Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff durch die Welten des Bewußtseins 3933467063


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Table of contents :
Einleitung S. 9
01 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub S. 27
02 Ein neues System von Raumschiffen S. 45
03 Die Reise zum Ich S.51
04 Die kosmische Welt des Bewußtseins S. 89
05 Intergalaktisches Intermezzo S. 119
06 Kosmische Verwirklichungen S. 143
07 Die Einheit in der Vielheit -das Enneagramm S. 163
08 Kosmische Schwingungen-Gurdjieffs Musik S. 197
09 Der Kosmos tanzt S. 211
10 Zweihundert bewußteMenschen könnten die Weltverändern... S. 229
11 Die kosmische Mahlzeit -Essen und Gegessenwerden S. 245
Bibliographie S. 291
Diskographie S. 295
Anmerkungen S. 299
Index S. 313
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Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff durch die Welten des Bewußtseins
 3933467063

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Bruno Martin

Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff durch die Welten des Bewusstseins

edition nada

Bruno Martin

Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff durch die Welten des Bewußtseins

Bruno Martin

Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff durch die Welten des Bewußtseins

edition nada

Deutsche Originalausgabe © 2000 by Bruno Martin Verlag: edition nada Karin S. Püscher-Findeisen Niendorfer Weg 5 29549 Bad Bevensen im Vertrieb von: BM-Vertriebsservice Postfach 1123 21394 Kirchgellersen Tel: 04135-414 - Fax: 04135-7745 email: [email protected] Titelgrafik: Janine Warmbier, Hamburg Druck: Maro Druck, Augsburg © 2000 der enthaltenen Fotos und Grafiken by Bruno Martin Alle Rechte beim Autor. Kein Teil des Buches darf auf irgendeine Weise (Kopie, Auszug, Internet usw.) ohne ausdrückliche Genehmigung re­ produziert oder nachgedruckt werden.

ISBN 3-933467-06-3 Scan & OCR von Shiva2012

Inhaltsverzeichnis Einleitung ........................................................................................... 9 Die Frage........................................................................................... 13 Die Transportmittel der Lehre.......................................................... 15 Fragmente einer unbekannten Lehre............................................... 17 Peter D. Ouspensky...........................................................................20 John G. Bennett.................................................................................24 1. Auf einem Raumschiff mit Beelzebub..............................27 Beelzebub.......................................................................................... 29 Die Pforten der Wahrnehmung......................................................... 32 Die Bedeutung und Relativität der Sprache ....................................36 Lehrgeschichten ............................................................................... 39 2. Ein neues System von Raumschiffen...............................45 Echter Seins-Pflicht bewußt werden ................................................47 Drei Linien der Arbeit........................................................................50 3. Die Reise zum Ich................................................................ 51 Der vierte Weg ................................................................................. 52 Unsterblichkeit...................................................................................57 Die Alchemie der Transformation .................................................... 59 Die harmonische Entwicklung des Menschen................................... 64 Das Selbst..........................................................................................69 Das materielle Selbst ....................................................................... 74 Das reagierende Selbst..................................................................... 77 Das bewußte Selbst ..........................................................................79 Das wahre Selbst...............................................................................82 Das „wirkliche Ich", der Wille........................................................... 84 Liebe.................................................................................................. 86 4. Die kosmische Welt des Bewußtseins............................. 89 1. Der alltägliche „Schlafzustand"....................................................91 2. Der alltägliche Wachzustand........................................................93 3. Bewußtsein seiner selbst - Selbsterinnerung ............................. 96 4. Der „objektive" Bewußtseinszustand........................................ ..102 Leben in vier Welten.............................................................. 107 Welt 1 - Existenz - äußere Welt...................................................... 112 Welt 2 - Die Welt des Seins.............................................................113 Welt 3 - Die Welt des Geistes......................................................... 114 Welt 4 - Jenseits des Bewußtseins..................................................116

6 Inhalt

5. Intergalaktisches Intermezzo.......................................119 Die Erschaffung der Welt ...............................................................122 Die Relativität des Zeitbegriffs....................................................... 123 Das Prinzip der gegenseitigen Erhaltung....................................... 126 Kristallisationen...............................................................................130 Das Gesetz der Drei ....................................................................... 132 Der Schöpfungswille........................................................................133 Die Welten des Bewußtseins...........................................................135 Energien und ihre Transformationen..............................................137 6. Kosmische Verwirklichungen........................................ 143 Die Substanz der Seele................................................................... 146 Der Körper des Bewußtseins...........................................................153 Die Frage der Reinkarnation...........................................................157 Der „Körper" des Willens................................................................ 159 Die Einheit von Körper, Seele und Geist........................................ 161 7. Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm..........l63 Das Gesetz der Sieben ...................................................................167 Kosmen ...........................................................................................170 Die Selbsterneuerung der Kosmen ................................................ 173 Die Veränderung unserer Wahrnehmung....................................... 182 Die Energien ...................................................................................185 Die vier Lebensenergien: ...............................................................185 Die kosmischen Energien................................................................ 186 Die sieben Linien der spirituellen Arbeit........................................ 189 Harmonische Entwicklung............................................................... 191 Lebenslanges Lernen...................................................................... 194 8. Kosmische Schwingungen - Gurdjieffs Musik 197 Beispiele für das Gesetz der Drei und Sieben in der Musik von Gurdjieff und de Hartmann .......................................................204 Hymn from a great Temple 1......................................................... 205 Gebet und Verzweiflung..................................................................207 9. Der Kosmos tanzt.............................................................211 Kreativität........................................................................................226 10. Zweihundert bewußte Menschen könnten die Welt verändern..................................................................229 11. Die kosmische Mahlzeit - Essen und Gegessen­ werden ............................................................................... 245 Die Wissenschaft der Idioten......................................................... 253 Stufenleiter der Idioten: ................................................................258

Inhalt 7

1. Der einfache Idiot ..................................................................... 262 2. Der selbstgefällige Idiot............................................................. 263 3. Der Erzidiot................................................................................. 264 4. Der hoffnungslose Idiot..............................................................266 5. Der mitfühlende Idiot................................................................. 267 6. Der sich windende Idiot ............................................................ 268 7. Der quadratische Idiot............................................................... 270 8. Der runde Idiot........................................................................... 271 9. Der Zickzack-Idiot.......................................................................273 Exkurs: Drei Idiotentypen - drei Aspekte.......................................274 10. Der erleuchtete Idiot................................................................ 276 11. Der zweifelnde Idiot................................................................. 277 12. Der prahlende oder angeberische Idiot................................... 279 13. Der „echte" oder „geborene" Idiot ......................................... 281 14. Der patente Idiot...................................................................... 282 15. Der „geniale" Idiot....................................................................283 16. Der polyedrische Idiot.............................................................. 284 17. Der meisterhafte Idiot.............................................................. 285 18. Der vollkommene Idiot............................................................. 287 19. Der heilige Idiot .......................................................................288 20. Der kosmische Idiot..................................................................289 21. Der einzigartige Idiot............................................................... 290 Bibliographie ......................................................................... 291 Diskographie...........................................................................295 Adressen.................................................................................. 297 Anmerkungen..........................................................................299 Index........................................................................................ 313 Danksagung............................................................................ 331

Mulla Nasruddin stand auf dem Marktplatz und wandte sich an die Menge: Leute! Wollt Ihr bequem und problemlos Weisheit erwerben, wollt ihr die Wahrheit ohne Falschheit, wollt ihr Erfolg ohne Anstrengung, wollt ihr Fortkom­ men ohne Opfer? Alle riefen begeistert: Ja, Ja, das wollen wir! Sehr gut, sagt der Mulla. Das wollte ich nur wissen. Ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich euch gleich Bescheid gebe, wenn mir so etwas über den Weg läuft...

9

Einleitung „Wir waren im Begriff, eine Hängebrücke zu überqueren, über die man nicht reiten und die man auch nicht zu zweit neben­ einander passieren konnte. Man mußte allein gehen, und das war mit verbundenen Augen unmöglich... Diese Brücken haben fast nie ein Geländer und sind so schmal, daß nur jeweils ein Gebirgspferd sie passieren kann. Außerdem schwingen sie so, daß man den Eindruck hat, auf einer Sprungfedermatratze zu gehen. Über die Ungewißheit hin­ sichtlich ihrer Haltbarkeit möchte ich Heber nicht reden...

Die Brücke führt uns in die „wirkliche Welt", das Ziel der „Suche nach der Wahrheit", die uns Georges I. Gurd­ jieff mit seiner Lehre ans Herz legt. Die Reise ins Zentrum des Wissens, irgendwo in unzugänglichen Gebieten, die er in seinem zweiten Buch Begeg­ nungen mit bemerkenswerten Men­ schen erzählt, ist sicherlich faktisch, doch sie hat auch einen allegorischen Akzent. Nachdem Gurdjieff zum ab­ gelegenen Kloster - das an das Zen­ trum der Welt, Shambala, erinnert gelangt ist, bekommt er schließlich das praktische Wissen, das seine Leh­ re wesentlich prägt. Doch gleichzeitig enthält diese Erzählung den klassi­ schen Heldenmythos. Das geht auch aus dem Hinweis her­ vor, in dem Gurdjieff sagt, daß wirkliche Einweihung „Selbsteinweihung" ist. Die Suche nach der Wahrheit erfordert Mut und Einsatz. Wir dürfen nicht darauf warten, „daß uns die gebratenen Fußnoten finden Sie hinten im Buch ab Seite...

10 Einleitung

Tauben in den Mund fliegen", ein Lieblingsspruch Gurdjieffs. Alles in seinem Leben war ungewöhnlich. Geboren wur­ de G. 1866 (oder später...) im griechischen Viertel der Stadt Alexandropol im russischen Armenien. Als Ältester von sechs Geschwistern mußte er früh seinem griechisch­ stämmigen Vater, einem einfachen Bauern, Handwerker und Geschichtenerzähler zur Hand gehen. Von seiner ar­ menischen Mutter ist leider wenig überliefert. Er bekam eine gute Schulbildung in einer russischen Schule, später Privatunterricht. Das harte Leben mit vielen Entbehrungen und die strenge, aber gütige Erziehung machten ihn zu einem hartgesottenen, erfinderischen und lebensbejahen­ den Menschen. Schon als junger Erwachsener war sein Leben äußerst abenteuerlich, wovon seine Erzählung Be­ gegnungen mit bemerkenswerten Menschen einen kleinen Einblick gibt. Der Biograph James Moore: „In Begegnun­ gen mit bemerkenswerten Menschen machen wir eine Rei­ se ins Innere, und zwar zusammen mit Gurdjieffs Freun­ den - Priestern, Ingenieuren, Ärzten, Fürsten -, die alle in irgendeiner Hinsicht außergewöhnlich waren, deren Wis­ sen, Selbstlosigkeit und Mitgefühl das normale menschli­ che Maß sprengten." 2 Die Gruppe nannte sich „Sucher nach der Wahrheit", ein Thema, dem Gurdjieff auch einen Teil seiner Musikstücke gewidmet hat. Nach dem Studium al­ ler ihm zugänglichen esoterischen und philosophischen Li­ teratur und seiner Unzufriedenheit damit, machte er sich mit dieser Gruppe in den Jahren von 1889 bis 1911 auf die Suche nach „wirklichem Wissen", auch mit dem Gefühl, daß die Zivilisation das alte Wissen der Schamanen, Der­ wische und Mönche wegfegen würde. „Gurdjieff war von seinem Ziel geradezu besessen. Keine Wüste war zu heiß und kein Gebirge zu steinig, wenn sie auf der 'Reise zu unzugänglichen Orten' durchquert werden mußten. Fragt man nach seinem speziellen Beitrag zum gemeinsamen Ziel: Er konzentrierte sich auf etwas, das man in der Phy­ sik als Vibrationen bezeichnete, in der Musik als Tonhöhe

Einleitung 11

Die Prieuré oder Tonalität, beim Menschen als Aufmerksamkeit, Ener­ gie und Seelenzustand. Aus seiner - neuen - Sicht betrach­ tet, war alles und jedes Schwingung. Um dieses 'Etwas' zu erkennen und zu durchdringen, stürzte Gurdjieff sich aufs Studium von Kunst, Musik, Gestik, Körper- und Geistes­ haltung - vor allem die traditionellen religiösen und weltli­ chen Tänze betrachtete er als Fundgrube auf diesem Ge­ biet." 3 Im Alter von 42 Jahren unternahm er die erste Pha­ se seiner Lehrtätigkeit in St. Petersburg und Moskau. Wäh­ rend dieser Zeit stießen später so bedeutende Schüler wie P. D. Ouspensky, Thomas und Olga de Hartmann, Alexandre und Jeanne de Salzmann und andere zu seiner Grup­ pe, mit der er 1918 vor der russischen Revolution floh und sich jeweils kurze Zeit an verschiedenen Orten wie Tiflis und Istanbul niederließ. Die Flucht ging weiter über Deutschland, wo er zuerst nach Berlin ging und dann ver­ suchte, am Dalcroze-Institut in Hellerau bei Dresden, in dem auch die Eurythmic 4 gelehrt wurde, Fuß zu fassen. Als das nicht gelang, ging es weiter nach Frankreich, wo er 1922 in der Nähe von Fontainebleau bei Paris sein Schu­ lungszentrum begründete. Viele damals berühmte Frauen und Männer aus Kunst und

12 Einleitung

Wissenschaft wie Margaret Anderson, John G. Bennett, Jane Heap, Katherine Mansfield, Maurice Nicoll, A.R. Orage, Jean Toomer, Denis Saurat u.v.a. 5 besuchten das Institut und nahmen an diesem einmaligen Experiment teil, eine unbe­ kannte und außerordentliche Lehre in die Praxis umzuset­ zen. Sein Hauptwerk AH und Alles - Beelzebubs Erzählun­ gen für seinen Enkel 6 begann er, nachdem er 1924 einen schweren Autounfall hatte. Als die alte Prieuré, das Gebäude und die Ländereien des Instituts 1933 verkauft werden mußten, fand jemand un­ ter einem Abfallhaufen einen Stoß Musiknoten. Es waren die Noten zur wunderbaren Musik, die Gurdjieff zusam­ men mit dem Komponisten und Pianisten Thomas de Hart­ mann geschrieben hatte, darunter auch Noten zu den Tän­ zen, die Gurdjieff von seinen Reisen mitgebracht, choreographiert oder neu entwickelt hatte. Was für ein Verlust für die Menschheit wäre es gewesen, wären diese Noten auf einer Müllhalde gelandet! Wer die Musik und die Tänze kennt, kann sich diesen Verlust vorstellen! 7 Jeder Mensch hinterläßt Spuren für seine Nachkommen, Erinnerungen, Bilder, ein Lebenswerk, auf dem andere weiterbauen. Manche Menschen hinterlassen ein Lebens­ werk, das für viele Menschen, die damit in Berührung kom­ men, eine andere Zukunft, eine lebendige, kreative Zu­ kunft bedeuten kann. Fünfzig Jahre nach Gurdjieffs Tod bekommen wir eine Ahnung davon, wie weit ein Lebens­ werk allen Widernissen zum Trotz sehr viele Menschen heute noch berühren und verändern kann. Es ist ein Werk für unsere geistige Gegenwart und die Zukunft unserer Nach­ kommen - wenn es ebenso kreativ weitergegeben wird. Wird es nur konserviert, bleibt es zwar bestehen, doch irgendwann wird es zur leeren Hülle. Gurdjieff setzte viel Energie in die vielseitige Vermittlung seiner Arbeit, damit seine Lehre auch in Zukunft von Be­ deutung bleibt. Eine geistige Tradition bleibt nur bestehen, wenn sie die innere Kraft hat, um über den Zeitgeist hin­

Die Frage 13

auszugehen. Selbstverständlich kommt es auch auf die Kraft der Menschen an, die eine Idee am Leben halten und weitergeben. Aber das allein reicht nicht aus. Denn eine echte geistige Überlieferung hat ihre eigene Energielinie, in der Sufi-Tradition Baraka genannt, Segenskraft. Gurdjieffs Überlieferung trägt diese Kraft zweifellos in sich, auch wenn sie keinem der klassischen Wege, sei es des Bud­ dhismus oder Sufismus folgt. Sie enthält zwar Elemente aus diesen Traditionen, doch der von Gurdjieff in Europa begründete Weg hat nach allem, was wir fühlen und wis­ sen, einen ganz eigenen Ursprung. Gurdjieff sagte einmal, daß er von Meistern geschickt wurde, die viel bedeutender sind als er. Henri Tracol, der in den vierziger Jahren bei Gurdjieff war, schreibt: „Es möge genügen, daran zu erin­ nern, daß der 'vierte Weg' sich auf keinen anderen Weg zurückführen läßt oder ihm entgegengestellt werden kann. Im Gegenteil, er fließt frei dorthin, wo es die Bewußtseins­ dimension gestattet, über die scheinbaren Widersprüche und Unvereinbarkeiten hinauszugehen... Herr Gurdjieff be­ mühte sich, uns zu Wahrheitssuchern zu machen. Natür­ lich, diese Wahrheit - nach ihr sucht er zunächst in sich selbst, doch er erkennt dann , daß diese einsame und spe­ zifisch individuelle Suche ihre Bedeutung nur im Kreise ei­ ner umfangreicheren Suchergemeinschaft gewinnt, die empfänglich ist für einen qualitativ höheren Einfluß..." 8

Die Frage Gurdjieffs Suche war bestimmt durch seine zentrale Fra­ ge, die ihn innerlich wie ein Mantra bewegte: „Was ist der Sinn und Zweck des Lebens und des menschlichen Lebens im besonderen?" Diese Fragestellung bringt uns zum Kern eines Weges, bei dem die menschliche Evolutions­ möglichkeit, die eine wichtige Rolle in der Gesamtevolution spielt, von wesentlicher Bedeutung ist. 9

14 Einleitung

Jede wichtige Frage enthält bereits die Antwort in sich: Wenn das Leben nicht zufällig aufgrund materieller Reak­ tionen entstanden ist, dann muß es einen Zweck erfüllen. John G. Bennett, einer der bedeutendsten Schüler, die Gurdjieffs Arbeitslinie nach 1949 weitergeführt haben, fragt darüber hinaus: „Wenn der Mensch wie alles Lebendige und Nichtlebendige, das im Weltall existiert, ein Apparat zur Umwandlung von Energien ist, was ist dann Besonde­ res an ihm? Wenn wir unsere kosmische Funktion ausfüh­ ren, wonach können wir für unsere eigene individuelle Er­ füllung streben?" 10 Für Gurdjieff bargen die Konsequenzen seiner Frage ganz pragmatische Lösungen. Er suchte nach Mitteln und We­ gen, wie wir die Möglichkeiten erwerben können, beides zu erfüllen, den kosmischen Zweck sowie die individuelle Erfüllung. Gurdjieffs Beitrag für eine neue Weltanschau­ ung ist, daß alles Existierende sich gegenseitig erhält und einem Zweck dient. Die Rolle des Menschen ist dabei die bewußte Umwandlung von Energien. Darauf werde ich in mehreren Kapiteln des Buches von verschiedenen Aspek­ ten näher eingehen. Der zweite, wichtige Teil dieser Erkenntnis ist, daß wir als Menschen uns zumeist nicht dessen bewußt sind, daß wir ob wir es wollen oder nicht - nur diesem kosmischen Zweck dienen und ohne eigene Anstrengung nichts für unsere see­ lische Entwicklung übrigbleibt. Denn wir sind durchaus in der Lage, eine besondere Qualität und Intensität in unser Leben zu bringen, so daß wir einen Teil der Energie für den kosmi­ schen Zweck abgeben und einen anderen Teil für unsere ei­ gene Entwicklung behalten können. „Die harmonische Ent­ wicklung des Menschen, wie Gurdjieff sie verstand, ist ein außergewöhnlicher Vorgang, der es uns ermöglicht, über die Grenzen unserer gewöhnlichen menschlichen Natur hinaus­ zugehen, in andere Bewußtseinszustände einzudringen, neue Kräfte des Verstehens zu erlangen und über die Bedingtheit unserer irdischen Existenz hinauszugehen." 11

Die Transportmittel der Lehre 15

Für diesen Zweck hat Gurdjieff Methoden eingeführt, die uns helfen sollen, aus dem alltäglichen „Schlaf" aufzuwa­ chen, der uns nur zu einer Herde von Schafen macht, de­ ren Fell ohne unsere Zustimmung auf dem Markt des ge­ sellschaftlichen und kosmischen Geschehens verschachert wird. Darüberhinaus sollen diese Methoden auch helfen, die notwendige innere und äußere Arbeit für unsere har­ monische Evolution bewußt ins Leben zu integrieren.

Die Transportmittel der Lehre Jeder Weg benötigt Transportmittel, die es ihm ermögli­ chen, daß seine Kraft wirksam werden kann. Gurdjieffs Überlieferungslinie beruht auf mehreren Transportmitteln: 1. seinen Büchern Beelzebubs Erzählungen für seinen En­ kel und Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen',

2. seinen Vorträgen und den Schriften von direkten Schü­ lern wie z.B. P. D. Ouspensky, John G. Bennett, Maurice Nicoll; 3. seinen vielfältigen Methoden und Techniken für die „har­ monische Entwicklung"; 4. seinen rituellen Tänzen; 5. seiner Musik; 6. dem Enneagramm und 7. der rituellen Mahlzeit mit den Toasts auf die „Idioten".* Insbesondere Beelzebubs Erzählungen, die Tänze und die Musik sind eng miteinander verwoben. Ursprünglich hatte Gurdjieff sogar vor, zu allen Kapiteln des Beelzebub ein Musikstück als Begleitung zur Vorlesung zu schreiben. Ei­ nige wenige Stücke sind eindeutig zuzuordnen. Das verbindende Element, das die gesamte praktische wie * Diese Themen werde ich im Laufe des Buches ausführlich darstellen.

16 Einleitung

theoretische Lehre trägt, ist das „Werk" Auch wenn das „Werk" aus der geistigen Welt kommt und uns damit ver­ bindet oder besser gesagt einschließt, entwickelt es sich nur durch bewußte Mitarbeit seiner aktiven Teilnehmer. Jede/r einzelne, jede Gruppe, die durch bewußte Arbeit Energien transformiert und konzentriert, ist ein Träger der Kraft des Werks. 12 In Gurdjieffs Lehre gibt es keine Dogmen, er nannte das Wis­ sen, das er vermittelte einfach „Ideen". Ideen sind geistige Bilder, die jeder Mensch auf seine Weise verstehen und damit arbeiten kann. Sie sind nicht statisch. Der Inhalt seiner Lehre beruht einzig auf folgenden Prämissen oder „verpflichtenden Strebungen für Menschen mit dem Funken des göttlichen Gewissens in sich" wie er es nannte: „Das erste Streben ... alles für ihren planetischen Körper wirklich Notwendige zufriedenstellend zu haben. 13 Das zweite Streben - immer ein unablässiges instinktives Bedürfnis nach Selbstvervollkommnung im Sinne des Seins zu haben. Das dritte, das bewußte Streben, die Gesetze der Welt­ erschaffung und Welterhaltung immer mehr und mehr ken­ nenzulernen. Das vierte Streben - so bald und so rasch als möglich die Schuld für ihr Entstehen und die Individualität ihrer Exi­ stenz abzuzahlen, um danach frei zu sein, soviel als mög­ lich den Kummer UNSERES GEMEINSAMEN VATERS erleich­ tern zu helfen. 14 Und das fünfte Streben, der schnelleren Vervollkommnung anderer Wesen, sowohl der uns ähnlichen als auch der Wesen anderer Formen beizustehen..." 15 An dieser Stelle möchte ich erwähnen, daß ich sein Voka­ bular wie „unser gemeinsamer Vater, der unendliche Schöp­ fer" oder ähnliche „patriarchalische" Formulierungen, die in seinem Werk Vorkommen, nicht teilen kann. Gurdjieff war bis zu seinem Lebensende griechisch-orthodoxen Glau­

Fragemente einer unbekannten Lehre 17

bens und er kam aus einer patriarchalischen Kultur des Orients. Für die neuen Ideen, die er in die Welt setzt, sind meiner Meinung nach diese Begriffe heute nicht mehr not­ wendig und könnten neutral formuliert werden. Ich ziehe es vor, von einer „schöpferischen Intelligenz" oder von ei­ ner „unendlichen schöpferischen Kraft" zu sprechen. 16 Ich denke, daß Gurdjieff trotz seines Hintergrundes ein Frei­ denker war und in allem, was er gesagt und getan hat, die Menschen von blinder Gefolgschaft an einen Menschen oder eine politische oder religiöse Institution befreien wollte. Jeder Mensch sollte seinen eigenen geistigen Weg finden. Deshalb bin ich überzeugt davon, daß ich mit seinen Ideen und seinen Methoden arbeiten kann, ohne jeden seiner Gedanken oder Formulierungen unkritisch übernehmen zu müssen.

Fragmente einer unbekannten Lehre Mit Gurdjieffs Lehren können wir die Dinge unter einem neuen Blickwinkel sehen. Sie regen uns an, alles, was wir wissen, immer wieder zu hinterfragen. Sie regen uns auch an, mit Forschergeist an seine Lehren heranzugehen, denn sie sind in keiner Weise vollständig. Sein Schüler P.D. Ouspensky gab seinem Buch über Gurdjieffs Lehre deshalb ursprünglich auch den Titel: Fragmente einer unbekann­ ten Lehre. In seiner unnachahmlichen Art sagte Gurdjieff einmal: „Wenn Sie wirkliche Aufmerksamkeit auf Beelze­ bub richten können, können Sie wirkliche Aufmerksamkeit im Leben haben. Dieses Geheimnis kannten Sie nicht. In Beelzebub steht alles, sogar wie man ein Omelett zuberei­ tet. Auch das wird unter anderem erklärt, doch gleichzei­ tig steht kein Wort über das Kochen in Beelzebub..!' Die Erforschung der unendlich reichen Ideenwelt Gurdjief­ fs ist eine andauernde Arbeit und hat gerade erst begon­ nen. Es gibt allmählich immer mehr Menschen, die die

18 Einleitung

Bedeutung dieser Lehre erkennen und bereit sind, eigen­ ständig und in Gruppen sich dieses Wissen zu erarbeiten. In diesem Buch werde ich wie ein unbefangener „Enkel" einfach daran gehen, aus meiner dreißigjährigen Erfah­ rung mit Theorie und Praxis der Gurdjieff-Lehre die Er­ kenntnisse und „Highlights" darzustellen, die für mich mit meinem jetzigen Wissensstand das Wesentliche an Gurdjieffs Vermächtnis sind. Dabei werde ich die Erkennt­ nisse hinzufügen, die andere durch die Arbeit mit Gurdjieffs Methoden und Ideen hinzugewonnen haben. Ich nehme einfach meine Verantwortung aus dem „fünften Streben" an, das Wissen und die Einsichten weiterzugeben, die mir persönlich eine neue Welt geöffnet haben. Für mich hat sich - auch durch Bekanntschaften mit anderen Lehren und Wegen - immer wieder gezeigt, daß ich mit Gurdjieffs Ideen und Methoden mein Leben zutiefst bereichert und verändert habe. Dennoch ist es meine Überzeugung, daß wir nicht irgendeinem vorgegebenen Weg folgen sollen, es geht letztlich immer darum, den eigenen Weg zu fin­ den. Aber in einem unbekannten Terrain benötigen wir einen Führer, bis wir uns besser auskennen und alleine gehen können. Jede wesentliche Idee, jede Methode und jede spirituelle Tradition kann eine vorübergehende Hilfe sein, den eigenen Weg zu finden, doch gehen müssen wir den eigenen Weg selbst! Gurdjieff macht deutlich, daß wir „nicht versuchen, etwas Neues zu entdecken, sondern nur das wiederherstellen, was wir verloren haben." 17 Seine Ideen helfen uns jedoch, die „Gesetze der Welterschaffung und Welterhaltung" auf eine neue Weise zu verstehen. Wenn wir anfangen, die kleinen Dinge des Alltags wirklich zu verstehen, eröffnen sich langsam die großen Gesetze vor unserem inneren Auge. Doch wir sollten seine Erkenntnisse nicht als end­ gültige Wahrheiten annehmen, sie sind eine Grundlage, um das eigene Denken in eine andere Perspektive zu brin­ gen. Die Arbeit am Verstehen kann uns niemand abneh­

Fragemente einer unbekannten Lehre 19

men. Wie Goethe schon sagte: „Der Mensch soll streben zu werden, was er ist." Ich sehe mich in diesem Sinne auch als „Enkel", den er mit seinem Werk Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel an spricht. Herrn Gurdjieff habe ich nie selbst kennengelernt. Als er starb, war ich gerade drei Jahre alt. Ich „kenne" Gurdjieff aber aus seinen eigenen Werken, aus seiner in­ tensiven, wunderschönen Musik und seinen großartigen rituellen Tänzen. Ich kenne ihn aus den Erzählungen sei­ ner Schüler, und insbesondere aus seinen Schulungs­ methoden, übermittelt durch Lehrer, die direkt mit Gurdjieff gearbeitet haben. Dazu gehören in erster Linie meine ei­ genen Lehrer John und Elizabeth Bennett, Pierre und Vivien Elliot. Dankbar bin ich auch anderen „Enkeln" wie Anthony Blake und Wim van Dullemen, die ebenfalls bei direkten Schülern von Gurdjieff gelernt haben. Aus all dem ist mir Gurdjieff so nahe, als ob ich selbst bei ihm gewesen wäre - und manchmal bin ich froh, daß ich es nicht war, denn mit Gurdjieff war kein leichter Umgang, so klingt es durch viele Schilderungen... Aber wer weiß das schon? Gerade bei Gurdjieff kann nichts verallgemeinert werden, zu jeder Person verhielt er sich anders, auf deren jeweilige Bedürf­ nisse zugeschnitten. Ich denke sogar, daß er unterschied­ lichen Leuten unterschiedliche Botschaften vermittelt hat, so daß nach seinem Tode niemand behaupten könne, sie oder er sei der einzige wahre Nachfolger. Und Gurdjieff soll, egal wie sein äußeres Verhalten war, jede seiner Hand­ lungen mit vollem Mitgefühl den Menschen gegenüber ge­ tan haben. Jeder seiner Schüler und jede seiner Schülerin­ nen berichten etwas anderes über ihn, so als ob er genau das gespiegelt hat, was für diese Person wichtig war. Er war die Verkörperung dessen, was ich „Meister des Au­ genblicks" nenne. Viele Geschichten, die man über ihn hört, könnten auch von einem Sufi- oder Zenmeister stammen. Die Menschen, die beim Umgang mit Geld Probleme hat­ ten (und das sind meistens diejenigen, die genug haben)

20 Einleitung

berichten ausführlich darüber, wie er sie ständig um Geld anpumpte. Andere berichten von seinen sexuellen Eskapa­ den (besonders die Amerikaner, die dazu ein sehr gespalte­ nes Verhältnis haben, wie wir wissen). Wieder andere be­ richten über seine rauhen Umgangsformen. Bei seinen ritu­ ellen Mahlzeiten machte er sich deshalb auch mit Witzen im­ mer über die Besonderheiten einiger Nationalitäten lustig. Einer seiner berühmten Witze war: „Zwei Engländer ... hat­ ten einen hohen Berg bestiegen. Sie saßen schweigend für eine Stunde auf dem Gipfel und dann sagte einer: 'Ich den­ ke, es wird heute noch regnen.' Eine weitere Stunde wurde wieder geschwiegen und dann sagte der zweite Engländer: 'Ich denke, es wird nicht regnen.' Daraufhin sagte der erste nach langem Schweigen: 'Ich mag diese Art Konversation nicht'." 18

Peter D. Ouspensky Ohne Peter Demianovich Ous­ pensky (1878-1947) wäre Gur­ djieffs Lehre nicht über kleine Gruppen von „Eingeweihten" hinaus bekannt geworden. Ouspensky war Journalist und hatte sich intensiv mit Mathe­ matik und Physik beschäftigt, beides Wissenschaften, die Anfang des 20. Jahrhunderts große Umbrüche erfuhren. 1912 hatte er sein Buch Tertium Organum veröffentlicht, das großes Interesse gewann. Als er 1914 in seinem Büro in Moskau Material für die nächste Ausgabe einer Zeitung redigierte, stieß er auf eine Anzeige: „Sie bezog sich auf das Szenario eines Balletts mit dem Namen Der Kampf der Magier, das von einem gewissen 'Inder' stamme. Die Hand­

Peter D. Ouspensky 21

lung des Balletts sollte ganz in Indien spielen und ein voll­ ständiges Bild orientalischer Magie geben, unter Einschluß von Fakirwundern, heiligen Tänzen und so fort." Ouspen­ sky schnitt die Anzeige aus, und als er ein halbes Jahr später in Moskau war, hörte er von Bekannten, daß es eine Gruppe gäbe, die durch einen gewissen G., einen kaukasi­ schen Griechen, geleitet würde, den gleichen „Inder", der das Ballettszenario verfaßt hatte. Irgendetwas an dieser Information ließ Ouspensky aufhorchen. Die Zeitungsnotiz schien mehr zu bedeuten, als sie zu sein schien. Schließ­ lich konnte er ein Treffen mit G. vereinbaren. Nach einigen intensiven Gesprächen gewann Ouspensky die Überzeu­ gung, daß Gurdjieff mehr war und wußte, als er vorgab. Auf die Frage, ob es nützlich sei, esoterische Literatur zu studieren, antwortete Gurdjieff: „Sehr viel kann durch Le­ sen gefunden werden. Nehmen Sie zum Beispiel sich selbst: Sie würden schon eine ganze Menge wissen, wenn Sie eine Ahnung hätten, wie man lesen muß. Ich meine, wenn Sie all das, was Sie in Ihrem Leben gelesen haben, wirklich ver­ standen hätten, wüßten Sie bereits das, nach dem Sie su­ chen." 20 Ouspensky schloß sich Gurdjieffs Gruppen an und unternahm auch die Aufgabe, weitere Interessenten zu fin­ den. Obwohl sich Ouspensky bereits um 1921 von Gurdjieff trennte, ist sein Einfluß auf das Interesse an seiner Lehre von großer Bedeutung. Ouspensky ließ sich in den zwanziger Jahren in England nieder, hielt erfolgreich Vor­ träge über den vierten Weg und leitete allein und auch zusammen mit seiner Frau Sophie Grigorevna Gruppen auf Grundlage von Gurdjieffs Lehren an. Madame Ouspensky, wie sie von ihren Schülern genannt wurde, arbeitete wei­ terhin auch mit Gurdjieff in Frankreich zusammen, so daß Gurdjieffs Hand „unsichtbar" über ihrer Arbeit lag. Ous­ pensky zog sehr viele Intellektuelle an, wie zum Beispiel Aldous Huxley und Arthur Koestler. Durch Ouspenskys Ar­ beit stieg Gurdjieffs Bekanntheitsgrad vor allem in den an­

22 Einleitung

gelsächsischen Ländern. Doch von grundlegender Bedeu­ tung wurde Ouspenskys Buch über Gurdjieffs Lehre mit dem Titel Auf der Suche nach dem Wunderbaren, das kurz nach Gurdjieffs Tod veröffentlicht wurde. Dieses Werk ist ein außerordentliches Dokument, weil Ouspensky es ge­ schafft hat, alle wesentlichen Ideen Gurdjieffs klar und ver­ ständlich in einer starken Sprache darzustellen. 21 Ouspensky gibt die Lehren genau so wieder, wie Gurdjieff sie zwischen 1915 und 1920 vorgetragen hat. Wenn wir dieses Buch mit voller Aufmerksamkeit lesen, eröffnen sich immer neue Welten des Verstehens. Dazu möchte ich noch bemerken, daß sich die Bedeutung dieses Werkes erst er­ schließt, wenn man praktische Erfahrungen mit der Lehre macht. Das Verstehen, das sich dabei im Laufe der Zeit entwickelt, erschließt sich erst durch die Arbeit. Ohne Pra­ xis bleibt die Theorie „grau", wie J.W. von Goethe sagen würde. Ouspensky behielt auch die Form und Reihenfolge bei, in der Gurdjieff seine Ideen vermittelte. Diese Tatsache ist besonders wichtig für unsere eigene Arbeit mit diesen Ide­ en. Für alle, die diese Ideen ernsthaft studieren möchten, kann ich den Hinweis geben, daß in Gurdjieffs Beelzebubs Erzählungen diese Methode in einer neuen Form auf einer anderen Ebene wiederholt wird. Da sich Ouspensky 1921 von Gurdjieff getrennt hat, konn­ te in seinem Buch nicht die Entwicklung von Gurdjieffs Ideen und seiner Arbeit bis 1949 berücksichtigt werden. In die­ ser Zeit hat G. viele Konzepte und Darstellungen geän­ dert. Das sind immerhin 30 fehlende Jahre, ganz abgese­ hen von den kreativen Nachfolgern, die nach Gurdjieff mit seinen Ideen und Methoden weitergearbeitet haben. Nach­ dem Ouspensky sich von Gurdjieff trennte, hat er seine eigene Schule in London gegründet, die zwar auf Gurdjief­ fs Lehre basierte, aber doch eine andere Richtung einschlug als Gurdjieffs eigene Vermittlung. Außerdem hat Ouspen­ sky in seinen Gruppen weder Gurdjieffs Tänze und Musik

Peter D. Ouspensky 23

genutzt, 22 noch viele der Übungen, die Gurdjieff später eingeführt und vermittelt hat. So ermangelt Ouspenskys Weitergabe vieler Methoden, die zum praktischen Kern der Lehre Gurdjieffs gehören. Hinzu kommt, daß Gurdjieff ein „Meister des Augenblicks" war und ständig mit neuen For­ men und Ideen operiert hat. Ouspensky hat Gurdjieffs Lehre einen großen Dienst ge­ tan, indem er sie in einer präzisen und verständlichen Weise veröffentlichte. Er war ein zu seiner Zeit bereits weltbe­ rühmter Journalist und Schriftsteller und hat einige be­ merkenswerte Bücher veröffentlicht. Als eigenständig den­ kender Mensch war er sein Leben lang auf der Suche nach der „wahren" esoterischen Lehre. Schon bevor er Gurdjieff kennenlernte, hatte er Indien und andere Länder des Ostens bereist. Als Gurdjieffs Arbeit einen Weg einschlug, der nach Ouspenskys Meinung von dem ursprünglichen Ansatz, wie ihn Gurdjieff in Rußland gelehrt hatte, abwich, trennte er sich von Gurdjieff. Es gab viele Spekulationen und sogar kürzlich eine neue Veröffentlichung 23 zu diesem Thema. Viele, die sich mit Gurdjieff beschäftigen, wundern sich immer, warum es diese Trennung gab. Doch diese Tren­ nung ist auf einen einfachen Nenner zu bringen: Jeder Mensch muß seinen eigenen Weg finden. Ein großer Mei­ ster kann für den eigenen Weg sehr hinderlich sein. Inso­ fern sehe ich in Ouspensky Schritt eine Emanzipation von der beinahe erdrückenden Kraft seines Lehrers. Es gab noch andere, sehr persönliche Gründe für die Ablösung von Gurdjieff, aber Ouspensky hat immer unter dieser Tren­ nung gelitten. Aus gekränkter Seele hat Ouspensky seine Schüler davon abgehalten, mit Gurdjieff zu arbeiten. Sei­ ne Frau Sophie, die immer zu Gurdjieff gehalten hatte, forderte schließlich nach Ouspenskys Tod im Jahre 1947 alle seine Schüler auf, zu Gurdjieff zurückzugehen. Auch für mich war Ouspenskys Werk der Einstieg in Gurd­ jieffs „wunderbare Welt". Denn es blieb nicht beim Lesen, ich kam bald darauf in Kontakt mit der lebendigen Lehre,

24 Einleitung

mit der Praxis. 1971 lernte ich einen der bedeutendsten Schüler von Ouspensky und Gurdjieff, John G. Bennett, kennen, 24 der gerade die „Akademie für fortwährendes Ler­ nen" in Sherborne, Gloucestershire, England, eröffnete, wo ich 1972/73 an einem Intensivkurs teilnahm, der mein Le­ ben grundlegend veränderte.

John G. Bennett Mein Lehrer, John G. Bennett, lernte Gurdjieff bereits 1921 in Istanbul kennen, besuchte ihn in der Prieuré, konnte aus berufli­ chen Gründen aber nicht lange dort bleiben. In den dreißiger und vierziger Jahren arbeitete er mit Ouspensky zusammen. Nach des­ sen Tod 1947 nahm Bennett so­ fort Kontakt mit Gurdjieff auf, ganz erstaunt darüber, daß dieser noch lebte - durch den Krieg war ja jeglicher Kontakt mit dem von den Nazis be­ setzten Frankreich abgebrochen. John G. Bennett hatte immer einen eigenständigen For­ schergeist. Auch nach Gurdjieffs Tod hat er an den Ideen Gurdjieffs gearbeitet und dessen Methoden verfeinert. Er suchte den Kontakt mit einigen der Quellen Gurdjieffs. Er lernte Sufis und Derwische kennen und traf Hasan Shushud, der in der Tradition der „Meister der Weisheit" stand. So konnte Bennett einige wirksame Techniken und Methoden in seine Praxis integrieren, die Gurdjieff nicht gelehrt hat. Außerdem hat er viele neue Erkenntnisse, die er durch seine Lebensarbeit gewonnen hat, in das Gerüst von Gurdjieffs Philosophie eingefügt, die einiges von Gurdjieffs kryptischen Ideen verständlicher machen. John G. Bennett schreibt in seiner Autobiographie: „Ich war zu der Auffassung gelangt,

John G. Bennett 25

daß Gurdjieff mehr als ein Lehrer und weniger als ein Pro­ phet war. Er war ein Mensch mit einer echten Botschaft, und er widmete ihr sein ganzes Leben. Er brauchte Men­ schen, die seine Botschaft verstanden, und gab sich doch alle Mühe, sie dunkel und schwer verständlich zu machen. Nur so konnte er die finden, die fähig waren, den nötigen Scharfblick und die nötige Entschlossenheit zu gewinnen, um sein Werk fortzuführen." 25 Ich habe sehr viel von Bennett gelernt. In meinen Augen war er außerordentlich begnadet für ein tieferes Verständnis von Gurdjieffs Ideen, die er in vielen Aspekten kreativ weiterge­ führt hat. Wie kaum ein anderer verstand er, Gurdjieffs Leh­ re verständlich darzulegen und in die Praxis umzusetzen. 26 Dafür bin ich ihm bis heute dankbar. Er hat mich auch dazu motiviert, diese Arbeit in Deutschland fortzuführen. Wenn ich heute mit Gurdjieffs und Bennetts Methoden und Ideen in Gruppen arbeite, leitet mich vor allem der Gedanke, „das Feuer weiterzugeben und nicht die Asche anzubeten." Meine Lebensstationen sind vielleicht typisch für einen Teil der Nachkriegsgeneration, aus der ich komme. Wir kön­ nen heute viel unbefangener mit Gurdjieffs Ideen umge­ hen als die Generation, die mit ihm direkt arbeitete und seine Lehre an uns weitergab. Und wenn Sie sogar zur Generation der Urenkel gehören und durch dieses Buch das erste Mal mit Gurdjieff in Berührung kommen, erfah­ ren Sie, warum es sich lohnt, sich auf einen spirituellen Weg zu machen. Und allen jungen Menschen, die heute nach einem Sinn im Leben suchen, sei gesagt: das Leben hat einen Sinn - aber wir müssen diesen Sinn in uns und durch uns lebendig werden lassen. Vielleicht hätte ich mich gar nicht daran gemacht, dieses Buch zu schreiben, wenn es ausreichend Literatur über Gurdjieffs Lehre in Deutschland gäbe. Denn es hat sich inzwischen die Situation ergeben - wie schon 1968, als ich damit bekannt wurde - daß es auf dem deutschen Markt nur noch das Buch Auf der Suche nach dem Wunderbaren

26 Einleitung

von P. D. Ouspensky gibt, in dem die Lehre von Gurdjieff dargelegt wird. Niemand kann behaupten, Gurdjieffs Ideen in aller Tiefe zu verstehen. Doch je länger wir mit seinen vielfältigen Techniken und insbesondere den „heiligen Tänze" arbei­ ten, desto mehr reift unser Verstehen und unsere eigenen Qualitäten können sich herausbilden. Mir wird immer deut­ licher, welchen Schatz uns Gurdjieff hinterlassen hat. Ich spüre eine tiefe Dankbarkeit und großen Respekt vor die­ sem Lebenswerk - und bin froh darüber, daß ich die Gele­ genheit habe, damit arbeiten zu können. Nachdem ich nach langjähriger Arbeit mit Gurdjieffs Me­ thoden und Lehren „das Feuer" gefunden habe, gehe ich heute wieder frisch mit dem „Zen-Anfänger-Geist" an Gurd­ jieffs Ideenwelt heran. Doch dabei werde ich mich an Bennetts Maxime halten: „Solange uns bewußt ist, wie wenig wir verstehen, können wir vor der Dummheit be­ wahrt werden, zu denken, wir seien besser als jene, die wir etwas lehren."

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1. Auf einem Raumschiff mit Beelzebub „Ältester meiner Enkel, höre und erinnere Dich immer an mein strenges Vermächtnis: tu nie im Leben, was die an­ deren tun... Entweder tue nichts - geh nur in die Schule, oder tue etwas, was sonst niemand tut. " 27 Diesen Ratschlag, den ihm seine Großmutter am Totenbett auf den Weg gab, hat Gurdjieff sein ganzes Leben lang be­ herzigt. Auch als er sein Werk Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel mit dem Untertitel „Eine objektiv unparteiische Kritik des Lebens der Menschen" schrieb, beherzigte er die­ sen Rat. Denn „Beelzebubs Erzählungen" hat einen ganz ei­ genen Stil und eine eigenartige Erzählweise. Zum Teil ellen­ lange Sätze und eine eigene Terminologie 28 machen das Buch nicht leicht zugänglich. Es ist nicht nur eine intellektuelle Her­ ausforderung an die Leserin oder den Leser, sondern fordert auch unsere Aufmerksamkeit bis zum äußersten, insbeson­ dere wenn das Buch vorgelesen wird. Deshalb rät Gurdjieff: „Lies jede meiner Schriften dreimal: Erstens - wenigstens so mechanisch, wie du gewöhnt bist, deine modernen Bücher und Zeitungen zu lesen; zweitens - so als ob du einer ande­ ren Person vorläsest; und erst Drittens - versuche in das Wesen meiner Schriften einzudringen." 29 Das Vorlesen ge­ hörte zum abendlichen Ritual vor der gemeinsamen Mahlzeit mit den Toasts auf die Idioten. 30 Bennett führte in seiner Schule ein, Beelzebubs Erzählungen täglich eine Dreiviertelstunde vor dem Abendessen vorzulesen. Ich kann mich erinnern, mehr als einmal nach harter körperlicher Arbeit des Tages eingeschlafen zu sein. Manchmal wurde ich durch das Schnar­ chen einiger Zuhörer aufgeweckt. Doch Bennett betonte im­ mer, daß das Einschlafen bei der Vorlesung nicht schade. Man nimmt unterbewußt eine Menge auf. Gurdjieff selbst sagte zu seinem Buch: „Alles ist darin enthalten. Alles Existieren­

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de, alles, das existiert hat, alles, das existieren wird. Der Anfang, das Ende, alle Geheimnisse der Erschaffung der Welt..." 31 Im Laufe des Schulungskurses konnte ich meine Aufmerk­ samkeit immer länger wachhalten und habe auf diese Weise immer etwas mehr verstanden. Aber jedesmal, wenn ich Beelzebub in die Hand nehme, ist dieses Buch eine neue Herausforderung. Da ich weder armenisch noch russisch kann, bin ich froh und dankbar, daß John G. Bennett eini­ ge der Begriffe, die Gurdjieff benutzte, übersetzt und er­ klärt hat. Die Wortneuschöpfungen Gurdjieffs können je­ doch viele Bedeutungen haben, so daß jeder Versuch, die Begriffe zu übersetzen, nicht ausreicht. 32 Die Bedeutung der wichtigsten Termini können sich durch Gurdjieffs Aus­ führungen mit der Zeit von selbst eröffnen. Und das war sicherlich seine Absicht, denn die Leser sollten durch ihre Bemühungen lernen, seine Ideen nicht allein mit dem In­ tellekt zu verstehen, sondern auch „auf eine andere Weise . Die meisten mir bekannten Bücher, die Aspekte von Gurd­ jieffs Lehre darstellen, stützen sich auf Ouspenskys Buch Auf der Suche nach dem Wunderbaren, auf veröffentlichte Vorträge von Gurdjieff oder die ausführlichen Erklärungen von Maurice Nicoll und anderen Schülern. Ich habe mir deshalb zum Ziel gesetzt, Gurdjieffs Ideen auf der Basis seines „Beelzebub" zu vermitteln, da er dieses Werk als die wesentliche Überlieferung seiner Gedanken betrachte­ te. Beelzebubs Erzählungen ist in Gurdjieffs Worten ein Legomonismus. Das Wort hat eine reichhaltige Bedeutung. Es kann „die Stufen einer Reise" bedeuten, die Wurzel Leg finden wir auch im englischen Legacy mit der Bedeutung von „letztem Willen" oder Vermächtnis oder „was uns aus der Vergangenheit hinterlassen wurde". Wir finden es auch in Legende, eine Geschichte, die von Generation zu Gene­ ration weitergegeben wird, ein Mythos. Der Wortteil monas bedeutet Einheit, ein Ganzes. 33

Beelzebub 29

„Wir müssen immer im Hinterkopf behalten, was Gurdjieff über Beelzebubs Erzählungen sagt: Es gibt drei Versionen des Buches - eine äußere, eine innere und eine tiefere; außerdem hat jede vollständige Darlegung des Buches sie­ ben Aspekte", teilt uns A. R. Orage mit, der an der Über­ setzung ins Englische mitarbeitete. 34 John G. Bennett erwähnte einmal, daß Gurdjieff sich gro­ ße Mühe gegeben hat, „den Hund tiefer zu vergraben", als er merkte, daß einige Ideen leichter zugänglich waren als von ihm vorgesehen. Dazu ist überliefert, daß jemand dar­ aufhin gesagt haben soll: „Nein, es muß heißen, die Kno­ chen tiefer zu vergraben." Gurdjieff wandte sich an ihn und sagte: „Nein, nicht die Knochen, Sie müssen den Hund finden." Bennett betont: „All und Alles ist kein gewöhnli­ ches Buch, und das Lesen dieses Werkes ist kein gewöhn­ licher Prozeß. Es ist als innerer Kampf beabsichtigt, um den Wunsch zu verstehen, herauszufordern. Es geht nicht darum, Informationen passiv zu vermitteln, sondern die Initiative im Leser zu wecken, nach dem Wissen zu su­ chen. Das unterscheidet dieses Buch von anderen Wer­ ken, die sich diesen Ideen widmen." 35 In diesem ersten Kapitel werde ich eine kurze Einführung in Gurdjieffs Absichten mit Beelzebubs Erzählungen ge­ ben, in den nächsten Kapiteln seine Kernideen darstellen.

