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German Pages 168 Year 2014
Der Grund der Freundschaft heischt die größte Ähnlichkeit der Seelen und Herzen der Menschen. (Ludwig van Beethoven)
Hans-Georg Klemm
Beethoven, Wagner, Mahler Genial und hochsensibel
Meinen lieben Eltern in tiefer Dankbarkeit gewidmet
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2012 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Umschlagabbildungen: Beethoven, Wagner, Mahler – alle akg-images Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-25056-1
Die Buchhandelsausgabe erscheint beim Primus Verlag. Einbandgestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Einbandabbildungen: Fotografie von Gustav Mahler, © akg / De Agostini Pict. Lib.; Lithographie von Ludwig van Beethoven nach einer Zeichnung von August von Kloeber, © akg-images; Stahlstich Richard Wagners von Veit Froer; © akg-images ISBN 978-3-86312-334-5 www.primusverlag.de Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-72867-1 (für Mitglieder der WBG) eBook (epub): 978-3-534-72868-8 (für Mitglieder der WBG) eBook (PDF): 978-3-86312-857-9 (Buchhandel) eBook (epub): 978-3-86312-858-6 (Buchhandel)
Prolog Aus der weiten Ferne nähern sich uns die vier Gestalten. Jenseits des Flusses haben sie die waldigen Hügel, deren Konturen im Nebel verschwimmen, bereits hinter sich gelassen. Sonderbar, wie sie sich nähern. Höchst sonderbar. Als ob sie sich nicht recht trauen, als würden sie zögern. Nur der Vordere scheint es ein wenig eiliger zu haben. Wenn er nicht sehr klein ist, müssen die hinter ihm Riesen sein! So sehr überragen sie ihn, so viel länger scheinen ihre Schritte, ihre Schatten … Müsste man sie eigentlich nicht auch schon kommen hören? Denn die Vögel zwitschern, ein Bach plätschert, leise rauschen die Bäume. Klar und deutlich stehen Sträucher und Blumen am Wegesrand, liegt der Tau auf den Wiesen. Sie selbst jedoch hüllt noch immer Nebel ein; als hätten sie ihn mitgebracht von dort. Täuscht es, oder krabbelt der Zwerg auf allen Vieren vorweg? Es hat beinahe den Anschein – noch sind sie zu weit entfernt, doch sehr bald schon werden wir Gewissheit haben … Nein. Es sind keine Riesen. Ganz im Gegenteil: Recht klein sind sie, die drei Männer! Und jetzt endlich treten sie aus dem Dunst heraus, um gleich wieder innezuhalten. Der in der Mitte bringt einen Hund zum Stehen, während der Rechte noch immer an seinem Ärmel zupft und etwas höchst Bedeutendes zu sagen scheint. Dann schweigt er plötzlich, legt einen Finger auf die Lippen, deutet stumm mit einem Arm nach oben, stampft mit einem Fuß auf. Fast gleichzeitig heben sich die Köpfe, um gemeinsam lieblichem Gesang zu lauschen. Es ist eine Amsel, die ihnen ihr Lied von einer hohen Tanne herab singt. Merkwürdig: Auf einmal hält jeder ein Büchlein in Händen und kritzelt versonnen, ganz für sich, hinein. Als ob sie ihn verstehen, den Vogel. Und sie lächeln, voller Verzückung, eine ganze Weile … Zeit, sie näher zu betrachten. Sonderbar, wie sie aussehen. Zu warm gekleidet sind sie. So kalt ist es nun wirklich nicht. Der Linke trägt einen blauen Frack, aus dem ein buntes Schnupftuch herauslugt, die ungeknöpften Messingknöpfe blinken in der Morgensonne. Eine Doppellorgnette hängt lose herab, die langen Zipfel eines weißen Halstuches sind um den breit umgeschlage-
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Prolog
nen Hemdkragen geknotet. Auf seinem Kopf sitzt ein Filzhut, der seinem Namen alle Ehre macht und sicher gerne einmal ausgebürstet worden wäre. Ähnlich stark gewölbt wie die Stirn, aus der er zurückgeschoben worden ist, stößt er an den abgeschabten, wild in die Höhe ragenden Rockkragen. Langes, graues Haar steht wirr zu beiden Seiten. Den mächtigen Kopf samt Samtmütze schüttelnd betrachtet auch der Mittlere ihn, vermutlich verwundert, ob des derart vernachlässigten Äußeren. Nachdenklich lässt er einen Finger über seine Adlernase bis zum weit vorspringenden Kinn gleiten und blickt bald befriedigt an sich selbst hinunter. Seine rosa Stiefeletten scheinen aus feinstem Leder, die hellblauen Beinkleider, der dunkelblaue Gehrock aus Seide wie auch das gerüschte Hemd in Gelb. Einen pelzverbrämten Radmantel lässt er um die Schultern wirbeln. Ist wohl doch zu warm geworden jetzt. Riecht er so gut und stark? Die blasse Nase im länglichen Gesicht verzieht jedenfalls sein Nachbar zur Rechten, den der Bunte nun einer ähnlich kritischen Begutachtung unterzieht. Sein grauer Anzug ist wohl eher rustikal zu nennen; immerhin trägt er ein weißes Hemd mit Weste und Fliege darüber. Aber diese weiße Kappe mit Augenschirm dazu. Dieser Zwicker. Diese schlichten Straßenschuhe … Und warum stampft er dauernd mit dem Fuß auf wie ein tanzender Eber? Doch die Musterung ist vorbei und nun kommen die Vier – bei dem Hund handelt es sich übrigens beim näheren Hinsehen um einen riesigen Neufundländer – direkt auf uns zu. Wild gestikuliert der Filzhut mit den Armen, um die der Wind die Rockflügel wehen lässt, und auch die grauen Haare fliegen zusammen mit den Halstuchzipfeln. Dabei spricht er so laut zu dem Seidenen, dass sich dessen Gesicht in sanftem Schmerz verzieht; zumal der Westenträger, auch er hat sein Jackett abgelegt und an einer Schnur über die Schulter gehängt, aufgeregt plaudernd an seiner freien Hand zieht. Nicht nur, weil er eher stolpert als geht: Wir sollten besser beiseitetreten, die Drei scheinen es nun doch sehr eilig zu haben, sie stürmen an uns vorbei, als hätten sie plötzlich starken Rückenwind, Köpfe und Kinne stechen wie Rammsporne nach vorne. Weit lässt der trabende Hund die Zunge heraushängen. Er kann seinen dicken Pelz nicht ablegen, der Arme. „Wo is es denn nu, dein Barradieß uff Ärdn, Gustav?“, hören wir den Seidenen sächseln. Darauf ist ganz offensichtlich ooch der mit dem wirren grauen Haar gespannt, denn er zückt ein Hörrohr aus einer Fracktasche und legt es ans Ohr. Obwohl er es doch schon so lange nicht mehr
Prolog
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braucht. Er kann die Antwort auch so verstehen. Wir müssen uns noch ein wenig gedulden. Genauer gesagt: bis zum Ende.
Ich möchte mich am liebsten gar nicht mehr in die Welt begeben, denn jede Hoffnung, ein Verständnis zu finden, ist irrig und eitel. (Gustav Mahler an seine Freundin Natalie Bauer-Lechner)
Das Schicksal hat Dich an einen der seltsamsten Menschen gebracht. Täglich mache ich die Erfahrung mehr, wie wenig ich eigentlich begriffen werde, wie allein und verlassen ich stehe! Welch Wunder, dass du sehr darunter zu leiden hast. (Richard Wagner zu seiner Frau Minna)
O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet […], wie Unrecht tut ihr mir! Ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem […] (Ludwig van Beethoven, „Heiligenstädter Testament“)
Inhaltsverzeichnis Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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In Kellern, auf Dachböden und an Totenbetten: Kindheit und Jugend Väter und Mütter . . . . . . . . . . . . Traumwelten . . . . . . . . . . . . . . . Sterben . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Flüstern, dass die Fenster klirren, und Scherben auf der Straße: Empfindlichkeit Die Odyssee des Ludwig van Beethoven . . . . . Eine Jungfrau am Spinett . . . . . . . . . . . . . Das Gehämmer des Blechschmieds . . . . . . . . In Samt und Seide . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Im stillen Haus: Naturliebe . . . Beethovens einzige Vertraute . Pan und die Stimme der Natur Bergeinsamkeit . . . . . . . . Peps, Papo & Co . . . . . . . .
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Unsterbliche Fliegen und verbundene Zweige: Mitleiden Zum Besten der Armen . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein frommer Mönch und die Tränen der Menschen . . Kalte Füße und fliegende Mützen . . . . . . . . . . .
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Die Entgiftung des Lebens: Humor . . . . . . . . . . . . . . . . „Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer“ . . . . . . . . . . . . . Gustav Mahler, Geheimrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Richard Wagner, Oberkirchenrat . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Hausierer namens Beethoven . . . . . . . . . . . . . . . . Struwwelpeter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wenn Tenöre zweimal klopfen und lila Lippen plappern … : Stimmungen . . . „Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ Zum Sprung bereit . . . . . . . . . . . . . . „Keine üble Gesellschaft“ . . . . . . . . . . . Der garstige Richard . . . . . . . . . . . . .
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Mein Engel – Meine Seele – Mein Annerl: Lieben Beethovens unsterbliche Geliebte . . . . . . . . „Mit List, Charme und Frankenwein“ . . . . . . „ … die Nacht im Traume durchgeweinet“ . . .
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Dem Jenseits zu nahe: Todesgedanken „Nur sie … hielt mich zurück“ . . . Geister und Gesichte . . . . . . . . Unter Kränzen und Blumen . . . .
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Das Geheimnis eines Wesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Nachwort
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Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 Register
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Vorwort Die Geliebte schien mit ihnen zu leiden, als das Ende kam. Denn ein gewaltiger Schneesturm wütete über dem Schwarzspanierhaus in Wien, wo ein Schwerkranker den Tod herbeisehnte; bei einem Blitz, der das Sterbezimmer hell erleuchtete, soll Ludwig van Beethoven zum letzten Mal die Augen geöffnet haben. Ein nächtlicher Orkan tobte um das Sanatorium Loew, mischte sich zischend und heulend in das Röcheln eines Sterbenden, das nach qualvollen Stunden um Mitternacht endlich verstummte, während er noch am nächsten Tag weitertobte, da man Gustav Mahler in unaufhörlichem Regen zu Grabe trug. – Er ging auch in den Canal Grande nieder, als ein Herzkranker auf sein Sofa sank, und ein Sturm zog in der Nacht darauf zum Palazzo Vendramin, hinter dessen Mauern Cosima Wagner noch immer die kalte Hand ihres Mannes hielt. Die Natur war den drei Männern eine treue Gefährtin gewesen; und auch auf dem Totenbett wich sie nicht von ihrer Seite. Sie hatte sie durch Leben begleitet, die so atemberaubend, so triumphal – und zugleich so voller Tragik und Leid waren. Auch wenn Beethoven und Mahler viele Jahre in derselben Stadt, in Wien, lebten, konnten sie sich doch nie begegnen. Über dreißig Jahre, nachdem Zehntausende von Menschen den vielleicht größten Sinfoniker aller Zeiten beerdigt hatten, wurde Mahler geboren, um in die scheinbar übergroßen Fußstapfen des „Titanen“ zu treten. Schon früh wurde er mit ihm verglichen, den er selbst zu den größten Genies der Neuzeit zählte 1 – neben Richard Wagner. Ihn konnte er immerhin einmal bewundernd aus der Ferne betrachten: bei der Ur-Aufführung des „Parsifal“ in Bayreuth, ein halbes Jahr vor dem Tod seines Schöpfers, den er wie ein Kind beweinte. Beethoven – Wagner – Mahler: Diese drei Komponisten gelten heute nicht wenigen als „Meister, welche berghoch über allen andern stehen“ 2. Über ihr Werk lässt sich womöglich derart urteilen. Doch die Menschen dahinter waren – übrigens allesamt von überraschend kleiner Körper-
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Vorwort
größe 3 – ganz anders, als man denken würde; und sie ähnelten einander ungemein. Wenn auch nicht äußerlich. Ein Jammer, dass sich die Drei im Leben nie begegnen konnten. Sie hätten so viel zu erzählen, so viele Gemeinsamkeiten zu entdecken gehabt. Angefangen bei ihrer ereignisreichen, oftmals dramatischen Kindheit …
In Kellern, auf Dachböden und an Totenbetten Gott! Welch’ Dunkel hier! O grauenvolle Stille! Öd’ ist es um mich her; nichts lebet außer mir. (Beethoven, Fidelio op. 72)
Väter und Mütter Eines muss man Johann van Beethoven und Bernhard Mahler zugutehalten: Sie haben die kindliche Hochbegabung schon sehr früh erkannt und gefördert. Ihre Söhne werden ihnen das nie vergessen haben – ganz sicher aber auch die vielen Schläge nicht, von denen als Erziehungsmittel beide reichlich Gebrauch machten. Von Johann weiß man, dass er den fünfjährigen Ludwig zum Üben auf ein Bänkchen vor das Klavier prügelte und auch in den Keller einsperrte, wenn sein Schüler nicht folgsam war. Ähnlich brutal soll Bernhard, „ein Trieb- und Sinnenmensch“, gewesen sein, worunter nicht nur die Kinder, sondern auch die „sanfte“, herzkranke Ehefrau Marie „unsäglich“ zu leiden hatten. „Sie passten so wenig zueinander wie Feuer und Wasser“, sagte Gustav Mahler über seine Eltern. „Er war der Starrsinn, sie die Sanftmut selbst.“ Die Mutter habe den Vater nicht geliebt, vor der Hochzeit kaum gekannt und hätte lieber einen anderen geheiratet, „dem ihre Neigung gehörte“. Schlechte Voraussetzungen für eine glückliche Ehe, zumal Bernhard – gelinde ausgedrückt – kein idealer Familienvater gewesen sein soll. Auch Ludwig Geyer, der Stiefvater Richard Wagners, entdeckte das musikalische Talent des Sohnes, als dieser gerade einmal acht war. Doch fördern konnte er es nicht mehr … Dabei wäre es Richard unter seinen Händen sicher besser ergangen als Ludwig vor und Gustav nach ihm, denn der Hofschauspieler Geyer soll ihm mit Liebe und Geduld begegnet sein. Johanna Rosine jedoch, die wegen eines Kopfleidens stets eine Haube trug und daher bei Richard nicht „den Eindruck einer jugend-
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Kindheit und Jugend
lichen und anmutigen Mutter“ hinterließ, brachte ihrem Kind ungleich weniger entgegen. Ihre Liebe schien sich im Wesentlichen auf das Nesthäkchen der Familie zu konzentrieren, Wagners Halbschwester Cäcilie. Wie er in seiner Autobiographie „Mein Leben“ schrieb, konnte Wagner sich nicht erinnern, von ihr je „geliebkost“ worden zu sein, zumal „überhaupt zärtliche Liebkosungen“ in seiner Familie „nicht stattfanden“. Unvergesslich blieb ihm daher ein Erlebnis, das Mutterliebe zumindest erahnen lässt: Er erinnerte sich daran, wie er eines Abends zu Bett gebracht wurde und „die Augen weinerlich nach ihr aufschlug“, worauf die Mutter „mit Wohlgefallen“ auf ihn blickte und einem Anwesenden gegenüber „sich mit einer gewissen Zärtlichkeit“ über ihn äußerte. So ein Gefühlsausbruch bleibt als „Epoche machend“, wie es wörtlich heißt, in der Erinnerung eines Kindes … Dennoch liebte Richard sie sein Leben lang über alles. Auch wenn dem Jungen die mütterliche Zärtlichkeit gefehlt hatte: Unter lautstarken Streitigkeiten zwischen den Eheleuten musste er nicht leiden; da hatten Ludwig und Gustav weniger Glück. Denn äußerst gegensätzlich waren ihre Eltern, die Ehen ähnlich zerrüttet, die Mütter gleichermaßen unglücklich und verzweifelt. Doch beide duldeten still und litten. Und wurden vielleicht auch deswegen von ihren Söhnen so geliebt. Eine hübsche, schlanke Frau soll Maria Magdalena van Beethoven gewesen sein. An der Seite des Trinkers Johann wurde sie, die man ohnehin nie lachen sah, zusehends schwermütig, um schließlich als „stille, leidende Frau“ in Erinnerung zu bleiben. Ist es das eigene Leid, das es ihr verwehrte, die starken Gefühle ihres Sohnes zu erwidern, seinen Schrei nach Liebe zu erhören? Denn die Misshandlungen des Jungen durch den Vater, die selbst die Nachbarschaft mitbekam, können ihr unmöglich verborgen geblieben sein. Auch der schmutzige, geradezu verwahrloste Eindruck, den das Äußere des Jungen auf die Mitmenschen machte, spricht nicht gerade für Maria Magdalenas Fürsorge. Eine einzige Geschichte ist überliefert, in der ihre Liebe subtil zum Ausdruck kommt: Auf einer Mutter-Kind-Reise nach Holland soll Maria Magdalena die Füße des Elfjährigen in ihrem Schoß gehalten haben, um sie vor Frost zu schützen. Immerhin. Dennoch sprach auch Beethoven später stets mit Liebe und Achtung über sie, bezeichnete die Mutter als „beste Freundin“ und „herzensgute Frau“. Selbst über den Vater verlor er ein Leben lang keine schlechten Worte.
Traumwelten
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Die Beziehung Gustav Mahlers zu seinen Eltern ist durchaus ähnlich. Nie ein Wort der Zuneigung soll er über seinen Vater gesagt haben, der Mutter Marie hingegen brachte er eine Liebe entgegen, die einer Fixierung gleichkam und – im Gegensatz zu Beethoven und Wagner – nicht unerwidert blieb. Bezeichnenderweise wollte er seine spätere Ehefrau, die bekanntlich Alma hieß, zunächst nach ihrem zweiten Namen Maria anreden.
Traumwelten Während Richard Wagner lebhaften Umgang mit Gleichaltrigen gepflegt haben soll, flüchteten Beethoven und Mahler aus einer grausamen Welt oftmals in die Einsamkeit. Ludwig galt als „in sich gekehrt und ernsthaft“, zur Verschlossenheit neigend habe er sich seiner „brütenden Phantasie“ überlassen. An einem Fenster sah man den Jungen sitzen, wie er den Kopf in beide Hände legte und lange auf einen fernen Fleck zu starren schien. Oder er schloss sich auf dem Dachboden ein, wo ein Fernrohr auf ihn wartete. Damit schaute er dreißig Kilometer weit, über den Rhein hinweg, wo die anderen Kinder spielten; ließ seine einsamen Blicke und Gedanken bis hin zum Siebengebirge schweifen. Er suchte und fand Zufluchtsorte: den einsamen Dachboden, die Natur – und seine Musik. Sie stand im Mittelpunkt seiner Traumwelt, in ihr fand er Erfüllung und Glück. Gustav Mahler war kindlichen Spielen grundsätzlich nicht abgeneigt, wie sein Jugendfreund Theodor Fischer berichtete. Er schloss sich nicht aus, wenn „Räuber und Soldat“ oder „Spalschker“ (ein mittels einer Peitsche angetriebener Holzpflock) gespielt wurden. Doch er scheint ähnlich empfunden zu haben wie der junge Beethoven. Ein bedeutsames, vielsagendes Ereignis: Als die Familie eines Tages den Großeltern einen Besuch abstattete, war der vierjährige Gustav plötzlich spurlos verschwunden. Nach langer Suche erst fand man ihn: auf dem Dachboden, an einem alten Klavier sitzend und klimpernd – der Moment, in dem für Bernhard Mahler feststand: Sein Sohn muss Musiker werden. Die ungeheure Begabung war ihm nicht entgangen, auf die Sensibilität, untrennbar verbunden mit ihr, nahm er leider keine Rücksicht. Denn auch vor den Schlägen des Vaters suchte Gustav Schutz in seiner Traumwelt: „Es setzte nicht nur Worte, aber, was immer mit ihm geschah, der
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Kindheit und Jugend
Kleine träumte“, wusste Alma zu berichten. „Von allem andern sah er nicht viel. Träumend ging er durch Haus und Felder, träumend zog er durch Familie und Kinderjahre.“ Diese Versunkenheit überstieg ganz offensichtlich das „normale“ Maß an kindlicher Verträumtheit erheblich, gab Anlass zu Besorgnis, vor allem immer wieder zu väterlichem Zorn. Denn der Sohn soll oftmals so abwesend gewirkt haben, dass er richtiggehend geschüttelt werden musste, um sich dem Alltag wieder zuzuwenden. Gustav empfand es als Qual, beständig ermahnt und bedroht zu werden. Im Gegensatz zu Beethoven beschönigte er später nichts und klagte der engen Freundin Natalie Bauer-Lechner als Erwachsener sein frühes Leid: „Was ich damit geplagt wurde, machst Du Dir keine Vorstellung. Und ich fühlte mich natürlich sehr schuldig über meine Versunkenheit, und spät erst ist mir eingefallen, was Eltern und Große an einem Kind darin sündigen, welches zu seiner geistigen Entwicklung offenbar dies nach Innengekehrtsein allernötigst braucht.“ Als „komisches Beispiel“ seines „verträumten Stillsitzens“ sei ihm später erzählt worden, dass er als kleiner Junge nach stundenlangem Suchen in einem leeren Schweinestall gefunden wurde, in den er „weiß Gott wie“ geraten war. Obwohl Gustav die Tür nicht öffnen konnte, blieb er ruhig und ohne zu schreien dort sitzen. Bis zu seiner zufälligen Rettung. „Hier bin ich“, soll er vergnügt gerufen haben, während man draußen verzweifelt nach ihm rief. Eine ähnliche, durch Alma überlieferte Episode aus Mahlers Kindheit ist ebenso charakteristisch für den Jungen: Der Vater nahm den kleinen Gustav mit in den Wald. Unterwegs fiel ihm ein, dass er daheim noch etwas zu erledigen hatte. Also befahl er seinem Sohn, sich auf einen Baumstrunk zu setzen und auf ihn zu warten. Die Ablenkung zu Hause jedoch war groß, nach vielen Stunden erst erinnerte man sich des vermissten Jungen. Es dämmerte bereits, als Bernhard wieder in den Wald eilte, und „wie er es verlassen, das Kind unbeweglich noch immer auf dem Baumstrunk“ sitzend fand, „die ruhig-versonnenen Augen ohne Angst und Verwunderung“. Immer sei Gustav Mahler dieses Kind geblieben, meinte Alma, niemals sei die „vereinsamte Traumwolke“ ganz von ihm gewichen. Sie umgab ihn vor allem dann, wenn er sich in seine Bücher vertiefen konnte. Während Beethoven sich mit dem Dachboden begnügte, so wollte der kleine Gustav noch höher hinauf, um beim Lesen ungestört zu sein. Er kletterte eines Tages aus der Dachluke des elterlichen Hauses aufs
Sterben
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Dach und verbrachte dort Stunde um Stunde. Wieder wurde nach ihm gefahndet, bis man ihn vom gegenüberliegenden Haus aus entdeckte. Zitternd vor Angst und Wut stand Bernhard bald darauf auf dem Dachboden und wagte es nicht, das Kind anzurufen, das vor Schreck hätte hinunterstürzen können. Nach einer Stunde verließ Gustav selbst sein Asyl und wurde von einer fürchterlichen Tracht Prügel empfangen. Die Sorge des Vaters um das Wohl seines Sohnes war gewiss groß gewesen, die Angst vor dem Verlust – denn es wäre nicht der erste gewesen.
Sterben Unter einer zerrütteten Ehe und mangelnder Mutterliebe hatten und haben viele Kinder zu leiden. Dass das Schicksal schon in frühen Jahren so grausam zuschlägt, wie es bei Beethoven, Mahler und Wagner der Fall war, bleibt jedoch glücklicherweise den meisten erspart. Denn die Häufung der Todesfälle in ihren Familien ist beängstigend, ja geradezu unheimlich. Ungeheuer hoch war die Kindersterblichkeit Ende des 18. Jahrhunderts. Sieben Nachkommen gebar Maria Magdalena van Beethoven – Ludwig war einer von drei Söhnen, die am Leben blieben und heranwachsen konnten, trotz einer Pockenerkrankung, deren Narben ihn fortan daran erinnern sollten, wie knapp er dem Tod entronnen war. Mit drei Jahren verlor er den Großvater, mit sechzehn die Mutter. Aus Wien, wo er gerade angekommen war, um von Mozart unterrichtet zu werden, wurde er in seine Heimatstadt zurückbeordert. Drei Monate lang sollte er das Sterben der an Tuberkulose Erkrankten miterleben. Sein acht Wochen nach ihrem Tod geschriebener Brief an Josef von Schaden lässt den tiefen Schmerz über den Verlust nur noch erahnen: „Ich muss Ihnen bekennen: dass, seitdem ich von Augsburg hinweg bin, meine Freude und mit ihr meine Gesundheit begann aufzuhören; je näher ich meiner Vaterstadt kam, je mehr Briefe erhielt ich von meinem Vater, geschwinder zu reisen als gewöhnlich, da meine Mutter nicht in günstigen Gesundheitszuständen wär. Ich eilte also, so sehr ich vermochte, da ich doch selbst unpässlich wurde: das Verlangen meine kranke Mutter noch einmal sehen zu können, setzte alle Hindernisse bei mir hinweg, und half mir die größten Beschwernisse überwinden. Ich traf meine Mutter noch an, aber in den elendesten Gesundheitsumständen; sie hatte die
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Schwindsucht und starb … nach vielen überstandenen Schmerzen und Leiden …“ Nur wenig später folgte ihr Ludwigs kleine Schwester Maria, die er hatte beschützen wollen, wie den Vater, dessen Tod ihn 1792 zum Vollwaisen machte. Zwei Unglücke vernichtenden Ausmaßes überschatteten darüber hinaus die frühen Jahre Beethovens, ließen ihn die blanke Todesangst der Menschen spüren: Mit sechs Jahren erlebte er den Bonner Stadtbrand, mit dreizehn den so genannten „Eisgang“, eine furchtbare Überschwemmungskatastrophe, ausgelöst durch den über seine Ufer tretenden Rhein. Auch wenn die hygienischen Umstände fast hundert Jahre später besser waren und die Medizin deutliche Fortschritte gemacht hatte: Infektionskrankheiten wüteten noch immer verheerend unter kleinen Kindern, die Familientragödien Gustav Mahlers waren daher nicht weniger grausam als Beethovens. Von seinen dreizehn Geschwistern überlebte nicht einmal die Hälfte das Kindesalter; und das ging weit über das zu dieser Zeit Normale hinaus, zumal die Familie Mahler nicht in elenden Verhältnissen lebte. Wie Beethoven hatte er einen älteren Bruder, Isidor, nie kennen lernen dürfen, der schon nach wenigen Wochen bei einem Unfall gestorben sein soll. Das Sterben vieler anderer musste er mit Erschütterung erleben; fünf der Kleinen starben an Diphtherie. Besonders nahe ging dem 14-Jährigen der Tod des geliebten, ein Jahr jüngeren Bruders Ernst, der langsam an Herzbeutelwassersucht dahinsiechte. Und Gustav musste jedes Stadium der Krankheit miterleben, bis zum Ende. Über Monate soll er nicht vom Bett des Todkranken gewichen sein, ihm unaufhörlich Geschichten erzählt haben. Ernsts Tod war das erste grausame Erlebnis in Mahlers Kindheit, das sich nicht verdrängen ließ. Das Bild des Bruders suchte ihn, wie er in einem Brief schrieb, noch Jahre später heim. 1889, noch vor seinem 30. Geburtstag, verlor auch Mahler innerhalb kürzester Zeit beide Eltern; die Mutter starb im Oktober, nur sechs Monate nach dem Vater. Wenige Wochen zuvor hatte ihm das Schicksal dazu noch die ältere Schwester Leopoldine genommen, die einem Gehirntumor erlag. Sechs Jahre später beging sein Bruder Otto Selbstmord, indem er sich erschoss, nachdem er auf einen Zettel eine Botschaft hinterlassen hatte: das Leben freue ihn nicht mehr, er gebe „seine Eintrittskarte“ zurück. Er war erst 23 Jahre alt. Die Kindheit Richard Wagners war kaum schöner zu nennen, und
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dass er sie überhaupt überstand, ist wie im Fall des „Titanen“ ein großes Glück für die Nachwelt. Denn der Knabe war „von großer Schwächlichkeit“, erkrankte mehrfach so heftig, dass man ihn schon aufgab und ihm die eigene Mutter, wie er später erfuhr, „fast den Tod gewünscht hat“. Er war ein Kriegskind, denn in seinem Geburtsjahr 1813 brachen die Befreiungskriege gegen Napoleon Bonaparte aus. Leipzig, wo er auf die Welt gekommen war, wurde von dem französischen Kaiser besetzt, der es zu einer Art Brückenkopf ausbauen wollte. Der Feldherr selbst bezog Quartier am Rathausplatz der 32 000-Einwohner-Stadt, in die nach und nach 200 000 Besatzungssoldaten drängten. Für die gut situierte Familie Wagner bedeutete das wie für alle Bürger der Stadt: Hunger, Übergriffe, Epidemien, Manöver und Schießübungen. Doch es sollte noch schlimmer kommen: Nachdem Preußen, Österreicher und Russen mit 350 000 Mann heranmarschiert waren und die Stadt umzingelt hatten, begann am 16. Oktober 1813 eines der größten Gemetzel seit Menschengedenken: die Völkerschlacht von Leipzig. Drei Tage Todesängste für Johanna Rosine Wagner und ihre Kinder; Artilleriebeschuss, Granateinschläge, Feuersbrünste, Straßenkämpfe … Als am 19. Oktober um zwölf Uhr die Kirchenglocken den Sieg über Napoleon verkündeten, bot Leipzig einen schauderhaften Anblick: verwüstete Alleen und Promenaden, zerstörte Häuser. Jeder Schritt in der äußeren Stadt stieß auf Leichname und tote Pferde. 125000 Soldaten lagen tot oder sterbend auf den Kampfstätten. Der Leichengeruch traumatisierte viele Menschen. Zurück blieb auch ein zutiefst verängstigter, unterernährter kleiner Junge. Unzählbar waren die Opfer der Typhus-Epidemie, die kurz darauf ausbrach. Eines von ihnen war Friedrich Wagner, der leibliche Vater des erst sechs Monate alten Richard. „Wie war er wohl? Wie sah er aus?“ Diese Fragen wird sich Wagner oft in seinem Leben gestellt haben, denn es existiert kein Bild seines Vaters. Kurz nach Friedrich starb Richards Schwester Theresia vierjährig an einer Kinderseuche, wenige Tage darauf die Großmutter väterlicherseits. Während diese Todesfälle und der über ein Jahrzehnt vor seiner Geburt liegende – auch Richard hatte einen großen Bruder, Gustav, verloren – den kleinen Jungen psychisch noch nicht unmittelbar erschüttern konnten: Die nun folgenden sollten es tun. Als der Achtjährige gerade ein Jahr in der Obhut Pfarrer Wetzels in der Nähe Dresdens war, erhielt er eine traurige Nachricht und die Auf-
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forderung, unverzüglich nach Hause zu kommen: Sein Stiefvater lag im Sterben. In Begleitung Wetzels machte Wagner sich auf den Weg. In seiner Autobiographie „Mein Leben“ schrieb er: „Des andern Tages ward ich an das Bett meines Vaters geführt; die äußerste Schwäche, mit der er zu mir sprach, alle Vorkehrungen einer letzten verzweifelten Behandlung seiner akuten Brustwassersucht erfüllten mich durchaus nur wie Traumgebilde; ich glaube, die bange Verwunderung war in mir so mächtig, dass ich nicht weinen konnte. In einem anstoßenden Nebenzimmer lud mich die Mutter ein, zu zeigen, was ich auf dem Klavier gelernt habe, in der guten Absicht, es dem Vater zur Zerstreuung zu Gehör zu bringen: ich spielte ‚Üb’ immer Treu’ und Redlichkeit‘ ; der Vater hat da die Mutter gefragt: ‚Sollte er etwa Talent zur Musik haben?‘ – Am andern Morgen trat beim ersten Tagesgrauen die Mutter in die große Kinderschlafstube, kam zu jedem von uns an das Bett und meldete schluchzend des Vaters Tod, jedem von uns wie zum Segen etwas von ihm sagend; zu mir sagte sie: ‚Aus dir hat er etwas machen wollen.‘“ Richard Wagner hatte in Ludwig Geyer seinen zweiten Vater verloren. Pfarrer Wetzel, der immerhin eine Art Ersatz hätte werden können, musste der Junge verlassen. Und schon bald sollte Richard um den nächsten Menschen weinen, der ihm etwas bedeutete. Denn in Eisleben, wohin er in die Obhut seines Onkels Karl Geyer gegeben worden war, schloss er seine bereits unheilbar kranke Großmutter ins Herz: „Sie lebte in einer finsteren Hinterstube, auf einen engen Hof hinaus, und hatte gern frei umherflatternde Rotkehlchen bei sich, für welche stets frisch erhaltene grüne Zweige am Ofen ausgestreckt waren. Es glückte mir selbst, ihr im Sprenkel welche einzufangen, als die alten von der Katze getötet worden waren: hierüber freute sie sich sehr und hielt mich sauber und reinlich. Auch ihr vorausgesehener Tod trat bald ein: der aufgesparte Trauerflor wurde nun offen in Eisleben getragen; das Hinterstübchen mit den Rotkehlchen und grünen Büschen hörte für mich auf.“ Der erste Verlust eines Idylls für Richard Wagner, nach dem nicht nur er ein Leben lang rastlos suchen sollte.
Flüstern, dass die Fenster klirren, und Scherben auf der Straße Diese Wolken in den Höhen (Beethoven, Lied op. 98/4)
Die Odyssee des Ludwig van Beethoven Dass Beethoven sich ständig mit Mietern und Vermietern überwarf, ist bekannt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Seinen Mitmenschen dürfte es beispielsweise kaum gefallen haben, wenn er beim Komponieren den Takt mit einem Stock auf den Fußboden trommelte, dabei sang und schrie und hin und wieder mit Tintenfässern und Gläsern warf oder – wie im Hause des Barons Pasqualati – ein großes Loch in eine Wand stemmen ließ, weil seiner Ansicht nach dort der schönen Aussicht wegen ein Fenster sein müsste. All diese, für andere sicher wenig angenehmen Umstände können jedoch unmöglich allein dafür verantwortlich gemacht werden, dass er in drei Jahrzehnten mindestens 30-mal die Bleibe wechselte. Sein Biograph Maynard Solomon äußert die Vermutung, dass diese „Rastlosigkeit ein Ausdruck seines unerfüllten Wunsches, ein richtiges Heim zu gründen“ sei, „ein Bedürfnis, das an seinem Junggesellentum scheiterte, mit dem er sich nie ganz abfand“. Das klingt grundsätzlich plausibel. Aber wechselt man deswegen schon nach nur wenigen Tagen eine Wohnung? Mit seiner zweiten Erklärung scheint Solomon den wahren Gründen näher zu kommen: „Für seine kreative Tätigkeit brauchte Beethoven eine friedliche, konfliktfreie Umgebung. Deshalb notierte er wohl auch in sein Tagebuch: ‚Ruhe und Freiheit sind die größten Güter.‘ Vielleicht war es diese vergebliche Suche nach einer friedvollen Sphäre, die Beethoven Wohnungen fast ebenso rasch wie Stimmungen wechseln ließ.“ Zweifellos: Ein Künstler, ein Komponist zumal, will ungestört arbei-
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ten können. Im Falle Beethovens spielt sicher jedoch noch etwas anderes eine Rolle, was bislang wohl unterschätzt worden ist: seine außergewöhnliche Sensibilität. In einem Brief an Johann Xaver Brauchle betonte er selbst, „empfindlicher als alle andern Menschen“ zu sein. Das war all denen, die seine Wutanfälle kannten, sicher nicht unbekannt; denn er konnte Angst und Schrecken verbreiten, wenn er außer Rand und Band war. Wer wollte jedoch ahnen, dass sich hinter der vermeintlich finsteren Fassade ein hochgradig sensibler Mensch verbarg? Schon Kälte war ein Gräuel für ihn, was in einigen seiner Briefe anklingt. So schrieb er am 28. Dezember 1817 an Nanette Streicher: „Die sauberen ‚Bedienten‘ hatten vorgestern um 7 Uhr bis 10 Uhr abends gebraucht, bis ich Feuer im Ofen hatte; die grimmige Kälte, besonders bei mir, machte mich zu sehr erkühlen, und ich konnte beinahe gestern den ganzen Tag kein Glied bewegen. Husten und die fürchterlichsten Kopfschmerzen, welche ich je gehabt, begleiteten mich den ganzen Tag; schon abends um 6 Uhr musste ich mich ins Bett begeben. Ich liege noch, unterdessen ist mir besser …“ Und nicht nur die winterliche Kälte machte Beethoven zu schaffen. Auch in dem am 9. Juni(!) 1825 aus Baden an seinen Neffen Karl geschriebenen Brief heißt es: „Wie ich hier lebe weißt du, noch dazu bei der kalten Witterung, das beständige Alleinsein schwächt mich nur noch mehr, denn wirklich grenzt meine Schwäche oft an Ohnmacht.“ Und am 7. Juli(!) 1817 richtete er diese Zeilen an Nanette Streicher: „Das schlechte Wetter vorgestern hielt mich, da ich in der Stadt war, ab, zu ihnen zu kommen, ich eilte gestern morgens wieder hierher, fand aber meinen Bedienten nicht zu Hause, er hatte den Schlüssel zur Wohnung sogar mitgenommen. Es war sehr kühl, ich hatte nichts aus der Stadt als ein sehr dünnes Beinkleid am Leibe, u. so musste ich mich 3 Stunden lang herumtreiben, dies schadete mir und machte mich den ganzen Tag übel auf.“ Vielleicht liegt in Beethovens Kälteempfindlichkeit ja die Ursache für einen der sonderbarsten Umzüge des Komponisten: Von November 1792 bis Spätsommer 1794 logierte er in der Alstergasse Nr. 45, zunächst in der Dachstube. Anfang 1794 zog er innerhalb des Hauses um: ins Parterre. War es die Kälte, der er nach unten entfliehen wollte, um seine Gesundheit nicht zu gefährden? Denn fatalerweise war sie es, die Beethoven letztlich zum Verhängnis werden sollte. Auf der Rückreise von Gneixendorf nach Wien am 1. Dezember 1826 zog er sich eine Lungenentzündung zu, weil er auf einem offenen Wagen gereist und in einem unbeheizten Gasthofzimmer
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übernachtet hatte. Sein Krankenbett in seiner letzten Bleibe, dem Schwarzspanierhaus, sollte er nicht mehr verlassen können. Anlass eines Wohnungswechsels mag zuvor auch der ein oder andere Zeitgenosse gewesen sein. Denn großes Unbehagen bereiteten ihm nicht nur extreme Temperaturen, sondern auch Menschen, besser gesagt: ihre bloße Anwesenheit; auch wenn die Betreffenden gar nicht auf die Idee kamen, so wie Graf Franz von Pocci. Der von ihm erzählten Anekdote zufolge war er Beethovens Zimmergenosse in einem Gasthof, wo beide nach dem Fest eines Fürsten abgestiegen waren – und er etwas Sonderbares erlebte: Kaum hatten er und der Komponist, über dessen Identität er erst am Tag darauf aufgeklärt wurde, sich hingelegt, da stand dieser „in der Dämmerung des anbrechenden Morgens“ wieder auf, um sich anzukleiden und das Zimmer zu verlassen. Auf Nachfrage soll er entgegnet haben: „Was Ruhe, wenn die Sonne aufgehen will! Hören Sie die Akkorde im Osten? Ich muss Ideen schöpfen!“ In dem Gedanken, „dass er nicht ganz bei Trost sei“, will Pocci dann eingeschlafen sein. War es wirklich der anbrechende Tag, der den müden Komponisten nach durchfeierter Nacht aus dem warmen Bett lockte und dazu verführte, auf seinen Schlaf zu verzichten? Oder liegt die Ursache eher in der Person des Grafen selbst? Aufschluss könnte Gustav Mahlers Befinden und Verhalten in vergleichbarer Situation geben … Dass Ludwig van Beethoven ab Mitte zwanzig fortschreitend sein Gehör verlor, dürfte hinreichend bekannt sein. Doch er konnte – was angesichts seines Schicksals häufig außer Acht gelassen wird – vor seiner Ertaubung außergewöhnlich gut hören, was er selbst in seinem „Heiligenstädter Testament“ hervorhebt: „Ach, wie wär es möglich, dass ich dann die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bei mir in einem vollkommeneren Grade als bei andern sein sollte, einen Sinn, den ich einst in der größten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiss haben noch gehabt haben.“ Geräusche wie das Geschrei von Kindern, sich streitender Paare oder Geigengefiedel eines angehenden Virtuosen waren seiner Konzentrationsfähigkeit ganz sicher abträglich – zumindest so lange, wie sein Gehörleiden diesen Anspruch nicht überflüssig machte. Und es war nicht nur der Krach in den vielen Häusern, der für Beethoven unerträglich gewesen sein muss und einen sofortigen Auszug unumgänglich machte. Das Schlimmste für ihn war sicher, dass er nur begrenzt Einfluss auf die
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verursachten Geräusche, und zweifellos auch Gerüche, nehmen konnte. Es bedarf wohl keiner großen Fantasie, um sich an dieser Stelle einen tobenden Beethoven vorzustellen, dem, während er sich in die Komposition eines Adagios zu vertiefen versucht, der Duft von Angebratenem oder das Gezeter von nebenan (womöglich in Kombination) die Sinne verzaubert. Am besten wäre Beethoven wohl frühzeitig der eigenen Eingebung gefolgt, die er in seinem Tagebuch verewigte: „Ein Bauerngut, dann entfliehst du deinem Elend!“ Vielleicht besäße dann die Nachwelt so manches „Kind“ aus seiner Feder mehr …
Eine Jungfrau am Spinett Eines der Lieblingszitate Gustav Mahlers hätte auch der Titan ganz sicher mit einem dicken Ausrufezeichen versehen: „Wie viele geniale Gedanken sind schon durch einen Peitschenknall vernichtet worden.“ Natalie Bauer-Lechner erfuhr von Mahler, „er habe schon als Kind gewünscht, unser Herrgott hätte doch jeden Menschen so ausgestattet, dass im Nu, wenn er zu laut wird, ihn etwas wie ein innerlicher ‚Knüppel aus dem Sack‘ tüchtig prügeln und sofort zum Schweigen bringen sollte.“ Während dieser Wunsch auch heute noch nicht Wirklichkeit geworden ist, sollten sich seine weiteren Worte aus dem Jahr 1893 als wahrhaft prophetisch erweisen. Natalie hat sie so überliefert: Er sei sich sicher, dass die Menschheit in irgendeiner späteren Epoche gegen Geräusche so empfindlich sein werde, wie jetzt etwa gegen Gestank, und dass es die schärfsten Strafen und öffentliche Maßregeln gegen Verletzung des Gehörs geben werde. Wie hätte Mahler in der heutigen Zeit zu leiden! Sein extremes Ruhebedürfnis bei der Arbeit zeigte sich darin, dass in einer seiner Junggesellenwohnungen der Schlafraum – und eben nicht das Arbeitszimmer – direkt am Flur lag, wie im Januar 1894 ein überraschter Besucher der Hamburger Fröbelstraße 14 feststellen musste, nachdem auf sein Klopfen nicht direkt geantwortet wurde. Lieber die genialen Gedanken schützen als den eigenen Schlaf, scheint der Hintergrund gewesen zu sein. Man wird leider nie erfahren, welches brillante Motiv oder Thema im Berliner Palast Hotel am 16. Dezember 1901 für alle Zeiten von Unwissenden – wenn auch nicht gerade durch knallende Peitschen – im
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Keim erstickt wurde. Mahler schrieb an seine Frau: „Du wirst es dem Brief anmerken, wie zerstreut ich bin! Es ist rein nicht auszuhalten. In dem Schreibzimmer, in das ich mich geflüchtet hab, laufen die Gäste, die Kellner auf und ab, und stören mich bis aufs Blut!“ Auch in einem Hotel in Misurina starb vermutlich ein genialer Gedanke Mahlers, der wutentbrannt zu Alma lief und schrie: „Da hat jetzt ein Kerl auf dem Gang eine Tür zugeschlagen! Ich habe gerade nachgedacht, und dieser Hund hat mich gestört. Ich werde mich beschweren!“ Es ist sicher nicht jedem bekannt, dass auch Mahler die Wohnungen recht häufig wechselte. Allein während seiner Studienzeit hatte er mindestens ein halbes Dutzend verschiedene Adressen. Dass Lärmbelästigungen eine große Rolle spielten, geht aus einem Brief an Anton Krisper hervor, der womöglich wenig verständnisvoll den Kopf geschüttelt haben könnte. Denn sein leidender Freund schrieb ihm im Februar 1880 von der Wiener Windmühlgasse 39 aus: „Im Zimmer nebenan hauset eine Jungfrau, die den ganzen Tag auf ihrem Spinett ruht. Sie weiß allerdings nicht, dass ich deshalb schon wieder wie Ahasverus meinen Wanderstab ergreifen muss. Das weiß der Himmel, ob ich einmal irgendwo ansässig sein werde. Immer bläst mich irgend ein windiger Gesell aus meiner Stube in eine andere hinein.“ Auch im Jahr darauf schaffte Mahler es, in drei Monaten fünfmal umzuziehen, wie er in einem Brief zugab. Bemerkenswert, dass der von Spinett spielenden Jungfrauen Geplagte seinen Vermieter und die Nachbarn zur Raserei brachte, indem er selbst donnernde Exerzitien an seinem Klavier vollführte, das stets mit ihm umzog. Nur gut, ist man geneigt zu denken, dass Mahler und Beethoven nie zur gleichen Zeit im selben Hause wohnen konnten … Der Anfang-Zwanzigjährige hatte es in Wien mit der Wohnungswechselei schließlich so weit getrieben, dass selbst die durchaus verständnisvolle Mutter sich genötigt sah, ihrem Sohn – ausgerechnet kurz vor Weihnachten – die Leviten zu lesen: „Wozu die ewigen Herumziehereien? Ich glaube nicht, dass es außer Dir noch einen Menschen geben könnte, der jede 14 Tage seine Wohnung wechselt, am Ende wirst Du Deine Wohnung zugleich mit der Wäsche wechseln? Und schließlich wirst Du gar nichts von Deiner Wäsche und Kleider haben? Denn so wie ich Dich kenne, wirst Du in jeder Wohnung etwas vergessen – und so lange herumziehen, bis Du gar nichts mehr hast …“ Die ernsten mütterlichen Worte zeigten keine nachhaltige Wirkung, und so wird das eine oder andere Kleidungsstück Mahlers auch in Hotel-
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zimmern zurückgeblieben sein. Denn wer vor Wohnungswechseln nicht zurückschreckt, der hält es auch in anderen Unterkünften nicht lange aus. Ohnehin hegte Mahler eine grundsätzliche Abneigung gegen Hotels. So auch in Wiesbaden im Oktober 1907. Mahler schrieb an seine Frau: „Liebe Almschi! Hier angekommen, bekam ich im ganz veralteten Victoriahotel einen Schreck; nachdem ich das Zimmer inspiziert, in dem ich vor Unruhe kein Auge zugemacht hatte, vor Klopfen und Läuten – fuhr ich, ohne auszupacken in’s Kurhotel, um mir dort ein besseres Zimmer zu versorgen. Es wurde mir im Nassauerhof nun ein zwar nicht sehr ruhiges, wenigstens komfortables Zimmer angewiesen, in dem ich es in Gottes Namen versuchen will.“ Mahler machte es seinem großen Vorbild Beethoven unbewusst insofern nach, als er Ruhe suchend die Etage wechselte oder wie im Hotel „Blauer Stern“ in Prag ein Zimmer weiter zog, „um nicht wieder durch einen schnarchenden Nachbar 4–5mal nächtlich aufgestört zu werden“. Nahezu alles Erdenkliche wurde unternommen, damit die genialen Gedanken des hochgradig Lärmempfindlichen überleben konnten. Singende Vögel konnte man zumeist mit Vogelscheuchen beeindrucken, weidende Kühe hatten sich ihrer Glocken zu entledigen – die „Wolken in den Höhen“ jedoch ließen sich ihr Rauschen nur unschwer verbieten; denn auch dieses „Geräusch“ konnte angeblich Mahlers Konzentration stören. Von einem „unermüdlich in eigentümlicher Modulation“ krähenden Hahn, der Mahler „schier zur Verzweiflung gebracht“ haben soll, wird noch die Rede sein. Eigens errichtete Komponierhäuschen sollten ein Mindestmaß an Ruhe sichern. Im „Schnützelputz-Häusel“ 4 in Steinbach am Attersee war es laut Natalie Bauer-Lechner „bei Todesstrafe verboten, ihn aufzusuchen oder zu stören“. Eine Beschreibung verdanken wir Bruno Walter: „Auf der Wiese zwischen dem See und dem Gasthaus … hatte er vier Wände mit Dach errichten lassen, die ein Zimmer umschlossen. In diesem von Efeu dicht bewachsenen ‚Komponierhäuschen‘, dessen Mobiliar Klavier, Tisch, Sessel und Sofa bildeten, dessen Tür beim Öffnen unzählige Käfer aus dem Efeu auf den Eintretenden herabschüttelte, verbrachte er seine Vormittage, um dort ungestört durch die Geräusche des Hauses und der vorbeiführenden Straße zu arbeiten.“ „Aber ihr müsstet auch die Lage sehen“, berichtet Bauer-Lechner in einem Brief, „ja nur den Weg zu seinem Häuschen! Von allen Wundern und allem Grauen des Waldes ist er da umfangen, wie nur einer, der Stunde um Stunde
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drin lebt. Das Gefühl, wenn er hier seine beiden Gittertore hinter sich zuschließt, könne ihm niemand nachfühlen. Hier übertrifft es an Ruhe und Sicherheit und dionysischen Wundern und Entzückungen bei weitem selbst das von ihm so geliebte Steinbacher Wiesen-Häuschen. Hier arbeitet er bei weit offenen Fenstern und atmet fortwährend die köstlichen Waldeslüfte und -düfte ein.“ Denn so gut erging es dem Komponisten selten. Mahler habe stets „in einem wahren Kampf auf Leben und Tod“ mit der Außenwelt gestanden, wusste Freundin Natalie zu berichten, die den Komponisten 1896 in seinem Sommerdomizil besuchte und dort nicht nur Zeugin, sondern auch Mittäterin unglaublicher Vorkommnisse wurde: „Was sich rührte und den mindesten Laut von sich gab, ward weit und breit aus dem Umkreis des Häuschens verjagt. Um die zahlreichen Dorfkinder für ihn unschädlich zu machen, hatten wir ein ganzes System ausgesonnen, sie fern und still zu halten. Es war ihnen nicht nur verboten, einen Fuß auf Mahlers Wiese zu setzen oder am bzw. im See zu spielen und zu baden, sondern auch auf der Straße und in den Häusern durften sie sich nicht mucksen, was wir durch Bitten und Versprechungen, Naschwerk und Spielzeug erreichten. Kam ein Leiermann oder wandernde Musikanten, so stürzte man gleich mit einem ‚Abfindungszehnerl‘ auf sie los, dass sie mitten im Ton verstummten.“ Unglücklicherweise lassen sich Tiere nicht so leicht abfangen, abfinden oder bestechen – was den Lebewesen im Umkreise des „Schnützelputz-Häusels“ zum Verhängnis werden sollte. Sie wurden zum Wohle der Kunst geopfert. Dies ist umso mehr tragisch zu nennen, da Gustav Mahler – wie wir noch sehen werden – eigentlich ihr großer Freund und Beschützer war. Doch wenn es um seine Ruhe ging, kannte er kein Pardon, was Natalie-Bauer Lechner im Folgenden eindringlich schildert: „… jedes Getier: Hunde, Katzen, Hühner und Gänse konnten ihres Lebens in unserer Nähe nicht froh werden; sie wurden vertrieben und eingesperrt oder, wollten sie gar keine Ruhe geben, gekauft und verzehrt, um ihre Stimmen aus der Welt zu schaffen. Ein förmlicher Krieg wurde mit den Raben geführt, die Mahlers Halbinsel umlagerten und umkreisten. Wir ließen (für einen Gulden Belohnung) ihre Nester abnehmen und forttragen. Ein erschossener Rabe aber hing zur Warnung und Abwehr für die krächzende Schar neben dem ‚Schnützelputz-Häusel‘. Zu solchen Gewaltmaßregeln sah sich Mahler um seiner Ruhe willen getrieben, er, der keine Fliege und keinen Käfer unnötigerweise ums
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Leben bringen sehen kann und der ein Feind der Jagd als eines gräulichen Barbarismus ist. Auf die andere Seite des Häuschens aber ward ein grässlicher Popanz hingestellt, bestehend aus einem Heubündel mit quer durchgezogenem Besenstiel als Leib und Arme und einem Kürbishaupt, mit einem Schwimmkleid Justis, einem Rock Emmas und einem Riesenhut von mir angetan, zum Schreck für Mensch und Tier.“ Da sich jedoch nicht jeder Zeitgenosse von diesem Wesen abschrecken ließ, wurde Natalie Bauer-Lechner des Öfteren „so schnell als möglich“ zu Mahler zitiert, „weil sich pfeifende Schnitter auf irgendeiner angrenzenden Wiese oder sing- und streitlustige Bauern im Gasthausgarten für ihn vernehmlich und störend eingestellt hatten“. Dann war es Natalies ganzer „Schlauheit und Überredungskunst anheimgegeben“, die Ruhestörer „durch Bier, Trinkgeld oder weiß Gott was sonst zum Schweigen zu bringen. Wollte es gar nicht gelingen, so sagte ich ihnen, der Herr sei nicht richtig im Kopf.“ Dass sich diese Empfindsamkeit Gustav Mahlers auch später nicht legte, erfahren wir von Alma. Sie berichtet, dass man sich in der Familie das Flüstern angewöhnte, die Kinder auf Zehenspitzen gehen und auf lautes Lachen verzichten mussten. Die Köchin hatte leise zu kochen. Es nutzte nur wenig, wenn Mahler sich in die Komponierhäuschen zurückzog, die in beträchtlicher Entfernung zum Wohnhaus lagen. Seine Frau schrieb in ihren Erinnerungen, dass er sich trotz der großen Distanz von ihrem (absichtlich leisen) Klavierspiel gestört fühlen konnte. In ihren Bemühungen, Gustav vor störendem Lärm zu bewahren, tat Alma ihrem Mann nicht immer einen Gefallen. Denn Geräusche waren nicht per se negativ – vor allem dann nicht, wenn sie schöne Erinnerungen weckten; wie im Hotel Majestic in New York, wo man auf Almas Kosten einen Leierkastenmann wegschickte, dessen Klänge von der Straße bis zum elften Stockwerk hinaufschallten, wo Mahler arbeitete. Statt jedoch dankbar zu sein, riss dieser die Tür auf und rief: „Denke dir, da hat eine so liebe Drehorgel gespielt, es hat mich in meine Kindheit versetzt, und plötzlich hört sie auf. Zu schade!“ Vorkommnisse wie diese schienen die Ausnahme gewesen zu sein, und die Lärmempfindlichkeit des Komponisten blieb zu seinem Leidwesen auch übelmeinenden Zeitgenossen nicht verborgen. Unter der vielsagenden Überschrift „Barbarei der Umwelt“ berichtet Natalie BauerLechner über den Sommer 1900, den Mahler in der Villa Antonia in Maiernigg zubrachte: „In seinem Häuschen, über das er nicht ganz
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glücklich ist, fehlt es doch manchen Tag an Störungen nicht. Die Vögel bedrängen ihn, trotz Vogelscheuchen und blindem Schießen, mit ihrem Gesang; man hört das Bellen der Theuerschen Hunde, der Klang eines Werkels (Drehorgel) oder Militärmusik von anderen Ufer tönt zuweilen herauf. Vom Ort haben ihm die Gasthausgäste eine Kapelle böhmischer Musikanten vors Haus gesandt und eigens bezahlt, dass sie dort eine Stunde spielen sollen. Solchen Überfällen und Rohheiten ist er um so mehr ausgesetzt, als die Leute wissen, welche Veranstaltungen er hier zu seiner Ruhe getroffen hat, die sie höchst absonderlich, ja wahnsinnig bedünken und ihnen zur Zielscheibe ihres Witzes taugen. Mahler sagte: ‚Wir sind noch an allen Ecken und Enden von einem solchen Barbarismus umgeben, dass man gar nicht dagegen aufkommen kann. Was es heißt, die persönliche Freiheit eines Menschen zu achten, davon haben die meisten keine Ahnung. Alles dient ihnen nur zur Befriedigung ihrer nächsten, kindischen Lust, wie sie die Blumen ausraufen, Tiere sinnlos töten und sammeln und dergleichen mehr.‘“ Und dann soll Mahler einen Satz gesagt haben, der – angesichts Beethovens Schicksals – geradezu unglaublich ist und die Vermutung nahe legt, dass er in diesem Moment unmöglich daran gedacht haben kann: „Ich komme immer mehr dazu, nur die Tauben und Blinden für glücklich zu halten, denen diese elende Welt verschlossen ist, und ich könnte einen Musiker begreifen, der sich des Gehörs beraubt, wie sich Demokrit geblendet haben soll.“ Diese Aussage zeigt nur zu gut, welche Leiden Mahler bereits hinter sich hatte. Sie sollten kein Ende nehmen … Denn auch Alma weiß von vorsätzlicher Ohrenquälerei ihres Mannes zu berichten: Ein im Zimmer neben Mahler logierender Offizier, der dem Komponisten ganz offensichtlich wenig gewogen war, soll seinem Burschen befohlen haben, ausgerechnet zu seinen Arbeitsstunden „das Grammophon losplärren zu lassen“. Das böse Spiel wurde durchschaut, der Handlanger des Bösen bestochen. Nur „wenn sein Herr in Sicht war“, führte er fortan dessen perfiden Plan aus. Die fröhlichen Zeitgenossen, die sich eines schönen Sonntags in Maiernigg ihres Lebens freuten, hatten es im Gegensatz zu jenem Offizier sicher nicht auf Mahler abgesehen; seinen Zorn zogen sie sich allemal zu und den „innerlichen Knüppel aus dem Sack“ gab es leider immer noch nicht. An seine in Wien weilende Frau schrieb er daher wenig verständnisvoll und vornehm: „Heute am Sonntag wissen sich diese Ungeziefer da draußen am See und auf den Straßen nicht genug Radau!
