BASF Handbuch Lackiertechnik 9783748600398

Neben traditionellen Standardinformationen werden im BASF Handbuch Lackiertechnik neueste Entwicklungen der Beschichtung

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German Pages 863 [864] Year 2014

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Der Beschichtungsstoff
3. Die Beschichtung
4. Die Lackiertechnologie
5. Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit
6. Prinzipien des Qualitätsmanagements
7. Lackierbranchen
8. Normen
9. Appendix
Autoren
Stichwortverzeichnis
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BASF Handbuch Lackiertechnik
 9783748600398

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Prof. Dr. Artur Goldschmidt und Dr. Hans-Joachim Streitberger

BASF Handbuch

Lackiertechnik

Umschlagsbild: © plainpicture/Biwa Inc.

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Prof. Dr. Artur Goldschmidt und Dr. Hans-Joachim Streitberger © 2014 BASF Coatings GmbH, Glasuritstraße 1, 48165 Münster, Germany, (alle Rechte vorbehalten) Vincentz Network, Plathnerstraße 4c, 30175 Hannover, Germany ISBN 978-3-74860-039-8 Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung der BASF Coatings unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstraße 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de Satz: Vincentz Network, Hannover, Germany Druck: Bonifatius Druck/Buch/Verlag, Paderborn, Germany ISBN 978-3-74860-039-8

Prof. Dr. Artur Goldschmidt und Dr. Hans-Joachim Streitberger

BASF Handbuch

Lackiertechnik

Vorwort Das Glasurithandbuch „Lacke und Farben“ ist bei seinem ersten Erscheinen im Jahr 1934 zu einem Standardwerk auf dem Gebiet der Beschichtungsstoffe geworden. Nachdem die letzte komplett neue Version aus dem Jahr 2002 wegen der umfangreichen Grundlagen- und Anwendungsteile ebenfalls große Akzeptanz am Markt gefunden hatte, folgt nach elf Jahren nun eine dem neuen Wissen und Stand der Technik überarbeitete Auflage. Durch die Ausrichtung der BASF auf Kernsegmente des Beschichtungs-Marktes werden entsprechende Schwerpunkte stärker behandelt. Dazu zählen die Automobilserienund Autoreparaturlackierung, Coil Coating und allgemeine Industrielackierungen. Dies bedeutet dennoch eine weitgehend komplette Abdeckung aller industriellen Lackiertechnologien und den dazu gehörigen Produkten. Für diese neue Auflage des BASF Handbuches Lackiertechnik werden neben den aktuellen Marktzahlen und Entwicklungen in der Gesetzgebung neue Rohstoffe, neue Verfahren und Applikationstechniken aufgezeigt. Dazu zählen u.a. das stärker in den Focus gerückte Gebiet der Nanotechnologie, die für wässrige Lacksysteme bedeutenden Polyurethan-Dispersionen und neue Funktionen der Beschichtungen, sogenannten Smart Coatings. Neue Vorbehandlungs-, Applikations- und Aufbereitungsverfahren wie die Rotations-Elektrotauchverfahren, der integrierte Lackierprozess und die OversprayBehandlung in der Automobilindustrie als besonders effiziente Lackierverfahren und -techniken werden aufgegriffen. Die Entwicklung umweltfreundlicher Beschichtungsstoffe und Verfahren in Bezug zur Nachhaltigkeit wird an verschiedenen Stellen des Buches hervorgehoben. Ein besonderes Anliegen der Autoren für die Neuauflage ist es, durch mehr als 200 neue und ca. 500 aktualisierte Literaturangaben eine Vertiefung des durch das Buch vermittelten Wissens zu ermöglichen. Bei den zahlreichen Änderungen wurde Wert darauf gelegt, den bewährten Aufbau des Buches unverändert zu belassen. Details über Rohstoffe, Herstell- und Verarbeitungsverfahren sind durch Aussagen über Qualitätssicherung und die spezifischen technischen Anforderungen der einzelnen Branchen ergänzt. Das BASF Handbuch beginnt mit einem kurzen historischen Abriss des Lackierens, seiner heutigen wirtschaftlichen und technischen Bedeutung sowie den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Ein Kapitel über die Rohstoffe, die Prinzipien zur Produktformulierung und den Herstellverfahren für Beschichtungsstoffe schließt sich an. Es folgen Erläuterungen zu den Eigenschaften der flüssigen und festen Beschichtungsstoffe für die jeweiligen Applikationsarten. Kapitel 5 vermittelt die Anforderungen an Umwelt, Sicherheit und Gesundheit sowie an umweltfreundliche Beschichtungsstoffe auf Basis der aktuellen Gesetzeslage in Europa und Deutschland. Mit vielen Abbildungen werden im Kapitel 7 die wichtigsten Lackierbranchen vorgestellt. Normtabellen, allgemeine

Kennzahlen, Abkürzungsdefinitionen, wichtige Internet-Adressen und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis bilden den Abschluss des Buches. Die Literaturzitate sowie die allgemeine Literaturhinweise sind den einzelnen Kapiteln zugeordnet. Unser Dank gilt der BASF Coatings, die die Auflage ermöglicht hat, und den zahlreichen Helfern für ihre Unterstützung und wertvollen Hinweise. Insbesondere gilt unser Dank Dr. Walter Jouck, Dr. Peter Betz, Sabine Rüttgers, Rolf Döring, Jürgen Book, Heike Thöne und Dr. Peter Bachhausen von der BASF Coatings. Außerdem danken wir Bernd Reinmüller, Geschäftsführer im Deutschen Institut für Normung, für die umfassende Hilfe bei der Aktualisierung der Normen. Wir danken Markus Lubig für die bewährte Hilfe bei der Korrektur und Neugestaltung von chemischen und mathematischen Formeln. Zum Schluss gilt unser Dank den vielen Firmen, die uns die Abbildungen zur Verfügung gestellt haben.

Prof. Dr. Artur Goldschmidt und Dr. Achim Streitberger Paderborn und Münster, im September 2013



Inhaltsverzeichnis 1 Einführung

2 Beschichtungsstoff

3 Beschichtung

4 Lackiertechnologie

5

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

6

Prinzipien des Qualitätsmanagements

7 Lackierbranchen

8 Normen

9

Appendix

10 Stichwortverzeichnis

BASF-Handbuch Lackiertechnik

7

Inhaltsverzeichnis 1 Einführung............................................................................................ 15 1.1 Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung....................................15 1.2 Rückblick................................................................................................ 22 1.3 Literatur.................................................................................................. 25 Der Beschichtungsstoff........................................................................ 27 2 2.1 Rohstoffe................................................................................................ 28 2.1.1 Filmbildner............................................................................................. 30 2.1.1.1 Naturstoffe ............................................................................................. 34 2.1.1.2 Syntheseharze......................................................................................... 50 2.1.2 Lösemittel............................................................................................... 130 2.1.2.1 Theorie des Lösens................................................................................. 132 2.1.2.2 Physikalische Eigenschaften ................................................................. 134 2.1.2.3 Chemisch-physiologische Eigenschaften............................................... 137 2.1.2.4 Lacktechnisch wichtige Lösemittel........................................................ 138 2.1.3 Pigmente und Füllstoffe......................................................................... 142 2.1.3.1 Physikalische Grundlagen für Farbigkeit und Deckvermögen.............. 146 2.1.3.2 Die wichtigsten Pigmente für Beschichtungsstoffe............................... 149 2.1.3.3 Füllstoffe................................................................................................ 169 Weichmacher und Additive.................................................................... 172 2.1.4 2.1.4.1 Weichmacher.......................................................................................... 173 2.1.4.2 Additive.................................................................................................. 176 Nanoprodukte......................................................................................... 196 2.1.5 2.1.5.1 Beschreibung und Definition................................................................. 196 2.1.5.2 Herstellung von Nanoprodukten............................................................ 198 2.1.5.3 Anwendungsbeispiele............................................................................. 200 2.1.5.4 Ausblick.................................................................................................. 204 2.1.6 Zusammenfassung.................................................................................. 204 Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff.................................................. 205 2.2 2.2.1 Allgemeine Regeln zur Rezeptgestaltung.............................................. 206 2.2.1.1 Verwendungszweck und Qualität........................................................... 206 2.2.1.2 Produktionsmittel, Applikationsanlagen und Lackierobjekt................. 207 2.2.1.3 Funktion im Lackieraufbau................................................................... 208 2.2.1.4 Wirtschaftlichkeit und Verfügbarkeit .................................................... 209 2.2.1.5 Arbeits- und Umweltschutzauflagen...................................................... 210 Materialfluss in einer Lackfabrik........................................................... 210 2.2.2 Theorie der Dispergierung..................................................................... 213 2.2.3 2.2.3.1 Pigmentspezifische Eigenschaften zum Dispergierverhalten................ 213 2.2.3.2 Die Benetzung und Agglomeratzerteilung............................................ 217 2.2.3.3 Stabilisierung von Pigmentdispersionen................................................ 222 2.2.3.4 Optimale Mahlgutformulierung............................................................. 231 Produktion von Beschichtungsstoffen.................................................... 234 2.2.4 2.2.4.1 Schema der Abläufe in einer Lackfabrik............................................... 234

BASF-Handbuch Lackiertechnik

9

Inhaltsverzeichnis

2.2.4.2 Rührwerkzeuge...................................................................................... 236 2.2.4.3 Dispergiermaschinen.............................................................................. 242 2.2.4.4 Trennprozesse bei der Lackherstellung.................................................. 259 2.2.5 Zusammenfassung.................................................................................. 267 2.3 Charakterisierung von Beschichtungsstoffen........................................ 267 2.3.1 Messgenauigkeit..................................................................................... 269 2.3.2 Prüfung von Rohstoffen und Beschichtungsstoffen............................... 273 2.3.2.1 Sicherheitstechnische und umweltrelevante Kennzahlen ..................... 273 2.3.2.2 Chemische Charakterisierung................................................................ 278 2.3.2.3 Physikalische Kenngrößen..................................................................... 289 2.3.3 Pigmentspezifische Prüfungen............................................................... 316 2.3.3.1 Kenngrößen des Pigmentes als Rohstoff................................................ 317 2.3.3.2 Prüfungen mit dem pigmentierten Beschichtungsstoff ........................ 326 2.3.4 Verarbeitbarkeit von Beschichtungsstoffen............................................ 331 2.3.5 Zusammenfassung.................................................................................. 334 2.4 Literatur.................................................................................................. 335 Die Beschichtung.................................................................................. 339 3 3.1 Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung...................... 339 Benetzen und Verlaufen......................................................................... 339 3.1.1 3.1.2 Verfestigung des Films........................................................................... 341 3.1.2.1 Physikalische Trocknung........................................................................ 343 3.1.2.2 Chemische Härtung................................................................................ 347 3.1.2.3 Strömungen im sich verfestigenden Film............................................... 348 Filmschrumpf......................................................................................... 349 3.1.3 3.1.4 Besonderheiten bei festkörperreichen und wässrigen Lacken............... 350 Messtechnisches Verfolgen des Filmbildeprozesses.............................. 352 3.1.5 3.1.5.1 Verlaufen und Ablaufen ......................................................................... 353 3.1.5.2 Verfilmen lufttrocknender Lacke .......................................................... 354 3.1.5.3 Indirekte Methoden................................................................................ 355 3.1.6 Zusammenfassung.................................................................................. 356 3.2 Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen.................................. 357 3.2.1 Schichtdicken......................................................................................... 357 3.2.1.1 Nassfilme................................................................................................ 358 3.2.1.2 Trockenfilme.......................................................................................... 359 Trockenfilmdichte................................................................................... 365 3.2.2 Messung von Poren in Lackfilmen......................................................... 367 3.2.3 Visuelle Eigenschaften........................................................................... 368 3.2.4 3.2.4.1 Glanz ..................................................................................................... 368 3.2.4.2 Farbe und Farbmetrik............................................................................. 376 Mechanisch-technologische Eigenschaften............................................ 389 3.2.5 3.2.5.1 Haftfestigkeit.......................................................................................... 390 3.2.5.2 Elastizität ............................................................................................... 402 3.2.5.3 Härte....................................................................................................... 413 3.2.5.4 Abrieb- und Kratzfestigkeit................................................................... 421 3.2.5.5 Sonstige Prüfungen ............................................................................... 423 3.2.6 Zusammenfassung.................................................................................. 424 10

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Inhaltsverzeichnis

3.3 Beständigkeit von Beschichtungen........................................................ 425 Grundsätzliches zur Alterung................................................................ 425 3.3.1 3.3.2 Alterungsprüfungen............................................................................... 433 3.3.2.1 Prüfmethoden zur Oberflächenbeständigkeit........................................ 433 3.3.2.2 Korrosionsschutzteste............................................................................. 443 3.3.2.3 Chemikalienbeständigkeit...................................................................... 451 3.3.3 Zusammenfassung.................................................................................. 452 3.4 Literatur.................................................................................................. 453 Die Lackiertechnologie........................................................................ 455 4 4.1 Substrateinfluss...................................................................................... 457 4.1.1 Holz und Holzwerkstoffe....................................................................... 458 4.1.1.1 Holz als Werkstoff.................................................................................. 458 4.1.1.2 Holz als Werkstück................................................................................. 460 4.1.1.3 Vorbehandlung von Holz........................................................................ 462 4.1.1.4 Veredelung von Holzplatten................................................................... 463 4.1.2 Metallische Werkstoffe........................................................................... 464 4.1.2.1 Eigenschaften von Metallen................................................................... 464 4.1.2.2 Vom Werkstoff zum Werkstück............................................................. 469 4.1.2.3 Vorbehandlungen.................................................................................... 471 4.1.3 Kunststoffe............................................................................................. 482 4.1.3.1 Kunststoffarten und deren Eigenschaften.............................................. 482 4.1.3.2 Vorbehandlung....................................................................................... 486 4.1.4 Mineralische Untergründe..................................................................... 489 4.1.4.1 Beton, Mörtel, Putze.............................................................................. 489 4.1.4.2 Gläser...................................................................................................... 491 Sonstige Untergründe ............................................................................ 491 4.1.5 4.1.5.1 Gummi................................................................................................... 491 4.1.5.2 Leder....................................................................................................... 492 4.1.6 Konstruktion und Lackierbarkeit........................................................... 492 4.1.7 Zusammenfassung.................................................................................. 495 4.2 Lackverarbeitung................................................................................... 495 Verarbeitung von Nasslacken................................................................. 496 4.2.1 4.2.1.1 Tauchverfahren (Objekt zum Lack)........................................................ 497 4.2.1.2 Streichen, Rollen, Walz-, Flut- und Gießverfahren (Lack direkt zum Objekt)................................................................... 520 4.2.1.3 Sprühverfahren (Lack indirekt zum Objekt).......................................... 526 4.2.1.4 Lackversorgungsanlagen........................................................................ 562 4.2.1.5 Kabinenkonditionierung und Spritznebelbeseitigung............................ 580 4.2.1.6 Automaten und Roboter zur Lackverarbeitung..................................... 586 4.2.1.7 Fördereinrichtungen .............................................................................. 589 4.2.1.8 Entlacken................................................................................................ 591 Verarbeitung von Pulverlacken.............................................................. 592 4.2.2 4.2.2.1 Rückblick................................................................................................ 593 4.2.2.2 Geräte- und anlagentechnische Details.................................................. 594 4.2.2.3 Lackmaterialien ..................................................................................... 605 4.2.2.4 Pulverspezifische Prüfmethoden............................................................ 606 BASF-Handbuch Lackiertechnik 11

Inhaltsverzeichnis

4.2.3 Zusammenfassung.................................................................................. 608 Trocknung und Härtung......................................................................... 609 4.3 4.3.1 Filmbildung durch Wärmeübertragung................................................. 610 4.3.1.1 Theorie................................................................................................... 610 4.3.1.2 Aufbau von Trocknern........................................................................... 623 Härtung durch UV- und Elektronenstrahlen.......................................... 629 4.3.2 4.3.3 Zusammenfassung.................................................................................. 636 4.4 Literatur.................................................................................................. 637 Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit......................................... 641 5 5.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen.......................................................... 642 5.2 Sicherheit................................................................................................ 646 5.2.1 Fertigung................................................................................................ 646 5.2.2 Lagerung................................................................................................ 648 Transport................................................................................................ 649 5.2.3 Applikation............................................................................................. 649 5.2.4 5.3 Umweltschutz......................................................................................... 651 5.3.1 Abluft...................................................................................................... 651 5.3.2 Abwasser................................................................................................ 658 5.3.3 Recycling/Entsorgung............................................................................ 660 5.4 Gesundheit.............................................................................................. 662 5.5 Ökobilanzen............................................................................................ 665 Umweltfreundliche Lacke...................................................................... 669 5.6 5.6.1 Emissionsarme Beschichtungen............................................................. 670 5.6.1.1 High Solids............................................................................................. 670 5.6.1.2 Wässrige Lacke...................................................................................... 671 5.6.1.3 Pulverlacke............................................................................................. 674 5.6.1.4 Strahlenhärtbare Lacke.......................................................................... 676 5.6.1.5 Sonstige Lacksysteme............................................................................ 679 Biobasierte Lacksysteme........................................................................ 679 5.6.2 5.6.3 Lackierung durch Folien........................................................................ 680 Wirtschaftlichkeit von Lackierverfahren............................................... 682 5.7 5.8 Literatur.................................................................................................. 684 Prinzipien des Qualitätsmanagements............................................... 687 6 Qualitätsbegriffe im Wandel der Zeit.................................................... 687 6.1 Lackier- und Lackfehler......................................................................... 689 6.2 Fehleridentifikation und Ursachenfindung............................................. 690 6.2.1 Die häufigsten Ursachen für Oberflächenstörungen.............................. 694 6.2.2 6.2.3 Zusammenfassung.................................................................................. 703 6.3 Materialkontrolle.................................................................................... 703 Fehlervermeidung durch Prozesskontrolle und Regelkreise.................. 705 6.4 6.5 Qualitätsmanagement............................................................................. 706 6.6 Literatur.................................................................................................. 712 7 Lackierbranchen................................................................................... 715 7.1 Automobilserienlackierung.................................................................... 716 12

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Inhaltsverzeichnis

7.1.1 Vorbehandlung....................................................................................... 722 7.1.2 Elektrotauchlackierung.......................................................................... 725 7.1.3 Nahtabdichtung und Unterbodenschutz................................................. 729 7.1.4 Füller...................................................................................................... 729 7.1.5 Decklackieren......................................................................................... 733 Reparatur der Serienlackierung............................................................. 739 7.1.6 7.1.7 Ausblick.................................................................................................. 741 7.2 Automobilreparaturlackierung............................................................... 743 7.3 Automobilzulieferindustrie.................................................................... 751 Coil Coating........................................................................................... 758 7.4 7.5 Nutzfahrzeuge........................................................................................ 763 7.6 Maschinenbau......................................................................................... 767 Weiße Ware............................................................................................ 768 7.7 7.8 Baubedarf............................................................................................... 769 7.9 Schienenfahrzeuge................................................................................. 771 7.10 Holzlackierung....................................................................................... 772 7.11 Sonstige Anwendungsgebiete................................................................. 776 Objektschutz........................................................................................... 777 7.11.1 7.11.2 Stahlmöbel.............................................................................................. 778 7.11.3 Flugzeugindustrie................................................................................... 779 7.11.4 Elektroisolierlacke.................................................................................. 780 7.11.5 Kommunikationstechnik........................................................................ 782 7.11.6 Straßenmarkierungsfarben..................................................................... 783 7.11.7 Schiffsbau............................................................................................... 784 7.11.8 Windenergie........................................................................................... 785 Smart Coatings....................................................................................... 787 7.11.9 7.11.10 Sonstige Lackieranwendungen............................................................... 788 7.12 Literatur.................................................................................................. 790 8 Normen.................................................................................................. 793 Allgemeines zur Normenarbeit.............................................................. 793 8.1 8.2 DIN-Normen für die Lackindustrie und deren Anwenderkreise (Auswahl)............................................................................................... 795 Normen nach Nummerierung aufsteigend geordnet.............................. 795 8.2.1. 8.2.1.1 Begriffsnormen...................................................................................... 795 8.2.1.2 Normen für Beschichtungsstoffe........................................................... 796 8.2.1.3 Normen für Beschichtungen.................................................................. 797 8.2.1.4 Normen für Aluminium......................................................................... 801 8.2.1.5 Normen für Bandbeschichtungen (Coil Coatings)................................. 801 8.2.1.6 Normen für verzinkten Stahl................................................................. 802 8.2.1.7 Normen für Holz im Außenbereich....................................................... 802 8.2.1.8 Normen für den Korrosionsschutz von Stahlbauten.............................. 802 8.2.1.9 Normen für kerntechnische Anlagen..................................................... 803 8.2.1.10 Normen für Luft- und Raumfahrt.......................................................... 803 8.2.1.11 Normen für mineralische Untergründe und Beton im Außenbereich... 803 8.2.1.12 Normen für den Schiffbau..................................................................... 804 8.2.1.13 Dispersionsbeschichtungen für den Innenbereich................................. 804 BASF-Handbuch Lackiertechnik 13

Inhaltsverzeichnis

8.2.1.14 Kunstharzputze...................................................................................... 804 8.2.1.15 Pulverlacke............................................................................................. 804 8.2.1.16 Straßenmarkierungsfarben..................................................................... 805 8.2.1.17 Heizkörper-Beschichtungen................................................................... 805 8.2.1.18 Oberflächenvorbereitung........................................................................ 805 8.2.1.19 Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS)............................................... 806 8.2.1.20 Farbmetrik.............................................................................................. 806 8.2.1.21 DIN-Fachberichte................................................................................... 807 8.2.2 Normen nach Stichwort geordnet........................................................... 807 8.3 Literatur.................................................................................................. 816 9 Appendix............................................................................................... 817 Liste der physikalischen Größen............................................................ 817 9.1 Lateinische Symbole.............................................................................. 817 9.1.1 9.1.2 Griechische Symbole.............................................................................. 819 Internet-Adressen von Beschichtungsstoff relevanten Institutionen 9.2 (Auswahl)............................................................................................... 820 Organisationen/Verbände/Behörden...................................................... 820 9.2.1 9.2.2 Publikationen/Informationen................................................................. 821 9.2.3 Institute/Hochschulen............................................................................. 822 9.2.4 Verschiedenes......................................................................................... 823 9.3 Lacktechnische Begriffe/Akronyme/Abkürzungen .............................. 823 Autoren.................................................................................................. 831 Stichwortverzeichnis............................................................................ 833

14

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung

1.1

Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung

Die Lackiertechnik hat die Aufgabe, Wirtschaftsgütern durch organische Beschichtungen Oberflächenschutz, Schmuck und zahlreiche Sonderfunktionen zu verleihen. Die Produkte des täglichen Gebrauchs werden häufig erst durch die Oberflächenbehandlung gebrauchstüchtig und damit verkaufsfähig. Um dieses zu erreichen, müssen entsprechende Lackformulierungen, deren Produktionsanlagen, der Beschichtungsstoff und für das Produkt geeignete Beschichtungsprozesse zur Verfügung stehen. Die durch den Beschichtungsprozess zu erzielende Qualität ist allerdings nicht allein eine Funktion des für die Beschichtung eingesetzten Lackmaterials. In erheblichem Umfang sind das Lackierobjekt selbst mit seinem spezifischen Werkstoff, seiner Formgebung bzw. Konstruktion und ein angepasstes Applikationsverfahren weitere entscheidende Größen. Will man den permanenten Aufgaben der Qualitätsoptimierung und der Rationalisierung bei geringer Belastung für Mensch und Umwelt gerecht werden, sind die erwähnten Abhängigkeiten nicht nur zu kennen, sondern als Rahmenbedingungen von der Entwicklung bis zur Anwendung zu berücksichtigen. Die Lackiertechnik ist somit eine Querschnittsdisziplin. Lacke und Farben sind keine Endprodukte, sondern lediglich Vor- bzw. Zwischenprodukte, die aus den erwähnten Gründen noch des sachkundigen und gewissenhaften Anwenders bedürfen, um sich in das eigentliche Endprodukt, die Lackierung zu verwandeln. Erst der ausgehärtete Lacküberzug, in vielen Fällen eine aus mehreren Einzelschichten bestehende Beschichtung vermag die Wünsche und Forderungen zu erfüllen, die an die lackierten Produkte gestellt werden. Zwei der wichtigsten von den vielfältigen Funktionen, die Lackierungen zu erfüllen haben, sind Schutz und Dekoration. Ebenfalls beachtenswert sind die infor-

Abbildung 1.1.1: Lackierte Güter des täglichen Lebens  Quelle: VdL

Verfahren

Werkstoff

Material

Konstruktion

Ökologische Auflagen

Ökonomische Auflagen

Qualität

Abbildung 1.1.2: Bestimmende Faktoren für die Qualität von Lackierungen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 15

Einführung

1 Einführung

Einführung

Einführung

mativen Aufgaben sowie das Erzielen spezieller physikalischer Effekte. Die Auffälligkeit von Feuerwehrwagen, das Tarnen von militärischen Objekten oder die Markierungen auf Straßen oder Flughäfen sind nur einige der informativen Aufgaben von Lackierungen. Mit Farbmarkierungen können Flächen oder Räume deutlich begrenzt oder unterteilt werden. Hilfreich zeigen typisierte Farben den Inhalt von Behältern oder das Transportgut in Rohrleitungen an. Durch Farb- und Metallpigmente hervorgerufene optische Effekte vermitteln einer Lackierung einen besonderen optischen Reiz. Gezielt erzeugte Oberflächenstrukturen wie Narben oder Runzeln erweitern die Palette der erzielbaren Effekte. Eine unter Berücksichtigung von physiologischen und farbpsychologischen Erkenntnissen ausgeführte Farbgebung von Räumen und Maschinen trägt in verschiedener Hinsicht auch zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und einer Erhöhung der Sicherheit bei. Funktionelle Pigmente erzeugen beispielsweise durch thermochromes Verhalten wärmeabhängige Farbigkeit und erlauben damit indirekt die Messung von Objekttemperaturen. Die aus ökonomischer Sicht wichtigste Aufgabe von Beschichtungen ist der Oberflächenschutz. Lackierungen dienen somit dem Werterhalt und der Verbesserung der Gebrauchseigenschaften fast aller Produkte und sind deshalb von herausragender volkswirtschaftlicher Bedeutung. Besonders hervorzuheben ist der Schutz metallischer Werkstoffe, die durch Lackieren erst einen dauerhaften Korrosionsschutz erhalten. Dabei ist z.B. im Automobilbau die Resistenz des Lackieraufbaus gegenüber äußeren, z.T. aggressiven natürlichen und anthropogenen Atmosphärilien wie Baumharz, Vogelkot, Säuren, Laugen, Salzen und organischen Lösemitteln zu garantieren. Die Schutzfunktion darf selbst unter extremen mechanischen Belastungen wie Steinschlag durch aufgewirbelten Straßenschmutz oder durch die Bürstenstriche auf Automobillackierungen nicht beeinträchtigt werden. Außerdem müssen Lackierungen kombinierten, d.h. physikalischen und chemischen Einflüssen standhalten, wie sie z.B. bei der Belastung im Wetter vorliegen. Durch das Wechselspiel von Sonnenschein, Regen, Hitze und Frost in Verbindung mit Emissionen aus Feuerungsanlagen und Verbrennungsmotoren, durch Ozon und Salznebel werden hohe Ansprüche an die Widerstands- und Schutzfähigkeit einer Beschichtung gestellt. Das Aufbringen eines Oberflächenschutzes kann aber auch der Erfüllung ganz anderer Aufgaben dienen. Zur Erhöhung des Gebrauchswertes lassen sich durch raue oder griffige Lacküberzüge Fußböden und Treppenstufen rutschfest machen. Im Gegensatz dazu vermag man durch glatte Lacke die Oberflächenreibung herabzusetzen, um so eine hohe Gleitfähigkeit einzustellen. Brennbare Materialien können durch flammhemmende Beschichtungen gesichert werden. Keimtötende Anstriche helfen bei der Sterilhaltung von Arbeits- und Lagerräumen in Molkereien und Brauereien oder verhindern Muschel- und Algenbewuchs an Schiffsrümpfen. In der Elektrotechnik lassen sich Drähte, Wicklungen, Kondensatormaterialien mit Isolierlacken wirksam und beständig isolieren. Anderseits kann man mit Hilfe von Leitlacken der Oberfläche von isolierenden Untergründen elektrische Leitfähigkeit verleihen oder sogar elektrische Schaltungen aufdrucken. Ferner können organische Beschichtungen zur Reduzierung von Lärmbelastungen beitragen. Antidröhnbelege für Maschinen und Unterbodenschutz für Pkw sind als Beispiele zu nennen. Dieses breite Spektrum an Anforderungen macht es begreiflich, dass es kein Lackmaterial gibt, das allen Wünschen gleichzeitig gerecht werden kann. Das angestrebte Ziel, zu 16

BASF-Handbuch Lackiertechnik

vertretbaren Preisen Beschichtungsstoffe für den dauerhaften Schutz, die Verschönerung und Veredlung von Gegenständen aus Holz, Metall, Kunststoff oder mineralischen Werkstoffen zur Verfügung zu stellen, lässt sich nur auf verschiedenen Wegen mit unterschiedlichen Materialien und Materialkombinationen erreichen. Jede dieser Kombinationen zielt auf ein begrenztes Feld von Untergründen, eine ausgewählte Auftragstechnik und ein spezifisches Bild von Filmeigenschaften ab. Lackiert wird bei der Metallverarbeitung, im Maschinen- und Gerätebau sowie in der Elektroindustrie. Wichtige Lackträger sind Fahrzeuge aller Art, Schiffe und Flugzeuge. Ein wirksamer Oberflächenschutz durch Lacke und Abbildung 1.1.3: Regionale Aufteilung des Weltmarktes für Farben ist auch im Hoch- und Tiefbau, Lacke und Farben im Jahre 2010 bei Stahlkonstruktionen, Betonbauten und in der Holzverarbeitung unerlässlich. Selbst Kunststoffe und Leder bedürfen in vielen Fällen der Beschichtung. Moderne Verpackungen aus Papier, Kunststoff oder Blech sind ohne Veredelung in Form von Schutz und Schmuck durch Lack nicht denkbar. Der weltweite Lackmarkt reflektiert die wirtschaftliche Entwicklung in den Regionen. So ist er in der sogenannten Triade (Nordamerika, Europa, Südostasien) am weitesten entwickelt. Der Lackverbrauch in diesen Regionen beträgt ca. 4,5 kg per Einwohner. Das Wachstum des Lackverbrauches wird durch die wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Regionen bzw. Ländern bestimmt [1.3.1]. Der hohe Wert und große Nutzen von Beschichtungen machen das weite Feld ihres Einsatzes und ihrer Verbreitung verständlich. Es gibt nur wenige Gegenstände, die nicht eines Überzuges durch einen Beschichtungsstoff bedürfen. Daraus lässt sich die enorme Bedeutung des Lackierens erahnen. Die Bemessung dieser Bedeutung allein anhand der weltweit produzierten Menge an Beschichtungsstoffen von 30,5 Mio. t im Jahre 2010 mit einem Wert von ca. 80 Mrd. Euro (Abbildung 1.1.3) führt nur zu einem unvollkommenen Bild. Mengenangaben über Lackmaterialien sind zwar keine direkten Aussagen über die Wertschöpfung von industriellen Gebrauchsgütern, erlauben aber unter Berücksichtigung der aufzubringenden Schichtdicke die Berechnung von Flächen, die durch Beschichtungsstoffe geschützt bzw. ästhetisch gestaltet werden können. Bei einer jährlichen Produktionsmenge von 30,5 Mio. t und einer Nassfilmdicke von 100 µm (0,1 mm) errechnet sich, dass etwa 340.000 km2 Fläche mit einem Lacküberzug versehen werden können. Das sind etwa 3/4 der Fläche Deutschlands. Lackiert man andererseits mit dieser Menge ein 10 m breites Band von 100 µm Schichtdicke, so könnte man dieses etwa 100-mal zwischen Erde und Mond spannen oder 650-mal um die Erde wickeln. BASF-Handbuch Lackiertechnik 17

Einführung

Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung

Einführung

Einführung

Um zu einer noch besseren Beurteilung zu gelangen, sollte man den Wert der wirkungsvoll geschützten und veredelten Produkte zu Grunde legen. Unter der Annahme, dass durchschnittlich eine Wertsteigerung von 20 % der produzierten Güter durch Lackierung in Form von Verlängerung des Gebrauches und Steigerung der Attraktivität erzielt wird, bedeutet dies auf Deutschland bezogen 140 Mrd. Euro für das Jahr 2012. Dies stellt das 70-fache des Verkaufswertes der Lacke dar. Die Aufteilung des Marktes in Branchen bzw. Segmente ist weltweit nicht einheitlich. Man findet in einigen DarAbbildung 1.1.4: Weltweiter Lackmarkt 2010 aufgeteilt nach stellungen jedoch übereinstimmend Branchen die Segmente Bautenanstrichmittel, allgemeine Industrielacke, Automobillacke und Druckfarben. Mengenmäßig den größten Lackmarkt mit 54 % stellen die Bautenanstrichmittel dar. Es folgt mit 38 % der Markt der industriellen Lackierung verschiedenster Objekte angefangen bei Compact Discs über Kunststoffstoßfänger für Automobile bis hin zu Schienenfahrzeugen und Flugzeugen. Die Automobilserien- und -reparaturlackierung sind jeweils klar definierte Segmente mit hohem technologischen Wert, allerdings im Absatz weniger bedeutend. Die in der Abbildung 1.1.4 nicht aufgeführten Druckfarben machen ca. 4 % vom weltweiten Bedarf an Beschichtungsstoffen aus und sind zwar technologisch und marktmäßig, nicht aber von ihrer Zusammensetzung her ein deutlich separates Segment. Die Größe des Marktes in Europa betrug im Jahre 2011 9,4 Mio. t. Die Branchenaufteilung ist leicht zu Gunsten der industriellen Lackierung und Druckfarben im Vergleich zur Welt verschoben. Deutschland führt mit einem Verbrauch von ca. 1,5 Mio. t vor Italien, Frankreich, Großbritannien und Spanien, die alle zwischen 0,8 und 1,0 Mio. t liegen. Die Größe des nordamerikanischen Marktes (NAFTA) betrug 6,6 Mio. t in 2010, die von etwa 800 Lackunternehmen erwirtschaftet wurden. Die Abbildung 1.1.5 gibt einen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung der Lackindustrie in Deutschland seit 2006, die eng mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung verknüpft ist. Kennzeichnend für die Lackiertechnik ist neben dem Lackverbrauch der immer noch hohe Energieverbrauch für die Lackverarbeitung, der weltweit auf ca. 200 Milliarden kWh pro Jahr geschätzt wird. Dieser Wert entspricht dem Energieinhalt von ungefähr 30 Mio. Tonnen Erdöl. Addiert man hierzu noch die zur Materialproduktion notwendigen Rohstoffe ebenfalls in Form von Erdöläquivalenten, so ergibt sich für die weltweite Herstellung und Verarbeitung von Beschichtungsstoffen eine Gesamtrohölmenge von ungefähr 120 Mio. Tonnen oder ungefähr 3 % der jährlichen Welterdölförderung von ca. 4 Mrd. Tonnen in 2012. 18

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Die gesetzlichen Anforderungen an umweltfreundliche Lackierprozesse haben in den letzten 20 Jahren zu einer verstärkten Anwendung entsprechender Beschichtungsstoffe geführt. Zu diesen zählen vorrangig lösemittelfreie Pulverlacke, wässrige Lacke, bei denen organische Lösemittel ganz oder teilweise durch Wasser ersetzt sind, festkörperreiche („High Solid-“) Lacke und strahlenhärtende Lacke, die entweder in wässriger Lösung oder gänzlich ohne konventionelle Lösemittel mit Hilfe von niedermolekularen Reaktivverdünnern verarbeitet werden. Wie Statistiken des Verbandes der deutschen Lackindustrie (VdL) zeigen, haben diese Lacke in den letzten 10 Jahren das größte Wachstum erzielen können.

Einführung

Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung

Abbildung 1.1.5: Produktion von Lacken und Farben in Deutschland 2006 bis 2010

Die immer wieder verbesserten Kenntnisse und verstärkte Gesetzgebung zur Toxikologie der Einsatzstoffe führen zu einem regelmäßigen Austausch von Rohstoffen, der mit entsprechendem Entwicklungsaufwand verbunden ist, will man den erreichten Stand der Qualität halten. Was den Energieverbrauch angeht, 1.1.6: Aufgliederung des Lackmarktes 2010 in besteht immer noch Bedarf, Rohstoffe Abbildung Deutschland nach Produktklassen Quelle: VdL und Energie wirtschaftlicher einzusetzen. Ein Teil des Materials geht auf dem Weg zur Beschichtung verloren. Eine besondere Rolle spielt dabei das Spritzapplikationsverfahren, das für viele Lackierobjekte wegen der optischen Attraktivität und gewünschten Farbtonvielfalt erforderlich ist. Bei der Beschichtung von Holz und Kunststoffen haben sich die effektiveren elektrostatischen Spritzverfahren noch nicht flächendeckend durchgesetzt. Zusätzlich verlassen erhebliche Mengen an Wärmeenergie die Lackieranlagen. In den vergangenen Jahren haben viele Entwicklungen die Effizienz der Lackierprozesse so weit gesteigert, dass der Lackmarkt in den industriell hoch entwickelten Ländern nur noch unterhalb des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wächst. Bedingt durch die Verwendung von Lösemitteln als Applikationshilfe für Lacke wurden bei einem durchschnittlichen Lösemittelanteil von 50 % Kohlenwasserstoff-Emissionen von etwa 200.000 t im Jahre 2007 allein in Deutschland erwartet [1.3.2]. Während die durch Kraftfahrzeuge bedingte Emission organischer Stoffe durch die Einführung des Katalysators in den letzten 30 Jahren auf weniger als 1/3 reduziert werden konnte, sind die Erfolge in der Lackiertechnik bedeutend schwieriger zu erreiBASF-Handbuch Lackiertechnik 19

Einführung

Einführung

chen. Trotz der Verwendung von wässrigen Lacksystemen und Pulverlacken auch in den kleinen und mittelgroßen Betrieben nach dem Inkrafttreten der EU-VOC (Volatile Organic Compounds)-Richtlinie von 1999 und der Umsetzung in Deutschland durch das 31.BImSchG wird bei konstanter Anwendung lösemittelhaltiger Lacksysteme nach Schätzung des Bundesumweltamtes im Jahre 2020 die Lackindustrie immer noch 30 % der gesamten Lösemittelemissionen ausmachen [1.3.3]. Bedeutende Erfolge in den Lack produzierenden wie auch Lack verarbeitenden Unternehmen sind im Hinblick auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz zu verzeichnen. So steht seit einiger Zeit die chemische Industrie an der Spitze der Unfallstatistiken in Deutschland mit den geringsten Vorkommnissen. Gesundheitsrisiken durch Lacke und Beschichtungen werden vor allem in Europa mit u.a. REACH [1.3.4] und der BiozidVerordnung [1.3.5] sowie in Nordamerika mit u.a. der CAA (Clean Air Act) und TSCA (Toxic Substances Control Act) durch die Gesetzgebung und gesellschaftliche Auseinandersetzung so gering wie möglich gehalten und haben zur erheblichen Änderungen in den Lacktechnologien und -rezepturen geführt. Bei der Erstellung dieser Situationsanalyse wird deutlich, dass Lackhersteller und Lackverbraucher, obwohl in verschiedenen Wertschöpfungsstufen angesiedelt, aus technischer Sicht aufs engste miteinander verbunden sind. Der Lackhersteller entwickelt und liefert Lacke an den Verbraucher, dieser verändert das Produkt während der Verarbeitung durch physikalische, physikochemische und chemische Prozesse und überführt es dadurch in eine haftende, mechanisch feste und gleichzeitig elastische Lackierung. Der Weg der chemischen Veränderungen vom Rohstoff zur Lackierung wird beim Rohstoff- bzw. Lackhersteller begonnen, dann bewusst unterbrochen, um während der Verarbeitung vom Lackverbraucher wieder aufgenommen zu werden. Das Eigenschaftsbild einer Lackierung wird durch den Lack und damit durch den Lackhersteller zwar präformiert, aber durch den Verarbeiter erst erzeugt. Die industrielle Lackierung von Gebrauchsgütern ist somit ein Gemeinschaftswerk von Lackherstellern und Lackverarbeitern. Der Lackhersteller kann heute, wenn er seine Aufgabe richtig versteht, nicht nur Lack entwickeln, herstellen und verkaufen. Er hat die zusätzliche Aufgabe, durch permanente technische Präsenz und Assistenz auch die Voraussetzungen für erfolgreiches Lackieren zu schaffen. Dies umfasst weitgehend Material und Verfahren und geht hin bis zu Detailfragen des Umwelt- und Arbeitsschutzes. Der Lackhersteller bietet gleichsam ein Paket an, in dem das Material nur eine Komponente von vielen Leistungen darstellt (siehe Abbildung 1.1.7). Dies hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Verantwortung für ein qualitätsgerechtes Lackierergebnis zunehmend in die Hände der Lacklieferanten gegeben wird (siehe Kapitel 7.1.7). Neben den technischen Aufgaben der Herstellung und Verarbeitung von Beschichtungsstoffen ist besondere Aufmerksamkeit auf die Methoden der Qualitäts- und Gütesicherung zu richten. Die Qualitätssicherung verknüpft innerhalb des Unternehmens die Produktion mit den Forschungs- und Verkaufsabteilungen. Dabei muss die Produktion in der Lage sein, die vom Kunden geforderte Qualität reproduzierbar zu erzeugen, der Verkauf die Gesamtkosten erkennen, um entsprechende Preise zu erzielen. Dem Lackhersteller erwachsen jedoch spezifische Probleme, da neben der Konstanz der Materialqualität gleichzeitig auch eine Konstanz der Verarbeitbarkeit der Lacke gefor20

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Definition, Aufgaben und wirtschaftliche Bedeutung

Prozessabfolge

Applikationsgeräte

Applikationsparameter

Pneumatisch HVLP

Oberflächenrauigkeit

Qualität

Material

Temperatur

Oberflächenspannung

Objekttemperatur

Temperatur

Ofentyp Vorbehandlung

Substrate

Rheologie

Zeiten

Leitfähigkeit Form/Struktur

Einführung

Lackmenge Bewegung der Maschinen Fließrate Airless BandgeObjektKlimaAirmix schwindigkeit temperatur einstellung Glockentyp ElektroLackierMicro/Ecobel statisch Menge der abstand Sprühluft Tribo Verteilung der RotationsLackaufbau Menge der Schichtdicken geschwindigkeit Anzahl der Schichten Führungsluft

Zwischentrocknung Zeit/Luftmengen

Beheizung Direkt/Indirekt Ablüftung/ Einbrennen

Viskosität Oberflächenspannung

Festkörpergehalt

Ablüftungsverhalten

Lackmaterial/ Einstellung

Abbildung 1.1.7: Technische Einflüsse auf das Lackierergebnis

dert wird. Nur so werden die besten Voraussetzungen geschaffen, um ein gleichmäßiges Lackierergebnis zu erzielen. Das bedeutet, dass Lackkonfektionierung nicht allein darin zu sehen ist, eine mit einem Urmuster identische Zusammensetzung zu erzielen. Vielmehr bedeutet Lackprüfung dadurch, dass physikalische Größen nur in wenigen Fällen als ein Kriterium für das Praxisverhalten von Beschichtungen herangezogen werden können, notwendigerweise auch die Simulation des Applikationsverfahrens beim Lackverarbeiter. Daraus ergibt sich aufgrund sehr unterschiedlicher Spezifikationsbedingungen und den daraus erwachsenden unterschiedlichen Anforderungen an die Lackierung eine Vielzahl verschiedenartiger Prüfmethoden. Diese zu vereinheitlichen und in ihrer Gesamtzahl zu reduzieren, ist ebenfalls eine vornehmliche Aufgabe aller Beteiligten. Qualität und Kosten einer Lackierung werden, wie eingangs erwähnt, nicht nur durch das Lackmaterial und ein abgestimmtes Verarbeitungsverfahren, sondern sehr wesentlich auch durch den Lackieruntergrund, d.h. durch den Werkstoff und die Konstruktion des Lackierobjektes vorgeben. Hiermit wird erkennbar, dass es von großer Bedeutung ist, die Oberflächenbehandlung, die Auswahl des Werkstoffes bzw. seine konstruktiven Eigenschaften schon bei der Produktkonzeption zu berücksichtigen und sie in das Gesamtgeschehen zu integrieren. Lackiertechnik ist also eine komplexe Verknüpfung chemischer, physikalischer, verfahrenstechnischer, ökologischer und ökonomischer Einflussgrößen. Bedingt durch den technischen Fortschritt und beschleunigt durch gesetzgeberische Auflagen befindet sich diese Disziplin in einem permanenten Wandel. Daraus erwächst die Aufgabe, Wohlbekanntes mit neuem Wissen zu verknüpfen. Dabei kann industrielle Lackiertechnik nur dann in ihrer Gesamtheit erfasst und verstanden werden, wenn neben einem detaillierten Wissen über die Lackverarbeitung in gleicher Weise auch die Eigenarten BASF-Handbuch Lackiertechnik 21

Einführung

Einführung

des Beschichtungsmaterials und des Lackierobjekts bekannt sind und darüber hinaus alle qualitätsbestimmenden Variablen im Spiegel ökonomischer und ökologischer Forderungen berücksichtigt werden.

1.2 Rückblick Der folgende Rückblick auf die Materialien und Lackiermethoden der Vergangenheit hat das Ziel, durch Aufzählen von wenigen Schlüsselereignissen die verschlungenen Wege der Lackiertechnik in die Gegenwart zu erhellen, um deren Fortschritte transparenter zu machen. Beschichtungsmaterialien der frühen Vergangenheit waren Naturharze. Dioscorides und Plinius informieren aus der Zeit der Griechen und Römer u.a. über den Einsatz von zahlreichen exotischen Naturharzen. Später erfahren wir etwas über die Bedeutung von Kolophonium, Kopalen, Schelllack oder Dammar. Noch später im 12. Jahrhundert wird über die Kombination von harten Naturharzen wie z.B. Bernstein mit verharzenden, d.h. chemisch härtenden natürlichen Ölen berichtet [1.3.6]. Die Applikationsverfahren waren bis dahin ausschließlich Pinsel- oder Wischtechniken, ohne Emission, Abwasser und Lackierabfälle. Der Mönch Rodgerus von Helmershausen berichtet in seinem Buch Schedula Diversarium Artium erstmals um die Jahrtausendwende ausführlich über die Zusammensetzung und Herstellung des damaligen Standardlackes [1.3.7]. Er gilt somit als der Ausarbeiter der ersten verbindlichen Lackrezeptur mit detaillierten Produktionshinweisen. Leinöl und Bernstein (damals „Gummi“ genannt), werden im Verhältnis 2 : 1 miteinander verkocht, das Hartharz Bernstein als nichtflüchtiger Filmbildner, das Leinöl als chemisch vernetzender Reaktivverdünner. Lösemittel zur Viskositätseinstellung wurden zum damaligen Zeitpunkt wegen nicht ausreichender Verfügbarkeit nicht berücksichtigt. Im 10. Jahrhundert waren es die Araber mit dem Arzt Abu Mansur, der den Europäern die Kunst des Destillierens vermittelte [1.3.8]. Diese Kunst wurde daraufhin u.a. zur Gewinnung von Terpentinöl eingesetzt. Als die Gebr. von Eyk am Anfang des 15. Jahrhunderts die von Rodgerus von Helmershausen erstmalig systematisch beschriebene Rezeptur durch die Position des Terpentinöls erweiterten, war die physikalische Trocknung und damit die Emission erfunden [1.3.9]. Dieses Ereignis ist deshalb bemerkenswert, weil sich dadurch zum einen die Anwendung des Lackierens erheblich ausweitete, andererseits die sich daraus entwickelte ökologische Problematik auch heute noch einen erheblichen Teil der lackspezifischen Forschungskapazität bindet. Nach der denkwürdigen „Erfindung“ der Emission folgte dann sehr viel später die Erfindung des Abfalls. Gemeint ist die Einführung des Fließbandes durch Henry Ford Anfang der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts als Start der industriellen Lackiertechnik. Das Fließband hat der Welt enorme Vorteile im Hinblick auf eine schnelle und damit auch wirtschaftliche Fertigungstechnik gebracht. Die dazu notwendigen rascheren Lackierabläufe waren aber nur mit schnelltrocknenden Lacken und einer neuen Applikationstechnik voll zu nutzen. Die Konsequenz daraus war die Substitution der über einen Zeitraum von mehreren Wochen härtenden Öllacke durch die schnelltrocknenden 22

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rodgerus von Helmershausen, genannt Theophilius, beschreibt um 1000 n. Chr. in seinem Buch „Schedula Diversarium Artium“ im Kapitel 21 die Herstellung von Beschichtungsstoffen und gibt detaillierte Hinweise zur Rezeptgestaltung: • Bringe Leinöl in einen kleinen Topf und gib Gummi, welcher Forniß genannt wird hinzu ... • Auf andere Weise stelle vier Steine zusammen . . . setze darüber einen rohen Topf und fülle darein den genannten Gummi-Forniß, welcher römisch Glassa genannt wird ... • Dann bringe sorgsam das Feuer darunter, bis der Gummi geschmolzen ist. • Habe auch einen dritten Topf in der Nähe auf die Kohlen gestellt, worin sich warmes Leinöl befindet ... • Gieße das warme Öl darauf und rühre mit dem Eisen . . . • Hinsichtlich der Masse siehe, dass es zwei Teile Öl und der dritte Gummi sei . . . Abbildung 1.2.1: Erstes Originalrezept eines Beschichtungsstoffes von Theophilius

Nitrolacke mit Lösemittelanteilen bis zu 80 %. Gleichzeitig musste die bis dahin übliche abfallfreie Pinseltechnik durch das Spritzverfahren ersetzt werden. Die Einführung der bereits im 19. Jahrhundert von de Vilbiss erfundenen Spritzpistole führte aber gleichzeitig aufgrund des äußerst schlechten Materialauftragswirkungsgrades von weniger als 50 % zu einem neuen Problem: der Entstehung von Farbabfällen und gleichzeitig wegen der erheblich höheren Lösemittelanteile der Nitrolacke zu einer drastischen Zunahme von organischen Emissionen. Das Jahr 1920 bringt uns dadurch in eine völlig neue Situation ohne eine dem neuen Problem angepasste Sichtweise. Diese musste sich erst im Laufe der nächsten Jahrzehnte entwickeln. Das Fließband bedeutete technischen Fortschritt in Form einer gesteigerten Qualität der Beschichtungen durch verbesserte Applikation und einer ökonomischeren Fertigungstechnik, jedoch auf Kosten der Umwelt in Form von Abfall und Emission. Die Einführung des Fließbandes manifestiert somit die auf die Gebr. van Eyk zurückgehende Problematik und ist gleichzeitig der Beginn der Metamorphose eines Handwerks zu einem Segment der industriellen Fertigungstechnik. Bis zum endgültigen Bewusstwerden dieser Situation und einer entsprechenden konzertierten Aktivität bedurfte es der Unterstützung durch die Politik durch das Verabschieden von Umweltschutzgesetzen. Die in der Folgezeit erbrachten Innovationen waren nicht mehr nur Ergebnisse von Einzelideen, sondern zunehmend durch Kooperation aller am Lackierergebnis Beteiligten erreicht worden. Erste Zielrichtung war die Rationalisierung der Prozesse und die Optimierung der Qualität auf der Basis der lösemittelhaltigen sog. konventionellen Lackiertechnik. Später entwickelte sich beginnend in den 1960er Jahren eine neue Forschungsrichtung an verschiedenen Stellen gleichzeitig und zunächst nur punktuell, dann doch auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtet: die Entwicklung lösemittel- und abfallarmer Lackiertechniken [1.3.9]. Resultate dieser Arbeit sind neue Wasserlacke, strahlenhärtende Systeme und die abfallfreien Pulverlacke in Verbindung mit neuen Verarbeitungsverfahren. Dabei sind das BASF-Handbuch Lackiertechnik 23

Einführung

Rückblick

Einführung

Ostasiatische Lackkunst

Europäische Lackkunst

Einführung

Römer, Griechen Öko-Paradies (keine Emission, keine Abfälle)

1100 Theophilius Hartharz und Öl erstes Rezept mit Hinweisen zur Produktion und Qualitätssicherung

1. Umweltproblem

1400 Gebr. van Eyk

durch Emission

Hartharz, Öl und Terpentinöl

Um 1500 Transfer des ost-asiatischen Lack-know-hows

1550 Gebr. Martin

2. Umweltproblem

1920 Produktivität

durch Abfall

Bleiseife (Sikkativ)

Henry Ford, Fließband und Nitrolacke

1960 Ökologie Wasserlacke, Pulverlacke

1990 Ökoeffizienz Verknüpfung Ökologie mit Ökonomie

Abbildung 1.2.2: Lackgeschichtliche Höhepunkte

Elektrotauchen, der Walzund Gießauftrag z.B. für die Coil-Coating-Lackierung und die Applikation von festen Pulverlacken die nennenswerten Innovationen der letzten 50 Jahre. Der Umweltschutz auf der einen, aber auch der Arbeitsschutz auf der anderen Seite beginnen sich umfassender zu strukturieren. Spätestens mit der Verabschiedung des Bundesimissionsschutzgesetzes im März 1974 und dem Erleben der sog. Ölkrisen wird die Erforschung ökologischer Lackiertechnologien durch den Aspekt der Ressourcenschonung erweitert.

Dabei wurden auch die Verbände und technischen Einrichtungen der deutschen und europäischen Lackindustrie mit einbezogen. Verstärkt wurden die Anstrengungen in diese Richtung durch die freiwillige Selbstverpflichtung („responsible care“) der Lackindustrie in fast allen Regionen der Welt. Als erfolgreiche Beispiele einer solchen übergreifenden Problembearbeitung durch viele Institutionen ist die Entwicklung des neuen Lackierverfahrens der Mercedes A-Klasse Ende der 1990er Jahre durch Kooperation eines Lackherstellers, eines Lackverarbeiters und eines Anlagenherstellers genauso zu nennen, wie das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und von der Deutschen Forschungsgesellschaft für Oberflächenbehandlung (DFO) koordinierte Forschungsprojekt „Erweiterung der Anwendungsbereiche der Pulverlacktechnologie“ zusammen mit insgesamt 20 Unternehmen aus den Bereichen Lackherstellung, Lackverarbeitung, Anlagenbau, Rohstoffindustrie und zahlreichen Forschungsinstituten. Die gleiche Vorgehensweise kann man in Nordamerika beobachten, wo das industriell unterstützte LEPC (Low Emission Paint Consortium) unter der Schirmherrschaft von USCAR (United States Council for Automotive Research) in den 1990er Jahren viel Geld in die Entwicklung emissionsarmer Lacktechnologien für die Automobillackierung investierte [1.3.10]. Die Globalisierung der Weltwirtschaft, insbesondere des produzierenden Gewerbes, stellt die Lackindustrie gegenwärtig vor neue Herausforderungen. Da im Gefolge der Konsolidierung zum Beispiel in der Automobilindustrie die Qualitätsanforderungen weltweit standardisiert wurden, haben sich die wichtigen Lacklieferanten global positioniert und garantieren mittlerweile überall den gleichen Qualitätsstandard der Lackierungen. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit noch nicht abzusehen. Daneben haben sich in den letzten Jahren die Vertriebswege durch die Einführung von e-Commerce, der elektronischen Abwicklung von Käufen durch das Internet, für viele Lackanbieter erweitert. Alle Aspekte führen zwangsläufig zu Konsolidierungsschritten. 24

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Die Qualitätsanforderungen speziell durch die Automobilindustrie im Rahmen der ISO-Normen, VDA-Normen und QS9000-Serie haben dazu geführt, dass der gesamte Prozess von der Produktidee über Entwicklung, „Scale-up“, Fertigung, Vertrieb bis schließlich zur Anwendung mehr und mehr komplett in den Verantwortungsbereich der Lackfirmen geht. Aus heutiger Sicht schätzt man, dass die Prozesskette mit dem Startpunkt Fertigung der Lackmaterialien bis hin zum lackierten Objekt Kernkompetenz der großen Lackfirmen wird. Deshalb ist es sicher, dass die Beteiligten zukünftig noch weiter zusammenwachsen werden. Nur so können effiziente Prozesse für die jeweiligen Branchen bzw. Aufgaben entwickelt werden. Für Lackiertechnologien ohne Umweltbelastung bei höchster Resourcenschonung sind die Voraussetzungen im Wesentlichen geschaffen. Der Erfolg wird zukünftig davon abhängen, ob ganzheitliche Konzepte gefunden werden [1.3.11]. Produktlebenszyklus- oder auch Ökoeffizienzanalysen [1.3.12] nach den Vorgaben einer nachhaltigen Entwicklung („sustainable development“) werden deshalb immer häufiger in den Forschungs- und Entwicklungsprogrammen als Grundlagen für Projekte herangezogen [1.3.13] (siehe Kapitel 5.5). Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Einführung ökologischer Lackiertechniken bei gleichzeitiger Umsetzung neuer Ideen in Technologien ist ein fundiertes Wissen. Dies beinhaltet Details über Zusammenhänge und Abhängigkeiten der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und damit der einzelnen am Lackierprozess beteiligten Branchen. Nicht zuletzt deshalb wurde dieses Buch geschrieben.

1.3 Literatur 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.3.7 1.3.8 1.3.9 1.3.10 1.3.11 1.3.12 1.3.13

A. Mehta, PPCJ 194 (4481), S.20 (2004) T. May, JOT 12/2000, S. 34; N. J. Sarginson, ECJ 11/2000, S. 27 H. Schrübbers, JOT 48 (2), 30 (2008) T. May, MO 58 (4), S. 44 (2004), M. Carrol, PPCJ 202 (4570), S. 29 (2012) D. Leroy, ECJ 04/2006, S. 16 Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen, Band 1 (2. Aufl.), S. 25ff, Hirzel Verlag, Stuttgart, 1998 Rodgerus von Helmershausen, schedula diversarium artium, Hrsg. V. Albert Ilg, Verlag W. Braumüller, Wien 1874 O. Krätz, 7000 Jahre Chemie, Nikol S. 15ff, Verlagsgesellschaft Hamburg 1990 Die Lack Story, 100 Jahre Farbigkeit zwischen Schutz, Schönheit und Umwelt, Verband der Lackindustrie aus Anlass seines 100-jährigen Bestehens T. Meschievitz, Y. Rahangdale, P. Pearson, Proceedings XVII Surcar, Cannes, 1995 P. Svejda, Coat.World 16 (6), S. 34 (2011) D. Engel, T. May, R.R. Matheson, P.Q. Nguyen, ECJ 01-02/2004, S. 40 G. Kirchner, C. Kraft, ECJ 07-08/2011, S.22

BASF-Handbuch Lackiertechnik 25

Einführung

Literatur

Der Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Nach der DIN EN ISO 4618 und nach der ergänzenden DIN 55 945 lautet die korrekte Bezeichnung von Stoffen für oberflächenschützende organische Überzüge Beschichtungsstoffe. Lacke als übliche Bezeichnung hingegen sind Beschichtungsstoffe mit einem bestimmten Eigenschaftsbild. Die Norm definiert Lacke bzw. Anstrichstoffe als flüssige, pastenförmige oder auch pulverförmige Beschichtungsstoffe, die optisch deckende Beschichtungen mit dekorativen, schützenden und gegebenenfalls auch spezifischen technischen Eigenschaften herzustellen erlauben. Es ist anzumerken, dass im allgemeinen Sprachgebrauch viele Begriffe, wie z.B. Klarlack, von den Angaben der internationalen Normung abweichen (siehe Kapitel 8). Lacke stellen somit nur eine Teilmenge der großen Familie der Beschichtungsstoffe dar, haben aber trotzdem ein breites Spektrum an unterschiedlichsten Aufgaben zu erfüllen. Dabei kann ihre Einteilung nach mehreren Prinzipien erfolgen: nach der Funktion der Lackierung (Klarlack, Metalliclack, Unilack), dem Lackieraufbau (Grundierung, Füller, Decklack), nach dem Verwendungszweck (Autolack, Malerlack, Industrielack), nach der Umweltfreundlichkeit (Wasserlack, HighSolid-Lack, strahlenhärtende Systeme, Pulverlack), nach der Art des Filmbildners (Alkydharzlack, Acrylatharzlack, Cellulosenitratlack) oder nach den Verarbeitungsbedingungen (Einbrennlack, oxidativ härtender Beschichtungsstoff), um die wichtigsten Kriterien der Klassifizierung zu nennen. Die Auswahl der für ein optimales Eigenschaftsbild richtigen Beschichtungsstoffe ist deshalb in gleicher Weise abhängig von den Qualitätsforderungen, den vorgegebenen Applikationsbedingungen, dem Härtungsprozess, den konstruktiven Merkmalen und den unterschiedlichen Werkstoffen des Lackierobjekts. Alle Beschichtungsstoffe, sei ihre Verwendung noch so unterschiedlich, haben die gemeinsame Eigenschaft, Untergründe zu benetzen, sich in einen geschlossenen Film zu verwandeln, zu verlaufen, sich danach zu verfestigen, um dadurch den gewünschten mechanischen und chemischen Schutz des Lackierobjekts herbeizuführen. Das Eigenschaftsprofil der Lacke ist deshalb nicht nur auf die Applikation, sondern auch auf die sich anschließende Filmbildung abzustimmen. Das Tropfengebirge einer z.B. durch Spritzapplikation erzeugten frischen Lackierung muss fließfähig genug sein, um alle Poren zu verschließen und gleichzeitig bzw. anschließend die durch die Applikation hervorgerufenen Täler und Berge in der Filmoberfläche ausgleichen zu können. Oberflächenspannung und Viskosität sind diesbezüglich die wichtigsten Lackparameter. Außerdem sollen ggf. spezielle Effekte wie Glanz, Farbigkeit und gerichtete Reflexion (Metalleffekt) erzielt werden. Somit besitzen beispielsweise Klarlacke für Holzpaneele eine ganz andere Zusammensetzung als Korrosionsschutzlacke oder Beschichtungsstoffe zur farbigen Gestaltung von Leder.

BASF-Handbuch Lackiertechnik 27

Beschichtungsstoff

2

Der Beschichtungsstoff

2.1 Rohstoffe

Beschichtungsstoff

Harze als Filmbildner, häufig fälschlich als Bindemittel bezeichnet, Additive, Lösemittel, Pigmente und Füllstoffe sind die üblichen Bestandteile flüssiger Beschichtungsmaterialien. Bindemittel sind analog DIN EN ISO 4618 die pigment- und füllstofffreien Anteile der getrockneten bzw. gehärteten Beschichtung. Sie setzen sich somit aus dem Filmbildner und dem nichtflüchtigen Anteil der Additive zusammen. Fehlen Pigmente und Füllstoffe, so handelt es sich um einen Klarlack, fehlen Lösemittel bei Verwendung von höher molekularen Filmbildnern, kann der Beschichtungsstoff durch Vermahlen in einen Pulverlack überführt werden. Sind die Filmbildner niedermolekulare Flüssigprodukte, so kann auf den Einsatz von Lösemitteln ebenfalls teilweise oder ganz verzichtet werden. Wasserlösliche Harze oder Dispersionen gestatten eine Substitution der Lösemittel durch Wasser.

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Filmbildner (Lackharze)

Pigmente und Füllstoffe Lösemittel (organisch und/ oder Wasser)

Abbildung 2.1.1: Typische Zusammensetzung von Beschichtungsstoffen

Unabhängig vom Verwendungszweck ist ein sich durch physikalische oder chemische Prozesse verfestigender Filmbildner die unverzichtbare Komponente eines Beschichtungsstoffes. Aufgrund der vielfältigen Anforderungen an die Adhäsion zum Untergrund, an die mechanische Festigkeit bei gleichzeitiger Elastizität und Resistenz gegenüber atmosphärischen Einflüssen sind klassische Filmbildner ausschließlich oligomere bis polymere organische Materialien. Diese können nach chemischer Modifizierung aus Naturstoffen oder durch industrielle Synthesen hergestellt werden.

Trotz der Existenz einer breiten Palette von Syntheseharzen haben die Naturstoffe bzw. modifizierten Naturstoffe nur wenig an Bedeutung eingebüßt. Cyclo- oder Chlorkautschuk, Celluloseester, Alkydharze auf Basis natürlicher Fettsäuren sind nur einige Beispiele für die technisch wichtige Gruppe der nachwachsenden Lackrohstoffe. Die absehbare Verknappung der Rohstoffe auf Erdölbasis lässt zunehmend nach einer neuen Basis für die synthetischen Chemierohstoffe und Zwischenprodukte suchen (siehe Kapitel 5.6.2) [2.4.1]. Unabhängig von ihrer Herkunft können Filmbildner grundsätzlich in zwei Gruppen eingeteilt werden. Zu nennen sind zunächst die höher molekularen physikalisch trocknenden Filmbildner wie Cellulosenitrat, Celluloseacetobutyrat, thermoplastische Acrylate oder auch PVC-Mischpolymerisate. Diese Harze verfestigen sich durch Abgabe der Lösemittel, ohne bei der Filmbildung eine chemische Veränderung zu durchlaufen. Für hochwertige Bauten- und Industrielacke werden hingegen chemisch reaktive Filmbildner bzw. Filmbildnerkombinationen eingesetzt. Die nach der Applikation durch Wärme 28

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Rohstoffe

Eine recht schnelle Härtung selbst bei Raumtemperatur gehen aktuelle Polyurethanund Epoxidharzlacke ein. Letztere können wegen ihrer hohen chemischen Reaktivität in der Regel nur in Form von zwei Komponenten zum Einsatz kommen. Die Rezeptur eines Beschichtungsstoffes beinhaltet neben einem Filmbildner in den meisten Fällen zusätzlich auch Lösemittel. Erst deren richtige Auswahl und Kombination ermöglichen eine problemlose Verarbeitung und Filmbildung. Die gebräuchlichsten Lösemittel sind aromatische Kohlenwasserstoffe wie Xylol und Solventnaphta, aliphatische Kohlenwasserstoffe wie Testbenzin oder Kristallöl, Ester wie Ethylacetat oder Butylacetat, Alkohole wie Propanol oder Butanol, Ether wie Butylglykol, Etherester als Ethyl- oder Butylglykolacetat sowie diverse Ketone. Je nach Harztyp sind aus der großen Vielfalt der zur Verfügung stehenden Lösemittel geeignete Kombinationen auszuwählen. Für die Applikation ist es besonders wichtig, Lösemittelkombinationen mit dem richtigen Verdunstungsverhalten auszuwählen. Nur so ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verlaufen und Standfestigkeit der frisch aufgebrachten Lacke an senkrechten Flächen zu garantieren. Abweichend vom klassischen Prinzip, Lösemittel ausschließlich als Viskositätsregulanz zu verwenden, können sie auch über die Verdünnerfunktion hinaus während der Filmbildung mit den Lackharzen chemisch reagieren. Diese sogenannten Reaktivverdünner verbleiben somit im sich verfestigenden Film und leisten deshalb einen Beitrag zur Reduzierung organischer Emissionen. Durch UV- oder Elektronenstrahlen härtbare Lacke sind in diesem Zusammenhang genauso erwähnenswert, wie durch organische Peroxide härtende ungesättigte Polyester. Die in den Beschichtungsstoffen verwendeten Pigmente verleihen der Beschichtung Farbigkeit und Deckvermögen. Füllstoffe beeinflussen anwendungstechnische Eigenschaften, wie z.B. Schleifbarkeit und Härte, erhöhen aber auch den nichtflüchtigen Anteil des Beschichtungsstoffes. Pigmente und Füllstoffe verhindern in vielen Fällen durch Absorption von UV-Strahlen einen frühzeitigen Abbau des zu schützenden Lackieruntergrundes sowie den der polymeren Schutzschicht selbst. Eine weitere wichtige Aufgabe spezieller Pigmente und Füllstoffe besteht in der Optimierung des Korrosionsschutzes. Die vielfältigen Typen der Pigmente werden in anorganische und organische Absorptionspigmente, in Metall- und Interferenzpigmente sowie Korrosionsschutzpigmente eingeteilt. Die beiden erstgenannten Gruppen bestehen aus feinst zerteilten, im Allgemeinen kristallinen Feststoffen. Unter den anorganischen Pigmenten sind die Oxide des Titans, des Eisens und die Mischphasenpigmente die wichtigsten. Die Zusammensetzung organischer Pigmente ist sehr vielfältig. Aktuelle, synthetisch hergestellte organische Pigmente sind ebenfalls sehr licht- und wetterbeständig. Ihre besondere Stärke liegt in der Brillanz und dem hohen Färbevermögen. Bei hohen Temperaturen sind sie jedoch, sieht man von Ausnahmen ab, den anorganischen Pigmenten in ihrer Beständigkeit unterlegen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 29

Beschichtungsstoff

oder Katalysatoren initiierte Vernetzungsreaktion erlaubt die Verwendung niedermolekularer und damit festkörperreicher Grundharze. Als Beispiel seien Einbrennlacke auf Basis Acrylat-Aminoharz, Alkyd-Aminoharz- oder auch Phenolharzkombinationen genannt. Bereits bei Raumtemperatur, aber viel langsamer, vernetzen die sogenannte oxidativ härtenden, fälschlich als lufttrocknend bezeichneten Alkydharze.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Spezielle optische Effekte werden durch Perlglanz- oder Interferenzpigmente, aber auch durch Metallpigmente erzeugt. Vom Betrachtungswinkel abhängige Farbe oder Helligkeit sind aufgrund ihrer Attraktivität im Automobilsektor von besonderem Interesse. Als letzte Komponente der Beschichtungsstoffe sind die Additive und Weichmacher zu nennen. Mit Ausnahme der Weichmacher werden diese Stoffe zum Teil in kleinsten Mengen dem Harz/Lösemittel- bzw. Pigmentgemisch hinzugefügt. Sie beeinflussen die Eigenschaften von Beschichtungsstoffen und Beschichtungen trotz geringer Konzentration zum Teil erheblich. Additive vermögen bei der Produktion das Dispergieren der Pigmente zu erleichtern. Im gebrauchsfertigen Anstrichstoff unterdrücken sie die Absetzneigung der Pigmente, beeinflussen das Fließverhalten beim Lackauftrag, verbessern bei der Verfilmung den Verlauf und durch Beeinflussen der Oberflächenglätte bzw. Rauigkeit das anwendungstechnische Verhalten. Sie verhindern das Auf- und Ausschwimmen der Pigmente, sie beschleunigen die Härtung, haben auch Einfluss auf den Glanz, erhöhen die Resistenz gegenüber schädigenden UV-Strahlen und verzögern frühzeitigen Abbau durch lackzerstörende Bakterien oder Pilze. Während in der Vergangenheit bei der Rohstoffauswahl die stofflichen, d.h. die chemischen und physiko-chemischen Eigenschaften im Vordergrund standen, sind aufgrund neuerer Erkenntnisse die Morphologie von Teilchen sowie deren Ausmaß und die damit verbundene Wechselwirkung mit anderen Oberflächen mehr und mehr in den Fokus getreten. Dabei zeigen Teilchen oder Oberflächenstrukturen mit Ausmaßen im Nanometerbereich besonders interessante strukturabhängige Eigenschaften. Derartige Nanoteilchen können sich in ihrem Verhalten von den Einzelmolekülen ebenso wie von Teilchen größeren Ausmaßes erheblich unterscheiden. Dadurch eröffnet sich für viele technische Bereiche eine zusätzlich Variable, u.a. auch für die Komposition und Rezeptierung von Beschichtungsstoffen. Eine breite Palette von bewährten und neuen Rohstoffen wird deshalb zum Trimmen der Teilchengrößen abhängigen Eigenschaften gezielt durch Anpassen von Größe, Form und Oberflächenstruktur auf das für den Bedarfsfall optimale Ausmaß eingestellt. So gelingt es beispielsweise TiO2- oder SiO2-Partikeln so zu dimensionieren, dass sie die Fähigkeit zur Lichtstreuung verlieren, ihre UV-Stabilität und Immobilität in der Beschichtung aber behalten. So kann man bei der Rezeptierung von Klarlacken durch den Einsatz von mikronisiertem, also nanoskaliertem TiO2, stabile UV-Absorption ohne Beeinträchtigung der Durchlässigkeit für sichtbares Licht erreichen. Zahlreiche weitere Anwendungen von Nanoteilchen bzw. nanostrukturierten Oberflächen haben in der Lackforschung neue Wege zu Problemlösungen geebnet (siehe Kapitel 2.1.5).

2.1.1 Filmbildner Während in einen Beschichtungsstoff von den im ersten Abschnitt genannten Rohstoffen ggf. Lösemittel, Additive oder Pigmente fehlen können, ist ein Filmbildner oder eine Filmbildnerkombination für die Erfüllung der geforderten lacktechnischen Aufgaben zwingend erforderlich. An den Filmbildner werden zahlreiche Anforderungen gestellt. Diese beziehen sich im Wesentlichen auf die Haftung zum Untergrund (Adhäsion) und die mechanische Festigkeit des Films (Kohäsion) bei gleichzeitig gegebener Elastizität. Bei einem derartigen Anforderungsspektrum ist man auf den Einsatz 30

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makromolekularer polymerer Stoffe angewiesen. Sie sind aufgrund ihrer molekularen Struktur in der Lage, durch mechanisches Verschlaufen der Molekülketten viele Forderungen zu erfüllen. Solche Eigenschaften sind mit synthetisch hergestellten oligo- oder polymeren Stoffen genauso zu realisieren, wie mit geeigneten polymeren Naturstoffen. Letztere bedürfen im Einzelfall jedoch zur praktischen Anwendung einer chemischen Modifizierung. Allerdings sind optimale Eigenschaften von Beschichtungen nur zu erreichen, wenn der Filmbildner entweder als Harzlösung, als Dispersion oder als aufgeschmolzener Pulverlack den Untergrund benetzen und sich durch anschließendes Verlaufen in einen optisch attraktiven glatten Film verwandeln kann. Die Ausbildung der mechanischen Festigkeit kann also durch Lösemittelabgabe (physikalische Trocknung) oder Molekülvergrößerung bei gleichzeitiger Vernetzung der Filmbildnermoleküle (chemische Härtung) erfolgen. Alle durch physikalische Trocknung, d.h. allein durch Lösemittelabgabe verfestigenden Filmbildner bleiben somit lösemittelempfindlich und können durch Erwärmen wieder verflüssigt werden. Solche Filmbildner sind thermoplastisch. Aus ihnen hergestellte Beschichtungen sind demzufolge Thermoplasten. Anders hingegen verhalten sich chemisch reaktive Filmbildner. Diese werden während der Filmbildung durch reaktive Gruppen der Harzmoleküle chemisch vernetzt und dadurch in einen unlöslichen und gleichzeitig nicht mehr zu verflüssigenden duromeren Film überführt. Diese zusätzliche chemische Härtung erlaubt im Gegensatz zur ausschließlich physikalischen Trocknung die Verwendung von niedermolekularen Filmbildnern. Damit können in den chemisch reaktiven Systemen die zur Verarbeitung notwendigen Lösemittelanteile deutlich reduziert werden. Chemisch reaktive Systeme leisten somit im Vergleich mit den Thermoplasten einen Beitrag zur Senkung von Lösemittelemissionen. Die vielfältigen Formen und Größen der Filmbildnermoleküle (siehe Abbildung 2.1.2), aber auch die funktionellen Gruppen an den Verknüpfungsstellen innerhalb der polymeren Ketten genauso wie diejenigen am Ende der Molekülketten, bestimmen die Eigenschaften der Filmbildner und damit ihren Einsatzbereich. Linear aufgebaute Moleküle verhalten sich in vielerlei Hinsicht anders als verzweigte. Die große Zahl an Kettenenden von Dendrimeren (Baumpolymeren) erlaubt eine ungleich höhere Funktionalität trotz niedriger Molmasse gegenüber den erstgenannten und schafft so die Voraussetzungen für eine hohe Vernetzungsdichte.

linear

verzweigt

dendritisch

Abbildung 2.1.2: Unterschiedliche Bauformen von Filmbildnermolekülen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 31

Beschichtungsstoff

Rohstoffe

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Von besonderem Einfluss auf die Verarbeitungseigenschaften, aber auch auf die Qualität des Endprodukts, ist die Größe bzw. die Größenverteilung dieser Harzmoleküle. Letzteres gilt für den Zustand der Verarbeitung genauso wie für die Struktur des molekularen Verbundes in der fertigen Lackierung. Diese verbleibt bei Thermoplasten, also bei nichtreaktiven Filmbildnern auch nach der Verarbeitung von der Größe der Moleküle her unverändert. Bei chemisch reaktiven Beschichtungsstoffen hingegen finden erhebliche Veränderungen bezüglich Molekülgröße durch chemische Vernetzung statt. Zur Charakterisierung der Lackharze und ihrer Verwendbarkeit sind deshalb die über die Molekülgröße informierende Molmasse bzw. Molmassenverteilung wichtige Kennzahlen. Zu ihrer Ermittlung haben sich in der Polymerchemie zahlreiche Methoden etabliert. Die Viskosität der Harzlösungen (Viskosimetrie) wie auch die Diffusionsfähigkeit bzw. der sich bei der Verwendung von semi-permeablen Membranen einstellende osmotische Druck (Osmometrie) werden als Kenngrößen für die Molmassen herangezogen. Aktueller und informativer sind Methoden der chromatographischen Trennung der einzelnen, zum Teil sich in der Größe erheblich unterscheidenden Filmbildnermoleküle. Unterschiedliche Aufenthaltsdauer in Hohlräumen von Polystyrol-Gelen erlauben bei geeigneter apparativer Voraussetzung, durchschnittliche Molmassen und Molmassenverteilung gleichzeitig zu ermitteln (siehe Kapitel 2.3.2). Die Molmassenverteilung ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die anwendungstechnischen Eigenschaften nicht allein durch die durchschnittliche Molmasse festgelegt werden. Reaktive Endgruppen sowie die Art der chemischen Verknüpfung der Grundbausteine sind ebenfalls eigenschaftsbeeinflussende Größen. Durch die experimentelle Ermittlung der Anzahl der freien Carboxyl-, Hydroxyl- oder Isocyanatgruppen in Form der Säure-, Hydroxyl- oder Isocyanatzahl sind Angaben über die Vernetzungsmöglichkeiten der Harze und zusätzlich deren Polarität zu machen. In gleicher Weise gibt die Jodzahl Auskunft über die Anwesenheit von Kohlenstoffdoppelbindungen, die wiederum für die Beschreibung der oxidativen Härtung von Alkydharzen herangezogen werden können (siehe Kapitel 2.3.2). Will man eine Aussage über die Natur der Grundbausteine der Filmbildner machen, sind zunächst nasschemische Abbaureaktionen durchzuführen. Erst danach sind die entstandenen funktionellen Gruppen zu identifizieren. Das kann entweder durch die Bestimmung der o.g. Harzkennzahlen erfolgen oder durch die Identifizierung und Quantifizierung von funktionellen Gruppen oder charakteristischen Molekülteilen mit Hilfe der instrumentellen Analytik. Diese wird in spektroskopische, thermische und chromatographische Methoden unterteilt (siehe Kapitel 2.3.2). Die im Laufe der Jahrtausende für den Schutz und Schmuck von Gebrauchsgegenständen bewährten Filmbildner sind vielfältig und gehören den verschiedensten chemischen Stoffklassen an. Will man sie systematisch einteilen, so kann man nach unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgehen. Einerseits erfolgt eine Klassifizierung nach chemischen Prinzipien des Molekülbaus, andererseits besteht ein Ordnungsprinzip in der Einteilung in Filmbildner, die während der Filmbildung thermoplastisch verbleiben oder sich in Duromere verwandeln. Eine weitere sinnvolle Gliederung ist die Klassifizierung in Naturstoffe, modifizierte Naturstoffe und solche, die synthetisch gewonnen werden. Eine Einteilung in Natur- und Syntheseprodukte folgt dem lackgeschichtlichen Weg, deshalb wird auch dieses Kapitel entsprechend gegliedert. 32

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Filmbildner

Naturstoffe/ Modifizierte Naturstoffe Natürliche Öle Naturharze Cyclische Oligoterpene

Syntheseprodukte Polykondensationsharze Alkydharze gesättigte Polyester

Polyterpene

unges. Polyester

Schellack

Polyamide/imide

Polysaccharide Stärke Cellulose Sonstige Eiweiße

Silikonharze Vernetzerharze Phenolharze Harnstoffharze Melaminharze Sonstige Polyadditionsharze Polyurethane Epoxidharze Sonstige Polymerisatharze Polyolefine Polyvinylverbindungen

Auch die von der Natur durch Polyacrylate Photosynthese im Überfluss produzierten Kohlenhydrate Abbildung 2.1.3: Stammbaum der wichtigsten Filmbildner Cellulose und Stärke erwiesen sich schon vor mehr als 100 Jahren in Form der organischen oder anorganischen Ester und Ether als brauchbare Lackrohstoffe. Cellulosenitrat und Celluloseacetobutyrat sind noch im 21. Jahrhundert technisch wichtige Basisharze für den Holz- und Möbelsektor auf der einen und für die Automobillackierung auf der anderen Seite. Insgesamt haben die Naturstoffe wegen ihrer eingeschränkten Verfügbarkeit und der nur begrenzten Adaptionsfähigkeit von Material und Verarbeitungsverfahren mit der Erfindung bzw. der Synthese von Kunstharzen ihre Vorrangstellung verloren. Der wirtschaftliche Durchbruch gelang den Syntheseharzen mit der Erfindung der Phenolharze und den Kombinationen vergilbungsärmerer Aminoharze mit Alkydharzen und gesättigten Polyestern. Zu den ersten Syntheseharzen zählen auch die ungesättigten Polyester, die in Kombination mit chemisch reaktiven Lösemitteln aufgrund der BASF-Handbuch Lackiertechnik 33

Beschichtungsstoff

Demnach sind zunächst die über Jahrtausende wichtigen natürlichen Öle zu nennen. Aufgrund ihrer sehr langsamen, allein chemisch verursachten Verfestigung wurden sie schon frühzeitig mit Hartharzen wie Schelllack zur Erhöhung der Anfangshärte kombiniert. Andere wichtige Vertreter solcher Hartharze sind Kolophonium, Kopal, Dammar oder Bernstein. Sie gehören zur großen Gruppe natürlicher Isopren-Abkömmlinge. Die von bestimmten Pflanzen produzierte Latexmilch ist als 1,4-cis-Polyisopren ebenfalls ein Isopren-Derivat. Sie wurde bereits vor Jahrhunderten als Naturkautschuk zur Herstellung Wasser abweisender Beschichtungen eingesetzt. Später durchgeführte Modifizierungen zu Cyclo- und Chlorkautschuk brachten den Zugang zu solchen Filmbildnern, die wegen ihres hydrophoben Verhaltens noch heute für den schweren Korrosionsschutz und den Schutz von Feuchträumen Verwendung finden.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

chemischen Verknüpfung des Filmbildners mit dem Lösemittel die Formulierung von Lacken ermöglichten, die hohe Schichtdicken mit niedriger Emission verbinden. Eine bis zu diesem Zeitpunkt nicht erreichte Wetterbeständigkeit und chemische Resistenz wurde durch die Erfindung der Polyurethan- und Epoxidharze möglich. Die gute Wärme- und Wetterbeständigkeit der Silikonharze gestattet es, Beschichtungsstoffe mit entsprechend herausragenden Eigenschaften zu konzipieren. Abbildung 2.1.4: Weltweiter Harzmarkt für Beschichtungsstoffe in 2010 (eigene Schätzung)

Polymerisatharze wie Polyacrylate, Polyvinylchlorid, Polyvinylester und -ether, Polystyrol und Mischpolymerisate haben in allen Lacksystemen Anwendung gefunden z.B. als wässrige Dispersionen genauso wie als strahlenhärtende Systeme und Pulverlacke (siehe im Folgenden).

Filmbildner sind überwiegend in den Formulierungen von Beschichtungsstoffen die Komponente mit dem größten Mengenanteil. Ihr weltweiter Markt hat ein Volumen von etwa 8,9 Mio. Tonnen in 2010. Den größten Anteil haben die Emulsionspolymerisate inklusive Acrylatharze gefolgt Abbildung 2.1.5: Relativer Anteil der Filmbildnertypen am von den Alkyd- und Epoxidharzen. Gesamtmarkt in 2010 (eigene Schätzung) Polyester, die meist wässrigen PURDispersionen und die Vernetzer für die verschiedenen Harztypen haben etwa die gleiche Größenordnung. Die technische Bedeutung des Filmbildners unter den Lackkomponenten für die Beschichtungsfunktion und auch für die Stabilität und Applikation liegt geschätzt bei 70 % im Durchschnitt aller Beschichtungsstoffe. 2.1.1.1 Naturstoffe Die für die Verwendung als Filmbildner weitaus wichtigsten Naturstoffe sind die auch als fette Öle bezeichneten natürlichen Öle. Sie haben als Tri-Ester des Glycerins mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren aufgrund ihrer Fähigkeit, sich mittels Luftsauerstoff aus einer niedrigviskosen Flüssigkeit in einen Feststoff zu verwandeln, schon in der frühen Vergangenheit eine außergewöhnliche Bedeutung als Filmbildner für den Oberflächenschutz gewinnen können. Sie unterscheiden sich in dieser Fähigkeit von den auf gesättigten Fettsäureestern basierenden Fetten. Fette Öle sind reine Naturstoffe und stehen in ausreichender Menge als preiswerte Lackrohstoffe zur Verfügung. 34

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Rohstoffe

O H2C O C R O HC O C R O

R = Fettsäurereste aus Abb. 2.1.7

Fette Öle werden von der Natur in H2C O C R diversen Pflanzen und bestimmten Seetieren in zahlreichen Varianten Abbildung 2.1.6: Fette Öle als Triglyceride ungesättigter Fettsäuren produziert. Für einen erfolgreichen technischen Einsatz müssen sie aus Samen und Früchten durch Kalt- oder Warmpressen isoliert und von Begleitstoffen befreit werden. Diese sind im wesentlichen Kohlenhydrate, Eiweiße und das als Lackadditiv interessante Lecithin. Letzteres ist wegen seines Tensidcharakters ein wichtiges Lackhilfsmittel zur Verbesserung der Dispergierfähigkeit von Farbpigmenten in Einbrennlacken. Es muss aufgrund seines inhibierenden Einflusses auf die oxidative Vernetzung der fetten Öle diesen quantitativ entzogen werden. Die große Vielfalt lacktechnisch verwertbarer Öle, ausnahmslos Ester des Glycerins, resultiert aus dem breiten Angebot der sauren Veresterungskomponente, den Fettsäuren. Diese werden von der Natur mit unterschiedlichen Kettenlängen bei gleichzeitig schwankender Zahl an Doppelbindungen und unterschiedlichen cis/trans-Formen produziert. Die in Abbildung 2.1.7 aufgeführten gesättigten Fettsäuren, nämlich Stearin- und Palmitinsäure sind der oxidativen Härtung nicht zugänglich. Ihr Analogon mit einer Doppelbindung in cis-Stellung ist die Ölsäure. Ihre Fähigkeit zur oxidativen Vernetzung ist nur wenig ausgeprägt, so dass sich ihre alleinige Verwendung als Lackrohstoff für die Praxis ausschließt. Wesentlich effektiver für die Lackhärtung unter Beteiligung von Luftsauerstoff sind die C18-Fettsäuren mit zwei bzw. drei Doppelbindungen. Bei der erstgenannten Gruppe spielen die 9,12- und 9,11-Octadekansäuren die wichtigste Rolle. Die 9,11-Octadekansäure kommt im Gegensatz zur 9,12-Variante, der Linolsäure, in der Natur nicht vor. Sie wird durch künstliche Umwandlung (Isomerisierung) der natürlichen Linolsäure oder durch Wasserabspaltung aus Rizinusöl bzw. Ricinolsäure gewonnen. Beide Doppelbindungen treten dabei anteilmäßig in Konjugen-Stellung und verleihen dadurch den Filmbildnern, in die sie chemisch eingebaut werden, eine gesteigerte Reaktivität. Fettsäuren mit drei isolierten Doppelbindungen besitzen eine noch größere Reaktivität als solche mit zwei Doppelbindungen. Die Linolensäure, mit ihren drei isolierten Doppelbindungen als Hauptbestandteil des Leinöls, gibt diesem die schon von alters her genutzte und besonders ausgeprägte Fähigkeit zur oxidativen Härtung. Bei der Eläostearinsäure des Holzöls, gleichfalls mit drei Doppelbindungen jedoch in Konjugenstellung angeordnet, strebt die Reaktivität eine Spitzenstellung unter den Fettsäuren an. Leider sind die hoch ungesättigten Öle weniger vergilbungsbeständig und deshalb für weiße Beschichtungen nicht geeignet. Aus der großen Gruppe der lacktechnisch wichtigen Öle sind Leinöl, Sojaöl, Holzöl, Oiticicaöl, Erdnussöl, Sonnenblumenöl, Baumwollsaatöl, Ricinusöl und Fischöl im Einzelnen hervorzuheben. BASF-Handbuch Lackiertechnik 35

Beschichtungsstoff

Auch wenn die Bedeutung der natürlichen Öle durch die Entwicklung synthetischer Filmbildner mehr und mehr zurückgegangen ist, so haben ihre Fettsäurekomponenten als Rohstofflieferanten für aktuelle Alkydharze weiterhin ihre Anwendung.

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

COOH

Palmitinsäure

COOH

Stearinsäure

COOH

Ölsäure

COOH

Linolsäure

COOH

Linolensäure

COOH

Eläostearinsäure 1)

COOH

Licansäure 1)

COOH

Ricinolsäure

COOH

Ricinensäure 2)

O

OH

1)

mehrere cis/trans-Formen bekannt

2)

durch Dehydratisierung künstlich hergestellt

Abbildung 2.1.7: Wichtige natürliche Fettsäuren als Bestandteile von fetten Ölen

Ergänzend ist zu erwähnen, dass sich unter dem Namen Tallöl, ein für synthetische Lackharze wichtiger Rohstoff, gar kein echtes Öl verbirgt. Es handelt sich nicht, wie vom Namen her zu erwarten, um einen Tri-Ester des Glycerins, sondern um das bei der Cellulose-Herstellung durch alkalische Verseifung ölhaltiger Begleitstoffe gebildete Gemisch verschiedener Fettsäuren. C8 Palmkernöl

3–5

C10

C12

C14

3–7 40–50 14–18

C16

C18

C18’

C18’’

C18’’’

C20’

C20’’’’

C22’

C20’’’’

7–9

1–3

10–20











– –

Erdnussöl









6–16

1–7

35–70

15–50









Sojaöl









7–11

2–6

15–30

40–55

4–10







Sonnenblumenöl









3–7

1–5

15–45

45–70











Leinöl









4–7

1

12–35

20–25

35–60









6–8

15–20

2–4

10–18

1–3

0–2

8–10

75–85*

Sardinenöl Holzöl

3–4

1–3

5–10

Oiticicaöl

6–8

3–5

5–15

Ricinenöl

1–2

1–2

85–90***

2–8 15–30 1–8 5–20 –















10–25 75–85** 2–7



* a-Eleostearinsäure (konjugierte Doppelbindungen), ** a-Licansäure (konjugierte Doppelbindungen), *** Ricinolsäure (Hydroxiölsäure)

Abbildung 2.1.8: Auswahl wichtiger natürlicher Öle und deren Fettsäure-Zusammensetzung

36

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

konjugierte Doppelbindungen

isolierte Doppelbindungen CH

O O

A Mechanismus bei Raumtemperatur B Mechanismus bei erhöhter Temperatur

A

OOH

O2 B CH

OOH Abbildung 2.1.9: Start der oxidativen Härtung bei Ölen durch Peroxid- bzw. Hydroperoxidbildung

Eine bewährte Maßzahl für die oxidative Härtung von Ölen ist die Iodzahl. Sie gibt die Menge Iod an, die bezogen auf 100 g Substanz an die Doppelbindungen addiert wird. Eine Iodzahl >150 weist dabei auf schnell härtende, eine von 150 bis 100 auf sogenannte „halb trocknende“, also weniger reaktive und eine von 450

0,6/7,0

Solventnaphta

123

150–195

0,870

1,500

40–45

3

41

>450

0,8/7,0

Benzin 135/180

131

135–175

0,766

1,428

25–30

70

~22

210

0,6/7,0

Cyclohexan

84,2

80,5–81,5

0,778

1,426

3,5

104

–17

260

1,2/8,3

Aromatische Kohlenwasserstoffe Xylol

106,2

137–142

0,874

1,498

17

90

25

562

1,0/7,6

Toluol

92,1

110–111

0,873

1,499

6,1

290

6

569

1,2/7,0

Styrol

104,2

145

0,907

1,547

16

60

31

490

1,0/6,3

Alkohole Propanol

60,1

97,2

0,804

1,386

16

19

23

360

2,1/13,5

n-Butanol

74,1

117,7

0,811

1,399

33

6,6

34

360

1,4/11,3

Iso-Butanol

74,1

107,7

0,802

1,396

25

12

28

410

1,5/12

Ethylhexanol

130,2

183,5–185

0,833

1,432

600

0,5

76

250

1,1/12,7

Isotridecylalkohol

200,2

242–262

0,845

1,448

>2000

1200

0,1

98

225

0,7/5,3

Methoxipropanol

90,1

122,8

0,934

1,403

38

270

1,7/11,5

Ethoxipropanol

104,1

132

0,896

40

255

1,3/12

Glykolether

25 33

1000

123 1,3/9,5 245

1,3/7,7

Abbildung 2.1.155: Physikalische und sicherheitstechnische Kennzahlen wichtiger Lösemittel (Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit) Fortsetzung von Seite 136

Kräfte bzw. Molekülassoziationen der Lösemittel untereinander hervorgerufen. Als Folge der Bildung eines Azeotrops kann es deshalb vorkommen, dass ein Lösemittelgemisch beim Verdunsten aus einem flüssigen Anstrichfilm ein anderes Verhalten zeigt als aufgrund der Verdunstungszeiten der einzelnen Komponenten zu erwarten ist. Dies kann auch die Höhe des Flammpunktes beeinflussen (siehe Kapitel 2.3.2). 2.1.2.3

Chemisch-physiologische Eigenschaften

Eine wichtige Voraussetzung für die technische Verwendbarkeit eines Lösemittels ist seine chemische Beständigkeit. Nahezu alle aliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffe erfüllen diese Anforderung. Von guter Beständigkeit sind ferner auch Alkohole. Durch starke Oxidationsmittel können Alkohole allerdings zu Aldehyden bzw. Ketonen oder sogar zu Carbonsäure oxidiert werden, nicht aber durch LuftsauBASF-Handbuch Lackiertechnik 137

Beschichtungsstoff

Ester

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

erstoff. Aufgrund ihrer bereitwilligen Reaktion mit Isocyanaten dürfen Alkohole (wie auch Glykole und Glykolmonoalkylether) nicht mit Polyurethanhärtern zusammengebracht werden. Ether und Glykolether reagieren mit Luftsauerstoff unter Bildung von Peroxiden, die in der Folge zur Bildung von Säuren führen können. Ester und Ketone sind von hoher Beständigkeit. Unter ungünstigen Bedingungen können Ketone allerdings verharzen und Ester durch Verseifung gespalten werden. Lösemittel in flüssiger und vor allem gasförmiger Form können von menschlichen, tierischen und ggf. pflanzlichen Organismen aufgenommen werden und bei langzeitiger Einwirkung dort Schädigungen verursachen. Die Gefährdung und der Gefährdungsgrad hängen von der Natur des jeweiligen Lösemittels ab. Ein wichtiger Gradmesser für die Gefährdung von Menschen ist die Grenzkonzentration eines Lösemittels in der Atemluft, unterhalb derer auch bei wiederholter und langfristiger Exposition Beeinträchtigungen der Gesundheit nicht zu erwarten sind. Die Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW-Werte, siehe Kapitel 5.4) werden in mg Arbeitsstoff je m3 Luft (mg/m3) und für Lösemittel auch in ml Lösemitteldampf je m3 Luft (ml/m3) angegeben (siehe Kapitel 2.3.2.1). Als Hilfsgrößen zur Beurteilung der Schädlichkeit bzw. Toxizität werden häufig auch aus Tierversuchen gewonnene Vergleichswerte benutzt (siehe Kapitel 5.4). Es ist üblich, die Konzentration der schädigenden Substanzen zu ermitteln, die zum Tode eines Anteils der untersuchten Tierpopulation, meist Ratten führt. Die Angabe erfolgt in Form der Feststoffkonzentration (LD = letale Dosis) oder Gasphasenkonzentration (LC = letale Konzentration) mit einem zusätzlichen Index über den prozentualen Anteil der nach der Exposition verstorbenen Tiere. Nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schädlichkeit steht der Geruch, den Lösemittel verbreiten. In bestimmten Fällen können durch Gerüche erhebliche Belästigungen verursachen werden. Maßstab für die Geruchsintensität ist der Geruchsschwellenwert, der olfaktometrisch bestimmt wird (siehe Kapitel 5.3.1). Er gibt Auskunft darüber, welche kleinste Konzentration des jeweiligen Lösemittels in der Atemluft, ausgedrückt in mg/m3 von Menschen mit durchschnittlichem Geruchsempfinden und ohne vorausgegangene Gewöhnung soeben noch wahrgenommen wird. Andere gewerbehygienische bzw. sicherheitstechnisch interessierende Angaben sind für die wichtigsten Lösemittel in der Abbildung 2.1.156 zusammengefasst. Die entsprechenden R-Sätze klassifizieren die Lösemittel als R 10 = entzündlich und R 11 = leicht entzündlich (ab 2015 H- und P-Sätze, siehe Kapitel 5.1). 2.1.2.4

Lacktechnisch wichtige Lösemittel

Die zahlreichen lacktechnisch wichtigen organischen Lösemittel lassen sich nach ihrem chemischen Charakter in Gruppen mit gemeinsamen Merkmalen aufteilen. Besonders verbreitet sind die aliphatischen, cycloaliphatischen und aromatischen Kohlenwasserstoffe, die Ester, die Ether, die Alkohole, die Glykolether und Ketone. Im Folgenden werden diese Lösemittel in ihrer Einsatzbreite und ihrem Lösevermögen beurteilt. Aliphatische Kohlenwasserstoffe Aliphatische Kohlenwasserstoffe, auch als Benzine oder Paraffin-Kohlenwasserstoffe bezeichnet, sind von guter Beständigkeit mit gutem Lösevermögen für unpolare bis wenig polare Filmbildner. Sie sind Gemische, die aus einer großen Zahl von ähnlichen Einzelkomponenten bestehen. Üblicherweise gliedert man die Gemische nach ihren Sie138

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe Lösemittel

AGB

AGB

LD50 Ratte, oral

[ppm]

[mg/m3]

[mg/kg]

LC50 Ratte, Inhalation [mg/l]

Gefahrklasse nach GefStoffV

n-Hexan

50

180

>2000

>5

R 11

Solvesso 100

50

200

>2000

>5

R 10

Solvesso 150

50

200

>2000

>5

Solventnaphta

50

200

>2000

>5

R 10

Benzin 135/180

100

500

>2000

>5

R 10

Cyclohexan

200

700

>2000

1800 ppm

R 11 R 10

Aromatische Kohlenwasserstoffe Xylol

100

440

>2000

>5

Toluol

50

190

>2000

>5

R 11

Styrol

20

86

>2000

11,9

R 10

>2000

9,8

R 10

n-Butanol

100

300

700

>17,7

R 10

Iso-Butanol

100

310

>2000

>6,5

R 10

Methoxipropanol

100

370

>2000

>6

R 10

Ethoxipropanol

>2000

>5

Ethylhexanol

>2000

Isotridecylalkohol

>2000

Alkohole Propanol

Glykole Butylglykol

20

98

1480

Propylglykol

20

86

>2000

Hexylglykol

2132 ppm

1480

Methyldiglykol

>2000

Butyldiglykol

100

>2000

480

>2000

Ester Butylacetat

100

Ethylethoxyproprionat

R 10

>2000

Ethylacetat

400

1500

Isobutylacetat

100

480

>2000

7

R 10

Methoxypropylacetat

50

270

>2000

>23,8

R 10

Pentylacetat

50

270

>2000

Butylglykolacetat

20

130

>2000

2,7

Ethoxypropylacetat

R 11 >2000

R 11

R 10

Ketone Methyisobutylketon Aceton Cyclohexanon

20

83

>2000

8,3

R 11

500

1200

>2000

>5

R 11 R 10

20

80

1900

10,2

200

600

>2000

12

R 11

Methylisoamylketon

50

230

>2000

3813 ppm

R 10

Methyl-n-Amylketon

50

238

1600

>2000 ppm

R 10

2

11

>2000

>7

Methylethylketon

Isophoron Sonstige Wasser N-Methylpyrrolidon N-Ethylpyrrolidon









20

82

>2000 1350

>2000 >5,1



Abbildung 2.1.156: Arbeitsphysiologische Kennzahlen von Lösemitteln (Zusammenstellung aus verschiedenen Quellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit)

BASF-Handbuch Lackiertechnik 139

Beschichtungsstoff

Aliphatische Kohlenwasserstoffe und deren Gemische

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

debereichen in die leichtflüchtigen Benzine (Spezialbenzin) und die wesentlich schwerereflüchtigen Löse- oder Testbenzine (Kristallöle). Die Spezialbenzine, die vor allem für schnelltrocknende Anstrichstoffe Verwendung finden, haben Flammpunkte unter 21 °C bis > n0

α

n0

SiO2 β

n1 n1 > n0

Abbildung 2.1.198: Strahlengang beim Durchgang des Lichtes durch Interferenzpigmente

BASF-Handbuch Lackiertechnik 167

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.199: Rasterelektronische Aufnahme eines InterferenzQuelle: BASF SE pigmentes auf SiO2-Träger im Querschliff

Für den Einsatz in den wässrigen Basislacken müssen die Aluminiumplättchen an den Oberflächen speziell stabilisiert werden, damit die Reaktion mit Wasser und die damit verbundene Bildung von Wasserstoff unterbunden wird. Dies kann mit einer Chromatierung, organischen Beschichtung [2.4.61] oder Silikatisierung erfolgen [2.4.62]. Die Interferenz- und die Perlglanzpigmente bewirken vom Betrachtungswinkel abhängige Farbtonverschiebungen. Dieser auf physikalischen Prinzipien der Lichtinterferenz beruhende Effekt ist Perlen, Fischschuppen, Pfauenfedern oder Panzern von Käfern nachempfunden.

Die Ursache für das selektive Auslöschen von Anteilen des sichtbaren Lichts liegt in der Doppelreflexion an der Oberfläche und der Unterseite der dünnen Abbildung 2.1.200: Durch Polymerisation fixierte FlüssigkristallPigmentplättchen. Die Pigmente Pigmente Quelle: BASF Coatings sind prinzipiell immer so aufgebaut, dass auf einem plättchenförmigen und reflektierenden Träger Oxide in dünner Schicht mit zum Träger unterschiedlichen Brechungsindizes aufgebracht werden [2.4.63]. Ist die Schichtdicke niedrig genug, werden die um eine halbe Wellenlänge zueinander verschobenen Lichtstrahlen ausgelöscht, die um eine ganze Wellenlänge verschobenen hingegen verstärkt. Der Farbton des reflektierten Lichts ist gegenüber dem transmittierten komplementär und bei unterschiedlichen Einfallswinkeln wegen der sich ändernden Gangunterschiede der geteilten Strahlen vom Betrachtungswinkel abhängig (siehe Kapitel 3.2.4). Aufgrund der kurzen Wellenlängen des sichtbaren Lichtes sind die Schichtdicken der Interferenzpigmente entsprechend niedrig. Die anfänglich ausschließlich durch Ausfällen von Titandioxidschichten auf Glimmerplättchen hergestellten Farbmittel wurden dann durch zahlreiche Modifizierungen sowohl für die farbgebende Komponente als auch für den Träger erweitert. Durch zusätzliches Aufbringen von Schichten mit selektiv absorbierenden Eigenschaften werden Interferenzfarben durch Absorptionsfarben in weitere optisch attraktive Farbmittel überführt. Neben Glimmer als Trägermaterial sind mittlerweile auch plättchenförmiges Aluminium, Aluminiumoxid [2.4.64], Siliziumdioxid, und sogar lamellares Eisenoxid für das spätere Aufbringen der λ/2-Schichten bekannt. Letztere können im CVD-Verfahren (Chemical Vapor Deposition) aus der Gasphase aufgetragen werden. 168

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Die hohe Transparenz von LC-Pigmenten verlangt allerdings die Abmischung mit Ruß oder opaleszierenden Pigmenten. Nur so ist bei gutem Effekt gleichzeitig auch Deckvermögen zu erreichen [2.4.65]. Aktuelle Pigmentforschung Die Lackindustrie verfügt heute über eine große Palette anorganischer und organischer Pigmente, mit einem breiten Spektrum an Farbtönen und Effekten. Für entsprechende Anforderungen an die Wärmebeständigkeit, Unlöslichkeit in wässriger oder organischer Umgebung, an Lichtechtheit, aber auch an das Deckvermögen und den Glanz sind geeignete Produkte vorhanden. In der Praxis werden häufig Mischungen aus anorganischen und organischen Pigmenten zur Anwendung gebracht, um so kostengünstig die Stärken der einzelnen Stoffklassen miteinander zu paaren. Aktuelle Pigmentforschung nutzt nicht nur die praktischen Erfahrungen über Struktur/ Eigenschafts-Beziehungen, sie bedient sich darüber hinaus auch der neuen Möglichkeit des „molecular modelling“ für Informationen über optisch attraktive Farbkörper, ohne sie vorher synthetisieren zu müssen. Dabei ist zu beachten, dass die coloristischen Eigenschaften nicht nur von der Struktur des einzelnen Farbstoffmoleküls, sondern auch von seiner Anordnung im Kristallgitter abhängen. Aus der Vielzahl der möglichen Kristallpackungen die richtige zu prognostizieren, ist bis heute trotz umfangreichen Wissens über die Steuerungsmöglichkeiten des Kristallwachstums ein nur unvollständig gelöstes Problem. Bei allen Überlegungen über die Auswahl geeigneter Farbmittel sollte nicht übersehen werden, dass das Eigenschaftsbild einer Lackierung weniger durch die chemische Struktur des Farbmittels festgelegt wird. Seine Teilchenform, die Verteilung, Ausrichtung und die Wechselwirkung mit der polymeren Umgebung auf der einen, aber auch das Wechselspiel mit Additiven auf der anderen Seite bestimmen letztlich Farbton, Effekt, Deckvermögen und die Beständigkeit im Wetter. Pigmente allein sind deshalb zwar ein wichtiger, aber eben nur einer der qualitätsbestimmenden Bausteine einer Lackierung. 2.1.3.3 Füllstoffe Die Füllstoffe bestehen in der Regel aus anorganischen Substanzen mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung und demzufolge unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften. Sie haben die Aufgabe, die Beschichtungen räumlich mit Gerüstmaterial zu füllen und damit die mechanischen Eigenschaften je nach Funktion der betreffenden Lackschicht in gezielter Richtung zu beeinflussen. Zur Abgrenzung von den Pigmenten wird häufig der Brechungsindex herangezogen. Dieser liegt bei den Füllstoffen unterhalb von 1,7; weshalb diese Produktklasse kein nennenswertes Streu- und Deckvermögen erreicht. Allerdings müssen sie für lacktechnische Formulierungsprinzipen zusammen mit den Pigmenten zur Berechnung der Pigmentvolumenkonzentration (PVK) berücksichtigt werden (siehe Kapitel 2.3.3). Die PVK ist eine der maßgeblichen Größen für das Einstellen mechanisch-technologischer Eigenschaften von Beschichtungen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 169

Beschichtungsstoff

Eine weitere Gruppe der Interferenzpigmente auf organischer Basis sind die flüssigkristallinen (LC)-Pigmente. Die in einer cholesterischen Phase in Form von Helices orientierten und anschließend durch Copolymerisation fixierten Flüssigkristalle bewirken aufgrund der molekularen Ordnung mit Licht ebenfalls Interferenzen und erweitern damit die bereits breite Palette der Interferenzpigmente.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Bei dem Füllen des Filmvolumens durch Füllstoffe spielt deren Korngrößenverteilung eine wichtige Rolle. Richtig gewählte Kombinationen aus kleinen und größeren Teilchen führen zur größtmöglichen Packungsdichte. Der für das Bindemittel verbleibende Volumenanteil in den Hohlräumen ist dann nur gering und die PVK zahlenmäßig entsprechend hoch. Für jedes Lacksystem gibt es eine kritische PVK (KPVK), bei deren Überschreiten die gewünschten Filmeigenschaften nicht erreicht werden, da die Bindemittelmatrix wegen zu geringer Anteile kein Kontinuum mehr darstellt. Schlagzähigkeit, Quellverhalten und Wasserdampfdurchlässigkeit sind Filmeigenschaften, die durch Zusätze von Füllstoffen beeinflusst werden können. Die Wirkung von Füllstoffen beschränkt sich nicht nur auf das Innere einer Beschichtung, sie erstreckt sich auch auf deren Grenzflächen. In der Filmoberfläche können sie unter Vergrößerung der Oberflächen mattierend wirken und damit die Verankerung der nachfolgenden Lackschicht verbessern. Abriebfestigkeit und Schleifbarkeit sind weitere Oberflächeneigenschaften von Filmen, die durch Füllstoffe beeinflusst werden. Mengenmäßig stehen die aus Mineralien und Gesteinen gewonnenen Füllstoffe an der Spitze der Produktpalette. Nach großtechnischem Abbau werden die natürlichen Rohprodukte durch Mahlprozesse zerkleinert. Je nach Zerkleinerungsgrad und Aufbereitung unterscheidet man zwischen • • • •

Grobmehlen mit Teilchengrößen über 250 µm Mittelmehlen mit Teilchengrößen zwischen 50 µm und 250 µm Feinmehlen mit Teilchengrößen zwischen 10 µm und 50 µm sowie Feinstmehlen mit Teilchengrößen kleiner 10 µm.

Bei synthetisch hergestellten Füllstoffen handelt es sich meistens um die gleichen chemischen Verbindungen, die auch als natürliche Füllstoffe genutzt werden. Sie sind von größerer Reinheit und besserer Reproduzierbarkeit in ihren Eigenschaften. Füllstoffe werden überwiegend für Grundierungen, Spachtelmassen und Füller eingesetzt. Große Mengen sind ebenfalls in Dispersionsfarben enthalten. In konventionellen Decklacken dagegen werden sie nur in geringem Maße verwendet. Im Einzelnen sind folgende Füllstoffe bzw. -gruppen erwähnenswert: Kaolin, auch als Chinaclay bezeichnet, ist ein natürliches, sehr weißes Aluminiumsilikat. Es bietet sich vor allem für die Verwendung in Dispersionsfarben an. Seine Plättchenstruktur verleiht Beschichtungen ein thixotropes Verhalten. Die gehärteten Filme sind mechanisch fest und zeigen eine gute Haftung zum Untergrund. Von plättchenförmiger Struktur ist auch Talkum, ein natürliches Magnesiumsilikat. Mit der Härte 1 der Mohsʼschen-Härteskala (siehe Kapitel 3.2.5) ist Talkum außerordentlich weich und begünstigt durch Verringerung der Kohäsionsfestigkeit die Schleifbarkeit von Spachteln und Vorlacken. Kieselkreide ist entgegen ihrem irreführenden Namen keine Kreidesorte, sondern mit Quarz und Dolomit verunreinigter Kaolin. Siliciumcarbid und Quarzmehl verringern dank ihrer großen Härte den Abrieb von Beschichtungen wie beispielsweise Straßenmarkierungen und Fußbodenlackierungen. Nur von geringer Bedeutung sind die silikatischen Füllstoffe Hornblende, Feldspat und Kieselgur. Während es sich bei Hornblende und Feldspat um komplex zusammen170

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe Silikate natürliche, plättchenförmige Magnesiumsilikathydrate

Talkum

natürliche Aluminiumsilikathydrate

Kaolin, China Clay

natürliche Kaliumaluminiumsilikathydrate

Muskovit (Glimmer)

natürliche Calciumcarbonate aus Schalenresten

Kreide

natürliche Calciumcarbonate, kristallin

Calcid, Marmor

gefällte Calciumcarbonate natürliche Calcium-Magnesiumcarbonate

Dolomit

Sulfate natürliche Bariumsalze

Baryt, Schwerspat

synthetische Bariumsalze

Blancfixe

Kieselsäuren natürliche Kieselsäuren (SiO2)

Quarz

synthetische Kieselsäuren

Aerosil

Sonstige Füllstoffe Graphit, Eisenglimmer Abbildung 2.1.201: Übersicht über die wichtigsten Füllstoffe für Beschichtungsstoffe

gesetzte, mit Ca, Mg, Al und Ba vergesellschaftete Silikate handelt, ist Kieselgur das gemahlene Material der aus SiO2 bestehenden Schalen fossiler Kieselalgen. Carbonate in Gestalt von Kreide- und Calcitmehlen gehören zu den wichtigen Füllstoffen der Lackindustrie. Sie machen etwa ¾ der Gesamtmenge für die Lackindustrie aus. Die Kreide stammt aus Meeresablagerungen tierischer und pflanzlicher Gerüstsubstanzen. Bei mikroskopischer Betrachtung des Ausgangsstoffes lassen sich noch Schalenreste maritimer Kleinlebewesen nachweisen. Calcit dagegen ist kristallines Calciumcarbonat, das keine biogenen Reste enthält. Gegenüber Kreide ist Calcit reiner und heller. Häufig macht man auch Gebrauch von nachbehandelten Calcitmehlen und synthetisch hergestelltem Calciumcarbonat, der gefällten Kreide. Mit Füllstoffen aus Calciumcarbonat lassen sich hervorragend applikationsfähige Spachtel, Grundierungen und Füller mit hoher Packungsdichte erzeugen. Ein weiteres wichtiges Anwendungsgebiet für Calciumcarbonat sind die Dispersionsfarben. Nachteilig und prohibitiv für viele Einsatzgebiete ist die Säureempfindlichkeit dieses Rohstoffes. Erkennbar weniger säureempfindlich, gleichzeitig auch härter, ist der Dolomit als Calciummagnesiumcarbonat. Der weitaus wichtigste sulfatische Füllstoff ist das Bariumsulfat. Ein beachtlicher Vorzug dieses Füllstoffs ist seine hohe Beständigkeit gegenüber Säuren und anderen Chemikalien. In der Lackindustrie wird sowohl natürlich vorkommendes als auch synthetisch hergestelltes (gefälltes) Bariumsulfat verwendet. Beim ersteren handelt es sich um gemahlenen Schwerspat, den Baryt, der wegen seiner natürlichen Herkunft durch Begleitsubstanzen verunreinigt ist. Er ist nicht sehr hell und durch unterschiedliche Kristallformen und Korngrößen der einzelnen Teilchen gekennzeichnet. Dies begünstigt die Ausbildung einer hohen Packungsdichte für Spachtel und Grundierungen. Künstlich gewonnenes Bariumsulfat, mit dem Handelsnamen „Blanc Fixe“, unterscheidet sich von BASF-Handbuch Lackiertechnik 171

Beschichtungsstoff

Carbonate

Der Beschichtungsstoff

gemahlenem Schwerspat durch seinen hohen Reinheitsgrad, durch seine Feinheit und die Einheitlichkeit der Korngrößen. Damit ist es auch für anspruchsvollere Verwendungszwecke geeignet. Bariumsulfat besitzt unter den Füllstoffen mit 4,5 g/cm3 die höchste Dichte. Dies ist beim Einsatz in wässrigen Lacken zu beachten.

Beschichtungsstoff

Calciumsulfat mit dem Namen Leichtspat liegt in der Regel als Monohydrat vor. Aufgrund seiner Wasserempfindlichkeit wird es nur für minder anspruchsvolle Beschichtungen auf Holz, Papier und Putz eingesetzt. Zur Erhöhung der Zug- und Reißfestigkeit tragen in besonderem Maße strukturierte, vor allem faserförmige Füllstoffe bei, wie z.B. Glasfasern, durch Ausbildung eines feinen, ineinander verfilzten Netzwerks. Weitere Füllstoffe mit speziellen Aufgaben sind wasserhaltige Aluminiumoxid-Pulver, die sich in Verbindung mit anderen Inertgas abspaltenden Zusätzen, wie Harnstoff oder Melamin als flammhemmende Füllstoffe bewährt haben. Erwähnenswert sind auch die lamellaren Füllstoffe. Zu nennen sind u.a. der Eisenglimmer als lamellarer Hämatit oder der Glimmer selbst. Gelingt es, derartige Füllstoffe planparallel zum Untergrund auszurichten, wird dadurch eine Barriere gegen eindringenden Wasserdampf aufgebaut, wodurch gleichzeitig der Korrosionsschutz verbessert wird. Werden Ansprüche an die elektrische Leitfähigkeit von Beschichtungen gestellt, so können diese durch Zugabe von Graphit erfüllt werden. Künstlich hergestellte Mikrohohlkugeln aus SiO2 oder organischem Material sind besonders leicht und bewirken gleichzeitig durch die luftgefüllten Hohlräume wegen der Erhöhung des relativen Brechungsindex eine Steigerung des Streuvermögens und damit auch des Deckvermögens. Gleichzeitig wird eine Verbesserung der Schlagelastizität erreicht.

2.1.4 Weichmacher und Additive Während die Filmbildner als natürliche oder synthetisch hergestellte Harze für die Schutzwirkung verantwortlich sind, ihre Verarbeitbarkeit aber erst durch Lösemittel möglich wird, während Pigmente optische Attraktivität durch Farbigkeit und Effekt bewirken, kommt den Weichmachern und Additiven als Lackhilfsmitteln die vielfältige und wichtige Aufgabe der Optimierung der Lack- und Lackfilmeigenschaften zu. Dabei dienen Weichmacher der Herabsetzung der Filmbildetemperatur und der Elastifizierung der Beschichtung. Sie sind überwiegend chemisch inert und wirken deshalb meist nur physikalisch. Additive werden in der Regel nur in kleinen und kleinsten Mengen den Rohstoffen oder dem Beschichtungsstoff zugesetzt, beeinflussen aber den Lackherstellprozess, die Verarbeitung, die Filmbildung und letztlich auch den Film selbst in seinen optischen und mechanisch-technologischen Eigenschaften. Sie sind darüber hinaus auch in der Lage, die Filmbeständigkeit zu verbessern und damit den Alterungsprozess zu verzögern. Additive sind häufig multifunktionell und beeinflussen deshalb mehrere Eigenschaften von Lacken und Lackierungen gleichzeitig. So sind zahlreiche Netzmittel und Hilfsmittel für den Prozess der Pigmentdispergierung ausschließlich Stoffe mit Tensidstruktur, die in gleicher oder nur wenig modifizierter Form auch als Entschäumer oder Antiabsetzmittel wiederzufinden sind. 172

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Silikonöle sind ebenfalls polyfunktionell. Sie beeinflussen den Verlauf und das Ausschwimmen von Pigmenten, sie reduzieren den Gleitwiderstand lackierter Oberflächen und bewirken damit indirekt eine Verbesserung der Kratzfestigkeit. Sie optimieren gleichzeitig die Substratbenetzung und hydrophobieren Beschichtungen durch Herabsetzen der Oberflächenspannung.

2.1.4.1 Weichmacher Wie schon ausgeführt, werden von Beschichtungen neben einer guten Haftung zum Substrat auch eine hohe Härte bei gleichzeitig guter Elastizität verlangt. Viele Filmbildner erfüllen diese Anforderungen nicht, weil ihre Kettenbeweglichkeit durch molekulare Wechselwirkung, also durch starke van der Waal’sche-Kräfte, eingeschränkt ist. Aufgabe des Weichmachers ist es also, die Ausbildung solcher Brückenbindungen zu vermindern oder ggf. gänzlich zu unterbinden. Es kann zum einen dadurch erreicht werden, dass die Weichmachung durch Einbau elastifizierender Segmente oder sterisch die Wechselwirkung hindernder Monomeren bereits bei der Synthese der Filmbildner erfolgt. Solche schon bei der Herstellung von Harzen präformierte Beeinflussung der Elastizität wird als innere Weichmachung bezeichnet. Können aus Gründen mangelhafter Verarbeitbarkeit oder nicht optimaler Filmeigenschaften keine durch innere Weichmachung elastifizierten Harze eingesetzt werden, so muss bei „harten“ Harzen eine nachträgliche Elastifizierung erfolgen. Diese kann auf zwei verschiedenen Wegen erreicht werden. Entweder „verdünnt“ man den harten Filmbildner mit hoch elastischen Harzen, wie z.B. aliphatischen Polyestern, oder setzt zur Aufhebung intermolekularer Wechselwirkungen klassische Weichmacher in Form niedermolekularer Hilfsmittel wie Phthalsäureester zu. Die erstgenannten aliphatischen Polyester sind nicht flüchtig und wirken quasi als oligomere Lösemittel. Sie bieten aufgrund ihrer Migrationsfestigkeit den Vorteil einer guten Langzeitwirkung. Solche Weichmacherharze oder auch Weichharze führen bei zu hoher Dosierung allerdings zu einer klebrigen Oberfläche der Lackierung. Wichtige Weichmacherharze sind in der Regel Polyester der Adipin-, Azelain- oder Sebazinsäure mit aliphatischen 1,2- bzw. 1,4-Diolen. Alle Weichmacherharze sind gut extraktions- und migrationsfest und verringern die Beständigkeiten der Beschichtungen gegenüber Benzin, Ölen, Fetten und Seifen nur wenig. Sie sind beständig gegenüber UV-Licht und physiologisch unbedenklich. Der Nachteil der bei hoher Dosierung auftretenden Klebrigkeit wird durch den Einsatz klassischer Weichmacher vermieden. Klassische Weichmacher sind laut DIN EN ISO 4618 flüssige oder feste, indifferente organische Substanzen mit geringem Dampfdruck, überwiegend solche esterartiger Natur. Sie können ohne chemische Reaktion vorzugsO HO

O O

O

H n

Abbildung 2.1.202: Weichmacherharz aus Azelainsäure und 1,4-Butandiol

BASF-Handbuch Lackiertechnik 173

Beschichtungsstoff

Ob Additive ihren Aufgaben der Anpassung und Optimierung von Eigenschaften immer gerecht werden können, hängt nicht zuletzt von ihrer Dosierung ab.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

+

+

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

C

C

C

C

C

C

C

C

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

C

C

C

C

C

C

C

C

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

C

C

C

C

C

C

C

C

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

O

O

O

O

Starke intermolekulare Wechselwirkungen durch Dipol-Wechselwirkungen = Hart-PVC

Kettenabstand durch Weichmacher geringe Dipolwechselwirkung = Weich-PVC

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

C

C

C

C

C

C

C

C

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Cl

H

Abbildung 2.1.203: Wirkmechanismus von klassischen Weichmachern am Beispiel des PVC

weise durch ihr Quellvermögen mit hochpolymeren Stoffen in physikalische Wechselwirkung treten und ein homogenes System mit diesen bilden. Diese Wechselwirkung ist begründet in der besonderen molekularen Struktur. Weichmacher enthalten immer polare und unpolare Molekülteile. Mit den ersteren treten sie in Wechselwirkung mit den polaren Gruppen der weichzumachenden Filmbildner. Mit dem unpolaren Rest verhindern sie durch sterische Hinderung die intermolekulare Wechselwirkung der Harzmoleküle und fördern damit ihre Beweglichkeit. Die Folge ist die Erniedrigung der Glastemperatur (siehe Kapitel 3.2.5). Als ein wichtiges Kriterium für die Effektivität von Weichmachern wird die konzentrationsbezogene Absenkung der Glastemperatur herangezogen Für eine effektive Weichmachung sind also Substanzen zu verwenden, die beim Erwärmen in das weichzumachende Harz eindringen können. Wegen der geringen Molmasse ist den klassischen Weichmachern eine gewisse Flüchtigkeit eigen. Sie sind den Weichmacherharzen in der Dauer ihrer Wirksamkeit unterlegen. Weitere Anforderungen an Weichmacher sind physiologische Unbedenklichkeit, Wirksamkeit bei tiefen Temperaturen, Wärme und Licht, außerdem Extraktions- und Ver174

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Wi = Wirksamkeitskennzahl Tg0 = Glasübergangstemperatur ohne Weichmacher Tg = Glasübergangstemperatur mit Weichmacher

Tg0

Tg [%] c WM

Wi

c WM

= Gewichtskonzentration an Weichmachern

Wm = Weichmacher

10

20

30

% WM

Abbildung 2.1.204: Absenken der Glastemperatur durch Weichmacher (WM)

O O

O O P O

O

O

O

Dioctylphthalat (DOP)

Tributylphosphat

O O C ( CH2 )4 O C

Dioctyladipat (DOA)

Abbildung 2.1.205: Chemische Struktur klassischer Weichmacher

seifungsfestigkeit. Stoffe, die solche Ansprüche erfüllen, sind Ester der Phthalsäure, der Phosphorsäure, der Adipinsäure und der Sebazinsäure mit aliphatischen monofunktionellen Alkoholen unterschiedlicher Kettenlänge und unterschiedlichen Verzweigungsgrades. Produkte, die in Verbindung mit klassischen Weichmachern als sekundäre Weichmacher den elastifizierenden Effekt erhöhen, sind epoxidierte Öle und diverse Fettsäureester. Die weit verbreiteten Phthalatweichmacher, üblicherweise Ester aus α-Ethylhexanol sind farb- und geruchlose, lichtbeständige Allround-Weichmacher mit nur mittelmäßiger Kältebeständigkeit. Phosphorsäurester haben zwar eine geringere Lichtbeständigkeit als Phthalsäureester, besitzen aber ein rasches Geliervermögen und eine bessere Extraktionsbeständigkeit. Die azyklischen Ester der aliphatischen Dicarbonsäuren, in der Regel Adipin- und Sebazinsäure, führen im Vergleich zu den genannten Typen zu exzellenter Elastizität der Beschichtungen auch bei tiefen Temperaturen. Sie werden wegen ihres hohen Preises häufig mit Phthalatweichmachern verschnitten. BASF-Handbuch Lackiertechnik 175

Beschichtungsstoff

Tg

Der Beschichtungsstoff Phosphorsäureester

Adipin- und Sebacinsäureester

Phthalsäureester

Ricinusölsäureester







+

12. Asphalte









3. Bitumen









14. Maleinatharze

+

+

+

+

5. Ölfreie Polyole

+

+

+



+

+

+

+

Beschichtungsstoff

1. Trocknende Öle

16. Alkydharze 7. Phenolharze



18. Harnstoffharze

+

+

+

+

9. Melaminharze

+

+

+

+

10. Polyvinylacetale

+

+

+

+

11. Polyvinylchlorid

(+)

+

+

+

12. Polyvinylacetat

+

+

+

13. Polyvinylesterdispersionen

+

+

+

Abbildung 2.1.206: Formulierungshinweise für Weichmacher in Filmbildnern

Die Abbildung 2.1.206 zeigt eine Auswahl von Harzen, die einer Weichmachung bedürfen, und gibt Auskunft über ihre Verträglichkeit mit den wichtigsten Weichmachern bzw. Weichmacherharzen. 2.1.4.2 Additive Bei der Erstellung von Rezepturen wird häufig davon ausgegangen, Zieleigenschaften eines Systems durch geeignetere Filmbildner oder bessere Pigmente zu erreichen. Wenn auf diesem Wege aus qualitativen und aus ökonomischen Gründen dies nicht gelingt, wird auf Additive zurückgegriffen. Dabei sei darauf hingewiesen, dass der Dosierung wegen der geringen Zusatzmengen und der häufig grenzflächenphysikalischen Wirkung eine ganz besondere Beachtung zu schenken ist. Soll beispielsweise eine polare Oberfläche durch ein Additiv hydrophobiert werden, ist eine solche Wirkung nur mit einer monomolekularen Belegung eines Tensids möglich. Dosiert man zu niedrig, wird das Ziel nicht erreicht. Dosiert man zu hoch, werden Doppelschichten ausgebildet, die letztlich den Ausgangszustand wiederherstellen. Die für die Optimierung und Anpassung von Eigenschaften üblichen Lackhilfsmittel können nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Trotz der häufig multifunktionellen Wirkung diverser Additive hat sich eine Klassifizierung nach dem Verwendungszweck durchgesetzt. Zum Beispiel kann man Tenside derselben chemischen Natur beim Dispergieren von Pigmenten, beim Entschäumen, bei der Bekämpfung von Ausschwimmeffekten, aber auch bei der Anpassung der Verarbeitungseigenschaften von Wasserlacken antreffen. Die folgenden Ausführungen stellen die Additive für die Herstellung, Lagerung und Verarbeitung an den Anfang, um danach auf die Hilfsmittel zur Ausbildung und Stabilisierung der Filmeigenschaften einzugehen. 176

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Überprüft man den technischen Prozess der Lackherstellung auf Möglichkeiten seiner Optimierung durch Lackhilfsmittel, so konzentrieren sich die Ansatzpunkte auf das rheologische Verhalten und die grenzflächenphysikalischen Phänomene. Das rheologische Verhalten bestimmt u.a. das Eindringen in die Hohlräume der Pigmentagglomerate und erlaubt die Anpassung der auf die Pigmente übertragbaren Schubspannungen in den Dispergiermaschinen. Beeinflussungen des Fließverhaltens sind bei der Lackverarbeitung und der sich anschließenden Filmbildung von essentieller Bedeutung (siehe Kapitel 3.1.1). Zur schnelleren Pigmentverteilung und besseren Pigmentstabilisierung stehen für die Lackherstellung und Lagerung die Grenzflächenspannung beeinflussende Additive im Vordergrund. Die Anziehungskräfte der Moleküle bewirken Kohäsion und damit das Bestreben, bei vorgegebenem Volumen möglichst kleine Oberflächen einzunehmen. Diese als Oberflächenspannung bekannte Stoffeigenschaft kann bei der Wechselwirkung verschiedener Stoffe in der Lackformulierung zu Problemen führen. So agglomerieren die feinteiligen Pigmente zu größeren Einheiten und widersetzen sich einer Benetzung durch Harzlösungen, wenn keine Abstimmung der Oberflächenspannungen der grenzflächenbildenden Substanzen erfolgt (siehe Kapitel 2.3.3). Für eine vollständige Umhüllung der Pigmentpartikeln mit Harzlösungen und damit auch für eine vollständige Entfernung der Luft aus den Agglomeraten und des auf den polaren Oberflächen vieler Pigmente adsorptiv gebundenen Wassers sind dann Verträglichkeitsvermittler in Form von Tensiden notwendig. Sie fördern die Benetzung der Agglomerate.

Abbildung 2.1.207: Abhängigkeit der Grenzflächenspannung von der Tensidkonzentration 

Quelle: BASF SE

BASF-Handbuch Lackiertechnik 177

Beschichtungsstoff

Additive zur Optimierung der Lackherstellung und Lagerstabilität

Der Beschichtungsstoff

R COO Me Metallseifen R CH R' COOCH3 O SO3 Me Beschichtungsstoff

Schwefelsäurehalbester R CH COOR' CH COOR' SO3 Me sulfonsaure Salze Abbildung 2.1.208: Strukturen und Beispiele anionischer Tenside

HN

CnH2n+1

CH2 CH2 O H n

R

CH2 CH2 O H n Amine H O

CH2 CH2 N H H

CnH2n+1 C N

n

H

2n R

CH2 CH2 N H H Säureamide

n

R O CnH2n+1 C N

CH2 CH2 N R R R CH2 CH2 N R

R quartäre Ammoniumbasen Abbildung 2.1.209: Beispiele für kationische Tenside

178

2 R´

Tensidmoleküle haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben eine charakteristische Struktur. Diese entsteht aus der chemischen Verknüpfung stark hyrophiler und stark hydrophober Molekülsegmente. Deshalb orientieren sie sich an Grenzflächen unterschiedlicher Polarität derart, dass der polare Rest sich der polaren Substanz und der unpolare sich dem weniger polaren Stoff zuwendet. Beispielsweise verbinden die Carboxylatgruppen als Salze gesättigter Fettsäuren zusammen mit ihren unpolaren Alkylresten so gegensätzliche Substanzen wie Wasser mit Öl und erlauben die Herstellung stabiler Emulsionen. Da sich Tenside in den Grenzflächen ansiedeln, ist ihre Wirksamkeit nur bis zu einem Grenzwert ihrer Konzentration proportional. Eine Überdosierung führt bei den meisten Tensiden zur Bildung von Tensidaggregaten in der wässrigen Phase, den Mizellen, ohne die Grenzflächenspannung weiter herab zu setzen. Die Konzentration, bei der die Grenzflächenspannung ihr Minimum erreicht, wird als kritische Mizellkonzentration (CMC) bezeichnet. Theoretisch erreichen die Tenside ihr anwendungstechnisches Optimum bei dieser Konzentration. Die Tenside werden je nach Ladung bzw. Ladungsverteilung in ionische, nichtionische und amphotere Typen eingeteilt, die ionischen wiederum in anionische und kationische Typen. Wichtige Vertreter der anionischen Tenside sind die schwefelsauren Halbester von langkettigen Fettalkoholen oder Salze der Alkylbenzolsulfonsäuren. Übliche kationische Tenside sind Alkylreste enthaltende quartäre Ammoniumbasen. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

O O

R O

R O Die amphoteren Tenside enthalten als R = Fettsäurerest O Ampholyte neben einem unpolaren O P O Rest sowohl positive als auch negative O Ladungen. Lacktechnisch wichtig ist N das Lecithin, das eine Begleitsubstanz vegetabiler Öle ist. Wegen seiner inhibierenden Wirkung auf die Abbildung 2.1.210: Chemische Struktur des Lecithins oxydative Härtung von Alkydharzen sollten Lecithine bei der Rezeptierung „lufttrocknender“ Lacke nicht verwendet werden.

Auch nichtionische Tenside besitzen ausgezeichnete grenzflächenaktive Eigenschaften. Es ist zwischen den Alkylpolyalkylenglykolethern bzw. -etherestern auf der einen und den Butindiol-Derivaten auf der anderen Seite zu unterscheiden. Letztere orientieren sich in der Grenzfläche mit ihren Hydroxylgruppen zur polaren Seite und sind wegen der besonderen Struktur der unpolaren Alkylreste in ihrem Platzbedarf variabel. Es existiert deshalb auch keine wohldefinierte kritische Mizellkonzentration. Für die richtige Auswahl von Tensiden wird der HLB-Wert (Hydrophilic Lipophilic Balance) herangezogen. Er ist definiert als der auf die Molmasse bezogene Anteil der polaren Gruppen multipliziert mit 20.

Struktur

Beispiel

R O CH2 CH2 O H n Polyether

C16 H33

O CH2 CH2 O H n

C17 H37

C

O

O R C O CH2 CH2 O H n Polyester R'

R'

R C C C C R OH

OH

O CH2 CH2 O H n

R' R' H3C CH3 HC C C C C C H H3C OH OH CH3

Butindiol Abbildung 2.1.211: Beispiele chemischer Strukturen nichtionischer Tenside

BASF-Handbuch Lackiertechnik 179

Beschichtungsstoff

Die ionischen Tenside müssen bei der Formulierung ebenfalls ionisch stabilisierter Wasserlacke gleichsinnig geladen sein. Andernfalls treten erhebliche Stabilitätsprobleme auf.

Der Beschichtungsstoff

Je nach Verhältnis der polaren und unpolaren Gruppen kann der HLBHLB = · 20 Molmasse Wert zwischen 0 und 20 liegen. Dabei sind Tenside mit niedrigen HLB-WerAbbildung 2.1.212: HLB-Wert zur Charakterisierung von ten ölverträglich, um mit steigenden Tensiden Werten wasserlöslich zu werden. Netzmittel als Vermittler zwischen Pigmentoberflächen und Harzlösungen sind im Bereich von 7 bis 9 angesiedelt. Niedrigere Werte werden bei Antischaummitteln, höhere bei waschaktiven Substanzen und Lösungsvermittlern für wässrige Systeme angestrebt.

Beschichtungsstoff

Massepolare Anteile

Besteht die Aufgabe, Schaum effektiv zu bekämpfen, sind zunächst die Ursachen der Schaumbildung zu ermitteln. In flüssigen Beschichtungsstoffen eingeschlossene Luftblasen entweichen in Abhängigkeit von ihrer Größe in tensidfreien, niedrigviskosen Flüssigkeiten relativ schnell und stellen deshalb auch kein Problem dar. Bei höherer Viskosität und Anwesenheit oberflächenaktiver Zusätze wird der Entlüftungsvorgang jedoch in zweierlei Hinsicht beeinträchtigt. Hohe Viskositäten verlangsamen das Aufsteigen von Gasblasen, Tenside stabilisieren die Schaumblasen. Das erste Phänomen führt zu Lufteinschlüssen im flüssigem Lack als Mikroschaum, der zweite Aspekt manifestiert sich in grobem Kugel- oder Polyederschaum in der Oberfläche. Beide Erscheinungsformen müssen mit verschiedenen Mitteln bekämpft werden. Steigen Gasblasen aus einer tensidfreien Flüssigkeit in die Grenzfläche, so wird die das Gas umhüllende Flüssigkeitslamelle aufgrund der immer dünner werdenden Lamelle und der wirkenden Oberflächenspannung geöffnet und das Gas entweicht. Komplizierter hingegen werden die physikochemischen Vorgänge beim Aufsteigen einer tensidstabilisierten Gasblase. Erreicht diese die Grenzfläche, so bildet sich an der Flüssigkeitsoberfläche eine beidseitig durch Tenside stabilisierte Membrane. Ein schnelles Auslaufen der Flüssigkeit aus der Membran sowie das anschließende Sprengen der nun

Abbildung 2.1.213: Oberflächenstörung durch Mikro- und Makroschaum 

180

Quelle: Evonik Industries

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beschichtungsstoff

Rohstoffe

Abbildung 2.1.214: Schaum in tensidfreien und tensidhaltigen Flüssigkeiten

Quelle: Krüss

tensidhaltigen Lamelle findet nicht mehr statt. Aufgrund der gegenseitigen Abstoßung der Tensidmoleküle an der Unter- und Oberseite Entschäumertropfen spreitet auf der der dünnen Membran verbleibt diese Oberfläche mit einer endlichen Schichtdicke um die Gasblase. Eine zusätzliche Stabilisierung wird dadurch erreicht, dass bei Dehnung der Lamelle diese Tropfen dringt an Tensidmolekülen verarmt, was in die Lamelle ein, einer Erhöhung der OberflächenTenside werden zurückgedrängt spannung und damit einer Zunahme der Rückstellkraft gleich kommt. Die Lamelle wird durch diesen sog. Gibbs-Marangoni-Effekt elastisch und stabil [2.4.66]. Zur effektiven Schaumbekämpfung ist es deshalb Schaumlamelle wird dünner und notwendig, durch Zusätze Inhomobricht auf genisierungen in der Oberflächenspannung der Schaumlamelle und damit eine Instabilisierung und Öff- Abbildung 2.1.215: Wirkmechanismus von Entschäumern nung herbeizuführen. Ein derartiger Effekt ist aber nur zu erreichen, wenn die Hilfsstoffe zur Entschäumung in der schaumbegleitenden Substanz nahezu unlöslich sind. Der in feinsten Tröpfchen oder als Feststoffpartikeln vorliegende Entschäumer muss also in die Schaumlamelle gelangen, dort in die Tensidschicht eindringen und diese gleichzeitig destabilisieren. Mineralöle oder polyethermodifizierte Polysiloxane bewirken den zur Destabilisierung der Schaumlamelle notwendigen Spreitungseffekt, wenn sie sich inhomogen in der Grenzfläche verteilen. Ihre heterogene Verteilung wird häufig noch gefördert, wenn sie an feinst verteilte SiO2-Partikeln (Aerosile) adsorptiv angelagert werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 181

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.216: Formeln zur Berechnung der Spreitungs- und Eindringkoeffizienten S und E

Prognosen über die entschäumende Wirkung von Additiven sind durch die Berechnung von Spreitungskoeffizienten S und Eindringkoeffizenten E möglich (Abbildung 2.1.216 und 2.1.217). Beide Größen müssen positiv sein, um eine entschäumende Wirkung herbeizuführen. Bei der Herstellung und Verarbeitung von Beschichtungsstoffen kann es durch Einrühren von Luft, durch Freisetzen von Lufteinschlüssen aus den Pigmentagglomeraten, durch Lufteintrag während der Applikation oder durch Blasenbildung während der Lackhärtung zur Bildung feinster Einschlüsse kommen. Bei kleinen Blasen und der damit verbundenen niedrigen Aufstiegsgeschwindigkeit ist ein vollständiges Entweichen aus der flüssigen Phase nicht möglich. In der Lackierung verbleibende Lufteinschlüsse oder feine Krater in der Oberfläche sind die Folge. Zur Beseitigung derartiger Filmstörungen ist dafür Sorge zu tragen, durch Verwendung von Entlüftern die Aufstiegsgeschwindigkeit der gasförmigen Einschlüsse zu erhöhen. Als hierfür sensible Variablen sind die Viskosität, die Blasengröße und die durch Tenside verursachte Stabilisierung der Blase in der umgebenden Harzlösung zu nennen. Da in vielen Fällen die Viskosität eine vorgegebene Größe ist, müssen sich die Abhilfe schaffenden Maßnahmen auf die Destabilisierung und Vereinigung und damit auf die Vergrößerung der Blasen konzentrieren. Da die Blasengröße quadratisch in die Aufstiegsgeschwindigkeit und damit in den Entlüftungsprozess eingeht, sind solche Additive besonders wirksam, die bei Annäherung von Einzelblasen diese zur Vereinigung und damit zur Vergrößerung veranlassen. Entlüfter sind somit Additive, die sich wegen ihrer definiert eingestellten Unverträglichkeit in den Grenzflächen der Luftblasen ansiedeln, um dort die Blasen zu destabilisieren. Eine korrespondierende Wirkung liegt in der Beseitigung der fließhemmenden Tensidmoleküle in der Phasengrenzfläche [2.4.67]. Abbildung 2.1.217: Wirkmechanismus von Entlüftern

Quelle: Krüss

Zur Verbesserung der Lagerstabilität von Reaktionslacken ist es in vielen Fällen notwendig, Inhibitoren zu verwenden. Sie sollen eine vorzeitige Vernetzung der Filmbildnerkombinationen verhindern. So werden z.B. die in Styrol gelösten ungesättigten Polyester durch Hydrochinon oder Chinon an einer ungewollten Vorvernetzung genauso gehindert, wie die oxidativ härtenden Alkydharze durch Phenolkörper oder Oxime. Im ersten Fall inaktivieren die Hydrochinon- oder Chinonmoleküle unerwünscht entstandene Startradikale, im zweiten verlangsamen sterisch gehinderte Phenolkörper als Antioxidantien die Bildung von Peroxiden durch Luftsauerstoff. 182

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Die Wirkung der Oxime beruht auf ∆ρ · g der Inaktivierung der vernetzungsu=k· · d2 fördernden Sikkative durch Komη plexbildung und verhindert dadurch die Hautbildung von Malerlacken in Abbildung 2.1.218: Formel zur Berechnung der Absetzgeden Gebinden. Mit Melaminharz ver- schwindigkeit von Pigmenten netzende Einbrennlacke werden mit Hilfe von Monoalkoholen durch Verschiebung des Reaktionsgleichgewichtes in Richtung der Ausgangsprodukte inhibiert. Zur Reduzierung der Absetzneigung von Pigmenten sind zwei grundsätzlich verschiedene Wege zu beschreiten. Da die Sedimentationsgeschwindigkeit u von Pigmentteilchen im Schwerefeld der Erde eine Funktion der Dichtedifferenz ∆ϱ, der Erdbeschleunigung g, der Ruheviskosität η und der Teilchengröße d ist, sind Bodensatzverhinderer Additive, die durch Pigmentstabilisierung und Erhöhung der Viskosität η im Ruhezustand das Absetzen der Pigmente beeinträchtigen. Wenn bei längerer Lagerung keine Reagglomerierungen stattfinden und somit sich die Teilchengröße nicht ändern soll, verbleibt als einziger Ansatz für wirksame Hilfsmittel die Ausbildung von Strukturviskosität und Thixotropie. Letztere baut bei Lagerung eine Fließgrenze auf, ohne das Fließverhalten unter den Scherbedingungen der Verarbeitung zu beeinträchtigen. Additive zur Optimierung der Verarbeitungseigenschaften Gut haftende porenfreie Filme sind eine notwendige Voraussetzung für die Schutzfunktion von Lackierungen. Dafür ist eine gleichmäßige und gute Benetzung aller Bereiche des Lackieruntergrundes zwingend erforderlich. Oft sind auch nach einwandfreier Reinigung und Vorbehandlung der zu beschichtenden Objekte noch Benetzungshilfen zur Abstimmung der Grenzflächenenergie zwischen Substrat und Lack dem Beschichtungsstoff hinzuzufügen (siehe Kapitel 2.2.3 und Kapitel 3.1.1). Üblich sind tensidartige Substanzen, in denen der polare Teil aus hydrophilen Polyethergruppen besteht, der unpolare aus Kohlenwasserstoffketten oder methylsubstituierten Polysiloxanen. Für die effektive Anpassung von Wasserlacken an die Gegebenheiten des Substrats haben sich niedermolekulare Silikonpolyether bewährt. Sie sind wirksamer als vergleichbare auf Kohlenwasserstoffen basierende Zusätze. Fluortenside sind sehr wirksam bei der Herabsetzung der Oberflächenspannung von Wasserlacken bis unter 20 mN/m. Sie werden bezüglich ihrer Fluorkettenlänge für eine geringe PBT (persistente, bioakkumulierende und toxische)-Wirkung kurz gehalten und gewinnen an Bedeutung [2.4.68]. Applikationsbedingt zeigen frische Lackfilme eine mehr oder weniger starke Struktur. Wellenförmige Oberflächenprofile müssen deshalb vor der physikalischen oder chemischen Verfestigung durch Absenken der Wellenberge und Anheben der Täler ausgeglichen werden (Kapitel 3.1.1). Gleichzeitig muss verhindert werden, dass

Abbildung 2.1.219: Wirkung von Netzmitteln bei der Beschichtung von Prüfblechen Quelle: Evonik Industries

BASF-Handbuch Lackiertechnik 183

Beschichtungsstoff

Rohstoffe

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.220: Wirkung von Verlaufsmitteln auf die Oberfläche von Beschichtungen Quelle: Evonik Industries

der noch flüssige Lack an senkrechten Flächen abläuft oder sich aufgrund seiner Oberflächenspannung von den Kanten des Lackierobjektes wegzieht. Läufer beeinträchtigen die optische Qualität und Kantenflucht die Funktion der Lackierung. Ist auch nach der Abstimmung der Lösemittelzusammensetzung mit der chemischen Reaktivität des entstehenden Films kein akzeptabler Kompromiss zwischen Verlaufen und Ablaufen zu erreichen, müssen Verlaufsadditive helfend eingreifen. Zu ihrer richtigen Auswahl sind Überlegungen über die Ursache der Verlaufsmängel zu berücksichtigen.

Bei näherer Analyse der Filmbildeprozesse wird deutlich, dass das Verlaufen durch Nivellieren der anfänglich strukturierten Oberfläche durch Strömungen im Film überlagert werden kann, Abbildung 2.1.221: Schema der Benard’schen Zellen die dem Ausgleich der Struka) von oben betrachtet; b) von der Seite betrachtet turen entgegenwirken. Bedingt  Quelle: Evonik Industries durch das Abdunsten der Lösemittel entstehen innerhalb des Films Inhomogenitäten in der Oberflächenspannung und der Dichte. Die in der Regel niedrigere Oberflächenspannung bzw. niedrigere Dichte der abdunstenden Lösemittel bewirken eine Erhöhung der Oberflächenspannung und der Dichte in der Oberfläche des sich bildenden Films. Ist zu diesem Zeitpunkt die Viskosität noch nicht hoch genug, entstehen vertikale Strömungen. Eine dem Verlauf entgegengesetzt wirkende Strukturausbildung in der Oberfläche ist die Folge. Diese als Benard’sche Zellen bekannten Filmstörungen rufen bei unterschiedlicher Beweglichkeit der Pigmente Separierungen und damit Farbtonverschiebungen hervor. Solche Effekte können nur mit anderen Mitteln bekämpft werden, als für die oben beschriebenen klassischen Verlaufsstörungen einzusetzen sind. Letztere sind durch viskositätserniedrigende Additive zu beseitigen. Der Bildung der Benard’schen Zellen wird hingegen durch viskositätserhöhende und oberflächenspannungserniedrigende Additive begegnet. Da beide Phänomene in der Praxis überlagert auftreten, verlangt eine gezielte und effektive Optimierung der Verlaufseigenschaften den richtig dosierten Einsatz von Hilfsmitteln. Geeignete Verlaufsmittel sind hochsiedende Lösemittel (Hochsieder) für die klassischen Verlaufsstörungen oder durch Seitenketten lackverträglich eingestellte Silikonöle für die Vermeidung von Benard’schen Zellen. Letztere sind in ihrer che184

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Moderne Hilfsmittel zur Erhöhung der Strukturviskosität des sich bildenden Films und damit Vermeidung der Störung durch Benard’sche Zellen sind lineare oligomere Polyurethane, Polyacrylate, Celluloseether, Polyvinylpyrrolidone und spezielle Polyether. Auch pyrogene Kieselsäuren (Aerosile) oder Montmorillonite (Bentone) haben sich als wirksam erwiesen. Andere Filmstörungen sind Vertiefungen in Form von Kratern (siehe Kapitel 6.2). Es handelt sich um punktförmige Vertiefungen in Lackierungen, die zum Teil bis zum Untergrund reichen können. Gründe für derartige Filmstörungen liegen immer in einer lokalen Inhomogenität in der Oberflächenspannung der Beschichtung. Unverträgliche Kontaminierungssubstanzen auf dem Substrat, im applizierten Beschichtungsstoff oder in Form von Spritznebeln, Staubpartikeln oder Öltröpfchen sind die häufigsten Kraterursachen. Ebenfalls unangenehme Kraterverursacher sind Gelteilchen aus den Filmbildnern. Das sind hochmolekulare, sich an der Grenze der Verträglichkeit befindende Filmbildneranteile, die wegen ihrer geringeren Polarität und der damit verbundenen unterschiedlichen Oberflächenspannung Krater verursachen können. Die oberflächenstörende Wirkung wird häufig durch Anreicherung von unpolaren Additiven in den Gelteilchen noch verstärkt. In allen Fällen ist der Effekt der gleiche. Der nach der Applikation noch flüssige Lack kann nicht gleichmäßig verlaufen. Er wird von den Bereichen niedriger Oberflächenspannung weggezogen, um sich in der Umgebung anzureichern. Die Folge ist eine Vertiefung, die entweder nur ein Schönheitsfehler oder auch eine Schwachstelle im Schutz des Untergrundes sein kann. Vor der Bekämpfung von Kratern mit Additiven sollten unbedingt Versuche unternommen werden, den Verursacher der Krater ausfindig zu machen und wenn möglich zu beseitigen (siehe Kapitel 6.2). So sind beispielsweise Gelteilchen dem Filmbildner durch Filtrieren oder Zentrifugieren zu entziehen. Verursachen vagabundierende Spritznebel Krater in der frischen Lackierung, sind die Ursachen dafür durch Anpassen der Oberflächenspannungen der wechselwirkenden Lacke zu beseitigen. Fluorhaltige Tenside

Abbildung 2.1.222: Beispiele von typischen Kratern und Kochern in einer Lackierung

Quelle: Evonik Industries

BASF-Handbuch Lackiertechnik 185

Beschichtungsstoff

mischen Zusammensetzung und in ihrer Wirkung den Substratbenetzungshilfsmitteln ähnlich. Sie haben demzufolge auch eine benetzungsfördernde Wirkung, verbessern zusätzlich die Glätte der Oberfläche und reduzieren damit den Gleitwiderstand von Lackierungen. Dies äußert sich auch in einer verbesserten Kratzfestigkeit trotz unveränderter physikalischer Härte.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

oder niedermolekulare Silikonöle sind wegen ihrer niedrigen Oberflächenspannung die wirksamsten Hilfsmittel. Im Erscheinungsbild den Filmstörungen durch entweichende Luftblasen oder den Kratern ähnlich sind die sog. Kocher (siehe Abbildung 2.1.222). Es handelt es sich um noch geschlossene oder bereits geplatzte Blasen, hervorgerufen durch zu schnell Abbildung 2.1.223: Schema der Hydrophobierung von Polymeroverdunstende Lösemittel oder berflächen mit Silikonöl  Quelle: Evonik Industries Spaltprodukte aus der chemischen Vernetzung. Sind die Harzkombinationen zu reaktiv eingestellt, so steigt beim Erwärmen die Viskosität der Lackierung schon frühzeitig derart an, dass sich noch im Film befindliche Lösemittel beim Verdunsten an der polymeren Haut stauen und dadurch geschlossene oder geöffnete Blasen bilden. Die Bekämpfung von Kochblasen mit Additiven zielt immer darauf hin, die Diffusionsfähigkeit für die Lösemittel über den gesamten Filmbildeprozess zu erhalten. Ein solches Verhalten kann durch Zusätze schwerflüchtiger Lösemittel oder durch Herabsetzen der Reaktivität der Filmbildner erreicht werden. Für die meisten Einbrennlacke haben sich langkettige Alkohole wie beispielsweise Dodecylalkohol bewährt. Bei industriellen Lackierprozessen können Kocher auch durch verfahrenstechnische Maßnahmen bei der Festlegung des Aufheizgradienten vermieden werden. Ein sicherer Schutz des lackierten Untergrundes ist dann gewährleistet, wenn die Beschichtung alle schädigenden Wirksubstanzen dem Substrat fernhält. Dabei spielt Wasser für viele chemische Reaktionen in der Grenzfläche zum Substrat eine besondere Rolle. Zusätze, die den Einfluss des Wassers verringern, sind deshalb in vielen Fällen hilfreich. Besonders bewährt haben sich Additive, die sich aufgrund ihrer chemischen Struktur an der Oberfläche der Lackierung ansiedeln und sich dort mit ihren polaren Molekülgruppen verankern. Die unpolaren Reste führen dann zu einer Wasser abweisenden Hydrophobierung. Geeignete Additive sind Polyolefinwachse, Salze der Stearinsäure oder Polysiloxane. Neben der Anpassung der Benetzung, des Verlaufs und des Ablaufens, des Verhinderns von Oberflächenstörungen oder der wasserabweisenden Einstellung organischer Schutzschichten übernehmen Additive auch Aufgaben der Adaption des Materials an die Verarbeitung. Das Einstellen der elektrischen Leitfähigkeit und des pH-Wertes sind zwei erwähnenswerte Beispiele für Materialanpassungen mit Lackhilfsmitteln. Die elektrische Leitfähigkeit der Lacke beeinflusst die Lackverarbeitung mit elektrostatischen Verfahren. Für eine maximale Lackausbeute sind bei konventionellen Lacken elektrische Widerstände von 105 bis 108 Ωcm einzustellen. Derartige Bereiche sind z.B. bei xylol- und butanolgelösten Einbrennlacken durch Variation des Mischungsverhältnisses der beiden Löser problemlos einzustellen. Verarbeitet man unpolarere benzinhaltige Lacke, ist eine Anpassung des elektrischen Widerstandes allein durch Lösemittelkompositionen nicht möglich. In solchen Fällen verwendet man mit dem 186

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

CH3 CH3 COOH

HN

C2H5 OH HN C2H5 OH

CH3 Essigsäure

Dimethylamin

Diethanolamin

H 3C H3C

C

NH R CH2 OH

2-Methyl-2-amino-propanol

System verträgliche ionische Additive. Bewährt haben sich u.a. Tetraalkylammoniumsulfat, ethoxiliertes Ammoniumsulfat und Monobutylphosphat. Die Stabilität von wässrigen Polymerlösungen oder Dispersionen wird durch den pHWert beeinflusst. Seine Einstellung erfolgt mit sauren oder alkalischen Neutralisationsmitteln. Amine wie Dimethylamin, Diethanolamin und 2-Methyl-2-Amino-Propanol sind die bekanntesten pH-Wert-Regulatoren. Letzteres ist wegen seines milden Geruchs und seiner hohen Basizität ein bewährtes Neutralisationsmittel (siehe Kapitel 5.6.2). Um das rheologische Profil für den Verarbeitungsprozess von Beschichtungsstoffen einzustellen, werden neben der Auswahl der Lösemittel Celluloseether oder Harnstoffkristalle in spezifischer Fällungsform zugesetzt [2.4.69]. Eine weitaus bedeutendere Rolle spielen solche Additive für wässrige Lacke, die Einfluss auf das rheologische Verhalten des Beschichtungsstoffes nehmen. Solche unter den populären Begriffen „Thixotropiermittel“ oder „Verdicker“ zusammengefasste Produkte sind sehr unterschiedlicher Natur. Zu den wichtigen zählen die Bentonite, auf Schichtsilikaten aufgebaute anorganischen Verbindungen (siehe Kapitel 2.1.3). Ihre Wirkung beruht auf dem Aufbau tertiärer Strukturen durch Dipole bzw. elektrostatische Effekte [2.4.70]. Die Plättchen sind negativ auf der flachen Seite und positiv an der Kante. Dadurch wird im Ruhezustand der Aufbau von Kartenhaus ähnlichen Strukturen möglich, die durch Scherung zerstört werden. Der Wiederaufbau erfolgt langsam, so dass Thixotropie die Folge ist (siehe Kapitel 2.3.2). Ihre Wirkung zeigen die Bentonite in den Rezepturen wässriger Beschichtungsstoffe ab ca. 0,2 % bis zu 5 % Gewichtsanteile. Eine weitere Klasse von Verdickern stellen die Polyacrylsäuren dar. Ihre Wirkung beruht auf der Aufweitung der Molekülknäuel bedingt durch die elektrostatische Abstoßung der Carboxylationen. Sie sind im alkalischen Bereich wirksam und führen bei ähnlichen Konzentrationen wie die Bentonite bei entsprechenden pH-Werten zu pseudoplastischen Formulierungen. Die hohe Carboxylgruppenkonzentration hat insofern Auswirkungen auf die Filmeigenschaften, als die Resistenz gegen Wasser geringer wird. Gezielt aufgebaute hochmolekulare Tenside z.B. auf Basis Polyethylenoxid und endständigen Polyurethangruppen werden als sogenannte Assoziativverdicker zunehmend erfolgreich für wässrige Dispersionen eingesetzt. Sie zeichnen sich meist durch eine sehr niedrige kritische Mizellkonzentration aus und führen bei Konzentrationen üblicherweise von 0,05 % bis 0,5 % zu einem strukturviskosen Verhalten. Ihre rheologische Wirksamkeit kann sehr gut über die Länge der Polyethylen- und Polyurethangruppe gesteuert werden [2.4.71]. Additive zur Beeinflussung der Vernetzung und der Filmeigenschaften Die mechanisch-technologischen Eigenschaften von Beschichtungen werden durch die physikalische Trocknung und bei Industrielacken zusätzlich durch die chemische BASF-Handbuch Lackiertechnik 187

Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.224: Lackrelevante Neutralisationsmittel

Der Beschichtungsstoff

CH3

Beschichtungsstoff

O

N

N

Bu Bu

O

N

Morpholin

Diazabicyclooctan (DABCO)

Sn

O C

(CH2)10 CH3

O C

(CH2)10 CH3

O Dibutylzinndilaurat (DBTL)

Abbildung 2.1.225: Morpholin, Diazabicyclooctan, Dibutylzinndilaurat als Katalysatoren für die Härtung von Polyurethanen

O O O O Dibenzoylperoxid

O O OH Cumolhydroperoxid

O O t-Butylperbenzoat

Abbildung 2.1.226: Peroxide und Hydroperoxide als Starter für radikalische Polymerisationsreaktionen

Härtung beeinflusst. Bei der Beschichtung thermolabiler Substrate und zur Einsparung von Prozessenergie werden häufig Katalysatoren zur Herabsetzung der Vernetzungstemperatur eingesetzt. Für Polykondensationsreaktionen haben sich organische Säuren wie die p-Toluolsulfonsäure bewährt. Für die Isocyanatvernetzung kann die Reaktivität über Zugabe tertiärer Amine, Metallseifen und metallorganischer Verbindungen erhöht werden. N-Methyl-Morpholin, Diazabicyclooctan (DABCO) oder Dibutylzinndilaurat (DBTL) sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Bei Epoxidharzen beschleunigen Mannichbasen die Härtung mit Aminen, und Borfluorid aktiviert die ringöffnende Polymerisation der Epoxidgruppen zu Polyethern. Zur Dämpfung der sehr starken Reaktivität des Borfluorids werden häufig dessen Aminaddukte verwendet, die durch Erwärmen wieder gespalten werden und damit das Borfluorid reaktivieren. Die Katalysatoren zur Einleitung und Beschleunigung von Polymerisationsreaktionen, die sog. Initiatoren, bilden eine große Zahl von Untergruppen. An erster Stelle stehen die für die radikalische Härtung ungesättigter Polyester bewährten Peroxide und Hydroperoxide. Dibenzoylperoxid, Cumolhydroperoxid und Tertiärbutylperbenzoat sind nur wenige Beispiele aus der großen Gruppe der Peroxidkatalysatoren. Ihre Spaltung zu Radikalen kann durch Wärme oder Beschleuniger erfolgen. Letztere sind Metallseifen, die in Wechselwirkung mit den Peroxiden diese durch reversible Wertigkeitsänderung schon bei Zimmertemperatur in polymerisationsfähige Radikale verwandeln (Kapitel 2.1.1). Andere Radikalbildner sind Bortrialkyle. Sie zerfallen in Gegenwart von Luftsauerstoff unter Bildung von Trialkylboroxin in Radikale. Moderne Beschichtungsstoffe mit außerordentlich kurzer Vernetzungszeit sind die UV- oder elektronenstrahlhärtenden Lacksysteme (ESH). Während ESH-Lacke unter 188

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

R 6 RB O + 12 R ·

6 BR3 + 3 O2

B O

R = Alkyl

O B

B

R

O

R

Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.227: Zerfall von Bortrialkylen in Gegenwart von Luftsauerstoff

O H Benzoinether

C C OR

O O Benzildimethylketal

CH3

C C O CH3 O

1-Hydroxi-cyclohexyl-phenylketon

Benzophenon

C HO

H

O C

Amin

Abbildung 2.1.228: Photoinitiatoren zur Aktivierung der Vernetzung von UV-Lacken

dem Einfluss von Elektronenstrahlen ohne Hilfsstoffe vernetzen, benötigen durch UVStrahlen aktivierte Filmbildner Sensibilisatoren bzw. Photoinitiatoren (siehe Kapitel 4.3.2 und 5.6.5). Es handelt sich um Hilfsmittel, die entweder durch die energiereichen UV-Strahlen homolytisch oder durch Wasserstoffabstraktion in Radikale gespalten werden. Letztere benötigen zur Radikalbildung Synergisten. Das sind Amine, die aus ihrem Alkylrest ein Wasserstoffatom zur Abstraktion und Radikalbildung bereitstellen. Zur ersten Gruppe gehören Benzoinderivate, Benzilketale und Cyclohexanol-Phenylketon, zur zweiten Benzophenon (siehe Kapitel 2.1.1). Von besonderem technischen Interesse, weil im langwelligen UV-Bereich wirksam, ist das 2,4,6-Trimethylbenzoylphosphinoxid (TPO). Durch Einsatz von TPO gelingt es, auch mit Titandioxid deckend pigmentierte Lacke durch UV-Strahlen auszuhärten. Allerdings sind hierzu entsprechend langwellige Strahler einzusetzen (Kapitel 4.3.2). Beispiele für die chemische Vernetzung durch ionische Polymerisation sind in der Lackiertechnik selten. Die ringöffnende Polymerisation von Oxazolinen zu Polyamiden mit Hilfe von Methyltosylat und die UV-initiierte Polymerisation von Epoxidharzen BASF-Handbuch Lackiertechnik 189

Der Beschichtungsstoff

h

P

C

Beschichtungsstoff

O O

+

P O

O

Abbildung 2.1.229: Spaltung von Trimethylbenzoylphoshinoxid (TPO)

AB

+

h

A

+

B

R A

R

+

O

O A R

R O

+

nR

R

O

A

O

O

n

R

O A

I

PF6

a

S

SbF6

b

Fe

PF6

c

Abbildung 2.1.230: Mechanismus der UV-Härtung von Epoxidharzen und Beispiele für Initiatoren auf Basis von Iodonium (a)-, Sulfonium (b)- und Ferrocenium (c)-Komplexen

durch Katalyse mit Ferrocen-Komplexen oder Sulfonium-Salzen (AB) sind die wichtigsten in diesem Zusammenhang zu erwähnenden Reaktionen. Eine weitere Gruppe der Vernetzungskatalysatoren zur beschleunigten Härtung sind die für die oxidative Härtung von Alkydharzen eingesetzten Sikkative. Sie sind chemisch identisch mit den Beschleunigern für ungesättigte Polyester. Auf die zur Vernetzung der ungesättigten Polyester notwendigen Peroxide kann bei der Härtung von Alkydharzen deshalb verzichtet werden, weil diese während der Filmbildung in den ungesättigten Seitenketten der Alkydharze durch den Luftsauerstoff gebildet werden (Kapitel 2.1.1). 190

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Beschichtungsstoff

Rohstoffe

Abbildung 2.1.231: Sikkative zur Härtung von Alkydharzen

Als wichtigste Sikkative sind Kobalt-, Mangan-, Zink- und Zirkonseifen zu nennen. Die hydrophoberen und damit für das Sikkativ löslichkeitsfördernden Anionen sind Oktoate und Naphthenate, seltener Abietate. Additive helfen auch, Filmeigenschaften wie die visuellen und mechanisch-technologischen Eigenschaften, die thermische Beständigkeit und die Stabilität im Wetter zu verbessern. Visuelle Eigenschaften sind solche, die nach Wechselwirkung von Licht mit einer Beschichtung beim Betrachter einen Sinnesreiz hervorrufen. Die dafür verantwortlichen physikalischen Effekte lassen sich in zwei Klassen einteilen. Zur ersten gehören der durch Reflektion von Licht an der Oberfläche hervorgerufene Glanz, zur zweiten die Farbe, verursacht durch Absorption, Streuung oder Interferenz nach Wechselwirkung des Lichts mit den Farbpigmenten und Effektstoffen im Inneren der Lackierung (siehe Kapitel 3.2.4). Die Aufgabe der glanzbeeinflussenden Additive liegt entweder im Glätten der Filmoberfläche zur Steigerung des Glanzes oder im Aufbau von Mikrostrukturen zur Glanzminderung. Eine Glanzerhöhung durch Additive ist bei vorgegebener Filmbildner- und Pigmentmischung nur durch den Grad der Dispergierung und durch Verlaufsmittel möglich. Eine Glanzminderung wird durch mikronisierte Füllstoffe, wie pyrogene Kieselsäuren, ausschwimmende Wachsdispersionen, mikronisiertes Polyethylen, Naturwachse und Aluminium- oder Zinkseifen erreicht. Andere Additive verbessern die Ausrichtung der plättchenförmigem Effektstoffe entweder z.B. direkt durch Polyethylenwachs-Dispersionen oder indirekt durch Einfluss auf die Fließeigenschaften während der Effektausbildung. Die zu Beginn der Ausrichtung der plättchenförmigen Pigmente noch niedrige Viskosität muss anschließend durch thixotropierende Additive möglichst schnell ansteigen. Bereits vorgestellte Hilfsmittel zur Bekämpfung von Ausschwimmeffekten in Form von Benard’sche-Zellen sind auch hier erfolgreich anzuwenden. Optische Aufheller haben die Aufgabe, durch Fluoreszenz unsichtbares UV-Licht in längerwelliges und damit sichtbares Licht zu überführen. Die Reduzierung von Vergilbungen durch erhöhte Reflexion im Blaubereich oder der hohe Auffälligkeitsgrad von BASF-Handbuch Lackiertechnik 191

Der Beschichtungsstoff

N R

Beschichtungsstoff

N

N

N

Abbildung 2.1.232: Stilben-, Benzimidazol- und Pyrazolinderivate als optische Aufheller

Pigmentierungen für Feuerwehr- oder Polizeifahrzeuge sind auf Fluoreszenz-Effekte zurückzuführen. Je nach Aufgabenstellung werden entweder Stilbenderivate, Benzimidazole oder Pyrazolinderivate als Additive oder spezielle fluoreszierende und damit optisch aufhellende Pigmente dem Beschichtungsstoff beigemengt. Bei der Einstellung sehr spezieller Filmeigenschaften kann der Lackformulierer nicht auf Hilfsstoffe verzichten. Brennbare Objekte aus Kunststoffen und Holz sind für einige Anwendungen mit einer flammhemmenden Lackierung zu versehen. Chlorhaltige Filmbildner sind zwar schwer entflammbar, bilden aber bei hohen Temperaturen durch chemische Zersetzung toxische Spaltprodukte. Im Einsatz sind heute Flammschutzmittel in Form bromhaltiger Additive, deren Aufgabe es ist, mit den bei der Verbrennung entstehenden Radikalen kombinierend zu reagieren, um dadurch die exotherme Kettenreaktion der Verbrennung abzubrechen. Sie werden auch in Kunststoffen eingesetzt [2.4.72]. Die wichtigsten Formulierungen sind die sogenannten „Intumescent Coatings“, die eine optimale Kombination aus ansprechender Oberfläche und Wirkung darstellen [2.4.73] (siehe Kapitel 7.11). Bromierte cycloaliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe sind Flammschutzmittel, die mit Boraten oder Phosphiten synergistisch wirken. Dabei wird durch den dichten Rauch der flüchtigen Reaktionsprodukte die Sauerstoffzufuhr unterbunden. Ein anderer effektiver Flammschutz wird durch die korrespondierende Wirkung anorganischer und organischer Füllstoffe erreicht. Als besonders wirksam haben sich Aluminiumoxidhydrate in Verbindung mit Stickstoff und Kohlendioxid bildenden Verbindungen erwiesen, wenn bei der thermischen Belastung Restkohlenstoff in Form aufgeblähter Krusten zurückbleibt. Zu diesen wirksamen Verbindungen zählen Harnstoff, Methylolharnstoff, Melamin und das vollständig in Gase zerfallende Ammoniumhydrogencarbonat. Eine besonders wichtige Aufgabe von Beschichtungen ist der Schutz des Substrates vor dem schädlichen Einfluss von UV-Strahlen. Letztere sind im Spektrum des Sonnenlichts mit Wellenlängen von 295 bis 400 nm vorhanden. Sie sind wegen ihres hohen Energieinhaltes in der Lage, makromolekulare Werkstoffe wie Holz, Textil, Kunststoff und auch Lackierungen durch Radikalbildung abzubauen. Ein Teil der Radikale bildet neue Verknüpfungen. Dies zusammen mit den Kettenverkürzungen bedeutet einen Verlust an mechanischer Festigkeit bei gleichzeitiger Verringerung der Elastizität. Mangelhafte Kohäsion und Versprödung sind die Folge. Zusätzliche Veränderungen des Farbtons der Substrate wie z.B. beim Holz sind ebenfalls auf fotochemische Reaktionen zurückzuführen (Kapitel 3.3.1). Derartige Schädigungen treten im Substrat aber nur dann auf, wenn die energiereiche Strahlung durch die Lackierung bis zum Substrat vordringen kann. Das ist jedoch nur der Fall, wenn die Pigmente oder Filmbildner nicht zur UV-Absorption befähigt sind. Deshalb ist der Einsatz von UV-Absorbern auch für Klarlacke selbst sinnvoll und notwendig. 192

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

O

H

O

O

O

h.

(a)

(b)

H N

N H

O

h. H

O

N N N

R N N R

O H O

h.

N

- E

N

N

R

H O

N

N

N

- E

H O (c)

H

h. - E

H O N

N N R

Abbildung 2.1.233: UV-Absorption durch mesomere Strukturänderungen am Beispiel der technisch wichtigsten Lichtschutzmittel a) Hydroxibenzophenon, b) Oxalanilide, c) Benztriazole und d) Triazine

Ihre Schutzwirkung nimmt zwar mit der Eindringtiefe des UV-Strahls in die Lackierung wegen zunehmender Wechselwirkung zu, ist aber in der Oberfläche nicht gegeben. Effektiver Lichtschutz ist deshalb nur möglich, wenn die UV-Absorber zum Schutz der Oberfläche durch Radikalfänger ergänzt werden. Diese überführen die durch den Einfluss des Lichtes gebildeten Radikale in stabile Folgeprodukte. Qualitativ hochwertige Klarlacke enthalten für den Langzeitschutz deshalb immer Kombinationen aus Radikalfängern und UV-Absorbern. Wirksame und gleichzeitig chemisch stabile UV-Absorber sind einige anorganische Substanzen, wie mikronisierte Eisenoxide, Ferrocen-Derivate und organische Nickelkomplexe. Alle diese Wirksubstanzen sind wegen ihrer Eigenfarbe in den meisten Fällen jedoch nicht zu verwenden. Werden farblose und gleichzeitig farbstabile UV-Schutzhilfsmittel verlangt, sind Hydroxibenzophenon a), Oxalanilide b), Benztriazole c) und Triazine d) bewährte Substanzen. Ihre Wirkung beruht auf der Fähigkeit, durch UV-Licht reversible mesomere Strukturänderungen einzustellen. Die unterschiedlichen Energieniveaus der Grenzstrukturen führen BASF-Handbuch Lackiertechnik 193

Beschichtungsstoff

- E

O

(d)

H

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.1.234: Absorptionsspektren der gängigen UV-Absorber 

Quelle: Clariant

zu selektiver Absorption von UV-Licht bei gleichzeitiger Überführung der absorbierten Energie in Wärme und Rückführung des UV-Absorbers in den Grundzustand. Die in der Abbildung 2.1.233 vorgestellten UV-Absorber sind lediglich Basissubstanzen. Sie müssen zur Verringerung ihrer Flüchtigkeit noch mit größeren funktionellen Gruppen ausgestattet oder mit den Molekülen der polymeren Matrix chemisch verknüpft werden. Speziell bei zweischichtigen Effektlacken ist wegen der Migrationsneigung eine Zugabe der UV-Additive auch in den Basislack empfehlenswert. Als Radikalfänger kommen sterisch gehinderte Amine, im englischen Sprachgebrauch hindered amine light stabilizers (HALS) zum Einsatz. Sie werden in Gegenwart von Luftsauerstoff durch energiereiche Strahlung in stabile Nitrosylradikale überführt. Diese sind nach Denisov in der Lage, die filmzerstörenden Radikale abzufangen und durch spätere Kombination mit anderen Radikalen dauerhaft zu inaktivieren [2.4.74]. Durch abgestimmte Kombinationen der Lichtschutzmittel erreichen 2-Schicht-MetallicLackierungen Beständigkeiten in Farbstabilität und Glanzhaltung sowie Rissbeständigkeit von mehr als 10 Jahren. Lacke und Lackierungen können als organische Substanzen in einem geeigneten Milieu (Wärme, Feuchtigkeit) auch durch Mikroorganismen angegriffen und dabei ggf. vollständig abgebaut werden. Konservierungsmittel sollen helfen, das zerstörerische Werk von Bakterien, Pilzen oder Algen zu verhindern. Bakterizide, fungizide oder algizide Zusätze dienen nicht nur dem Schutz des Lackes und der Lackierung, sondern auch dem Schutz des Substrates bei biologisch abbaubaren Untergründen, wie z.B. Holz. Bei der Auswahl biozider Hilfsmittel ist deshalb zwischen der Lagerkonservierung, dem Selbstschutz der Lackierung und dem Schutz des Untergrundes zu unterscheiden. Je nach Aufgabe sind dem jeweiligen Verwendungszweck angepasste und entsprechend dosierte Schutzmittel zu verwenden. Besondere Probleme bereiten in diesem Zusammenhang lösemittelarme und schwermetallfreie Wasserlacke. Sie bieten den Mikroor194

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

R' R''

X

+

E( h. +O )

R' R''

2

R1

Beschichtungsstoff

N

+ R1

R2 N O

R' R'' + R2 N R1

O

X = -CH3 (HALS I) für basisches Milieu X = -C CH3

(HALS II)

O für saures Milieu

Abbildung 2.1.235: Wirkungskette von Radikalfängern (HALS) nach Denisov

ganismen die besten Wachstumsbedingungen aller Lacke. Anlagen und Gebinde für Herstellung und Lagerung wässriger Dispersionen werden durch regelmäßiges Spülen mit 0,5%iger Formalinlösung oder konservierende Zusätze von Bariummetaborat sterilisiert. Häufiger wird eine 10%ige Butylglykol-Lösung in Wasser zur Reinigung und Sterilisierung genutzt. Eine besondere Langzeitwirkung bei gleichzeitig ausgewogenem Einfluss auf Pilze und Bakterien wird durch Zusatz von Chlormethylisothiazolinon (CMI), Methylisothiazolinon, locker gebundenes Formaldehyd in Form von N-Methylolchloracetamid oder Tetramethylolacetylendiharnstoff (Tetramethylolglykoluril) als Depotstoffe für die Beschichtungsstoffe erreicht [2.4.75]. Aufgrund ihrer physiologischen Bedenklichkeit sind die hochwirksamen quecksilberorganischen Verbindungen und Chlorphenole aus der Rohstoffpalette der Lackhersteller gestrichen. Auch zinnorganische Verbindungen werden wegen entsprechender Kennzeichnung und den damit verbunden Auflagen zukünftig an Bedeutung verlieren. Neuere Entwicklungen gehen unter Beachtung der toxikologischen Aspekte in zwei verschiedene Richtungen. Biozide Metallionen werden in kristalline Träger eingelagert. Dadurch wird ihre Wirkung quasi im Ionenaustauschverfahren so gut dosierbar, dass für Menschen keine gesundheitlichen Gefahren bestehen. Bewährt haben sich u.a. in Zeolith eingelagerte Silberionen. Ein ganz anderer Weg zu einer effektiven und für den Menschen nicht gefährlichen Konservierung eröffnet sich in der Entwicklung biozider Stoffe, die gezielt in den spezifischen Stoffwechsel der Mikroorganismen einBASF-Handbuch Lackiertechnik 195

Der Beschichtungsstoff

S N CH2 Cl

C

N

O

Beschichtungsstoff

Chlormethylisothiazolinon (CMI) HO CH2

O

N,O-Acetale des Formaldehyds

CH2 OH

N

N

N

N

O

O

H 3C

SO2 CHI2

CH2 OH

HO CH2

Tetramethylolacetylendiharnstoff (Tetramethylolglykoluril)

Diiodomethyl-p-tosylsulfon

O Cl CH2 C N CH2 OH

CH2 O CH2 O CH2

H Hydroximethylen-chloracetamid

Dibenzylformal

Abbildung 2.1.236: Biozide für die Lagerkonservierung

greifen. Erwähnenswert sind die Thiocarbaminate und Verbindungen mit halogenierten Methylthioethergruppen (R-S-CX3). Letztere wirken durch Öffnen der R-S-Bindung und neue Verknüpfung mit den Eiweißmolekülen der Mikroorganismen. Biozide werden nicht nur als Konservierungsmittel für die Lacke, sondern auch für die Haltbarkeit von Beschichtungen z.B. von Fassaden gegen Algenbewuchs eingesetzt. Die Antifouling-Lacke können ebenfalls Biozide in verschiedenen Formen zur Verhinderung des Muschel- und Algenbefalls enthalten (siehe Kapitel 7.11). Die Biocide Product Directive (BPD) der EU und die in 2012 verabschiedete aktuelle Regulierung hat zum Ziel, die Biozide bezüglich ihrer Wirkung auf Umwelt und Mensch im Zusammenhang mit einer Produkt-und Anwendungsbewertung neu zu klassifizieren und kritische Produkte zu eliminieren (siehe Kapitel 5.4) [2.4.76].

