Bemannte Raumfahrt

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WERNHER VON BRAUN

BEMANNTE RAUMFAHRT

G.B.FISCHER

AUS DEM AMERIKANISCHEN ÜBERSETZT VON WERNER BÜDELER

Fotos auf den Seiten yi, 85, 87, 180, 182/183, *93' 207, 223, 229‘ Bildarchiv Werner BQdeler/NASA

Die amerikanische Originalausgabe ► SPACE FRONTIER« erschien 1967 bei Holt, Rinehart and Winston, New York © Wemher von Braun 1963, 1964, 1965, 1966, 1967, 1968

Deutsdie Ausgabe: © S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt am Main, 1968 Alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto: Wemer BQdeler Gesamtherstellung: Clausen fr Bosse, Leck (Schleswig) Printed In Gennany 1968

Inhalt

Vorwort

1

7

Start und Aufstieg

9

Zweck und Ablauf des Countdown 9 Grünes Licht durch automatische Überprüfung 14 Wie Raketen gelenkt und gesteuert werden 18 Kleine Rechengeräte lenken die größten Raketen 24 Werden Astronauten Trägerraketen steuern? 29 Warum Raketen Leitflächen haben 34 Feststoff- und Flüssigkeitsraketen 40 Wie Flüssigkeits-Raketentriebwerke mit Treibstoff versorgt werden Raketenfliegende Kameras als technische Beobachter 54 Was geschieht mit der Startstufe einer Rakete? 59

11

Der Flug durch den Weltraum

65

Warum ein Satellit in der Umlaufbahn bleibt und wie er wieder herunterkommt 65 Die merkwürdige Welt der Schwerelosigkeit 70 Künstliche Schwerkraft 75 Rendezvous im Weltall 79 Die Lenkung von Raumfahrzeugen zu anderen Himmelskörpern 84 Wie wir unsere Raumflugkörper verfolgen 90 Wie sich die Raumfahrt der Laser-Strahlen bedient 96 Energie aus Brennstoffelementen für den Raumflug 100 Elektrische Energiequellen im Weltraum 106 In der Zukunft: Raumfähren m

46

in

Sicherheit im Weltraum

117

Raumflugkörper, die >Autsdi< sagen 117 Wie man im Weltall überlebt 121 Der Kampf gegen die Gefahren des bemannten Raumflugs 125 Können Astronauten aussteigen und überleben? 131 Andere Rettungsmethoden für gestrandete Astronauten 134 Das Problem der Rettung im Weltraum 140

iv

Raumstation

147

Wie steht es um die Entwicklung bemannter Raumstationen? Sternwarten im Weltall 151 Einen Wohnraum im Weltall installieren 157 Weltraum-Werkzeuge 162 v

Der Flug zum Mond

169

Haben die Mondaufnahmen unsere Pläne geändert? 169 Photographierende Raumflugkörper umkreisen den Mond 177 Die See- und Luftflotte 186 Die Astronauten werden stehend auf dem Mond landen 192 Mondlandeübungen auf der Erde 196 Kleidung, die ein Astronaut auf dem Mond trägt 201 Was wir auf dem Mond tun werden 205 Wie man auf dem Mond reisen wird 214 vi

Goldgräber auf dem Weg zum Mond

221

Das Projekt Apollo-Saturn wird sich bezahlt machen 221 Wir sollten mehr über die Sonne wissen 228 Über Kometen und Meteore 234 Schiffe und Flugzeuge, die nach Satelliten navigieren 238 vii

Zu

den

Planeten und

darüber hinaus

243

Die Rätsel des Mars 243 Wann werden wir auf dem Mars landen? 249 Atomenergie für Raketen 256 Können wir jemals die Steme erreichen? 262

147

Vorwort

Dieses Buch entstand aus einer Serie von Artikeln, die ich seit dem Januar 1963 für die Zeitschrift »Populär Science< geschrieben habe. Als mich diese Zeitschrift einlud, monatlich eine Kolumne über mein Lieb­ lingsthema zu schreiben, akzeptierte ich dieses Angebot mit Erleichte­ rung und nahm es gleichzeitig als eine Herausforderung an: Erleichte­ rung, weil es mir unmöglich gewesen wäre, irgendeine andere Arbeit zu leisten, wenn ich auch nur versucht hätte, alle jene Fragen, die zum Thema Raumfahrt an mich herangetragen werden, systematisch zu be­ antworten; und als Herausforderung verstand ich dieses Angebot, weil es mich ständig reizt, ein komplexes Problem auf eine - so hoffe ich allgemein verständliche Form zu reduzieren. Die Probleme des Raumflugs lassen sich nicht mit Gebieten wie etwa Geographie, Astronomie, Ingenieurwissenschaften, Physik, Chemie oder Medizin vergleichen. Sie enthalten Elemente aus allen diesen und anderen Bereichen. Auch aus diesem Grunde ist die Raumfahrt so ungeheuer faszinierend. Gerade der kaleidoskopartige Aspekt des Raumflugs macht es aber auch unmöglich, eine monatliche Kolumne über dieses Thema >aufzubauenZählablauf< - eine sorgfältig vorbereitete Prozedur, die den eigentlichen Start einleitet. Der Countdown hat für den Erfolg eines Raketenstarts eine so wesentliche Bedeutung, daß es sich lohnt, ihn näher kennenzulemen. Der Zweck des Countdown ist: Während der Startvorbereitungen maximale Sicherheit für die Flug­ mannschaft (sofern es sich um einen bemannten Flug handelt) das Bodenpersonal und das Gerät zu garantieren; zu verhindern, daß entscheidendes Fluggerät oder Bodeneinrichtungen durch zu frühzeitige Inbetriebnahme vor dem Start abgenützt werden; es dem Startdirektor zu ermöglichen, den Start zu einem ganz

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Start und Aufstieg bestimmten Zeitpunkt vorzunehmen - der beispielsweise mit einer besonders günstigen Position von Himmelsobjekten zusammenfällt

oder bestimmten Bedingungen für ein Rendezvous in der Umlauf­ bahn genügt; die Startvorbereitungen mit allen anderen Hilfsoperationen - wie etwa die Inbetriebnahme der Radar-Geräte und Verfolgungskameras oder das Absperren der Zufahrtswege am Startort - zu synchronisie­ ren. Bei einsatzfähigen militärischen Raketen ist es notwendig, auf einen Feuerbefehl schnell zu reagieren. Wenn überhaupt, so werden hierbei nur wenige Daten während des Fluges übertragen. Ein Countdown für einen derartigen Start kann in wenigen Minuten ablaufen. Eine komplizierte mehrstufige Rakete jedoch, die einen ähnlich kompli­ zierten Raumflugkörper und äußerst empfindliches Forschungsgerät mit sich führt, benötigt, gleichgültig ob sie bemannt oder unbemannt ist, einen Countdown, der sich über viele Stunden erstrecken kann. Wenn der Countdown planmäßig abläuft, liegen die einzelnen Schritte sehr genau fest, aber bei auftretenden Schwierigkeiten muß er eine große Flexibilität haben. Für einen gut vorbereiteten Countdown-Plan ist eine festumrissene Prozedur für die Wiederaufnahme des Zählablaufs notwendig. Nehmen wir an, daß eine Störung in einer Baukomponente auftritt, nachdem bereits die meisten Lenk- und Radio-Übertragungsgeräte ein­ geschaltet worden sind, dann kann es zwei Stunden dauern, bis die schadhafte Komponente repariert oder durch eine neue ersetzt worden ist. Offensichtlich müssen dann die meisten An-Bord-Geräte, die bereits in Betrieb genommen wurden, wieder abgeschaltet werden. Aus diesem Grunde kann es notwendig sein, den Countdown - der bereits auf bei­ spielsweise T -7 Min. fortgeschritten ist - auf >T -20 Min. und Stand* zurückzunehmen. Das bedeutet, daß der Zählablauf wieder bei T -20 Min. einsetzt, sobald die Reparatur durchgeführt und die ersetzte Komponente überprüft worden ist. Andererseits kann lediglich eine vorübergehende Radio-Überlagerung auftreten, die auf ein vorbeifliegendes Flugzeug zurückzuführen ist. In diesem Fall wird der Zählablauf nur »augenblicklich* angehalten, Geräte werden dabei nicht abgeschaltet. Der Zählablauf geht bei derselben Zei-

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Zweck und Ablauf des Countdown gerstellung weiter, bei der die Uhr gestoppt worden ist, sobald die Stör­ stelle nicht mehr auftritt. In einem gut geplanten Countdown sichern eine Reihe von Notvor­ schriften Flugpersonal, Bodenmannschalten und das Raumfahrzeug im Falle einer ernsthaften Störung vor Schaden. Die jeweiligen Notmaß­ nahmen ändern sich mit dem Fortschreiten des Countdown. Sie erfahren in dem Augenblick drastische Änderungen, in dem die gefährlichen Treibstoffe und Verbrennungsträger in die Tanks einer Flüssigkeits­ rakete gepumpt werden. Sie werden emeut geändert, wenn der Montage­ turm von dem Raumfahrzeug weggefahren wird und man zu bestimm­ ten kritischen Bereichen des Flugkörpers keinerlei Zugang mehr hat. Wenige Minuten später, nachdem die Bodenmannschaften das Gebiet um die Startplattform verlassen haben, übernimmt das Flugpersonal die Sorgen des Startdirektors für die Sicherheit aller Beteiligten. Im Falle eines gefährlichen Feuers in der Rakete würden die Piloten des Raum­ fahrzeugs beispielsweise ihre Rettungsrakete zünden, ohne daß dadurch das Bodenpersonal in Gefahr gebracht wird. In den letzten Phasen des Countdown ist der Text für die Notmaßnah­ men, der gewöhnlich auf der Rückseite jedes Countdown-Buches aufge­ druckt ist, länger als derjenige für die eigentlichen Startprozeduren. Die Vorgänge in Kap Kennedy für SA-7, unsere siebente Saturn-I-Rakete die am 18. September 1964 vom Kennedy-Raumflugzentrum in Florida gestartet wurde, sind eine gute Illustration für die Startvoibereitungen und den Countdown einer großen Rakete, die sich noch im Entwicklungs­ stadium befindet. In Kap Kennedy trafen die Elemente dieser zweistufigen Satum-Rakete erstmals zusammen. Die mit acht Triebwerken ausgerüstete erste Stufe, die im George C. Marshall Raumflugzentrum der NASA zusammen­ gebaut und statisch erprobt worden war, wurde mit einem Schiff zum Kap transportiert. Die zweite Stufe, von sechs Raketenmotoren ange­ trieben, die mit Wasserstoff und Sauerstoff gespeist werden und mit der die statischen Brennversuche in Sacramento (Kalifornien) vom Hersteller, der Flugzeugfabrik Douglas, durchgeführt worden waren, wurde mit dem Flugzeug transportiert. Ebenfalls vom Marshall Raumflugzentrum kam der >GeräteteilTrenn-LadungenNachfüllFeuerbefehl< gegeben, durch den alle weiteren Funktionsschritte einem automatischen Sequenz­ ablaufgerät übertragen wurden. Von diesem Augenblick an konnten der Startdirektor und seine Assistenten den automatischen Ablauf lediglich noch überwachen, wenn sie auch jederzeit bereit waren, beim kleinsten