Beelzebub Mit der Verwendung des Namens „Beelzebub" macht sich Gurdjieff von Anfang an daran, an der in den jüdisch-christ­ lichen Religionen verbreiteten Teufelsvorstellung zu krat­ zen. Ursprünglich war Baal, der bei uns später als Beelze­ bub bezeichnet wurde, eine demiurgische Gottheit, die im Judentum wie alle alten Götter als Dämon verteufelt wur­ de. Tatsächlich ist die Figur eines Geweih tragenden Men­ schen viel älter und in allen schamanischen Kulturen zu

30 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub

finden, in denen auch der Hirsch lebt (Europa, Nord- und Südame­ rika, Asien). Die berühmteste Darstellung eines „gehörnten" Schamanen im europäischen Kul­ turkreis ist auf dem Kessel von Gundestrup zu sehen, der bis auf das 2. Jhdt. v. u. Ztr. datiert wird (s. Abb.). In Mesoamerika gilt der Hirsch als Vertreter der Sonne auf der Erde. In Heilritualen mit psy­ choaktiven Pflanzen verbindet die Kraft des Hirsches den Schama­ nen mit dem Kosmos. Gurdjieffs Geschichte ist nicht weit davon entfernt: Beel­ zebub war „ob seiner außerordentlichen Auffassungsgabe in den Dienst auf der Sonne Absolut genommen worden..." Als er das Gefühl hatte, daß in der Weltregierung etwas unlogisch zu sein schien, „mischte er sich in etwas ein, was ihn nichts anging..." Und es fehlte nicht viel, daß er und seine Verbündeten eine Revolution im „Megalokosmos", dem großen Universum, angezettelt hätten. Der eigensin­ nige Emporkömmling wird daraufhin ins Sonnensystem verbannt. Aber er bekommt den Auftrag, das Leid der Men­ schen zu lindern und wird auf dem Raumschiff Karnak zur Erde geschickt. Karnak steht für die toten Seelen, die im Körper eingeschlafen sind... 36 Während der Fahrt erzählt er seinem Enkel Hassin alles, was dieser über Gott, Mensch und Universum wissen muß. Sein treuester Diener Ahun, der mit ihnen reist, ist Beelzebub zu nahe, um seine Bot­ schaft zu verstehen. Ahun steht für die erste Schülergeneration Gurdjieffs. Durch den direkten Kontakt mit dem „Meister" lernen die Schüler Gurdjieffs Lehre auf eine Weise kennen, die sie fähig macht, diese an die nächste Generation weiterzugeben. Doch

Beelzebub 31

Gurdjieff weiß, daß der zu enge Kontakt mit ihm auch den Blick verstellen kann. Deshalb setzt er darauf, daß erst sei­ ne Enkel seine Ideen von der allzu engen Auslegung seiner direkten Schüler befreien können und unbefangen zum Kern der Sache kommen werden. In Beelzebubs Erzählungen werden viele bekannte Welt­ anschauungen durchleuchtet und kritisiert. Idealismus wird als Zuflucht für Unwissende behandelt und der Materialis­ mus wird mit der Aussage „alles im Universum ist materi­ ell" als scheinbar einzige Grundlage seiner Philosophie dar­ gestellt. Gleichzeitig wird der Dualismus von „Gut und Böse" relativiert und aufgehoben. Für die meisten spirituellen Sucher ist diese Haltung natürlich ein Affront, da sie sich ja gerade vom erstarkenden Materialismus des zwanzig­ sten Jahrhunderts lösen möchten. Wie wir später sehen werden, ist Gurdjieffs „Materialismus" vielmehr eine Falle für seine Zeitgenossen, die mit jeder intellektuellen Mode gehen. Doch Gurdjieff ist auch kein „Idealist", ihn interes­ siert vor allem, wie die Welt funktioniert. Im Laufe seiner Erzählung entfaltet sich eine außergewöhn­ liche Schau der Schöpfung, die vermutlich auf sumerischzoroastrische Ursprünge zurückgeht und in mancher Hin­ sicht auch schamanistische Wurzeln hat. Einer der wich­ tigsten Mythen, die erzählt werden, ist die Geschichte vom Organ Kundabuffer. Dieses wurde den Menschen einge­ pflanzt, damit sie nicht erkennen konnten, daß sie zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts im Son­ nensystem benutzt wurden, „um den Mond in seinem Lauf um die Erde zu stabilisieren". Als das Gleichgewicht wieder hergestellt war, entnahmen die verantwortlichen „Erzen­ gel" das Organ Kundabuffer wieder. Doch die „Konsequen­ zen" blieben weiter im Menschen verankert, so daß der Mensch weiterhin die Wirklichkeit „verkehrt herum" sah. 37 Die „künstliche Welt", die sich die Menschen geschaffen hatten, die Religionen und Kulturen, die heute bestehen, waren so fest etabliert, daß die „verkehrte" Wahrnehmung

32 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub

immer weiter zu den bekannten Auswüchsen der Mensch­ heit wie Kriege, Folter, Mord, Umweltzerstörung usw. führte. Beelzebubs Erzählungen ist eine mythische Geschichte für unsere Zeit, die wiederum viele weitere wunderschöne Mythen in orientalischer Erzähltradition enthält, doch in einer Form, die man eher dem Science-Fiction-Roman zu­ ordnen könnte. Sein Raumschiff Karnak wurde zweifellos von den ersten Entwicklungen des russischen Weltraum­ forschers Ziolkowski (1857-1935) beeinflußt, der als Vater der Weltraumfahrt bekannt wurde. Auf seinen Ideen und Forschungen basiert die jahrelange Vorherrschaft der rus­ sischen Raumfahrt bis hin zur Weltraumstation Mir. Von einem Raumschiff aus können wir auf die Erde herab­ sehen. Die meisten Astronauten, die bisher im Weltall wa­ ren, berichteten von bewegenden inneren Erlebnissen, die dazu führten, daß sie sich intensiv mit geistigen Fragen beschäftigten. Es gibt auch eine Meditationsübung von Gurdjieff, bei der man sich auf einem anderen Planeten sieht, von dem man dann auf die Erde blickt. Unsere Wahr­ nehmung verändert sich, wenn wir uns mit unserer Auf­ merksamkeit von der Enge dieser Erde wegbewegen. „Beel­ zebub untersucht und beobachtet unparteiisch den Körper des Kosmos (genauso, wie wir unseren Organismus beob­ achten sollten). Er impliziert, daß das Universum einen Zweck hat und daß er ihn versteht", sagt sein Mitarbeiter A.R. Orage. 38

Die Pforten der Wahrnehmung Nun sind diese Gedanken nicht mehr neu für uns, die Raum­ fahrt ist inzwischen längst eine Tatsache. Manche haben sich darüberhinaus den Ufo-Glauben aufgebaut, der mei­ ner Ansicht nach ein neuer technologischer Mythos ist. Aber vielleicht reisen die Engel jetzt in Ufos? Wenn man sich die Entfernungen im Weltraum vergegenwärtigt, die nicht in

Die Pforten der Wahrnehmung 33

Kilometern sondern Lichtjahren gemessen werden, ist der Ufo-Glaube tatsächlich nicht mehr als ein Mythos, der dazu führen kann, „im Irrenhaus zu landen" - ein Lieblingsaus­ druck Gurdjieffs für alle sogenannten Esoteriker mit ihren spirituellen Phantastereien. Technisch wird es aufgrund der riesigen Entfernungen auch in Zukunft wahrscheinlich nur möglich sein, unbemannte Satelliten ins All zu schicken oder Menschen auf Weltraumstationen in der Erdumlauf­ bahn zu stationieren. Aber Gurdjieff hat etwas anderes im Sinn: die Reise in die Welt des Bewußtseins. Diese Idee wird sehr schön im Film Contact mit Jody Foster veranschaulicht. Die Raumkapsel, die sie ins Weltall bringen soll, bleibt auf der Erde, sie selbst aber macht mit ihrem Bewußtsein eine stundenlange Rei­ se in die unendlichen Weiten ihres Bewußtseins. Der Dreh dabei ist, daß die Tonbandaufzeichnungen hinterher be­ weisen, daß sie tatsächlich viele Stunden in der Raumkap­ sel war. Selbstverständlich glaubt ihr niemand, da die Zu­ schauer einschließlich der Wissenschaftler die Kapsel abstürzen sahen. Darauf weist Gurdjieff seinen Enkel Hassin immer wieder hin: Er soll den Menschen auf keinen Fall sagen, daß er eine andere Wahrnehmung hat und die Welt so sieht, wie sie ist. Aldous Huxley, der längere Zeit im Kreise des Gurdjieff-Schülers Ouspensky in London war, schrieb später unter dem Eindruck von Meskalin sein welt­ berühmtes Buch Die Pforten der Wahrnehmung in Anleh­ nung an den englischen Visionär William Blake, der sagte: „Wenn die Pforten der Wahrnehmung gereinigt wären, er­ schiene jedes Ding dem Menschen, wie es ist - unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, bis er alle Dinge durch die enge Ritze seiner Höhle sieht." Gurdjieffs Lehre und Praxis zielt nicht nur darauf hin, die Pforten der Wahrnehmung zu reinigen, sondern den gan­ zen Menschen so auszubilden, damit er die Qualität seines Seins, sein „Seelenleben" und sein Erkenntnisfähigkeit auf eine Ebene bringt, die sich von der Flachlandwelt unserer

34 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub

normalen Lebensbedingungen unterscheidet. Wir sind als „dreihirnige Wesen" geboren, 39 benutzen jedoch immer nur jeweils eines der Gehirne, selten alle zusammen und syn­ chron. Als Flachländer oder Linienwesen können wir keine Kugeln wahrnehmen. Edwin Abbot versucht diese Vorstel­ lung in seinem Werk Flächenland zu vermitteln: „Eine un­ aussprechliche Angst überfiel mich. Es wurde dunkel; dann kam ein schwindelerregendes Gefühl des Sehens, das nicht wie normale Sicht war und bei dem mir übel wurde - ich sah eine Linie, die keine Linie war, Raum, der kein Raum war.. 'Dies ist der Wahnsinn, oder es ist die Hölle.' 'Weder das eine noch das andere' erwiderte die Stimme der Ku­ gel, 'es ist das Wissen. Es ist die Dreidimensionalität'." 40 Eines von Gurdjieffs Anliegen ist es, uns immer wieder dar­ auf hinzuweisen, daß die „wirkliche Welt" mehr Dimensio­ nen hat. Er illustriert dies anhand der Relativität der „Kos­ men". „Die Idee der Möglichkeit, das menschliche Bewußt­ sein zu erweitern und seine Fähigkeiten zum Wissen zu vermehren, steht in direkter Beziehung zur Kosmenlehre. In seinem gewöhnlichen Zustand ist der Mensch seiner selbst nur in einem Kosmos bewußt, und all die anderen Kosmen 41 betrachtet er vom Gesichtspunkt des einen Kos­ mos aus. Durch die Erweiterung seines Bewußtseins und die Intensivierung seiner psychischen Funktionen gelangt er gleichzeitig in die Sphäre der Tätig­ keit und des Lebens zweier andererKosmen, des größeren Kosmos über ihm und des kleineren unter ihm. Die Erweiterung des Bewußtseins vollzieht sich nicht nur in einer Richtung, nämlich in der Rich­ tung zu den höheren Kosmen. Wenn es sich nach oben erweitert, tut es dies zu gleicher Zeit auch nach unten." 42

Die Verknüpfung von drei Kosmen

Die Pforten der Wahrnehmung 35

Wir können lernen, alle unsere Anlagen und Fähigkeiten auszubilden. Gurdjieff hat dazu einige Techniken und Me­ thoden entwickelt, auf ich später ausführlicher eingehe. Sein Streben war zu vermitteln, daß für eine ganzheitliche Wahrnehmung alle drei „Gehirne" (Stammhirn, limbisches System und Cortex) synchron Zusammenwirken müssen, was bei den meisten Menschen nicht der Fall ist. Eine Wahr­ nehmung nur mit dem Denken oder nur mit den Emotio­ nen ist einseitig. Diese praktische Einsicht unterscheidet sich von klassischer Psychotherapie und auch „esoterischen" Spekulationen. Gurdjieff ist in erster Linie praktisch orien­ tiert. Einblicke in „höhere" Dimensionen können wir erst gewinnen und auch verarbeiten, wenn wir die „Drei­ dimensionalität" unserer Erdenwelt verwirklicht haben. Das Buch Descartes' Irrtum des Gehirnforschers Antonio Damasio bestätigt mit neuesten wissenschaftlichen Erkennt­ nissen Gurdjieffs These über das notwendige Zusammen­ wirken der Gehirne: „In den mehrfach rückläufigen Schalt­ kreisen gibt es eine Reihe positiver und negativer Rück­ kopplungsschleifen, von denen einige rein chemischer Na­ tur sind. Am bedeutsamsten für diese Anordnung ist viel­ leicht der Umstand, daß die beteiligten Gehirnstrukturen auch an der Verhaltenssteuerung mitwirken und unent­ behrlich für den Erwerb und die nor­ male Funktion kognitiver Prozesse sind. Hypothalamus, Gehirnstamm und limbisches System greifen in alle Vorgänge der Körperregulation und in alle neuronalen Prozesse ein, auf denen geistige Phänomen fußen: Wahrnehmung, Lernen, Erinnerung, Gefühl und Empfinden, Vernunft und Kreativität." 43

36 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub

Die Bedeutung und Relativität der Sprache „Alles geschieht", sagt Gurdjieff. „Im Rahmen seines Wahr­ nehmungsvermögens kann ein Mensch mehr oder weniger irren... Alle denken, sie könnten tun, alle wollen tun, und ihre erste Frage ist immer, was sie denn tun sollen. In Wirklichkeit aber tut keiner etwas und kann keiner etwas tun... Alles geschieht... Der Mensch ist eine Maschine. All seine Taten, Handlungen, Worte, Gedanken, Gefühle, Über­ zeugungen, Meinungen und Gewohnheiten sind das Ergeb­ nis äußerer Einflüsse, äußerer Eindrücke...." 45 „Kann denn niemand etwas tun?" fragte einer. „Das ist eine andere Frage. Um zu tun, muß man zuerst sein. Und dazu muß man einsehen, was sein bedeutet." 46 „Sein" ist eine seelische Qualität, die sich nicht von alleine entwickelt, sondern das Ergebnis der „Arbeit an sich selbst" ist. Durch diese innere Arbeit entsteht die „Vernunft des Verstehens". Die gewöhnliche „Vernunft des Wissens" bil­ det sich nach Gurdjieff durch die „früher aufgenommenen einander widersprechenden Eindrücke in jeder der drei Lo­ kalisierungen der dreihirnigen Wesen als bejahende und verneinende Faktoren, und die neuen Eindrücke, die von außen kommen, dienen in diesem Fall als der dritte Fak­ tor." Gurdjieff schrieb sein Beelzebubs Erzählungen deshalb nicht in einer allgemeinen, beschreibenden Sprache, weil die Sprache bei Männern hauptsächlich nur in der linken Gehirn­ hälfte verarbeitet wird und somit sich nur im „Raum der Sprache" befindet. Deshalb kritisierte er das intellektuelle Philosophieren, das in westlichen Ländern so verbreitet ist, als „klügeln". Inzwischen weiß man aus der Gehirn­ forschung, daß Frauen im allgemeinen und einige asiati­ sche Völker wie die Japaner mehr ganzheitlich denken, also Teile aus beiden Gehirnhälften zur Sprachverarbeitung be­

Die Bedeutung und Relativität der Sprache 37

nutzen. 44 Bilder und eine bildhafte Sprache wie in Mär­ chen, Mythen und Erzählungen, werden auch in der rech­ ten Hemisphäre verarbeitet. Aus diesem Grunde werden in vielen spirituellen Traditionen Geschichten erzählt. Sie aktivieren durch ihre sprachliche Übermittlung zwar auch die linke Gehirnhälfte, durch ihre Bilder, die solche Erzäh­ lungen hervorrufen, beteiligen sie aber auch die rechte Gehirnhälfte. Diese neueren Erkenntnisse der Gehirn­ forschung waren Gurdjieff durch seine eigenen Forschun­ gen bereits Jahrzehnte früher bekannt. Beelzebubs Erzählungen enthalten starke Metaphern und Bilder, die uns selbst nach mehrfachem Lesen seines Werks nicht loslassen, auch wenn man vieles in diesem sehr ver­ schlüsselten Werk erst einmal nicht begreift. Es ist so ge­ schrieben, daß eine andere Sichtweise in uns geweckt werden kann, wenn wir uns darauf einlassen. Seine Auseinandersetzung mit Sprache geht noch weiter: Im ersten Kapitel „Gedankenerwachen" beschreibt er in vielen Variationen die Unzulänglichkeit der Sprache und den Kontaktverlust mit der Wirklichkeit, die dadurch ent­ steht, daß man Wörter gebraucht, ohne sich die Mühe zu geben, ihnen eine konkrete Bedeutung zu verleihen. In Ouspenskys Bericht betont Gurdjieff ebenfalls ganz am Anfang die Bedeutung seiner Sprache: „Um zu tun, muß man zuerst sein. Und dazu muß man zuerst einsehen, was sein bedeutet. Wenn wir unser Gespräch fortsetzen, werden Sie sehen, daß wir eine besondere Sprache verwenden und daß es notwendig ist, diese Sprache zu lernen, um mit uns zu sprechen. Es lohnt sich nicht, in der üblichen Sprache zu re­ den, weil wir uns in ihr gar nicht verständigen könnten. Auch das mag Ihnen im Augenblick fremd scheinen. Aber dennoch ist es wahr. Um sich zu verständigen, muß man erst eine andere Sprache lernen. In der üblichen Sprache können sich die Menschen nicht miteinander verständigen." 47 Nach zwei Kapiteln nimmt Gurdjieff das Thema wieder auf und bezieht die Sprache wiederum auf das Sein. „Es gibt

38 Auf einem Raumschiff mit Beelzebub

zwei Linien, entlang deren die menschliche Entwicklung von­ statten geht, die Linie des Wissens und die Linie des Seins... Wenn das Wissen das Sein überwiegt, weiß ein Mensch, hat aber nicht die Kraft zum Tun. Das ist nutzloses Wissen. An­ dererseits, wenn das Sein das Wissen überwiegt, hat ein Mensch die Kraft zum Tun, weiß aber nichts, das heißt, er kann etwas tun, aber er weiß nicht was." 48 Dann geht Gurdjieff zum dritten Aspekt seiner Ausführung über, zum Verstehen. „Wissen ist eine Sache, Verstehen eine andere... Im gewöhn­ lichen Denken unterscheiden die Menschen nicht zwischen Verstehen und Wissen. Sie glauben, daß ein größeres Ver­ stehen von einem größeren Wissen abhänge... Der Unter­ schied zwischen Wissen und Verstehen wird klar, wenn wir erkennen, daß Wissen die Funktion eines einzigen Zentrums sein kann. Verstehen hingegen ist die Funktion aller drei Zen­ tren... Verstehen kommt nur dann zustande, wenn ein Mensch gleichzeitig fühlt und empfindet, was damit gemeint ist." 49 Gurdjieff wußte auch, daß es keine Tatsachen und Objekte außerhalb von uns gibt, die wir „objektiv" sehen. Unsere Er­ kenntnis ist üblicherweise subjektiv. Erst auf der Stufe des objektiven Bewußtseins können wir die Dinge objektiv wahr­ nehmen. „Für ein genaues Verstehen ist eine genau Sprache unerläßlich. Und das Studium der Systeme des alten Wis­ sens beginnt mit dem Studium der Sprache... sie gründet den Bau der Sprache auf ein neues Prinzip, nämlich das Prin­ zip der Relativität, d.h. sie führt Relativität in alle Begriffe ein und ermöglich dadurch eine genaue Bestimmung des ge­ danklichen Gesichtspunktes." Es geht dabei um den Zusam­ menhang, in dem ein Begriff steht. Und der Zusammenhang in der die neue Sprache steht, ist die Idee der bewußten Evolution des Menschen. Wenn wir etwas mit dem „Sein" verstehen, geschieht ein ganzheitlicher Prozeß, an dem alle Teile des Menschen ein­ bezogen und beteiligt sind. Die Sinneswahrnehmung wird mit dem bereits vorhandenen Wissen, der Erinnerung und den Gefühlen verknüpft, und die konzentrierte Aufmerk­

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samkeit verknüpft diese Erkenntnisse mit den äußeren Be­ wegungen und Aktionen. Wenn wir nur auf äußere Gescheh­ nisse reagieren, dann handeln wir in Gurdjieffs Augen „auto­ matisch". Jeder gut programmierte Roboter ist heute in der Lage, auf geänderte Umstände seines Arbeitsgebiets zu reagieren. Das macht noch keinen Menschen aus. Beim Menschen, der „Tun" kann, müssen alle grundlegenden „Gehirnfunktionen", also das motorisch-instinktive, das Körperempfinden, das fühlende und denkende Gehirn und beide Gehirnhälften beteiligt sein.

Lehrgeschichten Wir dürfen die Wirkung erzählter Geschichten als Lehrme­ thode nicht unterschätzen. Gute Geschichten sprechen nicht nur die sprachliche und bildliche Gehirnhälfte an, sondern durch ihren berührenden Kontext auch die Gefühle der Menschen. Am deutlichsten wird dies, wenn Menschen beim Hören von Geschichten lachen oder weinen. Aus diesem Grund haben Filme wie „Titanic" oder „Star Wars" auch eine starke Wirkung auf die Zuschauer. In Filmen dieser Art, die durch ihre mythische Erzählweise auch die Gefüh­ le einbeziehen, wird mit allen Möglichkeiten der heutigen Filmtechnik die ganze Klaviatur menschlicher Erlebens­ weisen angesprochen. Aber auch unsere klassischen Mär­ chen arbeiten mit denselben Mitteln. Wenn Rotkäppchen vom Wolf verschlungen wird, reagieren - noch von der vi­ suellen Vorherrschaft der Filme unbelastete - Kinder ge­ nauso wie Erwachsene in einem Millionen-Dollar-Film. In den zwanziger Jahren, als Gurdjieff seinen „Beelzebub" schrieb, war der Film gerade am Anfang. Während seiner Besuche in den USA ging Gurdjieff häufiger ins Kino. Fritz Peters berichtet: „Er sagte, obwohl die meisten Menschen im Westen darin übereinstimmen, daß die Filme eine über­ triebene Darstellung des amerikanischen Lebens seien und

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nicht das wahre Bild Amerikas zeigten, meine er das Gegen­ teil... Er behauptete, daß die zugrundeliegenden Motive - und die Hoffnungen, Träume und Wünsche der Amerikaner im allgemeinen - in den Filmen sehr genau porträtiert würden... Die Filmmacher könnten gar nichts erfinden, sondern nur das Leben kopieren..." 50 Gurdjieff stand noch in der Tradition der Geschichtenerzähler, eine Fähigkeit, die ihm sein Vater durch seine Erzählungen weckte. Er hat dann im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht, mit seinen Metaphern und Ge­ schichten in seinem Buch nicht nur die sprachliche, einseitige Welt des linken Gehirns anzusprechen, sondern auch die bild­ hafte, intuitive rechte Seite. Die Geschichte vom transkaukasischen Kurden ist ein Mu­ sterbeispiel für seine Verwurzelung in orientalischer Erzähl­ weise. Der transkaukasische Kurde machte sich einmal von seinem Dorf auf, um Geschäfte in der Stadt zu tätigen. Dort sah er einen Marktstand mit Obst und Gemüse. In der Auslage fiel ihm eine wunderschöne rote Frucht auf, die er unbedingt haben wollte. Er kaufte ein Pfund davon. Dann machte er sich auf den Nachhauseweg. Unterwegs bekam der Kurde Hunger. Er setzte er sich an den Weg­ rand, nahm Brot und die gekauften 'Früchte' und fing ge­ mächlich an zu essen. „Doch ... O Schreck!!! .. Bald fing alles in ihm zu brennen an. Nichtsdestoweniger aß er ru­ hig weiter...." 51 Schließlich kam ein Mann aus demselben Dorf vorbei und sah das rote Gesicht des Kurden und die roten Pfefferschoten. „Was machst du denn da, du Jericho-Idiot! Höre doch auf, dieses außergewöhnliche und deiner Natur ungewohnte Produkt zu essen!" Unser Kurde antwortete ihm: „Keineswegs werde ich aufhören; habe ich doch meine letzten sechs Groschen dafür bezahlt! Und müßte ich meine Seele aufgeben, ich würde weiter essen..." Nach dieser „Warnung", sich auf seine Gedankenwelt ein­ zulassen, die unsere alten Denkgewohnheiten und unsere Trägheit „verbrennen" kann, erzählt er drei weitere Ge­ schichten, die die Hauptpunkte seiner These erläutern.

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In der ersten Geschichte, bei der es um das Fangen von Tauben durch eine Schlinge geht, beschreibt er den Kampf gegen die Leichtgläubigkeit, die Beeinflußbarkeit. Menschen verlassen sich immer mehr auf die Meinung und Ansichten anderer und ahmen das Verhalten bestimmter Idole nach. Der Erfolg von Werbung beruht genau auf dieser Beein­ flußbarkeit. Die meisten Menschen definieren heute ihre „Persönlichkeit" über geschickt beworbene Marken. Die Beeinflußbarkeit wird von Gurdjieff als Hauptübel der un­ glücklichen Lage der Menschen ausgemacht. Solange Men­ schen andere nachahmen, können sie nicht frei sein. In der zweiten Geschichte vom „Zahn mit sieben Wurzeln", die hier bereits das „Gesetz der Sieben" in einfacher Form darstellt, das in seiner Kosmologie eine Hauptrolle spielt, drückt sich Gurdjieffs Ehrfurcht vor dem Einfachen aus. Nichts, was zur menschlichen Erfahrung gehört, ist be­ langlos oder unbedeutend. Schon der ursprüngliche Haupt­ titel seines Werks Beelzebubs Erzählungen, „All und Alles", drückt den Grundsatz aus, daß Wissen nur dann von Be­ deutung ist, wenn es alles einschließt, die einfachen Dinge des Lebens ebenso wie die großen kosmischen Gesetze. Ein schönes Beispiel sind seine Tänze, bei der jede Geste exakt ausgeführt werden muß. Alles im Universum hat eine Bedeutung und einen Zweck, die man allerdings nur im Gesamtzusammenhang verstehen kann, mit dem Blickwin­ kel vom Ganzen. Die dritte Geschichte handelt von einem Kaufmann, der für seinen Sohn ein Buch besorgen soll, das der Händler teurer weitergibt, weil er das Porto aufgeschlagen hat. Da der Kauf­ mann sowieso einen über den Durst getrunken und reichlich gegessen hatte, nahm er das hin und sagte: „Schmausen wir, so schmausen wir das Porto eingeschlossen." Alles hat seinen Preis. Wenn wir wirklich etwas haben wollen, müssen wir auch darauf vorbereitet sein, bis zum Ende durchzuhal­ ten. Aber diese Geschichte hat, wie John G. Bennett aus­ führt, einen tieferen Sinn. Er sagt dazu: „Statt einer wirkli­

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chen objektiven Hoffnung, das Wesen durch eigene Bemü­ hung ändern zu können, wird dem Menschen beigebracht, allerlei illusorische Hoffnungen zu hegen, die seinen Antrieb lähmen, so daß er nicht bis ans äußerste Ende gehen kann, um sich ein neues Sein zu erwerben. Eine der bemerkens­ wertesten Kräfte Gurdjieffs war seine Fähigkeit, all denen, die in einen lebendigen Kontakt mit ihm kamen, den starken und ausdauernden Glauben einzupflanzen, daß das höhere Schicksal des Menschen etwas Wirkliches ist, und er konnte jedem persönlich Hoffnung verleihen, daß der Mensch es auch mit seinen eigenen Anstrengungen erreichen kann." 52 Diese kleinen Geschichten zur Einführung dienen Gurdjieff vor allem dazu, die Leser auf die schwierigeren Themen des Buches einzustimmen. Wir können uns so langsam an seine Erzählweise gewöhnen, die er in den weiteren Kapi­ teln zu mehreren Ebenen verwebt. Beelzebubs Erzählun­ gen werden nicht geradlinig ausgesponnen. Beelzebub beginnt eine Geschichte, die dann in eine andere über­ geht, die häufig in eine weitere abschweift. Später nimmt er den Faden der ersten Geschichte wieder auf und verwebt sie mit neuen. Dadurch sollen wir die Vielschichtigkeit und Verwobenheit des Lebens und des Universums begreifen lernen. Denn es ist für uns Menschen unmöglich, die ge­ samte Schöpfung und das Leben auf der Erde „logisch" mit dem rationalen Verstand zu verstehen. Dieses Webmuster finden wir auch in seinen kosmologi­ schen Vorstellungen. Da der Prozeß der Erhaltung des Uni­ versums immer wieder Anpassungen bedarf, stimmt uns Gurdjieff bereits im zweiten Kapitel darauf ein, daß auch das Leben der Menschen auf dem entfernten Planeten Erde immer neuer Korrekturen bedarf. Von Zeit zu Zeit werden deshalb erleuchtete Wesen auf die Erde geschickt, die hel­ fen sollen, die Organisation des menschlichen Lebens so zu beeinflussen, daß die Menschheit ihre Aufgabe im Ein­ klang mit dem Zweck ihrer Existenz erfüllen kann. „In der Geschichte von Aschiata Schiämasch zeigt Gurdjieff,

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wie das äußere Menschenleben geändert werden kann, wenn ein neuer Faktor in seiner inneren Welt erscheint. Aschiata Schiämasch macht keinen Versuch, den Lauf der Geschichte zu ändern. Er kümmert sich nicht um die Massen und lehrt sie nichts, 'wie es vor ihm und nach ihm alle zum gleichen Ziel von Oben gesandten (Propheten) getan hatten'." 53 Aschiata Schiämasch geht nicht den Weg der bekannten Re­ ligionen „vor ihm und nach ihm", sondern versucht einzig und allein das „Gewissen" in den Menschen zu wecken. Die­ ser unbekannte Prophet - vielleicht ein Sinnbild für Gurdjieff? - wirkt nicht über große Institutionen, sondern über kleine Gruppen. Bennett hält diese Strategie heute für wirksamer: „Falls nur einige oder sogar viele Menschen von Gurdjieffs Lehre angesprochen werden, wie kann man erwarten, daß ihre Arbeit, die ja nicht mit irgendwelchen großen weltlichen oder religiösen Bewegungen in Verbindung steht, irgendwel­ che Ergebnisse hervorbringen wird? Die Antwort auf die Fra­ ge ist ganz einfach. Es ist immer die Arbeit weniger gewesen, die die Welt verändert hat. Die wirkliche Macht liegt in Ideen, nicht in Organisationen. Nichts kann durch äußeren Zwang erreicht werden - durch innere Kraft aber alles." 5 4

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2. Ein neues System von Raumschiffen „Es ist unmöglich, ein System des Weltalls zu studieren, ohne dabei den Menschen zu studieren. Gleichzeitig ist es unmöglich, den Menschen zu studieren, ohne das Univer­ sum zu studieren. Der Mensch ist ein Abbild der Welt. Et wurde nach denselben Gesetzen erschaffen wie das Welt­ all. Wenn er sich selber kennt und versteht, wird er dai Weltall erkennen und verstehen ." 55 Alles, was Gurdjieff schrieb und sagte, konnte mehrere Bedeutungen haben - die Geistesgegenwart des Erkennens war gefordert. So beschäftigt sich das vierte und fünfte Kapitel in Gurdjieffs „Beelzebubs Erzählungen" mit dem „Fallgesetz" und einem neuen System von Raumschiffen, Man konnte meinen, daß er das Gravitationsgesetz neu formuliert. Dort heißt es: „Alles im Weltall Existierende fällt nach unten. Als Unten gilt für jeden Teil des Weltalls die nächste Stabilität, und diese Stabilität ist der Platz oder Punkt, auf den alle Kraftlinien aus allen Richtungen Zuströ­ men. Solche Stabilitätspunkte sind die Zentren aller Son­ nen und Planeten unseres Weltalls. Sie gerade bilden das Unten für jene Raumregionen, auf die Kräfte aus allen Rich­ tungen des betreffenden Weltallteils Zuströmen und wo sie sich konzentrieren. In diesen Punkten konzentriert sich das Gleichgewicht, welches Sonnen und Planeten ihre Lage beibehalten läßt..." 56 Warum führt Gurdjieff gleich am Anfang seines Buches diese „Gesetzmäßigkeiten" ein? Gurdjieff stellt seine Leserinnen und Leser vor die Herausforderung, selbständig nachzu­ denken. So galt für Gurdjieff wie für den Stammvater der westlichen Esoterik, Hermes Trismegistos, auch das Ge­ setz „Wie oben, so unten". Anhand seiner Darstellung ei­ ner kosmischen Gesetzmäßigkeit zeigt er uns zugleich eine

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Gesetzmäßigkeit, die auch für unser Leben zutrifft. „Mo­ derne Schiffe wie das unsere fallen in Räumen, wo sie kei­ nen Widerstand finden, einfach nach unten zur nächsten Stabilität. In Räumen aber, wo es irgendwelche Widerstand leistende kosmische Stoffe - ganz gleich welcher Dichtig­ keit - gibt, ermöglichen es diese Stoffe, mit Hilfe des Zy­ linders das Schiff in jeder gewünschten Richtung zu bewe­ gen...." 57 Wenn wir keine eigene, innere Stabilität haben, fallen wir auf die nächstbeste Stabilität. Den eigenen Weg zu finden, bedeutet daher, eine eigene Stabilität zu erschaffen, sonst fallen wir ständig aus unserem Selbst, verlieren unseren Weg. Doch den eigenen Weg können nur wir selbst erschaffen. „Wenn wir einen Willen hätten, könnten wir allein durch ihn die Zukunft erkennen, weil wir dann durch ihn die Zu­ kunft in der Weise gestalten könnten, wie wir es wünschen", sagt Gurdjieff. 58 Wenn wir dem Fallgesetz unterliegen, fal­ len wir immer wieder auf den nächstgelegenen Konzentra­ tionspunkt. Selbstverständlich ist auch diese Abweichung ein Teil des Weges, und wir können in die Lage kommen, dieses Material, das uns auf diesem Teil des Weges begeg­ net zu nutzen. Das neue „System" der Fortbewegung in den Sphären des Bewußtseins erfordert eine aktive Arbeit der Schüler. Es ersetzt die älteren, passiven Systeme der Religionen, Glau­ be, Liebe und Hoffnung. Was ist der Zylinder, mit dessen Hilfe wir uns frei bewegen können? Er ist hermetisch ver­ siegelt, d.h. mit dem Siegel des Hermes verschlossen. Hermes ist nicht nur Götterbote sondern auch ein Schelm, wie der Coyote bei den nordamerikanischen Indianern. Da­ mit weist uns Gurdjieff auf seinen „Weg des schlauen Men­ schen" hin. Je mehr wir lernen, mit den dichten Substan­ zen auf dem Weg - dem Nebel, der uns die Sicht verstellt und dem Gas der negativen Gefühle zu arbeiten, um so besser können wir das Schiff steuern. In den alten Religio­

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nen bleibt man in der Kirche und wird auf mechanische Weise in einen mechanischen Himmel getragen. Im neuen System müssen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen. Es ist ein Weg voller Schwierigkeiten und innerer Kämpfe, ohne Netz und doppelten Boden, weil wir nicht wissen, wohin die Reise geht. „Beurteilen Sie alles vom Gesichts­ punkt des eigenen gesunden Menschenverstandes aus, erarbeiten Sie sich ihr eigenes Verständnis, und nehmen Sie niemals etwas in gutem Glauben an," betont Gurdjieff in einem Gespräch mit einem Schüler.

Echter Seins-Pflicht bewußt werden „ Wenn Sie Neues auf eine neue Art und Weise hören möch­ ten, müssen Sie neu hinhören. Das ist nicht nur in der Arbeit notwendig, sondern auch im Leben. Sie können im Leben etwas freier, etwas sicherer werden, wenn Sie an­ fangen, sich für alles Neue zu interessieren..." 5 9

„Durch euer Gespräch ist mir allmählich sehr klar zum Be­ wußtsein gekommen, daß im Weltall unseres Unendlichen nicht alles immer so war, wie ich es jetzt sehe und begreife. Früher z.B. wäre ich nie auf solche Gedanken gekommen wie, daß das Schiff, auf dem wir hier fliegen, nicht immer so war wie in diesem Augenblick", sagt Beelzebubs Enkel Hassin. Wenn wir auf dem Weg der harmonischen Entwicklung ge­ hen, sind wir wie Hassin noch frisch und müssen viele Dinge studieren und lernen. Wir müssen uns auf die Verpflichtun­ gen vorbereiten, die auf uns zukommen. Gurdjieff nennt die­ se kosmische Verpflichtung, für die Zukunft der Menschen zu arbeiten Seins-Parktdolgpflicht. Das Wort Park bedeutet das vollkommene Wohlergehen, sowohl seelisch als auch materi­ ell. „Offensichtlich ist es das Wort, das Gurdjieff wählte, um es in den Ausdruck Seins-Parktdolgpflicht zu integrieren, und das heißt, die Handlung enthält die Richtigkeit in sich." 60 Mit

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unserem Leben sind wir eingebunden in ein größeres Gan­ zes. Damit will er uns sagen, daß der Weg nicht nur für unse­ re persönliche Entwicklung ist, sondern auch eine Mithilfe für das Wohlergehen der Mitmenschen und letztlich in der Mitar­ beit „des sich entfaltenden Universums". Gurdjieff läßt in Beelzebubs Erzählungen die Gestalt des „sehr heiligen Aschiata Schiämasch" auftreten, dessen Lehre von einer eingeweihten Bruderschaft überliefert wurde, deren Mot­ to war: „Es gibt nicht verschiedene Religionen, es gibt nur einen Gott." Für Aschiata Schiämasch ist es bereits zu spät, das Leben des Menschen auf den „normalen" Wegen um­ zukrempeln, die auf den Impulsen von Glaube, Liebe und Hoffnung basieren. Denn wenn die Menschen „den Schrekken der Situation" nicht erkannten, nützten weder Glaube, Liebe noch Hoffnung. Es mußte eine Fähigkeit geweckt werden, den inneren Impuls der Wahrheit so wahrzuneh­ men, daß der Mensch grundlegend mit allen seinen Teilen - Körper, Gefühl und Denken - in die Wirklichkeit aufwacht. 61 „Damit ein Mensch im Gefängnis überhaupt je eine Flucht­ möglichkeit haben kann, muß er zuallererst erkennen, daß er im Gefängnis ist... Wenn Befreiung möglich ist, dann ist sie nur als Ergebnis großer Arbeit und großer Anstrengun­ gen zu erreichen und vor allem durch bewußtes Streben nach einem festen Ziel." 62 Bewußte Arbeit muß immer eine bestimmte Anforderung erfüllen und zwar, „daß man handelt, ohne die Früchte die­ ser Handlung in Betracht zu ziehen." Das heißt natürlich nicht, daß man die Konsequenzen einer Handlung nicht berücksichtigen soll - das wäre „unbewußte" Arbeit -, son­ dern die Früchte der Arbeit an der eigenen Umwandlung sollen keine Belohnung unserer Selbstliebe sein, das wäre kontraproduktiv. „Gurdjieff beschreibt die Idee bewußter Arbeit immer als etwas, das mit dem Dienst an der Zu­ kunft zu tun hat", erklärt John G. Bennett. „Der Dienst an der Zukunft ist eine Handlung ganz besonderer Art, und dies ist ein Weg der Befreiung von der Falschheit und Blind­

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heit, die Gurdjieff als 'Folgen des Organs Kundabuffer' be­ schreibt. Von Kundabuffer stammen Habgier, Forderungen für uns selbst, die Flucht vor der Wirklichkeit, Selbstbe­ trug und das Betrügen anderer und all jene Dinge, die nur möglich sind, solange wir ein falsches heuchlerisches Le­ ben führen." 63 Um aus dieser Verstrickung herauszukom­ men, müssen wir absichtliches Leiden auf uns nehmen, im Gegensatz zu schädlichem Leiden, das aufgrund von Haß, Ablehnung anderer Menschen, Zweifel, Habgier, Selbstsucht und damit verbundener Verlustängste entsteht. Freiwilli­ ges Leiden ist nicht besonders schwierig, es ist ein Leiden, das man sich auferlegt um etwas zu erreichen, wie ein Sportler, der als Sieger weltberühmt werden will und ent­ sprechend Geld verdienen kann. Das ist mit viel Mühe und Opfer verbunden, aber eben kein absichtliches Leiden im Gurdjieffschen Sinne. Absichtliches Leiden bedeutet in erster Linie, die unangenehmen Manifestationen anderer zu ertragen. Denn je intensiver wir an unserer Entwicklung arbeiten, desto feinfühliger werden wir und umso klarer spüren wir die Manifestationen anderer Men­ schen. Darüberhinaus setzt man sich absichtlichem Leiden aus, wenn man seine spirituelle Pflicht erfüllt, das Bodhisattva-Ideal der Mahayana-Buddhisten, das Mitgefühl und die Liebe zu allen Wesen. Damit ist oft Undankbarkeit der Mitmenschen verbunden. „Gurdjieff war in seinem Leben gleichfalls ein Beispiel des Prinzips der bewußten Arbeit und des absichtlichen Leidens im Dienst der Zukunft. Wann immer es nötig wird, etwas für die Zukunft zu tun, gibt es auch ein Bedürfnis nach Menschen, die imstande sind, die Spannungen zu ertragen, die mit den Veränderungen ver­ knüpft sind, und sie müssen auch darauf vorbereitet wer­ den", erklärt J.G. Bennett. Das dritte Element, das bewußte Arbeit und absichtliches Leiden ausgleicht, ist die Entwicklung der direkten Wahr­ nehmung, die Gurdjieff als Gewissen bezeichnet. Denn ohne diese Fähigkeit laufen wir mit bewußter Arbeit und absicht­

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lichem Leiden in eine Sackgasse, weil der Kontakt zur gei­ stigen Quelle, zum Willen fehlen würde.

Drei Linien der Arbeit In der Gurdjieff-Überlieferung wird deshalb von „drei Lini­ en der Arbeit" gesprochen: die erste Linie ist die aktive „Arbeit an sich selbst", die zweite Linie ist die rezeptive Arbeit in der Gruppe, weil wir ohne die Hilfe anderer nicht aufwachen können, und die dritte Linie ist die Arbeit in Verbindung mit dem Ziel und Zweck des „Werks" oder des „Vierten Weges". Dieses könnte man einfach damit um­ schreiben, daß der Mensch berufen ist, am Werk der Evo­ lution mitzuarbeiten. Dieses Thema werde ich im fünften Kapitel ausführlicher behandeln. Die drei Linien sprechen unterschiedliche Seiten des Men­ schen an, die ich hier auf eine neue Weise darstelle: 1. Der Pfad des Wissens: Lernen, wie man lernt, Ent­ wicklung der Funktionen, Koordination und Zusammenspiel der funktionalen Fähigkeiten, praktische Arbeit, Übungen, Selbstbeobachtung, Studium der spirituellen Wege. 2. Der Pfad des Seins: Transformation von Energien, Ar­ beit am Bewußtsein, Entfaltung der inneren Qualitäten, Arbeit mit und für andere Menschen, Arbeit in der Gruppe, Weckung des Mitgefühls, Charakterschulung, Selbster­ kenntnis. 3. Der Pfad des Verstehens: Öffnung für Intelligenz und Kreativität, Übernahme von Verantwortung, Absicht, Ent­ scheidung, Weitergabe des wirklichen Wissens, Arbeit für die Zukunft.

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3. Die Reise zum Ich „ Uns wurde die Möglichkeit gegeben, uns selbst zu erschaf­ fen. Das ist der Grund, warum wir in diese Welt geboren wurden." John G. Bennett Gurdjieff war vor allem daran interessiert, wie die Dinge funktionieren. In seinem zweiten Werk Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen widmet er ein ganzes Kapitel der „materiellen Frage" und erzählt viele Geschichten, wie ersieh in unterschiedlichen Lebenssituationen finanziell über Wasser gehalten hat. Er malte die Flügel von Spatzen an und verkaufte sie als „amerikanische Kanarienvögel", er reparierte europäische Nähmaschinen, kaufte preiswerte alte Teppiche, die er in Europa teuer weiterverkaufte usw. Doch das Anekdotische dieser Geschichten soll uns deut­ lich machen, daß die Lehre, die er in den Westen brachte, vor allem eine praktische Methode zur Selbstentwicklung ist und keine philosophische Abhandlung, die unsere Träu­ me von anderen Wirklichkeiten bestärkt. Eine der wichti­ gen Methoden war praktische Handarbeit. Während der Arbeit in der Prieuré verwandelten sich Künstler und Intel­ lektuelle in Maurer, Zimmerleute und Gärtner. Auch mein Lehrer Bennett schätzte die praktische, körperliche Erfah­ rung sehr. Einmal sagte er: „Es würde beinahe ausreichen, nur Gartenarbeit und Movements zu machen." Die prakti­ sche Methode, die alle Teile des Menschen einbezieht, kann man nicht aus Büchern lernen. Wir können nur durch die Praxis mit uns selbst und dem „Werk" in Berührung kom­ men. Die Grundlagen des Weges müssen durch die Inhalte der Erfahrung erschaffen werden. Die Übungen und Tech­ niken dienen als Ausgangspunkt. Durch unsere Arbeit da­ mit erfüllen wir sie mit Qualität. Der Umfang der prakti­ schen Arbeit geht von Hausarbeit, Kochen, körperlicher Handarbeit und der Aneignung von handwerklichen Fähig-

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keiten bis hin zur Organisation von Gruppen, rituellen Tän­ zen, inneren Übungen und verschiedenen anderen spiritu­ ellen Techniken. 64 Eine Methode oder einen Schulungsweg kann man nicht erklären. Man muß sie in der Praxis lernen. Als ich mit dem Wissen ausgestattet war, das ich bei Ouspensky gelesen hatte, und schließlich die Umsetzung der Methode erlebte, dachte ich zu Beginn: „Bin ich hier richtig? Wir machen doch etwas ganz anderes, als Ouspensky es beschreibt. Erst nach einigen Wochen auf der Schulungsakademie wurde mir deutlich, daß es tatsächlich genau die Praxis ist, die beschrieben wurde. Nur hatte ich sie einseitig ver­ standen, weil ich nur mit meinem Verstand gelesen hatte, ohne die anderen Zentren dabei miteinzubeziehen.

Der vierte Weg „Das Werk ist eine sich selbsterschaffende, selbst­ verwirklichende Aktion. Es ist auch der Weg oder die Macht, die diese Aktion möglich macht und die Quelle aus der sie kommt. " John G. Bennett

Alle praktischen Methoden, die zur „harmonischen Entwick­ lung des Menschen" führen sollen, müssen mit dem „Geist" des Weges verbunden sein, damit sie wirksam werden und ihr Ziel erreichen. Genau darauf zielt Gurdjieff in einem unveröffentlichten Vortrag hin, 65 in dem er die Bedeutung der Suche nach dem Wissen zusammenfaßt. Dieser Text ist ein außerordentliches Dokument, insbesondere seine Einleitung, die ich hier zitieren möchte: „In jedem Menschen ist ein Bedürfnis nach Wissen einge­ pflanzt, das sich bei jedem einzelnen nur in seiner Intensität unterscheidet. Der passive menschliche Verstand - der an­ sonsten alle möglichen Informationen aufsaugt - gelangt oft in eine Sackgasse beim Versuch, eine Antwort auf die Frage

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zu finden, warum dieses Bedürfnis vorhanden ist. Seine Au­ gen sind von dem breiten Spektrum der Farben der Vielheit der Formen geblendet, und unter der glitzernden Oberfläche sieht er nicht den verborgenen Kern der Einheit von allem Existierenden. Diese Vielförmigkeit ist so wirklich, daß sich jeder Suchende ihren einzelnen Formen von verschiedenen Seiten her annähert: Einige suchen das Wissen durch logi­ sche Deduktion und Philosophie, andere durch Glaube und Gefühl. Seit den sehr alten Zeiten bis hin in unsere Epoche hat die Menschheit als Ganzes sich immer wieder nach dem Wissen um diese Einheit gesehnt und gesucht, indem sie sich in die verschiedensten Philosophien und Religionen gestürzt hat, die sozusagen als Monumente dieser Suche nach dem Pfad zur Einheit übriggeblieben sind. Alle diese Versuche strah­ len zu diesem Pfad aus, genauso wie die Radien eines Krei­ ses sich zum Zentrum bewegen und immer mehr mitein­ ander in Berührung kommen, je mehr sie sich dem Zen­ trum nähern. Das Ziel selbst bestimmt die Richtung des Pfades, und es bringt die Wanderer auf die Pfade des Wis­ sens von der Einheit, das dort seine Tiefe erreicht, wo das Wissen eine Wirklichkeit für den Wissenden wird; aber es kann niemand anderem mitgeteilt werden, der nicht die­ selbe Entwicklungsstufe genommen hat." Gurdjieff bezeichnet seinen Pfad als „vierten Weg". Warum ein „vierter Weg"? Ist diese Suche nach Wissen um die Einheit nicht auch mit den traditionellen drei klassischen spirituellen Wegen, dem Weg des Fakirs, dem Weg des Mönches und dem Weg des Yogis möglich? Theoretisch ja, doch praktisch sind sie für Gurdjieff nach jahrelangen For­ schungen für den heutigen Menschen kaum noch gangbar. In Beelzebubs Erzählungen erzählt er uns ausführlich in verschiedenen Kapiteln über seine „Besuche" auf der Erde und beschreibt, wie die echten Wege von Buddha, Lama, Mohammed, Christus und anderer „Boten von Oben" im Laufe der Zeit ihre ursprüngliche Kraft und Bedeutung ver­

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loren haben. Die Geschichte vom „Turmbau zu Babel" ist eines der vielen Beispiele seiner satirischen Kommentare. Beelzebub erzählt von einem Gelehrtentreffen, bei dem es um die Frage der Seele ging. Einer der Redner, ein gewis­ ser Hamolinadir, führte treffend aus, daß man den Men­ schen alles mögliche einreden kann. Auf die kontroverse Diskussion seiner Vorredner bezogen, sagt er zum Abschluß seiner Rede: „Jetzt wird unter uns in der Stadt Babylon von allen Nationen gemeinsam das Gebäude eines Turmes aufgeführt, damit man zum 'Himmel' aufsteigen und mit eigenen Augen sehen kann, was dort vorgeht.... und jeder mehr oder weniger bewußte Mensch muß wissen, daß die­ ser Turm früher oder später einmal sicherlich einstürzen ... wird." Da die Menschen in Babylon noch lange seine leidenschaftliche Rede diskutierten, wurde das Bild vom „Turmbau von Babel" eine Redewendung und gelangte bis in unsere Zeit. Dieses Beispiel ist typisch für die vielen anderen Lektionen in Beelzebub über die Entstellung alter Überlieferungen im Laufe der Jahrhunderte. In Auf der Suche nach dem Wunderbaren faßt Gurdjieff seine Erkenntnisse knapp zusammen: „Unter den gewöhn­ lichen Verhältnissen des kultivierten Lebens ist die Lage eines Menschen, selbst eines intelligenten, der nach Er­ kenntnis sucht, hoffnungslos, weil in seiner Umgebung nichts ist, was einer Fakir- oder Yogischule ähnlich ist, während die westlichen Religionen dermaßen entartet sind, daß es schon lange nichts Lebendiges mehr in ihnen gibt. Auch die zahllosen okkulten und mystischen Gesellschaf­ ten und die naiven Experimente von spiritistischer Art und dergleichen mehr können überhaupt keine Ergebnisse zei­ tigen. Und die Lage wäre wirklich hoffnungslos, wenn es nicht die Möglichkeit eines vierten Weges gäbe.... Der vierte Weg beginnt auf einer viel fortgeschritteneren Stufe als der Weg des Yogi. Das heißt, ein Mensch muß für den vier­ ten Weg vorbereitet sein und muß seine Vorbereitung im täglichen Leben erworben haben." 66 Auch wenn heute alle

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diese Wege wesentlich leichter zugänglich sind als zu Gur­ djieffs Zeiten, trifft das, was er schreibt, heute mehr denn je zu. 67 Das Angebot an spirituellen Lehren ist so vielfältig und verwirrend wie der „Turmbau zu Babel". Deshalb beharrt Gurdjieff immer wieder darauf, daß wir bei allem, was wir tun, auch den „gesunden Menschenverstand" er­ setzen sollen. Der vierte Weg ist „ganzheitlich" - oder wie Gurdjieff sagt: „Der Weg des schlauen Menschen". Während der Fakir oder Asket im Wesentlichen seine körperliche Verhaftung zu überwinden sucht, der Mönch hauptsächlich mystische Hin­ gabe praktiziert, um sich mit dem Göttlichen zu vereini­ gen, und der klassische Yogi sich in Meditation und Ver­ senkung übt, hat der „Vierte Weg" zum Ziel, die drei Teile des Menschen und ihre Fähigkeiten gleichmäßig auszubil­ den und zu integrieren. Gurdjieffs praktische Lehre be­ steht darin, daß er uns Methoden zeigt, mit denen man lernen kann, an allen drei „Zentren", Körper, Fühlen und Denken, gleichzeitig zu arbeiten und diese drei Teile zu integrieren. Darüberhinaus unterscheidet sich der „Vierte Weg" von den klassischen Wegen vor allem dadurch, daß er am Verstehen arbeitet. „Ein Mensch darf nichts tun, was er nicht versteht. Je mehr er versteht, was er tut, desto größer wird das Ergebnis seiner Anstrengungen sein. Dies ist das Grundprinzip des vierten Weges. Das Ergebnis der Arbeit steht im Verhältnis zur Bewußtheit der Arbeit. Auf dem vierten Weg ist kein 'Glaube' nötig; im Gegenteil, jede Art Glaube steht im Widerspruch zum vierten Weg. Auf dem vierten Weg muß sich ein Mensch von der Wahrheit dessen, was ihm gesagt wird, überzeugen." 68 Wir haben die Anlage in uns, um uns selbst von der Wahr­ heit zu überzeugen: „Vor allem mußt Du wissen, daß über­ haupt jede kosmische Bildung, die 'Gehirn' genannt wird, ihre Formung durch jene 'Kristallisationen' erfährt, für de­ ren Entstehung - dem heiligen Triamasikamno 69 (dem „Ge­ setz der Drei") zufolge - das bejahende Prinzip eine der

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entsprechenden im Allgegenwärtigen Okidanoch lokalisier­ ten heiligen Kräfte des heiligen Grundgesetzes Triamasikamno bildet. Und die weiteren Verwirklichungen dieser selben heiligen Kräfte vollziehen sich im Bestände der Wesen eben durch diese drei Lokalisierungen." 70 Das Kopfhirn konzentriert nach Gurdjieff die bejahende Kraft des Bewußtseins, das Stammhirn die verneinende Kraft der materiellen Form und das Gefühlshirn - klassisch lokalisiert im Herzbereich - die versöhnende Kraft der Liebe. Im Schöpfungsprozeß wurden die drei ursprünglichen Kräfte des allgegenwärtigen Okidanoch voneinander getrennt - die bejahenden, verneinenden und versöhnenden Willenskräfte der ursprünglichen Schöpfungstriade - und sie haben des­ halb immer die Bestrebung, sich wieder miteinander zu ver­ einigen. In diesem Prozeß bringen sie eine Wirkung in uns hervor. Dadurch wird es für den Menschen möglich, etwas zu tun, weil die drei Kräfte durch bewußte Arbeit wieder ver­ bunden werden können. Diese bewußte innere Arbeit bezeich­ net G. als Dschartklom-Proze?, d. h. die Umwandlung und Vereinigung der ursprünglichen Kräfte. „In beiden Fällen, in denen das Okidanoch in den Bestand eines Wesens eintritt und der Dschartklom-Prozeß sich in ihm vollzieht, fließen seine Grundteile mit den Wahrnehmungen zusammen, die im ge­ gebenen Moment in den Wesen vorhanden sind und die ihm gemäß der sogenannten 'Vibrationsverwandschaft' entspre­ chen, und konzentrieren sich weiter in der entsprechenden Lokalisation, das heißt im entsprechenden Gehirn." 71 Auch wenn Bewegungsapparat, Sinnesorgane, Gefühle und Denkfähigkeit neurobiologische Funktionen des Menschen sind, können wir das Denkzentrum in diesem Zusammen­ hang als Stellvertreter oder Ausdruck des Geistes, das Gefühlszentrum als Stellvertreter des Seins und das Körper­ zentrum als Steilvertreterder Funktionen bezeichnen. Sie sind fähig Körper, Seele und Geist zu einer individuellen, ganzheitlichen Wirklichkeit zu vereinigen. Die Gesamtheit dieser Realität ist das „wirkliche Ich" im Menschen.

Unsterblichkeit 57

Die Reise zum Ich dauert lange Jahre. Es gibt lange Peri­ oden, in denen nichts zu passieren und sich nichts in ei­ nem zu verändern scheint. Doch jede Anstrengung zählt. Nichts geht verloren. Wenn wir aus einer mehr oder weni­ ger versklavten Existenz in die „wirkliche Welt" aufwachen wollen, sollte keine Anstrengung zu viel sein. Doch wir müssen ein Ziel vor Augen haben. Die „Arbeit an sich selbst" wird wie der rote Pfeffer des transkaukasischen Kurden sein, sie wird unsere mentalen und emotionalen Identifi­ kationen und Tagträume zerstören. Bevor wir jedoch ein „höheres" Ziel ins Auge fassen können, zieht uns ein per­ sönliches Ziel an.

Unsterblichkeit „Es gibt sehr viele Wege, manche sind kürzer, manche länger, manche schwerer und manche leichter, aber alle ohne Ausnahme führen oder trachten in eine Richtung zu leiten, nämlich zur Unsterblichkeit... Unsterblichkeit ist nicht eine Eigenschaft, mit der ein Mensch geboren wird. Aber der Mensch kann Unsterblichkeit erreichen. ' V2

Mit Unsterblichkeit meint Gurdjieff nicht die Unsterblich­ keit des Körpers, sondern vielmehr des wirklichen „Ichs", das er mit der unsterblichen Seele gleichsetzt. Gurdjieff führt diese Idee bereits ein, bevor er die Einzelheiten des „vierten Wegs" erklärt? Er „lockt" den Sucher mit einem persönlichen Ziel, das eine treibende Kraft der „Arbeit an sich selbst" ist, auch wenn der Weg dieses persönliche Ziel schließlich transzendiert. John G. Bennett gibt uns eine wichtige Hilfe, den Weg zu verstehen: „Es ist nicht unbe­ dingt notwendig, den ganzen Weg zu gehen. Jene, die ein Stück weit gehen, erhalten alles, was ihnen in diesem Punk­ te möglich ist, sie haben keinen Verlust. Ich kenne einige Menschen, die eine Vision davon hatten. Dies ist sehr real

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und wichtig. Keine Arbeit und keine Bemühung ist vergeu­ det. Es existiert kein Schwarz-Weiß-Raster, keine absolute Erlösung, keine absolute Verdammnis." 73 Die Arbeit an der Verwirklichung des „Ichs" ist der zentrale Angelpunkt in Gurdjieffs praktischer Lehre vom vierten Weg. In seiner ersten Ausführung, die Ouspensky uns überliefert hat, erzählt Gurdjieff die alte Allegorie vom Menschen, der sich in seinen Teilen bildhaft aus Wagen, Pferd, Kutscher und Herr des Gefährts zusammensetzt. Diese vier Teile des Men­ schen - physischer Körper, Gefühlszentrum, Denkzentrum und Ich (Bewußtsein, Wille) - symbolisieren auch die vier Körper des Menschen. 74 In Beelzebubs Erzählungen erzählt Gurdjieff im Schlußkapitel „Vom Autor" auch diese Allegorie von der Kutsche, fügt aber noch eine entscheidende Information hin­ zu: „So wie die einzelnen selbständigen Teile eines Droschken­ taxis miteinander verbunden sind - nämlich der Wagen mit dem Pferd durch die Deichselstangen, das Pferd mit dem Kutscher durch die Zügel -, so sind auch in der allgemeinen Organisation des Menschen die einzelnen Teile miteinander verbunden, und zwar der Körper mit der Gefühlsorganisation durch das Blut, die Gefühlsorganisation mit der Organisati­ on, welche das Funktionieren des Denkens oder Bewußtseins verwirklicht, durch das sogenannte Ganbledzoin, das heißt jenen Stoff, der im allgemeinen Bestand eines Menschen durch alle absichtlich erzeugten Seins-Anstrengungen entsteht." 75 Durch dieses Beispiel wird deutlich, wie die drei Zentren oder Funktionen des Menschen - Körper, Fühlen, Denken eng verwoben sind mit der Seele, dem Bewußtsein und dem wirklichen Ich, und wie wichtig die harmonische und integrierte Entwicklung ist. Er führt an anderer Stelle das Thema weiter: „So gibt es drei Verbindungsglieder zwi­ schen den vier Teilen dieser komplexen Organisation... Die Verbindungsglieder sind nicht weniger wichtig als die tat­ sächlichen 'Körper'. Wenn ein Mensch an sich arbeitet, muß er gleichzeitig an den 'Körpern' und an den 'Verbindungs­ gliedern' arbeiten... die Arbeit an sich selbst muß mit dem

Die Alchemie der Transformation 59

Kutscher beginnen. Der Kutscher ist das Denken. Um sei­ nes Herrn Stimme zu hören, darf der Kutscher vor allem nicht schlafen..." 76 Seinem Schüler Ouspensky erklärt er weiter: „Diese vier Körper bestehen aus Stoffen, die allmählich immer feiner werden, einander durchdringen und vier unabhängige Or­ ganismen bilden; sie stehen in einer bestimmten Bezie­ hung zueinander, sind aber fähig, unabhängig voneinan­ der zu handeln." 77 John G. Bennett macht diese Aussage für uns klarer und eindeutiger: „Es gibt verschiedene An­ sätze, über Körper zu sprechen. Sie haben unterschiedli­ che Grade der Materialität; aber es gibt keinen Zweifel, daß sich im Menschen etwas Derartiges als Ergebnis sei­ nes Lebens bildet. Wenn sich die Sensitivität sozusagen zu etwas Stabilem kristallisiert, dann wird das Ergebnis der zweite oder der Astralkörper genannt. 78 Was Gurdjieff den 'höheren Seinskörper' nennt, ist das gleiche wie Seele.... Die Lehre der vier Körper bezieht sich zweifellos auf die vier Ebenen des Selbst des Menschen. Ein jeder hat die Möglichkeit... zur unabhängigen Existenz. Das ist das, was wir mit Körper meinen: Es ist ein materielles Gebilde, das aus sich selbst heraus Zusammenhalten kann, ohne auf ein Gefäß angewiesen zu sein." 79 Auf die vier Ebenen des Selbst werde ich im Verlauf dieses Kapitel näher eingehen, doch zunächst möchte ich einen wichtigen Angelpunkt von Gurdjieffs Lehre, die Idee der Transformation, erläutern.