2.1.5 Nanoprodukte 2.1.5.1

Beschreibung und Definition

Noch vor wenigen Jahrzehnten war es üblich, die einzelnen Ingredienzien für Beschichtungsstoffe allein nach ihrer chemischen Natur zu charakterisieren und zu klassifizieren. Mittlerweile hat sich ein ergänzendes, von der chemischen Zusammensetzung weitgehend unabhängiges Einteilungsprinzip etabliert. 196

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Rohstoffe

Mit abnehmender Teilchengröße gewinnen die wechselwirkenden Oberflächen- bzw. Grenzflächeneigenschaften Bedeutung. Der für die Lackiertechnik interessante Bereich von Partikeln bzw. Oberflächenstrukturen liegt in der Größenordnung 50 bis 300 Nanometer, also deutlich höher als die Ausdehnung von Molekülen, aber klein genug, um einen Teil der üblichen Stoffeigenschaften zu verlieren. Solche Teilchengrößen abhängigen Eigenarten gelten nicht nur für isometrische Teilchen. Ein ähnliches Verhalten zeigen auch strukturierte Oberflächen, wenn die Strukturmerkmale sich in der gleichen Größenordnung befinden. Neben 3-dimensionalen Partikeln sind quasi 2-dimensionale Nanoblättchen und 1-dimensionale Nanofasern von gleichem Interesse. Dabei wird das Intervall zwischen 50 und 300 Nanometern als Toleranzbereich bezeichnet, in dem die Oberflächeneigenschaften mit zunehmenden quantenphysikalischen Effekten gegenüber den Volumeneigenschaften dominieren. Die Definition der Europäischen Kommission von Nanoapartikeln ist allerdings noch weiter nach unten gefasst: 1 bis 100 nm [2.4.77]. In der Definition des BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) heißt es: Nanotechnologie beschreibt die Herstellung, Untersuchung und Anwendung von Strukturen, molekularen Materialien, inneren Grenz- und Oberflächen mit mindestens einer kritischen Dimension 90°

α

α < 90°

Pi

La

cos

σPi

α = 0° (Spreiten)

+

Pi / La

cos

Pi

-

σPi/L a

Pi / La La

Abbildung 2.2.7: Benetzung von Oberflächen in Abhängigkeit von der Grenzflächenspannung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 217

Beschichtungsstoff

2.2.3.2

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

V

r

3

La

k

V

Eindringvolumen

r

durchschnittlicher Radius der Kapillaren

cos l

La

Oberflächenspannung des Lackes Benetzungswinkel Viskosität

l

Länge der Kanäle

Abbildung 2.2.8: Washburn-Gleichung zur Berechnung des Eindringverhaltens in Pigmentagglomerate

PVK PVKmax

FKopt

Festkörper

PVK = Pigmentvolumenkonzentration

Abbildung 2.2.9: Abhängigkeit der optimalen Mahlgutformulierung vom Festkörper für die Dispergierung

nung jedoch verlangsamt. Aus der Washburn-Gleichung, einer aus dem Hagen-Poiseuilleschen Gesetz abgeleiteten Beziehung, geht hervor, dass die Eindringgeschwindigkeit V∙ von Harzlösungen in die Hohlräume der Agglomerate sehr sensibel vom Radius der Hohlräume r abhängt (siehe Kapitel 2.3.2). Möglichst hohe Oberflächenspannungen σLa fördern die Benetzung der Hohlraumwände, solange sie noch kleiner als die des Pigmentes sind. Hohe Viskositäten η verlangsamen das Eindringen.

Niedrigere Oberflächenspannungen der Harzlösung für die Benetzung und hohe Oberflächenspannung für ein schnelles Eindringen in die Hohlräume in gleicher Weise anzustreben, bedeutet, dass für jedes Pigment der optimale Harzfestkörper und damit die dispergierfreundlichste Mischung gefunden werden muss. Das Pigmentaufnahmevermögen von Polymerlösungen und die Benetzungsgeschwindigkeit sind somit festkörperabhängige Größen. Günstigste Verhältnisse sind immer dann gegeben, wenn die Benetzung und die Durchfeuchtung durch entsprechende Einstellung von Viskosität und Oberflächenspannung auf die spezifischen Verhältnisse abgestimmt sind. Mischungen mit minimaler Grenzflächenspannung erlauben deshalb, die Pigmente mit relativ wenig Harzlösung in einen fließfähigen und damit dispergierbaren Zustand zu überführen. Die erzielbare Pigmentvolumenkonzentration der Mischung aus Harzlösung und Pigment nimmt dann ein Maximum an. Die Zusammensetzung der Rohstoffe bei der für ein fließfähiges Dispergiergemisch maximalen Pigment-/Volumenkonzentration wird deshalb als optimale Mahlgutformulierung bezeichnet, optimal jedoch nur insofern als lediglich oberflächenphysikalische Gesichtspunkte ohne Beachtung der später noch zu beschreibenden stoffspezifischen und maschinentechnischen Einflüsse berücksichtigt wurden. 218

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Neben der Teilchenform und der Teilchengröße der Pigmente ist auch die Teilchengrößenverteilung von besonderem Einfluss auf die Dispergiergeschwindigkeit. Dabei sind große Teilchen mit einer engen Verteilung im Vergleich zu den kleineren mit einer breiteren Verteilung besser zu dispergieren. Für die vollständige Beschreibung des Dispergierprozesses ist auch der chemische Charakter der Pigmentoberfläche zu berücksichtigen. Polare Oberflächen sind zwar besser benetzbar als unpolare, die Anziehungskräfte der Primärteilchen untereinander jedoch höher. Die Pigmentagglomerate sind fester und deshalb auch schwerer voneinander zu trennen. Dass die Dispergiergeschwindigkeit auch eine Funktion des Harz-/Lösemittelverhältnisses ist, wurde bereits erwähnt. Mit zunehmendem Festkörper, d.h. mit zunehmender Viskosität sinkt die Dispergiergeschwindigkeit. Hohe Viskositäten sind zwar zur Übertragung von Scherkräften in das Dispergiergut in Dispergiermaschinen anzustreben, wegen der schlechteren Benetzung und dem langsameren Eindringen in die Hohlräume jedoch nachteilig. Neben der schon beschriebenen Viskosität und Oberflächenspannung der Filmbild­ nerlösung beeinflusst die Größe der Filmbildnermoleküle das Dispergierverhalten. Besonders dispergierfreudig sind Harze dann, wenn sie bei relativ niedriger Viskosität einen hohen Festkörper besitzen. Kleine Harzmoleküle sind polarer und können zusätzlich besser in die Hohlräume eindringen. Sie bieten aufgrund des hohen Festkörpergehaltes auch ein hohes Angebot an Filmbildnermolekülen für die vollständige Belegung der Pigmentoberflächen. Nicht allein die Molekülgröße, sondern auch die Molekülform ist von Einfluss auf das Eindringvermögen in die Hohlräume der Agglomerate. Starre und lange Molekülketten wie die des Cellulosenitrats sind schon aus sterischen Gründen trotz guter Affinität zur Pigmentoberfläche weniger in der Lage, eine vollständige Benetzung herbeizuführen. Unter den vielen Harztypen (siehe Kapitel 2.1.1) haben sich niedermolekulare Alkydharze als besonders gute Filmbildner für eine optimale Dispergierung von Pigmenten herausgestellt. Sie besitzen polare Gruppen, trotzdem gutes Benetzungsverhalten und einen hohen Festkörper. Auch Lösemittel bzw. Lösemittelkombinationen beeinflussen durch Art und Menge die Viskosität und die Oberflächenspannung und bestimmen zusätzlich die Anordnung der als Knäuel vorliegenden Harzmoleküle. Da die niedermolekularen Lösemittelmoleküle gegenüber den Filmbildnern eine wesentlich größere Beweglichkeit besitzen, dringen sie in Hohlräume der Agglomerate auch schneller ein. Sie verursachen beim Dispergieren eine Vorbenetzung, die sog. Pseudo-Benetzung der Pigmentoberflächen [2.4.95]. Lösemittelart und Filmbildnerpolarität sind so aufeinander abzustimmen, dass BASF-Handbuch Lackiertechnik 219

Beschichtungsstoff

Zur Charakterisierung des stoffspezifischen Dispergierverhaltens von Pigmenten dienen verschiedene Kennzahlen. Diese sind u.a. die Ölzahl und das Benetzungsvolumen (siehe Kapitel 2.3.3). Die Ölzahl erlaubt bei bekannter Pigmentoberfläche eine Aussage über das Benetzungsverhalten der Pigmente. Verwendet man anstelle von Leinöl eine Harzlösung, so wird die Ölzahl zum Netzpunkt. Mit Hilfe der Bestimmung der Netzpunkte mit Bindemittel-/Lösemittelgemischen unterschiedlicher prozentualer Zusammensetzung erlaubt die PVK die optimale Mahlgutzusammensetzung zu ermitteln.

Der Beschichtungsstoff

Einzelpartikel

Druck- und Scherbeanspruchung

Partikelbett

Scherbeanspruchung Schneiden (Scherbeanspruchung)

Beschichtungsstoff

Druckbeanspruchung

v2

Prallbeanspruchung

v

v1

u0 u = f(y)

Scherbeanspruchung durch fluides Medium

y0 y

ωp

xp

Abbildung 2.2.10: Methoden der Partikelzerkleinerung

die Pseudobenetzung durch Lösemittel anschließend durch ihren Austausch mit Filmbildnermolekülen in eine echte Stabilisierung überführt wird. Durch die physikochemischen Wechselwirkungen der Pigmente mit der Harzlösung kann nur ein Teil der Agglomerate zerstört werden. Eine vollständige Überführung in das Primärkorn bei gleichzeitig bester Pigmentbenetzung ist nur durch zusätzliche Übertragung von mechanischen Kräften auf die Pigmente erreichbar. Von den üblichen Methoden (siehe Abbildung 2.2.10) kann bei gleichzeitiger Forderung nach Erhalt des Primärkorns nur die schonende Methode der Übertragung von Scherkräften in laminaren Strömungen viskoser Medien benutzt werden. Unter Viskosität ist in diesem Zusammenhang nicht die messbare Viskosität des ternären Bindemittel/Pigment/Lösemittel-Gemisches zu verstehen. Ausschlaggebend für die Übertragung von Scherkräften ist ausschließlich die erheblich niedrigere Viskosität der pigmentfreien Harzlösung [2.4.96]. Es ist bereits erwähnt worden, dass durch Viskositätsanhebungen der Harzlösung zwar höhere Scherkräfte zu übertragen sind, auf der anderen Seite aber wegen des langsameren Eindringens in die Kapillaren der Agglomerate die Dispergiergeschwindigkeit in summa sinken kann (s.o.). Auf eine ausgewogene Abstimmung von Viskosität und Schergefälle ist deshalb bei der Ausarbeitung von Rezepten und Arbeitsanweisungen zu achten. Zur Übertragung von Scherkräften auf Pigmentagglomerate durch laminare Strömungen viskoser Fluide sind zahlreiche Dispergiermaschinen entwickelt worden. Die wichtigsten sind der für leicht dispergierbare Pigmente geeignete Dissolver, der Dreiwalzenstuhl für hochviskose Pasten und die sehr effektiven Rührwerkmühlen für den universellen 220

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Dreiwalze

Kugelmühle

Rührwerkmühle

Beschichtungsstoff

Dissolver

Abbildung 2.2.11: Schemazeichnungen der wichtigen Dispergiergeräte: Dissolver, Dreiwalzenstuhl, Kugelmühle und Rührwerksmühle

Einsatz. Vereinzelt werden auch noch die im Vergleich zu den Rührwerkmühlen und Dissolvern unwirtschaftlichen Kugelmühlen eingesetzt. Wenn auch die Konstruktion dieser Geräte sehr unterschiedlich ist, so haben sie doch alle das gleiche Funktionsprinzip. Sie erlauben die Übertragung von Scherkräften in laminaren Strömungsgefällen bei gleichzeitiger dispergierfördernder Zug-Druck-Beanspruchung (siehe Kapitel 2.3.3). Bei den Dissolvern bewegt sich eine Zahnscheibe mit hoher Drehzahl in einem angepassten Gefäß mit glatten Wandungen. Sie überträgt durch Zentrifugalkräfte derart hohe Energiemengen auf das radial abgeschleuderte Mahlgut, dass eine Agglomeratzerteilung möglich wird. Ein anderer Typ von Dissolvern sind die Rotor-Stator-Geräte, die auf kleinem Raum durch Zentrifugal- und Scherkräfte dispergieren können. Kugelmühlen sind Hohlzylinder, die während des Betriebes um eine horizontale Achse rotieren. Sie werden bis zu einem gewissen Grade mit Mahlkörpern, meistens SteatitBASF-Handbuch Lackiertechnik 221

Der Beschichtungsstoff

oder Stahlkugeln gefüllt. Durch Bewegung der Mahlkörper relativ zueinander und zur Trommelwand werden aneinander vorbei gleitende Reibflächen erzeugt, in denen die Dispergierung erfolgt.

Beschichtungsstoff

In den in großer Vielfalt eingesetzten Rührwerkmühlen werden wie in den Kugelmühlen Mahlkörper bewegt. Diese sind jedoch erheblich kleiner als die mehrere Zentimeter großen Kugeln in den Kugelmühlen. Die nur Millimeter großen Kugeln müssen zum Aufbau von hohen Relativbewegungen zueinander künstlich bewegt werden. Dreiwalzenstühle besitzen eine in ortsfesten Lagern ruhende Mittelwalze, gegen die von beiden Seiten je eine in der Ebene bewegliche Walze mit hohem Druck angepresst wird. Die drei Walzen werden in gegenläufiger Drehrichtung mit unterschiedlichen Drehzahlen angetrieben, wobei die Geschwindigkeit von der Aufgabe- über die Mittel- zur Abnahmewalze gesteigert wird. Man gibt das Mahlgut in den keilförmigen Raum, der von der Aufnahme- zur Mittelwalze gebildet wird. Dieses passiert dann die Walzenspalte, um danach über die Mittelwalze zur Abnahmewalze transportiert zu werden. Dort befindet sich ein Abstreifmesser, welches das dispergierte Material in einen separaten Behälter überführt. 2.2.3.3

Stabilisierung von Pigmentdispersionen

Die durch den Dispergierprozess herbeigeführte gleichmäßige Verteilung der Pigmente ist nur dann eine brauchbare technische Lösung, wenn der Zustand der Verteilung auch bei der Konfektionierung, der Lagerung und der Verarbeitung sowie der anschließenden Filmbildung erhalten bleibt. Die Wiedervereinigung der Primärteilchen würde zu einer Glanzminderung und Veränderung der Farbstärke führen. Weitere Nebeneffekte wären Farbtonverschiebungen bei Pigmentmischungen, Stippen und Bodensatz. Werden durch den Dispergierprozess die Oberflächen der Pigmente derart verändert, dass im Falle einer Kollision keine Adhäsion und damit kein Agglomerieren stattfindet, ist die notwendige Stabilisierung erreicht. Bei der Herstellung von pigmentierten Beschichtungsstoffen darf der Benetzungs- und Homogenisierungsprozess der Pigmente also nicht ohne Berücksichtigung der Stabilität des erhaltenen Produktes betrachtet werden. Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen sind Aufwand und Methode der Dispergierung immer in Relation zur Belegung der Pigmentoberfläche mit Stoffen zu setzen, die zur Stabilisierung des Produktes beitragen. Diese kann im Prinzip auf zwei Arten erreicht werden. Während in polaren Medien die Ausbildung von elektrischen Doppelschichten für die Stabilisierung vorherrschend ist, dominieren in unpolarer Umgebung sterische, osmotische und entropische Phänomene. Alle Mechanismen können dabei allein oder gemeinsam wirken. Unter thermodynamischer Betrachtung muss nach der Gibbs-Helmholtz-Gleichung G

H- T S

bei vorhandener Stabilisierung der sich nähernden Pigmente die Änderung der freien Enthalpie ∆G positiv sein. Ein solcher Fall liegt dann vor, wenn die Entropie ∆S sich bei Annäherung verkleinert oder die Enthalpie ∆H sich vergrößert. Hat eine der beiden Variablen zur anderen ein umgekehrtes Vorzeichen, so ist die Stabilisierung dann noch gegeben, wenn die Differenz beider Größen einen positiven Wert annimmt. Ändern sich die Entropie positiv und gleichzeitig die Enthalpie negativ, ist keine Stabilisierung zu erreichen. 222

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Eine der ersten und heute noch aktuellen Theorie zur Deutung der Stabilität von Dispersionen, seien es Harzpartikeln oder Pigmente, wurden von den Russen Derjaguin und Landau [2.4.97] und unabhängig davon durch Abbildung 2.2.12: Abstoßen der Teilchen beim Durchdringen der Verwey und Overbeek [2.4.98] in gleichsinnigen Ladungswolken den Niederlanden entwickelt. Sie ist eine relativ einfache und deshalb für die Praxis brauchbare Methode zur Beschreibung von Oberflächenenergien, wenn ein polares, d.h. ionenbildendes Milieu vorliegt. Die unter dem Begriff DLVO-Theorie bekannten mathematischen Zusammenhänge erklären, dass eine Pigmentdispersion dann stabil ist, wenn die durch Ionenadsorption an der Oberfläche wirksamen Abstoßungskräfte die van der Waal’schen Anziehungskräfte übersteigen. V T = VA + VR Die gesamte potenzielle Oberflächenenergie VT setzt sich aus den Termen der Attraktion VA und der elektrisch bedingten Repulsion VR zusammen. Elektrische Doppelschichten bilden sich durch Adsorption von Ladungsträgern an der Pigmentoberfläche, die die beweglichen Gegenladungen der Umgebung überproportional in Form einer Ionenwolke an sich ziehen. Bei Annäherung der gleichsinnig geladenen Ionenwolken zweier Teilchen werden bei gegenseitigem Durchdringen die abstoßenden Kräfte wirksam. Zur exakten Beschreibung der Verhältnisse in der Umgebung von stabilisierten Pigmentoberflächen dienen die Modellvorstellungen von Helmholtz, Gouy und Stern [2.4.99]. Alle Autoren sind sich darin einig, dass sich durch die Adsorption von Ladungsträgern ein elektrisches Potenzial von der Pigmentoberfläche zu den frei beweglichen Gegenionen der Umgebung ausbildet. Über den genauen Potenzialverlauf sind die Ansichten allerdings unterschiedlich. Während Helmholtz entsprechend einem Kugelkondensator einen linearen Abfall des Potenzials zu den in kurzer Distanz zur Umgebung angeordneten Gegenionen annimmt, sehen Gouy und Stern den Potenzialverlauf komplizierter. Gouy postuliert einen Potenzialabfall in Form einer e-Funktion. Stern hingegen kombiniert das Helmholtz’sche Modell mit dem von Gouy. In der Umgebung der Pigment- bzw. Dispersionsteilchen zeigt sich zunächst ein linearer Potenzialabfall, an den sich ein Potenzialverlauf mit einer e-Funktion anschließt. Alle drei Modelle sind für die Praxis anwendbar. Während sich konzentrierte Lösungen weitgehend nach dem Helmholtz’schen Modell beschreiben lassen, gehorchen extrem stark verdünnte Lösungen dem Modell von Gouy. Die Stern’sche Theorie ist demzufolge für reale Lösungen die geeignetste. Aufgrund der einfacheren Handhabbarkeit des Gouy’schen Modells sollen die folgenden Überlegungen sich auf dieses Modell beschränken. Ist φ0 das Potenzial an der Grenzschicht zum Pigment, so gilt für das Potenzial φ im Abstand d 0

e

d

BASF-Handbuch Lackiertechnik 223

Beschichtungsstoff

Stabilisierung durch elektrische Doppelschichten

Der Beschichtungsstoff

ϕ0

ϕ0

ϕ0 Linearteil

Beschichtungsstoff

lineare Funktion

Helmholtz

e-Funktion

d

e-Funktion

d

Gouy

Stern

d

d = Abstand von der Pigmentoberfläche

Abbildung 2.2.13: Potenzialverlauf elektrisch stabilisierter Pigmente

Dabei kommt der Größe χ insofern eine praktische Bedeutung zu, als sie indirekt eine Aussage über die Dicke der elektrischen Doppelschicht macht. 1/χ ist die Schichtdicke, bei der das Potenzial φ auf φ0/e abgefallen ist. Nach der Theorie von Debey und Hückel gilt, wobei

8

e0 1000 k T

J

J

1 2

n i=1

(c i - zi2 )

ci

Konzentration

zi

Wertigkeit

e0

Elementarladung Dielektizitätskonstante

k

Boltzmannkonstante

T

absoluteTemperatur

dass χ der Wurzel der Ionenstärke J direkt proportional ist. J setzt sich aus dem Produkt der Ionenkonzentration ci und dem Quadrat der Wertigkeiten zi2 aller Ionen zusammen. Damit wird die Dicke der elektrischen Doppelschicht auch durch die Art und Menge des Elektrolyten festgelegt. Die Stabilisierung von Pigmentdispersionen ist dann besonders gut, wenn die Reichweite der elektrischen Doppelschicht groß ist. Entsprechend obiger Formeln nimmt diese aber mit zunehmender Elektrolytkonzentration ab. Damit ist eine größere Annäherung der Teilchen möglich und eine Abnahme der Pigmentstabilisierung die Folge. Hat hingegen bei niedriger Konzentration die aus frei beweglichen Ionen bestehende Doppelschicht eine größere Reichweite, so ist bei Annäherung von zwei Pigmentteilchen schon bei größerer Distanz die gegenseitige Durchdringung der Doppelschichten gegeben. Eine abstoßende Wirkung setzt deshalb schon bei größeren Abständen ein. Nach der DLVO-Theorie gilt für die Abnahme der Van der Waal’schen Anziehungskräfte VA in Abhängigkeit vom Abstand zur Oberfläche 224

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

VA s

R r

s2 - 4 2 2 + 2 + ln s - 4 s s2 2

R = Abstand der Partikemittelpunkte r = Teilchenradius A = Hamaker-Konstante

Für kurze Abstände gilt näherungsweise: A VA wobei 12 d2

d

R- 2 r

Die DLVO-Theorie erlaubt auch die Abschätzung der abstoßenden Kräfte Dieses ist für rel. große Teilchen ( r >> 1) r 02 ln (1 + e- d ) d+2 r bzw. für rel. kleine Teilchen ( r ζ2

ζ1 ζ2 δ a. elektrische Stabilisierung

d

δ

d

b. elektrisch-sterische Mischstabilisierung

Abbildung 2.2.18: Mischstabilisierung von Pigmenten und die Auswirkung auf das Zeta-Potenzial

Mischstabilisierung Theoretische Überlegungen zur Stabilisierung von Pigmentoberflächen werden in ihrer Korrelation zur Praxis dadurch erschwert, dass sich verschiedene Stabilisierungsmechanismen überlagern können. Erkannt wurden Mischformen der Partikelstabilisierung bei der Berechnung elektrisch stabilisierter Goldsole nach Zugabe von nichtionischem Polyethylenglykol. So entdeckten Heller und Pugh, dass durch Zugabe von Polyethylenglykol zu elektrisch stabilisierten Goldsolen die bereits vorhandene Stabilisierung noch zu verbessern ist [2.4.105]. Sie ist bei zunehmender Konzentration und Kettenlänge des zwar hydrophilen, aber nicht ionogenen Polyethers noch zu steigern. Dieser Effekt ist auf die Beweglichkeit der an der Goldoberfläche adsorbierten Makromolekülketten des Polyethers zurückzuführen und stellt somit eine ergänzende sterische Stabilisierung dar. Solche Kombinationen aus sterischer und elektrischer Stabilisierung werden bei pigmentierten Beschichtungsstoffen ebenfalls häufig beobachtet. Das Zeta-Potenzial, bei alleiniger elektrischer Stabilisierung ein Maß für die Stabilität von Pigmentverteilungen, kann bei kombinierten Stabilisierungen wegen der dickeren, nicht mehr abschätzbaren immobilen Flüssigkeitshülle nicht als Hauptkriterium für die Stabilisierung herangezogen werden. Das Zeta-Potenzial wird herabgesetzt, ohne dass eine Beeinträchtigung der Stabilisierung die Folge ist. Im Gegenteil, die Anwesenheit frei beweglicher Molekülketten führt bei Annäherung von zwei Pigmentartikeln zu einer Entropieabnahme und damit zu einer zusätzliche Stabilisierung. Grenzen der Stabilisierung Trotz bestmöglicher Stabilisierung können sich bei genügend hoher kinetischer Energie, z.B. bei höheren Temperaturen, die Primärteilchen bis in den Bereich der Anziehungskräfte nähern. Das Ergebnis ist eine Pigmentflokkulation. Die so gebildeten Flokkulate sind allerdings häufig durch relativ geringe Scherkräfte wieder voneinander zu trennen. Unter bestimmten Bedingungen treten jedoch Zwangsannäherungen ein, die irreversible Materialveränderungen nach sich ziehen. Flokkulationen durch Lösemittelentzug sowie durch ungenügende Belegung der Pigmentoberflächen können trotz optimaler BASF-Handbuch Lackiertechnik 229

Beschichtungsstoff

beobachtet, wenn Harzmoleküle mehrere polare Gruppen besitzen und dadurch in der Lage sind, mehrere Pigmentteilchen zu vereinigen. Derartige Destabilisierungen werden auch dann beobachtet, wenn entweder die Kettenlänge der schützenden Polymerhülle über ein optimales Maß hinausgeht oder bei höherer Konzentration und gleichzeitig sehr polaren Lösemitteln in Analogie zur Mizellenbildung Kettenverschlingungen und Verschlaufungen auftreten [2.4.104].

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.19: Pigmentschock durch Konzentrationsunterschiede der Lösemittel in der Paste und in dem Auflackharz

Dispergierung und bester Stabilisierung bei falscher Behandlung des Dispergiergutes beim Auflacken von Pigmentkonzentraten eintreten. Im Einzelnen sind aus der täglichen Praxis der Lackiertechnik der Pigmentschock und der Lösemittelschock zu nennen. Da sich die Mahlgutzusammensetzung aus den besten Bedingungen für die Dispergierung ergibt (z.B. niedriger Festkörper wegen niedriger Viskosität und Oberflächenspannung), die Bindemittel-, Lösemittel- und Pigmentanteile im fertigen Beschichtungsstoff aber den Anforderungen an die zu erzeugende Beschichtung gerecht werden müssen, besitzt das Mahlgut häufig eine andere Zusammensetzung als das Endprodukt. Beim Auflacken des Mahlgutes werden in der Regel Filmbildner mit höherem Festkörper als der des Mahlgutes zugesetzt, dabei können diese der Paste Lösemittel entziehen und durch die Abnahme des Pastenvolumens und die damit verbundene Annäherung der Pigmente beim Komplettieren Zwangsflokkulationen herbeiführen. Gründe für die weitgehende Zerstörung der Pigmentdispersion liegen in osmotischen Vorgängen, bedingt durch Konzentrationsunterschiede bei gleichzeitig unterschiedlicher Beweglichkeit von Lösemittel- und Filmbildnermolekülen. Zu verhindern ist der Pigmentschock durch Einstellen nur geringer Unterschiede der Filmbildnerfestkörper in der Mahlpaste und der Auflacklösung sowie durch eine schnelle Homogenisierung durch intensives Rühren. Der gleiche Effekt einer Pigmentflokkulation kann eintreten, wenn nicht mit höherer, sondern mit niedrigerer Bindemittelkonzentration, im Extremfall nur mit Lösemitteln operiert wird. Dies geschieht beim Lackverbraucher bei der Einstellung des Lackmaterials auf Spritzviskosität tagtäglich. Wegen der hohen Beweglichkeit dringen die Lösemittelmoleküle schnell und in großer Menge in den pigmentierten Beschichtungsstoff ein. Dabei kann lokal die stabilisierende Filmbildnerschicht mehr oder weniger stark durch Lösemittel ersetzt werden. Lösemittelschocks sind immer dann zu erwarten, wenn Pigmentdispersionen mit zu polaren Lösern versetzt werden. Das Einstellen auf Verarbeitungsviskosität sollte deshalb nur mit der vom Lackhersteller vorgeschriebenen Verdünnung bei gleichzeitig gutem Rühren erfolgen. Die beim Auflacken, Mischen oder Einstellen durch unsachgemäße Behandlung von Beschichtungsstoffen einsetzende Reagglomerierung führt zu einer Erhöhung der durchschnittlichen Teilchengröße und damit zu einer Abnahme der Farbstärke. Beide 230

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Abbildung 2.2.20: Lösemittelschock durch unsachgemäße Zugabe von Lösemitteln

Phänomene werden zur Beurteilung des Flokkulationsgrades herangezogen. Die durch Flokkulation erhöhte Teilchengröße führt zu einer beschleunigten Sedimentation, die als Kenngröße herangezogen wird (siehe Kapitel 2.3.4). Eine weitere aussagekräftige Methode zur Ermittlung des Flokkulationsgrades von farbigen Anstrichstoffen ist der Rub-out-Test. Er ist nichts anderes als das manuelle Verreiben eines frisch aufgetragenen Lackfilms und die anschließende Beurteilung der durch das Verreiben hervorgerufenen Farbtonveränderung (siehe Kapitel 2.3.4). 2.2.3.4

Optimale Mahlgutformulierung

Das Ziel des Lackherstellers besteht darin, möglichst viel Pigmentpulver in kurzer Zeit mit möglichst geringem Aufwand in das stabilisierte Primärkorn zu überführen, deshalb unterscheiden sich Mahlgutrezepturen von denen der verkaufsfähigen Beschichtungsstoffe zum Teil erheblich. Um die für das jeweilige Pigment minimale Menge an Harzlösung herausfinden zu können und gleichzeitig die Dispergierzeit zu verkürzen, hat es sich bei Lackfarben, deren Farbton nur mit mehreren Pigmenten einstellbar ist, bewährt, diese einzeln zu dispergieren. Die so gefertigten Pigmentpasten werden nach vorgegebenem Rezept später gemischt und auf die geforderte Endzusammensetzung eingestellt. Die Lackhersteller produzieren deshalb zahlreiche Pasten bzw. Pastenreihen mit maximalem Pigmentanteil. Diese werden dann auf eine standardisierte Farbstärke eingestellt und bevorratet. Die Abwicklung eines Kundenauftrags beschränkt sich so auf Misch- und Komplettiervorgänge. Ein großer Zeitgewinn und eine schnelle Lieferfähigkeit sind Vorteile, die einer aufwendigen Lagerhaltung von zum Teil mehr als 30 solcher Pasten pro Qualitätsreihe gegenüber stehen. Es ist für den Lackhersteller aus ökonomischen und den im vorigen Kapitel beschriebenen qualitativen Gründen von besonderer Bedeutung, die optimale Mahlgutzusammensetzung zu bestimmen und sie bei der Rezeptgestaltung zu berücksichtigen. Dieses geschieht durch die Ermittlung des Festkörpers einer Filmbildnerlösung, bei dem eine vorgegebene Pigmentmenge mit einem Minimum an Harzlösung in ein fließfähiges Gemisch überführt werden kann. Zur besseren Beurteilung quantifiziert man das Pigmentaufnahmevermögen durch Kennzahlen. Eine wichtige Kennzahl zur Bestimmung optimaler Mahlgutzusammensetzungen ist die Fließzahl. Sie ist definiert als das Volumen einer Filmbildnerlösung, das benötigt wird, um eine vorgegebene Pigmentmenge in einen fließfähigen Zustand BASF-Handbuch Lackiertechnik 231

Beschichtungsstoff

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.21: Lackherstellung mit Farbpasten

Quelle: Andrey Kuzmin/Magnum – www.Fotolia.com

zu versetzen. Charakterisiert wird dieses Verhalten dadurch, dass das Gemisch in einem zusammenhängenden Faden von einem Glasstab abfließt (siehe Kapitel 2.2.3.2). Überträgt man die aus den einzelnen Fließpunkten ermittelten Zusammensetzungen der ternären Gemische aus Filmbildner, Lösemittel und Pigment in ein Konzentrationsdreieck, so sind die Bereiche der fließfähigen Mischungen anschaulich graphisch darzustellen. Verlängert man die beiden Enden der Fließpunktkurve bis an die Dreiecksseiten und schraffiert den Bereich der überkritischen Pigmentierung, so enthält das von der Kurve eingeschlossene Gebiet mit Ausnahme des schraffierten, überkritischen Bereichs alle fließfähigen Bindemittel-/Lösemittel-/Pigment-Gemische. Überkritisch pigmentierte Mahlgutzusammensetzungen liegen oberhalb der kritischen PigmentVolumen-Konzentration (KPVK), bei denen das Volumen des Filmbildners das der Räume zwischen den Pigmenten unterschreitet (siehe vorher). Die KPVK lässt sich aus dem Schüttvolumen der Pigmente berechnen und muss in die Gewichtskonzentrationen KPGK bei der Eintragung in das Konzentrationsdreieck umgerechnet werden. In den meisten Fällen sind für eine wirtschaftliche Produktion weitere Korrekturen der Mahlgutformulierung vorzunehmen. Gründe dafür liegen u.a. darin, dass die Methode der Fließpunktbestimmung das rheologische Verhalten der Paste nach der Dispergierung und die Eigenart der Dispergiermaschine nicht berücksichtigt. Auf der Suche nach der für eine ökonomische Produktion unter realistischen Aspekten optimalen Zusammensetzung der Rohstoffe kann deshalb auf ergänzende Versuche mit variierenden 232

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Aufgrund der sehr unterschiedlichen Beanspruchung des Mahlgutes in den verschiedenen Dispergiermaschinen müssen die Rezepturen den Maschinen angepasst werden. Dissolverrezepturen unterscheiden sich erheblich von denen, die für Rührwerkmühlen oder Dreiwalzenstühle konzipiert wurden. Der Dissolver erreicht nur mittlere Schergefälle. Zur optimalen Dispergierung von Pigmenten ist deshalb der sich unter Scherung einstellenden aktuellen Viskosität besondere Beachtung zu schenken. Thixotropisches Verhalten des Mahlgutes ist unbedingt zu vermeiden.

FB (Filmbildner)

KPVK umzur echnen in die KPGK

KPGK

Lin ie n he ers Bind gle c i em ich gle tkörp e i itte en Lin z-Fes l-V Pig r erh me Ha ält nt/ nis se s

Pigment

Lösemittel

Abbildung 2.2.22: Konzentrationsdreieck zur Darstellung der Fließkurven in Abhängigkeit vom Filmbildner, Lösemittel und Pigment

FB (Filmbildner)

La2

La1

Pa

Walzenstühle zeichnen sich bei vorgegebener DrehzahldifPigment Lösemittel ferenz der einzelnen Walzen wegen des konstanten Walzen- Abbildung 2.2.23: Erläuterung des Pigmentschocks beim Auflacken abstandes durch ein konstantes anhand des Konzentrationsdreieckes Schergefälle aus. Wegen der Zwangsförderung durch den Spalt können Mahlgutmischungen eine relativ hohe Viskosität annehmen. Der Harzfestkörper bzw. der Bindemittelanteil oder die Pigmentierungshöhe des Mahlgutes sind bei Walzenstuhlrezepturen dementsprechend hoch. Die hohe Drehzahl von Rührwerkmühlen fordert niedrigere Viskositäten und damit häufig höhere Lösemittelgehalte. Die Anpassung des rheologischen Verhaltens führt bei Rezepturen für Rührwerkmühlen häufig zu ausgesprochen filmbildnerarmen Rohstoffmischungen. Letzteres sollte, um Pigmentschocks zu vermeiden, beim Auflacken von Pigmentpasten beachtet werden. Die Gefahr eines Pigmentschocks ist durch InterpretaBASF-Handbuch Lackiertechnik 233

Beschichtungsstoff

Rohstoffmischungen nicht verzichtet werden. Das rheologische Verhalten des Mahlguts verändert sich durch die Abnahme der Teilchengröße erheblich. Häufig steigen dabei die Viskosität und der Grad der Strukturviskosität an. Die Fließpunktmethode erleichtert die Arbeit allerdings insofern, als ein Großteil der theoretisch möglichen Mahlgutmischungen ausgeschlossen werden kann.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

tion des Konzentrationsdreiecks bestimmt aus Pigment, Bindemittel und Lösemittel zu erkennen. Wenn die Zusammensetzungen des Pigmentkonzentrates Pa und der verkaufsfähigen Beschichtungsstoffe La nicht auf der Verlängerung der Linie liegen, die sich aus der Verbindung des Pigmenteckpunktes mit dem Lagepunkt der Paste ergibt, ist die Gefahr eines Pigmentschocks gegeben. Entsprechend der Abbildung 2.2.23 ergibt sich für La2 eine starke Schockgefahr, während sich La1 beim Auflacken als unkritisch erweist.

2.2.4 Produktion von Beschichtungsstoffen Die vom Labor erstellten Rezepturen müssen für eine großtechnische Fertigung noch durch detaillierte Arbeits- und Prüfvorschriften ergänzt werden. Letztere beziehen sich auf die verarbeitungstechnischen Anforderungen genauso wie auf die Qualität. Fertigungsvorschriften enthalten Angaben über die Reihenfolge der Rohstoffzugabe, Einstellung der Geräte und Temperatur für die Homogenisierung, Dispergierung und Filtrationseinrichtungen, Angaben zur Prozesskontrolle und Zwischenprüfungen. Angaben über die Freigabeprüfungen, Anweisungen über Abfüllmethoden, zu wählende Gebindeart und -größe sowie sicherheitstechnische Informationen und Kennzeichnungen auf den Gebinden müssen aus der Fertigungsvorschrift eindeutig hervorgehen. Die heutige Auftragsproduktion kann dann nach drei Methoden erfolgen: Direktanmahlung, Fertigung von Pasten mit späterem Auflacken und die Fertigung aus Mischfarben. Während sich das Mischfarbenprinzip für die sehr vielfältigen Farbtonanforderungen bei den Maler- und Autoreparaturlacken durchgesetzt hat, sind Pastenfertigungen und Direktanmahlungen für die Produktion von Großabnehmern üblich. Mischfarben sind im Farbton und in der Farbstärke standardisierte Beschichtungsstoffe, die lediglich ein Pigment enthalten und durch einfaches Zusammenrühren ohne Bindemittelzugabe zum Endprodukt komplettiert werden. Sie werden beim Lackverbraucher wie den Autoreparaturlackierern und Händlern in eigens dafür entwickelten Mischregalen bevorratet und nach Mischrezepturen fertig gestellt. Direktanmahlungen und aus Pasten herzustellende Produkte werden beim Lackhersteller gefertigt und als fertige Lackfarbe verkauft. Wegen der Vorteile des effektiveren und damit ökonomischeren Dispergierens von Mahlansätzen hat sich die Pastenfertigung von einzelnen Pigmenten trotz des aufwendigen Lagerns der standardisierten Pasten bewährt. Die einzelnen Pigmentpasten werden entsprechend dem vom Verarbeiter gewünschten Farbton in bestimmten Mischungsverhältnissen vereinigt und nur durch Zusätze von Filmbildnerlösungen und Additiven allein durch Mischen zum spezifikationsgerechten Beschichtungsstoff komplettiert. 2.2.4.1

Schema der Abläufe in einer Lackfabrik

Der Ablauf der Rohstoffversorgung, der Pigmentdispergierung bzw. Pastenherstellung, der Komplettierung zum Lack sowie der Abfüllung ist beispielhaft im Übersichtsschema in Abbildung 2.2.24 wiedergegeben. Der Material- und Fertigungsfluss durchläuft in vertikaler Richtung vier Gebäudeebenen. Im obersten Geschoss erfolgt die Zwischenlagerung und Chargierung der für einen Dispergieransatz erforderlichen Einsatzstoffe. Feststoffe, wie Pigmente und Füllstoffe, werden in Säcken, Fässern oder Kartons bewegt, flüssige und pastöse Zusätze in Fässern, Kannen oder Hobbocks. Die häufig in Tanks gelagerten und durch Rohrlei234

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

OZ D

W1 M

M

3. OG B1

O

B2

KM Beschichtungsstoff

DW

OZ RWM M

P

M

M

2. OG

B3

B4

OZ M

W2

1. OG B5

F/S AF

W3 EG

Bindemittel Lösungsmittel OZ W 1,2,3 B 1–5 RWM D KM DW P

Lastenaufzug aus Tanklager

= Ovalradzähler zum Dosieren von Filmbildnerlösungen und Lösemitteln = Bodenwaagen zur gewichtsmäßigen Dosierung von flüssigen, pastösen und festen Einsatzstoffen = Vor-, Pasten- und Fertigmischer = Rührwerksmühlen = Standdissolver = Kugelmühle = Dreiwalze = Pumpe für flüssige und pastöse Einsatzstoffe

Abbildung 2.2.24: Produktionsablauf in einer Lackfabrik

tungen transportierten Filmbildnerlösungen und Lösemittel werden über Zusatzstationen mit Durchflussmesseinrichtungen in mobile Behälterwagen, in die Dissolver oder Vormischer eingefüllt. Die dritte Gebäudeebene dient dem Feindispergieren in Mahlaggregaten. Das Dispergiergut wird als Pigmentpaste in Mischern gelagert, in der Farbstärke standardisiert und freigegeben. In der darunter liegenden Ebene findet man eine der Rezepturvielfalt entsprechende Anzahl verschieden dimensionierter Fertigmischer. Bei der Mischfertigung wird aus BASF-Handbuch Lackiertechnik 235

Der Beschichtungsstoff

den Pastenmischern über bestimmte Dosiervorrichtungen in die Fertigmischer hinein komplettiert. Bei einer Produktion von Grund auf wird das Dispergiergut direkt von den Dispergiermaschinen in die Fertigmischer befördert. Aus den Fertigmischern werden Proben zur Prüfung und Freigabe gezogen.

Beschichtungsstoff

Im Erdgeschoss wird das Material nach Reinigungsprozessen durch Sieben und Filtrieren, ggf. auch durch Zentrifugieren und Freigabe den Abfülllinien zugeführt. Die eigentliche Abfüllung erfolgt dann in Tankwagen, Container, Fässer oder Kleinemballagen. Die Kontrolle des Materialstroms zum Erreichen einer wiederholbaren Produktqualität kann auf unterschiedlichem Wege erfolgen. Zum einen können die Einsatzstoffe vorchargiert und in dieser Form an die entsprechenden Produktionsmittel geliefert werden. Zum anderen werden die Rohstoffzugaben zusammen mit den einzelnen Produktionsbehältern gewogen. Dazu werden diese Behälter auf sogenannte Druckmessdosen gestellt. Da die Mischer und Maschinen je nach Produkttyp und Chargengröße häufig gewechselt werden müssen, entsteht ein komplexes Materialflusssystem. Es ist sinnvoll, Maschinen- und Apparategruppen bestimmten Produktgruppen nach Verträglichkeitsmerkmalen hinsichtlich des Farbtons oder der chemischer Eigenschaften zuzuordnen. So ist der Reinigungsaufwand der Maschinen minimal zu halten. In fast allen Funktionsbereichen werden mit fortschreitender Fertigung Qualitätsprüfungen durchgeführt. Die Korrekturstrategie speziell bei der Farbtoneinstellung ist so konzipiert, dass der Qualitätssollwert nur von einer Seite her in kleinen Schritten erreicht wird. Korrektur bedeutet hier nicht das Beseitigen von Fehlern, sondern in den meisten Fällen das Hinzufügen von zunächst mit Absicht zu knapp bemessenen Anteilmengen ausgewählter Einsatzstoffe. Die wesentlichen verfahrenstechnischen Grundoperationen bei der Herstellung von pigmentierten Beschichtungsstoffen sind das Dispergieren, das Dosieren (siehe Kapitel 4.2.1) und Fördern von Flüssigkeiten und Feststoffen, das Homogenisieren in der Regel durch Rühren und Kneten sowie das anschließende Sieben, Filtrieren oder Zentrifugieren. Die theoretischen Grundlagen und Geräte dieser verfahrenstechnischen Grundoperationen sollen im Folgenden näher erläutert werden. 2.2.4.2 Rührwerkzeuge Die mechanisch-verfahrenstechnischen Grundoperationen der Stoffvereinigung durch Rühren begegnen dem Besucher einer Lackfabrik beim Lösen von Harzen, beim Mischen von Flüssigkeiten, beim Vormischen des Dispergiergutes oder Abtönen von Farbpasten, um nur einige der wichtigsten Verfahrensschritte zu nennen. In allen Fällen ist dabei das Ziel, Inhomogenitäten in Stoffgemischen zu beseitigen. Diese können sich durch Konzentrations-, Dichte- oder Farbtonunterschiede zu erkennen geben. Auch Temperaturunterschiede oder unterschiedliche Brechungsindizes sind zur Charakterisierung der Mischungsgüte heranzuziehen. Das Maß für die Mischungsgüte sind örtliche Abweichungen der o.g. Größen vom Durchschnittswert. Wird eine ausreichende Zahl von Einzelmessungen an verschiedenen Stellen des zu homogenisierenden Materials durchgeführt, so kann durch Ermittlung des Mittelwertes und der Standardabweichung der Grad der Homogenität zahlenmäßig erfasst werden. Die Standardabweichung ist der Mischungsgüte indirekt proportional und konvergiert bei optimaler Feinverteilung der Einzelkomponenten gegen Null. 236

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

radiale Strömung

Vertikalströmung

Horizontalströmung

Abbildung 2.2.25: Charakteristische Strömungen in Rührbehältern

Die Aufgabe des Homogenisierens frei fließender Stoffgemische wird beim Rühren durch vertikale und horizontale Strömungen erreicht. Diese werden durch Rotation von Rührblättern erzeugt. Je nach Art der Stoffe und des erwünschten Grades der Homogenisierung haben sich in der Praxis zahlreiche Rührertypen bewährt. Eine unter wirtschaftlichen Bedingungen durchzuführende Homogenisierung wird am besten erreicht, wenn im Mischbehälter gleichzeitig horizontale und vertikale Kreisbewegungen vorliegen. Beim Homogenisieren von unterschiedlich dichten Materialien sind wegen der Absetzneigung der schwereren Komponente bevorzugt vertikale Strömungen anzustreben. Beim Rührprozess häufig auftretende Bewegungen der Gesamtmenge des Rührgutes sind wegen unerwünschter Separierungen durch Zentrifugalkräfte möglichst zu vermeiden. Die Mischzeit ist dann kurz, wenn eine hohe Anzahl von unabhängigen Ortswechseln der zu mischenden Komponenten stattfindet. Diese können einmal am Rührer selbst oder in den durch die Rührer erzeugten Strömungen erfolgen. Sie sind durch Aufprall, Umfließen von Hindernissen, Kreuzungen von Strömungsrichtungen und Geschwindigkeitsunterschieden an Grenzflächen paralleler Strömungen zu erzielen. Für die Konstruktion der Rühraggregate haben sich zwei unterschiedliche Konzeptionen bewährt. Entweder erfolgt die Umwälzung des gesamten Inhaltes mit großer Rührerfläche und langsamer Materialbewegung oder man transportiert kleine Teilmengen mit hoher Geschwindigkeit durch Prall- und Mischwirbel an kleiner Rührerfläche mit hoher Drehzahl. Repräsentant für das erstgenannte Konzept ist der Blattrührer, für das zweite der Propellerrührer. Bei hohen Rührgeschwindigkeiten ist das Auftreten von Sogkegeln zu beachten, die Luft in das Gemisch einziehen. Um dies zu vermeiden, werden in die Mischapparaturen Strömungsbrecher eingebaut oder die Rührwellen exzentrisch angeordnet. In der Lackindustrie ist beim Homogenisieren ein weiter Bereich unterschiedlicher Konsistenzen zu überstreichen. Eine Anpassung an die Viskosität des Rührgutes erfolgt deshalb über Drehzahländerungen kontinuierlich oder durch Schaltgetriebe sowie durch auswechselbare Rührblätter. BASF-Handbuch Lackiertechnik 237

Beschichtungsstoff

Das Homogenisieren von Flüssigkeiten oder Flüssig-/Feststoffgemischen erfolgt durch Erzeugen von möglichst unregelmäßigen Strömungen mit dem Ziel, mit minimaler Energie möglichst schnell den gewünschten Homogenisierungsgrad zu erreichen. Sind aufgrund zu hoher Viskositäten regellose Lageverschiebungen nicht mehr durch freie Strömungen, sondern nur noch durch Druck oder Scherkräfte zu erreichen, so spricht man von Kneten.

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.26: Schemazeichnung verschiedener Rührertypen

Eine kleine Auswahl technisch wichtiger Rührertypen zeigt die Abbildung 2.2.26. Der Ankerrührer ist ein altes und aus ökonomischer Sicht unzweckmäßiges Gerät. Er ist langsam drehend und wird nur noch in Harzreaktoren zur besseren Wärmeübertragung und zum Ablösen von Dampfblasen benutzt. Er ist wegen der fehlenden Vertikalströmung für Homogenisierungsaufgaben nicht geeignet. Der Blattrührer gehört ebenfalls zu den einfach konstruierten Rührwerkzeugen. Er wird hauptsächlich zum Erhalt bereits homogenisierter Mischungen eingesetzt. Wegen der Größe der Rührblätter besteht die Gefahr von Radialbewegungen des gerührten Materials. Diese können durch Strömungsbrecher verhindert bzw. vermindert werden. Vertikalströmungen sind beim Blattrührer nicht sehr ausgeprägt. Anders verlaufen die Strömungen beim Quirlrührer oder der heutigen Variante, dem Mehrstufenimpuls-Gegenstromrührer (MIG-Rührer). Beide erzielen intensive Vertikalbewegungen. Der Propellerrührer bewegt Teilmengen des Mahlguts mit hoher Geschwindigkeit. Er zieht es axial an, um es axial wieder abzugeben. Dadurch wird eine gute Vertikalströmung gewährleistet. Die unerwünschte Kreisbewegung kann durch Umlaufringe verhindert werden. Der Propellerrührer bewältigt ein breites Konsistenzspektrum und hat sich deshalb in der Praxis der Lackherstellung als Universalgerät bewährt. Nachteile bestehen darin, dass die sich aufbauende Strömung häufig nicht turbulent genug ist, so dass lange Mischzeiten in Kauf genommen werden müssen. Bei allen stationären offenen oder geschlossenen Rühranlagen ist die Rührwelle und deren Abdichtung wichtig, um Kontaminationen des Lackmaterials zu vermeiden. Die 238

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Wellenabdichtungen sind mit verschiedenen Materialien möglich. Wird eine Temperatur von 100 °C beim Mischen der Komponenten nicht überschritten, so sind einfache Abdichtungsringe aus elastomeren Kunststoffen üblich. Bei Überdrücken bis 2 bar oder bei Vakuum bis 0,1 bar werden Formringe mit Schmiermitteln zur Abdichtung bis zu Temperaturen von 130 °C eingesetzt. Gleitringdichtungen mit zusätzlicher Sperrflüssigkeit und Wärmeabfuhr durch Luftkühlung sind bei extremer Abdichtung, bei hohen Druckdifferenzen und höheren Temperaturbelastungen sinnvoll. Die Verwendung silikonhaltiger Sperrflüssigkeiten und Schmiermittel ist aus erwähnten Gründen unbedingt zu vermeiden. Beim Betreiben von Rühr- und Mischaggregaten sind Sicherheitsauflagen zu beachten. Ex-Schutz, konsequente Erdung aller Rührer und Behälter, das Einlegen von Gitterrosten in Behälteröffnungen sind wichtige Maßnahmen für einen unfallfreien Betrieb. Für die richtige Auslegung der Rührer und ihre Anpassung an den umzuwälzenden Stoff können mit Hilfe mathematischer Beziehungen aus der Strömungslehre brauchbare Daten erstellt werden. Hierzu sind einige Vorüberlegungen zu treffen. Zunächst ist die zur Berechnung von Strömungsvorgängen in Rohrleitungen wichtige Reynold-Zahl Re für Rührprozesse neu zu definieren. Büche ersetzte in Re die Fließgeschwindigkeit u durch die Umfangsgeschwindigkeit wr und den Rohrdurchmesser d durch den Durchmesser des Rührblattes [2.4.106]. Nach Division durch π erhält man die Reynold-Zahl für Rührprozesse ReM aus Re ReM

Re'

u d

d

wird Re'

r

oder

d2

n

d2 n

Bei ReM 100.000 die Turbulenz zu erreichen. Für die Praxis wichtige Informationen über die Leistungsaufnahme und die Mischzeit von Rührwerken sind über das allgemein gültige Widerstandsgesetz für Strömungen zu erhalten. FW

CW (Re)

L

2

u2 A

Die auf das Rührblatt wirkende Widerstandskraft FW setzt sich aus dem Widerstandsbeiwert CW, aus der Dichte der Flüssigkeit ρL, der angeströmten Fläche A und dem Quadrat der Bahngeschwindigkeit u zusammen. Dabei ist u die Bahngeschwindigkeit am äußersten Punkt des Rührblattes. Da die Leistung L der Arbeit pro Zeit entspricht, damit FW s/t = FW u ist, ergibt sich: L

C W (Re)

L

2

u3 A

Ersetzt man die Geschwindigkeit u durch ωr = n π d mit n = Drehzahl, d = Durchmesser und r = Radius des Rührers und wird vereinbart, dass die Höhe und der Durchmesser BASF-Handbuch Lackiertechnik 239

Beschichtungsstoff

Wellenabdichtung kann berührungslos erfolgen, wenn keine Druckdifferenzen zwischen dem Kesselinneren und der Umgebung gegeben sind oder entstehen.

Der Beschichtungsstoff

Leistungskennzahl Ne 102

Wendelrührer

Blattrührer

Kreuzbalkenrührer

Scheibenrührer

Mehrstufen-Gegenstrom-Rührer

Schrägblatt-Turbinenrührer

Beschichtungsstoff

101

100 Propellerrührer Ankerrührer

10-1

Zahnscheibenrührer

100

101

102

103

104

105

106

107

Reynoldszahl ReM Abbildung 2.2.27: Diagramm zur Bestimmung der Leistungskennzahl Ne von Rührwerken

eines Rührers immer unabhängig von der Gesamtfläche im selben Verhältnis zueinander stehen (h/d = k) und damit A = k d2, weil A = h d, folgt L

3

C W (Re)

2

k

L

u3 d5

Fasst man die konstanten und die von Re abhängigen Größen zusammen, erhält man die Newton’sche Leistungskennzahl Ne(ReM). L

Ne(ReM )

L

n3 d5

Zu ermitteln ist Ne, wenn die Leistungsaufnahme von Modellrührern in Abhängigkeit von der Drehzahl bestimmt wird. Um die Ergebnisse auf die Großproduktion übertragen zu können, ist eine geometrische Ähnlichkeit zwischen Modell und technischer Großanlage eine zwingende Voraussetzung. Zur Berechnung der Leistungsaufnahme ist dann für den jeweiligen Mischvorgang ReM zu bestimmen, aus Tabellen oder Diagrammen Ne abzulesen, um danach die Leistungsaufnahme 180 1,2 L zu berechnen. P in kW

t in s

0,8

120

0,4

60 0

0 0

20

60

40 n in U/min

Abbildung 2.2.28: Abhängigkeit der Rührleistung und Rührzeit von der Drehzahl n eines Rührers

240

Für eine wirtschaftliche Nutzung von Mischapparaturen ist neben einer energiearmen Homogenisierung auch eine möglichst kurze Mischzeit anzustreben. Die zur Mischung aufzubringende Energie setzt sich aus dem Produkt von Leistung und Zeit zusammen. Da jedoch die Leistungsaufnahme eines Rührwerks mit der dritten BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

103 C

5

2

3 102

1

Beschichtungsstoff

4

5 5

101

101

5

102

5

103

5

104 ReM

5

105

Mischzeit in Abhängigkeit von der Reynold-Zahl für verschiedene Rührer: 1= 2= 3= 4= 5=

Ankerrührer Scheibenrührer Kreuzbalkenrührer Schneckenrührer Wendelrührer

Abbildung 2.2.29: Durchmischungskennzahl C als Funktion der Reynold-Zahl Re für diverse Rührertypen

Potenz der Drehzahl ansteigt, die Rührzeitverkürzung aber mit der ersten Potenz abnimmt, sind Rührzeiten nur unter hohem Energieaufwand herabzusetzen. Zur Berechnung der Mischzeit bis zur vollständigen Homogenisierung wird die von der Reynold-Zahl abhängige Durchmischungskennzahl C herangezogen. Sie ist für alle wichtigen Rührertypen experimentell bestimmt worden und bei gegebener geometrischer Ähnlichkeit auf Rührorgane größeren Ausmaßes übertragbar. Die Abbildung 2.2.29 zeigt den Kurvenverlauf der Durchmischungskennzahl in Abhängigkeit von der Reynold-Zahl des jeweiligen Strömungszustandes. Die Mischzeit tM selbst ist definiert als C(ReM). Wie gezeigt geht bei einer Erhöhung der Rührgeschwindigkeit die Leistungsaufnahme mit der 3. Potenz in die Energieberechnung ein. Trotzdem kann eine nur unwesentlich kürzere Mischerbelegung bei entsprechender Wertschöpfung und Auftragslage sinnvoller sein als das energiesparende langsamere Mischen. Ausschlaggebend sind dabei auch die Kosten, die für die Rührenergie, bezogen auf die Gesamtkosten des Rührvorgangs entstehen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Mischen und Rühren in einer Lackfabrik die häufigsten verfahrenstechnischen Operationen sind. Zahlreiche Typen von Rührorganen, entweder stationär oder transportabel eingesetzt, finden für die verschiedensten Homogenisierungsarten Verwendung. Von besonderem Interesse ist neben der erreichbaren Mischungsgüte auch die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. BASF-Handbuch Lackiertechnik 241

Der Beschichtungsstoff

Problematisch ist, dass die theoretischen Betrachtungen sich im allgemeinen auf newtonsches Fließverhalten beschränken. Änderungen des rheologischen Verhaltens während des Herstellprozesses von Beschichtungsstoffen bei nicht newtonschen Gemischen sind in der Regel nur mit großem Aufwand zu berechnen.

Beschichtungsstoff

2.2.4.3 Dispergiermaschinen Maschinen für Nasslacke Dispergiermaschinen haben die Aufgabe, Pigmentagglomerate in viskosen Fluiden durch Übertragung von Scherkräften voneinander zu trennen. Durch geeignete Rohstoffauswahl und Rezeptierung werden gleichzeitig alle Voraussetzungen für die zusätzlich notwendige stabilisierende Belegung der Pigmentoberflächen geschaffen. Die in den Maschinen durch Strömungen erzeugten Scherkräfte werden wegen zusätzlicher Rotation der Partikeln durch Fliehkräfte ergänzt. Zusätzlich wirken Zug- und Druckbeanspruchung und helfen so beim Abbau der Agglomerate. Da die Übertragung von Scherkräften bis hin zum Primärkorn möglich sein muss, sind Strömungszustände einzustellen, die eine Übertragung von Kräften unabhängig von der Partikelgröße erlauben. Aus folgender Beziehung geht hervor, dass eine solche Forderung mit turbulenten Strömungen nicht erfüllbar ist. Die übertragbaren flächenbezogenen Trennkräfte τ sind proportional der Partikelgröße xPi, der Leistungsdissipationsdichte N/V und zusätzlich der Dichte der fluiden Phase ρFl und umgekehrt proportional der Dichte des Pigmentes ρPi. Demzufolge sinken bei abnehmender Teilchengröße während des Dispergierens die übertragbaren Trennkräfte, so dass eine bestimmte Partikelgröße nicht unterschritten werden kann.

2

Fl

N V

2 3

x Pi

N = Leistungsdissipationsdichte V ρFl = Dichte Flüssigkeit

2 3

ρPi = Dichte Pigment

Pi

xPi = Teilchengröße Pigment

Setzt man in diese Formel die maximal technisch einbringbare volumenspezifische Leistung von 103 bis 104 kW/m3 ein, so errechnen sich in Abhängigkeit von der Festigkeit der Agglomerate maximale Zerkleinerungen bis hin zu Teilchengrößen von 1 bis 10 µm. Primärteilchen mit Ausmaßen von weniger als 1 µm sind folglich nur mit einem Leistungseintrag von >105 KW/m3 erreichbar. Anders hingegen sind die Verhältnisse bei Vorliegen laminarer Strömungen. Eine Abhängigkeit der Schubspannung τ von der Partikelgröße ist gemäß der Newtonschen Gleichung τ = η D nicht gegeben. Die über viskose Harzlösungen eingebrachte Energie ist dann unabhängig von der Teilchengröße. p

2, 5

Fl

D

In dieser Gleichung sind lediglich das Geschwindigkeitsgefälle D und die Viskosität ηFl die den Dispergierprozess beeinflussenden Variablen. Da die Scherenergie quantitativ in Wärme überführt (dissipiert) wird, diese wiederum quadratisch mit zunehmendem Geschwindigkeitsgefälle D ansteigt (siehe Kapitel 2.3.3), ist bei leistungsstarken Dispergiermaschinen für eine effektive Kühlung zu sorgen. 242

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Dissolver sind Scheibenrührer, die unter bestimmten Bedingungen zur Dispergierung ausreichend hohe Schubspannungen auf Pigmente übertragen können. Die Bedingungen hierfür sind dann gegeben, wenn sich abgestimmte Größenverhältnisse zwischen der Rührscheibe und dem Rührbehälter, passende Rührscheibengrößen und -form, ausreichende Drehzahl, eine optimierte Füllhöhe und angepasste Mahlgutformulierungen ergänzen. Auch beim Erfüllen aller Voraussetzungen sind die mit Dissolvern zu übertragenden Scherkräfte nicht hoch. Dissolver sind deshalb nur zur Dispergierung leicht dispergierbarer Pigmente geeignet wie für Dispersionsfarben und Bautenlacke. Werden höhere Ansprüche gestellt, sind andere Dispergiergeräte zu verwenden. Der Dissolver dient dann nur noch der Vorhomogenisierung bzw. Vordispergierung. Dadurch sind die Durchsätze der eigentlichen Dispergiergeräte erheblich zu steigern (siehe weiter).

Beschichtungsstoff

Die Maschinen zur Pigmentdispergierung sind vielfältig und in ihrer Konstruktion recht unterschiedlich. Trotzdem besitzen alle das gleiche Funktionsprinzip. Sie übertragen zur Trennung der Agglomerate hohe Scherkräfte in laminaren Strömungsgefällen. Die wichtigsten großtechnisch üblichen Maschinen sind Dissolver, Rührwerkmühlen und Walzenstühle.

Doughnut Effekt

24 m/s

Füllhöhe 2D

0,5 D D 3D

Abbildung 2.2.30: Schema der Strömung bei Dissolvern und Abbildung einer Dissolveranlage und Dissolverscheibe  Quelle: Netzsch

Zum Aufbau der laminaren Strömungen sind wie erwähnt die Größenverhältnisse zwischen Behältern und Rührscheiben sowie die Füllhöhe und die Anordnung der Scheibe abzustimmen. Optimale Dispergierergebnisse werden erzielt, wenn der Behälterdurchmesser das 2,5- bis 3-fache des Scheibendurchmessers ausmacht, der Abstand der Rührscheibe vom Boden 0,5 und die Füllhöhe 2 Scheibendurchmesser betragen. Unter solchen Voraussetzungen sind Dispergierungen möglich, wenn die AbwurfgeschwinBASF-Handbuch Lackiertechnik 243

Der Beschichtungsstoff

digkeit uA an der Peripherie der Scheibe 24 m/s erreicht hat. Die Grenzdrehzahl ist daher von der Scheibengröße abhängig. uA

Beschichtungsstoff

24

r 2

24 m / s n r

oder

d.h. n

7, 5 - 1 s D

Von zusätzlichem Einfluss auf den Dispergiereffekt ist die Konstruktion der Rührscheibe (siehe Abbildung 2.2.30). Die Rührscheibe ist ähnlich dem Blatt einer Kreissäge mit um 90° geschränkten Zähnen ausgestattet. Diese Zähnung ist für die Dispergierung von nur geringer Bedeutung. Sie bewirkt lediglich eine bessere Umwälzung des Mahlgutes und einen zusätzlichen Wechsel zwischen Zug- und Druckbeanspruchung des Dispergiergutes. Für laminare Strömungsgefälle muss die Scheibe einen horizontalen Abwurf des Mahlgutes herbeiführen. Es ist deshalb auf eine absolut senkrechte Anordnung der Rührwelle zu achten. Der Hauptanteil der Dispergierarbeit wird nicht, wie zunächst zu vermuten, im Bereich der Scheibe, sondern horizontal hinter der Scheibe geleistet. Durch die unterschiedlich langen Wege der Strömungsfäden und durch die unterschiedlichen Bremskräfte im oberen und unteren Umwälzbereich werden hinter der Scheibe für eine Dispergierung ausreichend hohe Geschwindigkeitsdifferenzen aufgebaut. Zusätzlich unterstützen kurzzeitige Überdruck- und Unterdruckzonen im schnellen Wechsel die Durchfeuchtung und Benetzung sowie das mechanische Zersprengen der Agglomerate. Der Dispergiereffekt wird auch durch die Mahlgutzusammensetzung beeinflusst. Die Viskosität des Mahlgutes steigt z.B. bei einer Viskosität der Bindemittellösung von nur 100 mPas durch die Zugabe des Pigments bis auf 3 bis 4 Pas an. Der Dissolver reagiert empfindlich auf das rheologische Verhalten der Mahlgutansätze. Während Dilatanz eine erwünschte Fließart ist, besteht bei thixotropen und stark strukturviskosen Mahlgutmischungen die Gefahr einer unvollständigen Umwälzung und damit unvollständigen Dispergierung der Pigmente. Allerdings kann bei dilatantem Fließen die Leistungsaufnahme bei Drehzahlerhöhung sprunghaft ansteigen, so dass ein Bruch der Rührwelle nicht auszuschließen ist. Reichen die Scherkräfte bei geeignetem rheologischem Verhalten zur Pigmentdispergierung aus, ist der Dissolver eine schnell arbeitende Dispergiermaschine. In der Regel ist der Dispergierprozess bereits nach weniger als 15 Min. abgeschlossen. Ein weiteres Absinken der Feinheit des Mahlgutes wird auch bei übermäßig langem Rühren dann nicht mehr stattfinden. Der Dissolver ist im Betrieb eine stationäre Maschine, die mit beweglichen Mahlgutbehältern beschickt werden kann. Ist der Mischbehälter ebenfalls fest installiert, handelt es sich um einen Dissolvermischer, dessen Volumen in der Regel zwischen 1.000 und 5.000 Litern liegt. Dissolver mit beweglichen Mischbehältern können zur Beschickung und zum Auswechseln der Rührscheiben hydraulisch auf- und abwärts bewegt werden. Die Drehzahl ist in der Regel stufenlos regelbar. Die Größe und damit die Leistung schwankt bei kleinen, mittleren und großen Dissolvern zwischen weniger als 25 KW bis hoch zu 200 KW. Neben den herkömmlichen Dissolvern sind in den Lackfabriken zahlreiche Sonderkonstruktionen anzutreffen. Sie unterscheiden sich durch die Art und Anzahl der Rührscheiben sowie durch die Anordnung der Rührbehälter. Von den Mehrwellengeräten 244

BASF-Handbuch Lackiertechnik

ist der Doppelwellendissolver die am häufigsten anzutreffende Dispergiermaschine. Sie besitzt höhenversetzte, an zwei separaten Wellen angebrachte Rührscheiben und damit ein besseres Mischverhalten (siehe Abbildung 2.2.31).

einfacher Dissolver

Dissolver mit Statorsystem

Doppelwellendissolver mit 3 Scheiben

Für eine schnelle Homogenisierung haben sich speziell für die Fertigung von Wasserlacken auch RotorStator-Mischer (Inline-Dissolver) bewährt [2.4.107]. Man erreicht wegen der hohen Drehzahl des Rotors mit ihnen eine schnelle und Dissolver mit Scheibe Dissolver mit effektive Verteilung der Rezeptbefür Fördern und 2 Antrieben für standteile, vor allem dann, wenn Scheren getrennte Funktionen stark strukturviskose Systeme zu bearbeiten sind. Sie zeichnen sich Abbildung 2.2.31: Schemata verschiedener Dissolvertypen durch kleine Dispergierräume aus und werden überwiegend für kontinuierliche Prozesse eingesetzt.

Das Prinzip der Dispergierung durch Reibwalzen ist durch Einwalzen-, Dreiwalzen- und Mehrwalzenstühle realisiert. Von ausschließlicher Bedeutung für die lacktechnische Praxis ist die Dreiwalze, die wegen des im Vergleich zu anderen Dispergiergeräten relativ geringen Durchsatzes an Bedeutung verloren hat. Ihr Einsatz beschränkt sich heute auf die Herstellung von Spachteln, hochviskosen Druckfarben und aufgrund ihrer schonenden Behandlung der Pigmentoberflächen auf die Dispergierung von empfindlichen oberflächenbehandelten Pigmenten und temperaturempfindlichen Pasten. Dreiwalzenstühle bestehen im Wesentlichen aus drei hintereinander angeordneten Metall- oder Kunststoffzylindern. Die mittlere ist starr gelagert, die beiden äußeren

Abbildung 2.2.32: Schemazeichnung und Funktion eines Inline-Dissolvers

BASF-Handbuch Lackiertechnik 245

Beschichtungsstoff

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

werden mit Drücken bis zu 1.000 bar an die Mittelwalze gedrückt. Durch unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeiten der einzelnen Walzen können in den engen Spalten zwischen den Walzen durch viskose Flüssigkeiten hohe Scherkräfte übertragen werden. Ein Drehzahlverhältnis von 1 : 3 : 9 führt, wie in zahlreichen Experimenten immer wieder bestätigt werden konnte, zu den besten und wirtschaftlichsten Dispergierergebnissen.

Abbildung 2.2.33: Dreiwalzenstuhl

Bei modernen Geräten können durch ein Schaltgetriebe variierende Umlaufgeschwindigkeiten eingestellt werden. Der Mahlgutdurchsatz V· wird durch die Walzenbreite b, Drehzahl und Spaltbreite s bestimmt. V

1, 225 um s b

Dabei ist um das arithmetische Mittel der Rotationsgeschwindigkeiten beider Walzen. Die Walzen selbst besitzen üblicherweise einen 1 cm dicken, extrem harten Außenmantel. Darunter befinden sich weichere Innenbereiche. Durch diese wird eine bessere Wärmeübertragung zu den Kühlschlangen im Inneren der Walzen ermöglicht. Das Anpressen der Walzen erfolgt über Drehspindeln oder durch Motoren mit einem entsprechenden Hydrauliksystem. Unter Betriebsbedingungen verbleibt ein Spaltabstand von ungefähr 100 µm, der um ein Vielfaches höher als der Durchmesser der zu dispergierenden Pigmente ist. Vor Inbetriebnahme einer Dreiwalze ist das Mahlgut, je nach Konsistenz, in einem Dissolver oder einem Kneter vorzudispergieren. Das Mahlgut gelangt dann in eine Aufgabevorrichtung zwischen den ersten beiden Walzen. Durch die Adhäsion an der Walzenwandung wird das Mahlgut in den Walzenspalt eingezogen. Aufgrund der Schubspannung in Strömungsrichtung und des sich verringernden Walzenabstands baut sich zusätzlich zur Scherbeanspruchung ein die Dispergierung fördernder Druck auf. Dieser äußere Druck führt auch zu Druckerhöhungen im Innern der möglicherweise noch Luft enthaltenden Agglomerate und unterstützt die Zerkleinerungsvorgänge. Die Breite und Höhe des Druckprofils hängt vom Durchmesser der Walzen und der Viskosität des Mahlguts ab. Es ist umso enger, je dünner das Mahlgut und je kleiner der Walzendurchmesser ist. Unterstützt wird die Wirkung durch die Scherung des Materials, hervorgerufen durch die unterschiedlichen Walzengeschwindigkeiten. Kurz vor der engsten Stelle des Walzenspaltes liegt das Druckmaximum. Ihm folgt unmittelbar danach eine Unterdruckzone, so dass ein plötzlicher Druckabfall eine für das Mahlgut fördernde Pigmentbenetzung herbeiführt. Am Austritt aus dem Walzenspalt wird dann das Mahlgut getrennt und auf beide Walzen im Verhältnis der Drehzahlen verteilt. Beim Drehzahlverhältnis von 1:3 wird entsprechend viel Material auf die zweite 246

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Walze übertragen. Analoge Vorgänge finden auch zwischen der zweiten und dritten Walze statt. 25

75

225

Die Viskosität des Dispergiergutes ist wie bei den anderen Dispergiermaschinen auf den Druckverlauf Dreiwalzenprozess einzustelim Scherspalt len. Zu geringe Viskosität führt zum Spritzen im Einfüllspalt und zu unzureichenden Scherkräften, hohe Viskositäten sind eher problemlos. Allerdings ist Geschwindigkeitsprofil im Spalt aufgrund der hohen Energiedissipation und der entsprechenden Wärmeentwicklung für gute Kühlung zu sorgen oder eventuell durch zusätzliche Hochsieder Abbildung 2.2.34: Funktionsprinzip der Dreiwalze und Druckprofil ein Trockenlaufen der Walzen im Dispergiergut zu verhindern. Letzteres würde die Walzenoberfläche durch Riefenbildung irreversibel zerstören. Ein weiteres, heute weniger bedeutendes Einsatzgebiet der Dreiwalze ist das sog. Flushen von Pigmenten. Der bei der Pigmentherstellung in der Regel wässrige, noch nasse und damit noch nicht oder nur geringfügig agglomerierte Pigmentkuchen wird beim Flushen nicht wie sonst üblich getrocknet, sondern durch Behandeln mit organischen Bindemittellösungen in Knetern aus der wässrigen Phase in die organische umbenetzt. Die sich anschließende Walzendispergierung dient weniger der Agglomeratzerteilung als vielmehr der vollständigen Entfernung des Restwassers. Die Walzen werden deshalb nicht gekühlt, sondern zum schnelleren Entzug des Wassers mit Dampf beheizt. Auf diese Weise sind hohe Farbstärken und gute Feinheiten mit schwer dispergierbaren Pigmenten zu erreichten. So hergestellte Rußpasten führen beispielsweise zu schleierfreien hochglänzenden tiefschwarzen Decklacken. Rührwerkmühlen sind Weiterentwicklungen der früher häufiger anzutreffenden Kugelmühlen. Letztere sind aus Gründen mangelnder Wirtschaftlichkeit mehr und mehr durch Rührwerkmühlen verdrängt worden. Ihr Einsatz beschränkt sich heute nur noch auf wenige Bereiche der Dispergiertechnik. Da die heute wichtigen Rührwerkmühlen letztlich aus ihnen hervorgegangen sind, sollen zum besseren Verständnis der maschinentechnischen Entwicklung auch die veralteten Kugelmühlen vorgestellt werden. Die Kugelmühlen sind Hohlzylinder, die während des Betriebes um eine horizontale Achse rotieren. Sie werden in einem bestimmten Verhältnis mit Mahlgut und Mahlkörpern, meist Porzellan- oder Stahlkugeln mit 20 bis 30 mm Durchmesser, zu etwa 40 % BASF-Handbuch Lackiertechnik 247

Beschichtungsstoff

Das an der dritten Walze anhaftende dispergierte Mahlgut wird anschließend mit einem Abstreifmesser von der Walze abgenommen und in einen Vorratsbehälter überführt.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

des Volumens gefüllt. Durch die Relativbewegung der unterschiedlich schnell aneinander vorbeigleitenden Mahlkugeln werden Reibflächen erzeugt, in denen die Dispergierung der Pigmente möglich wird. Oberhalb einer gewissen Drehzahl werden die gleitenden Mahlkörper hochgehoben und verursachen beim Herunterfallen zusätzlich eine ungewollte Schlagbeanspruchung der Pigmentagglomerate. Die Zerkleinerung des Primärkorns, verbunden mit einer Verschlechterung der optischen Leistung der Pigmente ist die Folge. Es wird deshalb für die Rollreibung eine langsamere Rotation der Trommel eingestellt.

Pigmentagglomerate

Der eigentliche Dispergiervorgang findet immer statt, wenn Mahlkörper mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aneinander vorbeigleiten und im Bereich der geringsten Entfernung die zur Dispergierung notwendige Schubspannung aufbauen. Obere Lagen rollen nach unten, untere werden durch den Mühlenmantel mit nach oben genommen. Da die Bewegung der Mahlkörper allein durch die Schwerkraft hervorgerufen wird, diese aber eine massenabhängige Größe ist, dürfen Mahlkörper in Kugelmühlen eine gewisse Größe nicht unterschreiten. Die Folge davon ist, dass bei Kugelmühlen das Verhältnis des effektiv wirkenden Mahlvolumens gegenüber dem Gesamtvolumen ausgesprochen niedrig ist. Neben den damit verbundenen langen Dispergierzeiten von bis zu fünf Tagen sind auch aufwendige Reinigungsarbeiten und eine nicht unerhebliche Lärmentwicklung erwähnenswerte Nachteile.

Wegen ihrer geschlossenen Bauform besitzen die Kugelmühlen jedoch den Vorteil, dass Niedrigsieder als Lösemittel verwendet werden können. Ein weiterer nennenswerter Vorteil der Kugelmühlen liegt in der geringen Wartung während des Dispergiervorgangs. Abbildung 2.2.35: Funktionsprinzip und Abbildung einer Kugelmühle

Will man das ungünstige Verhältnis von Dispergiervolumen zu Gesamtvolumen verbessern, ist die einzige Variable die Größe der Mahlkörper. Mit der Abnahme des Mahlkörpervolumens nimmt aber auch die Masse der Mahlkörper ab. Ihre damit geringere Schwerkraft und gleichzeitig abnehmende kinetische Energie wirken demzufolge hemmend auf die Dispergiergeschwindigkeit. Es war deshalb naheliegend, bei Verwendung kleinerer Mahlkörper die zur Dispergierung notwendige Energie durch zusätzlich installierte Rührwerkzeuge künstlich zu 248

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Das Mahlgut wird von unten in den Mahltopf gedrückt und oben wieder abgezogen. Der Umlauf erfolgt kontinuierlich bis zum Erreichen der erforderlichen Kornfeinheit oder Farbstärke. Noch bestehende Mängel des hohen Verschleißes und der hohen Leistungsaufnahme konnten durch Änderung der Bauform und der Art der Rührwerkzeuge sowie durch weitere Verkleinerung der Mahlkörper weitgehend beseitigt werden. Der Attritor wurde schlanker und höher, so dass eine ausreichende Dispergierung bereits nach einmaligem Durchlauf erzielt werden konnte. Damit war die Rührwerkmühle im Prinzip erfunden. Die Mahlkörper, früher ausschließlich Sandkörnchen mit Durchmessern von ungefähr 1 mm, wurden durch angepasste Rühraggregate künstlich bewegt und erlauben dadurch die Übertragung wesentlich höherer Schubspannungen, als es bisher mit herkömmlichen Geräten möglich war. Die Trennung der Mahlkörper vom Mahlgut wurde und wird zum Teil auch heute noch durch Spaltsiebe am geöffneten oberen Ausgang herbeigeführt. Der einmalige Durchgang durch das Dispergiergerät setzt allerdings eine Vorhomogenisierung in einem separaten Mischer oder Dissolver voraus. Solche Weiterentwicklungen des Mahlprozesses waren mit einer erheblichen Verbesserung der Effektivität und Produktqualität verbunden.

Kugelmühle

Attritor

Rührwerkmühle

Weitere Optimierungen richteten sich in erster Linie Abbildung 2.2.36: Von der Kugelmühle auf die Übertragung noch höherer Scherkräfte und über den Attritor zur Rührwerkmühle die Beeinflussung des Verweilzeitspektrums der Pigmente. Die früher üblichen offenen, mit Spaltsieben ausgestatteten Rührwerkmühlen wurden zunehmend durch geschlossene Systeme verdrängt. Unter einem geschlossenen System ist ein Dispergieraggregat zu verstehen, das die Trennung des Mahlguts von den Mahlkörpern durch Reibspalte ermöglicht. Solche geschlossenen Rührwerkmühlen haben zahlreiche zusätzliche Vorteile. Die Dispergierung kann unter erhöhtem Druck erfolgen und macht höhere Durchsätze möglich. Die Materialzufuhr bzw. der Materialdurchsatz kann zur besseren Anpassung der Dispergiermaschine an die materialspezifischen Eigenarten in weiten Bereichen durch stufenlos regelbare Pumpen variBASF-Handbuch Lackiertechnik 249

Beschichtungsstoff

erzeugen. Eine der ersten in den 1920er Jahren in den USA nach diesem Prinzip entwickelte Dispergiermaschine ist der Attritor. Er besteht aus einem aufrecht stehenden Mahlgefäß, in dem 3 bis 5 mm dicke Kugeln mit Hilfe eines Rührers künstlich bewegt werden.

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.37: Schema einer Rührwerkmühle

iert werden. Wie bei den Kugelmühlen, ist auch bei Rührwerkmühlen für eine wirksame Kühlung zu sorgen. Die Mahlkörper und das Mahlgut liegen im Dispergierraum der Rührwerkmühle als Mischung vor, die durch die Rührwerkzeuge in eine intensive definierte Bewegung versetzt werden. Durch Reibung und Impulsaustausch an den energieeintragenden Flächen erhalten die Mahlkörper unterschiedliche kinetische Energie. In Gegenwart viskoser Fluide sind im Wechselwirkungsbereich der Mahlkörper dann hohe Scherkräfte übertragbar. Aufgrund des besseren Einzugs der Pigmentagglomerate in die Bereiche starker Scherung sind für größere Pigmente auch größere Mahlkörper geeignet. Mit zunehmendem Abbau jedoch nimmt die Zahl der kleineren Teilchen stark zu. Für eine schnellere Feindispergierung reicht dann die Zahl der wirksamen Dispergierbereiche bei größeren Mahlkörpern nicht mehr aus. Optimale Bedingungen herrschen also dann vor, wenn im ersten Teil der Rührwerkmühle größere Mahlkörper mit größerem Einzugsbereich für eine Vordispergierung sorgen, während die kleinen Mahlkugeln mit weitaus größerer Gesamtreibfläche dann die kleineren Agglomerate feindispergieren. Man verwendet in der Regel für die kleineren organischen Pigmente auch kleinere Perlen, für die zum Teil recht großen Agglomerate anorganischer Pigmente entsprechend größere. Für den Praktiker ist es zusätzlich von Bedeutung, dass die Mahlkörper von den Pigmenten durch eine ausreichend unterschiedliche Größe problemlos getrennt werden können. Von weiterem Einfluss auf den Dispergiereffekt ist die Dichte der Mahlperlen. Zirkonoxidperlen mit einer Dichte von 5,6 g/cm3 übertragen bei sonst gleichen Bedingungen höhere Schubspannungen auf die Pigmente als herkömmlicher Sand oder Kunststoffpartikeln mit Dichten von nur 2,6 g/cm3 und weniger. 250

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Dass die Schubspannungen mit zunehmender Drehzahl der Rührwerkzeuge noch gesteigert werden können, ist bereits gesagt worden. Der überproportionale Verschleiß der Rührwerksmühlen und der Mahlkörper setzt der Drehzahlsteigerung allerdings Grenzen. Das Bestreben nach Intensivierung des Mahlprozesses führte deshalb auch zur Weiterentwicklung der Rührwerkzeuge. Die früher übliche Vollscheibe, bei der Scherungen ausschließlich durch die Adhäsion des Abbildung 2.2.38: Rührwerkzeuge für Rührwerkmühlen Mahlgutes an der Scheibe und Abschleudern der darüber liegenden Schichten erfolgt, wird u.a. durch Speichenringscheiben oder Lochscheiben ersetzt. Die Lochscheibe verhält sich dispergiertechnisch ähnlich wie die Vollscheibe. Die Löcher bieten jedoch den Vorteil der besseren Entlüftung der während der Dispergierung aus den Agglomeraten und sonstigen Einsatzstoffen frei werdenden Luft und des besseren Druckausgleichs. Von höherem Einfluss auf den Dispergiereffekt sind die mit vorstehenden Schlagkanten ausgerüsteten Nockenscheiben. Erwähnenswert sind auch Schneckenscheiben. Sie üben auf das Mahlgut einen zusätzlichen Druck entgegen seiner Förderrichtung aus und verbessern dadurch ebenfalls das Dispergierergebnis. Negativ ist die mit dem Rücktransport verbundene Verbreiterung des Verweilzeitspektrums. Da nicht nur Scherkräfte in laminaren Strömungen, sondern auch Zug-/Druckeinflüsse den Dispergierprozess fördern, sind Mahltrogformen entwickelt worden, die einen Wechsel zwischen Unter- und Überdruckbereichen ermöglichen. Das Schnittbild in der Abbildung 2.2.39 veranschaulicht das regelmäßige Durchlaufen von Kompressions- und Dekompressionszonen in einem entsprechenden Mahlaggregat.

Mahlbehälter Kühlmantel Mahlwerk Dekompressionszone Antriebswelle Kompressionszone

Abbildung 2.2.39: Schnittzeichnung der Kammer einer Rührwerkmühle mit Kompressions- und Dekompressionszonen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 251

Beschichtungsstoff

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Vorderansicht

Seitenansicht

Abbildung 2.2.40: Schemazeichnung von Mehrkammermühlen

Die Mahltrogform beeinflusst auch das Verweilzeitspektrum des Mahlgutes. Hohe Mahltröge mit nur geringem Durchmesser ergeben engere Verweilzeitspektren als kurze und entsprechend breitere. Ein anderer besserer Weg, das Verweilspektrum günstig zu beeinflussen, besteht im Einsatz sog. Mehrkammermühlen. Schnellere Passagen mit kurzen Verweilzeiten durch mehrere hintereinander geschaltete kleinere Mühlen führen zu engeren Verweilzeitspektren und damit zu einer gleichmäßigeren Pigmentbelastung.

Abbildung 2.2.41: Schemazeichnung und Bild einer Ringspaltmühle 

252

Quelle: Fryma

Neben der Konstruktion und der Drehzahl der Rührwerkmühle ist auch die Mahlkörpermenge von entscheidendem Einfluss auf die Dispergiergeschwindigkeit und die Dispergiergüte. Offene Rührwerkmühlen enthalten 40 bis 70 %, geschlossene bis zu 90 % Mahlkörpervolumen bezogen auf das Volumen des Trogs. Es gilt grundsätzlich, dass eine hohe Mahlkörperfüllmenge die Leistungsaufnahme und den Verschleiß des gesamten Mahlaggregats steigert, dafür aber die Dispergierdauer bei gleichzeitig hoher Wärmeentwicklung verkürzt. Für eine hohe Kühlleistung und ein enges Verweilspektrum bei gleichzeitig gleichmäßiger Mahlkörperbeanspruchung sind Ringspaltmühlen entwickelt worden. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Der Mahlraum hat die Form eines umgedrehten Kegelmantels, dessen Spitze nach innen gefaltet ist. Die äußere Wand des Kegels ist starr angeordnet, der Innenkegel rotiert. Der relativ schmale Spalt zwischen dem Rotor und Stator ermöglicht die Übertragung hoher Scherkräfte. Da mit steigendem Durchmesser des Kegels die Strömungsgeschwindigkeit sinkt, gleichzeitig wegen hoher Umfangsgeschwindigkeiten die Schubspannung ansteigt, wird der Dispergierprozess mit abnehmender Teilchengröße intensiver. Dieser Effekt ist für die Zerkleinerung kleinerer und damit festerer Agglomerate von großem Vorteil. Das Mahlgut wird anschließend über eine Abtrennvorrichtung an der Welle abgenommen und die Mahlkörper werden durch Rückführkanäle axial nach unten abgetrennt.

Beschichtungsstoff

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.42: Korbmühle mit integrierter Dispergiermaschine  Quelle: Fa. Getzmann

In einer anderen geometrischen Anordnung arbeitet die Zentrifugalwirbelbettmühle (ZWM) Sie besteht aus einem zylindrischen, waagerecht angeordneten Mahltopf und einem Rotor. Dieser ist mit acht Paddelreihen und acht Spaltsiebrohren bestückt. Die Mahlkörperfüllung wird von den Paddeln bewegt. Dabei strömt das Dispergiergut durch drei Zuführungsrohre von außen nach innen radial durch die rotierende Mahlkörperschüttung zu den ebenfalls rotierenden Spaltsiebrohren. Hier durchströmt das Dispergiergut eine relativ große Trennfläche, um den Mahlraum durch eine Hohlwelle zu verlassen. Durch die Wirkung der Zentrifugalkräfte wird die Einstellung des Drucks der Mahlkörper unabhängig vom Produktdurchsatz. Hierdurch werden hohe spezifische Durchsätze möglich [2.4.108, 2.4.109]. Ein hoher Verschleiß der Baumaterialien hat allerdings diesem Konzept nur kurze Einsatzzeit beschert. Vornehmlich mittlere und kleinere Lackfabriken verwenden neben den Hochleistungsrührwerkmühlen auch Korb- und Tauchmühlen. Es handelt sich dabei um flexibel einzusetzende Behälter, in die nach dem Befüllen mit Mahlgut ein bewegliches Dispergieraggregat eingetaucht wird. Dieses besteht aus einem siebartigen Mahltrog, in dem sich die Mahlkörper befinden. Durch entsprechende Rührorgane werden diese intensiv bewegt. Gleichzeitig wird das Mahlgut in den Dispergierraum eingezogen und nach der Dispergierung wieder ausgeworfen. Eine interessante Variante besteht in der Kombination einer Korbmühle mit einem Dissolver. Hierdurch wird es möglich, das Vordispergieren mit dem Dissolver und das anschlieBASF-Handbuch Lackiertechnik 253

Der Beschichtungsstoff

ßende Feindispergieren mit einer Rührwerkmühle in einem geschlossenen System durchzuführen.

Beschichtungsstoff

Bei den Tauchmühlen übernimmt der Rotor zusätzlich die Aufgabe der Flüssigkeitsumwälzung. Durch den Verzicht auf eine Pumpe ist das Viskositätsspektrum des Mahlguts eingeschränkt. Die Mahlgutzusammensetzung ist für diesen Typ der Rührwerkmühlen nach ähnlichen Kriterien zu ermitteln und zu beurteilen wie bei den übrigen Rührwerkmühlen (siehe vorher). Der optimale Energieeintrag ist bei Verwendung von Rührwerkmühlen dann gegeben, wenn das Mahlgut relativ niedrigviskos eingestellt wird. Einer Viskositätsabsenkung sind wegen des zunehmenden VerAbbildung 2.2.43: Schema einer Korb- oder Tauchmühle schleißes der Mahlkörper und der Mühle dabei Grenzen gesetzt. Weiterhin ist zu beachten, dass bei lösemittelreichen Mischungen Probleme beim Auflacken durch Pigmentschocks zu erwarten sind. Rührwerkmühlen sind nach wie vor die wirtschaftlichsten und damit technisch wichtigsten Dispergiermaschinen. Zur technischen Beurteilung von Rührwerkmühlen sind das Verhältnis von Durchsatz zur Leistungsaufnahme und ein möglichst enges Verweilspektrum der Pigmente das wichtigste Kriterium. Neben der Art der Rührwerkmühle spielt die Prozessfolge bzw. die Fahrweise der Mahlung eine bedeutende Rolle für die Produktionsleistung und die Qualität der Dispergierung. Für leicht dispergierbare Pigmente reicht eine Passage in der so genannten Passagenfahrweise aus. Hierbei wird das homogenisierte Mahlgut analog (A) in Abbildung 2.2.44 von einem Behälter über die Rührwerkmühle in einen zweiten Behälter gefahren. Der Mahlprozess wird wiederholt, wenn die Qualität nicht ausreichend ist. Üblicherweise werden dafür Vorlage- und Empfangsbehälter ausgetauscht bzw. bei stationären Behältern Zu- und Abläufe umgeklemmt. Die meisten Pigmente benötigen 2 bis 3 Passagen, für schwerer zu dispergierende Pigmente kann dieser Pendelvorgang 5 bis 10-mal erforderlich sein. Eine kontinuierlich zu betreibende Alternative stellt die Kaskadenfahrweise dar, bei der das Produkt in einer Passage mehere Mühlen hintereinander durchströmt wie im Beispiel (B). Diese Anordnung kann auch für die Kreisfahrweise (C) genutzt werden, wo nur ein Behälter notwendig ist, aus dem das Mahlgut kontinuierlich über die Rührwerksmühle geschickt und wieder zurückgeleitet wird. Um sicher zu stellen, dass jedes Volumenelement der Vorlage die Mühle durchströmt hat, muss statistisch der 5 bis 10-fache Behälterinhalt umgepumpt werden. Der Volumenstrom sollte daher etwa 10-mal höher 254

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

A

B

C Abbildung 2.2.44: Ablaufschema der Dispergiertechniken in Passagen-, Kreis- und Pendelfahrweise

als bei der Passagenfahrweise sein. Ein kritischer Punkt bei der Kreisfahrweise ist die Notwendigkeit einer ständigen und guten Durchmischung des Vorlagebehälters. Vorteilhaft ist die Möglichkeit zur Prozesskontrolle. So werden z.B. die Mahlfortschritte mit dem Energieverbrauch der Mühle korreliert und überprüft (siehe Abbildung 2.2.44). Ist eine Mahlung aufgrund zu hoher Viskosität des Mahlguts mit klassischen Dispergiergeräten nicht mehr möglich, sind Kneter einzusetzen [2.4.110]. Sie sind dann unumgänglich, wenn Spachtel oder Flush-Pasten herzustellen sind. Kneter müssen wegen hoher Druck- und Scherbeanspruchung besonders stabil konstruiert sein und sind deshalb in der Regel geschlossene Systeme. In Abhängigkeit von den Knetorganen sind Knetapparaturen in Schaufel- und Schneckenkneter einzuteilen. Zur ersten Gruppe gehören die Mulden- und Doppelmuldenkneter sowie die Planetenkneter, zur zweiten die Ein- und Doppelschneckenkneter, die besonders bei der Pulverherstellung verwendet werden. Die erstgenannten, meistens Doppelmuldenkneter, übertragen mit gegensinnig arbeitenden, dem Gehäuse angepassten Knetschaufeln die zur Dispergierung notwendigen Scherkräfte auf das hochviskose Mahlgut. Durch die besondere Konstruktion wird das Material in regelmäßiger Folge von einem in den anderen Bereich des Kneters befördert. Planetenkneter ähneln herkömmlichen Mischern. Mehrere in den Mischbehälter hineinragende, mit kleinen aber stabilen Rührblättern versehene Knetarme bewegen sich bei gleichzeitiger Eigenrotation auf einer Kreisbahn in einem den hohen Scherkräften entsprechend stabil BASF-Handbuch Lackiertechnik 255

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.45: Schemazeichnungen eines Schaufel- und Planetenkneters

ausgelegtem Mischtrog. Die in Planetenknetern übertragbaren Scherkräfte sind im Allgemeinen niedriger als die in den Doppelmuldenknetern. Nach einem anderen Prinzip arbeiten die Schneckenkneter. Einfache Typen bestehen aus einem Rohr, in dem eine zylindrische Achse mit einem schraubenförmigen Metallband rotiert. Dadurch wird das Mahlgut unter Scherbeanspruchung zum Ausgang des Kneters befördert. Die Höhe der Scherkräfte Abbildung 2.2.46 Schemazeichnung eines Schneckenkneters kann durch in die Schnecke eingefräste Schlitze, am Gehäuse angebrachte Knetzähne und durch oszillierende Bewegungen der Rührwelle erheblich gesteigert werden. Maschinen für die Herstellung von Pulverlacken Heizbare Kneter werden in der Lackindustrie zur Dispergierung von Pulverlacken eingesetzt. Das bei Normaltemperatur feste Dispergiergut wird aufgeschmolzen und dann als Fluid zur Übertragung der zur Zerkleinerung von Agglomeraten notwendigen Scherkräfte verwendet. Wegen der fehlenden Lösemittel und der damit verbundenen hohen Viskosität von Pulverlacken sind herkömmliche Herstelltechniken für die Homogenisierung der Harzkomponenten und die Einarbeitung von Pigmenten und Füllstoffen nicht geeignet. Die Einzelkomponenten werden deshalb nach Aufschmelzen im Extruder homogenisiert bzw. dispergiert. Dabei ist zur Vorbereitung des Aufschmelzens eine möglichst effektive Vormischung der Rezeptbestandteile anzustreben. Das gelingt dann besonders gut, wenn die festen Einzelkomponenten eine entsprechend gute Vorzerkleinerung erhalten haben. Da die Festharze durch den Hersteller grobstückig angeliefert werden, ist der Homogenisierung eine Hartzerkleinerung der spröden Rohstoffe durch Brechen und Mahlen bis auf Teilchengrößen von wenigen Millimetern vorzuschalten. Nach vollständiger Einwaage aller Rezeptbestandteile erfolgt die maschinelle Vormischung in Taumel- oder Pflugscharmischern. 256

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Die eigentliche Feinverteilung der Pigmente in der Polymermatrix kann bei thermoplastischen nichtreaktiven Systemen nach dem Aufschmelzen problemlos in einem Kneter erfolgen. Für reaktive Systeme hingegen sind herkömmliche Kneter im Chargenbetrieb wegen der zu hohen Verweilzeit der thermisch belasteten Schmelze nicht geeignet. Hier werden kontinuierlich arbeitende Extruder eingesetzt. Sie sind in der Lage, die Schmelze nur wenige Grade oberhalb der Schmelztemperatur, also bei noch relativ hoher Viskosität mit Verweildauern von wenigen Minuten zu homogenisieren. Die Scherkräfte sind hoch genug, um die Pigmentagglomerate zu zerteilen und eine gute Gleichverteilung in der kontinuierlichen Harzphase zu erreichen.

Beschichtungsstoff

Vom Rohstoff zum Beschichtungsstoff

Abbildung 2.2.47: Schneckenextruder für die Herstellung von Pulverlacken

Um eine Klumpenbildung der Rohstoffe zu vermeiden, ist auf eine möglichst gute Vorhomogenisierung und Kühlung in der Einfüllzone zu achten. Wichtig ist auch die exakte Steuerung des Temperaturverlaufs über den gesamten Extruderbereich. Als Extrudertypen haben sich in der Praxis oszillierende Einschnecken-, Planetenwalzen- und Doppelschneckenextruder bewährt. Die zur Dispergierung aufzubringenden Scherkräfte werden im Einschneckenextruder durch eine in Richtung des Materialflusses oszillierende Schnecke erzeugt. Zwischen Schnecke und dem angepassten Schneckenmantel werden so außerordentlich hohe Scherkräfte übertragen. Ein ähnlicher Effekt ist zu beobachten, wenn Planetenwalzen sich um eine Zentralschnecke bewegen. Durch permanente Änderung der Abstände und durch die rotierende Bewegung werden ebenfalls hohe Scherkräfte erzeugt. Bei den Doppelschneckenextrudern wird das für die Homogenisierung und Dispergierung notwendige Schergefälle durch zwei ineinandergreifende, gegenläufig drehende Schnecken aufgebaut. Durch eine entsprechende Anordnung der Wellen können Druck und Entlastung im Wechsel so die geforderten Scherkräfte erzeugen. Doppelschneckenextruder sind wegen einer Verweilzeit der Schmelze von weniger als 30 Sekunden für reaktive Schmelzen besonders geeignet. Für eine schnelle Kühlung der reaktiven Schmelze ist sofort nach Verlassen des Extruders zu sorgen. Dies gelingt dadurch, dass das noch flüssige Mahlgut durch zwei gekühlte Walzen zu einem breiten, aber nur wenige Millimeter dicken Band ausgezogen wird. BASF-Handbuch Lackiertechnik 257

Der Beschichtungsstoff

Harz

Härter

Pigment

Zusatzmittel

Mischer

Waage

Beschichtungsstoff

Abluft

Kneter

Einfülltrichter

Banddüse Quetschwalzen

Brecher

Feinstaubfilter

Sieb Kühl-/Transportband

Kühlwasserkreislauf

Grobgut Ansaugluft Sichtermühle

Pulverlack zur Verpackung

Abbildung 2.2.48: Ablauf der klassischen Herstellung von Pulverlacken

Durch den Transport auf dem ebenfalls gekühlten Förderband beschleunigt sich der Temperaturabfall zusätzlich. Nach Verlassen der Kühlstrecke wird das Extrudat mit geeigneten Zerkleinerungsmaschinen wieder in ein Granulat überführt. Um das so gefertigte, noch relativ grobstückige Gut zu einem verarbeitungsfähigen Pulverlack zu konfektionieren, müssen sich Fein- und Feinstmahlungen anschließen. Üblicherweise werden Korngrößen η2

η1

Beschichtungsstoff

η2

D Abbildung 2.3.13: Fließkurven newtonscher Flüssigkeiten

τ

η1 > η 2

linearen Zusammenhängen. Die Viskosität von Lackzubereitungen ist im Gegensatz zu den Newton’schen Flüssigkeiten eine mehr oder weniger von der Scherung abhängige Größe. In vielen Fällen nimmt mit zunehmendem Geschwindigkeitsgefälle die Viskosität ab. Bei solchen strukturviskosen Flüssigkeiten ist die Viskosität also keine Stoffkonstante. Das τ/D-Diagramm ist mit steigender und abfallender Scherbeanspruchung identisch. Verbindliche Angaben über die Viskosität müssen sich deshalb immer auf die während der Messung eingestellte Scherung beziehen.

η1

Die Abnahme der Viskosität mit steigender Scherbeanspruchung ist bei Lacken und pigmentierten Beschichtungssystemen eine häufige, aber auch gewollte Eigenschaft. Sie beruht darauf, dass die fließhemmende Wechselwirkung innerhalb D der Polymerlösung mit steigender Scherbeanspruchung verringert wird. Das kann Abbildung 2.3.14: Fließkurve einer strukturviskosen Flüssigkeit durch Strecken der im Ruhezustand als Knäuel vorliegenden Makromoleküle erfolgen. Auch Pigmente und Füllstoffe können sich beim Fließen ausrichten und dadurch die innere Reibung herabsetzen. Schließlich können Deformationen von Teilchen viskositätsmindernd wirken. Die Strukturviskosität ist die Grundlage für die niedrige und hohe Viskosität ein- und desselben Beschichtungssystems beim Verarbeiten und der Strecken anschließenden Filmbildung. η2

Orientierung

Deformation Abbildung 2.3.15: Ursachen für Strukturviskosität durch Strecken, Orientieren und Deformieren

292

In der Lackiertechnik sind auch Substanzen bekannt, die mit zunehmender Scherung einen Viskositätsanstieg erfahren. Sand-/Wassermischungen, Stärkeaufschlämmungen sowie bestimmte Arten von Dispersionen und Plastisolen sind Beispiele für solche sogenannten dilatanten Flüssigkeiten. Die dem Phänomen der Dilatanz zugrunde liegende Zunahme der BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Reibungskräfte mit zunehmender Scherung kann durch induzierten Ladungsaustausch an den Reibflächen und Erhöhung der elektrischen Wechselwirkung hervorgerufen werden.

η1 < η2

τ η2

D Abbildung 2.3.16: Rheogramm dilatanter Stoffe

Binghamsches Fließen

τ

Cassonsches Fließen τ0

D Für das Auftreten von Fließgrenzen sind zwei weitere allein oder in Verbindung Abbildung 2.3.17: Darstellung der Fließgrenze von mit Strukturviskosität auftretende Phäno- Stoffen mit plastischem Verhalten mene verantwortlich: die Plastizität und die Thixotropie. Die Plastizität ist eine Eigenart aller flüssigen Substanzen, deren Fließen erst nach Überschreiten einer Mindestschubspannung τ0 erfolgen kann (Abbildung 2.3.17). Viele Pasten und Spachtel gehören zu dieser Gruppe von Stoffen. Sie können nach Beginn des Fließens Newton’sches (Bingham’sche Flüssigkeit) oder strukturviskoses Verhalten (Casson’sche Flüssigkeit) zeigen.

Lacke und Beschichtungsstoffe sind also im Hinblick auf ihr Fließverhalten in der Regel nicht mit der von Newton formulierten linearen Funktion zu beschreiben. Eine für die Praxis geeignetere mathematische Beziehung wurde von Ostwald formuliert [2.4.125]. ( -

0

)n

D

Ist n = 1 und τ0 = 0, handelt es sich um Newton’sche Flüssigkeiten. Ist n > 1 oder n < 1 und τ0 wiederum 0, liegen strukturviskose oder dilatante Flüssigkeiten vor. Bei Substanzen mit einer Fließgrenze ist τ0 > 0. Alle bisher beschriebenen rheologischen Phänomene sind reversible Vorgänge ohne zeitliche Verzögerungen. Im Unterschied hierzu sind im Falle der thixotropen Flüssigkeiten die Veränderungen der Viskosität zusätzlich von der Zeit abhängig. Das Fließverhalten von Anstrichstoffen wird dadurch von ihrer Vorgeschichte abhängig. Ausgehend von der Ruheviskosität nimmt die Viskosität während der steigenden Scherbeanspruchung ab, geht aber mit Rücknahme der Schergeschwindigkeit zunächst auf eine niedrigere Ruheviskosität zurück. Erst nach einer für jeden Stoff spezifischen Zeit regeneriert die Substanz und baut die ursprüngliche Viskosität wieder auf. Im τ/DDiagramm ergeben sich damit für zunehmende Scherbeanspruchungen aus der Ruhe und danach fallende Beanspruchungen zwei verschiedene Fließkurven. Die von den BASF-Handbuch Lackiertechnik 293

Beschichtungsstoff

η1

Jedes Anstrichmittel hat wegen seines Eigengewichtes die Neigung, von senkrechten Flächen herunterzulaufen und zwar umso mehr, je dicker die frisch aufgetragene Schicht ist. Die Lackindustrie hat sich erfolgreich bemüht, diese unerwünschten Nebenerscheinungen dadurch zu beseitigen, dass sie entsprechende Anstrichmittel mit einer Fließgrenze herstellt. Das flächenbezogene Gewicht des Anstrichmittels muss dann kleiner sein als die Kraft, die es zum Ablaufen veranlassen könnte.

Der Beschichtungsstoff

Kurvenzügen in der Abbildung 2.3.18 eingehüllte Fläche ist ein Maß für die Stärke der Thixotropie.

rve Gelku

τ

ve

ur

Der Begriff Thixotropie stammt aus dem Griechischen und heißt Wechsel durch Berührung. Bei diesem Phänomen verflüssigt sich ein Gel bei mechanischer D Einwirkung wie Schütteln, Rühren oder Streichen (Sol) und erstarrt nach BeendiAbbildung 2.3.18: Fließkurve einer thixotropen gung der Einwirkung allmählich wieder Flüssigkeit gallertartig (Gel). Dieser reversible Übergang wird auch als Sol-Gel-Umwandlung bezeichnet. Sie ist bei Lacken und zahlreichen anderen Stoffen anzutreffen. Einige Tonsorten, Bentonite oder Metalloxidhydrate neigen in hohem Maße dazu, sich in unbewegten konzentrierten Lösungen unter Einschluss größerer Flüssigkeitsmengen zu wabenförmigen, netz- oder gerüstartigen Gebilden zusammen zu lagern. Damit steigt die Viskosität einer solchen Lösung schnell an. Die zwischenmolekularen Kräfte sind aber nicht so groß, als dass beim Rühren oder Schütteln das Gefüge erhalten bliebe. Dabei wird die Fließgrenze aufgehoben. In den Ruhestand zurückversetzt, bilden sich innerhalb einer gewissen Zeit die Strukturen zurück. Erwähnenswert ist, dass die Thixotropie eines Systems mit steigender Temperatur abnimmt. Spätesten oberhalb etwa 80 °C findet man keine Thixotropie mehr.

Beschichtungsstoff

lk So

Die Thixotropie ist bei der Herstellung von Lacken und Beschichtungsstoffen zwar eine problematische, für die Verarbeitung aber eine willkommene Eigenschaft. Thixotrope Lacke zeichnen sich, wie die strukturviskos eingestellten Lacke, dadurch aus, dass sie an senkrechten Flächen weniger zum Ablaufen neigen. In seltenen Fällen zeigen Formulierungen ein der Thixotropie umgekehrtes Verhalten, die sogenannte Rheopexie. Dabei ist die Ruheviskosität niedriger als die, die sich nach der Scherung einstellt. Die Beurteilung des komplexen Fließverhaltens der Lacke erfordert für die Praxis eine genaue Kenntnis der Scherbeanspruchung in allen Schritten der Herstellung und Verarbeitung. Von den extrem hohen Scherbeanspruchungen beim Dispergieren oder Versprühen von Lacken über die geringeren Schergefälle bei der Verarbeitung durch Tauchen bis hin zu den extrem η schwachen Scherungen beim Verlaufen frisch applizierter Filme wird ein Versprühen breites Band unterschiedlicher ScherDispergieren beanspruchung überstrichen. Verlaufen Tauchen

100

101

102

103

104

105 D

Abbildung 2.3.19: Scherbeanspruchung D und Viskosität η bei Herstellung und Verarbeitung von ideal strukturviskosen Lacken

294

Das Spektrum der D-Werte reicht in der Anwendung von Lacken von 100 bis >105 s-1. Ein für die Anwendung ideal strukturviskoser Lack zeigt in diesem Spektrum der Schergefälle immer die BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Ein flüssiger Beschichtungsstoff kann die zum Teil sehr heterogenen Anforderungen während des gesamten Versorgungs- und Verarbeitungsvorgangs durch eine angepasste Strukturviskosität und ein den Anforderungen entsprechendes plastisches Fließen nur erfüllen, wenn zur Charakterisierung des rheologischen Verhaltens die Temperaturabhängigkeit der Viskosität mit in die Überlegungen einbezogen wird. Aus den zahlreichen empirischen und wissenschaftlichen Bemühungen, den Einfluss der Temperatur auf die Viskosität von Harzlösungen und flüssigen Beschichtungsstoffen quantitativ zu erfassen, hat sich für die Praxis die Andrade’sche Gleichung bewährt. Sie basiert auf Überlegungen von Arrhenius, Prandtl und Eyring. Sie erklären die Temperaturabhängigkeit von Flüssigkeiten aus der Platzwechselenergie der einzelnen Moleküle während des Fließvorgangs. B

A,B = stoffspezifische Konstanten

A eT

Die Temperaturabhängigkeit der Viskosität von lösemittelfreien Polymerschmelzen, wie sie bei der Herstellung und Verarbeitung von Pulverlacken vorliegen, wird durch die von Williams, Landel und Ferry entwickelte Gleichung (WLF) besser erfasst. Sie beschreibt allerdings nur in einem verhältnismäßig engen Bereich oberhalb der Schmelztemperatur das Viskositätsverhalten mit guter Genauigkeit [2.4.126]. lg 0

B, C = Stoffkonstanten η0 = Schmelzviskosität

- B (T - T0 ) C + (T - T0 )

T1 = Referenztemperatur, z.B. Schmelztemperatur

Für Harzlösungen und Schmelzen kann vornehmlich im Bereich höherer Viskositäten die Abnahme der Viskosität bei Temperaturanstieg erheblich sein. Je nach chemischer Struktur werden pro Grad Temperaturerhöhung Viskositätserniedrigungen von 4 bis 10 % gemessen. Deswegen ist der Thermostatisierung von Dispergier- und Rührgeräten und im Besonderen der von empfindlichen Messgeräten zur Bestimmung der Viskosität besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Unter der bekannten Voraussetzung, dass die Deformationsarbeit beim Fließen viskoser Flüssigkeiten quantitativ in Wärme überführt wird, gilt die folgende Betrachtung zur Abschätzung der Wärmeentwicklung. Ein gedanklicher Würfel mit der Kantenlänge x werde mit der Kraft F um die Strecke s mit dem Scherwinkel γ geschert. Die auf das Volumen V bezogene, in der Zeit t entstehende Wärmemenge q· ist dann q

F s V t

somit ist

wobei F q

A s A x t

A D

und

V

A x

D2

Die Wärmeentwicklung beim Fließen ist somit der Viskosität direkt, dem Schergefälle jedoch quadratisch proportional. Dieser Sachverhalt hat u.a. Bedeutung für die AusleBASF-Handbuch Lackiertechnik 295

Beschichtungsstoff

gewünschte Viskosität. Nur so erklärt sich, dass Anstrichmaterialien die eingangs geschilderten, scheinbar widersprüchlichen Forderungen des leichten Verstreichens oder Versprühens ohne zu tropfen bei gleichzeitig gutem Verlauf erfüllen können.

Der Beschichtungsstoff

gung der Thermostatisierung empfindlicher Messgeräte (siehe weiter) und der Ausarbeitung von Mahlgutrezepturen bzw. der Einstellung der Dispergiermaschinen.

s F

A

Für die Messung der Viskosität existiert eine Reihe von Messgeräten, die durch direkte Bestimmung der Schubspannung bei vorgegebener Schergeschwindigkeit (Spaltströmung), durch Messen von Ausflussraten beim Abbildung 2.3.20: Modell zur Abschätzung der Durchfließen von Rohren (Kapillarströmung) beim Fließen entstehenden Wärmemenge oder durch Bestimmung der Sinkgeschwindigkeit definierter Festkörper in Flüssigkeiten (schleichende Bewegung) die gesuchten Kenngrößen finden lassen. X

Beschichtungsstoff

Messmethoden

γ

In allen Fällen muss sichergestellt werden, dass bei der Messung laminare Strömungszustände vorliegen. Nur dann kann die Newton’sche Grundgleichung zur Berechnung der Viskosität herangezogen werden. Benutzt man Kapillaren oder Rohre für die Messung, ist eine Charakterisierung der Strömungszustände in Rohren durch die Berechnung der Reynold-Zahl als dimensionslose Verknüpfung aller strömungsbeeinflussenden physikalischen Größen möglich. Diese sind Viskosität, Dichte, Fließgeschwindigkeit und Durchmesser der Rohrleitung. Liegen die Reynold-Zahlen unterhalb von 2000, ist die Strömung laminar und für die Messungen geeignet. Oberhalb von 2000 beginnen die Flüssigkeitsfäden Mischströmungen aufzubauen, um sich bei weiterem Anstieg der Reynold-Zahl vollständig in Turbulenz zu verwandeln. Das Messprinzip der in der Lackiertechnik in Form von Auslaufbechern weit verbreiteten Kapillarviskosimeter besteht darin, dass ein definiertes Volumen der zu untersuchenden Flüssigkeit durch eine Düse mit bekanntem Durchmesser und bekannter Länge hindurchfließt. Die gemessene Ausflusszeit ist mit Hilfe des Newton’schen Grundgesetzes in die Viskosität umzurechnen. Hierzu ist das Gesetz den Verhältnissen des Fließens in Rohrleitungen anzupassen. Die zum Fließen in Rohren notwendige Kraft sei F2, die während des Fließens durch Reibung sich einstellende Gegenkraft ist nach dem Newton‘schen Gesetz F1. F1

A

du dr

F2

p r2

Für den stationären Zustand des Fließens gilt F1 + F2

0

p r2

oder

-

A

du dr

F1 r

R

l

296

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Das Aufbereiten, Einsetzen der Grenzbedingungen und Lösen der Differenzialgleichung führt bei r = 0 bis R = Radius der Kapillare mit der Länge l zu: p 4

l

(R2 - r 2 )

Das Fließprofil u(r) entspricht einer Parabelfunktion. An den Wandungen adhäriert die Flüssigkeit mit umin = 0, um in der Mitte ein Maximum u anzunehmen.

Abbildung 2.3.21: Charakteristische laminare Strömungszustände für die Viskositätsmessung

Die Berechnung des transportierten bzw. ausfließenden Volumens dV = 2π r dr l gelingt durch Einsetzen der Geschwindigkeitsgleichung u = l/t mit l = u t. Nach Lösen der neuen Differenzialgleichung erhält man V

p 8

R4 t l

Diese als das Hagen-Poiseuille’sches Gesetz bekannte Gleichung ermöglicht es, bei vorgegebener Durchflussmenge durch Messen der Ausflusszeit die Viskosität zu berechnen. Da der wirksame Druck ∆p durch die Schwerkraft vorgegeben wird und mit ρ · g · h(t) wegen der abnehmenden Höhe der Flüssigkeitssäule eine zeitabhängige Größe ist, muss diese – Abhängigkeit zusätzlich ermittelt werden. Daraus wird der Mittelwert h für h(t) berechnet. Bei allen Überlegungen wurde bisher nicht berücksichtigt, dass sich der wirksame – statische Druck ρ · g · h beim Fließen aus Gründen der Energieerhaltung verringert. Dieser von Bernoulli erstmalig beschriebene Effekt führt dazu, dass vom Gesamtdruck – ρ · g · h der Staudruck ρ · u2/2 der nun fließenden Flüssigkeit als sog. HagenbachKorrektur abzuziehen ist. Unter Beachtung aller den Messvorgang beeinflussenden Variablen ergibt sich: g h V

2 8

u2 l

R4 t

Nach mathematischer Aufbereitung folgt: g h R4 V t8 V l 16 l t

oder A t-

B t

Nach Berechnung und Zusammenfassung der konstanten Größen zu A und B ist aus den Auslaufzeiten durch Umrechnungen die kinematische Viskosität für Newton’sche Flüssigkeiten zu berechnen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 297

Beschichtungsstoff

u

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Im Falle strukturviskoser Stoffe sind die Fließbecher nur unter Vorbehalt einzusetzen. Aufgrund der durch die Schwerkraft vorgegebenen, sich kontinuierlich ändernden Fließgeschwindigkeit ist es nicht möglich, Schergefälle definiert einzustellen, geschweige denn, konstant zu halten. τ/DDiagramme zur Charakterisierung des Fließverhaltens in Abhängigkeit von definierten Scherungen sind deshalb mit Auslaufbechern nicht aufzunehmen. Auslaufbecher dienen in solchen Fällen letztlich nur der Identitätskontrolle von Beschichtungsstoffen, und das auch nur bei gleichem Grad der Strukturviskosität. Für thixotrope Beschichtungsstoffe sind Auslaufbecher überhaupt nicht geeignet.

Abbildung 2.3.22: Temperierbarer Auslaufbecher nach DIN EN ISO 2431 Quelle: Erichsen

Für die Praxis sind in den entsprechenden Normen für die einzelnen Becher Geometrien und Eichkurven mit den zulässigen Viskositätsbereichen festgelegt. Der früher

Abbildung 2.3.23: Querschnitt durch einen Auslaufbecher und eine entsprechende Eichkurve

298

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

übliche DIN-Becher ist durch den ISO-Becher ersetzt worden. Die gegenüber dem DINBecher um das Fünffache verlängerte Auslaufdüse verlangsamt die Fließgeschwindigkeit und erhöht die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit der Messergebnisse.

In der internationalen Norm DIN EN ISO 2431 sind vier Auslaufbecher mit gleichen Maßen, aber unterschiedlichen Düsendurchmessern (3, 4, 5 und 6 mm) beschrieben. Durch die Variation der Düsenweite wird es möglich, ein breites Viskositätsspektrum zu überstreichen. Die zulässigen Arbeitsbereiche liegen für alle Becher bei Auslaufzeiten zwischen 30 s und 100 s. Rotationsviskosimeter Zur Untersuchung von nicht-Newton’schen Flüssigkeiten mit starker Strukturviskosität, Dilatanz oder Thixotropie unter Einstellung von definierten Schergefällen sind Rotationsviskosimeter die geeigneten Messgeräte. Die Fließzustände im Messteil ähneln der laminaren Strömung zwischen den beiden Platten des Newton’schen

Abbildung 2.3.24: Schnittzeichnungen von Zylinderviskosimetern

BASF-Handbuch Lackiertechnik 299

Beschichtungsstoff

Wegen der bekannten Temperaturabhängigkeit der Viskosität ist für eine gute Thermostatisierung der zu untersuchenden Muster zu sorgen (siehe Abbildung 2.3.22).

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Modells. Für die Praxis haben sich Zylinder- und Kegel-Platte-Geräte bewährt. Im ersten Fall bewegen sich zwei konzentrisch positionierte Zylinder mit engem Spalt relativ zueinander. Dabei kann sich entweder der Außenzylinder oder der Innenzylinder in Ruhe befinden. Im zweiten rotiert ein flacher Kegel auf einer fest angeordneten Platte. Die sich in den Räumen zwischen den Zylindern oder dem Kegel und der Platte befindende Messflüssigkeit kann durch variierende Drehzahl definiert geschert werden. Das sich für eine vorgegebene Drehzahl einstellende Drehmoment ist durch die Leistungsaufnahme des antreibenden Motors messbar. Beide Gerätetypen erlauben die Aufnahme von Rheogrammen (Fließkurven) in allen Bereichen der Praxisbeanspruchung von Beschichtungsstoffen. Wird bei den Zylinderviskosimetern der äußere Zylinder angetrieben, so handelt es sich um Couette-, bei Antrieb des Innenzylinders um Searle-Viskosimeter. Bei beiden Gerätetypen wird das Geschwindigkeitsgefälle vorgegeben und die sich einstellende Schubspannung anschließend gemessen. Bei Substanzen mit zeitabhängigem Fließverhalten ist dafür Sorge zu tragen, dass vor Beginn des Messvorgangs zum vollständigen Aufbau des Gelzustandes eine ausreichende Ruhezeit eingehalten wird. Es muss ebenfalls sichergestellt werden, dass die Probe vor Messbeginn die vorgegebene Temperatur erreicht hat. Sind alle Voraussetzungen für reproduzierbare Messungen gegeben, können Fließkurven aufgenommen werden, aus denen die für den jeweiligen D-Wert repräsentative Viskosität berechenbar wird. Sind bei steigenden und fallenden Drehzahlen die Rheogramme identisch, liegt je nach Zunahme oder Abnahme der Viskosiät Dilatanz oder Strukturviskosität vor. Zeigen die Kurven bei Drehzahlzunahme (Gelkurve) und schließender Abnahme (Solkurve) Unterschiede im Verlauf, liegt Thixotropie oder Rheopexie vor. Zur Aufbereitung der Messwerte wird wieder die Newton’sche Grundgleichung herangezogen. Dabei ist

τ

F A

F r A r

2

M r2 h

M = Drehmoment

Ri r Ra

Ri

Ra Luftblase

Ansicht von oben

wobei die Mantelfläche der Flüssigkeit A = 2 π r h und h die Höhe des Messzylinders ist. Erweitert man die Größe F/A mit einem beliebigen Radius r des Flüssigkeitszylinders, erhält man einen Zusammenhang zwischen Schubspannung τ und dem Drehmoment M. Für die Berechnung von D gilt: D

du dr

d

r dr

Eingesetzt in die Newton’sche Grundgleichung ergibt sich 300

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

M r2 h

2

d

r dr

Durch Lösung der Differenzialgleichung folgt unter Berücksichtigung der Randbedingungen (Außenradius Ra/Innenradius Ri bzw. max. Winkelgeschwindigkeit Ω = 2 π n) Ra2 Ri2 h R + Ri2 2 a

n

Die Formel verliert an Gültigkeit, wenn der zu scherende Spalt eine bestimmte Breite überschreitet. Das Verhältnis zwischen dem Radius des Außen- und Innenzylinders sollte Werte von 1,1 nicht übersteigen, um ein lineares Schergefälle einzuhalten und Voraussetzungen für eine rasche Wärmeabfuhr zu schaffen. Neben den Zylinderrotationsviskosimetern findet man in der täglichen Praxis die Kegel-Platte-Rotationsviskosimeter. Der zu messende Beschichtungsstoff befindet sich in diesem Fall zwischen dem rotierenden Kegel und der ruhenden Platte. Diese Geräte haben gegenüber den Zylinderviskosimetern die Vorteile der sehr kleinen Probenmenge, des schnellen Einstellens der Prüftemperatur und der kurzen Mess- und Reinigungszeit. Aufgrund des sehr kleinen Winkels des Kegelmantels sind auch bei niedrigen Drehzahlen hohe Schergefälle einzustellen. Die Berechnung der Viskosität erfolgt ähnlich der bei den Zylinderviskosimetern. D

r

2

x

n

tan R

dr α

r

x

r

R Ansicht von oben

Der D-Wert ist eine Funktion der Rotationsgeschwindigkeit ωr und x, dem Abstand des Kegels zur Platte an der Stelle r. x/r lässt sich auch durch tan α beschreiben, der bei sehr kleinen Winkeln α entspricht. Da ω = 2 π n kommt man zur Berechnungsformel für das Schergefälle in Abhängigkeit von der Drehzahl. Die Berechnung des Drehmoments ist etwas komplizierter als bei den Zylinderviskosimetern. Hierzu ist zunächst ein differenzielles Segment dM des Drehmoments M zu berücksichtigen, um durch Lösung der Differentialgleichung eine brauchbare Beziehung zu erhalten. dM

dA r

da dM 2

r dr

folgt nachLösung der Dif ferentialgleichung

2

3 M R3

Nach dem Einsetzen in die Newtonʼsche Grundgleichung τ = η · D folgt: BASF-Handbuch Lackiertechnik 301

Beschichtungsstoff

2

8

M

Der Beschichtungsstoff 2

4

R3

3

n

Neben den Kegel-Platte-Geräten, die eine kontinuierliche Veränderung des Geschwindigkeitsgefälles ermöglichen, existieren auch einfache, mit nur einem fest vorgegebenem Schergefälle operierende Viskosimeter. Diese wegen ihrer einfachen Arbeitsweise für Routineprüfungen geeigneten Geräte haben sich sowohl in der Produktionskontrolle als auch in den Entwicklungslabors bewährt. Sie sind somit ein ernsthafter Konkurrent für die Auslaufbecher geworden, die häufig unerlaubt auch bei der Vermessung nicht-Newtonʼscher Flüssigkeiten benutzt werden. Nicht zuletzt werden Kegel-Platte-Geräte deshalb eingesetzt, weil diese auch M Viskositätsmessungen im Bereich höherer Temperaturen zulassen. Harzschmelzen und Pulverlacke sind bis zu Temperaturen von 200 °C problemlos zu messen. α

x

r Abbildung 2.3.25: Schema des Kegel-Platte-Viskosimeters

10

°±



Verschlussstopfen mit Kapillare Messrohr Mantelrohr

Thermometer

±1

Libelle

e 100 Mess streck

Beschichtungsstoff

M

Kugel

Stativ

Ein weiteres Prinzip zur Messung von Viskositäten beruht auf der durch die Schwerkraft hervorgerufenen Bewegung von Kugeln in einem mit der Prüfflüssigkeit gefüllten Rohr. Wenn der Durchmesser der Kugel nur geringfügig kleiner ist als der des Rohres und die Kugel sich aufgrund eines Dichteunterschiedes zur Prüfflüssigkeit nach unten (Δρ positiv) oder nach oben (Δρ negativ) bewegt, ist nach Zurücklegen einer vorgegebenen Strecke die Viskosität aus der Laufzeit berechenbar. Zu diesen Geräten zählen das Kugelfallviskosimeter nach Höppler und das Bubble-Viskosimeter. Die Viskosität wird aus der sich einstellenden Sink- bzw. Aufstiegsgeschwindigkeit einer Kugel bzw. Luftblase als Prüfkörper bestimmt. Für den stationären Zustand der Kugelwanderung u gilt: m g

Nivellierschraube Abbildung 2.3.26: Schematische Darstellung eines HöpplerViskosimeters

302

6

r u

Nach Auflösen und Ersetzen von u = s/t folgt s

k t h

wobei k

m g 6 r

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Unterschiedliche Messbereiche sind durch Kugeln mit unterschiedlicher Dichte (Glas, Stahl etc.) zu überstreichen. Auch durch den einfachen Vergleich der Wanderungsgeschwindigkeit einer Blase in Flüssigkeiten mit solcher bekannter Viskosität sind Viskositätsmessungen möglich. Bei den Bubble-Viskosimetern nach ASTM D 1545 werden Prüfröhrchen mit Flüssigkeiten ansteigender Viskosität (A–Z10) gefüllt. Die zu prüfende Flüssigkeit wird dann in ein entsprechendes Leerröhrchen gefüllt und mit der Aufstiegsgeschwindigkeit der Blasen der Standards verglichen. Die Prüfsubstanz wird mit dem seiner Viskosität entsprechenden Buchstaben gekennzeichnet.

Beschichtungsstoff

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Abbildung 2.3.27: Bubble-Viskosimeter nach ASTM D 1545

Alle bisher vorgestellten Geräte sind für Viskositätsmessungen zur Beurteilung des molekularen Aufbaus von Harzen und deren Wechselwirkung mit den Lösemitteln, aber auch zur Beschreibung von Pigmentdispersionen, dem Transport in Rohrleitungen, der Beurteilung von Zerstäubungsvorgängen mehr oder weniger gut geeignet. Zur Beurteilung des Filmbildeprozesses und den dabei sich einstellenden hohen Viskositäten sind sie jedoch nicht geeignet. Der Übergang von der flüssigen in die feste Phase unter Abgabe von Lösemitteln, überlagert durch chemische Reaktionen, lässt sich in den beschriebenen Geräten nicht nachstellen. Da Verlaufen, Ablaufen und Oberflächenstörungen wie Kocher und Krater sehr wesentlich durch das zeitliche Profil des Fließverhaltens bis hin zum festen Film beeinflusst werden, besteht ein großes Interesse an Messtechniken, die das rheologische Verhalten von Lacken während des gesamten Filmbildeprozesses erfassen können. Eine sehr alte, gleichzeitig aber auch einfache Methode, die sich ändernde Viskosität halbquantitativ zu bestimmen, besteht in der 1938 von Wolff und Zeidler entwickelten Methode der „Rollenden-Kugel-Technik“ [2.4.126]. Sofort nach Applikation des zu untersuchenden Beschichtungsstoffes werden Stahlkugeln mit einem Durchmesser von 2,5 mm auf die in einem Winkel von 60° schräg gestellte Prüftafel aufgebracht. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Kugeln nach unten bewegen, ist ein Maß für die zum Zeitpunkt der Messung vorliegende aktuelle Viskosität. Lässt man nun regelmäßig in kurzen Abständen Kugeln auf die sich durch steigende Temperatur verfestigende Lackierung fallen und subtrahiert die Wegstrecke einer Kugel von der vorherigen, sind die so errechneten Strecken s Grundlage zur Berechnung der jeweils vorliegenden Viskosität η. Trägt man s gegen t auf, errechnet sich aus dem Proportionalitätsfaktor die Viskosität. Der Proportionalitätsfaktor setzt sich aus der Dichte und Größe der Kugel, BASF-Handbuch Lackiertechnik 303

Der Beschichtungsstoff

der Dichte des Films, der Erdbeschleunigung g und zwei empirischen Konstanten zusammen. Diese Methode ist geeignet, mit einfachen Mitteln den Viskositätsverlauf zu ermitteln. Eleganter geht es mit DMAUntersuchungen (siehe weiter).

Kugeldurchmesser 2,5 mm

Beschichtungsstoff

Filmdicke 50 µm 60°

s

η Pa · s 24

Lack 1

16 12

ρk

Lack 2

20

ρT

(

k

- k1 k2

T

) g r2

t

= Dichte Kugel = Dichte Flüssigkeit

k1, k 2 = empirische Konstanten

Lack 1 Lack 2

Abbildung 2.3.28 zeigt die Messergebnisse an zwei ver4 schiedenen Lacken. Der zur 0 Läuferbildung neigende Lack 2 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sinkt wegen geringerer Reakti0 1 2 3 min 5 vität in der Einbrennphase auf Ablüftphase Einbrennphase (100 °C) t ein tieferes Viskositätsniveau ab als der chemisch reaktivere Abbildung 2.3.28: Schematischer Viskositätsverlauf von Lackproben und deshalb sich schneller verwährend der Filmbildung festigende Lack 1. Schlechter Verlauf von Lack 1 und Läuferneigung von Lack 2 werden durch die Fließkurven der „Rollenden-Kugel-Technik“ eindeutig bestätigt. 8

Genaue Viskositätsmessungen während der gesamten Verfestigung von Reaktionslacken werden durch Rheometer möglich, deren Scherstrecke kürzer ist als die nach Aushärtung des Films noch maximal möglichen elastischen Verformungen. Realisierbar wird dies, wenn die Rotation des Rheometers durch Oszillation ersetzt wird. Üblicherweise werden dem sich zwischen den oszillierenden Platten befindenden Film sinusförmige Schwingungen aufgezwungen, deren Amplitude unter der Streckgrenze des Films angesiedelt sein muss. 0

sin(

t)

0

sin(

t

)

Derartige Messeinrichtungen erlauben es, durch die zeitliche Verschiebung der deformierenden Schubspannung und der sich einstellenden Deformation neben den viskosen auch die elastischen Anteile zu messen. Es gelingt so, die komplexen Viskositäten viskoelastischer Substanzen zu erfassen (siehe Kapitel 3.2.5). Oberflächenspannung Viele Prozesse der Lackiertechnik, wie z.B. die Benetzung von Pigmenten, die Zerstäubung von Beschichtungsstoffen und das Verlaufen von frischen Filmen, der Vor304

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

0° Polymer 90°

270°

x 180°

x Platte fixiert

Abbildung 2.3.29: Schemazeichnung eines Schwingungsrheometers

Grenzfläche zur Luft

Die Oberflächenspannung ist im Wechselspiel mit dem rheologischen Verhalten die wichtigste physikalische Größe zur Beurteilung von Beschichtungsstoffen.

Stoffe mit endlicher Ausdehnung, wie Flüssigkeiten und Festkörper, Abbildung 2.3.30: Schematische Darstellung der Oberflächenspannung zeigen an ihren Grenzflächen gegenüber dem restlichen Volumen ein höheres Energieniveau. Dadurch bedingt nehmen Flüssigkeiten, schließt man Schwerkrafteinflüsse aus, immer eine Minimaloberfläche an. Hervorgerufen durch die van der Waal’schen-Kräfte als Folge von Dipol- und Dispersionskräften im Zusammenspiel mit Wasserstoffbrücken entstehen Kohäsionskräfte. Diese sind im Innern der Flüssigkeit nach allen Raumrichtungen gleich. Die Kraftresultante hat den Wert 0. Anders hingegen verhalten sich Moleküle in der Grenzfläche zu einem gedanklichen Vakuum oder einem Dampfraum mit vergleichsweise nur wenigen Molekülen. In diesem Fall ist die Summe der wirksamen Kräfte ungleich 0. Alle Moleküle in der Oberfläche besitzen eine Anziehung zum Inneren der Flüssigkeit und damit eine höhere potenzielle Energie. Diese befähigt sie, sich in das Innere der Flüssigkeit zu bewegen, wenn dort für sie Platz vorhanden ist oder entsteht. Wenn also eine Formänderung möglich ist, die mit einer Verringerung der Oberfläche einhergeht, wird diese Änderung aufgrund der wirksamen Oberflächenspannung auch erfolgen. Flüssigkeiten nehmen also, schließen wir externe Einflüsse wie die der Schwerkraft aus, immer Minimaloberflächen ein. Sie verwandeln sich in Kugeln, weil diese bei vorgegebenem Volumen die geringstmögliche Oberfläche besitzen. Umgekehrt muss Energie aufgebracht werden, um Oberflächen zu vergrößern. Die Definition der Oberflächenspannung σ ist demzufolge die flächenbezogene Arbeit, die bei der Oberflächenvergrößerung zu leisten ist. F s A

Die Dimension der Oberflächenspannung ist N/m. Sie wirkt tangential zur Oberfläche. Die der Vergrößerung entgegenwirkende Kraft ist in das Innere der Flüssigkeit gerichtet. Thermodynamisch betrachtet ist die Oberflächenspannung σ gleich der Änderung der freien Enthalpie G des Systems, wenn ohne stoffliche Veränderung unter isothermen und isobaren Bedingungen Oberflächen A verändert werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 305

Beschichtungsstoff

gang des Emulgierens, die Kapillarwirkung beim Eindringen in Pigmentagglomerate, Ausschwimmeffekte, das Wegziehen von Kanten, die Kraterbildung u.ä. werden durch die höhere potenzielle Energie von Molekülen in Grenzflächen und die dadurch bedingte Oberflächenspannung beeinflusst.

Der Beschichtungsstoff

δG dA δA p,T

Beschichtungsstoff

dG

d.h.

δG δA

p,T

Die Oberflächenvergrößerung dA ist demnach aus thermodynamischer Sicht ebenfalls nur möglich, wenn sich die freie Enthalpie des Systems erhöht. Das System muss also zur Vergrößerung von Oberflächen Arbeit leisten. Die zur Oberflächenvergrößerung aufzubringende, flächenbezogene Arbeit ist für die einzelnen Flüssigkeiten sehr unterschiedlich. Sie wird durch die oben beschriebenen molekularen Wechselwirkungen untereinander bestimmt. Diese setzen sich aus den polaren Wechselwirkungen σp als Summe der Wirkung von permanenten Dipolen (Orientierungskräfte), induzierten Dipolen (Induktionskräfte) und von Wasserstoffbrückenbindungskräften sowie den unpolaren Dispersionskräften σd zusammen. d

σd = disperser Anteil

p

σp = polarer Anteil

σd

σp

σgesamt

Wasser

21,8

51,0

72,8

Ethanol

17,5

4,6

22,1

Ethylenglykol

29,1

20,3

49,4

n-Hexan

18,4

0

18,4

n-Decan

24,0

0

24,0

Glyzerin

37,2

27,3

64,5

Toluol

26,1

2,3

28,4

Alkydharz, mittelölig

26,9

6,3

33,2

Acrylharz

25,8

7,2

33,0

Substanz

Abbildung 2.3.31: Oberflächenspannung von Harzen und Flüssigkeiten in mN/m

Da die Oberflächenspannungswerte von lacktechnisch relevanten Flüssigkeiten relativ niedrig sind, wird die Oberflächenspannung nicht in N/m, sondern in mN/m angegeben. So hat z.B. das polare Wasser eine Oberflächenspannung von 73 mN/m. Andere Flüssigkeiten, wie Xylol oder Benzin, liegen mit 30 bzw. 24 mN/m erheblich niedriger. Einen Überblick über die Oberflächenspannungen der wichtigsten Harze und Lösemittel gibt die Abbildung 2.3.31.

Die Oberflächenspannung ist eine temperaturabhängige Größe. R. von Etvös, W. Ramsay und I. Shields formulierten die annähernd für alle Flüssigkeiten gültige halbempirische Beziehung: (T )

A- B T

A und B sind empirisch zu ermittelnde Konstanten. Im Gegensatz zur Viskosität mit 4 bis 10 %/°C reagiert die Oberflächenspannung mit Werten von nur 1 %/°C weniger sensibel auf Temperaturänderungen. Messmethoden Die Oberflächenspannung flüssiger Stoffe wird durch Tenside herabgesetzt, diese sind jedoch nur wirksam, wenn sie sich in der Grenzfläche ansiedeln können, also eine Gleichgewichtseinstellung einnehmen. Deshalb ist bei den Messtechniken zwischen der Messung der statischen und dynamischen Oberflächenspannung zu unterscheiden. Bei den statischen Messmethoden wird die Oberfläche auf verschiedene Arten so langsam vergrößert, dass sich immer ein Gleichgewicht von Additiven an der Grenzfläche einstellen 306

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

kann. Die dafür aufzubringende Arbeit bzw. die dadurch erhöhte potenzielle Energie wird direkt oder indirekt gemessen. Im Einzelnen haben sich die Abreißmethoden nach Nouy und Wilhelmy, die Kapillar-, Tropfen- und Rotationsmethode u.a. nach DIN 55660 ff bewährt.

Die geleistete Arbeit ist F · h. Diese entspricht der Oberflächenspannung, multipliziert mit der geschaffenen Fläche. Diese ist im Fall eines Ringes wegen der doppelten Fläche innen und außen σ 4 π r h und für die Methode nach Wilhelmy σ 2 l h, wobei l die Länge des Platinstabs ist. Für das Maximum gilt: F 4

r

Beschichtungsstoff

Bei der Abreißmethode wird ein Platinring nach DIN EN 14210 (de Nouy) oder ein Platinstab (Wilhelmy) in die zu messende Flüssigkeit eingetaucht, deren Viskosität r2 > r3 < r4 < r5

r3

300

200

100 0

25

50

75

100

125 150 Zeit [ms]

175

200

Abbildung 2.3.36: Messen der dynamischen Oberflächenspannung tensidhaltiger Stoffe

225

250

Quelle: Krüss

Moment setzt sich der Druck zusammen aus dem hydrostatischen Druck p0 = ρ g h und dem Druck zur Blasenbildung 2 σ/r min. pmax

2 rmin

g h

Dabei ist der minimale Radius r min der sich bildenden Blase gleich dem Radius r der Kapillaren. dyn

(pmax -

g h) r 2

Wird die Frequenz der Blasengenerierung erhöht, steigt pmax und damit die Oberflächenspannung. Eine solche Steigung gibt also Auskunft über die Kinetik der Gleichgewichtseinstellung oberflächenaktiver Substanzen. Ab einer bestimmten Höhe des Volumenstroms kann die Orientierung der Tensidmoleküle in der Grenzfläche nicht synchron erfolgen. Die Oberflächenspannung ist, wenn zeitabhängige Tensidwirkungen vorliegen, also auch eine Funktion der pro Zeiteinheit gebildeten Blasenzahl. Die kurze Zeit, die den Molekülen zur Verfügung steht, um in die Grenzfläche zu gelangen, führt zu einer unvollständigen Belegung der Grenzfläche und damit zu einer höheren Oberflächenspannung. Der zeitliche Bereich des so einstellbaren Oberflächenalters reicht von 5 ms bis hin zu 60 s. Die Abbildung 2.3.37 zeigt die Zeitabhängigkeit der sich einstellenden Oberflächenspannung bei Zugabe unterschiedlicher Tensidmengen. Je geringer die Steigung der BASF-Handbuch Lackiertechnik 311

Beschichtungsstoff

r1

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Abbildung 2.3.37: Zeitabhängigkeit der sich einstellenden Oberflächenspannung

Quelle: Krüss

Kurven, desto schneller wandert das Tensid in die Grenzfläche. Bei vergleichbaren Molmassen stellt sich das Gleichgewicht bei anionischen Tensiden am schnellsten ein, gefolgt von den kationischen. Nichtionische Tenside sind in der Regel die sich am langsamsten orientierenden Produkte. Dichte Die Dichte von Beschichtungsstoffen und Beschichtungen ist für die Lagerung, Verarbeitung und vor allen Dingen für die Ergiebigkeit von Lacken eine entscheidende Größe. Da die Schutzwirkung überwiegend durch die Schichtdicke festgelegt wird und damit bei vorgegebener Fläche letztlich ein bestimmtes Volumen aufzutragen ist, führt eine niedrige Dichte zu einem geringeren Materialverbrauch und damit zu einer besseren Ergiebigkeit (siehe Kapitel 5.7). Die Dichte ρ ist nach DIN EN ISO 2811 definiert als die volumenbezogene Masse. m v

kg m3

Sie ist aufgrund der Temperaturabhängigkeit des Volumens auch eine temperaturabhängige Größe. Der Grad der Temperaturabhängigkeit wird durch den Ausdehnungskoeffizienten γ vorgegeben: (T)

m V0 (1

T)

Es ist deshalb unbedingt darauf zu achten, dass bei Messungen der Dichte die Temperatur ebenfalls gemessen bzw. auf einen vorgegebenen Wert eingestellt wird. 312

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Beschichtungsstoff

Zur Bestimmung der Dichte von Flüssigkeiten werden direkte und indirekte Verfahren herangezogen. Die Pyknometer zählen zu den direkten, die Tauchkugeln, das Areometer und der Biegeschwinger zu den indirekten Methoden der Dichtemessung. Pyknometer nach DIN EN ISO 2811-1 sind Gefäße verschiedener Formen mit bekanntem Volumen. Aufgrund der Stabilität, der einfachen Handhabung und guten Reinigungsfähigkeit werden Metall-Pyknometer in der Lackindustrie bevorzugt.

Abbildung 2.3.38: Pyknometer nach DIN EN ISO 2811-1 

Quelle BASF Coatings

Für genaue Messungen ist der Luftauftrieb bei der Wägung der Masse zu berücksichtigen. Es ist außerdem üblich, durch Vergleichsmessungen mit Wasser, einem Medium mit bekannter Dichte das Pyknometer-Volumen als mögliche Fehlerquelle zu eliminieren. Die durch die Wägung bestimmte Dichte ist wegen des Auftriebs durch die Umgebungsluft nicht die Dichte des Lackes, sondern die Differenz der Dichten von Lack ρLa und Luft ρLu. La

-

Lu

mLa V

Dividiert man diesen Wert durch das Ergebnis der Vergleichsmessung mit Wasser, so folgt La W

-

Lu Lu

mLa mW

Das Auflösen nach ρLa führt zu einer Formel, die Messungen mit Genauigkeiten bis in den Promille-Bereich erlaubt. La

mLa mW

W

Lu

1-

mLa mW

Zu den Messgeräten, die das archimedische Prinzip des Auftriebs nutzen, gehört das Areometer. Die Glasspindel des Areometers (siehe Abbildung 2.3.39) wird in die zu prüfende Flüssigkeit getaucht. Da der Tauchkörper mit dem Volumen V + h q des eintauchenden Teils so viel an Gewicht verliert, wie die verdrängte Flüssigkeitsmenge m wiegt, gilt für das Gleichgewicht m g La

La

g ( V h q)

m V h q

BASF-Handbuch Lackiertechnik 313

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

h

q

V

ρ≈

1 h

Abbildung 2.3.39: Schemazeichnung und Bild eines Areometers

Die Strecke h an der Skala des Aerometers ist ein Maß für die Dichte der Flüssigkeit. Bei hochviskosen und besonders bei pigmentierten, also undurchsichtigen Prüfflüssigkeiten ist das Areometer natürlich ungeeignet. Hier bietet sich die genauere Methode mit der Tauchkugel nach DIN EN ISO 2811-2 an. Das zu prüfende Material befindet sich in einem Messgefäß auf einer Waage. Nach Eintauchen und Fixieren einer Metallkugel mit einem Volumen von exakt 100 ml wird die durch die Verdrängung des Lackes bedingte Gewichtszunahme auf das Volumen bezogen und damit die Dichte berechnet. Der Messfehler liegt unterhalb von 0,1 % und ist damit für ein Tauchverfahren besonders niedrig. Die Methode der Tauchkugel ist universell einsetzbar und einfach zu handhaben. Sie eignet sich besonders für schnelle Betriebsprüfungen. Eine ebenfalls indirekte Methode, jedoch nach gänzlich anderem Prinzip arbeitend, ist der Biegeschwinger. Beim Biegeschwinger nach DIN EN ISO 2811-3 nutzt man den Tatbestand, dass eine angeregte Frequenz eines als „Stimmgabel“ geformten Glasrohres von der Dichte seiner Füllung abhängt. Setzt man die Schwingungsdauer T1 des leeren mit der des mit Prüfflüssigkeit gefüllten Schwingerröhrchens T2 ins Verhältnis, ist bei Kenntnis der Masse m1 und des Volumens V des Messrohres die Bestimmung der Dichte ρ möglich. Der Biegeschwinger als physikalisches Pendel erlaubt Dichtemessungen mit Genauigkeiten bis zu Bruchteilen eines Promilles. T1

m1 D

2 m1

T2

2

m1

V D

2 2 2 1

T -1 T V

Die Dichte von Beschichtungen (Trockenfilmdichte) wie auch die der flüssigen Beschichtungsstoffe sind wichtige technische und öknomische Größen. Die Bestimmung der Trockenfilmdichte wird in Kapitel 3.2.2. beschrieben. 314

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

0,00 g

Beschichtungsstoff

X

X

78,87 g

Abbildung 2.3.40: Bild und Schemazeichnung der Tauch-Kugel (Gamma-Kugel)

Abbildung 2.3.41: Messprinzip eines Biegeschwingers

Sonstige Kennzahlen Bei der Anlieferung von Lösemitteln und Harzen in Tankzügen werden zur Reduzierung von Wartezeiten die notwendigen Identitätskontrollen häufig mit Schnelltests durchgeführt. In einer normgerechten Destillationsapparatur werden die Destillatmengen in Abhängigkeit von der Temperatur bestimmt und mit denen eines Standards verglichen. Diese früher übliche Siedeanalyse von Lösemitteln ist durch die Aufnahme von Gaschromatogrammen weitgehend verdrängt worden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 315

Der Beschichtungsstoff

II 90 – ϕ

Beschichtungsstoff

ϕ c

90 – ϕ I

β0 β0

ϕ 90 – β 90 – γ γ

a

b i

Noch einfacher gestaltet sich die Bestimmung der Verdunstungszahl VDZ nach DIN 53170. Eine definierte Menge des zu untersuchenden Lösemittels wird bei einer Prüftemperatur von 23 °C auf ein Filtrierpapier getropft. Die Verdunstungszeit tx wird im Vergleich zur Verdunstungszeit der gleichen Menge Diethylether tEther bestimmt. VDZ =

tX

tEther

Für eine Identitätskontrolle von Rohstoffgemischen ist die Bestimmung des BrechungsinAbbildung 2.3.42: Strahlengang in den Prismen des Abbé-Refraktometers dex, nach DIN 51423-2 die Brechzahl, die einfachste und eine der genauesten Methoden. Er wird üblicherweise mit dem Abbé-Refraktometer nach dem Prinzip der Totalreflektion ermittelt. Ein Lichtstrahl durchläuft nach Ablenken über einen drehbaren Spiegel ein Glasprisma, um nach Austritt und einer dem Brechungsindex der Flüssigkeit entsprechenden Ablenkung in ein zweites Prisma einzudringen. Aus diesem gelangt der Lichtstrahl ins Auge des Beobachters. Durch Verändern des Einstrahlwinkels gelingt es, den Lichtstrahl in der Messflüssigkeit zur Totalreflexion zu bringen. Der Beobachter nimmt dann kein Licht mehr wahr. Da nun entsprechend der Abbildung 2.3.42 sin α = 1 wird, ist der Brechungsindex der Probe gemäß dem Brechungsgesetz nach Snellius berechenbar. Spiegel

2.3.3

Pigmentspezifische Prüfungen

Die wichtigsten Anforderungen an Pigmente lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Zum einen ist es die in Kapitel 3.3 abgehandelte Alterungsbeständigkeit unter Einfluss von Licht, Wetter und Chemikalien, zum anderen sind es die verarbeitungstechnischen Eigenschaften in Beschichtungsstoffen. Zur ihrer Charakterisierung zählen Kenngrößen der Pigmente wie die durchschnittliche Teilchengröße, deren Größenverteilung, die spezifische Oberfläche, die Schüttdichte bzw. das Schüttvolumen, aber auch der Feuchtigkeitsgehalt, die wasserlöslichen Anteile, der spezifische Widerstand, der pH-Wert, die Aciditäts- oder Alkalitätszahl und die Abrasivität (Härte). Zur vollständigen Beschreibung müssen die Wechselwirkungen der Pigmente mit dem Filmbildner in die Charakterisierung miteinbezogen werden. Hier sind der Fließ-, Schmier- und Netzpunkt, angegeben als Öl- oder Wasserzahl, die Feinheit, die Farbstärke, Farbstärkeentwicklung und die Dispergierhärte der Zubereitungen nennenswerte Größen.

316

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

2.3.3.1 Kenngrößen des Pigmentes als Rohstoff Pigmentteilchen werden durch D=1–R HäufigKristallisation oder Mahlvorgänge 1 keit auf ihre optimale Teilchengröße Durchgangssumme eingestellt. Die Zufallsprozesse Verteilungssumme von Wachstum und ZerkleineRückstandssumme rung führen fast immer zu Größenverteilungen. Beim idealen Wachstum gehorchen die Partid kelverteilungen annähernd einer Gaußʼschen Kurve, beim Zerklei- Abbildung 2.3.43: Bestimmung der durchschnittliche Teilchengröße d` und Verteilungsbreite n von Pigmenten nach Rosin, Remmler, nern eher einer logarithmischen Sperling und Bennet Verteilung. Für die Praxis der Pigmentgrößenbeschreibung hat sich aus den verschiedenen Messmethoden die von Rosin, Remmler, Sperling und Bennet empirisch gefundene Verteilungskurve (RRSB-Verteilung) bewährt. Nach dieser lassen sich gemäß DIN 66145 die Verteilungen mit zwei Kennzahlen charakterisieren. Durch Aufnahme der Summenhäufigkeit als Rückstandssumme R in Abhängigkeit von der Teilchengröße d und anschließender mathematischer Aufbereitung durch doppeltes Logarithmieren sind die Größen d` und n berechenbar. R

e

-

n

d d'

Aufgrund der e-Funktion sind 36,8 % aller Partikeln >d`. In Verbindung mit dem die Verteilungsbreite charakterisierenden Körnungsparameter n wird die Verteilungskurve eindeutig festgelegt. Im doppelt logarithmischen Diagramm ist die RRSB-Kurve bei idealer Verteilung eine Gerade. Unregelmäßigkeiten in der Verteilung geben sich durch Sprünge (Gleichkornhäufung) oder Plateaus (Kornverarmung) zu erkennen. lglg

1 R

n lg d

y

a

(lgllg e - n lg d ')

x

b

Über die beschriebene Berechnung von d` als Mittelwert für die Partikelverteilung hinaus gibt es andere mathematische Ansätze zur Bestimmung des mittleren Teilchendurchmessers. Für diesen haben Megele und Evans eine Berechnung vorgeschlagen [2.4.128], deren allgemeine Formel lautet: n

dab

i =1 n i =1

a i

ni d

1 a- b

ni dib

ni ist darin die Anzahl der Partikeln der Klassen mit dem Durchmesser di, a und b sind ganze positive Zahlen, die die Art der Verteilung nach Volumen (3), Oberfläche (2), BASF-Handbuch Lackiertechnik 317

Beschichtungsstoff

Teilchengröße/Teilchengrößenverteilung

Der Beschichtungsstoff Mittlerer Durchmesser

a

b

Charakterisiert durch

1

0

Teilchendurchmesser bez. auf Teilchenzahl

Mathematische Beziehung n

d10

d10 =

∑ ni di

i=1 n

∑ ni

i=1

n

Beschichtungsstoff

d20

2

0

Teilchenoberfläche bez. auf Teilchenzahl

d20 =

∑ ni di2

2

i=1

n

∑ ni

i=1 n

d21

2

1

Teilchenoberfläche bez. auf Durchmessersumme

∑ ni di2

i=1

d21 =

n

∑ ni di

i=1

n

d30

3

0

Teilchenvolumen bez. auf Teilchenzahl

d30 =

∑ n d3 i i

3

i=1

n

∑ ni

i=1 n

d31

3

1

Teilchenvolumen bez. auf Durchmessersumme

d31 =

∑ ni di3

2

i=1 n

∑ ni di

i=1 n

d32 (Sauterdurchmesser)

3

2

Teilchenvolumen bez. auf Teilchenoberfläche

d32 =

∑ ni di3 i=1 n

∑ ni di2

i=1

Abbildung 2.3.44: Tabelle üblicher mittlerer Teilchendurchmesser nach der Methode von Megele und Evans

Durchmesser (1) und Anzahl (0) charakterisieren. Aus Abbildung 2.3.44 haben sich für die Praxis die Mittelwerte d10, d30 und der als Sauter-Durchmesser bekannte d32 bewährt. Diesen Methoden der mathematischen Charakterisierung können verschiedene Messverfahren zur Bestimmung der Partikelgrößen zu Grunde gelegt werden. Da die Teilchengrößen bzw. Teilchengrößenverteilungen der Pigmente einen besonderen Einfluss auf die coloristischen und rheologischen Eigenschaften ausüben, sind Partikelmesstechniken von außerordentlicher Bedeutung. Das gleiche gilt auch für Pulverlacke. Eine Auswahl der beschriebenen Methoden hat auch Bedeutung für die Bestimmung der Tropfengröße und -verteilung beim Verarbeiten von flüssigen Beschichtungsstoffen durch Sprühverfahren. Für die Praxis existieren je nach Partikelgröße mechanische, elektrische und lichtoptische Methoden. Im Einzelnen zu nennen sind: • • • • • • • •

Trockensieben Nasssieben Sedimentation (u.a. Sedimentationswaage) Beschleunigte Sedimentation (Scheibenzentrifuge) Coulter-Counter Elektronenmikrokop und Bildanalyse Laserlichtstreuung (wenn 1 µm)

318

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

∆x J0

Beschichtungsstoff

J

J = J0 · l -∆x · ρ · ε l

Pipettiermethode

Trübungsmessung

Sedimentationswaage

Abbildung 2.3.45: Teilchengrößenbestimmung durch Sedimentation mit verschiedenen Indikatormethoden

Siebverfahren führen nur dann zum Erfolg, wenn relativ grobe Pigment- oder Füllstoffteilchen zu untersuchen sind. Standardisierte Trockensiebsätze werden für grobe Füllstoffpartikeln eingesetzt. Die zu prüfende Substanz wird in die oberste von 16 übereinander stehenden Siebtrommeln gefüllt. Durch intensives Schütteln (Schwingsieb) vergleichen sich die Teilchen mit den Öffnungen des obersten Siebes und gelangen, sofern sie kleiner sind als die Öffnungen, in die nächste Siebkammer. Nach erneutem Vergleich der Teilchen mit dem feineren Siebboden wiederholt sich der Vorgang noch 14-mal. Die Maschenweiten beginnen bei 1500 µm und enden bei 50 µm. Man erhält nach Wägen der einzelnen Siebfraktionen ein Bild über die Teilchengrößenverteilung. Die so ermittelbare Rückstandssummenfunktion kann nach RRSB in eine Verteilungsfunktion zur Ermittlung von d` und n umgerechnet werden. Das Verfahren der Siebtrennung wird empfindlicher und damit für das Vermessen feinerer Partikeln einsetzbar, wenn die Siebung in Suspension erfolgt. Teilchen mit Größen bis einem Mikrometer sind so zu analysieren. Ein anderes Messverfahren ist die Sedimentation. Bei der Sedimentation durch Schwerkraft wird eine Partikelsuspension einer weniger dichten Flüssigkeit überschichtet. Die aufgrund der Schwerkraft sedimentierenden Teilchen wandern mit einer von der Dichtedifferenz Δρ zwischen Teilchen und Flüssigkeit, dem Quadrat des Teilchendurchmessers d2 und der Viskosität η abhängigen Sinkgeschwindigkeit u zu Boden. Zusätzlich ist für genaue Berechnungen ein spezifischer Formfaktor f und ein konzentrationsabhängiger Wechselwirkungsfaktor b der Teilchen einzubeziehen. u

g d2 f b 18

Durch Messen der Partikelgeschwindigkeiten während ihres Weges nach unten oder durch Wägen der sich auf einer Sedimentationswaage in Abhängigkeit von der Zeit absetzenden Partikelmengen sind die Teilchengrößen bzw. -größenverteilungen zu berechnen. Das Verfolgen des Weges der Teilchen kann direkt nach Probenahme oder zu einem bestimmten Zeitpunkt in verschiedenen Höhen erfolgen. Der einfachste Weg ist die Messung der Streulichtintensität in der Messanordnung selbst. BASF-Handbuch Lackiertechnik 319

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff

Für Teilchen mit einem Durchmesser von weniger als 1 µm und gleichzeitig geringer Dichtedifferenz zwischen dem Fluid und den wandernden Partikeln werden die Sinkgeschwindigkeiten im Schwerefeld der Erde so niedrig, dass zu lange Messzeiten und durch Brown’sche Molekularbewegungen verfälschte Ergebnisse in Kauf genommen werden müssen. Für solche Teilchen haben sich Verfahren der beschleunigten Sedimentation in Ultrazentrifugen bewährt. Eine für die Pigmentindustrie interessante Variante ist die Scheibenzentrifuge. Durch das Einstellen entsprechend hoher Drehzahlen sind praktisch alle Pigmentteilchen im Bereich von 0,01 bis 1 µm gut zu vermessen. Das Messprinzip entspricht dem der Schwerkraftsedimentation. Es benutzt dazu die Zentrifugalkraft zur Erhöhung der Beschleunigung g. In der Sedimentationsformel muss die Erdbeschleunigung durch die Zentrifugalbeschleunigung ω2r bzw. 4 π n2 r ersetzt werden (siehe auch Kapitel 2.2.4 Sedimentation). Die Wanderungsgeschwindigkeit u ist dann 4 2 n2 R 2 d 18

u

wobei R der Radius der Zentrifuge ist. Die zu überprüfende Suspension wird in den Mittelpunkt der rotierenden Scheibe eingespritzt. Die Wanderungsgeschwindigkeit kann in dieser Messanordnung durch Streulichtmessung an Laserstrahlen ermittelt werden. Bei der Auswertung ist zu beachten, dass die Berechnungen zunächst nur für kugelförmige Teilchen Gültigkeit haben. Bei Kenntnis von Formfaktoren sind allerdings auch die durchschnittlichen Durchmesser unregelmäßig geformter Eingaben von Konstanten Schreiber Partikeln zu berechnen. Motor (ω)

t

Teilchengröße (D) Zeit (t) Extinktion (E)

Ein gänzlich anderes Verfahren zur Untersuchung von Partikelverteilungen nutzt ein von der Firma Coulter entwickelter Partikelzähler. Der sog. Coulter-Counter nutzt die relativ zur Flüssigkeit niedrige elektrische Leitfähigkeit der Teilchen. Durchwandert eine hochverdünnte Suspension eine Kapillare, in der sich eine Messstrecke zur Bestimmung der elektrischen Leitfähigkeit befindet, so sinkt im Falle des Durchflusses eines Pigmentteilchens die elektrische Leitfähigkeit. Die Änderung der Leitfähigkeit ist der Teilchengröße proportional.

E

D

Laser Startkontakt

Einspritzpumpe

E 2

1

0 0

10

20

30

40

Abbildung 2.3.46: Schema einer Scheibenzentrifuge

320

50

t [min]

Der Coulter-Counter ist bei genügend hoher Verdünnung in der Lage, jedes einzelne Teilchen zu registrieren und durch BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

entsprechende Software in eine Teilchengrößenverteilungskurve umzurechnen.

+



Abbildung 2.3.47: Schema eines Coulter-Counters α

Streufunktion

Rayleigh’sche Streuung

1 Beugung Dabei ist α =

π·D λ

Proportionalität zum Durchmesser D6 λ4

(wenn ϕ = 0)

I = Intensität des Streueffektes ϕ = Streuwinkel

Abbildung 2.3.48: Gültigkeitsbereiche der Berechnungsfunktionen in Abhängigkeit von der Teilchengröße l J0

Laser

J = J 0 · e -τ · l

J = J 0 · k’

D6 λ4

τ = Trübungskoeffizient Werden Teilchen vermessen, l = Länge der Messstrecke die kleiner sind als λ/20 (α viel kleiner als 1), wird entweder Abbildung 2.3.49: Methoden der Partikelmessung durch Lichtstreuung das Streulicht eines Laserstrahls senkrecht zur Strahlungsrichtung oder die Schwächung des Primärstrahls selbst ermittelt. Im ersten Fall ist die Streulichteintensität I gemäß

I I0 k

D6 4

in die Teilchengröße D umzurechnen. Im zweiten Fall ermöglicht das Lambert’sche Gesetz, die Schwächung der Primärstrahlintensität in einen Trübungsfaktor zu überführen, der mit der Teilchengröße im Zusammenhang steht [2.4.129]. Bei der Größenordnung der bisher beschriebenen Teilchen erfassen andere Messtechniken die Brown’schen Molekularbewegung. Der durch die Eigenbewegung der Teilchen erzeugte Dopplereffekt führt zu einer Frequenzaufweitung des Streulichtes, so dass das eingestrahlte Licht durch höhere und niedrigere Frequenzen überlagert ist. Nicht die Intensität des Streulichts, sondern seine Frequenzaufweitung ist dann die relevante BASF-Handbuch Lackiertechnik 321

Beschichtungsstoff

Für die direkte Charakterisierung extrem feiner Teilchen, wie sie bei Dispersionen von Harzen und organischen Pigmenten vorliegen, eignen sich lichtoptische Methoden. Sie können Partikelgrößen bis in den molekularen Bereich erfassen. Dabei werden zwei Phänomene analytisch genutzt. Je nach Teilchengröße wird entweder die Lichtstreuung oder die Lichtbeugung zu Grunde gelegt. Bei der Lichtstreuung gehorcht die Wechselwirkung eines Teilchens mit den Lichtstrahlen je nach Größe des Teilchens unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten. Dabei ist der entscheidungsrelevante Faktor α = D π/λ, der sich aus der Teilchengröße D und der Wellenlänge λ des eingestrahlten Lichtes berechnen lässt. I ist die Intensität des Streueffektes, φ der Streuwinkel und n der Brechungsindex.

Stromstärke

Der Beschichtungsstoff

Messgröße. Diese Methode ist als quasielastische Lichtstreuung (QELS) in der Literatur beschrieben [2.4.130].

A

Beschichtungsstoff

Phasenverschiebung durch Beugung bei A und B B

Abbildung 2.3.50: Wellenlängenverschiebungen und Interferenzen des Streulichtes an Partikeln

Laser

Beugungslinie als Informationsgrundlage für die Teilchengröße

Sind die zu vermessenden Teilchen größer als λ/20 und α ~ 1, treten im Bereich des Streulichtes Interferenzen auf (Mie’sche Streuung). Betrachtet man zwei unterschiedliche Streuzentren einund desselben Teilchens, so können bei genügend großem Abstand der Punkte A und B bei diskreten Streuwinkeln Verschiebungen der Wellenlängen auftreten, die zu Interferenzen führen und somit eine Berechnung der Teilchen nach der Rayleigh’schen Formel ermöglicht [2.4.131].

Übersteigt α den Wert 1 beträchtlich, so ist die Auswertung von Beugungsspektren der geeignetste Weg zur Bestimmung von Partikelgrößen. Unter Beugung des Lichtes versteht man die Abweichung der Lichtausbreitung von den Gesetzen der geometrischen Optik. Sie tritt auf, wenn die freie Ausbreitung der Welle durch Objekte wie Spalte oder Partikeln geändert wird [2.4.132]. Passiert ein Lichtstrahl tangential eine Feststoffoberfläche, so verlässt dieser seine ursprüngliche Richtung umso stärker, je näher er das Teilchen passiert. Der Effekt ist von der Teilchengröße abhängig. Um die Bedingung der Fraunhofer-Theorie zu erfüllen und entsprechende Messungen zu ermöglichen, bringt man die Lichtquelle in den Brennpunkt einer Konvexlinse, wodurch die Lichtquelle ins Unendliche verlegt wird und parallele Lichtbündel gebildet werden. Indem man die Beugungserscheinung wieder in der Brennebene einer zweiten Linse beobachtet, verlegt man auch das Beugungsbild ins Unendliche. Abbildung 2.3.51: Beugungslinien als Information für die Teilchengrößenbestimmung

Unter diesen Gegebenheiten kann das vereinfachte Fraunhofer-Integral zur quantitativen Diskussion der Beugungserscheinungen verwendet werden [2.4.133, 2.4.134]. I0 = Intensität des einfallenden Lichtstrahls I x

322

I0 2

2 J1( x ) x r s f

2

J1 = Besselfunktion erster Art und erster Ordnung r = Teilchenradius s = radialer Abstand zur optischen Achse λ = Wellenlänge des Laserlichts f = Brennweite der Linse

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Teilchengrößen können auch elektronenmikroskopisch erfasst werden. Bei genügend geringer Konzentration können Pigmente oder „eingefrorene“ Dispersionspartikeln durch digitale Bildanalyse bezüglich Abbildung 2.3.52: Elektronenmikroskopische Aufnahme von ihrer Größe, Größenvertei- Titandioxid-Pulver in einer Harzmatrix lung und zusätzlich ihrer Form erfasst werden (siehe Kapitel 6.2). Gleichzeitig ist es möglich, Angaben über den Verteilungszustand von Primärkorn, Agglomeraten und Aggregaten zu machen. Hierfür ist eine spezifische Probenpräparation notwendig, die möglichst wenig den ursprünglichen Zustand der Probe verändern sollte [2.4.135]. Wie bei den Beschreibungen der einzelnen Methoden der Messung von Partikelgrößen aufgeführt, gibt es spezifische Bereiche, in denen die Methoden die besten Ergebnisse liefern. Dies ist bei der Auswahl der Methoden für das jeweilige Messproblem unbedingt zu beachten. Die Messbereiche sind der Abbildung 2.3.53 zu entnehmen. Lichtmikroskop Trockensieben Nasssieben Elektronenmikroskop Schwerefeld

Scheibenzentrifuge Rayleighsche Streuung

Coulter Counter Fraunhofersche Beugung

Miesche Streuung

QELS

0,01

0,1

1

10

100 1000 Partikelgröße

µm

Abbildung 2.3.53: Übersicht über die optimalen Messbereiche verschiedener Partikelgrößenbestimmungen

Spezifische Pigmentoberfläche Eine mit der Teilchengröße funktionell verknüpfte, für die Pigmentdispergierung ebenfalls wichtige Kennzahl ist die spezifische Oberfläche. Sie ist definiert entweder als massen- oder als volumenbezogene Pigmentoberfläche. Wegen der geringen Größe BASF-Handbuch Lackiertechnik 323

Beschichtungsstoff

Anhand dieser Gleichung können die Beugungsspektren von Teilchen berechnet werden bzw. auf der Grundlage dieser Theorie aus Beugungsbildern die Teilchengröße sphärischer Partikel bestimmt werden.

Der Beschichtungsstoff

der Partikeln ist eine direkte Bestimmung nicht möglich. Deshalb wird die Oberfläche indirekt durch die Wechselwirkung mit Gasen oder Flüssigkeiten ermittelt.

adsorbierte Molzahl nads

Beschichtungsstoff

earteil

Lin

ps

Gasdruck p

p s = Sättigungsdruck wenn p/p s zwischen 0,05 und 0,3 → lineare Funktion Abbildung 2.3.54: Isotherme Gasadsorption nads in Abhängigkeit vom Gasdruck p

Hahn V 1 + VP = V2 V1

VP Pigmentprobe

Abbildung 2.3.55: Apparatur zur Messung der Gasadsorption an Pigmenten (vereinfacht)

Eine auch aus anderen Bereichen bekannte Messmethode nutzt die bei der Temperatur des flüssigen Stickstoffs am Pigment adsorbierte Menge des gasförmigen Stickstoffs. Durch vergleichende Druckmessungen mit Helium gelingt es, aus der nach dem Gasgesetz berechneten Mindermenge an gasförmigem Stickstoff auf die adsorbierte Molzahl des Stickstoffs nads zu schließen. Die adsorbierte Molzahl bei verschiedenen Drücken und konstanter Temperatur ergibt einen typischen Kurvenverlauf analog Abbildung 2.3.54. Die mathematische Aufbereitung nach Brunauer, Emmet und Teller (BET-Methode) ermöglicht die Berechnung der spezifischen Oberfläche des Pigments.

Für den Linearteil im Bereich von p/ps ~ 0,05 bis 0,3 gilt die BET-Funktion, die die Grundlage zur Umrechnung aus der adsorbierten Molzahl des Stickstoffs nads in eine monomolekulare Belegung n0 darstellt. Die Kenntnis des Platzbedarfs eines Stickstoffmoleküls ermöglicht unter Berücksichtigung der Einwaage die Berechnung der massenbezogenen Oberfläche. Zur Durchführung der Messung analog DIN ISO 9277 von nads in Abhängigkeit vom Gasdruck bedient man sich einer geschlossenen Apparatur mit bekanntem Volumen V1 , das mit einem Volumen Vp in Verbindung steht. In diesem befindet sich die Probe. Bestimmt man bei geschlossenem Hahn nach vollständigem Evakuieren von Vp den Gasdruck in V1, so ist p1V1 = n1RT. Nach Öffnen des Hahns vergrößert sich das Volumen von V1 auf V2. Der dann gemessene Druck p2 entspricht aber nicht dem durch das Gasgesetz berechneten Wert. Er ist wegen der oberflächenspezifischen Gasadsorption und der damit verbundenen Verkleinerung der Molzahl von n1 auf n2 niedriger als erwartet. Folglich ist p1 V1 - p2 V2 RT

324

(n1 - n2 )

nads

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Mit Hilfe der BET-Formel lässt sich bei bekanntem Sättigungsdampfdruck ps durch Messung von p und der entsprechenden adsorbierten Molzahl nads die für eine monomolekulare Belegung notwendige Molzahl n0 berechnen. c- 1 p n0 c ps

y

a

x

1 n0 c

b

Trägt man p/[nads (ps – p)] gegen p/ps auf, wird aus der Steigung und dem Abschnitt auf der Ordinaten n0 bestimmt. Multipliziert man n0 mit dem Platzbedarf ϑ für 1 mmol Stickstoff (= 97,5 m2) und bezieht diesen Wert auf die Pigmenteinwaage E, erhält man die massenspezifische Oberfläche Om. n0 E

Om

Eine Alternative zur Bestimmung von nads besteht in der Einpunktmessung der durch die Adsorption des Stickstoffs sich verändernden Wärmeleitfähigkeit eines Helium-/ Stickstoff-Gemisches. In der in Abbildung 2.3.56 wiedergegebenen Strömungsapparatur wird der Unterschied der Wärmeleitfähigkeit eines definierten Gasgemisches aus Helium und Stickstoff vor und nach der Stickstoff-Adsorption an der Pigmentoberfläche im Messgefäß gemessen und in nads umgerechnet. Die mathematische Aufbereitung erfolgt wieder wie bei der Gasdruckmethode [2.4.136]. Die Bestimmung der spezifischen Oberfläche kann bei Kenntnis der Form der Pigmente zur Teilchengrößenberechnung herangezogen werden. Anders formuliert heißt das: durch die gemeinsame Bestimmung von Teilchengröße und 2 spezifischer Oberfläche werden auch Formfaktoren berechenbar. 5 Teilchengrößen, -formen und -verteilungen bestimmen auch die Raumausfüllung von Pigmentschüttungen. Zu ihrer Beschreibung wird das Stampfvolumen oder die Stampfdichte nach DIN EN ISO 787-11 herangezogen. Beide Größen sind von der Orientierung der Teilchen in der Schüttung abhängig. Sie sind somit keine stoffspezifischen Eigenschaften. Die Art des Transports und der Lagerung beeinflussen das Messergebnis. Um trotzdem zu vergleichbaren und damit aussagekräftigen

7

3

8

4 6

9

1 4

1 2 3 4 5

Druckflasche mit N2/He-Gemisch Regelventil Ausfrierfalle Dewargefäß mit N2 (flüssig) Wärmeleitfähigkeitsdetektor

6 7 8 9

Messgefäß Spannungsversorgung Integrator Anzeigegerät

Abbildung 2.3.56: Bestimmung der spezifischen Oberfläche durch Messen der Wärmeleitfähigkeit

BASF-Handbuch Lackiertechnik 325

Beschichtungsstoff

p nads (ps - p)

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

Daten zu gelangen, muss das Pigmentpulver vor der Prüfung definiert vorverdichtet werden. Die volumenbezogene Masse wird als Stampfdichte, der reziproke Wert als Stampfvolumen bezeichnet. Pigmente enthalten aufgrund ihrer großen und häufig polaren Oberfläche eine bestimmte Menge adsorptiv gebundener Feuchtigkeit. In Abhängigkeit vom Pigment und den Lagerbedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit) können bis zu 1 % Wasser festgehalten werden. Da Wasser die Pigmentdispergierung konventioneller Lacke erheblich stören kann und sich bei Wechselwirkung mit Isocyanaten CO2-Gas entwickelt, sind die Wassergehalte vor Verarbeitung der Pigmente zu bestimmen. Dazu wird das Pulver im Exsikkator bis zur Gewichtskonstanz getrocknet und der Masseverlust in Prozent angegeben. Um sicher zu sein, dass bei Anwesenheit von Kristallwasser auch nur das adsorptiv gebundene Wasser erfasst wird, muss die Trocknungstemperatur exakt bei 105 °C liegen. Die Bestimmung des Glühverlustes nach DIN EN ISO 3262-1 verfolgt eine andere Zielsetzung. Für die vornehmlich für analytische Zwecke wichtige Prüfung wird das zu untersuchende Pigment in einem Porzellantiegel auf 1000 °C erhitzt und der Rückstand in Gewichtsprozent als Glühverlust angegeben. Da Elektrolyte in Beschichtungen unter Einfluss von Wasser zur Bildung von Blasen beitragen, sind Pigmente als potenzielle Schadensverursacher auf ihren Gehalt an osmotisch wirksamen Salzen zu untersuchen. Hierzu wird die elektrische Leitfähigkeit eines wässrigen Extraktes des Pigmentpulvers meistens nach DIN EN ISO 787-14 gemessen. Enthalten Pigmente lösliche saure oder alkalische Bestandteile, können diese leicht durch Umsetzung mit Laugen oder Säuren als Aciditäts- oder Alkalitätszahl erfasst werden. Gemäß DIN ISO 784-4 sind 100 g des Pigmentes nach Extraktion in der Suspension mit 0,1 n NaOH oder 0,1 n HCl zu titrieren. Die Bestimmung des pH-Wertes von Pigmentsuspensionen nach DIN EN ISO 787-9 kann ähnliche Informationen geben. Das Pigmentpulver wird zunächst in Wasser gekocht und nach Entfernen eventuell noch gelösten Kohlendioxids mit einem pHMeter vermessen. Beschichtungsstoffe werden während ihrer Herstellung und Verarbeitung zeitweise starken Scherkräften ausgesetzt. In Pumpen und Ventilen können harte Pigmente aufgrund der durch Verengungen hohen Fließgeschwindigkeiten einen starken Materialverschleiß in den Anlagen hervorrufen. Angaben über die Abrasivität gehören zur vollständigen Beschreibung von Pigmenten und Füllstoffen. Zur Prüfung dieser Eigenschaft wird eine definierte Pigmentmenge in einen Standardlack eingearbeitet und mit Stahlkugeln festgelegter Art und Menge in einer Planeten-Kugelmühle geschüttelt. Der nach vereinbarter Testzeit messbare Gewichtsverlust der Stahlkugeln wird in Gew.-% angegeben. 2.3.3.2

Prüfungen mit dem pigmentierten Beschichtungsstoff

Durch das Einarbeiten von Pigmenten in die flüssige Harzmatrix ergeben sich neue Prüfanforderungen an die Pigmente aufgrund der Wechselwirkung mit der Bindemittelmatrix. Die Erfüllung des gesamten Anforderungsprofils an den Beschichtungsstoff wie etwa der Bindemittelbedarf beim Dispergieren, die notwendige Feinheit der Pigmentverteilung, die gewünschte Farbstärke oder das geforderte Deckvermögen, die Ergiebigkeit, die 326

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Pigmente haben in Abhängigkeit von ihrer Form, Größe und Größenverteilung einen unterschiedlichen Bedarf an Harzlösung, will man sie in ein fließfähiges und homogenes Gemisch überführen. Um diese Eigenschaft möglichst pigmentspezifisch zu beschreiben, müssen die unterschiedlichen Einflüsse der Filmbildner und der Lösemittel eliminiert werden. In der DIN EN ISO 787-5 wird deshalb Lackleinöl mit genormten Eigenschaften zur Bestimmung der Ölzahl vorgeschrieben. Dazu wird eine genau eingewogene Pigmentmenge tropfenweise aus einer Bürette mit Abbildung 2.3.57 Gerät zur Bestimmung der Mahlfeinheit nach standardisiertem Leinöl versetzt und DIN EN ISO 1524 mit einem Spatel homogenisiert, bis eine pastöse und verstreichbare Masse entstanden ist. Die verbrauchte Ölmenge wird auf 100 g des Pigments bezogen und als Ölzahl zur Beurteilung des Dispergierverhaltens zu Grunde gelegt. Zur Charakterisierung von Pigmenten für die Verarbeitung in Wasserlacken ist das hydrophobe Leinöl durch Wasser entsprechend DIN 55608 zu ersetzen. Die Ölzahl ist eine pigmentspezifische Kennzahl, die zur Ermittlung der optimalen Mahlgutrezeptur nur mit Vorbehalten zu verwenden ist. In vielen Fällen sollte das standardisierte Leinöl durch die in der Rezeptur vorgeschriebene Filmbildnerlösung ersetzt werden (siehe Kapitel 2.2.3). Wichtige Kennzahlen für das Pigmentverhalten während des Dispergierprozesses beziehen sich auf den Grad der Agglomeratzerteilung. Dies kann auf direktem oder indirektem Wege erfolgen. In der Praxis werden statistische Methoden zur Optimierung verwendet [2.4.137]. Der übliche, alltäglich praktizierte Test ist die Bestimmung der Kornfeinheit. Bei diesem Verfahren wird in regelmäßigen Abständen das zu prüfende Dispergiergut mit Hilfe des Grindometers nach DIN EN ISO 1524 geprüft. Zur Untersuchung wird dem Mahlansatz eine kleine Menge entnommen und mit einem Rakel in der keilförmigen Vertiefung eines Grindometers von der tiefsten zur flachsten Stelle hin verteilt. In Bereichen, in denen die Teilchengröße die Keiltiefe übersteigt, entstehen Streifen und Riefen. Die an einer Skala für diesen Bereich abzulesende Keiltiefe ist ein Maß für die größten noch vorhandenen Agglomerate. Die Auswertung von Grindometermessungen führt wegen der subjektiven Beurteilung zu stark streuenden Werten. Zur Objektivierung und damit zur Verringerung der Fehlerbreite sind Geräte entwickelt worden, die das Grindometerbild durch eine hochauflösende Kamera fixieren und nach Digitalisierung objektiv aufbereiten [2.4.138]. Die sehr einfache und deshalb allgemein übliche Messtechnik dient im Wesentlichen zur BASF-Handbuch Lackiertechnik 327

Beschichtungsstoff

Lagerung ohne Flokkulation oder Bodensatz sind nur durch pigmentspezifische Prüfungen im Gesamtsystem zu erreichen.