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Start und Aufstieg

Anzeichen einer Störung einzugreifen. Der Mechanismus des automati­ schen Sequenzablaufes ist mit Hilfe eines komplizierten VerriegelungsSystems jedoch so geschaltet, daß jeder in der Sequenz vorgesehene Prozeß nur dann eingeleitet wird, wenn der vorausgegangene Schritt einwandfrei ausgeführt worden ist. Zum Zeitpunkt T -Null wurden die acht Triebwerke der ersten Stufe ge­ zündet. Eine Sekunde später wurden die Leitungen gelöst, die über die Schwenkarme mit der Rakete verbunden waren, und die Schwenkarme bewegten sich zur Seite. Die Halte-Vorrichtungen wichen bei T plus 2 Sekunden zurück - und nun befand sich SA-7 auf dem Wege. Das also ist die Antwort auf die Frage nach dem Warum und dem Wie des Countdown. Wie wir gesehen haben, handelt es sich dabei keines­ falls um einen Gag des Raumfahrtzeitalters, sondern um eine todernste, sorgfältig vorbereitete Prozedur, von der die Sicherheit und der Erfolg beim Start einer großen Rakete wie der Saturn abhängen.

Um die Überprüfung der empfindlichen mechanischen und elektrischen Einrichtungen einer Mehrstufen-Weltraumrakete, des Raumfahrzeugs und der zugehörigen Starteinrichtungen am Boden schneller abwickeln zu können, hat man automatische Prüfverfahren eingeführt. In der Vergangenheit war die Überprüfung dieser verschiedensten Ein­ richtungen für gewöhnlich ein langsamer, ermüdender Vorgang, der Schritt für Schritt durchgeführt werden mußte. Mit wachsender Kom­ pliziertheit der Raumfahrzeuge wuchs auch die Zahl der Menschen, die an der Überprüfung beteiligt waren, und die Zeit, die für die Startvor­ bereitungen und für den eigentlichen Countdown notwendig war, wurde länger und länger. Die automatische Überprüfung wurde zunächst bei militärischen Bodenund Luftraketen eingeführt. Jetzt wird sie bei allen unseren jüngeren bemannten und unbemannten Raumfahrzeugen in großem Umfang ver­ wendet. Die Grundidee der automatischen Startvorbereitung ist sehr einfach. Nehmen wir einmal an, es gäbe ein Krankenhaus, in dem sich fünf-

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Grünes Licht durch automatische Überprüfung

hundert Patienten befinden, das aber nur über eine einzige Kranken­ schwester verfügt. Wenn sie sich um alle Patienten kümmern sollte und hierbei fünfhundert einzelne Zimmer aufsuchen müßte, würden vermut­ lich einige Patienten wegen fehlender sofortiger Versorgung sterben. Um das Problem zu lösen, wollen wir nun aber unsere fünfhundert Patienten an elektrische Leitungen anschließen, die uns wichtige klini­ sche Informationen liefern: Angaben über die Körpertemperatur, den Pulsschlag, die Atmungstätigkeit, die Hauttemperatur, die elektrischen Gehimwellen usw. Alle diese Daten werden über die Leitungen einem zentralen elektronischen Rechengerät zugeführt. Der Magnetband-Speicher, also der >Gedächtnisteil< dieses elektronischen Rechengeräts, soll genaue Informationen über die zulässigen oberen und unteren Grenzen aller zur Speicherung kommenden Daten enthalten. Beispielsweise mag eine Körpertemperatur zwischen 36,5 Grad und 37,5 Grad für den Patienten im Zimmer 278 als normal gelten, während das tatsächliche Meßergebnis 39,0 Grad aufweist und damit andeutet, daß der Patient Fieber hat. In diesem Fall würde das Rechengerät die Kran­ kenschwester auf die Abweichung aufmerksam machen und beispiels­ weise einen Zettel auswerfen, auf dem aufgedruckt ist >Z 278, T + 2,0«, was bedeutet, daß der Patient in Zimmer 278 eine Temperatur hat, die zwei Grad über dem Durchschnitt von 37,0 Grad liegt. Ein kompliziertes Raumfahrzeug wie die Saturn V mit dem ApolloGerät besteht aus buchstäblich Tausenden von »Patienten*, deren Puls und Temperatur fortlaufend überwacht werden müssen, um sicherzustel­ len, daß wir keine Rakete starten, die eine »kranke«, d. h. schadhafte Komponente enthält. Dank der Schnelligkeit, mit der die automatische Überprüfung vorge­ nommen werden kann, ist es möglich, sie vorzunehmen, unmittelbar bevor eine Entscheidung über die Startdurchführung getroffen wird, und auch während des tatsächlichen Countdown kann man das Gerät mehr­ fach emeut überprüfen. Die automatische Überprüfung eines Raumfahrzeugs beschränkt sich nicht auf das bloße Ablesen von »Zustandswerten«. Die Überprüfungs­ methode ist vielmehr durch eine neue Technik wesentlich wirksamer gestaltet worden. Diese Technik besteht darin, den Panenten »diagnosti­ schen« elektrischen Anregungen zu unterwerfen, diese nach einem stra-

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Start und Aufstieg

tegischen Plan vorzunehmen und die Reaktion des Patienten hierauf auszuwerten. Es ist eine Technik, die sich beispielsweise am Autopiloten einer Rakete illustrieren läßt. Wir wollen annehmen, daß die Rakete während des Fluges durch die Luft atmosphärischer Turbulenz begegnet. Ähnlich wie ein Flugzeug in bockiger Luft hin und her geworfen wird, wird auch die Rakete zunächst einer Bö, die versucht, sie vom Kurs abzubringen, etwas nachgeben. Die Störung wird jedoch beim Flugzeug sehr schnell durch eine entsprechen­ de Reaktion des Piloten mit dem Steuerknüppel, bei der Rakete durch das Eingreifen des Autopiloten ausgeglichen. Beim Autopiloten einer Rakete macht sich die Abweichung von der vor­ gesehenen Flugbahn zunächst in Form eines Winkelunterschiedes zwi­ schen der Längsachse der Rakete und der Lage eines raumorientierten Trägheitskreisels bemerkbar. Durch diese Abweichung wird ein ent­ sprechendes elektrisches Signal ausgelöst. Über die komplizierten Schalt­ kreise eines Kontrollgeräts werden schließlich einige hydraulische Kol­ ben an den Drehstellen der schwenkbar aufgehängten Raketentriebwerke in Betrieb gesetzt. Durch sie wird die Schubrichtung, also die Aus­ trittsrichtung der Gasstrahlen, so geändert, daß dadurch die ursprüng­ liche Flugrichtung der Rakete wieder hergestellt wird. Um den gesamten Schaltkreis, der diesen Vorgang lenkt und kontrolliert, zu erproben, führt das Überprüfungs-Rechengerät einfach ein elektri­ sches >Anregungskrank< sind. Moderne automatische Überprüfungs-Geräte können eine große Zahl derartiger Prüfungen in einer sehr kurzen Zeitspanne vornehmen. Da hierbei ausschließlich Zahleninformationen ausgetauscht werden, beste­ hen alle elektrischen Signale, die zwischen den Überprüfungs-Anlagen am Erdboden und dem Raumfahrzeug hin und her fließen, aus kurzen, einfachen elektrischen Impulsen. Dadurch ist es relativ einfach, eine automatische Überprüfung per Funk auch noch nach Abheben einer Rakete vorzunehmen, also während sie sich im Fluge befindet. Im Saturn/Apollo-Mondlandeprogramm ist auf jeden Fall vorgesehen, die dritte Stufe sowie Instrumenten- und Lenkgeräte-Teil der Saturn V noch einmal zu überprüfen, nachdem die Rakete eine Parkbahn um die Erde erreicht hat. Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, daß noch alles in Ordnung ist, bevor die Astronauten die Raketenstufe wieder zünden und ihre Reise zum Mond fortsetzen. Im Zusammenhang mit der automatischen Überprüfung verdient eine spezielle Sicherheitseinrichtung besondere Erwähnung. Bei großen, mit mehreren Triebwerken ausgestatteten Raketen muß verhütet werden, daß sie mit zu geringem Schub starten. Deshalb werden derartige Raketen zunächst durch mehrere Greifklammern auf der Startplattform fest­ gehalten. Sie werden erst gelöst, wenn einwandfrei erwiesen ist, daß die Triebwerke der Rakete die geforderte Leistung aufbringen. Die Technik des Festhaltens der Rakete während des Schubaufbaus wurde in den ersten Jahren der Raketenentwicklung häufig erprobt. Bei den großen Raketen mit mehreren Triebwerken wurde sie zum stets wieder­ kehrenden, schematischen Vorgang, denn der Start mit nur einem einzi­ gen schadhaften oder nicht funktionierenden Triebwerk kann bei ihnen zu einer Katastrophe werden. Beim Start großer Raketen mit mehreren Triebwerken, wie etwa der Atlas oder der Saturn, wird mindestens ein charakteristischer Hinweis auf das einwandfreie Arbeiten des Triebwerks (zum Beispiel Verbren­ nungsdruck in der Brennkammer) für alle am Start beteiligten Trieb­ werke als technische Information in den Kontrollraum geleitet. Die Ent-

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Start und Aufstieg

Scheidung, den Mechanismus der Halteklammem auszulösen, wird von dem Startdirektor aufgrund des Nachweises gefällt, daß alle Triebwerke >grün< sind. Bei modernen Startanlagen ist der ganze Vorgang häufig automatisiert. Das bedeutet, daß das Signal zur Lösung der Halteklam­ mem automatisch gegeben wird, sobald alle gemessenen Triebwerksda­ ten innerhalb der zuvor festgelegten Grenzen liegen. Trifft das nicht zu, so werden sämtliche Triebwerke binnen weniger Sekunden automatisch abgeschaltet.