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Kaum dass in so einem Drecksgehirn so eine Blase Wohlgefühl aufsteigt, pums, muss es gleich einen Patzer geben, als ein Freudenböller für die Welt. Juh! Juch! etz. etz. – Alle müssen wir wissen, dass der Hans Affe und Peter Viech zufrieden mit sich sind.“ An der Stadt Moskau, in der Mahler im März 1897 ankam, fand der Geplagte aus gutem Grund sofort Gefallen und schrieb erfreut: „Erster Eindruck: Kein Wagengerassel – lauter Schlitten.“ Prag jedoch war Mahler „unausstehlich“, „gräulich lärmend“ und auch in der Tiroler Ortschaft Schluderbach erging es ihm nicht besser: „Heute, am Fronleichnam lärmen die Bauern, die Soldaten (aus der Festung in Landro), dass es nur so wackelt. Aber zwei Schritte vom Wirtshaus weg und aller Graus hat ein End.“ Auch wenn das Bauernhaus in Toblach, das die Mahlers 1909 gemietet hatten und das Gustav zunächst alleine bezog, „zu wonnig“ war, störte doch der Lärm. „Ohne Unterlass“ war der Komponist darüber „geniert“: „Entweder flüstern die Bauern, dass die Fenster klirren oder sie gehen auf den Fußspitzen, dass das Haus wackelt. Die beiden munteren Stammhalter zwitschern den ganzen Tag: Bibi! Bibi! … Der Hund lässt mich auch wieder fühlen, dass ich ein Mensch unter Menschen bin und bellt täglich vor Anbruch der Dämmerung bis in die süßen Träume der Bauernjageln hinein. Ich komme alle Viertelstunden auf und gedenke der sanft Schnarchenden. – Hol es der Teufel: Wie schön wäre die Welt, wenn man zwei Joch umzäunt hätte und mittendrin allein wäre.“ Drei Tage später machte sich bereits Verzweiflung breit, und Mahler gingen fast die Superlative aus: Jetzt finge aber „das Stilleben da unten“ an, ihm „unausstehlich“ zu werden. Der „Kindermord von Bethlehem“ sei rein gar nichts und die „Kentaurenschlacht ein Kinderspiel“ gegen das, was er vorhätte, wenn er „die reizvollen Naturleute der muntern Berg- und Hausbewohner“ höre. Einen „großen Umzug“ plante Maler und klagte schließlich: „O! O! O! Wenn es mir nur einmal im Leben vergönnt wäre ungestört zu sein. Die Menschen machen einen Lärm!“ Selbst angesichts des Todes sollte sich sein Wunsch nicht erfüllen. Alma erinnerte sich, dass reihenweise Pfleger entlassen werden mussten: Einer knarrte mit den Schuhen, ein anderer schnarchte. Schließlich wurde eine – wohl geräuscharme – Pflegerin eingestellt, die zweifellos eine weitere Voraussetzung erfüllte: Sie roch nicht unangenehm. Auch Gerüche spielten nämlich für Mahler eine große Rolle. Erinnerungen und Gefühle konnten untrennbar mit ihnen verknüpft sein, wie
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diese Zeilen aus Petersburg an Alma zeigen: „Erinnerst Du Dich an den eigenartigen Geruch, der in Russland, selbst schon auf der Bahn – überall ist? So eine Mischung von Holzrauch und Juchten? Der erinnert mich immer so an die Zeit, wo wir zusammen da waren.“ Dass bestimmte Gerüche Mahler jedoch nicht sonderlich behagten – während er beispielsweise den des Weihrauchs liebte –, klingt in etlichen seiner Briefe an. „Einfach schrecklich! Der dumpfe Malgeruch im Schlafzimmer“, schrieb er am 23. Juni 1904 aus Maiernigg, und: „Der Leim stank.“ Kurz darauf heißt es in einem anderen Brief: „In meinen Zimmern oben ist ein scheußlicher Geruch wie von verdorbenem Leim. Er soll von dem Anstrich herrühren, der infolge der Verputzung der Risse nötig geworden ist. Ich halte mich daher bloß im Böcklin-Salon auf; schlafen aber muss ich oben und hoffe, dass mir das nicht schaden wird. Frage einmal den Kerl, ob er eine Ahnung hat, was solche ‚Mahler‘ für Materialien gebrauchen und wie so ein Geruch entstehen kann.“ Auch berichtet der so Geplagte bezeichnenderweise, dass ihn „unappetitliche Frauenzimmer und Käse-fressende Kahlköpfe“ aus einem Café vertrieben hätten. An dieser Stelle passt eine köstliche Anekdote so gut, dass sie hier unbedingt Erwähnung finden muss. Das Ganze trug sich während Almas Schwangerschaft zu und blieb ihr sicher nicht nur aus diesem Grund unvergesslich: „In dieser Zeit hatte ich einmal plötzlich Lust nach einem Stückchen Käse. Derartiges kam nie in unser Haus. Mahler lief sofort in die Stadt in das größte Käsegeschäft, von dem er wusste, und kaufte einen ganzen Ziegel des scharfen Schwarzenbergerkäses. Ich hatte vorher nie gewusst, dass es solche Massen im Ganzen gäbe. Da er nie etwas in den Händen tragen wollte, so hängte er sich dies enorme Paket an den Knopf seines Überziehers und vergaß es sofort. Er eilte schnell, und der pendelnde Käse verbreitete einen betäubenden Geruch … In der Walfischgasse wurden gerade Gasrohre ausgewechselt, er fand, dass die Gasse mörderisch rieche, und lief dem Ring zu. Doch überall war der verderbliche Gasgeruch. Da er immer schneller lief, roch es immer stärker. Endlich stürzte er in mein Zimmer, auch hier der verfluchte Gasgeruch!“ Für einen derart empfindlichen Menschen musste eine Zugfahrt ein Gräuel sein, wie in dem folgenden Auszug aus einem Brief an Alma deutlich wird. Mahler berichtete, wie er mit einem anderen Reisegast in einem Coupé „zusammengepfercht“ war: „Und dem war auch leider nicht auszuweichen, denn der ganze Wagen war voll besetzt. Es ging
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aber glimpflich ab: Er schnarchte nicht besonders, machte nicht viel Geräusch, stank auch nicht. Aber allerdings die gesperrte Luft mit einem Fremden zu atmen, war kein großes Vergnügen.“ Extreme Temperaturen bereiteten Mahler nicht nur seelischen, sondern auch körperlichen Schmerz, der sich vor allem in Migräne äußerte. Im Gegensatz zu Beethoven setzte ihm offensichtlich Hitze mehr zu als Kälte. Seine Nachthemden ließ er – entgegen der damaligen Gewohnheit – nur knapp hüftlang schneidern: Er behauptete, am besten schlafen zu können, wenn ihm ein wenig friere. An heißen Sommertagen litt Mahler, wie aus etlichen Briefen an seine Frau hervorgeht: „Hier, Liebste, ist es vor Hitze nicht auszuhalten.“ – „Die Hitze ist einfach mörderisch.“ – „Die Hitze fängt an, hier ein bisschen lästig zu werden.“ „Jetzt halte ich diese niederdrückende Schwüle nicht mehr aus“, schrieb er in einer Julinacht an Alma. Statt sich – wie Beethoven – mit Wasser zu übergießen, zog Mahler „Blitzausflüge“ in die Berge vor zwecks Regulierung des Temperaturhaushalts. Auch die kühleren Jahreszeiten hatten ihre Schattenseiten, sobald man Räumlichkeiten aufsuchte. Im Winter 1903 berichtete der Geplagte aus Wiesbaden seiner Frau: „In der Nacht gegen 1 Uhr kam ich in Frankfurt an und bezog ein leider geheiztes Zimmer, welches ich trotz allen Lüftens nicht kühl bekommen konnte, so dass ich morgens mit einer kleinen Migräne erwacht bin.“ Auch während einer Zugfahrt nach Petersburg wurde Mahler von einem seiner typischen Migräneanfälle heimgesucht, der Almas Ansicht nach auf „das überheizte Coupé des russischen Zuges“ zurückzuführen war. „Entsetzt“ sah sie ihn einen ganzen Tag im Gang des Waggons „wie einen Rasenden“ auf und ab laufen – „kreideweiß im Gesicht, nicht fähig, auch nur ein Wort zu sprechen“. In jeder Station sei er vom Wagen gesprungen und „zur allgemeinen Belustigung der Russen, die mit ungeheuren Pelzmützen und Fäustlingen jedem Luftzug auswichen, ohne Hut, ohne Überzieher, ohne Handschuhe auf dem Perron auf und nieder gelaufen. Bei 30 Grad Kälte!“ „Ich saß im Coupé“, berichtete Alma, „wartete angstvoll das Ende dieser Marter ab; und so habe ich noch oft gewartet, denn oft noch erlebte ich dieselben qualvollen Stunden seines armen Rasens.“ Mahler sei in Petersburg mit Frostbeulen, Fieber, Heiserkeit und Husten angekommen und habe sie bald angesteckt. Auch wenn Hitze das größere Problem für ihn darstellte: Zu kalt durfte es auch nicht sein. Vor der bereits angesprochenen Konzertreise
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im März 1897 in das kalte Russland schwante Mahler bereits Böses. Auf einer Postkarte schrieb er: „Viele herzliche Grüße vor dem Einsteigen in’s Coupe nach Moskau. Brrrr! 2 Nächte u 2 Tage ohne Bewegung!“ Immerhin war er bestens gerüstet, auch wenn er in dem Brief vom selben Tag noch geklagt hatte: „Am meisten gibt mir der Reisepelz zu tun. Was ich damit für Laufereien habe, um mir einen zu verschaffen, ist zu ärgerlich.“ Wie sehr die Mühen sich dennoch auszahlten, berichtete er befriedigt gleich nach der Ankunft: Dass er den Pelz mithabe, sei ein Glück. Er hätte vor Kälte kaum die Fahrt vom Bahnhof ins Hotel machen können. Es gebe nur offene Schlitten! Aber immerhin waren sie ja leise. Nicht nur in Russland konnte es kalt sein, auch im Juni 1909 in Toblach: „Heute ist also der erste Vormittag. Klappernd mit Zähnen und Beinen sitze ich im Zimmer – das Oferl scheint doch den Vergleich mit einem Ofen nicht auszuhalten“, schrieb Mahler an seine Frau. „Wie ein Windhund, wie ein Schneehase“ fror er auf dem Weg von Toblach nach Tobelbad und auch auf einer Bahnreise im Oktober 1904 war das Abteil nicht wohl temperiert. Es fror ihn, dass er „klapperte“ … Man kann verstehen, dass Mahler längere Reisen hasste, und braucht sich nicht über die mangelnde Unlust eines Ludwig van Beethoven zu wundern, der zwar immer wieder Reisepläne schmiedete, sie letztlich jedoch verwarf und maximal in einer Kutsche Platz nahm. Er wird – wie Wagner und Mahler – auch gegen die Seekrankheit nicht gefeit gewesen sein. Eine Schiffsreise über den großen Teich erfüllte Letzteren nämlich mit fast schon panischer Angst. Alma berichtet von der Überfahrt nach Amerika: „Mahler fürchtete sich vor der Seefahrt, wollte es aber nicht zeigen. Da kam das große, glitzernde Riesenschiff urplötzlich ganz nahe auf, die Marseillaise erklang und alles war vergessen. Voll Mut und Kampflust tanzten wir hinüber auf das große Schiff. Oben wurden wir sofort empfangen, in unsere Staatsräume geführt. Im Salon wurde ein fabelhaftes Mahl aufgetragen, und auf einmal fühlte ich mit Jauchzen, dass wir fuhren. Mahler war böse, als ich es aussprach: Er wollte nichts davon merken, denn nun war die Musik fort und die Angst wieder da. Heftige Stürme und Seekrankheit, der er zu steuern strebte, indem er sich kerzengerade auf den Rücken übers Bett legte – wie auf einen Kardinals-Sarkophag – nichts aß, nichts sprach, bis das Übel nachließ.“ Und ganz sicher allein sein wollte. Auf die Gesellschaft fremder Menschen verzichtete Mahler oft nur zu gern, und zwar nicht bloß, weil sie schnarchen, stinken oder Käse essen konnten. „Leider hatte ich einen
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Schlafkameraden, so dass ich nur selten die Augen geschlossen habe“, schrieb er Alma aus Schluderbach, wobei man unweigerlich an die Begegnung des Grafen Pocci mit Beethoven denken muss. Da Mahler vor der Arbeit „niemandes Anblicks“ ertragen konnte, durfte die arme Köchin in Maiernigg den Hauptweg nicht benutzen, der von der Villa zum 60 Meter entfernten, im Wald gelegenen Arbeitshaus führte. Jeden Morgen war sie gezwungen, mit allem Geschirr „einen schlüpfrigen Kletterweg“ hinaufzusteigen – und gefälligst leise damit zu klirren.
Das Gehämmer des Blechschmieds Richard Wagner stand Beethoven und Mahler in puncto Empfindlichkeit in nichts nach, womöglich übertraf er sie sogar. Hätte der grundsätzlich kinderliebe Mann sonst Scherben vor seinem Haus ausstreuen lassen, um spielende (und somit lärmende) Knirpse zu verscheuchen? Doch er brauchte dringend „Ruhe“ und „Stille“ – zwei Wörter, denen man ständig und anscheinend unweigerlich begegnet, wenn man sich mit Richard Wagner befasst. Dass ein Künstler wie er prinzipiell mehr davon braucht als andere, liegt auf der Hand. Er litt jedoch so sehr unter Lärm, dass sein Wohlbefinden grundlegend beeinträchtigt werden konnte und der Komponist ihn als „eine der Hauptplagen“ seines Lebens bezeichnete – die ihn allzu oft heimsuchte. So in dem Dorf Meudon bei Paris, wo im Frühjahr 1841 der „Fliegende Holländer“ komponiert wurde und die nachhaltig in Erinnerung bleibende Bekanntschaft des skurrilen Hausbesitzers gemacht werden durfte. Wagner war tolerant: Dass der Herr Jadin, „das wunderlichste Original“, je nach Laune eine seiner zahlreichen, verschiedenfarbigen Perücken trug, störte ihn wenig, auch an „den kindischsten Karikaturen aus der Tierwelt“, die sämtliche Wände zierten, nahm er keinen Anstoß. Bestärkte ihn dies doch in der Annahme, „dass er keine Musik triebe“, bis er „zu seinem Schreck dahinterkam“, dass „wunderbar verstimmte Harfenklänge, welche aus einer unerklärlichen Region zu ihm drangen, aus seiner Souterrain-Wohnung herkamen, wo er zwei Harfen-Klaviere seiner Erfindung stehen hatte, welche zu spielen, wie er mitteilte, er leider lange vernachlässigt habe, wogegen er nun fleißig sich wieder darauf einüben wolle, um seinem Gast Freude zu machen.“ Eine Freude,
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auf die Richard Wagner nur zu gern verzichten wollte. Und tatsächlich schaffte er es, sich die Harfenklänge vom Leib zu halten, indem er behauptete, der Arzt habe ihm „die Harfe als nervenschädlich verboten“. Doch so glimpflich kam er nicht immer davon und einige Mitmenschen fielen selbst aufgrund deutlich geringerer Lärmbelästigung in Wagners Ungnade. So der Theaterregisseur Wilhelm Schmale, der während des Redens unaufhörlich Kirschen aß und die Kerne „mit ungemeinem Geräusch“ ausspuckte. Auch ein Untermieter, ein deutscher Geschäftsmann namens Brix, wird in „Mein Leben“ verewigt, weil er „in seinen Mußestunden eifrig Flöte blies“, während der Komponist an seinem „Rienzi“ arbeitete. Diese Fähigkeit seines Landsmannes nutzte Wagner allerdings kaltschnäuzig aus, um sich eines noch größeren Quälgeistes zu entledigen: „Während ich alles geduldig ertrug, brachte mich nur ein Klavierspieler, welcher unmittelbar neben meinem Zimmer wohnte und fast den ganzen Tag Liszts Fantasie über ‚Lucia di Lammermoor‘ übte, zu wahren Verzweiflung. Um ihm auf meine Weise einen Begriff von den Qualen zu geben, die ich durch ihn litt, räumte ich eines Tages mein furchtbar verstimmtes Piano aus dem Salon in das Schlafzimmer, stellte es unmittelbar an die nachbarliche Wand, forderte Brix auf, deine Pikkolo-Flöte herbeizuholen und mir auf derselben die Ouvertüre zur ‚Favorite‘, welche ich soeben für Klavier und Violine (oder Flöte) arrangiert hatte, zu begleiten. Die Wirkung hiervon scheint meinen Nachbarn, einen jüngeren Klavierlehrer, wahrhaft erschreckt zu haben; mir sagte die Concierge andren Tages, dass er soeben in eine andre Wohnung ziehe – was mich wiederum einigermaßen beschämte.“ In Genua, wo sich der 40-Jährige im September 1853 im Rahmen seiner ersten Italienreise aufhielt, gesellte sich erschwerend der bereits angesprochene Hang zur Seekrankheit dazu: Wagner wollte „dem ungeheueren Geräusche des Hafens“, an welchem er wohnte, „entfliehen, um die äußerste Stille aufzusuchen“ und glaubte sich durch einen Ausflug nach Spezia „retten zu müssen“. Doch die nur eine Nacht dauernde Fahrt auf einem Dampfschiff wurde für ihn „durch heftigen konträren Wind sogleich wieder zu einem peinlichen Abenteuer gestaltet“. Denn der Durchfall, an dem er ohnehin schon litt, „vermehrte sich durch Seekrankheit“. Im „allererschöpftesten Zustande“, kaum sich „fortzuschleppen fähig“, suchte Wagner in Spezia den besten Gasthof auf – um zu seinem nicht geringen Schrecken festzustellen, dass dieser „in einer engen geräuschvollen Gasse lag“.
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„Zu entscheidender Bedrängnis“ stellte sich der Lärm ausgerechnet ein, als der Komponist im August 1856 in Zürich weilte und mit dem „Siegfried“ beginnen wollte. Man kommt nicht umhin, Mitleid mit Wagner zu empfinden, wenn man die folgende Episode liest: „Unserem Hause gegenüber hatte sich neuerdings ein Blechschmied einquartiert und betäubte meine Ohren fast den ganzen Tag über mit seinem weitschallenden Gehämmer. In meinem tiefen Kummer darüber, nie es zu einer unabhängigen, gegen jedes Geräusch geschützten Wohnung bringen zu können, wollte ich mich schon entschließen, alles Komponieren bis dahin aufzugeben, wo mir endlich dieser unerlässliche Wunsch erfüllt sein werde.“ Ironie des Schicksals, dass aus Wagners Leiden sogleich Inspiration erwuchs, denn weiter heißt es: „Gerade mein Zorn über den Blechschmied gab mir jedoch in einem aufgeregten Augenblicke das Motiv zu Siegfrieds Wutausbruch gegen den ‚Stümperschmied‘ Mime ein: ich spielte sogleich meiner Schwester das kindisch zankende PolterThema in G-moll vor und sang wütend die Worte dazu, worüber wir alle denn so lachen mussten, dass ich beschloss, für diesmal noch fortzufahren.“ Nur wenig später befand sich Wagner nebst Gattin und einigen Freunden auf einem einwöchigen Aufenthalt in St. Gallen – und war auch dort vor Geräuschbelästigungen nicht sicher, die jedoch ganz anderer Art waren als das Blechschmied-Gehämmer. Denn auch Fürstinnen-Töchter können Krach machen. Dass diese Episode überhaupt in einer Autobiographie so viel Raum findet, ist bezeichnend: „Hier logierten wir zusammen im Gasthof ‚Zum Hecht‘, wo die Fürstin uns für diese Zeit gleich wie im eigenen Hause bewirtete. So hatte sie auch mir mit meiner Frau ein Zimmer neben dem für sie privatim bestimmten angewiesen, was uns leider aber eine höchst schwierige Nacht bereitete. Frau Karoline hatte einen ihrer schweren Nervenbeängstigungs-Anfälle bekommen, und um die peinigenden Halluzinationen, von denen sie dann geplagt war, fernzuhalten, war ihre Tochter Marie genötigt, ihr die ganze Nacht über mit absichtlich sehr erhobener Stimme vorzulesen. Hierüber geriet ich nun in unerhörte Aufregung, namentlich auch die mir unbegreiflich erscheinende Rücksichtslosigkeit gegen die Ruhe des Nachbarn, welche sich in diesem Vorgang ausdrückte.“ Wagners Qualen müssen entsetzlich gewesen sein. Wie ist es sonst zu erklären, dass er in seiner Verzweiflung nun selbst wenig rücksichts-
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voll mit der Nachtruhe eines Zeitgenossen verfuhr? In der Nacht sprang er um zwei Uhr aus dem Bett und klingelte einen Kellner wach, um sich in einer „der entferntesten Lagen des Gasthofes ein Nachtquartier ohne Vorlesung“ anweisen zu lassen. Verwundert erfuhr er am Morgen darauf, dass man „in der Umgebung der Fürstin an dergleichen Exzesse vollständig gewöhnt war“ und sein nächtlicher Umzug kaum Beachtung fand. Bald darauf kehrte Richard Wagner St. Gallen, der Fürstin und ihrer Tochter den Rücken, um in seine „häusliche Stille nach Zürich zurückzukehren“. Diese währte jedoch nicht lange. Der Komponist war gerade im Begriff, den ersten Akt des „Siegfried“ zu instrumentieren, als die Qualen ihre Fortsetzung fanden: „Zugleich aber steigerten sich jetzt die Leiden, welche mir durch die Belästigungen von Seiten lärmender und musizierender Nachbarn bereitet wurde. Außer dem tödlich von mir gehassten Blechschmiede, mit welchen ich ziemlich jede Woche einmal einen furchtbaren Auftritt hatte, stellten sich auch immer mehr Klaviere in meinem Hause ein, zuletzt auch noch die sonntägliche Flöte eines Herrn Stockar unter mir. Ich verschwor es nun, weiter zu komponieren.“ Ein Ende der Leiden versprach Otto Wesendonck, der ihm für einen Spottpreis ein zweistöckiges Fachwerkhaus neben der eigenen Villa anbot. Minna schrieb an Mathilde Schiffner: „Wie sehnlichst wir schon jahrelang gewünscht, der Ruhe wegen, die Richard als Komponist ebenso nötig wie der Maler das Licht bedarf, ein Häuschen allein zu bewohnen.“ Kein Jahr später hatten die Wagners dieses „Asyl“ auf dem „Grünen Hügel“ bezogen, das der Komponist für den Rest seines Lebens nicht mehr verlassen wollte. „Fafners Ruhe“ – dieser Name war Wagner für sein Domizil eingefallen. Am Karfreitag erwachte er zum ersten Male in diesem Hause bei vollem Sonnenschein und war glücklich: „Das Gärtchen war ergrünt, die Vögel sangen, und endlich konnte ich mich auf die Zinne des Häuschens setzen, um der langersehnten verheißungsvollen Stille mich zu erfreuen.“ Dass dieses Asyl kein dauerhaftes werden konnte, hing mit seiner verhängnisvollen, unerfüllbaren Liebe zu der Frau seines Gönners, Mathilde Wesendonck, zusammen. Und daher war er weiterhin auf der Flucht – auch vor dem Lärm seiner Zeit. Etliche Quellen zeugen davon. So notierte Cosima am 18. Juli 1880 in ihrem Tagebuch: „R. behauptet, er wisse den Unterschied nicht, ob unser Diener Georg beim Aufräu-
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men einige Möbel ‚zerschmeiße‘ oder ein Feuerwerk vor sich ging, ‚jetzt glaubt’ ich, es sei ein Stuhl, es ist wohl eine Rakete‘“. Und am 31. August 1878 heißt es: „Abschied vom Vater, leider durch die Pein auf dem Bahnhof für R. sehr gestört; der verspätete Zug, das Geräusch, alles peinigt ihn sehr.“ Wagner hegte generell eine Aversion gegen den durch Züge verursachten Lärm, wodurch ihm der Aufenthalt auf Bahnhöfen grundsätzlich verleidet war („R. auf dem großen Münchner Bahnhof, wie beinahe immer da, sehr ärgerlich“, notierte Cosima). Auch den Schlaf raubte ihm das damals zu den neuesten Errungenschaften der Technik zählende Fortbewegungsmittel: „Nicht sehr gute Nacht, da wir das Pfeifen der Eisenbahn hören“, musste Cosima dem Papier anvertrauen. Auch Wagner musste häufig die Wohnstätten wechseln beziehungsweise sehr lange suchen. Seine erste Frau Minna war wenig begeistert, als Richard in Dresden 21 (!) Logis in Augenschein nahm, bevor er sich für eine in der Waisenhausgasse entschied. In den nächsten Jahren sollte sie etliche Male umziehen und „sich in puncto Wohnungswechsel zu einer Expertin auf diesem logistischen Sektor entwickeln“, wie Eva Rieger in ihrem Buch „Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe“ anmerkt. Als man allerdings in vier Monaten achtmal die Bleibe gewechselt hatte, versicherte sie ihrem Gatten, dass sie sich lieber von ihm trennen würde, als noch einmal umzuziehen; um dann trotzdem in Zürich eine neue Behausung zu suchen, während Richard in Paris weilte: „Ich mietete, bezog sie, richtete sie so hübsch wie möglich mit unseren Habseligkeiten ein und erwartete Wagner von Tag zu Tag von seiner Reise zurück.“ Finanzielle Erwägungen spielten eine untergeordnete Rolle, wenn es darum ging, eine friedvolle Sphäre nach eigenen Vorstellungen zu schaffen. Im Frühjahr 1853 standen wichtige Konzertvorbereitungen in Zürich an, und Wagner beschloss, von der Parterrewohnung Zeltweg 11 in eine hellere und geräumigere Wohnung zu ziehen: nach nebenan, in den Zeltweg 13. Um diesen Umzug zu finanzieren, nahm der Komponist einen Vorschuss auf Honorare, die weder eingetroffen noch zugesagt waren. Verschiedenste Handwerker wurden beauftragt, Material zu liefern, um alles wunschgemäß einzurichten. So entstand eine Bleibe, von der Franz Liszt bewundernd als der „kleinen Elégance“ sprach. Ein neues Möbelensemble aus Plüsch zierte das Flügelzimmer, Stoffportieren ersetzten ausgehängte Türen (die knallen oder knarren konnten). Die Kos-
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ten waren erheblich und der Bauherr geriet in schwere Geldnöte – wovon seine Frau nichts erfahren sollte … Verglichen mit dem einsamen Beethoven hätte sich Wagner lange Zeit glücklich schätzen müssen. Nach der Trennung von Minna musste er nämlich endlich selbst die Erfahrung machen, welche Belastung ein Umzug darstellt und schrieb in einem Brief an Eliza Wille: „Die Nötigung, mit Dingen, für die ich wirklich nicht gemacht, mich noch immer einzig selbst zu befassen, lähmt meine Lebensgeister: ich hab’ jetzt wieder umzusiedeln, ein Hauswesen einzurichten gehabt, um Messer, Gabel, Schüsseln und Töpfe, Bettwäsche usw. mich zu bekümmern gehabt. Ich Verherrlicher der Frauen! Wie überlassen sie mir so freundlich dafür ihre Besorgungen.“ Ruhe war ein Hauptkriterium bei der Suche nach einer Unterkunft. Wagner selbst betonte, dass ihm „immer daran gelegen“ war, „einsam und namentlich von jeder Möglichkeit eines unmusikalischen Geräusches fern zu wohnen“. Vor allem eine für einen längeren Zeitraum bestimmte Bleibe wollte gut ausgewählt sein: Im Februar 1850 war es in Paris seine „erste Sorge“, sich „eine geräuschlos gelegene Wohnung zu verschaffen“, was fortan eine „der wichtigsten Erfordernisse“ für jede seiner Niederlassungen wurde. Doch so leicht war das nicht: Der Kutscher, der Wagner „von Straße zu Straße durch abgelegene Quartiere“ fahren musste, um sich schließlich vorwerfen zu lassen, dass es dort „immer noch zu lebhaft sei, um still zu wohnen“, war mit seinem Latein am Ende und sagte zu seinem sonderbaren Fahrgast: Dazu komme man nicht nach Paris, um in einem Kloster zu wohnen. Trotz dieser Standpauke hatten sich dessen Ansprüche auch fast zehn Jahre später nicht geändert: Sein „Hauptziel ging darauf, in einem abgelegenen einzelnen Häuschen“ das langersehnte stille Asyl aufzufinden. Es gelang, ein „hübsches pavillonartiges Häuschen mit kleinem Gärtchen“ wurde entdeckt, und Wagner fand darin „vollkommene Stille und gänzliche Entfernung von Straßengeräusch“. Weniger glücklich war man in einem in Biebrich am Rhein gelegenen Sommerhaus und trug sich ernsthaft mit dem Gedanken, in ein einsames Schlösschen zu flüchten, das im Park des Herzogs von Nassau stand: „Es regte sich in mir der kühne Wunsch, dieses kleine, halb verwitterte Gebäude mir auf Lebenszeit zugeteilt wissen zu können; denn schon jetzt entstand in mir die bange Sorge, ob ich in meiner bisherigen Wohnung ausdauern können würde, da der größere Teil desselben
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Stockwerks, in welchem ich nur zwei kleine Zimmer einnahm, für den bevorstehenden Sommer an eine ‚Familie‘ gemietet war, von welcher ich erfuhr, dass sie mit einem Klavier bewaffnet einziehen würde.“ Da „jenes Schlösschen seiner feuchten Lage wegen durchaus ungesund“ sein würde, musste der Lärmgeplagte leider Abstand von seinem Vorhaben nehmen; um bald darauf, nachdem er sich mit zwei Bekannten auf die Suche nach einem lärmfreien Domizil gemacht hatte, einen noch irrwitzigeren Gedanken zu verfolgen: Ein Raum im vierten Stock des alten Turmes zu Bingen, durch dessen einziges Erkerfenster man auf den Rhein blicken konnte, hatte es ihm angetan. „Das Ideal aller meiner Vorstellungen“, schwärmte Wagner, „für alle Zeiten ein herrliches Asyl“. Doch es wurde nichts daraus, vor allem weil kein Brunnen zur Verfügung stand und „schlechtes Wasser nur aus einer in furchtbarer Tiefe gelegenen Zisterne des Burgverlieses“ gewonnen werden konnte. Absolut auf Nummer sicher war Wagner im Frühjahr 1859 gegangen, als er den dritten Akt von „Tristan und Isolde“ in Luzern vollenden wollte: Er bezog eine Etage im Hotel zum Schwezerhof, das zu diesem Zeitpunkt einen unschlagbaren Vorteil bot: Es stand bis zum Beginn der Sommersaison völlig leer. Und so fand der Komponist zu seinem Entzücken „ein geräumiges und von Geräusch ungestörtes Unterkommen“; was ihm selbst auf seiner letzten Reise nach Venedig nicht vergönnt war. Nach Ankunft in Verona am 16. September 1882 bemerkte Cosima in ihrem Tagebuch: „Großes Geräusch in der Nacht, und in der Frühe Markt-Lärm, R. ruft aus: ‚Les doux accents de l’Italie.‘“ Dass es Richard Wagner dennoch in seinem Leben immer wieder nach Venedig zog – der Ort, an dem er sterben sollte –, liegt sicher nicht nur in seinem morbiden Reiz begründet. Es war zur damaligen Zeit die geräuschärmste Stadt der Welt. Leider ist keine Äußerung wie jene Mahlers über Moskau überliefert, die hätte lauten können: „Erster Eindruck: Kein Wagengerassel – lauter Gondeln.“ Die Gerüche Venedigs schienen für den Komponisten kein Problem dargestellt zu haben, obwohl auch er in dieser Hinsicht außerordentlich sensibel war. Schon als 17-Jähriger sah Wagner sich genötigt, seinen Griechisch-Unterricht bei einem Privatlehrer aufzugeben, da in dessen Wohnzimmer „der widerwärtige Geruch“ einer nahe gelegenen Gerberei wehte, der seine Nerven „dermaßen affizierte“. Und als er im Juli 1856 in Italien weilte und sich mit dem Gedanken an eine Übersiedlung trug, schrieb er einem Freund: Den scheußlichen Gedanken, in diesen Mo-
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naten schon den „ewig blauen“ Himmel Italiens mit dem „NadelholzGedünst“ von Gräfenberg zu vertauschen, habe er glücklich von sich gestoßen. Der erwachsene Wagner zeigte sich von Düften sehr angetan – bei guten Parfums spielte der Preis keine Rolle. Ihn muss ständig eine Wolke umgeben haben, wenn man allein seinen immensen Kölnisch-WasserVerbrauch berücksichtigt. Vielleicht wollte er auf diese Weise alle weniger angenehmen Gerüche übertünchen, auf die er empfindlich reagieren konnte. Dass schöne Düfte eine wichtige Rolle für ihn spielten, klingt in einem Brief an Judith Gautier an, der letzten Affäre seines Lebens: „Wählen Sie einen Duft Ihres Geschmacks, und vielleicht legen Sie ein halbes Dutzend kleiner Riechkissen bei, damit ich sie zwischen meine Leibwäsche stecken kann. So verschaffe ich mir eine innige Beziehung zu Ihnen, sobald ich mich ans Klavier setze und ‚Parsifal‘ komponiere.“ Cosima war ahnungslos; ebenso wie Minna es gewesen war. Ihr werter Gatte hatte sich von seiner unerfüllten Liebe Mathilde Wesendonck hinter ihrem Rücken „Duft“ schicken lassen. Doch die Sache flog auf. In einem Brief an eine Freundin berichtete Minna, wie sie anlässlich eines anstehenden Umzugs eine interessante Entdeckung machte: In einer Kiste fand sie ein „von diesem Weibe“ gesticktes Kissen „Thee Eau de Cólonge eingewickelte Veilchen“. Peinlicher für Wagner war ein Vorfall, bei dem ein etwas unangenehmerer Geruch eine Rolle spielte und über den er in seiner Autobiographie den Mantel des Schweigens hüllt; dürfte ihn die Erinnerung daran doch auch viele Jahre später noch mit unbeschreiblichem Ekel erfüllt haben: Beim Umstürzen eines Wagens war Wagner aus dem Gefährt geschleudert worden und – ausgerechnet er – in einer Jauchegrube gelandet. Er muss so infernalisch gestunken haben, dass die Bauern eines nahegelegenen Hofes ihm zunächst die Gastfreundschaft nicht gewähren wollten. Da wird wohl auch kein Kölnisch Wasser mehr geholfen haben … Doch nicht nur üble Gerüche, sondern auch die Qualität der Luft konnte Wagners Wohlbefinden extrem beeinträchtigen. So vertrug er im Frühjahr 1855 das „neblige Klima“ in London schlecht und war immer „unwohl“. Am 10. Januar 1870 notierte Cosima in ihrem Tagebuch: „R. arbeitet und ist heitrer Laune, verdirbt sich aber Laune und Befinden durch seinen Spaziergang. Er sagt, es sei draußen, als ob nicht gelüftet, wie in einer Bauernstube, die Luft so dick.“ „Immer nicht im
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Garten gefrühstückt“, schrieb sie im August 1881, „R. sagt die Luft dafür nicht zu.“ Unter unangenehmen Bedingungen fand auch eine Begegnung zwischen Wagner und dem Musikschriftsteller Kossak statt, den er eines Tages in seinem „soeben mit heißem Wasser gescheuerten Zimmer“ bei einer unerträglichen Ausdünstung antraf, wodurch er sich bereits Kopfschmerzen zugezogen hatte und Wagner nicht minder lästig fiel. Noch übler erging es ihm im Jahr 1860, als er in Paris für ein geplantes Konzert das teuer zu bezahlende Personal der Italienischen Oper durch einen deutschen Gesangsverein verstärken wollte: „Um die Mitglieder desselben mir geneigt zu machen, hatte ich eines Abends ihr Vereinslokal in der ‚Rue du temple‘ aufzusuchen und mit guter Laune mich an den Bierdunst und Tabaksdampf zu gewöhnen, in welchem hier biedere deutsche Kunstbestrebungen sich mir offenbaren sollten.“ Drei Jahre später allerdings war Wagner nicht willens, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, als er in Breslau ein Konzert geben wollte: Ein „ganz abscheuliches Konzertlokal, welches für gewöhnlich nur als Bierhalle diente“ widerte ihn an und man musste ihm versprechen, den fürchterlichen Tabakgeruch des Lokales neutralisieren zu lassen. Ansonsten verabscheute Wagner besonders Straßenstaub und reagierte ungewöhnlich empfindlich auf extreme Temperaturen. Während seiner Schulzeit schon sollen geringste Wetterveränderungen Anfälle von Gesichtsrose hervorgerufen haben, bemerkt sein Biograph Glasenapp. Dass er als Erwachsener gerne Pelz trug und einen Handschuhhändler seines Vertrauens hatte, spricht für sich. Auch mit doppelten Unterhosen versuchte er, der Kälte zu trotzen. Wagners Freundin Eliza Wille beschrieb sein Aussehen, als er zeitweise auf dem Gut ihrer Familie in einem schwer beheizbaren Nebengebäude logierte und oft in den Gutshof herüberkam. Man fröstelt bei der Vorstellung geradezu mit: „Ich sehe ihn noch auf der Terrasse in seinem braunen Sammet-Talar mit dem schwarzen Barett als Kopfbedeckung, als wäre er ein Patrizier aus den Bildern Albrecht Dürers, hin und her schreiten.“ Besonders bei Kälte ließen körperliche Symptome oft nicht lange auf sich warten: „Eines Abends waren wir in kleiner Gesellschaft bei Karl Ritter versammelt; ich geriet auf den Einfall, den ‚Goldenen Topf‘ von Hoffmann vorzulesen, wobei ich nicht beachtete, dass sich das Zimmer allmählich verkühlte. Noch ehe ich mit meiner Vorlesung zu Ende war, saß ich zum Entsetzen aller wieder mit geschwollener roter Nase da und
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musste mich zur Pflege des jedes Mal heftig angreifenden Leidens mühevoll nach Hause schleppen.“ In einem Brief an Minna klagte Wagner: „Leider aber stand ich am 5ten früh mit einer Schwindsucht am Halse auf, die ich mir durch Erkältung im Bade zugezogen: ich hatte sanftes Fieber, und hielt es für nötig, den Tag über mich recht Diät zu halten, damit ich die Schwindsucht nicht zum vollen Ausbruche kommen ließe …“ Wenig überraschen kann wohl, dass eine Konzertreise in Russland im Jahr 1863 – mit der ein Hausbau finanziert werden sollte – nicht reibungslos ablaufen konnte. In Moskau kam Wagner „bei einem mit neuem Frost abwechselnden Tauwetter … erkältet in einer schlechtgelegenen deutschen Pension verdrießlich und vor Unbehagen gepeinigt“ an, worauf er sich für das erste geplante Konzert „wegen stark eingetretenen katarrhalischen Fiebers“ krank melden und zwei Tage das Bett hüten musste. Auch im Jahr darauf befand sich Wagner „stets sehr leidend“ und von „schmerzhaften katarrhalischen Zuständen heftig geplagt“, die sich aufgrund der kalten Witterung zu Ostern verschlimmerten. In seinen „Karlsruher Pelz von früh bis abends eingehüllt“, verbrachte der Kranke „die schauerlichen Tage mit betäubender Lektüre“. Nicht nur der Körper, sondern auch Wagners Seele wurde maßgeblich von der Witterung beeinflusst: „Kälte und ein stets bedeckter Himmel machten mir die späte Erinnerung an meinen etwas längeren Aufenthalt daselbst zu einer fast nur widerwärtigen“, urteilte Wagner über seine Zeit in Hamburg im Winter 1843. Und auch das schöne Luzern konnte er im Frühling 1859 nicht genießen, denn „nun beherrschte der schreckliche Einfluss eines überaus kalten und anhaltend regnerischen Wetters die Stimmung in allerunfreundlichster Weise.“ Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Wagner ein Leben lang nicht nur auf der Flucht vor Lärm und Gerüchen, sondern auch vor Kälte war (von seinen Gläubigern soll an dieser Stelle nicht die Rede sein). So zum Beispiel im Jahre 1852, als er mit Minna auf Urlaub in der Pension „Rinderknecht“ am Zürichberg weilte und „der unerhört andauernden kalten und regnerischen Witterung wegen“ Ende Juni in „die behaglichere Stadtwohnung zurück[kehrte], um „den Eintritt der eigentlichen Sommerwitterung abzuwarten …“ Mit Umzugsgedanken wegen ungemütlicher Kälte trug er sich auch Ende August 1866 in Tribschen und im November 1882 in Venedig, „wo geheizt werden musste,
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was die Dienstboten aufbrachte“, und Wagner innerlich „schon wieder auf gepackten Koffern“ saß und sich nach Spanien wünschte. Die Kälteempfindlichkeit des Komponisten nötigte den ohnehin notorisch Verschuldeten sogar dazu, Bettelbriefe zu verfassen, so wie jenen aus Zürich vom 14. Oktober 1849 an Franz Liszt: „Sieh zu, lieber Liszt, und vor allem denke daran, mir recht bald etwas – etwas Geld zuzuschicken; ich brauche Holz und einen warmen Überrock, da mir meine Frau den alten, seiner Dürftigkeit wegen, gar nicht erst mitgebracht hat.“ In diesem Winter jedoch sollte es für Wagner nicht mehr mollig werden. Bald darauf sprach er nämlich von dem „stets sieglosen Kampfe gegen die Kälte eines sonnenlosen Parterrestübchens“ in einem Haus in Hottingen, wo man – es überrascht kaum – nicht lange blieb. Die arme Minna hatte in sechs Wochen drei Umzüge zu organisieren. Etwas weit Kostbareres als Zeit und Geld hätte um ein Haar Wagners Wärmebedürfnis knapp zwei Jahrzehnte später gefordert: nämlich die Partitur der „Meistersinger“. Ihre Rettung aus dem brennenden Landhaus des Komponisten nahe Genf im Januar 1867 soll laut Glasenapp „nur einem Zufall“ zu verdanken gewesen sein. Eine „an sich nicht bedeutende Feuersbrunst“ war drei Wochen nach dem Einzug ausgebrochen – „in dem einzigen heizbaren Zimmer“ … So heiß hatte Wagner es sicher nicht haben wollen. Denn ebenfalls bei zu hohen Temperaturen war der Komponist grundsätzlich auf der Flucht, wie im August 1847, als er sich „gegen die immer üppiger hereindringende Sommerhitze tief in ein dichtes Gebüsch“ im Garten verkroch. Auch in Venedig schützte er sich im Sommer 1859 „vor der äußersten Sonnenglut durch sorgfältig gepflegte Kühle und Dunkelheit“ in seiner Stube. Das war zehn Jahre zuvor in Paris wohl nicht möglich gewesen, wo Wagner eine äußerst ungünstige Bleibe genommen hatte. In einem Brief an Minna jammerte er: „Ich glaubte, in ein ziemlich ruhiges Quartier gezogen zu sein, stattdessen finde ich auch den Lärmen ebenso bedeutend wie im dicksten Stadtgewühl. Und diese Hitze, diese Aufregung, diese Unruhe …“ Eins scheint sicher: Hätten die drei Komponisten je die Gelegenheit einer Begegnung und eines netten Pläuschchens gehabt: Die Stube wäre entweder Mahler zu warm oder Wagner und Beethoven zu kalt gewesen … Womöglich hätten die beiden sogar gemeinsam „einen ungeheuren Kachelofen von massivster Bauart“ demoliert – wie Wagner und ein Zechkumpan im August 1834 in Bad Lauchstädt. „Wie das zustande
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gekommen“, waren sie allerdings „am andern Morgen sämtlich unfähig zu begreifen“. War der Ofen womöglich seinem Zweck nicht hinreichend nachgekommen?