Der Beschichtungsstoff

relative Farbstärke

Beschichtungsstoff

FE

t (1/2) i = Halbwertzeit der Farbstärkeentwicklung

FA3 FA2

i

FE

= Endfarbstärke

FAi

= Anfangsfarbstärke

FA1 t (1/2)3

t (1/2) 1

t (1/2) 2

Zeit

Abbildung 2.3.58: Entwicklung der relativen Farbstärke verschiedener Pigmentdispersionen

Bestimmung des Dispergierfortschritts. Sie erlaubt eine nur grobe Abschätzung der maximal möglichen optischen Leistung der einzelnen Pigmente, besonders dann, wenn feinkörnige organische Pigmente zu dispergieren sind. In solchen Fällen und beim prüftechnischen Verfolgen von Erstansätzen wählt man die zwar aufwendigere, dafür aber genauere Messmethode der Farbstärkebestimmung an mit dem Dispergiergut hergestellten Prüfblechen. Die mit voranschreitendem Dispergiergrad zunehmende Farbstärke ist wegen des gleichzeitig sich ändernden Streuvermögens S aber nicht direkt messbar. Nach Kubelka und Munk ist der Quotient aus dem Absorptionkoeffizienten K und dem Streukoeffizient S aus den Reflexionen R in Abhängigkeit der Wellenlänge λ der Prüfmuster zu berechnen. K S

K = Absorptionskoeffizient S = Streukoeffizient R = reflektierter Anteil

(1 - R( ))2 2 R( )

Um für die Prüfung des Dispergierfortschritts trotz des variierenden Streukoeffizienten die Farbstärkezunahmen prüftechnisch sinnvoll zu ermitteln, beschränkt man sich auf die Messung der relativen Farbstärke. Zu diesem Zweck werden die zu untersuchenden Mahlansätze in ausreichender Menge mit einer Weißpaste versetzt, so dass der Streukoeffizient unabhängig vom Dispergierfortschritt konstant bleibt. Bezieht man nun die nach Kubelka und Munk bestimmten K/S-Werte auf durch volles Ausdispergieren bestimmte Standardwerte K(St) und S(St), gelingt es, Farbstärkeentwicklungskurven in Abhängigkeit von der Zeit aufzunehmen. Frel

K( t ) S(St ) 100 S( t ) K(St )

wenn S1 = S2 Frel

328

folgt

K( t ) 10 0 K(St ) BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Farbstärke [%] 110 100 A leicht dispergierbar DH = 12

90 80

B schwer dispergierbar DH = 67

70 60 50 10

20

30

40

50

60

Dispergierzeit [min]

Abbildung 2.3.59: Farbstärkeentwicklung und Dispergierhärten von

Das Dispergierverhalten be‑ zwei Cu-Phthalocyanin-Pigmenten schreibt die DIN EN ISO 8781-1 mit einer einfachen Kennzahl. Aus den Farbstärken F6 und F60 für Dispergierzeiten von 6 und 60 Minuten wird die Dispergierhärte DH gemäß DH

F60 - F6 100 F6

berechnet. Ein Vergleich der maximalen Farbstärke mehrerer coloristisch identischer Pigmente gelingt durch Relativmessung, indem eines von ihnen in der Endfarbstärke als 100 % definiert wird und die Messwerte der anderen auf diese bezogen werden. Die Abbildung 2.3.59 zeigt die Farbstärkeentwicklungskurven von zwei Blaupigmenten. Sie unterscheiden sich lediglich in der Pigmentform und Größe. Das nadelförmige, gröbere besitzt eine hohe Anfangsfarbstärke und geringe Dispergierhärte (DH = 12). Das isometrische, feinere Alternativprodukt ist aufgrund des hohen Agglomerierungsgrades am Anfang weniger farbstark, entwickelt aber bei deutlich höherer Dispergierhärte (DH = 67) eine höhere Endfarbstärke. Für die Beurteilung des Wertes einer Lackierung ist abgesehen von der erreichten Qualität auch die zur Herstellung verbrauchte Menge an Lack ein entscheidendes Kriterium. Da in vielen Fällen die Schutzwirkung schon gegeben ist, bevor der Untergrund optisch abgedeckt ist, wird das Deckvermögen zu einer Größe, die den Lackverbrauch farbgebender Beschichtungen festlegt. Unter Deckvermögen ist der reziproke Wert der Schichtdicke einer pigmentierten Lackierung zu verstehen, bei dem das Verhältnis der Intensität des reflektierten Lichtes auf schwarzem Rs und weißem Untergrund Rw >0,98 geworden ist. Die Prüfung wird in vielen Fällen visuell durch Beurteilung einer keilförmigen Lackschicht im nassen oder verfilmten Zustand auf einem Schwarz-Weiß karierten Untergrund durchgeführt. Beide Werte sind aufgrund des sich während des Filmbildeprozesses ändernden relativen Brechungsindex nicht identisch. Andere Verfahren zur Bestimmung des Deckvermögens nutzen die Möglichkeiten der Farbmetrik (siehe Kapitel 3.2.4), indem von einer deckenden und nicht deckenden Schicht mit der Dicke h je eine Reflexionskurve (R∞ bzw. Rs) aufgenommen und gemäß BASF-Handbuch Lackiertechnik 329

Beschichtungsstoff

Es lässt sich theoretisch ableiten, dass Farbstärkeentwicklungskurven je nach Pigmentkonzentration einer Hyperbel- oder e-Funktion gehorchen [2.4.139]. Die Konstanten solcher Funktionen wie die Halbwertszeit geben dann Aufschluss über die Geschwindigkeit und den Grad der bereits erreichten Dispergiergüte. Die Halbwertszeit ist die Zeit, die vergeht, bis die Anfangsstärke auf 50 % der Strecke FE – FAi angestiegen ist (siehe Abbildung 2.3.58).

Der Beschichtungsstoff

SV h

1 - a RS 1 arc coth b b RS

und

wobei

der Streukoeffizient berechnet wird. Der volumenbezogene Streukoeffizient Sv ist gemäß DIN 55987 durch einen von der Reflexion der deckenden Schicht abhängigen Korrekturfaktor α in das Deckvermögen Dv umzurechnen. Beschichtungsstoff

DV

SV

Das Deckvermögen gibt die Mindestschichtdicke vor und bestimmt zusammen mit dem Festkörper und der Trockenfilmdichte (siehe Kapitel 3.2.1) im Wesentlichen den Materialverbrauch und damit die Ergiebigkeit einer vorgegebenen Lackmenge (siehe Kapitel 5.7). Trotz sorgfältig entwickelter Formulierungen und genauer Kenntnis der beim Dispergieren von Pigmenten wichtigen physikalischen Prozesse ist es nicht immer auszuschließen, dass bei Lagerung und Verarbeitung von Anstrichstoffen ein Reagglomerieren der Pigmente auftritt. Diese als Flokkulate bekannten Zusammenballungen führen zu stärkerer Bodensatzbildung. Bodensatz in gelagerten Lackdosen kann durch einfaches manuelles Aufrühren qualitativ erkannt werden. Für genauere Angaben über das Absetzverhalten von pigmentierten Anstrichstoffen haben sich bessere, aber auch aufwendigere Messverfahren bewährt. RS

schwarz

RW

weiß

RS RW 1 0,98

0

SD

Schichtdicke

wenn RS > 0,98 RW ist die Beschichtung deckend Abbildung 2.3.60: Definition des Deckvermögens nach DIN 55987

330

Die wichtigste Methode zur Bestimmung der Sedimentationsneigung besteht darin, einen Prüfkörper mit definierter Geschwindigkeit in den flüssigen Anstrichstoff hinein zu drücken. Die beim Eindringen des Prüfkörpers wirkende Widerstandskraft wird gemessen und auf die Eindringtiefe bezogen. Während im oberen Bereich des Messgefäßes nur ein geringfügiger Anstieg der Gegenkraft zu verzeichnen ist, steigt diese im weit höheren Maße beim Eindringen in den Sedimentationsbereich. Durch diese Messtechnik können Bodensatzprofile mit hoher Genauigkeit aufgenommen werden [2.4.140]. Ein anderes Messprinzip liegt in der Schwächung von Röntgenstrahlen beim Durchgang durch die Lackprobe. Das Vorliegen einer inhomogenen Pigmentverteilung wird durch unterschiedliche Absorption der Röntgenstrahlen erkannt. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Der Grad der Flokkulation kann auch indirekt durch mechanisches Verreiben des Lackfilms eines frisch applizierten Lackes bestimmt werden. Diese als Rub-out-Test bekannte Prüfung erlaubt visuell oder farbmetrisch die durch das Reiben (engl.: rubbing) hervorgerufene Farbstärkeänderung zu messen. Liegen Flokkulate vor, so werden diese wieder in das Primärkorn überführt. Führt man den Reibvorgang unter definierten Bedingungen durch und bestimmt mit Hilfe der Farbmetrik die Farbstärkeveränderungen Fger und Fnger durch Messung der geriebenen Fläche und der ungeriebenen Fläche, so können recht genaue Angaben über die Flokkulation bei Lagerung oder Filmbildung gemacht werden. Quantitative Aussagen über den Flokkulationsgrad sind durch Bestimmung der Rub-out-Zahl RBZ möglich. RBZ

2.3.4

(Fger - Fnger ) Fnger

100

Verarbeitbarkeit von Beschichtungsstoffen

Die Verarbeitung von Beschichtungsmaterialien erfolgt je nach Anwendungsbereich nach unterschiedlichen Methoden. Wenn auch bei der industriellen Lackverarbeitung der Lackauftrag mit dem Pinsel nur eine untergeordnete Rolle spielt, so ist diese Applikationstechnik im handwerklichen und DIY-Bereich noch von großer Bedeutung. Pinsel und Rolle sind wichtige Arbeitsgeräte beim Lackieren von Türen, Fenstern, Fassaden und ähnlichen Flächen. Der weltweite Anteil an den Applikationsarten zeigt dies auf (siehe Abbildung 2.3.61). Für den Maler ist deshalb eine Analyse der Kriterien für eine gute Verstreichbarkeit von genau derselben Bedeutung wie die Untersuchung der Variablen für die Versprüh- und Tauchbarkeit im industriellen Bereich. Hierbei sind die verschiedenen Methoden des Versprühens und des Tauchens differenziert zu betrachten. So sind Lackmaterialien für das konventionelle Spritzen anders einzustellen und zu beurteilen als solche, die hydraulisch, pneumatisch oder elektrostatisch verarbeitet werden sollen. Das Elektrotauchen benötigt andere Lacke als das konventionelle Tauchen mit lösemittelhaltigen oder wässrigen Beschichtungsstoffen. Auf dem Wege vom Lack zur Lackierung sind trotz gleicher Qualitätsansprüche an die Beschichtung unterschiedliche Materialeinstellungen der Beschichtungsstoffe zu erarbeiten. Nur so kann bei der Vielfalt

Abbildung 2.3.61: Weltweite Anwendung von Lacken  Quelle: eigene Schätzung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 331

Beschichtungsstoff

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

der Lackierobjekte und der dadurch bedingten unterschiedlichen Applikationsverfahren das gesteckte Ziel erreicht werden. Die Prüfung auf Verarbeitbarkeit soll sicherstellen, dass sich der Beschichtungsstoff problemlos verarbeiten lässt. Neben der Beschaffenheit des zu untersuchenden Materials ist eine Reihe von äußeren Bedingungen von großem Einfluss auf die Verarbeitbarkeit. Im Einzelnen sind der Untergrund, die Einstellung des Beschichtungsstoffes auf die Verarbeitungsform, der Arbeitsablauf, bei manueller Verarbeitung die individuelle Arbeitsweise, bei automatischer Verarbeitung die Einstellung und Beschaffenheit der Applikationsgeräte sowie die Umgebungsbedingungen (Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit) zu nennen. Für alle Lacke und alle Applikationsverfahren sind die relevanten Größen das Viskositätsprofil in Abhängigkeit von der Temperatur und der Scherbeanspruchung, die Oberflächenspannung, die Dichte, das Verdunstungsverhalten der Lösemittel und sonstige spezifische Eigenschaften. Eine wichtige Kennzahl für die Verarbeitbarkeit von Beschichtungsstoffen ist die Haltbarkeit und der damit in Verbindung stehende Anwendungszeitpunkt. Nach Ablauf der Haltbarkeit ist eine erneute Überprüfung der Anwendungsparameter nötig. Allerdings können speziell bei wässrigen Produkten die Anwendungsparameter aus den Fugen geraten, wenn z.B. ein Befall der Lösemittel armen und Schwermetall freien Produkte durch Bakterien erfolgt ist. Dieser Befall ist nicht immer sichtbar, führt aber sehr früh zu Verarbeitungsund Filmproblemen und kann allerdings mit Tests überprüft werden [2.4.141]. Verstreichbarkeit Unter Verstreichbarkeit versteht man ein Materialprofil, das eine optimale Verarbeitung mit dem Pinsel möglich macht. Eine wesentliche Eigenschaft ist die Thixotropie in Verbindung mit einer entsprechend „langen“ Lösemitteleinstellung. Nur so ist die applizierte Lackierung durch Nachstreichen noch mehrmals zu egalisieren. Die Lösemittelzusammensetzung eines Streichlackes unterscheidet sich deshalb von der eines Spritzlackes erheblich. Für eine gute Verstreichbarkeit ist außerdem der Untergrund zu berücksichtigen. Bei der Lackierung von saugfähigem Holz kann durch hohe Verarbeitungsviskosität und entsprechend starke Thixotropie das Wegschlagen in den Untergrund vermindert werden. Zur Beurteilung der Verstreichbarkeit gehören ferner das Verlaufs-, Ablauf- und Trocknungsverhalten sowie das Deckvermögen. Diese Eigenschaften werden am zweckmäßigsten mit speziellen Keilrakeln geprüft. Die Beurteilung der Verstreichbarkeit ist sehr von subjektiven Größen abhängig und damit praktisch nur eine relative, auf einen mit zu prüfenden Standard bezogene Größe. Bei der Verarbeitung mit dem Pinsel erfahren Lacke eine hohe Scherbeanspruchung. Maßgebend für den Arbeitsaufwand beim Streichen ist die sich dabei einstellende aktuelle Viskosität. Werden beispielweise Schergefälle von 104 s-1 vorgegeben, erhält man sichere Aussagen über die Verstreichbarkeit. Ein zusätzlicher Pinselauftrag ist dann überflüssig. Einfache, preisgünstige Kegel-Platte-Viskosimeter haben sich für solche Prognosen als geeignet erwiesen. Tauchbarkeit Völlig andere Anforderungen werden an Beschichtungsmaterialien gestellt, wenn die Applikation durch einen Tauchprozess geschehen muss. Je nach Beckendurchsatz 332

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Charakterisierung von Beschichtungsstoffen

Gute Tauchbarkeit heißt auch, in möglichst kurzer Zeit eine optimale Benetzung aller Bereiche des Lackierobjekts herbeizuführen. Um dabei auch die Hohlräume komplizierter Lackierobjekte zu erreichen, ist eine niedrige Viskosität anzustreben. Sie ist gleichzeitig auch Voraussetzung für schnelles Ablaufen des überschüssigen Materials nach dem Austauchen aus dem Becken. Zusätzlich muss ein schnelles Antrocknen das Wegziehen an den Kanten verhindern. Um Verlauf und zu vermeidende Kantenflucht miteinander vereinbaren zu können, ist eine ausgewogene Einstellung von Viskosität, Abdunstverhalten und Oberflächenspannung anzustreben. Zur Beurteilung der Tauchbarkeit von Lacken für das Elektrotauchverfahren sind wieder ganz andere Kriterien heranzuziehen. Das elektrische Abscheideäquivalent, der pH-Wert, der Neutralisationsgrad, die elektrische Leitfähigkeit und der Umgriff, um nur einige der zahlreichen Kenngrößen zu nennen, sind exakt zu ermittelnde Daten. Sie erlauben verbindlichere Prognosen über das zu erwartende Lackierergebnis als das beispielsweise bei der handwerklichen Verarbeitung mit dem Pinsel oder der Rolle möglich ist. Bei der Verarbeitung pigmentierter Tauchlacke sollte unabhängig davon, ob mit konventioneller oder elektrochemischer Technik gearbeitet wird, auf spezifisch schwere Pigmente verzichtet werden. Eine dauerhafte Homogenität des Badmaterials ist nur bei leichten bis mittelschweren Pigmenten ohne großen Aufwand zu garantieren. Geringe Absetzneigung ist somit auch ein wichtiges Kriterium für Tauchlacke. Die regelmäßige Prüfung des Pigment/Bindemittel-Verhältnisses und die Überwachung der Lösemittelanteile sowie deren Zusammensetzung sind weitere wichtige Kriterien für konstante Verarbeitungseigenschaften. Versprühbarkeit Zur Beurteilung der Sprühbarkeit muss nach den Methoden der Zerstäubung differenziert werden. Sprühen durch Druckluft mit und ohne zusätzliche Erwärmung des Materials, die luftlose Höchstdruckzerstäubung, die elektrostatische Unterstützung oder das Hochrotationsverfahren basieren auf sehr unterschiedlichen physikalischen Prinzipien. Alle haben gemeinsam, dass der flüssige Lack durch Aufbringen von Oberflächenarbeit in mehr oder weniger kleine Tropfen zerlegt wird und diese Tropfen kinetische Energie für den Transport zum Objekt erhalten, um sich nach dem Auftreffen auf das Lackierobjekt zu einem geschlossenen Film zu vereinigen. In einer zwischenzeitlichen Vernebelung des Lackes liegt der grundsätzliche Unterschied zum Tauch- und Streichverfahren. Die kurzfristige bedeutende Vergrößerung der Gesamtoberfläche des zu verarbeitenden Materials und die damit verbundene schnellere Lösemittelabgabe sind bei der Rezeptgestaltung für diese Applikationsform zu berücksichtigen. Für die Heißapplikation, üblicherweise bei 60 bis 80 °C, muss das Material durch entsprechende Auswahl der Lösemittel den geänderten Verhältnissen angepasst werden. Die Überprüfung der richtigen Einstellung für die Applizierbarkeit erfolgt dann bei solchen Temperaturen. Aufgrund des sehr kleinen Düsendurchmessers bei der Airless-Zerstäubung (0,1 bis 0,8 mm) werden zusätzlich besondere Ansprüche an die Feinheit der Mahlung gestellt. Gleichzeitig sollte man wegen der mit 150 bis 200 m/s extrem hohen AustrittsgeschwinBASF-Handbuch Lackiertechnik 333

Beschichtungsstoff

(Turnover), der Menge der pro Zeiteinheit zu lackierenden Teile und Beckengröße werden hohe Ansprüche an die Materialstabilität gestellt.

Der Beschichtungsstoff

Beschichtungsstoff

digkeit des Lackes auf harte und damit abrasive Füllstoffe verzichten. Nur so kann der Düsenverschleiß in Grenzen gehalten werden. Ganz andere Faktoren treten bei der Rezeptierung von Lacken zur elektrostatischen Verarbeitung in den Vordergrund. Die elektrische Leitfähigkeit bestimmt sehr wesentlich den Grad der Aufladung und bestimmt damit die Zerstäubung. Physikalische Kennzahlen, die den Sprühwinkel und die Tröpfchengröße und damit ebenfalls die Ausbeute und die Qualität der Lackierung beeinflussen, sind die Oberflächenspannung und die Dielektrizitätskonstante. An dieser Stelle wird augenscheinlich, dass in allen wichtigen Verarbeitungsprozessen von Flüssiglacken, sei es Spritz-, Streich- oder Tauchapplikation, materialbedingte Eigenschaften wie Fließverhalten, Benetzbarkeit, Oberflächenspannung, Abdunstverhalten und chemische Reaktivität in derartig vielschichtiger Weise ineinander greifen, dass eine Prognose über die Verarbeitbarkeit von Lacken allein aus theoretischen Überlegungen nicht möglich ist. Vorhersagen über das Verhalten von Lacken bei vorgegebener Verarbeitungsanlage sind deshalb nur durch aufwendige Simulationen und Experimente zu wagen. Dabei ist die Aussage umso sicherer, je besser die Praxisverhältnisse nachgestellt werden können. Naturgemäß spielen bei Pulverlacken andere Faktoren für die Verarbeitbarkeit eine Rolle. In erster Linie sind dies die Partikelgröße und deren Verteilung [2.4.142]. Beide Parameter werden nicht nur von der Herstellung, sondern auch durch das OversprayRecycling durch den Prozess bestimmt (siehe Kapitel 5.6.1.3).

2.3.5 Zusammenfassung Beschichtungsstoffe und deren Rohstoffe müssen sich während ihrer Herstellung und Verarbeitung diversen mechanischen und thermischen Grundoperationen der Verfahrenstechnik unterziehen. Hierzu sind bestimmte Ansprüche an die einzelnen Komponenten und an den Beschichtungsstoff zu stellen. Für den Transport in Rohrleitungen, die Dispergierung der Pigmente, die Applikation mit anschließender Filmbildung sind die physikalischen Eigenschaften Viskosität und Oberflächenspannung ohne Zweifel die wichtigsten Grundgrößen. Zur Abrundung der Materialcharakterisierung werden Festkörper, Dichte und Deckvermögen hinzugezogen. Zur vollständigen Beurteilung des Eigenschaftsbildes von Beschichtungsstoffen gehören auch sicherheitstechnische und arbeitsphysiologische Kenngrößen sowie deren messtechnisches Erfassen. Der Flammpunkt, der Lösemittelgehalt in der Abluft aus Spritzkabinen und Trocknern, die Zündtemperaturen explosibler Gas/Luft-Gemische, aber auch die Konzentration gefährlicher Arbeitsstoffe müssen bekannt sein, will man Lackieranlagen gefahrlos betreiben. Sind pigmentierte Beschichtungsstoffe zu beurteilen, muss auf spezifische Pigmenteigenschaften des Rohstoffs allein und in seiner Wechselwirkung mit dem Filmbildner geachtet werden. Teilchengröße, Teilchengrößenverteilung, Ölzahl, Schüttdichte, Feuchtigkeitsgehalt, wasserlösliche Anteile und Festigkeit der Agglomerate auf der einen und die Abnahme der Körnigkeit, die Entwicklung der Farbstärke, aber auch die erreichte Stabilität der Dispergierung auf der anderen Seite sind nur einige der erwähnenswerten Eigenschaften von Beschichtungsstoffen. 334

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Literatur

Zur vollständigen Sicherung der Qualität zählen auch die aufwendigen anwendungstechnischen Prüfungen der Verarbeitbarkeit. Versprühbarkeit, Tauchbarkeit und die spezifischen Eigenschaften beim Gießen oder Walzen gehören zu dieser Gruppe von Prüfungen.

2.4 Literatur Zitate 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8 2.4.9 2.4.10 2.4.11 2.4.12 2.4.13 2.4.14 2.4.15 2.4.16 2.4.17 2.4.18 2.4.19 2.4.20 2.4.21 2.4.22 2.4.23 2.4.24 2.4.25 2.4.26 2.4.27 2.4.28 2.4.29 2.4.30 2.4.31 2.4.32 2.4.33 2.4.34 2.4.35 2.4.36 2.4.37 2.4.38 2.4.39 2.4.40

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 335

Beschichtungsstoff

Will man neben der Identität der Eigenschaften auch Aussagen über die chemische Zusammensetzung machen, muss zusätzlich auf die vielfältigen Methoden der instrumentellen Analytik zurückgegriffen werden.

Beschichtungsstoff

Der Beschichtungsstoff 2.4.41 2.4.42 2.4.43 2.444 2.4.45 2.4.46 2.4.47 2.4.48 2.4.49 2.4.50 2.4.51 2.4.51 2.4.53 2.4.54 2.4.55 2.4.56 2.4.57 2.4.58 2.4.59 2.4.60 2.4.61 2.4.62 2.4.63 2.4.64 2.4.65 2.4.66 2.4.67 2.4.68 2.4.69 2.4.70 2.4.71 2.4.72 2.4.73 2.4.74 2.4.75 2.4.76 2.4.77 2.4.78 2.4.79 2.4.80 2.4.81 2.4.82 2.4.83 2.4.84 2.4.85 2.4.86 2.4.87 2.4.88 2.4.89 2.4.90 2.4.91 2.4.92 2.4.93

336

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BASF-Handbuch Lackiertechnik

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 337

Beschichtungsstoff

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Beschichtungsstoff

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338

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

3

Die Beschichtung

Der Beschichtungsstoff ist ein Halbfabrikat. Nur durch die Abstimmung des Applikationsverfahrens, der anschließenden Härtung, der konstruktiven Voraussetzungen und den unterschiedlichen Werkstoffen des Lackierobjekts können die gewünschten Gebrauchseigenschaften der Beschichtung erreicht werden. Es steht jedoch außer Frage, dass die Beschichtungsstoffe, seien die gestellten Ansprüche auch noch so unterschiedlich, in allen Fällen die Aufgabe haben, sich in einen geschlossenen, gut haftenden glatten Film zu verwandeln, um nach der Trocknung und Härtung die an sie gerichteten Anforderungen dauerhaft erfüllen zu können. Das Tropfengebirge einer beispielsweise durch Spritzapplikation erzeugten frischen Lackierung muss fließfähig genug sein, um noch vorhandene Poren verschließen und die applikationsbedingten Täler und Berge ausgleichen zu können. Über die Viskosität hinaus spielen für den Grad und die Geschwindigkeit der Nivellierung die Oberflächenspannung und die Nassfilmdicke eine entscheidende Rolle Der Temperaturverlauf und das dadurch beeinflusste rheologische Verhalten sowie das Abdunsten der Lösemittel überlagern die physikalischen und chemischen Prozesse auf dem Wege vom Lack zur Lackierung. Mit der Abgabe der Lösemittel und der bei polykondensierend härtenden Systemen einsetzenden Bildung von Spaltprodukten ist ein zusätzlicher Filmschrumpf verbunden. Abbildungen des Untergrundes sind deshalb nicht nur eine Funktion des Festkörpers, sondern in gleicher Weise auch abhängig von der Menge der Spaltprodukte und der Reaktivität des Systems. Treten während des Abdunstens der Lösemittel lokale Veränderungen der Dichte und Oberflächenspannung ein, ist außerdem mit Strömungen innerhalb des entstehenden Films zu rechnen. Aufgrund der Bedeutung des Filmbildeprozesses auf die anzustrebenden Eigenschaften der Lackierung soll die Metamorphose des Beschichtungsstoffes zur Beschichtung im Detail beschrieben werden. Nassfilmkontur nach dem Tröpfchenverlauf gemittelte Nassfilmdicke gemittelte Trockenfilmdicke

Auftreffen der Lacktröpfchen am Objekt Abbildung 3.1.1: Tropfengebirge nach Sprühapplikation als

Startpunkt des Filmbildeprozesses

3.1.1 Benetzen und Verlaufen Für die Benetzung des Untergrundes gelten die im Kapitel 2.1.4 beschriebenen Gesetzmäßigkeiten. Der flüssige Beschichtungsstoff oder der aufschmelzende Pulverlack benetzen das Substrat, wenn die Oberflächenspannung des Beschichtungsstoffes kleiner ist

BASF-Handbuch Lackiertechnik 339

Beschichtungen

3.1 Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Die Beschichtung

als die des Untergrundes. Die bei der Spritzapplikation erzeugten einzelnen Tropfen vereinigen sich nach der Benetzung und führen bei ausreichend niedriger Viskosität nach Freigabe eingeschlossener Gasblasen zu einem geschlossenen Film.

Beschichtungen

Bedingt durch die Bearbeitung mit dem Pinsel oder durch unterschiedlich große Tropfen beim Zerstäuben mit der Spritzpistole zeigt der Nassfilm im Primärstadium mehr oder weniger starke Unebenheiten. Ein wesentlicher Bestandteil der Filmbildung ist nach dem Benetzen das Verlaufen, Glätten und Verfestigen von Oberflächenstrukturen. Die Nassfilmkontur zu beseitigen und gleichzeitig ein Ablaufen an senkrechten Flächen zu vermeiden ist somit die konkrete Aufgabenstellung in der zweiten Phase des Filmbildeprozesses. Das Verlaufen wird durch eine niedrige Viskosität zwar erleichtert, die eigentliche Triebkraft zur Ausbildung einer glatten Oberfläche liegt jedoch in der Oberflächenspannung und der Schwerkraft. Während die Oberflächenspannung an senkrechten und waagerechten Flächen in gleicher Weise bestrebt ist, die Oberflächen zu verkleinern, wirkt die Schwerkraft nur an waagerechten Flächen verlaufsfördernd. An senkrechten Flächen hingegen kann sie zu Läufern führen. Eine möglichst hohe Oberflächenspannung ist aus der Sicht des Verlaufens zwar erstrebenswert, führt aber wegen des Kohäsionsdruckes p zu einem verstärkten Wegziehen des noch flüssigen Lackes von den Kanten des Lackierobjekts. p

σ = Oberflächenspannung r = Radius der Kante

2 r

Um das Verlaufen zu erleichtern und das Ablaufen sowie die Kantenflucht gleichzeitig zu vermeiden, ist die Viskosität als weitere Einflussgröße in die Überlegungen mit einzubeziehen. Verlaufen ohne Abzulaufen ist nur durch einen ausgewogenen Abgleich der Viskosität unter Berücksichtigung strukturviskosen oder thixotropen Verhaltens mit der Oberflächenspannung in allen Phasen der Filmbildung zu erreichen. Genaue Untersuchungen an frischen Filmen mit definierten Primärstrukturen wurden von Orchard durchgeführt [3.4.1]. Definiert hergestellte Oberflächenstrukturen mit der Anfangshöhe h0 verlieren in Abhängigkeit von der Zeit t an Höhe, während die Minima in gleicher Weise ansteigen. Die Nivellierung auf die Höhe h in Abhängigkeit von der Zeit gehorcht einer e-Funktion. h

h0

-

t

wobei Schichtdickenprofil nach Applikation Schichtdickenverteilung nach Filmbildung Läufer

Abbildung 3.1.2: Idealisierte Zustände bei der „Kantenflucht“

340

k

4

s3

Das anfänglich schnelle Ausgleichen der Berge und Täler zu einem glatten Film wird im Laufe der Zeit mehr und mehr verlangsamt. Über die absolute Geschwindigkeit informiert die Größe τ im Exponenten der Funktion. Durch das Experiment ist zu beweisen, dass über die genannten Materialeigenschaften hinaus auch applikationsbedingte Variablen den BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Prozess des Verlaufens beeinflussen. In der den Verlauf bestimmenden Größe τ verbergen sich neben den Materialvariablen Viskosität η und Oberflächenspannung σ auch der Abstand der Überhöhungen des Primärgebirges λ sowie die Nassfilmschichtdicke s als verfahrensbedingte Variablen. Bemerkenswert ist der gegenüber den Materialgrößen deutlich stärkere Einfluss. Berücksichtigt man, dass die Größe λ bei der Spritzapplikation durch die Tropfengröße bzw. Tropfengrößenverteilung vorgegeben wird, erhält die dem Praktiker aus Erfahrung bekannte starke Abhängigkeit des Verlaufs von der Tropfengröße und der Schichtdicke eine theoretische Bestätigung.

Verfestigung des Films

Die wesentlichen Schritte beim Übergang des flüssigen Lackes in eine mechanisch feste Lackierung liegen in den fundamentalen Veränderungen der rheologischen Eigenschaften. Der ursprünglich dünnflüssige Lack verfestigt sich mehr und mehr und durchläuft verschiedene Zwischenstufen, um sich am Schluss in einen elastischen Körper zu verwandeln. Der Weg vom Lack zur Lackierung kann anhand der Viskositätsänderung mit folgender mathematischer Beziehung für Harzlösungen beschrieben werden [3.4.2]. lg

n

· nfA

Da die Vernetzung der Harzmoleküle über eine Viskositätsanhebung hinaus schließlich in eine Resistenz des Films gegenüber Lösemitteln und Wettereinflüssen münden muss, wird in der Abbildung 3.1.3 der Bereich der physikalischen Härte durch den der chemischen Beständigkeit ergänzt.

Bereich der Beständigkeit gegen Lösemittel

physik. Trocknung

Die Gleichung ist für höherviskose Lösungen und Schmelzen zur Beschreibung von Filmbildeprozessen mit ausreichender Genauigkeit anwendbar. Die Viskosität η hängt danach von der Molmasse Mn und dem nicht flüchtigen Anteil (nfA) des Lacksystems ab. Der nach der Verarbeitung von Beschichtungsstoffen zur Verfilmung notwendige Viskositätsanstieg bis in den Bereich der mechanischen Festigkeit ist auf zwei Wegen zu erreichen. Zunächst wird durch Verdunsten der Lösemittel eine Erhöhung der Filmbildnerkonzentration herbeigeführt. Die Molekülketten nähern sich und erhöhen die gegenseitige Wechselwirkung bzw. mechanische Verschlingung und damit die Viskosität. Bei Vorliegen reaktiver Harze wird die physikalische Trocknung durch chemische Härtungsreaktionen überlagert. Damit verbunden sind eine Vergrößerung der durchschnittPolymer 2 lg η lichen Molmasse und die VerPolymer 1 netzung der Molekülketten. Die Verfestigung ist also das ErgebFK chem. Härtung nis der kombinierten Einflüsse 100 % physikalischer und chemischer η2 80 % Prozesse. 60 % 40 %

η1

20 %

Monomer

M η1 = Verarbeitungsviskosität η2 = Übergang zu mechanischer Festigkeit

Abbildung 3.1.3: Abhängigkeit der Viskosität von der Molmasse Mn und dem Festkörper FK (= nicht flüchtiger Anteil) zur Beschreibung der Filmbildung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 341

Beschichtungen

3.1.2

Die Beschichtung

Verfolgt man den Weg vom niedermolekularen Monomeren η 2 über das Lackharz bis hin zur 4 fertigen Lackierung mit allen Zwischenstationen an Hand der Verarbeitungsvorgestellten Formel, werden viskosität die zwei grundsätzlich verschie1 3 denen Formulierungsprinzipien physikalische Trocknung M verständlicher (siehe Abbildung 3.1.4). Ausgehend von den monomeren Grundbausteinen Bereich mecha4 nischer Festigkeit η für die Harzherstellung wird und chemischer durch chemische Reaktionen Resistenz eine solche Molekülvergrößerung herbeigeführt, dass sich 2 Verarbeitungsder Stoff verfestigt (1 → 2). Zur viskosität Verarbeitung muss dieser Roh1 3 stoff durch Zugabe von LöseM chemische Härtung mitteln wieder verflüssigt und dadurch in einen applikationsAbbildung 3.1.4: Prinzipien der Filmbildung: Physikalische Trocknung (oben) und chemische Härtung (unten) fähigen Zustand überführt werden. Nach der Verarbeitung und während der Filmbildung werden diese Lösemittel freigesetzt. Physikalische Trocknung bedeutet also ein vertikales Verschieben der Koordinaten in den Bereich der physikalischen Härte. Eine Veränderung der Molmasse findet dabei nicht statt (2 → 3, oben).

Beschichtungen

Bereich mechanische Festigkeit

Anders sind die Verhältnisse bei Filmbildnern für die chemische Härtung. Hier geht man von kleineren, noch nicht mechanisch festen Harzmolekülen aus. Die erst nach der Applikation einsetzende Molekülvergrößerung und die damit verbundene Erhöhung der Molmasse bei gleichzeitiger Vernetzung bewirkt entsprechend 3 → 4, unten, den Viskositätsanstieg. Wird von der Lackierung eine Beständigkeit gegenüber Lösemitteln und aggressiven Chemikalien gefordert, muss die Verknüpfung der wachsenden Filmbildnermoleküle zu einem dichten Netzwerk führen. Mit Hilfe der Abbildung 3.1.4 lassen sich alle Lacksysteme in ihrem Filmbildeverhalten schematisch charakterisieren. Physikalisch trocknende Lacke (A), also solche die während der Filmbildung keine chemischen Veränderungen mehr erleiden, enthalten Filmbildner mit relativ hohen Molmassen. Wegen der fehlenden Vernetzung besitzen physikalisch trocknende Lacke im Hinblick auf ihre Lösemittelbeständigkeit lediglich eine begrenzte Qualität. Ein weiterer Nachteil physikalisch trocknender Lacksysteme, ebenfalls bedingt durch die hohe Molmasse der Filmbildner, besteht in einem relativ hohen Anteil an Lösemitteln im Verarbeitungszustand. Physikalisch trocknende Lacke besitzen somit immer einen niedrigen Festkörper. Aufgrund der damit verbundenen hohen Emission während ihrer Verarbeitung haben physikalisch trocknende Lacke mit gelösten Filmbildnern aus ökologischen Gründen keine große Zukunft. Der einzige ihnen zuzuschreibende Vorteil besteht in der Trocknung bei Raumtemperatur. Beispiele für physikalisch trocknende Lacke sind thermoplastische Acrylate, Cellulosederivate wie Cellulosenitrat oder Celluloseacetobutyrat, Chlorkautschuk oder Cyclokautschuk. 342

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Anders ist die Situation bei der Verarbeitung chemisch härtender Lacke (B). Ihre Filmbildner besitzen niedrigere Molmassen und damit im Zustand der Verarbeitung wegen des besseren Löseverhaltens wesentlich höhere Festkörper. Die geringere Verfestigung durch physikalische Trocknung wird durch chemische Prozesse während der Filmbildephase mehr als ausgeglichen. Die Molmasse und damit die Viskosität sind beliebig anzuheben und der entstehende Film durch chemische Vernetzung in ein unlösliches, nicht mehr aufzuschmelzendes duromeres hochmolekulares Netzwerk zu überführen. So wird verständlich, dass Beschichtungen mit höchster mechanischer und chemischer Stabilität ausnahmslos aus chemisch härtenden Reaktionslacken hervorgehen. Für solche Vorteile muss ein zusätzlicher apparativer Aufwand während des Härtungsprozesses in Kauf genommen werden. Die erreichbare Qualität der Beschichtung rechtfertigt in vielen Fällen diesen Weg. 3.1.2.1

Physikalische Trocknung

Bei physikalischen Filmbildeprozessen ist zwischen der Verfestigung des Polymeren durch Lösemittelabgabe aus Polymerlösungen oder aus Dispersionen zu unterscheiden. Letztere können in Form von Organosolen oder Hydrosolen, aber auch als weichmacherhaltige Plastisole vorliegen. Während bei den Plastisolen bei der Verfilmung der Weichmacher in das weichzumachende Polymer eindringt, verlassen bei Organosolen und Hydrosolen genauso wie bei den gelösten Lacken die flüssigen Bestandteile, nämlich Lösemittel oder Wasser den entstehenden Film.

Abbildung 3.1.5: Molekülorientierung gut und schlecht solvatisierter Lacke vor und nach der Filmbildung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 343

Beschichtungen

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Beschichtungen

Die Beschichtung

Der Filmbildeprozess von Harzlösungen als homogenes Gemisch aus Filmbildnern und Lösemitteln mit freier Beweglichkeit der Harzmoleküle in ihrer flüssigen Umgebung erscheint im Vergleich zu den Dispersionen nur bei oberflächlicher Betrachtung als der einfachere Fall. Bei einem molekular gelösten Flüssiglack sind praktisch alle Harzmoleküle von Lösemitteln umspült. Dadurch sind die polaren Gruppen des Filmbildners über Brückenbindungen mit den ebenfalls polaren Gruppen der Lösemittelmoleküle abgesättigt. Die im lösemittelfreien Harz stark geknäulten Makromoleküle werden in Abhängigkeit von der Wechselwirkung mit den Lösemittelmolekülen mehr oder weniger gestreckt (solvatisiert). Die Wechselwirkung der Harzmoleküle untereinander ist demzufolge geringer. Mit zunehmender Lösemittelverdunstung wird dieser Zustand kontinuierlich verändert. Die gegenseitige Beeinflussung der Harzmoleküle nimmt zu, die Makromoleküle verschlaufen zunehmend und verfestigen sich unter Ausbildung von Raumstrukturen. Der Grad der durch die Solvatisierung hervorgerufenen Entknäulung hat somit einen Einfluss auf die spätere Verschlaufung und damit auf die mechanische Festigkeit der Lackierung. Obwohl Lösemittel der Verarbeitung von Beschichtungsstoffen dienen und den Film fast vollständig verlassen, können sie trotz gleicher Zusammensetzung der Beschichtung die mechanisch-technologischen Eigenschaften durch die entstehenden tertiären Strukturen der Beschichtung unterschiedlich beeinflussen. Diese Sachlage gilt besonders dann, wenn die Systeme ohne chemische Vernetzung nur physikalisch trocknen. Nach gänzlich anderen physikochemischen Prinzipien verläuft die Filmbildung von Dispersionen. Bei den in Wasser dispergierten und stabilisierten Polymerteilchen beginnt die Filmbildung während des Verdunstens und des damit verbundenen Volumenschrumpfes beim Berühren der diskreten Dispersionsteilchen. Durch die Zwangsannäherung wird die Abstoßungsbarriere überwunden, so dass die Anziehungskräfte überwiegen. Im Augenblick ihrer Berührung werden die Oberflächenkräfte so stark, dass eine vollständige Vereinigung der einzelnen Partikeln erfolgt. In den anfänglich noch vorhandenen Kapillaren des Films wird die Annäherung durch Kapillarkräfte noch unterstützt. Zur vollständigen Verschmelzung von Dispersionen deformieren die ursprünglich kugelförmigen Teilchen durch die Attraktionskräfte derartig, dass die Zwischenräume vollständig verschwinden. Die thermodynamische Triebkraft der Filmbildung von Dispersionen liegt also im Gewinn an freier Energie durch Verringerung der Gesamtoberfläche der ursprünglich als Individuen dispergierten Teilchen. Der Gewinn an flächenbezogener freier Energie entspricht dem Kohäsionsdruck 2σ/r und ist damit umgekehrt proportional dem Partikeldurchmesser. Filmbildekräfte sind also dann hoch, wenn die dispergierten Teilchen besonders klein sind. Bei einer Partikelgröße von 0,05 bis 0,1 µm errechnen sich Kohäsionsdrücke von mehr als 100 bar. Bedingt durch derart hohe Drücke werden die festen Polymerteilchen unter hexagonaler Stapelung zu rhombischen Dodekaedern deformiert. Elektronenmikroskopische Aufnahmen bestätigen diese Theorie. Die Bildung der beschriebenen Strukturen ist nur möglich, wenn die Viskosität der Polymeren in den Teilchen die hierzu notwendigen Fließvorgänge zulässt. Aufgrund der Temperaturabhängigkeit der Viskosität existiert deshalb für die einzelnen Dispersionen eine charakteristische Mindestfilmbildetemperatur (MFT). Diese kann bei Bedarf durch Zugabe von organischen Lösemitteln abgesenkt werden. Hierzu sind nur wassermischbare Lösemittel geeignet, deren Verdunstungszahl die von Wasser übersteigt. 344

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Ganz anders verläuft die Filmbildung der weichmacherhaltigen Plastisole (siehe Kapitel 2.1.4). Durch kurzzeitiges Erwärmen penetriert der Weichmacher in die harten Dispersionspartikeln, trennt dadurch zwischenmolekulare Kräfte in den Polymeren und führt so zu einer Elastifizierung bei gleichzeitiger Verfestigung der vorher viskosen Flüssigkeit. Versucht man Filmbildeprozesse bezüglich ihres Stoffaustausches mit der Gasphase quantitativ zu erfassen, stößt man auf recht komplizierte Zusammenhänge. Bekannte physikalische Gesetzmäßigkeiten der Kinetik bieten keine befriedigende Berechnungsgrundlage für das Abdunstverhalten der Beschichtungsstoffe. Gründe hierfür liegen u.a. in der sich kontinuierlich ändernden Zusammensetzung der komplexen Lösemittelgemische beim Übergang aus dem Lackfilm in den Dampfraum und in der Schichtdickenabhängigkeit der Abdunstgeschwindigkeit. Setzt man eine konstante Zusammensetzung des Lösemittelgemisches über den gesamten Zeitraum des Abdunstvorganges voraus, werden halbquantitative Aussagen über die

Nass

Während der Trocknung

Bildung von Kapillaren

Trockener Film

Abbildung 3.1.6: Schemazeichnung und rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen (REM) der Filmbildung von Dispersionen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 345

Beschichtungen

Ist das gesamte Wasser verdunstet, wirken sie als echte Löser und erweichen die für eine Verformung vorher zu harten Minikugeln der Dispersion. Sie schaffen die Voraussetzungen für die vollständige Verschmelzung zu einem homogenen Film. Ein anderer Weg zu niedrigeren Mindestfilmbildetemperaturen liegt im Absenken der Molmasse des Filmbildners. Die Dispersion wird weicher und dadurch ohne Lösemittel filmbildend, allerdings unter Einbußen von Filmeigenschaften wie z.B. der Abriebfestigkeit.

Die Beschichtung

∆x2 δ2 ∆x1

S2 δ1

S1

A2

A1

Beschichtungen

Abbildung 3.1.7: Modell zur Abschätzung des Stoffaustausches während der Filmbildung

Schichtdickenabhängigkeit des Stoffaustausches möglich, wenn man die Berechnungen isotherm auf so kurze Zeitintervalle bezieht, dass das 1. Fick’sche Diffusions-Gesetz Gültigkeit behält. Ein einfaches Gedankenexperiment führt dann zum Ziel. In zwei unterschiedlich dicken, noch lösemittelhaltigen Filmen mit den Schichtdicken S1 und S2 werden zwei geometrisch ähnliche quaderförmige Volumenelemente V1 und V2, berechnet aus der Grundfläche A und der Höhe δ vergleichend betrachtet. Aus der geometrischen Ähnlichkeit der beiden Volumenelemente mit den Diffusionsstrecken Δx1 und Δx2 sowie den Höhen δ1 und δ2 folgt: x1 x2

1 2

1 2

Gesucht werden die Zeiten, die vergehen, um in beiden Schichten die gleiche Konzentrationsabnahme Δc herbeizuführen. Δc entspricht dabei dem Quotienten aus der abgegebenen Masse der Lösemittel Δm aus dem Volumen V. Die Forderung lautet also Δc1 = Δc2. Da

c

m1 V1

m1 A 2

und

m2 V2

c

m2 A 1

2

und

Vi

Ai

i

folgt

1

Für den flächenbezogenen Stoffstrom gilt mi 1 ti A i

mi

Bezogen auf den vorliegenden Fall folgt: m1 A1 A 2

t1

2

m2 A 2 A 1

t2

1

Zusätzlich gilt nach dem ersten Fick’schen Gesetz m1 D1

346

c1 x1

t1

-D

2

D2

c x c2 x2

t2

1

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Da D1 = D2 (gleicher Lack, gleiche Lösemittelzusammensetzung), folgt: t1

x1

2

t2 x2

1

oder

t1 t2

x1 x2

1 2

Aufgrund der eingangs geforderten geometrischen Ähnlichkeit gilt:

2

x1 x2

S1 S2

somit ist

t1 t2

S1 S2

2

Das Verhältnis der Abdunstzeiten zweier unterschiedlich dicker Lackschichten ist also gleich dem Quadrat des Verhältnisses der Schichtdicken. Die alte Malerweisheit „zweimal dünn ist besser als einmal dick“ wird somit theoretisch untermauert [3.4.3]. Für einen umfassenden Abriss über den Stoffaustausch während des Filmbildeprozesses müssen selbstverständlich auch die Temperaturabhängigkeit des Diffusionskoeffizienten und des Dampfdruckes der Lösemittel, der Viskosität des Beschichtungsstoffes und die Vernetzungsreaktionen in die Berechnungen mit einbezogen werden. Aufgrund der komplexen und nicht exakt berechenbaren Vorgänge beim Stoffübergang wird die praktische Erfahrung der Lackformulierer entscheidend, um Fehllackierungen, Kocher, Läufer, Krater, mangelhaften Glanz und schlechten Verlauf als Folge einer ungenügenden Abstimmung der Lackkomponenten zu vermeiden. 3.1.2.2

Chemische Härtung

Während die physikalische Trocknung die Veränderung des Filmzustandes durch Lösemittelverdunstung erfasst, bezieht sich die chemische Härtung auf die Veränderungen im molekularen Gefüge der Harze oder Harzkombinationen durch Knüpfen neuer chemischer Bindungen. Damit verbunden ist eine Vergrößerung und Vernetzung der vorher als Einzelindividuen vorliegenden Filmbildnerbestandteile. Bei chemisch härtenden Lacken dient die Zufuhr von Energie der schnelleren Lösemittelabgabe, der Überwindung von Aktivierungsenergien und der Beschleunigung der danach einsetzenden Vernetzungsreaktionen. Diese führen je nach der Anzahl der reaktiven Gruppen pro Molekül zu einer mehr oder weniger engmaschigen chemischen Molekülverknüpfung mit einer erheblichen Vergrößerung der Molmasse. Die Verknüpfung der einzelnen Moleküle über funktionelle Gruppen kann durch Polyaddition, Polykondensation und Polymerisation erfolgen (siehe Kapitel 2.1.1). Im Falle der Polykondensation sind hohe Aktivierungsenergien zu überwinden. Oberhalb einer dadurch festgelegten Mindesttemperatur läuft die Vernetzungsreaktion unter Bildung niedermolekularer Abspaltungsprodukte selbstständig ab. Dies hat Konsequenzen auf die Einstellung der Luftmengen in den Einbrennöfen (siehe Kapitel 4.3.1). Beispiele für polykondensierend härtende Beschichtungsstoffe sind Einbrennlacke auf Basis von Alkyd- oder Acrylatharzen in Kombination mit Phenol-, Harnstoff- oder Melaminharzen. Vernetzende Einbrennlacke benötigen ein höheres Angebot an reaktionsfähigen Gruppen als während der Vernetzung verbraucht wird, da der Viskositätsanstieg die Aktivität der Vernetzung bremst. Um die Polykondensationsreaktion wegen der höheren Aktivierungsenergie im Vergleich zu den anderen Vernetzungsreaktionen in der vorgegebenen Härtungszeit von üblicherweise dreißig Minuten möglichst vollständig ablaufen zu lassen, sind die Härtungstemperaturen von besonderem Einfluss auf die Filmeigenschaften. BASF-Handbuch Lackiertechnik 347

Beschichtungen

1

Die Beschichtung

Beschichtungen

Zu hohe Temperaturen und zu lange Härtungszeiten lassen die Beschichtung durch Übervernetzen verspröden, während zu niedrige Temperaturen bzw. zu niedrige Härtungszeiten die für die Gebrauchstüchtigkeit der Lackierung notwendige Härte nicht erreichen lassen [3.4.4]. Härtungsreaktionen nach dem Mechanismus der Polyaddition oder der Polymerisation haben diesen Nachteil in weitaus geringerem Maße. Beide Mechanismen erlauben eine chemische Härtung auch ohne zusätzliches Erwärmen. Polyaddierende Systeme reagieren bereits nach Vermischen der reaktiven Komponenten ohne Abspaltung von niedermolekularen Reaktionsprodukten. Das üblicherweise praktizierte Erwärmen während der Filmbildung dient lediglich der Beschleunigung einer bereits ablaufenden Vernetzungsreaktion. Aufgrund der gegenüber der Polykondensationsreaktion erhöhten Reaktivität verbleiben im gehärteten Film weniger reaktive Restgruppen. 2-KomponentenLacke wie beispielsweise Poyurethane oder Epoxidharzlacke sind demzufolge Abbildung 3.1.8: Schema der Verknüpfung und überbrennstabiler. Bei PolyurethanlaVernetzung von Filmbildnermolekülen während der ckierungen wird wegen der schnellen chemischen Härtung Hydrolyse und damit verbundenen Inaktivierung der restlichen Isocyanat-Gruppen diese Eigenschaft noch untermauert. Polymerisierend härtende Beschichtungsstoffe benötigen im Vergleich zur Polyaddition eine zusätzliche Initiierung. Diese kann durch Hinzufügen geeigneter Katalysatoren oder durch energiereiche Strahlung erreicht werden. Die Vernetzungsreaktion verläuft dann außerordentlich schnell und führt deshalb zu besonders harten und chemisch resistenten Filmen. Wichtige Beispiele für polymerisierend härtende Filmbildner sind ungesättigte Polyester und speziell für die Strahlenhärtung entwickelte Acrylsäurederivate. 3.1.2.3

Strömungen im sich verfestigenden Film

Aufgrund der niedrigeren Dichte der flüchtigen Lösemittel relativ zum getrockneten Film tritt während des Filmbildeprozesses an der an Lösemitteln verarmenden Oberfläche eine Dichteerhöhung ein. Die schwereren, aber noch beweglichen Lackanteile versinken im spezifisch leichteren Untergrund. Im selben Maße werden lösemittelhaltigere leichte Anteile nach oben hin bewegt. Die in den grenzflächennahen Bereichen ansteigende Oberflächenspannung verstärkt die Strömungen im entstehenden Film. Lokale Vertikal- und Horizontalströmungen führen Material von oben nach unten, um es an anderer Stelle wieder nach oben zu transportieren. Damit verbunden ist die Ausbildung von Vertiefungen und Erhöhungen in der sich verfestigenden Beschichtung. 348

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Diese als Bénard-Zellen bekannten Oberflächenstrukturen sind dem klassischen Verlaufen von applikationsbedingten lokalen Überhöhungen entgegen gerichtet. Enthält ein Lack mehrere Pigmente mit unterschiedlicher Beweglichkeit, so geht die Zellenbildung mit Ausschwimmeffekten, Pigmentseparierungen und Flokkulationen einher. Der Effekt ist dann besonders ausgeprägt, wenn die entstehenden Filme niedrig viskos, die Schichtdicken hoch sind und große Unterschiede in der Oberflächenspannung und Dichte zwischen den oberen an Lösemitteln verarmenden und den unteren lösemittelhaltigeren Bereichen des Films vorliegen. Handelt es sich bei den Lösemitteln um besonders „kurze“ Löser, bildet sich wegen ihres schnellen Abdunstens zusätzlich ein Temperaturgradient aus. Hierdurch wird der Effekt noch verstärkt (siehe auch Kapitel 2.1.4). Die Abnahme der Farbstärke und damit Veränderungen des Farbtons sind die Folge. Als Maß für die Beweglichkeit von Pigmenten wird üblicherweise das reziproke Produkt aus der Dichte und dem Quadrat der Teilchengröße herangezogen.

3.1.3 Filmschrumpf Mit der Verfestigung des Films, sei es physikalisch durch die Abgabe von Lösemitteln oder chemisch durch Bildung niedermolekularer Abspaltprodukte aus der Vernetzungsreaktion, ist eine Abnahme des Filmvolumens verbunden. Das hat zur Folge, dass Unebenheiten des Lackuntergrundes in Abhängigkeit vom Grad der Schrumpfung abgebildet werden. Solche Untergrundrauigkeiten erreichen bei Stahlblechen für Automobile aus Gründen der Ziehfähigkeit und Verformbarkeit in den Presswerken Überhöhungen von mehreren Mikrometern. Auch durch Schleifprozesse werden Rauigkeiten in Form von Schleifriefen erzeugt. Die Abbildung 3.1.9 zeigt zwei Nassfilme mit unterschiedlichen Festkörpern. Beide Lacke füllen zu Beginn der Filmbildung beide Riefen des Untergrundes vollständig aus und bilden eine glatte Oberfläche. Durch die Abgabe von Lösemittel und Spaltprodukten durch chemische Vernetzung schrumpft der Film. Mit zunehmendem Festkörper wird der Schrumpf kleiner und bildet deshalb den Untergrund weniger ab. Diese Unebenheiten des noch nicht vernetzten Films verlaufen zum Teil wieder in Abhängigkeit von der Viskosität des Nassfilms. Der ungefähr 10%ige Anteil von Spaltprodukten polykondensierend härtender Lacke, bezogen auf die Menge an Lösemittel, erscheint als ein vernachlässigbar kleiner Beitrag zum Schrumpf. Spaltprodukte entstehen aber erst durch die chemische Härtung, also bei Temperaturen, bei denen die Lösemittel weitgehend abgedunstet sind. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt hohen Filmviskosität wird eine Nivellierung der durch Spaltprodukte hervorgerufenen Vertiefungen erschwert. Damit wird verständlich, dass die nur relativ kleinen Mengen an Spaltprodukten einen größeren Effekt bei der Abbildung von Untergrundrauigkeiten herbei50 % FK 80 % FK führen können als die ungefähr 10-fache Menge der abdunstenden Lösemittel. Die mit der Abbildung von Mikrostrukturen einhergehende Verschlechterung der

Abbildung 3.1.9: Untergrundrauigkeit und deren Abbildung in der Oberfläche von Beschichtungen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 349

Beschichtungen

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Die Beschichtung

optischen Attraktivität ist also durch das Wechselspiel von Bildung und Ausgleich strukturierter Flächen zu verstehen. Ein hoher Festkörper, verbunden mit geringen Mengen an Spaltprodukten ist deshalb eine gute Voraussetzung für eine glatte und damit hochglänzende gut füllende Lackierung. Besonders ausgeprägt ist dies bei den strahlenhärtenden Lacken.

3.1.4

Besonderheiten bei festkörperreichen und wässrigen Lacken

Beschichtungen

Bedingt durch die Andersartigkeit ökologischer Materialalternativen sind auch bei ihrer Filmbildung Besonderheiten zu beachten (siehe Kapitel 5.6). High Solid-Lacke, also festkörperreiche Beschichtungsstoffe erleiden aufgrund der geringeren Lösemittelanteile bei der Filmbildung einen geringeren Filmschrumpf als konventionelle Lacke und damit auch eine weniger ausgeprägte Markierung von Untergrundunebenheiten. Fügt man hinzu, dass High Solid-Lacke während der Filmbildung wegen ihrer niedrigeren Molmasse auf ein wesentlich niedrigeres Viskositätsniveau abfallen, wird verständlich, dass die weniger ausgeprägten Mikrostrukturen durch den hervorragenden Verlauf der High Solid-Lacke wieder ausgeglichen werden, ein Effekt, der allerdings mit einer gesteigerten Ablaufneigung einhergeht. Es darf dabei nicht übersehen werden, dass bei polykondensierend härtenden High Solids die abgespaltenen Kondensationsprodukte wegen der gegenüber konventionellen Lacken größeren Zahl an Vernetzungsstellen zunehmen. Der dadurch hervorgerufene größere Volumenschrumpf kann die durch die Festkörperanhebung erzielten Vorteile wieder kompensieren. Besser sind die Verhältnisse bei 2K-High Solids. Hier fehlen wegen der polyaddierenden Vernetzung die Spaltprodukte vollständig. Außerdem sind im Vergleich zu 1K-Lacken höhere Festkörper zu erzielen, so dass die Ausbildung von Makro- und Mikrostrukturen weitgehend unterbleibt. Hinzu kommt, dass durch eine optimierte Abstimmung von Lösemittelabgabe, Reaktivität und Thixotropie die den 1K-High Solids eigene Ablaufneigung und Kantenflucht besser zu beherrschen ist. Die herausragende Fülle von 2K-High Solid-Lackierungen im Vergleich zu konventionellen wird in Abbildung 3.1.10 veranschaulicht. Die mit einem Profilometer (siehe Kapitel 3.2.4) mechanisch abgetasteten Oberflächenstrukturen unterscheiden sich erheblich. Während die konventionelle Einbrennlackierung Strukturen aufweist, die in direktem funktionellem Zusammenhang zur Schleifriefentiefe in der Grundierung stehen, fehlen glanzmindernde Mikrostrukturen und langwellige Unebenheiten in der festkörperreichen Beschichtung fast vollständig. Auch Wasserlacke zeigen spezifische Besonderheiten während ihrer Filmbildung. Zum einen ist es die Abhängigkeit des Abdunstverhaltens von der Feuchte der Umgebungsluft, wodurch Klimatisierungsanlagen ein notwendiger Bestandteil von Lackieranlagen für die problemlose Verarbeitung von Wasserlacken sind (siehe Kapitel 4.2.4 und Kapitel 5.6). Die physikalische Trocknung erhält durch den Neutralisationsgrad und den sich dadurch einstellenden pH-Wert eine zusätzliche Variable. Die für die Wasserlöslichkeit anionischer Filmbildner notwendigen Amine beeinflussen die Viskosität in Abhängigkeit von Art und Menge des Neutralisationsmittels. Abbildung 3.1.11 informiert über die Viskosität eines gelösten Wasserlackes in Abhängigkeit vom Neutralisationsgrad, eingestellt durch unterschiedliche Amin-Zusätze. 350

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beschichtungen

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Abbildung 3.1.10: Oberflächenprofile von konventionellen 1K- und 2K-High Solid-Lacken in Abhängigkeit von der Untergrundrauigkeit in Form definierter Schleifriefen

Da während der Filmbildung nicht nur Wasser und organische Cosolventien, sondern auch das Neutralisationsmittel Amin verdunstet, sind das rheologische Verhalten und damit die Verlaufseigenschaften von Wasserlacken gegenüber herkömmlichen Beschichtungsstoffen nicht allein über die Zusammensetzung der Lösemittel zu steuern. Gänzlich anders sind die Verhältnisse bei der Filmbildung von Pulverlacken. Durch Mahltechnik hergestellte Feststoffpartikeln müssen sich nach Aufschmelzen auf dem Lackierobjekt in einen glatten, geschlossenen Film verwandeln. Aufgrund der Abwesenheit von Lösemitteln und der gegenüber konventionellen Lacken höheren Molmasse sind die Aufschmelzviskositäten relativ hoch. Somit sind weniger Ablaufals vielmehr Verlaufs- und Entlüftungsprobleme zu bewältigen. Gut verlaufende BASF-Handbuch Lackiertechnik 351

Die Beschichtung

Viskosität in Pas 10 Wässriger Einbrennlack auf Basis Alkydharz/Melaminharz 40 % Festkörper

Beschichtungen

5

0 100% 120% Neutralisationsgrad mit Dimethylethanolamin

80%

Abbildung 3.1.11: Abhängigkeit der Viskosität von Wasserlacken in Abhängigkeit vom Neutralisationsgrad

R

ηg F1 F2 F1 und F2 = Fluiditätsintegrale t Abbildung 3.1.12: Fluiditätsintegrale beim Einbrennen von gut und schlecht verlaufenden Pulverlacken

3.1.5

Beschichtungen mit Schichtdicken, die denen von Nasslacken entsprechen, sind immer noch Gegenstand der Entwicklung. Forschungsarbeiten sind neben der Anpassung des Fließverhaltens auch auf die Optimierung der Partikelgröße bzw. Partikelform ausgerichtet. Kugelförmige und gleichzeitig feinere Teilchen mit enger Größenverteilung könnten den Verlauf auch bei Applikation dünner Schichten verbessern [3.4.5]. Bei der Charakterisierung des Fließverhaltens von Pulverlacken helfen ViskositätsZeit-Kurven, wenn aus ihnen Maßzahlen in Form von sog. Fluiditätsintegralen berechnet werden. Dabei spielen die Zeitintervalle, in denen eine vereinbarte Viskositätsgrenze unterschritten wird, eine entscheidende Rolle. Mit Hilfe von Computerprogrammen können nach experimenteller Bestimmung von materialspezifischen Konstanten die Fluiditätsintegrale und damit die Verlaufseigenschaften für beliebige Aufheizgradienten mit großer Genauigkeit berechnet werden [3.4.6].

Messtechnisches Verfolgen des Filmbildeprozesses

Zur quantitativen Beschreibung von Filmbildeprozessen nutzt man Methoden, welche die physikalische Trocknung, die chemische Härtung und, wie in den meisten Fällen üblich, beide Phänomene überlagert messtechnisch erfassen können. Der Übergang des flüssigen Films in eine viskoelastische Schutzschicht ist dabei unter genauer Nachstellung der Praxisbedingungen anhand wichtiger Filmeigenschaften für den gewählten Fall zu verfolgen. Das kann entweder durch längere Lagerung bei Raumtemperatur oder durch kurzzeitige thermische Belastung geschehen. Ist der zweite Weg zu beschreiten, sind definierte Bedingungen der Filmbildung so einzustellen, dass mit möglichst wenigen Einzelversuchen das gesamte Spektrum der in der Praxis üblichen Einbrennbedingungen überstrichen wird. Bewährt haben sich Geräte, die durch Einstellen von Temperaturgradienten unterschiedliche Tem352

BASF-Handbuch Lackiertechnik

peraturbedingungen auf ein und demselben Prüfblech herbeiführen. Der dazu am häufigsten benutzte Gradientenofen (BykGardner) besteht aus einer schmalen und langen Heizplatte, auf die ein entsprechendes Blech gelegt wird. Der gewählte Temperaturgradient lässt sich dann von dem einen zum anderen Ende des Bleches einstellen. So wird es möglich, die für die Qualitätssicherung relevanten Filmzustände Abbildung 3.1.13: Gradientenofen nach Byk-Gardner auf nur einem Prüfblech zu realisieren. Die danach durchzuführenden Messungen der visuellen und mechanisch-technologischen Eigenschaften sind dann an verschiedenen Stellen des Prüflings durchzuführen. Häufig wird auch die dynamisch-mechanische Analyse (DMA) (siehe Kapitel 3.2.5.2) zum Verfolgen der Filmbildung, speziell des Vernetzungsgrades benutzt. 3.1.5.1

Verlaufen und Ablaufen

Will man verlässliche Prognosen über das Verlaufsverhalten von Beschichtungsstoffen abgeben, so ist zunächst dafür Sorge zu tragen, dass der Filmzustand zur Zeit der Messung dem der Praxis der handwerklichen oder industriellen Verarbeitung entspricht. Speziell für die handwerkliche Verarbeitung entwickelte Verlaufs- und Ablaufrakel sind demzufolge auch nur für handwerkliche Applikationsverfahren des Tauchens und Streichens geeignet. Die Geräte zur Messung des Verlaufs besitzen jeweils fünf Dop-

Abbildung 3.1.14: Verlauf- und Ablaufrakel nach Stieg

Quelle: Byk-Gardner

BASF-Handbuch Lackiertechnik 353

Beschichtungen

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Die Beschichtung

Beschichtungen

Gewichtsanzeiger

pelöffnungen mit Höhen von 250 µm bis hin zu 4 mm.

Die Bewertung der waagerecht gelagerten Prüftafeln (A) erfolgt Lackschicht mit Noten von 1 bis 10, wobei Draht bei Vergabe der Note 1 kein TrockenPaar und bei der Note 10 alle ofen Paare der aufgezogenen DopTestblech pelstreifen ineinandergeflossen sind. Ähnlich ist der Ablaufrakel konstruiert. Zehn Öffnungen von 75  µm bis 300  µm Höhe Abbildung 3.1.15: Schemazeichnung der Ablaufwaage der TNO ansteigend, gestatten das Aufziehen definierter unterschiedlich hoher Filmdicken. Wird das Prüfblech anschließend senkrecht gestellt, so wird die Läufergrenze durch Messen der Schichtdicke ermittelt, bei der sich die Läufer im nassen Film bis zum nächsten Streifen hin erstrecken (B). Eine andere, im Messeffekt ähnliche Technik besteht im Einsatz von Keilrakeln. Der zu prüfende Nassfilm sollte an seiner dicksten Stelle die Läufergrenze übersteigen. Nach Einbringen von definierten Vertiefungen in den frischen Lack wird die Prüfplatte zur Bestimmung der Ablaufneigung quer zum Keil senkrecht gestellt. Die Schichtdicke, ab der ein Ablaufen bzw. Zulaufen der Vertiefung zu beobachten ist, kann als Messgröße für die Laufneigung dienen. Eine solche Messtechnik kann für Verlaufsmessungen durch Spritzapplikation hergestellter Filme Anwendung finden, wenn die Herstellung der Prüfbleche den Applikationsmethoden der Praxis entspricht. Eine andere Prüfmethode für die Quantifizierung der Ablaufneigung ist die Ablaufwaage der TNO [3.4.7]. Auf einer schräg gestellten Prüfplatte zeigt sich die mit dem Ablaufen einhergehende Gewichtsverlagerung an einer mit dem Prüfblech verbunden Waage. Eine solche Technik erlaubt auch Messungen im Trockner und ist deshalb auch zur Charakterisierung von Einbrennlacken geeignet. 3.1.5.2

Verfilmen lufttrocknender Lacke

Unabhängig davon, ob physikalisch trocknend, chemisch härtend oder kombiniert filmbildend, werden zum messtechnischen Verfolgen Wollfäden oder Sand maschinell mit definiertem Vorschub auf sich verfestigende Filme gelegt bzw. eingedrückt. Im noch flüssigen Film versinken zu Beginn der Prüfung die Fäden und der Sand, um danach an der Oberfläche zu verbleiben, zunächst noch verklebend, später nach ausreichender Verfestigung aber nur noch lose aufliegend. Ein anderes Prüfwerkzeug für detaillierte Aussagen über den gesamten Weg vom Lack zur ausgehärteten Lackierung ist ein Stahlbügel, der mit definierter Geschwindigkeit und einstellbarem Auflagegewicht durch die sich verfestigende Schicht gezogen wird. Während die Spuren des Bügels im noch flüssigen Lack wieder zulaufen, werden im zweiten Stadium der Trocknung Spuren verbleiben, um nach weiterer Verfestigung die Oberfläche des Films wieder aufzureißen. Im nachfolgenden Stadium der Verfestigung wird der Bügel gar keine Spuren mehr hinterlassen (siehe Abbildung 3.1.16 und 3.1.17). 354

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Vom Beschichtungsstoff zur Beschichtung: Filmbildung

Indirekte Methoden

Speziell zur Beschreibung der Filmbildung industriell zu verarbeitender Einbrennlacke haben sich zahlreiche indirekte Verfahren bewährt. Neben der im Kapitel 2.3.2 vorgestellten Technik der „rollenden Kugel“ sind alle Verfahren interessant, welche die chemischen oder mechanischen Veränderungen des Filmbildners während der Filmbildung quantitativ erfassen. Zu nennen sind die Methoden der instrumentellen Analytik wie Kernresonanz-, Infrarot- oder Raman-Spektroskopie, Messungen der Dielektrizitätskonstanten, des dielektrischen Verlustes oder die kalorischen Effekte der Differential-Thermoanalyse (DTA), Differential-Scanning-Calorimetrie (DSC) und die dynamisch-mechanische Analyse (DMA) [3.4.8]. Für die Erfassung des Vernetzungsgrades ist die Bestimmung der Glastemperatur genauso wichtig wie die der noch reaktiven Restgruppen (siehe Kapitel 2.3.2). Das Verfolgen der Abnahme der Dielektrizitätskonstanten ist hervorzuheben, weil es mit einfachen

1. Prüfwerkzeug für Staubtrocken-Zeit-Bestimmung

Wollfaden

2. Prüfwerkzeug für Klebefrei-Zeit-Bestimmung

Wollfaden

3. Prüfwerkzeug für Staubtrocken-Zeit-Bestimmung

Glasperlen oder Sand

Abbildung 3.1.16: Methoden der Messung des Filmbildeverhaltens lufttrocknender und oxidativ härtender Lacke

G

Draht

Verschlichtzeit

fil

Durchtrockenzeit

Harttrockenzeit

Abbildung 3.1.17: Prüfmethode zur Bestimmung der Verfestigung von Beschichtungen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 355

Beschichtungen

3.1.5.3

Die Beschichtung

angeschlossen an Impedanzbrücke

Anfangsphase: viele reaktive Gruppen (hohe Polarisierbarkeit)

ε

Endphase: Molekülnetzwerk

Beschichtungen

Fortgang der Vernetzungsreaktion Abbildung 3.1.18: Abhängigkeit der Dielektizitätskonstanten vom Vernetzungsgrad

Messsonden verletzungsfrei und schnell verlässliche Messwerte liefert. Gemessen wird die vernetzungsbedingte Abnahme der Kapazität eines aus dem metallischen Lackierobjekt, dem Lackfilm und der aufgesetzten Messsonde gebildeten Kondensators. Bei Kenntnis der Filmdicke und der Fläche der Sonde wird die Dielektrizitätskonstante berechenbar. Auch die Gebrauchseigenschaften der Filme wie Rauigkeit und Glanz können zum Verfolgen des Verfilmungsvorganges benutzt werden [3.4.9]. Darüber hinaus sind durch Löseversuche mit aggressiven Lösemitteln Aussagen über den Vernetzungsgrad zu machen. Unterschiedliche Anquellungen geben qualitative Hinweise über den Grad der Vernetzung. Versetzt man das benutzte Lösemittel mit einem löslichen Farbstoff, so wird dieser bei Untervernetzung in die Lackierung eindringen und vom Vernetzungsgrad abhängige Farbtonveränderungen herbeiführen. Zur Objektivierung des Prüfbefundes kann der Effekt farbmetrisch vermessen und in absoluten Farbabständen angegeben werden.

3.1.6 Zusammenfassung Der Weg vom Lack zur Lackierung wird durch zahlreiche physikalisch und chemisch hervorgerufene Veränderungen bestimmt. Das Benetzen, Verlaufen, Verfestigen durch Lösemittelabgabe oder chemische Vernetzungsreaktionen sind die wichtigsten Einzelschritte auf dem Wege vom Beschichtungsstoff zur gebrauchstüchtigen Beschichtung. Die Beschichtungsstoffe selbst können molekular gelöst, dispergiert oder als Feststoffpulver zum Einsatz kommen. Die gewünschte Qualität der Beschichtung in Form guter visueller Eigenschaften, guter Haftung und bester mechanisch-technologischer Eigenschaften wird durch die Wechselwirkung von Lösemittelabgabe, Veränderungen der rheologischen Eigenschaften und der Reaktivität der Filmbildner festgelegt. Letztere führt zu chemischen Vernetzungsreaktionen durch Polykondensation, Polyaddition und Polymerisation. Der Prozess der Verfestigung wird durch weitere physikalische Phänomene wie Strömungen im sich verfestigenden Film und Volumenschrumpf überlagert. Zur problemlosen und reproduzierbaren Herstellung von Filmen sind zahlreiche Prüfmethoden entwickelt worden, die den Weg der Verfestigung und Glättung quantitativ verfolgen. Auf diese Weise sind über die Beschreibung des Filmbildeprozesses hinaus gezielte Eingriffe zur Verbesserung der Qualität möglich.

356

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

3.2

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Ist der Filmbildeprozess abgeschlossen, sollten die Anforderungen an die Beschichtung hinsichtlich ihrer Gebrauchseigenschaften erfüllt sein. Neben den Schichtdicken und den mechanisch-technologischen Eigenschaften wie Haftung, Härte und Elastizität spielen die visuellen Eigenschaften und die Beständigkeit unter Praxisbeanspruchung eine wichtige Rolle zur Beurteilung der Qualität.

Ausschlaggebend für einen dauerhaften Schutz von Gebrauchsgütern sowie optische Attraktivität sind die Auswahl der Beschichtungsstoffe und die Applikationstechnik. Für alle Anforderungen an die Beschichtung besitzt die Dicke der aufgetragenen Schicht ein Optimum. Für einen guten Verlauf, eine optische Abdeckung des Untergrundes und eine gute Schutzwirkung gegenüber Gasen und Wasserdampf sind hohe Schichtdicken wünschenswert. Die Verschlechterung der mechanisch-technologischen Eigenschaften mit zunehmender Schichtdicke und nicht zuletzt die Wirtschaftlichkeit des Lackierprozesses stehen dem jedoch entgegen. Die Festlegung der optimalen Schichtdicke bzw. Schichtdickenverteilung und deren Kontrolle sind deshalb wichtige Vorprüfungen bei der Qualitätssicherung von Lackierungen. Aufgrund der mehr oder weniger großen Rauigkeit der zu beschichtenden Lackieruntergründe ist die exakte Angabe von Schichtdicken häufig eine schwierige Aufgabe. Der Begriff Schichtdicke kann deshalb nur in Abhängigkeit vom Messverfahren und der Rauigkeit als Mittelwert definiert werden. Deshalb gehen die Normen davon aus, die Schichtdicke als ein Messergebnis anzusehen, das nach einem vereinbarten, genau definierten Messverfahren erhalten wurde. Die Abbildung 3.2.1 veranschaulicht, dass die übliche integrale Schichtdickenmessung punktuell Abweichungen von der durchschnittlichen Schichtdicke nicht erfasst. Zur Beurteilung der Schutzwirkung einer Lackierung sind deshalb weitere Kriterien hinzuzuziehen. Diese sind im Wesentlichen die Festlegung der Rauigkeit des Untergrundes und die durch das Applikationsverfahren bedingten Poren und Unregelmäßigkeiten in der organischen Schutzschicht. Die meisten Verfahren zur Bestimmung von Schichtdicken beziehen sich auf die Messung der gebrauchstüchtigen bzw. gehärteten Beschichtung. In vielen Fällen ist es notwendig, die Dicke des im Entstehen begriffenen Films zu bestimmen, um sie bei Bedarf noch während der Verarbeitung korrigieren zu können. Dies trifft u.a. auf den handwerklichen Auftrag mit dem Pinsel und der Rolle oder auf die schnelle industrielle Verarbeitung von Lacken im Walzverfahren (Coil Coating) zu. gemessene Schichtdicke Das Messen der Schichtdicke wird in Normen wie z.B. der DIN EN ISO 2808 festgelegt. Die Methoden zur Messung der Schichtdicken lassen sich demnach in solche für Trockenfilme und Nassfilme einteilen, von

d3

d2

Beschichtung

d1

dn

Abbildung 3.2.1: Messung der Schichtdicken dn als Durchschnittswert von Lackierungen auf rauen Oberflächen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 357

Beschichtungen

3.2.1 Schichtdicken

Die Beschichtung

Schichtdicke

Trockenfilmdicke

Nassfilmdicke Kamm Exzenterrad

verletzende Methoden

nicht verletzende Methoden

β-Rückstreuung

IG-Uhr

kapazitive Methode

Röntgenfluoreszenz

Paint Inspection Gauge (PIG)

magnetische Haftkraft

Beschichtungen

Ultraschallecho

magnetisch-induktive Methoden (Wirbelstrommethode)

Profilometer

photothermische Methoden

Ultraschallecho photothermische Methoden

Abbildung 3.2.2: Übersicht über übliche Methoden zur Bestimmung der Schichtdicke

denen einige für beide Problemfälle eingesetzt werden können. Bei der Bestimmung der Trockenfilmdicken unterscheidet man in verletzende und nicht verletzende Methoden. 3.2.1.1

Nassfilme

Zur Messung der Nassfilmdicke stehen einfache und ungenaue sowie aufwändigere und genauer messende Geräte zur Verfügung. Zu den einfachen Geräten gehört der Messkamm. Der mit unterschiedlich langen Zinken ausgestattete Messkamm wird senkrecht in die frische Lackierung gedrückt. Der längste gerade vom Lack noch nicht erfasste Zapfen gibt dann die Nassfilmdicke an. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitet die Rollfelge. Das mittlere von drei parallelen Rädern ist kleiner und exzentrisch angeordnet. Dadurch ergeben sich beim Eindrücken in den Lack in Abhängigkeit von der Stellung des Rades unterschiedliche Abstände zum Untergrund. Durch Drehen wird die Stelle ermittelt, bei der das Exzenterrad gerade vom Lack benetzt wird.

Abbildung 3.2.3: Messkamm zur Bestimmung der Nassfilmdicke  Quelle: Byk Gardner

358

Komfortabler, mit Messfehlern von ± 1 % wesentlich genauer und vor allem berührungslos arbeiten die β-Rückstreuverfahren nach DIN EN ISO 3543 und die Röntgenfluoreszenz nach DIN EN ISO 3497. Beide Verfahren BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

sind für frische und gehärtete Filme in gleicher Weise zu verwenden. Wegen ihrer Genauigkeit und der besonderen Eignung zur Online-Messung von Schichtdicken werden diese später vorgestellt (siehe weiter). 3.2.1.2

Trockenfilme

Durch Messen der Strecken a für die Gesamtschicht sowie b und c für die Einzelschichten mit einem Messmikroskop werden diese bei bekanntem Neigungswinkel α der entstandenen Flanke in die entsprechenden Schichtdicken umgerechnet. Das Keilschnitt-Verfahren ist zur gleichzeitigen Bestimmung der Einzelschichten von Mehrschichtaufbauten geeignet. Es hat sich gleichzeitig zur Messung der Schichtdicken von Lackierungen auf diversen nichtmetallischen Untergründen wie z.B. Holz oder Kunststoffen bewährt. a b

a

repräsentativ für Gesamtschichtdicke

b

für Grundierung

c

für Decklack

c

mikroskopische Aufsicht Substratfurche Grundierung Decklack

keilförmiger Einschnitt

45°

Zweischichtlackierung D

D Substrat

Abbildung 3.2.4: Schema des Messprinzips und Messgerät der Keilschnittmethode mit dem Paint Inspection Gauge (PIG) nach DIN 50986 Quelle: Byk-Gardner

BASF-Handbuch Lackiertechnik 359

Beschichtungen

Film verletzende Methoden Film verletzende Methoden setzen einen definierten Abtrag der Lackierung bis zum Substrat voraus. Bei dem sog. Keilschnitt-Verfahren z.B. mit dem Paint Inspection Gauge (PIG) nach DIN 50986 wird ein keilförmiger Schnitt bis zum Untergrund in die Lackierung eingebracht.

Die Beschichtung

Nullpunkteinstellung

Auflösung 2 µm

Beschichtungen

Fuß sitzt auf der Oberfläche

Abbildung 3.2.5 Schemazeichnung der IG-Uhr

Ein anderes, allerdings nur zur Messung der Gesamtschichtdicke brauchbares Gerät ist die IG-Uhr nach DIN 50933 oder ASTM D 1005. Sie besitzt drei Füße, zwei feststehende und einen weiteren, der über eine Zahnstange mit einem Zahnrad verbunden ist. Dieser Abtaster wird auf die punktuell bis zum Untergrund entfernte Lackierung aufgesetzt, so dass die feststehenden Füße sich auf der Lackierung und der Abtastfuß sich in der Vertiefung auf dem Untergrund befinden. Der Abtaster überträgt nun den Höhenunterschied proportional zur Schichtdicke auf das sich drehende Zahnrad.

Moderne und gleichzeitig genauere Geräte sind die Profilometer (siehe Kapitel 3.2.4). Sie werden üblicherweise zur Messung von Oberflächenstrukturen eingesetzt, können aber bei entsprechender Probenpräparation auch zur Messung von Schichtdicken benutzt werden. Ein Diamant oder Laserstrahl tastet die Oberfläche ab und überträgt die registrierten Höhenunterschiede in elektronische Informationen über die Oberflächenstruktur. Wird die Lackierung vor der Messung verletzt und ein Teil der Lackierung bis zum Untergrund abgetragen, ist das Profilometer in der Lage, auch diesen Höhenunterschied zu erfassen und so Informationen über Schichtdicken zu liefern. Die Vermessung einzelner Schichten von Mehrschichtaufbauten gelingt mit ausgezeichneter Genauigkeit anhand der mikroskopischen Untersuchung von Querschliffen. Moderne Bildanalysetechniken erlauben eine präzise Aufbereitung der per Digitalkamera aufgenommenen mikroskopischen Bilder. Nicht verletzende Methoden Sind Beschichtungen auf metallischen Untergründen zu vermessen, stehen mehrere Messmethoden zur Verfügung, die eine zerstörungsfreie Bestimmung der Schichtdi-

Abbildung 3.2.6: Auswertung von Querschliffen einer Automobillackierung (A) und einer Holzbeschichtung (B) mit dem Lichtmikroskop Quelle: BASF Coatings

360

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

µm

N S

Fe

0

1000

Magnet

50

0

50

100

Beschichtung

Fe

cken erlauben. Die Geräte basieren auf Messprinzipien, die die Materialeigenschaften der Filme und deren Schichtdickenabhängigkeit nutzen. Drei physikalisch unterschiedliche Verfahren haben sich in der Praxis bewährt. In der Anwendung auf ferromagnetischen Substraten, also auf Eisen oder Stahl begrenzt, sind zwei Messprinzipien nutzbar. In der DIN EN ISO 2178 werden die Verfahren der Messung der magnetischen Haftkraft eines Permanentmagneten und die Beeinflussung des magnetischen Flusses durch die Induktionswirkung auf ein elektromagnetisches WechΦ l selfeld als Messgrößen zugrunde gelegt. Ersteres nutzt die schichtdickenabhängige AnziehungsU kraft eines Dauermagneten. Ihre Messung erfolgt durch kontinuierliches Erhöhen einer Gegenkraft. Die im Augenblick des Abreißens aufgebrachte Kraft ist ein Maß für die Schichtdicke der Beschichtung Lackierung. Eine schematische Zeichnung des Funktionsprinzips zeigt Abbildung 3.2.7. Substrat Aufwändiger in der Konstruktion, empfindlicher in der Anwendung, dafür aber genauer im Messergebnis sind die Schichtdickenmessgeräte, welche die vom magnetischen Substrat ausgehende induktive Beeinflussung eines elektromagnetischen Wechselfeldes zur Messung der Schichtdicken nutzen. Dabei erzeugt der Strom I in der Primärspule eines Elek-

Abbildung 3.2.8: Schichtdickenmessung nach dem magnetischQuelle: Byk Gardner induktiven Verfahren

BASF-Handbuch Lackiertechnik 361

Beschichtungen

Abbildung 3.2.7: Eichung und Messen der Schichtdicken mit Permanentmagneten bei ferromagnetischen Substraten

Die Beschichtung

Sondenimpedanz

Beschichtungen

Beschichtung Substrat

Wirbelstromintensität Abbildung 3.2.9: Messung von Schichtdicken nach dem Wirbelstromprinzip auf metallisch leitfähigen Substraten

Plattensonde εr

Beschichtung

Kapazität

Substrat

Abbildung 3.2.10: Prinzip des kapazitiven Messverfahrens zur Bestimmung von Schichtdicken

tromagneten den magnetischen Fluss Φ, der wiederum eine davon abhängige Induktionsspannung U erzeugt. Die Schichtdicke der Beschichtung beeinflusst in der Messanordnung den magnetischen Fluss Φ und damit die gemessene Induktionsspannung U. In der Anwendung nicht auf magnetische Substrate beschränkt, sondern für alle metallischen Werkstoffe verwendbar, also über Eisen hinaus auch für Aluminium, Zink, Kupfer und Magnesium, ist die Messung der Änderung des induktiven Widerstandes, der Impedanz, einer stromdurchflossenen Messspule durch den rückwirkenden Einfluss induktiver Wirbelströme im elektrisch leitfähigen Substrat. Beim Wirbelstromverfahren ist die Änderung des induktiven Widerstandes der Messspule die schichtdickenabhängige Größe. Einzelheiten beschreibt die DIN EN ISO 2360. Die Substratabhängigkeit führt vor allem auf verzinkten Blechen zu Abweichungen, so dass spezielle Sonden für spezielle Fälle benötigt werden [3.4.10].

Seltener anzutreffen, im Prinzip aber ebenfalls für alle elektrisch leitfähigen Substrate anwendbar, sind die kapazitiven Messverfahren. Eine plattenförmige Messsonde dient nach Aufsetzen auf einen planen lackierten, metallischen Untergrund als Elektrode eines Plattenkondensators, dessen Dielektrikum die Lackierung bildet. Durch die Messung der Kapazität C des Kondensators ist bei Kenntnis der Dielektrizitätskonstanten ε und der Messfläche A die Schichtdicke d zu berechnen. Da die Dielektrizitätskonstante durch den Filmbildner, die Pigmente und durch den Feuchtigkeitsgehalt der Lackierung erheblich beeinflusst wird, ist dieses Verfahren nicht universell einsetzbar. Außerdem sind Messfehler bei Unebenheiten der Lackieroberfläche zu erwarten. Sind jedoch identische Bedingungen zu schaffen und gehen der eigentlichen Messung Eichmessungen voraus, sind Schichtdickenbestimmungen mit dem kapazititven Verfahren den vorher genannten keineswegs unterlegen. Der Weg hin zu einer automatisierten Lackverarbeitung ist mit der Entwicklung neuer, nicht zerstörender und gleichzeitig berührungslos messender Techniken verbunden.

362

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Berührungslose Verfahren

Bei ausreichend hoher Frequenz einer Ultraschallquelle wird es möglich, die Schichtdicken durch Interferenzeffekte nach DIN EN ISO 2808 zu ermitteln. Der auf den Lackieraufbau auftreffende Ultraschall wird an der Oberfläche zum Teil reflektiert. Der Rest dringt in die Lackierung ein, um an allen weiteren Grenzflächen erneut in einen reflektierten und weiter eindringenden Teil gesplittet zu werden. Die nun mit einer Phasenverschiebung aus der Lackierung austretenden Wellen R 2 bis R4 überlagern sich mit der vorher reflektierten und zeigen wegen der Schichtdickenabhängigkeit der Phasenverschiebung auch schichtdickenspezifische Interferenzerscheinungen. Ein großer Vorteil dieser Technik besteht darin, dass im Gegensatz zu den bisher genannten verletzungsfreien Methoden nun auch das Messen der einzelnen Schichten von Mehrschichtaufbauten auf Nichtmetallen möglich wird. Geräte mit Kontaktsonden eignen sich für die Messung auf Kunststoffsubstraten. Die beim Einstrahlen von Röntgenstrahlen im Substrat oder im Lackfilm entstehende charakteristische Sekundärstrahlung wird auch zur genauen Ermittlung von Schichtdicken herangezogen. Dabei werden zwei schichtdickenabhängige Messprinzipien genutzt. Entweder β- oder Röntgenstrahlen dringen in die Lackschicht ein und werden vom Untergrund zurückgestreut. Bei Verwendung geeigneter Pigmente tritt bereits eine Rückstreuung im Lackfilm ein. In einem Detektor wird die Streu- bzw. Sekundärstrahlung gemessen. Wenn sich die Ordnungszahlen der Elemente im Lack und im Untergrund ausreichend unterscheiden, sind Streustrahlung der β-Strahlen und Fluoreszenzstrahlung beim Röntgenstrahl auf zwei Arten zur Schichtdickenbestimmung heranzuziehen. Legt man die Streu- bzw. Fluoreszenzstrahlung aus dem Lack zugrunde, ist die Intensität direkt proportional der Schichtdicke. Nutzt man die Sekundärstrahlung aus dem Untergrund, ist die Abhängigkeit zur Schichtdicke indirekt proportional. Speziell in schnell und kontinuierlich laufenden Lackieranlagen kann man das weniger abstandsabhängige, dafür aber auch weniger empfindliche Messprinzip der β-Rückstreuung nach DIN EN ISO 3882 bei Ultraschall

Reflexion R1 R2 R3 R4 Intensität

t1

t2

t3

t4

Zeit

Abbildung 3.2.11: Prinzip der Schichtdickenmessung durch UltraschallReflexion am Mehrschichtaufbau nach ISO 2808

BASF-Handbuch Lackiertechnik 363

Beschichtungen

Schichtdickenmessungen mittels Ultraschall, Röntgenfluoreszenz, β-Rückstreuung oder photothermischer Verfahren sind mittlerweile bewährte Methoden. Sie sind zwar ausnahmslos aufwändig und teuer, erlauben aber auch die Vermessung nicht ausgehärteter Lackfilme mit höchster Genauigkeit.

Die Beschichtung

Lackschicht

Substratfluoreszenz

Substrat

Pigmentfluoreszenz

Beschichtungen

Strahler Detektor Prinzip 1 Fluoreszenz im Lackfilm abhängig von Schichtdicke und Pigmentart und -konzentration

Prinzip 2 Fluoreszenzschwächung durch dickenabhängige Absorption im Lackfilm

anorganischen Beschichtungen und organischen mit hohem anorganischen Pigmentanteil anwenden. Als Strahlungsquelle werden üblicherweise Radioisotope verwendet. Beide Messprinzipien haben aufgrund ihrer schnellen Rückkopplung zur laufenden Lackierung Bedeutung für die kontinuierliche Messung beim mit bis zu 200 m/min. äußerst schnellem Coil Coating-Verfahren erlangen können.

Ein sowohl für Pulverlacke als auch für noch nicht getrocknete Nasslacke geeignetes Verfahren ist die Photothermometrie [3.4.11]. Die von der Strahlungsquelle, z.B. einem Laser, pigmentierter Lackfilm intermittierend ausgehenden Substrat Strahlungsimpulse von Fre(Eisen) quenzen im IR-Bereich erwärAbbildung 3.2.12: β-Rückstreuung und Röntgenfluoreszenz durch men die oberflächennahen organische Beschichtungen Zonen kurzzeitig um wenige Grad. Die Temperaturerhöhung, der Transport der Wärmewellen zum Untergrund und die anschließende Reflexion am Substrat führen zu einem schichtdickenabhängigen Temperatur-Zeit-Profil im Lackfilm. Als Messsonde dienen schnell reagierende Thermometer, sogenannte photothermische Detektoren. Wegen der sensiblen Reaktion des IR-Strahls auf im Film vorhandene z z

Laser

IRDetektor 2

Modulation

Oberflächentemperatur

L D2 D1 or

t ek

t De R

I

Substrat

1

Lackschicht

dünne Schicht

dicke Schicht

t

Abbildung 3.2.13: Photothermische Schichtdickenmessung

364

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Wassermoleküle sind mit Hilfe der Wärmewellentechnik neben der schnellen Schichtdickenmessung auch detaillierte Aussagen über den Trocknungsprozess möglich. Speziell für die Schichtdickenmessung und das Verfolgen der Filmbildung von Wasserlacken werden darüber hinaus spezielle Infrarotspektrometer verwendet. Der Restwassergehalt wird durch die Intensität der für Wasser charakteristischen Absorptionsbanden angezeigt und steht in Relation zur Schichtdicke [3.4.12]. Ein Vergleich der in der Praxis üblichen Schichtdickenmessgeräte im Hinblick auf ihre Genauigkeit, Zweckmäßigkeit in der Anwendung und Preise bzw. Kosten bei ihrem Einsatz führen immer wieder zu dem gleichen Ergebnis. Die Sicherheit des Messergebnisses und die Schnelligkeit, mit der die Messergebnisse erhalten werden, stehen in allen Fällen in einem direkten proportionalen Zusammenhang zu den Kosten des Verfahrens. Die etablierten, sicher zweckmäßigen, aber gleichzeitig auch preiswerten Geräte, seien es solche, die nach dem Prinzip der Haftkraft oder magnetisch-induktiv, kapazitiv oder nach dem Wirbelstromverfahren arbeiten, sind genauso wie die verletzenden Techniken der IG-Uhr oder des Paint Inspection Gauge mit ± >5 % allesamt relativ ungenau. Es ist deshalb notwendig, die Fehler durch Mehrfachmessung und mathematische Aufbereitung zu minimieren. Anders hingegen sind die aufwändigen Verfahren der Röntgenfluoreszenz, der β-Rückstreuung und die Laserthermometrie einzustufen. Bei entsprechend sorgfältiger Installation der Messapparaturen und Berücksichtigung bzw. Ausschalten zusätzlicher Fehlerquellen können durchaus Reproduzierbarkeiten von weniger als 1 % erreicht werden. Andere, ebenfalls genaue Methoden der mikroskopischen Untersuchung an Querschliffen haben allerdings den Nachteil der verletzenden Probenpräparation und sind deshalb auf die Analyse und Ursachenermittlung von Lackierfehlern beschränkt.

3.2.2

Trockenfilmdichte

Während die Bestimmung der Dichte von Flüssigkeiten in einem Pyknometer kein Problem darstellt, sind die Dichtemessungen von Festkörpern aufgrund des häufig nicht bekannten Volumens indirekt und damit komplizierter durchzuführen. Ein Weg zur Trockenfilmdichte führt über die Bestimmung des Festkörpervolumens nach DIN 53219. Zu diesem Zweck wird eine Platte mit bekannter Masse m1 und berechnetem Volumens V1 mit einer Lackierung versehen. Die Berechnung des Volumens V1 erfolgt durch Bestimmung des Gewichts in Luft m1 und Wasser m2 gemäß V1

(m1 - m2 ) 1

m1 = Gewicht der Prüftafel in Luft m2 = Gewicht der Prüftafel in Wasser 1

= Dichte des Wassers

Danach wird die Tafel beschichtet und zur Bestimmung von m3 und nach Eintauchen in Wasser zur Bestimmung von m4 erneut gewogen. Das Volumen V2 der beschichteten Platte ist dann: V2

(m3 - m4 ) 1

m3 = Gewicht der Prüftafel und Lackierung in Luft m4 = Gewicht der Prüftafel und Lackierung in Wasser

BASF-Handbuch Lackiertechnik 365

Beschichtungen

Vergleich der Schichtdickenmessgeräte

Die Beschichtung

Das Volumen V3 des getrockneten Films ist dann V2 – V1. m3 – m1 entspricht dem Gewicht des eingewogenen Films. Folglich ist die Trockenfilmdichte ρT

Waagebalken

T

Gegengewicht

Darüber hinaus ist es möglich, die Trockenfilmdichte aus den Materialdaten des flüssigen Lackes zu berechnen, wenn die Dichte des nassen Lackes, die Dichte der Lösemittel und die nicht flüchtigen Anteile (nfA) bekannt sind. Da das Volumen des flüssigen Lackes VLa die Summe des Volumens des getrockneten Films VT und der flüchtigen Anteile Vfl ist, folgt:

Platte

Beschichtungen

m3 - m1 V2 - V1

Abbildung 3.2.14: Schema zur Bestimmung der Trockenfilmdichte nach DIN 53219

VLa

VT + Vfl

oder

mLa

mT

mfl

La

T

fl

Da auch die Masse der Lackbestandteile mT und mfl gleich der Masse des flüssigen Lackes mLa ist, folgt: mLa = mT + mfl

Nach Auflösen nach ρT und Ersetzen von mT/mLa · 100 durch den Festkörper (nfA) folgt: T

100

nfA La Lö Lö - (100 - nfA )

La

Diese einfache Beziehung erweist sich bei näherer Betrachtung als sehr sensibel gegenüber kleinen Fehlern bei der Ermittlung des nicht flüchtigen Anteils. Insbesondere wird dies beachtenswert, wenn häufig unterschiedliche Einbrenntemperaturen bei der Bestimmung im Labor im Vergleich zu denen bei der betrieblichen Verarbeitung im Trockner auftreten. In erster Näherung ist die Dichte der flüchtigen Anteile gleichzusetzen mit der Dichte der im Lack vorhandenen Lösemittel. In der Lackiertechnik kommt es auch vor, dass Dichten von Festkörpern zu bestimmen sind, von denen keine entsprechenden Daten des Flüssiglackes vorliegen. Pigmentpulver oder Pulverlacke sind Beispiele, bei denen eine Dichteberechnung versagt. In solchen Fällen greift man auf eine modifizierte Pyknometermethode zurück. Wie in der DIN EN ISO 787-10 beschrieben, wird die Dichte von Feststoffpulvern aus den Wägungen des Pyknometers mit dem zu untersuchenden Pigmentpulver, dem anschließend mit Petrolether aufgefüllten und danach allein mit Petrolether gefüllten Pyknometer berechnet. Die Dichte ermittelt sich aus Pe

T

366

mPe

mPi Pe - mPiPe mPi

mPi

= Dichte Petrolether = Einwaage Pigment

mPe = Einwaage Petrolether mPiPe = Einwaage Pigment und Petrolether BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Zum Erreichen genauer Messergebnisse ist unbedingt dafür Sorge zu tragen, dass eine vollständige Benetzung des Pulvers mit dem Petrolether gegeben ist.

Messung von Poren in Lackfilmen

Für den Schutz korrosionsanfälliger Substrate ist die Schichtdicke der Lackierung ein wichtiges, aber keineswegs das alleinige Kriterium. Die Haftung zum Untergrund und die Geschlossenheit der Schutzschicht sind zusätzliche qualitätsbestimmende Faktoren. Durch die Applikation eingebrachte feinste Lufteinschlüsse oder Benetzungsstörungen können in Abhängigkeit von den rheologischen Eigenschaften des Lackes Poren in der Lackierung hinterlassen. Diese können sich in Abhängigkeit von der Zahl der aufgebrachten Einzelschichten entweder nur in einem Teil der Beschichtung aufhalten oder als durchgehende Kapillaren vom Untergrund bis in die Oberfläche der Lackierung hineinreichen. Derartige Poren schwächen den Schutz. Sie lassen Wasser und Elektrolyte praktisch ungehindert bis zum Untergrund vordringen. Die quantitative Ermittlung von Poren ist deshalb für die Beurteilung der Schutzwirkung von Korrosionsschutzlackierungen eine unerlässliche Aufgabe. Bis zum Substrat durchgehende Kanäle in der Lackierung lassen sich durch Eintauchen in eine tensidhaltige Kupfersulfat-Lösung relativ einfach sichtbar machen. Das unedle Eisen des Untergrundes geht im Bereich der Poren bei gleichzeitiger Abscheidung von elementarem, gut sichtbarem Kupfer in Lösung.

Fe + Cu2+

Fe2+ + Cu

Die auf 1 dm2 bezogene Porenzahl wird in einen Porenkennwert umgerechnet. P1 bedeutet dabei keine durchgehenden Poren, P2 weniger als 20, P3 20 bis 100, P4 101 bis 400 und P5 mehr als 400 Poren. Sind die Poren nicht durchgehend, können sie mit der einfachen Markierung durch Kupfer nicht identifiziert werden. Schwachstellen in der Lackierung müssen dann mit anderen Methoden erkannt werden. Auf der Suche nach durchgehenden, aber auch latenten Poren haben sich durch Hochspannung erzeugte elektrische Funkenentlabei zu hoher Spannung

Isolierwirkung des Schutzüberzugs

Stromfluss durch Poren und Hohlräume

Durchschlag im intakten Überzug

Abbildung 3.2.15: Prinzip der Porensuche mit Hilfe von Hochspannung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 367

Beschichtungen

3.2.3

Die Beschichtung

dungen bewährt. Wie in DIN 55670 beschrieben, werden an Hochspannung gelegte Drahtbürsten oder elektrisch leitende Gummiwischer über das zu prüfende Objekt geführt. Poren geben sich je nach Porentiefe in Abhängigkeit von der angelegten Spannung als Durchschläge akustisch oder elektrisch zu erkennen. Dies Verfahren wird auch zur Bestimmung der Kantenabdeckung und der Schutzwirkung auf stark strukturierten Substraten eingesetzt.

Beschichtungen

3.2.4

Visuelle Eigenschaften

Farbe, Farbeffekte und Glanz von Oberflächen sind Sinneseindrücke und damit subjektive Wahrnehmungen des durch die Wechselwirkung mit Lackierungen veränderten Lichts. Farbdesigner untersuchen die subjektive Wahrnehmung von Farbe, Glanz und Effekt in Verbindung mit der Form des Lackierobjekts und tragen so dazu bei, ästhetische und funktionelle Eigenschaften miteinander zu verknüpfen. Nicht nur im Automobilsektor werden immer wieder neue optische Effekte in Schönheit und Eleganz transformiert, um dadurch Anreize zu bieten und Kaufwünsche zu wecken. Der visuelle Gesamteindruck, den ein Betrachter empfindet, wird im Wesentlichen durch zwei unterschiedliche physikalische Phänomene hervorgerufen. Ein Teil des auf eine Lackierung auftreffenden Lichts wird an der Oberfläche reflektiert und gelangt ohne weitere Wechselwirkung mit den Bestandteilen der Lackierung – unabhängig von ihrer Farbe – in das Auge des Betrachters. Handelt es sich um eine gerichtete Reflexion auf einer glatten Oberfläche, wird diese als glänzend empfunden. Der weitaus größte Anteil des Lichts dringt in die Lackierung ein, um dort nach Wechselwirkung mit den Pigmenten und Effektstoffen Farbigkeit, Deckvermögen und zusätzliche Effekte hervorzurufen. 3.2.4.1 Glanz Klassische Definition von Glanz Die klassische Definition von Glanz behandelt nur das an der Oberfläche von Beschichtungen reflektierte Licht. Dieses wird in Abhängigkeit von der Glätte der 1 1’ Oberfläche unterschiedlich reflekε ε’ tiert und führt so zu einer mehr 2 oder weniger guten Abbildung der 3 2 beleuchteten Umgebung. Der vom Auge wahrgenommene Sinneseindruck wird als Glanz erkannt. 1’ einfallendes Licht 1 gerichtete Spiegelreflexion 2 Abweichungen der Richtung des reflektierten Lichts durch Verlaufsstörungen 3 diffuses Licht durch Streuung an den Feinstrukturen Abbildung 3.2.16: Reflexionsverhalten einfallenden Lichts an lackierten Oberflächen

368

Der Anteil des an der Oberfläche reflektierten Lichtes R ist in Abhängigkeit vom Einfallswinkel mit Hilfe der Fresnel’schen Formel analog DIN EN ISO 2813 für Beschichtungen ohne Effektpigmente zu berechnen. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen 1

R(n, ) =

n2 cos - (n2 - sin2 ) 2 n2 cos

1

(n2 - sin2 ) 2

2

2

1

(n2 - sin2 ) 2 - cos 1

(n2 - sin2 ) 2

cos

Über einen weiten Bereich des Einfallswinkels errechnen sich mit 4 bis 8 % relativ geringe Anteile für die Oberflächenreflexion. Trotzdem wird sie vom Auge intensiv registriert. Sie ist im Gegensatz zum eindringenden Licht bei glatten Oberflächen nicht oder nur wenig diffus verteilt. Das Licht wird also bei wenig ausgeprägter Oberflächenstruktur vornehmlich gerichtet reflektiert und führt so zu einer scharfen Abbildung der Lichtquelle. Da offensichtlich Glanz dann besonders intensiv empfunden wird, wenn ein leuchtender Gegenstand auf einer Lackierung hell und wenig verzerrt kontrastreich abgebildet wird, lag es nahe, bei der Definition des Begriffes Glanz die Anteile des gerichtet reflektierten Lichtes als Maß für den Glanz zu verwenden. Die DIN 67 530 beschreibt diese Methode. Für die Glanzmessung werden Reflektometer eingesetzt. Es handelt sich um Geräte, die aus einer definierten Lichtquelle Licht mit einer Fläche von mehreren Quadratzentimetern unter dem Winkel ε1 auf das lackierte Objekt schicken. Das reflektierte Licht wird im ent100 % sprechenden Reflexionswinkel Reflexion ε2 in seiner Intensität gemessen (ε1 = ε2). Eine glatte Oberfläche wird im Vergleich mit einer rauen oder gewellten höhere Reflexionswerte herbeiführen. Hohe Reflektometerwerte sind 0 90° somit repräsentativ für einen Einfallwinkel hohen Glanz. Für die Praxis haben sich einfache Geräte eta- Abbildung 3.2.17: Reflexion in Abhängigkeit vom Lichteinfallswinkel bliert, die es erlauben, reproduzierbar gerichtete Reflexion Photozelle Lampe zu messen und in Reflektometerwerte zu verwandeln. Dabei handelt es sich immer um Relativmessungen, bezogen auf den ε2 = ε1 reflektierten Lichtstrom einer schwarzen, polierten Glasplatte mit einem Brechungsindex von 1,567. Zur Erhöhung der Messgenauigkeit bzw. der besseren Reproduzierbarkeit der Messwerte hat

Probe

Abbildung 3.2.18: Schema eines Reflektometers nach DIN EN ISO 2813 bzw. DIN 67530

BASF-Handbuch Lackiertechnik 369

Beschichtungen

In Abhängigkeit vom relativen Brechungsindex n, berechnet aus dem Verhältnis der Brechungsindizes der Lackierung und Luft und vom Einfallswinkel ε ergibt sich für die Intensität des reflektierten Lichts der in Abbildung 3.2.17 dargestellte Kurvenverlauf.

Die Beschichtung

Messwertanzeige (digital)

Photoelektr. Wandler Kollimatoren 20° 60°

Aperturen

Beschichtungen

20° 60° 85°

Prüfzone

85°

Beschichtung

Abbildung 3.2.19: Schema eines Messgerätes zu Glanzmessung bei verschiedenen Winkeln

es sich bewährt, bei unterschiedlich glänzenden Proben auch unterschiedliche Einfallsbzw. Reflexionswinkel des Messstrahls einzustellen. Wegen des höheren Anteils des reflektierten Lichts bei größeren Einfallswinkeln werden matte Flächen mit größerem (85°), halbglänzende mit mittlerem (60°) und hochglänzende mit einem nur sehr kleinen Einfallswinkel (20°) vermessen. Moderne Geräte enthalten alle drei Messgeometrien und können durch Umschalten auf die einzelnen Bereiche universell genutzt werden. Fest steht, dass bei geringerer Intensität der gerichteten Reflexion durch die zunehmenden ungerichteten und diffusen Anteile die Abbildungsschärfe auf unterschiedliche Art und Weise beeinträchtigt wird. Die ungerichteten und diffusen Anteile werden durch das Reflektometer zwar nicht erfasst, beeinflussen aber das visuelle Empfinden des Betrachters. Für die Erfassung der Hell-Dunkel-Effekte bei der Metallic-Lackierung, deren Lacke etwa 3 bis 4 % Aluminiumflakes bei Volltonmetallics und etwa 0,2 bis 0,5 % bei dunklen Metallics besitzen, wird die Reflektometermessung bei unterschiedlichen Messwinkeln durchgeführt. Eine Messgröße dieses Effektes ist die Berechnung der relativen Reflexion im Winkel von 0° bezogen auf 45°, welches auch der Einfallswinkel des Lichtes ist. Erweiterte Betrachtung des Begriffes Glanz Langwellige Gestaltsabweichungen von einer absolut störungsfreien planen Fläche bedeuten lokal geringe Änderungen des Einfallswinkels und dementsprechend auch des Reflexionswinkels. Darauf aufgesetzte kurzwellige Oberflächenstörungen rufen lokal größere Einfallswinkeländerungen hervor. Fein- und Feinststrukturen hingegen streuen das Licht in alle Richtungen. Korrelationen zwischen einem Sinneseindruck und physikalischen Effekten können also nur gefunden werden, wenn auch das nicht gerichtet reflektierte Licht genau erfasst und mit Maßzahlen versehen wird. 370

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

ε

ε’

Spiegel

Verlaufsstörungen

Mikrostruktur durch Filmschrumpf

β = Wert Lichteinfall

Reflexion α = Wert 1 2 Probe ε = ε’

Abbildung 3.2.21: Verteilungskurven des von zwei unterschiedlichen Beschichtungen reflektierten Lichts (Glanzindikatrix)

Erweitert man das Reflektometer in seinen Messmöglichkeiten dahingehend, dass über die Einstellung ε1 = ε2 hinaus auch andere Reflexionswinkel zu erfassen sind, werden Aussagen über den Verbleib des Lichtstroms auch bei ungerichteter Reflexion möglich. Derartige Geräte, als Goniophotometer bekannt, besitzen einen beweglich angeordneten Messkopf und können damit alle Reflexionswinkel von 0° bis 90° erfassen. Man misst also nicht mehr die Glanzspitze als einzigen Reflektometerwert, sondern eine ganze Reflexionskurve, die Glanzindikatrix. Die Glanzindikatrix ermöglicht es, mit ihren Angaben über die winkelabhängige Verteilung des gesamten reflektierten Lichts, den integralen Sinneseindruck Glanz durch Maßzahlen über Teillichtströme wesentlich detaillierter zu erfassen. Wie bei der einfachen Reflektometermessung liefert das Kurvenmaximum im Reflexionswinkel ε1 = ε2 eine Information über den sog. Spiegelglanz. Zusätzlich werden durch den unterschiedlichen Verlauf der Glanzindikatrix Aussagen über die reflektierten Anteile in der Nähe des Reflexionswinkels (Kleinwinkelstreuung), aber auch in größerem Abstand möglich (Weitwinkelstreuung). Ersteres indiziert die grobwelligen Strukturen mit nur geringer Abweichung zur Waagerechten, letzteres die Feinstrukturen, die weitgehend ungerichtete Streueffekte hervorrufen. Es gelingt so, zwischen langwelligen Verlaufsstörungen und Mikrostrukturen in der Lackierung zu differenzieren. BASF-Handbuch Lackiertechnik 371

Beschichtungen

Abbildung 3.2.20: Lichtreflexion an unterschiedlich strukturierten Oberflächen

Beschichtungen

Die Beschichtung

Für schnelle vergleichende Messungen wurden Geräte entwickelt, in denen der bewegliche Messfühler durch vier fest installierte Fotosensoren ersetzt wurde. Der erste ist im Reflexionswinkel ε2 = ε1, der zweite bei ε2 = ε1 + 0,3°, der dritte bei ε2 = ε1 + 2° und der vierte bei ε2 = ε1 + 5° positioniert. Durch mathematische Aufbereitung der einzelnen Reflexionswerte wird es möglich, quantitative Angaben über Spiegelglanz Rs, Verlaufsstörungen als Distinctness of Abbildung 3.2.22: Glanzmessgerät Quelle: Byk Image (DOI) und die als Haze (H) bzw. Glanzschleier erkennbaren Feinstrukturen zu machen. Dabei ist Haze eine Besonderheit des Spiegelglanzes. Er wird durch oberflächennahe Störungen (z.B. Pigmentagglomerate) in Dimensionen der Wellenlänge des Lichts erzeugt. Es steht außer Frage, dass durch die Erweiterung des Reflektometers in Form des Goniophotometers eine erheblich bessere Erklärung für die Abweichungen des Sinneseindrucks vom Messergebnis erreicht werden konnte. Eine zuverlässige Prognose über die subjektive Wahrnehmung vielfältig strukturierter Lackierungen ist damit immer noch nicht möglich. Der physiologische Eindruck ist insofern komplexer, als der Betrachter im Gegensatz zum Messgerät die sinnlich wahrgenommenen Bilder nicht mit einem Sensor, sondern mit zwei Augen verarbeitet. Hinzu kommt, dass durch die permanente Bewegung der Augen letztlich ein integrierter Gesamteindruck aus einer Vielzahl an Einzelinformationen entsteht. Außerdem adaptieren die Augen im Gegensatz zum Messgerät in Abhängigkeit vom Glanzgrad und Abstand zum Objekt unbewusst entweder auf die Oberfläche oder auf die in einer glänzenden Fläche abgebildete Umgebung.

30°

30°

Rs

0,3°

Lichteinfall

2° 5°

Glanzmaße Rs = Spiegelglanz (Glanzspitze) Rs – R0,3 Rs Rß Rs

· 100 = DOI Distinctness of image

· 100 = Haze (Glanzschleier) Kleinwinkel ß = 2° und 5°

Abbildung 3.2.23: Messprinzip eines Reflektometers zur Glanzmessung bei mehreren fest eingestellten Reflexionswinkeln

372

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Indirekte Methoden

Die Strukturen der Oberflächen lackierter Objekte sind das Ergebnis der Addition komplexer Abbildungen von Untergrundrauigkeiten sowie applikations- und materialbedingten Texturen. Die Abbildungen von strukturierten Untergründen werden durch die applikationsbedingten, meist grobwelligen Strukturen überlagert. Diese haben ihre Ursache im Wechselspiel zwischen dem Nivellieren von Primärstrukturen und der Bildung von Erhebungen durch Strömungen im entstehenden Film (siehe Kapitel 3.1.1). In allen Fällen gesellt sich zu den mit Untergrundstrukturen überlagerten Verlaufs- und Filmbildestörungen eine zusätzliche filmschrumpfbedingte Feinststruktur. Diese hängt in ihrer Wellenlänge und Amplitude genauso vom Festkörper und der Menge der beim Härten entweichenden Spaltprodukte ab wie von der Feinheit der Pigmente und der Füllstoffe (siehe Kapitel 3.2.3). Derartig komplexe Strukturen zu messen und mit Kennzahlen zu versehen, die dann eine Korrelation zum Sinneseindruck Glanz herbeiführen, ist die Aufgabe dieser Messtechniken. Ein bewährtes Verfahren zur Messung von Oberflächenstrukturen besteht in der mechanischen Abtastung der Oberflächen durch eine vertikal bewegliche Diamantspitze. Mit Amplituden von max. 50 µm tastet eine Diamantspitze mit einer Rundung von ungefähr 5 µm die Oberfläche mechanisch ab, um die Daten danach elektronisch in ein Höhenprofil zu überführen. OberflächenstrukAbbildung eines rauen turen werden dabei in einen Untergrundes langwelligen Anteil unter dem (Lackierung ohne Begriff Welligkeit und einen Verlaufsstörungen) mittel- und kurzwelligen Anteil unter dem Begriff Rauigkeit aufgeteilt. Der langwellige Anteil oberhalb von 0,24 mm wird durch Verlaufsmängel hervorgerufen und durch DOI-Messungen (siehe vorher) beurteilbar. Der mit 0,02 bis 0,06 mm kurzwellige Anteil gibt die Mikrostrukturen durch schrumpfungsbedingte Abbildung des Untergrundes und

Abbildung von Untergrund und Verlaufsstörungen

Abbildung von Untergrund, Verlaufsstörungen und Mikrostruktur durch Filmschrumpf

Abbildung 3.2.24: Überlagerung von Oberflächenstrukturen in Lackierungen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 373

Beschichtungen

Um die Ursachen von Glanz noch besser zu ergründen und eventuell auch bessere Prognosen über das Empfinden des Betrachters abgeben zu können, sind Anstrengungen unternommen worden, die auf Untersuchungen von Lichtreflexionen gänzlich verzichten und sich der direkten Vermessung der Oberflächenstrukturen zuwenden. Anhand dieser Messverfahren soll eine geometrische Beschreibung der Oberflächenstrukturen über die Zusammenhänge zur subjektiven Wahrnehmung hinaus Möglichkeiten finden, Ursachen für die Ausbildung von Strukturen zu erkennen. Bei Kenntnis der Einflüsse durch das Rezept, die Dispergierung, die Applikation oder den Untergrund wird es möglich, über die Beschreibung von Phänomenen hinaus auch sinnvolle Maßnahmen zur Optimierung der Produktqualität zu ergreifen.

Die Beschichtung

der Pigmente wieder und kann durch die Haze-Messung integral erfasst werden (siehe Kapitel 3.2.4).

Quelle: Perth

Ra

Mittlere Linie

y

Rq

x

Ry

Rp

0

Rm

Beschichtungen

Abbildung 3.2.25: Profilometer

le Z1

le

Z2 (=Rmax)

Z3

Z4

Z5

lm

Abbildung 3.2.26: Definition von Messgrößen der Oberflächen­ strukturen

Eine bessere Feinauflösung liefert die Messung mit einem Laserstrahl, der auf die jeweilige Höhe des zu messenden Mikrogebirges fokussiert ist. Eine solche Verfahrensvariante ist bei pigmentierten Systemen mit Erfolg einsetzbar, versagt jedoch bei Metallic-Lackierungen wegen der nur teilweisen Reflexion an der Oberfläche. Das Eindringen in den Basislack und zusätzliche Reflexion an den Effektstoffen erlaubt bei entsprechender Messtechnik jedoch die objektive und quantitative Erfassung des Metallic-Effekts (flip-flop). Durch das Abtasten gewonnene Diagramme über die Morphologie von Oberflächen sind durch die nach DIN EN ISO 4287 vorgeschlagene Katalogisierung des Rauigkeitprofils mit verschiedenen Kenngrößen zu versehen. Im Einzelnen zu nennen sind der Mittenrauwert Ra als arithmetisches und Rq als geometrisches Mittel aller Profilwerte des Rauigkeitprofils.

Eine ergänzende Information liefern die Glättungstiefen Rp und Rm. Sie sind der Abstand des höchsten und tiefsten Profilpunktes von der Bezugslinie. Die Summe beider Größen ergibt mit Ry den senkrechten Abstand des höchsten vom niedrigsten Profilwert innerhalb der Messstrecke l. Für eine noch bessere Beschreibung von Oberflächenprofilen kann die Messstrecke l in eine größere Zahl von Einzelstrecken geteilt werden. In den einzelnen Teilstrecken kann dann die dem Ry-Wert entsprechende Einzelrautiefe Zi und die aus den Einzelrautiefen aufeinander folgender Einzelmessstrecken gemittelte Rautiefe Rz angegeben bzw. berechnet werden.

Eine andere Methodik zur Vermessung von Oberflächenstrukturen mittels Laserstrahlen besteht in der Bestimmung des sich beim Abtasten der strukturierten Oberfläche ändernden Reflexionswinkels. Dieses Prinzip ist im „Wavescan“ realisiert. Es ähnelt bei vordergründiger Betrachtung einem Reflektometer. Der grundsätzliche Unterschied 374

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Lichtintensität im Reflexionswinkel schwankt in Abhängigkeit von der Oberflächenstruktur

Die Anteile der einzelnen Strukturen nach Wellenlängenbereichen und Amplituden zu ordnen und separat anzugeben, wird durch eine mathematische Aufbereitung möglich. Es lassen sich alle auch noch so kompliAbbildung 3.2.27: Messprinzip des „Wavescan“zierten Kurvenverläufe in eine Vielzahl von Gerätes Quelle: Byk Gardner Sinus- und Cosinuskurven mit unterschiedlichen Wellenlängen und Amplituden umrechnen. Diese unter dem Namen Fast-FourierTransformation bekannte mathematische Operation liefert diskrete Kennzahlen für Wellenlängenbereiche als Anteile der strukturierten Oberflächen. Die durch mechanische und optische Profilographen oder durch das „Wavescan“ primär erhaltenen Oberflächenprofile werden mit Hilfe dieser Umrechnungen quasi durch Welligkeitsfilter in Welligkeitsspektren überführt [3.4.14]. Das „Wavescan“ erfasst sechs für die Beurteilung von Oberflächen relevante Wellenlängenbereiche : du, Wa, Wb, Wc, Wd, We [3.4.15]. Eine einfachere Darstellung sind die als Shortwave und als Longwave bekannten Größen, die Auskunft über Fein- und GrobOberflächenprofil

Welligkeitsfilter

Welligkeitsspektrum Amplitude

z.B. Verlaufsmängel

Tastschnitt

z.B. „Orangenhaut“

kontinuierlich

diskret

(Zwischenstufen) Wellenlänge z.B. Glanzschleier Abbildung 3.2.28: Mathematische Aufbereitung von Welligkeitsprofilen gemäß der Fourier-Analyse

BASF-Handbuch Lackiertechnik 375

Beschichtungen

liegt in der Messfläche. Während die Lichtquelle des Reflektometers mit einer Messfläche von mehreren Quadratzentimetern die Oberfläche integral mit einem Mittelwert erfasst, tastet das „Wavescan“ mit einem feinsten Laserstrahl (D konstant

entropieelastischer Anteil zeitabhängig energieelastischer Anteil zeitunabhängig

Beschichtungen

(A)

(B)

t

t

Abbildung 3.2.67: Dehnverhalten von energieelastischen (A) und viskoelastischen (B) Körpern in Abhängigkeit von der Zeit

Es fällt auf, dass bei duromeren Lackierungen die Differenz der E-Moduln zwischen dem entropieelastischen und dem energieelastischen Bereich geringer wird. Die Temperaturabhängigkeit des E-Moduls ist deshalb auch ein Richtwert für den Vernetzungsgrad von Reaktionslacken. Der Unterschied zwischen der langsamen Biege- und schnellen Schlagelastizität gleicher Beschichtungen erklärt sich durch die Zeitabhängigkeit der für das viskoelastische Verhalten verantwortlichen Molekülverschiebungen über längere Strecken. Die Abbildung 3.2.67 zeigt die Zeitabhängigkeit der Verformung einer energieelastischen Stahlfeder und eines viskoelastischen Polymerfilms bei konstant einwirkender Zugspannung σ0. Während die Stahlfeder spontan eine konstante Dehnung annimmt, verlängert sich der beanspruchte Polymerfilm nur in der ersten Phase der Belastung aufgrund der energieelastischen Verformung zeitunabhängig. Der durch Molekularsegmentverschiebungen hervorgerufene größere Anteil der Dehnung ist erst nach endlicher Zeit abgeschlossen. Dieses als Retardation bekannte Verhalten ist durch die Retardationszeit quantitativ zu beschreiben. Sie ist aus der Zeitabhängigkeit der Dehnung zu ermitteln und als die Zeit definiert, die vergeht, bis t = tret geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt hat die einer e-Funktion folgende Dehnung ε(t) 63,2 % ihres Maximalwertes erreicht. (t)

0

(1 - e

E

-

t tret

)

Eine weitere viskoelastische Kenngröße wird experimentell zugänglich, wenn bei konstant vorgegebener Dehnung die Zeitabhängigkeit der resultierenden Spannung als Maß herangezogen wird. Der Verlauf der Kurven von Thermoplasten und Duromeren entspricht wie bei der Retardation einer e-Funktion. 0

e

-

t trel

Dabei ist trel der als Relaxationszeit definierte Zeitbedarf für die Umorientierung der Molekülketten, bis σ auf 36,8 % von σ0 abgefallen ist. Ideale Thermoplasten können 406

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Viskoelastisches Verhalten lässt sich mit einem anschaulichen Modell beschreiben. Das Angreifen einer Kraft und die Auswirkung auf die Formänderung können gedanklich durch Parallel- und Reihenschaltung von Stahlfedern und Dämpfungstöpfen dargestellt werden. Letztere sind mit einer viskosen Flüssigkeit gefüllte Zylinder mit eingepassten Kolben [3.4.34].

σ

ε = konstant vorgegeben

σ0

Duromer (Plateau bei vernetzten Lackierungen)

Thermoplast

t

Abbildung 3.2.68: Relaxation innerer Spannungen bei thermoplastischen und duromeren Lackierungen

F

E1 Die drei rheologisch relevanten A = Energieelastizität Anteile des Modells werden durch die Stahlfeder mit dem E2 Modul E1 für die Energieelastiη1 B = Entropieelastizität zität A, durch die Kombination der Stahlfeder mit dem Modul η2 C = Plastizität E2 und dem Dämpfungstopf mit η1 für die Entropieelastizität B und durch den Dämpfungstopf mit η2 für die Plastizität C repräsentiert. Während der Abbildung 3.2.69: Ersatzschaltbild nach Burger zur Beschreibung von viskoelastischem Materialverhalten energieelastische Anteil A zeitund temperaturunabhängig ist, sind die entropieelastischen und plastischen Anteile temperatur- und zeitabhängige Größen. Verformungen gemäß A und B sind reversibel, gemäß C irreversibel. Durch das Modell erhält die aus der Erfahrung bekannte Temperaturabhängigkeit der Viskoelastizität (siehe Abbildung 3.2.64) wegen der bei höheren Temperaturen auch niedrigeren Viskosität der Flüssigkeit in den Dämpfungstöpfen eine plausible Erklärung. Es treten dann entropieelastische und auch plastische Anteile stärker in Erscheinung. Eine erhebliche Abnahme des E-Moduls ist die Folge.

Eine vollständige Beschreibung der Viskoelastizität von Polymeren ist mit der bisher gegebenen Definition des Elastizitätsmoduls nicht möglich. Zur präziseren Beschreibung viskoelastischen Verhaltens ist es notwendig, dies in Übereinstimmung mit dem Burger-Modell in einen viskosen und elastischen Anteil zu splitten und durch entsprechende Einzelmodule zu beschreiben. In der komplexen Zahlenebene werden die viskosen Anteile durch den Verlustmodul E’’ als Imaginärteil, die elastischen durch den Speichermodul E’ als Realteil gekennzeichnet [3.4.35]. Die Addition führt dann zum komplexen E-Modul E*. E*

E' + i E''

BASF-Handbuch Lackiertechnik 407

Beschichtungen

bei ausreichend langer Zeit auf 0 abfallen. Duromere behalten immer eine vernetzungsbedingte Restspannung.

Die Beschichtung

Imaginärteil i

E’

E’’ δ

Beschichtungen

Realteil

Der skalare Wert des komplexen Moduls errechnet sich aus der Wurzel der Summe der Quadrate der einzelnen Modulanteile. Zur Beurteilung des mechanischen Verhaltens von Lackierungen wird auch der Quotient beider Module E’’/E’ als tan δ-Wert als mechanischer Verlustwinkel herangezogen. Der Wert von tan δ ist wegen der Temperaturabhängigkeit von E’’ ebenfalls eine Funktion der Temperatur. tan

Abbildung 3.2.70: Darstellung des Gesamtmoduls als komplexe Zahl

E'' E'

Für den Praktiker ist es wichtig zu wissen, dass der tan δ im Bereich der Glastemperatur ein Maximum annimmt. Die Beschichtung bildet somit in diesem Temperaturbereich den besten Kompromiss zwischen der Dissipation von Energie und mechanischer Festigkeit, ein Faktum, das bei der Entwicklung schlagelastischer Beschichtungen berücksichtigt werden sollte. Viskoelastizität ist also immer eine komplexe Verknüpfung von viskosem und elastischem Verhalten und stellt eine im Einzelnen zu quantifizierende Zwischenstufe zwischen zwei Extremzuständen des ideal elastischen und ideal viskosen Verhaltens dar. Messmethoden Die Messmethoden der Viskoelastizität kann man in zwei verschiedene Kategorien unterteilen. Zum einen werden durch Simulation der Praxisbeanspruchung von Beschichtungen abgeleitete Kenngrößen ermittelt, zum anderen die zeitlichen Phasenverschiebungen zwischen einer periodisch wirkenden Deformationskraft und Verformung des Materials beobachtet. Aufgrund der Zeitabhängigkeit viskoelastischer Verformungen hat es sich bewährt, die einzelnen Prüfmethoden in Verfahren zur Bestimmung der Biegeelastizität und Schlagelastizität einzuteilen.

Elastizitätsprüfungen Gebrauchswertprüfungen Biegeelastizität

Schlagelastizität

Dornbiegetest konisch/zylindrisch

Kugelschlagtest (Impact-Test)

Erichsen-Tiefung

Steinschlag-Test

physikalische Methoden Schwingungsrheometer Torsionspendel

Monoschuss-Geräte Multischuss-Geräte Abbildung 3.2.71: Übersicht über die Elastizitätsprüfungen

408

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Abbildung 3.2.72: Dornbiegetest mit dem zylindrischen Dorn nach DIN EN ISO 1519 und mit dem konischen Dorn nach DIN EN ISO 6860 Quelle: Byk Gardner

Prüfung der Biegeelastizität Alle Prüfungen zur Charakterisierung des Biegeverhaltens von Lackierungen sind im Prinzip unter definierten Bedingungen nachempfundene Praxisbeanspruchungen. Beim Dornbiegeversuch DIN EN ISO 1519 (zylindrischer Dorn) werden mit definierter Geschwindigkeit beschichtete Probestreifen um Zylinder mit unterschiedlichen Durchmessern gebogen. Der Durchmesser, bei dem die Beschichtung nach der Beanspruchung Risse aufweist oder abblättert, wird als Kennzahl für die Elastizität der Lackierung herangezogen. Neben der Dornbiegeprüfung mit dem zylindrischen Dorn wird für viele Anwendungen die Dornprüfung mit dem konischen Dorn nach DIN EN ISO 6860 durchgeführt. Sie hat den Vorteil, dass mit einer Prüfung ein ganzer Bereich unterschiedlicher Biegeradien erfasst werden kann. Bei dem konischen Dornbiegeprüfer besteht der Biegedorn aus einem ca. 20 cm langen Kegelstumpf mit einem von 38 mm auf 3,2 mm abnehmenden Durchmesser. Das Probeblech wird, mit einem Blatt abgedeckt, fest eingespannt und in ungefähr 10 s mit gleichmäßiger Geschwindigkeit um 180° gebogen. Nach dem Biegevorgang wird das Papier entfernt und die Stelle, an der die Rissbildung aufhört, markiert. Angegeben wird der Durchmesser des Biegedorns, bei dem der Anstrich reißt oder sich ablöst. Eine andere Auswertemöglichkeit besteht in der Angabe der durch die Biegung hervorgerufenen Dehnung in Prozent. Neben der eindimensionalen Dehnung bis zur Rissbildung werden zur Beschreibung der Elastizität von Lackierungen auch zweidimensionale Dehnungen herangezogen. Bei der Tiefungsprüfung nach Erichsen wird mit hilfe eines Stößels eine gehärtete, polierte Stahlkugel mit einem Durchmesser von 20 mm so lange mit gleichmäßiger Vorschubgeschwindigkeit von etwa 0,2 mm/s in die Rückseite der Probeplatte gedrückt, bis sich der erste Riss in der Oberfläche der Prüfbeschichtung zeigt. Der zurückgelegte Weg des Stößels wird als Tiefungswert an der Messeinrichtung abgelesen. Bei der Tiefung wird nicht nur der Lackfilm auf Verformbarkeit beansprucht, sondern die gesamte Prüftafel. Daher sollten als Untergrund für die Probebeschichtung BASF-Handbuch Lackiertechnik 409

Beschichtungen

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Die Beschichtung

nur solche Materialien und Vorbehandlungsmethoden benutzt werden, die dem praktischen Anwendungsfall entsprechen oder für Entwicklungszwecke normiert sind.

Beschichtungen

Alle bisher vorgestellten Prüfungen geben lediglich Auskunft über die maximale Dehnbarkeit des polymeren Films. Dabei sind reproduzierbare Ergebnisse nur zu erzielen, wenn insbesondere die Schichtdicken des Substrates, aber auch die Schichtdicken der Lackierung sowie die Prüftemperatur genauestens den in den Spezifikationen vereinbarten Werten entsprechen. Stoß- und Schlagelastizität Zur Prüfung der dynamischen Verformung bei Schlagbeanspruchung wird das Kugelschlagprüfgerät (ImpactTester) nach ASTM eingesetzt. Das Prüfgerät besteht aus einer Grundplatte mit der Matrize und einem massiven Ständer mit Halterarm für ein Fallrohr. An dem Fallrohr befinden sich eine Höhenskala und eine VorrichAbbildung 3.2.73: Tiefungsgerät nach Erichsen nach DIN EN ISO tung zum Einstellen des Fallge1520 Quelle: Byk Gardner wichtes. Der Fallkörper selbst muss hinsichtlich der geometrischen Gestalt und Masse definiert sein. Mit dem Impact-Tester soll der Widerstand eines Lackfilms gegen Rissbildung oder Ablösung von einem metallischen Untergrund geprüft werden, wenn ein Fallkörper auf die Lackschicht aufschlägt. Dieser kann je nach Aufgabenstellung die Lackschicht unmittelbar oder von der Rückseite her treffen. Der Lackfilm wird dabei gestaucht bzw. gedehnt (Impact bzw. Reverse Impact). Der Versuch ist mit steigender oder abnehmender Fallhöhe so oft zu wiederholen, bis erste Riss- oder Ablöseerscheinungen sichtbar werden. Die Spezialgeräte zur Prüfung der Steinschlagbeständigkeit von Beschichtungen lassen sich in Einzelschlag- und Multischlaggeräte einteilen. Bei der Prüfung mit Einzelschlaggeräten wird eine definierte Stoßbelastung auf eine Lackstelle ausgeübt. Die Prüfung selbst kann nach zwei Verfahren erfolgen. Erstere benutzt einen halbkugelförmigen 410

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Speziell in der Autoindustrie haben sich Einzelschlagprüfungen nach DIN EN ISO 20567-2 als sog. Monoschlagmethoden bewährt. Danach wird ein definiertes Projektil mit einem pneumatischen Schussgerät und definierter Geschwindigkeit unter festgelegtem Auftreffwinkel auf die zu prüfende Lackierung geschossen. Zur Beurteilung der Steinschlagfestigkeit wird bei beiden Verfahren die geschädigte Fläche in Quadratmillimetern ermittelt und das Schädigungsbild interpretiert.

oberes Ende des Fallrohrs nicht abgebildet

Abbildung 3.2.74: Kugelschlagprüfgerät nach ASTM B 279 (Impact-Test) Quelle: Byk Gardner

Bei der Prüfung der Steinschlagfestigkeit mit Multischussgeräten nach DIN EN ISO 20567-1 soll die Beschädigung der Außenhaut von Karosserien durch viele kleine, oft scharfkantige Schlagkörper, die gleichzeitig und in rascher Folge auftreffen, simuliert werden. Das normgerecht arbeitende Gerät besteht aus einem Stahlkanal von genormter Dimension, an dessen einem Ende sich eine Einspannvorrichtung zur Aufnahme des Prüfblechs unter definiertem Beschusswinkel befindet. Am anderen Ende ist die Aufgabestation für die Schlagkörper. Das Beschussmaterial, bestehend aus Stahlschrot, Stahlkugeln oder Straßensplitt unterschiedlicher Körnung, wird durch Pressluft mitgerissen und auf das Prüfblech geschossen. Soll die Auswirkung einer Schlagbeanspruchung auf die Korrosionsbeständigkeit einer Beschichtung beurteilt werden, so kann die Prüfplatte vor und nach der Durchführung eines Beschusses einer Korrosionsbelastung unterworfen werden. Prüfbedingungen und Gesamtdauer der Korrosionsbelastung sind je nach Prüfverfahren unterschiedlich.

Abbildung 3.2.75: Schema eines Steinschlaggerätes zur Multischussmethode nach DIN EN ISO 20567-1

BASF-Handbuch Lackiertechnik 411

Beschichtungen

Schlagkörper mit einem Durchmesser von 2 mm. Zur Erzeugung der Schlagenergie dient ein schnell anlaufender Elektromotor, der den Schlagkörper mitnimmt und auf das Objekt schleudert. Die Schlagenergie wird durch die Nenndrehzahl, die Leistung und mechanische Zeitkonstante des Motors bestimmt.

Die Beschichtung

Beschichtungen

Physikalische Messmethoden Die Messmethoden zur Beschreibung des viskoelastischen Verhaltens von Beschichtungen sind im Wesentlichen darauf ausgerichtet, Verlust- und Speichermodul (siehe vorher) als Einzelgröße der viskoelastischen Materialeigenschaft direkt oder indirekt zu erfassen. Dynamisch-mechanische Messungen mit dem Schwingungsrheometer oder dem Torsionspendel machen es möglich, aus dem Verhalten periAbbildung 3.2.76: Funktionsprinzip eines Schwingungsrheometers odisch beanspruchter Lackfilme  Quelle Rheometrics Viskoelastizität zu bestimmen. Die zeitliche Phasenverschiebungen zwischen der Deformationskraft und der Verformung auf der einen Seite oder die Dämpfung von Pendelschwingungen auf der anderen sind die messbaren Effekte, aus denen die Einzelmodule sowie Relaxations- oder Retardationszeiten zu berechnen sind. Wissenschaftliche physikalische Methoden setzen sich zur Charakterisierung mechanisch-technologischer Eigenschaften mehr und mehr durch, obwohl eine Korrelation der gefundenen Daten zu den Gebrauchseigenschaften nicht in jedem Fall einfach ersichtlich ist. Das Prinzip der dynamischen Beanspruchung mit dem Schwingungsrheometer ist der Abbildung 3.2.76 zu entnehmen. Durch einen oszillierenden Antrieb wird eine Lackierung periodisch geschert. Bedingt durch die Konstruktion des Gerätes entspricht der Scherwinkel γ in Abhängigkeit von der Zeit einer Sinusfunktion. Entsprechend den elastischen Eigenschaften der Beschichtung ist die auf die untere Platte übertragene Schwingung um einen mehr oder weniger großen Phasenverschiebungswinkel verzögert. Liegt der Verschiebungswinkel bei δ = 0, handelt es sich um ideal-elastische, ist er um 90° verschoben, um idealviskose Körper. Für viskoelastische Substanzen liegt bei vorgegebener Deformation γ die Phasenverschiebung der übertraγ

τ γ

γ τ

ωt

keine Phasenverschiebung (energieelastisch)

τ

δ ω

ωt

π Phasenverschiebung 2 (rein viskos)

ωt

δ Phasenverschiebung ω (viskoelastisch)

Abbildung 3.2.77: Verlauf von Schubspannung und Scherung bei energieelastischen, viskosen und viskoelastischen Körpern

412

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

genen Schubspannung τ je nach den Anteilen beider Eigenschaften zwischen δ = 0 und δ = π/2, d.h. die rein elastischen und rein viskosen Eigenschaften sind um 90° zueinander verschoben. 0

sin (

t)

(t )

0

sin (

t- )

Probentyp 1:

Probentyp 2:

mit Lackmaterial getränktes Geflecht

beidseitig mit Lackierung bedeckte Folie

Probe

Je kleiner die Phasenverschiebung δ, desto stärker sind also die energieelastischen Eigenschaften ausgeprägt. Der Verschiebungswinkel δ kann durch mathematische Aufarbeitung in einen Anteil in Phase (δ = 0°) und einen um π/2 verschobenen Anteil (δ =  90°) aufgesplittet werden. Beide Größen sind in Verlust- und Speichermodul umzurechnen. Der Quotient daraus ist dann der mechanische Verlustwinkel tan δ.

Torsions-Schwungkörper y

Beschichtungen

(t)

Klammer

y0

ωt y = y 0 · e – µt · cos ω t

Abbildung 3.2.78: Schema und Verlauf der Dämpfung von Schwingungen eines Torsionspendels

Ein anderer Weg zu Informationen über die elastischen Eigenschaften von Lackierungen besteht in der Messung der Dämpfung künstlich hervorgerufener Schwingungen ohne weitere Energiezufuhr. Freie Filme, häufig durch Trägerfolien verstärkt, werden an einer Seite fixiert und nach Anbringen eines Schwungkörpers durch Torsion in Schwingungen versetzt. Aus der Schwingungsdauer bzw. Dämpfung sind dann die viskoelastischen Kenngrößen zu berechnen. Dabei lässt sich die Schwingungsamplitude y bei einem maximalen Ausschlag y0 durch y

y0 e-

t

cos( t )

berechen. Je kleiner der Dämpfungsfaktor µ, desto geringer ist die Dämpfung und desto höher der energieelastische Anteil des Prüflings. Eine Umrechnung in den mechanischen Verlustmodul tan δ ist möglich. 3.2.5.3 Härte Lackierungen mit gutem Gebrauchswert müssen neben hoher Haftung und Elastizität eine den Anforderungen entsprechende Härte aufweisen. Bei dem Versuch, diese Eigenschaft physikalisch exakt zu definieren, stößt man auf Schwierigkeiten. Man findet Definitionen von Härte als Materialeigenschaft geringer Dehnbarkeit, also einem hohen Elastizitätsmodul, hoher Festigkeit bzw. Kohäsion oder Resistenz gegenüber abrasiven Einwirkungen. Folgt man einer der Schweizer Fachwelt entstammenden Definition, handelt es sich um den quasistatischen Widerstand eines Körpers gegen ausgesprochen lokale, inhomogene Verformungen unter der Wirkung punkt- oder linienförmiger BASF-Handbuch Lackiertechnik 413

Die Beschichtung Härtegrad 1

Talkum

2

Gips

3

Kalkspat

4

Flussspat

5

Apatit

Kraftzentren [3.4.36]. Diese Definition zeigt einen Zusammenhang zur Elastizität auf und verbindet sie mit der physikalischen Größe Härte reziprok. Einen hohen E-Modul mit hoher Härte gleichzusetzen wird der allgemeinen Vorstellung des Begriffs Härte jedoch nur zum Teil gerecht.

Eine Erweiterung erhält die Härtedefinition durch die Berücksichtigung der bereits 1822 7 Quarz von Mohs veröffentlichten Härteskala, in der 8 Topas insgesamt 10 Härtegrade durch entsprechend 9 Korund harte Mineralien festgelegt werden. Ein Stoff 10 Diamant ist danach härter als ein anderer, wenn er bei gegenseitiger mechanischer Beanspruchung Abbildung 3.2.79: Mohs’sche Härteskala von 1822 die Kollision ohne Verletzung übersteht. Eine solche Definition von Härte bezieht sich weniger auf Deformierbarkeit und Widerstand bei Krafteinwirkung als mehr auf die innere Festigkeit und damit auf die Kohäsionskräfte des zu beurteilenden Stoffes. Leider enthält die Mohs’sche Härteskala [3.4.37] keine Polymeren als Referenzsubstanzen. Sie ist deshalb zur Beurteilung von organischen Beschichtungen weniger geeignet. 6

Beschichtungen

Referenzsubstanz

Feldspat

Weiträumiger und für Polymere besser geeignet ist die Definition in der DIN EN ISO 4618, in der Härte als die mechanische Eigenschaft einer Beschichtung beschrieben wird, die sich in dem Widerstand äußert, den die Beschichtung einer mechanischen Einwirkung entgegensetzt, die gleichzeitig auch das Verhalten gegenüber dem Einfluss von Druck, Reibung oder Ritzen berücksichtigt. Fügt man hinzu, dass das Ergebnis der Belastung nicht nur im Hinblick auf die Verformung, sondern auch auf mögliche Verletzungen in Form von Bruch oder anderen irreversiblen Veränderungen beurteilt wird, kommt man dem erheblich näher, was man üblicherweise unter Härte versteht.

Methoden zur Bestimmung der Härte „Eindruck“-Härte Härte nach Vickers Härte nach Hertz Universalhärte nach Martens Knoop-Härte

„Ritz“-Härte Bleistifthärte nach Wolff-Willborn Ritzhärte nach Clemen Härteprüfstab nach Erichsen

„Dämpfungs“-Härte Schaukelhärte Pendelhärte nach König nach Persoz

Härte nach Buchholz

Abbildung 3.2.80: Methoden zur Bestimmung der Härte von Lackierungen

414

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Druckrichtung

Belastungsblock

Stützen

Seitenansicht

Schneide

Frontansicht

Prüfmethoden Für die Bestimmung der Härte von Beschichtungen existieren Prüfgeräte, mit denen der Eindruckwiderstand, die Dämpfung in Schwingung versetzter freier Filme oder der Widerstand gegenüber der verletzenden Wirkung von Ritzwerkzeugen gemessen werden können.

Eindruckfigur

l Härte-Maßzahl: l

Abbildung 3.2.81: Eindringversuch nach Buchholz gemäß DIN EN ISO 2815

Eine weitverbreitete Methode zur Bestimmung der Eindringhärte ist die Prüfung nach Buchholz gemäß DIN EN ISO 2815. Als Prüfgerät dient ein Doppelkegelstumpf aus Stahl, der nach dem Aufsetzen auf die zu prüfende Lackierung mit einer Kraft von 5 N senkrecht auf diese einwirkt. Nach einer Belastungsdauer von 30 s wird der Eindringkörper entfernt, um nach einer Regenerationszeit von 35 s die verbleibende Verletzung in der Lackierung zu messen. Nach DIN EN ISO 2815 wird die Eindrucklänge als Messgröße für die Härte in Millimetern angegeben. Der mit 100 multiplizierte reziproke Wert der Eindrucklänge, früher als Buchholzhärte bekannt, wird damit zukünftig abgelöst. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Prüfverfahrens ist eine ausreichende Schichtdicke (siehe im Weiteren). Die Erfahrung lehrt, dass eine geringe Eindrucklänge mit hohen mechanischen Festigkeiten und damit guten Gebrauchseigenschaften verbunden ist. Welche physikalischen Größen in welcher Verknüpfung im Einzelnen gemessen werden, ist schwer zu beschreiben, bei gegebener Korrelation zu Gebrauchseigenschaften letztlich auch unerheblich. Eine seltener praktizierte Härteprüfmethode ist die Bestimmung der Knoop-Härte. Das Gerät besteht aus einer Vorrichtung, mit der durch die Spitze eines kegelförmigen Diamanten eine Last von 250 mN auf die Beschichtung übertragen wird. Die sich einstellende Verformung, zu messen an der Eindrucktiefe bzw. -länge, dient als Maß für die Härte. In der Lackindustrie ebenfalls selten sind die, mit Bezug zu definierten physikalischen Größen, unter Last gemessenen Eindringhärten. Die am häufigsten anzutreffenden Prüfkörper sind die Kugel nach Hertz oder die vierseitige Pyramide nach Vickers. BASF-Handbuch Lackiertechnik 415

Beschichtungen

Um Missverständnisse zu vermeiden, hat es sich bewährt, nicht nur von der Härte schlechthin zu sprechen, sondern die im Einzelfall im Vordergrund stehenden Merkmale in den Härtebegriff zu integrieren. Dadurch wird sichtbar, dass sich unter dem Begriff Härte verschiedene Materialeigenschaften verbergen, die mit verschiedenen Prüfmethoden erfasst werden und selten zueinander in voller Korrelation stehen.

Die Beschichtung

Aus dem Verhältnis der auf den Prüfkörper wirkenden Kraft F und der sich einstellenden Eindringtiefe h sind die Härten nach Hertz HK und die nach Vickers HV zu berechnen. Bei der Berechnung der Härte nach Hertz geht der Radius R der Eindringkugel, bei der Härte nach Vickers der Neigungswinkel der Pyramide in die Berechnung ein. 3 F

HK

Beschichtungen

4

R h

3 2

HV

3,8 10- 2

F h2

Beide Methoden liefern Informationen über die Härte von Beschichtungen. Die Maßzahlen sind jedoch nicht ineinander umzurechnen. Die Deformation des Films ist bei fehlender Plastizität nach der Methode von Hertz vollkommen reversibel. Die Härtewerte korrelieren weitgehend mit dem Elastizitätsmodul E. Die Abbildung 3.2.83 zeigt die Temperaturabhängigkeiten des E-Moduls und der nach Hertz bestimmten Härtewerte in guter Übereinstimmung. Anders ist die Wechselwirkung der Vickers-Pyramide mit dem polymeren Film. Die zunächst nur sehr kleine Belastungsfläche führt aufgrund der Scharfkantigkeit des Prüfkörpers zu einer bleibenden Verletzung. Eine direkte Beziehung der Härte nach Vickers zum Elastizitätsmodul besteht somit nicht. Umfassende Studien unter Einbeziehung aller wichtigen Eindringhärteprüfungen haben immer wieder gezeigt, dass reproduzierbare MesF F sungen nur möglich sind, wenn die Deformation des Films nur einen Bruchteil der Filmdicke ausmacht. Van Laar fordert für reproduzierbare Messergebh h nisse, dass die Eindringtiefe 1/12tel der Schichtdicke nicht übersteigen sollte. Bei Schichtdicken von 60  µm sind somit a b Deformationen >5  µm nicht Abbildung 3.2.82: Prüfkörper für Eindruckversuche nach Hertz (a) mehr zulässig [3.4.38]. und Vickers (b)

Härte nach Hertz

E-Modul

T Abbildung 3.2.83: Temperaturabhängigkeit der Eindringhärte nach Hertz im Vergleich zum E-Modul von Beschichtungen

416

Um diesen Forderungen zu genügen, sind zwei weitere Prüftechniken entwickelt worden. Entweder verwendet man sehr leichte Auflagegewichte für den Eindringkörper oder man bestimmt die Deformationen bei abnehmender Last und extrapoliert die so ermittelte Härtekurve durch Regression auf die Belastung 0. Die letztgenannte Methode bestimmt so die Steigung im Nullpunkt des Kraft-Stauchungs-Diagramms. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Lasterzeugung Grundlage des Messeffekts Indentorlast

1 2

Distanzsensor Härtezunahme

Temperatursensor

Eindringtiefe

Abbildung 3.2.84: Messprinzip zur Bestimmung der Universalhärte nach Martens nach DIN EN ISO 14577

Das erstgenannte Messverfahren ermittelt die Universalhärte nach Martens. Das Arbeitsprinzip des Gerätes zu ihrer Bestimmung gemäß DIN EN ISO 14577-1 bis 3 beruht auf der Messung der Eindringtiefe eines pyramidenförmigen Diamanten mit quadratischer Grundfläche und einem Neigungswinkel von 136°. Die Prüflast ist in die Bereiche von 0,4 bis 25,6 mN, von 4 bis 256 mN und von 16 bis 1024 mN oder nach zusätzlicher Vereinbarung gestaffelt. Die Messungen erfolgen dadurch, dass die Prüfkraft F in definierten Zeitintervallen quadratisch erhöht wird, um die sich einstellende Eindringtiefe h sofort zu registrieren. Die sog. Universalhärte Hn errechnet sich dann nach Hn

F 26, 43 h2

Neben der sukzessiven Krafterhöhung sind auch andere Belastungsabläufe einzustellen [3.4.39]. So können Messreihen bei abnehmender Last zusätzliche Informationen über die Zeitabhängigkeit der Rückverformung liefern. Die relative Tiefenrückfederung lässt sich aus der unter Prüflast nach vorgegebener Belastungszeit gemessenen Eindringtiefe h2 und der sofort nach Entlastung verbliebenen Eindringtiefe h3 berechnen. Die relative Tiefenrückfederung t r ist dann: tr

h2 - h3 100 h2

Die Zeitabhängigkeit der Eindringtiefe bei konstanter Prüflast liefert ergänzende Daten über das Kriechverhalten als irreversible Verformung von Beschichtungen. Ein zur Bestimmung der Härte nach Martens geeignetes Gerät ist das „Fischerscope“. Mit diesem Gerät ist es möglich, neben der klassischen Eindringhärte auch viskoelastisches und plastisches Verhalten zu erfassen. Eine andere Methode, Fehler durch Substrateinflüsse auszuschalten, wurde von Oesterle entwickelt [3.4.40]. Das Messprinzip der infinitesimalen Moduldetermination (IMD) entspricht den Methoden nach Hertz oder Fischer. Die Eindringtiefen h werden in Abhängigkeit von der zunehmenden Prüfkraft F gemessen. Die steigende Kompression BASF-Handbuch Lackiertechnik 417

Beschichtungen

Indentor

Die Beschichtung

h

dF dh

IMD-Wert F

F

Beschichtungen

Abbildung 3.2.85: Messprinzip und Diagramm zur infinitesimalen Moduldetermination (IMD-Methode) nach Oesterle

verändert den dünnen Prüfkörper in seinem elastischen Verhalten mehr und mehr. Um die dadurch auftretenden Fehler zu eliminieren, wird die Steigung im Kraft-Stauchungs-Diagramm in Abhängigkeit von der Prüfkraft ermittelt und auf die Steigung im Nullpunkt extrapoliert. Die Ergebnisse der IMD-Methode sind unabhängig von der Form des Prüfkörpers. Aufgrund des Extrapolationsverfahrens und der dadurch gewonnenen Empfindlichkeit sind kleinste Unterschiede in der Pigmentverteilung genauso zu erkennen wie Schwankungen der mechanisch-technologischen Eigenschaften bei unterschiedlicher relativer Feuchte der Umgebung. Die kritische Diskussion über Eindringhärten macht deutlich, dass die Verfahren nach Buchholz, Vickers, Hertz, Oesterle oder Martens letztlich mehr der Messung von viskoelastischen und plastischen Eigenschaften dienen, wobei eine eindeutige Zuordnung zu den physikalischen Grundgrößen genauso wenig möglich ist wie zu den Gebrauchseigenschaften. Vom Prüfablauf mit den Eindringhärteprüfungen wenig vergleichbar sind die Messtechniken, die den Einfluss von Lackierungen auf die Dämpfung von Schwingungen berücksichtigen. Die Pendeldämpfung nach König gemäß DIN EN ISO 1522 ist ein in der Praxis häufig anzutreffendes Verfahren. Das Gerät selbst besteht aus einem Pendel, an dessen Träger sich zwei Achatkugeln befinden. Das Pendel wird mit den beiden 5 mm im Durchmesser großen Kugeln auf die Lackierung aufgesetzt und um 6° aus der Ruhelage entfernt. Nach Freigeben des 200 g schweren Pendels werden die Pendelschwingungen mit einem Zählwerk erfasst. Als Maß für die Dämpfung gilt die Anzahl der Schwingungen oder die Zeit in Sekunden, die vergeht, bis die Amplitude des Pendels von 6° auf 3° abgefallen ist. Zur normgerechten Benutzung ist das Gerät mit einer Standardplatte an einer Justierschraube so einzustellen, dass bei einer Schwingungsdauer von 1,4 s insgesamt 179 Schwingungen bis zur Halbierung der Amplitude vergangen sind. Eine leicht abgewandelte Dämpfungshärte-Messtechnik ist die nach Persoz. Das Persoz-Pendel unterscheidet sich vom König-Pendel in Gestalt und Gewicht und führt deshalb zu anderen Messwerten. So besitzen die Auflagekugeln mit 8 mm einen größeren Durchmesser gegenüber den Auflagekugeln des Pendels nach König. Auch ist das Gewicht des Persoz-Pendels mit 500 g größer. Als Maß für die Dämpfung nach Persoz gilt die Anzahl der Schwingungen, die bei einer Auslenkung des Pendels von 12° bis zum Abfall auf 4° registriert werden. 418

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Die gemessene Halbwertzeit t1/2, die Schwingungsdauer Tp, die Länge des Pendels l und der Radius der Auflagekugeln r ermöglichen die Berechnung von tret. Für vergleichende Messungen von Beschichtungsstoffen wird der Einfachheit halber t1/2 herangezogen. t1 2

TP2 l ln 2 2 r t ret

Prüfplatte

Ø 5 mm

Auflagekugeln am Achat

Anzeige der Schwingungsamplitude

Abbildung 3.2.86: Prinzip und Gerät zur Bestimmung der Pendeldämpfung nach König gemäß DIN EN ISO 1522

Dämpfungshärten erfassen ähnlich den Eindringhärten die visloelastischen Eigenschaften. Den Definitionen der Härte gemäß DIN EN ISO 4618 und nach Mohs kommen Messtechniken erheblich näher, bei denen durch Ritzstichel oder entsprechend geformte Prüfkörper Verletzungen in die Lackierung eingebracht werden. Diese Methoden zur Bestimmung der Ritzhärte nutzen zwei Prinzipien:

Abbildung 3.2.87: Gerät zur Bestimmung der Bleistift-Härte nach Wolff-Willborn Quelle: Byk Gardner

• entweder mehrere unterschiedlich harte Prüfkörper mit gleichem Auflagegewicht oder • ein einziger Prüfkörper mit unterschiedlichem Auflagegewicht werden horizontal über die Lackierung bewegt. Hinter der erstgenannten Methode verbirgt sich das Härteprüfverfahren nach Wolff und Willborn. Zur Ermittlung dieser sog. Bleistifthärte nach DIN EN ISO 15184 stehen 17 verBASF-Handbuch Lackiertechnik 419

Beschichtungen

Die Ursache für die Dämpfung der Schwingung liegt in der periodischen Änderung der durch die Auflagekugeln hervorgerufenen Deformation. In Abhängigkeit von den viskoelastischen Eigenschaften und dabei im Besonderen vom Retardationsverhalten erhält die Lackierung aufgrund der zeitlich verzögerten Rückverformung die gespeicherte Deformationsenergie nicht quantitativ zurück.

Die Beschichtung

F1 F2

schiedene Bleistifte mit den Härtegraden von 6B bis 9H zur Verfügung. Zur Härteprüfung werden die Bleistifte, angefangen bei 6B, nach und nach mit einem konstanten Auflagegewicht von 300 g und einem Winkel von 30 bis 40° mit einer entsprechenden Vorrichtung über die Lackierung gefahren. Der Bleistift, mit dem der Lackierung eine bleibende Verletzung zugefügt wird, gilt als das Maß für die Härte.

Beschichtungen

Um Fehlerquellen auszuschalten, ist der Präparation der Bleistifte und der Staubfreiheit der zu prüfenden Beschichtung eine besondere Beachtung zu schenken.

Klemmschraube 0 5

2

1

0

Schieber

4

10

3

Kraftbereich

Hülse

Der andere Weg zur Gewinnung von Daten über die Härte von Lackierungen besteht in der Bestimmung des Widerstandes eines mit unterschiedlichen Auflagegewichten über die Lackierung gezogenen Ritzstichels. Die Auflagekraft, ab der sich der Ritzstichel in die Lackierung hineinschneidet, wird als repräsentativ für die Härte angegeben. Physikalisch betrachtet spielen neben der schälenden Abtrennung der Lackierung auch bruchmechanische Vorgänge eine Rolle. Der Anteil der einzelnen Einflüsse wird auch durch die Geschwindigkeit beeinflusst, mit der die Verletzungen in die Lackierung eingebracht werden. Bei den Ritzwerkzeugen handelt es sich um meißelförmige Wolfram-Carbid-Schneiden (Methode nach Clement) oder Nadeln mit kugelförmigen Stahlköpfen.

Rändelkopf Gravierstift Gravierspitze Abbildung 3.2.88: Messprinzipien zur Ermittlung der Ritzhärten

Der Messvorgang ist unter systematischer Steigerung der Last so oft zu wiederholen, bis erkennbare Ritzspuren in der Lackierung sichtbar werden. Das Prüfergebnis wird je nach Auflagegewicht durch die Noten von 1 bis 10 zahlenmäßig erfasst. Die Auflagegewichte werden, mit 50 g beginnend, bis auf maximal 500 g gesteigert.

Messungen mit einer kugelförmigen Gravierspitze werden mit dem Prüfstab nach Erichsen durchgeführt. Das Prüfgerät besteht aus einer zylindrischen Hülse, in die eine justierte Spiralfeder eingesetzt ist. Die einstellbare Federspannung wirkt auf den Gravierstift, dessen Spitze unten aus der Hülse herausragt. Zur Durchführung der Prüfung wird der Härtestab senkrecht mit der Spitze auf die Lackierung mit einer solchen Kraft aufgesetzt, dass die Gravierspitze in die Hülse gedrückt wird, um dann mit konstanter Geschwindig420

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

keit von etwa 10 mm/s über eine Länge von 5 bis 10 mm über die Lackierung geführt zu werden. Als Maßzahl für die so bestimmte Stabhärte wird die Federspannung angegeben, bei der die Gravierspitze gerade eine mit dem Auge sichtbare Spur hinterlässt.

Die Abriebfestigkeit von Lackierungen gibt Auskunft über die Fähigkeit, dem Einfluss abrasiver Materialien wie Sand, Schmutz, Splitt oder Korund, aber auch Scheuerbürsten schadlos zu widerstehen. Der physikalische Hintergrund ist wie bei allen bisher beschriebenen mechanisch-technologischen Eigenschaften äußerst komplex. Ohne Zweifel ist auch die Abriebfestigkeit funktionell sowohl mit den elastischen Eigenschaften als auch mit den durch molekulare Verschlaufung und polare Wechselwirkung gekennzeichneten Kohäsionskräften verbunden. Ein bedeutender Faktor dabei spielt auch die Friktion der Filmoberfläche insbesondere bei relativ weichen Abriebbeanspruchungen. Sie wird im englischen häufig mit „Mar Resistance“ bezeichnet [3.4.41]. Aufgrund der Komplexität aller Faktoren dieses Eigenschaftsbildes zielen Prüfmethoden zur Quantifizierung von Abriebfestigkeiten üblicherweise nicht auf die Bestimmung definierter physikalischer Kennzahlen hin. Sie sind im Grunde nichts anderes als die Simulation von Praxisbeanspruchungen. Die wichtigsten Branchen, bei denen es auf hohe Kratz- und Abriebfestigkeit ankommt, sind die Automobilindustrie, die Möbel- und Parkettindustrie, viele der Coil Coating-Sektoren und die Anstrichmittelindustrie. Letztere qualifiziert ihr Produktsortiment nach Scheuerund Waschbeständigkeit. Zu deren Bestimmung von Anstrichen aus Dispersionsfarben wird üblicherweise die Prüfung nach DIN EN ISO 11998 herangezogen. Das hierfür geeignete Gerät nach Gardner belastet die mit Wasser und Netzmitteln befeuchtete Probe durch horizontale Bewegung einer Scheuerbürste mit festgelegter Auflagekraft (siehe Abbildung 3.2.89). Dabei müssen waschbeständige Dispersionen 1000 und scheuerbeständige mehr als 5000 Zyklen weitgehend schadlos überstehen. Für eine hohe Scheuerfestigkeit ist in dieser Produktklasse die Oberflächenhärte der Beschichtung der dominante Faktor. In den übrigen der oben aufgeführten Branchen spielen alle potentiellen Kratzeinflüsse eine Rolle. Dementsprechend haben sich viele Testmethoden etabliert. Eine über viele Jahre bewährte Methode bietet der Taber-Abraser nach DIN EN ISO 7784 (ASTM D 1044). Ein Probeblech wird durch rotierende Reibrollen mit festgelegter Auflagekraft „schmirgelnd“ beansprucht. Je nach Härte bzw. Abriebfestigkeit wird die Lackierung mit unterschiedlich rauen und unterschiedlich harten Reibrollen belastet (siehe Abbildung 3.2.90). Die nach vorgegebener Prüfzeit gemessene Gewichtsabnahme der Prüftafel durch Abrasion gilt als Maß für

Abbildung 3.2.89: Gerät zur Bestimmung der Scheuerfestigkeit nach DIN EN ISO 11998 Quelle: Byk Gardner

BASF-Handbuch Lackiertechnik 421

Beschichtungen

3.2.5.4 Abrieb- und Kratzfestigkeit

Die Beschichtung

Bürste Düse

Beschichtungen

Probentisch

Pumpe Rührer

Wasser-Sand-Gemisch Vorratsbehälter

Abbildung 3.2.90: Schema und Gerät zur Bestimmung der Kratzfestigkeit von Automobillackierungen nach DIN EN ISO 20566

die Abriebfestigkeit. Bei anderen Testverfahren werden in einfachen Apparaturen unter definierten Gewichten verschiedene Materialien periodisch über Prüfbleche gezogen. Die dabei erzielten Kratzer werden meist als Haze oder verminderter Glanz gemessen. Die Art und Form der Kratzer hängt stark von den verwendeten Materialien ab [3.4.42]. Das Interesse der Automobilindustrie an einer nachhaltig kratzfesten Beschichtung ist sehr groß. Dies hängt zum einen mit der sehr populären Lackierung von hochpreisigen Automobilkarossen in dunklen Farbtönen zusammen, die die Kratzer deutlich sichtbarer erscheinen lassen, zum anderen mit den teilweise sehr unterschiedlichem Verhalten in der Kratzfestigkeit von Kunststofflacken und den Karosserielacken in den ersten Monaten nach der Lackierung. Das Mindestziel ist es, Kratzfestigkeit der gesamten Karosse bis zum Schauraum der Automobilhändler zu erhalten. Ein besonders wichtiger Faktor für die Erzeugung von Kratzern in der Praxis sind die Waschanlagen. Brauchbare Tests werden seit Jahren gesucht. Die ideale Prüfung mit absoluter Korrelation zum Praxisverhalten konnte aber bisher nicht gefunden werden [3.4.43]. Ein normiertes Prüfverfahren nach DIN EN ISO 20566 orientiert sich allerdings an den Verhältnissen der Waschanlagen. Probeplatten werden mit rotierenden Polyether- bzw. Polypropylenbürsten gegenläufig zur Bewegung des Prüftisches bei gleichzeitigem Besprühen mit wässrigen Quarzsandaufschlämmungen (1,5 g/l) beansprucht. Die Auswertung der Prüfungen erfolgt durch Glanzmessungen an der unbelasteten und belasteten Probe quer zur Schleifrichtung. Problematisch ist die sorgfältige Einstellung zur Reproduzierbarkeit der Prüfbedingungen bzw. die des Prüfgerätes selbst. Aus der Farbbeständigkeitsprüfung von Textilien hat sich auch das Crockmeter etabliert [3.4.43]. Mit diesem Gerät werden mit variablen Drucken unterschiedliche Schleifpapiere über die Lackoberfläche hin und her bewegt. Der Glanzverlust ist ein Maß für die Kratzfestigkeit. Eine weitere Methode stellt der Nano-Kratzer dar. Hierbei wird ein einzelner Ritz mit einer Nadel mit zunehmender Kraft über die Lackierung gezogen. Die Methode wird durch AFM (Atomic Force Microscopy)-Beobachtung begleitet [3.4.44]. 422

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Eigenschaften und Prüfung von Beschichtungen

Quarzsand im Polyethylenbecher ohne Boden

A

Prüftafel

B

2 kg Der gewöhnliche Ansatz, hohe Gummiklotz mit Oberflächenhärten zu erzeugen Siebegewebe und Waschmittelwie z.B. beim Glas oder gar lösung Diamant lässt sich vor dem HinPrüftafel tergrund des umfangreichen Eigenschaftsprofils einer Automobillackierung nicht erreichen. Reparierbarkeit und Abbildung 3.2.91: Einfache Geräte zur Prüfung von Kratzfestigkeit Elastizität blieben auf der Strecke. Sehr weiche Oberflächen wären auch kratzfest in dem Sinne, dass die Deformation sehr leicht in eine glatte Oberfläche zurückfließt. Dies ist ein Vorteil der Kunststofflackierungen, die „weich“ eingestellt sind, damit sie die Materialeigenschaften des Kunststoffes nicht zu stark negativ beeinflussen. Dies ist die Ursache für das häufig beobachtete Phänomen, Abbildung 3.2.92: Kratzertypisierung: Deformation und Deformadass Lackierungen von Stoß- tion mit Lackabtrag fängern in der ersten Zeit des Gebrauches sehr kratzfest sind, da sie die Deformationen und kleineren Kratzer bei geringer Temperaturerhöhung der Oberfläche verfließen lassen. Aufgrund der Alterungsprozesse des Films geht dies aber nach einer Zeit von etwa 6 bis 12 Monaten verloren. Im Übrigen sind solche Lackierungen nicht sehr chemikalienfest.

Unter diesen Gesichtspunkten mit unterschiedlicher Zielrichtung sind heute Verbesserungen erzielt worden, die zur Vermeidung von Kratzern jeglicher Art eine harte und sehr dünne Schicht von Nanopartikeln an der Oberfläche [3.4.45] oder zum anderen eine nanostrukturierte Filmmatrix mit Silanen erzeugen, die zu Nano-Hartsegmenten innerhalb des Films (siehe Kapitel 2.1.5) vernetzen [3.4.46]. Auch eine Optimierung der Rückstellkräfte z.B. mit Polyurethanstrukturen hilft, die Kratzfestigkeit zumindest im Falle von Deformationen der Oberfläche zu verbessern [3.4.47]. 3.2.5.5

Sonstige Prüfungen

Neben den visuellen und klassischen funktionellen Eigenschaften wie Haftung, Elastizität und Härte werden in zunehmendem Maße Oberflächeneigenschaften gefordert, BASF-Handbuch Lackiertechnik 423

Beschichtungen

Eine dauerhaft kratzfeste Oberfläche von Lackfilmen ist ein sehr anspruchvolles Ziel. Dabei unterscheidet man zunächst die Art des Kratzers, die zum einen lediglich eine Deformation, zum anderen eine Deformation mit Lackabtrag sein können.

Die Beschichtung

die über optische Attraktivität und mechanische Funktionalität hinaus auch „fühlbare“ Effekte liefern.

Beschichtungen

Sogenannte Softfeel-Beschichtungen haben die Aufgabe, beim Berühren einen weichen, angenehmen Griff zu erzeugen. Diese unter der Bezeichnung Haptik bekannte Eigenschaft soll Lackierungen beim Betrachten und Fühlen das Gefühl von Samt und Leder vermitteln. Softfeel-Beschichtungen werden zunehmend in der Auto-, Phonound Computerindustrie eingesetzt. Haptik ist also ein Teilgebiet der Tribologie, der Lehre von der Reibung. Dazu zählt das Kontaktverhalten sich relativ zueinander bewegender Oberflächen, also Wechselwirkungen von Feststoffoberflächen im molekularen Bereich, beeinflusst durch die Oberflächenstruktur und das Deformationsverhalten. Im Falle der Haptik ist eine der in Wechselwirkung stehenden Flächen die menschliche Hand, in der Kontakteffekte durch Tastzellen in einen Sinneseindruck verwandelt werden. Messungen des Reibungskoeffizienten, u.a. genormt nach DIN EN ISO 8295 für Kunststofffolien, der Kratzfestigkeit, des Glanzes und einfach des Gefühls beim Berühren oder Abtasten mit dem Fingernagel werden bei der Beurteilung der Haptik kombiniert und mehr oder weniger empirisch subjektiv beurteilt. Bezüglich einer objektiven Qualitätsbewertung dieses Eigenschaftskomplexes ist zukünftig noch Entwicklungsarbeit zu leisten. Ein weiteres wichtiges Merkmal für eine gute Langzeitbeständigkeit ist die Freiheit der Lackierungen von inneren Spannungen. Bedingt durch zu schnelles Schrumpfen während des Filmbildeprozesses werden thermodynamisch instabile Molekülstrukturen eingefroren. Durch äußere Beanspruchungen oder durch andere mechanische oder chemische Einflüsse können diese sich später in Form von Rissen zu erkennen geben. Eine einfache Methode, innere Spannungen sichtbar zu machen, besteht in der Lackapplikation auf dünnen Substraten. Werden die Beschichtungen bei der Filmbildung durch innere Spannungen belastet, geben die Substrate nach und verformen sich. Eine elegantere, allerdings auch aufwändigere Methode, Spannungen in Polymeren erkennen zu können, bieten spannungsoptische Messtechniken. Das Studium von Doppelbrechungen des polarisierten Lichtes ist ein wichtiges Hilfsmittel zur Untersuchungen von Spannungen in polymeren Filmen.

3.2.6 Zusammenfassung Beschichtungen von Wirtschaftsgütern haben vielfältige Aufgaben zu erfüllen, die sich unter den Begriffen Funktion und Farbe zusammenfassen lassen. Um den Ansprüchen der Anwender in allen Punkten gerecht zu werden, sind zunächst gleichmäßige und defektfreie Schichten mit ausreichender Schichtdicke aufzutragen. Schichtdickenmessungen gehören deshalb zu den fundamentalen Aufgaben zur Charakterisierung von Beschichtungen. Je nach Substrat und Bedeutung für das Lackiergut werden Schichtdicken mit hohem messtechnischem Aufwand berührungslos und verletzungsfrei in Bruchteilen von Sekunden gemessen. Die Lackierung selbst muss neben visuellen Eigenschaften wie Glanz, Farbe und Effekt auch mechanisch-technologischen Ansprüchen gerecht werden. Hierzu gehören gute 424

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Haftung, Elastizität und Härte. Bei den Prüfungen zur Bestimmung der mechanischen Eigenschaften muss zwischen kurzzeitiger Beanspruchung und permanenter Belastung unterschieden werden. Die zur quantitativen Beschreibung der Eigenschaften von Lackierungen üblichen Prüfmethoden simulieren entweder Praxisbeanspruchungen und sind deshalb Gebrauchswertprüfungen oder liefern definierte physikalische Kenngrößen mit einer für die Beurteilung der Praxis nur bedingt verbindlichen Aussage.