Wie Raketen gelenkt und gesteuert werden Alle Methoden für die Lenkung großer Raketen während des angetrie­ benen Fluges arbeiten nach einem gemeinsamen Prinzip : der Feuerstrahl der Rakete wird nach einem kontrollierten Verfahren abgelenkt. Damit eine Rakete geradeaus fliegen kann, muß ihre Schubwirkung so ausgerichtet sein, daß die Schubkraft nach rückwärts auf das Massezen­ trum der Rakete zeigt. Wenn die Schubkraft F nicht auf das Masse­ zentrum ausgerichtet ist, sondern dieses Massezentrum in einem Ab­ stand L passiert, ergibt sich ein Drehmoment vom Wert F x L. Eine große Rakete wird durch Verschiebung dieses Drehmoments nach rechts und links (Kontrolle der Gierbewegung) oder oben und unten (Kontrolle der Kippbewegung) gelenkt, je nachdem, in welche Flugrichtung wir sie bringen wollen. Die Schubwirkung einer Rakete tritt stets entgegengesetzt zur Aus­ strömrichtung der Verbrennungsgase auf. In einer flüssigkeitsgetriebe­ nen Rakete läßt sich die Brennkammer mit der Ausströmdüse für gewöhnlich hin und her schwenken, ähnlich wie der Außenbordmotor eines kleinen Bootes. Die Kraft für die Schwenkbewegungen wird durch hydraulische Verstellorgane (ölgetriebene Kolben) aufgebracht, die durch elektrische Signale der Steuergeräte der Rakete kontrolliert werden. Ältere Typen von Flüssigkeitsraketen wurden oft durch Strahlruder kontrolliert. Für gewöhnlich waren vier relativ kleine Ruder aus Gra­ phit, Tungsten oder einem ablativen Material - ein Stoff, dessen Außen­ schicht verkohlt oder verdampft - im Hauptgasstrahl des Triebwerks untergebracht. Sie wurden durch elektrische Verstellorgane gedreht.

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Wie Raketen gelenkt und gesteuert werden

Strahlruder lenken nicht den gesamten Gasstrahl ab, sondern nur einen Teil desselben. Die Wirkung eines Strahlruders läßt sich mit derjenigen eines Steuerruders an einem Motorschiff vergleichen, das in der Strö­ mung der Propellerschraube angebracht ist. Im Gegensatz zu den flüssigkeitsgetriebenen Raketen haben die Fest­ stoffraketen keine eigenen Brennkammern. Bei der Feststoffrakete dient die Hülle gleichzeitig als Treibstoffbehälter und Brennkammer, weshalb sich dieser Raketentyp nicht mit einer schwenkbaren Brennkammer aus­ statten läßt. Aus diesem Grunde haben die Konstrukteure von Feststoff­ raketen strahlablenkende Austrittsdüsen entworfen. Oftmals treten die Verbrennungsgase einer einzelnen Feststoffrakete durch vier parallel zu­ einander montierte schwenkbare Düsen aus, womit eine vollständige dreidimensionale Kontrolle in der Vertikalrichtung (Kippen), von rechts nach links (Gieren) und in der Drehrichtung um die Längsachse (Rollen) ermöglicht wird. Welche Methoden aber auch immer angewendet werden, um entspre­ chende Lenkkräfte aufzubringen: die kontrollierenden Verstellorgane müssen auf jeden Fall ihrerseits durch entsprechende Signale gesteuert werden, damit die Rakete unbeschadet aller Störungen durch Wind oder Gewichtsabweichungen vom Standardgewicht oder Leistungsabweichun­ gen die vorgesehene Flugbahn einschlägt. Es muß ein Lenksystem vor­ handen sein, das ständig die für die Bewegungskorrektur der Rakete notwendigen Kommandos erteilt. Wir haben die Wahl zwischen zwei grundsätzlich verschiedenen Lenksystemen: der Fernlenkung und der Inertialsteuerung. Die notwendigen Lenkkommandos können durch die Verfolgung der Rakete mit optischen Instrumenten, Radar oder Radio und einen Ver­ gleich der tatsächlichen Flugbahn mit der vorgesehenen Flugbahn erar­ beitet werden. Ein Fernlenkkommando über Radio veranlaßt die fliegen­ de Rakete, Unterschiede zwischen dem >IstSolIParkbahn< verweilen und ihr Triebwerk zu einem genau festgelegten Zeitpunkt wieder ge­ zündet werden muß, um jenes Antriebsmanöver durchführen zu kön­ nen, das für den Einschuß in die Flugbahn zum Mond oder einem Ziel­ planeten notwendig ist. Der Ort des Wiederzündens in der Umlaufbahn kann sich über Australien oder dem Pazifischen Ozean befinden, obwohl die Rakete von Kap Kennedy in Florida gestartet wurde. Radiolenkung für ein solches Unternehmen würde deshalb ein kompliziertes erdum­ spannendes Radionetz voraussetzen. Bei der Inertial- oder Trägheitslenkung fallen alle diese Kommunika­ tionsschwierigkeiten weg, weil die Lenkkommandos an Bord der Ra­ kete erzeugt werden. Es handelt sich hier also um ein gänzlich aus sich heraus arbeitendes, geschlossenes System. Die Grundidee der Trägheitslenkung einer Rakete besteht darin, die Be­ schleunigungen in drei orthogonalen (d. h. senkrecht zueinander stehen­ den) Richtungen, also etwa nach »oben und unten«, »rechts und links« und »vorwärts und rückwärts« zu messen. Die drei Beschleunigungen werden »integriert« (ein Vorgang, der in einem der folgenden Abschnitte erläu­ tert werden soll), um die Geschwindigkeit in jeder Richtung zu erhalten. Dann werden ihrerseits die drei Geschwindigkeiten integriert, um die Ortsveränderung, also die zurückgelegte Strecke in jeder Richtung, zu er­ halten. Dadurch wird die ständige Frage der Rakete nach dem »Wo bin ich?« beantwortet. Das Lenksystem weiß dank seines elektronischen »Gedächtnisses«, wo die Rakete in jedem gegebenen Augenblick sein sollte, und wenn es irgendwelche Abweichungen hiervon feststellt, gibt es die für die Flug­ bahnänderung notwendigen Kommandos. Das Kernstück jedes Trägheits-Lenksystems besteht aus drei orthogona-

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len Beschleunigungs-Meßgeräten, die die drei Komponenten der Be­ schleunigung der Rakete bestimmen. Was Beschleunigung ist, kommt in dem von Rennwagenfahrem benutz­ ten Begriff des »guten Starts» zum Ausdruck. Die Beschleunigung zeigt sich als eine Kraft, die den Fahrer gegen die Rückenlehne des Sitzes preßt, wenn er Gas gibt. Es ist eine Kraft, die in der Trägheit des Körpers ihre Ursache hat, durch die dem plötzlichen Geschwindigkeitswechsel Wi­ derstand entgegengesetzt wird - gleichgültig, ob das Auto aus dem Stand heraus beschleunigt wird oder, beispielsweise zum Überholen eines Lastwagens, von 60 auf 80 Kilometer pro Stunde. Es gibt mehrere Typen von Beschleunigungsmessern, aber allen gemein­ sam ist, daß sie den »Druck gegen die Rückenlehne des Sitzes» bestimmen, der durch die mit jeglicher Materie untrennbare Massenträgheit hervor­ gerufen wird. Der einfachste Beschleunigungsmesser, der mit Spiralfe­ dern arbeitet, ist in der Zeichnung dargestellt. Wenn die Rakete in Pfeilrichtung beschleunigt, so führt das dazu, daß

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Start und Aufstieg die in dem Beschleunigungsmesser vorhandene Masse infolge ihrer Trägheit zurückbleibt, wodurch die Feder A ausgedehnt und die Feder B zusammengedrückt wird. Ein Schiebewiderstand, der als »Abnahme-Po­ tentiometer« bezeichnet wird, liefert eine elektrische Spannung, die für jeden Augenblick dem gerade auftretenden Beschleunigungswert ent­ spricht. Der Tachometer in einem Sportauto zeigt Sekunde für Sekunde, solange wir den Druck gegen die Rückenlehne fühlen, das Anwachsen der Ge­ schwindigkeit an. Natürlich ist der Tachometer mit den Rädern verbun­ den und zeigt in Wirklichkeit, wie schnell sich diese drehen. Aber wir könnten einen anderen Tachometer um unseren Beschleunigungsmesser mit den Spiralfedern bauen: Nehmen wir einmal an, wir würden mit dem Strom, den uns unser Ab­ nahme-Potentiometer des Beschleunigungsmessers liefert, einen kleinen Gleichstrommotor antreiben. Dieser Motor wird sich so lange drehen, wie eine Beschleunigung vorhanden ist, aber stehenbleiben, sobald diese aufhört. Die Geschwindigkeit, mit der der Anker des Motors rotiert, entspricht der elektrischen Spannung, die ihm durch das Abnahme-Potentiometer zugeführt wird, und diese Spannung wiederum hängt von dem Ausmaß der Beschleunigung ab. Die Gesamtzahl der Umdrehungen, die der An­ ker in einer bestimmten Zeitspanne macht, entspricht dabei der Ge­ schwindigkeit, die sich als Resultat der Beschleunigung während der gleichen Periode ergeben hat. Alles, was wir zu tun haben, um einen durch den Beschleunigungsmes­ ser angetriebenen Tachometer zu erhalten, besteht darin, eine Anzeige­ nadel mit der Ankerachse des kleinen Motors zu verbinden - natürlich über ein Zahnrad mit sehr hoher Übersetzung. Unser neuer Tachometer ist der Prototyp dessen, was die für Lenkungsfragen zuständigen Fach­ leute einen »integrierten Beschleunigungsmesser« nennen. Wir könnten auf der Achse der Anzeigenadel unseres neuen Instrumen­ tes ein zweites Potentiometer anbringen und mit der durch dieses Poten­ tiometer gesteuerten Spannung einen zweiten Elektromotor antreiben. Da die Abnahme-Spannung in diesem Fall der Geschwindigkeit des Autos entspricht, wird sich der zweite Motor mit einer Schnelligkeit drehen, die ebenfalls dieser Fahrgeschwindigkeit entspricht, und die Ge-