In Samt und Seide Worin sich Richard Wagner deutlich von seinen „Kollegen“ unterschied, war seine hohe Empfindlichkeit der Haut, deren Pflege er so manche Stunde opferte. Eine Episode aus „Mein Leben“, einer Wanderung des 14-Jährigen mit dem Jugendfreund Rudolf Böhme nach Prag, blieb wegen der verheerenden Wirkung der Frühjahrs-Sonne nicht in allerbester Erinnerung: Zwei Tage verbrachte Wagner anschließend „in der mütterlichen Wohnung“, um mittels Petersilie-Umschlägen sein verbranntes Gesicht zu kurieren, bevor er sich „dem Genusse der Welt“ wieder hingeben konnte. Dass seine „stark gereizte, feine, ungeheuer begehrliche, aber ungemein zarte und zärtliche Sinnlichkeit“ irgendwie „sich geschmeichelt fühlen“ musste, betonte der erwachsene Wagner in einem Brief an Franz Liszt und sagte wörtlich zu Cosima: „Man büßt für alles, wenn man eine Haut hat, die gern das Weiche berührt.“ Auf die Qualität seiner luxuriösen Kleidung legte der als „Seidenfetischist“ bekannte Wagner daher den allergrößten Wert, wie allein dieser Auszug aus einem Bestellschreiben an eine Wiener Putzmacherin verdeutlicht: „Rosa Atlas. Mit Eiderdaunen gefüttert und in Karrés abgenäht, wie die graue und rote Decke, welche ich von Ihnen habe; gerade diese Stärke, leicht, nicht schwer; versteht sich Ober- und Unterstoff zusammen abgenäht. Mit leichtem weißen Atlas gefüttert …“ Bei ihr bestellte er einmal Atlasproben in den Farben hellbraun, dunkelrosa, hellrosa, hellblau, karmesinrot und dunkelgelb, um sich in Ruhe für das dunkle Rosa zusammen mit rosa Atlasband zu entscheiden, dazu Bänder in blassem Gelb und Orange. Die Kosten hatten Wagner auch zu den Zeiten nicht geschert, als er finanziell auf äußerst schwachen Füßen stand. Allein zwischen 1836 und 1837 erwarb er unter anderem 24 Meter Seide und Atlas, 18 Meter Damast, 35 Meter Musselin, 4 Paar Glacéhandschuhe und grünen Florénce (glatte, glänzende Seide), wobei er sich finanziell dermaßen übernahm, dass es zu einem Gerichtsverfahren kam. Wagner musste glatten Stoffen – denn um einen solchen handelt es
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sich auch bei Atlas – den Vorzug geben, war vermutlich sogar allergisch gegen Baumwolle. Das Übel seiner Hautkrankheit habe ihm nichts anderes erlaubt, als Seide auf bloßem Körper zu tragen, berichtet sein Bekannter Ferdinand Praeger. Selbst nur Baumwolle mit den Händen zu berühren, verursachte ihm einen „Schauder durch den ganzen Körper“. Alle Taschen seiner Kleider sowie das Futter seien daher aus Seide gewesen. Es verwundert kaum, dass Wagners äußere Erscheinung von dem einen oder anderen Zeitgenossen spöttisch betrachtet wurde. Nachdem Eduard Devrient den Komponisten besucht hatte, vertraute er seinem Tagebuch an: „Der arme Mann … saß im grünen Sammetschlafrock, mit violettem Atlas gefüttert, und türkischen Hosen vom selben Stoffe und einem weiten braunen Sammetbarett, das ungeschickt aufgesetzt, seinem spitzen Advokatengesicht drollig stand.“ Er könne sich nicht auf Stroh betten, schrieb Wagner selbst bezeichnenderweise in dem bereits zitierten Liszt-Brief und erinnert unweigerlich an die „Prinzessin auf der Erbse“. Auch diese wäre in folgender Situation sicher hoch erfreut gewesen, die Wagner mit seiner zweiten (zu diesem Zeitpunkt noch Hans von Bülows) Frau in Berlin erlebte: „Unser gemeinschaftliches Mittagsmahl ward beredet, und mit Cosima allein verfügte ich mich auf eine vortrefflich gelaunte Spazierfahrt in einem schönen Wagen des Hotel de Russie, über dessen Auspolsterung mit grauem Atlas wir unaufhörlich uns freuten.“ Was in Bezug auf Kälte, Lärm und Gestank nicht immer gelang, ging bei der Kleidung problemlos: Wagner konnte selbst wählen und bestimmen. Und ähnlich verhielt es sich auch bei Farben und Lichtverhältnissen. Denn nicht nur Riechen, Hören und Fühlen waren bei ihm hochempfindlich, sondern auch das Sehen. „R. richtet sich ein anderes Stübchen ein, das Licht blendet sehr, wohl hätte er die fränkischen Waldungen auf den Felsen hier gern“, notierte Cosima in Neapel im März 1880. Unumwunden räumte Wagner selbst ein: „Ich bin anders organisiert, habe reizbare Nerven, Schönheit, Glanz und Licht muss ich haben!“ Vom Allerfeinsten mussten daher auch die Domizile des Meisters ausgestattet sein, koste es, was es wolle. In Paris hatte er im Jahr 1860 „an einem kleinen, pavillonartigen Haus“ in der Rue Newton 16 Gefallen gefunden, das ihn zwar vor unliebsamem Lärm abschirmte, aber sein Budget weit überforderte. Großzügig entrichtete er den Mietzins für drei Jahre im Voraus und übernahm alle
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Reparaturkosten sowie die luxuriöse Ausstattung der Räume. Wenn man der Aussage des Tapezierers Glauben schenken kann, hatte er insbesondere sein Schlafzimmer äußerst üppig einrichten lassen. Gepuffte Seide verdeckte die Zimmerdecke, die durch Rosengirlanden geteilt wurde, in der Mitte von einem Rosenbukett gehalten. Die Nische für das Bett war von Eingangsbögen begrenzt, auf denen Rosengirlanden prangten. In den Ecken der Rückwand war ein Vorhang angebracht. Die Wände dieses Alkovens waren auch mit gepuffter Seide ausgestattet, in deren Wolken je ein Spiegel eingebettet lag. Auch die Villa, die König Ludwig II. für ihn im Oktober 1864 angemietet hatte, ließ Wagner nach seinen Farb- und Form-Vorstellungen einrichten um seine Augen an Samt, Seide und persischen Teppichen weiden zu können. In dieser Residenz in der Münchener Briennerstraße hätten sich ganz sicher auch Beethoven und Mahler wohl gefühlt. Denn sie lag ruhig in einem von Linden und Fichten beschatteten Garten. Die drei Komponisten waren leidenschaftliche Spaziergänger. Und sie liebten die Natur ungemein.
Im stillen Haus Doch sah ich nie so mild und zart die Halme, Blüten und Blumen, noch duftet’ all so kindisch hold und sprach so lieblich traut zu mir. (Wagner, Parsifal, 3. Aufzug)
Beethovens einzige Vertraute Die letzten Wochen seines Lebens müssen unsagbar schrecklich gewesen sein für Ludwig van Beethoven; und das nicht nur, weil er dem sicheren Tod ins Auge blicken musste und sein Sterben voller Schmerzen war. Seine Krankheiten machten ihn zu einem Gefangenen seiner letzten Unterkunft, des Schwarzspanierhauses, und fesselten ihn zusehends ans Bett; ihn, für den Spaziergänge und die Natur so lebenswichtig gewesen waren; für den Menschen Beethoven – und für seine Kunst. Wenige Monate zuvor noch hatte er seine letzten Kompositionen vollendet, nachdem er „täglich stundenlang übers freie Feld“ gestreift war: das Quartett F-Dur op. 135 und das neue Finale von op. 130. Auch in den Jahren nach 1820, als er nach schweren Krisen wie besessen die Vollendung seines Lebenswerks in Angriff nahm und alles seiner Arbeit unterordnete, sah man Beethoven, „wie er bei unfreundlicher Witterung barhäuptig umherlief, während der Regen aus seinen langen grauen Haaren troff.“ Nur für „die kleinen Freuden des Lebens“ erübrigte er Zeit – darunter das Spazierengehen. Wie wichtig diese Inspiration für ihn war, hatte er selbst oft genug betont, wie in diesen Zeilen an Nanette Streicher, als diese in Baden weilte: „Kommen Sie an die alten Ruinen, so denken Sie, dass dort Beethoven oft verweilt; durchirren Sie die heimlichen Tannenwälder, so denken Sie, dass da Beethoven oft gedichtet, oder wie man sagt, komponiert.“ Trost und Erholung hatte er sein Leben lang in der Natur gesucht. „Ich muss mich in der unverdorbenen Natur wieder erholen und mein Gemüt wieder reinwaschen“, sagte er selbst.
Beethovens einzige Vertraute
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Sie war laut Therese von Brunsvik „seine einzige Vertraute, seine Zuflucht“. Ludwig Rellstab, ein später bekannter Schriftsteller und Schüler Beethovens, erinnerte sich: „Es war Beethovens große Lust, auf einsamen, oft ungebahnten Pfaden durch Wald, Tal und Berg zu streifen. Freudig gingen wir dann zusammen hinaus und befanden uns bald mitten im einsamen Walde … Ich bemerkte, dass Beethoven innerlich sehr beschäftigt war und vor sich hin summte; aus Erfahrung wusste ich, dass er in solchen Augenblicken am mächtigsten zum Schaffen aufgelegt war, und hütete mich wohl, ihn zu stören, sondern ging stumm neben ihm hin.“ Auch der englische Musiker Charles Neate wusste von gemeinsamen Spaziergängen zu berichten und sagte, er sei niemals mit einem Menschen zusammengekommen, welcher sich so an der Natur erfreute und eine solche Freude an Blumen und Wolken gehabt habe wie Beethoven; Natur sei gleichsam seine Nahrung gewesen, „er schien förmlich darin zu leben“. Die wärmeren Monate verbrachte der Komponist daher grundsätzlich in einem eigenen Sommerquartier auf dem Land. Dort fand er die nötige Abgeschiedenheit. Er brauchte für seine Arbeit eine friedliche, konfliktfreie Umgebung. In sein Tagebuch schrieb er: „Ruhe und Freiheit sind die größten Güter.“ Doch vor allem die Nähe zur Natur genoss er; auf fast schon religiöse Weise betete er sie an: „Ist es doch, als wenn jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: Heilig! Heilig! – im Wald entzücken, wer kann alles ausdrücken.“ Eigenhändig notierte er in einem Skizzenbuch auf dem Kahlenberg: „Ich bin selig, glücklich im Wald – jeder Baum spricht durch dich. O Gott, welche Herrlichkeit, in einer solchen Waldgegend in den Höhen ist Ruhe – Ruhe ihm zu dienen.“ Aus einem Brief an Therese Malfatti geht hervor, dass Beethoven in regelrechte Zwiesprache mit der Natur trat: „Wie glücklich sind Sie, dass Sie schon so früh auf’s Land konnten, erst am 8ten kann ich diese Glückseligkeit genießen, kindlich freue ich mich darauf, wie froh bin ich einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich – geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht“. Und den seine Zeitgenossen dem Tauben kaum mehr zu geben vermochten …
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Pan und die Stimme der Natur Wie Beethoven, so zog auch Gustav Mahler das Laufen jeder anderen Fortbewegungsart vor. Er war ein echter Bewegungsfanatiker, ruderte und schwamm leidenschaftlich und erregte als einer der ersten Fahrradfahrer in Hamburg Aufsehen. Das Laufen jedoch war seine tägliche Übung, wenn er nicht gerade in den Sommerferien war. Fast alle Wege, ob in Budapest, Hamburg oder Wien, legte er zu Fuß zurück. Außerhalb der Stadt ging er nicht spazieren, sondern lief in einem Tempo, bei dem die meisten Begleiter nicht mithalten konnten. Seine Frau konnte ein Lied davon singen: „Dazwischen gingen wir viel spazieren, zu viel. Er baute zu stolz auf meine große Jugend, und da wir beide wie ahnungslose Kinder waren, so wüsteten wir auf meine Gesundheit los. Ich musste über Zäune klettern, durch Hecken kriechen. Meine Mutter besuchte uns in dieser Zeit. Sie war entsetzt: Mahler hatte uns auf einen Berg geschleppt, auf den man kaum hinaufkonnte.“ Es gehört zur Tragik seines Lebens, dass die Ärzte ihm, nachdem seine Herzkrankheit diagnostiziert worden war, körperliche Anstrengungen weitgehend verboten und der Patient – mit Schrittzähler bewaffnet – das „Gehen lernen“ sollte. Seit jungen Jahren war Mahler durchs Gebirge gewandert; seine bevorzugte körperliche Ertüchtigung neben dem Schwimmen. Der ideale Ferienort für ihn war daher eine Kombination aus Alpenlandschaft mit Bergsee; dort fand er, was er dringend brauchte – nicht zuletzt die intensiven Erlebnisse in und mit der Natur, die er sein Leben lang so innig liebte. Ein früher Brief des 19-Jährigen aus Ungarn an seinen Freund Josef Steiner zeugt davon: „Es ist sechs Uhr früh! Ich war draußen auf der Heide, und bin bei Fárkas, dem Hirten, gesessen, und habe dem Klange seiner Schalmei gelauscht. Ach, wie klang sie traurig, und doch so leidenschaftlich verzückt, die Volksweise, die er spielte. Die Blume, die ihm zu Füßen wuchs, erbebte unter der träumerischen Glut seines dunklen Auges und das braune Haar wehte um seine sonnenverbrannten Wangen. Ach, Steiner! Sie schlafen noch in Ihrem Bette, und ich habe schon den Tau auf den Gräsern gesehen.“ Wenn ihr Gesang ihn auch oft genug zur Verzweiflung trieb: Zu Vögeln hatte Mahler laut Bauer-Lechner ein „freundschaftliches Verhältnis“. Er bezeichnete sie der Freundin gegenüber als „die ersten Komponisten“ und erzählte ihr, dass er schon als Kind auf ihren Gesang geachtet habe. „Ganz entzückt“ konnte auch der erwachsene Mahler
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ihnen lauschen und auf ihre Töne antworten, wie Bruno Walter beobachtete. Wie bewegend ist daher, was ein Freund über die Beerdigung des Komponisten berichtete: In die „erhabene, geheiligte Stille“ hinein soll irgendwo in einem Baum ein Vogel einen abgerissenen Frühlingslaut von sich gegeben haben … Charakteristisch für Mahlers Naturliebe sind die folgenden Zeilen, die er im Dezember 1895 aus Berlin an Anna von Mildenburg richtete: „Ich machte mich nun in aller Frühe auf. Alles war herrlich eingeschneit … Als ich in Zehlendorf, so heißt der Ort, ankam und durch Tannen und Fichten ganz von Schnee bedeckt meinen Weg suchte … da wurde mir wieder weit um’s Herz, und ich sah, wie frei und groß der Mensch sofort wird, wenn er aus dem unnatürlichen und unruhvollen Getriebe der großen Stadt wieder zurückkehrt in das stille Haus der Natur.“ Sie bedeutete weit mehr als nur einen Zufluchtsort für Mahler; er bezog seine Inspiration aus ihr. Ein wahrer Kern steckte somit in Mahlers scherzhaft anmutenden Bemerkung, die er Bruno Walter gegenüber kurz nach seiner Ankunft machte und von diesem so festgehalten wurde: „Als mein Blick auf unserem Wege nach seinem Haus auf das Höllengebirge fiel, dessen starre Felswände den Hintergrund der sonst so anmutigen Landschaft bildeten, sagte Mahler: ‚Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich schon alles wegkomponiert.‘“ – Womit der Anfang der dritten Sinfonie gemeint war: „Was mir das Felsgebirg erzählt“. Wie Beethoven führte Mahler stets ein Skizzenbuch mit sich, um musikalische Einfälle notieren zu können: „Auf Bergen und in Wäldern herumschweifen und in einer Art keckem Raub meine Entwürfe davontragen“, bemerkte er selbst dazu. An den Schreibtisch sei er nur getreten „wie ein Bauer in die Scheune“: um seine Skizzen „in Form zu bringen“. Seine Begleiter auf Wanderungen konnten beobachten, wie er „alle Augenblicke spurlos“ in sich versank oder auch zurückblieb, um etwas in sein „Notizbüchel“ zu schreiben, womöglich die hundertste Wendung eines Motivs oder einer Modulation, die er festhielt, um später die passende auszuwählen. Seine tiefe Verbundenheit mit der Natur verewigte also auch Mahler in seinem Werk. Dass dies beinahe zwangsläufig geschah, verdeutlichte Natalie Bauer-Lechner: Mahler habe für alle Naturlaute ein sehr feines Ohr und müsse auf sie hören, ob er wolle oder nicht. So der Kuckucksruf, der in seiner ersten Symphonie eine vorlaut-heitere Rolle spiele; so
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das Geschrei von Pfauen, Hennen und Hähnen. In Steinach am Brenner habe ihn ein „unermüdlich in eigentümlicher Modulation krähender Hahn“ schier zur Verzweiflung gebracht, in Steinbach sei das „nicht zu bannende Rabengeschrei“ in den letzten Satz seiner Symphonie eingegangen. Wahrscheinlich – meinte Mahler zu Natalie – empfingen wir „die Ur-Rhythmen und -themen alle aus der Natur, die sie schon in jedem Tierlaut in großer Prägnanz“ uns biete. Mit dem ersten Ton der Ersten, „dem lang ausgehaltenen Flageolett-A“, befänden wir uns „mitten in der Natur: im Walde, wo das Sonnenlicht des sommerlichen Tages durch die Zweige zittert und flimmert“. Der Anfang der Dritten sei schon beinahe keine Musik mehr, es seien fast nur Naturlaute. Anna von Mildenburg erfuhr in einem Brief, diese Sinfonie werde etwas sein, was die Welt noch nicht gehört habe. Die ganze Natur bekomme darin eine Stimme und erzähle „so tief Geheimes“, was man „vielleicht im Träume“ ahne. Es sei Mahler manchmal „selbst unheimlich zu Mut bei manchen Stellen“, und es komme ihm vor, als ob er das gar nicht gemacht hätte. Die geplanten, wenn zum Teil auch verworfenen Satzüberschriften der Dritten mögen so manchem sonderbar vorkommen; einem Menschen wie Mahler jedoch sind sie Ausdruck der eigenen Zwiesprache mit der Natur: „Was mir das Felsengebirge erzählt“, „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“, „Was mir die Tiere im Walde erzählen“, „Was mir der Wald erzählt“, „Was mir die Dämmerung erzählt“, „Was mir der Kuckuck erzählt“. Bruno Walter, dem die soeben fertig gestellte Sinfonie auf dem Klavier vorgespielt wurde, erinnerte sich: „Jetzt erst und erst durch diese Musik glaubte ich ihn erkannt zu haben; sein ganzes Wesen schien mir eine geheimnisvolle Naturverbundenheit zu atmen; wie tief, wie elementar sie war, hatte ich immer nur ahnen können und erfuhr es nun unmittelbar aus der Tonsprache seines symphonischen Weltentraums. Wäre er ein ‚Naturliebhaber‘ im gewohnten Sinne des Wortes, dachte ich, etwa ein Gartenfreund, ein Freund der Tiere, seine Musik wäre ‚zivilisierter‘ ausgefallen. Aber was ich immer unbewusst gefühlt hatte – seine dionysische Naturerfülltheit – sprach hier als musikalischer Urlaut aus letzten Wesenstiefen. Ich glaubte ihn durch und durch zu sehen: wie in ihm die starre Gewalt des Felsgebirges wuchtete, in ihm die zarte Blume lebte, wie er in dunklen Urtiefen den Tieren des Waldes nachfühlte, deren Lust und Lebhaftigkeit, deren Scheu und Drolligkeit, deren Grausamkeit und Wildheit den dritten Satz inspiriert hatten – ich sah ihn und ich sah Pan in ihm.“
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Gustav Mahler war zweifellos von einem tiefen Glauben an die göttliche Beseelung der Natur ergriffen. Anna beschrieb ihn, wie er beim Spazierengehen stehen blieb, einem Vogel nachlauschte und einem anderen Tier bei seiner Tätigkeit zusah: „Immer ging diese Spannung, diese feine Heiterkeit in Nachdenklichkeit und ernste, versonnene Betrachtung über, in Erkenntnis göttlicher Weisheit, göttlichen Willens und Waltens, immer fühlte er gleich das Wunder, das Geheimnis und stand in Ehrfurcht und rührend kindlichem Staunen und konnte die Teilnahmslosigkeit der Menschen für diese wunderbaren Begebenheiten in der Natur nicht verstehen.“ Auch Bruno Walter blieb nicht verborgen, dass Mahler „der Mitkreatur von Herzen zugetan“ war, „Hunde, Katzen, Vögel, die Tiere des Waldes“ ihn „ergötzten“ und seinen „ernstesten Anteil“ erregten: „Er bemühte sich, beobachtend in ihr Wesen einzudringen, und antwortete im Walde dem Hüpfen oder Laut eines Vogels, dem Sprung eines Eichhörnchens mit einem unwillkürlichen Ausruf der Freude und Sympathie.“ Eine für Walter unvergessliche Erinnerung aus dem Sommer 1896 geht zu Herzen: „Wahres Vergnügen bereiteten ihm zwei junge Kätzchen, an deren Gehabe er sich nicht satt sehen konnte. Auf kleineren Spaziergängen pflegte er sie in seinen weiten Rocktaschen mitzunehmen, um sich bei der Rast an ihrer ihm stets interessanten Gegenwart zu erfreuen; die Tierchen waren so an ihn gewöhnt, dass sogar ein veritables Versteckspiel mit ihnen von vollem Erfolg belohnt wurde, worauf er nicht wenig stolz war.“ Eine durch den Musikkritiker Ferdinand Pfohl überlieferte Anekdote ist zu köstlich: Mahler habe ihn einmal „mit geheimnisvoller Miene“ auf einen Spaziergang mitgenommen, um ihm „etwas ganz Besonderes“ zu zeigen, das sich dann als eine in der Nähe der Oper auf einer Wiese grasende Kuh herausstellte. Pfohl war – wen mag es verwundern – jedoch „nicht nachhaltig“ beeindruckt. Der Kritiker wurde auch Zeuge, wie ein streunender Hund sich Mahler „anschloss“ und von diesem zu einem Abendessen in seinem Lieblingslokal im Hotel Belvedere mitgenommen wurde. „Mit tiefem Weltschmerz“ sei der Komponist erfüllt gewesen, als er erleben musste, wie der dort unwillkommene Hund verjagt wurde. Gustav Mahlers Tierliebe konnte – wie sein Biograph Jens Malte Fischer treffend sagt – „ergötzliche Züge“ annehmen. Daher ist es durchaus merkwürdig, dass der Komponist nie eigene Haustiere besaß; viel-
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leicht mochte er ihnen ja die vielen Umzüge nicht zumuten – im Gegensatz zu Richard Wagner …
Bergeinsamkeit Auch wenn eine Steigerung kaum mehr möglich erscheint: Der Sachse war ein vielleicht noch leidenschaftlicherer Spaziergänger und Wanderer als Beethoven und Mahler, und brachte der Natur eine leidenschaftliche Zuneigung entgegen. „In seinem Garten belauschte er das Nestchen der Grasmücke; eine Rose auf seinem Schreibtische konnte ihn beglücken“, berichtete Glasenapp über eine Liebe, die – als „Grundzug von Wagners Charakter“ – schon in der Kindheit ausgeprägt war. „An der Seite der Schwester singend und tollend, oder im Winter mit dem kleinen Kinderschlitten, der ‚Käsehitsche‘, im Freien herumzulaufen, war sein Hauptvergnügen“, schrieb Glasenapp. Der erwachsene Wagner lief nicht einfach nur so herum, er scheute auch vor veritablen Bergbesteigungen keinesfalls zurück, und seine Leistungsfähigkeit war beeindruckend. Zwingend erforderlich war auch für ihn der oft einsame Rückzug in die Natur, zur Beruhigung der strapazierten Nerven einerseits, als Quelle der Inspiration andererseits. Als „sein erreichtes Ideal von Wald- und Bergeinsamkeit“ sah er beispielsweise eine Jagdhütte am Hochkopf in den Allgäuer Alpen an, in die er sich während der Arbeit am „Siegfried“ zurückzog. Und der erste Entwurf zur Musik des „Lohengrin“ fiel in die Zeit, als Wagner im Sommer 1846 ein Bauernhaus in dem Dorf Groß-Graupe nahe der Sächsischen Schweiz gemietet hatte und einsame Wanderungen auf den Borsberg, zur Lochmühle und auf die Bastei unternahm. Er also entfloh dem „Beethoven’schen Elend“ – Mahler sollte ihn mit seinen Komponierhäuschen noch übertreffen. In wie vielen Noten Wagners Naturliebe ihren Niederschlag in seiner Musik fand, lässt sich nur erahnen. So manche Inspiration hat der Komponist jedoch verewigt: „Meine täglichen Spaziergänge richtete ich an den heiteren Sommernachmittagen [des Jahres 1857] nach dem stillen Sihltal, in dessen waldiger Umgebung ich viel und aufmerksam nach dem Gesange der Waldvögel lauschte, wobei ich erstaunt war, die mir gänzlich neuen Weisen von Sängern kennenzulernen, deren Gestalt ich nicht sah und deren Namen ich noch weniger wusste.“ In der Waldszene
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des „Siegfried“ verewigte Wagner, was er „von ihren Weisen mit nach Hause brachte“.
Peps, Papo & Co Wenn man über Gustav Mahler mit Recht sagen darf, dass seine Tierliebe „ergötzliche Züge“ annahm, so sucht man bei Richard Wagner verzweifelt nach einer passenden Steigerung dieser Formulierung. Denn Tiere liebte der Sachse geradezu innig, besonders Hunde hatten es ihm angetan. „Es war ihm Zeit seines Lebens so gut wie unmöglich, recht froh zu sein, ohne dass etwas um ihn herumbellte“, bemerkt Glasenapp. Als kleiner Junge schon hielt er Ausschau nach potenziellen vierbeinigen Freunden, „kannte alle Hunde weit und breit“ und einer seiner Lebensinhalte war, neugeborene Hündchen vor dem Ertränkungstod zu retten. Eines Tages hörten er und seine Schwester eines dieser unglücklichen Wesen in einem Teich wimmern, zogen es heraus und nahmen es mit nach Hause – obwohl ihnen dies aufgrund ähnlicher Vorfälle strengstens verboten war (so hatte der kleine Richard sogar eine ganze Kaninchenfamilie in seinem Schreibtisch versteckt und in dessen Rückwand ein großes Luftloch geschnitten). In Ciles Bett fand dieses Tier Unterschlupf. „Doch bewies es mangelndes Verständnis der Situation: Es jammerte und wurde so entdeckt“, weiß Glasenapp zu berichten. Auf sein hartnäckiges Drängen hin erhielt Richard die Erlaubnis, einen Hund zu halten. Doch bald schon sollte es zu seinem Vorfall kommen, den Wagner später als „den größten Schmerz jener Jahre“ bezeichnet haben soll: Das arme Tier fiel in Abwesenheit der Kinder aus dem Fenster, brach sich den Hals und wurde lange beweint. „Wäre des Meisters Gedanke, mit dem er sich lange getragen, einmal für die Seinen eine ‚Geschichte meiner Hunde‘ zu schreiben, zur Ausführung gelangt, mit diesem Vorfall … hätte sie wohl ihren Anfang genommen“, vermutet Glasenapp, nach dessen Ansicht das Werk eine „gar bedeutsame Autobiographie“ geworden wäre, die uns „Seiten in dem Gemüte des Künstlers“ enthüllt hätte, „die wir uns nun aus mancherlei fragmentarischen Äußerungen zu vergegenwärtigen angewiesen sind.“ Vielerlei hielt glücklicherweise Cosima Wagner in ihrem Tagebuch für die Nachwelt fest. Wie sehr die Liebe ihres Mannes zu Hunden auf Gegenseitigkeit beruhte, zeigt dieser Eintrag: „Wir gehen aus, die Hunde
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werfen R. bald vor Freude nieder, und in dieser Anhänglichkeit der Tiere an ihn erkenne ich eines der Zeichen des wunderbaren Zusammenhangs R.’s mit der Natur. Die Tiere lieben mich auch sehr, ihn aber scheinen sie mir zu begrüßen, als ob keine Scheidung stattgefunden hätte.“ Es waren nicht nur Hunde, die es Richard Wagner angetan hatten. Im großzügigen Anwesen von Wahnfried führte neben zwei Vierbeinern auch ein Pfauen-Paar ein unbeschwertes Dasein. Über ein frühes, ein wenig ungewöhnliches „Haustier“ aus der Zeit mit seiner ersten Frau Minna berichtete er in „Mein Leben“: Ein junger Wolf, der als Welpe in ihr Haus gebracht worden war. Da dieser jedoch „die Gemütlichkeit“ ihres „häuslichen Lebens nicht vermehrte“, kam es recht bald schon zur Trennung. Das nächste Tier gab sich quasi selbst ab; Wagner war gerade auf dem Weg von Riga nach Paris, als der Neufundländer „Robber“ in sein Leben trat. „Dieser wunderschöne Hund, ursprünglich einem Rigaschen Kaufmann gehörig, hatte sich, gegen die Natur dieser besondern Rasse, mit einer vorzüglichen Zuneigung an meine Person geheftet. Nachdem ich Riga verlassen, hatte während meines längern Aufenthaltes in Mitau Robber fortgesetzt meine leergewordene Wohnung belagert und durch seine auffallende Anhänglichkeit den Hauswirt und die Nachbarn so gerührt, dass sie den Hund mit dem Postkondukteur mir nach Mitau nachschickten, wo ich ihn mit wahrhafter Ergriffenheit empfing und mir gelobte, trotz aller Beschwerden den Hund fortan nicht mehr von mir zu weisen.“ Dieses Gelöbnis wollte und sollte Wagner erfüllen – gegen alle Widrigkeiten. Er beschloss kurzerhand, „Robber“ mit nach Paris zu nehmen. Als die Fahrt in einer Pferdekutsche weiterging, setzte Wagner es allen Protesten der Mitreisenden zum Trotz schließlich durch, dass auch der riesige Neufundländer seinen Platz im Gefährt erhielt. Er hatte es nicht ertragen können, „das so stark bepelzte nordische Tier in glühendster Sonnenhitze tagelang neben dem Wagen herlaufen“ zu sehen – wer konnte sich auch besser in den geplagten Vierbeiner hineinversetzen als Richard Wagner? Eine Kutschfahrt bis nach Paris durfte dem zwischen den Beinen der Reisegäste japsenden Robber natürlich nicht zugemutet werden! Der ursprüngliche Plan wurde daher verworfen und dem Hund zuliebe der Wasserweg gewählt. Ein unbeschreibliches, geradezu „tierisches“ Opfer, das der stark seekrank Gefährdete auf sich nahm! Denn die ungeheure Route führte vom ostpreußischen Hafen Pillau nahe Königsberg aus durch die Ostsee an Kopenhagen vorbei und weiter durchs Kattegatt
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bis hinauf zu dem wegen seiner Stürme verrufenen Skagerrak an der Südostküste Norwegens. Von dort ging es durch die als „Mordsee“ verschriene Nordsee bis nach London und dann weiter durch den Ärmelkanal bis zur französischen Küste. Am Rande: Wären „Robber“ und die wegen ihm unternommene Schiffsreise nicht gewesen, hätte es wohl nie den Matrosenchor aus dem „Fliegenden Holländer“ gegeben; die Inspiration hierzu ereilte den Komponisten nämlich, als man vor Norwegen ankerte. Vielleicht wäre die ganze Oper nie komponiert worden, denn Wagner, seine Frau Minna und Robber überlebten nur knapp, als die zweimastige „Thetis“ zum Spielball heftigster Stürme wurde. Acht Tage hatte die Reise eigentlich dauern sollen; nach 24 Tagen erst ging sie zu Ende. Schließlich kamen die drei Reisegefährten in London an. Das Gelöbnis, sich nie mehr zu trennen, hatte nur Wagner abgegeben – nicht der Hund. Die Weiterreise nach Paris machte er noch mit; ausgerechnet in der Stadt der Liebe trennten sich dann ihre Wege für immer. Nachdem die in massiven finanziellen Nöten steckenden Eheleute bereits ihre Hochzeitsgeschenke, Trauringe und Minnas besten Schlepprock ins Pfandhaus gebracht hatten, verließ sie zu allem Überfluss auch Robber – vielleicht aus Mitleid mit seinen Not leidenden zweibeinigen Freunden. Wagner war jedoch schwer getroffen und vermutete eine Entführung des schönen Tieres. Er sollte ihn nie wiedersehen, sollte nie erfahren, was aus ihm geworden war. Ähnlich außergewöhnlich wie der Neufundländer waren die Mitbewohner der Wagners in Zürich im Jahr 1850: ein Papagei und ein Hund, die ihr Herrchen „oftmals bis zur Belästigung“ liebten und die eine oder andere Eigenheit von diesem übernahmen: „Peps musste immer hinter mir auf dem Arbeitsstuhle liegen und Papo flatterte, wenn ich zu lange aus dem Wohnzimmer ausblieb, nach wiederholtem vergeblichem Rufen meines Namens ‚Richard!‘ gewöhnlich zu mir in das Arbeitszimmer, wo er sich auf dem Schreibtische aufstellte und mit Federn und Papier oft sehr aufregend sich zu schaffen machte. Er war so wohlerzogen, dass er nie einen tierischen Vogellaut von sich gab, sondern nur sprechend und singend sich vernehmen ließ. Mit dem großen MarschThema des Schluss-Satzes der c-Moll-Symphonie, dem Anfang der Achten Symphonie in F-Dur, oder auch einem festlichen Thema aus der ‚Rienzi‘-Ouvertüre empfing er mich stets pfeifend, sobald er auf der Treppe meine Schritte hörte. Das Hündchen Peps zeichnete sich dagegen durch eine ungemeine Nervosität aus; er hieß bei meinen Freunden
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‚Peps der Aufgeregte‘, und es gab Zeiten, wo man nie ein freundliches Wort zu ihm sprechen konnte, ohne ihn in Heulen und Schluchzen zu versetzen.“ Es überrascht nicht, wie sehr der frühe Tod des musischen Vogels mit seinem Faible für klassische Musik Richard Wagner traf, der noch Wochen später von dem Tier träumte und laut weinend aufwachte. Papo wurde bald durch den neuen Papageien Jacquot ersetzt, der den Kosenamen Knackerchen erhielt und schon bald einen von Minna gelernten Satz beherrschte, den er jedem Besucher zu Gehör brachte: „Richard Wagner ist ein böser Mann.“ Ein ungleich größere Lücke als Papo hinterließ der Hund Peps, der im Alter von 13 Jahren das Zeitliche segnete; hatte er doch stets auf einem gepolsterten Schemel neben seinem Herrchen gelegen, wenn es komponierte. Der ganze Hausstand musste zu seiner Suche aufgeboten werden, wenn der Hund nicht zugegen war. Minna hatte sich manches Mal auf den Weg zu machen, um ihn aus den Anlagen herbeizugeleiten. Wagners ausführliche Schilderung seines Sterbens geht wahrlich zu Herzen: „Er ward blöde und litt an häufig wiederkehrenden Krämpfen; seine einzige Besinnung äußerte sich jedoch darin, dass er, für gewöhnlich unter der Pflege meiner Frau in deren Zimmer, häufig von seinem Lager schnell sich aufmachte, bis er zu mir an meinen Arbeitstisch taumelte und dort wieder entkräftet zusammensank. Der Tierarzt wollte nicht mehr helfen können, und da die Krämpfe sich auf eine für das Tier unerträglich quälende Weise steigerten, riet man mir, zur Abkürzung dieser grausamen Agonie ihn durch ein wenig Blausäure von seinem Leiden zu befreien. Wir verzögerten um seinetwillen unsere Abreise, bis ich endlich selbst einen schnellen Tod als Wohltat für das arme leidende und gänzlich hoffnungslose Geschöpf halten musste. Ich mietete mir einen Kahn und fuhr eine Stunde weit auf dem See zu einem mir bekannten jungen Arzte, dem Dr. Obrist, von dem ich wusste, dass er mit einer Dorfapotheke verschiedene Gifte akquiriert hatte. Von diesem entnahm ich die tödliche Dosis und fuhr damit an einem wundervollen Sommerabende einsam in meinem Nachen über den See daheim. Nur aber im Falle des äußeren Leidens des armen Sterbenden wollte ich mich entschließen, zur Anwendung dieses letzten Mittels zu greifen. Er schlief die Nacht noch gewöhnlich in seinem Korbe an meinem Bette, von wo aus er des Morgens stets, mit den Pfoten zu mir herankratzend, mich erweckt hatte. Plötzlich erwachte ich durch das Stöhnen, welches ihm ein äußerst heftiger Krampanfall hervorrief; dann sank er lautlos um,
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und mich erfüllte dieser Augenblick so seltsamer Weise mit seiner Wichtigkeit, dass ich sogleich nach der Uhr sah und 1 Uhr 10 Minuten des 10. Juli mir als die Todesstunde meines kleinen, mit ausschweifender Anhänglichkeit mir ergebenen Freundes in mein Gedächtnis mit einprägte.“ Peps wurde am Tag darauf mit seinem Korb und Kissen „unter bittersten Tränen bestattet“. Sein Nachfolger trug den Namen Fips, der sich allerdings mehr Minna zuwandte und ein trauriges Ende fand, als er in Paris ausgestreutem Gift erlag. Wagner gelang es immerhin durch „einen seltenen Aufwand von Überredung“, dem Hündchen das Schicksal aller in der Stadt gestorbenen Hunde zu ersparen – nämlich auf die Straße geworfen und „vom Unratabräumer mit aufgelesen zu werden“. Wie Peps erhielt auch er eine ordentliche Grabstätte im Garten. Enger noch war Wagners Freundschaft mit dem Jagdhund Pohl, „eines der liebenswürdigsten und vortrefflichsten Tiere“, der in Abwesenheit seines Herrchens verstarb. Wagner hielt sich in Marseille auf und war bei seiner Rückkehr erschüttert: Der Verwalter seines Landhauses hatte die Leiche des Hundes ohne großes Brimborium verscharrt … Wagner grub Pohl wieder aus, hüllte ihn in einen kostbaren Teppich und bestattete ihn zeremoniell auf einem Hügel mit Blick über den Genfer See. Das war alles, was er für seinen geliebten Gefährten noch tun konnte. Ein deutlich größeres Risiko musste er eingehen, um seinen nächsten Hund Kos vor dem Tod zu retten. Cosima hielt den ungeheuerliche Vorgang am 30. März 1869 entsetzt in ihrem Tagebuch fest (mit „Pohl“ ist übrigens der Musikkritiker Richard Pohl gemeint): „Ich hatte einen fürchterlichen Schreck auf dem Spaziergang, unweit von der Eisenbahn las mir R. einen Brief Pohls (‚nicht gerade einem faulen doch einem gebratenen Apfel gleicht dieser Brief‘, sagte R.) vor; plötzlich sehen wir Kos inmitten der Bahn mit einem anderen Hunde im Zank, und der Eisenbahn-Zug wie auf ihm, da schien R. wie ein Pfeil, rettet den Kos durch sein Laufen und Schreien und kommt selbst davon wie durch ein Wunder; aber dieser Anblick!“ Wagners letzter Hund, der Nachfolger eines gewissen Russ, war die Neufundländerhündin Molly (womit sich der Kreis zu Robber schließt). Die Nachricht ihres Todes musste ihm, dem es selbst physisch und psychisch schlecht ging, zunächst verschwiegen werden; heimlich wurde Molly im Garten vergraben. Als Wagner am nächsten Tag nach ihr rief,
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brach die Familie in Tränen aus. Er starrte sie ein paar Sekunden an, ahnte, was geschehen war, eilte in den Garten, sah den frischen Erdhaufen und verkroch sich weinend in der Laube. Wahrhaft kämpferische Züge nahm Wagners Tierliebe an, als Ende der 70er-Jahre immer häufiger Klagen über Experimente in die Öffentlichkeit drangen. Der Komponist trat dem Bayreuther Tierschutzverein bei und schrieb an den Dresdner Vorsitzenden Ernst von Weber unter anderem diese Zeilen: „Ich achtete bisher die Tätigkeit solcher Vereine, bedauerte aber immer noch, ihren instruktiven Verkehr mit dem Publikum hauptsächlich auf die Demonstration des Nutzens der Tiere, sowie der Unnützlichkeit ihrer Verfolgung sich stützen zu sehen. Mag es nützlich sein, auf diese Weise zum herzlosen Volke zu reden, so vermeinte ich doch, dass etwas weiter vorzuschreiten sehr an der Zeit sei und einzig das Mitleiden als Grundlage einer letzten Veredelung des Christentums anzurufen. Das große Wort des Brahmanen ‚Tat twam asi‘ (‚Das bist Du‘) zu allernächst bei dem Hinweis auf die Tiere dem Menschen zuzurufen, ist notwendig … Allein, hier müsste angefangen werden, – denn mit dem Gebote der Menschenliebe wird es – besonders den Herren Vivisektoren gegenüber – immer bedenklicher und schwerer.“ Dem ist wohl nichts hinzufügen. In Bezug auf das „Mitleiden“, von dem Wagner spricht, hat die Menschheit noch immer Nachholbedarf. Für ihn jedenfalls war die Tierliebe der Schlüssel für die Fähigkeit echten Mitleids; ein immens bedeutender Grundzug seines Wesens.
Unsterbliche Fliegen und verbundene Zweige Mein lieber Schwan! Ach, diese letzte, traur’ge Fahrt, wie gern hätt’ ich sie dir erspart! (Richard Wagner, Lohengrin)
Zum Besten der Armen Hunderte von Bettlern – Männer, Frauen und Kinder – bevölkerten die Gassen zu der Zeit, als der berühmteste Sohn Bonns geboren wurde, hausten in den über hundert sogenannten „Bogenhäusern“ an der Stadtmauer. Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass der junge Beethoven das Elend dieser Menschen hautnah miterlebte und mitfühlte – und zugleich die Ungerechtigkeit der Welt. Denn Ludwig sah all die herrlichen Paläste der Reichen und ihr Leben – und die Zerlumpten in den Straßen; Bilder, die er kaum je vergessen haben wird. Zeit seines Lebens behielt der Komponist ein Ohr für soziale Anliegen, wobei sicher auch die Erinnerung an die eigenen harten Jugendtage eine Rolle spielte, als er nach dem Tod der Mutter eine Familie zu ernähren hatte. Es ist bezeichnend, dass schon seine ersten öffentlichen Auftritte im Jahr 1795 Benefizkonzerte waren; das erste am 29. März war „zum Besten der Witwen der Tonkünstlergesellschaft“. Ob er an die bettelnden Frauen in den Gassen seiner Heimatstadt zurückdachte, während er sein B-Dur-Klavierkonzert spielte? Und wanderten seine Gedanken fast zwei Jahrzehnte später vielleicht auch in die Brandnacht des Winters 1777 zurück? Im August 1812 berichtete der Komponist nämlich dem Erzherzog Rudolph brieflich von einem Benefizkonzert, das er für die Opfer des Stadtbrandes in Baden gegeben hatte; einem Schicksal, das seiner eigenen Familie vierzig Jahre zuvor erspart geblieben war. Es waren jedenfalls keine leeren Worte gewesen, die er Ende Juni 1800 an Gerhard Wegeler gerichtet hatte: dass seine Kunst sich nur
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zum Besten der Armen zeigen solle und sein „Beutel“ nicht leide, wenn er „einen Freund in Not“ sehe. Doch als die eigenen finanziellen Probleme größer wurden, war Beethoven gezwungen, sein soziales Engagement einzuschränken. Bedauernd schrieb er an Dr. Johann Kanka: „Selbst meinem Hange und meiner mir selbst gemachten Pflicht vermittelst meiner Kunst für die bedürftige Menschheit zu handeln, habe ich müssen und muss ich noch Schranken setzen.“ Wie sehr hat er ihr mit seiner unsterblichen Musik geholfen! Wie viel Trost spendet er mit ihr, über seinen Tod hinaus! „Alle Menschen werden Brüder“: Es ist bezeichnend für Ludwig van Beethoven, dass er dieser Hoffnung in seinem letzten großen Werk, seiner Neunten, Ausdruck verlieh. Dass er ein Mensch war, der – dem eigenen, grausamen Schicksal zum Trotz – zu großem Mitfühlen und Mitleiden fähig war, wird nicht zuletzt in einem seiner persönlichsten Zeugnisse überdeutlich: dem Brief an die „Unsterbliche Geliebte“; vermochte er es doch, trotz des eigenen Schmerzes, sich in die Seele der Empfängerin einzufühlen: „Du leidest du mein teuerstes Wesen“, heißt es darin, „Du leidest“. Diese Frau hatte selbst so über ihn geurteilt: „… seine Weichherzigkeit würde das zarteste Weib zieren, es spricht für ihn, dass ihn wenige kennen, noch weniger verstehen. Er besucht mich oft, beinahe täglich, und spielt dann aus eigenem Antrieb, weil es ihm Bedürfnis ist, Leiden zu mildern, und er fühlt, dass er es mit seinen himmlischen Tönen vermag …“ Wie sehr hatte der 17-jährige Beethoven selbst leiden müssen, als er aus Wien an das Totenbett seiner Mutter gereist war? Es ist vielsagend, dass er auf dem Weg dorthin selbst erkrankte, wie er in dem bereits zitierten Brief an Josef von Schaden berichtete. Seinen Schmerz wird man ermessen können, wenn man in das Innere seiner beiden Leidensgenossen blickt. Auch ihnen blieben solch traurige Momente nicht erspart.