3.3

Beständigkeit von Beschichtungen

3.3.1

Grundsätzliches zur Alterung

Die Qualität von Beschichtungen wird in erster Linie durch die Filmbildner festgelegt. Auch Pigmente, Füllstoffe, Additive, ihre durch die Dispergierung hervorgerufene Feinverteilung und die Verarbeitung sind entscheidende qualitätsbestimmende Größen. Dabei ergeben sich die Eigenschaften nicht zufällig. Sie sind immer das Ergebnis der sinnvollen Verknüpfung von Erfahrungen verbunden mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ziel der Lackiertechnik ist es, nicht nur Qualität zu erzeugen, sondern in gleicher Weise auch dafür Sorge zu tragen, dass der Schutzwert und die optische Attraktivität der Beschichtung für die vereinbarten Zeiträume erhalten bleiben. Für polymere Werkstoffe unterscheidet man bei der Alterung in zwei unterschiedliche Ursachen: zum einen die inneren Ursachen wie innere Spannungen, zum anderen die äußeren Einflüsse [3.4.48]. Letztere sind die wichtigsten und können vielfältiger Natur sein: Sonnenlicht mit aggressiver UV-Strahlung in Verbindung mit Luftsauerstoff, Hitze, Kälte, Feuchtigkeit in Form von Wasserdampf, Regen, Tau, Reif oder Schnee mit und ohne salzhaltige Verunreinigungen, und das alles in fast beliebiger Kombination im Wechsel oder als Dauerbelastung. Lackschädigende Chemikalien aus Industrieanlagen wie SO2, flüchtige organische Säuren oder Alkalien sind als regional wirkende Agenzien in diesem Zusammenhang ebenfalls zu nennen. Nicht vergessen werden sollten natürliche Einwirksubstanzen wie Vogelkot, Baumharze oder die Bakterien und Pilze. Auch Kontaminierungen der Lackierung von Automobilen durch den Teer der Straße, überlaufende Treibstoffe oder Batteriesäure sind erwähnenswerte Wirkstoffe. All diese Einflussgrößen verbinden sich mit mechanischen Beanspruchungen der lackierten Objekte wie Vibrationen, Deformationen durch Zug, Druck, Stauchung Folgen Klimaeinflüsse und Scherung und führen so • Photochemische Reaktion • Molekülabbau zu einer vielfältigen Belastung • Hydrolytischer Aufbau • Nachvernetzung der Lackierung. Dabei sollen • Thermische Zersetzung • Abgabe flüchtiger die physikalischen, chemischen • Volumänderung durch Quellung Folgeprodukte und biologischen Einflüsse mit • Volumänderung durch • Extraktion von Temperatur Abbauprodukten Ausnahme der mechanischen im Folgenden unter dem Begriff Abbildung 3.3.1 Übersicht über Einflussfaktoren und deren Folgen Klima zusammengefasst wer- auf Beschichtungen BASF-Handbuch Lackiertechnik 425

Beschichtungen

Für die exakte Kontrolle der Farbgebung und des Glanzes erlaubt eine ausgereifte Messtechnik die objektive Bestimmung von Farbe und optischen Effekten. Zur Beschreibung von Glanz werden über lichtoptische Methoden hinaus mechanische Abtastverfahren zur Charakterisierung der Oberflächenstruktur herangezogen.

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.2: Übersicht über Einflussgrößen durch photo- und nasschemische Reaktionen auf Beschichtungen und typische Schadensbilder

den. Entsprechend der DIN-Norm 50010-1 und -2 werden unter dem Begriff Klima alle an einem Ort auftretenden atmosphärischen Bedingungen einschließlich der tages- und jahreszeitlichen Veränderungen verstanden. Das Klima kann je nach Art mehr oder weniger starke Veränderungen an den Beschichtungen hervorrufen. Diese sind photochemische Reaktionen, initiiert durch UV-Licht, hydrolytischer Abbau durch wässrige Agenzien [3.4.49], thermischer Abbau durch Pyrolyse sowie das Quellen und Schrumpfen durch periodische Feuchtigkeits- und Temperatureinflüsse. Dadurch treten in Abhängigkeit von der Intensität der Einflüsse und der Art des Polymeren mehr oder weniger schnell Beeinträchtigungen im Gebrauchswert ein. Durch UV-Licht hervorgerufene Kettenverkürzungen auf der einen und Nachvernetzungen auf der anderen Seite führen zu einer Beeinträchtigung der Elastizität bei gleichzeitigem Abfall der inneren Festigkeit. Zunehmende Spannungen führen dann bei Temperatur- und Feuchtigkeitswechsel zur mechanischen Zerstörung der Lackierung. Dies ist zunächst sichtbar im glanzmindernden Abbau, begleitet von Rissbildung, und im Extremfall im Abplatzen der gesamten Lackierung. Damit verbunden ist der völlige Verlust der Schutzwirkung. 426

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

H H H H C C C C Cl H Cl H + UV-Licht H H H H

H H H H

C C C C

C C C C

Cl

Cl

H

Polymerisation durch Verknüpfen mehrer Radikale = Verspröden

- HCl

H

Cl H Beschichtungen

Cl H

+ O2 = oxidativer Abbau

C C C C O

O

C C C C O C C

C

C

O C C

C

C

O 2R

+ CO

[O]

CO2

Abbildung 3.3.3: Photochemischer Abbau von PVC

Die für die einzelnen Stationen der Alterung bis hin zum völligen Abbau der Lackierung verantwortlichen chemischen Reaktionen sind äußerst vielfältig. Abbau durch UV-Licht, Hydrolyse und Thermolyse, immer unter zusätzlichem Einfluss von Luftsauerstoff führen zu den unterschiedlichsten Veränderungen aller Bestandteile der Lackierung. Für den Erhalt der Schutzwirkung stehen dabei ohne Zweifel die makromolekularen Filmbildner im Vordergrund. Im Folgenden sollen deshalb die wichtigsten Alterungsreaktionen von lackspezifischen Polymeren an verschiedenen Beispielen vorgestellt werden. Durch UV-Strahlen initiierte homolytische Spaltungen chemischer Bindungen unter dem Einfluss von Luftsauerstoff lassen am PVC Folgeprodukte mit kürzeren Ketten BASF-Handbuch Lackiertechnik 427

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.4: Photochemischer Abbau von Polymeren mit Ether-Gruppen unter Einfluss von Luftsauerstoff

O

O

O C

O

C O CH2 CH2 O C + O2

O

O

O C

O

C O CH CH2 O C O OH

O

O C O +

O C

O CH CH2 O C O OH

- OH

O

O

O C

CH CH2 O C

+ CO2

O

O CO

+ CH3 O C

+ [O ]

CO2 Abbildung 3.3.5: Abbau von Polyestern durch Einfluss von Licht und Luftsauerstoff

428

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Abbildung 3.3.6: Nasschemischer Abbau von Polyestern am Beispiel der alkalischen Verseifung

Die Radikalbildung führt als Startpunkt des Alterungsprozesses letztlich zur Bildung von Salzsäure und CO2. Auch der Abbau von Ethergruppen in Polyethern oder Epoxidharzen läuft über die Zwischenstufe von Peroxiden, die anschließend durch UV-Licht eine Spaltung in der Molekülkette erleiden. Unter extremer UV-Belastung werden zwar in erheblich geringerem Umfang, aber auf ähnliche Art und Weise, selbst die als lichtstabil bekannten gesättigten Polyester angegriffen. Hydroperoxidbildung, Kettenspaltung und teilweise oxidativer Abbau bis hin zum CO2 sind bei ausreichender Strahlungsintensität und Strahlungsdauer nachzuweisen. Neben strahlungsinduzierten Abbaureaktionen laufen unter den klimatischen Einflüssen auch nasschemische Abbauprozesse in Form von Verseifungsreaktionen ab. Polyester und Alkydharze sind Beispiele für Filmbildner, die bei langer und intensiver Wechselwirkung mit sauren oder basischen Elektrolyten in Abhängigkeit von der Art und Stärke der entstehenden Säure unter Kettenabbau reagieren können. Thermische Einflüsse auf Polymere Neben dem Abbau der Makromoleküle durch photochemische, oxidative oder hydrolytische Spaltungen sind bei entsprechender Belastung auch thermische Einflüsse zu berücksichtigen. Diese führen häufig zu Folgereaktionen und machen Alterungsprozesse deshalb außerordentlich komplex. So lassen sich durch Temperaturerhöhung neben den erwarteten Beschleunigungen von Veresterungs- und Oxidationsreaktionen auch direkte Spaltungen durch Depolymerisation bzw. statistisch verteiltes Öffnen der Grundkette nachweisen.

R OH + R' NCO T RO C N R' O H + H2O

R OH + - CO2

R OH +

T

R' NCO

R' N COOH H

R' NH2

+ COCl2

Abbildung 3.3.7: Thermische Hydrolyse von Polyurethanen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 429

Beschichtungen

entstehen. Auf der anderen Seite bilden sich auch über die Zwischenstufe der Peroxide neue Quervernetzungen. Vernetzung bei gleichzeitigem Kettenabbau sind die Ursache für Versprödung und Schwächung der inneren Festigkeit.

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.8: Thermolyse von Polyesterharzen

Als Beispiel für eine überschaubare in diesem Falle gewünschte thermische Spaltung mit Folgereaktionen und anschließender Wiederaufarbeitung sei die Thermolyse von Polyurethanen angeführt. Komplexer sind die Verhältnisse bei der Thermolyse von Polykondensaten. Übliche Filmbildner wie Alkydharze, Aminoharze, Phenolharze und Polyamide führen zu einer Fülle von Folgeprodukten. Am Beispiel eines linearen gesättigten Polyesters (siehe Abbildung 3.3.8) und eines Harnstoffharzes (siehe Abbildung 3.3.9) sollen die wichtigsten Abbaureaktionen dargestellt werden. Bei Polyesterharzen bilden sich unter Kettenabbau Doppelbindungen, die auf vielfältige Weise weiterreagieren. Bei Harnstoffharzen entstehen über die Peroxid-Bildung an der Hydroxymethylengruppe-freie Carbamidsäure-Derivate, die nach Decarboxylieren in Harnstoffgruppen überführt werden. Grundsätzlich überschaubarer ist der thermische Abbau von Polymerisaten. Die Abbildungen 3.3.10 bis 3.3.12 zeigen die wichtigsten Alterungsreaktionen von thermoplastischen Acrylatharzen unter Beteiligung von UV-Licht. 430

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beschichtungen

Beständigkeit von Beschichtungen

Abbildung 3.3.9: Thermischer Abbau von Harnstoffharzen

Abbildung 3.3.10: UV-induzierte Nachvernetzung von Polyacrylaten

BASF-Handbuch Lackiertechnik 431

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.11: UV-induzierte Spaltung der Grundketten von Acrylatharzen

Abbildung 3.3.12: Thermischer Abbau von Polymethylmethacrylaten

Durch das UV-Licht der Sonne werden Seitenketten homolytisch gespalten. Dabei entstehen unterschiedliche Radikale durch die Öffnung von C-C- und C-O-Bindungen, die sich durch Wasserstoffabstraktion oder Kombination mit anderen Radikalen stabilisieren. Das Knüpfen neuer Bindungen ist mit einer Vernetzung verbunden. Eine Versprödung der Beschichtung ist die Folge. Die UV-Strahlen sind auch zur Spaltung von Grundketten befähigt. Am Beispiel eines Methacrylsäureester enthaltenden Acrylatharzes wird gezeigt, dass aus den Seitenketten abgespaltene Radikale unter Bildung von Doppelbindungen bei gleichzeitiger Wasserstoffübertragung den Bruch in der Grundkette herbeiführen. Damit ist eine Abnahme der Molmasse und daher auch der inneren Festigkeit der Beschichtung verbunden. 432

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Alterungsprozesse bei Pigmenten, Füllstoffen und Additiven Die lackschädigenden Einflüsse beschränken sich nicht auf den Abbau und die Versprödung der polymeren Filmbildner. Auch die Pigmente, Füllstoffe und die Additive nehmen am Alterungsprozess teil. Durch UV-Licht oder Chemikalieneinfluss können Farbveränderungen und selbst ein durch Pigmente induzierter Abbau der Polymermatrix auftreten. Umfangreiche Untersuchungen an kompletten Lackieraufbauten zielen auf eine schnelle Beurteilung der Langzeitbeständigkeit [3.4.50].

Für einen mehrschichtigen Lackaufbau mit Elektrotauchlacken als Grundierung ist es von erheblicher Bedeutung, dass dieser möglichst wenig Degradation durch UVStrahlung erfährt, damit Enthaftungen vermieden werden [3.4.52]. Nicht unerheblich ist ein Alterungseffekt von Beschichtungen, der durch die Zusammensetzung der Komponenten geprägt wird. So verursachen hoch siedende Lösemittel oder Weichmacher, die langsam verdunsten, eine signifikante Veränderung z.B. in der Glasübergangstemperatur und anderen mechanischen Eigenschaften wie Elastizität und Härte der Filme. Zusätzlich erhöht sich die Vernetzungsdichte in den ersten Wochen bis Monaten auch ohne Bewitterung durch langsame Nachvernetzung [3.4.53]. Häufig werden deshalb Tests erst nach einer künstlichen Alterung durch Temperaturbelastung verlangt.

3.3.2 Alterungsprüfungen Die beschriebenen Alterungsprozesse von Beschichtungen führen zu zwei Typen von Schädigungen. Zu den ersten zählen Farbtonverschiebungen, Glanzabfall oder Kreidung, also Oberflächenveränderungen, die zur Beeinträchtigung der optischen Attraktivität führen, zur zweiten die Einbußen in der Schutzfunktion durch Blasen- und Rissbildung oder die vollständige Enthaftung mit nachfolgender Schädigung des Substrates. Die erste Gruppe der Eigenschaftsänderungen wird üblicherweise durch die Bestimmung der Wetter- und Lichtbeständigkeit sowie der Lichtechtheit prüftechnisch erfasst, die zweite durch spezielle Prüfungen der Schutzfunktion unter Einfluss schädigender Agenzien wie Salze, Laugen, Säuren sowie natürlicher Substanzen wie Baumharz oder Vogelexkremente. Viele Teste kombinieren beide Belastungsarten. 3.3.2.1

Prüfmethoden zur Oberflächenbeständigkeit

Wetterbeständigkeit Das Wetter wird durch Sonnenlicht, Luftsauerstoff, Feuchtigkeit, Feuchte- und Temperaturwechsel sowie alle natürlichen und anthropogen verursachten Atmosphärilien bestimmt. Diese Einflussgrößen beanspruchen Lackierungen in Abhängigkeit von der geographischen Lage auf unterschiedliche Art und Weise. Temporäre Sonnenstrahlung an der See kombiniert mit Salznebel beeinflusst eine Beschichtung anders als die extreme und lang andauernde Lichteinwirkung mit starkem Temperaturwechsel in Wüstengebieten. Auch sind die Bedingungen im Industrieklima mit denen im Hochgebirge oder denen in den Tropen kaum vergleichbar. Eine Standardprüfung zur Simulation aller Variablen unter dem Einfluss natürlicher Umgebungsparameter kann es nicht geben. Es sind BASF-Handbuch Lackiertechnik 433

Beschichtungen

Neue Messmethoden wie Atomic Force Microscopy werden zukünftig weitere Aufklärung bringen können [3.4.51].

Die Beschichtung

entweder verschiedene Tests in unterschiedlichen Klimazonen durchzuführen oder künstliche Visuelle Eigenschaften Klimabedingungen zu schaffen, Schutzfunktion Glanz + Farbton in denen alle Einflüsse separat simulierbar sind. Erstgenannte Freibewitterung Korrosionsschutz insbesondere Florida Prüfungen sind als FreibewitChemikalienterungen bekannt, letztere als Kurzbewitterung beständigkeit Kurzzeitbewitterungen [3.4.54]. Untersuchungen der verschieAbbildung 3.3.13: Übersicht der Alterungsprüfungen denen Tests zeigen keine guten Korrelationen zum realen Verhalten der Beschichtungen und bestätigen die komplexen Bedingungen aller Prüfmethoden [3.4.55].

Beschichtungen

Alterungsprüfungen

Will man also Prognosen über das Langzeitverhalten von Lackierungen aus Testen ableiten, so sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: 1. Die Bedingungen der einzelnen Klimazonen sind genauestens zu kennen. 2. Für eine aussagefähige Qualitätsprüfung müssen diese mess- und dosierbar sein, um das Prüfergebnis in eine verbindliche Relation zur Qualitätsänderung unter Praxisbelastung zu bringen. Freibewitterungen spielen dennoch eine wichtige Rolle zur Prüfung von Langzeitbeständigkeiten vieler Beschichtungen. Entsprechende Ergebnisse werden häufig von den Anwendern von Beschichtungen verlangt. Dabei ist zu beachten, dass das Wetter eine zeitlich und örtlich stark schwankende Größe ist. Von besonderer Sensitivität ist die Strahlung der Sonne. Für den Lack- und Rohstoffhersteller sind daher die Intensität und Verteilung der Strahlung wichtige Anhaltspunkte zur Prognose über das Alterungsverhalten von Beschichtungen. Die Sonne mit einer Oberflächentemperatur von 5900 K emittiert ein kontinuierliches Spektrum elektromagnetischer Wellen von 200 nm im kurzwelligen UV-Bereich bis hin zu mehreren Zentimetern im Infrarotbereich (A). Beim Durchlauf durch die Erdatmosphäre werden der Strahlung durch Ozon und Wasserdampf selektiv Anteile im UV- und IR-Bereich entzogen. Das Spektrum verliert im Besonderen im kurzwelligen Bereich durch den Einfluss des Ozongürtels an Strahlungsanteilen bis hin zu 300 nm. Die selektive Schwächung der Strahlung im Bereich längerer Wellen wird durch die Anregung von Molekülschwingungen herbeigeführt. Neben Wasserdampf spielen Luftsauerstoff und in geringerem Maße auch Kohlendioxid eine Rolle. Gleichzeitig sind durch Streuung und Absorption an atmosphärischen Aerosolen wie Rauch und Staubpartikeln Intensitätseinbußen über das gesamte Spektrum zu verzeichnen. Dieses als Rayleigh’sche und Mie’sche Streustrahlung bekannte Phänomen führt letztlich dazu, dass die verbleibende Strahlungsleistung, natürlich in Abhängigkeit von Ort und Zeit, mit durchschnittlich 0,7 kW/m2 ungefähr 50 % der ursprünglich abgestrahlten Energie verloren hat (B). Aufgrund der örtlichen und zeitlichen Unterschiede in der Strahlungsverteilung sind für die Interpretation von Bewitterungsergebnissen im Einzelfall genaue Messungen der Strahlungsverteilungen durchzuführen. Pyrrheliometer sind dafür geeignete Geräte. Sie erfassen allerdings nur die Strahlungssumme und können deshalb keine Angaben über die Strahlungsverteilung machen. Das Messprinzip besteht in der unterschiedlichen Erwärmung von weiß und schwarz lackierten Prüftafeln bei Einfluss von Son434

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Relative Strahlungsintensität UV

Sichtbares Licht

IR

A

A = Strahlungsverteilung in der Stratosphäre B = Strahlungsverteilung in Bodennähe

200

500

Beschichtungen

B

1000

1500 Wellenlänge [nm]

Abbildung 3.3.14: Veränderung der spektralen Anteile des Sonnenlichts beim Durchgang durch die Atmosphäre

nenlicht. Beide Tafeln sind mit Thermofühlern ausgestattet, die eine von der Intensität der Sonnenstrahlung abhängige Temperaturdifferenz registrieren. Die auf dem Erdboden bei senkrechter Einstrahlung ohne Wolken gemessene Gesamtleistung liegt bei 0,7 kW/m2 oder 0,07 Watt/cm2. Damit liegt die Energie für eine Sonnenminute bei 4,2 Ws/cm2 oder 4,2 J/cm2. Diese Messgröße hat sich als gebräuchliche Maßeinheit für die flächenbezogene Strahlungsenergie nach Langley etabliert. Die Abbildung 3.3.15 gibt Auskunft über die jährliche flächenbezogene globale Strahlungssumme für verschiedene Regionen dieser Erde, angegeben in Langley. Die mit über 200.000 Langley höchsten Werte sind ausschließlich in Wüstengegenden zu verzeichnen. Trotzdem werden Bewitterungsversuche nicht ausschließlich in solchen Regionen durchgeführt. Der Grund liegt darin, dass die Alterung von Lackierungen nicht nur photochemischer Natur ist. Abbauprozesse werden zusätzlich durch Feuchtigkeit und Wärme beschleunigt. So ist zu verstehen, dass Gebiete mit hoher Sonneneinstrahlung, wie z.B. Nordafrika, Arizona oder Australien wegen fehlender Feuchtigkeit nicht zu den für Beschichtungen aggressivsten Gegenden dieser Erde gehören. Gebiete mit hoher Luftfeuchtigkeit sind in weitaus höherem Maße lackschädigend. Das gleichzeitige Einwirken von Strahlung, Feuchtigkeit und Temperaturwechsel führt in der Lackierung zu chemischen und physikalischen Alterungsprozessen, die in Abhängigkeit von der chemischen Struktur des Filmbildners und der Pigmentierung mehr oder weniger schnell zu Veränderungen in den visuellen und mechanisch-technologischen Eigenschaften führen. Florida und Arizona sind deshalb bewährte Gebiete für die BASF-Handbuch Lackiertechnik 435

Die Beschichtung

60

60 70 70

60 70 80

100

120

140

160

140

180

160

180

120

120

Beschichtungen

140

180

220

80 100

160

120 140 160

160 180

140 200

120

160

120

200

120 140 160 180

140

100

140

60

80

80 100

160

100 120

60

160

100 80

100 80 70

100 80

70

60

60

60 80

120

80

Abbildung 3.3.15: Weltkarte mit Linien gleicher jährlicher Strahlungssummen in 1000 Langley

Durchführung von Freibewitterungen. Gerade Florida zeichnet sich durch hohe Feuchtigkeit im Vergleich zu Arizona und Deutschland aus. Dies ist leicht erkennbar an den Wasserdampfpartialdrücken analog Abbildung 3.3.17. Zur Durchführung sowie auch Auswertung der Prüfungen bzw. deren Prüfergebnisse sind weitgefasste Richtlinien in der DIN EN ISO 2810 fixiert. Danach umfasst der Begriff Wetterbeständigkeit alle Veränderungen der Beschichtungen, die durch die Zusammenwirkung aller im Wetter enthaltenen physikalischen und chemischen Faktoren verursacht werden. Prüfung auf Wetterbeständigkeit durch Freibewitterung bedeutet also Belastung unter Einwirkung von Licht, Wasser und Temperatur sowie allen Industrieabgasen und Atmosphärilien wie Salz, Ruß etc. Die Prüfung erfasst die Gesamtveränderung der Beschichtung. Die in Florida zu prüfenden Lackaufbauten werden in den Bewitterungsstationen entweder auf starren Gestellen mit einem gleichbleibenden Auslagewinkel oder schwenkbaren Probenträgern ausgelegt. Der Auslagewinkel ist so dem Sonnenstand entsprechend auszurichten. Wegen des Breitengrades von 25° nördliche Breite und des deshalb hohen Sonnenstandes werden die Testbleche dem Wetter vornehmlich unter einem Winkel von 5° ausgesetzt. Die geringe Neigung einer solchen Auslage verhindert jedoch das Abspülen von Schmutzpartikeln durch den natürlichen Regen. Eine zusätzliche Reinigung der Prüfplatten muss deshalb in regelmäßigen Abständen erfolgen. Die 5°-Südauslage wird vor allem von Automobilherstellern gefordert. Aufgrund der im Vergleich zu Deutschland stärkeren Sonneneinstrahlung, der höheren Luftfeuchtigkeit, den relativ großen Niederschlagsmengen und der wesentlich höheren Durchschnittstemperatur in Florida starten die Alterungsprozesse nach wesentlich kürzerer Zeit und laufen schneller ab als im mitteleuropäischen Klima. Dabei erreichen die Filme in Abhängigkeit vom Farbton Spitzentemperaturen von 60 °C. Die Prüfzeit verkürzt sich bis zum etwa gleichen Schädigungsgrad auf ca. 50 %. 436

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

* jährlicher Mittelwert der monatlichen Strahlungssumme

Monatsmittel der Strahlungssumme [J/cm2] 2800

Arizona

2400 2000 1600

Florida Beschichtungen

1200 800 Deutschland 400 0 J

F

M

A

M

21.3.

J

J

A

22.6.

S

O

N

23.9.

D 22.12.

Abbildung 3.3.16: Monatsmittel der Strahlungsintensität verschiedener Regionen in J/cm2

Monatsmittel der Lufttemperatur Luft- 40 temperatur [°C]

Arizona

30

Monatsmittel des Wasserdampfpartialdrucks Partial- 28 dampfdruck [Pa]

Florida

21

Deutschland Florida

20

14

10

7 Arizona

Deutschland 0 21.3.

22.6.

23.9. 22.12.

0 21.3.

22.6.

23.9. 22.12.

Abbildung 3.3.17: Örtliche und zeitliche Schwankungen von Lufttemperatur und -feuchte in Florida, Arizona und Deutschland

BASF-Handbuch Lackiertechnik 437

Die Beschichtung

[°C] 70 Florida Testgerät Xenon 1200

60 50 40 30 20

Beschichtungen

10 0 Schwarz

Blau

Orange

Weiß

Abbildung 3.3.18: Spitzentemperaturen von Prüfblechen in Florida in Abhängigkeit vom Farbton beim Auslagewinkel von 5° im Vergleich zum Xenon-Test

Abbildung 3.3.19: Bewitterungsstationen in Florida mit Freibewitterungsauslage 5° Süd und Blackbox HBB  Quelle: Atlas (oben), BASF Coatings (unten)

Zur noch intensiveren Belastung werden die Prüftafeln in „Blackboxen“ dem Wetter ausgesetzt. Hierbei werden die Testbleche auf einen schwarz lackierten Blechkasten gelegt. Die obere Öffnung wird dabei mit Prüftafeln zugedeckt. Die durch die Sonneneinstrahlung aufgeheizten Blackboxen erwärmen die Testtafeln zusätzlich und beschleunigen die Alterung gegenüber den offenen Gestellen. Die „heated Blackbox“ (HBB) ist zusätzlich mit einer Heizung, einem Thermostaten und einem Gebläse ausgerüstet. Dadurch wird eine gleichmäßige Kastenwandtemperatur von 50 bis 55 °C erreicht, selbst dann, wenn die Sonneneinstrahlung durch Wolkenbildung behindert ist. Auch im Wüstenklima Arizonas sind Bewitterungsstationen eingerichtet. Ungeachtet der fehlenden Feuchtigkeit wurden unter der Bezeichnung EMMA (Equatorial Mount with Mirrors for Acceleration) Spezialgeräte entwickelt, die durch Aluminiumspiegel die ohnehin schon starke Strahlungsintensität nochmals um den Faktor 8 erhöhen. Die Probenträger werden mit Hilfe eines Motors und entsprechender Sensoren immer auf die Sonne hin orientiert. Die Probenerwärmung wird durch Ventilatorkühlung begrenzt. EMMA-Geräte sind wegen des Feuchtigkeitsmangels nur zur Prüfung der Lichtechtheit von Pigmenten geeignet. Schwache Pigmente geben sich schon nach wenigen Monaten in Form von Farbton- bzw. Farbintensitätsänderungen zu erkennen.

Aufgrund der hohen Strahlungsbelastung hat es nicht an Versuchen gemangelt, diese Geräte auch für Prüfungen auf Wetterbeständigkeit umzurüsten. Diese unter der Bezeichnung EMMAQUA bekannten Prüfgeäte wurden deshalb mit Sprüheinrich438

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Eine Kombination aus Bewitterung und Säurebeständigkeit stellt der in Nordamerika wichtige „Acid Etch“-Test dar. Als Freibewitterung wird er in Nordflorida, z.B. Blount Island bei Jacksonville, FL durchgeführt. Das Resultat aus Ablage von Industriestaub der dort ansässigen Betonindustrie, kurzen Regenschauern und Hitze kann zu punktuellen Markierungen bzw. Anätzungen der Klarlacke führen [3.4.56]. Die übliche Auslagedauer beträgt 14 Wochen im Zeitraum von Juni bis September. Ein beschleunigter Labortest ist entwickelt [3.4.57]. Die wichtigen Faktoren sind kurze Schauer sauren Regens, Ablagerung von Industriestaub und schnelle Trocknungsphasen. Auch im mitteleuropäischen Raum werden Bewitterungen durchgeführt. Aufgrund des ande- Abbildung 3.3.20: EMMAQUA-Maschinen zur beschleunigten Freibewitterung in Arizona Quelle: Atlas ren Sonnenstandes werden die Prüftafeln mit einem Neigungswinkel von 45° nach Süden angeordnet. Die Verkürzung der Prüfzeit gegenüber der Lebensdauer der Lackierung ist nur marginal. Wegen der auch in klimatisch extremen Gebieten noch relativ langen Expositionszeit von mehreren Jahren bemüht man sich, durch Kurzzeitbewitterungstests unter Verwendung künstlicher Lichtquellen mit hoher Lichtintensität, höheren Temperaturschwankungen und schnelleren Intervallen der Befeuchtung und Trocknung die Prüfzeit noch weiter zu verkürzen. Durch geeignete Belichtungsquellen wie Kohlebogen- und Xenon-Lampen, Wasserbesprühung als künstlicher Regen und Einstellung auf eine vorgegebene und zur Überprüfung benutzte Schwarztafeltemperatur können die natürlichen Bedingungen weitgehend nachgeahmt werden. Unter Schwarztafeltemperatur ist die Temperatur einer schwarzen Referenztafel zu verstehen, die sich unter den Bedingungen der Kurzzeitbewitterung im Prüfgerät einstellt. BASF-Handbuch Lackiertechnik 439

Beschichtungen

tungen zur künstlichen Befeuchtung der Testtafeln ausgestattet. Da die Prüftafeln in diesen Geräten trotz Kühlung heiß bleiben, verdampft das aufgesprühte Wasser sehr schnell. Der für den Filmabbau notwendige Einfluss von Wasser ist im Vergleich zu Florida geringer.

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.21: Spektrale Verteilung der Strahler im Weather-Ometer: Cam 180-Test, Cam 7-Test Quelle: Clariant

Dabei ist die spektrale Verteilung der Strahlungsquellen von fundamentaler Bedeutung für die Verwertbarkeit der Prüfergebnisse. Für jede Strahlungsquelle gibt es Filtersätze, die zum einen die Intensitätsverteilung des Sonnenlichtes nachstellen und zum anderen im Wesentlichen diejenigen kurzwelligen UV-Anteile der Lichtquellen eliminieren, die im Sonnenspektrum nicht vorhanden sind. Die bekanntesten und in der Lackindustrie am häufigsten genutzten Geräte für die Kurzzeitbewitterungstests sind die „Weather-Ometer“ (WOM) der Fa. Atlas und die „QUV-Bewitterungstester“ bzw. „Q-Sun Xenon Testkammer“ von Q-Lab. Im Prinzip ist die Arbeitsweise dieser Geräte gleich und erfüllt die Normen DIN EN ISO 11341 und DIN EN ISO 11507 für Beschichtungen. In der Mitte der geschlossenen Prüfkammer ist der Strahler angebracht. Im festen Abstand dazu dreht sich eine Probentrommel einmal pro Minute um 360°. Zwischen Strahlungsquelle und Probetrommel befinden sich eine oder mehrere Sprüheinrichtungen, mit denen die Testproben in bestimmten Intervallen mit destilliertem Wasser beregnet werden. Strahlungsquellen in den Weather-OmeterGeräten können Kohlebogenlampen, auch Sunshine-Lampen genannt, oder Xenon-Hochdruckstrahler sein. Die Kohlebogenlampen sind von einem Filterrahmen umgeben, der als Leitluftführungskanal und als Träger von acht Filtergläsern dient. Da bei Dauerbetrieb die Lichtdurchlässigkeit der Filter unterhalb der Wellenlänge von 350 nm schnell abnimmt, werden die Filtergläser täglich gereinigt und nach 2000 Betriebsstunden ausgewechselt. Die Xenon-Hochdruckstrahler werden in der Regel mit Borosilikat-(Pyrex)-Filtern umgeben. Die besonders aggressive UV-Strahlung unterhalb von 290 nm wird ausgefiltert, da sie im erdnahen Sonnenlicht nicht vorhanden ist. Durch den Einsatz verschiedener Filter bzw. Filterkombinationen kann so die spektrale Energieverteilung der künstlichen Strahlung verändert und damit den gewünschten Testbedingungen angepasst werden. Das Xenon-Testgerät ist mit drei Xenon-Hochdruckstrahlern bestückt. Um eine möglichst gleichmäßige Strahlungsenergie auf die Testproben zu bringen, wird reihum 440

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen Cam 180

Cam 7

• Quarz- und Borosilikatfilter • 2 Stunden Belichtung • 1 Stunde Dunkelphase mit Beregnung

• Pyrex-Filter • 2 Stunden Dauerbelichtung, davon 18 Minuten Beregnung

von VDA empfohlen zur: • Prüfung auf Rissbildung

• Prüfung auf Wetterbeständigkeit

Da die Anwesenheit von Wasser für den beschleunigten Abbau eine wichtige Rolle spielt, werden die Testtafeln in bestimmten Zyklen bei allen Gerätetypen Abbildung 3.3.22: Prüfzyklen und Prüfkammer eines Weather-Ometers Quelle: BASF Coatings mit doppelt destilliertem Wasser  besprüht. Geringste Verunreinigungen des Wassers durch Silikate würden im Laufe der Zeit die Prüfbleche mit einer UVabsorbierenden Schutzschicht überziehen und so die schädigende Wirkung der Strahlung unkontrolliert beeinträchtigen. Die bewährten und deshalb heute üblichen Prüfzyklen des Weather-Ometers sind in den Diagrammen in Abbildung 3.3.22 zusammengefasst: Unter verschiedenen Bezeichnungen wie Xenon-Testkammern bietet der Markt weitere interessante und gleichzeitig aufgrund ihrer Konstruktion auch preiswerte Bewitterungsgeräte an. Sie sind aus der Erkenntnis, dass für die lichtinduzierten Alterungsprozesse letztlich nur der kurzwellige UV-Anteil verantwortlich ist, unter der Verwendung neuer Lampen entwickelt worden. Ihre Nutzung wird bevorzugt dort favorisiert, wo starke Sonneneinstrahlung nachgestellt werden muss, also in Nordamerika und Asien. Die Abbildung 3.3.23 zeigt einen Querschnitt durch ein Bewitterungsgerät. Die am Gehäusedeckel angebrachten Proben werden mit Licht aus acht Leuchtstoffröhren bestrahlt. Die Hersteller bieten Lampen mit unterschiedlicher Strahlungsverteilung an. Der Strahler UV-A-340 beginnt bei 300 nm und entspricht in etwa dem kurzwelligen Anteil des Sonnenlichtes, während UV-313 bei 280 nm eine deutlich energiereichere Strahlung emittiert. Die zur Beschleunigung der Alterung notwendige Befeuchtung erfolgt im Gegensatz zu den Besprühungseinrichtungen in den Atlas-Geräten nicht durch Versprühen, sondern durch Verdampfen und anschließendes Kondensieren auf den relativ zum Probenraum kühleren Probeplatten. Hierdurch wird eine Ablagerung UV-absorbierender Silikate BASF-Handbuch Lackiertechnik 441

Beschichtungen

nach jeweils 500 Stunden ein Strahler durch einen neuen ersetzt. Die Xenon-Strahler sind in der ersten Filterreihe von einem gemeinsamen Quarzzylinder umgeben. Danach folgen Pyrex-Filter, bestehend aus drei 1/3-Schalen. Die Abführung der überschüssigen Wärme erfolgt wie beim Weather-Ometer durch Luft-und Wasserkühlung. Die Testkammer ist ebenfalls mit einer Probentrommel ausgestattet, die sowohl einseitig bestückt im Gleichlauf als auch beidseitig im Wendelauf mit Drehung der Probenträger beim Umlauf um 180° gefahren werden kann.

Beschichtungen

Die Beschichtung

Abbildung 3.3.23: Gesamtansicht und Schema des Probenraumes eines Bewitterungsgerätes

Quelle: Q-Panel

Abbildung 3.3.24: Spektrale Verteilung von UV-A-340 und UV-B-313 im Vergleich zum Sonnenlicht

Quelle: Clariant

verhindert. Der gesamte Prüfzyklus dauert 12 Stunden und beinhaltet acht Stunden Bestrahlung bei 70 °C, gefolgt von einer 4-stündigen Kondensationsphase bei 50 °C ebenfalls unter Bestrahlung. Die Beurteilung des Prüfergebnisses erfolgt üblicherweise nach einer Belastungszeit von 2000 Stunden. Beurteilung und Bewertung von Bewitterungsergebnissen Die bisher mit diesen Bewitterungsgeräten gesammelten Erfahrungen zeigen, dass die Lichtbeständigkeit von Unilacken weniger, die Rissbildungsneigung von ZweischichtMetallics aber recht gut mit den Ergebnissen der Langzeitbewitterung in Florida korreliert. Die Beurteilung und Bewertung von Bewitterungsergebnissen setzt eine genaue und in allen Punkten abgestimmte Prüfmethodik voraus. Je nach Einsatzgebiet der Beschichtungsstoffe werden die Testproben für die Auswertung unterschiedlich behandelt. Anstriche für Fassadenelemente werden ohne weitere Probenaufbereitung visuell bewer442

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Für die Konzeption von Kurzzeitbewitterungstesten ist zu beachten, dass durch unrealistische Bedingungen der Einwirkgrößen zwar verkürzte Prüfzeiten bis zu messbaren Effekten erreichbar sind, die Sicherheit für eine Prognose des Verhaltens in der Praxis allerdings erheblich durch geometrische und Wartungsfaktoren der Kammern beeinträchtigt wird [3.4.58]. Viele Untersuchungen widmen sich dem Prüfzyklus, um die Korrelationen zur Freibewitterung zu verbessern [3.4.59]. Die bis heute vorliegenden Erfahrungen aus dem Vergleich der Florida-Bewitterung mit den Kurzzeittesten weisen auf einen Verkürzungsfaktor von ca. 5 bis 6 hin. Dementsprechend liegt die Testdauer der Kurzzeitbewitterungen z.B. für Automobillackierungen bei ca. vier bis sechs Monaten. Die Testgeräte werden auch für Kunststoffe, Innenbeschichtungen, Dichtungen und anderen der Bewitterung ausgesetzten Materialien benutzt. 3.3.2.2 Korrosionsschutzteste Die Funktionsprüfungen, also spezielle Prüfungen auf bestimmte Schutzwerte der Lackierung können wie die Bewitterungstests auf Belastung in natürlicher Umgebung und auf Kurztests basieren. Veränderungen durch Alterung werden hier weniger schönheitsrelevant als vielmehr funktionsbezogen verstanden. Im Einzelnen ist dabei an die Beständigkeit der Lackierung in Abhängigkeit von der Temperatur und Feuchte bzw. Temperatur- und Feuchtewechsel sowie gegenüber Salzen und Chemikalien verschiedenster Art in Form von Gasen oder Flüssigkeiten gedacht. Beurteilt werden primär Schäden in Form von Blasen oder Enthaftungen, aber auch von Verletzungen der Beschichtungen ausgehende Folgeschäden. Eine aus ökonomischer Sicht herausragende Aufgabe von Beschichtungen auf metallischen Untergründen ist der Schutz gegen Korrosion. Trotz größter Anstrengungen gehen nach Schätzungen von Experten 3 bis 5 % des Bruttosozialprodukts der Industrieländer durch Korrosion pro Jahr verloren. Korrosionsschutz ist deshalb eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe [3.4.60]. Unter Korrosion sollen im Folgenden nach DIN EN ISO 12944-1 und DIN EN ISO 8044 alle durch den Einfluss von Sauerstoff, Wasser und katalytisch wirkenden Elektrolyten hervorgerufenen Veränderungen am metallischen Lackierobjekt verstanden werden. Aus chemischer Sicht handelt es sich um die Abgabe von Elektronen aus den metallischen Werkstoffen unter Beteiligung von Wasser und Sauerstoff. Das Ergebnis ist die Bildung einer unlöslichen Metalloxidschicht (siehe Kapitel 4.1). Die sich bildende Rostschicht des Eisens ist porös und deshalb nicht in der Lage, das Fortschreiten der Metallzerstörung zu bremsen. Ein effektiver Korrosionsschutz ist deshalb notwendig. Dieser kann u.a. durch organische Beschichtungen, häufig in VerBASF-Handbuch Lackiertechnik 443

Beschichtungen

tet. Automobillackierungen hingegen werden zum Teil gewaschen oder sogar poliert und an den so behandelten Stellen beurteilt. Der Problemstellung entsprechend werden die Testtafeln auf Glanzhaltung, Kreidung und Farbtonbeständigkeit untersucht. Andere Veränderungen der Beschichtungen wie Riss- und Blasenbildung, Flächenund Kantenrost, Haftfestigkeit und Abplatzungen werden üblicherweise ergänzend visuell beurteilt. Alle Daten werden in ihrer zeitlichen Entwicklung aufgezeichnet, so dass auch Aussagen zur Dynamik der Abbaureaktionen gemacht werden können.

Die Beschichtung

bindung mit korrosionsinhibierenden Pigmenten erreicht werden.

Beschichtungen

Belastungen im Normal- und Industrieklima Zur Simulation der spezifischen Bedingungen in tropischen Gebieten, aber auch in Feuchträumen wie Hallenbädern, Kühlhäusern oder Küchen sind die Prüfungen dadurch gekennzeichnet, dass hohe Luftfeuchtigkeit in Verbindung mit Temperatur bzw. Abbildung 3.3.25 Übersicht über die Prüfungen des Korrosionsschutzes Temperaturwechsel entweder für konstant hohe oder wechselnde Wasserdampfkonzentration in den sogenannten Kondenswasser-Wechsel- und Kondenswasser-Konstant-Klimatesten sorgt. In allen Fällen werden die Proben in den Prüfapparaturen den in den Normen bis ins Detail festgelegten Prüfbedingungen ausgesetzt. In der DIN EN ISO 6270 sind alle für die Durchführung der Prüfungen relevanten Hinweise zu finden. In der Norm werden drei Prüfvarianten unterschieden: • Kondenswasser, Feuchte- (und Temperatur-)Wechselklima (KFW) • Kondenswasser, Temperatur-Wechselklima (KTW) • Kondenswasser-Konstantklima (KK) Eine heute seltener verlangte Prüfvariante der Kondenswassertests ist der Wechseltest KFW mit zusätzlicher SO2-Atmosphäre. In die 300 l fassende Prüfkammer werden je nach Vereinbarung entweder 0,2 l oder 2 l SO2-Gas dosiert, um auf diese Art die Verhältnisse in der Industrieatmosphäre nachzustellen. Dieser unter der Bezeichnung „Kesternich-Test“ bekannte nach DIN EN ISO 3231 genormte Test ist wegen der großen Streubreite der Ergebnisse und einer gegenüber der Praxisbelastung viel zu hohen Konzentration von SO2 nicht realistisch und deshalb nur für ganz spezielle Prüfziele im Gebrauch. Die einzelnen Prüfbedingungen sind in Abbildung 3.3.26 zusammengestellt. Die Prüfung wird beendet, wenn die mit dem Kunden vereinbarte Prüfzeit abgelaufen ist, oder wenn sichtbare Veränderungen wie Glanzverlust, Blasenbildung oder Korrosion auftreten. Neben den in den DIN-Normen standardisierten Tests existieren zahlreiche Spezialprüfungen, die zwischen Kunden und Lieferanten abgestimmt werden. Die Nachstellung der hohen, aber gleichzeitig auch stark schwankenden Temperaturen in den Tropen und die entsprechend niedrigen, aber ebenfalls stark schwankenden Temperaturen in arktischen Bereichen sind als Tropen- oder Coldcheck-Test ergänzend zu erwähnen. Belastungen im Seeklima Ein weit verbreiteter Korrosionsschutztest ist die Salzsprühnebelprüfung nach DIN EN ISO 9227 bzw. ASTM B117. Dieser Test soll die korrosive Atmosphäre küstennaher Gebiete und die Einwirkung von Straßenstreusalz simulieren. Bei einer Prüfraumtemperatur von 35 °C wird mit Hilfe vorgewärmter und befeuchteter Pressluft eine 5 %-ige 444

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Z

Ansicht Z

Temperaturmesseinrichtung (z.B. Thermometer)

Temperaturmessstelle

Beschichtungen

250

150

≥1



Überdruckventil

150

750

800

Rauminhalt 300 l ±10 l

Unterdruck- Überdruckventil ventil und Gaseinleitungsstutzen

500

Benennung

Kurzzeichen

SFW

Dauer eines Zyklus

Dauer der Einzeleinwirkung

24

SchwitzwasserWechselklima

SchwitzwasserKonstantklima 1)

STW

24 1)

SK



Normale Zyklendauer, siehe auch Abschnitt 2.2

2)

Temperaturregeleinrichtung (z.B. Stabthermostat)

Temperatur im Prüfraum

relative Luftfeuchte

Stunden

[°C]

[%]

8 einschließlich Anwärmen

40±3

100

16 einschließlich Abkühlen (Gerät geöffnet)

Raumtemperatur 2)

unter 75

8 einschließlich Anwärmen

40±3

100

16 einschließlich Abkühlen

Raumtemperatur 2)

100

vom Anwärmen bis Ende der Beanspruchung

40±3

100

Begriff Raumtemperatur siehe DIN 50 014

Abbildung 3.3.26: Schema einer Prüfkammer und Bedingungen der Kondenswasser-Teste nach DIN EN ISO 6270

Natriumchloridlösung kontinuierlich versprüht. Die Testtafeln werden vor der Belastung mit einem Ritzstichel längs zur Schmalseite bis zum Untergrund verletzt. Nach Abschluss der Prüfung wird die Breite der vom Ritz ausgehenden Unterwanderung sowie die Korrosion an den Kanten und auf der Fläche beurteilt. BASF-Handbuch Lackiertechnik 445

Die Beschichtung

Raumentlüftung Prüfkammer DurchflussmengenMess- und Regeleinrichtung Luftbefeuchter

Siphon

200 – 500 mm Saughöhe

Beschichtungen

Druckausgleich

von Öl und Fettstoffen befreite Druckluft

Sprühdüse Luft Druckmesser

filtrierte Prüflösung

Niveaugefäß mit Prüflösung Bennenun Kurzbezeichnung zu versprühende Lösung

aufgefangene Lösung

Salzsprühnebelprüfung DIN EN ISO 9227

Natriumchlorid­ gehalt in [g/l]

50±10

weitere Zusätze

keine

Natriumchlorid­ gehalt in [g/l]

50±10

ph-Wert

6,5 bis 7,2 bei 25 °C ±2

Temperatur in Prüfraum

35 °C ±2

Abbildung 3.3.27: Testbedingungen und Schemazeichnung der Prüfkammer des Salzsprühtest nach DIN EN ISO 9227 bzw. ASTM B 117

Die Durchführung des Tests erfolgt in Prüfkammern mit Inhalten von 300 Litern bis hin zu mehreren Kubikmetern, in denen es möglich ist, ganze Automobil-Karosserien zu prüfen. Die Präparation der Prüftafeln und die Auswertung des Korrosionsbildes erfolgt entsprechend der DIN EN ISO 4628. Zur Objektivierung der Benotung helfen Bilder von Standardschädigungen (siehe Abbildung 3.3.28). Die in DIN-Normen abgebildeten Aufnahmen gelten als Grundlage für eine Notenskala von 0 bis 5. Durch Vergleich der Probe mit den Standards ist der Grad des Schadens zu ermitteln. Bei der Bildung von Blasen werden die Anzahl m und Größe g bewertet, bei entstandenem Flächenrost die korrodierte Fläche. Die Kennzeichnung Ri steht für Rostgrad international und signalisiert in Verbindung mit einer Benotung von 0 bis 5 den Grad des Flächenrosts. Eine digitale Bildauswertung nach DIN EN ISO 21227-3 ist möglich. 446

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trotz der breiten Anwendung des Salzsprühtests ist bei der Übertragung der Testresultate auf den Langzeitkorrosionsschutz besondere Vorsicht walten zu lassen. In der Literatur melden sich zunehmend kritische Stimmen, welche die Treffsicherheit des Salzsprühtests mit den Spekulationen eines erfahrenen Schäfers über die Entwicklung des Wetters vergleichen. Selbst der Aussagewert von Vergleichsprüfungen mit bekannten Korrosionsschutzsystemen wird in Frage gestellt. Solche Auffassungen finden ihre Bestätigung bei der Analyse des durch den Salzsprühtest hervorgerufenen Korrosionsbildes. Bereiche starker Enthaftung zeigen trotz des Verlusts jeglicher Schutzwirkung im Gegensatz zur Korrosion im Wetter häufig überhaupt keine Korrosionsschäden. Insbesondere auf verzinktem Stahl sind keine verlässlichen Aussagen zum Verhalten in der Praxis zu machen.

Beschichtungen

Beständigkeit von Beschichtungen

Abbildung 3.3.28: Muster zur objektiven Auswertung von Flächenrost, Ri = Rostgrad international

Ein Beispiel für eine durch den Salzsprühtest nicht reproduzierbar nachzustellende Form der Korrosion ist die im europäischen Klima weniger, dafür in tropischen Gebieten häufiger anzutreffende Filiformkorrosion. Ausgehend von mechanischen Verletzungen der Lackierung zeigt sich diese Art von Korrosion in Form fadenförmiger Unterwanderungen. Da diese Form der Korrosion im Salzsprühtest nicht reproduzierbar nachzustellen ist, sind speziell für die Filiformkorrosion andere Tests, wie z.B. die DIN EN ISO 4623 entwickelt worden. Zur Durchführung werden die für den Salzsprühtest vorbereiteten Tafeln 30 bis 60 s in 0,1 %-ige Natriumchloridlösung getaucht, getrocknet und im Klimaschrank bei 40 °C und 80 % relativer Feuchte belastet. Die sich dann eventuell bildenden kanalförmigen Unterwanderungen haben ihre Ursache in der Bildung sog. Belüftungselemente. Durch die höhere O2-Konzentration am Ausgang der entstehenden Kanäle bilden sich zusammen mit den O2-ärmeren unterwanderten Gebieten kathodische und anodische Bereiche (Abbildung 3.3.29). Für Aluminium gilt in der Flugzeugindustrie die Norm DIN EN 3665, die sich durch eine andere Art der Ritzung und Bewertung von der beschriebenen Methode unterscheidet. Aufgrund der zweifelhaften Verlässlichkeit des Salzsprühtests sind Anstrengungen unternommen worden, bessere Korrosionsschutzprüfungen zu entwickeln. Besonders in der AutoBASF-Handbuch Lackiertechnik 447

Die Beschichtung

Lackierung

anodischer Bereich sauerstoffarm

Beschichtungen

Korrosionsprodukte

kathodischer Bereich sauerstoffreich

mobilindustrie war das Bedürfnis nach verbindlichen Prognosen über den Langzeitkorrosionschutz besonders ausgeprägt. Diverse Teste, meistens Kombinationen aus bereits bekannten, aber allein wenig aussagekräftigen Prüfmethoden, wurden auf ihre Korrelation zur Praxis geprüft [3.4.61].

Von großer Bedeutung, da von der Automobilindustrie anerkannt, ist der Klimawechsel (KW)-Test nach VDA 621-415. Dieser Test ist eine Kombination aus Salzsprühnebel- und Kondenswasser-Klimaprüfung. Korrosionsmedien sind eine 5 %-ige Kochsalzlösung und voll entsalztes Wasser im Wechsel. Ein Zyklus dauert eine Woche und setzt sich zusammen aus 24 Stunden Salzsprühnebelprüfung, 96 Stunden KondenswasAbbildung 3.3.29: Mechanismus und Beispiel der Filiformkorrosion ser- und Feuchte-Wechselklima  Quelle: Streitberger (KFW) und 48 Stunden Regenerationszeit bei Raumtemperatur und einer Luftfeuchtigkeit 12 Zyklen je nach Art und Dicke des metallischen Untergrundes Durchrostungen auf, wie man sie in der Praxis beobachtet. Die bereits erwähnte Freibewitterung mit Salz ist ebenfalls eine Methode zur beschleunigten Prüfung der Korrosionsbeständigkeit. Bei dieser Prüfung werden die Testtafeln, in einem Winkel von 5° bzw. 45° zur Horizontalen nach Süden ausgerichtet, meist auf den Geländen der Lack herstellenden oder anwendenden Industrie ausgelegt und über einen Zeitraum von 6 Monaten oder länger bewittert. Gegenüber der normalen Bewitterung werden die Testtafeln zur Beschleunigung des Korrosionsprozesses einmal pro Woche mit 3 %-iger Kochsalzlösung besprüht. Auch bei dieser Prüfung werden die Testkörper vor der Belastung bis aufs Blech angeritzt oder mit Stahlsplitt beschossen. Gegenüber der normalen Bewitterung erhöht sich die Korrosionsgeschwindigkeit um den Faktor 3 bis 4. 448

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Beständigkeit von Beschichtungen

1 – 15 Zyklen

Kälte

16 – 30 Zyklen

31 – 60 Zyklen

Beschichtungen

Kälte

Trocknung

Vorbereitung

Vorkonditionierung

Kälte

Feuchtwärme

24

23

1 2

22

3

21 20

4

5

18

6

F e u c h t w ä rm e

Feuchtwärme

19

7

17

8

16 9

15 14

10 13

12

F ah rp h as e

Wartung, Reparatur Betätigungen

11

Salzsprühkammer

Die geregelten Einstellwerte der Feuchtwärmekammer sind: • Temperatur +45 °C / +50 °C • relative Luftfeuchte: 95 ± 2 %

Abbildung 3.3.30: Gesamtablauf und Einzelzyklen der Korrosionsschutzprüfung an Fahrzeugen gemäß dem VW Ehra2-Test

Trotz erheblicher Verbesserung der Korrelation zwischen Prüfergebnis und Korrosionsbild mit den Befunden aus der Praxisbelastung des Klima-Wechsel-Tests haben die Automobilhersteller weitere z.T. aufwändige Prüfmethoden entwickelt. Bei ihrer Durchführung werden ganze Pkw nach festen, im Detail vorgeschriebenen Prüfzyklen belastet. Als ein Beispiel sei hier der VW Ehra2-Test vorgestellt (siehe Abbildung 3.3.30). BASF-Handbuch Lackiertechnik 449

Beschichtungen

Die Beschichtung

Aus der normalen Produktion werden stichprobenartig Wagen ausgewählt, die zunächst in Kältekammern auf -35 °C abgekühlt und entsprechend der mechanischen Beanspruchung im Fahrbetrieb mit Wagenhebern tordierend belastet werden. Eventuell hierbei auftretende Risse in der Lackierung der Hohlräume würden so zu Schwachstellen des Korrosionsschutzes führen. Zur weiteren Vorkonditionierung werden die Testwagen vier Tage auf Splitt und Salzschlammstrecken gefahren. Nach Reinigung und siebentägiger Lagerung erfolgt der eigentliche Korrosionstest. Abbildung 3.3.31: Freibewitterungsstation in Münster, D  Quelle: BASF Coatings Über insgesamt 60 Zyklen mit zweimaliger Unterbrechung zur Wiederholung der Torsionsbelastung in der Kältekammer und anschließender Salzschlammbehandlung werden die Testwagen im Rhythmus von 24 Stunden zunächst für 19 Stunden einer Feuchtwärmekammer bei 45 °C und 95 % relativer Feuchte ausgesetzt. Anschließend folgt eine Stunde Salzsprühtest, dann eine dreistündige Fahrphase, um nach Wartung und eventuell anfallenden Reparaturarbeiten diesen Zyklus dann noch 59-fach zu wiederholen. Die in besonders korrosiver Umgebung Korrosionsschäden erzeugenden Prüfungen lassen sich nicht für alle Substrate gleichermaßen verwenden. So ist der Salzsprühtest anerkanntermaßen nicht in der Lage, den Korrosionsschutz von Beschichtungen auf verzinkten Substraten vorauszusagen [3.4.62]. Weitere indirekte Prüfverfahren Es existieren weitere indirekte Prüfverfahren, die durch Analyse der elektrochemischen Vorgänge Auskunft über Korrosion bzw. Korrosionsschutz geben sollen. Der enormen Verkürzung der Prüfzeit und dem Vorteil der Verwertung physikalischer Kenngrößen stehen auch hier leider unzureichende Korrelationen zum Praxisverhalten entgegen. Aus der Vielzahl der in der Literatur beschriebenen Tests soll die Impedanzspektroskopie (EIS = elektrochemische Impedanz-Spektroskopie) herausgehoben werden [3.4.63]. Die Impedanz liefert als Wechselstromwiderstand der unbelasteten und belasteten Beschichtung in Abhängigkeit von der Messfrequenz Daten, die Hinweise auf den Korrosionsschutz liefern. Es steht aber außer Frage, dass die bisher vorliegenden Erfahrungen nicht ausreichen, um auf dieser Basis eine quantitative Qualitätssicherung aufzubauen [3.4.60]. Auch die Messung von Dielektrizitätskonstanten, Korrosionspotenzialen und die Aufnahme von Polarisationskurven sind Beispiele für Korrosionsschutzprüfungen, deren Anwendung sich überwiegend auf vergleichende Prüfung zu Entwicklungszwecken beschränkt. 450

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Beständigkeit von Beschichtungen

Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang die Benutzung der Kelvin-Sonde für die frühe Entdeckung von Haftungsverlusten organischer Beschichtungen auf Stahl [3.4.64].

Auf das Gesamteigenschaftsbild, nämlich auf visuelle Eigenschaften und Schutzfunktionen hin ausgerichtet sind die Prüfungen auf Chemikalienbeständigkeit. Alterungsprozesse werden durch aggressive Gase und Flüssigkeiten beschleunigt. Dabei steht das Schwefeldioxid an der ersten Stelle der Skala lackschädigender Agenzien bei Beanspruchungen durch Außenbewitterung. Es wirkt stark reduzierend und kann deshalb Pigmente und Filmbildner in gleicher Weise schädigen. Neben SO2 findet man in Industrieregionen auch andere Schadstoffe. Je nach Industrieart und Regionen werden die pH-Werte des Regens durch Säuren zum Teil merklich beeinflusst. Insgesamt hat sich die Problematik der durch die Industrie verursachten Emissionen in Folge zahlreicher Maßnahmen wie z.B. Entschwefelung von Kraftwerken und den Katalysatoren der Fahrzeuge bedeutend entschärft. Über die gasförmigen und flüssigen anthropogenen Schadstoffe hinaus liefert auch die Natur ihren Beitrag bei der Produktion lackschädigender Substanzen. Vogelkot und Baumharze belasten nicht die gesamte Fläche eines lackierten Objektes, sind aber in der Lage, punktuell erhebliche Schädigungen der Lackierung herbeizuführen. Physikalische Anquellungen, chemische Reaktionen anorganischer, organischer sowie enzymatischer Natur, können gleichzeitig oder nacheinander ablaufend, zu starken Zerstörungen der Lackierung führen. Unter Quellung ist die durch Diffusion bedingte Aufnahme von Flüssigkeiten zu verstehen, die dann zu einer Volumenvergrößerung und Erweichung der Oberfläche führt. Damit verbunden ist auch die Abnahme der Haftung und der Festigkeit. Solche rein physikalischen Vorgänge sind bei ausreichender Flüchtigkeit der Wirksubstanz reversibel. Hochsiedende Terpene und Naturharze, wie sie in Koniferen vorkommen, werden aufgrund zu geringer Flüchtigkeit im Lackfilm festgehalten. Eine Regeneration der geschädigten Stelle ist dann nicht mehr möglich. Ein in jedem Falle irreversibler Prozess ist der chemische Angriff reaktiver Naturstoffe. Es existieren zahlreiche pflanzliche Harze und Lösemittel, die aufgrund ihrer reaktiven funktionellen Gruppen nicht nur in den Lack eindringen, sondern gleichzeitig auch Abbauvorgänge der Polymere initiieren. Ebenso sind gelöste Salze in den beschriebenen Substanzen insofern schädlich, als sie mit dem Wasser in die Beschichtung eindringen und nach dessen Verdunstung im Film verbleiben. Eine strenge Trennung der Wirkung lackschädigender Atmosphärilien in physikalische und chemische Einflüsse kann nur selten gemacht werden. Eine Fülle von Prüfsubstanzen existiert im Bereich der Möbelindustrie, der Dosenlackierung und beim Coil Coating. Substanzen wie Cola, Kaffee, Tomatensaft etc. können ungeeignete Beschichtungen stark angreifen oder verfärben. Für praxisrelevante Prüfungen sind die dem Anwendungsfall entsprechenden Einwirksubstanzen auszuwählen. Diese werden mit einer Pipette tropfenweise aufgesetzt, um in einer vorgegebenen Zeit auf die Beschichtung einzuwirken. Um größtmögliche Sicherheit bei solchen Prüfungen zu erzielen, werden die Testlacke auf entsprechenden Prüftafeln in Gradientenöfen gehärtet (siehe Kapitel 3.1.5). Durch die Einstellung eines bestimmten Temperaturgradienten sind so auf einem Testblech reproduzierbar UnterBASF-Handbuch Lackiertechnik 451

Beschichtungen

3.3.2.3 Chemikalienbeständigkeit

Die Beschichtung

Beschichtungen

und Übervernetzungen einzustellen. Zusätzlich erlaubt der Gradientenofen die Durchführung von Prüfungen einheitlich eingebrannter Prüftafeln unter unterschiedlichen Temperaturbedingungen. Im Falle von Temperaturen unterhalb und oberhalb der Glastemperatur erweitert sich die Informationsbreite der Testresultate. Die eigentliche Prüfung und die Bewertung der Ergebnisse sollten nach DIN EN ISO 2812-1 in Verbindung mit Absprachen zur Auswahl der Prüfchemikalien zwischen Lackherstellern und Verarbeitern erfolgen. Wichtige Prüflösungen sind Kraftstoffe, Schmierstoffe, Bremsflüssigkeiten, Frostschutzmittel, Kaltreiniger, Konservierungsmittel und wässrige Substanzen wie Salzsäure, Schwefelsäure, Natronlauge, aber auch Ölruß aus Feuerungsanlagen. Selbst Wasser wird als Testsubstanz verwendet. In bestimmten Branchen ist die Anwendung von besonderen Testsubstanzen wie Teerlösungen, Teerentfernern, Insektensäften, Vogelexkrementen, Baumharzen etc. üblich. Haushaltschemikalien und Nahrungsmittel werden zu Prüfungen von Möbeloberflächen ebenfalls herangezogen. Durch geeignete Kombination der Prüfsubstanzen und Prüfbedingungen sind die meisten der in der Praxis anzutreffenden Schäden wie Verfärbungen, Anquellungen und Anätzungen darstellbar. Bei der Prüfung gegenüber Mikroorganismen werden die Anstrichstoffe unter verschiedenen Umwelt- und Klimabedingungen bestimmten Pilz- oder Algenkulturen ausgesetzt. Um Lackierungen auf Ölrußbeständigkeit prüfen zu können, wurden anfänglich Rußproben aus Feuerungsanlagen entnommen und als Testsubstanzen eingesetzt. Aus der Kenntnis heraus, dass die schädigenden Agenzien überwiegend saurer Natur sind, hat der VDA eine Liste von definierten Prüfsubstanzen empfohlen. Zur Durchführung der Prüfung wird die Beschichtung mit der Prüflösung versehen und mit einem Uhrglas abgedeckt. Der Prüfling wird dann entweder eine Stunde bei 70 °C oder 48 Stunden bei 23 °C belastet. Die speziell für die Möbelindustrie entwickelten Normen DIN EN 12720 und DIN 68861-1 beschreiben die Klassifizierung von Lacken nach ihren Beanspruchungsgruppen 1 A bis 1 F: 26 Prüfmittel, angefangen bei Essigsäure, über Alkohol, Weiß- und Rotwein, Cola, Kaffee bis hin zu Senf und Kugelschreiberpaste werden als Testsubstanzen vorgeschrieben.

3.3.3 Zusammenfassung Beschichtungen als Kompositionen aus polymeren Filmbildnern, Pigmenten und Additiven können während der Gebrauchszeit des Substrates erheblichen Belastungen ausgesetzt sein. Das UV-Licht der Sonne, Temperaturschwankungen und Wasser in allen Aggregatzuständen, auch Chemikalien verschiedenster Zusammensetzung sind dabei die wichtigsten qualitätsbeeinflussenden Wirkgrößen. Sie führen in Abhängigkeit von der chemischen Struktur der einzelnen Bestandteile der Beschichtung zu mehr oder weniger schnell ablaufenden Alterungsreaktionen. Durch Kettenspaltung und nachträgliche Knüpfung von neuen Vernetzungsstellen werden die innere Festigkeit und die Elastizität des schützenden Films beeinträchtigt. Dies kann mit einem direkten Angriff auf das Substrat verbunden sein. Bei metallischen Werkstoffen gibt sich der Verlust an Schutz in der Bildung von Korrosionsprodukten zu erkennen. Alterungsreaktionen sind nicht auf die polymeren Filmbildner beschränkt. Bei Pigmenten resultieren daraus mehr oder weniger starke Farbtonverschiebungen und Glanzabfall und führen vielfach zu inakzeptablen Veränderungen der visuellen Eigenschaften. 452

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Literatur

Für verbindliche Prognosen über das Langzeitverhalten von Beschichtungen werden Prüfungen unter verschärften Bedingungen durchgeführt. Dies wird durch Auslegen von Mustertafeln in klimatisch extremen Gebieten oder in Bewitterungsgeräten mit definierten aggressiven Klimabedingungen erreicht. Zur Vorhersage der Schutzfunktionen werden Beschichtungen in besonderen Tests mit Kochsalz oder anderen Chemikalien belastet. Zur besseren Korrelation zu den Ergebnissen aus der Praxis werden insbesondere in der Automobilindustrie aufwendige systematische Praxisteste durchgeführt.

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 453

Beschichtungen

3.4 Literatur

Beschichtungen

Die Beschichtung 3.4.42 S. Rossi, F. Deflorian, A. Cambruzzi, L. Fontanari, L. Fredrizzi, P. L. Bonora, Pitt.e Vernici Eur. Coat. 04/2004, S. 7 (2004) 3.4.43 C. M. Seubert, M. E. Nichols, JCT Res. 4(1), S. 21 (2007) 3.4.44 U. Meier-Westhues, T. Klimmasch u. J. Tillack, ECJ 09/2002, S. 28; L. Mi, H. Ling, W. Shen, R. Ryntz, B. Wichteran, A. Scholten, JCT Res. 3 (4), S.249 (2006) 3.4.45 EP 1204701, PPG (2005) 3.4.46 N. Laryea, S. Sepeur, C. Thurn, M. Mönkemeyer, F+L 116(7), S.23 (2010) 3.4.47 O. Fleck, S. Nowak, U. Meier-Westhues, ECJ 04/2009, S.106 3.4.48 V. Wachtendord, A. Geburtig, Nachr.Chemie 60, S.1018 (2012) 3.4.49 K. Henderson, R. Hunt, J. Boiseau, L. Pattison, JCT Coat.Tech. 5 (9), S.50 (2008) 3.4.50 J. L. Gerlock, A. V. Kucherov, M. E. Nichols, JCT 73 (918), S. 45 (2001); D. R. Bauer, JCT 74 (924), S. 33 (2002) 3.4.51 S. Biggs et al., Progr.Org.Coat. 42, S. 49 (2001) 3.4.52 M. Entenmann, D. Koch, H. Greisinger, T. Schauer, ECJ 01/2013, S.32 3.4.53 W. Schlesing, M. Buhk, M. Osterhold, Progr.Org.Coat. 49, S. 197 (2004) 3.4.54 A. Zielnik, PPCJ 202(4574), S.16 (2012) 3.4.55 M. Hoeflaak, B. de Ruiter, J. H. Maas, ECJ 03/2006, S.30 3.4.56 K. Henderson, R. Hunt, K. Spitler, J. Boisseau, JCT Coat.Tech. 2(18), S.38 (2005) 3.4.57 J. Boisseau, D. Campbel, J. Quill, W. Wurst, P. J. Brennan, PCI 21(6), S.33 (2005) 3.4.58 A. Riedl, Welt d. Farben 2/2006, S.16 (2006) 3.4.59 J. W. Chin, T. Nguyen, X. Gu, E. Byrd, J. Martin, JCT Coat. Tech. 3 (2), S.20 (2006); L. Podgorski, M. Arnold, G. Hora, Coat.World 8 (2), S.39 (2003) 3.4.60 P. A. Sorensen, S. Kiil, K. Dam-Johansen, C. E. Weinell, JCT Res. 6(2), S.135 (2009) 3.4.61 S. Pietsch u. W.-D. Kaiser, F+L 108 (8), S. 18 (2002) 3.4.62 J. Kittel et al., Progr. Org. Coat. 41, S. 93 (2001) 3.4.63 T. Gichuhi, A. Balgeman, S. Prince, C. Wagner, S. O’Brian, A. Adams, JCT Coat.Tech. 8 (6), S.32 (2011) 3.4.64 M. Stratmann et al, Progr. Org. Coat 27, S. 261 (1996)

Übersichtsliteratur H.-J. Adler, K. Potje-Kamlotj (Hrsg.), Quo Vadis – Coatings, XXVI Fatipec Congress, Dresden, Wiley-VCH Verlagsges., Weinheim, 2002 D. Brune, R. Hellberg, H. J. Whitlow u. O. Hunderi (Hrsg.), Surface Characterization, Wiley-VCH Verlagsges., Weinheim, 1997 H. G. Voelz, Industrielle Farbprüfung, Wiley-VCH, Weinheim, 2. überarbeitete Auflage, 2001 D. G. Weldon, Failure Analysis of Paints and Coatings, Wiley-VCH Verlagsges., Weinheim, 2001 U. Schulz, Accelerated Testing, Vincentz, Hannover, 2009 W. Possart (Hrsg.), Adhesion, Wiley-VCH, Weinheim, 2005 J. Sander (Hrsg.), Anticorrosive Coatings, Vincentz, Hannover, 2010 Streitberger/Dössel (Hrsg.), Automotive Paints and Coatings, Wiley-VCH, Weinheim, 2008 D. Satas, A. A. Tracton (Hrsg.), Coatings Technology Handbook (2.ed.), M. Dekker, New York, 2001 G. Kreysa, M. Schulz (Hrsg.), Corrosion Handbook Vol 6 (2.ed.), Wiley-VCH, Weinheim, 2004 P. Mischke, Film Formation, Vincentz, Hannover, 2009 H. G. Völz, Industrielle Farbprüfung (2. Aufl.), Vieweg, Wiesbaden, 2003 R. Dietrich, Instrumentelle Lackanalytik, Vincentz, Hannover, 2006 Kittel, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen (Hrsg. H.-J. Streitberger), Band 5 (2. Aufl.), Hirzel, Stuttgart, 2004 H. Bubert, H. Jenett (Hrsg.), Surface and Thin Film Analysis, Wiley, New York, 2002 Z. W. Wicks, F. N. Jones, S. P. Pappas, D. A. Wicks, Organic Coatings (3.ed.), Wiley&Sons, Hoboken, 2007 J. Prieto, J. Kiene, Holzbeschichtung, Vincentz Network, Hannover, 2007 R. A. Wolf, Plastic Surface Modification, Hanser, München, 2010 J. L. Keddie, A. Ronth, Fundamentals of Latex Film Formation (H. Pasch, ed.), Springer, Dordrecht, 2010 Brock/Groteklaes/Mischke, Lehrbuch der Lacktechnologie, 4.Aufl., Vincentz Network, Hannover, 2012 T. Bäuerle et al, Coloristik für Lackanwendungen, Vincentz Network, Hannover, 2012 E. Lübbe, Farbempfindung, Farbbeschreibung und Farbmessung, Springer, Heidelberg – Berlin, 2012 Informationsserie des Fonds der chemischen Industrie Band 28 Lacke und Farben, Deutsches Lackinstitut, Frankfurt, 2003

454

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Die Lackiertechnologie

4

Die Lackiertechnologie

Die Festlegung der Lackiertechnologie und die gewünschte Qualität der Beschichtung kann nur unter Berücksichtigung der spezifischen Eigenschaften des Substrats zu einem optimalen Ergebnis führen. Die chemische Eigenart und die Morphologie der Werkstoffoberfläche sind in diesem Zusammenhang genauso hervorzuheben wie die Formgebung, Fügetechnik und die Konstruktion des zu schützenden Objekts. Lackierobjekt, Vorbehandlung und der eigentliche Lackierprozess sind dabei optimal aufeinander abzustimmen. Dabei ist unter Abstimmung nicht eine auf ein bereits vorgegebenes Lackierobjekt bezogene Lackiertechnologie zu verstehen, sondern vielmehr eine Konzeption, bei der Fragen der Vorbehandlung und der Konstruktion wie scharfe Kanten, Blechüberlappungen und schwer zugängliche Hohlräume gebührend mit ins Kalkül gezogen werden. Auf dem Wege zu einer dauerhaft schmückenden und schützenden Haut durchlaufen die zu beschichtenden Objekte entsprechend zahlreiche Stationen. Zunächst sind die im Rohbau gefertigten Produkte durch geeignete Vorbehandlungsmaßnahmen lackierbar zu machen. Die damit verbundenen Verfahrensschritte konzentrieren sich auf physikalische und chemische Reinigungsmethoden, auf Glättverfahren und auf das Aufbringen dünner, anorganischer Konversionsschichten. An die Vorbehandlungsanlage schließen sich die Stationen der Applikation, Trocknung und Härtung des Beschichtungsstoffes an. Die Applikationsanlagen bestehen aus Stationen, die mit konditionierter Frischluft und Material beschickt werden, um in ihnen den flüssigen oder im Falle von Pulverlacken festen Beschichtungsstoff in einen gleichmäßig dünnen mechanisch festen Film zu überführen. Dieses kann durch Streichen, Rollen, Walzen, Tauchen, Fluten, Gießen oder Versprühen erfolgen. Die beim Versprühen entstehenden Spritznebel und die entweichenden gasförmigen Lösemittel müssen der Abluft entzogen werden. Die verfahrenstechnischen Operationen im Trockner konzentrieren sich auf das Entfernen von entweichenden Lösemitteln auf der einen und das Initiieren bzw. Beschleunigen von chemischen Vernetzungsreaktionen auf der anderen Seite.

Versorgen

Vorbehandeln

Entsorgen

Lackieren

Trocknen und Härten

Abbildung 4.0.1: Prozessschritte einer Lackieranlage

BASF-Handbuch Lackiertechnik 455

Lackiertechnologie

Unter Lackiertechnologie sollen alle verfahrenstechnischen Vorgänge verstanden werden, die notwendig sind, um das in den vorhergehenden Kapiteln beschriebene Lackmaterial in eine funktionsfähige Lackierung zu überführen. Dabei stellen die Teilstationen Vorbehandlung, Applikation und Trocknung bzw. Härtung mit ihrer Peripherie in Form von Luft-, Energie- und Materialversorgungsanlagen, von Transporteinrichtungen und den Vorrichtungen für die Rückgewinnung von Spritznebeln und gasförmigen Emissionen aus der Abluft zusammen mit den Entlackungsanlagen für Gitterroste und Förderketten die wichtigsten Anlagenteile dar.

Die Lackiertechnologie

Lackherstellung Pigmente

Lösemittel

Additive

Harze

Lagern Fördern Dosieren

Rühren Mischen

Vorhomogenisieren Dispergieren

Transportieren

Lackiertechnologie

P

Trennen

Filtrieren

Dosieren

Lackversorgung

Filter

Lackverarbeitung Druckluft

Stofftrennung Dosieren Transportieren Stoffvereinigung

Filter

Wärmetransport

Filter

Abluft Adsorption

thermodynamische Prozesse Wärmetransport

Transport Fördern

Zerstäuben

Zerkleinern

Lacknebelabscheidung (Trennen) Abluftreinigung

Abwasser

Koagulieren (Trennen) Filtrieren

thermodynamische Prozesse

Stofftrennung Abbildung 4.0.2: Verfahrenstechnische Grundoperationen bei der Lackherstellung und -verarbeitung

456

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Alle genannten Einzelprozesse, wie Lack- und Luftversorgung, Applikation, Trocknung, Härtung, aber auch Förderung und alle umweltrelevanten Ergänzungsmaßnahmen der Abgas-, Abwasser- und Spritznebelaufbereitung zusammen mit der notwendigen Prozesssteuerung lassen sich in Einzelteile segmentieren, die verfahrenstechnischen Grundoperationen entsprechen. Dadurch lassen sich dann alle komplexen Verfahren nur durch das Aneinanderreihen einer relativ kleinen Zahl an Grundoperationen (Einzelmodulen) für den spezifischen Einzelfall zusammenstellen. Die lacktechnisch wichtigsten Basisprozesse sind im Einzelnen: Stofftransport Wärmetransport Dosieren Stoffvereinigung Zerkleinern mechanische Stofftrennung thermodynamische Prozesse

Die Vielzahl unterschiedlicher Anlagen ist demnach die Folge der unterschiedlichen Verknüpfung einzelner Module. Dies gilt auch für die Lackherstellung und wird in Abbildung 4.0.2 im Vergleich zur Lackverarbeitung verdeutlicht.

4.1

Substrateinfluss

Im Hinblick auf die zu erzielende Oberfächenqualität spielen also der Beschichtungsstoff und die Methodik der Verarbeitung eine wichtige Rolle. Weiterhin stehen Lackierbarkeit und Konstruktion in einem engen Abhängigkeitsverhältnis und sollten deshalb niemals unabhängig voneinander diskutiert werden.

Der Werkstoff als Lackierobjekt

Naturstoff

„Kunststoff“

anorganisch

organisch

anorganisch

organisch

Beton

Holz

Thermoplastischer Kunststoff

Putz (Mörtel)

Papier

Metalle (Eisen, Aluminium, Zink, Legierungen)

Steine

Pappe

Gläser

Duromerer Kunststoff Elastomerer Kunststoff

Leder Gummi

Bauten

Holz und Möbel

allgemeine Industrie

Automobilindustrie

Abbildung 4.1.1: Übersicht über die wichtigsten Substrate für Lackierprozesse und deren Einsatzspektrum

BASF-Handbuch Lackiertechnik 457

Lackiertechnologie

• • • • • • •

Die Lackiertechnologie

Ziel des folgenden Abschnitts ist es, auf die Substrateinflüsse einzugehen, damit diese in der Konzeption eines Lackierprozesses die ihnen zustehende Beachtung erhalten. Bei den Substraten wird unterschieden in natürliche Stoffe wie Beton und Mörtel als anorganische und Holz, Papier, Pappe, Leder und Gummi als organische Materialien. Auf der anderen Seite sind auch künstlich hergestellte Werkstoffe zu beschichten. Metalle, wie Eisen, Aluminium, Zink, Magnesium und deren Legierungen sowie Gläser und Keramik sowie die thermoplastischen, duromeren und elastomeren organischen Kunststoffe sind zu nennen. Dabei sind die Metalle zwar thermisch stabil, aber korrosionsanfällig, Holz hingegen ist zwar korrosionsstabil, aber durch Mikroorganismen gefährdet.

Lackiertechnologie

Die Werkstoffe können weich wie Leder und Gummi, aber auch extrem hart sein. Ihre Oberfläche kann rau oder glatt sein, neutral oder alkalisch. All das führt zu den unterschiedlichsten Eigenschaften, die alle bei der Material- und Verfahrensauswahl für die Oberflächenbehandlung entsprechend zu berücksichtigen sind.

4.1.1

Holz und Holzwerkstoffe

4.1.1.1

Holz als Werkstoff

Holz ist als Hauptbestandteil von Stämmen, Ästen und Wurzeln von Pflanzen ein komplexer organischer, aus Zellen aufgebauter Werkstoff und besitzt deshalb eine Reihe von Besonderheiten. Es weist bedingt durch das Wachstum inhomogene Strukturen auf. Die aus den Stämmen geschnittenen festen Holzkörper wie Bretter oder Leisten sind deshalb inhomogen in ihrem Dehnungsverhalten. In Abhängigkeit von der relativen Feuchte der Umgebungsluft können Hölzer bis zu 30 % Wasser aufnehmen. Das Volumen kann dabei je nach Art des Holzes bis zu 10 % zunehmen. Leichte und schnell gewachsene Hölzer nehmen schneller größere Mengen an Wasser auf, während die festen, langsam wachsenden auch einen entsprechend langsameren Wasseraustausch zeigen. Wegen der unterschiedlich orientierten Zellen ist die Ausdehnung durch die Quellung mit Wasser nicht in allen Raumrichtungen gleich. Holz quillt und schwindet in radialer Richtung 10-mal und in tangentialer Richtung 17-mal stärker als in Längsrichtung. Die Quellung nimmt also linear pro Prozent Feuchteanstieg um 0,2 Vol.% zu. Bei der im mitteleuropäischen Klima mittleren relativen Feuchte von ca. 50 % stellt sich ein Wassergehalt von 8 bis 10 % in den Hölzern im Gleichgewicht ein. Lackierprozesse sollten zweckmäßigerweise unter diesen Bedingungen stattfinden [4.4.1]. Der Einfluss des Wassers bewirkt gleichzeitig eine erhebliche Veränderungen in der Dichte und Härte. Vollständig trockenes, zusammengepresstes Holz kann eine Dichte von bis zu 1,56 g/cm3 erreichen. Die Härte kann dabei bis um das 12-fache zunehmen. Das geschnittene Holz besitzt eine charakteristische Oberflächenstruktur. Sie setzt sich aus den Jahresringen, Markstrahlen, also Bereichen verschieden großer Zellen und Poren zusammen. Die Jahresringe bestehen aus den helleren äußeren, weicheren Bereichen, dem Weichholz, und dem dunkler gefärbten Kernholz, das in der Periode des langsamen Wachstums entsteht. Letztere besitzen nur noch mechanische Stützfunktionen. Sie werden durch Gerbsäure vor dem oxidativen Zerfall bewahrt. Durch den Zellaufbau, also durch chemische Sekundär- und Tertiärstrukturen sind somit alle Holzarten in ihren Eigenschaften inhomogen und deshalb anisotrope Werkstoffe. 458

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Quellen und Schwinden des Holzes Quellung in [%] 14 12

(b) tangential zu den Jahresringen

(a) im Volumen

(c) radial zu den Jahresringen

(b) tangential zu den Jahresringen

(d) längs zur Faser

10 8 6

(c) radial zu den Jahresringen

4 2 0

(d) längs zur Faser 0

10

20 30 Holzfeuchte in [%]

Auch der chemische Aufbau ist komplex. Mit 40 bis 50 % ist die Cellulose der Hauptbestandteil des Holzes (siehe Kapitel 2.1.1). Sie ist als 1,4-β-D-Polyglucosan in Wasser zwar quellbar, aber völlig unlöslich und stellt deshalb die Grundsubstanz für die mechanische Festigkeit und die Resistenz gegenüber äußeren Einflüssen dar. Mit 15 bis 20 % dienen die Einlagerungen der Hemicellulosen der Elastifizierung (Holzgummi) und 20 bis 25 % Lignin fungiert als zusätzlicher Stabilisator. Während Hemicellulosen wie Cellulose oligomere Zuckerderivate (Hauptbestandteil Xylose) sind, besitzen die Ligninkörper eine ganz andere chemische Struktur. Aus den Abbauprodukten ist bekannt, dass mehrwertige, z.T. mit Methanol veretherte Phenolkörper in komplexer Verknüpfung mit Allylalkohol vorliegen (siehe Abbildung 4.1.3).

Abbildung 4.1.3: Chemische Zusammensetzung von Holz

BASF-Handbuch Lackiertechnik 459

Lackiertechnologie

Abbildung 4.1.2: Dehnungsverhalten von Holz, am Beispiel des Kieferholzes

Die Lackiertechnologie

Über die genannten Basissubstanzen hinaus verfügen Hölzer zum Teil in erheblichen Unterschieden bezüglich Art und Menge zusätzlich über lösliche Substanzen. Monound Diterpene, Wachse und Öle werden ergänzt durch holzspezifische Stoffe, die wegen ihrer Löslichkeit in Lacklösemitteln zu Problemen bei der Oberflächenbehandlung führen können [4.4.2].

Lackiertechnologie

Ebenfalls cellulosehaltige Werkstoffe und damit Holzabkömmlinge sind Papier und Pappe. Sie sind flache blatt- bzw. folienartige flexible Stoffe zum Beschreiben, Bedrucken und Verpacken. Sie bestehen überwiegend aus miteinander verfilzten, verpressten und verleimten Pflanzenfasern. Die Fasermaterialien entstammen fast ausschließlich dem Holz. Die rein mechanische Aufarbeitung des Holzes führt zum Holzschliff, einem kurzfaserigen Gemisch aus Cellulose und Lignin. Der kombinierte mechanischchemische Aufschluss von Holz, bei dem das weniger beständige Lignin weitgehend abgebaut, die Cellulosefasern jedoch geschont werden, liefert den längerfaserigen Zellstoff, der bis zu 85 bis 95 % aus Cellulose besteht. Für geringerwertige Papiere spielt der Einsatz von Altpapier eine wachsende Rolle. Neben den Fasermaterialien sind Füllstoffe wie Kaolin, Bariumsulfat, Calcium- und Magnesiumcarbonat, Talkum und Titandioxid als Grundstoffe von Bedeutung. Durch die Mitverwendung der Füllstoffe gelangt man zu besser geschlossenen Oberflächen und helleren Farbtönen. Die Zufuhr von Naturseifen (Kolophonium) setzt die Saugfähigkeit des Papiers gegen Tinte und Druckfarben herab. Kunstharzleime wie auch Wachse erhöhen die Nassfestigkeit, Stärke und Stärkederivate die Zug- und Falzfestigkeit, Wasserglas die Härte. 4.1.1.2

Holz als Werkstück

Die einfachste Holzbearbeitung liegt in der Herstellung von massivem Schnittholz als Bretter, Leisten oder Balken. Massivholz wird vornehmlich in der Bau- und Fensterindustrie verarbeitet. In der Möbelindustrie erfordert der Umgang mit Massivholz hohes handwerkliches Können und gehört zu den interessantesten Tischlerarbeiten. Stollenmöbel, Profilleisten sowie Möbel in Konstruktionen aus Rahmen und Füllungen werden aus Brettern und Bohlen hergestellt. In der Stuhl- und Tischindustrie wird bis zu 90 % Massivholz eingesetzt. Das natürliche Arbeiten des Massivholzes durch Schwinden, Quellen und das damit verbundene Reißen und Verwerfen stellen große Anforderungen an die später aufzubringenden Lacküberzüge. Massivholz bedarf deshalb einer sehr sorgfältigen Verarbeitung. Wegen der durch die anisotrope Quellung und Schwindung hervorgerufenen Veränderungen und Verformungen von Massivholz werden zahlreiche Manipulationen durchgeführt, die dem Vollholz eine bessere Formstabilität geben. Durch mechanisches Verpressen auf der einen, aber auch durch chemische Einflüsse, u.a. durch Eindringen von polymerisierbaren Monomeren in Druckkammern und anschließende Polymerisation, wird das Holz durch eingelagerte Kunststoffe hydrophobiert und damit weitgehend unabhängig vom Einfluss des Wassers der Umgebung. Aus lacktechnischer Sicht dem Eigenschaftsbild des Massivholzes ähnlich sind die nur Bruchteile eines Millimeters dünnen Furniere. Sie werden durch Schälen als Schälfurniere oder Schneiden als Messerfurniere aus dem Massivholz gewonnen, nachdem dieses durch Dampf entsprechend weich und elastisch gemacht wurde. Aufgrund der geringen Schichtdicke bedürfen sie zur Stabilisierung eines geeigneten Trägers. Bei dem Herstellprozess ist nicht auszuschließen, dass durch Poren und zum Untergrund durchgehende Fehlstel460

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

len Einflüsse des Trägers oder der Verleimung auf den Lackierprozess ausgeübt werden können. Oft sind deshalb Vorbehandlungsschritte notwendig (siehe weiter).

Wählt man als Träger in unterschiedliche Richtung aus dem Massivholz geschnittene Leisten und verleimt diese zu Platten mit entsprechend dicken Abdeckungen, so gelangt man zu den Sperrhölzern und Tischlerplatten. Tischlerplatten sind Sperrholzplatten, die aus einer Mittellage und mindestens je einer Furnierlage auf jeder Seite bestehen. Je nach Art der Mittellage unterscheidet man Stäbchenverleimung, Blockverleimung und Block-/Stäbchenverleimung. Auf solche Art und Weise hergestellte Tischlerplatten können im Vergleich zu Brettern Feuchtigkeitseinwirkungen besser Stand halten. Die Gefahr des Verwerfens, Verziehens und Reißens ist auf ein Minimum herabgesetzt. Die Mittellagen der Tischlerplatten sind meistens aus Kiefern-, Fichten- und Abachiholz. Die Absperr- und Deckfurniere werden beidseitig, und zwar quer zur Holzfaser, auf den Stäbchen verleimt. Ein anderer, im modernen Möbelbau dominierender Weg zu Holzwerkstoffen mit isotropen Eigenschaften

Lackiertechnologie

Schälfurniere dienen in den meisten Fällen als Absperrfurniere, auch Blindfurniere genannt. Messerfurniere verwendet man zur Oberflächenveredlung. Dazu werden hochwertige dekorative Holzarten, wie Nussbaum, Mahagoni, Eiche, Rüster, Esche oder Palisander verwendet. Als Träger kommen Tischler-, Sperrholz-, Span- und Hartfaserplatten in Betracht.

Abbildung4.1.4: Tischlerplatten als Holzwerkstück

Abbildung 4.1.5: Aufbau von Span- und Faserplatten

BASF-Handbuch Lackiertechnik 461

Die Lackiertechnologie

besteht im Verpressen von zerkleinerten Holzpartikeln. Holzfaserplatten und Holzspanplatten werden in großer Vielfalt verwendet. Gefasertes oder geraspeltes Holz unterschiedlichster Größe und Form wird mit Harnstoff-, Melamin- oder Phenolharzen verpresst und thermisch gehärtet. Je nach Drücken von bis zu 2000 N/cm2 unterscheidet man in weiche, mittelfeste (MDF) und harte bzw. extraharte Faserplatten. Diese werden wiederum je nach Einzelanspruch mit und ohne Furnier für den Möbelbau eingesetzt. Dabei können die Pressungen in allen drei Raumrichtungen erfolgen. Wegen der hohen Festigkeit werden auch spezielle Röhrenplatten hergestellt, die sich durch ein niedriges Gewicht und einen geringeren Preis auszeichnen. 4.1.1.3 Vorbehandlung von Holz

Lackiertechnologie

Bevor massives Holz oder Holzwerkstoffe einer schichtbildenden Oberflächenbehandlung unterzogen werden können, muss das Werkstück zahlreiche Vorbehandlungsstationen durchlaufen. Wässern, Putzen, Schleifen, Entharzen, Entfernen von Leimdurchschlägen und ggf. auch das Bleichen und Beizen sind die wichtigsten Schritte vor dem eigentlichen Lackierprozess. Bei handwerklichen Prozessen hinterlassen die Bearbeitungsmaschinen an Massivhölzern häufig sichtbare und die Attraktivität der Oberflächen störende Druckstellen. Zu ihrer Beseitigung werden die Teile in warmem Wasser behandelt, um danach 1 bis 2 Tage bei 18 bis 20 °C getrocknet zu werden. Das früher dem Schleifprozess vorgeschaltete Putzen der Oberfläche mit Putzhobeln oder Ziehklingen in Faserrichtung ist durch den Einsatz von Schleifmaschinen weitgehend verdrängt worden. Holzschliff als Voraussetzung für eine einwandfrei zu lackierende Oberfläche ist in seiner Durchführung den einzelnen Holzarten genauestens anzupassen. Beim Nassschleifen verändern Lösemittel das Volumen des Holzes im Gegensatz zu Wasser nicht, ein Tatbestand, der beim Schleifen von Holz zu beachten ist. Während Wasser durch osmotische Effekte die Zellen aufpumpt und dabei die Fasern der Schnittflächen aufrichtet, tritt ein solcher Effekt z.B. bei Verwendung von Benzin nicht ein. Nur ein vollkommener Schliff schafft die Voraussetzungen für ein gleichmäßiges Auftragen der Beschichtungsmaterialien. Als Schleifmittel werden unterschiedlich grobe Korund- oder Siliciumcarbid-Partikeln verwendet. Die einzelnen Schleifkorntypen sind mit Kunstharzen, meistens Phenolharzen, und antiadhäsiven Überzügen auf einem Trägergewebe fixiert. Die zusätzliche Antistatikbehandlung verhindert das Festbacken von Schleifstaub und garantiert so eine störungsfreie Handhabung der Schleifbänder. Der Schleifvorgang selbst wird heute durch entsprechende Maschinen elektronisch gesteuert. Die Druckregelung erfolgt durch Computer stufenlos und ermöglicht so einen gleichmäßigen Schliff auch im Randbereich der Werkstücke. Durch die Kombination mehrerer Schleifverfahren werden die besten Voraussetzungen für die nachfolgende Oberflächenbehandlung geschaffen. Die alte Regel „gut geschliffen ist halb lackiert“ hat auch beim Holz ihre Gültigkeit [4.4.3]. Eine eventuell notwendige Beseitigung von Harzen und Leimen von der zu beschichtenden Oberfläche kann mit Lösemitteln oder Schmierseife in Verbindung mit Ammoniak erfolgen. Bei hellen Hölzern nimmt man Oxalsäure oder eine 30%-ige H2O2-Lösung. Dabei ist das Holz in Faserrichtung so auszubürsten, dass alle Leimstellen beseitigt sind. 462

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Das durch die Behandlung mit H2O2 als Nebeneffekt erzielte Bleichen wird bei bestimmten Hölzern zur einheitlichen Aufhellung gezielt durchgeführt. Buche, Eiche, aber auch sich bei Tageslicht verfärbende Hölzer, wie Ahorn, Birke oder Birne werden mit konzentriertem Ammoniak und anschließender Behandlung mit 30 %-iger H2O2-Lösung aufgehellt. Der auf der Oberfläche entstehende sauerstoffhaltige Schaum wird mit einem Pinsel verstrichen und anschließend durch intensives Spülen entfernt.

Besser, weil dauerhafter, sind die Metallbeizen. Gerbsäurehaltige Hölzer bilden mit diversen Metallsalzen wie z.B. Eisen-, Kobalt- oder Kupfersalzen farbige Komplexe. Fehlt die Gerbsäure im zu behandelnden Holz, ist durch vorheriges Tränken der Hölzer in Lösungen von Tannin, Pyrogallol oder Hydrochinon und anschließende Behandlung mit Metallsalzen durch das sogenannte Doppelbeizen der gleiche Effekt zu erzielen. Die Beizen werden mit einem Pinsel oder Schwamm aufgetragen und quer zur Faserrichtung verrieben. Zur Verbesserung der Beständigkeit sollten Beizen durch einen Klarlack geschützt werden. Holz als Überreste eines ehemals lebenden Organismus ist dem Angriff holzabbauender Mikroorganismen ausgesetzt, wenn nicht entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen werden. Je nach Grad und Art des notwendigen Schutzes werden biozide Agenzien in Lösemitteln in Form von Imprägnierungen oder in filmbildenden Grundierungen bzw. Lasuren gelöst. Im Einzelnen sind dabei fungizide, bakterizide, insektizide oder algizide Wirkstoffe einzusetzen (siehe Kapitel 2.1.4). Im Kampf gegen die das Holz zerstörende Braunfäule oder die Cellulose und Lignin abbauende Weißfäule, beide durch Pilze verursacht, wurden früher als allgemein wirksame Biozide Organometallverbindungen oder halogenierte Phenolkörper wirkungsvoll eingesetzt. Die Gefährdung des Menschen durch die zum Teil hohe Dosierung und die kumulierende Wirkung haben dazu geführt, dass diese Substanzen verschwunden sind und heute durch moderne Holzschutzmittel, die gezielt in den Stoffwechsel der Mikroorganismen eingreifen, substituiert werden konnten (siehe Kapitel 2.1.4 und 5). 4.1.1.4 Veredelung von Holzplatten Der Wunsch, trotz Verknappung und Verteuerung von Edelholzfurnieren den zur Möbelfertigung und anderen Verwendungszwecken ganz allgemein benutzten Spanplatten das Aussehen eines edlen Naturholzes zu verleihen, hat zur Entwicklung des Maserdrucks und anderen Oberflächenveredelungsverfahren geführt. Der Maserdruck gestattet es, Spanplatten, Hartfaserplatten, Papieren und anderen Materialien ein dem natürlichen Holz sehr ähnliches Abbild in jedem beliebigen Farbton aufzudrucken. Vor dem Bedrucken müssen die Platten gut gespachtelt werden, am besten mit Hilfe von gegenläufig glättenden Spachtelmaschinen. Das Bedrucken erfolgt in der Regel BASF-Handbuch Lackiertechnik 463

Lackiertechnologie

Durch Ausnutzen der unterschiedlichen Eigenschaften der Weich- und Kernholzanteile kann durch unterschiedliches Anfärben der Holzcharakter hervorgehoben werden. Dabei sind in Wasser oder Lösemitteln gelöste Farbstoffe, Räucherbeizen bzw. Metallsalz- oder Doppelbeizen zu verwenden. Metallkomplexfarbstoffe werden in Alkoholen als Spiritusbeizen, lösliche anionische Azofarbstoffe in Wasser und herkömmliche Azofarbstoffe in Benzin oder Wachsen als Wachs- oder Glanzbeizen gelöst. Die Metallkomplexfarbstoffe zeichnen sich durch gute Lichtbeständigkeit aus. Die durch das Räuchern mit Ammoniak in geschlossenen Räucherkammern herbeizuführende Bräunung des Kernholzes ist zwar wischfest und optisch attraktiv, aber leider nicht wasser- und lichtecht.

Die Lackiertechnologie

in einem kombinierten Tiefdruck-Offsetverfahren mittels Druckwalzen. Der Aufdruck von Porenbildern mit einer lackabweisenden Druckfarbe führt bei der späteren Beschichtung zu offenporigen Effekten (Synchronporen). Die Druckbilder werden auf fotochemischem Wege erzeugt. Dazu fotografiert man ein möglichst makelloses und gut vorbereitetes Edelfurnier. Das Bild wird in der Walze angepasst, so dass es auf der Walze endlos verläuft und beim Drucken ein sich wiederholendes, an keiner Stelle unterbrochenes Muster entsteht.

Lackiertechnologie

Imprägnierte Papiere sind in der Möbel- und Plattenindustrie ebenfalls im Einsatz. Die Verknappung und Verteuerung echter Furniere hat zu einem verstärkten Einsatz solcher Papierfolien wesentlich beigetragen. Die Folien müssen nach dem Verpressen auf Spanund Holzfaserplatten klarlackiert werden, da sonst der Oberflächenschutz nicht ausreicht. Im Zuge der Vereinfachung des Produktionsablaufes hat sich die Fertigfolie durchgesetzt. Hierbei handelt es sich um imprägnierte oder bedruckte Papierfolien, die beim Folienhersteller mit einer Klarlackierung versehen werden. Der Verarbeiter solcher Folien erhält nach dem Verpressen auf Platten Oberflächen, die keiner Lackierung mehr bedürfen. Endloskanten, die in der Möbel- und Plattenindustrie für die kontinuierliche Kantenbeschichtung als Rollenware eingesetzt werden, erhalten ebenfalls schon beim Folienhersteller die fertige Oberfläche (siehe Kapitel 7.10). Die Herstellung solcher Finishfolien und Endloskanten erfolgt in speziellen Imprägnierbeschichtungsanlagen. Die Ausgangspapiere werden überwiegend mit Harnstoff- und Melaminharzen, daneben aber auch mit Acrylat- und Polyesterharzen getränkt und damit so verfestigt, dass sie bei der späteren Möbelfertigung, d.h. beim Schneiden, Bohren und Fräsen der mit Folien verpressten Platte nicht abspalten oder reißen. Die Trocknung der getränkten Papiere wird in Schwebetrocknern vorgenommen. Die Weiterveredelung der getrockneten Papierfolien zur Herstellung der Finishfolie erfolgt entweder direkt im Anschluss an den Tränkvorgang oder in einem gesonderten Arbeitsgang. Die direkte Kopplung des Tränkvorgangs mit dem Auftrag des Deckstriches unter Einhaltung einer Zwischentrocknung vermeidet Verluste an Zeit und Material, die durch wiederholtes Auf- und Abwickeln entstehen. Das Herstellverfahren für die Produktion von Endloskanten ist dem bei der Fertigfolienproduktion praktizierten Ablauf analog. Die für die Kantenproduktion eingesetzten Papiere müssen gegenüber der Flächenware erheblich schwerer sein, um ein ausreichendes Überbrücken der Spanplattenkante, insbesondere der relativ lockeren Spanplattenmittellage, zu gewährleisten. Je nach gewünschtem Farbton der Kante kommen weiße oder naturfarbene Basispapiere für die Dekorkantenherstellung zur Anwendung. Die Papiere sind, um beim Auftragen des Deckstrichs mit wenig Material und mit einem einzigen Arbeitsgang auszukommen, vom Hersteller einseitig mit glatten Oberflächen ausgestattet (siehe Kapitel 7.10).

4.1.2

Metallische Werkstoffe

4.1.2.1 Eigenschaften von Metallen Trotz der Entwicklung zahlreicher attraktiver Hochleistungskunststoffe werden die meisten Gebrauchsgüter immer noch aus metallischen Werkstoffen gefertigt. An erster Stelle stehen Eisen, Aluminium, Zink und Magnesium sowie deren Legierungen. 464

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Bei diesen Metallen handelt es sich um chemische Elemente, die in der Natur, sieht man von den seltenen Meteoritenfunden ab, nicht vorkommen, da sie als Metalle in einem thermodynamisch instabilen Zustand sind. Sie liegen deshalb als Oxide, Hydroxide, Carbonate oder andere stabile Metallsalze vor.

Metall

Schmelzpunkt

Eisen

1530 °C

Kupfer

1083 °C

Aluminium

658 °C

Magnesium

650 °C

Zink

419 °C

Der Prozess der Oxidation führt zu Oxidschichten, die je nach Art porös oder geschlossen sind. Abbildung 4.1.6: Schmelzpunkte lacktechWährend Zink und Aluminium in bestimmten pH- nisch wichtiger Metalle Bereichen stabile geschlossene Oxidhäute bilden und sich damit gegen einen weiteren Angriff durch Luftsauerstoff passivieren, entstehen bei der Oxidation von Eisen poröse Schichten. Wegen ihrer Durchlässigkeit für Sauerstoff und Wasser besitzen sie keine Schutzwirkung. 232 °C

Da die beschriebenen Metalle als chemische Elemente durch die Natur nicht zur Verfügung gestellt werden, müssen sie künstlich hergestellt und später durch Schutzschichten vor dem Verfall bewahrt werden. Dabei hängen ihre Eigenschaften stark von der Zusammensetzung der Metalle ab. Je nach Reinheitsgrad besitzen sie eine unterschiedlich ausgeprägte Korrosionsanfälligkeit. Die Schmelzpunkte sind durch Kombination verschiedener Metalle in Form von Legierungen zu beeinflussen. Von besonderem Interesse sind die Oberflächeneigenschaften der Metalle, die den Lackierprozess und damit die Qualität der Lackierung beeinflussen. Je nach Art der Herstellung der Werkstücke werden durch Walzen oder Gießen die Oberflächen unterschiedlich chemisch und mechanisch ausgeprägt. Dazu gehören u.a. Walzhäute und die je nach Herstellverfahren unterschiedlichen Rauigkeiten der Werkstoffoberflächen. Dabei können Korrosionsprodukte schon in Spuren die Schutzwirkung von Lackierungen erheblich beeinträchtigen. Es ist deshalb zwingend notwendig, alle Korrosionsprodukte vor der Lackierung vollständig zu entfernen. Nur so ist ein wirksamer Korrosionsschutz zu garantieren. Vorteilhaft für Oberflächenbehandlungen sind die vollständige Unlöslichkeit der Metalle in allen organischen Lösemitteln und die hohen Schmelztemperaturen. Eine Limitierung der Einbrenntemperatur von Beschichtungsstoffen ist durch metallische Werkstoffe in der Regel nicht gegeben. Ausnahmen bilden bestimmte Legierungen wie z.B. Weichlot, deren Schmelzpunkte von ungefähr 180 °C durchaus im Bereich der Einbrenntemperaturen von Industrielacken liegen können. Auch einige Legierungen des Aluminiums sind empfindlich gegenüber solchen Einbrenntemperaturen. Korrosionsschutz durch Beschichtungen als Werterhalt ist gleichzeitig Ressourcenschonung, Energieersparnis und damit Umweltschutz. Es sollten deshalb große Anstrengungen gemacht werden, diese Art der Werkstoffzerstörung noch effektiver zu vermeiden. Aus Schätzungen geht hervor, dass etwa ein Fünftel des hergestellten Stahls durch Korrosion verloren geht. Unter Korrosion versteht man den Angriff auf den Werkstoff durch Reaktion mit der Umgebung und die daraus folgende Änderung der Werkstoffeigenschaften. Der aus dem lateinischen corrodere = zernagen stammende Begriff Korrosion bezieht sich sowohl auf den Vorgang als auch auf den dadurch hervorgerufenen Schaden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 465

Lackiertechnologie

Zinn

Die Lackiertechnologie

Die Ursachen für Korrosion liegen in der Bildung elektrochemischer Potenziale, hervorgerufen durch ungleiche Ladungsverteilungen im Werkstoff. O2 Luft Diese können durch Inhomogenitäten im Werkstoff selbst als LokalWassertropfen O2 O2 H+ + OH– H2O elemente oder in unterschiedlichen Oberflächenzuständen durch äußere OH– Fe2+ Fe++ OH– Einflusse von Sauerstoff begründet sein. Dadurch bilden sich kathodische Kathode Kathode Anode und anodische Bereiche, die bei Anweanodische Reaktion senheit von Wasser und Sauerstoff Eisen Fe → Fe2+ + 2e– durch Elektronenabgabe des Eisens und entsprechende Aufnahme durch Abbildung 4.1.7: Korrosion von Eisen am Beispiel eines Wasser die Korrosionsprodukte lieBelüftungselements fern. Die Höhe dieser Potenzialdifferenz der anodischen und kathodischen Bereiche ist durch die Nernst’sche Gleichung zu quantifizieren. Hierin wird der Zusammenhang zwischen dem Einzelpotenzial φ einer Metallelektrode und der Aktivität der Kationen a in der Lösung erfasst. F stellt die Faraday-Konstante und φ0 das Normalpotenzial dar.

Lackiertechnologie

kathodische Reaktion O2 + 2H2O + 4e– → 4OH–

Einzelheiten über die Bildung von Korrosionsprodukten sollen am Beispiel eines Belüftungselementes erläutert werden. Hierbei wird das Potenzial durch die Konzentrationsdifferenz des in Wasser gelösten Sauerstoffs festgelegt. Während das Eisen im sauerstoffarmen Bereich anodisch in Lösung geht, entstehen im kathodischen Bereich OH-Ionen aus H2O, Sauerstoff und den abgegebenen Elektronen des Eisens. Diese bilden am Rande des Wassertropfens zunächst unlösliches Eisen-(II)Hydroxid. Der in Wasser gelöste Sauerstoff oxidiert dann das Eisen-(II)-Hydroxid zu Eisen-(III)-Oxidhydrat, das sich zu stabilem Hämatit dehydratisiert.

Auf diese Art bilden sich Korrosionsprodukte über die gesamte Fläche des Metalls. Dabei wird der Zutritt des Luftsauerstoffs durch die Korrosionsprodukte zunehmend behindert, so dass die Korrosionsgeschwindigkeit abnimmt. Die für das Auslösen von Korrosion kritische relative Luftfeuchte liegt bei 60 %, so dass es bei geringerer Luftfeuchte und Ausschluss von flüssigem Wasser nicht zur Bildung von Korrosionspro466

BASF-Handbuch Lackiertechnik

dukten kommen kann. In Trockenzonen, wie Wasser z.B. in Wüstengegenden, sind KorrosionsZink (Anode) probleme deshalb kaum bekannt. Zusätzlich spielen Faktoren wie Luftverunreinigungen und der pH-Wert der Umgebung mit eine entFe (Kathode) scheidende Rolle. Luftverunreinigungen, wie z.B. Schwefeldioxid katalysieren die KorroAnodenreaktion: sion in hohem Maße. Auch salzhaltige MeeFe + Zn → Fe + Zn2+ + 2e– resluft oder saure Rußablagerungen können Kathodenreaktion: Kontaktelementbildung und damit die KorO2 + 2H2O + 4e– → 4OH– rosion fördern. Im sauren Bereich verläuft Fe bleibt unverändert, der oxidative Abbau besonders rasch, um mit solange Zink vorhanden ist steigendem pH-Wert langsamer zu werden. Die Korrosion von Eisen verlangsamt sich Abbildung 4.1.8: Zink als kathodischer Schutz von Eisen zwischen pH 4 und pH 10,5 mehr und mehr, um oberhalb von 10,5 praktisch zum Stillstand zu kommen. Ein Tatbestand, der für die Stabilität des Stahls im alkalischen Beton zu beachten ist. Fehlen aufgrund besonders hoher Reinheit im Werkstoff die Lokalelemente, ist auch die Neigung gering, Korrosionsprodukte zu bilden. Anders hingegen sind die Verhältnisse bei den amphoteren Elementen Aluminium und Zink. Im Gegensatz zum Eisen sind sie wegen der Ausbildung einer geschlossenen Oxidschicht im mittleren pH-Bereich passiviert, werden aber im Sauren und Alkalischen aufgrund des Auflösens der Schutzschicht korrosionsanfällig. Sie werden wegen der im Neutralbereich gegebenen Passivierung als metallische Werkstoffe zunehmend eingesetzt, Zink in erster Linie als Überzug für Stahl, Aluminium in zahlreichen Legierungen als einheitlicher Werkstoff. Zink hat sich trotz seines gegenüber Eisen unedleren Charakters als schützender Überzug für Eisen bewährt. Der Schutz ist durch elektrochemische Vorgänge auch dann noch gegeben, wenn die Überzüge zum Teil mechanisch verletzt werden. Zink liefert durch den unedleren Charakter einen Schutz insofern, als die Bildung von Eisenionen bei korrosivem Angriff durch die Elektronenabgabe des Zinks an das Eisen verhindert wird. Das Zink wirkt als Anode und bietet dadurch dem Stahl einen kathodischen Schutz. Die verletzte Stelle füllt sich mit Zinkoxid, dem Weißrost. Das noch intakte Zink schützt mit seiner gesamten Fläche den Stahl vor Korrosion so lange, bis es völlig verbraucht ist. Die zum Schutz des Stahls notwendigen Zinkschichten können auf verschiedene Arten aufgebracht werden. Zu den wichtigen Verfahren zählt die Feuerverzinkung, bei der die Objekte oder auch Coils in ein auf 450 °C erhitztes Zink-Bad getaucht werden. Nachteile dieses Verfahrens bestehen in den sehr hohen Schichtdicken und den beim Abkühlen entstehenden Strukturen, der sogenannte Zinkblume. Durch unterschiedliche Anordnung des kristallinen Gefüges entstehen Ungleichmäßigkeiten, die durch Lackieren nur schwerlich visuell abzudecken sind. Im Hinblick auf die Attraktivität der Beschichtung sind durch Walztechnik modifizierte Feuerverzinkungen (Sendzimir-Verzinkung), Spritzverzinkungen oder elektrochemische Verzinkungen wesentlich geeignetere Verfahren. Bei der Spritzverzinkung im Flammstrahlverfahren wird Zink geschmolzen und als Flüssigkeit mit Pressluft auf die BASF-Handbuch Lackiertechnik 467

Lackiertechnologie

Substrateinfluss

Die Lackiertechnologie Reinheitsgrad

aufgelöste Menge in g/m2/Tag

99,999 %

6

99,990 %

112

99,970 %

6500

99,880 %

36000

Abbildung 4.1.9: Stabilität von Aluminium gegenüber korrosiven Einflüssen in Abhängigkeit vom Reinheitsgrad

Oberfläche geschleudert. Noch gleichmäßigere und gleichzeitig mit 2 bis 10 µm extrem dünne Schichten erhält man bei der galvanischen Verzinkung durch die elektrolytische Abscheidung von Zinksalzen. Zur Verzinkung von Kleinteilen hat sich das Sheradisieren bewährt. Die durch Behandlung mit Säuren gereinigten Objekte werden in drehbaren Trommeln zusammen mit Zink und Sand mehrere Stunden auf 400 °C gehalten.

Lackiertechnologie

Ein anderer Weg zum kathodischen Schutz des Stahls durch Zink wird durch die Applikation von Zinkstaubfarben beschritten. Zinkpulver wird in hoher Konzentration in organischen Filmbildnerlösungen verteilt, so dass sich die einzelnen Zinkteilchen nach dem Auftragen auf den zu schützenden Untergrund und anschließendem Trocknen untereinander berühren. Sie bieten jedoch einen weniger guten Schutz, als er von den geschlossenen Zinkschichten bekannt ist. Für die Verwendung vorbeschichteter Bleche im Coil Coating-Verfahren, die anschließend durch Stanzpressen in Formteile verwandelt werden, waren die einfachen Zinkstaublackierungen wegen des Verschmutzens der Presswerkzeuge zunächst nicht geeignet. Erst durch die zusätzliche Abdeckung mit einer gleitfähig eingestellten Klarlackschicht konnte der Durchbruch für zinkstaublackierte Bleche im Bereich der Bandlackierung erzielt werden (siehe Kapitel 7.4). Ein weiteres häufig für die Produktion von Gütern verwendetes Metall ist das Aluminium. Es ist extrem unedel. Trotzdem besitzt Aluminium aufgrund seiner sauerstoffdichten Oxidhaut gegenüber Luftsauerstoff eine hohe Resistenz. Im sauren und alkalischen Milieu allerdings sind die Oxidschichten wie erwähnt nicht stabil. Gegenüber Chlorid-Ionen bietet die Oxidschicht ebenfalls keinen Schutz, da diese sich unter Bildung von Chloro-Komplexen auflöst. Der Bereich der stabilen Passivierung hängt in hohem Maße von der Reinheit des Metalls ab. Von den zum Teil recht dicken Oxidschichten ist die sauerstoffsperrende Haut direkt auf der Metalloberfläche mit 0,005 µm ausgesprochen dünn. Der Rest ist porös, beeinträchtigt die elektrische Leitfähigkeit und die Haftung von Lackierungen und muss deshalb unbedingt entfernt werden. Zur Förderung der Stabilität von Aluminium werden daher durch elektrochemische Oxidation definierte Oxidhäute, sogenannte Eloxalschichten erzeugt. Aluminium wird wegen seiner niedrigen Dichte von 2,70 g/cm3 und seinen hervorragenden physikalischen Eigenschaften als Werkstoff sehr geschätzt, aber nur selten als Reinmetall eingesetzt. Zur Erhöhung der Formbeständigkeit und der Härte wird der Werkstoff mit Magnesium, Silicium, Kupfer und Zink legiert. Bei der Herstellung der Aluminiumwerkstoffe unterscheidet man entsprechend den Verarbeitungsbedingungen und der Lieferform zwischen Knet- und Gusswerkstoffen. Knetwerkstoffe werden zu Pressbarren vergossen, durch Walzen gezogen und dann zu Bändern aufbereitet, Gusswerkstoffe zur Herstellung von Druck-, Kokillen- oder Sandguss verarbeitet. Beim Legieren des Aluminiums fördert Magnesium die Festigkeit und die Korrosionsbeständigkeit. Silicium setzt den thermischen Ausdehnungskoeffizienten herab und 468

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

erniedrigt die Dichte. Andere Legierungsmetalle wie Kupfer und Zink steigern die Festigkeit. Je nach Ansprüchen werden deshalb entweder Aluminium/Zink/Magnesium/Kupfer- oder Aluminium/Silicium-Legierungen erfolgreich eingesetzt. Die Zusammensetzungen und die Bezeichnung wichtiger Legierungen sind in DIN EN 576 und DIN EN 573-1 und -4 festgelegt.

In den letzten Jahren haben sich vornehmlich im Automobilbau auch magnesiumhaltige Werkstoffe ergänzend etablieren können. Magnesium ist ähnlich dem Aluminium selbstpassivierend, aber auch gegenüber niedrigen und hohen pH-Werten sowie dem Einfluss von Chlorid- und ähnlichen Ionen nicht stabil. Als Reinsubstanz ist es zwar hervorragend verformbar, wird aber wegen zu geringer Härte als Werkstoff häufig nicht allen Ansprüchen gerecht. Es muss, wie das Aluminium, mit anderen Metallen legiert werden. Im Vergleich zu Aluminium mit nur 1/3 der Dichte des Stahls ist Magnesium mit weniger als 1/4 bezüglich der Möglichkeit zur Gewichtsreduzierung ein noch günstigerer Werkstoff, sofern man eine zum Stahl gleiche Festigkeit erreicht. Der Einsatz von Magnesium mit einer Menge von 5 kg/Karosserie ist im Automobilbau noch bescheiden, während Aluminium heute bereits 100 kg pro Karosserie ausmacht. Der gesteigerte Einsatz des Magnesiums hängt auch von seiner Lackierbarkeit ab. Die in der letzten Zeit neu entwickelten eisen-, kupfer- oder nickelarmen bzw. -freien Legierungen zeichnen sich durch eine verbesserte Korrosionsstabilität aus, so dass mit einer Steigerung des Magnesiumanteils als Werkstoff in der Zukunft zu rechnen ist. Die spezifischen Eigenschaften der einzelnen metallischen Werkstoffe haben dazu geführt, dass zur Erfüllung des breiten Anforderungsprofils an Gebrauchsgegenstände häufig mehrere unterschiedliche Metalle miteinander kombiniert werden. Dabei ist zu beachten, dass sich bei leitfähiger Verknüpfung verschiedener Metalle Lokalelemente bilden, die durch Kontaktkorrosion den oxidativen Abbau erheblich beschleunigen. In der metallverarbeitenden Industrie, wie z.B. im Pkw-, Omnibus- oder Lkw-Bau werden verzinkte Teile häufig mit Aluminium- und Stahlteilen kombiniert. Bei einer solchen Gemischtbauweise ist die Voraussetzung für einen dauerhaften Korrosionsschutz nur dann konstruktiv gegeben, wenn die unterschiedlichen Metalle durch Nichtleiter voneinander getrennt werden. Im Falle einer nicht vermeidbaren Berührung sollten die unedleren anodischen Bereiche gegenüber den kathodischen möglichst klein sein, da die Korrosionsstromdichte von den Größenverhältnissen der kontaktierenden Teile abhängt. Für die Praxis folgt daraus, dass Stahlbleche niemals mit Aluminiumschrauben befestigt werden sollten. 4.1.2.2 Vom Werkstoff zum Werkstück Neben den chemischen Eigenarten des Werkstoffes beeinflusst auch die Oberflächenstruktur des Werkstücks die optischen und funktionellen Eigenschaften der später aufzubringenden Lackierung. Bedingt durch die Fertigung des Werkstoffs und die Ansprüche BASF-Handbuch Lackiertechnik 469

Lackiertechnologie

Zur Herstellung von Aluminiumbändern und -blechen werden zunächst Aluminiumbarren gegossen, die bei 400 bis 500 °C anschließend auf eine bestimmte Zwischendicke und danach auf die gewünschte Enddicke kalt fertig gewalzt werden. Wie auch beim gewalzten Stahl können sich durch thermisches Entfernen von Ziehfetten Crackprodukte in Form von Kohlenstoff unter Beeinträchtigung der Korrosionsfestigkeit in der Grenzfläche anreichern.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Automobilhersteller 1

Rt = 2,25 µm W = 4,25 µm

Automobilhersteller 2

Rt = 6,0 µm W = 11,5 µm

Automobilhersteller 3

Rt = 4,0 µm W = 9,5 µm

Rt = Rautiefe

W = Welligkeit

Abbildung 4.1.10: Rauigkeitsprofile von Karosserieblechen

Ra Lack [µm] 2,500 2,300

EC Ra x 1 = Mittenrautiefe

2,100 1,900 1,700 1,500

Füller Ra x 4 = Mittenrautiefe 4-fach überhöht

1,300

Decklack Ra x 8 = Mittenrautiefe 8-fach überhöht

1,100 0,900 0,700 0,500 0,300 0,100 0,000 0,00

0,50

1,00 1,50 Ra Blech

2,00

2,50 [µm]

Abbildung 4.1.11: Korrelation der Mittenrautiefe vom Substrat und einem Mehrschichtaufbau

470

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

an die Verformbarkeit besitzen diese eine mehr oder weniger starke Struktur. Hinzu kommen Veränderungen der Oberflächenrauigkeit während des vorgeschalteten Reinigungsprozesses durch Bürsten, Schleifen oder Strahlen mit Sand oder Stahlsplitt. So besitzen z.B. beim Stahl Gussteile und durch Strahlen oberflächenbehandelte Bleche mit Rauigkeiten von 15 bis 30 µm überaus raue Oberflächen (siehe Kapitel 3.2.4). Karosseriebleche hingegen besitzen in Abhängigkeit vom Grad der notwendigen Verformung in den Stanzpressen Rautiefen von nur wenigen Mikrometern. Da die optische Attraktivität und die Schutzwirkung der später aufzutragenden Beschichtung von der Abstimmung zwischen der Oberflächenstruktur, dem Lacksystem und dem Applikationsverfahren abhängen, müssen Mittenrautiefe Ra und Höhendifferenz der höchsten und tiefsten Spitzen Rt gemessen und bei der Spezifizierung des Substrats berücksichtigt werden. Mit wachsender Untergrundrauigkeit steigt auch die Rautiefe der Beschichtung. Dabei bleibt der Untergrundeinfluss auch beim Auftrag mehrerer Schichten bis in den Bereich der Decklackierung erhalten.

Aufgrund der sich mehr oder weniger schnell bildenden Oxidschichten werden metallisch blanke Bleche sofort nach ihrer Fertigung für den temporären Korrosionsschutz mit Korrosionsschutzölen überzogen. Je nach Art der zu lackierenden metallischen Objekte sind deshalb unterschiedliche Reinigungs- und Vorbehandlungsmaßnahmen dem eigentlichen Lackierprozess vorzuschalten. Dabei sind herstellbedingte Verunreinigungen wie Walzhäute, Zunder und Oxidschichten oder Korrosionsschutzöle aus dem Herstellprozess von Stahlbändern und Ziehfetten aus dem Verformungsprozess beim Rohbau der Objekte zu beseitigen. In vielen Fällen wird durch Bürsten, Schleifen oder Strahlen mechanisch gereinigt. Organische Verunreinigungen technischer Oberflächen müssen in jedem Fall durch Lösemittel oder tensidhaltige wässrige Agenzien entfernt werden. Im Unterschied zu diesen physikalischen Methoden ist es zweckmäßig, eine chemische Vorbehandlung durch Beizen oder bei einer hohen Beanspruchung der Beschichtung eine schichtbildende Vorbehandlung dem eigentlichen Lackierprozess vorzuschalten. Durch Phosphatieren oder Chromatieren werden die Struktur und die Leitfähigkeit der Oberfläche und damit der Korrosionsschutz in mehrfacher Hinsicht optimiert. Am meisten trägt die verbesserte Haftung der organischen Korrosionsschutzbeschichtung zum Substrat dazu bei [4.4.4]. Physikalische Methoden Mechanische Reinigungsprozesse besitzen die Eigenart, mit der Beseitigung von Verunreinigungen neue Oberflächen mit verändertem Rauigkeitsprofil zu schaffen. Bürsten und Schleifen sind Reinigungstechniken, die durch oszillierende oder rotierende Bewegungen von Schleifkörpern Korrosionsprodukte, Verunreinigungen oder Altlackierungen abtragen. Dabei ist nicht zu verhindern, dass auch Anteile des metallischen Substrates entfernt werden. Je nach Abbildung 4.1.12: Bürsten als mechanische Reinigungstechnik für Art des Schleifmittels und der Metalloberflächen BASF-Handbuch Lackiertechnik 471

Lackiertechnologie

4.1.2.3 Vorbehandlungen

Die Lackiertechnologie

Bürstenkonstruktion sowie der Höhe des Andrucks werden mehr oder weniger starke Veränderungen des Rauigkeitsprofil herbeigeführt. Zum Vorbehandeln stark strukturierter Oberflächen sind nur horizontal arbeitende Schleifgeräte weniger geeignet. Rotierende Bürsten, die neben der horizontalen Bewegungen senkrecht oszillieren, erfüllen den Zweck der Reinigung wesentlich besser.

Lackiertechnologie

Für die mechanische Entrostung und Reinigung gibt es auch eine Reihe von elektrisch oder mit Pressluft angetriebenen Schleifgeräten, die ebenfalls mit rotierenden oder vibrierenden Scheiben nass oder trocken arbeiten. Als Schleifmittel werden mit Siliciumkarbid oder Korund beschichtete Kunststoffvliese verwendet. Eine wirksame Methode, metallische Oberflächen von allen Verunreinigungen wie Rost, Walzhaut und alten Anstrichen zu befreien, ist das Strahlen. Das Verfahrensprinzip besteht darin, scharfkantigen Quarzsand, Korund (Al2O3), Glasperlen oder Stahlkies verschiedener Größe mit einem Gebläse unter Druck auf die zu reinigende Fläche aufprallen zu lassen. Die Oberfläche wird durch die mit hoher kinetischer Energie aufschlagenden Teilchen teilweise mit abgetragen. Dadurch wird gleichzeitig eine Aufrauung herbeigeführt, die die Haftung der aufzutragenden Lackierung steigert. Wird die Rauigkeit jedoch zu hoch, können Spitzen des Substrats aus der Lackierung ragen und dadurch Schwachstellen für den Korrosionsschutz in der Lackierung darstellen. Weiche Metalle eignen sich deshalb nicht für das Sandstrahlen. Aufgrund des teilweisen Abtragens des metallischen Untergrundes werden die Strahlmittel mit Metallpartikeln kontaminiert. Bei der Bearbeitung unterschiedlicher metallischer Werkstoffe können so Metallspuren aus dem Strahlmittel auf die Oberfläche übertragen werden. Die Folge ist die Ausbildung von Lokalelementen, verbunden mit zunehmender Korrosionsanfälligkeit. Letzteres gilt besonders dann, wenn als Strahlmittel Stahlkies anderer chemischer Zusammensetzung verwendet wird. Derartige Probleme treten dann nicht auf, wenn Strahlmittel und Substrat chemisch identisch sind. Völlig problemlos im Hinblick auf Kontaktkorrosion und zusätzlich auch ohne Abtragen von Metallen arbeitet das Cryo-Clean-Verfahren. Hierbei wird als Strahlmittel festes Kohlendioxid bei weniger als –78 °C eingesetzt. In Ergänzung zur mechanischen Wirkung tritt eine Abkühlung des Objektes ein. Versprödungen und Bildung von Rissen in der abzutrennenden Schicht mit teilweiser Enthaftung der Oberflächenbelegung sind die Folge. In die Risse eindringendes und dann verdampfendes CO2 sprengt die Verunreinigungen ab, ohne die metallische Oberfläche anzugreifen. Außerdem fallen keine Abfälle durch Strahlmittel an [4.4.5]. U.a. sind Brücken oder Stahlbauwerke geeignete Objekte für dieses Verfahren. Der so behandelte Untergrund bildet eine ausgezeichnete Basis für die nachfolgende Beschichtung. Auch die allgemeine und die Automobilindustrie bedienen sich des Sand- bzw. Stahlkiesstrahlens, wenn auf Guss und anderen Grobstahlteilen lackier- oder phosphatierfähige Oberflächen zu erzeugen sind. Die Teile müssen allerdings vor dem Strahlen einer gründlichen Reinigung und Entfettung unterzogen werden, da sonst das Strahlen den Schmutz in den Untergrund pressen würde. Für eine noch bessere Reinigung eignen sich Dampf- und Nassstrahlverfahren unter zusätzlicher Verwendung von Tonerde- oder Siliciumkarbid-Partikeln, Bimsmehl oder Glasperlen. Diese sind vorher dem Wasser zuzumischen und mit Dampf oder unter 472

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss Anwendung

Parameter

Verfahrenskenndaten WerkstoffÄnderung der abtrag Rautiefe Rt für Stahl nach 40 s vorher nachher

Nassstrahlen mit Al2O3

Rost entfernen von Oberflächen, Vorbereiten für Lackieren mit geringem Metallabrieb

Strahlenmittel: Al2O3 d = 90–150 µm/H2O Druck: 300–600 kPa

2 µm

3,0

5,5

Nassstrahlen mit Glasperlen

Entfernen dünner Fremdschichten, Reinigen und Glätten bei geringstem Metallabrieb

Strahlenmittel: Glas d = 150–200 µm/H2O Druck: 300–600 kPa

2 µm

0,9

1,7

Trockenstrahlen mit Al2O3

Entfernen von Korrosionsprodukten, Aufrauen für nachträgliche Lackierung

Strahlenmittel: Al2O3 d = 50–150 µm Druck: 50–600 kPa

≈ 50 µm

4,5

7,5

Trockenstrahlen mit Stahlkies

Entfernen starker Zunderschichten und Altlackierungen mit deutlichem Metallabrieb

Strahlenmittel: kantiger Stahlkies d = 600–1000 µm Druck: 200–300 kPa

≈ 25 µm

3,5

8,5 Lackiertechnologie

Verfahren

Abbildung 4.1.13: Anwendungsziele und Verfahrenskenndaten der einzelnen Strahlverfahren

Hochdruck stehendem Wasser auf das Werkstück zu schleudern. Wegen der hohen Effektivität des mechanischen Strahlens wird dieses Verfahren vornehmlich bei fest anhaftendem Zunder und fest haftenden Altlackierungen eingesetzt. In der Praxis arbeiten die Maschinen mit verschiedenen Prinzipien der Teilchenbeschleunigung. Neben Schleuderradanlagen werden Druckluftanlagen verwendet. Bei den Schleuderradanlagen wird das Strahlmittel durch Wurfschaufeln, bei den Druckanlagen durch Druckluft beschleunigt. Diese Anlagen führen zu Strahlmittelbelastungen in der Umgebung. Werden sie mit einem zusätzlichen Saugkopf zum Auffangen des Strahlgutes ausgerüstet, mindert sich Belastung der Umgebung bei gleichzeitigem Wiedereinsatz des Strahlmittels. Da der Saugkopf dicht mit der Oberfläche des Werkstücks abschließen muss, sind Saugkopfanlagen bei kompliziert geformten Teilen nicht effektiv zu verwenden.

ohne

mit

Strahlmittel und Druckluft

zentraler Strahlmittel-Zufuhr

Absaugung Dichtung

Schleuderradanlage

Druckluftanlage

Saugkopf

Abbildung 4.1.14: Anlagen für Strahlreinigung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 473

Die Lackiertechnologie

Es hat nicht an Versuchen gemangelt, die durch Strahlen erzeugte, metallisch blanke Fläche sofort gegen Korrosion zu schützen. Mit lackgetränkten Strahlmitteln oder nach dem Gritcote-Verfahren durch gleichzeitiges Versprühen einer Grundierung wird das Objekt schon während der Reinigung mit einer organische Lackschicht versiegelt.

Lackiertechnologie

In einem Arbeitsgang lassen sich Rost, alle Verunreinigungen und selbst alte Anstriche durch Flammstrahlgebläse entfernen. Mit Hilfe einer heißen, reduzierend eingestellten Acetylen-Sauerstoff-Flamme lassen sich bei richtiger Handhabung metallisch blanke Oberflächen erzeugen, die anschließend im noch warmen und mit hoher Sicherheit trockenen Zustand mit einer Grundierung versehen werden können. Die physikalische Reinigung mit flüssigen Agenzien dient der Entfernung von Oberflächenschmutz und organischen, künstlich aufgebrachten Korrosionsschutzölen sowie Ziehfetten. Moderne Lösungen wässriger Reiniger enthalten Tenside, sogenannte „Builder“ und Abbildung 4.1.15: Wirkungsweise der Tenside Komplexbildner. Als Tenside finden neben wässriger Reinigungsmittel den klassischen anionischen Typen auf Basis von Carboxylaten und Schwefelsäureestern auch Sulfonate Anwendung. Von zunehmender Bedeutung sind kationische und nichtionische Produkte (siehe Kapitel 2.1.4). Sie haben die Aufgabe, die hydrophoben Öle zu benetzen und zu emulgieren. Entsprechend ihrem chemischen Aufbau sind Tenside entweder alkalisch, sauer oder neutral. Alkalische Reiniger besitzen pH-Werte zwischen 9 und 12. Sie sind besonders aktiv und initiieren in Verbindung mit Phosphaten einen zusätzlichen Beizangriff bei der Reinigung von Aluminium. Die sauren Reiniger enthalten neben Tensiden auch saure Phosphate, so dass auch beim Beizangriff von Stahl zusätzlich eine dünne Phosphatschicht entsteht. Die mildesten Reiniger sind die zwischen pH-Werten von 4 bis 10 angesiedelten Neutralreiniger. Sie sind deshalb zur physikalischen Reinigung von Stahl, Aluminium und Zink in gleicher Weise geeignet. Alle Tenside besitzen einen polaren und damit hydrophilen und einen unpolaren hydrophoben Teil. Sie verbinden also die wässrige Phase mit der Oberfläche der unpolaren Fette und Öle und fördern bei entsprechender künstlicher Bewegung der Flüssigkeit die Emulgierung. Tenside und Builder umhüllen also Schmutz- und Ölpartikeln und stabilisieren sie durch die Bildung abstoßender Kräfte. „Builder“ sind anorganische Verbindungen, die den Tensiden bei der Emulgierung der zu entfernenden Fette helfen. Sie sind so stark alkalisch, dass sie den Verseifungsprozess der Fette und Öle fördern und damit ihre Emulgierbarkeit verbessern. Ihre Verwendung 474

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Klassifizierung

ph-Wert

Inhaltsstoffe

Anwendungsbereich

stark alkalisch

10,5–13

• Alkalien • Silikate • Phosphate • Komplexbildner • Tenside

• Stahl • starke Verschmutzung • hohe Reinigungsanforerungen

• Phosphate • Borate • Carbonate • Aktivierungsmittel

• Stahl, Zink, Aluminium und Legierungen • hohe Reinigungsanforderungen (Spritzapplikation)

• Tenside • Korrosionsinhibitoren • Phosphate • Lösungsvermittler

• Stahl und Zink • Vorreinigung und Korrosionsschutz

• saure Alkaliphosphate • Tenside • Beschleuniger

• Reinigen und Phosphatieren von Stahl und Zink • Reinigen von Aluminium

schwach alkalisch

neutral

schwach sauer

8–10

7–9,5

3,5–5,5

Abbildung 4.1.16: Zusammensetzung und Anwendungsbereiche wässriger Reiniger

ist allerdings auf Stahl beschränkt. Aluminium und Zink als amphotere Elemente werden dadurch zu stark angegriffen. Phosphate, Borate oder Carbonate sind dann zweckmäßiger. Um die Wirkung von anionischen Tensiden nicht zu beeinträchtigen, müssen Komplexbildner die störenden Kationen des Calciums und Magnesiums inaktivieren. Der Grad und die Geschwindigkeit der Reinigung hängen neben der geeigneten Auswahl der Tenside, der Komplexbildner und der „Builder“ auch von der Temperatur, der Dauer und der Umwälzung der Reinigerlösung ab. Aufgrund der hohen Salzkonzentration sind mit wässrigen Reinigern behandelte Oberflächen anschließend intensiv mit vollentsalztem Wasser zu spülen. Dabei haben Spülzonen im Spritzverfahren Vorteile im Hinblick auf die Geschwindigkeit der Emulgierung. Sind jedoch Hohlräume kompliziert geformter Teile zu schützen, sind diese dem langsameren Tauchverfahren zu unterziehen. Bei kleineren Anlagen kann Ultraschall beschleunigend wirken. Umwelt- und Arbeitsschutzgesetze haben die Palette erlaubter Lösemittel und damit die Bedeutung der Lösemittelentfettung erheblich eingeschränkt. Die früher erfolgreich für Entfettungsaufgaben eingesetzten Chlorkohlenwasserstoffe, wie 1,1,1-Trichlorethan, Trichlorethylen oder Perchlorethylen dürfen entweder gar nicht oder nur in emissionsfreien, völlig gekapselten Anlagen mit besonderen Auflagen eingesetzt werden. Sie sind in Lackierprozessen stark rückläufig und werden deshalb nicht näher beschrieben. Noch gebräuchlich, allerdings nur unter strengen arbeitshygienischen und umweltgerechten Bedingungen, werden wegen ihrer Wirtschaftlichkeit auch Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Ketone, Ester und Glykolether wie z.B. Methoxipropanol (PM) und Dipropylenglykolmonomethylether (DPM) verwendet. Kohlenwasserstoffe sind in ihrem Lösevermögen abhängig vom Aromatengehalt. Wegen der gegenüber aromatischen Kohlenwasserstoffen verbundenen Restriktionen werden aromatenarme bzw. aromatenfreie Kohlenwasserstoffe mit Estern oder Ethern zur Erhöhung des Lösevermögens verschnitten (siehe Kapitel 2.1.2). BASF-Handbuch Lackiertechnik 475

Lackiertechnologie

Substrateinfluss

Die Lackiertechnologie

Abluft Absorber

Schleuse

Schleuse Kühlschlange Tauchreinigen

Dampfentfetten

Lackiertechnologie

Abbildung 4.1.17: Schema einer Anlage für die kombinierte Tauchund Dampfentfettung

Kohlenwasserstoffe mit engen Siedebereichen verhindern, dass hochsiedende Reste auf den zu reinigenden Objekten verbleiben. Von den sauerstoffhaltigen Reinigungsmitteln sind neben den erwähnten Alkoxipropanolen auch Ester der Milch- oder Bernsteinsäure von zunehmendem Interesse. Beide Stoffklassen besitzen höhere Flammpunkte und zeigen ein gutes Lösevermögen für Öle und Fette.

Aus umwelttechnischen und wirtschaftlichen Gründen werden die Lösemittel während des Reinigens im Kreislauf geführt. Dabei ist es wichtig, dass keine Schmutzanteile auf den Oberflächen verbleiben. Deshalb müssen die Lösemittel, bevor sie wieder eingesetzt werden, periodisch durch Destillation wieder aufgearbeitet werden. Im Unterschied zu den wässrigen Reinigern werden organische Lösemittel in der Regel in Tauchanlagen verwendet. Die einzelnen Teilanlagen sind durch Kabinen zu kapseln und mit Schleusen zu versehen. Spritzverfahren sind wegen der Explosionsgefahr nur unter Verwendung von Inertgas zu betreiben und deshalb nur noch selten anzutreffen. Der Reinigungsprozess von metallischen Rohbauteilen wird dadurch erschwert, dass in der Oberfläche während des Verformens in den Stanzpressen Mikrorisse entstehen können, in die durch die hohen Stanzdrucke Ziehfette gepresst werden. Hinzu kommt, dass Korrosionsschutzöle, sofern sie Kohlenstoff-Doppelbindungen enthalten, bei längerer Lagerung verharzen, wodurch eine Entfettung erschwert wird. Chemische Vorbehandlung Bei den chemischen Vorbehandlungen ist in nichtschichtbildende und schichtbildende Verfahren zu unterscheiden. Zur ersten Gruppe gehört das bereits vorgestellte Flammstrahlen als Methode der thermischen Reduktion von Oxiden und das Beizen von Metalloberflächen mit Säuren und Laugen. Zur zweiten Gruppe zählen die Verfahren, die anorganische Konversionsschichten bilden. Im einzelnen ist dabei an die vielfältigen Methoden des Phosphatierens, Chromatierens und die Konversionsverfahren auf Basis von Titan- und Zirkonverbindungen gedacht. Beizmittel sind in Wasser gelöste Wirksubstanzen, die das Oxid und den Werkstoff von der Oberfläche her chemisch angreifen, um dadurch Verunreinigungen und Oxide abzutragen oder in Lösung zu bringen. Je nach dem zu reinigenden Werkstoff sind Beizlösungen sauer oder alkalisch. Bewährte Säuren für die Reinigung von Metallen sind Schwefelsäure, Salzsäure und Phosphorsäure. Für die alkalische Reinigung amphoterer Werkstoffe wie z.B. Aluminium hat sich Natronlauge in Beizbädern bewährt. Zur Beizbehandlung werden die Lackierobjekte in die wässrigen Lösungen der Säuren oder Laugen getaucht. Die Bäder werden zur Beschleunigung des Beizprozesses mit Ausnahme von salzsauren Lösungen auf 65 bis 80 °C erwärmt. Die durch den Beizangriff hervorgerufene Wasserstoffbildung und die damit verbundene 476

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Versprödung des Metalls kann durch organische Inhibitoren, wie Chinolin, Thioaldehyde oder Pyridin beherrscht werden.

Voraussetzung für eine geschlossene anorganische Konversionsschicht ist eine einwandfreie Vorreinigung und vollständige Entfernung aller oxidischen und organischen Rückstände.

Lackiertechnologie

Nach der Reinigung und vor der Lackierung werden insbesondere bei hohen Ansprüchen an den Korrosionsschutz die schichtbildenden Phosphatierund Chromatierverfahren zwischengeschaltet. Solche Verfahren werden bereits seit vielen Jahrzehnten mit großem Erfolg eingesetzt. Schon vor 1930 waren Phosphatierungen zur Verbesserung des Korrosionsschutzes unter der Bezeichnung Parker-, Bonder- oder Granodine-Verfahren bekannt. Die damals nur sehr langsam ablaufenden chemischen Prozesse konnten durch Katalysatoren und Optimierungen beschleunigt und auch in ihrer Qualität verbessert werden.

Abbildung 4.1.18: Elektronenmikroskopische Aufnahmen von entfetteten und phosphatierten Oberflächen von Karosseriestählen

Die einfachste Methode zur Ausbildung einer Schutzschicht von Stahl besteht in der Erzeugung einer Eisenphosphatschicht. Hierzu werden die Objekte nach entsprechender Vorreinigung im Spritzoder Tauchverfahren mit einer sauren Natriumphosphatlösung behandelt. Dabei bildet sich in einer Beizreaktion unter Entstehung von Wasserstoff zunächst saures Eisenhydrogenphosphat, das danach mit Luftsauerstoff in unlösliches, neutrales Eisenphosphat überführt wird.

Die sich bildende Schicht ist mit einem Schichtgewicht von 0,3 bis 1 g/m2 oder weniger als 1 µm Schichtdicke außerordentlich dünn und damit vorteilhaft bei schlagelastischer Beanspruchung. BASF-Handbuch Lackiertechnik 477

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

Wegen der Bildung von Eisenphosphat spricht man bei dieser Art von Konversionsschicht von Eisenphosphatierung. Der Begriff Alkaliphosphatierung wird wegen des sauren Alkaliphosphats als Wirksubstanz auch synonym benutzt. Irreführend jedoch ist die Bezeichnung „nichtschichtbildende Phosphatierung“, da nachweislich messbare Schichtdicken erzeugt werden. Hintergrund dieser verwirrenden Formulierung sind die gegenüber anderen Phosphatierverfahren erheblich dünneren Schichten und der Tatbestand, dass ein Teil der Schicht aus dem Substrat stammt. Der Korrosionsschutz wird mit Hilfe anderer, aufwendiger durchzuführender und wegen höheren Materialverbrauches teurerer Zinkphosphatierungen deutlich übertroffen. Aufgrund der notwendigen Anpassung der Phosphatierlösungen an die verschiedenen Substrate, Substratgemische und Mischbauweisen existieren bei der Zinkphosphatierung heute zahlreiche Varianten. Nach einer vorgeschalteten Entfettung erfolgt je nach Objekt und Anspruch die Zinkphosphatierung im Spritz- oder Tauchverfahren. Im Pkw-Sektor haben sich aus Gründen des verbesserten Korrosionsschutzes für die Hohlräume kombinierte Spritz- und Tauchverfahren bewährt (siehe Kapitel 7.1). Das Phosphatierbad besteht aus einer wässrigen Lösung von Phosphorsäure, sauren Zinkphosphaten und speziellen Zusatzmitteln. Im Gleichgewicht liegt ein festes Mengenverhältnis zwischen wasserlöslichen Hydrogenphosphaten des Zinks und unlöslichem tertiären Zinkphosphat vor.

Während des Phosphatierens wird Phosphorsäure verbraucht und damit das Gleichgewicht in obiger Gleichung nach rechts verschoben. Tertiäres Zinkphosphat fällt verstärkt an und schlägt sich als feinkristalline Schutzschicht auf dem Metall nieder, das durch den vorausgegangenen Säureangriff metallisch blank gebeizt und angeraut wurde. Leider wirkt das durch den Beizangriff gebildete Wasserstoffgas inhibierend auf die Ausbildung der Phophatschicht.

Zur Beseitigung des Wasserstoffs werden Natriumnitrat und -nitrit, aber auch Wasserstoffperoxid oder Hydroxylamine als sogenannte Beschleuniger der Phosphatierlösung zugesetzt. Diese oxidieren das Eisen zu dreiwertigen Eisenionen bei gleichzeitiger Bildung von Wasser. Die Beschleuniger werden auch in Kombination angewandt. Dadurch lassen sich innerhalb von 60 bis 180 s feinkristalline dichte Phosphatschichten mit Schichtgewichten von 1 bis 3 g/m2 erzeugen. Ohne beschleunigende Zusätze wären die Phosphatierzeiten 30 bis 60 Min. bei Badtemperaturen von 90 bis 95 °C erheblich länger.

Die sich in der Phosphatierlösung befindenden Eisen-(III)-Ionen setzen sich mit Phosphationen zu schwer löslichem Eisenphosphat um. Die Entfernung erfolgt durch Sedimentation. Das Ausfällen der Eisenionen ist notwendig, da hohe Mengen von Eisenionen die Zinkphosphatschicht durch Mischkristallbildung in ihren korrosionsschützenden Eigenschaften beeinträchtigen würde. 478

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Neben reinen Zinkphosphatschichten bewähren sich in zunehmendem Maße auch Phosphatierungen mit mehreren Kationen. Zink-Calcium- oder Zink-Mangan-Phosphate sind als Beispiele zu nennen. Die mikrokristallinen, fest verankerten Mischkristalle bieten einen ausgezeichneten Korrosionsschutz. Speziell für die kathodische Elektrotauchlackierung sind auch sogenannte Niedrig-Zinkphosphatierungen entwickelt worden. Die Bäder haben einen hohen Phosphorsäuregehalt. Dadurch können durch Beizreaktion gebildete Eisenionen gezielt in die Phosphatschicht eingebaut werden.

Lackiertechnologie

Der so entstehende Phosphophyllit zeigt in Verbindung mit kathodisch abgeschiedenen Grundierungen einen guten Korrosionsschutz. Außerdem werden bei Gemischtbauweise von Stahl und Zink durch den stärkeren Beizangriff des NiedrigZink-Verfahrens beide Werkstoffe in gleicher Weise nebeneinander geschützt. Während sich auf Stahl der eisenhaltige Phosphophyllit bildet, scheidet sich auf dem Zink tertiäres Zinkphosphat als Hopeit ab.

Zur weiteren Verbesserung des Korrosionsschutzes wurde das phosphophyllitbildende Niedrigzinkverfahren modifiziert. Zusätze von Mangan- oder Nickelionen werden analog der Zink-Calcium-Phosphatierung in die Phosphatschicht eingebaut. Die Gleichmäßigkeit der Schichtbildung wird durch Vorbehandlung mit TitanphosphatDispersionen gefördert. Die Manganionen unterstützen den Beizangriff und tragen deshalb zur Gleichmäßigkeit der Schichtausbildung bei. Die Nickelanteile verlieren wegen physiologischer Bedenklichkeit ihre Bedeutung. Neben Stahl und Zink spielt Aluminium als Werkstoff eine wichtige Rolle. Wird Aluminium als alleiniger Werkstoff eingesetzt, sind Chromatierungen als Vorbehandlung die üblichen Verfahren (siehe weiter). Soll jedoch auf Aluminium eine Phosphatierung erzeugt werden, versagen wegen zu starken Beizangriffes und der Bildung löslicher Aluminiumionen die klassischen Methoden. Um die störenden Einflüsse der löslichen Aluminiumionen auf die Gleichgewichtsreaktion zu beseitigen, müssen diese durch Natriumfluorid zu Kryolith komplexiert werden. Silikate sorgen als Inhibitoren für einen moderaten Beizangriff. Auf diese Weise gelingt es, bei gleichzeitiger Verwendung von Stahl, Zink und Aluminium eine gleichmäßige Konversionsschicht zu erzeugen [4.4.6]. Die Qualität der Phosphatierung hängt auch von der Größe und Form der am Untergrund fest verankerten Kristalle ab. Grob kristalline Schichten beeinträchtigen wegen ihrer porigen Struktur nicht nur den Korrosionsschutz, sie wirken sich auch negativ auf den Decklackstand aus. Aktivatoren beeinflussen die Feinheit und damit die Geschlossenheit des Kristallgefüges. Bereits erwähnt wurde auch die positive Wirkung von Manganionen und Titanaktivatoren. BASF-Handbuch Lackiertechnik 479

Die Lackiertechnologie

Motorhaube – roh f (x) [µm] 8 4 2 0 –2 –4 –8 0

1

Lackiertechnologie

Motorhaube – phosphatiert f (x) [µm]

2 3 Gemessenes Profil

4

5 x [mm]

2

4

5 x [mm]

8 4 2 0 –2 –4 –8 0

1

3

Abbildung 4.1.19: Veränderungen im Rauigkeitsprofil von Stahloberflächen durch die Phosphatierung

Zur Verbesserung der Qualität von Phosphatierungen ist es möglich, mit Hilfe von Nachspüllösungen eine die Passivierung verstärkende Verdichtung der Schicht herbeizuführen. Die in der Vergangenheit bewährte Behandlung mit Chromsäure ist aus Gründen der Wassergefährdung und der durch Tierversuche nachgewiesenen Karzinogenität von Chrom-(VI)-Ionen durch Alternativen abgelöst worden. Als besonders effektiv haben sich dabei das Zirkonfluorid und Titanate gezeigt. Auch Polyphosphate verschließen die noch freie Stahloberfläche in den Poren und verhindern deshalb die Bildung von Mikrolokalelementen [4.4.7]. Die Korrosionsgeschwindigkeit an verletzten Stellen oder Poren ist auch eine Funktion der Löslichkeit der inhibierend wirkenden Kationen. Speziell in der alkalischen Umgebung der kathodisch wirkenden Bereiche nimmt mit Zunahme der Menge an Manganionen die OH-Ionenkonzentration ab und damit auch das Fortschreiten der Korrosion. Erwähnenswert ist auch der Einfluss der Oberflächenstruktur des metallischen Substrats auf die Gleichmäßigkeit der Phosphatierung. Rauigkeitsprofile der Walzwerkbleche für den Automobilbau werden deshalb entsprechend ausgewählt oder durch Nachbehandlung mit definiert abtragenden Laserstrahlen gezielt erzeugt. Dieses Profil wird durch die Phosphatierung deutlich verändert. Ein Beispiel zeigt die Abbildung 4.1.19. Das Rauigkeitsprofil nimmt gegenüber dem unbehandelten Blech zwar nicht in der Tiefe, wohl aber in der Anzahl der Spitzen zu. Damit verbunden ist auch eine Verbesserung der Benetzung und aufgrund der Erhöhung der Oberfläche die mechanische Verankerung und damit die Haftung der Grundierungen. Für die Qualität der Phosphatierung ist auch die Schichtdicke entscheidend. Zu hohe Schichtdicken beeinträchtigen die Elastizität und damit die gesamten mechanisch-technologischen Eigenschaften. Auf der anderen Seite sind Phosphatschichten elektrische 480

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Substrateinfluss

Isolatoren und damit chemische Inhibitoren, die den Angriff korrosiver Agenzien auf das Metall verlangsamen.

Die in erheblichen Mengen anfallenden Schlämme und deren Bewältigung, die großen Wassermengen, die Energie für die Konversionsreaktion bei >40 °C, steigende Preise für Zink und Phosphat und toxische Chemikalien wie Nickelsalze haben die Entwicklung umweltfreundlicher Vorbehandlungsverfahren beeinflusst. Eine neue Generation von Konversionsschichten auf Basis von Zirkonfluoriden sowie Haftvermittlern wie etwa Silanen gewinnt zunehmende Bedeutung [4.4.8]. Dabei wird mit den Zirkonfluoriden und Haftvermittlern durch pH-Wert-Erhöhung an der Metalloberfläche eine sehr dünne und dichte Zirkondioxid-Schicht von etwa 20 bis 50 nm abgeschieden. Die damit erreichbaren Einsparungen sind bis zu 60 % beim Wasserbedarf, 80 % bei dem Abfallaufkommen und bis zu 60 % bei den Heizenergiekosten [4.4.9]. Diese Vorbehandlung wird häufig als Nano-Keramik-Konversionsschicht bezeichnet. Speziell für das Aluminium mit seiner dichten, fest anhaftenden, elektrisch nur schlecht leitenden Oxidhaut, gelegentlich aber auch für Zink- und Magnesiumlegierungen, haben sich neben den Phosphatierungen andere Vorbehandlungsverfahren bewähren können. Größte praktische Bedeutung haben die schon erwähnten Chromatierverfahren. Sie werden je nach Zusammensetzung in Grün- und Gelbchromatierung unterschieden. Beide Vorbehandlungen bilden innerhalb weniger Minuten im Spritz- oder auch Tauchverfahren ausgezeichnete Untergründe für die nachfolgende Lackierung. Grünchromatierbäder für die Vorbehandlung von Aluminium enthalten als Hauptbestandteile Chromsäure oder Chromate sowie Fluoride und Phosphate. Bei der Bearbeitung von Zinkoberflächen sind in Ergänzung zu den Hauptbestandteilen auch Chloride und Sulfate zu verwenden.

Auf der Oberfläche des Aluminiums bilden sich Aluminium- und Chromphosphate. Das Fluorid dient wie bei der Phosphatierung als Komplexierungsagenz für die Ionen des Aluminiums. Die grüne Färbung entsteht durch das 3-wertige Chrom im Chromphosphat. Obwohl im Bad 6-wertiges Chrom vorhanden ist, ist die Grünchromatierung frei von 6-wertigem Chrom. Bei der Gelbchromatierung werden ebenfalls Lösungen von Chromsäure oder Chromaten mit Fluoriden verwendet. Der erste Schritt der Schichtbildung ist eine Beizreaktion, bei der Aluminiumionen in Lösung gehen. Gleichzeitig wird durch den sich bildenden Wasserstoff anteilmäßig 6-wertiges Chromat zu Chrom(III)-Kationen reduziert. Dadurch werden Deckschichten auf dem Aluminium gebildet, die im Wesentlichen aus Oxiden und Oxidhydraten des Chroms und des Aluminiums bestehen. In die Schicht werden neben Chrom-(III)-Verbindungen wechselnde Mengen des gelb gefärbten Chromats eingebaut. BASF-Handbuch Lackiertechnik 481

Lackiertechnologie

Häufig diskutiert, jedoch niemals verbindlich und allgemeingültig beantwortet, ist die Frage nach dem Sinn bzw. dem Effekt einer nachgeschalteten thermisch forcierten Trocknung von nicht passivierten Phosphatschichten. Aus vielen Versuchen geht hervor, dass die Einflüsse auf den Korrosionsschutz systemabhängig sind und deshalb im Einzelfall zu entscheiden ist, ob eine Trocknung sinnvoll ist oder nicht.

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

Die anfänglich noch gallertartig weiche Beschichtung muss durch Erwärmen verfestigt werden. Da die Temperaturbeständigkeit der Chromatierung auf 150 °C begrenzt ist, sollten die Chromatierschichten lediglich bis 70 °C, bei einer nachfolgenden Lackierung allerdings bis 100 °C erwärmt werden. Dadurch sind Rissbildungen oder Abplatzen zu vermeiden. Die Flächengewichte der Chromatierungen liegen bei 0,1 bis 0,5 g/m2. Aufgrund der Toxizität von 6-wertigen Chromverbindungen versucht man seit Längerem, chromfreie Alternativen zu finden. Auch die strenger werdenden Auflagen des Umweltschutzes intensivieren die Nachfrage nach chromfreien Vorbehandlungen von Aluminium. Die Bildung chromfreier Schichten auf Basis titan-, zink- oder zirkonhaltiger Reagenzien erfolgt durch eine Beizreaktion der sauer eingestellten phosphorsäurehaltigen Bäder bei gleichzeitiger Komplexierung der Aluminiumionen mit Natriumfluorid. Danach werden die Titan- und Zirkonverbindungen als Phosphat oder Oxid abgeschieden. Die Überzüge sind mit einem Schichtgewicht von nur 0,01 bis 0,02 g/m2 außerordentlich dünn. Trotzdem ist die Schutzwirkung in Verbindung mit einer anschließenden Lackierung der von Chromatierungen ebenbürtig. Eine Alternative für die Titan- und Zirkonvorbehandlung ist die bewährte elektrochemische Oxidation. Bei dem unter der Bezeichnung Eloxieren bekannten Verfahren werden die Aluminiumteile in verdünnte Schwefelsäure getaucht und als Anode bei einer Gleichspannung von 20 Volt mit einer dünnen, aber porenfreien Sperrschicht überzogen. Die so behandelten Teile bieten lackiert und nicht lackiert in Abhängigkeit von der Art und Menge der Legierungskomponenten einen mehr oder weniger guten Korrosionsschutz. Leider ist das Verfahren wegen der notwendigen elektrischen Energie teurer als das Chromatieren. Die in der industriellen Praxis üblichen Vorbehandlungsanlagen sind entsprechend den Anforderungen an die Qualität der Konversionsschicht unterschiedlich. Unabhängig davon, ob als Spritz-, Tauchanlage oder Rotationsanlagen (siehe Kapitel 7.1.1) betrieben, sind meistens wenigstens fünf Einzelstationen für Reinigung, Phosphatierung, Nachverdichtung sowie Zwischen- und Nachspülungen hintereinander geschaltet (siehe Kapitel 7.1). Dabei ist zu garantieren, dass die Werkstücke nach Verlassen der Vorbehandlungsanlagen quantitativ von jeglichen Badbestandteilen befreit wurden. Schon Spuren von Elektrolyten bilden nach späterem Aufbringen der Lackierung eine Schwächung des dauerhaften Korrosionsschutzes aufgrund osmotischer Effekte der in der Beschichtung eingeschlossenen Salze.

4.1.3 Kunststoffe 4.1.3.1

Kunststoffarten und deren Eigenschaften

Kunststoffe sind, wie vom Namen her erkennbar, künstlich hergestellte Polymere. Sie sind durch Synthese niedermolekularer Bausteine oder durch Modifizierung von polymeren Naturstoffen erhältlich. Ihre Herstellung erfolgt nach den Verfahren der Polykondensation, Polyaddition oder Polymerisation (siehe Kapitel 2.1.1) [4.4.10]. Je nach Funktio482

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

nalität der Grundbausteine bzw. Form der Moleküle unterscheidet man in Thermoplaste, Duromere und Elastomere. Thermoplaste bestehen aus langen linearen oder verzweigten Molekülketten, die als einzelne Individuen ineinander verschlauft vorliegen. Eine spezifische Eigenschaft dieser Stoffklasse ist es, beim Erwärmen wegen der zunehmenden Beweglichkeit der Moleküle zu verflüssigen, beim Erkalten wieder zu erstarren und bei der Wechselwirkung mit geeigneten Lösemitteln reversibel in Lösung zu gehen.

Als nur gering vernetzt und gleichzeitig aus beweglichen Grundketten bestehend, zeigen die Elastomeren ein ganz spezifisches Eigenschaftsbild. Sie sind als Werkstoffe immer dann interessant, wenn extreme Ansprüche an die Dehnbarkeit bzw. reversible Verformbarkeit gestellt werden. Elastische Abdichtmassen für das Verbinden nicht formstabiler Gegenstände z.B. bei Fenster- und Betonrahmen oder energieabsorbierende Front- und Heckteile an Automobilen sind nur zwei Beispiele für die Bedeutung hochelastischer Kunststoffe. Trotz einer relativ geringen Anzahl der monomeren Bausteine ist die Zahl der technisch relevanten Kunststoffe außerordentlich groß. Gründe hierfür liegen darin, dass neben den vielfältigen Molekülformen und -größen die Kombination mehrerer Monomeren bei der Herstellung in Form von Copolymeren und die physikalische Mischung bereits fertiger Polymerer als sogenannte Blends existieren. Fügt man hinzu, dass man bei der Copolymerisation die Anordnung der Monomeren statistisch, alternierend oder als Blöcke gestalten kann, wird die Vielfalt der Kunststofftypen umso verständlicher. Zur Modifizierung ihrer mechanischen Eigenschaften werden Kunststoffe häufig mit härtebeeinflussenden Füllstoffen oder kohäsionsfördernden Fasern modifiziert. Durch das Einbetten von Verstärkungsmaterialien in die polymere Matrix lassen sich die Zugund Bruchfestigkeit, die Schlag- und Kerbschlagzähigkeit erheblich verbessern. Unter den Verfestigungsmitteln nehmen die Glasfasern den ersten Platz ein. Gilt es, hochfeste Leistungskunststoffe mit geringem Gewicht und niedriger Wärmeausdehnung zu konzipieren, sind auch Kohlenstofffasern geeignete Hilfsmittel. In permanent verbesserten Varianten erobern die Kunststoffe immer neue Einsatzgebiete sowohl für Gegenstände des täglichen Gebrauchs als auch für industriell technische Zwecke. Ihre spezifischen Eigenschaften wie geringes Gewicht, Verformbarkeit, Korrosionsbeständigkeit, Zähigkeit, Elastizität auf der einen, aber auch Härte und innere Festigkeit auf der anderen Seite sowie die hohe Resistenz gegenüber dem Einfluss von Lösemitteln und Chemikalien sind die wesentlichen Vorteile von Kunststoffen gegenüber vielen anderen Werkstoffen. Neben ihrer traditionellen Verwendung in großen Bereichen der Verpackungsindustrie und dem Bauwesen sowie in der Elektrotechnik haben sie in zunehmendem Maße Eingang in den Automobilbau gefunden, letzteres in erster Linie aufgrund konstruktiver Vorteile und der Anpassung an die spezifischen Anforderungen wie Designmöglichkeiten, Gewichtsreduzierung, Korrosionsschutz, Schlagelastizität und nicht zuletzt dem Preis. BASF-Handbuch Lackiertechnik 483

Lackiertechnologie

Wird auf dem Wege von Monomeren zum festen Kunststoff eine Vernetzung der sich bildenden Polymermoleküle herbeigeführt, so ist kein Verflüssigen durch Erwärmen und auch kein Auflösen durch Lösemittel mehr möglich. Solche Stoffe bleiben auch unter extremen Bedingungen viskoelastisch (siehe Kapitel 3.2.5). Sie sind daher bei Anforderungen an Lösemittel- und Wärmebeständigkeit die geeigneten Werkstoffe.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Es mag paradox klingen, aber die aus Erdöl gefertigten Kunststoffe werden den metallischen Werkstoffen gegenüber preisgünstiger, wenn der Energiepreis steigt. In vergleichenden Betrachtungen wird häufig vergessen, dass zur Herstellung der metallischen Werkstoffe aus ihren Oxiden und zur Überführung in das Werkstück durch Aufschmelzen oder durch Abbildung 4.1.20: Entwicklung der Kunststoffanteile am Pkw in Gewichtsprozenten Quelle: eigene Schätzung Zieh- und Pressvorgänge ebenfalls Energie in großen Mengen aufzubringen ist. So wird aus 2,5 kg Erdöl unter Berücksichtigung der Energie- und Materialverluste 1 kg Kunststoff gewonnen, während allein zur Herstellung von Stahl 4 kg, von Kupfer 12 kg und von Aluminium sogar 15 kg Erdöl-Äquivalente aufzubringen sind. Die Energie für die Verformung zur Herstellung der Werkstücke ist in diesen Zahlen noch nicht enthalten. Hinzu kommt die einfachere Herstellung kompliziert geformter Teile und Komponenten ohne aufwendige Schweiß- und Fügetechniken. Mit Spritzguss- oder Extrusionsmethoden werden aus thermoplastischen Polymerschmelzen schnell und wirtschaftlich kompakte oder geschäumte Teile hergestellt, die leichter sind und deshalb im Flugzeug- und Automobilbau Verwendung finden. Auf ähnliche Weise sind flüssige Ausgangsstoffe durch chemische Reaktionen in duromere Kunststoffe, geschlossen- oder offenporige Schäume in allen Härtegraden und Dichtevarianten zu überführen. Eine bekannte Methode ist das für Polyurethan-Kunststoffe und ungesättigte Polyesterharze bewährte Reaction-Injection-Molding-Verfahren (RIM). Hierbei wird das Reaktionsgemisch in eine Form gespritzt, um dort kompakt oder schäumend miteinander zu reagieren. Bei zusätzlicher Verstärkung durch Fasern spricht man vom Reinforced ReactionInjection-Molding (RRIM). Ein anderer Weg zu duromeren Formteilen ist das Formpressen von Halbzeugen, den sogenannten Prepregs. Das sind mit Kunstharz, meist ungesättigten Polyesterharzen (UPE), getränkte Faserlaminate, deren Aushärtung erst nach dem Verformen im Presswerkzeug zu einem Werkstück erfolgt. Dies Verfahren wird im Englischen als „sheet molding compound“ (SMC) bezeichnet. Die Auswahl des Kunststoffs richtet sich also nach den Ansprüchen, die im Einzelnen gestellt werden. Dabei spielen die mechanischen, chemischen, thermischen und elektrischen Eigenschaften genauso eine Rolle wie Transparenz oder Einfärbbarkeit, wie Wetterbeständigkeit, Verarbeitbarkeit und der Preis. Eine Übersicht über die in der allgemeinen Industrie gebräuchlichen Thermoplaste und Duromere zusammen mit ihren Kurzbezeichnungen nach DIN EN ISO 1043-1 zeigt die Abbildung 4.1.21. Aufgrund ihrer von Natur aus glatten und verhältnismäßig widerstandsfähigen Oberflächen können Kunststoffe und Kunststoffgegenstände durchaus unlackiert Verwendung finden. Da die meisten Kunststoffe bei ihrer Herstellung pigmentierbar 484

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Kunststoff

Kurzbezeichnung

Einsatzgebiete

Polyurethan

PUR • PUR-Hartschaum • PUR-Halbhartschaum • PUR-Weichschaum

Fensterprofile, Möbel Spoiler, Stoßstangen, Lenkräder Kopfstützen, Spoiler, Schutzleisten

PC • rein • modifiziert

Sturzhelme, Lampen, Flaschen, Scheiben Frontspoiler, Stoßstangen, Frontschürzen

Polyamid

PA

Radkappen, Frontspoiler, Gartenmöbel, Rohre

Polyethylenterephthalat

PET

Kühlergitter, Frontschürzen, Tankdeckel, Flaschen

Polypropylen-Ethylen Dienmoulding

PP-EPDM

Stoßstangen, Front- und Heckspoiler, Radverbreiterungen

Acrylnitril-ButadienStyrol-Copolymerisat

ABS

Kühlergitter, Heckspoiler, Spielwaren, Computergehäuse

Polyphenylenoxid

PPO

Armaturentafeln, Fernsehgeräte, Rohre, Behälter

Polystyrol

PS

Blumentöpfe, TV-Radiogeräte, Computer, Schreibmaschinen, Spielwaren, Haushaltsgeräte

Polyvinylchlorid

PVC

Rohre, Folien, Fensterprofile, Balkongeländer, Spielwaren

Polymethylmethacrylat

PMMA

Rückleuchten, Fenster, Haushaltsgeräte, Phonogeräte

Glasfaserverstärker

UP-GFK

Frontspoiler, Stoßstangen, Schiebedächer, Boote

ungesättigter Polyester Epoxidharz

EP

Segelflugzeugbau, Tennisschläger

Polycarbonat

Abbildung 4.1.21: Übersicht über zu lackierende Kunststoffe

sind, lässt sich der Wunsch nach Farbigkeit befriedigen, ohne dass ein zeit- und kostenbeanspruchender Lackiervorgang von Nöten wäre. Trotz der daraus ableitbaren Vorteile für eingefärbte Kunststoffe hat es sich für viele Anwendungszwecke bewährt, Kunststoffe doch mit einem Lacküberzug zu versehen. Dabei können die Gründe optischer oder auch funktioneller Natur sein. Ein verbesserter Lichtschutz durch UV-schützende Lackierungen, verbesserte Wetterfestigkeit, Wasserfestigkeit, Lösemittel- oder Chemikalienbeständigkeiten durch den Einsatz verseifender fester, hochvernetzter Schutzschichten sind im einzelnen zu nennen. Das Beeinflussen der Entflammbarkeit, der elektrischen Leitfähigkeit, der Abriebfestigkeit oder auch der Reinigungsfähigkeit sind weitere wichtige Argumente aus der Sicht der Funktionalität des polymeren Werkstücks. Unter ökonomischen Aspekten sind speziell Effektlackierungen zu beachten. Eine Lackierung mit einer dünnen farbigen Polymerhaut, bestehend aus teuren Effektstoffen und Pigmenten, ist trotz zusätzlicher Oberflächenbehandlung häufig kostengünstiger als das komplette Einfärben der zum Teil sehr massiven Bauteile. Dabei ist im Falle der Gemischtbauweise ein optisch identisches Aussehen der eingefärbten Kunststoffe zu den lackierten Metallkomponenten nicht möglich. Unterschiedliche Oberflächenstrukturen von Metall und Kunststoffoberflächen verlangen eine angleichende Oberflächenbehandlung durch Lackieren. BASF-Handbuch Lackiertechnik 485

Lackiertechnologie

Substrateinfluss

Die Lackiertechnologie

Bisweilen wird ein metallisches Aussehen von Kunststoffelementen wie bei Armaturenteilen und Zierleisten an Kraftfahrzeugen gefordert. Dies wird durch Bedampfen mit Metallen wie Aluminium, Kupfer, Silber oder sogar Gold erreicht. Da Kunststoffoberflächen meistens nicht glatt genug sind, um einen einwandfreien Metallspiegel entstehen zu lassen, müssen sie vor dem Metallisieren mit einem Grundlack versehen werden. Darüber hinaus muss die aufgedampfte Metallschicht durch Lacke gegen mechanische Beschädigungen und korrosive Einflüsse geschützt werden.

Lackiertechnologie

Zum erfolgreichen Lackieren von Kunststoffen müssen die spezifischen Eigenschaften der Werkstoffe und Werkstücke genauestens bekannt sein. Thermische Eigenschaften, Löslichkeiten, Struktur und Polarität, aber auch herstellbedingte Eigenarten wie eingefrorene Spannungen, inhomogenes Austreten von Additiven, Trennmitteln, Einfallsstellen, Fließnähte, Lunkerstellen unter der Oberfläche, markierte oder sogar herausragende Glasfasern, Verunreinigungen durch die Werkzeuge, elektrostatische Aufladungen und vor allem Benetzungs- und Haftungsprobleme sind die wichtigsten in diesem Zusammenhang zu nennenden Ursachen für Lackierprobleme. 4.1.3.2 Vorbehandlung Die Qualität der Lackierung von Kunststoffen hängt in erheblichem Maße von der richtigen Auswahl des Lacksystems und der fachgerechten Vorbereitung der Oberfläche ab. Die für den dauerhaften Schutz notwendige Haftfestigkeit lässt sich in der Regel nur durch eine werkstoffspezifische Vorbehandlung erreichen. Die Vorbehandlung schließt die Entfernung von Trennmittelresten und störenden Verschmutzungen, die Ableitung elektrischer Ladungen und die Beseitigung oder Egalisierung von Fertigungsfehlern mit ein. Während der Herstellung von Kunststoffteilen durch Spritzgießen von Thermoplasten, Formpressen von Duromeren oder Reaktionsspritzguss von Polyurethanen kommen die Oberflächen mit Trennmitteln in Kontakt, die die Herausnahme des Formteils erleichtern. Solche Trennmittel bestehen in der Regel aus Ölen, wachsartigen Substanzen oder Metallseifen. Silikonhaltige Trennmittel sollten wegen der schwierigen Entfernbarkeit und der damit verbundenen hohen Kontaminationsgefahr der Beschichtung keine Verwendung finden. Genauso störend wie Trennmittelreste sind fettige Transportverschmutzungen, Handschweiß und Stäube, die gleichfalls die Haftung und oft auch das Aussehen der Lackschicht beeinträchtigen. Abwischen mit trockenen Woll- und Kunstfasertüchern ist nicht empfehlenswert, weil dadurch die statische Aufladung der Kunststoffteile gefördert wird. Aufgrund der geringen Leitfähigkeit bleiben die elektrischen Ladungen an ihren Entstehungsstellen fixiert und ziehen entgegengesetzt geladene Staubteilchen an. Verhindern oder verringern lässt sich dieser Effekt durch Erhöhung der Leitfähigkeit. So können Kunststoffe entweder schon bei der Herstellung antistatisch ausgerüstet oder nachträglich mit Antistatikmitteln behandelt werden. Volle Wirksamkeit entfalten diese Antistatika allerdings nur ab einer bestimmten Luftfeuchtigkeit. Außerdem sind sie in gewissem Maße flüchtig, so dass ihre Wirkung sich allmählich verliert. Es hat sich deshalb bewährt, das zu lackierende Teil direkt vor dem Beschichten mit ionisierter Luft anzublasen. Der mit Wechselstrom arbeitende Ionisator gleicht zunächst die fixierten elektrischen Ladungen aus, um danach mit einem in seiner Stärke regulierbaren Luftstrom den anhaftenden Staub von der Oberfläche zu blasen. 486

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Substrateinfluss

Zur gründlichen direkten Reinigung eignen sich oft relativ einfache Verfahren wie das Abwaschen mit tensidhaltigen, wässrigen Haushalts- oder Industriereinigungsmitteln. Die Wirkung lässt sich durch Erwärmen auf etwa 50 °C und durch Hochdruckanwendung deutlich verbessern. Die Verwendung organischer Lösemittel für Reinigungszwecke muss zur Vermeidung von Schäden auf der Kunststoffoberfläche sorgfältigst auf den zu beschichtenden Kunststoff abgestimmt werden. Außerdem können Lösemittel wegen ihrer Penetrationsfähigkeit in die Kunststoffe zur Schwächung der inneren Festigkeit führen.

Zum Erreichen guter Haftung sind als mechanische Vorbehandlungsoperationen eventuell das Anrauen (Satinieren) und das Anschleifen in Betracht zu ziehen. Bedauerlicherweise sind Strahl- und Schleifprozesse nur schlecht automatisierbar und daher kostenträchtig. Mit zu groben Schleif- und Strahlmitteln oder zu starkem Schleifen besonders bei glasfaserverstärkten Materialien werden durch Störungen in der Oberfläche neue Probleme geschaffen. Die mechanischen Verfahren sind aus diesen Gründen nur wenig verbreitet. Sofern spezielle Haftvermittler oder ein leichtes Anlösen bzw. Anquellen mit Lösemitteln der Grundierung keinen verlässlichen Verbund zwischen der gereinigten Kunststoffoberfläche und der Beschichtung ermöglichen, wendet man sich oxidativ wirkenden chemischen Verfahren zu. Zu ihnen gehören die Einwirkung von Fluor oder das Abflammen mit oxidierend eingestellten Gasbrennern. Als besonders wirkungsvoll hat sich die Oberflächenbehandlung durch Plasma bewährt. In Vakuumkammern werden bei Drücken von ungefähr 1 mbar durch Anlegen einer hohen Gleichspannung an zwei Elektroden Gasentladungen herbeigeführt. Dadurch tritt eine Ionisierung der Gasmoleküle ein. Das Plasma wird dann in die Prüfkammer geleitet, um dort auf die Oberfläche der Kunststoffteile einzuwirken und sie chemisch zu verändern. Besonders geeignet ist Plasma des Sauerstoffs oder von Sauerstoff-/Stickstoffgemischen. Der Effektivität des Prozesses steht allerdings der apparative Aufwand entgegen. Ein unter Normaldruck arbeitendes Verfahren erzeugt durch hochfrequente Wechselspannungen freie Elektronen, die ebenfalls in der Lage sind, die Oberfläche des Kunststoffs chemisch zu verändern. Das Verfahren beruht auf einer Gasentladung, hervorgerufen durch als Wischer konstruierte Elektroden mit einer Wechselspannung von 10 bis 20 kV bei 20 bis 40 kHz. Durch die Corona-Entladungen entstehen atomarer Sauerstoff und der äußerst reaktive atomare Stickstoff. Beide Gase werden adsorptiv auf dem Werkstück gebunden, um die Oberfläche zu polarisieren. Die Polarisierung führt dann zu einer Erhöhung der Oberflächenspannung. Dadurch wird die Benetzbarkeit, aber auch die Verbundfestigkeit verbessert. Die während des Betriebs der Geräte entstehenden Ozonmengen liegen mit 0,05 ppm bei Grenzwerten von 0,1 ppm im zulässigen BASF-Handbuch Lackiertechnik 487

Lackiertechnologie

Durch zu schnelles Abkühlen der Werkstücke während der Herstellung werden Spannungen eingefroren, die bei Einwirken von Lösemitteln zur Bildung von Rissen führen können. Bei vielen Thermoplasten, vornehmlich Polystyrol, Polycarbonat und Polymethylmethacrylat (Plexiglas) sollte deshalb dem Lackierprozess immer ein mehrere Minuten dauerndes Tempern vorgeschaltet werden. Gedacht ist dabei an eine Erwärmung bis kurz unter den Erweichungspunkt. Durch die erhöhte Beweglichkeit der Molekülsegmente wird die innere Spannung aufgehoben und die Makromoleküle nehmen ihre thermodynamisch günstigste Lage ein.

Die Lackiertechnologie

Oberflächenspannung [mN/m] 50 50 % relative Luftfeuchte 40 90 % relative Luftfeuchte 33 30 0 Note Gitterschnitt

60’

120’

Zeit

Haftung [N/mm2] Haftung gemessen mit dem Twistometer

40

Bereich für die handwerkliche Anwendung. Durch InfrarotSpektroskopie sind auf der Oberfläche der Kunststoffe Peroxide und polare Folgeprodukte wie Aldehyde, Ketone, Carbonsäuren und Hydroxylgruppen nachzuweisen. Gegenüber dem unbehandelten Kunststoff können die Oberflächenspannungen temporär um mehr als 10 mN/m angehoben werden.

