augenschein genommen“) und auch in den vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahmen der Berufsrichter nicht in Abrede gestellt („der Zeugin dieses Foto vorgehalten bzw. mit ihr in Augenschein genommen“). b) Welche Verfahrensvorgänge vom Begriff der Vernehmung i.S.d. § 247 Satz 1 und 2 StPO erfasst werden, wird vom Gesetz nicht näher bestimmt. Dieser Begriff ist im Regelungszusammenhang der §§ 247 und 248 StPO aufgrund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die als Anspruch auf rechtliches Gehör und angemessene Verteidigung in Art. 103 Abs. 1 GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK garantiert wird, restriktiv auszulegen (BGH, Beschluss des Großen Senats für Strafsachen vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, Rn. 14 m.w.N., wistra 2010, 352 = NJW 2010, 2450). Die Erhebung eines Sachbeweises kann demnach, auch wenn er eng mit der Vernehmung verbunden ist, nicht als Teil der Vernehmung i.S.d. § 247 StPO angesehen werden, sondern ist ein Vorgang mit einer selbstständigen verfahrensrechtlichen Bedeutung. Die Augenscheinsnahme in Abwesenheit des Angeklagten war daher vom Beschluss über seine Ausschließung nicht gedeckt. Somit fand ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, dessen Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§§ 230, 247 StPO). Dies begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO. c) Der Verfahrensfehler wurde nicht geheilt. Dies hätte nur durch eine – hier nicht erfolgte – Wiederholung der Augenscheinseinnahme während der weiteren Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten erfolgen können. Zwar muss die förmliche Augenscheinseinnahme nicht dergestalt wiederholt werden, dass das Gericht und die Verfahrensbeteiligten das Augenscheinsobjekt nochmals besichtigen. Vielmehr hätte die Besichtigung
370
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 1 StR 264/10.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
299
des Augenscheinsobjekts durch den Angeklagten während seiner Unterrichtung gemäß § 247 Satz 4 StPO ausgereicht, wenn die weiterhin anwesenden Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einer neuerlichen Augenscheinsnahme hatten (BGH, Urteil vom 11. November 2009 – 5 StR 530/08 m.w.N., NStZ 2010, 162). Indes lässt sich aus dem zu dieser wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 StPO) schweigenden Protokoll zur Hauptverhandlung nicht feststellen, dass der Augenschein – wenigstens – in dieser Weise nachgeholt worden wäre. Soweit den dienstlichen Stellungnahmen zu entnehmen ist, das Lichtbild sei „thematisiert“ oder (soweit erinnerlich durch Hochheben) vorgezeigt worden, vermag dies die – negative – Beweiskraft des Protokolls nicht zu entkräften. 3. Das Vorliegen eines absoluten Revisionsgrunds (§ 338 Nr. 5 StPO) führt zur Aufhebung des Urteils, ohne dass es darauf ankommt, ob das Urteil tatsächlich auf dem Verfahrensfehler beruhen kann. Ein Fall, in dem es denkgesetzlich ausgeschlossen wäre, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Mai 2006 – 4 StR 131/06), liegt nicht vor. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob derartiges hier hätte angenommen werden können, wenn das in Augenschein genommene Lichtbild vom Angeklagten selbst stammte oder von diesem sogar selbst gefertigt wurde, es also keinem Zweifel unterliegen kann, dass er die dem Augenscheinsobjekt zu entnehmenden Tatsachen mindestens so gut kennt, als wäre ihm das Foto zur Augenscheinsnahme vorgelegt worden. Denn dies kann weder aus dem Protokoll noch aus den ergänzend eingeholten dienstlichen Stellungnahmen mit der dazu erforderlichen Bestimmtheit festgestellt werden.
13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO a)
Zulässigkeit
In seinem Beschluss vom 20.7.2010 371 hat der 3. Strafsenat des BGH einmal mehr das Vorliegen eines Beweisantrags abgelehnt, weil sich dem Beweisbegehren nicht entnehmen ließ, was genau Gegenstand der Wahrnehmung einer Zeugin gewesen sei, und es damit an der Bezeichnung einer bestimmten Beweistatsache gefehlt habe. An einer konkreten Beweisbehauptung fehlte es auch bei der Entscheidung vom 23.2.2010:372 Ein Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO liegt nicht vor. Den Anträgen des Verteidigers ermangelte es an der gebotenen konkreten Beweisbehauptung (vgl. BGHSt 39, 251, 253 f.). Mit ihnen war die Vernehmung der beiden Krankenhausärzte zum Beweis dafür benannt worden, dass sich der Angeklagte dort (im Krankenhaus) in der Zeit von Anfang Dezember 2008 bis März 2009 durch den Neurologen und von Anfang Dezember 2008 bis Januar 2009 von dem Orthopäden hätte behandeln lassen, was beweisen würde, dass der Angeklagte in dieser Zeit keine Möglichkeit gehabt hätte, auf den Container oder sein Fahrzeug zuzugreifen. Indes ist hierdurch nicht – wie die Revision meint – ein mehrere Monate dauernder Krankenhausaufenthalt ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit unter Beweis gestellt worden. Solches hätte erst durch eine Schlussfolgerung des Tatgerichts aus den konkreten – in den Anträgen aber nicht dargelegten – Umständen der Krankenhausbehandlung festgestellt werden können. Die Anträge bezeichneten demnach nur ein Beweisziel (vgl. BGHSt aaO S. 254). 371 372
BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – 3 StR 218/10. BGH, Beschl. v. 23.2.2010 – 5 StR 548/09.
371
372
300 373
D. Strafprozessordnung
Die Benennung eines Mitangeklagten als Zeuge ist jedenfalls dann unzulässig, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Beweisantrag die Verfahren gegen die Angeklagten nicht mehr getrennt sind.373 1. Entgegen dem Revisionsvorbringen des Angeklagten W. ist die Ablehnung von dessen Beweisantrag Nr. 18, mit dem die zeugenschaftliche Einvernahme des Mitangeklagten G. beantragt wurde, rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer hat den Antrag zu Recht gemäß § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig abgelehnt. Ein Mitangeklagter kann nicht Zeuge sein, insoweit besteht ein Beweiserhebungsverbot (Fischer in KK-StPO, 6. Aufl. § 244 Rn. 109; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 244 Rn. 49). Zwar waren zum Zeitpunkt der Antragstellung die gemeinsam begonnenen Verfahren abgetrennt gewesen, nicht indes (anders als in dem der Entscheidung BGH, Urteil vom 29. März 1984 – 4 StR 781/83, NStZ 1984, 464, zugrunde liegenden Fall) zum insoweit einzig maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag, zu dem die Verfahren wieder verbunden waren und damit (erneut) eine prozessuale Gemeinsamkeit bestand. Die Strafkammer war auch nicht gehalten, unverzüglich nach Antragstellung eine Entscheidung zu treffen, sondern konnte diese – im Rahmen der dem Vorsitzenden gemäß § 238 StPO obliegenden Verfahrensleitung – längstens bis zu dem in § 258 Abs. 1 StPO bezeichneten Schluss der Beweisaufnahme zurückstellen (vgl. Becker in LR-StPO, 26. Aufl. § 244 Rn. 133; Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 44 jew. m.w.N.; vgl. auch Hamm/Hassemer/Pauly, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. Rn. 198 ff.). Angeklagter und Verteidigung haben keinen Anspruch auf sofortige oder alsbaldige Entscheidung. Es entspricht vielmehr dem Grundsatz der Prozessökonomie, über einen Beweisantrag erst dann zu entscheiden, wenn hierzu eine aus Sicht des Gerichts hinreichend zuverlässige Entscheidungsgrundlage besteht, die durch einen möglichen oder gar nahe liegenden weiteren Verfahrensverlauf nicht alsbald wieder in Frage gestellt werden würde. Umstände, die ausnahmsweise – etwa unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensfairness – eine zeitnahe Verbescheidung des Beweisantrags hätten erfordern können (vgl. Dahs StraFo 1998, 254; Hanack JZ 1970, 561), sind weder vorgetragen noch ersichtlich. ■ PRAXISTIPP
Soll bei getrennten Verfahren ein ehemals Mitangeklagter als Zeuge benannt werden, wird die Verteidigung dafür Sorge zu tragen haben, die Entscheidung über einen entsprechenden Beweisantrag zeitnah herbeizuführen, weil jedenfalls nach (erneuter) Verbindung der Verfahren eine solche Beweisführung unzulässig ist (wird). 374
Kein formeller Beweisantrag, welcher nach § 244 StPO zu bescheiden wäre, liegt vor bei Beantragung der Durchführung eines Tests mit einem Polygraphen (Lügendetektor).374 In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigung den Antrag gestellt, dem Angeklagten „auf Staatskosten die Zulassung zur freiwilligen Durchführung einer wissenschaftlichen polygraphischen Untersuchung … zu genehmigen“. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, das bezeichnete Beweismittel sei i.S.d. § 244 Abs. 3 Satz 2 4. Var. StPO ungeeignet. 373 374
BGH, Beschl. v. 17.11.2010 – 1 StR 145/10. BGH, Beschl. v. 30.11.2010 – 1 StR 509/10.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
301
a) Allerdings handelt es sich entgegen der Ansicht der Revision bereits nicht um einen Beweisantrag, dessen Ablehnung den Maßstäben des § 244 StPO hätte entsprechen müssen. Denn mit ihm wurde (noch) nicht die Vernehmung eines Sachverständigen zu einer bestimmten Beweistatsache verlangt, sondern lediglich die – eventuell nur – vorgeschaltete Untersuchung des Angeklagten unter Einsatz eines Polygraphen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1999 – 3 StR 272/99, NStZ 1999, 578). b) Das Landgericht hätte jedoch auch einen auf die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens zielenden Antrag mit der von ihm genannten Begründung ablehnen dürfen. Denn gegen einen auch nur geringfügigen indiziellen Beweiswert des Ergebnisses einer mittels eines Polygraphen vorgenommenen Untersuchung bestehen die im Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998 (1 StR 156/98, BGHSt 44, 308, 323 ff.) dargelegten grundsätzlichen Einwände betreffend den hier allein in Rede stehenden sog. Kontrollfragentest uneingeschränkt weiter. Es wäre deshalb sogar ohne Belang, wenn die Ansicht der Revision richtig wäre, dass inzwischen „eine hinreichend breite Datenbasis“ einen Zusammenhang von mittels des Polygraphen gemessenen Körperreaktionen mit einem bestimmten Verhalten belegen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Hierfür genügt die von der Revision angeführte Simulationsstudie mit lediglich 65 Versuchspersonen (vgl. H. Offe/ S. Offe, MschrKrim 2004, 86) – bereits ungeachtet methodischer Einwände – nicht. Auch einem maßgeblichen Beitrag amerikanischer Wissenschaftler, die nach eigenem Bekunden einen Großteil ihrer bis zu 40jährigen Laufbahn der Forschung und Entwicklung polygraphischer Techniken gewidmet haben, lassen sich neuere Studien – noch dazu, wie die Revision vorträgt, „an realen Verdächtigen“ – nicht entnehmen
b) Einhaltung der formellen Voraussetzungen Ob überhaupt ein formgerechter Beweisantrag gestellt worden war, blieb auch im Verfahren des Beschlusses vom 15.10.2010 offen, indem die benannten Zeugen nicht zureichend individualisiert werden konnten:375
375
In allen Fällen bleibt nach dem Revisionsvortrag bereits zweifelhaft, ob der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung einen formgerechten Beweisantrag gestellt hat, der eine Bescheidung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ermöglicht hat. Der von der Revision mitgeteilte Antrag bezeichnet – neben einer Beweisbehauptung – jeweils die Zeugen, deren Anhörung begehrt wird, mit Vor- und Nachnamen und benennt darüber hinaus Ortschaften und Städte sowie möglicherweise landestypische Zusätze. Ohne nähere Angaben dazu, ob es sich bei letzteren um Einrichtungen, Straßen, Stadtteile oder ähnliches handelt, stellt dies ohne konkrete aus dem Revisionsvortrag ersichtliche Erklärungen weder die regelmäßig erforderliche ladungsfähige Anschrift dar (vgl. BGHSt 40, 3, 7), noch werden so die benannten Zeugen als Beweismittel zureichend individualisiert (vgl. BGH aaO S. 5; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 11, 34, 46; Basdorf in Festschrift für Widmaier 2008 S. 51, 60 f.).
Nicht ausreichend für einen Beweisantrag waren die Angaben zur Person eines Zeugen, welche nur die letzte, inzwischen nicht mehr zutreffende, Wohnanschrift betrafen; denn ein ordnungsgemäßer Beweisantrag auf Vernehmung eines geflohenen (früheren) Mitangeklagten setzt voraus, dass anzugeben ist, auf welchem Wege der Zeuge erreicht werden kann. Erforderlich ist zumindest substantiierter Vortrag dazu, warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch noch Aussicht 375
BGH, Beschl. v. 15.10.2010 – 5 StR 119/10.
376
302
D. Strafprozessordnung
bestehen soll, den Zeugen unter dieser Anschrift aufzufinden, oder mit welchen vom Gericht bisher nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort des Zeugen zu ermitteln.376 Das Verfahren richtete sich ursprünglich auch gegen B. und war vor dem Amtsgericht Achern anhängig, das die Sache nach Hauptverhandlung an die Strafkammer verwies. Zum ersten Hauptverhandlungstermin vor der Strafkammer erschienen die Angeklagten nicht. Gegen beide erging Haftbefehl. Während der Haftbefehl gegen den Angeklagten alsbald vollstreckt werden konnte, konnte B. in der Folgezeit nicht ergriffen werden. Wiederholte gezielte Bemühungen der örtlich zuständigen Polizeireviere ihn aufzufinden, blieben erfolglos. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt, er wurde zur Festnahme ausgeschrieben. Ob und wann er ergriffen werden kann, ist nicht absehbar. Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Wochen gedauert hatte, beantragte der Angeklagte, B. als Zeugen zu vernehmen. Als Anschrift wurde lediglich die aktenkundige frühere Anschrift genannt, wo er sich, wie der geschilderte Verfahrensgang ergibt, nicht mehr aufhielt. Die Strafkammer lehnte den Antrag unter Schilderung des dargelegten Verfahrensgangs ab, weil der Zeuge unerreichbar sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Hiergegen wendet sich die Revision. Sie legt die inhaltliche Bedeutung einer Aussage B.’s für das Verfahren näher dar. Zur Frage, auf welche Weise sein aktueller Aufenthaltsort hätte festgestellt werden können, äußert sie sich nicht. Die Rüge versagt. a) Es liegt schon kein ordnungsgemäßer Beweisantrag vor. Hierfür ist neben der Benennung eines Beweisthemas nicht nur die Benennung eines Beweismittels erforderlich, sondern es ist regelmäßig auch anzugeben, auf welchem Wege das Beweismittel (der Zeuge) erreicht werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006 – 2 StR 65/06; StV 1996, 581; Urt. vom 10. November 1992 – 1 StR 685/92 m.w.N.). Hier war verfahrenskundig, dass B. unter seiner letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, und dass intensive, schon vor der Stellung des Beweisantrags vom Gericht über mehrere Wochen hin entfaltete Bemühungen, seiner habhaft zu werden, erfolglos geblieben waren. Unter diesen Umständen ist allein die Angabe der früheren Anschrift nicht ausreichend. Erforderlich gewesen wäre in dem Antrag zumindest substantiierter Vortrag dazu, warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch Aussicht bestehen soll, B. unter dieser Anschrift zu finden, oder mit welchen vom Gericht bisher nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort zu ermitteln. Daher fehlte es schon an einem zulässigen Beweisantrag. b) Die Zurückweisung eines Antrags, den das Tatgericht zu Unrecht als Beweisantrag behandelt hat, kann die Revision nur dann begründen, wenn eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt (vgl. BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 13; BGH, Urt. vom 10. November 1992 – 1 StR 685/92 m.w.N.). Dies kann grundsätzlich der Fall sein, wenn bei der Suche nach einem der Sache nach nicht unbedeutenden Zeugen erkennbar sinnvolle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden (BGH, Urt. vom 10. November 1992 – 1 StR 685/92). Allerdings wäre, zumal das Gericht nach der Beweisperson schon einige Zeit vergeblich mit Haftbefehl fahndete, auch unter dem Blickwinkel einer Aufklärungsrüge vorzutragen gewesen, welche konkreten, vom Gericht bisher nicht ergriffenen Möglichkeiten dies gewesen wären (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006 – 2 StR 65/06). Daran fehlt es.
376
BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – 1 StR 620/09.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
303 PRAXISHINWEIS ■
Die zuweilen vorherrschende Ansicht, ein Gericht müsse jeden irgendwie benannten Zeugen laden, findet jedenfalls dort ihre Grenze, wo die in einem Antrag als Zeuge benannte Person mit diesen Angaben (und möglicherweise weiteren in den Akten befindlichen und näher bezeichneten) oder durch andere Beweispersonen gemachte Angaben nicht identifizierbar ist oder jedenfalls der aktuelle Aufenthaltsort nicht mit vertretbaren Mitteln herausgefunden werden kann. Insbesondere allein unter einem Alias- oder Spitznamen benannte Personen, erst recht wenn sich diese an unbekanntem Ort im Ausland aufhalten sollen, dürften regelmäßig bereits den Anforderungen an einen wirksamen Beweisantrag nicht entsprechen, jedenfalls keinen Anspruch auf eine diesbezüglich (insoweit nicht mögliche) Beweiserhebung gewährleisten.
c)
Beweisermittlungsantrag
Ob im Einzelfall ein bloßer Beweisermittlungsantrag oder ein entsprechend zu behandelnder Beweisantrag vorliegt, hängt bisweilen auch von den Umständen des Einzelfalls ab, wie sich aus dem Beschluss vom 29.4.2010 377 ergibt: Die Strafkammer hat den Antrag durch einen auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Beschluss zurückgewiesen. b) Der Generalbundesanwalt hat geltend gemacht, auf die Einzelheiten der Begründung des Beschlusses der Strafkammer und des hiergegen gerichteten Vorbringens der Revision komme es nicht an. Es liege nämlich überhaupt kein Beweisantrag vor, da der genannte Zeuge nicht genügend individualisiert sei. Aus dem Kreis sämtlicher im fraglichen Zeitraum bei dem litauischen Finanzamt tätigen Sachbearbeiter müsse erst derjenige herausgefunden werden, der die behaupteten steuerlichen Vorgänge bearbeitet hat. Daher liege ein Beweisermittlungsantrag vor, über den nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht zu befinden sei. Diese sei, wie er näher darlegt, hier nicht verletzt. c) Es trifft zu, dass die Zurückweisung eines Beweisermittlungsantrags nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Revision nur dann begründet, wenn dadurch die Aufklärungspflicht verletzt wurde. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht den Antrag (zu Unrecht) für einen Beweisantrag hielt und ihn nach den hierfür geltenden Regeln beschieden hat (BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 23 jew. m.w.N.). Hier hat jedoch die Strafkammer rechtsfehlerfrei den in Rede stehenden Antrag als Beweisantrag angesehen. Grundsätzlich sind bei einem auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteten Beweisantrag Name und (hier unproblematisch) Anschrift des Zeugen zu nennen. Dies ist aber nicht in jedem Fall zwingend erforderlich. Es genügt vielmehr, wenn die zu vernehmende Person derart individualisiert ist, dass eine Verwechslung mit anderen nicht in Betracht kommt. Die Nennung eines Namens ist in diesem Zusammenhang dann entbehrlich, wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist. Hier ist der Sachbearbeiter eines bestimmten Finanzamts für im Detail gekennzeichnete steuerrechtlich erhebliche Vorgänge im Geschäftsbetrieb einer be-
377
BGH, Beschl. v. 29.4.2010 – 1 StR 644/09.
377
304
D. Strafprozessordnung
stimmten Firma als Zeuge benannt. Die Strafkammer hat durch die Behandlung dieses Antrags als Beweisantrag der Sache nach zum Ausdruck gebracht, den Anforderungen an die Kennzeichnung des Beweismittels in einem Beweisantrag sei hier Genüge getan. Dies ist jedenfalls vertretbar und daher vom Revisionsgericht hinzunehmen. d) Die Strafkammer hat die auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung des Beweisantrags damit begründet, dass „die Vernehmung des Zeugen nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nicht erforderlich erscheint. Die Kammer unterstellt als wahr, dass ein Mitarbeiter des Finanzamtes K. die im Beweisantrag … genannten Angaben machen würde.“ Weitere Ausführungen enthält der Beschluss nicht. In den Urteilsgründen ist dann im Einzelnen dargelegt, warum die Strafkammer davon ausgeht, dass tatsächlich keine Lieferungen nach Litauen erfolgt sind. 2. Zu Recht rügt die Revision die Begründung des Beschlusses. Über die Wiedergabe des Gesetzeswortlauts hinaus ergibt der genannte Beschluss, dass die Strafkammer offenbar erwartet, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen zwar bestätigen werde, diese Angaben jedoch wahrheitswidrig seien. Eine solche Prognose hinsichtlich des Inhalts der zu erwartenden Aussage und dessen Bewertung als unwahr kann Grundlage der Ablehnung eines Beweisantrags gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO sein (vgl. BGHSt 40, 60, 62). Der hierfür erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) muss jedoch die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem tatsächlichen Kern verdeutlichen. Die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrages ist nicht nur gegebenenfalls Grundlage einer revisionsrechtlichen Überprüfung der Ablehnung, sondern sie hat auch die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag sieht, damit er sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einstellen kann, die durch die Antragsablehnung entstanden ist (BGHSt 40, 60, 63 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird der Beschluss der Strafkammer nicht gerecht, weil er nicht konkretisiert ist. Allerdings ist in den Urteilsgründen näher dargelegt, warum nicht davon auszugehen ist, dass es die vom Angeklagten behaupteten Lieferungen nach Litauen gegeben hätte. Ohne dass dies hier im Detail nachzuzeichnen wäre, ergibt sich dies nach Auffassung der Strafkammer aus einer Gesamtschau von Versteigerungslisten, Kontoauszügen, Lieferadressen auf Rechnungen, fehlenden Hinweisen auf behördliche Bearbeitung auf den vorgelegten Frachtbriefen und näher ausgeführten steuerrechtlichen Überlegungen. Diese Ausführungen würden zwar für sich genommen rechtlicher Überprüfung standhalten. Der Aufgabe, dem Antragsteller zu ermöglichen, sein Prozessverhalten an die für die Ablehnung des Beweisantrags maßgeblichen Gründe anzupassen, werden jedoch solche Gründe nicht gerecht, von denen der Antragsteller erst durch das Urteil erfährt. Dementsprechend kann ein unzulänglich begründeter Beschluss zur Ablehnung eines Beweisantrags nicht anhand der Urteilsgründe ergänzt werden (st. Rspr.; vgl. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 244 Rdn. 42 m.w.N.). Anderes könnte im Ergebnis möglicherweise gelten, wenn den Urteilsgründen der Sache nach die Beweisbehauptungen zu Grunde gelegt wären. Hier ist die Strafkammer jedoch in den Urteilsgründen vom Gegenteil der Beweisbehauptungen ausgegangen. Sie hat lediglich – in dem Beschluss – als wahr unterstellt, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Behauptungen (wahrheitswidrig) bestätigen werde. 3. Der nach alledem fehlerhaft beschiedene Beweisantrag bezog sich auf Lieferscheine aus den Jahren 2007 und 2008, kann also nur im Zusammenhang mit den Steuererklärungen für diese Zeit stehen. Dementsprechend waren die hierauf bezogenen Schuldsprüche (unterlassene Umsatzsteuerjahreserklärung 2007, falsche Umsatzsteuervoranmeldungen Januar, Februar und März 2008) aufzuheben.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
305
Ein Beweisantrag i.S.d. § 244 StPO setzt als erstes Erfordernis die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache voraus. Zweitens ist ein bestimmtes Beweismittel zu benennen, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Sind diese beiden Voraussetzungen erfüllt, kann je nach der Fallgestaltung eine dritte hinzutreten, die sog. Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung. Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen, dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll.378 Darunter ist im Falle des Zeugenbeweises zu verstehen, dass der Antrag erkennen lassen muss, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden können soll (BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09), etwa weil er am Tatort war, in der Nachbarschaft wohnt, eine Akte gelesen hat usw. (BGH, Urteil vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f. m.w.N.). Dieser Zusammenhang zwischen Beweistatsache und Beweismittel wird sich in vielen Fällen von selbst verstehen. Es sind aber auch Konstellationen denkbar, in denen – vergleichbar gerade den in der Rechtsprechung unter den Begriffen der aufs Geratewohl aufgestellten, aus der Luft gegriffenen Behauptung abgehandelten Fällen – zwar konkrete und bestimmte Behauptungen aufgestellt werden, denen eigene Wahrnehmungen eines Zeugen zugrundeliegen sollen, der Antrag jedoch nicht erkennen lässt, weshalb der Zeuge seine Wahrnehmung hat machen können. Verhält es sich so, bedarf es der näheren Darlegung des erforderlichen Zusammenhangs, der Konnexität zwischen Beweistatsache und Beweismittel (BGH, Urteil vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 330). Ebenso wie die Beweistatsache – auch wenn sie ggf. vom Antragsteller lediglich als möglicherweise geschehen erachtet werden darf (BGH, Beschluss vom 10. November 1992 – 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143; BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; BGH, Beschluss vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405) – und das Beweismittel bestimmt bezeichnet werden müssen, hat der Antragsteller auch die Tatsachen bestimmt zu behaupten, aus denen sich die Konnexität ergibt. Denn es muss dem Tatgericht plausibel gemacht werden, dass der benannte Zeuge in der Lage gewesen ist, die Beweistatsache wahrzunehmen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284, 287). In der Antragsbegründung ist daher insoweit ein nachvollziehbarer Grund anzugeben (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586), zumal dann, wenn – wie hier – keine Anhaltspunkte dafür erkennbar sind, weshalb der Zeuge S. gegenüber seiner Mutter das Gegenteil dessen gesagt haben soll, was er zuvor in seinem ebenfalls an diese gerichteten Brief bekundet hatte (zur vergleichbaren Konstellation bei einer Aufklärungsrüge BGH, Beschluss vom 3. Juli 2007 – 1 StR 168/06, NStZ 2007, 165). Diesem Erfordernis wird der vorliegend gestellte Antrag nicht gerecht. Denn er bezeichnet – worauf schon der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hingewiesen hat – die Wahrnehmungssituation nicht bestimmt genug. Vielmehr lässt bereits der Antrag in seiner Gesamtheit erkennen, dass ihm lediglich die Vermutung zugrunde liegt, es habe ein – im Übrigen vor allem zeitlich nicht näher spezifiziertes – Gespräch mit dem behaupteten Inhalt gegeben. Der infolge dessen seitens des Gerichts mit dem Antragsteller aus Gründen der Fairness.
378
BGH, Beschl. v. 3.11.2010 – 1 StR 497/10.
378
306
D. Strafprozessordnung
d) Ablehnung von Beweisanträgen 379
380
Zur Ablehnung eines Beweisantrags reicht es nicht, dass sich die Begründung des Beschlusses allein auf die Wiedergabe des Gesetzestextes beschränkt und eine nähere Begründung erst in den Urteilsgründen gegeben wird; denn die Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags soll den Antragsteller in die Lage versetzen, sich auf die Prozesssituation einzurichten und gegebenenfalls neue Anträge stellen zu können. Dies erfordert, dass ihm die Ablehnungsgründe in der Hauptverhandlung mitgeteilt werden, so dass er darauf noch reagieren kann.379 Vielfach sind die Formulierungen eines Beweisantrags in der Zielrichtung so unscharf, so dass die Antragsablehnung allein auf dem Umstand beruht, die zum Beweis gestellte Behauptung sei auch im Falle ihres Erwiesenseins bedeutungslos, wie sich aus dem Sachverhalt der Entscheidung vom 19.10.2010 380 näher ergibt: Die Ablehnung des Hilfsbeweisantrags des Angeklagten T. Ü. – er war zusammen mit seinen Brüdern der Ermordung seines Schwagers als Vergeltung für den Tod ihrer Schwester angeklagt – war rechtsfehlerfrei. Die Beweisbehauptung ging dahin, die Ehefrau eines der Angeklagten habe bei ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung folgendes ausgesagt: „Die Brüder haben meines Erachtens [den Schwager] getötet, da sie glaubten, dass dieser ihre Schwester umgebracht hat. Sie glaubten nicht daran, dass diese sich selbst erhängt hat.“ Zu diesem Beweisthema sollte die Ermittlungsrichterin vernommen werden. Das Landgericht hat in seiner Ablehnungsbegründung die „vorgetragenen Beweistatsachen, so, als seien sie erwiesen, in den gesamten Beweisstoff eingefügt“ und dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ehefrau bereits vor der Ermittlungsrichterin dies ausgesagt habe, sei aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos, denn aufgrund einer umfassenden Beweiswürdigung komme die Strafkammer zum Ergebnis, dass die Angeklagten zum Zeitpunkt der Tötung des Schwagers nicht mehr davon ausgegangen seien, dieser habe ihre Schwester getötet. Diese Ablehnungsbegründung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die Beweisbehauptung ging nämlich nicht dahin, die Ehefrau habe – durch ihre Aussage bei der Ermittlungsrichterin – bekundet und dies auch bekunden können, welche Vorstellung die Angeklagten von der Verantwortung des Schwagers am Tod ihrer Schwester hatten. Wäre dies eine für einen Zeugenbeweis taugliche Beweisbehauptung gewesen, dann wäre es rechtsfehlerhaft gewesen, die Beweisbehauptung – Vorstellung der Angeklagten, zu beweisen durch die Ehefrau – sei deswegen bedeutungslos, weil das Gericht der Ehefrau ohnehin nicht glauben würde (vgl. BGH StraFo 2008, 29; StV 2008, 288). Hier war Beweisbehauptung indes lediglich der Inhalt der Aussage der Ehefrau bei der Ermittlungsrichterin über ihre eigene Vorstellung. Diese Beweisbehauptung – die Ehefrau habe so bei der Ermittlungsrichterin ausgesagt – hat das Landgericht ihrer Ablehnungsbegründung aber als erwiesen zugrunde gelegt. Diese – erwiesene – Aussage konnte das Landgericht mit der gewählten Begründung als tatsächlich bedeutungslos behandeln, zumal es sich hierbei nur um eine – nicht durch eigene Wahrnehmungen zum Wissen der Angeklagten belegte – Mutmaßung der Ehefrau handelte.
379 380
BGH, Urteil v. 2.12.2009 – 2 StR 363/09. BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 1 StR 495/10.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
307 PRAXISTIPP ■
Auch wenn die Formulierung von Beweisanträgen regelmäßig unter hohem Zeitdruck stattfindet, sollte der Verfasser dennoch immer die gedankliche Gegenprobe machen, ob mit der unter Beweis gestellten Behauptung tatsächlich auch der gewünschte Nachweis erbracht werden kann oder nicht! Wird ein Beweisantrag abgelehnt, dann darf die Urteilsbegründung später der Ablehnungsbegründung nicht widersprechen oder sonst dieser entgegenstehen, wie es aber im Sachverhalt des Beschlusses vom 27.1.2010 381 der Fall war: Wenn der Tatrichter einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO), der auf substantiiert dargelegte methodische Mängel des (vorbereitenden) Erstgutachtens gestützt ist, allein mit der Begründung zurückweist, er verfüge selbst über die erforderliche Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO), darf er sich in den Urteilsgründen hierzu nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass er seiner Entscheidung das Erstgutachten ohne Erörterung der geltend gemachten Mängel zugrunde legt. (Leitsatz) a) Der Beweisantrag der Verteidigerin zielte auf die Vernehmung eines weiteren Sachverständigen ab (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO) und stützte sich zur Begründung auf die Darlegung methodischer und inhaltlicher Mängel des von der Sachverständigen Dr. U. erstatteten Gutachtens. Demgegenüber bezog sich der den Antrag zurückweisende Beschluss nicht auf einen Ablehnungsgrund gemäß § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO, sondern beschränkte sich auf den Ablehnungsgrund eigener Sachkunde gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO. Aus dem Zusammenhang des Ablehnungsbeschlusses ergibt sich, dass der Tatrichter die vom Beweisantrag aufgeworfene Frage der methodischen Mangelhaftigkeit des von der Sachverständigen erstatteten Gutachtens mit der Begründung dahinstehen lassen wollte, schon die Erstattung des ersten Gutachtens sei gar nicht erforderlich gewesen und nur deshalb erfolgt, weil die Sachverständige schon von der Staatsanwaltschaft beauftragt worden war und ohnehin als Zeugin zu vernehmen gewesen sei. Insofern konsequent hat der ablehnende Beschluss daher die substantiierten Einwendungen des Beweisantrags gegen die Qualität des (vorbereitenden) Gutachtens weder erörtert noch überhaupt erwähnt. b) Ein solches Vorgehen ist zwar nicht von vornherein rechtsfehlerhaft. Wenn der Tatrichter der Ansicht ist, bereits die (vollzogene) Einholung eines ersten Sachverständigengutachtens sei überflüssig gewesen, da er unabhängig von diesem Gutachten über hinreichende eigene Sachkunde verfüge, kommt es für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf die Voraussetzungen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO unter Umständen nicht an. Das setzt freilich voraus, dass den Bekundungen des ersten, bereits vernommenen Sachverständigen nach Auffassung des Gerichts unabhängig von möglichen qualitativen Mängeln keine Bedeutung für die Beweiswürdigung zukommt, weil das Gericht schon dieses Gutachten wegen ausreichender eigener Sachkunde nicht hätte einholen müssen. In diesem Fall erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der in einem Beweisantrag behaupteten Mangelhaftigkeit des Erstgutachtens oder der Überlegenheit der Forschungsmittel eines anderen Sachverständigen. Es handelt sich dann zwar nicht um eine auf den Ablehnungsgrund der – tatsächlichen – Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung, da das – nach Auffassung des Gerichts überflüssige – Erstgutachten
381
BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 2 StR 535/09.
381
308
D. Strafprozessordnung
bereits erstattet und das beantragte weitere Gutachten nicht für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Der Sache nach ist die Ablehnung der beantragten Einholung eines Zweitgutachtens aber in der hier vorliegenden besonderen Konstellation dem Ablehnungsgrund der (tatsächlichen) Bedeutungslosigkeit einer Beweisbehauptung verwandt. Wie in jenem Fall in der Ablehnung des Beweisantrags eine konkludente Zusage des Gerichts liegt, den unter Beweis gestellten Tatsachen nicht nachträglich entgegen den Gründen des Ablehnungsbeschlusses doch Bedeutung zuzumessen. ... c) … Der Beweisantrag der Verteidigerin hat substantiiert methodische Mängel des Erstgutachtens und deren mögliche, nach aller Erfahrung sogar nahe liegende Folgewirkungen für die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung dargelegt. Wenn der Tatrichter die Frage der Mangelhaftigkeit des Gutachtens nicht offen lassen wollte, hätte er sich in dem ablehnenden Beschluss mit den Argumenten des Antrags im Einzelnen auseinander setzen müssen. Wenn er hierauf verzichtete, durfte er seine Beweiswürdigung in den Urteilsgründen nicht gerade auch auf das Gutachten stützen.
382
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen sich die Urteilsgründe zwar nicht stets mit einer als wahr unterstellten Behauptung auseinandersetzen. Eine Stellungnahme ist aber dann erforderlich, wenn nicht ohne Weiteres zu ersehen ist, wie die Beweiswürdigung mit der Wahrunterstellung in Einklang gebracht werden kann, oder wenn aus sonstigen Gründen ohne ausdrückliche Erörterung der als wahr unterstellten Tatsache die Überlegungen des Gerichts zur Beweisführung lückenhaft bleiben.382 Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte die Vergewaltigung begangen, nachdem er „plötzlich etwa gegen 0.00 Uhr“ vom späteren Opfer in dessen Schlafzimmer wahrgenommen worden war (UA 10). Mit dieser Feststellung ist nicht ohne Weiteres vereinbar, dass das Landgericht infolge der Ablehnung des auf die Vernehmung eines Zeugen gerichteten Beweisantrags (ohne nähere Begründung) als wahr unterstellt hat, dass der Zeuge am Vortag „bis gegen 24.00 Uhr in der Wohnung [des Angeklagten] gewesen ist und dabei auch den Angeklagten gehört hat“. Angesichts dieser (durch Beweiserhebung bzw. Wahrunterstellung) festgestellten Zeiten hätte das Landgericht im Urteil erörtern müssen, ob bzw. dass es dem Angeklagten möglich war, in dem ihm verbleibenden Zeitraum die (ebenfalls nicht mitgeteilte) Entfernung zwischen seiner Wohnung und der seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau zu Fuß (UA 10) zu überwinden und dort in das Schlafzimmer zu gelangen. ■ PRAXISHINWEIS
Grundsätzlich kann es ein Tatgericht bei einer Wahrunterstellung belassen und muss sich mit dieser in dem Urteil nicht unbedingt auseinandersetzen. Anders ist es aber, wenn die Wahrunterstellung der Beweiswürdigung gerade widerspricht oder jedenfalls Lücken in der Beweiswürdigung auftauchen, welche ohne weitere Begründung nicht überwunden werden können. In solchen Fällen ist eine Auseinandersetzung hiermit im Urteil erforderlich und nicht verzichtbar. 383
Bei der Prüfung, ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, hat der Tatrichter die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten 382
BGH, Beschl. v. 16.11.2010 – 4 StR 530/10.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
309
Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. Er darf prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind, und wie diese zu würdigen wären. Die dementsprechende Ablehnung eines Beweisantrags bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist, d.h. der Tatrichter muss in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen.383 aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach pflichtgemäßer Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines Auslandszeugen geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit rechtsfehlerfreier Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine – des Tatrichters – Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. nur BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; BGH NJW 2005, 2322, 2323 m.w.N.). bb) Eine dementsprechende Ablehnung eines solchen Beweisantrags bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in ihrem wesentlichen Kern nachvollziehbar darlegen muss (BGHSt 40, 60, 63). Diesen Anforderungen werden die genannten Beschlüsse nicht gerecht. Sie enthalten noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließen sie zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Strafkammer über die Beweissituation und die insoweit bestehende Verfahrenssituation völlig im Ungewissen. Zum anderen ist dem Senat die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das Landgericht die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der Senat beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen (BGH NJW 2005, 2322, 2323).
383
BGH, Beschl. v. 19.1.2010 – 3 StR 451/09.
310 384
D. Strafprozessordnung
Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen „Ungeeignetheit der Beweiserhebung“ ist in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vorgesehen. 2. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen völliger Ungeeignetheit nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO setzt voraus, dass es sich um ein Beweismittel handelt, dessen Inanspruchnahme von vorneherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste. 3. Bei der Ablehnung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache darf der Tatrichter die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; er hat diese vielmehr so, als sei sie voll erwiesen, seiner antizipierenden Beweiswürdigung zugrunde zu legen.384 Die Verteidigung hatte die Vernehmung eines Arztes und seiner Ehefrau als Zeugen zu der Tatsache beantragt, dass die Nebenklägerin zumindest im Sommer/Frühherbst 2007 keinerlei sichtbare Verletzungen an den Armen, Schultern oder im Gesichtsbereich hatte. Sie hatte dazu ausgeführt, die Nebenklägerin und der Angeklagte hätten in diesem Zeitraum im Haus der Zeugen in deren Anwesenheit gearbeitet und bei Tätigkeiten im Garten auch nur spärliche Kleidung getragen. Hintergrund des Antrags war die Behauptung der Nebenklägerin, vom Angeklagten im Jahr 2007 häufig geschlagen worden zu sein und am ganzen Körper Hämatome davongetragen zu haben. Das Landgericht hat den Antrag abgelehnt, „da die Vernehmung der Zeugen völlig ungeeignet“ sei, „die Angaben der Nebenklägerin zu durch Einwirkung des Angeklagten erlittenen Hämatomen zu widerlegen. Selbst wenn die Zeugen bei der Nebenklägerin keine Hämatome bemerkt haben sollten, wäre das nicht einmal ein Indiz dafür, dass tatsächlich keine vorhanden waren.“ Dies findet in § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO keine Stütze. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Ungeeignetheit der Beweiserhebung ist dort nicht vorgesehen. Sollte das Landgericht gemeint haben, die benannten Beweismittel seien ungeeignet, wäre auch dies hier rechtsfehlerhaft. Zwar kann ein Beweisbegehren, das sich auf ein völlig ungeeignetes Beweismittel stützt, nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden. Dabei muss es sich aber um ein Beweismittel handeln, dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen müsste (vgl. BGH StV 1997, 338, 339). Der ablehnende Beschluss bedarf einer Begründung, die ohne jede Verkürzung oder sinnverfehlende Interpretation der Beweisthematik alle tatsächlichen Umstände dartun muss, aus denen das Gericht auf die völlige Wertlosigkeit des angebotenen Beweismittels schließt. Hieran fehlt es. Für die völlige Ungeeignetheit der benannten Zeugen ist auch sonst nichts erkennbar. Sofern das Landgericht zuletzt den Ablehnungsgrund der Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache vor Augen gehabt haben sollte, hielte die Entscheidung ebenfalls rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als (aus tatsächlichen Gründen) bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will. Dies ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Allerdings darf das Gericht dabei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; es hat diese vielmehr so, als sei sie voll erwiesen, seiner antizipierenden Würdigung zu Grunde
384
BGH, Beschl. v. 12.1.2010 – 3 StR 519/09.
II. 13. Stellung von Beweisanträgen – § 244 StPO
311
zu legen (BGH StV 2008, 288 m.w.N.). Danach hätte das Landgericht der in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsache den Charakter eines den Angeklagten entlastenden Indizes nicht schlechthin absprechen dürfen, sondern darlegen müssen, aus welchen Gründen es in Ansehung des bisherigen Beweisergebnisses der Tatsache keine Bedeutung für die Erschütterung seiner bisherigen Überzeugung (von der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin) beizumessen vermochte. Auch hieran fehlt es.
Die Frage, ob eine Beweiserhebung der Sachaufklärung dient, muss der Tatrichter in dem Beschluss, mit dem er den Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht ablehnt, beantworten. Nur dann kann das Revisionsgericht überprüfen, ob die Ablehnung rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Dagegen obliegt es dem Revisionsgericht als reiner Rechtsinstanz – ähnlich der Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung – jedenfalls grundsätzlich nicht, die Sachdienlichkeit der Beweiserhebung selbst zu prüfen.385 Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erzwang der Angeklagte am 13. April 2008 durch Schläge und Drohung mit einer Schusswaffe den Analverkehr mit dem Nebenkläger Tim K. „Hysterisch und verstört“ (UA 16) verließ Tim K. anschließend seine Wohnung und ließ sich von einer Zeugin in die Nähe seines Elternhauses fahren … . Am letzten Tag der Hauptverhandlung stellte der Verteidiger des die Begehung dieser Tat bestreitenden Angeklagten den Antrag, dessen Lebensgefährtin („Ehefrau“) als Zeugin dazu zu vernehmen, dass Tim K. und sein Lebensgefährte am Abend des 13. April 2008 in die Wohnung des Angeklagten gekommen seien, die Zeugin für diese und den Angeklagten Essen und Trinken zubereitet habe und man einige Stunden zusammengesessen sei, „wobei hier in keiner Form über eine etwaige sexuelle Nötigung gesprochen wurde“. Diesen Antrag lehnte die Strafkammer am selben Hauptverhandlungstag ab, da er zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt worden sei. Zur Begründung führte sie aus: Die Vernehmung der Zeugin T. würde ggfs. die nochmalige Vernehmung der Zeugen K. und W. erfordern. In der bisherigen Beweisaufnahme hat sich für eine Zusammenkunft am Tatabend nichts ergeben. Es kann auch nicht anders als durch eine auf Entlastung des Angekl. ausgerichtete konstruierte Behauptung erklärt werden, dass die Beweisbehauptung erst jetzt in die Hautverhandlung eingeführt wurde. Denn für den Fall, dass die Behauptung wahr wäre, ist es nicht nachvollziehbar, dass diese Tatsache in der mehrtägigen Beweisaufnahme nicht schon früher, insbes. im Zusammenhang mit der Befragung der Zeugen K. und W. eingeführt worden ist, zumal der Angeklagte sich gerade zu dem Vorwurf der Vergewaltigung auch schon spontan eingelassen hat. b) Diese Erwägungen tragen die Ablehnung des Beweisantrags nicht. aa) Die Strafkammer geht zutreffend davon aus, dass es sich bei dem Antrag um einen Beweisantrag handelt. Der erste Teil der Beweisbehauptung ist unmittelbar auf eine (positive) Wahrnehmung der Zeugin gerichtet (Erscheinen von Tim K. und seines Lebensgefährten in der Wohnung des Angeklagten am Abend des 13. April 2008, Zubereitung von Essen und Getränken). Der zweite Teil der Beweisbehauptung betrifft zwar eine sogenannte Negativtatsache, aber nicht nur ein Beweisziel, sondern den – nach dem Vorbringen des Antragstellers – von der Zeugin selbst wahrgenommenen Inhalt eines Gesprächs. Es liegt also keiner der Fälle vor, in denen aus der unmittelbaren Wahrnehmung der Beweisperson erst darauf geschlossen wer-
385
BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – 4 StR 359/10.
385
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D. Strafprozessordnung
den soll, dass ein weiteres Geschehen nicht stattgefunden habe. Die Beweisbehauptung konnte deshalb Gegenstand des Zeugenbeweises sein … . bb) Die Ablehnung des Beweisantrags durch die Strafkammer begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Strafprozessordnung gestaltet das Strafverfahren als einen vom Prinzip der materiellen Wahrheitserforschung beherrschten Amtsprozess aus, in dem das Gericht von Amts wegen zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet ist. Dem Gebot der Sachaufklärung kommt dabei auch gegenüber dem Interesse an einer Verfahrensbeschleunigung und der Verhinderung bzw. Abwehr eines missbräuchlichen Verhaltens, wie der Stellung eines Beweisantrags zum Zwecke der Prozessverschleppung, grundsätzlich der Vorrang zu. Gebietet daher die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit, einem Beweisantrag in der Sache nachzugehen, darf er nicht wegen Prozessverschleppung abgelehnt werden (BVerfG, Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08, NJW 2010, 592, 593 [Rn. 18], 594 [Rn. 26]; BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – 1 StR 162/09, NStZ 2010, 161 f.). Die Frage, ob eine Beweiserhebung der Sachaufklärung dient, muss der Tatrichter in dem Beschluss, mit dem er den Beweisantrag wegen Verschleppungsabsicht ablehnt, beantworten. Nur dann kann das Revisionsgericht überprüfen, ob die Ablehnung rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Dagegen obliegt es dem Revisionsgericht als bloßer Rechtsinstanz – ähnlich der Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung – jedenfalls grundsätzlich nicht, die Sachdienlichkeit der Beweiserhebung selbst zu prüfen und gegebenenfalls zu verneinen. Da es in dem beanstandeten Beschluss aber an jeglicher Darlegung dazu fehlt, weshalb der Beweis nichts Entlastendes für den Beschwerdeführer erbringen können soll, ist es dem Senat verwehrt, die – nach den Umständen nicht auf der Hand liegende – Beurteilung vorzunehmen, ob die Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten der Erforschung der Wahrheit dienlich gewesen wäre.
e) 386
Fristsetzung für die Stellung von Beweisanträgen
Unter Bezugnahme auf die vom BVerfG für verfassungsgemäß befundene Fristsetzung zur Stellung etwaiger weiterer Beweisanträge (vgl. BGHSt 51, 333, 344; BVerfG – Kammer – Beschl. vom 6. Oktober 2009 – 2 BvR 2580/08) hat der BGH mit Beschluss vom 10.11.2009 386 diese Rechtsprechung verdeutlicht: Die Fristsetzung zur Stellung von Beweisanträgen trägt im Einzelfall dem Gebot effektiver und beschleunigter Durchführung von Strafverfahren Rechnung und beugt der Gefahr vor, dass durch sukzessive Beweisantragstellung der Abschluss des Verfahrens hinausgezögert wird (BVerfG aaO). Mit der Fristsetzung betont das Gericht, aus welchen äußeren Beweisanzeichen es im Einzelfall auf das Vorliegen der Verschleppungsabsicht schließen will. Bei der Fristversäumung handelt es sich aber lediglich um einen von mehreren Umständen, die für das Vorliegen der Voraussetzungen des Ablehnungsgrundes des § 244 Abs. 3 Satz 2, 6. Alt. StPO von Bedeutung sind. Wird die gesetzte Frist nicht gewahrt, kann das Gericht „signifikante Indizien“ für das Vorliegen einer der Voraussetzungen des Ablehnungsgrundes der Prozessverschleppungsabsicht annehmen. Hierdurch wird das subjektive und damit regelmäßig schwer beweisbare Moment der Verschleppungsabsicht anhand objektiver Kriterien erschlossen (vgl. BVerfG aaO). Die Nichtwahrung der Frist ist somit ein Indiz für das Vorliegen einer Prozessverschleppungsabsicht. Um dieses Indiz zu entkräften, ist der Antragsteller bei Beweisanträgen nach Ablauf der Frist gehalten, die Gründe für die späte Antragstellung substantiiert darzulegen. Besteht nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund fehlender 386
BGH, Beschl. v. 10.11.2009 – 1 StR 162/09.