Die Alchemie der Transformation „Das Gold entspricht dem gesunden und ursprünglichen Zustande der Seele, die ungehemmt und ungetrübt den seinem Wesen nach göttlichen Geist zu spiegeln vermag. " Ibn Arabi

Der „Vierte Weg" ist in diesem Sinne ein alchimistischer

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Weg. Dabei geht es um die vollkommene Umwandlung des Menschen, nicht um Anpassung oder Verbesserung. Wenn man den Gedanken des „Vierten Weges" weiterdenkt, ist die Idee nicht so einfach, wie sie oberflächlich gesehen scheint. Gurdjieffs Gebrauch der Zahlenqualitäten weist auf eine tiefsinnigere Symbolik des Begriffes hin. „Wenn die Selbst-Täuschung zerstört ist und der Mensch anfängt den Unterschied zwischen dem Mechanischen und dem Bewußten in sich selbst zu sehen, beginnt ein Kampf um die Verwirklichung des Bewußtseins im Leben und um die Unterordnung des Mechanischen unter das Bewußte. Zu diesem Zweck beginnt der Mensch mit dem Bestreben, den mechanischen Vorgängen, welche sich gemäß den Gesetzen der Zweiheit vollziehen, eine bestimmte, aus bewußten Motiven stammende Entscheidung entqeqenzusetzen. Die Schaffung eines dauernden dritten Prinzips ist für den Menschen die Verwandlung der Zweiheit in die Drei­ heit." 80 Die Verwandlung der Zweiheit in die Dreiheit be­ deutet vor allem, daß wir aus der Welt der Dualität, der Flachlandwelt, in die bewußte, dreidimensionale Welt aufwachen. Wenn die versöhnende Kraft unseres Seins sich mit der verneinenden Kraft unseres Körpers und der beja­ henden Kraft unseres Bewußtseins vereint, geschieht eine wunderbare Transformation. Diese Transformation geschieht durch den DschartklomProzeß, der durch bewußte Anstrengungen auf dem Weg der Selbstvervollkommnung die drei getrennten Kräfte wie­ der zusammenführt. Die harmonische Vereinigung der drei Schöpfungskräfte läßt ein viertes Element entstehen - oder besser gesagt „ins Lebensspiel eintreten", das „wirkliche Ich". Um beim anfangs erwähnten Beispiel zu bleiben: Der Herr des Droschkentaxis ist eingestiegen und bestimmt von nun an den Weg. Die Vierheit - die Ganzheit oder Ein­ heit der drei Kräfte - hat eine andere, neue Qualität. Wenn Gurdjieff die Verwandlung der Zahlenwerte entwikkelt, spricht er nicht über die lineare und quantitative Zähl­

Die Alchemie der Transformation 61

weise, die wir kennen. Zahlen sind nicht nur Mengen son­ dern haben Qualitäten. Traditionell wird die Qualität der Drei mit den drei Kräften, die an jeder dynamischen Ent­ wicklung teilnehmen, der aktiven, passiven und neutralen Kraft, in Verbindung gebracht. Die Qualität der Vier wird traditionell mit den Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft beschrieben. Diese vier Elemente werden in Gurdjieffs Lehre zeitgemäß auf eine neue Weise eingeführt. Kohlen­ stoff, Stickstoff, Sauerstoff bilden eine Dreiheit, die einen „Wasserstoff" ergibt. Für ihn wie für die Alchimisten sind die vier Elemente einfach nur die allgemeinsten Eigenschaf­ ten, durch die sich der Stoff manifestiert. „In dieser Hin­ sicht kann man die vier Elemente mit mehr oder weniger dichten Zuständen des körperlichen Stoffes, besser aber noch mit verschiedenen Schwingungsarten vergleichen, wenn auch alle diese Vorstellungen nur annähernd richtig sind, denn das Element als solches steht vor oder unter­ halb der ganzen körperlichen Kundgebung, so wie auch der Urstoff der ganzen körperlichen Welt selbst nicht wahr­ nehmbar ist." 81 Die Kombination der Drei und Vier finden wir auch in Gurdjieffs Oktavengesetz wieder. 82 So ist es nicht ohne Bedeutung, wenn wir sagen: Sieben ist gleich Vier plus Drei. Gurdjieff stellte mit seinem Oktavengesetz die Drei und die Sieben in den Vordergrund und ließ dabei aber die Vier im Hintergrund. 83 Wenn wir die Qualität der Vier näher betrachten, erscheint sie beinahe auf dieselbe Weise wie die Drei: als eine Syn­ these der Verschiedenheiten. In der Dreiheit integriert die dritte versöhnende Kraft die Unterschiede zwischen Beja­ hung und Verneinung. In der Vierheit integriert der „Vierte Weg" die anderen drei Begriffe. Der Vierte Weg ist nicht nur „ein weiterer" Weg wie die anderen. Bezogen auf Gurdjieffs Grundidee der drei Zentren können wir deutlich sehen, daß ein synchrones und harmonisches Zusammenspiel von körperlichen Fähigkeiten mit Gefühls­ qualitäten und der geistigen Aktivität, die bewußt durch

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das wirkliche Ich gelenkt und gesteuert werden - unser Beispiel von der Kutsche - keine bloße mathematische Ad­ dition darstellt. Es werden keine Äpfel, Birnen und Bana­ nen zusammengezählt, sondern unterschiedliche Systeme in ein harmonisches Zusammenspiel gebracht. Harmoni­ sche Entwicklung und Zusammenklang ist eine ganzheitli­ che Qualität, die nicht aufgrund ihrer Einzelteile erklärt werden kann. Wenn Gurdjieff über die Integration der drei Gehirne oder Zentren spricht, verbirgt er die Idee der Integration von Körper (Funktion bzw. Wissen), Seele (Sein) und Geist (Wil­ le). Damit wollte er sich bewußt von dem traditionellen spirituellen Schema absetzen und die praktische Kompo­ nente seiner Lehre betonen. Manchmal spricht er auch von sieben Zentren in Anlehnung an seine Oktavenlehre. Hier­ bei wird einerseits das Bewegungszentrum in ein motori­ sches, instinktives und sexuelles Zentrum unterteilt, au­ ßerdem werden ein höheres emotionales und ein höheres intellektuelles Zentrum hinzugefügt; d.h. die körperliche Ebene besteht aus drei Funktionen, das Gefühlszentrum besteht aus einem emotionalen und einem „höheren" Gefühlszentrum, das man der Seele zuordnen kann, und das Denkgehirn enthält das normale Denken und die hö­ here Vernunft, die man dem Geist zuordnen kann. Kopf Brust Körper

Denkzentrum - höheres Denkzentrum Gefühlszentrum - höheres Gefühlszentrum Bewegung - Instinkt und Sinne - Sexualität

Mit seinen „Wasserstofftabellen" 84 greift Gurdjieff bewußt den Sprachschatz der zeitgenössischen Chemie und Physik auf, um für den Menschen des wissenschaftlichen Zeitalters eine Annäherung an die spirituellen Inhalte seiner Lehre zu er­ möglichen. Gurdjieff wollte mit dem Begriff der „Wasserstoffe" die Vorstellung erwecken, daß sie wie der Kern des Wasserstoffatoms die Bausteine alles Existierenden sind. Man kann sie auch als Atome des Bewußtseins bezeichnen.

Die Alchemie der Transformation 63

Auf den Experimenten der Alchimisten basieren die Grund­ lagen der modernen Chemie. Dabei ging es den Alchimisten ursprünglich vielmehr um die vollkommene Transformation des Menschen. Sie kleideten ihre Erkenntnisse in eine symbo­ lische Sprache, die für die Außenstehenden ohne Interpretati­ on nicht verständlich war. Sie verschleierten mit ihrer Labor­ sprache gegenüber der herrschenden Kirche ihren damals ge­ fährlichen spirituellen Weg. Die heutigen Naturwissenschaften haben zwar keinen spirituellen Hintergrund mehr, sind aber für den Laien genauso „esoterisch" wie damals die Alchemie. Au­ ßerdem gehen viele ihrer Erkenntnisse inzwischen über den „Materialismus" weit hinaus. In der Alchemie besteht jedes „Metall" aus drei Bestand­ teilen, aus Schwefel, Quecksilber und Salz. Diese drei Kräfte oder Ursachen machen zusammen die Natur des Metalles aus. Der Begriff Metall steht symbolisch für den Menschen. Je nach Gebrauch stehen Schwefel für Seele, Quecksilber für Geist und Salz für Körper. Allerdings ist die alchimistische Symbolik keineswegs ein­ deutig. Denn wie in Gurdjieffs Gesetz der Drei wechselt je nach Aufgabe und Standort die einzelne Kraft bzw. das Element seine Funktion. So ist zum Beispiel in gewissem Sinne der „erstarrte Schwefel" der Verstand, der das Gold des Geistes in unfruchtbarer Form enthält. Dieser muß erst im Quecksilber, das auch für den Lebensgeist steht, auf­ gelöst werden, bevor es zum lebendigen „Ferment" wird, das andere Metalle verwandeln kann. Auch das Salz ist nicht einfach der Körper in seiner äußeren Gestalt, son­ dern dessen seelische Form, während der Schwefel die Verbrennung der ungeläuterten Substanzen bewirkt. In der alchimistischen Transformation werden diese Elemente in ein hermetisch versiegeltes Gefäß, den Athanor (aus dem arabischen, Backofen) gebracht, der mit Feuer erwärmt wird. Das Feuer steht natürlich für die bewußte Anstren­ gung. Nach dem alchimistischen Prinzip solve et coagula lösen und verschmelzen - werden die Grundelemente durch

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ihre Erhitzung auf eine neue Qualitätsebene gebracht, es entsteht das geistige Gold. „Das Gold, schreibt der islami­ sche Mystiker Muhyi-d-Din Ibn 'Arabi, entspricht dem ge­ sunden und ursprünglichen Zustande der Seele, die unge­ hemmt und ungetrübt den seinem Wesen nach göttlichen Geist zu spiegeln vermag." 85 Diese Transmutationen ge­ schehen in verschiedenen Stufen, die im Sufismus als fana und baqa bezeichnet werden, Tod und Wiedergeburt. 86 Oder wie Gurdjieff es formuliert: „Erwachen - Sterben - Geboren­ werden." Der höchste Aspekt der Alchemie ist die Trans­ formation des Menschen aus den materiellen Elementen seines physischen Körpers auf die Schwingungsebene des Geistes. Das ist das Geheimnis des Steins der Weisen.

Die harmonische Entwicklung des Menschen Die Reise zum Ich ist die Evolution des menschlichen Be­ wußtseins. Jedesmal, wenn wir erleben, daß unsere Teile oder Funktionssysteme Zusammenwirken, erfahren wir eine qualitative Veränderung in uns. Wir wachen auf. Ein wich­ tiger Aspekt des Prozesses ist, das er uns während der Reise lehrt, wie wir von einem System in ein anderes über­ gehen können. Das Training ist nicht statisch. Wir können ohne bewußtes Wissen die unabhängigen Teile nicht zu­ sammenführen. Wir können zwar beobachten, wie wir den­ ken, fühlen, reagieren, wir können unsere Körperroutinen, Identifikationen und Schwächen sehen, doch wir wissen nicht, wie wir aus diesen Gewohnheiten ausbrechen kön­ nen. Ohne gezielte Arbeit an der Synchronisation, dem Zusammenwirken von Körperbewegung, Körperempfin­ dung, Gefühlen, Denkmustern und anderer Elemente un­ seres Seins, funktioniert der Mensch nicht harmonisch und ist nicht wirklich bewußt. Selbststudium und Selbstbeob­

Die harmonische Entwicklung des Menschen 65

achtung helfen uns, zu erkennen, wie „die menschliche Maschine funktioniert", aber ihr ganzer Plan ist uns damit noch nicht bewußt. Der intelligente vierte Weg besteht nicht darin, mit jeder einzelnen Schwäche zu kämpfen, da diese Arbeit nicht stückchenweise gemacht werden kann. John Bennett sagt: „Wenn man versucht, mit einem Fehler zu kämpfen, weiß man nicht, was das für Folgen für andere Teile von uns hat. Man wird einen Fehler los und vielleicht tauchen an seiner Stelle zwei neue auf." Deshalb sind die rituellen Tänze, auch Movements genannt, eine der wich­ tigsten Trainingsmöglichkeiten, die Gurdjieff entwickelt hat. Diese Bewegungsabläufe und Choreographien sind meiner Ansicht nach so genial aufgebaut, daß alle Teile des Men­ schen gleichzeitig beansprucht und schließlich synchroni­ siert werden. Das wesentliche Ziel dabei ist die Verbesse­ rung des Zusammenspiels von körperlicher Koordination, Gefühlen und Bewußtsein. Wir müssen gleichzeitig kom­ plizierte Bewegungsmuster in Gedanken halten, die Ab­ stimmung mit der Gruppe beachten, auf die Dynamik des Rhythmus eingehen, erleben intensive Gefühle, die durch die Musik angeregt werden, und wir erwecken eine Ebene der bewußten Erkenntnis, die uns der jeweilige Tanz ver­ mittelt. Durch längere Arbeit mit den Movements können neue Verbindungen im Gehirn gebildet werden, die vorher nicht vorhanden waren. 87 Wir haben zwar noch keine Un­ tersuchungen mit den Möglichkeiten der Gehirnforschung über diese „Neuprägungen" doch jeder, der längere Zeit mit diesen Techniken arbeitet, bemerkt schließlich wesent­ liche Unterschiede gegenüber dem früheren Zustand. Aber das Entscheidende an der Arbeit mit den heiligen Tänzen ist die Verbindung mit der spirituellen Qualität, unsere Transformation auf eine andere Schwingungsebene. Jede Erkenntnis oder Wahrnehmung mit einem Zentrum oder zwei „Zentren" allein ist unvollständig. Auf Grundlage seiner Theorie der Relativität der Sprache und der Wahr­ nehmung hat Gurdjieff sieben Menschentypen dargestellt,

66 Die Reise zum Ich

die er in drei unterschiedlichen Ebenen oder Kategorien unterscheidet. Diese drei Ebenen entsprechen den drei Wel­ ten des Bewußtseins, die im nächsten Kapitel dargestellt werden. Selbstverständlich können wir diese Grundtypen selten in reiner Form wahrnehmen, doch bei genauer Be­ obachtung ist leicht der Schwerpunkt eines Menschen aus­ zumachen. Entsprechend dieses Schwerpunktes ist auch die Wahrnehmung gefärbt. Um Mißverständnisse auszu­ schließen: Die nachfolgenden Kategorien der menschlichen Entwicklungsstufen sind ein Arbeitsmodell für die Selbst­ erkenntnis, das uns helfen kann, die eigene Entwicklung besser einzuschätzen. Ebene A - Menschen, die hauptsächlich in einer oder zwei ihrer Funktionen und der physischen Welt zentriert sind:

Mensch Nr. 1 Der „physische" Mensch. Schwerpunkt in körperlichen und sinnlich bezogenen Aktivitäten. Unbeständiger Mensch mit vielen Persönlichkeiten. Nicht selbstkritikfähig. Eindimen­ sionales Denken, Fühlen und Handeln. Mensch Nr. 2 Der „emotionale" Mensch. Schwerpunkt in den Emotionen, schwankt ständig zwischen Vorlieben und Abneigungen, seine Ziele basieren auf Wünschen und nicht auf durch­ dachten Entscheidungen. Dieser Typ wird leicht aggressiv (oder weinerlich) und bedauert dies hinterher. Reagiert emotional auf äußere Einflüsse. Mensch Nr. 3 Der „intellektuelle" Mensch. Ein Mensch mit Zielen. Denken und seine Vorstellungen sind gut organisiert. wisse Kapazität für Selbstkritik. Gefestigter Charakter, mit widerstreitenden Gefühlen. Seine Handlungsweisen nicht beständig. Typischer „Intellektueller". Oft sehr

Sein Ge­ aber sind ein­

Die harmonische Entwicklung des Menschen 67

seitig im Denken, doch der Verstandesmensch ist leichter zugänglicher für neue Ideen als der physisch betonte oder emotionale Mensch, weil er auf neue Gedanken nicht so­ fort emotional reagiert (außer er „denkt" mit dem Gefühls­ zentrum). Ebene B - Menschen, die im Sein und weniger in ihren Funktionen zentriert sind:

Mensch Nr. 4 Der „integrierte" Mensch. Dieser Mensch steht am Kreu­ zungspunkt zwischen Existenz und Essenz. Er hat wahr­ scheinlich große Probleme, den Weg zum entwickelten Be­ wußtsein zu gehen, da er noch mit einem Bein in der exi­ stentiellen Welt verankert ist. Mensch mit dauerhaftem Schwerpunkt (gewisse Synchro­ nisation der drei Zentren). Hat bereits Ziele, die über die materielle Existenzsicherung hinausgehen und kann seine Entscheidungen durchsetzen. Selbstkritisch und doch selbstbewußt. Gurdjieff sagt, Mensch Nr. 4 sei das Ergeb­ nis der „Schularbeit", d.h. dieser Mensch entwickelt sich nicht durch das „normale" Leben. Die Entwicklung von Mensch Nr. 4 wäre im Enneagramm (siehe Kapitel 7) der „Schock" an Punkt 3. Mensch Nr. 5 Schwerpunkt im Wesen, innere Freiheit des Handelns, kann bewußt geistige Zusammenhänge und Strukturen erken­ nen. Seine Individualität beeinflußt bereits sein Handeln, auch wenn sie noch nicht vollkommen mit dem Wesen ver­ bunden ist. Er hat das Hindernis des Egoismus überwun­ den, aber ist noch nicht frei von dem, was er aus den vor­ herigen Stufen mitgebracht hat. Ebene C - Menschen, die im Willen bzw. der geistigen Welt zentriert sind:

68 Die Reise zum Ich

Mensch Nr. 6 Vollkommener Mensch, Individualität und Wesen sind verei­ nigt. Vereinigung von Wissen und Sein, das Wesen ist im Bewußtsein verankert. Das Ich hat bei ihm seine zentrale Stelle im Wesen eingenommen. Mensch Nr. 7 Ein Mensch, der die dem Menschen mögliche volle Ent­ wicklung erreicht hat und alles hat, was ein Mensch erlan­ gen kann: Wille, Bewußtsein, dauerndes und unvergängli­ ches Ich, Individualität, Unsterblichkeit. 88 Werk (synergetisch)

(9)

Die Funktionsweise des Enneagramms wird in Kapitel 7 ausführlich dargestellt. Der Kreis stellt die existentielle Welt dar, das Sechseck die essentielle Welt, das innere Dreieck die Welt des Geistes bzw. Willens (Punkte 9,3,6). Hier hilft es zu wissen, daß die Punkte des Dreiecks äußere Einflüsse darstellen, die jeweils neue Qualitätsstufen bewirken; an jedem Dreieckspunkt beginnt eine neue Oktave.

Dieses Modell beschreibt keine soziale „Hierarchie" von Men­ schen in unserer Gesellschaft. John G. Bennett betonte im­ mer wieder, daß Menschen, die sich auf dem Weg befinden, nicht anders oder besonders sind. Jedes Gefühl, ein „auser­ wählter" oder besonderer Mensch zu sein, wird aus dem Ego gespeist und ist deshalb ein Hindernis auf dem Weg. Tat­ sächlich ist es so, daß jede innere Entwicklung mehr Verant­ wortung für andere Menschen mit sich bringt. Das Leben wird nicht leichter, sondern eher schwieriger. Da Menschen,

Das Selbst 69

die nicht „an sich selbst arbeiten", keinen Blick für die innere Seinsqualität eines anderen Menschen haben, können sie Men­ schen auf dem Weg der Transformation auch nicht „erkennen", sie können höchstens „ahnen", daß sie von diesem Menschen etwas lernen können. Jede weitere Stufe ab dem „Mensch Nr. 4" führt uns in Berei­ che, die den Menschen 1, 2, 3 nicht zugänglich sind. Die drei Ebenen haben mit der Entwicklung des Bewußtseins und der Seele zu tun. Die Menschen, deren Schwerpunkt nur in ei­ nem der Zentren liegt, befinden sich nach Gurdjieffs Definiti­ on im „Schlafzustand". Der Wachzustand, der Menschen zu­ kommt, deren Zentren gelegentlich Zusammenwirken, sollte nach Gurdjieff der „normale" Bewußtseinszustand für „dreihirnige Wesen" sein. Er sagt: „Mensch Nummer vier ist im­ mer das Produkt der Arbeit von Schulen. Er kann weder so geboren werden noch zufällig oder als Ergebnis gewöhnli­ cher Einflüsse des Heranwachsens und der Erziehung sich dazu entwickeln. Der Mensch Nummer vier ... hat einen dauernden Schwerpunkt, der in seinen Ideen, in seiner Wer­ tung der Arbeit und in seiner Beziehung zu der Schule liegt. Außerdem haben seine psychischen Zentren bereits be­ gonnen, ins Gleichgewicht zu kommen... Er beginnt sich bereits kennenzulernen und zu wissen, wohin er geht." 89

Das Selbst „Manchmal wird eine Sache dadurch verborgen, indem sie so erscheint, wie sie tatsächlich ist. " John G. Bennett 90 Gurdjieff erzählt in Beelzebubs Erzählungen von einer Sta­ tue, genannt Sphinx, die das Sinnbild der Gesellschaft Achaldarn 91 war und „Gewissen" hieß. „Sie stellte ein allegorisches Wesen dar, bei dem jeder Teil ihres planetischen Körpers durch einen Teil des planetischen Körpers eines dort existierenden Wesens verschiedener Form dargestellt war... Der Hauptteil

70 Die Reise zum Ich

des planetischen Körpers dieses allegorischen Wesens war durch den Rumpfeines dortigen Wesens... dargestellt, 'Stier' genannt. Dieser Stierrumpf ruhte auf den vier Füßen eines anderen Wesens ... Löwe genannt, und an jenem Teil des Stierrumpfes, der sein Rücken genannt wird, waren zwei große Flügel angebracht, die ähnlich aussahen wie die eines star­ ken Vogelwesens... Adler genannt. An der Stelle aber, wo der Kopfsein sollte, waren an dem Stierrumpf durch ein Bernstein­ stück zwei Brüste angebracht, die was 'jungfräuliche Brüste' genannt wird, darstellten.... Diese allegorische Figur ist das Sinnbild der Achaldan-Gesellschaft und dient unseren Mit­ gliedern zur Anregung, um die entsprechenden Impulse her­ vorzurufen, die dieser allegorischen Figur zugeschrieben wer­ den, und ständig ihrer eingedenk zu sein." 92 Die Figur rief in den Mitglieder der Gesellschaft die Impul­ se hervor, daß „die Befreiung nur erreicht werden kann, wenn wir unseren ganzen Bestand unaufhörlich zwingen, in entsprechenden Fällen stets so zu denken, zu fühlen und zu handeln, wie es dieses unser Sinnbild ausdrückt." In der Titelillustration seines Prospektes für das "Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen" hat Gurdjieff diese allegorische Figur wieder aufgegriffen. Ver­ woben mit dem Symbol des Enneagramms sind Stier, Löwe, Mensch, Adler und Taube, die für die verschiedenen Zentren ste­ hen: Bewegungszentrum, Ge­ fühlszentrum, Denkzentrum, Intelligenz (höheres Denkzen­ trum), Liebe (höheres Gefühls­ zentrum). In der Auslassung des menschlichen Gesichts, das ja in der Sphinx von Gizeh vorhanden ist und an dessen Stelle im Sinn­ bild der Achaldangesellschaft „jungfräuliche Brüste" stehen, gibt Gurdjieff uns das Rätsel der

Das Selbst 71

Suche auf. Ohne leidenschaftlichen Wunsch nach der Wahr­ heit werden wir keine Verwirklichung finden. Die Frage: „Wer bin Ich", ist die zentrale Frage, die Men­ schen jeder Entwicklungsstufe immer wieder beschäftigt. An der Relativität der Seinsentwicklung des Menschen kön­ nen wir deutlich sehen, daß Gurdjieffs Psychologie sich völlig von der heutigen Psychologie unterscheidet, die sich im we­ sentlichen mit den Problemen von Mensch Nr. 1, 2 und 3 beschäftigt. Den Menschen nach sogenannten psychischen Eigenarten zu unterscheiden, greift viel zu kurz. Denn die meisten psychologischen Menschen- oder Charaktertypen be­ rücksichtigen weder die Integration der Zentren noch die ver­ schiedenen Entwicklungsebenen. Wenn wir sagen „Ich bin mich selbst" ist diese Aussage zwar immer richtig, doch auf so viele verschiedene Weisen, wie es „Selbstheiten" gibt. „Das Selbst" hat vor allem damit zu tun, wie wir uns „selbst" wahrnehmen. Wir betrachten uns immer je nach der eige­ nen Kapazität der Wahrnehmung und des Bewußtseins. Sage ich: „Ich bin mein Körper", sehe ich die materielle Seinsform von mir selbst. Dazu zähle ich das denkende Gehirn, die Emotionen, alle meine Funktionen. Mein Kör­ per, mein Geist, meine Gefühle sind ein Teil von „mir", und ich kann meiner selbst gewahr sein, d. h. mir gewahrwer­ den, was ich bin. Das Selbst hat jedoch verschiedene Schichten, die verschiedene Erfahrungen möglich machen. Sie sind Funktionsstrukturen, durch die es möglich ist, in dieser Welt mit dem physischen Körper zu denken, zu füh­ len und zu handeln. John G. Bennett ermöglichte uns mit einer neuen Terminologie, Gurdjieffs Kategorien der sie­ ben Stufen der menschlichen Entwicklung besser zu ver­ stehen. In Bennetts Einteilung haben wir drei Begriffe für die unterschiedlichen Qualitäten, die den ganzen Menschen ausmachen: Funktion, Sein, Wille, die den drei Kräften des Gesetzes Triamasikamno entsprechen, die auf allen Ebe­ nen des Selbst wirken. Diese drei Erscheinungsformen sind immer mit den verschiedenen Schichten des Selbst ver­

72 Die Reise zum Ich

bunden. Mit den verschiedenen Schichten des „Selbst" wird Gurdjieffs Sinnbild in neuer Form wiederaufgegriffen: 1. Das materielle Selbst steht für die körperlichen Funktio­ nen, den Stier; 2. das reagierende Selbst steht für die Gefühlsaspekte, den Löwen; 3. das bewußte Selbst steht für den „Menschen ohne An­ führungsstriche", wie Gurdjieff sagt; 4. das wahre Selbst steht für die Einheit des Menschen, seine Adlernatur, die dem Menschen „Flügel verleiht".

„Jedes Selbst stellt eine Kombination von Funktion, Sein und Wille dar, die auf solche Weise organisiert sind, daß sie gewisse Arten von Erfahrungen möglich machen. Dies bedeutet, daß jedes Selbst sein eigenes Set von Funktio­ nen hat. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um die glei­ chen Instrumente, aber sie funktionieren mehr oder weni­ ger effektiv, mehr oder weniger sensitiv und mit mehr oder weniger Bewußtsein. Wie die Instrumente des Menschen

Das Selbst 73

eingesetzt werden können, hängt ganz von den verschie­ denen Ebenen ihrer Organisation ab." 93 Dies führt uns zum Seinsaspekt der verschiedenen Schich­ ten des Selbst, die wir unter dem Begriff der Energien be­ trachten können. Jedes Selbst funktioniert mit einer be­ stimmten Energiequalität. Wenn diese Energie oder An­ triebskraft nicht vorhanden ist, ist dieses Selbst nicht wirk­ lich existent, auch wenn es latent vorhanden ist. Wir sind immer „uns selbst" doch auf unterschiedliche Art und in unterschiedlicher Qualität. Das materielle Selbst arbeitet vorwiegend mit automati­ scher Energie, das reagierende Selbst mit sensitiver Ener­ gie, das geteilte Selbst mit bewußter Energie und das wahre Selbst mit kreativer Energie. Wir können uns diese vier Selbstaspekte als vier Erfahrungsebenen im Diagramm von Funktion, Sein, Wille und Einheit vorstellen. Jedes Selbst besitzt einen „eigenen Willen". Um zur Vervollkommnung zu kommen, müssen wir im Laufe der Arbeit alle vier Aspek­ te des Selbst integrieren. 94 Wer sich bereits mit Gurdjieffs Lehre, insbesondere wie sie uns Ouspensky darstellt, beschäftigt hat, wird sich vielleicht wundern, warum wir hier das Konzept des Selbst und nicht Gurdjieffs Kategorien von Persönlichkeit, Wesen und „wirk­ lichem Ich" besprechen. Beide Konzepte haben ihren Platz im ganzen Bild. Die Dreiteilung in Persönlichkeit, Wesen und Ich zeigt die Verschränkung der alten Dreiheit von Körper, Seele und Geist, während das Konzept der vier Selbstheiten meiner Ansicht nach die entwicklungspsychologische Kom­ ponente hervorhebt. Bennetts Modell integriert alle Aspek­ te: mit Funktion, Sein und Wille wird das Konzept von Per­ sönlichkeit, Wesen und Ich zusammen mit den „vier Teilen des Droschkentaxis" und der Erfahrungswelt der Energien zusammengeführt. Das „Selbst" hat viele Schattierungen oder Schichten, die im Laufe der „Selbst"entfaltung integriert werden. Es gibt ver­ schiedene Arten des Selbst, die zu den verschiedenen Wel­

74 Die Reise zum Ich

ten gehören, in denen wir leben, die ich im nächsten Kapitel behandle. Das phy­ sische Selbst gehört zum verkörperten Dasein auf der Erde und erfüllt da seine Funktion. Das reagierende oder emotionale Selbst ist Teil der sensitiven, natürli­ chen Welt, der Biosphäre, während das bewußte Selbst Teil der Welt des Be­ wußtseins ist. Im nebenste­ henden Diagramm entspre­ chen die Linien des unteren Dreiecks den entsprechenden Selbstqualitäten. „Ich" und „Selbst" sind nicht identisch, denn das „Ich" ist einzigar­ tig, da es aus der Einheit des Geistes kommt. Das „Ich", d.h. unser wirklicher Wille nutzt das ganze Selbst, um auf der verkörperten Ebene des Menschen zu agieren, es sind aber nicht mein Körper, meine Gefühle und meine Gedanken.

Das materielle Selbst „Ein Esel arbeitet wesentlich besser als Sie. Er arbeitet ehrbarer, er tut mehr, er kann mehr tragen. Wenn Sie auf diese Weise arbeiten, ziehe ich es vor, Esel in meiner Schule zu haben, nicht Sie. " G. I. Gurdjieff

Dieses Zitat macht deutlich, welche Rolle das materielle Selbst spielt: es ist unser „ehrbarer Esel". Alle körperli­ chen Funktionen sind die Instrumente unseres Daseins: Muskeln, Knochen, Bewegungsfähigkeit, Sinneswahrneh­ mung, Nervensystem und Gehirn. Alle diese Funktionen erfüllen einen Zweck in unserem Leben. Wenn Bewußtsein

Das materielle Selbst 75

und Wille minimal sind, ist die Welt der Funktion auf me­ chanische Abläufe reduziert. Ein Mensch, der hauptsäch­ lich auf der Funktionsebene lebt und handelt, hat kein „Be­ wußtsein seiner selbst". Die einzige Art der Existenz, die sich dieser Mensch vorstellen kann, ist die materielle Welt. Je nach dem, in welchem Schwerpunkt der Zentren einer dieser Menschen vorwiegend ist, sieht er die Welt. Eine Person, die vom materiellen Selbst beherrscht wird, kann nach außen hin erfolgreich sein, doch das innere Leben ist sozusagen leer. Alles, was das Leben erfüllt, hängt von den Dingen der materiellen Welt ab. Das materielle Selbst ist genau die „Maschine Mensch", von der Gurdjieff spricht. Und in Bezug auf menschliche Verhaltensweisen verändert jede neue Software, jeder neue Einfluß die Maschine. Wie ein Chamäleon wechselt die Per­ sönlichkeit ihre Farben, je nach Umgebung. Automatisch wechselt sie ständig ihre Rollen. „Jeder Gedanke, jede Stim­ mung, jede Begierde, jede Empfindung sagt Ich." Aber in Wirklichkeit sind dies Rollen einer unbeständigen Persön­ lichkeit. Deshalb ist die ständig wechselnde Persönlichkeit eng mit dem sozialen Leben verknüpft und völlig von den äußeren Einflüssen abhängig. Diese rollenspielenden Persönlichkeiten sind keine Einheit. "Sehr oft kam G. auf das Fehlen der Einheit im Menschen zu sprechen: 'Einer der Hauptirrtümer des Menschen', sagte er, 'den man sich immer vor Augen halten muß, ist seine Täuschung in bezug auf sein Ich. Der Mensch, wie wir ihn kennen, die 'Maschine Mensch', der Mensch, der nicht 'tun' kann und mit dem und durch den alles geschieht, kann kein dauerndes und einziges Ich haben. Sein Ich wechselt mit gleicher Geschwindigkeit wie seine Gedanken, Gefühle und Stimmungen, und er begeht einen gewaltigen Irrtum, wenn er sich immer für ein und die gleiche Person hält; in Wirklichkeit ist er immer eine verschiedene Person, nicht die gleiche, die er im vorigen Augenblick war." 95 Der erste Schritt auf dem Weg der Selbstverwirklichung ist

76 Die Reise zum Ich

deshalb die Einsicht, daß wir„Persönlichkeiten mit vielen Ichs" sind. Denn je nach Lebensumstand gewinnt ein Teil unserer angelernten Rollenspiele unbemerkt die Herrschaft über die anderen Teile. Dieser Tatbestand kann problematisch wer­ den, wenn Mensch nun völlig andere Ansichten und Verhal­ tensweisen annimmt, so als ob er seinen Mantel gewechselt hätte. Doch diese Art von „Persönlichkeitsveränderung" ist keine Wesensänderung. Der Charakter dieses Menschen hat damit nichts zu tun. Die meisten Trennungen von Paaren geschehen, weil eine Persönlichkeit sich in eine andere Per­ sönlichkeit verliebt hatte und im Laufe der Zeit eine neue Persönlichkeit bei einem der Partner in den Vordergrund ge­ rückt ist. Da die mit der materiellen Welt identifizierten Persönlich­ keiten hauptsächlich nur die Dinge akzeptieren, die sie an­ fassen können, seien es nun Waren, „harte physikalische Beweise" oder die Körper anderer Menschen, liegt es nahe, daß diese in der äußeren Welt verwurzelten Menschen wenig wirkliches Mitgefühl mit anderen Menschen aufbringen kön­ nen - und wenn ihre Emotionen angerührt werden, dann hauptsächlich auf materielle Weise, d.h. mit Geld oder Waren kompensieren. Ein „materieller Mensch" kann Schmerzen durch körperliche Gewalt kaum mitempfinden. Nur wenn das reagierende, emotionale Selbst erwacht ist, ist auch körperliches Mitgefühl vorhanden. Selbstverständ­ lich hat jeder Mensch emotionale und mitfühlende Persön­ lichkeitsanteile, so daß es durchaus möglich ist, aus dem Gefängnis der „Maschinenwelt" auszubrechen. Wenn diese Persönlichkeit zeitweise erwacht ist, kann ein Teil in uns das Verhalten der verschiedenen Persönlichkei­ ten, Funktionsweisen und Antriebe beobachten. Wenn sich dadurch der Wunsch verstärkt, an der eigenen Entwick­ lung zu arbeiten, bildet sich ein „magnetisches Zentrum", das diesen Menschen auf der Reise zum Ich weiterträgt und ihn vielleicht mit einer „Schule des Bewußtseins" in Kontakt bringt.

Das reagierende Selbst 77

Das reagierende Selbst „Übe Dich zuerst in der Liebe zu Tieren: sie sind feinfühli­ Aphorismus von Gurdjieff ger. "

Die Entwicklung der Sensibilität, das Gespür für das Leben anderer Lebewesen, der Pflanzen, Tiere und anderer Men­ schen, ist die Voraussetzung für eine harmonische Ent­ wicklung. Wir können lernen - und das sollte auch ein wichtiger Teil der allgemeinen Erziehung sein - den Fluß der sensitiven Energie zu organisieren. Das Feld der Lebensenergie, an dem wir alle teilhaben und in dem wir mit allen Lebewesen verbunden sind, wird selten wahrgenommen. Wer ist schon in der Lage mit Pflanzen und Tieren zu sprechen? „Diese Fähigkeit wird bereits als „übersinnliche" angesehen, ob­ wohl sie eigentlich ganz sinnlich ist - wir sind nur nicht offen für diese Lebensäußerungen, genausowenig wie wir offen für die Kräfte des Bewußtseins sind, die dem Leben zugrundeliegende Intelligenz. Aus diesem Grunde kanalisiert sich die sensitive Energie zu Gewohnheiten. Die ganze Natur entwickelt „Gewohn­ heiten", wie Rupert Sheldrake deutlich macht. Durch un­ sere Erziehung und die allgemeinen gesellschaftlichen Le­ bensformen bilden sich verschiedene gewohnheitsmäßige Reaktionen und Lebenshaltungen, mit denen wir uns dann identifizieren. Diese Gewohnheiten bilden die „Persönlich­ keit" des Menschen, von persona, die „Maske". Die Per­ sönlichkeit besteht aus den erworbenen Eigenschaften des Menschen, sie bildet sozusagen eine äußere Schicht unse­ res Wesens. Sie ist wie unsere Kleidung, notwendig, um in der Welt zu leben. Wenn wir zu sehr an das materielle Selbst gebunden sind, wechseln wir die Masken wie Klei­ der. Kommen wir in Kontakt mit der sensitiven Energie des Lebens, beginnen wir uns selbst zu entdecken und können unsere Verhaltensweisen kritischer beobachten. Aber die

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Persönlichkeit ist nicht das Eigene. Sie widerspiegelt alles, was der Mensch gelernt hat, alle Spuren, die äußere Ein­ drücke im Gedächtnis und in den Empfindungen hinterlas­ sen haben, alle Worte und Bewegungen, alle Gefühle, die durch Nachahmung geschaffen wurden. „Für den Menschen des reagierenden Selbst sind seine Vor­ lieben und Abneigungen die 'Wahrheit': Das, was ich mag muß gut sein, und das, was ich nicht mag, schlecht, und jeder andere sollte es ebenfalls vermeiden... Wenn der reagierende Mensch sein Zentrum im Körper hat, dann wird er nichts tun, was sich für seinen Körper nicht 'gut an­ fühlt'... Reagierende Menschen können im einen Moment eine Sache mögen und sie im nächsten Moment ableh­ nen... Die Kraft im reagierenden Selbst ist verführerisch. Das reagierende Selbst will fühlen, daß seine Reaktionen sein fester Halt in der Realität sind..." 96 Das reagierende Selbst kann zu einem guten Diener wer­ den, wenn es dem bewußten Selbst untergeordnet wird. Das Leben wird „lebendig", gewinnt an Bedeutung. Wenn das reagierende Selbst regiert, leben wir weder glücklich noch ausgeglichen, weil wir ständig allen möglichen Schwankungen der körperlichen Wünsche und Bedürfnis­ sen, den Gefühlen Frustration und Freude, Abneigung und Attraktion usw. ausgeliefert sind. Doch diese Unzufrieden­ heit mit uns selbst kann der Startpunkt für jede weitere Entwicklung sein. Gerade diese Polaritäten können uns das Gefühl vermitteln, daß wir lebendig sind. Das reagierende Selbst sucht immer neue Herausforderungen und Gefah­ ren. Die Gesellschaft bringt immer neue Moden hervor, um genau diese Bedürfnisse zu befriedigen, seien es schnelle Autos, Bungee-Springen, Wildwasserfahrten, Techno-Par­ ties und was sonst noch so zeitgemäß ist. Menschen, die vom reagierenden Selbst beherrscht wer­ den, können Ideen nicht verstehen. Entweder sie glauben daran oder sie lehnen sie ab. Doch das hat nichts mit Ver­ stehen zu tun, sondern mit Gewohnheiten und Prägungen.

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Auch das, was „guter Geschmack" genannt wird, ist eine angelernte Haltung zu den Dingen. Genau diese Gewohn­ heiten zeichnen das aus, was wir als „Persönlichkeit" be­ zeichnen. Das Leben im Spannungsfeld der Polaritäten oder Dualismen ist sicherlich intensiver als die Existenz im mate­ riellen Selbst. „Das reagierende Selbst steht unvergleich­ lich viel höher auf der Skala des Seins als irgendetwas, das wir sehen und anfassen können. Die 'sichtbare' Welt ist die materielle Welt. Die 'unsichtbare' Welt fängt mit dem Leben an. Unser gewöhnliches Bewußtsein kann die sichtbare Welt aufnehmen und erkennen, in ihr handeln und wirken. Die Welt des Lebens entzieht sich unserem gewöhnlichen Bewußtsein. Wir sind innerhalb des Lebens; aber wir können es nicht sehen.... Die Welt der Sensitivi­ tät... ist eine weitaus feinere und außergewöhnlichere Welt als die Welt der materiellen Gegenstände. Wenn wir uns von materiellen Objekten beherrschen lassen und an der Qualität der Sensitivität Vorbeigehen, dann wird das Le­ ben sehr, sehr langweilig." 97

Das bewußte Selbst Wenn wir „im Leben aufwachen" und unter den Einfluß be­ wußter Kräfte kommen, wird es unserem Wesen möglich, zu reifen. Unser Wesen ist unser inneres Muster, das wir bei der Geburt mitbekommen haben. Bennett bezeichnet diese Ebene des Selbst als „geteilt", weil es noch eine enge Verbindung mit der Welt der Sinne, der Sensitivität, hat. Auf der anderen Seite ist es das Tor zum Bewußtsein. Wenn sich unser Wesen, unsere Natur zu sehr mit der Welt des Lebens verbindet, dann kann unser Wesen nicht stark ge­ nug werden, um die Energien des Bewußtseins aufzuneh­ men und zu konzentrieren. „Es erfordert viel Zeit, uns an die Trennung von Bewußtsein und Sensitivität zu gewöh­ nen... Wir müssen lernen, die Wahrnehmungen und Aktio­

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nen, die einer höheren Ordnung angehören, zu erkennen. Wir müssen uns auch üben im 'Kampf mit uns selbst', dem Hervorbringen einer Reibung zwischen 'Ja' und 'Nein', durch den der Boden für die Saat des Bewußtseins bereitet wird. Wenn Bewußtsein da ist, sprechen wir besser davon, daß es uns hat, als daß wir es hätten. Unsere Sensitivität ist es, die uns glauben macht, wir 'hätten Bewußtsein' oder ein 'Ich'. Bewußtsein ist nicht personalisiert oder an einen be­ stimmten Platz gebunden. Es ist überall." 98 Sensitivität kann ohne Bewußtsein auskommen, Bewußtsein jedoch braucht die sensitive Energie, um in der Welt zu wirken. Bewußt­ sein ist unabhängig von den Sinnen, kann sich aber nur über die Sinne manifestieren. Der wahre Zweck der Persönlichkeit ist es, unser Wesen zu schützen und nur die Einflüsse hineinzulassen, die es er­ nähren. Nur wenn die Persönlichkeit ihren „Eigenwillen" entwickelt, wird sie zum Hindernis für unser inneres Wachs­ tum, unser Schwergewicht wird nach außen verlagert. Wenn das Wesen stark genug geworden ist, ist es in der Lage die äußere Persönlichkeit nach ihrem Willen zu formen. In die­ sem Falle sind wir in der Lage, je nach Umständen eine Rolle zu spielen, ohne daß wir innerlich im Wesen von der Situation berührt werden oder uns damit identifizieren. Wenn die Persönlichkeit aber alleine agiert, dann spielt sie verschiedene unbewußte Rollen und meint, sie sei Herr der Lage. Wenn dieses bewußte Selbst, das man auch als „Wesen" bezeichnen kann, gefestigt ist, sprechen wir normalerwei­ se von einem „Menschen mit Charakter". Je nach Ausprä­ gung und Kombination verschiedener Aspekte ergeben sich daraus sogenannte Charaktertypen. Der Typ ist ein Lebens­ stil, der viele Variationsmöglichkeiten aufweist. Der Cha­ rakter ist eine Kombination von Neigungen, Trieben, Be­ dürfnissen, Zielen, Idealen, Gelüsten, die alle in unserem Verhalten zum Ausdruck kommen. Allerdings sind diese Charaktereigenschaften meisten durch die äußeren Per­

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sönlichkeitsmuster verschleiert. Dennoch ist es beinahe un­ möglich, in einer Weise zu handeln, die nicht typisch für uns ist. Mehr kann die gewöhnliche Verhaltenspsychologie nicht erkennen. „Es ist ganz klar, warum Wissen nicht weit vom Sein entfernt sein kann. Mensch Nummer eins, zwei oder drei können aufgrund ihres Seins nicht das Wissen von Menschen Nummer vier, Mensch Nummer fünf oder höher besitzen. Was immer Sie ihm auch sagen>, er wird es auf seine eigene Weise deuten, wird jede Idee auf die Stufe bringen, auf der er selbst sich befindet ."" Auf dieser bewußten Ebene des Selbst liegen unsere Anla­ gen, die Dinge, für die wir leben und die wirklich für uns wichtig sind. Den Typ oder Charakter können wir nicht ändern, nur entfalten. Wenn z.B. die Stärke eines Men­ schen darin liegt, Dinge, die für ihn wesentlich sind, ande­ ren Menschen mitzuteilen, weiterzugeben, kann er in die Lage kommen, diese Aufgabe im Leben bewußt zu erfül­ len, wenn die Persönlichkeit ihre Kraft verloren hat. Wenn die Persönlichkeit diese Dinge im Leben übernimmt, fließt die Energie, die durch die Verwirklichung von Aufgaben generiert wird, in das Ego und steht nicht für das Wachs­ tum der Seele und des Wesens bereit. Nach Gurdjieffs Ter­ minologie wird der Mensch Nr. 4 von der Kraft des Be­ wußtseins angezogen, während der Mensch Nr. 5 bereits im Bewußtsein und im wirklichen Wesen verankert ist. Er steht nun unter dem Einfluß der kreativen Energie des Wil­ lens und des wahren Selbst. Die weiblichen und männlichen Aspekte des Selbst Nun habe ich die ganze Zeit über den „Menschen" im all­ gemeinen" gesprochen. Ich bin Anthony Blake dafür dank­ bar, daß er darauf aufmerksam machte, daß sich Frauen und Männer in vieler Hinsicht unterscheiden. Natürlich än­ dert dieser Gedanke nichts an den grundlegenden Dar­ stellungen der Selbstheiten. Diese können jedoch bei Frauen und Männern andere Ausprägungen bekommen.

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„In Gurdjieffs Lehre über Wesen und Persönlichkeit gibt es keinen Hinweis auf die Geschlechter. C.G. Jung andererseits macht deutlich, daß das Wesen auch geschlechtlich ist: es sind die Anima oder der Animus, die die Geschlechterrollen der Persona vervollständigen. Vielleicht ist das nicht dassel­ be wie Gurdjieffs Wesen, doch wahrscheinlich existieren Anima und Animus in der Wesenswelt." 114 Die weibliche Sichtweise unterscheidet sich wesentlich von der männlichen. Wenn wir im Wesen bzw. dem bewußten Selbst zentriert sind, spielen beide Aspekte eine Rolle. Da Gurdjieff nie über diese Un­ terschiede gesprochen hat, kam über die Darstellung sei­ ner Lehre eine starke „Männlichkeit" in seine Arbeitsgrup­ pen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß er immer starke Frauen anzog, die eine bedeutende Rolle in der Vermittlung seiner Lehre einnahmen, auch eine Grup­ pe lesbischer Frauen um die Schriftstellerin Jane Heap. Außerdem wurden die heiligen Tänze meist nur von Frau­ en vermittelt. Für die Zukunft der Arbeit wird es immer wichtiger werden, daß der weibliche Aspekt mehr in den Vordergrund rückt und die besonderen Gefühlsqualitäten in der harmonischen Entwicklung des ganzen Menschen zum Tragen kommen. Ich denke da u.a. an die wunder­ schönen, berührenden Frauentänze, die Gurdjieff choreografiert hat, und die unser „Höheres Gefühlszentrum" ak­ tivieren können.

Das wahre Selbst „Die Wahrheit ist, daß nichts wirklich ist, so lange wie un­ ser Inneres und unser Äußeres voneinander getrennt sind." John G. Bennett

Bei der Behandlung der ersten drei Ebenen des Selbst spra­ chen wir von Energien und Qualitäten, aus denen sich das Selbst entwickelt. Jetzt kommen wir zu der Vorstellung,

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daß im Mittelpunkt das Selbst mit „mir" identisch ist. Bei den bisherigen Ebenen konnten wir von unterschiedlichen Gradierung der Innerlichkeit des Selbst sprechen, d.h. je mehr wir zum Wesen kommen, desto „innerlicher" wird un­ ser Selbst. Das materielle Selbst, der mehr oder weniger automatische Teil unseres Seins, ist „äußerlicher" als das geteilte Selbst mit seiner bewußten Kraft der Selbstbe­ stimmung. Im Zentrum, dem wahren Selbst, gibt es je­ doch weder innen noch außen. Das wahre Selbst ist der Platz für das wirkliche Ich . Die Selbstheit ist auf allen Ebenen immer noch Instrument für unser Sein in dieser Welt. „Wir können Lebenswillen und Egoismus einerseits, Freiheitswillen und schöpferische Kraft andererseits nicht mehr von dem Selbst getrennt sehen, in welchem und durch welches diese Kräfte wir­ ken." 100 Das wirkliche Ich muß den Platz des Egos im Zen­ trum des Selbst einnehmen, damit wir „uns selbst wer­ den". Wenn es uns durch „bewußte Arbeit und absichtliches Lei­ den" gelungen ist, das Schwergewicht unserer Handlun­ gen im Wesen zu verankern und von innen heraus zu ar­ beiten, sind wir an einem Punkt angekommen, an dem es möglich wird, unser ganzes Potential auszuschöpfen. Um zur Vervollkommnung zu gelangen, werden alle Selbstheiten gebraucht, es geht nicht darum, irgendeinen Teil des Selbst wegzuwerfen! Wichtig ist, ihre Funktionsweise verstehen zu lernen, damit sie uns nicht beherrschen. Im Zentrum unseres Wesens, im wahren Selbst, kann dann das wirk­ liches „Ich" seinen Platz einnehmen. Es enthält das Muster von Sinn und Zweck unserer Existenz, das unser Leben leiten sollte. „Das wahre Selbst ist ein Vehikel des 'Ich'. Es gibt Einflüsse, die von innen heraus auf unser Leben wir­ ken und die auf der Ebene dieses Selbst ihren Ursprung haben... Das wahre Selbst ist der eigentliche Bereich gei­ stiger Arbeit, einer Arbeit, die über die Transformation von Energien hinausführt in die Welt des Willens." 101

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Das „ wirkliche Ich ", der Wille „Wenn wir verstehen, wirkt unser Wille in Übereinstimmung mit dem größeren Willen. Je weniger wir verstehen, desto mehr ist unser Wille isoliert und subjektiv. " John G. Bennett

Das „Ich" ist der Wille, durch den sich die schöpferische, gei­ stige Kraft ausdrückt. Da Wille keine Sache oder Energie ist, wäre es irreführend zu meinen, mein „Ich" sei getrennt von einem anderen „Ich". Der Wille hat die Macht wirklicher Ent­ scheidung. „Wir haben das 'Ich' mit dem Willen gleichgesetzt. In diesem Sinne wäre es richtig zu sagen, daß jeder von uns ein wirkliches 'Ich' - einen Herrn, aber in latentem Zustand besitzt. Unser eigenes 'Ich' ist nicht allein der Wille, sondern die Verwirklichung des Willens in dem, was wir sind und dem, was wir tun. In dieser Verwirklichung liegt unsere eigene Rea­ lität. Ohne diese sind wir nur eine Anhäufung von Teilen, die früher oder später unvermeidlich zerfällt." 102 Wenn die Seele wächst, absorbiert sie alle Teile des Selbst und gebraucht sie als Material für ihr Wachstum. Allerdings sind Selbst und Seele solange voneinander getrennt, bis der Egoismus aus dem Zentrum des wahren Selbst verschwunden ist. Erst die Hin­ gabe an die schöpferische Kraft jenseits des Bewußtseins kann uns vom Egoismus befreien, der uns an die materielle Welt bindet. Der Wille hat mehrere Qualitäten, so auch die aktive Qua­ lität der Bejahung und des Tuns und die empfängliche Qua­ lität der Hingabe und des Wunsches. Nach diesen Ausfüh­ rungen könnte man meinen, daß Wille und wirkliches Ich sehr „weit" von uns entfernt sind. Tatsächlich haben wir ein Instrument des schöpferischen Willens zur Verfügung, die Aufmerksamkeit, die in Verbindung mit dem Bewußtsein eine direkte Wahrnehmung des Lebens ermöglicht. Ein großer Teil von Gurdjieffs Schulungsmethoden besteht in der Übung der Aufmerksamkeit.

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Da, wo meine Aufmerksamkeit ist, bin ich! Je mehr die Aufmerksamkeit in unserailtägliches Leben kommt, desto mehr sind wir bei uns selbst. Die Kraft des Willens ist die Entscheidung für oder gegen et­ was. Gurdjieff nennt Entscheidung „Fähigkeit zu tun". Wenn wir eine Entscheidung, eine wirkliche Entscheidung getroffen haben, wird sie sich auch in der Welt durchsetzen. Dadurch bringen wir unser schöpferisches Potential in die geistige Evo­ lution der Welt ein. Verstehen ist eine weitere Kraft des Willens, nicht des Ge­ hirns. Es ist die direkte Wahrnehmung dessen, wie alle Dinge Zusammenhängen, der Muster und Strukturen, welche die Welt bilden. Durch das Verstehen dieser Muster begreifen wir auch, welche individuelle Aufgabe wir im Leben haben, wel­ che Aufgabe und Rolle die Schöpfung spielt, wir verstehen den Sinn des Lebens. Das ist das Ziel des „Vierten Weges". „Unser Ziel muß sein, das 'Ich' dauerhaft im Zentrum der Seele zu verankern, denn nur so können wir den obersten Zweck unserer Existenz erfüllen, zur Brücke zwischen Geist und Materie zu werden. Wie kann ich diese Aufgabe bewälti­ gen? Wenn ich die Belastung ertragen will, muß ich stark sein. 'Ich-Stärke' wird durch die Worte ausgedrückt: 'Ich kann'. Wie gewinnt das Ich Stärke? Durch Tun. Durch Nicht-Tun wird die Seele geschwächt und schrumpft, durch Tun wird sie stär­ ker. Ich muß wünschen. Ich wünsche, weil ich sehe. Bewußt­ sein ermöglicht mir zu wünschen. Ich sehe, was Materie ist. Ich sehe, was Geist ist. Ich sehe die Bedeutung der Quantität in der materiellen Welt, ich sehe die der Qualität in der geisti­ gen Welt. Ich wünsche Harmonie und Einheit zwischen bei­ den. Dieser Wunsch zieht das 'Ich' an sich. Um zu sehen, muß ich die richtige Perspektive haben. Der wahre Platz des Sehens ist im Zentrum." 103 Wenn das wahre Selbst mit dem wirklichen Ich eine Einheit gebildet hat, ist es möglich geworden, daß das höhere Gefühls­ zentrum, unsere „Taube", ungehindert fliegen kann. Wir kön­ nen nun mit Liebe in der Welt wirken.

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Liebe „Bewußte Liebe erweckt das Gleiche, emotionale Liebe ruft das Gegenteil hervor, körperliche Liebe hängt von Polarität und Typus ab. " Aphorismus von Gurdjieff

Die Kraft der Liebe durchzieht alle Schichten des Seins. In der Tabelle der Energien wird diese Kraft „oberhalb" der krea­ tiven Energie angesiedelt. Es wäre jedoch irreführend zu den­ ken, daß Liebe oder die „vereinigende Energie", wie Bennett sie bezeichnet, völlig unerreichbar sei. Die Welt des Geistes durchdringt über den Punkt der Einheit des Menschen alle Bereiche der Existenz. Da kosmische Liebe jedoch aus der geistigen Welt kommt, können wir die Liebe nur immer ver­ mittelt erfahren. Wenn der Schwerpunkt unseres Daseins im materiellen Selbst zentriert ist, äußert sich Liebe über die Berührung der Kör­ per, über den direkten sexuellen Kontakt. Jede/r spürt in­ stinktiv, daß rein körperliche Sexualität und Liebe zwei ver­ schiedene Dinge sind. Vermischt sich die Liebe mit den Emo­ tionen des reagierenden Selbst, entsteht Anziehung und Ab­ neigung, Besitzenwollen und Eifersucht, manchmal sogar Haß, wenn der oder die andere nicht auf die Wünsche des „gelieb­ ten" Menschen eingeht oder diese vernachlässigt. Erst mit dem Schwerpunkt im bewußten Selbst hat die Liebe die Kraft der Vereinigung, die im jeweiligen Partner dasselbe hervor­ bringen kann. Wenn die Liebe direkt über das wahre Selbst ins Leben tritt, ist sie die ungeteilte, unbedingte Kraft, die fähig ist, alle Lebewesen mit einzubeziehen. In einem intensiven, erhöhten Bewußtseinszustand können wir in Kontakt mit dieser Kraft der Liebe kommen und erle­ ben, wie sich alle unsere Gefühle, alle Gedanken und sogar unser Körper verändern. Es ist überwältigend. Selten sind wir in der Lage, diese Durchdringung aller Schichten des Seins durch eine kosmischen Kraft, die wir in keiner Weise erfassen können, auszuhalten. Wir können sie auch nicht bewußt er­

Liebe 87

leben, wir erfahren einfach etwas Unfaßbares, Unergründli­ ches, das uns vollständig durchdringt. Wir sind den Tränen nahe oder weinen einfach los, weil wir nicht wissen, was uns ge­ schieht. Wir könnten jeden Menschen umarmen, und doch würde das nicht genügen, um diese Kraft auszudrücken. Diese Kraft kann auch während einer intensiven sexuellen Vereinigung die Liebenden erfassen, jenseits der sexuellen Gefühle, die gerade vorhanden sind. Die Liebenden merken, daß hier etwas Überwältigendes geschieht, doch es läßt sich nicht halten und verschwindet in Sekundenbruchteilen wie­ der. Dennoch bleibt etwas davon zurück. Wenn dieses Erleb­ nis nicht vom reagierenden Selbst aufgesaugt wird und in Eifersucht fließt, bereichert es das Leben und die Partner­ schaft und wird schließlich zu einem größeren Teil des ge­ meinsamen Lebens. Diese Liebe ist dauerhaft, ohne ange­ kettet zu sein. Je mehr wir in Kontakt mit dieser transzen­ dentalen Kraft kommen, desto mehr durchdringt sie unser ganzes Leben und schließt andere Lebewesen nicht aus, son­ dern bezieht sie in die Liebe ein. Wenn uns bewußt wird, daß diese Kraft einen Platz in unse­ rem Leben eingenommen hat, wird sie nicht mehr als „ver­ gänglich" erlebt, wir wissen, daß sie immer da ist, aber wir wissen auch, daß wir selten in einem Bewußtseinszustand sind, der ausreichend offen dafür ist. Wenn das „wirkliche Ich" dauerhaft im Zentrum des Selbst verankert ist, kann diese Liebe auch dauerhaft strömen.