In Abhängigkeit von der relativen Feuchte der Luft nimmt 20 Gitterschnitt 4 dieser Effekt mit der Zeit gra3 duell wieder ab. Offensicht2 lich ist ein Teil der künstlich 1 0 erzeugten polaren Gruppen Zeit nur physikalisch gebunden. Es ist daher zu beachten, bei Abbildung 4.1.22: Zeitliche Änderung der Oberflächenspannung und Haftung coronabehandelter Kunststoffoberflächen Verwendung von CoronaEntladungsgeräten und hoher Luftfeuchte die anschließende Lackschicht möglichst innerhalb einer Stunde aufzutragen.

Lackiertechnologie

5

Hält man die empfohlenen Zeiten ein, wird eine konstante und gute Verbundfestigkeit erzielt. Das Verfahren funktioniert wegen der mit einem halben Zentimeter nur sehr kurzen Reichweite der aktivierten Gase allerdings nur auf geometrisch einfachen Teilen. Zur Vorbehandlung zählt auch die Beseitigung von Fehlern an den zu beschichtenden Objekten. Selbst bei sorgfältigster Produktion können an Kunststoffteilen Oberflächenstörungen auftreten, die das Lackierergebnis erheblich beeinträchtigen. Fließlinien, Bindenähte oder Glanzgradunterschiede lassen sich durch Polieren oder Schwabbeln nur aufwendig beseitigen. Speziell für die Fließnähte bietet sich ein einfaches Verfahren an. Durch spritzfähige Fließnaht-Liquids lassen sich Teile aus schlagfestem Polystyrol (PS), Styrol-Acrylnitril (SAN), Acryl-Butadien-Styrol (ABS) oder Polycarbonat (PC) bearbeiten. Die Fließnaht-Liquids sind auf den zu behandelnden Kunststoff abgestimmte Lösemittel. Sie führen zu einem leichten Quellen und Wegziehen der dünnen Polymerhäutchen, ohne den kompakten Kunststoff schädigend anzugreifen. Sie verdecken nicht nur die Fertigungsfehler, sondern verbessern auch die allgemeinen Gebrauchseigenschaften und die antistatische Wirkung der Kunststoffe. Ein besonderes Problem bereiten die verdeckten Lunkerstellen. Die bei den Reaktionswerkstoffen in den geschlossenen Formen im flüssigen Kunststoff eingeschlossene Luft oder während der Verarbeitung entstehenden Gase treten in den Grenzbereich zwischen Kunststoffteil und Form. Dabei verbleibt häufig ein dünner Polymerfilm zwischen Blase und Wandung der Form. 488

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Die bisher beschriebenen Methoden der Vorbehandlung steigern die schlechte elektrische Leitfähigkeit der üblichen Kunststoffe nicht in ausreichendem Maße, um eine elektrostatisch unterstützte Applikation von Lacken durchführen zu können. Dazu ist eine Reduzierung des elektrischen Widerstands der Oberfläche von ursprünglich 1012 bis 1014 Ωcm um mehrere 10er Potenzen erforderlich. Dies kann geschehen, indem man dem Kunststoffmaterial bei der Kompoundierung leitfähige Ruße zusetzt oder bei bereits gefertigten Teilen diese mit elektrisch leitfähigen Lacken überzieht. Ein für die Kunststoffbeschichtung spezielles Verfahren ist das Grundieren bzw. Einschichtlackieren von Teilen noch in der Pressform. Bei dem als Inmould Coating (IMC) bekannten Verfahren wird die Form, in der der Kunststoff in herkömmlicher Weise gepresst oder ausgehärtet wurde, um wenige Millimeter geöffnet und das Grundierungsmaterial eingespritzt. Beim Schließen der Form wird dieses gleichmäßig auf die Oberfläche des Kunststoffteils verteilt, aufgepresst und ausgehärtet. Aufgrund der geringen Wärme- und Lösemittelfestigkeit thermoplastischer Kunststoffe sind übliche Kunststofflacke entweder wässrige, lufttrocknende Dispersionen, oxidativ härtende Alkydsysteme oder forciert gehärtete 2K-Polyurethanlacke (siehe Kapitel 7.3) [4.4.11].

4.1.4

Mineralische Untergründe

4.1.4.1

Beton, Mörtel, Putze

Beton gehört zu den wichtigsten Baustoffen. Sowohl im Tief-, Straßen-, Brücken- und Industriebau wie auch im Wohnungsbau kommt dieser Werkstoff zur Anwendung. Beton ist laut DIN 1045 ein künstlich hergestellter Stein, der aus einem Gemisch von Zement, Betonzuschlägen, wie Kies und Sand, zusätzlichen Zusatzstoffen und Wasser hergestellt wird. Dabei ist zwischen armierten Stahl- und Spannbeton und einfachem Beton zu unterscheiden. Die Einteilung des gehärteten Betons folgt je nach Verdichtung in Leichtbeton mit einer Dichte von höchstens 2000 kg/m3, Normalbeton mit Werten von 2000 bis 2800 kg/m3 und Schwerbeton mit einer Dichte, die größer ist als 2800 kg/m3. Beton ist außerordentlich alterungsbeständig und benötigt normalerweise keinen weiteren Schutz, um dem Einfluss des Wetters dauerhaft schadlos standhalten zu können. Deshalb war es in der Vergangenheit auch nicht üblich, Beton grundsätzlich mit einem BASF-Handbuch Lackiertechnik 489

Lackiertechnologie

Nach dem Entformen bleiben Form die Schwachstellen dem Auge zunächst verborgen. Beim nachfolgenden Lackieren werden die Abdeckhäute entweder durch Lösemittel oder thermische Ausdehnung im Trockner zerstört, aufsteigende Gasblasen Lunkerstellen, nicht sichtbar so dass der Beschichtungsstoff in die Lunker eindringen kann. Abbildung 4.1.23: Verdeckte Lunkerstellen vor und nach der Dadurch entstehen erhebliche Lackierung Störungen in der lackierten Oberfläche. In solchen Fällen ist es sinnvoll, die Lunkerstellen durch thermische Vorbehandlung bewusst zu öffnen und die entstehenden Vertiefungen mit Spachtelmasse auszugleichen.

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

Oberflächenschutz zu versehen. Anstriche dienten ausschließlich der optischen Attraktivierung. Spätestens jedoch zum Zeitpunkt des Einsturzes des Spannbetondaches der Berliner Kongresshalle wurde klar, dass durch die Carbonatisierung des alkalischen Betons der pH-Wert auf Werte unter 10 abfallen kann, so dass der immer mehr verwendete Armierungsstahl, selbst wenn er vollständig von Beton umgeben ist, der Korrosion unterliegt. CO2-sperrende Beschichtungen sind seitdem aus funktionellen Gründen zum Schutz von Stahlbetonbau üblich geworden. Dabei ist zu beachten, dass Beton je nach Verdichtung ein mehr oder weniger stark saugender Untergrund ist, der in Abhängigkeit von den Zuschlagstoffen und den Zusätzen einer Vorbehandlung bedarf. Beton besitzt in Abhängigkeit von der Art des Rohstoffgemisches, seiner Verarbeitung und der Glätte der Formen unterschiedliche Oberflächenrauigkeiten. Dies führt zu einer durch Hohlräume mehr oder weniger starken Saugfähigkeit für Wasser. Hinzu kommen die Einflüsse der vielfältigen Zusatz- und Entschalungsmittel. Da sind spezielle Tenside zur Beeinflussung des rheologischen Verhaltens des frischen Betons genauso zu nennen wie die hydrophobierenden Verdichtungsmittel zur Erhöhung der Undurchlässigkeit für Wasser. Auch Additive, die den Härtungsprozess verlangsamen oder beschleunigen, sind in diesem Zusammenhang wichtige Formulierungskomponenten. Die Anforderungen an die Betonoberfläche sind in der DIN 18217 im Einzelnen beschrieben. Sie soll fest und frei von lockeren Schichten und Ausblühungen sein. Hierzu kann es sinnvoll sein, vor dem Aufbringen einer organischen Beschichtung, die Betonoberfläche durch Sandstrahlen vorzubehandeln. Eventuell noch vorhandene Risse sind durch elastisches Spachteln zu schließen. Für eine spätere Oberflächenbehandlung bzw. eine Vorbehandlung sind zusätzlich die Trennmittel zwischen der Schalung und der Betonoberfläche zu beachten. Als Trennmittel kommen Mineralöle, Wasser-/Öl- bzw. Öl-/Wasser-Emulsionen und Wachse zum Einsatz. Bevor Beton lackiert werden kann, muss er von diesen Schalölresten befreit werden. Fleckenbildung und Abplatzen des Anstrichs sind sonst die Folgen. Grundsätzlich ist die Entfernung nicht einfach, denn vom Entschalungsmittel wird verlangt, dass es wasserunlöslich ist und über einen längeren Zeitraum wirksam bleibt. In keinem Fall darf zur Entfernung der Trennmittel mit organischen Lösemitteln gewaschen werden, da diese in den Beton eindringen können. Eine Betonbeschichtung muss einen hohen Diffusionswiderstand gegen CO2 aufweisen, um die eingangs erwähnte Carbonatisierung wirkungsvoll verhindern zu können. Da Beton immer alkalisch ist, kann ein dauerhafter Schutz nur durch verseifungsbeständige Lackierungen herbeigeführt werden. Bewährt haben sich wässrige Acrylatharz-Dispersionen oder Styrolcopolymerisate, wie Butadien-Styrol oder Acrylnitril-Butadien-Styrol, organisch angelöste Epoxidharze oder feuchtigkeitshärtende Polyurethane. Auch Chlor- und Cyclokautschuklacke als modifizierte Naturstoffe sind für den Schutz alkalisch-mineralischer Untergründe gut geeignet [4.4.12]. Im Vergleich zu Beton bieten die zahlreichen Varianten der Mörtel und Putze ähnliche Voraussetzungen für Beschichtungsstoffe. Dabei ist Putz an Außen- oder Innenwandflächen oder Decken ein in bestimmter Dicke aufgetragener spezieller Mörtelbelag. Während Beton ausschließlich als Trägersubstanz dient, sind die Putzmörtel als Verbundwerkstoffe für Mauerwerk bzw. deren optische Abdeckung als Wand- und Deckenputz im Einsatz. Im Unterschied zum Beton enthalten Putz- und Mauermörtel neben 490

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

diversen Zuschlägen zusätzlich Kalk und in speziellen Fällen sogar Gips (Calciumsulfat). Die Härtung durch Wasser wird durch die langsame, über Wochen dauernde Umsetzung des Kalks mit CO2 zu Calciumcarbonat ergänzt. Für die Oberflächenvergütung von geputzten Mauerflächen gelten wegen der Basizität die gleichen Regeln wie für die Betonbeschichtung. Wegen der fehlenden Kontaminierung durch Entschalungsmittel ist der vorbereitende Reinigungsaufwand geringer. Zu beachten ist, dass bei der Härtung der Kalkkomponente H2O gebildet wird, so dass Putzoberflächen über Monate Wasser abgeben, weshalb nur wasserdampfdurchlässige Beschichtungen eingesetzt werden dürfen.

Gläser sind amorphe Gemische aus Glasbildnern wie SiO2, B2O3 und P2O5 sowie Alkalimetallsalzen zur Erniedrigung des Fließpunktes und Stabilisatoren wie Carbonaten des Calciums, Bariums, Bleis oder Zinks. Glas als anorganischer transparenter Werkstoff mit einem Erweichungspunkt von ca. 1500 °C wird nur in seltenen Fällen oberflächenbehandelt. Soll jedoch eine Beschriftung aufgetragen oder ein besonders dekoratives Aussehen erreicht werden, werden Glasprodukte auch mit organischen Beschichtungen versehen. Gläser haben nur ein geringes Leitvermögen für Wärme und Elektrizität. Sie bauen deshalb beim Erwärmen schnell innere Spannungen auf. Glas ist nicht saugfähig und äußerst glatt. Lackierungen mit gutem Decklackstand sind deshalb ohne Schwierigkeiten zu erzielen. Das Augenmerk richtet sich daher vor allem auf eine gute Haftung der Lackierung zur Glasoberfläche. Um beste Voraussetzungen zu schaffen, sind die zu beschichtenden Gläser mit wässrigen oder organischen Reinigern gründlich vorzubereiten und ggf. auch mit aggressiven Säuren, wie Flusssäuren, anzuätzen. Die Auswahl der Lacke richtet sich dann nach den Anforderungen des jeweiligen Produktes.

4.1.5

Sonstige Untergründe

4.1.5.1 Gummi Der Rohstoff zur Herstellung von Gummi wird aus Hevea-Pflanzen als 1,4-cis-Polyisopren, dem Kautschuk, in Form einer Latex-Dispersion gewonnen. Durch weitmaschige Vernetzung mit Schwefelbrücken entsteht der elastomere Gummi. Schon vor Jahrtausenden war die hydrophobierende Wirkung von wässrigen Dispersionen des Kautschuks bekannt. Indianer in Südamerika imprägnierten ihre Kleidung mit dem Extrakt der Hevea-Pflanze. Erst später lernte man, Rohkautschuk durch Vulkanisation zu vernetzen. Durch die Erfahrungen von Goodyear und Parker wurde es möglich, Autoreifen dauerelastisch und abriebstabil zu machen. Heute verwendet man Gummi als vielseitigen Werkstoff. Gummisohlen, Schuhe, Stiefel, Bälle, zahlreiche elastische Teile von Gebrauchsgegenständen und elastische Dichtungsmassen basieren auf diesem Werkstoff. Gummi als Lackierobjekt stellt aufgrund der besonderen Materialeigenschaften besondere Ansprüche an die Beschichtungsstoffe. Zur Vorbereitung der Beschichtung von BASF-Handbuch Lackiertechnik 491

Lackiertechnologie

4.1.4.2 Gläser

Die Lackiertechnologie

Gummiartikeln sind die auf der Oberfläche vorhandenen Fremdstoffe, vornehmlich Trennmittel aus dem Herstellprozess zu entfernen. Dieses erfolgt durch einfaches Waschen mit Lösemitteln wie Benzin, Alkoholen oder alkalischen wässrigen Reinigern. Aus Gummi gefertigte Gebrauchsgegenstände benötigen wegen ihrer enormen Dehnbarkeit auch entsprechend elastische Beschichtungen. Die in der Vergangenheit wegen ihrer guten Haftung verwendeten Öllacke und Alkydharze, häufig zum besseren Verbund schon vor der Vulkanisation aufgetragen, hatten den Nachteil der Versprödung und damit nur eine begrenzte Lebensdauer.

Lackiertechnologie

Geeignetere Beschichtungsmaterialien basieren auf Lösungen und Dispersionen elastischer Chloroprene oder chlorsulfonierter Polyethylenprodukte, von Silikonharzen und elastisch eingestellten Polyurethanen. Aufgrund ihrer Beständigkeit, geringem Abrieb und ihrer Dauerelastizität sind Polyurethane heute die wichtigsten Beschichtungsstoffe für Elastomere geworden. Dabei beschränkt sich ihr Einsatz nicht nur auf den klassischen Naturgummi, sondern in gleicher Weise auch auf zahlreiche synthetische Elastomere wie z.B. EPDM. 4.1.5.2 Leder Bei Leder handelt es sich um aufbereitete Tierhäute, die zur Elastifizierung und zur Stabilisierung gebeizt und gegerbt werden. Das aus Eiweißen bestehende Leder wird zu diesem Zweck mit Gerbstoffen und anorganischen Komplexbildnern behandelt. Nur in seltenen Fällen wird auf eine farbgebende Oberflächenbehandlung verzichtet. Im Falle von Beschichtungen sind die Beeinflussung des Aussehens und die der Eigenschaften zwei unterschiedliche Ziele. Farbton, Glanz und Effekt des Leders auf der einen, aber auch der Schutz vor Wasser, die bessere Reinigungsfähigkeit und die Konstanz der Elastizität sind damit gemeint. Neben den Imprägnierungsmitteln zur Hydrophobierung des Leders werden Grundierungen aufgebracht, die bei starker Narbigkeit des Leders ausgleichend wirken. Abschließend werden zur dekorativen Gestaltung Lederlacke aufgetragen. Diese können deckend pigmentierte oder auch transparente Produkte sein. Als Beschichtungsstoffe kommen konventionelle, lösemittelhaltige und wasserlösliche bzw. wasserverdünnbare Materialien zum Einsatz. Lösemittelhaltige Lederlacke enthalten Cellulose-Nitrat, Cellulose-Acetobutyrat, Cellulose-Acetat, aber auch Polyurethane und Acrylatharzdispersionen. Aufgrund der hohen Elastizitätsansprüche sind besonders die elastischen Polyurethane bzw. die mit Weichmachern entsprechend eingestellten Cellulose-Abkömmlinge zu verwenden.

4.1.6

Konstruktion und Lackierbarkeit

Neben den Eigenarten des Werkstoffes, seinen spezifischen Oberflächenstrukturen und seiner Vorbehandlung besitzen die Formgebung und die Fügetechnik einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Abläufe beim Lackieren und die dabei erzielbare Qualität der Beschichtung. Der Konstrukteur von Gebrauchsgütern hat Grundregeln zu berücksichtigen, wenn die gewünschten Qualitätsansprüche an das zu lackierende Objekt dauerhaft erreicht werden sollen. Für die heute wichtigsten Werkstoffe Holz und deren Verbundmaterialien, Stahl oder andere Metalle sowie Kunststoff sind dabei spezifische und durch die Konstruktion bedingte Faktoren zu beachten. 492

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Substrateinfluss

Abbildung 4.1.24: Beispiel für eine lackiergerechte Fensterkonstruktion

Im Einzelnen sind für Holzwerkstoffe bei dem zu fertigenden Bauteil Maßnahmen zur Vermeidung von Belastungen durch Dauerfeuchte zu treffen. Zusätzlich sind konstruktiv Voraussetzungen zu schaffen, die einen gleichmäßigen Auftrag einer Lackierung möglich machen. Der Zusammenhang zwischen Konstruktion und Haltbarkeit des Anstrichs ist bei Fenstern besonders augenscheinlich. Bei der Profilausbildung des Rahmens ist dafür Sorge zu tragen, dass Wasser abfließen kann. Alle Verbindungen sind mit Schlitzoder Doppelzapfen auf das engste zu verbinden. Alle Kanten sind abzurunden, um durch verminderte Kantenflucht eine ausreichende Schichtdicke an allen Bereichen der Lackierung zu garantieren. Zwischen den Fensterflügeln und den Blendrahmen sind wirksame Dichtungen einzubauen. Wegen der permanenten Zug-, Druck- und Scherbeanspruchung müssen diese Dichtstoffe ausreichend dauerelastisch sein. Nur so ist an allen Verbundstellen des Fensters mit Glas und Mauerwerk der notwendige Schutz zu gewährleisten [4.4.13]. Sieht man von der Beschichtung planer Endlosbänder im Coil Coating-Verfahren ab, so sind metallische Lackierobjekte häufig außerordentlich kompliziert geformt und zu ihrer Stabilisierung durch Schweiß- und Nietverbindungen sowie Verklebungen mit Hohlräumen ausgestattet. Sicken und scharfkantige Schnittflächen führen zu einer weiteren geometrischen Komplizierung des zu beschichtenden Objekts. Geschlossene oder schwer zugängliche Hohlräume sind entweder absolut und dauerhaft abzudichten oder für Beschichtungsstoffe zugänglich zu machen; dann jedoch sind für eine gute Durchlüftung der Hohlräume die notwendigen Voraussetzungen für einen dauerhaften Korrosionsschutz zu schaffen. Kapillaren, enge Spalte und großflächige Überlappungen sind zu vermeiden. Bei der Anwendung von Tauchverfahren muss auf schöpfende Segmente des Objektes verzichtet werden. Die Abrundung von Schnittkanten oder der Verzicht auf scharfkantige Sicken sind weitere sinnvolle Forderungen. Der Grat der KanBASF-Handbuch Lackiertechnik 493

Lackiertechnologie

Ablaufschräge ≥ 15°

Die Lackiertechnologie

1

Lackiertechnologie

PVC-Raupe schlecht oben

schlecht

2

Umbördelung gut oben

gut

3

ten verursacht bei der frischen Lackierung ein Wegziehen des noch flüssigen Beschichtungsstoffs. Scharfe Kanten sollten deshalb abgerundet oder nach Umbördeln durch PVC-Raupen geschützt werden. Sammelstellen für Wasser sind ebenfalls zu vermeiden. Zusätzlich sind zahlreiche schweißtechnische zu Auflagen beachten: Blechüberlappungen sollten sich nur an den Schweißstellen berühren. Alle anderen Bereiche müssen ausreichenden Abstand besitzen, um so mit einer Lackierung versehen werden zu können (Fischmaulkonstruktion). Weitere konstruktiv bedingte Schwachstellen sind durch die Formgebung zu beseitigen. Zum Beispiel ist der Frontbereich von Pkw besonders steinschlaggefährdet. Abgeschrägte Formen verringern die Schäden.

Eine passive Maßnahme liegt in der Auswahl des richtigen unten unten Werkstoffes. Häufig werden deshalb korrosionsfeste Metalle, schlecht gut vorbeschichtete Bleche oder 4 Kunststoffteile in das ansonsten aus Stahl bestehende Werkstück integriert. Durch GemischtFischmaulkonstruktion bauweise sind die einzelnen Abbildung 4.1.25: Beispiele für lackiergerechte Konstruktion (1 – 4) Bereiche des Lackierobjektes noch besser den Ansprüchen der Praxis anzupassen. Bei Verwendung verschiedener Metalle steht das Vermeiden von Lokalelementen an erster Stelle. Grundsätzlich gilt: Vermeiden von Dauerfeuchte durch gute Ablaufmöglichkeiten für Wasser, keine für Lack unzugänglichen Bereiche durch Stanzlöcher oder ähnliche Maßnahmen. Außerdem sind scharfe Kanten durch Abrunden zu beseitigen, Umbördelungen sind durch Raupen zu schützen, geeignete Werkstoffe sind zu wählen und dabei die Kontaktkorrosion durch Berühren verschiedener metallischer Werkstoffe zu vermeiden. 494

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

4.1.7 Zusammenfassung Der weitaus größte Anteil aller Wirtschaftsgüter und Gebrauchsgegenstände bedarf eines Schutzes durch Lackieren. Dabei sind die spezifischen Materialeigenschaften der Lackierobjekte entsprechend zu berücksichtigen. Holz, Kunststoffe, Metalle und mineralische Untergründe sowie Naturstoffe wie Leder und Gummi sind in vielerlei Hinsicht unterschiedliche Werkstoffe. Thermostabile Metalle weisen eine nur geringe Dehnbarkeit auf, sind aber korrosionsanfällig. Holz als thermisch labiler, saugfähiger und verwitternder Werkstoff verhält sich beim Lackierprozess anders als die lösemittelempfindlichen und vielfach thermisch labilen Kunststoffe.

In allen Fällen ist eine einwandfreie Beschichtung nur möglich, wenn die Oberflächen lackiergerecht vorbehandelt werden. Dazu werden die Oberflächen von allen Fremdstoffen, wie Schmutz, Korrosionsprodukten, Ölen oder Ziehfetten befreit. In vielen Fällen sind bei metallischen Lackiergütern zusätzliche chemische Operationen, wie schichtbildende Phosphatierungen oder Chromatierungen und im Falle der Bearbeitung von Kunststoffen Oxidationsreaktionen zur Erhöhung der Polarität und der Oberfläche für eine gute Benetzung und Haftungsfestigkeit durchzuführen. Erst nach einer prozesssicheren und dem Werkstoff bzw. dem Werkstück angepassten Vorbehandlung sind alle Voraussetzungen für eine dauerhafte Lackierung gegeben.

4.2 Lackverarbeitung Zur Überführung des Vorprodukts Lack in das Endprodukt Lackierung existiert eine Reihe verschiedenster Verfahren. Die damit verbundenen Prozessschritte müssen, wenn sie erfolgreich zur Anwendung kommen sollen, einerseits auf die Natur, Größe, Form Lackpartikel Lösemittel Geruch Abluft

Lösemittel Geruch Abluft

Wärme

Werkstück unbeschichtet

Wärme Werkstück beschichtet

Ablüften Trocknen

e rg i En e

En

er g W ie as se r C he Lac m k ik al ie n

Beschichten

Abwasser Schlamm Abbildung 4.2.1: Lackapplikation, Trocknung und Härtung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 495

Lackiertechnologie

Weitere Einflussgrößen auf die Auswahl und Methode der Verarbeitung des Beschichtungsmaterials sind die Formgebung und die Konstruktion der Werkstücke. Hohlräume, in denen sich Feuchtigkeit sammelt, Kanten, von denen der Lack abzieht, oder für Beschichtungsstoffe unerreichbare Blechüberlappungen sind schlechte Voraussetzungen für eine dauerhafte Lackierung.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.2: Schnittbild einer Lackieranlage für die Spritzapplikation mit Nassauswaschung des Oversprays  Quelle Dürr

und Anzahl der zu beschichtenden Gegenstände pro Zeiteinheit abgestimmt sein und andererseits die Eigenheiten des zu verwendenden Lackmaterials und die Lackierabfolge eines mehrschichtigen Lacküberzug berücksichtigt werden. Allen industriellen Lackierverfahren ist die Untergliederung in zwei aufeinanderfolgende Teilschritte gemeinsam. Bei dem ersten Verfahrensschritt, der Applikation, wird auf die vorbehandelten Oberflächen ein in der Regel organischer Beschichtungsstoff aufgebracht (siehe Abbildung 4.2.1). Der Prozess des Lackauftrags erstreckt sich von manuellen Verfahren, die handwerkliches Können und Geschick des Anwenders voraussetzen, bis hin zu großräumigen maschinellen Anlagen mit prozessgesteuerten Automaten und Robotern von hoher Leistungsfähigkeit. Die Aufgabe des zweiten Verfahrensschrittes, des Trocknens, besteht in der Überführung der applizierten Lacke in die gebrauchsfähige Beschichtung. Dabei überlagern sich physikalische Prozesse der Lösemittelabgabe mit denen der chemischen Vernetzung (siehe Kapitel 3.1). Die Übertragung der dafür erforderlichen Energie wird durch konvektiven Wärmeaustausch, durch Infrarotstrahlung, Mikrowellen oder UV- bzw. Elektronenstrahlen herbeigeführt. Ein wichtiges Element jeder industriellen Lackverarbeitung ist die Kontrolle und Entsorgung der Kabinenluft und des Oversprays (siehe Kapitel 4.2.1.5).

4.2.1

Verarbeitung von Nasslacken

Eine einfache und übersichtliche Systematik zur Einteilung von Lackierverfahren zeigt die Abbildung 4.2.3. 496

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Bei den konventionellen oder durch elektrochemische Koagulierung unterstützten Tauchverfahren wird das Objekt zum Beschichtungsmaterial befördert. Zu solchen Verfahren zählt auch das Wirbelsintern bei der Verarbeitung von Pulverlacken.

Objekt zum Lack

Lack zum Objekt

Konventionelles Tauchen • Lösemittelhaltige Lacke • Wasserlacke

Direkte Verfahren • Streichen • Rollen, Walzen • Fluten, Gießen

Elektrotauchlackieren • Anodische Abscheidung • Kathodische Abscheidung

Indirekte Verfahren • Hochdruck-Zerstäuben • Airless-Zerstäuben • Hochrotations-Zerstäuben • Elektrostatisches Zerstäuben

Bei allen anderen Verarbeitungsmethoden bewegt sich Abbildung 4.2.3: Übersicht über die wichtigsten Lackierverfahren der Beschichtungsstoff zum Lackierobjekt. Dies kann durch Rollen, Walzen, Gießen, Fluten mit nur geringen Materialverlusten direkt oder indirekt durch Zerstäuben und Versprühen, allerdings mit zum Teil erheblich schlechteren Materialausbeuten erfolgen. Trotz dieses Nachteils sind die letztgenannten Verfahren die am meisten praktizierten industriellen Applikationstechniken. Die pneumatische Spritzapplikation nach dem Hochdruckverfahren, das hydraulische Höchstdruckverfahren oder rein elektrostatische und elektrostatisch unterstützte Methoden wie die Hochrotationszerstäubung zählen zu den bewährten Techniken des Materialauftrags. 4.2.1.1 Tauchverfahren (Objekt zum Lack) Konventionelles Tauchen Das Tauchen ist eine der einfachsten und auch ältesten Methoden zum Lackieren von Industriegütern. Es lässt sich leicht automatisieren, hat im Vergleich zum Versprühen eine erheblich höhere Materialausbeute und geringe Investitionskosten. Das Verfahren nutzt das Adhäsionsverhalten viskoser Lacke an den Oberflächen der zu lackierenden Objekte. Nachteile sind die mangelhafte Verarbeitungsbreite bezüglich der Schichtdicken und der damit verbundenen Defekte, wie Läufer und Blasen, und die Kosten besonderer Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Explosionen oder Bränden bei Verwendung lösemittelhaltiger Lacke. Diese Gefahren und entsprechende Vorfälle haben dazu geführt, dass heute in den wenigen konventionellen Anlagen praktisch nur noch wässrige Tauchlacke verwendet werden. Versuche, Wasser durch Trichlorethylen zu ersetzen, konnten nicht alle mit dem Prozess verbundenen Schwierigkeiten überwinden. Wenngleich zusätzlich zur Brandgefahr auch die Läuferneigung vermindert und eine höhere Schichtdickengleichmäßigkeit erreicht werden konnte, so waren es die bereits erwähnten arbeitshygienischen Gründe, die das recht brauchbare und zeitweise erfolgreiche Verfahren wieder in den Hintergrund drängten. Beim Tauchen wird das Werkstück entweder im Takt- oder Durchlaufverfahren in den relativ niedrig viskos eingestellten Lack getaucht, herausgeführt und nach Durchlaufen einer Abtropfstrecke in den Trockner transportiert. Das Abtropfen in Kombination mit dem Verdunsten der Lösemittel muss so lange dauern, dass keine Oberflächendefekte in Form von Blasen, Pieken oder Läufern auftreten. Bei wässrigen Tauchlacken muss dazu üblicherweise eine ausreichend lange, meistens zusätzlich geheizte Abblaszone installiert werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 497

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Hub- und Senkstation

Randabsaugung

Werkstück

Wärmetauscher

Tauchbecken

Umwälzsystem

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.4: Verfahrensschema einer konventionellen Tauchanlage

Trotz aller Optimierungen ist es nicht möglich, gleichmäßige Schichtdicken an allen Teilen des Objekts zu erreichen. Außerdem sind Kantenflucht und Läuferneigung weitere spezifische Mängel des konventionellen Tauchens mit Wasserlacken. Die Nachteile des konventionellen Tauchens kommen bei komplizierten, mit Hohlräumen ausgestatteten Lackierobjekten besonders zum Tragen. Während der Abdunstphase und während des anschließenden Aufheizens im Trockner kann sich in den nicht luftdurchspülten Hohlräumen eine gesättigte Dampfatmosphäre bilden, so dass aufgrund des langsameren Aufheizens an den kühleren Masseteilen der frische Lackfilm durch Kondensatbildung wieder abgewaschen werden kann. Eine unkalkulierbare und unkontrollierbare Schwächung des Hohlraumschutzes ist die Folge. Elektrotauchlackierung Gleichmäßigere Beschichtungen in allen Bereichen komplizierter Objekte, ohne Auswascheffekte in Hohlräumen, können auf elektrisch leitfähigen Substraten erzeugt werden, wenn ionische, wässrige Sekundärdispersionen (siehe Kapitel 2.1) elektrochemisch abgeschieden werden. Beim Anlegen eines Gleichstroms zwischen zwei Elektroden gelangen in einer diffusionskontrollierten Grenzschicht die geladenen Lackmicellen bzw. Dispersionsteilchen an die entgegengesetzt geladene Elektrode, um dort, durch pH-Wert-Änderung infolge der elektrolytischen Zersetzung des Wassers, ausgefällt zu werden. Wenn die Oberflächenladung der Dispersionsteilchen positiv ist, erfolgt die Abscheidung an der Kathode, ist sie negativ, an der Anode. Nachdem sich eine Vielzahl von Arbeiten und Patenten zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Beschichtung von Metallen durch Harze beschäftigte, begann die intensive Entwicklung kommerziell genutzter Elektrotauchlacke Ende der 1950er Jahre durch die Firma Ford mit anodisch abscheidbaren Lacken. Die erste Anlage zur Beschichtung von Automobilkarossen wurde 1963 in den USA, kurze Zeit später in Europa in Betrieb genommen [4.4.14]. Die Entwicklung kathodisch abscheidbarer Lacke begann erst Mitte der 1960er Jahre [4.4.15]. Sie stellten sich rasch als qualitativ hochwertige Grundierungen heraus und verdrängten die anodischen Elektrotauchlacke Mitte der 1970er Jahre zunächst in den USA und später auch in Europa und dem Rest der Welt. Heute sind sie in der Automobillackierung komplett und in der übrigen industriellen Anwendung weitgehend im Einsatz. 498

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die Vorteile des Verfahrens gegenüber den verschiedenen bis dahin angewandten Verfahren wie Spritzen und Tauchen sind die Umweltverträglichkeit durch geringe Emission und nach der Einführung der Ultrafiltration auch der hohe Materialnutzungsgrad von > 99 % [4.4.16]. Darüber hinaus sind Dank des guten Umgriffverhaltens die gleichmäßige Beschichtung auch kompliziert geformter Teile außen und innen und die hohe Zuverlässigkeit des Prozesses unschlagbare Faktoren. Der weltweite Markt für Elektrotauchlacke im Jahre 2012 wird auf 1400 Kt geschätzt. In der Bundesrepublik sind 60 Kt im Jahre 2012 produziert worden. Sie machten ca. 4 % des Gesamt-Lackmarktes aus. Physiko-chemische Grundlagen

Lackiertechnologie

Elektrotauchlacke sind wässrige Kompositionen aus Filmbildnern, Additiven sowie Pigmenten und Extendern. Die aus diesen typischen Lackbestandteilen hergestellte Dis-

Abbildung 4.2.5: Löse- und Abscheidereaktion

BASF-Handbuch Lackiertechnik 499

Die Lackiertechnologie

+

C0H+

δ

δ



+



+



+



+



A

Konzentrationsprofil ohne Abscheidung von Polymeren

B

Konzentrationsprofil mit Abscheidung von Polymeren

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.6: Elektrodenprozesse bei der Elektrotauchlackierung

persion wird benutzt, um durch Gleichstrom auf einem leitfähigen, meist metallischem Substrat eine organische Lackschicht abzuscheiden. An der Anode koagulieren durch negative Ladung stabilisierte Dispersionen (anodische Elektrotauchlackierung = ATL). Sind die Partikeln mit positiver Ladung stabilisiert, scheiden sie sich entsprechend an der Kathode (kathodische Elektrotauchlackierung = KTL) ab. Zum Zwecke der Abscheidung wird das als Elektrode geschaltete Lackierobjekt zusammen mit der Gegenelektrode in den wässrigen Beschichtungsstoff getaucht. Das Lackmaterial wird dabei durch Umwälzung in Bewegung gehalten, um zum einen den Materialnachschub für die Grenzschicht und den Abtransport der durch den Stromfluss erzeugten Wärme zu gewährleisten und schließlich auch ein Absetzen der meist pigmentierten Dispersionen zu vermeiden. Die zur Dispergierung in Wasser und zur Ausfällung notwendigen Reaktionsgleichungen zeigt die Abbildung 4.2.5. Für anodisch abscheidbare Elektrotauchlacke sind die anionischen Carbonsäure-Gruppen und deren Reaktion mit Aminen oder anderen Basen, für kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke die kationischen Gruppen wie Aminogruppen und deren Reaktion mit Säuren notwendig. Stoffe mit anderen funktionellen Gruppen wie die Sulfonium- oder Phosphoniumgruppen werden nur gelegentlich eingesetzt [4.4.17]. Entsprechend den chemischen Reaktionsgleichungen erfolgt eine Ausfällung des Elektrotauchlackes durch Deprotonisierung bei der kathodischen und Protonisierung bei der anodischen Abscheidung. Dies erfolgt unter den physikalischen Bedingungen der Wasserelektrolyse in einer diffusionskontrollierten Grenzschicht an dem zu beschichtenden Substrat. Das Vorhandensein und die Notwendigkeit einer diffusionskontrollierten Grenzschicht zur erfolgreichen Abscheidung konnte Beck an Versuchen mit rotierenden Scheibenelektroden nachweisen [4.4.18]. Je nach Lacksystem lässt sich eine Rotationsgeschwindigkeit ermitteln, bei der trotz Spannung und Stromfluss keine Abscheidung des Elektrotauchlackes mehr erfolgt. Anders betrachtet erfolgt die Ausfällung bzw. Abscheidung durch die zwanghafte Migration der Lackdispersionsteilchen in ein Gebiet stark veränderten pH-Wertes, wie in Abbildung 4.2.6 (A) dargestellt. Im Falle der Koagulation verändert sich der Konzentrationsverlauf der H+-Ionen entsprechend der schematischen Darstellung (B). Mit Hilfe einfacher Abschätzungen auf Basis von Diffusionskonstanten und der elektrischen Stromdichte lassen sich die pH-Werte an den Elektroden entsprechend der Sandbzw. Cottrell-Gleichung [4.4.19] abschätzen: 500

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die dispersen Teilchen des Elektrotauchlackes wandern als Ladungsträger im elektrischen Feld (Elektrophorese) der diffusionskontrollierten Grenzschicht durch das Wechselspiel von elektrischer Anziehung und bremsender Reibung mit gleichförmiger Geschwindigkeit in Richtung der Substratoberfläche. Aufgrund der an der Oberfläche der wandernden Teilchen adhärierenden Wasserhülle, die einen Anteil der frei beweglichen und bremsenden Gegenionen enthält, werden die Ladungen der Filmbildnerteilchen teilweise abgeschirmt. Das noch wirksame Restpotenzial, bekannt als ζ-Potenzial, bewirkt eine Wanderungsgeschwindigkeit u von 10 -4 bis 10-5 m/s. Sie ist unabhängig von der Teilchengröße und bei entsprechend niedriger Viskosität ausreichend, um in einer Minute Schichtdicken von 15 bis 20 µm aufbauen zu können.

Durch die isolierende Wirkung des sich abscheidenden Films konzentriert sich das angelegte Abscheidepotenzial auf diesen Film. Wegen der geringen Schichtdicke bilden sich elektrische Felder von ca. 105 V/cm [4.4.20]. Elektroosmose Die Dispersionsteilchen werden bereits vor Erreichen der Elektroden neutralisiert und damit ausgefällt. Demnach findet eine direkte Lackierobjekt als Anode Abgabe von Ladungen an den Elektroden nicht statt. + + Die ursprünglich mobilen + + Teilchen werden beim Auf+ + treffen auf das Lackierobjekt + stationär. Aufgrund der im + elektrischen Feld wirkenden + + + elektromotorischen Kraft + wird eine Abdrift des Was+ + + + sers bewirkt, so dass mit dem + Übergang der Elektrophorese in die Elektroosmose eine + = H+ Entwässerung und damit ein Festkörpergehalt der Schicht Abbildung 4.2.7: Entwässerung des Elektrotauchlackfilmes durch auf mehr als 90 % direkt Elektroosmose BASF-Handbuch Lackiertechnik 501

Lackiertechnologie

Setzt man entsprechende Daten für die technischen Prozesse ein, so ergeben sich pHWerte an der Elektrodenoberfläche für die anodische Abscheidung von 2 und für die kathodische von 12.

Die Lackiertechnologie

an der Substratoberfläche erreicht wird. Wie erwähnt, werden dadurch der Filmwiderstand erhöht und das Schichtdickenwachstum gebremst. Der dabei entstandene Film adhäriert fest an dem Substrat, lässt sich nicht mehr abspülen und besitzt eine charakteristische Morphologie, die zunächst durch Blasen und Poren gekennzeichnet ist. Die Art und Weise dieser Morphologie ist sehr charakteristisch für die Elektrotauchlack-Formulierungen und stark abhängig vom Viskositätsverhalten [4.4.21]. Lackiertechnologie

Insbesondere kathodisch abscheidbare Filme zeigen diese Strukturen, da die Gasentwicklung an der Kathode doppelt so groß ist wie an der Anode. Nebenreaktionen Während der elektrochemischen Abscheidung der Polymerionen laufen einige Nebenreaktionen an den Elektroden ab, deren Kenntnis für die Lösung von Praxisproblemen beim Betreiben von Elektrotauchbädern notwendig ist. Eine erwähnenswerte Elektrodenreaktion ist Abbildung 4.2.8: Morphologie kathodisch abgeschiedener das Auflösen von Metallen an der Elektrotauchlackfilme Quelle: BASF Coatings Anode. An der Kathode findet in Abhängigkeit vom Material des Substrates sowohl das Abscheiden von Eisenionen als auch das Auflösen von amphoteren Metallen wie z.B. Aluminium statt. Werden metallische Gegenstände aus Eisen nach dem anodischen Verfahren beschichtet, so ist deshalb mit einer Teilauflösung des sich temporär im Tauchbecken befindenden Objekts zu rechnen. Ein Einbau von Metallionen in den Lackfilm ist nachgewiesen. Auf der anderen Seite ist bei kathodischer Abscheidung das Auflösen der sich nun permanent im Becken befindenden Gegenelektrode (Anode) zu verhindern. Allerdings konnte auch nachgewiesen werden, dass messbare Mengen von Aluminium oder Zink im stark alkalischen Bereich der Kathode als Anionen in Lösung gehen können. Die Konzentrationen sind allerdings wesentlich geringer als die der gelösten Eisenionen bei der anodischen Abscheidung [4.4.22].

502

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Mathematische Modelle zur Abscheidung und zum Schichtdickenwachstum Die Dynamik der Abscheidung ist so weit bekannt, dass mathematische Modelle entwickelt werden konnten, mit denen das Abscheideverhalten von Elektrotauchlacken auch an komplizierten Substraten berechnen werden kann [4.4.23, 4.4.24]. Bis zum Erreichen der OH– -Konzentration, bei der die Koagulation des Elektrotauchlackes einsetzt, vergeht eine bestimmte Zeit ti. Das Produkt aus der Stromdichte j und der Wurzel dieser Zeit ti ist die spezifische Lackkonstante k:

Damit ergibt sich für den Beginn der Beschichtung folgende Bedingung:

Lackiertechnologie

Die dann einsetzende Phase des Schichtdickenwachstum ∆SD lässt sich nach folgender Gleichung berechnen:

Sinkt die Stromdichte jt aufgrund des Widerstandes der sich abscheidenden Schicht auf Werte unter jd, so findet keine Abscheidung mehr statt.

Die Stromdichte jt lässt sich aus dem Ohm’schen Gesetz nach

mit E = elektrische Feldstärke in V/cm und κ = spezifische Leitfähigkeit in S/cm ausdrücken. Daraus ergibt sich eine allgemeine Formel für das Schichtdickenwachstum mit

In dieser Gleichung setzt sich die spezifische Leitfähigkeit aus den Leitfähigkeiten des Bades und der sich bildenden Schicht zusammen. Während die erstere konstant und einfach zu messen ist, geht die Leitfähigkeit der Schicht als Funktion der Schichtdicke und der Stromdichte jt in die Rechnung ein. Für Berechnungen wird diese üblicherweise durch Messungen bestimmt [4.4.24]. Ein anderer Ansatz zur Berechnung des Schichtdickenwachstums nach Machu [4.4.25] geht von der einfachen Annahme aus, dass die Abnahme der freien Fläche dA im Zusammenhang mit der Strommenge dQ steht. Der Quotient a aus Fläche und Strommenge wird von Machu als „elektrophoretisches Äquivalent“ definiert. BASF-Handbuch Lackiertechnik 503

Die Lackiertechnologie

Da dQ = I dt und nach dem Ohm’schen Gesetz U = I · R und R = ρ · l ist, leitet sich daraus ab:

Lackiertechnologie

Aufgrund der Proportionalität von Strom I und Fläche A folgt

Die so ermittelte Beziehung der Strom-Zeit-Kurve der Abscheidung eines Elektrotauchlackes gilt nur für monomolekulare Schichten, erfasst aber die wichtigsten schichtdickenbestimmenden Variablen Filmwiderstand, Spannung und Strommenge. Physikalische Kenngrößen zur Charakterisierung von Elektrotauchlacken Schichtdicke Strom

ATL

Schichtdicke

KTL

Übliche Abscheideversuche im Labor werden mit der StromZeit-Kurve verfolgt. Daraus werden integrale Kenngrößen ermittelt. Schematisch verlaufen alle Abscheidungen mehr oder weniger nach der Dynamik entsprechend Abbildung 4.2.9.

Der mit dem Aufbau der Schicht verbundene Anstieg des WiderAbbildung 4.2.9: Schematische Strom/Zeit- und Schichtdicken/ standes und die Reduzierung Zeit-Kurve kathodisch und anodisch abscheidbarer Elektrotauchlacke des Stromflusses führen dazu, dass sich relativ gleichmäßige Schichtdicken von Elektrotauchlacken auch auf kompliziert geformten Objekten erzielen lassen. Man bezeichnet das Verhältnis der Schichtdicke von Innen- und Außenbereichen kompliziert geformter Körper als Umgriff. Das Umgriffverhalten wird in speziellen Prüfanordnungen [4.4.26] getestet wie z. B. dem BMW-Umgriff nach VDA 621-180. Zeit

Zeit

Als orientierende elektrochemische Kenngrößen ermittelt man in einer elektrischen Messanordnung das Abscheideäquivalent Ä, indem man die verbrauchte Strommenge mit der abgeschiedenen Menge des Elektrotauchlackes in Relation setzt:

Aus dem Abscheideäquivalent zusammen mit den elektrischen Bedingungen ist es möglich, die elektrische Energie W, z.B. für die Beschichtung einer Pkw-Karosse, zu 504

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

berechnen. Übliche Werte für die Spannung U sind 350 V, für die Masse des Elektrotauchlackfilms m = 2000 g und für das Abscheideäquivalent Ä = 40 C/g. Es gilt:

Setzt man die vorgegebenen Werte ein, so erhält man 7,8 kWh. Dies stimmt mit der praktischen Erfahrung von 5 bis 8 kWh/Karosse gut überein. Aus den zuvor beschriebenen Experimenten im Labormaßstab ermittelt man den Schichtwiderstand zum Schluss der Abscheidung, indem man aus dem Ohm’schen Gesetz den gemessenen Badwiderstand ρb in die entsprechende Formel wie beschrieben einsetzt:

Die wichtigsten physikalischen Parameter zur Steuerung des Abscheideverhalten von Elektrotauchlacken sind neben der angelegten Spannung und der Stromdichte die Badtemperatur und der Festkörper. Für die Spannung und die Stromdichte gibt es Grenzwerte, bei denen die Abscheidungen nicht mehr homogen über die gesamte Fläche des Objektes erfolgen, sondern aufgrund der hohen Wärmeentwicklung es in dem sich bildenden Film zu sogenannten Abrissen führt. Diese Abrisse können negative Folgen in Form von Koagulaten und Zerstörung der Dispersionsteilchen auf den Zustand des Elektrotauchlackes haben, so dass die Abscheidung zu nicht brauchbaren Filmen führt. Erfahrungsgemäß sollen im Labor ermittelte Spannungen gegenüber der Praxis um 20 % unterschritten werden, da sonst Störungen in Form der gerade beschriebenen Defekte auftreten können. Die Abhängigkeit des Beschichtungsverhaltens von der Badtemperatur ist sehr hoch [4.4.21]. Das Beispiel der Abbildung 4.2.10 zeigt die Abhängigkeit der Strommenge in Coulomb von der Beschichtungszeit bei unterschiedlichen Temperaturen. Die verbrauchte Ladung C ist proportional dem Schichtdickenwachstum. Im obigen Beispiel liegt die optimale Badtemperatur bei etwa 20 °C, darunter wird die Schichtdicke zu hoch, darüber das Umgriffverhalten schlechter. Verantwortlich dafür ist die spezifische LackformulieC [As] rung. Neuere Untersuchungen 35 bestätigen, dass die Glasüber12 °C 30 gangstemperatur Tg des jewei25 ligen Harzes (siehe Kapitel 3.2) eine bedeutende Rolle für den 20 28 °C Abscheidemechanismus katho15 disch abscheidbarer Elektro10 tauchlacke spielt [4.4.27]. 20 °C Über die verfahrenstechnischen Einflussgrößen hinaus spielt die Zusammensetzung des Elektrotauchlackbades auf das Abscheideverhalten ebenfalls eine

5 0

0

5

10

20

40

60

90 t [s]

Abbildung 4.2.10: Strommenge/Zeit-Kurve am Beispiel eines kathodisch abscheidbaren Elektrotauchlackes in Abhängigkeit von der Badtemperatur

BASF-Handbuch Lackiertechnik 505

Lackiertechnologie

Der spezifische Widerstand ρs der Schicht S des eingebrannten Films gibt einen Hinweis auf das Umgriffpotenzial der Elektrotauchlacke.

Die Lackiertechnologie

bedeutende Rolle. Dazu zählen der Festkörpergehalt, der Neutralisationsgrad der Dispersion, die spezifische Badleitfähigkeit und der Lösemittelgehalt.

Schichtdicke [µm] 35 30

250 V

25 20 15 10

150 V

5 0 20

24

28

32 T [°C]

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.11: Schichtdickenentwicklung in Abhängigkeit vom Festkörper eines kathodisch abscheidbaren Elektrotauchlackes

[%] Umgriff 100 90 30 70 60 50 40 30 20 10 0 6,6

[g/C] Umgriff

30 25 20 15 10

Elektrotauchlacke mit niedrigem Lösemittelgehalt zeigen die Abhängigkeit für das Schichtdickenwachstum vom Festkörper nur in geringem Maße. In jedem Fall wird durch die Zunahme der Badleitfähigkeit das Umgriffverhalten verbessert. Limitierungen bei der Erhöhung des Festkörpergehaltes sind dadurch gegeben, dass die Ultrafiltrationsleistung aller kommerziellen Membranen auf zu hohe Festkörpergehalte sowohl in der Leistung als auch in der Standzeit sehr empfindlich negativ reagieren.

Erhöht man den Neutralisationsgrad der Elektrotauchlacke 0 allein, so reduziert man die 6,8 7,0 7,2 7,4 7,6 pH Schichtdicke bei gleicher Applikationsspannung [4.4.28]. Die Abbildung 4.2.12: Entwicklung der Abscheidemengen in g/C und des Umgriffes in Abhängigkeit vom Neutralisationsgrad eines anodisch zur Erzielung der Normschichtabscheidbaren Elektrotauchlackes dicke deshalb anzuhebende Spannung steigert den Umgriff. Dazu trägt zusätzlich die höhere Badleitfähigkeit bei. Begrenzend in diesem Fall ist die stärkere Gas- und Wärmeentwicklung, die zu elektrischen Durchschlägen führen kann und zu geringerer elektrochemischer Ausbeute, erkennbar an der Erhöhung des Abscheideäquivalentes Ä in C/cm3. Abscheidemenge

5

Während in den Anfängen der anodischen Elektrotauchlacktechnologie nur einkomponentige Lacke zur Anwendung kamen, wird bei den heute überwiegend kathodisch abscheidbaren Elektrotauchlacken mit zwei Komponenten gearbeitet. Zur Aufrechthaltung eines gleichmäßigen Lackierergebnisses ist es erforderlich, die durch die Beschichtung der Objekte ausgetragene Lackmenge durch Zudosierung neuen Materials zu ersetzen. Dazu gibt es prinzipiell zwei Verfahren: • K  ompensation mit meistens einkomponentigem, unterneutralisiertem Elektrotauchlack • K  ompensation mit meistens zweikomponentigem, neutralisiertem Elektrotauchlack Im ersten Fall wird das Nachfüllmaterial in einem genügend großen Vormischbehälter unter Verwendung von Dispergieraggregaten in den Elektrotauchlack dis506

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

pergiert. Das überschüssige Parameter KTL ATL Neutralisationsmittel aus dem Festkörper (2 h/130 °C) in [%] 15 – 22 8 – 15 Bad reicht häufig aus, dies zu Pigmentgehalt (450 °C) in [%] 1–5 2–7 bewerkstelligen. Nachteil dieLösemittelgehalt in [%] 0,5 – 3,0 4 – 10 ses Verfahrens ist, dass eine einfache Qualitätskontrolle pH 5–7 7–9 über den Dispergierzustand des Spez. Badleitfähigkeit (mS/cm) 1,5 – 2,5 2–3 Nachfüllmaterials nicht mögAbbildung 4.2.13: Typische Baddaten von Elektrotauchlacken lich ist. Nur bei Einhalten der durch Erfahrung gewonnenen Prozessbedingungen lässt sich dieses Kompensationsverfahren störungsfrei fahren.

Lackiertechnologie

Einen wesentlich stabileren und definierteren Zustand der Elektrotauchlackbäder erreicht man mit der zweiten Kompensationsmethode. Dazu werden eine vollständig neutralisierte Bindemitteldispersion und eine Pastendispersion getrennt an geeigneter

Abbildung 4.2.14: Säure-Basen-Bilanz der verschiedenen Kompensationsverfahren

BASF-Handbuch Lackiertechnik 507

Die Lackiertechnologie

Stelle dem Becken zudosiert, ohne dafür einen Dispergierschritt zu benötigen. Daraus lassen sich mehrere Vorteile ableiten: nur sehr geringe Schwankungen des Badzustandes dadurch, dass schon vordispergiertes Material zugegeben wird, sowie eine automatische, kontinuierliche Dosierung in Abhängigkeit vom Stromverbrauch. Darüber hinaus lässt sich ein lösemittelarmes Kompensationsmaterial einsetzen, das nur ca. 20 % der üblichen Lösemittel 1-komponentiger Nachfüllmaterialien besitzt. Allerdings benötigt die Variante der Kompensation mit vollneutralisiertem Material einen weiteren Kreislauf, der das beim Abscheiden entstehende überschüssige Neutralisationsmittel dem Lacksystem entzieht. Dieser Kreislauf heißt Anolytkreislauf für kathodisch abscheidbare und Katholytkreislauf für anodisch abscheidbare Elektrotauchlacke. Darüber hinaus ist mit dem Verfahren der Kompensation mit voll neutralisiertem Material ein hohes Anliefervolumen verbunden.

Lackiertechnologie

Der Transport und die Anlieferung erfolgen je nach Verbrauchsmengen in Tankwagen oder wie bei Automobilanlagen üblich, in 1 t-Edelstahlbehältern oder 200 l-Fässern. Die Tankwagenanlieferung erfordert entsprechend große Vorratsbehälter an den Elektrotauchanlagen. Anlagentechnik Die Anwendung von Elektrotauchlacken erfolgt in Beckengrößen von 0,1 bis 500 m3 Inhalt. Die größten Becken sind in der Nutzfahrzeugindustrie zu finden, die kleinsten bei Lohnbeschichtern oder Firmen, die kleine Teile und geringe Mengen im Handbetrieb zu beschichten haben. Die größten Becken sind Durchlaufanlagen mit verschiedenen Bewegungsprogrammen der Objekte, die die größte Produktivität von bis zu 70 Karossen pro Stunde gewährleisten (siehe Kapitel 7.1). Taktanlagen dagegen erreichen etwa 15 Einheiten pro Stunde, besitzen dafür nur ca. 30 % der Beckengröße. Die Beckengröße spielt eine bedeutende Rolle für die Austauschgeschwindigkeit des Badmaterials durch die Kompensation. Den einmaligen theoretischen Materialaustausch bezeichnet man als einen Turnover. Er darf für die KTL nicht wesentlich größer als 12 Monate sein, da sonst aus Gründen abnehmender Stabilität die Qualität der Beschichtung nicht mehr gewährleistet ist. Bei anodisch abscheidbaren Lacken ist diese Zeit üblicherweise kürzer. Die für die Anlage zum Einsatz kommenden Werkstoffe sind bei KTL-Anlagen Edelstahl oder Kunststoffe. Bei den leicht alkalischen anodischen Elektrotauchlacken lässt sich normaler Stahl verwenden. Abbildung 4.2.15: Spektrum an elektrotauchlackierten industriellen Gütern Quelle: BASF Coatings

508

Außer dem Tauchbecken aus kunststoffbeschichtetem Stahl sowie dem gleichgroßen BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Spritzspülzonen Elektrotauchlackbecken

Tauchspülbecken

Dialysezellen

BM

PP

VE Wasser

VE Wasser

Beckenabsaugung

Kompensation Kühler

Ultrafiltration

Lackkreislauf Spül- Filtratbehälter

Abwasser Anolytbehälter

Puffer

Abwasser

Abbildung 4.2.16: Verfahrensschema der kathodischen Elektrotauchlackierung (PP = Pigmentpaste, BM = Bindemittel)

Lackablass- oder Gegenbehälter benötigt eine Elektrotauchlackanlage zur kathodischen Abscheidung folgende weitere Anlagenelemente: • • • • • • •

Stromversorgung Wärmeaustauscher Ultrafiltrationsanlage Filter Lackdosierung Anolytkreislauf Spülzonen.

Für die Abscheidung von Elektrotauchlacken benötigt man gleichgerichteten Strom. Zur Vermeidung von zu hohen Stromdichten, wodurch Beschichtungsfehler entstehen können und das Lackmaterial sogar zerstört werden kann, wird ein Spannungsprogramm gefahren (siehe Kapitel 6.2.2). Dieses dient dazu, die Stromspitzen zu Beginn der Abscheidung zu reduzieren, indem die Spannung niedriger eingestellt ist als im späteren Verlauf des Beschichtungsprozesses. In Taktanlagen lässt sich dies einfach durch Einstellung eines Spannungsprogrammes in einem Gleichrichter erreichen. In Durchlaufanlagen, wo sich mehrere Objekte gleichzeitig im Elektrotauchlackbecken befinden, ist dazu wenigstens ein zweiter Gleichrichter notwendig. Dieser ermöglicht die variable Einstellung eines separaten Spannungsprogramms für den Eintauchbereich. In weniger anspruchsvollen Prozessen kann mit einem Gleichrichter und elektrodenfreien Eintauchzonen gearbeitet werden, weil durch den damit erzielbaren größeren Badwiderstand die Stromspitzen zu reduzieren sind. Im Falle der kathodischen Elektrotauchlackierung ist das Werkstück als Kathode geschaltet und liegt im Beispiel A der Abbildung 4.2.17 auf Nullpotenzial, ist also BASF-Handbuch Lackiertechnik 509

Lackiertechnologie

Lackablassbehälter

Die Lackiertechnologie

Gleichrichter Ein Aus U max

– A

+

U const ca. 400 V

U const ca. 400 V





+

Förderer

+ Stromschiene



Anolytzellen

+ +

+ +

ETL-Becken

+ +

Schalter

Gleichrichter

B

U const ca. 280 V

U const ca. 380 V

U const ca. 420 V







+

+

+ Stromschiene



Lackiertechnologie

Förderer

Anolytzellen

+ +

+ +

+ +

ETL-Becken

Abbildung 4.2.17: Prinzipien der elektrischen Schaltung bei einer Durchlaufanlage für kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke

geerdet, während die Anoden auf dem Pluspotenzial liegen. Das Spannungsprogramm mit wenigstens 2, meist 3 Gleichrichtern wird über das Anodenpotenzial gefahren. Das Beispiel B zeigt eine unterteilte Schiene, bei der die Spannung über das Kathodenpotenzial aufgebaut wird. Bei technischen Anlagen wird der Gleichstrom in der Regel mit Thyristorgleichrichtern erzeugt. Um ein gutes Beschichtungsergebnis zu erhalten, sollte die Restwelligkeit der erzeugten Gleichspannung 5 % nicht überschreiten. Die Beschichtungsspannungen betragen zwischen 300 und 450 V bei einer Beschichtungszeit zwischen 2 und 4 Minuten. Die Temperaturen des Beckeninhaltes liegen zwischen 25 und 35 °C. Für den Betrieb des Wärmeaustauschers, der Ultrafiltrationsanlage und der Filter werden mehrere Kreisläufe mit Pumpen eingerichtet, die gleichzeitig dazu dienen, die Strömung im Becken so aufrecht zu halten, dass eine Sedimentation des Elektrotauchlackes vermieden wird. Dazu werden Treibstrahldüsen in dem Becken so angeordnet, dass keine Strömungstoträume entstehen. Bezogen auf den freien Querschnitt des Beckens soll die mittlere Strömungsgeschwindigkeit 0,3 m/s nicht unterschreiten. Dies bedeutet in etwa eine 4 bis 6-malige Umwälzung des Beckeninhaltes pro Stunde. Die Strömungsrichtung ist im Normalfall an der Beckenoberfläche in Durchlaufrichtung der zu beschichtenden Objekte. Um den notwendigen Stromfluss zu garantieren, darf das Badniveau oberhalb der Objekte 20 cm nicht unterschreiten. In den Rohrleitungen sollte wie im Becken die Strömungsgeschwindigkeit von 0,3 m/s nicht unterschritten werden. 510

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Zum Fördern des LackmateriPermeat als sind Pumpen mit doppeltMembran wirkenden Gleitringdichtungen vorzusehen, die mit dem aus Lackfluss Konzentrat dem Lackmaterial erzeugten Ultrafiltrat (siehe weiter) als Sperrflüssigkeit betrieben werden. Daneben können auch Tauchpumpen eingesetzt werPermeat den. Als Materialpaarung für die Dichtflächen eignet sich Abbildung 4.2.18: Schema des Ultrafiltrationsprozesses Wolframcarbid/Wolframcarbid. Vor den Pumpen sollten in allen Lackkreisläufen Filter installiert werden.

Eine wichtige Rolle bei der Applikation spielt die Badtemperatur (siehe vorher). Durch die eingetragene elektrische Energie während des Abscheideprozesses und der Reibungswärme der Umwälzpumpen erwärmt sich das Bad rasch und muss deshalb gekühlt werden. Abweichungen von mehr als 1 °C von der vom Lackhersteller angegeben Normtemperatur wirken sich auf die Schichtdicke und die Oberflächengüte des eingebrannten Films aus. Die Anlage zur Temperierung muss so ausgelegt sein, dass selbst unter den ungünstigsten Bedingungen eines heißen Sommertages wie auch im Winter die empfohlene Badtemperatur eingehalten werden kann. Die hohen Materialausbeuten des Elektrotauchlackverfahren werden durch Ultrafiltration erreicht. Unter Ultrafiltration versteht man einen Trennprozess, bei dem aus einer Dispersion oder kolloidalen Lösung niedermolekulare Bestandteile abgetrennt werden. Bei Elektrotauchlacken sind diese Bestandteile naturgemäß Wasser, organische Lösemittel, Elektrolyte und niedermolekulare Bestandteile des Bindemittels. Dazu wird der Elektrotauchlack mit hoher Geschwindigkeit an einer geeigneten Membran vorbeigeführt. Treibende Kraft zur Separierung an der Membran der Ultrafiltrationsmodule sind der Konzentrationsgradient zwischen der Innen- und Außenseite und ein Druckgefälle von einigen Tausend hPa. Die Trenngrenze bezogen auf Molekulargewichte gelöster Bestandteile und der Bindemitteldispersionen liegt je nach Membransystem zwischen 0,0015 und 1,0 µm. Der Flüssigkeitsstrom, der die Membran passiert, wird als Permeat bezeichnet. Die spezifische Ausbeute (auch Flux genannt) wird auf die Fläche und Membran bezogen in l/m2h angegeben. Die Fluxrate hängt von der Membranfläche, Porengröße, der Strömungsgeschwindigkeit an der Membranoberfläche, dem Konzentrationsgradienten und der Druckdifferenz ab. Die beiden wichtigsten Größen für eine hohe Ausbeute an Permeat sind die Membranfläche und die Strömungsgeschwindigkeit des Elektrotauchlackes an der Membranoberfläche. Zum einen hält sie bei hohen Durchflüssen den Konzentrationsgradienten aufrecht, zum anderen verzögert sie dadurch die Ausbildung einer durch Lackablagerungen diffusionshemmenden Grenzschicht an der Membranoberfläche. Die GesetzmäßigBASF-Handbuch Lackiertechnik 511

Lackiertechnologie

Zu einer effektiven Filtration gehört die sorgfältige Auswahl der Absaugorte in den Elektrotauchlackbecken. Es ist in jedem Fall empfehlenswert, einen Teilstrom aus dem schmutzbelasteten Eintauchbereich abzusaugen.

Die Lackiertechnologie Messwert

Größe

Aussehen

KTL

Ultrafiltrat

undurchsichtig

klar

FK (2 H/180 °C)

%

20 – 22

0,3 – 0,6

Spez. Leitfähigkeit (20 °C)

mS/cm

2,0

1,8

Abbildung 4.2.19: Physikalische Daten des Ultrafiltrats im Vergleich zum Ausgangslack

Lackiertechnologie

keiten verlieren durch eine langsame Belegung der Membran mit Schmutz, instabilen Dispersionsteilchen und Pigmenten ihre Gültigkeit, so dass eine langsame Abnahme der Fluxrate die Folge ist. Durch Reinigung mit geeignetem Spülmittel kann die Leistung wieder annähernd auf das ursprüngliche Niveau gebracht werden. Das so erzeugte Ultrafiltrat wird als Spülmittel im Gegenstromprinzip in den letzten Spülkranz oder in das Spülbecken der Anlage eingespeist. Das abfließende Spülmedium wird meistens über zwei bis drei weitere Spülzonen in das Beckenmaterial zurückgeführt. Der Nutzungsgrad des Lackmaterials hängt naturgemäß von der Menge des in die Spülzone eingebrachten Ultrafiltrats ab. In seltenen Fällen wird z.B. bei übermäßiger Kontamination des Elektrotauchlackes durch Elektrolyte Ultrafiltrat verworfen und durch vollentsalztes Wasser ersetzt. Ultrafiltrationsanlagen werden mit dem Ziel entwickelt, auf möglichst kleinem Raum mit möglichst großen Membranflächen bei möglichst geringen Lackmengen die größte Menge an Ultrafiltrat pro Stunde zu gewinnen. Dabei spielen die Membranmodule eine wichtige Rolle. Man unterscheidet zwischen einfachen Rohrmodulen, Hohlfasermodulen, Spiralmodulen und Plattenmodulen. Rohrmodule besitzen einen Durchmesser von mehreren Zentimetern, wobei das Permeat zwischen Membran und einem Kunststoffgehäuse gesammelt und nach außen abgeführt wird. Die Vorteile eines solchen Modules liegen in den hohen Fluxraten und der einfachen mechanischen Reinigung. Hohlfasermodule bestehen aus einem Bündel dünner, röhrenartiger Membranen, die sich mit bis zu 90 Einheiten in einem Gehäuse befinden. Der Innendurchmesser der Röhren beträgt nur etwa 1,0 bis 1,5 mm. Das austretende Permeat wird auch hier durch einen Kunststoffmantel gesammelt und nach außen geführt. Die Vorteile sind eine hohe Membranfläche pro Volumeneinheit. Spiralmodule sind so konstruiert, dass zwei Flachmembranen an drei Seiten wie ein Umschlag verschweißt werden. Wegen dieser Konstruktionsweise werden sie auch Wickelmodule genannt. Dazwischen befindet sich ein poröses Medium zur Aufnahme des Permeats. Das Ende dieses Trägermaterials ist an einer perforierten Sammelröhre befestigt. Das gesamte Membran/Trägersystem wird zusammen mit einem Abstandshalter aufgewickelt. Zwischen den durch die Abstandshalter getrennten Membranen fließt das Lackmaterial. Das Permeat gelangt durch die Membran in das Trägermaterial, wo es tangential in die perforierte Sammelröhre abfließt. Die Vorteile sind wie bei den Hohlfasermodulen eine hohe Membranfläche pro Volumeneinheit. Bei den Plattenmodulen werden mit einer Membran beschichtete poröse Platten als „stack“ in einem Rahmen aneinandermontiert. Das Lackmaterial fließt durch die Zwischenräume, das Permeat geht in die porösen Platten und wird von dort nach außen abgeführt. Vorteile dieses Modules sind geringe Ersatzkosten der Membranen und geringer Wartungsaufwand. 512

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Ursachen für die Verunreinigungen von Elektrotauchlacken können sein: • • • • • • • •

Einschleppen von Schmutz aus dem Rohbau Schmutz aus dem Umfeld der KTL-Anlage Abrieb und Schmutz vom Fördersystem angetrocknetes Lackmaterial vom Gehänge Koagulation und Ablagerungen des Elektrotauchlackes elektrische Durchschläge/hohe Spitzenspannungen verschmutztes vollentsalztes Wasser Koagulatbildung durch Scherkräfte z.B. in defekten Pumpen.

Eine höchst unangenehme Art der Verunreinigung sind geringe Mengen spezieller oberflächenaktiver Stoffe. Silikonöle und perfluorierte Kohlenwasserstoffe sind je nach ihrem hydrophoben Charakter (HLB-Wert) und der Oberflächenspannung bei einer Konzentration von ppb bis ppm in der Lage, entweder Krater im Elektrotauchlackfilm oder erst später in der Folgebeschichtung z.B. dem Füller zu erzeugen. Um diese Kontaminationen zu entfernen, setzt man spezielle, oberflächenaktive Filter ein. Die höchste Dialysezellen Wirksamkeit wird aufgrund der schwachen hydrophoben Wechselwirkung des Filtermediums mit den Kontaminanten bei möglichst druckloser Filtration Leitfähigkeitsmessung und -regulierung erreicht. Eine solche Filtration Durchflussmessung KI sollte außerhalb des normalen VE-Wasser Kreislaufes betrieben werden. Die Installation eines Anolytkreislaufes ist für kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke und Kompensation mit zwei-

Anolyttank

Abwasser

Abbildung 4.2.20: Schema des Anolytkreislaufes

BASF-Handbuch Lackiertechnik 513

Lackiertechnologie

Um defektfreie Oberflächen des Elektrotauchlackes bei einer Filmdicke von 20 bis 25 µm zu erzielen, dürfen keine Schmutzpartikeln im Lack vorhanden sein, die einen Durchmesser in der Größenordnung der Schichtdicke besitzen oder überschreiten. Da die Bestandteile des Lackes bis zu etwa 5 µm groß sind, gibt es Vorgaben für die Größe der Poren in den Filterbeuteln. Diese liegt üblicherweise bei 25 bis 50 µm. Als Filtermaterial wird bevorzugt Polypropylen in Nadelfilzausführung verwendet. Die Filterbeutel werden in Edelstahlnetzkörbe, diese wiederum in Filterkessel aus Edelstahl für 2 bis 8 solcher Körbe gelegt. Der Elektrotauchlack durchfließt die Filtereinrichtung von oben nach unten. In der Regel werden alle Kreisläufe einer Filtration unterzogen. Die korrekte Funktion der Filter lässt sich durch die Überwachung der Druckdifferenz von Eingangs- und Ausgangsdruck der Filterkessel überprüfen. Diese Differenz sollte 1,5 bar nicht überschreiten. Eine Umgehung einzelner Filterkessel ist notwendig, damit bei plötzlichem Druckanstieg Entlastung herbeigeführt werden kann, um die Filtersäcke nicht reißen zu lassen. Diese Umgehungen müssen spülbar sein, da im Falle einer Störung das verbleibende Elektrotauchlackmaterial sedimentieren würde. Im Normalbetrieb ist ein Filterwechsel etwa wöchentlich im Rahmen der allgemeinen Wartungsarbeiten vorzunehmen.

Die Lackiertechnologie

komponentigem, neutralisiertem Nachfüllmaterial notwendig, pH 2,2 – 2,8 um die bei der Abscheidung frei Spez. Leitfähigkeit (20 °C) mS/cm 0,3 – 2,0 werdende Säure dem Lackbad zu entziehen. Andernfalls ginge Festkörper (2 h/130 °C) % < 0,2 das Säure-Basen-Gleichgewicht Fläche: Anode/Kathode 1:4 – 6 verloren. Der daraus resultieDurchfluss Anodenzelle l/min 4 – 15 rende niedrige pH-Wert führt Abbildung 4.2.21: Betriebsdaten des Anolytkreislaufes zu mangelhaftem Abscheideverhalten des Lackmaterials u. a. wegen des Anstiegs der spezifischen elektrischen Leitfähigkeit. Eigenschaft

Dimension

Wert

Lackiertechnologie

Zwei Elemente zeichnen den Anolytkreislauf aus: Zum einen die semipermeable Anionenaustauschermembran vor der Anode, zum anderen die Wasser-Zuführung, die über eine Leitfähigkeitmessung gesteuert wird. Die Anionenaustauschermembran schließt die Box, in der die Anode untergebracht ist, zum Elektrotauchlackbecken ab. Sie ermöglicht es, dass bei Stromfluss und erfolgender Abscheidung des Elektrotauchlackes lediglich die zur Elektroneutralität notwendigen Anionen die Membran in Richtung Anode passieren können. Ist keine Spannung angelegt, wirkt sie als Elektrolytsperre. Die Säurekonzentration wird mit Hilfe einer Leitfähigkeitsmessung und Regeleinrichtung zur Absenkung durch Zugabe von vollentsalztem Wasser zum Anolyttank gesteuert. Die aufkonzentrierte Säure wird über einen Überlauf ausgeschleust. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Essigsäure, gelegentlich Milch- und Ameisensäure, die zur Entsorgung durch einfache Neutralisation aufbereitet werden. Der Werkstoff für den Anolytkreislauf ist wegen des niedrigen pH-Wertes der Anolytflüssigkeit aus Kunststoff, meist PVC. Die Rückläufe der Anodenzellen sollten zur Überprüfung des Durchflusses eine durchsichtige Strecke besitzen. Die Umwälzpumpe muss aus säurefestem Edelstahl bestehen und das Leitungssystem geerdet sein. Für die Anodenbleche innerhalb der Anodenzellen ist rostfreier Edelstahltyp erforderlich, der gegen anodische Auflösung im sauren und leicht chloridhaltigen Medium resistent ist. Geeignete Werkstofftypen nach DIN sind Edelstähle 1.4401 und 1.4439. In Abhängigkeit von der durchflossenen Strommenge tritt ein Gewichtsverlust der Anoden ein. Die übliche Lebensdauer in Automobilanlagen beträgt je nach Position im Becken zwischen zwei und vier Jahren. Bei Leckagen und dadurch erfolgtem Eindringen von Lackmaterial in den Anolytkreislauf findet eine Abscheidung auf der Membraninnenseite statt, die zu erheblichen Einschränkungen des Stromflusses führt. Dies wird zunächst durch Reduzierung des Umgriffes, dann der Schichtdicke des abgeschiedenen Films erkennbar. Sofortiger Stopp der Produktion, Reparatur der Leckage und Austausch der Membranen ist dann erforderlich und führt naturgemäß zu erheblichen Produktionseinbußen. Deshalb sind in den Regelkreislauf eingebaute Trübungsmesser zur Erhöhung der Betriebssicherheit erforderlich. Der auf dem austauchenden Objekt abgeschiedene Elektrotauchlack haftet fest auf dem Substrat und ist stark strukturiert bzw. porös (siehe vorher). Auf seiner Oberfläche ist ein Flüssigkeitsfilm, bestehend aus Badmaterial und eingeschlossenen Gasblasen. Wird 514

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Spritzspülzonen Tauchspülbecken

VE Wasser

vom ETL-BeckenÜberlauf

Ultrafiltration

zum ETL-Becken

Spül- Filtratbehälter

Abwasser

dieser Film nicht rechtzeitig entfernt, kommt es nach Antrocknung zu starken Oberflächenstörungen, die im Laufe des Einbrennvorganges nicht beseitigt werden können. Darüber hinaus würde es bei komplettem Ausfall einer Spülzone zu einem Materialaustrag von bis zu 60 % (bezogen auf den abgeschiedenen Elektrotauchlack) kommen. Die Spülzone dient somit der Optimierung der Oberflächenqualität und des Materialauftragswirkungsgrades. Sie wird mit dem Ultrafiltrat im Gegenstromprinzip beschickt. Üblicherweise hat die Spülzone fünf oder sechs Einzelstationen: Optional:

1. Spülung der Oberfläche kurz nach dem Austauchen 2. Zone I – Spritzen 3. Zone II – Spritzen 4. Zone III – Tauchen 5. Spritzen mit reinem Ultrafiltrat 6. Spritzen mit vollentsalztem Wasser

Auf die noch in den 1990er Jahren als letzte Station eingesetzte Spülung mit vollentsalztem Wasser wird heute in der Automobilindustrie weitgehend verzichtet, da die Ultrafiltratqualität durch Optimierung der Membranen und des Elektrotauchlackes dem Zustand des vollentsalzten Wassers sehr nahe gekommen ist und damit Kosten gespart werden. Der Spülvorgang in Station 1 ist wichtig für eine störungsfreie und glatte Oberfläche des Elektrotauchlackes. Er muss in weniger als einer Minute nach dem Austauchen erfolgen. Dies geschieht mit Sprühdüsen, die oberhalb und an den Seiten der Lackierobjekte noch über dem Auslaufbereich des Elektrotauchlackbeckens installiert sind. Es folgen drei Spülzonen, die aufgrund des Eintrages von anhaftendem Elektrotauchlack unterschiedliche Lackkonzentrationen besitzen und als Kaskade in Richtung Elektrotauchlackbecken verbunden sind. Das reine Ultrafiltrat wird in die letzte Spülzone vor dem VE-Wasser-Sprühkranz eingespeist. In einigen Fällen wird auch ein Teilstrom des reinen Ultrafiltrats für die erste Spülung benutzt, die noch über dem Elektrotauchlackbecken stattfindet. BASF-Handbuch Lackiertechnik 515

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.22: Schema einer Spülzone mit Tauchspülbecken

Die Lackiertechnologie

Je nach Menge des eingespeisten Ultrafiltrats und der Beschichtungsmenge stellen sich üblicherweise Festkörper von ca. 1 bis 2 % in Spülzone I und etwa 0,5 bis 1,0 % in Spülzone III ein. Dabei gilt als Faustregel für die Auslegung der Ultrafiltrationsanlage, dass pro m2 zu beschichtende Oberfläche etwa 0,8 bis 1,5 l Ultrafiltrat zur Verfügung stehen sollen. Die Inhalte der einzelnen Spülstufen werden je nach Stelle im Spülprozess Rezirkulat I (Zone I) und Rezirkulat III (Zone III) genannt. Aufgrund des kompletteren Spülvorganges werden in der Automobilindustrie fast nur noch Tauchbecken für die Spülzonen II und III benutzt. Ist ein Spülkranz oder Becken mit VE-Wasser als letzte Station vorhanden, so wird dieses Material nicht über die Rezirkulatstufen dem Elektrotauchbecken zugeführt. Es muss entsorgt werden. Dies erfolgt meist an den Anlagen selbst durch Behandlung mit Fällungsmitteln. Die mit solchen Kaskadenspülungen konzipierten Anlagen erreichen einen Materialauftragswirkungsgrad von mehr als 98 %.

Lackiertechnologie

Prozessparameter Zur Prozessüberwachung werden sowohl analytische Baddaten als auch applikatorische Kennzahlen periodisch ermittelt. Der Zyklus der verschiedenen Prüfungen wird in Abhängigkeit von der Lackqualität und der Durchsatzgeschwindigkeit festgelegt (siehe Kapitel 7.1). Zu den analytischen Schlüsselkenngrößen gehören der Festkörpergehalt, das Bindemittel/Pigment-Verhältnis oder die Pigmentkonzentration als Aschegehalt sowie der pH-Wert, die spez. Leitfähigkeit und der Lösemittelgehalt des Badmaterials. Diese Kennwerte dienen in erster Linie der Qualitätskontrolle des Kompensationsmaterials. Die Messmethoden werden üblicherweise aus den entsprechenden DIN-EN-Vorschriften abgeleitet (siehe Kapitel 2.3). Die tägliche Kontrolle der Beckeninhalte beschränkt sich auf Festkörpergehalt, pH-Wert und spezifische Badleitfähigkeit. Die unter definierten physikalischen Bedingungen ermittelten physikalischen Abscheidedaten bestätigen zum einen die Konstanz des Badzustandes und zum anderen das Abscheideverhalten wie z.B. den Umgriff. Diese Kenngrößen reagieren empfindlicher auf Schwankungen des Badzustandes als die analytischen Daten. Übersicht über die Bindemittel und Lackformulierungen Um Filmbildner anodisch abscheidbar zu machen, ist wie schon beschrieben der Einbau von negativ geladenen ionischen Gruppen in das Filmbildnergerüst erforderlich. Am häufigsten wird dazu die Carbonsäuregruppe benutzt. Die Überführung in die Salzform mit Alkalilauge oder Aminen (siehe Abbildung 4.2.14) macht eine Dispergierung des Filmbildners in Wasser möglich. Die gewünschten Eigenschaften des Überzuges wie Korrosionsschutz, glatte Oberflächen und Glanz werden wesentlich durch den chemischen Aufbau des Filmbildners bestimmt. Polyacrylate und Polyester sind bevorzugt Fimbildner für einschichtige Lacke. Öle, Alkydharze, Polybutadienharze, Phenolharze und Epoxidharze werden als Ausgangsmaterial für Grundierungen verwendet [4.4.29]. Die ersten bedeutenden anodisch abscheidbaren Elektrotauchlacke waren ungesättigte Öle, die mit Maleinsäureanhydrid zur Reaktion gebracht wurden (siehe Kapitel 2.1) [4.4.30]. Hauptsächlich eingesetzter Rohstoff ist das Leinöl, das mit ca. 10 bis 30 % Maleinsäureanhydrid umgesetzt wird. 516

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die für die Elektrotauchlacke modifizierten Harze besitzen Molmassen von 1000 bis 10.000 g/Mol. Sie werden bei Temperaturen von 140 bis 200 °C vernetzt. Zur Vernetzung ist die Veresterungsreaktion mit Phenolharzen oder OH-gruppenreichen Harzen üblich. Die durch Sauerstoff induzierte Polymerisation der Kohlenstoffdoppelbindungen zur Vernetzung der ungesättigten Filmbildner spielt ebenfalls eine Rolle. Durch Zusätze von Bleiverbindungen wurde diese Reaktion früher katalytisch unterstützt. Zur Verbesserung des Korrosionsschutzes wird die Vernetzung durch Phenolharzpräkondensate verstärkt [4.4.31].

Durch hohe Säurezahlen lassen sich ungesättigte Polyester und Alkydharze wasserlöslich machen. Sie werden heute nur noch in geringem Umfang eingesetzt. Gesättigte, saure Polyester haben eine gewisse Bedeutung für die Stahlmöbelindustrie als besonders glatte einschichtige Elektrotauchlacke. Sie lassen sich entsprechend einfach herstellen und mit OH-Gruppen reichen Harzen vernetzen. Epoxidharze können als Diole in der Polyestersynthese eingesetzt oder direkt als difunktionelle Epoxide mit polyfunktionellen Carbonsäuren umgesetzt werden. Die Einführung der Carbonsäurefunktion erfolgt durch Verwendung von ungesättigten Fettsäuren, die mit Maleinsäureanhydrid umgesetzt werden [4.4.34]. Elektrotauchlacke auf dieser Harzbasis haben einen guten Korrosionsschutz. Sie haben deshalb eine Zeit lang Anwendung in der Automobilindustrie gefunden. Ein einfacher Weg zur Synthese anodisch abscheidbarer Harze ist die Copolymerisation von Acrylsäure- und Methacrylsäuerester sowie Styrol mit freier Acryl- oder Methacrylsäure. Letztere müssen mit einem Anteil von 5 bis 20 % im Polymerisat vorliegen. Die Vernetzung kann über Aminoharze oder Phenolharzmodifikationen erfolgen, wenn in der Kette des Acrylatharzes OH-Gruppen vorhanden sind. Alternativ können selbstvernetzende Systeme durch den Einbau von Methylol-Gruppen in die Acrylatkette formuliert werden [4.4.35]. Die Umesterung ist ein weiterer Vernetzungsmechanismus [4.4.36]. Generell eignen sich Acrylatharze als Einschichtdecklacke mit akzeptabler Lichtbeständigkeit. Ihr Korrosionsschutz ist deutlich schwächer als der von Elektrotauchlacken auf Basis von Epoxidharzen. Anodisch abscheidbare Elektrotauchlacke sind auch auf Basis von Polyamiden, Polyimiden und Polyesterimiden in der Literatur beschrieben, ohne praktische Bedeutung erzielt zu haben [4.4.37] Kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke werden auf Basis von Filmbildnern formuliert, die durch den Einbau positiv geladener, funktioneller Gruppen modifiziert werden. Die wichtigste ist die Aminogruppe, die primär, sekundär, tertiär und quarternär sein kann. Daneben sind Phosphonium-, Isothiouronium und Sulfonium-Gruppen in Harzen unterBASF-Handbuch Lackiertechnik 517

Lackiertechnologie

Oligobutadiene, auch Polymeröle genannt, lösten Mitte der 1970er Jahre die Naturrohstoffe ab. Sie lassen sich durch gezielte Synthesen in ihren Eigenschaften für die gewünschten Anwendungen leichter optimieren und sind verseifungsfest. Bevorzugt wurden Oligomere mit cis-Doppelbindungen wegen der höheren Reaktivität bei der Maleinisierung eingesetzt [4.4.32]. Neben 1.4-Butadien kamen in geringerem Maße auch Copolymere verschiedener Diene wie Isopren, Cyclopentadien und 1.3-Pentadien u.a. auch in Kombination mit Naturölen zur Anwendung [4.4.33].

Die Lackiertechnologie

sucht worden. Sie führen grundsätzlich zu abscheidbaren Beschichtungsstoffen, haben aber bis auf die Sulfoniumgruppe keine praktische Bedeutung erreicht [4.4.38, 4.4.39].

Lackiertechnologie

Für die Praxis wichtig sind die aminmodifizierten Epoxidharze, die den besten Korrosionsschutz und hervorragende Haftung zu Metallen liefern. Sie werden zu über 90 % für die Automobilgrundierung eingesetzt (siehe Kapitel 7.1). Ausgehend von reinen oder mit Polyester modifizierten Epoxidharzen kann die Aminofunktion durch Umsetzung freier Epoxidgruppen mit Amin oder Ammoniumsalzen erfolgen [4.4.40]. Die anschließende Neutralisation der Aminogruppen mit organischen Säuren wie Ameisen-, Essig- oder Milchsäure macht die Harze in Wasser dispergierbar. Die kommerziell wichtigen Elektrotauchlacke auf dieser Basis enthalten eindispergierte Vernetzer auf Basis verkappter Isocyanate [4.4.41]. Eine Zeit lang besaßen epoxidharzmodifizierte Phenolharze Bedeutung, die durch Mannich-Reaktion mit sekundärem Amin und Formaldehyd zu wasserdispergierbaren, selbstvernetzenden Elektrotauchlackharzen umgesetzt wurden. Die Mannich-Gruppe spaltet dabei thermisch bei ca. 190 °C die Aminogruppe ab und führt so zur Vernetzung [4.4.42]. Mit solchen Lacken lässt sich ein guter Korrosionsschutz erzielen. Wie bei den anodisch abscheidbaren Lacken auf Acrylatharzbasis lassen sich kathodisch abscheidbare Acrylatharze herstellen, wenn aminogruppenhaltige Acrylatmonomere wie z.B. Dimethylaminoethylmethacrylat als Bausteine bei der Polymerisation verwendet werden. Daneben lassen sich hydroxylgruppen- oder epoxidgruppenhaltige Monomere modifizieren. Die Vernetzung zu meistens einschichtigen, einigermaßen wetterfesten Beschichtungen erfolgt häufig über verkappte, mehrfunktionelle Isocyanate [4.4.43]. Bindemittel auf Basis von Alkydharzen lassen sich entweder durch Peroxide zu Epoxidgruppen funktionalisieren oder durch Umsetzung mit Maleinsäureanhydrid mit Diaminen kathodisch abscheidbar machen. Anwendungstechnische Bedeutung haben diese Harze nicht gefunden. Varianten des Elektrotauchlackierens Neben der einfachen Elektrotauchlackierung gibt es seit den 1970er Jahren Lackierverfahren, bei denen die Elektrotauchlackierung für einen kompletten Lackaufbau eingesetzt wird. Eine abgespülte, nicht eingebrannte Beschichtung lässt sich ein zweites Mal durch denselben oder einen anderen Elektrotauchlack z.B. mit erhöhter Spannung überbeschichten. Man erhält so Gesamtschichtdicken bis zu 60 µm. Dies hat einige Anwendungen im industriellen Maßstab gefunden. Auch eingebrannte KTL-Filme lassen sich ein zweites Mal überbeschichten, wenn diese durch geeignete Pigmentierung nach dem Einbrennen entsprechende Leitfähigkeiten des Films erreichen [4.4.44]. Hierbei gewinnt man gegenüber der ersten Variante an Verfahrenssicherheit, da nicht auf die Verträglichkeit der beiden Lacke geachtet werden muss. Der zweite Elektrotauchlack kann spezifisch auf die Anforderungen des jeweiligen Anwenders hin formuliert werden. Dies ist in der Automobilindustrie für die Applikation von Füllern untersucht worden [4.4.45]. Bisher haben sich solche Beschichtungsverfahren aus verfahrenstechnischen Gründen, den hohen Investitionskosten, der Oberflächenqualität und Verlust an Farbspielraum nicht durchsetzen können. Als weitere Beispiele für Spezialverfahren des Elektrotauchens seien Durchlaufanlagen zur elektrophoretischen Lackierung von Endlosbändern oder Drähten sowie Flutanla518

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

gen zur Beschichtung von Stahlrohren erwähnt. Im ersten Fall wird das Tauchbecken seitlich mit Öffnungen versehen, durch welche die zu beschichtenden Bänder hindurchgeführt werden. Das an den Öffnungen auslaufende Lackmaterial wird in einem Überlaufbecken aufgefangen und dem Beschichtungsbecken wieder zugeführt. Ähnlich arbeiten elektrophoretische Flutanlagen für die Beschichtung von Metallrohren. Aus dem geöffneten Siebboden eines als Elektrode geschalteten Vorratsbehälters flutet der Lack auf die sich drehende, als Anode geschaltete Metallröhre. Das überschüssige Material wird ebenfalls nach Filtration dem Vorlaufbecken wieder zugeführt, um erneut in den Beschichtungsprozess eingeschleust zu werden.

Die Filmbildung erfolgt nach den gleichen Prinzipien, wie für die Elektrotauchlacke bereits beschrieben. Durch das Einbringen von lackumhüllten Pulverpartikeln werden innerhalb kurzer Beschichtungszeiten von 30 bis 60 s Schichtdicken von mehr als 50 µm erreicht. Als nachteilig erwies sich der äußerst schlechte Umgriff. Um den für kompliziert geformte Teile notwendigen Korrosionsschutz trotzdem erreichen zu können, ist man gezwungen, ein zweites Abscheidebecken nachzuschalten, um nach einer Zwischentrocknung bei Temperaturen von ungefähr 110 °C den notwendigen Hohlraumschutz herbeizuführen. An das Material des zweiten Beckens werden keine ästhetischen Ansprüche gestellt, da dieser ausschließlich dem Hohlraumschutz dient. Das EPC-Verfahren konnte die erwarteten Ansprüche an die optische Qualität nicht erfüllen. Außerdem war das EPC-Verfahren mit einem zusätzlichen Tauchbecken anlagentechnisch und vom Platzbedarf her zu aufwendig, so dass es sich schon vor einer großtechnischen Anwendung durch das gleichzeitig entwickelte Dickschicht-Elektrotauchverfahren geschlagen geben musste. Die bis zu einer Schichtdicke von 35 µm abscheidbare Dickschicht-KTL ist in einem Becken zu applizieren und bietet ökonomische Vorteile wegen des potenziellen Wegfalls der Füllerlinie. Eine mittlerweile nicht mehr existierende Variante des Elektrotauchens war das Reverse-Verfahren. Hierbei wurde zunächst die Außenhaut der Lackierobjekte mit einem herkömmlichen Nasslack oder Pulverlack grundiert. Nach dem Einbrennen dieser ersten Schicht auf der Außenhaut erzeugt eine ETL-Grundierung die notwendige Beschichtung in den Hohlräumen. Die Entwicklung solcher Beschichtungsmaterialien war ausschließlich auf die Funktion des Korrosionsschutzes ausgerichtet. Obwohl dieses Verfahren in der Automobilindustrie über Jahre praktiziert wurde, hat es heute keine praktische Bedeutung mehr. Autophorese Eine besondere Variante der Tauchlackierverfahren stellt die Autophorese dar. In diesem Verfahren wird das zu lackierende Objekt wie beim einfachen Tauchverfahren komplett entweder in ein Taktbecken oder Durchlaufbecken getaucht. Die Aggressivität des sauren und dünnflüssigen Autophoreselackes gegen Stahl führt zur Koagulierung der wässrigen Dispersion [4.4.47]. Die sich durch den Angriff auf die Stahloberfläche BASF-Handbuch Lackiertechnik 519

Lackiertechnologie

Als eine speziell für den Automobilbereich gedachte Variante des Elektrotauchens mit der speziellen Zielsetzung, hohe Schichtdicken zu erzielen, die eine zusätzliche Füllerschicht überflüssig machen, wurde das Electro Powder Coating (EPC-Verfahren) entwickelt [4.4.46]. Als Badmaterial wurden Suspensionen von feingemahlenen Pulverlackpartikeln mit Teilchengrößen < 5 µm in KTL-Lacken verwendet.

Die Lackiertechnologie

Schichtdickenentwicklung

Autophorese

ETL

Zeit

H+ Fe

H+

Lackiertechnologie

Fe++ H+

– – –



– – – –





– – – – –







H+

– – –

pH-Wert steigt durch Beizreaktion Fe + 2H+ → Fe2+ + H2 Durch Fe2+ koaguliert die Dispersion.

H+

bildenden Eisenionen fällen den Lack aus. Die Schichtdicke der Abscheidung wird im wesentlichen durch die Verweilzeit des Objektes im Bad und durch die Badtemperatur bestimmt. Der anhaftende Film enthält noch über 50 % Wasser und ist deshalb noch recht weich. Die Vortrocknung von 5 bis 10 min bei 100 °C verfestigt den Film so weit, dass er bei ca. 130 bis 160 °C vernetzt werden kann. Die Eisenauflösung und Einbettung in den Film limitiert den Einsatz des Verfahrens erheblich. Zum einen lassen sich keine hellen Filme erzeugen, zum anderen ist der Korrosionsschutz solcher Beschichtungen im Vergleich zu Elektrotauchlackfilmen schwach. Für eine sichere Beschichtung ist verfahrensseitig auf eine defektfreie Substratoberfläche zu achten.

Bisher hat sich dieses Verfahren nicht großflächig durchsetzen können und Abbildung 4.2.23: Lackabscheidung beim Autophoreseist deshalb eine Nischenanwendung Verfahren geblieben. In letzter Zeit wurden verbesserte Formulierungen vorgestellt. Gründe für das neue Interesse an dieser Beschichtungstechnologie liegen in dem Wegfall der anorganischen Vorbehandlung (siehe Kapitel 4.1), wie sie für das Tauchen und Elektrotauchen üblich sind, dem Verzicht auf elektrische Energie für die Abscheidung und der optimalen Innenbeschichtung [4.4.48]. Unter anderem werden Sitzrahmen für Automobilsitze meist als schwarze Schicht mit diesem Verfahren lackiert. Für ein solches Objekt sind wegen so gut wie keiner Sichtfläche im fertigen Sitz die Anforderungen sowohl an den Korrosionsschutz als auch an die Qualität der Oberfläche niedrig. 4.2.1.2 Streichen, Rollen, Walz-, Flut- und Gießverfahren (Lack direkt zum Objekt) Wird das Beschichtungsmaterial dem Objekt zugeführt, sind zwei grundsätzlich verschiedene Verarbeitungsprinzipien üblich. Zu den direkten und technisch einfachen Verfahren gehören das Streichen, Rollen, Walzen, Gießen oder Fluten. In allen Fällen wird der Beschichtungsstoff vom Applikationsgerät ohne Umwege mit dem Vorteil der hohen Materialnutzung auf das Lackierobjekt übertragen. Demgegenüber stehen die indirekten Verfahren, bei denen das Material zunächst in feinste Partikeln zerteilt wird, um erst danach zum Lackierobjekt transportiert zu werden und sich dort in einen geschlossenen Film zu verwandeln. Diese Gruppe der Applikationsverfahren führt in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Zerstäubungsmethoden zu sehr unterschiedlichen Materialausbeuten. Während beim rein elektrosta520

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Lackverarbeitung

tischen Versprühen Materialausbeuten bis zu 98 % erreicht werden, sind pneumatische Zerstäubungsverfahren mit Auftragsraten von zum Teil unter 40 % nur wenig effizient. Streichen, Rollen Die ältesten, in erster Linie für die handwerkliche Verarbeitung bewährten Verfahren sind das Streichen und Rollen. Die Vorteile des Lackauftrags mit dem Pinsel und der Rolle sind die universelle Anwendbarkeit an kompliziert geformten Teilen, die gute und gleichmäßige Benetzung sowie Verteilung des Lackes und die mit praktisch 100 % hervorragende Materialausbeute. Nachteilig sind die geringe Flächenleistung, die notwendige Fertigkeit und Erfahrung des Malers für die Anfertigung glatter und gleichmäßig dicker Lackierungen. Das Streichen als Applikationstechnik ist deshalb in der industriellen Lackiertechnik nicht anzutreffen. Die handwerkliche Technik des Rollens lässt sich dagegen in großtechnische Applikationsverfahren transformieren. Der allerdings auf plane Flächen beschränkte Lackauftrag wird möglich, wenn die Lammfell- oder Schaumgummirolle durch Gummiwalzen ersetzt wird. So ist bei Verwendung von entsprechenden Zusatzvorrichtungen und Farbversorgungsanlagen eine kontinuierliche großtechnische Applikation möglich. Automatisierte Walzanlagen sind in Deutschland schon seit 1928 im Einsatz und bei der Beschichtung planer Werkstücke wie Holztafeln, Hartfaserplatten, Kunststofffolien, Kartonpapier, Papier oder Metallbändern geeignete und mittlerweile bewährte Lackverarbeitungsmaschinen. Die planen Lackierobjekte werden mit Transporteinrichtungen unter der fest installierten Lackauftragswalze vorbeigeführt, so dass diese entsprechend dem zwischen Walze und Werkstück eingestellten Spalt die gewünschten Lackmengen gleichmäßig auf das Werkstück übertragen kann. Zu diesem Zwecke wird das Beschichtungsmaterial aus einer Vorratswanne zunächst von einer rotierenden Dosierwalze, der „pick-up roll“ übernommen. Die polierte, hart vergütete Walze gibt das Lackmaterial an die ebenfalls rotierende Lackauftragswalze, der „Transfer Roll“ weiter, damit diese den Beschichtungsstoff an die zu lackierenden Werkstoffe überträgt. Dreiwalzen-Systeme besitzen zusätzlich eine Glättwalze, die „Doctor Roll“ zwischen der Aufnahme- und der Übertragungswalze. Die Glättwalze soll helfen, bessere Voraussetzungen für einen glatten Film zu schaffen. Jede Walze wird einzeln angetrieben und Beschichtungsmaterial Beschichtungsmaterial ist deshalb unabhängig von der Dosierwalze Lackwalze Lackwalze Dosierwalze Drehzahl der anderen Walzen regulierbar. Dabei kann die aus einem metallischen Kern bestehende, mit einem Gummiüberzug versehene Lackauftragswalze entweder mit der Transporteinrichtung im Gleichlaufverfahren gleichsinnig oder im Reverse-Verfahren entgegen-

Werkstück Reversmaschine

Werkstück Gleichlaufmaschine

Abbildung 4.2.24: Schema einer Zweiwalzenanlage für das Reverseund Gleichlaufverfahren

BASF-Handbuch Lackiertechnik 521

Lackiertechnologie

Walz-, Flut- und Gießverfahren

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

gesetzt drehen. Aufgrund der nur begrenzten Auftragsmenge, die in einem Arbeitsgang im Gleichlaufverfahren mit gutem Verlauf störungsfrei aufgetragen werden kann, benutzt man zum Erzielen dicker Schichten Anlagen mit zur Bewegungsrichtung des Lackierobjektes entgegengesetzt drehenden Walzen. Derartige ReverseMaschinen erlauben eine größere Spannbreite bei den zu erzielenden Schichtdicken bei Abbildung 4.2.25: Ansicht einer Walz-Lackieranlage  Quelle: VAW gleichzeitig höheren Materialviskositäten und damit geringerer Lösemittelemission. Mit Verarbeitungsviskositäten bis zu 600 mPa · s und 100 %-iger Materialausbeute lassen sich durch Walzauftragsverfahren strukturfreie Filme mit gleichmäßigem Schichtdickenprofil herstellen. Während im Gleichlauf nur 10 bis 15 µm dicke Schichten mit ausreichender Oberflächenglätte applizierbar sind, können im Reverse-Verfahren bis zu 100 µm dicke Filme aufgetragen werden. Auch stark thixotrope Lacke sind wegen der Zwangsverteilung des Lackmaterials durch die Walzen verarbeitbar. Die direkte Übertragung ohne den Umweg der zwischenzeitlichen Vergrößerung der Lackoberfläche durch Zerstäuben und die kurze Verweilzeit zwischen Applikation und Einbrennofen bietet die ökologischen Vorteile einer geringen Lösemittelabgabe während der Verarbeitung. Die Lösemittelanteile des Lackes werden vornehmlich im Trockner abgegeben, wo sie nach derzeitigem Stand der Technik problemlos durch thermische Nachverbrennung (TNV) oder Adsorptionstechniken beseitigt bzw. zurückgewonnen werden können. Aktuelle Anlagen sind mit Bandgeschwindigkeiten von bis zu 200 m/min aber nicht nur ökologisch, sie ermöglichen gleichzeitig auch unter ökonomischen Aspekten das effizienteste Verarbeitungsverfahren. Ein weiterer technischer Vorteil des Walzverfahrens besteht darin, dass bei entsprechender Anordnung der Walzen die planen Lackierobjekte beidseitig lackiert werden können. An die Beschichtungsstoffe für diesen Prozess werden einige besondere Ansprüche gestellt. Durch die hohen Bandgeschwindigkeiten und zur Begrenzung der Ofenlänge werden hohe Einbrenntemperaturen benötigt. Dafür haben sich ölfreie, thermisch beständige Polyester- oder silkonharzmodifizierte Acrylatharze in Verbindung mit hochveretherten HMMM-Harzen bewährt (siehe Kapitel 2.1). Der Einsatz von elektronenstrahlhärtenden und UV-Lacken bietet sich beim schnellen Walzverfahren aufgrund der kurzen Härtungszeiten an. Diese Systeme werden als Flüssiglacke und inzwischen auch als Pulverlacke eingesetzt und nach Aufschmelzen durch IR-Strahlung in Bruchteilen von Sekunden gehärtet. An die Lösemittel der Walzlacke werden besondere Ansprüche gestellt. Neben einer hohen Verdunstungszahl und einem guten Lösevermögen für die Filmbildner dürfen sie 522

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

die gummierten Auftragswalzen nicht anquellen. Gute Erfahrungen bei Verwendung mit Butylkautschuk ummantelteter Walzen wurden mit Lösemitteln wie Methylglykolacetat, Butylglykolacetat oder Butyldiglykolacetat gemacht. Für aromatenreiche Lacke sind Naturkautschukmäntel die geeignetere Umhüllung der Auftragswalzen.

Die Aggregate zur Walzlackierung können Bestandteile von kontinuierlich betriebenen Beschichtungsanlagen sein. Unter der Bezeichnung Coil Coating-Verfahren werden Verfahren verstanden, bei denen Blechcoils in einem kontinuierlichen Verfahren abgewickelt, entfettet, vorbehandelt, lackiert, gehärtet und wieder aufgewickelt werden. Um einen kontinuierlichen Durchlaufprozess zu ermöglichen, werden in Schlaufentürmen Bandreserven gespeichert, die dann verbraucht werden, wenn ein neues Coil an das Ende des vorherigen angeschweißt werden muss (siehe Kapitel 7.4). Die so lackierten Bleche und Bänder werden anschließend zu den verschiedensten Gebrauchsgütern verformt. Fassadenelemente, Garagentore, Kühlschränke, Stahlmöbel, Karosserieteile für Pkws, Dosen, Beleuchtungskörper sind nur wenige der zu nennenden Objekte, die aus diesen vorbeschichteten Blechen gefertigt werden. Dieses Verfahren wird wegen der Wirtschaftlichkeit der Lackieranlagen, der geringen Emission im Applikationsbereich und des guten Materialwirkungsgrades sowie der ausgezeichneten optischen und mechanisch-technologischen Eigenschaften der Lackierung weiter an Bedeutung gewinnen. Ein ebenfalls für plane Teile geeignetes direktes Lackverarbeitungsverfahren ist das Gießen. Der Lackauftrag erfolgt, ähnlich dem beschriebenen Walzverfahren, auf die sich auf Transportbändern bewegenden Lackierobjekte. Im Gegensatz zum Walzverfahren wird der flüssige Beschichtungsstoff auf das Objekt gegossen. Für einen gleichmäßigen Lackauftrag wird das Beschichtungsmaterial aus einem Gießkopf in einen permanent ausfließenden „Lackvorhang“ verwandelt. Der Gießkopf besteht aus einem Vorratsbehälter mit einem Spalt. Die Gießköpfe können oben offen oder geschlossen sein. Im zweiten Fall ist durch Einstellen von unterschiedlichen Drücken eine zusätzliche Variable für die auslaufende Menge und damit für die Schichtdicke gegeben. Wird das zu beschichtende Objekt durch den ausströmenden flüssigen Lackvorhang geführt, legt sich dieser gleichmäßig die zu beschichtende Fläche. Die Schichtdicken werden dabei durch die Viskosität des Lackes, die Spaltbreite im Gießkopf und die Vorschubgeschwindigkeit des Objektes festgelegt. Ist der Vorhang breiter als das zu beschichtende Objekt oder werden bei ausfließendem Lack keine Objekte beschichtet, wird das Material aufgefangen und nach Filtration dem Gießkopf wieder zugeführt (siehe Abbildung 4.2.26). Um störungsfrei lackieren zu können, wird das Material nicht direkt in den Gießkopf geführt. In den Lack aufgenommene Luftblasen müssen in einer Beruhigungseinrichtung entweichen. Nur so kann ein geschlossener und gleichmäßig ablaufender Lackvorhang erzeugt werden. Zur besseren Wartung der Gießanlagen und damit zum störungsfreien Betrieb von Gießanlagen ist der Gießkopf zu öffnen und dadurch im Auslaufbereich besser zu reinigen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 523

Lackiertechnologie

Nur durch ein angepasstes rheologisches Verhalten des Lackmaterials kann in Verbindung mit einem der Bandgeschwindigkeit angepassten Anpressdruck ein gleichmäßiges Lackierergebnis garantiert werden. Die Nassfilmdicken sind deshalb kontinuierlich zu messen und ggf. zu korrigieren. Aufgrund der hohen Bandgeschwindigkeit muss die Steuerung schnell erfolgen, um den Ausschuss in Grenzen zu halten (siehe Kapitel 3.2.1).

Die Lackiertechnologie

Schlitzregulierung

Gießkopf

Lackfilm

Lackiergut

Druckentlastungsventil

Lackfilter

Transportbänder Auffangschale Pumpe

Vorratsbehälter

Ventil zur Mengeneinstellung Lackzuleitung

Lackiertechnologie

1. Gießkopf

2. Gießkopf

Prinzip des Nass-in-Nass-Gießverfahrens mit 2 Gießköpfen

Abbildung 4.2.26: Schema und Bild einer Gießmaschine

Das Verfahren gestattet den Auftrag von 50 bis 500 g/m2 und ist im Gegensatz zum Walzen, durch das nur 10 bis 100 g/m2 aufgetragen werden können, besonders für Dickschichtlackierungen geeignet. Bewährt haben sich Gießmaschinen im Besonderen im Holz- und Möbelsektor. Sie werden dort genauso für die Dickschichtlackierung mit ungesättigten Polyestern oder polymerisierbaren Polyacrylsäureestern wie für dünnschichtige, offenporige Beschichtungen mit Cellulosenitratlacken eingesetzt. Der Einsatz von 2-Komponenten-Lacken bereitet wegen der limitierten Topfzeit Probleme, wenn die Gießmaschinen nur einen Gießkopf besitzen. In solchen Fällen werden 524

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Mehrkopfmaschinen eingesetzt, die mehrere Einzelvorhänge der Einzelkomponenten auf das Objekt legen. Durch Diffusion und Strömungen im nassen Film setzt eine zusätzliche Vermischung ein. Dadurch wird eine gleichmäßige Durchhärtung erreicht.

Walzlack

Rakel

Förderband Beim Verwenden von ungesättigten Polyestern sind weitere Abbildung 4.2.27: Schema einer Walz-/Gieß-Anlage Varianten möglich. Der in einem nichtreaktiven Lösemittel gelöste ungesättigte Polyester wird zusammen mit dem Peroxid auf den Holzuntergrund aufgebracht. Der Untergrund saugt das Lösemittel auf, so dass der nachträglich aufgegossene styrolhaltige ungesättigte Polyester zusammen mit dem Beschleuniger von der Grundschicht wieder angelöst wird, um dadurch die chemische Härtung einzuleiten. Zur noch besseren Vermischung der Komponenten werden in seltenen Fällen auch Dreikopf-Gießmaschinen benutzt.

Besonders interessant wird das Gießverfahren, wenn die zum Teil sehr dicken Filme in Sekundenschnelle mit UV- oder Elektronenstrahlen ausgehärtet werden. Eine technische Verknüpfung erfährt das Gießen mit dem Walzen in der sogenannten Walz-/Gießtechnik. Bei der Verarbeitung von lösemittelarmen oder lösemittelfreien und hochviskosen Beschichtungsstoffen wird der Film über eine Dosierwalze mit definierten Mengen auf eine Übergabewalze übertragen. Dort nimmt ein Rakel das Material ab und gießt es mit genau bemessener Menge auf die zu lackierende Fläche. Bei der Walz-/Gießtechnik werden Verarbeitungsviskositäten bis zu 800 mPa·s bei Scherung von 100 s-1 möglich.

Flutdüse Flutdüse (ohne Zerstäubung) • Rundstrahl • Flachstrahl

Auffangschale Filter

Lackvorratsbehälter

Pumpe

Lackmengenventil

Abbildung 4.2.28: Bild und Schemazeichnung einer Flutanlage

BASF-Handbuch Lackiertechnik 525

Lackiertechnologie

planes Lackierobjekt

Die Lackiertechnologie

Rakelauftrag bei Folien Rakel Lack

Dem schon beschriebenen Tauchverfahren ähnlich ist das Fluten. Dabei wird das Lackmaterial aus Düsen auf die vorbeigeführten Werkstücke gebracht. Die überschüssige Lackmenge wird in einer Auffangwanne gesammelt und nach Filtration wieder zur Flutdüse befördert.

Lackiertechnologie

Flutverfahren sind wegen der ungleichen Schichtdicken und der unvermeidbaren LäuFolie ferbildung nur begrenzt einsetzbar. Auch bei Transportrolle optimierter Anordnung der Fluteinrichtungen und zusätzlicher Drehung der Teile während Abbildung 4.2.29: Schema für Auftrag mit Rakeln des Lackierprozesses sind die Oberflächen bei Folienbeschichtung nicht attraktiv. Die Flutverfahren haben deshalb nur bei der Lackierung von Motorblöcken, Heizkörpern, Rohrgestellen oder anderen sperrigen Teilen für Lkw oder Landmaschinen eine gewisse Bedeutung erlangt. Wegen der relativ starken Lösemittelverdunstung während des Flutens beschränkt sich die Materialauswahl in offenen Anlagen heute meistens auf die Verwendung von Wasserlacken. Sonstige direkte Verfahren sind das Trommeln, Rakeln und Spachteln. Das erstere Verfahren bewährt sich bei der Beschichtung von Kleinteilen. Durch Schütteln oder Rotieren der sich zusammen mit dem Lack in Trommeln oder Käfigen befindenden Teile werden die Filme nach Abtropfen des überschüssigen Lackmaterials getrocknet oder durch Erwärmen ausgehärtet. Beim Rakeln drückt ein Messer die hochviskose Paste auf das durchlaufende Papieroder Textilband und garantiert so gleichmäßige Schichtdicken. Während sich das Rakeln als industrielle Technik bei der Verarbeitung hochviskoser Lacke im Textil- und Papiersektor hat bewähren können, ist das Spachteln mit nicht frei fließenden Beschichtungsstoffen auf die handwerkliche Lackverarbeitung beschränkt. 4.2.1.3

Sprühverfahren (Lack indirekt zum Objekt)

Für die industrielle Lackverarbeitung sind indirekte Applikationsverfahren zwar die weitaus wichtigsten, aber gleichzeitig diejenigen, die unter ökologischen Gesichtspunkten am bedenklichsten sind (siehe Abbildung 2.3.61). Trotz des Nachteils der zum Teil extrem schlechten Materialausbeuten bei gleichzeitigem Anfall von Lackabfällen sind Zerstäubungsverfahren für das Sprühen (synonym: Spritzen) in der industriellen Lackiertechnik nach wie vor dominierend, wenn hohe Ansprüche an die optische Attraktivität der Lackierung gestellt werden. Sie gestatten bei kompliziert geformten filigranen Teilen eine gleichmäßige Beschichtung. Ist eine hohe Farbtonvielfalt gefordert und sind ausgeprägte Effekte zu erzielen, existiert praktisch keine Alternative zur Sprühapplikation. Das technische Prinzip dieser Verfahren besteht in dem Erzeugen von Tropfen, die sich nach dem Transport zum Lackierobjekt dort wieder in einen geschlossenen und glatten Film verwandeln. Zum Erzeugen der Tropfen sind heute Methoden im Einsatz, die elektrische Kräfte, Zentrifugalkräfte, die Energie beschleunigter Luft oder die des hoch 526

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Ausströmen aus Düsen

Ausströmen aus Düsen mit Hilfsgas

hydraulisch (airless)

pneumatisch

Zentrifugalkräfte m · ω2 · r

Elektrische Kräfte F=Q·E

Abbildung 4.2.30: Methoden des Zerstäubens

beschleunigten Lackmaterials nutzen, um die notwendige Oberflächenarbeit leisten zu können. Der Transport zum Objekt kann durch Lenkluft unterstützt werden. Sprühverfahren benötigen neben dem eigentlichen Sprühorgan eine zusätzliche Peripherie. Lackierkabinen müssen wegen der Sprühnebelbildung mit geeigneten Zu- und Abluft-, Auswasch- und Abscheidesystemen sowie Lackversorgungs- und Fördereinrichtungen ausgestattet sein (siehe auch Abbildung 4.2.2). Zum Erzielen eines gewünschten Beschichtungsergebnisses ist ein jeweils spezifisches Tropfenspektrum notwendig. Für optisch attraktive, d.h. gut verlaufende und gleichzeitig dünne Schichten sowie die Reproduktion von Farbtönen ist das Tropfenspektrum entscheidend, wobei bestimmte Grenzbedingungen zu beachten sind. Werden die Tropfen zu klein, steigen die Materialverluste durch vermehrten „Overspray“. Dieser Teil des Sprühnebels wird nicht auf dem zu beschichtenden Objekt abgeschieden. Außerdem verdunsten wegen der größeren Lackoberfläche mehr Lösemittel. Hohe Emissionen und Lackabfälle aus Spritzkabinen und ein viskositätsbedingter schlechter Verlauf wären die Folge. Auf der anderen Seite führen zu große Tropfen zu einem nicht akzeptablen Eigenschaftsbild der Oberfläche (siehe Kapitel 3.1). Aufgrund der gegenläufigen Einflüsse der TropfenFördersystem größe auf die Qualität der Lackierung und die UmweltWerkstück Lackversorgung Einbrennofen belastung liegt der beste Kompromiss üblicherweise ProzessZu- und Sprühorgan bei durchschnittlichen Tropsteuerung Abluftsystem fengrößen von 30 bis 35 µm. Zerstäuben durch Düsen Die zur Überwindung der Kohäsionskräfte zu leistende

Auswasch- und Abscheidesystem

Lackierkabine

Abluftnachbehandlung

Abbildung 4.2.31: Elemente einer Sprühanlage

BASF-Handbuch Lackiertechnik 527

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Ohnesorgezahl Ohz =

We/Re = η/

ρ·σ·d

Die Lackiertechnologie

4

10-1

3 2 1

10-2 10-3

10-1

101

103

105

Reynolds-Zahl Re = v · d · ρ / η 2

3

4

Lackiertechnologie

1

Oberflächenarbeit kann durch Fließen in Düsen aufgebracht werden. Eine Düse ist eine Verengung am Ende einer Rohrleitung zur Übertragung von hydrostatischem Druck in die Bewegungsenergie von Flüssigkeiten. Bei der industriellen Anwendung dieses Prinzips sind Ein- und Mehrstoffdüsen gebräuchlich. Erstere finden Einsatz bei der sogenannten hydraulischen Zerstäubung. Durch hohe Materialbeschleunigung, hervorgerufen durch hohen Materialdruck und enge Düsen, wird der beschleunigte Beschichtungsstoff nach Verlassen der Düse durch Wechselwirkung mit der Umgebungsluft in feinste Tropfen zerlegt. Mehrstoffdüsen bewirken die Zerstäubung durch die zusätzliche Wechselwirkung des austretenden Materials mit stark beschleunigter Luft.

Flüssigkeiten werden nach dem Ausströmen aus Düsen durch die Relativgeschwindigkeit zur Umgebungsluft in ihrer Tropfenbildung beeinAbbildung 4.2.32: Mechanismus der Tropfenbildung und Arbeitsbereiche flusst (siehe Abbildung 4.2.32). beim Versprühen Je nach den Bedingungen beim Ausströmen erreicht man ein Abtropfen (1), ein Zertropfen (2), ein Zerwellen (3) oder das gewünschte Versprühen (4). Wird eine Flüssigkeit nur sehr langsam aus einer Düse herausgedrückt, so bildet sich zunächst ein Flüssigkeitsfaden, der sich nach Überschreiten einer Mindestlänge einschnürt, um beim Abtropfen durch Bildung von einzelnen Tropfen den thermodynamisch stabilsten Zustand einzustellen. Unter den genannten Bedingungen werden zwar monodisperse Verteilungen, aber nur wenige und große Tropfen erhalten. 1 2 3 4

Abtropfen Zertropfen Zerwellen Zerstäuben

Erhöht man die Austrittsgeschwindigkeit, wird der Flüssigkeitsfaden durch die Reibung mit der sich in der Umgebung in Ruhe befindenden Luft in longitudinale Schwingungen versetzt, so dass Verdickungen und Einschnürungen die Voraussetzungen zur Tropfenbildung durch Zertropfen liefern. Das Spektrum der Tropfen ist wiederum einheitlich. Die Tropfengröße ist eine Funktion der Düsenweite, Oberflächenspannung und der Dichte. 528

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Luft

4σ Kohäsionsdruck hält d Lack zusammen

Staudruck

ρ 2 u deformiert 2

Durch noch höheren Druck erreicht man so hohe AustrittsZerblasen, wenn geschwindigkeiten, dass sich ρ 2 4σ < u durch die Kollisionen der Pri2 d märtropfen mit der nun wesentd.h. Weber-Zahl > 8 lich langsameren Luft zu den beschriebenen Primäreffekten weitere Sekundärzerstäubungen Zerstäuben, wenn addieren. Durch den Staudruck Relativgeschwindigkeit der Umgebungsluft werden hoch genug die Primärtropfen deformiert, anschließend eingeschnürt und zerteilt. Erneutes Deformieren Abbildung 4.2.33: Mechanismus der sekundären Tropfenbildung führt zu immer kleineren Trop- beim Zerstäuben fen, bis der deformierende Staudruck im Gleichgewicht mit dem sich widersetzenden Kohäsionsdruck steht. Dies ist das Prinzip der hydraulischen Zerstäubung in Form der Airless- oder Höchstdruckzerstäubung. Die Erzeugung feinster, aber nunmehr sehr unterschiedlicher großer Tropfen kann auch durch pneumatische Zerstäubung mittels stark beschleunigter Luft bei sich nur langsam bewegender Flüssigkeit erreicht werden. Die Arbeitsbereiche für die einzelnen Zerstäubungsarten lassen sich grafisch darstellen, wenn man die den Strömungszustand charakterisierenden Größen wie Dichte, Fließgeschwindigkeit, Viskosität und Oberflächenspannung zu dimensionslosen Kennzahlen zusammenfügt und auf sinnvolle Art und Weise gegeneinander aufträgt. Die für den vorliegenden Fall relevanten Kennzahlen sind die Reynolds-Zahl Re, die Weber-Zahl We und die Ohnesorge-Zahl Ohz als Quotient aus der Wurzel aus WeberZahl und Reynolds-Zahl.

Befindet sich eine Flüssigkeit ausreichend lange im Arbeitsbereich eines Zerstäubers, wird, wie schon beschrieben, die Tropfenzerkleinerung so lange stattfinden, bis der Kohäsionsdruck dem deformierenden Staudruck entspricht. Sofern keine anderen Variablen den Zerteilungsprozess beeinflussen, lässt sich für den stationären Zustand die Tropfengröße berechnen. Nach Bernoulli gilt für den Staudruck pSt: BASF-Handbuch Lackiertechnik 529

Lackiertechnologie

Ein weiterer Anstieg der Anströmgeschwindigkeit führt zu einer Zunahme der Luftreibung und einer Überführung des Flüssigkeitsfadens in Transversalwellen. Bei diesem Zerwellen entstehen ebenfalls große Tropfen mit einem engen Spektrum.

Die Lackiertechnologie

Für den Kohäsionsdruck pKo in Tropfen gilt:

Die Zerkleinerung findet also immer statt, wenn

Lackiertechnologie

oder anders aufgelöst

Folglich sind die Voraussetzungen für eine Überführung in feinere Tropfen immer dann gegeben, wenn die Weber-Zahl >8 ist. Dies trifft für Flüssigkeiten wie beispielsweise Wasser recht gut zu, bei Beschichtungsstoffen mit höhermolekularen Polymerlösungen bedarf es jedoch einiger Ergänzungen bzw. Korrekturen. Zur Realisierung der hohen Geschwindigkeitsunterschiede zwischen zu versprühenden Stoffen und Luft sind verschiedene Methoden im Einsatz. Beim pneumatischen Verfahren muss, wie schon erläutert, eine hohe Geschwindigkeit der zugeführten Zerstäuberluft erreicht werden. Entweder trifft diese bei der Innenmischung bereits vor Austritt aus dem Zerstäubungsgerät oder, wie in der Lackiertechnik üblich, bei der Außenmischung erst nach Verlassen der Düse auf das Material. Also entstehen bei der Außenmischung die Lacktropfen nicht im, sondern außerhalb des Sprühorgans. Da die Außenmischung für die pneumatische Verarbeitung in der Lackiertechnik die weitaus größere Bedeutung hat, werden sich die folgenden Ausführungen auf diese Technik konzentrieren. Das pneumatische Zerstäuben wird je nach wirksamem Luftdruck in Niederdruck- (0,5 bis 1 bar) und Hochdruckzerstäubung (4 bis 8 bar) eingeteilt, wobei bei der industriellen Verarbeitung letztere die wichtigste Variante dargestellt. Bedingt durch den hohen Luftdruck erreicht die ausströmende Luft hohe Luftgeschwindigkeiten. Bei ausreichender Luftmenge können bis zu 1 l Lack pro Minute zerstäubt werden, was den leistungsfähigen industriellen Prozessen entgegenkommt. Innenmischung

Außenmischung

Abbildung 4.2.34: Innen- und Außenmischung beim pneumatischen Versprühen

530

Die Sprühorgane oder Spritzpistolen basieren auf der Erfindung des holländischen Arztes DeVilbiss, der 1887 BASF-Handbuch Lackiertechnik

ein Verfahren zur Herstellung von Aerosolen für medizinische Zwecke zum Patent anmeldete. Das bis heute immer weiter verfeinerte Prinzip einer solchen Pistole ist in Abbildung 4.2.35 anhand eines Schnittbildes dargestellt. Das der Düse zugeführte Lackmaterial wird durch die Düsennadel zunächst daran gehindert, die Pistole zu verlassen. Nach Öffnen des Abzugsbügels strömt als erstes nur die unter einem Druck von 5 bis 8 bar stehende Zerstäuberluft aus einem konzentrisch zur Düse angeordneten Ringspalt. Bedingt durch die hoch beschleunigte Zerstäuberluft entsteht an der Düsenöffnung ein Unterdruckgebiet. Dadurch wird der Beschichtungsstoff nach Öffnen der Düse herausgesaugt, um anschließend im Beschleunigungsgebiet der Spritzluft durch den dort wirksamen Staudruck deformiert und letztlich in kleinere Tropfen überführt zu werden. Die Luftgeschwindigkeit kann dabei bis zu 400 m/s erreichen.

Abbildung 4.2.35: Schnittbild einer Spritzpistole

Je nach der Methode der Zuführung des Lackmaterials erreicht man verschieden hohe Ausflussraten. Die Saugbecherpistolen erzielen nur geringe Materialausflussraten, so dass für leistungsfähigere Spritzpistolen entweder die Schwerkraft in Form einer Fließbecherpistole oder zusätz- Abbildung 4.2.36: Schemazeichnung und Abbildung des Zerstäulicher Materialdruck für eine bungsprozesses effektive Anhebung der Materialausflussrate sorgt. Im letzten Fall erfolgt die Materialversorgung nicht mehr aus den an der Pistole befestigten Vorratsbechern. Separate Druckkessel oder Ringleitungen übernehmen dann die Aufgabe der Materialversorgung. Zu beachten ist, dass mit zunehmendem Luftdruck die resultierende Luftgeschwindigkeit nicht linear ansteigt. Sie läuft bereits bei Luftdrücken von weniger als 8 bar BASF-Handbuch Lackiertechnik 531

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

Fließbecherpistole

Saugbecherpistole

Hochleistungs­ pistole für Druck­ gefäße und Ringleitungen

Abbildung 4.2.37: Verschiedene Arten der Materialzufuhr für Quelle: ITW pneumatische Sprühorgane 

532

auf ein Plateau zu, so dass seine weitere Anhebung lediglich den Luftverbrauch erhöht, ohne das Tropfenspektrum wesentlich zu beeinflussen. Dabei ist mit zunehmender Luftmenge ein überproportionaler Energieverbrauch und eine Verschlechterung des Materialwirkungsgrades durch einen erhöhten Overspray verbunden. Die Verluste können dabei mehr als 50 % des eingesetzten Materials ausmachen. Die Ursachen dafür liegen in den großen Mengen schnell bewegter Spritzluft, die die kleinen und weniger trägen Tropfen am Objekt vorbeiführt. Die 1000 l beschleunigte Luft, die für die Zerstäubung von 1000 g Lack notwendig sind, wird je nach Form des Lackierobjektes zusammen mit den Spritznebeln an diesem vorbeigeleitet oder zurückgeworfen. Damit verbunden ist ein Rückpralleffekt und eine unerwünschte Verteilung der Spritznebel in der Umgebung des Werkstückes. Soll bei hohen Luftdrücken trotzdem die Tropfengröße verkleinert werden, sind andere Maßnahmen zu ergreifen wie das Absenken der Materialausflussrate durch Verringerung des Materialdrucks oder die Verwendung kleinerer Düsen. Die Materialausflussraten haben beim pneumatischen Zerstäuben ihre Grenzen. Bei erhöhtem Materialausfluss vergrößern sich die Tropfen. Dies erklärt sich durch die bei der Wechselwirkung mit dem Lack gebremste Spritzluft und den dadurch abnehmenden Staudruck. Damit wird klar, dass für die Ausbildung der Tropfenspektren nicht nur die Luftgeschwindigkeit, sondern auch die Luftmenge eine Rolle spielt. Letztere wird neben dem BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

[bar]

Abbildung 4.2.38: Geschwindigkeit der Zerstäuberluft in Abhängigkeit vom Druck

Spritzluftdruck durch die Fläche des Ringspaltes bestimmt. Spritzluftdruck bzw. Luftmenge sind in ihrem Einfluss auf die Tropfengröße dem Materialausstoß und damit dem Materialdruck bei konstant vorgegebener Düsenfläche indirekt proportional. Wenn ein konstantes Spritzbild gefordert wird, bedingen Änderungen der Materialausflussrate immer eine entsprechende Beeinflussung der Spritzluft bezüglich Menge und Druck. Letzteres ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn noch eine effektive Beschleunigung der Luft möglich ist (siehe Abbildung 4.2.38). Eine Begrenzung der Zerstäubungsluftmengen ist aus ökonomischen Gründen anzustreben. Ungefähr drei Viertel der gesamten Energie für die Tropfenbildung ist für die Beschleunigung der Spritzluft aufzubringen, während der Rest für die Reibung und Beschleunigung des Lackes und die eigentliche Oberflächenarbeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt [4.4.49]. Von der Seite der Lackmaterialeigenschaften gibt es zusätzliche Variablen zur Beeinflussung des Tropfenspektrums. Dabei sind die Viskosität und das rheologische Verhalten des zu zerstäubenden Beschichtungsstoffes die entscheidenden Größen. Sieht man bei der Materialdosierung von Zwangsförderanlagen ab, wird die Ausflussrate nach dem HagenPoiseuille’schen Gesetz (siehe auch Kapitel 2.4) direkt proportional durch den Materialdruck und indirekt proportional durch die Viskosität beeinflusst. Da bei den strukturviskosen Beschichtungsstoffen die Viskosität nicht nur mit der Scherbeanspruchung, sondern auch wie bei allen flüssigen Stoffen mit ca. 5 % pro °C steigender Temperatur abnimmt, wird verständlich, dass durch schwankende Umgebungs- oder Materialtemperaturen BASF-Handbuch Lackiertechnik 533

Lackiertechnologie

[m/s]

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

schwankende Ausflussraten erzeugt werden. Diese wiederum zeigen sich in unterschiedlichen Spritzbildern und damit verbunden auch unterschiedlichen Schichtdicken, um schließlich zu Verlaufsstörungen in Form von beispielsweise „Orangenhaut“ oder „Läufern“ zu führen. Temperaturkonstanz des Materials oder Zwangsfördereinrichtungen helfen, Qualitätsschwankungen zu vermeiden.

8%

Reibung in der Düse Zerstäubungsarbeit < 1 ‰

15%

Beschleunigung des Lacks

77%

Beschleunigung der Spritzluft

Ausflussrate = 880 ml/min p2 = 5,4 bar Anfangsleistung = 0,35 kW Abbildung 4.2.39: Luftverbrauch, Leistungsaufnahme und Energiebilanz beim pneumatischen Versprühen

534

Unabhängig vom indirekten Einfluss der Viskosität auf die Ausflussrate und damit auf das Tropfenspektrum beeinflussen die rheologischen Eigenschaften auch direkt die Tropfengröße und insbesondere die Tropfeng rößenver teilu ng. Wegen des relativ kurzen Aufenthalts im tropfenbildenden Beschleunigungsgebiet spielen neben der Viskosität auch die elastischen Anteile des Beschichtungsstoffes eine ergänzende Rolle. Lackmaterialien mit hohen elastischen Anteilen benötigen eine längere Aufenthaltsdauer im Schergebiet, um zur Gleichgewichtseinstellung zu gelangen. Unterstellt man zusätzlich, dass die Aufenthaltsdauer im Schergebiet zur Einstellung des Gleichgewichts nicht für alle Tropfen gleich ist, und beachtet BASF-Handbuch Lackiertechnik

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[µm]

Abbildung 4.2.40: Typisches Tropfenspektrum von Hochdruckpistolen

man weiterhin, dass auch das Schergebiet selbst nicht homogen ist, erklärt sich das breite Spektrum der Tropfengrößen. Weitere physikalische Kennzahlen des Lackmaterials zur Beeinflussung der Tropfengröße sind die Oberflächenspannung und die Dichte. Niedrige Oberflächenspannungen bewirken einen niedrigeren Kohäsionsdruck der Tropfen und erleichtern damit die Zerstäubung. Hohe Dichten fördern die Zerstäubung, da wegen der höheren Trägheit der Staudruck langsamer abnimmt. Zahlreiche Autoren berichten über das pneumatische Zerstäuben und die Berechnung von Tropfengrößen [4.4.50–4.4.53]. Aus der Vielzahl der Veröffentlichungen zur Berechnung des Tropfenspektrums ist als eine einfache und damit überschaubare Formel die von Walzel zu erwähnen [4.4.54].

Dabei ist d32 der Sauter-Durchmesser als Mittelwert für die Tropfengröße (siehe Kapitel 2.3.3). Die Reynolds-Zahl Re und die Weber-Zahl We beinhalten die relativen Geschwindigkeiten von Luft- zu Lacktropfen, die Viskosität, die Dichte und die Oberflächenspan· Lack nung. Ergänzt werden diese Variablen durch das Verhältnis der Massenströme m · Luft sowie durch den Durchmesser der Materialdüse dD. Mit Hilfe dieser mathemaund m tischen Beziehung sind die Auswirkungen gezielter Veränderungen der Einflussgrößen BASF-Handbuch Lackiertechnik 535

Lackiertechnologie

[%]

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Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.41: Sensitivitätsdiagramm der sprühbildbestimmenden Variablen

auf das Tropfenspektrum in guter Übereinstimmung mit Messungen aus der Praxis zu berechnen. In Abbildung 4.2.41 sind die berechneten Auswirkungen der Material-, Geräte- und Verfahrensvariablen auf das Tropfenspektrum in Form einer Graphik dargestellt. Der Einfluss auf das Spritzbild ist um so intensiver, je steiler die einzelnen Kurven verlaufen. Dabei bedeutet eine positive Steigung einen Anstieg, eine negative eine Abnahme der Tropfengröße.

· Lack die Feinheit der ZerstäuSo verschlechtert sich bei Erhöhung des Lackdurchsatzes m · Luft entsprechend angehoben bung wesentlich, wenn nicht gleichzeitig der Luftdurchsatz m wird. Weiterhin berechnet sich in Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Praxis eine höhere Sensitivität der Viskosität im Vergleich mit der Oberflächenspannung und der Dichte. Die Zerstäubung wird somit weitaus weniger durch den Pistolentyp als durch die Pistoleneinstellung bzw. durch das Verhältnis von Lackdurchsatz zu Luftgeschwindigkeit bestimmt. Dabei ist zu beachten, dass gleiche Manometereinstellungen für den Luftdruck bei sonst scheinbar gleichen Bedingungen nicht zwingend gleiche Tropfengröße bedeutet. Unterschiedliche Querschnitte und Längen der Schlauchleitungen führen trotz gleicher 536

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Absolute Berechnungen von Tropfengrößen zur Beurteilung der Verlaufseigenschaften werden dadurch erschwert, dass die einzelnen Tropfen in Abhängigkeit von ihrer Größe unterschiedliche Fluggeschwindigkeiten annehmen. Auf dem Weg zum Objekt werden durch Kollisionen Tropfenvereinigungen hervorrufen, die das primäre Tropfenspektrum verändern. Hinzu kommt, dass das erzeugte Spektrum mit dem der abgeschiedenen Tropfen insofern nicht übereinstimmt, als die feineren Partikeln wegen ihrer größeren Beweglichkeit auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf dem Objekt abgeschieden werden. Sie reichern sich in der am Objekt vorbeigeführten Luft als Overspray an und verändern somit das abgeschiedene Spektrum noch einmal.

Häufigkeit Verlust durch Overspray

abgeschiedener Anteil

d

Abbildung 4.2.42: Unterschiede zwischen dem erzeugten und dem abgeschiedenen Tropfenspektrum der pneumatischen Zerstäubung

Lackiertechnologie

Manometereinstellung zu unterschiedlichem Druckabfall in der Pistole. Will man verlässliche Prognosen über das Spritzbild abgeben, sind derartige Faktoren zu berücksichtigen oder die Manometer möglichst nahe zur Spritzpistole zu positionieren.

1 3 2

1 Hornbohrung 2 Ringspalt 3 Materialdüse

Lack Luft

Um die Anwendungsbreite des pneumatischen Hochdruckzerstäubens noch weiter zu verbessern, findet man an Hochleistungszerstäubern zusätzliche Vorrichtungen, die eine Anpassung des Spritzstrahls an die Form der Lackierobjekte und die Einstellung von Spezialeffekten erlauben. Je Abbildung 4.2.43: Schema und Wirkungsweise der Hornbohrungen nach Form des Lackierobjektes ist es sinnvoll, durch Aufweiten oder Verengen des Spritzkegels das Sprühbild der spezifischen Form der Werkstücke anzupassen. Der normaler Weise runde SpritzBASF-Handbuch Lackiertechnik 537

Die Lackiertechnologie

Material Viskosität Oberflächenspannung Festkörper Pistole 1. Konstruktion (Düse, Luftklappe) 2. Einstellung (Luftdruck, Materialdruck)

Zerstäubung Tropfengröße -verteilung -geschwindigkeit

Lösemittelabgabe, Rekombination, Overspray

Qualität (Haftung, Glanz, Verlauf, Farbton)

Abstand Lufttemperatur Objekttemperatur

Temperaturführung im Trockner

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Abbildung 4.2.44: Qualitätsbestimmende Faktoren bei der pneumatischen Hochdruckzerstäubung

kegel wird durch separate Zuführung als Teilstrom der Zerstäuberluft, der Hornluft, zu den Hornbohrungen (siehe Abbildung 4.2.43) je nach Aufgabenstellung mehr oder weniger abgeflacht. Damit der im Umgebungsbereich der Zerstäuberdüse herrschende Unterdruck keine Ablagerungen von Spritznebeln im Zerstäubungsbereich der Spritzpistole verursacht, sind pneumatisch arbeitende Spritzpistolen um den Ringspalt mit Zusatzbohrungen für weiteren Luftaustritt ausgestattet. Ein Rückströmen der Spritznebel und damit eine Verschmutzung der Pistole wird so verhindert. Die Querströmungen aus den Hornbohrungen und den Zusatzbohrungen in der Luftkappe regulieren also den Spritzstrahl und verhindern Ablagerungen, beeinflussen aber die Tropfenbildung nicht, da ihre Einwirkung auf das Sprühbild erst nach der Bildung des Tropfenspektrums erfolgt. Die pneumatische Hochdruckzerstäubung hat sich zu einem komplizierten Prozess fortentwickelt, der nur dann beherrschbar ist und zu einem optimalen Lackierergebnis führt, wenn den Beteiligten alle Einflussgrößen bekannt sind und bei der Durchführung des Prozesses entsprechende Berücksichtigung finden (siehe Abbildung 1.1.7). Die Viskosität, Oberflächenspannung und Dichte, aber auch der Festkörper sind die nennenswerten Materialgrößen, Düse, Ringspalt, Luftklappe und Hornbohrungen die gerätetechnischen Gegebenheiten und Luft- und Materialdruck die einstellbaren verfahrenstechnischen Variablen. Dabei beeinflusst die Viskosität die Zerstäubung direkt und indirekt durch die Beeinflussung der Ausflussrate. Für die im Glanz, Farbton, Effekt, Verlauf und in bestimmten Fällen sogar in der Haftung erkennbare Qualität sind die Luft- und Objekttemperatur und insbesondere der Spritzabstand nennenswerte Einflussgrößen. Durch den Spritzabstand wird die Flugdauer der Spritznebel und damit der Lösemittelgehalt des entstehenden Films festgelegt. Ein nur geringer Abstand führt zu nassen und deshalb niedrig viskosen Lackfilmen. Bei größeren Abstände hingegen werden wegen verlängerter Flugdauer die Tropfen zu trocken. Unterschiedliches Verlaufen oder Ablaufen, aber auch Schwankungen in der Effektausbildung sind die Folge. 538

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Heißapplikation

Viskosität η [mPas] 700 600 500 Lacktyp A

400 300 200 100

Lacktyp B

0 0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

Temperatur T [°C]

Bei der Spritzapplikation kann eine Reduzierung von Emission Abbildung 4.2.45: Temperaturabhängigkeit der Spritzviskosität und Overspray durch Erwärmen des Beschichtungsstoffes erreicht werden. Die durch Temperaturerhöhung erniedrigte Viskosität eröffnet neue Einflussmöglichkeiten auf den Verarbeitungsprozess. Durch Heißapplikation kann entweder der Festkörper angehoben oder der Spritzluftdruck gesenkt werden. Im ersten Falle kann nach Verzicht auf Lösemittel die höhere Viskosität durch Erwärmen wieder auf den alten Stand gebracht werden. Dadurch wird trotz des höheren Festkörpers ein ähnliches Spritzbild erhalten. Auf der anderen Seite kann bei niedrigerer Viskosität durch einen niedrigeren Spritzluftdruck der Overspray reduziert werden, ohne das Spritzbild zu verschlechtern. Der Materialverbrauch wird reduziert und damit auch die Emission. Die Abbildung 4.2.45 zeigt die starke Temperaturabhängigkeit der Viskosität an zwei Lacken. Aus der Praxis ist bekannt, dass durch Erwärmen des Materials auf 60 bis 70 °C entweder der Festkörper um 4 bis 6 % angehoben oder der Spritzluftdruck um 1 bis 1,5 bar gesenkt werden kann. Letzteres ist gleichbedeutend mit einer Reduktion des Oversprays um 10 bis 15 %. Die Materialerwärmung erfolgt indirekt durch Wärmeaustausch mit einer Wärmeübertragungsflüssigkeit. Da dabei der Flammpunkt der Lacklösemittel in der Regel überschritten wird, sind die Anlagen explosionsgeschützt auszurüsten. Die Energie zum Erwärmen der Lacke wird durch die Einsparungen beim Verbrauch von Druckluft mehr als kompensiert. Niederdruck-Verfahren Das klassische Niederdruck-Verfahren hat nur Bedeutung für den handwerklichen Bereich gewonnen. Aufgrund des geringen Druckes und der deshalb geringen Luftmengen können bei diesem Verfahren nur geringe Mengen an Material zerstäubt werden. Darüber hinaus lässt sich keine optimale Feinheit der Tropfen erreichen, so dass das Lackierergebnis den sehr hohen Ansprüchen an die Oberflächenqualität nicht immer gerecht wird. Initiiert durch verschärfte Umweltauflagen ist dem Niederdruck-Verfahren zuerst in den USA wieder neue Beachtung geschenkt worden. Wegen der gesetzlichen Forderungen, Verluste beim Versprühen auf weniger als 35 % zu reduzieren, ist das Niederdruck-Verfahren weiterentwickelt worden, so dass es heute stärker den Ansprüchen der industrielBASF-Handbuch Lackiertechnik 539

Lackiertechnologie

Der in der Praxis übliche Spritzabstand von 25 bis 30 cm ist unter Berücksichtigung des Abdunstverhaltens und der mit zunehmendem Abstand steigenden Menge an Overspray der beste Kompromiss. Bei der Handapplikation werden Spritzabstände zum Ausgleich unterschiedlicher Umgebungstemperaturen und zur Beeinflussung der Effektausbildung mitunter auch bewusst variiert.

Die Lackiertechnologie

HVLP 120 100 g/min 300 g/min 500 g/min

100 80 60 40 20 0

0

10

20

30

40

50

durchschn. Tröpfchengröße [D (v; 0,5)]

durchschn. Tröpfchengröße [D (v; 0,5)]

Das Zerstäubungsprinzip entspricht dem pneumatischen Verfahren, reduziert jedoch die Luftgeschwindigkeit durch einen geringeren Luftdruck bei gleichzeitig höherer Luftmenge und einem breiteren Ringspalt. Damit wird erreicht, dass trotz geringerer Anfangsgeschwindigkeit der Spritzluft diese wegen des Abbildung 4.2.46: Beispiel einer HVLP-Pistole  Quelle: ITW wesentlich größeren Luftangebotes während der Zerstäubung auch weniger abgebremst wird. Als positiver Nebeneffekt zeigt sich ein geringerer Feinanteil im Tropfenspektrum. konventionelle Druckluftzerstäubung 120 100 g/min 300 g/min 500 g/min

100 80 60 40 20 0

0

Luftvolumenstrom [Nm3/h]

70 60 50 40

0

10

20

30

40

Luftvolumenstrom [Nm3/h]

50

Auftragswirkungsgrad [Gew.-%]

100 g/min 300 g/min 500 g/min

80

20

30

40

50

konventionelle Druckluftzerstäubung

100 90

10

Luftvolumenstrom [Nm3/h]

HVLP Auftragswirkungsgrad [Gew.-%]

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len Verarbeitung entspricht. Diese Entwicklung hat zu einer oversprayarmen Variante der pneumatischen Zerstäubung, dem sogenannten High Volume Low Pressure (HVLP)-Verfahren geführt [4.4.55]. Es erlaubt einen Kompromiss zwischen optisch attraktiver Lackierung und reduzierter Spritznebelbildung.

100 100 g/min 300 g/min 500 g/min

90 80 70 60 50 40

0

10

20

30

40

50

Luftvolumenstrom [Nm3/h]

Abbildung 4.2.47: Tropfengröße sowie Auftragswirkungsgrad beim HVLP-Verfahren im Vergleich zur konventionellen Spritzapplikation in Abhängigkeit von der Material- und Spritzluftmenge

540

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Der optimale Spritzluftdruck der HVLP-Pistolen liegt bei nur 0,8 bar und weniger, obwohl die Pistole zunächst mit einem Druck von 5 bar versorgt wird. Realisiert wird der niedrigere Luftdruck dadurch, dass die Luft vor Verlassen der Pistole entspannt und in ihrem Volumen stark erhöht wird. So wird bei reduzierter Ausflussrate von ca. 150 bis 250 ml/min ein dem herkömmlichen Zerstäubungsverfahren ähnliches Tropfenspektrum bei gleichzeitiger Absenkung des Oversprays um 15 bis 20 % erreicht. Den sensiblen Einfluss der zu zerstäubenden Menge auf die Tropfenbildung beim Niederdruckverfahren zeigt die Abbildung 4.2.47. Darüber hinaus wird die Auswirkung auf den Auftragswirkungsgrad beschrieben. Hydraulische oder Airless-Zerstäubung Das hydraulische Zerstäubungsverfahren, auch unter den Namen Airless (= luftlos)- oder Höchstdruckzerstäubung bekannte Verfahren bewirkt die Partikelbildung des flüssigen BeschichAbbildung 4.2.48: Schemazeichnung einer Airless-Düse und tungsstoffes allein durch hohen Bild einer Airless-Pistole Quelle: ITW Materialdruck. Die zur Tropfenbildung notwendige Energie wird durch den Materialdruck von 50 bis 400 bar bereitgestellt. Bei Austritt aus den feinen Düsen mit < 0,5 mm Durchmesser wird das Lackmaterial auf mehr als 150 m/s beschleunigt und durch die spontane Entspannung und zusätzliche Wechselwirkung mit der ruhenden Umgebungsluft zerstäubt. Durch den hohen Turbulenzgrad weit oberhalb der kritischen Reynoldzahl von 2000 wird der Lackstrom sofort nach Verlassen der Düse zerrissen. Zur Erzeugung eines geformten Breitstrahls kann die Austrittsöffnung als Schlitzdüse konstruiert werden. Durch spezielle Zerstäuberdüsen kann durch Ausbildung von Ein- und Auslaufwirbeln der Turbulenzgrad des Lackstroms noch weiter erhöht und somit die Zerstäubung noch feiner werden. Die Einflussgrößen auf das Spritzbild lassen sich nach Walzel in folgender Formel zusammenfassen [4.4.56]:

Eine hohe Partikelgeschwindigkeit, verborgen in der Weber-Zahl, We, führt zu einem geringeren Teilchendurchmesser. Eine höhere Viskosität, versteckt in der Weber- und BASF-Handbuch Lackiertechnik 541

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Ohnesorge-Zahl, sowie ein größerer Düsendurchmesser dD vergrößern die σ + Tropfen. Dabei kann die Ausflussrate durch die Änderung des Materialη drucks oder den Düsendurchmesser dD beeinflusst werden. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass die in der Ohnesorge-Zahl und der Weber-Zahl Erhöhung der Einflussgröße steckende Lackgeschwindigkeit u durch den Materialdruck und die Düsenweite festgelegt wird. Jede Veränderung von dD führt zwangsläufig auch zu einer Veränderung von u. Im – ∆u ~ Materialdruck Unterschied zu den pneumatischen Abnahme Tropfengröße und 1/dD Verfahren hat die Lackviskosität einen geringen Einfluss, während sich die Abbildung 4.2.49: Sensitivitätsdiagramm für die AirlessApplikation Oberflächenspannung und die Dichte mehr auf das Tropfenspektrum auswirken. Das Sensitivitätsdiagramm in Abbildung 4.2.49 zeigt die charakteristischen Abhängigkeiten qualitativ.

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Zunahme Tropfengröße

Hydraulisch arbeitende Zerstäuber besitzen keine Justierung der Lackmengen und sind entweder geöffnet oder geschlossen. Jede Variation im Durchfluss würde zu Veränderungen in der Tropfenbildung führen. Nachteilig für einen reibungslosen Dauerbetrieb ist die starke Beanspruchung der Düsen. Durch die hohe Relativgeschwindigkeit des Lackes zur Düseninnenfläche wird besonders bei Verwendung abrasiver Pigmente der Materialabrieb in der Düse hoch. Schon geringer Düsenverschleiß führt wegen der mit der vierten Potenz des Düsenradius zunehmenden Ausflussrate gemäß des Hagen-Poiseuille’schen Gesetzes zu erhöhten Schichtdicken und damit zu Läufern und Kochern. Auf der anderen Seite bereiten harte Metalle als Werkstoff für die Düsen natürlich auch Schwierigkeiten beim Einbringen der feinen Bohrungen. Erst mit der Erfindung des Laserstrahlbohrens wurde es möglich, harte Düsenmaterialien zufriedenstellend zu bearbeiten. Eine Anlage zum hydraulischen Zerstäuben beinhaltet neben einem Pistolenkörper, der Düse und den notwendigen Sicherheitseinrichtungen einen Lackdruckerzeuger, der den geforderten Lackdruck von bis zu 400 bis 500 bar aufbauen kann. Robuste, vor Ort störungsfrei arbeitende Pumpen, die den hohen Materialdruck erzeugen, sind die mit Druckluft oder elektrisch angetriebenen Spezialkolbenpumpen. Die Besonderheit der pneumatisch arbeitenden Doppelkolbenpumpen liegt darin, dass die geforderten hohen Drücke allein durch große Unterschiede in den Querschnitten der Kolben erreicht werden. Durch ein Flächenverhältnis von 1:10 bis 1:20 können die Ausgangsdrücke von üblicherweise 12 bar problemlos auf 120 bis 240 bar angehoben werden. Es werden ungefähr 200 l auf Normaldruck entspannter Luft pro Liter des zu zerstäubenden Lackes benötigt. Das Airless-Verfahren erlaubt die Zerstäubung relativ großer Lackmengen von bis zu 2 l/min und ist deshalb für die Beschichtung großer Flächen geeignet. Die AirlessZerstäubung ist ein bewährtes Verfahren im Industrielackierbereich, besonders dann, 542

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Lackverarbeitung

Durch die fehlende Spritzluft entfällt der von der pneumatischen Zerstäubung her bekannte Rückpralleffekt. Geringere Spritznebelverluste sind die Folge. Für die Lackzerstäubung in geschlossenen Räumen bietet die spritznebelarme Airless-Zerstäubung deshalb Vorteile. Auch der in der Spritzkabine verdunstende Anteil der Lösemittel wird wegen der geringeren Luftmenge reduziert, so dass ein Großteil der Emission in den Trockner verlagert wird. Die 0,1 bis 0,5 mm feinen Düsen erlauben mit ihrer extrem kleinen freien Düsenfläche keine Verarbeitung von Effektlacken, Abbildung 4.2.50: Schemazeichnung einer Pumpe für Airless-Zerda die großen Aluminiumflakes stäuber  Quelle: ITW die feinen Düsen verstopfen (siehe Kapitel 3.2.3). Um den Einsatz von Airless-Pistolen universeller zu gestalten, hat es nicht an Versuchen gemangelt, den Spritzstrahl nach der Zerstäubung beeinflussen zu können. Es gelang, durch zusätzliche Luftströme den Spritzkegel zu verformen, ohne dabei Einfluss auf die Zerstäubung zu nehmen. Derartige luftunterstützte Hydraulikpistolen werden mit Materialdrucken von weniger als 200 bar und Luftdrucken von 1 bis 4 bar betrieben. Sie eignen sich auch für schwierigere und kompliziert geformte Teile. Solche Verfahren sind unter dem Namen Airmix bekannt. Sie verbinden die Vorzüge des pneumatischen mit denen des hydraulischen Versprühens. Beim Betrieb von Airless- oder Airmix-Anlagen beobachtet man gelegentlich die Bildung größerer Mengen an Spritznebeln, die sich vornehmlich an geerdeten Teilen in der Umgebung niederschlagen. Untersuchungen ergaben, dass, bedingt durch die starke Reibung der elektrisch nur wenig leitfähigen Lacke und Lösemittel in den Düsen der Airless-Pistolen, erhebliche Mengen an Ladungen auf den Lack übertragen werden. Nicht oder nur schlecht geerdete Teile werden beim Beschichten dann relativ schnell aufgeladen, wodurch nachfolgender, gleichsinnig geladener Lack abgestoßen wird und sich in der Umgebung niederschlägt [4.4.57]. Es ist deshalb bei hydraulischer Zerstäubung empfehlenswert, die Lackierobjekte zusammen mit den Transporteinrichtungen zu erden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 543

Lackiertechnologie

wenn Großobjekte wie Schiffe, Kräne oder Industrieanlagen zu beschichten sind. Vorteilhaft ist aufgrund des Verzichts auf Zerstäuberluft die gegenüber dem pneumatischen Verfahren höhere Materialausbeute.

Die Lackiertechnologie

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass zur Optimierung der hydraulischen Lackzerstäubung auch erwärmtes Material verarbeitet werden kann. Die Vorteile entsprechen den bei der pneumatischen Applikation beschriebenen. Elektrostatisches Versprühen Die zum Versprühen von Beschichtungsstoffen notwendige Energie kann auch elektrischer Natur sein. Bringt man geladene Flüssigkeiten mit der Ladung Q in ein elektrisches Feld der Stärke E, so wirkt auf diese eine Kraft F1. Dadurch wird der Stoff von der entgegengesetzt geladenen Elektrode angezogen. F1 = Q · E Die elektrische Kraft ist der Ladung der Flüssigkeit und der elektrischen Feldstärke direkt proportional. Wegen der in entgegengesetzter Richtung wirksamen Reibungskräfte F2

Lackiertechnologie

F2 = 6 · π · η ·r · u stellt sich gemäß dem Stoke’schen Gesetz rasch ein stationärer Zustand ein. Der elektrisch geladene Stoff bewegt sich dann mit einer Geschwindigkeit von

entlang den Feldlinien. Will man solche elektrischen Phänomene lackiertechnisch nutzen, sind Apparaturen zu konstruieren, die auf die zu zerstäubenden Flüssigkeiten Ladungen übertragen können, um so die Voraussetzungen für die Tropfenbildung und den Transport zur Gegenelektrode schaffen. Zu diesem Zweck ist durch Anlegen einer Gleichspannung zwischen dem Zerstäubungsgerät und dem Lackierobjekt ein ausreichend starkes elektrisches Feld zu erzeugen. Der gesamte Prozess der elektrostatischen Lackzerstäubung gliedert sich also in den Aufbau eines elektrischen Feldes, das Aufladen des Lackes, Beispiel: U = 90 KV die Bildung von Lacktropfen, den Transport zum Objekt und das EntFeld laden des sich bildenden Films. E = 0,3 KV/mm homogen

300 mm Feld an gekrümmter Fläche Radius = 1 mm

E = 90 KV/mm

Die Durchbruchfeldstärke (Luftionisierung) liegt bei E = 3 KV. Coronaaufladung bewirkt Zerstäubung und Kraft entlang der Feldlinien. Abbildung 4.2.51: Feldlinienverteilung im homogenen und inhomogenen elektrischen Feld

544

Ein zur Übertragung von Ladungen ausreichend starkes elektrisches Feld entsteht durch Aufbau eines negativen Potenzials an einer stark gekrümmten Elektrode und die dadurch hervorgerufene Feldlinienverdichtung. Die im Bereich von solchen Spitzenelektroden erreichbare Feldstärke Es errechnet sich näherungsweise mit ES = U/r, wobei r die reale Rundung solcher Spitzen beschreibt. Etwas komplizierter sind die Berechnungen des inhomogenen BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Feldes im Bereich kantenförmig ausgebildeter Sprühelektroden. Hier gehorcht die Feldstärke E(x) an dem Ort x folgender Gesetzmäßigkeit:

Lackierobjekt

Sprühdraht x r

Dabei ist a der Abstand zwischen den beiden Elektroden und r der Radius der Kante. Somit errechnet sich für die maximale Feldstärke Emax des inhomogenen Feldes im Punkt x = a - r:

a

Bei Sprühkantenradien von ungefähr 0,5 mm werden bei üblichen Spannungen von 90 kV bereits Feldstärken erreicht, welche die Durchbruchsfeldstärke von ungefähr 3 kV/mm übersteigen. Damit können die Elektronen des Metalls in der Sprühkante aus dem Metall auszutreten und die umgebende Materie ionisieren. Befindet sich Lack im Bereich einer Sprühkante, wird dieser üblicherweise negativ aufgeladen, von dem als Gegenelektrode geschalteten Lackierobjekt angezogen und dadurch zu Fäden auseinandergezogen. Es ist leicht abzuschätzen, dass die unter den beschriebenen Bedingungen der elektrostatischen Zerstäubung wirksame Kraft F die zur Vergrößerung der Oberfläche notwendige Arbeit leisten kann. Sie wird neben der elektrischen Feldstärke auch durch die Dielektrizitätskonstante ɛLack (siehe weiter) beeinflusst.

Erreichen die Fäden eine ausreichende Länge (siehe Abbildung 4.2.32), schnüren sie sich aufgrund der wirkenden Oberflächenspannung ein und bilden elektrisch geladene Tropfen. Durch hochgeschwindigkeitsfotografische Aufnahmen beim Ausströmen geladener Flüssigkeiten aus Düsen konnte gezeigt werden, dass die sich bildenden Fäden wegen der gleichartigen und damit sich abstoßenden Oberflächenladung nicht den kürzesten

scharfe Kante

Ausbauchung durch Polarisation Ladungstrennung instabiler Strahl Tropfenzerfall Abbildung 4.2.53: Tropfenbildung durch elektrische Kräfte

BASF-Handbuch Lackiertechnik 545

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.52: Berechnung der elektrischen Feldstärke im Bereich des Versprühens

Die Lackiertechnologie

Weg zur Gegenelektrode nehmen. Durch den Luftwiderstand gebremst überlagern sich auf dem Wege zur Gegenelektrode zerwellende elektrische Gegenkräfte, die sich in Form von Mäanderbewegungen zu erkennen geben. Dabei wird der Faden übermäßig verlängert und dadurch dünner [4.4.58]. Die Abschätzung der Tropfengröße bei der elektrostatischen Zerstäubung erfolgt analog zur Berechnung des Tropfenspektrums bei der pneumatischen oder hydraulischen Lackapplikation Die Partikelbildung wird wieder durch zwei entgegengesetzt wirkende flächenbezogene Kräfte beeinflusst. In diesem Falle wirken die abstoßenden elektrischen Kräfte auf der Lackoberfläche dem Kohäsionsdruck pKo entgegen (siehe vorher).

Lackiertechnologie

Der elektrische Gegendruck pEl errechnet sich als

wobei Ψ die oberflächenspezifische Ladung darstellt. Im Gleichgewicht sind beide Drücke gleich groß, so dass bei 2r = dm

Da die oberflächenspezifische Ladung Ψ eine Funktion der Leitfähigkeit λ, der Spannung U, der Dielektrizitätskonstanten ɛ und des sich konstruktionsbedingt einstellenden Massenstroms m• ist, errechnet sich für die beim elektrostatischen Versprühen entstehende oberflächenspezifische Ladung:

Damit ergibt sich für den Tropfendurchmesser:

Aus dieser Formel wird ersichtlich, dass sich bei der rein elektrostatischen Zerstäubung die Tropfengröße direkt proportional zu den Materialeigenschaften Oberflächenspannung und Dielektrizitätskonstante sowie indirekt proportional zur Leitfähigkeit verhält. Geräte, mit denen elektrostatisches Zerstäuben technisch praktiziert wird, bestehen im einfachsten Fall aus einer mit einer scharfen Kante ausgestatteten Metallschiene. Zur Versorgung mit Lack befindet sich im Bereich der Sprühkante ein Spalt, hinter dem beim Betrieb des Gerätes der zu versprühende Lack vorbeigeführt wird. Der in Abbildung 4.2.54 gezeigte Sprühspalt eignet sich wegen der großen, unter Hochspannung von bis zu 160 kV stehenden Masse nur für stationäre Anlagen [4.4.59]. Wird mittels einer Fördereinrichtung ein geerdetes Werkstück in die Nähe des Spaltes gebracht, so baut sich bei angelegter Spannung ein elektrisches Feld auf. Dadurch wird 546

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Detail der Kante scharfe Kante → hohe Feldstärke

Lack

der Lack aus dem Spalt herausgezogen, in Tropfen überführt und entlang den Feldlinien zum Lackierobjekt transportiert. Ein besonderes Merkmal dieses Verfahrens besteht darin, dass trotz permanent angelegter Spannung die Zerstäubung nur stattfindet, wenn geerdete, d.h. als Gegenelektrode geschaltete Lackierobjekte nahe genug am Sprühorgan vorbeigeführt werden. Da der Lack nur entlang der Feldlinien zum Objekt transportiert wird, ist die Materialausbeute mit ungefähr 98 % ausgesprochen hoch. Die Lackierbreite wird im Wesentlichen durch die Länge des Sprühspaltes bestimmt. Zum Optimieren der Sprühbreite befinden sich an den Enden des Spalts verschiebbare Hilfselektroden, mit denen die Sprühkante lokal abgedeckt werden kann. Entsprechend der eingestellten Spannung ist bei vorgegebener Sprühspaltlänge nur eine bestimmte A Menge Lack zu zerstäuben. Reicht diese Lackmenge für die gewünschte Schichtdicke nicht aus, so kann durch Schrägstellen des Spaltes eine Verkürzung der Beschichtungsbreite und so eine Schichtdickenerhöhung herbeigeführt werden. Die Schichtdickenverteilung des entstehenden Films wird durch die Feldliniendichte vorgegeben. Ist sie an allen Stellen des Objekts gleich, werden außerordentliche gleichmäßige Schichtdicken erzielt. Rohre und Kugeln, also Objekte ohne Ecken und Kanten werden optimal beschichtet. Eckige Lackierobjekte oder solche mit Hohlräumen sind mit diesem Lackierverfahren nicht zufriedenstel-

B

A B

Beschichtung auch auf der Rückseite Überbeschichtung an Kanten Keine Beschichtung in Hohlräumen (Faradayscher Käfig)

Abbildung4.2.55: Schichtdickenverlauf elektrostatisch lackierter Teile

BASF-Handbuch Lackiertechnik 547

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.54: Schema des Sprühspaltes zur elektrostatischen Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Materialzufuhr

Lackiertechnologie

Materialzufuhr

Abbildung 4.2.56: Langsam laufende Glocken und Scheiben

lend zu lackieren. An Ecken und Kanten finden Überbeschichtungen statt, die während des anschließenden Filmbildeprozesses zu Störungen in Form von Läufern führen können. Hohlräume bilden Faraday’sche Käfige, so dass aufgrund der fehlenden Feldlinien überhaupt keine Beschichtung stattfindet. Es wurde bereits gezeigt, dass die Tropfengröße vom Massenstrom, den spezifischen elektrischen Eigenschaften des Lackes und der angelegten Spannung abhängt. Ein bereits auf optimale elektrische Leitfähigkeit eingestelltes Material wird wegen der Abhängigkeit des Massenstroms von der Spannung lediglich durch diese beeinflusst. Einflüsse durch Materialschwankungen bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen der Temperatur oder relativer Feuchte sind somit nur schwierig auszugleichen. Nachteilig ist auch die nur mäßige Leistungsfähigkeit des Verfahrens mit ungefähr 1,5 g/min bezogen auf 1 cm Kantenlänge. Um die Vorteile der hohen Lackausbeute bei höherem Materialausstoß nutzen zu können, wurden Geräte für die elektrostatische Verarbeitung von Lacken entwickelt, die eine prozessregulierende Materialdosierung erlauben. Anpassungsfähiger und gleichzeitig leistungsfähiger sind die ebenfalls rein elektrostatisch zerstäubenden, langsam laufenden Sprühglocken. Bei einer Drehzahl von < 3000 min-1 erfolgt die Tropfenbildung ohne mechanische Hilfe allein nach den beschriebenen Gesetzen der Elektrostatik. Die zusätzlich wirkenden Zentrifugalkräfte sorgen lediglich für einen ausreichenden und drehzahlabhängigen Transport des Lackes zur Zerstäuberkante.

Die Ausflussraten sind innerhalb gewisser Grenzen durch die Drehzahl einstellbar. Zufluss und Abfluss an der Kante müssen im Gleichgewicht bleiben. Durch die Drehzahl der Scheibe erhalten die Tropfen zusätzliche kinetische Energie, so dass Faraday’sche Käfige bedingt beschichtbar werden. 548

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die bei einer Spannung von 90 bis 160 kV mit Umdrehungen von 900 bis 2000 min-1 laufende Sprühglocke eignet sich wie der Sprühspalt konstruktionsbedingt nur für automatische Verarbeitungsanlagen. Die Zerstäubung des Lackes erfolgt an der rotierenden, unter Hochspannung stehenden scharfen Glockenkante. Der Lack wird dem Zentrum der Glocke auf der Innenseite zugeführt, durch die Glockenrotation beschleunigt und über Fliehkräfte zur Glockenkante transportiert. An der Glockenkante bildet der Lack eine Wulst, aus der er dann tropfenweise elektrostatisch abgezogen wird. Die maximale Zerstäubermenge ist mit ungefähr 3 g/min pro Zentimeter Kantenlänge doppelt so hoch wie beim Sprühspalt.

Die Vorteile dieses Sprühsystems kommen zum Tragen, wenn die Werkstücke die horizontal angeordnete Scheibe in Form eines Ω umfahren. Da die Scheibe nur in einer Ebene sprüht, muss sie für eine ausreichend gleichmäßige Lackierung durch einen Hubzylinder vertikal bewegt werden. Es wurde bereits erklärt, dass das elektrostatische Zerstäuben von der Leitfähigkeit des Beschichtungsstoffes abhängig ist. Die elektrische Leitfähigkeit ist verantwortlich für das schnelle Aufladen während der Tropfenbildung und für eine entsprechend schnelle Abgabe der Ladungen während der Filmbildung. Nur bei einem schnellen Ladungsabfluss durch gute Erdung ist zu gewährleisten, dass nachfolgende Spritznebel abgeschieden werden und ein guter Verlauf möglich wird. Letzteres ist bei der Lackierung von Holz und Kunststoffen ein grundsätzliches Problem. Ein zu langsames Entladen, sei es durch zu geringe Leitfähigkeit des Lackes oder Substrates, führt wegen der gleichartigen und damit sich abstoßenden Ladungen zwangsläufig zu Verlaufsstörungen. Optimale Bedingungen für die elektrostatische Verarbeitung sind immer dann gegeben, wenn die Widerstände des Beschichtungsstoffes zwischen 106 und 1010 Ωcm bzw. der Leitfähigkeit von 10-6 bis 10-10 S/cm angesiedelt sind. Derartige Werte sind für lösemittelhaltige Lacke z.B. durch Mischungen aus Xylol (R = 1010 Ωcm) und Butanol (R = 106 Ωcm) leicht einzustellen. Können polare Lösemittel nicht in der notwendigen Menge verwendet werden, ist eine zusätzliche Regulierung der Leitfähigkeit auch durch geeignete Additive möglich (siehe Kapitel 2.1.4). Wässrige Lacke lassen sich demnach wegen ihrer hohen Leitfähigkeit mit diesen Verfahren nicht verarbeiten. Elektrostatisch unterstützte Sprühverfahren Pneumatische und hydraulische Applikation Aufgrund der guten Materialausbeute bei den elektrostatischen Applikationsverfahren hat es nicht an Versuchen gemangelt, pneumatische und hydraulische Zerstäubungsverfahren (siehe vorher) mit den elektrostatischen Techniken zu verknüpfen. Die erzielbare Steigerung der Materialausbeute hat Auswirkung auf den gesamten Materialfluss in der Spritzkabine, der Abdunstzone und den Trockner. Folgendes Beispiel informiert über die Vorteile im Detail (siehe Abbildung 4.2.57). Für einen Auftrag von 45 g FestkörBASF-Handbuch Lackiertechnik 549

Lackiertechnologie

Die gegenüber der Sprühglocke mit Durchmessern von 200 bis 600 mm größere Sprühscheibe ist ein verbreitetes Applikationsgerät für das elektrostatische Lackieren von einfach geformten Massenartikeln. Die Zerstäubung erfolgt ähnlich der Sprühglocke am rotierenden scharfen Scheibenrand. Dabei wird der Lack im Regelfall auf die Scheibenunterseite aufgetragen, beschleunigt und über Fliehkräfte zum Scheibenrand transportiert. Der weitere Ablauf der Zerstäubung und des Lacktröpfchentransports entspricht dem der Sprühglocke.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.57: Materialausbeute bei konventioneller und elektrostatisch unterstützter Hochdruckzerstäubung

per werden im Fall der pneumatischen Zerstäubung (A) 150 g Lack, bei der elektrostatisch unterstützten Lackierung (B) wegen des besseren Auftragswirkungsgrades nur 105 g Lack bei gleichem Festkörpergehalt von 55 % benötigt.

Abbildung 4.2.58: Schema der zwei Auflademechanismen von Sprühorganen

550

In Abhängigkeit von dem Lackmaterial haben sich zwei unterschiedliche Verfahren der Aufladung bewährt. Je nach Leitfähigkeit des Lackes erfolgt diese entweder vor der Zerstäubung durch Innenaufladung oder erst nach Verlassen des Sprühorgans und abgeschlossener Tropfenbildung durch Außenaufladung. Im Falle der pneumatischen Applikation existiert im täglichen Gebrauch nur die InnenaufBASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.59: Schnittbild einer elektrostatisch unterstützten Hochdruckpistole

ladung. Dabei läuft der Lack im elektrisch isolierten Pistolenvorsatz an einer Hochspannungselektrode vorbei, um dort die Ladungen aufzunehmen. Da die später entstehenden Tropfen schon vor ihrer Bildung Ladung tragen, wird die aktuelle Oberflächenspannung wegen der abstoßenden elektrischen Kräfte reduziert. Eine bessere Zerstäubung ist die Folge. Dadurch kann mit höherer Spritzviskosität oder geringerem Spritzluftdruck zerstäubt werden. Der erste Fall führt wegen des höheren Festkörpers zu noch weniger Emission, der zweite zu noch geringeren Materialverlusten durch Overspray. Es gelingt unter idealen Bedingungen, die Materialausbeute von 50 % bei der konventionellen Verarbeitung bis auf 80 % anzuheben. Die Innenaufladung ist jedoch nur möglich, wenn die spezifischen Widerstände des Beschichtungsmaterials innerhalb der bereits genannten Grenzen von 106 bis 1010 Ωcm liegen. Anderenfalls würden aus Sicherheitsgründen erhebliche Aufwändungen zur Isolierung des Lackversorgungssystems notwendig. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Aufladegeschwindigkeit direkt von der Dielektrizitätkonstanten ɛLack und dem spezifischen Widerstand δLack abhängig ist und somit zu hohe elektrische Widerstände nicht zulässt.

Q

Aufladen in der Pistole Abgeben der Ladung am Objekt

~ 1µs Q (t) = ( 1 – l

–t τ

Zeit

)

wobei τ = εLack · ρLack

ε La – 1 Qmax = 4 π r 2 (1 + 2 ε + 2 ) ε 0 · E La Abbildung 4.2.60: Abhängigkeit der zeitabhängigen Ladungsaufnahme und der maximalen Ladung von Beschichtungsstoffen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 551

Die Lackiertechnologie

Hochrotationszerstäubung

Lackiertechnologie

Das modernste und leistungsfähigste elektrostatisch unterstützte Sprühverfahren ist die Zerstäubung mit Hochrotationsglocken. Die dabei zum Einsatz gelangenden Glocken drehen sich bei Durchmessern von 60 bis 100 mm mit Drehzahlen bis zu 80.000 min-1 äußerst schnell [4.4.60]. Demzufolge ist der Zerstäubungsmechanismus auch anders als bei den langsam laufenden Glocken und Scheiben. Entgegen der ausschließlich durch elektrostatische Kräfte hervorgerufenen Zerstäubung basiert die Hochrotationszerstäubung allein auf der Wirkung von Zentrifugalkräften. Die zusätzliche elektrostatische Aufladung der Tropfen dient ausschließlich der Ausrichtung des Sprühstrahls auf das geerdete Objekt und damit der Materialausbeute. Diese kann mit 85 bis 90 % ausgesprochen hohe Werte erreichen. Im Gegensatz zu den Sprühscheiben sprühen die Hochrotationsglocken nicht radial auf das vorbeigeführte Objekt. Der Spritzstrahl wird durch zusätzliche Lenkluft um 90° umgelenkt und so auf das sich unter der Glocke befindende Lackiergut befördert. Dabei ist die Technik der Lenkluftführung ein wichtiger Faktor für den Auftragswirkungsgrad der Glocken [4.4.61]. Bedingt durch die hohe Drehzahl sind Hochrotationsglocken mit einem Materialausstoß von 15 bis 20 g/min pro cm Kantenlänge im Vergleich zu den rein elektrostatisch arbeitenden Glocken wesentlich leistungsfähiger. Außerdem ist das Tropfenspektrum enger und durch anlagentechnische Maßnahmen leichter auf den Bedarfsfall zu optimieren. Wegen der dadurch zu erzielenden hervorragenden visuellen Qualität der Lackierungen haben Hochrotationsanlagen eine große Verbreitung gefunden. Lack Druckluft

Druckluft

„Luftdusche“

„Luftdusche“ Lackfilm

Lackfilm

Abbildung 4.2.61: Schema und Bild einer Hochrotationsglocke  Quelle: BASF Coatings

552

Der Beschichtungsstoff wird nach Zuführung zur Innenseite der Glocke durch Zentrifugalkräfte an die Glockenkante geführt und von dort je nach Betriebsbedingungen mit unterschiedlichem Mechanismus zerstäubt. Ist bei normaler Drehzahl die Materialzufuhr niedrig, bildet sich an der Glockenkante eine Wulst, aus der aufgrund der hohen Zentrifugalkräfte vereinzelt Fäden herausgezogen werden, die sich zu Tropfen stabilisieren (A). Bei höherer Materialzufuhr nimmt die Zahl der Fäden zu. Erreichen diese eine bestimmte Länge, führt die Partikelbildung durch den Einfluss der Oberflächenspannung und der elektrischen Kräfte zu einem gleichmäßig engen TropBASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.62: Hochgeschwindigkeitsfotos der Tropfenbildung

fenspektrum der Fadenzerstäubung (B). Sie stellt für viele Anwendungen die beste Art der Zerstäubung dar. Bei weiterer Zunahme wird das Lackangebot so groß, dass die Fäden in Lamellen überführt werden. Bei der sich zunächst bildenden aerodynamischen Lamellenzerstäubung (C1) zieht sich die Lackwulst ohne Fadenbildung zu einem durch die Umgebungsluft in Schwingungen versetzten Lackvorhang aus. Dieser einer im Wind flatternden Fahne analoge Vorgang führt im zweiten Schritt ebenfalls zur Tropfenbildung. Das durch die Lamellenzerstäubung erzeugte Tropfenspektrum ist gegenüber der Fadenzerstäubung wesentlich unregelmäßiger und breiter. Bei Zunahme der Drehzahl schlägt die Lamellenbewegung in Turbulenz um, so dass regelmäßige StörBASF-Handbuch Lackiertechnik 553

Die Lackiertechnologie

fronten von der Kante her zum Lamellenende wandern und dort die Tropfenbildung beeinflussen (C2). Durch die hohen Zentrifugalkräfte tritt im Bereich des Zentrums der Glocke ein Unterdruckgebiet auf (siehe Abbildung 4.2.61) Für die Feinheit der Zerstäubung ist die Tellerkante der im Hinblick auf konstruktive Maßnahmen sensibelste Teil der Glocke. Die Glockenrandschräge und -strukturierung in Form von Rändelungen beeinflussen das Tropfenspektrum und damit auch die Qualität der Lackierung. Da es Ziel ist, bei hoher Kantenbelegung und damit hohem Materialausstoß möglichst enge und feine Tropfenspektren einzustellen, werden die Lackwülste durch die Rillen in den Glockenkanten in Fäden überführt. Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.63: Glatte und gerändelte Kanten von Glockentellern  Quelle: BASF Coatings

Der jeweils vorherrschende Zerstäubungsmechanismus und damit auch das Tropfenspek• trum hängen von der Materialzufuhr V, der Kantenbelegung Kb, der Winkelgeschwindigkeit ω, dem Glockendurchmesser D und den Materialgrößen der Beschichtungsstoffe Oberflächenspannung σ, Viskosität η und Dichte ρ ab. Die gerade beschriebenen Arbeitsbereiche sind durch die Berechnung von Zerstäubungskennzahlen graphisch darstellbar. Trägt man We21/2 . Kb5/6 . Ohz210/36 gegen Ohz auf, sind die günstigsten Bedingungen zu beschreiben.