313
II. 14. Urkundenbeweis
oder nicht ausreichender Substantiierung kein nachvollziehbarer Anlass für die Überschreitung der gesetzten Frist, so darf es – falls nicht die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zur Beweiserhebung drängt – grundsätzlich davon ausgehen, dass mit dem Antrag nur die Verzögerung des Verfahrens bezweckt wird (BGHSt 51, 333, 344). Das Gericht hat hier jedoch die Hilfsbeweisanträge nicht im Urteil wegen Prozessverschleppungsabsicht zurückgewiesen. Es fehlt vielmehr an einer ausdrücklichen Bescheidung der Anträge. PRAXISHINWEIS ■
Die Androhung, eine große Zahl weiterer Beweisanträge zu stellen, stellt eine der von Gerichten am meisten gefürchteten Ankündigungen dar, welche ein Verteidiger, vor allem aber ein Angeklagter, abgeben kann. Dabei mag es hinzunehmen sein, wenn diese Anträge „en bloc“ zum Ende der Beweisaufnahme abgegeben werden. Prozessverschleppend kann demgegenüber die Taktik werden, immer wieder, in kleinen Dosierungen, die Anträge einzureichen. Als Folge wird eine weitere Prozessplanung boykottiert und unmöglich, und das eigentlich erwartete Ende des Verfahrens rückt in weite Ferne. – Dass in solchen Fällen der Vorwurf der Prozessverschleppung naheliegen mag, scheint zumindest nicht ausgeschlossen; möglicherweise soll auch das Gericht verlockt werden, unüberlegt zu reagieren und dabei Verfahrensfehler zu begehen. Auf jeden Fall hat das BVerfG mit vorstehendem Beschluss die Möglichkeit für verfassungsgemäß gehalten, eine Frist zur Stellung weiterer Anträge zu setzen, sofern aus anderen Umständen auf das Vorliegen einer Verschleppungsabsicht geschlossen werden kann.
14. Urkundenbeweis a)
durch Verlesung einer Vernehmungsniederschrift /Auslandszeuge
Die Vernehmung eines Zeugen, der sich vorab auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen hat, darf nicht durch die Verlesung einer von ihm stammenden früheren schriftlichen Erklärung nach § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO ersetzt werden (BGHSt 51, 325; offen gelassen in der Senatsentscheidung BGHSt 51, 280), was in erster Linie mit dem Wortlaut des § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO begründet wurde, der voraussetzt, dass der Zeuge in absehbarer Zeit „nicht vernommen werden kann“. Die Vernehmung eines Zeugen sei aber möglich, auch wenn er von seinem Recht nach § 55 StPO Gebrauch macht, und zwar selbst dann, wenn die Aussage des Zeugen so eng mit einem möglicherweise strafbaren Verhalten zusammenhängt, dass sein Recht, nach dieser Bestimmung auf einzelne Fragen die Auskunft zu verweigern, zu einem umfassenden Auskunftsverweigerungsrecht erstarkt (BGHSt 51, 325, 330).387 Hier liegt der Fall indes anders. Der sich zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in Algerien befindende Zeuge A. hatte nicht nur angekündigt, von der Möglichkeit des § 55 StPO Gebrauch machen zu wollen, sondern darüber hinaus erklärt, er habe nicht die Absicht, in absehbarer Zeit nach Deutschland zu kommen. Er habe Angst um sein Leben und werde weder in Deutschland noch in Algerien eine Aussage machen. Seine Vernehmung war 387
BGH, Beschl. v. 2.3.2010 – 4 StR 619/09; vgl. hierzu auch Rn. 396.
387
314
D. Strafprozessordnung
daher aus tatsächlichen Gründen – unbeschadet des möglichen rechtlichen Hindernisses aus § 55 StPO – in absehbarer Zeit nicht möglich. Die Niederschriften über seine polizeilichen Vernehmungen durften daher gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden.
b) ohne Gerichtsbeschluss 388
Ohne richterlichen Beschluss: Wird eine Verlesung nach § 251 „im allseitigen Einverständnis“ vorgenommen, ohne dass zugleich ein Gerichtsbeschluss nach § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgt ist, begründet dessen Fehlen die Revision;388 denn das Beschlusserfordernis in § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO soll angesichts der potentiellen Bedeutung einer Verlesung für die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung und Rekonstruktion des Tatgeschehens auch gewährleisten, dass das Gericht durch eine gemeinsame Meinungsbildung sowie in seiner Gesamtheit die Verantwortung dafür trägt, ob ausnahmsweise die Einschränkung der Unmittelbarkeit durch den Verzicht auf den Zeugen hinnehmbar ist oder die Aufklärungspflicht die Vernehmung der Beweisperson gebietet. ■ PRAXISHINWEIS
Mit dem so bestätigten Beschlusserfordernis des § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO soll angesichts der potentiellen Bedeutung der Verlesung für die Zuverlässigkeit der Beweisgewinnung und Rekonstruktion des Tatgeschehens auch gewährleistet werden, dass das Gericht durch die gemeinsame Meinungsbildung in seiner Gesamtheit die Verantwortung dafür trägt, ob ausnahmsweise die Einschränkung der Unmittelbarkeit durch den Verzicht auf den Zeugen hinnehmbar ist, oder die Aufklärungspflicht die Vernehmung der Beweisperson gebietet.
c) 389
390
bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 StPO
Ist ein gerügter Verstoß gegen die Vorschrift des § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht bewiesen, weil eine Formulierung im Protokoll über die Verlesung eines „Vermerks über die Aufnahme in ein Klinikum“ im Zusammenhang mit der Vernehmung eines Nebenklägers die Möglichkeit offen lässt, dass die Verlesung nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO im Wege des Urkundsbeweis, sondern zum Zwecke des Vorhalts im Rahmen der Vernehmung erfolgte, und kann allenfalls in Betracht gezogen werden, das Tatgericht habe (ausweislich bestimmter Formulierungen im Urteil) bei seiner Überzeugungsbildung ein Beweismittel verwertet, das nicht Gegenstand der Hauptverhandlung war, bedarf es neben der Sachrüge der (vom Beschwerdeführer nicht erhobenen) Verfahrensrüge, das Gericht habe seine Überzeugung entgegen § 261 StPO nicht aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpft.389 Keine Verlesung eines ärztlichen Berichts des Leiters eines von einem Orden geführten konfessionellen Krankenhauses – § 256 Nr. 1a StPO:390
388 389 390
BGH, Beschl. v. 10.6.2010 – 2 StR 78/10. BGH, Beschl. v. 27.1.2010 – 2 StR 444/09. BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – 4 StR 276/09.
II. 15. § 249 Abs. 2 StPO – Selbstleseverfahren
315
15. § 249 Abs. 2 StPO – Selbstleseverfahren Feststellungen dahingehend, welche Urkunden und in welchem Umfang diese im Wege des Selbstleseverfahrens eingeführt worden sind, erweisen sich gerade in der Revisionsinstanz oftmals als schwierig. Die Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll sind oftmals nicht sehr aussagekräftig. Beziehen sich Feststellungen im Urteil insbesondere auf im Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommene Urkunden, bleibt darzulegen, dass entweder diese Urkunden nicht Gegenstand einer Verfahrensweise nach § 249 Abs. 2 StPO waren oder die Kenntnisnahme durch Verfahrensbeteiligte nicht protokolliert ist. Auch kann eine regelmäßig entspr. § 261 StPO zu erhebende Rüge nur dann erfolgreich sein, wenn rechtzeitig nach § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO widersprochen wurde.391
391
Die wegen Verletzung des § 249 Abs. 2 Satz 1 und 3 i.V.m. § 261 StPO erhobene Inbegriffsrüge greift nicht durch. Es ist zureichend festgestellt, dass sämtliche Mitglieder der Strafkammer, mithin die Berufsrichter ebenso wie die Schöffen, Kenntnis vom Wortlaut der im Wege des § 249 Abs. 2 StPO einzuführenden Urkunden genommen haben (vgl. BGHR StPO § 249 Kenntnisnahme 1; BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 76/10). Von dem Feststellungsvermerk erfasst wurden ersichtlich die in den vier Anordnungen des Selbstleseverfahrens jeweils ausdrücklich bezeichneten Urkunden. Eine weniger pauschale Bezeichnung wäre zwar aus Gründen der Verfahrensklarheit gerade bei einer Mehrzahl von Anordnungen nach § 249 Abs. 2 StPO wünschenswert gewesen, der Bezugspunkt der Feststellung war indes für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar. Zweifel an dem erforderlichen Verständnis vom Gegenstand des Selbstleseverfahrens hatten ersichtlich auch die Verfahrensbeteiligten nicht; dem Revisionsvorbringen und dem Protokoll ist weder ein Widerspruch noch sonst eine Beanstandung der Verfahrensweise zu entnehmen. Abgesehen davon hat der Beschwerdeführer in seiner umfangreichen Einlassung den Inhalt der zentralen Urkunden selbst vorgetragen. PRAXISHINWEIS ■
Soll im Zusammenhang mit dem Selbstleseverfahren dieses oder seine Ausgestaltung gerügt werden, ist Voraussetzung hierfür eine rechtzeitige Rüge gem. § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zur Frage der Kenntnisnahme von umfangreichen Tabellen im Selbstleseverfahren hat sich die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 28.1.2010 392 befasst und festgestellt, dass es sich bei einem zahlreiche Zahlenwerke in Tabellenform enthaltenden Prüfbericht um eine verlesbare Urkunde i.S.d. § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO handelt. Bei dem Prüfbericht handelt es sich um eine verlesbare Urkunde im Sinne des § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO. Sie ist geeignet, durch ihren Gedankeninhalt Beweis zu erbringen (vgl. BGHSt 27, 135, 136). Dies gilt auch für die Zahlenwerke in Tabellenform. Zwar ergibt sich aus dem Wortlaut des Protokolls hier lediglich, dass die Berufsrichter und die Schöffen vom „Inhalt“ (auch) des Prüfberichts Kenntnis genommen haben. Dies erfasst indes – worauf es gemäß
391 392
BGH, Beschl. v. 15.10.2010 – 5 StR 119/10. BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – 5 StR 169/09.
392
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D. Strafprozessordnung
§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO ankommt – auch deren Wortlaut (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 227 [bei Becker]). Nach dem Inhalt des Protokolls steht außer Frage, dass die festgestellte Kenntnisnahme der Berufsrichter und der Schöffen nach deren abgegebenen Erklärungen im Selbstleseverfahren erfolgt ist. Dann aber haben die Erklärenden auch vom Wortlaut insgesamt Kenntnis genommen (vgl. BGH aaO), weil anders eine Kenntnisnahme vom „Inhalt“ der Urkunde nicht möglich ist (möglicherweise anders, indes nicht tragend BGHR StPO § 249 Kenntnisnahme 1). ■ PRAXISHINWEIS
Die vorstehende Entscheidung lässt es nicht nur zu, umfangreiche Aufstellungen und Tabellenwerke, bspw. TÜ-Aufstellungen oder Aufzeichnungen von Verbindungsdaten über einen längeren Zeitraum, auch im Wege des Selbstleseverfahrens zur Kenntnis zu nehmen. Darüber hinaus stellt der Beschluss aber auch allgemeingültig fest, wenn aus dem Inhalt des Protokolls hervorgeht, dass die Berufsrichter und die Schöffen vom „Inhalt“ des Prüfberichts Kenntnis genommen haben und die Kenntnisnahme nach deren abgegebenen Erklärungen im Selbstleseverfahren erfolgt ist, dann weiterhin gilt, dass die Erklärenden auch vom Wortlaut insgesamt Kenntnis genommen haben, weil anders eine Kenntnisnahme vom „Inhalt“ der Urkunde nicht möglich ist! 393
Der durch Gesetz vorgesehene Protokollvermerk über die Durchführung des Selbstleseverfahrens (§ 249 Abs. 2 Satz 3 StPO) kann nach einer Entscheidung vom 20.7.2010 393 nicht den Nachweis dafür erbringen, dass die Verfahrensbeteiligten tatsächlich auch vom Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben. Vielmehr ergibt sich daraus allein, dass diese Urkunden als Beweisstoff Inbegriff der Hauptverhandlung waren. Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises – die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen – aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und die Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er – ausnahmsweise – anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und der Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen.
394
Umgekehrt ergibt sich aus dem Schweigen des Protokolls, sofern nicht ein grundsätzlich zulässiges Protokollberichtigungsverfahren durchgeführt wurde, dass nicht in der Hauptverhandlung festgestellt worden ist, dass Berufsrichter und Schöffen von dem Wortlaut der Urkunden Kenntnis genommen haben.394 393 394
BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – 3 StR 76/10. BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – 5 StR 169/09.
II. 15. § 249 Abs. 2 StPO – Selbstleseverfahren
317
Ebenso kann mit Hilfe des Protokolls nicht festgestellt werden, welche Schriftstücke tatsächlich auch entsprechend der Anordnung von Richtern und Schöffen tatsächlich zur Kenntnis genommen worden sind. Vielmehr kann mit dem Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO nur die Tatsache bewiesen werden, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat.395 Die Revision beanstandet, es sei nicht festgestellt worden, dass die Richter und Schöffen „vom Wortlaut“ der Urkunden Kenntnis genommen hätten. Kenntnis von einer Urkunde sei mit der Kenntnis von deren Wortlaut nicht gleichzusetzen. Das Protokoll beweise, dass der Wortlaut von den Richtern nicht zur Kenntnis genommen worden sei. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Wortlaut des Protokollvermerks nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO ist für den Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung des Selbstleseverfahrens ohne Belang. Im Einzelnen: Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 StPO darf von der Verlesung einer Urkunde oder eines anderen Schriftstücks – neben anderen Voraussetzungen – dann abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Die „Feststellungen über die Kenntnisnahme“ sind nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen. Durch einen entsprechenden Protokollvermerk kann indes nicht bewiesen (§ 274 Abs. 1 Satz 1 StPO) werden, dass die Richter und Schöffen tatsächlich vom Wortlaut Kenntnis genommen haben. Dies folgt schon daraus, dass in der Sitzungsniederschrift nur solche Vorgänge beweiskräftig beurkundet werden können, die sich während der laufenden Hauptverhandlung im Sitzungssaal (oder ggf. einem auswärtigen Verhandlungsort) zugetragen haben (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 Rn. 19), denn nur diese können der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle durch ihre Unterschrift unter das Protokoll (§ 271 Abs. 1 Satz 1 StPO) aus eigener Wahrnehmung bestätigen. Das Selbstleseverfahren hat den Kern des Urkundenbeweises – die Kenntnisnahme vom Urkundeninhalt durch die Richter und Schöffen – aber gerade aus der Hauptverhandlung herausverlagert. Damit ist es dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle von vornherein nicht möglich zu bestätigen, dass diese tatsächlich vom Wortlaut eines Schriftstücks Kenntnis genommen haben. Nichts anderes gilt aber auch für den Vorsitzenden. So ist schon gesetzlich nicht bestimmt, dass er bei der Kenntnisnahme durch die beisitzenden Richter und Schöffen präsent ist; aber selbst wenn er – ausnahmsweise – anwesend sein sollte, unterliegt es nicht seiner Wahrnehmung, ob diese den Wortlaut tatsächlich vollständig zur Kenntnis genommen und mit der Aufmerksamkeit studiert haben, die erforderlich ist, damit sie ihrer Aufgabe der Urteilsfindung verantwortungsvoll gerecht werden können. Der Vorsitzende muss sich daher letztlich auf die Zusicherung der beisitzenden Richter und Schöffen verlassen, dass sie das Schriftstück vollständig gelesen haben, und kann Entsprechendes nur für seine eigene Person aus eigenem Wissen verbindlich bestätigen. Durch die Einführung des Selbstleseverfahrens hat der Gesetzgeber diese potentiellen Einbußen der Qualität des Urkundenbeweises in Kauf genommen. Dies ist von den Gerichten und den Verfahrensbeteiligten zu akzeptieren. Im Übrigen besteht aber auch bei dem Urkundsbeweis nach § 249 Abs. 1 StPO keine Gewähr dafür, dass die zur Urteilsfindung berufenen Gerichtspersonen der Verlesung – insbesondere bei der aufeinander folgenden Verlesung einer Vielzahl von Schriftstücken – immer mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen. Hieraus ergibt sich, dass durch den Protokollvermerk nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO die tatsächliche Kenntnisnahme vom Wortlaut eines Schriftstücks durch die Schöffen und Be395
BGH, Beschl. v. 14.9.2010 – 3 StR 131/10.
395
318
D. Strafprozessordnung
rufsrichter im Wege des Selbstleseverfahrens nicht nachgewiesen werden kann. Er beweist daher nicht die ordnungsgemäße Durchführung dieses Verfahrens, sondern allein die Tatsache, dass der Vorsitzende in der Hauptverhandlung eine entsprechende Feststellung getroffen hat (KK-Diemer, 6. Aufl., § 249 Rn. 39). Aus seiner Formulierung kann daher kein – im Sinne des § 274 Abs. 1 Satz 1 StPO beweiskräftig belegter – Schluss auf die (nicht) ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens gezogen werden. Nach Auffassung des Senats kommt der Protokollierung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO vielmehr eine andere Funktion zu. Da der Urkundsbeweis beim Selbstleseverfahren außerhalb der Hauptverhandlung erhoben wird, bedarf es der Kenntlichmachung und des Hinweises an die Verfahrensbeteiligten, dass der in dieser Sonderform gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann. Dies wird durch die Feststellung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO beweiskräftig vollzogen. Fehlt der entsprechende Vermerk, so ist danach die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet. Es verhält sich hier ähnlich wie bei der Verwertung offenkundiger, insbesondere gerichtskundiger, außerhalb der Hauptverhandlung gewonnener Tatsachen, die Inbegriff der Hauptverhandlung grundsätzlich nur werden, wenn sie durch entsprechenden Hinweis in diese eingeführt worden sind (Meyer-Goßner, aaO, § 244 Rn. 3 m.w.N.; zur strittigen Frage der diesbezüglichen Protokollierungspflicht vgl. Meyer-Goßner, aaO, § 273 Rn. 7 m.w.N.). ■ PRAXISHINWEIS
Die vorstehenden Entscheidungen ergeben in ihrer Gesamtschau die Problematik, welche mit dem Selbstleseverfahren verbunden sein kann, und die klare Feststellung über die (begrenzte) Reichweite des gesetzlich vorgesehenen Protokollvermerks. Dieser betrifft nur die Frage, welche Urkunden Gegenstand des Selbstleseverfahrens waren. Der gelegentlich umgekehrt gewünschte Schluss, dass diese Urkunden auch von jedem hiervon betroffenen Prozessbeteiligten umfänglich gelesen worden sind, ist nicht möglich und nicht zulässig!
■ PRAXISTIPP
Die Rüge, ein Richter oder Schöffe habe trotz angeordnetem Selbstleseverfahren von einem bestimmten Schriftstück keine Kenntnis genommen, dürfte regelmäßig nicht erfolgreich sein. Fehlt allerdings der in diesen Fällen erforderliche Protokollvermerk gem. § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO, ist die Inbegriffsrüge nach § 261 StPO eröffnet.
16. Verlesung früherer Aussagen / Vernehmung des Ermittlungsrichters nach Zeugnisverweigerung / sonstiger Urkundenbeweis – §§ 251 ff. StPO a) 396
Urkundenbeweis mit Protokollen – § 251 StPO
Wenn sich ein Zeuge zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung im Ausland aufhält und er nicht nur angekündigt hat, von der Möglichkeit des § 55 StPO Gebrauch machen zu wollen, sondern darüber hinaus erklärt hat, er habe nicht die Absicht in
II. 16. Verlesung früherer Aussagen / Vernehmung des Ermittlungsrichters
319
absehbarer Zeit nach Deutschland zu kommen, ist seine Vernehmung aus tatsächlichen Gründen (unbeschadet des möglichen rechtlichen Hindernisses aus § 55 StPO) in absehbarer Zeit nicht möglich. Dann dürfen die Niederschriften über seine polizeilichen Vernehmungen gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden.396 PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung verdeutlicht noch einmal, dass die Verlesung des Protokolls einer Zeugenaussage immer erst die letzte Möglichkeit der Beweisführung sein darf. Dem in § 250 StPO normierten Unmittelbarkeitsgrundsatz ist der absolute Vorrang zu gewähren. Allerdings muss das Gericht deswegen aber auch nicht jede, möglicherweise eher sinnlose Bemühung unternehmen; denn sobald feststeht, dass ein sich im Ausland befindlicher Zeuge nicht aussagen will, liegen die Verlesungsvoraussetzungen gem. § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO vor.
b) Zeugenvernehmung des Vernehmungsrichters Vermag sich ein Richter nicht mehr ausreichend an die Aussage eines von ihm vernommenen Zeugen zu erinnern, ist es nicht zulässig, stattdessen das Protokoll zu verlesen und sich von ihm bestätigen zu lassen, er habe die Aussage richtig aufgenommen. Verwertbar ist nur das, was – ggf. auf Vorhalt – in die Erinnerung des Richters zurückkehrt.397 Wie die Revision zu Recht rügt, hat das Landgericht hiermit gegen § 252 i.V.m. § 261 StPO verstoßen. Zwar ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, einen Richter als Zeugen über die von der das Zeugnis in der Hauptverhandlung verweigernden Person gemachten Aussagen zu vernehmen, sofern er an einer richterlichen Vernehmung dieser Beweisperson beteiligt war (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 252 Rdn. 14 m.Nachw.). Auch dürfen dem Richter, der die Vernehmung durchgeführt hat, die Vernehmungsprotokolle – notfalls durch Vorlesen – als Vernehmungsbehelf vorgehalten werden (vgl. BGH NJW 2000, 1580). Grundlage der Feststellung des Sachverhalts kann jedoch nur das in der Hauptverhandlung erstattete Zeugnis des Richters über den Inhalt der früheren Aussage des jetzt die Aussage verweigernden Zeugen sein, nicht aber der Inhalt der Vernehmungsniederschrift selbst. Deshalb genügt nicht, wenn der Richter lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen; verwertbar ist nur das, was – ggf. auf den Vorhalt hin – in die Erinnerung des Richters zurückkehrt (BGH, Beschl. vom 4. April 2001 – 5 StR 604/00, StV 2001, 386; Meyer-Goßner aaO Rdn. 15). Hier ergibt sich aus den allein maßgebenden Urteilsgründen, dass Richter am Amtsgericht B. als Zeuge keine genügende Erinnerung mehr an den Inhalt der Aussage der J. R. hatte. Es ist deshalb nahe liegend, dass das Landgericht bei den Feststellungen zu den Beobachtungen der J. R. nicht auf die Aussage des Richters B., sondern auf das Protokoll ihrer richterlichen Vernehmung zurückgegriffen hat. Das war nicht zulässig.
396 397
BGH, Beschl. v. 2.3.2010 – 4 StR 619/09; vgl. hierzu auch Rn. 387. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 4 StR 660/09.
397
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D. Strafprozessordnung
17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a Satz 3, § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO 398
Zu Fragen des Deals sind inzwischen erste höchstrichterliche Entscheidungen ergangen, sowohl hinsichtlich der Art und Weise der Absprache, als auch zur Frage einer vorzeitigen Rechtskraft trotz des Verbots in § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO. ■ TOPENTSCHEIDUNG
399
Unterbleibt entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO eine Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung, dass Gespräche über eine Verständigung stattgefunden haben, ist kein absoluter Revisionsgrund gegeben. Regelmäßig wird auf der unterbliebenen Mitteilung auch das Urteil nicht beruhen.398 2. Nach dem Revisionsvorbringen, das durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft und die dienstliche Äußerung des Sitzungsstaatsanwalts bestätigt und ergänzt wird, bot (oder kündigte) die Vorsitzende der Strafkammer nach Anklageerhebung (mit Anklageschrift vom 30. August 2007) im Mai 2009 während eines Telefongesprächs und erneut im Oktober oder Anfang November 2009, als der Verteidiger beim Gericht Akteneinsicht nahm, diesem gegenüber für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, als Strafobergrenze an. Der sachbearbeitende Staatsanwalt hatte der Vorsitzenden zuvor seine Zustimmung hierzu signalisiert (dies sei nicht ausgeschlossen). Der Angeklagte, der von seinem Verteidiger über die Anfragen der Strafkammervorsitzenden unterrichtet wurde, lehnte die Ablegung eines Geständnisses ab. Eine zu erwartende Strafhöhe für den Fall einer Verhandlung ohne Geständnis nannte die Strafkammervorsitzende nicht. Das Angebot einer Verständigung seitens der Strafkammervorsitzenden wurde in der Hauptverhandlung nicht erwähnt. Im Protokoll ist lediglich am Ende – zutreffend – vermerkt, dass eine Verständigung nicht stattfand. 3. Es kann dahinstehen, ob ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO vorliegt, da das Urteil darauf jedenfalls nicht beruht. a) Gemäß § 202a StPO kann das Gericht im Zwischenverfahren den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gilt dies entsprechend (§ 212 StPO [während des Ermittlungsverfahrens gilt für den Staatsanwalt § 160b StPO]). War Gegenstand dieser Erörterungen die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO), so hat der Vorsitzende des Gerichts dies und den wesentlichen Inhalt der Erörterungen gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO in der Hauptverhandlung nach Verlesung der Anklage und vor der Belehrung des Angeklagten mitzuteilen. Sofern eine derartige Mitteilung erfolgt, ist dies im Protokoll zu vermerken (§ 273 Abs. 1a Satz 2 1. Alt. StPO). Diese Bestimmungen wurden durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353) mit Wirkung vom 4. August 2009 in die Strafprozessordnung eingefügt. Es liegt nahe, dass die seit dem 4. August 2009 bestehende Mitteilungspflicht bei danach beginnenden Hauptverhandlungen auch hinsichtlich solcher Erörterungen gilt, die vor
398
BGH, Beschl. v. 20.10.2010 – 1 StR 400/10.
II. 17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a
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dem Inkrafttreten des Gesetzes stattfanden. Im vorliegenden Fall kann dies dahinstehen, da die Strafkammervorsitzende nach dem – unwidersprochenen – Revisionsvorbringen im Oktober oder Anfang November 2009 nochmals aktiv wurde. Mitzuteilen sind gemäß §§ 202a, 212 StPO Erörterungen des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten. Beim Landgericht ist die große Strafkammer außerhalb der Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern besetzt (§ 76 Abs. 1 GVG). Sondierende Äußerungen allein des bzw. der Vorsitzenden können deshalb nicht ohne weiteres als Erklärungen der Strafkammer verstanden werden. Das Gesetz differenziert zwischen den Aufgaben des Gerichts (§§ 202a, 212 StPO) und des Vorsitzenden (§ 243 Abs. 4 StPO). Zwar muss an den Erörterungen gemäß §§ 202a, 212 StPO nicht immer das Gericht in der vollen Besetzung gemäß § 76 Abs. 1 StPO teilnehmen. Das Gericht kann sich auch über eines seiner Mitglieder, in der Regel durch den Vorsitzenden, äußern (so ist auch § 257c Abs. 3 StPO zu verstehen). Dann muss aber gewährleistet sein und muss auch nach außen deutlich werden, dass den Äußerungen des Vorsitzenden eine entsprechende Beratung, ein ausdrücklicher Auftrag des Gerichts zugrunde liegt. Dies versteht sich auch im vorliegenden Fall nicht von selbst. Vom Gericht geführte oder ausdrücklich autorisierte Erörterungen sind dann auch aktenkundig zu machen (§ 202a Satz 2 StPO) und in der Hauptverhandlung nach Verlesung des Anklagesatzes mitzuteilen (243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dies ist dann auch in der Sitzungsniederschrift zu vermerken (§ 273 Abs. 1a Satz 2 1. Alt. StPO). b) Im vorliegenden Fall kann es dahinstehen, ob die Vorsitzende der Strafkammer vom Gericht (§ 76 Abs. 1 GVG) zu Verständigungsvorschlägen ermächtigt war. Denn auf der fehlenden Mitteilung in der Hauptverhandlung über die Gespräche der Vorsitzenden im Vorfeld beruht das angefochtene Urteil nicht, wie eingangs bereits mitgeteilt. aa) Darauf kommt es entgegen dem Revisionsvorbringen auch an. Ein absoluter Revisionsgrund (§ 338 StPO) ist nicht gegeben. Einem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO kommt auch keine entsprechende Wirkung zu. Zwar trägt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien zutreffend vor, die Bestimmung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO diene der Herstellung von Transparenz. Dies führt aber nicht zu der unwiderlegbaren Vermutung, wonach bei einer Verletzung der Norm eine Beeinflussung des Urteilsspruchs dadurch nie ausgeschlossen werden kann. bb) Zu seiner Auffassung, dass das Urteil auf der fehlenden Mitteilung in der Hauptverhandlung auch beruht, verweist der Beschwerdeführer auf zwei Punkte: (1) Bei einer Mitteilung seitens der Strafkammervorsitzenden in der Hauptverhandlung über ihre Anfragen zur Möglichkeit einer Verständigung hätte sich der Angeklagte vielleicht doch noch eines anderen besonnen und ein Geständnis abgelegt. Dies schließt der Senat aus. … (2) Die Nennung einer Strafobergrenze bzw. eines Strafrahmens (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO) im Falle der Ablegung eines Geständnisses – habe, auch wenn die Verständigung scheitert, am Ende eines dann streitig durchgeführten Verfahrens im Falle einer Verurteilung zwingend Einfluss auf die Bestimmung der Strafhöhe. Diese Orientierungsfunktion der Nennung einer Strafobergrenze sei hier nicht zum Tragen gekommen, da die übrigen Mitglieder der erkennenden Strafkammer über die Anfrage der Vorsitzenden nicht informiert gewesen seien. (a) Die behauptete fehlende Unterrichtung der übrigen Angehörigen des Gerichts seitens der Vorsitzenden über ihren Vorstoß unter Nennung einer Strafobergrenze ist schon nicht erwiesen. … (b) Im Übrigen kommt einem für den Fall eines Geständnisses vor oder zu Beginn einer Hauptverhandlung in den Raum gestellten Strafrahmen (zur Frage der Notwendigkeit der
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D. Strafprozessordnung
Nennung einer Strafunter- und einer Strafobergrenze vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2010 – 1 StR 347/10, Rn. 7 ff, und vom 11. Oktober 2010 – 1 StR 359/10, Rn. 6) für die Strafzumessung nach langer streitiger Hauptverhandlung in der Regel keine Bedeutung mehr zu. Dies gilt ebenso für eine in diesem Zusammenhang genannte zu erwartende Strafe für den Fall einer Verurteilung ohne ein Geständnis. Zwingend sind Äußerungen des Gerichts zu Letzterem allerdings nicht und sie sind meist auch nicht zweckmäßig. Wird allerdings bei Verständigungsgesprächen die bei einem „streitigen Verfahren“ zu erwartenden Sanktion genannt, dann darf die Differenz zu der für den Fall eines Geständnisses zugesagten Strafobergrenze nicht zu groß sein („Sanktionsschere“). Die ohne Absprache in Aussicht gestellte Sanktion darf nicht das vertretbare Maß überschreiten, so dass der Angeklagte inakzeptablem Druck ausgesetzt wird. Entsprechend darf das Ergebnis des Strafnachlasses im Hinblick auf ein Geständnis nicht unterhalb der Grenze dessen liegen, was noch als schuldangemessene Sanktion hingenommen werden kann (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 – BGHSt GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 50). Die Frage nach dem Vorliegen einer unzulässig weit geöffneten „Sanktionsschere“ bezieht sich hinsichtlich beider Alternativen (mit und ohne Geständnis) auf den Zeitpunkt der Verständigungsgespräche. Der Unterschied in der – antizipierten – Strafzumessungsbewertung im Falle eines streitigen Verfahrens im Vergleich zum einvernehmlichen Verfahren liegt dann zwar allein in der Ablegung eines Geständnisses und dessen Folgen, wie Verkürzung der Hauptverhandlung oder Schonung der Opfer der Straftat. Das Gewicht eines Geständnisses kann allerdings in verschiedenen Verfahren gleichwohl sehr unterschiedlich sein. Deshalb verbietet sich eine mathematische Betrachtung, etwa der angemessene Strafrabatt dürfe in der Regel nicht mehr als 20 % bis 30 % betragen (so aber MeyerGoßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn.19). Maßgeblich sind immer die Verhältnisse des Einzelfalls. Der zum Zeitpunkt von Verständigungsbemühungen vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung vom Gericht in Aussicht gestellte Strafrahmen sowie eine in diesem Zusammenhang für den Fall eines Verfahrens ohne Verständigung genannte Strafhöhe orientiert sich an den Informationen über den Angeklagten und die ihm zur Last gelegten Taten aus den Akten. Im Falle einer erfolgreichen Verständigung mit einem – überprüften – Geständnis und einer dann regelmäßig nicht allzu langen Hauptverhandlung wird sich an dieser Bewertung meist nichts Grundsätzliches ändern. Der zugesicherte Strafrahmen wird dann durch das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht in Frage gestellt (sonst gilt § 257c Abs. 4 StPO). Ähnliches wird bei einem kurzen streitigen Verfahren anzunehmen sein. Kommt es demgegenüber mangels einer Verständigung zu einer langen Hauptverhandlung mit einer umfangreichen Beweiserhebung, so kann sich der aus den Akten gewonnene Eindruck von Tat und Täter im Einzelfall entscheidend verändern, zum Vor- oder zum Nachteil des Angeklagten. Dem früher für den Fall eines Geständnisses genannten Strafrahmen (§ 257c Abs. 3 StPO) kann dann keine Orientierung zukommen, ebenso wenig einer anfangs für den Fall einer streitigen Hauptverhandlung prognostizierten Strafe. Eines besonderen Hinweises darauf bedarf es nicht. Dass der Inbegriff der Hauptverhandlung maßgeblich ist (§ 261 StPO) versteht sich von selbst. Feste, gar mathematisch bestimmte Regeln über die Ausrichtung der Strafhöhe nach der Durchführung eines „streitigen“ Verfahrens an der für den Falle eines Geständnisses vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung genannten Obergrenze verbieten sich deshalb entgegen dem Revisionsvorbringen auch insoweit (a.A. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 19, wonach eine Strafe ohne Geständnis in der Regel maximal ein zusätzliches Drittel über der im Rahmen der Verständigungsgespräche genannten Strafobergrenze liegen dürfe).
II. 17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a
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PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung legt nicht nur Grundsätze dahingehend fest, ob und welche Rechtsfolgen aus einer entgegen § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO unterbliebenen Mitteilung entstehen können; des Weiteren wird auch ausgeführt, wie die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemachten Angaben über mögliche Strafhöhen aus welchen Gründen variieren können und wie hoch die mögliche „Bandbreite“ überhaupt sein darf. Zwar kann grundsätzlich auch bei einem der Verständigung entsprechenden Urteil gerügt werden, der Angeklagte sei mit unzulässigem Druck dazu veranlasst worden, der Verständigung zuzustimmen und ein Geständnis abzulegen. Doch ist es jedenfalls dem verteidigten Angeklagten im Regelfall zuzumuten, Inhalten der Verständigung, die er für unzulässig hält, sogleich zu widersprechen und gegebenenfalls – schon im Interesse späterer Überprüfbarkeit – auf ihre Protokollierung hinzuwirken oder solche Umstände zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs zu machen. Wenn der Beschwerdeführer die näheren Umstände des Verständigungsgesprächs, das während einer Verhandlungspause stattgefunden haben soll, nicht mitteilt und insbesondere bereits die Angabe fehlt, wer von den Verfahrensbeteiligten an dem „Verständigungsgespräch“ teilgenommen hat und auf wessen konkrete Äußerung(en) sich das Vorbringen des Beschwerdeführers bezieht, „das Gericht“ habe ihm über seinen damaligen Verteidiger die – beanstandeten – „in Aussicht gestellten“ Rechtsfolgen mit und ohne Geständnis „vortragen“ lassen, ist dem Revisionsgericht die Prüfung verwehrt, ob von Seiten „des Gerichts“ unzulässiger Druck auf den Angeklagten ausgeübt worden ist.399 Zu der auf die Verletzung des § 136a StPO gestützten Rüge, mit der der Angeklagte hinsichtlich seines in der Hauptverhandlung abgelegten umfassenden Geständnisses ein Verwertungsverbot mit der Behauptung geltend macht, das Gericht habe ihn mit unzulässigem Druck zu dem Geständnis veranlasst, bemerkt der Senat in Ergänzung der Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 5. Januar 2010: Das Vorbringen der Revision genügt auch deshalb nicht den Anforderungen an eine nach Maßgabe des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässige Verfahrensrüge, weil der Beschwerdeführer die näheren Umstände des Verständigungsgesprächs, das während einer Verhandlungspause stattgefunden haben soll, nicht mitteilt. So fehlt insbesondere bereits die Angabe, wer von den Verfahrensbeteiligten an dem „Verständigungsgespräch“ teilgenommen hat und auf wessen konkrete Äußerung(en) sich das Vorbringen des Beschwerdeführers bezieht, „das Gericht“ habe ihm über seinen damaligen Verteidiger die – beanstandeten – „in Aussicht gestellten“ Rechtsfolgen mit und ohne Geständnis „vortragen“ lassen. Ohne diese Angaben ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob von Seiten „des Gerichts“ unzulässiger Druck auf den Angeklagten ausgeübt worden ist. Gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen auch deshalb Bedenken, weil das Protokoll über die Hauptverhandlung zu den von der Revision beanstandeten Verfahrensvorgängen schweigt, obwohl nach § 273 Abs. 1a i.V.m § 212 i.V.m. § 202 i.V.m. § 243 Abs. 4 StPO
399
BGH, Beschl. v. 2.2.2010 – 4 StR 620/09.
400
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D. Strafprozessordnung
i.d.F. des mit Wirkung vom 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl I 2353), das mithin im Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 4. September 2009 bereits zu beachten war, das Verfahren der Verständigung und deren Inhalt ausdrücklich der Protokollierungspflicht unterworfen wurde. Der Gesetzgeber bezweckte damit sicherzustellen, dass zum einen die vom Gericht im Zusammenhang mit einer Verständigung zu beachtenden Förmlichkeiten auch wirklich beachtet werden, zum anderen aber, dass insbesondere im Revisionsverfahren die erforderliche Kontrolle der Verständigung im Strafverfahren möglich ist und das tatsächliche prozessuale Geschehen „mit höchstmöglicher Gewissheit und auch in der Revision überprüfbar“ erfasst wird (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks. 16/12310 S. 15; dazu ausführlich Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, S. 136 ff.). Zwar kann grundsätzlich auch bei einem der Verständigung entsprechenden Urteil gerügt werden, der Angeklagte sei mit unzulässigem Druck dazu veranlasst worden, der Verständigung zuzustimmen und ein Geständnis abzulegen (vgl. Weider in Niemöller/Schlothauer/Weider aaO S. 164 f.). Doch ist es jedenfalls dem verteidigten Angeklagten im Regelfall zuzumuten, Inhalten der Verständigung, die er für unzulässig hält, sogleich zu widersprechen und gegebenenfalls – schon im Interesse späterer Überprüfbarkeit – auf ihre Protokollierung hinzuwirken oder solche Umstände zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs zu machen. ■ PRAXISTIPP
Die vorstehende Entscheidung bestätigt zunächst, dass – entsprechend auch dem Willen des Gesetzgebers – der Angeklagte auch nach vorangegangener Verständigung Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen kann. Sie besagt aber umgekehrt auch, dass derjenige, welcher sich auf einen Deal einlässt, nicht ohne weiteres in der Revisionsinstanz einwenden kann, er sei infolge unzulässigen Drucks zur Mitwirkung an der Verständigung und dem späteren Geständnis veranlasst worden. Die Verteidigung ist daher gehalten, diesbezügliche Einwendungen zunächst in der Hauptverhandlung selbst geltend zu machen, dort die gerügten Umstände protokollieren zu lassen und das Verhalten des Gerichts zum Gegenstand einer Ablehnung wegen Befangenheit zu machen. 401
Nach der Entscheidung des 2. Strafsenats vom 4.8.2010 400 ist eine Rüge, mit welcher ein Verstoß gegen § 257c StPO, hilfsweise gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens geltend gemacht wird, unbegründet, wenn diese sich letztlich auf gesetzwidrige Absprachen gründet, weil eine formelle Verständigung, bestätigt vom Protokoll, gerade nicht stattgefunden hat. Ein Verstoß gegen § 257c StPO ist schon deshalb nicht gegeben, weil eine Verständigung nach dieser Vorschrift nicht stattgefunden hat. Eine Umgehung der formellen gesetzlichen Anforderungen des § 257c StPO durch informelle Absprachen, deren Vorliegen hier möglich, aber im Hinblick auf § 202a StPO nicht bewiesen ist, würde jedenfalls nicht zum Eintritt der Bindungswirkung gemäß § 257c Abs. 3 S. 4, Abs. 4 StPO führen. Eine formelle Verständigung ist hier nach übereinstimmendem, vom Protokoll bestätigtem Vorbringen ausdrücklich gerade nicht zustande gekommen.
400
BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 2 StR 205/10.
II. 17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a
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b) Auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt hier nicht vor. Ein solcher wäre gegeben, wenn sich das erkennende Gericht in einer Weise unklar oder irreführend verhalten hätte, welche den Angeklagten über Bedeutung und Folgen seines eigenen Prozessverhaltens im unklaren ließ oder zu letztlich nachteiligem Verhalten veranlasste. Das würde jedenfalls voraussetzen, dass der Vorwurf der Revision bewiesen wäre, das Gericht habe sich stets so verhalten, als fühle es sich an eine mit der erkrankten Kammervorsitzenden geschlossene informelle Vereinbarung gebunden und als könne auch der Angeklagte hierauf vertrauen. Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensbeteiligter, der nach eigener Kenntnis an einer gesetzwidrigen informellen Absprache – gegen eine wissentlich unzutreffende ausdrückliche Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a S. 2 und 3 StPO – teilgenommen hat, das Urteil ohne weiteres dennoch mit der Verfahrensrüge dieses Verstoßes anfechten kann. Es kommt vorliegend hierauf nicht an, weil der vom Revisionsführer behauptete Vertrauenstatbestand nicht bewiesen ist. PRAXISHINWEIS ■
Die Entscheidung verfestigt den bislang schon geltenden Grundsatz, dass ein Gericht nur dann gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstößt, wenn es einen Vertrauenstatbestand schafft und der Angeklagte gerade deswegen ein Geständnis ablegt. War jedoch erkennbar, dass sich das erkennende Gericht nicht (mehr) an Absprachen gebunden fühlt, so begründet sein Abweichen gerade keinen Verstoß. Diese bislang schon geltenden Rechtsprechungsgrundsätze werden durch die neu eingeführte Vorschrift des § 257c StPO, welche die formellen Voraussetzungen für eine – wirksame – Verfahrensabsprache festschreibt, bestätigt. Als Konsequenz gilt: Nur wenn sich das Gericht nicht an seine verbindlichen Zusagen hält, begründet dies einen Revisionsgrund. § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO erfordert in den Urteilsgründen lediglich die Angabe, dass dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist. Die Angabe des Inhalts der Verständigung ist nicht erforderlich. Insoweit findet die notwendige Dokumentation in der Sitzungsniederschrift statt (§ 273 Abs. 1a StPO).401 Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilt, dass dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist und „wegen der Einzelheiten auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen“. Dem stehen im Ergebnis Rechtsbedenken nicht entgegen. Die Bezugnahme auf die Niederschrift wäre zwar nicht geeignet, einer etwaigen Dokumentationspflicht über den Inhalt einer Verständigung in den Urteilsgründen Genüge zu tun, da die Urteilsurkunde aus sich heraus verständlich sein muss und eine Bezugnahme nur im Rahmen von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässig ist (Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 267 Rdn. 8). § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO (eingefügt durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 – BGBl I 2353) erfordert indes lediglich die Angabe, dass dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist. Die Vorschrift soll „auch für die Urteilsgründe Transparenz“ herstellen (BegrRE BTDrucks. 16/12310 S. 15). Hierfür ist die Angabe des Inhalts der Verständigung nicht erforderlich. Insoweit findet die notwendige Dokumentation in der Sitzungsniederschrift statt (§ 273 Abs. 1a StPO). Diese 401
BGH, Beschl. v. 13.1.2010 – 3 StR 528/09.
402
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D. Strafprozessordnung
ist ggf. die Grundlage für die – vom Revisionsgericht nicht von Amts wegen, sondern nur aufgrund einer Verfahrensrüge unter erforderlichem Tatsachenvortrag vorzunehmende – Prüfung, ob das Verfahren nach § 257c StPO eingehalten worden ist (anders wohl MeyerGoßner aaO EH § 267 Rdn. 1).
403
Der nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk, dass eine Verständigung (nach § 257c StPO) nicht stattgefunden hat, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 274 Satz 2 StPO).402 Soweit der Verteidiger behauptet, dem Urteil liege eine Verständigung zu Grunde, ist nämlich durch die Sitzungsniederschrift vom 19. November 2009 das Gegenteil bewiesen (GA II Bl. 439). Der nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO zwingend vorgeschriebene Vermerk, dass eine Verständigung (nach § 257c StPO) nicht stattgefunden hat, gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne des § 274 Satz 1 StPO (zur revisionsrechtlichen Bedeutung des ,Negativattests‘ gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO siehe den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für ein Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren – BT-Drs. 16/11736; S. 13); gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 274 Satz 2 StPO), der hier nicht angetreten, geschweige denn geführt ist.
404
Enthält das Hauptverhandlungsprotokoll weder Hinweis darauf, dass eine Verständigung stattgefunden hat, noch einen Vermerk gem. § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, dass keine Verständigung stattgefunden hat, ist das Protokoll widersprüchlich und kann insoweit keinen Beweis erbringen. Beruft sich der Angeklagte in diesem Fall auf eine stattgefundene Verständigung, insbes. im Hinblick auf das Verbot eines Rechtsmittelverzichts, muss er die entsprechenden Nachweise erbringen.403 1. Das in § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO geregelte Verbot eines Rechtsmittelverzichts nach Verständigung greift nicht ein. Denn eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO, mithin im Rahmen der Hauptverhandlung, hat nach dem eigenen, mit der dienstlichen Stellungnahme der Staatsanwaltschaft übereinstimmenden Vortrag der Beschwerdeführerin nicht stattgefunden. Das Fehlen des sogenannten „Negativattests“ nach § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 31. März 2010 – 2 StR 31/10) besagt hier schon deswegen nichts anderes, weil auch eine Verständigung nicht protokolliert worden ist (§ 273 Abs. 1a Satz 1 StPO; vgl. zu Fällen solch „versteckten Dissenses“ Niemöller in Niemöller/ Schlothauer/Wieder, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren 2010 § 273 Rdn. 30 f.). 2. Ob eine Umgehung des § 257c StPO durch Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung in entsprechender Anwendung des § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO oder im Wege eines Erst-Recht-Schlusses (so Jahn/Müller NJW 2009, 2625, 2630) zur Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts führen kann, muss der Senat nicht entscheiden. Denn die Beschwerdeführerin ist den Beweis derartiger Absprachen schuldig geblieben. Nach ihrem Vortrag sind Gespräche zwischen der Staatsanwaltschaft und ihrem ehemaligen Verteidiger geführt worden, ohne dass sich das Gericht hieran unmittelbar beteiligt hätte. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des betroffenen Staatsanwalts hat es für den Fall eines Geständnisses der Beschwerdeführerin „eine Verständigung auf einen möglichen Strafantrag der Staats402 403
BGH, Beschl. v. 31.3.2010 – 2 StR 31/10. BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 5 StR 419/10.
II. 17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a
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anwaltschaft gegeben“. Im Hauptverhandlungsprotokoll hat der Vorsitzende der Strafkammer – ohne dass die Beschwerdeführerin widersprochen hätte – festgehalten, dass „im Vorfeld der Hauptverhandlung keine Gespräche zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger stattgefunden haben“ (§ 243 Abs. 4, § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO). Die durch die Beschwerdeführerin weiter unterbreiteten Tatsachen (unter anderem abgekürzte Ladungsfristen, keine Ladung von Zeugen) belegen allenfalls, dass das Gericht durch die Staatsanwaltschaft über die Gespräche informiert worden ist, nicht jedoch eine Umgehung des § 257c StPO.
Beruft sich ein Angeklagter in einem Fall, in dem im Protokoll kein Vermerk über eine stattgefundene Verständigung vorhanden ist, auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts wegen einer vorausgegangenen Verständigung und schweigt das Protokoll dazu, so muss der Beschwerdeführer, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen, im einzelnen darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zustande gekommen ist.404
405
PRAXISTIPP ■
Die vorstehenden Entscheidungen ergänzen sich, was bedeutet: Enthält das Protokoll einen Vermerk entsprechend § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO, wonach entweder eine Verständigung stattgefunden oder aber nicht stattgefunden hat, kann das Gegenteil allenfalls dann bewiesen werden, falls zuvor der Nachweis einer Fälschung des Protokolls gelingt. Enthält es demgegenüber keinen Vermerk – weder positiv noch negativ hinsichtlich der Frage einer Verständigung – ist ein entsprechender Nachweis im Wege des Freibeweises möglich! Gelingt ein solcher Nachweis nicht, verbleibt es bei der Wirksamkeit eines nach der Urteilsverkündung erklärten Rechtsmittelverzichts. Es sollte daher die Verpflichtung eines jeden Verteidigers sein, den Mandanten in einem solchen Fall, in dem man sich auf einen unterlassenen Protokollvermerk einlässt bzw. diesen nicht sicherstellt, auch auf die daraus möglicherweise resultierenden Konsequenzen zu unterrichten. Noch nicht endgültig geklärt ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wie es sich bezüglich der nach § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO möglichen Angabe von Oberund Untergrenze der Strafe verhält, insbesondere ob das Gericht bei Angabe einer Obergrenze auch zwingend eine Untergrenze mit angeben muss, und falls dies erforderlich wäre, welche Konsequenzen sich bei nur Angabe der Obergrenze daraus ableiten lassen. Die Entscheidung vom 8.10.2010 405 lässt diese Frage als entscheidungsunerheblich zwar offen, gibt aber dennoch wichtige Hinweise, ob und inwieweit der Angeklagte sich darauf berufen könnte. Die Revision beanstandet ohne Erfolg, das Landgericht habe entgegen der gesetzlichen Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO lediglich eine Strafobergrenze, aber keine Strafuntergrenze angegeben.