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4, Die kosmische Welt des Bewußtseins Nasruddin kroch um eine Laterne herum. Ein Nachbar kam vorbei: „ Was suchst Du denn?"„Ich suche meinen Schlüs­ sel. "„Und wo hast Du ihn denn verloren?"„Offenbar auf der Straße hier. "„Aber warum suchst Du denn hier unter der Laterne?"„ Weil es hier heller ist. " Wir Menschen haben die Gewohnheit, den verlorenen Schlüssel zum Bewußtsein dort zu suchen, wo es „heller" ist, an Orten, die leicht zu finden sind und scheuen die Arbeit, ihn dort zu suchen, wo er tatsächlich verlorenging.... „oder um es anders auszudrücken, sie nehmen nur die Sichtbarkeit der sich in der Nähe befindlichen Gegenstän­ de wahr." 104 „Der Mensch ist im vollen Sinne des Wortes ein 'Miniaturweltall'. In ihm sind alle Stoffe, aus denen das Weltall be­ steht, die gleichen Kräfte, die gleichen Gesetze, die das Leben des Weltalls lenken, arbeiten auch in ihm; darum können wir beim Studium des Menschen die ganze Welt studieren, genau wie wir beim Studium der Welt den Men­ schen studieren können. Aber eine vollständige Parallele zwischen Mensch und Welt kann nur dann gezogen wer­ den, wenn wir den 'Menschen' im vollen Sinne des Wortes nehmen, d.h. einen Menschen, in dem alle ihm innewoh­ nenden Kräfte entwickelt sind." 105 Der Schlüssel zum Verstehen der menschlichen Situation und zur Erweiterung unserer Wahrnehmungsfähigkeit liegt in Gurdjieffs zentraler Lehre vom Bewußtsein. Gurdjieff unterscheidet vier unterschiedliche Ebenen des menschli­ chen Bewußtseins, die den vier Ebenen des Selbst ent­ sprechen:

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1. 2. 3. 4.

der alltägliche Schlaf, der alltägliche Wachzustand, Selbsterinnerung oder Bewußtsein seiner selbst, objektives Bewußtsein, in dem wir die Dinge sehen, so wie sie sind. Auch als „Erleuchtung" bezeichnet. 106

Manche Leserin oder mancher Leser wird in diesen vier Kate­ gorien den Begriff „Unterbewußtsein" vermissen. In Gurd­ jieffs Ideenwelt hat dieser Begriff jedoch keinen Platz (auch wenn er ihn in manchen Gesprächen umgangssprachlich ge­ brauchte). Ouspensky erklärt: „Erstens ließ er den Begriff 'bewußte' Handlungen nicht gelten, weil es, wie schon aus seinen Worten klar wurde, nichts gibt, was bewußt wäre. Der Begriff'unterbewußt', der eine so große Rolle in den Theorien mancher Autoren spielt, erwies sich als ganz nutzlos und so­ gar irreführend, weil Erscheinungen ganz verschiedener Ka­ tegorien unter den Begriff 'unterbewußt' eingereiht werden. Die Einteilung der Handlungen nach den sie lenkenden Zen­ tren (Körper, Denken, Gefühl) beseitigte alle Ungewißheit und alle möglichen Zweifel in Bezug auf die Richtigkeit dieser Ein­ teilung." 107 Erst bei der Verwirklichung des wahren Selbst sind wir wirklich bewußt. Die Kraft des schöpferischen Willens ist ebenfalls nicht bewußt, dafür könnte man den Begriff „über­ bewußt" oder „jenseits des Bewußtseins" verwenden. Gurdjieff wollte mit seiner Ablehnung des „Unterbewußten" vor allem betonen, daß das Unterbewußte, wie es in der Psychoanaly­ se gebraucht wird, ein Zustand des „schlafenden Bewußt­ seins" ist. Natürlich speichern wir sämtliche Erfahrungen, Ein­ drücke, Träume usw. in unserem Körper und Gehirn ab, so daß diese nicht jederzeit präsent sind. Wenn Gurdjieff von Automatismen spricht, meint er daß wir den Ursachen unse­ rer Handlungen nicht bewußt sind, es geschieht einfach mit uns oder durch uns. Im Zustand der„Selbsterinnerung", wenn wir unserer Handlungen bewußt sind, kennen wir die Ursa­ chen und können unsere Aktionen kontrollieren.

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1. Der alltägliche „Schlafzustand" Für den Tiefenpsychologen C.G. Jung ist die Auseinanderset­ zung mit den Kräften des Unbewußten, des Schlafzustands des Bewußtseins eine „Heldenreise", die unser gesamtes Le­ ben prägt - wenn wir uns auf die Reise machen! Für Gurdjieff besteht das Problem für den Menschen darin, daß wir im „normalen" Wachzustand ebenfalls schlafen: „Beide Bewußt­ seinszustände, der Schlaf- und der Wachzustand sind glei­ chermaßen subjektiv", sagt Gurdjieff. Der Unterschied zwi­ schen diesen beiden Zuständen ist, daß sie zwei Seiten der­ selben Medaille darstellen. Das, was Gurdjieff Schlaf nennt, ist völliger Automatismus ohne Beteiligung der Aufmerksam­ keit. Das ist die Bewußtseinsstufe auf der Ebene des materi­ ellen Selbst. Natürlich gibt es hier Graduierungen. Je nach Anforderung sind die Menschen „wacher" oder aufmerksa­ mer, aber meistens nur mit einem der drei Gehirne. Der so­ genannte Wachzustand entsteht in besonders intensiven Si­ tuationen, wenn wir wirklich in Kontakt mit der materiellen Welt und dem Leben sind, d.h. wenn wir uns auf der sensiti­ ven Ebene des reagierenden Selbst befinden. Kontakte der Schlüssel zum Leben. Um in Berührung mit der natürlichen Welt zu sein, brau­ chen wir die organisierende Kraft der sensitiven Energie und der Aufmerksamkeit. Auf der Ebene des materiellen Selbst wird beinahe alles von automatischer Energie regu­ liert, auch unsere Gefühle und unsere Gedanken. Wir sind Spielball der sozialen und natürlichen Kräfte, und wir sind uns dieses Zustandes in keiner Weise bewußt. „Alles ge­ schieht". Deshalb bezeichnet Gurdjieff diesen Bewußtseins­ zustand als „Schlaf", weil er sehr dem Zustand ähnelt, in dem wir uns beim tatsächlichen Schlafen befinden. Das Handeln und Wissen auf dieser Ebene besteht ausschließ­ lich aus Nachahmung und Konditionierung. Wenn wir in den alltäglichen Wachzustand aufwachen, können wir zu­ mindest diesen Schlafzustand sehen.

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Solange wir in der Welt des „Schlafbewußtseins" leben, die allein mit „automatischer Energie" funktioniert, unterliegen wir in allem dem Zufall, denn „es ist unmöglich, die Zukunft für verrückte Maschinen vorauszusagen..." 108 In diesem Schlafzustand handeln wir größtenteils nach er­ lernten Gewohnheiten und Routinen. Der Begriff „Tagtraum" drückt diesen Zustand vielleicht noch präziser aus. Der nächt­ liche Traumschlaf ist das komplementäre Gegenbild zu die­ sen Automatismen, denn er zeigt, was der „Maschinen­ mensch" im Alltag weder sehen noch tun kann. Es gibt auch „visionäre Träume", die uns mit der bewußten Welt in Verbin­ dung bringen. Diese Träume unterliegen nicht den Einschrän­ kungen der Körperwelt. Träume verweisen auf eine andere Welt, die anderen Gesetzen unterworfen ist und in der ande­ re Erfahrungen möglich sind. Doch Träume sind wie Filme, die auf unseren sensitiven Bildschirm projiziert werden. Wenn die Persönlichkeit eines Menschen dominiert, ist „nie­ mand" da, der ein Bewußtsein über die Handlungen haben kann. Jedes unserer Zentren hat einen eigenen Modus operandi, ohne daß wir uns dessen bewußt sind. „Die Arbeit des Bewegungszentrums an Stelle des Denkzentrums erzeugt zum Beispiel mechanisches Lesen oder mechanisches Hö­ ren, wie wenn ein Mensch nichts als Worte liest oder hört und sich dessen, was er liest oder hört, gar nicht bewußt ist. Das geschieht gewöhnlich, wenn die Aufmerksamkeit, das heißt, die Richtung der Tätigkeit des Denkzentrums mit etwas an­ derem beschäftigt ist und wenn das Bewegungszentrum ver­ sucht, das abwesende Denkzentrum zu ersetzen..." 124 Diese beispielhafte Beschreibung läßt sich auf die Funktionsweise der verschiedenen Zentren ausweiten. Man kann es auch so ausdrücken: Wenn wir nur mit einem Zentrum wach sind, schlafen wir, Wachheit mit zwei Zentren, wenn z.B. Bewe­ gungsabläufe und die denkerische Vorstellungen Zusammen­ wirken, ist „Halbschlaf". Erst das synchrone Zusammenwir­ ken aller drei Zentren unter Einfluß des wahren Selbst ist wirkliche Wachheit.

Der alltägliche Wachzustand 93

2. Der alltägliche Wachzustand Im „alltäglichen" halbbewußten Wachzustand leben wir wie in einer zweidimensionalen Flachland-Welt, in der wir noch keine wirkliche Erfahrung von Höhe und Tiefe haben, nur eine illusionäre Erfahrung, die aus unseren Emotionen, sub­ jektiven Eindrücken, unserem Denken darüber und dem Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Körper­ funktionen und inneren biochemischen Vorgängen besteht. Aus der Gehirnforschung wissen wir, daß wir nur 10% der Welt wahrnehmen und unser Gehirn 90% hinzufügt, d.h. das meiste, was wir wahrnehmen, wird vom Gehirn pro­ duziert, es ist keine direkte Erfahrung. Die Gehirnforschung schließt daraus, daß wir die Welt, die wir sehen und erle­ ben, zum größten Teil konstruieren. Der radikale Konstruk­ tivismus schließt daraus, daß wir Realität als solche - d.h. ohne eine Beziehung auf Erkenntnis - nicht wahrnehmen können. 110 Die Gehirnforschung hat bisher vergeblich nach einem ober­ sten Wahrnehmungszentrum im Gehirn gesucht, das alle Eindrücke ordnen kann. Denn ein bewußtes „Ich" gehört zu einer anderen Welt, die von der „Naturwissenschaft" nicht untersucht werden kann. Tatsächlich ist das Gehirn vergleichbar mit einem Radiogerät, das nur die Informa­ tionen bearbeitet. Bewußtsein ist nicht auf das Gehirn begrenzt. Der Physiker David Bohm sagt, daß das, was sich uns als materielles Universum zeigt, also die greifba­ re, sicht- und hörbare Welt nichts als eine Illusion ist. Wir erleben sie zwar dynamisch und in allen Variationen, doch dieser alltäglichen Welt liegt eine „eingefaltete" Ordnung (implicit order) zugrunde, deren wir nicht bewußt sind. Denn was wir in unserem Alltagsbewußtsein vorfinden, die einheitliche und wohlgeordnete Welt, ist das Endergebnis einer langen Wahrnehmungsarbeit des Gehirns, es bildet die Welt nicht ab, sondern konstruiert sie, versucht sie so

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einfach, eindeutig und widerspruchsfrei darzustellen wie möglich. Wir wissen nicht, wie die Welt tatsächlich aus­ sieht, denn wir kennen nur die Welt, die unser Gehirn kon­ struiert. 111 Nach Gurdjieff arbeiten die drei Gehirne, die das Bewegungszentrum, das Gefühlszentrum und das Denkzentrum steuern, in den meisten Fällen unabhängig und getrennt voneinander. Dieser Zustand bedingt, daß ganz widersprüchliche Wahrnehmungen entstehen oder die Wahrnehmung sehr eingeschränkt ist. Gurdjieff erklärt: „Der Mensch ist in seine Träume versun­ ken, und ob er sich erinnert oder nicht, bleibt sich gleich. Sogar wenn ihn einige wirkliche Eindrücke erreichen, etwa Laute, Stimmen, Wärme, Kälte, Empfindungen seines ei­ genen Körpers, so rufen sie in ihm doch nur phantastisch­ subjektive Bilder hervor. Dann wacht er auf. Zunächst scheint dies ein ganz anderer Bewußtseinszustand. Er kann sich bewegen, mit anderen Menschen reden, kann voraus­ berechnen, Gefahren sehen und sie vermeiden..." 112 Aber wenn wir etwas tiefer hinsehen, wenn wir einen Blick in seine innere Welt, in seine Gedanken, in die Beweggründe seiner Handlungen werfen, werden wir sehen, daß er sich fast im gleichen Zustand befindet. Im Wachzustand kann er unentwegt irgendetwas tun, doch er ist sich nicht darüber bewußt, was in ihm „tut". Seine Handlungen sind Reaktionen auf die äußeren Geschehnisse. Jedes Gehirn in ihm reagiert anders. Das ist die Ebene des reagierenden Selbst. Die mei­ ste Zeit befinden wir uns deshalb in „Tagträumen". Bei der Beurteilung der Realität besteht deshalb allgemein das Problem, zwischen „Illusion" und „Wirklichkeit" zu un­ terscheiden. „Topologisch gesprochen ist ein linker Hand­ schuh ein rechter Handschuh, der durch die Unendlichkeit gezogen wurde," spekuliert der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick in seinem Meisterwerk Der dunkle Schirm. Illusion bedeutet in diesem Zusammenhang, daß unsere Gefühle und/oder unser Denken die Welt nur bruchstückhaft und seitenverkehrt wahrnimmt und interpretiert. Bewußtes Se­

Der alltägliche Wachzustand 95

hen würde bedeuten, die Welt so zu sehen, wie sie tat­ sächlich ist. Im alltäglichen Bewußtsein ist unsere Orientierung an der Realität größtenteils Produkt einer besonderen kulturellen Übereinstimmung, wie der Film Matrix futuristisch verdeut­ licht: Eine kleine Gruppe von Computerhackern hat her­ ausgefunden, daß die Menschheit von Maschinenwesen ver­ sklavt wurde, die eine „Matrix" der Suggestion erschaffen haben, damit die Menschen nicht erkennen, daß sie ver­ sklavt sind. Die Maschinenwesen beziehen ihre Energie von Menschenbrutstätten. Als sie bemerken, daß ihre Sugge­ stionsmatrix entdeckt wurde, schicken sie virtuelle Agen­ ten aus, die die Hacker vernichten sollen. Der Kampf fin­ det gleichzeitig im Cyberspace wie auch in der suggerier­ ten Realitätsmatrix statt, wobei man nicht mehr erkennen kann, welche Welt nun real ist oder nicht - oder ob beide Welten nur virtuell sind... Ob die Macher dieses Films eine Idee von Gurdjieff aufgegriffen haben? Die in diesem Film illustrierte konditionierte Realitäts­ orientierung wird auch im „normalen" Leben von Geburt an verinnerlicht und eingeübt. Infolge hypnotischer Suggestion verblaßt selbst diese Realitätsorientierung weitgehendst. Das Suggerierte ist für den Hypnotisierten völlig real. Auch wenn der Mensch nicht von einem anderen hypnoti­ siert ist, zeigt er in den meisten Fällen die beschriebenen Verhaltensweisen, die man als gesellschaftlich konditioniert bezeichnen kann. Die Massenmedien und die Erziehung tun ihr übriges, um den Menschen in die Suggestion einer „Popkultur" einzubinden, in der alles auf eine Ebene nivel­ liert wird, die aus den Vorstellungen besteht, die wir für­ einander erschaffen, so daß wir in einer selbstsuggerierten Traumwelt leben. Sehr wenige Menschen „denken, fühlen und handeln" wirklich selbstständig, ohne Beeinflussung durch die jeweils herrschende Kultur. Prophetisch verkündete Gurdjieff vor rund achtzig Jahren: „Die zeitgenössische Kultur verlangt Automaten. Und die

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Menschen verlieren zweifellos ihre erworbenen Gewohnhei­ ten der Unabhängigkeit und werden Automaten, Teile von Maschinen. Es ist unmöglich zu sagen, wo dies alles endet und wo es einen Ausweg gibt... Eines allein ist sicher, daß die Sklaverei des Menschen wächst und zunimmt. Der Mensch wird ein williger Sklave. Er braucht keine Ketten mehr..." 112

3. Bewußtsein seiner selbst Selbsterinnerung „Bewußtsein ist tatsächlich wie der Raum. Bewußtsein geht in alle Richtungen. Bewußtsein überschreitet alles. Bewußt­ sein ist alles... " I13

Ein Dia kann falsch herum einlegt werden, so daß man ein Gesicht seitenverkehrt sieht. Jemand, der den Menschen auf dem Bild nicht kennt, kann nicht sagen, wie er wirklich gesehen wurde. Wenn Schrift auf dem Dia ist, wird es klar: Sobald die Schrift rückwärts erscheint, weiß man, was falsch an dem Bild ist. Je mehr wir die Abhängigkeit von der äußeren, physischen Welt, aber auch unseren Emotionen und Wünschen erken­ nen und beobachten, kommen wir in der Lage, in die wirk­ liche Welt „aufzuwachen". Denn, wie J.G. Bennett sagt, ist es besser davon zu sprechen, daß das „Bewußtsein uns hat, als daß wir es hätten... Bewußtsein ist nicht persona­ lisiert oder an einen bestimmten Platz gebunden. Es ist überall... Wir sind so beschäftigt mit den äußeren Dingen, daß wir gar nicht wahrnehmen, daß allen Dingen Bewußt­ sein innewohnt. Es ist in verschiedenen Dingen unterschied­ lich konzentriert und es wirkt unterschiedlich in ihnen." 114 Viele Übungen und Methoden, die Gurdjieff entwickelt hat, z.B. die Movements oder „heiligen Tänze" haben mit dem Auseinanderhalten der Sensitivität vom Bewußtsein zu tun. 115 Auseinanderhalten bedeutet in diesem Sinne nicht,

Bewußtsein seiner selbst - Selbsterinnerung 97

daß die Sensibilität zugunsten des Bewußtseins verschwin­ det, sondern es ist eine Umkehrung des Bildes. Da wir gewöhnlich in einem verengten Wachzustand le­ ben, ist das Aufwachen ins Bewußtsein eine intensive Er­ fahrung, d.h. blockierte Bewußtseinsenergie wird freige­ setzt. „Obwohl Bewußtsein nichts ist, was man kontrollie­ ren oder an- und ausschalten könnte wie ein Lampe, so können wir doch lernen, uns selbst auf die bewußte Erfah­ rung einzustellen. Es ist das Bewußtsein, das uns wahr­ nehmen läßt, was wir sind, und uns befähigt zu denken, was wir denken wollen, und zu fühlen, was wir fühlen wol­ len, und unseren Körper so zu bewegen, wie wir es beab­ sichtigen." 116 Wenn wir unsere Sensitivität mit der Aufmerk­ samkeit verbinden können, ist sie ein Werkzeug unseres Willens. Das wirkliche Wachbewußtsein ist ein intensiver Bewußt­ seinszustand, der nur mit Übung längere Zeit aufrechter­ halten werden kann. „Wenn der Übergang stattfindet, sind wir uns auch der zweiten Welt bewußt. Daher ist alles an­ ders. Wir werden fähig, mit den inneren Augen zu sehen. Das kommt daher, weil die zweite Welt aus dem Stoff des Sehens, Hörens, Fühlens und Denkens gemacht ist. Wenn wir uns nicht in dieser Welt befinden, geschehen alle diese Dinge ohne uns." 117 Denn im gewöhnlichen alltäglichen Wach­ zustand leben wir nur in der natürlichen Welt und es besteht keine Verbindung zur zweiten Welt, die wir nur als Trau*mzustand erfahren können. Wenn wir in die Welt des Bewußt­ seins aufwachen, wird unser Sehen zum eigentlichen WahrNehmen, das Denken wird wirkungsvoll, es bleibt nicht an der Oberfläche. Gurdjieff bezeichnet diesen Zustand auch das Bewußtsein seiner selbst. Wir sind uns bewußt, daß wir sehen, hören, riechen usw. Vielleicht kann man sogar sagen, daß wir gesehen werden. Wenn wir damit aufhören, uns mit etwas zu identifizieren, wird es möglich, die Welt auf neue Weise zu sehen. Die freigesetzte Energie macht es möglich, mehr

98 Die kosmische Welt des Bewußtseins

Bewußtseinsenergie zu haben. In diesem Zustand können wir eine innere Freiheit erleben. Wir sind nicht mehr von der äußeren Welt, dem Gehirn und den Sinneseindrücken abhängig. Der Zustand der Freiheit bedeutet auch, daß man die Möglichkeit hat zu wählen, Entscheidungen zu tref­ fen, die nicht bloße Reaktionen auf äußere Umstände sind. Wenn man frei ist, erkennt man das wahre Selbst. Im ZenBuddhismus heißt es: „Das wahre Selbst hat keine Form, keine Erscheinung, keine Wurzel, keine Grundlage, keinen Ort, aber es ist munter und voller Leben." 118 . Unser Kon­ takt mit dieser Welt des wirklichen Bewußtseins ist selten vorhanden, weil wir zu wenig bewußte Energie zur Verfü­ gung haben. Der Begriff der „Selbsterinnerung" wie er bei Ouspensky erläutert wird, führt leicht zu Mißverständnissen. 119 Je mehr Erfahrung ich mit diesem Zustand habe, wird mir deutlich, daß der Begriff „Erinnerung" keine Gedächtnisleistung meint, sondern vielmehr „in sich selbst zentriert zu sein" und nicht mit der Außenwelt identifiziert zu sein. Bewußt­ sein ist nicht etwas, das wir besitzen. Wir können aber ins Bewußtsein aufwachen - oder anders gesagt, das Bewußt­ sein weckt uns auf. Das ist der Prozeß des Dschartklom, der uns daran erinnert, daß wir den Kontakt mit der Wirk­ lichkeit des Bewußtseins verloren haben. Wir empfinden, wissen und fühlen alles auf einmal. Unser Wesen erkennt die Wirklichkeit, wie sie ist. „Ohne Ich haben wir kein Bewußtsein. Die Menschen, die Augenblicke des Selbstbewußtseins hatten, kennen den Unterschied zwischen diesem und dem Wachbewußtsein... Der Unterschied zwischen einem Gedanken und dem Be­ wußtsein ist, daß ein Gedanke eine Abfolge von Bildern oder Assoziationen ist. Bewußtsein ist die gleichzeitige Wahrnehmung der Inhalte unseres Geistes - und natürlich auch der Gefühle und Empfindungen." 120 Das plötzliche Erwachen ins Bewußtsein geschieht häufig ohne unser Zutun, ähnlich wie bei einem spontanen krea­

Bewußtsein seiner selbst - Selbsterinnerung 99

tiven Einfall. Nach und nach lernen wir, diese Gelegenhei­ ten zu ergreifen und zu nutzen. Wenn wir aufgewacht sind, können wir an uns arbeiten, wenn wir in den Schlaf, das „Unbewußte" versunken sind, können wir es nicht. Dazu gibt es eine schöne Zen-Geschichte: Als Banzan über einen Markt ging, hörte er ein Gespräch zwischen einem Metzger und seinem Kunden. „Gib mir das beste Stück Fleisch, das du hast", sagte der Käufer. „Alles in meinem Laden ist das beste", erwiderte der Metzger. „Du kannst hier kein einziges Stück Fleisch finden, das nicht das beste ist." Bei diesen Worten wurde Banzan erleuchtet. Eine andere, tiefere Art des Dschartklom vollzieht sich durch den Gewissensbiß, die Reue, die in uns aufkommt, wenn wir uns der Situation bewußt werden, daß wir „weggetre­ ten" sind und den Kontakt mit dem Werk, mit dem Wirken der Bewußtseinskraft verloren haben. Auf eine ähnliche Weise gibt es Wahrnehmungsöffnungen zu den anderen Dimensionen der Wirklichkeit, wenn wir innere Übungen, Movements, ekstatische Trance oder Meditationen ausfüh­ ren. Das Aufwachen geschieht immer unerwartet. Wenn wir in die Welt des Bewußtseins aufgewacht sind, haben wir mehr bewußte Energie für unsere Arbeit zur Verfügung. Gurdjieff sagt, daß wir durch Erfüllung der Seins-Parktdolgpflicht, der bewußten Arbeit an sich selbst, „die drei heiligen Prinzipien des Dschartklom-Prozesses des Allge­ genwärtigen Okidanoch" für unsere seelische Entwicklung benutzen können. Wir können zu „Individuen werden, die ihr eigenes heiliges Triamasikamno-Gesetz haben und da­ mit die Möglichkeit, in ihren allgemeinen Bestand all das 'Heilige' bewußt aufzunehmen und sich mit ihm zu beklei­ den, was übrigens auch das Funktionieren der objektiven oder göttlichen Vernunft in kosmischen Einheiten fördert." 121 Hier wird deutlich, daß zwei Dinge Zusammenkommen müs­ sen: Bewußte Arbeit und Öffnung des Bewußtseins. Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Ohne Kontakt mit bewußter Energie ist der Transformationsprozeß nicht mög-

100 Die kosmische Welt des Bewußtseins

lieh, aber um bewußte Energie zu erhalten, „um den höhe­ ren Seinskörper zu bekleiden", müssen wir aufwachen. Das Aufwachen beruht auf einer Energietransformation. Gurdjieff beschreibt diese Transformation mit dem Satz: „Das Höhere verschmilzt mit dem Niedrigeren, um ein Mitt­ leres hervorzubringen. Dieses ist höher als das vorange­ gangene Niedrigere und niedriger als das nachfolgende Höhere." höher

vorangehend

nachfolgend

niedriger

Die freigesetzte Energie beim Kampf gegen den Schlaf wird so verfügbar, um mit der Energie jenseits des Bewußtseins, der kreativen Energie des Wahren Selbst zu verschmelzen. Das Resultat ist das Aufwachen ins Bewußtsein. Wir sind nun „Sehende" geworden. Nach den „neuen" Bedingungen des dem trogoautoegokratischen Prinzips angepaßten Grundgesetzes Heptaparaparschinoch (Oktavengesetz) 122 bedarf es dazu eines Ansto­ ßes von außen. Im Kapitel „Erzphantastisch" beschreibt Gurdjieff den wundervollen Apparat des Gornachur Harharch, mit dem künstliches Dschartklom hervorgerufen werden kann. Damit beschreibt Gurdjieff die erste Stufe seiner praktischen Umsetzung dieser Erkenntnisse. 123 Anfänglich bestand seine Methode darin, auf die Menschen einzuwirken, um sie zum Aufwachen zu bringen, Schocks zu setzen, Widersprüche her­ vorzurufen. Diese Methode zieht sich auch durch die Beschrei­ bung Ouspenskys in Auf der Suche nach dem Wunderbaren.

Bewußtsein seiner selbst - Selbsterinnerung 101

Später änderte er seine Arbeitsweise. Er ließ die künstlichen Methoden fallen und ging zu natürlichen über, das Schwer­ gewicht seiner Methode verlagerte sich in das innere Erleb­ nis. Er entwickelte seine „heiligen Tänze", die zwar anfangs nicht leicht zu meistern sind, doch ihr wesentliches Ziel ist es, auf sanfte Art die ganzheitliche Wahrnehmung zu wecken und ins Bewußtsein aufzuwachen. Die Tänze beanspruchen alle Zentren gleichzeitig, so daß das Aufwachen wie ein na­ türlicher Prozeß geschieht. Natürliches Dschartklom geschieht von innen, es ist eine „sanfte" Methode. Lange Jahre - be­ sonders durch Ouspenskys Augen - sahen viele in Gurdjieffs Lehre eine „Gewaltmethode" vergleichbar mit dem ursprüng­ lichen Hatha-Yoga von Goraknath. Viele verließen sich dar­ auf, daß der Lehrer oder „Meister" durch „Schocks" das Dschartklom künstlich hervorbringt. Die allmähliche Ände­ rung von Gurdjieffs Methoden in seinen späteren Lehrphasen konnte sich offenbar nicht mehr gegen die „Hardliner" durch­ setzen. „Es wäre wünschenswert," schreibt John G. Bennett, „daß alle Lehrer, die sich irgendwo niederlassen, ein kleines Plakat mit der Inschrift 'Hütet euch vor künstlichem Dschart­ klom' umhängen würden. Es besteht die Gefahr, daß es sen­ sationelle Ergebnisse mit sich bringen kann, wie etwa Gornachur Harharchs blendenden Lichtstrahl, daß aber nach­ her alles zum Alten zurückkehrt." 124 Vor allem macht das künstliche Dschartklom auch vom Leh­ rer oder Meister abhängig. Viele Mitglieder der „alten" Gurdjieffschule hatten nach seinem Tod das Gefühl, daß das Werk bzw. der vierte Weg nicht ohne ihn möglich sei. Doch Gurdjieff hat vorgesorgt. Er hat uns Methoden an die Hand gegeben, die in einer Arbeitsgruppe zum Aufwachen führen können, wenn der Leiter der Gruppe ausreichend Bewußtseinsenergie in sich angesammelt hat und in der Lage ist, sein „Ego" zu­ rückzustellen, so daß die Kraft des Werks einfließen kann. Wie Bennett sagt: „Das Werk ist eine selbsterschaffende, sich selbst verwirklichende Aktion, die Macht, die diese Aktion möglich macht und die Quelle, aus der sie kommt."

102 Die kosmische Welt des Bewußtseins

4. Der „objektive" Bewußtseinszustand „Ich lobsinge mit elektrischer Stimme, Denn ich sehe nicht eine Unvollkommenheit im Weltall, Und ich sehe nicht eine Ursache oder Wirkung im Weltall, die zu beklagen wäre. Walt Whitman

1894 hielt der Arzt Richard Maurice Bucke vor der Ameri­ can Medico-Psychological Association einen Vortrag über das „kosmische Bewußtsein", der für die damalige wissen­ schaftliche Diskussion revolutionär war. Er argumentierte, daß es vier Bewußtseinsstufen gäbe: 1. der aus Sinneseindrücken gespeiste perzeptive Verstand der niederen Tierwelt; 2. das Denken der Tiere höherer Ordnungen, aus dem das einfache Wachbewußtsein hervorgeht; 3. das auf der menschlichen Vorstellungsgabe hervorge­ hende Ich-Bewußtsein; und 4. das kosmische Bewußtsein. Das kosmische Bewußtsein befähigt den Menschen, den Kosmos als Ganzheit zu begreifen. „Das kosmische Be­ wußtsein ist das Ergebnis einer Erfahrung, die man als das plötzliche Erwachen eines neuen, nämlich des kosmischen Sinnes bezeichnen kann. In diesem Erwachen erfährt der Mensch eine Intensivierung aller seiner Verstandeskräfte, die in sich schon genügt, ihn auf eine seinem gewöhnli­ chen Ichbewußtsein überlegene Bewußtseinsstufe zu he­ ben. Darüber hinaus erlebt er in einer oft als unbeschreib­ lich beschriebenen Freude und Seligkeit eine allgemeine geistige Erleuchtung, die dem inneren Auge völlig neue Dimensionen öffnet. Das wichtigste Merkmal des kosmi­ schen Bewußtseins aber ist ... das Erkennen der ewigen kosmischen Gesetze wie auch das Wissen, daß der Mensch unsterblich, nicht war oder sein wird, sondern ist." 125 Dieses Erleben ist auch aus der Erfahrung mit psychoaktiven Pflanzen bekannt. Die Schriftstellerin Anais Nin erzählt von

Der „objektive" Bewußtseinszustand 103

einem LSD-Trip: „Jeder Gegenstand im Zimmer wurde zu einer lebendigen, beweglichen, atmenden Welt. Ich ging in den Flur, von dem aus man mehrere kleinere Zimmer er­ reichte. Auf dem Weg war eine Tür, die in den Garten führ­ te... Die Strahlen der Sonne blendeten mich, jeder der goldenen Sonnenflecke vervielfachte und vergrößerte sich. Bäume, Wolken, Rasen hoben und senkten sich; die Wol­ ken flogen mit unglaublicher Geschwindigkeit vorbei. Ich wendete meinen Blick vom Garten ab und der glatten Tür zu, auf der delikate persische Muster, Blumen, Mandalas, Ornamente in perfekter Symmetrie erschienen. Während ich sie entwarf, verströmten sie ihre Musik. Wenn ich eine lange orangefarbene Linie zog, entströmte ihr ein orangener Ton. Mein Körper schwamm und flog. Ich fühlte mich fröh­ lich, unbeschwert und spielerisch. Es bestand eine voll­ kommene Beziehung zwischen meinem Körper und allem, was passierte... Meine Sinne wurden vervielfältigt, als habe ich hundert Augen, hundert Ohren, hundert Fingerspitzen. Die Wandgemälde, die erschienen, waren vollendet, sie waren orientalisch, zerbrechlich und meisterhaft, aber dann verwandelten sie sich in orientalische Städte mit Pagoden, Tempeln, üppigen chinesischen Altären in Gold und Rot und in balinesische Musik. Die Musik vibrierte durch meinen Körper, als sei ich eines der Instrumente, und ich fühlte, daß ich zu einem ganzen Schlagzeugorchester wurde. Die Tonwellen rannen durch meine Haare wie eine Liebkosung. Die Musik glitt den Rücken hinunter und kam aus meinen Fingerspitzen." 126 Anais Nin erlebt noch unendlich mehr. Ohne Mathematikerin zu sein, sagte sie, habe ich das Un­ endliche verstanden. Viele sehen in der Einnahme psychoaktiver Pflanzen oder Substanzen eine Abkürzung des geistigen Weges, weil „die Tore der Wahrnehmung" gereinigt und geöffnet werden können. Ich denke sogar, daß es für viele Menschen, die sich auf einem spirituellen Weg befinden, manchmal hilf­ reich wäre, eine solche Erfahrung - am besten natürlich

104 Die kosmische Welt des Bewußtseins

unter Anleitung - zu machen, weil sie helfen kann, inner­ lich nicht zu „vertrocknen". Wenn die Menschen jedoch nicht gelernt haben, mit die­ sen Kräften und Energien, die in diesen Bewußtseinswelten wirken, auch zu arbeiten, um, wie Gurdjieff sagt, "ihren höheren Seinskörper zu bekleiden", können sie mit den außergewöhnlichen Einsichten hinterher wenig konkretes anfangen und die Energien nicht für ihre seelische Ent­ wicklung nutzen. Wenn eine außergewöhnliche Bewußt­ seinsöffnung Nutzen haben soll, ist es zuerst wichtig, die innere Grundlage und Festigkeit, den Bewußtseinskörper, erarbeitet zu haben. Der Bewußtseinskörper, Astralkörper, zweiter Körper oder Seele - egal welche Bezeichnung man vorzieht - wird durch die Konzentration bewußter Energien erschaffen.* Außerdem ist es dann möglich, in der Welt des Bewußtseins autonom zu bestehen und einen entspre­ chenden Beitrag einzubringen. Die psychoaktive Substanz allein ist nur ein nützlicher Türöffner, die innere Arbeit muß dennoch von jedem einzelnen kontinuierlich geleistet wer­ den. Bennett betont: „Es ist wichtig, daß wir begreifen, daß zwi­ schen einem zeitlich begrenzten Zustand und einer dauer­ haften Veränderung unseres Seins ein großer Unterschied besteht... Es ist möglich, einen zeitweiligen Wechsel unse­ res Zustandes zu erleben, ... der uns für kurze Zeit die gleichen Kräfte über uns selbst verleiht, wie sie Mensch Nr. 5 die ganze Zeit besitzt. Das heißt nicht, daß wir das Sein von Mensch Nr. 5 erreicht hätten, sondern nur, daß wir unter die Gesetze der Welt getreten sind, unter denen Mensch Nr. 5 ständig lebt." 127 Der Blick in die Welt des Bewußtseins kann eine außerordentlich intensive Erfahrung sein. Wenn wir uns darüber im klaren sind, daß die Ent­ wicklung des Seins parallel dazu geschehen muß, können

*Ausführlich dazu im sechsten Kapitel

Der „objektive" Bewußtseinszustand 105

uns veränderte Bewußtseinszustände helfen, den Weg mit verstärkter Motivation zu gehen. Sich selbst zu kennen reicht nicht, wir müssen zusätzlich alle unsere Anlagen entfalten und können somit tatsäch­ lich unser eigenes Leben erschaffen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Arbeit ist jedoch die Fähigkeit zu lernen, die Dinge immer wieder neu zu sehen, in die Spon­ tanität zu kommen. Offenbar war Gurdjieff in seiner Darstellung des „objekti­ ven Bewußtseins" von Bucke beeinflußt: „Die vierte Bewußt­ seinsstufe wird der Zustand des objektiven Bewußtseins genannt. Auf dieser Stufe kann ein Mensch die Dinge se­ hen, wie sie wirklich sind... In den Religionen aller Natio­ nen gibt es Hinweise auf die Möglichkeit eines Bewußt­ seinszustandes dieser Art, der mit 'Erleuchtung' oder ver­ schiedenen anderen Worten beschrieben werden kann. Der einzig richtige Weg zu objektivem Bewußtsein führt über die Entwicklung des Bewußtseins seiner selbst... Der vier­ te Bewußtseinszustand im Menschen ist ein ganz anderer Seinszustand; er ist das Ergebnis inneren Wachstums und langer und schwieriger Arbeit an sich selbst." 128 Eine wei­ tere Beschreibung dieses Zustands liefert uns Gurdjieff nicht, wahrscheinlich deshalb, weil bei ihm die Seinsent­ wicklung und nicht die Vision Vorrang hatte. Wenn wir ins Bewußtsein erwachen, können wir unsere direkte Wahrnehmung der wirklichen Welt trainieren. Die­ se Welt existiert gleichzeitig mit unserer „normalen" Welt, der Welt der Sinneseindrücke, wir sind ihrer nur nicht ge­ wahr. Wenn wir in die Welt des Bewußtseins aufwachen, erleben wir auch eine andere Zeitdimension, weshalb wir vom Augenblick sprechen, der alles enthält. „Sehen ist eine viel höhere Sache als das, was wir darüber wissen oder fühlen oder spüren, weil es eine direkte Wahrnehmung dessen ist, wie und was die Welt wirklich ist. Wir sind dann in der Lage, alles Notwendige zu wissen, über uns wie auch über die Welt. Die bewußte Energie, mit der wir uns selbst

106 Die kosmische Welt des Bewußtseins

betrachten, steht unter der Kontrolle der kreativen Ener­ gie. Die kreative Energie gibt uns den Zugang zu dem, was für uns 'jenseits' ist, zum kosmischen Prozeß. Sie über­ schreitet die gewöhnlichen Zentren und arbeitet durch das, was Gurdjieff die 'höheren Zentren' nennt. Die kreative Energie ist die Energie, die uns Freiheit gibt und uns er­ möglicht, uns selbst zu erschaffen." 129 In einem Gespräch erklärt der Physiker und Bewußtseins­ forscher David Bohm: „Die mystische Erfahrung reicht noch tiefer in die eingefaltete Ordnung hinein, in die Ganzheit der Menschheit, sowohl die immanente als auch die trans­ zendente. Könnten die Menschen also die Natur gewöhnli­ cher Erfahrung besser verstehen, dann würden sie sehen, daß mystische Erfahrung tatsächlich eine Erhöhung, In­ tensivierung und Vertiefung von etwas ist, an dem sie schon immer teilhaben. Die eingefaltete Ordnung schafft eine Ge­ meinsamkeit tief innerhalb von Materie, Energie, Leben und Bewußtsein. Die entfaltete Ordnung der sogenannten ge­ wöhnlichen Erfahrungswelt entfaltet das Eingefaltete und macht es sichtbar." 130 Der französische Kernphysiker Jean E. Charon ist der Auf­ fassung, daß wir in einem „holografischen Universum" le­ ben. Für ihn tragen alle Teilchen, die unseren Körper bil­ den, die Gesamtheit aller Informationen der geistigen Welt in sich. „Auf der Ebene des Geistes finden wir somit genau das wieder, was die Biologen auf experimentellem Wege für die genetische Information beweisen konnten. Es wä­ ren demnach nicht die Chromosomen, sondern jeder ein­ zelne der physikalischen Partikel, aus denen diese beste­ hen, Träger der Gesamtinformation des betreffenden Indi­ viduums... Wenn wir unserem 'Ich' den Stellenwert ein­ räumen, der ihm gemäß der neuesten Erfahrungen der Teilchenphysik zuzukommen scheint, so gibt es für uns keinen 'richtigen' Tod mehr - ebensowenig übrigens wie es dann noch eine 'richtige' Geburt gibt."

Leben in vier Welten 107

Leben in vier Welten „Es gibt eine Theorie, die besagt, daß, wenn wir jemals Sinn und Zweck des Universums genau ergründen sollten, dieses augenblicklich verschwindet und durch etwas noch Bizarreres und Unerklärlicheres ersetzt werden würde. In einer weiteren heißt es, daß dies bereits geschehen sei... " Douglas Adams

Die Idee von Parallelwelten geistert schon seit Beginn der Quantenphysik durch die Köpfe der Physiker. Doch mit unserem gewöhnlichen Verstand können wir uns nicht vor­ stellen, daß mehrere Wirklichkeiten gleichzeitig und mit­ einander verwoben existieren sollen. Science-Fiction-Autoren wie der geniale Philip K. Dick nutzten diese Idee, um unserer Vorstellungskraft auf die Sprünge zu helfen. In seine Kurzgeschichte Erinnerungen engros, die vor einigen Jah­ ren mit Arnold Schwarzenegger unter dem Titel Total Recall verfilmt wurde, spielt er mit der Verwirrung des Protago­ nisten, der eine „imaginäre Marsreise" in einem Institut bucht, das ihn mit Hilfe eines Simulationsapparats auf den Mars schickt, wo er als Geheimagent einen Auftrag erfül­ len soll. In der Erzählung bleibt unklar, ob Quail tatsächlich zum Mars geflogen ist oder ob er nur eine Bewußtseins­ reise unternommen hat. Einer der Techniker sagt: „Wahr­ scheinlich hat er jetzt eine dunkle, diffuse Erinnerung an seinen tatsächlichen Trip. Und bezüglich der Echtheit wird er ernsthafte Zweifel hegen; er würde wahrscheinlich an­ nehmen, daß uns beim Programmieren was verrutscht ist. Und er würde sich daran erinnern, daß er hergekommen ist; das wurde nicht gelöscht... Dummheiten können wir uns nicht leisten; es reicht, daß wir dumm genug waren einen echten Interplan-Spion zu enttarnen, dessen Tar­ nung so perfekt ist, daß bis dato nicht einmal er selbst gewußt hat, was er war - oder vielmehr ist." Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wenn wir mit unserem

108

Die kosmische Welt des Bewußtseins

gewöhnlichen Bewußtsein die Welt betrachten, gehen wir davon aus, daß alle Dinge, die wir sehen, von uns unab­ hängig existieren. Johann Wolfgang von Goethe führte als erster den Beobachter als wichtige Instanz der Wissen­ schaft ein. In seiner Farbenlehre erklärt er, daß die Farbe nur im Auge des Betrachters zu der Farbe wird, die dieser sieht. Für die Quantenphysik sind im ganzen Universum die Quantensysteme auf fremdartige Weise zu einer gigan­ tischen, unteilbaren Wirklichkeit miteinander verwoben. Die Atome besitzen keine individuellen Wirklichkeiten getrennt von uns. Ihre Realität bekommt erst in Verbindung mit unseren makroskopischen Beobachtungen eine Bedeutung. Der Physiker John Wheeler ist sogar so weit gegangen, zu behaupten, daß jeder Beobachter sich das Universum durch seine Messung erst erschafft. Die Beobachtung wird zur Grundvoraussetzung jeglicher Realität. 132 Bewußtseinszustände haben mit Erfahrungswerten zu tun. Dabei stellt sich die Frage, „wer" oder „wie" erfährt was in uns. Für die sinnlichen Erlebnisse mit unserem Körper ist die Antwort relativ leicht: Wir erfahren mit dem Aspekt unseres Selbst, der für Sinneserfahrungen offen ist. Wenn wir gehirnphysiologisch argumentieren, werden durch die Sinneseindrücke gewisse Nervenimpulse in Bewegung ge­ setzt, die dem Gehirn letztlich den Eindruck von Wärme, Berührung, Farbe, Lust, Schmerz usw. vermitteln. Je in­ tensiver diese Erfahrung ist, desto „lebendiger" fühlen wir uns. Alle diese Erfahrungen machen wir mit unserem Kör­ per. Die Erlebnisse rauschen vorbei und zurück bleibt eine Er­ innerung, auf die wir manchmal zurückgehen und sie in unserer Vorstellung oder in Träumen „wiederbeleben" kön­ nen. Wenn die Erfahrung intensiver war, läßt sie stärkere Erinnerungsspuren im Gedächtnis zurück. Aber es gibt auch Erfahrungen, die keine Reflexion von Sinneseindrücken sind, z.B. in Träumen oder veränderten Bewußtseinszuständen, die durch verschiedene Techniken wie Trance oder Medi­

Leben in vier Welten

109

tation oder auch durch psychoaktive Substanzen hergestellt werden können. Es sind reale Erfahrungen, die nichts mit physiologischen Prozessen zu tun haben; die Substanzen öff­ nen für kurze Zeit nur unsere Bewußtseinsfilter. Intensive Fluggefühle, Verwandlungen und entsprechende Bilder bei schamanischen Trancezuständen werden ebenfalls nicht durch Sinneseindrücke hervorgerufen. Ich machte einmal die Er­ fahrung, wie ich mich in einen jungen Bär verwandelte, und ich hatte körperlich das Gefühl, dieser Bär zu sein und wie er/ich ohne Mühe durch den Wald lief. Nach diesem verän­ derten Bewußtseinszustand fühlte ich mich so wohl, daß meine Rückenschmerzen wie weggeblasen waren. Kein Wunder, denn im Schamanismus trägt der Bär Heilkräfte. Hier geschah eine Erfahrung, die nichts mit Fantasiegebilden zu tun habt. Diese Art der Erfahrungen haben eine andere Qualität, die mei­ stens auch einhergeht mit einem unterschiedlichen Zeit­ empfinden. Fünf Minuten in einer anderen Welt können wie eine Stunde erscheinen. Manchmal laufen die Dinge auch schneller ab, daß der Eindruck entsteht, die Zeit in der ande­ ren Erlebensdimension sei viel zu schnell abgelaufen. Wenn die Erfahrung in einem anderen Bewußtsseinszustand real ist und nicht nur ein Traumgebilde oder eine Halluzi­ nation, haben wir die innere Seite, das Wesentliche bzw. das Wesen einer anderen Wirklichkeit erfahren. Die Bilder, die wir berichten, sind möglicherweise nur Darstellungen von etwas völlig Unbeschreiblichem, durch das es unser Alltagsbewußtsein überhaupt begreifen kann. Es macht jedoch, wie bereits erwähnt, einen Unterschied, ob wir ei­ nen veränderten Bewußtseinszustand haben oder eine sta­ bile Seinsqualität, die uns zum aktiven, autonomen Teil einer intensiveren Parallelwelt werden läßt. Energie­ transformation ist der Schlüssel zu diesem Prozeß. Die „Parallelwelten" sind nicht räumlich voneinander ent­ fernt, sondern sie bestehen aufgrund unterschiedlicher Gesetzmäßigkeiten. Während die Physiker einheitliche Ge­ setze aufgrund der Relativitätstheorie und Quantentheorie

110 Die kosmische Welt des Bewußtseins

suchen, haben Bewußtseinsforscher wie John G. Bennett deutlich gemacht, daß für jede andere Welt auch andere Gesetze gelten. Wenn wir uns von der Existenz zur Essenz bewegen, geraten wir in eine andere Raum-Zeit-Weit, die sich von der gewöhnlichen vierdimensionalen Welt - der dreidimensionale Raum mit dem der Ablauf der Zeit als vierter Dimension verwoben ist - zu einer fünf- und sechsdimensionalen Welt, in der wir aus der Quantität und Körperlichkeit in die Qualität und Nicht-Körperlichkeit ei­ ner anderen Raum-Zeit-Dimension gelangen. Mathemati­ ker wie Gödel und Cantor haben versucht, diese Qualitä­ ten durch eine neue Mathematik darzustellen - keiner konn­ te oder wollte sie verstehen. Bennett sagte einmal, daß man in der vierten Dimension keine Knoten knüpfen könne. Was geschieht dann in den höheren Dimensionen? Der Schriftsteller C.S. Lewis versuchte in seiner Erzählung Die große Scheidung 131 einen Eindruck der anderen Welt zu vermitteln: „Ein Hain von mächtigen Zedern zu meiner Rechten schien anziehend und ich trat ein. Das Gras, diamantenhart für meine unsubstantiellen Füße, gab mir das Gefühl, als ginge ich auf kantigen Felsen... Ein Vogel lief vor mir her, und ich beneidete ihn. Er gehörte in das Land und war so wirklich wie das Gras. Die Stengel beug­ ten sich unter seinem Gewicht, und er besprengte sich mit Tau." C.S. Lewis gelingt hier der Dreh, unsere alltägliche Wirklichkeit als unsubstantiell und die andere Wirklichkeit, die Welt der Essenz, als substantiell darzustellen. Wenn wir nämlich von einer anderen Wirklichkeit sprechen, wird sie meistens als „feinstofflich" bzw. „ätherisch" bezeich­ net. Doch wenn diese zweite Welt „wirklicher" ist, dann müßte sie auch mehr Substanz besitzen... Unser Verstand hat im allgemeinen nicht nur Schwierigkeiten damit, die körperliche, seelische und geistige Welt als Einheit zu sehen, die mit unterschiedlichen Formen der Erfahrung ausgestattet ist, sondern auch vor allem damit, daß die Wirk­ lichkeit intensiver ist als alles, was wir mit unseren Sinnen

Leben in vier Welten 111

erleben können. Alle Welten sind gegenwärtig und miteinan­ der verwoben, wir verfügen jedoch im gewöhnlichen Wach­ zustand nicht über die Mittel, um sie wahrzunehmen. Jeder der grundlegenden Bewußtseinszustände führt uns in ver­ schiedene Welten und ist mit einer dieser Welten verknüpft; allerdings sind sich die Menschen, die im Wesentlichen im normalen Wachzustand in der existentiellen, natürlichen Welt leben, sich der anderen Welten nicht bewußt - auch wenn sie davon erzählt bekommen haben. Die unterschiedlichen Erfahrungsqualitäten sind natürlich sel­ ten strikt voneinander getrennt, wie die Darstellung der Bewußtsseinstufen oder Selbstheiten uns vielleicht anneh­ men läßt. Wir schwanken immer zwischen den verschiede­ nen Ebenen und ihren Erfahrungen hin und her, bis wir voll­ ständig vereinheitlicht sind. Jede der vier Selbstheiten hat die Kraft, sich selbst als unabhängige Einheit zu behaupten oder sich der Einwirkung eines höheren Willens zu öffnen. Auf diese Weise kann jede der vier Schichten zur Verkörpe­ rung des „wirklichen Ichs" beitragen und schließlich zur Ein­ heit kommen. Mit der inneren Entwicklung ändert sich vor allem der Schwerpunkt unseres Seins. Es ist nicht leicht, alle Aspekte zu vereinigen, dennoch läßt sich vereinfacht sagen, daß wir mit den vier verschiedenen Selbstheiten unterschiedliche Erfahrungen machen. Als ver­ körperte Wesen haben wir alle Anteil an der materiellen Welt, wir bestehen zuerst einmal aus physikalischen und bioche­ mischen Prozessen. Auch Gefühle und Gedanken sind Energie­ formen. Die Erfahrungen, die wir machen, hängen von den unterschiedlichen Energien ab, die daran beteiligt sind. Gurdjieffs Tabelle der Wasserstoffe

Bennetts Tabelle der Energien

Ebene des Selbst

H H H H

kreative Energie (E3) bewußte Energie (E4) sensitive Energie (E5) automatische Energie (E6)

wahres Selbst bewußtes Selbst reagierendes Selbst materielles Selbst

12 24 48 96

112 Die kosmische Welt des Bewußtseins

Jede der vier Energien kann ein Instrument des Wissens und des Handelns sein. Die vierte, die kreative Energie, hat die besondere Eigenschaft, daß Wissen und Handeln sich nicht mehr unterscheiden. Die Welt des Lebens ist nicht materiell, auch wenn sie materielle, körperliche „Ver­ dichtungen" benutzt. Das ist schwer zu verstehen, da wir uns als lebende Körper sehen. Doch der Körper ist das Instrument des Lebens. Wenn wir gestorben sind, bleibt ein lebloser Körper zurück. Wo ist die Lebensenergie hin­ gegangen?

Welt 1 - Existenz - äußere Welt „Auf der höchsten Ebene ist nichts festgelegt. Auf dieser Ebene muß alles erschaffen werden, um zu existieren. Auf der unteren Ebene existiert alles und nichts kann erschaf­ John G. Bennett fen werden."

Alles Existierende hat seine Begrenzungen und Möglichkei­ ten. Wenn wir in dieser begrenzten Welt leben, sind wir allein von den materiellen Prozessen abhängig. Diese Welt, die wir mit unserem Körper und unseren Sinnen erfahren, ist so reich und vielfältig und macht unendlich viele Erfahrungen mög­ lich, daß sie uns völlig zufriedenstellen kann. Diese Welt um­ faßt nicht nur die anorganische Materie und die Energiezu­ stände des Kosmos, sondern auch die gesamte Biologie, die Schöpfungen des menschlichen Geistes wie Maschinen, Mu­ sik und Kunstwerke und das menschliche Gehirn. Die exi­ stentielle Welt umfaßt alles, was wir mit den Naturwissen­ schaften erkennen und erforschen können. Die meisten Menschen geben sich jedoch mit der natürlichen Welt zufrieden, die uns mit einem Fluß an Information ver­ sorgt. Dieser Fluß, der auch aus den anderen Welten kommt, wird von unserem Alltagsbewußtseins meistens nur gefil­ tert durchgelassen.

Leben in vier Welten 113

Welt 2 - Die Welt des Seins Die Weit des Seins ist nicht weniger oder kleiner als die körperliche. Sie enthält die verkörperte Welt. Vereinfacht kann man sagen, daß diese Welt der Welt des Bewußtseins entspricht. Sie enthält das Leben, das sich für unsere Au­ gen als „verdichtete" Energie zeigt. Diese zweite Welt hat eine andere Erfahrungsqualität, die von unserer Aufmerk­ samkeit und unserer „Wachheit" gesteuert wird. Die Auf­ merksamkeit kann dabei nach „außen", in die natürliche Welt, und nach „innen" in die innere Welt gerichtet wer­ den. Bei verstärkter sinnlicher und emotionaler Erfahrung zeigt sich die natürliche Welt lebendiger und wir fühlen uns viel direkter mit ihr verbunden. Es ist ein Zustand des Selbstgewahrseins, der einhergeht mit einem veränderten körperlichen Zustand. Manchmal sind wir für kurze Mo­ mente von diesem intensiven Erleben ergriffen, nehmen aber nicht wahr, daß wir Kontakt mit dieser anderen Welt haben; diese „Parallelwelt" ist gleichzeitig vorhanden. Kon­ takt mit der zweiten Welt haben wir manchmal in Träu­ men, manchmal auch dann, wenn wir körperlich-physisch nicht im Schlafzustand sind. Unserer Aufmerksamkeit ist es durchaus möglich, abzuschweifen und „woanders" zu sein. Wir nennen es einfach „Tagtraum" und wollen nicht wahrhaben, daß wir wirklich an einem anderen Ort in ei­ ner anderen Zeit waren. Erfahrungen wie Tagträume, Träu­ me, Präkognition usw. sind jedoch nur „oberflächliche" Ein­ blicke in eine zweite Welt, in der andere Erfahrungen mög­ lich sind, die nicht den Beschränkungen der Körperwelt unterworfen sind. Das „Auf- und Abwärts" im Bewußtseins­ feld dieser Welt hat demgemäß auch nichts mit dem Gra­ vitationsfeld der Erde zu tun, wir sind in einer anderen Raum-Zeit-Dimension. „Manche Träume wirken aufgrund ihrer Intensität und Plastizität wesentlich realer als unsere gewohnte, alltägliche Realität. Schon deshalb sollten wir die Möglichkeiten unseres Bewußtseins nicht unterschät­

114 Die kosmische Welt des Bewußtseins

zen und Unterscheidungen zwischen real und virtuell mög­ lichst vermeiden." 132 . Dieser Welt entspricht in Gurdjieffs Wasserstofftabelle H 24. Aus dieser Welt gelangt z.B. das zu uns, was Gurdjieff als „objektive Kunst" bezeichnet. Nur mit Konzentration von bewußter Energie ist ein dauerhafter Schwerpunkt in dieser Welt möglich.

Welt 3 - Die Welt des Geistes „Der Geist ruft immer nach der Materie, um sich mit ihr zu vereinigen, und die Materie verlangt nach dem Geist, um sich in geistigen Qualitäten auszudrücken. Dieser Vorgang spielt sich ständig in uns ab. Etwas zieht uns zu diesen Welten um den Mittelpunkt und diese ihrerseits bedürfen unser. Der zentrale Punkt ist der Ort, wo geistige Qualitä­ ten und materielle Formen aufeinandertreffen. Das kann geschehen, weil Formen in reinem Bewußtsein ihre größt­ mögliche Freiheit erlangen, und der Geist an diesem Punkt kanalisiert ist, zu etwas Individuellem gebündelt. Man kann auch sagen, es ist der Unterschied zwischen dem, was ich

tue und wie ich es tue, oder noch anders gesagt, zwischen der Quantität meiner Erfahrung und deren Qualität. " 134 Die dritte Welt, die Welt des Gei­ stes, ist die eigentliche spiritu­ elle Welt, die im Grunde keinem unserer Existenzzustände ent­ spricht. Die Berührung mit die­ ser dritten Welt ist nur im ob­ jektiven oder kosmischen Be­ wußtseinszustand möglich. Raum und Zeit spielen hier kei­ ne Rolle, es ist die Welt der Möglichkeiten, der Kreativität,

Leben in vier Welten 115

und steht in Verbindung mit dem Wirken des Willens und unserer Individualität, unseres wirklichen „Ichs". Das ist die Welt, in der Gurdjieffs „Mensch Nr. 6" seinen Standort hat. In der Wasserstofftabelle entspricht diese Welt H 12. Es ist die Welt der Individualität, des Zustands der Einheit. In dieser Welt gibt es keine Trennungslinie zwischen ei­ nem 'Ich' und einem anderen. Dennoch gibt es unterschied­ liche Identitäten. „Mit der Vollendung der Seele gelangt das Individuum... unter die Gesetze von Welt 6 (H6). Hier ist der Unterschied zwischen dem Einen und dem Vielen aufgehoben. Wir überschreiten die Bindung an die Existenz, mit der das individuelle Leben seinen Anfang nahm. Kon­ takte zwischen den einzelnen Willen sind nicht länger not­ wendig, weil alle Willen gleich sind. In dieser Welt finden wir das direkte Wirken des Zweckes der Schöpfung (siehe Abbildung). '135 Im Diagramm stellt die obe­ re Pyramide stellt den spiri­ tuellen Bereich dar. Hier se­ hen wir, daß E3, die kreative Energie, die Existenz mit der 'Nicht-Existenz' verbindet. Siehe auch Bennett, Eine spi­ rituelle Psychologie.