Ein frommer Mönch und die Tränen der Menschen Gustav Mahler war ein intensiv empfindendes, mitfühlendes Kind, dessen mitleidiges Herz den Jugendfreunden in Erinnerung bleiben sollte. Wenn seine Mutter krank im Bett lag, und ihre Migräne zwang sie oft dazu, stellte der Sohn sich hinter ihr Bett, betete intensiv und fragte sie dann, ob ihr schon besser sei. Wenn sie dies – was nicht immer der
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Wahrheit entsprach – bejahte, kehrte er hinter das Bett zurück und fuhr mit dem Beten fort, um die Genesung zu vollenden. „Unendlich fähig des Mitleids“, sollte Bruno Walter über den erwachsenen Komponisten urteilen. Das bestätigt auch seine Frau Alma: „Mahler war unendlich suggestibel. Hatte ich Schmerzen, war mir im Magen schlecht – sofort hatte er dieselben Empfindungen.“ Wie besorgt der Komponist grundsätzlich um geliebte Menschen war, zeigen einige seiner Briefe an Anna von Mildenburg. Im Juli 1896 heißt es: „Du schreibst nur, dass Du wieder ‚nervös‘ bist! Was fehlt Dir denn, meine liebste Anna? Was bezeichnest Du übrigens mit diesem Worte für einen Zustand? Hast Du Herzzustände? Du weißt nicht, welche Sorgen ich mir oft darum mache!“ Zwei Wochen später klagt Mahler: „Du schreibst mir übrigens gar nichts über Deine Gesundheit! Ich bitte Dich, Liebste, vergiss das in keinem Brief; Du weißt nicht, wie ich mich oft darum sorge.“ Selbst die eigene Empfindlichkeit gegen Temperaturen schien Mahler auch bei Anna zu vermuten; jedenfalls flehte er brieflich: „Wenn Du nur nicht unter der Hitze wirst zu leiden haben! In Hamburg pflegt es im August noch sehr heiß zu sein.“ Im Dezember desselben Jahres warnt er aus Leipzig: „Ich bitte Dich, liebes Annerl, wenn Du nicht ganz wohl bist, erwarte mich ja nicht am Bahnhof, wo Du Dich entsetzlich verkühlen kannst. Sondern sei bei uns draußen! Ohnehin haben wir ja am Bahnhof nichts von uns! Warst Du beim Arzt? Ja?“ Man kann sich unschwer vorstellen, was in dem jungen Gustav Mahler vorgegangen sein muss, als sein Bruder Ernst auf dem Totenbett lag und – wohl noch unendlich quälender – seine über alles geliebte Tochter Maria starb, die im Alter von fünf Jahren unheilbar an Diphtherie erkrankt war. Zehn Tage dauerte der Todeskampf, immer wieder verkroch sich der verzweifelte Vater in seinem Zimmer. Alma beschrieb in ihren Erinnerungen seine tiefe Verzweiflung, kurz bevor das Ende kam: Mahler sei weinend und schluchzend an der Schlafzimmertür vorbeigelaufen und floh schließlich, „nur um keinen Laut mehr von ihr zu hören. Er konnte es nicht mehr ertragen.“ Der Arzt und Schriftsteller Arthur Schnitzler sah Tage nach dem Tod Marias den Komponisten ganz allein und trauernd, den Kopf gesenkt, auf einer Bank in Schönbrunn sitzen – womöglich sogar in dem Moment, als dieser den Entschluss fasste, neben seinem Kind beerdigt werden zu wollen. Mahlers Mitfühlen beschränkte sich jedoch keineswegs auf die geliebten Menschen. Unrecht konnte er nicht ertragen, Menschenliebe und
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Mitleid mit Armut und Elend erfüllten auch ihn ganz grundsätzlich. Seinem Kommilitonen Theodor Fischer zufolge konnte Gustav in seiner späten Jugendzeit keinem Bettler begegnen, „ohne ihm Almosen zu spenden“. Und als Ferdinand Pfohl und Mahler Jahre später in Hamburg von einer Prostituierten angesprochen wurden, trug er sich ernsthaft mit dem Gedanken, sie aus ihrem Schicksal zu erretten – ließ es schließlich jedoch bei einer Zuwendung von drei Mark bewenden. Ungleich anrührender noch ist eine andere Geschichte, die Mahlers Menschlichkeit und seine Fähigkeit des Mitleidens in hellstem Licht erscheinen lässt. Ihre Überlieferung verdanken wir Natalie Bauer-Lechner, die zu einem Konzert ihres Freundes am 16. März 1896 nach Berlin gereist war. Gustav sei am Nachmittag dieses Tages durch einen Bahnviadukt gegangen, als ihm ein Mann auffiel, „der unter der Last eines Bündels, das er auf den Schultern trug, wankte und sich an die Wand lehnen musste, um nicht hinzufallen“. Als Mahler dies sah, nahm er dem Mann das Bündel ab, stützte ihn und erfuhr von ihm, dass er monatelang im Spital gelegen habe, aus dem er nun als gesund entlassen und – da er Unterkunft und Verdienst nicht mehr habe – auf die Straße gewiesen worden sei. Erschüttert gab Mahler dem Unglücklichen, was er bei sich hatte. Tief ergriffen und verstört von dieser Begebenheit, suchte er daraufhin Natalie in ihrem Zimmer auf, erzählte unter Tränen. „Wie ein Kind nach Halt und Trost“ habe Mahler im „Mitleiden“ der Freundin gesucht. Bruno Walter weiß eine ähnliche Geschichte zu erzählen, die seiner Ansicht nach verdeutlicht, „wie gütig und rücksichtsvoll“ er sein konnte: Zu der Zeit, als er Direktor der Wiener Hofoper war, erfuhr Mahler, dass ein Musiker des Hauses todkrank war. „Unter eifrigsten Bemühungen“ habe er diesem „dienstliche und finanzielle Erleichterungen aller Art“ und sogar einen neuen Vertrag verschafft, um den Mann „sorgloser zu stimmen und über die Hoffnungslosigkeit seines Zustandes zu täuschen“. Wie kommt es dann, dass einem solchen Menschen nachgesagt wird, er sei kalt und egoistisch? Alle, die ihn näher kannten, wussten es zumindest besser: Der Grundzug seines Wesens war ein hoher Gerechtigkeitssinn, und Walter nennt als hervorstechenden Charakterzug des erwachsenen Mahler: Herzenswärme. Diese zeigte sich auch darin, dass der Komponist ungeheuer hilfsbereit sein konnte, selbst wenn keine Notsituation vorlag. Er besaß in hohem Maße Empathie, ganz zweifellos. Walter erzählt, wie Mahler ihm trotz seines Protestes eigenhändig den
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Koffer getragen habe, und Bauer-Lechner berichtet, dass er ihr bei ihrem Besuch in Budapest seine Wohnung überlassen habe und selbst, um ihr dies zu „ersparen“, ins Hotel gegangen sei. Dass dies in seinem Falle wohl ein echtes Opfer bedeutete, ist oben gezeigt worden. Von Walter wissen wir, dass Fragen „nach dem Warum des unsäglichen Leides in der ganzen Schöpfung“ Mahlers Seele umdüsterten. „Zu furchtbar ging ihm das Leid der Kreatur zu Herzen; der Mord in der Tierwelt, das Böse, das die Menschen sich gegenseitig zufügten, die Anfälligkeit des Körpers für Krankheiten, die ständigen Drohungen des Schicksals – all das erschütterte immer wieder die Sicherheit seines Glaubens, und immer bewusster wurde das Problem seines Lebens, wie das Weltleid und das Weltböse mit der göttlichen Güte und Allmacht zu vereinigen seien.“ Walter, der in Mahler einen frommen Mönch sah, macht in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Feststellung: „Wir sehen ein Menschenauge, das in Himmelsfernen sehnsüchtig zu forschen gewohnt scheint, und unter diesen Fingern könnten Beethovensche Klänge entstehen. Solcher Art scheint auch das Wesen Mahlers: von der Erde aus, deren Leid er leidet, Gott suchend.“ Dieses Wesen kommt auch in seinem Werk zum Ausdruck, ist sogar – so Adolf Nowak im „Mahler-Handbuch“ – „Agens der musikalischen Sprache“. Floros nennt als ein Beispiel das Finale der dritten Sinfonie, über das der Komponist schrieb: „‚Was mir die Liebe erzählt‘ ist ein Zusammenfassen meiner Empfindung allen Wesen gegenüber, wobei es nicht ohne tief schmerzliche Seitenwege abgeht“. Ein Jahr später berichtete er seiner Geliebten Anna von Mildenburg: „‚Was mir die Liebe erzählt‘ möchtest du wissen? Liebe Annerl, die Liebe erzählt mir sehr schöne Dinge! Und wenn sie mir jetzt erzählt, so erzählt sie mir immer von dir! – Aber in der Symphonie, liebe Anni, handelt es sich doch um eine andere Liebe, als Du vermutest. Das Motto zu diesem Satz (Nro. 7) lautet: ‚Vater, sieh an die Wunden mein! Kein Wesen lass verloren sein!‘“ Wenn Mahler von „allen Wesen“ sprach, dann meinte er auch tatsächlich alle. Jens Malte Fischer bemerkt in seiner Biographie, dass Mahlers tiefe Empfindung des Mitgefühls und Mitleidens sich auch und vor allem in seiner Tierliebe ausdrücke, und Bruno Walter erinnerte sich: „Er erzählte mir, dass ihm unvergesslich bleibe, wie ihn einmal des Nachts auf dem Lande das lang gezogene tiefe Brüllen der Rinder als kreatürlicher Laut aus der dumpfen Seele des Viehes schmerzhaft ergriffen habe.“
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Die hier passende Anekdote über den streunenden Hund, den Mahler zum Abendessen mitnahm, ist bereits erzählt worden. Dass er „keine Fliege und keinen Käfer unnötigerweise ums Leben bringen sehen“ konnte und „ein Feind der Jagd als eines gräulichen Barbarismus“ war, liegt nahe und wird von Bauer-Lechner bestätigt. Verständlich wird in diesem Zusammenhang auch eine Eigenart Mahlers: Bei ihm durfte kein Fleisch- oder Fischgericht auf den Tisch kommen, das die Form des lebenden Tieres verriet. Außerordentlich wichtig und prägend war die Schrift „Nanna oder das Seelenleben der Pflanzen“ (1848) von Gustav Theodor Fechner, in der dieser den Wirkungsraum des Seelenlebens ganz konsequent ausdehnt und ihn Tieren wie Pflanzen zuspricht. „Einen anrührenden Beweis für Mahlers Glauben an die Unsterblichkeit auch der tierischen Seele“ erlebte Alfred Roller, und nach Ansicht des Mahler-Biographen Jens Malte Fischer erzählte er eine Geschichte so glaubwürdig, dass man nicht umhin käme, sich „ihrem verqueren Charme zu beugen. In seiner Wiener Wohnung habe Mahler mit zwei Besuchern diskutiert, einer davon war Roller. Eine Fliege umschwirrte ihn zudringlich, und er schlug mehrfach mit der Hand nach ihr, um sie zu vertreiben. Zuletzt traf er sie so zielgenau, dass sie halb betäubt und zappelnd, dem Tod geweiht, am Boden lag. Um ihr Leiden zu verkürzen, zertrat Mahler sie, aber sein Fuß blieb eigenartig lange in der Luft schweben, die Überwindung war deutlich spürbar: Verstört starrte er auf den deformierten kleinen Kadaver vor seinen Füßen und erregt mit der Hand wie sänftigend und tröstend hinabwinkend murmelte er: ‚Sei nur ruhig, sei nur ruhig, auch du bist unsterblich.‘ Er wandte sich ab, irrte verstimmt im Zimmer umher und nahm das Gespräch nicht wieder auf.“ Das sei ganz Mahler, meint Fischer: „Der Fechnerschen Unsterblichkeit und Allbeseelung vertrauend, aber dann doch wieder unsicher und gequält durch das Leiden der Welt und mit einer tiefen Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Lebens, das für ihn Tiere wie Pflanzen einschloss.“ Dass dies in der Tat so war, verdeutlicht die auf Alma zurückgehende Schilderung einer Begebenheit aus dem Sommer 1908: „Das Arbeitshäuschen stand im Walde, inmitten eines moosigen Gebirgsrundes. Über Nacht waren nach einem warmen Regen unzählige kleine weiße Schwammerln aufgegangen. Mahler war mit Eiertänzen zu seinem Häuschen gelangt und so wieder zurück, nur um keines dieser kleinen Lebewesen, die ihn wie Kinder angemutet hatten, zu zertreten.“
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Genau so hätten sich in dieser Situation vermutlich auch Ludwig van Beethoven und ganz sicher Richard Wagner verhalten …
Kalte Füße und fliegende Mützen „Das Mitleiden erkenne ich in mir als stärksten Zug meines moralischen Wesens, und vermutlich ist dieser auch der Quell meiner Kraft“, sagte Wagner über sich selbst. Zu Herzen gehende Geschichten aus seiner Kindheit, die das frühe Vorhandensein dieser Fähigkeit bezeugen, erzählt Glasenapp unübertroffen: So sagt der junge Richard zu seiner mit ihren nackten Füßen frierenden Schwester Cile, während beide im Regen auf einem Baumstamm sitzend der Rückkehr der Mutter harren: „Da ziehst du eben einen von meinen Stiefeln an, und die beiden andern Füße setzen wir aufeinander.“ Eine Szene, die von einem Maler namens Kietz in einer Zeichnung verewigt wurde. Mehr als nur einen einfachen Schnupfen, nämlich das eigene Leben, riskierte der Schüler Wagner. Und das nur, weil er – so Glasenapp – „niemals jemand weinen sehen“ konnte. Tollkühn bestieg er das Giebeldach seiner Schule, um die Mütze eines Kameraden herunterzuholen (die Richard allerdings selbst hinauf befördert hatte), nachdem dieser ob des drohenden Verlustes „in bittere Tränen“ ausgebrochen war. Dass nicht nur frierende Schwestern und arme Opfer eigener Streiche auf Wagners Mitleid hoffen konnten, geht aus einem Tagebucheintrag Cosimas aus dem Jahr 1871 hervor, als das Ehepaar in Dresden weilte: „Ich sehe den Laden, wo … er einem Invaliden Geld gab, was sein Vater von dem Haus gegenüber bemerkte.“ Das Schicksal seiner Mitmenschen war ihm zeitlebens nicht gleichgültig – sonderbar erscheint, dass er dennoch rücksichtslos mit Gläubigern umgehen und Hans von Bülow die Frau ausspannen konnte … Wie dem auch sei: Großes Leid berührte ihn zutiefst, wie die folgenden Zeilen Cosimas vom 29. Mai 1870 zeigen: „Ein Mordanfall, welcher die Zeitungen füllt (eine ganze unschuldige stille Schmiedesfamilie von einem Dieb ermordet), lässt uns das schreckliche Schicksal, unter welchem jeder steht, betrachten. Nicht der Mord ist es, der uns hier mit Grausen erfüllt, sondern das furchtbare Los, das einem jeden beschieden sein kann. Heimgekommen erzählt uns Vreneli, sie habe in der Stadt erfahren, ein Kahn mit einem Mann und seinem Kinde sei in die Well
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und das Rad des Dampfschiffes geraten und umgekommen; unsre Leute auf Tribschen haben das Schreien der Menschen auf dem Dampfschiff vernommen. Welche Warnungen, welche Zeichen, und wer kann hienieden sich glücklich nennen?“ Das Schicksal von Tieren schien Wagner noch tiefer zu ergreifen, und zwar von klein auf. Auch wenn die folgende Schilderung der ersten Reise des Jungen (im Jahr 1821 nach Eisleben) nicht aus seiner eigenen Feder stammt5, passt sie an dieser Stelle so gut, dass sie unbedingt wiedergegeben werden muss: „Kann man je einen ersten Eindruck vergessen? Und meine erste Reise war ein solches Erlebnis. Mir ist, als könnte ich mir, bis auf die traurige Physiognomie der armen mageren Pferde, die den rüttelnden Postwagen zogen, alles wieder lebendig vorstellen, – und dann, eine damalige Postkutsche! Die Pferde wurden auf einer Station gewechselt, ich habe jetzt den Namen vergessen; die Passagiere waren ausgestiegen; ich stand auf der Straße vor dem Posthaus und verzehrte ein Butterbrot, welches die gute Mutter mir mitgegeben; und als die todmüden Pferde weggeführt wurden, wunderte sich der Postillon, dass ich sie küsste und ihnen dankte, dass sie mich so weit gebracht.“ Außer sich vor Wut konnte Wagner geraten, wenn ein Tier vorsätzlich gequält wurde, bedenkenlos ging er auf die Peiniger los. „Einer seiner ersten Eindrücke menschlicher Grausamkeit“, so Glasenapp, „war ein zufälliger Besuch eines Schlachthauses in Begleitung mehrerer Mitschüler. Es sollte ein Stier gefällt werden, der Schlächter stand da mit aufgehobenem Beil, welches mit einem dröhnenden Schlage auf das Haupt des gebundenen Tieres fiel, das einen dumpfen, tiefen Klageton ausstieß. Richard wurde totenbleich und wäre in toller Wut auf den Schlächter eingedrungen, hätten ihn nicht seine Mitschüler mit Gewalt weggeführt. Er konnte lange nach diesem Vorfall kein Fleisch essen.“ Den Hundeliebhaber berührte es natürlich besonders, wenn Vierbeiner zu leiden hatten. An einen Vorfall dieser Art anknüpfend, reflektiert Wagner in „Mein Leben“ diesen besonderen Zug seines Charakters und schreibt sich zugleich eine frühe Schuld des 20-Jährigen von der Seele. Sein Mitleid mit dem Opfer „einer wahrhaft schmählichen Tat“ ist auch nach über zwei Jahrzehnten deutlich spürbar: In einem Biergarten, der den bezeichnenden Namen „Letzter Hieb“ trug, ließ er sich dazu hinreißen, tatkräftig bei einer Prügelei mitzumischen, in deren Verlauf er einem anderen auf den Kopf schlug – dieser „traurigen Erinnerung“ meint Wagner nur eine einzige andere aus seiner „allerfrühesten Kna-
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benzeit zur Seite stellen“ zu können, „welche sich an den schrecklichen Eindruck heftet“, den das mühselige Ertränken junger Hunde in einem flachen Teich am Hause seines Onkels in Eisleben auf ihn hinterlassen habe: „Da mich im Gegenteil stets ein fast überzärtliches Mitgefühl mit dem Schmerz andrer, und namentlich auch der Tiere, von je oft in große Verlegenheit trieb und mich im jüngsten Alter wiederholt mit einer sonderbaren Anwandlung von plötzlichem Lebensekel erfüllte, sind mir die bezeichneten Erinnerungen an jene übermütigen oder gedankenlosen Handlungen desto lebhafter verblieben.“ Diesen Lebensekel dürfte Wagner auch am 7. Februar 1870 empfunden haben, als Cosima in ihrem Tagebuch notierte: „Wir fahren zur Stadt, dort bitte ich R. mich beim Photographen abzuholen – wie er kommt, sieht er ganz verstört aus. Als ich ihn abends nach der Ursache frage, erzählt er mir, er habe unterwegs einen verwundeten jämmerlichen Hund gesehen; dieser Anblick und vor allem die Unfähigkeit zu helfen, habe ihn elend gemacht; da sei ihm der Gedanke Goethe’s, seinen W. Meister Wundarzt werden zu lassen, plötzlich in seiner göttlichen Größe erschienen; ‚ein Metier muss ein jeder haben, neben der idealen Richtung, kein schöneres, menschlicheres kann es geben als das des Wundarztes.‘“ Ein ähnliches Ereignis, das sich fast auf den Tag genau zwei Jahre später ereignete, veranlasst Wagner, bemerkenswerte Gedanken über das menschliche Mitleid anzustellen: „Nachmittags gehe ich mit R. aus, auf dem Quai erleben wir es, dass ein armer Hund niedergefahren wird; ein Schrei, ein Zusammenkauern, dann ein rasendes Schnellen in die Luft und ein Zurückfallen, um dann bei Seite weggeworfen zu werden. ‚So ist es Fitzo ergangen‘, ruft R. ‚Gewiss, es ist, als ob es uns gezeigt würde, auch er ist so hingeworfen worden wie ein alter Fetzen.‘ Da konnte ich nicht mehr schweigen und erzählte ihm, wie es Fitzo ergangen. Wir sind sehr trübgemut; ‚der Mensch soll gar nicht mitleidig sein‘, – sagt R. – ‚die Natur will es nicht, er soll grausam sein wie die Tiere; der mitleidige Mensch passt nicht in die Welt.‘ Ich meine, dass man das Mitleiden nicht aussprechen, nur betätigen müsse. R. ist sehr gedrückt, er kann diesen Sprung in die Luft des sterbenden Tieres nicht vergessen.“ Dass sein Mitleid Wagner auch zum Verhängnis werden konnte, zeigt die folgende Episode, die sich im Jahr 1862 in Biebrich ereignete, als er mit der Komposition der „Meistersinger“ beschäftigt war: Eine als Kettenhund gehaltene Bulldogge namens Leo, dessen „grausame Ver-
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nachlässigung von Seiten seines Herrn“ den Komponisten „zu fortgesetztem Mitleiden stimmte“, verletzte Wagner (unabsichtlich) am Daumen, als er ihn von seinem „Ungeziefer“ befreien wollte. „Volle vier Monate“ konnte er darauf wegen einer Entzündung der Knochenhaut nicht schreiben. Dennoch: Jeder leidenden Kreatur konnte Richard Wagners Mitleid gelten. Es ging so tief, dass es seine Stimmung erheblich beeinflusste. Bei der Alpen-Wanderung im Juli 1852 kam es zu einer schrecklichen Begegnung, als man auf fast bis zum Skelett abgemagerte Kuhherden stieß, die von der Klauenseuche befallen waren. „Ein lange währender höchst trauriger Anblick“, der Wagner so sehr mitnahm, dass er umkehren wollte. Denn wenn irgend möglich, mied Wagner Erlebnisse wie diese, floh vor ihnen wie vor Lärm und Gerüchen. „In ein Asyl gegen Straßenstaub und misshandelte Pferde“ habe er sich geflüchtet, schrieb er über einen Aufenthalt in Venedig, wo er gegen Ende seines Lebens jedoch erfahren musste, dass auch dort Tiere zu leiden haben. Cosima notierte: „Um die Mittagszeit gehen wir bei herrlichem Wetter etwas zu Fuß, treffen die Gondel an der Eisenbahnbrücke und fahren heraus, leider an dem Schlachthaus vorbei, wo wir das Stöhnen der Tiere vernehmen!“ In Palermo echauffierte Wagner sich unbändig über das Schießen von Singvögeln und das Sammeln von Schmetterlingen. „Unsere erste Tat ist die Rettung von Vögeln, denen man mit Lockern und Leim-Käfigen nachstellt“, schrieb Cosima am 6. November 1881 in ihr Tagebuch. Auch fasste Wagner den Entschluss, besser Italienisch zu lernen, nachdem er seinem Ärger über die Misshandlung eines Hundes durch einen Einheimischen nur unzulänglich Luft machen konnte. Dazu freundete er sich mit einem großen Uhu an, der ein trauriges Dasein in Gefangenschaft fristen musste. Wie sehr Wagner bei vorsätzlicher Tierquälerei in Rage geraten konnte, zeigt auch die folgende Episode bei der Abreise aus seiner Geburtsstadt Leipzig am 12. Januar 1873: „Wir werden fertig, 1 Uhr 30 sind wir auf dem Bahnhof, wo leider R. einen armen Fisch aus dem Korb einer Frau sich hinauswinden sieht, er geht zu ihr, sagt ihr, doch den Fisch um Gottes Willen töten zu lassen, stupid und herzlos antwortet sie, es dauere nicht lange bis zur nächsten Station; R. außer sich … Düstrer Beginn der Reise …“ Doch auch das Wohl kleinerer Wesen lag Wagner am Herzen. Eine
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Freundin des Komponisten, die den schönen Namen Malwida von Meysenbug trug, wusste ein unglaubliches Erlebnis zu berichten, das sich während des letzten Italienaufenthaltes nahe der Villa Angri in Neapel ereignete und der „Schwammerl-Anekdote“ Mahlers frappierend ähnelt: „Wir gingen eines Abends auf der großen Terrasse unter dem Portikus des Hauses auf und ab. Eine ungeheure Prozession von Millionen Ameisen zog quer über die Terrasse hin, wie ich sie in Italien öfter … gesehen hatte, wo sie ihre Wanderstraße von einem Berggipfel zum andern und mitten durch eine Kirche geführt hatten. Wir sprachen über ernste Lebensfragen; ich bemerkte dabei aber im Stillen mit Rührung, wie Wagner jedes Mal, wenn wir an die wandernden Scharen kamen, einen großen Schritt machte, um nur nicht eines der kleinen klugen Wesen zu zertreten.“ Wagners Mitleid gipfelt in einer geradezu unglaublichen Geschichte, deren Überlieferung wir ebenfalls Malwida von Meysenbugs Memoiren verdanken. Auch dieser Vorfall trug sich in der Villa Angri in Neapel zu, in deren Gärten Wagner „mit dem ihm zugehörigen Wesen allerlei Scherz und Neckerei trieb. So war es u. a. ein Lieblingsspiel, die Frucht eines Strauches, welche eine die Kerne enthaltende mit Luft gefüllte Kapsel ist, aufzudrücken, wobei ein kleiner Knall erfolgte, und er war so außerordentlich beweglich und behände, dass er meist den Kindern bei Erreichung dieser Kapseln zuvorkam. Eines Nachmittags aber traf ich ihn ganz bestürzt vor einem solchen Strauch stehend, weil bei dem Haschen nach den hochhängenden Kapseln es ihm begegnet war, einen der schönsten Zweige des Strauches zu knicken, der nun traurig, dem Sterben geweiht, herunterhing. Er, der gleich den Indern das göttliche Urprinzip so gut im Tier und in der Pflanze wie im Menschen erkannte, war tief betrübt, hier einen empfindenden Organismus zerstört zu haben, und schickte eine der Töchter, die bei ihm waren, ins Haus hinab, um Leinen zum Verband zu holen. Als sie damit zurückkehrte, verband er den geschädigten Zweig mit der Sorgfalt, wie er es bei einem Mensch oder Tier getan haben würde, in der Hoffnung, dass die Wunde sich schließen und der Ast wieder anwachsen würde.“ Die Freundin Wagners fügt nun bemerkenswerte Sätze über Wagners Persönlichkeit hinzu: „Nur wer solche kleine Züge mit stillem Verständnis betrachtete, konnte die Natur dieses außerordentlichen Menschen begreifen, in welcher sich kindische Heiterkeit, überströmendes Mitleid, gewaltige Leidenschaft, Forscherblick des allsehenden Intellek-
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tes, weltverachtende Ironie und tiefe Schmerzfähigkeit vereinigt fanden und welche daher auch einen alles umfassenden Kosmos aus sich erschaffen konnte“ – dessen Gipfel sicherlich der „Parsifal“ war. Seine Botschaft an die Menschheit waren nicht zuletzt die Lehren, Achtung für die Tiere zu empfinden und „durch Mitleid wissend“ zu werden. Sie hat sie bislang nicht verstanden.
Die Entgiftung des Lebens ‚Duett mit zwei obligaten Augengläsern‘ (Beethoven, WoO 32) Eines verloren Beethoven und Mahler selbst angesichts des eigenen Todes nicht: ihren Humor. Als zwei Verehrer des Komponisten, der Sänger Ludwig Cramolini und seine Braut, den schon sterbenskranken Beethoven besuchten, sorgten sie unfreiwillig für Heiterkeit. Nach seiner Bitte, ihm etwas vorzusingen, brachte der junge Mann keinen Ton heraus; zu überwältigt war er. Nachdem Anton Schindler dies Beethoven erklärt hatte, lachte der schallend und sagte: „Singen Sie nur, lieber Louis, ich höre ja leider nichts, ich will Sie nur singen sehen.“ Gustav Mahler machte sogar Scherze über seinen nahen Tod – sehr zum Leidwesen seiner Frau, die „mit Tränen in den Augen“ über Sätze wie diese lachen musste: „Wenn ich abkratze, dann bist du jetzt eine gute Partie, jung bist du, schön bist du, also wen werden wir heiraten?“ Vielleicht war ihr Humor für beide Komponisten am Ende die einzige Waffe, die sie gegen die Übermacht des Todes aufbieten konnten, der seine Schatten ein Leben lang über ihr Dasein geworfen hatte. Doch diese Waffe blieb stumpf, als der über alles geliebte Richard Wagner starb und Gustav Mahler seiner Trauer freien Lauf ließ. Dem ungarischen Sänger Jacques Manheit, der unter dem Dirigenten zu jener Zeit arbeitete, verdanken wir den folgenden Bericht: Kurz vor Wagners Todestag hatte Mahler ihm erzählt, dass es seinem Vater sehr schlecht gehe. Als Manheit ihn dann am 13. Februar 1883 auf der Straße laut schluchzend, mit dem Taschentuch vor den Augen traf, wollte er schon zum Verlust des Vaters kondolieren; aber Mahler weinte: Nein, nein, der Vater lebe, viel Schlimmeres sei passiert – Wagner ist gestorben. Für die nächsten Tage blieb er unansprechbar. Auch er hatte einen Wunsch seines großen Idols nicht erfüllen können – von dem er ohnehin nichts wissen konnte. „Das wäre mein größter Triumph, wenn ich Euch alle noch in meiner Todesstunde zum Lachen brächte“, hatte Richard Wagner nämlich kurz
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vor seinem 67. Geburtstag zu einigen Freunden gesagt. Zu seinen Lebzeiten hatte er es oft genug geschafft.
„Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer“ In seinem Humor zeigte sich deutlich die Herkunft Beethovens – der nun einmal Rheinländer war. Sein Biograph Maynard Solomon schreibt über ihn: „Unter Freunden konnte er … ‚drollig‘, aufgeweckt, zuweilen sogar schwatzhaft sein … ‚Ist er einmal in Bewegung gesetzt, derbschlagende Witzworte, possierliche Einfälle, überraschende, aufregende Kombinationen und Paradoxien ihm immerfort zuströmen.‘ Diese Berichte beziehen sich auf spätere Jahre, doch Czerny bestätigt, dass er auch früher … ‚immer gut aufgelegt, mutwillig, witzig, voll von Spott‘ gewesen sei. Sein Briefwechsel mit gewissen Freunden sprüht vor übersteigerten Metaphern, vor Satire, überschäumendem Witz und mitunter unflätigen Wortspielen.“ Recht bekannt ist folgende Geschichte: Nachdem sein Bruder Johann, der Apotheker, später zu einigem Wohlstand gelangt war und sich ein eigenes Landgut zulegt hatte, fügt er seiner Unterschrift stolz die Bezeichnung „Gutsbesitzer“ an. Als Beethoven einen so unterzeichneten Neujahrsgruß von ihm erhielt, unterschrieb er seine Antwort mit „Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer“. In diesen Zusammenhang passt auch, dass der Komponist seine berühmte „Kreutzer“-Sonate, die er für den mulattischen Violinisten Bridgetower geschrieben hatte, zunächst „Sonata mulattica“ nannte. Sicherlich stieß er einigen seiner Mitmenschen mit so manchem Scherz vor den Kopf; so gewiss einem jungen Pianisten, der mit hoher Meinung von seinem eigenen Können zu Beethoven kam, um Schüler des Meisters zu werden. Nachdem er vorgespielt hatte, sagte dieser jedoch zu ihm: „Sie müssen noch sehr lange spielen, bis Sie einsehen, dass Sie nichts können.“ Der Pianist und Komponist Anton Halm dürfte ihm weniger verübelt haben, dass in seiner Gegenwart auf eine seiner Partituren vor den Verfassernamen „Stroh“ geschrieben wurde, mehr wohl Beethovens Bemerkung bezüglich seines Klavierspiels: „Nicht jeder Halm gibt Ähren.“ Auch engste Freunde blieben von solchen Späßen nicht verschont. Vor allem der Geiger Ignaz Schuppanzigh, der ein Leben lang zu den engsten Vertrauten gehörte, hatte sehr darunter zu leiden. Wegen seiner
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Leibesfülle war er häufig Zielscheibe von Beethovens Scherzen, wurde mit unzähligen, mehr oder weniger geschmackvollen Spitznamen bedacht. Eigens für Schuppanzigh entstand ein kleines Musikstück mit dem Titel „Lob auf den Dicken“ (WoO 100) …
Gustav Mahler, Geheimrad „Es kommt viel Lachen vor in meiner Vierten“, sagte Gustav Mahler zu Natalie, nannte Beethoven „den Vater und wahren Begründer des Humors“ und erklärte der Freundin: „In seiner C-Dur-Symphonie und der ‚Pastorale‘ : welcher Humor ist darin! Den haben sie ihm auch schlecht verstanden, ja so übel genommen, dass gerade diese Werke am schwersten Eingang fanden. Haydn und Mozart haben zwar Witz und Heiterkeit, aber noch nicht Humor.“ Lebenswichtig war dieser für Mahler, der darin Beethoven in nichts nachstand, er verhalf ihm nach Ansicht Bruno Walters „zu zeitweiliger Befreiung“. Er selbst sagte oft, dass er „ohne die Entgiftung des Lebens“ durch den Humor „der Tragik der menschlichen Existenz nicht hätte standhalten können“. Vom schärfsten Spotte bis zur Kindlichkeit soll der Humor Mahlers gereicht haben. So erzählte Walter, der sich an gemeinsames Vierhändigspielen am Klavier erinnerte: „Für manche Marschmelodien erfand er Texte, die er beim Spielen sang; so kindlich heiteren Späßen war er sehr zugetan, war auch ein Freund witziger Apercus im Gespräch, in denen er oft die drolligsten Einfälle produzierte …“ Ein anderer Bekannter berichtete, dass man sich vor Lachen kaum hätte halten können, wenn Mahler bei bester Laune bekannte Dirigenten und Komponisten nachahmte, weil er dabei weder vor den stärksten Ausdrücken noch vor groteskesten mimischen Hilfsmitteln zurückschreckte. Wenn Mahler Freunden aus „Don Quixote“ vorlas, einem seiner Lieblingsbücher, kam es vor, dass er vor Lachen unterbrechen musste. Dann putzte er sich die von Tränen benetzte Brille, und das rechte Bein führte ein tänzerisches Eigenleben – wie ein Eber soll er auf den Boden getrampelt haben. „So etwas von einem naiven, herzlichen, homerisch-dröhnenden Gelächter kann man sich nicht vorstellen“, berichtete Bauer-Lechner. „Oft, wenn ich ihn aus dem Nebenzimmer oder sonst, ohne zu wissen worüber, lachen höre, muss ich selbst laut mit-
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lachen, so überzeugend und ansteckend sind seine Lachsalven.“ Das müsse bei ihm schon in der Kindheit so gewesen sein, vermutet die Freundin, die auch die Kindheits-Geschichte dieses Lieblingsbuches erzählen kann: „Denn eines Tages, als sich der kleine Gustav den Finger schwer verletzt hatte, dass er stundenlang schrie und durch nichts zu beruhigen war, brachte ihm sein Vater den ‚Don Quixote‘ zum Lesen. Und plötzlich hörten die Eltern Gustav in seinem Stübel so ungeheuer lachen, dass sie meinten, er habe den Verstand verloren, und bestürzt zu ihm liefen. Ihn aber hatten nur die Abenteuer des Don Quixote so aus dem Häuschen gebracht, dass ihm seine wirklich heftigen Schmerzen darüber verschwunden waren.“ Was Mahler allerdings verabscheute, waren obszöne und Juden-Witze. Wurden solche dennoch in seiner Gegenwart erzählt, konnte er bis zur Schroffheit eisig ablehnend werden. Er selbst neigte zu schnellen humoristischen Querschüssen, bedachte aber nicht immer, ob er damit jemanden verletzen würde. Anna von Mildenburg – eine, wie wir noch sehen werden, sehr enge Bekannte, berichtete: „Wie viele hat er durch seinen arglosen Humor verletzt! Er legte, wie Menschen mit Humor so oft, nicht immer jedes Wort auf die Waagschale, dachte auch meistens im nächsten Augenblicke gar nicht mehr an den Einzelnen, der irgendwie seinen Humor geweckt hatte … Es war kein Allerweltshumor, er gefiel sich nicht in billigen Anzüglichkeiten, und so konnte sich keine Gemeinsamkeit mit den anderen herstellen … Und sie sahen gekränkt und verstimmt drein, witterten hinter seinen Worten immer einen persönlichen Angriff, und das merkte er, musste nun wirklich lachen über ihre verdüsterten, misstrauischen, ablehnenden Mienen, und nun waren sie dann erst recht beleidigt.“ Ein Beispiel für den Sprachwitz Mahlers liefert ein Brief vom Mai 1895, den er an den Freund Wilhelm Zinne über seine ersten Erfahrungen mit dem Fahrrad schrieb (Mahler war einer der ersten Radfahrer in Hamburg, ein Pionier der gerade erst aufkommenden Fortbewegungsart): „Ich errege allgemeine Bewunderung auf meinem Rad. Ich scheine wirklich für das Rad geboren zu sein und werde bestimmt noch einmal zum Geheimrad ernannt werden …“, heißt es dort. „Viehharmoniker“ nannte er in einem Brief an seine Schwester Justine die Wiener Philharmoniker, und als Natalie Bauer-Lechner ihn eines Tages fragte, wie man komponiere, lautete die Antwort Mahlers: „Gott, wie kann man so etwas fragen, Natalie! Weißt du, wie man eine Trom-
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pete macht? Man nimmt ein Loch und schlägt Blech drum herum; so ungefähr ist es mit dem Komponieren.“ Den Anlass zu Heiterkeit setzte Mahler auch ungewollt oft selbst; wie bei dem Abschied auf dem Bahnsteig und auch am Ende der bereits angesprochenen Anekdote, als er mit dem Stück Käse am Knopfloch in das Zimmer seiner Frau gestürmt kam: „Er erregte unbändige Heiterkeit, war erst böse und ungern davon zu überzeugen, dass er selbst Urheber des Ganzen sei, und lachte dann hell auf“, erinnerte sich Alma, der wir auch die folgenden, für Mahler durchaus charakteristischen Geschichten verdanken: „Mahler ging immer barhäuptig, den Hut in der Hand, den Kopf nach vorne stechend, dazu hatte er diesen merkwürdigen Gang, dieses unrhythmische, stolpernde, taktwechselnde Vorwärtsstürmen; war immer, und zwar selbst mit den teursten Gewändern schäbig angezogen, kurz, die Schuljugend folgte uns, erst wenige, dann in dichter Menge. Ein Bub näherte sich, unter dem Gebrüll der andern. ‚Herr, Sie haben Ihren Hut verloren!‘ – Verstärktes Gebrüll. Richtig! Mahler hatte seinen Hut in der Konditorei vergessen. Auch das noch. Wir mussten zurück, dort lag er. Die Buben stürzten nach, wir flohen gehetzt über die Straßen, in ein kleines elendes Hotel. Das Hotel! Oben erwarteten uns Rosés; gemeinsam gossen wir Wasser hinab, bis unsere Peiniger sich entfernten.“ Auch beim Zahnarzt war für gute Stimmung gesorgt, wenn der Komponist als Patient in die Praxis kam: „Mahler hatte Zahnschmerzen, aber er wusste nicht, welcher Zahn ihm weh tue. Ich hatte den Zahn bald gefunden. Ich blieb im Wartezimmer des Zahnarztes, das sehr voll war. Plötzlich riss Mahler die Türe auf und rief: ‚Du Alma, welcher Zahn tut mir eigentlich weh?‘ Gelächter der Umhersitzenden. Erstaunen Mahlers.“
Richard Wagner, Oberkirchenrat Wagners Humor erscheint wie eine gelungene Mischung aus Beethovens und Mahlers. Dessen Worte von der „Entgiftung des Lebens“ durch den Humor klingen bei ihm so: „Das ist meine Rettung, dass mir die Fähigkeit gegeben war, aus dem Ernstesten heraus augenblicklich in den befreienden Unsinn umzuschlagen, so konnte ich mich von je an dem Abgrunde erhalten.“
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Eine ausgeprägte Selbstironie pflegte Wagner zeitlebens. Sie offenbart sich auf das Allerliebste in diesem Gedicht aus seiner Feder: Im wunderschönen Monat Mai kroch Richard Wagner aus dem Ei; ihm wünschen Alle, die ihn lieben, er wäre lieber drin geblieben. Diese Fähigkeit, die eigene Person nicht zu ernst zu nehmen, verließ Wagner sogar dann nicht, als er an einem verregneten Karfreitag des Jahres 1864 deprimiert ans Sterben dachte und – so wörtlich – eine „humoristische Grabinschrift“ für sich selbst verfasste: Hier liegt Wagner, der nichts geworden, nicht einmal Ritter vom lumpigsten Orden, nicht einen Hund hinterm Ofen entlockt’ er, Universitäten nicht mal ’nen Dokter. Friedrich Nietzsche, der eine Zeit lang mit Wagner befreundet war, verübelte ihm besonders diese Eigenschaft: dass er selbst mit so ernsten Dingen wie dem Tod drastische Späße trieb und auch mal gern mit „Oberkirchenrat“ unterschrieb. Noch mehr als seinen Galgenhumor hätte Nietzsche ihm sicherlich die Worte verübelt, die am 25. Dezember 1871 – Cosimas Geburtstag – im Haus Tribschen fielen. Bis zu diesem Tag hatten die Wagners nicht zu denken gewagt, dass der als Philosoph bekannte Freund Friedrich im Geheimen auch mit großem Eifer komponierte; leider war er mehr ein Mann der Worte als der Noten, was er selbst jedoch nicht erkannte. Nietzsche war nämlich auf die verwegene Idee verfallen, Cosima und Richard mit einer eigenen ambitionierten Klavierkomposition zu imponieren, die einen viel versprechenden Titel trug: „Nachklänge einer Sylvesternacht mit Prozessionslied, Bauerntanz und Glockengeläute“. Wie sehr er selbst von diesem Werk überzeugt war, zeigt allein die Tatsache, dass er es auf den Tag genau ein Jahr, nachdem Wagner für seine Frau das „Siegfried-Idyll“ hatte aufführen lassen, in das bis dahin friedliche Haus Tribschen sandte … Nietzsches Glück, dass er bei der Aufführung durch die damit Geehrte nicht zugegen war: Cosima spielte die Komposition 20 Minuten auf dem Klavier und konnte sich das Lachen nicht
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verkneifen, Wagner verließ das Musikzimmer und sagte draußen in Sicherheit zu dem befreundeten Dirigenten Hans Richter, frei nach Schillers Tyrannenmord-Ballade: „Da verkehrt man nun schon seit anderthalb Jahren mit dem Menschen, ohne dergleichen zu ahnen. Und nun kommt er so meuchlings, die Partitur im Gewande.“ Sein Humor hielt ihn wohl auch von „dem Abgrunde“ ab, als Wagner im Jahr 1850 in Paris der Verzweiflung noch viel näher war. In einer köstlichen Anekdote klingen noch einmal seine besondere Tierliebe und auch sein Mitleid an, das hier einem selbstlosen Hahn zuteilwird. Dieser rührte den Komponisten durch „seine aufopfernde Enthaltsamkeit“, da er die Brotkrumen, die der in einem Weingarten sitzende Wagner einer um ihn versammelten Hühnerschar zuwarf, seinen weiblichen Artgenossen überließ. Bald darauf jedoch brach das „flatternde Chaos“ aus, als Hühner (und Hahn) sich auch über die Speisen ihres Spenders hermachten, in dem dies „seit lange zum ersten Male wieder eine große Heiterkeit“ auslöste. „Laut lachen“ musste Wagner und warf einen Blick auf das Wirtshausschild: „Da sah ich denn auch, dass mein Gastgeber Homo hieß. Das war mir denn nun ein Schicksalswink: um jeden Preis musste ich hier mein Unterkommen suchen …“ – um an diesem Ort am „Lohengrin“ zu arbeiten. Einen zu dem Zeitpunkt dieser Anekdote fast 40 Jahre alten Komponisten, dessen Werke nicht gerade leicht und heiter zu nennen sind, bringt eine Hühner-Schar zum Lachen, erscheint der Name „Homo“ als Wink des Schicksals … Was soll man dazu sagen? Diese Kindlichkeit des Humors hatte auch den „alten“ Wagner nicht verlassen, als er den befreundeten Bildhauer Gustav Adolph Kietz damit beauftragte, Marmorbüsten von sich und Cosima zu modellieren. Während seine Ehefrau bewegungslos Modell saß, brachte der 70-Jährige den Bildhauer zur Verzweiflung. Er schnitt Grimassen, zog mit den Fingern die Mundwinkel auseinander, sprang mitunter auf und davon, um mit den Kindern zu spielen, kroch auch mal auf allen Vieren durch die Halle, damit sein Sohn Siegfried auf ihm reiten konnte … Selbst bei den nicht unproblematischen Proben zu den ersten Bayreuther Festspielen konnte Wagner zwei Jahre später es „nicht unterlassen, schlechte und gute Witze zu reißen“ – wie sich der Regisseur Richard Fricke erinnerte. Auch kletterte er so halsbrecherisch auf den Bühnenbildern herum, dass ein Darsteller schrie: „Gerechter Himmel, wenn er fällt, ist alles aus“. Sicher sah er lieber, wenn Wagner sich damit begnügte, zum Spaß in
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die verschiedensten Bühnenklamotten zu schlüpfen. Als die Proben einmal bis Mitternacht dauerten, schreckte er nicht davor zurück, mit Bärenfell, Helm und Spieß aufzutauchen, um das Nachtwächterlied zu singen: „Hört ihr Leute, lasst euch sagen, unsre Uhr hat zwölf geschlagen.“ Dass diese – doch sehr an einen sehr jungen Menschen erinnernde – Paarung von eigenwilligem Humor und körperlicher Beweglichkeit bis ins Alter erhalten blieb, unterstreicht folgender Tagebucheintrag Cosimas vom 6. Oktober 1882: „Trotz des üblen Wetters, welches es ihm antut, ist R. aber doch heiter. Er macht beim Abend-Tisch Geisterklopferei, und plötzlich schlägt er, zu unserer aller Erstaunen, sitzend mit dem rechten Fuß auf den Tisch, klopft, eine Agilität, welche ihm gewiss keiner nachmacht.“ Zumindest Wagners Tochter Isolde, genannt Loldchen oder Loldi, scheint in dieser Hinsicht eine Wesensverwandte gewesen zu sein, denn weiter heißt es: „Er lacht über diese vielen Mädel, die er habe; von Loldi sagt er mir, der Instinkt verbinde sie mit ihm, wenn sie noch so fern säße, sie lache über den Witz, den er mache, den keiner sonst beachte.“ Das Kind hätte ganz sicher auch die – zu diesem Zeitpunkt fast ein Vierteljahrhundert alte – Geschichte komisch gefunden, warum sein Vater bei seiner ersten Ankunft in Venedig barhäuptig war: In Begleitung seines Freundes Karl Ritter hatte er die Lagunenstadt bei Sonnenuntergang auftauchen sehen. Ein wohl unvergesslicher Augenblick, der umso nachhaltiger in Erinnerung blieb, da der begeisterte Ritter seinen Hut durch eine ungeschickte Bewegung in die Luft warf und Wagner – der die Geste als Freudenausbruch missdeutete – gleichzog. Ohne Kopfbedeckung ging es daher für die beiden Neuankömmlinge in der Gondel den Canal Grande hinauf. Im Nachhinein wird Wagner wohl auch über ein peinliches Ereignis aus dem Jahre 1862 gelacht haben, als er sich mit der Eisenbahn auf dem Weg nach Leipzig befand und unfreiwillig längeren Aufenthalt in Eisenach nehmen musste. Sein Zug, den er kurzfristig verlassen hatte, fuhr ihm davon, und begleitet von dem lauten Lachen einiger Passanten war er vergeblich hinterhergelaufen. Doch unfreiwillig komisch wie hier war Richard Wagner eher selten, ganz im Gegenteil zu Beethoven und Mahler, an deren „Wiegen keine Grazien“ gestanden haben …
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Ein Hausierer namens Beethoven Immer wieder beschrieben Zeitgenossen die Ungeschicklichkeit des „Titanen“, der „von einer ihm eigentümlichen Unbeholfenheit“ war – jedenfalls in der Erinnerung Gerhard von Breunings, Sohn des Jugendfreundes Stephan. Er erwähnte Beethovens „mehr plumpe Finger“, die „wenig geeignet“ gewesen seien, Bleistifte zu spitzen, „ohne sie halb zu brechen“, und vermutete, dies habe die „Veranlassung gegeben“, dass „er es liebte, Bleistifte dicken Kalibers, ähnlich jenen, wie sie die Zimmerleute zu gebrauchen pflegen, sich anzuschaffen“. Generell tat man gut daran, dem Komponisten keine allzu kostbaren Gegenstände in die Hände zu drücken; denn nicht nur zerschmiss er das eine oder andere vor Wut, manches entglitt ihm ganz einfach – und ging kaputt; sicher zur geringen Freude des Besitzers. Mehr Anlass zur Heiterkeit gab Beethovens Erscheinung, wenn er auf den Straßen Wiens unterwegs war. Zusehends unwichtig schien dem Komponisten, in jungen Jahren noch „nach der Mode gekleidet“, sein Äußeres, das Gerhard von Breuning zufolge „etwas ungewöhnlich Auffälliges“ an sich hatte. Nicht nur sein Neffe schämte sich daher, ihn „seines narrenhaften Aussehens wegen“ zu begleiten, zumal „die meisten der ihm Begegnenden sich nach ihm umwandten, die Straßenjungen wohl auch ihre Glossen über ihn machten und ihm nachriefen“. Neben der „Frisur“, der Beethovens „letztes Augenmerk“ galt (wie er in einem Brief selbst zugab), dürfte sein Filzhut Gegenstand ihres Spottes gewesen sein, war dieser doch aufgrund nachlässigen Umgangs arg in Mitleidenschaft gezogen. Wer will es den Wiener Ordnungshütern verdenken, dass der Komponist im Jahr 1821 das Opfer einer peinlichen Verwechslung wurde? Sie nahmen einen vermeintlichen Hausierer fest, der sich nicht ausweisen konnte und obendrein behauptete, Ludwig van Beethoven zu sein … Erst nach einer Nacht in Polizei-Gewahrsam gelang es, das Missverständnis aufzuklären und den vermeintlichen Stadtstreicher im Magistratswagen nach Hause zu kutschieren. Ob man den berühmten Mann an diesem Morgen bis in seine Wohnung geleitete, ist nicht bekannt. Sollte dies jedoch der Fall gewesen sein, dann hatten die Männer ganz sicher eine Menge zu erzählen. Denn nicht nur der Frisur galt des Komponisten „letztes Augenmerk“ … Die meisten Besucher des Komponisten machten die wertvolle Er-
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fahrung, dass Schönes durchaus in Unschönem entstehen kann. Vor allem die „Geburtszimmer“ der späteren Werke Beethovens sollen in so verwahrlostem Zustand gewesen sein, dass sie umgeben von verstaubten Möbeln und zerbrochenem, mit Essensresten bedecktem Geschirr das Licht der Welt erblickten. Man hört es ihnen nicht an.