404 405
Beschl. v. 29.9.2010 – 2 StR 371/10. BGH, Beschl. v. 8.10.2010 – 1 StR 347/10; vgl. auch Beschl. v. 11.10.2010 – 1 StR 359/10.
406
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D. Strafprozessordnung
aa) Nach dieser Vorschrift kann das Gericht – im Rahmen seiner Pflicht zur Bekanntgabe des Inhalts einer möglichen Verständigung (§ 257c Abs. 3 Satz 1 StPO) – unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe (sog. Punktstrafe; vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 22. August 2006 – 1 StR 293/06, BGHSt 51, 84, 86) bleibt damit nach der gesetzlichen Neuregelung des Verständigungsverfahrens nach wie vor unzulässig (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 – 1 StR 345/10). Ob allerdings nach dieser Regelung das Gericht bei der Bekanntgabe des möglichen Verfahrensergebnisses zwingend auch einen Strafrahmen anzugeben hat oder ob – im Hinblick auf die Ausgestaltung als „Kann-Vorschrift“ – die isolierte Angabe einer Strafober- oder Strafuntergrenze ausreicht, wird unterschiedlich beurteilt (letzteres bejahend: Niemöller in N/Sch/W, VerstG, § 257c Rn. 46; SK-StPO/Velten, § 257c Rn. 21; Bittmann, wistra 2009, 415; verneinend Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 20; vgl. auch Senat, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Angesichts des Wortlauts der Vorschrift („Ober- und Untergrenze der Strafe“; „der in Aussicht gestellte Strafrahmen [§ 257c Abs. 4 Satz 1]“) und der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/13095 S. 3 [Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses]: „wobei das Gericht eine […] tat- und schuldangemessene Strafober- und Strafuntergrenze anzugeben hat“) sprechen gewichtige Gründe dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers das Gericht nach fallbezogener Verengung des gesetzlichen Strafrahmens stets einen konkreten Rahmen für die schuldangemessene Strafe, bestehend aus einer Strafober- und einer Strafuntergrenze, anzugeben hat. bb) Der Senat kann diese Frage indessen offen lassen, da der Angeklagte nicht beschwert ist. Der Gesetzgeber ist mit der Regelung in § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO einer Forderung der Generalstaatsanwälte nachgekommen, die in der Festlegung einer unteren Strafgrenze ein legitimes Anliegen der Staatsanwaltschaft gesehen haben, ihre Vorstellung von einem gerechten Schuldausgleich nicht nur nach oben, sondern auch nach unten abgesichert zu sehen (NJW Sonderdruck „Der Deal im Strafverfahren“ 2006, 9, 10). Die Benennung einer Strafuntergrenze trägt daher vordringlich den Interessen der Staatsanwaltschaft Rechnung (vgl. AnwK-StPO/Püschel, 2. Aufl., § 257c Rn. 22 m.w.N.; hinsichtlich einer daneben bestehenden Informationsfunktion für den Angeklagten vgl. BT-Drucks. 16/11736 S. 12), deren Zustimmung für das Zustandekommen einer Verständigung im Unterschied zu der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des § 257c StPO nunmehr unerlässlich ist. Fehlt es an der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht, kann dies in der Regel nur von der Staatsanwaltschaft im Rahmen einer Revision zum Nachteil des Angeklagten beanstandet werden. Im vorliegenden Fall ist keine Ausnahme gegeben, wonach der Angeklagte erfolgreich eine Beschwer geltend machen kann. Denn es sind hier weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch vorgetragen, dass er im Fall der Angabe einer Strafuntergrenze durch das Gericht der Verständigung nicht zugestimmt hätte. Auch sein Geständnis kann daher von der fehlenden Benennung einer Strafuntergrenze nicht berührt sein.
407
In einem obiter dictum tendiert der 3. Strafsenat demgegenüber eher dazu, dass bei einer Verständigung nur ein Strafrahmen mit angegebener Ober- und Untergrenze vereinbart werden kann.406
406
BGH, Beschl. v. 28.9.2010 – 3 StR 359/10.
II. 17. Verständigung im Strafverfahren – § 243 Abs. 4 Satz 1, §§ 257c, 273 Abs. 1a
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4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: Bei einer Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten darf gemäß § 257c Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 StPO für den Fall eines Geständnisses lediglich ein Strafrahmen mit einer Ober- und Untergrenze vereinbart werden. Die Verständigung auf eine bestimmte Strafe ist unzulässig (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c Rn. 11). Da das Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren vereinbart und ausgesprochen hat, lassen die an sich rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen besorgen, dass diese nicht ernst gemeint sind, sondern lediglich formal die bereits feststehende Strafe begründen sollen (vgl. Meyer-Goßner aaO). PRAXISHINWEIS ■
Gibt das Gericht bei einer Verständigung nur die Obergrenze einer in Betracht kommenden Strafe an, kann dies möglicherweise im Rahmen einer Revision gerügt werden. In gleicher Weise gilt dies für Formulierungen wie „Bei Abgabe eines Geständnisses kommt eine Strafe von x Jahren in Betracht“, weil dies eventuell die unzulässige Vereinbarung einer Punktstrafe bedeuten könnte. Jedenfalls ist nach der Beschlussentscheidung vom 27.07.2010 407 das Gericht bei Angabe von Ober- und Untergrenze nicht gehindert, eine Strafe in Höhe der angegebenen Obergrenze zu verhängen:
408
Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass bei einer Verständigung gemäß § 257c StPO das Gericht nicht gehindert ist, die gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO angegebene Obergrenze der Strafe als Strafe zu verhängen. Gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO kann das Gericht unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe („Punktstrafe“; vgl. hierzu BGHSt 51, 84, 86) bleibt nach wie vor unzulässig. Das Gericht kann im Einverständnis mit den Verfahrensbeteiligten nur einen Strafrahmen, nicht aber eine bestimmte Strafe vereinbaren. Hierbei darf der Angeklagte aber nicht mit einer weit geöffneten „Sanktionsschere“ unter Druck gesetzt werden. Die Angabe eines Strafrahmens entspricht dem Grundsatz, dass das Gericht bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe einen Beurteilungsspielraum hat, der nur eingeschränkt vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Die Angabe eines Strafrahmens durch das Gericht führt aber nicht dazu, dass es nur die Strafuntergrenze als Strafe festsetzen darf. Einen derartigen Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen (a.A. Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., § 257c Rdn. 20 ff.; derselbe ZRP 2009, 107, 109). Die Entscheidung über die konkrete Strafe bleibt der abschließenden Beratung durch das Gericht vorbehalten. Der Angeklagte kann nur darauf vertrauen, dass die Strafe innerhalb des angegebenen Strafrahmens liegt. Er muss daher auch damit rechnen, dass die Strafe die Strafrahmenobergrenze erreicht.
Ist eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO unterblieben, begründet das nicht zwingend einen durchgreifenden Rechtsfehler.408
407 408
BGH, Beschl. v. 27.7.2010 – 1 StR 345/10. BGH, Beschl. v. 3.11.2010 – 1 StR 449/10; vgl. auch Beschl. v. 2.11.2010 – 1 StR 469/10.
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D. Strafprozessordnung
1. Die Verfahrensrüge ist auf die unterbliebene Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO gestützt. Sie greift nicht durch. Eine der von § 257c Abs. 4 StPO erfassten Fallgestaltungen, über deren Rechtsfolgen gemäß § 257c Abs. 5 StPO vorab zu belehren ist, liegt nicht vor. Dementsprechend wurde der Angeklagte auch nicht höher bestraft, als vom Gericht zugesichert. Unter welchen – eher ungewöhnlichen – Voraussetzungen bei solcher Fallgestaltung ein Urteil gleichwohl zum Nachteil des Angeklagten auf dem Verfahrensmangel einer unterbliebenen Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO beruhen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2010 – 4 StR 228/10), mag dahinstehen, da jedenfalls hier eine solche Möglichkeit nicht erkennbar ist. Die Revision begründet ihre gegenteilige Auffassung wie folgt: Ausweislich der Urteilsgründe war dem Angeklagten in früheren Urteilen wegen eines „Aufmerksamkeits-Defizit-Syndroms“ und „Störung des Sozialverhaltens“ eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) zugebilligt worden. Hier ist die Strafkammer nach sachverständiger Beratung von uneingeschränkter Schuldfähigkeit ausgegangen. Es sei, so die Revision, jedenfalls nicht auszuschließen, dass der Angeklagte nach einer Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO eine Verständigung abgelehnt und das Gericht im weiteren Verlauf etwa als Ergebnis dann gestellter Beweisanträge oder auf sonstige Weise davon überzeugt hätte, dass bei ihm entgegen der Auffassung des Sachverständigen entsprechend den früheren Urteilen die Voraussetzungen erheblich verminderter Schuldfähigkeit vorlägen. Damit kann die Revision nicht durchdringen. Eine Vereinbarung gemäß § 257c StPO lässt die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) unberührt, § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO. Offensichtlich deshalb hat die Strafkammer, erkennbar auch im Blick auf die (hier inhaltlich nicht zu überprüfenden) Feststellungen der früheren Urteile, nach der Verständigung noch die Schuldfähigkeit des Angeklagten durch Anhörung des Sachverständigen überprüft. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Angeklagter gehindert sein könnte, auf das Ergebnis einer Beweisaufnahme einzuwirken, die das Gericht trotz einer vorangegangenen – auch nicht etwa unzulässig auf eine „Punktstrafe“ gerichteten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2006 – 1 StR 293/06, BGHSt 51, 84, 86 m.w.N.) – Verständigung durchführt, also offenbar als für das Urteil bedeutsam ansieht. Auch für eine entsprechende Fehlvorstellung des verteidigten Angeklagten spricht nichts. Gleichwohl wurden keine Bemühungen entfaltet, die darauf gerichtet gewesen wären, die Ausführungen des Sachverständigen zur Schuldfähigkeit in Zweifel zu ziehen. Unter diesen Umständen sieht der Senat keine Veranlassung, bei der Prüfung der Frage, ob das Urteil auf der verfahrensfehlerhaft unterbliebenen Belehrung gemäß § 257c Abs. 5 StPO beruhen könnte, von der Möglichkeit eines letztlich durch die Belehrung ausgelösten anderen Prozessverhaltens des Angeklagten in Bezug auf die Überprüfung seiner Schuldfähigkeit auszugehen. Andere Anhaltspunkte dafür, dass sich die unterbliebene Belehrung auf das Prozessverhalten des Angeklagten so ausgewirkt haben könnte, dass letztlich ein für ihn günstigeres Urteil nicht auszuschließen wäre, nennt die Revision nicht. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
410
In Bezug auf den durch § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgeschlossenen Rechtsmittelverzicht nach vorausgegangenem Deal hat der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 14.4. 2010 409 entschieden, dass eine Zurücknahme des zunächst eingelegten Rechtsmittels grundsätzlich auch noch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen kann. 409
BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 1 StR 64/10.
II. 18. Letztes Wort – § 258 Abs. 2 StPO
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18. Letztes Wort – § 258 Abs. 2 StPO Dem Angeklagten ist gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist. Von einem Wiedereintritt ist auszugehen, wenn nach dem letzten Wort des Angeklagten die Frage der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert wird und sich der Angeklagte und sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden erklären. Denn dieser Erklärung kommt potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu.410 … macht die Revision einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO geltend, weil dem Angeklagten das letzte Wort nicht gewährt worden sei. Nach ihrem – den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden – Vortrag war die Beweisaufnahme geschlossen und die Gelegenheit zum Schlussvortrag des Verteidigers sowie zum letzten Wort des Angeklagten gegeben worden. Hieran anschließend wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und die Frage der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert. Diesbezüglich erklärten sich der Angeklagte und sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden. Nach der erneuten Schließung der Beweisaufnahme wiederholten lediglich die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre zuvor gestellten Anträge, während dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äußern. 3. a) Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998, 15). Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen wird im Protokoll selbst das prozessuale Geschehen dahingehend bewertet, dass „nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten“ und diese „erneut geschlossen“ wurde. Zum anderen kam der Erklärung des Angeklagten, er sei mit der formlosen Einziehung sichergestellter Gegenstände einverstanden, potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu. b) Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist auch bewiesen. Der für den Nachweis der in Rede stehenden wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 Abs. 1 StPO) allein maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGHSt 22, 278, 280) lässt sich nach Ansicht des Senats nicht entnehmen, dass dem Angeklagten nach dem erneuten Schluss der Beweisaufnahme (nochmals) das letzte Wort gewährt worden ist. Es kommt daher nicht darauf an, dass die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter, der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter und die Protokollführerin in ihren jeweiligen dienstlichen Stellungnahmen erklärt haben, sich an den konkreten Verfahrensgang nicht mehr zu erinnern. 4. a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass der Angeklagte in einem – 410
BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – 1 StR 3/10.
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erneuten – letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können. Denn er war zuvor umfassend und für das Tatgericht, das seine Überzeugung zudem auf weitere Beweismittel gestützt hat, glaubhaft geständig gewesen. b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Dies gilt umso mehr, als sein nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erklärtes Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände jedenfalls unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue als mildernder Umstand hätte gewertet werden dürfen.
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Hebt eine Strafkammer nach Vorgesprächen über eine Verständigung, welche auch zum Gegenstand hatte, dass nach glaubhaften Geständnissen der Angeklagten jeweils eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung zugesagt wird, und nachdem einer der Angeklagten daraufhin ein Geständnis abgelegt hatte, den Haftbefehl nur gegen diesen auf – und zwar erst nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sowie dem jeweils letzten Wort der Angeklagten, ist das Gericht gehalten, aufgrund der geänderten Situation und dem Umstand, dass die Aufhebung des Haftbefehls mit der späteren Urteilsverkündung im Zusammenhang steht, dem anderen Angeklagten erneut das letzte Wort zu erteilen.411 Am 8. Verhandlungstag, dem 14. Juni 2010, erteilte die Schwurgerichtskammer nach Beratung folgenden Hinweis: „Für den Fall, dass die beiden Angeklagten sich dahingehend teilweise geständig einlassen, dass sie nach Beendigung der Notwehrlage, welche nach dem gegen sie gerichteten Angriff durch G. zunächst gegeben war, in Kenntnis der Beendigung der Notwehrlage, als G. wehrlos am Boden lag, diesen noch massiv körperlich attackiert haben, indem sie beide noch mehrfach gegen Gesichts- und Kopfbereich des G. getreten haben, würde die Kammer gegen beide Angeklagte im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe verhängen, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden könnte. (…) Die Kammer schlägt deshalb eine Verständigung mit dem Inhalt vor, dass bei einem derartigen glaubhaften Geständnis der Angeklagten ein Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe zugesagt wird, und zwar unter Berücksichtigung der verbüßten Untersuchungshaft mit einer Strafaussetzung zur Bewährung und dass die bisher gestellten Beweisanträge/Anregungen als zurückgenommen gelten.“ Der Angeklagte R. ließ sich in diesem Sinne nach weiterer Beweisaufnahme geständig ein, nicht aber der Angeklagte M. Beide Angeklagte und ihre Verteidiger hielten die gestellten Beweisanträge nur für den Fall aufrecht, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung erfolgen würde. Der Angeklagte R., sein Verteidiger, die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreterin stimmten dem Verständigungsvorschlag des Gerichts zu. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreterin beantragten, bezüglich beider Angeklagter wegen gefährlicher Körperverletzung auf eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zu erkennen und die Haftbefehle aufzuheben. Dem schloss sich der Verteidiger des Angeklagten R. für seinen Mandanten an. Der Verteidiger des Angeklagten M. beantragte, seinen Mandanten freizuspre-
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BGH, Beschl. v. 26.10.2010 – 5 StR 433/10.
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chen, und stellte für den Fall einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung einen weiteren Beweisantrag. Die Angeklagten hatten sodann das letzte Wort. Im Anschluss daran verkündete die Schwurgerichtskammer einen Beschluss, mit welchem der Haftbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 28. August 2009 bezüglich des Angeklagten R. ohne Begründung aufgehoben wurde. Nach verfügter Unterbrechung der Hauptverhandlung verkündete die Schwurgerichtskammer am 22. Juni 2010 ihr Urteil. 2. Das Landgericht war bei dieser Prozesslage grundsätzlich gehalten, den Angeklagten das letzte Wort erneut zu erteilen. Die, wenngleich begründungslose, Aufhebung des gegen den Angeklagten R. ergangenen Haftbefehls stellt einen schlüssigen Wiedereintritt in die Verhandlung dar. Der Beschluss steht in innerem Zusammenhang mit der noch anstehenden gerichtlichen Entscheidung (vgl. BGH StV 1992, 551, 552). a) Der verkündete Beschluss stellt, da er zwischen den Angeklagten differenziert, nicht nur eine Bestätigung und einen teilweisen Vollzug der getroffenen Verständigung bereits vor der – auf später anberaumten – Urteilsverkündung dar. Bezüglich des Angeklagten R. mag der Bestätigung im Blick auf die gemäß § 257c Abs. 4 Satz 4 StPO im Grundsatz bestehende Bindung des Gerichts an die Verständigung sogar gar keine selbständige verfahrensrechtliche Bedeutung zukommen. Bei diesem voll geständigen Angeklagten schließt der Senat jedenfalls aus, dass sich der Schuldspruch und auch die drei Monate unter den übereinstimmenden Anträgen von Staatsanwalt und Verteidiger festgesetzte Strafe auf einer nicht nochmals gewährten Gelegenheit zu einem letzten Wort beruhen kann (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8). b) Anderes gilt für den Inhalt des verkündeten Beschlusses betreffend den Angeklagten M. Nicht anders als bei belastenden Haftentscheidungen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8 m.w.N.; BGH StV 2001, 438) oder bekanntgegebenen Erwägungen des Gerichts, die eine Verurteilung voraussetzen oder nahelegen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 3; BGH NStZ 1986, 470; BGH StV 1992, 551, 552), hat das Landgericht durch nicht sofortige Bescheidung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Haftbefehlsaufhebung im Gegensatz zum Mitangeklagten schlüssig das Fortbestehen eines dringenden Tatverdachts gegen diesen einen Freispruch erstrebenden Angeklagten zum Ausdruck gebracht. Der Angeklagte war durch die Haftentscheidung selbst zwar nicht unmittelbar betroffen (vgl. BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8). Indes ließ sich dem Beschluss des Landgerichts für ihn entnehmen, dass das Gericht – bei offener Beweislage – das Geständnis des Mitangeklagten zu seinem Nachteil verwerten und ihn zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe verurteilen könnte, weshalb ihm unter diesen Aspekten die Gelegenheit zu geben war, hierzu abschließend nochmals Entlastendes vorzubringen. Eine solche Prozesslage erfordert nach § 258 StPO die Möglichkeit, dass sich ein Angeklagter vor der Urteilsverkündung zum Verfahrensgegenstand äußern können muss (vgl. BGH NStZ 1986, 470). PRAXISHINWEIS ■
Die vorliegende Prozesslage zeigt sehr anschaulich die „Gefahren“, in welche sich nicht nur das Gericht, sondern auch die weiteren Prozessbeteiligten begeben können, wenn Verständigungsgespräche nicht mit einem klaren Ergebnis geführt werden – und vor allem dann, wenn Verständigungen nur mit einem Teil der Angeklagten stattfinden. Die Konsequenzen solcher hierdurch hervorgerufener Interaktionen werden sicherlich in Zukunft in vielfältiger Weise die Revisionsgerichte „beschäftigen“.
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19. Urteil – § 260 StPO 413
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Gemäß § 260 Abs. 1 StPO hat das Urteil „auf die Beratung“ zu ergehen; diese muss der Urteilsverkündung unmittelbar vorausgehen. Tritt das Gericht nach den Schlussvorträgen und der Beratung wieder in die Verhandlung ein, so muss es vor der Verkündung erneut beraten. Dies gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes grundsätzlich auch dann, wenn der Wiedereintritt in die Verhandlung keinen neuen Prozessstoff ergeben hat.412 Wird wegen eines Verfahrenshindernisses die Einstellung gem. § 260 Abs. 3 StPO im Urteil ausgesprochen, muss in den Urteilsgründen grundsätzlich, von der zugelassenen Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist, d.h. die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses sind festzustellen und anzugeben.413 1. Die Einstellung in den Fällen 1. und 2. der Anklage hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat hier rechtsfehlerhaft keine hinreichenden Feststellungen getroffen, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglichen, ob die Taten nicht nur bandenmäßig, sondern auch gewerbsmäßig begangen wurden, so dass sie entgegen der Ansicht des Gerichts nicht verjährt wären, da für § 263 Abs. 5 StGB anders als für § 263 Abs. 1 StGB eine zehnjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) gilt. In einem Einstellungsurteil (§ 260 Abs. 3 StPO) wegen Verjährung sind die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses in einer revisionsrechtlich überprüfbaren Weise festzustellen und zu begründen. Der Tatrichter ist verpflichtet, die Verfahrensvoraussetzungen zu prüfen und grundsätzlich so darzulegen, dass sie vom Revisionsgericht nachgeprüft werden können. Soweit zu dieser Überprüfung eine dem Tatrichter obliegende Feststellung von Tatsachen erforderlich ist, hat er diese rechtsfehlerfrei zu treffen und (gegebenenfalls) zu würdigen. Dieser Begründungszwang ergibt sich sowohl aus § 34 StPO wie aus der Natur der Sache (vgl. RGSt 69, 157, 159; Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., Rn. 29 zu § 267 StPO; Löwe-RosenbergGollwitzer StPO, 25. Aufl., Rn. 158 zu § 267; Julius in HK-StPO, Rn. 32 zu § 267; KMRPaulus StPO, Rn. 106 zu § 267; auch OLG Hamm MDR 1986, 778, mwN; OLG Köln NJW 1963, 1265). Würde man die pauschale, in tatsächlicher Hinsicht nicht näher belegte Angabe des Tatrichters, dass ein bestimmtes Verfahrenshindernis bestehe oder eine Verfahrensvoraussetzung fehle, für ausreichend erachten, so wäre der betreffende Verfahrensbeteiligte in Unkenntnis des vom Gericht als gegeben unterstellten, aber nicht mitgeteilten Sachverhalts in vielen Fällen gar nicht in der Lage, die Entscheidung sach- und formgerecht anzufechten. Ein derartiger sachlich-rechtlicher Mangel nötigt zur Aufhebung des Urteils und der ihm zugrunde liegenden Feststellungen (vgl. OLG Hamm aaO). In den Urteilsgründen muss daher grundsätzlich, von der zugelassenen Anklage ausgehend, in revisionsrechtlich nachprüfbarer Weise dargelegt werden, aus welchen Gründen die Durchführung des Strafverfahrens unzulässig ist, d.h. die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Verfahrenshindernisses sind festzustellen und anzugeben (vgl. u.a. Meyer-Goßner/Appl Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl., Rn. 644; KK-Engelhardt StPO 6. Aufl., Rn. 45 zu § 267 StPO; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267; KMRPaulus aaO Rn. 106 zu § 267; E. Schmidt StPO, Rn. 38 zu § 267; auch BGH, Urteil vom 6. 412 413
BGH, Beschl. v. 9.6.2010 – 1 StR 187/10. BGH, Urteil v. 19.10.2010 – 1 StR 266/10.
II. 19. Urteil – § 260 StPO
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März 2002 – 2 StR 530/01, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 13). Der Umfang der Darlegung richtet sich nach den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der Eigenart des Verfahrenshindernisses. Die angeführten Grundsätze gelten jedenfalls und vor allem dann, wenn – wie hier – das Verfahrenshindernis von der strafrechtlichen Würdigung der Sache abhängt und eine abschließende Beurteilung darüber, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, nur getroffen werden kann, wenn eine diesbezügliche Beweisaufnahme durchgeführt und entsprechende Feststellungen getroffen wurden. Gerade bei der Prüfung der Voraussetzungen der Verjährung sind die tatsächlichen Voraussetzungen des behaupteten Verfahrenshindernisses, das zur Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO führen müsste, hinreichend festzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1997 – 5 StR 210/97, NStZ-RR 1997, 374, 375 m.w.N.). Hier benötigt ein Einstellungsurteil eine vom Tatrichter festzustellende Sachverhaltsgrundlage. Erst auf dieser Grundlage lässt sich die Verjährungsfrage beurteilen. Daher sind in solchen Fällen eine umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgeschehen erforderlich, bevor die Verjährungsfrage beurteilt werden kann (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 1995 – 2 StR 433/95, BGHSt 41, 305). An diesen Anforderungen ändert daher auch der Umstand nichts, dass das Revisionsgericht befugt ist, das Vorliegen von Verfahrensvoraussetzungen selbständig zu prüfen (vgl. u.a. OLG Hamm MDR 1986, 778 m.w.N.; Löwe-Rosenberg-Gollwitzer aaO, Rn. 158 zu § 267). Es hat dieses Verfahrenshindernis vielmehr nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen (vgl. auch Senatsurteil vom 14. Januar 2010 – 1 StR 587/09 – Rn. 12 m.w.N.). Der Senat könnte die für die Beurteilung des Eintritts der Verjährung maßgebliche Frage, ob der Angeklagte „gewerbsmäßig“ gehandelt hat, nicht im Freibeweisverfahren klären; dies obliegt vielmehr dem Tatrichter im Strengbeweisverfahren. Diesen Anforderungen an ein Einstellungsurteil (Prozessurteil) wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Für beide eingestellten Fälle wird schon nicht mitgeteilt, ob ein eigenes Fahrzeug des Angeklagten bei der Fingierung der Unfälle beteiligt war, was ein finanzielles Eigeninteresse des Angeklagten belegen kann, noch wird festgestellt, an wen die Versicherungsleistungen ausbezahlt wurden und ob der Angeklagte hieran in irgendeiner Form partizipiert hat. PRAXISTIPP ■
Die Entscheidung behandelt eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nämlich die Frage, dass ein Gericht vor einer (nicht gerade der Üblichkeit entsprechenden) Einstellung des Verfahrens deren Verfahrensvoraussetzungen so genau nachzuprüfen und danach schriftlich in den Entscheidungsgründen darzulegen hat, dass dem Revisionsgericht bezüglich dieser Umstände eine Nachprüfung besonders gut ermöglicht wird. Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätzlich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn – wie hier – ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet.414 … das Verfahren wegen der Tat II. 2. aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2007 war rechtskräftig abgeschlossen, nachdem der Senat die hiergegen 414
BGH, Beschl. v. 1.7.2010 – 1 StR 195/10.
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eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten durch sein Urteil vom 4. September 2008 verworfen hatte (vgl. Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. K Rdn. 57). Die Sache wurde daher insoweit nicht an das Landgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen, dort also auch nicht mehr rechtshängig (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. Einl. Rdn. 165). Das Verfahren war somit dem Landgericht Stuttgart nicht mehr zur Entscheidung unterbreitet, so dass es insbesondere nicht mehr befugt war, eine in die Zeit nach dem Urteil des Senats fallende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu prüfen, festzustellen und zu kompensieren. Nichts anderes gilt, soweit der Angeklagte vom Vorwurf der weiteren acht ihm zur Last gelegten Taten bereits rechtskräftig freigesprochen worden war. b) Besteht ein Verfahrenshindernis, so ist das Verfahren zwar grundsätzlich gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen. Anders liegt es aber, wenn – wie hier – ein (erstes) Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil sich dann eine das gesamte Verfahren abschließende Einstellung verbietet. Stattdessen sind lediglich die Auswirkungen der infolge der Rechtskraftwirkung und der fehlenden Befassung des Landgerichts mit der Sache unzulässigen Fortführung des Verfahrens zu beseitigen. Die Konstellation ist derjenigen vergleichbar, in der ein Einspruch gegen einen Strafbefehl unzutreffend als rechtzeitig eingelegt angesehen und daraufhin im selben Verfahren ein Urteil gesprochen worden ist, das wegen der bereits eingetretenen Rechtskraft nicht hätte ergehen dürfen und deshalb auf die hiergegen eingelegte Revision durch Aufhebung zu beseitigen ist (zur „gerichtlichen Strafverfügung“ BGHSt 13, 306, 308 f.). Der Senat hat daher das angefochtene Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 11. Dezember 2009 für gegenstandslos erklärt. 4. Ebenfalls gegenstandslos ist damit die vom Landgericht getroffene Kostenentscheidung.
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Nach der Beschlussentscheidung vom 28.10.2009 415 reicht es nicht aus, wenn anstelle der Feststellungen zum konkreten Tatgeschehen die Strafkammer lediglich den konkreten Anklagesatz wortwörtlich im Urteil einrückt – was auch dann gilt, wenn der Angeklagte sich zuvor bereitgefunden hatte, eine Strafe, welche ein bezeichnetes Höchstmaß nicht überschreitet, zu akzeptieren. Zumindest aber müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, welche der festgestellten Tatsachen den einzelnen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen zuzuordnen sind und sie ausfüllen können. Nur aus dem Ergebnis der Hauptverhandlung kann sich die richterliche Überzeugung ableiten lassen und demgemäß darf sich auch nur darauf die Begründung einer Entscheidung beziehen:416 „Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters und der Urteilsfindung darf nur das sein, was innerhalb der Hauptverhandlung, d.h. vom Aufruf der Sache bis zum letzten Wort des Angeklagten mündlich so erörtert worden ist, dass alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten (KK-Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 6; BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001– 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595 f.). Hiergegen hat das Landgericht verstoßen. Es hat die für die Maßregelanordnung nach § 64 StGB erforderliche hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg auch aus dem Umstand entnommen, dass der Angeklagte inner-
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BGH, Beschl. v. 28.10.2009 – 5 StR 171/09. BGH, Urteil v. 5.8.2010 – 3 StR 195/10.
II. 20. Urteilsabfassung – §§ 261, 267
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halb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO keine Revision eingelegt hat, und sich damit auf eine Tatsache gestützt, die nicht Inbegriff der Hauptverhandlung war, sondern erst nach Erlass des Urteils zutage getreten ist.“ PRAXISTIPP ■
Normalerweise kann man als Verteidiger nicht erwarten, dass man Revisionsfehler praktisch „geschenkt“ erhält. So war es aber vorliegend, indem das Gericht bei seiner Urteilsbegründung sich auf Tatsachen gestützt hat, welche sich erst nach dem Urteil ereignet haben und damit notwendigerweise nicht Gegenstand der Hauptverhandlung sein konnten! Wer eine Revision einlegen und erfolgreich begründen will, muss gerade auch solche Fragen in den Blick nehmen! Keine Bindungswirkung früherer rechtskräftiger Verurteilungen: Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu früheren Tatgeschehen einschließlich der Beweistatsachen, die in einem späteren Verfahren von Bedeutung sein können, binden den neu entscheidenden Tatrichter nicht.417
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Das Landgericht hätte sich daher in Bezug auf das Tatgeschehen vom 7. August 2008 – ohne Bindung an das frühere Urteil – eine eigene Überzeugung verschaffen müssen. Feststellungen aus früheren rechtskräftigen Strafurteilen können zwar gegebenenfalls im Wege des Urkundenbeweises gemäß § 249 Abs. 1 StPO in die neue Hauptverhandlung eingeführt und verwertet werden; der neue Tatrichter darf sie jedoch nicht ungeprüft übernehmen.
Keinesfalls ist es erforderlich, dass in einem Urteil neben der eigentlichen Beweiswürdigung alle Aussagen der vernommenen Zeugen im Einzelnen geschildert werden:418
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Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise in jedem Detail zu dokumentieren. Sie sollen das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der Entscheidung ermöglichen. Die Beweiswürdigung soll belegen, warum bestimmte, bedeutsame tatsächliche Umstände so festgestellt sind. Hierzu sind Zeugenaussagen, Urkunden u.ä. heranzuziehen, soweit deren Inhalt für die Überzeugungsbildung wesentlich ist. Deshalb ist es regelmäßig verfehlt, etwa in einem gesonderten Abschnitt vor dem Abschnitt „Beweiswürdigung im engeren Sinne“ nach den tatsächlichen Feststellungen sämtliche Aussagen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen (BGH NStZ 1998, 51 m.w.N.).
Stützt sich das Urteil im Zusammenhang mit der Würdigung der Glaubhaftigkeit und Aussagekonstanz der Aussagen von Zeuginnen ausdrücklich auf Bekundungen einer Kriminalbeamtin über die polizeilichen Aussagen der Zeuginnen, obwohl die Kriminalbeamtin in der Hauptverhandlung nicht vernommen wurde, so kann einer hierauf bezogenen Verfahrensrüge nach § 261 StPO nicht durch den Hinweis der Boden entzogen werden, dass der Inhalt der polizeilichen Aussagen der Zeuginnen möglicherweise auf anderem Wege, etwa durch nicht protokollierungspflichtige Vorhalte an die Zeuginnen, in die Hauptverhandlung hätte eingeführt werden können.419 417 418 419
BGH, Beschl. v. 9.3.2010 – 4 StR 640/09. BGH, Beschl. v. 27.7.2010 – 1 StR 353/10. BGH, Beschl. v. 9.2.2010 – 4 StR 355/09.
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Das Landgericht ist auf Grund der Aussagen der Zeuginnen B. und N. H. zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte, der dies bestreitet, die abgeurteilten Taten zum Nachteil dieser Zeuginnen begangen hat. Im Rahmen der – im Übrigen nicht zu beanstandenden – Glaubhaftigkeitsprüfung hat das Landgericht auch darauf abgestellt, dass die Aussagen der Zeuginnen „zum eigentlichen Kerngeschehen eine hohe Konstanz in Bezug auf die Angaben bei der Polizei, über die [die] Kriminalbeamtin Ba. berichtete, ...“ [UA 10] aufweisen. Tatsächlich ist diese Kriminalbeamtin, wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt, in der Hauptverhandlung nicht als Zeugin vernommen worden. Die Revision rügt zu Recht, dass das Landgericht damit den Bericht der Zeugin Ba. im Urteil zum Nachteil des Angeklagten verwertet hat, ohne dass diese Zeugin in der Hauptverhandlung vernommen worden ist. Zwar hat der Generalbundesanwalt erwogen, ob der Inhalt der polizeilichen Aussagen der Zeuginnen H. auch auf anderem Wege, etwa durch nicht protokollierungspflichtige Vorhalte an die Zeuginnen oder durch die Bekundungen der mit der Glaubwürdigkeitsbegutachtung befassten Sachverständigen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sein kann. Angesichts der Besonderheiten des Falles würde dies der Rüge aber nicht den Boden entziehen, weil das Landgericht ausdrücklich gerade auf das Zeugnis der Kriminalbeamtin abgestellt hat.
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Kognitionspflicht (§ 264 StPO): Die gerichtliche Kognitionspflicht ist verletzt, wenn der einheitliche geschichtliche Lebensvorgang, der den Gegenstand der Untersuchung bildet, nicht vollständig abgeurteilt wird. Ein Freispruch ist demgemäß nur dann gerechtfertigt, wenn der festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt (ggfs. auch nach rechtlichem Hinweis gem. § 265 StPO) einen Schuldspruch trägt.420 Bestimmte Mindeststandards sind auch bei einem freisprechenden Urteil erforderlich, soll es insoweit nicht rechtsfehlerhaft sein:421 Das Urteil hat schon deshalb keinen Bestand, weil es nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden können (st. Rspr.; vgl. BGH NJW 1980, 2423; NStZ 1985, 184; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4, 10; Senat, Urt. vom 20. März 2008 – 4 StR 5/08). Diese gebotene, in sich geschlossene Darstellung der festgestellten Tatsachen enthält das angefochtene Urteil – wie der Generalbundesanwalt bereits in seiner Antragsschrift vom 28. September 2009 ausgeführt hat – nicht. 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten vom Vorwurf der Beihilfe zum Kreditbetrug freigesprochen hat, kann dem Urteil schon nicht entnommen werden, in welchen konkreten Umständen die Wirtschaftsstrafkammer überhaupt die Haupttat sieht, zu der der Angeklagte Hilfe geleistet haben soll. Mit Blick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 265b StGB fehlen insbesondere Feststellungen dazu, wann und von wem gegenüber welchen Banken für welche Kredite unrichtige oder unvollständige Bilanzen und/oder sonstige für die Kreditgewährung bzw. -belassung bedeutsame Unterlagen des Konzerns vorgelegt worden sind. Ebenso hätte es wegen der dem Angeklagten angelasteten Beteiligung an dem Kreditbetrug der Feststellung bedurft, ob Gegenstand der Kreditverhandlungen mit den Banken auch Bilanzen und Unterlagen der BIV B. waren, deren Geschäftsführer der Angeklagte 420 421
BGH, Urteil v. 21.1.2010 – 4 StR 518/09. BGH, Urteil v. 11.2.2010 – 4 StR 433/09.
II. 20. Urteilsabfassung – §§ 261, 267
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war. Schließlich bleibt auch offen, welche konkrete Unterstützungshandlung des Angeklagten gegenüber dem Haupttäter in Betracht kommt. Das Landgericht konnte die fehlenden Feststellungen auch nicht dadurch ersetzen, dass es in großem Umfang (UA 18 bis 43) Teile aus den schriftlichen Gründen des Urteils gegen den gesondert verfolgten Bö., der zur Tatzeit Wirtschaftsprüfer der BIV B. war, in das angefochtene Urteil übernahm. Schließlich liegt ein durchgreifender Mangel des Urteils auch darin, dass es jegliche Feststellungen zur Person des Angeklagten vermissen lässt. Namentlich zu seinem beruflichen Werdegang und seiner sonstigen Qualifikation waren Feststellungen geboten, um beurteilen zu können, ob die Kammer zu Recht angenommen hat, dass der Angeklagte dem bestimmenden Einfluss des Wirtschaftsprüfers Bö. unterlag. Das gilt unbeschadet dessen, dass aus der beruflichen Qualifikation und Stellung des Angeklagten allein noch nicht ohne Weiteres auf die Wahrnehmung seiner ihm obliegenden Aufgaben geschlossen werden darf (vgl. BGH, Beschl. vom 9. November 2009 – 5 StR 136/09). Im Übrigen hat die Strafkammer den angeklagten Sachverhalt nur unvollständig gewürdigt, weil sie den Begriff der von der gegen den Angeklagten erhobenen Anklage erfassten Tat im Sinne des § 264 StPO verkannt hat. Nach der Anklage wird die Beihilfehandlung des Angeklagten darin gesehen, dass er an der Verdeckung der tatsächlichen Vermögensverhältnisse innerhalb der S.-Gruppe, die durch das fingierte Aktiengeschäft bewirkt wurde, mitgewirkt habe. Da es zulässig ist, zur Konkretisierung des Anklagesatzes auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zurückzugreifen (BGH, Urt. vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09 Rdn. 95; BGHR StPO § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 4), werden aber vorliegend von der Anklage auch die zur Verschleierung der tatsächlichen Vermögensverhältnisse notwendigen Nachbuchungen erfasst. Entgegen der Auffassung des Landgerichts schließt dies die vom Angeklagten am 2. November 2000 veranlasste Einbuchung des fingierten Aktiengeschäfts ein. Eine strafbare Beihilfe durch die im November 2000 erfolgten Buchungen würde auch nicht scheitern, wenn diese erst nach Vorlage des Jahresabschlusses bei möglichen Kreditgebern erfolgt wären. Denn Beihilfe ist nach der ständigen Rechtsprechung auch noch nach Vollendung der Haupttat bis zu deren Beendigung möglich (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 27 Rdn. 6 m.w.N.). Die Teilnahme am Kreditbetrug ist bis zum Erbringen der letzten Leistung möglich (Fischer aaO § 265b Rdn. 40, § 264 Rdn. 38 f.). Wann die Leistung als erbracht anzusehen ist, hängt von der Art des beantragten Kredits ab (Lenckner/Perron in Schönke/ Schröder StGB 27. Aufl. § 265b Rdn. 49). Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass noch für den 26. März 2001 ein Besprechungstermin mit den Banken anberaumt war. Erst nachdem im Hinblick auf das Ergebnis der Prüfung durch die Unternehmensberatung der Bankentermin abgesagt worden sei, hätten die Banken „dicht“ gemacht (UA 16). Aufgrund dieser Ausführungen und vor dem Hintergrund, dass es sich auch um Prolongationskredite gehandelt haben kann, erscheint es jedenfalls möglich, dass die Banken auch noch nach dem 2. November 2000 aufgrund der vorgelegten Konzernbilanz Kredit gewährt haben. 2. Der Freispruch vom Vorwurf des tateinheitlich begangenen Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a) StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es für die Strafbarkeit am Vorliegen einer Überschuldung der BIV B. (§ 283 Abs. 1 StGB) zum 31. Dezember 1999 im Sinne des hier nach § 2 Abs. 3 StGB anwendbaren § 19 Abs. 2 InsO (in der ab dem 18. Oktober 2008 geltenden Fassung) gefehlt habe (UA 87). Dabei ist es der Auffassung des Sachverständigen gefolgt, dass zwar das Vermögen der BIV B. bereits ab dem 31. Dezember 1999 die Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht mehr gedeckt habe, aber auch unter Berücksichtigung der Konzernstruktur und deren Auswirkungen auf die BIV B. von einer positiven Fortbestehensprognose auszugehen sei.
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D. Strafprozessordnung
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Wirtschaftsstrafkammer dabei die Anforderungen an eine positive Fortbestehensprognose beachtet hat. Jedenfalls hätte es für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei als Geschäftsführer der BIV B. bis zum Zeitpunkt kurz vor Stellung des Insolvenzantrags nicht verpflichtet gewesen, aufgrund der Mithaftung für Kredite anderer Konzerngesellschaften Rückstellungen zu bilden, näherer Feststellungen zu Art und Umfang der Mithaftung der BIV B. bedurft. … Zudem fehlen jegliche Feststellungen zur Zahlungsfähigkeit der BIV B. Deren hätte es aber schon deshalb bedurft, weil § 283 Abs. 1 StGB eine Strafbarkeit wegen Bankrotts außer bei Überschuldung auch bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit vorsieht. Schließlich scheitert eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a) StGB entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht allein schon daran, dass der Angeklagte die durch den gesondert verfolgten Bö. erstellte und in dem Jahresabschluss enthaltene Bilanz nicht unterschrieben hat (vgl. Beukelmann in Beck’scher Online-Kommentar zum StGB § 283 Rdn. 70 [Stand: 1. Oktober 2009]; Tiedemann in LK-StGB 12. Aufl. § 283 Rdn. 150). 3. Die insoweit knappen Urteilsgründe (UA 96) erlauben dem Revisionsgericht auch nicht die Prüfung, ob das Landgericht den Angeklagten zu Recht vom Vorwurf der verspäteten Insolvenzantragstellung (§ 15a Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 InsO) freigesprochen hat. Der Tatbestand des § 15a Abs. 1 InsO, der mit Wirkung vom 1. November 2008 an die Stelle des inhaltsgleichen § 84 GmbHG getreten ist, knüpft ebenso wie § 283 Abs. 1 StGB an die im angefochtenen Urteil – wie ausgeführt – nur unzureichend geprüften Tatbestandsmerkmale der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit an. Die aufgezeigten Mängel führen nach alledem zur Aufhebung des Urteils insgesamt.
423
Auch bei der Entscheidung, welche dem Urteil vom 30.9.2010 422 zugrunde lag, waren die Darstellungen in der Urteilsbegründung, auf welcher ein Freispruch basierte, nicht ausreichend: Das Urteil hat schon deshalb keinen Bestand, weil es nicht den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO genügt. Die Urteilsbegründung muss aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGH, Urteile vom 26. September 1989 – 1 StR 299/89, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2; vom 26. April 1990 – 4 StR 24/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 3 und vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10). Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich nicht, welche strafbaren Handlungen dem Angeklagten Prof. Dr. F. konkret im Zusammenhang mit den beiden Förderprojekten zugunsten der Firma S. KG und den diesbezüglich mit der Universität abgeschlossenen Fremdleistungsverträgen „TPW“, „Hybrid-System“, „Hybrid-System II“ und „InnoCluster“ vorgeworfen werden. Zu dem Vertrag „TPW“ führt das Landgericht lediglich aus, dass die Vergütung am 26. Januar 2001 an die Universitätskasse überwiesen worden sei. Feststellungen dahingehend, ob diese Forschungsmittel überhaupt projektbezogen eingesetzt wurden, werden dagegen nicht getroffen. In Bezug auf den Fremdleistungsvertrag „InnoCluster“ stellt die Strafkammer zwar noch fest, dass die an die Universitätskasse geleisteten Teilzahlungen in Höhe von 48.450 DM nicht projektrelevant eingesetzt wurden. Im Rahmen der Beweiswürdigung stützt der Tatrichter die mögliche Untreuehandlung des Angeklagten aber nur darauf, dass er die erzielten Entgelte nicht unmittelbar für die Ausführung der Unteraufträge verwendet, sondern auf Festgeldkonten bei der Sparkasse angelegt und erst später wieder dem Universitätshaushalt zugeführt habe. Es bleibt
422
BGH, Urteil v. 30.9.2010 – 4 StR 150/10.
II. 20. Urteilsabfassung – §§ 261, 267
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somit unklar, ob das Landgericht auch hinsichtlich der von der S. KG an die Universitätskasse geleisteten Zahlungen eine Untreuehandlung überhaupt in Erwägung gezogen hat. Zudem wird die Urteilsbegründung den Anforderungen an eine zusammenhängende Wiedergabe der Einlassung der Angeklagten und deren Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände nicht gerecht. Im Rahmen der erforderlichen Beweiswürdigung muss das Landgericht von der Einlassung des Angeklagten ausgehen und diese so vollständig und genau wiedergeben, wie es erforderlich ist, damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise zu Recht die Einlassung als unwiderlegbar seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 – 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, um diese einer umfassenden Würdigung unterziehen zu können (BGH, Urteile vom 17. Mai 1990 – 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4 und vom 10. August 1994 – 3 StR 705/93, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10; BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90). Das Landgericht teilt die Einlassungen der Angeklagten jedoch lediglich bruchstückhaft und verstreut über verschiedene Abschnitte der Urteilsbegründung mit. So hat es etwa in Bezug auf die Förderprojekte zugunsten der S. KG lediglich angegeben, dass die Feststellungen zu den Finanztransaktionen auch auf den Angaben des Angeklagten Prof. Dr. F. beruhten. Des Weiteren führt es aus, dass nach den unwiderlegbaren Angaben dieses Angeklagten die insoweit angefallenen Personalkosten teilweise aus dem Personalkostenetat der Hochschule und im Übrigen aus freien Drittmitteln aufgebracht worden seien. Auch die Feststellung, dass die in den Projekten „In2Math“ und „math-kit“ durch die S. KG in Rechnung gestellten Entwicklungskosten teilweise nicht direkte Arbeiten im Rahmen dieser Projekte, sondern eine Lieferung von Software beträfen, die in dem Projekt „TPW“ entwickelt worden sei, würden auf den eigenen Einlassungen der Angeklagten beruhen. Zwar ist die Mitteilung der Einlassung des Angeklagten kein Selbstzweck, sondern dient vielmehr dazu, dem Revisionsgericht die Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 1. April 1992 – 2 StR 614/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 8). Hier fehlt es aber nicht nur an einer zusammenhängenden Wiedergabe der Einlassungen der Angeklagten, sondern es werden nicht einmal deren wesentliche Grundzüge mitgeteilt.
Fehlerhaft war auch die Beweiswürdigung hinsichtlich des Freispruchs, welcher durch Urteil vom 12.8.2010423 aufgehoben wurde: 2. Das Landgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Gr. heimtückisch und aus Habgier auf den Nebenkläger geschossen hat; einen Rücktritt hat es verneint, weil der Angeklagte Gr. nicht freiwillig von der weiteren Tatausführung Abstand genommen habe. Es hat sich aber nicht davon überzeugen können, dass der die Tat bestreitende Angeklagte G. den Auftrag gegeben hat, den Nebenkläger zu töten. Möglicherweise habe der Angeklagte Gr. die Tat aus eigenem Antrieb begangen, um den Nebenkläger auszurauben. … III. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers haben Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn
423
BGH, Urteil v. 12.8.2010 – 4 StR 147/10; vgl. im Übrigen Rn. 422.