116 Die kosmische Welt des Bewußtseins

Wenn man von einer Einheit der Welten ausgeht, gibt es kein „außerhalb", wir nehmen im alltäglichen Bewußtsein die natürliche Welt nur getrennt von uns wahr. Gehen wir in die seelische oder spirituelle Welt, verschiebt sich die Wahr­ nehmung in andere Dimensionen. Unsere Brötchen verdie­ nen wir dennoch in der äußeren Welt... Doch alle Welten sind immer potentiell in jeder Situation da und können durch willentliche Aktionen verwirklicht werden. Mit diesen Aktio­ nen erschaffen wir die Welten des Bewußtseins.

Welt 4 - Jenseits des Bewußtseins Das Schema der Welten wäre nicht vollständig ohne die „Welt jenseits des Bewußtseins", die in einigen Sufi-Lehren und Yoga-Lehren Vorkommen. In Gurdjieffs Wasserstoff­ tabelle würde diese Welt H 6 entsprechen. John G. Ben­ nett hat aufgrund seiner Erfahrungen mit Hasan Shushud, der davon sprach, daß der Zu­ Nicht-Sein (Shunvata) gang zur vierten Welt unser Ziel sein sollte, diese Kategorie ein­ geführt, von der Gurdjieff nur indirekt spricht. Der bekannte­ ste Begriff für diese Welt ist Shunyata, ein Zustand des Nicht-Seins. Von unserem Seinszustand aus betrachtet, erscheint dieser Zustand wie „Leere" und „Nichts". Da der Zustand außerhalb unseres Bewußtseins und unserer Wahrnehmung liegt, wird er von den Sufis Lahut (nicht-meßbar) genannt, er ist „grenzen­ los" oder „unergründlich". Die Kabbalisten nennen es Ain, das Absolute oder Grenzenlose Nichts. „Wenn wir zum lahut kommen", erklärt John Bennett, „und über dessen Gren­ zenlosigkeit sprechen, sind wir wieder versucht, zu sagen, daß es alles umfaßt. Das stimmt nicht. Es handelt sich

Leben in vier Welten 117

dabei noch nicht einmal um einen Seinszustand. Es ist et­ was, das jenseits des Seins liegt. Man kann das lahut sehr gut als ein Vakuum beschreiben. Dieses Vakuum zieht al­ les in sich hinein und möchte gefüllt werden. Es besteht ein Unterschied zwischen einem endlosen Ozean des Seins, in den man eintauchen kann und einem Nichts, das uns zu sich zieht." Die moderne Physik sieht ein Vakuum nicht als „leer" an, sondern als energiereich. Es sind die Energien der Schöpfung, die im Vakuum immer wieder neu erschaf­ fen werden. „Gemäß dem Gesetz der Evolution muß das Geschaffene seinem Schöpfer etwas zurückgeben. Die Rückkehr des Ge­ schaffenen zur Quelle ist die Weise, wie sich der Zweck der Schöpfung erfüllt. Wir werden dorthin zurückgezogen durch die Liebe. Was schließlich zurückkehrt ist nicht die Persön­ lichkeit, das Wesen oder das 'Ich', sondern die Frucht, die sich mit dem Aufstieg durch die Welten gebildet hat, durch die schließlich Einheit und Ganzheit wiederhergestellt wer­ den." 137

„In einer höheren Weit zu erwachen, ist eine Erleichte­ rung. Wir müssen aber schon etwas in uns tragen, was nach dieser Erleichterung verlangt und was nicht völlig der Sklaverei ergeben ist... Wir stellen fest, daß wir in der Welt der Persönlichkeit nur davon geträumt haben, Dinge zu tun und Dinge zu erfahren. Dann wird uns vielleicht klar, daß in dieser Weit nichts wirklich Segensreiches ge­ schehen kann und dies kein wirkliches Leben, sondern die Vortäuschung von Leben ist. ,q38

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5. Intergalaktisches Intermezzo „Bei richtigem Wissen muß das Studium des Menschen parallel zum Studium der Welt verlaufen... Das parallele Studium von Welt und Mensch zeigt die grundsätzliche Ein­ heit von allem auf und hilft, in den Erscheinungen ver­ schiedener Ordnungen Analogien zu finden... ' 439 Gurdjieff verknüpft immer wieder die grundlegenden Ge­ setze, die für das Leben und die Entwicklung des Men­ schen gelten, mit den Gesetzen des Universums, seiner Erschaffung und Erhaltung. Wenn wir aufmerksam lesen wird klar, daß die Erschaffung kein einmaliger Vorgang ist, sondern eng mit der Erhaltung des Weltalls zusammen­ hängt. Gurdjieffs kosmologische Vision basiert auf der Ein­ sicht, daß wir nicht in einer vollkommenen Welt leben, die vor 15 Milliarden Jahren entstanden ist und sich seitdem mechanisch nach ihren eigenen astrophysikalischen Ge­ setzen ausdehnt. Seine Erkenntnis ist vielmehr, daß wir in einer Welt leben, die ununterbrochen neu erschaf­ fen wird und deshalb dem Risiko unterliegt. Immer wieder sind Anpassungen und Korrekturen notwendig. Doch was können wir Menschen auf diesem abgelegenen Plane­ ten am Rande einer Galaxis überhaupt tun, um etwas zur Erhaltung der Welt beizusteuern? Der Schlüssel liegt in der Welt der Energien. Gurdjieff sagt: „Das erste Grundgesetz des Weltalls ist das Gesetz der drei Kräfte... Diesem Gesetz zufolge ist jedes Vorkomm­ nis, jede Erscheinung in allen Welten ohne Ausnahme das Ergebnis einer gleichzeitigen Wirkung dreier Kräfte - der positiven, der negativen und der neutralisierenden... Das nächste Grundgesetz des Weltalls ist das Gesetz der Sie­ ben oder das Gesetz der Oktaven. Um die Bedeutung die­ ses Gesetzes zu verstehen, muß man das Weltall als aus

120 Intergalaktisches Intermezzo

Schwingungen bestehend betrachten." 140 Interessant ist, daß die Physiker, die heute auf der Suche nach einer „Weltformel" sind, sich das Innerste des Universums aus vibrierenden „Superstrings" vorstellen. 141 Die Forschung gelangt immer mehr zu der Erkenntnis, daß das Licht sich in Wellenform bewegt, ohne daß sich Teilchen nachweisen lassen. Wenn alles aus Schwingungen besteht, die bestimmten Ge­ setzmäßigkeiten unterliegen, haben wir in einem veränder­ ten Bewußtseinszustand aufgrund der „Vibrationsaffinität" ei­ nen Einfluß auf diese Schwingungen entsprechend unserer eigenen Vibrationen. Die Unregelmäßigkeiten der Schwingun­ gen im Gesamtkosmos bieten deshalb eine Chance: „Die Fä­ higkeit des Systems, eine kleine Schwankung zu verstärken, ist der Hebel der Kreativität. Biologische Systeme bewahren ihre Stabilität, indem sie die meisten kleinen Effekte weg­ dämpfen, außer in jenen Bereichen des Verhaltens, wo ein hoher Grad an Flexibilität und Kreativität erwünscht ist. Hier bleibt das System höchst empfindlich für alle Einflüsse, nahe einem Zustand des Chaos. Eine einzige Honigbiene kann bei ihrem Einflug in den Stock, in dem Tausende ihrer Genossen miteinander kommunizieren, durch ein bißchen Tanzen die Lage von pollenreichen Blumen anzeigen und damit das gan­ ze Bienenvolk in die Luft abheben lassen." 142 Leben ist in Gurdjieffs Kosmologie eine unabhängige Schöp­ fung innerhalb des Universums. Das Entstehen von Einzel­ lern auf der Erde, mit der Fähigkeit der Selbsterneuerung und Reproduktion und deren weiteren Entwicklung zu in­ telligenten Zellverbänden bis hin zum Menschen, ist eine höchst unwahrscheinliche Möglichkeit, die sich kaum durch Zufälligkeit erklären läßt. „Die Natur hätte viel länger als das Weltalter gebraucht, um eine sich selbst reproduzie­ rende Sequenz von Aminosäuren wie den Träger der ge­ netischen Information, die DNS, hervorzubringen, wenn der Prozeß allein dem Zufall überlassen geblieben wäre", schreibt der Physiker David Peat. 143 Mit dem Auftreten menschlicher „Formen" sind neue Gesetze entstanden.

Intergalaktisches Intermezzo 121

Ähnlich wie im zitierten Bienenstock können kleine Ein­ flüsse große Wirkungen haben. Die Menschen, die den Weg der Transformation gehen, spielen möglicherweise eine ent­ scheidende Rolle für die kosmische Entwicklung. Für Gurdjieff ist klar, daß die Schöpfung der bewußten Mitwir­ kung und Hilfe intelligenter Wesen bedarf. Auf ähnliche Weise rüttelt uns Gurdjieff mit seiner kosmi­ schen Schöpfungsgeschichte auf: Der Unendliche ist nicht allmächtig, wie uns die jüdisch-christlichen Religionen ver­ künden, er braucht unsere Hilfe. Diese Vorstellung ist sehr alt und scheint in einigen nordischen Mythen durch, aber auch in frühen sumerischen. Ich vermute, daß sie scha­ manischen Ursprungs ist. Im Schamanismus ist diese Vor­ stellung heute noch präsent. Dort wird gesagt, daß die Geister der Anderswelt unsere Hilfe und den Austausch zwischen den Welten brauchen. Bennett erläutert: „Die Menschheit hat immer versucht, Gott als ein Wesen zu sehen, das über allem Risiko steht, eine Allmacht, der Zufall und Unsicherheit, der wir in die­ ser Welt ständig ausgesetzt sind, nichts anhaben kön­ nen." 144 Und umgekehrt: Wenn wir einsehen müssen, daß es nichts ohne Risiko gibt, treibt es uns leicht dazu, das Göttliche oder eine kosmische Intelligenz abzulehnen. Da­ bei ist es für unseren Glauben nicht notwendig, Gott mit Sicherheit gleichzusetzen. Gurdjieffs kosmologischer Entwurf kommt ohne diese Si­ cherheit aus. Alles hat zwar Gesetzmäßigkeiten, doch die­ se bedürfen dauernder Anpassung an die tatsächlichen Ge­ gebenheiten. Die Schöpfung ist kein Uhrwerkmechanismus, der ohne Batterie immer und ewig genau läuft. 145 Diese Tatsache gilt auch für jeden kreativen Prozeß. Die geisti­ gen Grundlagen von Gurdjieffs Lehre sind nur dann zu ver­ stehen, wenn wir seine kosmologischen Vorstellungen im Hintergrund sehen. Denn diese sind nicht anthropozen­ trisch - auch wenn der Mensch eine entscheidende Rolle darin spielt.

122 Intergalaktisches Intermezzo

Die Erschaffung der Welt „Also ... mein Junge, in erster Linie muß ich noch einmal eingehender wiederholen, daß UNSER UNENDLICHER die ganze heute existierende Welt gezwungenermaßen erschaf­ fen hat." 146 Wie kam es Gurdjieffs Ansicht nach dazu, daß der Unendliche gezwungen war, die Welt zu erschaffen? „Am Anfang, als noch nichts existierte, und unser ganzes Weltall ein leerer endloser Raum war, in dem nur die kos­ mische Urquell-Substanz 'Ätherokrilno' vorhanden war, existierte in diesem leeren Raum einzig und allein unsere jetzige Aller-Höchste und Aller-Heiligste 'Sonne Absolut', und auf dieser damals einzigen kosmischen Verdichtung hatte unser EINSSEIENDER SCHÖPFER samt seinen Cherubim und Seraphim den Ort Seines Höchst-Herrlichen Seins." 147 Dann geschah etwas Unerwartetes: Der allmächtige Schöp­ fer stellte fest, daß sein Wohnort, die Sonne Absolut langsam schrumpfte. Die Ursache dafür war der schonungslose Her­ opas, der Lauf der Zeit. John G. Bennett erläutert uns den Begriff Heropas: „Hero bedeutet 'ein Heiliger', aber das ar­ menische 'pas' ist die männliche Form für 'alle'. Heropas be­ deutet somit: 'Der Heilige, der alles ist'.... Der Lauf der Zeit ist das unvermeidliche Altwerden und Abnutzen aller existie­ renden Dinge, die Entropie. Dies erinnert an den Buddhis­ mus und an Buddhas Lehre von der Natur des Daseins, dukha. Es gibt darin keine Zufriedenheit, keine Dauerhaftigkeit und keine Wirklichkeit. Wirklichkeit liegt einzig darin, daß man von der Existenz befreit wird." 148 In Gurdjieffs Version scheint es demgegenüber aber möglich zu sein, durch das Verste­ hen der Gesetze der Schöpfung durch „dauernden Wandel" die Selbsterneuerung des Universums zu ermöglichen. Es stellt sich die Frage, warum die Zeit in einem zeitlosen Anfang des Kosmos eine solche Bedeutung hat. Für die heutige Physik scheint es inzwischen festzustehen, daß die Zeit mit dem Universum ihren Anfang nahm. Deshalb mag

Die Relativität des Zeitbegriffs 123

es auf den ersten Blick rätselhaft erscheinen, wieso die Masse der Sonne Absolut mit der Zeit geschrumpft sein soll, wenn es vor der Schöpfung keine Zeit gab. Die Lö­ sung liegt in der Erkenntnis, daß die Zeit dann eine Rol­ le spielen muß, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Wenn alles vorausgeplant ist und nichts verlorengeht, heißt das auch, daß nichts Neues geschehen kann. Die Verringerung des Umfangs der Sonne Absolut bedeutet letztlich ein Abnehmen der Möglichkeiten. Diese Idee trifft auch auf das menschliche Leben zu.

Die Relativität des Zeitbegriffs „Zeit an sich existiert nicht, sondern sie ist nur die Ge­ samtheit der Resultate, die aus allen möglichen an einem gegebenen Ort vorhandenen kosmischen Erscheinungen entstehen. Zeit an sich kann von keinem Wesen weder mit dem Verstände begriffen noch durch irgendwelche äuße­ ren oder inneren Seins-Funktionen empfunden werden. " 149

Bevor Gurdjieff in „Beelzebub" auf den Grund und die Ur­ sache der menschlichen Existenz kommt, spricht er über die Relativität des Zeitbegriffs und führt zugleich die Idee ein, daß die Lebensdauer des Menschen aufgrund seiner Existenzform sich objektiv gesehen immer weiter verkürzt hat. „Zeit ist die Potentialität der Erfahrung", sagt A.R. Orage. 150 Er meint dabei die Anzahl von Erfahrungen, die wir mit unserem Körper, unseren Gefühlen und unserem Denken machen können. Alles, was wir mit unseren Sin­ nen erfahren, unterliegt der Entropie durch die Zeit eben­ so, wie unser Körper und unser Denken - wenn wir nicht einen Weg einschlagen, um unser inneres Leben zu intensivieren, es auf eine andere Stufe des Bewußtseins zu bringen. Dann können unsere Erfahrungen in einen völ­ lig anderen Zeitablauf kommen.

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Wenn wir durch „Arbeit an sich selbst" unser inneres Sein entwickeln, wird unsere Erfahrungswelt reicher und tiefer - wir gewinnen Zeit, d.h. wirkliche Lebensqualität. Wir mögen zwar das Gefühl haben, daß der äußere Zeitablauf zu schnell ist und wir nicht „genug" Zeit für alles haben, was wir tun möchten, aber je mehr wir mit dem Bewußt­ sein in Kontakt sind, desto mehr „innere Zeit" haben wir. Diese Erfahrung wird beim Ausführen der Gurdjieff-Tänze unmittelbar deutlich. Anfangs haben wir das Gefühl, den Anforderungen unterschiedlicher Bewegungsabläufe mit Kopf, Armen und Beinen nicht gewachsen zu sein. Doch dann kommt ein Punkt, wenn wir in die innere Konzentra­ tion kommen, zentriert werden. Plötzlich gelingen alle Be­ wegungen ohne jede Hektik. Anhand dieser zwei Zeitebenen erklärt uns Gurdjieff, daß es zwei Arten der Existenz gibt: Erstens das normale Leben, das mit dem Strom der Zeit fließt und der Entropie unterliegt. Wenn wir nur in und durch die Prozesse der materiellen Welt leben, sind wir auch Teil der kosmischen Energietransformation, doch wir gewinnen nichts für unsere eigene seelische Entwicklung. Denn so wie wir „normalerweise" leben, geschieht die täg­ liche Erfahrung ohne unser eigenes bewußtes Zutun. Wenn wir nicht lernen, die Energien zu kontrollieren und zu trans­ formieren, die durch unseren Körper und unsere Erfah­ rungen erzeugt werden, läuft unsere innere Uhr immer schneller ab, wir werden von der Zeit getrieben. Orage bringt ein Beispiel: Eine Person liest etwas in der Zeitung oder hört etwas und identifiziert sich sofort damit. Er fühlt intensiv, aber seine wertvolle emotionale und mentale En­ ergie wird verschwendet. Er hat seine Lebenszeit verkürzt. Dasselbe geschieht mit vielen anstrengenden Lebenser­ fahrungen, die uns „graue Haare" wachsen lassen, unsere Uhr läuft schneller ab, weil wir nicht in der Lage sind, un­ sere begrenzten Energien zu halten. Das zweite Lebensprinzip geht gegen den Strom der Zeit

Die Relativität des Zeitbegriffs 125

und der Entropie. Wir erschaffen uns selbst gegen alle Widernisse des mechanischen Drucks des Alltagslebens. In diesem Falle erschaffen wir eine neue Seinsqualität, die nicht der Abnutzung durch die Zeit unterworfen ist. 151 „Zeit an sich existiert nicht, sondern sie ist nur die Ge­ samtheit der Resultate, die aus allen möglichen an einem gegebenen Ort vorhandenen kosmischen Erscheinungen entstehen. Zeit an sich kann von keinem Wesen weder mit dem Verstände begriffen noch durch irgendwelche äuße­ ren oder inneren Seins-Funktionen empfunden werden.... Zeit kann man nur beurteilen, wenn man verschiedene kosmische Erscheinungen miteinander vergleicht... Es muß hervorgehoben werden, daß im großen Weltall überhaupt alle Erscheinungen ohne Ausnahme, wo immer sie entste­ hen und sich manifestieren, nichts als folgerichtige gesetz­ mäßige Bruchstücke einer ganzen Erscheinung sind, die ihren Ursprung in der Allerheiligsten 'Sonne Absolut' hat." 152 Im Kapitel über den Zeitbegriff vergleicht Gurdjieff das Flie­ ßen des Heropas, der keine Quelle hat, mit dem Fließen der „göttlichen Liebe". Die kosmischen Fraktale der verschiedenen Welten wer­ den nach dem Gesetz der Sieben verwirklicht. Jeder der sieben Kosmen, von denen Gurdjieff spricht, hat seine ei­ gene Zeit. Die Zeit „läuft immer mit", wie Gurdjieff sich ausdrückt, und ist deshalb die „einzig-ideal-subjektive-Erscheinung". Gurdjieff macht deutlich, daß jedes Lebewe­ sen und jeder Kosmos seine eigene subjektive Zeit hat. Je nach Intensität des Erlebens haben wir mehr oder weniger Zeit. Wenn wir ins Bewußtsein aufwachen, ist unsere sub­ jektive Zeit im Verhältnis zum normalen Wachzustand we­ sentlich länger. Wir erleben die Dinge „gleichzeitig" und in höchster Intensität. Wenn wir in unserem wirklichen Ich zentriert sind, haben wir die Freiheit zu wählen und zu entscheiden. Entscheidung ist ein spontaner Akt, der nicht in der Zeit abläuft, aber Einfluß auf das Geschehen der Welt hat. 153

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In Ouspenskys Niederschrift seiner Lehren sagt Gurdjieff: „Aber alle Möglichkeiten, die geschaffen worden sind, oder in der Welt entstanden sind, müssen verwirklicht werden. Die Verwirklichung aller geschaffenen oder entstandenen Möglichkeiten bestimmt das Wesen der Welt. Gleichzeitig ist für die Verwirklichung dieser Möglichkeiten innerhalb der Grenzen der Ewigkeit kein Platz... Wenn wir uns die Linien der Verwirklichung dieser Möglichkeiten vorstellen, so werden sie entlang der Radien verlaufen, die von einem Punkt in verschiedenen Winkeln zur Zeit- und Ewigkeits­ linie ausgehen. Diese Linien werden außerhalb der Ewig­ keit verlaufen, außerhalb des fünfdimensionalen Raumes,... in der sechsten Dimension. Die sechste Dimension ist die Linie der Verwirklichung aller Möglichkeiten." 154 Der Physiker Anthony Blake bezeichnet die Zeitdimension der Ewigkeit als „Informationsfeld". Insofern ist der Begriff Ewigkeit eher irreführend. Es ist die Welt der Möglichkei­ ten, der Formen, die noch nicht aktualisiert, also mit der materiellen Welt verbunden sind. Umgekehrt gibt es eine Aktion in dieser Welt, die auf das Informationsfeld zurück­ wirkt und dort gespeichert wird. Die Aktion, die in der Lage ist, den Inhalt des Informationsfeldes zu gestalten, ist der Akt des Willens, der aus der sechsten Dimension kommt. 155

Das Prinzip der gegenseitigen Erhaltung Da die „einzig-ideal-subjektive" Wirkung der Zeit die Mög­ lichkeiten des Unendlichen verringert hat, mußte er oder sie sich etwas einfallen lassen: „Damit Du besser verstehst, wie unser UNENDLICHER beschloß, gegen die verderbli­ che Wirkung des schonungslosen Heropas vorzugehen,... mußt du vor allem wissen, daß die Aller-Aller-Heiligste Son­ ne Absolut bis dahin auf dem System, das 'Autoegokrat' genannt wird, beruhte, das heißt auf jenem Prinzip, nach dem die inneren Kräfte, die die Existenz dieser kosmischen

Das Prinzip der gegenseitigen Erhaltung 127

Verdichtung erhielten, selbständig funktionierten, und von keinen der von außen kommenden Kräften abhängig wa­ ren..." 156 Als das System wegen des Einflusses der Zeit geändert worden war, mußten auch Änderungen an die­ sen Gesetzen vorgenommen werden, und es entstand das trogoautoegokratische Prinzip, mit dem das ursprünglich selbständige Funktionieren des Systems in ein System ver­ wandelt wurde, das von außen kommenden Kräften ab­ hängig war. Es entstanden das sichtbare Universum mit den Sternen, Galaxien, Planeten, „aktiven Elementen" und lebendigen Zellen. „Die Kette der Welten, deren Verbin­ dungsglieder das Absolute, alle Welten, alle Sonnen, un­ sere Sonne, die Planeten, die Erde und der Mond sind, ergibt den 'Schöpfungsstrahl', in dem wir uns befinden. Natürlich schließt der Schöpfungsstrahl nicht die Welt im vol­ len Sinne des Begriffes ein, da das Absolu­ te eine Anzahl, vielleicht eine unendliche Zahl verschiedener Welten gebiert..." 157 Dieser sogenannte Schöpfungsstrahl ver­ wirklicht nach dem Oktavengesetz die sie­ ben verschiedenen Welten oder Kosmen. Schöpfungsstrahl

Diese Idee ist nicht leicht zu verstehen, da es um unter­ schiedliche Raum-Zeit-Ebenen geht. „Der Schöpfungsstrahl schafft sieben verschiedene Ebenen in der Welt, sieben Wel­ ten, eine innerhalb der anderen. Alles, was sich auf die Welt bezieht, wird auch in sieben Kategorien eingeteilt, eine Kategorie innerhalb der anderen. Die Stofflichkeit des Ab­ soluten ist eine Stofflichkeit anderer Ordnung als die von 'alle Welten'." usw.

128 Intergalaktisches Intermezzo

Sieben Welten verwoben

Außerdem wird die Welt nicht auf lineare Weise erschaffen, sondern eher in einer „spiraligen" RaumZeit-Form, die wir nur durch das Enneagramm verstehen können. 158 Das Zusammenspiel der involutionären und evolutio­ nären Energietransforma­ tionen im trogoautoegokratischen Prinzip bezeichnet Gurdjieff als „allkosmischen Stoffwechsel." 159 Durch den Ge­ samtprozeß der Energieumwandlung, Ansanbaluizargenannt, wird die gegenseitige Ernährung oder Erhaltung alles Existie­ renden ermöglicht. Lassen wir einmal diese Bilder auf uns wirken. Am Anfang gab es die unendlich auf einen Punkt konzentrierte Sonne Absolut , den Wohnort der schöpferischen Intelligenz, um­ geben von einem endlosen „leeren" Raum, der erfüllt war mit der „allkosmischen Substanz Ätherokrilno". Das Prin­ zip der autonomen Selbsterhaltung wurde in das System der gegenseitigen Erhaltung umgewandelt und die Ursubstanzen verdichteten sich zu unendlich vielen Sternen und Galaxien, die sich bis heute immer weiter im All ausbrei­ ten. Man hat diese heiße, dichte und explodierende Phase des Universums 'Urknall' genannt. Einige Astronomen glau­ ben, daß damit nicht nur das Weltall, das wir heute ken­ nen, ins 'Leben' gerufen wurde, sondern daß damals auch die Zeit selbst begann. Wie haben sich die Sterne, Galaxien und Planeten und ihre Organisation gebildet? Einige Wissenschaftler, die keinen „Schöpfergott" annehmen wollen, sprechen auch von ei­ ner „Selbstorganisation des Universums". Doch wenn sich

Das Prinzip der gegenseitigen Erhaltung 129

etwas „selbst organisieren" soll, muß den Dingen eine Form der Intelligenz innewohnen. Ich bezweifle, daß Wissen­ schaftler irgendwann einmal erlebt haben, wie sich ein Forschungsprojekt mit einigen Mitarbeitern ohne Konzept selbst organisiert hat... Betrachten wir allein das endlose Universum mit seinen Sternensystemen und Galaxien bleibt uns nur das Stau­ nen, wie es so etwas überhaupt geben kann. Selbst be­ deutende Astrophysiker wie Allan Sandage, kommen in­ zwischen ins Staunen. Er sagt: „Die Erforschung des Uni­ versums hat mir gezeigt, daß die Existenz von Materie ein Wunder ist, das sich nur übernatürlich erklären läßt." 188 „Dem neuen Weltmodell zufolge dehnte sich das Univer­ sum kurz nach seiner Geburt mit Überlichtgeschwindigkeit aus. Dabei wurden die Keime der Galaxien gesät. Plausibel scheint es nach dieser 'Inflationstheorie', daß außer unse­ rem Universum weitere entstanden - und noch immer ent­ stehen...." 160 Die Wissenschaftler nehmen auch an, daß sich nach der ersten Ausdehnung ein Teil der Energie zu Materie kondensierte. Wie wir sehen werden, hat Gurdjieff siebzig Jahre vor diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen, interessante Erklärungen zu diesem Phänomen gegeben. Gurdjieff nennt die Ursubstanz der Schöpfung Ätherokril­ no, „jener Stoff, mit dem unser ganzes Weltall angefüllt ist und der der Entstehungs- und Erhaltungsgrund alles Exi­ stierenden ist." 161 John G. Bennett gibt uns einen wichti­ gen Hinweis: „In diesem Wort ist das griechische etheros mit den Buchstaben K und R verbunden, die in vielen Spra­ chen die schöpferische Kraft bezeichnen. Ätherokrilno be­ deutet somit die formlose Materie, in der der schöpferi­ sche Vorgang stattfinden kann." 162 Unsere Worte Kreativi­ tät oder Kreatur, die aus dem Lateinischen stammen, drükken ebenfalls die Idee der Erschaffung aus. Ätherokrilno ist der kosmische Grundstoff, aus dem alle „Kristallisatio­ nen" entstanden, die Urmaterie. „Merke dir hier, daß die erwähnte objektive Wissenschaft eben aus diesem Grunde

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sagt: Alles im Weltall ist ohne Ausnahme materiell!" 163 Doch Ätherokrilno ist bei Gurdjieff kein neuer Aufguß des Äther­ begriffs, der von der Physik seit Einstein verworfen wurde. Ätherokrilno ist vielmehr - in heutigen Begriffen gesagt ein potentielles Quantenfeld, das sich zeitweise als Teil­ chen manifestiert. Denn ein „leerer Raum", der mit einer kosmischen Ursubstanz erfüllt ist, ist ein Widerspruch. Für die heutige Physik ist klar, daß es keinen absolut leeren Raum geben kann. Somit erfüllt Gurdjieffs Idee die zeitge­ mäßen physikalischen Prämissen, indem er den „leeren Raum" mit einer potentiellen Energie anfüllt, 164 die durch einen intelligenten schöpferischen Willen zu Formen „kri­ stallisiert" wird.

Kristallisationen „Was die Natur organisieren ließ, das lassen wir kristalli­ sieren," sagt Goethe im Faust. Mit diesem Satz reflektiert Goethe die zeitgenössischen Versuche, einer Kristallisation organischer Gebilde aus anorganischen Elementen. Gurd­ jieff gebraucht häufig den Begriff „kristallisiert", und auch ihm geht es um die Frage, wie aus Materie das Leben ent­ steht. In der Literatur zu Gurdjieff fand ich bisher keine Erklärung zum Begriff „Kristallisationen". Aber wir stoßen hier wieder auf die Wurzel KR, die in unserer Sprache in kreativ enthalten ist und im alten Armenischen auch Trä­ ger oder Transportmittel bedeutet. Meiner Ansicht nach sieht Gurdjieff die Erscheinungen fester Körper ähnlich der Struktur von Kristallen, in der die Atome, Moleküle und Ionen raumgitterartig angeordnet sind, d.h. in einer regel­ mäßigen, räumlich periodischen Struktur. Es gibt sieben Kristallsysteme. Der reale Kristall hat übrigens nie eine ideale, regelmäßige Anordnung des Raumgitters, sondern enthält stets Baufehler, z.B. Lücken. Interessant ist auch, daß wir im Zustand des „kosmischen" Bewußtseins das

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innere und äußere Universum als „kristallinen", aber zu­ gleich „elastischen" Raum erfahren, der sich in dauernder Schwingung befindet. Wir werden von Gurdjieff ganz bewußt zu dem Punkt ge­ führt, daß wir uns Gedanken darüber machen, wie aus einer Urmaterie alles weitere entstand, insbesondere das Leben. Wir sprechen heute von Elektronen, Photonen, Quarks, Neutrinos usw. und die Physik versucht, immer tiefer in die Geheimnisse der Materie einzudringen, mit dem Ergebnis, daß die Kräfte, „die die Welt Zusammenhalten" immer geheimnisvoller werden. Die Materie löst sich in un­ sichtbare Kräfte auf! Wie konnte sich reine Energie, also eine nichtmaterielle Kraft, zu sichtbarer Materie und schließlich zu lebendigen Zellen kondensieren? Hier führt Gurdjieff eine „kosmische Kristallisation" ein, „die unter dem Namen allgegenwärti­ ges Okidanoch existiert." Okidanoch ist ein armenisches Wort mit der Bedeutung „Seelenträger" Diese Substanz verdankt ihr Ur-Entstehen - obwohl sie sich aus Ätherokrilno bildet - „den drei heiligen Quellen des heiligen Theomertmalogos, nämlich den Emanationen der Allerhei­ ligsten Sonne Absolut." 165 Die „drei heiligen Quellen" sind die ursprünglichen Schöpfungsimpulse „heilige Bejahung", „heilige Verneinung" und „heilige Versöhnung". Das allgegenwärtige Okidanoch ist die primäre aktive „Sub­ stanz", die entsprechend aus drei selbständigen Kräften besteht, die nach dem kosmischen Grundgesetz Triamasikamno 166 Zusammenwirken. Wenn diese Substanz in eine neue kosmische Konzentration eintritt, vermischt sie sich nicht als Ganzes, sondern teilt sich in drei Kräfte auf, die danach streben, sich wieder zu verbinden. Dieses Streben nach erneuter Verschmelzung „informiert" die neue Kon­ zentration. Okidanoch ist die „Kraft des intelligenten, schöp­ ferischen Willens", des universalen Geistes. Das allgegen­ wärtige Okidanoch nimmt an allen kosmischen Bildungen in unterschiedlichen Verdichtungen teil. In Ouspenskys

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Darstellung wird die Verbindung von Ätherokrilno und Okidanoch verständlicher dargestellt: „Stoff oder Substanz set­ zen notwendig das Bestehen von Kraft oder Energie vor­ aus. Das heißt nicht, daß man eine dualistische Weltan­ schauung haben müsse. Die Begriffe von Kraft und Stoff sind genauso relativ wie alles andere. Im Absoluten, wo alles eins ist, sind auch Kraft und Stoff eins... Um mit dem Studium des Weltalls zu beginnen, genügt eine elementa­ re Vorstellung von Kraft und Stoff, wie wir sie durch unmit­ telbare Beobachtung mit unseren Sinnesorganen gewin­ nen. Als 'Konstante' bezeichnen wir das Stoffliche... und 'Wandlungen' im Zustand des 'Konstanten' .. bezeichnen wir als Äußerung von Kraft oder Energie. Alle diese Wand­ lungen können als Ergebnis von Schwingungen oder Wel­ lenbewegungen betrachtet werden, die im Mittelpunkt be­ ginnen, das heißt im Absoluten." 168

Das Gesetz der Drei In Gurdjieffs Schöpfungsentwurf entsteht durch das trogoautoegokratische Prinzip aus der ursprünglichen Einheit zuerst eine Triade oder Kombination von drei Kräften, aus denen sich weitere Triaden entwickeln. Diese weiteren Tria­ den entsprechen den immer niedrigeren Ebenen der 'Bele­ bung' oder Energie. Die erste Triade ist Ursache aller an­ deren. Daraus können wir schließen, daß die folgenden Triaden 'innerhalb' der ersten entstehen. Auch die zweit­ rangigen, drittrangigen und folgenden Triaden sind 'Fraktale' der ursprünglichen Triade. Auf diese Weise wird die Ur­ kraft oder die Intelligenz der Quelle holographisch frag­ mentiert. „Es sollte ziemlich offensichtlich sein, daß die dritte Kraft überhaupt nur dann Intelligenz besitzen kann, wenn sie in gewisser Weise unabhängig von den anderen zwei ist, denn Intelligenz kann in einer völlig mechanischen Welt nicht operieren." 169 Gurdjieffs Konzept der drei unabhän­

Der Schöpfungswille 133

gigen Kräfte geht damit über die Idee der Dialektik hin­ aus. Jede einzelne Kraft steht immer auf einer anderen Ebene. Wir können die aktive Kraft mit einer höheren Energieebene in Verbindung bringen als die passive Kraft. Wenn die formlose Materie von der kosmischen Intelligenz „befruchtet" oder bearbeitet wird, entsteht Leben. Das Leben ist wiederum Ausgangspunkt für die Entwicklung des Bewußtseins. Doch Leben ist in dieser Konzeption nicht einfach die Synthese von Intelligenz und Materie, sondern hat eine eigene schöpferische Kraft in einer neuen Triade der Evolution.

Der Schöpfungswille Die Theorie der Astrophysik ist heute, daß das Universum aus reiner Energie entstand. Die Physiker meinen, daß un­ mittelbar nach dem Urknall das All kleiner war als ein Atom­ kern. Was bewirkte den Urknall? Gurdjieff sagt, es war der schöpferische Impuls Theomertmalogos. Theomertmalogos kann in den griechischen Teilen Theo und Logos als „Wort Gottes" übersetzt werden. Allerdings hat Logos &uch die Be­ deutung von Gesetz, Logik. So könnten wir das 'Wort Gottes' auch als den Logos des Ganzen ansehen, für das wir heute das Konzept der „Information" benutzen. Zwischen dem Theomertmalogos, das aus der ursprüngli­ chen Einheit emaniert und sich in der Schöpfung als dreifältiges Okidanoch manifestiert, und dem Ätherokrilno, der potentiellen Energie der Quantenfelder, besteht eine unentwegte Aktion. Genauso wie Materie in Energie und Energie in Materie übergehen kann, ist das auch mit Infor­ mation und Energie möglich. Wir können das Zusammenspiel dieser drei Erscheinungs­ formen vielleicht mit John Bennetts Kategorien Funktion, Sein, Wille verstehen:

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Funktion bezieht sich auf Verwirklichung, das Geschehen. Es ist das Verhalten der Dinge und Prozesse in Raum und Zeit. Ätherokrilno ist in dieser Hinsicht funktional. Sein ist der innere Zusammenhang von Einheiten und wie sie in einer anderen Raum-Zeit (in der fünften Dimension) Zusammenwirken. Energie und Bewußtsein sind Aspekte dieses Seinszustandes. Durch den Willen, den schöpferischen Akt, wird die Wirk­ lichkeit verwirklicht - die sechste Raum-Zeit-Dimension. Bennett bezeichnet diese Dimension als Hyparxis, die „Fä­ higkeit zu sein". Diese Dimension hat den Grad an Freiheit, der freies Handeln ermöglicht - doch nur auf Kosten der Sicherheit. „Hyparxis und Ewigkeit bedingen einen Daseins­ bereich, der nicht durch Sinneserfahrung direkt erlebt wer­ den kann. Es ist der Bereich der unvoraussagbaren und spontanen Tätigkeit der Natur... Wenn wir das verstehen würden, erwarteten wir nicht andauernd Dinge, die nun einmal nicht geschehen können..." 170 Dieses erstaunliche Weltbild beruht auf zwei Pfeilern: der ursprünglichen Einheit und der Vielheit der Schöpfung, die über den Prozeß der Evolution wieder zur Einheit zurück­ kehrt. Die tragenden Kräfte im Kern der erschaffenen Ma­ terie sind die drei Aspekte des ursprünglichen Schöpfungs­ willens: Die aktive, schöpferische Kraft Theomertmalogos, die rezeptive Kraft Ätherokrilno, die ungeformte Energie, und die versöhnende Kraft der Liebe, die sich in allen We­ sen ausdrückt. Diese drei Kräfte bewegen das Universum in ewigem Streben, sich immer wieder zu vereinigen. Auf den Menschen bezogen dringt Gurdjieff immer wieder dar­ auf, daß wir diese drei Kräfte in uns vereinigen, um uns wieder mit der Urquelle zu vereinigen. Immer wieder wird betont, daß wir Menschen für die Aufrechterhaltung des kosmischen Erhaltungsprozesses gebraucht werden, aber nicht als „versklavte Automaten", sondern als bewußte, intelligente Mitarbeiter.

Die Welten des Bewußtseins 135

Die Welten des Bewußtseins So wie unsere Sonne eine Verdichtung der Ursubstanz Ätherokrilno ist, eine unabhängige Reproduktion der Urquelle, sind auch wir Menschen Verdichtungen dieser Ursubstanz. Gleichzeitig sind wir durch die ursprüngliche intelligente Schöpferkraft auch mit dieser Intelligenz erfüllt. „Irgend­ wo zwischen dem ungeformten Grund und der schöpferi­ schen Quelle gibt es ein Gebiet, wo eine Art sich selbster­ haltender und selbsterneuernder Existenz wohnt, die fä­ hig ist, zu der Art von Bewußtsein zu kommen, wie wir Menschen sie haben." 171 Gurdjieffs kosmischen Entwurf, den ich im vierten Kapitel mit psychologischem Schwer­ punkt behandelt habe, können wir „physikalisch" gesehen zusammenfassend so formulieren: 1. die erschaffene, materielle Welt in ihren unzähligen „Ver­ dichtungen" oder„Kristallisationen" - die existentielle Welt. 2. die Welt des Bewußtseins, in der sich die Kräfte des Willens manifestieren, die wir in unserer Sprache auch als „Energien" bezeichnen können. Diese Welt ist das „Binde­ glied" zwischen der Welt des Geistes und der Welt der Ma­ terie, in dem der kosmische Stoffwechselprozeß vor sich geht - die essentielle Welt; 3. die Welt der Einheit, in der alle Möglichkeiten enthalten sind - die Welt des ungeteilten schöpferischen Geistes oder Willens. Die Weit der Energien ist die Weit des Bewußtseins, in der die Umkehr der Bewegung der Welterschaffung durch Transformationsprozesse möglich ist. Der Umkehrprozeß geschieht über die „ Vergeistigung der Materie", wie es der indische Philosoph Sri Aurobindo ausdrückt. Es ist die Um­ wandlung von „materiellen Verdichtungen" in die Energie des Bewußtseins. So geschieht ein ständiger Austausch zwischen der materiellen Basissubstanz der Schöpfung, die durch die menschliche Mitwirkung immer wieder erneuert wird.

136 Intergalaktisches Intermezzo

Auch wenn wir mit Gurdjieff das sich entfaltende Univer­ sum in seinen einzelnen Teilen und Bereichen studieren bis hin zu den kleinsten mikrokosmischen Welten, dürfen wir darüber nicht vergessen, daß wir eine Ganzheit vor uns haben. In Gurdjieffs kosmischer Schau wird kein Dua­ lismus zwischen Geist und Materie aufgebaut. In einem unveröffentlichten Vortrag sagt er: „Alles in der Welt ist eins und wird von den gleichen Gesetzen regiert. Alle Ge­ setze des Kosmos können wir in einem Atom finden. Und in jeder Erscheinung ist alles vollständig enthalten. Das Wissen der Gesetze der Vielheit des Einen basierte immer auf der Ähnlichkeit von Mikro- und Makrokosmos - von Mensch und Universum und umgekehrt." 172 Materie ist schöpferische Ursubstanz, die durch die drei Kräfte des Willens geformt wird und sie enthält. Durch die fundamen­ talen Gesetze der Drei und der Sieben können wir nicht nur die Evolutions- und Involutionsgesetze des Universums verstehen, sondern auch die Gesetze, die im Menschen wirken. „Erkenne dich selbst" ist in diesem Zusammen­ hang das grundlegende Wissen über die Wirklichkeit der Schöpfung.

Die spiralige Verwobenheit der Weiten

Energien und ihre Transformationen 137

Energien und ihre Transformationen In Gurdjieffs Stufenfolge vom Ätherokrilno bis zum Energie ist ewiges Theomertmalogos gibt es Entzücken......... verschiedene Zustände William Blake der Energie des Bewußt­ seins. Denn Energie ist keine materielle Substanz, etwas, das man wie ein Stück Holz anfassen kann. Das Wort Energie kommt aus dem griechischen energeia und bedeutet arbeiten oder wirken. Energie hat die Fähigkeit, eine Arbeit zu verrichten, sie macht also eine Aktion mög­ lich und sie ist diese Aktion. Das Benzin im Auto treibt es noch nicht an. Es muß im Motor umgewandelt, in Energie umgesetzt werden. Deshalb kann man auch von Energie­ mengen, d.h. Watt, und Energiespannung, d.h. Volt, spre­ chen. „Viele Leute begehen den Fehler, daß sie versuchen, die verschiedenen Energien 'zu kennen'. Alles, was wir be­ obachten können, sind verschiedenen Funktionsweisen, aus denen wir ablesen können, daß verschiedene Arten von Energie anwesend sind, die selbst nicht beobachtet wer­ den können." 173 Wir können Energien in drei Kategorien einteilen: 1. als Energiemenge, Energiestärke und Energiespan­ nung - das sind die materiellen Formen der Energie, die von der Physik untersucht werden; 2. als Energieintensitäten, d.h. wirksame Kräfte, die mit dem Sein und den Welten des Bewußtseins zu tun haben; 3. als Energiequalitäten, die mit der schöpferischen In­ telligenz verbindet. Diese Tatsachen gelten für alle Energieformen im Univer­ sum. Auch der menschliche Körper arbeitet mit Energi­ en. 174 Er benötigt Nahrung und Sauerstoff, die bestimmte Transformationen durchlaufen, so daß der Körper die En­

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ergie zum Leben erhält. Gurdjieff bezeichnet demgemäß den Menschen als „chemische Fabrik". Die grobstofflichen Nahrungsmittel werden durch körpereigene Prozesse ver­ daut und zu Proteinen, Enzymen, Hormonen, Neuro­ transmittern usw. umgebaut. Sie geben uns die Kraft oder „Energie" zur Körpererhaltung, zur Fortpflanzung, zum Denken, Handeln und Fühlen. Aber auch Sinneseindrücke, Gefühle und Gedanken sind Energien, weil sie uns die Im­ pulse zum Handeln und Verstehen bringen. Energieum­ wandlung ist so der Übergang von einer Qualität in eine andere. Dabei gibt es eine Energieaufwertung, also die Transformation von grobstofflicher Nahrung zum Beispiel in die Kraft der Gedanken oder des Handelns. 175 Umge­ kehrt geschieht auch eine Energieabwertung, denn das Leben verbraucht Energien z.B. in Form der Körperwärme. Das heißt, Transformationen geschehen immer in zwei Rich­ tungen. Die Bewegung der Oktave der „Schöpfung" beginnend mit dem „Urknall" ist in Gurdjieffs Kosmologie eine „Energieabwertung" oder Involution von freier, schöpferischer Willensenergie, die er als Okidanoch bezeichnet, in immer weitere Verdichtungen der Materie. Die Aufwertung und Transformation niedrigerer Energien bezeichnet er als Evolution. Evolution geschieht nicht von alleine, sie benötigt eine bewußte Anstrengung, eine hö­ here Intensität. Denn der Weg „aufwärts" geht gegen die En­ tropie der Schöpfung. Diese Erkenntnis ist ein zentraler Punkt für Gurdjieffs „Vier­ ten Weg", denn ohne seine Kosmologie verlieren die prak­ tischen Konsequenzen der menschlichen Entwicklung ihre Substanz oder Zielrichtung. Die Transformation der Ener­ gie wird bei Gurdjieff dann auch ganz pragmatisch erläu­ tert: „Das Allgegenwärtige-aktive-Element Okidanoch tritt in den Bestand der Wesen durch alle drei Arten von SeinsNahrung ein." Hier geht er nochmals auf seine grundle­ gend substantielle Auffassung ein, die besagt, daß alles im Universum „materiell" ist. Die Umwandlung der drei

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Nahrungsarten, normales Essen, Luft und Eindrücke, ge­ schieht durch die drei Prozesse des Gesetzes der Sieben. Die gewöhnliche Nahrung bedarf zu ihrer Weiterentwicklung eines Anstosses von außerhalb, in diesem Falle durch die Oktave der Luft, durch die eine Verfeinerung bestimmter Substanzen, insbesondere der Sexenergie (Sexualhormo­ ne und Neuropeptide), geschieht, die sich mit den bereits vorhandenen bewußten Energien verbindet. Der dritte Pro­ zeß geschieht über die bewußten Eindrücke, den direkten Kontakt mit dem Bewußtsein. 176 Der Prozeß des Atmens, der Bewußtseinszustand und die Transformation der Ener­ gien sind eng miteinander verknüpft. Bei jedem Transformationsprozeß wird ein Teil der Energie für den kosmischen Stoffwechselprozeß abgegeben. Im ge­ wöhnlichen Lebensprozeß reicht die Energie gerade für die Erhaltung unseres Körpers aus und unbewußt geben wir einen Teil in den kosmischen Prozeß ab. Gurdjieff nennt dies Heiliges Askokin, „Nahrung für den Mond", weil wir in einer Traumwelt leben. Wenn wir bewußt arbeiten, können wir ausreichend Energie erzeugen, daß ein Teil für unsere seelische Entwicklung zurückbleibt. Die bewußt erzeugte Energie ist das Heilige Helkdonis. Diese Energie erscheint, wenn wir nicht für uns selbst arbeiten, sondern um unsere kosmischen Verpflichtungen zu erfüllen. Etwas kehrt dann in uns zurück. Die „heiligen Stoffe Abrustdonis und Helk­ donis" sind „jene Stoffe, durch die sich die höheren Seins­ körper dreihirniger Wesen, nämlich der 'Kesdschan-Körper' und der 'Seelen-Körper', im allgemeinen bilden und vervollkommnen." 177 Abrustdonis ist die zweite Seins­ nahrung, Helkdonis ist die dritte Seinsnahrung, während Askokin unbewußt erzeugt und abgesondert wird. In der Sprache Gurdjieffs „müssen wir mit unseren vernei­ nenden Teilen kämpfen, um Bewußtsein freizusetzen." In anderen Worten: Der evolutionäre Prozeß ist ein Erwa­ chen ins Bewußtsein. Dadurch wird die schöpferische „Kri­ stallisation" der Energie, aus der das bestehende Univer­

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sum und seine vielfältigen Formen gebildet wurde, wird durch die Transformationsprozesse ins Bewußtsein wieder umgekehrt, der Entropie und dem Verfall der Energie wird entgegengewirkt. Nun ist der Kreis zu Gurdjieffs Idee der gegenseitigen Er­ haltung oder Ernährung alles Existierenden, dem Prinzip des Trogoautoegokraten wieder geschlossen. Dieser Ent­ wurf eines kosmologischen Weltbildes, des Strebens nach dem Verstehen der „Gesetze der Welterschaffung und Welt­ erhaltung" ist bei Gurdjieff kein „Glasperlenspiel". Gurdjieff hat immer konkrete Vorstellungen. Seine wichtigste Frage ist dann auch, welche Rolle die Biosphäre und die Mensch­ heit im diesem allkosmischen Stoffwechsel spielt. Jede Funktion, jede Aktivität aller Existenzformen, seien es Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen, oder kosmische For­ men wie die Sonne, verbraucht Energie. Jede Art von Ver­ änderung ist eine Energietransformation. Wenn wir eine Möhre essen, wird diese im Magen-Darmtrakt chemisch zerlegt und schließlich in den Blutkreislauf gebracht, der wiederum die Zellen versorgt - und für die nötige Energie zum Leben sorgt. Diese Art von Transformation geschieht auf allen Ebenen. Der allkosmische Stoffwechsel beruht demgemäß ebenfalls auf Energietransformationen. Der Mensch verfügt über das Potential, die Energien nicht nur für die Körpererhaltung zu transformieren, sondern auch solche herzustellen, die unser Gefühlsleben und Ge­ hirn antreiben. Darüberhinaus können wir Energien trans­ formieren, die von anderen Lebensformen nicht hergestellt werden können, z.B. bewußte Energie. Wenn wir essen, nehmen wir das Leben anderer Schöp­ fungen in uns auf. Deshalb haben wir die Verpflichtung etwas zurückzugeben. Diese Möglichkeit liegt darin, daß wir die Energie des Lebens in bewußte Energie umwan­ deln. Wahrscheinlich geht es in diesem Kreislauf nicht nur um Energie, sondern auch um Information. Die Ideen von James Lovelock, der vor 30 Jahren die Gaia-Hypothese

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aufgebracht hat, lassen diesen Schluß zu. Denn die ge­ samte Biosphäre steht in enger Wechselbeziehung. Viele Pflanzen erhalten den biosphärischen Stoffwechselprozeß nicht alleine für sich, sondern arbeiten für das Ganze. Das berühmte Beispiel ist Plankton, das durch Abgabe von Schwefel in die Ozeane, aus denen wiederum Dimethylsulfid in die Atmosphäre entweicht und dadurch weiße Wolken erzeugt, die Erdtemperatur stabil erhält. 178 Wenn wir die Idee der gegenseitigen Erhaltung auf alles Existierende - einschließlich des Menschen - anwenden, wird deutlich, daß der Mensch auch eine wichtige Rolle in diesem Stoffwechselkreislauf einnimmt. Doch welche En­ ergie produziert der Mensch für den Kosmos? Und wel­ chen Nutzen hat der Mensch selbst für sich in diesem Kreis­ lauf? „Alles Leben ist eins - und alles Lebendige ist heilig: Pflanze, Tier und Mensch. Alles muß essen, um zu leben, und um sich gegenseitig zu erhalten. Wir danken dem Leben das sterben mußte, damit wir leben können. Laßt uns mit Bewußtsein essen, mit dem wir durch unsere Worte und Werke den Kreislauf des Lebens schließen. Tischgebet oder „Erinnerung" nach John G. Bennett

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6. Kosmische Verwirklichungen „Der gewöhnliche Mensch hat keine Seele und keinen Wil­ len.., Ein Kind wird nie mit einer Seele geboren. Die Seele kann nur im Laufe des Lebens erworben werden... Für das gewöhnliche Leben ist eine Seele gar nicht nötig." 79 In unserer westlichen Kultur wird allgemein angenommen, jeder Mensch habe so etwas wie eine Seele. Für viele Wis­ senschaftler gibt es jedoch keine eigenständige „Seele". Und die Psyche, mit der sich die Psychoanalyse beschäf­ tigt, ist für die meisten heutigen Neurologen und Gehirn­ forscher letztlich völlig abhängig von neurologischen Gehirn­ funktionen. Die wissenschaftliche Psychologie wurde des­ halb zu einer Verhaltenswissenschaft. Verhalten kann sta­ tistisch ausgewertet werden. Durch diese „wissenschaftli­ che Aufklärung" wird die Individualität des Menschen auf Funktionsmechanismen reduziert. Gurdjieff scheint die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorweggenom­ men zu haben, wenn er sagt: „Menschen sind Maschinen. Maschinen sind blind und unbewußt, sie können nicht an­ ders sein.... In unbewußten, unwillkürlichen Handlungen liegt eben die Wurzel allen Übels..." 180 Gurdjieffs Ansicht nach sind die meisten Menschen zu sehr in ihrer Persönlichkeit zentriert, die durch die Sozialisation geprägt wird. Ohne Entwicklung des Bewußtseins sind wir alle Marionetten in einem Theaterspiel, das wir nicht ken­ nen. Diese Sichtweise wird noch deutlicher, wenn wir die menschlichen Aktivitäten von einem anderen Blickwinkel aus beobachten, z.B. wie Gurdjieff mit dem Teleskop von einem anderen Planeten aus. So können wir den Eindruck gewinnen, daß das menschliche Treiben so undurchsichtig ist wie die Aktivität in einem Ameisenhaufen. Der Schriftsteller Maurice Maeterlinck brachte einmal sogar den Gedanken auf, daß die Ameisen früher Menschen ge­ wesen seien, die für den Planeten und das Sonnensystem

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so zerstörerisch geworden wären, daß höhere Kräfte sie verkleinert hätten, um den Schaden abzuwenden.... Der Gedanke scheint gar nicht so abwegig. Es gibt mindestens siebentausend verschiedene Ameisenarten mit vielen un­ terschiedlichen Gesellschaftsstrukturen, die zum Teil den menschlichen Organisationsformen sehr ähnlich sind! Die Ameisen haben Vorratshaltung, Spezialisierung in der Ar­ beit, ja selbst Kriegszüge gegen andere Ameisenarten kenn­ zeichnen ihr soziales Leben. Inzwischen hat man beobach­ tet, daß Ameisen sich zu Guerillagruppen zusammenschlie­ ßen und Revolutionen anzetteln! Wenn wir nach einem Sinn und einem Zweck suchen für das Leben auf der Erde überhaupt, müssen wir auch die Frage stellen: „Warum existiert der Mensch?" Reicht es nicht, daß er sein Tagwerk vollbringt, Dinge erzeugt und konsumiert, seine gesellschaftlichen Verhältnisse organi­ siert und vielleicht mit allem, was er erreicht hat, sogar annähernd glücklich ist? Die Frage nach einer Seele macht erst dann Sinn, wenn wir annehmen, daß auch Menschen in der Reihe der ge­ genseitigen Erhaltung eine Aufgabe haben, zu etwas an­ derem gebraucht werden, als nur für sich selbst. Setzen wir diese Gedanken fort, können wir zu der Schlußfolge­ rung kommen, daß der Mensch nicht wegen seines Kör­ pers und dessen Erhaltung existiert, sondern um etwas in den kosmischen Transformationsprozeß einzubringen, das nur der Mensch kann. „Um zu verstehen, was der Mensch im Augenblick dar­ stellt, das heißt auf seiner jetzigen Entwicklungsstufe, muß man bis zu einem gewissen Grad eine Vorstellung haben, wie er sein kann, was er erreichen kann. Nur wenn man die richtige Folge der Entwicklung versteht, die allein mög­ lich ist, werden die Menschen aufhören, sich zuzuschrei­ ben, was sie jetzt nicht besitzen und was sie vielleicht nur mit großer Arbeit und großer Mühe erwerben können." 181 Wenn wir bewußte Anstrengungen unternehmen, teilen wir

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die allgegenwärtige Substanz Okidanoch in drei Teile. Der erste Teil wird von der Anstrengung verbraucht. Der zwei­ te dient einem allgemeinen kosmischen Zweck und der dritte Teil wird für uns zurückbehalten. Dieser Teil müßte dann die Substanz der Seele sein, bewußte Energie. In Beelzebubs Erzählungen wird erklärt: „Nun bestanden die weiteren Resultate der göttlichen Aufmerksamkeit in Be­ zug auf die besagten Tetartokosmen [die Menschen] 182 dar­ in, daß, während sie dem größten kosmischen Trogoautoegokrat als Werkzeug dienen, sie die Möglichkeit haben, aus der Zahl der kosmischen Stoffe, die durch sie umge­ wandelt werden, sowohl zur Befriedigung der Bedürfnisse des Allergrößten Allkosmischen Heiligen Trogoautoegokraten als auch zur Erzeugung der Stoffe, die sie für ihren eigenen Existenzprozeß brauchen, und die ausschließlich aus solchen kosmischen Kristallisierungen bestehen, die durch die Umwandlungen desselben Planeten entste­ hen...." 183 Darüberhinaus können die Menschen auch Stoffe aus kosmischen Quellen höherer Ordnung aufnehmen. „Und aus solchen kosmischen Resultaten bekleideten sich dann allmählich ganz gleiche Formen in ihrem allgemeinen Be­ stand, zuerst aus den kosmischen Stoffen Mentekizoin, das heißt, aus Stoffen, die von der Sonne und anderen Plane­ ten jenes Sonnensystems transformiert werden, innerhalb deren Grenzen die gegebenen Tetartokosmen entstan­ den..." 184 Wenn die Seele - was die materialistische Wissenschaft annimmt - ebenso materiell ist wie unser Körper, würde sie zusammen mit dem Körper sterben. Wenn sie nicht mit dem Körper stirbt, wie die meisten Religionen behaupten, dann müssen wir uns fragen: „Welchen Zweck hat die Bil­ dung einer Seele?" Wenn die Seelen „fertig entwickelt" zusammen mit dem Körper in die Welt kommen und mit dem Körper wachsen und vollendet sind, wären sie kein Grund für unsere Existenz. Genauso wie wir Schafe und Kühe für Wolle, Milch und Leder halten, müssen wir fra­

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gen, wozu dient eine Seele und wozu soll sie entwickelt werden? Jede materielle Existenz, jedes Leben ist eine Form der Energie und wird für etwas gebraucht. Jedes Leben wird im Kreislauf der gegenseitigen Erhaltung für ein an­ deres Leben gebraucht, was wir deutlich in der fein abge­ stimmten Biosphäre sehen können. Die Natur kommt ganz gut ohne die Menschheit aus. Das hat sie Hunderte von Millionen Jahren getan. Die Homo-Sapiens-Menschheit gibt es in größerer Zahl erst seit rund 100.000 Jahren. Wozu werden der Mensch und seine Energien gebraucht? Für die Würmer unter der Erde? Die Idee einer Seele kommt in den meisten Glaubens­ systemen vor. „Aber fast all diese Lehren... vergaßen das Wichtigste oder haben es ausgelassen, nämlich: der Mensch wird nicht mit den feineren Körpern geboren, und sie kön­ nen nur künstlich in ihm herangebildet werden, vorausge­ setzt, daß günstige und innere Bedingungen vorhanden sind." 185 In seinem anfangs zitierten Vortrag in New York 1924 sagt er auch, daß eine Seele nicht aus nichts entste­ hen kann. Er sagt: „Alles ist stofflich, so auch die Seele; allerdings besteht sie aus einer sehr feinen Substanz. Um eine Seele zu erwerben, muß man daher vor allem die entsprechende Substanz besitzen."