Struwwelpeter Während Wagner einem Zug vergeblich hinterherlaufen musste, widerfuhr Gustav Mahler ein noch größeres Missgeschick auf einem Bahnsteig. Doch lassen wir ihn selbst erzählen: „Etwas Komisches geschah mir einmal an einem … Probentag. Ich kam knapp vor Ankunft des Zuges auf die Bahn, sprang in den Waggon und – nachdem ich vielleicht eine Stunde sitze und vor mich hinträume, entdecke ich, dass ich gar nicht fahre, sondern aus Versehen in einen ausrangierten Wagen gesprungen bin, in dem ich bis morgen auf Minden hätte warten können. Das Unglück war geschehen …“ – und sollte nicht das einzige im Leben des Gustav Mahler gewesen sein … Die Zeugnisse für die Zerstreutheit des Komponisten, die BauerLechner zufolge „sprichwörtlich“ war, sind vielfältig und man gewinnt den Eindruck, als hätte er seinem Vorbild Beethoven nachgeeifert. Er übertraf ihn jedenfalls in dieser Hinsicht um Längen. Als junger Mensch soll er einmal in Gesellschaft beim Kaffee statt des Löffels die Zigarette in die Tasse gesteckt und damit umgerührt haben, um anschließend in dem Irrglauben, er habe Rauch im Mund, den Kaffee über den Tisch der Hausfrau ins Gesicht zu blasen. „Derlei Geschehnisse weiß man unzählige von ihm“, berichtete Bauer-Lechner. Ein Konservatoriumskollege Mahlers namens Winkler habe ihr einst erzählt, Mahler sei nach der Probe einer Klaviersonate aus dem Musikverein – und zwar im Winter – „so vertieft in Gedanken weggerannt, dass er Mantel, Stock und Hut vergaß; ja auf der Ringstraße verlor er selbst die Hälfte der Noten, die zum Glück die ihm folgenden Kollegen fanden und nebst den Kleidungsstücken ihm nachtrugen“. Auch habe – laut Bauer-Lechner – „die Nettigkeit und Akkuratesse seiner Kleidung“ zu wünschen übrig gelassen: „Immer stehen ihm die Strupfen seiner Stiefel vor oder hängt ihm ein Bandel heraus. Wenn er morgens das Haus unkontrolliert verlässt, hat er oft noch am Mittag die weißen Spuren des Zahnpulvers oder der
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Seife vom Rasieren auf Mund und Wangen. Manchmal geschieht es sogar, dass er sich zu kämmen vergisst und wie ein Struwwelpeter den ganzen Tag herumläuft – allerdings nur auf Reisen, denn zu Hause wäscht er sich täglich vom Kopf bis zu den Füßen, inklusive seinen Schopf.“ Doch scheinbar galt auch Mahler der Frisur sein „letztes Augenmerk“. Sein vernachlässigtes Äußeres wurde ihm – wie Beethoven – eines Tages beinahe zum Verhängnis. Bauer-Lechner hielt ein denkwürdiges Ereignis fest: „Heute wurde Mahler auf der Landstraße von einem Gendarmen angehalten: ‚Kamerad, wo geht die Reise hin?‘ So vagabundenmäßig kam ihm Mahler offenbar vor mit seinem schwarzen Bartstoppelgesicht, dem offenen Hemd, natürlich ohne Rock darüber, und den unqualifizierbaren langen Beinkleidern, ohne Hosenträger oder Gurt. Erst als Mahler antwortete, er wohne hier, schien der Mann an dessen Sprache seinen Irrtum zu erkennen und entließ ihn in Gnaden, ohne Visitation und ohne ihn – einzustecken.“ Auch hinsichtlich des Zustandes seiner Wohnstätte scheint Beethoven das große Vorbild gewesen zu sein. Bauer-Lechner zufolge sah sie aus, „als hätte der Feind dort gehaust: das Bett in der zerstörtesten Verfassung, Polster und Decke auf der Erde, das Leintuch zusammengeballt in irgendeiner Bettdecke. Kamm, Zahnbürste, Handtücher und Seife im Zimmer oder auf dem Bett herumgestreut; Kuverts und Papierschnitzel im Waschbecken, das Nachthemd und abgelegte Wäsche an allen Ecken und Enden des Zimmers auf dem Boden.“ Auch sein Biograph Jens Malte Fischer, der glaubt, „in einer so abgrundtiefen Verwirrtheit die Kompensation und die Bedingung für eine ebenso tiefe Konzentration zu erkennen“, weiß so einiges zu berichten: „In seinem Stammlokal aß Mahler mittags an einer größeren Table d’hote. Einmal ging als Nachtisch eine große Kompottschüssel herum. Als die Reihe an ihm war, füllte sich Mahler den Teller, leckte den großen Kompottlöffel genüsslich ab und ließ ihn wieder in die Nachspeise gleiten – nicht aus Unerzogenheit, sondern aus reiner Gedankenlosigkeit“. Einige Jahre später erzählten zwei Zeugen, unter ihnen der Komponist Karl Goldmark, Pfohl eine ganz ähnliche Geschichte nach dem Motto „Stellen Sie sich vor, was uns mit Mahler passiert ist, als er einmal zu einem großen Essen bei uns eingeladen war“ – Pfohl konnte antworten: „Ich weiß, er hat den Kompottlöffel abgeleckt“. Vergleichbares erzählt Bruno Walter: Bei einer Bühnenprobe mit Orchester in Hamburg benötigte der Regisseur einige Zeit, auf der Bühne dies und das zu ar-
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rangieren, und das Orchester hatte zu pausieren. Mahler verharrte am Pult, verfiel in Gedanken und hörte die Zurufe von der Bühne nicht, dass es jetzt weitergehen könne. Stille breitete sich aus, durch die Mahler aufgeschreckt wurde. Er klopfte mit dem Taktstock ans Pult und rief „Zahlen“. (Hiermit übertrifft er sogar Ludwig van Beethoven, der einer Anekdote zufolge ebenfalls – ohne etwas gegessen zu haben – „Zahlen“ gerufen haben soll … Doch im Gegensatz zu Mahler befand er sich zumindest am richtigen Ort: einem Gasthof.) Alma vermutete, dass so manches Malheur ihres Gatten nicht auf seine Ungeschicklichkeit, sondern eher auf das Verträumte seines Wesens zurückzuführen sei. Doch darf man nicht erwarten, dass ein Mann zumindest dann bei der Sache ist, wenn er mit seiner Gemahlin vor dem Traualtar steht? Diese berichtet: „Als es zum Niederknien kam, übersah Mahler den Betschemel und sank auf die Steinfliesen; er war ganz klein, musste aufstehen und sich neuerdings niederlassen. Wir alle lächelten, der Pfarrer auch.“ Und ganz sicher war Gustav Mahler nicht verträumt und mit seinen Gedanken woanders, als er über ein Jahr zuvor mit Alma anbändelte und mit Schmetterlingen im Bauch mit ihr spazieren ging: „Wir gingen durch den knirschenden Schnee, Seite an Seite – fremd und nah – hinunter nach Döbling … Alle paar Minuten gingen ihm seine Schuhbänder auf und er wählte die höchsten Standorte, um den Fuß hinaufzusetzen und das Band zu binden. Ich fand seine kindliche Unbeholfenheit rührend.“ „Doch nie lass ich mehr mich zum Bahnhof begleiten“: So lautet der letzte Vers eines Gedichtes, das Mahler „Im faden Coupe“ für Alma schrieb, nachdem seine Frau ihn zum Zug nach München gebracht hatte. „Allerhand Ungemach“ sei ihm auf dem Bahnhof passiert, „das allenthalben Gelächter hervorrief“. An den im Poem geschilderten kleinen Unglücken lässt sich ablesen, dass Mahler der Abschied von Alma und die bevorstehende Abreise augenscheinlich nervlich extrem zusetzte. Unter anderem verlor oder vergaß er den Hut. Hier das (gekürzte) Gedicht: Erst kollert der tückische Hut zur Erde, drob lächeln die Öbstler, die Hausknecht, die Pferde! O Schmach! Mein Liebchen sucht einsamste Orte, zu fliehen der Menschheit böse Cohorte. Doch, o! welcher Schrecken, fast ungezügelt –
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der Strupfen verkehrt, das Gewand verbügelt! Fast stürzen die Thränen in wilden Cascaden – der Schmerz wird erhaben – ich schuldbeladen! Was thun? O fort zu den letzten Waggonen, wo die Schützer des Staates gewaltig thronen. Da kommt ein Mann: ‚Hab’n S’ dös da verlor’n?‘ Gewaltig Gelächter der Helden mit Sporn! Der tückische Hut – er war’s, der Verruchte, den ein Wanderer fand, der ihn gar nicht suchte. Nicht jeder, der Augenzeuge der Ungeschicklichkeiten Mahlers werden durfte, lachte sicher „Thränen in wilden Cascaden“ – vor allem dann nicht, wenn eben diese in Form von Wasser auf einen selbst niedergingen. So geschehen der Frau eines Seidenfabrikanten in Krefeld, bei dem die Mahlers anlässlich der Uraufführung der dritten Sinfonie logierten. Alma erzählt: „Eine kleine heitere Episode gab es da: Das Haus war hoch, schmal, und wir wohnten im zweiten Stock. Mahler und ich kamen oben zur Stiege, zum Ausgehen bereit. Er blieb stehen, putzte sich die Brille, schritt mit seinem unruhigen Schritt aus, achtete nicht auf die Umgebung und stieß mit dem Fuß an einen großen Wassereimer, der am Rande der Treppe stand. Der Krug stürzte polternd die zwei Stockwerke herunter und das Wasser kaskadenhaft nach. Unten aber stand – die wir am wenigsten erwartet hatten – die Hausfrau. Sie schlug die Hände zusammen und rief: ‚Na, Herr Mahler, an Ihrer Wiege sind die Grazien gerade auch nicht gestanden!‘“ Doch nicht nur Unbeteiligte wurden Opfer der kleinen Missgeschicke der beiden Komponisten. Wenn Beethoven „oben“ über die Bediensteten schimpfte, die den Ofen kalt ließen, und man sich fragt, warum er – anstatt vor sich hin zu frieren – nicht selbst in Aktion trat, dann könnte die Lösung des Rätsels schlicht die sein, dass er seine fürs Klavierspiel und Notenschreiben so wichtigen Hände vor Schaden bewahren wollte. Von Mahler weiß man nämlich, dass er sich die seinen „fast täglich“ beim Versuch, in seinem Arbeitshaus in Maiernigg Feuer zu machen, verbrannte; besser erging es ihm übrigens auch nicht beim Milchaufwärmen: Regelmäßig trug er kleinere Brandwunden davon … Da diese unangenehme Prozedur der überaus ernsten Arbeit an seinen Sinfonien vorausging, kann man davon ausgehen, dass ihm dabei
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nicht zum Lachen zumute war und er einen seiner berüchtigten Tobsuchtsanfälle bekam; eine Disziplin, in der er, Beethoven und Wagner äußerst geübt waren.
Wenn Tenöre zweimal klopfen und lila Lippen plappern … Wonne der Wehmut (Beethoven, Lied op. 83/1)
„Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ Beethovens Ruf, ein Choleriker ersten Ranges zu sein, kam nicht von ungefähr. Zu viele Geschichten gab es hinter vorgehaltener Hand über ihn zu erzählen. Von Glück sagen konnte beispielsweise ein Sänger, dass er außer Reichweite war. Er hatte Beethoven bis zur Weißglut gebracht und trug – dessen Überzeugung nach – sogar die Mitschuld an seiner Ertaubung. Da der Komponist dieses Erlebnis selbst erzählte, ist an ihrem Wahrheitsgehalt kaum zu zweifeln: „Ich war noch nicht eine halbe Stunde bei der Arbeit, als ich ein Klopfen an meiner Tür hörte, welches ich sofort als das meines ersten Tenors wieder erkannte. Ich sprang vom Tische mit einer solchen Aufregung und Wut auf, dass, als der Mann ins Zimmer trat, ich mich auf den Boden warf … und auf meine Hände fiel. Als ich wieder aufstand, fand ich mich taub und bin es seitdem geblieben.“ Das aufbrausende Verhalten des Komponisten hat jedoch nichts mit Jähzorn oder gar Menschenverachtung zu tun und ist auch nicht nur damit zu erklären, dass seine fortschreitende Ertaubung ihn verzweifeln ließ. Sie verstärkte jedoch zweifellos bereits Vorhandenes. Denn er war schon seit Jugendtagen so, es steckte in ihm, er konnte ganz offensichtlich nicht anders. Beethoven war sich dessen sehr wohl bewusst und ergründete diesen Zug seines Wesens: „Mit einem feurigen Temperamente geboren“ sei er, heißt es im „Heiligenstädter Testament“, und an den Freund Ferdinand Ries richteten sich diese Zeilen: „Ich habe die Gabe, dass ich über eine Menge Sachen meine Empfindlichkeit verbergen und zurückhalten kann; werde ich aber auch einmal gereizt zu einer
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Zeit, wo ich empfänglicher für den Zorn bin, so platze ich auch stärker aus als jeder andere.“ Wie sehr Beethoven selbst unter seinen schwankenden Stimmungen litt, zeigt auch der bereits angesprochene Brief an Josef von Schaden, nach dem Tod der Mutter in Bonn geschrieben: Solange er dort sei, habe er „noch wenige vergnügte Stunden genossen“, sei die ganze Zeit „mit der Engbrüstigkeit behaftet gewesen“, und er müsse fürchten, dass gar eine Schwindsucht daraus entstehe. Dazu komme noch Melancholie, die für ihn „ein fast eben so großes Übel“ wie seine Krankheit sei. Der mütterlichen Freundin Helene von Breuning hatte schon der Jugendliche seine „hartnäckigen und leidenschaftlichen Launen“ offenbart. „Er hat wieder seinen Raptus“, pflegte sie dann achselzuckend zu sagen. Wohl auch häufiger zu dem Betroffenen selbst, der diese Worte nicht vergessen sollte und Jahre später seinem Freund Franz Gerhard Wegeler schrieb: „Grüße mir alle, auch die gute Frau Hofrätin, und sag’ ihr, dass ich noch zuweilen einen Raptus han.“ Carl Czerny, ein Schüler Beethovens, berichtete von „unvermeidlichen melancholischen Anwandlungen“ des erwachsenen Beethoven, und der Freund Stephan von Breuning beschrieb die „Gemütsstimmung“ im Herbst 1806 als „meistens sehr melancholisch“. Besonders aufschlussreich ist ein Brief, den Bettina Brentano Anfang Juni 1810 einem Freund schrieb. Dort heißt es nämlich: „In Wien war ich traurig, keinen Augenblick vergnügt; ich hörte etwas von Beethoven vortragen, und zum ersten Mal empfand ich wieder etwas wie Leben, ich begehrte ihn kennen zu lernen. Niemand wollte mich zu ihm führen, selbst seine besten Freunde nicht, denn sie behaupteten, dass er in tiefer Melancholie versunken sei, dass er keinen Menschen ansehe und höchstens mir ein paar Grobheiten machen würde …“ Wie sehr Beethovens Stimmungen zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zum Tode betrübt“ schwanken konnten, verdeutlicht ein Auszug aus einem Brief des Komponisten an eben diese Bettina Brentano: „Ich kam diesen Morgen um vier Uhr erst von einem Bacchanal, wo ich sogar viel lachen musste, um heute beinahe ebensoviel zu weinen … Rauschende Freude treibt mich oft gewalttätig in mich selbst zurück.“ Diese Stimmungsschwankungen waren seinen Zeitgenossen ein großes Rätsel. Es blieb ungelöst, nicht zuletzt für Beethoven selbst.
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Zum Sprung bereit „Einen solchen Wechsel von Stimmungen in raschester Aufeinanderfolge habe ich noch bei keinem gesehen.“ Die im Jahre 1858 geborene Natalie Bauer-Lechner hatte nie das Vergnügen der Bekanntschaft Beethovens, ansonsten hätte sie ihr Urteil über Gustav Mahler sicher revidiert. Denn auch dieser kannte sein Leben lang die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen. Dass Mahlers seelischer Haushalt schon früh stärksten Schwankungen unterlag, die „über normale spätpubertäre Anwandlungen weit hinausgehen“, betont Jens Malte Fischer in seiner Biographie. Dies offenbart sich in den wenigen erhaltenen Briefen an seine Jugendfreunde, von denen der wichtigste der an Josef Steiner ist. Im Zentrum erleben wir noch einmal seine innige Liebe zu einer geradezu zauberhaften Natur und welche immense Rolle sie als Rückzugsort für ihn spielte: „Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen … Da lacht die Sonne mich an – und weg ist das Eis von meinem Herzen, ich sehe den blauen Himmel wieder und die schwankende Blume, und mein Hohnlachen löst sich in das Weinen der Liebe auf. Und ich muss sie lieben, diese Welt mit ihrem Trug und Leichtsinn und mit dem ewigen Lachen … Doch wenn ich des Abends hinausgehe auf die Heide und einen Lindenbaum, der dort einsam steht, ersteige, und ich sehe von dem Wipfel meines Freundes in die Welt hinaus: vor meinen Augen zieht die Donau ihren altgewohnten Gang und in ihren Wellen flackert die Glut der untergehenden Sonne; hinter mir im Dorfe klingen die Abendglocken zusammen, die ein freundlicher Lufthauch zu mir hinüber trägt, und die Zweige des Baumes schaukeln im Winde hin und her, wiegen mich ein, wie die Töchter des Erlkönigs und die Blätter und Blüten meines Lieblings schmiegen sich dann zärtlich an meine Wangen. – Überall Ruhe! Heiligste Ruhe! Nur von fern her tönt der melancholische Ruf der Unke, die traurig im Rohre sitzt.“ – Ein Moment, der sicher auch Beethoven und Wagner gefallen hätte … Wie oft blickte Mahler in späteren Jahren in die tiefsten Abgründe seiner Seele hinab? In einem Brief an Emil Freund fünfzehn Jahre später herrscht äußerste Depressivität: „Ich habe so viel in den letzten Wochen durchgemacht – ohne äußere erkennbare Veranlassung – es packt mich die Vergangenheit – alles, was ich verloren – die Gegenwart mit ihrer Einsamkeit – und alles mögliche – Du kennst an mir solche Stimmungen
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aus früheren Jahren – wenn mich früher solche Traurigkeit befiel inmitten meiner Freunde – als ich noch die ganze Jugend, Frische u. Regenerationskraft besaß – so kannst Du Dir es vorstellen, wie ich hier diese langen, einsamen Nachmittage und Abende zubringe. – Kein Mensch, mit dem ich nur Einiges, – sei es gemeinsam Erlebtes oder Erschautes oder Erhofftes gemein hätte.“ Diese Tiefen und scheinbaren Widersprüche seines Wesens konnten seinen Mitmenschen nicht verborgen bleiben, die abrupten Wechsel der Stimmungen mussten auf Unverständnis stoßen. Bauer-Lechner berichtet von einem typischen Moment: „Er kam neulich, mich abzuholen, zu einer Freundin wie ein Wirbelwind ins Haus gestürzt, war redselig und glänzendster Laune und riss in seiner Ausgelassenheit und sprühenden Lustigkeit alles mit sich fort. Aber schon nach kürzester Zeit – wer weiß, was ihm durch den Kopf ging! – verstummte er plötzlich wie das Grab, saß in sich versunken und sprach kein Wort mehr bis zum Fortgehen. Seine Wechselhaftigkeit und Sprunghaftigkeit ist so groß, dass er nicht eine Stunde lang der Gleiche bleibt und alles außer ihm und um ihn, besonders aber die Nächsten, seinem veränderten Blick immer anders erscheinen.“ Diese Wechselbäder der Stimmungen spiegelten sich sogar in Mahlers Äußerem wider; ein Zusammenhang, den die gute Freundin des Komponisten wie folgt einschätzte: „Kaum möglich ist es, nach Mahlers Gesicht zu erraten, wie alt er sei, da es bald jugendlich wie das eines Jünglings, bald weit über seine Jahre hinaus gefurcht und gealtert erscheint. Ebenso kann innerhalb einiger Tage, ja oft weniger Stunden sein Äußeres vom Besten zum Schlechtesten, vom Vollsten zum Hohlsten sich verwandeln, was mit dem fortwährenden und rapiden Wechsel seines ganzen seelischen und leiblichen Menschen, vor allem jedoch mit jenem ewig anderen, immer aber mit gleicher genialer Intensität und größter Unmittelbarkeit ihn erfüllenden Inhalt seiner Person und seines ganzen Seins zusammenhängt.“ Bauer-Lechner unterlässt es leider, über mögliche Ursachen zu spekulieren, stellt jedoch fest, „dass das Äußere dem Innern adäquat“ sein müsse und zieht wenig später einen höchst interessanten Vergleich: „Im Ausdrucke dieses Mundes, in den ein wenig – halb verächtlich, halb schmerzvoll – herabgezogenen Mundwinkeln werde ich (das darf ich aber vor Mahler, der zu bescheiden dazu ist, nicht laut sagen) an Beethoven erinnert, von dem er eine authentische Maske besitzt …“ Die Erinnerungen Bruno Walters decken sich frappierend mit denen
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Bauer-Lechners. Äußerst anschaulich beschreibt er das Wesen Mahlers, das er „fanatisch-dämonisch“ fand. „Sprunghaft“ erschien er ihm. Kein anderes Epitheton habe sich in den Urteilen über seine Persönlichkeit häufiger gefunden. Er wäre „erst zum nächsten ‚Sprung‘ bereit“ gewesen, „wenn im Katarakt des Denkens und Fühlens die volle Masse des Bewegten sich ergossen und wieder beruhigt hatte; die Ruhe dauerte dann freilich nur, bis sein Wesen in einem neuen Impuls aufschäumte.“ „Unmittelbar nach unbefangenem Lachen“ habe der Freund sich „plötzlich verdüstern und in ein Schweigen versinken“ können, „das niemand zu stören wagte“. Wie im „Selbstvorwurf, etwas Trauriges leichtsinnigerweise vergessen zu haben“, habe es auf Außenstehende gewirkt. Die Bedeutung dieser Schwermutsanfälle sei ihm allerdings erst allmählich aufgegangen, bemerkt Walter und stellt fest: „Auf dem Grunde seiner Seele lagerte ein schweres Weltleid, dessen aufsteigende Kältewellen ihn mit eisigem Schauer ergriffen.“ Richard Specht, der Mahler ebenfalls gut kannte, führte die Extreme der unendlichen Güte und des rasenden Zorns eher auf kindliche Züge seiner Persönlichkeit zurück: „Er war jäh vertrauensvoll und jäh misstrauisch wie ein Kind. Dieses Misstrauen konnte sehr leicht geschürt werden; durch ein hingeworfenes Wort der Böswilligkeit, ja durch ein scheinbar unabsichtliches Lächeln oder einen Blick; aber es konnte dann kaum jemals wieder getilgt werden, und gerade damit ist viel an ihm und an anderen gesündigt worden.“ Auch Mahlers Bekannter und Biograph Guido Adler schrieb: „An allen Dingen konnte er Freude haben, über die geringste Sache konnte er sich ärgern, wenn sie seiner momentanen Stimmung nicht entsprach. Reizbar und reizsam, konnte er die heftigsten Schmerzen ohne Klage ertragen und im nächsten Augenblick über die geringste Unbequemlichkeit ungehalten sein.“ Die – im wahrsten Sinne des Wortes – „schärfste“ Formulierung stammt von der englischen Komponistin Ethel Smyth, die Mahler in seinen späten Zwanzigern in Leipzig kennenlernte: Im Umgang mit ihm habe man geglaubt, es mit einer „zwischen den Schneiden eines Rasiermessers liegenden Bombe zu tun zu haben“. Besteht vielleicht sogar eine Verbindung zwischen Mahlers immenser Erregbarkeit und seiner wohl sonderbarsten Eigenart, für die es bislang keine befriedigende Erklärung gibt? Das Auffallendste an seinem Gang (der übrigens dem Beethovens ähnelte: vorgestrecktes Kinn, Kopf in den Nacken zurückgeworfen) waren unkontrollierte Bewegungen sei-
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nes rechten Beines – von Mahler selbst scherzhaft „Totatscheln“ genannt. Bauer-Lechner jedenfalls sah einen klaren Zusammenhang zwischen den Stimmungen und dem Stampfen, das sie immer dann beobachtete, wenn Mahler „etwas besonders tief“ ergriff und erregte. So manche seiner Stimmungen konnte man Mahler direkt ansehen: War er aufgeregt, kaute er exzessiv an den Fingernägeln und – wohl weniger auffällig – auf seinen Wangen, die er zwischen die Zähne zog (manchmal so heftig, dass das Wangeninnenfleisch zu bluten anfing). Ein Alarmzeichen für „inneren Sturm“, für losbrechende Wut waren seine „Zickzack-Blitz-Adern“ (wie Natalie sie nannte), zwei kräftig hervortretende Adern, die an seinen Schläfen hinabliefen und bei zorniger Erregung noch gewaltiger hervortraten. „Etwas Furchtbareres konnte es nicht leicht geben als Mahlers Haupt im Zorn, wo alles glühte und zuckte und sprühte an ihm und jedes einzelne seiner Rabenhaare sich emporzurichten schien.“ Mahlers Stimme, die normalerweise eine baritonale Färbung aufwies, konnte, wenn er vor Ärger und Zorn außer sich geriet, sich leicht in tenorale Bereiche erheben. Dann sprang sie unmittelbar von der tieferen Lage in die höhere und konnte schneidend werden. Die Wutausbrüche Mahlers müssen denen Beethovens ungemein geähnelt haben. Die „mächtigsten“ Klaviere konnte er „kurz und klein schlagen“, bemerkte die Freundin Natalie. Das machte ihm ihres Erachtens auch kein Riese nach. Ganz zweifellos jedoch ein „Titan“ vor ihm … Wie dieser kannte Mahler in seiner Wut keine Standesunterschiede. Seine Frau Alma war Zeugin und berichtete: „Einmal musste ich mit ihm über den Michaelerplatz flüchten, weil die Fürstin Pauline Metternich … in ihrem Wagen ihn erkannt hatte und ihm nachfuhr. Am Ende des Kohlmarkts holte sie uns ein, ich ging in ein Haustor und Mahler trat an den Wagenschlag. Er sprach ziemlich lange mit ihr, sie wollte immer irgendwelche Protektion ausüben oder Prophezeiungen aus dem Direktionszimmer entgegennehmen. Endlich kam er zu mir, heftig nach allen Seiten ausspuckend. ‚Dieses scheußliche Weib! Ihre lila Lippen!‘ Die ärgsten Invektiven, die er unter fortwährendem Ausspucken ausstieß, waren ihm zu zahm. Er konnte über derartige Geschmacklosigkeiten in Zorn geraten und konnte nie widerstehen, sich in seiner Abwehr unmittelbar Luft zu machen, weil er gewohnt war, jeden Unwillen sofort kräftigst abzureagieren.“ Dies gelang ihm beim Komponieren seiner Musik, die fraglos von
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der „sprunghaften“ Persönlichkeit ihres Schöpfers zeugt, ein Umstand, der Gustav Mahler nicht nur bewusst war, sondern ihm sogar bedeutend erschien. In einem Brief an Gisela Tolnay-Witt vom 7. Februar 1893 nannte er als einen wichtigen Aspekt seines „artistischen Programms“: den Übergang von einer Stimmung in eine extrem gegensätzliche. Bezeichnend ist auch, was Fritz Löhr über Mahlers eigenwilligen Vortrag der Beethoven-Sonate op. 111 berichtete, die von „wilder Heftigkeit“ am Beginn und „äußerst verklärtem Schluss“ geprägt war. So hatte man dieses Werk noch nie von jemandem spielen gehört.
„Keine üble Gesellschaft“ Es drängt sich an dieser Stelle förmlich der Gedanke auf, dass derart wesensverwandte Komponisten ein inniges Verhältnis zueinander verspüren und ein tieferes Verständnis für die Werke ihrer „Leidensgenossen“ haben müssen. Wagner verehrte Beethoven zutiefst. Er hätte nicht komponieren können, wie er es getan habe, wenn Beethoven nicht gewesen wäre, urteilte er rückblickend. In seiner Jugend hatte er die Partituren der fünften und der neunten Sinfonie zwecks Erkundung des „Mysteriums der Kompositionskunst“ eigenhändig abgeschrieben. Das „Geheimnis aller Geheimnisse“ vermutete er in der Neunten, die unter seiner Führung nach Meinung Bruno Walters „ganz in Beethovens Geist erklang und doch Wagners Eigenpersönlichkeit sich darin auslebte – ja mehr, dass gerade erst der volle Erguss des Wagnerschen Wesens Beethovens Geist frei machte …“ Als 14-Jähriger hatte er erste Bekanntschaft mit der „Fidelio“-Ouvertüre gemacht, deren Einleitung ihn „besonders ergriff“ und sich sogleich bei seinen Schwestern nach diesem Komponisten erkundigt. Zu seiner Bestürzung musste er erfahren, dass soeben die Nachricht von dessen Tode angelangt war. Wagner beschloss, ihn „näher kennen zu lernen“, wie er sich in „Mein Leben“ erinnerte: „Endlich hörte ich zum ersten Mal … eine Symphonie des Meisters; es war die A-dur-Symphonie. Die Wirkung hiervon auf mich war unbeschreiblich. Dazu kam der Eindruck, den Beethovens Physiognomie, nach den damals verbreiteten Lithographien, auf mich machte, die Kenntnis seiner Taubheit, seines scheuen zurückgezogenen Lebens. In mir entstand bald ein Bild erhabenster überirdischer Originalität, mit welcher sich durchaus nichts vergleichen
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ließ. Dieses Bild floss mit dem Shakespeares in mir zusammen …“ Wagner begegnete ihnen schon damals „in ekstatischen Träumen“, und ein halbes Jahrhundert später, am 14. Januar 1888, verewigt Cosima in ihrem Tagebuch den „Beethoventraum“, in dem der „Titan“ sogar vor ihm niederknien wird, was Richard mit derselben Geste der Bewunderung beantwortet … Dass das Schicksal eine Begegnung der beiden in der realen Welt vereitelt hatte, bedauerte Wagner zutiefst und führte sie zumindest literarisch herbei, in einer Novelle aus dem Jahr 1840, die einen bezeichnenden Titel trägt: „Pilgerfahrt zu Beethoven“. Dort lässt er den Titanen am Schluss zu seinem Besucher sagen: „Leben Sie wohl, mein Lieber, und behalten Sie mich lieb!“ Was Wagner auch ohne diesen Appell sicher getan hätte. Seine Gedanken müssen häufig um das große Idol gekreist sein, wie aus diesem Eintrag Cosimas hervorgeht: „Auf der Terrasse beim Kaffee sitzend spricht R. wieder von Beethoven, er habe ihn in seiner Novelle hager dargestellt, er scheine es aber nicht gewesen zu sein, eher untersetzt. Er müsse doch einen hinreißenden Eindruck gemacht haben, eine so komplette Originalität. ‚Mit dieser ungestillten Sehnsucht, einen wahrhaft verehrten Mann gesehen und gekannt zu haben, werde ich wohl die Welt verlassen, einem, der mir etwas gibt.‘“ Es hätte Wagner sicher sehr gefreut, dass Gustav Mahler ihn in Unkenntnis dieses Traumes mit beiden Genies – Beethoven und Shakespeare – auf eine Stufe stellte. 6 Er vergötterte seine Vorgänger geradezu. „Wo er hingriff, da entstand sofort das Größte“, sagte er über Beethoven zu Natalie, die auch erfuhr, dass wenn Mahler „noch so niederträchtiger Stimmung“ sei und an Wagner denke, er „gut gelaunt“ werde: „Dass so ein Licht wie das seine nur überhaupt je die Welt durchdrang!“, schwärmte er. Seiner Frau sagte er sehr deutlich: „Es gibt nur den [Beethoven] und Richard. Und sonst nichts. Merk dir’s!“ Eine Übertreibung, sicherlich. Mahler schätzte durchaus auch andere Komponisten sehr, wie Anton Bruckner und Mozart. Doch der Einfluss besonders Beethovens und Wagners auf Mahlers Werk ist immens. Paul Stefan meinte schon 1920, an der geistigen und ethischen Dimension seiner Musik eine Verwandtschaft erkennen zu können: „Aber immer erklingt in seiner Nähe Beethovens Name; denn wie in Beethoven so spiegelt sich in seiner Form das Bewusstsein eine Zeit, im Theatralischen, im Musikalischen, im Menschlichen: höchste, keuscheste Geistesmacht, reinster, tiefster Drang zum Glauben, Wille zu Gott, der sich nicht abweisen lässt, Gewissheit
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einer Rettung und Erlösung, für die kein Leid vergeblich war.“ Das große Vorbild hat unverkennbar seine Spuren hinterlassen. Floros weist – um nur ein Beispiel zu nennen – darauf hin, dass sich das Finale der zweiten Sinfonie „in seiner kantatenhaften Disposition“ an dem der Neunten Beethovens orientiere. Interessanterweise vertritt dieser Musikwissenschaftler auch die These, dass Wagners „Idee der Kunstreligion“ von Mahler auf die Symphonik übertragen worden sei und glaubt eine gemeinsame „Lieblingsidee“ dieser beiden Komponisten zu erkennen: nämlich die der Überwindung des Todes durch die Liebe. Der Gedanke, dass an dieser Vorstellung etwas dran sein muss, könnte Mahler an dem Morgen gekommen sein, nachdem er zum ersten Mal „in Kontakt“ mit seinen toten Idolen getreten war … Freundin Natalie wurde in dieses Geheimnis eingeweiht. Ihr erzählte er eines Tages von einem Problem mit einem Passus aus seiner dritten Sinfonie, der ihn zuvor „schrecklich“ gequält habe, und fuhr fort: „Da ruft mir heute im Schlaf eine Stimme zu (es war die Beethovens oder Wagners, mit denen ich jetzt überhaupt – keine üble Gesellschaft! – nächtlichen Umgang pflege): ‚Lass doch die Hörner drei Takte später einfallen!‘ Und damit war die Schwierigkeit aufs Einfachste und Wunderbarste gelöst, dass ich meinen Augen nicht traute!“ Ob er diese ungewöhnliche Hilfe auch in Anspruch genommen hatte, bevor er den „Fidelio“ und die „Coriolan-Ouvertüre“ zum ersten Mal dirigierte? Gut möglich. Denn Mahlers Aufführungen dieser Werke sind Bruno Walter „tief genug in Erinnerung geblieben, um für die unmittelbare Beethoven-Nähe seiner Natur zeugen zu können; denn in ihm war das Gewitter der Beethovenschen Seele, ihre Kraft und ihre Liebe …“ Mahler konnte sich in diese einfühlen, was er jedoch den meisten seiner Zeitgenossen absprach. Zu Natalie sagte er: „Du fragst, ob sie Beethoven heute verstehen? Was fällt dir ein! Weil sie mit seinen Werken aufgewachsen sind, weil er ‚anerkannt‘ ist, hören, spielen und lieben sie ihn vielleicht, aber nicht, weil sie seinem Fluge zu folgen vermöchten. Die können mit ihren Triefaugen nie in die Sonne schauen.“ Mahler war daher äußerst bemüht, den „richtigen“ Beethoven aufzuführen. Es spricht vieles dafür, dass ihm dies gelang. Alfredo Casella jedenfalls ging 1910 sogar so weit zu erklären, dass er der einzige Musiker sei, der die wahre Bedeutung der „Ode an die Freude“ erfasst habe. Vielleicht sollten Mahlers Gedanken zu den Werken des Titanen eine noch stärkere Beachtung finden. Allein in Bauer-Lechners Erinnerungen findet sich
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eine Fülle seiner Erläuterungen zu Beethoven, dessen Partituren er ab und an sogar glaubte korrigieren zu müssen (wie übrigens auch Wagner). Mahler war sich seiner Sache ganz offenbar sicher, was beileibe nicht auf alle Werke „fremder“ Komponisten zutraf. Bei zweien fühlte er sich jedoch „ganz in seinem Element“, spürte „wieder die Erde unter seinen Füßen“. Wörtlich sagte er: „Da zweifle ich nicht, wie ich etwas zu machen habe, während ich bei den andern in Sorge bin und mich beinahe tastend verhalte, wie ihnen alles nur recht und völlig aus ihrem Sinne zu machen sei. Bei Beethoven und Wagner dagegen weiß ich genau: So ist es und muss es sein.“
Der garstige Richard „Böse sein konnt’ ich ihm nie, denn entweder hatt’ er den Mund so voller Kinderwitze, dass ich mitlachte, oder die Augen so voller Tränen, dass ich mitweinte“, hören wir von der Lieblingsschwester Cäcilie über den jungen Richard Wagner. Er blieb dieses Kind ein Leben lang, lotete die emotionalen Abgründe und Gipfel seiner Seele in gleichem Maße aus wie Mahler und Beethoven – und verewigte sie in seinem Werk. In einem Brief an Mathilde Wesendonck spricht er von der Neigung seiner Psyche zu „Extremen der Stimmung“ und von den Folgen, die diese Neigung für sein Schaffen habe. Über die Partitur des „Tristan“ schreibt er: „Mein größtes Meisterstück in der Kunst des feinsten allmählichen Übergangs ist gewiss die große Szene des zweiten Aktes von ‚Tristan und Isolde‘. Der Anfang dieser Szene bietet das überströmendste Leben in seinen allerheftigsten Affekten – der Schluss das weihevollste, innigste Todesverlangen. Das sind die Pfeiler: nun sehen Sie einmal, Kind, wie ich diese Pfeiler verbunden habe, wie sich das von einem zum andern hinüberleitet.“ Und über den berühmten Tristan-Akkord heißt es in einem anderen Brief: „Ein wahres Wechselfieber: tiefstes, unerhörtes Leiden und Schmachten und dann unmittelbar unerhörtester Jubel und Jauchzen“. Der Stimmungsreichtum des Schöpfers als Segen für die Musikgeschichte – und als Fluch für den Menschen und seine Umgebung … Denn was cholerische Wutanfälle angeht, stand er Beethoven und Mahler in nichts nach. Minna schrieb die schlechten Stimmungen seinen
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Krankheiten (Ausschlag, Verstopfung) zu: „Hat Richard auch seine Launen, unter denen ich ja furchtbar leide, so ist es immer sein Unwohlsein, dann kommt doch wieder ein Moment, wo man verzeiht.“ Seine körperlichen Leiden werden Wagners Launen sicherlich verschlimmert haben. In einem Brief Minnas an die beste Freundin Mathilde Schiffner heißt es: „Richards ewiges Unwohlsein, seine Grillen, ich möchte mich oft recht ausweinen und tue es auch, dann fühle ich mich leichter. Letzthin fühlte ich mich auch gar nicht recht wohl, ich unterstand es mich auszusprechen, da kam ich aber schön an, Richard schrie mich an und sagte: nun, da können wir ja gleich in das Spital gehen, wenn Du auch noch anfangen willst krank zu sein …“ Seine Ausbrüche bereute Richard Wagner zumeist umgehend. Eines Morgens fand Minna dieses Gedicht unter ihrem Bett: Verzeihung, liebes Mienel, Ich flöhe dich darum, Du bist mein gutes Bienel, Nun aber nicht mehr brumm! Du weißt jedoch auch selber, Der Stuhl ging nicht hinein, Ich wurde immer gelber, Und fluchte wie ein Schwein. Bist du noch länger böse, So geb’ ich mir den Tod; – Dann ess’ ich nicht mehr Klöße Dann kau ich Blei und Schrot! Verzeihung, liebes Mienel, Vom Anfang! da capo. Was hatte Wagner sich da nur zuschulden kommen lassen? Er war am Abend zuvor – das Ehepaar lebte in beengten Verhältnissen – mit einem Stuhl gegen einen großen Wandspiegel gestolpert und hatte diesen beinahe zerbrochen. Der berechtigten Kritik seiner erschrockenen und zum Sparen verdammten Minna folgte ein Wutanfall Richards, der fluchend und schimpfend die Wohnung verließ. Auch in Cosimas Tagebuch sind seine Ausbrüche verewigt: „R. aber aufbrausend … Dann ärgert er sich über die unnütze Wut.“ – „Tiefste Verstimmung R.’s …, welche sich heftig kund tut.“ – „R., der große
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Unruhe und Missbehagen empfindet, welches sich bis zur Wut steigert, als er in Wind und Wetter den Salon-Wagen besehen hat, der ihm sehr missfällt.“ – „Früh fort, leider gleich einen Ärger, und zwar einen großen für R. dadurch, dass der Salonwagen nicht angekommen ist – es dauert lange, bis er sich beruhigt.“ – „R. angegriffen, sei es durch die Hitze oder durch unsympathische Elemente, sehr reizbar, und wie von der Ausschmückung der Wände des Saales etwa durch Gobelins die Rede ist, gerät er beinahe außer sich.“ Scheinbare Kleinigkeiten konnten Wagner in Rage versetzen, und hin und wieder erschloss sich der Anlass dazu nicht einmal annähernd. Berichtet wird von einer Gesellschaft in Zürich, auf der Wagner die Anwesenden zusammenzucken ließ, weil er ohne Vorwarnung einen lauten Schrei ausstieß. Und während eines Atelierfestes beim Maler Franz von Lenbach am 6. November 1880 bekam er einen Wutanfall und verfluchte – an Beethoven erinnernd – die Obrigkeit, in diesem Fall den deutschen Kaiser mitsamt seinen Fürsten und den Reichskanzler Otto von Bismarck. Doch auch – oder besser: gerade – nahe stehende und geliebte Menschen blieben nicht verschont, denn Eifersucht konnte Wagners Wüten ungemein potenzieren. Seine Ehefrauen wussten mehr als nur ein Lied davon zu singen … Minnas Tochter Natalie 7 wurde im Alter von zehn Jahren Zeugin einer Szene, die sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen sollte: Nach einer ausgefallenen Theatervorstellung wurde die Mutter auf dem Heimweg von einem vorbeigehenden Soldaten gemustert und mit schmeichelhaften Worten bedacht: „Dort geht ein schönes Mädchen, ich möchte sie gleich zur Liebsten haben.“ Wagner – der unauffällig folgte – soll daraufhin völlig außer sich geraten und von seiner Frau nach Hause gezerrt worden sein, wo das Wüten seinen Fortgang nahm. Natalie vergaß nie die Worte, die sie nach dieser Szene gesagt hatte: „Minna, du hast einen garstigen Richard. Lass Dir von dem garstigen Richard abtrauen.“ Was diese nicht tat. Allerdings konnte sie eines Tages „diesen quälend-obsessiven Szenen, die sie krank machten, nichts entgegensetzen“ und flüchtete vorübergehend; und immerhin lehrte sie – sehr zum Leidwesen ihres Gatten – später dem gemeinsamen Papagei den netten Satz: „Richard Wagner ist ein böser Mann.“ War hier auch die Eifersucht, die sicher sehr viele Menschen aufrührt, der Auslöser: Wagner war bekannt dafür, dass er im Zorn grund-
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sätzlich ungerecht werden konnte. „In seiner leidenschaftlichen Gereiztheit war er zu jeder Ungerechtfertigkeit fähig“, schrieb Eduard Hanslick, und Ferdinand Praeger urteilte: „Er kümmerte sich nicht darum, ob seine schroffe, beißende Kritik die tiefsten Wunden schlug, und doch war er selbst aufs Empfindlichste gereizt und verletzt durch den geringsten Tadel.“ Eine in dieser Hinsicht für Wagner charakteristische Szene ereignete sich in der Villa Frickhöfer in Biebrich am Rhein, zu einem Zeitpunkt, als die Ehe bereits hoffnungslos zerrüttet war. Auslöser war ein Brief der unerfüllten Liebe von Mathilde Wesendonck, der Anfang März 1862 ins Haus flatterte. Minna schrieb an ihre Freundin Cäcilie: „Alles war vorbei, ohne dass ich nur ein Wort sagte. Er tobte, brüllte ohne Grund, dass es mich nichts anginge, er könne korrespondieren mit wem er wolle usw.“ Und zwei Tage später, nachdem ein weiterer Brief Mathildes gekommen war: „Wir saßen eben wieder beim ersten Frühstück, richtig, da kam schon wieder ein dicker Brief von diesem Luder der W. an. Ich aber sagte wieder kein Wort darüber. Mein Richard jedoch fing wieder an, sich in eine wahre perserker Wut hinein zu schreien … so tobte er richtig dreiviertel Stunde fort“. Da diese Neigung zu Tobsuchtsanfällen Teil seines Wesens war, konnte natürlich auch seine zweite Frau Cosima davon nicht verschont bleiben. Am 31. Januar 1880 vertraute sie ihrem Tagebuch an: „Seine tiefe Verstimmung erkenne ich kummervoll daran, dass er mich schilt, das Kleid, welches er mir zu Weihnachten gegeben, zu tragen, indem es meinen Gang, den er liebt, verunstaltet.“ Und am 12. Juni heißt es: „Wie die Freunde sich entfernt haben, bringt Lulu das Haus-Buch; ich ermahne sie zur Ökonomie, indem ihr Vater mir zweimal gesagt hätte, dass die Wirtschaft viel koste. Heftigster Zorn-Ausbruch von R. hierüber, vollständiges Walten des Missverständnisses bei ihm!“ Doch nicht nur seiner Wut, auch der Freude ließ Wagner ein Leben lang freien Lauf. So wurde ein Biergarten namens „Letzter Hieb“ häufig Zeuge der „wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit“ des jungen Wagner. Ähnlich aufgelegt zeigte er sich bei den ersten Gesangsproben zu „Tristan und Isolde“, die in seiner Villa stattfanden. Die Frau des Schriftstellers Georg Herwegh berichtete: „Wenn eine Stelle besonders schön gesungen war, so sprang Wagner auf, umarmte und küsste lebhaft den Sänger oder die Sängerin, stellte sich vor Freude auf den Kopf oder rannte in den Garten und kletterte jubelnd auf einen Baum.“ Was Wagner übrigens häufiger tat. Hoch hinaus wollte er auch
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am Silvesterabend 1840 – bei einem denkwürdigen Fest unter Freunden, denen Richard sich von seiner ausgelassenen und humorvollen Seite präsentierte. Wagner schrieb darüber: „Als nach dem Champagner noch der Punsch zu wirken begann, hielt ich eine emphatische Rede, die, weil sie die Freunde in unaufhörlichem Lachen unterhielt, nicht enden wollte und mich so hinriss, dass ich, der ich im gesteigerten Pathos mich bereits auf einen Stuhl gestellt hatte, endlich selbst den Tisch bestieg und von da herab das Evangelium der unsinnigsten Lehren der Weltverachtung mit Anpreisung der südamerikanischen Freistaaten meinen entzückten Zuhörern verkündete, welche endlich in lachendes Schluchzen sich verloren und schließlich von uns sämtlich beherbergt werden mussten, da ihr Nachhausegehen unmöglich geworden war.“ Lustiges ereignete sich auch bei der Ur-Aufführung des „Parsifal“, was jedoch alles andere als beabsichtigt war. Nur eine einzige Panne passierte; der Komponist selbst lieferte sie. Eindringlich hatte Wagner darum gebeten, nach den einzelnen Akten nicht zu applaudieren, um die „Weihestimmung des Werkes“ zu erhalten. Der Auftritt der Blumenmädchen entzückte ihn jedoch so sehr, dass er laut „Bravo! Bravo!“ rief – und von dem Publikum niedergezischt wurde: Man vermutete einen taktlosen Banausen in ihm … Auch das bloße Wiedersehen mit einem Freund konnte Wagner ähnlich beglücken und die Etikette vergessen lassen, wie Paul von Joukowsky zu erzählen wusste. Er war zu ihm nach Palermo gereist, um ein Schmuckstück – ein Weihnachtsgeschenk für Cosima – eigenhändig zu überbringen: „… am anderen Morgen ließ ich Siegfried Wagner sagen, es sei ein Freund angekommen … Ich trug ihm auf, seinem Vater zu sagen, dass ich angekommen sei, und zehn Minuten später stand Wagner in meinem Zimmer. Er hatte die Meldung Siegfrieds zuerst bloß so verstanden, dass sie sich auf den von ihm mit Unruhe erwarteten Schmuck bezöge: als ihm aber meine wirkliche Ankunft zum zweitenmal bestätigt wurde, kam er sogleich, wie er ging und stand zum Entsetzen der englischen Gäste in seinem Atlasschlafrock durchs ganze Hotel gelaufen. Ich beichtete ihm mein Versehen und wie ich es wieder gutgemacht: mit Tränen in den Augen umarmte er mich da und rief: ‚So muss man sein! So muss man mich behandeln!‘“ Auch auf seinem letzten Geburtstag war Wagner bestens aufgelegt. Als am Abend Theater und volkstümliche Musik gespielt wurde, soll das 69-jährige Geburtstagskind über die von zwei Militär-Ärzten vorge-
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tragenen „Schnaderhupfeln“ Tränen gelacht und bei der Schilderung einer Bauernrauferei „wie ein Bauernbursch“ gejuchzt haben. Obwohl sie gelegentlich mit der einen oder anderen Peinlichkeit verbunden war – seine Euphorie dürfte Wagner wenig belastet haben. Denn die Tränen, die er vor Freude lachen konnte, sie flossen auch ungehindert, wenn er in das andere Extrem verfiel: die tiefe Schwermut. Den tränenreichen Abschied von Prag nach der gemeinsamen Wanderung mit Rudolf Böhme beschreibt er selbst in „Mein Leben“: „Als ich bei der Rückreise von der gleichen Anhöhe wieder auf Prag zurückblickte, zerfloss ich in Tränen, warf mich zur Erde und war von meinem staunenden Freunde lange nicht zum Weitergehen zu bewegen.“ Dieser Schmerz war – so sein Biograph Hans-Joachim Bauer – „wirklich tief empfunden“, denn „Wagners Gefühlstiefe drückte sich lebenslang in spontanen emotionalen Reaktionen aus.“ Doch auch ohne äußeren Anlass konnten melancholische Anfälle Wagner später tagelang an seiner schöpferischen Arbeit hindern, wie im Sommer 1858 in Venedig, als er den „Tristan“ vollenden wollte. Im positiven Sinne vermochten ihn Naturerlebnisse und Kunstgenuss zu überwältigen und zu Tränen zu rühren, wenn er beispielsweise Shakespeare rezitierte. Cosima schrieb über einen Oktoberabend im Jahre 1882: „Wir fahren nach dem Markus-Platz, wo ein herrlicher Sonnenuntergang uns erfreut; die Heimfahrt bei Sternen-Schimmer und unter Glockenklang ist wundervoll. Und abends beschließt R. diesen Tag, indem er uns mehrere Scenen aus ‚Romeo und Julia‘ (auf dem Balkon, die Meldung von T.’s Tod, die Trauung, der Abschied) zu unsrer tiefsten Erschütterung, er selbst in Tränen, vorliest. Wer aber wird ihn je bei solchem Lesen schildern oder gar malen können. Sein Antlitz durchleuchtet, sein Auge entrückt und doch wie ein Stern strahlend, seine Hand magisch in der Ruhe und in der Bewegung, seine Stimme sanft mädchenhaft, nur Seele, die aber in die Tiefen drängt wie durch die Weiten.“ Vor allem Musik, wen mag das überraschen, rührte den Komponisten zutiefst. Auch die eigenen Werke vermochten ihn zu bewegen, wie wir von Cosima wissen: „Sehr ergriffen“ sei er beispielsweise „trotz der Mangelhaftigkeit“ bei einer Aufführung des „Fliegenden Holländers“ gewesen, habe „öfters in Tränen ausbrechen“ müssen. So nachvollziehbar seine Reaktion für viele Wagner-Liebhaber ist, umso schwerer fällt dies bei einem Erlebnis, das Wagner nachhaltig in Erinnerung blieb und
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über das er Jahre später schrieb: „Es war am Schließungstage der Pariser Weltausstellung des Jahres 1867. Den Schulen war an diesem Tage der freie Besuch derselben gestattet worden. Am Ausgange des Gebäudes durch den Einzug der Tausende von männlichen und weiblichen Zöglingen der Pariser Schulen festgehalten, verblieb ich eine Stunde lang in der Musterung fast jedes Einzelnen dieses, eine ganze Zukunft darstellenden, Jugendheeres verloren. Mir wurde das Erlebnis dieser Stunde zu einem ungeheuren Ereignis, so dass ich vor tiefster Ergriffenheit endlich in Tränen und Schluchzen ausbrach.“ Was Wagners Zeitgenossen besonders irritiert haben dürfte, war wohl nicht nur die Intensität der Stimmungen des kleinen Sachsen, sondern ebenso ihr rascher, unvermittelter Wechsel. Wut wandelte sich in Melancholie oder Heiterkeit und umgekehrt. In Cosima Wagners Tagebüchern finden etliche Vorfälle dieser Art Erwähnung. So habe er am 20. Juli 1871 zunächst „wutentbrannt einen Brief zerrissen“, es dann bereut, „so heftig geworden zu sein“, und sei in Tränen ausgebrochen. Je älter Wagner wurde, desto schlimmer schienen die emotionalen Wechselbäder geworden zu sein. Sein Mitwirken an den Proben für die Bayreuther Festspiele 1876 beispielsweise war wenig hilfreich, da er häufig alles durcheinanderbrachte und immer wieder in Wut geriet. „Wagner schrie, lief mit geballten Fäusten herum, stampfte mit den Füßen“, berichtete ein Augenzeuge. Wohl auch, weil seine Anweisungen kaum verständlich waren. Regisseur Richard Fricke dazu: „Er spricht ungefähr wie einer, der für sich und mit sich spricht, dann braust er wieder derartig heraus, dass man den Zusammenhang nur annährend zusammenreimen kann … Man muss höllisch aufpassen.“ Von einer Sekunde zur anderen schlugen die Stimmungen um, und der Meister entschuldigte sich mit Umarmungen und überschwänglichem Charme bei soeben harsch kritisierten Künstlern. Sein Biograph Walter Hansen berichtet, dass die Umgebung des Komponisten in seinen letzten Lebensmonaten immer mehr unter diesem unberechenbaren Wechsel von Jähzorn-Anfällen und überschäumender Herzlichkeit litt. So jagte er nach einem nichtigen Streit seinen Freund Joukowsky aus dem Haus, rannte hinterher, holte ihn zurück und bat vor aller Augen – auf den Knien – um Verzeihung. Mit welchem Interesse der Komponist selbst dieses Phänomen abrupter Stimmungswechsel in extremster Ausprägung bei einem anderen Menschen erleben durfte, verdeutlicht die folgende Episode, die sich
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während Wagners Arbeit an der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ ereignete: „Ein sonderbarer Vorfall störte mich in einer Nacht … als ich … plötzlich durch ein ausgelassenes Frauengelächter im Hause über mir vollständig geweckt wurde. Das immer tollere Lachen ging endlich in grässliches Wimmern und furchtbares Heulen über. Entsetzt sprang ich auf und gewahrte nun, dass diese Erscheinung von meinem Dienstmädchen Lieschen herrührte, welche, in der Kammer über mir gebettet, von hysterischen Krämpfen überfallen war. Die Magd meines Wirtes stand ihr bei; ein Arzt ward herbeigeholt: während ich mit Schrecken besorgt war, das Mädchen würde alsbald seinen Geist aufgeben, hatte ich mich über die eigentliche Ruhe und Gelassenheit der übrigen Assistenten zu verwundern; ich erfuhr, dass solche Krämpfe sich häufig bei jungen Mädchen, namentlich nach Tanzvergnügungen, einstellten. Demungeachtet bannte mich der Vorgang mit seinen entsetzlichen Phänomenen noch lange zur Beobachtung fest, da ich hierbei, in der Weise des Wechsels von Ebbe und Flut, eine anscheinend kindische Heiterkeit durch alle Übergänge bis durch das frechste Lachen zu dem Schreien einer qualvoll Verdammten mehrere Male vor mir wechseln sah.“ Lag die Faszination der Szene vielleicht darin begründet, dass dem Meister ein Spiegel vorgehalten wurde, in dem er sein eigenes Ich erblickte?