424
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D. Strafprozessordnung
die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. 2. Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht. Die Erwägungen des Landgerichts zu den Umständen, die nach seiner Auffassung Zweifel an einer Auftragserteilung des Angeklagten G. an den Angeklagten Gr. begründen, lassen im Hinblick auf die den Angeklagten belastenden Beweisergebnisse besorgen, dass es überspannte Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Das Landgericht hat sich mehrfach nicht in der Lage gesehen, Feststellungen zu treffen, die es nach den Gesamtumständen als sehr wahrscheinlich angesehen hat, weil es andere Möglichkeiten und Erklärungen der Angeklagten, die es selbst als „eher fern liegend“, „nicht völlig fern liegend“, „nicht sehr plausibel“, „wenig nachvollziehbar“ u.ä. angesehen hat, letztlich nicht auszuschließen vermochte.
425
Derselbe Strafsenat hatte bereits mit Urteil vom 29.7.2010 424 die mangelhafte Darstellung und Beweiswürdigung eines freisprechenden Urteils kritisiert: Die Ausführungen des Landgerichts werden den gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellenden Anforderungen nicht gerecht. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen – zusätzlichen – Feststellungen nicht getroffen werden können. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind… Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, soweit der Freispruch im Fall 8 der Anklage inmitten steht. Im angefochtenen Urteil fehlen insoweit jegliche Feststellungen zum Tatgeschehen. So bleibt bereits offen, ob die Jugendschutzkammer überhaupt einen Aufenthalt der Zeugin M. in Deutschland für erwiesen hält. Auch die äußerst rudimentäre Angabe der Beweisgründe erlaubt dem Senat nicht die auf Revision gebotene rechtliche Überprüfung des Freispruchs. Das Urteil gibt lediglich in knapper Form Angaben des gesondert verfolgten D. N. zu einem Aufenthalt der Angeklagten „im fraglichen Zeitraum“ in Rumänien wieder. Hierbei lässt das Urteil die erforderliche Beweiswürdigung vermissen, die dem Revisionsgericht erst die Prüfung ermöglicht, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist und ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 – 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Der Senat kann daher nicht prüfen, ob das 424
BGH, Urteil v. 29.7.2010 – 4 StR 190/10.
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II. 22. Urteilsverkündung – § 268 StPO
Landgericht die im Urteil wiedergegebenen Angaben des gesondert verfolgten Sohnes der Angeklagten mit den zum Anklagevorwurf getroffenen Feststellungen in Beziehung gesetzt und hieraus rechtsfehlerfreie Schlüsse gezogen hat. Die nicht weiter ausgeführte Mitteilung im angefochtenen Urteil, keiner der vernommenen Zeugen, zu denen ausweislich der Urteilsgründe (UA 20) auch für den Fall 8 der Anklage die mit den Ermittlungen befassten Polizeibeamten gehörten, habe den Tatvorwurf bestätigt (UA 23), reicht hierfür nicht aus.
Besteht zwischen der sich aus dem Tenor eines Urteils ergebenden Gesamtfreiheitsstrafe und der in den Gründen angegebenen Gesamtfreiheitsstrafe ein Widerspruch, welcher sich auch mittels der weiteren Ausführungen im Urteil nicht als Schreibversehen auflösen lässt, ist das Urteil auf die Sachrüge hin grundsätzlich im Strafausspruch aufzuheben. Nach dem Beschluss vom 1.9.2010 425 kann das Revisionsgericht jedoch auf die niedrigere der beiden Strafen durcherkennen, sofern auszuschließen ist, dass das Tatgericht auf eine noch niedrigere Strafe erkannt hätte.
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PRAXISHINWEIS ■
Die meisten Fehler in Urteilen liegen in den Ausführungen zur Beweiswürdigung begründet. Dies beruht allein auf dem Umstand, dass der Tatrichter seine eigenen Schlussfolgerungen möglichst überzeugend darstellen will, zuweilen bei der Abfassung aber vergessen hat, dass manches ihm nun einleuchtend erscheinende Argument in der Hauptverhandlung überhaupt keine Rolle gespielt hat und demgemäß auch nicht erörtert wurde. Aber in der letztlich immer knapp werdenden Zeit für die Urteilsabsetzung wird zuweilen auch übersehen, dass Feststellungen des Urteils nicht immer konform gehen mit den Darstellungen im Rahmen der Strafzumessung. Und bei Urteilen, welche den Angeklagten freigesprochen haben, kann die Überzeugung, dass der Tatverdacht in keiner Weise nachzuweisen war, dazu verleiten, wegen der eigenen klaren Meinung diese letztlich auch nur verkürzt darzustellen – eine komprimierte Wiedergabe des Prozessgeschehens, welches zwar Verfahrensbeteiligte leicht nachvollziehen können, nicht aber die hiervon keine Kenntnis habenden Revisionsrichter!
21. Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts – § 265 StPO Hinweise gemäß § 265 StPO müssen nicht unbedingt auf neuen tatsächlichen Erkenntnissen beruhen. Selbst wenn aber eine unzulängliche tatsächliche Erläuterung eines Hinweises gerügt wird, würde eine solche Rüge im Ansatz nur dann Erfolg haben, wenn Urteil und zugelassene Anklage in tatsächlicher Hinsicht wesentlich voneinander abweichen würden.426
427
22. Urteilsverkündung – § 268 StPO Berichtigungsbeschluss nur bei offensichtlichem Schreibversehen: Eine Änderung der Urteilsformel ist nach Abschluss der Urteilsverkündung nur zulässig, soweit offensichtliche Schreibversehen oder Unrichtigkeiten berichtigt werden, die sich ohne 425 426
BGH, Beschl. v. 1.9.2010 – 5 StR 262/10. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – 1 StR 587/09.
428
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D. Strafprozessordnung
Weiteres aus Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligte klar zutage treten und auch nur den entferntesten Verdacht einer späteren sachlichen Abänderung des verkündeten Urteils ausschließen. Danach war die vom Landgericht vorgenommene Änderung der Urteilsformel hier unzulässig, da es sich bei der Verwechslung der Tatbestände des Raubes und der räuberischen Erpressung nicht um ein solch offensichtliches Versehen handelt.427
23. Hauptverhandlungsprotokoll – §§ 273 f. StPO 429
Ein nach Maßgabe des Einzelfalls erforderlicher Hinweis auf die beabsichtigte Verwertung von gemäß §§ 154, 154a StPO ausgeschiedenem Verfahrensstoff bei der Beweiswürdigung oder Strafzumessung ist keine wesentliche Verfahrensförmlichkeit i.S.v. § 274 StPO. Er betrifft die Tatsachengrundlage des Urteils. Bei einem anderweit erforderlichen Hinweis auf wesentliche Änderungen in tatsächlicher Hinsicht (§ 265 StPO) handelt es sich regelmäßig nicht um eine wesentliche Verfahrensförmlichkeit.428 ■ PRAXISHINWEIS
Auch wenn fehlerhaft eine Verfahrensförmlichkeit nicht ins Protokoll aufgenommen wurde, kann hierauf keine Revision gestützt werden! Selbst wenn auf einen entsprechenden Antrag der Verteidigung eine förmliche Niederschrift abgelehnt wurde, kann das Urteil auf der Ablehnung des Antrags regelmäßig nicht beruhen.
24. Beschränkung und Rücknahme von Rechtsmitteln 430
431
432
Die Beschränkung eines Rechtsmittels kann einen Angeklagten vor einer möglicherweise unangenehmen Überraschung bewahren, sofern die Beschränkung wirksam ist und nicht aus anderen Gründen versagt, wie aus nachstehenden Entscheidungen teilweise hervorgeht: Allerdings hat auf Vorlage des OLG München der 1. Strafsenat ausgeurteilt, dass auch bei einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung (dennoch) eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB vorzunehmen ist, (auch) wenn der erstinstanzliche Richter eine Entscheidung zu dieser Frage nicht getroffen hat.429 Indes kann bspw. aber angezeigt sein, in bestimmten Fällen die Nichtanwendung des § 63 StGB im erstinstanzlichen Urteil von dem Revisionsangriff auszunehmen, sofern die Erwägungen des Tatrichters hierzu fehlerhaft waren und die Staatsanwaltschaft selbst keine Revision eingelegt hatte.430 Diese Begründung ist rechtsfehlerhaft. Die Wertung des Landgerichts, die vom Angeklagten begangenen Taten seien unterhalb des Bereichs der mittleren Kriminalität angesiedelt, be-
427 428 429 430
BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 3 StR 276/10. BGH, Beschl. v. 29.6.2010 – 1 StR 157/10. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 1 StR 212/10. BGH, Beschl. v. 10.8.2010 – 3 StR 268/10.
II. 25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen
345
gegnet schon bei isolierter Betrachtung der Einzeltaten erheblichen rechtlichen Bedenken. Die vom Angeklagten begangenen Gewalt- und Eigentumsdelikte sind keine Bagatelldelikte oder lediglich belästigende Taten (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 63 Rn. 16 ff.). Das Landgericht hat es ferner rechtsfehlerhaft versäumt, in die vom Gesetz verlangte Gesamtwürdigung von Täter und Anlasstaten einzustellen, dass der Angeklagte mehrfach einschlägig, insbesondere auch wegen erheblicher Gewaltdelikte vorbestraft ist und die im vorliegenden Verfahren begangenen Taten eine sich von April 2007 bis Februar 2010 erstreckende Tatserie bilden, die zum Ende hin eine deutliche Häufung von Taten aufwies (vgl. Fischer, aaO, Rn. 20 m.w.N.). Dies gefährdet indes den Bestand des Urteils nicht, da der Beschwerdeführer die Nichtanwendung des § 63 StGB wirksam von seinem Revisionsangriff ausgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 – 3 StR 138/10) und die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel nicht geführt hat.
Eine Rechtsmittelbeschränkung auf die Anordnung oder Ablehnung der Sicherungsverwahrung ist möglich, sofern zwischen ihr und der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe kein untrennbarer Zusammenhang besteht.431
433
Die Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam. Die Beschränkung auf die Anordnung oder Ablehnung der Sicherungsverwahrung ist möglich, sofern zwischen ihr und der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe kein untrennbarer Zusammenhang besteht (vgl. BGHSt 7, 101, 102 f.; 50, 188, 197; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6). So verhält es sich hier. Es kann ausgeschlossen werden, dass die erkannten maßvollen Einzelstrafen milder ausgefallen wären oder das Landgericht auf eine (noch) niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte, wenn es die Sicherungsverwahrung angeordnet hätte.
Die Rücknahme einer Revision ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sie möglich. Ein Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO steht daher einer Rücknahme solange nicht entgegen, bis dieser seinerseits Rechtskraft erlangt hat.432
434
25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen a)
Revisionsfristen
Der Lauf der Revisionsbegründungsfrist beginnt mit dem Tag der Zustellung, auch wenn es sich dabei um einen Samstag handelt:433 „Das Urteil wurde dem Verteidiger des Angeklagten gemäß § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 180 ZPO am 6. März 2010 wirksam zugestellt (SA Bd. III Bl. 801). Die Revisionsbegründungsfrist endete daher gemäß § 345 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 StPO am 6. April 2010. Dass die Zustellung an einem Samstag erfolgte, ist für die nach § 43 StPO vorzunehmende Berechnung der Frist ohne Bedeutung. Da die Revisionsbegründung erst am 8. April 2010 einging (SA Bd. III Bl. 828), hat das Landgericht die Revision zu Recht gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.“
431 432 433
BGH, Beschl. v. 26.11.2009 – 4 StR 341/09. BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – 4 StR 388/10. BGH, Beschl. v. 8.9.2010 – 2 StR 310/10.
435
346
D. Strafprozessordnung
b) Zulässigkeit von Revisionsrügen 436
437
Verfahrensrügen scheitern nicht selten daran, dass diese entgegen der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und den daraus abgeleiteten – sicherlich nicht zur Vereinfachung beitragenden – Anforderungen der Rechtsprechung nicht vollständig vortragen oder gar entscheidende Details verschweigen: Notwendiger Vortrag fehlt bei der Revisionsbegründung der Entscheidung vom 16.9.2009:434 Die Verfahrensrüge genügt, wie auch der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. Juli 2009 dargelegt hat, nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Ob in der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 20. Mai 2008 das Recht des Angeklagten auf Verteidigerkonsultation verletzt worden ist, kann anhand des Revisionsvortrags nicht beurteilt werden. Es fehlt die Darstellung desjenigen Teils seiner polizeilichen Vernehmung, der sich unmittelbar an die Frage anschloss, ob er nach Rücksprache mit dem von ihm benannten Anwalt bereit „wäre“, weitere Angaben zu machen. Die entsprechende Seite der Niederschrift der Beschuldigtenvernehmung, welche der Rechtsmittelführer ansonsten der Revisionsbegründung beigefügt hat, wird nicht vorgelegt (Bl. 177 GA Band VI). Ohne Kenntnis dieses Teils der Vernehmung kann nicht beurteilt werden, ob die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aufgestellten Voraussetzungen für die Fortsetzung einer Beschuldigtenvernehmung eingehalten worden sind (vgl. BGHSt 42, 15; 170). Die Revision legt auch den von ihr in Bezug genommenen Vermerk des KOK O. vom 21. Mai 2008 über die Beschuldigtenvernehmung vom Vortage nicht vor (Bl. 185 GA Band VI). Wegen des unzureichenden Vortrags kann erst recht nicht beurteilt werden, ob der Angeklagte während seiner Beschuldigtenvernehmung nicht mehr zu einer „freien Willensfindung“ fähig war bzw. sogar eine verbotene Vernehmungsmethode im Sinne des § 136a StPO gegen ihn angewandt worden ist. Da die Sachrüge nicht erhoben ist, führt dies zur Unzulässigkeit der Revision insgesamt (BGH NJW 1995, 2047; StraFo 2008, 332).
438
Unvollständigen Vortrag bzgl. einer Verfahrensrüge – wenn nicht absichtliches Verschweigen von wesentlichen Details – stellte der Strafsenat mit Beschluss vom 9.12.2009 fest:435 Die Verfahrensrüge, dem Angeklagten sei entgegen § 258 Abs. 2 und Abs. 3 StPO „nicht das Recht zur Ausführung und insbesondere nicht das Recht des letzten Wortes gewährt“ worden, entspricht nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und ist daher bereits unzulässig. Im Rahmen der Verfahrensrüge hat der Beschwerdeführer den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls vom 29. Juni 2009 nur unvollständig vorgetragen, indem er verschwiegen hat, dass dort nach der Feststellung, die Beweisaufnahme sei geschlossen worden, vermerkt ist, dass der Vertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Angeklagter zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort erhielten. Da der vom Beschwerdeführer verschwiegene Teil des Hauptverhandlungsprotokolls nahe legt, dass dem Angeklagten nach Staatsanwaltschaft und Verteidigung das Wort erteilt wurde, kommt diesem Teil Bedeutung für die Frage zu, ob dem Angeklagten das letzte Wort gewährt wurde.
434 435
BGH, Beschl. v. 16.9.2009 – 2 StR 299/09. BGH, Beschl. v. 9.12.2009 – 1 StR 563/09.
II. 25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen
347
Ebenso war es im Verfahren der Beschlussentscheidung vom 3.8.2010:436
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Die Rüge der „Verletzung der § 244 Abs. III, 246 StGB“ (Seiten 7 bis 10 der Revisionsbegründung vom 2. Februar 2010), mit der geltend gemacht wird, dass das Landgericht mehrere Beweisanträge des Angeklagten zu Unrecht wegen Prozessverschleppung abgelehnt habe, ist unzulässig. Denn die Revisionsbegründung teilt hierzu entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder die Anordnung der Vorsitzenden vom 8. September 2009 mit, mit der den Verfahrensbeteiligten eine Frist für die Stellung von Beweisanträgen gesetzt wurde, noch die Ankündigung dieser Fristsetzung am 31. Juli 2009. Auch die hierzu nach dem vom Verteidiger erhobenen Widerspruch ergangene Entscheidung des Gerichts wurde nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorgetragen.
Wegen unvollständigen Vortrags war auch die Rüge im Verfahren des Beschlusses vom 14.10.2010 unzulässig:437
440
„Die auf Verletzung des § 265 Abs. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat eine vollständige Mitteilung der zwei Monate vor dem rechtlichen Hinweis erfolgten Verfahrensvorgänge aus der Hauptverhandlung unterlassen (Protokollband Bl. 89), aus denen die Strafkammer bei der Ablehnung des Aussetzungsantrags die genügende Vorbereitung der Verteidigung abgeleitet hat.“
Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von Akten bzw. eines Akteneinsichtsantrags ist ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten. Sollte eine solche konkrete Bezeichnung wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Revisionsgericht auch dartun.438 In der Hauptverhandlung wurde zu mehreren überwachten Telefongesprächen Urkundenbeweis erhoben. Einen „Beweisantrag“ des Verteidigers des Angeklagten H.-J. R., mit dem er die Beiziehung der vollständigen TKÜ-Protokolle des Strafverfahrens gegen A. W. und dessen Bruder sowie Einsicht in diese Akten begehrte, um festzustellen, „dass in der Ermittlungsakte des vorliegenden Verfahrens die TKÜ Protokolle nur unvollständig enthalten sind“, lehnte die Strafkammer mit Beschluss vom 28. Juli 2009 wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit ab, wobei sie ergänzend ausführte, dass sich – anders als vom Verteidiger vorgetragen – aus der Nummerierung der TKÜ-Protokolle (auf das Gespräch 1391 folgte das Gespräch 1406) keine Rückschlüsse darauf ziehen lassen, dass sich in der Akte des Landgerichts Konstanz weitere TKÜ-Protokolle befinden. Eine Beiziehung der Akten des Landgerichts Konstanz erfolgte – auch in der Folgezeit – nicht. Sonstige Bemühungen um Akteneinsicht – auch in dem vor dem Landgericht Konstanz durchgeführten Strafverfahren – wurden nach dem Vortrag der Revisionsführer von den Angeklagten oder ihren Verteidigern nicht bzw. nach dem 30. Januar 2009 nicht mehr
436 437 438
BGH, Beschl. v. 3.8.2010 – 4 StR 192/10. BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – 5 StR 299/10. BGH, Beschl. v. 23.2.2010 – 4 StR 599/09.
441
348
D. Strafprozessordnung
unternommen. Auch teilt die Revision nicht mit, welche konkreten weiteren Erkenntnisse sich aus der Einsicht in die TKÜ-Protokolle, die sich in den Akten des Landgerichts Konstanz befinden, ergeben hätten. b) Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob bei einem zeitweise gegen mehrere Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren nach der Abtrennung des Verfahrens gegen einen oder mehrere Beschuldigte das Akteneinsichtsrecht im anhängigen Verfahren auch solche Akten oder Aktenteile umfasst, die dem Gericht tatsächlich nicht vorliegen, die aber in dem (auch und noch) gegen die Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren wegen der Taten angefallen sind, die letztlich Gegenstand der Anklageschriften geworden sind (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 – 3 StR 89/09). Dem könnte entgegenstehen, dass sich nach der bisherigen Rechtsprechung der Anspruch auf Akteneinsicht nur auf die dem Gericht tatsächlich vorliegenden Akten bezieht (BGH, Urt. vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 138, 141, und Beschl. vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 327 m.w.N.; ähnlich [„bei Gericht vorliegende Unterlagen“] BGH, Beschl. vom 10. Oktober 1990 – StB 14/09, BGHSt 37, 204, 206), also Aktenbestandteile aus anderen Verfahren dem Akteneinsichtsrecht nach § 147 Abs. 1 StPO selbst dann nicht unterliegen, wenn die Verfahren zeitweise gemeinsam geführt, später aber getrennt und diese im formellen Sinne „fremden“ Akten nicht beigezogen wurden (BGH, Beschl. vom 4. Oktober 2007 – KRB 59/07, BGHSt 52, 58, 62; vgl. auch BGH, Urt. vom 26. August 2005 – 2 StR 225/05, BGHSt 50, 224, 229). Den Rügen ist der Erfolg jedenfalls deshalb zu versagen, weil es für die Annahme, die Verteidigung sei in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden, nicht genügt, dass diese Beschränkung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen. Vielmehr ist § 338 Nr. 8 StPO nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Verfahrensverstoß und dem Urteil konkret besteht (vgl. die Nachweise bei Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 338 Rdn. 59 und KK-Kuckein StPO 6. Aufl. § 338 Rdn. 101). Bei der Rüge der Beschränkung der Verteidigung in einem wesentlichen Punkt durch Ablehnung eines Antrags auf Beiziehung von Akten bzw. eines Akteneinsichtsantrags ist daher ein substantiierter Vortrag erforderlich, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. BGH, Urt. vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 138, 143, und Beschl. vom 2. Februar 1999 – 1 StR 636/98, StV 2000, 248, 249 m. Anm. Ventzke). Damit korrespondiert das Erfordernis möglichst konkreten Vortrags bei einer Rüge wegen unterlassener Beiziehung von Akten unter dem Aspekt der Verletzung der Aufklärungspflicht (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschl. vom 21. Oktober 2004 – 1 StR 324/04). Sollte eine solche konkrete Bezeichnung wesentlichen vorenthaltenen Aktenmaterials dem Verteidiger nicht möglich sein, weil ihm die Akten, in die er Einsicht nehmen will, verschlossen geblieben sind, so muss er sich – damit die Ausnahme von der an sich nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO bestehenden Vortragspflicht gerechtfertigt und belegt wird – jedenfalls bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Akteneinsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Revisionsgericht auch dartun (BGH, Beschl. vom 11. November 2004 – 5 StR 299/03, BGHSt 49, 317, 328, und Urt. vom 23. August 2006 – 5 StR 151/06, StraFo 2006, 459, 460). An einem solchen zumutbaren und jedenfalls nach § 475 StPO Erfolg versprechenden (vgl. BGH, Urt. vom 26. August 2005 – 2 StR 225/05, BGHSt 50, 224) Bemühen um Einsicht in die Akten der Staatsanwaltschaft oder des Landgerichts Konstanz fehlt es vorliegend.
II. 25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen
349 PRAXISHINWEIS ■
Die vorliegende Entscheidung zeigt deutlich, dass es im Hinblick auf spätere Rügen im Revisionsverfahren nicht ausreicht, mögliche Fehler des Gerichts herbeizuführen, sondern auch aktive Beiträge zur Hauptverhandlung von der Verteidigung erforderlich sind, um einer späteren Rügemöglichkeit nicht verlustig zu gehen. Bedeutsam ist auch der beiläufige Hinweis des Revisionsgerichts, dass Aktenbestandteile aus fremden Verfahren dem Akteneinsichtsrecht nicht unterliegen, diese also zunächst beizuziehen sind, um darin Einblick nehmen zu können. Fehlt es an einem entsprechenden Antrag der Verteidigung, könnte daher einer späteren Rüge ebenfalls der Erfolg versagt sein! Immer wieder wird bei Verfahrensrügen vergessen, die damit zusammenhängenden Verfahrensvorgänge zusammen mit der Rüge so ausreichend darzustellen, dass das Revisionsgericht daraus die erforderlichen Feststellungen entnehmen kann, so dass die Voraussetzungen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfüllt sind und die Rüge daher unzulässig ist:439
442
Die auf Verletzung des § 265 Abs. 3 StPO gestützte Verfahrensrüge scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Beschwerdeführer hat eine vollständige Mitteilung der zwei Monate vor dem rechtlichen Hinweis erfolgten Verfahrensvorgänge aus der Hauptverhandlung unterlassen (Protokollband Bl. 89), aus denen die Strafkammer bei der Ablehnung des Aussetzungsantrags die genügende Vorbereitung der Verteidigung abgeleitet hat. In der Sache würde der Senat aus § 265 Abs. 3 StPO hier keinen unbedingten Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung herleiten, die im Übrigen nahe liegend mit Abtrennung des Verfahrens in dem allein betroffenen Einzelfall zu verbinden gewesen wäre. Anders als in dem weitaus gewichtigeren Fall des 2. Strafsenats in BGHSt 48, 183 dürfte bei dem hier in Frage stehenden Übergang von § 29a BtMG auf die Qualifikation des § 30a BtMG in einem von mehr als zehn angeklagten Fällen eine angemessene Unterbrechung der Hauptverhandlung in sachgerechter erweiterter Auslegung der Verfahrensvorschrift als ausreichend anzusehen sein (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 265 Rdn. 37).
Nicht ausreichend ist es, sämtliche nur erdenklichen Unterlagen quasi als Aktenkonvolut dem Revisionsantrag beizufügen, so dass automatisch jede nur erdenkliche Unterlage vorgelegt würde; denn es genügt den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) nicht, wenn Aktenbestandteile und Ausschnitte aus dem Hauptverhandlungsprotokoll „der Einfachheit halber in chronologischer Reihenfolge, und nicht nach Rügen getrennt“, überreicht werden. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus dem Aktenkonvolut denkbare Verfahrensfehler selbst herauszusuchen und den dazu möglicherweise passenden Verfahrenstatsachen zuzuordnen.440 Demgegenüber war die Revision im Verfahren 3 StR 250/10 441 beispielhaft ausgeführt: Die Rüge, das Landgericht habe einen Beweisantrag in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt, greift durch. 439 440 441
BGH, Beschl. v. 14.10.2010 – 5 StR 299/10 BGH, Beschl. v. 14.4.2010 – 2 StR 42/10. BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – 3 StR 250/10.
443
444
350
D. Strafprozessordnung
1. Nach den Feststellungen zum Fall II. 1 ergriff der Angeklagte den späteren Geschädigten, der sich in Begleitung des Zeugen H. befand, mit der linken Hand an der Schulter, legte den Arm um ihn und zog ihn gegen dessen Willen in den nicht einsehbaren Eingangsbereich einer Spielothek. Dort nahm er ihm gewaltsam 120 € weg. Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, im Wesentlichen auf die Angaben des Tatopfers gestützt. Dessen Aussage hat es auch deshalb als glaubhaft angesehen, weil der Zeuge H. bei seiner polizeilichen Vernehmung zum Vortatgeschehen in Übereinstimmung mit dem Geschädigten angegeben habe, der Angeklagte habe das Tatopfer „von ihm weggezogen“ und sei mit ihm in die Spielothek gegangen. Die polizeiliche Aussage des Zeugen H. wurde über den Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt; eine persönliche Einvernahme des Zeugen hat nicht stattgefunden. 2. Der Angeklagte hat mit dem Ziel, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten zu erschüttern, die Vernehmung des Zeugen H. zum Beweis dafür beantragt, dass das Tatopfer dem Angeklagten freiwillig in den Durchgang der Spielothek gefolgt und hierzu von dem Angeklagten nicht im Sinne einer Nötigungshandlung gezwungen worden sei. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die behauptete Tatsache sei – ersichtlich tatsächlich – für die Entscheidung ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein das Geschehen im Eingangsbereich der Spielothek. Die Indiztatsache, dass das Tatopfer dem Angeklagten dorthin freiwillig gefolgt sei, lasse nur den möglichen, nicht aber den zwingenden Schluss zu, dass die Wegnahme des Geldes im nicht einsehbaren Eingangsbereich der Spielothek ohne Gewaltanwendung erfolgt sei. Diesen Schluss wolle die Strafkammer jedoch nicht ziehen. a) Der Antrag des Beschwerdeführers genügt den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen. Insbesondere wird eine hinreichend bestimmte Tatsache behauptet; denn bei sinngerechter Auslegung war der Antrag erkennbar dahin zu verstehen, der Zeuge H. werde bekunden, dass der Geschädigte ohne Widerstreben und ohne Zwangseinwirkung durch den Angeklagten diesem in den Eingangsbereich der Spielothek gefolgt ist. b) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist auch im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Die Revision teilt sowohl den Inhalt des Beweisantrags nebst Begründung als auch den gerichtlichen Ablehnungsbeschluss im Wortlaut mit. Da weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in Bezug genommen wurden und sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in Verbindung mit den Urteilsgründen ergibt, bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts weiterer Darlegungen zur Begründung der Rüge nicht (vgl. Löwe/Rosenberg/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372). c) Die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
445
Zuweilen fehlt es auch an einem ordnungsgemäßen Revisionsantrag, wie sich aus der Beschlusssache vom 5.11.2009 442 ergibt, wobei hier die Staatsanwaltschaft betroffen war: Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen. Denn innerhalb der Frist zur Begründung des Rechtsmittels ist ein den Anforderungen des § 344 Abs. 1 StPO genügender Revisionsantrag nicht gestellt worden. Nach § 344 Abs. 1 StPO hat der Beschwerdeführer binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels (§ 345 Abs. 1 StPO) anzugeben, inwieweit er das Urteil anficht und dessen Aufhebung beantragt. Dies kann auch
442
BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – 2 StR 324/09.
II. 25. Zulässigkeit von Revisionsrügen, Fristen
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bereits in der Revisionseinlegungsschrift (§ 341 Abs. 1 StPO) mit der Erhebung der allgemeinen Sachrüge geschehen. Das setzt allerdings voraus, dass die Rüge der Verletzung materiellen Rechts angesichts der Umstände des Einzelfalles geeignet ist, den Umfang der Anfechtung zweifelsfrei festzulegen. Besondere Bedeutung erlangt diese Einschränkung, wenn das Urteil mehrere Angeklagte und/oder mehrere Taten betrifft. Richtet sich die Revision gegen ein Urteil mit mehreren selbständigen Tatvorwürfen, bleibt der Umfang des Revisionsangriffs unklar, wenn ohne konkretisierende Zusätze lediglich die allgemeine Sachrüge erhoben wird (vgl. BGH NJW 2003, 839). Dies gilt erst recht, wenn es sich im Falle teilweiser Verurteilung und teilweisen Freispruchs um eine Revision der Staatsanwaltschaft handelt, die sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Angeklagten eingelegt sein kann. So verhält es sich hier. Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen mehrerer selbständiger Taten verurteilt. In der Revisionseinlegungsschrift vom 2. Dezember 2008 wird seitens der Staatsanwaltschaft ein Antrag lediglich angekündigt („Es wird beantragt werden …“). Die Erhebung der allgemeinen Sachrüge vermag, worauf der Generalbundesanwalt mit Recht hinweist, das Fehlen eines ausdrücklichen und ordnungsgemäßen Antrages nicht zu ersetzen. Denn dies lässt offen, ob sich die Revision zu Lasten des Angeklagten gegen die Freisprüche wendet oder – falls sie zugunsten des Angeklagten eingelegt sein sollte –, welcher Teil der Verurteilung angefochten sein soll. Zwar enthält die Revisionsbegründung vom 17. Juni 2009 die notwendigen Angaben und den entsprechenden Aufhebungsantrag; da das Urteil der Staatsanwaltschaft jedoch bereits am 12. März 2009 durch Übersendung der Akten zugestellt worden war, ist dieser erst nach Ablauf der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO zur Begründung der Revision gestellt worden. Der darin enthaltene, hinreichend konkrete Antrag war somit verspätet.
An dem erforderlichen Antrag kann es leicht im Rahmen des Rechtsmittels eines Nebenklägers fehlen, weil dessen Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung bedarf, die deutlich macht, dass eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts verfolgt wird. Die Erhebung der allgemeinen Sachrüge genügt daher nicht den genannten Anforderungen.443 Ein immer wiederkehrender Fehler hinsichtlich der darauf folgenden Ablehnung von Beweisanträgen, der sich dann in den Revisionsrügen fortsetzt, liegt darin, dass das zu erwartende Beweisergebnis weder konkret bezeichnet noch bestimmt behauptet wird.444 Zugleich ist in dem Antrag vom 11. Mai 2010 eine Aufklärungsrüge erhoben. Das Vorbringen entspricht jedoch nicht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO: a) Die Verteidigung hatte in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen gestellt, der bekunden sollte, dass zwischen dem Angeklagten und einem anderen Angeklagten keine „strafbaren Beziehungen“ bestanden. Die Strafkammer hatte diesen Antrag abgelehnt, weil aus näher dargelegten Gründen nur ein Beweisermittlungsantrag vorliege und die Aufklärungspflicht aus ebenfalls näher dargelegten Gründen die Vernehmung des Zeugen nicht gebiete. Die auf die unterbliebene Vernehmung dieses Zeugen gestützte Aufklärungsrüge ist im Wesentlichen wie folgt begründet: Im Hinblick auf den nicht mitgeteilten und auch den Urteilsgründen nicht detailliert zu entnehmenden Inhalt von „Telefongesprächen“ – insoweit werden von der Revision nicht 443 444
BGH, Beschl. v. 22.9.2010 – 2 StR 429/10. BGH, Beschl. v. 1.7.2010 – 1 StR 259/10.
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einmal die jeweiligen Gesprächspartner der nur durch die Angabe von Aktenseiten und anderer formaler Kriterien gekennzeichneten Gespräche genannt – „Textmeldungen und Vermerken“ sei „möglicherweise nicht gänzlich ausschließbar“, dass der Zeuge – von der Revision nicht konkret benannte – „Ausführungen machen oder Indizien benennen“ könne, die Schlüsse auf das Fehlen der strafbaren Beziehungen ermöglichten. b) Damit ist das zu erwartende Beweisergebnis weder konkret bezeichnet (vgl. demgegenüber BGH bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 4; Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 51 jew. m.w.N.), noch bestimmt behauptet (vgl. demgegenüber BGH NStZ 2004, 112; Bachler in Graf StPO § 244 Rdn. 115 m.w.N.). Das Aufzeigen der bloßen – hier sogar nach eigenem Vortrag lediglich nicht gänzlich ausschließbaren – Möglichkeit, es könnten sich irgendwelche Indizien hinsichtlich der genannten ohnehin sehr abstrakt formulierten und weit gefassten Behauptung ergeben, reicht nicht aus. Schließlich erscheint die Annahme, ein Zeuge könne in umfassender Weise Angaben zu den Beziehungen zwischen zwei anderen Personen machen („keine strafbaren Beziehungen“), sehr fern liegend; daher wäre besonders eingehend darzulegen gewesen, welche Umstände zur Aufklärung drängten (vgl. BGH NStZ 2007, 165). Der bloße Hinweis auf Urkunden, deren konkreten Inhalt der Senat auf Grund der Revisionsrechtfertigung nicht erkennen kann, wird dem nicht gerecht (vgl. zusammenfassend Kuckein aaO Rdn. 39 m.w.N.). Auch die wegen der zugleich erhobenen Sachrüge ergänzend heranzuziehenden Urteilsgründe (vgl. BGH bei Sander/Cirener aaO, 3 m.w.N.) ergeben keine Anhaltspunkte für das behauptete (bzw. für möglich gehaltene) Wissen des Zeugen.
448
Ein eher seltener Fehler ist dann gegeben, wenn die Revision in der Begründungsschrift widersprüchlich vorträgt, wie in der Entscheidung vom 29.6.2010 geschildert:445 Es ist also sowohl vorgetragen, dass der Hinweis nicht erteilt wurde, als auch, dass er doch erteilt wurde. In tatsächlicher Hinsicht widersprüchliches Vorbringen innerhalb der Revisionsbegründung – sei es auch in unterschiedlichen Zusammenhängen – kann aber schon im Ansatz nicht Grundlage einer erfolgreichen Verfahrensrüge sein (BGH NStZ 2008, 353; b. Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1). Die auf den angeblich unterbliebenen Hinweis gestützte Rüge geht daher fehl, ohne dass es auf weiteres noch ankäme.
449
450
Ein Angeklagter kann ein gegen ihn ergangenes Urteil nicht allein deswegen anfechten, weil gegen ihn (neben der Strafe) keine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Denn die angeordnete Maßregel stellt grundsätzlich ein zusätzliches Übel neben der Freiheitsstrafe dar. Durch das Unterlassen der Maßregelanordnung ist ein Angeklagter daher nicht beschwert. Soweit ein Rechtsmittel die Nichtanordnung der Maßregel beanstandet, ist es mithin unzulässig.446 Zur Beruhensfrage ist regelmäßig kein Vortrag erforderlich, weil diese grundsätzlich vom Revisionsgericht geprüft wird:447 Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen die Möglichkeit eines Beruhens nicht leicht zu erkennen ist, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beru445 446 447
BGH, Beschl. v. 29.6.2010 – 1 StR 157/10. BGH, Beschl. v. 7.10.2010 – 3 StR 375/10. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 – 1 StR 587/09.
II. 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO
353
hen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und daher auch nicht in seine Erwägungen einbezieht (BGH, Beschl. vom 14. Januar 2010 – 1 StR 620/09). Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof gerade auch im Zusammenhang mit Rügen der Verletzung von § 265 StPO wiederholt darauf hingewiesen, dass auch dem Revisionsvorbringen nichts zu entnehmen ist, was das (negative) Ergebnis seiner Beruhensprüfung in Frage stellen könne (vgl. z.B. BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 9, 12; BGH, Beschl. vom 19. Oktober 1994 – 2 StR 336/94; Beschl. vom 13. Juni 2007 – 2 StR 127/07).
26. Revisionsrügen nach § 338 StPO a)
§ 338 Nr. 1 StPO
Eine Rüge nach § 338 Nr. 1 StPO (vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts) für den Fall der Bestellung eines Sondervertreters (wenn aus anderen Umständen bereits feststellbar war, dass der Sondervertreter zur Wahrnehmung seiner Aufgaben nicht in der Lage sein würde) war in dem nachfolgenden Sachverhalt aber nicht begründet und nicht erfolgreich:448 Zwar kann die Bestellung eines sog. Sondervertreters gemäß § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG gegen § 338 Nr. 1 StPO verstoßen, wenn schon aus der Wahl der Sitzungstage die Möglichkeit ersichtlich ist, dass bei gleichzeitigen Sitzungen auch der Vertreterkammern die bestellten Vertreter nicht in der Lage sein werden, ihre Aufgaben in der Strafkammer wahrzunehmen, sodass Veranlassung bestand, diesen Mangel des Geschäftsverteilungsplanes zu beheben (Senatsbeschluss vom 7. April 1987 – 4 StR 166/87, StV 1987, 286). Die Revision, die sich auf diese Entscheidung des Senats stützt, übersieht indessen, dass im damaligen Fall die im Geschäftsverteilungsplan vorgesehene Vertretungsregelung schon für sich genommen nicht ausreichte, um die ordnungsgemäße Besetzung der zur Entscheidung berufenen Strafkammer sicher zu stellen, da nur zwei Vertretungskammern vorgesehen waren und deshalb wegen der Verteilung der Sitzungstage vorhersehbar war, dass die planmäßigen Vertreter sämtlich verhindert sein könnten. So liegt der Fall hier aber nicht. Die Zahl der Mitglieder der insgesamt neun im Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Vertreterkammern rechtfertigte unter Berücksichtigung der Verteilung der Sitzungstage die Erwartung, dass auch bei Verhinderung von Mitgliedern einer oder mehrerer Strafkammern jedenfalls ein Mitglied einer der anderen Kammern zur Verfügung stehen würde. Die im vorliegenden Fall festzustellende Häufung von Verhinderungsfällen war danach nicht vorhersehbar. Entgegen der Auffassung der Revision war die Vorsitzende der hier zur Entscheidung berufenen VI. Großen Strafkammer nicht gehalten, dem Eintritt des Verhinderungsfalles durch kurzfristige Veränderung der Terminierung Rechnung zu tragen, nachdem sie erfahren hatte, dass die Mitglieder der geschäftsplanmäßigen Vertreterkammern auch für die bereits anberaumten Fortsetzungstermine nicht zur Verfügung standen. Die Annahme einer Verhinderung und die Bestellung eines außerplanmäßigen Vertreters erweist sich vor dem Hintergrund der von der Vorsitzenden mitgeteilten angespannten Terminslage der VI. Großen Strafkammer sowie der in den geschäftsplanmäßigen Vertreterkammern austerminierten Sitzungstage jedenfalls nicht als willkürlich. 448
BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – 4 StR 622/09.
451
354 452
D. Strafprozessordnung
Die Rüge vorschriftswidriger Gerichtsbesetzung (§ 338 Nr. 1 StPO) ist im Revisionsverfahren nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer bereits in erster Instanz den zur Erhaltung der Rüge vorausgesetzten Besetzungseinwand (§ 222b Abs. 1 Satz 1 StPO) entweder selbst erhoben oder er sich einem durch einen evtl. Mitangeklagten erhobenen Besetzungseinwand angeschlossen hat.449 ■ PRAXISTIPP
Wird nach Auffassung der Verteidigung gegen eine prozessuale Vorschrift verstoßen, ist es immer angezeigt, auf jeden Fall einen Einwand formell zu erheben und ggfs. auch auf Entscheidung durch das Gericht gem. § 238 Abs. 2 StPO anzutragen. Dies nicht zu beachten dürfte zumindest dann den Tatbestand eines Verteidigerverschuldens erfüllen, wenn – wie vorliegend – die Beanstandung vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist (§ 222b Abs. 1 u. Abs. 2 StPO).
b) § 338 Nr. 3 StPO 453
Im Zusammenhang mit Gesprächen über eine Verständigung ist eine gewisse Zurückhaltung bei den Richtern erforderlich:450 Zwar ist es einem Richter auch nach den Vorschriften des am 4. August 2009 in Kraft getretenen Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBI I S. 2353) grundsätzlich nicht verwehrt, zur Förderung des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt aufzunehmen. Dabei hat er jedoch die gebotene Zurückhaltung zu wahren, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden. Dies gilt mit Blick auf einen möglichen Interessenwiderstreit in besonderem Maße, wenn Gespräche über eine verfahrensbeendende Absprache mit einem Angeklagten unter Ausschluss eines vom selben Tatkomplex betroffenen, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machenden oder die Tatvorwürfe bestreitenden Mitangeklagten geführt werden. In solchen Fallkonstellationen liegt es nahe, dass bei dem an dem Gespräch nicht beteiligten Mitangeklagten berechtigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Richter aufkommen können, da aus seiner Sicht zu befürchten steht, dass auch auf Betreiben des Gerichts seine Tatbeteiligung hinter verschlossenen Türen und ohne seine Kenntnis mitverhandelt wird. Dieser verständlichen Besorgnis kann zuverlässig nur dadurch begegnet werden, dass Gespräche, die die Möglichkeit einer Verständigung zum Inhalt haben, auch außerhalb der Hauptverhandlung nur in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten oder offen in der Hauptverhandlung geführt werden. Gleichwohl sieht das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren keine Vorschrift vor, die Gespräche mit einzelnen Verfahrensbeteiligten außerhalb der Hauptverhandlung untersagt. Haben solche Erörterungen jedoch stattgefunden, muss der Vorsitzende auch bei einem ergebnislosen Verlauf und unabhängig davon, ob neue Aspekte im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO zur Sprache gekommen sind, hierüber in der Hauptverhandlung umfassend und unverzüglich unter Darlegung der Standpunkte aller beim Gespräch anwesenden Verfahrensbeteiligten informieren, da nur auf diese Weise von vorneherein jedem Anschein der Heimlichkeit und der hieraus entstehenden Besorgnis der Befangenheit vorgebeugt und dem Recht auf ein faires,
449 450
BGH, Beschl. v. 21.7.2010 – 5 StR 212/10. BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 287/10.
II. 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO
355
rechtsstaatliches Verfahren Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1990 – 3 StR 121/89, BGHSt 37, 99, 104; Schlothauer in N/Sch/W, VerstG, 2010, § 243 Abs. 4 Rn. 12 f.).
c)
§ 338 Nr. 5 StPO
Der Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO (Abwesenheit des Angeklagten) ist in der Entscheidung vom 19.11.2009 festgestellt:451
454
Die Fortsetzung der Hauptverhandlung gegen den am dritten Verhandlungstage ausgebliebenen Angeklagten verstößt gegen § 230 Abs. 1 StPO. Die Verhandlung ohne den Angeklagten war hier auch nicht ausnahmsweise nach § 231 Abs. 2 StPO zulässig. Nach dieser Vorschrift darf zwar eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, d.h. ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (vgl. BGHSt 37, 249, 251), er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Nach dem von der Revision vorgetragenen Verfahrensgang, der durch die Sitzungsniederschrift bestätigt wird, ist die Strafkammer auf der Grundlage der vom Vorsitzenden eingeholten telefonischen Auskunft der Ärztin des Krankenhauses ersichtlich nicht von einem eigenmächtigen Fernbleiben des Angeklagten ausgegangen und hat demgemäß auch nicht die vom Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung über die Erforderlichkeit der ferneren Anwesenheit des Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 231 Rdn. 20) getroffen. Es kann dahinstehen, ob der Ausnahmetatbestand des § 231 Abs. 2 StPO schon deshalb zu verneinen ist. Jedenfalls lässt sich heute nicht mehr aufklären, ob der Angeklagte, was zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nachgewiesen sein muss und vom Revisionsgericht im Freibeweis selbständig zu klären ist (vgl. Meyer-Goßner aaO § 231 Rdn. 25 m.N.), am dritten Verhandlungstag eigenmächtig ausgeblieben ist. Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Angeklagte nach den Feststellungen unter Herzproblemen leidet und dass er deswegen im Frühjahr 2008 in stationärer Behandlung war, ist der Nachweis, dass er die zweimalige Bewusstlosigkeit, die zu seiner Aufnahme in das Krankenhaus führte, nur vorgetäuscht hat, nicht mehr zu führen. Die Verkündung des Beschlusses, mit dem drei vom Verteidiger des Angeklagten gestellte Beweisanträge abgelehnt wurden, stellt einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung dar. Da eine Heilung durch Nachholung des vom Angeklagten versäumten Teils der Hauptverhandlung nicht erfolgt ist, liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor.
Beim Sachverhalt der Entscheidung vom 28.7.2010 wurden demgegenüber die Voraussetzungen des § 338 Nr. 5 StPO abgelehnt:452 Die von der Angeklagten erhobene Verfahrensrüge dringt nicht durch. Die Revision behauptet das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO. Am 26. Mai 2009 habe entgegen § 230 Abs. 1 StPO ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten stattgefunden. 1. Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde. Die Hauptverhandlung fand in der Zeit vom 21. April bis zum 22. Juli 2009 an zwölf Sitzungstagen statt. Auf den 26. Mai 2009 war die Fortsetzung der am 19. Mai unterbrochenen Hauptverhandlung bestimmt. In der Nacht zum Freitag, dem 22. Mai 2009, ver451 452
BGH, Beschl. v. 19.11.2009 – 4 StR 276/09. BGH, Urteil v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09.
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D. Strafprozessordnung
starb der Vater der Angeklagten und wurde schnellstens in die Türkei zur Beerdigung ausgeflogen. Die Angeklagte reiste ebenfalls dorthin. Darüber wurde der Verteidiger am Vormittag des 22. Mai 2009 telefonisch informiert, der seinerseits am Montag, dem 25. Mai 2009, den Strafkammervorsitzenden anrief und mitteilte, dass mit einem Erscheinen der Angeklagten in der Hauptverhandlung am 26. Mai 2009 voraussichtlich nicht zu rechnen sei. Näheres wisse er auch nicht. Der Strafkammervorsitzende lud daraufhin einen Sachverständigen, die Zeugen und den Dolmetscher ab. Am 25. Mai 2009 fand ab Mittag in der Osttürkei, etwa 1.000 km von Istanbul entfernt, die Beerdigung des Vaters der Angeklagten statt. Die Feierlichkeiten endeten gegen 19.00 Uhr. Am 26. Mai 2009 trat die Angeklagte um 4.00 Uhr die Rückreise an. Gegen 19.00 Uhr erreichte sie Stuttgart. Zum Hauptverhandlungstermin am 26. Mai 2009 war die Angeklagte deshalb nicht erschienen. Ihr Verteidiger gab dazu eine Erklärung ab. Der Beerdigungszeitpunkt war ihm nach wie vor unbekannt. Der Vorsitzende gab die vorsorglichen Abladungen bekannt. Anschließend geschah nach der Sitzungsniederschrift Folgendes: „Der Verteidiger stellte die als Anlage 1, 2, 3 und 4 dem heutigen Protokoll angeschlossenen Beweisanträge. Die Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft erklärten, sie wollten später zu diesen Anträgen Stellung nehmen. Die Vorschrift des § 257 wurde beachtet.“ Sodann unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung und bestimmte den Fortsetzungstermin auf den 9. Juni 2009. Der Termin währte von 09.01 Uhr bis 09.15 Uhr. Mit den – knapp begründeten – Beweisanträgen war die Vernehmung von insgesamt elf Zeugen beantragt worden zu folgenden Tatsachen: … . Die Strafkammer ging in den Folgeterminen allen Beweisanträgen – in Anwesenheit der Angeklagten – nach. Im Rahmen dieser Beweisaufnahme erklärte der Verteidiger am 23. Juni 2009 den Verzicht auf die Vernehmung von zwei der fünf in einem Beweisantrag benannten Zeugen. Einen Zeugen tauschte er aus. 2. Die Rüge ist unbegründet. § 338 Nr. 5 StPO bestimmt, dass ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Staatsanwalts oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Gemäß § 230 Abs. 1 StPO findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht statt. Die Anwesenheitspflicht soll dem Angeklagten nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern soll ihm auch „die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung, insbesondere durch Stellung von Anträgen auf Grund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung, sichern“ (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1960 – 4 StR 433/60, BGHSt 15, 263, 264). Außerdem soll dem Tatrichter im Interesse der Wahrheitsfindung ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermittelt werden. … Aber nur, wenn der Angeklagte in einem – im Hinblick auf die genannten Aspekte – wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend ist, begründet dies die Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 – 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 91). Denn § 338 StPO ist nicht anwendbar, wenn das Beruhen des Urteils auf dem Mangel denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1992 – 4 StR 250/92, BGHR StPO, § 338, Beruhen 1; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 338 Rn. 2; KK-Kuckein, StPO 6. Aufl. § 338 Rn. 5; Graf-Wiedner, StPO § 338 Rn. 4, jew. m.w.N.).