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Wie Raketen gelenkt und gesteuert werden samtzahl der Umdrehungen seiner Achse stimmt dann mit der Strecke überein, die das Auto zurückgelegt hat. Eine Anzeigenadel, die, wieder­ um über Zahnräder hoher Übersetzung, mit dem zweiten Motor verbun­ den ist, zeigt dann die zurückgelegte Stredce an - also den gleichen Wert, den wir auf dem Kilometerzähler unseres Autos ablesen können (dieser Standard-Kilometerzähler registriert die Gesamtzahl der Radumdrehun­ gen). Mit dem zweiten Elektromotor haben wir dann die »zweite Inte­ gration« vorgenommen - wir haben die Geschwindigkeit über die Zeit integriert und so die zurückgelegte Strecke erhalten. Natürlich gehört noch wesentlich mehr dazu, in der Praxis ein Lenk­ system für eine Rakete zu konstruieren. Vor allem werden die Konstruk­ teure mit zwei grundsätzlichen Schwierigkeiten konfrontiert: 1. Während des Fluges verändert die Rakete ihre Lage. Beim Start steht sie senkrecht. Beim Einschuß in die Umlaufbahn bewegt sie sich in hori­ zontaler Richtung. Außerdem passiert sie während des Fluges die Atmo­ sphäre und wird hierbei durch Turbulenzströmungen und Winde aus verschiedenen Richtungen kurzzeitig in ihrer Lage verändert. Unsere drei orthogonalen Beschleunigungsmesser müssen deshalb auf eine kreiselstabilisierte Plattform montiert werden. Wie sehr die Rakete sich nun auch drehen und winden mag, die drei Beschleunigungsmesser behalten ihre feste Ausrichtung im Raume bei. Um den hohen Ge­ nauigkeitsanforderungen der Inertial-Lenksysteme für Weltraumrake­ ten zu entsprechen, muß die stabilisierte Plattform ihre Position auf Bruchteile eines Winkelgrades für mehrere Stunden einhalten. 2. Jede Masse, die in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt ist, unterliegt der Reibungswirkung. Bei unserem Spiralfedern-Massen-Beschleunigungsmesser beispielsweise ist unser Massenstück durch Spiralfedern in der Bewegung eingeengt. Beim Ausdehnen oder Zusammendrücken die­ ser Federn tritt eine Reibungswirkung auf (man braucht nur einmal ein Stück Draht mehrfach hin- und herzubiegen, um die hierbei durch Rei­ bung erzeugte Wärme zu spüren!). Hinzu kommt, wenn unser Beschleu­ nigungsmesser nicht in einem Vakuum betrieben wird, die Luftreibung. Auch die Berührungsstelle des Potentiometers ist eine Quelle der Rei­ bungswirkung. Derartige Reibungskräfte mindern die Genauigkeit des Systems. Es ist nicht übertrieben, wenn man behauptet, daß der Erfolg eines modernen

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Start und Aufstieg Trägheits-Lenksystems das unmittelbare Ergebnis eines fortgesetzten Kampfes gegen die Reibung darstellt. Im Verlaufe dieses Kampfes sind viele Methoden erprobt worden: Es gibt >SchwimmlagerGaslagerPräzession< ausnützen, gegenüber dem einfachen Massen-Spiralfeder-Beschleunigungsmesser als überlegen erwiesen. Weitere Gewinne in der Genauigkeit sind dadurch erzielt worden, daß man die Integrierungsaufgaben nicht mit den von Reibungskräften bela­ steten Elektromotoren, sondern mit reibungsfreien elektronischen Digi­ talrechnern vornimmt. Die heutigen Inertial-Lenksysteme ermöglichen es, einen Satelliten mit einer Genauigkeit von wenigen Dezimetern pro Sekunde in der Ge­ schwindigkeit und Bruchteilen eines Kilometers in der Höhe in eine Erd­ umlaufbahn einzuschießen.

Der dramatische Fortschritt bei der Verkleinerung elektronischer Bau­ teile ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Gründe für den schnellen Fortschritt, der in der Raketentechnik und der Raumfahrttechnik in den letzten Jahren erzielt wurde. Natürlich wären die bemannten Erdumfliegungen ohne die großen Fort­ schritte auf dem Gebiet der Raketenantriebe, die Entwicklung neuartiger Materialien, neuer Konstruktionsprinzipien, weiterentwickelter hydrau­ lischer Systeme, höchst präziser Kreiselgeräte und zahlreiche Weiterent­ wicklungen auf anderen Gebieten nicht möglich. Aber auch ohne die

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o

Von links nach rechts: Elektronenröhre, Transistor und Plättchen-Transistor oder »Einheitsschaltkreis« (der Punkt innerhalb des Kreises), wie sie in den Rechengeräten der Raketen benutzt werden.

jüngsten Beiträge der Festkörperphysik und der daraus hervorgegange­ nen mikroelektronischen Technik hätten die meisten Weltraumerrun­ genschaften, sowohl was bemannte als auch was unbemannte Raumfahr­ zeuge betrifft, nicht ermöglicht werden können. Unsere Bilder zeigen besser, als sich dies durch Worte ausdrücken läßt, wie weit die Kunst der Miniaturisierung elektronischer Bauteile gedie­ hen ist. Von der Vakuumröhre ging die Entwicklung zu der Art des Transistors, wie wir ihn in transistorisierten Rundfunkempfängern finden - und dann weiter zu den fast mikroskopisch kleinen PlättchenTransistoren der >EinheitsschaltkreiseSteckrahmenA< als Antwort geben. Mit anderen Worten, gibt eines der drei parallel geschalteten Module eine andere Antwort, so wird sie durch die Mehrheit 2 :1 >weggewähltEinhcitsschaltkrcisrauf< oder >runterlinks< oder »rechts«. Bei allen Raketen, die bisher geflogen sind, gleichgültig ob bemannt oder unbemannt, wurden diese beiden Lenk­ signale direkt dem Autopiloten zugeführt. Durch Bewegung der Steuer­ ruder, der Raketendüsen oder des ganzen Triebwerks hat der Autopilot daraufhin den Flug der Rakete in der Praxis kontrolliert.

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Start und Aufstieg Um eine Trägerrakete selbst von Hand zu fliegen, könnte ein Astronaut natürlich sehr gut die Funktionen des Autopiloten übernehmen. Die Lenksignale würden dann, statt direkt im Kontroll->Kreis< zu laufen, auf einem Instrumentenpult in für den Astronauten brauchbarer Form an­ gezeigt werden, so daß er sie sehen und entsprechend reagieren könnte. Die Anzeige könnte in derselben Form wie beim herkömmlichen ILS(Instrumenten-Landesystem)Landeweiser erfolgen, wie er im Flugzeug beim Anflug auf eine Landebahn beim Vorhandensein einer niedrigen Wolkendecke oder bei schlechter horizontaler Sicht benutzt wird. Der ILS-Landeweiser enthält zwei gekreuzte Anzeigenadeln. Die eine, die >Landekursnadel«, bewegt sich nach links und rechts. Die andere, die »Gleitwegnadel«, bewegt sich nach oben und unten. (Vgl. meine Zeichnung.) Um in der Richtung der Landebahn zu bleiben, muß der Pilot die verti­ kale (Landekurs-)Nadel stets in der Mitte halten. Um so herunterzu­ kommen, daß er am nächstgelegenen Ende der Rollbahn aufsetzt, ohne während des Anfluges gegen ein hohes Gebäude zu stoßen oder über die Landebahn hinauszugeraten, muß er die horizontale (Gleitpfad-)Nadel ebenfalls stets in der Mitte halten. Das prinzipielle Problem, eine von Hand geflogene Rakete während des Antriebs auf der vorgesehenen Flugbahn zu halten, entspricht demjeni­ gen bei der Instrumentenlandung. Der einzige Unterschied besteht dar­ in, daß der Ausdruck »Steigweg« an Stelle von »Gleitpfad« tritt. Die möglichen Vorteile einer von Hand geflogenen Trägerrakete lassen sich vielleicht am besten durch einen weiteren Vergleich mit den durch die Zeit erprobten Prozeduren in der Luftfahrt ermitteln. Es gibt in der ganzen Welt keinen technischen Grund, weshalb die Si­ gnale des Landekurs- und Gleitpfad-Empfängers eines Flugzeuges nicht direkt dem Autopiloten dieses Flugzeuges zugeführt werden könnten. Bei vielen Flugzeugen ist das tatsächlich durch einfaches Umlegen eines Kippschalters möglich. Bisher hat aber keine Fluggesellschaft der Welt den Instrumentenanflug mit dem Autopiloten bei niedrig liegender Wolkendecke bis herunter zum Aufsetzen auf die Rollbahn erlaubt. Der Grund hierfür ist sehr ein­ fach. Dadurch, daß der Pilot sich aus dem »Steuerkreis« ausschaket, verDie Saturn V vor dem Start. Über einer zweigeschossigen Konstruktion aus Stahl und Beton wird die dreistufige Rakete startfertig gemacht. Nahezu 3000 t Treibstoff fassen die Tanks des insgesamt 110 m hohen Geräts. Der riesige Raupenschlepper, der es vom Montagegebäude samt Startplattform dorthin brachte, ist noch unter der Plattform zu sehen. Er wird vor dem Start weggefahren.

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Iiert er jene enge Beziehung zur jeweiligen Situation, die im Falle eines plötzlichen Ausfalls der Instrumente für einen korrigierenden Eingriff notwendig ist. Ein solcher Instrumentenausfall ist nicht kritisch, wenn das Flugzeug sich in einigen Tausend Meter Höhe befindet, denn dann steht genügend Zeit für einen Eingriff zur Verfügung. Wenn jedoch ein defekter Auto­ pilot beispielsweise eine plötzliche Höhenruderbewegung macht, die die Nase nach unten drückt, während sich das Flugzeug mit einer Geschwin­ digkeit von 230 Kilometern pro Stunde im Landeanflug befindet und gerade aus einer Wolkendecke in 60 Meter Höhe hervorbricht, dann ist 32

Werden Astronauten Trägerraketen steuern?

einfach nicht genügend Zeit für den Kapitän vorhanden, von der auto­ matischen Steuerung auf die Handsteuerung umzuschalten. Das gleiche Argument kann natürlich angeführt werden - und ist ange­ führt worden wenn es um die manuelle Kontrolle von Trägerraketen während des Aufstiegs geht. Man nehme nur einmal an, daß während eines Aufstiegs mit großer Geschwindigkeit durch die dichteren Schich­ ten der Erdatmosphäre ein defektes Verstellorgan eine plötzliche Aus­ schwenkung eines Triebwerks der Rakete verursacht, welche zu einem Überkippen führt. Wie viele Sekunden stehen dann noch zur Verfügung, bis aerodynamische Kräfte den Antriebsteil auseinandergerissen und in einen Feuerball verwandelt haben? Wann muß ein Astronaut, der das Kommando hat, die Entscheidung treffen, durch Abtrennung der Raum­ kapsel von der gestörten Trägerrakete und Zünden der Rettungsrakete den Flug abzubrechen? Befindet er sich nicht mit >im Steuerkreishindurchsaust»zdckL