Mein Engel – Meine Seele – Mein Annerl So stürben wir, um ungetrennt – ewig einig, ohne End’ – ohn’ Erwachen – ohn’ Erbangen – namenlos in Lieb’ umfangen ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! (Wagner, Tristan und Isolde)
Beethovens unsterbliche Geliebte „Er blieb einsam, weil er kein zweites Ich fand.“ Diesen Satz verlas der Schauspieler Anschütz an Beethovens Grab vor einer ergriffenen Menschenmenge. An seinem Totenbett hatte keine liebende Frau gesessen, seine Hand gehalten, wie Cosima Wagner es tun sollte. Denn sein Leben lang war es ihm nicht gelungen, eine Dame seines Herzens an sich zu binden, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben. Dabei war er häufig verliebt gewesen – zumeist jedoch in die „falschen“, weil für ihn unerreichbaren Frauen: Adlige, die eine Verbindung mit ihm, dem „Bürgerlichen“, unmöglich eingehen konnten oder wollten (wie beispielsweise Giulietta Guicciardi), und bereits anderweitig Vergebene. Dass der Komponist dieses „zweite Ich“ jedoch in Wirklichkeit gefunden, wenn auch für immer verloren hatte, erfuhr man erst viel später, als „einer der gewaltigsten aller Liebesbriefe“ veröffentlicht wurde. Geschrieben von Beethoven, an eine bis heute unbekannte Frau. Denn ihr Name bleibt unerwähnt in dem berühmten „Brief an die unsterbliche Geliebte“, den der Freund Stephan von Breuning am Tag nach Beethovens Tod in dessen Wohnung in einem Geheimfach fand.
Beethovens unsterbliche Geliebte
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Seit annähernd 200 Jahren – das Schreiben wurde erstmals 1840 von Anton Schindler in seiner Beethoven-Biographie veröffentlicht – ist man auf der Suche nach der Unbekannten. Unzählige Damen aus dem Umkreis des Komponisten sind als mögliche Kandidatinnen verdächtigt worden. Heute vermutet man, dass es Antonie Brentano gewesen sein könnte, eine verheiratete Frau und Mutter dreier Kinder, die Beethoven im Mai 1810 kennen und lieben lernte. Obwohl die Beziehung zwei Jahre darauf ein Ende fand, wohl nachdem sie das ungeheure Angebot gemacht hatte, sich von ihrem Ehemann zu trennen und bei ihm zu bleiben: Es spricht sehr viel dafür, dass sie sein „zweites Ich“ war. 8
Ludwig van Beethoven und Antonie Brentano: zwei Menschen, die einander fanden und liebten, und zunächst allen Widerständen zu trotzen schienen – und sich schließlich doch für immer verloren. Zwei Menschen, deren Denken und Empfinden verwandt war; selbst ihr Schicksal, das sie zusammenführen sollte. In ihren Gesprächen wird ihnen all dies bewusst geworden sein. Denn wie Beethoven musste auch Antonie in jungen Jahren den Verlust ihrer Mutter und der geliebten Heimat verkraften, auch wenn sie kurz nach ihrer Rückkehr aus der klösterlichen Obhut beschwörend in ihrem Tagebuch notierte: „Bleibe in der Heimat! Bleibe selbst in deiner Vaterstadt! Womöglich bleibe in deinem Vaterhaus! An jener Stelle, wo du geboren wurdest, da stirb auch einst.“ Doch ihr Lebensweg sollte sie ins ferne, fremde Frankfurt führen, wo sie schließlich auch starb. „… mein Vaterland“, schwärmte Beethoven wehmütig aus Antonies Heimat Wien, gerichtet an den Freund Wegeler in Bonn, „die schöne Gegend, in der ich das Licht der Welt erblickte, ist mir noch immer so schön und deutlich vor Augen, da ich euch verließ, kurz ich werde diese Zeit als eine der glücklichsten meines Lebens betrachten, wo ich euch wiedersehen und unsern Vater Rhein begrüßen kann.“ Doch der Komponist, der diese Zeilen 30-jährig schrieb, sollte nie zurückkehren, sollte kurz vor seinem Tod sehnsüchtig den Wein aus der Heimat erwarten, dem schließlich seine letzten Worte galten: „Schade, schade, zu spät.“ Wie Beethoven suchte Antonie Zuflucht in der Natur und der Musik, wie aus den folgenden Zeilen deutlich hervorgeht; sie sind an ihre Schwägerin Bettina Brentano gerichtet, kurz vor deren Weggang aus
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Frankfurt: „Lebe wohl Bettine, gedeihe wie eine Blume, auch in Regen und Gewitterluft und wenn die Nacht dich überfällt, so sei es eine Sternennacht, der das beste Morgenrot folgt – Lasse nie mehr Dämmerung einfallen in deiner Liebe, verkünde mir dein Wohlergehen, und wenn ich heute zu viel in Allegorien sprach, so verzeihe, es bezieht sich ja alles auf Gott, die Natur, die Musik, dich und mich –“ Es sind Worte, die unbestritten auch Ludwig van Beethoven verstanden und selbst gesagt hätte. Bezeichnenderweise rät er seiner „unsterblichen Geliebten“ in dem Brief: „… blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth“. Wie sehr ihm dies mit seiner Musik gelang, wenn Antonie sich leidend zurückgezogen hatte, schrieb sie Bettina im März 1811 aus Wien: „Beethoven ist mir einer der liebsten Menschen geworden … sein ganzes Wesen ist einfach, edel, gutmütig, und seine Weichherzigkeit würde das zarteste Weib zieren, es spricht für ihn, dass ihn wenige kennen, noch weniger verstehen. Er besucht mich oft, beinahe täglich, und spielt dann aus eigenem Antrieb, weil es ihm Bedürfnis ist, Leiden zu mildern, und er fühlt, dass er es mit seinen himmlischen Tönen vermag, in solchen Augenblicken muss ich dich oft lebhaft herbei wünschen, liebe Bettine, dass solche Macht in den Tönen liegt, habe ich noch nicht gewusst, wie es mir Beethoven sagt.“ Es ist nur ein Nebensatz, der dennoch so viel bedeutet: „… dass ihn wenige kennen, noch weniger verstehen“, schreibt Antonie. Weil sie ihn verstand und sich bei ihm verstanden fühlte. Und deswegen seine „unsterbliche Geliebte“ wurde. Wie sie ihre Beziehung mit Ludwig van Beethoven sah, vertraute sie ihrem Tagebuch an: „Es gibt eine Gemeinschaft zwischen Menschen von Geist und Herzen, die nicht vorbereitet zu werden braucht. Sie verstehen sich im Augenblick. Ihr Leben hat verwandte Berührungen, noch ehe sie sich kannten. Menschen und Ereignisse haben gleiche Betrachtungen in ihnen erweckt. Nachdenken über sich selbst zu gleichen Überzeugungen und Resultaten geführt, die nicht ausgesprochen zu werden bedürfen. In solche Gemeinschaften gehen Alltagsmenschen nicht ein, selbst wenn man sich Mühe geben wollte, sie darin aufzunehmen. Sie fassen diese Wahlverwandtschaft nicht.“
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„Mit List, Charme und Frankenwein“ In punkto Herzensangelegenheiten schien Richard Wagner zunächst in Beethovens Fußstapfen treten zu wollen, denn gleich seine erste große Liebe – Jenny Raymann, schlank und schwarzhaarig – war unerreichbar für den 19-Jährigen. Für die uneheliche Tochter eines Grafen kam Richard nur als Klavierlehrer infrage, als potenzieller Gatte schied er, der Bürgerliche, von vornherein aus – was vor allem Jennys Frau Mutter dem unbeirrt Werbenden subtil vermittelte, indem sie ihm den Zutritt zum Besucherzimmer verweigerte. Als dieser doch zu der Angebeteten vordringen konnte, führte dies zu einer demütigenden Zurückweisung, denn in einem Brief Richards an einen Freund heißt es: „Du wirst Dir alles, was eine glühende Liebe verwunden kann, denken können … Was sie aber töten kann, ist fürchterlicher als Alles! … Sie war meine Liebe nicht wert.“ Dass Wagner diese Erkenntnis wohl auch zum Abbruch seiner nächsten Liebelei bewog, lag weniger an Therese Ringelmann selbst, mit der er – als Chordirektor in Würzburg – ein „Techtelmechtel“ (Hansen) hatte. Denn die Sängerin verstand es „namentlich durch eine weiße Perlenschnur, die sie sich durch das Haar wand“, seine „Phantasie in angenehme Aufregung zu versetzen“, wie er sich erinnerte. Dass aus Therese Ringelmann nicht Therese Wagner werden konnte, war wohl im Beruf ihres Vaters begründet, was der Komponist mit einem Hinweis auf ihre „bescheidenen Familienverhältnisse“ selbst andeutete. Herr Ringelmann, der „eine ernstliche Erklärung“ zwecks Festigung der töchterlichen Beziehung forderte, war nun mal – Totengräber … So ging die Sache mit der Sängerin sang- und klanglos zu Ende. Doch Wagner blieb nicht lange allein, Ersatz war bald gefunden, und ein „innigeres Liebesverhältnis“ nahm seinen Anfang. Mit einer Frau, deren Vater weder gräflich war, noch einem düsteren Broterwerb nachging. Denn Papa Galvani, „von sehr scharf ausgesprochener italienischer Abkunft“, war Mechaniker. Die Tochter selbst: schwarzäugig, liebreizend, noch kleiner als Wagner, musikalisch begabt, Friederike geheißen. Alles perfekt. Einziger kleiner Haken: Die Gute war vergeben, verlobt gar, und zwar mit dem ersten Oboisten, „einem braven Musiker“. Das durfte kein Hindernis sein. Das erhöhte vielleicht sogar Friederikens Reiz … Ausgerechnet bei einer ländlichen Hochzeit spannte Wagner diesem mit „List, Charme und Frankenwein“ (Hansen) die Braut kurzer-
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hand aus – und war auch noch stolz darauf: „Dass der Bräutigam beim Gefahrwerden der zärtlichen Unbefangenheit, welche Friedericke mir zuwendete, sich traurig, aber nicht eigentlich verhindernd in sein Los fügte, erweckte mir zum ersten Mal in meinem Leben ein schmeichelhaftes Selbstgefühl. Nie hatte ich nämlich Veranlassung gefunden, mich der eitlen Annahme hinzugeben, dass ich auf ein Mädchen einen vorteilhaften Eindruck zu machen vermöge … Auf meines armen Oboisten still leidender Zurückhaltung beim Gefahrwerden der feurigen Annäherung seiner Versprochenen gegen mich gewann ich, wie gesagt … die erste Empfindung davon, dass ich … unter Frauen für etwas gelten möchte.“ Wagner genoss es, sich mit der Abgeworbenen als „offenbares Liebespaar aufzuführen“ und empfand die „gemeinschaftliche Heimfahrt“ auf einem Leiterwagen (während der unterlegene Oboist seinen Rausch ausschlief) als „gemütlichen Triumph“ seines „anmutigen Abenteuers“, das er – zumindest solange er in Würzburg weilte – fortzusetzen gedachte, zumal die Familie Galvani ihn freundlich aufnahm und zu nichts drängte. Erst Wagners Fortgang aus der Stadt beendete die Beziehung, und es kam „zu dem zärtlichsten, tränenreichsten Abschied“, wie sich der Komponist erinnerte. Zwei Jahre später kehrte er auf Besuch zurück, erfuhr bei einer letzten flüchtigen Begegnung mit Friederike, dass der brave Oboist ihr die Treue gehalten und sie ein Kind von ihm bekommen hatte – ohne ihn jedoch heiraten zu dürfen. Ob noch einmal in ihrem Leben jemand mit „List, Charme und Frankenwein“ zwischen die beiden trat, ist nicht bekannt. Warum machte ausgerechnet Wagner, dem menschliches Mitleid unendlich wichtig war, so etwas? Und beileibe nicht zum letzten Mal. Es ist sicher eine der weniger schönen Seiten von Wagners Persönlichkeit: anderen Männern die Frau auszuspannen. Haben die Forscher und Psychologen Recht, die in diesem Verhalten „aggressive und narzisstische Tendenzen“ erblicken, wie Hansen anmerkt? Unterlag der Komponist der Freud’schen „Bedingung des geschädigten Dritten“, nach der nur die gebundene Weiblichkeit von Reiz ist, die dem Nebenbuhler entrissen werden kann? „Schuld“ wäre dann Richards Kindheit, die nicht überwundene „Ödipus-Konstellation“ … Womöglich trifft eine zweite, wesentlich einfachere Theorie zu: Wagner wollte in der Liebe – wie stets auch sonst – nur eines: das Beste. Und da die begehrtesten Frauen zumeist vergeben sind, ist in der Regel mindestens ein Rivale vor Ort, den es zu besiegen gilt.
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So war es dann auch bei der Dame, die die erste Frau Wagner werden sollte, „das hübscheste und liebenswürdigste Mädchen“ von Bad Lauchstädt, wo er im Sommer 1834 seine Stelle als Musikdirektor der Magdeburger Theatergesellschaft antrat: Minna Planer, „von sehr anmutigem und frischem Äußeren“, von Verehrern umschwärmt und verlobt mit einem Mann aus Adelskreisen. Wagner war spontan verliebt. Doch sein „naiv-ungestümes Entgegenkommen“ stieß zunächst nur auf „wohlwollende Verwunderung“ seitens der Schauspielerin, sodass er einstweilen „Trost und Entspannung“ (Hansen) bei anderen Frauen suchte und fand. Bis auch Minna endlich seine Geliebte wurde, besser gesagt: dem stark Angetrunkenen in einer Nacht „die nötigen Erleichterungen“ verschaffte – wie Wagner selbst wenig romantisch formulierte. Die Schmerzen des Vertrösteten wichen der „Sorge der verliebten Eifersucht“, denn Minna litt nicht gerade darunter, dass adlige Herren sie bewundernd umschwärmten. Wohl aber Richard. Seine emotionalen Ausbrüche sind bereits dargestellt worden. Doch so quälend seine Eifersucht war: Vor einer Bindung in Ehe-Form schreckte er zunächst zurück, fürchtete, in Abhängigkeit zu geraten. Dem Abbau dieser Beziehungsängste wenig förderlich war das Verhalten der Mutter Minnas, die „im leiernden Tonfall einer Gebetsmühle sächselnd zur Heirat drängte“ (Hansen). In Wagner nahmen schlimme Gedanken Gestalt an, wenn nicht der Trennung, dann zumindest des Betruges. Seinem Freund August Apel schrieb er diese Zeilen: „Dieses … Geschöpf hat mir ihr grenzenloses Vertrauen geschenkt, … ich habe sie erwärmt bis auf das innerste Mark ihres Daseins, ich habe sie zum weichen hingebenden Weibe gemacht, – sie liebt mich bis zur Krankheit, ich bin ihr Despot geworden … Sie glaubt mir, während ich nur daran denke, wie ich sie am sichersten verrate … ’s ist so eine Art von Schurkerei. – Ich genieße ihre Gunst völlig und fast ausschweifend … Was meinst Du? Wenn ich sie so recht absichtlich hintergangen haben werde, habe ich da nicht ein Meisterstück gemacht?“ Als Minna jedoch Magdeburg und Richard den Rücken kehrte, um ein Gastspielangebot in Berlin anzunehmen, schlug Wagner gänzlich andere Töne an. In einem Brief, geschrieben am Tag nach ihrer Abreise, heißt es: „Nein, Minna, es kann nicht sein, ich kann es nicht glauben, dass Du von mir gegangen wärest, um nicht wiederzukehren … Wie ein Schatten schwanke ich herum … Mein Streben – die Oper – meine Geschäfte – existieren für mich nicht mehr. Kehrst du mir nicht zurück
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und erfahre ich, dass Du dich fest in Berlin gebunden hast … dann hält mich auch kein Gott mehr hier, – ich bin dann fest entschlossen, eine Verzweiflungstat zu begehen … Minna, komm zurück, ich biete Dir hiermit förmlich u. nach dem Gebrauch meine Hand u. den Ring u. Du gehörst mir? – Dein Bräutigam Richard Wagner.“ Vier Tage später: „Ich habe gestern keinen Brief von Dir erhalten, meine liebe Braut; ich bitte und beschwöre, schreibe mir während deiner jetzigen Abwesenheit jeden Tag … Ich hoffe nur auf Deine Briefe. … Eher gewöhne ich mich an den Gedanken meines schnellen Todes als an den einer Trennung von dir.“ Beunruhigende Neuigkeiten erreichten den Verzweifelten aus Berlin: Minna treibe sich mit fremden Männern herum, sagten die einen. Sie sei treu, die anderen. Was war die Wahrheit? Wagner wusste es nicht. Der Liebeskummer hemmte seine Schaffenskraft, doch dem wohlmeinenden Rat einer Schauspielerin, Minna zu vergessen und zu verlassen, entgegnete er (man beachte die Reihenfolge): „Über meinen Pudel, meine Uhr und meine Minna geht mir nichts.“ Auf Letztere musste er weitere sechs lange Wochen warten, bis sie nach Magdeburg zurückkehrte und das Trio somit wieder vollständig war. Der selige Wagner schrieb an Apel: „Es soll mir jetzt noch einer kommen und über meine Liebe zu Minna die Nase rümpfen, dann schlage ich sie ein. Gott weiß, wie und was ich jetzt ohne sie wäre.“ Denn nun lief auch die Arbeit wieder wie am Schnürchen, (ausgerechnet) die Oper „Das Liebesverbot“ gedieh aufs Prächtigste. Was sich nicht über die 30-jährige Ehe der beiden sagen lässt. Als „Herr und Gebieter“ sollte Minna ihren Richard später bezeichnen, als „mein Kind“ im selben Atemzug. Sie war ihm Geliebte und Mutter zugleich. Eva Rieger beschreibt die Beziehung wie folgt: „In den Jahren des Zusammenlebens wusch und flickte sie Richards Wäsche, rieb ihn mit Olivenöl ein, heizte sein Badewasser, hörte seinen verwegenen Plänen und Ideen geduldig zu, ließ sich seine Opern vorspielen, verhandelte mit dem Dienstpersonal, schirmte ihn gegen störende Einflüsse ab, übernahm selber die niedrigsten Arbeiten, wenn kein Geld für Personal da war, nähte ihm Unterhosen und Morgenröcke, kurz: Sie war für den gesamten Haushalt zuständig. Auf der Flucht vor Gläubigern, die sie nicht zu verantworten hatte, kroch sie mit ihrem Mann auf allen Vieren durchs Gras und durchlitt lebensgefährliche Stürme auf See, die sie fast
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um den Verstand brachten … Aber ihre häuslichen Tätigkeiten erschöpften sich nicht im Praktischen. Minna war für Richards psychisches und sexuelles Wohlergehen über Jahrzehnte hinweg geradezu lebensnotwendig. Seine Briefe an sie verraten in den ersten Jahren ihres Zusammenseins eine Leidenschaft ohnegleichen, die eine fast neurotische Abhängigkeit offenbart. Später geht dies in enge Vertrautheit über, aber auch da konnte er kaum ohne sie sein … Seine Amouren werden in Wagner-Biographien ausgebreitet, dabei wird aber gern übersehen, dass er anschließend Minna häufig anflehte, zu ihm zurückzukehren. In den ersten beiden Dezennien ihrer Ehe war nur sie imstande, ihm den für das Komponieren nötigen Seelenfrieden zu geben … Die Ehejahre waren angefüllt mit fortgesetzten Umzügen, Möbelverkäufen, neuen Einrichtungen, großer Geldnot und Schulden. Seinen Traum von einem zweirädrigen Pferdewagen, den er noch vor der Hochzeit ausgesprochen hatte, artikulierte er immer wieder, aber in seinen Genuss sollte Minna nie kommen. Wohl aber Richard Wagners zweite Frau, Cosima.
Wagner war der damals 16-Jährigen zum ersten Mal im Oktober 1853 in Paris begegnet: ein mageres, blasses Mädchen, sensibel, nach innen gewandt und leicht zu Tränen neigend. „Ein Genie des Herzens“, wie ihr Vater, Franz Liszt, sie nannte. Als uneheliches Kind – Mutter war die Gräfin Marie d’Agoult – war sie ohne Eltern aufgewachsen, von zwei alten Gouvernanten in Paris lieblos, aber immerhin mehrsprachig erzogen. Trost hatte sie stets in der Musik ihres Lieblingskomponisten gefunden: Richard Wagner. Nach ihrer Übersiedlung von Paris über Weimar nach Berlin erhielt sie Klavierunterricht bei Hans von Bülow, dem Lieblingsschüler ihres Vaters. Man kam sich näher. Leidenschaftliche Liebe allerdings war wohl kaum im Spiel, als Bülow bei Liszt um die Hand der Tochter anhielt. Der Vater gab seinen Segen nach dem Versprechen des zukünftigen Schwiegersohns, sich jederzeit für Cosimas Glück zu opfern, sie notfalls für einen anderen Mann freizugeben, wann immer sie dies wünsche. Von einem „Freundschaftsopfer“ sprach Bülow in einem Brief, er habe der Unehelichen „einen glänzenden, ehrenhaften Namen“ geben wollen. Die Hochzeitsreise führte das Paar in das Haus Wagners. Am Abend pflegte man am Flügel aus den Werken des Meisters zu
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spielen. „Cosima hörte mit gesenktem Kopf und gab nichts von sich. Wenn man in sie drang, fing sie an zu weinen.“ Wie unglücklich die junge Frau in ihrer Ehe war, zeigt eine geradezu tragikomische Episode: Als Cosima und Karl Ritter, ein Freund ihres Mannes, eines Tages auf den Genfer See hinausgerudert waren, gab sie diesem Einblick in ihre Gefühle und forderte ihn auf, sie im See zu ertränken. Da Karl jedoch gemeinsam mit Cosima sterben wollte, nahm sie Abstand von dem Vorhaben – schließlich ruderten sie zurück an Land … Richard Wagner schrieb über dieses Ereignis an Mathilde von Wesendonck: „Bei ihrer Zurückkunft zeigte sich Cosima auffallend aufgeregt, und dieses äußerte sich namentlich in krampfhaft heftigen Zärtlichkeiten gegen mich. Noch beim Abschied am folgenden Tag fiel sie mir zu Füßen, bedeckte meine Hände mit Tränen und Küssen, so dass ich erstaunt und erschrocken dem Rätsel nachblickte, ohne es mir deuten zu können; nun entdeckte mir eben neulich Karl, zu welch leidenschaftlichen Vorfällen es zwischen ihm und Cosima gekommen war, und dass sie beide daran gewesen, in Genf sich umzubringen.“ Vier Jahre darauf empfand Richard Wagner bei einem Besuch des Ehepaares ein sonderbares Einverständnis mit Cosima: „Als ich eines Tages den Freunden in meiner Weise ‚Wotans Abschied‘ vorgesungen hatte, gewahrte ich in Cosimas Mienen denselben Ausdruck, den sie mir damals zu meinem Erstaunen bei jenem Abschied in Zürich gezeigt hatte: nur war diesmal das Ekstatische desselben in eine heitere Verklärung aufgelöst. Hier war alles Schweigen und Geheimnis, nur nahm mich der Glaube an ihre Zugehörigkeit zu mir mit solcher Sicherheit ein …“ An einem Novembervormittag des Jahres 1863 – er hatte sich mittlerweile von Minna getrennt – traf Wagner bei von Bülows in Berlin ein. Hans und seine Frau hatten inzwischen zwei Töchter, die dreijährige Daniela und die neun Monate alte Blandine. Diesen Tag, den 28. November, sollten Richard und Cosima künftig als bedeutenden Feiertag ansehen, denn bei einer abendlichen Kutschfahrt der beiden (von Bülow weilte bei Orchesterproben) ereignete sich eine folgenschwere Szene: „Diesmal ging uns schweigend der Scherz aus: wir blickten uns stumm in die Augen, und ein heftiges Verlangen nach eingestandener Wahrheit übermannte uns zu dem keiner Worte bedürfenden Bekenntnis eines grenzenlosen Unglücks, das uns belastete. Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzuhören. Uns war Erleichterung geworden.“
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Bis Cosima seine Geliebte wurde, sollten jedoch noch sieben Monate vergehen. Im Juni 1864 lud Wagner die Familie von Bülow zu sich in das Haus Pellet in Kempfenhausen ein; Hans kam erst acht Tage nach seiner Frau. Wohl eine Woche zu spät … Ahnte der gehörnte Ehemann etwas, oder wurde er vor vollendete Tatsachen gestellt? Jedenfalls erkrankte er kurz nach seiner Ankunft an einer rätselhaften Lähmung, die wechselweise Finger, Arme und Beine befiel. Kaum bewegungsfähig lag Hans in dem zweistöckigen Haus am Ufer des Starnberger Sees, während Freund Richard und Ehefrau nebenan oder obendrüber waren … Erst am 19. August begab er sich in ärztliche Behandlung; Cosima reiste zu ihrem Vater nach Karlsruhe: Sie hatte bemerkt, dass sie von Wagner bereits im zweiten Monat schwanger war … Liszt suchte die Aussprache mit seinem Freund Richard, den er drei Jahre nicht gesehen hatte. Obwohl er selbst wahrlich kein Biedermann war, musste er ihm heftige Vorwürfe machen. Den Ehebruch des Freundes mit seiner Tochter konnte er unmöglich billigen. Doch da die Tatsachen unmittelbare Konsequenzen forderten, wurde vereinbart, dass Cosima zu ihrem Mann nach München zurückgehen müsse. „Elend, fast verloren, wie eine Mücke, die sich im Licht verbrennen muss“, schrieb Richard über Hans. Denn dieser blieb der bedingungslos ergebene Freund, deklarierte die Schwangerschaft offiziell als ehelich und wohnte mit Frau und Töchtern in einer Wohnung in der Luitpoldstraße, nur einen Katzensprung von Wagners Villa entfernt, wo Cosima diesen täglich besuchen konnte … Isolde – die Tochter der beiden – wurde am 10. April 1865 geboren, ausgerechnet dem Tag, als der vermeintliche Vater Hans von Bülow als Dirigent mit den Orchesterproben zu Wagners Oper „Tristan und Isolde“ begann. „Dieses zweite Ich zur Seite, kann ich … mich in der ruhig traulichen künstlerischen Stimmung befassen, wie sie nur der liebevolle Verkehr mit innig befreundeten Künstlern selbst ermöglicht“, sagte Richard. Nachdem Wagner Ende des Jahres aus Bayern verbannt worden war, fand er mit seiner Geliebten und allen Töchtern sein vorübergehendes Paradies in einer weißen Villa am Vierwaldstättersee: Haus Tribschen. Am 4. April 1866 mietete Wagner das Haus für ein Jahr an, schon bald reifte der Wunsch in ihm, es bis zu seinem Lebensende nicht mehr zu verlassen. Sechs Jahre sollten es dann immerhin werden. Doch zunächst währte das Glück nicht lange. Wenige Monate später stand ein gedemütigter Hans von Bülow vor der Tür: Die Zeitungen hatten über die ehe-
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brecherische Beziehung seiner Frau zu dem berühmten Komponisten berichtet, wenn auch nur andeutungsweise (so schrieb der „Volksbote“ am 31. Mai, dass sich Frau von Bülow „bei ihrem Freund (oder was?) in Luzern“ befinde …). Der Gehörnte, der Wagner dennoch nach wie vor bedingungslos ergeben war, quälte sich und seine Umgebung über Monate. Die Tage zogen sich hin mit Streit, Vorwürfen, versöhnlichen Bootsfahrten und gemeinsamem Musizieren am Abend. Am 1. September endlich verließ Hans die Villa und ging in eine selbst gewählte Verbannung nach Basel – und war damit noch lange nicht aus dem Leben der Liebenden verschwunden. Denn Wagner selbst brauchte von Bülow dringend als Dirigent der „Meistersinger“-Uraufführung und setzte durch, dass er Hofkapellmeister wurde. Allerdings musste nach von Bülows Rückkehr – auch dem König zuliebe – Possentheater gespielt werden: Cosima hatte mit Daniela, Blandine und Isolde bei ihrem angetrauten Ehemann in München zu leben, Wagner blieb mit der zwei Monate alten Eva – seiner zweiten Tochter mit Cosima – und deren Kindermädchen in Tribschen. „So traurig war ich doch wohl noch nie in meinem Leben“, schrieb der Einsame, um wenige Wochen später bei der „Familie“ von Bülow vor der Tür zu stehen … Nach weiteren Irrungen und Wirrungen in den nächsten Jahren zog Cosima Ende des Jahres 1868 endgültig zu Wagner, und wenige Monate später willigte Hans in die Scheidung ein. Er siedelte nach Florenz über, von wo aus er Konzertreisen unternahm. Aus der Zeitung erfuhr er im Juni 1869 von der erneuten Niederkunft Cosimas: Sohn Siegfried war geboren worden. Eine persönliche Nachricht erhielt er nicht. Was in Hans von Bülow vorgegangen sein muss, lässt sich nur vermuten. Cosima und Richard heirateten am 25. August 1870 in der evangelischen Kirche von Luzern und bauten ihre eigene Villa in Bayreuth. In die Front wurde eine Inschrift gemeißelt: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried sei dieses Haus von mir benannt.“ Nur der 63-jährige Wagner selbst gefährdete den häuslichen Frieden, als er sich auf seine letzte Affäre mit der über 30 Jahre jüngeren Französin Judith Gautier, genannt der „Orkan“, einließ. „Das Leid, vor welchem mir bangte, blieb nicht aus; von Außen brach es herein! Gott helfe mir!“, schrieb Cosima am 12. Februar 1878 in ihr Tagebuch, nachdem sie einige Briefe entdeckt und von der Affäre erfahren hatte. Zwei Jahre darauf wehte der „Orkan“ noch einmal auf Besuch in „Wahnfried“ – und stürzte vor allem
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die Betrogene in peinliche Verlegenheit. Cosimas Liebe zu Richard blieb jedoch bis zum 13. Februar 1883 unerschüttert, als sie in Venedig ihren toten Mann in den Armen hielt. Trotz Wagners Seitensprung, dessen Motive weitgehend im Dunklen geblieben sind: Wie stark muss die Liebe zwischen ihm und Cosima gewesen sein, die sie allen Widrigkeiten und Widerständen zum Trotz durchsetzten und dabei scheinbar skrupellos ihnen nahestehenden Menschen tiefes Leid zufügten? Neben dem von Freund und Ehefrau doppelt betrogenen Hans von Bülow darf man schließlich die besonders verletzlichen fünf Kinder nicht vergessen, die aus beiden Beziehungen hervorgingen; spurlos kann die Geschichte an ihnen unmöglich vorübergegangen sein. Und Cosima? Da Wagner selbst frei, sie aber gebunden war, musste sie – wie Antonie Brentano – den ersten Schritt tun, um Ordnung in das Chaos zu bringen. Die freie Selbstbestimmung über ihr Liebesglück war damals eine ungeheure Kühnheit für eine Frau und wäre es ein halbes Jahrhundert zuvor im Falle Antonies nicht weniger gewesen – zumindest ihren Kindern und ihrem Ehemann blieb vieles erspart. Und Beethoven? Müßig, darüber zu spekulieren, wie eine Beziehung mit Antonie sein Leben und Werk beeinflusst hätte. Zu denken gibt jedoch eine Äußerung Richard Wagners, festgehalten von Cosima: „Er wiederholt, dass er sich sein Leben gar nicht vorstellen könnte ohne mich, er weiß gar nicht, was aus ihm geworden, gewiss die bedenklichste Art Sonderling.“ Vielleicht wie Beethoven in seinen späteren Jahren, nachdem er – im Gegensatz zu Wagner – nicht nur sein Gehör, sondern auch sein „zweites Ich“ verloren hatte … Von „einer höheren Fügung“ sprach Cosima und davon, was sie „dazu trieb“, womit sie das Unausweichliche der Verbindung mit Richard betont. In eine ähnliche Richtung gehen rückblickend seine Gedanken über ihren Feiertag, den 28. November 1863, die er ihr selbst für seine Autobiographie diktierte: „Nach einer in der Bülowschen Wohnung verbrachten Nacht trat ich meine Weiterreise an, beim Abschied an jene erste wunderbar ergreifende Trennung von Cosima in Zürich in der Weise gemahnt, dass mir die dazwischenliegenden Jahre als ein wüster Traum zwischen zwei Tagen der höchsten Lebensentscheidung verschwanden. Nötigte damals das ahnungsvoll Unverstandene zum Schweigen, so war es nicht minder unmöglich, dem jetzt unausgesprochen Erkannten Worte zu geben.“
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Richard Wagner war sich sehr wohl bewusst, dass er in seiner zweiten Frau eine Wesensverwandte, mehr noch: sein „zweites Ich“ gefunden hatte. „Süßer Abschied von R. zur Nacht“, schreibt Cosima am 14. März 1873, „er meint, so etwas wie unsere Vereinigung gäbe es nicht wieder auf dieser Welt.“ Und am 21. Mai 1878 heißt es: „Wenn, wie auch heute, R. mich „meine Seele“ begrüßt, dann möchte ich versinken, vergehen oder ihn halten, den seligen Augenblick. Doch das Leben rollt weiter, nicht dürfen wir weilen auf den Höhen.“ Trotz all der Schmerzen, die das Paar sich selbst und anderen mit ihrer Vereinigung zufügten: Sie haben es nicht bereut. Drei Jahre vor seinem Tod sagte Wagner zu Cosima, seiner „Seele“: „Wir haben es vernünftig gemacht.“
„… die Nacht im Traume durchgeweinet“ Die Jenny Raymann alias Giulietta Guicciardi Gustav Mahlers trug den Namen Josephine Poisl. Auch wenn kein aristokratisches Blut in ihren Adern floss und ihr Vater nicht Graf, sondern Vorsteher der Telegraphenstation Iglau war: Das Werben Gustavs sollte ähnlich aussichtslos sein. Der 20-Jährige taugte (wie Richard und Ludwig vor ihm) wohl zum Klavierlehrer des Töchterchens, als brotloser Musikstudent jedoch hatte er bei den Eheleuten Poisl keine Chance. Der Vater beendete die Angelegenheit, bevor sie in ernstere Bahnen geraten konnte. Gustav war außer sich, wie der letzte der drei erhaltenen Briefe an Josephine verrät: „Die Verzweiflung diktiert mir diese Zeilen … Ich habe mich nie vor einem Menschen gedemütigt. Sieh’! Ich kniee vor dir! – O, bei allem, was dir lieb ist – wenn du nur ja den geringsten Funken Liebe zu mir gefühlt hast – Ich beschwöre dich – gib mir ein Zeichen, dass ich nicht verzweifeln muss … ich bin meiner kaum mächtig – das Blut stockt in meinen Adern – und ich wandle umher wie eine Leiche! – … Ja! Ja! Du liebst mich noch! – Du musst mich noch lieben – sonst muss ich an dem Lichte, an dem Himmel verzweifeln – ja an Allem, was schön und hold ist! – O, meine Süße, Heißgeliebte! Höre mich – über alle Länder und Berge, die zwischen uns sind – schreie ich zu dir aus meiner tiefsten Not! Gib, gib mir ein Zeichen!“ Es blieb aus – und Mahler (zunächst) allein. Vor unbefangenen, gar intimen Kontakten zu Mädchen und Frauen scheute er zurück, und zwar
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aus gutem Grund. An jedem siebten Haus in Wien fand sich nämlich die Tafel „Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten“. Gleich drei abschreckende Beispiele gab es in seinem eigenen Freundeskreis: Männer seines Alters, infiziert mit der Syphilis, einer heimtückischen, kaum heilbaren Krankheit, die zur „Gehirnerweichung“ führen konnte, wenn der Betroffene sich nicht nach der Diagnose selbst das Leben nahm – was etliche taten. Gustav Mahler war das Risiko einer Ansteckung zu hoch, und so folgte er einstweilen einer weiteren zentralen Botschaft aus Richard Wagners „Parsifal“: Enthaltsamkeit. Eine Schwäche für weibliche Schönheit lässt sich hingegen nur unschwer unterdrücken, und dass leidenschaftliche Liebe die Seele eines Menschen infizieren kann, musste Mahler bald am eigenen Leib erfahren. Der 23-Jährige war noch nicht ganz in Kassel angekommen, wo er als Musik- und Chordirektor an der Oper wirkte, da hatte er sich schon in eine gleichaltrige Sängerin verliebt: Johanna Richter. „Eine ausgesprochene Schönheit“ soll die kokette Koloratursopranistin gewesen sein. Der unerfahrene Gustav war ihr und ihren Reizen hoffnungslos erlegen. Mehr Schmerzen als Freuden sollte die Affäre ihm bereiten, mehr Bangen als Hoffen. „Ein Tal der Tränen“ musste durchwandert werden, meint der Mahler-Biograph Fischer, der anhand eines Briefberichtes des Komponisten vom 1. Januar 1885 verdeutlicht, „wie es zwischen den beiden zuging“. Nach einer gemeinsam verbrachten Silvesternacht schreibt Mahler an seinen Freund Löhr: „Ich saß gestern Abend allein bei ihr und wir erwarteten beinahe stumm die Ankunft des neuen Jahres. Ihre Gedanken weilten nicht bei dem Gegenwärtigen, und als die Glocke schlug, und Tränen aus ihren Augen stürzten, da kam es so furchtbar über mich, dass ich, ich sie nicht trocknen durfte. Sie ging in das Nebenzimmer und stand eine Weile stumm am Fenster, und als sie wiederkam, still weinend, da hatte sich der unnennbare Schmerz wie eine ewige Scheidewand zwischen uns aufgestellt, und ich konnte nichts anderes, als ihr die Hand drücken und gehen. Als ich vor die Türe kam, da läuteten die Glocken, und vom Turm tönte der feierliche Choral … Ach, lieber Fritz, – es war alles, als ob der große Weltenregisseur es recht kunstgerecht hätte machen wollen. Ich habe die Nacht im Traume durchgeweinet.“ Wer mehr über Gustav und Johanna erfühlen möchte, der höre am besten Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Das zu dieser Zeit entstandene und aus der Liebesbeziehung inspirierte Werk sagt eigent-
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lich alles. „Ich hab ein glühend Messer … in meiner Brust“, heißt es im dritten Lied … Auch wenn eine Steigerung kaum möglich erscheint: Gleich mehrere Messer müsste der Komponist zehn Jahre später gespürt haben, nachdem eine Frau in sein Leben getreten war, die nach Fischers Ansicht die Liebe seines Lebens wurde. „Zweifellos auch für die innere Biographie des Künstlers und Menschen Gustav Mahler wichtigste Liebesbeziehung“, meint Franz Willnauer. Sie habe „Tiefenbezirke an die Oberfläche“ gebracht, die vielleicht sogar für ihn selbst neu gewesen seien. Gemeint ist jedoch nicht, und das mag überraschen, die spätere Ehefrau Alma, sondern Anna von Mildenburg.
Gab es eine stille Vereinbarung der Liebenden? Man weiß es nicht. Doch nicht nur Gustav Mahler vermied es später, irgendwelche Einzelheiten über diese besondere Beziehung ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Auch Anna von Mildenburg hüllte sich weitgehend in Schweigen, selbst in ihren 1921 veröffentlichten Erinnerungen. Sobald dort jedoch von Mahler die Rede ist, spürt man ihre Liebe „zwischen den Zeilen“, wie Fischer befindet. Über 100 Briefe des Komponisten, die im Jahr 2006 veröffentlicht wurden, offenbaren hinreichend seine Gefühle für eine Frau, die „wie ein Elementarereignis“ (Willnauer) in das Leben Mahlers hereinbrach. Anna Mildenburg von Bellschau, die sich Anna von Mildenburg nannte, entstammte einer Offiziersfamilie, die durch Stationierungen des Vaters oft den Wohnsitz gewechselt hatte. Noch 22-jährig kam die Sängerin im Herbst 1895 nach Hamburg, um sich für ihre erste Rolle – die der Brünnhilde – vorzubereiten. Anfang September begegnete sie dem zwölf Jahre älteren Kapellmeister Gustav Mahler zum ersten Mal; und eine leidenschaftliche Affäre nahm ihren Anfang. Sein Morgenbrief zu ihrem 23. Geburtstag am 29. November offenbart, dass es um die Liebenden schon geschehen war … Er ist wohl nach der ersten gemeinsamen Nacht geschrieben worden. „Meine liebste Anna! Sei mir gegrüßt am heutigen Morgen! Wie fühle ich mich beglückt, dass ich dir es sagen darf, was dieser Tag für mich bedeutet. Er ist im ureigensten Sinne zu meinem Geburtstag geworden! – So, siehst du mein Lieb?, jetzt habe ich dir doch meinen
„… die Nacht im Traume durchgeweinet“
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Geburtstag verraten. Vor einigen Tagen hast du mir angedeutet, dass die Zahl 23 in deinem Leben bedeutungsvoll ist. – Hast du geahnt, was dieser 23. Geburtstag für dich bedeuten wird? In wenigen Stunden werde ich dir in die lieben Augen blicken. Ich kann es kaum erwarten. Wird einmal der Tag kommen, wo es ich immer tun darf? …“ Mahlers Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Bereits wenige Monate später, am 7. Februar 1896, schrieb er einen Brief, der von einer ersten, unendlich tief erscheinenden emotionalen Wunde zeugt: „Anna! Was ich in diesen Tagen durchgemacht habe – und was ich in Zukunft durchmachen werde – kann ich nicht sagen! Anna! Ich habe noch nie zu einem Menschen eine so reine und heilige Liebe gehegt – Du liebst mich nicht! Gott! Darüber hinauskommen werde ich nie! … Anna – ich mache dir keine Vorwürfe! Aber was hast du mir getan!? Du fragst, ob es mir lieber ist, dass du mir kühl entgegenkommst? Kannst du mir noch kühler entgegenkommen, als du schon getan? – Du willst mir deine Achtung und Vertrauen schenken? Weißt du nicht, dass sich diese Worte wie glühende Messer in mein Herz bohren? Ich muss dir fern bleiben – ich kann dir nichts mehr sein! Es geht mir an’s Leben! Glaube das! Anna, wenn du verlangt hättest, dass ich Dir mein Leben opfere – ich hätte es tun können. Aber – o Gott – wie hast du nur Liebe heucheln können? Wie hast du das über dich gebracht? Habe ich das um dich verdient? …“ Niemand weiß, was geschehen war, das Mahler dermaßen erschüttert hatte. Und doch bedeutete jenes geheimnisvolle Ereignis keineswegs das Ende der Beziehung zwischen diesen beiden Menschen, auch wenn der Brief danach klingen mag. Alles schien wieder gut in den folgenden Monaten des Jahres 1896, die Vertrautheit zwischen ihnen wuchs und wuchs, wie Mahlers Briefe zeigen. Liebe und Herzlichkeit sprechen aus ihnen, „mein innigstgeliebtes Annerl“ heißt es, „meine geliebte, theuere Anna“. Bis zum März 1897. Es ist ein ungelöstes Rätsel, warum Mahlers Gefühle plötzlich erkalteten. Waren ihre Szenen, die sie in aller Öffentlichkeit gemacht haben soll, für ihn unerträglich geworden? Störte ihn auf einmal die Tatsache, dass sie deutlich größer war als er? Oder spielte etwa doch ihre mangelnde Attraktivität eine Rolle? Immerhin war Alma Schindler, die seine Frau werden sollte, eine blendende Schönheit. Keiner dieser Gründe kann überzeugen. Angesichts der ungeheuren Leidenschaft, die der Komponist Anna
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entgegenbrachte, muss das Aussehen ohnehin nebensächlich gewesen sein. Aber was war es dann, das Mahler so zu ihr hinzog? Meine Überzeugung ist, dass Gustav Mahler in Anna von Mildenburg eine Wesensverwandte – seine Antonie, seine Cosima – gefunden hatte. Neben den offen zutage tretenden Parallelen der Persönlichkeiten Mahlers und Annas ist außerdem bemerkenswert, dass auch sie „auffallend musikalisch frühbegabt“ war und bereits mit sieben Jahren Klavier-, später auch Gesangsunterricht erhielt. In ihren Erinnerungen bekennt Anna die Bedeutung, die „eine alte vergilbte Mappe“ ihres Großvaters für sie besaß, da diese Lieder Schuberts und Schumanns enthielt und ihr eine neue Welt eröffnete: die der Musik. Sie wird Zuflucht gesucht haben in ihr – vor all dem Schrecklichen, das sie nach eigener Aussage in ihrer Kindheit traumatisierte. Das sie, wie Mahler und seine „Leidensgenossen“, ganz offensichtlich mitleidig und mitfühlend war, geht aus einem Ereignis hervor, das Alma in ihren Erinnerungen folgendermaßen wiedergibt (von Mildenburg wohnte eine Zeit lang in der Nähe des Ehepaares): „Abends kam sie unaufgefordert zu Besuch, mit einem räudigen Hund, den sie ‚dem Schinder‘ abgekauft hatte, aus ‚Güte, aus Alliebe‘, wie sie durchblicken ließ und aus vielen anderen nicht minder erhabenen ethischen Gründen …“ Gustav Mahler, der dieses Tier Alma zufolge angeblich nicht mochte, hat im Gegensatz zu seiner Frau ihr Handeln sicherlich verstehen können. Empfand er doch (nicht nur) in dieser Hinsicht wie sie. So wie es andersherum ebenso der Fall war. „Dass Anna ihn verstand“, befindet Fischer, „können wir nur aus seinen Briefen entnehmen, nicht aus ihren, die nicht erhalten sind, wohl aber aus den nachträglichen Erinnerungen an ihn, die selbst in ihrer Knappheit mehr Verständnis atmen als die weitschweifigen Almas.“ Als einen „der großen Fehler seines Lebens“ sieht der Biograph die Zurückweisung der ihn liebenden Natalie BauerLechner an, deren Gefühle Mahler nicht erwidert habe. Auch wenn die Gründe für immer unbekannt bleiben werden: Vielleicht muss man die Trennung von Anna als einen noch größeren ansehen. Denn ein Freund des Komponisten sagte einst über ihn: „Sein ganzes Leben, sein ganzes Werk kennen in den mannigfaltigsten Abwandlungen nur ein Einziges: die Sehnsucht nach Liebe.“
Dem Jenseits zu nahe Sieh’ uns nur an, denn bald sind wir ferne! Was dir nur Augen sind in diesen Tagen: In künft’gen Nächten sind es dir nur Sterne. (Mahler, Kindertotenlieder)
„Nur sie … hielt mich zurück“ „Mit Hilfe seiner Musik hatte sich Beethoven in den schützenden Mantel seiner Tagträume gehüllt“, schreibt Maynard Solomon über das Kind Beethoven; es scheint sicher, dass die Welt der Klänge auch für den erwachsenen Komponisten immer diese Schutzfunktion einnahm. Denn der Tod und der Gedanke an ihn waren nicht nur in schicksalhaften Krisen, sondern ein Leben lang ständige Begleiter gewesen. Seit seiner Geburt war er gegenwärtig für ihn … wie auch die Trauer um die vielen Toten. Verständlich daher seine Nähe zum Tod. Selbstmordgedanken waren ihm niemals fremd und werden in mehreren Briefen an enge Freunde ausgesprochen. Einer von ihnen, der Tenor Joseph August Röckel, hat einen Suizidversuch ausdrücklich bestätigt, ohne jedoch das Jahr zu nennen. Solomon nimmt an, dass es sich um Frühjahr oder Sommer 1813 gehandelt hat, „als das Gefühl der Unzulänglichkeit und Verzweiflung Beethoven an den Rand des psychischen Zusammenbruchs (oder gar darüber hinaus) getrieben hatte.“ Auch wenn die Wahrheit der Aussage Röckels stark in Zweifel gezogen wird: Es gab eine ganze Reihe von weiteren Momenten in Beethovens Leben, da Selbstmordgedanken ihn ernsthaft beschäftigten: Oktober 1802. Beethoven spielt in seinem „Heiligenstädter Testament“ deutlich auf Suizid-Pläne an: „Es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben“, heißt es dort. Maynard Solomon bemerkt dazu, dass
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der Komponist seit mindestens drei Jahren „an heftigen Angstanwandlungen, die an Panik grenzten“, gelitten habe. Mai 1810. Nach seiner vergeblichen Werbung um Therese Malfatti schreibt Beethoven an seinen Freund Wegeler: „Hätte ich nicht irgendwo gelesen, der Mensch dürfe nicht freiwillig scheiden von seinem Leben, solange er noch eine gute Tat verrichten kann, längst wär’ ich nicht mehr – und zwar durch mich selbst.“ Mai 1816. Beethoven ist ernsthaft erkrankt und schreibt an Marie Erdödy: „Nun ist meine Gesundheit auch seit 6 Wochen auf schwankenden Füßen, so dass ich öfter an meinen Tod, jedoch nicht mit Furcht denke.“ Auch in dem zwischen 1812 und 1818 geführten Tagebuch finden sich mehrere Einträge, die sich mit Tod und Selbstmordgedanken befassen: „Der mit einem Übel behaftet wird, welches er nicht ändern kann, sondern welches nach und nach ihn dem Tode näher bringt und ohne welches sein Leben länger gedauert hätte, muss denken, dass er auch so durch Mord oder andere Ursachen hätte noch geschwinder umkommen können o glücklich wer nur für …“ Nicht nur durch den „schützenden Mantel“ seiner Musik und den der geliebten Natur, auch durch seine Hinwendung zu Gott gelang es Beethoven, seinen Selbstmordgedanken Herr zu werden. In seinem Tagebuch notierte er bezeichnenderweise: „Gott, Gott, mein Hort, mein Fels, o mein Alles, du siehst mein Inneres und weißt, wie wehe mir es tut, jemanden leiden machen müssen.“ Besonders bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, dass Beethoven das eigene Genie als von Gott gegeben auffasste. In einem Brief an seinen Lehrer Neefe sprach er von seiner „göttlichen Kunst“. Daher half ihm auch dieser durchaus religiöse Glaube an seine Musik und ihre Mission immer wieder, ins Leben zurückzufinden; so wie er es selbst im „Heiligenstädter Testament“ formulierte: „– nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend …“
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Geister und Gesichte „Wer kann ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem Herzen in dieser Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisierten und legalisierten Mordes und Raubes blicken, ohne zuzeiten mit schaudervollem Ekel sich von ihr abwenden zu müssen? Wohin fällt dann sein Blick? Gar oft wohl in die Tiefe des Todes.“ Diese Sätze stehen in der Abhandlung „Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth 1882“, die Richard Wagner kurz vor seinem Tod niederschrieb. Wie oft hatte er in seinem Leben in diese Tiefe blicken müssen … Denken wir nur an die vielen Toten in seiner Kindheit zurück! Was traumatische Erlebnisse wie diese ausrichten können, zeigt sich in eindrucksvoller Weise auch bei Wagner. Ein auffälliges Symptom war seine Gespensterfurcht, über die er in „Mein Leben“ bekannte: „Die Erregung des Grausens und der Gespensterfurcht bilden einen ganz besonderen Faktor der Entwicklung meines Gemütslebens. Von zartester Kindheit an übten gewisse unerklärliche und unheimliche Vorgänge auf mich einen übermäßigen Eindruck aus; ich entsinne mich, vor leblosen Gegenständen als Möbeln, wenn ich länger im Zimmer allein war und meine Aufmerksamkeit darauf heftete, plötzlich aus Furcht laut aufgeschrien zu haben, weil sie mir belebt schienen. Keine Nacht verging bis in meine spätesten Knabenjahre, ohne dass ich aus irgendeinem Gespenstertraum mit fürchterlichem Geschrei erwachte, welches nie eher endete, als bis mir eine Menschenstimme Ruhe gebot. Das heftigste Schelten, ja selbst körperliche Züchtigung erschienen mir dann als erlösende Wohltaten. Keines meiner Geschwister wollte mehr in meiner Nähe schlafen; man suchte mich so fern wie möglich von den übrigen zu betten und bedachte nicht, dass meine Gespensterhilferufe nur desto lauter und anhaltender wurden, bis man sich endlich an diese nächtliche Kalamität gewöhnte.“ Überflüssig zu erwähnen, dass ein solcher Umgang mit einem verängstigten Kind wenig vorbildlich und hilfreich ist. Einen sehr guten Einblick in die gepeinigte Seele des Neunjährigen gewährt die folgende Episode aus der Zeit, als das Kind in die Hände seines Onkels Adolf gegeben und in einem alten herrschaftlichen Haus untergebracht wurde: „Wohl gefiel ich mir sehr in diesen großen phantastischen Räumen … Nur an einem Schmuck dieser Räume hatte ich sehr zu leiden: das waren die verschiedenen Porträts, namentlich der vornehmen Damen im
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Reifrock mit jugendlichen Gesichtern und weißen (gepuderten) Haaren. Diese kamen mir durchaus als gespenstige Wesen vor, die mir, wenn ich allein im Zimmer war, lebendig zu werden schienen und mich mit höchster Furcht erfüllten. Das einsame Schlafen in einem solchen abgelegenen großen Gemach, in dem altertümlichen Prachtbett, in der Nähe eines solchen unheimlichen Bildes, war mir entsetzlich; zwar suchte ich vor der Tante, wenn sie mich des Abends mit einem Licht zu Bett brachte, meine Furcht zu verbergen; doch verging nie eine Nacht, ohne dass ich in Angstschweiß gebadet den schrecklichen Gespenster-Visionen ausgesetzt war.“ Es liegt auf der Hand, dass auch hier eine Wurzel für Wagners Vorliebe für große, prächtige Räume zu suchen ist und seine Faszination für Gestalten wie den „Fliegenden Holländer“ aus dieser Zeit ihre Nahrung bezog. Das (vermeintlich) Unheimliche in der Musik erfasste und faszinierte ihn schon früh. So erinnerte er sich an die Eindrücke, die Carl Maria von Webers „Oberon“ auf ihn machten, den er kurz nach dem Tod des Komponisten kennenlernte: „Schon das Einstimmen der Instrumente setzte mich in mystische Aufregung: Ich entsinne mich, dass namentlich das Anstreichen der Quinten auf der Violine mir wie Begrüßung aus der Geisterwelt dünkte … Schon als kleinstes Kind fiel dieser Klang der Quinten mit dem Gespensterhaften, welches mich von jeher aufregte, genau zusammen. Ich entsinne mich noch in späterer Zeit, nie ohne Grausen an dem Palais des Prinzen Anton, am Ende der Ostallee in Dresden vorübergegangen zu sein; in dieser Gegend hatte ich nämlich zuerst und dann häufiger das Stimmen einer Violine in der Nähe gehört, welches mir von den steinernen Figuren zu kommen schien, mit denen dieses Palais geschmückt ist, und unter welchen einige mit musikalischen Instrumenten ausgestattet sind … Da ich nun auch das bekannte Bild sah, auf welchem ein Totengerippe einem sterbenden Greis auf der Violine vorspielt, so prägte sich das Geisterhafte gerade dieser Klänge der Phantasie des Kindes mit besonderer Stärke ein …“ Die Empfänglichkeit für Übersinnliches verließ auch den erwachsenen Wagner nie. Cosima schrieb am 9. Februar 1869 in ihr Tagebuch: „Nach Tisch zeigt mir R. das ‚Geisterbuch‘ von Daumer; ich lese einige Erzählungen daraus: das stumme Kind, das seine Schwestern an einem Tag zu pflegen vergessen, dem der Geist der Mutter erschien und die Nahrung gab, welches dies den plötzlich besorgten Schwestern selbst erzählte – (das Wunder hatte die Zunge ihm gelöst) und darauf starb.