II. 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO
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Nicht jede Sachverhandlung, auf die es etwa zur Fristwahrung gemäß § 229 Abs. 1 StPO ankommt, wie die Verhandlung über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten (BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 1), die gerichtliche Entscheidung eines Ordnungsmittel- und Kostenbeschlusses gegen einen Zeugen oder die Entscheidung über etwaige Zwangsmaßnahmen gemäß § 51 StPO (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 338 Rn. 84), sind wesentliche Verhandlungsteile i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Die Entgegennahme von Beweisanträgen ist Sachverhandlung in diesem Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 5). Denn ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO liegt – im Hinblick auf einen Angeklagten – nicht vor, wenn denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass bezüglich des Prozessgeschehens in seiner Abwesenheit sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine prozessualen Mitgestaltungsrechte beeinträchtigt worden sind. Der Verhandlungsteil darf auch sonst das Ergebnis der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) nicht bestimmt haben können. Fehlt es an einem dieser Aspekte, liegt etwa eine Verletzung des Rechts auf Gehör vor, dann ist es bei dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO unerheblich, wenn gleichwohl im Nachhinein aus revisionsrechtlicher Sicht eine andere Entscheidung des Tatgerichts ausgeschlossen werden könnte, auch wenn die Angeklagte am fraglichen Teil des Verfahrens teilgenommen hätte. Danach waren die Erörterungen über die Abwesenheit der Angeklagten und die Information über die Abladungen zweifelsfrei unwesentlich i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Gegenteiliges behauptet auch die Revision nicht. Aber auch die Stellung der Beweisanträge am 26. Mai 2009 war im vorliegenden Fall nicht wesentlich im oben dargestellten Sinn. Beweisanträge zielen auf eine Beweiserhebung und zwingen das Gericht zu einer Entscheidung hierüber. Zur Wahrheitsfindung (vgl. Sander, NStZ 1996, 351) tragen die Anträge allein grundsätzlich noch nichts bei. So ist das jedenfalls – denknotwendig – im vorliegenden Fall. Eine Verhandlung über die Beweisanträge fand am 26. Mai 2009 nicht statt; sie wurden an diesem Tag auch nicht beschieden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. Mai 1993 – 4 StR 207/93 –, BGHR StPO § 231 Abs. 2, Abwesenheit, eigenmächtige 10). Eine Verletzung der Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Angeklagten, sowie ihres Rechts auf Gehör, kann im vorliegenden Fall ebenfalls denkgesetzlich ausgeschlossen werden. Die unter Beweis gestellten Tatsachen decken sich mit – einigen – von der Angeklagten zu ihrer Entlastung vorgebrachten Behauptungen. Die benannten Zeugen konnten dem Verteidiger nur von der Angeklagten oder in ihrem Auftrag genannt worden sein. Dass der Verteidiger die Beweisanträge alleine aufgrund seines eigenen Antragsrechts stellte, dass er die Angeklagte dabei übergangen haben könnte oder gar gegen deren Willen handelte, ist ausgeschlossen. Die Begründungen der Beweisanträge waren knapp und enthielten keinen zusätzlichen sachlichen Gehalt. Weitere Erklärungen wurden im Termin am 26. Mai 2009 nicht abgegeben. Der durch die Anträge veranlassten Beweisaufnahme wohnte die Angeklagte bei. Auch dadurch ist ein Informations- und Mitwirkungsdefizit der Angeklagten im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Dass die Abwesenheit der Angeklagten in dem 14-minütigen Termin am 26. Mai 2009, die Möglichkeit der Strafkammer, sich einen ausreichenden persönlichen Eindruck von der Angeklagten zu verschaffen, beeinträchtigt haben könnte, ist bei der insgesamt zwölftägigen Hauptverhandlung ebenfalls denkgesetzlich ausgeschlossen. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist damit nicht gegeben.
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D. Strafprozessordnung
Der Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO ist demgegenüber bei nachfolgender Konstellation gegeben: 1. Die Verhandlung über die Abtrennung eines (zunächst verbundenen) Verfahrens gegen einen Mitangeklagten ist ebenso wie der Schlussvortrag des Verteidigers des Mitangeklagten und dessen letztes Wort ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, bei dem der Pflichtverteidiger des Angeklagten anwesend zu sein hat. Eine in Abwesenheit eines bestellten oder gewählten Verteidigers des Angeklagten beschlossene Verfahrensabtrennung stellt einen absoluten Revisionsgrund i.S.d. § 338 Nr. 5 StPO dar.453 Bei einer Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten liegt ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO (in Hinblick auf den Angeklagten) nicht vor, wenn denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass bezüglich des Prozessgeschehens in seiner Abwesenheit sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine prozessualen Mitgestaltungsrechte beeinträchtigt worden sind. Der Verhandlungsteil darf auch sonst das Ergebnis der Hauptverhandlung nicht mitbestimmt haben können.454 § 338 Nr. 5 StPO bestimmt, dass ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Staatsanwalts oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Gemäß § 230 Abs. 1 StPO findet gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht statt. Die Anwesenheitspflicht soll dem Angeklagten nicht nur das rechtliche Gehör gewährleisten, sondern soll ihm auch „die Möglichkeit allseitiger und uneingeschränkter Verteidigung, insbesondere durch Stellung von Anträgen auf Grund des von ihm selbst wahrgenommenen Verlaufs der Hauptverhandlung, sichern“ (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1960 – 4 StR 433/60, BGHSt 15, 263, 264). Außerdem soll dem Tatrichter im Interesse der Wahrheitsfindung ein unmittelbarer Eindruck von der Person des Angeklagten, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermittelt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 – 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 90; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 230 Rn. 1), insbesondere auch im Hinblick auf die Strafzumessung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 – 2 BvR 136 u. 1447/05, Rn. 89). Aber nur, wenn der Angeklagte in einem – im Hinblick auf die genannten Aspekte – wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend ist, begründet dies die Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 1975 – 1 StR 107/74, BGHSt 26, 84, 91). Denn § 338 StPO ist nicht anwendbar, wenn das Beruhen des Urteils auf dem Mangel denkgesetzlich ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1992 – 4 StR 250/92, BGHR StPO, § 338, Beruhen 1; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 338 Rn. 2; KK-Kuckein, StPO 6. Aufl. § 338 Rn. 5; Graf-Wiedner, StPO § 338 Rn. 4, jew. m.w.N.). Nicht jede Sachverhandlung, auf die es etwa zur Fristwahrung gemäß § 229 Abs. 1 StPO ankommt, wie die Verhandlung über die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten (BGH, Urteil vom 14. März 1990 – 3 StR 109/89, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 1), die gerichtliche Entscheidung eines Ordnungsmittel- und Kostenbeschlusses gegen einen Zeugen oder die Entscheidung über etwaige Zwangsmaßnahmen gemäß § 51 StPO (vgl. Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 338 Rn. 84), sind wesentliche Verhand-
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BGH, Beschl. v. 13.4.2010 – 3 StR 24/10. BGH, Urteil v. 28.7.2010 – 1 StR 643/09.
II. 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO
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lungsteile i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Die Entgegennahme von Beweisanträgen ist Sachverhandlung in diesem Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99, BGHR StPO § 229 Abs. 1, Sachverhandlung 5). Denn ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO liegt – im Hinblick auf einen Angeklagten – nicht vor, wenn denkgesetzlich ausgeschlossen ist, dass bezüglich des Prozessgeschehens in seiner Abwesenheit sein Anspruch auf rechtliches Gehör sowie seine prozessualen Mitgestaltungsrechte beeinträchtigt worden sind. Der Verhandlungsteil darf auch sonst das Ergebnis der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) nicht bestimmt haben können. Fehlt es an einem dieser Aspekte, liegt etwa eine Verletzung des Rechts auf Gehör vor, dann ist es bei dem absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO unerheblich, wenn gleichwohl im Nachhinein aus revisionsrechtlicher Sicht eine andere Entscheidung des Tatgerichts ausgeschlossen werden könnte, auch wenn die Angeklagte am fraglichen Teil des Verfahrens teilgenommen hätte. Danach waren die Erörterungen über die Abwesenheit der Angeklagten und die Information über die Abladungen zweifelsfrei unwesentlich i.S.v. § 338 Nr. 5 StPO. Gegenteiliges behauptet auch die Revision nicht. Aber auch die Stellung der Beweisanträge am 26. Mai 2009 war im vorliegenden Fall nicht wesentlich im oben dargestellten Sinn. Beweisanträge zielen auf eine Beweiserhebung und zwingen das Gericht zu einer Entscheidung hierüber. Zur Wahrheitsfindung (vgl. Sander, NStZ 1996, 351) tragen die Anträge allein grundsätzlich noch nichts bei. So ist das jedenfalls – denknotwendig – im vorliegenden Fall. Eine Verhandlung über die Beweisanträge fand am 26. Mai 2009 nicht statt; sie wurden an diesem Tag auch nicht beschieden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. Mai 1993 – 4 StR 207/93 –, BGHR StPO § 231 Abs. 2, Abwesenheit, eigenmächtige 10). Eine Verletzung der Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Angeklagten, sowie ihres Rechts auf Gehör, kann im vorliegenden Fall ebenfalls denkgesetzlich ausgeschlossen werden. PRAXISTIPP ■
Wie sich aus den vorgenannten Entscheidungen ablesen lässt, ist die Rechtsprechung zu § 338 Nr. 5 StPO nicht einfach in Worte zu fassen. Zwar gilt als Grundsatz weiter, dass ein Verstoß vorliegt, wenn der Angeklagte bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung abwesend war; wann solch ein wesentlicher Teil gegeben ist, lässt sich eher nur durch einen Vergleich mit den bisher entschiedenen Sachverhalten feststellen. Auf jeden Fall ist einem Gericht zu raten, möglichst sämtliche Prozessteile zu wiederholen oder zumindest den Angeklagten umfassend über die Geschehnisse zu informieren und ihm in Augenschein genommene Beweismittel zur Kenntnis-/Stellungnahme vorzulegen, damit insoweit eventuelle Mängel des Verfahrens geheilt werden. Das Gericht sollte es nicht auf die ungewisse Entscheidung eines Revisionsgerichts ankommen lassen!
d) § 338 Nr. 7 StPO 1. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO ist gegeben, weil das Urteil innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO bezeichneten Frist nicht vollständig zu den Akten gebracht worden ist. Ein vollständiges schriftliches Urteil liegt erst dann
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vor, wenn sämtliche an ihm beteiligten Berufsrichter seinen Inhalt gebilligt und dies mit ihrer Unterschrift bestätigt haben. Die Vorsitzende der Strafkammer hat das Urteil nicht unterschrieben, es trägt lediglich die Unterschrift der beisitzenden Richterin. Da die fehlende Unterschrift auch nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO nachgeholt wurde, ist das Urteil nicht fristgerecht zur Akte gebracht worden (Rn. 2). 2. Daran ändert auch nichts, dass die Vorsitzende noch innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO auf der Rückseite des Urteils die Ausfertigung des Urteils und dessen Zustellung an die Verfahrensbeteiligten angeordnet und diese Verfügung unterschrieben hat. Das in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO formulierte Gebot, dass das Urteil von den mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben ist, lässt es nicht zu, dass die den Urteilstext abschließende Unterschrift durch eine an anderer Stelle der Akte befindliche Unterschrift des mitwirkenden Richters ersetzt wird. Durch die unter die Zustellverfügung gesetzte Unterschrift übernimmt die Richterin nicht zweifelsfrei die Verantwortung für den Inhalt des in der Akte befindlichen, an der vorgesehenen Stelle aber nicht von ihr unterschriebenen Urteils.455 ■ PRAXISHINWEIS
Die vorliegende Entscheidung zeigt, dass die Voraussetzungen, unter denen ein Urteil als zu den Akten gebracht anzusehen ist, allein formal ausgelegt werden; denn ansonsten hätte aus dem Umstand, dass die Vorsitzende die Begleitverfügung unterschrieben hat, ohne Zweifel auf deren Willen geschlossen werden können, auch die Verantwortung für den Urteilsinhalt zu übernehmen! Siehe auch die nachfolgende Entscheidung. 459
Selbst eine sehr sorgfältige Begründung des Urteils hilft bei einer Fristüberschreitung regelmäßig nicht weiter. Im Übrigen sind nicht allein der Vorsitzende, sondern auch die weiteren berufsrichterlichen Mitglieder für die Einhaltung der Urteilsabsetzungsfrist verantwortlich.456 „Die verspätete Absetzung des Urteils beruht maßgeblich auf einem Irrtum über die Dauer der Hauptverhandlung; dies kann eine Überschreitung der Frist nicht rechtfertigen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 204–205; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1985, 207). Die bei dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter aufgetretenen gesundheitlichen Probleme rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insoweit gilt Folgendes: Aus dem Schreiben des Präsidenten des Landgerichts Neuruppin vom 17. August 2010 geht hervor, dass der Vorsitzende Richter in der Zeit vom 28. Juni bis zum 2. Juli 2010 und der Berichterstatter in der Zeit vom 18. Juni bis 21. Juni 2010 dienstunfähig erkrankt waren. Angesichts der den dienstlichen Äußerungen zu entnehmenden gesundheitlichen Probleme des Berichterstatters und der ,Vereinbarung‘ zwischen Vorsitzenden und Berichterstatter, der Vorsitzende werde‚ ,einen Großteil der Arbeit bei der Abfassung des Urteils in vorliegender Sache selbst übernehmen‘, bestand für den Kammervorsitzenden besonderer Anlass, darauf zu achten, dass die rechtzeitige Abfassung der Urteilsgründe gesichert war. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Vorsitzende einen Unfall an der Hand erlitt, musste er dafür sorgen, dass die rechtzeitige Abfassung der Urteils-
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BGH, Beschl. v. 1.4.2010 – 3 StR 30/10. BGH, Beschl. v. 9.12.2010 – 5 StR 485/10.
II. 26. Revisionsrügen nach § 338 StPO
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gründe gesichert ist (vgl. Senat in BGHR StPO § 338 Nr. 7 Fristüberschreitung 1; BGH StV 1982, 105; NStZ 1982, 80). Dabei ist zu beachten, dass nicht nur der Berichterstatter, sondern alle berufsrichterlichen Mitglieder des Spruchkörpers für eine Einhaltung der Frist nach § 275 Abs. 1 StPO verantwortlich sind. Das Urteil muss deshalb, notfalls durch den zweiten beisitzenden Richter, abgefasst und fertig gestellt werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn nach den Geschäftsverhältnissen des Spruchkörpers und der Belastung seiner Mitglieder diesen das nicht möglich und zumutbar ist (vgl. BGHSt 26, 247, 249). Anhaltspunkte dafür sind den vorliegenden dienstlichen Äußerungen nicht zu entnehmen. Im Übrigen hätten auch andere Dienstgeschäfte des Berichterstatters, etwa auch die Teilnahme an einer Hauptverhandlung, zur rechtzeitigen Abfassung des Urteils zurücktreten müssen (vgl. BGH NStZ 1982, 519). Die Frist war verstrichen als das Urteil am Dienstag, den 20. Juli 2010 bei der Geschäftsstelle einging. Das Überschreiten der in § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 StPO bezeichneten Fristen begründet einen absoluten Revisionsgrund (§ 338 Nr. 7 StPO). Dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen kann, ist demgegenüber ohne Bedeutung.“
Die von einem versetzten Richter behauptete überlastungsbedingte Verhinderung ist nicht ohne weiteres hinzunehmen. Vielmehr ist seine Mitwirkung an der Fertigstellung des Urteils ein unaufschiebbares Dienstgeschäft. Notfalls hätte der Vorsitzende über die Justizverwaltung auf eine Entlastung des Richters hinwirken können, die diesem eine Mitwirkung an der Urteilsabfassung ermöglicht hätte.457 Zu Recht rügen die Beschwerdeführer den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO, weil die gesetzliche Frist von fünf Wochen, in der das vollständige Urteil zu den Akten gebracht werden muss, nicht eingehalten worden ist (§ 275 Abs. 1 Satz 2 StPO). I. Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde: An der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Kassel nahmen als berufsrichterliche Mitglieder der Vorsitzende Richter am Landgericht D., der Richter am Landgericht B. als Berichterstatter und der Richter S. teil. Das – am 17. Februar 2010 verkündete – schriftliche Urteil ist zwar bereits am 11. März 2010 und damit vor Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist am 24. März 2010 bei der Geschäftsstelle eingegangen. Es war jedoch nicht vollständig, weil es nur von zwei Berufsrichtern, dem Vorsitzenden und dem Berichterstatter, unterzeichnet worden ist. Die Unterschrift des weiteren Beisitzers hat der Vorsitzende durch den Vermerk ersetzt: „Richter S. ist nicht mehr am Landgericht tätig und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert“. Damit war – wie die Revision zutreffend rügt – die Verhinderung des dritten Richters nicht hinreichend dargetan. Aus dem Vermerk ergibt sich nämlich nicht, ob der Richter S. aus rechtlichen Gründen – etwa wegen Ausscheidens aus dem Justizdienst – oder aber aus tatsächlichen Gründen – etwa wegen einer Versetzung – an der Unterschriftsleistung gehindert war. In Ansehung dessen hat der Vorsitzende auf die dies rügenden Revisionsbegründungen eine dienstliche Stellungnahme abgegeben, in der er ausgeführt hat, der zweite Beisitzer S. sei seit dem 1. März 2010 an das Amtsgericht Bad Arolsen versetzt gewesen. Nach Fertigstellung des Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter am 5. März 2010 und nach Durchsicht des Urteils durch ihn selbst am 10. März 2010 habe er jeweils bei S. angerufen. Dieser habe ihm mitgeteilt, infolge Arbeitsüberlastung beim Amtsgericht und wegen eines noch abzusetzenden umfangreichen Schwurgerichtsurteils bis zum Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist nicht zur Lektüre des Urteils und zur Unterschrift in der Lage zu sein. Weil ihm ein weiteres Zuwarten bis zum Ende der Absetzungsfrist sinnlos erschienen sei und weil es sich
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BGH, Beschl. v. 27.10.2010 – 2 StR 331/10.
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zudem hinsichtlich eines nicht revidierenden Mittäters um eine Haftsache gehandelt habe, habe er einen entsprechenden Verhinderungsvermerk betreffend den Richter S. angebracht. II. Ausweislich dieser dienstlichen Erklärung hielt der Vorsitzende den Richter S. aus tatsächlichen Gründen für an der Unterschriftsleistung gehindert. Dies war hier auch in Anbetracht des einem Vorsitzenden insoweit zustehenden gewissen Beurteilungsspielraums (vgl. dazu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, 25. Aufl. § 275 Rn. 49 m.w.N.) rechtsfehlerhaft: Zwar kann die Versetzung an ein anderes Gericht – wie hier die Versetzung an das Amtsgericht Bad Arolsen – im Einzelfall der Unterzeichnung des Urteils entgegenstehen (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 1 und 3; BGH NStZ-RR 1999, 46; 2003, 288 [B] sowie Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 275 Rn. 23). Auch kann die Überlastung mit anderen Dienstgeschäften grundsätzlich einen Verhinderungsgrund darstellen (Meyer-Goßner aaO Rn. 22 m.w.N.). Voraussetzung ist aber stets, dass sich der Vorsitzende ernsthaft darum bemüht hat, dem in § 275 Abs. 2 Satz 1 StPO formulierten Gebot, dass das Urteil von allen mitwirkenden Berufsrichtern zu unterschreiben ist, Geltung zu verschaffen. Bei der Unterzeichnung eines Strafurteils handelt es sich nämlich um ein dringliches unaufschiebbares Dienstgeschäft, weshalb der Vorsitzende verpflichtet ist, rechtzeitig organisatorische Vorsorge für die Erfüllung dieser Pflicht zu treffen (BGH NStZ 2006, 586). Hier kommt hinzu, dass der Schuldspruch nach Bestätigung durch den Bundesgerichtshof bereits feststand. Die Urteilsgründe umfassten zwar 113 Seiten, wovon allerdings 3 1/2 Seiten auf das Rubrum entfielen und 87 Seiten lediglich ein Abdruck der rechtskräftigen Feststellungen des ersten Durchgangs waren. Weitere 11 Seiten entfallen auf wörtliche Wiedergaben der Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten, die bereits im ersten Urteil enthalten waren. Die neue Beweiswürdigung umfasst 3 1/2 Seiten, die Strafzumessung für die drei nicht rechtskräftig Verurteilten insgesamt 5 Seiten. Die substantiell neuen Teile der Urteilsgründe umfassten somit insgesamt weniger als 10 Seiten. Vor diesem Hintergrund hätte der Vorsitzende in dem Zeitraum zwischen Urteilsverkündung am 17. Februar 2010 bis zur Umsetzung des Proberichters am 1. März 2010 Absprachen mit diesem zur Sicherstellung der Unterschriftsleistung treffen müssen, was auch dem Beschleunigungsgebot in idealer Weise Rechnung getragen hätte. Jedenfalls aber hätte er nach Fertigstellung des Urteilsentwurfs durch den Berichterstatter die von dem Proberichter behauptete überlastungsbedingte Verhinderung nicht ohne weiteres hinnehmen dürfen, sondern die behauptete dienstliche Belastung oder Tätigkeit des Proberichters im Hinblick darauf bewerten und gewichten müssen, dass es sich bei der Mitwirkung an der Fertigstellung des Urteils um ein unaufschiebbares Dienstgeschäft handelte. So ist es schlechterdings unvorstellbar, dass der an das Amtsgericht versetzte Richter in dem gesamten Zeitraum gegenüber seiner Pflicht zur Mitwirkung an der Urteilsabfassung vorrangige Dienstgeschäfte wahrzunehmen hatte. Im Ergebnis dieser Überprüfung hätte der Vorsitzende gegenüber dem umgesetzten Richter der Lektüre und Unterzeichnung des Urteilsentwurfs innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit bis zum 24. März 2010 höheres Gewicht geben müssen; gegebenenfalls hätte er dem Richter einen Urteilsentwurf auch bereits am 5. März 2010 per Fax oder E-Mail zuleiten können, damit diesem ein noch größerer Bearbeitungszeitraum zur Verfügung gestanden hätte. Wenn eine Überprüfung nach diesem Maßstab tatsächlich eine permanente Überbelastung des Proberichters mit dringlicheren Dienstgeschäften ergeben hätte, hätte der Vorsitzende über die Justizverwaltung auf eine Entlastung des Proberichters hinwirken können, die diesem eine Mitwirkung an der Urteilsabfassung ermöglicht hätte. Aus dem Vermerk des Vorsitzenden ergibt sich, dass er den Maßstab für die Beurteilung der Verhinderung, der sich an der Bedeutung der Mitwirkung der beteiligten Berufsrichter an der Fassung der Urteilsgründe orientiert, verkannt hat.
II. 27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung
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Die Aufhebung des Urteils wegen des Verfahrensmangels erstreckt sich nicht auf den Mitangeklagten C., der die Rüge nicht erhoben hat (vgl. BGHSt 17, 176, 179). PRAXISTIPP ■
In Revisionsschriftsätzen findet sich nicht selten die nicht näher belegte Rüge, das Urteil sei zu spät zur Geschäftsstelle gelangt. Die vorliegende Rüge war demgegenüber durchaus belegt und bereits deswegen begründet, weil ein Richter kaum nachvollziehbar belegen kann, er sei wegen Überlastung auf einer neuen Stelle nicht in der Lage, fristgemäß ein Urteil zu lesen und zu unterschreiben. Die Entscheidung zeigt zugleich, dass es nachteilig sein kann, wenn nicht alle Verteidiger insoweit sorgfältig diesen Fragen nachgehen und damit einen Revisionsgrund „übersehen“, wobei dies möglicherweise aber auch beabsichtigt gewesen sein mag.
27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung Mangels Auffindens von Verfahrensfehlern wird immer wieder versucht, Fehler in der Beweiswürdigung des tatrichterlichen Urteils zu rügen. Allerdings sind solche Angriffe nur selten erfolgreich; meist handelt es sich dabei um den unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch eine eigene zu ersetzen. Die Entscheidung vom 12.5.2010 458 belegt nahezu beispielhaft, weshalb eine staatsanwaltschaftliche Revision mit diesem Angriffsziel keinen Erfolg haben konnte: … Aus diesem Grund hat das Landgericht nicht nur die Tatbestände des Mordes oder des Totschlags sowie der Verabreichung von Betäubungsmitteln mit Todesfolge als nicht bewiesen angesehen, sondern in Anwendung des Zweifelssatzes auch die Tatbestände der (versuchten) Strafvereitelung sowie der unterlassenen Hilfeleistung ausgeschlossen, da insoweit eine Wahlfeststellung mit vorsätzlichen Tötungsdelikten ausscheide. 2. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet und vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist unbegründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. a) Die allgemeinen Anforderungen an die Begründung eines freisprechenden Urteils (vgl. BGHSt 37, 21, 22; BGH NStZ-RR 2008, 206, 207; Senatsurt. v. 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 [Rdn. 14]) sind ersichtlich erfüllt. Das Landgericht hat die von ihm als möglich angesehenen Feststellungen im Einzelnen dargestellt und sich in einer 35 Seiten umfassenden, ausführlichen Beweiswürdigung mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme auseinandergesetzt. Dabei sind insbesondere die (früheren) Einlassungen des – in der neuen Hauptverhandlung zur Sache schweigenden – Angeklagten sowie die zahlreichen wechselnden und sich widersprechenden Aussagen des früheren Mitangeklagten M. ausführlich dargestellt und im Einzelnen gewürdigt. Im Einzelnen erörtert sind namentlich auch die Protokolle der Aufzeichnungen über Gespräche M.s mit Mithäftlingen in seiner Haftzelle. Die Schlussfolgerung des Landgerichts,
458
BGH, Urteil v. 12.5.2010 – 2 StR 46/10; vgl. zu dieser Frage auch BGH, Beschl. v. 14.1. 2010 – 5 StR 435/09.
461
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aus ihnen sowie aus früheren belastenden Aussagen des Zeugen M. ergebe sich kein hinreichend sicherer Nachweis einer Beteiligung des Angeklagten an der Tötung von R., ist jedenfalls vertretbar und weist keinen Rechtsfehler auf. Bemerkenswert ist vielmehr die Feststellung, dass dem früheren Urteil zugrunde gelegte, angeblich aufgezeichnete Äußerungen des Zeugen M. („Mir kann man nichts beweisen. Ich ficke sie alle; die Kriminalistik ist heute noch nicht so weit, mir das nachzuweisen“) sich auf den Tonaufzeichnungen in dieser Form tatsächlich gar nicht fanden (UA. S. 16). b) Die Revision rügt, die Beweiswürdigung widerspreche den „Natur- und Denkgesetzen“. Diese Rüge bezieht sich auf die Beweiswürdigung des Landgerichts, wonach nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt sei, dass dem Getöteten vor Verabreichung der tödlichen Heroindosis Stromschläge im Gesicht zugefügt wurden. Verstöße gegen die Denkgesetze sind in der Beweiswürdigung des Landgerichts allerdings nicht erkennbar; die Revision hat auch nicht erläutert, wo sie logische Fehler sieht. Mit dem gerügten „Verstoß gegen die Naturgesetze“ ist offenbar gemeint, dass sich das Beweisergebnis des Landgerichts mit gesicherten Erkenntnissen der Naturwissenschaften nicht vereinbaren lasse. Auch insoweit zeigt die Revision aber keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat sich, nach Vernehmung mehrerer Sachverständiger, mit den Feststellungen des Obduktionsbefunds sowie mit den Tatortfeststellungen eingehend auseinander gesetzt. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich entgegen der Annahme der Sachverständigen Dr. A. weder sicher feststellen lasse, dass es sich bei den Hautmarken um Verletzungen durch Stromeinwirkung handelte, noch dass diese Verletzungen dem Getöteten vor seinem Tod zugefügt wurden. Diese Beweiswürdigung lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe nahe liegende Möglichkeiten (hier: eines anderen als der vom Sachverständigen H.-H. erörterten Stromleiter) übersehen, kann dies schon aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung solcher Alternativen im Urteil (UA S. 38) ausgeschlossen werden. Im Übrigen wäre es auf diese Indiztatsache auch nicht entscheidend angekommen, weil das Landgericht schon nicht sicher feststellen konnte, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tötung des Geschädigten überhaupt anwesend war (vgl. UA S. 8, 37). Soweit das Landgericht sich zusätzlich auf die Erwägungen stützt, eine „Betäubung“ mittels Strom sei für die Täter gänzlich unkalkulierbar und daher wenig nahe liegend gewesen; überdies sei es auch nicht ersichtlich, wieso man das heroinabhängige Opfer hätte auf gewaltsame Weise betäuben müssen, bevor dieses sich eine (nicht erkennbare) Überdosis injizierte oder injizieren ließ, sind diese Argumente ersichtlich nicht fern liegend. Schlussfolgerungen des Tatrichters bei der Beweiswürdigung müssen aber nicht zwingend sein; es reicht aus, dass sie möglich sind und auf rechtsfehlerfreier Grundlage beruhen. Das ist hier der Fall. c) Soweit die Revision des Weiteren rügt, die landgerichtliche Beweiswürdigung sei einseitig, lasse eine Gesamtwürdigung vermissen und berücksichtige nicht alle Möglichkeiten, liegt diesen Rügen im Wesentlichen nur eine eigene, abweichende Beweiswürdigung der Revisionsführerin zugrunde, die Rechtsfehler des angefochtenen Urteils nicht aufzeigt. So ist etwa unzutreffend, das Landgericht habe von den Feststellungen der Sachverständigen Dr. A. „ausgehen müssen“, es handle sich bei den Hautverletzungen im Gesicht der Leiche um Strommarken. Das Landgericht hat im Einzelnen dargelegt (UA S. 37 bis 41), warum es dieser Sachverständigen insoweit nicht folgen wolle (vgl. oben b). Das Landgericht hat auch keine nahe liegenden Möglichkeiten unerörtert gelassen. Die Revision selbst führt, von der Frage eines möglichen anderen Stromleiters abgesehen, solche Möglichkeiten nicht an; auch insoweit irrt sie freilich (vgl. oben b). Dass der Tatablauf selbst
II. 27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung
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sowie die Beteiligung des Angeklagten daran möglicherweise anders als festgestellt stattgefunden haben, hat das Landgericht nicht übersehen; es vermochte sich aber in Anwendung des Zweifelssatzes hiervon nicht sicher zu überzeugen. Dabei hat der Tatrichter auch keinen unzutreffenden Maßstab für die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit zugrunde gelegt. Das Landgericht hat nicht etwa angenommen, nur bei Ausschluss jeder anderen Möglichkeit sei eine Verurteilung möglich; aus den Urteilsgründen lässt sich auch nicht erkennen, das Landgericht habe übertriebene Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt. Soweit der Tatrichter in einzelnen Fragen zugunsten des Angeklagten Annahmen zugrunde gelegt hat, die zweifelhaft erscheinen können – etwa, es sei nicht hinreichend sicher festzustellen, ob der Angeklagte sich zum Zeitpunkt der tödlichen Injektion bei den anderen Beteiligten befand –, hatten diese Erwägungen für das Gesamtergebnis der Beweiswürdigung kein ausschlaggebendes Gewicht. Schließlich kann auch das Fehlen einer hinreichenden Gesamtwürdigung nicht festgestellt werden. Dagegen spricht zunächst schon, dass das Landgericht ausdrücklich darauf hingewiesen hat, eine zur Verurteilung hinreichende Überzeugung ergebe sich „auch in der Zusammenschau der genannten Indizien“ nicht (UA S. 46). Die Revision zeigt auch nicht auf, welche Gesichtspunkte – außer den von ihr selbst in Abweichung vom Tatrichter für erwiesen angesehenen Umständen – in diese Gesamtwürdigung zusätzlich noch hätten eingestellt werden sollen. Das Landgericht hat die den Angeklagten belastenden Umstände nicht übersehen. Außer den Feststellungen, dass er bei der Tat (möglicherweise) anwesend war, sich nach der Tat (sicher) an Verschleierungsmaßnahmen beteiligte und zeitweise von dem (vom Landgericht als vollständig unglaubhaft angesehenen) Haupttäter M. belastet wurde, sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die einer weiteren „Gesamtwürdigung“ hätten unterzogen werden sollen. Das Landgericht hat seiner zusammenfassenden Würdigung (UA S. 46) diese Umstände ebenso zugrunde gelegt wie eine Vielzahl entlastender Umstände, die in den Urteilsgründen im Einzelnen aufgeführt und gewürdigt sind (UA S. 37 bis 45). Es ist daher nicht ersichtlich, welche weitere Gesamtwürdigung die Revision vermisst.
Eine fehlerhafte Beweiswürdigung liegt auch der Beschlussentscheidung vom 27.4. 2010 zugrunde:459 3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweislage stellte – wessen sich das Landgericht im Grundsatz bewusst ist – wegen des Vorliegens einer Konstellation „Aussage-gegen-Aussage“ besondere Anforderungen an die tatgerichtliche Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13, 23; jeweils m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es ist eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände erforderlich. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts ungeachtet des sie stützenden Sachverständigengutachtens nicht gerecht. a) Zu Recht beanstandet die Revision, dass sich das Urteil nicht zu den Umständen verhält, unter denen die Nebenklägerin den Angeklagten angezeigt hat. Im Urteil werden zwar die Aussagen von der Nebenklägerin nahe stehenden Zeugen wiedergegeben, denen sie in Andeutungen oder in allgemeiner Form von dem Missbrauch durch den Angeklagten erzählt hat. Danach hat sie erstmalig im Alter von 15 Jahren gegenüber ihrem damaligen Freund, dem Zeugen Kl., Andeutungen über das Vorgefallene gemacht. Später hat sie 459
BGH, Beschl. v. 27.4.2010 – 5 StR 127/10; vgl. auch Beschl. v. 19.8.2010 – 3 StR 313/10.
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ihrem Ehemann, von dem sie mittlerweile geschieden ist, ihrer Mutter und ihrem leiblichen Vater von dem Missbrauch erzählt, ohne indes auf Einzelheiten einzugehen. Eine Anzeigeerstattung hat sie jedoch zunächst mehrfach abgelehnt. Was die Nebenklägerin, die seit der Trennung ihrer Mutter von dem Angeklagten keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, indes veranlasste, die Taten „fast zwölf Jahre nach der Trennung“ (UA S. 14) anzuzeigen, wird nicht mitgeteilt. Dies wäre insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Sachverständige zwischen polizeilicher Aussage, Exploration und Aussage in der Hauptverhandlung eine „große Detailabnahme“ (UA S. 14) festgestellt hat. Diese hat sie letztlich auf eine Veränderung der Aussagemotivation zurückgeführt: .. c) Anhand der Urteilsgründe ist darüber hinaus auch die Bewertung nicht nachzuvollziehen, in der Hauptverhandlung seien „noch zahlreiche, zum Teil ungewöhnliche Details“ (UA S. 17, 14) zu erkennen gewesen. Allein für die erste Tat mag dies noch gelten. Bei den drei folgenden Taten sind die sexuellen Handlungen selbst ohne weitere Details, sich gleichförmig wiederholend beschrieben. Ungewöhnlich ist allerdings die Verknüpfung des sexuellen Missbrauchs mit Bestrafungssituationen, die insbesondere in den Fällen 3 und 4 für sich authentisch beschrieben sind. Die Schilderungen der Bestrafungssituationen als solche sind indes als Realitätskriterium wenig brauchbar, da es auch nach der Einlassung des Angeklagten zu solchen Situationen gekommen ist, in denen allerdings kein Missbrauch stattgefunden habe. d) Die Strafkammer wertet in Übereinstimmung mit der Sachverständigen gerade das ungewöhnliche Detail der Verknüpfung des Missbrauchs mit der Strafe als Realitätskriterium, ohne sich – worauf die Revision zu Recht hinweist – mit der psychologischen Plausibilität dieser Verknüpfung beweiswürdigend zu befassen. … e) Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin stützt sich die Strafkammer auch auf den Eindruck, den sie von der Persönlichkeit der Zeugin gewonnen hat. „Die Zeugin vermochte während ihrer ganzen Vernehmung vor der Kammer kaum aufzublicken, hat geweint und fühlte sich in ihrer Rolle sichtlich unwohl. Einige Details gab sie erst auf mehrfache Nachfrage preis“ (UA S. 15). Dabei setzt sich die Strafkammer nicht mit möglichen Alternativerklärungen dieses auffälligen Aussageverhaltens auseinander. … f) Schließlich hat sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt, dass in einem Zeitraum, der als Tatzeitraum für die Taten 3 und 4 („als A. zwölf Jahre alt war“, UA S. 4) grundsätzlich in Frage kommt, der Sohn des Angeklagten („einige Monate vor der Trennung der Zeugin S. von dem Angeklagten“, UA S. 13) bei diesem eingezogen ist und das Zimmer mit der Nebenklägerin geteilt hat. Da die Taten jeweils im Kinderzimmer der Nebenklägerin stattgefunden haben sollen, wäre ein beweiswürdigendes Eingehen auf diesen Umstand erforderlich gewesen. 4. Nach alldem kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob angesichts der psychischen Auffälligkeiten der Nebenklägerin, die den Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung begründen, zur Begutachtung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage auch die Zuziehung eines Psychiaters veranlasst erscheint. …
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Fehlerhaft war auch die Beweiswürdigung hinsichtlich des Freispruchs, welcher durch Urteil vom 12.8.2010 460 aufgehoben wurde: 2. Das Landgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Gr. heimtückisch und aus Habgier auf den Nebenkläger geschossen hat; einen Rücktritt hat es verneint, weil der Angeklagte Gr. nicht freiwillig von der weiteren Tatausführung Abstand genommen habe.
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BGH, Urteil v. 12.8.2010 – 4 StR 147/10.
II. 27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung
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Es hat sich aber nicht davon überzeugen können, dass der die Tat bestreitende Angeklagte G. den Auftrag gegeben hat, den Nebenkläger zu töten. Möglicherweise habe der Angeklagte Gr. die Tat aus eigenem Antrieb begangen, um den Nebenkläger auszurauben. … III. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers haben Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH, Urteil vom 14. August 1996 – 3 StR 183/96, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. 2. Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht. Die Erwägungen des Landgerichts zu den Umständen, die nach seiner Auffassung Zweifel an einer Auftragserteilung des Angeklagten G. an den Angeklagten Gr. begründen, lassen im Hinblick auf die den Angeklagten belastenden Beweisergebnisse besorgen, dass es überspannte Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Das Landgericht hat sich mehrfach nicht in der Lage gesehen, Feststellungen zu treffen, die es nach den Gesamtumständen als sehr wahrscheinlich angesehen hat, weil es andere Möglichkeiten und Erklärungen der Angeklagten, die es selbst als „eher fern liegend“, „nicht völlig fern liegend“, „nicht sehr plausibel“, „wenig nachvollziehbar“ u.ä. angesehen hat, letztlich nicht auszuschließen vermochte. Dies gilt insbesondere für die Erwägungen, die das Landgericht zu den Kontakten zwischen den Angeklagten vor und nach der Tat angestellt hat. Für die Annahme, die zahlreichen Kontakte zwischen beiden Angeklagten vor der Tat könnten der Vermittlung von Fleischgeschäften nach Polen oder Russland gedient haben, fehlen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte. Dies lässt besorgen, dass das Landgericht den Einlassungen der Angeklagten gefolgt ist, obwohl die festgestellten Umstände eher gegen eine Vermittlungstätigkeit des Angeklagten Gr. sprechen: der Angeklagte Gr. verstand vom Vieh- und Fleischhandel gar nichts (UA S. 45). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass er Kontakte zu Unternehmen der Fleischbranche in Polen oder Russland hatte, zumal er in den letzten Jahren in Deutschland gelebt und mit dem Betrieb einer Diskothek und eines Bordells Geld zu verdienen versucht hatte. Soweit sich in den Urteilsgründen die Feststellung findet, mindestens ein vom Angeklagten Gr. vermittelter Fleischverkauf an die in Krakau ansässige Firma N. sei schließlich Anfang 2009 auch zustande gekommen (UA S. 17), ist eine vermittelnde Tätigkeit Gr. s in der Beweiswürdigung (UA S. 45) nicht belegt. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang auch nicht erkennbar gewürdigt, dass die insgesamt 30 Telefongespräche zwischen den Angeklagten vor der Tat nur jeweils maxi-
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D. Strafprozessordnung
mal 171 Sekunden gedauert haben, was gegen eine Erörterung von Fleischgeschäften sprechen könnte. Das Landgericht hat zwar durchaus gesehen, dass der Anruf des Angeklagten Gr. beim Angeklagten G. etwa eine Stunde nach der Tat, das Treffen am Nachmittag des Folgetages, zu dem der Angeklagte Gr. aus Polen zurückgekehrt war, und die weiteren telefonischen Kontakte am Tattag und in den Folgetagen in erheblichem Maße für eine Tatbeteiligung des Angeklagten G. sprechen. Es hat aber auch insoweit die Einlassungen der Angeklagten als „nicht derart unplausibel und fern liegend“ angesehen, dass es sie für „gänzlich unwahrscheinlich“ gehalten hätte. Tragfähige tatsächliche Umstände, weshalb das Landgericht zu dieser Einschätzung gelangt ist, teilen die Urteilsgründe jedoch nicht mit, lediglich allgemeine Mutmaßungen. Der Angeklagte Gr. hatte sich dahin eingelassen, er habe bei den Telefonaten am Morgen und Abend des Tattages sowie am Vormittag des Folgetages auf ein Treffen gedrängt, weil er das für die beabsichtigte Flucht aus Deutschland benötigte Geld von dem Angeklagten G., der nicht sein Auftraggeber gewesen sei, habe haben wollen, ohne G. dabei vom Zweck des Treffens zu unterrichten. Obwohl das Landgericht diese Einlassung aus verschiedenen Gründen für „weniger plausibel“ hält und ausführt, dass ein anderer Grund als eine Übergabe des (Rest)Honorars für die Notwendigkeit des Treffens nicht ersichtlich sei (UA S. 46), hat es den von den Angeklagten geschilderten Ablauf mit verschiedenen Erwägungen zur Fraglichkeit einer Honorarzahlung für eine „misslungene Tat“ und dem Risiko der Beteiligten dennoch nicht ausgeschlossen. Diese Erwägungen sind jedoch schon deshalb lückenhaft, weil das Landgericht nicht erörtert hat, dass es dem Angeklagten Gr. auch ohne „Fluchtgeld“ bereits gelungen war, sich nach Polen abzusetzen, und er am Folgetag nur für das – für beide Seiten mit einem erheblichen Risiko verbundene – Treffen mit dem Angeklagten G. zurückkehrte. Im Übrigen wäre die Einlassung auch dann anders zu bewerten, wenn sich die zahlreichen Kontakte zwischen den Angeklagten vor der Tat nicht auf die Vermittlung von Fleischgeschäften bezogen, was das Landgericht mit nicht tragfähiger Begründung für möglich gehalten hat. Es ist nicht auszuschließen, dass der Freispruch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
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Insgesamt kann sich der Tatrichter bei einem Freispruch keinesfalls darauf beschränken, im Urteil nur darzustellen, weshalb der Nachweis der Tat nicht zu führen war; denn zunächst ist er gehalten mitzuteilen, welche Tatsachen festgestellt wurden, die für eine Tatbegehung durch den Angeklagten sprechen.461 Spricht aber der Tatrichter den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss er in den Urteilsgründen zunächst den Anklagevorwurf, hieran anschließend die hierzu getroffenen Feststellungen, dann die wesentlichen Beweisgründe und schließlich seine rechtlichen Erwägungen mitteilen. Der Tatrichter muss also zunächst diejenigen Tatsachen bezeichnen, die er für erwiesen hält, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen er die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10, 13 jeweils m.w.N.; BGH NStZ 2009, 512, 513; zum Aufbau eines freisprechenden Urteils Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 28. Aufl. Rdn. 619 ff.). Hier sind die Freisprüche – weil tatsächliche Feststellungen nicht ausgewiesen sind – aus den Urteilsgründen selbst heraus nicht nachvollziehbar und nicht überprüfbar.
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BGH, Urteil v. 3.3.2010 – 2 StR 427/09.
II. 27. Angriffe gegen die Beweiswürdigung
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Die Beweiswürdigung enthält eine rechtlich erhebliche Lücke, wenn sich das Tatgericht nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt.462
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1. Die Beweiswürdigung, auf der die tatgerichtliche Überzeugung beruht, der Angeklagte habe entgegen seiner Einlassung den Tötungsentschluss bereits im Badezimmer getroffen, hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Die Würdigung der erhobenen Beweise obliegt allein dem Tatrichter; sie kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge nur darauf überprüft werden, ob sie Rechtsfehler aufweist (zum Maßstab revisionsrechtlicher Kontrolle vgl. im Einzelnen BGH NJW 2005, 2322, 2326). Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist und das Tatgericht sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt. b) So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Vorsatz, seine Ehefrau zu töten, erst dann fasste, nachdem er das Badezimmer verlassen hatte. Zur Begründung hat es lediglich darauf abgestellt, die Einlassung des Angeklagten sei widerlegt, seine Ehefrau habe ihn zu diesem Zeitpunkt mit den Worten „Ich scheiß dir in den Mund! Verrecke!“ beleidigt, worauf er „schwarz gesehen“ habe. Dies reicht hier nicht aus. Das Landgericht hätte aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles auch die Möglichkeit in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass der ohnehin stark verärgerte Angeklagte sich erst zur Tötung seiner Ehefrau entschloss, als er nach Verlassen des Badezimmers im Wohnungsflur auf diese traf, ohne dass sie den Angeklagten beleidigte. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte die Pistole ursprünglich mit sich, um seinem Sohn zu drohen. Objektive Anhaltspunkte dafür, wann er dieses Vorhaben aufgab und den Vorsatz fasste, seine Ehefrau zu erschießen, sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. Das Tatgeschehen im engeren Sinne weist – auch nach der Wertung des Landgerichts (s. UA S. 58) – deutliche Merkmale einer Spontantat auf. Unter diesen Umständen liegt die Möglichkeit, dass der Angeklagte auch ohne zusätzliche Provokation durch seine Ehefrau den Tötungsvorsatz erst nach Verlassen des Badezimmers fasste, jedenfalls nicht ferner als diejenige, dass er sich bereits zuvor zu ihrer Tötung entschlossen hatte. 2. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Rechtsfehler. Nach der Würdigung des Landgerichts handelte der Angeklagte gerade deshalb heimtückisch und erfüllte damit ein Tatbestandsmerkmal des § 211 StGB, weil er den Tötungsvorsatz fasste, während er im Badezimmer verweilte. Nuran C. sei arglos und aufgrund der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung auch wehrlos gewesen. Der Angeklagte habe diese Umstände bewusst zur Tatbegehung ausgenutzt. Als er sich vor der Tat im Badezimmer überlegt habe, seine Ehefrau zu erschießen, sei ihm klar gewesen, dass diese nicht mit einem Angriff gerechnet und, sobald der Angeklagte das Badezimmer verlassen habe, keine Fluchtmöglichkeit mehr haben werde. Ein sonstiges Mordmerkmal ist nicht festgestellt.
Möglicherweise nur mittelbar mit der Beweiswürdigung zusammenhängend, oftmals aber durch diese beeinflusst, sind Erörterungsmängel, wie sie auch der Entscheidung vom 25.3.2010 463 zu Grunde liegen: 4. Das Urteil leidet an einem auf die Sachrüge zu beachtenden Erörterungsmangel, der insbesondere die Anzahl und den Ablauf der zum Nachteil von P. festgestellten Miss-
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BGH, Beschl. v. 4.2.2010 – 3 StR 564/09. BGH, Beschl. v. 25.3.2010 – 5 StR 83/10.