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■ Machzahl habe im kritischsten Bereich ihrer Aufstiegsbahn durch die Atmosphäre in der Phase des hohen Staudrucks - wenn die schnell fliegende Rakete den heftigsten aerodynamischen Kräften ausgesetzt ist - eine ernsthafte Störung am Autopiloten. Ein Versagen des Verstell-Organs für die Schwenkung soll eines der fünf Triebwerke der ersten Stufe stark ab­ kippen und eine zusätzliche elektrische Störung verhindern, so daß die anderen Triebwerke das dadurch ausgelöste unerwünschte Drehmoment korrigieren können. In einem solchen Fall könnte - wenn eine große aerodynamische Insta­ bilität mit dazu beiträgt, den Anstellwinkel schnell zu vergrößern - eine Strukturüberbelastung zu einem Auseinanderbrechen der Rakete führen, noch bevor die Astronauten in der Apollo-Kapsel, die ihre Rettungs­ rakete gezündet haben, einen ungefährlichen Abstand zwischen sich und den wachsenden Feuerball gebracht haben. In diesem Falle wären Schwanzflossen für die Sicherheit der Piloten von Vorteil. Bei der Saturn V werden diese Schwanzflossen jedoch nicht be­ nützt, um eine perfekte aerodynamische Stabilität für alle Flugbedingun­

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Start und Aufstieg gen zu schaffen - dafür wären Leitflädien anomaler Ausmaße notwen­ dig; vielmehr setzen die Schwanzflossen der Saturn V die aerodynami­ sche Instabilität dieser Rakete weit genug herab, um sicherzustellen, daß die Astronauten sich ohne Gefahr von der Rakete lösen und entfernen können, gleichgültig, welche technische Störung ihr Raumfahrzeug hat. Unser Ziel ist es, das »Drehmoment« herabzusetzen - die Rotationsge­ schwindigkeit, bei der die aerodynamisch instabile Saturn V, sollte der Autopilot versagen, in einen Anstellwinkel gezwungen wird, dem ihre Struktur nicht mehr standzuhalten vermag. Man kann sagen, daß der Zweck der Schwanzflossen darin besteht, die Gnadenfrist zu verlängern, innerhalb derer die Astronauten sich vor einer kommenden Explosion retten können, die durch zu hohe Strukturbelastung verursacht wird.

Feststoff- und Flüssigkeitsraketen Ein Vergleich der Vorteile flüssigkeits- und feststoffgetriebener Raketen hängt völlig von der jeweiligen Anwendungsform ab. Genauso wie ein Benzinmotor gegenüber einem Dieselmotor Vorteile und Nachteile hat, ist die flüssigkeitsgetriebene Rakete der Feststoffrakete in einigen An­ wendungsbereichen überlegen, in anderen jedoch unterlegen. Und ebenso, wie es heute, nach einem halben Jahrhundert hitziger Debatten über die Vor- und Nachteile, noch die beiden erwähnten Arten von Kolbenmoto­ ren gibt, dürften in fünfzig Jahren noch immer sowohl flüssigkeitsge­ triebene als auch feststoffgetriebene Raketen praktische Verwendung finden. Die Vorteile der flüssigkeitsgetriebenen Rakete, für die Atlas- und Satum-Rakete Beispiele sind, liegen in ihrer höheren Leistung, ihrer leich­ ten Abschalt- und Wiedereinschaltbarkeit und darin, daß sie sich bereit­ willig einer Zahl wichtiger Kontrollprozesse unterwirft. Beispielsweise kann die Schubkraft einer flüssigkeitsgetriebenen Rakete dadurch nach Wunsch verändert werden, daß man den Treibstofffluß variiert, und diese Rakete kann während des Fluges durch Schwenken des oder der relativ kleinen Triebwerke leicht gesteuert werden. Die Vorteile der Feststoffraketen - Minuteman und Polaris gehören zu diesem Typ - liegen in ihrer unübertrefflichen Einfachheit. Vor dem



Feststoff-Raketen

Polaris

Minuteman

Flüssig-Raketen

Atlas

Titan II

Start müssen sie nicht aufgetankt werden. Sie benötigen keine Druckgassysteme oder Pumpen für die Beförderung eines Treibstoffs aus dem Tank in die Brennkammer, denn die Raketenhülle nimmt gleichzeitig die Funktionen von Treibstofftanks und Brennkammer wahr. Die sich daraus ergebende Einfachheit und Schnelligkeit der Startvorbereitungen macht die durch feste Treibstoffe angetriebenen Raketen besonders für militärische Zwecke attraktiv, bei denen schnelle Reaktion lebenswichtig sein kann. Die Chinesen, denen man die erste Verwendung von Raketen im 13. Jahrhundert zuschreibt, benutzten wahrscheinlich Schwarzpulver. Dieses uralte Gemisch aus Holzkohle, Schwefel und Salpeter wurde bis zum Ende des Ersten Weltkrieges in allen Kriegs-, Signal- und SchiffsrettungsRaketen verwendet. Erst im Jahre 1918 versuchte der Amerikaner Robert H. Goddard zum erstenmal, rauchloses Pulver in Raketen zu verbren­ nen, und erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte die chemische Industrie hochenergetische Komposit-Treibstoffe, dank derer die Fest­ stoffraketen auch in das Gebiet der ballistischen Langstreckenraketen ein­ drangen, das bis dahin allein von den schubkräftigeren Flüssigkeitsra­ keten beherrscht wurde. Diese Flüssigkeitsraketen wurden damit aus

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Start und Aufstieg dem militärischen Bereich in das noch anspruchsvollere Gebiet der Raum­ fahrt verdrängt. Komposit-Treibstoffe bestehen in erster Linie aus einem mehr oder we­ niger gummiartigen Bindemittel, das als Brennstoff dient und in dem salzartige Kristalle oxydierender Substanzen eingebettet sind. Eine ty­ pische Mischung enthält beispielsweise bis zu 80 Gewichtsprozent dieser Kristalle und besitzt dennoch eine erstaunliche Plastizität. Es gibt verschiedene Arten von Brennstoff-Bindemitteln, die sich in der Leistung, dem Preis, den Eigenschaften bei hohen und niedrigen Tempe­ raturen, der Lagerfähigkeit usw. unterscheiden. Eines aber haben sie alle gemeinsam, nämlich lange Namen. So werden Vinylpolyester, Poly­ urethan und Polyvinylchlorid als Brennstoff-Bindemittel benutzt, um nur ein paar zu nennen. Die Verbrennungsträger stehen diesen Bezeich­ nungen nicht nach; sie tragen Namen wie Ammoniumperchlorat, Am­ moniumnitrat und Kaliumperchlorat. Um die Verbrennungstemperatur und damit die Leistung des Treibstoffs zu steigern, wird den Mischun­ gen manchmal Aluminiumpulver beigefügt. Schließlich enthalten Kom­ posit-Treibstoffe gewöhnlich einige Prozente an Beimischungen, die als Katalysatoren der Verbrennung, chemische Stabilisatoren oder Explo­ sions-Verhütungsmittel dienen oder andere physikalische Eigenschaften stellen, die notwendig sind, dem Treibstoff aber fehlen. Beim Entwurf von Feststoffraketen ist das Piobertsche Gesetz wahrschein­ lich die wichtigste Regel, die es zu beachten gilt. Dieses Gesetz sagt aus, daß die Brennfront sich jeweils in den festen Treibstoff senkrecht zur Treib­ stoffoberfläche hineinfrißt. Wenn wir also eine Röhre vollständig mit festem Raketentreibstoff füllen und diesen Treibstoff an dem einen Ende entzünden, so brennt er das ganze Rohr hindurch wie eine Zigarette. Nehmen wir aber einmal an, wir bohren entlang der Längsachse ein Loch durch den Treibstoff. Wenn wir nun eine Zündflamme durch diesen Tunnel hindurchstreichen lassen, breitet sich die Brennflamme in radia­ ler Richtung aus und erreicht schließlich im gleichen Augenblick, da der Treibstoff aufgebraucht ist, die Außenwandung. Mit zunehmendem Durchmesser des Tunnels erhöht sich die Brennfläche. Entsprechend ist die Menge der pro Sekunde erzeugten Verbrennungsgase und der von ihnen erzielte Schub im Augenblick der Entzündung am kleinsten und im Augenblick des Brennschlusses am größten.

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•für verschiedene 5chubprofi|e

Im allgemeinen werden Feststoffraketen ganz speziell für bestimmte Lei­ stungen entworfen. Dies bedeutet, daß es einen bestimmten, erwünsch­ ten Zusammenhang zwischen der Schubkraft und der Zeit geben muß. Beispielsweise kann gefordert sein, den größten Schub beim Start zu erzeugen, wenn die Rakete ein hohes Gewicht hat und ihn mit abneh­ mendem Gewicht der Rakete geringer werden zu lassen. Um derartige Spezifikationen zu erfüllen, haben die Raketeningenieure alle Arten kom­ plizierter Treibstoff-Querschnitte entwickelt, entlang derer sich die Flamme fortfrißt und die gewünschte Verbrennungsoberfläche für jeden beliebigen Augenblick schaffen kann (s. meine Zeichnung). Gelegentlich wird diese Methode durch die Verwendung von zwei oder mehreren Treibstoffschichten mit unterschiedlichen »linearen Brenn-Raten< (die Ge­ schwindigkeit, mit der die Flammenfront sich, ausgedrückt in Zentime­ tern pro Sekunde, durch den Treibstoff hindurchfrißt) weiter verfeinert. Die Kontrolle der Rakete während des Fluges läßt sich auf verschiedene Weise erreichen. Kleine ballistische Kurzstrecken->SperrfeuerMonergol< handelt. Das ist eine chemische Verbindung, die bei Kontakt mit einem geeigneten Katalysator in ihre chemischen Be­ standteile zerfällt und dabei Wärme freisetzt. Wasserstoffperoxyd (H2O2), eine wasserartige Flüssigkeit, zerfällt, wenn es durch ein Kata­ lysator-Bett aus Kalziumpermanganat getrieben wird, in eine Mischung aus Dampf (H2O) und Sauerstoff (O2). Ein anderes Monergol, Hydra-

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zin (N2H4), das ebenfalls bei Zimmertemperatur flüssig ist, zerfällt bei Berührung mit einem Katalysator in eine Mischung aus heißen Stick­ stoff- (N2) und Wasserstoff- (H2) Gasen. Feste Treibstoffe werden selten dazu benutzt, Druckgase für die Treibstofförderung in flüssigkeitsgetriebenen Raketen zu erzeugen, denn bei ihnen bleibt stets ein Anteil fester Partikel im Gas zurück, und sie kön­ nen Ventile und Regler verstopfen und auch Korrosion auslösen. Flüs­ sigkeiten, die in die Tanks eingespritzt werden, um durch chemische Reaktionen mit dem Brennstoff oder dem Verbrennungsträger ein Druckgas entstehen zu lassen, werden wegen der mit diesem Umwand­ lungsprozeß verbundenen Gefahren und unerwünschten Nebeneffekte nicht sehr gerne verwendet. Meine Zeichnung erläutert das Prinzip einer typischen Flüssigkeitsra­ kete mit Druckgasförderung. Wegen des beachtlichen Gewichtsvorteils fördern praktisch alle flüssig­ keitsgetriebenen Hochleistungs-Raketen den Treibstoff mittels Pumpen. Bei der Pumpenförderung ist es möglich, dünne, leichte Treibstoffbehäl­