Die Substanz der Seele ,, Was ist Geist, und was ist Materie? Der Unterschied zwi­ schen Geist und Materie ist wie der Unterschied zwischen Wasser und Eis: Gefrorenes Wasser ist Eis, und geschmol­ zenes Eis ist Wasser. Der Geist ist in seiner Beschränkt­ heit das, was wir Materie nennen; die Materie in ihrer Fein­ heit ist das, was Geist genannt werden kann." H.I. Khan

Im Buddhismus sagt man, die gewöhnliche Wahrnehmung sei wie ein ungebrannter Topf, der nicht zu gebrauchen ist.

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Er muß im Feuer gebrannt werden, bevor man ihn benut­ zen kann. Gurdjieff bringt das Beispiel von Pulvern, die miteinander vermischt werden. Wenn die Pulver einfach vermischt werden, verändern sie nicht ihre Qualität. „Aber die Pulver können verschmolzen werden... Dazu muß eine besondere Art Feuer unter der Retorte angezündet wer­ den, das sie durch Erhitzen und Schmelzen schließlich mit­ einander verbindet. Auf diese Weise verschmolzen, bilden sie eine chemische Verbindung. Und nun können sie nicht mehr durch jene einfachen Methoden getrennt werden, die sie im Zustand mechanischer Vermischung trennten.... Der Inhalt ist individuell geworden. Das ist ein Bild der Bildung des zweiten Körpers. Das Feuer, durch das die Verbindung erreicht wird, wird durch 'Reibung' erzeugt, die wiederum im Menschen durch den Kampf zwischen 'Ja' und 'Nein' hervorgerufen wird...." 186 Das heißt, nur durch bewußte Bemühungen kann die nötige Reibungshitze entstehen, um mit den bereits vorhandenen Stoffen in unserem Körper eine neue Verbindung herzustellen, die Beständigkeit be­ sitzt. Titus Burckhardt bemerkt: „Dem handwerklichen Gleichnis der Alchemie, das in der Veredlung eines mine­ ralischen Stoffes besteht, entspricht es, daß die Seele als ein 'Stoff' aufgefaßt werde, und daß also die Idee des Urstoffes - der materia prima - im Mittelpunkte aller Betrach­ tungen steht. Selbst die Einwirkung des transzendenten Geistes, der dem seelischen 'Stoffe' polar entgegengesetzt ist, wird im Rahmen der alchimistischen Bildersprache stoff­ lich ausgedrückt, als eine chemische Verwandlung, die eben dadurch, daß sie den Rahmen des handwerklich Darstell­ baren sprengt, auf ihren überstofflichen Ursprung hin­ weist." 187 Die bildhafte Sprache Gurdjieffs spricht ebenso wie die al­ chimistische von „Stoffen" oder Substanzen. Besonders in seinen Lehren, die Ouspensky uns hinterlassen hat, wird die Stofflichkeit und die Umwandlung der Stoffe ausführ­ lich tabellarisch dargestellt. Die „Atome" Gurdjieffs, die

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mehr sind als physikalische Atome, geben den Hinweis, daß es ihm wie den Alchimisten um die Verwandlung der Stoffe ins Bewußtsein geht; heute sprechen wir von der Umwandlung der Energien. Die Grundlage der kosmischen Transformationsprozesse sind Materie, Energie und schöpferische Intelligenz (oder universaler Geist). Alle drei Faktoren sind eng miteinander verbunden. Energie kann als ein Zustand der Materie be­ schrieben werden und wird mittels materieller, körperli­ cher Apparate und Seinsformen erzeugt. Information (Geist oder Intelligenz) kann als eine „höhere" Form der Energie gesehen werden. Es ist jeweils nur ein anderer Zustand, genauso wie ein Atom entweder nur in Wellenform oder nur als sichtbares Teilchen gesehen werden kann. In die­ sem Sinne kann Gurdjieffs „feine Substanz", die wir bei der Frage der Seele eingeführt haben, auch als „Energie" bezeichnet werden. Jede Zelle besteht nicht nur aus Protein­ verbindungen und Erbinformationen, sie strahlt auch die sogenannten Biophotonen - das Licht der Zellen - ab, die außer den chemischen Botenstoffen möglicherweise die Informationsträger sind, die mit den anderen Zellen kom­ munizieren. Nach den Forschungen von Robert O. Becker ist die elektromagnetische Energie der Informationsträger. „Magnetische und elektromagnetische Felder haben Ener­ gie, können Informationen übertragen und werden von elektrischen Strömen erzeugt. Wenn wir über in lebenden Organismen fließende elektrische Ströme sprechen, dann müssen wir dabei auch berücksichtigen, daß sie Magnet­ felder erzeugen, die sich außerhalb des Körpers fortpflan­ zen und auch von externen Magnetfeldern beeinflußt wer­ den können.... Oberflächlich gesehen könnte es scheinen, als führten wir den Vitalismus wieder in die Biologie ein. Aber das wäre ein Mißverständnis. In Wirklichkeit bringen wir die Energie in das lebendige System zurück und schrei­ ben ihr die Aufgabe zu, den Gesamtorganismus und seine wichtigsten Funktionen zu organisieren und zu steuern." 188

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Ist das der Grundstoff aus dem die Seele gebildet werden kann? Wenn wir John G. Bennett folgen, können wir uns eine Reihe von Energien auf verschiedenen Ebenen vorstellen. Bezogen auf das Leben sind diese Energien, von denen wir hier sprechen, sehr eng mit unseren Erfahrungen ver­ bunden. Die Energieformen, die für die Entwicklung eines beständigen „zweiten Körpers" gebraucht werden, bezeich­ net er als Transformationen der automatischen, sensiti­ ven und bewußten Energie. 189 In diesem Schema sieht Bennett die Seele als eine Konzentration „sensitiver Ener­ gie" oder Lebensenergie, die nicht getrennt vom physi­ schen Körper und dem Sein des Menschen ist. Jeder Ener­ gietransformationsprozeß ist durch drei Faktoren bedingt. Gurdjieff bezeichnet diesen Prozeß Harnelmiatznell, d.h. das Höhere verschmilzt mit dem Niedrigeren um das Mitt­ lere zu verwirklichen. Von dieser Idee wird im BeelzebubKapitel „Der Planet Fegefeuer" ausführlich Gebrauch ge­ macht, um den Prozeß der Nahrungsverwandlung im Or­ ganismus zu beschreiben. Gemäß dem Prozeß Harnelmiatznell benötigen wir eine gewisse Menge Bewußtseinsenergie, um die „automatische", materielle Energie in sensitive Lebensenergie umzuwandeln. Deshalb führen alle bewuß­ ten Anstrengungen auf dem Pfad der Selbstentwicklung zu einem Wachstum dieses „Energiekörpers" Eine der grundlegenden Übungen, die Gurdjieff dafür ver­ mittelt hat, besteht in der Aktivierung und Stärkung der feinen „Körperempfindung" Körperempfindung meint mehr als Empfindung von Wärme und Kälte oder den Tastsinn. Richten wir die Aufmerksamkeit auf einen Teil des Kör­ pers, z.B. auf die Handfläche, spüren wir etwas von innen, das bei längerer Konzentration sehr intensiv werden kann. Wenn diese Empfindungsenergie nach und nach im Körper aktiviert wird, können wir den Körper schließlich als Gan­ zes empfinden. 190 Die Körperempfindung ist Basis und Hülle des „zweiten Körpers".

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Bei Gurdjieff heißt dieser zweite Körper Kesdjan-Körper. Kes heißt übersetzt aus dem Armenischen „das Mittlere", jan heißt Körper, Seele, Leben. Seine „feine Substanz" heißt Ganbledzoin, das er als „Blut" des zweiten Körpers be­ zeichnet. „Und die Stoffe, die sowohl für das Bekleiden als auch für die Vervollkommnung des höheren-Seins-KörpersKesdschan nötig sind, gelangen durch das was sie 'Atmen' nennen und durch gewisse 'Poren' ihrer Haut in ihren all­ gemeinen Bestand." 191 Mit der Luft, die wir einatmen, sind nicht einfach Sauerstoff und Stickstoff gemeint, sondern die feineren „Atome" die in der Luft enthalten sind. Im Anschluß an die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Ro­ bert 0. Becker könnte hier durchaus elektromagnetische Energie im Mikrovoltbereich gemeint sein. Becker sagt: „Nach der Quantentheorie sind die Photonen die Energie­ träger, wobei die mit höherer Frequenz mehr Energie ha­ ben als die mit niedrigerer Frequenz. Im menschlichen Auge gibt das einzelne Photon seine Energie an die Netzhaut ab, die es irgendwie in ein elektrisches Signal umwandelt, das die Lichtempfindung hervorruft." 192 Gurdjieff definiert die „Atome" nirgendwo auf wissenschaft­ liche Weise. Allerdings streut er einige Hinweise in Beelze­ bubs Erzählungen-. „Es stellte sich heraus, daß der heilige Buddha ihnen in seinen Erklärungen kosmischer Wahrhei­ ten unter anderem gesagt hatte, daß im allgemeinen die dreizentrischen Wesen... im Grunde nichts als ein Teil je­ ner größten Größe sind, die alles Existierende umfaßt. Die­ ses Alles-Existierende-All-Umfassende emaniert dauernd durch das ganze Weltall, und aus seinen Teilchen beklei­ den sich auf allen Planeten in einigen dreizentrischen We­ sen, die in ihrem allgemeinen Bestände die Fähigkeit er­ werben, ein eigenes Funktionieren der beiden kosmischen Grundgesetze, des heiligen Heptaparaparschinoch und des heiligen Triamasikamno, zu haben, bestimmte Einheiten, in denen allein Objektive Göttliche Vernunft konzentriert und fixiert werden kann.... Und dieses große Allumfassen­

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de-Alles-Umfaßten heißt heiliges 'Prana'...." 193 Das Sanskrit-Wort Prana bedeutet Atem, Lebensodem; es ist die kosmische Energie, die den Körper durchdringt und erhält. Gurdjieff betont an gleicher Stelle, daß in der zweiten und dritten Generation nach Buddha das Mißverständnis ent­ stand, daß dieses Prana automatisch einverleibt würde und nicht durch bewußte Bemühungen. Da wir die kosmische Energie, die in unserer Atmosphäre enthalten ist, nicht wahrnehmen und messen können, ist sie auch kein Gegenstand für wissenschaftliche Untersu­ chungen. Wenn wir Robert O. Beckers Ausführungen fol­ gen, sind alle elektromagnetischen Felder mit Energie ge­ ladene Kraftfelder, die eine Fernwirkung ausüben können, d.h. die kosmische Energie des Elektromagnetismus be­ wegt sich ebenso wie das Licht mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universum. Und wenn das Licht aus Partikeln, d.h. Photonen besteht, ist es ein Informationsträger, das auch im Menschen die kosmischen „Informationen" wei­ tergibt. Und da das Atmen der Menschen eine völlig selbst­ verständliche natürliche Sache ist, macht sich auch nie­ mand Gedanken darüber - außer hinsichtlich der Luftver­ schmutzung - welche Bedeutung die Luft für unser Leben im allgemeinen hat. Das einzige, was wir wissen ist, daß wir nur wenige Minuten ohne Sauerstoff leben können. Wir können längere Zeit ohne materielle Nahrung auskommen. Noch kürzere Zeit ohne Flüssigkeit. Und noch weniger Zeit ohne Sauerstoff. Die Luft, die wir atmen, wird von allen Lebewesen, Planzen, Tieren und Menschen unbedingt zum Leben gebraucht. Sie verbindet alles Leben auf dem Pla­ neten Erde miteinander. Deshalb können wir ohne wissen­ schaftliche Beweise behaupten, daß die Bildung einer At­ mosphäre auf der Erde und ihre Erhaltung von absolut grundlegender Bedeutung für das Leben ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist Luft bereits mehr als nur ein Gasgemisch, denn sie enthält die Substanzen, die alle Lebewesen zum Leben benötigen. Folgen wir dieser Argumentation wird

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klar, daß das Leben an sich bereits eine andere Qualität hat als Materie. Leben ist auf eine andere Weise organi­ siert, auch wenn es auf materiellen Prozessen basiert. Bei der Entwicklung des zweiten Körpers, den wir gewöhn­ lich als „Seele" bezeichnen, geht es demgemäß um einen Prozeß der weiteren Umwandlung der Lebensenergie in einen beständigen Seelenkörper. Das Problem ist allerdings, daß wir das Wirken dieses Energiekörpers - wenn er sich einmal gebildet hat - in der materiellen Welt nicht wahr­ nehmen können. Wir stehen wieder wie die erwähnten Flachländer von Edwin Abbot vor dem Problem der Wahr­ nehmung, daß wir über eine Kugel spekulieren und diese am liebsten auf eine Fläche reduzieren möchten. Die Ener­ gien des Lebens und des Bewußtseins können wir nur indi­ rekt erfahren, wir können sie nicht sehen. „Tatsächlich ist das Leben im Bewußtsein enthalten. Leben kann kein Bewußtsein enthalten, dafür ist es ein zu kleines Gefäß. Man kann tot sein, aber immer noch bewußt, man kann aber nicht tot sein und immer noch lebendig. Wenn Sie das verstehen, werden Sie eine ganze Menge davon verstehen, was beim Sterben mit uns geschieht." 194 Die Welt des Bewußtseins, in der das Leben enthalten ist, kann man bildhaft vergleichen mit der Atmosphäre auf der Erde. Wir können die Luft, die alles Leben umschließt nicht se­ hen. Ihr Volumen ist um vieles größer als alles, was auf dem Planeten Erde existiert, und ihre Energie ist unab­ dingbar für das Leben auf dem Planeten. Die Welt des Be­ wußtseins ist „dieses Alles-Existierende-All-Umfassende, das dauernd durch das ganze Weltall emaniert", wie Gurdjieff sagt. Bewußtsein ist intelligente Energie, die in allem potentiell vorhanden ist und ohne die keine mensch­ liche Entwicklung möglich wäre.

Der Körper des Bewußtseins 153

Der Körper des Bewußtseins „Selig, wer eine Seele hat; selig, wer keine Seele hat; aber Unglück und Kummer dem, der sie im Keimen hat... " 195

Der zweite Körper, der im allgemeinen als Seele bezeich­ net wird, den wir hier aber zur Unterscheidung mit dem „höheren Seinskörper", der wirklichen Seele, besser als „Trä­ ger der Seele" (Gurdjieffs Okidanoch) bezeichnen sollten, ist nur in der Qualität seiner Energieintensität zu verste­ hen. Die Energien, die für ihr Wachstum gebraucht wer­ den, sind keine meßbaren, materiellen Energien, es sind die Energien des Lebens. Das Wachstum der Seele gleicht nicht dem biologischen Wachstum der Pflanzen oder des physischen Körpers. Selbst die Idee, daß die Seele durch einen Prozeß „wächst", kann irreführend sein. Denn wir haben keinen Begriff dafür, daß eine Qualität sich ausdeh­ nen oder verstärken kann. Wir können zwar die Licht­ frequenz einer Farbe messen, doch die Farb qualität Blau bleibt Blau, auch wenn wir mehr davon haben oder das Blau stärker auftragen. Ein Künstler kennt jedoch das „Ge­ fühl" für das besondere Blau. Die Seele lebt in einer anderen Raum-Zeit-Dimension, die wir als „Welt des Bewußtseins" bezeichnet haben. Die Welt des Bewußtseins ist dabei die allumfassende energierei­ che Raum-Zeit-Dimension, die wir als Ewigkeit bezeichnet haben. 196 „Es ist nicht notwendig, die Ansicht anzuneh­ men, daß die Ewigkeit als das Gebiet der Potentialitäten als eine fünfte Dimension in Analogie zu Raum und Zeit behandelt werden kann; es ist jedoch notwendig zu er­ kennen, daß die Welt ohne Potentialitäten überhaupt nicht existieren könnte. Und es ist gleichfalls notwendig einzu­ sehen, daß es immer weit mehr Potentialitäten als Aktua­ litäten, Verwirklichungen gibt... Diese Schlußfolgerungen sind unumgänglich, trotz der Tatsache, daß Potentialitäten unsichtbar sind. Sie sind Gedankengebäude und dennoch

154 Kosmische Verwirklichungen

sind sie auch ein Teil der Welt wie sie ist." 197 Da das Be­ wußtsein Leben und Materie einschließt oder in sich trägt, können wir auch davon ausgehen, daß die Seele bzw. der zweite Körper über den physischen Körper hinausreicht und diesen enthält. Selbstverständlich ist der Vergleich von Form und Inhalt, von Masse und Qualität nicht möglich. Ich möch­ te hier nur die übliche Anschauung zurechtrücken, daß die Seele im Körper residiert, sozusagen „innen" und „kleiner" ist als der Körper. Wir sollten eher davon ausgehen, daß „der zweite Körper" den ersten in sich enthält. Unser phy­ sischer Körper ist so gesehen ein sichtbarer Ausdruck ei­ ner unsichtbaren Qualität. Der kosmische Stoffwechselprozeß ist eine Transformati­ on von höheren, kreativen Energien in niedrigere, materi­ elle Energien. Umgekehrt geschieht ein evolutionärer Pro­ zeß, der materielle Energie in bewußte und kreative Ener­ gien umwandelt. Dabei wird deutlich, daß die Entwicklung des zweiten Körpers als Seelenträger zwischen der Welt des Geistes und der Welt der Materie notwendig ist, weil sonst ein Glied in der Umwandlungskette fehlt. Die Alchi­ misten machten diese Idee vor langer Zeit deutlich: „Um die Seele aus ihrer Gerinnung und Lähmung zu befreien, müssen ihre beiden Ursprünge, ihre wesentliche Form und ihr 'Stoff', aus ihrer rohen, einseitigen Verbindung heraus­ gelöst werden. Es ist, als ob Geist und Seele voneinander getrennt würden, um nach ihrer Scheidung neu vermählt zu werden. Der amorphe Stoff wird verbrannt, aufgelöst, gereinigt, um schließlich neu in Gestalt eines vollkomme­ nen Kristalles zu gerinnen." 198 Erweitern wir unsere Vision des kosmischen Stoffwechsel­ prozesses, können wir auch sagen, daß wir mit der Welt der Energien unterschiedliche Ebenen der Welt des Bewußt­ seins beschreiben. Die Form der Umwandlung geschieht durch das Oktavengesetz. Die musikalische Oktave dient bei Gurdjieff aber nicht nur zur Illustration einer Gesetz­ mäßigkeit. Sie macht auch deutlich, daß das Universum

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eine Welt der Schwingungen ist. Jeder Ton ist auch eine Farbe und jede Schwingung ist eine Verdichtung der Mate­ rie; das wird ja in der Physik durch das periodische Sy­ stem der Elemente verdeutlicht, das ebenfalls auf dem Oktavengesetz basiert. 199 Somit ist Gurdjieffs Beschäftigung mit den „Gesetzen der Welterschaffung und Welterhaltung" keine „wissenschaft­ liche Erklärung" physikalischer Prozesse. Es ist vor allem eine konkrete wissenschaftliche Grundlage zum Verstehen der Transformationsprozesse innerhalb der Welten des Be­ wußtseins und darüber hinaus! Diese Idee ist für mich viel aufregender als jede physikalisch-chemische Grundlagen­ forschung. „Das Leben ist im Bewußtsein erhalten." Dieser Satz macht jetzt einen ganz anderen, tieferen Sinn. Der große spirituelle Lehrer Hazrat Inayat Khan verdeut­ licht diese Idee mit einem einfachen Bild: „Was ist Geist, und was ist Materie? Der Unterschied zwischen Geist und Materie ist wie der Unterschied zwischen Wasser und Eis: Gefrorenes Wasser ist Eis, und geschmolzenes Eis ist Was­ ser. Der Geist ist in seiner Beschränktheit das, was wir Materie nennen; die Materie in ihrer Feinheit ist das, was Geist genannt werden kann." 200 Um nicht nur „Einblicke" in die Welt des Bewußtseins zu gewinnen, sondern auch in dieser Welt leben zu können benötigen wir einen Körper, der aus der Energie des Be­ wußtseins gebildet ist. Eine der Schwierigkeiten, diesen „Körper" getrennt zu beschreiben, liegt darin, daß er in Wirklichkeit nicht getrennt vom physischen Körper besteht, sondern mit diesem verwoben ist, so wie eine der „un­ möglichen" Grafiken von H.C. Escher oder wie Wasser und Eis. Dieses Paradox gibt es auch, wenn von einer „schama­ nischen Seelenreise" gesprochen wird. Auch wenn dabei der Eindruck entsteht, daß sich der „Seelenkörper" in der Welt des Bewußtseins bewegt, ist er tatsächlich „gleichzei­ tig" mit dem materiellen Körper verbunden. Die Erfahrun­ gen während dieser „Seelenreise" werden von unserem

156 Kosmische Verwirklichungen

beobachtenden Verstand in unser Verständnis und unsere körperliche Wirklichkeit übersetzt. Deshalb wird von einer Bewegung berichtet, die jedoch in einer anderen RaumZeit-Dimension nur die unmittelbare Wahrnehmung ande­ rer Bereiche dieser Bewußtseinswelt ist. Ausschnitt aus dem Gemälde „ei sueno " von Nana Nauwald. Hier ist eine Metamorpho­ se von einem Jaguar in eine Schlange zu sehen.

Unsere intergalaktische Reise ging nun von der Entstehung des Universums über die Transformation von Energien bis hin zur Bildung einer Seele. Welche Funktion aber hat die Seelenbildung außer der Transformation von Bewußtseinsenergie in diesem Ganzen? Man kann die Pflanzen als die Organe der Biosphäre bezeichnen; somit sind sie mit allen anderen Lebewesen eng verwoben. Die individualisierte Seele, die mit allen anderen individualisierten Seelen wie in einer unendlich sich entwikkelnden Symphonie zusammenspielt, ist ein Organ des Be­ wußtseins. Wenn Gurdjieffs Idee der „gegenseitigen Erhaltung alles Existierenden" über den bloßen materiellen Stoffwechsel­ prozeß hinaus einen „Sinn" haben soll, dann liegt dieser in der Evolution menschlicher Seelen, von denen jede einzelne einen Ton oder eine Melodie zur großen Symphonie des Bewußtseins beiträgt. „...Das ganze Universum (ist) eine Symphonie; jedes Individuum trägt einen Ton in sich, und sein Glück liegt darin, daß es vollkommen eingestimmt wird auf die Harmonie des Universums." 201 So sehen wir ganz konkret die zwei Facetten des Seelen­ begriffs: Seele als „Trägersubstanz" als energetische Struk­

Die Frage der Reinkarnation 157

tur, mit der Möglichkeit in unserem Körper zu wachsen wie ein Schmetterling aus der Raupe, und Seele als „Or­ gan der Wahrnehmung und des Verstehens" in der Welt des Bewußtseins. Durch die bewußte, aktive Teilnahme am kosmischen Prozeß bleibt der Mensch kein passiver Ap­ parat zur Energietransformation. Wenn er lernt, seine ei­ genen Energien zu meistern, entwickelt er einen „Körper des Bewußtseins", in dem die individuelle Seele das Organ der Wahrnehmung ist. Der Bewußtseinskörper ist nicht abhängig von den Gesetzen der Schwerkraft, er kann ohne weitere Hilfsmittel reisen oder sich an weit entfernte Orte versetzen. Dieses Wissen ist den klassischen Schamanen seit alters her bekannt. Sie haben einige Techniken zur Seelenreise entwickelt. Das ist möglich, weil die Seele auch nicht an die Dimensionen der chronologischen Zeit gebunden ist, d.h. sie kann ein gegen­ wärtiges Geschehen genau so leicht besuchen wie ein ver­ gangenes. Die Zukunft ist ihr aber nur als Welt der Möglich­ keiten zugänglich.

Die Frage der Reinkarnation Für Gurdjieff ist die Vorstellung, daß die Seele einen neuen Körper annimmt, „reiner Quatsch". „Die Sache ist die, daß gemäß verschiedener zweitrangiger kosmischer Gesetze der Seins-Körper-Kesdschan nicht lange in dieser Sphäre (der zweiten Welt) existieren kann und nach Verlauf einer gewissen Zeit zerfallen muß, ganz gleich, ob der in ihm existierende höhere Seins-Teil zu jener Zeit den notwendi­ gen Grad von Vernunft erreicht hat oder nicht... Und des­ halb vollzieht sich in jener Sphäre, wohin der 'höhere SeinsTeil' nach dem ersten heiligen Raskuarno 202 kommt, jener Prozeß, der da heißt 'Okipkhalevnischer Austausch der äußeren Teile der Seele' oder der Austausch des früheren Seins-Körpers Kesdschan." 203

158 Kosmische Verwirklichungen

Diese Erklärungen weisen deutlich auf unsere Vorstellungen von „Reinkarnation" hin. Doch wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, daß Gurdjieffs Ansicht zur Reinkarnation völlig verschieden ist. „Wenn diese Unglücklichen nur in Betracht zie­ hen würden, daß nach dem zweitrangigen ... Gesetz der Schwer­ kraft dieser selbe Seins-Teil, wenn er, wie es selten geschieht, in ihnen entsteht, natürlich sofort nach dem ersten Raskuarno eines Wesens oder, wie sie es ausdrücken, nach seinem Tod von der Oberfläche des Planeten aufsteigt, und wenn sie ver­ stehen würden, daß alle von diesem Zweig ihrer 'Wissenschaft' gegebenen Erklärungen und Beweise aller möglichen Phäno­ mene, die angeblich dank dieser phantastischen 'Seelen' unter ihnen geschehen, nichts als die Frucht fauler Einbildung sind, würden sie schon einsehen, daß alles weitere ... nichts anderes als'Quatsch'ist." 204 Gurdjieffs Erklärungen bedeuten, daß der zweite bzw. Kesdschan-Körper in die Sphäre aufsteigt, die seiner Qualität ent­ springt, d.h. der Sternenwelt. Im Laufe der Zeit zerfällt auch dieser Körper und mit einer gewissen Stufe der Selbst­ vervollkommnung ist es möglich, mit Hilfe eines anderen Kesdschan-Körpers weiterzuarbeiten. Das bedeutet der okiphalevnische Austausch. Das griechische Oki, das auch in Okidanoch vorkommt, bedeutet „Öffnung", das türkische Ok „Strahl". Das Wort selbst bedeutet einfach „Austausch". Auf einer Ebene des Bewußtseins geschieht ein Austausch von Energien. Doch das ist keine persönliche Reinkarnation. Die Menschen sind auf dieser Ebene alle miteinander verbunden und können ineinander übergehen. Der dritte Teil des Men­ schen, sein Wille, Ich oder Geist ist völlig unstofflich und bleibt daher unzerstörbar. Dieser Teil geht zurück zur Sonne Abso­ lut. „Diese heilige Verwirklichung [wurde] erst nach dem zwei­ ten Prozeß des heiligen Raskuarno für wert gehalten, mit dem Bestand der Aller Aller Heiligsten Sonne Absolut zu ver­ schmelzen oder in eine andere kosmische Verdichtung einzu­ gehen, wo solch selbständige heilige Individuen gebraucht werden." 205

Der Körper des Willens 159

Der „Körper" des Willens Aufgrund weiterer Transformationsprozesse entsteht eine Energiequalität, die man als Vernunft oder Intelligenz be­ zeichnen kann. Gurdjieff beschreibt diesen Prozeß im Ka­ pitel „Der heilige Planet Fegefeuer". 206 Wenn der zweite Körper ausreichend konzentriert ist, besitzt er eine eigene Intelligenz. Gurdjieff sagte, daß wirkliche Vernunft, wirkli­ ches Sehen nur mit dem zweiten Körper möglich ist. 207 „Wir müssen von unserer Intelligenz Gebrauch machen; so wie die Unendlichkeit von ihrer Intelligenz Gebrauch machte, um ihren existentiellen Standort zu erneuern, so müssen wir es auch machen, um unseren eigenen existen­ tiellen Standort zu erneuern: unseren planetischen und höheren Körper." 208 Nun sagt Gurdjieff aber, daß der zweite Körper nach einer gewissen Zeit auch zerfällt und „auf verschiedene Weise in die Sphäre seines eigenen Urentstehens zurückkehrt". 209 Bei den Navajo wird gesagt, daß die Seele nach der Auferste­ hung aus dem Totenbett zurück zu den Sternen geht. Das macht natürlich Sinn, weil er ein „Körper" ist, der aus Bewußtseinsenergie gebildet ist. Da diese Bewußtseinsenergie im allkosmischen Stoffwechsel für den Erhalt der Welt des Bewußtseins gebraucht wird, ist es notwendig, einen dritten oder „höheren Seinskörpers zu bilden, der aus den Kristalli­ sationen besteht, die direkt von dem heiligen Theomertma­ logos in jenem Sonnensystem erhalten werden, innerhalb dessen Grenzen das Wesen entsteht und wo seine Existenz sich vollzieht." 210 Dieser Körper kann niemals zerfallen. Er muß „solange existieren, als er sich noch nicht bis zur erfor­ derten Vernunft vervollkommnet hat". Der dritte Körper ist der „Körper" des individuellen Willens oder Geistes, unsere wirkliche Identität als „Ebenbild Got­ tes". „Jeder von ihnen gleicht bis ins kleinste genau unse­ rem ganzen Megalokosmos [das gesamte Universum], selbstverständlich in Miniatur, und in jedem von ihnen sind

160 Kosmische Verwirklichungen

alle jene einzelnen Funktionierungen vorhanden, die in unserem Megalokosmos den kosmischen harmonischen Stoffwechsel verwirklichen, der die Existenz von allem, was im ganzen Megalokosmos existiert, erhält." 211 Der schöpferische Wille ist das ausführende Organ in dieser Welt. Der Wille ist die dreiheitliche schöpferische Kraft Okidanoch, die einen Träger in der materialisierten Welt benötigt. Der schöpferische Wille bewegt und belebt den dritten Körper, den Gurdjieff als die eigentliche „Seele" bezeichnet. Dieser Körper ist eng verwoben mit dem Kesdschan-Körper und dem physischen Körper - wahrschein­ lich in allen Lebewesen. Wenn der zweite Körper sich mit der Kraft des Willens, des individuellen geistigen Musters des Menschen vereint, ge­ winnt dieser „Körper" eine Qualität, die möglicherweise un­ sterblich ist, jedoch nicht in der physischen, sondern viel­ mehr der spirituellen Welt. 212 Der dritte Seinskörper ist für Gurdjieff die unsterbliche See­ le. Sie wird ausschließlich durch einen Prozeß gebildet, den er als Aiäsiriturasnische Betrachtung 213 bezeichnet. Aiäsiri bedeutet im Armenischen „nach Art von" und tur bedeutet Schwert. Schwert steht auch für die Klarheit der Unter­ scheidung. So könnte man diesen Ausdruck mit „bewußter Aufnahme von höheren Seinseindrücken" umschreiben, also mit den Augen des Bewußtseins sehen. Die Seele wird durch Inspiration ernährt. Menschliche Erfahrungen gehen deshalb auch umgekehrt als „Information" in die Welt des Bewußtseins ein. Im Kapitel von der Gerechtig­ keit 214 sagt Gurdjieff in seiner scharfsinnigen Art, daß die Intelligenzen in der Nähe der Urquelle die Probleme unse­ rer Welt nicht wirklich verstehen können. Trotz ihrer voll­ kommenen Vernunft sind die höheren Individuen nicht fä­ hig, sich in die Leiden und Probleme der Menschenwelt zu versetzen, während Menschen, die ihre höheren Körper durch bewußte Anstrengung und absichtliches Leiden er­ worben haben, sich in die Probleme des Menschen einfüh­

Die Einheit von Körper, Seele und Geist 161

len können. Deshalb ist auch dieser Austausch von mensch­ licher Erfahrung mit den kreativen Intelligenzen der gei­ stigen Dimension wichtig. Wir müssen die „Geister" infor­ mieren, wie die Schamanen sagen. Vielleicht ist das die „Nah­ rung", die wir in den kosmischen Stoffwechselprozeß des Bewußtseins einbringen können? Bewußtsein ist die Fähigkeit, den Sinn und die Bedeutung einer Information wahrzunehmen. Man kann das Bewußt­ sein als eine „vereinheitlichtes Feld" definieren, ein sich selbst erkennendes Informationsfeld, das mit autonomem Leben begabt ist. Der italienische Bewußtseinsforscher Dr. F. Montecucco bezeichnet „Leben als Bewußtseinsfelder starker Informationskonzentration, die, ähnlich dem aus der Physik geläufigen Prinzip der Erhaltung von Energie und Masse den körperlichen Tod überdauern und in einer parallelen Bewußtseinsdimension ewig fortexistieren." 215

Die Einheit von Körper, Seele und Geist Folgen wir einer „nicht-dualistischen" Anschauung, gibt es keinerlei Trennung zwischen dem planetischen, dem Sternenkörper und dem höheren Seinskörper und der drei Welten. Alles ist eins. Die gesamte existierende, erschaf­ fene und unerschaffene Welt ist eine Einheit. Aber als indi­ vidualisierte Erscheinungsformen, als „Ebenbilder Gottes", erleben und erfahren wir gleichzeitig die Vielheit in allen Farben, Tönen und Gerüchen. Die Vielheit in der Einheit und die Einheit in der Vielheit sind vielleicht der Schlüssel zum Verstehen des „Sinns", der sich endlos entfaltet und immer neue Visionen und Schöpfungen hervorbringt. „Wie oben so unten" sagten die alten Weisen. Im mikrokosmi­ schen Bereich der Zelle und des genetischen Codes wird mit Hilfe einfacher Funktionen aber größter Komplexität das Leben erhalten. Über die Konzentration bewußter En­ ergien im Feld des Bewußtseins wird eine Verbindung zur

162 Kosmische Verwirklichungen

Welt jenseits des materiellen Lebens hergestellt. Die Trans­ formationen dieser zweiten Welt erschafft die dritte Welt, die wiederum die erste erschafft, die unendliche Struktur eines sich entwickelnden Universums. „Es war, als betrach­ tete ich einen Baumeister bei der Arbeit. Ich entwarf rote Spiralen, die sich entrollten bis sie zu einem Rosettenfenster oder einer Mandala wurden. Sobald ein Muster geboren war und sich zusammenfügte, löste es sich wieder auf, und das nächste folgte, ohne daß sie sich beeinträchtig­ ten. Jede Form, jede Linie verströmte eine vollkommene Harmonie, ihr musikalisches Äquivalent in Übereinstimmung mit dem Entwurf. Eine wellenförmige Linie verströmte eine anhaltende wellenförmige Melodie, ein Kreis hatte entspre­ chende musikalische Noten..." 216 Diese Vision der wunder­ baren Myriaden von Schöpfungsentwürfen kann wahr­ scheinlich nur annähernd ausdrücken, was tatsächlich ge­ schieht. Wahrscheinlich ist die Schöpfung noch viel wun­ derbarer.... Das ist das Werk, das Wirken der Wirklichkeit. „Das Ge­ heimnis unseres Werks ist, daß sie schöpferische Arbeit ist, daß sie etwas hervorbringt, das vorher nicht vorhan­ den war. Das ist die Aufgabe der Menschen. Erlauben wir, daß uns der Involutionsstrom entlang trägt, so widerspre­ chen wir tatsächlich dem Zweck unserer Existenz. Es ist aber sehr leicht, den Weg der Involution zu gehen, und außerordentlich schwer, den der Evolution zu gehen." 217 „Eines der besten Mittel, den Wunsch nach der Arbeit an sich selbst wachzurufen, ist die Einsicht, daß man jeden Augenblick sterben kann. Und man muß lernen, das nicht zu vergessen." Aphorismus im Studienhaus der Prieuré

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7. Die Einheit in der Vielheit das Enneagramm ,,Alles Wissen kann im Enneagramm zusammengefaßt und mit seiner Hilfe gedeutet werden. Und so kann man sa­ gen, daß man nur das weiß, beziehungsweise das ver­ steht, was man in das Enneagramm ein fügen kann." 218

Das Enneagramm Und es ist ein Instrument der Kommunikation: „Wenn zwei Menschen, die in verschiedenen Schulen gewesen sind, sich treffen, dann werden sie das Enneagramm zeichnen, und mit seiner Hilfe werden sie sofort sehen, wer von ihnen mehr weiß," sagte Gurdjieff in Ergänzung zu dieser Aussa­ ge. Er hielt das Enneagramm für das Symbol einer Universalprache, die so viele Bedeutungen hat, als es Stufen von Menschen gibt. Damit spielt er sowohl auf die These der Relativität der Sprache an als auch auf die Stufen oder Ebenen der menschlichen Entwicklung, die ich in vorheri­ gen Kapiteln besprochen habe.

164 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Das Enneagramm wurde eines der wichtigen Transportmittel von Gurdjieffs Lehre. Mit seiner Hilfe können wir tatsächlich die „Gesetze der Weltentstehung und Welterhaltung" verste­ hen lernen. Bis Gurdjieff es in seinen russischen Gruppen um 1915 einführte, war es bis dahin in keiner „esoterischen" Schu­ le - weder im Westen noch im Osten - bekannt. Bis heute weiß man nicht, wo er es gefunden hat oder ob es von ihm selbst entwickelt wurde. Nach Meinung des EnneagrammForschers Anthony Blake konnte das Symbol erst mit der Einführung der Dezimalzahlen und der Null im 9. Jahrhun­ dert u. Ztr. entwickelt worden sein, denn die Reihenfolge der inneren sechs Linien ergibt sich aus der Teilung der Eins durch die Sieben, dessen Quotient der sich wiederholende Dezi­ malbruch 0,142857 ist. Ein derart geniales Symbol benötigt eine entsprechend geheimnisvolle Herkunft. Deshalb erzählt uns Gurdjieff die Geschichte, wie er auf einer seiner vielen Forschungs­ abenteuern im mittleren Osten auf dieses universale Sym­ bol bei der Sarman-Bruderschaft gestoßen ist, die als „Hüter der Tradition" seit über 4000 Jahren gewirkt haben sollen. Von dieser Bruderschaft sollen auch die „heiligen Tänze" stammen, die er eingeführt hat. In Beelzebubs Erzählun­ gen nennt er diese Bruderschaft „Achaldan-Gesellschaft". 219 Auch wenn Gurdjieff mehrmals auf diese geheimnisvolle Bruderschaft hinweist, bleiben ihre Aktivitäten und ihr Wis­ sen im Dunklen. Vermutlich spielt Gurdjieff mit der mensch­ lichen Schwäche, daß alles Besondere sehr alt sein muß... In Beelzebubs Erzählungen erklärt Gurdjieff das Ennea­ gramm nur indirekt: „Das erste dieser zwei heiligen erst­ rangigen kosmischen Grundgesetze, nämlich das Gesetz Heptaparaparschinoch, wird in der heutigen objektiven kos­ mischen Wissenschaft mit folgenden Worten formuliert: Die Linie des Laufes der Kräfte, die fortwährend gebrochen wird und deren Enden sich wieder vereinigen. Dieses heili­ ge erstrangige kosmische Grundgesetz hat sieben Brechun­ gen oder, wie man auch anders sagt, sieben Schwerpunk­

Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm 165

te, und die Entfernung zwischen je zwei dieser Schwer­ punkte wird ein 'Stopinder-des-heiligen-Heptaparaparschinoch' genannt." 220 Später, an anderer Stelle erwähnt Gurdjieff, daß zwei chinesische Gelehrte außerdem zwei der drei Haupteigentümlichkeiten dieses großen Gesetzes festgestellt hätten, „sie stellten nämlich zum erstenmal zwei seiner 'Mdnel-In' fest,... obligatorische Lücken-Aspekte im ununterbrochenen Fließen des Ganzen." Daraufhin wurde es das Gesetz der Neunfältigkeit genannt, nun bekannt als das „Enneagramm". 221

Uroboros Das Enneagramm vereinigt das Gesetz Heptaparaparschinoch, das Gesetz der Sieben, auch Oktavengesetz genannt, mit dem Gesetz Triamasikamno, das Gesetz der Drei. Die Hülle, 2 die beide umschließt, der äuße­ re Kreis, wird manchmal sym­ bolisiert durch die Schlange Uro­ boros, die sich selbst ver­ schlingt. Dieser Kreis symboli­ siert den Ablauf der Zeit, den unbarmherzigen Heropas, der durch das trogoautoegokratische Schöpfungsprinzip über­ wunden wurde. Das Enneagramm kann deshalb auch als symbolische Darstellung der Gesetze der Energietrans­ formation und Selbsterneuerung gesehen werden, denn die Struktur des Universums ist so organisiert, daß kein Prozeß - sei er nun kausal oder zweckgerichtet oder bei­ des - sein Ziel erreicht außer in einer „künstlich hergestell­ ter Umgebung". In Gurdjieffs Weltbild ist das derTrogoautoegokrat. Deshalb ist die Schöpfung nicht „natürlich" son­ dern „künstlich".

166 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Der trogoautoegokratische Prozeß ist eine Einheit, die sich in Teilen des Ganzen, in Fraktalen, manifestiert. Das be­ deutet, daß jeder Teil immer noch mit dem Ganzen ver­ bunden ist und das Ganze in einer Abstufung enthält. Der Lauf der Zeit folgt natürlicherweise dem Uhrzeigersinn. Man könnte sagen, diese Richtung ist eine absteigende Ok­ tave, die Auflösung der Dinge durch den Lauf der Zeit. Die aufsteigende Oktave, in der die menschliche Evolution ver­ läuft, erfolgt gegen den Uhrzeigersinn. Für den Religions­ philosoph Arnold Keyserling, der ein eigenes Modell des Enneagramms ausgearbeitet hat, 222 beschreibt der Kreis im Uhrzeigersinn die Ziele und Intentionen des Menschen, wäh­ rend der gegenläufige Kreis den Lebenskreis im astrologi­ schen Tierkreis beschreibt, mit dem der Mensch seine Entfal­ tung vollzieht und das Leben im Zusammenhang sehen kann. Diese verschiedenen Richtungen haben deutliche empirische Grundlagen. Wenn wir uns mit dem Körper rechts herum drehen, also im Uhrzeigersinn, wird im Stammhirn ein Zen­ trum aktiviert, das eher Fluchttendenzen auslöst, und so mit Wachheit, Erfahrung und Auflösung in Zusammenhang steht. Drehen wir uns links herum zum Herzen hin, wie es die Mevlevi-Derwische in ihrer Sema machen, werden in der Ver­ bindung von rechter und linker Hemisphäre bestimmte Filter­ systeme ausgeschaltet, so daß die intuitiven und visionären Inhalte der rechten Gehirnhälfte ins Bewußtsein gelangen können. Der Gehirnforscher Günter Haffeider hat in vielen Experimenten diesen Zusammenhang nachgewiesen. Auf Gruppen- oder Arbeitsprozesse angewendet bedeutet dies, daß eine Drehung im Uhrzeigersinn die Gruppe im Normal­ bewußtsein auf jede einzelne Persönlichkeit zurückführt, eine Drehung gegen den Uhrzeigersinn die Sensitivität der Grup­ pe erhöht und die eingeleiteten Prozesse eine größere Tiefe bekommen. In der Tradition Gurdjieffs werden die Zahlen im Ennea­ gramm immer im Uhrzeigersinn angeordnet, weil dieser Kreis den Lauf der Zeit symbolisiert. Um die Zeit, die phy­

Das Gesetz der Sieben 167

sische Welt, zu überwinden, müssen wir in die Welt des Bewußtseins gelangen, in das innere Sechseck, das einer anderen Gesetzmäßigkeit folgt. Das innere Dreieck sym­ bolisiert die Welt des Willens, die Dynamik des Geschehens. Es ist das Aktionsfeld, der Logos, durch den alles geschieht.

Das Gesetz der Sieben In Gurdjieffs Weltbild geht es um die Teilnahme des Men­ schen an der Schöpfung. Unsere eigene Arbeit an der Evo­ lution unseres Bewußtseins hat einen Einfluß auf die ande­ ren Welten oder Kosmen, die durch das Gesetz der Sieben oder das Oktavengesetz ebenfalls eng miteinander verwo­ ben sind. Gurdjieff erklärt Ouspensky: „Um alles mit dem Gesetz der Oktavenstruktur in Zusammenhang stehende Wissen in eine Ganzheit zu verwandeln, gibt es ein gewis­ ses Symbol in Form eines in neun Teile gegliederten Krei­ ses, wobei Linien die neun Punkte auf dem Kreisumfang in einer gewissen Ordnung verbinden.... Das Symbol, das einen in neun Teile geteilten Kreis mit den diese Teile ver­ bindenden Linien darstellt, drückt das Gesetz der Sieben in seinem Zusammenhang mit dem Gesetz der Drei aus. Die Oktave hat sieben Töne, und der achte ist die Wieder­ holung des ersten. Zusammen mit den zwei 'zusätzlichen Schocks', welche die 'Intervalle' MiFa und Si-Do aus­ füllen, gibt es neun Elemente." 223

Oktavengesetz im Enneagramm Ich kann hier nicht auf alle Details der Oktave und ihre Unregelmäßigkeiten eingehen. 224 Nur so viel sei gesagt:

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Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Die diatonische Tonleiter, die er aus vielen möglichen Ton­ leitern auswählt, ist die heutige Dur-Skala, die durch die Reihenfolge ihrer Intervalle gekennzeichnet ist: zwei Ganztonschritte C-D-E, ein Halbton E-F, drei Ganztöne FG-A-H und bei Einbeziehung des Übergangs zur nächsten Oktave ein letzter Halbton H-C'. Gurdjieff erklärt damit, daß die Entwicklung des Kosmos und des Menschen nicht geradlinig verläuft, sondern mit „gesetzmäßigen Unregel­ mäßigkeiten". In der Tonleiter sind das die beiden Halbton­ schritte E-F (bzw. MI-FA) und H-C' (bzw. SI-DO). Das Fort­ schreiten der Tonschwingung durch die Ganztöne verläuft regelmäßig, doch um diese Regelmäßigkeit weiter fortzu­ setzen, bedarf es eines Halbtonschrittes an den besagten Stellen. Gurdjieff erklärt dazu: „In einer aufsteigenden Ok­ tave kommt das erste Intervall zwischen MI und Fa. Wenn entsprechende zusätzliche Energie an diesem Punkte hin­ zutritt, wird die Oktave sich ohne weitere Störung bis SI weiterentwickeln. Aber zwischen SI und DO braucht sie einen viel stärkeren zusätzlichen Schock für die richtige Entwicklung als zwischen MI und FA, weil die Anzahl der Schwingungen der Oktave an diesem Punkt beträchtlich höher ist." 225 In der absteigenden Oktave hingegen tritt das größte Intervall gleich am Anfang der Oktave auf und entwickelt sich deshalb leichter. Deshalb spricht Gurdjieff von einem beträchtlich schwächeren Schock, der für das Fortschreiten des Schöpfungsvorgangs nötig ist. Der Auf­ stieg ist immer schwieriger als der Abstieg... Nach der Darstellung von Arnold Keyserling ist in der Obertonreihe der Oktave das F der wendende Halbtonschritt zwischen E und G, in der Untertonreihe das G zwischen F und As, die von dem Oberton und Unterton abweichen. Das heißt, aufsteigende und absteigende Reihe sind im Prin­ zip symmetrisch, wenn man sie als Reihen ständig abneh­ mender Intervalle (Oktave, Quinte, Quarte etc.) betrach­ tet. Doch sieht man sie als Noten abendländischer Tonlei­ tern, sind die Noten der absteigenden Reihe nicht die der

Das Gesetz der Sieben 169

aufsteigenden Reihe. Eine auf­ steigende Reihe vom Grundton C bringt an der Stelle des drit­ ten Partialtones ein G hervor, doch eine absteigende Reihe, die von derselben Note C aus­ geht, erzeugt an dieser Stelle der absteigenden Reihe ein F. 226 Oktavengesetz nach Keyserling

Auf diese Weise können wir verstehen, wie die Anordnung der Noten im Enneagramm, die Ouspensky nur mit einem Trick gelang, 227 nun stimmig wird. Aber noch wichtiger dabei ist, daß das Enneagramm tatsächlich die Involutions- und Evolutionsprozesse der Schöpfung visualisieren helfen kann. Gurdjieff verwendete in seinem Oktaven-Schöpfungsstrahl die lateinischen Notenabkürzungen, die auf Guido Arezzo im 16. Jahrhundert zurückgehen. Denn diese Abkürzun­ gen tragen ihre verborgene Bedeutung in sich, die genau dem Schöpfungsstrahl entspricht: Die Tonleiter des Schöpfungsstrahls DO SI LA

Dominus Sider Lactea

SOL FA MI RE

Sol Fata Mikrokosmos Regina Coeli

Gott als Schöpfer die Sternensysteme die Milchstraße (die Galaxis des Menschen) Die Sonne Die Planeten Die Erde - lebendige Zellen Himmelskönigin (Der Mond)

Das DO hieß ursprünglich UT, die lateinische Wurzel für erste Ursache, etymologisch in Verbindung zum ägypti­ schen Thoth, der Gottheit der schöpferischen Intelligenz...

170 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Gurdjieff verwendet die Siebentonleiter als Symbol der Evo­ lution. „In der großen kosmischen Oktave, die uns in Form des Schöpfungsstrahls erreicht, können wir das erste voll­ ständige Beispiel des Oktaven-Gesetzes beobachten.... Das Absolute ist das All. Das All, welches volle Einheit, voll­ ständigen Willen und volles Bewußtsein besitzt, erschafft Welten innerhalb seiner selbst..." 228

Kosmen Das Enneagramm ist ein Instrument des Verstehens, das auf allen Ebenen und in jedem Maßstab anschaulich wer­ den kann. Die einzige Voraussetzung ist, daß wir es mit einem Kosmos zu tun haben, einem vollständigen Ganzen, das sich selbst erneuert und zur Evolution fähig ist. Jeder Kosmos ist gemäß dem Schöpfungsstrahl mit anderen Kos­ men verbunden und transformiert alle Energien, die durch ihn hindurchgehen. Jeder Kosmos existiert physisch und geht gleichzeitig durch die Verwirklichung eines Werts über seine physische Erscheinung hinaus. Dies geschieht durch seine Verbindung mit einem höheren Kosmos, der diesen Wert definiert. Ein Kosmos ist eine lebendige Intelligenz. Das bedeutet auch, daß es Aufwärts- und Abwärtstrans­ formation gibt. 230 Jeder Kosmos, für den symbolisch eine Note in der Oktave steht, hat bei Gurdjieff gemäß des damit verwobenen Ge­ setzes der Drei eine andere innere Dynamik. Wir können uns das so vorstellen, daß die ursprüngliche Einheit nur unter einem Gesetz steht. Die Welt 1 ist das Absolute oder Unendliche Unerschaffene, die Ureinheit, welche potentiell die ganze Vielheit enthält. Durch die Erschaffung der Welt wurde der Schöpfungswille in die drei Kräfte des allgegen­ wärtigen Okidanoch aufgeteilt und es entstand die erste Welt, die dem Gesetz der Drei unterliegt, also nur den drei Ur-Kräften. Gurdjieff nennt diesen Kosmos Protokosmos -

Kosmen 171

im Schöpfungsstrahl „Alle Welten oder alle Galaxien" zu­ sammengenommen. Dabei sollten wir verstehen, daß er je­ dem Kosmos eine eigene Intelligenz und eine eigene RaumZeitdimension zuspricht. In den weiteren Stufen involviert die Schöpfung gemäß dem Oktavengesetz über den Megalokosmos {alle Sonnen unserer Galaxis) mit 6 Triaden, die man als „essentielle Gesetze oder Dynamismen" bezeich­ nen kann, zur Welt 12, dem Deuterokosmos oder Sonnen zweiter Ordnung, also unsere Sonne, zu Welt 24, dem Tritokosmos, den einzelnen Planeten und schließlich zu Welt 48, den Tetartokosmen bzw. den Menschen. 229 Statt von „Gesetzen" könnte man auch von verschiedenen „Graden der Vernunft" oder Intelligenz sprechen. Jeder Kos­ mos ist eine Welt für sich und befindet sich gleichzeitig im Austausch mit der nächsthöheren oder tieferen Welt, was ich bereits anfangs einführte. Die Endstufe des Schöpfungs­ strahls ist der Mond, der um unsere Erde kreist. Er be­ kommt „Nahrung" für sein eigenes Wachstum an Intelli­ genz und Bewußtsein durch die „automatische" Energie­ abgabe der Menschen und Pflanzen auf der Erde, sozusa­ gen das Abfallprodukt, das Gurdjieff als Askokin bezeich­ net. „Intelligenz ist selbstorganisierend und symbiotisch, genau wie die Biosphäre. Natürlich basiert die Intelligenz auf der dritten Seinsnahrung, den „Eindrücken", während die Biosphäre auf der zweiten Seinsnahrung, der „Luft", unserer Atmosphäre basiert... In Gurdjieffs Weltbild sind Eindrücke keine Sinnesdaten oder Nervenimpulse. Sie sind ein direkter Kontakt mit der Welt." 231 Nachdem die Welt des Lebens entstanden war, wurde es möglich, daß sich Organismen bildeten, die kosmische En­ ergien durch eigene Anstrengungen wieder „höher" trans­ formierten, sozusagen aus unedlem Metall „Gold" herstell­ ten. Die Umwandlung der gewöhnlichen Nahrung in Ener­ gien des Bewußtseins macht diesen Transformationsprozeß deutlich. „Unser Schöpfer beobachtete, daß gewisse Tetartokosmen die Möglichkeit hatten, sich unabhängig auf

172 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

der Oberfläche von Planeten zu bewegen, und er sah, daß sie möglicherweise objektive Vernunft erwerben können... Besondere Maßnahmen wurden getroffen, um dies zu er­ möglichen, und diese Maßnahmen beinhalteten unter an­ derem die Möglichkeit, in ihnen einen zweiten Körper zu bilden. Dadurch entstand die Möglichkeit, daß sie ihr eige­ nes Gesetz Triamasikamno bekommen, d.h. sie konnten dreihirnige Wesen werden. Sie wurden dann nicht mehr Tetartokosmen, sondern Wesen genannt, und das bedeu­ tet, daß sie Intelligenzen und von der Quelle unabhängig sind." 232 Die Möglichkeit der menschlichen Evolution geht in entge­ gengesetzter Richtung zur Involution, der Erschaffung der Welt. Man kann sich vorstellen, daß wesentlich mehr Kraft aufgewendet werden muß, um „gegen den Strom" zu schwimmen als mit dem Strom. Das Gesetz der Sieben oder das Oktavengesetz wird meistens in Form von Aus­ breitung der Schwingungen dargestellt. Jede einzelne Note erzeugt wiederum eigene Schwingungen, die sich zum Teil mit ihren Ober- und Untertönen vermischen. Hans Cousto gibt uns einen Hinweis auf die Unregelmäßigkeiten bei der Ausbreitung der Schwingungen: „Die musikalischen Inter­ valle werden durch die Teiltonverhältnisse bestimmt. Je einfacher das ganzzahlige Verhältnis ist, desto reiner emp­ finden wir dieses Intervall. Andererseits, je weiter die bei­ den Zahlwerte eines Teiltonverhältnisses auseinanderliegen, desto unharmonischer oder auch spannender wird das Ver­ hältnis empfunden." 233 Gurdjieff machte ausgiebigen Ge­ brauch dieser Intervalle in seiner Musik, die wir im 8. Kapi­ tel behandeln. Das Enneagramm besteht immer aus drei Oktaven. Die Befehlsstruktur, der Wille, wird durch das Dreieck in den Kosmos gebracht, die Funktionsschritte folgen dem Kreis, und das Sein der Struktur, die Welt des Bewußtseins, ver­ schmilzt das Material der verschiedenen Welten zu einer einzigen Substanz.