Die Grenzlinien in der Abbildung 4.2.64 geben den Umschlagsbereich von einem in den anderen Zerstäubungsmechanismus wieder. Das relevante Arbeitsgebiet ist als schraffierte Fläche gekennzeichnet. Ähnlich den Berechnungen der Tropfengrößen bei der pneumatischen und hydraulischen Zerstäubung gelingt es auch bei Hochrotationszerstäubung, Prognosen über die zu erwartende Tropfengröße abzugeben. Die in der Literatur veröffentlichten Ergebnisse sind in ihrer Aussage nicht einheitlich [4.4.62, 4.4.63]. Die Untersuchungen wurden mit verschiedenen Flüssigkeiten durchgeführt. Wasser, Glycerin oder Lacke verhalten sich bezüglich ihrer Zerstäubbarkeit unterschiedlich und sind deshalb auch nicht mit einer einzigen mathematischen Formel zu beschreiben. Gemeinsam ist allen Aussagen die starke Abhängigkeit des Tropfenspektrum von der Oberflächenspannung, von der Winkelgeschwindigkeit und damit der Drehzahl sowie von der Größe der Glocke. Bemerkenswert ist auch der innerhalb großer Arbeitsbereiche geringe Einfluss der Viskosität. Dieser Tatbestand wird durch die Praxis bestätigt. 554

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.64: Arbeitsbereiche bei der Hochrotationszerstäubung

Prozentuale Änderung des Tropfendurchmessers 10

Abnahme

Zunahme

9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 –1 –2 –3 –4

Lamellenzerstäubung

σ Oberflächenspannung

1 2 3 4 5 6

7 8 9 10

η Viskosität · V Volumenstrom Prozentuale Erhöhung der Einflussgröße D Zerstäuberdurchmesser ρ Lackdichte

–5 –6 –7 –8

ω Winkelgeschwindigkeit

Abbildung 4.2.65: Sensitivitätsdiagramm der Hochrotationszerstäubung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 555

Die Lackiertechnologie

A

Lackiertechnologie

B

Abbildung 4.2.66: Verarbeitung von Wasserlacken mit Innenaufladung

Die starke Abhängigkeit der Zerstäubungsgüte bzw. des Tropfenspektrums von der Oberflächenspannung ist besonders bei der Verarbeitung von Wasserlacken ein beachtenswertes Faktum. Im Vergleich zu konventionellen Lacken sind bis zu 1000 min-1 höhere Drehzahlen einzustellen, will man das wegen der hohen Oberflächenspannung (siehe Kapitel 5.6.2) grobere Tropfenspektrum von Wasserlacken auf die unter gleichen Bedingungen mit konventionellen Lacken erreichte Feinheit bringen. Auch der Einfluss des Lackdurchsatzes ist geringer als bei der pneumatischen Zerstäubung. Besondere Beachtung verlangt die Zufuhr und Verteilung des Materials auf der Glocke. Um Ablagerungen von Spritznebeln auf dem Glockenteller zu vermeiden, kann eine Teilung des Materialstroms erfolgen. Während der Hauptanteil des Materials im äußeren Bereich des Tellers austritt, wird ein kleinerer Anteil dem Glockenteller durch die Mittelbohrung zugeführt. So wird erreicht, dass in das schon erwähnte Unterdruckgebiet der Glocke zurückgesaugter Spritznebel sich dort nicht ablagern und später als Stippen auf dem Lackierobjekt zu Qualitätsmängeln führen kann (siehe Kapitel 6.2). Der für viele Lackieraufgaben notwendige schnelle Farbwechsel ist durch Kreislaufführung eines Spülmittels mit nur wenig Materialverlust möglich. Der Spülvorgang inklusive Farbwechsel ist in wenigen Sekunden zu bewerkstelligen. Analog der beschriebenen Innenaufladung für Sprühpistolen erfolgt bei der Hochrotationsglocke die Aufladung des Beschichtungsstoffes durch die unter Spannung stehende Materialzuführung. Dies gilt insbesondere für lösemittelhaltige Lacke mit ausreichend hohem elektrischen Widerstand (siehe vorher). Bei der Verarbeitung von Wasserlacken ist die gesamte Anlage isoliert aufzustellen. Insbesondere die Lackversorgung muss durch die Isolierung von Arbeits- und Nachdosierbehältern so konstruiert sein, dass keine elektrischen Spannungen bzw. Stromflüsse im gesamten Leitungssystem auftreten können (siehe Abbildung 4.2.66). Farbwechsel sind mit dieser Technik mit entsprechendem Aufwand zu realisieren. 556

BASF-Handbuch Lackiertechnik

In der Praxis bedeutender ist die schon erwähnte Methode der Außenaufladung. Diese kann Elektrodenkranz prinzipiell bei allen Lacken zur Anwendung kommen. Sie führt zur Aufladung der bereits gebildeten Tropfen und lässt sich Glocke beim Applikationsverfahren der Hochrotation einfach realisieSpülöffnung ren. Um eine Außenaufladung zu erreichen, sind Elektronen freizusetzen, die Luftmoleküle Gehäuse im Zerstäubungsbereich vor der Materialdüse ionisieren. Die Abbildung 4.2.67: Hochrotationszerstäuber zur Lackaufladung mit frisch entstandenen Tropfen Außenelektroden adsorbieren beim Durchfliegen dieser Ionenwolke einen Teil der Ladungsträger und werden so selbst zu elektrisch geladenen Partikeln. Als nachteilig erweist sich die hohe Luftionenkonzentration, die zu einer Abschirmung des Lackierobjekts und einer im Vergleich zur Innenaufladung ungleichmäßigeren Aufladung der Tropfen führt. Damit verbunden ist ein bis zu 5 % höherer Materialverlust gegenüber der Innenaufladung. Die Optimierung der Glockenformen wurde u.a. durch die Untersuchung der Strömungsverhältnisse im Sprühkegel mit Laserlichtschnitttechniken möglich [4.4.64]. Die Zielrichtung der Entwicklungsanstrengungen für die Hochrotationszerstäubung ist u.a. der Einsatz bei der Effektlackierung. Dabei sind zum einen die unterschiedlichen Tropfenspektren im Vergleich zur pneumatischen Applikation zu beachten. Letztere führt zu einer messbaren Erhöhung des Effektstoffanteils. Die Lenkluft erfasst dabei wegen

Tropfenverteilung

Tropfenverteilung erzeugtes Spektrum abgeschiedene Spektren mit Elektrostatik ohne Elektrostatik

Tropfendurchmesser pneumatische Zerstäubung

erzeugtes Spektrum abgeschiedene Spektren mit hoher Spannung mit geringer Spannung

Tropfendurchmesser Hochrotationszerstäubung

Abbildung 4.2.68: Unterschiede im erzeugten und abgeschiedenen Tropfenspektrum bei pneumatischer und Hochrotations-Zerstäubung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 557

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

der wirksamen Zentrifugalkräfte und der größeren Trägheit weniger die großen Tropfen des Spektrum als vielmehr die kleinen, so dass das Profil des abgeschiedenen Tropfenspektrums in Richtung der kleineren und mittleren Teilchen verschoben wird. Dies steht genau im Gegensatz zu den Verhältnissen bei der pneumatischen Applikation [4.4.65].

Abbildung 4.2.69: Schema einer Portalanlage (unten) und Bild einer Roboterapplikation mit Hochrotationszerstäubern (oben)  Quelle, oben: Dürr, unten: BASF Coatings

Zum anderen führt die Hochrotationszerstäubung zur Separierung und Konzentrierung von Effektstoffen, insbesondere Metallbronzen, in den Tropfen und damit zu einer inhomogenen Verteilung bei gleichzeitig schlechterer Ausrichtung im gerade abgeschiedenen Film. Diese Separierung durch Zentrifugalkräfte wird auch auf dem Glockenteller und durch Rotation der entstehenden Tropfen hervorgerufen.

Um alle Bereiche kompliziert geformter Teile (wie zum Beispiel Automobilkarossen) mit einer gleichmäßigen Schicht bei gleichzeitig gutem Verlauf zu überziehen, werden die Sprühorgane in den Lackierautomaten so angeordnet, dass die Konturen des Lackierobjekts mit gleichbleibenden Abständen abgefahren werden können. Vorteile der elektrostatischen Unterstützung generell sind der gute Umgriff und die Randausweitung des Spritzstrahls. Damit verbunden sind weiche Übergänge und damit gleichmäßigere Schichtdickenverteilungen auch auf der Rückseite der lackierten Objekte. Die Hochrotationszerstäubung ist durch permanente Weiterentwicklung der Anlagen und Zerstäuberglocken heute die modernste, wirtschaftlichste und aus ökologischer Sicht auch attraktivste Zerstäubungstechnik. Die Glocken mit ursprünglich ungefähr 70 bis 80 mm Durchmesser und Drehzahlen von 25.000 bis 30.000 min-1 sind im Laufe der Jahre immer mehr verkleinert und in ihrer Drehzahl angehoben worden. Glockenteller mit einem Durchmesser von 40 bis 60 mm mit Drehzahlen von bis zu 70.000 min-1 gehören heute zum Standard. Solche Glocken werden für einen störungsfreien Betrieb mit luftgelagerten Wellen ausgestattet. Die kleineren Glocken haben bei geringerem Abstand zum Objekt den zusätzlichen Vorteil der noch besseren Materialausbeute. Aufgrund des geringeren Trägheitsmomentes können sie komplizierte Konturen abfahren und sind deshalb für die Applikation mit Robotern geeignet (siehe weiter) [4.4.66]. 558

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Ultraschallzerstäubung d

d

λ

c b a

a = Piezo-Keramik b = Stufentransformator c = Resonator d = Flüssigkeit

Abbildung 4.2.70: Anlage zur Ultraschall-KapillarwellenZerstäubung

Das Gerät selbst besteht aus dem oberen Stufenrüssel und einem kegelförmigen Teller. Dieser wird durch eine an der Unterseite angebrachte Piezo-Keramik zu hochfrequenten Schwingungen angeregt, so dass die dem Kegel zugeführte Flüssigkeit nach Ausbilden eines dünnen Films in Tropfen überführt wird. Die Größe der durch Ultraschall zu erzeugenden Tropfen ist eine Funktion der Frequenz f der Schwingung. Die Wellenlänge λ der resultierenden Wellenformierung des Films wiederum hängt von der Oberflächenspannung σ und der Dichte ρ des zu zerstäubenden Materials ab.

Da der Teilchendurchmesser d ungefähr 1/4 der Wellenlänge beträgt, folgt für den Sauter-Durchmesser d32:

Gegenüber den üblichen Zerstäubungstechniken bieten Kapillarwellenzerstäuber neben den Nachteilen der schlechten Abscheidung der erzeugten Tropfen auch einige Vorteile. Drucklose Flüssigkeitszuführung, geräuschlose Zerstäubung und Energieersparnis sind an erster Stelle zu nennen. Eine andere, für höherviskose Fluide und damit auch für Schmelzen interessante Zerstäubungstechnik ist die Ultraschall-Stehwellenzerstäubung. Die Ultraschall-StehBASF-Handbuch Lackiertechnik 559

Lackiertechnologie

Sollen die Grundprinzipien der Zerstäubung von flüssigen Beschichtungsstoffen umfassend vorgestellt werden, so dürfen die zwar nur in anderen Anwendungsbereichen anzutreffenden, aber interessanten Zerstäubungstechniken durch Ultraschall nicht vergessen werden. Bei den Kapillarwellenzerstäubern werden dünne Flüssigkeitsfilme auf schwingenden Platten zur Wellenbildung angeregt. Bei ausreichend hoher Amplitude der Wellenberge beginnen die Spitzen sich einzuschnüren und in Tropfen zu verwandeln. Die Größe der Tropfen wird durch die Wellenlänge λ und damit durch die Frequenz f der erregenden Welle festgelegt.

Die Lackiertechnologie

Düse Booster

Konverter

Sonotrode

US-Generator

Schwingereinheit

US-Generator

Mess- und Steuercomputer der Ultraschallanlage

Änderung des Durchmessers in [%]

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.71: Anlage zur Ultraschall-Stehwellen-Zerstäubung

50 40 30 20 10 0 –10

wellenzerstäubung nutzt die von einem Generator erzeugte hochfrequente Energie zur Partikelbildung. Mit Hilfe eines Konverters wird elektrische Energie durch Piezo-Keramik in gleichfrequente mechanische Schwingungen umgewandelt. Über einen Booster erreichen die Schwingungen die Sonotrode als den eigentlichen Schwingkörper. Dieser strahlt die Energie als longitudinale Ultraschallwellen mit entsprechend hoher Intensität ab. Treffen die Schallwellen auf einen Reflektor oder auf eine zweite Sonotrode, so bildet sich bei bestimmten Abständen eine stehende Welle mit räumlich fixierten Schwingungsknoten aus. Die Schwingungsknoten sind gleichzeitig Druckbäuche des Schallwechseldrucks der stehenden Welle.

Das zu zerstäubende Fluid wird durch eine oder mehrere Zufüh-40-30 -20 -10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 rungsröhrchen in die SchallÄnderung der Betriebsgröße in [%] druckknoten eingebracht. Die Feinheit der erzeugten Tropfen Durchsatz Düsendurchmesser Viskosität Schwingungswird maßgeblich durch den Masamplitude senstrom und die Positionierung der Zulaufdüse bestimmt. MateAbbildung 4.2.72: Sensitivitätsdiagramm der Ultraschall-Stehwellen-Zerstäubung rialseitig sind die Oberflächenspannung und die Viskosität die sensibelsten Einflussgrößen für die Tropfenbildung [4.4.67]. In Abbildung 4.2.72 sind die prozentualen Änderungen des durchschnittlichen Partikeldurchmessers einer zerstäubten Polymerschmelze in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Zerstäubungsparametern dargestellt. –20

Trotz zahlreicher Vorteile gegenüber den bewährten Zerstäubungstechniken hat die Ultraschall-Stehwellenzerstäubung bis heute in der Lackiertechnik keine Anwendung finden können. Spezielle Methoden zur Charakterisierung von Spritznebeln Aufgrund des großen Einflusses der Tropfengrößen auf die visuellen und funktionellen Eigenschaften (siehe Kapitel 2.3.3) von Beschichtungen ist es von großer Bedeutung, Tropfengrößen und -verteilungen messen und beschreiben zu können. Angaben über 560

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Aerosole sind auch aus arbeitshygienischer Sicht wichtig (siehe Kapitel 5). Dabei handelt es sich um Prüfungen, die speziell für die Messung von Lacktröpfchen entwickelt wurden. Ein einfacher Weg, Tropfengrößen bei der Versprühung abzuschätzen, besteht darin, Folien durch den Spritzstrahl zu ziehen und mittels Bildanalyse die aufgefangenen Tropfen unter Berücksichtigung ihrer Deformation zu vermessen. Bei einem anderen Verfahren wird der Spritznebel kurzzeitig auf eine nicht misch- Abbildung 4.2.73: Prinzip der Sprühtropfenabscheidung im bare Flüssigkeit mit gleicher Kaskadenimpaktor Dichte gerichtet. Die nun nicht deformierten Partikeln können lichtoptisch dokumentiert und wiederum durch digitale Bildanalyse charakterisiert werden. Nach einem ganz anderen Prinzip arbeitet der für Arbeitsschutzuntersuchungen häufig verwendete Kaskadenimpactor. Er besteht aus einem Rohr mit mehreren unterschiedlichen Verengungen und dahinter angebrachten Prallplatten. Die zu untersuchenden, unterschiedlich großen Aerosoltröpfchen werden mit einem Luftstrom in den Kaskadenimpactor geleitet. Da mit abnehmendem Durchmesser der Verengungen die Geschwindigkeit der Luft steigt, werden auf der ersten Platte nur die groben, auf den folgenden Prallplatten dann die feineren Tropfen abgeschieden. Die Auswertung erfolgt wieder durch Ausmessen oder digitale Bildanalyse.

Abbildung 4.2.74: Phasen-Doppler-Anemometer

BASF-Handbuch Lackiertechnik 561

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Die Lackiertechnologie

Die Methoden der Lichtstreuung und Lichtbeugung werden auch für die Messung der Tropfen in Sprühnebeln angewandt (Kapitel 2.3.3). Für die Charakterisierung eines Sprühstrahls von großer Bedeutung ist die Phasen-Doppler-Anemometrie (PDA).

Lackiertechnologie

Dieses Messverfahren ist deshalb interessant, weil es gleichzeitig Informationen über die durchschnittliche Teilchengröße, Teilchengrößenverteilung und die Teilchengeschwindigkeit liefert. Zu diesem Zwecke erzeugen zwei Laserstrahlen in ihrem Schnittpunkt ein Messvolumen im Sprühkegel des Lackmaterials. Im Bereich der Überlagerung der beiden Strahlengänge treten bei Durchlauf von Lacknebeltropfen Interferenzen auf. Durchlaufende Lacktropfen streuen das Licht in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit und Größe der Teilchen [4.4.68]. Zusätzlich zur Geschwindigkeit und Größe von Spritznebelteilchen sind auch die lokalen Strömungsverhältnisse zwischen dem Sprühorgan und dem Lackierobjekt von Interesse. Zum Sichtbarmachen der Partikelströme werden die Laserstrahlen durch Zylinderlinsen in Ebenen aufgeweitet. Durch Aufzeichnen mit einer digitalen Kamera zur Verarbeitung elektrischer und optischer Signale (CCD-Kamera) können die einzelnen Leuchtpunkte in ihrer Bahn erfasst und berechnet werden. 4.2.1.4 Lackversorgungsanlagen Sind für kleine Flächen oder Ausbesserungsarbeiten nur geringe Lackmengen durch Handapplikation zu verarbeiten, ist eine Materialversorgung durch im Sprühorgan integrierte Saugbecher oder Fließbecher möglich (siehe vorher). Bei nicht allzu großen Mengen und nur temporär arbeitenden Lackieranlagen reichen häufig Druckgefäße mit einigen Litern Inhalt aus. Die Materialzufuhr erfolgt durch Überdruck von 0,5 bis 1,5 bar. Soll hingegen eine kontinuierliche Beschichtung erfolgreich durchgeführt werden, sind separate Versorgungseinrichtungen in Form von Ringleitungen und Lackversorgungseinrichtungen für die Zuführung des Materials einzusetzen. Ringleitungssysteme Die Einrichtung von Ringleitungen wird üblicherweise bei Materialdurchsatzmengen von mehr als 200 kg pro Tag notwendig. Aus Gründen höherer Sicherheit und eines wirtschaftlichen Betreibens der Anlage werden die Abnahmestellen für die Sprühorgane durch Leitungssysteme mit Material versorgt. Ringleitungen zeichnen sich dadurch aus, dass die von den Vorratsbehältern ausgehenden Leitungen wieder zurückgeführt werden. Will man vermeiden, dass sich Pigmente in Ringleitungen ablagern, sind Mindestfließgeschwindigkeiten von 0,2 bis 0,3 m/s in den Rohrleitungen unbedingt zu überschreiten. Die Umlaufmenge sollte deutlich über der Abnahmemenge liegen. Nur so kann auch eine größere Anzahl von Spritzstellen ohne verminderte Ausflussrate mit ausreichender Materialmenge versorgt werden. Die in den Vorratsbehältern (A) mit Hilfe von Rührern (B) homogen gehaltenen Beschichtungsstoffe werden mittels einer Farbumlaufpumpe (C) auf 10 bis 20 bar Materialdruck gebracht und durch die bis zu mehrere 100 m langen Rohrleitungen (F) den einzelnen Lackabnahmestellen (N) zugeführt. Nach Durchlauf eines Rücklaufkontrollventils (G) gelangt das nun wieder entspannte überschüssige Material über ein Umschaltventil (H) in den Vorratsbehälter (A) zurück. Durch derartige Anlagen ist der Lackverbraucher in der Lage, eine zentrale Einstellung des Materials auf die Verarbeitungsbedingungen vornehmen zu können. Gleichzeitig können mehrere Verarbeitungsstationen in einer 562

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

N

N

Abbildung 4.2.75: Schema und Anlagenelemente einer Ringleitung

oder mehreren Kabinen versorgt werden. Somit sind beste Voraussetzungen für identische Farbtöne an einem Lackierobjekt gegeben, auch wenn es an mehreren Stationen der Lackieranlage beschichtet werden muss. Die Lackabnahme erfolgt in Stichleitungen normalerweise über Materialdruckregler (I). Sie entspannen das Material auf einen vorgegebenen Materialdruck von 1 bis 2 bar und garantieren bei konstanter Viskosität eine gleichmäßige Ausflussrate auch bei mehreren Abnahmestellen in einer Ringleitung vor dem Regler. Ein Absetzen von Pigmenten in den Stichleitungen kann auch bei geschlossener Pistole durch zusätzliche Rückführungsleitungen von der Materialabnahmestelle verhindert werden. Um bei konstantem Materialdruck auch gleichbleibende Ausflussraten und damit gleiche Schichtdicken zu garantieren, ist eine zusätzliche Thermostatierung (E in Abbildung 4.2.75) des Umlaufmaterials erforder-

I

p = const.

G

p = const.

Abbildung 4.2.76: Schema eines Materialdruckreglers (I) und Rücklaufkontrollventils (G)

BASF-Handbuch Lackiertechnik 563

Lackiertechnologie

N Lackabnahmestellem

Die Lackiertechnologie

lich. Es ist in vielen Fällen besser und deshalb mehr und mehr üblich, die Materialdruckregler durch Dosierpumpen zu ersetzen. Defekte in der Beschichtung durch Schmutz werden durch den Einbau von Schmutzfiltern (D in Abbildung 4.2.75) weitgehend vermieden.

∆L 0 b

Wasserbasislack: a

–1 RKV

–2 100

200

300

400 Umläufe

Lackiertechnologie

RKV = Rücklaufkontrollventil ∆L = Veränderungen in der Helligkeit a = Druckdifferenz in RKV 2 bar b = Druckdifferenz in RKV 4 bar

Die zum Druckaufbau und damit zum Transport der Beschichtungsstoffe notwendigen Pumpen sollten das Material möglichst Abbildung 4.2.77: Abnahme der Helligkeit ∆L durch unsachgemäße Beanspruchungen in der Ringleitung bei Metall-Effekt-Lacken wenig durch Scherkräfte beanspruchen. Zahnradpumpen sind deshalb trotz gleichmäßigem Druckaufbau und gleichmäßiger Materialförderung wegen der hohen Scherbeanspruchung des Materials weniger geeignet. Eine Nachdispergierung der Pigmente bei Uni-Lacken und ein Verknicken der dünnen Blättchen der Effektstoffe bei Metallic-Lacken kann zu Farbton- und Effektverschiebungen führen. Für den Materialtransport in den Ringleitungen haben sich deswegen luftbetriebene Kolbenpumpen bewährt. Sie schalten beim Erreichen des geforderten Druckes selbsttätig ab und schalten bei Abfall des Druckes unter einen vorgegebenen Sollwert automatisch wieder an. Die Pulsation der Förderung kann durch Doppelkolbenpumpen und zusätzlichen Einbau von Druckausgleichsbehältern erheblich vermindert werden. Die durch den Einfluss des Rücklaufkontrollventils auftretenden Farbverschiebungen nach langer Belastungszeit und geringer Materialabnahme sind der Abbildung 4.2.77 zu entnehmen. Eine graduelle Reduzierung der Scherbelastung bei Ringleitungsumlauf wird erreicht, wenn der sich im Umlauf befindende Beschichtungsstoff nach der Rückführung nicht mehr entspannt wird. Dieses gelingt durch Installation von dauerhaft unter Druck Lackversorgungsbehälter N2 Zirkulationsdruckbehälter LC±

Umwälzpumpe

Kolbenpumpe

Materialdruckregler

p = const.

Spritzpistole Abbildung 4.2.78: Ringleitung ohne scherbelastendes Rücklaufkontrollventil

564

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

stehenden Zirkulationsbehältern. Da das Rücklaufkontrollventil entfällt, werden Scherkräfte nur noch in den Pumpen übertragen. Die notwendige Materialzufuhr zum Zirkulationsbehälter erfolgt je nach Füllhöhe diskontinuierlich aus dem unter Normaldruck stehenden Lackversorgungsbehälter. Aus Gründen des apparativen Aufwandes haben sich solche Systeme bisher nicht durchsetzen können. Auch das Ringleitungsmaterial ist dem umzuwälzenden Beschichtungsstoff anzupassen. Übliche Materialien bei konventionellen Lacken sind Eisen, und bei wässrigen Lacken Edelstahl oder Kunststoff. Polyamid sollte nicht eingesetzt werden, wenn Polyurethanlacke oder Wasserlacke verarbeitet werden. Polyamid hat die Eigenschaft, bis zu 5 % Wasser aus der Luft aufzunehmen. Damit würde eine Feuchtigkeitshärtung von Isocyanaten bereits in der Ringleitung stattfinden.

Zur Kontrolle von Volumenströmen und zur Auslegung von Versorgungsanlagen von Flüssigkeiten ist eine genaue Kenntnis des Fließens in Leitungen Voraussetzung. Die Fließge• schwindigkeit u in Rohrleitungen ist gleich dem querschnittsbezogenen Volumenstrom V/A.



Der Volumenstrom lässt sich in einen Massenstrom umrechnen, wenn man V durch m• /ρ ersetzt:

Für die inkompressiblen Flüssigkeiten gilt deshalb im stationären Fließzustand an allen Stellen der Rohrleitung unabhängig vom Durchmesser

Inkompressible Flüssigkeiten besitzen in Rohrleitungen mit F1 ∆V1 A1 ∆V2 A2 verschiedenen Durchmessern unterschiedliche Strömungs∆x2 geschwindigkeiten und damit ∆x1 unterschiedliche kinetische Energien. Lässt man Schwer- Abbildung 4.2.79: Durchfluss von Rohren mit unterschiedlichem krafteinflüsse und innere Rei- Durchmesser bung zunächst außer Acht, so ergibt sich folgende Energiebilanz für die einzelnen Strömungsabschnitte. Wegen der Inkompressibilität ist in allen Rohrabschnitten unabhängig vom Druck das transportierte Volumen gleich:

BASF-Handbuch Lackiertechnik 565

Lackiertechnologie

Grundlagen des Fließen in Rohrleitungen

Die Lackiertechnologie

Die im Bereich 1 geleistete Volumenarbeit ∆W1 = p1 ∆V1 als Teil der Gesamtenergie ist wegen der unterschiedlichen Fließgeschwindigkeit ungleich der Volumenarbeit ∆W2 im Bereich 2. Dabei sind p1 und p2 die in den Streckenabschnitten wirksamen Drücke.

Lackiertechnologie

Aufgrund der höheren Geschwindigkeit u2 im Abschnitt 2 ist auch die kinetische Energie größer als im Abschnitt 1. Wegen des Energieerhaltungssatzes muss die Differenz der kinetischen Energie m/2 u2 gleich dem Unterschied zwischen ∆W1 und ∆W2 sein, d.h.

Dabei ist P der Gesamtdruck, der sich beim Fließen idealer Flüssigkeiten, also unter Ausschluss innerer Reibung und der Schwerkraft, in den statischen Druck p und den Staudruck ρ/2 u2 aufteilt. Durch diese von Bernoulli abgeleitete Beziehung lassen sich Durchflussmengen berechnen. Eine Betrachtung des Fließverhaltens in Rohrleitungen muss auch den Energieverlust durch Impulsaustausch als innere Reibung berücksichtigen. Da die Flüssigkeiten in den Rohrleitungen an den Wänden haften, d.h. eine Fließgeschwindigkeit von 0 m/s an der Grenzfläche aufweist, müssen sich beim Transport von Flüssigkeiten in Abhängigkeit vom Wandungsabstand unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten einstellen. Die einzelnen Zonen behindern sich durch Impulsaustausch gegenseitig. Nach Newton gilt für das parallele Verschieben von Flüssigkeitsschichten, d.h. für das laminare Fließen (siehe Kapitel 2.3.2): t=η·D Überträgt man die Newton’sche Gleichung auf das Fließen in Rohren, erhält man für das Fließprofil u(r), d.h. für die Geschwindigkeitsverteilung über den Rohrradius R an den Abständen r vom Mittelpunkt:

Für das Geschwindigkeitsprofil ergibt sich somit für laminares Fließen eine Parabelfunktion. Sie zeigt an, dass sich alle Flüssigkeitsmoleküle mit einem Geschwindigkeitsvektor in Durchflussrichtung parallel zueinander bewegen. Für den Volumenstrom gilt bei laminarem Fließen das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz (siehe auch 2.3.2).

566

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Will man die Durchflussmenge in Rohrleitungen als Funktion der Druckdifferenz bei konstantem Rohrdurchmesser und bei vorgegebener Rohrlänge berechnen, so ist es für die Einfachheit der Abgrenzungen gegenüber anderen Strömungszuständen und der Zuordnung zweckmäßig, das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz durch Logarithmieren umzuformen.

R

umax =

∆p · R4 4η · l

Abbildung 4.2.80: Geschwindigkeitsprofil laminarer Strömungen in Rohrleitungen



Trägt man ln V gegen ln ∆p auf, so erhält man eine lineare Beziehung mit der Steigung 1 und dem Abschnitt b = ln (π R4/(8ηl) auf der y-Achse.

Der Grund für die signifikante Veränderung des Strömungsverhaltens liegt in dem Übergang der laminaren Strömung in die Turbulenz. Turbulentes Fließen ist dadurch gekennzeichnet, · dass das parallele Verschieben ln V von Flüssigkeitsfilmen durch π · R4 b= Wirbelbildung überlagert wird 8η · l und bei weiterer Anhebung der Fließgeschwindigkeit gar keine π2 · R5 ln b’ b’ = laminaren Strömungselemente 2η ·l·ρ ln b mehr vorhanden sind. Da dadurch der durchschnittliche Weg der ln ∆p sich bewegenden Moleküle länger wird, ist auch der Anstieg der Aus- Abbildung 4.2.81: Fließrate als Funktion des Druckes flussrate geringer. Turbulenz gibt sich durch das nicht mehr parabelförmige Geschwindigkeitsprofil U = 0,5 Umax U = 0,8 Umax zu erkennen. Die Geschwindigkeitsvektoren liegen über den gesamten Rohrquerschnitt in fast laminares turbulentes Strömungsprofil Strömungsprofil gleicher Größenordnung, um im Bereich der Wandung dann steil Abbildung 4.2.82: Strömungsprofil in laminarer und turbulenter abzufallen. Strömung BASF-Handbuch Lackiertechnik 567

Lackiertechnologie



Das Experiment zeigt, dass bei Anstieg von V durch Anheben des Druckes nach Überschreiten eines nicht eindeutig mathematisch zu beschreibenden Übergangszustandes das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz seine Gültigkeit verliert. Die Ausflussrate steigt bei höheren Drücken zwar wieder linear, aber mit der Steigung 1/2 wesentlich langsamer an. Die Extrapolation dieser Geraden auf die y-Achse führt zu einem neuen Abschnitt b.

Die Lackiertechnologie

Der Übergang von laminarer zu turbulenter Strömung ist durch eine kritische Fließgeschwindigkeit ukrit charakterisiert. Der Übergangpunkt wird auch auf andere technische Aggregate übertragbar, wenn man alle am Fließzustand beteiligten Variablen dimensionslos mathematisch miteinander zur Reynolds-Zahl verknüpft. Somit wird beim Fließen in Rohrleitungen der Übergang laminarer in turbulente Strömung durch die Bestimmung der kritischen Reynolds-Zahl prognostizierbar. Sie liegt beim Fließen von Wasser bei ungefähr 2000.

Lackiertechnologie

Die Berechnung der Reynolds-Zahl ist aus ökonomischer Sicht interessant, weil die Fließmenge bei laminarer Strömung trotz gleicher Druckdifferenz die bei turbulenten Strömungen erheblich übersteigt. Dies wird bei der Auslegung der Ringleitungssysteme beachtet, so dass die üblichen Strömungsgeschwindigkeiten von 0,2 bis 0,3 m/s laminare Strömungen in den verwendeten Leitungen erzeugen, ohne dass das Absetzen der Lackbestandteile bedeutsam ist. Die von der Viskosität und der Fließgeschwindigkeit, also von der inneren Reibung abhängigen Energieverluste bewegter Flüssigkeiten geben sich durch einen Druckverlust entlang der Rohrleitung zu erkennen. Durch Umformulierung des HagenPoiseuille’schen Gesetzes ist dieser Druckverlust zu quantifizieren. Löst man das Hagen-Poiseuille’sche Gesetz nach ∆p auf:

und erweitert die Gleichung mit u · ρ, so folgt:

Die letzte Beziehung gilt nur für laminare Strömungen. Will man sie in eine universell anwendbare, also auch für turbulente Strömungen gültige Form überführen, muss der Term 64/Re durch eine von Re abhängige Größe λ ersetzt werden. Kennt man die Abhängigkeit, so ist der Druckabfall in Rohrleitungen für alle Strömungszustände berechenbar.

Trägt man nämlich log λ gegen log Re auf, erhält man unterschiedliche lineare Funktionen für laminare und turbulente Strömungen, deren Abschnitt auf der Y-Achse K bzw. K’ ist.

Bei Kenntnis von K oder K’ können nun für alle Fließzustände, also alle ReynoldsZahlen, das λ und damit der Druckabfall oder die Durchflussmengen für glatte Rohre berechnet werden. Interessant ist, dass im laminaren Bereich der Strömung der Druckabfall unabhängig von der Rauigkeit der Rohrwandungen ist. Die laminare Grenzschicht „verdeckt“ die Rauigkeit. Der turbulente Bereich hingegen ist zwar weitgehend unabhängig von Re, dafür abhängig von der Rauigkeit der Rohrwandungen. 568

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die künstliche Bewegung von Flüssigkeiten führt wegen der beim Fließen wirksamen kinetischen Energie auch zu einem Widerstand beim Anströmen auf feste Körper. Das Stoke’sche Gesetz quantifiziert die von einer Flüssigkeit mit der Geschwindigkeit u auf eine fixierte Kugel mit dem Radius r übertragbare Kraft FW im laminaren Strömungsbereich.

lg λ λ=

K Re

⇔ lg λ = lg K – lg Re A

K K’

lg Re lg λ

0,033 nrel 0,016 nrel

Will man das Stoke’sche Gesetz glattes Rohr für alle Strömungszustände und auch für nicht kugelförmige lg Re Körper generalisieren, so ist die Abhängigkeit der WiderstandsAbbildung 4.2.83: Abhängigkeit λ(Re) für glatte (A) und raue (B) Rohre kraft vom Strömungszustand und der Form des angeströmten Körpers mit einzubringen. Hierzu wird das Stoke’sche Gesetz erweitert und unter Verwendung der Reynolds-Zahl umgeformt

Die Gültigkeit für alle Strömungszustände und Formen des Anströmkörpers wird erreicht, wenn 24/Re durch den ebenfalls von der Reynolds-Zahl abhängigen Cw-Wert ersetzt wird. Die Bewegung realer Flüssigkeiten ist aufgrund des Energieverbrauchs durch die innere Reibung nur mit einer permanenten Druckdifferenz zu gewährleisten. Diese wird durch Pumpen aufgebaut, die damit die Voraussetzungen für den kontinuierlichen Transport von Flüssigkeiten in Rohrleitungen schaffen. Pumpen Die lackherstellende und lackverarbeitende Industrie kennt zahlreiche Pumpen, die bei näherer Betrachtung in zwei Konstruktionstypen einzuteilen sind. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal für beide Gruppen liegt in der Konstanz der Fördermenge. Man unterscheidet deshalb in Zwangsförder- oder Verdrängerpumpen und sonstige Pumpen. Zu den ersteren gehören solche, die definierte Volumina weitgehend unabhängig von der Viskosität und der Druckdifferenz transportieren. Wichtige Vertreter dieser Kategorie sind Kolbenpumpen, Zahnradpumpen, Drehflügelpumpen und Wälzkolbenpumpen. Wichtige Aggregate ohne Zwangsförderung sind die Kreiselpumpen, Mammutpumpen und Injektoren. Trotz des Nachteils des pulsierenden Druckaufbaues haben sich die Kolbenpumpen zur Förderung von rheologisch komplizierten Lacken in Rohrleitungen wegen der geringen BASF-Handbuch Lackiertechnik 569

Lackiertechnologie

0,008 nrel B

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

Scherbeanspruchung bestens bewährt. Sie sind neben den ebenfalls zwangsfördernden Zahnradpumpen und den in der Fördermenge vom Druck abhängigen Kreiselpumpen die wichtigsten Förderaggregate. Kolbenpumpen bestehen aus einem durch Ventile verschließbaren Zylinder, in dem ein Kolben bewegt wird. Die Ventile schaffen durch abgestimmtes Öffnen und Schließen des Zylinderraums den vom Gegendruck Abbildung 4.2.84: Schnittbild einer Kolbenpumpe unabhängigen Transport der Flüssigkeit. Das Prinzip besteht also im selbständigen Ansaugen und Auffüllen der Kammern, im Verschließen und anschließendem Entleeren. Kolbenpumpen haben mit einem Schlupf, d.h. dem Anteil nicht geförderten Volumens bei einem Hubvorgang von 5 bis 10 % einen ausgesprochen guten Wirkungsgrad. Das durch den Kolbenhub, Querschnitt und Hubzahl festgelegte Flüssigkeitsvolumen wird auf Grund der Pumpenkonstruktion in Viskositätsbereichen von 10 mPa · s bis 50 Pa · s und Drücken bis zu 100 bar störungsfrei transportiert. Nicht zuletzt wegen der schonenden Behandlung pigmentierter Beschichtungsstoffe hat die Kolbenpumpe für den Transport in Ringleitungen eine hohe Bedeutung. Nachteile des Ventilverschleißes bei der Förderung von Beschichtungsstoffen mit abrasiven Pigmenten und Füllstoffen werden genauso in Kauf genommen wie der pulsierende Druckaufbau. Zum Abbau von Druckspitzen sind deshalb Druckausgleichsbehälter in das Leitungssystem zu integrieren. Das Glätten des Druckverlaufs erfolgt über einen durch eine Gummimembran abgetrennten Luftraum, der Druckspitzen mindert und mit einer Phasenverschiebung den periodischen Druckabfall der Pumpe wieder ausgleicht. Zahnradpumpen, ebenfalls aus der Familie der Verdrängerpumpen, sind Rotationspumpen und arbeiten deshalb ohne Ventile. Sie fördern Flüssigkeiten mit Viskositäten bis zu 10 Pa · s nicht pulsierend bei Gegendrucken bis zu 20 bar.

A b

Abbildung 4.2.85: Schnittbild einer Zahnradpumpe

570

In den freien Zahnlücken z werden im oberen und unteren Teil der Pumpe 2 Volumina b · A in Abhängigkeit von der Drehzahl n in Fließrichtung transportiert, die größer sind als die im mittleren Rücklaufbereich. Durch das Ineinandergreifen der Zähne im Mittelbereich ist das Rücklaufvolumen gegen• über dem transportierten V erheblich kleiner. Es hängt wegen der unvollstänBASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

digen Abdichtung im Rücklaufbereich von der Druckdifferenz ∆p und der Viskosität η der transportierten Flüssigkeiten ab. γ ist ein experimentell zu ermittelnder Faktor.

Von den Pumpen ohne Zwangsförderung ist lediglich die Kreiselpumpe im Zusammenhang mit der Lackherstellung und der Lackverarbeitung erwähnenswert. Sie ist ein besonders einfaches und „gutmütiges“ Förderaggregat, hat aber in der Lackindustrie wegen der häufig zu hohen Viskositäten des zu fördernden Materials bei weitem nicht die Bedeutung erreicht, die ihr in anderen Industriezweigen zukommt. Der Transport von Medien mit Viskositäten über 200 mPa · s ist kaum noch zu bewältigen.

Austritt

f

lau

Ein

Abbildung 4.2.86: Schnittbild einer Kreiselpumpe

BASF-Handbuch Lackiertechnik 571

Lackiertechnologie

Zahnradpumpen sind einfache und zuverlässige Förderer, die allerdings auf das Lackmaterial beim Einlauf in die Pumpe mit hohen Scherkräften wirken. Damit verbunden ist bei Metalleffekt-Lacken ein überproportionaler Abrieb und ein Verknicken oder Zerbrechen der dünnen Aluminiumflakes. Für den Transport von Metalliclacken mit dünnen Aluminiumflakes sind Zahnradpumpen deshalb nicht zu empfehlen. Zahnradpumpen wie auch Kolbenpumpen als Zwangsförderpumpen sollten zur Absicherung immer einen Bypass erhalten, der im Falle verschlossener Leitungen bei einem einstellbaren Mindestdruck geöffnet wird.

Die Lackiertechnologie

Die Kreiselpumpe arbeitet nach dem Prinzip eines Propellers. Bewegte Schaufelräder saugen das Material axial an, um es radial wieder abzuschleudern. Der Transport erfolgt ebenfalls ohne Pulsation, allerdings nicht mit definierten Volumina. Sie besitzt den weiteren Nachteil, Flüssigkeiten nicht selbständig ansaugen und nur bestimmte Förderhöhen überwinden zu können. Der Mangel der abnehmenden Leistung bei steigendem Gegendruck bedeutet auf der anderen Seite aber auch eine Selbstregulierung bzw. Begrenzung des Druckaufbaus bei geschlossenen oder verstopften Rohrleitungen. Durch das permanente Umlaufen der viskosen Flüssigkeit steigt die Temperatur, so dass sich nach Erreichen einer Solltemperatur die Pumpe mit einem Thermoschalter selbständig abschaltet.

Lackiertechnologie

Messen, Dosieren und Homogenisieren Für viele Anwendungszwecke wie z.B. für die Verarbeitung von ZweikomponentenLacken sind Materialströme zu dosieren, die Durchflussmenge zu messen und zu korrigieren sowie zu homogenisieren. Nur so können konstante Ausflussraten bzw. gleichbleibende Mischungsverhältnisse der einzelnen Komponenten und damit eine gleichbleibende Qualität des Beschichtungsergebnisses garantiert werden. Die zahlreichen Methoden zur Bestimmung der Durchflussmengen basieren auf unterschiedlichen Messverfahren: • • • • • • • • •

volumenometrische Messverfahren Wirkdruckverfahren Druckabfall in Rohrleitungen Krafteinwirkung auf angeströmte Körper magnetisch induktive Messverfahren Impfverfahren thermische Verfahren Ultraschall Massedurchflussmessung mit gyroskopischen Methoden

Während die volumenometrischen Methoden den Stoffstrom als Messgröße direkt angeben, ermitteln alle anderen Verfahren zunächst physikalische Größen, die durch mathematische Verknüpfung mit anderen Größen in Volumen- bzw. Massenströme umgerechnet werden. Die einfachsten Methoden der Messung von Stoffströmen bestehen in den volumenometrischen Messverfahren. Dafür werden u.a. Verdrängungszähler, zu denen auch die Zwangsförderpumpen gehören, benutzt. Sie sind dann geeignete Messgeräte, wenn der zum Fließen notwendige Druck durch andere Aggregate aufgebaut wird. Die Zahl der Hübe einer Kolbenpumpe O2 O2 ist bei Kenntnis des pro Hub transportierten Volumens ein Maß für den Durchfluss. Auch O1 O1 Zahnradpumpen sind Messgeräte für die reproduzierbare Verarbeitung von Industrielacken. Sie dienen bei 1-Komponenten1 2 Lacken der Überwachung der Abbildung 4.2.87: Prinzip der Zahnrad- und Ovalradzähler Ausflussrate und bei 2-Kom572

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Ein anderes volumenometrisches Messprinzip benutzt der Turbinenzähler. Für diese Art der Messung wird praktisch eine Kreiselpumpe zur Bestimmung der Durchflussmenge umfunk- Abbildung 4.2.88: Turbinenzähler nach dem Induktionsprinzip tioniert. Die sich durch das Fließen der Flüssigkeit einstellende Drehzahl kann entweder mechanisch oder durch die sich im magnetischen Wechselfeld bewegende Turbine als Induktionsspannung gemessen werden. In Abhängigkeit von der Druckdifferenz und der Viskosität der Flüssigkeit werden entsprechende Eichkurven zur Bestimmung der Mengen aufgenommen. Damit zählt dieses Messprinzip zu den indirekten Verfahren. Wirkdruckverfahren basieren auf Druckmessungen und nutzen den Einfluss bewegter Flüssigkeiten auf die Verteilung des Gesamtdruckes in den Staudruck und den statischen Druck. Nach der in idealen Flüssigkeiten geltenden Bernoulli-Gleichung ist die Summe aus potenzieller und kinetischer Energie entlang der Fließrichtung konstant, sofern durch einen geringen Abstand der Messsonden die innere Reibung so gut wie auszuschließen ist. Die unterschiedlichen Rohrquerschnitte dieser Messanordnung rufen Änderungen des Staudruckes hervor, die gemessen und zur Berechnung der Volumenströme herangezogen werden (siehe vorher). Eine Variante dieses Wirkdruckverfahren besteht in der Messung des Druckabfalls in Rohrleitungen. Dazu werden die Manometer bei konstantem Rohrquerschnitt in größeren Abständen zueinander positioniert. Sind λ(Re) und die Dichte der Flüssigkeit bekannt, so können durch Messung des Druckab-

Abbildung 4.2.89: Foto eines Durchflussmengenmessers nach dem Schwebeprinzip

BASF-Handbuch Lackiertechnik 573

Lackiertechnologie

ponenten-Systemen dem Erhalt und der Konstanz vorgegebener Mischungsverhältnisse. Nach ähnlichem Prinzip arbeiten Ovalradzähler. Zahnrad- und Ovalradzähler besitzen Messfehler von ungefähr 1 %.

Die Lackiertechnologie

falls zwischen den Messsonden die Fließgeschwindigkeit und bei bekanntem Querschnitt der Volumenstrom berechnet werden (siehe vorher).

Magnetfeld

Messsonden

B

D

·v Lackiertechnologie

ss

flu

h urc

D

Durchflussmessungen aus der Kraftübertragung angeströmter Körper basieren auf dem schon erwähnten Widerstandsgesetz nach Stokes (siehe vorher). Das Prinzip der Durchf lussmengenmessung mit Schwebekörpern nutzt das Gegenspiel von Schwerkraft und Reibungswiderstand. In einem senkrecht angeordneten Messrohr fließt die zu messende Flüssigkeit von unten nach oben.

Stoffströme werden messbar, wenn die Apparatur durch den Einbau eines leicht konischen Abbildung 4.2.90: Magnetisch induktive Durchflussmengenmessung Messrohrs bei unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten auch unterschiedliche Cw-Werte einstellt. Eine Eichung der Messanordnung mit den jeweiligen zu messenden Flüssigkeiten muss jedoch vorher erfolgen. U

Bei dem magnetisch induktiven Verfahren bewegt man elektrisch leitende Flüssigkeiten in einem Rohr mit dem Durchmesser D in einem Magnetfeld mit dem magnetischen Fluss • B. Dadurch wird eine dem Volumenstrom V proportionale Spannung U induziert. Diese kann bei Verwendung von isolierten Rohrleitungen direkt gemessen werden.

Bevorzugt wird dieses Messverfahren bei wässrigen Lacken eingesetzt. Eine Eichung für die unterschiedlichen Lacke ist notwendig. Messungen nach dem Impfverfahren arbeiten so, dass an einer bestimmten Stelle der Rohrleitung in regelmäßigen Abständen kurzzeitig eine HeteWärmeimpuls Thermofühler rogenität des fließenden Systems herbeigeführt wird. Dieses kann u.a. durch einen Wärmeimpuls oder durch Impfen mit einer Salzlösung erfolgen. Die punktuell veränderte Temperatur oder erhöhte elektrische Leitfähigkeit Abbildung 4.2.91: Prinzip des Impfverfahrens zur Volumenmessung können dann an anderer Stelle mit Wärmeimpulsen 574

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Die Impfmethoden sind recht genau, aber nur anwendbar, wenn ein Dauerdurchfluss vorliegt. Unterbrechungen führen dazu, dass die Impulse nicht mehr zum Messfühler gelangen und dadurch eine Berechnung unmöglich wird. Durchflussmengenmessungen zur Festlegung von Ausflussraten für die Spritzapplikation im Handapplikationsbereich sind wegen des häufigen Nebelns und der damit verbundenen Unterbrechungen mit Hilfe der Impfmethode nicht durchführbar.

R

Hitzdraht

Hitzdraht

R

A

B

Null-Instr. Voltmeter

Das Prinzip der Messung mit der HitzdrahtAbbildung 4.2.92: Hitzdrahtanemometer Methode beruht auf der geschwindigkeitsabhängigen nach Auswerteverfahren (A) und (B) Abkühlung stromdurchflossener Drähte. Über eine Wheatston’sche Brücke wird der Widerstand eines durch Stromfluss beheizten Drahtes in einer Messzelle bestimmt. Bei vorgegebener Spannung U zeigt das Galvanometer der vorher abgeglichenen Brücke einen dem Durchfluss proportionalen Ausschlag (A). Die Ursache liegt in der strömungsabhängigen Abkühlung der durch den elektrischen Strom vorher erwärmten Messstrecke und der damit verbundenen Widerstandsänderung. Wegen der großen Empfindlichkeit dieser Messung ist sie nur für niedrige Fließgeschwindigkeiten geeignet. Sind größere Durchflussmengen zu messen, so wird durch Anheben der Brückenspannung ein Abgleich herbeigeführt (B). Der Anstieg der Potenzialdifferenz zwischen dem Ein- und Ausgang der Messstrecke ist dann das Maß für eine Durchflussgeschwindigkeit. Bewährt haben sich auch Messsonden, die Temperaturerhöhungen des zu messenden • Stoffstromes V nach Eintrag einer definierten Menge an elektrischer Energie erfassen. Im Gegensatz zum Impulsverfahren wird der Flüssigkeit über einen Hitzdraht kontinuierlich Wärmeenergie q• zugeführt. Der Temperaturanstieg ∆T ist von der aufzuheizenden Stoffart mit den Parametern Dichte ρ und WärWiderstandsmekapazität c und vom Stoffthermometer • strom V abhängig.

Heizwicklung

Grundlage des Verfahrens der Durchflussmengenmessung mit Ultraschall ist die Abhängigkeit der Schallgeschwindigkeit von der Geschwindigkeit der strömenden Flüssigkeit. Je nach Fließgeschwindigkeit erreicht der von einem Sender emittierte Schall schneller oder langsamer einen

Wattmeter

Voltmeter Widerstandsthermometer

Abbildung 4.2.93: Durchflussmengenmessung durch Temperaturerhöhung bei definiertem Energieeintrag

BASF-Handbuch Lackiertechnik 575

Lackiertechnologie

gemessen werden. Aus der Zeitverschiebung zwischen dem Impfen und Messen der Impfgröße sind Durchflussmengen zu berechnen.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Empfänger. Positioniert man Empfänger und Sender auf gegenüberliegende Seiten E2 E1 der Messleitung, so durchläuft der Strahl das gesamte Strömungsprofil und erfasst l die Fließgeschwindigkeit als Mittelwert. Eine Positionierung von Empfänger und Sender genau senkrecht zur Fließrichβ tung ergibt keine sinnvollen Messwerte (siehe Abbildung 4.2.94). Eine Erhöhung S1 S2 der Genauigkeit der Durchflussmengenmessung mit Ultraschall wird mit der Sing-Around-Methode erreicht. Die Abbildung 4.2.94: Durchflussmengenmessung mit Hilfe des Ultraschalls Messanordnung 1 arbeitet in Strömungsrichtung und 2 entgegengesetzt, wobei Sender und Empfänger mit dem Abstand l am Rohr positioniert sind. Die Sender liefern nur dann Impulse, wenn der Schall beim Empfänger noch nicht angekommen ist. Bei Erreichen des Empfängers wird der Sender abgeschaltet, um nach Ende der Schallinformation wieder eingeschaltet zu werden. Man erhält so zwei zeitlich unterschiedliche Impulsfolgen mit den Laufzeiten t1 und t2. Die Schallgeschwindigkeit c wird in Anordnung 1 durch die Fließge-schwindigkeit u in Abhängigkeit vom Einstrahlwinkel β erhöht, in Anordnung 2 erniedrigt. Durch mathematische Aufbereitung der elektronisch gemessenen Zeitunterschiede wird die Fließgeschwindigkeit berechnet.

Das exakteste Messverfahren zur Bestimmung von Massenströmen ist ein nach dem gyroskopischen Prinzip arbeitendes Messgerät. Es besteht aus einem U-Rohr, elektro-mechanische Erregung elektro-optische Abtastung Oscillating vibrierendes U-Rohr Durchfluss erzeugt Drehkraft

Rohrbewegung

α Rohr-Drehwinkel elektro-optische Abtastung

Messfühler

Messfühler

Ein- bzw. Auslauf

Abbildung 4.2.95: Bestimmung des Massenstroms nach der gyroskopischen Methode

576

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Mit Hilfe der gyroskopischen Messtechnik ist es auch möglich, pulsierende Ströme und Zweiphasengemische zu messen. Letzteres ist bei der Dosierung von Dispersionen von Bedeutung [4.4.69]. Die Vielzahl der vorgestellten Messverfahren hat ihren Grund darin, dass nicht ein einziges für alle Aufgabenstellungen z.B. beim Transport von Lacken einsetzbar ist. Die Ursache dafür liegt in der AbhänRingleitungs- Farb- Filter Druck- DosierDruckgigkeit der Genauigkeit der anschluss druckschalter pumpe begrenzungsMessverfahren von der DurchLack regler mit Motor messzelle flussmenge. So ist beispielsweise das Wirkdruck-Verfahren erst ausreichend genau, wenn große Mengen transportiert werden, während das Impfverfahren nur M Mischungsverh. für kleine Stoffströme geeignet Rechner max. Menge Eingabe Alarm Regler Verarbeitungsist (siehe Abbildung 4.2.96). zeit

M

Homogenisierung in 2-Komponenten-Applikationsanlagen Bei der industriellen Verarbeitung von 2-Komponenten-Lacken, bestehend aus Stammlack und Härter mit Topfzeiten von nur wenigen Minuten, sind für eine gleichmäßig gute Qualität der Lackierung neben der genauen

Ringleitungsanschluss Härter

Farbdruckregler

Filter

Druckschalter

Dosierpumpe mit Motor

Zwangsdurchfluss von Lackmenge und Härtermenge mit Systemdruckbegrenzung

Abbildung 4.2.97: Elektronische Steuerung von 2K-Dosieranlagen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 577

Lackiertechnologie

Messeffekt

durch das die zu messende Flüssigkeit fließt nachdem es elektronisch in Hitzdraht Schwingungen versetzt wurde. Auf die sich innerhalb des Rohres bewegenden Masseteilchen wirkt dann Impfverfahren eine geschwindigkeitsabhängige Cori(Laufzeitmessung) olis-Kraft, die das U-Rohr mit dem Wirkdruck Biegungsradius r tordierend aus der horizontalen Lage herausdrängt. Der bei vorgegebener Schwingungsfrequenz f zu messende Torsionswinkel Durchfluss α ist proportional dem Massenstrom • m . Dieses Verfahren hat zahlreiche Abbildung 4.2.96: Empfindlichkeit diverser DurchflussmessVorteile gegenüber allen anderen. Es techniken im Vergleich besticht bei einer Fehlerbreite von ± 0,3 % durch seine Genauigkeit. Die Ergebnisse sind unabhängig vom rheologischen Verhalten der Flüssigkeit und werden durch schwankenden Materialdruck oder unterschiedliche Oberflächenspannung und Dichte nicht beeinflusst.

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.98: Schema und Funktionsprinzip der Kennics- und Sulzer-Mischer

Homogenisierungsgrad

Die früher üblichen Dosiereinrichtungen mit zwei mechanisch gekoppelten Kolbenpumpen sind weitgehend durch computergesteuerte Zahnradpumpen ersetzt worden. Damit waren die Probleme durch pulsierenden Druckaufbau beseitigt und mehr Fle0 xibilität beim Einstellen unterschiedlicher Mischungsverhältnisse erreicht. Leerrohr

25

Kenics-Mischer

50

Sulzer-Mischer

75

100

0

5 10 15 rel. Mischerlänge L/D

20

1000 Druckabfall ∆ p

Lackiertechnologie

Dosierung der Stoffströme auch einwandfreie und schnelle Homogenisierungen beider Komponenten zu erreichen. Dabei soll durch kleine Mischvolumina ein Farbwechsel wirtschaftlich möglich sein. Zusätzlich ist für den Transport des Härters eine Ringleitung zu installieren, die im Falle isocyanathaltiger Materialien mit trockenem Stickstoff beschleiert werden muss.

Sulzer-Mischer

Kenics-Mischer 500

Leerrohr 0 0

5

10

15

rel. Mischerlänge L/D Abbildung 4.2.99: Diagramme über Mischungsgüte und Druckabfall von Kennics- und Sulzermischern

578

20

Bei den elektronisch geregelten Dosiereinrichtungen mit Zahnradpumpen haben sich zwei Verfahrensvarianten bewährt. Einmal wird die Stammlackmenge durch Farbdruckregler vorgegeben und der Stoffstrom mit einer Durchflussmesszelle kontinuierlich gemessen. Dieser wird einem Rechner übermittelt, der dann den Schrittmotor einer Zahnradmesszelle für den Härterkreislauf ansteuert. Die zweite Bauart verzichtet auf Farbdruckregler und dosiert die Stoffströme durch computergesteuerte Zahnradmesszellen, um so gleichbleibende Ausflussraten, konstante Mischungsverhältnisse und mehr Flexibilität beim Einstellen verschiedener Mischungsverhältnisse zu erreichen. Dieses Verfahren hat die größte Bedeutung. Bei der Verarbeitung von 2-Komponenten-Lacken ist für die Qualität der Beschichtung die Homogenisierung der Stoffströme wichtig. Sie sollte möglichst kurz vor der Applikation erreicht sein. Bewährt haben sich aus diesem und anderen Gründen die StaBASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Statische Mischer sind Geräte, in denen unter Nutzung der Strömungsenergie die Homogenisierung zweier Produktströme erfolgt [4.4.70]. Nach dieser Definition ist ein einfaches leeres Rohr, dem die beiden Komponenten zugeführt werden, im Prinzip ein Statikmischer. In einem solchen Rohr ist die Homogenisierung bei turbulenter Strömung erst erreicht, wenn die Rohrstrecke ungefähr das 90-fache ihres Durchmessers beträgt. Deshalb wird das Leerrohr mit Einbauten ausgestattet, Abbildung 4.2.100: Konstruktion und Mischzahl von Kennics-Mischern die als Strömungsbrecher oder Strömungsleiter das Verhältnis von Länge zu Querschnitt erheblich günstiger gestalten. In allen Fällen sind die Verbesserungen mit einer Zunahme des Druckabfalls verbunden. Von den zahlreichen Statikmischern besitzt der Kennics-Mischer dabei den günstigsten Kompromiss zwischen geringem Druckabfall und hoher Mischungsgüte. Er besteht aus abwechselnd links- und rechtsgängigen Wendeln mit einem Verdrillungswinkel von 180°. Die einzelnen Wendeln werden jeweils um 90° verdreht hintereinander in einem Leerrohr angeordnet. Auf diese Weise nutzt man laminare Strömungseffekte zur jeweiligen Trennung des Stoffstroms in zwei Hälften. Die Zahl der Teilungsschritte in Abhängigkeit von der Anzahl der Wendeln n errechnet sich mit 2n. Bei Verwendung von 24 Wendeln sind das bereits 16.777.216 Teilschichten. Zur optimalen Mischung ist bei der Materialauswahl darauf zu achten, dass die zu homogenisierenden Stoffströme möglichst geringe Viskositätsunterschiede aufweisen. Statikmischer und insbesondere die Kennics-Mischer haben sich wegen der guten Mischqualität, der geringen Produktbeanspruchung, des kontinuierlichen Betriebs, des geringen Platzbedarfs und der niedrigen Investitionskosten einen festen Platz bei der industriellen Verarbeitung von 2-Komponenten-Lacken erobern können. Sie können wegen des geringen Platzbedarfs sogar in Sprühorgane integriert werden. Die in den letzten Jahren zunehmend an Interesse gewinnenden wässrigen 2-Komponenten-Polyurethanlacke verlangen eine kontinuierliche Feinstemulgierung der Härterkomponente in die wässrige Phase der Stammlackdispersion. Hierbei werden noch größere Ansprüche an die Homogenisierungsgüte gestellt. Hierzu wird die Isocyanatgruppen enthaltende organische Lösung durch einen Injektor in Tröpfchen von 5 bis BASF-Handbuch Lackiertechnik 579

Lackiertechnologie

tikmischer, wobei sich für die Lackverarbeitung der Kennics-Mischer als der beste Kompromiss aller Anforderungen herausgestellt hat.

Die Lackiertechnologie

20 µm in die wässrige Polyolphase eingedüst, um anschließend in sog. Strahldispergatoren bis auf Teilchengrößen von 0,5 µm weiter zerteilt zu werden. 4.2.1.5 Kabinenkonditionierung und Spritznebelbeseitigung

Lackiertechnologie

Spezifisch für die indirekte Lackverarbeitung durch Zerstäuben sind die Spritznebel. Damit verbunden ist eine Abgabe von Lösemitteln an die Umgebung und der schon beschriebene Overspray. Aus Arbeits- und Umweltschutzgründen sind deshalb Maßnahmen zu ergreifen, die nicht unbeträchtlichen Lösemittel- und Lacknebelmengen, die das Lackierobjekt nicht treffen, abzuführen, eventuell zurückzugewinnen oder zu entsorgen. Die entstehenden Nebel haben auch in prozesstechnischer Hinsicht unerwünschte Nebeneffekte. Vagabundierende Nebel können bereits lackierte Objekte kontaminieren, wenn sie sich auf der frischen, noch viskosen Lackierung niederschlagen. Filmfehler in Form von Kratern sind häufig die Folge (siehe Kapitel 6.2). Es ist deshalb notwendig, die Spritznebel und verdunstenden Lösemittel unter Kontrolle zu halten. Dazu gibt es in handwerklichen Betrieben Spritzstände, die durch Absaugen und Filtern Lösemittel und Spritznebel mit Hilfe der Luftführung durch Wasservorhänge hinter dem Spritzstand diese Aufgaben erledigen können. Bei der industriellen Verarbeitung werden die Spritzeinrichtungen in geschlossene Kabinen gebracht. In diesen werden die verdunstenden Lösemittel und der Sprühnebel durch Zufuhr von Frischluft entfernt. Letztere sorgt in der Kabine für eine möglichst laminare Strömung von oben nach unten. Für Luftsinkgeschwindigkeiten von 0,2 bis 0,5 m/s müssen deshalb permanent pro m2 Kabinenfläche 0,2 bis 0,5 m3/s oder 720 bis 1800 m3/h konditionierte Luftmengen zugeführt werden. Bei Kabinengrundflächen von 200 m2 sind das stündlich bis zu 400.000 m3 gereinigte und konditionierte Frischluft. So können Lackierfehler vermieden und die Arbeitsplatzgrenzwerte der Arbeitsstoffe in vielen Fällen eingehalten werden.

Abbildung 4.2.101: Schema eines Spritzstandes

580

Quelle: Eisenmann

Die zugeführte Luft muss dazu vorher gereinigt, temperiert und bei Verarbeitung von Wasserlacken zusätzlich klimatisiert werden. Dies wird durch Ventilatoren, Befeuchtungseinrichtungen, Wärmeaustauscher sowie vor- und nachgeschaltete Feinfiltereinheiten mit Porengrößen von 10 bis 0,1 µm erreicht. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Von den üblichen verfahrenstechnischen Methoden der Partikelabtrennung sind wegen des außerordentlich geringen Ausmaßes der Teilchen lediglich Tiefenfilter zu verwenden. Nasswäscher scheiden aufgrund zu starker Luftbefeuchtung, Zyklone wegen nicht ausreichenden Trenneffektes aus. Um eine möglichst große Filterfläche auf kleinem Raum zu erreichen, werden zur Feinreinigung Filtertaschen benutzt. Für eine laminare Luftströmung in der Kabine werden zur Verteilung der Luft großflächige auswechselbare Feinfiltermatten in die Kabinendecke eingelegt.

Lackiertechnologie

Aufgrund der mit 0,1 bis 0,3 mg/m3 zwar geringen Menge, mit 1000 bis 7000 Teilchen aber extrem großen Anzahl von Schmutzpartikeln in der Außenluft würden bei 300.000 m3 Frischluft/Stunde ohne Reinigung ungefähr 100 g Schmutz bestehend aus mehr als 1 Milliarde Teilchen in die Kabine transportiert. Da Schmutzpartikeln mit Größen von mehr als 10 µm auf frisch beschichteten Lackierobjekten Lackierfehler hervorrufen können, ist der Schmutzbeseitigung eine besondere Beachtung zu schenken.

Abbildung 4.2.102: Luftströmung in einer Spritzkabine  Quelle: Dürr

Die Frischluft nimmt beim Abbildung 4.2.103: Luftaufbereitung zur Versorgung einer Quelle: Dürr Lackierprozess verdunstendes Spritzkabine  Lösemittel auf und transportiert dieses und den Overspray zu den Abscheideaggregaten für den Spritznebel. Wird nur wenig Lack verarbeitet oder wird ein Verarbeitungsverfahren benutzt, bei dem nur wenig Spritznebel anfallen, wie z.B. dem rein elektrostatischen Verfahren, sind Filtermatten zur Abscheidung des Spritznebels auch mit längeren Standzeiten erfolgreich einzusetzen. Bei Verarbeitung großer Lackmengen und starker Nebelbildung können zur Verlängerung der Standzeit den Trockenfiltermatten Prallbleche vorgeschaltet BASF-Handbuch Lackiertechnik 581

Die Lackiertechnologie

gereinigte Abluft

Lackiertechnologie

Luft an Spritzkabine

werden. Aufgrund der Trägheit der Tropfen wird ein Großteil beim Umlenken der mit Spritznebeln beladenen Luft schon vorab abgetrennt. Die Entsorgung des Oversprays erfolgt dann durch Entlacken der mit Lack belegten Prallbleche und Austausch der beaufschlagten Filtermatten. Je nach Art des Lackes müssen die mit Lack belegten Filtermatten als Haus- oder Sondermüll entsorgt werden.

Für das kontinuierliche Lackieren in Durchlaufanlagen sind andere technische Voraussetzungen zu schaffen. Geht man bei der Produktion von abgeschiedene Spritznebel Automobilen bei 1000 Autos pro Tag von einem Materialverbrauch von 7 kg Lack und einem Verlust von 20 % aus, fallen pro Tag ungefähr Abbildung 4.2.104: Spritznebelabscheidung mit 2 t Lackoverspray an. Großtechnische LackierPrallplatten anlagen sind wegen der kurzen Standzeiten von Trockenfilteranlagen ausschließlich mit den Nassabscheidern ausgestattet. Diese befinden sich unterhalb der Kabine. Ihre Aufgabe besteht darin, die Spritznebeltropfen möglichst intensiv in Wechselwirkung mit dem Auswaschwasser zu bringen und dadurch in die wässerige Phase zu überführen. Die Spritznebel werden anschließend wieder vom Waschwasser getrennt und als Lackschlamm entsorgt. Zur schnellen und vollständigen Spritznebelaufnahme werden die Spritznebel durch Verengungen in den Absaugvorrichtungen stark beschleunigt, um anschließend mit hoher Relativgeschwindigkeit in die wässrige Phase aufgenommen zu werden. Das gelingt in den nach dem Venturi-Prinzip arbeitenden Diffusoren besonders gut. Nach der Beschleunigung der spritznebelbeladenen Abluft werden durch die Erweiterung des Öffnungsquerschnitts der VenturiDüsen starke Wirbel gebildet. Der dabei entstehende Unterdruck zieht die Waschflüssigkeit in den Luftstrom, wodurch die Lacknebel eingefangen werden. Der Abscheidegrad solcher Anlagen ist bei Tropfengrößen von durchschnittlich 25 bis 30  µm mit 99,8 bis 99,9 % ausgesprochen gut. In der Regel werden die Auflagen des Gesetzgebers an den Restanteil der Aerosole in der Spritzkabinenabluft erfüllt. Abbildung 4.2.105: Nassabscheidung von Spritznebel nach dem Quelle: Eisenmann Venturi-Prinzip

582

Zur besseren Aufnahme der Lacknebel und im Besonderen BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

zur besseren Separierung aus dem im Kreislauf geführten Waschwasser werden dem Waschwasser Tenside und spezielle Koagulierungsmittel hinzugefügt. In der Praxis ebenfalls anzutreffen sind Düsen-, Kaskaden- oder Wirbelwäscher. Die Düsenauswaschung ist am längsten bekannt. Hierbei wird die Waschflüssigkeit über eine Reihe von Düsen im Abluftstrom zerstäubt. Bei optimal eingestellten Bedingungen werden mit bis zu 99,5 % gute Wirkungsgrade erreicht. Die Düsenauswaschung ist wegen der möglichen Verschmutzung der Düsen relativ wartungsintensiv.

Bei den Wirbelwäschern wird die Abluft durch einen engen Spalt zwischen Flüssigkeit und Begrenzungsblech hindurch gesaugt. Durch die Geometrie des Spalts und die schnell bewegte Abluft wird das Waschwasser ähnlich den beschriebenen Auswaschverfahren vernebelt, um dann die Lacktröpfchen einzufangen. Der für die Abscheidung der Lacknebel notwendige Energieeintrag geschieht bei der Düsenauswaschung durch die künstlich bewegte Waschflüssigkeit, bei allen anderen Systemen durch die kinetische Energie des Abluftstroms. Alle Verfahren der Spritznebelaufbereitung verfügen über eine Behandlungsstufe des Wassers, die dafür sorgt, dass der Lackschlamm separiert wird und das so gereinigte Wasser für den Auswaschprozess wieder zur Verfügung gestellt wird. Bei geringem Anfall an Spritznebeln versagen die beschriebenen Systeme und dann sind die im Wirkungsgrad überlegenen Elektrofilter besonders attraktiv. Ihr Einsatz ist immer dann sinnvoll, wenn eine vollständige Entfernung der Spritznebel gefordert wird. Das ist z.B. bei Umluftbetrieb in Spritzkabinen der Fall (siehe Kapitel 5). Wie im Abschnitt über die elektrostatische Zerstäubung von Lacken beschrieben, wird an einer fadenförmigen Kathode eine so hohe Feldstärke E aufgebaut, dass die Ionisierung der Luft und damit eine Aufladung der Spritznebel stattfinden. Die Geschwindigkeit uSt, mit der die Aerosole mit dem Durchmesser D zur wasserberieselten Innenwand der Anode wandern, errechnet sich aus

Berücksichtigt man weiter, dass die geladenen Teilchen die Strecke R zurücklegen müssen, darf die Luftgeschwindigkeit uLu im Elektrofilter nicht übersteigen. –

Daraus folgt, dass

R +

h

BASF-Handbuch Lackiertechnik 583

Lackiertechnologie

Besser verhalten sich diesbezüglich die Kaskaden- und Wirbelwäscher. Bei den Kaskadenwäschern läuft die Waschflüssigkeit aus einem Überlaufkasten in einem geschlossenen Film durch eine Kaskade, bestehend aus mehreren halbkreisförmigen gebogenen Prallblechen. Sie sind so angeordnet, dass das durch die Abluft mit nach oben gerissene Wasser beim Zurückströmen Wasservorhänge bildet, worin die Spritznebel aufnehmen.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.106: Trockenabscheideverfahren in der Automobilindustrie

Quelle: Dürr

An wasserberieselten, als Anode geschalteten Rohren oder planen Wänden werden die geladenen Spritznebel abgeschieden und vom Wasser mitgenommen.

Abbildung 4.2.107: Elektrostatisch unterstütztes Abscheideverfahren von Overspray in der Automobilindustrie  Quelle: Eisenmann

584

Zur Reduzierung des Abfalls und Erhöhung des Wirkungsgrades sind moderne Verfahren zur Overspray-Abscheidung entwickelt worden und werden zukünftig stärker zum Einsatz kommen. Ein Verfahren verwendet dem Luftstrom der Kabine zugeführte Partikeln aus Kalksteinmehl in einem Wirbelbett unterhalb des Kabinenbodens in einer Art Zyklon, die die Lackpartikeln aus der Kabinenluft adsorbieren, um dann gemeinsam an Filtern abgeschieden zu werden. Damit fällt kein Lackschlamm an, der mit Chemikalien behandelt und entsorgt werden muss. Das Kalksteinmehl wird in der Zementindustrie verarbeitet. Des Weiteren wird die gefilterte Kabinenluft zurückgeführt, womit der EnerBASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

giebedarf deutlich und der Frischluftbedarf auf < 20 % gesenkt werden kann [4.4.71], siehe Abbildung 4.2.106. Ein weiteres Verfahren lädt die Lackpartikeln in einem Luftstrom elektrostatisch auf und scheidet sie an geerdeten Abscheideplatten ab. Mit Hilfe eines Trennmittels auf der Oberfläche der Platten wird das abgeschiedene Material gebunden, entklebt und in einer Wanne aufgefangen. Ein Teil des Trennmittels wird zurückgewonnen und in den Kreislauf zurückgeführt (siehe Abbildung 4.2.106 und 107).

Während spritznebelbeladene Filtermatten durch Deponieren oder Verbrennen zu entsorgen sind, muss der Lack-Overspray für einen problemlosen Austrag aus dem Umlaufwasser chemisch und physikalisch modifiziert werden. Ziel ist es dabei, durch Entkleben der Spritznebeltropfen ein Verstopfen der Rohrleitungen und Pumpen zu verhindern und gleichzeitig bessere Voraussetzungen für die Trennung der organischen Spritznebel von der wässrigen Phase zu schaffen. Die Nassabscheidung wird deshalb von verschiedenen Methoden der Lackkoagulierung begleitet. Die in der Praxis bewährten Verfahren lassen sich in chemische und physikalische Methoden einteilen. Nicht mehr Stand der Technik ist die Verseifung der organischen Bestandteile des Lackschlamms mit Natronlauge. Besser, weil universeller und von geringerer Aggressivität, ist die Behandlung mit weniger basischen Metallhydroxiden. In relativ mildem Milieu werden bei pH-Werten um 9 die Lacktropfen destabilisiert und mit kolloidem Aluminium- oder Eisenhydroxid umhüllt. Die Destabilisierung der Pigmentdispersion mit dem Effekt der Bildung größerer Agglomerate ist ein gewünschter Nebeneffekt. Auch die Verwendung von Wachsdispersionen führt durch Adsorption zu einer Entklebung des Lackschlamms. Ein effektives Verfahren der Adsorption nutzt die physikalische Wechselwirkung von Tonerde mit den Spritznebeltröpfchen im Umlaufwasser. Tonerde bildet zunächst den Träger für die Lacktropfen und entzieht im zweiten Schritt diesen die noch vorhandenen organischen Lösemittel, so dass ein klebfreies Koagulat entsteht. Um die Standzeiten entsprechend lang zu gestalten, sind zusammen mit den eigentlichen Koagulierungsmitteln Entschäumer und zur Verhinderung von Bakterienanfall auch Biozide zuzusetzen. In allen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass der koagulierte Lackschlamm nach dem Absetzen oder Aufschwimmen wie bei Polyurethanlacken infolge CO2-Bildung durch Bodenkratzer oder Dekanter entfernt und zur weiteren Verwertung aufbereitet wird. Bei entsprechend konstruierten Kabinen werden wasserlösliche Lacke in das Waschwasser aufgenommen, um anschließend durch Ultrafiltration oder auch elektrochemische Koagulierung wieder aufkonzentriert und in den Prozess zurückgeführt zu werden (siehe Kapitel 5). Dies ist nur dann sinnvoll und ökonomisch, wenn nur wenige oder möglichst keine Farbwechsel anfallen wie z.B. bei der Verarbeitung von Füllerlacken oder Grundierungen u.a. in der Holzindustrie[4.4.72]. Die bei der Aufarbeitung der Spritznebel anfallende Kabinenluft wird aus verschiedenen Gründen in den meisten Fällen nicht recycliert, sondern nach einer Abluftbehandlung, meistens in Form einer Aktivkohleadsorption, nach außen abgegeben (siehe Kapitel 5). BASF-Handbuch Lackiertechnik 585

Lackiertechnologie

Entsorgung des Lackschlamms und der Kabinenluft

Die Lackiertechnologie

Sprühnebel auswaschen Lackieren Direktrecycling bei Wasserlacken Aufbereiten Verseifen/Pyrolyse

Rohstoffe

Lack

Denaturieren (Koagulieren) Entsorgen durch Verbrennen oder Deponie

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.108: Methoden der klassischen, nassen Spritznebelaufbereitung

Diese Gründe liegen zum einen in der Einhaltung der Arbeitsplatzgrenzwerte der Lösemittelkonzentrationen in den Kabinen, um während des Lackierbetriebes die Kabinen begehen zu können, zum anderen in der aufwendigen Aufarbeitung der feuchten Abluft für die in der Automobilindustrie meist im Einsatz befindlichen Wasserlacke. Automaten und Roboter zur Lackverarbeitung

4.2.1.6

Die industrielle Lackapplikation durch Versprühen benötigt zum Auftrag gleichmäßiger Lackschichten Sprühorgane, die unter konstanten Bedingungen in vorher festgelegten, aufeinander abgestimmten Bahnen mit gleichem Abstand am Objekt vorbeigeführt werden. Die klassische Lackverarbeitung durch pneumatisches oder hydraulisches Zerstäuben, früher vornehmlich durch Handapplikation durchgeführt, erfolgt im Bereich der industriellen Lackiertechnik heute mehr und mehr durch Lackierautomaten und Roboter. Die Handapplikation beschränkt sich nur noch auf schwer zugängliche Bereiche und sporadisch durchzuführende Nacharbeit während oder nach erfolgter Lackierung. Da das rein elektrostatische Lackversprühen oder die Hochrotationszerstäubung nicht durch Handapplikation erfolgen kan, wird noch verständlicher, dass sich die industrielle Fördererrichtung

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Hübe 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Dauer des Materialausstoßes

Abbildung 4.2.109: Programmierung des Lackausstoßes von Hubautomaten bei unterschiedlichem Teilespektrum

586

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Hubautomat mit Konturführung

Transversalautomat mit konst. Höhe

Omega-Schleife

Transversalautomat mit variabler Höhe

Spindelautomaten

Abbildung 4.2.110: Hub-, Transversal-, Konturen- sowie andere Automaten für die Sprühapplikation

Lackverarbeitung auf dem Wege zur automatisierten Verarbeitungstechnik befindet. Einsparungen von Personal, Reduzierung von Material- und Energieverlusten und eine konstant gute Qualität sind nur einige der augenfälligen Vorteile. Bei der Verwendung von Automaten entfällt die Erfahrung des Lackierers zum Ausgleich von schwankenden Material-, Verfahrens- und Umgebungsparametern, deshalb müssen alle applikationsbeeinflussenden Prozesse, Geräte- und Materialvariablen regelmäßig, am besten kontinuierlich, gemessen und konstant gehalten werden. Sind solche Voraussetzungen gegeben, ist die Lackapplikation im Prinzip automatisierbar. Der Lackauftrag kann dann in Abhängigkeit von der Kompliziertheit des zu lackierenden Wirtschaftsguts mit entsprechenden Lackierautomaten oder Robotern erfolgen. Solche im Folgenden beschriebenen Maschinen lassen sich mit fast allen Sprühorganen bestücken. Der einfachste Weg zur Automatisierung wird durch die Verwendung von Hubgeräten beschritten. Das Werkstück wird an dem sich vertikal bewegenden SprühorBASF-Handbuch Lackiertechnik 587

Lackiertechnologie

Hubautomat

Die Lackiertechnologie

gan vorbeigeführt, so dass der Sprühkegel die gesamte Fläche des Werkstücks überstreichen kann. Dazu ist es notwendig, die Transport- und Hubgeschwindigkeit des Automatenarms aufeinander abzustimmen. Ist das der Fall, ergibt sich durch die regelmäßige Querbewegung des Hubarms zur Bewegungsrichtung des Objektes ein sägezahnförmiges Spritzbild. Entsprechend der Form der zu lackierenden Teile sind die Sprühorgane in vorgegebenen, genauestens ermittelten Zeitintervallen ein- und auszuschalten. Zusätzlich muss eine auf die Vorschubgeschwindigkeit abgestimmte Spritzstrahlbreite an den überlappenden Lackbahnen für eine gleichmäßige Schichtdicke sorgen (siehe Abbildung 4.2.109).

Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.111: Dach- und Seitenautomaten bei der Pkw-Lackierung  Quelle: BASF Coatings

Neben den Hubautomaten werden für die Beschichtung von horizontalen Flächen Transversalautomaten mit entsprechender horizontaler Bewegungsrichtung eingesetzt. Für spezielle Anwendungen können zusätzlich zur Horizontalbewegung noch Quer- und Rotationsbewegungen durchgeführt werden. Dadurch wird ein gleichmäßiges Abfahren der Werkstückkontur mit gleichbleibendem Abstand möglich. In der Automobilindustrie sind speziell für das Lackieren mit Hochrotationsglocken Seiten- und Dachmaschinen mit mehreren Freiheitsgraden Stand der Technik. Die Handapplikation im Front- und Heckbereich der Karosserien kann wegen drehbarer Horizontalautomaten mittlerweile gänzlich entfallen. Die Beschichtung von verdeckten Partien wie Falzen, Türeinstiegsbereichen und Hohlräumen lässt sich allerdings nicht mit diesen Maschinen durchführen. Lösungen hierfür bieten Lackierroboter, die die Bewegungen des menschlichen Arms nachahmen können. Sie bestehen aus einem Manipulator, einer elektrischen Steuereinheit und einer elektronischen Kontrollvorrichtung. Der Manipulator kann durch fünf oder sechs kontinuierlich arbeitende elektrische Antriebe alle Bewegungen eines Lackierers nachempfinden. Die Steuereinheit enthält alle Antriebsaggregate und Sensoren zur Überwachung der Bewegungen. Die elektronische Kontrollvorrichtung enthält das Gedächtnis des Roboters in Form eines CompuAbbildung 4.2.112: Lackierroboter bei der Arbeit Quelle: Dürr 588

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.113: Absatz von eingesetzten Lackierrobotern eines Herstellers in der industriellen Lackiertechnik

Die Programmierung, das sogenannte „teach-in“, kann indirekt oder direkt erfolgen. Im ersten Fall wird zum Speichern der elektronischen Daten ein separates Handbediengerät bewegt und die ermittelten Daten werden in ein Programm für die Roboterbewegung übertragen. Beim direkten teach-in wird der Roboterarm vom Programmierer bewegt. Dabei werden die Bahnbewegungen gespeichert und danach identisch vom Roboter nachgefahren [4.4.73]. Zusätzliche Prozessparameter wie Farbmenge und Zerstäuberluft sind separat zu programmieren. Wichtig ist dabei die genaueste zeitliche Abstimmung der gewünschten Luft- und Lackmengen. Zeitverzögerungen im Bereich von Millisekunden können schon zu Lackierfehlern bzw. reduzierter Lackierqualität führen. Probleme beim Robotereinsatz bestanden in der Vergangenheit auch in der Begrenzung der zu bewegenden Massen. Schwere Pistolen oder Hochrotationsglocken mit hohem Trägheitsmoment konnten Roboter nicht befriedigend genau und reproduzierbar bewegen. Neue Generationen von Robotern und kleinere Glocken bieten heute bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche Verarbeitung mit Hochrotationsglocken an Roboterarmen [4.4.74]. Mit Robotern kann bei richtiger Programmierung eine sehr hohe Lackierqualität erreicht werden. Allerdings sind hierzu auch konstante Material- und Umgebungsbedingungen einzustellen. Die durch Roboter erzielbaren Vorteile sind bedeutend. Gleichmäßige Schichtdicken, weniger Lackverluste und geringerer Materialverbrauch werden ergänzt durch die Möglichkeit, den Lackierer vollständig zu ersetzen. Die zeitliche Verfügbarkeit von Lackierrobotern hat mittlerweile so hohe Werte erreicht, dass sich die hohen Investitionssummen durch die Vorteile und Einsparungen schnell kompensieren. Neue Lackieranlagen für Beschichtungen von Massengütern werden heute nur noch mit Robotern gebaut. 4.2.1.7 Fördereinrichtungen Zu einer effektiv arbeitenden Lackieranlage gehören neben den Applikationsgeräten, den Vorrichtungen zur Beseitigung von Spritznebeln und Anlagen zur Versorgung mit Beschichtungsstoffen auch Fördereinrichtungen. Sie haben die Aufgabe, die zu BASF-Handbuch Lackiertechnik 589

Lackiertechnologie

terprogramms, wodurch eine einmal vorgegebene Bewegung des Roboterarms beliebig oft identisch wiederholt werden kann.

Die Lackiertechnologie

Lackiertechnologie

beschichtenden Werkstücke wirtschaftlich und sicher zu den einzelnen Stationen der Oberflächenbehandlung zu befördern. Je nach Flexibilität der Lackieranlage und je nach Art der zu lackierenden Teile werden entweder einfache Kreisförderer oder Power-andFree-Förderer als Boden- oder Hängeförderer verwendet.

Abbildung 4.2.114: Schema und Foto eines Kreisförderers  Quelle, unten: Eisenmann

Kreisförderer (siehe Abbildung 4.2.114) bestehen aus einem Schienensystem, an dem eine mit Aufhängevorrichtungen versehene Endloskette die Werkstücke meistens durch eine manuelle Aufhängung aufnimmt und nach Verlassen der Lackiererei mit gleicher Methode wieder abgibt. Die Ketten in den Schienen laufen auf Tragrollen und werden durch stufenlos regelbare Motoren angetrieben. Je nach Anlage können Fördergeschwindigkeiten bis zu 15 m/min eingestellt werden.

Anders ist die Situation bei Power-and-Free-Förderern. Sie bestehen aus zwei Transportschienen, die entweder untereinander oder nebeneinander angeordnet sind. Durch die zur Lastschiene (Free-Strecke oder Führungsbahn) hinzukommende Schleppschiene (Power-Strecke als Kreisförderbahn) können Objekte aus dem Materialfluss ohne Anhalten der Transporteinrichtungen mit entsprechenden Mitnehmern ausgeschleust bzw. hinzugefügt werden. Es gelingt so, Pufferzonen zu bilden und Rückläufer zwecks Nachlackierung einer anderen Transportschiene zuzuführen. Außerdem ist durch Power-and-Free-Förderer ein Wechsel zwischen kontinuierlichem Durchlauf und Taktbetrieb möglich [4.4.75]. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass das Be- und Entladen der Förderer nach Ausschleusen im Stillstand oder auf Nebenstrecken erfolgen kann. Zusätzlich sind die einzelnen Transportvorgänge durch programmierbare Steuereinrichtungen zu automatisieren. Aus der Sicht des Lackierers stellen Fördereinrichtungen, wenn die Objekte hängend befördert werden, eine Gefahrenquelle wegen möglicher Kontaminierung der noch frischen Lackierung dar. Durch herabfallende Fett- oder Ölpartikeln aus der Schmierung der Transportrollen können Lackierfehler in Form von Kratern oder Benetzungsstörungen verursacht werden. Kraterfreie Schmiermittel oder der Einbau von Abdeckblechen sind Möglichkeiten, Störungen zu vermeiden. 590

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Spezielle Fördersysteme sind für die Vorbehandlung und Elektrotauchlackierung von Karossen entwickelt worden und finden zunehmend Anwendung (siehe Kapitel 7.1).

Lackiertechnologie

Wie einleitend erwähnt, sind je nach Aufgabenstellung und Werkstück neben den allgemein üblichen Hängeförderern auch Bodenförderer einzusetzen. Es handelt sich entweder um in Schienenprofilen im Boden laufende Ketten oder Induktionsschleifen, die das in der Regel größere Lackiergut auf angepassten Schlitten, den Skids, den einzelnen Stationen zuführen. Sind lediglich plane Teile wie in der Holz- und Möbelindustrie zu transportieren, reichen einfache Transporteinrichtungen mit Gummi-, Kunststoffoder Metallbändern aus.

Abbildung 4.2.115: Power-and-Free-Förderer Quelle, unten: Eisenmann

4.2.1.8 Entlacken Ein für die Spritzapplikation spezifisches Problem besteht in der ungewollten Mitbeschichtung der Fördereinrichtungen, der Kabinenwände und der Gitterroste in den Kabinen. Da die Transporteinrichtungen immer zusammen mit dem Lackierobjekt in einen der Applikationsanlage nachgeschalteten Trockner gelangen, werden die durch vagabundierende Spritznebel gebildeten Lackablagerungen ebenfalls mit eingebrannt. Dieser Vorgang wiederholt sich wegen des permanenten Umlaufs der Fördereinrichtungen regelmäßig. Für einen störungsfreien Lackierbetrieb sind deshalb alle mit Lack beaufschlagten Einrichtungen der Spritzkabinen in regelmäßigen Abständen zu entlacken. Andernfalls wächst die Lackschicht so stark auf, dass Beeinträchtigungen im Transportsystem eintreten können oder der durch die mehrfache Einbrennung spröde Lackfilm abplatzt und eine Quelle der Verschmutzung darstellt. Die früher häufig durchgeführte Kaltentlackung mit Lösemitteln auf Basis chlorierter Kohlenwasserstoffe ist heute nur noch selten anzutreffen. Anders ist es mit der Heißentlackung durch Natron- oder Kalilauge unter Zusatz von organischen Quellmitteln. Wegen der chemischen Resistenz der Lackierungen werden unter Beachtung der Umweltauflagen in sauren Bädern speziell aminogruppenhaltige Beschichtungen wie die KTL behandelt, während sich die alkalischen Entlackungsmittel für Einbrennlackierungen und 2K-Polyurethansystemen besser eignen. Darüber hinaus sind Verfahren der Hochdruckentlackung (HDE) und die Pyrolyse (thermisches Entlacken) anzutreffen. Beim Hochdruckentlacken bedient man sich speziell ausgelegter Geräte, die erwärmtes Wasser mit Drücken bis zu 1400 bar durch feine Düsen derart beschleunigen, dass dadurch ein mechanisches Abtrennen der Lackierung möglich wird. BASF-Handbuch Lackiertechnik 591

Die Lackiertechnologie

Brennkammer 800 °C bzw. 1200 °C

Wärmerückgewinnung mit Rückkühler

Brenngas

Kamin Abgasreinigung

Schwelkammer ca. 400 °C

Lackiertechnologie

N2

Druckentlastung

Abbildung 4.2.116: Schema einer thermischen Entlackung in der Schwelkammer

Behandelt man die zu entlackenden Teile schon vor ihrer Beschichtung mit Grundierungen, so wird der spätere Entlackungsprozess erheblich erleichtert. Benutzt werden dazu u.a. Grundierungen mit unterschiedlichen Wärmeausdehnungskoeffizienten, so dass sich nach Abkühlen der Lackierung Spannungsrisse bilden. Durch den zusätzlichen Einfluss von Ultraschall trennt sich die Lackierung dann weitgehend selbständig ab. Das schon beschriebene Cryo-Clean-Verfahren (siehe Kapitel 4.1.2) lässt sich ebenfalls für die Entlackung verwenden. Andere Grundierungen enthalten wasserlösliche Filmbildner oder carbonathaltige Füllstoffe. Erstere lösen sich leicht bei wässrigen Entlackungsprozessen auf, letztere schäumen beim Erhitzen auf und unterstützen so den Entlackungsprozess. Bei der thermischen Entlackung (TE), die industriell am bedeutendsten ist, wird in mit Aluminiumoxid gefüllten Kammern oder Wirbelbettbehältern bei Temperaturen von 400 bis 500 °C eine Pyrolyse herbeigeführt. Die entstehenden Pyrolyseprodukte werden in separaten Brennkammern mit Wärmerückgewinnungsanlagen verbrannt und durch eine nachgeschaltete Abgasreinigung den Umweltschutzgesetzen entsprechend aufbereitet. Die so gewonnene Wärmeenergie wird technisch genutzt. Die Vorteile des thermischen Entlackens bestehen in der großen Anwendungsbreite für fast alle Lacksysteme. Sie sind gleichzeitig kostengünstig und umweltfreundlich.

4.2.2

Verarbeitung von Pulverlacken

Im Gegensatz zu den flüssigen Beschichtungsstoffen, den Nasslacken, werden Pulverlacke als Feststoffe verarbeitet, um im Einbrennofen zur Filmbildung aufgeschmolzen zu werden. Aufgrund der fehlenden Lösemittel treten bei der Applikation von Pulverlacken keine Emissionen auf. Außerdem sind die als Overspray anfallenden Pulverteilchen zurückzugewinnen und dem Prozess wieder zuzuführen. Pulverlacke sind deshalb aus ökologischer Sicht die attraktivste Alternative zu vielen konventionellen Nasslacken (siehe Kapitel 5.6.4). 592

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Zur Überführung der Pulverlackteilchen auf das Objekt stehen mehrere Verfahren zur Verfügung. Ein Weg besteht darin, nach dem Wirbelsinterverfahren die über die Schmelztemperatur des Pulverlacks aufgeheizten Objekte analog dem klassischen Tauchverfahren durch fluidisiertes Pulver zu beschichten. Bei der elektrostatischen Pulverbeschichtung werden die Partikeln elektrisch aufgeladen, um dadurch entlang der Feldlinien eines inhomogenen elektrischen Feldes zum geerdeten Lackierobjekt zu fliegen (elektrostatische Pulververarbeitung). Darüber hinaus haben sich Verfahren bewährt, den Pulverlack mit Hilfe eines flüssigen Mediums zu verarbeiten. Wässrige Dispersionen in Wasser (Slurries) oder in Elektrotauchlacken (EPC) sind zwei Beispiele (siehe Kapitel 5.6).

4.2.2.1 Rückblick Die Pulverlacktechnologie hat ihren Ursprung in der deutschen Erfindung des Wirbelsinterverfahrens zur Verarbeitung thermoplastischer Pulverlacke im Jahre 1952 [4.4.78]. Die für zahlreiche Anwendungen viel zu hohen Schichtdicken und die kurze Zeit später in den USA entwickelte Technologie der elektrostatischen Verarbeitung der Pulverlacken ließen das Wirbelsinterverfahren nicht bedeutsam werden. Die Einführung reaktiver Pulverlacke durch Shell und weitere Optimierung in der Applikations- und Fluidisiertechnik weckte in Europa neues Interesse, so dass die industrielle Anwendung zuerst langsam, aber dann stetig zunahm. Erst 1969 begann man in Fernost, sich über Lizenzen amerikanischer Lackfirmen mit den teuren Polyacrylaten zu befassen. Als man in USA Anfang der 1970er Jahre sich den Epoxidharzen und Polyestern zuwendete, hatte sich in Deutschland die Pulvertechnologie bereits etabliert. Saure Polyester-, Epoxypolyester- und reine Epoxypulverlacke konnten mit Erfolg industriell verarbeitet werden. Die Technologie schien schon damals derart ausgereift, dass selbst in der Automobilindustrie nach neuen Einsatzmöglichkeiten gesucht wurde. Klassische Pulverlacke, Slurries oder EPC-Lacke sollten als Grundierung das sogenannte Reverse-Verfahren attraktiv machen (siehe Kapitel 4.2.1). Diese zeitweilig im Einsatz befindlichen Verfahren sind nach wenigen Jahren wieder abgeschafft worden. Das Wachstum des PulverlackMarktes war bis 1980 nur gering. Die Anlagen waren bis dahin zu teuer, die Schichtdicken für eine wirtschaftliche Anwendung zu hoch. Farbwechselprobleme und hohe Einbrenntemperaturen schränkten die Farbton-, Effekt-

Abbildung 4.2.117: Erwartetes regionales Wachstum des Pulverlackmarktes

BASF-Handbuch Lackiertechnik 593

Lackiertechnologie

Trotz der gegenüber anderen Lacksystemen großen ökologischen Vorteile konnten die Pulverlacke nicht in alle Bereiche der industriellen Lackiertechnik vordringen. Zu hohe Einbrenntemperaturen verschließen der Pulverlacktechnologie ihren Einsatz für thermisch labile Substrate wie Kunststoffe und Holz. Neue Forschungsergebnisse lassen aber auch in diesen Bereichen auf einen Durchbruch hoffen, so dass in der Zukunft mit einer zusätzlichen Steigerung der ohnehin guten Zuwachsraten zu rechnen ist [4.4.76, 4.4.77].

Die Lackiertechnologie

und Substratvielfalt erheblich ein. Mit zunehmendem Umweltbewusstsein wuchs die Anwendung von Pulverlacken stärker als die der konventionellen Lacke. Heute haben die Pulverlacke einen weltweiten Marktanteil von mehr als 10 % bezogen auf den Festkörper. Neue Einsatzfelder und neue Pulverlacke wurden durch Intensivierung und Koordinierung der Forschungsaktivitäten in Deutschland und Europa für die Pulverlacktechnologie gesucht. Die Beschichtung temperaturempfindlicher Materialien wie Holz und Holzwerkstoffe wurde durch neue Pulverlacke in Verbindung mit der Strahlenhärtung technisch und gleichzeitig wirtschaftlich möglich [4.4.77]. Bessere Pulverdosiertechniken, neue Erkenntnisse bei der Reibungsaufladung (Triboaufladung) sowie bessere Kabinenkonstruktionen sind die Folge der neu erarbeiteten Erkenntnisse. Pulverlacke haben sich deshalb weiträumiger etablieren können. Sie sind in der Automobilindustrie als Füller und eine Zeit lang als Klarlacke bereits Stand der Technik [4.4.79]. Geräte- und anlagentechnische Details

Eine elementare Voraussetzung für den Umgang mit Pulverlacken ist die Fluidisierbarkeit. Dadurch werden Pulver durch pneumatische Förderung dosier- und in Rohrleitungen transportfähig. Die Fluidisierung ist naturgemäß auch eine wichtige Voraussetzung für technische Applikationsverfahren. Fluidisierung Unter Fluidisierung versteht man die Aufbereitung des Pulvers mit Hilfe von Druckluft, so dass das entstehende Pulver-Luft-Gemisch füssigkeitsähnliche Eigenschaften annimmt, um in einen förderungsfähigen Zustand zu gelangen. Die Aufbereitung des Pulvers erfolgt in Behältern mit luftdurchlässigen, aber Pulver undurchlässigen Böden, den sogenannten Hoppern. Allerdings benötigen spezielle Pulverqualitäten eine Horizontalvibration in den Hoppern, um die Fluidisierung störungsfrei zu ermöglichen. In Abhängigkeit von der spezifischen Dichte und der Teilchengröße, als wesentliche physikalische Eigenschaften, können die Pulverlacke bezüglich ihrer Fluidisierbar-

Dichtedifferenz Festkörper-Luft [kg/m3]

Lackiertechnologie

4.2.2.2

10.000 5.000 Gruppe B große Blasen 1.000

Gruppe A kleine Blasen

500

100

Gruppe C kein Wirbeln

1

2

5

10

20

50

100

200

500

Mittlere Korngröße [µm]

Abbildung 4.2.118: Produktcharakterisierung von Schüttgütern nach Geldart/Molerus

594

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

100 80 60 Overspray-Glocke 40 Overspray-Pistole

Frischpulver

20 0

1

2

3

5

10

20

30

50

100

Korndurchmesser [µm] Die üblichen Partikelgrößen von applikationsfähigen PulAbbildung 4.2.119: Typische Partikelgrößenverteilung von Industrielackvern variieren zwischen 20 pulvern und deren Overspray und 45 µm. Entscheidend für die reibungslose Handhabung und die erreichbare Schichtdickenspanne ist zusätzlich die Partikelgrößenverteilung. Hierfür gilt: je enger die Verteilung, desto besser die Handhabung. Störend sind in vielen Fällen die Fraktionen mit Teilchengrößen unter 10 µm. Diese fallen im Overspray überproportional an und schieben bei der Recyclierung die Fluidisierbarkeit in den ungünstigen Bereich der Kanalbildung. Darüber hinaus neigen sie verstärkt zur Agglomeration.

Pulvertransport und -förderung Pulverlacke bestehen aus Feststoffteilchen und gehorchen aufgrund der Notwendigkeit der Fluidisierung beim Transport anderen Gesetzen als Flüssiglacke. Für den Transport des Pulvers zu den Sprühorganen oder die Rückführung des überschüssigen Pulvers kommen deshalb andere Anlagen als normale Rohrleitungen und Pumpen zur Anwendung [4.4.80]. Beim Pulverlacktransport wird wegen unterschiedlicher Anforderung an die Genauigkeit unterschieden in Präzisionsförderung bei der Zufuhr des Pulvers zum Sprühorgan und Massenförderung beim Transport von Behälter zu Behälter. Das gesamte Pulverdosiersystem für die Präzisionsförderung besteht aus dem Vorratsbehälter, einer Dosierschnecke und dem Injektor. Die Pulverinjektoren befinden sich vor der Sprühpistole und befördern den Pulverlack mit konstanter Fördermenge aus dem Vorratsbehälter zur Pistole, um dort weitere Luftmengen definiert zuzumischen. Das Ansaugen erfolgt durch den in einer Düse durch beschleunigte Förderluft erzeugten Unterdruck. Je nach Luftgeschwindigkeit wird eine entsprechende Menge an Pulverlack angesaugt und in die Leitung zur Pistole geblasen. Um ein gleichmäßiges Ausstoßen des Pulvers zu gewährleisten, darf der Förderstrom bei der Aufnahme des Pulvers nicht pulsieren. Zur gleichmäßigen Zuführung der Pulverlackteilchen zum Sprühorgan ist je nach Fördermenge mehr oder weniger Zusatzluft notwendig. Von beachtenswertem Einfluss sind auch die Länge und der Durchmesser der Förderschläuche, ihre Positionierung und die Ausgangshöhe. Während zur Präzisionsförderung lediglich 100 bis 500 g/min transportiert werden müssen, bei der Massenförderung durch die Anlage aber Mengen bis zu 5 kg/min zu bewältigen sind, spielt die genaue Dosierung des Pulverlackstroms bei der MassenförBASF-Handbuch Lackiertechnik 595

Lackiertechnologie

Summenverteilung [%]

keit in drei Kategorien eingeteilt werden. Die Gruppe A ist leicht fluidisierbar, die Gruppe C zeigt Kanalbildung und die Gruppe B große Blasen bei der Lufteinspeisung. Die für den Einsatz in der Beschichtungstechnik geeigneten Pulver liegen überwiegend im Übergangsbereich zwischen Gruppe A und C.

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.120: Schema des Pulverinjektors

derung eine untergeordnete Rolle. Wichtiger ist die Wirtschaftlichkeit und schonende Behandlung des Pulvers. Als Aggregate kommen Schneckenförderer, Vibrationsrinnen, aber auch Hochleistungsinjektoren oder Pfropfenförderer zum Einsatz. Bei einem Pfropfenförderer fällt das Pulver nach dem Öffnen eines Ventils aus einem Vorratsbehälter in eine Rohrleitung. Nach Schließen des Ventils und Öffnen eines zweiten in der Leitung sich befindenden Ventils wird das Material mit einem kurzen Druckimpuls von ungefähr 0,5 s transportiert. Anschließend wird das Ventil wieder geschlossen, um mit dem Prozess erneut zu beginnen. Das Verfahren benötigt durch die Impulstechnik Pulvervorrat nur wenig Luft, so dass am Ende der Leitung keine zusätzlichen Filter oder Zyklone installiert werden müssen.

Förderluft Ventile

Abbildung 4.2.121: Schema des Pfropfenförderer

596

Beim Transport durch Schlauchleitungen kann sich das Pulver durch Reibung elektrostatisch aufladen. Wesentlichen Einfluss haben dabei die Materialien der Leitungen und ihre Querschnitte. Geringe Querschnitte erfordern hohe Strömungsgeschwindigkeiten, bei denen Pulverteilchen durch Reib- und Prallwirkung zum Anbacken neigen. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Bei großen Querschnitten reicht häufig die Luftleistung in langen Schläuchen nicht aus, das Pulver über die gesamte Länge im fluiden Zustand zu halten. Es kommt zu pulsierenden Pulverströmen, die naturgemäß zu unterschiedlichen Filmdicken führen. Die Fördertechnik nach dem digitalen Dichtstromförderungsprinzip (DDF) erhöht die Präzision der Pulvermengen deutlich [4.4.81]. Dabei wird eine Pulverkammer aus einem Pulvervorratsgefäß mit Unterdruck gefüllt und nach Füllung mit Druckluft zum Sprühorgan entleert. Die Steuerung der Ventile erfolgt elektronisch (digital!). Anwendungen finden sich vor allem in der Fahrzeug- und deren Zulieferindustrie [4.4.82].

Das Wirbelsintern hat sich trotz der sehr hohen Schichtdicken der vornehmlich thermoplastischen Überzüge und trotz der Einführung anderer Verarbeitungsverfahren für bestimmte Einsatzzwecke als Nischenanwendung behauptet [4.4.83]. Es ist ein Tauchverfahren, bei dem einwandfrei vorbehandelte, vorher aufgeheizte Lackierobjekte in ein Becken mit aufgewirbeltem Pulverlack getaucht werden. Die durch ein Sieb von unten in das Becken einströmende Luft fluidisiert das Pulver. Der aufgewirbelte Pulverlack trifft die Oberfläche der vorgewärmten Teile, um dort bei ausreichend hoher Objekttemperatur aufgeschmolzen zu werden. In Abhängigkeit von der Eintauchzeit bildet sich ein entsprechend dicker Film, der nach dem Transport in den Einbrennofen dort durch weitere Temperaturanhebung aufschmilzt, verläuft und bei der Verwendung von reaktiven Pulvern vernetzt. Die elektrostatische Beschichtung mit Pulverlacken erfolgt durch den Transport elektrisch geladener Pulverteilchen im elektrischen Feld und anschließende Abscheidung auf dem Lackierobjekt durch elektrische Kräfte. Zu den Anlagen für diese Art des Pulverauftrags gehören Vorratsbehälter, Versorgungseinrichtungen, Vorrichtungen zur Pulveraufladung, Sprühsysteme und Kabinen mit Aggregaten zur Absaugung und Rückgewinnung des Oversprays. Zur elektrischen Aufladung von Pulverlacken existieren zwei Mechanismen. Zum einen werden in einem elektrischen Feld durch Corona-Entladung an Spitzenelektroden Luftionen erzeugt, die sich an die Pulverpartikeln anlagern. Die geladenen Pulverteilchen wandern entlang der Feldlinien zum entgegengesetzt geladenen Lackierobjekt. Die meisten Pistolen arbeiten mit der Außenaufladung. Das Werkstück allein ist die Gegenelektrode. Die Folge ist ein hoher Elektronen- bzw. Ionenstrom hin zu dem zu beschichtenden Werkstück. Da die Pulverpartikeln erst nach Verlassen der Pistole aufgeladen werden, sind Probleme mit Pistolenverschmutzungen deshalb gering. Bei der Innenaufladung ist neben der Aufladelektrode zusätzlich eine Erdung innerhalb der Pistole installiert. Dadurch werden wesentlich weniger Elektronen für die abschirmende Raumladung zur Verfügung

Abbildung 4.2.122: Prinzip des Wirbelsinterverfahrens

BASF-Handbuch Lackiertechnik 597

Lackiertechnologie

Applikation von Pulverlacken

Die Lackiertechnologie

Luft Stromversorgung Pulver Pulverrückführung

Spritzkabine

Multi-Zyklone

Patronenfilter Sprühpistole

Sieb Pumpe

Lackiertechnologie

Hopper

Kontrolleinheit

Filter

PulverTransportsystem

Abfallbehälter

Abbildung 4.2.123: Gesamtanlage mit Hochspannungsaufladung

gestellt. Eine bessere Hohlraumbeschichtung ist die Folge. Probleme entstehen aber durch das Verschmutzen der Erdungselektrode im Inneren der Pistole. Von besonderer Bedeutung für die Aufladung ist auch die Größe und Gestalt der Pulverlackteilchen. Von der Theorie her bieten kugelförmige Pulverlackteilchen die besten Voraussetzungen für eine gleichmäßige Aufladung. Durch die heutige Mahltechnik hergestellte bizarr und unregelmäßig geformte Teilchen führen somit zwangsläufig zu ungleichmäßiger Aufladung der einzelnen Partikeln und damit zu einer unterschiedlichen Abscheidbarkeit. Die Größenordnung der Ladung liegt bei der Corona-Aufladung bei etwa 4 bis 12 µC/g. Zum anderen können elektrokinetische Aufladungen der Pulverpartikeln durch Reibung an geeigneten Materialien erfolgen und benötigen dann kein elektrisches Feld. Bei dieser Triboaufladung durch Reibung an einem Nichtleiter mit unterschiedlicher Elektronegativität zu den Pulverteilchen werden Elektronen zwischen den beiden Stoffen ausgetauscht. Je nach chemischer Art des Lackharzes und der Wandung aus Kunststoffen, mit der die Partikeln in Berührung kommen, werden sie positiv oder negativ aufgeladen. Die Funktionsfähigkeit der Tribotechnik hängt stark von Art des Filmbildners ab. Mit wachsender Elektronenaustrittsarbeit steigt auch die Neigung zur Aufnahme von Elektronen (PMMA, PVC, PTFE). Ist die Ionisierungsarbeit hingegen niedrig (PA, PPO), gibt der Stoff leichter Elektronen ab. Die wichtigsten Pulverformulierungen werden in den Tribo-ApplikationsgeAbbildung 4.2.124: Schema der Sprühpistolen für Außenaufladung räten positiv aufgeladen. In 598

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.125: Abscheidung der Pulverteilchen bei Corona- und Triboaufladung

den Sprühorganen mit Triboaufladung strömen die Pulverteilchen durch einen spiralförmigen Isolierkanal. Dadurch werden die Pulverlackteilchen durch Zentrifugalkräfte an die Wandung gedrückt, um so im direkten Kontakt mit der Kanalwand ihre Ladung aufzunehmen. Werden die so aufgeladenen Teilchen dann mit geeigneten Sprühorganen in die Nähe eines geerdeten Lackierobjekts gebracht, bilden diese mit dem Werkstück ein eigenes elektrisches Feld aus. Befindet sich ein geladenes Teilchen bereits in einem Hohlraum, bildet es auch dort ein Feld. Eine Partikelabscheidung ist deshalb im Gegensatz zur Verarbeitung von Pulverlacken mit Fremdfeldern auch in Hohlräumen möglich. Nachteilig für eine breite Anwendung ist die nur geringe Zahl an tribofähigen Filmbildnern. Durch Zusätze von Additiven wie Aluminiumoxid kann die Aufladbarkeit durch Reibung jedoch verbessert werden. Bei solchen Formulierungen ist die Abhängigkeit der Ladungshöhe von der Luftfeuchtigkeit und der Umgebungstemperatur im Falle extremer Bedingungen zu beachten. Die erreichbaren Ladungen der Pulverpartikeln bei der Triboaufladung liegen bei ca. 2 bis 10 µC/g. Für die bis heute nur etwa 15 %-ige Marktdurchdringung der Triboapplikation gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist es das limitierte Angebot an geeigneten Harzen und BASF-Handbuch Lackiertechnik 599

Lackiertechnologie

Die Lackiertechnologie

Abbildung 4.2.126: Schema einer Pistole für die „Tribo“-Aufladung

die geringe Leistungsfähigkeit, bedingt durch den geringen Materialausstoß, zu nennen. Des weiteren sind kleine Teilchen nur schlecht aufladbar. Damit ist die Recyclierbarkeit limitiert. Aufgrund der gegenüber der elektrostatischen Applikation größeren Teilchen ist nicht für alle Anwendungen ein guter Verlauf zu erreichen. Die Zerstäubung des Pulverlacks erfolgt in den üblichen Sprühpistolen durch Auffächerung des Luftstroms mit sogenannten Mundstücken. Diese enthalten entweder Düsenprallplattensysteme mit freier Drallströmung oder sind Flachstrahl- oder Fingerdüsen. Relativ neu ist der Einsatz von mit 2.000 bis 10.000 min-1 rotierenden Glocken. Sie erzeugen eine breite Sprühwolke und eignen sich deshalb besonders für großflächige Werkstücke. Die Ausstoßmenge ist mit bis zu 700 g/min ausgesprochen hoch. Eine weitere Variante der Sprühorgane sind Schleuderräder in Verbindung mit einer Ω-Schleife für die zu beschichtenden Teile. Die nach allen Seiten horizontal abgeworfenen Pulverteilchen bilden auf den in einer Schleife bewegten sich ggf. zusätzlich drehenden Teilen gleichmäßige dicke Schichten. Im Unterschied zu den Pistolen sind bei den Schleuderrädern oder Rotationsglocken Anpassungen der Zerstäubungsparameter durch die Drehzahl während des Betriebes möglich. Auf dem Weg zum Objekt wirken auf die geladenen Teilchen im elektrischen Feld die elektrischen Kräfte, die Schwerkraft und der Luftwiderstand. Damit die Teilchen weitgehend den Feldlinien zum Objekt hin folgen können, müssen die elektrischen Kräfte die Schwerkraft übersteigen. Bei Teilchengrößen unter 100 µm ist diese Voraussetzung gegeben. Bedingt durch die Luftreibung erreichen die Teilchen schnell einen stationären Zustand. Die Wanderungsgeschwindigkeit liegt bei 1 bis 2 m/s. 600

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackiertechnologie

Lackverarbeitung

Abbildung 4.2.127: Zerstäuben von Pulverlacken mit Rotationsglocken

Quelle: Dürr

Aufgrund der geringeren Gesamtladung verlassen kleinere Teilchen ihre Flugbahn eher als größere. Sie werden von den Vorrichtungen für die Wiedergewinnung bevorzugt abgesaugt und gelangen nicht zum Werkstück. Das zurückgewonnene Pulver hat durch diese Anreicherung der Feinanteile eine andere Zusammensetzung als das versprühte Material (siehe Abbildung 4.2.119). Für eine konstante Lackierqualität wird deshalb häufig ein angepasstes Verteilungsprofil der Teilchengrößen des Nachfüllmaterials eingestellt. Die bei der Abscheidung auf das Werkstück auftreffenden Pulverteilchen geben bedingt durch ihren hohen elektrischen Widerstand ihre Ladung an das leitfähige und geerdete Objekt nur zu einem geringen Teil ab. Ein Rest der Ladung verbleibt bis zum Einlaufen in den Trockner auf den Teilchen. Diese Ladung bewirkt nach der Abscheidung auf dem Objekt durch Influenz die Ausbildung von entgegengesetzten Ladungen in der elektrisch leitfähigen Werkstoffober-

Abbildung 4.2.128: Pulverhaftung an der leitenden Substratoberfläche

BASF-Handbuch Lackiertechnik 601

Die Lackiertechnologie

fläche. Dadurch werden Coulomb’sche Anziehungskräfte in Form von Bildkräften wirksam, die das Pulver selbst an senkrechten Oberflächen festhalten. Bei der Applikation sehr dicker Pulverschichten von meistens mehr als 150 µm mit Corona-Aufladung treten Effekte auf, die darauf zurückzuführen sind, dass ionisierte Luft im großen Überschuss an der Grenzfläche der applizierten Lackfilme und Sprühwolke anfällt und damit die gleichsinnig geladenen Pulverteilchen abstößt. Die Verringerung der Menge an Luftionen kann durch eine am Zerstäuber angebrachte Zusatzelektrode erreicht werden. Sie sammelt die freien Ladungsträger ein und bewirkt damit ein ionenarmes Sprühen. Die Wirkungsweise dieses als Gegenkorona bzw. Superkorona bezeichneten Bauteils kann über den vom Substrat abfließenden Strom nachgewiesen werden. Er ist um den Faktor 3 bis 4 kleiner. Die Pulveraufladung selbst wird nicht beeinflusst, was man an den gleichen Auftragwirkungsgraden beider Verfahren ablesen kann. Die Oberflächenqualität wird ebenfalls deutlich verbessert. Naturgemäß kennt die Triboapplikation die gerade beschriebene Rückionisation nicht.

Lackiertechnologie

Rückgewinnung Aufgrund des im Vergleich zu flüssigen Lacken geringen Erstauftragswirkungsgrades von 30 bis 50 % für Pulverlacke ist eine Wiederaufbereitung des Oversprays von demnach 50 bis 70 % des eingesetzten Lackmaterials ökonomisch wie auch ökologisch notwendig. Dies stellt von der Eigenschaft des Pulvermaterials her kein Problem dar. Technisch zuverlässige Rückgewinnungsanlagen stehen zur Verfügung. Der Overspray wird durch die Schwerkraft und die vertikal nach unten gerichtete Luftströmung aus den Kabinen geführt. Zur Rückgewinnung dienen Zyklone, Platten-, Patronen- oder Taschenfilter. In Zyklonen wird der mit Pulverlack beladene Luftstrom durch tangentiale Zufuhr in Rotation versetzt. Die Rotation der Luft kann durch Leitschaufeln gesteigert werden. Die Zentrifugalkräfte treiben die Pulverpartikeln zur Zyklonwand, wo sie aufgrund der Schwerkraft nach unten fallen, um dadurch in einem Auffangbehälter gesammelt zu werden. Der Abscheidegrad des Pulvers hängt von der Teilchengröße ab. Feinanteile werden durch Zyklone nicht quantitativ aus dem Abluftstrom zurückgehalten. Da der Wirkungsgrad der Abscheidung mit zunehmendem Durchmesser des Zyklons abnimmt, verteilt man den Luftstrom bei sogenannten Multizyklonen in mehrere Einzelströme. Neuerlich werden auch horizontal angeordnete Mehrfachzyklone als Viererelemente direkt in die Kabinenwand eingebaut. Andere Methoden der Pulverrückgewinnung beruhen auf dem Einsatz von Plattenfiltern. Das Plattenmaterial besteht aus gesintertem Polyethylen mit einem porösen Polytetrafluorethylen-Überzug, der eine einfache Abtrennung des Pulvers Applikationsverfahren Abfließender Strom von der Filteroberfläche ermögGegenkorona mit 60 kV 7 – 8 µA licht. Die Prozesse mit Filtern Korona mit 60 kV 29 µA verlaufen diskontinuierlich. Die Gegenkorona mit 90 kV 11 µA Filter müssen nach entspreKorona mit 90 kV 40 µA chender Belegung gereinigt werden. Bei hohem Druckabfall sind Abbildung 4.2.129: Wirkungsweise der Gegenkorona bei einem trotz hohen Durchsatzes AbscheiPolyesterepoxidhybrid-Pulverlack 602

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Für einen störungsfreien Betrieb der Lackieranlage ist der durch Zyklone oder Abbildung 4.2.130: Multizyklon zur Pulverrückgewinnung Quelle ITW Filter zurückgewonnene Pulverlack von Agglomeraten, Schmutz und gegebenenfalls von dem Feinkornanteil zu befreien. Bei fehlendem Schmutz genügen oft einfache Rüttelsiebe, häufig in Verbindung mit Zyklonen. Nach einem anderen Prinzip arbeiten Turbosiebe. Das PulverLuftgemisch wird durch das Sieb gesaugt, Schmutz und Fasern verbleiben auf der Sieboberfläche und müssen dort manuell beseitigt werden. Turbosiebe wie auch Rüttelsiebe und Ultraschallsiebe sind für den Farbwechselbetrieb wegen der guten Reinigungsfähigkeit grundsätzlich geeignet. Für einen kontinuierlichen Betrieb eignen sich Zentrifugal- und Taumelsiebe. Die Pulverlackteilchen werden im ersten Fall durch Rotation zum zylinderförmigen Siebmantel geführt. Schmutz und Überkorn werden dabei durch eine Vorrichtung kontinuierlich vom Sieb weggeführt und am Ende gesammelt. Ähnlich ist die Funktion eines Taumelsiebes. Mehrere Siebe mit unterschiedlicher Maschenweite bewegen sich so, dass das Pulver in einer Taumelbewegung durch die Siebe fällt. Die einzelnen Fraktionen sammeln sich an den Rändern der einzelnen Siebe in entsprechenden Auffangrinnen. Pulverkabinen Zu einer störungsfreien und den Arbeitsschutzgesetzen entsprechenden Pulverlackverarbeitung gehört neben den Aggregaten für die Versorgung, Applikation und Pulverrückgewinnung eine Kabine, die mit Unterdruck betrieben wird. Sie verhindert in erster Linie den Austritt des Pulvers in die Umgebung und ermöglicht eine kontrollierte Luftführung zur Rückgewinnung. Darüber hinaus wird das Überschreiten der Zündgrenzen für die Pulver-Luft-Gemische vermieden. Wegen der

Abbildung 4.2.131: Ultraschallsieb 

Quelle ITW

BASF-Handbuch Lackiertechnik 603

Lackiertechnologie

degrade von 99,99 % zu erreichen. Der gegenüber anderen Filtermedien sehr langen Lebensdauer steht allerdings ein relativ hoher Preis gegenüber. Billigere Patronen oder Taschenfilter haben nicht nur eine kürzere Lebensdauer, sie sind mit nur 99,0 bis 99,9 % auch deutlich weniger effektiv. Außerdem sind sie schwieriger zu reinigen.

Die Lackiertechnologie

Explosions- und Brandgefahr bei der Pulverlackverarbeitung mit Hochspannung sind zusätzliche Voraussetzungen zu erfüllen (siehe Kapitel 5.2.4).

Lackiertechnologie

Die Kabinenwände bestehen aus Stahl, rostfreiem Stahl oder Kunststoff. Stahlkabinen sind kostengünstig, einfach zu montieren und erfüllen problemlos alle Sicherheitsvorschriften. Nachteilig sind die Verschmutzungsanfälligkeit und die aufwendige Reinigung nach jedem Farbwechsel. Vorteilhafter in dieser Beziehung sind die glatten und fugenfreien Kunststoffwände. Aufgrund der schlechten elektrischen Leitfähigkeit wirken diese pulverabstoßend. Schwieriger gestaltet sich die Erfüllung der Sicherheitsvorschriften bei Verwendung von Kunststoffen als Gehäusematerial.

Abbildung 4.2.132: Abbildung einer Pulveranlage für die industrielle Lackierung Quelle: BASF Coatings

Für Rohrleitungen gelten die gleichen Aussagen wie für das Kabinenmaterial. Kunststoffrohre müssen wegen der Gefahr von Büschelentladungen zusätzlich geerdet werden.

Aus technischen und Sicherheitsgründen sind in industriellen Pulverkabinen Handgeräte nur selten anzutreffen. Die Pistolen werden an Hubarmen durch Schlitzöffnungen in die Kabine eingeführt und von außen bewegt. Die Hubarme sorgen auch für eine gleichmäßige Verteilung des Pulvers auf dem Werkstück. Gleichzeitig ist die für eine gleichmäßige Schichtdicke notwendige Pistolenzahl gegenüber einer starren Anordnung geringer. Um die Beschichtung nicht durch turbulente Luftbewegungen zu stören, sollte die Hubgeschwindigkeit Werte von 0,5 m/s nicht übersteigen. Für einen Farbwechsel ist in Pulverkabinen ein erheblich größerer Aufwand zu betreiben als bei der Verarbeitung von Nasslacken. Nicht nur die Kabinen und die Rohrleitungen sind reinigungsfreundlich auszulegen, auch das Pulverversorgungszentrum und die Filter bzw. die Zyklone zur Pulverrückgewinnung müssen entsprechend konstruiert sein. Viele der Reinigungsschritte sind nur manuell durchzuführen. Die Kabinenwände werden in zwei Arbeitsgängen mit Durchlaufzeiten von fünf bis sechs Minuten abgeblasen und anschließend mit Schwämmen nachgereinigt. Hinzu kommen die Pistolenreinigung, das Durchblasen der Tauchrohre, der Injektoren und die Reinigung der Schläuche. Die Steuereinrichtungen der Applikationsgeräte sind meistens an der Außenseite der Kabine angebracht, ihre Reinigung bei Farbwechsel erübrigt sich somit. Ein Farbwechsel ist deshalb heute in weniger als 20 Minuten möglich. Bei entsprechendem Investitionsaufwand in mehrere austauschbare Kabinen lassen sich Farbwechsel ohne Produktionsausfall realisieren [4.4.85]. 604

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

4.2.2.3 Lackmaterialien

Die meisten Pulver sind reaktive Einkomponentensysteme, die sich nach der Verarbeitung durch Erwärmen verflüssigen, verlaufen und dann vernetzen. Als Filmbildner am weitesten verbreitet sind Epoxidharze, expoxidharzmodifizierte Polyester, reine Polyester mit epoxidgruppenhaltigen Härtern oder geblockte Isocyanate sowie Acrylatharze mit verschiedenen Vernetzern. Epoxidharze werden für die Formulierung von Grundierpulver verwendet. Solche Pulverlacke zeichnen sich durch einen hervorragenden Korrosionsschutz und gute mechanisch-technologische Eigenschaften aus. Ihre Aushärtung kann mit Dicyandiamid oder Polycarbonsäuren erfolgen (siehe Kapitel 2.1.1). Ein Nachteil der reinen Epoxidharzpulver besteht in der starken Vergilbungsneigung und geringen Wetterfestigkeit. Die Gruppe der Epoxy-Polyester, häufig auch als Hybridpulverlack bezeichnet, ist eine Mischung aus Epoxidharz und saurem Polyester. Das Mischungsverhältnis kann von 1:1 bis 1:9 zugunsten des Polyesters schwanken. Die Hybridpulverlacke zeichnen sich durch hervorragende mechanisch-technologische Eigenschaften aus. Die Vergilbungs- und Kreidungsneigung ist geringer als bei den reinen Epoxidharzpulvern. Werden hohe Ansprüche an die Wetterbeständigkeit gestellt, reichen die Hybridpulver nicht aus. In solchen Fällen sind Polyester- oder Polyurethanpulver einzusetzen. Polyesterpulverlacke bestehen aus sauren Polyestern zusammen mit einem niedermolekularen Härter (siehe Kapitel 2.1.1). Das in der Vergangenheit bewährte Triglycidylisocyanurat (TGIC) wird wegen des Verdachts der Mutagenität durch toxikologisch unbedenkliche Alternativen ausgetauscht. Glycidylester der Isophthalsäure oder β-Hydroxialkylamide der Adipinsäure bieten sich als Ersatzprodukte für TGIC an. Werden wetterbeständige, gut mattierbare Oberflächen gefordert, sind Polyurethanpulver auf Basis von OH-funktionellen Polyestern und verkappten Isocyanaten die geeigneten Systeme. Die mit ɛ-Aminocaprolactam verkappten Härter setzen im Einbrennofen das Verkappungsmittel frei und belasten die Ofenabluft, so dass eine Abluftreinigung notwendig wird. Uretdione besitzen die Nachteile der Bildung von Abspaltprodukten nicht und gewinnen deshalb zunehmend an Bedeutung. Acrylatharzpulver hatten in der Vergangenheit trotz hervorragender Wetterbeständigkeit und guten Verlaufs keine wesentlichen Einsatzgebiete finden können. Erst durch die inzwischen weit verbreitete Verwendung von Klarlacken zur Versiegelung von Metallicbasislacken im Automobilbereich sind Acrylatharzpulverlacke Konkurrenten für die übrigen Pulvertypen geworden. Die dafür verwendeten Acrylatharze enthalten Glycidylmethacrylat und reagieren mit carboxyfunktionellen Reaktionspartnern. Auf gleicher chemischer Basis, aber als Feinstpulver in Wasser dispergiert, werden Pulverlacke in der Automobilindustrie als Slurries verarbeitet. Ihre Aushärtungstemperatur liegt mit 140 °C außerordentlich niedrig (siehe Kapitel 5.6.3). Die rheologischen Eigenschaften von Pulverlacken sind wegen der fehlenden Lösemittel nur begrenzt zu beeinflussen. Die Verarbeitungseigenschaften sind deshalb im Wesentlichen durch den Filmbildner festgelegt. Die Molmasse, die Molekülform, die Polarität und die Reaktivität präformieren die Viskosität und bestimmen die gesamte Verlaufsphase. Die Temperaturführung im Trockner ist im Zusammenspiel mit dem ViskositätsBASF-Handbuch Lackiertechnik 605

Lackiertechnologie

Pulverlacke bestehen aus bei Raumtemperatur festen thermoplastischen oder reaktiven Polymeren. Thermoplastische Pulver werden heute praktisch nur noch in geringem Umfang im Wirbelsinterverfahren für dicke Beschichtungen eingesetzt.

Die Lackiertechnologie

Viskosität

Pulverlack

niedrige Temperatur hohe Temperatur

Lackiertechnologie

LM-Lack

profil des Pulverlackes für eine glatt ausgespannte, läuferfreie Beschichtung eine der wichtigsten verfahrenstechnischen Einflussgrößen. Für einen guten Verlauf sollte die Viskosität durch den Temperaturanstieg möglichst schnell ihr Minimum erreichen und dort eine ausreichende Zeit verbleiben. Entscheidend für einen guten Verlauf sind das Niveau des Viskositätsminimums und der Verlauf des durch die Vernetzung einsetzenden Viskositätsanstiegs.

Es hat sich bewährt, die Zeit, die eine Pulverschmelze unterhalb Einbrennzeit LM-Abdunstung einer Sollviskosität verbringt, als Kriterium für die VerlaufAbbildung 4.2.133: Viskositätsverlauf von Pulverlacken in Abhängigseigenschaften zugrunde zu keit vom Aufheizgradienten legen. Die in Abbildung 4.2.133 gekennzeichnete Fläche wird als Fluiditätsintegral bezeichnet und ist charakteristisch für den Verlauf von Pulverlacken (siehe Kapitel 3.1.4). Pulverlacke schließen bei der Applikation große Mengen an Luft ein. Diese muss bei dem Aufschmelzen und vor der Vernetzung entweichen. Als Additive für diesen Zweck sind Benzoin und dessen Derivate geeignet. Zur Einstellung und Aufrechterhaltung der Rieselfähigkeit für eine problemfreie Verarbeitung werden Aluminiumoxide oder pyrogene Kieselsäuren eingesetzt. Aluminiumoxide beeinflussen ebenfalls die Aufladbarkeit der Pulverpartikeln. 4.2.2.4

Pulverspezifische Prüfmethoden

Aufgrund der spezifischen Eigenschaften von Pulverlacken kann auf viele der bewährten Prüfmethoden von Nasslacken nicht zurückgegriffen werden. Pulverlacke als Feststoffpulver gehorchen bei der Verarbeitung anderen physikalischen Gesetzen (siehe vorher). Für die Lagerung, den Transport und die Verarbeitung sind Eigenschaften wie Gelzeit, Rieselfähigkeit, Fluidisierbarkeit, die Schüttdichte und das Schüttvolumen entscheidende physikalische Größen. Da diese Eigenschaften genauso wie der Verlauf des bereits applizierten Materials auch eine Funktion der Teilchengröße bzw. der Teilchengrößenverteilung sind, sind diese Größen zur Beschreibung des Applikationsverhaltens von Pulverlacken mit heranzuziehen (siehe Kapitel 2.3). Gelzeit und Tg Bei der Anwendung von Pulverlacken ist die Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für Lagerung und Transport zu beachten. Temperaturen oberhalb 30 °C bewirken eine Agglomerierung der Pulverpartikeln und chemische Vorreaktionen. Niedrige 606

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackverarbeitung

Temperaturen verhindern dies und sorgen so für stabile Verlaufseigenschaften über einen Zeitraum von sechs bis 12 Monaten je nach Pulvertyp. Prüftechnisch erfassbar werden die Vorvernetzungen durch die Gelierzeit, deren Messung die ISO 8130-6 beschreibt. Bereits bei der Herstellung oder Lagerung erfolgte Vorreaktionen sind aber auch durch Thermoanalysen wie DTA oder DSC zu quantifizieren. Verschiebungen in der Glastemperatur Tg und eine Abnahme der Reaktionsenthalpie gelten als Indiz für unsachgemäße Behandlung der Pulverlacke während der Herstellung und Lagerung. Rieselfähigkeit

Fluidisierbarkeit Zur Bewertung der Verarbeitungseigenschaften im Besonderen beim Transport, bei der Dosierung und beim Wirbelsintern ist die Fluidisierbarkeit die wichtigste qualitätsbestimmende Größe. Entsprechend der Beanspruchung des Pulverlacks wird eine bestimmte Menge in einem Glaszylinder durch eine poröse Grundplatte mit einem Luftstrom (festgelegt durch den Luftdruck) aufgewirbelt. Die sich einstellende Höhe des fluidisierten Pulvers bezogen auf die Ausgangshöhe h0 ist dann ein Maß für die Fluidisierbarkeit. Da die Ergebnisse stark von der Apparatur und den Bedingungen abhängen, sind genaue und detaillierte Vereinbarungen zwischen Kunden und Lieferanten zu treffen. Eine gute Charakterisierung des Fluidisationszustandes für die Prozessüberwachung ist durch Druckfluktuationsmessungen in der Wirbelschicht „online“ möglich. Das Auftreten von Gasblasen erzeugt an einem Piezo-Druckaufnehmer Druckschwankungen, die, als Standardabweichung aufbereitet, zu einem Kennwert für den Fluidisationsgrad führen. In Abhängigkeit von der Gasgeschwindigkeit der durchströmenden Luft ergeben sich für die verschieden gut fluidisierbaren Pulver unterschiedliche Kurvenverläufe. Aufladbarkeit Die zeitabhängige Aufnahme und Abgabe von elektrischen Ladungen sind spezifische Eigenschaften für die elektrostatische Pulververarbeitung. Dabei ist die Aufladbarkeit bei angelegter Hochspannung und die Reibungsaufladung zu untersuchen. Da der elektrische Widerstand des Pulvermaterials mit der Aufladbarkeit verknüpft ist, wird diese leicht zu messende Größe als Maß herangezogen. Zur Messung werden eine Widerstandsmesszelle, ein hochohmiges Widerstandsmessgerät und ein Schreiber benötigt. Die Widerstandsmesszelle selbst besteht aus einem isolierten Innenzylinder mit einer Elektrode. Der elektrisch isolierte Außenmantel enthält die zweite Elektrode. Nach Einfüllen des zu messenden Pulvers in die Zwischenräume der Elektroden und Anlegen einer Spannung von 1000 Volt wird der Widerstand zu verschiedenen Zeiten abgelesen oder aufgezeichnet. Der sich nach fünf Minuten einstellende Endwert wird als Messgröße festgelegt. BASF-Handbuch Lackiertechnik 607

Lackiertechnologie

Analog der Viskositätsmessung von Flüssiglacken durchläuft zur Bestimmung der Rieselfähigkeit eine bestimmte Pulvermenge eine definierte Öffnung eines Fluidisierungstrichters. Die Auslaufzeit wird als Kenngröße für die Rieselfähigkeit herangezogen. Die zur Füllung des Trichters notwendige Menge wird vorher gewogen und in die Schüttdichte als zusätzliche Kennzahl umgerechnet.

Die Lackiertechnologie

Fluidisierungszylinder

A

Druckminderventil

Füllhöhe h0

Lackiertechnologie

Druckminderventil

Pulverlacke mit einem spezifischen Widerstand von mehr als 1014 Ω · cm gelten für die elektrostatische Verarbeitung als gut geeignet. Bei niedrigen Widerstandswerten erhält man dünnere Schichten und der Einfluss der Luftfeuchtigkeit führt zu geringerer Stabilität der Bildkräfte. Pulverlacke mit spezifischen Widerständen von weniger als 1012 Ω · cm sind für die elektrostatische Pulverlackverarbeitung deshalb ungeeignet.

Zur Messung der Triboaufladbarkeit bedient man sich einer ähnlichen Apparatur wie für die Rieselfähigkeit. Bestimmt wird dabei die Ladung Q als Produkt aus Abbildung 4.2.134: Prüfgeräte zur Bestimmung der VerarbeitungseigenStrom I und Zeit t. Fließen schaften von Pulverlacken: Fluidisierbarkeit (A) und Rieselfähigkeit (B) Ströme von mehr als 1,5 µA, ist der Pulverlack gut tribofähig. Als weitere Kennzahl wird die übertragbare, massenbezogene Ladung Q/m herangezogen. Dabei sollte für eine gute Triboaufladbarkeit der massenbezogene Ladungsübergang in jedem Fall 0,5 µC/g übersteigen. fluidisierter Auslauftrichter

B

4.2.3 Zusammenfassung Zur Verarbeitung von Beschichtungsstoffen haben sich zahlreiche Verfahren bewährt. Je nach Größe und Art der Lackierobjekte, je nach Lackiergeschwindigkeit oder der gewünschten Qualität der Lackierung sind entweder Tauch-, Gieß-, Flut, Walz- oder Spritzverfahren die geeigneten Methoden für den Lackauftrag. Bei den Tauchverfahren hat sich für metallische Objekte aufgrund ihrer ökologischen und ökonomischen Vorteile das Elektrotauchverfahren weltweit durchsetzen können. Während die Flut- und Gießmaschinen nur in wenigen Segmenten der Lackiertechnik anzutreffen sind, findet man Spritzanlagen in allen Bereichen. Die Vorteile dieser Applikationstechnik bestehen in der Beschichtbarkeit filigraner, kompliziert geformter Objekte und dem raschen Farbwechsel. Den optisch attraktiven Lackierungen mit diversen Effekten steht jedoch der Nachteil des hohen Materialverlustes gegenüber. Spritzanlagen nutzen zur Zerstäubung des Lackmaterials pneumatische hydraulische, elektrische Kräfte oder die durch Rotation hervorgerufenen Zentrifugalkräfte. Sprühanlagen zur Lackverarbeitung im industriellen Maßstab benötigen eine breit gefächerte Peripherie zur Material-, Energie-, und Luftversorgung sowie für die entsprechenden Aggregate der Entsorgung des Oversprays und der Reinigung der Abluft. 608

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Neben den vielfältigen Applikationsverfahren für Flüssiglacke existieren auch Verfahren zur Verarbeitung von Beschichtungsstoffen in Form lösemittelfreier Feststoffpulver. Die klebfreien Partikel können beim Verfehlen des Lackiergutes problemlos zurückgewonnen und in den Prozess zurückgeführt werden. Die Pulverlacktechnologie ist bis heute nur für thermisch stabile Lackieruntergründe erfolgreich, aber aus ökologischer Sicht die attraktivste Alternative für die konventionelle Lackiertechnik mit lösemittelhaltigen flüssigen Beschichtungsstoffen. Neue Forschungsergebnisse über die rheologischen Eigenschaften von Pulverlackschmelzen und neue Erkenntnisse in der Anlagentechnik machen die Pulverlacktechnologie auch für thermisch labile Werkstoffe wie Holz und Kunststoff interessant. Diese potenziellen neuen Einsatzgebiete und lassen auf überproportionale Zuwachsraten hoffen. Gelingt es zusätzlich, die für einen guten Verlauf immer noch zu hohen Schichtdicken ohne Einbuße an optischer Attraktivität zu reduzieren, wird auch die ökonomische Gesamtbilanz gegenüber allen anderen Alternativen der konventionellen Lackiertechnik positiv.

4.3

Trocknung und Härtung

In Kapitel 3.1 wurden die physikalischen und chemischen Grundlagen der Filmbildung vorgestellt und erläutert. Im Einzelnen handelt es bei dem Filmbildeprozess um einen Stoffaustausch durch Abgabe von Lösemitteln in Verbindung mit chemischen Reaktionen im Falle vernetzender Systeme. Beide Vorgänge werden durch Zufuhr von Wärme beschleunigt bzw. initiiert. Im Falle der Aushärtung flüssiger Lacke mit organischen Lösemitteln oder Wasser ist dafür zu sorgen, dass eine möglichst quantitative Entfernung der flüchtigen Anteile erfolgt und die Polyadditions- oder Polykondensationsreaktion durch thermische Anregung beschleunigt wird. Die dazu notwendige Wärmeübertragung wird durch erwärmte Luft als Konvektionstrocknung oder durch Bestrahlung mit elektromagnetischen Wellen im IR-Bereich erreicht. Lacke, die durch Polymerisationsreaktionen härten, benötigen keine Wärmeübertragung. In solchen Fällen sind zur Anregung der chemischen Vernetzungsreaktion kurzwellige UV- oder Elektronenstrahlen geeignet. Die dafür formulierten Lacke würden bei Wärmebehandlung die meist flüchtigen polymerisierbaren Reaktionspartner emittieren und zu völlig anderen Beschichtungen führen. Entsteht die Lackierung in Anlagen, in denen thermische Energie durch IR-Strahlen, Wärmekonduktion oder Konvektionswärme für die Härtung bei gleichzeitig ablaufender physikalischer Trocknung übertragen wird, handelt es sich um Trockner. Ist Wärme oder kurzwellige Strahlung ohne begleitende Abgabe von Lösemitteln wie z.B. bei der Strahlenhärtung die alleinige Ursache für die Filmbildung, so handelt es sich um Härtungsanlagen. Im Fall der thermischen Härtung sind die Wärme- und Stoffübertragung die sensiblen Größen, im Falle der Strahlenhärtung die durch energiereiche Strahlung hervorgerufene Bildung von Startradikalen, die die Doppelbindungen in den Filmbildnern oder Reaktivverdünnern anregen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 609

Lackiertechnologie

Aufgrund der Möglichkeit zur Vorbeschichtung von als Coil aufgewickelten planen Metallblechen und der erst anschließenden Verformung zu Gebrauchsgegenständen hat das Walzverfahren einen besonderen Reiz. Das Konzentrieren oberflächentechnischer Prozesse auf wenige große Anlagen mit hohen Lackiergeschwindigkeiten bei nur geringer Umweltbelastung macht das Coil Coating immer bedeutungsvoller.

Die Lackiertechnologie

4.3.1

Filmbildung durch Wärmeübertragung

Die Wärmeübertragung auf organische Stoffe wie Lacke bewirkt, dass die Moleküle der Lackbestandteile durch Schwingungen, Streckungen oder Rotationsbewegungen Energie aufnehmen. Sie können bei ausreichendem Energieinhalt die Grenzen zwischen dem festen, dem flüssigen und dem gasförmigen Stoffzustand überschreiten. Weiterhin werden durch die Molekülanregungen chemische Reaktionen beschleunigt. 4.3.1.1 Theorie

Lackiertechnologie

Da der Stoff- und Wärmeaustausch wirtschaftlich und ökologisch erfolgen soll, sind bestimmte Ansprüche an die Konstruktion und das Betreiben von Trocknern zu stellen. Gefordert wird ein besonders effektiver Wärmeaustausch, bei dem auch die unterschiedlichen spezifischen Wärmen und Wärmeleitfähigkeiten der einzelnen Werkstoffe und die Konstruktion des Werkstückes derartig berücksichtigt werden, dass ein gleichmäßiges Aufheizen des Lackierobjektes und damit eine gleichmäßige Qualität der Beschichtung möglich ist. Eine Berechnung von Stoff- und Wärmeübergängen ist nur unter einschränkenden Voraussetzungen möglich. Aufgrund der dynamischen Prozesse des Wärme- und Stofftransports in den Öfen untersucht man entweder nur kurze Zeitintervalle ohne nennenswerte Konzentrations- und Temperaturverschiebungen oder schafft durch die permanente Beschickung eines Durchlauftrockners einen berechenbaren stationären Zustand. Auf diese Weise lassen sich Gesamtbilanzen über Stoff- und Wärmeaustausch ermitteln, ohne die sich ändernden Bedingungen am einzelnen Objekt berücksichtigen zu müssen. Zur Berechnung des Stoffaustausches von Lösemitteln wird die Geschwindigkeit der Abgabe m• bei Berücksichtigung kurzer Zeitintervalle durch die Differenz der Konzentration im Dampfraum unmittelbar auf der Lackoberfläche c0 und der turbulenten Umgebung im konvektiven Dampfraum c∞ bestimmt. Der flächenbezogene Stoffstrom m• ist definiert als:

Dieser flächenbezogene Stoffstrom m• ist proportional der Differenz c0 – c∞ = ∆c. Dabei ist c0 dann besonders hoch, wenn hohe Temperaturen die kinetische Energie der Lösemittelmoleküle derart erhöhen, dass zahlreiche Moleküle die Verturbulente Luftströmung dampfungsenthalpie überschreiten. Der Proportionalitätsfaktor c∞ • zwischen m und ∆c wird als dm 1 · Stoffübergangszahl β definiert. m= · Diffusionsgrenzschicht δ

dt

Lackfarbe Untergrund Abbildung 4.3.1: Stoffaustausch durch Diffusion

610

A

c0

Der Vergleich mit dem ersten Fick’schen Gesetz erklärt die physikalische Bedeutung der Stoffübergangszahl. Sie ist der BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Quotient des Diffusionskoeffizienten des Lösemittels D und der Dicke der laminaren Diffusionsgrenzschicht δ. Diese bei Konvektionstrocknung für den Stoffaustausch geschwindigkeitsbestimmende Größe kann durch künstliche Luftbewegung im Dampfraum auf nur wenige µm Dicke reduziert werden.

∆Q 1 · q= · dt A

· q ~ ∆T

T 1 > T2

δ

T2

Lackfarbe Untergrund

Große Stoffströme sind also durch hohe Konzentrationsdifferenzen ∆c und eine dünne laminare Grenzschicht einzustellen. Das ist praktisch der Fall, wenn hohe Anströmgeschwindigkeiten bei gleichzeitig hohen Temperaturen vorliegen. Ersteres erniedrigt die Dicke der laminaren Grenzschicht. Letzteres erhöht den Dampfdruck und damit die Konzentration der Lösemittel an der Grenzfläche. Aus den genannten Gründen werden in technischen Trocknern durch Installation von Düsen und Luftduschen Anströmgeschwindigkeiten von bis zu 15 m/s angestrebt. Temperatur und Geschwindigkeit der Luft bestimmen zwar den Trocknungsprozess, sind aber in ihrer Einstellung durch potenzielle Filmstörungen wie der Schmutzübertragung, Vermattung und Kocher begrenzt (siehe Kapitel 6.2). Im Laufe der Trocknung wird bei einer zu schnellen Filmverfestigung der Lösemittelnachschub zur Grenzfläche mehr und mehr erschwert. Für einen vollständigen Stoffaustausch sind deshalb niedrige Schichtdicken der Lackierung von Vorteil (siehe Kapitel 3.1). Das schnelle Erwärmen initiiert bzw. beschleunigt auch die Geschwindigkeit von chemischen Reaktionen. Filmbildeprozesse werden deshalb durch Zufuhr von Wärmeenergie nicht nur physikalisch begünstigt. Ein schneller Wärmeübergang im Trockner ist also ebenfalls ein anzustrebendes Ziel. Die Übertragung von Wärme in Lackfilme ist auf drei verschiedene Arten möglich. Die allgemein übliche indirekte Methode besteht im Erwärmen von Gasen, üblicherweise Luft. Die aufgeheizte Luft überträgt nur Wärmeenergie auf das kältere Lackierobjekt. Das Überträgergas kühlt sich dabei selbst ab und muss für einen dauerhaften Wärmeaustausch immer wieder aufgeheizt werden. Trockner, die künstlich bewegte Luft als Überträgergas nutzen, sind Konvektionstrockner. Wird ein Feststoff mit höherer Temperatur direkt mit einem kälteren so in Berührung gebracht, dass Wärme direkt durch Wärmeleitung in das kältere Objekt fließen kann, spricht man von Wärmeübertragung durch Konduktion. Darüber hinaus ist es möglich, durch Infrarotstrahlen als elektromagnetische Wellen Moleküle im Beschichtungsstoff bzw. im Untergrund zu Schwingungen anzuregen und ohne Berührung oder Wechselwirkung mit erwärmter Materie Wärmeenergie zu transportieren. Aufgrund der turbulenten Luftumwälzung im Falle der Konvektionstrockner befindet sich das für einen Wärmeübergang notwendige Temperaturgefälle allein in der äußerst dünnen laminaren Grenzschicht zwischen dem Objekt und dem umgebenden Gasraum. Hier wird BASF-Handbuch Lackiertechnik 611

Lackiertechnologie

Abbildung 4.3.2: Mechanismus des Wärmeaustauschs bei der Konvektionstrocknung

Die Lackiertechnologie

∆c c1 T1

∆T

c2 T2

Lack Substrat Abbildung 4.3.3: Stoff- und Wärmetransport bei der Konvektionstrocknung

die Wärme im Gegensatz zur angrenzenden turbulent bewegten Luft durch molekulares Anstoßen von Molekül zu Molekül transportiert. Die Dicke der laminaren Grenzschicht ist somit auch für den Energiefluss geschwindigkeitsbestimmend. Ziel im Hinblick auf den Wärmeaustausch muss es entsprechend dem Stoffaustausch sein, diese Schicht besonders niedrig zu halten. Der flächenbezogene zeitliche Wärmefluss q• = dQ/ dt/A ist der Temperaturdifferenz ∆T proportional:

Lackiertechnologie

wobei α = λ/δ. Die Wärmeübergangszahl α beinhaltet ihrerseits die Wärmeleitfähigkeit λ der Luft und wieder die direkt nicht experimentell bestimmbare Schichtdicke δ. Die Dicke dieser Grenzschicht kann wie erwähnt durch die Geschwindigkeit des Trägergases beeinflusst werden. Für die Konstruktion von Trocknern ist die Kenntnis des Zusammenhanges der Stoffübergangsgröße β und der Wärmeübergangszahl α wichtig. Bei der mechanistischen Betrachtung der Übergänge kann man von folgendem Modell ausgehen. Beim Auftreffen der turbulenten Luft auf die Beschichtung treten zahllose kleinste Wirbelballen mit der Lackoberfläche in Wechselwirkung, geben ihre Wärmeenergie ab und übernehmen die Lösemittel aus der Diffusionsgrenzschicht. Die Konzentration der Lösemittel in der Ofenluft entspricht der in den Volumenstrom übergehenden Lösemittelmasse:



Da auch m• = β · ∆c ist, folgt, dass β für den vorliegenden Fall identisch mit V ist. Weiterhin ist der Wärmeübergang q• = α . ∆T auch aus der Menge der umströmten Luft berechenbar, so folgt:

Stoff- und Wärmeübergänge sind somit erwartungsgemäß direkt proportional. Die auf die Oberfläche des Lackierobjekts übertragene Wärmeenergie führt zu einer Erwärmung der Oberfläche und damit zu einem Temperaturgefälle relativ zu den für einen Wärmeübergang nicht zugänglichen Stellen des Lackierobjektes. Hierdurch wird ein Wärmefluss im Lackierobjekt selbst initiiert. Dieser ist proportional zum Temperaturgradienten ∆T im Objekt.

wobei λ die Wärmeleitfähigkeit des aufzuheizenden Feststoffes ist. 612

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

hoher Wärmeübergang

niedriger Wärmeübergang langsame Luftbewegung

Anders sind die Verhältnisse schnelle bei Kunststoffen. Die erheblich Luftschlechtere Wärmeleitfähigbewegung keit führt zu einem schnellen Aufheizen der Außenbereiche. Abbildung 4.3.4: Ursachen für Temperaturunterschiede an Das Abfließen nach innen wird kompliziert geformten Teilen durch die niedrige Wärmeleitfähigkeit behindert. Die Gefahr des Überbrennens der Lackierung im Außenbereich bei gleichzeitiger Untervernetzung in den inneren Bereichen ist nicht auszuschließen. Unterschiede im Temperaturprofil kompliziert geformter Objekte treten nicht nur durch Unterschiede in dem Wärmeübergang und den Wärmeleitfähigkeiten auf. Auch bei schnellem Wärmefluss und gleichmäßiger Energieverteilung müssen Differenzen in den Objekttemperaturen auftreten, wenn unterschiedlich große Massen in den einzelnen Bereichen kompliziert geformter Teile aufzuheizen sind. Schwellerbereiche am Automobil sind mit mehr Masse ausgestattet als die dünneren Bleche am Dach. Da die im Trockner übertragene Wärmemenge durch die Luft

in beiden Fällen gleich ist, folgt für Teil A in Abbildung 4.3.5

und für Teil B A

T1

Entsprechend den unterschiedlichen Massen m A und mB ist also die Erwärmung ∆TA unterschiedlich zu ∆TB. Unabhängig von der Methodik der Wärmeübertragung ist es bei der zum Teil komplizierten Konstruktion der Lackierobjekte und dem damit verbundenen unterschiedlichen Energieaustausches trotz großer Anstrengungen noch nicht möglich, an

massiv

B

T1

hohl

mB mA

T2

T2

Abbildung 4.3.5: Aufheizung verschiedener gleichgeformter Teile A und B mit unterschiedlicher Masse

BASF-Handbuch Lackiertechnik 613

Lackiertechnologie

Ist die Wärmeleitfähigkeit wie bei allen Metallen hoch, fließt die Wärmeenergie von der Übertragungsstelle relativ schnell zu den kälteren Bereichen des Lackierobjektes. Der Wärmefluss nimmt dabei mit zunehmendem Abstand ∆x ab.

Die Lackiertechnologie

Trocknungstemperatur [°C] ∆Tm = max. Temperaturtoleranz am Lackierobjekt

180 160

üb erb ran

140 120

∆Tm

100 80

un

ter

bra

nn t

nt

Spezifikation wird erfüllt

Anspringtemperatur

60 10

20 30 40 50 Trocknungszeit [min]

allen Stellen des sich bildenden Films über den gesamten zeitlichen Ablauf identische Temperaturprofile einzustellen. Trotz dieses Tatbestandes dürfen dadurch keine oder nur geringe Unterschiede in der zu erzeugenden Qualität der Lackierung entstehen. Anders formuliert heißt das: Die zeitlichen und örtlichen Schwankungen der Prozessbedingungen dürfen eine vereinbarte Toleranz nicht überschreiten.

Ein in diesem Zusammenhang mit dem Trocknungsprozess wichtiger Begriff ist die Verarbeitungsbreite der Beschichtungsstoffe. Sie gibt Auskunft über die Verarbeitungstoleranzen, innerhalb welcher die Spezifikationsforderungen eingehalten werden können. Eine große Verarbeitungsbreite von Lackmaterialien ermöglicht trotz Schwankungen in den Trocknungsbedingungen die Erzeugung einer konstanten Qualität. Als Maß für die Verarbeitungsbreite im Trockner kann die Fläche der Spezifikationserfüllung im Temperatur-Zeit-Diagramm für die Trocknung angegeben werden.

Lackiertechnologie

Abbildung 4.3.6: Typischer Verlauf der Verarbeitungsbreite von Einbrennlacken im Trockner

Da beim Unterbrennen, d.h. bei zu geringem Vernetzungsgrad, die Härte und Kratzfestigkeit mangelhaft sind und beim Überbrennen aufgrund zu enger Maschendichte der hochvernetzten Harzmoleküle die Elastizität beeinträchtigt wird, lassen sich die Grenzkurven für die Ermittlung der zulässigen Trocknungsbedingungen durch für die minimal zu akzeptierende Härte und Elastizität experimentell ermitteln. Die Toleranzbreite zwischen über- und unterbrannten Filmen nimmt mit abnehmender Trocknungszeit ab. Eine Verkürzung der Trocknungszeit durch Temperaturerhöhung ist dann nicht mehr möglich, da die Streubreite der Temperatur am Lackierobjekt das erlaubte Temperaturintervall übersteigt. Unter- oder Übervernetzungen an ein und demselben Objekt sind dann die Folge. Die Temperaturtoleranzen für den erlaubten Bereich der Trocknungsbedingungen sind nicht nur von den Lackiersystemen, sondern auch von den unterschiedlichen Farbtönen abhängig. Die Pigmentart und vor allem die Pigmentmenge beeinflussen neben der Härte auch die Haftung und die Elastizität. Die Kenntnis der Verarbeitungsbreite erlaubt somit schon vor Einsatz eines neuen Farbtons, Prognosen für eine sichere und wirtschaftliche Verarbeitung des Lackmaterials abzugeben (siehe Kapitel 6.3). Die für eine optimale Vernetzung üblicherweise empirisch bestimmte Zeit-TemperaturKurve kann im Fall einer notwendigen Änderung der Einbrennbedingungen bei Kenntnis der Aktivierungsenergie ∆EA für andere Einbrennzeiten oder -temperaturen neu berechnet werden. Ist z.B. für eine bestimmte Einbrennzeit t1, die durch die Durchlaufzeit im Trockner vorgegeben ist, die optimale Einbrenntemperatur T1 bekannt, so kann bei einer Verkürzung der Einbrennzeit auf den Wert tx die für einen identischen Vernetzungsgrad bzw. identische Qualität der Lackierung einzustellende Einbrenntemperatur Tx berechnet werden: 614

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Objekttemperaturverlauf im Labortrockner

Die den einzelnen Zeitintervallen von drei Minuten entsprechenden Trockenzeiten t0 im Labortrockner berechnen sich nach

Objekttemperatur

Objekttemperaturverlauf im Betriebstrockner

ti = 3 min

ti

Durchlaufzeit

Abbildung 4.3.7: Umrechnungsprinzip der Objekttemperatur großtechnischer Trockner auf Labortrockner

200 °C 200 °C

Lack

Substrat

gemeinsame Fläche für Wärmeaustausch

wobei Ti die jeweilige Durchschnittstemperatur in den Abbildung 4.3.8: Wärmeübergang bei der Konduktionstrocknung einzelnen Segmenten des großtechnischen Trockners darstellt. Die Summe aller ti ergibt dann die gesamte Trocknungszeit im Labortrockner bei vorgegebener konstanter Einbrenntemperatur T0. Abhängig von der Geschwindigkeit des Wärmeübergangs und der Geschwindigkeit des Wärmeflusses im Lackierobjekt steigt mit zunehmender Verweilzeit im Trockner die Objekttemperatur an. Das also permanent abnehmende ∆T zwischen der Umluft und dem aufzuheizenden Objekt führt zu einer Verlangsamung des Wärmeübergangs. Um trotzdem in angemessener Zeit die geforderten Objekttemperaturen zu erreichen, ist es hilfreich, Umlufttemperaturen in Abhängigkeit vom Lacksystem im Anfangsbereich des Trockners höher einzustellen als die gewünschte Maximaltemperatur des Objektes. Derartige Betriebszustände sind nur zu beherrschen, solange in einer Durchlaufanlage keine Störungen auftreten. Bei Bandstillstand wären Überbrennungen der Beschichtung die Folge. Ein anderer Weg, Wärmeenergie auf die Lackierung zu übertragen, besteht im direkten Kontakt mit erwärmten Festkörpern, der Konduktion. Werden geheizte Walzen mit einer Lackierung in Berührung gebracht, sind Energieeinträge möglich, die zu einer Verfestigung des Films führen können. Wegen der nur geringen Berührungsfläche der Walzen mit einem planen Lackierobjekt sind hohe Temperaturdifferenzen für einen ausreichenden Wärmeaustausch notwendig. Für die Praxis hat es sich deshalb bewährt, die Kontakttrocknung nur bei flexiblen Lackieruntergründen einzusetzen. Papier, Pappe oder Kunststofffolien sind geeignete Untergründe für einen gleichmäßigen Wärmeübergang durch Konduktion. BASF-Handbuch Lackiertechnik 615

Lackiertechnologie

Sind die z.T. komplizierten Ofenkurven betrieblicher Trockner auf Labortrockner zu übertragen, kann die obige Formel ebenfalls verwendet werden. Zu diesem Zweck wird die Ofenkurve in mehrere Segmente gleicher Durchlaufzeit zerlegt. Dabei sind 10 Segmente à 3 min bei Gesamtdurchlaufzeiten von 30 min üblich.

Die Lackiertechnologie

0,1

0,39 UV

0,72

sichtbares Licht

2 µm

1,2

Gamma Röntgen Ultraviolette Strahlung Strahlung Strahlung

Wellenlänge

3 µm

Kurz- Mittelwellen NIR IR wellen IR

1 mm Langwellen Infrarot-Strahlung

Infrarot Strahlung

Radiowellen

1 nm

1 µm

1 mm

1m

10-9

10-6

10-3

10-0

1 km 103

Lackiertechnologie

Abbildung 4.3.9: Wellenlängenspektrum elektromagnetischer Strahlung

Die Kontakttrocknung durch Konduktion bietet bei der Verarbeitung von Wasserlacken auf Holz einen zusätzlichen Vorteil. Durch osmotische Prozesse gequollene Holzfasern richten sich nach der Beschichtung auf und würden zu Oberflächenstörungen führen, wenn sie nicht durch die Walzen wieder in die Lackierung gedrückt würden. Ein Schleifvorgang kann auf diese Weise eingespart werden. Der umständliche Weg des indirekten Wärmetransports durch Wärmeübergang gasförmiger oder fester Stoffe kann auch direkt mit elektromagnetischen Wellen in Form von IR-Strahlen geeigneter Wellenlängen erfolgen. Ist die Wellenlänge natürlicher Strahler dergestalt, dass die abgestrahlten Energiequanten in einem Beschichtungsstoff Molekülschwingungen anregen können, so ist die Übertragung von Wärmeenergie auch ohne Trägerstoffe möglich. Die zur Wärmeübertragung optimalen Wellenlängen liegen mit 0,8 bis 6,0 µm im langwelligen Bereich überwiegend außerhalb des sichtbaren Lichtes.

Das Prinzip eines Senders für IR-Strahlen besteht darin, dass Materie wie z.B. Wolfram durch entsprechend hohe Temperaturen in Schwingungen versetzt wird. Dabei werden elektrische Ladungen periodisch verschoben, so dass der Stoff elektromagnetische Wellen abstrahlt. Die Wellenlänge der Strahlung nimmt mit zunehmender Temperatur ab. Die für die Energieaufnahme von Lacken geeigneten Wellenlängenbereiche Es (λ) Es (λ) sind also durch die Temperatur des Strahlers einzustellen. c1c· 1λ·-5λ-5 E Ess(λ) (λ)== c c c c λT –λT 1 –1 2

λmax

λ

2

λ

λ

max Abbildung 4.3.10: Wellenlängenabhängige Energieverteilung einer IR-Strahlungsquelle nach dem Planck’schen Strahlungssatz

616

Zu beachten ist, dass bei festen Strahlern wegen der molekularen Wechselwirkung der Ladungsverschiebungen keine diskrete Wellenlänge abgestrahlt wird. Man erhält ein Wellenlängenspektrum mit wellenlängenabhängigen Strahlungsintensitäten. Die quantitativen Abhängigkeiten sind im Planck’schen Strahlungssatz zusammengefasst [4.4.86]. BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Alle realen Stoffe erreichen die Strahlungszahl des theoretischen schwarzen Strahlers nicht. Der Quotient aus der Strahlungszahl des realen und des theoretischen schwarzen Strahlers cgrau/cs bestimmt die Fähigkeit zur Abgabe von Infrarotstrahlen. Der als ɛ-Wert definierte Quotient liegt zwischen > 0 und < 1. Die abgestrahlte Energie wird also durch den ɛ-Wert und durch die Temperatur festgelegt.

In den vorherigen Abschnitten wurde schon erklärt, dass mit zunehmender Temperatur nicht nur das Energieangebot zunimmt. Gleichzeitig verschiebt sich das Maximum der Strahlungskurve gemäß dem Wien’schen Verschiebungssatz zu kürzeren Wellenlängen.

Für die quantitative Beschreibung von Energieübertragungen durch Infrarotstrahlen sind über die Eigenschaften des Strahlers mit der Temperatur T1 hinaus auch die des Stoff

ε

Ideales Schwarz

1

Cu, poliert

0,03

Oberflächentemperatur [°C]

[K]

200

473

λmax

Es [kW/m ]

[nm]

2,84

6125

2

0,05

400

673

11,63

4305

Cu, oxidiert

0,6 – 0,9

600

873

32,90

3318

Gusseisen

0,65

800

1073

75,10

2700

Stahl, oxidiert

0,8

1000

1273

148,80

2276

Ziegel

0,9

1200

1473

266,80

1967

Porzellan

0,9

1500

1773

560,00

1634

Weißer Lack

0,9

2000

2273

1513,00

1275

Wasserdampf

0,8

2200

2475

2120,00

1171

Flammen

0,5

2500

2773

3350,00

1045

CO2-Gas

0,1

Al, poliert

a Abbildung 4.3.11a: ε-Werte verschiedener Stoffe

b Abbildung 4.3.11b: Strahlungsleistung in Abhängigkeit von der Strahlertemperatur

BASF-Handbuch Lackiertechnik 617

Lackiertechnologie

Die über die Wellenlänge integrierte flächenbezogene Gesamtstrahlungsleistung ist durch den Stefan-Boltzmann’schen Satz zu berechnen. Stefan und Boltzmann sagten theoretisch voraus und bestätigten experimentell die starke Abhängigkeit der Strahlerleistung von seiner Temperatur. Die flächenbezogene Strahlungsleistung Es ist proportional der vierten Potenz der absoluten Temperatur T. Der Proportionalitätsfaktor cs für den theoretischen ideal schwarzen Körper wurde mit 5,77 W/m2/K4 errechnet.

UV

Bestrahlungsstärke (relative Einheiten)

250

200

Mediums und die des Empfängers zu kennen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Empfänger entsprechend seiner Temperatur T2 selbst Strahlung abgibt. In die Berechnung der effektiv zu übertragenden Wärmeenergie q• gehen die Strahler- und Empfängerfläche A, die Strahlungszahlen c1 und c2 sowie die Differenz zwischen Hin- und Rückfluss der Strahlungsenergie Eeff ein. Wenn q• = Eeff · A, ist somit

IR-A IR-B IR-C kurzwellig mittelwellig langwellig Halogen 2600 °C Kurzwelle 2200 °C schnelle Mittelwelle 1600 °C

150

Carbon 1200 °C Mittelwelle 900 °C

100

50

Für das Verständnis der Strahlungstrocknung sind die Wechselwirkungen Wellenlänge [µm] der Strahlung mit dem Empfänger zu beachten. Die auf das Lackierobjekt aufAbbildung 4.3.12: Einfluss der Strahlertemperatur auf die treffende Strahlung Eges wird mit einem Strahlungsenergie von IR-Strahlern entsprechend dem Anteil ER reflektiert, während der Rest in Stefan-Boltzmann-Satz die Lackierung eindringt. Beim Durchgang durch die Lackierung wird ein weiterer Teil EA in der Beschichtung absorbiert und in Wärme umgewandelt. Der Rest ED wird zum Untergrund durchgelassen, um dort entweder absorbiert zu werden oder das Lackierobjekt ungenutzt zu verlassen. 0

Lackiertechnologie

sichtbares Licht

Die Lackiertechnologie

0

1

2

3

4

5

Die Größen der einzelnen Anteile hängen stark von der Wellenlänge der Strahlung ab. Das Verhältnis der absorbierten zu den nicht verwertbaren Anteilen wird zusätzlich durch die Schichtdicke festgelegt. Für eine effektive Nutzung von Infrarotenergie zur Trocknung und Härtung von Beschichtungsstoffen sind auch die spezifischen Eigenschaften von Lacken bezüglich ihres Absorptions- und Reflexionsverhaltens zu kennen. Absorptions- und Reflexionsspektren im praxisrelevanten Wellenlängenbereich liegen zwischen 0,8 und 6 µm. Strahler mit einem Wellenlängenmaximum von mehr als 6 µm emittieren bei einer Strahlertemperatur von ungefähr 200 °C viel zu wenig Energie, um Infrarotstrahlen für eine schnelle Trocknung sinnvoll einsetzen zu können. Erst ab Wellenlängen von 5,5 bis 4 µm bei etwa 400 °C beginnen Strahler mit Leistungen von bis zu 20 kW/m2 technisch brauchbar zu werden. Man bezeichnet diese als Dunkelstrahler, da sie unterhalb 700 °C keine sichtbaren Strahlungsanteile emittieren. Fast alle Beschichtungsstoffe absorbieren aber im Bereich von 4 bis 5,5 µm praktisch nicht. Bei strahlungsundurchlässigen metallischen Untergründen geht dieser in der Lackierung nicht genutzte Energieanteil für die Umsetzung in Wärme nicht verloren. Er setzt sich entsprechend den Eigenschaften des Substrats in Wärme um, wärmt also das Substrat auf. Damit ergibt sich die Möglichkeit, die Lackierung von der Unterseite aufzuheizen, in vielen Fällen ein Vorteil gegenüber der Konvektionstrocknung, bei der die Wärme von oben her übertragen wird. 618

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

100

A

B 0 100

Lackiertechnologie

Durchlässigkeit [%]

0 100

C 0 100

D 0 2,5

3

4

5

6

7

8

10

12

14

Wellenlänge [µm] A = Weiß Alkyd / Melamin B = Rot Alkyd / Melamin

C = Klarlack Alkyd / Melamin D = Weiß Epoxidharz

Abbildung 4.3.13: Absorptionsspektren von Beschichtungsstoffen im IR-Bereich elektromagnetischer Wellen

Die Gefahr von Filmfehlern in Form von Kochblasen wird dadurch geringer. Deshalb haben sich Dunkelstrahler trotz des geringen Energieangebotes beim Trocknen dicker Lackschichten bewähren können. Hebt man die Strahlertemperatur auf Werte von 600 bis 1000 °C an, errechnen sich nach dem Wien’schen Verschiebungssatz Wellenlängenmaxima von 3,5 bis 2,5 µm. Der Vorteil des erheblich höheren Energieangebots wird ergänzt durch die starken stoffspeStrahlenart

Oberflächentemperatur [°C]

Wellenlänge max. Energie λmax [nm]

technisch erreichbare spezifische Leistung [kW/m2]

kurzwellig

2000 bis 2300

1300 bis 1100

20 bis 100

mittelwellig

800 bis 1000

2700 bis 2300

8 bis 50

langwellig

300 bis 500

5000 bis 3800

bis 20

Abbildung 4.3.14: Einteilung technischer Strahler BASF-Handbuch Lackiertechnik 619

Die Lackiertechnologie

100 90 Bestrahlungsstärke [%] Reflexionsgrad [%]

80 70

IR-C

langwellig

IR-B

mittelwellig

IR-A

kurzwellig

weiße Platte

60 50 40 30 20

schwarze Platte

10 0

0

500

1000

1500

2000

2500

3000

3500

4000

4500

Lackiertechnologie

Wellenlänge [nm] Abbildung 4.3.15: Reflexionsgrade von weißen und schwarzen Lackierungen im Bereich kurz-, mittel- und langwelliger IR-Strahlung

zifischen Absorptionen der CH-, OH- oder NH-Gruppen im Filmbildner. Strahler dieses Mittelwellenbereiches besitzen wegen ihrer höheren Temperatur nun auch Emissionsanteile im sichtbaren Bereich. Es handelt sich also um Hellstrahler. Die flächenbezogenen Leistungen erreichen bis zu 50 kW/m2. Temperaturen der Strahler von 2000 bis 2500 °C führen in den kurzwelligen IR-Bereich mit Wellenlängen von 1,6 bis 1,2 µm. Das mit mehr als 100 kW/m2 erheblich höhere Angebot an Strahlungsenergie führt zu veränderten Absorptions- und Reflexionsverhalten der Beschichtungsstoffe. Abhängig von der Art und der Menge der Farbpigmente und Effektstoffe zeigen Lackierungen im kurzwelligen Bereich besonders starke Unterschiede im Reflexionsverhalten. Während mit TiO2 pigmentierte weiße Lacke im Extremfall auf Reflexionswerte von über 80 % ansteigen, verbleiben schwarze, mit Ruß pigmentierte Lacke unabhängig von der Wellenlänge bei nahezu quantitativer Absorption. Kurzwellenstrahler mit hohem Energieangebot sind wegen der zunehmenden Reflexion bei hellen Pigmenten nicht in der Lage, die angebotene Energie effektiv in Wärme zu transformieren. Zu beachten ist darüber hinaus eine farbtonspezifische Absorption und damit auch ein farbtonabhängiges Aufheizen der Lackierung. Metalliclackierungen werden aufgrund der starken Reflexion der Aluminiumflakes langsamer aufgeheizt als Unilacke. Zwischen den einzelnen Farbtönen und den unterschiedlichen Helligkeiten sind die sich einstellenden Objekttemperaturen bei gleichem Energieangebot entsprechend unterschiedlich. Folglich sind für eine gleichmäßige Vernetzung von Lackierungen abhängig vom Farbton unterschiedliche Energieintensitäten anzubieten. Eine Steuerung der Energieübertragung durch berührungslose Temperaturmessung ist notwendig, um die gesamte Farbton- und Effektpalette mit gleichen Gebrauchseigenschaften auszustatten. Mit einer solchen Regelungstechnik sind trotz der sensiblen Farbtonabhängigkeit und der zunehmenden Gefahr des Übervernetzens Verfahren realisiert worden, mit noch höheren Strahlertemperaturen in noch kürzerwellige Bereiche vorzudringen. 620

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Temperatur [°C] 300

schwarz lackierte Stahlplatte

250 200 150 100

weiß lackierte Stahlplatte

50 0 0

15

30

45

60

75

90

105

120 Zeit [s]

Mit Wellenlängen von 0,8 bis 1,2 µm ist die Strahlung im sogenannten nahen InfrarotBereich (NIR) extrem kurzwellig und damit äußerst energiereich. Besondere Vorteile des NIR ergeben sich durch die hohe Eindringtiefe der elektromagnetischen Wellen bis zum Untergrund. Dort reflektierende Anteile können den Film sogar wieder verlassen, um von den Reflektoren der Strahler wieder in die Lackierung zurückzukehren. Dadurch ergibt sich ein quasi durch Multireflexion homogen über die gesamte Schicht verteilter Energieeintrag. Durch die gleichmäßige Energieverteilung und die letztlich vollständige Absorption wird eine Härtung in Sekundenschnelle möglich [4.4.87]. Selbst Pulverlacke werden mit NIR in wenigen Sekunden aufgeschmolzen und gehärtet. Die kurzen Zeiten für die Energieübertragung erlauben bei entsprechend schlechter Wärmeleitfähigkeit des Substrates auch die Beschichtung und Aushärtung thermisch labiler Substrate wie Holz oder Kunststoff mit Pulverlacken [4.4.88].

Anders ist die Situation bei der Verarbeitung bzw. Trocknung von Wasserlacken. Mittelwelliges IR wird von Wasser stark absorbiert und wäre somit für die Erwärmung wässriger Beschichtungen durch das verdun-

Absorption

Für eine vollständige Beschreibung des Energieübergangs vom Strahler zum Empfänger darf das Medium nicht vergessen werden. Absorptionen der Strahlung durch das Gas der Umgebung würden dieses aufheizen und so den Energietransfer beeinträchtigen. Kohlenmonoxid und Kohlendioxid sowie Wasserdampf sind im Wellenlängenbereich von 2 bis 5 µm und 12 bis 16 µm starke IR-Absorber. Wegen der Kurzwelle niedrigen CO2-Konzentration in der Mittelwelle Atmosphäre fällt dieser Nachteil nur Wasser 100% wenig ins Gewicht. Trockene Luft ist wenig absorptionsfreudig und damit ein günstiges Medium. 50%

0

0

1

2

3

4

5

Wellenlänge [µm] Abbildung 4.3.17: Absorptionsspektrum von Wasserdampf

BASF-Handbuch Lackiertechnik 621

Lackiertechnologie

Abbildung 4.3.16: Aufheizkurven einer weißen und schwarzen Beschichtung bei gleicher Strahlungsenergie von 10 kW/m2

Die Lackiertechnologie

Ablenkspiegel

Lackiertechnologie

IRASER

Einblendspiegel für IRASER-Strahl IR-Teleskop

stende Wasser verloren. Nur kurzwellige Strahlungsanteile und NIR durchdringen den Wasserdampf und erwärmen so die Beschichtung.

Natürliche Strahler mit Wellenlängen über 6  µm haben, wie beschrieben, ein zu geringes Energieangebot und werden desLackfläche halb nicht eingesetzt. Aufgrund IR-Temperaturmessgerät der sehr starken und gleichzeiAbbildung 4.3.18: Strahlungshärtung mit Laserstrahlen tig farbton- und stoffunspezifischen Absorptionen wären langwellige Strahler in Falle eines höheren Energieangebotes interessant. Das lässt sich mit Laserstrahlern erreichen. Der CO2-Laser hat sich für lacktechnische Zwecke als anwendbar herausgestellt. Seine Emission liegt mit 10,6 µm im extrem langwelligen Strahlungsbereich, wo alle Beschichtungsstoffe eine hohe Energieausnutzung gewährleisten. Wegen der hohen Energiedichten der IR-Laser (IRASER) muss die Strahlung mit einem schwingenden Spiegel gescannt werden. Eine berührungslose Messung der Objekttemperatur ist zur schnellen Steuerung der Intensität des Laserstrahls notwendig (siehe Kapitel 3.2.1). Eine Lackerwärmung durch die noch längerwelligen Mikrowellen ist bereits in den 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgreich erprobt worden. Speziell für den Druckfarbenbereich wurden zuerst in England und Dänemark, später in Deutschland Anlagen installiert. Die übliche Frequenz für die Strahlung liegt bei 2,5 und 5,8 GHz. Die für die Aufheizung von Lackschichten zu absorbierende Strahlung steht im funktionellen Zusammenhang mit der Dielektrizitätskonstanten bzw. dem dielektrischen Verlustfaktor. Auch die Substrate beeinflussen das Ergebnis. Als besonders geeignet für die Mikrowellen-Trocknung erwiesen sich Holzuntergründe und wasserhaltige Dispersionen [4.4.89, 4.4.90]. Sonstige Methoden der Wärmeübertragung Für spezielle Anwendungen sind auch andere elektrische Phänomene zur Wärmegewinnung zu nutzen. So kann im Bereich der Drahtlackierung elektrischer Strom beim Durchfließen der frisch lackierten Drähte ausreichend Wärme zur Aushärtung entwickeln. Das Phänomen der Induktion von Wirbelströmen in metallischen Werkstoffen kann ebenfalls für deren Aufheizung und thermische Vernetzung von Lacken genutzt werden.

Abbildung 4.3.19: Induktionsheizung

622

Sind massive Teile zu beschichten und ausschließlich thermisch zu härten, bietet die Wirbelstromerwärmung bei entsprechend hoher Frequenz der Primärspannung die Möglichkeit, lediglich die Oberfläche aufzuheizen. Eine Aushärtung von Klebern mit magnetischen PigBASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

4.3.1.2 Aufbau von Trocknern

Abluft

Umluft

Rauchgas

Trockner

Frischluft

Zur technischen Übertragung der Brenner für eine beschleunigte Filmbildung notwendigen Wärmeener- Abbildung 4.3.20: Prinzipschaltung eines indirekt beheizten gie müssen die Lackierobjekte ein Trockners gegen Wärmeabfluss isoliertes Gehäuse durchlaufen. Je nach Form, Größe und Stückzahl der Werkstücke werden diese entweder im Takt- oder Durchlaufverfahren transportiert. Im ersten Fall wird das lackierte Objekt mittels Transporteinrichtung in den mit Türen versehenen Trockner geführt, um dort nach Verschließen über einen angepassten Zeitraum auf die für die Vernetzung des Lackes notwendige Objekttemperatur aufgeheizt zu werden. Bei Durchlauftrocknern sind die mit einer Fördereinrichtung ausgestatteten Kanäle am Ein- und Ausgang geöffnet. Dadurch können die zu lackierenden Güter die Trocknerstrecke kontinuierlich durchlaufen. Zur Wärmeerzeugung und -übertragung in Konvektionstrocknern dienen mit Gas oder Erdöl betriebene Brenner. Die im Rauchgas enthaltene Wärmeenergie wird über Wärmeaustauscher an die Ofenluft weitergegeben. Bei Verwendung reinen Erdgases ist es auch möglich, auf den Wärmeaustauscher zu verzichten und die Heizgase direkt zu verwenden. Dem Vorteil des geringeren Energieverlustes stehen allerdings Risiken der Verschmutzung der noch frischen Lackoberfläche durch Ruß oder SO2 gegenüber. In seltenen Fällen erfolgt die Erwärmung der Umluft auch durch überhitzten Dampf oder elektrische Heizaggregate. Die zur schnellen Wärmeübertragung auf das Lackiergut notwendige Luftumwälzung bewerkstelligen Ventilatoren in Verbindung mit Anströmöffnungen, so dass Luftgeschwindigkeiten von 2 bis 5 m/s erreicht werden. In Einzelfällen kann zum Zwecke eines schnelleren Wärmeübergangs die Anströmgeschwindigkeit in Düsentrocknern erheblich höher liegen. Die Strecke, die der Wärmeüberträger Luft im Trockner zurücklegen muss, ist je nach Konstruktion des Trockners unterschiedlich lang. In Abhängigkeit vom Objekt und dem Lacksystem und damit von der Menge der entweichenden Lösemittel und Spaltprodukte können die Laufstrecken im Ofen durch Querbelüftung oder Längsbelüftung beeinflusst werden. Aufgrund der durch die Wärmeübertragung an das Lackiergut sinkenden Umlufttemperatur sollte bei ungleicher Massenverteilung die Umluft zuerst die massiven und deshalb schwerer zu erwärmenden Teile anströmen. Aus Sicherheitsgründen ist die Trocknerluft in Abhängigkeit vom Lösemittelanteil sowie der Menge und Art der Spaltprodukte mit Frischluft zu verdünnen. Reiner Umluftbetrieb würde die Konzentration brennbarer Bestandteile kontinuierlich erhöhen BASF-Handbuch Lackiertechnik 623

Lackiertechnologie

menten wie z.B. γ-Eisenoxid ist in diesem Zusammenhang auch eine erwähnenswerte Methode. Die Wärmeenergie entsteht durch Ummagnetisierungseffekte beim Anlegen elektromagnetischer Wechselfelder.