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Start und Aufstieg ter mit wirkungsvollen Hochdruck-Raketentriebwerken zu kombinieren. Es sind stets zwei getrennte Pumpen vorhanden - eine für den Brenn­ stoff, die andere für den Verbrennungsträger. Meistens sind es Kreisel­ pumpen, die sich in ihrem Bauprinzip nicht allzu sehr von den Wasser­ pumpen der Feuerwehr unterscheiden. Für die Förderung von flüssigem Wasserstoff werden jedoch häufig vielschaufelige Turbinenpumpen be­ nutzt. Ihre Rotoren ähneln den Kompressoren von Triebwerken für Strahlturbinen. Die Treibstoffpumpen aller Flüssigkeitsraketen werden durch Gastur­ binen angetrieben. Die Pumpen werden mit der Antriebsturbine auf der gleichen Welle, entweder zwischen den beiden Pumpen oder nur an einem Ende, montiert. Bisweilen ist die Hochgeschwindigkeitsturbine mit der langsamer rotie­ renden Pumpe über ein Zahnradwerk verbunden. Bei einigen Raketen­ triebwerken sind die Pumpen getrennt, und jede besitzt ihre eigene Turbine. Die Turbinen werden stets durch Ausdehnung heißer Hochdruckgase von ihren Schaufeln angetrieben. Es wurden jedoch viele unterschied­ liche Methoden entwickelt, um das Antriebsgas zu erzeugen. Die frühen Flüssigkeitsraketen, wie die V-2, die Viking und die Redstone, benutzten eine Monergol-Gasquelle und enthielten einen getrennten Wasserstoffperoxyd-Behälter. Aus diesem relativ kleinen Tank wurde das Wasserstoffperoxyd durch Druckförderung in eine katalytische Zer­ fallskammer gebracht. Dampf und Sauerstoff, die aus dieser Kammer hervortraten, trieben die Turbine an. Die meisten modernen Flüssigkeitsraketen-Motoren haben ZweistoffGasgeneratoren. Oxydator und Brennstoff werden aus den HochdruckZuführungsleitungen ihrer Pumpen abgezapft und dem Gasgenerator zugeführt. Dieser Generator ist ein unter hohem Druck stehender Ofen, in dem die Treibstoffe verbrennen; das geschieht gewöhnlich in einem sehr brennstoffreichen Mischungsverhältnis, um die Gastemperatur zur Schonung der Turbinenschaufeln niedrig zu halten. In dem J-2-Triebwerk der Firma Rocketdyne, das 90 000 Kilopond Schub aufbringt (es ist der durch Flüssig-Wasserstoff und Flüssig-Sauerstoff angetriebene Raketenmotor der zweiten und dritten Stufe der Saturn-VMondrakete), treibt das wasserstoffreiche Verbrennungsgas, das aus

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Gladys< im Aufschlagsgebiet der Kapseln vier­ einhalb Meter hohe Wellen; alle Versuche, die Kapseln zu bergen, muß­ ten eingestellt werden. Am 9. November wurden jedoch zwei der Kapseln durch Strandläufer entdeckt. Eine war an die Küste der Insel San Salvador gespült worden, die andere an die Küste von Eleuthera. Eine dritte Kapsel wurde im April 1965 von einem Schwimmer vor San Salvador entdeckt. Unbeschadet der Beulen, die die Kapsel davongetragen hatte, lieferte der größte Teil des geborgenen Films brauchbare Infor­ mationen. Eingekapselte Kameras haben sich als unersetzliche Hilfe bei der Entwick­ lung von Trägerraketen erwiesen, denn sie versetzen den Konstrukteur in die Lage, zu sehen, was während des Fluges geschieht. Sie haben gegen-

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Raketenfliegende Kameras als technische Beobachter

über anderen Hilfsmitteln, mit denen über das Verhalten der Rakete be­ richtet wird - wie z. B. gegenüber der Telemetrie — große Vorteile. Die abwerfbare Filmkamera-Kapsel für die Saturn-Rakete ist von Wis­ senschaftlern und Ingenieuren des Marshall-Raumflugzentrums der NASA entwickelt und erprobt worden. Sie wurden dabei durch die Firma »Cook Technological Center* in Chicago unterstützt. Die Kapsel wiegt etwa 27 Kilogramm, hat einen Durchmesser von 20 Zentimetern und ist ca. 70 Zentimeter läng. Es gibt zwei verschiedene Typen dieser Kapseln: Das sogenannte Modell A wird für die »direkte Betrachtung< benutzt. Es nimmt die Ereignisse auf, die aus der Position der Kamera vor ihrer Ab­ trennung von der Rakete sichtbar sind. Am vorderen Ende dieser Kapsel befindet sich ein Fenster aus Quarzglas, welches das Objektiv der Kamera vor der aerodynamischen Aufheizung schützt. Vier derartige, direkt auf­ nehmende Kameras, die am vorderen Ende der ersten Stufe angebracht sind und nach vorne blicken, photographieren die Zündung und die Ab­ trennung der zweiten von der ersten Stufe. Die Kapsel des Modells B dient der »indirekten Betrachtung*. Bei ihr liegt das Objektiv der Kamera in einer »Glasfaseroptik* - in der Praxis ein Sdtnittbild einer wiedergewinnbaren, eingekapselten Kamera von 711/« Zentimeter Länge. Dieses direkt aufnehmende Modell enthält ein Quarzfenster, um die eigentliche Kamera vor der Hochgeschwindigkeits-Hitze beim Flug durch die Atmosphäre zu schützen.

Start und Aufstieg biegbarer metallischer Schlauch, der es ermöglicht, >um die Ecke zu sehen«. Das andere Ende des Glasfaserschlauchs kann beispielsweise mit der obe­ ren Kalotte des Flüssig-Sauerstoff-Tanks verbunden werden. Die einge­ kapselte Kamera blickt dann in den unter Druck stehenden Tank hinein, gerade so, als würde man durch eine Art Türspion in den Behälter schauen. Eine besonders stark leuchtende Lampe verbreitet ausreichendes Licht, um die Vorgänge im Tank auf den Film bannen zu können. Die Glasfaseroptik besteht im wesentlichen aus einigen tausend Glasfa­ sern, von denen jede etwa die Dicke von gewöhnlichem Strickgarn hat. Das Innere einer jeden Glasfaser ist durchsichtig, ihre Oberfläche verspie­ gelt. Ein Lichtstrahl, der an einem Ende in die Faser eintritt, wird deshalb durch die ganze Faser hindurch reflektiert und tritt am anderen Ende wie­ der aus, gleichgültig, wie die Faser gebogen oder gedreht wird. Wenn also ein optisches Bild auf einen Raster fällt, der aus Tausenden von Vorder­ enden parallel gebündelter Glasfasern besteht, erscheint dasselbe Raster­ bild auf den entsprechend orientierten hinteren Enden. Die Kapseln werden bei einer Geschwindigkeit der ersten Stufe der Sa­ turn I von ca. 2500 Metern pro Sekunde (ca. 9100 Kilometer pro Stunde) ausgestoßen. Das geschieht, indem sie mit Hilfe von unter Druck stehen­ dem Stickstoffgas aus einer Röhre katapultiert werden. Unmittelbar nach dem Verlassen der Katapultröhre spreizen die Kapseln unter Federdruck stehende Landeklappen für die aerodynamische Stabilisierung aus. Jede Kapsel enthält einen >Paraballon< - eine aufblasbare Kugel, an der ein fallschirmartiger Bremsschirm hängt. In einer Höhe von 42 Kilome­ tern läßt ein barometrischer Schalter in die Hülle des Paraballons Stick­ stoff-Druckgas einströmen. Der Druck der wachsenden Hülle trennt Scherschrauben und löst den gesamten hinteren Teil der Kapsel (einschließ­ lich der Stabilisierungsflossen) ab. Der Paraballon entfaltet sich so lange weiter, bis er seinen größten Durch­ messer von 45 Zentimetern erreicht hat. Die Reibungswirkung, die Bal­ lon und Bremssaum auslösen, verlangsamt die Geschwindigkeit der fal­ lenden Kapsel bis auf etwa 30 Meter pro Sekunde (108 Kilometer pro Stunde). Mit dieser Geschwindigkeit schlägt die Kapsel auf der Wasser­ oberfläche auf. Der aufgeblasene Paraballon hat eine ausreichende Schwimmkraft, um die Kapsel an der Oberfläche zu halten. Warum sind wiedergewonnene Filmkapseln so wertvoll? Die Antwort

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Photo der Triebwerkszündung einer zweiten Stufe der Saturn 1. Dieses Bild wurde von einer Kapsel-Kamera aufgenommen und zurückgebracht.

findet sich in den grundsätzlichen Schwierigkeiten, denen sich jeder Raketenkonstrukteur gegenübersieht. Der Erbauer eines neuen Flugzeuges kann mit Hilfe des Testpiloten in Er­ fahrung bringen, wie sich seine geistige Schöpfung verhält und wie sie reagiert. Eingebaute Aufzeichnungsgeräte liefern weitere Daten. Die Test­ 57

Start und Aufstieg flüge können, sofern kein ernsthafter Unfall auftritt, so lange wiederholt werden, bis sowohl der Konstrukteur als auch der Testpilot mit den Er­ gebnissen zufrieden sind. Der Erbauer einer Raumrakete ist in einer weniger glücklichen Situation. Seine großen Raketen können nicht zum Ausgangspunkt zurückgeflogen werden. Solange sie sich noch im Versuchsstadium befinden, muß er sie mit künstlichen Augen und künstlichen Ohren ausrüsten und dafür sor­ gen, daß er alles, was diese Augen während des Fluges sehen und die Ohren hören, am Boden auswerten kann. Die traditionelle Methode, Daten über den Flug zu erhalten, ist die An­ wendung der Telemetrie. Aber die Möglichkeiten, solche Informationen wie Drucke, Temperaturen und Spannungen mittels Radio zum Erdboden zu übertragen, haben Grenzen. Während der Entwicklung der Trägerrakete Saturn I wollten wir bei­ spielsweise wissen, wie die Triebwerke der zweiten Stufe sich entzünden und wie die zweite Stufe sich von der ersten, leergebrannten Stufe trennt. Wir wollten ferner herausfinden, ob die Sauerstofftanks der ersten Stufe so konstruiert waren, daß sie völlig geleert werden konnten. Kann ein Wirbel von der gleichen Art, wie man ihn im Abflußrohr einer Bade­ wanne beobachtet, dazu führen, daß das Druckgas zu früh in die Zuführungsleitung des flüssigen Sauerstoffs eindringt, nämlich bevor der Flüssigkeitsstand sich dem Tankboden genähert hat? Die Telemetrie eig­ net sich nicht besonders zur Beantwortung solcher Fragen. Man muß über künstliche Augen verfügen, um sehen zu können, was sich bei der Stu­ fentrennung abspielt und ob sich überhaupt ein Wirbel in dem Flüssigsauerstoff-Tank bildet. In einigen Fällen haben die Konstrukteure von Raketen kleine FernsehKameras mit Erfolg benutzt, aber auch dieses Verfahren hat seine Gren­ zen. Bei der Stufentrennung verlangsamen kleine, feststoffgetriebene Bremsraketen die Geschwindigkeit der leeren ersten Stufe, und die Trieb­ werke der zweiten Stufe werden gezündet, während kleinere, feststoff­ getriebene »Hilfsraketen« dafür sorgen, daß sich die flüssigen Treibstoffe am Tankboden sammeln. Die dabei auftretenden feuersprühenden Er­ scheinungen stören gerade in dieser wichtigen Phase des Fluges die Da­ tenübertragung oder die Femsehbild-Übermittlung zwischen der Rakete und der Bodenstation.