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brauchsfälle betrifft. Der Senat verkennt nicht, dass die im Rahmen der Beweiswürdigung behandelten Umstände insgesamt dafür sprechen, dass über einen längeren Zeitraum ein wiederholter sexueller Missbrauch des Jungen durch den Angeklagten stattgefunden hat. Durchgreifenden Bedenken unterliegt jedoch die Feststellung zu Art und Anzahl der ausgeurteilten 156 Fälle, die sich ohne insoweit ausreichend kritische Befassung mit der Glaubhaftigkeit und Zuverlässigkeit der belastenden Angaben des Geschädigten alleine aus einer „Hochrechnung“ von drei- bis viermaligem Vorlesen wöchentlich, verknüpft mit dabei jedes Mal stattgefundenen und – mit wenigen Variationen – auch immer gleichförmig verlaufenden Missbrauchshandlungen ergibt. Auch bei Serienstraftaten, wie sie bei länger andauerndem sexuellem Kindesmissbrauch vorkommen, muss das Tatgericht von jeder einzelnen individuellen Straftat überzeugt sein (BGHSt 42, 107, 109). Zur Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken dürfen aufgrund der Feststellungsschwierigkeiten solcher oft gleichförmig verlaufenden Taten über einen langen Zeitraum zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, die in der Regel allein als Beweismittel zur Verfügung stehen, zwar keine überzogenen Anforderungen an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil gestellt werden (BGH NStZ 1994, 502). Das Tatgericht muss sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, dass es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist (BGH StV 2002, 523). Dabei steht nicht in erster Linie die Ermittlung einer Tatfrequenz, sondern die des konkreten Lebenssachverhalts im Vordergrund; dieser ist ausgehend vom Beginn der Tatserie mit den unterschiedlichen Details etwa zu Tatausführung und Tatort der einzelnen Straftaten in dem gegebenen Tatzeitraum nach dem Zweifelssatz festzustellen und abzuurteilen (vgl. BGHR StGB vor § 1/Serienstraftaten Kindesmissbrauch 2; BGH NStZ 2009, 444). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat zum einen den Beginn der Missbrauchshandlungen nicht hinreichend geklärt. Nach der Einlassung des Angeklagten knüpfte das „Üben“ des Vor- und Zurückschiebens der Vorhaut des Jungen an ein „Aufklärungsgespräch“ an, das auch von der Mutter bestätigt wird. Wann dieses Aufklärungsgespräch stattfand, wird vom angefochtenen Urteil nicht dargelegt; ebenso wenig werden etwaige Bekundungen des Geschädigten zu diesem Gespräch und seiner zeitlichen Einordnung im Rahmen der Missbrauchsserie wiedergegeben. Zum anderen wird den Feststellungen ohne nähere kritische Erörterung die Angabe des Geschädigten zugrunde gelegt, dass es bei dem Vorlesen jedes Mal und zwar in immer gleichförmiger Weise zu Missbrauchshandlungen und einem Orgasmus des Angeklagten gekommen sei. Die von dem Geschädigten bekundeten – eher spärlichen – Details werden nicht in die äußeren Rahmenbedingungen des Geschehens eingebunden. So wird nicht erörtert, wo das Händewaschen des Geschädigten im Anschluss an die Taten stattfand und inwiefern dieses und etwaige Spermaspuren die Aufmerksamkeit seiner Mutter erregt haben oder erregen konnten. Schließlich werden mögliche Unterbrechungen des Missbrauchsgeschehens, etwa durch Urlaube oder Erkrankungen der Beteiligten, nicht geprüft.
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In einer Fallkonstellation „Aussage gegen Aussage“, in welcher die Angaben der einzigen Belastungszeugin nicht durch zusätzliche Indizien belegt sind, muss der Tatrichter diese Angaben einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung unterziehen.464 464
BGH, Beschl. v. 25.10.2010 – 1 StR 369/10.
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Der Tatrichter muss sich in der Fallkonstellation, in der „Aussage gegen Aussage“ steht, bewusst sein, dass er die Angaben der einzigen Belastungszeugin, die nicht durch zusätzliche Indizien belegt sind, einer besonderen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen hat. Eine lückenlose Gesamtwürdigung der Indizien ist dann von besonderer Bedeutung (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 1, 2; BGH StV 1996, 582; 1997, 513; NStZ-RR 1998, 15). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13; § 267 Abs. 1 Satz 1 Beweisergebnis 8; BGH StV 1995, 6, 7; 1997, 513; BGH, Beschluss vom 5. November 1997 – 3 StR 558/97). Dies gilt besonders, wenn die einzige Belastungszeugin in der Hauptverhandlung ihre Vorwürfe ganz (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 2 StR 591/97) oder teilweise nicht mehr aufrechterhält, der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGH NStZ 1996, 294; NJW 1996, 206; BGH, Beschluss vom 1. April 1998 – 3 StR 22/98) oder sich sogar die Unwahrheit eines Aussageteils herausstellt. Der Tatrichter muss dann jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben. Dies war hier angezeigt vor dem Hintergrund des Umstandes, dass die Geschädigte bei ihrer Aussage in der Hauptverhandlung den Tatvorwurf, welchen sie bis dahin am detailliertesten geschildert hatte, nicht mehr aufrecht erhielt. Das angefochtene Urteil wird daher den genannten Anforderungen an die Beweiswürdigung nicht in vollem Umfang gerecht. PRAXISHINWEIS ■
Die vorstehende Entscheidung macht deutlich, dass entgegen vielfach geäußerter Ansichten es in Fällen „Aussage gegen Aussage“ keinesfalls notwendig ist, grundsätzlich immer ein Glaubwürdigkeitsgutachten einzuholen. Allerdings muss sich der Tatrichter dessen bewusst sein, dass er neben einer belastenden Aussage zumindest ergänzende Indizien zum Nachweis der Täterschaft eines Angeklagten benötigt. Gegen ein Beweisverwertungsverbot hatte das Landgericht dadurch verstoßen, dass es aus dem prozessualen Verhalten des Angeklagten, der Verweigerung der Mitwirkung an der Sachaufklärung, ein belastendes Indiz zum Nachteil des Angeklagten herleitete, wobei es der Sache nach um die Verwertung der Nichtentbindung des ehemaligen Verteidigers im Ermittlungsverfahren von der Schweigepflicht ging:465 Die Beweiswürdigung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Die Strafkammer hat aus der Weigerung des Angeklagten, seinen damaligen Verteidiger ... von der Schweigepflicht zu entbinden, den Schluss gezogen, die Einlassung des Angeklagten, sein damaliger Verteidiger habe die von diesem im Ermittlungsverfahren abgegebene schriftliche Erklärung, es könne sein, dass sein Mandant – der Angeklagte – auch jemanden getreten habe, in seine Äußerungen hineininterpretiert und er habe die schriftliche Stellungnahme seines damaligen Verteidigers nie erhalten und auch nie mit diesem besprochen, sei unwahr (UA S. 11). Damit hat die Strafkammer gegen den Grundsatz, dass aus dem prozessualen Verhalten der Verweigerung an der Mitwirkung an der Sachaufklärung kein belastendes Indiz 465
BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – 3 StR 370/10.
469
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D. Strafprozessordnung
zum Nachteil des Angeklagten hergeleitet werden darf, und damit gegen ein Beweisverwertungsverbot verstoßen. ... Schweigt ein Angeklagter nicht umfassend, sondern macht er zu einem bestimmten Sachverhalt eines einheitlichen Geschehens Angaben zur Sache und unterlässt insoweit lediglich die Beantwortung bestimmter Fragen, so kann dieses Schweigen (sog. Teilschweigen) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von indizieller Bedeutung sein (BGHSt 38, 302, 307). Diese Grundsätze über die Verwertbarkeit des Teilschweigens können aber nicht unbeschränkt auf die Bewertung des sonstigen prozessualen Verhaltens eines Angeklagten, der sich zur Sache einlässt, übertragen werden. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2000 (BGHSt 45, 367, 369) dürfen nachteilige Schlüsse aus der Wahrnehmung prozessualer Rechte durch einen Angeklagten jedenfalls dann nicht gezogen werden, wenn dieses Prozessverhalten nicht in einem engen und einem einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt seiner Einlassung steht. ... Nach diesen Grundsätzen war die Verwertung der Nichtentbindung von der Schweigepflicht hier unzulässig. Die schriftliche Stellungnahme des ehemaligen Verteidigers im Ermittlungsverfahren hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht zu eigen gemacht. Sie ist deshalb nicht als Einlassung des Angeklagten zu werten. Er hat sich auch nicht auf den Inhalt des mit seinem ehemaligen Verteidiger geführten Gesprächs und die von dem ehemaligen Verteidiger abgegebene Erklärung als ein Entlastungsmoment berufen, das geeignet gewesen wäre, eine ihm ungünstige Überzeugungsbildung zu erschüttern. Nur in diesem Fall wäre es ihm aber verwehrt gewesen zu verlangen, dass seine Weigerung, den Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, unberücksichtigt bleibt. Insoweit liegt der Fall hier anders als in BGHSt 20, 298. Da das Beweisthema, hinsichtlich dessen der ehemalige Verteidiger von seiner Schweigepflicht entbunden werden sollte, ein vertrauliches, potentiell tatrelevantes Gespräch zwischen ihnen betraf, verstößt die nachteilige Wertung der Weigerung des Angeklagten, seinen Verteidiger von der Schweigepflicht zu entbinden, auch gegen das durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK und das Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich verbürgte Recht des Angeklagten auf Beiziehung eines Verteidigers (BGHSt 45, 367, 370). ■ PRAXISHINWEIS
Gerade die Berücksichtigung der prozessualen Rechte des Angeklagten, insbes. sein Recht zu schweigen und das damit einhergehende unbedingte Gebot, daraus keine für ihn nachteiligen Schlüsse zu ziehen, wird mit der vorstehenden Entscheidung klarstellend erweitert, dass er auch im Übrigen seine Mitwirkung an der Sachaufklärung im Verfahren verweigern kann und dadurch ebenfalls keine Nachteile erleiden darf. 470 471
Ein Anspruch des Angeklagten auf einen gerichtlichen Zwischenbescheid über das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots besteht nicht.466 Eine Beweiswürdigung unter Heranziehung von Auswertungen aus DNA-Analyse-Spuren bei einer kombinierten Analyse von Kern-DNA und mitochondrialer DNA ist nicht rechtsfehlerhaft.467 466 467
BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 1 StR 462/10. BGH, Beschl. v. 3.11.2010 – 1 StR 520/10.
II. 28. Rücknahme der Revision
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Die von der Revision im Wesentlichen angegriffene Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere hat das insofern durch mehrere Sachverständige beratene Landgericht die Ergebnisse der durchgeführten DNA-Untersuchungen zutreffend bewertet. Diese bezogen sich auf zwei an der Unterhose bzw. an den Strümpfen des Opfers sichergestellte Fremdschamhaare. Nach der Analyse stammte die aus der Wurzel eines Haares gewonnene KernDNA, d.h. die im Kern der menschlichen Zelle vorhandene Erbsubstanz, 1.000 Mal wahrscheinlicher vom Angeklagten als von einer anderen Person. Da das zweite Haar keine Wurzel mehr aufwies, konnte insofern nur die außerhalb des Kerns in den Mitochondrien enthaltende DNA (sog. mitochondriale DNA [mtDNA]; vgl. BGH aaO) untersucht werden. Insoweit ergab sich, dass diese – sowie ebenso die aus dem anderen Haar gewonnene – mtDNA 4.591 Mal wahrscheinlicher vom Angeklagten stammte als von einer anderen nicht über die mütterliche Linie mit ihm verwandten Person mit zufällig derselben Sequenz. Zur Bestimmung dieser Wahrscheinlichkeit durfte entgegen der Ansicht der Revision auf die nach wissenschaftlichen Maßstäben geführte Innsbrucker Datenbank EMPOP zurückgegriffen werden. Denn in diese finden für die forensische Verwendung nur randomisierte Einzelproben Eingang, d.h. solche, die bereits auf der Basis von Populationsstudien erhoben worden sind, so dass die Datenbank einen repräsentativen Querschnitt der in Europa vorkommenden mtDNA-Sequenzen enthält. Insofern ebenfalls sachverständig beraten durfte das Landgericht zudem zu der Einschätzung gelangen, dass die genannten Untersuchungsergebnisse der beiden unterschiedlichen Arten von Erbsubstanzen (UA S. 77) im Sinne der Produktregel dergestalt voneinander unabhängig sind (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. August 1992 – 5 StR 239/92, BGHSt 38, 320, 323; Beschluss vom 5. Februar 1992 – 5 StR 677/91, NStZ 1992, 601, 602), dass sie als Faktoren miteinander kombiniert werden können. Es konnte daher im Rahmen seiner Beweiswürdigung als gewichtiges Indiz für die Täterschaft des Angeklagten ansehen, dass die sichergestellten Schamhaare im Ergebnis 4.591.000 Mal wahrscheinlicher von diesem stammen als von einer anderen, nicht über die mütterliche Linie mit ihm verwandten Person.
Die Verwertung von Bekundungen des psychiatrischen Sachverständigen über Zusatztatsachen, obwohl der Sachverständige nicht als Zeuge belehrt und vernommen worden ist, führt nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn im Einzelfall ausgeschlossen werden kann, dass der Sachverständige, wäre er zugleich als Zeuge behandelt worden, andere Angaben gemacht hätte, und dass dann die Beweiswürdigung für den Angeklagten günstiger ausgefallen wäre.468
472
28. Rücknahme der Revision Die Rücknahme einer Revision ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sie möglich. Ein Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO steht daher einer Rücknahme solange nicht entgegen, bis dieser seinerseits Rechtskraft erlangt hat (BGH, Beschluss vom 17. September 2008 – 2 StR 399/08 m.w.N.). Vorliegend ist die Rücknahme noch vor Ablauf der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO beim Landgericht eingegangen.469
468 469
BGH, Beschl. v. 26.1.2010 – 5 StR 528/09. BGH, Beschl. v. 28.10.2010 – 4 StR 338/10.
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D. Strafprozessordnung
29. Verletzung des rechtlichen Gehörs a) 474
Art. 103 GG
Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist.470 1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Oktober 2008 verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 42, 364 ; 47, 182 ). Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings nur dann verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (BVerfGE 25, 137 ; 34, 344 ; 47, 182 ). Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Vorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (BVerfGE 40, 101 ; 47, 182 ). Die Gerichte sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen (BVerfGE 13, 132 ; 42, 364 ; 47, 182 ). Deshalb müssen, wenn das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG feststellen soll, im Einzelfall besondere Umstände deutlich ergeben, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 27, 248 ; 42, 364 ; 47, 182 ). Dergleichen Umstände können insbesondere dann vorliegen, wenn das Gericht wesentliche, das Kernvorbringen eines Beteiligten darstellende Tatsachen unberücksichtigt lässt. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert ist (BVerfGE 86, 133 ; vgl. auch BVerfGE 47, 182 ). Daraus ergibt sich eine Pflicht der Gerichte, die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und -verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Dezember 2006 – 2 BvR 722/06 –, juris; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. November 2005 – 2 BvR 1090/05 –, juris). b) Nach diesem Maßstab verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 21. Oktober 2008 den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, da er nicht erkennen lässt, dass das Gericht den Kern seines Tatsachenvortrags zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. aa) Die wesentliche Begründung des Beschlusses, für vorsätzliches Handeln des Beschuldigten als Untersuchungsführer lägen nicht einmal Anhaltspunkte vor, ist auf der Basis des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers nicht nachvollziehbar. Dies lässt darauf schließen, dass das Oberlandesgericht diesen Tatsachenvortrag nicht berücksichtigt hat.
470
BVerfG, 2. K., Beschl. v. 16.9.2010 – 2 BvR 2394/08.
II. 29. Verletzung des rechtlichen Gehörs
375
Der Beschwerdeführer hat in seinem Klageerzwingungsantrag wiederholt dargelegt, dass er den Beschuldigten mehrfach auf die Rechtslage hingewiesen und sogar einschlägige Rechtsliteratur angeführt habe. Soweit das Oberlandesgericht davon auszugehen scheint, dass der damalige Bevollmächtigte des Beschwerdeführers dem Untersuchungsführer lediglich seine persönliche Rechtsauffassung mitgeteilt haben könnte, die von diesem als zutreffend, aber auch als unrichtig gewertet worden sein könnte, schöpft es den Vortrag des Beschwerdeführers nicht im gebotenen Maße aus. Sein damaliger Bevollmächtigter hat den Untersuchungsführer vielmehr umfassend auf die tatsächliche Rechtslage hingewiesen. Die gleichwohl getroffene Feststellung des Oberlandesgerichts, es seien schon keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Untersuchungsführer die Rechtslage zutreffend erkannt haben könnte, ist so fernliegend, dass sie nur dadurch erklärt werden kann, dass das Oberlandesgericht den Vortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen hat. Das Oberlandesgericht hält es für möglich, dass der Beschuldigte als Untersuchungsführer die Vorschrift des § 74 StPO sowie diejenige des § 56 Abs. 4 Satz 2 BDO übersehen haben könnte. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das Oberlandesgericht bei dieser Feststellung nicht auf die das Gegenteil belegenden Schreiben des damaligen Bevollmächtigten des Beschwerdeführers eingegangen ist, obwohl die Ermittlungsakten zur üblichen Beurteilungsgrundlage im Klageerzwingungsverfahren gehören (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO-Kommentar, 5. Bd., 26. Auflage 2008, § 173 Rn. 1 und 3; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 28. März 2002 – 2 BvR 2104/01 –, NJW 2002, S. 2859 ). Dies gilt namentlich für die Schreiben vom 7. Dezember 2001 und vom 2. Mai 2002. Diese Schreiben weisen nicht nur auf die fraglichen Vorschriften hin und erläutern deren wesentlichen Inhalt. Das Schreiben vom 2. Mai 2002 gibt auch die entscheidende, die Rechtslage umfassend darstellende Stelle des auch vom Untersuchungsführer zu Rate gezogenen Kommentars zur Bundesdisziplinarordnung unter Kennzeichnung als wörtliches Zitat und Nennung der Fundstelle wieder. Mit diesem Tatsachenvortrag ist die – nicht näher begründete – Annahme des Oberlandesgerichts, es fehlten schon Anhaltspunkte dafür, dass sich der Untersuchungsführer tatsächlich informiert habe, unvereinbar. bb) Schließlich ist die Begründung des Oberlandesgerichts angesichts des Tatsachenvortrags des Beschwerdeführers auch insoweit nicht nachvollziehbar, als sie die Gründe unbeachtet lässt, aus denen der Untersuchungsführer die Ablehnungsgesuche über Monate unbearbeitet gelassen haben könnte. Auf die möglichen Motive des Beschuldigten hat der Beschwerdeführer im Klageerzwingungsantrag wiederholt hingewiesen. Diese subjektiven Beweggründe sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für das Vorliegen eines schwerwiegenden Rechtsverstoßes im Sinne des Rechtsbeugungstatbestands von Bedeutung (vgl. BGHSt 47, 105 ). Es ist daher nicht nachvollziehbar, weshalb die mögliche Motivation des Beschuldigten als Untersuchungsführer unbeachtet geblieben ist. Entsprechende Anhaltspunkte bietet vorliegend bereits der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, welches dort auf seinen Eindruck hinweist, der Untersuchungsführer habe eine Entscheidung über die Ablehnungsgesuche „verhindern“ bzw. einer solchen „aus dem Weg gehen“ wollen. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer auf Ausführungen des Untersuchungsführers hingewiesen, in denen dieser, selbst nachdem das Bundesdisziplinargericht das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt hatte, deutlich machte, dass er trotz der in diesem Beschluss benannten Verstöße gegen die Strafprozess- und die Bundesdisziplinarordnung und in Kenntnis dieses Beschlusses noch immer der Ansicht sei, „korrekt“ gehandelt zu haben. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die zu dieser Einschätzung führenden Beweggründe unberücksichtigt geblieben sind, waren dem Untersuchungsführer die einschlägigen Vorschriften zum Zeitpunkt dieser Äußerung doch bekannt. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Oberlandesgerichts, für eine bewusste Missachtung der als zutreffend erkannten Rechtslage lägen nicht einmal Anhaltspunkte vor,
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D. Strafprozessordnung
unverständlich und kann nur dadurch erklärt werden, dass es den Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Diese fehlende Berücksichtigung des Kernvortrags des Beschwerdeführers verletzt ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
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Entsprechend dem Anspruch des Einzelnen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) darf das Gericht nur Tatsachen verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten. Der bei einer Entscheidung berücksichtigte Tatsachenvortrag eines Verfahrensbeteiligten muss den anderen Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung durch Übersendung der betreffenden Schriftsätze zur Kenntnis gebracht worden sein. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite zu äußern.471 aa) Das Amtsgericht hat den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör missachtet, indem es über den Antrag des Beschwerdeführers entschied, ohne ihm die Stellungnahme der Gegenseite zur Kenntnis zu geben. Nach Art. 103 Abs. 1 GG hat der Einzelne Anspruch darauf, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 107, 395 ). Dementsprechend darf das Gericht nur Tatsachen verwerten, zu denen die Beteiligten vorher Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 20, 347 ; 70, 180 ; 89, 381 ; 101, 106 ). Der bei einer Entscheidung berücksichtigte Tatsachenvortrag eines Verfahrensbeteiligten muss den anderen Verfahrensbeteiligten vor der Entscheidung durch Übersendung der betreffenden Schriftsätze zur Kenntnis gebracht worden sein. Die Verfahrensbeteiligten müssen grundsätzlich Gelegenheit haben, sich zu Stellungnahmen der Gegenseite in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern. … bb) Der Verstoß ist weder vom Amtsgericht im Abhilfeverfahren (§ 306 Abs. 2 StPO) noch vom Landgericht auf die Beschwerde und die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin geheilt worden. Vielmehr hat das Landgericht mit den angegriffenen Beschlüssen seinerseits das Grundrecht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt. (1) Zwar kann ein Gehörsverstoß grundsätzlich – auch in einem höherinstanzlichen Verfahren – geheilt werden, wenn das Gericht in der Lage ist, das nunmehr zur Kenntnis genommene Vorbringen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 5, 22 ; 62, 392 ; 73, 322 ; 107, 395 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Oktober 2009 – 1 BvR 178/09 –, GRUR-RR 2009, S. 441 ). Dies ist hier jedoch nicht geschehen. Das Landgericht war zwar in der Lage zu berücksichtigen, was der Beschwerdeführer zuerst mit seiner Beschwerde und später mit seiner Anhörungsrüge vorgetragen hatte. Es war aber nicht in der Lage zu berücksichtigen, was der Beschwerdeführer im Falle der gebotenen – rechtzeitigen – Gewährung rechtlichen Gehörs zu den Stellungnahmen von Justizvollzugsanstalt und Staatsanwaltschaft vorgetragen haben würde, da es sich auf die Rüge des Beschwerdeführers, die Vorenthaltung der Stellungnahmen verletze seinen Anspruch auf rechtliches Gehör, nicht veranlasst gesehen hat, dem Beschwerdeführer diese zur Kenntnis zu geben. (2) Das Landgericht hat danach mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. April 2009 den vom Amtsgericht begangenen Gehörsverstoß fortwirken lassen und damit das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Überdies hat es einen originären – unmittelbar eige-
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BVerfG, 3. K., Beschl. v. 15.11.2010 – 2 BvR 1183/09.
II. 29. Verletzung des rechtlichen Gehörs
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nen – Gehörsverstoß begangen, indem es das Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Es hat die Beschwerde mit Tenorbegründung „aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen des angefochtenen Beschlusses“ kostenfällig verworfen. Daraus wird erkennbar, dass es die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge einer Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG, falls überhaupt zur Kenntnis genommen, jedenfalls nicht in der notwendigen Weise erwogen hat. Die Begründung erschöpft sich in der Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses und geht damit am Inhalt der Gehörsrüge des Beschwerdeführers vorbei. Denn die Begründung des angefochtenen amtsgerichtlichen Beschlusses setzt sich mit der vor dem Landgericht erhobenen Rüge des Beschwerdeführers, das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör entschieden, ohne ihm die im Verfahren abgegebenen behördlichen Stellungnahmen zur Kenntnis gebracht zu haben, nicht auseinander. Sie enthält zum Umgang mit diesen Stellungnahmen auch sonst keinerlei Ausführungen, die diese Rüge – sei es auch nur vermeintlich – entkräften könnten. (3) Mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. Mai 2009 hat das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör erneut verletzt, indem es auf die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers hin den gerügten Gehörsverstoß nicht korrigiert oder geheilt hat. Die Anhörungsrüge war im recht verstandenen Interesse des Beschwerdeführers (vgl. BVerfGE 122, 190 ) dahin auszulegen, dass der Beschwerdeführer, der zur Nutzung des Rechtsbehelfs der Anhörungsrüge vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde gehalten war (vgl. BVerfGK 5, 337 ; 9, 28 ), auch den vom Landgericht selbst begangenen Gehörsverstoß beanstandete; insoweit war sie statthaft. Dennoch hat das Landgericht den Gehörsverstoß, der darin lag, dass es bei seiner Beschwerdeentscheidung die Gehörsrüge des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder jedenfalls nicht erwogen hatte, nicht korrigiert oder geheilt, sondern in Abrede gestellt. c) Angesichts der festgestellten Verstöße gegen das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde auch insoweit begründet ist, als der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip rügt. 2. Die angegriffenen Entscheidungen sind aufzuheben und die Sache ist – angesichts der eingetretenen Erledigung nur noch zur Entscheidung über die Kosten – an das Landgericht Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Eine gerichtliche Entscheidung kann allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wegen Verstoßes gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nur dann aufgehoben werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Anhörung des Beteiligten zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte; nur dann beruht die Entscheidung darauf, dass der Beteiligte nicht gehört wurde (vgl. BVerfGE 7, 239 ; 13, 132 ; 52, 131 ; 89, 381 ). Dass bei pflichtgemäßer Gehörsgewährung eine abweichende Entscheidung ausgeschlossen gewesen wäre, kann hier schon deshalb nicht festgestellt werden, weil der Inhalt der fraglichen Stellungnahmen dem Beschwerdeführer bis heute nicht zur Kenntnis gegeben worden ist.
b) Anhörungsrüge – § 356a StPO Wie bereits im Vorjahr wurde das Institut der Anhörungsrüge in zahlreichen Fällen genutzt. Allerdings ist kein Fall bekannt geworden, in dem eine solche Rüge erfolg-
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reich war. Die Verfahren 4 StR 245/09,472 4 StR 79/10,473 AnwSt (B) 1/10 474 und 1 StR 530/09 475 seien nur beispielhaft angeführt. Selbst als in einem Fall ein Schriftsatz dem Senat bei seiner Entscheidung versehentlich nicht vorlag, war die Rüge erfolglos, weil der Senat auch bei Kenntnis des Vorbringens nicht anders entschieden hätte.476 Im Übrigen kann ein verspätetes und daher unzulässiges Ablehnungsgesuch des Verurteilten nicht dadurch erneut statthaft werden, dass es mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird.477 Vorliegend hatte das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege über die Revision entschieden, so dass ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden konnte, bis die Entscheidung ergangen war (BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 – 3 StR 425/06, NStZ 2007, 416). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich, wie auch im vorliegenden Fall deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass insoweit nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist. Denn § 356a StPO verfolgt allein den Zweck, dem Revisionsgericht, das in der Sache entschieden hat, Gelegenheit zu geben, im Falle des Verstoßes gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör diesem Mangel durch erneute Sachprüfung selbst abzuhelfen, um hierdurch ein Verfassungsbeschwerdeverfahren zu vermeiden. Dieser Rechtsbehelf dient hingegen nicht dazu, einem unzulässigen Ablehnungsgesuch durch die unzutreffende Behauptung einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG doch noch Geltung zu verschaffen. ■ PRAXISHINWEIS
Anhörungsrügen sind praktisch immer ohne Erfolg. Die Geltendmachung einer Rüge ist aber dennoch erforderlich, sofern der Verurteilte plant, gegen die Revisionsentscheidung Verfassungsbeschwerde einzulegen, weil erst danach der Rechtsweg erschöpft ist!
30. Verbot der Schlechterstellung – § 358 StPO 478
Hat die Strafkammer im Rahmen der Gesamtstrafenbildung versäumt, die Einzelstrafen festzusetzen, steht das Verbot der Schlechterstellung der Nachholung der Festsetzung nicht entgegen. Das Revisionsgericht kann in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafen auf die Mindeststrafe des durch die Strafkammer bestimmten Regelstrafrahmens festsetzen.478
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BGH, Beschl. vom 21.4.2010 – 4 StR 245/09. BGH, Beschl. v. 8.7.2010 – 4 StR 79/10. BGH, Beschl. v. 6.7.2010 – AnwSt (B) 1/10. BGH, Beschl. v. 12.5.2010 – 1 StR 530/09. BGH, Beschl. v. 4.8.2010 – 3 StR 105/10. BGH, Beschl. v. 19.8.2010 – 4 StR 657/09. BGH, Beschl. v. 24.2.2010 – 5 StR 13/10.
II. 31. Adhäsionsverfahren
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31. Adhäsionsverfahren Ein Adhäsionsantrag kann nur dann Erfolg haben, wenn die Antragsberechtigung des Anspruchsstellers nachgewiesen ist. Ansonsten ist er unzulässig:479
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Das Grundurteil hat bereits deshalb keinen Bestand, weil eine Antragsberechtigung der Adhäsionsklägerinnen nicht nachgewiesen ist. Zwar ist gemäß § 403 StPO auch der Erbe des Verletzten berechtigt, einen aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruch im Adhäsionsverfahren geltend zu machen. Zum Nachweis der Erbfolge ist es jedoch erforderlich, dass er einen Erbschein vorlegt (vgl. Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 403 Rdn. 2; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 403 Rdn. 3). Dies ist hier nicht geschehen. Die Erbenstellung der Adhäsionsklägerinnen ist auch nicht auf andere Weise nachgewiesen. Auch das Landgericht hat sich im Urteil weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht mit der Frage befasst, ob die Antragstellerinnen, was sich nicht zuletzt mit Blick auf die Anwendbarkeit internationalen Erbrechts (Art. 25 und 26 EGBGB) nicht von selbst versteht, im Wege der Erbfolge Rechtsnachfolgerinnen des Tatopfers geworden sind. Da die Antragsberechtigung im Sinne des § 403 StPO für das Adhäsionsverfahren nicht belegt ist, ist der Adhäsionsantrag unzulässig.
Wird dem Adhäsionskläger ein Anspruch zuerkannt, muss dieser ordnungsgemäß im Urteil begründet sein.480
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Das Landgericht hat der Adhäsionsklägerin konkret bezifferte Schmerzensgeldbeträge, der Höhe nach differenziert hinsichtlich der Tatbeteiligten, zugesprochen und zugleich festgestellt, dass jeglicher weiterer materieller und immaterieller Schaden zu ersetzen sei. Die Höhe des Schmerzensgeldes hat es unter Bezugnahme auf gesetzliche Vorschriften aus dem BGB und dem StGB mit der gegen das Tatopfer eingesetzten kriminellen Energie, dem Unrechtsgehalt der Tat sowie den durch die Tat verursachten körperlichen und seelischen Folgen begründet (UA S. 45). Diese Begründung trägt den Adhäsionsausspruch nicht. Sie zeigt lediglich formelhaft allgemein gültige Kriterien für die Bemessung von Schmerzensgeldbeträgen auf, ohne im Hinblick auf die konkret zugrunde liegende Tat auch nur ansatzweise deutlich zu machen, warum dies zu den ausgeurteilten Beträgen, zudem noch unterschiedlich hinsichtlich einzelner Tatbeteiligter, führt. Darüber hinaus wird nicht deutlich, ob die Kammer dabei, wie regelmäßig erforderlich, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten berücksichtigt hat. Mit einer solch floskelhaften Begründung hat eine Adhäsionsentscheidung keinen Bestand. Ausführungen zu der weiter ausgesprochenen Verpflichtung zur Erstattung eines weitergehenden Schadens finden sich in den Urteilsgründen nicht. Verletzungen der Nebenklägerin, die einen Dauer- oder Zukunftsschaden wahrscheinlich machen, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Bei dieser Sachlage wäre es deshalb erforderlich gewesen darzutun, warum ein solcher Ausspruch gleichwohl gerechtfertigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 4 StR 222/03).
Die Urteilsfeststellungen zu einem zuerkannten Adhäsionsanspruch müssen so vollständig sein, dass das Bestehen des Anspruchs vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Dies gilt insbesondere für Prüfung einer geltend gemachten Einrede der 479 480
BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – 3 StR 428/09. BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 2 StR 100/10.
481
380
D. Strafprozessordnung
Verjährung. Wird daher die Entscheidung (allein) über den Adhäsionsanspruch aufgehoben, kommt eine Zurückweisung nicht in Betracht.481 1. Der Adhäsionsausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Anhand der Urteilsfeststellungen lässt sich nicht überprüfen, ob die vom Angeklagten geltend gemachte Einrede der Verjährung den im Jahre 2009 anhängig gemachten Ansprüchen der Adhäsionskläger entgegensteht. a) Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – die für deliktische Ansprüche geltende dreijährige (§ 195 BGB) Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Zur Kenntnis von der Person des Schuldners gehört auch die Kenntnis von dessen Anschrift, weil erst mit dieser die Erhebung einer Klage erfolgversprechend möglich ist (BGH, Urteil vom 23.September 2008 – XI ZR 395/07, NJW 2009, 587 m.w.N.). Bei Gesamtschuldnern ist der Beginn der Verjährung für jeden Schuldner getrennt zu ermitteln (BGH, Urteil vom 12.Dezember 2000 – VI ZR 345/99, NJW 2001, 964). b) Wann den Adhäsionsklägern C. und Dr. P. die Beteiligung des Angeklagten an den zu ihrem Nachteil begangenen Betrugstaten bekannt geworden ist, teilen die Urteilsgründe jedoch nicht mit. … 2. Eine Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung allein über den Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 8. November 2005 – 4 StR 321/05, BGHR StPO § 403 Anspruch 8 m.w.N.).
■ PRAXISTIPP
Aus der vorstehenden Entscheidung folgt die Konsequenz, dass es auch Aufgabe des Adhäsionsklägers ist, darauf zu achten, dass das Gericht alle Grundlagen des Adhäsionsanspruchs aufklärt und damit die Grundlage für tragfähige Feststellungen schafft. Ansonsten könnte es, wie vorliegend, geschehen, dass am Ende des Verfahrens der zunächst erlangt geglaubte Titel wegfällt und nochmals eine neue Klage im Zivilverfahren erhoben werden muss! 482
Im Adhäsionsverfahren ist über den Prozesskostenhilfeantrag eines Nebenklägers für die Revisionsinstanz gesondert zu entscheiden (vgl. BGH NJW 2001, 2486; NStZ-RR 2009, 253). Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wirkt nur für die jeweilige Instanz (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).482 Der Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht dabei nicht entgegen, dass das Revisionsverfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen ist. Freilich ist eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe, zumal nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss, grundsätzlich nicht möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1991 – 3 StR 142/91; Senge in KK 6. Aufl. § 397a Rdn. 4). Eine auf den Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkende Entscheidung kommt jedoch in Betracht, wenn der Antrag nicht rechtzeitig beschieden worden ist und
481 482
BGH, Beschl. v. 19.10.2010 – 4 StR 295/10. BGH, Beschl. v. 13.10.2010 – 5 StR 179/10.
II. 32. Nebenklage
381
der Antragsteller mit seinem Antrag bereits alles für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Erforderliche getan hat (vgl. BVerfG NStZ-RR 1997, 69; BGH NJW 1985, 921; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. § 397a Rdn. 15).
Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Tatgericht in einer Haftsache (Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Betrugs) von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge der mehr als 800 Geschädigten absieht. Der auch mit einem Grundurteil verbundene zeitliche und organisatorische Aufwand zugunsten dieser Vielzahl von Geschädigten, deren Zahlungsansprüche zudem nicht identisch waren, hätte womöglich die zur Sachaufklärung erforderliche Anzahl zu vernehmender geschädigter Zeugen erheblich überschritten und wäre mit den vorrangigeren Zielen des Strafverfahrens sowie dem Gebot zügiger Verfahrensführung bei Haftsachen zuwidergelaufen.483
483
Hingegen hat die Strafkammer zu Recht von einer Entscheidung über die Adhäsionsanträge der Geschädigten abgesehen; die Voraussetzungen hierfür lagen ersichtlich nicht vor (§ 406 Abs. 1 Satz 4 StPO). Verfahrensgegenstand waren gewerbsmäßig begangene Betrugshandlungen zum Nachteil von mehr als 800 Geschädigten. Der auch mit einem Grundurteil verbundene zeitliche und organisatorische Aufwand zugunsten dieser Vielzahl an Geschädigten, deren Zahlungsansprüche zudem nicht identisch waren, hätte womöglich die zur Sachaufklärung erforderliche Anzahl zu vernehmender geschädigter Zeugen (vgl. § 404 Abs. 3 StPO; BGH JR 2009, 471, 472) erheblich überschritten und wäre damit vorrangigeren Zielen des Strafverfahrens sowie dem Gebot zügiger Verfahrensführung bei Haftsachen zuwidergelaufen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 406 Rdn. 12). Schon der – soweit ersichtlich – durch die Staatsanwaltschaft erteilte Hinweis nach § 406h Satz 1 Nr. 2 StPO hätte deshalb bei dieser Fallkonstellation (auch vorhersehbar) gemäß § 406h Satz 2 StPO entfallen müssen (vgl. BT-Drucks. 16/12098 S. 39).
32. Nebenklage Im Gegensatz zu dem Angeklagten und zur Staatsanwaltschaft hat ein Nebenkläger nur ein eingeschränktes Anfechtungsrecht gegenüber dem Urteil (§ 400 Abs. 1 StPO). Hat er mit seiner Revision lediglich die unausgeführte allgemeine Sachrüge erhoben, genügt dies den Anforderungen des § 400 StPO nicht.484 Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts ist unzulässig, denn es ist nicht ersichtlich, dass sie ein gemäß §§ 400 Abs. 1 i.V.m. 395 Abs. 1 StPO zulässiges Ziel verfolgt (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2, 5, 10). Der Nebenkläger hat mit seiner Revision lediglich die unausgeführte allgemeine Sachrüge erhoben, dies genügt nach ständiger Rechtsprechung den Anforderungen des § 400 StPO nicht. Die Sachrüge des Nebenklägers kann nur auf die unterlassene oder fehlerhafte Anwendung gerade desjenigen Strafgesetzes gestützt werden, das seine Anschlussbefugnis gemäß § 395 StPO trägt, deswegen muss er das Ziel seines Rechtsmittels ausdrücklich angeben.“
483 484
BGH, Beschl. v. 15.4.2010 – 5 StR 96/10. BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – 3 StR 166/10.
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D. Strafprozessordnung
■ PRAXISTIPP
Revisionen von Nebenklägern scheitern immer wieder bereits an dem Hindernis der eingeschränkten Anfechtungsmöglichkeiten. Wer eine solche Revision übernimmt, sollte sich daher ausführlich mit den Erfordernissen des § 400 Abs. 1 StPO befassen! 485
Bereits vom Tatrichter ist zu überprüfen, ob überhaupt ein Recht zum Anschluss als Nebenkläger(in) besteht. Selbst wenn aber ein Recht bestehen könnte, ist ein Revisionsangriff mangels Beschwer unzulässig, wenn der Täter wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.485 Die Ehefrau des Getöteten, die Beschwerdeführerin E. J., war als Nebenklägerin nicht zuzulassen, weil sie der Anstiftung zu dem verfahrensgegenständlichen Verbrechen dringend verdächtig ist und mit Haftbefehl gesucht wird. Überdies fehlt es offenkundig an einer Beschwer, denn die beiden Täter sind wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden.
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Die Anschlusserklärung des 12-jährigen Beschwerdeführers C. J. war unwirksam, da er von seiner im abgetrennten Verfahren der Tatbeteiligung beschuldigten Mutter nicht wirksam vertreten werden konnte und ein Pfleger nicht bestellt wurde. Eine Beschwer ist überdies nicht gegeben. Da die Revision schon aus diesen Gründen unzulässig ist, kommt es auf ihre Verfristung nicht an. Weil gemäß § 400 Abs. 1 StPO ein Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten kann, dass eine andere Rechtsfolge wegen der Tat verhängt wird, bedarf seine Revision eines genauen Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts verfolgt wird.486 ■ PRAXISTIPP
Auch als Konsequenz der vorstehenden Entscheidung sei nochmals dringend an Nebenklagevertreter appelliert, diese Grundsätze zu beachten, und demgemäß klare Äußerungen und Anträge in Nebenklägerrevisionen zu formulieren – andernfalls könnten zu Recht Regressansprüche der Mandanten drohen!
33. Akteneinsicht – 474 ff. StPO 487
Ein Zeuge beschwert sich dagegen, dass seinem Antrag auf Gewährung umfänglicher Einsicht in die Verfahrensakten durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt vom OLG als Tatrichter abgelehnt worden ist. Die Beschwerde ist nach § 304 Abs. 4 Satz 2 StPO unzulässig; zwar ist dort eine Beschwerde hinsichtlich der Akteneinsicht möglich, jedoch gilt dies nur für Verfahrensbeteiligte, zu denen der Beschwerdeführer als Zeuge nicht gehört.487 485 486 487
BGH, Beschl. v. 18.11.2010 – 2 StR 334/10. BGH, Beschl. v. 8.11.2010 – 5 StR 478/10. BGH, Beschl. v. 20.7.2010 – StB 20/10.
II. 34. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
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34. Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) § 76 Abs. 2 GVG: Zur (unerlässlichen) Mitwirkung eines dritten Berufsrichters in einem wegen komplexer Rechtsbeugungsvorwürfe umfangreichen und schwierigen Strafverfahren.488 3. In der Hauptverhandlung gegen die beiden Beschwerdeführer traten vor dem Landgericht neben den Verteidigern zwei Nebenkläger mit jeweils einem anwaltlichen Beistand auf. Die Strafkammer terminierte zunächst sechs Hauptverhandlungstage und lud dazu 13 Zeugen; insgesamt verhandelte sie anschließend noch an vier weiteren Tagen bis zur Urteilsverkündung. II. Den Besetzungsrügen kann der Erfolg nicht versagt werden. Durch die Verhandlung und Entscheidung in der Besetzung mit nur zwei Berufsrichtern hat die Strafkammer § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG verletzt, weil der Umfang der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters notwendig machte. 1. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG beschließt die – nicht als Schwurgericht zuständige – große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, dass sie in der Hauptverhandlung mit nur zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt ist, es sei denn, nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache erscheint die Mitwirkung eines dritten Berufsrichters erforderlich. Bei dieser Entscheidung steht der Strafkammer kein Ermessen zu; sie hat die Dreierbesetzung zu beschließen, wenn diese nach dem vorgenannten Maßstab notwendig erscheint. Jedoch ist dem Tatgericht bei der Auslegung der gesetzlichen Merkmale ein weiter Beurteilungsspielraum eröffnet, der die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat (BGHSt 44, 328, 334; BGH NStZ 2004, 56; StV 2004, 250, 251; Kissel/ Mayer, GVG 6. Aufl. § 76 Rdn. 4). Maßgebend für die Bewertung des Umfangs der Sache sind etwa die Zahl der Angeklagten, Verteidiger und erforderlichen Dolmetscher, die Anzahl der angeklagten Taten, der Zeugen sowie anderer Beweismittel, namentlich die Notwendigkeit von Sachverständigengutachten, der Umfang der Akten sowie die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung (BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3). 2. Bleibt im Einzelfall zweifelhaft, welche Gerichtsbesetzung für die sachgerechte Verfahrensbehandlung geboten ist, gebührt der Dreierbesetzung wegen ihrer gegenüber der reduzierten Besetzung strukturellen Überlegenheit, die sich bereits vor der 1993 erfolgten Einführung des § 76 Abs. 2 GVG bewährt hatte, der Vorrang (vgl. BGHSt 44, 328, 334; BGH JR 2004, 170). Die Beteiligung mehrerer Berufsrichter neben dem Vorsitzenden ist besonders geeignet, Aufgaben insbesondere auch in der Hauptverhandlung sachgerecht aufzuteilen, den Tatsachenstoff intensiver zu würdigen und schwierige Rechtsfragen besser zu bewältigen (vgl. BGH JR aaO; BTDrucks 12/1217 S. 46 f.). Die Besetzung der Strafkammer hat so unmittelbaren Einfluss auf die Qualität des Erkenntnisverfahrens; eine reguläre Besetzung der Strafkammer ermöglicht insbesondere eine straffe, effektive – und damit auch ressourcenschonende – Verhandlungsführung. Die Würdigung des Tatsachenstoffs und der Rechtsfragen durch drei Richter gewährleistet ferner die von der einzigen Tatsacheninstanz im Rechtszug geforderte hohe Qualität tatgerichtlicher Erkenntnis (BTDrucks aaO). Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Rechtspraxis, soweit ersichtlich, den gebotenen sensiblen Umgang der großen Strafkammern mit der Besetzungsreduktion derzeit nicht widerspiegelt; anders ist ihre oftmals überwiegende, bei manchen Landgerichten ausschließliche Inanspruchnahme nicht erklärlich (vgl. BTDrucks 14/2777 S. 2 f.;
488
BGH, Beschl. v. 7.7.2010 – 5 StR 555/09.
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D. Strafprozessordnung
14/3831 S. 5; 16/3038 S. 32). Der Senat hielte es demgegenüber grundsätzlich für angezeigt, den der Beurteilung des Tatrichters unterstehenden Rechtsbegriff des Umfangs der Sache auch dahingehend weiter zu konturieren, dass jedenfalls bei einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens absehbaren Verhandlungsdauer von wenigstens zehn Hauptverhandlungstagen von der Mitwirkung eines dritten Berufsrichters grundsätzlich nicht abgesehen werden darf (vgl. zu dieser Schwelle BGHSt 52, 355, 362; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 229 Rdn. 2; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 275 Rdn. 2). Ausnahmen mögen insbesondere bei weniger komplexen Verfahren möglich sein, wenn deren Umfang etwa allein durch eine Vielzahl für sich jeweils ganz einfach gelagerter Fälle bedingt ist. 3. Der absolute Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG liegt jedenfalls bei einer auf sachfremde Erwägungen gestützten Besetzungsentscheidung oder bei einem unvertretbaren Überschreiten des Beurteilungsspielraums durch das Tatgericht vor. Unter solchen Voraussetzungen ist die Anordnung reduzierter Besetzung objektiv willkürlich (vgl. BGHSt 44, 328, 333 ff.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH NStZ 2004, 56; Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 16; Diemer in KK 6. Aufl. § 76 GVG Rdn. 3; Kissel/Mayer aaO § 76 Rdn. 5; Schlothauer StV 1993, 147, 150). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Kriterien sowohl des Umfangs als auch der Schwierigkeit der Sache erfüllt. Nur scheinbar waren nach dem konkreten Anklagesatz wenige Rechtsbeugungshandlungen aufzuklären, die an drei Hauptverhandlungstagen begangen wurden. Von Beginn an war evident, dass tatgerichtliche Feststellungen allein dieser Verfahrenshandlungen unzureichend sein würden. Gerade wegen der tatbestandlich gebotenen Bewertung der Verfahrensfehler im Rahmen des § 339 StGB war ersichtlich auch die aufwendige Rekonstruktion weiter Teile und Hintergründe des für sich bereits komplexen Ausgangsverfahrens vor dem Schöffengericht unerlässlich (§ 244 Abs. 2 StPO). Nur auf diese Weise konnte die Strafkammer ausschließen, dass die angeklagten Handlungen nicht etwa sachgerecht, vertretbar oder letztlich gar geboten waren. Im Zeitpunkt der Besetzungsentscheidung lag daher auf der Hand, dass die von der Staatsanwaltschaft beigezogenen umfangreichen, mehrere tausend Seiten umfassenden Verfahrensakten aus dem zudem in der Sache komplizierten Strafverfahren gegen B. A. einschließlich der Ermittlungsakten der Verfahren gegen Rechtsanwalt R. und C. A. auszuwerten waren. Anhand dessen waren insbesondere die Hintergründe der von den Beschwerdeführern vermuteten Beteiligung von R. und C. A. an den Taten des B. A. durch die Strafkammer aufzuklären. Der so ohnehin bereits erhebliche und komplexe Verhandlungsumfang wurde weiter geprägt durch die Auseinandersetzung mit verschiedenen, sämtlich anwaltlich beratenen Verfahrensbeteiligten, die voraussehbar jeweils unterschiedliche Interessen verfolgten. Dabei zeichnete sich schon durch die ausführlichen gegensätzlichen Gerichtsentscheidungen über die Eröffnung des Hauptverfahrens eine Auseinandersetzung über streitige, mindestens teilweise nicht alltägliche Rechts- und Verfahrensfragen ab. Diese Gesichtspunkte wurden hier auch nicht etwa entkräftet durch eine einfach gelagerte Beweisaufnahme (vgl. BGHSt 44, 328, 335 f.; BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 3; BGH JR 2004, 170, 171). Vielmehr ließen auch die drohenden dienstrechtlichen Folgen einer Verurteilung für die nicht geständigen Beschwerdeführer von Anfang an erkennen, dass eine aufwendige und kontroverse Beweisaufnahme zu bewältigen sein würde. Nach all dem war die Besetzungsentscheidung ebenso wie der nicht näher begründete, den Besetzungseinwand zurückweisende Gerichtsbeschluss nicht mehr vertretbar. Die Strafkammer hätte auf den Einwand hin die Besetzungsentscheidung aufheben müssen (BGH JR
II. 35. Art. 6 EMRK
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2004, 170, 171). Das Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 1 StPO hat die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Folge, über die eine große Strafkammer in nicht reduzierter Besetzung zu entscheiden haben wird.