Die Lackiertechnologie

Heizung

Reine Querbelüftung Heizung Trocknerkammer

Düsen -Belüftung

Lackiertechnologie

Heizung

Brenner

Längs-Belüftung

Anströmen von Massenteilen

Abbildung 4.3.21: Prinzipien der Luftführung in Trocknern

und dadurch eventuell die untere Explosionsgrenze überschreiten. Außerdem steigt die Gefahr der Kondensatbildung. Aus Gründen der Explosionsgefahr hat der Gesetzgeber durch die Verordnungen BGV D25 und BGV D24 der Berufsgenossenschaften einheitliche Regelungen für die Umluftkonzentration in Trocknern geschaffen. In der BGV D25 sind 0,8 Vol.% für brennbare organische Anteile der Ofenluft als oberer Grenzwert vorgeschrieben. Bei Kenntnis der während der Filmbildung entweichenden flüchtigen organischen Bestandteile sind die notwendigen Frischluftmengen berechenbar. Die Zufuhr von Frischluft führt zwangsläufig zur gleichen Menge lösemittelbeladener, noch heißer Abluft. Daraus ergeben sich Sekundärmaßnahmen der Wärmerückgewin-

Abbildung 4.3.22: Schema eines A-Trockners mit und ohne Luftschleuse

624

Quelle: Dürr

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Zone 1

Umluft

Zone 2

Umluft

Zone 3

Umluft

300 °C 200 °C

Frischluft 20 °C Reinluft 200 °C (Abluft)

nung und Reduzierung der gasförmigen Emissionen aus der Abluft. Grenzwerte hierfür schreibt die TA-Luft bzw. die VOC-Richtlinie vor (siehe Kapitel 5.2). Zur Reduzierung der Prozessenergie werden die Ein- und Ausgänge von Durchlauftrocknern abgesenkt oder durch Querströmungen Luftschleusen gebildet. Aufgrund der sich beim Trocknerdurchlauf permanent ändernden Filmzustände bezüglich Objekttemperatur, Vernetzungsgrad und der Abgabe von Lösemitteln und Spaltprodukten ist es nicht sinnvoll, den gesamten Trockner mit einem einzigen Aufheiz- und Luftführungssystem auszustatten. Üblich ist es, Trockner in 3 bis 5 Einzelaggregate zu teilen und diese separat mit Energie zu versorgen. Ebenso muss in den einzelnen Abschnitten eine getrennte Steuerung des Umluft-Frischluft-Verhältnisses einzustellen sein. In der ersten Zone, der Aufheizzone, sind die Objekttemperaturen noch niedrig und der Lösemittelgehalt entsprechend hoch. In der sich anschließenden Haltezone erfährt die Beschichtung starke Veränderungen bezüglich des Verlaufens und der Verfestigung durch Trocknung

Abbildung 4.3.24: IR-Trockenanlagen

Quelle: ITW

BASF-Handbuch Lackiertechnik 625

Lackiertechnologie

Abbildung 4.3.23: Schema eines Mehrzonen-Trockner

Die Lackiertechnologie

aufgenommene elektrische Leistung 0%

50 %

70 %

100 % -2 % Wärmeleitung -6 % Licht

92 % Strahlungsleistung beim IR-Strahler

80 %

Lackiertechnologie

Verfügbare IR-Strahlungsleistung an der Objektoberfläche (Bestrahlungsstärke in W/m2)

Reflektorverluste Absorption in Luft bzw. Quarz oder Glaskeramik Streuverluste am Objekt vorbei, je nach Qualität des Reflektors Reflexions- und Transmissionsverluste durch die Objektoberfläche

max. 70 % IR-Strahlungsleistung, die tatsächlich ihrem zu erwärmenden Objekt nützt und in Temperaturerhöhung (über die Zeit) umgesetzt wird

Licht zur Beleuchtung des Objektes

Abbildung 4.3.25: Wirkungsgrad eines kurzwelligen IR-Strahlers

und Härtung. Der Hauptanteil an Spaltprodukten verlässt den Film in diesem Bereich. In den sich anschließenden Haltezonen ist die Lösemittelabgabe abgeschlossen. Spaltprodukte treten kaum noch in den Dampfraum. Trotz nur noch geringen Anstiegs des Vernetzungsgrades sind die qualitativen Veränderungen der Lackierung in diesen Bereichen aber noch erheblich. Die Filmeigenschaften erreichen erst im letzten Teil des Trockners ihre Zielwerte. Für eine wirtschaftliche Fahrweise von Trocknern sind unter Beachtung der aus Sicherheitsgründen vorgeschriebenen Grenzkonzentrationen möglichst hohe Umluftanteile einzustellen. Dadurch liegen die Konzentrationen der organischen Emissionen in der Ofenluft bei mehreren g/m3 und damit weit oberhalb der in der TA-Luft und der VOCRichtlinie festgelegten Grenzwerte. Die Ofenabluft muss deshalb durch Nachreinigungsanlagen entsprechend den zulässigen Grenzwerten aufbereitet werden. Hierzu stehen verschiedene Techniken zur Verfügung, von denen die thermische Nachverbrennung (TNV) und die Stoffrückgewinnung durch Adsorption an Aktivkohle die verbreitetsten sind (siehe Kapitel 5.3). Da die durch die Nachverbrennung erzeugte Wärmeenergie sinnvoll zur Beheizung von Trockenöfen mitverwendet werden kann, sind TNV-Anlagen häufig ein integrierter Bestandteil von Trocknungsanlagen. Zur Beschleunigung des Aufheizens von Lackierobjekten werden in der ersten Ofenzone in Ergänzung zur geheizten Umluft häufig Infrarotstrahler eingesetzt. Je nach 626

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Aufgabenstellung werden Dunkel- und Hellstrahler eingesetzt (siehe vorher). Dunkelstrahler bestehen aus Metall- oder Keramiktaschen, durch die geheizte Luft geführt wird. Die Wände der Strahlertaschen werden dabei auf ungefähr 300 °C erhitzt. Aufgrund der großen Massen der Strahlertaschen weisen diese Dunkelstrahler ein sehr träges Regelverhalten auf. Sie dienen zur Unterstützung des Aufheizens von Masseteilen.

Zur effektiven Nutzung der vom Strahler abgegebenen Strahlungsenergie sind Reflektoren zu verwenden. Je nach Formgebung werden die IR-Strahlen unterschiedlich gebündelt und damit intensiviert. Als Reflektormaterial sind Stoffe mit kleinen ɛ-Werten (siehe vorher) zu verwenden. Je nach Wellenlänge der Strahlung sind Gold- oder Aluminiumreflektoren mit ɛ-Werten von 0,02 bis 0,04 bewährte Materialien. Berücksichtigt man nicht verwertbare sichtbare Anteile, Reflektorverluste, Absorption am Quarzmantel, Streuverluste sowie Reflexions- und Transmissionsverluste, so sind bei kurzwelligen IR-Strahlern immer noch ungefähr 70 % der installierten Leistung für die Erwärmung des Objekts verfügbar. Energiebilanz eines Konvektionstrockners Will man Grundlagen für Energiesparmaßnahmen ermitteln, reicht es nicht aus, nur Gesamtbilanzen zu erstellen. Es ist wichtiger zu wissen, wofür die Energie im Einzelnen aufzubringen ist bzw. an welcher Stelle sie im Prozess verloren geht. •

Die in den Trockner eingebrachte Gesamtenergie Q errechnet sich aus der Umluftmenge • VUml und der Differenz der Temperatur zwischen Ofeneingang und -ausgang.

Leider steht dieser Betrag nicht allein zum Aufheizen des Lackes zur Verfügung. Die • Summe der einzelnen pro Zeiteinheit aufzubringenden Energieanteile QGes entspricht den folgenden Einzelpositionen:





Q wird in kJ/h angegeben. Für die Berechnung der Abluftenergie QAbl gilt: •

Dabei ist die Berechnungsgrundlage für VAbl der in der BGV D25 festgeschriebene Grenzwert für die Konzentration der organischen Anteile von max. 0,8 Vol.%.

Bei Kenntnis des im Trockner abgegebenen Lösemittelvolumens wird der Anteil der Abluftenergie berechenbar. In der Praxis wird die so berechnete Abluftmenge zur Verhinderung von Kondensatbildung je nach Lacksystem um den Faktor 3 bis 6 vergrößert. • Der Energiebedarf QW zum Aufheizen der Werkstücke berechnet sich aus BASF-Handbuch Lackiertechnik 627

Lackiertechnologie

Kurzwellige Hellstrahler bestehen aus in Quarzglas eingeschmolzenen Chrom-Nickeloder Wolfram-Wendeln. Sie erreichen bei Anlegen einer ausreichend hohen elektrischen Spannung Temperaturen bis zu 3000 K.

Die Lackiertechnologie



Der Energiebedarf Q Tr zum Aufheizen der Transporteinrichtung berechnet sich entsprechend

Lackiertechnologie

wobei in den meisten Fällen cTr = cW und TTr = TW ist. Weiterhin sind die durch die Ofenkonstruktion bedingten Energieverluste zu ermitteln. Die aus den Öffnungen austretenden Luftmengen lassen sich nur abschätzen.

Bei Öfen mit hochgezogenen Ein- und Auslauföffnung (A-Trockner) sind die Luftver• luste vernachlässigbar klein. Bei Kenntnis der Öffnungsverluste VÖ errechnet sich der • Wärmeverlust Q Ö zu Daneben entstehen Energieverluste aufgrund des Wärmeaustausches über die Ofenwände mit der Umgebung.

Die Wärmedurchgangszahl K hängt neben anderen Größen von der Isolierung des Ofens ab. Für Berechnungen kann ein Wert von 0,5 kJ/m2hK verwendet werden. •

103 KJ/Std. 1000

konv. Lack

Qw 2K-HS-Lack QTr 500

QO QÖ

QAbl

Abbildung 4.3.26: Energieverbrauch im Trockner

628

Der Energiebedarf Q Lack zum Aufheizen der Lackschicht und zum Verdampfen der Restlösemittel ist im Vergleich mit den anderen Anteilen vernachlässigbar klein. Obwohl die Verdampfungswärme von Wasser mit ca. 2000 kJ/kg die von organischen Lösemitteln mit 300 bis 500 kJ/kg erheblich übersteigt, bleibt dieser Anteil am Gesamtverbrauch mit nur bei 1 bis 2 % marginal. Bezieht man die einzelnen Positionen auf konkrete Fälle, so zeigt sich für die Lackierung von Industriegütern wie AutoBASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

mobilen oder Kühlschränken, dass die größten Energiemengen durch Abluftverluste und das Aufheizen der Lackierobjekte aufgebracht werden müssen. Eine so aufgestellte Bilanz informiert also über die Verhältnisse eingebrachter zu verlorenen Wärmeenergien und gibt Hinweise über Einsparungspotenziale. Da die Abluftmenge durch die im Trockner entweichenden Lösemittel und Spaltprodukte festgelegt wird, sind Energieeinsparungen durch festkörperreiche und polyaddierende Lacke, die keine Spaltprodukte bilden, ohne Absenken der Einbrenntemperaturen durch geringere Frischluftmengen möglich. Die Praxis zeigt, dass durch Anhebung des Festkörpers von 50 % auf 70 % und Ersatz eines herkömmlichen Einbrennlacks durch ein 2K-Polyurethansystem die Abluftenergieverluste bei gleicher Einbrenntemperatur von 130 °C auf ungefähr 50 % des Ausgangswertes abgesenkt werden können.

Härtung durch UV- und Elektronenstrahlen

Die Möglichkeit, chemische Vernetzungsreaktionen ohne Lack- und Substraterwärmung energiesparend und schnell bei nur geringer Emission zu initiieren, war Motivation für die Übertragung fotochemischer Reaktionen auf die spezifischen Belange der Lackiertechnik in 1950er und 1960er Jahren. Es war bekannt, dass die energiereichen kurzwelligen Anteile der Sonnenstrahlung chemische Reaktionen ohne Erwärmung durch fotochemische Radikalbildung auslösen. Dieser Reaktionstyp fand schnell eine technische Anwendung in der Polymerchemie. Bis dahin nur thermisch oder durch katalytische Spaltung von Peroxiden zu härtende ungesättigte Polyester waren durch den Einfluss von Strahlung nun ohne Erwärmen und begrenzende Topfzeit in Sekundenschnelle auszuhärten. Speziell für die planaren und thermisch labilen Holzelemente in der Möbelindustrie bewährte sich die „kalte“ UVHärtung. Zunächst nur für die Vernetzung von Klarlacken, später auch für dünne nicht deckende pigmentierte Beschichtungen eroberten die strahlenhärtenden Lacke darüber hinaus den Druckfarbenbereich und die Leiterplattenindustrie. Speziell für die UVHärtung entwickelte acrylsäuremodifizierte Harze haben die klassischen ungesättigten Polyesterharze (UP) trotz eines höheren Preises wegen der höheren Reaktivität zu einem großen Teil ersetzt (siehe Kapitel 2.1.1). Für eine erfolgreiche technische Anwendung sind für den Start der Polymerisation mit UV-Licht Photoinitiatoren zwingend erforderlich. Durch den Einfluss von UV-Strahlen im Wellenlängenbereich zwischen 350 bis 370 nm spalten diese homolytisch in Radikale. Mit dem Ersatz der UV-Strahlen durch beschleunigte Elektronen (Elektronenstrahlen) eröffneten sich neue Wege zu einer noch schnelleren, ebenfalls kalten Härtung von Beschichtungsstoffen ohne die Inhibierung durch UV-absorbierende Lackbestandteile. Trotz der qualitativen, ökologischen und energetischen Vorteile findet man großtechnische Anlagen für die Elektronenstrahlhärtung (ESH) relativ selten. Hohe Investitionskosten, die Bildung von Röntgenstrahlung und qualitative Probleme bei der Beschichtung von Metallen haben die Verbreitung Elektronenstrahlhärtung bisher verzögert. Die wenigen technischen Anlagen arbeiten allerdings mit Erfolg für die Beschichtung von Holz als Türen, Holzzementplatten, Parkettfußböden oder zur Aushärtung von Druckfarben. Gründe für den schleppenden Erfolg der ESH-Technik liegen in der Weiterentwicklung der technisch einfacheren UV-Technologie. Hier gelang es durch neue PhotoinitiaBASF-Handbuch Lackiertechnik 629

Lackiertechnologie

4.3.2

Die Lackiertechnologie

toren, die Wellenlänge der molekülspaltenden Strahlung in den kurzwelligen sichtbaren Bereich zu verlagern. Durch angepasste Strahler ist es dann möglich, die Emissionsmaxima dem Absorptionsverhalten der neuen Photoinitiatoren anzupassen, so dass heute mit Titandioxid pigmentierte optisch deckende Lacke mit elektromagnetischer Strahlung gehärtet werden können. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass neben der radikalischen auch kationische Polymerisationen durch UV-Strahlen ausgelöst werden können. Durch UV-Strahlen freigesetzte starke Lewis-Säuren starten ringöffnende Polymerisationen, wie sie beispielsweise von der Härtung der Epoxidharze mit Borfluorid her bekannt sind (siehe Kapitel 2.1.1). Vorteile der UV-initiierten kationischen Polymerisationen bestehen gegenüber der radikalischen in der kompletten Durchhärtung bei nur kurzer Einwirkung von UV-Strahlen und durch die Bildung von OH-Gruppen bessere Haftung auf metallischen Substraten.

Lackiertechnologie

Chemische Grundlage der UV-Härtung Die für die radikalische Wachstumsreaktion notwendigen Doppelbindungen befinden sich sowohl in den Harzen wie in den reaktiven Lösemitteln, den Reaktivverdünnern. Letztere haben die Aufgabe, den Lack zu verflüssigen und damit verarbeitbar zu machen. Sie verlassen im Gegensatz zu den klassischen Lösemitteln den sich verfestigenden Film nicht, sondern verknüpfen sich durch Copolymerisation mit den Filmbildnern (Kapitel 2.1.4). Für den Start einer Polymerisationsreaktion müssen UV-Strahlen auf den zu härtenden Beschichtungsstoff einwirken. Eine Direktanregung der Doppelbindung des Kohlenstoffs in den Ketten der Filmbildner ist durch kurzwellige UV-Strahlen mit Wellenlängen von 280 nm zwar prinzipiell möglich, aber für technische Anwendungen wegen der konstruktiv aufwendigen Strahlungsquellen nicht üblich. Einfachere Wege eröffnen sich mit den langwelligen und technisch weniger komplizierten Quecksilberdampflampen. Sie sind dann einsetzbar, wenn entsprechende Additive helfen, bei den relativ langwelligen Strahlungsanteilen von 365 nm Radikale zu bilden. Diese sogenannten Photoinitiatoren oder Sensibilisatoren sind Stoffe, die UV-Strahlen in diesem Wellenlängenbereich absorbieren, um dadurch Kohlenstoffbindungen so zu öffnen, dass jeweils zwei Radikale entstehen. (siehe Kapitel 2.1.4).

Abbildung 4.3.27: Klassifizierung von Photoinitiatoren

630

Bei der Verwendung von Lichtschutzmitteln und in Gegenwart von Pigmenten wird die Energieaufnahme der Photoinitiatoren dann beeinträchtigt, wenn diese in ihrem Absorptionsverhalten nicht aufeinander abgestimmt sind [4.4.91]. Es ist deshalb wichtig, UV-Absorber und Pigmente zu verwenden, die im Absorptionsbereich des Photoinitiators nicht absorbieren. Zinksulfid ist wegen seines günstigen Absorptionsverhaltens ein geeignetes Weißpigment für strahlenBASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

Absorption (Photoinitiatoren) Transmission (TiO2) [%] 100

TiO2-Rutil d

50

a b

Lackiertechnologie

c 0 300

400

500 Wellenlänge [nm]

O a)

C

O b)

CH OCH CH3

c)

C

C OH

CH3 CH3

C

CH3O OCH3

CH3 O

C

CH3 O d) CH3

C CH3

P O

Abbildung 4.3.28: Absorptionsspektren von Photoinitiatoren und Transmission von TiO2

härtende Lacke. Will man oder muss man andere Pigmente wie beispielsweise Titandioxid verwenden, so ist obige Abstimmung mit den klassischen Photoinitiatoren nicht gegeben. Erst durch die Entwicklung neuer Hilfsstoffe konnte dieses Problem gelöst werden. Die Gruppe der Acylphosphinoxide (Kapitel 2.1.4) ist in Verbindung mit UV-Strahlen im Wellenlängenbereich oberhalb von 370 nm befähigt, die Aushärtung der in dem Bereich nicht absorbierenden, mit Titandioxid pigmentierten Beschichtungsstoffen herbeizuführen (siehe Abbildung 4.3.28). Der Prozess der UV-Härtung wird durch unerwünschte Nebenreaktionen mit der Umgebungsluft überlagert. Die kettenabrechende Wirkung des Biradikals Sauerstoffs bei der Vernetzung führt zur sog. Sauerstoffinhibierung. Diese kann durch chemische (siehe Kapitel 2.1.1) oder anlagentechnische Methoden bekämpft werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 631

Die Lackiertechnologie

Anlagen für die UV-Härtung Zur Bildung einer für die Vernetzung ausreichenden Radikalkonzentration sind entsprechend konstruierte Strahler einzusetzen. Quecksilberdampf-Lampen emittieren im Bereich von 320 bis 380 nm die zur Spaltung der Photoinitiatoren notwendigen Energiequanten in mehreren Banden.

Durch Dotierung der Quecksilberdampf-Lampen mit Gallium, Indium oder Eisen wird das Spektrum vornehmlich im Bereich über 400 nm durch neue Emissionsbanden erweitert. Solche Lampen werden insbesondere zur Härtung pigmentierter Lacke verwendet. Um die Strahlungsenergie der UV-Lampen möglichst vollständig für die Lackhärtung zu nutzen, sind wie bei der IR-Trocknung Reflektoren einzusetzen. Obwohl der Reflexionsgrad von Reflektoren aus Aluminium mit über 90 % ausreichend hoch ist, haben sie sich bei den Hochdruckstrahlern nicht durchsetzen können. Ursache hierfür ist die hohe Reflexion der im Spektrum der Quecksilberlampen enthaltenden IR-Anteile, die die entstehende Lackierung zu stark erwärmen und damit eine ungewollte Emissionen des Reaktivverdünners herbeiführen. Besser geeignet sind Reflektoren aus hochtemperaturbeständigem Spezialglas, weil sie für die sichtbare und infrarote Strahlung durch-

Quecksilber-Spektrum CK Basis: 160 W/cm

100,0

Relative spektrale Strahlendichte

100,0

Relative spektrale Strahlendichte

Lackiertechnologie

Mit 1 W/cm Länge des stabförmigen Strahlers haben die Quecksilber-Niederdruckdampflampen im UV-Bereich eine geringe Leistung im Vergleich zu den mit bis zu 50 W/cm erheblich stärkeren Hochdruckstrahlern. Die bei Verwendung von Niederdruckstrahlern entsprechend langsamere Härtung gibt Paraffin in entsprechenden Beschichtungsstoffen genügend Zeit, in die Grenzfläche auszuschwimmen. Durch diese Diffusionssperre für Sauerstoff wird die Inhibierung verhindert. Die langsame Härtung reduziert die Gefahr des „Einfrierens“ von inneren Spannungen. Darüber hinaus ist der Verlust flüchtiger Reaktivverdünner wegen der niedrigen Betriebstemperatur geringer. Niederdrucklampen werden überwiegend zum Vorgelieren eingesetzt, um die anschließende Hauptvernetzung dann mit Hochdruckstrahlern durchzuführen.

90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0

Gallium-Spektrum CK I Basis: 160 W/cm

90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0

200 260 320 380 440 500 560 620 680 740 800

Wellenlänge [nm]

200 260 320 380 440 500 560 620 680 740 800

Wellenlänge [nm]

Abbildung 4.3.29: Emissionsspektren von normalen und Gallium-dotierten Quecksilberdampf-Lampen

632

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

lässig sind, für UV-Strahlen jedoch nicht. Ähnlich wie bei IR-Strahlern existieren auch für die UV-Strahler flächenförmig streuende oder fokussierende Spiegelformen. Für einen ausreichend hohen und gleichzeitig konstanten Energieeintrag werden die Strahler entweder in mehreren Stufen oder stufenlos geregelt und bezüglich des Energieangebots vermessen. Bei Unterschreiten von Mindestwerten wird ein akustisches oder optisches Signal ausgelöst. Moderne Anlagen erlauben, die UV-Anteile kontinuierlich zu messen und bei Schwankungen der Transportgeschwindigkeit die Sollvorgaben über Regelkreise wieder einzustellen. Aufgrund der aus den UV-Lampen austretenden Infrarot-Strahlen sind die Strahler für einen dauerhaft konstanten Betrieb intensiv zu kühlen.

Soll die durch Sauerstoff hervorgerufene Inhibierung der Vernetzung im oberflächennahen Bereich der Lackierung anlagentechnisch vermieden werden, sind die Anlagen mit Stickstoff als Inertgas zu beschleiern. Dadurch wird gleichzeitig die Ozonbildung unterbunden. Da eine gleichmäßige Vernetzung nur bei konstantem Energieeintrag möglich ist, beschränkt sich der Einsatz von UV-härtenden Systemen bis heute praktisch auf die Lackierung planer Teile. Die zahlreichen Vorteile der schnellen und intensiven Vernetzung und die damit verbundene hohe Härte und Kratzfestigkeit UV-gehärteter Beschichtungen machen diese Technologie auch für hochstrapazierte Oberflächen wie die von Automobilen interessant. Wegen der dreidimensionalen Form der zu beschichtenden bzw. zu härtenden Oberflächen müssen die fest installierten Strahler in den normalen Durchlaufanlagen durch bewegliche Strahlerarme ersetzt werden [4.4.92]. Programmgesteuerte Roboterarme fahren die Konturen der Oberflächen mit gleichbleibendem Abstand ab und sorgen so für eine konstante Qualität. Die verbesserte Kratzfestigkeit und die ökologischen Vorteile machen einen Einsatz im Automobilbau wahrscheinlich [4.4.93]. Elektronenstrahlhärtung Zu Anfang der 1970er Jahre versuchte man, in Ergänzung zur UV-Härtung auch andere Wege der Strahlenhärtung zu gehen. Es war bekannt, dass beschleunigte Elektronen als β-Strahlen fotochemische Reaktionen auslösen können. Der Effekt beruht darauf, dass Moleküle durch die ß-Strahlen direkt angeregt oder ionisiert werden, um anschließend in Radikale bzw. Radikalionen zu zerfallen. Bei Einsatz einer solchen Technik sind keine Photoinitiatoren mehr erforderlich. Die beschleunigten Elektronen bewirken eine äußerst schnelle Vernetzung polymerisierend härtbarer Filmbildner oder Reaktivverdünner. Die Reaktionen laufen in Bruchteilen von Sekunden ab, erlauben hohe Lackiergeschwindigkeiten und bieten beste Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Lackieren. Ein weiterer Vorteil der Elektronstrahlhärtung liegt in der Fähigkeit der beschleunigten Elektronen, in pigmentierte Filme tief einzudringen und eine einwandfreie Durchhärtung aller pigmentierten Schichten zu ermöglichen Es empfiehlt sich, wie bei der UV-Lackierung auch bei der Elektronenstrahlhärtung den Einfluss des Luftsauerstoffs durch Beschleiern mit Inertgas auszuschalten. BASF-Handbuch Lackiertechnik 633

Lackiertechnologie

Das durch UV-Licht entstehende Ozon macht es notwendig, UV-Strahler in Kanäle einzubringen und zum Unterschreiten des MAK-Wertes von 0,1 ppm mit Frischluft zu versorgen.

Die Lackiertechnologie

Als Filmbildner für die Elektronenstrahlhärtung sind alle für die UV-Härtung genannten Produkte in gleicher Weise einsetzbar. Unterschiedlich zur UV-Härtung ist lediglich der Mechanismus der Radikalbildung. Beschleunigte Elektronen können je nach kinetischer Energie Bindungselektronen aus dem Filmbildner freisetzen, wodurch ionisierte Moleküle bzw. Radikale oder Radikalionen entstehen.

Lackiertechnologie

Ist die Energie der anregenden Elektronen zu gering, um Elektronen freizusetzen, so ist eventuell noch eine Anregung der Harzmoleküle (AB*) möglich. Radikalbildung kann durch einen anschließenden homolytischen Zerfall erfolgen.

Elektronen mit noch geringerer kinetischer Energie werden eingefangen und als Anionen in Radikale und Radikalionen überführt. Alle Wechselwirkungen der Elektronen mit dem Filmbildner führen letztlich zur Radikalbildung und damit zum Start einer radikalischen Polymerisation. Die beschleunigten Primärelektronen besitzen eine ausreichend hohe Energie, so dass sie in mehrere 100 µm dicke Schichten eindringen können. Sie erzeugen langsamere Sekundärelektronen, die eine schnelle und vollständige Härtung entsprechend der oben beschriebenen Mechanismen herbeiführen [4.4.94]. Anlagentechnik Die zur Härtung notwendigen freien Elektronen werden in Elektronenbeschleunigern freigesetzt. Der Braun’schen Röhre analoge Geräte enthalten eine Glühkathode, eine punktförmig geöffnete Anode und eine Fokussiereinrichtung für die durch die angelegte Hochspannung freigesetzten und beschleunigten Elektronen. Die auf die Elektronen wirkende Kraft F aus dem Produkt der Elementarladung e und der elektrischen Feldstärke E bewirkt eine Beschleunigung, die dem Elektron die kinetische Energie m/2 · u2 vermittelt. Diese entspricht der Arbeit F · s und demzufolge:

Das mit seiner Geschwindigkeit u lediglich von der angelegten Hochspannung U abhängige Elektron mit der Masse m und der Ladung e durchfliegt ein 10 bis 15 µm dünnes Titanfenster und gelangt so in die Umgebung. Zur Entlastung des Fensters, das 15 % der Energie absorbiert und in Wärme überführt, muss dieses gekühlt werden. Der Elektronenstrahl ist wegen seiner hohen Intensität permanent flächig zu scannen. Die durch den Elektronenstrahler erzielte kinetische Energie der Elektronen kann in Elektronenvolt (eV) angegeben werden. Dabei ist 1 eV die kinetische Energie, die ein Elektron erhält, wenn es eine Potenzialdifferenz von 1 Volt durchläuft. Ein eV ent634

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Trocknung und Härtung

spricht somit 6,25 · 10 -18 Ws. Früher war es üblich, die Strahlendosis als die auf die bestrahlte Menge bezogene Energie in rad anzugeben. Da 1 rad mit 6,25 · 1013 eV/g eine sehr kleine Einheit ist, wurde die Strahlendosis in Megarad umgerechnet: 1 Megarad = 6,15 · 1019 eV/g = 10 Ws/g = 10 Joule/g oder neuerlich 10 kgy (Kilogrey). Zur ausreichenden Lackaushärtung sind bei derzeitigen Lacksystemen 50 J/g oder 50 kgy üblich. Eine weitere wichtige Kennzahl ist die in kgy/min anzugebende zeitbezogene Dosisleistung.

Beschleunigungsspannung Isolator Gas Kathode Anode/Beschleunigerkaskade Strahlablenkung Ventil Vakuumanschluss

Elektronen-Austrittsfenster

Zur Beschleunigung der Elek- Abbildung 4.3.30: Abbildung eines Elektronenbeschleunigers tronen werden im Allgemeinen 150 bis 300 kV, in seltenen Fällen bis 500 kV realisiert. Die aus dem Titanfenster austretenden hoch beschleunigten Elektronen treten in Wechselwirkung mit der Luft und werden dadurch erheblich gebremst. Elektronenstrahlen haben deshalb eine begrenzte Reichweite. Durch die Wechselwirkung mit dem Lack werden die Elektronen zusätzlich gestreut, um dadurch neue Sekundärelektronen zu bilden. Nur diese sind langsam genug, um Moleküle gezielt ionisieren und Radikale bilden zu können. Die Verzögerung der Primärelektronen führt auch zur kurzwelligen Röntgenbremsstrahlung. Elektronenstrahlanlagen unterliegen deshalb der Strahlungsverordnung und müssen aus Sicherheitsgründen gegen den Austritt von Röntgenstrahlen durch 12 mm dicke Bleipanzer oder 50 cm dicke Betonwände abgeschirmt werden. Inert-Gas-Erzeuger

v. Hochspannungstrafo Gleichspannung 300 KV Beschleuniger

Bunker

Verteiler

Strahlentrichter

Werkstück

Abbildung 4.3.31: Schema einer Elektronenstrahlanlage

BASF-Handbuch Lackiertechnik 635

Lackiertechnologie

Scanner

Die Lackiertechnologie

Bei den marktüblichen Elektronenbeschleunigern unterscheidet man zwischen Geräten mit punktförmigen Elektronenquellen, deren Strahl für eine problemlose Anwendung abgelenkt d.h. gescannt werden muss, und den Linearbeschleunigern sowie den Strahlern mit Flächenkathoden. Die Linearbeschleuniger besitzen eine stabförmige Glühkathode, die über die gesamte Breite der zu härtenden Lackierung ausgedehnt ist. Bei den Linearbeschleunigern ist wiederum zu unterscheiden zwischen Strahlern mit und ohne Gitterstreuung. Im ersten Falle wird die Wolfram-Kathode von einem Gitter als Gegenelektrode umhüllt. Hierdurch bildet sich eine Elektronenwolke. Durch ein zweites Gitter werden die Elektronen in eine auf das Objekt gerichtete Elektronenwolke transformiert, damit sie vor Austritt aus dem Titanfenster ihre endgültige Energie erhält. Ein so erzeugter Vorhang beschleunigter Elektronen ist breit genug und muss deshalb nicht zusätzlich gescannt werden.

Lackiertechnologie

Strahler ohne Gitterstreuung sorgen für eine direkte Beschleunigung der aus dem Wolframdraht austretenden Elektronen. Neben den Linearstrahlern haben sich auch Flächenstrahler bewährten können. Mehrere Linearkathoden setzen Elektronen frei, die durch eine gitterförmige Gegenelektrode flächig in Richtung des Austrittsfensters beschleunigt werden. Einer gegenüber den Linearbeschleunigern nicht ebenbürtigen Gleichverteilung der Strahlungsintensität steht aber eine bessere Standzeit der Kathoden gegenüber. Die Lackhärtung mit Elektronenstrahlen ist bezüglich des Energieverbrauchs ausgesprochen attraktiv. Die gegenüber der Konvektionstrocknung positive Energiebilanz ist einer einfachen Berechnung zu entnehmen. Bei einer Durchlaufzeit von 30 Minuten und einer Einbrenntemperatur von 150 °C verbraucht ein Konvektionstrockner bei einer Temperaturdifferenz von 130 °C, einer spez. Wärme des Lackes von 2 J/g, und einem Energieanteil für den aufzuheizenden Lack von 1 % des Gesamtenergieverbrauchs des Trockners: 130 · 2 · 100 = 26.000 J/g (siehe Kapitel 4.3.1). Dagegen ist die Elektronenstrahlhärtung bei Annahme eines 100 %igen Wirkungsgrades mit nur 50 J/g Beschichtungsstoff, also einem 500-mal niedrigerem Energieverbrauch zur Konvektionstrocknung erheblich kostengünstiger. Auch unter Berücksichtigung des realen Wirkungsgrades beträgt der notwendige Energiebedarf ca. 10 % einer Trocknung durch Wärmeübertragung.

4.3.3 Zusammenfassung Zur Filmbildung werden Trocknungs- und Härtungsanlagen vornehmlich bei industriellen Lackierverfahren eingesetzt. Sie beschleunigen die physikalische Trocknung durch Abgabe organischer Lösemittel oder Wasser und aktivieren die Vernetzungsreaktionen durch Übertragung von Wärme- oder Strahlungsenergie. Wärmeübertragung erfolgt durch Konvektion mit einem Trägergas, durch Konduktion oder indirekt durch IR- und Mikrowellen-Strahlung. Die „kalte“ Härtungstechnik mit UV- und Elektronenstrahlen ist eine ökologisch und ökonomisch interessante Alternative zu den konventionellen Methoden. Ansatzpunkte für die Steigerung des Interesses an der Strahlungshärtung durch UV sind die neuen Möglichkeiten der Computersimulation und des Robotereinsatzes, wodurch es möglich wird, auch komplizierte dreidimensional geformte Lackierobjekte zu beschichten und zu härten. Die Geometrie und die Werkstoffe bestimmen die Auswahl der Methoden. 636

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Literatur

4.4 Literatur 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8 4.4.9 4.4.10 4.4.11 4.4.12 4.4.13 4.4.14 4.4.15 4.4.16 4.4.17 4.4.18 4.4.19 4.4.20 4.4.21 4.4.22 4.4.23 4.4.24 4.4.25 4.4.26 4.4.27 4.4.28 4.4.29 4.4.30 4.4.31 4.4.32 4.4.33 4.4.34 4.4.35 4.4.36 4.4.37 4.4.38 4.4.39 4.4.40 4.4.41 4.4.42 4.4.43 4.4.44 4.4.45 4.4.46 4.4.47 4.4.48 4.4.49 4.4.50 4.4.51 4.4.52 4.4.53 4.4.54

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 637

Lackiertechnologie

Zitate

Lackiertechnologie

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638

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Literatur

Lackiertechnologie

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 639

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

5 Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit Der verantwortliche Umgang mit Rohstoffen und Produkten von deren Herstellung über die Nutzung bis hin zum Recycling bzw. zur Entsorgung ist heute ein allgemein anerkanntes Prinzip. Dies wird u.a. dadurch ersichtlich, dass sich mittlerweile viele Software-Firmen der Erfassung und Verarbeitung der dazu gehörenden Datenvielfalt angenommen haben (siehe Kapitel 5.5).

Beide Leitlinien erfordern, bezogen auf die Entwicklung von Lacken, eine komplette Risikobetrachtung der Produkte, deren Herstellung und der Applikationsprozesse unter dem Blickwinkel des Gesundheitsschutzes, der Umweltverträglichkeit und anderer Risiken, die durch den Umgang mit dem Lack oder dem lackierten Objekt vorhanden sind. Dies hat zunehmend Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Produkte, auf die Auswahl der Applikationsprozesse und auf die Verwertung aller beteiligten Stoffe nach der Ökologie Verwendung. Die Selbstverpflichtung der Lackindustrie ist aufgrund der komplexen Abläufe mit vielen beteiligten Branchen den Gesetzgebern in den europäischen Ländern sowie in den USA nicht ausreichend umgesetzt worden. Dies hat in den letzten drei Jahrzehnten dazu geführt, dass für die Lackiertechnik umfangreiche gesetzliche Vorgaben geschaffen wurden, die sich häufig dadurch auszeichnen, dass sie beständig der technischen Entwicklung angepasst werden.

Soziales/ Gesellschaft

Ökonomie

Abbildung 5.0.1: Die drei Dimensionen einer nachhaltigen zukunftsverträglichen Entwicklung Die nachhaltige zukunftsverträgliche Entwicklung ist ein Leitbild, nach dem die Menschheit ihre Zukunft verantwortungsvoll gestalten muss. Das Leitbild hat ökologische, ökonomische und sozial/gesellschaftliche Dimensionen.

BASF-Handbuch Lackiertechnik 641

Umwelt

Seit geraumer Zeit gelten bei der Entwicklung und der Herstellung von Lacken die Leitlinien des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) Responsible Care“, was mit „verantwortlichem Handeln“ übersetzt werden kann, sowie Sustainable Development“, was im Deutschen nachhaltige, zukunftsverträgliche Entwicklung bedeutet. Der Leitgedanke, der schon 1987 von der „Brundtland-Kommission“ der UN entwickelt wurde, ist, die Umwelt nur so weit in Anspruch zu nehmen, wie diese es durch natürliche Regeneration verkraften kann. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass wir uns heute verpflichten, den künftigen Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

5.1

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Umwelt

Die Herstellung und der Umgang mit Lacken stehen seit mehreren Jahrzehnten im Blickpunkt der gesetzlichen Regelung weltweit. Dazu zählen außerhalb Europa u.a. die Clean Air Act (CAA) und die „Toxic Substances Control Act“ (TSCA) mit den Regulierungen von Gesundheit und Umwelt gefährdenden Stoffen (HAPS = Hazardous Air Polluting Substances) und neuerdings auch die seit 2010 gültige VOC-Regelung in China. In Europa hat sich Deutschland neben den skandinavischen Ländern als regelungsfreudiges Land hervorgetan. Dies hat in der Vergangenheit zu sehr unterschiedlichen Situationen in den europäischen Ländern im Umgang mit Lacken geführt. Im Rahmen der Europäisierung und Vereinheitlichung der Gesetzgebung ging es zunächst um die Sicherung des freien Handels mit Produkten, Anlagen, Geräten und Abfällen. So waren Gefahrstoffrecht, Gefahrgutrecht, Maschinenschutzrecht und Abfallrecht die ersten Regelungsgebiete. Die umweltrelevanten Gesetze sind seit den 1970er Jahren in den Blickpunkt gerückt und spielen heute eine wichtige Rolle mit teilweise kontroverser Diskussion für die gesamte europäische Gemeinschaft. Hierzu zählen die VOC-Richtlinie (siehe Kapitel 2.3.2), die Biozid-Richtlinie [5.8.1] und insbesondere das Chemikaliengesetz (EG 1970/2006) zur Registrierung , Risikobewertung und Genehmigung von Stoffen während ihrer Lebenszyklen (REACH = Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals), das seit 2007 in der Umsetzungsphase ist [5.8.2] (siehe Abbildung 5.1.1). Die damit verbundenen Registrierungsfristen der Produkte dauern bis Mitte 2018. Es ersetzt die europaweite EINECS-Liste (European Inventory of Existing Chemicals) und ist darüber hinaus für die Europäische Gemeinschaft ein umfassendes Chemikalienrecht, das die vielen Gesetze in den Ländern zusammenfasst. Zur Erfassung der umfangreichen Daten zu allen Produkten ist eine europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingerichtet worden. Ähnliche Gesetze sind inzwischen auch im asiatischen Raum eingeführt oder in der Umsetzung [5.8.3]. Basis für Fertigung, Lagerung, Transport und Applikation von Lacken wird demnach immer stärker durch europaweit gültige Rahmenrichtlinien beeinflusst. Diese stellen die Mindestanforderung für die in den einzelnen Ländern einzuführenden Gesetze, Vorschriften und Regelungen dar. Die im Folgenden beschriebenen Grundlagen der Gesetzgebung basieren auf dem deutschen Recht, das in vielen Fällen den anderen Ländern der europäischen Gemeinschaft Datum

Aktion

1.6.2007

REACH ist Gesetz

1.6.2008

Beginn der Vorregistrierungsfrist

1.12.2008

Ende der Vorregistrierungsfrist

30.11.2010

Ablauf der Registrierungsfrist für a) Stoffe > 1000 t/a b) Stoffe > 100 t/a mit umweltgefährdenden Eigenschaften c) Stoffe > 1 t/a cmr-klassifizierte Stoffe

31.5.2013

Ablauf der Registrierungsfrist für Stoffe >100 < 1000 t/a

31.5.2018

Ablauf der Registrierungsfrist für Stoffe >1 95 % der Masse an allen Autos bis zum Jahre 2015 fordert. Die Gesetzgebung ist nicht nur wegen der Europäisierung in starker Bewegung, sie folgt auch entsprechend häufig verwendeter Dynamisierungsklauseln in den einzelnen Gesetzeswerken dem Stand der Technik und Kenntnissen in den Punkten Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit. Aus heutiger Sicht ist bei der weiteren Rechtsentwicklung problematisch, dass eine Sektoren betrachtende, also alleinig auf Luft, Wasser oder Boden ausgerichtete Vorschriftenfortschreibung erfolgt und damit eine Gesetzgebung zur übergreifenden Prozessoptimierung praktisch nicht existiert. Europäische Umweltgesetzgebung bedeutet zudem nicht immer eine Harmonisierung, da bei Richtlinienerlassen die Mitgliedsstaaten weitergehende Anforderungen stellen können. In den folgenden Kapiteln werden wichtige Elemente des Standes der Gesetzgebung entsprechend den Schwerpunkten der einzelnen Gesetzgebungswerke nach den Bereichen technische Sicherheit im Umgang mit Lacken (Kapitel 5.2), Umweltschutz für Luft und Wasser (Kapitel 5.3) und Schutz für die Gesundheit der Menschen (Kapitel 5.4) aufgezeigt. Der notwendige Stand der Technik zum Erreichen der Gesetzesvorgaben in Deutschland für Lackfertigung, -lagerung, -transport und -verarbeitung kann nur durch BASF-Handbuch Lackiertechnik 645

Umwelt

entsprechenden Unternehmen bei Unfällen Sicherheitsuntersuchungen vornehmen, die Branchen informieren und entsprechende Arbeitsplatzvorschriften erlassen.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

sorgfältiges Studieren der Gesetze in Zusammenarbeit mit den Behörden ausgearbeitet werden, kann in diesem Kapitel nur grob skizziert werden und verlangt mittlerweile erhebliches Fachpersonal in den Betrieben.

5.2 Sicherheit Der Lackverarbeiter und ebenso der Lackhersteller sind aufgrund der Lösemittelgehalte der konventionellen und teilweise auch wässrigen Lacke sowie potenzieller Staubemissionen bei Pulverlacken durch Explosions- und Brandgefahren gefährdet. Die Betriebssicherheitsverordnung (BetriebSichV) zusammen mit der Gefahrstoffverordnung von 2010 sowie den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) regelt die notwendigen Informationen zu den Gefährdungspotenzialen und die Bereitstellung von adäquaten Arbeitsmitteln zum sicheren Umgang mit den Stoffen in überwachungsbedürftigen Anlagen. Dazu zählen in der Regel die Herstellungs- und die industriellen Anwendungsbetriebe. Die Vorschriften zur Arbeitsschutztechnik sind auf die Vermeidung von Gefahrenpotenzialen und auf das Ausschalten bekannter Gefahren ausgerichtet. Ganzheitliche Explosionsschutzkonzepte werden u.a. durch entsprechende Sicherheitsfirmen angeboten [5.8.4].

Umwelt

Eine besondere Gefährdung für den Bereich der Lackierprozesse stellt dabei die elektrostatische Verarbeitung von Lacken dar (siehe Kapitel 5.2.4). Darüber hinaus schreiben weitere Gesetze und Vorschriften den Umgang mit Lacken je nach dem Gefahrenpotenzial der Stoffe in der Prozesskette zwischen Fertigung und Anwendung, nämlich der Lagerung und dem Transport vor. In einigen Fällen befassen sich diese Regelwerke auch mit dem z.B. durch Emission verbundenen Gesundheitsschutz, auf den in diesem Kapitel separat eingegangen wird (siehe Kapitel 5.4). Für alle Stufen der Produktion und Anwendung von Beschichtungsstoffen schreibt die Gesetzgebung einen kompletten Satz von Betriebsanweisungen vor, die den Mitarbeitern bekannt gemacht werden und nach denen sie ihre Arbeitsabläufe ausrichten müssen. Unterstützt wird das betriebliche Sicherheitsmanagement u.a. durch die Berufsgenossenschaften der chemischen Industrie und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) mit ihren Broschüren wie „Arbeit&Gesundheit“. In den jährlichen Statistiken der Berufsgenossenschaften in Deutschland, die für die jeweiligen Branchen die sogenannten berufsgenossenschaftlichen Vorschriften auf Basis der gemeldeten Unfälle und Ereignissen ausarbeiten, liegt die chemische Industrie, zu der die Lackindustrie gehört, an der Spitze der „sichersten“ Branchen des industriellen Gewerbes.

5.2.1 Fertigung Neben den gesetzlichen Vorschriften und Normen zum Schutz vor gefährlichen Arbeitsstoffen bei der Planung und beim Betreiben einer Produktionsstätte für flüssige Lacke sind die Vorschriften (BGV) und Regeln (BGR) der Berufsgenossenschaften von hoher Wichtigkeit. Diese werden auf Basis der Analysen von Unfallereignissen kontinuierlich aktualisiert. Von großer Bedeutung bei Verwendung entzündlicher, lösemittelhaltiger Lacke ist unter Sicherheitsaspekten u.a. die Explosionsschutzrichtlinie (EX-RL), in der umfangreiche Informationen über die Beurteilung von Explosionsrisiken in Abhängigkeit von 646

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Sicherheit Zone

Risikoeinschätzung

Zone 0

Räume/Bereiche, in denen eine explosionsfähige Atmosphäre ständig oder langzeitig vorhanden ist.

Zone 1

Räume/Bereiche, in denen damit zu rechnen ist, dass eine explosionsfähige Atmosphäre bei normalem Betrieb gelegentlich auftreten kann.

Zone 2

Räume/Bereiche, in denen nicht damit zu rechnen ist, dass bei normalem Betrieb eine explosionsfähige Atmosphäre auftritt. Wenn sie dennoch auftritt, dann nur kurzzeitig.

Zone 20

Räume/Bereiche, in denen eine explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Staubwolke in der Luft ständig oder langzeitig oder häufig vorhanden ist.

Zone 21

Räume/Bereiche, in denen bei normalem Betrieb eine explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Staubwolke in der Luft gelegentlich auftreten kann. Ablagerungen oder Schichten von brennbarem Staub werden im Allgemeinen vorhanden sein.

Zone 22

Räume/Bereiche, in denen nicht damit zu rechnen ist, dass bei normalem Betrieb eine explosionsfähige Atmosphäre in Form einer Staubwolke in der Luft auftreten kann. Wenn sie dennoch auftritt, dann nur kurzfristig oder indem Anhäufungen oder Schichten von brennbarem Staub vorhanden sind.

den zu betrachtenden Stoffen und deren Flammpunkten (siehe Abbildung 2.1.156) sowie Vorschriften für Schutzmaßnahmen inklusive konstruktiver und technischer Vorkehrungen für die Verhinderung von Explosionen oder Verpuffungen enthalten sind. Ein wesentlicher Teil ist dabei die Beschreibung von Maßnahmen zur Vermeidung explosionsfähiger Luftgemische. Dabei wird eine Zoneneinteilung entsprechend dem Grad der Gefährdung vorgenommen. Maßnahmen und Schutzmaßnahmen bei Instandsetzungsarbeiten gehören ebenfalls dazu. Generell gilt, dass in explosionsgefährdeten Räumen elektrische Anlage den Explosionsschutzrichtlinien entsprechen müssen. Z.B. vermeiden die zur Erfüllung dieser Vorschrift konstruierten Schalter, dass die beim Schaltvorgang entstehenden Funken mit explosionsfähigen Dampf-Luft-Gemischen in Kontakt kommen. Die Beurteilung des Umfanges der sonstigen Schutzmaßnahmen richtet sich nach der Risikoeinschätzung jeweiliger Produktionsräume, die in der Abbildung 5.2.1 zusammengefasst sind. Für die Verarbeitung entzündlicher Lacke (siehe Kapitel 5.2.2 und 5.2.4) müssen gesonderte Räume von anderen Räumen und Gebäuden feuerfest abgetrennt sein. Das gleiche gilt für die meistens angrenzenden Lacklager zur Versorgung der Lackiereinrichtungen. Alle diese Räume sind mit dem Hinweis zu kennzeichnen: „Feuer, offenes Licht und Rauchen verboten“. Fußböden und Wände dürfen nicht brennbar und müssen leicht zu reinigen sein. Die Türen müssen nach außen öffnen, im Normalbetrieb geschlossen sein und sich im Brandfall selbständig schließen. Rettungswege müssen so angelegt und entsprechend gekennzeichnet sein, dass der Lackierraum auf dem kürzesten Weg verlassen werden kann. Gefordert sind eine Mindestzahl an ABC-Feuerlöschern: bis 50 m2 Grundfläche zwei, für jede 200 m2 weitere zwei mit jeweils 12  kg Löschpulver. Zusätzlich sind Löschdecken und Duschen zum Löschen brennender Kleidung in den Räumen sichtbar aufzustellen. Die Applikationseinrichtungen und Arbeitsplätze, an denen mit Lacken gearbeitet wird, wie z.B. Messplätze, Umfülleinrichtungen etc., müssen mit Absaugeinrichtungen BASF-Handbuch Lackiertechnik 647

Umwelt

Abbildung 5.2.1: Risikoeinschätzungen mit Zuordnung der Zonen

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

ausgestattet sein, die die Bildung explosionsfähiger Lösemittel-Luft-Gemische verhindern. Nach Abschalten der entsprechenden Geräte müssen die Absaugeinrichtungen noch so lange in Betrieb bleiben, bis die Bildung explosionsfähiger oder zündfähiger Luft-Lösemittel-Gemische sicher ausgeschlossen werden kann. Bei Ausfall der Absaugeinrichtungen müssen die Applikationsgeräte und deren nachgeschaltete Anlagenteile automatisch abgeschaltet werden. Alle leitfähigen Aggregate und Bauelemente, z.B. Wände, Decken, Fußböden, Förderer, Dispergiermaschinen, Behälter müssen geerdet werden, damit insbesondere beim Umfüllen, Dispergieren und Mischen keine statische Aufladung auftritt, die sich durch Funkenbildung entladen kann. Spezielles Augenmerk ist auf die Fußböden zu richten. Sie müssen elektrostatisch leitfähig mit einem höchstzulässigen Ableitwiderstand von 1 MΩ sein. Zu beachten ist unter diesem Gesichtspunkt ferner, dass Ansammlungen bzw. Ablagerungen von Lackrückständen den Erdableitwiderstand erhöhen können. Deshalb muss der Fußboden regelmäßig gereinigt werden.

Umwelt

5.2.2 Lagerung Seit Ende 2002 hat die Betriebs-Sicherheits-Verordnung (BetrSichV) die bis dahin gültige VbF (Verordnung für brennbare Flüssigkeiten) für die Lacklager zur Versorgung der Applikationseinrichtungen und jegliche Lager bei der Herstellung und sonstigen Verwendung von Lacken ersetzt. Sie gilt für Produkte, die entsprechenden Gefahrenklassen zugeordnet werden. Technisch-physikalische Kriterien für eine sichere Lagerung stellen dabei die Flammpunkte und die Wasserlöslichkeit der Beschichtungsstoffe dar. Der Flammpunkt ist die niedrigste Temperatur, bei der ein Lösemittel oder eine Zubereitung wie Lacke unter spezifizierten Bedingungen so große Mengen Dämpfe an die Luft abgeben, dass ein entflammbares Gasgemisch entsteht. Diese Kenngröße wird in technischen Standardapparaturen ermittelt (siehe Kapitel 2.3.2). Die Stoffe werden entsprechend der Lage ihres Flammpunktes und der ihrer Wasserlöslichkeit in verschiedene Gefährdungsklassen eingeteilt (siehe Abbildung 5.2.2). In Abhängigkeit von der Lagermenge und dem Lagerort in anzeige- und erlaubnisfreie, anzeigebedürftige und erlaubnisbedürftige Lagerung unterschieden. Hier sind Grenzmengen in Abhängigkeit von der Gefahrenklasse, der Art der Behälter und der Art und Größe der Räume festgelegt. Unzulässig ist die Lagerung brennbarer Flüssigkeiten und von Lacken in Durchgängen und Durchfahrten, in Treppenräumen, in allgemein zugänglichen Fluren, auf Dächern Klasse

Charakteristik

AI

hochentzündlich mit Flammpunkt < 0 °C und Siedepunkt > 35 °C leichtentzündlich mit Flammpunkt < 21°

A II

entzündlich mit Flammpunkt von 21 °C bis 55 °C

A III

nicht kennzeichnungspflichtig

Keine Differenzierung wasserlöslicher oder wasserverdünnbarer Lösemittel

Abbildung 5.2.2: Einteilung der brennbaren Flüssigkeiten entsprechend der Betriebssicherheits-Verordnung

648

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Sicherheit

von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Bürohäusern und ähnlichen Gebäuden sowie deren Dachräumen, in Gasträumen und Kantinen wie auch in Arbeitsräumen. Es dürfen an diesen Orten auch keine entleerten Behälter abgestellt werden, wenn in ihnen Flüssigkeiten der Gefahrenklassen AI und AII aufbewahrt wurden. Dies ist streng zu beachten, da selbst kleine Mengen an brennbaren Flüssigkeiten eine Explosionsgefahr darstellen. Die Verordnung findet keine Anwendung, wenn an Arbeitsplätzen brennbare Flüssigkeiten in kleinen Mengen für den Fortgang der Arbeiten nur kurzzeitig aufbewahrt werden.

5.2.3 Transport Auf europäischer Ebene gilt für den Transport von Gefahrgütern das europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße, das ADR (= Accord europeen relatif au transport international des marchandise dangereures par route). Die zuletzt überarbeitete Fassung ist am 1.7.2001 in Kraft getreten und musste bis Ende 2002 in die Ländergesetze umgesetzt sein.

Die Elemente dieser Gesetze sind eine für den Transport spezifische Gefahrguteinteilung, entsprechende Kennzeichnungen und Mengen- und Größenvorschriften der Gebinde sowie der Transportierung. Die Klassifizierung ist mit der CLP-Verordnung harmonisiert. Alle entzündlichen Lacke fallen unter diese Regelungen. Sie gelten auch für wässrige Lacke wegen der Kontaminationsgefahr des Grundwassers.

5.2.4 Applikation Für den sicherheitstechnischen Umgang mit Lacken in den Lackierbetrieben gelten die in Kapitel 5.2.1, 5.2.2 und 5.2.3 beschriebenen Gesetze und Vorschriften. Für Spritzkabinen ist auch eine Normung auf europäischer Ebene erarbeitet, die alle Sicherheitsaspekte beachtet [5.8.5]. Eine Besonderheit stellt die elektrostatische Sprühapplikation dar, da hier bei hohen Spannungen von bis zu 100 kV lösemittelgelöste oder wässrige Lacke sowie auch Pulverlacke verarbeitet werden. Die damit verbundenen Gefahrenmomente liegen zum einen in der Entzündung der lösemittelgelösten und wässrigen Lacke mit hohen Lösemittelanteilen (< 55 % Wasser) und deren Lösemittel-Luft-Gemischen, zum anderen in einer eventuell unsachgemäßen Bedienung der Geräte durch die Lackierer. Die Entzündungsgefahr tritt auch bei Pulver-Luft-Gemischen auf und ist deshalb bei der Pulverlackierung ebenfalls zu beachten. Personenschutz Der sicherste und einfachste Schutz vor dem Kontakt mit spannungsführenden Anlagenteilen wird dadurch gewährleistet, dass diese in geschlossenen Kabinen untergebracht sind. Die notwendigen Zugänge in Form von Türen oder Toren sind so geschaltet, BASF-Handbuch Lackiertechnik 649

Umwelt

Die entsprechenden Gesetze in Deutschland sind die Gefahrgutverordnung Straße/ Schiene/Binnenschiffahrt (GGVSEB) von 2009 und Gefahrgutverordnung See (GGVSee) von 2007.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

dass beim Öffnen die Spannung automatisch abgeschaltet wird. Zusätzlich werden die Anlagenteile geerdet und meist ein Alarm ausgelöst, bevor es zu einer Berührung kommen kann. Elektrostatisch unterstützte Handgeräte müssen von der elektrischen Schaltung her so konstruiert sein, dass eine Berührung der spannungsführenden Teile keine Auswirkungen auf die entsprechenden Personen hat und ein Kurzschluss bei zu geringem Abstand zwischen Pistole und Objekt vermieden wird. Lacke mit Flammpunkten < 21 °C dürfen nicht mit Handgeräten appliziert und Spannungsquellen sowie deren Anschlüsse nicht in der Kabine aufgestellt werden. Leitfähige, meistens wässrige Lacke bedürfen einer Isolierung der Lackvorratsbehälter, da die Gefahr von Kurzschlüssen über die Dosierleitung besteht. Diese sind ebenfalls zu isolieren. Triboelektrische Sprühgeräte für Pulverlacke kommen ohne Hochspannungselektroden aus. Sie erzeugen die Spannung durch Reibung des Pulvers an den Sprühorganen (siehe Kapitel 4.2.2). Die bei der Applikation auftretenden Ströme liegen im Bereich von µA und sind nicht kritisch. Dennoch kann eine hohe Aufladung erfolgen, wenn die Erdung aller spannungsführenden Teile nicht vollständig ist. Dies gilt auch für die Lackierer, die deshalb mit leitfähigem Schuhwerk auf leitfähigem Fußboden agieren müssen.

Umwelt

Explosions- und Brandschutz Die Gefahr einer Explosion bei elektrostatischen Lackieranlagen ist dann gegeben, wenn folgende Bedingungen vorliegen: 1. ein explosionsfähiges Luftgemisch liegt vor, 2. es existiert eine Zündquelle mit einem Energieinhalt, der größer als die Mindestzündenergie des explosionsfähigen Luftgemisches ist und 3. es kommt zur Auslösung einer Funkenentladung von der Zündquelle. Ziel der Sicherheitsnormen und damit aller Lackanwender ist es daher, mindestens eine dieser Voraussetzungen mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Dabei hat die Vermeidung von explosionsfähigen Luftgemischen die erste Priorität. Dies lässt sich relativ einfach mit einer entsprechenden Luftführung und dessen Kontrolle in den Lackierkabinen realisieren. Beim Unterschreiten entsprechender Zuluftmengen kann z.B. die Hochspannung automatisch abgeschaltet werden. Für Pulverlacke ist diese Maßnahme ebenso bedeutsam, lässt sich aber in der Durchführung wegen der Ansammlung von Pulverstäuben und deren Aufwirbelungen nicht sicher anwenden. Zündfähige Gemische entstehen oberhalb 20 g Pulver/m3 Luft. Sowohl für flüssige Lacke als auch Pulverlacke gilt allerdings, dass im Sprühstrahl selbst diese Maßnahmen nicht greifen. Aus diesem Grunde müssen Vorkehrungen bei den Zündquellen ergriffen werden. Zunächst gilt das absolute Verbot jeglicher anderer Zündquellen als der Applikationsgeräte selbst. Darüber hinaus müssen die Spritzpistolen als Zündquelle eine Energiebegrenzung und einen Mechanismus zur Verhinderung der Funkenentladung besitzen. Der sicherheitstechnische Nachweis der verschiedenen Bautypen von Sprühgeräten erfolgt in Versuchen bei staatlichen Prüfstellen wie den Technischen Überwachungsvereinen (TÜV) oder der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Luft650

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltschutz

Gas-Gemische mit bekannten Zündenergien werden dazu herangezogen. Pistolen für die triboelektrische Aufladung von Pulverlacken werden mit Aufladeströmen bis max. 15 µA als freigegeben deklariert. Die Sicherstellung der Erdung nach Abschalten der Hochspannung muss in weniger als zwei Sekunden erfolgt sein, damit Anlagenteile gefahrlos berührt werden können. Zur Erdung bestehen folgende Forderungen:

Die letzte Forderung ist nur durch sorgfältiges und häufiges Reinigen der Gehänge zu erfüllen. Zusätzlich ist eine Erdungsüberprüfung der in den Lackierprozess einlaufenden Gehänge in diesem Zusammenhang sehr sinnvoll.

5.3 Umweltschutz 5.3.1 Abluft Das Abkommen der internationalen Staatengemeinschaft unter Leitung der UNO vom 12.11.2001 in Marrakesch hat die Umsetzung des Kyoto-Protokolls aus dem Vorjahr an Hand von konkreten Maßnahmen festgelegt. Die Zielvorgabe des Klimaschutzabkommens ist eine Verminderung der Emission von Treibhausgasen inklusive Kohlendioxid um durchschnittlich 5,2 % bis 2012, wie es in einer Folgeverpflichtung vereinbart wurde [5.8.6]. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich 21 % Reduktion zum Ziel gesetzt. Weitergehende Zielvorgaben sind im 5. und 6. Umweltprogramm der Europäischen Union sowie dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen enthalten. Damit verbunden ist eine Verbesserung der Lebensqualität und Verringerung der Ozon-Konzentration im bodennahen Bereich. Ozon bildet sich gerade dort durch die KohlenwasserstoffEmissionen z.B. aus Reinigungsanlagen, Lackieranlagen sowie Automobilemissionen in Verbindung mit Sauerstoff und UV-Strahlung. Der Beitrag aus der Lackindustrie liegt bei etwa einem Drittel des Segmentes „Lösemittelverwendung“ der Abbildung 5.3.1, die zusätzlich noch die Reinigungsindustrie als wichtigste Branche beinhaltet. Laut Umweltbundesamt wird der Zielwert 2010 knapp erreicht [5.8.7]. Allerdings ist abzusehen, dass die Maßnahmen in dem Bereich der Lösemittelverwendung, also auch Lackherstellung und -verarbeitung nicht zu einer deutlichen Abnahme der Lösemittelemissionen bis zum Jahre 2010 führen und einen Anteil von etwa 70 % der gesamten Emission erreichen werden. Der HandlungsbeBASF-Handbuch Lackiertechnik 651

Umwelt

• Griffteile von Handpistolen müssen wenigstens 20 cm2 einer elektrisch leitenden und geerdeten Berührungsfläche aufweisen • Alle leitfähigen Bauteile wie Kabinen, Arbeitsgeräte und sonstige Gegenstände sind vollständig zu erden • Die Lackierer müssen elektrisch leitfähiges Schuhwerk tragen • Der Ableitwiderstand zwischen Schuhwerk des Lackierers, dem Fußboden und der Erde darf nicht mehr als 1 MΩ betragen • Kabinen für die Flüssiglackverarbeitung müssen aus elektrisch leitfähigen Materialien bestehen und geerdet sein • Der Widerstand an Kontaktstellen zwischen jedem Werkstück und dem geerdeten Pol der Hochspannungsquelle darf während des Beschichtungsvorganges nicht mehr als 1 MW betragen.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

darf zum Erreichen des Zielwertes in Deutschland ist bei der Anwendung deutlich größer als bei der Produktion von Lacken, die heute fast ausschließlich in geschlossenen Systemen abläuft. Aus diesem Grunde wird im Folgenden schwerpunktmäßig die Applikation von Lacken behandelt. Lösemittelemissionen aus der Lackherstellung und -verarbeitung in technischen Anlagen Abbildung 5.3.1: Beiträge zur Emission organischer Stoffe in werden durch die 31. BundesDeutschland in kt Quelle:VdL immissionsschutzverordnung (BImSchV) als Umsetzungsverordnung der europäischen VOC-Richtlinie von 1999 geregelt [5.8.8].

Umwelt

Das BImSchG formuliert in den Paragraphen 1 und 22 qualitativ die Zielvorgaben an industrielle Betriebe: §1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen sowie Tiere, Pflanzen und andere Sachen vor schädlichen Umwelteinwirkungen und, soweit es sich um genehmigungsbedürftige Anlagen handelt, auch vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen … zu schützen und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen.“ §22: „Nicht genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass 1. schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, 2. nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden und 3. die bei Betrieb der Anlagen entstehenden Abfälle ordnungsgemäß beseitigt werden können.“ Genehmigungsbedürftig sind Lackieranlagen, wenn in ihnen mehr als 25 kg organische Lösemittel pro Stunde verbraucht werden. Ebenfalls genehmigungsbedürftig sind Lackieranlagen, wenn der Jahresverbrauch an organischen Lösemitteln 15 t oder mehr erreicht. Die Emissionsgrenzwerte, in einigen Fällen auch die Genehmigungsgrenzwerte sind branchenspezifisch, z.B. für die Anlagen zur Lackierung von Automobilen, Emballagen, Coil Coating-Anlagen und sonstige Anlagen zur Beschichtung von Massengütern. Die 31. BImSchV lässt Lösungen über emissionsarme Lacke in Form von Reduzierungsplänen als auch über Nachbehandlung der Emissionen zu. In dieser Vorschrift sind auch kleinere, nicht genehmigungsbedürftige Lackieranlagen geregelt. Für alle Anlagen schreibt die 31. BImSchV Grenzwerte der Belastung der emittierten Luft je nach Schadstoffklasse der Belastungskomponenten vor. Die Gesetzeswerke basieren auf dem Prinzip der Dynamisierung. So sind die Grenzwerte lediglich als Mindestanforderung zu sehen, die innerhalb von Fristen für Altanlagen 652

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltschutz

erreicht werden müssen. Neuanlagen werden dagegen nach dem aktuellen Stand der Technik bewertet. Damit ist die Entwicklung und Erprobung fortschrittlicher Verfahren im Sinne der Umweltgesetze gemeint.

Emissionsgrenzwerte nach 31.BImSchV Be- und Entlüftungsanlagen mit Abgasreinigung Lösemittelverbrauch > 5 t/a bis 15 t/a

100 mg/m3

Lösemittelverbrauch > 15 t/a

50 mg/m3

mit TNV

20 mg/m3

Be- und Entlüftungsanlagen ohne Abgasreinigung mit

Produktbezogene Emissionsaspekte Die erreichten Fortschritte zur Emissionsreduzierung über die Entwicklung neuer Lacke und Prozesse lassen sich beispielhaft an dem Lackierprozess in der Automobilindustrie darstellen (siehe Abbildung 5.3.3). Diese lösemittelarmen bzw. -freien Lacke sind auch in der allgemeinen Industrie zum Einsatz gekommen. Die Umsetzung der europäischen VOC-Richtlinie in Form der 31. Bundesimmissionsschutzverordnung erfasst nicht nur die Großanlagen, sondern in einem bedeutendem Umfang auch die mittleren und kleinen Lackierbetriebe oder sonstige lösemittelverarbeitende Produktionsstätten. Für die meisten gilt der auf ein Drittel gesenkte Schwellenwert von 5 t/a an Lösemittelverbrauch für die Erfassung durch die jeweiligen Behörden. Bei Automobillackieranlagen liegt dieser Wert wie erwähnt bei 15 t/a für Großserienproduktion. Ein wichtiges Instrument dieser Verordnung hauptsächlich für die kleineren und mittleren Lackverarbeiter ist die Lösemittelbilanz oder der Solvent Management Plan (SMP). Hierin wird eine Lösemittelbilanz zwischen Einkauf und Verbrauch der Lösemittel innerhalb aller bezogenen Produkte unter Annahme und Beachtung diffuser Lösemittelverluste im Applikationsbereich aufgestellt.

Abbildung 5.3.3: Emissionsreduzierung bei der Originallackierung von Automobilen bezogen auf m2 zu lackierende Fläche

BASF-Handbuch Lackiertechnik 653

Umwelt

diffuser Emission Die TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft) Lösemittelverbrauch > 5 t/a bis 15 t/a 25 mg/m3 von 1986 als technische AnleiLösemittelverbrauch > 15 t/a 20 mg/m3 tung zur Erreichung der EmissiAutomobilindustrie onswerte ist zu diesem Zwecke Alle Anlagen* 35 g/m2 neu gefasst worden und ab Okto*gilt ab 2007 ber 2002 in Kraft. In ihr werden nur noch die staub- bzw. par- Abbildung 5.3.2: Allgemeine Emissionsgrenzwerte der 31. BImSchV tikelförmigen Emissionen der für Lackieranlagen und Lackherstellung Lackherstellung und -verarbeitung geregelt. Sie hat dann für die VOC-Emission Bedeutung, wenn die Anlage von der 31. BImSchV nicht erfasst wird. Dies ist zum Beispiel bei der Harzproduktion in der Lackindustrie der Fall.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Unabhängig davon werden Pflichten zur Minderung und Überwachung der Emissionsquellen festgelegt. Hierbei besteht eine Wahlmöglichkeit zwischen Einhaltung der Grenzwerte in mgC/m3 (siehe Abbildung 5.3.2) oder der Vorlage eines Reduzierungsplanes auf Basis der Lösemittelgehalte pro Lackfestkörper. Diese Minderungsziele müssen im Verhältnis zum heutigen Branchenstandard stehen und nachweislich nach zu vereinbarenden Zeitzielen innerhalb der Gesetzesvorgaben erreicht werden. Je nach Anwendungsbereich liegen diese Vorgaben zwischen 150 und 320 l Lösemittelemission pro 400 bis 200 kg verbrauchtem Lackfestkörper. Eine wichtige Maßzahl der Lacke zur Aufstellung eines SMP bzw. zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben ist der sogenannte VOC-Wert (VOC = Volatile Organic Compounds). Dieser Wert gibt bezogen auf den applikationsfähigen Zustand des Lackes die Anteile an, die als flüchtig gelten und damit eine potenzielle Emissionsquelle darstellen. Der VOC-Wert wird nach DIN EN ISO 11890-1 (> 15 % Lösemittel) oder -2 (0,1 bis 15 % Lösemittel) bestimmt und berechnet sich nach folgender Formel (siehe Kapitel 2.3.2):

Umwelt

Die Grenze zwischen flüchtig und nichtflüchtig (fest) ist für eine organische Verbindung folgendermaßen definiert: Definition: Eine organische Verbindung ist flüchtig, die bei 293,15 K einen Dampfdruck von 0,01 KPa oder mehr hat oder unter den jeweiligen Verwendungsbedingungen eine entsprechende Flüchtigkeit aufweist. Der Kreosotanteil, der bei 293,15 K diesen Dampfdruck übersteigt, gilt als flüchtige organische Verbindung. Für Lösemittel verarbeitende Betriebe, die sich mit Oberflächenprozessen befassen, gilt die Industrial Emission Directive (IED) 2010/75/EU. Darunter fallen Betriebe, die mehr als 150 kg/h oder mehr als 200 t/a an Lösemittel verarbeiten. Die Implementierung erfolgt landesspezifisch bis 2013. Für die Reduzierung der VOC-Emission in Richtung Handwerker inklusive Autoreparaturlackierer und DIY-Bereich ist die Decopaint-Richtlinie in Europa (2004/42/EG) und die entsprechende Umsetzung in Deutschland (ChemVOCFarbV von 2004) verabschiedet worden. Sie setzt direkt an den Beschichtungsstoffen an und schreibt u.a. für alle im Bautenbereich und zur Autoreparatur verwendeten Lacke und Farben Höchstgehalte an flüchtigen organischen Verbindungen in der ersten Stufe ab 2007 und in einer 2. Stufe weiter reduziert ab 2010 vor. Dazu sind die verwendeten Produkte in verschiedene Kategorien eingeteilt und entsprechende Grenzwerte vorgeschrieben worden. Die Abbildung 5.3.4 gibt einige ausgewählte Werte wieder [5.8.8]. Als zusätzliches Kriterium für die Festlegung der Emissionsbegrenzung gilt die toxikologische Bewertung bezüglich des karzinogenen, mutagenen oder reproduktionstoxischen Charakters der organischen Stoffe, die sogenannten cmr-Stoffe. Diese haben deutlich geringere Grenzwerte als die sonstigen organischen Substanzen (siehe Abbildung 5.3.2 und 5.3.5). Lackhersteller dürfen 2 % des Lösemittelverbrauchs für die Produktion in Europa und 1 % in Deutschland emittieren. 654

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltschutz Produktkategorie

Lacktyp

VOC [g/l] ab 1.1.2007

VOC [g/l] ab 1.1.2010

Matte Beschichtungsstoffe für Innenwände und -decken

W L

75 400

30 30

Glänzende Beschichtungsstoffe für Innenwände und -decken

W L

150 400

100 100

Beschichtungsstoffe für Außenwände aus mineralischen Baustoffen

W L

75 450

40 430

Klarlacke und Lasuren für Bauwerke und Bauelemente

W L

150 500

130 400

Einkomponentenspeziallack für Bauten

W L

140 600

140 500

Zweikomponentenspeziallack für Bauten

W L

140 550

140 500

Füller für Automobilreparaturlackierung

540

Decklacke für Automobilreparaturlackierung

420

W = Wasser verdünnbarer Lack L = Lösemittel gelöster Lack

Nicht in direktem Zusammenhang mit der Schädlichkeit steht der Geruch emittierter Stoffe. Innerhalb des BImSchG wird auch festgelegt, dass eine Geruchsbelästigung der Anwohner eines Industriebetriebes vermieden werden soll. Die dazu geeigneten anlagentechnischen Maßnahmen werden aufgeführt. Die emissionsbegrenzenden Anforderungen können nach der VDI-Richtlinie 38840 zusammen mit der DIN EN 13725 anhand von olfaktometrisch bestimmbaren Werten quantifiziert werden. Dafür werden von geschulten Probanden Geruchsschwellenwerte von Lösemitteln und anderen Stoffen ermittelt. Mit den Olfaktometern, benannt nach dem Geruchsnerv nervus olfaktoris, wird die Wahrnehmung geruchsbelasteter Luftströme bei zunehmender Verdünnung der Prüfluft mit geruchsfreier Neutralluft als Grundlage zu Berechnung von Kennzahlen, genutzt. Das Verhältnis des Volumens der bis zur Geruchsfreiheit (Geruchsschwelle) verdünnten Probe zum Volumen des Originals wird in GeruchseinArt der Emission

Sätze

Gesamtstaub

cmr-Stoffe*

Alt: R 40, 45, 46, 49, 60, 61 Neu: H 340, 350, 350i, 360d, 360f

Bereich

Emissionsgrenzwerte

Festlegung

Applikation

20 mg org. C

TA-Luft

Spritzapplikation

3 mg org. C

TA-Luft

Lackherstellung

10mg org. C

TA-Luft

Applikation

50 mg org. C

BImSchV

Spritzapplikation

1 mg org. C

BImSchV

Lackherstellung

20mg org. C

BImSchV

* R- und H-Sätze siehe Kap. 5.1

Abbildung 5.3.5: Grenzwerte der flüchtigen cmr- und sonstiger Stoffe pro Norm-m3-Abluft aus Lackieranlagen in Deutschland gemäß der 31. BImSchV und TA Luft

BASF-Handbuch Lackiertechnik 655

Umwelt

Abbildung 5.3.4: Grenzwerte ausgewählter Lacke aus der Decopaint-Richtlinie

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

heiten (GE) angegeben. Damit gelingt es, den Erfolg von Abluft- bzw. Atemluftreinigungen durch Berechnung von Geruchsminderungszahlen (GMZ) zu quantifizieren. Die Geruchsminderungszahl ist definiert als: GMZ = (1- GEn/GEv), wobei GEn und GEv die Geruchseinheiten nach bzw. vor der Luftreinigung und bedeuten. Dabei ist zu beachten, dass Stoffe wie Schwefelwasserstoff z.B. schon gerochen werden können, bevor sie eine Konzentration erreicht haben, die schädlich ist. Es gibt allerdings auch Stoffe, die umgekehrt noch nicht riechbar sind oder schon vorher in schädlichen Konzentrationen auf den Organismus einwirken können. Im Rahmen von genehmigungspflichtigen Anlagen muss die Geruchsimmissionsrichtlinie beachtet werden. Verfahrenstechnische Möglichkeiten zur Emissionsreduzierung Die Gesetzeslage in Europa und auch anderen Regionen der Welt wie Nordamerika lässt auch eine verfahrenstechnische Lösung für die Emissionsminderung zum Erreichen der vorgeschriebenen Grenzwerte zu. Es gelten dann die Belastungswerte der Abluft, die messtechnisch vor Ort überprüft werden müssen.

Umwelt

In den Lackieranlagen können an drei Stellen Emissionen von Lösemitteln auftreten, nämlich bei der Lackversorgung/Lacklager, der Lackapplikation und der Härtung/Ofen. Je nach Lackierverfahren und Lacktypen sowie dem Emissionsort sind die Belastungen der Luft sehr unterschiedlich. Man kann aber davon ausgehen, dass bei Lackdurchsätzen mit bedeutend mehr als dem gesetzlichen Schwellenwert von 5 t/a Lösemittel eine Reinigung der Abluft notwendig ist soweit nicht durch Verwendung emissionsarmer Beschichtungsstoffe die Anforderungen erfüllt werden. Für hohe und niedrige Belastungen der Abluft haben sich unterschiedliche Verfahren durchgesetzt. Für die im Vergleich zu den Spritzkabinen hohe Belastung der Abluft der Einbrennöfen ist die thermische Nachverbrennung (TNV) das Verfahren der Wahl [5.8.9], für geringere Belastungen bei der Lackversorgung und Lackapplikation sind es die Adsorptionsverfahren. Anwender von großen Mengen Lack wie die Automobilindustrie kombinieren die Abluftströme so, dass sie mit einer zentralen thermischen Nachverbrennung für alle Emissionsquellen auskommen. Die TNV basiert auf der kompletten Verbrennung der organischen Inhaltsstoffe zu Wasser, CO2 und Stickoxiden. Letztere entstehen zum einen durch die Stickstoffgehalte der Lacke z.B. bei PUR-Lacken wie auch durch die bei Temperaturen von 700 bis 900 °C stattfindende Oxidation des Luftstickstoffes. Die zur vollständigen thermischen Nachverbrennung notwendigen Temperaturen werden durch die Zuführung von Zusatzbrennstoffen in die Verbrennungskammer erreicht. Neben der Temperatur sind die Verweilzeit der Abluft und die Durchmischung des Zusatzbrennstoffes mit der Abluft bedeutend für einen hohen Wirkungsgrad. Je länger die Verweilzeit in der Verbrennungskammer, desto besser ist die Reinigungswirkung der Anlage. Eine Begrenzung der Verbrennungstemperatur auf < 1000 °C wird dadurch notwendig, dass oberhalb von 1000 °C die Stickoxidbildung deutlich ansteigt und zulässige Grenzwerte überschreiten kann. Allerdings ist eine möglichst hohe Temperatur für die Reduzierung des Kohlenmonoxidgehaltes günstig. Die modernen Anlagen lassen sich optimal auf die jeweiligen Bedingungen einstellen und erreichen deshalb eine sehr gute Reinigungswirkung der Abluft. 656

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Umweltschutz

Rohgas Brennstoff

Reingas

TNV – Thermische Nachverbrennung

Rohgas Brennstoff

Reingas

KNV – Katalytische Nachverbrennung Problematisch ist bei allen thermischen Abluftbehandlungen die schon erwähnte Entstehung Abbildung 5.3.6: Schema von thermischen Nachverbrennungsanlagen von Sekundäremissionen. Muss beispielsweise eine Nachreinigung gering lösemittelbeladener Abluft auf unter 20 mg C/m3 erfolgen, so entstehen je nach Rohgasgehalt pro Tonne emittiertes VOC bis zu 2 bis 3 t Kohlenmonoxid, bis zu 2 bis 3 t Stickoxide und bis zu 1700 t Kohlendioxid. Da Kohlenmonoxid und die Stickoxide am photochemischen Prozess zur Ozonbildung in der unteren Atmosphäre beteiligt sind, kann eine solche Nachbehandlung kontraproduktiv sein.

Neben der TNV findet man vereinzelt noch das Verfahren der katalytischen Nachverbrennung (KNV), die ebenso wie die thermische Nachverbrennung zu einer Oxidation der organischen Inhaltsstoffe zu Wasser und CO2 führt. Bei diesem Verfahren wird die Aktivierungsenergie der Oxidation durch geeignete Katalysatoren auf 350 bis 500 °C herabgesetzt. Trotz energetischer Vorteile gegenüber der TNV, insbesondere wenn kein integrierter Betrieb möglich ist, hat sich das Verfahren nicht durchgesetzt, da wirtschaftlich arbeitende Katalysatoren durch die Inhaltsstoffe bei Lackieranlagen kontaminiert und inaktiv werden [5.8.11]. Bedeutsamer sind die Adsorptionsverfahren vor allen Dingen dann, wenn eine geringe Belastung durch organische Stoffe in den Abluftströmen vorliegt. Bei diesem Verfahren werden die organischen Stoffe aus der Gasphase an einer Feststoffoberfläche, dem Adsorbens angelagert und damit dem Luftstrom entzogen. Die Bindung am Adsorbens ist überwiegend physikalischer Natur und damit unter bestimmten Bedingungen reversibel. Ein sehr oberflächenaktives Adsorbens ist die Aktivkohle, die sich auch in den Anlagen für die Lackindustrie bewährt hat. Voraussetzung für den reibungslosen Betrieb ist partikelfreie Abluft. Die früher in diskontinuierlich arbeitenden Festbettanlagen mit dem Abgas durchströmte Aktivkohle wird heute in einem Fließbett kontinuierlich über Lochsiebe geführt, so dass das Adsorbens die Lösemittel gleichmäßig dem Abgas entziehen kann. Die mit einer spezifischen Oberfläche von mehr als 1000 m2/g äußerst poröse Aktivkohle wird nach der Beladung mit den Lösemitteln aus der Abluft einer Desorptionsanlage zugeführt, um dort entweder mit überhitztem Dampf bei 150 °C oder mit sauerstoffarmer Luft (< 10 %) bei 600 °C wieder vom Lösemittel befreit zu werden. Durch Abkühlen auf Raumtemperatur werden die Lösemittel in die flüssige Phase überführt. BASF-Handbuch Lackiertechnik 657

Umwelt

Die thermische Energie wird meistens für den Produktionsprozess, die Vorwärmung des Abluftstromes oder sonstigen Wärmebedarf verwendet. Solche Anlagen zur ThermischRegenerativen Abluftreinigung (TRA) [5.8.10] arbeiten diskontinuierlich und ab einer Lösemittelkonzentration von etwa 1,2 g/ m3 in der Abluft autotherm und darunter sehr wirtschaftlich.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Nachteile des Verfahrens sind die Schwierigkeiten bei der Lösemittelaufbereitung durch Heißdampf. Befinden sich im Lösemittelgemisch wassermischbare Anteile, finden sich diese nicht in der organischen, sondern in der wässrigen Phase wieder. Eine Aufbereitung des Wassers ist deshalb erforderlich. Die Desorption mit Inertgas bzw. sauerstoffarmer Luft führt unter den Bedingungen der thermischen Belastung von 600 °C in Abhängigkeit von der Art der Lösemittel zu mehr oder weniger starken chemischen Veränderungen der Lösemittel und der katalytisch wirkenden Oberfläche der Aktivkohle. Ein Teilaustausch der Adsorptionsmittel muss deshalb regelmäßig erfolgen. Es darf nicht übersehen werden, dass die Adsorptionsfreudigkeit der Lösemittel von ihrer Flüchtigkeit und Polarität abhängt. Demzufolge sind weniger polare Niedrigsieder schwieriger abzutrennen als die anderen Bestandteile des Lösemittelgemisches in der Abluft. Die Regeneration ist sehr energieintensiv.

Umwelt

Emission aus Beschichtungen Für Möbel bzw. Möbeloberflächen und auch bei dem Interieur von Automobilen relevant ist das Abdunsten von geruchsintensiven oder sogar physiologisch bedenklichen Bestandteilen der Lackierung sowie des Holz- oder des Kunststoffuntergrundes. Nach der Gefahrstoffverordnung dürfen z.B. Möbel-Emissionen in geschlossenen Räumen festgelegte Grenzwerte nicht übersteigen. Für Formaldehyd gilt als zulässiger Höchstwert 0,1 ppm (ml/m3). Auch in der ausgehärteten Lackierung verbliebene Lösemittel können in Räumen zu einer Gefährdung der Gesundheit oder Belästigung beitragen. Gegebenenfalls müssen Kontrollprüfungen in der normalen Umgebung oder in einem speziellen Prüfraum unter definierten Bedingungen durchgeführt werden (DIN ISO 16000-28). Emissionen verschiedenster Art aus dem reichlich mit Kunststoff versehenen Innenraum von Pkw geraten zunehmend in das Visier der Konsumenten.

5.3.2 Abwasser Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) regelt in Verbindung mit den entsprechenden Landeswassergesetzen detailliert den Umgang mit Grund- und Oberflächenwasser. Dies betrifft alle Betriebe, die belastetes Betriebswasser in Vorfluter einleiten wollen oder müssen. Die aktuelle Neufassung des WHG hat den Vorbeugegrundsatz, also Vermeidung von Abwässern und die Dynamisierungsklausel des Immissionsschutzgesetzes übernommen. Die föderale Struktur des Wasserrechtes setzt für eine bundesweite Implementierung die Übernahme solcher Novellierungen in die Landeswassergesetze voraus. Die Länder haben spezifisch für ihre Bedürfnisse Indirekteinleiterverordnungen erlassen, die das Einleiten wassergefährdender Stoff in Sammelkanalisationen vorschreiben. Direkteinleitung heißt, dass betriebliche Abwässer direkt in Oberflächengewässer, z.B. Bäche oder Flüsse geleitet werden. Heute ist allgemein Stand der Gesetzgebung, dass die Einleitung von toxischen Metallen und Chlorkohlenwasserstoffen verboten ist. Genehmigungen für entsprechende Betriebe können nur erteilt werden, wenn eine Abwasserbehandlung nach dem Stand der Technik durchgeführt wird. Die Abwasserverordnung beschreibt die branchenspezifischen Anforderungen an die Belastungslimits verschiedener Stoffe für Direkt- und Indirekteinleiter. Weiter gehende 658

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Umweltschutz

Anforderungen wie z.B. Gebühren auf Basis der Belastungshöhe (siehe weiter) können sich aus den Satzungen der Gemeinden ergeben.

Belastungsstoff

Anhang 40 der Abwasserverordnung

Aluminium

3 mg/l

Eisen

3 mg/l

Kommunalsatzung

In Lackierbetrieben sind die Abwässer aus den aufgeführten Bodenwäschern der Sprühkabinen die größte Quelle von zu behandelndem Abwasser. Daneben fallen noch Abwässer aus dem Elektrotauchlackierprozess in Form verdünnter Essigsäure oder ähnlichen Säuren an, die allerdings ungefährlich sind und deren Einleitungsbedingungen lediglich über die CSB-Werte entsprechend den Kapazitäten der Kläranlagen gesteuert werden. Andere Abwässer können aus den übrigen betrieblich notwendigen Anlagen z.B. in Form von Kühlwasser etc. entstehen. Sie haben nichts mit den Beschichtungsstoffen zu tun. Die gesetzliche Forderung nach hochwertiger Verwertung von Abfällen hat zu einer signifikanten Umstellung der Behandlung der Abwässer aus den Lackierkabinen geführt. So werden die Wässer der Bodenwäscher in Sprühkabinen wässriger Lacke zum Teil nicht koaguliert, sondern nachstabilisiert, damit eine Ultrafiltration problemfrei, d.h. mit längeren Standzeiten zur Rückgewinnung der Lackbestandteile eingesetzt werden kann. Das Umlaufvolumen sollte möglichst klein gehalten werden, damit die Effektivität der Ultrafiltration groß ist. Auf diese Weise wird die Abwassermenge bei der Verarbeitung von Wasserlacken erheblich verringert. Falls eine Rückgewinnung konventioneller Lacke oder deren Komponenten (siehe Kapitel 5.3.3) erfolgen soll, sind die Koaguliermittel auf diesen Prozess einzustellen. Es dürfen keine aggressiven Koaguliermittel eingesetzt werden. Die Koaguliermittel müssen eine schnelle Phasentrennung erzielen und sollten ein Koagulat mit geringem Wassergehalt erzeugen [5.8.12]. Das anfallende Abwasser wird mit bekannten Prozessschritten so behandelt, dass die Grenzwerte für Schwermetalle und andere Stoffe eingehalten werden. Diese Schritte sind Entklebung, Entgiftung, Flockung, Sedimentation und Neutralisation. Die dazu notwendigen Chemikalien sind lackspezifisch [5.8.13]. In der Automobilindustrie ist es üblich, alle Abwässer aus den Lackieranlagen, im Wesentlichen aus der Elektrotauchlackierung, der Overspray-Aufarbeitung und den ReinigungsBASF-Handbuch Lackiertechnik 659

Umwelt

Blei 0,5 mg/l 1 – 2 mg/l Um die spezifischen GrenzPhosphor 2 mg/l werte bei belasteten Abwässern zu unterschreiten, fordert der Kohlenwasserstoff 10 mg/l 10 – 20 mg/l Gesetzgeber konsequenterweise CSB 300 mg/l ca. 600 mg/l Maßnahmen zur Effizienz5.3.7: Grenzwerte für Konzentrationen umweltgefährsteigerung der Betriebswässer Abbildung dender Stoffe gemäß Abwasserverordnung bei Metall verarbeitenden innerhalb der Prozesse. Dazu Betrieben zählt Verminderung von Schleppverlusten aus Prozessbädern, Recycling der Inhaltsstoffe von Spülbädern, Minimierung der Spülwasserabflüsse durch Kreisläufe, Verlängerung von Standzeiten von Prozessbädern wie zum Beispiel den Bodenwäschern in den Spritzkabinen und sonstiges, was dem Stand der Technik entspricht.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

operationen zusammenzuführen und entsprechend zu behandeln. Dabei können so hohe Werte an chemischem Sauerstoffbedarf (CSB) auftreten, dass eine Vorbehandlung der Wasser-Lösemittel-Gemische im Lackierbetrieb vor der Zusammenführung notwendig wird. Hierfür stehen ebenfalls bekannte Behandlungsverfahren zur Verfügung, die je nach Zusammensetzung, Abwassermenge und Platz einsetzbar sind. Dazu zählen der biologische Abbau analog den Kläranlagen, Aktivkohleadsorption oder Adsorption an Molekularsieben, Umkehrosmose, Verdampfung und die chemische Oxidation [5.8.14].

Umwelt

Die Beschichtungsstoffe wie auch deren Rohstoffe selbst werden in drei Klassen der Wassergefährdung eingestuft: Schwach wassergefährdend (WGK 1), wassergefährdend (WGK 2), stark wassergefährdend (WGK 3). Diese Einstufung wird im Sicherheitsdatenblatt angegeben. Entsprechend der Verwaltungsvorschrift „Wassergefährdende Stoffe“ ist Einstufungskriterium die Toxizität der Stoffe gegenüber Wasserorganismen, angefangen von Algen über Kleinstlebewesen wie etwa Wasserflöhe bis zu Fischen. Der kritischste Wert aller Prüfungen wird genommen. Allerdings kann eine gute Abbaubarkeit eine günstigere Einstufung bewirken, eine schlechtere im Gegensatz dazu eine weniger günstigere. Letztere Stoffe erfahren als „ Persistant Organic Pollutants“ (POPs) aktuell große Beachtung. Aus der Kombination von Ausstoßmenge und WGK werden Gefährdungsstufen festgelegt (A bis D), die verschiedene grundlegende Anforderungen an die entsprechenden Betriebe festlegen [5.8.15].

5.3.3 Recycling/Entsorgung Gesetzlich geregelt wird dieser umweltrelevante Themenkreis in Deutschland durch das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG). Dieses schreibt zunächst die Vermeidung von Abfällen vor, dann deren Verwertung in direktem oder indirektem Recycling und zum Schluss, wenn nicht vermeidbar, die Aufbereitung zur Entsorgung. Schon aus ökonomischen Gründen wird bei der Herstellung von Lacken wie auch bei deren Anwendung auf hohe Ausbeute bzw. Wirkungsgrad geachtet. So erzielen heute übliche Lackierprozesse wie das Coil Coating, die Elektrotauchlackierung und auch die Pulverlackierung Materialwirkungsgrade von mehr als 98 %. Bei der Elektrotauchlackierung und der Pulverlackierung sind dafür spezielle verfahrenstechnische Maßnahmen nötig wie die Ultrafiltration bzw. Pulverrückgewinnung (siehe Kapitel 4.2.1 und 4.2.2). Abfall lässt sich insbesondere bei der Sprühapplikation zur Herstellung farbiger Beschichtungen nicht vermeiden. Der bei diesen Prozessen anfallende Overspray kann dem Lackierprozess nicht direkt zurückgeführt werden. Zum einen machen häufige Farbtonwechsel die Rückgewinnung unökonomisch, zum anderen lassen die deutlich veränderten Materialeigenschaften angetrockneter Lacke, die wie zum Beispiel bei 2-komponentigen Lacken häufig nicht reversibel sind, eine direkte Rückgewinnung nicht zu [5.8.16]. Die durch verschiedene Aufarbeitungsmethoden anfallenden Lackschlammmengen im industriellen Segment betrugen in Deutschland im Jahre 2010 etwa 80.000 t. Dies sind 5 % der verarbeiteten Lackmenge von 1,6 Mio. t. Bezogen auf die industriell verarbeiteten Beschichtungsstoffe macht dies dann mehr als 10 % aus. Dabei arbeitet die Automobilindustrie trotz ihres hohen Anteils an Sprühlacken weitaus effizienter (siehe Abbildung 5.3.8). 660

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltschutz

Die Anstrengungen zur direkten Wiederverwendung von Lackabfällen für die Lackierung haben einige Lösungen und Ansätze hervorgebracht [5.8.18], 5.3.8: Lackschlammmengen in Deutschland haben sich aber in letzter Zeit, Abbildung  Quelle: eigene Schätzung wie beschrieben, auf die Optimierung der Applikation zur Erhöhung des Auftragswirkungsgrades und kürzerer, effizienterer Prozesse verlagert. Gründe dafür liegen darin, dass sich die verschiedenen Projekte z.B. zur Aufarbeitung von Wasserfüllern oder Separierung der Lackabfälle in Filmbildner-, Lösemittel- und Pigmentfraktionen nicht weitreichend in den industriellen Alltag übertragen ließen. Üblicherweise lag dies nicht an der technischen Machbarkeit, sondern an Kostenkalkulationen und der Gesetzeslage, die die Vermeidung dem Recycling voranstellt. Das Recycling der dennoch anfallenden Abfälle erfolgt auf einer niedrigen Stufe der Stoffverwertung. So werden Abfälle Stahlöfen als Kohlenstoffspender zugeführt, als Brennstoff verwendet, in der Zementindustrie verarbeitet (siehe Kapitel 7.1 und 4.2.1.5) oder zu Synthesegas umgewandelt (siehe Abbildung 5.3.9) [5.8.19].

Lack

Veredlungsschritte

Lack aus Overspray Lack aus Auswaschwasser Recyclinglack aus Koagulat Bindemittelkonzentrat Dispersion für Formteile reaktiver Füllstoff Niedertemperatur-Konvertierung ausreagierter Füllstoff Pyrolyse, Hydrolyse Verbrennung

Erdöl

Abbildung 5.3.9: Möglichkeiten des Recyclings organischer Lackabfälle in der Rohstoffkette

BASF-Handbuch Lackiertechnik 661

Umwelt

In den Lackierprozessen wird beständig hoher Aufwand zur Vermeidung von Abfällen betrieben. Hier ist in den letzten Jahrzehnten sowohl in der Verfahrenstechnik der Spritzkabinen [5.8.9] als auch insbesondere durch die Verbesserung der Applikationsbedingungen und neue sowie störungsfreiere Lackierprozesse Erhebliches geleistet worden [5.8.17].

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Bei der Pulverlackierung ist die Situation deutlich günstiger. Da der Erstauftragswirkungsgrad lediglich etwa 50 bis 60 % beträgt, der damit verbundene Lackfestkörperverlust sehr hoch und Pulver als Feststoff einfach zu handhaben ist, gehört ein direktes Recycling des Oversprays zum Stand der Technik. Anderenfalls würde die Pulverlackierung ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber flüssigen Lacken verlieren (siehe Kapitel 4.2.2 und 5.7). Recycling ist ein wichtiges Thema auch bei den Verpackungen von Lacken. Wenn eine ausreichend gute Trennung zwischen der Verpackung und dem Füllgut, also dem Beschichtungsstoff, gewährleistet ist, wird die Einwegverpackung der jeweiligen stofflichen Verwertung zugeführt, das heißt Fässer der Stahlgewinnung und Holz, Pappe und Beutel üblicherweise der Verbrennung. Im industriellen Bereich werden mehrheitlich Mehrweggebinde eingesetzt, die nach Reinigung wiederverwendet werden. Die Deponierung von Abfällen aus der Oberflächenbehandlung ist für die meisten Stoffe verboten, da sie einen Glühverlust > 3 % haben oder lösliche Inhaltsstoffe an das Sickerwasser abgeben können.

Umwelt

5.4 Gesundheit Bei der Entwicklung, der Herstellung und der Verwendung von Beschichtungsstoffen in Deutschland gilt es, das Chemikaliengesetz mit der Gefahrstoffverordnung sowie den technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) und die Vorschriften und Regeln der Berufsgenossenschaften einzuhalten. Die meisten Lacke gelten danach als Gefahrstoffe im gesetzlichen Sinne. Darüber hinaus sind die Grundsätze des „Verantwortlichen Handelns“ (Responsible Care) der chemischen Industrie moralische Verpflichtung auch der Lackindustrie. Dies wird in den Leitlinien zur Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz des Verbandes der deutschen Lackindustrie (VdL) ausgedrückt.

Abbildung 5.4.1: Struktur des Gefahrstoffrechtes in Europa und Deutschland

662

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Gesundheit LD50, oral Sehr giftig Giftig Gesundheitsschädlich

LD50, dermal

LC50, inhalativ

< 25 mg/kg

< 50 mg/kg

< 0,5 mg/l x 4 h

25 – 200 mg/kg

50 – 400 mg/kg

0,5 – 2,0 mg/l x 4 h

200 – 2000 mg/kg

400 – 2000 mg/kg

2,0 – 20 mg/l x 4 h

Abbildung 5.4.2: Klassifizierung der Stoffe gemäß GefStV in mg/kg Körpergewicht und mg/l Konzentration in der Luft

Die zunächst als Rahmengesetze vorgegebenen europäischen Richtlinien greifen immer direkter in die einzelnen Ländergesetze ein. So sind in einer der letzten Verordnungen des Gefahrstoffrechtes gleitende Verweise auf die EU-Richtlinien eingeführt worden, so dass das EU-Recht nach den üblichen Umsetzungsfristen direkt auch in Deutschland gilt. Die zuletzt novellierte Gefahrstoffverordnung hat zusätzlich die Stoff-Richtlinie, die Zubereitungsrichtlinie und die Sicherheitsdatenblattrichtlinie als Kompendium eingeführt.

Für die einzelnen Rohstoffe wie z.B. die Lösemittel der Beschichtungsstoffe (siehe Kapitel 2.1.2) werden akute Toxizitätswerte ermittelt (siehe Abbildung 2.1.156). Dies erfolgt nach der OECD 401-Richtlinie sowohl oral (LD = letale Dosis, dermal (LD) als auch inhalativ (LC = letale Konzentration) in Abhängigkeit von der Natur des Stoffes. Üblicherweise werden die Werte angegeben, bei der 50 % der Versuchstiere, meistens Ratten und Mäuse, die Dosierung innerhalb von 14 Tagen nicht überleben. Die Einstufung erfolgt dann durch die Senatskommission in sehr giftig, giftig und gesundheitsschädlich. Die Zielsetzungen der Gesetzgebung und der Grundsätze des „Verantwortlichen Handeln“ sind zum einen die sichere Handhabung und Vermeidung gesundheitlicher Risiken jeglicher Art wie auch die rasche und präzise Notfallauskunft für Behörden, Ärzte und natürlich Kunden. Hierfür ist das schon erwähnte Sicherheitsdatenblatt (siehe Kapitel 5.1) die Grundlage. Es beschreibt die Risiken in sogenannten standardisierten R-Sätzen und die Maßnahmen zur Vermeidung in sogenannten S-Sätzen und schlägt bei Unfällen mit dem Produkt Maßnahmen vor. Dies gilt im Wesentlichen für akute Unfälle und deren Risiken (siehe Kapitel 5.1). Im Umgang mit Lacken in der Entwicklung, Produktion und in der Anwendung bilden die Kontamination der Haut sowie Augen und die Exposition und Einatmung besondere Gefährdungspotenziale. Kontaminationen können in den meisten Fällen durch persönliche Schutzausrüstungen wie Arbeitskittel, Sicherheitsschuhe, Schutzhandschuhe, Schutzbrillen, Atemmasken und eventuell ganze Sicherheitsanzüge vermieden werden. Diese Ausrüstung muss den spezifischen berufsgenossenschaftlichen Anforderungen gerecht werden. Bei regelmäßigem Umgang mit Produkten, die als gesundheitsgefährdend eingestuft sind, ist darüber hinaus eine regelmäßige arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung vorgeschrieben. BASF-Handbuch Lackiertechnik 663

Umwelt

Die letzte erwähnenswerte Änderung auf europäischer Ebene, nämlich die Verordnung 1272/2008/EG (CLP-Verordnung) hat die Einstufung von Zubereitungen als umweltgefährlich und die Ausweisung sensibilisierender Stoffe vorgeschrieben. Die deutsche Verordnung zur Einstufung und Kennzeichnung findet sich in der TRG 200.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Die Exposition der Mitarbeiter wird in Abhängigkeit von Untersuchungen oder Risikobetrachtungen der jeweiligen Stoffe ständig durch den Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) innerhalb der TRGS900 (technische Richtlinie Gefahrstoffe) durch die AGWWerte („Arbeitsplatzgrenzwerte“) auf ein als gesundheitlich unkritisch angesehenes Niveau beschränkt. Der AGW-Wert eines Stoffes ist die Konzentration in der Luft als Gas, Dampf oder Schwebstoff, die nach gegenwärtiger Kenntnis bei 8-stündiger Exposition am Tag und 40 Arbeitsstunden pro Woche die Gesundheit nicht beeinträchtigt. Dies muss durch Messungen am Arbeitsplatz nach vorgeschriebenen Methoden regelmäßig überprüft werden und gegebenenfalls müssen technische oder organisatorische Maßnahmen zur Begrenzung der Exposition ergriffen werden anhand der Expositionsszenarien nach REACH. Zur Vervollständigung der Risikobetrachtung werden die Kennzahlen in der Arbeitsumgebung in Form der beschriebenen AGW- und TRK-Werte durch Grenzwerte der Stoffe oder Folgeprodukte im menschlichen Organismus ergänzt. Auf Basis der arbeitsrechtlichen Vorsorgeuntersuchungen sind BAT-Werte („Biologische Arbeitsplatztoleranz“) bestimmter Stoffe als Grenzkonzentrationen für Harnoder Blutwerte festgelegt, bei deren Überschreitung weitere Sicherheitsmaßnahmen vorgeschrieben sind.

Umwelt

Von der Gesetzgebung her wird eine Strategie zur Vermeidung risikohaltiger Formulierungen verfolgt. Die entsprechenden Gesetze haben das Ziel, die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung durch Produkte oder Prozesse so weit wie möglich zu reduzieren. Die beiden wichtigsten Gesetze, die erhebliche Auswirkungen auf das Rohstoffportfolio haben, sind die „Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe…“ (REACH), die Mitte 2007 in Kraft getreten ist, und die Richtlinie 98/8/EG vom 16.2.1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, die eine gesetzliche Grundlage Mitte Juni 2002 im Rahmen der Neufassung des Chemikaliengesetzes in Deutschland erhalten hat. REACH gilt für Chemikalien und Stoffe, aber auch für deren Gemische wie Beschichtungsstoffe und deren Anwendungsszenarien, also die Applikation und Filmbildung. Mit „REACH“ verbunden sind Kosten, deren Auswirkungen vor allem bei kleinen Mengen der Produkte sehr unterschiedlich sind [5.8.20]. Die Registrierungsphase für alle in Europa produzierten und importierten Stoffe ab 1 t/a Marktvolumen ist in 2013 abgeschlossen (siehe Abbildung 5.1.1). Hersteller und Importeure müssen jetzt je nach Volumenklassen darlegen, dass die Produkte sicher in der gesamten Prozesskette zu handhaben sind [5.8.21]. Aufgrund der bioreaktiven Natur der Biozide, die als Holzschutzmittel, Desinfektionsmittel, Konservierungsmittel, Insektizide, Rodentizide etc. eingesetzt werden, sind mit der Verabschiedung der Biocide Product Directive (BPD) 98/8/EC nach 2006 Produkte, die eindeutig toxische Auswirkungen für den Menschen haben auf eine Verbotsliste gesetzt worden. Daneben werden alle Produkte, die vor 2000 verwendet worden sind, erfasst und müssen mit entsprechenden Unterlagen bewertet werden, ob sie weiterhin im Verkehr bleiben können [5.8.22]. Dies hat schon heute deutliche Auswirkung auf die Rohstoffpalette. Eine Revision der Directive tritt mit der Regulierung 2012/528/EU ab 1.9.2013 in Kraft. 664

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Ökobilanzen

5.5 Ökobilanzen

Verschiedene Evaluierungsmodelle sind dafür entwickelt worden, die man unter den Begriffen Nachhaltigkeit („sustainable“), „life cycle analysis“ (LCA), Ökoeffizienz oder Ökobilanzen subsummiert [5.8.26]. Auch die Normierung hat sich dieses Themas angenommen und Standards unter ISO 14040 und 14044 geschaffen, die inzwischen Akzeptanz gefunden haben (siehe Kapitel 6.5). Das wesentliche und neue Element für Entwickler, Maschinenbauer und Vermarkter dabei ist, dass für den Herstellungsprozess eines Produktes nun die Rohstoffverbräuche, Energie und Umweltbelastung vom Produzieren über den Nutzen bis zum Entsorgen erfasst und bewertet werden. Das gleiche Prinzip gilt für das „Life Cycle Engineering“ (LCE), bei dem die Herstellungsprozesse im Vordergrund stehen [5.8.27]. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ erweitert die Betrachtung der geschäftlichen Tätigkeit durch den Aspekt der gesellschaftlichen Verantwortung im sozialen Sinne (siehe auch vorher). Dies wird u.a. in der von verschiedenen Organisationen zertifizierte „SEE-

Relative Bedeutung

Technologie

Umwelt

Markt

Nachhaltigkeit 1500

1920

1950

2000

Zukunft Zeitachse

Abbildung 5.5.1: Entwicklung des relativen Einflusses der Technologie, Ökonomie, Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der Lackiertechnik nach S. Bancken

BASF-Handbuch Lackiertechnik 665

Umwelt

Bei der Entwicklung von Lacken standen bis etwa 1960 die technischen Fortschritte der Funktion von Beschichtungen und der Lackierprozesse im Vordergrund (siehe Kapitel 1.2). Später gewannen Betrachtungen im Zusammenhang mit dem Umweltschutz an Bedeutung. Das Pendel schlug zeitweilig überproportional in die ökologische Richtung aus. Gesetzliche Ansätze waren dafür ursächlich, wobei auf Emissionen in Luft und Wasser das Hauptaugenmerk lag. Seit Beginn der 1990er Jahre haben sich die ökonomischen und ökologischen Zielsetzungen zum Wohle des technischen und sozialen Fortschritts wie auch der Umwelt zusammengefunden. Dies spiegelt sich in zahlreichen Publikationen wieder, die auch die Penetration des Begriffes „Nachhaltigkeit“ in der Branche bei der Entwicklung neuer Produkte von verschiedensten Herstellern von Beschichtungsstoffen aufzeigen [5.8.23, 5.8.24, 5.8.25].

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Balance“-Analyse der BASF-Gruppe verwirklicht, die auf der schon etablierten Ökoeffizienzanalyse des Unternehmens aufbaut und die gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit der gesamten Wertschöpfungskette unter der Rubrik „Social Responsibility“ mit erfasst [5.8.28]. Die betrachteten und qualitativ sowie quantitativ bewerteten Kriterien sind die Produktsicherheit, Schutz der Gesundheit, Zusammenarbeit Management und Mitarbeiter z.B. durch Training und Entwicklungsprogramme sowie die Unternehmensverantwortung für die Gesellschaft. Z.B. werden unter diesen Gesichtspunkten die Rohstofflieferanten klassifiziert und Risiko-Potenziale erfasst und vermieden. Ein „sozialer Fingerabdruck“ ermöglicht einen einfachen visuellen Vergleich der untersuchten Produkte und Prozesse.

Umwelt

Die gesetzgeberischen Strategien auf europäischer Ebene forcieren diese Betrachtungsweise erheblich. So wurden z.B. in der im Oktober 2000 von der EU verabschiedeten Richtlinie für die Entsorgung der Automobile Recyclingquoten von 85 % für das Jahr 2006 verlangt. Dies bezieht sich auf alle eingesetzten Materialien am Auto und nicht nur auf den gewichtsmäßig größten Anteil des Stahls. In 2015 wird diese Quote auf 95 % erhöht. Häufig wird in diesem Zusammenhang die Frage diskutiert, in welche stoffliche Stufe recycelt werden soll (siehe Abbildung 5.3.9). So lassen sich thermoplastische Kunststoffe mit einigen qualitativen Abstrichen in die gleiche Stufe zurück führen, während duroplastische Kunststoffe und die dazu gehörenden Lacke mehr in die Vorstufe der Rohmaterialien wie z.B. Synthesegas transformiert werden müssen. Die Lackierung stellt bei vielen Herstellprozessen von Produkten wie z.B. Schienenfahrzeugen oder Flugzeugen häufig die größte Emissionsquelle für Umweltbelastungen dar. Sie ist darüber hinaus mit erheblichen Energie- und Investitionskosten belastet, die in ihrer Größenordnung sehr stark von dem Lacktyp und Lackierverfahren abhängen. Es ist einsichtig, dass nur ein komplettes Erfassen dieser Faktoren einen sinnvollen Vergleich des Herstellprozesses hinsichtlich Ressourcenschonung und Umweltbelastung erlaubt. Diese beiden Aspekte haben sich als die wichtigsten Basiskriterien zur Beurteilung entsprechend vergleichbarer Verfahren herausgestellt. Die Umweltbelastung wiederum setzt sich zusammen aus den Elementen Emission in Luft, Wasser und Boden, toxikologische Gefährdung von Mensch und Tier sowie Recyclingfähigkeit. Eine absolute Bewertung aller Komponenten einer „Life Cycle Analysis“ ist heute noch mit großem Aufwand verbunden, da das Datengerüst zu einem großen Teil erst noch entwickelt wird. Die Vergleichbarkeit wird zudem dadurch eingeschränkt, dass die Systemgrenzen noch nicht standardisiert sind und verschieden definiert werden. Einen einfachen, aber effektiven Ausweg aus diesem Dilemma schafft beispielsweise die erwähnte Ökoeffizienzanalyse der BASF-Gruppe [5.8.28]. Im Mittelpunkt der Analyse steht der konkrete Kundennutzen. Meistens kann der Kunde zur Erfüllung seiner Bedürfnisse und Wünsche zwischen mehreren alternativen Produkten oder Prozessen wählen. Die Ökoeffizienzanalyse vergleicht die ökonomischen und ökologischen Vorund Nachteile dieser Problemlösungen. Das heißt, es werden nicht pauschal nur Produkte miteinander verglichen, sondern Anwendungen wie zum Beispiel die Lackierung eines Quadratmeters Möbelfrontelement. Ökoeffizient sind solche Problemlösungen, die den konkreten Kundennutzen kostengünstiger und weniger umweltbelastend erfüllen als andere. Kostengünstiger ist hier gleichbedeutend mit Ressourcen schonender. 666

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Ökobilanzen

Stoffverbrauch, Energieverbrauch

Emissionen, Toxizität, Risikopotenzial

Anwendung

Emissionen, Toxizität, Risikopotenzial

Herstellung

Stoffverbrauch, Energieverbrauch

Stoffverbrauch, Energieverbrauch

Entsorgung / Recycling

Berücksichtigung der Verwertung

Emissionen, Toxizität, Risikopotenzial

Dabei liegen der Analyse alle Stufen des Wertschöpfungsringes (siehe Abbildung 5.5.3) zu Grunde. Kosten und Umweltbelastung aller Prozessschritte, nämlich der Herstellung, der Anwendung und der Entsorgung bzw. des Recyclings werden erfasst. Der Produktion vor- oder nachgelagerte Prozessstufen werden ebenfalls mit einbezogen. Das Ergebnis der Analyse wird in einem Ökoeffizienzportfolio zusammengefasst. Kosten und Umweltbelastung bilden die beiden Achsen. Die Skalen sind so gewählt, dass die beste Lösung rechts bzw. oben dargestellt wird. Für alle untersuchten Produkte wird deren relative Position eingetragen. Ökoeffizient sind die Produkte oder

0,5 kleiner

Hohe Ökoeffizienz Zukünftig realisierbare Produktverbesserung

Alternative 3

Alternative 1

Umweltbelastung 1,0

Alternative 2

größer 1,5

Niedrige Ökoeffizienz höher 1,5

1,0 Kosten

niedriger 0,5

Abbildung 5.5.3: Ökoeffizienzportfolio

BASF-Handbuch Lackiertechnik 667

Umwelt

Abbildung 5.5.2: Wertschöpfungsring

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Prozesse, die im rechten, oberen Feld positioniert sind. Auch zukünftige, zu erwartende Produktverbesserungen können ermittelt und zur Veranschaulichung in das Portfolio eingetragen werden. Die zur Bewertung wichtige Umweltwirkung wird anhand von sechs Kategorien beschrieben, die den sogenannten ökologischen Fingerabdruck“ ergeben (1 = gut, 0= schlecht):

Umwelt

• • • • • •

Verbrauch von Rohstoffen Gebrauch bzw. Verbrauch von Landflächen Verbrauch von Energie Emission in Luft, Wasser und Boden (Abfälle) Toxizitätspotenzial der eingesetzten und frei werdenden Rohstoffe Missbrauchs- und Risikopotenzial

Hinter jeder dieser sechs Kategorien verbirgt sich eine Vielzahl detaillierter Einzelkriterien, aus deren Zusammenführung sich die Gesamtumweltbelastung eines Produktes oder Verfahrens ergibt. Die Bedeutung und Tragweite der Eigenschaften in den verschiedenen Lebensabschnitten wird dabei durch sogenannte Relevanzfaktoren berücksichtigt. Diese sagen aus, wie stark einzelne Kriterien in die Gesamtumweltbelastung eingehen, wie also beispielsweise das Ozonzerstörungspotenzial gegenüber dem Treibhauspotenzial gewichtet wird. Beim Verbrauch von Rohstoffen werden die Verfügbarkeit und das natürliche Vorkommen und die damit unterschiedlichen Reichweiten einkalkuliert. Die Gewichtung kann auch berücksichtigen, welche Bedeutung die Gesellschaft den verschiedenen Umweltbelastungen beimisst. Auf der anderen Achse des Portfolios werden die ökonomischen Daten zusammengetragen. Dazu wird der Material- und Energiefluss der zu vergleichenden Prozesse und ihrer Produkte einschließlich aller relevanten Nebenströme betrachtet. Wichtig dabei ist die Festlegung der Betrachtungsgrenzen. Fast alle gut definierbaren Systeme lassen sich damit vergleichend bewerten.

Abbildung 5.5.4: Ökologischer Fingerprint

668

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Die Aufwendungen für eine solche Analyse sind erheblich. Die bisherige Erfahrung zeigt aber, dass sich auf diese Weise ermittelte ökoeffiziente Prozesse mit den entsprechenden Produkten im Markt durchsetzen. Aus diesem Grunde finden die Ergebnisse der Ökoeffizienzanalysen Eingang in die Entwicklung der Produktbereichsstrategien. Zusammen mit weiteren Informationen aus den Unternehmensbereichen Markt, Forschung, Entwicklung und Anwendung lassen sich strategische Zielrichtungen ableiten. Vor allem die durch die soziale Komponente erweiterte Analyse trägt zu einer fundierten Auseinandersetzung und Versachlichung der Diskussion der Industrie mit den gesellschaftlichen Kräften für die Notwendigkeit und Nachhaltigkeit der Produkte bei.

Umweltfreundliche Lacke

Der Begriff umweltfreundliche Lacke“ hat sich in den letzten Jahrzehnten für bestimmte Lacktypen etabliert. Dabei ist zu beachten, dass „umweltfreundlich“ unter verschiedenen Aspekten und Schwerpunkten definiert werden kann. Die populärste Betrachtungsweise bei Lacken betont als erstes die Emissionen in die Luft sowie Wasser und Boden und als zweites die toxikologische Komponente. Emissionen stehen deshalb im Vordergrund, weil das Lackieren üblicherweise mit einem Transfermittel, dem Lösemittel erfolgen muss, das es erlaubt, den Lack auf die Oberfläche des Substrates zu bringen. Bezugspunkt zur Beurteilung der Umweltverträglichkeit ist der konventionelle, lösemittelgelöste Lack, der einen Festkörper zwischen 10 und 50 % besitzt und bei dem das Transfermittel organische Lösemittel sind. Unter diesen Gesichtspunkten sind folgende Lacke im allgemeinen Sprachgebrauch als „umweltfreundlich“ eingestuft: 1. festkörperreiche Lacke, sogenannte High Solids 2. wässrige Spritzlacke 3. Elektrotauchlacke 4. Pulverlacke 5. bestimmte strahlenhärtende Lacke. In den letzten Jahren sind u.a. aufgrund der absehbaren Probleme der Rohölverfügbarkeit und -preise Lacksysteme in den Focus gerückt, die verstärkt biobasierte Rohstoffe einsetzen. Auch sie zählen prinzipiell zu den umweltfreundlichen Beschichtungsstoffen, werden aber selten unter dem Begriff „umweltfreundliche Lacke“ gesehen. Lacksystem

Lösemittelemission

Auftragswirkungsgrad

Energieverbrauch

Fertigung/ Transport

Toxikologie

Materialverbrauch

High Solids

+

o

+

+



o

Wässrige Lacke

++

+





+

o

Elektrotauchlacke

++

++





+

+

+++

++

+

+

++



++

o

+++

o



o

Pulverlacke Strahlenhärtend

Abbildung 5.6.1: Qualitative Bewertung der Umweltfreundlichkeit (ohne „Bio“-Lacke) verschiedener Lacksysteme im Vergleich zu konventionellen Lacken (o = vergleichbar, + = besser, – = schlechter)

BASF-Handbuch Lackiertechnik 669

Umwelt

5.6

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Betrachtet man die Lösemittel ärmeren Lacksysteme, die im üblichen Sprachgebrauch als umweltfreundlich bezeichnet werden, etwas genauer, dann ergeben sich in der gesamten Prozesskette aus Herstellung, Vertrieb und Anwendung weitere Faktoren, die die Umweltverträglichkeit im Sinne der Ressourcenschonung kennzeichnen. Eine Rangstufe in den Produktklassen wie Wasserlacke oder Pulver lässt sich nicht ermitteln, da die Anwendbarkeit der umweltfreundlichen Lacksysteme nicht flächendeckend für alle Lackieranforderungen gegeben ist. Unstrittig ragen neben dem Pulverlack die wässrigen Lacke, insbesondere die Elektrotauchlacke und spezielle strahlenhärtende Lacke heraus. Letztere sind nur beschränkt anwendbar, weil sich kompliziert geformte Teile mit dieser Technologie nicht gleichmäßig härten lassen. Im Übrigen sind nicht alle Formulierungen solcher Lacksysteme lösemittelfrei. Die niedermolekularen, reaktiven Verbindungen sind zudem toxikologisch sorgfältig zu bewerten und auszuwählen. Eine genauere vergleichende Bewertung von Lacksystemen unter Beachtung der notwendigen Prozesse lässt sich mit der beschriebenen Ökoeffizienzanalyse für konkrete Anwendungsfälle durchführen (siehe Kapitel 5.5).

Umwelt

Im Falle der Umrüstung auf umweltfreundliche Lacksysteme sind in fast allen Fällen Anpassungen und Investitionen in die Beschichtungsanlagen zu tätigen. Auf die wichtigsten Aspekte wird im Folgenden eingegangen.

5.6.1

Emissionsarme Beschichtungen

5.6.1.1

High Solids

Die technische Definition von High Solid-Lacken ist nicht eindeutig und unterscheidet sich stark zwischen Europa und Nordamerika. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Begriff „High Solid“ relativ zu sehen ist, da z.B. Metallicbasislacke schon mit 30 % Festkörper „High Solid“-Lacke sind. In Europa werden Lacke mit einem Festkörper > 50 % gemeinhin als High Solids eingestuft, während dies in Nordamerika erst > 60 % erfolgt. Ein Vorschlag zur Klassifizierung definiert einen Lack mit < 420 g/l VOC, > 60 % Gewichtsfestkörper bzw. 80 % Volumenfestkörper als High Solid-Lack [5.8.29]. Zwei Formulierungsprinzipien werden für die überwiegend in Nordamerika entwickelten Lacke benutzt: 1. Niedrige Molmasse und hoher Verzweigungsgrad der Filmbildner 2. Auswahl von Lösemitteln mit hohem Lösevermögen Die Viskosität der High Solid-Lacke in Lieferform befindet sich auf gleichem Niveau wie die der konventionellen Lacke. Das bedeutet, dass für die Umstellung praktisch keine Investition in die Applikationsanlage zu tätigen ist. Dies ist der ausschlaggebende Grund für die weite Verbreitung dieser Technologie in Nordamerika. Das zweite der oben genannten Prinzipien für die Formulierung von High Solid-Lacken hat dazu geführt, dass als Lösemittel in Nordamerika verstärkt Ketone eingesetzt werden. Diese sind in Europa eher ungewöhnlich und wegen ihres relativ intensiven Geruches nicht erwünscht. 670

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Molmasse Funktionalität Lieferform

Kennzahl/Einheit

Physikalisch trocknend

Low Solids

High Solids

Mw

> 100.000

10.000

4.000

Mol/g

0

300

600

FK* [%]

25 %

55 %

75 %

Viskosität [mPas] bei 20 °C

2.000

2.000

1.500

* = 2 h/130 °C

Abbildung 5.6.2: Kennzahlen von Harzen für verschiedene Lacksysteme

Eine Erhöhung der Festkörper durch die erwähnten Formulierungsprinzipien ist in den meisten Lacksystemen kaum mehr möglich. Die Schwelle von 3,0 lbs/gal (370 g/l) Lösemittel für flüssige Lacke wird am sichersten nur noch durch wässrige oder strahlenhärtende Lacke unterboten. Dennoch hat die Weiterentwicklung in Nordamerika zu sogenannten „Ultra High Solids“-Lacken geführt, die im Applikationszustand mit mehr als 80 % Festkörper anwendbar sind. In Europa bieten viele Lackhersteller Systeme mit < 250 g/l VOC für verschiedene Anwendungen ebenfalls unter diesem Begriff an.

5.6.1.2

Wässrige Lacke

Unter wässrigen Lacken werden solche Beschichtungsstoffe subsummiert, die überwiegend auf der Basis von Dispersionen formuliert werden. Hier unterscheidet man primäre von sekundären Dispersionen. Erstere werden mit Hilfe der Emulsionspolymerisation hergestellt und sind feinteilige Dispersionen von hochmolekularen Bindemitteln, die wie bei Bautenanstrichmitteln lufttrocknend sein können oder in wenigen Fällen zusätzlich vernetzt werden wie etwa bei den Wasserfüllern oder wässrigen Basislacken in der Automobillackierung. Sekundäre Dispersionen bestehen aus Filmbildnern mittleren Molekulargewichtes um etwa 10.000 Mn. Sie sind entweder selbstvernetzend oder müssen mit einem Reaktionspartner vernetzt werden. Die Herstellung erfolgt in zwei Fertigungsschritten, zunächst die Harzsynthese in klassischen Lösemitteln, danach die Dispergierung in Wasser. In einigen Fällen erfolgt noch ein Abdestillieren der Lösemittel unter leicht erhöhter Temperatur und erniedrigten Drücken. Dies wird im Fachjargon „Strippen“ genannt und reduziert die durch die Harzsynthese eingeschleppten VOC-Werte erheblich. Auf diesem Wege sind fast alle Harzsysteme wie Polyester, Epoxidharze [5.8.30], Alkydharze und am bedeutsamsten die Acrylate [5.8.31] zugänglich. Die Stabilisierung beider Dispersionstypen kann sterisch oder elektrostatisch, letzteres anionisch oder kationisch erfolgen (siehe Kapitel 2.1.1). Ein typischer Vertreter Dispersionstyp Sekundär Primär

Teilchengröße [nm]

Festkörper [%]

VOC [g/l]

MW

100 – 400

20 – 40

50 – 250

< 10.000

1 – 200

25 – 45

0 – 100

> 100.000

Abbildung 5.6.3: Typische Teilchengrößen, Festkörper, VOC-Werte und Molekulargewichte wässriger Dispersionen

BASF-Handbuch Lackiertechnik 671

Umwelt

Der Schwerpunkt weiterer Entwicklungen in Richtung noch höherer Umweltverträglichkeit richtet sich auf die Toxikologie der Lösemittel und Rohstoffe.

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit pH

FK1

% Lösemittel/FK2

Pb/Sn

Biozide

ATL 1970

8,5

10

55

ja

ja

KTL 2012

6,0

18

5

nein

nein

Bad 2 Anlieferung 1

Abbildung 5.6.4: Typische Baddaten heutiger und früherer Elektrotauchlacke im Vergleich

für letztere Produktklasse ist der schon seit 1965 eingeführte Elektrotauchlack (siehe Kapitel 4.2.2). Die heutigen, hauptsächlich kathodisch abscheidbaren Systeme (siehe Kapitel 7.1.2) zeichnen sich durch sehr niedrige Lösemittelgehalte, Bleifreiheit und fast geschlossene Applikationsverfahren aus, die kaum noch Abwasser oder Abfälle generieren.

Umwelt

Nur wenige Beschichtungssysteme basieren auf Filmbildnern, die in Wasser gelöst sind. Wasser hat im Vergleich zu organischen Lösemitteln einen relativ niedrigen Siedepunkt von 100 °C bei 1013 hPa, allerdings eine sehr hohe Verdampfungsenergie von 2,26 J/g bei 100 °C, eine hohe Verdunstungszahl von 80 im Vergleich zu Diethylether, eine hohe Dichte von 1,00 g/ml bei 4 °C, eine hohe Oberflächenspannung von 72,2 mN/m bei 20 °C und einen sehr geringen spezifischen elektrischen Widerstand von 10 kWcm. Diese Eigenschaften haben Einfluss auf die Formulierung der Lacke für die Sprühapplikation und auf die richtige Auswahl der Rohstoffe (siehe Kapitel 2.1.1). Auch im Falle einer Umrüstung von lösemittelgelösten auf wässrige Lacke entstehen Aufwendungen und Umrüstkosten, die durch die folgenden physikalisch-chemischen Eigenschaften solcher Lacke bedingt sind: • Korrosivität • Abdunstverhalten des Wassers • elektrischer Widerstand Der erste Aspekt erzwingt einen Austausch des einfachen Stahls gegen Edelstahl von Wandungen, Pumpen und anderen Geräten, die mit dem wässrigen Lack in Berührung kommen. Wenn Wasserlacke chlorarm formuliert sind, reicht eine der einfachen Edelstahlsorten wie 4.4301 aus. Zur Qualitätsüberprüfung der eingesetzten Beschichtungsstoffe dient spezifisch für wässrige Produkte der pH-Wert oder die Bestimmung der Säure- und Basenwerte (siehe Kapitel 2.3). Die spezifische Leitfähigkeit ist ebenfalls ein Indikator für die Qualitätskonstanz. Die Steuerung des wichtigen rheologischen Verhaltens während der Applikation und der Filmbildung wird bei konventionellen Lacken überwiegend durch das Verdunstungsverhalten der Lösemittel bestimmt. Insofern zeigen diese Beschichtungsstoffe häufig Newton’sches Verhalten bei der Scherabhängigkeit der Viskosität. Dies ist anders bei wässrigen Lacken, da das Abdunsten von Wasser bedeutend langsamer abläuft (siehe Abbildung 5.6.5) [5.8.32]. Darüber hinaus ist der Viskositätsverlauf in Abhängigkeit vom Festkörper durch einen sogenannten „Wasserberg“ charakterisiert. Dieser Viskositätspeak tritt in dem Festkörperbereich auf, in dem die Dispersion von einer Wasser-inÖl-Dispersion zu einer Öl-in-Wasser-Dispersion umkippt. Da durch Wasserzugabe bei technisch anspruchsvollen Lacken in den meisten Fällen keine Verbesserung der Appli672

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Lösemittel- bzw. Wassergehalt [%] konventioneller Lack (unabhängig von rel. Luftfeuchte)

80 70

Wasserlack (bei 30 % rel. Luftfeuchte

60

Wasserlack (bei 60 % rel. Luftfeuchte)

50 40 30 20 10 0 0

1

2

3

4 Zeit [min]

kationseigenschaften zu erzielen ist, und die Festkörper eine entscheidende Rolle für die Ökonomie der Lacksysteme spielen, werden wässrige Lacke üblicherweise anwendungsfertig angeliefert. Dazu wird durch die Formulierung und Zusammensetzung entweder pseudoplastisches oder auch thixotropes Verhalten des Beschichtungsstoffes erzeugt (siehe Kapitel 2.3.3). Entscheidend ist ein sorgfältig eingestelltes rheologisches Verhalten für die Lagerfähigkeit und für die Sprühapplikation [5.8.33]. Allerdings erfordert jede Applikationsart ihr spezifisch einzustellendes Profil. Konsequenterweise ist die Qualitätsüberprüfung der anwendungstechnischen Eigenschaften für die Applikation anhand des Viskositätsprofils sorgfältiger festzulegen und kann im Regelfall nicht mehr auf der Messung im DIN-ISO-Becher basieren (siehe Kapitel 2.3). Eine ausreichende Genauigkeit der Materialdosierung lässt sich mit Kreiselpumpen und ähnlichen Pumpen nur dann erreichen, wenn Newton’sches Verhalten der Viskosität vorliegt. Deshalb werden für wässrige Lacke in vielen Fällen Pumpen mit Volumenförderung bzw. Zwangsförderung eingesetzt, um konstante Mengen bei nicht-Newton’schem Verhalten auszubringen. Zu diesen Pumpen zählen die Zahnradpumpen. Im Falle mehrschichtiger Lackaufbauten in der industriellen Serienfertigung ist die hohe Verdunstungsenergie und die notwendige Verdunstungszeit bei der Auslegung von sogenannten Flash-off-Zonen zwischen den einzelnen Applikationsschritten zu beachten. Eine Verkürzung dieser Zonen kann häufig durch Installation von IR-Strahlern erreicht werden. Das Temperaturprofil im Einbrennofen sollte spezifisch für wässrige Beschichtungsstoffe ausgelegt werden, da zu rasches Aufheizen zu Kochern im Film führen kann (siehe Kapitel 6.2). Die hohe elektrische Leitfähigkeit und der häufige Farbton- und damit verbundene Produktwechsel haben gravierende Auswirkungen auf die Lackversorgung von Sprühorganen mit elektrostatischer Unterstützung. Eine Isolierung zwischen ApplikationsBASF-Handbuch Lackiertechnik 673

Umwelt

Abbildung 5.6.5: Typisches Verdunstungsverhalten von Wasser unter Beachtung der rel. Luftfeuchte im Vergleich zu lösemittelhaltigen Lacken

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

aggregat und Lackversorgung ist ebenso notwendig wie eine sorgfältige Erdung des Versorgungssystems (siehe Kapitel 4.2.1).

Pulverslurry

37 % Festkörper Applikation

ca. 39 % Festkörper 130 µm

= Additive = Pulverpartikel

Vortrocknung 2’ Raumtemperatur 5’ Umluft

Eine besondere Variante wässriger Sprühlacke stellt die „Pulver-Slurry“ dar. Es handelt sich dabei um eine lösemittelfreie Einbrennen 8’ Aufheizen Dispersion von Pulverlacken 20’ Haltezeit in Wasser. Sie vereint die Vorteile der Pulvertechnologie mit Klarlack 40 µm denen einer Dosier- und Anlagentechnik für Flüssiglacke. Abbildung 5.6.6: Von der Slurry zum Klarlackfilm Zudem erlaubt diese Technologie, kleinste Pulverteilchen mit einem Durchmesser von etwa 3 µm in einer Dispersion stabil zu halten. Diese Kornfeinheit ist notwendig, um nur 35 bis 45 µm dicke Schichten mit gutem Verlauf applizieren zu können. Diese Schichtdicken reichen aus, um die notwendigen Oberflächen- und Gebrauchseigenschaften sowie Bewitterungsbeständigkeit im Automobilbau zu erzielen. Dieses Lacksystem war als Klarlack im Automobilbau im Einsatz [5.8.34, 5.8.35]. 50 µm

Umwelt

Bei Anteilen von < 5 % an organischen Lösemitteln ist die Gefährdung durch Bakterienwachstum bei entsprechenden wässrigen Lacken zu beachten (siehe Kapitel 2.1.4).

> 95 % Festkörper

5.6.1.3 Pulverlacke Das Pulverlackieren (siehe Kapitel 2.2.4 und 4.2.2) ist ein noch recht junges Lackierverfahren. Es hat Mitte der 1960er Jahre erste Anwendungen gefunden. Im Jahre 2010 betrug der weltweite Pulverbedarf etwa 1.200.000 t. Der Schwerpunkt der Anwendung von Pulverlacken ist in der industriellen Lackierung und teilt sich weltweit etwa in folgende Segmente auf: Architektur: Heizung/Radiatoren: Metallmöbel: Autozubehör: Weiße Ware: Maschinen/Schwerfahrzeuge: übriges:

20 % 14 % 11 % 12 % 10% 13 % 20 %

Die regionalen Schwerpunkte liegen durchaus sehr unterschiedlich. So ist zum Beispiel der Bereich der Architektur in Europa wesentlich größer als in Nordamerika. Der Wachstum des Pulvermarktes liegt in den gesättigten Regionen bei etwa 1,5 %/a, in ROW und Asien/Pazifik aber deutlich höher. 674

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Neben den klassischen Anwendungsgebieten im Bereich der Haushaltsgeräte und Architektur sind zunehmend Pulverbeschichtungen für Anbau- und Kleinteile im Fahrzeugbereich, wie Räder, Achs- und Chassisteile sowie in den letzten Jahren auch in der Automobilserienlackierung dazugekommen. So schätzt man heute den Anteil des Pulverlackes an Füllern und Abbildung 5.6.7: Wachstum des weltweiten Pulvermarktes Klarlacken bei der Serienlackierung auf ca. 5 %, mit einem deutlichen Schwerpunkt in den USA.

1. Lösemittelfreiheit 2. die Gesetzgebung behandelt Pulverlacke überwiegend als ungefährliches Material für Lagerung, Transport und Abfall 3. hoher Materialauftragswirkungsgrad von > 98 % durch Recycling 4. ökonomische Aufbringung von hohen Schichten, wenn gewünscht 5. günstige Investitions- und Betriebskosten 6. niedrige Lackosten Bei der Handhabung von Pulverlacken gilt es, andere Materialeigenschaften zu beachten als sie von den flüssigen Lacken her bekannt sind. Aufbauend auf die anlagentechnischen Aspekte der Pulverbeschichtung lässt sich der Applikationsvorgang in eine Summe von Teilprozessen untergliedern, die durch die Produkt- und Prozessparameter bestimmt werden. Wichtige Elemente für einen erfolgreichen Umgang mit der Pulvertechnik sind die Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung [5.8.36], die damit verbundene Fluidisierbarkeit des Pulvers, die Dosiertechnik, die Applikationsgeräte und die Rückgewinnung (siehe Kapitel 4.2.2) [5.8.37]. Die Rückgewinnung und die einfache Wiederverwendung des Oversprays sind neben den fehlenden Lösemitteln die wesentlichen Faktoren für die ökologische Attraktivität der Pulverlacktechnologie.

Fluidisierung

Förderung/ Dosierung

Frischpulver

Aufladung

Abscheidung

Rückgewinnung

Abbildung 5.6.8: Prozesskette der Pulverapplikation

BASF-Handbuch Lackiertechnik 675

Umwelt

Obwohl Pulverlacke im Vergleich zu flüssigen Lacken etwa die 1,3-fache Menge pro beschichteter Fläche benötigen (siehe Abbildung 5.7.1), verzeichnet ihre Anwendung dennoch Wachstum. Dies lässt sich auf folgende wesentliche Eigenschaften des Pulvers zurückführen:

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

Nachteilig sind zum einen die für einen guten Verlauf notwendigen hohen Schichtdicken von ca. 70 bis 100 µm, zum anderen die noch schwierige und zeitlich aufwendige Handhabung von Farbtonwechseln sowie die hohen Einbrenntemperaturen (siehe Kapitel 4.2.2). Entwicklungen in Richtung strahlenhärtende Pulverlacke (siehe Kapitel 5.6.5) durch UVund Nah-Infrarot (NIR)-Strahlung lassen auf eine Erweiterung der Anwendung schließen. Die durch die NIR-Strahlung induzierte Wärmeentwicklung in der Pulverschicht (siehe Kapitel 4.3.1) schließt den Schmelz- und Vernetzungsvorgang in wenigen Sekunden ab [5.8.38]. Es sind Einbrenntemperaturen von 140 °C erreichbar [5.8.39]. In einer Gesamtbetrachtung entsprechend der Life-Cycle-Analyse oder Ökoeffizienzanalyse (siehe Kapitel 5.5) sind die für attraktive Oberflächen notwendigen Schichtdicken von Klarlacken von > 60 µm ungünstig. Ursache für die heute noch hohen Schichtdicken sind die mit 30 bis 40 µm relativ großen Pulverteilchen. Nur so ist eine sichere Handhabung des Pulverlackes möglich. Schichtdickenreduzierungen zwecks attraktiver Oberflächen erfordern feinere Pulverteilchen, deren Stabilisierung und Handhabung noch Probleme bereitet [5.8.40]. Zahlreiche Projekte wie z.B. die Stehwellenzerstäubung (siehe Kapitel 4.2.2), Pulverherstellung mit superkritischem CO2 und Pulverslurry (siehe vorher) sind aus dieser Problemstellung entstanden [5.8.41, 5.8.42].

Umwelt

5.6.1.4

Strahlenhärtbare Lacke

Die seit den 1960er Jahren industriell eingesetzten strahlenhärtbaren Lacke (siehe Kapitel 4.3.2) haben ihre umweltfreundliche Bewertung vornehmlich aus zwei Aspekten gewonnen (siehe Abbildung 5.6.1). Zum ersten lassen sie sich emissionsarm in Form von 100 % nfA (nicht flüchtiger Anteil = FK)-Lacken unter Verwendung härtbarer Verdünner oder in wässriger Form formulieren, zum zweiten sind sie ressourcenschonend, da die mit UV-Strahlen oder Elektronenstrahlen härtbaren Lacke sehr wenig Energie zur Filmbildung und Vernetzung benötigen. Die Abstimmung zwischen den für Klarlacke wichtigen UV-Absorbern und den Photoinitiatoren hat zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten beigetragen [5.8.43]. Die Applikationstechnik der UV-Lacke unterscheidet sich nicht von denen der konventionellen Lacke. Zu erwähnen sind noch die durch Elektronenstrahlen härtbaren Lacke als auch die durch UV initiierte kationisch ablaufende Härtung. Sie spielen allerdings eine sehr geringe Rolle im gesamten Markt der Strahlungshärtung, die kationisch härtbaren Lacke besitzen aber eine deutlich bessere Haftung zu metallischen Untergründen. Strahlenhärtbare Produkte hatten ein weltweites Volumen von etwa 350 kt in 2011. Davon gehen 44 % in den Bereich der Beschichtungen. Hier sind die Branchen Holz- und Möbelindustrie [5.8.44] insbesondere Parkettböden [5.8.45] sowie die Verpackungsindustrie die größten Abnehmer (siehe Abbildung 5.6.9). In der industriellen Anwendung findet man die Applikation bei den Scheinwerfergehäusen aus Polycarbonat als auch Seiten- und Rückfenster in der Automobilindustrie, aber auch Anwendungen auf LKW-Achsen sind zu verzeichnen. Pflanzgefäße aus Kunststoff werden durch UV-Lacke zu hochwertigen Produkten lackiert [5.8.46]. Bei der Anwendung im Elektronik-Segment sind es hauptsächlich die CDund DVD-Speicherträger sowie die Glasfaserbeschichtung. Alle Produktbeispiele zeichnen sich durch einfache Geometrien aus. Unter den strahlenhärtenden Systemen hat die Elektronenstrahlhärtung (ESH, engl.: EBC Electron Beam Curing) wegen der hohen Sicherheitsaufwendungen einen nur 676

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

sehr kleinen Anteil in der Möbelindustrie. Vorteil dieser Technologie ist der weitaus geringere Einfluss der Pigmentierungsart und -höhe auf die Durchhärtung. Die für die Härtung durch UV-Strahlen geeigneten Harze sind noch in kleinem Umfang ungesättigte Polyester, die aber Anteile gegenüber den Acrylaten und modifizierten Acrylaten Abbildung 5.6.9: Anwendung von strahlenhärtenden Beschichtungs[5.8.47] verlieren. Sie bilden stoffen und deren Anteile in den verschiedenen Lackmarktbranchen mittlerweile mit 80 % die Basis der strahlenhärtenden Lacke. Insbesondere Urethanacrylate gewinnen an Bedeutung wegen ihres ausgewogenen Profils an Filmeigenschaften [5.8.48].

Durch UV- oder Elektronenstrahlen härtbare Lacke bestehen aus sehr niedermolekularen Filmbildnern mit einem hohen Anteil an polymerisierbaren C-C-Doppelbindungen, die im flüssigen Zustand mit reaktiven Monomeren oder Lösemitteln verdünnt bzw. als wässrige Dispersionen [5.8.50] mit Photoinitiatoren und sonstigen Bestandteilen zu einer jeweils der Anwendung angepassten Lackformulierung zusammengefügt werden. Die Photoinitiatoren werden durch die UV-Strahlung aktiviert und lösen eine radikalische Polymerisation aus. Dies passiert in Sekundenbruchteilen bei üblichen Energieeinträgen von ca. 1 J/cm2 im Bereich der UVA-Strahlung. Pigmentierte Systeme mit ausreichender Transparenz benötigen etwa das Doppelte an Energieeintrag (siehe Kapi-

P

P

P P

P

P

P

P

Flüssig – niedermolekular Monomere, Präpolymere

Fest – hochmolekulares Netzwerk P

Photoinitiator

P

Photoinitiator, angeregter Zustand

Abbildung 5.6.10: Prinzip der UV-Härtung

BASF-Handbuch Lackiertechnik 677

Umwelt

Die reinen oder modifizierten Acrylate spielen die bedeutendste Rolle unter den Filmbildnern mit einem Anteil von 75 %. Die kationische Härtung ist mit einem Anteil von 1 % mengenmäßig unbedeutend [5.8.49].

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

1. Generation • Ungesättigte Polyester (UP) + Styrol/Monomere • Acrylatharze + Monomere Bandgeschwindigkeit: < 10 m/min 2. Generation • Acrylatharze, monomerfrei

tel 4.3.2). Je nach Formulierung des UV-Lackes ist eine Vortrocknung zur Abgabe des Lösemittels oder des Wassers bei ca. 70 bis 90 °C günstig. Dadurch lassen sich glatte und defektfreie Oberflächen erzeugen [5.8.51].

Die wichtigsten Filmbildnerklassen stellen die ungesätAbbildung 5.6.11: UV-Lackgenerationen zur Folienbeschichtung tigten Polyester und spezielle Acrylatharze dar (siehe Kapitel 2.1.1). Die erste Generation der UV-Holzlacke war durch den Einsatz von ungesättigten Polyesterharzen mit Styrol als Reaktivverdünner auf eine Bandgeschwindigkeit bei der Lackierung von 5 bis 10 m/min limitiert. Monomerfreie Acrylatharze erlauben wegen ihrer höheren Reaktivität eine bis zu 4-fach höhere Bandgeschwindigkeit. Noch höhere Fertigungs- und Lackiergeschwindigkeiten werden bei der Folienherstellung z.B. für die Möbelindustrie in einem Produktionsablauf von Rolle zu Rolle analog dem Coil Coating-Verfahren erreicht. Die Durchhärtung bei 140 m/min Bandgeschwindigkeit kann nur noch durch UV-Lacke garantiert werden [5.8.52]. Umwelt

Bandgeschwindigkeit: > 40 m/min

In allen Fällen sind die Anlagen im Vergleich zur thermischen Härtung deutlich kürzer. Der Energieaufwand einer UV-Härtung macht nur etwa 10 % von dem einer thermischen Härtung aus, da zum einen die Erzeugung von UV-Strahlung weniger Energie benötigt, zum anderen die Energie nur zur Vernetzung der Beschichtung benötigt wird (siehe Kapitel 4.3.3). Das Substrat wird nicht aufgeheizt. Die in vieler Hinsicht attraktive Strahlenhärtung spielt allerdings am Gesamtmarkt der Lacke mit einem Anteil von weniger als 1 % bisher nur eine untergeordnete Rolle. Dafür gibt es mehrere Gründe. Als erstes ist die Härtung kompliziert geformter Teile problematisch, zum zweiten sind nicht alle pigmentierten Lacke härtbar, da die notwendige UVTransparenz zur Aushärtung nicht gegeben ist. Allerdings werden Vorschläge für eine Metallic-Lackierung gemacht [5.8.53]. Des Weiteren ist die Haftung zu Metallen noch nicht gut genug, so dass UV-Lacke das Niveau üblicher Grundierungen nicht erreichen. Diesen Lacken fehlen genügend polare funktionelle Gruppen, die zur Verankerung auf der Metalloberfläche notwendig sind, also im wesentlichen OH-, NH-, CO-, CONHGruppen etc. Allerdings erreichen UV-Lacke wegen der sehr hohen Vernetzungsdichte insbesondere als Klarlacke bei ihrer Filmbildung sehr harte Beschichtungen. und sind wegen erhöhter Anforderungen an die Kratzfestigkeit in den Blickpunkt gerückt [5.8.54]. Aktuell entwickeln die Lackhersteller sogenannte Hybridlacke, die sowohl durch Strahlungshärtung als auch durch thermische Härtung vernetzt werden. In solchen Systemen werden die Vorteile der hohen Härte und Kratzfestigkeit an der Außenseite der geformten Teile erzielt, während die Innenseite die notwendigen Filmeigenschaften durch eine thermische Härtung bei meist 80 °C über die klassischen Vernetzungsreaktionen erhält. Die hohe Vernetzungsdichte der durch UV-härtenden Hybridsysteme wird auch bei der Beschichtung von SMC-Kunststoffteilen ausgenutzt, um die immer wieder auftretenden Ausgasungen der SMC-Teile zu verhindern [5.8.55]. 678

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Die Nachteile der geringen Eindringtiefe der UV-Strahlen in pigmentierten Beschichtungen umgeht die Härtung pigmentierter Lacke mit Elektronenstrahlen, dem ESHVerfahren (siehe Kapitel 4.3.2). Seit einiger Zeit hat sich für die Beschichtung von MDF-Platten in den USA wie auch Italien die UV-Pulver-Technologie eine gewisse Position geschaffen. Die Verbindung von Pulverlacken mit der UV-Härtung hat wegen ihrer ökologischen und ökonomischen Vorteile verständlicherweise hohe Attraktivität. Dabei spielen die Kürze der Anlage als auch die Durchsatzgeschwindigkeit eine große Rolle [5.8.56]. Produktentwicklungen von Sensibilisatoren und entsprechenden Radikalbildnern für die NIR (Nah Infrarot)-Strahlung führte zu radikalisch vernetzbaren Produkten mit einer deutlich besseren Tiefenwirkung im Vergleich zu UV-Lacken. Weitere Aktivitäten für die Erweiterung des Anwendungspotenzials von strahlenhärtbaren Lacken sind in der Anlagentechnik [5.8.57] zu finden. Die UV-Härtung durch LED-Strahler ist wegen ihres Zukunftpotenzials zu erwähnen, da sie Vorteile in der Umweltbelastung und dem effizienteren Wellenlängenspektrum im Vergleich zu den Quecksilberlampen bietet [5.8.58]. Auch die Kombination UV-Härtung und Coil Coating ist ein interessantes Entwicklungsfeld [5.8.59]. Sonstige Lacksysteme

Als emissionsarme Lacke haben sich eine Zeit lang solche im Markt befunden, in denen superkritisches CO2 als Lösemittelersatz benutzt wurde [5.8.60]. CO2 kann oberhalb 31 °C und 7,8 MPa in die superkritische Phase gebracht werden. Die spezifische Dichte beträgt dann 0,464 g/ml. Die physikalischen Parameter liegen im Bereich der üblichen Sprühbedingungen im industriellen Bereich, so dass Lacksysteme entwickelt wurden, die mit hoher Viskosität und niedrigem Lösemittelgehalt angeliefert wurden, um dann mit Hilfe eines Mischaggregates mit dem superkritischen CO2 auf die notwendige Sprühviskosität eingestellt zu werden. 30 bis 60 % Lösemittelreduktion kann dabei erreicht werden. Der apparative Aufwand und die zu schnelle Trocknung des applizierten Films führten in den meisten Anwendungsfällen zu unbefriedigenden Lackierergebnissen, so dass diese Technologie nur noch in Nischenanwendungen Platz findet. Grundsätzlich kann auch das Coil Coating-Verfahren als umweltfreundlich eingestuft werden. Hier spielt die Lackzusammensetzung eine untergeordnete Rolle, jedoch hat das Auftragsverfahren infolge hoher Festkörpergehalte der Lacke und geringen Materialverlustes für das Walzverfahren einen Wirkungsgrad von mehr als 95 %. Die Lösemittelemission lässt sich wegen des Walzverfahrens und der kurzen Strecke zwischen Auftrag und Einbrennofen mit geringer Investition fast komplett in den Einbrennofen verlagern, so dass sie dank thermischer Nachverbrennung so gut wie entfällt (siehe Kapitel 7.4).

5.6.2

Biobasierte Lacksysteme

In den letzten Jahren sind u.a. aufgrund der Rohölverfügbarkeit und -preise Lacksysteme in den Focus gerückt, die verstärkt biobasierte Rohstoffe, also aus erneuerbaren Quellen, einsetzen. Dies ist im Grunde nichts Neues bei Beschichtungsstoffen, wie in Kapitel 2.1.1.1 zur Formulierung von Alkydharzen aus natürlich gewonnenen FettsäuBASF-Handbuch Lackiertechnik 679

Umwelt

5.6.1.5

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

ren, Kolophonium als nach wie vor wichtiges Harz für Druckfarben, Cellulose und auch Polyesterbausteinen aufgezeigt. Nach eigenen Schätzungen werden etwa 5 bis 10 % dieser Rohstoffe für den weltweiten Lackmarkt eingesetzt. Neue Ansätze gehen darüber hinaus und verwenden Fettsäuren und Öle für Polyolbausteine. Solche Polyole aus Soja und Dimerfettsäuren werden für die Epoxid- [5.8.61], für die Isocyanat-Vernetzung [5.8.62] und auch für wässrige Polyurethandispersionen eingesetzt [5.8.63]. In den meisten Fällen ersetzt das entsprechende „Bio“-Polyol das zuvor eingesetzte Polyol auf Erdölbasis. Allerdings findet man auch einzelne Rohstoffe für die Harzsynthese, die aus Biomassen gewonnen werden. So zum Beispiel sind Ersatzprodukte für Pentaerythrit oder Dipentaerythrit (siehe Kapitel 2.1) synthetisiert worden, die aus Stärke gewonnen wurden [5.8.64]. Die Itaconsäure als geringerer toxischer Baustein im Vergleich zu Methacrylat für die UV-härtenden Polyurethanacrylate wird aus Zucker gewonnen und kann als Polyurethanitaconat eingesetzt werden [5.8.65]. Die technische Zielsetzung in allen Fällen ist die Erhaltung der Eigenschaften der aus Erdöl hergestellten künstlichen und das Qualitätsniveau bestimmenden Beschichtungsstoffe bzw. Lacke. Lacksysteme auf überwiegender Basis von Biorohstoffen erreichen derzeit nicht das aktuell geforderte Qualitätsprofil insbesondere die schnelle, für industrielle Lackierprozesse geeignete Aushärtung. Aus diesem Grunde ist der Einsatz in der industriellen Beschichtungstechnik noch nicht weit verbreitet. Umwelt

Auch Additive werden unter dem Gesichtspunkt der biobasierten Rohstoffe formuliert. Projekte und Untersuchungen existieren, die klassischen Rohstoffquellen von Fetten und Ölen zu erweitern. So wird u.a. auch mit Algen experimentiert, wobei auch hier Öle und Fettsäuren, aber auch Polysaccharide sowie Grundstoffe für Acrylatharze gewonnen werden können [5.8.66]. Die gesamte Veredelungskette in der bisher auf Rohöl basierenden chemischen Industrie wird ebenfalls auf eine Umstellung auf erneuerbare Rohstoffe untersucht. Eine große Bedeutung kommt dabei der Verfügbarkeit und Anbau entsprechender Biorohstoffe zu, deren nachhaltiger und ökologisch vertretbarer Anbau noch weitgehend ungeklärt ist [5.8.67]. Dabei spielt auch der Wettbewerb der Anbauflächen zwischen Nahrungsmittelgewinnung und industrieller Nutzung eine bedeutende Rolle, wie es unter dem Schlagwort „Tank oder Teller“ diskutiert wird. Zweifellos nehmen die Anbauflächen weltweit zu mit derzeitig eindeutigen Schwerpunkten in USA, Brasilien, Argentinien und Kanada. Dabei machen Soja und Mais zusammen fast 80 % des Anbaus aus. Eine klare Strategie für eine biobasierte Rohstoffbasis in der chemischen Industrie ist noch nicht zu erkennen, allerdings gibt es Vorschläge [5.8.68]. Die großen chemischen Unternehmen präferieren Cellulose, um u.a. bei der zunehmenden Weltbevölkerung der schon erwähnten Diskussion um „Tank oder Teller“ auszuweichen. Biobasierte Rohstoffe können bei sorgfältiger Auswahl zur Nachhaltigkeit beitragen, was schon in einfachen Ökobilanzen gefunden wurde [5.8.69]. Aktuelle Bewertungen erfolgen meist über die CO2-Footprint-Analyse oder Ökoeffizienzanalyse (siehe Kapitel 5.5) [5.8.28].

5.6.3

Lackierung durch Folien

Folien spielen schon lange eine gewisse Rolle bei der Beschriftung von lackierten Oberflächen vor allem bei Automobilen [5.8.70]. Dabei geht es darum, eine farbige Folie, die 680

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Umweltfreundliche Lacke

Quelle: Boes

entweder eingefärbt, lackiert oder ähnlich wie bei der Folienlackierung mit bedruckten Finish-Folien im Holzbereich (siehe Kapitel 7.10) hergestellt wurden, vorwiegend auf glatte oder leicht geformte Oberflächen manuell aufzubringen. Sie dienen einem temporären Aufbringen von Werbeflächen oder neuen Farbtönen der Fahrzeuge, müssen also wieder leicht entfernbar sein. Dazu verwendet man Volltonfolien oder weiße Folien, die mit Werbebotschaften oder nach sonstigen gewünschten Vorgaben bedruckt werden. Das manuelle Verfahren lässt sich nur schwer automatisieren. Aus diesem Grunde ist diese Art der Folienlackierung nach wie vor ein Nischenbereich und wird so gut wie gar nicht bei der industriellen Lackierung eingesetzt. Allerdings ersetzt diese Art der Lackierung zunehmend die klassischen Beschriftungen durch Lackierungen und die kompletten Umlackierungen von Fahrzeugen [5.8.71]. Taxis und Polizeifahrzeuge werden z.B. überwiegend foliert, damit die Fahrzeuge nach dem Entfernen der Folie in der ursprünglichen Farbgebung besser verkäuflich sind. Seit Mitte der 1990er Jahre wurde verstärkt für die Oberflächen von Kunststoffteilen das Potenzial des Folienhinterspritzens ausgelotet [5.8.72]. Neben der sehr umweltfreundlichen Folienlackierung von Rolle zu Rolle macht dies vor allem bei SMC- (Sheet Molding Compounds) Kunststoffen Sinn, da die Lackierung wegen Ausgasungen in Lunkern nicht immer defektfrei ist (siehe Kapitel 7.3). Für Anbauteile z.B. bei der Fahrzeugfertigung spielt die Farbtonübereinstimmung („Color Match“) mit der Originallackierung für die Akzeptanz der Technik eine große Rolle. Hierfür sind Verfahren vorgeschlagen, bei dem UV-Klarlacke erprobt worden sind [5.8.73]. Großtechnische Umsetzungen sind bisher nur im Pilotmaßstab und Kleinserien erfolgt.

BASF-Handbuch Lackiertechnik 681

Umwelt

Abbildung 5.6.12: Manuelle Lackierung von Automobilen mit Folien

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

5.7

Wirtschaftlichkeit von Lackierverfahren

Wie im Rahmen der Ökoeffizienzanalyse (siehe Kapitel 5.5) beschrieben, steht ein Unternehmer bei der Errichtung einer Lackiereinheit vor der Aufgabe, die Wirtschaftlichkeit eines Lackierverfahrens zu berechnen, bevor er die Entscheidung für eine Investition fällen kann. Dazu zählen die Investitionskosten, deren Abschreibung, die laufenden Kosten des Betreibens einer Lackieranlage sowie die Lackmaterialkosten. Die laufenden Kosten setzen sich wiederum aus einer Fülle von Kostenblöcken zusammen, die sehr spezifisch für das jeweilige Applikationsverfahren und das verwendete Lacksystem sind. Aufgeführt seien Entsorgung bzw. Verwendung des Oversprays, Kosten der Luftversorgung, Energie für die Applikation und das Einbrennen bzw. Vernetzen, Reinigung der Gehänge und Anlage sowie die notwendigen Personalkosten zur Anlagenführung. Zur Vergleichbarkeit des Kostenfaktors Lack, also der Lackmaterialkosten hat sich die Standardeinheit „Kosten/m2 beschichtete Fläche“ durchgesetzt. Diese muss sorgfältig erfasst werden, ist aber je nach Lackierverfahren nicht immer einfach zu ermitteln.

Umwelt

Neben dem Preis pro kg angelieferter Lack spielen der Anteil nichtflüchtiger Bestandteile des Lackes, der Auftragswirkungsgrad der Applikation, die Schichtdicke und die spezifische Dichte des Films eine Rolle. Am Beispiel einer Beschichtung von 100 m2 metallischer Werkstücke durch die Elektrotauchlackierung, durch einen Flüssiglack im Sprühverfahren und durch eine Pulverlackierung sei dies vergleichend aufgezeigt. Die der Berechnung zur Wirtschaftlichkeit (7) zu Grunde liegenden Formeln analog der Rubriken in Abbildung 5.7.1 sind folgende:

Auf Basis dieses einfachen Ansatzes lassen sich Entscheidungen für Lackieranlagen unterstützen. Es ist in jedem Fall zu beachten, dass (7) lediglich die Lackkosten verLacktyp

Sollschichtdicke (µm)

Spezif. Festkörperdichte (g/cm3)

Festkörper dafür (kg)

Auftragswirkungsgrad

(1)

(2)

(3)

Pulver

80

1,60

Flüssiglack

30

KTL

22

1

Lackpreis1

Lackfestkörper

Lackkosten

(Euro/kg)

(%)

(Euro/ 100 m2)

(4)

(5)

(6)

(7)

12,8

98 %

3,00

100

39,2

1,50

4,5

80 %

3,80

50

42,8

1,45

3,2

95 %

4,00

42

32,1

Anlieferzustand

Abbildung 5.7.1: Wirtschaftlichkeitsberechnung als Lackkosten von drei Lacksystemen in Euro/100 m2

682

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Wirtschaftlichkeit von Lackierverfahren

gleichbar darstellt. Ökologische Aspekte sowie die Kapitalkosten und die laufenden Kosten sind dabei unberücksichtigt (siehe Kapitel 5.5). Darüber hinaus sind klare Vereinbarungen bezüglich der Festkörperbestimmung zwischen Lieferant und Kunden zu treffen, um die Materialverluste im Trocknungs- und Härtungsprozess zwischen Anwendung und Labor vergleichbar zu halten. Ein weitverbreitetes Maß zum Vergleichen von Lackkosten ist die theoretische Ergiebigkeit E eines Beschichtungsstoffes. Sie ist definiert als Quotient aus der beschichtbaren Fläche A und der dazu notwendigen Masse des Beschichtungsstoffes m La:

Demzufolge sind Lacke dann besonders ergiebig, wenn ein hoher nfA-Wert mit einer niedrigen Trockenfilmdichte und einer niedrigen deckenden Schichtdicke, also einem hohen Deckvermögen (siehe Kapitel 2.3.3) einhergeht. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Schutzwirkung und die Funktion der Beschichtung nicht durch ihre Masse, sondern im Wesentlichen durch ihr Volumen bzw. Schichtdicke festgelegt wird. Dies ist nicht immer der Fall. Die mathematische Beziehung zur Berechnung der Ergiebigkeit kann auch zur Abschätzung von Emissionsmengen an Lösemittel L herangezogen werden. Ersetzt man mLa durch mLö + mTr, also den Anteil Lösemittel und den Anteil des Trockenfilmrückstands und setzt diese in die Ergiebigkeitsformel ein, erhält man:

Ersetzt man mTr durch ρT · SD · A, erhält man nach Auflösung nach mLö = Lösemittelemission L:

Sind also die zu applizierenden Schichtdicken SD, der nicht flüchtige Anteil des Beschichtungsstoffes nfA und die Trockenfilmdichte ρT bekannt, kann für die Beschichtung einer vorgesehenen Fläche die Emission abgeschätzt werden. Es ist insofern nur eine Abschätzung, als diese Formel lediglich für handwerkliche Beschichtungsvorgänge wie Streichen und Rollen einigermaßen gültig ist, da sie den Auftragswirkungsgrad und die Applikationsbedingungen in industriellen Prozessen und Anlagen in keiner Weise berücksichtigt [5.8.74].

BASF-Handbuch Lackiertechnik 683

Umwelt

mLa ergibt sich aus der Schichtdicke SD, die Trockenfilmdichte ρT (siehe Kapitel 3.2.1) und den nichtflüchtigen Anteilen des Beschichtungsstoffes gemäß

Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit

5.8 Literatur

Umwelt

Zitate 5.8.1 D. Leroy, ECJ 04/2006, S. 16 5.8.2 M. Bross, JOT 47(/), S. 8 (2007); A. Rommert, F+L 119 (9), S. 50 (2013) 5.8.3 K.-F. Dössel, The World of Changing Regulations for Coating Materials and Paint Shops, Proceedings Surcar, Cannes, 2013; M. Cleuvers, Nachr. Chemie 62 (1), S. 53 (2014) 5.8.4 M. Letzner, Verfahrenstechnik 05/2013, S. 38 5.8.5 M. Riester, JOT 45 (4), S. 8 (2005) 5.8.6 H. J. Drexler, J. Snell, ECJ 04/2002, S. 24 5.8.7 H. Schrübbers, JOT 48 (2), S. 30 (2008) 5.8.8 Dokumente zu Lacken und Farben 9 (Hrsg. M. Bross), Deutsches Lackinstitut, Frankfurt 5.8.9 P. Svejda, JOT 50 (9), S. 28 (2010) 5.8.10 S. Seibert, Welt d. Farben 9/2005, S. 18 5.8.11 K. Wittstock, Dissertation, Universität Karlsruhe, 1995 5.8.12 D. Lippok, I-Lack 66 (11), S. 624 (1998) 5.8.13 T. Schneider, JOT 38 (4), S. 112 (1998) 5.8.14 D. Kargol, JOT 41 (1), S. 38 (2001) 5.8.15 R. Möhlenbrock, JOT 41 (4), S. 70 (2001) 5.8.16 P. Brodt, I-Lack 63 (11), S. 388 (1995) 5.8.17 G.. Scheffels, JOT 50 (9), S. 18 (2010) 5.8.18 W. Heine, JOT 41 (11), S. 14 (2001); Anonymus, JOT 49 (3), S. 10 (2009) 5.8.19 G. Leininger, MO 48, S. 644 (1994) 5.8.20 A. Scott, Chem. Week 169 (11), S. 17 (2007) 5.8.21 Anonymus, JOT 46 (10), S. 96 (2006) 5.8.22 D. Leroy, ECJ 04/2006, S. 16 5.8.23 C. Challener, JCT Coat. Tech 8 (10), S. 32 (2011) 5.8.24 G. Kirchner, C. Kraft, ECJ 07–08/2011, S. 22 5.8.25 D. Sykes, ECJ 02/2011, S. 40 5.8.26 S. Papasavva et al., ECJ 01/2001, S. 92; A. Koller, ECJ 04/2009, S. 122 5.8.27 D. Piwowarczyk, MO 55 (2), S. 26 (2001) 5.8.28 P. Saling, Int. J. Life Cycle Assessm. 10 (5), S. 364 (2005) 5.8.29 M. Manea, High Solid Binders, S. 118, Vincentz, Hannover, 2008 5.8.30 M. Tsang, M. Gelsberger, R. Grasböck, JCT Coat. Tech 7 (2), S. 28 (2010) 5.8.31 R. Gertzmann, T. Irle, JOT 48(7), S.38 (2008); M. Almato, M. Melchiors, E. Tejada, ECJ 07–08/2010, S. 38; O. Groß, F+L 118 (2), S. 32 (2012) 5.8.32 R. D. Hester u. D. R. Squire, Jr., JCT 69 (864), S. 109 (1997) 5.8.33 O. Sack, T. Mezger, Welt d. Farb. 3/2012, S. 8 5.8.34 J. Woltering, Es muss nicht immer flüssig sein! – Vom Pulverlack bis zum Trockenmörtel, Band 2, Schriftenreihe VILF-Vorträge, November 1999 5.8.35 J. Woltering, JOT 38 (9), S. 14 (1998) 5.8.36 D. Pugh, P. Kippax, S. Ward-Smith, PCI 23 (4), S. 44 (2007) 5.8.37 R. Freeman, J. Cooke, PCI 23 (4), S. 60 (2007) 5.8.38 F. Zimmermann, MO 55 (1), S. 41 (2001) 5.8.39 Anonymus, JOT 48 (11), S. 32 (2008) 5.8.40 R. Deane, F+L 107 (7), S. 46 (2001) 5.8.41 E. Weidner et al., Chem. Eng.Techn. 24 (5), S. 533 (2001) 5.8.42 J. Woltering, W. Kreis u. H.-J.Streitberger, Powderclearcoat for Conventional Application Equipment, Proceedings XVII Surcar, 1997 5.8.43 A. Valet, C. Decker, Modern Paint & Coatings 91 (5), S. 29 (2001) 5.8.44 K. Menzel, M. Biehler, M. Lokai, Pitt.e Vernici 2–3/2006, S.26 5.8.45 J. A. Arcenaux, S. Smeets, J. C. Smith, G. Vanmeulder, JCT Coat. Tech. 10 (3), S. 62 (2013) 5.8.46 Anonymus, MO 66 (10), S. 16 (2012) 5.8.47 V. Shukla, M. Bajpai, D. K. Singh, M. Singh, R. Shukla, Pigm. & Res. Tech. 33 (5), S. 272 (2004) 5.8.48 E. Spyrou, F+L 116 (11), S. 20 (2010) 5.8.49 B. Balmer, ECJ 10/2001, S. 16 5.8.50 J. Weikard, E. Lühmann, S. Sommer, ECJ 05/2008, S. 36 5.8.51 R. Stephen, PPCJ 189 (11), S. 10 (1999) 5.8.52 T. Guenther, J. Rad. Curing 17, S. 4 (1990) 5.8.53 O. Kipfmüller, F+L 119 (2), S. 22 (2013)

684

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Literatur 5.8.54 5.8.55 5.8.56 5.8.57 5.8.58 5.8.59 5.8.60 5.8.61 5.8.62 5.8.63 5.8.64 5.8.65 5.8.66 5.8.67 5.8.68 5.8.69 5.8.70 5.8.71 5.8.72 5.8.73 5.8.74

F. Köhn, MO 61 (3), S. 12 (2007) W. Kreis, MO 56 (3), S. 38 (2002) Anonymus, Coat. World 16 (5), S. 44 (2011) H. Friedrich, Welt d. Farben 5/2006, S. 8 S. Jennings, PPCJ 202 (4571), S. 20 (2012) D. Skinner, ECJ 10/2009, S. 18 J. N. Hay u. K.. Johns, JOCCA 83 (3), S. 106 (2000) E. Honcoop, W. McNamee, PCI 26 (11), S. 24 (2010) J. M. Shukla, M. R. Patel, K. H. Patel, N. K. Patel, ECJ 11/2006, S. 38; G. Bourscheidt, T. Roloff, Welt d. Farben 4/2007, S. 10 V. Mannari, S. Rengasamy, ECJ 03/2013, S. 80 M. Tober, T. Biemans, J. Thiem, F+L 118 (9), S. 16 (2012) T. Biemann, K. Pohl, W. Wagner, S. Friebel, Neuartige zuckerbasierte UV-vernetzende Polyurethandispersionen und UV-vernetzende UV-Harze, Proceedings 78. Lacktagung, Schwäbisch Gmünd, 2013 J. van Haveren, R. Blaauw, D. van Es, J. Sanders, F+L 117 (7), S. 18 (2011) C. Janik, VAA Magazin 12/2012, S. 6 B. Kamm, M. Gerhardt, S. Leiß, Nachr. Chemie 57 (12), S. 1182 (2009) D. Kralisch, G. Kreisel, A. Dielmann, D. Preuße, W. Karl, F+L 110 (3), S. 34 (2004); H. Kastien, W. Selter F+L 109 (1), S. 75 (2003) Anonymus, Lackiererblatt 12 (1), S. 8 (2003) D. Vaughan-Lee, PPCJ 194 (4478), S. 24 (2004) P. Bannwitz, H. Gleich, JOT 44 (9), S. 40 (2004); G. Scheffels, JOT 47 (9), S. 38 (2007) D. Zulkarnian, U. Schlotterbeck, H. Gleich, Kunststoffe 95 (3), S. 1213 (2005) M. Scheithauer, I-Lack 66 (6), S. 325 (1998)

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 685

Umwelt

Allgemeine Literatur

Qualitätsbegriffe im Wandel der Zeit

6

Prinzipien des Qualitätsmanagements

6.1

Qualitätsbegriffe im Wandel der Zeit

Ein bedeutender Aspekt, der die Lackiertechnik von vielen anderen Branchen unterscheidet, besteht in der Tatsache, dass Halbfabrikate verarbeitet werden, die vom Lackhersteller qualitätsverantwortlich produziert, aber vom Lackanwender an anderer Stelle verarbeitet werden (siehe Kapitel 1). Demzufolge muss die Qualität vom Hersteller unter anderen Bedingungen als beim Kunden kontrolliert werden. Hinzu kommt, dass Lackrohstoffe aufgrund der großtechnischen Herstellung teilweise noch Schwankungen unterliegen, so dass es bei der Lackproduktion nicht immer nur darum geht, identische Mischungen herzustellen, sondern auch Kompositionen zu finden, die eine mit Vorgängerchargen identische Verarbeitbarkeit besitzen und gleichzeitig identische Eigenschaften der Beschichtung erhalten. Messungen physikalischer Kennzahlen wie Dichte, Viskosität, Oberflächenspannung und Festkörper sind zwar wichtige Prüfmaßnahmen, reichen aber nicht immer zur Sicherung der Qualität aus. Dieser Tatbestand ist u.a. auch der Grund dafür, dass häufig noch das Nachempfinden der Praxisbelastung durch Verbiegen, Ritzen, Schaben oder Kratzen und das visuelle Beurteilen von Testlackierungen als Kriterien für die Qualitätsbeurteilung herangezogen werden (siehe Kapitel 3.3). Angesichts derartiger Fakten wird verständlich, dass zwischen dem Lieferanten und dem Verarbeiter ein enger Kontakt und Gedankenaustausch stattfinden muss, will man dem Beschichtungsstoff auf seinem Weg zur Beschichtung die besten Voraussetzungen für eine optimale Qualität bieten. Beachtet man weiterhin, dass vielfach Lackverarbeiter von mehreren Lieferanten versorgt werden, deren Produkte jedoch in den Verarbeitungsanlagen untereinander austauschbar sein müssen, wird augenscheinlich, dass lockere Absprachen über die Durchführung von Prüfungen nicht ausreichen. Deshalb schafft ein mittlerweile weltumspannendes Normenwesen Voraussetzungen für Vereinbarungen über die Vorbereitung der Prüfmuster, die Durchführung der Prüfungen und deren Auswertung (siehe Kapitel 8). Die ursprünglich lediglich firmeninternen sogenannten Hausnormen wurden zunächst durch nationale, neutrale Prüfvorschriften ergänzt, bedauerlicherweise aber nicht vollständig ersetzt. Die zunehmende Internationalisierung hat dann allerdings dazu geführt, dass Absprachen über Ländergrenzen hinaus notwendig wurden, so dass heute weltoder zumindest europaweite Vereinheitlichung der Prüfmethoden erfolgt. Europa- und ISO-Normen etablieren sich mehr und mehr und lösen damit Hausnormen und nationale Vorschriften nach und nach ab. Die VDA-Blätter 621 zur Bestandsaufnahme der in der Automobilindustrie praktizierten Prüfmethoden sind ein Beispiel für die Bestrebungen zur Vereinheitlichung von Prüfmethoden [6.6.1]. BASF-Handbuch Lackiertechnik 687

Qualität

Beschichtungen werden im industriellen Bereich in großer Stückzahl mit hoher Geschwindigkeit produziert und besitzen in den meisten Fällen ein hohes Qualitätsniveau. Dabei sind es nur geringe Materialmengen, die Produkte dekorativ und funktionell verbessern. Deshalb ist der Sicherung einer gleichbleibenden, allen Anforderungen entsprechenden Qualität besondere Beachtung zu schenken.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Während Normen lediglich Methoden zur Qualitätsermittlung beinhalten, sind für eine zu fordernde Mindestqualität Vereinbarungen über das Qualitätsniveau selbst zu treffen. In den technischen Lieferbedingungen bzw. Spezifikationen der Lackabnehmer werden die zur Quantifizierung der Qualität einzusetzenden Prüfmethoden, aber auch die einzuhaltenden Grenzwerte sowie die zulässigen Messwertunsicherheiten festgelegt (siehe Kapitel 2.3.1). Trotzdem sind Prognosen über die Qualität des Endproduktes mit Unwägbarkeiten verbunden. Die Besonderheiten, dass Beschichtungsstoffe beim Lackhersteller nur mit großem Aufwand unter den Bedingungen des Verarbeiters in eine Beschichtung überführt werden können, sie jedoch nach Auslieferung an den Kunden dort nicht immer unter gleichen Bedingungen verarbeitet werden, ist eine Eigenart der industriellen Lackiertechnik.