Was geschieht mit der Startstufe einer Rakete?

In Situationen wie dieser beweisen ausstoßbare Kapseln mit Filmkameras ihren Wert und rechtfertigen die Anstrengungen bei der Suche nach den Kameras. Um ihre Lokalisierung und Wiedergewinnung zu erleichtern, enthält eine Kameta-Kapsel die folgenden eingebauten Bergungshilfen: Eine kleine Sendeantenne auf dem oberen Teil des Paraballons ermög­ licht es Flugzeugen und Schiffen, die treibende Kapsel zu orten. Eine hochintensive Blitzlichtlampe, die zwanzigmal in der Minute auf­ leuchtet, trägt zur Bergung bei Nacht bei. Eine Chemikalie färbt das umgebende Wasser mittels einer fluoreszie­ renden Substanz grün - eine Hilfe, die sich bei der Bergung am Tage bewährt hat. Das Farbmuster des Paraballons trägt ebenfalls zur sicheren Bergung bei. Abwechselnd weiße und orangene Felder, die oberhalb des Wassers liegen, sind weithin sichtbar. Die Hälfte des Ballons, die unterhalb der Wasserfläche liegt, ist dunkelpurpur gefärbt, um eine geringe Anzie­ hungskraft auf neugierige Fische auszuüben. Ein Mittel, das seine abstoßende Wirkung gegenüber Haifischen bereits bewiesen hat, Kupferazetat, wird ins Wasser gegeben; es verhütet, daß der Paraballon - und der Fallschirmspringer, der ihn herausholt - im Magen eines Haifisches landen.

Was geschieht mit der Startstufe einer Rakete? Das Abbrennen der Erststufe einer Rakete bei Nacht bietet ein beein­ druckendes Bild. Eine derartige, vom Menschen geschaffene Sternschnuppe gibt den Beobachtern eine ungewöhnliche Gelegenheit, die Erscheinung des Wiedereintritts eines festen Körpers mit hoher Geschwindigkeit in die Atmosphäre zu studieren, eine Erscheinung, die in unserem Raum­ fahrtzeitalter eine neue Bedeutung bekommen hat. Die Geschichte einer verbrauchten Erststufe ist interessant und aufschluß­ reich zugleich. Sie hat viele unterschiedliche Versionen, weil die Geschwin­ digkeiten, mit denen die Raketenstufen in die Erdatmosphäre eintreten, sich über einen so weiten Bereich erstrecken. Soweit mir bekannt ist, war die ballistische Redstone-Rakete der ameri-

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Start und Aufstieg kanischen Armee, die Flugstrecken von 320 Kilometern zurücklegte, das erste Raketengeschoß, bei dem die Trägerrakete während des Fluges vom Gefechtskopf getrennt wurde. Für Raketengeschosse mit kürzeren Reich­ weiten wäre eine solche Abtrennung eine unnötige Komplikation gewe­ sen und hätte die Gefahr mit sich gebracht, daß die leergebrannte Stufe auf befreundete Truppen fällt. Selbst bei der deutschen V-2-Fernrakete, die eine Reichweite von 320 Kilometern hatte, war keine Abtrennung vorgesehen. Die hieraus resultierende Vereinfachung wurde jedoch um den Preis einer relativ schweren Stahlwandung für das gesamte Fern­ geschoß erkauft, denn nur mit ihr konnte das Geschoß dem beachtlichen Drude und der Hitze des Wiedereintritts widerstehen. Der Trägerteil der Redstone trennt sich, sobald die angetriebene Phase beendet ist und der antriebslose Flug in einer ballistischen Bahn beginnt. Im Augenblick des Brennschlusses bewegt sich eine Redstone, die ihre ma­ ximale Reichweite erzielen soll, mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 5600 Kilometern pro Stunde unter einem Aufstiegswinkel von rund 40 Grad in einer Höhe von 40 Kilometern dahin. Unter diesen Bedingungen ist die aerodynamische Reibung, die der losge­ löste Körper erfährt, recht gering, und nach weiteren zehn Sekunden des Steigens wird sie völlig vernachlässigbar. Die Raketenstufe torkelt lang­ sam - die Schnelligkeit der Torkelbewegung hängt vom Umfang der Asymmetrie des Stoßes ab, der im Augenblick der Trennung auftrat - bis zur Spitze der parabolischen Bahn in 100 Kilometern Höhe der Nutzlast nach und fällt dann zur Erdoberfläche zurück. Etwa 35 bis 40 Kilometer vor dem 320 Kilometer weit entfernten Ziel treten der Gefechtskopf der Redstone und die ihm in einigen Dutzend Metern folgende taumelnde Rakete in die dichteren Schichten der Atmosphäre ein. Die Nase des Gefechtskopfes wird mit Hilfe eines Strahldüsen-Lagekontrollsystems in der Flugrichtung gehalten. Strom­ linienförmig gestaltet, pfeilstabilisiert und deshalb sehr schnellfliegend, wird der Gefechtskopf durch sein Inertial-Lenksystem, das auf die Be­ wegung eines Luftklappenpaares an seinem hinteren Ende reagiert, genau seinem Ziel entgegengesteuert. Im Gegensatz dazu wird die leere Trägerrakete, die spezifisch leicht ist und torkelt, sehr schnell abgebremst. Weniger als eine Minute nach dem Beginn des Wiedereintritts erreicht ihre vorwärts gerichtete Bewegung

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Was gesdiieht mit der Startstufe einer Rakete?

die Geschwindigkeit Null, und ihre Fallgeschwindigkeit sinkt unter die Schallgeschwindigkeit ab. Ihr dauerndes Überschlagen verhindert die übermäßige aerodynamische Aufheizung eines bestimmten Punktes, und der Druck, der in den Treibstofftanks herrscht, verhindert, daß die Rakete unter dem beachtlichen aerodynamischen Druck zusammengepreßt wird. Da sie nicht schwach genug ist, um zu zerbrechen, fällt sie als Ganzes weiter in Richtung Erdboden. Die Geschwindigkeit der Rakete beim Aufschlag - der Aufschlagsort be­ findet sich beim Start von Erprobungsorten aus im Wasser - dürfte zwi­ schen 60 und 120 Metern pro Sekunde (etwa 215 bis 430 Kilometer pro Stunde) liegen. In welcher Weise die Rakete auf dem Wasser auftrifft mit dem Ende oder der Breitseite -, läßt sich nicht voraussagen, da die Rakete beim Fallen keine bevorzugte Lage einnimmt. Es sind schon häufig Raketenstufen nach ihrem Aufschlag im Ozean trei­ bend gefunden worden. Obwohl die Treibstofftanks nicht aufgeplatzt wa­ ren und deshalb kein Leck Wasser hereinließ und so zu ihrem Untergang beigetragen hätte, waren die lebenswichtigen Teile so schwer beschädigt, daß eine Reparatur und eine Wiederverwendung der Stufe nicht möglich war. Es wäre natürlich möglich, vor dem Aufschlag einen Fallschirm zu entfalten. Abwurf- und Seewasser-Tauchversuche haben gezeigt, daß es möglich ist, Komponenten wie etwa das Raketentriebwerk erneut zu ver­ wenden. Aber auch unter diesen Umständen ist es nicht sehr wahrschein­ lich, daß Raketenstufen, die aus dem Meer aufgefischt werden, jemals eine Lösung bei unserer Suche nach wirtschaftlichen, wiederverwendbaren Ra­ keten sein werden. Wiedergewinnung und Wiederherrichtung von Rake­ tenstufen, die im Ozean gelandet sind, würden sehr kostspielig und auf­ wendig sein. Wichtiger aber ist noch, daß die technische Zuverlässigkeit, die von einer aus dem Ozean geborgenen Rakete erwartet werden kann, stets hinter derjenigen einer Rakete zurückbleibt, die neu aus der Fabrik kommt und ein dichtes Netz von Inspektionen und Qualitätskontrollen passiert hat. Eine hierzu vergleichbare Zuverlässigkeit kann man nur für zukünftige Trägeraggregate voraussehen, die zu ihrem Startort mit eige­ ner Kraft zurückfliegen können (siehe Seite 111, >In der Zukunft... Raumfähren«). Für Raketengeschosse, die eine größere Reichweite als die Redstone haben, sind höhere Anfangsgeschwindigkeiten notwendig. Die hieraus