Die Selbsterneuerung der Kosmen 173

Die Selbsterneuerung der Kosmen Durch jede unserer Erfahrung wird deutlich, daß ein Pro­ zeß nicht geradlinig verläuft. Die Abweichungen zwischen Planung und Ausführung sind eine alltägliche Erfahrung. Es gibt Hindernisse und Widernisse, die wir selten voraus­ sehen oder einplanen können. Denken wir nur an die ungeplanten Verspätungen der Deutschen Bahn. Jedes kleinere oder größere Projekt stößt im Laufe seiner Ausführung auf Unregelmäßigkeiten und Abweichungen. Diese Vorausset­ zung ist die beinahe offensichtliche Konsequenz der Ge­ setzmäßigkeiten von Raum und Zeit. Aber anscheinend nimmt kaum jemand Notiz davon, weder in den Naturwis­ senschaften noch in den praktischen Alltagsangelegen­ heiten. Wenn wir diese Idee annehmen können, gewinnt der Begriff der „künstlich hergestellten Umgebung" eine enorme Bedeutung und wird zum Schlüssel des Verste­ hens des Lebens überhaupt. 234 Es ist nicht schwer zu sehen, daß die erforderlichen Bedin­ gungen für einen Selbsterneuerungsprozeß mindestens zwei unabhängige Linien der Verwirklichung mit sich brin­ gen müssen. Die erste Linie zeigt die ursprüngliche Rich­ tung an und die andere muß den Prozeß gegebenenfalls anpassen und korrigieren. Wir brauchen also eine Art Me­ chanismus, der in der Lage ist, sich selbst zu regulieren und zu verbessern. Außerdem ist ein dritter, unabhängiger Faktor nötig, einer der in der Lage ist, das Endprodukt oder Ziel der erstrebten Operation im voraus zu prüfen und mit dem Idealzustand zu vergleichen. Diese drei Fak­ toren werden vom Gesetz der Drei oder Triamasikamno in Form des inneren Dreiecks im Enneagramm dargestellt. Ein hervorragendes Beispiel für einen solchen selbst­ regulierenden Apparat finden wir in jeder lebenden Zelle. Obwohl Gurdjieff zu seiner Zeit die innere Zellstruktur noch nicht kannte, hat er dies wohl intuitiv erfaßt: „Jedes voll­ ständige Ganze, jeder Kosmos, jeder Organismus, jede

174 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Pflanze ist ein Enneagramm." 235 In Gurdjieffs kosmologischem Entwurf befindet sich der Mikrokosmos, die kleinste kosmische Einheit oder die Zelle genau dort, wo die Umkehr der Kräfte des trogoautoegokratischen Prozesses möglich ist, die Evolution. Wie wir heute wissen, ist im Mikrokosmos der Urzelle die Doppelhelix der genetischen Informationen enthalten. Die DNS (Desoxyribonukleinsäure) ist eine chemische Verbindung, die aus einem Vierbuchstabenalphabet besteht - den Basen Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin, A, G, C, T - und aus Protei­ nen mit einem Zwanzigbuchstabenalphabet, den Aminosäu­ ren. Alle vier Basen können in linearer Folge in Dreierkombi­ nationen, 236 den Tripletts, zu genau 64 Tripletts Zusammen­ kommen. Ein DNS-Strang der Doppelhelix ist eine „Negativ­ kopie" des anderen. Beide Stränge versiegeln einander; die genetische Information bleibt stumm, wenn die Doppelhelix nicht gespalten wird. Außerdem gibt es einen „Übersetzungs­ mechanismus" zwischen diesen beiden, der dafür sorgt, daß die Instruktionen für den Aufbau der Proteine in der Sprache der DNS codiert werden. Francis Crick, einer der Entdecker der Doppelhelix schreibt: „Es ist außerordentlich bemerkens­ wert, daß ein derartiger Mechanismus überhaupt existiert und es ist darüberhinaus noch erstaunlicher, daß jede leben­ de Zelle - sei es eine tierische, pflanzliche oder mikrobische eine Version davon enthält." Zur Darstellung aller 64 Code­ worte auf dem Doppelstrang benötigen wir 384 Codebausteine A, T, G, C. Die Zahl 384 entspricht dem kompletten Baustein­ satz des Codes. Vom Doppelstrang muß deshalb ausgegan­ gen werden, weil nur dieser ausschließlich Informations­ speicher ist. Mit seiner Aufspaltung wird die genetische In­ formation erst aktiviert und fließt in den Prozeß ein. Das Wunder der Zelle wird noch davon übertroffen, daß die Chance unendlich gering ist, daß so eine einzelne Zelle mit einem sinnvollen Text aus 384 Buchstaben in der richtigen Ordnung und Reihenfolge vor 3,5 Milliarden Jahren aus einer Ursuppe entstanden sein soll....

Die Selbsterneuerung der Kosmen 175

Und wir wissen bis heute nicht wie der genetische Code überhaupt funktionieren kann. Der Computerexperte und weltberühmte Autor Douglas Hofstadter 237 schreibt: „Ei­ gentlich eine witzige Sache. Da gibt es Moleküle in einer Zelle, die einer tRNS(Botenribonukleinsäure) den geneti­ schen Code beibringen. Sie beladen die tRNS mit Amino­ säuren, wonach sich die Lastesel zu den Ribosomen aufmachen. Kann man sagen, daß die tRNS den genetischen Code kennen? Nein. Sie müssen unterrichtet werden. Wer macht das? Die Synthetasen. Kennen also die Synthetasen den genetischen Code? Nein. Die Synthetasen bringen nur die tRNS mit den passenden Aminosäuren zusammen. Wir kommen zu dem Schluß, daß keiner in der Zelle den gene­ tischen Code kennt..." 238 Der durchschnittliche Mensch be­ steht aus einhunderttausend Milliarden Zellen mit unge­ fähr 200 Milliarden Kilometer langen Strängen von DNS. Es stellt sich übrigens hier noch die Frage: „Was macht eine chemische Verbindung lebendig?" Erst kürzlich entdeckte ich das Buch The Cosmic Serpent des Ethnologen Jeremy Narby, der sehr einleuchtend die These vertritt, daß das ursprüngliche schamanische Wis­ sen mit oder ohne Gebrauch von psychoaktiven Pflanzen in allen Variationen von der Urschlange erzählt, die mei­ stens als Doppelschlange symbolisiert wird. Er kommt zu dem Schluß, daß das Urwissen um die Doppelhelix tief in uns verankert ist. „Die Schamanen sagen, daß man über die 'Spirits', die Geistwesen (bzw. „höheren" Intelligenzen), nur in Metaphern sprechen kann. Biologen bestätigen die­ se Meinung, indem sie eine ganze Reihe von anthropozen­ trischen und technologischen Metaphern verwenden, um die DNS, die Proteine und Enzyme zu beschreiben. DNS ist ein Text, ein Programm oder Daten, die Informationen ent­ halten, die in Boten-RNS gelesen und übertragen werden können. Die letzteren übertragen in die Ribosomen, die molekulare Computer sind, welche die Instruktionen ent­ sprechend des genetischen Codes übersetzen. Sie bauen

176 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

den Rest der Zellmaschinerie, insbesondere die Proteine und Enzyme, miniaturisierte Roboter, die die Zelle aufbau­ en und aufrechterhalten." 239 Diese metapherhafte Beschreibung trifft in vielerlei Hinsicht auch auf die Funktionsweise des Enneagramms zu. John G. Bennett 240 erklärt sechs wichtige Erkenntnisgrundlagen der Funktionsweise des Enneagramms: 1. Jeder Prozeß, der vom Ausgangspunkt A zum Ziel B ver­ läuft, unterliegt Abweichungen und Verzerrungen aufgrund umweltbedingter Störungen. 2. Nur ein künstlich konstruiertes System zur Kompensation der auftretenden Fehler kann einen Prozeß auf dem geplan­ ten Kurs halten. 3. Es gibt einen Eingangspunkt für das Risiko, an dem der erste Prozeß (AB) durch einen zweiten unabhängigen Pro­ zeß (CD) korrigiert werden kann, der allerdings in enger Verbindung mit dem ersten Prozeß steht. 4. Der zweite Prozeß benötigt allerdings selbst Korrektur und Anpassung genauso wie der erste. Wenn diese zweite An­ passung EF korrekt erfolgt, wird das System in einen Zu­ stand der dynamischen Harmonie gebracht, die unendlich lange anhält, so lange wie die Gesamtkonstruktion zusam­ menhält. 5. Alle drei Prozesse müssen so geartet sein, daß sie sich vermischen können und sich an jedem gegenseitigen Zu­ sammentreffen verstärken können. 6. Die Konstruktion muß so aufgebaut sein, daß es ein Zusammenspiel der Anpas­ sungen abseits der Prozesse selbst gibt. Das letztere führt zu den Ergebnissen und das erstere hilft der Konstruktion, daß sie nicht in sich zusam­ menfällt oder degeneriert.

Drei sich gegenseitig korrigierende Prozesse

Die Selbsterneuerung der Kosmen 177

Genau diese Konstruktion ist die universale Zelle, welche alle Informationen und Anpassungsmechanismen enthält, um seit Ewigkeiten unverändert zu existieren. Gurdjieff machte sich in Beelzebubs Erzählungen darüber lustig, daß die Menschen immer nach einem Perpetuum Mobile ge­ sucht haben und darüber ausgeflippt sind, weil es nicht zu konstruieren war. Denn jeder Prozeß benötigt immer das Zusammenspiel mehrerer Faktoren, um erfolgreich zu sein, aber vor allem auch innere und äußere Anstöße. So ist das Leben der Zelle aufgebaut, die wiederum mit allen ande­ ren lebenden Zellen in Wechselwirkung steht. Aber es ist kein rein materieller biochemischer Prozeß, der die Zelle zu dem macht, was sie ist. Ich zitiere noch einmal Narby: „Biologen beschreiben die DNS als Molekül und als Spra­ che, machen sie zu einem Informationsträger oder der Informationssubstanz des Lebens, aber sie erwägen nicht, daß sie bewußt oder lebendig ist, da per Definition chemi­ sche Substanzen nicht organisch sind." Wird nicht auch unser menschliches Gehirn von dieser anscheinend bewußtund ziellosen „chemischen" Substanz DNS aufgebaut, zu einem Gehirn, das sämtliche Funktionen hat, die uns nachdenken und fühlen lassen? Ein Gehirn, das als Träger des Bewußtseins gesehen wird! Allein die Bäckerhefe, ein ein­ zelliger Organismus, enthält 12 Millionen DNS-Buchstaben. Das Genom der Mäuse enthält geschätzt 3 Milliarden DNSBuchstabenkombinationen und der Mensch unendlich viel mehr. Ich will diese Sache hier nicht weiter ausspinnen, gegen­ über dem Wunder des Lebens kann man nur in Ehrfurcht erstaunen. Was mich dabei fasziniert hat, ist, daß das Sym­ bol des Enneagramms, das Gurdjieff Anfang des Jahrhun­ derts zu einer wichtigen Grundlage seiner Lehre gemacht hat, in vieler Hinsicht auch und gerade im Selbstregulations­ und Selbstfeedbacksystem der Zelle zu sehen ist. Das Enneagramm beschreibt die drei Prozesse, die zu einer dy­ namischen Harmonie führen. Und wir können sehen, daß

178 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

die lebendige Zelle drei Faktoren enthält, die Grundlage der Existenz alles Lebendigen ist: Materie, Energie und In­ telligenz. Wie wir gesehen haben, gibt es in Gurdjieffs Weltenschema der Energietransformation mehrere Ebenen oder Kosmen, die Fraktale der ursprünglichen Triade der Willenskräfte enthalten. Der Prozeß der Erschaffung unterschiedlicher Kosmen folgt dem Gesetz Heptaparaparschinoch oder Oktavengesetz. Jeder Kosmos ist ein Abbild eines größe­ ren Kosmos und umgekehrt. Alle Gesetzmäßigkeiten der Transformation und Information sind in jedem Kosmos wirk­ sam. Deshalb können wir sagen, daß die Transformations­ prozesse innerhalb des kleinsten unabhängigen Kosmos, des Mikrokosmos oder der Zelle, genauso strukturiert sind wie in dem größeren Tetartokosmos, der Anhäufung von lebendigen Zellen, dem „dreihirnigen Wesen" genannt Mensch. Die Energietransformation im Menschen durch die drei Nahrungsarten folgt ebenfalls den Gesetzmäßigkeiten des Oktavengesetzes. Energie und Materie sind eng verbun­ den. Energie kann als ein Zustand der Materie beschrie­ ben werden und wird mittels materieller Konstrukte er­ zeugt. Erinnern wir uns nur an die berühmte Einsteinsche Gleichung der Entsprechung von Energie und Materie. Es ist jeweils nur ein anderer Zustand, genauso wie unend­ lich kleine Atome entweder nur in Wellenform oder nur als sichtbare Teilchen gesehen werden können. In diesem Sinne kann Gurdjieffs „feine Substanz", die wir bei der Frage der Seele eingeführt haben, auch als „Informationsträger" be­ zeichnet werden. Wenn eine feinere Substanz aus einer gröberen entsteht, nennt Gurdjieff diesen Prozeß Harnelmiatznell und stellt ihn in Zusammenhang mit der Um­ wandlung der Nahrung dar. 241 Jede Zelle strahlt die soge­ nannten Biophotonen ab, die wiederum Informationsträger sind, die mit den anderen Zellen kommunizieren und durch eine weitere Transformation zur Substanz des Verstehens

Die Selbsterneuerung der Kosmen 179

werden. Hans Cousto gibt uns einen weiteren Hinweis in Zusammenhang mit den Schwingungen der Oktave: „Das von Fritz Popp gemessene Resonanzmaximum [der Biophotonen] bestätigt, daß die DNS- und RNS-Ketten har­ monisch zu Oktavtönen der Erdrotation resonieren. Eigent­ lich ist das auch nicht verwunderlich, da alles Leben auf der Erde unter den gegebenen astronomischen Bedingun­ gen entstanden ist, und die Rotation der Erde ist die kür­ zeste astronomische Periode, die diese Entwicklung präg­ te. Die Wetterfrequenzen (Atmospherics) hatten bei der biologischen Entwicklung etwa die Funktion eines Zwischen­ verstärkers dieser Grundschwingung. Die Oktave ist das verbindende Glied all dieser Schwingungen." 242 Diese drei Prozesse der Energie- bzw. Schwingungs­ verstärkung werden vom Enneagramm dargestellt. Die drei Prozesse AB, CD und EF entsprechen den drei Punkten des Dreiecks 9/0-3-6. Sie geben der Struktur ihre Dynamik. Die innere Konstruktion, das selbstregulatorische Feedback­ system entspricht der Sechseckfigur im Enneagramm. Die Reihenfolge des Ablaufs in dieser Figur folgt den Zahlen 1-4-2-8-5-7, in der Weise, in der die Prozesse korrigiert und verstärkt werden können, um eine Selbsterneuerung zu ermöglichen.

Schlangendarstellung aus dem schamanischen Kontext Schamanen aller Kulturen berichten immer wieder über das Erscheinen der kosmischen Schlange in ihren Visio­ nen, in denen sie häufig in Zwillingsform erscheint (siehe Abbildung). Damit können wir einen weiteren Schritt zum Verständnis des Enneagramms machen: Der evolutionäre

180 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Prozeß folgt den inneren Linien 1-4-2-8. Die Zwillings­ schlange, der involutionäre Prozeß, geht den umgekehr­ ten Weg 8-5-7-1. Diese zwei Seiten des inneren Hexa­ gramms winden sich umeinander wie die zwei Schlangen in der Abbildung. Für die Alchimisten ist die Schlan­ ge das Urbild der kosmischen Kraft. „Wenn man die unwandelbare gött­ liche Tat, die das Weltall ordnet, sinnbildlich durch eine unbewegte, senkrechte Achse darstellt, so ist der 'Lauf' der Natur im Vergleich dazu eine Spirale, die sich um jene Achse emporwindet, so daß sie mit jedem Umlauf eine Ebene oder Stu­ fe des Daseins verwirklicht.... Der Rhythmus der sich folgenden Ent­ wicklungen und Einrollungen der Natur, des alchimistischen solve et coagula, ist durch die doppelte Spi­ rale dargestellt." 243 Der Kreis symbolisiert den ewig wiederkehrenden und un­ unterbrochen fließenden Prozeß, die einzelnen neun Punk­ te im Kreis symbolisieren die Stufen des Prozesses. Der Kreis ist wie ein Behälter. Man könnte auch sagen, er stellt den gegenwärtigen Augenblick dar, der in einer Reihenfol­ ge von Schritten abläuft. Die Stellen, wo der Prozeß offen ist, die Punkte 3-6-9, die Gurdjieff als Mdnel-Ins, Öffnungen, bezeichnet, werden vom Dreieck angezeigt. Der Punkt 9 ist zugleich der Beginn eines neuen Transformationsprozesses oder Enneagramms, des­ sen Ergebnis in einen anderen Kreislauf eintreten kann. Auf gleiche Weise können andere Abläufe, die an der Neun kul­ minieren, in den gegebenen Kreislaufan der Öffnung 3 oder 6 eintreten. So erhalten wir ein Bild der Verwobenheit von Kreisläufen. Oder mit anderen Worten: Die drei Prozesse, die wir als AB, CD, EF gekennzeichnet haben, sind die Mdnel-

Die Selbsterneuerung der Kosmen 181

Ins, die Lücken, in der Wirkungen von außen in den Gesamtprozeß kommen. Enneagramm der immerwährenden Bewegung 244

Diese Darstellung des Zusam­ menspiels von drei Oktaven stat­ tet jeden Punkt des Enneagramms mit einer dreifachen Be­ deutung aus. „Es ist das abstrak­ tere Modell einer perfekten Selbsterschaffung. Der Schock der ersten Oktave wird vom DO der zweiten verursacht, und der Schock der zweiten Oktave wird vom DO der dritten be­ wirkt. Aber jede der drei Oktaven geht durch einen eige­ nen Kreislauf. Das ist das Enneagramm der 'immerwäh­ renden Bewegung'. Wenn wir uns einen Kosmos konkreter vorstellen, einen, der in einer Umgebung existiert und nicht in Isolation, dann repräsen­ tiert das Enneagramm einen Transformator, in dem jedes DO wie eine Wechselstelle fun­ giert. Ein gutes Beispiel dafür ist der Austausch von Materie und Energie beim Ein- und Ausatmen. In dem Ennea­ gramm, das sich auf konkrete Situationen bezieht, wird die Wechselwirkung der Oktaven wie in der Abbildung rechts präsentiert.

Enneagramm konkreter Situationen 245

182

Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Die Veränderung unserer Wahrnehmung „ Was soll's, wer macht schon so viel her von einem Wun­ der? Was mich betrifft, ich kenne nichts als Wunder..."

Walt Whitman Die Evolution des menschlichen Bewußtseins bzw. die Ent­ wicklung der „höheren Seinskörper" ist das zentrale Ele­ ment der Gurdjieffschen Ideenwelt. Das Verstehen des Enneagramms ist immer verbunden mit der menschlichen Transformation. „Um das Enneagramm zu verstehen, muß man es sich bewegt, in Bewegung vorstellen.... Viel später..., als G. sein Institut in Frankreich organisierte und seine Schüler Tänze und Derwischübungen studier­ ten, zeigte er ihnen Übungen, die mit der Bewegung des Enneagramms in Beziehung standen. Auf dem Boden der Halle, in der die Übungen stattfanden, wurde ein großes Enneagramm gezeichnet, und die an den Übungen teil­ nehmenden Schüler standen an den Stellen, die mit den Zahlen 1-9 bezeichnet waren. Und dann begannen sie sich in Richtung auf die Zahlen der Perioden in einersehr inter­ essanten Bewegung zu bewegen, wobei sie sich an den Treffpunkten umeinander drehten, das heißt an den Punk­ ten, wo sich im Enneagramm die Linien kreuzten." 246 Wenn wir unsere Wahrnehmung darauf einstellen, das En­ neagramm nicht als eindimensionales Flachland-Symbol zu sehen, sondern als mehrdimensionales, lebendiges Wesen, das sich spiralig im endlosen Austausch von Information, Energietransformationen und Verwirklichung von neuen Möglichkeiten bewegt, kommen wir dem intuitiven Ver­ ständnis der Rolle des Menschen im Prozeß der gegensei­ tigen Erhaltung näher. Die periodische Figur mit der Reihenfolge 1-4-2-8-5-7 zeigt, wie die verschiedenen Schritte verbunden sind. Dieser De­ zimalbruch ergibt sich durch Teilung von 1 durch 7, deren Quotient die sich wiederholende Dezimale 0,142857 ist.

Die Veränderung unserer Wahrnehmung 183

Die Idee dahinter ist, eine Einheit als eine Stufenfolge von sieben Schritten darzustellen. Da wir im Enneagramm aber nur 6 Punkte für die innere Figur haben, schließen die sie­ ben Schritte den Scheitelpunkt 9 mit ein. Er ist sowohl Anfang als auch Ende. Diese Unregelmäßigkeit entsteht aus der Teilung von 7/7 = 0,99999. Punkt Neun ist inte­ graler Bestandteil des inneren Prozesses und gleichzeitig der Endpunkt des äußeren Kreislaufs. Die Neun ist an je­ dem Punkt präsent: wenn man die beiden gegenüberlie­ genden Zahlen addiert, hat man immer eine Neun! Die beiden Öffnungen an 3 und 6 sind die zwei anderen Unre­ gelmäßigkeiten im Oktavengesetz zwischen MI und FA und SOL und LA. „Gurdjieff benutzte sie, um einen Sinn für die Erfahrung zu fördern, was seine zwei kritischen Intervalle bedeuteten, genauso wie er die Tänze benutzte, um die Erfahrung des Enneagramms zu vermitteln. In diesem kom­ binierte er Kunst und Wissenschaft." 247 Mit dem Enneagramm können wir ganzheitliche Transforma­ tionsprozesse sehen. Wenn wir uns den Prozessen über ihre Teile annähern, kann es leicht geschehen, daß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr wahrnehmen. Wir müs­ sen zuerst unsere Wahrnehmung verändern und vom Gan­ zen zum Teil gehen und nicht umgekehrt. Wenn wir uns in den Teilen verlieren, sind wir verloren und es wird überaus kompliziert. Das Enneagramm stellt in erster Linie die Ein­ heit in der Vielheit dar! Auf den Menschen bezogen zeigt uns das Enneagramm die Möglichkeit der Energietransformation, der menschlichen Evolution, die letztlich die Transformation auf die bewußte Ebene der schöpferischen Intelligenz bewirkt. Gurdjieff stellt diese Transformation anhand der Umwandlung der drei Nahrungsarten, physische Nahrung, Luft und Eindrücke dar. Bei der Transformation der Nahrung kommt an Punkt 3 die Luft ins Spiel, die den inneren Metabolismus zur weiteren Evolution bringt. „Für die von außen kommende Hilfe ist im gegebenen Falle die innere Organisation der Wesen von

1 8 4 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

der Großen Natur so weise eingerichtet, daß die Stoffe, die in den Bestand der Wesen zur Bekleidung und Ernährung des zweiten Seins-Körpers-Kesdschan eintreten müssen, jene Gesamtheit der kosmischen Stoffe nämlich, die deine Lieblinge Luft nennen, gleichzeitig als eine von außen kom­ mende Hilfe für die Evolution der Stoffe der ersten SeinsNahrung dienen können." 248

Die Luft kommt in Gurdjieffs Schema „mechanisch" ins Spiel und beginnt einen eigenen Transformationsprozeß, der durch den dritten Faktor, der als bewußter Anstoß an Punkt 6 ins Spiel kommt, weiter transformiert wird. Dieser be­ wußte Anstoß sind die „Eindrücke", die aus der menschli­ chen Erfahrung herrühren. Diese weitere Transformation ist nur möglich, wenn die Erfahrungen bewußt sind. Die Herstellung und Verarbeitung von Erfahrungen kann auch als Bereich der Energietransformation gesehen wer­ den, wenn wir den Zusammenhang von Erfahrung und Energie verstehen. Dieser Aspekt ist wichtig, weil Energi­ en subjektive Aspekte haben. Wenn wir denken, fühlen, spüren, also alles, was im Leben mit uns geschieht, kommt der Aspekt der subjektiven Erfahrung ins Spiel. Wie ich

Die Energien 185

bereits ausgeführt habe, hat der kosmische Stoffwechsel­ prozeß ebenso eine äußere, objektive Seite - die Schöp­ fung oder Involution - sowie eine innere, subjektive Seite, nämlich die Transformation der Energien zum „Körper des Bewußtseins" und schließlich zur Vereinigung mit der schöp­ ferischen Intelligenz. Diese Idee wird auch durch die „Schwingungsdichte" der Energien bildlich vermittelt. 249 Die Transformation, die uns Sein verleihen kann, wird auch für den Ablauf der Welt benötigt.

Die Energien Ich werde den Bereich unserer Erfahrung anhand der Ener­ gien im Enneagramm darstellen, gleichzeitig hilft uns dieses Beispiel den Prozeß des Enneagramms besser zu verstehen. Doch um diesen Transformationsprozeß nachvollziehen zu können, muß ich die einzelnen Energien, die zu unserer Erfahrungsmöglichkeit gehören, kurz erläutern. John G. Bennett hat ein zwölfteiliges Schema aller Energien entwor­ fen, das aus drei Vierergruppen besteht: 250 1. die materiellen Energien, 2. die Lebensenergien, 3. die kosmischen Energien. Für unser Verständnis am wichtigsten sind die Lebens­ energien und die kosmischen Energien.

Die vier Lebensenergien: 1. Die konstruktive Energie ist die einfachste Form der Lebensenergie und organisiert die Materialien, die sie auf­ nimmt. In lebendigen Organismen ist das der Stoffwech­ sel, der die Aktivität der Zelle und der DNS ernährt. Der Körper jedes Organismus wird immer wieder neu aufge­ baut, deshalb konstruktive Energie. 2. Die vitale Energie können wir in uns spüren. Sie macht

186 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

uns lebendig und fließt in unserem Blut und Nervensystem. Die Arbeit dieser Energie liegt aber noch außerhalb unse­ rer direkten Wahrnehmung. 3. Die automatische Energie reguliert alle automatischen Bewegungsfunktionen der Körper. Sie ist selbsttätig, des­ halb kann der Mensch sich bewegen und handeln, ohne sich darüber bewußt zu sein, was er tut. 4. Die sensitive Energie ist die höchste der Lebensenergien. Mit ihr haben wir die Möglichkeit, uns vom automatischen Bewegungsablauf zu trennen. Die Intensität einer sinnlichen Erfahrung, der Kontakt mit anderen Menschen, den Pflanzen und Tieren erfordert einen gewissen Grad an Sensibilität. Wir sind sogar gewohnt, diesen Zustand erhöhter Wachsam­ keit und Lebendigkeit als „Bewußtsein" anzusehen. Doch dieser Zustand gehört noch nicht zur Ebene des Bewußt­ seins, da Bewußtsein eine „kosmische Energie" ist.

Die kosmischen Energien Mit den kosmischen Energien dreht sich das Schema um. „Wie kommt es, daß Menschen bewußt und kreativ sein können?" Bewußtsein und Kreativität „enthalten" das Le­ ben. 1. Die bewußte Energie, Bewußtsein. Bewußtsein ist größer als der Mensch. Wir leben in der Sphäre des Bewußtseins, und wenn wir mit bewußter Energie ernährt werden, kön­ nen wir in diese Welt aufwachen. Wie wir im Enneagramm sehen können, ist es eine Kraft, die wir nicht selbst erzeu­ gen. Da sie die unterste kosmische Energie ist, können wir in sie eintauchen. 2. Die kreative und intelligente Energie ist jenseits des Bewußtseins, aber bedarf des Bewußtseins, um in unsere Erfahrungswelt zu gelangen. 3. Die vereinigende Energie können wir weder sehen noch spüren, doch die Welt steht unter ihrem Einfluß. Deshalb bezeichnet sie Bennett auch als „kosmische Liebe". „Liebe

Die Energien 187

ist die erlösende Kraft, durch die die niederen Bereiche der Schöpfung in der Lage sind, zu ihrer Quelle zurückzukeh­ ren." 251 4. Die transzendente Energie ist vermutlich der ursprüngli­ che einheitliche Wille, der den Prozeß des Trogoautoegokraten bewirkt hat. Für die Entwicklung des Menschen und seiner höheren Seinskörper sind die zwei höheren Lebensenergien, sensi­ tive und bewußte Energie, und die zwei unteren kosmi­ schen Energien, kreative und vereinigende Energie, von Bedeutung. Das Enneagramm kann uns die Transformati­ on und das Zusammenwirken dieser Energien zeigen.

Das Enneagramm der Energietransformation

Jetzt können wir verstehen, daß die automatische Bewe­ gungsenergie und die sensitive Energie die Erfahrungen mit unserem ersten Körper ermöglichen. Sie gehören noch in den Bereich der Umwandlungsprozesse der ersten Seins­ nahrung. Sensibilität ist nichts anderes als organische Be­

188 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

wußtheit. Wirkliches Bewußtsein kommt aus der dritten Oktave der Eindrücke, im Enneagramm finden wir es des­ halb an Punkt 7. An Punkt 5 fällt Bewußtsein mit Sensitivi­ tät zusammen, deshalb erleben wir in diesem Bereich der Erfahrungen das Gefühl, sich selbst zu sein. An Punkt 5 kön­ nen wir aber auch den spontanen Einfluß der Kreativität von Punkt 8 erfahren. Das bedeutet auch, daß wir nicht bewußt sein müssen, um kreativ zu sein. Bewußtsein hat eine verbindende oder integrierende Kraft. Wenn die bewußte Energie vom Strom der sensitiven Ener­ gie getrennt wird, sind wir fähig, Zusammenhänge zu sehen. Wir haben die Freiheit zu handeln. „Um sich durch Eindrücke zu nähren und zu entwickeln, müssen wir sehen. Sehen bedeutet hier nicht mit den Augen zu sehen, sondern mit dem 'Ich'. Dabei werden die verschiedenen Welten nicht hinsichtlich des­ sen verstanden, was sie beinhalten, sondern hinsichtlich des Sehens, das darin möglich ist. Deshalb bezeichnet Gurdjieff die 'Fähigkeit zu sehen' mit dem Begriff objektive Vernunft.... Die alten Mythen drehten sich um die Kreisläufe der Himmel und waren kosmische Visionen. Die alten Schamanen ... sprachen ihrer Funktion die Regulierung der großen Gewalten der Natur zu. Um diese Arbeit auszuführen, mußten sie fähig sein, zu sehen." 252 Die Fähigkeit zur Vision bewirkt etwas für das Ganze des Planeten und der Menschheit. Wenn wir in die Welten des Bewußtseins eintreten, kommunizieren wir mit Intelligenz. Die Welt der Energien steckt den Bereich unserer Erfah­ rungsmöglichkeiten und Bewußtseinszustände ab. Um die Energie der Sensibilität in Bewußtsein umzuwandeln, muß eine Transformation mit Hilfe der kreativen Energie, durch das Harnelmiatznell stattfinden. Die kreative Energie ist eine Form des Willens und immer gegenwärtig. Gurdjieff bezeichnet Willen als das allgegenwärtige Okidanoch. Eine Form dieser Willenskraft ist die Aufmerksamkeit. Deshalb können wir mit Hilfe der Aufmerksamkeit den Kontakt mit der Welt des Bewußtseins hersteilen und die sensitive En­

Die sieben Linien der spirituellen Arbeit 189

ergie vom Bewußtsein „trennen". Dieser Prozeß geschieht an Punkt Fünf des Enneagramms. Arbeit mit Aufmerksam­ keit, bewußtes Atmen und die Aktivierung der Körper­ empfindung machen den Prozeß der Entwicklung unseres zweiten Körpers möglich. Je stabiler der zweite Körper ge­ worden ist, desto mehr bewußte Energie können wir in den kosmischen Stoffwechselprozeß einbringen und gleich­ zeitig durch Transformation der bewußten Eindrücke un­ seren dritten Körper „bekleiden". 253

Die sieben Linien der spirituellen Arbeit Mit Hilfe des Enneagramms können wir auch die sieben Ele­ mente klären, die für eine ganzheitliche, harmonische Ent­ wicklung des Menschen eine Rolle spielen. Es erfordert ver­ schiedene aktive, rezeptive und auch ausgleichende Fähig­ keiten und Handlungen, um eine harmonische Entfaltung wäh­ rend des Lebens zu erreichen. 254 Gleichzeitig bieten uns die­ se Erklärungen ein zusätzliches Verständnis für die innere Funktionsweise des Enneagramms. Die aktiven Linien: 1. Linie: Assimilation: 1-4 Auf diesem Weg werden die eigenen Erfahrungen "verdaut". Der Sucher findet das Wissen selbst. 2. Linie: Innerer Kampf: 4-2 Beginnen wir innerlich mit unseren widerstrebenden Emo­ tionen zu kämpfen, stellen wir die notwendigen Energien für ein weiteres Wachstum der Seele her.

3. Linie: Bewußte Arbeit, Dienst für die Zukunft: 2-8 Hier bezieht sich das Selbst auf positive Weise zur Welt und stellt eine Verbindung mit der Zukunft her. Die Reibungen des inneren Kampfes werden versöhnt und harmonisiert.

190 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Die rezeptiven Linien: 4. Linie: Empfänglichkeit: 8-5 Eine rezeptive Linie, bei der die Fähigkeit ausgebildet wird, sich helfen zu lassen. Das kann die Hilfe einer Gruppe, eines Lehrers oder die Aufnahme einer universalen Befähigungsenergie sein, welche die Sufis „Baraka" nen­ nen. Auf dieser Linie öffnen wir uns für die „höhere Intelli­ genz".

5. Linie: Hingabe: 5-7 Zugang zur Kreativität. Eine innere Hingabe an die Führung des höheren Selbst in uns macht eine weitere Entwicklung möglich. 6. Linie: Annahme: 7-1 Die äußere und die in­ nere Welt werden ver­ söhnt, so daß es möglich ist, die Führung des wirklichen Ichs, des Willens, anzunehmen.

Die Linie der Verwirklichung 7. Linie: das Werk oder Manifestation Die siebte Linie kommt an Punkt 9 ins Spiel. Das Werk umfaßt alle Linien der Arbeit, es ist der Raum der Erfah­ rung und Aktion des inneren Dreiecks. Wir erfahren das „Werk" durch Offenheit für höhere Einflüsse. Es stellt uns die Kräfte für unseren Weg zur Verfügung.

Harmonische Entwicklung 191

Harmonische Entwicklung Wenn wir diese sieben Linien mit dem Enneagramm der Energietransformation verbinden, können wir sehen, wie sich der „Weg der harmonischen Entwicklung des Menschen" entblättert:

Punkt 0: Hunger nach Entwicklung. Die erste Dreieckslinie von 0-3 bewegt sich noch im Bereich des ersten Körpers, der gewöhnlichen Erfahrung. Punkt 1: Vorbereitung, Lesen, Material sammeln. Hier be­ wegen wir uns auf der ersten Linie im inneren Sechseck, der Aufnahme, Verdauung, Assimilation, und kommen durch unsere ersten Bemühungen in Kontakt mit der sen­ sitiven Bewußtheit des Lebens. Momente des Aufwachens.

Punkt 2: Hier erhaschen wir eine Einsicht in einen größe­ ren Lebensentwurf und unseren eigenen Weg. Wir begin­ nen an uns zu arbeiten, müssen mit unseren Schwächen kämpfen, vor allem der inneren Ablehnung des Gedan­ kens und der Gefühle, daß die Welt mehr ist als nur ein zufriedenes Leben auf der automatischen und materiellen Ebene. Das ist der Einfluß des Punkt 4, aber wir blicken auch nach Punkt 8, der uns das erstrebenswerte Ziel ver­ heißt. An Punkt 3 kommen wir möglicherweise in Kontakt mit einem spirituellen Lehrer, einer Gruppe oder Schule. Doch dieser Kontakt ist ungewiß, dem Risiko (Hasard) unter­ worfen. Durch diesen äußeren Einfluß wird eine neue Ok­ tave in unserem Lebensentwurf angestoßen, wir wollen an unserer inneren Entwicklung arbeiten. Es ist der Schritt vom „Ich wünsche" zum „Ich kann". Auf der Linie 3-6 ge­ raten wir bereits unter den Einfluß bewußter Energie, un­ sere Erfahrungen intensivieren und vertiefen sich.

192 Die Einheit in der Vielheit - das Enneagramm

Durch den Einfluß einer Schule oder Gruppe an Punkt 3 haben wir jetzt die Möglichkeit, an Punkt 4 mit Techniken und Methoden der inneren Transformation zu arbeiten. Unser innerer, sensitiver Bildschirm geht auf, wir beginnen zu sehen. Doch es ist keineswegs garantiert, daß wir unter den Einfluß einer bewußten Schule kommen. Das Risiko ist groß, daß wir uns auf Nebenwegen verlieren. Dann geht der äußere Prozeß zwar weiter, doch er führt vielleicht in eine völlige falsche Richtung und wir müssen wieder zum Punkt 1 zurück. Nun haben wir im Kreislauf der äußeren Bewegung eine gro­ ße Lücke zwischen Punkt 4 und 5 zu überwinden. Die Erfah­ rungen, die wir in einer Gruppe machen, die Übungen, die wir vielleicht regelmäßig durchführen, die neuen Einsichten, die wir gewinnen, unterliegen dem üblichen Entropieprozeß. Wir werden müde, geraten in Zweifel, die Spannung nimmt zu. Gurdjieff nennt diese Lücke Harnelhahut. Es kann pas­ sieren, daß uns die Erfahrung des Aufwachens in der Gruppe reicht, daß wir zufrieden mit den Ritualen sind. Das Ego meldet sich zu Wort, wir identifizieren uns mit der „Schule". Erreichen wir im äußeren Prozeß Punkt 5, kommen wir unter den Einfluß des Bewußtseins aus Punkt 7 und des Willens aus Punkt 8. Dadurch ist es möglich geworden, die notwendigen Transformationsprozesse der spirituellen Ent­ wicklung zu beginnen. Der zweite Körper kann sich stabi­ lisieren. Der Schritt von „Ich kann" zu „Ich will" ist möglich geworden. Glaube und Hoffnung gewinnen jetzt Raum in unserem Leben. Doch das Gefühl der neuen Freiheit kann verführerisch sein und uns glauben machen, daß wir be­ reits das Ziel erreicht haben. An Punkt 6 kommt der Einfluß aus der Macht der geistigen Welt, dem Wirken der schöpferischen Intelligenz. Wir füh-

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len uns nicht länger auf uns allein gestellt. Bewußtsein kommt aus der dritten Oktave der Eindrücke, die hier be­ ginnt. Der Begriff „Vorsehung" bedeutet hier, daß wir mit unserem geistigen Muster in Berührung kommen, mit dem „was wir sind".

An Punkt 7 steht das Bewußtsein, das uns die Möglichkeit der inneren Harmonie und Verwirklichung eröffnet. Die in­ nere Arbeit wird durch den Kontakt mit der Bewußtseins­ welt rezeptiv, was man als Hingabe bezeichnen kann. Auf dieser Seite des Enneagramms können wir nicht aktiv han­ deln, obwohl die beiden Seiten eng verbunden sind. Kon­ kret heißt das, daß wir nicht von aktiven Anstrengungen zu rezeptiven Haltungen übergehen, sondern weiterhin auf beiden Seiten arbeiten. Der Wille und das Verstehen schu­ len sich durch die Aktion, durch das Tun. Doch jetzt arbei­ ten wir mehr von innen, von unserem Sein aus und nicht mehr von außen durch die Persönlichkeit. An Punkt 8 haben wir alles erreicht, was einem Menschen möglich ist. Das Lebensmuster verbindet sich mit dem zwei­ ten Körper und das wirkliche Ich nimmt seinen Platz in unserem Zentrum ein. Der „dritte Körper" gewinnt an Stär­ ke und wir sind in der Lage unser Leben zu verwirklichen. Das bringt uns zu Punkt 9, an dem die dritte Oktave des Enneagramms ihren eigenen Prozeß weiterführt. Synergie bedeutet hier das Zusammenspiel aller drei Aspekte des Werks. Ein Einfluß aus dieser Sphäre geht wieder auf Punkt 3, an dem eine neue Oktave beginnt. Das Enneagramm ist ein intelligentes Modell, um Trans­ formationsprozesse zu sehen und zu verstehen. Wenn wir damit arbeiten, sollten wir uns aber immer wieder klar machen, daß es nur ein Werkzeug des Verstehens ist und kein Ersatz für die eigene Arbeit. Die entscheidende Linie, die uns dabei tragen sollte, ist die Linie 7-1, die Linie der

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Liebe. Wenn es uns gelingt, uns für die Allmacht der Liebe zu öffnen und sie anzunehmen, wird unser Weg nicht aus­ trocknen, sondern immer neu befruchtet. Dann erneuern wir immer wieder den Standort der unendlichen, schöpfe­ rischen Intelligenz.

Lebenslanges Lernen Im Begriff Helkdonis gibt es die Sprachwurzel HLK, das auch in Achaldan vorkommt. Die Achaldan-Gesellschaft ist in Beelzebubs Erzählungen eine Gruppe, die an der Erlan­ gung der kosmischen Vernunft arbeitet. „Diese Wortwurzel bedeutet Schöpfung, Kosmos, Ordnung, die Voraussetzung dafür, an etwas teilzunehmen. In der Sufi-Terminologie ist es die khalqa, ein Teilnehmerkreis, in dem geistige Arbeit geleistet wird. Wenn wir zusammen arbeiten, um etwas zu lernen und zu verstehen, dann ist das eine khalqa." 2SS Den „Vierten Weg" können die Menschen nur gemeinsam ausarbeiten. Nur die geeigneten Menschen, die sich zum rechten Zeitpunkt, am rechten Ort und unter richtigen Be­ dingungen treffen, können diese Quintessenz - d.h. die Entfaltung ihres inneren Wesenskerns hervorbringen. Deshalb hat Gurdjieff immer daran gearbeitet, Möglichkei­ ten für Gruppenarbeit zu schaffen, die nicht von einem Lehrer abhängig sind. John G. Bennett hat diese Erkennt­ nisse später in seiner Schule in Sherborne umgesetzt, so daß wir heute die Möglichkeit haben, durch Arbeit in Grup­ pen einen Transformationsprozeß herbeizuführen, der nicht nur auf bewußten Schocks von außen beruht, sondern vom Einzelnen und der Arbeit in der Gruppe kommen kann. Die rituellen Tänze, die Gurdjieff geschaffen hat, sind ein wich­ tiger, aber nicht der einzige Baustein dieser Arbeit. Wichtig für jede kreative, spirituelle Arbeit ist, daß das „Feu­ er" der Lehre weitergegeben wird. Die „Schule des Augen­ blicks" ist das Feuer, das wir brauchen, um „wirkliche"

Lebenslanges Lernen 195

Menschen zu werden. Die „okkulte Geheimhaltung", die anfänglich gefordert wurde, ist heute in demokratischen Gesellschaften nicht mehr nötig, auch wenn manche Grup­ pen dies nach wie vor praktizieren. 256 Die „Arbeit an sich selbst" ist eine lebenslange Arbeit, ein lebenslanges Lernen, und das kann einem kein Lehrer und keine Schule abnehmen. Die „Schule des Vierten Wegs" schafft Bedingungen zur eigenen Arbeit, vermittelt Techniken, Ide­ en und Methoden. Der „Vierte Weg" ist eine „Schule des Au­ genblicks". Er hilft zu lernen, jeden Teil unseres Lebens für unsere innere Arbeit zu nutzen. Die „Schule des Augenblicks" schafft in erster Linie Arbeits­ bedingungen, die uns herausfordern, die unsere Routinen durchbrechen. Sie bietet Möglichkeiten, die vielfältigen vor­ teilhaften und auch hinderlichen Aspekte von uns besser kennenzulernen. Die Methoden und Techniken, die vermit­ telt werden, dienen dazu, mehr in sich selbst zentriert zu werden, viele weltliche Dinge gelassener zu nehmen, wa­ cher und mit allen Sinnen wahrzunehmen. Wir müssen deshalb zuerst daran arbeiten, die Hypnose der „Normali­ tät" aufzuheben, die Beeinflußbarkeit durch die Mechanis­ men des Alltags zu durchschauen. Gurdjieff hat eine gan­ ze Reihe von Methoden entwickelt, die im Alltag praktiziert werden können, z.B. Selbstbeobachtung, Selbststudium, Achtsamkeit, aktive Wahrnehmung, innere Übungen mit Körperempfindung und Energietransformation, praktische körperliche Arbeit mit ganzheitlicher Aufmerksamkeit. Doch eines der Kernstücke der Methode sind die „Movements", die ein sehr schneller Weg sind, alle Zentren zu synchroni­ sieren und Aufmerksamkeit und Willen zu schulen. Diese Tänze können nur in einer Gruppe durchgeführt werden, aber ihre Ergebnisse wirken lange nach, so daß jeder auch ohne Gruppe wirksamer an sich selbst arbeiten kann. Die „Schule" oder Gruppe ist jedoch kein Allheilmittel, im Gegenteil. Es gibt keine „Werkgruppe" die von alleine „funk­ tioniert. Sie unterliegt immer der Gruppendynamik und so-

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mit auch verschiedenen Auflösungstendenzen. Eine Arbeits­ gruppe im Sinne des „vierten Wegs" kann nur aus der Grup­ pe selbst erschaffen werden, mit Hilfe des Verstehens der Transformationsprozesse, die uns das Enneagramm aufzeigt. In einer solchen Gruppe ist jeder der Lehrer des anderen. Auch ist es wichtig, sich immer daran zu erinnern, daß die Beteiligung an einer Werkgruppe dazu dienen soll, frei zu werden und nicht in neue Abhängigkeiten zu geraten. Den­ noch kann eine wirksame Gruppe oder Schule helfen, die eigene Entwicklung stärker zu fördern als ein Alleingang. „Wenn der Mensch von den äußeren Einflüssen unabhän­ gig wird, wenn sich in ihm etwas bildet, was aus sich selbst leben kann, dann braucht dieses Etwas nicht zu sterben. Unter gewöhnlichen Umständen sterben wir jeden Augen­ blick... Wenn ein Mensch in sich ein dauerndes Ich entwikkelt, das einen Wechsel der äußeren Bedingungen überle­ ben kann, dann kann dies auch den Tod des physischen Körpers überleben. Das ganze Geheimnis ist dies: Man kann nicht für das künftige Leben arbeiten, ohne für das gegen­ wärtige zu arbeiten." 257

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8. Kosmische SchwingungenGurdjieffs Musik Den Text dieses Kapitels habe ich zusammengestellt aus mehreren Vorträgen und Artikeln des holländischen Piani­ sten Wim van Dullemen. 258 Die Form der Darstellung und die Übersetzung aus dem Englischen habe ich vorge­ nommen. Abdruck mit freundlicher Genehmigung und herz­ lichem Dank an Wim. Es ist Samstagabend im Sommer 1923. Das alte Herr­ schaftshaus, genannt die Prieuré, in der Nähe des berühm­ ten Schlosses Fontainebleau, füllt sich mit Gurdjieffs Schü­ lern und Gästen. Die Menge bewegt sich durch das Tor und an einem Springbrunnen vorbei, dessen Wasser dauernd seine Farben ändert. Die Gäste sind neugierig. Haben sie gerade das Zentrum eines neuen Messias betreten oder eines schwarzen Magiers? Die Aufführung findet in einem alten, renovierten Flugzeughangar statt, der bis zur letz­ ten Minute vorbereitet und dekoriert worden war. Thomas de Hartmann sitzt auf dem Podium vor seinem Piano „wie ein Mönch in einem Smoking gekleidet." Seine Hände sind rauh von der Arbeit mit Zement. Die aufgeführten Tänze und die Musik machen einen tiefen Eindruck auf die Zuhörerinnen und Zuschauerinnen, aber die meisten Be­ sucher atmen hinterher auch tief erleichtert durch, als die Aufführung beendet ist und sie nach Hause fahren. Für die zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts hörten sie völlig neue Töne und sahen ungewöhnliche Tänze. Erst heute können wir überhaupt so richtig erfassen, welches Werk Gurdjieff zusammen mit dem Komponisten Thomas de Hartmann geschaffen hat. Gurdjieff war ein pragmatischer Mensch gewesen. Im Lau­ fe von 25 Jahren sammelte er auf seinen Reisen und Expe­ ditionen in den mittleren Osten und Zentralasien eine gro­

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ße Zahl von Tänzen und Melodien, die er aus dem Ge­ dächtnis rekonstruierte und auf einem der ursprünglichen Kulturherkunft so gegensätzlichen Instrument eines Pia­ nos neu erschuf. Die meisten Kompositionen entstanden in der Zeit zwischen 1916 und 1927 als Ergebnis der krea­ tiven Zusammenarbeit zwischen Gurdjieff und seinem Mit­ arbeiter und Schüler Thomas de Hartmann. De Hartmann (1886-1956) war Mitglied der hohen russischen Aristokra­ tie und sein Erfolg erreichte gerade den Höhepunkt, als er Gurdjieff begegnete. Pavlova und der junge Nijinski tanz­ ten unter Anwesenheit der Zarenfamilie in seinem Ballett „Die rosa Blume". Sein Harmonie- und Kompositionslehrer warsein Freund Scriabin. Für seinen Freund Kandinsky hatte er die Musik für dessen Stück „Der gelbe Klang" geschrie­ ben. De Hartmann war verheiratet mit der Sängerin Olga de Schumacher und beide spielten eine wichtige Rolle im Kulturleben von St. Petersburg. Nachdem sie Gurdjieff ken­ nengelernt hatten, gaben sie ihr Leben in St. Petersburg auf und folgten ihm während der russischen Revolution über den Kaukasus, Georgien, Istanbul und Deutschland nach Fontainebleau. Nach vielen Jahren intensiver Zusam­ menarbeit trennten sich Gurdjieff und die de Hartmanns 1927. Sie haben sich nie wiedergesehen. De Hartmann schrieb jedoch nach Gurdjieffs Tod noch Musik zu seinen Tänzen. Gurdjieff hinterließ der Nachwelt über 200 Musikstücke und rund 240 Tänze, von denen manche verloren gingen. De Hartmanns Respekt vor Gurdjieff hörte auch nach der Tren­ nung nicht auf. In seiner Autobiographie schreibt er: „Die Musik von Gurdjieff war sehr vielseitig. Die berührendsten Stücke waren die, die Gurdjieff in entlegensten Tempeln gehört hatte. Wenn man diese Musik hört, wird man bis in die Tiefen der Seele berührt." Gurdjieff war kein Musiker und Komponist, aber er hörte und kannte die Musik inner­ lich. Nur durch de Hartmanns Kompetenz und Fähigkeit auf Gurdjieffs Impulse einzugehen war es möglich, daß

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diese Musik überhaupt entstand. De Hartmann betonte im­ mer, daß die von ihm komponierte Musik Gurdjieffs Musik sei. Er habe sie nur umgesetzt. Allerdings hat er viele Ideen und Impulse auch nicht umgesetzt. Manche Stücke zu den Movements entstanden nach de Hartmann. Besonders in den letzten Pariser Jahren entwickelte Gurdjieff viele neue Tän­ ze und Musikstücke dazu. Niemand weiß, wer die Musik ge­ schrieben hat. Als de Hartmann das geschriebene Material kurz nach Gur­ djieffs Tod durchging, teilte er es in drei Teile. Jeder Teil besteht aus über fünfzig Stücken. 1. Ethnomusik (53 Kompositionen) 2. Derwisch und Seid (Sayyid)-Stücke (45 Kompositionen) 3. Hymnen (55 Kompositionen) Außerdem gibt es noch: 4. Musik ohne Einordnung (7 Kompositionen) 5. Musik zum Ballett „Kampf der Magier" (5 Kompositio­ nen) 6. Musik für die Movements (102 Kompositionen). 259 Die erste Gruppe, die der ethnischen Musik, hat Gurdjieff während seiner Jugend und seinen Reisen gehört. Dazu ge­ hören z.B.: Tanz der kurdischen Schäfer, Tibetischer Masken tanz und die Trauergesänge der Assyrischen Frauen. Gurdjieff lernte diese Musik am Ende des 19. Jahrhunderts an sehr abgelegenen Orten kennen. Sein Gedächtnis für Musik war aber sehr genau, voller Sensibilität. De Hartmanns Notation ist kristallklar. 1950 erschien die Herausgabe der ersten Grup­ pe dieser Musik unter dem Titel Lieder und Rituale aus dem Osten. Wenige Zeit nach dieser Veröffentlichung waren die Noten dreißig Jahre lang nicht mehr erhältlich. Die griechi­ sche Melodie scheint aus einer alten Zeit zu stammen. Wenn die hochtönigen Klänge Schritt für Schritt herunterkommen, entsteht Stolz und Freude bei den Zuhörerinnen, längst verlo­ rengeglaubte Gefühle öffnen sich. Das lange und verwickelte Stück Persische Melodie tanzt um eine zentrale Note in ei­

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nem monotonen Rhythmus. Anfänglich wählte de Hartmann scharfe, beinahe neurotisch anmutende Harmonien, aber gegen das Ende der Melodie zerstäuben die Harmonien in eine tiefe Stille. Eine Schatzkammer von traditioneller Volks­ musik und religiöser Musik ist in Gurdjieffs Kompositionen verborgen. Vermutlich wären diese Melodien ganz ver­ schwunden, hätte er sie mit seinem phänomenalen Musik­ gedächtnis nicht in den Westen gebracht. Die zweite Gruppe der Kompositionen enthält die Tänze und Lieder der Seids (der Nachfahren Mohammeds) und Derwische. Hier finden wir immer noch folkloristische Ele­ mente, wie in den langen Einleitungen, dem sogenannten „langem Atem", den wir häufig zu Beginn eines Musikstükkes aus dem mittleren Osten finden. Aber die folgenden getragenen und respektvollen Rhythmen, die solchen Ein­ leitungen folgen, zeigen schnell, daß wir den Bereich der spirituellen Musik der Derwische betreten. Die dritte Gruppe besteht aus den Hymnen. Die Hymnen aus einem großen Tempel und die anderen Hymnen aus der insbesonders russisch-orthodoxen Liturgie nehmen eine zentrale Stellung im Gesamtwerk von Gurdjieff und de Hartmann ein. Eine Hymne ist ein Gesang und tatsächlich erinnern uns viele dieser Hymnen an Chormusik. Es scheint hier, als ob de Hartmann die Harmonien ziemlich dogma­ tisch gewählt hat, doch es gibt viele seltsame Akzente, die vollständig von den Gesetzen unserer Musiktradition ab­ weichen. Ein anderer Teil der Hymnen erscheint einzigar­ tig zu sein und ist nicht vergleichbar mit irgendwelcher bekannter Musik. Unsere erste Assoziation mit einer Hym­ ne wäre ein Gebet, doch diese Hymnen lassen Assoziatio­ nen entstehen, die weniger üblich sind und sehr weitrei­ chend. Beschreiben diese rauhen Akkorde und Tremolos z.B. ein vorherrschendes Gesetz, das uns unbekannt bleibt? Reflektiert die plötzliche Änderung der Musik in ein ruhiges Fahrwasser, gefolgt von einem starken und durchdringen­ den Akkord, den Moment des Todes? Sind die hastigen

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Noten, die noch nach einem gemeinsamen Bindeglied su­ chen, Symbole dafür, was unmittelbar nach dem Tod pas­ siert? Der Eindruck bleibt, daß in diesen Hymnen wir Schritt für Schritt eine wichtige Information erhalten, die sonst sehr schwer zu beschreiben wäre. Es ist unmöglich, die Einflüsse der griechisch-orthodoxen oder polyphonen ge­ orgischen Gesänge in diesen Hymnen auf einer Landkarte der folkloristischen und religiösen Musik zurückzuverfol­ gen. Es gibt keine noch so entfernte Verbindung mit west­ licher Musik. 260 Über einhundert Stücke bilden eine davon getrennte Katego­ rie, sie wurden speziell als Begleitmusik für die rituellen Tän­ ze geschrieben. Das Besondere dieser Musik ist, daß wir sie durch die Choreographie der Tänze mit dem Körper erle­ ben. 261 Die Musik für die Tänze wurde nie veröffentlicht. Ei­ ner der Gründe liegt darin, daß die Musik und die Tänze zu­ sammengehören. Doch das ist nur teilweise zutreffend. Denn auch die Musik zu den Tänzen spricht etwas in uns an, was man eine innere Bewegung nennen könnte. Inwieweit ba­ siert diese Musik auf einer östlichen Musik, die irgendwann einmal existierte oder sogar noch lebendig ist? Stammt sie tatsächlich von abgelegenen und unzugänglichen Klöstern in den Bergen Zentralasiens? In den Gebieten, in denen wir suchen würden, wurde unseres Wissens praktisch keine musikologische Feldarbeit gemacht, auf keinen Fall jedoch vor einhundert Jahren. So klar der Einfluß authentischer Mu­ sik in der ersten und teilweise der zweiten Gruppe von Gurd­ jieffs Musik ist, auch wenn nicht immer klar ist, wo die Erin­ nerung endet und Gurdjieffs eigene Ideen beginnen, bei den späteren Gruppen der Musik wissen wir überhaupt nichts mehr von einem Ursprung. Diese Gruppe könnte vollständig origi­ nal sein, könnte ihren Ursprung in Quellen haben, die nicht mehr aufzufinden sind oder beides. De Hartmann bestätigte, daß Gurdjieff selbst komponiert hat, auch wenn er nie am östlichen Ursprung des meisten Materials zweifelte. Gurdjieffs früheste Jugend war in und um Musik gewoben,

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die Musik seines Vaters, eines Ashoks (Balladensängers) alten Stils, der griechisch-orthodoxen liturgischen Musik, der kaukasischen Folklore. 294 Aber vielleicht noch wichti­ ger für ihn als die emotionale Qualität dieser Musik waren die vibrierenden Klänge der langhalsigen Saiteninstrumen­ te, der doppelten Rohrflöten, die monotonen Gesänge der Mönche, ja und sogar seine kleine Handorgel, die er bis zum Ende seines Lebens behielt. Alle diese Instrumente brachten Schwingungen hervor, durch die man Gesetzmä­ ßigkeiten studieren konnte, die auch auf anderen Gebie­ ten gültig waren. Diese Einsicht wird von Vivitskaia in Be­ gegnungen mit bemerkenswerten Menschen ausgespro­ chen: „Die Klänge der Musik bestehen aus bestimmten Vibrationen, die zweifellos die Vibrationen ansprechen, die es auch im Menschen gibt." Diejenigen, welche die „wirklichen" Effekte verstehen, die Musik auf die bereits vorhandenen Schwingungen im Men­ schen hat, sind fähig dazu, Menschen zum Lachen oder Weinen zu bringen, ihn ärgerlich zu machen oder ihn freund­ lich zu stimmen. Es ist möglich, mit Musik eine ganz ge­ naue psychologische Wirkung in einem Menschen auszulö­ sen. Dieses Können bezeichnet Gurdjieff als „objektive Kunst". Bei subjektiver Kunst ist die Wirkung zufällig, der Künstler ist unter dem Einfluß eigener Gedanken und Stim­ mungen, die er selbst kaum durchschaut oder deren Her­ kunft er kennt. Die Wirkung auf andere ist deshalb be­ stimmt vom zeitgeistigen Kunstbegriff, der nach Gurdjieff die menschliche Psyche immer mehr verschwinden läßt, statt aufzubauen. Objektive Kunst berührt jeden Menschen in der Seele, wenn er überhaupt empfänglich ist. Gurdjieff war jedoch keineswegs dogmatisch. Gegen Ende seines Lebens erzählte ihm jemand während einer der ri­ tuellen Mahlzeiten von der Zwölftonmusik der modernen Klassik. Die Anwesenden erwarteten eine kleine Katastro­ phe, da jede Konversation über Kunst bisher systematisch abgeblockt worden war. Zu aller Überraschung zeigte

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Gurdjieff jedoch enormes Interesse und wollte genau wis­ sen, wie dieses Tonsystem organisiert sei und welche ge­ nauen Proportionen die Töne zueinander haben. 295 Entgegen Gurdjieffs Anstrengungen, die Vorführung sei­ ner Tänze zu arrangieren, unternahm er keine Mühe, um die Musik öffentlich zu machen. Die Musik wurde immer nur in der intimen Atmosphäre eines kleinen Kreises sei­ ner Schüler, den Menschen, „die an sich arbeiteten", ge­ spielt, um ihre persönlichen Anstrengungen zu unterstüt­ zen und Gurdjieffs Ideen besser zu verstehen. Und es geht bei der Musik auch nicht darum, „religiöse Gefühle" zu wecken. De Hartmann sagte auf einer Amateuraufnahme seiner Musik in den Fünfzigern: „Es liegt auf der Hand, daß Musik eine Hauptrolle in den sogenannten religiösen Zu­ sammenkünften spielt, doch nach der Arbeit mit Gurdjieff muß ich sagen, daß Musik auch eine Rolle dabei spielt, sich besser konzentrieren zu lernen, um in einen anderen Bewußtseinszustand zu kommen, der Emanationen ande­ rer Art hat. Darum kann diese Musik helfen, die Wahrneh­ mung zu verändern." Durch Gurdjieffs Musik haben wir die Möglichkeit, eine In­ formation zu erhalten, die uns verändert, oft genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Reaktionen der Zuhörerinnen ver­ änderten sich wenig in den dreißig Jahren, seit ich diese Musik spiele. Es ist sehr erstaunlich, wie die Ebene der Aufmerksamkeit sich bei einer zufälligen Zuhörerschaft er­ höht. Die Zuhörerinnen bleiben viel stiller und konzentrier­ ter als bei anderen Konzerten, manchmal könnte man eine Nadel fallen hören! „Mein Herzschlag verlangsamt sich so­ fort nach dem Einsetzen der Musik", sagte mir einer der Zuhörer. Zwar spielen die Gefühle auch eine wichtige Rol­ le, doch die Aufmerksamkeit wird auf solche Weise ver­ stärkt, daß kein Platz für falsche Sentimentalität bleibt. Sehr häufig weckt diese Musik widersprüchliche Gefühle. Glücksgefühle, weil die Musik so schön ist, gleichzeitig bleibt eine Melancholie, ohne den Grund dafür zu kennen. Es

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entstehen intensive Gefühlsregungen, die manchmal schmerzhaft sind, und zugleich aber auch starke Gefühle der Liebe zu allem Leben, doch deshalb auch eine gewisse Traurigkeit. Es ist nichts Ungewöhnliches für diese Musik, gleichzeitig ganz verschiedene Gefühle zu wecken. Das kann bei einer anderen Musik auch geschehen, aber bei Gurd­ jieffs Musik geschieht es tatsächlich gleichzeitig.