Qualität

Dieser Tatbestand hat dazu geführt, dass die Lackhersteller und die lackverarbeitenden Segmente des Verarbeiters mehr und mehr zusammenrücken und Qualitätserzeugung als gemeinsame Aufgabe empfinden. In den letzten Jahren entwickelte Qualitätskonzepte gehen über die Produktprüfung von Lack und Lackierung weit hinaus. Sie wurden auf Dienstleistungen unter Einbeziehung der Sicherheit, Termineinhaltung, klare Qualitätsvereinbarungen und Offenheit im Informationsaustausch erheblich erweitert. Qualität zu garantieren, verlangt allerdings über sichere Produktionsmittel, moderne Prüfeinrichtungen und kontrollierbare Dienstleistungen hinaus auch eine entsprechende Einstellung der im Unternehmen beschäftigten Menschen. Qualitätsmanagement-Systeme sollen deshalb dazu führen, dass Qualitätsbewusstsein in den Köpfen aller Mitarbeiter Voraussetzungen für die Einführung von Fehlervermeidungskonzepten schafft, so dass letztlich Fehler nicht mehr erst nach der Produktion erkannt werden, um sie anschließend zu korrigieren. Total Quality Management (TQM) ist ein solches Konzept [6.6.2]. Damit auch Qualitätsmanagement-Systeme oder Konzepte umsetzbar und vor allem auch in ihrer Wirksamkeit messbar werden, sind die Prinzipien sowie die konkreten Aktivitäten auf dem Wege zum TQM in Normen verankert. In den DIN ISO-Normen 9000, 9001 und 9004 werden die Wege zur Fehlervermeidung und zur sicheren termingerechten Produktion und Anlieferung im Einzelnen beschrieben. Eine spezifische Qualitätsnorm für die Automobilindustrie ist die ISO TSC 16949-2009. Das Prüfwesen bewegt sich von der reinen Materialprüfung hin zur Prozesskontrolle bei gleichzeitiger Einführung von Regelkreisen. Das Ziel einer Null-Fehlerquote bei der Erzeugung von Beschichtungen ist jedoch noch nicht erreicht. Auch in großen Lackierereien wie z.B. denen der Automobilindustrie als Vorreiter für Qualität und Qualitätsbewusstsein sind Lackierfehler bis heute nicht vollständig auszuschließen. Dennoch hat die intensive Auseinandersetzung der Lackindustrie mit ihren Kunden über alle Prozessschritte inklusive der Qualitätsstrategie bis heute deutliche Fortschritte in dem Qualitätsniveau und der Reproduzierbarkeit von Beschichtungen erreicht. Dazu hat eine in den letzten Jahrzehnten erheblich leistungsfähiger gewordene Analytik von Lack- und Lackierfehlern beigetragen (siehe Kapitel 2.3.2 und 3.2). Eine Auswahl und Identifikation der häufigsten Lackierfehler soll deshalb im folgenden Abschnitt vorgestellt werden. 688

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackier- und Lackfehler

6.2 Lackier- und Lackfehler Im gesamten Ablauf von Herstellung, Vertrieb und Anwendung von Lacken muss eine Fülle von Parametern angefangen bei dem Substrat bzw. Objekt [6.6.3], beim Vorbehandlungsprozess über die Lackeigenschaften bis zu den Applikations- sowie Härtungsbedingungen eingehalten werden, um ein spezifikationsgerechtes Ergebnis der Beschichtung zu erzielen. Abweichungen einzelner oder mehrerer Parameter können zu fehlerhaften Beschichtungen führen (siehe Abbildung 1.1.7). Solche Defekte sind z.B. eine starke Orangenhautstruktur der Oberfläche oder Abläufer an senkrechten Flächen, nicht ausreichender Steinschlagschutz oder ein von der Vorlage abweichender Farbton wie auch punktuelle oder systematische Oberflächenstörungen. Eine sachgemäße Applikation auf spezifizierten Untergründen mit sorgfältig geprüften und freigegebenen Lackmaterialien führt fast immer zu mängelfreien Beschichtungen für den jeweils vorgesehenen Zweck. Davon ausgehend werden viele der Abweichungen durch eine sorgfältige Analyse der Applikationsparameter und Lackchargenprüfung behoben. Da Lack und Verfahren stark voneinander abhängen, muss entschieden werden, ob die Verfahrens- oder die Lackoptimierung der ökonomischere, schnellere und sichere Ansatzpunkt zur Problemlösung darstellt.

Der Schwerpunkt in der Optimierung der Sicherheit von Beschichtungsprozessen liegt seit Jahren bei den punktuellen oder systematischen Oberflächenstörungen von industriellen Lackierungen. Diese führen seltener zu Einbußen in den Anwendungseigenschaften, stören jedoch das Wertegefühl der Konsumenten für das Produkt erheblich. Versucht man die Fehlerursachen aus der Erfahrung zu klassifizieren, so liegen sie in vielen Fällen in Störstellen durch die Substrate, deren Sauberkeit und Vorbehandlung, im Lackmaterial und im Beschichtungsprozess [6.6.4]. Substrat und Vorbehandlung spielen für die Benetzung und Haftung eine bedeutende Rolle. Fehler und vom Standard abweichende Prozesse können zu kosmetischen Defekten in Form von Benetzungs- bis hin zu gravierenden Korrosionsschutzproblemen u.a. wegen mangelnder Haftung führen. Für alle Substanzen muss die Art und Durchführung der Vorbehandlung prozesstechnisch sicher beherrscht werden. Die modernen und umweltfreundlichen Lacksysteme erfordern eine größere Aufmerksamkeit als die robuster formulierbaren lösemittelhaltigen Systeme, da sie als wässrige oder pulvrige Produkte in gewisser Hinsicht metastabil sind und in thermodynamisch günstigere Zustände streben. Dieses kann sich als Agglomeration, Phasentrennung und Micellenbildung bestimmter Lackbestandteile darstellen. Die Applikation solcher inhomogenen Lacke führt zu verschiedenen Defekten in der Oberfläche wie Rauigkeit oder Kratern und kann auch die Filmeigenschaften negativ beeinflussen. Neben diesen lackinhärenten Fehlerquellen gibt es eine Fülle an äußeren Einflussgrößen auf das Ergebnis des Beschichtungsprozesses. Das in dieser Hinsicht bedeutendste Problem ist vielen Malern bekannt. Es ist der Staubeinfall, der z.B. beim langsamen Antrocknen der Oberfläche lufttrocknender Lacke zu Schmutzeinflüssen führt. Selbst BASF-Handbuch Lackiertechnik 689

Qualität

Ein typisches Beispiel dafür sind Läufer. Wenn ausreichend Spielraum für die wichtigsten Filmeigenschaften in der Herabsetzung der Schichtdicke existiert, ist die Verfahrensoptimierung der einfachste und ökonomischste Schritt. Ist das nicht der Fall, muss über die Lackformulierung mehr Sicherheit in der Standfestigkeit eingestellt werden.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

bei den industriellen Lackierverfahren steht dieses Problem häufig an erster Stelle (siehe Kapitel 7.1.6). Nicht nur Staub, sondern auch Hilfsstoffe in den Lackierereien und an den zu beschichtenden Objekten können zu sichtbaren Defekten in den Lackaufbauten führen. Insbesondere sind die weit verbreiteten Öle oder Dichtungsmaterialien auf Basis von Silikonen oder perfluorierten Verbindungen zu nennen. Diese Materialien zeichnen sich durch sehr niedrige Oberflächenspannungen von < 20 mN/m aus. Sie führen in fast allen Lacken, insbesondere bei wässrigen Lacken und High Solids wegen ihrer Unverträglichkeit zu Oberflächenstörungen. Daneben kann die Geschwindigkeit der Lackierprozesse zu Problemen führen, die z.B. in unzureichendem Verdunstungsverhalten von Lösemitteln inklusive Wasser begründet sind. Die korrekte Einstellung der Sprüh- und Spritzaggregate ist ebenfalls notwendig für das Erzeugen defektfreier und glatter Filme (siehe Abbildung 1.1.7). Das menschliche Auge ist in der Lage, regelmäßige Oberflächenstrukturen bis zu 0,5 µm Tiefe zu erkennen. Egal welche Ursachen für Oberflächenstörungen vorliegen: in den hochtechnischen Lackierstraßen lösen sichtbare Defekte bei hohen Ansprüchen enorme Reparaturkosten aus.

Qualität

Wenn im Lackierprozess messbare Fehler auftreten, ist deshalb rasches Handeln angesagt. Dann gilt es, die richtigen Analysenmethoden und die Erfahrung der Anwendungstechniker zu nutzen, um durch zielgerichtetes Vorgehen die Ursache der Störung zu finden und Abhilfe zu schaffen. Dabei sind vier Aktionsparameter zu unterscheiden: 1. die sorgfältige Analyse der Oberflächenstörung 2. eine sofortige Registrierung der Defektstatistik in zeitlicher und örtlicher Auflösung 3. Überprüfung aller Applikationsparameter 4. Analyse der Qualitätsdaten der Lackmaterialien Je nach Schwere des Vorfalles kann das Aufgreifen aller Ansatzpunkte gleichzeitig opportun sein. Das Zusammenspiel von Mensch, Lackmaterial und den Applikationsparametern führt nicht in allen Fällen allein durch die Ausprägung der Oberflächenstörung zu einem eindeutigen und schnellen Auffinden der Fehlerursache. Kriminalistische Fähigkeiten aller Beteiligten werden insbesondere bei mehrschichtigen Lackieraufbauten gefordert, da das Lokalisieren des Defektes einen entscheidenden Schritt zur Ursachenfindung darstellt. In den folgenden Kapiteln werden die Möglichkeiten der Oberflächenanalyse und die Form bekannter Defekte durch entsprechende Fehler bei der Applikation oder den Lack selbst beschrieben.

6.2.1

Fehleridentifikation und Ursachenfindung

Defekte und Störungen in der Lackierung von Gebrauchsgütern lassen sich wie schon beschrieben unterteilen in sichtbare Defekte durch lokale oder großflächige Oberflächenstörungen einerseits und solche mit einer Beeinträchtigung der Gebrauchstüchtigkeit bzw. Funktion der Beschichtung andererseits. In den vielen unterschiedlichen Lackierprozessen können diese Fehlerklassen einzeln und zusammen auftreten. 690

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Lackier- und Lackfehler

Sichtbare, lokale Störungen der Oberfläche werden üblicherweise nach der Erscheinungsform klassifiziert. So spricht man von Läufern, Pieken, Kratern, Kochern, Nadelstichen, Schmutz und benutzt ähnliche Begriffe, die allerdings in vielen Fällen keinen eindeutigen Hinweis auf mögliche Ursachen geben. Ein Krater kann z.B. ohne genauere Betrachtung durch ein Mikroskop ein großer Kocher sein. Im Übrigen ist diese Begriffswelt nicht klar definiert, was die Kommunikation selbst unter den Experten erheblich erschwert. Schmutzeinfall von außen auf die lackierte Oberfläche kann dagegen meistens durch eine mikroskopische Untersuchung der Störstelle identifiziert werden [6.6.5]. Solche Oberflächendefekte können in industriellen Lackierprozessen sporadisch oder regelmäßig auftreten. Treten sie sporadisch auf, so ist der Kostenaufwand für die Reparatur geringer, der Zeitaufwand zur Ursachenfindung und Abstellung der Störung allerdings größer als bei den häufig auftretenden Störungen. Hier ist insbesondere bei der Automobillackierung, Dosenlackierung und beim Coil Coating rasches Handeln angesagt. Der erste Schritt zur Behebung der Defekte sollte immer die Registrierung und visuelle Klassifizierung der Oberflächenstörung am Fertigungsband als Grundlage der Ursachenanalyse sein. Hierzu zählt die Beschreibung der Störung, soweit sie mit bloßem Auge zu erkennen ist, wie auch die Lokalisierung am Objekt sowie die Aufzeichnung der zeitlichen Abfolge. Bleibt die visuelle Beurteilung nur ungenau, sollte eine Lupe oder ein transportables Mikroskop am Band eingesetzt werden, um weitergehende Beschreibungen der Defekte und eventuelle Ursachfindungen zu ermöglichen. Reicht dies für eine eindeutige Zuordnung der Fehlerquelle nicht aus, muss die Fehlstelle für weitergehende Untersuchungen präpariert werden. 1. Eine weitergehende visuelle Analyse der Störstelle unter Benutzung eines Skalpells zur Präparation und eines Stereomikroskops. Hierbei wird die unter dem Stereomikroskop befindliche Fehlstelle mit dem Skalpell mit zwei schrägen Schnitten keilförmig durchtrennt, so dass die Fehlstelle im Querschnitt des Lackaufbaus sichtbar wird. Auf diese Weise kann mit hoher Wahrscheinlichkeit bei mehrschichtigen Aufbauten die Quelle der Störung den betroffenen Schichten zugeordnet werden. Dies lässt sich bei Beherrschung der Technik bei allen Substraten anwenden. 2. Die Mikrotomie als Dünnschnitttechnik, bei der die Lackschicht in Schritten von etwa 1 µm Schichtdicke abgetragen wird. Diese Präparatscheiben lassen sich in Mikroskopen jeden Typs im Auflicht und Durchlicht betrachten. Im Durchlicht können zur Verstärkung der Effekte verschiedene Kontrastverfahren benutzt werden. Diese Methode lässt sich am sichersten bei Kunststoffsubstraten einsetzen. 3. Am häufigsten wird die Technik der Querschliffpräparation in der Lackierindustrie eingesetzt. Dazu wird die zu untersuchende Fehlstelle aus dem Objekt geschnitten und in lichthärtende oder andere härtbare Kunststoffe eingebettet. Dieser Gießling wird bis zur Schadstelle geschliffen, um danach eine mikroskopische Aufsichtaufnahme der Fehlstelle anzufertigen. Zusammen mit der visuellen Beurteilung kann nach einer so ausgeführten Fehlstellenanalyse die Störung üblicherweise in Schmutzeinschlüsse, Krater, Kocher oder Pieken, Blasen und sonstige Störungen klassifiziert werden. Diese Klassifizierung gibt Hinweise, ist aber nicht hinreichend für die Festlegung der Ursache bzw. Quelle der Störung. BASF-Handbuch Lackiertechnik 691

Qualität

Dazu kommen je nach Substrat drei verschiedene Verfahren in Frage:

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Abbildung 6.2.1: Typische Beispiele von Störungen in Lackoberflächen nämlich Blasen (A), Krater (B), Schmutz (C) und Nadelstich durch Kocher in tieferer Schicht (D) Quelle: BASF Coatings

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Ein weiterer Schwierigkeitsgrad entsteht dann, wenn mehrschichtige Lackaufbauten untersucht werden, da es für das erfolgreiche Abstellen von Störungen essenziell ist zu wissen, in welcher Schicht die Ursache zu finden ist. Die Mikroskopie ist bei Störstellen durch Schmutz üblicherweise sehr erfolgreich. Führt die visuelle, mit Mikroskopen unterstützte Analyse nicht dazu, die Störung zu lokalisieren und die Störquelle abzustellen, werden analytische Methoden eingesetzt, die möglichst deutliche Hinweise auf die Art der störenden Substanz abliefern können. Eine wirkungsvolle Methode stellt die Fourier-Transform-Infrarotspektroskopie (FTIR) dar, die an Mikropresslingen oder mit Hilfe des IR-Mikroskops bei ausreichender Konzentration strukturelle Merkmale der Störsubstanz liefert [6.6.6]. Auch die energiedispersive Röntgenmikroanalyse (EDX) kann Informationen zu Strukturelementen im Bereich der Störung geben. Der Elektronenstrahl des Rasterelektronenmikroskops (REM) löst in der beschossenen Probe Röntgenquanten aus, deren Menge umgekehrt proportional der Ordnungszahl des getroffenen Elementes ist [6.6.7]. Die Methode liefert elementspezifische, aber keine strukturspezifischen Informationen und hat ihre Stärken beim Nachweis anorganischer Komponenten. Werden Beschichtungsstörungen durch Grenzflächenphänomene mit oberflächenaktiven Substanzen hervorgerufen, sind deren Konzentrationen in der Oberfläche der Beschichtung meistens so klein, dass ein Nachweis mit IR-Spektroskopie oder EDX nicht möglich ist. Andere empfindlichere analytische Verfahren wie die Elektronspektroskopie für die chemische Analyse (engl.: ESCA), die Sekundärionen-Massenspektrometrie (SIMS) sowie das Laser Microprobe Mass Analyzer-Verfahren (LAMMA) basieren auf der Methode, energiereiche Strahlung oder Masseteilchen auf die Oberfläche der Störstelle zu schießen, um aus der Reaktion der Moleküle spektroskopische oder massenspektrometrische Informationen zu erhalten. Sie sind allerdings nicht em692

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Lackier- und Lackfehler

Tiefe [µm] 1000

100

10

0

EDX

LAMMA

ESCA

SIMS

TOFSIMS

Abbildung 6.2.2: Informationstiefe verschiedener Analysenmethoden von Oberflächen

Die von Benninghofen [6.6.9] entwickelten Geräte nach dem Verfahren der Time-ofFlight Secondary Ion Mass Spectroscopy (TOF-SIMS) erfüllen die Voraussetzungen für eine hohe Empfindlichkeit zur Analyse chemischer Substanzen auf der Oberfläche von Beschichtungen. Sie ermöglichen eine schonende Ionisierung durch Beschuss mit Argon- oder Metallionen zur Erzeugung von Sekundärionen aus der Beschichtung. Die Methode hat sich heute etabliert und in vielen Fällen das Auffinden von Störsubstanzen in Defektstellen möglich gemacht. Zu den sichtbaren, großflächigen Oberflächenstörungen, die von einem trainierten Auge rasch und zweifelsfrei analysiert werden können, zählen Orangenhautstruktur (Orange Peel), Glanzschleier (Haze), Wolkigkeit bei Metall-Effekt-Lackierungen (Mottling), mangelnder Hell-Dunkel-Flop bei Metall-Effekt-Lackierungen und Läufer an senkrechten Flächen. Die Methode zur Ursachenfindung ist genauso anzugehen wie die bei den punktuellen Störungen. Eine chemische Analyse ist wegen der makroskopischen Struktur in den meisten Fällen nicht sinnvoll. Der häufigste Ansatzpunkt zur Beseitigung solcher Störungen liegt in der Applikationstechnik und/oder der Lackformulierung. Der dritte Bereich von Fehlern, nämlich die Beeinträchtigung der Gebrauchseigenschaften tritt erst im späteren Lebenszyklus des lackierten Produktes auf und ist deshalb üblicherweise während des Lackierprozesses noch nicht zu erkennen. Hier sind die häufigsten Fehler: Enthaftung zum Substrat oder zwischen Lackschichten, Kreidung oder zu rascher Glanzverlust, Blasenbildung, Verfärbungen und zu frühe Korrosion. Fehler in der Gebrauchstüchtigkeit sind durch ein Qualitätsmanagementsystem zu vermeiden (siehe Kapitel 6.3). Wie eingangs dieses Kapitels erläutert, gibt die phänomenologische Beschreibung eines Defektes zwar Hinweise auf die Fehlerursachen, ist allerdings nicht immer eindeutig. In BASF-Handbuch Lackiertechnik 693

Qualität

pfindlich genug, um die bei Kontaminationen im ppm- und ppb-Bereich wirksamen Störsubstanzen zu erfassen und zu messen [6.6.8]. Beim Nachweis von Störsubstanzen in der Oberfläche bedeutet eine geringe Informationstiefe oder Wechselwirkung des Beschusses eine hohe Nachweisempfindlichkeit analog Abbildung 6.2.2. Die Ortsauflösung bzw. die Größe der Beschussfläche spielt darüber hinaus eine wichtige Rolle.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

jedem zweifelhaften Fall sind Substrat, Vorbehandlung, Lackierprozess und Beschichtungsstoff auf eventuelle Abweichungen von der Norm zu überprüfen. Die im folgenden beschriebenen Fehlertypen und Fehlerursachen sind nach ihrer Häufigkeit gegliedert, nach der sie in diesen Bereichen auftreten können. Für die Reparatur der Oberflächendefekte reicht üblicherweise die beschriebene Klassifizierung auf Basis der visuellen Beobachtung aus, um den notwendigen Prozess gegebenenfalls in Kombination mit einem leichten Anschliff festzulegen (siehe Kapitel 7.1.6).

6.2.2

Die häufigsten Ursachen für Oberflächenstörungen

Substrat und Vorbehandlung

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Es gibt kein zu beschichtendes Substrat, das nicht für eine spezifikationsgerechte und dauerhafte Beschichtung vorbehandelt werden muss (siehe Kapitel 4.1). Eine nicht substratspezifische und unsachgemäße Vorbehandlung kann zu erheblichen Abweichungen von der gewünschten Oberflächenqualität führen. Die einfachste Art der Vorbereitung für die Beschichtung ist die Reinigung der Oberfläche von Schmutz oder sonstigen Ablagerungen bzw. Veränderungen auf der Oberfläche. Aufwendigere Vorbehandlungen bestehen aus einer Reinigung mit einer anschließenden chemischen Modifikation der Oberfläche, der wiederum ein Reinigungsschritt folgt. Für die wichtigsten Klassen von Materialien gibt es dabei spezifische Schwerpunkte potenzieller Ursachen für Defekte im anschließenden Beschichtungsvorgang. Der natürliche Rohstoff Holz ist inhomogen und anisotrop. Er besitzt deshalb unregelmäßige Oberflächenstrukturen und Poren, u.a. auch durch Unregelmäßigkeiten im Wuchs. Darüber hinaus sind unterschiedliche Inhaltsstoffe wie Harze, Wachse und Wasser je nach Holzart und Region zu beachten. Die üblichen Vorbehandlungsschritte beinhalten deshalb die Entfernung lackunverträglicher Inhaltsstoffe u.a. durch Seifenlösungen, Ammoniak oder Lösemittel, sorgfältiges Schleifen in mehreren Schritten mit Papieren bis zu einer Körnung von > 400 und Verkitten bzw. Spachteln von Poren und Rissen. Ein mehrschichtiger Lackaufbau bestehend aus Isoliergrund, Beize und mehreren Klarlackschichten hilft, die durch das Substrat verursachten Defekte von Ausgasungen und Feuchtigkeit zu korrigieren. Die in der Möbelindustrie weit verbreiteten MDF-Platten (siehe Kapitel 4.1.1) werden ebenfalls mit mehreren Schichten aus Isoliergrund, u.U. mehrmaligem Füllerauftrag, Vorlack und Klarlack beschichtet. Hierbei sind Leimdurchschläge aus den Platten zu vermeiden. Bei der Anwendung von wässrigen Lacken kann die Holzfaseraufstellung ein Problem darstellen. Dazu wird im Bedarfsfall die Holzoberfläche mit bis zu 50 g/m2 Wasser gewässert und nach dem Trocknen geglättet [6.6.10]. Im Gegensatz zum Holz sind Metalle isotrope Werkstoffe. Dies gilt allerdings nicht vollständig für die Oberflächen, vor allen Dingen wenn Bleche Zieh- und andere Verformungsprozesse durchlaufen haben. Auch Schweißpunkte bei der Produktion von Formteilen können für die Vorbehandlung und Beschichtung lokale Problemstellen sein. Die für die Herstellung eines Bauteiles aus Metallen notwendigen Hilfsstoffe wie Korrosionsschutzfette für die Lagerung und den Transport von Coils oder sonstigen Blechen und die Ziehfette für den Verformungsprozess sind nicht immer verträglich mit den Beschichtungsmaterialien. Sind sie vor dem Beschichtungsprozess nicht vollständig 694

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackier- und Lackfehler

entfernt worden, haben sie zunächst eine ungünstige Auswirkung auf die Ausbildung der anorganischen Konversionsschicht. Die Elektrotauchlacke können dann Oberflächeneffekte in Form von Benetzungsstörungen und Durchschlägen zeigen (s.u.). Ist das Korrosionsschutzöl andererseits nicht gleichmäßig auf die Oberfläche aufgebracht, kann Flugrost oder stärkerer Rost auftreten, der zwar durch abtragende Vorbehandlungen entfernt werden kann, aber dann zu Unebenheiten in der Beschichtung führt. Schweißperlen und Schmutz auf und in dem Bauteil sind weitere bedeutende Störquellen. Nicht spezifikationsgerechte Rauigkeiten der Blechoberfläche führen häufig zu Abweichungen in der Oberflächenqualität im gesamten Aufbau.

Glasfaserverstärkte Kunststoffe z.B. als Sheet Molding Compound (SMC), auf Basis ungesättigter Polyester gefertigt und anschließend verformt, besitzen zwei wichtige Störpotenziale für die Beschichtung. Zum einen kann die Orientierung der Glasfasersegmente so sein, dass sie aus dem Substrat herausragen, zum anderen führen bei der Lackierung durch eine dünne Haut abgedeckte Hohlräume zu so genannten Lunkern oder bei der Trocknung zu Poren und Löchern in der Beschichtung. Spezielle Kunststoffe sind zur homogenen Benetzung durch den Beschichtungsstoff sorgfältig zu konditionieren (siehe Kapitel 4.1.3). Defekte durch den Prozess bzw. Lack Bei der Elektrotauchlackierung sind die beschriebenen Störungen wie Krater, Pieken und Schmutzeinflüsse genauso zu finden wie bei den übrigen Applikationsverfahren. Sie können die gleichen Ursachen haben. Eine bedeutende und spezifische Fehlerquelle für die Elektrotauchlackierung ist der Rohbau. Je nach der Art des zu beschichtenden Produktes sind Schweißperlen, Metallstaub und Ausschwitzungen von Klebern die häufigsten Störursachen für Defekte in der Elektrotauchlackierung. Sauberkeit und Optimierung der Reinigungsschritte im Rohbau bzw. vor der Elektrotauchlackierung schaffen hier Abhilfe. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Kontaminationen des Beckens aus dem gesamten Fertigungsprozess heraus vermieden werden müssen. Die umweltfreundlichen Elektrotauchlacke mit niedrigen Lösemittelgehalten lassen sich durch hydrophobe Silikone im ppm-Bereich oder durch fluorierte Kohlenwasserstoffe sogar im ppb-Bereich so kontaminieren, dass entweder Krater in der Beschichtung selbst auftreten oder aufgrund von Benetzungsstörungen sogar in der nachfolgenden Schicht Krater erzeugt werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 695

Qualität

Kunststoffteile sind in der Oberfläche nicht homogen und weisen durch den Herstellprozess in den Spritzgussmaschinen mit Thermoplasten vielfach Fließspuren auf. Entformungsmittel, austretende Weichmacher und Additive können zu deutlichen Strukturen durch unterschiedliche Benetzung beim Grundieren führen. Das thermische Verhalten und innere Spannungen des Kunststoffes müssen bei der Formulierung der Beschichtungsstoffe beachtet werden. Im Applikationsprozess ist die geringe Leitfähigkeit der Kunststoffe verantwortlich für den hohen Schmutzeintrag. Das Abwischen und Reinigen der Oberflächen durch manuelle Tätigkeiten ist deshalb möglichst zu vermeiden. Bei speziellen Schaumstoffen ist das Austreten von Treibgasen während des Lackierprozesses eine Störquelle. Gelegentlich hilft das sogenannte Tempern, ein kurzzeitiges Erwärmen des Kunststoffteils bis nahe an die Verformungsgrenze. Dadurch wird die innere Spannung im Kunststoff reduziert.

Qualität

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Daneben gibt es einige, sehr spezifische Störungen, die ihre Ursachen im Prozess, in der Badführung oder der Lackqualität besitzen können. Zunächst ist dabei die Abrisserscheinung anzuführen. Diese äußert sich in kleinen Pusteln oder Pieken mit bis zu Zentimeter großen Störungen in Form von quasi zusammengeschmolzenen, koagulierten und örtlich begrenzten Flächen der Beschichtung. Solche Störungen geben sich schon im nassen Film vor dem Einbrennofen zu erkennen. Ursachen können in zu hoher Spannung, Badtemperatur und Badleitfähigkeit in der Prozessführung liegen. Hier sind die entsprechenden Maßnahmen das Absenken der Spannung oder Badtemperatur sowie das Verwerfen eines Teils des Ultrafiltrats und Ersatz durch voll entsalztes Wasser. Als Faustregel gilt, dass die Applikationsspannung wenigstens 10 % unter der im Labor ermittelbaren Abrissspannung liegen sollte. Ein weiterer, in Durchlaufanlagen auftretender Defekt sind die Eintauchmarkierungen, die in Form von Wülsten und Pieken auf dem eintauchenden Teil zu finden sind. Ursachen hierfür können Schaum auf der Badoberfläche sein oder zu hohe Stromdichten in der Eintauchzone. Auch Probleme bei der Benetzung des Substrats durch den Elektrotauchlack können zu ähnlichen Defekten führen. Beim SpülAbbildung 6.2.3: Schweißperlen, Metallstaub und prozess treten Wassertropfenmarkierungen Rohbaukleber als Störsubstanzen in einer KTL (von dann auf, wenn eine schlechte und eventuell oben nach unten)  Quelle: BASF Coatings zu späte Spülung im Austauchbereich erfolgt oder generell eine zu geringe Ultrafiltratmenge für den gesamten Spülbereich erzeugt wird. Die Nadelstiche (im Englischen „pinholes“) sind bei Elektrotauchlacken nicht nur auf die Wasser- oder Lösemittelgehalte im abgeschiedenen Film zurückzuführen, sondern eher auf die Badzusammensetzung bezüglich eines zu niedrigen BindemittelPigment-Verhältnisses oder auf eine zu niedrige Badtemperatur. Nicht zuletzt lassen großflächige Oberflächenstörungen, die mit einer deutlichen Änderung der Applikationsparameter zur Aufrechterhaltung der Schichtdicke und des Umgriffes einhergehen, auf bakterielle Kontaminationen schließen. Dies kann bakteriologisch analysiert und mit Bakteriziden (siehe Kapitel 2.1.4) bekämpft werden. Je nach ihrer Funktion treten bei Sprühlacken spezifische Fehlerkategorien auf. Füller z.B. dürfen keine Oberflächenstörungen aufweisen, um ihre Funktion als Grundlage für einen Decklack mit hoher Glätte und Glanz zu erfüllen. Fehlerursachen hierfür lassen sich mehreren Schwerpunkten zuordnen. Zum einen sind es Schleifstaubrückstände der Schleifoperationen bei der KTL, zum anderen Rückstände von Nahtabdichtungsmate696

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Lackier- und Lackfehler

rialien, besonders wenn manuelles Auftragen und PVC als Material eine Rolle spielen. Spritznebelunverträglichkeiten bei mehreren Schritten der Applikation des Füllers und nicht zuletzt Schmutzeinschlüsse sind weitere nennenswerte Fehlerquellen.

Bei Decklacken ist die Anforderung an eine exakte Einstellung aller Parameter für eine defektfreie Beschichtung deshalb am größten, weil sie die Sichtfläche für das zu beschichtende Objekt darstellt. Unabhängig vom Typ der Decklackierung sind Schmutzeinschlüsse die häufigste Ursache für Defekte (siehe weiter und Kapitel 7.1).

Abbildung 6.2.4: Pusteln bzw. Pieken in einem Elektrotauchlackfilm durch elektrische, lokal begrenzte Durchschläge  Quelle: BASF Coatings

Abbildung 6.2.5: Übersehene PVC-Reste der Nahtabdichtung auf einer Karossenoberfläche  Quelle: BASF Coatings

Im Falle von Basislack- und Klarlackaufbauten z.B. für Effektlackierungen sind spezifische Fehlerarten ein gestörter Metalleffekt, die Spritznebelunverträglichkeit und Pieken bzw. Kocher.

Der Metalleffekt insbesondere bei sehr hellen Farbtönen kann lokal durch schwarze Stellen gestört sein. Dies beruht häufig auf einer Fehlorientierung der Aluminiumflakes durch Einschlüsse von Störsubstanzen im Basislack oder in den darunter liegenden Schichten.

Abbildung 6.2.6: Schema und Bild einer dunklen Fehlstelle im Basislack 

Quelle: BASF Coatings

BASF-Handbuch Lackiertechnik 697

Qualität

Durch die Sprühorgane für den Füllerauftrag kann es genauso wie bei Decklacken zu fehlerhaften Beschichtungen kommen. Dies sind zu dünne Schichten durch falsche Dosierung, zu raue Schichten durch zu viel Lenkluft sowie „Spucker“ durch Ablagerungen des Beschichtungsmaterials, das sich an den Sprühköpfen ansammelt und sporadisch abgeschleudert wird.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Abbildung 6.2.7: Pieken durch Kocher im Füller (A) und im Basislack (B) 

Quelle: BASF Coatings

Qualität

Großflächige Fehlorientierungen bei Metalleffektlacken werden als „Wolken“ bezeichnet. Ihre Ursache liegt in flächigen Unterschieden des Abdunst- und Trockenverhaltens der Basislackschicht. Die Ursache dafür muss sowohl in der Formulierung des entsprechenden Lackes als auch in den Applikationsbedingungen gesucht werden. Neben der visuellen Beurteilung lassen sich Wolken durch statistisch unterstützte Messverfahren detektieren (siehe Kapitel 6.3). Ein anderer großflächiger Defekt wird als „Salz und Pfeffer“-Effekt bezeichnet. Dieser beruht auf der Bildung Bénard’scher Zellen während der Abdunstzeit des Basislackes (siehe Kapitel 3.2.1). Spritznebelunverträglichkeiten äußern sich darin, dass Bereiche sehr schlechten Verlaufes auftreten. Dieses Phänomen, hervorgerufen durch vorab beschichteten Stellen, wie z.B. beim Türeinstiegsbereich einer Automobilkarosse, die beim Erreichen des nächsten Applikationsschrittes schon zu trocken sind, so dass der neue Spritznebel nicht mehr von diesem Film aufgenommen wird und vollständig zerfließen kann. Für eine Lösung bieten sich sowohl eine Optimierung der Spritzzonen als auch eine „längere“ Einstellung des Beschichtungsstoffes an. Pieken, Kocher oder Krater sind Störungen, die sehr klein sein können. Sie sind deshalb nicht leicht voneinander zu unterscheiden. Von Pieken oder Nadelstichen (im Englischen pinholes) spricht man üblicherweise, wenn diese Störung bei der Nass-inNass-Verarbeitung mehrerer Schichten durch Blasenbildung aus unteren Schichten verursacht wird. Die häufigsten verfahrenstechnischen Ursachen liegen zum einen in einer unzureichenden Zwischentrocknung der Basislackschicht vor dem Klarlackauftrag, zum anderen in Luft- oder Lösemitteleinschlüssen der verschiedenen Schichten. Ein erwähnenswertes Problem ist die mangelhafte Abstimmung zwischen den Formulierungen des Basislacks und des Klarlackes. Dabei kann das Anlösen des Basislackes durch die Lösemittel und sonstigen Komponenten des Klarlackes einen vom Standard abweichenden Farb- und Effekteindruck verursachen. Alle Schichten eines Decklackes inklusive Füller müssen bezüglich ihres Benetzungsverhaltens optimal eingestellt sein. Dennoch kann es selbst bei sehr geringer Kontamination durch eine oberflächenaktive Substanz mit niedriger Oberflächenspannung zu lokalen Anreicherungen auf einer Oberfläche kommen. Dies führt dann in der folgenden Schicht zu Benetzungsstörungen, die sich als Krater zu erkennen geben (siehe Kapitel 2.1.4). 698

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Lackier- und Lackfehler

Abbildung 6.2.8: Krater in einem Automobillackaufbau bis zur KTL, verursacht durch oberflächenaktive Substanzen  Quelle: BASF Coatings

Zu den häufigsten Problemen bei Pulverlacken und ihren Ursachen zählen Krater bzw. Bläschen, zu dünne Pulverschichten oder eine mangelhafte Abdeckung des Untergrundes. Für letzteres können mehrere Ursachen verantwortlich sein. Zum einen kann an der Elektrode des Sprühorgans eine zu niedrige Spannung anliegen. Hierfür gilt es, die Hochspannungsquelle, die Elektroden und die Kabel zu überprüfen. Eine Reinigung der Elektroden von Pulveransammlungen ist in jedem Fall zu empfehlen. Des Weiteren kann eine schlechte Erdung des zu beschichtenden Objektes vorliegen. Hier ist die Erdung der Aufhänger und des Förderbandes zu überprüfen. Die Kontakte müssen frei von Pulveransammlungen sein. Bei zu hohem Pulverdurchfluss kann die elektrostatische Aufladung nicht ausreichend erfolgen. Die Verringerung des Pulverdurchflusses führt in diesem Fall zu einer effektiveren Beschichtung. Ist die Luftfeuchtigkeit in der Kabine zu hoch, wird die Ladung der Pulverteilchen schnell abgebaut. Die Luftfeuchtigkeit sollte dann niedriger eingestellt werden. Im Falle sehr geringer Erstauftragswirkungsgrade kann das recyclierte Pulver zu einer Verschiebung in Richtung kleinerer Teilchengrößen führen. Dies sollte messtechnisch überprüft werden. Gegebenenfalls ist das Verhältnis von Neupulver zu recyclisiertem Pulver zu erhöhen. Auch eine zu hohe Luftmenge der Pulverförderung kann dazu führen, dass das Pulver sich weniger auf dem Substrat abscheidet. Dann ist entweder die Luftmenge zu reduzieren oder der Abstand zum Substrat zu erhöhen. Als weiterer häufig auftretender Defekt ist eine übermäßige Orangenhaut zu nennen. Die Rücksprüheffekte bei der Pulverapplikation verursachen sehr häufig eine schlechte Oberfläche (siehe Kapitel 4.2.2). Die Ursachen können zu hohe Spannung, zu geringer Abstand des Sprühorgans zum Objekt, schlechte Erdung oder generell zu dicke Schichten sein. Zur Behebung der Defekte muss entweder die Spannung reduziert, der Abstand erhöht, die Erdung überprüft und verbessert werden oder die Durchflussmenge des Pulvers erniedrigt werden. In einzelnen Fällen kann auch die Anzahl der Sprühorgane verringert werden. BASF-Handbuch Lackiertechnik 699

Qualität

Oberflächenstörungen von Pulverlacken sind aufgrund der Konsistenz des Lackmaterials wie auch aufgrund des Applikationsverfahrens überwiegend sehr spezifisch. So sind im Zusammenhang mit der elektrostatischen Aufladung bei der Applikation mit Corona-Sprühorganen, der Pulverdosierung und der Pulverwiedergewinnung genaue Einstellungen für eine prozesssichere Beschichtung notwendig.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Eine ruckartige, unregelmäßige Pulverdosierung führt naturgemäß ebenfalls zu unregelmäßigen Oberflächen. Hierfür kann ein zu niedriger Druck der Dosieroder Förderluft die Ursache sein, so dass der Luftdruck und die Luftleitungen auf Knicke etc. geprüft werden müssen. Verstopfungen der Auftragsgeräte, Leitungen, Venturidüsen oder Saugrohre können auch die Fehlerquelle sein. Eine regelmäßige Reinigung beugt vor. Abbildung 6.2.9: Agglomeratpartikel („Eggshell“) von Quelle: BASF Coatings Pulverlacken 

Die Verwirbelung des Pulvers im Dosierbehälter kann unzureichend sein. Hier ist die Wirbelluft zu justieren, eventuell der Behälter zu reinigen und das Pulver darin auszutauschen. Schließlich können Pulveragglomerate die Oberfläche durch deutlich sichtbare Defekte stören. Diese sogenannten „Eggshells“ sind weiche Agglomerate meist feiner Pulverteilchen, die sich entweder in den Pulverleitungen oder im Auftragsaggregat bilden können. Ihre Entstehung kann auf thermische oder elektrostatische Ursachen zurückgeführt werden. Folgende Parameter beeinflussen die Bildung dieser Agglomerate:

Qualität

• hoher Regeneratanteil im Mischbehälter • eine zu geringe Reinigungshäufigkeit der Leitungen • zu hoher Feuchtigkeitsgehalt der Druckluft. Lokale Oberflächendefekte haben, wie bei allen Lacken, zwei Hauptursachen. Zum einen kann es zu einer externen Kontamination während des Applikationsprozesses kommen oder der Pulverlack besitzt bzw. generiert Störsubstanzen selbst. Die Verschmutzung sollte mit Hilfe der Filtration während der Fertigung und der Applikation so gering wie möglich gehalten werden. Reißt allerdings ein Filterbeutel oder Sieb, führen die freigesetzten Schmutzteilchen oder Pulveragglomerate zu Störungen im abgeschiedenen Film (siehe weiter). Pulveragglomerate können sich aber auch in den Leitungen und Behältern bilden. Hier ist regelmäßiges Durchblasen der Dosieranlage eine wichtige vorbeugende Maßnahme. Zu hohe Luftfeuchtigkeit der Druckluft und zu hoher Anteil an recycliertem Pulver kann wegen der kleineren Teilchen ebenfalls zu Pulveragglomeraten führen. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Pulverlacke nur in Verbindung mit einer angepassten Vorbehandlung der Lackierobjekte die für eine optimale Qualität notwendigen Voraussetzungen bieten. Während für einen konventionellen Lack mit seinen fettlösenden Lösemitteln Spuren von Fett oder Korrosionsschutzölen kein Problem darstellen, verlangen die lösemittelfreien Pulverlacke absolut saubere und benetzungsfreudige Untergründe. Krater und Bläschen in Pulverbeschichtungen können ebenfalls durch die beschriebenen Umstände und Faktoren verursacht werden [6.6.11]. Die hohen Durchsätze von Beschichtungsstoffen im Coil Coating-Prozess besitzen ein spezifisches Störungspotenzial. So ist eine schnelle Versottungsgefahr im Einbrennofen gegeben, wenn nicht periodisch entsprechend der Auslegung des Ofens gereinigt wird. 700

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Lackier- und Lackfehler

Abbildung 6.2.10: Querschnitt und Aufsicht von Schmutz durch häufig mitlackierte Betriebsmittel wie Gehängen und Abstandshaltern Quelle: BASF Coatings

Generell gilt für die Qualität der Oberfläche, dass die Anlage und die Einstellung des angelieferten Lackes entscheidende Faktoren sind. Vor Ort kann nur in seltenen Fällen korrigiert werden. Wenngleich mittlerweile durch hohe Automatisierung und Aufwendungen im Umfeld der Automobillackierung Verschmutzungen beherrschbar geworden sind, so stellt Schmutz für viele Lackieranlagen noch immer die größte Fehler- und Kostenquelle dar. Lackierfehler verursachender Schmutz gelangt nicht allein durch die von außen zugeführte Frischluft in die Lackieranlagen. Weitere schmutzliefernde Störsubstanzen sind Teilchen, die entweder durch den Lackierer, durch die für die Lackzerstäubung notwendige Spritzluft bzw. bei Pulver durch die zusätzliche Luft zur Dosierung, die Umgebungsluft oder durch das Lackierobjekt in die Kabine eingeschleust werden [6.6.12]. Während der Schmutzeintrag durch die Spritzluft mit Luftfiltern und Ölabscheidern bei entsprechendem Aufwand weitgehend beherrschbar ist, sind Kontaminierungen durch das Lackierobjekt und die Fördereinrichtungen in vielen Fällen ein nur unvollständig gelöstes Problem. Kompliziert geformte Objekte, wie z.B. Pkw-Karosserien sind auf der Außenhaut durch Reinigungsanlagen mit Emu-Federn befriedigend zu reinigen (siehe Kapitel 7.1). Schmutzpartikel in den Hohlräumen werden dadurch natürlich nicht beseitigt. Bei luftunterstützter Lackzerstäubung ist nicht auszuschließen, dass ein Teil des Schmutzes in Hohlräumen freigesetzt wird, um danach Lackierfehler zu verursachen. Es mangelt deshalb nicht an Versuchen, solche Fehlerquellen durch zusätzliches Vorreinigen oder Binden des aus dem Rohbau eingeschleppten Hohlraumschmutzes auszuschließen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 701

Qualität

Resultate schlechter Wartung sind im Wesentlichen Oberflächenstörungen in Form von Schmutzpartikeln auf der Oberfläche. Krater, Pieken, Blasen, Fischaugen und Kocher sind die üblichen Erscheinungsformen von lokalen Störungen auf dem Coil CoatingBlech. Dies tritt besonders bei den hochglänzenden Beschichtungen für die „Weiße Ware“ auf. Hier sind die Ansprüche an die Qualität der Oberfläche entsprechend hoch. Durch mangelhafte Entgasung der Lacke, eine zu steile Ofenkurve und Schaum in Lacken treten sehr leicht Kocher und Blasen auf. Speziell für die Reduzierung der mit Schaum im Lack verbundenen Störungen ist eine Dreiwalzenauftragsweise förderlich. Bei Verschleiß der Auftragswalze ergeben sich Beschichtungsstörungen in Form von Riefen oder Streifen. Dann ist ein Nachschleifen der Walze notwendig.

Prinzipien des Qualitätsmanagements Materialtyp

Material

Baumwolle

Putztuch T-Shirt

Synthetikmaterialien

> 2.000.000 1.000.000

Blue Jeans

800.000

Wischmop zur Bodenreinigung

500.000

Spezialtuch für Allzweckreinigung

43.000

Lackieroverall, neu

25.000

Spezialtuch für PVC-Reinigung

25.000

Synthetiktuch, Kanten heiß geschnitten

Qualität

Anzahl freier Fasern/m2

0

Abbildung 6.2.11: Anzahl freier Fasern verschiedener Fasermaterialien

Quelle: BASF Coatings

Abbildung 6.2.12: Beispiele von Fasern in Decklacken

Quelle: BASF Coatings

Im Falle von manuell bedienten Applikationseinrichtungen ist < 0,1 keine Beanstandungen der durch das Personal mit der 01 – 0,3 Schleifen und Polieren Kleidung oder mit Reinigungsvorgängen verursachte Schmutz 0,3 – 0,6 Spotreparatur in Form von Fasern auf Lacko> 0,6 Spotreparatur oder Nachlackierung berflächen das größte Problem. Abbildung 6.2.13: Größe der Schmutzeinschlüsse und der davon Dabei lassen sich die verwendeabhängige Nacharbeitungsaufwand ten Materialien für die Kleidung und die Reinigung der Anlage bzw. des Objektes nach der Anzahl freier Fasern pro m2 Material ordnen. Die durch Fasern hervorgerufenen, häufig sichtbaren Defekte in der Oberfläche lassen sich leicht durch Mikroskopie identifizieren. Größe [mm]

Notwendige Nacharbeitungsmaßnahme

Empfehlenswert für die Ausrüstung der Mitarbeiter in Lackieranlagen sind nur solche Gewebe, die weniger als 100.000 freie Fasern pro m2 besitzen, also praktisch nur synthetische Stoffe. Der Aufwand der Nacharbeit von Defekten durch Partikeln, also Schmutz oder Fasern richtet sich nach dem Qualitätsziel einer Lackierung, lässt sich aber grob klassifizieren [6.6.13]. In jedem Fall sind die Reparaturaufwendungen mit Kosten verbunden, die einen erheblichen Beitrag zu den Gesamtbeschichtungskosten ausmachen können. 702

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Materialkontrolle

6.2.3 Zusammenfassung Lackierfehler können sehr verschiedene Ursachen haben. Da diese in den Eigenschaften des Beschichtungsstoffes, der Applikationsart, im Prozess und menschlichen Verhalten zu suchen sind, wird plausibel, dass zur Vermeidung von Fehlern eine enge Zusammenarbeit des Lieferanten, Anlagenherstellers und Kunden notwendig ist. Heute stehen geeignete Analysemethoden zur Verfügung, die eine gezielte Aufklärung der nicht immer durch Mikroskopie analysierbaren Störungen ermöglichen.

6.3 Materialkontrolle Wie eingangs dieses Kapitels aufgezeigt, liegen die Quellen der Qualitätssicherung in der Überwachung des produzierten Produktes, um dieses bei Nichteinhalten der mit dem Abnehmer vereinbarten Toleranzen auszuselektieren, nach der Ursache zu suchen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Es ging also zunächst darum, Qualitätsmerkmale zu finden, um diese als Kriterien für die Verarbeitbarkeit, Attraktivität und Nutzungsdauer der fertigen Beschichtung heranzuziehen [6.6.14].

Es steht außer Frage, dass die analytische Bestimmung der Zusammensetzung von komplexen Lackkompositionen sinnvoll ist, es ist aber in gleicher Weise unstrittig, bei geringfügigen Abweichungen diese nicht als Ausschlusskriterium heranzuziehen. Das Ermitteln des Festkörpers, der Dichte, der Viskosität und Oberflächenspannung sind sicher wichtige Hinweise für eine Identität der Qualität verschiedener Chargen, sie geben bei Schwankungen innerhalb gewisser Grenzen aber kein Indiz für einen Qualitätsmangel. Die Kriterien für Qualität sind also in gleicher Weise nummerisch zu bestimmende physikalische und chemische Kenngrößen wie die anwendungstechnischen Eigenschaften, die häufig durch Simulation der Verarbeitungsbedingungen und der Praxisbelastung ermittelt werden müssen. So sind auf der einen Seite mit Schwingungsrheometern detaillierte Informationen über molekulare Wechselwirkungen zu erhalten, auf der anderen Seite genügt es für bestimmte Fälle, durch einfaches Messen der Auslaufzeit aus einem DIN ISO-Becher identisches Verhalten zweier Chargen des gleichen Produktes zu erkennen. Fest steht, dass die vollständige Charakterisierung der Eigenschaften von Beschichtungsstoffen und Beschichtungen durch physikalische Kenngrößen überwiegend noch nicht möglich ist. Das Praxisverhalten simulierende Beanspruchungen einer Beschichtung sind immer noch wichtige Prüfmethoden wie beispielsweise das Tiefen oder Biegen am konischen oder zylindrischen Dorn, der Gitterschnitt oder der Eindrückversuch nach Buchholz (siehe Kapitel 3.2). Trotzdem ist festzustellen, dass Messungen visko-elastischer Kenngrößen mit einem Schwingungsrheometer oder einer thermomechanischen Analyse wichtige Daten zur Qualitätsbeurteilung liefern [6.6.15]. Mit weiteren Messmethoden versucht man, den Vorteil der verletzungsfreien und zum Teil sogar berührungslosen Erfassung von Kennzahlen für die Bestimmung der Gebrauchstüchtigkeit von Lackierungen zu nutzen (siehe Kapitel 3.3). Das Messen des Haftvermögens durch Ultraschallreflexion oder BASF-Handbuch Lackiertechnik 703

Qualität

Später wurden zusätzlich Aspekte der Arbeitssicherheit und der Umweltverträglichkeit in das Kontrollsystem integriert. Die Prüfstrategie erstreckte sich somit zunächst auf die Eigenschaften während der Verarbeitung und des Gebrauchs bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Produktverhaltens während der Lagerung und des Transports.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Wärmeleitung, Schichtdickenmessungen durch Wärmewellen oder Schallemissionsanalyse sind nur wenige Beispiele hierfür. Durch künstliche Alterung hervorgerufene Änderungen visko-elastischer Größen wie des Elastizitätsmoduls machen es möglich, Neigungen zur Rissbildung schon lange vor dem Auftreten des Schadens vorhersagen zu können (siehe Kapitel 2.3 und 3.3).

Qualität

Alle bisher genannten Prüfungen beziehen sich auf Qualitätsbeurteilungen von Lackfilmen unter standardisierten Bedingungen in einem Prüflabor oder in einer anwendungstechnischen Abteilung des Lackherstellers. Ein Prüfprogramm, das die verarbeitungstechnischen Eigenschaften erfassen soll, ist noch vielfältiger. Aufgrund der großen Zahl unterschiedlicher Verarbeitungsanlagen beim Lackverarbeiter und den ohne Zweifel niemals mit dem Betrieb identischen Laborbedingungen ist der Lackabnehmer gezwungen, neue Produkte oder eventuell Chargen trotz aufwendiger Vorprüfungen beim Lackhersteller noch einmal unter Betriebsbedingungen zu testen. Abbildung 6.3.1: Statistische Auswertung von Prüfblechen zur Festlegung der Deckfähigkeit als Flächendiagramm (A) anhand von ∆E-Werten und Quelle: BASF Coatings (B) Wolkenbildung

704

Einen erwähnenswerten Fortschritt im Hinblick BASF-Handbuch Lackiertechnik

Fehlervermeidung durch Prozesskontrolle und Regelkreise

auf eine Charakterisierung und Optimierung der Verarbeitbarkeit von Beschichtungsstoffen haben statistische Messungen an Prüfblechen gebracht, die mit gezielten Schichtdickenprofilen eines Mehrschichtaufbaus aus Basislack und Klarlack versehen werden [6.6.16]. Diese Bleche werden an ca. 500 bis 1000 Punkten jedes einzelnen Bleches vermessen. Messgrößen sind die Schichtdicke, der Glanz, die Farbwerte und Oberflächenstrukturkennwerte (siehe Kapitel 3.2). Die statistische Auswertung ergibt je nach Aufgabenstellung quantitativ beschreibbare Bereiche der Verarbeitbarkeit der einzelnen Schichten z.B. in einem Lackaufbau für Deckvermögen, Farbtongenauigkeit, Glanz und Oberflächenanforderungen bei der Decklackierung (siehe Abbildung 6.3.1). Diese Methode kann sinnvoll bei der Entwicklung wie auch bei der Qualitätsprüfung entsprechender Beschichtungsstoffe eingesetzt werden. Die mit der beschriebenen traditionellen Qualitätssicherung verbundenen Kosten können je nach Anforderung der Kunden bis zu 10.000 Euro pro Charge ausmachen.

Das unter Praxisbedingungen erhaltene Lackierergebnis muss zu beurteilen und zu beeinflussen sein. Zu diesem Zwecke sind zusätzlich betriebsspezifische Schwachstellenanalysen durchzuführen. Nur so sind die für die Qualität sensitiven Stellen des Prozesses aufzuspüren. Hierzu gehören Datensammlungen, Fehlerprotokolle und natürlich entsprechende Aktivitäten zur Analyse und Auswertung der Datenmengen mit dem Ziel, Fehlervermeidungsstrategien zu entwickeln. Diese beziehen sich auf den mit der Prüfung befassten Menschen genauso wie auf die Produktionsmittel. Dabei sind qualifiziertes Personal [6.6.17] und konstante Prozessbedingungen die wichtigsten Voraussetzungen auf dem Wege zu einer konstanten Qualität. Für schnelle Information zum Abfragen der Daten in den einzelnen Stationen der Anlage und zum Auswerten der Checklisten ist die Hilfestellung der elektronischen Datenverarbeitung eine notwendige Voraussetzung. Die wichtigsten Lackverarbeitungs- und Anlagenparameter für die Spritzapplikation sind dabei die Viskosität, die Ausflussrate und der Spritzluftdruck, um nur wenige der qualitätsbeeinflussenden Variablen zu nennen. Moderne Qualitätssicherung geht dabei über das Registrieren und Beschreiben von Fehlern hinaus. Prozessoptimierungen über den gesamten Liefer- und Herstellprozess durch Regelkreise sind der nächste Schritt auf dem Weg zu einer gesicherten konstanten Qualität [6.6.18]. Am Beispiel der Spritzlackierung konnte in der Praxis schon lange der Beweis geführt werden, dass die Überwachung und Nutzung von Prozessdaten Prozesssteuerungen ermöglicht, die letztlich in eine Prozessautomatisierung münden. Dabei ist die Steuerung ein Vorgang, bei dem eine oder mehrere Eingangsgrößen wie z.B. Viskosität, Oberflächenspannung und Temperatur oder Spritzluft- und Materialdruck die Zielgrößen Verlauf, Glanz und Schichtdicke aufgrund einer bekannten Gesetzmäßigkeit beeinflussen. Prozesssteuerung hat also die Aufgabe, Prozesse nach einem vorgegebenen Programm zu beeinflussen und – wenn gewünscht – konstant zu halten. Das Ergebnis wird dabei nicht von der Steuereinrichtung überprüft. Regelung hingegen ist ein Vorgang, bei dem die zu regelnde Größe laufend erfasst und mit einer Sollgröße verglichen wird, um dann entsprechend eingestellt zu werden. Der BASF-Handbuch Lackiertechnik 705

Qualität

6.4 Fehlervermeidung durch Prozesskontrolle und Regelkreise

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Qualität

Gesamtablauf wird so ein geschlossener Regelkreis, in dem alle Störgrößen regelmäßig erfasst und korrigiert werden [6.6.19]. Jede Art von Steuerung und Regelung beginnt also mit der Prozessüberwachung in Form der messtechnischen Erfassung der prozessbeeinflussenden Variablen. Aufgrund der Kompliziertheit der Abhängigkeiten (siehe Abbildung 1.1.7) werden die Eingangsgrößen zunächst mit den experimentell erhaltenen Ausgangsdaten verglichen, um danach ggf. für die gewünschte Steuerung z.B. mit Hilfe neuronaler Netze für die Verknüpfung verbindliche Rechenmethoden zu finden. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Prozesskontrolle mit wirksamen Regelkreisen ist die Badsteuerung von Elektrotauchbädern. Für eine konstante Beschichtungsqualität müssen beim Betreiben von Elektrotauchbädern zahlreiche Badparameter regelmäßig gemessen und angepasst werden [6.6.20]. Durch den Austrag des Lackmaterials während der Beschichtung der Lackierobjekte, aber auch durch die Umgebungsbedingungen erfahren Elektrotauchbäder ständige Veränderungen (siehe Kapitel 4.2.1). Durch den Verbrauch des Materials nimmt der Badfestkörper ab, wodurch ggf. auch Veränderungen im PigmentBindemittel-Verhältnis auftreten können. Durch das Einschleppen von Vorbehandlungschemikalien und durch die Kompensation mit Nachfüllmaterial können sich auch der Neutralisationsgrad und damit der pH-Wert ändern. Veränderungen des Badzustandes müssen eventuell während der Kompensation durch Ultrafiltration und Abführen von Anolytflüssigkeit ausgeglichen werden. Derzeitig noch überwiegend manuell durchgeführt, existieren aber auch Anlagen, bei denen die steuerungsrelevanten Kennzahlen nummerisch erfasst und für die Prozesssteuerung verwendet werden. Da der Festkörper- wie auch der Pigmentgehalt nicht direkt erfassbar sind, muss auf andere, indirekte Methoden zurückgegriffen werden. Als brauchbar haben sich Messungen der Dichte und der Schallgeschwindigkeit erwiesen. Sie sind genau, schnell und digital zu erfassen und besitzen eine direkte funktionelle Verknüpfung zu den gesuchten Größen Festkörperund Filmbildnerverhältnis. Der Stromverbrauch bei Elektrotauchlacken ist eine weitere Basisgröße, die z.B. zur Kompensationssteuerung herangezogen wird (siehe Kapitel 7.1). Es ist damit zu rechnen, dass die Erfahrungen mit der prozessgeregelten Spritzapplikation und der entsprechend geregelten Elektrotauchlackieranlage zukünftig auch auf breiterer Basis genutzt werden [6.6.21].

6.5 Qualitätsmanagement Die traditionelle Sicht der Qualität als Summe der Eigenschaften (Qualitätsmerkmale) eines Produktes in Relation zu den Eigenschaften anderer Produkte gleicher Bestimmung hat sich in die mehr ganzheitliche Definition der regelmäßigen Erfüllung der Anforderungen und Erwartungen der Kunden zur vollständigen und nachhaltigen Kundenzufriedenheit gewandelt. Dabei sind die Produkteigenschaften auch durch umweltrelevante Größen zu erweitern. Es manifestiert sich die Tendenz von der Produktqualität hin zur Leistungsqualität. Unternehmen stehen nicht zuletzt durch die Globalisierung ihrer Aktivitäten in einem verstärkten weiträumigeren Wettbewerb. Produktqualität als Beurteilungskriterium für die Fähigkeiten der Unternehmen wird ergänzt durch Dienstleistungen in Form von Service, termingerechter Lieferung und schneller Reaktionen auf Probleme beim Kunden und sich ändernde Kundenwünsche. Flexibilität und eine erweiterte Sichtweise von Qualität sind hierfür eine notwendige Voraussetzung. 706

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Qualitätsmanagement

Das Beobachten der eigenen Produkte im Markteinsatz und regelmäßige Marktanalysen antizipieren Kundenwünsche und können diese eventuell noch im Sinne einer ökologischeren oder ökonomischeren Alternative sinnvoll beeinflussen (siehe Kapitel 5.5). Derartige Aktivitäten sind unter anderem ein Teil der Grundlagen für eine ganzheitliche Betrachtung von Qualität und damit Basis für ein Qualitätsmanagementsystem. Qualitätsmanagement hat dabei die Aufgabe, alle während des Produktlebenszyklus erforderlichen qualitätsrelevanten Maßnahmen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Dies sind Beobachtungen und Erkenntnisse während der Produktplanung, der Produktion und im Markteinsatz. Dabei sind Qualitätsmerkmale nicht nur die Produkteigenschaften, sondern in zunehmendem Maße auch die Dienstleistungen, Termintreue und Kompetenz in der Zusammenarbeit. Sie beeinflussen sehr wesentlich auch das Image des Unternehmens. Darin enthalten sind Maßnahmen zur Fehlerprophylaxe. Die Erfahrung lehrt, dass bei dem weitaus größten Teil der Qualitätsmängel der Ursprung bereits in der Planungsphase zu suchen und zu finden ist. Es handelt sich dabei um latente Schwächen, die erst während der Produktion oder im Markteinsatz erkennbar werden.

Wie erwähnt, bezieht sich bei moderner Interpretation des Qualitätsbegriffs dieser weniger auf das Produkt, als vielmehr auf die Erfüllung der Ansprüche und Erwartungen des Abnehmers. DIN EN ISO 9000 definiert deshalb Qualität als die Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen eines Produktes oder einer Dienstleistung, die sich auf deren Eignung zur Erfüllung festgelegter oder vorausgesetzter Erfordernisse beziehen. Gemeint sind dabei die Funktionstüchtigkeit des Produktes, die Dauerhaftigkeit, das Design, aber auch die Serviceleistungen und die ökologischen Aspekte im Hinblick auf Entsorgung und Ressourcenschonung. Das Konzept berücksichtigt auch den Anspruch des Produzenten, im Interesse des Abnehmers durch erwirtschafteten Gewinn seine Existenz für eine dauerhafte Kooperation zu sichern. Der Qualitätsbegriff zielt also in gleicher Weise auf die Interessen von Herstellern und Kunden. Die Qualitätsdefinition geht über die Produktbetrachtung hin zur Beurteilung der gesamten Leistungen des Unternehmens. Qualität ist somit die regelmäßige Erfüllung der Anforderungen und Erwartungen der Kunden zu seiner vollständigen und nachhaltigen Zufriedenheit. Eine derartige Sichtweise erfordert die Beteiligung aller Abteilungen eines Unternehmens. Qualitätsmanagement ist also ein das ganze Unternehmen erfassendes Prinzip und letztlich die Entscheidungsgrundlage aller Mitarbeiter. Qualitätsmanagement ist somit die auf den Kunden ausgerichtete Strategie der Unternehmensleitung und muss in allen Einheiten des Unternehmens verwurzelt sein. Dies unter der Bezeichnung „Total Quality Management“ (TQM) bekannte Konzept qualitätsorientierter Unternehmen wird in der oben genannten DIN EN ISO 9000 im Einzelnen erläutert. Dabei ist die Qualität im erweiterten Sinne die entscheidende Größe, der sich jeder Mitarbeiter verpflichtet, mit dem Zusatz einer dynamischen Betrachtung der Qualitätsrealisierung. Letzteres beinhaltet das dauerhafte Bestreben nach der VerBASF-Handbuch Lackiertechnik 707

Qualität

Es darf nicht übersehen werden, dass Fehlerverhütung Kosten verursacht. Eine sinnvolle Fehlerprophylaxe ist erst dann kalkulierbar, wenn die anfallenden Fehlerkosten mit den Verhütungskosten in Korrelation gebracht werden können.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

besserung des Produktes, der technischen Prozesse und der Dienstleistungen, immer mit dem Ziel, den Erwartungen des Kunden noch besser zu entsprechen. Die Instrumente des Qualitätsmanagements beinhalten die Qualitätsprüfung und die Qualitätssicherung (QS) in Verbindung mit der ganzheitlichen Sichtweise des Qualitätsmanagements (QM) selbst. Qualitätssicherung ist über die Überwachung von Prozessen und Abnahmeprüfungen auf die Ursachen für die Abweichung im Prozess ausgerichtet, um diese, wenn nicht quantitativ zu beseitigen, durch Regelkreise zu eliminieren. Zahlreiche Normen schlagen Qualitätsmanagementsysteme vor und enthalten Vorgaben zu deren Umsetzung in Unternehmen. Darüber hinaus definieren sie Kriterien zur Beurteilung des Grades der Implementierung. Verschiedene Qualitätsmanagementsysteme (QMS) der Unternehmen werden somit vergleichbar und auditierbar.

Qualität

Eines der wichtigsten, branchenübergreifenden Qualitätsmanagementsysteme beschreibt die Normenreihe der DIN EN ISO 9000 ff. Während es sich bei der DIN EN ISO 9000 im Wesentlichen um eine Gebrauchsanweisung für die anderen Normen dieser Normenfamilie handelt, bezieht sich die DIN EN ISO 9001 auf die Installation von Qualitätssicherungssystemen und Einzelheiten über die nachzuweisenden Systemvoraussetzungen. Die Norm befasst sich weiterhin mit den Unternehmenssegmenten Entwicklung, Konstruktion, Produktion und Kundendienst, konzentriert sich auf die Produktion und gibt zusätzlich Anweisungen für das Prüfwesen [6.6.22]. Im Einzelnen werden in der DIN EN ISO 9001 auch Managementaufgaben und Mitarbeiterschulungen angesprochen. Aber auch das Prüfwesen, die statistische Auswertung der Prüfergebnisse, die Dokumentation, die Prüfmittelüberwachung, die Vertragsvereinbarungen und die Kundenzufriedenheit sind nennenswerte Kapitel. Die DIN EN ISO 9004 bietet Hinweise für die Effektivität und Wirksamkeit des QMSystems während und nach der Einführung in die Praxis. Bei der Einführung eines Qualitätssicherungssystems wird mit der Umsetzung der Grundsätze über Aufbau- und Ablauforganisation unter Berücksichtigung der betriebsumfassenden Zusammenhänge mit Festlegung der Verantwortlichkeiten auf höchster hierarchischer Ebene begonnen (Erstellen eines Qualitätssicherungshandbuches). Erst danach richten sich die Aufträge an Teilbereiche des Unternehmens mit dem Ziel der internen Umsetzung von Qualitätsrichtlinien. Auf der dritten Ebene schließlich werden die Aufgaben und Tätigkeiten an den Arbeitsplätzen als Arbeitsanweisungen formuliert und verbindlich festgelegt. Gemeint sind unter anderem Details über die Abläufe in den Abteilungen und genaue Anweisungen über den Umgang mit Produkten, Proben und die Durchführung von Prüfungen. So entsteht ein in sich geschlossener Kreis der Qualitätssicherung, beginnend bei der Erforschung des Marktes über die Produktentwicklung bis hin zur Überprüfung der Rohstoffe, der Auswahl der Produktionsmethoden und der Endkontrolle. Ergänzt werden die Vorschriften durch Reglementierungen von Verkaufs- und Logistikaktivitäten zusammen mit den Methoden des Kundenservice und der Kundenbearbeitung. Gegenüber der früheren Version ist zu bemerken, dass die DIN EN ISO 9000 mit der noch älteren ISO 8402 zur neuen ISO 9000:2000 vereinigt wurde. Die aktuellste Version ist die DIN ISO 9000:2009. Die früheren DIN ISO 9001 bis DIN ISO 9003 sind 708

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Qualitätsmanagement umfasst

Verteiler

Beschreibung

Unternehmen Bereiche

intern: Unternehmensleitung bis Abteilungsleiter extern: entsprechend der Unternehmens­ philosophie

Grundsätze, Aufbau- und Ablauf­ organisation, betriebsumfassende Zusammenhänge, Verantwortlichkeiten, Kompetenzen: Enthält organisatorisches Firmen-Know-how. Hinweise auf Richt­ linien und Arbeitsanweisungen.

QSHand­buch (HB)

Teilbereiche Abteilungen

Ausschließlich intern: abteilungsweise

Richt­linien (RL)

Sachgebiete einzelne Tätigkeiten

ausschließlich intern: Arbeitsplatz

Arbeitsanweisungen (AW)

Teilgebiete des QS-Systems detailliert beschrieben. Enthält organisatorisches und technisches Firmen-Know-how. Regelung von Einzelheiten. Detail­ anweisungen wie Prüfspezifikationen usw. Enthält technisches Firmen-Know-how.

Abbildung 6.5.1: Aufbau und Beschreibung von QS-Systemen

zu einer einheitlichen Norm 9001 zusammengefasst. DIN ISO 9004 ist im Prinzip unverändert verblieben.

Der Nachweis einer Orientierung an der DIN EN ISO ISO 9000 ff. muss durch eine Zertifizierung unabhängiger Gremien erbracht werden. Die Akzeptanz dieser neuen Qualitätssicherungsidee ist weltweit steigend. Im Jahre 2000 waren es in Europa mehr als 32.000 Unternehmen und weltweit über 400.000, die nach DIN EN ISO 9000 ff. zertifiziert wurden. Aufbauend auf die DIN-Normen hat sich speziell die Automobilindustrie eigene, spezifische Regelwerke geschaffen. So haben sich die großen amerikanischen Automobilhersteller auf die QS 9000 geeinigt und entsprechende Zertifizierungen ihrer Zulieferer verlangt [6.6.23]. In Europa haben die französischen Automobilhersteller unter der Bezeichnung EAQF (Evaluation Aptitude Qualité Fournisseur) seit Anfang der 1990er Jahre ein eigenes Regelwerk entwickelt. Die deutschen Hersteller haben etwas später im Rahmen des Verbandes der deutschen Automobilindustrie ein QM-System unter der Bezeichnung VDA 6.1 eingeführt. In den letzten Jahren hat sich wegen der Globalisierung der Automobilindustrie und den vielen Kongruenzen der einzelnen regionalen QM-Systeme weltweit die Norm ISO TS 16949:2010 als verbindliche Norm und Ersatz für die regional spezifischen Normen durchgesetzt. Sie betrifft die gesamte Lieferkette, also auch die Zulieferindustrie. Akzeptiert haben diese Norm die neun europäischen und amerikanischen Automobilhersteller, die in der IATF (International Automotive Task Force) zusammengeschlossen sind. Die asiatischen Hersteller haben dagegen meist noch ihre eigenen Qualitätsforderungen. Ziel der ISO/TS 16949 ist es, die Prozesse in der Lieferkette so zu verbessern, dass eine maximale Kundenzufriedenheit erreicht wird. Ein wichtiges Instrument für erfolgreiche QM-Systeme ist die von Motorola in den 1980er Jahren eingeführte und von General Electric erfolgreich benutzte Methode nach Six Sigma. Sie hat als Ziel, unternehmensweit den Prozess der kontinuierlichen Verbesserung anhand von nachhaltigen Daten, Standardabweichungen und quantitativen ZieBASF-Handbuch Lackiertechnik 709

Qualität

Die in der DIN EN ISO 9000 ff. verankerten Grundsätze sind in den vergangenen Jahren von zahlreichen Unternehmen aufgegriffen und in QS-Systeme überführt worden.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

Marktforschung M, A

Technische Unterstützung M, A Verkauf und Logistik M

Verpackung und Versand M, L, S, QS

Forschung und Produktentwicklung F, A, QS

Zuständigkeiten: F Forschung A Technisches Marketing E Einkauf Rohstoffe P Produktion T Technische Entwicklung, Ingenieurwesen QS Qualitätssicherung M Kaufmännisches Marketing L Lager- und Packbetrieb S Spedition

Qualitätsprüfungen QS

Überprüfung der Rohstoffversorgung, Prüfung der Rohstoffe E, P, A, QS Verfahrensentwicklung A, P, T

Festlegung der Produktionsbedingungen A, P

Lenkung des Produktionsprozesses P, QS

Qualität

Abbildung 6.5.2: Qualitätskreis nach VCI

len für definierte Prozesse durchzuführen und zu überwachen [6.6.24]. Daneben hat sich auch in der Lackindustrie die „Balanced Score Card“ (BSC) Bedeutung verschafft. Die BSC vereint die Aspekte der Finanzen und Unternehmensergebnisse mit Mitarbeitern, Prozessen und Kunden, so dass alle Instrumente und auch die des Qualitätsmanagement eine gemeinsame strategische Ausrichtung haben. Sie hilft konkret, die Ziele aus der Vision und Strategie in Maßnahmen zu transformieren, als Kommunikationsinstrument für die Vermittlung der Strategie und ermöglicht ein quantitatives Verfolgen der Maßnahmen. Dazu werden für die Unternehmen spezifische Schlüsselfaktoren, so genannte „Key Performance Indicators“ (KPI) ermittelt [6.6.25]. Zur Erfüllung der vielen Qualitäts- und Umweltforderungen steht die sorgfältige Produktentwicklung im Mittelpunkt. Die Komplexität der Produkte aufgrund ihrer zahlreichen Komponenten hat die Methode des HTSC (High Throughput Screening) hervorgebracht [6.6.26]. Mit Hilfe von Robotern werden kleine Proben von Lackformulierungen im Mikromaßstab automatisch appliziert und nach DIN EN ISO DIN EN ISO DIN EN ISO ausgewählten Eigenschaften 9000:2005-12 9001:2008 9004:2009 geprüft. Der Probendurchsatz QualitätsQualitätsQualitätsund die Ergebnisse können managementmanagementmanagementum ein vielfaches gegenüber systeme: systeme: systeme für Grundlagen und Anforderungen Oragnisationen: den herkömmlichen LabormeBegriffe zur KundenLeitfaden zur thoden gesteigert werden. Ein zufriedenheit Qualitätsverwichtiger Faktor für den Erfolg besserung und deren solcher Anlagen ist ihre Flexibinachhaltigen Erfolg lität bezüglich Applikation und Messungen [6.6.27]. Abbildung 6.5.3: Normenreihe DIN EN ISO 9 000 710

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Qualitätsmanagement

Über die bereits existierenden Gesetze hinaus oder besser zur Umsetzung der bestehenden Gesetze und zur Dynamisierung der Umsetzung ökologischer Grundsätze entwickelten sich zunächst parallel zu den QM-Systemen dann aber auch integriert Umweltmanagementsysteme (UMS). Während QM-Systeme zum Standard moderner Unternehmen gehören, steht die Realisierung von UM-Systemen erst am Anfang.

Norm

Beschreibung

DIN EN ISO 14001

Umweltmanagementsysteme – Anleitung zur Anwendung

DIN EN ISO 14004

Umweltmanagementsysteme – Leitfaden für Grundsätze, Systeme und Methoden

ISO 14010

Leitfäden für Umweltaudits Allgemeine Grundsätze

ISO 14011

Leitfäden für Umweltaudits – Auditverfahren – Audits von UMS

EN ISO 14012

Leitfäden für Umweltaudits – Qualifikationskriterien für Umweltauditoren

Abbildung 6.5.4: Übersicht über Umwelt-Normen

Umweltpolitik Planung • Umweltaspekte • Gesetzliche und andere Forderungen • Zielsetzungen und Einzelziele • Umweltmanagementprogramme Implementierung und Durchführung • Organisationsstruktur und Verantwortung • Schulung, Bewusstseinsbildung und Kompetenz • Kommunikation • Dokumentation des UM-Systems • Lenkung der Dokumente • Ablauflenkung • Notfallvorsorge und Maßnahmenplanung

Erste Ansätze sind in der EGÖko-Auditverordnung von 1993 zu finden. Die Grundgedanken sind mittlerweile überarbeitet und im April 2001 in die Verordnung EG 761/2000 einKontroll- und Korrekturmaßnahmen • Überwachung und Messung geflossen. Es handelt sich um • Abweichungen, Korrektur- und Vorsorgemaßnahmen Richtlinien für eine freiwillige • Aufzeichnungen Erarbeitung eines Umweltma• UM-System nagementsystems mit einer Bewertung durch die oberste Leitung abschließenden Betriebsprüfung. Analog den QualitätsmaKontinuierliche Verbesserung nagementsystemen soll durch die EG-Öko-Audit-Verordnung eine kontinuierliche, objektiv zu Abbildung 6.5.5: Grundprinzipien des Umweltmanagementsystems bewertende Verbesserung des nach DIN EN ISO 14 001 Unternehmens erreicht werden. Ein wichtiges Merkmal ist die Informationspflicht über die erbrachten Leistungen für die Öffentlichkeit und die aktive Teilnahme aller Mitarbeiter an der Verwirklichung der anzustrebenden Ziele. Einem ähnlichem Ziel, jedoch weltweit einheitlich und damit einer weltweit vergleichbaren Beurteilung von Unternehmen dient die vom technischen Komitee 207 der ISO 1996 erstmals veröffentlichte DIN EN ISO 14000 ff. Sie besteht heute aus insgesamt 20 Einzelnormen. Die wichtigsten Einzelnormen sind die ISO 14001:2004 und deren BASF-Handbuch Lackiertechnik 711

Qualität

Unternehmensziele sind jedoch nicht Qualitätssicherung allein. Die Belastung der Umwelt durch technische Prozesse und eine zu verbessernde Ressourcenschonung zwingen die Industrie zur Reduzierung von Emission, Abfall und Energieverbrauch.

Prinzipien des Qualitätsmanagements

deutsche Fassung DIN EN ISO 14001:2009-11, DIN EN ISO 14004, ISO 14010, ISO 14011 und ISO 14012. Die DIN EN ISO 14004 beschreibt allgemein die Elemente des Umweltmanagement(UM)-Systems ohne Anforderung an eine Überprüfung und kann deshalb besonders von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU’s) angewandt werden. Der Grundgedanke dieser Normen besteht darin, Unternehmen Hilfestellung und Anreize zu liefern, die Umweltqualität aus Eigenverantwortung nachhaltig zu verbessern. Im Gegensatz zur EG-Öko-Auditverordnung ist eine Information der Öffentlichkeit über die Einzelaktivitäten nicht vorgesehen. Einzelheiten über den Aufbau eines UM-Systems zeigt die Abbildung 6.5.5. Während sich die QM-Systeme weltweit haben etablieren können, steht die Einführung der UM-Systeme am Anfang. Nach der EG-Öko-Auditverordnung konnten in Europa bis Ende 2004 4300 und nach DIN EN ISO 14001 ff. weltweit ca. 90.000 Unternehmungen zertifiziert werden.

Qualität

Die Unternehmen stehen also vor der Aufgabe, zwei verschiedene Ziele in ihrem Management zu verankern. Qualitätsbewusstes und gleichzeitig umweltgerechtes Handeln sind zwei unterschiedliche Ziele, die Methoden zur Einführung von Werkzeugen und Prinzipien zum Erreichen derselben sind jedoch ähnlich. Fest steht, dass die Einleitung von Umweltaktivitäten durch gesetzliche Auflagen vorgeschrieben ist. So ist es vernünftig, bei der Erstellung des QM-Handbuches gleichzeitig umweltrelevante Konzepte zu formulieren und in das Handbuch einzubringen. Unternehmensstrategien sollten QM- und UM-Systeme aufeinander abstimmen und zusätzlich Forderungen des Arbeitsschutzes in die Richtlinien des Unternehmens einarbeiten. QM- und UM-Systeme können also gleichzeitig oder nacheinander, integriert oder getrennt eingeführt werden. Welchen Weg ein Unternehmen am zweckmäßigsten zu gehen hat, ist im Einzelfall entsprechend den Gegebenheiten des Unternehmens zu entscheiden. In jedem Fall fordert die Automobilindustrie heute von ihren Zulieferern ein zertifiziertes UM-System nach DIN ISO 14001, so dass viele Lackfirmen inzwischen entsprechende Systeme eingerichtet haben.

6.6 Literatur Zitate 6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4 6.6.5 6.6.6 6.6.7 6.6.8 6.6.9 6.6.10 6.6.11 6.6.12 6.6.13 6.6.14

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712

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Literatur 6.6.17 6.6.18 6.6.19 6.6.20 6.6.21 6.6.22 6.6.23 6.6.24 6.6.25 6.6.26 6.6.27

T. Feist, E.-H. Timmermann, besser lackieren!, Jahrbuch 2010, S. 382ff, Vincentz, Hannover A. Riegel, K. Dekomien, ECJ 04/2013, S. 122 Anonymus, JOT 36 (9), S. 26 (1996) W. M. Liu, I-Lack 66 (4), S. 222 (1998) US PS 6073055 (2000) BASF Corp. M. Hornung u. C. Mai, besser lackieren!, Taschenbuch für Lackierbetriebe, S. 341ff, Vincentz Verlag, Hannover, 2002 R. Hoene u. W. Kreis, F+L 104 (3), S. 108 (1998) F.-D. Kopplitz, MO 59 (4), S. 38 (2005) M. Schäfer, Nachr. Chem. 49 (5), S. 663 (2001) S. Strazisar, M. Kendi, T. Fäcke, L. Hermans-Blackburn, X. S. Feng, JCT Res. 3 (4), S. 307 (2006); J. Anderson, R. Ortlz, JCT Coat. Tech. 10 (1), S. 30 (2013) J. Ortmeier, S. Ansorge, H. Kost, F+L 113 (2), S. 35 (2007)

Allgemeine Literatur

Qualität

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BASF-Handbuch Lackiertechnik 713

Lackierbranchen

7 Lackierbranchen Die Strukturierung des weltweiten Marktes nach Gesichtspunkten der Lacktypen oder Lackiertechnik ist nicht einheitlich. Die regionalen Verbände definieren die Segmente unterschiedlich. Nach einem groben Schema lässt sich der Markt in Bautenanstrichmittel, Automobilserien- und -reparaturlacke, allgemeine Industrielacke und Druckfarben aufteilen (siehe Kapitel 1.3). Das größte Segment stellen die Bautenanstrichmittel dar, gefolgt von den allgemeinen Industrielacken. Zusammen mit den Automobilserienlacken und Automobilreparaturlacken wird dieses Segment auch als „Industrielacke“ bezeichnet. Es ist etwa 13,7 Mio. t groß und technisch am weitesten entwickelt. Hier sind die industriellen Beschichtungsverfahren für Massengüter wie Elektrotauchlackieren, Coil Coating, Sprühlackierung mit Flüssig- oder Pulverlacken sowie Strahlenhärtung vielfach in Verfahren mit mehreren Schichten angesiedelt (siehe Kapitel 4.2 und 4.3). Die wichtigsten Branchen auf Basis des Umsatzes ohne die Bautenanstrichmittel in 2011 sind Abbildung 7.0.1 zu entnehmen.

Die Möbelindustrie setzt immer stärker auf vorgefertigte und lackierte Materialien. Hervorzuheben ist die Veredelung von Oberflächen durch Folien, die üblicherweise durch UV-Klarlacke versiegelt werden. Vorlackierte Teile werden zunehmend im Schiffsbau, Flugzeugbau und beim Schwermaschinenbau eingesetzt [7.12.2]. Neue Branchen entstehen wie z.B. die Windenergie, auf deren Forderungen die Beschichtungsindustrie sich einstellen muss (siehe Kapitel 7.11.8). Neben den technologischen Trends in den verschiedenen Branchen ist seit den 1990er Jahren eine deutliche Verschie-

Abbildung 7.0.1: Die wichtigsten Branchen für die industrielle Lackierung am weltweiten Lackmarkt  Quelle: M. von Dungen, C. Maier [7.12.1]

BASF-Handbuch Lackiertechnik 715

Branchen

Die Hersteller von Gebrauchsgütern benutzen zunehmend verschiedene Materialien für die zu fertigenden Produkte. Beispielsweise wird in der Automobilindustrie die Fertigung der Karosserien immer weiter in Komponenten zerlegt, die dann aus den für die einzelnen Anforderungen idealen Materialien gefertigt werden können. Ein signifikanter Schritt dafür war die Herstellung von Stoßfängern aus Kunststoff zur Ausnutzung der elastischen Materialeigenschaften im Falle von Zusammenstößen bei niedrigen Geschwindigkeiten. Zusätzlich ist die Gewichtseinsparung ein Dauerthema, die mittlerweile zum Einsatz von Aluminium und Magnesium geführt hat und (im Jahr 2011) den Gewichtsanteil von Kunststoffen bis auf 18 % Gewichtsanteil vorangetrieben hat (siehe Abbildung 4.1.20). Landmaschinen und Baumaschinen enthalten vermehrt nichttragende Teile (Verkleidungen) aus Kunststoff. Alle Materialien müssen ein einheitliches Aussehen am Produkt aufweisen; dies lässt sich durch speziell dafür entwickelte Lacke und Lackierverfahren erreichen.

Lackierbranchen

bung in den Verantwortlichkeiten für das zu lackierende Objekt zu beobachten. Die Lackindustrie hat dank ihres hohen Applikations-Kowhows, unterstützt durch entsprechende Verträge mit ihren Kunden auf Basis von Kosten/m2 oder Kosten/Lackiereinheit mehr und mehr die Ergebnisverantwortung für das beschichtete Objekt übernommen. Vorreiter ist hier die Automobilindustrie, die sich auf die Planung, Investition und das Betreiben der Lackieranlagen beschränkt. Die technische Durchführung, Qualitätsüberwachung und Logistik der Anlagen liegt zunehmend in den Händen der Lackhersteller [7.12.3].

7.1 Automobilserienlackierung In kaum einem anderen Zweig der Oberflächenbeschichtung haben sich aus handwerklichen und langwierigen Lackierverfahren so hochtechnisierte und schnelle industrielle Auftragsverfahren entwickelt wie in der Automobilindustrie. Waren früher Tage bis Wochen für das Lackieren von Automobilen erforderlich, so durchlaufen heute Karossen in ca. 6 bis 10 Stunden eine komplette Lackieranlage mit allen Reinigungsschritten, der Vorbehandlung, der Elektrotauchlackierung und den üblicherweise zwei bis vier Lackierschritten für das Aufbringen des Decklackes.

Branchen

Dies war nötig, um der ständig steigenden Anzahl an gefertigten Automobilen nachzukommen. Die Weltjahresproduktion an Kraftfahrzeugen inklusive Lastkraftwagen erreichte ca. 85 Mio. Einheiten im Jahre 2012. Pkw machen davon 70,5 Mio. Einheiten aus. In den letzten 10 Jahren hat eine signifikante Verschiebung der Produktion in den asiatischen Raum stattgefunden, wo mittlerweile fast die Hälfte aller Autos produziert wird. Deutsche Hersteller erreichten auf Basis ihrer weltweiten Produktion einen Marktanteil von 19 % bei der Pkw-Fertigung. In Deutschland wurden 5,4 Mio. Einheiten produziert. Die dazu notwendige Lackmenge betrug ca. 140.000 t. Der weltweite Lackmarkt für Automobillackierung inklusive Lkw beläuft sich auf ca. 1 Mio. t. Nicht nur die in wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründeten Aufgaben zur globalen Wettbewerbsfähigkeit initiieren die Entwicklung und Einführung neuer Technologien. Auch die Verringerung der Umweltbelastung sowie qualitative Verbesserung z.B. im Korrosionsschutz, in der Langzeitbeständigkeit und nicht zu vergessen im Appearance sind treibende Kräfte für die Lackund Prozessentwicklung bei der Beschichtung von Automobilen. An die Unempfindlichkeit gegenüber chemischen Einflüssen durch aggressive Atmosphärilien und Salzbelastungen sowie an die physikalischen Eigenschaften wie Haftung und Elastizität bei gleichzeitig hoher Härte werden besondere Anforderungen Abbildung 7.1.1: Automobilproduktion weltweit im Jahre 2012 gestellt.  Quelle: VDA 716

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilserienlackierung

Dabei sollte man sich vor Augen führen, welchen extremen Belastungen die Fahrzeuge während der Gebrauchsdauer ausgesetzt sind. Hohe Temperaturen z. B. bis 70 °C bei dunklen Farbtönen in Florida und anderen Regionen sowie mit bis zu –50 °C extrem tiefe Temperaturen in den Polargebieten, permanente Temperaturwechsel von 10 bis 20 °C pro Tag, Steinschlagbeanspruchungen auf Schotter- und unbefestigten Straßen, starke Salzbelastung in Küstengebieten und durch Streusalze in den Wintermonaten, hohe UV-Einstrahlung, Einwirkung von sauren und alkalischen Abgasen sowie Abbildung 7.1.2: Lackmaterialkosten als Anteil der mechanische Beanspruchungen in den Gesamtkosten bei der Automobillackierung Waschanlagen sind Einflussgrößen, die nur einen Ausschnitt aus der Vielfalt der Belastungen und lackzerstörenden Einwirkungen darstellen (siehe Kapitel 3.3.2).

Neben den technischen Anforderungen an eine Lackiererei sind die höchsten Kosten für Energie im gesamten Fertigungsprozess eines Automobils sowie organisatorische Aspekte wie Abläufe und Lacklieferantenverantwortung für das Lackierergebnis stark in den Vordergrund gerückt [7.12.4]. Dies lässt sich anhand der Kostenanalyse des Lackierprozesses verständlich machen. Von den gesamten Kostenarten wie Investitions-, Energie-, Personal-, Wartungs- und Lackmaterialkosten machen letztere im Durchschnitt nur etwa 20 % des gesamten Kostenblocks aus. Wenn zusätzlich der Reparaturaufwand für Defekte oder nicht qualitätsgerechte Oberflächen mit in die Gesamtbetrachtung einbezogen wird, so sind die rechtzeitige Belieferung einer gut konzipierten Anlage mit qualitätsgerechten Lacken und Applikationsbedingungen entscheidende Erfolgsgrößen für ein optimales Lackierergebnis. Diese Überlegungen führten dazu, dass die Automobilindustrie zusammen mit der Lackindustrie Alleinlieferanten- oder Systemlieferantenkonzepte entwickelte und zunehmend in die Tat umsetzt [7.12.5]. Die verschiedenen Substrate neben Kunststoff wie Stahl, verzinkter Stahl und Aluminium, wie sie heute bei einer Karosserieoberfläche zu finden sind, werden zunächst gereinigt und in der Vorbehandlung mit einer anorganischen Konversionsschicht aus Metallphosphaten von etwa 1 bis 2 µm oder auch zunehmend aus Zirkoniumdioxid (ZrO2) mit nur einigen Nanometer Schichtdicke versehen. Dies erhöht den Korrosionsschutz und verbessert durch Vergrößerung der Oberfläche erheblich die Haftung der organischen Beschichtung (siehe auch Kapitel 4.1). Es folgt der Grundierungsauftrag üblicherweise durch kathodisches Elektrotauchlackieren für den passiven Korrosionsschutz. Die Schichtdicken erreichen durchschnittlich 20 bis 22 µm auf der Außenfläche und etwa 5 bis 18 µm innen und in Hohlräumen. Der folgende Füller soll Unebenheiten BASF-Handbuch Lackiertechnik 717

Branchen

Es ist leicht verständlich, dass ein solches Bündel von Forderungen nicht mit einer einzigen Lackschicht zu erfüllen ist. Aus diesem Grund werden aufeinander abgestimmte Lacke eingesetzt, die, in mehreren Schichten aufgetragen, verschiedene Aufgaben aus dem Anforderungsprofil für Automobile übernehmen.

Lackierbranchen

Klarlack 40 µm

Basislack 15 µm

Füller 30 µm

KTL-Grundierung 20 µm Vorbehandlung 1 µm Substrat

Abbildung 7.1.3: Schematischer Aufbau einer Automobillackierung

Branchen

des Untergrundes abdecken und dadurch derartig glatte Oberflächen erzeugen, dass diese ohne Schleifarbeiten die Grundlage für eine brillante Decklackierung bilden können. Gleichzeitig übernimmt die Füllerschicht die Funktion des Steinschlagschutzes und muss für den seltenen Fall eines Durchschliffes der Elektrotauchgrundierung zum Metall korrosionsschützende Eigenschaften bieten. Die farbgebende Schicht wird vorwiegend in zwei Schritten „Nass-in-Nass“ mit einem Basislack und Klarlack aufgebracht. „Nass-in-Nass“ bedeutet, dass beide Lacke in kurzem Abstand ohne Einbrennen des Basislackes appliziert werden, um dann gemeinsam eingebrannt und vernetzt zu werden. Dieses Decklacksystem muss dann die Farbe und ein hohes Appearance im Zusammenspiel mit dem Untergrund und den übrigen Lackschichten erreichen (siehe Kapitel 3.2.4). Bezogen auf eine Oberfläche einer Standardkarosse von 70 m2, die von der Elektrotauchlackierung bedeckt wird, und etwa 22 m2 Außenfläche, die von den Decklacken erfasst wird, beträgt die durchschnittliche Lackverbrauchsmenge ca. 15 bis 20 kg pro Karosse in Lieferform. Seit Ende der 1990er Jahre sind Anlagen zur Beschichtung von Karosserien in Betrieb gegangen, die zunächst auf das Einbrennen des Füllers in einem „Nass-in-Nass-inNass“-Prozess verzichteten [7.12.6]. Heute wird die darin integrierte „Nass-in-Nass“Applikation des Basislackes so genutzt, dass der erste Auftrag mit neuartigen Basislacken durchgeführt wird, die sowohl die Farbgebung als auch den UV-Schutz für die Grundierung sowie den Steinschlagschutz und der zweite Auftrag die endgültige Farbgebung übernehmen [7.12.7]. Damit fällt der Füllerauftrag komplett weg. Beide Prozesse werden als „Integrated Paint Process“ (IPP) bezeichnet. Gelegentlich findet man für den ersten Prozess die Bezeichnung „IPP1“ und für den zweiten „IPP2“. Aufgrund der deutlichen Reduzierung der Energie- und Materialkosten von etwa 20 % werden mittlerweile neue Lackieranlagen überwiegend mit dem zweiten Prozess konzipiert [7.12.8]. Diese Prozesse werden mehrheitlich mit wässrigen Lacken, aber auch mit Lösemittel gelösten High Solid-Lacken betrieben [7.12.9]. 718

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilserienlackierung

Die Applikation der Hohlraumversiegelung, Nahtabdichtung und Schalldämmmaßnahmen liegt üblicherweise in der Verantwortung der Lackierereien. Die Nahtabdichtung im klassischen Prozess erfolgt nach der Elektrotauchlackierung und nutzt die Härtung der Füller zu ihrer Festigung aus, während die Hohlraumversiegelung nach der Lackierung erfolgt. Diese Prozessschritte sind wichtig für einen hervorragenden Korrosionsschutz und akustischen Komfort, aber in den Lackierereien wegen der Schmutzbildung unbeliebt (siehe Kapitel 6.2.7). Im neueren IPP-Verfahren erfolgen diese Schritte ebenfalls nach der Elektrotauchlackierung mit einem kleinen nachgeschalteten Gelierofen und teilweise nach der Decklackierung. Der Ausgangspunkt für die Qualität der Lackierung in allen Anforderungen des Korrosionsschutzes wie auch der Attraktivität der Oberfläche liegt bereits bei der Konzeption der Karosse. Die Lackierbarkeit wird durch die Form und die Konstruktion eines Fahrzeuges genauso festgelegt, wie durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften der zu lackierenden Werkstoffe. Korrosionsschutz und Gebrauchstüchtigkeit beginnen somit am Reißbrett des Konstrukteurs und bei der Auswahl der einzusetzenden Werkstoffe. Dabei ist zu beachten, dass die unterschiedlichen Werkstoffe an ihren Oberflächen keine homogenen Stoffe darstellen. Darüber hinaus werden heute Programme eingesetzt, die die Lackierergebnisse an den Karossen ohne Versuchsbeschichtungen vorhersagen können [7.12.10]. Die für die Automobilindustrie verwendeten Stahlbleche verschiedener Vorveredelungsstufen wie reiner Stahl, elektrolytisch verzinkt (EG), feuerverzinkt (HDG), vorphosphatiert oder auch organisch vorbeschichtet sowie auch Aluminiumbleche werden BASF-Handbuch Lackiertechnik 719

Branchen

Abbildung 7.1.4: Typische Prozessschritte einer klassischen Lackieranlage in der Automobilindustrie

Lackierbranchen

Abbildung 7.1.5: Prozessschritte des integrierten Lackierkonzeptes

Branchen

diversen Ziehvorgängen und teilweise extremen Verformungen im Rohbau, also vor der Lackierung unterworfen. Ein lokaler Unterschied in den Rauigkeiten ist daher unvermeidlich. Andererseits besteht eine direkte Proportionalität zwischen dem Appearance bzw. Decklackstand, d.h. Glätte, Fülle und Glanz der Lackierung zur Blechrauigkeit (siehe Kapitel 3.2.4 und 4.1.2). Die angesprochenen Unterschiede der Untergründe sind nur bis zu einer bestimmten Größenordnung durch die Lackmaterialien und Lackierprozess auszugleichen. Die Länge einer Lackierstrecke von der Übergabe der Karossen aus dem Rohbau bis zur Abgabe an die Endmontage bewegt sich üblicherweise zwischen 2 und 3 km. Dies kann auch deutlich überschritten werden, wenn großer Aufwand für Korrekturen betrieben wird, um die Geradeauslaufquote zu erhöhen oder extreme Bandgeschwindigkeiten einzuhalten sind. „Geradeauslauf“ bedeutet, dass eine Karosse ohne wesentliche Korrekturschritte die Lackiererei passiert und entsprechend der Qualitätsvereinbarung von der Endmontage übernommen wird. Die Bandgeschwindigkeiten bewegen sich im Durchschnitt aller Anlagen dabei zwischen 3 und 6 m/min, so dass bei Taktlängen von ca. 5 m pro Karosse etwa 40 bis 70 Karossen pro Stunde lackiert werden. Die Verweilzeit in der Lackiererei liegt dann etwa bei 8 bis 11 Stunden. Allerdings bevorzugen die amerikanischen Automobilhersteller oft schneller laufende Bänder mit bis zu 12 m/min. Die unter Umweltgesichtspunkten zu lösenden Probleme der immer effizienter arbeitenden Lackieranlagen sind die Lösemittelemission und der als Lackschlamm anfallende Abfall von der Elektrotauchlackierung und durch den Overspray bei der Füller- und Decklackierung. Die Lösemittelemission hat sich mit dem Einsatz neuer Lackmaterialien insbesondere den Wasserbasislacken als auch verbesserter Applikationstechnik gerade in den letzten 30 Jahren deutlich verbessert (siehe Abbildung 5.3.3). Dies gilt ebenso für die Abfallmengen wie z.B. bei der KTL- und Overspray-Aufbereitung [7.12.4]. 720

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilserienlackierung

Neben den Lackieraggregaten in allen Stationen wird eine Lackversorgung der vielen Abnahmestellen über sogenannte Ringleitungen benötigt. In diesen wird der Lack aus einem Vorratsgefäß von der Größe von 200 bis 1000 l im Kreislauf umgepumpt und so den Pistolen oder Glocken zugeführt (siehe Kapitel 4.2.1). Die Größe der Vorratsgefäße richtet sich nach der Abnahmemenge. Sie stehen aus logistischen Gründen zusammen in einem Raum, der sogenannten „Lackküche“ oder dem „Farbmischraum“, der den Lager- und Sicherheitsbestimmungen entsprechen muss (siehe Kapitel 5.2.2). Die Aufgaben der Mitarbeiter in der Lackküche bestehen nicht nur in der Versorgung mit Lackmaterialien, sondern zusätzlich in der Qualitätskontrolle, Dokumentation und Unterstützung der Fehlerfindung und -vermeidung. Um zu einer defektfreien Oberfläche zu gelangen, ist man bemüht, unter Reinraumbedingungen in den Lackierzonen zu arbeiten. Zusätzlich sind je nach Erfahrung Reinigungs- und Korrekturschritte in den Ablauf integriert. Vorbeugende Maßnahmen zur Reinhaltung der Karossen und der Umgebungsbedingungen in den Lackierereien gewinnen an Bedeutung [7.12.11]. Die Sprühaggregate sind überwiegend elektrostatische Hochrotationszerstäuber, die den Lackauftrag in einigen Fällen noch mit Dach- und Seitenmaschinen gewährleisten. Der Anteil an Robotern bei der Spritzapplikation hat nach eigenen Schätzungen in Europa etwa 90 % erreicht [7.12.12]. In besonderen Lackierschritten wie der Schwellerlackierung oder bei der Lackierung anderer schwer zugänglicher Bereiche, wird gelegentlich noch der pneumatische Sprühzerstäuber an Robotern eingesetzt. Hohe Energiekosten fallen bei der Belüftung der Spritzkabinen und in den Härtungsöfen an. Der Einsatz von Robotern hat den Luftbedarf erheblich gesenkt. Der mit der Spritzapplikation verbundene Overspray wird durch die Luftführung in den SpritzBASF-Handbuch Lackiertechnik 721

Branchen

Abbildung 7.1.6: Vergleich der Anlagenkonzepte zum Oversprayrecyling: links trocken, rechts nass

Lackierbranchen

kabinen den unter den Anlagen liegenden Waschwässern zugeführt. Diese werden in angemessenen Zyklen aufgearbeitet und von dem durch Chemikalien koagulierten Lackmaterialien befreit (siehe Kapitel 4.2.1). Neue Verfahren zur trockenen OversprayAbscheidung verringern den Lackschlamm, senken den Energiebedarf erheblich und den Frischluftbedarf der Spritzkabinen auf < 20 % (siehe Kapitel 4.2.1.5) [7.12.13]. Etwa notwendige Reparaturen von defekten Stellen in der Oberfläche der Lackierung werden in speziell eingerichteten Inspektionszonen identifiziert (siehe Abbildung 7.1.17) und durch Ausschleusen der Karosse in Kabinen mit sogenannter Spot-Reparaturtechnik durchgeführt. Üblicherweise erfolgt bei größeren oder zu vielen Defekten in der Oberfläche eine Ganzreparatur der Decklackierung der Karosse. Eine für den gesamten Ablauf einer Automobillackierung ökologisch relevante Beurteilung ermöglicht die Ökoeffizienzanalyse der BASF (siehe Kapitel 5.5). Die zwar aufwendige, aber sehr systematische Analyse der Prozesse, der Applikationstechnik, der Lackmaterialien sowie Aufarbeitungskonzepte von Overspray, sonstigem Abfall und Prozesschemikalien zeigt, dass die IPP-Prozesse mit High Solid- und Wasserlacken die bislang umweltfreundlichsten Verfahren darstellen [7.12.14].

7.1.1 Vorbehandlung

Branchen

Besondere Aufmerksamkeit wird im Rohbau auf die Art der verwendeten Korrosionsschutzöle und Ziehfette gelegt, die in Poren und durch den Ziehvorgang gebildete Furchen der Karosseriebleche eindringen. Ihre leichte Entfernbarkeit in den Vorbehandlungsbädern sowie eine gute Verträglichkeit mit den Lackmaterialien verbessern den Wirkungsgrad der Lackieranlagen erheblich. Die Vorbehandlung der aus dem Rohbau in die Lackiererei abgelieferten Karossen ist bei den verschiedenen Automobilherstellern unterschiedlich geregelt. Teilweise ist eine Reinigung Aufgabe des Rohbaus, teilweise komplette Aufgabe der Lackierereien. In jedem Fall besteht der Ablauf der Vorbehandlung aus den Schritten Reinigen, Aufbringen einer Konversionsschicht in Form einer Phosphatierung von 1 bis 2 µm Dicke als Tri-Kation-Phosphatierung oder zunehmend einer Zirkondioxid-Nanoschicht [7.12.15] von wenigen Nanometern und anschließendem Spülen und Trocknen. Reinigen und das Aufbringen der Konversionsschicht erfolgt überwiegend in Tauchbädern, deren Größe von der Anzahl der Karossen/h abhängt. Bei Stückzahlen 98 % erzielt. Parameter

Einheit (Bedingung)

Anodisch 1965

Anodisch 1975

Kathodisch 1980

Kathodisch 2012

Festkörper

(1h/130 °C) %

8 – 15

12 – 18

15 – 20

15 – 20

Lösemittelgehalt

%

10 – 15

5 – 10

3–5

 98 % erzielen. Die Oberflächenglätte der ca. 80 bis 100 µm dicken Pulverschichten sind so gut wie bei Flüssiglacken, haben aber den Vorteil, dass sie an senkrechten Flächen weniger „Orange Peel“ zeigen. Im Falle der wässrigen oder konventionellen Füller erreicht die Karosserie nach Verlassen der Applikationszone den Einbrennofen über eine Abdunstzone. Die Auslegung der 732

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilserienlackierung

Öfen ist abhängig von der Art des aufgebrachten Lackes, dem Objekt und der Bandgeschwindigkeit. Die Aufheizkurve spielt eine bedeutende Rolle für defektfreie und glatte Oberflächen (siehe Kapitel 4.3). Nach dem Verlassen des Ofens, dem Passieren der Schleif- und Korrekturzone und dem erneuten Reinigen der Oberfläche läuft die Karosserie in den Decklackapplikationsbereich hinein. Abbildung 7.1.13: Applikation von Pulverfüllern in der Automobilin-

Die Verwendung wässriger oder dustrie Quelle: BASF Coatings auch konventioneller Füller wird im IPP-Verfahren durch die neuen Basislacke überflüssig (siehe Abbildung 7.1.5) [7.12.29].

An die letzte Lackschicht, die über die Gebrauchsdauer den visuellen Eindruck des Fahrzeuges bestimmt und die im Laufe dieser Zeit in allen Erdteilen enormen Belastungen ausgesetzt ist, werden entsprechend hohe Anforderungen gestellt. Im Zusammenwirken mit dem Gesamtaufbau trägt die Decklackierung dazu bei, das mechanische Eigenschaftsniveau der Lackierung zu gewährleisten. Gute Haftung aller Lackschichten und zum Untergrund, ein abgestimmtes Maß an Verformbarkeit und Elastizitätsverhalten bei gleichzeitig hoher Härte der Filmoberfläche seien besonders aufgeführt. Hoher Glanz, guter Verlauf, Beständigkeit gegen UV-Einstrahlung in Kombination mit Wettereinflüssen, Unempfindlichkeit gegen Chemikalien und organische Lösemittel wie z.B. Kraftstoffe sind weitere Forderungen, die eine Decklackierung erfüllen muss (siehe Kapitel 3.2 und 3.3). Gleichzeitig ist sie die farbgebende Schicht. Diese muss unter den beschriebenen Bedingungen hohe Gleichmäßigkeit der Oberfläche, Reparierbarkeit an der Lackierlinie und bei Gebrauch des Fahrzeuges und über die Lebensdauer des Fahrzeuges Konstanz der visuellen und mechanisch-technologischen Eigenschaften gewährleisten. Das Farbdesign spielt heute eine erheblich wichtigere Rolle als noch vor etwa 30 Jahren. Dies wird dadurch sichtbar, dass mittlerweile ganze Abteilungen bei Automobilherstellern und Lackherstellern Farbtrends beobachten, Farbtöne und Effekte entwickeln und diese für neue Modelle sorgfältig aussuchen (siehe weiter) [7.12.30]. Die Bedeutung des Farbtondesigns wird auch technologisch unterstützt, zum einen durch neue Auftragsverfahren und zum anderen durch neue Rohstoffe und Pigmente, die einen großen Raum für Farbtonvarianten erobert haben. Um den beschriebenen Anforderungen stärker gerecht zu werden, hat sich in den vergangenen 30 Jahren eine deutliche Veränderung der Lackmaterialien wie auch der Auftragsverfahren ergeben. So erfolgt heute fast überall die Lackierung des Decklackes in zwei separaten Schichten, die im „Nassin-Nass“-Verfahren aufgebracht werden. Damit sind die beiden Funktionen, nämlich Farbgebung in die erste Schicht und Beständigkeit in die zweite Schicht, den Klarlack, getrennt worden. Die Lackformulierungen für beide Schichten wurden so weit auf BASF-Handbuch Lackiertechnik 733

Branchen

7.1.5 Decklackieren

Lackierbranchen

Branchen

die beschriebenen Funktionen optimiert, dass Beständigkeiten z.B. im Glanz und Farbton von mehr als 10 Jahren erreicht werden. Ein wichtiger Formulierungsschritt war dabei neben der Verwendung UV-stabilerer Acrylatharze der Einsatz von UV-Absorbern und Radikalfängern Ende der 1970er Jahre sowie die Entwicklung von Pigmenten mit höherer Lichtechtheit (siehe Kapitel 2.1.3). Mit dieser Zweischicht-Decklackierung konnten darüber hinaus Metalleffekte wesentlich brillanter gestaltet werden. So wurden Hell-Dunkel-Effekte je nach Betrachtungswinkel erzielt, wie sie vorher bei einschichtigen Decklacken nicht bekannt waren. Das gesamte Qualitätsniveau solcher zweischichtigen Decklacke hat dazu geführt, dass die bis dahin einAbbildung 7.1.14: Beispiel einer designunterstützenden Lackierung  Quelle: BASF Coatings schichtigen Uni-Farbtöne ebenfalls im Zweischichtauf bau aufgebracht werden. So wurden einheitliche Lackieranlagen möglich, die Kundenwünsche unabhängig von der Popularität verschiedener Farbtöne einfacher erfüllen können. Die erste Schicht nennt man in Fachkreisen Basislack (BL, engl. BC), die nachfolgende Klarlack (KL, engl. CC). Basislack Der konventionelle Basislack ist ein festkörperarmer Lack, der bei Uni-Farbtönen in Nordamerika 45 % Festkörper, in den übrigen Ländern etwa 35 % Festkörper erreichen kann. Die Effektlacke liegen darunter. Die dadurch bedingte hohe Lösemittelemission hat dazu geführt, dass sich weltweit wässrige und festkörperreiche Basislacke der Beschichtungsstoffe durchgesetzt haben. Die wässrigen Lacke haben nur noch einen Lösemittelgehalt von ca. 10 bis 20 %. Ihr Anteil ist seit der ersten Einführung im Jahre 1986 auf etwa 46 % weltweit gestiegen (siehe Abbildung 7.1.15). Basislacke werden je nach Farbton in Schichtdicken von ca. 12 bis 30 µm Trockenfilmdicke appliziert. Vor dem Erreichen der Lackierautomaten bzw. Lackierroboter werden mit Hilfe von Robotern oder manuell solche Bereiche vorlackiert, die schwer zugänglich sind. Dazu 734

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilserienlackierung

zählen der Schweller und einige Zonen des Motorraumes sowie des Kofferraumes. Die Karosse wird bei der Roboterapplikation meistens im sogenannten „stop and go“ kurz angehalten und die entsprechenden Hauben und Türen werden geöffnet, so dass die Lackierung automatisch erfolgen kann. Dies wiederholt sich gegebenenfalls bei der Klarlackapplikation. Bei Handauftrag kann der „stop and go“Modus entfallen.

Abbildung 7.1.15: Regionale Anteile wässriger Basislacke im Lackier- prozess von Automobilen

Bei Effektlacken wird der erste Auftrag ebenfalls meistens mit elektrostatischen Hochrotationsglocken durchgeführt, während der zweite Auftrag mit etwa 30 % der notwendigen Lackmenge häufig noch pneumatisch erfolgt, um den gewünschten hohen Effekt in der Ausrichtung der Plättchenpigmente zu erzielen und die Voraussetzung für eine einfache Reparierbarkeit zu schaffen. Um den Auftragswirkungsgrad zu erhöhen und Kosten zu sparen, werden inzwischen Hochrotationsglocken, sogenannte Microbells, verstärkt auch für die zweite Basislackschicht eingesetzt. Es wird dadurch ein Effekt in der Beschichtung erreicht, der sehr nahe an der pneumatischen Zerstäubung liegt und damit die manuelle, meist pneumatische Applikation zur Reparatur möglich macht. Wegen der hohen Leitfähigkeit wässriger Lacke und aufgrund der vielen Farbtöne, meistens mehr als 12 für die Serienlackierung, erfolgt die elektrostatische Aufladung mit Außenelektroden. Sie hilft, eine aufwendige Isolierung der Farbversorgung der vielen Farbtöne zu vermeiden. Doch ist die Entwicklung des „Kartuschen“-Systems so

Metallic

nfA

Uni

nfA

Lösemittel/nfA

Total 1) 1)

lösemittelbasierter BL

wässriger BL

25 %

25 %

3,0

0,5

40 %

35 %

Lösemittel/nfA

1,5

0,3

Lösemittel/nfA

2,5

0,4

Metallic/Uni = 60:40

Abbildung 7.1.16: Reduktion der Lösemittelmenge durch wässrige Basislacke (BL) bezogen auf den nichtflüchtigen Anteil (nfA)

BASF-Handbuch Lackiertechnik 735

Branchen

Aufgrund des geringen Festkörpers bei Effektlacken sind bei Bandgeschwindigkeiten ab etwa 3 m/min zwei Aufträge notwendig. Bei Uni-Lacken wird wegen des höheren Festkörpers üblicherweise nur ein Auftrag mit elektrostatischen Hochrotationsglocken durchgeführt.

Lackierbranchen

weit vorangeschritten, dass auch Direktaufladungssysteme im Serieneinsatz sind, deren technische Anordnung die Potenzialtrennung perfekt beherrschen (siehe Kapitel 4.2.1).

Branchen

Abbildung 7.1.17: Typische Anordnung der Glocken bei Dach- und Seitenmaschinen Quelle: Dürr

Die Anordnung der Glocken ist meistens so gewählt, dass zunächst die Seiten der Karossen beschichtet werden und dann die Dachmaschine in Aktion tritt. Beide Typen von Maschinen sind in der Lage, den Konturen der Karossen in bestimmten Grenzen zu folgen. Da der Sprühstrahl keine homogene Materialverteilung aufweist, führt die Dachmaschine Querbewegungen zur Bewegung der Karosse aus, um größere Gleichmäßigkeit der Schichten zu erreichen (siehe Kapitel 4.2.1).

Zwischen beiden Applikationsschritten der Effektlackierung liegt eine kurze Abdunstzeit von etwa 1 bis 2 Minuten. Diese dient Abbildung 7.1.18: Applikation von Automobillacken mit Hochrotatidazu, ein Anlösen der ersten onszerstäubern und Außenaufladung Quelle: BASF Coatings Schicht zu vermeiden, so dass die Orientierung der Effektteilchen nicht verloren geht. Dies ist besonders wichtig, um eine sichere Reproduzierbarkeit der Flop-Effekte wie auch des damit verbundenen Farbeindruckes zu gewährleisten. Hier gilt als Richtlinie, dass die zwischengetrockneten Basislackschichten 90

Haze (Grauschleier)

Wert

50 – 100

Wavescan Weiterer Lackieraufwand entLongwave < 10 (H)/< 15 (V) steht in der Endmontage, wenn Shortwave < 20 (H)/< 25 (V) Unachtsamkeit oder technische H = horizontal, V = vertikal Gründe Defekte in der Lackierung des fertiggestellten Fahr- Abbildung 7.1.23: Übliche Qualitätsdaten von Beschichtungen zeuges erzeugen. Diese werden lackierter Karossen dann im fertigen Zustand des Automobils mit den klassischen Automobilreparaturlacken repariert und bei Temperaturen um 80 °C gehärtet.

Einige Automobilhersteller tauchen die fertig lackierten Karossen halb in heiße Wachsbäder, um durch das Fluten und Benetzen der Hohlräume einen weiteren Schritt zur Verbesserung des Korrosionsschutzes zu erreichen.

7.1.7 Ausblick

Ein weiterer bemerkenswerter Fortschritt in Beständigkeit der Automobillackierung ist dank Einführung der zweischichtigen Decklackierung mit Basislack und Klarlack in der Bewitterungsfestigkeit gelungen. Sichtbare Glanzverluste treten heute je nach Region nicht mehr vor dem 8. bis 10. Lebensjahr eines Autos auf. Dies wurde trotz abnehmendem Lackverbrauchs infolge effizienterer Applikationseinrichtungen und Prozessen sowie trotz 20 % niedrigerer Schichtdicken erreicht. Das Entwicklungspotenzial der Lackmaterialien ist noch nicht vollständig ausgeschöpft. Ideen zur Reduzierung der Innenraumtemperatur vor allem von schwarzen Karossen in der Sonne durch IR-reflektierende Pigmente sind in Untersuchung. Der Wunsch nach Energiegewinnung durch die Beschichtung von Automobilen hält die Forschung für Photovoltaik-Lacke aktiv. Heute und zukünftig jedoch konzentrieren sich die Bemühungen auf weitere Optimierungen des gesamten Lackierprozesses. Daneben ist ein weiterer Schwerpunkt auf die Einführung toxikologisch unbedenklicher Stoffe gerichtet, nachdem die als sehr kritisch angesehenen Stoffe wie Cadmium-, Blei-, Zinn- und Chromverbindungen sowie einige Glykolether bereits weitgehend eliminiert sind. Zur weiteren Einsparung an Energie werden Wasserlacke, insbesondere Wasserbasislacke gefordert, die eine kostengünstigere Klimatisierung für ihre Applikation ermöglichen. BASF-Handbuch Lackiertechnik 741

Branchen

Das Qualitätsniveau der Automobillackierung konnte in den letzten 30 Jahren kontinuierlich angehoben werden. Die Korrosionsschutzbeständigkeit ist mit zunehmendem Einsatz verzinkter und anders vorbeschichteter Bleche, der weiter verbesserten Vorbehandlung, der kathodischen Elektrotauchlackierung, dem Fluten mit Wachs zum Schutz der Hohlräume und Konstruktionsmaßnahmen so weit verbessert worden, dass einzelne Automobilfirmen Garantien gegen Durchrostung von mehr als 12 Jahren geben. Dies ist nicht mehr ein Privileg teurer Autos. Die durch die Lackierung verursachten Qualitätskosten während der Gebrauchsdauer des Fahrzeuges durch Reklamationen des Kunden sind auf wenige Euros/Karosse gesunken.

Lackierbranchen

Für die heutigen Einzelschritte des Lackierprozesses lassen sich viele Möglichkeiten für optimierte Abläufe vorstellen. Dies gilt insbesondere, wenn über die Lackierung hinaus keine weiteren Fertigungsschritte an der Karosse auszuführen sind, sondern der Prozess des Lackierens als Kernprozess konzipiert wird. Beispielsweise kann der Füller durch einen geeigneten Elektrotauchlack ersetzt werden, wenn die Leitfähigkeit von vernetzten Elektrotauchlackfilmen ausreichend hoch ist. Ebenso kann ein nicht eingebrannter, aber getrockneter Elektrotauchlackfilm wieder durch einen Elektrotauchlack oder einen wässrigen Sprühlack beschichtet und zusammen eingebrannt werden. Erprobungsphasen solcher Prozesse haben bis heute allerdings nicht überzeugt. Die weitere Entwicklung der Lackierverfahren wird mehr und mehr durch Eco-Effizienz-Analysen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit bewertet und unterstützt (siehe Kapitel 5.5) [7.12.14].

Branchen

Die Attraktivität von strahlenhärtenden Lacken infolge der Schnelligkeit der Vernetzung wird von der hohen Kratzfestigkeit solcher Klarlacke unterstützt. Die Nachteile bei der Aushärtung dreidimensionaler Objekte wie der Automobilkarosse versucht man mit viel Kreativität im technischen Umfeld und in der Materialentwicklung zu überwinden [7.12.39, 7.12.40]. Allen Konzepten ist der Wunsch nach einer effizienteren Lackierung zu eigen. Sie werden daran zu messen sein, wie der Wirkungsgrad der Applikation und das Qualitätsniveau der Oberfläche sein werden. Die Zunahme der Anbauteile vornehmlich aus Kunststoff für den Bereich der Außenhaut führt zu weiteren Überlegungen, die ihren Ursprung im Farbtonmanagement haben. Dadurch dass wie heute schon üblich Teile von fünf und mehr Zulieferern in der Originalwagenfarbe bezogen werden und damit erhebliche Kosten zur Qualitätssicherung entstehen, reifen konzeptionelle Ideen zur Beherrschung dieser komplexen Situation [7.12.41]. Zum einen stellt man sich eine Lackiertechnik auf Basis entsprechender Materialien mit niedrigen Vernetzungstemperaturen von 80 °C vor, die es erlauben, Kunststoffanbauteile an den Karossen mit zu lackieren [7.12.42]. Andererseits besticht das Konzept, die Lackierung durch Folien oder durch Coil Coating zu ersetzen. Dann spielt die Verwendung und Applikation der klassischen Beschichtungsstoffe keine Rolle in der Farbtonübereinstimmung mehr. Beim Wegfall des Lackierprozesses wird die Kostenstruktur der Automobilhersteller deutlich mehr in die variablen Kosten verschoben. Die Entwicklung beim Coil Coating wird von der Automobilindustrie seit vielen Jahren verfolgt, da diese Lackiertechnik zum einen die effizienteste und schnellste ist, zum anderen der Lackierprozess bei der Herstellung der Automobile entfallen kann (siehe Kapitel 7.4). Die ersten organisch vorbeschichteten Bleche haben den Eingang in die Automobilindustrie geschafft. Dadurch können Aufwendungen für den Hohlraumschutz entfallen [7.12.43]. Die Verwendung neuer, leichterer Werkstoffe für den Karosseriebau wird seit Jahrzehnten von den Automobilherstellern permanent erforscht. Mit Kohlefasern und Glasfasern verstärkte Kunststoffe rücken deshalb in den Vordergrund, da die Verwendung solcher Werkstoffe im Flugzeugbau die Erfahrung im Umgang mit solchen Materialen steigert. Hier ist schon schnell erkannt worden, dass die derzeitigen Lacke niedrigere Einbrenntemperaturen haben (siehe vorab) und zur Erzielung eines gewohnten Appearance optimiert werden müssen. Das leichte Magnesium mit einer Dichte von 1,74 kg/dm3 findet großes Interesse, wobei es gilt, das Konzept des Korrosionsschutzes zu klären [7.12.44]. 742

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilreparaturlackierung

7.2 Automobilreparaturlackierung Der Markt der Automobilreparaturlacke schmilzt seit etwa 20 Jahren in den entwickelten Regionen wie Nordamerika und Europa, legt aber in den übrigen Regionen wie in Asien deutlich zu. In 2010 war der weltweite Markt etwa 700 kt groß. Die Technik der Automobile führt dazu, dass weniger Unfälle vor allem mit Bagatellschäden passieren. Während noch vor etwa 20 Jahren die Abnehmer von Autoreparaturlacken kleine Werkstätten mit 1 bis 5 Mitarbeiter waren, ist eine deutliche Tendenz zu großen Firmen mit mehreren und größeren Werkstätten zu beobachten. Die Produktklasse der Reparaturlacke wächst allerdings insgesamt dadurch ein wenig, dass sie aufgrund ihrer guten Filmeigenschaften in vielen anderen Branchen wie Schwerfahrzeuge, Kräne, Schwermaschinen und Lkws neue Anwendung finden.

Aus den technischen Anforderung lässt sich leicht ableiten, dass man für die Reparaturlackierung andere Lackmaterialien benötigt als in der Serienlackierung. Während vereinzelt noch physikalisch trocknende oder katalysierte Reaktionslacke im Einsatz sind, hat sich wegen der hervorragenden Qualität der Lackierung weltweit inzwischen die auf Polyacrylaten oder Polyestern basierende 2-Komponenten-Technologie mit Isocyanat-Vernetzern durchgesetzt (siehe Kapitel 2.1.1). Die Aushärtezeiten der 2K-Systeme liegen unter einer Stunde bei IR-unterstützter Trocknung [7.12.45] und bis zu einem Tag bei Raumtemperatur. Produkte auf wässriger Basis gewinnen an Bedeutung. Sie vernetzen nach den gleichen Prinzipien wie die konventionellen 2K-Lacke. UV-Lacke werden bei den Grundfüllern wegen der schnellen Aushärtung und damit Schleifbarkeit eingesetzt. Aktivitäten für den Einsatz als Klarlack laufen, haben sich aber noch nicht etabliert. Die „Decopaint“-Richtlinie in Europa (siehe Kapitel 6) und u.a. gesetzliche Vorgaben in Nordamerika [7.12.46] haben einen deutlichen Schub zu den wässrigen und High Solid-Systemen gebracht. Die Reparaturlackierung wird zur lokalen Reparatur von Defekten in der Beschichtung eingesetzt, kann aber auch dazu genutzt werden, um Fahrzeuge komplett durch attraktivere Lackierungen aufzuwerten. Art und Umfang des Schadens an einer Automobillackierung bestimmen das Verfahren der Reparaturlackierung. Bei kleinen Beulen werden Grobspachtel zur Glättung verwendet. Darauf wird meist noch ein Feinspachtel, danach der Füller und Decklack appliziert. Die ausgefüllten und ausgehärteten Stellen müssen sorgfältig geschliffen werden. Sind lediglich Kratzer und ähnliche Schäden zu reparieren, wird je nach Tiefe der Störstelle bis zum Blech geschliffen und als erstes ein Korrosionsschutzprimer („Wash-Primer“) BASF-Handbuch Lackiertechnik 743

Branchen

Die Automobilreparaturlackierung unterscheidet sich von der Serienlackierung im Automobilwerk im Wesentlichen dadurch, dass die Lackierung zum einen nicht unter industriellen Bedingungen am Fließband hergestellt wird, und zum anderen dadurch, dass sie an einem fertigen Automobil mit all seinen Komponenten durchgeführt werden muss. Sie erfolgt mit handwerklichen Methoden durch manuelle Spritzapplikation bei Trocknungs- und Härtungsbedingungen, die üblicherweise 80 °C nicht überschreiten. Höhere Temperaturen, wenn sie auch nur lokal auftreten, können Schäden durch Verformung oder Schmelzen von Kunststoffteilen, Verformung der Reifen oder irreversible Defekte an der Elektrik und elektronischen Ausrüstung der Fahrzeuge verursachen. Die Automobilhersteller arbeiten mit den Herstellern der Reparaturlacke zusammen, um die Reparatursysteme für ihre eigenen Werkstätten oder Lohnlackierer zu zertifizieren und neue Farbtöne technisch für den Reparaturfall abzusichern.

Lackierbranchen

appliziert, auf den dann Füller und Decklack aufgebracht werden. In vielen Fällen wird lediglich der Decklack angeschliffen und die Decklackierung mit einem Basislack und nachfolgendem Klarlack meist auf dem gesamten betroffenen Teil des Fahrzeuges erzeugt. Je nach Ausrüstung der Lackieranlagen und Schwere der Reparatur dauern Lackreparaturen zwischen einer Stunde und einem Tag. Abbildung 7.2.1: Automobilreparaturlackierung ist Handwerk  Quelle: BASF Coatings

Branchen

Beim Autoreparaturlackierer kommen Fahrzeugtypen aller Art in die Werkstatt. Sie sind unterschiedlich im Alter, im Aufbau der Serienlackierung und der Beschaffenheit der Oberfläche. Um die jeweilige Vorgeschichte zu erkennen, das richtige Verfahren und geeignete Arbeitsmaterialien für die Reparatur auszuwählen, bedarf es guter handwerklicher Erfahrung. Das für den Kunden sichtbarste Qualitätskriterium und deshalb wichtigste Ziel ist es, die Farbtonübereinstimmung der reparierten Stelle mit den übrigen Flächen des Automobils zu erreichen. Die zunehmende Langlebigkeit der Serienlackierung lässt die Anzahl der Farbtöne kontinuierlich steigen. Heute finden sich schätzungsweise mehr als 460.000 verschiedene Farbtöne an den 1100 Mio. Automobilen (Pkw, Lkw und Busse) weltweit. Der zunehmende Fahrzeugexport sorgt dafür, dass alle Farbtöne auch überall zu finden sind. Diese Vielzahl an Farben in allen Regionen lässt sich ökonomisch nur mit intelligent konzipierten Mischsystemen und einer gut geführten Logistik bewältigen. Da die Reparaturlackierung eine im hohen Maße handwerkliche Tätigkeit darstellt, ist es notwendig, eine entsprechende Ausbildung der Lackierer vorzunehmen. Dies übernehmen die Lacklieferanten, da neben technischen Bedingungen auch die Lackqualität einen bedeutenden Einfluss auf die Lackierparameter und das handwerkliche Arbeitsergebnis der Lackierer hat. Zu den spezifischen Einflussgrößen der Verarbeitungstechnik zählen die Parameter der Spritzpistolen wie z.B. HVLP-Pistolen in elektrostatischer oder nur pneumatischer Ausführung, Kabinentemperatur und im Falle von wässrigen Produkten die Luftfeuchtigkeit. Besondere handwerkliche Fähigkeiten wie Beispritzen erfordern einen geschickten Umgang mit der Spritzpistole, um eine verkaufsfähige Reparaturlackierung zu erreichen. Unter Beispritzen versteht man die Teilelackierung eines Teils einer Karosserie wie z.B. den Kotflügel, bei der die schadhafte Stelle ohne Ausbau repariert wird, und die Umgebung der Schadstelle auslaufend mit dem Reparaturlack überzogen wird. Dies ist vor allem bei Farbtondifferenzen zwischen Original- und Reparaturlack bis zu einem tolerablen Farbtonunterschied empfehlenswert. Diese Technik vermeidet die Sichtbarkeit eines eventuell geringen Farbtonunterschiedes am Rande der Reparaturstelle. Eine sehr wichtige Komponente für die Einstellung der Lackmaterialien ist das Verdünnungsmittel. Üblicherweise steht hier eine Fülle an Materialien zur Verfügung, die in 744

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilreparaturlackierung

erster Linie auf die Trocknungsgeschwindigkeit während und nach der Applikation Einfluss haben. Die jeweiligen Einstellungen werden mit „kurz“ bei rascher Verdunstung und „lang“ bei langsamer Verdunstung bezeichnet. Transportable IRLampen unterstützen eine rasche Durchhärtung und schnelleren Ablauf der Reparatur. Darüber hinaus sind der sichere Umgang beim Lagern und Verarbeiten der Materialien zu beherrschen und Gefahrenpotenziale für Mensch und Umwelt zu kennen.

Abbildung 7.2.2: Beispiele einer hochwertigen Effekt-Reparaturlackierung Quelle: BASF Coatings

Die Qualitätseigenschaften der einzelnen Lackierungen wie auch der Gesamtaufbauten im Reparaturfall werden durch die meisten Automobilhersteller selbst festgelegt und in Form von Materialfreigaben zertifiziert. Durchgesetzt haben sich mit weltweit mehr als 75 % Acrylatharze in Verbindung mit Isocyananten als 2-komponentige Systeme. In den Filmeigenschaften kommen die Reparaturstellen bei fachmännischer Durchführung an das Niveau der Erstlackierung heran. Insbesondere die Wetterbeständigkeit der Decklacke erreicht wegen des Einsatzes von Lichtstabilisatoren die Qualität der Serienlackierung (siehe Kapitel 2.1.4).

Das durchschnittliche Lebensalter der Fahrzeuge ist kontinuierlich auf mehr als 12 Jahre gestiegen. Gleichzeitig sind die Serienlackierverfahren weltweit einheitlicher geworden. Dennoch kann es unter anderem bei Fahrzeugen ab einem Alter ab 20 Jahre Altlackierung A

B

Bemerkung

Unitöne/Einschicht-Metallics Einbrennlack (Alkyd/Melamin)

ausgehärtet, kein Problem

Einbrennlack (Acryl/Melamin)

ausgehärtet, kein Problem

Thermoplastisches Acrylatharz

lösemittelempfindlich, Quellung

Nitrocellulose-Lack

lösemittelempfindlich, Quellung

PUR-Lack

ausgehärtet, kein Problem

Oxidativ härtender Alkydharzlack

ausgehärtet, kein Problem

Zweischicht-Metallic Einbrennlack (Acryl/Melamin)

ausgehärtet, kein Problem

Thermoplastisches Acrylatharz

lösemittelempfindlich, Quellung

Abbildung 7.2.3: Die wichtigsten Typen von Serienlackierungen vor 1980 und deren Charakteristika

BASF-Handbuch Lackiertechnik 745

Branchen

Festlegung des Reparaturverfahrens

Lackierbranchen

und Oldtimern notwendig sein, zur Festlegung eines geeigneten Reparaturverfahrens die Altlackierung zu charakterisieren. Abbildung 7.2.3 gibt die wichtigsten Altlackierungen wieder. Insbesondere Lackmaterialien und Schleiferfordernisse müssen entsprechend dem Fahrzeugtyp ausgewählt werden. Dieser spezielle Markt wächst in den saturierten Regionen wie Europa und Nord-amerika. Zur Bestimmung der Lackart der alten Lackierung hat sich ein einfaches Verfahren bewährt. Abbildung 7.2.4: Farbtonvergleich bei der Reparaturlackierung Es nutzt zur Identifizierung das  Quelle: BASF Coatings Anlöse- und Quellverhalten der unterschiedlichen Lackfilme. Dazu tränkt man einen weißen Lappen mit Lackverdünnung und reibt damit an einer wenig sichtbaren Stelle die Oberfläche ein. Bei thermoplastischen Lacken und Lackierungen auf Nitrocellulose-Basis tritt eine Verfärbung des Lappens oder zumindest eine sichtbare Quellung ein.

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Farbtonüberprüfung Zur weiteren Vorbereitung einer Reparatur der Lackierung gehört die Farbtonüberprüfung. Jede Originallackierung erfährt je nach Typ, Alter und Beanspruchung z.B. durch UV-Strahlung sowie individuellen Pflegeaufwand des Automobils eine Veränderung des Farbtons (siehe Kapitel 3.3.1). Durch Polieren kann dies größtenteils beseitigt werden. Dennoch kann eine Farbtonanpassung des Reparaturlackes notwendig sein. Diese erfolgt durch Vergleich mit einem durch Spritzen auf einem separaten Blech hergestellten Musterblock. Als Ausgangslack dient das entsprechend der für den registrierten Farbton vorgesehenen Mischformel gefertigte Material. Ist nach dem visuellen Vergleich des Bleches mit der zu reparierenden Lackierung eine Farbkorrektur notwendig, wird der Farbton üblicherweise mit den Bestandteilen der Mischrezeptur eingestellt. Die Ausbesserung von Effekt-Lacken ist problematischer, da Farbton und Intensität des Effektes je nach Betrachtungswinkel stark von der Applikationstechnik und den Geräteparametern abhängen. Im Einzelnen zu nennen sind: 1. Düsenweite und Zerstäuberluftdruck der Sprühpistole: Die Zerstäubung ist bei kleiner Düsenweite und hohem Spritzdruck feiner, dadurch wird der Farbton heller. 2. Verdünnung und Spritzviskosität: Mit einer schneller verdunstenden Verdünnung kann man den Silbereffekt häufig brillanter (= größerer Hell-Dunkel-Unterschied) einstellen als mit einer langsamer verdunstenden Verdünnung. Je höher die Viskosität, desto gröber ist die Teilchenverteilung im Spritznebel und umso größer ist die Neigung zur Wolkenbildung (= großflächige Abweichungen im Hell-Dunkel-Verhalten). 3. Spritzweise: Wird z.B. mit schnell verdunstenden Verdünnungen trocken gespritzt oder stark genebelt, erscheint der Farbton heller, metallischer. Wird dagegen nass 746

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilreparaturlackierung

gespritzt, erscheint der Farbton satter und dunkler. Dazwischen liegen alle Nuancen in Bezug auf Metallic-Effekt und Farbton. Durch Zwischenabdunstung wird der Wolkeneffekt vermieden. 4. Sprühpistolenabstand: Bei kurzem Abstand ist der applizierte Film nasser d.h. dunkler und bunter, bei größerem Abstand ist der Film trockener, der Farbton heller und metallischer. Vorbehandlung Sind die beschriebenen Vorbereitungen abgeschlossen, beginnt die eigentliche Reparatur. Der Prozess wird je nach Zielsetzung in vier Kategorien eingeteilt, die unterschiedlichen Arbeitsaufwand bedeuten, um das entsprechende Endresultat bzw. die Erwartung der Kunden zu erfüllen:

Die Karosse wird für die jeweilige Reparaturlackierung vorbereitet, indem nicht zu lackierende Oberflächenbereiche abgeklebt und eventuell Teile wie Schutzleisten oder Spoiler demontiert werden. Weiterhin werden soweit notwendig erste Schleifarbeiten durchgeführt. Danach ist eine Reinigung der Altlackierung zunächst durch gründliches Waschen notwendig. Nach dem Abtrocknen wird die Lackoberfläche mit Siliconentferner von Teerflecken, Wachs- und Siliconresten befreit. Diese Materialien würden andernfalls die Benetzung und Haftung der Reparaturlackierung verhindern. In einigen Fällen insbesondere bei der Zweitwert- oder Gebrauchtwagenlackierung kann ein Abbeizen der Altlackierung notwendig sein. Dazu werden üblicherweise mit einem Pinsel entsprechende Lackentferner bzw. Abbeizmittel aufgetragen. Nach vorgeschriebener Einwirkzeit wird die alte Lackierung mit einem Spachtelmesser abgeschoben. Stellen ohne genügende Beizwirkung werden so oft behandelt, bis die alte Lackierung restlos entfernt ist. Dann folgt gründliches Reinigen und sorgfältiges Entfernen des Beizmittels mit Testbenzin oder ähnlichen Lösemitteln. Schleifen Die gereinigte, nicht abgebeizte Altlackierung wird im folgenden Schritt nass oder trocken geschliffen. Stark verwitterte oder gerissene Lackierungen werden so weit abgeschliffen, bis ein einwandfreier Film z.B. in der Füller- oder Elektrotauchlackschicht erreicht ist. Nach dem Schleifen müssen die Flächen gründlich vom Staub gereinigt werden. Bei Nassschliff wird mit reinem Wasser nachgewaschen und die Kanten und BASF-Handbuch Lackiertechnik 747

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1. Neulackierungsreparatur: Diese ist eine Reparatur der Beschichtung an einem neuwertigen Fahrzeug und muss dementsprechend das Qualitätsniveau der Erstlackierung in den Punkten Farbtonübereinstimmung, Oberflächengüte und Haftung zum Untergrund erreichen. 2. Zweitwertlackierung: Diese ist eine Reparaturlackierung an einem älteren Fahrzeug. Je nach dem Zustand der Altlackierung kann auf Spachtel- und Schleifarbeit zur Vorbehandlung verzichtet werden. 3. Verkaufs- oder Gebrauchtwagenlackierung: Üblicherweise eine Ganzlackierung, die ein unansehnliches Fahrzeug wieder attraktiv macht. Bei dieser Lackierung verzichtet man auf aufwendige Schleif- und Füllerarbeiten. Nach der Reinigung und Entrostung erfolgt der Auftrag eines Haftvermittlers und des Decklackes in einem Nass-in-Nass-Verfahren, d.h. ohne langes Zwischentrocknen beider Lacke. 4. Beispritzen oder Spotrepair (siehe Kapitel 7.1): Dies erfolgt bei kleinen Schäden, die sich auf den Decklack beschränken.

Lackierbranchen Anwendung

Körnung

Maschinentyp

Entrosten, grober Schliff

P 16 bis P 80

Winkelschleifer

Spachtel

P 40 bis P 120

Schwingschleifer

P 40 bis P 80

Schleiffeile

P 80 bis P 120

Excenterschleifer

P 24 bis P 360

Handschliff

P 80 bis P 120

Excenterschleifer

P 80 bis P 180

Schwingschleifer

P 400 bis P 800

Handschliff

P 120 bis P 180

Excenterschleifer

P 120 bis P 320

Schwingschleifer

P 400 bis P 800

Handschliff

P 180 bis P 220

Excenterschleifer

Decklack

P 400 bis P 800

Handschliff

Altlackierung

P 180 bis P 220

Excenterschleifer

Ausbesserung Zweischichtlackierung

P 600 bis P 1200

Handschliff

Feinspachtel

Grundfüller

Füller

Abbildung 7.2.5: Schleifmittel und Schleifgeräte für die verschiedenen Schritte bei der Reparaturlackierung

Falze gut trockengerieben. Es wird genügend Zeit eingehalten, die Restfeuchtigkeit ausdunsten zu lassen. Bei Trockenschliff wird mit Pressluft abgeblasen und mit einem Staubbindetuch nachgereinigt. Roststellen werden metallisch blank geschliffen.

Branchen

Das zu verwendende Schleifpapier wird je nach Körnung für die oben und im Folgenden beschriebenen Schritte eingesetzt. Dabei gilt: je größer die Kennzahl, desto feiner das Schleifpapier. Als Schleifkorn werden überwiegend Aluminiumoxid oder Siliciumcarbid eingesetzt. Altlackierungen und harte Untergründe werden bevorzugt mit Aluminiumoxid-Papier, weichere Untergründe mit Siliciumcarbid-Papier behandelt. Zu beachten ist, dass Sicken und Kanten von Hand geschliffen werden sollten, da mit Maschinen an solchen Stellen zu leicht bis zum Untergrund durchgeschliffen wird. Eine schnelle Arbeitsweise garantiert das Schleifen mit Gitterleinen im Nassverfahren. Spachteln Schadhafte Stellen wie kleine Beulen und Unebenheiten werden nach dem Entrosten mit Spachtel-Materialien korrigiert. Nach der Aushärtung wird so geschliffen, dass die Oberflächen ausgeglichen ist. Eventuell wird ein zweiter Spachtelauftrag mit einem speziellen Feinspachtel notwendig, um den guten Decklackstand der Erstlackierung zu erreichen. Einkomponentige Spachtel auf Basis von Nitrocellulose/Alkydharz-Mischungen benötigen zur Aushärtung etwa zwei Stunden bei Raumtemperatur, während 2-komponentige Spachtel auf Basis ungesättigter Polyester schon nach 15 Minuten ausgehärtet sind. Die Hauptbestandteile des Härters eines 2K-Spachtels sind Peroxide, die die radikalische Härtung des ungesättigten Polyesters beschleunigen. 748

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilreparaturlackierung

Füller Nach dem letzten Schliff und Reinigen der Spachteloberfläche wird für hochwertige Lackierungen ein Füller appliziert. Dieser kann wässrig oder lösemittelgelöst sein und ist üblicherweise ein 2-komponentiges Lacksystem. Die Trocknung dauert etwa zwei Stunden bei Raumtemperatur oder 30 Minuten bei 60 °C. Die Ausarbeitung der Formulierungen richtet sich hauptsächlich auf Glätte, Schleifbarkeit und Trocknungsgeschwindigkeit. Füller werden auch an durchgeschliffenen Stellen eingesetzt, wenn kein Spachteln erforderlich ist. Solche Grundfüller sind üblicherweise 2-komponentige Systeme auf der Basis von Epoxidharzen mit Aminvernetzern (siehe Kapitel 2.1.1). Sie geben den besten Korrosionsschutz und gewährleisten eine gute Haftung auf metallischen Untergründen wie Stahl, verzinktem Stahl und Aluminium. Setzt man beim Füller den Schwerpunkt auf Steinschlagschutz, so sind 2-komponentige Polyacrylat- oder Polyester-PUR-Systeme von Vorteil. Decklacke Je nach Art des Farbtons werden das Decklacksystem und der Applikationsablauf festgelegt. Decklacke im Uni-Farbton stellen die geringsten, Metall-Effektlacke mittlere und Perleffekt- bzw. Farbfloplacke die höchsten Anforderungen an die Lackmaterialien und den Lackierprozess (siehe vorab). Effektlacke werden wie bei der Serienlackierung im zweischichtigen Aufbau, also mit einem farb- und effektgebenden Basislack nass-in-nass mit einem Klarlack aufgetragen.

Das Originalmaterial ist in den meisten Reparaturwerkstätten anhand von Rezepten aus Mischfarben herzustellen. Diese befinden sich in Mischregalen, in denen ca. 40 bis 50 verschiedene Farbtöne vorgehalten werden. Entsprechend dem registrierten Serienfarbton des

Branchen

Zum Einsatz kommt entweder das auf Basis der Mischformel für den Serienfarbton hergestellte Originalmaterial oder meist bei älteren Lackierungen das Material, das auf Basis farbmetrischer Messungen und durch Spritzversuche und entsprechende Korrekturen auf den zu reparierenden Farbton eingestellt wurde.

Abbildung 7.2.6: Muster von Mischfarben zur Farbtonidentifizierung  Quelle: BASF Coatings

BASF-Handbuch Lackiertechnik 749

Lackierbranchen

zu reparierenden Automobils wird der Lack entweder manuell oder sogar automatisch aus den Komponenten der dafür vorentwickelten Lackformel gemischt. Diese Mischformeln werden von den Lackherstellern ausgearbeitet und elektronisch verwaltet. Sie sind essenzieller Bestandteil zur Nutzung des Mischregals. Da konventionelle Basislacke zwecks Ausrichtung der Aluminiumteilchen zur Erzielung brillanter Effekte hohe Lösemittelgehalte besitzen und deshalb eine Belastung der Umwelt darstellen, werden weltweit wässrige Produkte eingesetzt, die mit einer pseudoplastischen oder thixotropen Einstellung gleiche Effekte bei deutlich reduzierten Lösemittelgehalten erzielen. In Verbindung mit Spritzpistolen der sogenannten HVLP(High Volume Low Pressure)-Technik (siehe Kapitel 4.2.1.3) hat dies zu einem reduzierten Lackverbrauch geführt, da der Auftragswirkungsgrad des Lackmaterials um 30 % angehoben werden konnte. Reparatur von Kunststoffteilen Stoßstangen, Spoiler, sogenannte „Frontends“ (Frontpartien), Kotflügel sowie Kofferraumdeckel und Heckklappen werden seit den 1970er Jahren verstärkt aus Kunststoffen gefertigt. An manchen Modellen macht der Kunststoffanteil an der Außenhaut mittlerweile mehr als 30 % der Fläche aus. Zum Einsatz kommt eine Fülle von Kunststofftypen in reiner Form wie auch in Mischungen, den „Blends“. Sie sind auf das jeweilige Anforderungsprofil maßgeschneidert (siehe Kapitel 4.1.3 und 7.3).

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Überwiegend werden thermoplastische Kunststoffe verwendet. Für hohe Steifigkeit und Härte bei großen Teilen werden die sogenannten SMC-Kunststoffe eingesetzt. Dies sind Duromere auf Basis ungesättigter Polyester, häufig mit Glasfasern verstärkt. SMC (= Sheet Molding Compound) beschreibt hier das Herstellverfahren der Kunststoffteile, wobei das Teil durch Verformung aus vorfabrizierten Matten unter Härtung und Verfestigung hergestellt wird. Unter dieser Typenvielfalt kommen die Polpropylen (PP)-Thermoplasten am häufigsten vor. Dieses Material wird bei fast allen Automobilherstellern für Stoßfänger verwendet und bei der Serienlackierung in Europa durch Beflämmen der Oberfläche oder in Nordamerika durch spezielle Haftprimer auf Basis chlorierter Polyolefine (CPO) für die Lackierung vorbereitet. Bei der Reparatur entsprechender Teile werden nach eventuellem Schleifen und Reinigen der Oberfläche spezielle Haftprimer auf die PPThermoplaste dünn aufgetragen und nach etwa 20 Minuten bei Raumtemperatur wie bei der vorhin beschriebenen Standardreparatur weiterbehandelt. Die übrigen thermoplastischen und duromeren Kunststoffe lassen sich in der Serie nach Reinigung der Oberfläche und eventuellem Tempern bei 60 °C gut lackieren und dementsprechend reparieren. Eine gute Reinigung ist sehr wichtig, um oberflächenaktive Trennmittel aus dem Herstellprozess der Kunststoffteile von der Oberfläche zu entfernen. Tempern ist insbesondere bei Polyamid (PA)-, PMMA-, PC- und PUR-Kunststoffen notwendig. Die Decklacke müssen im Einzelfall mit elastifizierenden Zusätzen versehen werden. Ansonsten kann die Elastizität oder Kerbschlagzähigkeit des Kunststoffes durch die Lackierung beeinträchtigt werden. Wichtig ist dabei, die Gesamtschichtdicke des Reparaturaufbaus von in der Regel 100 µm nicht zu überschreiten.

750

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilzulieferindustrie

7.3 Automobilzulieferindustrie Die Automobilzulieferindustrie hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. So betrug der weltweite Umsatz ca. 700 Mrd. Euro in 2012. Dies resultiert aus der globalen Strategie der Automobilhersteller, ihre Fertigungstiefen der Komponenten zu verringern und die Entwicklungsleistung für Bauelemente und Komponenten in die Zulieferindustrie zu verlagern. Die Fertigungstiefen im Pkw-Bau lagen z.B. in Deutschland im Jahre 2000 nur noch etwa bei 30 %. In USA haben sich GM und Ford schon vor einiger Zeit von ihren Zuliefer-Töchtern Delphi und Visteon getrennt. Die Anzahl der direkten Zulieferer hat sich drastisch reduziert, so dass sich eine Pyramide von Erst-, Zweit- und Drittlieferanten für die Automobilindustrie aufgebaut hat. Die damit Ende der 1990er Jahre einhergehende Konsolidierungswelle hat bis heute zu großen, weltweit tätigen Zulieferern mit Umsätzen bis zu 33 Mrd. Euro geführt. Die Top 10- Liste führen derzeit zwei deutsche Unternehmen an: Continental und Bosch. Der Gesamtumsatz der deutschen Zulieferer betrug ca. 170 Mrd. Euro in 2012. Die Produktvielfalt in diesem Industriesegment ist enorm. Dies hat zwangsläufig zur Folge, dass praktisch alle Lackierverfahren zum Einsatz kommen. So findet man die gesamte Palette der ökoeffizienten Verfahren wie Pulverlackierung, Elektrotauchlackierung und Lackierverfahren auf Basis strahlenhärtender Lacke. Die Anwendung neuer Applikationstechniken und Beschichtungsstoffe beginnt häufig in diesem Marktsegment. Die Branche lässt sich in folgende Segmente einteilen: • • • • •

Kunststoffanbauteile, außen Kunststoffanbauteile, innen Räder Achsen Motorblöcke

Zu den heute an allen Pkw-Modellen wichtigsten Kunststoffanbauteilen für den Außenbereich zählen die Stoßfänger, die aus den verschiedensten thermoplastischen Kunststoffen geformt und mehrheitlich lackiert werden. Hinzu kommen Hecktüren, Kofferraumdeckel, Schiebedächer, Kotflügel, Zierleisten und Außenspiegel, die aufgrund ihres späteren Anbaus an die Karosse lackiert angeliefert werden. Darüber hinaus werden diese Anbauteile, z.B. die Außenspiegel, häufig als Komponenten zusammengebaut und sind damit nicht mehr im Automobilwerk lackierbar [7.12.47]. Bei einigen Automobilmodellen machen die Kunststoffteile an der Außenhaut mittlerweile etwa 30 % der Fläche aus. Infolge des Zwanges zur weiteren Gewichtsersparnis und Kostensenkung ist die Tendenz zum Einsatz von Kunststoffen weiter steigend. Die verwendeten Kunststoffe sind in erster Priorität auf die notwendige Funktionalität an der Karosse zugeschnitten. So sind die meisten Stoßfänger aus hochflexiblen, schlagzähen und kostengünstigen Polypropylenblends hergestellt. Die Lackierung dieser Teile erfolgt in eigens dafür konzipierten Lackieranlagen. Der Ablauf in vielen Anlagen Europas sieht zunächst eine wässrige Reinigung im „Power Wash“-Verfahren vor, dann eine Beflammung zur Haftungsverbesserung, eine wässBASF-Handbuch Lackiertechnik 751

Branchen

Kunststoffanbauteile, außen

Lackierbranchen

Branchen

rige Primer-Beschichtung mit anschließendem Auftrag von wässrigen Basislacken und lösemittelgelösten 2K-Klarlacken. Zwischen der Primer- und der Decklackapplikation liegt eine kurze Zwischentrocknung von zwei bis drei Minuten. Die Vernetzungstemperaturen dieser Systeme liegen bei 80 bis 90 °C und benötigen spezielle Lacke. Der Trend zum Verzicht auf einen Primer nimmt zu, da dank Abbildung 7.3.1: Stoßfängerlackierung Quelle: BASF Coatings der Beflammung spezielle, haftfeste Primer überflüssig werden. Außerdem sind die Kostenvorteile beim Wegfall eines Lackierschrittes bedeutend. In Nordamerika und Asien wird anstelle der Beflammung noch häufig ein Haftprimer eingesetzt, der üblicherweise mit chlorierten Polyolefinen formuliert wird. Die Vernetzungstemperaturen sind dann mit ca. 120 °C etwas höher. Wässrige Produkte sind in diesen Regionen noch nicht weit verbreitet. Die Applikation erfolgt in vielen Anlagen mit Robotern und pneumatischen Sprühpistolen, die einen Auftragswirkungsgrad von maximal 40 % erzielen. Für eine elektrostatisch unterstützte Lackierung weisen Kunststoffe den entscheidenden Nachteil auf, dass sie üblicherweise elektrisch nicht leitfähig sind. Dies kann dazu führen, dass elektrostatische Ladungen auf dem Werkstück den aufgeladenen Lack abstoßen und die Qualität der Lackierung beeinträchtigen. Dieser Nachteil kann beseitigt werden, wenn leitfähige Primer eingesetzt werden. Mit einer guten Erdung und Verwendung elektrostatisch unterstützter Hochrotationszerstäuber werden dann bei der nachfolgenden Applikation des Basislackes und des Klarlackes gute Ergebnisse erzielt [7.12.48]. Die Aufladung erfolgt wegen der hohen Leitfähigkeit der wässrigen Lacke nach dem Versprühen durch externe Elektroden (siehe Kapitel 4.2.1). Die Auftragswirkungsgrade für die Beschichtungsstoffe erreichen unter den beschriebenen Bedingungen 60 bis 70 %. Der Wirkungsgrad der Lackieranlagen gemessen am Geradeauslauf, ist nicht so gut wie in der Automobilserienlackierung, da aufgrund der geringen Leitfähigkeit der Kunststoffe die Gefahr elektrostatischer Aufladungseffekte besteht. Dadurch werden Schmutzpartikeln angezogen. Wirkungsgrade von 60 bis 70 % sind gute Werte einer Lackieranlage für Kunststoffteile. Die geringen Material- und Fertigungskosten der Stoßfänger machen es nicht überall erforderlich, alle defekten Teile nachzuarbeiten. Außerdem ist die Neuanfertigung der Teile kostengünstiger. Zudem ist ein einfaches Recyceln des thermoplastischen Kunststoffes möglich [7.12.49]. Die Festlegung einer Farbtonspezifikation unter visuellen oder farbmetrischen Gesichtspunkten ist zum einen bedeutsam für den Erfolg des Zulieferers. Zum anderen ist eine rasche Korrekturfähigkeit bei der Stoßfängerlackierung notwendig, weil bei der Karosserieerstlackierung Farbdifferenzen auftreten können oder außerhalb der Spezifikation des Farbtons lackiert wird. Andere Konzepte sehen eine parallele und abgestimmte Lackentwicklung und Produktion sowie einen intensiven Austausch der Prüf- und Praxisergebnisse vor [7.12.50]. 752

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilzulieferindustrie

Die Beschichtung von Kunststoffen darf darüber hinaus die mechanischen Eigenschaften des Substrats (wie Schlagzähigkeit bei –30 °C) nur wenig negativ beeinflussen. Die Lackmaterialien der Automobilserienlackierung sind aus diesem Grund nicht immer für die Kunststofflackierung geeignet. Insbesondere die Primer und die Klarlacke für Kunststoffbeschichtungen werden aus hochflexiblen Harzen und Isocyanatvernetzern formuliert. Dennoch lässt es sich bisher nicht erreichen, dass durch die vernetzte Beschichtung Eigenschaften wie vor allen Dingen die Schlagzähigkeit des Kunststoffes bei tiefen Temperaturen nicht beeinträchtigt werden. Kotflügel werden je nach Spezifikationsanforderungen der Automobilfirmen aus den verschiedensten Kunststoff-Blends hergestellt. Üblicherweise werden sie beim Hersteller lediglich grundiert, um dann in der Anlage für die Serienlackierung des jeweiligen Automobilherstellers nach der Elektrotauchlackierung beschichtet zu werden. Dies wird mit dem Erreichen eines deutlich stärkeren Integrationsgrades des Anbauteils in die aus den verschiedenen Materialien zusammengebaute Karosse begründet. Die nicht aus thermoplastischen Polyolefinen (TPO) wie z.B. aus Polyamid gefertigten Kotflügel bedürfen lediglich einer guten Reinigung der Oberfläche z.B. durch ein „Power Wash“Verfahren, um dann mit einem Primer grundiert zu werden. Das gleiche gilt für die zu lackierende Außenhaut der Heckklappen, die wegen der Anforderungen an die Steifigkeit eines solchen Anbauteils zunehmend aus „Sheet Molding Compounds“ (SMC) z.B. auf Basis Glasfaser verstärkter ungesättigter Polyester gefertigt werden (siehe Kapitel 4.1.3). SMC-Teile erfordern wegen Ausgasungen, sogenannten „Lunkern“ spezielle Primer, die die Effekte der Gasblasen auf die Oberfläche verhindern. Vor allem das InMold Coating (IMC) hat sich hier bewährt [7.12.51]. Dabei wird in die Form ein Lack zwischen Wandung und Bauteil eingespritzt und ausgehärtet. Dies kann vorher drucklos und nach der Verformung unter Druck geschehen [7.12.52]. Zur Aufwertung von Innenverkleidungen oder des Gehäuses der Instrumententafel sowie vieler anderer Teile im Fahrraum von Automobilen wird bei Verwendung kostengünstiger Kunststoffe häufig eine Lackierung benötigt. Diese ist so konzipiert, dass die Lackschicht sowohl die Oberfläche visuell verbessert als auch eine gewisse Griffigkeit (Haptik) erzeugt. Solche Beschichtungsstoffe bezeichnet man im englischen Sprachraum als „Soft Feel“-Lacke. Solche aktuellen Beschichtungen werden überwiegend mit 2-komponentigen, polyurethanhaltigen Systemen appliziert, die auch auf wässriger Basis zur Verfügung stehen. Letztere beginnen sich durchzusetzen. Mit den üblichen Schichtdicken von 20 bis 40 µm werden auch sehr spezifische Anforderungen wie die Lasergravierfähigkeit

Abbildung 7.3.2: Verschiedene lackierte Kunststoffteile im Automobilinnenraum Quelle: Eisenhans, www.Fotolalia.com

BASF-Handbuch Lackiertechnik 753

Branchen

Automobilanbauteile, innen

Lackierbranchen

[7.12.53], geringe Oberflächenreflektion in Form der samtartigen „Velvet“-Coatings, hohe Kälteflexibilität z.B. bei Airbags erfüllt, deren Auslösung bei tiefen Temperaturen splitterfrei erfolgen muss. Auch das Vermeiden von Ausgasungen aus den Kunststoffteilen gehört dazu. In jüngster Zeit kommen farbige Lacke zum Einsatz, um bei kleineren Fahrzeugen modischen Trends zu folgen. Insgesamt wächst dieser Markt sehr stark, da mit dieser Beschichtung die Akzeptanz von Kunststoff als Werkstoff deutlich gesteigert wird und das Image „billig“ zu vermeiden hilft [7.12.54]. Die Applikation erfolgt in ähnlichen Anlagen wie bei der Außenbeschichtung. Allerdings ist bei den in diesem Segment hauptsächlich zum Einsatz kommenden Kunststoffe wie PA, PC, ABS, Polybutylenterephthalat (PBT) eine Beflammung als Vorbehandlung nicht notwendig (siehe Kapitel 4.1.3). Es reicht meist eine sorgfältige Reinigung im „Power Wash“-Verfahren. Räder

Branchen

Bei einer weltweiten Automobilproduktion von jährlich ca. 80 Millionen Einheiten werden mehr als 500 Millionen Räder produziert. Dabei stehen die Stahlräder noch an erster Stelle. Aufgrund der Gewichtsersparnis und der Designmöglichkeiten nimmt allerdings seit Jahren der Anteil der Aluminiumräder stetig zu. Die aus Stahl gefertigten Räder sind mehr und mehr im Design standardisiert worden. Durch individuell lackierte Kunststoffblenden werden sie den Automobiltypen angepasst. Die Beschichtung dient bislang vor allem dem Schutz des Metalls. Nur wenige Stahlräder für Personenwagen werden decklackiert, dann überwiegend in Silbermetallic. Dies gilt nicht für die Räder für Nutzfahrzeuge, die in deutlich höheren Prozentzahlen farbig decklackiert werden.

Abbildung 7.3.3: Durch kathodisch abscheidbaren Elektrotauchlack grundierte Stahlräder Quelle: BASF Coatings

754

Die meisten Stahlräder werden zunächst gereinigt, dann vorbehandelt, elektrotauchgrundiert und wie beschrieben ggf. einschichtig decklackiert. Die Vorbehandlung ist wie bei der Automobillackierung eine Zinkphosphatierung, um den höchstmöglichen Korrosionsschutz zu erzielen. Die umweltfreundlichere Vorbehandlung auf Basis von Zirkondioxid-Abscheidungen findet auch hier Eingang (siehe Kapitel 7.1) [7.12.55]. Stand der Technik bei der Grundierung ist die kathodisch abscheidbare Elektrotauchlackierung. Diese zeichnet sich durch einen hohen KantenBASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilzulieferindustrie

schutz bei niedrigen Schichtdicken von 15 bis 18 µm aus. Gerade Räder besitzen ein hohes Kanten-/Flächen-Verhältnis. Da die Kante der häufigste Startpunkt der Korrosion ist, stellt sie das wichtigste Qualitätskriterium für die Beschichtung dar. Die noch vor etwa 20 Jahren eingesetzte anodisch abscheidbare einschichtige Elektrotauchlackierung mit Silbermetallic-Effekt wie auch die roten kathodisch abscheidbaren Elektrotauchlacke haben ihre Bedeutung verloren.

Abbildung 7.3.4: Schematischer Aufbau einer Stahlradlackierung

Der Kostendruck in diesem Geschäftsfeld hat seit einiger Zeit die Optimierung des gesamten Fertigungsprozesses durch partnerschaftliches Verhalten von Lieferanten und Kunden vorangetrieben. Diese Situation hat dazu geführt, dass heute vielfach Lieferverträge in Kosten pro m2 ausgehandelt werden. In einigen Verträgen werden weitere gemeinsame Einspar- Abbildung 7.3.5: Schematischer Aufbau einer Aluminiumradpotenziale vereinbart, die je nach lackierung Situation über Einsparungen bei Verfahrenskosten oder Lackkosten erreicht werden müssen. Die Produktion der Aluminiumräder gewinnt seit Jahren Anteile am Gesamtvolumen der Radproduktion. Vor allen Dingen im Einzelhandelsgeschäft haben Aluminiumräder wegen ihres attraktiven Designs und der Gewichtseinsparung hohe Bedeutung als auch bei der Erstausstattung schwerer Pkw wie SUVs (Sport Utiliy Vehicles) und der Luxusklasse. Die Herstellung erfolgt meistens im Spritzgussverfahren. Alle Räder werden mit einem Standardaufbau lackiert, einige aus Designgründen „abgedreht“ und mit Klarlack nachlackiert. „Abgedreht“ bedeutet, dass die Lackierung an bestimmten Stellen abgefräst und die Aluminiumoberfläche speziell geschliffen oder behandelt wird. BASF-Handbuch Lackiertechnik 755

Branchen

Die Anforderungen an die Lackierung werden im Schwerpunkt durch Korrosionsschutzprüfungen wie Salzsprühtest und VDA-Klimawechseltest (VDA 621-415), Haftung und Chemikalienfestigkeit gegenüber Bremsflüssigkeiten, Kraftstoff und Motoröl spezifiziert (siehe Kapitel 3.3.2).

Lackierbranchen

Die Applikation des Standardlackaufbaus erfordert zunächst eine sorgfältige Entfettung und Chromatierung der Oberfläche. Die Beschichtung besteht aus einer Pulvergrundierung auf Epoxid- oder Epoxid-Polyester-Harzbasis, die bei Temperaturen von 160 bis 190 °C vernetzt wird. Ihr folgt eine Decklackapplikation mit Basis- und Klarlack. Beide Decklacke sind in Europa lösemittelgelöste Systeme, während der Klarlack in USA bedeutend häufiger ein Pulverlack ist. Die Decklacke werden bei etwa 130 bis 150 °C vernetzt. Die Spezifikationen für die Lackierung von Aluminiumrädern basieren u.a. auf dem CASS (Copper Accelerated Salt Spray)-Test nach DIN EN ISO 9227 oder ASTM B 368 sowie auf Prüfungen der Wetter- und der Chemikalienbeständigkeiten wie bei der Stahlradlackierung. Achsen Achsen für Pkw wie auch Lkw werden in zunehmendem Maße als Komponenten gefertigt und komplett an die Automobilindustrie zur Endmontage der Automobile geliefert. Üblicherweise werden die dafür notwendigen Teile vor dem Zusammenbau im Elektrotauchlackierverfahren grundiert. Wegen der hohen Anforderung an den Korrosionsschutz werden Vorbehandlungen aus Zinkphosphat und fast ausschließlich kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke eingesetzt (siehe Kapitel 4.2.1). Einige Automobilhersteller fordern Dickschicht-Elektrotauchlacke, die sich bis zu 35 µm Schichtdicke applizieren lassen.

Branchen

Der hohe Energieverbrauch zum Aufheizen der schweren Teile hat eine Zeit lang die Entwicklung von Elektrotauchlacken forciert, die bei Objekttemperaturen von < 150 °C vernetzen. Allerdings ist es bis heute der Lackindustrie nicht gelungen, ein Produkt zu entwickeln, das bei solchen Temperaturen zu dem Korrosionsschutz führt, den die üblichen, kommerziellen Produkte bei 180 bis 200 °C erreichen. In speziellen Fällen wird der Elektrotauchlack mit Pulver überlackiert, z.B. zur Herstellung farbiger Überzüge. Man findet auch Grundierungen aus Pulverlacken, die nach der Vorbehandlung aufgebracht werden. Für diese Vorbehandlungs- und Lackierschritte werden Standardverfahren benutzt. Die Anlagenauslegung wird im Wesentlichen von der Geometrie und dem Durchsatz bestimmt. Motorblöcke Motorblöcke werden aus eingeschmolzenem Aluminiumschrott und eventuell notwendigen Legierungsbestandteilen gegossen. Nach der Reinigung von Rückständen aus den Formteilen wird meistens eine schwarzmatte Pulverlackschicht von 100 µm Schichtdicke appliziert und bei ca. 230 °C Umlufttemperatur gehärtet. Die Pulverlacke basieren auf Epoxidharzen, um guten Korrosionsschutz zu gewährleisten. Zusätzlich müssen Chemikalienfestigkeiten, gute Haftfestigkeit und hohe Abriebfestigkeit sowie hohe Temperaturbeständigkeit erfüllt sein. Spiegel Spiegel sind hochkomplexe Module, deren Konstruktion und Fertigung mittlerweile komplett in der Verantwortung der Zulieferindustrie liegt. Innenspiegel werden üblicherweise nicht lackiert. 756

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Automobilzulieferindustrie

Die für Außenspiegel notwendigen Gehäuse werden aus thermoplastischen Kunststoffen verschiedener Qualitäten gefertigt und meistens in Wagenfarbe lackiert. Ein kleiner Anteil bleibt schwarz und unlackiert. Die Kunststofftypen variieren von Polyamid (hauptsächlich in Nordamerika) über ABS bis zu PC/ABS- und PC/PBT-Blends in Europa. Die Lackierung erfolgt nach einer Reinigung der Gehäuse zunächst mit einem PrimerAuftrag, dann einer Applikation von Basislack und Klarlack „nass-in-nass“. Die Lacke basieren überwiegend auf lösemittelgelösten Systemen. Lediglich beim Basislack werden zunehmend wässrige Produkte eingesetzt. Als Klarlacke dienen 2-komponentige Beschichtungsstoffe aus Acrylatharzen und Isocyanatvernetzern. Die Vernetzungstemperaturen für die in Europa verwendeten Primer und Decklacke liegen bei 80 bis 90 °C, in Nordamerika bei 120 °C. Die Applikation erfolgt pneumatisch und wird nur in wenigen Ausnahmen elektrostatisch unterstützt. Scheinwerfersysteme Im Lauf der 1990er Jahre sind die Scheinwerfersysteme zu einem großen Teil von den Werkstoffen Stahl und Glas auf Kunststoffe umgestellt worden. Mit diesem Schritt wurden zum einen Gewichtseinsparungen erzielt und zum anderen neue Möglichkeiten im Design eröffnet. Scheinwerfersysteme werden komplett von Zulieferfirmen entwickelt, zusammengebaut und als fertiges Teil an die Automobilindustrie geliefert. Der Reflektor wird zunehmend aus „Blow Molding Compounds“ (BMC)-Kunststoffen nach dem entsprechenden Verfahren gefertigt [7.12.56] und löst geformtes und gestanztes Blech ab, das zur Vorbereitung der Metallisierung kathodisch elektrotauchlackiert wurde. Dieser Schritt erübrigt sich bei den aus BMC gefertigten Schalen. Beide Typen der Reflektoren werden im folgenden Prozessschritt mit einem pigmentierten, UVhärtenden Primer durch Sprühlackierung beschichtet. UV-Lacke haben den Vorteil, bei der Aushärtung nicht zu schrumpfen, und bilden dadurch sehr glatte Oberflächen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die defektfreie Ausbildung des Spiegels bei der nachfolgenden Bedampfung mit Aluminium in Autoklaven. Die Streuscheibe wird aus thermoplastischen PMMA- oder PC-Kunststoffen gefertigt. Zur Erhöhung der Bewitterungsfestigkeit wird die Streuscheibe außen beschichtet. Hier existieren derzeit zwei Lacktypen. Zum einen werden bei 120 bis

Abbildung 7.3.6: Typisches Beispiel eines Scheinwerfersystems aus Kunststoffen Quelle: Streitberger

BASF-Handbuch Lackiertechnik 757

Branchen

Sie bestehen aus zwei Hauptkomponenten: dem Reflektor und der Streuscheibe.

Lackierbranchen

140 °C härtende kratzfeste Klarlacke, zum anderen UV-härtende Klarlacke verwendet. Beide Lacke werden im Sprühverfahren verarbeitet. Türgriffe Türgriffe sind komplette Module, deren Griffleiste bzw. Griffschale üblicherweise aus Designgründen in Wagenfarbe lackiert wird. Die Verwendung der eingesetzten Rohstoffe tendiert weg vom Aluminiumguss zum Kunststoff. Die Lackierung erfolgt in entsprechenden Anlagen meistens in einer Zweischichtlackierung mit Basislack- und Klarlackauftrag und kurzer Zwischenlüftung. Verwendet werden wie bei den übrigen Lackierungen von Kunststoffteilen verstärkt wässrige Lacke. Sonstige Teile Zu den sonstigen Teilen, die überwiegend lackiert werden, zählen Zierleisten, Scheibenwischer, Kühlergrills, Wärmeaustauscher, Airbags und Sitzrahmen. Für Scheibenwischer, Wärmeaustauscher aus Aluminium und Sitzrahmen stellt die Elektrotauchlackierung die wichtigste Beschichtungsmethode dar. Scheibenwischer werden zur Erhöhung der Witterungsbeständigkeit zusätzlich noch decklackiert. Bei Sitzrahmen findet gelegentlich das Verfahren der Autophorese Anwendung (siehe Kapitel 4.2.1). Kühlergrills und Airbags sind aus Kunststoff und werden durch Sprühapplikation häufig in Wagenfarbe beschichtet. In diesem Geschäftsfeld findet man viele Lohnlackierer.

7.4

Coil Coating

Branchen

Unter Coil Coating versteht man das kontinuierliche Beschichten von Metallbändern mit meistens flüssigen Beschichtungsstoffen. Vor etwas mehr als 40 Jahren wurde diese Beschichtungstechnologie mit einer 200 mm breiten Bandanlage erstmals in die Praxis umgesetzt [7.12.57].

Abbildung 7.4.1: Regionale Aufteilung des Coil Coating-Lackmarktes Quelle: M. von Dungen [7.12.58] von ca. 570 kt im Jahre 2011

758

Die Bedeutung dieses effizienten Beschichtungsverfahrens hat seitdem ständig zugenommen. Auch die heutigen Perspektiven lassen ein überdurchschnittliches Wachstum in den nächsten Jahrzehnten erwarten. Coil Coating erlaubt dem Anwender, meist komplett auf Lackieranlagen bei der Produktion zu verzichten, und verschiebt die BASF-Handbuch Lackiertechnik

Coil Coating

Kostenstruktur der Produzenten durch Reduktion der Fixkosten in den variablen Bereich. Die wichtigsten Substrate für die beschichteten Coils sind Stahl, verzinkter Stahl und Aluminium. Derzeit wächst die Fläche von Aluminium-Coils stärker als die von Stahl. Dabei ist das Verhältnis von Aluminium zum Stahl in Europa etwa 1 zu 6 bezogen auf das Gewicht der Substrate. Insgesamt werden weltweit 17 Mio. t Stahl (inkl. verzinkter Stahl) und 3 Mio. t Aluminium bandbeschichtet. In Europa sind es etwa 5 Mio. t. Die damit beschichtete Fläche macht etwa 1,4 Mio. m2 aus.

In den von ca. 60 Beschichtern betriebenen Bandbeschichtungsanlagen werden 0,2 bis 2 mm dicke Metallbänder verarbeitet. Als Werkstoffe werden kaltge-

Abb.7.4.2: Anwendung von Coil Coating in der verarbeitenden Industrie 2009 in Europa Quelle: ECCA

Branchen

Die Zahl der Beschichtungssysteme und die Anzahl der Farbtöne nehmen für alle Anwendungen stark zu. In fast allen Industriezweigen verwendet man heute bandbeschichtete Bleche. Schwerpunkte sind die Bauindustrie bei Außenund Innenverkleidungen, die Verpackungsindustrie, die Haushaltsgeräteindustrie, der Nutzfahrzeugbereich inklusive Wohnmobile und Anhänger, Schienenfahrzeuge sowie unter den übrigen Anwendungen die industriellen Lichtsysteme. Es gibt regionale Unterschiede bei den Schwerpunkten der Anwendung, so liegt z.B. in Europa der Baubereich bei fast 65 % im Jahre 2000 und damit über den weltweiten Durchschnitt von 54 %.

Abbildung 7.4.3: Lager für beschichtete Coils

Quelle: BASF Coatings

BASF-Handbuch Lackiertechnik 759

Branchen

Lackierbranchen

Abbildung 7.4.4: Schema und Bild eines Ausschnitts einer Coil Coating-Anlage

Quelle: BASF Coatings

walzte Bänder aus weichen Stählen bzw. allgemeinen Baustählen, elektrolytisch verzinktes Feinblech, feuerverzinktes Band oder Aluminium mit seinen Knetlegierungen eingesetzt. Die maximalen Bandbreiten liegen bei etwa 1800 mm bei Stahlbändern und bei 2000 mm bei Aluminiumbändern. Die Bandgeschwindigkeiten bei Stahlbändern erreichen bis zu 200 m/min und liegen durchschnittlich zwischen 80 und 140 m/min. Bei Aluminiumbändern werden 150 m/min erreicht. Die Anlagen bestehen aus einer Coil-Aufgabestation, dem dazu notwendigen Bandspeicher, einer Vorbehandlungszone, der ersten Lackierstation nebst Einbrennofen und folgender Kühlzone, einer zweiten Lackierstation mit Ofen, Kaschierstation und Kühlung sowie einem Bandspeicher und Aufwickler (siehe Abbildung 7.4.4). Die meisten Anlagen sind für zwei Applikationsschritte, zum ersten für die Applikation eines Grundlackes, zum zweiten eines Decklackes auf der Vorderseite und eines Schutzlackes auf der Rückseite oder beidseitigen Decklackes des Coils eingerichtet. Dazu sind zwei Einbrennöfen notwendig. 760

BASF-Handbuch Lackiertechnik

Coil Coating Schicht

Festkörper 1)

Schichtdicke

Einbrennbedingungen

55 %

5 – 8 µm

1 – 2 min/200 – 240 °C

Polyester

45 – 55 %

20 – 25 µm

1 – 2 min/180 – 220 °C

PVC-Plastisol

14 – 25 %

100 – 300 µm

1 – 2 min/180 –220 °C

50 – 60 %

8 – 10 µm

1 – 2 min/180 – 220 °C

Grundierung Decklack:

Rückseitenlack 1)

30 Min. bei 180 °C

Abbildung 7.4.5: Anwendungstechnische Daten wichtiger Coil Coating-Lacke

Wie bei jeder industriellen Lackierung von metallischen Untergründen ist für eine hohe Qualität der Beschichtung auch beim Coil Coating eine einwandfreie Oberfläche des Bandes erforderlich. Dazu werden chemische und mechanische Reinigungsschritte angewandt. Zur Durchführung der Vorbehandlung werden heute Tauch- und Spritzverfahren sowie der Rollenauftrag eingesetzt. Der Rollenauftrag als sogenanntes „No Rinse“-Verfahren setzt sich bei Neuanlagen immer mehr durch. Für viele Anwendungen sind chromhaltige Materialien mittlerweile sowohl für die Vorbehandlung als auch für die Grundierung durch chromfreie Formulierungen abgelöst. Aluminiumbänder für die Herstellung von Jalousien können sogar im Plasma-Verfahren bei allerdings niedrigen Bandgeschwindigkeiten von 40 m/min vorbehandelt werden [7.12.59].

Die Trockenschichtdicken der Grundierung liegen bei etwa 5 bei 8 µm, die der Decklackierung bei 15 bei 25 µm und die der Rückseitenbeschichtung bei ca. 8 bei 10 µm, wenn vernetzbare Beschichtungsstoffe eingesetzt werden. Bei Verwendung von Plastisolen können die Schichtdicken 300 µm erreichen. Bei den hohen Lackiergeschwindigkeiten werden an die Beschichtungsstoffe hinsichtlich ihres rheologischen Verhaltens große Anforderungen gestellt. Da etwa 3 bis 10 s nach dem Rollenauftrag bereits die Ofenzone beginnt, steht dem aufgetragenen Lackfilm so gut wie keine Abdunststrecke zur Verfügung. Zur Erzielung störungsfreier Oberflächen werden deshalb bei der Formulierung besondere Kenntnisse über die Zusammensetzung der Lösemittel und Additive verlangt. Das Aushärten bzw. Vernetzen der organischen Beschichtungsstoffe erfolgt in Durchlauftrocknern mit mehreren Zonen. Diese werden als Induktionsöfen, mehrheitlich als Umluftöfen konzipiert. Wegen der hohen Bandgeschwindigkeit können sie enorme Längen aufweisen, um bei Objekttemperaturen von bis zu 250 °C zwischen ein und zwei Minuten Aushärtezeit zu ermöglichen. Die Wärmeübertragung in einer solchen Zeit muss möglichst gleichmäßig über die Breite des Coils gewährleistet sein. BASF-Handbuch Lackiertechnik 761

Branchen

Die Applikation der Grundierungen und der Decklacke erfolgt heute zu > 98 % im Rollenauftragsverfahren (Walzverfahren). Dies erlaubt eine hohe Produktivität, gepaart mit hohem Auftragswirkungsgrad, so dass der Coil Coating-Prozess wohl als das effizienteste Lackierverfahren bezogen auf die in der Zeiteinheit beschichtete Oberfläche ist. Zusätzlich erlaubt die kurze Zeit zwischen Auftrag und Vernetzung eine sehr effiziente Reduzierung der Lösemittelemission durch eine thermische Nachverbrennung der Emissionsquellen aus der Applikationszone und dem Trockner. Die Zusammenführung beider Emissionsquellen führt zu so hohen Konzentrationen, dass die Nachverbrennung ohne zusätzliche energetische Unterstützung auskommt.

Lackierbranchen

Unter den Prüfmethoden für Coil-Coatings sind der NäpfSchichtdicke µm 25 – 40 chen- und der T-Bend-Test T-Bend 0 spezifische Methoden, die die Buchholz-Härte 100 Erfüllung der Anforderungen in der Praxis prognostizieren solGlanz (20°) % 70 – 90 len. Dabei ist der Näpfchentest Florida-Auslage (5°) Jahre