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Wir sind ganz erschüttert davon – ‚ob man mit lieben Geistern in Verkehr sei, darauf käme es an‘, sagt Richard, der einen großen Hang und vielleicht in großer unbewusster Verbindung zu diesen Regionen steht.“ Eine durchaus amüsante Begleiterscheinung der Wagner’schen Gespensterfurcht war, dass er diese auch anderen einjagen wollte. Hatte schon der kleine Richard gemeinsam mit seiner Halbschwester Cäcilie Passanten mittels eines ausgehöhlten Kürbisses zu Tode erschreckt, so trieb es der erwachsene nicht minder ausgelassen. Im Juni 1842 brach Wagner von Teplitz aus zu mehrtägigen Fußwanderungen auf: „Die phantastische Einsamkeit regte meinen Jugendmut in der Art wieder auf, dass ich eine volle Mondnacht, in das bloße Bett-Tuch gewickelt, auf den Ruinen des Schreckensteins herumkletterte; um mir so selbst zur fehlenden Gespenstererscheinung zu werden, wobei mich der Gedanke ergötzte, von irgend jemand mit Grausen wahrgenommen zu werden.“ Doch das Angsteinflößende dieses Wesenszuges dominierte. Zehn Jahre nach den unvergesslichen Eindrücken in Leipzig machte Wagner sich nach Wien auf, der Wirkungsstätte seines großen Vorbildes Beethoven. Als er in Brünn alleine in einem Gasthof übernachten musste, erfuhr er, dass in der Stadt die Cholera ausgebrochen war: „Ganz allein in einer mir wildfremden Gegend, ohne alle Beziehung zu dem Ort, an dem ich mich zufällig bekannt, war es mir bei dieser Nachricht, als ob ein tückischer Dämon mich in diese Falle gelockt hätte, um mich spurlos zu vernichten … als man mich aber in einen sehr abgelegenen Flügel des Hauses zum Schlafen führte und nun plötzlich mich in dieser Öde allein ließ, vergrub ich mich angekleidet in das Bett, und erlebte nochmals alles, was ich je in meiner Knabenzeit von Gespensterfurcht erlitten hatte. Die Cholera stand leibhaftig vor mir: ich sah sie und konnte sie mit Händen greifen; sie kam zu mir ins Bett, umarmte mich; meine Glieder erstarrten zu Eis, ich fühlte mich tot bis an das Herz hinan.“ Was für diese Nacht in Brünn gilt, lässt sich für das ganze Leben des Komponisten sagen: Richard Wagner hatte ungeheuer lebendige und realistische, ihm oftmals in Erinnerung bleibende Träume, schon als Kind wurde er von ihnen heimgesucht. „Von ihres Bruders plötzlichem Aufschreien während des Schlafes, von seinem Sprechen, Lachen und Weinen während der Nacht wusste die Schwester genug zu erzählen …“, berichtet Glasenapp. Auch Cosimas Tagebücher zeugen davon. Dass in seinen Albträumen Tod und Geister so häufig im Mittelpunkt stehen, ist
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bezeichnend. In der Nacht zum 5. November 1873 beispielsweise erschien Wagner in einem „wehmütigen Traum“ die hünenhafte Gestalt seines „Tristan“-Sängers Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der acht Jahre zuvor vermutlich an Typhus gestorben war. Geradezu unheimlich ist in diesem Zusammenhang, dass er den frühen Tod des Sängers gewissermaßen vorhergesehen hatte. In einem Brief an Eliza Wille schrieb er: „In der vierten Aufführung erfasste mich – im letzten Akte – das Gefühl des Frevels dieser ungeheuren Leistung. Ich rief: Dies ist die letzte Aufführung des Tristan; nie wieder darf er gegeben werden!“ Auch wenn die Oper selbst auf die Bühnen zurückkehrte – Schnorr sollte den Tristan in der Tat nie wieder spielen. Dunkle Vorahnungen – die glücklicherweise nicht eintrafen – manifestierten sich häufig in Wagners Träumen; eine tiefe Sorge um den Verlust geliebter Menschen wie seinen einzigen Sohn … Cosima hielt sie im Tagebuch fest: 16. Januar 1878: „Er hatte heute bei der Nachmittagsruhe einen traurigen Traum; es sang jemand auf dem Wasser, ich sagte, das könnte ich nicht gut leiden, da näherten wir uns, und es war Fidi, der singend versank und uns sagte: Adieu Papa, Adieu Mama!“ 8. Mai 1881: „Er hatte eine schlimme Nacht, träumt von Siegfried’s Sturz in einen Abgrund, dass wir ihn mit fehlendem Gesicht (wahrscheinlich Erinnerung an die Pergamenischen Funde) sehen, aber doch beleben; er gleich gehen wollend, wir aber von einer Frau gewarnt, ihn nicht zu früh gehen zu lassen, schon ein Kind sei dann wirklich tot gewesen.“ Auch Cosima drohte Wagner in seinen Träumen zu verlieren, durch Mord (31. Oktober 1882): „Anfangs der Nacht hatte R. den beängstigenden Traum, dass man mich umbringen wollte und er mich nicht verteidigen konnte.“; oder Suizid (17. Mai 1881): „R. träumt, dass ich wegen unglücklicher Liebe sterben wollte, bereits dazu angezogen war und einen Blumenkranz in den Haaren, er, wütend, ruft mir zu, aber noch vor ein paar Tagen hast du mich Puschel genannt!“ Nahrung bezogen Träume wie diese ganz gewiss aus dem Umstand, dass Todesgedanken den beiden alles andere als fremd waren. „Ich befand mich in dieser ganzen Zeit sehr leidend und von schmerzhaften katarrhalischen Zuständen heftig geplagt“, schrieb Richard rückblickend über den Februar 1864, „Todesgedanken traten mir so nahe, dass ich endlich zu ihrer Abwehr keine Lust mehr empfand.“ Und zwei
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Monate später wurde es nach der „schwärzesten Todesnacht meines Daseins“ doch wieder Tag für Wagner. Kurz vor den ersten Bayreuther Festspielen, am 22. Juli 1876, trat er nachts mit seiner Frau ans Fenster, blickte zu seinem Lieblings-Sternbild, dem Großen Wagen, empor und sagte: „Beschütze mein Weib und meine Kinder, guter Stern, mit mir mache, was du willst.“ – „Richard ist sehr traurig, sagt, er möchte sterben“, schrieb Cosima sechs Wochen später in ihr Tagebuch, nachdem der erwartete Erfolg ausgeblieben war. Auch am 27. September 1881 war Wagner des Lebens überdrüssig: „Bereits bevor ich zum Bade ging, war er in meiner Stube erschienen: ‚Wie wollen wir unseren Sarg machen, wie willst du’s, aus Zinn oder Holz?‘ Denn vor dem Tode hört der Unsinn nicht auf, für uns gibt es nur noch den Tod.“ Vor allem zwischen dem 30. und 50. Geburtstag wurde Wagner wiederholt von Todesahnungen überfallen und fürchtete, sein Werk nicht vollenden zu können. Über Suizidversuche jedoch ist nichts bekannt. Auch wenn der Wunsch zu sterben, um körperlichen oder seelischen Schmerzen zu entfliehen, scheinbar leichtfertig geäußert wurde: Eine unverhohlene, aus Melancholie entspringende Todessehnsucht spricht aus mehreren Tagebucheinträgen Cosimas. Wie plötzlich und unvermittelt sie und Richard von Todesgedanken ergriffen wurden, zeigt auch der Eintrag vom 5. Oktober 1876 während einer Überfahrt nach Sorrento: „Auf dem Schiff Sänger und Gitarristen und Fiedler, volkstümliche heitre und klagende Lieder, dazu Strohgeflechte und Austern angeboten, alle Sprachen gesprochen; während dunkelblau Meer ewiges Wiegenlied dazu gibt und die blauen Linien der Berge dies alles begrenzen – ein Traum, seltsam! Ist es das Fremdoder Heimischsein darin, das uns wehmütig stimmt, sanftes Sehnen möchte ich es nennen, aber wonach? Nach Lebendem nicht!“ War es dieses Sehnen, das Richard Wagner am Ende seines Lebens nach Venedig zog, in die Stadt, deren Morbidität er bei seinem ersten Besuch Ende August 1858 so deutlich gespürt hatte? Angesichts des Aussehens einer Gondel war er „aufrichtig erschreckt“ und ihm kam „zunächst nichts andres als der Eindruck einer früher überstandenen Cholera-Furcht“ in den Sinn. Er glaubte, „an einem Leichenkondukte in Pestzeiten teilnehmen zu müssen“. Es scheint fast, als ob Wagner bei dieser ersten Begegnung mit der Lagunenstadt seine letzte Heimfahrt in der Todesgondel vorausgesehen hatte, die er genau ein Vierteljahrhundert später antreten musste.
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Unter Kränzen und Blumen Todesgedanken verfolgten auch Gustav Mahler seit seiner Jugend; was angesichts der zahlreichen Trauerfälle in seiner Familie kaum verwundert. Man kann nur erahnen, was in den am Leben bleibenden Kindern vorging und wie sehr die tragischen Ereignisse sie prägten. So spielte Mahlers Schwester Justine, vom frühen Sterben der Geschwister traumatisiert, den eigenen Tod: Sie klebte Wachskerzen rings auf den Rand des Bettes, legte sich hinein und zündete die Lichter an. „Ganz fest“ soll sie geglaubt haben, nun tot zu sein … Diese „kleine Geschichte“, die sie neben den „finsteren Selbstmord“ des Bruders Otto stellte, nannte Alma „Gustav-Mahlerisch“. Denn auch ihren Mann plagten zeit seines Lebens Todesvisionen. Natalie BauerLechner berichtete über „unheimliche Gesichte“: Er gestand ihr, dass ihn bei der Ausführung des Stückes „Was mir die Blumen erzählen“ aus der dritten Sinfonie „die unheimlichsten Schauer überfielen“. Ähnlich sei es ihm „bei einer unscheinbaren Stelle“ des „Klagenden Liedes“ ergangen, die ihn in „größte Erregung und Ergriffenheit“ versetzte. „Er sah sich, sowie er dazu kam, immer selbst aus einer dunklen Ecke des Zimmers herein treten und empfand einen körperlichen Schmerz, wie sein Doppelgänger sich durch die Wandecke durchzwängen sollte, so dass er in der Arbeit nicht fortfahren konnte und aus dem Zimmer stürzen musste – bis eines Morgens bei derselben Stelle ein Nervenfieber ausbrach … Etwas Ähnliches geschah ihm, als er am Trauermarsch im Ersten Satz der Zweiten schrieb. Da sah er sich unter Kränzen und Blumen … aufgebahrt tot liegen …“ Vor allem in den düsteren Stunden überfiel Mahler der Schatten des Todes mit all seiner Macht. So nach einem Blutsturz im Februar 1901, als sein Zustand bedenklich war und sein Leben nur durch das sofortige Eingreifen zweier Ärzte gerettet werden konnte. Auch wenn er sich rasch erholte: Der Gedanke an den Tod ließ ihn nicht los, er sprach mit Freunden wie Siegfried Lipiner über ihn und berichtete Natalie im März/April über einen ihn tief beeindruckenden Traum: Inmitten einer Gesellschaft erscheint ihm der Tod, ein großer Mann in „steifer Haltung und tadelloser Gewandung“, und verfolgt ihn bis in die entferntesten Winkel des Raumes. „Du musst mit mir!“, sagt er, als er ihn schließlich „mit eisernem Griff“ am Arm gefasst hat. Ungleich stärker noch war die Erschütterung der Seele Mahlers,
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nachdem seine Herzkrankheit diagnostiziert worden war. Bruno Walter schrieb: „Der Tod, zu dessen Geheimnis seine Gedanken und Empfindungen so oft ihren Flug genommen hatten, war plötzlich in Sicht gekommen – Welt und Leben lagen nun im düsteren Schatten seiner Nähe.“ In Mahlers Werk ist der Tod ein „oft wiederkehrendes Sujet“ (Floros). Vielleicht die letzte Spur, die er hinterlassen hat: ein Erlebnis in New York, über das Alma später schrieb: „Wir lehnen uns aus dem Fenster, unten eine große Menschenmenge. Ein Leichenbegängnis – der Kondukt naht … Kurze Pause, dann ein Schlag auf die verdeckte Trommel. Lautloses Stillstehen – dann Weitergehen. Ende. Diese seltsame Totenfeier presste uns die Tränen aus den Augen. Ich sah ängstlich zu Mahlers Fenster hin, aber da hing auch er weit hinaus, und sein Gesicht war tränenüberströmt.“ Die Szene habe einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, dass der kurze Trommelschlag in der zehnten Symphonie verwendet worden sei. „Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen“, schrieb Mahler in dem bereits zitierten Brief an einen Jugendfreund. Einige, vor allem amerikanische, Arbeiten sprechen von einem tief verwurzelten Todeswunsch des Komponisten, der sich an den Tod so vieler Brüder in ihrer frühesten Jugend und vor allem an den des Lieblingsbruders Ernst anhefte. Das sei – sein Biograph Jens Malte Fischer betont dies – in den Bereich der Legende zu verweisen. Er habe es im Prinzip mit der Devise aus Thomas Manns „Zauberberg“ gehalten: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“. Dass Gustav Mahler in seinem Leben ernsthaft an Selbstmord gedacht haben könnte, schließt Fischer aus. Zu Recht? Oder darf man auch in seinem Fall an die „Schutzmantel-Funktion“ seiner Kunst denken? Die vielleicht auch ihn – wie Ludwig van Beethoven – vom Äußersten bewahrte, vom Abgrund fernhielt … Bis zuletzt. Wir werden auf diese Frage zurückkommen.
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Es scheint, die Neunte ist eine Grenze. Wer darüber hinaus will, muss fort. Es sieht aus, als ob uns in der Zehnten etwas gesagt werden könnte, was wir noch nicht wissen sollen, wofür wir noch nicht reif sind. Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe. (Arnold Schönberg) Sieben Jahre vor seinem Tod hatte Mahler diese Zeilen aus Maiernigg an seine Frau geschrieben: „Draußen strömt es ununterbrochen – donnert, blitzt, kracht, dass es nur eine Freude! Gehört für mich zum Schönsten, was mir der See jetzt bieten kann – Draußen der Sturm und ich so behaglich in Deinem Salon mit Lampe, Büchern, Noten, Klavier, Papier!“ Wahrhaft berührend ist, was Alban Berg später über den ersten Satz der Neunten Mahlers schrieb: „Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, im Frieden auf ihr zu leben, sie, die Natur, noch auszugenießen bis in ihre tiefsten Tiefen – bevor der Tod kommt. Denn er kommt unaufhaltsam …“ Als wollte seine geliebte Natur ihm einen letzten stummen Wunsch erfüllen, als sie als Orkan in seiner letzten Stunde bei ihm war. Die Menschen sollten einem anderen nicht nachkommen. Denn er soll darum gebeten haben, seine zehnte Sinfonie nach seinem Tod zu vernichten. Im letzten Sommer seines Lebens hatte er sie begonnen. Doch als der erste Satz, das Adagio, zu Papier gebracht war, blieben ihm nur wenige Monate zu leben. Sie sollten nicht mehr ausreichen, um das Werk zu vollenden. Fast drei Jahrzehnte zuvor waren die Gedanken Ludwig van Beethovens noch auf dem Totenbett um seine Zehnte gekreist; zurück blieben nur die Skizzen in seinem Schreibpult. Die eine Sinfonie, die Richard Wagner in jungen Jahren schrieb, gilt als relativ unbedeutend, steht im gigantischen Schatten seiner Opern. Neun hatte er bereits vollendet9, als er am 13. Januar 1882 die Widmung „Für dich! R. W.“ unter die fertige Partitur des „Parsifal“ schrieb. Wagners beständige Angst, vom Tod unterbrochen zu werden, war überstanden. „Sie werden sehen, Richard Wagner stirbt“, sagte ein Zeuge der Ur-
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aufführung. „Ein Mensch, der so etwas geschaffen hat, kann nicht länger leben. Er muss sterben.“ Er sollte Recht behalten. Wagner selbst hatte die Oper sein „Welt-Abschiedswerk“ genannt, in dem Bewusstsein, dass es seine letzte werden würde. Vielleicht weil der „Parsifal“ seine Zehnte gewesen war … und er wusste, dass er die Grenze längst überschritten hatte; dass auch er dem Jenseits viel zu nahe stand. „Vielleicht wären die Rätsel dieser Welt gelöst“, heißt es bei Schönberg schließlich, „wenn einer von denen, die sie wissen, die Zehnte schriebe. Und das soll wohl nicht sein.“
Das Geheimnis eines Wesens Ein tyrannischer, launenhafter, hochmütiger, gewalttätiger, kalter und egoistischer Mensch: Schon zu Lebzeiten soll dieser Ruf Mahlers durch Wien gehallt sein. Sehr ähnlich lauten Urteile, die nicht nur aus der Ferne über Beethoven und Wagner gefällt wurden und bis heute das Bild dieser drei Menschen trüben. Ihre liebenswerten Seiten waren den meisten verborgen geblieben: ihr Humor, ihre innige Naturverbundenheit, Empathie und Mitleiden mit Menschen, Tieren und Pflanzen. Man sollte es den Zeitgenossen dennoch nicht allzu sehr verübeln: Denn manche der offen zutage tretenden Absonderlichkeiten der Komponisten mussten in ihrer extremen Ausprägung auf Unverständnis stoßen, vor allem ihre Stimmungsschwankungen und eine Empfindlichkeit, die sogar – wie im Falle Wagners – Ärzte die Diagnose „geistesgestört“ treffen ließ (beispielsweise Th. Puschmann 1873). Bis in die Gegenwart hinein ist man auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung. Bei Beethoven zum Beispiel glauben amerikanische Forscher des Argonne National Laboratory in Chicago, eine schwere Bleivergiftung auch für die Persönlichkeitsveränderungen des Komponisten verantwortlich machen zu können, und der Forscher Klaus Martin Kopitz verfolgte die auf den ersten Blick gar nicht so abwegige These, er habe möglicherweise unter dem Borderline-Syndrom gelitten. Dieses Buch hat bisher den Versuch gemacht, sich der Vielschichtigkeit von drei außergewöhnlichen Persönlichkeiten zu nähern. Es sind dabei teils frappierende Gemeinsamkeiten aufgezeigt worden, die – den Gedanken einer geheimen Wesensverwandtschaft nahelegend – unweigerlich zu der Frage führen: Wie sind diese zu erklären? Sind es schlicht die fast schon sprichwörtlich fließenden Grenzen zwischen Genie und Wahnsinn, die von ihnen überschritten wurden? Nein, so ist es ganz sicher nicht. Schon Beethovens Arzt Aloys Weißenbach – mit dem Komponisten durch das gemeinsame Leid des Gehörverlustes verbunden – kam zu dem interessanten Schluss, dass ein „tiefgreifender Widerspruch“ zwischen der „Rüstigkeit und Derbheit“ seiner äußeren Erscheinung und seiner psychischen Verfassung vorliege.
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Sein „Nervensystem“, so Weißenbach, „ist reizbar im höchsten Grade und kränkelnd sogar“. Richard Wagner selbst betonte die eigene „stark gereizte, feine, ungeheuer begehrliche, aber ungemein zarte und zärtliche Sinnlichkeit“, und Natalie Bauer-Lechner sprach in Bezug auf Mahler von einer „feinbesaiteten Seele“. Man kam somit der Antwort, die an dieser Stelle gegeben werden soll, außerordentlich nahe, denn diese lautet: Die drei Genies besaßen ein besonderes Wesen, das in der Psychologie erst in jüngster Zeit in den Blickpunkt gerückt ist und als hochsensibel bezeichnet wird – ein Begriff, der keinesfalls nur in seiner üblichen Bedeutung, nämlich als Synonym für „äußerst empfindlich“, aufgefasst werden darf. Dies würde viel zu kurz greifen. Hochsensibilität umfasst mehr, viel mehr. Ungefähr jeder fünfte Mensch ist – zumindest ansatzweise – davon betroffen. Meist, ohne es zu wissen. Wie Ludwig van Beethoven, Richard Wagner und Gustav Mahler. Etliche der vermeintlichen Absonderlichkeiten ihrer Person lassen sich anhand dieser Erkenntnis nicht nur auf ein und dieselbe Ursache zurückführen, sondern ermöglichen einen tieferen Einblick in die Seelen der großen Komponisten. Womöglich eines Tages sogar tiefer, als sie es selbst je vermochten. Denn die Erforschung des Phänomens der Hochsensibilität ist ihren Kinderschuhen noch lange nicht entwachsen.
Die amerikanische Professorin und Psychotherapeutin Elaine Aron leistete auf diesem Gebiet Pionierarbeit und fasste im Jahre 1996 ihre Untersuchungen in dem Buch „The Highly Sensitive Person“ zusammen. Sie vereinigte bereits vorhandenes Wissen mit aktuellen Forschungsergebnissen, ergänzte eigene umfangreiche Untersuchungen und prägte den Begriff „hochsensible Person“ („highly sensitive person“). In ihrem Buch bot Aron erstmals eine grundlegende und detaillierte Darstellung der Hochsensibilität, mit deren Hilfe 10 im Folgenden der Beweis angetreten werden soll, dass auch Beethoven, Wagner und Mahler diesen besonderen Wesenszug besaßen. Eine Vielzahl der in Arons Werk beschriebenen „Symptome“ treffen auf die drei Komponisten zu, das Ergebnis des dort vorangestellten Eingangstestes wäre eindeutig. Um dem Leser eine erste Orientierung zu
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bieten, sei eine Auswahl der Kriterien, mithilfe derer Hochsensibilität festgestellt werden kann, hier wiedergegeben: Mir scheint, dass ich Feinheiten um mich herum wahrnehme. Ich neige zu Schmerzempfindlichkeit. Ich habe ein reiches, komplexes Innenleben. Kunst und Musik können mich tief bewegen. Helles Licht, unangenehme Gerüche, laute Geräusche oder kratzige Stoffe beeinträchtigen mein Wohlbefinden. Ich bemerke und genieße feine und angenehme Gerüche, Geschmacksrichtungen … Als ich ein Kind war, schienen meine Eltern und Lehrer mich für sensibel und schüchtern zu halten.
Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach bereits hochsensibel auf die Welt gekommen. Hochsensibilität wird – wie Studien an eineiigen Zwillingen belegen konnten – in den meisten Fällen vererbt. Parlow ist der Überzeugung, „dass nahezu einhundert Prozent“ der Hochsensiblen unter ihren Eltern oder Großeltern „zumindest einen hochempfindlichen Menschen“ finden werden. Wer war es wohl, fragt man sich an dieser Stelle, der diesen Wesenszug in die Wiege der drei Komponisten legte? Beethovens Großvater, der ihm ein Leben lang so vertraut blieb, obwohl er ihn so früh schon verloren hatte? Wagners ihm unbekannter Vater, von dem nicht einmal ein Bild existiert? Mahlers geliebte Mutter, die „Sanftmut selbst“? Es ist müßig und an dieser Stelle wenig ergiebig, darüber zu spekulieren. Weit interessanter ist die Suche nach Indizien, die den Verdacht stützen könnten, dass die Hochsensibilität schon in der Kindheit Ludwigs, Richards und Gustavs offen zutage trat. Einen ersten Anhaltspunkt finden wir – so banal es auch klingen mag – in ihrer musikalischen Hochbegabung. Nicht nur ein von Aron befragter Mann namens Charles, der „sehr talentiert“ Klavier spielt, sieht einen klaren Zusammenhang zwischen dieser Fähigkeit und seiner Feinfühligkeit. Auch Jutta Nebel äußert diese Überzeugung: „Hochsensible haben zwangsläufig die Begabung der erhöhten Wahrnehmung … Manch einer wird merken, dass er ein Lied nur einmal zu hören braucht, um es nachzusingen oder auf einem Instrument nachspielen zu können. Er wird sofort hören können, wenn der kleinste Fehler gespielt wird.
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Naheliegend ist, dass ein solcher Mensch Musiker … wird.“ Es handelt sich hierbei keineswegs um die Meinungen einzelner. Elaine Aron verweist auf Untersuchungen der Persönlichkeiten prominenter Künstler, die „fast alle“ die zentrale Bedeutung der Sensibilität belegen konnten, und Georg Parlow ist sogar der Ansicht, dass „bis vor wenigen Jahrzehnten … wohl nahezu 100 Prozent der Poeten, Schriftsteller, Komponisten, Maler …“ hochempfindliche Menschen gewesen seien. Womit er sicherlich einen Schritt zu weit geht. Wie dem auch sei: Was Beethoven, Wagner und Mahler angeht (der übrigens, so Fischer, „kaum lauffähig jedes Lied, das er zu Gehör bekam, nachsang“), so darf ihre künstlerische Hochbegabung als das nächstliegende, wenngleich sicher allein wenig überzeugende Indiz angesehen werden. Doch es ist nicht das letzte, das für ihre frühen Jahre als gesichert gilt. Besonders im Falle Beethovens und Mahlers muss man ihre Flucht in die Einsamkeit als einen weiteren Hinweis in Betracht ziehen. Wir erinnern uns, dass beide in „Traumwelten“ versanken, Zufluchtsorte auf Dachböden, sogar Dächern suchten und Gustavs „Verträumtheit“ Anlass zur Besorgnis gab. Äußerst aufschlussreich sind die Erinnerungen einer Hochsensiblen an ihre eigene Kindheit, die Aron wie folgt wiedergibt: „Am deutlichsten erinnerte sie sich an den Lärm. Er flößte ihr zwar keine Angst ein, aber er erschien ihr unerträglich, besonders, wenn die Lehrperson das Klassenzimmer verließ. Auch der Radau daheim … zerrte an ihren Nerven. Bei gutem Wetter versteckte sie sich in den Bäumen oder unter dem Hauseingang und las Bücher. Bei schlechtem Wetter lernte sie, während des Lesens alles Störende auszublenden.“ Es ist ein typisches Verhalten, so wie das häufige Auftreten von Albträumen, unter denen Richard Wagner bekanntlich von klein auf litt – Grund ist auch hier sein besonderes Wesen, eine deutlich einfachere Erklärung als die tiefenpsychologische aus dem „Wagner-Handbuch“, wo es heißt: „Wagner träumte viel, weil er viele Verdrängungen hatte und in seinem prekären Seelenzustand bis in den Schlaf hinein nach Orientierung, Sicherheit und symbolischer Wunscherfüllung streben musste.“ Doch ist „ein überreichlich entwickeltes Traumleben … meistens Anzeichen einer neurotischen Seelenstruktur“, wie es weiter heißt? Nicht unbedingt. Denn dass hochsensible Kinder und auch Erwachsene sich mit dem Schlafen schwer tun und von viel lebhafteren, beunruhigenden archetypischen Träumen berichten als andere, überrascht Aron nicht. Denn mit Einbruch der Dunkelheit fangen leise Geräusche
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und undeutliche Umrisse an, die Vorstellungskraft zu beherrschen, und Hochsensible nehmen dies viel stärker wahr. Die Ursachen für Albträume können jedoch andere, im Unterbewussten zu suchende sein … Man fühlt sich schon sehr an Wagner und seine „Gespensterfurcht“ erinnert, wenn Aron über den hochsensiblen Rob schreibt, dessen Heranwachsen sie aus nächster Nähe beobachten konnte: Im Gegensatz zu seiner „normalen“ Zwillingsschwester schien er stärker „in seiner eigenen Vorstellungswelt gefangen“ und fürchtete sich vor der Dunkelheit. Dinge, die das Mädchen faszinierten, brachten den Jungen zum Weinen, flößten ihm ganz offensichtlich Furcht ein: Fahnen, Meereswellen, Karussells. Außerdem entwickelte er „Ängste vor Tannenzapfen, vor den Figuren am Kopfende seines Bettes und vor den Schatten an der Wand“. Diese Ängste erschienen seinen nächsten Menschen „unrealistisch und seltsam“, aber für den Jungen waren sie „offensichtlich real“. In seinen ersten vier Lebensjahren fing er jedes Mal fürchterlich an zu schreien, wenn ihn seine Gefühle überwältigten. „Bei wilden, rauen Spielen mit anderen Jungen fühlte er sich nicht richtig wohl. Aber er wollte so sein wie sie, gab sich Mühe und wurde deswegen akzeptiert.“ Wer vermag zu sagen, ob es im Inneren des jungen Richard Wagner nicht ähnlich aussah, wenn er „lebhaften Umgang mit Gleichaltrigen pflegte“? In Beethoven, wenn er ausnahmsweise bei Abenteuern am Rhein dabei war? In Gustav Mahler, wenn „Räuber und Soldat“ gespielt wurde? Dass auch seine Ängste „unrealistisch und seltsam“ erschienen, zeigt eine Geschichte, die in engem Zusammenhang mit dem ersten erhaltenen Foto des Sechsjährigen steht und von Fischer wie folgt wiedergegeben wird: „Kinder dieses Alters sind in der ungewohnten Ateliersituation kaum je ungezwungen so fröhlich, wie Familie und Fotograf es gerne hätten. Wie Mahler Natalie erzählte, kam hier die kreatürliche Angst hinzu, durch den einschüchternden fotografischen Apparat verschluckt und dahinter auf die Platte, den Karton gebannt zu werden. Erst als der Vater ebenfalls fotografiert worden war, ohne dass ihm etwas passierte, gelang es, den Knaben zu beruhigen. Die abgrundtiefe Traurigkeit des Kindes Gustav aber, die zu vertreiben es vor der Aufnahme Anstrengungen der versammelten Erwachsenen gegeben haben muss, ist dadurch allein nicht zu erklären und bleibt erschütternd.“ Die Erklärung ist zweifellos in seinem besonderen Wesen zu suchen, das schon damals die Mitmenschen irritierte. Wie Recht hat Fischer, wenn er zu dem frühesten Foto ergänzend bemerkt: „Es sind die dunk-
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len, tiefen Augen des Kindes in Verbindung mit den extrem nach unten gezogenen Mundwinkeln, die dieses Kindergesicht charakterisieren und in seinen Grundzügen bis zum Lebensende bestimmen.“ Und wie recht hatte Gustav Mahler, als er über die eigene „Versunkenheit“ nachsann und bemerkte: „Spät erst ist mir eingefallen, was Eltern und Große an einem Kind darin sündigen, welches zu seiner geistigen Entwicklung offenbar dies nach Innengekehrtsein allernötigst braucht.“
Der dunkle Keller, in den das Kind gesperrt wurde, Stadtbrand und Eisgang; die Völkerschlacht und ihre grauenhaften Folgen; die ungezählten Toten: Man muss davon ausgehen, dass die schrecklichen Ereignisse ihrer frühen Jahre deutliche Spuren im Inneren der Komponisten hinterlassen haben. Denn Elaine Aron betont, dass „eine schwierige Kindheit Hochsensible stärker beeinflusst als Nichtsensible“. Sie neigten dazu, „sämtliche Einzelheiten und Zusammenhänge eines bedrohlichen Erlebnisses wahrzunehmen“. Es werde leicht unterschätzt, welche Bedeutung in dieser Hinsicht die Kindheit habe, in der so viele wichtige Erfahrungen gemacht würden, noch bevor unser bewusstes Erinnerungsvermögen einsetze. Manches werde „absichtlich vergessen, weil es so leidvoll war“. Schon C. G. Jung war zu dem Schluss gekommen, dass „eine gewisse angeborene Empfindsamkeit zu einer besonderen Vorgeschichte, das heißt zu einem besonderen Erleben der infantilen Ereignisse“ führt und dass diese, „verknüpft mit starken Eindrücken … nie spurlos an empfindsamen Menschen vorüber“gingen. Seelische Erschütterungen könnten insbesondere sie außergewöhnlich traumatisieren und die Entstehung von Neurosen hervorrufen. Von diesem Zusammenhang war der Tiefenpsychologe überzeugt, er wies nach, dass sensible Menschen, die in ihrer Kindheit nicht traumatisiert wurden, keine Neurosen aufweisen. Daher betonte er die Bedeutung des Selbstschutzes, den Empfindsame sich zulegten, und sah in der Introvertiertheit einen solchen. Hochsensibilität kann sich durch bestimmte Lebenserfahrungen vergrößern, verringern, vorübergehend verschwinden bzw. neu in Erscheinung treten. Angesichts der leidvollen Erfahrungen, die Beethoven, Wagner und Mahler in ihrer Kindheit machen mussten, darf man das
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eine sicherlich annehmen: Wenn sie tatsächlich bereits mit diesem besonderen Wesenszug auf die Welt gekommen sind, so dürfte er sich in ihren frühen Jahren kaum verringert haben. Womöglich sind die Ursprünge mancher ihrer sonderbarsten Eigenheiten sogar dort zu suchen.
Die meisten Leser dürften angesichts der großen Empfindlichkeit der Komponisten verwundert gewesen sein – einige jedoch werden sich wiedererkannt haben in ihrem verzweifelten Kampf gegen äußere Einflüsse aller Art. Denn dieses Verhalten ist typisch für viele Hochsensible. Auch aus diesem Grund haben sie häufig das Gefühl, dass mit ihnen „etwas nicht in Ordnung“ ist. Sie nehmen nämlich grundsätzlich mehr Feinheiten in sich auf, eine geradezu verblüffende Fähigkeit, wie Elaine Aron veranschaulicht: „Die meisten Leute bemerken vielleicht die Möbel und die anderen Menschen, wenn sie ein Zimmer betreten, mehr aber auch nicht.“ Hochsensible Menschen können, ob sie nun wollten oder nicht, sofort auch die frische oder verbrauchte Luft im Raum wahrnehmen, die vorherrschende Stimmung, die Freundschaften und Feindschaften sowie die Persönlichkeit desjenigen erahnen, der die Blumen arrangiert hat. Und sind durchaus in der Lage, den Strauß einer kritischen Begutachtung zu unterziehen, verfügen sie doch nach Ansicht Parlows häufig über ein ausgeprägtes Farbgefühl und ästhetisches Empfinden. „Sind sie über einen längeren Zeitraum hinweg mit dissonanten Farbkombinationen konfrontiert (beispielsweise an der Kleidung einer gegenübersitzenden Kollegin), so kann das bis zu körperlichen Zuständen der Übelkeit und des Unwohlseins führen.“ Dass diese Menschen insbesondere auf grelles Licht, Rauch, Staub und unangenehme Gerüche empfindlich reagieren, kann da kaum überraschen. Georg Parlow: „Sie leiden darunter, wenn in einem anderen Stockwerk Malerarbeiten durchgeführt werden, oder riechen es, wenn sich jemand zwei Zimmer weiter hinter geschlossenen Türen eine Zigarette anzündet.“ Doch wer auf der einen Seite mehr leidet, der vermag auf der anderen auch mehr zu genießen: Wenn sie an einem blühenden Rosenbeet vorbeigehen, können sie „vor Verzückung unansprechbar“ sein, hören „das Gezwitscher der Vögel auch in der Großstadt, das Rauschen der Blätter“. Und man darf annehmen: wohl tatsächlich auch das der Wolken, wie Gustav Mahler.
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Denn besonders intensiv wahrgenommen werden neben Gerüchen auch Geräusche. Was die Mehrheit lediglich als lästig empfindet – beispielsweise das Quietschen eines einfahrenden Zuges –, kann für Hochsensible quälend sein, sogar körperlich schmerzhaft. „Sie wollen nichts anderes mehr als sich dem Lärm entziehen“, betont Parlow. Und dieser wird – wie wir gesehen haben – daher aus gutem Grund von so manchem als „Hauptplage“ des Lebens empfunden, der es zu entfliehen gilt. Zur Not, indem die Bleibe gewechselt wird. Über den bereits erwähnten Charles heißt es bei Aron: „Mit den Nachteilen seines Wesenszuges hatte er seinen Frieden geschlossen: Lärm störte ihn besonders. Deswegen wohnte er in einer ruhigen Gegend und umgab sich mit angenehmen Klängen einschließlich eines Brunnens im Garten und schöner Musik.“ Wo man sich bekanntlich auch schnell ein schattiges Plätzchen suchen kann. Parlow spricht von der differenzierteren Temperaturwahrnehmung und einer damit verbundenen „schmäleren Behaglichkeitszone“ Hochsensibler: Ihnen ist es „schneller zu kalt oder zu heiß oder zu zugig“, mehr als andere öffnen und schließen sie Fenster, legen Kleidung an oder ab, wechseln ihren Standort wegen Sonne oder Wind – wobei Letzteres dem Schutz der empfindlichen Haut zugutekommt, die auch Druck und Reibung schlecht verträgt. „Die Prinzessin auf der Erbse war zweifellos eine hochsensible Person“, meint Parlow, denn „der kratzige Pullover …, der etwas zu enge Hosengummi, mikroskopische Krümel im Bett … und eine Unzahl weiterer Details“ würden von hochempfindlichen Menschen nicht nur mehr oder weniger bewusst registriert, sondern beeinträchtigten – wie bei Andersens Märchenfigur – das gesamte Wohlbefinden. Massive Auswirkungen kann dies schon bei geringen körperlichen Schmerzen, bei Reaktionen auf bestimmte Speisen oder Umwelteinflüsse haben. Diese werden gespürt, „wenn sie bei der nicht hochempfindlichen Mehrheit noch weit unter der Wahrnehmungsschwelle liegen“. Was – so Parlow – „naturgemäß“ immer wieder „zu dem leidigen Kommentar“ führe: „Das bildest du dir nur ein!“ Wie oft mögen Beethoven, Wagner und Mahler diesen Satz in ihrem Leben gehört haben?
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Wer bei seinen Mitmenschen auf Kopfschütteln stößt, sucht die Zwiesprache mit verständnisvolleren Wesen wie Tieren und Pflanzen. Die Begeisterung der drei Komponisten für die Natur darf auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Mit ihrer regelmäßigen Flucht dorthin folgten sie dem Rat, den neben Elaine Aron, die Spaziergänge zum „grundlegenden Wohlbefinden“ zählt, auch Jutta Nebel allen Hochsensiblen erteilt: Sie bräuchten regelmäßig Rückzug, um ihre Überreizung abzubauen. Ideal sei „die Kombination aus sportlicher Betätigung und dem ‚Eintauchen‘ in die Natur“. Was insbesondere die drei passionierten Wanderer wohl mehr als nur beherzigten … Wie wichtig dies für sie und ihre schöpferische Arbeit gewesen sein muss, lässt sich aus diesen Worten Jutta Nebels ablesen: „Bin ich draußen in der Natur, kann ich meine ‚Antennen‘ unbesorgt empfangen lassen, ich muss sie nicht permanent ein- oder ausfahren. Da gibt es nichts, was mein Nervensystem zum Flattern bringt … Ich kann meinem Hang zu Tagträumereien frönen, mir Dinge in allen Gefühlsfarben ausmalen und sie erleben, als seien sie Realität.“ Welche ungewöhnlich tiefen Empfindungen auch Beethoven, Wagner und Mahler während ihrer Dialoge mit der Natur gehabt haben mögen, soll anhand einer Schilderung Nebels veranschaulicht werden, die von sich selbst sagt, oftmals „in regelrechter Zwiesprache mit der Natur“ zu stehen: „Plötzlich naht ganz vorsichtig der Wind und fährt mir sanft kühlend über die Wangen. Ich begrüße ihn erfreut und schließe die Augen, um ihn besser wahrzunehmen. Er wird kräftiger und ich spreche mit ihm. Plötzlich muss ich die Augen öffnen und bemerke, dass ich in einem Regen von weißen Blütenblättern sitze. Einige Meter entfernt steht ein blühender Kirschbaum und der Wind bläst kräftig die Blütenblätter zu mir herüber. Ich lache vor Glück und habe Tränen in den Augen. Ich nehme eines der weißen Blättchen zwischen die Fingerspitzen und betrachte es.“ Jutta Nebel, die diesen Text zu einem Zeitpunkt verfasste, als sie von ihrer Hochsensibilität noch nichts wusste, sagt weiter über ihre eigene Naturliebe: „Ich habe eine große Verbundenheit zur Natur entwickelt, der Wind wurde mein Freund. Er zeigte sich mir als Wesenheit! Er erschien, wenn ich in den Wald ging. Ich sprach mit ihm und manchmal stand ich unter einem Baum und der Wind rauschte nur in den Blättern dieses einen Baumes. So nahm ich es wahr, und ich zweifelte diese Wahrnehmung nicht mehr an!“ Georg Parlow ergeht es ähnlich: „Mitten im
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anstrengenden Grau und Gewühl einer Großstadt kann sich beispielsweise ein überraschender Blick auf einen von der untergehenden Sonne in verzaubertes Licht getauchten, malerisch bewölkten Himmel auftun und uns mit Freude und Frieden berühren. Keine große Sache, aber etwas, das der nicht hochempfindlichen Mehrheit kaum widerfährt.“ Wer weiß, wie viele Werke ohne Momente und Empfindungen wie diese nie entstanden oder aber unvollendet geblieben wären; ohne den Rückzug in das „stille Haus der Natur“ …
„O Beethoven! … du bist der größte und beste Freund der Leidenden, der Kämpfenden. Wenn das Elend der ganzen Welt uns überwältigt, dann nahst du dich uns, wie du dich einer trauernden Mutter nahtest, dich wortlos ans Klavier setztest und der Weinenden Trost reichtest …“ Was Romain Rolland über die Musik Beethovens sagte, dürften viele Menschen sicher auch angesichts Wagners „Parsifal“ oder Mahlers „Auferstehungs-Sinfonie“ empfinden. In welch erstaunlichem Maße die drei Komponisten des Mitgefühls, des Mitleidens fähig sein konnten, ist aufgezeigt worden. Parlow betont zwar, dass Hochsensible „ebenso wenig Heilige“ seien wie die Mehrheit, jedoch eine „deutlichere Wahrnehmung der Befindlichkeit anderer“ besäßen. Viele seien daher sogar „von Schuldgefühlen geplagt“ wegen eines zu hohen ethischen Anspruchs und dem „Wahrnehmen verschiedenster Bedürfnisse und Nöte der Wesen“ in ihrer Umgebung. Auch Elaine Aron vermutet, dass Hochsensible grundsätzlich „ein enormes Gespür“ für das Leid anderer Menschen besitzen. Dass sich dies ebenso auf Tiere und sogar Pflanzen beziehen kann, haben wir an Gustav Mahler und Richard Wagner erkennen können. Diese – vielen verborgen gebliebene – Fähigkeit und die damit verbundenen, oft sonderbar anmutenden Handlungen erscheinen besonders überraschend angesichts des überlieferten Bildes der Komponisten. Sie wollen so gar nicht dazu passen, ebenso wie ihr ausgeprägter Sinn für Humor. Bei Georg Parlow erfahren wir: „Entgegen allgemeiner Ansicht können hochsensible Menschen ausgesprochen gute Unterhalter sein. Wenn die Situation passt, sie sich gemocht und entspannt fühlen, sodass sie es wagen, aus sich heraus zu gehen, verblüffen manchmal auch sonst eher ruhige und ernst wirkende Hochempfindliche mit
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Wortwitz und bühnenreifer Stegreifkomik. In vertrauten Runden, die von Hochsensiblen dominiert sind, werden oft Tränen gelacht.“ Äußerst interessant und aufschlussreich ist, was Parlow über eine weitere Eigenheit hochsensibler Menschen sagt: Es „scheint eine gewisse Naivität zu sein, wie 62 Prozent von ihnen von sich selbst bestätigen. Man könnte sie auch gutgläubig nennen. Sie nehmen Scherze von Freunden immer wieder für bare Münze …“ Eine weitere Gemeinsamkeit sind die zahlreichen Missgeschicke, die ihnen, an deren Wiegen „keine Grazien“ gestanden hatten, immer wieder unterliefen. Sie sind typisch für viele Hochsensible, aus denen – trotz grundsätzlich guter Feinmotorik – „der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen“ werden kann, wenn sie überstimuliert sind. Elaine Aron berichtet beispielhaft von eigenen Stress-Situationen: In einem Frühstücksraum kippte sie ein volles Glas Milch über sich selbst und einige andere; nicht nur in einer Tanzstunde war es ihr „fast unmöglich irgendeine körperliche Fertigkeit in einer Gruppe zu erlernen, da die nervliche Übererregung“ ihre „Koordinationsfähigkeit völlig ruiniert“. Grund: das Gefühl, von anderen beobachtet zu werden … Wie Beethoven, der es sich zur Gewohnheit machte, in Nebenzimmern Klaviervorträge zu halten, wo er sicher vor den Blicken der Zuhörenden war. Wie Mahler, als er sich neben den Betschemel kniete oder Wassereimer umstieß. Doch warum reagieren diese Menschen in bestimmten Momenten so extrem? In ihren Ausführungen geht Aron von einem Basisgedanken der Psychologie aus: Jeder fühlt sich dann am wohlsten, wenn „sein Nervensystem einer optimalen Reizstärke ausgesetzt ist“. Ist diese nicht hoch genug, können Teilnahmslosigkeit und Schwerfälligkeit die negativen Folgen sein, die dann durch Kaffeetrinken, Musikhören oder Gespräche bekämpft werden. Im anderen Extrem, bei einer Übererregung des Nervensystems, kann der Körper eben beispielsweise mit Ungeschicklichkeit reagieren; was bei Hochsensiblen häufiger der Fall ist, da sie – genetisch bedingt – auf Reize empfindlicher reagieren als die Mehrheit. Was hat sich die Natur dabei gedacht? Aron vermutet, dass der Anteil der besonders „Wachsamen“ (15 bis 20 Prozent aller Menschen und aller höheren Tierarten wie Katzen, Hunde und Pferde) vorgesehen ist, um das Überleben der Gesamtheit zu sichern, da sie ständig „auf der Hut“ seien und bereits „kleinste Signale“ (bspw. von Gefahr) wahrnähmen. Ihre Feinfühligkeit kann also andere
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vor Leid und Tod bewahren. Aron selbst hat nach eigener Aussage ihre Familie als Kind gerettet, da sie beim geringsten Flackern des Feuers im Dach ihres Holzhauses wach geworden sei. So wie der kleine Ludwig van Beethoven in der Bonner Brandnacht?