Demgegenüber ist zumindest fraglich, ob die Durchführung einer Hauptverhandlung in der Regelbesetzung mit drei Berufsrichtern einen Angeklagten überhaupt beschweren kann. Jedenfalls kann auf eine entsprechende Rüge des Angeklagten allenfalls geprüft werden, ob die Entscheidung der Strafkammer zumindest vertretbar und damit ihrerseits willkürfrei war.489
489
Ob die Rüge bereits – was der Senat entgegen BGHR GVG § 76 Abs. 2 Verfahren 2 schon im Blick auf den Charakter der einzig zum Zwecke der Schonung von Justizressourcen nach der Wiedervereinigung geschaffenen und wiederholt verlängerten Übergangsvorschrift des § 76 Abs. 2 GVG für naheliegend hält (…), bedarf hier keiner Entscheidung. Ebenso kann dahinstehen, ob die Rüge, wie der Generalbundesanwalt meint, deshalb erfolglos bleibt, weil sich der Angeklagte vor der Strafkammer verständigt und damit seinen Besetzungseinwand schlüssig zurückgenommen oder verwirkt hat (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation BGH StV 2010, 470; vgl. bereits BGHR StPO § 338 Revisibilität 1). Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Nicht anders als auf einen entsprechend begründeten Besetzungseinwand (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Beurteilungsspielraum 2) durfte die Strafkammer die Verbindlichkeit der Besetzungsentscheidung auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung überprüfen. Dass eine Besetzungsreduktion schon bei Annahme schlichter Fehlerhaftigkeit in den Regelfall korrigiert werden kann, liegt dabei nicht fern, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn die Besetzungsentscheidung durfte jedenfalls darauf überprüft werden, ob sie nach dem Stand der Beschlussfassung sachlich gänzlich unvertretbar, damit objektiv willkürlich erfolgt und daher abzuändern war …
35. Art. 6 EMRK a)
Faires Verfahren
Verwertungsverbot für ein verdecktes Verhör eines inhaftierten Beschuldigten durch einen als Besucher getarnten, nicht offen ermittelnden Polizeibeamten:490 Bei der vom Schwurgericht verwerteten Zeugenaussage des POK H. handelt es sich um den Inhalt eines verdeckten Verhörs eines Beschuldigten durch einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten (vgl. Nack in KK StPO 6. Aufl. § 110a Rdn. 6 und § 110c Rdn. 18 ff.) mit dem Ziel, eine selbstbelastende Äußerung des noch nicht förmlich vernommenen Beschuldigten herbeizuführen. Diese Ermittlungsmaßnahme war in ihrer konkreten Ausgestaltung rechtswidrig. Das Schwurgericht hat die von dem Zeugen POK H. bekundeten selbstbelastenden Äußerungen des Angeklagten zu Unrecht verwertet. … Das Vorgehen verstieß nämlich gegen das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 MRK) unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen, insbesondere sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare). Dabei 489 490
BGH, Urteil v. 31.8.2010 – 5 StR 159/10. BGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 5 StR 51/10.
490
386
D. Strafprozessordnung
schließt sich der Senat – wie bereits der Sache nach der 4. Strafsenat in StV 2009, 225 – den Darlegungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BGHSt 52, 11, 17 Tz. 20 zur Genese, Verankerung und Bedeutung dieses Grundsatzes an (vgl. auch BGHSt 53, 294, 309 Tz. 49). Da der Beamte sogar eindeutig die Kompetenzen überschritten hat, die einem Verdeckten Ermittler zugestanden hätten, stünden einem noch nicht formal als unzulässig bewerteten entsprechenden Vorgehen als nicht offen ermittelnder Polizeibeamter identische durchgreifende Bedenken – erst recht – entgegen (vgl. Roxin StV 1998, 43, 44; MeyerGoßner aaO § 110a Rdn. 4; BT-Drucks 14/1484 S. 24). aa) Die Aushorchung des Angeklagten unter Ausnutzung der besonderen Situation seiner Inhaftierung begründet von vornherein Bedenken gegen die Zulässigkeit der heimlichen Ermittlungsmaßnahme. Nicht weniger als in anderen von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beanstandeten Fällen heimlicher Informationsgewinnung unter Ausnutzung begleitender belastender Haftsituationen (vgl. BGHSt 34, 362; 44, 129; 52, 11; 53, 294) liegen auch hier Umstände vor, die zur Bewertung des Vorgehens als unfaire Vernachlässigung der zu achtenden Selbstbelastungsfreiheit führt. Im Einklang mit der Auffassung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 42, 139, 152; vgl. auch BGHSt 49, 56, 58) und in Übereinstimmung mit der die Selbstbelastungsfreiheit auf Art. 6 Abs. 1 MRK stützenden Rechtsprechung des EGMR (StV 2003, 257; NJW 2008, 3549; 2010, 213) sieht der Senat durch die Anwendung von Zwang den Kernbereich der Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten als verletzt an. Zwar sind Verdeckte Ermittler berechtigt, unter Nutzung einer Legende selbstbelastende Äußerungen eines Beschuldigten entgegenzunehmen und an die Ermittlungsbehörden weiterzuleiten. Sie sind aber nicht befugt, in diesem Rahmen den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen zu drängen (BGHSt 52, 11, 15 Tz. 14; vgl. auch BGH StV 2009, 225, 226). bb) Dem Angeklagten wurde ein Bild seiner Ehefrau beim Einsteigen in deren Pkw und ein Bild, eine ähnliche Frau in gleicher Position an einem ähnlichen Pkw zeigend, vorgelegt, um ihn eine Auswahl der zu tötenden Frau mittels der durch die beiden Bilder aufgebauten Alternative vornehmen zu lassen. Aufgrund des nachfolgenden Hinweises, falls der Angeklagte diese Auswahl nicht treffen wolle, würden „notfalls“ beide Frauen, vor deren Häusern zur Tötung bereite Täter stünden, getötet, ist der Angeklagte in einen Aussagezwang hinsichtlich der Benennung der zu tötenden Frau versetzt worden. Dies ist mittels eines als Nötigung mit einem empfindlichen Übel im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB zu qualifizierenden Eingriffs in die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geschehen. Solches setzt voraus, dass der Täter dem Opfer ein bestimmtes Verhalten aufzwingt, ihn also gegen seinen Willen dazu veranlasst (Fischer, StGB 57. Aufl. § 240 Rdn. 4). Der Angeklagte war entgegenstehenden Willens; er hatte in dem Gespräch sofort erklärt, über das Thema nicht sprechen zu wollen, nach Ausflüchten gesucht und sich in seinen Äußerungen nicht festgelegt. Der Hinweis, eine unbeteiligte Dritte könnte zu Tode kommen, stellte eine Drohung im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (vgl. BGHR StGB § 240 Abs. 1 Übel 1; Fischer aaO Rdn. 37) gegenüber dem Angeklagten mit einem empfindlichen Übel dar (vgl. BGH NStZ 1987, 222, 223). Auf dessen Verwirklichung für den Fall des Bedingungseintritts, der Nichtäußerung, schrieb POK H. sich den erforderlichen Einfluss zu (vgl. BGHSt 16, 386, 387; Fischer aaO § 240 Rdn. 31). Es liegt auf der Hand, dass – bei fortgesetzter Weigerung der Identifizierung des „Tatopfers“ – eine dem Angeklagten bevorstehende Verantwortlichkeit für ein zweites, nicht gewolltes Tötungsverbrechen diesem als ein gewichtiger Nachteil erscheinen musste.
491
Wer als Belastungszeuge im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK anzusehen ist, ist in der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten eigenständig bestimmt. Die Vorschrift erfasst auch die Aussagen eines Mitangeklagten im
II. 37. Einstweilige Anordnung / Vorlage / Klage beim Bundesverfassungsgericht
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Ermittlungsverfahren, der – wie hier der Mitangeklagte S. – in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat (BGHR MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d Fragerecht 3; EGMR NStZ 2007, 103, 104). Dass der Angeklagte H. den Mitangeklagten S., dessen Aussagen im Ermittlungsverfahren die wesentliche Grundlage für seine Verurteilung waren, zu keinem Zeitpunkt befragen oder befragen lassen konnte, führt jedoch hier nicht zu einem Konventionsverstoß, weil seine Verteidigungsrechte insgesamt angemessen gewahrt wurden, und das Verfahren in seiner Gesamtheit fair war.491 b) Verfahrensverzögerung Zur Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nach teilweiser Aufhebung des früheren Urteils bei Festsetzung höherer Strafen als im ersten Urteil vgl. BGH v. 17.11.2009 – 3 StR 437/09.
492
36. WÜK (Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen) Zunächst ist die Entscheidung des BVerfG vom 8.7.2010 492 zu nennen, wonach die vom BGH für diese Sachverhalte angewendete Kompensationslösung auf der Vollstreckungsebene (vgl. BGHSt 52, 48, 55 ff.) keine Billigung fand. Mit Beschluss vom 13.7.2010 493 hatte der 1. Strafsenat die Annahme eines Beweisverwertungsverbots abgelehnt, wobei allerdings noch zusätzliche besondere Gründe vorlagen.
493
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Nicht jeder Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift, die eine Belehrungspflicht vorsieht, zieht ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Entscheidung für oder gegen solches Verbot ist vielmehr aufgrund einer Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 52, 110, 116). Die danach vorzunehmende Abwägung ergibt unter Berücksichtigung von Art und Gewicht des Verfahrensverstoßes (vgl. hierzu eingehend BGHSt 52, 110, 116), der wesentlichen Belange der Urteilsfindung im Strafverfahren und der Schwere der dem Angeklagten angelasteten Tat, eines Mordes, begangen aus niedrigen Beweggründen, dass die vor der Beschuldigtenvernehmung unterbliebene Belehrung des Angeklagten nach Art. 36 Abs. 1 Buchst. b Satz 3 WÜK vorliegend kein Beweisverwertungsverbot auszulösen vermag.
37. Einstweilige Anordnung / Vorlage / Klage beim Bundesverfassungsgericht Der Antrag nach § 32 BVerfGG hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil er nicht den Anforderungen entspricht, die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG an die Begründung eines Eilrechtsschutzbegehrens zu stellen sind. Die Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert die substantiierte Darlegung von deren Voraussetzungen.494 491 492 493 494
BGH, Beschl. v. 15.6.2010 – 3 StR 157/10. BVerfG, 2. K., Beschl. v. 8.7.2010 – 2 BvR 2485/07, 2513/07, 2548/07. BGH, Beschl. v. 13.7.2010 – 1 StR 251/10. BVerfG, 3. K., Beschl. v. 14.10.2010 – 2 BvR 1744/10.
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D. Strafprozessordnung
Der Antrag nach § 32 BVerfGG hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil er nicht den Anforderungen entspricht, die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG an die Begründung eines Eilrechtsschutzbegehrens zu stellen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. August 2004 – 1 BvQ 36/04 –, juris, Rn. 5). Die Begründung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert die substantiierte Darlegung von deren Voraussetzungen (vgl. BVerfGE 15, 77 ; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG, § 32 Rn. 45). Der Antragsteller wäre daher gehalten gewesen, diejenigen Unterlagen vorzulegen, die das Bundesverfassungsgericht für eine Folgenabwägung benötigt (vgl. entsprechend zur Vorlage von Unterlagen für die Begründung der Verfassungsbeschwerde BVerfGE 78, 320 , 88, 40 ; 93, 266 ). Die hier in Rede stehende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Beendigung der Freiheitsentziehung und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit setzt dabei insbesondere die Vorlage derjenigen Unterlagen voraus, aus denen die Gefahrenprognose der Fachgerichte hervorgeht und auf die diese sich stützt. Der Antragsteller hat indessen keinerlei Unterlagen vorgelegt, aus denen die aktuelle Gefahrenprognose der Fachgerichte hervorgehen würde; insbesondere liegen dem Bundesverfassungsgericht weder das Urteil des Landgerichts aus dem Jahr 2008, mit dem die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, noch der Beschluss des Landgerichts vom 15. April 2010 vor, mit dem die Entlassung des Antragstellers aus der Sicherungsverwahrung abgelehnt wurde und auf den der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 1. Juli 2010 Bezug nimmt, ohne seinen Inhalt näher wiederzugeben.
496
Ein Antrag auf einstweilige Anordnung ist unzulässig, wenn bei strafprozessualen Maßnahmen der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist.495 1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung darf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings dann nicht ergehen, wenn sich das in der Hauptsache verfolgte Begehren von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist (vgl. BVerfGE 103, 41 ; 111, 147 ; stRspr). 2. Danach kann eine einstweilige Anordnung nicht ergehen. a) Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 18. Januar 2010 wäre unzulässig, weil der Antragsteller den Rechtsweg nicht erschöpft hat (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Er hat noch keine Beschwerdeentscheidung gemäß § 304 Abs. 1 StPO herbeigeführt. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb ein Einschreiten des Bundesverfassungsgerichts vor Erlass einer Beschwerdeentscheidung im Hinblick auf die bereits vollzogene Anordnung der Durchsuchung dringend geboten sein soll. b) Soweit der Antragsteller beantragt, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, die sichergestellten Gegenstände herauszugeben, wäre eine Verfassungsbeschwerde ebenfalls mangels Rechtswegerschöpfung unzulässig. Der Antragsteller hätte insoweit zunächst eine amtsgerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen. Eine vorab mit dem Durchsuchungsbeschluss verbundene Anordnung der „Beschlagnahme“ ist, soweit – wie hier – noch keine genaue Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur eine
495
BVerfG, 1. K., Beschl. v. 18.2.2010 – 2 BvQ 8/10.
II. 37. Einstweilige Anordnung / Vorlage / Klage beim Bundesverfassungsgericht
389
gattungsmäßige Umschreibung erfolgt, keine Anordnung einer Beschlagnahme, sondern nur eine Richtlinie für die Durchsuchung (vgl. BVerfGK 1, 126 ). Eine eigenständige Beschwer, die mit der Sicherstellung von Gegenständen zum Zweck der Durchsicht (§ 110 StPO) verbunden sein kann, kann unter entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO mit einem Antrag auf richterliche Entscheidung geltend gemacht werden. Die richterliche Entscheidung ist gemäß § 304 StPO mit der Beschwerde anfechtbar (vgl. BVerfGK 1, 126 ). Bislang liegt weder eine Entscheidung des Amtsgerichts noch eine Beschwerdeentscheidung vor.
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch) (B = Beschluss; U = Urteil) Art
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Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B B B B B B U B B U U B B B B B B B U U B B B B B B B U B U U
8.8.2001 16.6.2009 1.9.2009 8.9.2009 16.9.2009 22.9.2009 22.9.2009 6.10.2009 20.10.2009 20.10.2009 20.10.2009 21.10.2009 22.10.2009 27.10.2009 28.10.2009 28.10.2009 28.10.2009 29.10.2009 3.11.2009 3.11.2009 5.11.2009 5.11.2009 10.11.2009 10.11.2009 11.11.2009 12.11.2009 19.11.2009 19.11.2009 19.11.2009 24.11.2009 24.11.2009 25.11.2009 26.11.2009 2.12.2009 3.12.2009 7.12.2009 8.12.2009
2 StR 285/01 3 StR 6/09 3 StR 601/08 4 StR 354/09 2 StR 299/09 4 StR 292/09 StB 28/09 3 StR 373/09 3 StR 392/09 4 StR 408/09 3 StR 410/09 2 StR 377/09 3 StR 372/09 5 StR 242/09 5 StR 171/09 1 StR 205/09 2 StR 351/09 StB 20/09 4 StR 373/09 4 StR 445/09 2 StR 324/09 3 StR 428/09 1 StR 162/09 4 StR 443/09 5 StR 530/08 4 StR 275/09 3 StR 244/09 4 StR 276/09 3 StR 400/09 4 StR 245/09 4 StR 524/09 2 StR 495/09 4 StR 341/09 2 StR 363/09 4 StR 477/09 StBSt (R) 2/09 1 StR 277/09
311 328 158 216 434 40 340 81 252 261 244 14, 89 211 132 415 358 9, 91 341 260 13, 66 442 479 386 137 368 315 208 390, 451 62 42 214 229 431 379 237 44 299
392
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B U B B U U B B B B U B B B B B B B U B B B B B B B B B U B B B B U U B B U B B B B
8.12.2009 9.12.2009 15.12.2009 17.12.2009 5.1.2010 12.1.2010 12.1.2010 12.1.2010 13.1.2010 13.1.2010 13.1.2010 13.1.2010 14.1.2010 14.1.2010 14.1.2010 14.1.2010 14.1.2010 14.1.2010 19.1.2010 19.1.2010 19.1.2010 20.1.2010 21.1.2010 26.1.2010 26.1.2010 26.1.2010 27.1.2010 27.1.2010 27.1.2010 27.1.2010 27.1.2010 28.1.2010 28.1.2010 28.1.2010 2.2.2010 2.2.2010 2.2.2010 3.2.2010 4.2.2010 4.2.2010 4.2.2010 4.2.2010 4.2.2010 4.2.2010 9.2.2010 9.2.2010
5 StR 433/09 1 StR 563/09 StB 52/09 3 StR 367/09 4 StR 478/09 1 StR 272/09 3 StR 519/09 4 StR 589/09 2 StR 439/09 2 StR 439/09 5 StR 506/09 3 StR 528/09 3 StR 403/09 5 StR 435/09 4 StR 450/09 1 StR 587/09 1 StR 595/09 1 StR 620/09 3 StR 451/09 3 StR 530/09 4 StR 605/09 2 StR 403/09 4 StR 518/09 3 StR 442/09 5 StR 478/09 5 StR 528/09 5 StR 254/09 5 StR 432/09 2 StR 444/09 5 StR 488/09 2 StR 535/09 5 StR 169/09 3 StR 533/09 4 StR 622/09 4 StR 514/09 4 StR 620/09 3 StR 4/10 2 StR 368/09 4 StR 394/09 3 StR 555/09 3 StR 564/09 1 StR 95/09 1 StR 3/10 3 StR 8/10 4 StR 355/09 4 StR 556/09
95 435 155 313 201 192 384 195 12, 20 36 30 401 365 458 187 426, 447 122 376 383 329 22 92 420 253 94 468 138 93 389 250 381 392, 394 175 448 41, 67 399 279 268 325 235 462 236 410 101 419 259
393
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Art
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Fußnote
B B B U U U U U B B B U B B B B U B B B U U B B B U B B U B U B B B B B B B U U U U B B B B
9.2.2010 9.2.2010 9.2.2010 10.2.2010 10.2.2010 10.2.2010 11.2.2010 11.2.2010 16.2.2010 17.2.2010 17.2.2010 18.2.2010 18.2.2010 23.2.2010 23.2.2010 23.2.2010 23.2.2010 23.2.2010 23.2.2010 24.2.2010 24.2.2010 24.2.2010 24.2.2010 24.2.2010 25.2.2010 25.2.2010 2.3.2010 2.3.2010 3.3.2010 4.3.2010 9.3.2010 9.3.2010 9.3.2010 11.3.2010 16.3.2010 17.3.2010 17.3.2010 18.3.2010 23.3.2010 25.3.2010 25.3.2010 25.3.2010 25.3.2010 30.3.2010 31.3.2010 1.4.2010
4 StR 660/09 3 StR 11/10 3 StR 17/10 5 StR 328/09 2 StR 391/09 2 StR 503/09 4 StR 433/09 4 StR 436/09 4 StR 574/09 2 StR 524/09 3 StR 10/10 3 StR 556/09 4 StR 633/09 4 StR 438/09 5 StR 548/09 4 StR 599/09 1 StR 623/09 1 StR 627/09 1 StR 652/09 1 StR 260/09 2 StR 509/09 2 StR 577/09 5 StR 13/10 5 StR 23/10 5 StR 542/09 4 StR 575/09 4 StR 619/09 3 StR 53/10 2 StR 427/09 4 StR 62/10 1 StR 554/09 4 StR 606/09 4 StR 640/09 4 StR 22/10 4 StR 82/10 2 StR 67/10 2 StR 27/10 3 StR 65/10 5 StR 7/10 4 StR 522/09 4 StR 594/09 1 StR 601/09 5 StR 83/10 4 StR 67/10 2 StR 31/10 3 StR 456/09
397 223 136, 222 172 70, 180 182 421 353 165 343 199 220 278 230 372 438 263 309 194 356 108 176 478 352 227 174, 202 387, 396 135 461 256 125 324 417 61 257 277 323 72 249 203 258 25 167, 463 55 402 255
394
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
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Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B U U B B B B B B B U B B U B B B B B U B B
1.4.2010 1.4.2010 7.4.2010 8.4.2010 8.4.2010 13.4.2010 13.4.2010 13.4.2010 13.4.2010 14.4.2010 14.4.2010 14.4.2010 14.4.2010 15.4.2010 15.4.2010 20.4.2010 21.4.2010 21.4.2010 21.4.2010 27.4.2010 27.4.2010 27.4.2010 27.4.2010 27.4.2010 28.4.2010 28.4.2010 29.4.2010 29.4.2010 5.5.2010 6.5.2010 6.5.2010 11.5.2010 11.5.2010 11.5.2010 11.5.2010 12.5.2010 12.5.2010 12.5.2010 18.5.2010 18.5.2010 18.5.2010 18.5.2010 18.5.2010 19.5.2010 19.5.2010 19.5.2010
4 StR 637/09 3 StR 30/10 2 StR 153/09 5 StR 491/09 2 StR 17/10 5 StR 113/10 5 StR 428/09 3 StR 24/10 3 StR 24/10 5 StR 122/10 2 StR 42/10 1 StR 64/10 2 StR 87/10 3 StR 89/10 5 StR 96/10 4 StR 119/10 4 StR 245/09 4 StR 635/09 GSSt 1/09 3 StR 106/10 5 StR 127/10 5 StR 460/08 3 StR 75/10 3 StR 79/10 2 StR 595/09 2 StR 77/10 3 StR 314/09 1 StR 644/09 4 StR 72/10 3 StR 62/10 4 StR 98/10 3 StR 105/10 4 StR 117/10 3 StR 125/10 1 StR 40/10 1 StR 530/09 4 StR 577/09 2 StR 46/10 4 StR 139/10 3 StR 140/10 5 StR 143/10 4 StR 182/10 5 StR 51/10 2 StR 102/10 1 StR 148/10 5 StR 182/10
2, 321 455 247 266 228 49 243 33, 351 453 275 440 409 11, 35 288 483 279 472 84 366 46 459 367 274 73 317 59 251 377 217 139 60 21 320 45 123, 124 475 119 458 164 285 31 85 490 47 156 71
395
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U U B B B U B B B B B B U B B B U B B B B B U U U U B U B B B B U B B U B B B U U B B B B B
19.5.2010 19.5.2010 20.5.2010 20.5.2010 20.5.2010 20.5.2010 25.5.2010 26.5.2010 1.6.2010 2.6.2010 9.6.2010 9.6.2010 10.6.2010 10.6.2010 15.6.2010 15.6.2010 17.6.2010 17.6.2010 22.6.2010 23.6.2010 23.6.2010 24.6.2010 24.6.2010 24.6.2010 24.6.2010 25.6.2010 29.6.2010 30.6.2010 1.7.2010 1.7.2010 6.7.2010 6.7.2010 6.7.2010 6.7.2010 6.7.2010 6.7.2010 7.7.2010 7.7.2010 7.7.2010 8.7.2010 8.7.2010 8.7.2010 13.7.2010 13.7.2010 14.7.2010 14.7.2010
2 StR 278/09 5 StR 464/09 5 StR 138/10 3 StR 166/10 1 StR 577/09 3 StR 78/10 1 StR 59/10 2 StR 263/10 3 StR 167/10 5 StR 42/10 1 StR 187/10 2 StR 554/09 4 StR 474/09 2 StR 78/10 3 StR 157/10 4 StR 229/10 4 StR 126/10 AK 3/10 4 StR 216/10 2 StR 203/10 2 StR 243/10 4 StR 260/10 3 StR 69/10 3 StR 84/10 3 StR 90/10 2 StR 454/09 1 StR 157/10 2 StR 455/09 1 StR 195/10 1 StR 259/10 3 StR 180/10 3 StR 224/10 5 StR 386/09 4 StR 555/09 AnwSt (B) 1/10 3 StR 12/10 2 StR 100/10 1 StR 212/10 5 StR 555/09 3 StR 151/10 4 StR 210/10 4 StR 79/10 1 StR 239/10 1 StR 251/10 2 StR 104/10 1 StR 123/10
28 157 239 484 294 27 272 121 287 284 412 264 233 388 491 105 128 298 360 269 161 170 359 86, 133 242 189 428, 445 314 414 444 225 186 300 19, 173 474 10, 32 234, 480 429 488 171 273 473 134 493 207 362
396
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
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Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B B B B B U U B U B B B B B B B B B U U B B B B U B B B B B B B B U U U B B B B
14.7.2010 14.7.2010 20.7.2010 20.7.2010 20.7.2010 20.7.2010 20.7.2010 20.7.2010 21.7.2010 21.7.2010 21.7.2010 22.7.2010 22.7.2010 22.7.2010 22.7.2010 22.7.2010 22.7.2010 27.7.2010 27.7.2010 27.7.2010 27.7.2010 27.7.2010 28.7.2010 28.7.2010 28.7.2010 29.7.2010 29.7.2010 3.8.2010 3.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 4.8.2010 5.8.2010 5.8.2010 5.8.2010 5.8.2010 5.8.2010 5.8.2010 5.8.2010
2 StR 158/10 1 StR 245/09 3 StR 193/10 5 StR 199/10 3 StR 218/10 3 StR 250/10 3 StR 76/10 StB 20/10 5 StR 212/10 5 StR 246/10 5 StR 60/10 3 StR 147/10 3 StR 156/10 4 StR 180/10 5 StR 204/10 5 StR 256/10 4 StR 286/10 4 StR 165/10 1 StR 319/10 1 StR 345/10 1 StR 353/10 4 StR 84/10 1 StR 332/10 1 StR 643/09 1 StR 643/09 4 StR 190/10 1 StR 349/10 4 StR 157/10 4 StR 192/10 2 StR 118/10 5 StR 184/10 3 StR 192/10 2 StR 205/10 2 StR 239/10 3 StR 105/10 3 StR 276/10 2 StR 298/10 2 StR 365/10 5 AR (VS) 22/10 3 StR 190/10 3 StR 195/10 3 StR 210/10 2 StR 254/10 3 StR 271/10 4 StR 313/10 2 StR 340/10
363 238 327 290 51, 371 441 393 487 449 179 113 142 80 23, 184 100 209 280 48 218 407 418 129 295 296 452, 454 424 65 84 436 37 143 57 400 181 476 427 204 319 286 221 416 213 348 76 319 89
397
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B U B B B B B U B B U B B U U B B B B U B B B B B B B B B B B B B U U B B B B B B B
5.8.2010 10.8.2010 10.8.2010 10.8.2010 11.8.2010 12.8.2010 12.8.2010 12.8.2010 17.8.2010 17.8.2010 18.8.2010 18.8.2010 19.8.2010 19.8.2010 19.8.2010 25.8.2010 25.8.2010 27.8.2010 31.8.2010 1.9.2010 1.9.2010 1.9.2010 1.9.2010 2.9.2010 7.9.2010 7.9.2010 8.9.2010 8.9.2010 13.9.2010 13.9.2010 14.9.2010 14.9.2010 14.9.2010 14.9.2010 15.9.2010 15.9.2010 15.9.2010 15.9.2010 15.9.2010 20.9.2010 20.9.2010 22.9.2010 22.9.2010 28.9.2010 28.9.2010 28.9.2010
2 StR 385/10 3 StR 251/10 3 StR 268/10 4 StR 333/10 2 StR 128/10 4 StR 147/10 4 StR 293/10 4 StR 378/10 3 StR 265/10 4 StR 347/10 2 StR 231/10 2 StR 295/10 3 StR 313/10 4 StR 657/09 3 StR 98/10 1 StR 393/10 1 StR 410/10 2 StR 111/09 5 StR 159/10 2 StR 179/10 5 StR 262/10 5 StR 324/10 2 StR 418/10 3 StR 273/10 4 StR 342/10 4 StR 393/10 2 StR 310/10 2 StR 407/10 1 StR 220/09 1 StR 423/10 3 StR 131/10 5 StR 336/10 4 StR 422/10 3 StR 573/09 2 StR 236/10 2 StR 281/10 2 StR 369/10 2 StR 395/10 2 StR 400/10 4 StR 395/10 4 StR 408/10 2 StR 268/10 2 StR 429/10 4 StR 245/10 3 StR 261/10 5 StR 330/10
219 83 430 276 210 423, 460 344 312 168 292 98 226 459 477 364 69, 183 90 245 489 178 425 215 160 212 163 87 433 79 246 24 82, 395 18 85 350 254 369 68 197, 224 193 156 159 289 443 262 29 43
398
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B U U B B B B B B B B B B B B B B B B B B U B B U B B B B B B B U B B B B B B B
28.9.2010 28.9.2010 28.9.2010 28.9.2010 28.9.2010 29.9.2010 29.9.2010 30.9.2010 30.9.2010 5.10.2010 5.10.2010 5.10.2010 5.10.2010 5.10.2010 5.10.2010 5.10.2010 7.10.2010 7.10.2010 7.10.2010 8.10.2010 9.10.2010 9.10.2010 9.10.2010 11.10.2010 12.10.2010 13.10.2010 14.10.2010 14.10.2010 15.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 19.10.2010 20.10.2010 20.10.2010 25.10.2010 26.10.2010 26.10.2010 26.10.2010 27.10.2010 27.10.2010 27.10.2010
3 StR 338/10 3 StR 359/10 4 StR 371/10 5 StR 383/10 4 StR 442/10 2 StR 371/10 2 StR 463/10 4 StR 150/10 3 StR 294/10 1 StR 264/10 3 StR 274/10 3 StR 287/10 3 StR 339/10 3 StR 353/10 3 StR 370/10 4 StR 448/10 3 StR 168/10 3 StR 375/10 1 StR 424/10 1 StR 347/10 5 StR 394/10 5 StR 440/10 5 StR 474/10 1 StR 359/10 3 StR 381/10 5 StR 179/10 5 StR 299/10 5 StR 299/10 5 StR 119/10 4 StR 264/10 1 StR 266/10 4 StR 277/10 4 StR 295/10 1 StR 462/10 4 StR 465/10 1 StR 495/10 1 StR 510/10 1 StR 400/10 2 StR 434/10 1 StR 369/10 4 StR 397/10 5 StR 433/10 4 StR 495/10 2 StR 331/10 5 StR 419/10 2 StR 489/10
198 282, 406 58 162 200 404 185 422 232, 291 370 109 318, 450 75, 281 270 465 126 188 104, 446 248 405 114 114 114 405 63 482 437, 439 271 375, 391 196 413 141 481 466 50 380 322 398 177 464 169 411 74 457 403 54
399
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B U B B B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B
27.10.2010 28.10.2010 28.10.2010 28.10.2010 28.10.2010 28.10.2010 28.10.2010 2.11.2010 2.11.2010 2.11.2010 2.11.2010 3.11.2010 3.11.2010 3.11.2010 3.11.2010 4.11.2010 4.11.2010 8.11.2010 9.11.2010 9.11.2010 9.11.2010 9.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 10.11.2010 11.11.2010 15.11.2010 16.11.2010 16.11.2010 16.11.2010 16.11.2010 17.11.2010 18.11.2010 18.11.2010 23.11.2010 23.11.2010 23.11.2010 30.11.2010 30.11.2010 30.11.2010 2.12.2010 3.12.2010
2 StR 514/10 4 StR 215/10 5 StR 226/10 4 StR 338/10 4 StR 359/10 4 StR 388/10 4 StR 402/10 1 StR 469/10 4 StR 473/10 4 StR 522/10 1 StR 581/09 1 StR 449/10 1 StR 497/10 1 StR 500/10 1 StR 520/10 4 StR 374/10 4 StR 404/10 5 StR 478/10 4 StR 441/10 4 StR 447/10 4 StR 509/10 4 StR 532/10 2 StR 320/10 5 StR 377/10 5 StR 389/10 5 StR 397/10 5 StR 408/10 5 StR 464/10 2 StR 483/10 4 StR 489/10 4 StR 413/10 4 StR 469/10 1 StR 502/10 4 StR 530/10 1 StR 539/10 1 StR 145/10 2 StR 334/10 2 StR 397/10 3 StR 403/10 3 StR 421/10 5 StR 492/10 3 StR 428/10 1 StR 509/10 1 StR 574/10 4 StR 459/10 1 StR 538/10
347 346 88 469 385 432 231 408 140 166 267 408 378 354 467 80 336 486 96 345 127 53 190 117 117 117 117 80 38 52, 206 135 99 240 382 310 373 485 130 78 131 106 156 374 297 104 77
400
Register der BGH-Entscheidungen (chronologisch)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B U B B
8.12.2010 8.12.2010 9.12.2010 12.1.2011
5 StR 516/10 2 StR 536/10 5 StR 485/10 GSST 1/10
205 26 456 357
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen) (B = Beschluss; U = Urteil) Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B U B U B B B U U B U B B U B B U B U B B U B B B U B B B B B B B B B B B
12.1.2011 4.2.2010 10.11.2009 28.10.2009 13.9.2010 14.7.2010 24.2.2010 12.1.2010 8.12.2009 12.5.2010 9.3.2010 9.12.2009 20.5.2010 2.11.2010 14.1.2010 14.1.2010 25.3.2010 14.1.2010 23.2.2010 23.2.2010 28.7.2010 28.7.2010 29.4.2010 23.2.2010 4.2.2010 11.5.2010 25.5.2010 14.4.2010 14.7.2010 17.11.2010 19.5.2010 29.6.2010 9.6.2010 1.7.2010 7.7.2010 13.7.2010 13.7.2010
GSST 1/10 1 StR 95/09 1 StR 162/09 1 StR 205/09 1 StR 220/09 1 StR 245/09 1 StR 260/09 1 StR 272/09 1 StR 277/09 1 StR 530/09 1 StR 554/09 1 StR 563/09 1 StR 577/09 1 StR 581/09 1 StR 587/09 1 StR 595/09 1 StR 601/09 1 StR 620/09 1 StR 623/09 1 StR 627/09 1 StR 643/09 1 StR 643/09 1 StR 644/09 1 StR 652/09 1 StR 3/10 1 StR 40/10 1 StR 59/10 1 StR 64/10 1 StR 123/10 1 StR 145/10 1 StR 148/10 1 StR 157/10 1 StR 187/10 1 StR 195/10 1 StR 212/10 1 StR 239/10 1 StR 251/10
357 236 386 358 246 238 356, 357 192 299 475 125 435 294 267 426, 447 122 25 376 263 309 296 452, 454 377 194 410 123, 124 272 409 362 373 156 428, 445 412 414 429 134 493
402
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B U B U B B U U U B U B U U U B U
1.7.2010 5.10.2010 19.10.2010 27.7.2010 28.7.2010 27.7.2010 8.10.2010 29.7.2010 27.7.2010 11.10.2010 25.10.2010 25.8.2010 20.10.2010 25.8.2010 13.9.2010 7.10.2010 3.11.2010 19.10.2010 2.11.2010 19.10.2010 3.11.2010 3.11.2010 16.11.2010 30.11.2010 19.10.2010 3.11.2010 3.12.2010 16.11.2010 30.11.2010 8.8.2001 27.8.2010 7.4.2010 19.5.2010 16.9.2009 5.11.2009 28.10.2009 2.12.2009 3.2.2010 21.10.2009 10.2.2010 20.1.2010 3.3.2010 13.1.2010 13.1.2010 27.1.2010 25.6.2010
1 StR 259/10 1 StR 264/10 1 StR 266/10 1 StR 319/10 1 StR 332/10 1 StR 345/10 1 StR 347/10 1 StR 349/10 1 StR 353/10 1 StR 359/10 1 StR 369/10 1 StR 393/10 1 StR 400/10 1 StR 410/10 1 StR 423/10 1 StR 424/10 1 StR 449/10 1 StR 462/10 1 StR 469/10 1 StR 495/10 1 StR 497/10 1 StR 500/10 1 StR 502/10 1 StR 509/10 1 StR 510/10 1 StR 520/10 1 StR 538/10 1 StR 539/10 1 StR 574/10 2 StR 285/01 2 StR 111/09 2 StR 153/09 2 StR 278/09 2 StR 299/09 2 StR 324/09 2 StR 351/09 2 StR 363/09 2 StR 368/09 2 StR 377/09 2 StR 391/09 2 StR 403/09 2 StR 427/09 2 StR 439/09 2 StR 439/09 2 StR 444/09 2 StR 454/09
444 370 413 218 295 407 405 65 418 405 464 69, 183 398 90 24 248 408 466 408 380 378 354 240 374 322 467 77 310 297 311 245 247 28 434 442 9, 91 379 268 14, 89 70, 180 92 461 12, 20 36 389 189
403
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
U B U U B B B U B B B B B U B U B B B U B B B B B B B B B B B B B B B U B B B B B B B B B B
30.6.2010 25.11.2009 10.2.2010 24.2.2010 17.2.2010 27.1.2010 9.6.2010 24.2.2010 28.4.2010 8.4.2010 17.3.2010 31.3.2010 14.4.2010 12.5.2010 17.3.2010 28.4.2010 10.6.2010 14.4.2010 7.7.2010 19.5.2010 14.7.2010 4.8.2010 11.8.2010 14.7.2010 1.9.2010 23.6.2010 4.8.2010 18.8.2010 15.9.2010 4.8.2010 23.6.2010 5.8.2010 26.5.2010 22.9.2010 15.9.2010 18.8.2010 4.8.2010 8.9.2010 10.11.2010 27.10.2010 18.11.2010 5.8.2010 4.8.2010 15.9.2010 29.9.2010 5.8.2010
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404
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
U B U B B B U B B B B U B B B U B U B B B B B B B B B B B B U B U B B B B B B U B B B B B B
15.9.2010 18.11.2010 15.9.2010 8.9.2010 1.9.2010 22.9.2010 20.10.2010 29.9.2010 10.11.2010 27.10.2010 27.10.2010 8.12.2010 1.9.2009 16.6.2009 19.11.2009 29.4.2010 17.12.2009 22.10.2009 6.10.2009 20.10.2009 19.11.2009 14.1.2010 20.10.2009 5.11.2009 26.1.2010 19.1.2010 1.4.2010 12.1.2010 13.1.2010 19.1.2010 28.1.2010 4.2.2010 18.2.2010 4.2.2010 14.9.2010 2.2.2010 4.2.2010 17.2.2010 9.2.2010 6.7.2010 9.2.2010 13.4.2010 13.4.2010 1.4.2010 2.3.2010 6.5.2010
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405
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B U B B U B U B U U B B B B B B U U U B B B B B U B B U U B B B B B B B B U B B B U B B B B
18.3.2010 24.6.2010 27.4.2010 20.7.2010 20.5.2010 27.4.2010 24.6.2010 15.4.2010 24.6.2010 19.8.2010 11.5.2010 4.8.2010 27.4.2010 11.5.2010 14.9.2010 18.5.2010 22.7.2010 8.7.2010 22.7.2010 15.6.2010 20.5.2010 1.6.2010 7.10.2010 6.7.2010 5.8.2010 4.8.2010 20.7.2010 5.8.2010 5.8.2010 20.7.2010 6.7.2010 20.7.2010 10.8.2010 28.9.2010 17.8.2010 10.8.2010 5.8.2010 2.9.2010 5.10.2010 4.8.2010 5.10.2010 30.9.2010 19.8.2010 28.9.2010 5.10.2010 5.10.2010
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406
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B B B U B B B B B B U B U U B B B U U B B B U U B B B B U B B U B B B B B B B B
28.9.2010 5.10.2010 7.10.2010 12.10.2010 23.11.2010 23.11.2010 30.11.2010 24.11.2009 21.4.2010 12.11.2009 19.11.2009 22.9.2009 26.11.2009 8.9.2009 9.2.2010 3.11.2009 4.2.2010 20.10.2009 11.2.2010 11.2.2010 23.2.2010 10.11.2009 3.11.2009 14.1.2010 10.6.2010 3.12.2009 5.1.2010 2.2.2010 21.1.2010 25.3.2010 24.11.2009 6.7.2010 9.2.2010 16.2.2010 25.2.2010 12.5.2010 12.1.2010 25.3.2010 23.2.2010 19.1.2010 9.3.2010 2.3.2010 2.2.2010 28.1.2010 18.2.2010 21.4.2010
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407
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B B B B B B B B U B U U B B B B U B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B
1.4.2010 9.3.2010 19.8.2010 9.2.2010 11.3.2010 4.3.2010 30.3.2010 5.5.2010 8.7.2010 16.3.2010 27.7.2010 6.5.2010 11.5.2010 20.4.2010 17.6.2010 18.5.2010 12.8.2010 30.9.2010 3.8.2010 27.7.2010 22.7.2010 18.5.2010 29.7.2010 3.8.2010 8.7.2010 28.10.2010 22.6.2010 15.6.2010 28.9.2010 24.6.2010 19.10.2010 19.10.2010 22.7.2010 12.8.2010 19.10.2010 5.8.2010 10.8.2010 28.10.2010 7.9.2010 17.8.2010 28.10.2010 28.9.2010 4.11.2010 12.8.2010 28.10.2010 7.9.2010
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408
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B U B B B B U U U B B B U B B B B B B B B U B B
20.9.2010 26.10.2010 28.10.2010 4.11.2010 20.9.2010 15.11.2010 14.9.2010 9.11.2010 28.9.2010 9.11.2010 5.10.2010 2.12.2010 19.10.2010 16.11.2010 2.11.2010 11.11.2010 26.10.2010 9.11.2010 2.11.2010 16.11.2010 9.11.2010 4.8.2010 27.4.2010 11.11.2009 28.1.2010 28.10.2009 27.10.2009 27.1.2010 10.2.2010 6.7.2010 13.4.2010 27.1.2010 8.12.2009 14.1.2010 19.5.2010 26.1.2010 27.1.2010 8.4.2010 13.1.2010 26.1.2010 25.2.2010 23.2.2010 7.7.2010 23.3.2010 24.2.2010 24.2.2010
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409
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Art
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
B B B B B B B B B B B U B B U B U B B B B B B U B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B B
2.6.2010 18.5.2010 21.7.2010 25.3.2010 15.4.2010 13.4.2010 15.10.2010 14.4.2010 27.4.2010 20.5.2010 18.5.2010 31.8.2010 13.10.2010 19.5.2010 4.8.2010 20.7.2010 22.7.2010 21.7.2010 28.10.2010 21.7.2010 22.7.2010 1.9.2010 14.10.2010 14.10.2010 1.9.2010 28.9.2010 14.9.2010 10.11.2010 28.9.2010 10.11.2010 9.10.2010 10.11.2010 10.11.2010 27.10.2010 26.10.2010 9.10.2010 10.11.2010 9.10.2010 8.11.2010 9.12.2010 23.11.2010 8.12.2010 17.6.2010 6.7.2010 21.4.2010 29.10.2009
5 StR 42/10 5 StR 51/10 5 StR 60/10 5 StR 83/10 5 StR 96/10 5 StR 113/10 5 StR 119/10 5 StR 122/10 5 StR 127/10 5 StR 138/10 5 StR 143/10 5 StR 159/10 5 StR 179/10 5 StR 182/10 5 StR 184/10 5 StR 199/10 5 StR 204/10 5 StR 212/10 5 StR 226/10 5 StR 246/10 5 StR 256/10 5 StR 262/10 5 StR 299/10 5 StR 299/10 5 StR 324/10 5 StR 330/10 5 StR 336/10 5 StR 377/10 5 StR 383/10 5 StR 389/10 5 StR 394/10 5 StR 397/10 5 StR 408/10 5 StR 419/10 5 StR 433/10 5 StR 440/10 5 StR 464/10 5 StR 474/10 5 StR 478/10 5 StR 485/10 5 StR 492/10 5 StR 516/10 AK 3/10 AnwSt (B) 1/10 GSSt 1/09 StB 20/09
284 490 113 167, 463 483 49 375, 391 275 459 239 31 489 482 71 143 290 100 449 88 179 209 425 437, 439 271 215 43 18 117 162 117 114 117 117 403 411 114 80 114 486 456 106 205 298 474 366 341
410
B B B U
Register der BGH-Entscheidungen (nach Aktenzeichen)
Datum
Aktenzeichen
Fußnote
22.9.2009 15.12.2009 20.7.2010 7.12.2009
StB 28/09 StB 52/09 StB 20/10 StBSt (R) 2/09
340 155 487 44
Sachregister Die Zahlen beziehen sich auf Randziffern Abgrenzung – Beihilfe und Mittäterschaft 7, 23 Ablehnung – eines Beweisantrags 379 ff Ablehnung eines Beweisantrags – Auslandszeuge 383 – Bedeutungslosigkeit 384 – Ungeeignetheit der Beweiserhebung 384 – Urteilsgründe 382 – Vermischung von Ablehnungsgründen 381 – Verschleppungsabsicht 385 – Völlige Ungeeignetheit 384 – Wahrunterstellung 380, 382 – weiteres Sachverständigengutachten 381 – Widerspruch der Urteilsgründe 381 – Wiedergabe des Gesetzestextes 379 Ablehnung eines Richters 310 ff – wegen Vorbefassung 312 Absatzbemühungen – Hehlerei 225 Absolute Revisionsgründe 164, 195, 292, 294, 351, 356, 368 ff, 454, 458 ff, 488 Abstrakte Lebensgefahr – gefährliche Körperverletzung 188 ff Abwehrwille – bei sexueller Nötigung 156 f Abwesenheit – des Angeklagten 369 f Abwesenheit des Angeklagten – Augenscheinseinnahme 368, 370 – Revision 454 ff – Sachverständigengutachten zur Vernehmungsfähigkeit einer Zeugin 369 – während der Zeugenentlassung 366 – Wesentlicher Teil der Hauptverhandlung 457 Abwesenheit des Pflichtverteidigers – Revision 456 Adhäsionsverfahren 479 ff – Antragsberechtigung des Antragsstellers 479 – Begründung im Urteil 479 ff
– Haftsache 485 – Prozesskostenhilfeantrag des Nebenklägers 482 – Urteilsfeststellungen 480 – Zurückverweisung im Revisionsverfahren 481 Akten – Anspruch des Verteidigers auf Kopien der ~ 354 – Einsicht des Verteidigers 353 f Aktenbeiziehung 441 Akteneinsicht 353 f – Aktenbestandteile aus fremden Verfahren 441 – Anspruch des Verteidigers auf Kopien der Akten 354 – des Zeugen 487 – Revisionsrüge der Beschränkung der Verteidigung 441 Allgemeiner Teil des StGB 1 ff Alternativverhalten – Berücksichtigung bei Strafzumessung 60 Alternative Geschehensabläufe – Beweiswürdigung 464 f Anfechtungsrecht – des Nebenklägers 484 Angeklagter – Abwesenheit des ~ 364 f, 454 ff, 457 Anhörungsrüge 476 f Ankauf von Steuerdaten – Daten-CD 294 Anklage – Anklagesatz 356 – Gegenstand mehrere Taten 359 – Schweigen des Protokolls bezgl. Verlesen der ~ 362 Anklagesatz – Bezeichnung der Taten 356 f – Ergänzung aus dem Ergebnis der wesentlichen Ermittlungen 358 – Gleichartige Taten 357 Anordnung der Sicherungsverwahrung – nachträgliche ~ 104 ff
412 Ansprüche eines Verletzten – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 345 Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung 110 Anwesenheit – des notwendigen Verteidigers in der HV 351 Arbeitsentgelt – Vorenthalten und Veruntreuen von ~ 240 Arglosigkeit – bei Tatbeginn 171 – bewusstes Ausnutzen der ~ 169 Arzneimittelgesetz 300 Ärzteerklärungen – Verlesung 390 Aufklärungserfolg 67 Aufklärungshilfe 5, 63 ff – durch das Opfer der Katalogtat 64 – Kronzeugenregelung 63 – Milderung gem. § 31 BtMG 287 – Präklusion 70 – Überleitungsvorschrift 65 ff – vertypter Strafmilderungsgrund 71 – Voraussetzungen 64 Aufklärungshilfe nach § 31 BtMG 67 f, 287 Aufrechterhaltung der Beschlagnahme Erlangtes 345 f – Erwerb des Staates 346 f – für Taten vor dem 1.1.2007 342 – gemäß § 111i StPO 342 ff – Härtefallregelung des § 73c StGB 347 – in Urteilsformel 343 – Verfall 345 – Wert des Erlangten 345 f – Wert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten 347 Aufrechterhaltung einer Fahrerlaubnissperre 7 Augenblickstaten – Sicherungsverwahrung 102 Augenschein – bei Abwesenheit des Angeklagten 368, 370 Ausdruck einer Computerdatei – Urkunde 242 Auskunftsverweigerungsrecht 327 – Verlesung einer Vernehmungsniederschrift 387 Ausländer – Strafempfindlichkeit 160 Ausländerrechtliche Folgen – Berücksichtigung bei Strafzumessung 57
Sachregister
Ausländische Gesellschaft – Untreue 235 Ausländische terroristiche Vereinigungen 142 Ausländische Vorverurteilungen – Gesamtstrafübel 88 Auslandszeuge – Verlesung der Vernehmungsniederschrift 387 Auslesen der Magnetstreifen 141 Ausnutzen einer schutzlosen Lage – i.S.v. § 177 StGB 158 Aussage gegen Aussage – Beweiswürdigung 468 Ausschließung vom Richteramt 310 ff Aussetzung des Vollzugs einer Unterbringung 100 Ausspähen von Daten – Skimming 162 Automatische Entlassung – konventionswidrig untergebrachter Sicherungsverwahrter 106 Banden – Strafzumessungsverstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB 288 Bankrott 243 Bedeutender Wert i.S.v. § 315b StGB – Wertgrenze 256 Bedeutungslosigkeit – Ablehnung eines Beweisantrags 384 Bedingter Vorsatz – bei Straftaten gegen das Leben 164 – Brandstiftung 249 Beendeter Versuch 3, 15 ff Beendigung – der medizinischen Behandlung 178 Beendigung des Beamtenverhältnisses – Berücksichtigung bei Strafzumessung 58 Befangenheit – bei unzulässig kurzer Fristsetzung für Beweisanträge 315 – eines Schöffen 316 – Ergänzende Belehrung eines Zeugen 314 – Gespräche über eine Verständigung 317 – Verständigung 453 – wegen Vorbefassung 312 ff Beginn – der Revisionsbegründungsfrist 435 Begrenzung – der medizinischen Behandlung 178
Sachregister
Behandlungsabbruch – eigenmächtige Umsetzung des vermeintlichen Patientenwillens 179 Behandlungsabbruch 178 Beharrlichkeit – der Nachstellung 196 Behördenerklärungen – Verlesung 389 Beihilfe – Abgrenzung von Mittäterschaft 7, 23 – Abgrenzung zur Mittäterschaft bei Betäubungsmittelhandel 280 f – Abgrenzung zur Mittäterschaft bei gemeinschaftlicher Körperverletzung 191 – psychische 7, 25 f – Vorsatz zum schweren Raub 224 – zum Betäubungsmittelhandel durch Wohnungsüberlassung 278 – zum schweren Raub 224 Beinahe-Unfall 254 Beischlaf zwischen Verwandten 150 Beischlafähnliche Handlungen 150 Beistand – Zuziehung eines anwaltlichen ~s 327 Belastungszeuge – Mitangeklagter 491 Belehrung – Verständigung 409 Bemächtigungslage – Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme 198 ff Bemessung der Kompensation – bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen 34 ff Beratung – Urteil 413 Bereicherungsabsicht – Entziehung Minderjähriger 195 Berichtigungsbeschluss – Urteilsformel 428 Bersorgnis der Befangenheit 310 ff Berufs- und Standesrechtliche Folgen – Berücksichtigung bei Strafzumessung 58 f Berufsgeheimnisträger – Beschlagnahmeverbot 333 Berufungsbeschränkung – Bewährung und Gesamtstrafe 431 Beruhen – Revision 450 Beschlagnahme – Aufrechterhaltung der ~ gem. § 111i StPO 342 ff Beschlagnahmeverbot – Rundfunkanstalt 332