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Start und Aufstieg resultierenden Wiedereintrittsgeschwindigkeiten sind ebenfalls höher. Eine ballistische Mittelstreckenrakete (IRBM: »Intermediate Range Ballistic Missile«), wie etwa die mit 2700 Kilometer Reichweite ausgestatteten Thor- oder Jupiter-Raketen der Luftwaffe, haben Wiedereintrittsge­ schwindigkeiten in der Größenordnung von 4500 Metern pro Sekunde (ca. 16000 Kilometer pro Stunde). Bei diesen Geschwindigkeiten ist die Abtrennung der Trägerrakete keine Angelegenheit einer Wahl, die dem Konstrukteur anheimgesteilt ist, wenn er ein wenig zusätzliche Reichweite gewinnen will, sondern eine ab­ solute Notwendigkeit. Um dem Aufglühen während des Wiedereintritts mit hoher Geschwindigkeit zu widerstehen, muß der Gefechtskopf mit einem besonderen Hitzeschutzmantel ausgestattet werden. Seine Ausdeh­ nung über die Treibstofftanks der Rakete würde das ganze Gerät uner­ laubt schwer machen und völlig zwecklos sein, denn hierdurch würde die militärische Einwirkung auf das Ziel nicht im mindesten erhöht werden. Thor- und Jupiter-Raketen wurden deshalb beim Brennschluß vom Gefechtskopf abgetrennt und verbrannten während des Wiedereintritts. Im Jahre 1958 wurden spezielle Studien angestellt, um über das Phäno­ men des Hochgeschwindigkeits-Wiedereintritts, den Weg einer herunterkornmenden Jupiter-Mittelstreckenrakete - zu diesem Zeitpunkt noch im Experimentierstadium - mehr zu erfahren. Etwa 80 Kilometer jenseits des vorausgesagten Aufschlagspunktes bot ein von der Marine gestellter Zerstörer einen guten Aussichtspunkt; Kameras und ein Spektrograph wurden auf das Ereignis gerichtet. Das meteorartige Schauspiel war für etwa 24 Sekunden sichtbar und er­ leuchtete das entfernte Schiff deutlich. Das brennende Aluminium der Raketen-Tanks verursachte, wie erwartet, einen leuchtenden Streifen am Nachthimmel - er war viele Male heller als die hellsten Sterne und auch wesentlich leuchtkräftiger als der vorausziehende Gefechtskopf. Am nächsten Morgen wurden jedoch unbeschadet dieses himmlischen Schauspiels einige Teile der Jupiter-Rakete, wie etwa die Gasflaschen für den komprimierten Stickstoff und kleine elektrische Bauteile, schwim­ mend im Wasser gefunden. Die Analyse dieser Teile vermittelte einen ge­ nauen Bericht darüber, was einer beim Wiedereintritt verbrennenden Raketenstufe Schritt für Schritt passiert. Zu Beginn ist nur die Außenseite der Raketenstufe dem aerodynamischen

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Wiedereintritt einer Jupiter-Mittclstrcckcnrakctc, aufgenommen von der Insel Antigua. Der Anblick entspricht dem Bild eines Stcrnschnuppcnfalls. Der hellere Streifen ist die wicdcrcintretcndc Rakete; die anderen Leuchtspuren rühren von dem Geräteteil und dem Nascnkegcl her.

Druck und der Aufheizung ausgesetzt. Es dauert eine Weile, diese Außen­ flächen - die aus den Druckbehältern der Treibstoffe und Beplankungen wie derjenigen des Lenkgeräteabteils sowie der rückwärtigen Struktur um das Triebwerk bestehen — zu zerbrechen oder zu verbrennen. Erst wenn das geschehen ist, wird das Innere der Rakete dem verbrennenden und ver­ glühenden Luftstrom ausgesetzt. Kleine Teile im Inneren der Raketen­ hülle werden aber auch dann noch vor dem Feuerstrom durch zusätzliche Schutzschichten bewahrt.

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Start und Aufstieg Nehmen wir als Beispiel die Armatur eines elektrischen Motors innerhalb eines Aluminiumkastens, in dem sich möglicherweise auch andere Kom­ ponenten des elektrischen Systems der Rakete befinden. Dieser Kasten wird der aerodynamischen Erhitzung erst ausgesetzt, nachdem das ihn umgebende Abteil der Lenkeinrichtungen verbrannt ist - und das nimmt einen Großteil der Zeit in Anspruch, die für die Abbremsung des zerfal­ lenden Vehikels benötigt wird. Erhitzung und Schmelzen des Aluminium­ kastens dauert länger, und dasselbe gilt wiederum für die Zerstörung des Motorbehälters, der die Armatur in seinem Inneren nochmals schützt. Auf diese Weise kann es passieren, daß diese Armatur der heranströmen­ den Luft nicht ausgesetzt wird, bis die Raketenstufe sich zu langsam be­ wegt, um noch eine wirkungsvolle aerodynamische Aufheizung zu erfah­ ren - und auf diese Weise kann die Armatur den Wiedereintritt ohne Beschädigung überstehen. Für Trägerraketen von Raumfahrzeugen gilt weitgehend dasselbe wie für Raketen der Kurz- und Mittelstrecken-Geschosse. Zwei- oder dreistufige Raketen bringen ihr Raumfahrzeug in eine Erdumlaufbahn oder über diese hinaus, wobei die verschiedenen Stufen bei Geschwindigkeiten abgetrennt werden, die mehr oder weniger mit den Abtrenngeschwindigkeiten der Redstone- und Jupiter-Raketen vergleichbar sind. Die Atlas besitzt nicht die »konventionelle« Stufentrennung, bei der voll­ ständige Raketenstufen einschließlich der Tanks und der Triebwerke ab­ geworfen werden, um Gewicht einzusparen. Statt dessen findet bei der Atlas eine »Triebwerkstrennung« statt. Zwei Raketenmotoren werden während des Aufstiegs abgeworfen, und der Flug wird mit der Antriebs­ kraft eines »Marsch«-Triebwerks, das aus den gleichen Treibstofftanks gespeist wird, fortgesetzt. Deshalb betreffen die Wiedereintrittsphäno­ mene, die wir diskutierten, hier nur die abgelösten Raketenmotoren. Das gesamte Tanksystem der Atlas wird in die Umlaufbahn mitgenom­ men. Die Umlaufbahnen, die im Rahmen der Atlas-Merkur-Flüge er­ reicht wurden, lagen nur etwa 160 Kilometer hoch und zerfielen deshalb nach zwei oder drei Erdumfliegungen. Da der Tankteil der Atlas aus Stahl besteht, war für ihn die Aussicht, den Wiedereintritt zu überstehen, viel größer. In der Tat wurden in Südamerika dann Teile der Tank­ einrichtungen von Atlasraketen aufgefunden, die von den Merkur-Flü­ gen stammten.

II DER FLUG DURCH DEN WELTRAUM

Warum ein Satellit in der Umlaufbahn bleibt und wie er wieder herunterkommt Haben Sie sich jemals darüber gewundert, wie ein Satellit in eine Umlauf­ bahn gelangt? Nun, stellen wir uns vor, wir stünden auf einem hohen Berggipfel, der weit über die Atmosphäre hinausreicht, und wir würden dort eine Kanone in horizontaler Richtung abschießen. (Siehe meine Zeich­ nung.) Das Geschoß wird, nachdem es den Lauf der Kanone verlassen hat, zunächst horizontal dahinfliegen. Aber sehr bald wird die Gravitations­ wirkung der Erde die Flugbahn nach unten ziehen, wie das in der kürze­ sten Bahn der Zeichnung dargestellt ist. Wir wollen nun die Kanone nochmals mit einer größeren Menge Pulver laden, und das Geschoß wird nun weiter fliegen, wie das die nächstlängere Bahn in der Zeichnung veranschaulicht. Diese Bahn wird weniger aus der Horizontalen abgelenkt, weil die Zentrifugalkraft infolge der höheren Ge­ schwindigkeit größer ist und so die Anziehungskraft der Erde in besserem Ausmaß zu kompensieren vermag. Wäre es uns möglich, eine Pulverladung zu benutzen, die genug Energie enthält, um das Geschoß auf eine Geschwindigkeit von 7,8 Kilometer pro Sekunde (28 000 Kilometer pro Stunde) zu bringen, so wäre die resultie­ rende Krümmung der Bahn nach unten genauso stark wie die Krümmung der Erde. Unser Geschoß würde immer weiterfliegen, und nach 85 Minu­ ten wäre es für uns besser, in Deckung zu gehen - denn dann würde das Projektil, das in der Zwischenzeit einmal um die Erde geflogen ist, uns

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von hinten erreichen und von hinten auf die Kanone auftreffen. Das Geschoß hätte sich in diesem Fall in einer kreisförmigen Umlaufbahn bewegt, die längste, den Erdball umrundende Bahn in der Zeichnung. Wer das nicht glaubt, kann John Glenn, Scott Carpenter, Wally Schirra, Gordon Cooper oder irgendeinen anderen der Astronauten fragen. Allgemeiner gesagt, wie eine Umlaufbahn entsteht und wie sie aussieht, wird durch die folgenden Umstände bestimmt: Eine kreisförmige Umlaufbahn entsteht, wenn eine kleine Masse, die sich im Gravitationsfeld einer großen Masse bewegt, eine Geschwindigkeit hat, bei der die Stärke der Zentrifugalkraft der Anziehungskraft des gro­ ßen Körpers genau die Waage hält. Dieses genaue Kräfteverhältnis exi­ stiert weitgehend bei der Bahnbewegung des Mondes um die Erde und bei den Bewegungen von Erde und Venus um die Sonne. Herrscht zwischen der Gravitations- und der Zentrifugalkraft kein exak­ tes Gleichgewicht, ist die letztgenannte aber stark genug, um eine direkte Kollision zwischen den Körpern zu vermeiden, dann beschreibt der kleine Körper eine elliptische Bahn um den großen. Kometen bewegen sich in Ellipsenbahnen um die Sonne. Meine zweite Zeichnung faßt die Bedingungen zusammen, unter denen eine kreisförmige bzw. elliptische Bahn ensteht. Ein synchron umlaufender Satellit (wie etwa die Nachrichtensatelliten Early Bird,Telstar und Syncom) ist ein Raumflugkörper, der sich in einer sehr hochgelegenen Kreisbahn mit einer Umlaufszeit von 24 Stunden von

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Warum ein Satellit in der Umlaufbahn bleibt und wie er wieder herunterkommt | | |

Westen nach Osten bewegt. Eine weitere Voraussetzung ist, daß die Bahnebene zumindest einigermaßen in der Ebene des Erdäquators liegt. Da auch die Erde sich alle 24 Stunden einmal von Westen nach Osten um

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ihre Achse dreht und die Erdachse einen rechten Winkel zur Äquatorebene darstellt, scheint ein synchroner Satellit ständig stillzustehen - genau über einem bestimmten Punkt des Erdäquators. (Oder, wenn er in eine Bahn gebracht wird, die um einen gewissen Betrag gegen den Erdäquator ge­ neigt ist, wie das etwa bei Syncom 2 der Fall war, beschreibt er über die­ sem Punkt eine 8.) Seine Höhe über der Erdoberfläche beträgt stets, wie das für eine Satellitenbahn mit 24 Stunden Umlaufszeit erforderlich ist, 35 800 Kilometer. Synchron umlaufende Satelliten besitzen für den weltweiten Nachrichten­ verkehr eine große Bedeutung. Wegen ihrer großen Entfernung von der Erde (etwa 6 Erdradien) kann ein 24-Stunden-Satellit von einem großen Bereich der Erdoberfläche aus gleichzeitig gesehen werden. Ein SyncomSatellit beispielsweise, der über dem Amazonas-Delta in Brasilien

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2. errfspr.cht Schwerkraft £>. Erqebh>s :