Ein fast ebenso großes „Übel“ wie seine Krankheit sei die Melancholie, klagte bekanntlich der junge Beethoven. Es ist laut Georg Parlow eine für Hochsensible typische Erscheinung: „Über 80 % aller hochempfindlichen Menschen haben gelegentliche Phasen von Weltschmerz, in denen sie vertraute oder scheinbar banale Tatsachen sehr traurig stimmen … Es ist eine offene, fließende Trauer, eine Melancholie ohne das schwere, lähmende Element der Depression.“ Die drei Komponisten kannten, wie wir gesehen haben, auch die anderen Extreme bestens. In ihren starken Stimmungsschwankungen offenbaren sie sich als Hochsensible par excellence – es ist eine der Kehrseiten ihres Wesens. Parlow bemerkt dazu: „Die wahrscheinlich allgemeingültigste Gemeinsamkeit hochempfindlicher Menschen ist ihre Tendenz zur Überstimulation, mit allen körperlichen und psychologischen Symptomen. Vereinfacht könnten wir sagen, dass es sich dabei um das Auftreten von Erregungszuständen handelt, besonders in für uns neuen und ungewohnten Situationen. Die Symptome können Beschleunigung von Herzschlag und Atemrhythmus sein, ‚aufgerissene‘ Augen und erweiterte Pupillen, Verspannungen von Schultern und Halswirbelsäule sowie des Kehlkopfes (was zu einer höheren Stimmlage führt), rasche Augenbewegungen, rote Flecken im Gesicht – und all dies oft ‚ohne erkennbare Ursache‘.“ Elaine Aron betont, dass das, was bei den meisten Menschen nur zu einer mittleren Erregung des Nervensystems führe, bei Hochsensiblen einen extremen Gefühlszustand bewirke; mit völligem Kontrollverlust als mögliche Folge: „In solch einem Zustand können wir extrem unsensibel auf alles um uns herum reagieren, einschließlich auf die, die wir lieben.“ Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass Hochsensiblen ein Reiz viel mehr ausmacht, wenn er von ihnen nicht kontrolliert werden kann und sie das Gefühl haben, ihm ausgeliefert zu sein – wie Beethoven dem aufdringlichen Tenor, Wagner dem Blechschmied, Mahler den Türen zuschlagenden Hotelgästen; dann können sie das
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Ganze als „feindlichen Übergriff“ empfinden und zu „grantigen, rücksichtslosen Menschen“ werden. Gut möglich ist übrigens auch, dass die Komponisten in bestimmten Momenten die Contenance verloren, weil sie schlicht und ergreifend Hunger hatten. Auch wenn das für den „Normalmenschen“ schwer verständlich sein mag. Der Blutzuckerspiegel ist bei vielen hochsensiblen Menschen tendenziell niedrig und Unterzuckerung (sprich: Hunger) kann dramatische Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden haben. Fast 76 Prozent sagen, dass Hungergefühle sie stark in ihrer Befindlichkeit beeinträchtigen. Schwindelzustände, Würgegefühle im Hals, extreme Reizbarkeit und Übelkeit sind dabei keine Seltenheit. Doch selbst wenn Hochsensible plötzlich auftretenden Hungerattacken so gut es geht vorzubeugen versuchen, indem sie regelmäßig kleine Portionen essen, sind sie vor scheinbar unerklärlichen Gemütsschwankungen „zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt“ nicht sicher. Eine Stimmung könne, so Aron, „von einer Stunde auf die nächste völlig umschlagen“. Jutta Nebel, die von Dur und Moll auf ihrem „Stimmungspiano“ spricht, sagt über sich selbst: „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man als sehr sensibler Mensch Zugang zu den tiefsten Tiefen seiner Emotionen hat – und zu den höchsten Höhen! Wenn es mich hinreißt, dann bis an den untersten Grund der tiefsten Schluchten. Dann winde ich mich im Elend und finde nur sehr schwer wieder den Ausgang – weil ich mich zu tief hineingewagt habe. Andererseits bin ich zu Gipfelerlebnissen von Glück, Gefühlen des Einsseins und Verbundenheit mit der Welt fähig. Wunderschöne Erlebnisse, die an sich völlig unspektakulär sind und aus der Besonderheit des Augenblicks entstehen.“ Oft hat Nebel sich gefragt, wie es dazu kommt, dass ihr „Seelenaufzug“ in Gang gesetzt wird, den sie nicht erst spüre, wenn schon „alle Stricke reißen“ würden, wenn sie „zum x-ten Mal“ ihre eigenen Grenzen ignoriert und überschritten habe. Es hebe sie subtil an, wenn ihr etwas Bewegendes begegne: „Das fühlt sich an wie ein gut gewarteter Aufzug, der lautlos auf die nächste Etage wechselt. Man spürt nur den Hub und natürlich die ‚angehobene‘ Stimmung. Wenn mich etwas unangenehm berührt, wird die Etage ebenso sanft gewechselt, eben nach unten. So geht es den ganzen Tag, das fällt mir gar nicht mehr besonders auf. Nur, wenn etwas unverhofft Schönes passiert, worüber ich mich besonders freue, rauscht mein Aufzug mit mir ab nach oben …“ Der „Rausch“,
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der all ihre Glückshormone auf einmal freizusetzen scheine, ende „mit einem Kater“. Die Ursache für die Stimmungsschwankungen Hochsensibler ist nach Ansicht Elaine Arons im hormonellen Bereich zu suchen, in der Wechselwirkung zwischen den Neurotransmittern im Gehirn und der Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, dessen körperliche Auswirkungen fatal sein können. Nicht nur aufgrund ihrer Stimmungsschwankungen versuchen Hochsensible oft, sich in sich selbst zurückzuziehen. Sie glauben, dass es für sie „keine Möglichkeit gibt sich der Außenwelt zu stellen und in ihr zu überleben“, fühlen sich „zu andersartig, zu verletzlich …“ Eine „Offenbarung“ kann es daher sein, wenn sich zwei Menschen dieses Wesenszuges finden; ein kleines Kapitel für sich; ein großes im Leben sehr vieler Hochsensibler …
„Als würden sie von einer inneren Flut hinweggespült“: So beschreibt Georg Parlow die Gefühle verliebter Hochsensibler. Elaine Arons Untersuchungen haben ergeben, dass diese Menschen sich in der Tat nicht nur häufiger, sondern auch viel heftiger verlieben als andere, was ihrer Ansicht nach vor allem mit den besonderen nervlichen Erregungszuständen zusammenhängt. Sehr aufschlussreich und erhellend sind die Erfahrungen eines von ihr befragten Mannes: Der unverheiratete Literaturprofessor in den Fünfzigern erzählte ihr, dass er seine Liebesaffären als „überwältigend“ empfunden habe. Zwei davon seien „noch immer gegenwärtig“ und „schmerzlich“ für ihn: „Die Gefühle sind noch lebendig, obwohl die Tür zum anderen längst verschlossen ist.“ Er habe aber, wie er „in gequältem Tonfall“ sagte, „eine reichhaltige Fantasie“. Viele Hochsensible meiden nach negativen Erfahrungen daher enge Beziehungen, aus Angst, verletzt zu werden. Dabei kann gerade für sie die Liebe „etwas Beglückendes“ sein, „Trost und Befreiung“ spenden von „dem tief verinnerlichten Makel“, mit einem „abnormal empfindlichen Nervensystem nicht in Ordnung zu sein“, wie Parlow meint. Es stelle „bereits einen großen Schritt in Richtung Himmel auf Erden“ dar, wenn Hochsensible einen Menschen im Leben hätten, der sie und ihre Art und Weise des Liebens nicht nur ertrage, sondern auch wertschätze.
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Vereinfacht kann man sagen, dass es ihnen mit der Liebe ähnlich ergeht wie mit Geräuschen oder Gerüchen: Sie wird in besonderem Maße empfunden. Das Glück, das sie zu spenden vermag, und leider auch all die Schmerzen und Leiden. Enge Bindungen stellen daher eine große Herausforderung, ein großes Risiko dar. Parlow: „Alles, was zwischenmenschliche Beziehungen stimulierend macht, ist hier besonders intensiv, und alles, was sie gefährlich macht, ebenso.“ Und das besonders, wenn sich zwei Wesensverwandte finden … Die Erleichterung beim Feststellen der Gemeinsamkeiten könne so groß sein, dass sie sich kaum vermitteln lasse, meint Parlow, der an dieser wichtigen Stelle ausführlicher zitiert sei: „Einen Menschen zu finden, der ungefähr im gleichen Bereich optimal stimuliert ist, der einfühlsam ist und bereit, sich zu verändern, wenn es das Gedeihen der Beziehung fördert, davon haben viele Hochsensible schon zu träumen aufgegeben. Wie zwischen zwei Spiegeln kann jede Bemühung, jede Zartheit und liebevolle Geste hin und her geworfen und multipliziert erscheinen. Beide Partner können sich so tief verstanden fühlen wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Erfahrung, dass der andere wirklich die gleiche Sprache spricht, die gleichen Dinge im Leben wichtig findet, auf zarte Andeutungen reagiert, so berührend aufrichtig ist in seinen Bemühungen, es richtig zu machen, kann einer hochempfindlichen Person sehr leicht das Gefühl vermitteln, endlich zu Hause zu sein.“ Vielleicht hatten Ludwig van Beethoven und Antonie Brentano ja das Gefühl, „endlich zu Hause zu sein“. So wie Richard und Cosima. Und eine Zeitlang auch Gustav Mahler und Anna von Mildenburg. Vieles spricht dafür, dass es genau so war, und es würde so manches erklären können.
Ein bemerkenswertes Urteil, von dem wir in „Mein Leben“ beiläufig erfahren, fällte die Mutter des Freundes Karl Ritter über Richard Wagner. Warum zitiert der Komponist diese gewichtige, sehr intime Aussage ohne Widerspruch, ohne jegliche Erläuterung? Und weshalb traute sich die Frau, eine solche Einschätzung abzugeben, obwohl sie dem 37-jährigen Komponisten nur einmal zuvor begegnet war? Vielleicht, weil sie in ihm intuitiv einen Wesensverwandten erkannt hatte … Wagner be-
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schreibt sie jedenfalls als „sehr kränkliche und nervenleidende Frau“ und erinnert sich wie folgt an ihr Kennenlernen: „Die Mutter hatte wenig gesprochen, nur als ich mich zeitig entfernen musste, sprach sie ihren Dank für meinen Besuch unter hervorbrechenden Tränen aus …“ Diese Indizien sind dürftig, zugegeben. An dem Urteil der Julie Ritter jedoch ist etwas dran: Sie soll zu Karl über Wagner gesagt haben, dass „Nervenkranken die scheinbare Nähe des Todes geläufig sei“ … Wenn man „nervenkrank“ durch hochsensibel ersetzt, kommt man aus heutiger Sicht der Wahrheit sehr nahe. Denn diese Menschen neigen zu tiefer Reflexion, über den Sinn des Lebens, über den Tod, aber auch über Dinge, die Hochsensible selten mit anderen teilen, weil sie diese für eine Ausgeburt ihrer Phantasie halten. Phänomene, die sehr nahe bei der Bewusstseinsschwelle liegen: die Seelen Verstorbener, Naturgeister, Engel, Licht- und Schattenwesen, mit denen sie möglicherweise kommunizieren oder die in ihren Traumwelten erscheinen. Auch wenn einige Biographen die Ernsthaftigkeit der Selbstmordgedanken der Komponisten, insbesondere Beethovens, bezweifelt haben: Vor dem Hintergrund ihrer besonderen Persönlichkeit ist diese Einschätzung mehr als nur fraglich. Elaine Aron kommt in ihrem Buch bezüglich der Suizid-Gefahr von Hochsensiblen zu einem eindeutigen Schluss. Ihre Untersuchungsergebnisse machen deutlich, dass diese Menschen „ein viel größeres Risiko für Angst, Depressionen und Selbstmord in sich tragen“, wenn sie in ihrer Kindheit und Jugend viele Probleme hatten. Was man wohl ohne Übertreibung von allen drei Komponisten sagen kann.
Nicht nur seelischen Leiden waren die Komponisten ihr Leben lang ausgesetzt, sondern auch körperlichen (wobei interessanterweise allen dreien ein Hang zur Hypochondrie unterstellt wird). Dies wurde bereits mehrfach erwähnt und soll an dieser Stelle nur kurz zusammengefasst bzw. geringfügig ergänzt werden. Bei Beethoven müssen nach Ansicht von Experten aus heutiger Sicht drei Krankheitsbilder unterschieden werden: seine Ertaubung, das zum Tode führende Leberleiden sowie die chronischen Entzündungen des Verdauungstraktes, die den Komponisten bereits mit Anfang 30 befielen und für Brechdurchfälle und starke Koliken sorgten.
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Bereits im Jahr 1912 hatte der Beethoven-Forscher Frimmel eine naheliegende These aufgestellt: „Beethovens Taubheit war ein Symptom. Die Krankheit selbst heißt anders.“ Eine Einschätzung, die der deutsche Internist Dieter Kerner teilte: „Wenn es gelingt, mehrere gleichzeitig bestehende Erkrankungen bei einem Menschen ursächlich auf denselben Nenner zu bringen, dann hat diese Konzeption auf Grund der naturwissenschaftlichen Erfahrung eine weit größere Wahrscheinlichkeit als die Annahme von mehreren, scheinbar voneinander unabhängigen und heterogenen Krankheiten.“ Bis heute ist trotz verschiedener Ansätze ein rundum überzeugender Beweis dafür, dass die verschiedenen Leiden des Komponisten – worunter auch die psychischen Verstimmungszustände gerechnet werden – auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind, nicht erbracht worden. Auch Richard Wagner quälten nervöse Darmerscheinungen sowie seine Gesichtrose, die ihn schier zur Verzweiflung brachte. Jahrzehntelang klagte er über Herzbeschwerden, rief im Mai 1877 angsterfüllt aus: „Wenn ich nur kein Herzleiden habe!“ Doch genau daran sollte er sechs Jahre darauf sterben. Gustav Mahler litt – Jens Malte Fischer zufolge – „mehr als üblich … sein Leben lang an schwerster Migräne, die ihn anfallartig überall überkommen konnte, in zu lauten Eisenbahnwagen, in überhitzten Hotelzimmern“. Weiter heißt es: „Sein Magen-Darm-Trakt war ebenfalls hochempfindlich, schwere Darmblutungen machten ihm immer wieder zu schaffen … Entscheidend jedoch im verhängnisvollen Zusammenspiel mit dem Herzklappenfehler war eine auffallende Anfälligkeit für Halskrankheiten aller Art, die schon beim jungen Mahler immer wieder auftraten.“ Fischer sieht es als „verhängnisvoll“ an, dass der „ängstliche und auch schmerzempfindliche“ Komponist sich keiner Mandeloperation unterzog, und vermutet: „Vielleicht hat sogar diese Krankheit zum Herzklappenfehler erst geführt, der ja auch durch wiederkehrende Infektionen bewirkt werden kann … Es ist wahrscheinlich, dass die schwere Halserkrankung vom September 1910 … den Keim zur Todeskrankheit legte … Man kann sagen: Alle Organe bei ihm waren empfindlicher und sensibler als bei so genannten Normalmenschen.“ Verdauungsbeschwerden, Migräne, Herzbeschwerden. Nicht nur Fischers Wortwahl legt die Frage nahe: Ist es auszuschließen, dass ein Zusammenhang zwischen dem einen oder anderen dieser Leiden der Komponisten und ihrer Hochsensibilität besteht? Ist sie womöglich so-
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gar die geheimnisvolle „Grunderkrankung“ Ludwig van Beethovens gewesen?
Beethovens Arzt Aloys Weißenbach hatte die bemerkenswerte Diagnose aufgestellt, das „Nervensystem“ seines berühmten Patienten sei „reizbar im höchsten Grade“ und „kränkelnd sogar“. „Monsieur, vous n’è tes que nerveux. Dies alles wird Sie nur noch mehr aufregen; Sie bedürfen nichts als der Beruhigung.“ Dies sagte der Arzt Dr. Vaillant zu Richard Wagner 1856 in Genf besonders hinsichtlich der Kaltwasserkuren, von denen er sich Linderung seiner Beschwerden versprach. Es bleibe dahingestellt, bemerkt Dieter Kerner, der diese Einschätzung teilt, ob sie überhaupt als „Leiden sui generis“ aufgefasst werden könnten oder nur ‚Blitzableiter‘ für „psychische Ausnahmezustände“ gewesen seien. Seine „seelischen Ausnahmezustände“ seien „mit dem üblichen Schulwissen“ nicht zu erklären. Dass „alle drei Symptombereiche“ – nämlich Gesichtsrose, Darmstörungen und Herzbeschwerden – „einer psychosomatischen Interpretation zugänglich“ sind, betont auch Josef Rattiner: „Er trotzte sich und der Welt all das ab, was er sich erträumte und wünschte; aber die permanente Kampfstimmung, in die er hierbei hineingeriet, schädigte seine Körperfunktionen und erzeugte sein ewiges Kranksein oder Kränkeln, das vielleicht für seine Schöpfungen ebenso wesentlich war wie sein grandioser Wille und seine geniale ‚Begabung‘. Wagner war zuletzt organisch herzkrank, aber dies schließt nicht aus, dass dieses Leiden ‚psychisch‘ begann.“ Wie auch bei Mahler? Es liest sich jedenfalls sehr ähnlich, was Dieter Kerner über ihn denkt: „Wenn Gustav Mahlers Witwe … in einem Brief bemerkt: ‚Mahler war immer krank – ich kannte ihn nicht anders‘, dann sind diese Beschwerden bei dem hektischen, unscheinbaren Mann … in erster Linie als funktionell, als ‚neurovegetativ‘ bedingt … aufzufassen, ‚denn er war durch körperliche Leiden vieler Art ein überheizter Motor oder Amokläufer geworden. Seine schwache Konstitution übertönte er mit rasender Arbeit und ewig lauerndem Ehrgeiz – nie und nirgends hatte er Ruhe‘.“ In der Tat sind Menschen ihres Wesenszugs nicht nur psychisch, sondern auch physisch empfindlicher als andere. Da sie von allen Ein-
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flüssen stärker stimuliert werden, senden Seele und Körper schneller Warnsignale aus, was per se nicht negativ ist. Parlow: „Das hochsensible Nervenkostüm … bildet auch die Basis für ein sehr gutes Frühwarnsystem. Entzündungsherde, Verkrampfungen, Probleme mit dem Verdauungsapparat oder dem Kreislauf sowie alle anderen leichten Unpässlichkeiten und körperlichen Ungleichgewichte werden schon sehr früh ans Bewusstsein weitergeleitet. Die Tendenz zu größerer Achtsamkeit verhilft dazu, diese frühen, subtilen Signale nicht auszublenden, sondern zur Kenntnis zu nehmen.“ Da Hochsensible „körperliche Ungleichgewichte“ bereits in einem Stadium wahrnähmen, „wo sie von den Diagnosemethoden der modernen westlichen Medizin noch nicht feststellbar“ seien, stünde oft „der Vorwurf der Hypochondrie im Raum“. Bleibe das Problem im Frühstadium unbehandelt, könnten sich die Symptome bis an den Punkt verstärken, an dem das Problem auch von Ärzten erkannt würde. Nicht nur im Umfeld des Betroffenen, sondern auch bei diesem selbst komme manchmal der Verdacht auf, durch „intensive Einbildung“ die Beschwerden „herbeigewünscht“ zu haben. Bleiben die erforderlichen Gegenmaßnahmen dann aus, können sie sich „über kurz oder lang zu Krankheiten oder ähnlich deutlichen Unannehmlichkeiten“ auswachsen. Von denen der hochsensible Körper besonders bedroht wird. Als Erstes wären Allergien zu nennen. Parlow betont die medizinisch als erwiesen geltende Tatsache, dass Stress und Reizüberflutung maßgeblich an der Zunahme der Allergien beteiligt sind – heute sicher um einiges mehr als zu Lebzeiten der drei Komponisten. Doch auch sie waren bereits einer Fülle von Reizen ausgesetzt, auf die sie empfindlich reagieren mussten. Parlow erläutert grundsätzlich: „Hochsensible Menschen, die Außeneinflüssen aller Art offensichtlich weniger Widerstände und Filter entgegenzusetzen haben als der Rest der Menschheit und sich vielleicht auch auf der biologischen Ebene intensiver mit diesen Einflüssen auseinandersetzen, bekommen leichter und häufiger Allergien. Zudem bemerken sie allergische Reaktionen viel stärker und sind stärker davon beeinträchtigt.“ Was auch für andere Erkrankungen gilt. Aron warnt hochsensible Menschen eindringlich: „Wenn Sie Ihr Leben nicht nach Ihrer Sensibilität ausrichten, werden Sie mehr psychosomatische und/oder Stresskrankheiten entwickeln.“ Den Zusammenhang erläutert sie wie folgt: Hochsensible tendierten dazu, ihrem Körper zu viel abzuverlangen. Ein
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Grund hierfür ist in der ausgeprägten Intuition zu sehen, „die einige von ihnen ständig mit neuen kreativen Ideen versorgt“. Der Versuch, diese gleichzeitig zu verwirklichen, kann nach Arons Überzeugung einen „grausamen Missbrauch“ des Körpers bedeuten. Dieser rebelliere unter dem Druck und signalisiere Überforderung, worauf der Betroffene ihn oft zu stählen versuche (denken wir besonders an Mahler!) oder mit Medikamenten reagiere. Auf diese Weise entständen die typischen, mit Stress verbundenen Symptome wie Verdauungsstörungen, Muskelverspannungen, ständige Müdigkeit, Migräne und Schlaflosigkeit oder ein schwaches Immunsystem. Schon hochsensible Kinder sind – so Parlow – aufgrund ihrer zarten Konstitution krankheitsanfälliger. Jerome Kagan, Psychologe an der Universität von Harvard, fand heraus, dass hochsensible Kinder im Säuglingsalter häufiger unter Allergien, Koliken und Verstopfung leiden als andere. Nachdem man sie im Labor verschiedenen Stress-Situationen ausgesetzt hatte, ließ sich nachweisen, dass in ihren Gehirnen ein hoher Gehalt an Noradrenalin vorhanden war. Auch wiesen ihre Körperflüssigkeiten – und zwar nicht nur bei Stress – mehr von dem bereits angesprochenen Cortisol auf; was bei erwachsenen Hochsensiblen ebenso der Fall ist. Cortisol – es zählt wie Cortison zu den Glucocorticoiden – ist ein Stresshormon, das ausgeschüttet wird, wenn die Nerven mehr oder weniger ständig erregt sind. Es hält den Körper in dauerhafter Alarmbereitschaft. Elaine Aron dazu: „Wichtig ist zu wissen, dass eine Reaktion auf kurzzeitige Erregung umso eher ausgelöst wird, je mehr Cortisol vorhanden ist. Das bedeutet, dass nervliche Erregung, der wir über einen längeren Zeitraum hin ausgesetzt sind, uns noch sensibler und angespannter werden lässt.“ Nicht nur Parlow warnt vor den gesundheitlichen Gefahren, die von einem ständig erhöhten Cortisolwert ausgehen. Er kann „zu erhöhter Infektionsanfälligkeit, Essstörungen, Vergesslichkeit, Bluthochdruck, Knochen- und Knorpelabbau sowie anderen körperlichen Störungen führen“. Ist der Spiegel über Jahre oder gar Jahrzehnte erhöht, begünstigt er eine besondere Form der Altersvergesslichkeit (viele Hochsensible verfügen ohnehin schon in jungen Jahren über ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, vergessen oder verlegen beispielsweise Gegenstände). Um den dringend notwendigen Abbau des Hormons zu beschleunigen, sollte für ausreichend Schlaf, Ruhe und Rückzug gesorgt und viel Wasser getrunken werden – für Letzteres ist ja besonders
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Beethoven bekannt. Doch auch Wagner und Mahler vertrauten auf seine heilende Wirkung, womit sie intuitiv das Richtige taten. Die Frage, ob auch die ernsteren, zum Tode führenden Erkrankungen – womöglich selbst Beethovens Ertaubung – mit der Hochsensibilität und insbesondere den Langzeit-Auswirkungen erhöhter CortisolAusschüttung in Zusammenhang stehen könnten, 11 kann an dieser Stelle nur in den Raum gestellt werden. Sie muss von anderer Seite beantwortet werden.
Beethoven, Wagner und Mahler haben zweifellos unter ihrem gemeinsamen Wesenszug leiden müssen. Sie sind als Menschen und Künstler oft genug verkannt und missverstanden worden. Dass ihre Hochsensibilität für sie zugleich Fluch und Segen bedeutete, wurde deutlich. Das rastlose Umherziehen der Komponisten von Wohnung zu Wohnung, auf der Flucht vor Lärm und unangenehmen Gerüchen, ist auf sie zurückzuführen, ebenso wie ihre Stimmungswechsel, ihre Todesgedanken; aber eben auch ihr inniger Genuss der Natur, der Kunst, der Liebe – mit all ihren Freuden, all ihrem Schmerz. Vielleicht sogar ihre Genialität.
Nachwort „… dem ein Gott das Ohr verschlossen hat, damit es keine Klänge gäbe, außer seinen.“ – Es ist erschütternd, wenn man liest, was Rainer Maria Rilke seine Figur Malte Laurids Brigge denken lässt angesichts der Lebendmaske des (ungenannt bleibenden) Ludwig van Beethoven. Und es erinnert daran, was Gustav Mahler wenige Jahre zuvor zu Natalie BauerLechner gesagt hat: „Ich komme immer mehr dazu, nur die Tauben und Blinden für glücklich zu halten, denen diese elende Welt verschlossen ist, und ich könnte einen Musiker verstehen, der sich des Gehörs beraubt …“ Das grausame Schicksal der Taubheit als „gottgegeben“ oder erstrebenswerten Zustand in Betracht zu ziehen, einen Sinn darin zu sehen: Vielleicht können nur Hochsensible derart Provokantes, ja Verstörendes denken und sagen. Die amerikanische Psychologin Elaine Aron und auch Georg Parlow konzentrieren sich in ihren Werken darauf, das Phänomen der Hochsensibilität darzustellen und Betroffenen Ratschläge für den Umgang mit diesem Wesenszug zu erteilen. Nur beiläufig formuliert Parlow die Ansicht, dass „bis vor wenigen Jahrzehnten … wohl nahezu 100 Prozent der Poeten, Schriftsteller, Komponisten, Maler …“ hochempfindliche Menschen gewesen seien. Leider werden keine Namen genannt, leider wird auf keinerlei wissenschaftliche Untersuchung verwiesen, die diese These eingehend untersucht hat. Und sonderbarerweise unterbleibt ein Hinweis auf die ungeahnten Möglichkeiten, die dieser Zugriff der heutigen Forschung eröffnen könnte. Es ist überraschend, dass bislang kein Biograph den Versuch unternommen hat, diesen „Schlüssel“ zum besseren Verständnis einer historischen Persönlichkeit anzusetzen. Auch wenn nach meiner Einschätzung keineswegs jeder bedeutender Künstler hochsensibel war: Ihre Zahl dürfte dennoch beträchtlich sein. Oftmals handelt es sich um Menschen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen auf Unverständnis stießen, wenn nicht sogar als psychisch krank galten (etwa der Pianist Glenn Gould oder der Lyriker Georg Trakl). Meine bisherigen Recherchen in diese Richtung haben ergeben, dass unter anderen die folgenden Per-
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sönlichkeiten hochsensibel gewesen sein könnten: Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Heinrich von Kleist, Joseph von Eichendorff, Friedrich Hölderlin, Hermann Hesse, Arthur Schnitzler; Caspar David Friedrich, Vincent van Gogh, Edvard Munch; Franz Liszt, Frédéric Chopin. Ob meine Einschätzung im Einzelfall tatsächlich zutreffend ist, kann nur eine eingehende biographische Studie belegen, ähnlich der vorliegenden über Beethoven, Wagner und Mahler, die erstmals den Versuch unternommen hat, sich den Persönlichkeiten der drei großen Komponisten ausgehend von der Annahme ihres gemeinsamen Wesenszuges zu nähern. Doch wie ist diese Idee entstanden? Ein purer Zufall … Während der Arbeit an meiner Beethoven-Biographie, die im Juli 2011 unter dem Titel „Echte Kunst ist eigensinnig“ erschien, befasste sich meine Frau zeitgleich – aufgrund eines begründeten, persönlichen Interesses – mit Hochsensibilität, insbesondere mit dem Buch Elaine Arons. Bei unserem allabendlichen Gedankenaustausch erwuchs und verfestigte sich meine Überzeugung, dass aufgrund der Vielzahl der Parallelen Ludwig van Beethoven hochsensibel gewesen sein muss. Meine Studien Wagner und Mahler betreffend legten diesen Schluss auch bei ihnen nahe. Die Idee für ein Buch, das die Wesensverwandtschaft der drei vermeintlich recht unterschiedlichen Genies zum Thema hat, war somit geboren. Hochsensibilität ist, um es mit den Worten des alten Briest zu sagen, ein weites Feld. Nicht umsonst werden ganze Bücher darüber geschrieben, und die Forschungsliteratur wächst beständig. Der begrenzte Rahmen dieser Publikation erforderte eine Konzentration auf wesentliche Gemeinsamkeiten Beethovens, Wagners und Mahlers, die sich auf ihr hochsensibles Wesen zurückführen lassen. Es wird mehr zu sagen sein in Zukunft, vor allem hinsichtlich der Frage, inwieweit dies Einfluss auf das Werk genommen hat. Arthur Schnitzler war überzeugt davon, dass Gustav Mahler zu den Persönlichkeiten gehörte, die ihr Wesen durch die Musik ausdrücken. Was man nach meiner Überzeugung in gleichem Maße auch über Beethoven und Wagner sagen darf. Allein über diesen einen, für die Interpretation ihrer Werke höchst aufschlussreichen, Aspekt ließe sich ein ganzes Buch schreiben. Denn vielleicht können nur hochsensible Komponisten die ungeheure Bedeutung dessen ermessen, was das Gegenteil von Lärm ist und wonach sie sich in ihrem Leben so gesehnt haben: die
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Stille. In seinem äußerst bemerkenswerten Essay „Verborgenes Mysterium“ bemerkt Christoph Vratz, dass Komponisten über die Jahrhunderte das Unmögliche versucht hätten: die Stille wahrnehmbar zu machen. So nennt er Gustav Mahler und den Beginn seiner ersten Sinfonie, über den Carlo Maria Giulini sagte: „Der Anfang ist die Stille der Natur. Wenn da das Orchester im Konzert anfängt, darf das Publikum gar nicht wissen, hat es schon begonnen oder noch nicht.“ Beethovens „Meeresstille und glückliche Fahrt“ habe – so Vratz – für Irritationen gesorgt, der Versuch, Stille durch Klang abzubilden, befremdend gewirkt. „Die ‚tiefe Stille‘, die man gleich anfangs hört, lässt einen kaum atmen“, schrieb ein zeitgenössischer Kritiker des Werkes. „Unerhört gestaltet sich Stimmlage und alles übrige, um die glatte tückische Stille zu malen. Regungslos liegen die Saiteninstrumente weit auseinander gezogen.“ An späterer Stelle heißt es dann: „Richard Wagner bekennt gegenüber Mathilde Wesendonck die ‚tiefe Kunst des tönenden Schweigens‘, mit der er ‚Tristan und Isolde‘ komponiert. Schon das Vorspiel … erhebt sich aus der Stille und kehrt in ebenjenes Pianissimo zurück, während sich der Vorhang hebt – eine symbolhafte Verdichtung zwischen Sagbarem und Unsagbarem, Lautstärke und Stille …“ Nicht nur diese, sondern auch Naturliebe, Stimmungsvielfalt und Mitleidigkeit haben deutliche Spuren im Werk Beethovens, Mahlers und Wagners hinterlassen, so wie Glück und Leid der Liebe. Und wohl nicht zuletzt: die Nähe des Todes. Der Leser, der sich während der Lektüre zu seiner eigenen Überraschung häufiger in diesen drei Menschen wiedererkannt haben mag und nun den Verdacht hegt, selbst hochsensibel zu sein, sei daran erinnert, was Gustav Mahler zu Natalie sagte, nachdem er ihr von einem Traum erzählt hatte: Es ist sicher „keine üble Gesellschaft“, in der man sich befindet.
Epilog Mit der Eile scheint es nun vorbei zu sein. Die Drei stolzieren mehr, als dass sie gehen, auf Zehenspitzen, ab und an einen großen Schritt machend, die Köpfe gesenkt. Selbst der Neufundländer Robber setzt die Pfoten so, als würde es ihm zu heiß unter ihnen. Vermutlich ist er aber nur erschöpft von dem langen Weg, den sie gegangen sind. Sehnt sich zurück nach Paris, wo er einst seine große Liebe fand … fand und verlor. „Wo is es denn nu endlich, dein Barradieß?“ Wagner fragt schon wieder, ungeduldig und die Ameisen-Prozession am Boden fest im Blick behaltend. Noch immer sind sie nicht an dem Ort, wo sie endlich ihre Ruhe finden wollen. Ewige Ruhe. Wie lange sollen sie noch danach suchen? Will es denn gar kein Ende nehmen? „Da samma do scho!“ Mahler ist sichtlich stolz, während Wagner weniger wehmütig wirkend die Nase rümpft. Beethoven lacht laut und schallend. Er findet „dat Janze“ einfach nur „jöttlisch“! Denn sie stehen vor einem Hüttlein, janz mit Efeu zujewachsen. Sein rotes Dächschen glänzt in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. „Mein Schnützelputz-Haus!“, sagt Gustav leise. Sanft stampft er mit dem Fuß. Tränen stehen ihm in den Augen. Er muss sich ihrer nicht schämen. Er wird verstanden. Endlich. Richard wird nur noch einmal laut, nachdem ihm zunächst freundschaftlich der Vortritt gewährt wurde. Mahler hat sie leider vergessen: die vielen Käfer, die wie immer herabrieseln beim Öffnen der Tür … Man sieht sie so schlecht in Wagners Pelz, wo auch sie sich gleich pudelwohl fühlen. Der Hausherr selbst kommt bald zurück, um die beiden Gittertore fest hinter sich zu verschließen. Sie wollen ungestört sein, haben einander noch viel zu erzählen. Ganz in Ruhe und Frieden und Freundschaft. Bald schon steigt Rauch auf aus dem Schnützelpützelhaus.
Anmerkungen Wörtlich soll Mahler zu Natalie Bauer-Lechner in einem Gespräch über die Bedeutung Beethovens gesagt haben: „Genien wie Beethoven, solcher sublimsten und universellsten Art, gibt es unter Millionen Menschen nur zwei, drei. Vielleicht kann man an Dichtern und Komponisten der Neuzeit nur drei: Shakespeare, Beethoven und Wagner nennen.“ (Bauer-Lechner, S. 8). 2 Auch diese Äußerung Gustav Mahlers über Beethoven und Wagner ist durch Natalie Bauer-Lechner überliefert (Bauer-Lechner, S. 151). 3 Zur Bestimmung der genauen Körpergröße Richard Wagners ist der Komponist auf Gemälden oder Fotos abgemessen und zu Möbelstücken oder anderen Gegenständen in Relation gesetzt worden. Auch wenn mittels dieser Methode keine zentimetergenaue Messung möglich ist, so gilt als erwiesen, dass er deutlich unter 1,65 m groß war. Somit hätte er Gustav Mahler geradewegs in die Augen blicken können, der etwa 1,60 m maß. Wesentlich größer dürfte auch der „Titan“ nicht gewesen sein: Beethoven war bereits als junger Mensch – laut Bäckermeister Fischer – „kurz gedrungen“, der erwachsene wurde von seinen Zeitgenossen unisono als „klein“ beschrieben; und dies im Kontext der damaligen durchschnittlichen Körpergrößen … 4 Es erhielt seinen Namen nach einem so betitelten Gedicht aus der Gedichtsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. 5 Sie stammt von seinem Onkel Adolf. 6 Siehe Anmerkung 1. 7 Minna wurde im Alter von 15 Jahren von einem Offizier vergewaltigt und infolgedessen schwanger. Aus Angst vor dem väterlichen Zorn offenbarte sie sich ihrer Mutter. Man beschloss, dem Vater vorzutäuschen, dass diese schwanger sei, was auch gelang. Natalie wusste bis ins hohe Alter nichts von dieser Verheimlichung und glaubte, sie sei die Schwester Minnas. 8 In jüngster Zeit ist die Antonie-Theorie stark angezweifelt, wenn auch nicht widerlegt worden. Josephine Brunsvik sowie Bettina von Arnim wurden als mögliche Kandidatinnen mehr in den Mittelpunkt ge1
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Anmerkungen
rückt. Meine Ausführungen mögen die These stützen, dass Antonie tatsächlich die unsterbliche Geliebte war. 9 Diese Zählung ist selbstverständlich nur dann korrekt, wenn man die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ als ein Werk auffasst. 10 Ergänzende Informationen sind im Wesentlichen den in Arons Nachfolge entstandenen Werken der ebenfalls hochsensiblen Autoren Georg Parlow und Jutta Nebel entnommen worden. 11 Neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge kann durch Stresssituationen, die in kurzen Abständen wiederholt auftreten, das Cortisol nicht hinreichend nachproduziert werden. Der daraus resultierende Mangel an diesem Hormon wird als ursächlich für diverse psychische (bspw. Angstzustände oder Depressionen) und physische (bspw. Haut und Verdauung betreffende) Symptome angesehen. Wagners nervöse Darmerscheinungen sowie seine Gesichtsrose könnten m. E. vor diesem Hintergrund erklärt werden.
Danksagung Mein herzlicher Dank gilt Frau Harriet Oerkwitz aus Hamburg – Gründerin des Online-Magazins „Konzert der Stille“ unter www.konzert-derstille.de – für ihre wertvolle Unterstützung bei der Abfassung des letzten Kapitels.
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Register Die Aufnahme Beethovens, Wagners und Mahlers in das Register beschränkt sich auf die erwähnten Werke der Komponisten. Adler, Guido 91 Agoult, Marie d’ 111 Andersen, Hans Christian 139 Anschütz, Heinrich 104 Apel, August 109 f. Arnim, Bettina von 88, 105 f. Aron, Elaine 133 ff., 140 ff., 147, 150 f., 153 Bauer, Hans-Joachim 101 Bauer-Lechner, Natalie 7, 24, 26 ff., 50 f., 64 ff., 75 f., 82 f., 89 ff., 94 f., 120, 128 f., 133, 136, 153 Bayreuth 11, 60, 79, 102, 114, 123, 127 Beethoven, Johann Peter Anton van (Vater) 11 ff., 18 Beethoven, Karl van (Neffe) 22, 81 Beethoven, Ludwig van –, Coriolan (Ouvertüre) op. 62: 95 –, Fidelio op. 72: 13, 95 –, Fidelio (Ouvertüre) op. 72b: 93 –, Klavierkonzert Nr. 2 B-Dur: 61 –, Sinfonie Nr. 1 C-Dur: 75 –, Sinfonie Nr. 5 c-Moll: 57, 93 –, Sinfonie Nr. 6 F-Dur: 75 –, Sinfonie Nr. 7 A-Dur: 93 –, Sinfonie Nr. 8 F-Dur: 57
–, Sinfonie Nr. 9 d-Moll: 62, 93, 95 –, Sinfonie Nr. 10 (Skizzen): 130 –, Sonate für Klavier c-Moll op. 111: 93 –, Sonate für Violine und Klavier A-Dur (Kreutzer): 74 –, Streichquartett B-Dur op. 130: 48 –, Streichquartett F-Dur op. 135: 48 Beethoven, Ludwig van (Großvater) 17, 134 Beethoven, Ludwig Maria van (Bruder) 18 Beethoven, Maria Margaretha van (Schwester) 17 Beethoven, Maria Magdalena van (Mutter) 11 ff., 15 f., 61 f., 88 Berg, Alban 130 Beethoven, Nikolaus Johann van (Bruder) 74 Berlin 24, 46, 51, 64, 109 ff. Biebrich 39, 69, 99 Bismarck, Otto von 986 Böhme, Rudolf 44, 101 Bonn 18, 61, 88, 105, 143, 162 f. Bülow, Hans von 4 Brauchle, Johann Xaver 22
Register
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Brentano, Antonie 62, 105 f., 115, 146, 159 Brentano, Bettina s. u. Arnim, Bettina von Breuning, Gerhard von 81 Breuning, Helene von 88 Breuning, Stephan von 81, 104 Bridgetower, George 74 Brix (Geschäftsmann) 35 Bruckner, Anton 94 Brunsvik, Therese von 49 Budapest 50, 65 Bülow, Blandine von 112, 114 Bülow, Daniela von 112, 114 Bülow, Hans von 46, 67, 111 ff.
Friedrich, Caspar David 154 Frimmel, Theodor von 148
Casella, Alfredo 95 Chopin, Frédéric 154 Cramolini, Ludwig 73 Czerny, Carl 74, 88
Halm, Anton 74 Hamburg 24, 43, 50, 63 f., 76, 83, 118, 161 Hansen, Walter 102, 107 ff. Hanslick, Eduard 99 Haydn, Joseph 75 Herwegh, Georg 99 Hesse, Hermann 154 Hölderlin, Friedrich 154
Daumer, Georg Friedrich 124 Devrient, Eduard 46 Dresden 19, 38, 67, 124 Eichendorff, Joseph von 154 Erdödy, Gräfin Anna Maria 122 Fechner, Gustav Theodor 66 Fidi s. u. Wagner, Siegfried Fischer, Jens Malte 53, 65 f., 83, 89, 117 f., 120, 129, 135 f., 148 Fischer, Theodor 15, 64 Floros, Constantin 65, 95, 129 Frankfurt 32, 105 f. Freud, Sigmund 108 Freund, Emil 89 Fricke, Richard 79, 102
Galvani, Friederike 107 f. Gautier, Judith 41, 114 Geyer, Ludwig (Stiefvater Wagners) 11 ff., 20 Giulini, Carlo Maria 155 Glasenapp, Carl Friedrich 42, 44, 54 f., 67 f., 125 Goethe, Johann Wolfgang von 69, 154 Gogh, Vincent van 154 Goldmark, Karl 83 Gould, Glenn 153 Guicciardi, Giulietta 104, 116
Jadin (Pariser Wohnungsvermieter) 34 Joukowsky, Paul von 100, 102 Jung, Carl Gustav 137 Kagan, Jerome 151 Kanka, Dr. Johann 62 Kassel 117 Kerner, Dieter 148 f. Kietz, Adolf Gustav 67, 79 Kleist, Heinrich von 154
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Register
Kopitz, Klaus Martin 132 Kossak, Ernst 42 Krisper, Anton 25 Lenbach, Franz von 98 Leipzig 19, 63, 70, 80, 91, 125 Lipiner, Siegfried 128 Liszt, Franz 35, 38, 44 f., 111, 113, 154 Löhr, Fritz 93, 117 London 41, 57 Ludwig II. von Bayern 47 Magdeburg 109 f. Mahler, Alma (Ehefrau) 15 f., 25 f., 28 ff., 50, 63 f., 66, 73, 77, 84, 92, 119 f., 128 ff., 149 Mahler, Bernhard (Vater) 11 ff., 18, 73, 76 Mahler, Ernst (Bruder) 18, 63 Mahler, Gustav –, Das klagende Lied: 128 –, Kindertotenlieder: 121 –, Lieder eines fahrenden Gesellen: 117 f. –, Sinfonie Nr. 1 D-Dur: 51 f., 155 –, Sinfonie Nr. 2 c-Moll: 95, 128, 141 –, Sinfonie Nr. 3 d-Moll: 51 f., 65, 85, 95, 128 –, Sinfonie Nr. 4 G-Dur: 75 –, Sinfonie Nr. 9 D-Dur: 130 –, Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur: 129 f. Mahler, Isidor (Bruder) 18 Mahler, Justine Ernestine (Schwester) 76, 128 Mahler, Leopoldine (Schwester) 18
Mahler, Maria Anna (Tochter) 63 Mahler, Marie (Mutter) 11 ff., 18, 25, 62, 134 Mahler, Otto (Bruder) 18, 128 Maiernigg 28 f., 31, 34, 85, 130 Malfatti von Rohrenbach zu Dezza, Therese 49, 122 Manheit, Jacques 73 Mann, Thomas 129 Metternich, Pauline 92 Meysenbug, Malwida von 71 Mildenburg, Anna von 51 ff., 63, 65, 76, 118 ff., 146 Moskau 30, 33, 40, 43 Mozart, Wolfgang Amadeus 17, 75, 94 Munch, Edvard 154 München 47, 84, 113 f. Napoleon I., Kaiser von Frankreich 19 Nassau, Herzog von 39 Neapel 46, 71 Neate, Charles 49 Nebel, Jutta 134, 140, 144 Neefe, Christian Gottlob 122 New York 28, 129 Nietzsche, Friedrich 78 Nowak, Adolf 65 Paris 34, 38 f., 42, 44, 46, 56 f., 59, 79, 102, 111, 156 Parlow, Georg 134 ff., 138 ff., 145 f., 150 f., 153 Pasqualati, Baron Johann von 21 Pfohl, Ferdinand 53, 64, 83 Planer, Natalie 98 Pocci, Franz Graf von 23, 34 Pohl, Richard 59
Register
Poisl, Josephine 116 Praeger, Ferdinand 46, 99 Prag 26, 30, 45, 101 Puschmann, Theodor 132 Rattiner, Josef 149 Raymann, Jenny 107, 116 Rellstab, Ludwig 49 Richter, Hans 79 Richter, Johanna 117 Rieger, Eva 38, 110 Ries, Ferdinand 87 Riga 56 Rilke, Rainer Maria 153 Ringelmann, Therese 107 Ritter, Julie 146 f. Ritter, Karl 42, 80, 112, 146 Röckel, Joseph August 121 Rolland, Romain 141 Roller, Alfred 66 Rudolph, Erzherzog von Österreich 61 Schaden, Josef von 17, 62, 88 Schiffner, Mathilde 37, 97 Schiller, Friedrich von 154 Schindler, Alma s. u. Mahler, Alma Schindler, Anton 73, 105 Schmale, Wilhelm 35 Schnitzler, Arthur 63, 154 Schnorr von Carolsfeld, Ludwig 126 Schönberg, Arnold 130 f. Schuppanzigh, Ignaz 74 Shakespeare, William 94, 101 Smyth, Ethel 91 Solomon, Maynard 21, 74, 121 f. Specht, Richard 91 Stefan, Paul 94
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Steinbach 26 f., 52 Steiner, Josef 50, 89 Stocker, Verena (gen. Vreneli) 67 Stockar, Herr 37 Streicher, Anna 22, 48 Toblach 30, 33 Tolnay-Witt, Gisela 93 Trakl, Georg 153 Tribschen 43, 68, 78, 113 f. Vaillant, Dr. 149 Venedig 40, 43 f., 70, 80, 101, 115, 127 Vratz, Christoph 155 Vreneli s. u. Stocker, Verena Wagner, Adolf (Onkel) 123, 159 Wagner, Cäcilie (Halbschwester), 12, 54 f., 67, 96, 125 Wagner, Cosima 7, 11, 37 f., 40 ff., 45 f., 55, 59, 67, 69 f., 78 ff., 94, 97, 99 ff., 104, 111 ff., 124 ff., 146 Wagner, Eva (Tochter) 114 Wagner, Friedrich (Vater) 19, 134 Wagner, Gustav (Bruder) 19 Wagner, Isolde (Tochter) 80, 113 f. Wagner, Johanna Rosine (Mutter) 11 ff., 19 f. Wagner, Minna 7, 37, 39, 41, 43 f., 56 ff., 96 ff., 109 ff. Wagner, Richard –, Das Liebesverbot: 110 Der fliegende Holländer: 34, 57, 101, 124 –, Der Ring des Nibelungen: 160 –, Die Meistersinger von Nürnberg: 44, 69, 103, 114
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Register
–, Lohengrin: 54, 61, 79 –, Parsifal: 11, 41, 48, 72, 100, 117, 130 f., 141 –, Rienzi: 35, 57 –, Siegfried: 36 f., 54 f. –, Siegfried-Idyll: 78 –, Sinfonie C-Dur: 130 –, Tristan und Isolde: 40, 96, 99, 101, 104, 113, 126, 155 Wagner, Siegfried (Sohn, gen. Fidi) 79, 100, 114, 126 Wagner, Theresia (Schwester) 19 Wahnfried 56, 114 Walter, Bruno 51 ff., 63 ff., 75, 83, 90, 93, 95, 129 Weber, Carl Maria von 124 Weber, Ernst von 60
Wegeler, Franz Gerhard 61, 88, 105, 122 Weißenbach, Aloys 132 f., 149 Wesendonck, Otto 37 Wesendonck, Mathilde 37, 41, 96, 99, 112, 155 Wetzel, Christian Ephraim 19 f. Wien 11, 17, 22, 25, 29, 45, 50, 62, 64, 66, 76, 81, 88, 105 f., 117, 125, 132 Wille, Eliza 39, 42, 126 Willnauer, Franz 118 Winkler (Bekannter Mahlers) 82 Zinne, Wilhelm 76 Zürich 36 ff., 44, 57, 98, 112, 115
Inhalt der Begleit-CD 1. Ludwig van Beethoven Coriolan, Op. 62, Ouvertüre
07:55
Kölner Kammerorchester unter der Leitung von Helmut Müller-Brühl
2. Ludwig van Beethoven Fidelio, Op. 72, Akt II, Introduktion und Arie: Gott! Welch’ Dunkel hier!
10:45
Nicolaus Esterházy Sinfonia unter der Leitung von Michael Halász Gösta Winbergh (Tenor)
3. Richard Wagner Parsifal, Akt I, Vorspiel
10:30
Polnisches Nationales Radio-Sinfonieorchester unter der Leitung von Johannes Wildner
4. Richard Wagner Der Fliegende Holländer, Akt III, Szene und Chor – Steuermann, lass die Wacht!
09:53
ORF Radio-Sinfonieorchester Wien unter der Leitung von Pinchas Steinberg Ungarischer Radiochor Budapest
5. Gustav Mahler 1. Sinfonie in D-Dur, 1. Satz
15:59
Slowakische Philharmonie unter der Leitung von Zdenek Kosler
6. Gustav Mahler Kindertotenlieder, Nun seh’ ich wohl, warum so dunkle Flammen
4:55
NDR Radiophilharmonie Hannover unter der Leitung von Cord Garben Hidenori Komatsu (Bariton)
Informationen Zum Buch Ludwig van Beethoven, Richard Wagner und Gustav Mahler waren jeder für sich ohne Zweifel musikalische Genies. Doch was verband sie und welche Charaktereigenschaften finden sich bei allen drei Komponisten wieder? Viele der Gemeinsamkeiten der drei Künstler sind noch nie in dieser Form transparent gemacht worden, so zum Beispiel ihre extremen Stimmungsschwankungen, ihre Affinität zum Tod, eine übersteigerte Natur- und Tierliebe und eine tiefe Empfindung des Mitleidens mit allem Kreatürlichen. Durch seinen kurzweiligen und eingängigen Stil und den originellen Ansatz gelingt es HansGeorg Klemm, die drei großen Musiker für jedermann zugänglich zu machen.
Informationen Zum Autor Hans-Georg Klemm, geb. 1965, ist Musikpädagoge und Sachbuchautor. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit den Biographien der Komponisten Beethoven, Wagner und Mahler und stellt diese in ein neues Licht, um sie auch für musikgeschichtliche Laien aufzuarbeiten.