413 Beschleunigungsgebot 97 siehe rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung – in Haftsachen 349 Beschluss – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 343 Beschränkung – von Rechtsmitteln 430 ff Beschränkung der Verteidigung – Akteneinsicht 441 Beschwer – des Angeklagten 489 – Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung 449 Besetzung – der Strafkammern 306 Besetzung des Gerichts – Besetzungseinwand 452 – Eröffnungsbeschluss 360 – Große Strafkammer 488 – Revision 451 f Besetzungseinwand 451 f Besitz – verschiedener Betäubungsmittel 276 f – verschiedener zum Handel bestimmter Betäubungsmittel 277 – von Betäubungsmitteln in Mittäterschaft 282 Besitz von Betäubungsmittel – gleichzeitiger ~ 276 f Besondere Umstände – bei Strafaussetzung zur Bewährung 95 Besonderes Persönliches Merkmal – Beisichführen einer Waffe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 273 – Bereicherungsabsicht bei der Entziehung Minderjähriger 195 Besonders gefährliche Tathandlungen – Indizwirkung für die Inkaufnahme eines Tötungserfolgs 138 Besonders schwerer Fall – des Diebstahls 207 Bestechlichkeit 257 f – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 80 – Indizwirkung eines Regelbeispiels 257 – Tateinheit 258 Bestimmtheitsgebot – Untreue 233 Betäubungsmittel – Besitz von ~ 276 f – Bewaffnetes Handeltreiben mit ~ 263, 268 ff – Nicht geringe Menge 266
414 – Transport über längere Strecken 282 – Transportpersonen 262 Betäubungsmittelkurier 283 Betäubungsmittelstrafrecht 261 ff, 265 ff – Absehen von Strafe gem. § 31 BtMG 284 – Beihilfe durch Wohnungsüberlassung 278 – Ermessen gem. § 31 BtMG 284 – Milderung gem. § 31 BtMG 284 – Minder schwerer Fall 275 – Verfall und Ersatzverfall 263 Betrug 227 ff – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 82 – Kredit~ 230 – Selbstbedienungs~ 227 – Subventions~ 229 – Vermögensschaden 228 Beurteilungsspielraum – des Vorsitzenden 324 Beutesicherung – Zeitpunkt und Vorsatz der Verwirklichung einer Qualifikation beim Raub 216 ff Bewaffnetes Handeltreiben – Besonderes persönliches Merkmal 273 – mit Betäubungsmitteln 263, 268 ff Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – Bewaffnung des Gehilfen 273 Bewährung 94 ff – bei Nichtvorliegen eines Geständnisses 95 Bewährungswiderruf 96 Beweisantrag 371 ff – Abgrenzung zum Beweisermittlungsantrag 377 – Ablehnung 379 – Beweisergebnis 447 – Beweistatsache 371 f – Form 375 f – Formulierung 380 – Fristsetzung 386 – Individualisierung der Zeugen 375 – konkrete Beweisbehauptung 372 – Konnexität 378 – Ladungsfähige Anschrift des Zeugen 376 f – Lügendetektor 374 – Mitangeklagter als Zeuge 373 – Voraussetzungen 378 – weiteres Sachverständigengutachten 381 Beweiserhebungsverbot – Folge Beweisverwertungsverbot 294
Sachregister
Beweisermittlungsantrag 377 Beweistatsache – Beweisantrag 371 Beweisverwertungsverbot – Beweiswürdigung 469 – Verdecktes Verhör 490 – WÜK 494 – Zwischenbescheid 470 – Fernwirkung 294 Beweiswürdigung – Alternative Geschehensabläufe 464 f – Aussage gegen Aussage 468 – DNA-Analyse-Spuren 471 – Erörterungsmängel 466 f – Freisprechendes Urteil 424 f – Revision 461 ff – Teilschweigen 469 – Urteil 419 – Verweigerung des Angeklagten an Mitwirkung zur Sachaufklärung 469 – Widerspruch zur Wahrunterstellung 382 – Zusatzbekundungen des Sachverständigen 472 Bewusst zweckwidriger Einsatz des Fahrzeugs – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 253 Bildaufnahmen – Maßnahme der Verkehrsüberwachung 337 Bindung früherer Verurteilungen 418 Blutprobe – Gefahr im Verzug 341 – nachträgliche Kontrolle der nichtrichterlichen Eilanordnung 341 – Richtervorbehalt 341 Brandstiftung 244 ff – bedingter Vorsatz 249 – gemischt-genutzte Gebäude 245 f – Ladengeschäft 247 CD – Ankauf von Steuerdaten
293 f
Daten-CD – Ankauf von Steuerdaten 293 f Dauer – der Untersuchungshaft 349 Dauerdelikt – Nachstellung 196 Deal 398 ff siehe Verständigung – Befangenheit 317 – Protokollvermerk 403 ff
Sachregister
– Punktstrafe 407 – Rechtsmittel 400 – Rechtsmittelrücknahme 410 – Strafober- und -untergrenze 406 f – Urteilsgründe 402 Diazepam – Nicht geringe Menge 266 Diebstahl 204 ff – Besonders schwerer Fall gem. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB 207 – fehlgeschlagener Versuch 204 f – Wohnungseinbruchsdiebstahl 206 – Zueignungswille 204 f Dirigierende Zuhälterei – Bestimmen bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution 161 Dispositionsfreiheit – Untreue 234 Dolch – Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 271 Doppelverwertungsverbot 41 ff – bei gefährlicher Körperverletzung durch einen hinterlistigen Überfall 43 – beim Versuch 42 – Gewinnerzielungsabsicht beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 46 Dritteinziehung 127 Drohung – mit einem gefährlichen Werkzeug 209 f – mit objektiv ungefährlichen Mitteln i.S.v. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB 215 Druck – Verständigung 400 Durchsuchung – auf Grund angekaufter Steuer-CD 294 – Gefahr im Verzug 329 – Rechtsanwaltskanzlei 333 – Verdachtslage 330 f Eifersucht – Niedrige Beweggründe 173 Eigennützig – i.S.v. § 29 BtMG 273 f, 280 Eigenverbrauch – Besitz von Betäubungsmitteln 276 Eilrechtsschutz – Bundesverfassungsgericht 495 f Einfuhr von Betäubungsmitteln 283 – Hilfeleisten bei der ~ 279 Eingriff in den Straßenverkehr 250 ff Einsteigen – Wohnungseinbruchsdiebstahl 206
415 Einstellung – Urteil 414 f Einstweilige Anordnung – Bundesverfassungsgericht 495 f – gegen nachträgliche Sicherungsverwahrung 107 – Rechtswegerschöpfung 496 Einzelstrafen – Verbot der Schlechterstellung in der Revision 478 Einziehung 6, 126 f – bei einem Dritten 127 – bei mehreren Beteiligten 127 Elektrokabel – gefährliches Werkzeug 183 Embryonenschutzgesetz 301 Entlassung des Zeugen – bei Abwesenheit des Angeklagten 366 f Entziehung Minderjähriger – Bereicherungsabsicht 195 Ergebnis der Ermittlungen – Ergänzung des Anklagesatzes 358 Ergebnis der Hauptverhandlung – Urteilsgründe 417 Ermittlungsakten – Akteneinsicht 353 – Anspruch des Verteidigers auf Kopien der ~ 354 – Darstellung eines unwahren Sachverhalts in den ~ 353 Ermittlungsmaßnahmen – gegen Rechtsanwälte und Medienangehörige 304 Eröffnungsbeschluss – Besetzung des Gerichts 360 Erörterungsmängel – Beweiswürdigung 466 f Erpresserischer Menschenraub 198 ff – Absicht 201 – stabile Bemächtigungssituation 199 f Erpressung 208 ff – bei Steuerdelikten 223 – Rückzahlungsanspruch 220 f – Vermögensrechtlicher Anspruch 139 Ersatzverfall – im Betäubungsmittelrecht 263 Erwachsenenstrafrecht – Heranwachsende 264, 291 Erweiterter Verfall 134 – alternative Anordnung des erweiterten Verfalls und des Verfalls von Wertersatz 122 – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 345
416 Fahren eines Fluchtfahrzeugs – Abgrenzung Beihilfe und Mittäterschaft 23 Fahrlässiges Unterlassen – Quasikausalität 180 Faires Verfahren 490 Fair-Trial-Grundsatz – Akteneinsicht 353 Falschgeld – Besitz und Strafklageverbrauch 146 – Gewerbsmäßiges Verschaffen von ~ 145 Fälschung von Zahlungskarten 147 ff Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion – Versuch 12 Fehlender Härteausgleich 86 ff Fehlerhafter Härteausgleich 86 ff Fehlgeschlagener Versuch 21 – Diebstahl 204 f Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten – „Vorauswirkung“ 294 Feststellungen zur Person des Täters 54 Fortdauer der Untersuchungshaft – Begründungstiefe 349 Fortwirken der Gewalt i.S.d. § 177 StGB 159 Freibeweis – im Vollstreckungsverfahren 96 Freiheit der Person – Bewährungswiderruf 96 – Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung 97 Freiheitsgrundrecht – Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung 110 Freisprechendes Urteil – Beweiswürdigung 424 – Tatsachenfestellungen 465 – Urteilsgründe 422 ff Freispruch – Feststellungen zur Person des Täters 54 Freiwilligkeit – beim Rücktritt 20 Fremder Schlüssel – Besonders schwerer Fall des Diebstahls gem. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB 207 Fristsetzung – für die Stellung von Beweisanträgen 386 Fristsetzung für Beweisanträge 303 Fristversäumung – Urteilsabsetzung 458 f
Sachregister
Frühere Verurteilungen – Bindungswirkung 418 Gamma-Butyrolacton (GBL) – Arzneimittelgesetz 300 Gang der Hauptverhandlung 362 f Gebrauchsgegenstand – i.S.v. § 30a BtMG 271 Gefahr im Verzug – Blutprobe 341 – Durchsuchung 329 Gefährliche Körperverletzung 182 ff – Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe 191 – Elektrokabel 183 – Glasreinigungsmittel 187 – hinterlistiger Überfall 185 – konkrete Lebensgefahr 190 – KO-Tropfen 182 – lebensgefährdende Behandlung 188 ff – Reißzwecke 184 – Reizgas 186 – Schuhe 185 – Subjektive Tatseite 186 – Vorsatz 176 Gefährliche Tathandlungen – Indizwirkung für die Inkaufnahme eines Tötungserfolgs 138 Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 250 ff – Beinahe-Unfall 254 – Konkrete Gefahr 254 ff – Rücktritt 254 – Schädigungsvorsatz 251, 253 – Versuch 254 – Vorsätzlich herbeigeführte Unfälle 250, – 255 – Vorschriftswidriges Verkehrsverhalten 251 Gefährliches Werkzeug – Elektrokabel 183 – Glasreinigungsmittel 187 – Konkrete Verwendung 210 – Kunststoffband 210 – Raub 209 – Reißzwecke 184 – Reizgas 186 – Schraubendreher 209 – Schuhe 185 – Subjektive Tatseite 186 – Verwenden des ~ 209 f Gefährlichkeitsprognose – bei Sicherungsverwahrung 113 Gefälschte Kreditkarten 147
Sachregister
Gefährlichkeit der Verletzungshandlung – Tötungsvorsatz 164, 167 f Gegenstand – i.S.v. § 30a BtMG bei Gebrauchsgegenständen 271 Gegenstand der Anklage 359 Gehilfenvorsatz – beim schweren Raub 224 Geiselnahme 198 ff – stabile Bemächtigungssituation 198 Geld- und Wertzeichenfälschung 145 ff Geldfälschung – Besitz und Strafklageverbrauch 146 Geldkarte – Vollendung der räuberischen Erpressung 222 Geldwäsche 226 – erzwungenes Einverständnis 140 Gelegenheitstaten – Sicherungsverwahrung 102 Gemeingefährliche Mittel 176 Gemeinschaftliche Körperverletzung – Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe 191 Gemischt-genutzte Gebäude – geschütztes Objekt des § 306a StGB 246 Gerichtsakten – Anspruch des Verteidigers auf Kopien der ~ 354 Gerichtsverfahren – Rechtsschutz bei überlangen ~ 305 Gerichtsverfassungsgesetz 488 ff Gesamtfreiheitsstrafe – Widerspruch zwischen Urteilstenor und Gründen 426 Gesamtstrafenbildung 7, 81 ff – Härteausgleich 91 – mit ausländischen Vorverurteilungen 88 Gesamtstrafübel 88 Gesamtverfahrensdauer 37 Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung 9, 101 Gespräche über eine Verständigung – Befangenheit 317, 453 – Mitteilung des Vorsitzenden 399 Geständnis – Gespräche über eine Verständigung 399 – Strafaussetzung zur Bewährung 95 Gesundheitsschädliche Stoffe – gefährliche Körperverletzung 182 Gewahrsam 214 Gewalt – i.S.v. § 177 StGB 158 f
417 Gewerblich genutzte Gebäude – geschütztes Objekt des § 306a StGB 245 f Gewerbsmäßiges Verschaffen von Falschgeld 145 ff Gewinnerzielungsabsicht – beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln als Strafzumessungserwägung 46 Glasreinigungsmittel – gefährliche Körperverletzung 187 Gleichartige Taten 356 f Große Strafkammer – Mitwirkung eines dritten Berufsrichters 488 Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit – Auswirkung bei Strafzumessung 38 Haftfortdauerentscheidung – Begründungstiefe 349 Haftsachen – Beschleunigungsgebot 349 Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe 280 f – Beihilfe durch Wohnungsüberlassung 278 – Beihilfe und mittäterschaftlicher Besitz 282 – Beisichführen einer Schusswaffe 263, 268 – Bewaffnetes ~ 263, 268 ff – Bewaffnung des Gehilfen 273 – Eigennützig 273 f, 280 – Fremdnützige Beihilfe 280 – Hilfeleistung bei der Einfuhr 279 – nach Sicherstellung der Betäubungsmittel 266 – Nicht geringe Menge 266 Handlungseinheit – Nachstellung 196 Hang zu Straftaten – Sicherungsverwahrung 102 ff Härteausgleich – ausländische Vorverurteilungen 88 – bei lebenslanger Freiheitsstrafe 87 – bei zur Bewährung ausgesetzten Strafe 89 – Fehlerhafter oder fehlender ~ 86 ff – Unterbrechung der Untersuchungshaft 90 – Vollstreckungsmodell 91 Härtefallregelung des § 73c StGB – Berücksichtigung bei § 111i StPO 347 f Hauptverhandlung – Unterbrechung der ~ 363
418 Hehlerei 225 – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 81 Heimliche Informationsgewinnung – Verdecktes Verhör 490 Heimtücke – Arglosigkeit bei Tatbeginn 171 – Ausnutzung eines Überraschungseffekts 172 – bei affektiver Erregung 169 – verwerflicher Vertrauensbruch 172 Hemmschwelle – bei Tötungsdelikten 164 f Heranwachsende – Erwachsenenstrafrecht 264 – Jugendstrafrecht 291 Herstellen von Zahlungskarten – Tateinheit mit Computerbetrug 148 f Hinterlistiger Überfall – gefährliche Körperverletzung 185 Hinweis – wegen Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes 427 Hörverlust – wertlose Restfähigkeit erhalten geblieben 193 in dubio pro reo – im Rahmen der Quasikausalität 180 Inbegriffsrüge – Beweiswürdigung 420 – Selbstleseverfahren 395 Inkaufnahme eines Tötungserfolgs – Indizwirkung besonders gefährlicher Tathandlungen 138 Irrtum – bei Nichtbezahlen der Tankschuld 227 Jugendgericht – Zuständigkeit 292 Jugendgerichtsgesetz 290 ff Jugendstrafe – schädliche Neigungen 55 – Schwere der Schuld 55 Jugendstrafrecht – Heranwachsende 291 Kartenrohlinge – Abgrenzung Versuch und Vorbereitung 13 Kausalität – bei unechten Unterlassungsdelikten 180 Kind – 14. Geburtstag 153 f Kognitionspflicht 421
Sachregister
Kollegialentscheidungen – Kausalität 180 Kollektives Unterlassen – Kausalität 180 Kompensation – bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen 32 ff – bei Verfahrensverzögerungen im berufsrechtlichen Verfahren 37 – bei Verfahrensverzögerungen im Jugendstrafverfahren 36 Kompensationslösung – WÜK 493 Konkrete Gefahr – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 254 ff Konkrete Lebensgefahr – gefährliche Körperverletzung 189 Konkretisierung – der Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern 155 Konkurrenzen 7 – bei Verabredung mehrerer Verbrechen 28 – beim Versuch der Beteiligung 27 – zwischen § 113 und § 240 StGB 203 Konnexität – zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung 378 Konsularbeamter – Vernehmung 350 Kopien der Akten – Anspruch des Verteidigers auf ~ 354 Körperverletzung 181 – Abgrenzung Mittäterschaft und Beihilfe 191 – besonderes öffentliches Interesse 194 – gefährliche Körperverletzung 182 ff – Strafantragserfordernis 194 – Vorsatz 176 Körperverletzung mit Todesfolge – Abgrenzung zum Tötungsvorsatz 175 KO-Tropfen – gefährliche Körperverletzung 182 Kreditbetrug 230 Kronzeugenregelung – Aufklärungshilfe 63 Kunststoffband – gefährliches Werkzeug 210 Kurze Freiheitsstrafe 72 Ladengeschäft – geschütztes Objekt des § 306a StGB 247 Lebens- und Geheimbereich – Verletzung des persönlichen ~s 162
Sachregister
Lebensgefahr – Abstrakte ~ 188 ff Lebensgefährdende Behandlung – gefährliche Körperverletzung 188 ff – Umstände des Einzelfalls 186 Lebenslange Freiheitsstrafe – Härteausgleich 87 Leichtfertigkeit – Subventionsbetrug 229 Letztes Wort 411 f – Wiedereintritt in die Verhandlung 411 Liechtenstein – Ankauf von Steuerdaten 294 Limited – Untreue des Director 235 Lügendetektor – kein Beweisantrag 374 Magnetstreifen – Auslesen der ~ 141 Maßregel der Besserung und Sicherung 98 ff – isolierte Fahrerlaubnissperre 117 – Revisionsbeschwer durch Nichtanordnung 449 Medikamente – Einfuhr, Ausfuhr, Durchfuhr 266 Medikamentenhandel – über das Internet 259 – Verbotener ~ 266 medizinische Behandlung – Beendigung der ~ 178 menschliche Embryonen – Strafbare Verwendung ~ 301 Milderung – beim Versuch 22 Minder schwerer Fall – des Totschlags 174 – vertypte Milderungsgründe 275 Missbrauch von Kindern 152 – Begriff Kind 154 – Konkretisierung 155 – Subjektive Tatseite 154 Misshandlung – schwere körperliche ~ i.S.d. § 250 StGB 213 Misshandlung von Schutzbefohlenen – Verhältnis zu § 171 StGB 192 Mitangeklagter – als Zeuge 373 – Belastungszeuge 491 Mitbestrafte Vortat – Versuch der Beteiligung 27 Mittäterschaft – Abgrenzung von Beihilfe 7, 22
419 – Abgrenzung zur Beihilfe bei Betäubungsmittelhandel 280 f – Abgrenzung zur Beihilfe bei gemeinschaftlicher Körperverletzung 191 Mitteilung – über Gespräche zur Verständigung 399 Mord – bedingter Vorsatz 164 – Vorsatz 163 ff Mordmerkmale 169 ff – Heimtücke 169, 171 f – Niedrige Beweggründe 173 – Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln 176 – Verdeckungsabsicht 170 Nachstellung 196 f – Dauerdelikt 196 – Handlungseinheit 196 – qualifizierender Tatbestand 197 Nachtägliche Sicherungsverwahrung – „Antragsfrist“ 109 Nachteil – Untreue 234 Nachträgliche Gesamtstrafenbildung – im Berufungsverfahren 85 Nachträgliche Kontrolle – der nichtrichterlichen Eilanordnung der Blutprobe 341 Nachträgliche Sicherungsverwahrung 1 f, – 9 f, 104 ff – Anlassverurteilung gegen Heranwachsenden 115 Nachträgliches Rechtsschutzverfahren 338 ff Natürliche Handlungseinheit 78 f Nebenklage 484 – Beschwer bei Verurteilung wegen Mordes 485 – Revisionsantrag 446 – Revisionsbegründung 485 f Nebenklägervertreter – Wiedereinsetzung bei Anwaltsverschulden des ~ 323 Nemo tenetur – Verdecktes Verhör 490 Neue Tatsache i.S.v. § 66b StGB 111 ff – Therapieunfähigkeit 111 Nicht geringe Menge – von bestimmten Medikamenten 264 Nichtanzeige geplanter Straftaten – Verhältnis zum Tatverdacht der Beteiligung 144 Niedrige Beweggründe – Eifersucht 173
420 Nivellierende Äußerungen – über die abgeurteilten Taten in den Urteilsgründen 45 Notar – Vermögensbetreuungspflicht eines Notars 236, 239 Nötigung 202 f – Abgrenzung zur räuberischen Erpressung 219 – keine Anzeige zu erstatten 202 – Verhältnis zu § 113 StGB 203 – zum Unterlassen 202 Notwehrrecht – bei Verstoß gegen das Waffengesetz 30 – Notwehrprovokation 30 Notwendige Verteidigung – Akteneinsicht 353 f – Anwesenheit in der HV 351 – Wechsel des Pflichtverteidigers 352 Parteiverrat 259 Patientenwillen 178 – eigenmächtige Umsetzung des vermeintlichen ~s 179 Persönlicher Lebens- und Geheimbereich – Verletzung des ~ 162 Pflichtverteidiger – Abwesenheit des Pflichtverteidigers 456 – Wechsel des ~s 352 Post – des Verteidigers 355 Präimplantationsdiagnostik 301 Privatinsolvenz – Bankrott 243 Protokoll – Schweigen bezgl. Selbstleseverfahren 394 – Schweigen bezgl. Verlesen der Anklage 362 – Vermerk über die Durchführung des Selbstleseverfahrens 393 – Verständigung 403 ff – wesentliche Verfahrensförmlichkeit 429 Prozessurteil – Einstellung 414 Prozessverschleppungsabsicht – Fristsetzung 386 Psychische Beihilfe 7, 24 f, 25 f Psychotherapeutisches Behandlungsverhältnis – Begriff 151 Punktstrafe – Verständigung 407
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Qualifikation – Zeitpunkt der Verwirklichung einer Qualifikation beim Raub 216 ff Quasi-Kausalität 180 Raub 208 ff – Drohung mit objektiv ungefährlichen Mitteln i.S.v. § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB 215 – gefährliches Werkzeug 209 – Gewahrsam 214 – schwere körperliche Misshandlung 213 – Vermögensrechtlicher Anspruch 139 – Waffe 211 f – Zeitpunkt der Verwirklichung einer Qualifikation 216 ff Räuberische Erpressung 208 ff – Abgrenzung zur Nötigung 219 – Rückzahlungsanspruch 220 f – Vermögensschaden 222 – Vollendung 222 – von Geldkarte und Pin 222 – Vorsatz 219 Räuberischer Diebstahl – Gewahrsam 214 Rechtliches Gehör – Verletzung 474 f Rechtsanwälte – Stärkung des Schutzes von Vertrauensverhältnissen zu ~n 304 Rechtsanwaltskanzlei – Durchsuchung 333 Rechtschutz – Nachträglicher ~ bei nichtrichterlicher Eilanordnung der Blutprobe 341 Rechtsmittel – Beschwer 98 – Unterlassen einer Maßregel der Besserung und Sicherung 98 Rechtsmittelbeschränkung 430 ff – Bewährung und Gesamtstrafe 431 – Nichtanwendung des § 63 StGB 432 – Sicherungsverwahrung 433 Rechtsmittelrücknahme – Revision 434 – Verständigung 410 Rechtsmittelverzicht – Verständigung 410 Rechtsschutz – Nachträgliches Rechtsschutzverfahren gem. § 101 Abs. 7 StPO 338 ff Rechtsstaatsprinzip – Strafzumessung 49
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Rechtsstaatswidrige Verfahrenverzögerungen 4, 30 – im berufsrechtlichen Verfahren 37 – bei erfolgreicher Inanspruchnahme von Rechtsmitteln 33 – im Jugendstrafverfahren 36 Rechtswegerschöpfung – Eilrechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht 496 Rechtswidrigkeit der Nötigung – Inkonnexität von Mittel und Zweck 223 Regelbeispiel – Indizwirkung des Regebeispiels der Bestechlichkeit 257 – Regelwirkung 207 Reihenfolge der Vollstreckung 116 Reißzwecke – gefährliche Körperverletzung 184 Reizgas – gefährliche Körperverletzung 186 Revision – Absolute Revisionsgründe 451 ff – Abwesenheit des Angeklagten 454 ff – Abwesenheit des Pflichtverteidigers 456 – Befangenheit 453 – Beruhen 450 – Beschränkung der Verteidigung 441 – Beschwer des Nebenklägers 485 f – Beschwer durch Nichtanordnung einer Maßregel 449 – Besetzung des Gerichts 489 – Beweiswürdigung 461 ff – des Nebenklägers 484 ff – Erörterungsmängel 466 f – ordnungsgemäßer Revisionsantrag 445 – Rücknahme 434, 473 – Urteilsabsetzung 458 f – Verbot der Schlechterstellung 478 – Verfahrensrüge 436 ff – Vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts 451 – Wiedereinsetzung bei unzulässiger Verfahrensrüge 320 – Zurückverweisung bezgl. Adhäsionsantrag 481 Revisionsantrag 445 – des Nebenklägers 446 Revisionsbegründung – Widersprüche 448 Revisionsfrist 435 Revisionsrügen – Zulässigkeit 436 ff
421 Richtervorbehalt – Durchsuchung 329 Rückfallklausel des § 176a StGB 152 Rückfallverjährung – Symptomtat der Sicherungsverwahrung 102 Rückfallverjährung 114 Rückkehr – des Angeklagten in HV nach dessen Entfernen 364 f Rücknahme der Revision 473 Rücknahme des Rechtsmittels – Revision 434, 473 – Verständigung 410 Rücktritt – Freiwilligkeit 19 – in dubio pro reo 19 – vom Versuch 15 ff Rügeverkümmerung 303 Rundfunkanstalt – Beschlagnahmeverbot 332 Sachaufklärung – Verschleppungsabsicht 385 Sachrüge – Angriffe gegen die Beweiswürdigung 461 ff – des Nebenklägers 486 – Revisionsantrag 445 f Sachverständigengutachten – bei Abwesenheit des Angeklagten 369 Sachverständiger – Zusatzbekundungen des ~ 472 Sanktionsschere – Gespräche über eine Verständigung 399 Schädigungsvorsatz – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 251, 253 Schädliche Neigungen – bei Verhängung von Jugendstrafe 55 – Jugendstrafe 290 Schätzung – der hinterzogenen Steuer bei Steuerhinterziehung 297 Schlechterstellung – Verbot der ~ 478 Schöffe – Befangenheit eines ~n 316 Schraubendreher – Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs 209 Schreckschusspistole 211 f Schuldfähigkeit 275
422 Schusswaffe – Beisichführen einer ~ beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 263, 268 Schwarze Kasse – Untreue 237 Schweigen des Protokolls – Selbstleseverfahren 394 Schwere Brandstiftung – gemischt-genutzte Gebäude 245 f – Ladengeschäft 247 – Wohnmobil 247 Schwere der Schuld – bei Verhängung von Jugendstrafe 55 Schwere körperliche Misshandlung – i.S.d. § 250 StGB 213 Schwere Körperverletzung – Hörverlust 193 Schwerer Raub – Gehilfenstrafbarkeit 224 – Zeitpunkt der Verwirklichung einer Qualifikation 216 ff Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern 152 ff – Begriff Kind 153 – Konkretisierung 155 – Rückfallklausel des § 176a StGB 152 – Subjektive Tatseite 154 Schwitzkasten – Körperverletzung 181 Selbstanzeige – Strafbefreiende ~ im Steuerrecht 295 Selbstbedienungsbetrug 227 Selbstbelastungsfreiheit – Auswirkung bei Strafzumessung 38 – Verdecktes Verhör 490 Selbstleseverfahren – Inbegriffsrüge 395 – Protokollvermerk 393 – Rüge 391 – Schweigen des Protokolls 394 – Tabelle 392 Sexuelle Nötigung 156 ff – Abwehrwille 156 f – Ausnutzens einer schutzlosen Lage 158 – Fortwirken früherer Gewalteinwirkungen 159 – Gewalt 158 – ohne körperliche Verletzungen 160 Sexuelle Selbstbestimmung 151 ff Sexueller Missbrauch von Kindern 152 ff – Begriff Kind 153 – Konkretisierung 155 – Subjektive Tatseite 154 Sicherungsverwahrung 1 f, 9 f, 101 – nachträgliche ~ 104 ff
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– Rechtsmittelbeschränkung 433 – Therapieunfähigkeit 111 Sich-Verschaffen – Geldwäsche 226 Skimmen von Kartendaten – Abgrenzung Versuch und Vorbereitung 12 Skimming 141 – Ausspähen von Daten 162 Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis – Aufrechterhaltung 7 Staatsgefährdende Straftat 142 Stabile Bemächtigungslage – Erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme 198 ff Stalking 196 f Stellungnahme – Verletzung des rechtlichen Gehörs 474 Sterbehilfe 178 f Steuer-CD – Wohnungsdurchsuchung auf Grund angekaufter ~ 293 ff Steuerdelikte – Erpressung von Steuerschuldner und Bank 223 Steuerhinterziehung – Anordnung des Verfalls gegen einen Dritten 125 – Erpressung von Steuerschuldner und Bank 223 – Schätzung der hinterzogenen Steuer 297 – Steuer-CD 294 – Strafbefreiende Selbstanzeige 295 – Strafzumessung 296 Steuerrecht – Wohnungsdurchsuchung auf Grund angekaufter Steuer-CD 294 Steuerstrafrecht 293 ff – Strafzumessung 296 StGB AT 1 ff Stiftung – Untreue gegenüber einer ~ durch Ankauf von Kunstwerken 234 Störung des öffentlichen Friedens 143 „Strafabschlagslösung“ – bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen 31 Strafaussetzung zur Bewährung 94 ff Strafbefreiende Selbstanzeige – Steuerstrafrecht 293 Strafempfindlichkeit von Ausländern 160 Strafkammer – Besetzung mit zwei Berufsrichtern 306
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Strafklageverbrauch – bezgl. Geldfälschung 146 – Geldfälschung 146 Strafmilderung – wegen Aufklärungshilfe 65 ff Strafmilderungen nach § 31 BtMG 67 f Strafobergrenze – Verständigung 406 ff Strafprozessordnung 302 ff Strafrahmen – Verständigung 406 ff Strafuntergrenze – Verständigung 406 Strafvollstreckung – Zurückstellung der ~ gem. § 35 BtMG 286 Strafzumessung 7, 30, 37 ff – Allgemeine Folgen der Tötung 47 – Alternativverhalten 60 – anwaltsrechtliche Sanktionen 59 – Aufklärungshilfe 65 ff – ausländerrechtliche Folgen 57 – Beendigung des Beamtenverhältnisses 58 – beim Versuch 42, 48 – bereits vollstreckte Vorverurteilungen 92 – Beruf der Eltern 51 – berufs- und standesrechtliche Folgen 58 f – bezgl. Vergewaltigung und sexueller Nötigung 160 – Doppelverwertungsverbot 41 ff – Einwirkung eines verdeckten Ermittlers 53 – Gesamtstrafenbildung 83 ff – Gewinnerzielungsabsicht beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 46 – Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit 38 – Härteausgleich 91 – jugenstrafrechtliche Vorbelastungen 56 – Kurze Freiheitsstrafe 72 – Minder schwerer Fall 39 – Minder schwerer Fall und vertypte Milderungsgründe 275 – Nachträgliche Gesamtstrafenbildung 85 – Steuerstrafrecht 296 – Strafempfindlichkeit von Ausländern 160 – Täter-Opfer-Ausgleich 61 f – Teilgeständnis 52 – Trennung von Familie 40 – Verhalten des Täters vor der Tat 49 – Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB 288
423 – Verteidigungsverhalten 50 – Vollzug der Untersuchungshaft 40 Straßenprostitution – Bestimmen bei freiwilliger Ausübung der ~ 161 Straßenverkehr – Gefährlicher Eingriff in den ~ 250 ff Subventionsbetrug 299 Sukzessive Beweisantragsstellung – Fristsetzung 386 Sukzessive Mittäterschaft 24 Tankstelle – Nichtbezahlen der Tankschuld 227 Taschenmesser – Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 270 Tatbezogenes Merkmal 195 Tateinheit – Abgrenzung von Tatmehrheit 73 ff – Bestechlichkeit 258 – Nachstellung 196 Taten – Bezeichnung gleichartiger Taten im Anklagesatz 356 ff Täterbezogenes Merkmal 195 Täter-Opfer-Ausgleich – Berücksichtigung bei Strafzumessung 61 f Tatmehrheit – Abgrenzung von Tateinheit 73 ff Täuschung des Beschuldigten – über Hintergründe seiner Festnahme 353 Teilgeständnis – bezgl. einzelner Teile des objektiven Tatbestandes 52 Teilschweigen des Angeklagten – Beweiswürdigung 469 Teilvereidigung 328 Telekommunikationsüberwachung 307 Tenor – Widerspruch zwischen Urteilstenor und Gründen 426 Termin zur Hauptverhandlung – Abstimmung 361 – Verlegungsantrag 361 Terrassentür – Wohnungseinbruchsdiebstahl 206 Therapie – Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG 286 Therapiemotivation – Unterbringung bei mangelnder ~ 289 – als neue Tatsache i.S.v. § 66b StGB 111
424 Therapieunterbringungsgesetz – ThUG 10 ThUG – Therapieunterbringungsgesetz 10 Totschlag – bedingter Vorsatz 164 – Minder schwerer Fall 174 – Vorsatz 163 ff Tötung – bedingter Vorsatz 164 Tötung auf Verlangen – Ernsthaftigkeit des Verlangens 177 Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln 176 Tötungsvorsatz 163 ff, 176 – gefährliche Erstickungshandlungen 168 – Gefährlichkeit der Verletzungshandlung 164, 167 f – spontane Gewalthandlung und Alkoholisierung 165 – Übergang vom Körperverletzungsvorsatz zum ~ 175 Transportpersonen – von Betäubungsmitteln 261 Überlange Gerichtsverfahren – Rechtsschutz 305 Überwachungsmaßnahmen 334 f Überzeugung – Ergebnis der Hauptverhandlung 417 Unbeendeter Versuch 3, 15 ff, 17 Unbillige Härte – der Anordnung des Verfalls 120 f Ungeeignetheit der Beweiserhebung – Ablehnung eines Beweisantrags 384 Unmittelbares Ansetzen – zum Versuch 15 Unmittelbarkeit – Verlesung von Vernehmungsniederschriften 387 ff Unschuldsvermutung – Strafzumessung 49 Unterbrechung der Hauptverhandlung 363 Unterbrechung der Untersuchungshaft – Härteausgleich 90 Unterbringung – Aussetzung des Vollzugs 100 – mangelnde Therapiemotivation 289 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt – Vorrang vor Zückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG 99 Unterlassen – der medizinischen Behandlung 178
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Unterlassungsdelikten – Kausalität 180 Untersuchungshaft 349 ff – Beschleunigungsgebot 349 – Dauer der ~ 349 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 349 Untreue 231 ff – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 79 – Bestimmtheitsgebot 233 – Dispositionsfreiheit 234 – gegenüber einer Stiftung durch Ankauf von Kunstwerken 234 – Handlungen zum Nachteil einer ausländischen Gesellschaft 235 – schwarze Kasse 237 – Verletzung einer vermögensschützenden Rechtsnorm 238 – Vermögensbetreuungspflicht eines Notars 236, 239 – Vermögensnachteil 234 Untreuetatbestand 137 Unverletzlichkeit der Wohnung – Verdachtslage für Durchsuchung 330 f Unwahrer Sachverhalt – in Ermittlungsakten 353 Unwirksamer Verbindungsbeschluss 309 Unzulässige Verfahrensrüge – Wiedereinsetzung bei ~ 320 Urkunde – Ausdruck einer Computerdatei 242 – Selbstleseverfahren 391 – Verlesung einer Vernehmungsniederschrift bei Auskunftsverweigerungsrecht 387 Urkundenbeweis 387 ff – Verlesung 387, 395 – Verlesung ohne Gerichtsbeschluss 388 – Verlesung von Behörden- und Ärzteerklärungen 389 f – Verlesung von Vernehmungsniederschriften 396 Urkundenfälschung 241 f Urteil 413 ff – Anfechtungsrecht des Nebenklägers 484 ff – Beratung 413 – Beweiswürdigung und Zeugenaussagen 419 – Bindung früherer Verurteilungen 418 – Einstellung 414 f – Ergebnis der Hauptverhandlung 417, 420 – Feststellungen zum Tatgeschehen 416 – Feststellungen zur Person des Täters 54
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– Freisprechendes ~ 422 ff – Widerspruch zwischen Tenor und Gründen 426 Urteilsabfassung 416 ff Urteilsabsetzung – Revision 458 f Urteilsabsetzungsfrist – Versäumung 458 f Urteilsformel – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 342 f, 345 – Berichtigungsbeschluss 428 Urteilsgründe – Verständigung 402 – Wahrunterstellung 382 Urteilsverkündung – Berichtigungsbeschluss 428 Verabredung zu einem Verbrechen – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 77 Verabredung zur Fälschung von Zahlungskarten 12 Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes 427 Verbindung – von Verfahren 308 Verbindungsbeschluss – unwirksam 309 Verbot – der Vereidigung 328 Verbot der Schlechterstellung 478 Verbotene Vernehmungsmethoden 350 Verbotsirrtum – Parteiverrat 259 Verdachtslage 330 f Verdeckter Ermittler – im Rahmen der Strafzumessung 53 Verdecktes Verhör – Verwertungsverbot 490 Verdeckungsabsicht 170 Vereidigungsverbot 328 Verfahrenshindernis – Einstellung im Urteil 414 f Verfahrensrüge – Beifügung sämtlicher Unterlagen 443 – Unvollständiger Vortrag 437 ff – Wiedereinsetzung bei unzulässiger ~ 320 Verfahrensverbindung 308 Verfahrensverzögerung 492 – im berufsrechtlichen Verfahren 37 – im Jugendstrafverfahren 36 – Recht auf verfassungsrechtliche Klärung 97
425 – Rechtsschutz bei 305 – rechtsstaatswidrige 31 ff siehe rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung – Untersuchungshaft 349 Verfall 6, 118 ff – Absehen von der Anordnung des ~ 120 f – alternative Anordnung des erweiterten Verfalls und des Verfalls von Wertersatz 124 – Anordnung gegen einen Dritten 125 – Anordnung gegen Jugendliche oder Heranwachsende 119 – Anordnung gegenüber dem Gehilfen 123 – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 345 – Betäubungsmittelstraftaten 130, 133 – Deliktischer Anspruch eines Dritten 129 – erlangter Vermögenswert 131 – erzielbarer Vermögenswert 131 – im Betäubungsmittelrecht 263 – Umfang der Verfallsanordnungen 128 – Verhältnis zu § 111i StPO 128 – Verletzter 124 Verfall von Wertersatz – alternative Anordnung des erweiterten Verfalls und des Verfalls von Wertersatz 122 – Aufrechterhaltung der Beschlagnahme gem. § 111i StPO 345 Vergewaltigung 156 ff – Abgrenzung von Tateinheit und Tatmehrheit 73 – Abwehrwille 156 f – Ausnutzens einer schutzlosen Lage 158 – Fortwirken früherer Gewalteinwirkungen 159 – Gewalt 158 – ohne körperliche Verletzungen 160 Verhältnismäßigkeit 332 – der Untersuchungshaft 349 Verhandlung zur Sache – Neubestellung der Nebenklagevertreterin 363 Verhinderung – Wiedereinsetzung 321 Verjährung – Einstellung im Urteil 414 Verkehrsfeindliche Einstellung – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 253 Verkehrsordnungswidrigkeiten – Bildaufnahme 337 – Videoaufnahmen 336
426 Verlegungsantrag – bezgl. des Termins zur Hauptverhandlung 361 Verlesung der Anklage – Schweigen des Protokolls 362 Verlesung der Vernehmungsniederschrift – bei Auskunftsverweigerungsrecht 387 – ohne Gerichtsbeschluss 388 Verlesung des Vernehmungsprotokolls – Verwertbarkeit 397 Verlesung von Behörden- und Ärzteerklärungen 389 f Verletzter – i.S.d. § 73 StGB 124 Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs 162 Verletzung des rechtlichen Gehörs 474 f Verlöbnis – Zeugnisverweigerungsrecht 324 Vermögensbetreuungspflicht – eines Notars 236 Vermögensnachteil – Untreue 234 Vermögensschaden 228 – Räuberische Erpressung 222 Vermögenswert – Verfall 131 Vernehmung – durch Konsularbeamten 350 Vernehmung eines Zeugen – Zeugenentlassung 366, 370 Vernehmungsfähigkeit – Sachverständigengutachten zur ~ einer Zeugin bei Abwesenheit des Angeklagten 369 Vernehmungsmethoden – Verbotene ~ 350 Vernehmungsniederschrift – Auskunftsverweigerungsrecht 387 – Auslandszeuge 387 Versagung der Akteneinsicht 353 Verschaffen von Falschgeld – Gewerbsmäßigkeit 145 Verschleppungsabsicht – Ablehnung eines Beweisantrags 385 Verschlossenes Behältnis – Besonders schwerer Fall des Diebstahls 207 Verständigung 307, 398 ff – Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers 352 – Befangenheit 317, 400, 453 – Belehrung 409 – Faires Verfahren 401 – gesetzwidrige Absprachen 401
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– Mitteilung des Vorsitzenden 399 – Protokollvermerk 403 ff – Punktstrafe 407 – Rechtsmittel 400 – Rechtsmittelrücknahme 410 – Strafober- und -untergrenze 406 – unzulässiger Druck 400 – Urteilsgründe 402 – Vertrauenstatbestand 401 – Widerspruch 400 Verständigung im Strafverfahren 302 Versuch 11 ff – Abgrenzung zur bloßen Vorbereitungshandlung 12 f – Beendet 3, 15 ff – beendeter 19 – Doppelverwertungsverbot bezgl. Strafmilderung 42 – Fehlschlag 20 – Milderung 22 – Rücktritt 16, 18, 20 f – Unbeendet 3, 15 ff – unmittelbares Ansetzen 15 Versuch der Beteiligung – Konkurrenz zur nachfolgenden eigenen Tatbegehung 27 Verteidigerpost – Beschlagnahme von ~ 355 – Verwertbarkeit bei beleidigenden Äußerungen 355 Verteidigung 351 ff – Akteneinsicht 353 f – Notwendige ~ 351 – Verlegungsantrag bezgl. des Termins zur Hauptverhandlung 361 – Wechsel des Pflichtverteidigers 352 Verteidigungsverhalten – Berücksichtigung bei Strafzumessung 50 Vertrauensbruch – Heimtücke 172 Vertrauensverhältnis – Stärkung des Schutzes von ~ zu Rechtsanwälten 304 Vertraulichkeit – des Verteidigungsverhältnisses 355 Vertretung – des Angeklagten in der HV 351 Vertypte Milderungsgründe – Minder schwerer Fall 275 Veruntreuung von Arbeitsentgelt 240 Verwenden – eines gefährlichen Werkzeugs 209 f Verwerflicher Vertrauensbruch – Heimtücke 172
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Verwertung – Daten aus der Vorratsdatenspeicherung 335 Verwertungsverbot – Gefahr im Verzug bei Durchsuchung 329 – Verdecktes Verhör 490 – Verteidigerpost 355 Verzögerung des Verfahrens – Rechtsschutz bei 305 Videoaufnahmen – Zulässigkeit von ~ zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten 336 Völkerstrafgesetzbuch – Verantwortlichkeit von Vorgesetzten ausländischer Truppen 299 Vollendung – der Wegnahme 209 Vollstreckung – Reihenfolge 116 Vollstreckungslösung – WÜK 493 Vollstreckungsmodell – bei rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen 31, 33 f – Härteausgleich 87, 89, 91 Vollstreckungsverfahren – zuverlässige Wahrheitserforschung 96 Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat 142 Vorenthalten von Arbeitsentgelt 240 Vorhalt – des Vernehmungsprotokolls 397 Vorrat – Besitz von Betäubungsmitteln 276 f Vorratsdatenspeicherung 306, 334 – Verwertung von Daten, herausgegeben gem. einstw. Anordnung 335 Vorsatz – bei Straftaten gegen das Leben 163 ff Vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts – Besetzungseinwand 452 – Revision 451 ff Vorschriftswidriges Verkehrsverhalten – Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr 251 Vorwegvollzug 116
Waffengesetz – Tateinheit bei gemeinsamem Besitz mehrerer Waffen 298 – Verkauf an Vertrauensperson 298 Wahrunterstellung – Widerspruch zur Beweiswürdigung 382 Wechsel des Pflichtverteidigers 352 Wegnahme – Vollendung 209 Wehrlosigkeit – bewusstes Ausnutzen der ~ 169 Wesentliche Verfahrensförmlichkeit – Protokoll 429 Wesentlicher Teil der Hauptverhandlung – Abwesenheit des Angeklagten 457 – Abwesenheit des Pflichtverteidigers 456 Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen – Ergänzung des Anklagesatzes 358 Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung 96 Widerspruch – Gespräche über eine Verständigung 400 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte – Verhältnis zu § 240 StGB 203 Wiedereinsetzung 318 ff – Anwaltsverschulden des Nebenklägervertreters 323 – in unzulässige Verfahrensrügen 320 – Unkenntnis einer gesetzlichen Bestimmung 321 – Unkenntnis höchstrichterlicher Rechtsprechung 321 – Versäumung der Revisionseinlegung 322 – Verschulden des Verteidigers 319 – Zeitpunkt des Hinderniswegfalls 319 Wohnmobil – Schwere Brandstiftung 248 Wohnungsdurchsuchung – auf Grund angekaufter Steuer-CD 294 Wohnungseinbruchsdiebstahl – Einsteigen 206 Wohnungsüberlassung – Beihilfe zum Betäubungsmittelhandel durch Wohnungsüberlassung 278 WÜK 493 f
Waffe – Beisichführen einer ~ beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln 263, 268 ff – i.S.d. § 250 StGB 211 f – Schreckschusspistole 211 f
Zahlungskarten – Fälschung von ~ 147 ff – Herstellen von ~ 148 f Zeitpunkt – ~ der Verwirklichung einer Qualifikation beim Raub 216 ff
428 Zeuge – Akteneinsicht 487 – Individualisierung im Beweisantrag 375 – Mitangeklagter 373 Zeugenaussagen – Beweiswürdigung im Urteil 419 Zeugenbeistand 327 Zeugenentlassung – bei Abwesenheit des Angeklagten 366 Zeugenvernehmung – des Vernehmungsrichters 397 Zeugnisverweigerungsrecht 324 ff – für Geistliche 325 f – keine Belehrungspflicht für Geistliche 325 – Verlöbnis 324 Zueignungswille – Diebstahl 204 f
Sachregister
Zuhälterei – Dirigierende ~ bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution 161 Zulässiges Verteidigungsverhalten – Berücksichtigung bei Strafzumessung 50 Zulässigkeit – von Revisionsrügen 436 ff Zurückstellung der Strafvollstreckung – gem. § 35 BtMG 286 Zusammenhängende Strafsachen 308 Zusatzbekundungen des Sachverständigen – Beweiswürdigung 472 Zuständigkeit – Jugendgericht 292 Zwischenbescheid – über Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots 470