Beispiele für das Gesetz der Drei und Sieben in der Musik von Gurdjieff und de Hartmann Auch wenn Musik nie auf Rationalität reduziert werden kann, kann uns eine einfache Formanalyse seiner Musik Beispie­ le vermitteln, in denen die „kosmischen Gesetze" der Drei und Sieben auf musikalische Art ausgedrückt werden. Um unser Verstehen der Musik zu verbessern, benötigen wir eine gewisse Disziplin des Zuhörens. Dazu gehört im er­ sten Schritt, daß wir den Kontext einer Musikkomposition definieren und im zweiten Schritt bis zur Grenze dessen zu gehen, was die intellektuelle Einsicht uns bringen kann. Sind wir an diese Grenze gelangt, müssen wir versuchen, uns vollständig für die mögliche emotionale Bedeutung und den Grund, warum diese Musik existiert, zu öffnen. Und die Quelle wirklicher Musik ist immer heilig! Die Interpretationen von zwei der Hymnen von Gurdjieff und de Hartmann, die ich hier gebe, sollen nur als ein Bei­ spiel dafür dienen, andere zu ermutigen, die Musik auf ihre Weise zu erforschen. Keine Interpretation kann die Musik ersetzen, sie stellt nur die vorübergehende Vision dar, die sich fortwährend verändert und durch neue An­ strengungen beim Zuhören, Analysieren und Spielen er­ neuert werden muß.

Beispiele für das Gesetz der Drei und Sieben in der Musik... 205

Hymn from a great Temple I Diese Komposition ist „antiphonal" bis zum Extrem, d.h. sie ist in einem reinen Ruf-Antwort-Format. Diese musika­ lische Praxis wird häufig in der klassischen Musik benutzt, doch nur auf eine verschleierte Weise. In ihrer geradlini­ gen Form wird sie nur in ethnischer und religiöser Musik praktiziert, sie ist z.B. immer noch in Neu-Guinea und afri­ kanischen Musiktraditionen lebendig. Eine andere Variati­ on kann in liturgischem Singen gehört werden. Dabei singt der Priester eine kurze Phrase, z.B. Kyrie Eleison, und die Gemeinde antwortet mit demselben Satz in einer leichten melodischen Modifikation. Der Grund für den extremen antiphonalen Charakter die­ ses Stückes muß darin liegen, daß wir es hier mit einer Repräsentation einer liturgischen Zeremonie für das Piano zu tun haben. Ich zweifle jedoch nicht daran - basierend auf der Notation, d.h. Länge, begrenzte Reichweite und die Abwesenheit langer Intervalle -, daß in dieser Kompo­ sition die insgesamt 6 „Rufe" von einer Gemeinde gesun­ gen wurden. Ich zweifle auch nicht daran, auch wenn ich es nicht beweisen kann, daß diese Musik das Ergebnis ei­ ner eindrucksvollen Anstrengung Gurdjieffs war, alle Klän­ ge einer besonderen Liturgie genauso weiterzugeben, wie er sie gehört hatte und sich daran erinnerte, einschließlich der nicht-musikalischen Geräusche wie das Murmeln der Gebete, der heiligen Gesten und den Hintergrundge­ räuschen. Der Antwort-Teil ist höchst charakteristisch für diese Hym­ ne. Sie basiert auf einem Sieben-Noten-Muster bei den tie­ fen Bässen, das auf die gleiche Weise im ganzen Stück siebenmal wiederholt wird. De Hartmann betonte, daß jede Note mit Kraft angeschlagen werden sollte. Daher wird die 'Antwort' nicht gesungen. Sie könnte ein bassiges Stakka­ to sein, das von einem oder ein paar wenigen Männern gesungen wurde, aber es ist wahrscheinlich eher der Klang

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eines ungewöhnlich schweren und großen Saiteninstru­ ments. Darüberhinaus werden an drei Stellen Noten aus der tiefsten Tastenregion angeschlagen, die überhaupt keine melodische oder rhyth­ mische Funktion ha­ ben. Diese sind wohl der Widerhall der litur­ gischen Klänge von drei unterschiedlich großen Objekten; Glocken oder massiven Gongs. Das musikalische Mu­ ster dieser Komposition illustriert meine graphi­ sche Darstellung. 264

Die Formel besteht aus drei Einheiten und sieben Takten:

Hymns of a Great Temple I, graphische Darstellung Diese Darstellung zeigt deutlich, daß die Zeremonie mit dem­ selben musikalischen Statement beginnt und endet. Dazwi­ schen gibt es sechs Rufe und sieben Antworten. Die sieben Antworten werden geteilt durch zwei höchst irreguläre

Beispiele für das Gesetz der Drei und Sieben in der Musik... 207

rhythmische Interventionen, die jedesmal die Rufe in der melodischen Tonleiter anheben. Zu diesem Stück könnte noch mehr gesagt werden, denn jede Note hat eine Funktion. Die vollständige Analogie zwi­ schen dem Gesetz der Sieben und der musikalischen Struk­ tur des Stückes ist zu offensichtlich, um sie auszuschlie­ ßen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Stück eine Zere­ monie darstellt, die durchgeführt wurde, um die spezifi­ schen Charakteristiken dieses Gesetzes im Leben der Ge­ meinde zu verankern.

Gebet und Verzweiflung „Gebet und Verzweiflung" 265 besteht aus einer kleinen me­ lodischen Formel, die das ganze Stück über wiederholt wird. Diese Form der Musik wird „iterativ" (Wiederholung be­ stimmter Sätze) genannt und wird gewöhnlich mit einfa­ cher oder traditioneller ethnischer Musik verbunden. Die Formel dieser Hymne ist jedoch nicht nur von außerge­ wöhnlicher Schönheit, sondern enthält auch ein mathe­ matisches Muster, in dem die Zahlen drei und sieben mit­ einander verwoben sind. Das Stück hat drei Einheiten, die über sieben Zähler geteilt sind, die erste Einheit wird wie­ derum in sieben kleinere Untereinheiten aufgeteilt. Die Komposition beginnt mit dem Ausdruck der Formel in ihrer reinen Form, gespielt im mittleren Bereich des In­ struments. Dann wird sie mehrfach im Baßbereich wieder­ holt und immer weitere Ausschmückungen werden hinzu­ gefügt. Dieser Prozeß wird dreimal wiederholt bis ein vollständig neuer melodischer Einfluß dazwischenkommt, nach dem das Stück mit dem letzten Statement der Formel endet. Die Formel und die Wiederholungen der linken Hand erge­ ben entsprechend die Zahlen 14, 7 und 8 und lassen auf diese Weise annehmen, daß die Formel selbst Teil eines

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größeren Zyklus von 7 ist. Die sieben Unterzählungen der ersten Einheit der Formel werden in sieben Zählungen der Formel erweitert und wiederum in sieben Wiederholungen der Formel (mit einer Acht als Ausnahme) erweitert. So sind drei Zyklen von sieben innerhalb jedes Zyklus enthal­ ten. Die Formel wird - in reiner oder ausgeschmückter Form 32mal wiederholt. Diese Kette von Wiederholungen wird an drei gut definierten Stellen aufgebrochen, wo die For­ mel sich in eine Baßlinie auflöst, um die Melodie aufrecht­ zuerhalten. Jedesmal, wenn die linke Hand die Formel aufnimmt, be­ ginnt eine höher plazierte Melodie; eine lange Linie ohne Pause, die nie abbricht, eine nicht-endende Melodie. Sie wird nur zeitweise dann still, wenn die Formel erneuert wird. Die Formel stellt das innere Gebet des Menschen dar. Sie klingt resigniert, verlassen und zurückgezogen zwischen allen Aufregungen. Sie muß immer wieder erneuert wer­ den, sie muß fortwährend sein. Die nichtendende Melodielinie klingt von weit weg, von ei­ ner anderen Welt, wo die Schöpfung sich immer weiter ausdehnt. Die Baßlinie steht für die Erde. Das erste Intervall tritt auf. Es ist bemerkenswert, daß Zuhörer sich nicht gewahr sind, daß etwas passiert, aber ihre Gefühle und Empfindungen bemerken den Unterschied. Die Basslinie setzt sich in ei­ nem scheinbar harmonischen Zustand fort, aber dann ... erreicht sie die erste länger gehaltene Note (Fermat). Die­ se Note klingt wie eine schwache Warnung, daß etwas ge­ schehen wird, daß die Spannung sich aufbaut, aber wir wissen noch nicht, was kommt. Diese Note ist das G. Ist es Zufall, daß der letzte „Warn-Gong" der ersten Tempelhymne ebenfalls ein G ist? Oder ist es ein Zufall, daß Mozart GMinor in der Tonleiter ausschließlich für seine höchst ver­ zweifelten Momente benutzt?

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Nein, ich denke nicht. Diese Note ist ein Symbol für den unvollendeten Zustand der Erde und das Leiden, das da­ durch verursacht wird. Die Verzweiflung kommt wie anrol­ lende Wellen, die das Haus erschüttern. Doch das Gebet im Menschen wird immer wieder erneuert. Dann, nach­ dem das Gebet zweimal wiederholt wurde, bricht eine himmlische Melodie durch wie ein Sonnenstrahl. Diese Zärt­ lichkeit durchdringt alles, doch der Baß klingt wieder dro­ hend, wie ein düsteres Echo, das G als eine Erinnerung, daß der Zustand der Erde nicht verändert werden kann. Was am meisten auffällt ist die innere Beziehung der drei Komponenten: Erde, inneres Gebet, Himmel. Nur das in­ nere Gebet ist fähig, die Harmonienote A zu erreichen, vorausgesetzt, daß dieses Gebet entsprechend dem fein­ gewobenen Muster von Drei und Sieben ausgeführt wird. Diese Gesetzmäßigkeit läßt ahnen, daß ohne das innere Gebet nicht nur die ganze Konstruktion zusammenfallen würde, sondern die Erdnote würde ebenso die Tonleiter vom G zurück zum D fallen. Das bedeutet hier die Note „der heilige Starke" unterhalb des tiefen Endes der Okta­ ve. Dieses Musikstück wird unvergeßlich in dem Moment, wenn wir erkennen, daß nur das innere Gebet der Menschheit die Schöpfung im Gleichgewicht erhält. Wer sich den mathematischen Aufbau des Stückes vor­ stellen kann und gleichzeitig offen bleibt für den emotio­ nalen Eindruck der Komposition, wird von einer solchen Ehrfurcht „überfallen", daß jeder Gedanke und jedes Wort aufhört.

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9. Der Kosmos tanzt „Rituelle Tänze dienen dazu, die menschliche Gemeinschaft in Übereinstimmung mit der rhythmischen Ordnung des Kosmos zu hatten." Schamanisches Wissen 50 Jahre nach Gurdjieffs Tod stellt sich für uns die Frage, was er außer seiner Lehre und Lebensphilosophie hinter­ lassen hat, das auch in unserer Zeit und in Zukunft für jeden spirituell Suchenden von Bedeutung ist. Das Kern­ stück seines praktischen Vermächtnisses sind über 200 „hei­ lige Tänze" - im saloppen Sprachgebrauch der Angelsach­ sen auch „Movements" genannt -, von denen jeder einzel­ ne ein in sich geschlossenes Ritual ist, das wie eine fraktale Mandelbrotmenge Gurdjieffs ganze Lehre enthält. Bis heute sind die Movements den meisten spirituellen Sucherinnen unbekannt, da sie hauptsächlich nur in kleinen Gruppen gelehrt wurden. Das ist bedauerlich, da Gurdjieffs Bücher, seine Musik und die Movements nicht nur der Ausdruck derselben Vision waren, sie ergänzen sich auch gegensei­ tig, da sie Intellekt, Herz und Bewegung repräsentieren dieses Zusammenspiel war sicherlich von Gurdjieff auch

212 Der Kosmos tanzt

so beabsichtigt. Wie wichtig diese Tänze für ihn waren, zeigt uns seine Antwort, als er einmal nach seinem „Beruf" gefragt wurde: „Ich bin Lehrer für Tempeltänze." James Moore in seiner Biographie über Gurdjieff: „Heute reprä­ sentieren seine Ensembletänze ... für viele Menschen das unbefleckte Herz des Werks von Gurdjieff - ein spirituelles Erbe von unschätzbarer Bedeutung." Im Laufe seiner Reisen im Nahen und Fernen Osten stellte Gurdjieff fest, daß die heiligen Tänze, die er dort erleben konnte, zu den wenigen verbleibenden Bedeutungsträgern gehören, die noch für die Erhaltung bedeutsamen Wissens und seine Überlieferung an nachfolgende Generationen verbleiben. Die Tänze erzählen eine Geschichte, einen My­ thos, der nur lebt, wenn er weitererzählt wird. Wir treten ein in die Ebene der Wirklichkeit. Wir sind die Geschichte, die erzählt wird, wir sind das lebendige Wesen des Tanzes, der von uns Besitz nimmt. Und doch sind wir nicht beses­ sen, sondern erleben eine unendliche Freiheit, die entsteht, wenn die Gruppe den Tanz lebendig, intensiv und so ge­ nau wie möglich erschafft. Wir spüren unsere eigene Frei­ heit in uns, denn wir erfahren, wie unser wirkliches Ich, unser Wille, die Möglichkeit erhält, sich in uns und durch uns auszudrücken. Die zentralasiatischen Tänze haben viele Jahrhunderte trotz aller kulturellen Veränderungen, Kriegen und Tyrannei, sow­ jetischen und westlichen Modernisierungen, überlebt. Sie werden heute noch in reichen, eleganten Kostümen ge­ tanzt und sind immer noch mit den alten Religionen und Königreichen und dem Nomadenleben der zentralasia­ tischen Völker verbunden. Die Tänze geben einen sinnli­ chen Eindruck in die faszinierende Mischung asiatischer Kul­ turen, die am Rande der sagenumwobenen „Seidenstrasse" seit Jahrhunderten auf alle Reisenden einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Gurdjieffs Tänze sind jedoch nicht einfach Überlieferungen oder Imitationen orientalischer Tänze. Wie James Moore in

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seiner Biographie anmerkt, hat man bisher keinen zeitge­ nössischen geographischen oder anthropologischen Bericht aus den asiatischen Regionen gefunden, in dem solche strukturierten Tänze beschrieben sind. Ich vermute, daß Gurdjieff in vielen traditionellen Tänzen, die heute noch in Tadschikistan, Usbekistan, der Mongolei und anderen Ge­ bieten Zentralasiens getanzt werden, die verborgenen Muster, Rhythmen und Formen erkannt hat. Denn rituelle Tänze wurden - angefangen bei schamanischen Stammes­ kulturen - in allen Kulturen zur Aufbewahrung eines geisti­ gen Wissens benutzt, das auf diese Weise tradiert werden konnte. Denn die Choreographien der Tänze gehen nicht leicht verloren, weil sie dazu einladen, an die nachfolgen­ den Generationen vermittelt zu werden. Es passiert heute sogar in alten Stammesgemeinschaften, z.B. im Amazonas­ gebiet, daß die Tänze nur überleben, weil sie für Touristen getanzt werden. Das gleiche geschah ja auch mit dem Mevlevi-Derwisch-Ritual in Konya (Türkei), das von Atatürk in den zwanziger Jahren verboten worden war. Auch sogenannte Volkstänze enthalten großes Wissen um kosmische Gesetze und ihre Strukturen. John G. Bennett erweckte während seiner Arbeit in Sherborne, Gloucestershire, die alten Morris-Tänze wieder zum Leben. Der Be­ griff „Morris" ist eine Abwandlung von „Mauren", d.h. ihr Ursprung liegt in Nordafrika und Spanien. Es sind Tänze voller Lebenslust, die nicht nur die Tänzer sondern auch die Zuschauer mitreißen. Die Freude, die von den Tänzen ausgeht, erfaßt jeden. Nach Gurdjieffs Vorstellung sicher­ lich „objektive Kunst". Die Verwendung traditioneller Formen, Bilder, Gesten, Rhythmen und Strukturen für die Entwicklung neuer Tän­ ze beruht auf Gurdjieffs „persönlichem Genius des Mei­ sters des Tanzes". Die heiligen Tänze dienten Gurdjieff wie seine Lehre und Bücher der direkten Vermittlung esoteri­ schen Wissens. Sie sind das zentrale Transportmittel oder die „Trägersubstanz" seiner Lehre. Sie helfen uns beim Be­

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streben, "immer mehr über die Gesetze der Welterschaffung und Welterhaltung" herauszufinden. Viele seiner Tänze sind rituelle Darstellungen dieser Gesetze, so daß der Tänzer an einem sich entfaltenden kosmischen Drama teilnehmen kann. Gurdjieff erklärte dies seinem Schüler Ouspensky: „In den genau festgelegten Bewegungen und Kombinatio­ nen der Tänzer werden bestimmte Gesetze veranschau­ licht, die von denen, die sie kennen, verstanden werden. Solche Tänze nennt man 'heilige Tänze'." 266 Warum nannte Gurdjieff die über 200 Tänze, die er inner­ halb von 30 Jahren entwickelt hat, auch "Heilige Gymna­ stik"? Die ursprüngliche Gymnastik der alten Griechen, die uns am Gymnasium meistens verleidet wurde, war eine Schule des Augenblicks. Ein Mensch, der den Augenblick zur klaren Tat blitzschnell erfaßt, lebt in der Geistesgegen­ wart. Es ist wirksame Intelligenz in hellwachen Sinnen, unmittelbares Wahrnehmen der Situation, der intensivier­ te Augenblick, der zeitlich nicht beschränkt ist. So war die ursprüngliche griechische Gymnastik die Kultivierung der Geistesgegenwart - kein Leistungssport. Jeder dieser besonderen Tänze ist zuerst eine Methode, die immer wieder Geistesgegenwart verlangt und nie zur Routine wird. Wenn man an den Tänzen teilnimmt, wer­ den alle unsere Fähigkeiten angesprochen: Körperliche Ko­ ordination, Verbindung der Motorik mit Körperempfindung, Gefühlserleben und das Lernen komplizierter Muster, die Reihenfolge von unterschiedlichen Bewegungen der Arme, des Kopfes und der Beine und Füße. Ebenfalls gefordert ist die Aufmerksamkeit für das Muster der Gruppe, die ge­ naue Einhaltung der Reihen und choreografische Abstim­ mung der einzelnen Teilnehmer. „Movements können nicht mit dem Denken gemacht wer­ den", sagt Bennett. „Sobald Sie anfangen, über das nach­ zudenken, was Sie tun, verlieren Sie zwangsläufig den Kon­ takt... Die Movements so zu üben... nämlich zu versuchen, die sensitive Aufmerksamkeit leer zu machen, damit ein

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relativ einfaches Muster auf den sensitiven Schirm proji­ ziert werden kann, ist außerordentlich wertvoll. Wenn man irgendetwas schnell lernen will, gibt es keine bessere Me­ thode." 267 Frau Solange Claustres, die bereits als junge Frau bei Gurdjieff war und dessen Tänze unter seiner Regie lehrte, beschreibt, wie sie die Tänze erlebt: „Der Körper selbst versteht die Movements auf seine eigene Weise. Wir müs­ sen eine neue Aufmerksamkeit entwickeln, die sich nicht durch all diese komplexen und asymmetrischen Muster verwirren läßt. Wir müssen unsere Gedanken auf bewußte Art benutzen, um die Chronologie des Tanzes zu visua­ lisieren oder die Worte auszusprechen, die zum Tanz ge­ hören. Wenn wir alles zusammen schaffen, werden wir von einer völlig neuen Vision berührt. Die Musik und die Grup­ pe als Ganzes wird vollkommen neu erlebt. In dieser Visi­ on erkennen wir, daß wir nur ein Teil einer objektiven Ar­ chitektur sind, die wir kaum ermessen können, aber die von unendlicher Schönheit ist. Wir werden Teil einer ob­ jektiven Form der Kunst, was praktisch bedeutet, daß wir dabei in einem Zustand sind, in dem wir die Gesetze des Bewußtseins erfahren können..." 268 Alle Tänze Gurdjieffs verlangen Ausdauer, absichtsvolle Ausführung, Aufmerksamkeit und Verstehen, Fähigkeiten die gleichzeitig durch die Tänze geschult und erweckt wer­ den. Wenn ich meinen Arm bewege, dann nicht automa­ tisch, sondern mit Absicht. Er soll genau in die vorgesehe­ ne Position. Wenn es anstrengend wird, schärfe ich meine Willenskraft, oder besser gesagt, ich erwecke die Stelle in mir, die eine kosmische Willenskraft durch mich manife­ stiert. Damit ich das Muster des Tanzes im Geiste behalte, brauche ich Aufmerksamkeit - und die Aufmerksamkeit kann die materielle Welt mit der Welt des Bewußtseins ver­ binden. Das Geheimnis ist, daß wir uns einstimmen in ein freies und schöpferisches Muster, das der Tanz verkörpert.

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Gurdjieff hatte tiefe Einblicke in die Dimension der schöp­ ferischen Intelligenz, mit der uns die Tänze in Berührung bringen. Es ist immer wieder spannend zu erleben, was jeder einzelne Tanz in uns auslöst. Wir kommen mit Kräf­ ten und Energien der geistigen Welt in Berührung. Wenn wir gelernt haben, mit diesen Energien zu arbeiten und sie in uns aufzunehmen, können wir damit unser seelisches Wachstum vorantreiben. Heilige Tänze sind immer eines der wesentlichen Werkzeuge der menschlichen Entfaltung gewesen, die in esoterischen Schulen gelehrt wurden. Das Lehren der heiligen Tänze erfolgt unmittelbar, vom Lehrer zum Schüler. Es gibt kein Lehrbuch, dies würde auch kaum von Nutzen sein, wenn man die Tänze zuvor nicht intensiv gelernt hat.

Gurdjieff hat bei seinen Forschungen noch etwas anderes entdeckt. Er erkannte, daß der Tanz der sichtbare Aus­ druck des kosmischen Tanzes der geistigen und physika­ lischen Kräfte ist. Der Tanz enthält und drückt eine Form des Wissens aus, das wir nicht mit dem gewöhnlichen

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Intellekt verstehen können. Wie für die mexikanischen Nahuas sind die von Gurdjieff entwickelten Tänze menschliche Aus­ drucksformen, um die Welt in Bewegung zu halten. Bei einigen der Derwischtänze bewegt sich ein Arm wie ein Schwert, ein anderer wie ein Schild. Dieses symbolisiert nicht nur den inneren Kampf mit den eigenen Schwächen, sondern auch die Fähigkeit, Geheimnisse zu lüften und das klare Wissen zu erlangen. Klares Denken hat mit Unter­ scheidung, dem Scheiden und Durchschneiden zu tun. Es ist immer eine neue Entscheidung, die Spreu vom Weizen zu trennen. Die eigentliche Arbeit der Transformation ge­ schieht durch die Stärkung der positiven Kräfte in uns, wir gestalten unser Wesen. Wir verändern unseren Standpunkt, unsere Wahrnehmung der Dinge. Doch nicht „wir tun" irgendetwas, sondern die schöpferische Intelligenz gestal­ tet sich selbst durch den Tanz. Viele der Tänze die Gurdjieff gebracht und entwickelt hat, sind rituelle Tänze. Ritus oder Ritual bedeutet Anordnung, Reihenfolge, d.h. der Ritus folgt einer bestimmten Ord­ nung, die wiederum die kosmische Ordnung widerspiegelt. Die regelmäßigen Abläufe in der Natur und im Universum werden in den rituellen Abläufen der Tänze dargestellt. Durch die Wiederholung eines Ereignisses erleben wirsei­ ne innere Gesetzmäßigkeit. Das Universum wird in der Phi­ losophie der Sufis - von denen möglicherweise einige von Gurdjieffs Tänzen stammen - jeden Augenblick neu erschaf­ fen. In jedem Moment kehrt die Zeit zum Ursprung zu­ rück. Ausdehnung und Zusammenziehung, Ausatmen und Einatmen sind Ausdruck dieser kontinuierlichen Schöpfung. Der Fluß der auf- und absteigenden Energien erfolgt in einem geordneten Muster, so daß wir nicht bemerken, daß sich alles in Bewegung befindet, wir aber die Wahrneh­ mung haben, alles bliebe gleich. Das Zeiterleben in den alten Märchen und Mythen weist auf das Verständnis von Zeit in den rituellen Kulturen hin, in denen die Zeit als ein Kreislauf erlebt wird und nicht wie

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in unserer heutigen Kultur als Zeitstrecke bzw. Zeitpfeil, der sich auf das Morgen und Übermorgen richtet. Das Zeit­ erlebnis als Kreislauf in den rituellen Kulturen beinhaltet immer wieder die Rückkehr zum Jahresursprung, also zum Zeitursprung an dem alles Werden beginnt. Das ist die Zone, in der die Zeit sich selbst erneuert, die "Traumzeit". Durch das Erzählen dieser alten „Träume" im rituellen Tanz er­ schaffen wir die Welt und ihr Geschehen immer wieder neu. Der Tanz wird so zur „goldenen Brücke" als Zugang zu der anderen Wirklichkeit, den Welten des Bewußtseins. „Gurdjieff war der Ansicht, der heilige Tanz sei vor Jahr­ tausenden vor allem eine Form der Kommunikation gewe­ sen, eine universale Sprache mit eigener Grammatik, ei­ genem Wortschatz oder eigener Semantik. Jeder Tanz war ein Buch, jede Schrittfolge oder jeder Rhythmus ein Satz, jede Geste oder Stellung ein Wort." 269 Ein Merkmal vieler Gurdjieff-Tänze sind exakte Körperhal­ tungen. Die meisten Armhaltungen haben genaue Winkel. Es ist sehr wichtig, daß alle Körperhaltungen exakt eingenom­ men werden, da der Energiefluß und darüber hinaus ihre Qualität und Bedeutung sonst nicht erfahren werden kön­ nen. Man kann das mit der Einstellung des Senders bei ei­ nem Radio- oder Fernsehgerät vergleichen. Hat man nicht die genaue Frequenz, wird der Sender nur mit Störgeräu­ schen oder überhaupt nicht empfangen. Die genauen Winkel haben auch eine tiefe esoterische Bedeutung. Bei den Frei­ maurern z.B. sind Winkelmaß und Zirkel die Werkzeuge des freien, schöpferischen Menschen. Sie offenbaren innere Ge­ setzmäßigkeiten und stehen für unsere Vernunft. Vernunft hat mit Vernehmen, Hören zu tun. Die mathematischen Grundlagen von Musik und Rhythmus in Verbindung mit flie­ ßenden Körperbewegungen bringen uns in direkten Kontakt mit dem Verstehen geistiger Muster. In einigen der Tänze stellen die Armhaltungen stilisierte Formen des arabischen Alphabets dar, ähnlich der reichhaltigen islamischen orna­ mentalen Kalligraphie. Wenn dieses alphabetische Muster im

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Fluß ist, erfahren wir innerlich die Bedeutung dieser mantrischen Sprache, wie z.B. Bismillah i Rahman i Rahim im Tanz mit dem Titel „Dreißig Gesten". Rahman drückt den Atem des Göttlichen Mitgefühls aus. Atem ist der ursprüngli­ che Akt der Liebe. Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß der Atem der Tänzerinnen sich beim Tanz auf natürliche Weise reguliert. Viele der Tänze basieren auf einem Dreivierteltakt. Das Ge­ setz der Drei ist für Gurdjieff eines der grundlegenden kos­ mischen Gesetze, das wir in vielen Lehren finden, denken wir nur an die indische Dreiheit von Brahma, Vishnu, Shiva oder die christliche Trinität. Physikalisch kennen wir die grundle­ gende Dreiheit im Atomkern. Die Dreiheit drückt immer ein dynamisches Prinzip aus. Im Dreier-Rhythmus nehmen wir Teil an der ursprünglichen Schöpfungsdynamik. Bei den mei­ sten Tänzen werden sechs Reihen gebildet, ein Hinweis auf das geometrische Sechseck, das bei den Hebräern durch zwei ineinanderverschlungene Dreiecke symbolisiert wird, die Ver­ bindung von Himmel und Erde. In Gurdjieffs Enneagramm wird die innere Bewegung durch ein unregelmäßiges Sechs­ eck veranschaulicht. Einige der Tänze lassen das Enneagramm in Bewegung erleben. Andere Tänze basieren auf dem Viervierteltakt. In fast allen Traditionen wird die Vierzahl mit der Mutter Erde, der mate­ riellen Welt in Verbindung gebracht. Die Vierheit steht auch für die vier Elemente und vier Himmelsrichtungen. Das Qua­ drat ist Form, Gestaltung. Im Kreuz versinnbildlicht die Vierheit die Verbindung zwischen der Horizontalen und Vertikalen, dem Leben und dem Geist. Drei plus Vier führt uns zum Gesetz der Sieben. Manche der Tänze werden in sieben Reihen ausgeführt, die das Gesetz der Sieben demonstrieren, das bei Gurdjieff außer dem Ge­ setz der Drei eines der wichtigsten „kosmischen Gesetze" ist, auch Oktavengesetz genannt. Manchmal werden sieben Rei­ hen mit einem Kanon von vier oder acht Abschnitten kombi­ niert. Kanon kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Rieht-

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schnür, Maßstab. Im Kanon, den abwechselnden Bewegungs­ folgen, erleben wir das Maß der kosmischen Zeit, die wieder zum Ursprung zurückkehrt. Es gibt Kanons, die in sich rück­ läufig sind, ähnlich wie einige Stücke in Johann Sebastian Bachs Musikalischem Opfer. Der mathematische Aufbau der Tänze hat eine große Be­ deutung für das eigene Erleben. Durch den Tanz, die Be­ wegung und den Rhythmus erleben wir auf eine direkte Art und Weise die Wirkung der inneren Gesetzmäßigkeiten der Bewußtseinsevolution. Es ist eine Schulung des „inne­ ren Verstehens". Die Triade Wissen-Sein-Verstehen, die im ganzen Werk Gurdjieffs durchscheint, wird in den Move­ ments zu konzentriertem dreihirnigen Erleben. Ein Beispiel für die „höhere Mathematik" eines Tanzes: Das Grundmuster des Tanzes mit dem Titel Nr. 27 basiert auf 2 und 3. 270 Bei den ungeraden Zahlen machen wir eine Kniebeuge. Gleichzeitig bewegen wir den rechten oder lin­ ken Arm in zwei Takten, aber mit drei Bewegungen (Arm hoch nach halbrechts oder halblinks, Arm gerade, Arm an die Körperseite). Ein Mathematiker, der sich mit mehr­ wertiger Logik beschäftigt, hat mir aufgezeigt, daß allein in diesen zwei Elementen das Gesetz der Sieben verbor­ gen ist, das vorwärts und rückwärts der Zahlenfolge ab­ läuft. Wenn ich die zwei Bewegungen der Beine und Arme mit Zahlen darstelle, erhalte ich folgendes Bild: Raum (für Arme): 1 - 2 - 1 - 2 - 1 - 2 / 1 - 2 - 1 - 2 - 1 - 2 / 1... Zeit (für Beine): 1 - 2 - 2 - 1 - 2 - 2 / 1 - 2 - 2 - 1 - 2 - 2 / 1... -----------------------------------------------------------------------------------zusammengefaßt: 1 - 2 - 3 - 4 - 3 - 2 / 1 - 2 - 3 - 4 - 3 - 2 / 1 Die 1 bedeutet in dieser Darstellung eine Bewegung, die 2 be­ deutet eine andere Bewegung, die 3 bedeutet zwei verschiede­ ne Bewegungen gleichzeitig und die 4 bedeutet zwei andere verschiedene Bewegungen gleichzeitig. 271 Somit erleben wir innerlich das Gesetz der Sieben in Form

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der aufsteigenden Reihe 1-2-3-4-3-2-/1 obwohl es nur 2x3 = 6 Bewegungen sind. Dasselbe System ist in diesem Movement gleichzeitig angewandt in einem Kanon, der in die­ sen Ablauf eingebaut ist. Jede der 6 Reihen der Tänzer macht in diesem kontinuierlichen Ablauf eine Bewegung, die aus diesem Grundmuster herausgeht. Ein Tänzer wird dabei im­ mer ausgelassen. Aus diesem Muster ergibt sich trotz 6 Rei­ hen ein Kanon aus 7. Man muß es machen oder sehen... Dieses Beispiel veranschaulicht, daß Gurdjieffs Tänze ein Wissen vermitteln, das mit bloßem Verstand kaum zu er­ fassen ist. Die Tänzerinnen erleben eine mathematische Struktur, die dem kosmischen Geschehen zugrundeliegt, die wir aber normalerweise nicht wahrnehmen. Es gibt auch eine Reihe von Tänzen, die Drehungen, also Kreise enthalten. Hier werden die kosmischen Drehbewe­ gungen und spiraligen Entwicklungen zum Ausdruck ge­ bracht. Und wie uns die neue Physik zeigt, sind geometri­ sche Formen als Kristallisationen des Lichts zu sehen. Wie Signalfeuer fließen die Lichtstrahlen geordnet durch den Raum, ihre Schnittpunkte und Strecken definieren die ver­ trauten geometrischen Figuren. Und die Strahlen werden durch den Tanz in Bewegung versetzt, so daß sich alle Fi­ guren, die sich bilden, in ewiger Wandlung befinden. Gurdjieff betonte immer wieder, daß er seine „Tempeltänze" dafür entworfen habe, damit wir die innere Bewegung der Dinge verstehen lernen, jenseits der theoretischen Aspek­ te, die ich erwähnt habe. Der kreative Ausdruck im Tanz erinnert uns an die kosmische Ordnung, die verborgen in allen Formen und Gestaltungen lebt. Der Tanz ist ein Me­ dium, um diese verborgene Form zum Leben zu erwecken - gleichzeitig hilft er uns, unsere bewußte und direkte Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit auszubilden, um diese Form in allem Lebendigen zu sehen. Die Tempeltänze helfen uns, eine Brücke zwischen dem irdischen Körper und der mit dem individuellen Willen ver­ bundenen Seele zu bauen. Mit Musik beginnt der Körper

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rhythmische Bewegungen, die Gefühle und Gedanken wer­ den bewegt. Daraus können Visionen entstehen, in denen sich das Wollen der Seele ausdrückt. Die rituellen Tänze lassen Gefühle in uns aufkommen, wie wir sie sonst nur in ganz besonderen, erhabenen Erfah­ rungen haben: im Mitgefühl mit einem anderen Menschen, in der Trauer, in der Liebe, der Dankbarkeit. Wir fühlen uns erhoben, heilig und ganz. Wir erleben geistige Haltungen, die wir sonst im Leben kaum kennen. Jedes Ritual ist eine Manifestation der geistigen Welt. Bei diesen Tänzen wird der Körper dafür benutzt, durch Ge­ sten und Bewegungen Ereignisse im Bereich des objekti­ ven Bewußtseins oder kosmische Gesetze auszudrücken. Dieses ist die Ebene der spirituellen Zeremonie. Eine Zere­ monie findet äußerlich in unserer„normalen" Welt und Zeit statt, doch der innere Ablauf bringt uns in direkten Kon­ takt mit der ewigen Quelle, durch die eine tiefe Erfahrung der Gnade möglich ist. Man wird sich gewahr, daß es ein Privileg ist, an einem der „Tempeltänze" teilzunehmen. Der spirituelle Aspekt der Tänze geschieht dann, wenn der Teil­ nehmer die Erfahrung der inneren Gelassenheit und De­ mut erlebt angesichts einer ehrfurchtgebietenden kosmi­ schen Kraft, die durch unseren Organismus geht. Ganz besonders ist diese Kraft zu erleben im „Großen Gebet", einem komplexen Bewegungsablauf von 140 Körperhal­ tungen. Wahrscheinlich stammt dieses Gebet aus der grie­ chisch-orthodoxen Esoterik. John G. Bennett beschreibt die­ ses Gebet in seinen vier Hauptteilen als Darstellungen der verschiedenen Stufen von Aufwachen, Tod und Wiederge­ burt, durch die ein Mensch in seiner inneren, seelischen Entwicklung gehen muß. 272 Das Szenario zu Gurdjieffs Ballett Der Kampf der Magier, das nie aufgeführt wurde, vermittelt uns ebenfalls ein Bild dieser Idee der spirituellen Zeremonie. Ouspensky schreibt: „Aus seinen Ausführungen entnahm ich, daß es sich hier­ bei nicht um ein Ballett im üblichen Sinne, sondern um

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eine Reihe dramatischer und mimischer Szenen handle, die durch eine gemeinsame Handlung, begleitet von Musik und unterbrochen durch Tänze und Gesänge zusammen­ gehalten werden. Die wichtigsten Szenen stellten die Schu­ len eines 'weißen' und eines 'schwarzen' Magiers dar, mit Übungen der Schüler beider Schulen und einem Kampf zwischen den beiden Schulen. Die Handlung sollte auf dem Hintergrund des Lebens einer östlichen Stadt spielen und war mit heiligen Tänzen, Derwisch- und zahllosen nationa­ len östlichen Tänzen durchwoben und mit einer Liebesge­ schichte, die wiederum allegorische Bedeutung hatte. Be­ sonders fesselte mich die Tatsache, daß, wie G. erklärte, die gleichen Tänzer in der Weißmagier-Szene spielen und tanzen müßten und daß sie selbst und ihre Bewegungen im ersten Falle anziehend und schön und im zweiten häß­ lich und abstoßend sein müßten." Gurdjieff betonte bei die­ sem Gespräch: „Sie verstehen, daß auf diese Weise die Teilnehmer alle Seiten von sich selbst sehen und kennen lernen. Infolgedessen ist das Ballett von ungeheurer Be­ deutung zum Selbst-Studium..." 273 In der Schlußszene schwebte aus dem Thron des Weißen Magiers das Ennea­ gramm strahlend im Licht in die Höhe, und entsprechend der Dynamik seines inneren Sechsecks bewegten sich die sechs Reihen der Tänzer ineinander. „In beunruhigendem Gegensatz dazu standen die Tänze der Schüler des Schwar­ zen Magiers, die mit zuckenden Bewegungen, sich gegen­ seitig anfeindend und verspottend, herumhüpften." 274 Au­ ßer der einzigartigen musikalischen Schöpfung, die sich von der bekannten „Gurdjieff-Musik" in ihrer Art etwas un­ terscheidet und von der nur einige wenige Partituren er­ halten sind, 275 enthält das Szenario Tänze, die uns als ein­ zelne erhalten sind. Leider gibt es keine gesicherte Über­ lieferung, welche der bekannten Tänze für das Ballett vor­ gesehen waren. Man kann hier nur Vermutungen anstel­ len. Wim van Dullemen sagt, daß Gurdjieffs „Heilige Tänze"

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ursprünglich die Einteilung in esoterische, mesoterische und exoterische Kategorien hatten. Nach seinen eigenen For­ schungen jedoch unterscheidet er lieber in die „älteren" (1917-1924) und die „jüngeren" (1940-1949). So gehö­ ren z.B. die 12 „Obligatories" („Pflichtübungen") zu den „älteren" und die „39-Serie" zu den „jüngeren". 276 Viele der Tänze haben keine Titel, sondern nur Nummern, die irritierend sein können, denn es gibt auch „amerikanische", „englische" und „französische" Zählungen, die sich von den anderen Zählungen unterscheiden.... Die erste Serie der Movements wurde zwischen 1922 und 1924 von Gurdjieff in Zusammenarbeit mit der Choreo­ graphin Jessmin Howarth in den Studios des Dalcroze-Instituts in Paris und der Prieuré an fünf bis sechs Stunden täglich erarbeitet. Dushka Howarth, ihre Tochter, ergänzte diese Information: „Diese Movements haben eine beson­ dere Dimension, da sie die einzigen sind, für die Gurdjieff selbst die Musik komponiert hat. Er arbeitete viele Stun­ den daran, die besonderen orientalischen Melodien mit ih­ ren subtilen Harmonien und Rhythmen zu entwerfen, so daß sie genau zu jeder Geste und Bewegung paßten." 277 Dushka Howarth war dabei, als Gurdjieff die neuen Move­ ments in den vierziger Jahren entwarf. Gurdjieff arbeitete täglich ein bis zwei Stunden mit seinen Schülern an den Tänzen. Meistens wurde die Musik nur improvisiert, Auf­ zeichnungen der Choreographien waren nicht erlaubt. Am meisten Arbeit investierte er in eine Reihe von Movements, die heute als die 39er-Serie bekannt ist. Diese Choreogra­ phien entsprachen weitgehendst seinen Vorstellungen. Kurz vor seinem Tod gab er Jeanne de Salzmann den Auftrag, Thomas de Hartmann zu bitten, die Musik für diese Serie zu komponieren. Erst nach Gurdjieffs Tod 1949 begann de Hartmann mit seinen Kompositionen, die allerdings nicht ganz den „Flair" der alten Movements haben. Dennoch bil­ den die Musik und die Choreographien der Tänze der 39erSerie ein außerordentliches und geniales Gesamtkunstwerk,

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durch das der Genius des Meisters hindurchscheint. Es gibt verschiedene Arten von Tänzen, die ich in folgende (mög­ licherweise nicht vollständige) Kategorien unterteile:

Tanz als Gebet, Meditation oder „Erinnerung": Viele der rituellen Tänze sind Konfigurationstänze mit einem kom­ plexen Gestaltungsaufbau, der uns das Zusammenwirken unterschiedlicher geistiger Kräfte verstehen läßt, z.B. das First Derwish Prayer, in dem zwei Frauengruppen und eine Männergruppe unterschiedliche Bewegungsformen tanzen, oder das Women's Prayer, bei dem der Wechsel der For­ men nach dem inneren Sechseck des Enneagramms ge­ schieht, oder The Great Prayer, das den inneren Trans­ formationsprozeß von Geborenwerden, Sterben und im Geist neugeboren werden erlebbar macht. Rituelle Tänze und Kanons: Durch das Alphabet der Gesten wecken wir die Kraft des Willens in uns, durch ei­ nen Kanon lassen sie uns den immerwährenden Kreislauf der Zeit erleben und bringen uns mit der geistigen Welt in Berührung, mit dem Ganzheitlichen, Heiligen. Rituelle Frauentänze und Tempeltänze, die in ihrer Feinheit und „Eleganz" beinahe nur von Frauen getanzt werden können, wie z.B. The Sacred Goose, Assyrian Woman Mourners (assyrische Trauerfrauen) oder weibli­ che „Tempeltänze". Man kann sagen, daß sie die „weibli­ che" Seite des kosmischen Geschehens ausdrücken, die tiefe Verbundenheit mit dem Leben und der Natur. Derwischtänze, die kraftvoll und dynamisch sind, die Chiffren des „heiligen Krieges", Dschihad, - des inneren Kampfes - darstellen; Enneagrammtänze und „Multiplikationen", welche die Bewegung des „Gesetzes der Siebenfältigkeit" und/oder des Enneagramms veranschaulichen und erleben lassen. Obligatories - „Pflichttänze", die alle Elemente der ande­ ren Tänze in einfacher Form enthalten.

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Gurdjieff komponierte rund 40 Musikstücke zu den Tän­ zen, weitere 20 werden ihm zugeschrieben, Thomas de Hartmann komponierte allein weitere 40, unter Benutzung von Material aus seiner Zusammenarbeit mit Gurdjieff. Es gibt aber insgesamt mehr Movements als Musik. Die rest­ lichen Kompositionen wurden von anderen Musikern ge­ macht, von denen einige bislang unbekannt sind. Aber auch diese wurden im Stil und der Tradition der Musik für die Tänze komponiert. Manchmal gibt es mehrere unterschied­ liche Versionen zum gleichen Tanz. Jeder Tanz ist ein Ereignis. Es kommt sehr auf die innere Arbeit der Gruppe an, damit der Tanz lebendig wird. Und je genauer die Teilnehmer arbeiten, umso genauer wird das äußere und insbesondere das innere Ergebnis. Frau Claustres sagt: „Die Tänze verlangen vollständige Präzisi­ on und sind eine Disziplin und auf diese Weise sehr ähnlich den echten östlichen Kampfsportarten. Die Körperhaltung sollte ganz genau sein. Sogar die leichteste Abweichung, ein leicht gebeugter Kopf, eine ungenaue Armhaltung, ver­ ändert nicht nur die Wirkung dessen, was man sieht. Es verändert etwas viel Wichtigeres. Es verändert das Ge­ fühl, das die Person in sich erfährt." 278 Doch die Arbeit mit Gurdjieffs rituellen Tänzen allein, ohne weitere bewußte innere Arbeit, reicht nicht aus, um ein starkes, energiereiches Bewußtseinsfeld in einer Gruppe aufzubauen. Denn die Beherrschung der Choreographie allein führt zu keiner Bewußtseinserweiterung. Entschei­ dend ist vielmehr die innere Qualität der Ausführung! Im Sinne von Gurdjieffs „Viertem Weg" müssen wir gleichzei­ tig an allen Seiten unserer Entwicklung arbeiten, um diese Qualität zu erreichen. Dann können diese Tänze ein be­ deutendes Übungsfeld für die harmonische Entwicklung bieten. Werden die Tänze ohne entsprechende zusätzliche Bewußtseinsschulung ausgeführt, vertrocknen sie zur „Tanz­ gymnastik" ohne innere Bedeutung und Wirkung.

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Als Solange Claustres mit Gurdjieff darüber sprach, daß sie tief von seinen Tänzen berührt worden sei, sagte er einfach: „Ja, sie sind eine Medizin."

Kreativität Durch die rituellen Tänze verbinden wir uns mit dem Feld des Bewußtseins und werden offen für die ewigen unper­ sönlichen Muster, die aus der zeitlosen kreativen Welt in unser Bewußtsein gelangen. Das Feld des Bewußtseins ist das Bindeglied zwischen der Welt der Kreativität und der Welt des Lebens. Der Ausdruck dieser Kreativität in Form von Tanz, Musik, bildender Kunst oder anderen künstlerischen Gestaltun­ gen ist eine Übersetzung in unsere alltägliche Wirklichkeit. Wenn diese Formen aus der kreativen Welt Gestalt gewin­ nen, können sie die Menschen, die damit in Kontakt kom­ men, wiederum mit der kreativen Welt verbinden, sich rückerinnern. Insofern ist Tanz ein in sich geschlossenes Ritual, eine religiöse Handlung und „objektive Kunst". Jede kreative Gestaltung die von dieser Ebene der inneren Welt kommt, hat die Kraft der Rückbindung. Sie verbindet uns mit der wirklichen Welt, in der zeitlos immer neue Dinge erschaffen werden. Diese Rückkoppelung ist keine Einbahnstraße. Jede krea­ tive Schöpfung, die wir hervorbringen, hat wiederum Ein­ fluß auf die kreative Schöpfung der anderen Welt... Unentwegt gestaltet die kosmische Kreativität das ener­ getische Urchaos der Materie neu und läßt immer neue Formen entstehen.

10. Zweihundert bewußte Menschen könnten die Welt verändern... „Wie oft bin ich schon gefragt worden, ohb Kriege verhtin dert werden können. Gewiß können sie dies. Dazu ist es nur notwendig, daß die Menschen aufwachen. " 279 Die Frage des Krieges und der Gerechtigkeit beschäftigte Gurdjieff in großem Maße. In seinem „Beelzebub" behan­ delte er diese Themen ausführlich. Auch in Ouspenskys Auf der Suche nach dem Wunderbaren spricht er mehr­ fach über diese Probleme. Zentraler Punkt seiner Aussage ist, daß es das „Böse" für den „subjektiven Menschen über­ haupt nicht gibt, sondern daß es nur verschiedene Auffas­ sungen vom Guten gibt. Niemand tut je absichtlich etwas im Interesse des Bösen oder um des Bösen willen. Jeder handelt immer im Interesse des Guten, wie er es versteht. Aber jeder versteht es auf eine andere Weise. Infolgedes­ sen ertränken, schlachten und töten die Menschen einan­ der im Interesse des Guten. Der Grund ist wieder genau der gleiche, die menschliche Unwissenheit und der tiefe Schlaf, in dem sie leben." 280 Gurdjieff zog es vor, von einer „objektiven Moral" zu spre­ chen, einer Moral, die auf dem individuellen Gewissen ba­ siert und nicht auf irgendeiner sozialen Definition von Gut und Böse. In diesem Sinne könnte das „Böse" als ein Be­ griff erwogen werden, der für alles steht, das der Mensch­ lichkeit entgegen steht, also alles, das der Natur und dem Mitmenschen Schaden zufügt. 281 Gewissen ist in Gurdjieffs Augen frei von relativen gesell­ schaftlichen Wertvorstellungen, es ist der Impuls des kos­ mischen Willens im Menschen und hat mit dem Streben nach Selbstvervollkommnung zu tun. „Gewissen ist ein

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Zustand, in dem der Mensch alles auf einmal fühlt, was er generell fühlt oder fühlen kann." 282 Gewissen entspricht in der Gefühlswelt dem Bewußtsein in der Gedankenwelt. „Da wir kein Bewußtsein haben, haben wir auch kein Gewis­ sen." „Das Gewissen kann man nicht zerstören, aber ein­ schläfern, das heißt, der Mensch kann ein Gefühl seines Selbst vom anderen durch unüberschreitbare Schranken trennen, sie nie zusammen sehen, nie ihre Unvereinbar­ keit, ihre Absurdität spüren... Aber glücklicherweise für den Menschen, das heißt für seinen Frieden und seinen Schlaf, ist dieser Zustand des Gewissens selten. Schon von frühe­ ster Kindheit an wachsen und verstärken sich die 'Puffer' in ihm und nehmen ihm die Möglichkeit, seine inneren Wi­ dersprüche zu sehen." 283 Darum gibt es für den Menschen überhaupt keine Gefahr, plötzlich aufzuwachen. Erwachen ist nur für die möglich, die aufwachen wollen, die bereit sind, daran zu arbeiten. Ich habe an anderer Stelle „Gewissen" mit der Idee der „Selbsterinnerung" in Verbindung gebracht. Dieser Zusam­ menhang ist meiner Ansicht nach durchaus von Gurdjieff so gedacht: „Erst wenn ein Mensch beginnt, sich seiner selbst zu erinnern, wacht er wirklich auf... Er sieht, daß dies das Leben schlafender Menschen, ein Leben im Schla­ fe ist." Die harmonische Entwicklung zielt ja darauf hin, daß das Gewissen und das Bewußtsein im Menschen Zu­ sammenwirken. Der Zustand der „Selbsterinnerung" wäre dann genau dies: Alles auf einmal zusammen zu fühlen und alles auf einmal zusammen zu sehen und zu verste­ hen. 284 Wenn wir diesen Bewußtseinszustand als grundle­ gend für den erwachten Menschen anerkennen, können wir leicht einsehen, daß sich der durchschnittliche Mensch tatsächlich in einem Schlafzustand und inneren Widersprü­ chen befindet, die einer Entwicklung des menschlichen Seins entgegengesetzt sind. In Beelzebubs Erzählungen verdeutlicht Gurdjieff sein Ver­ ständnis, warum es zu Kriegen, Verfolgung und Gemetzel

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unter den Menschen kommt. Die erste Ursache ist und bleibt, daß schlafende Menschen aufgrund ihrer Beeinflußbarkeit ge­ genseitig aufgehetzt und von den jeweiligen Vorstellungen der Regierenden oder Machthabern funktionalisiert werden können. Die zweite Ursache ist, daß es in der„allkosmischenharmonischen-Bewegung" immer wieder zu Ungleich­ mäßigkeiten und daher zu „Spannungen zwischen den Pla­ neten" kommt. Diese Idee ist vergleichbar mit dem Einfluß der Sonneneruptionen auf die Erdatmosphäre. Gurdjieff be­ zeichnet diese Ursache als kosmisches Gesetz Soliunensius. Bei den Menschen entsteht in diesen Situationen „ohne ihren Willen und ihre bewußte Absicht... ein Seins-Gefühl, das sich zeitweise in dem Begehren und Streben nach ... beschleu­ nigter Selbst-Vervollkommnung im Sinne objektiver Vernunft äußert..." 285 Durch die Konsequenzen des Organ Kundabuffers und der anormalen Seinsverhältnisse bewirkt Soliunensius bei den meisten Menschen jedoch nicht den „Drang nach Frei­ heit", sondern führt im Gegenteil zu psychologischen Wir­ kungen, die sich dann zu Massensuggestion, Revolution und Krieg ausweiten können. „Einzig weil die Gegebenheiten für den heiligen Impuls des 'Seinsgewissens' nicht am Funktio­ nieren eben jenes Bewußtseins teilnehmen, nimmt die Wir­ kung des Gesetzes 'Soliunensius', wie auch anderer kosmi­ scher Gesetze, solch anormale und für sie selbst bedauerns­ werte Formen an." 286 Die Lösung des Problems liegt für Gurdjieff eindeutig in der Arbeit am Bewußtsein. Da jedoch nicht viele Menschen bereit sind, bewußte Anstrengungen zu machen und die damit verbundenen Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, die Gurdjieff „absichtliches Leiden" nennt, besteht seiner Ansicht nach die einzige Möglichkeit zur Heilung oder Ver­ minderung der Spannungen darin, daß eine größere Zahl bewußter Menschen Einfluß auf das Feld des Bewußtseins nimmt, um dadurch diese Unregelmäßigkeiten auszuglei­ chen, die Menschen und Nationen zu absonderlichen Kriegs­ handlungen und Greueltaten veranlassen.

232 Zweihundert bewußte Menschen können die Welt verändern...

Gibt es diese erwachten, bewußten Menschen die Einfluß auf die Geschicke der Menschheit nehmen können? Gurdjieff erklärt, daß wir Menschen zwei Arten von Einflüssen un­ terliegen: „Die erste Art von Einfluß wird im Leben selbst oder durch das Leben geschaffen. Die Einflüsse von Rasse, Nation, Land, Klima, Familie, Erziehung, Gesellschaft, Be­ ruf, Sitten und Gebräuchen, Vermögen, Armut, Zeitgeist und so fort. Die zweite Art sind Einflüsse, die außerhalb des Lebens geschaffen werden, Einflüsse des inneren Krei­ ses oder esoterische Einflüsse... Diese Einflüsse unterschei­ den sich dadurch, daß sie in ihrem Ursprung bewußt sind, d.h. sie sind bewußt von bewußten Menschen für einen bestimmten Zweck geschaffen worden.... Sie kommen für einen bestimmten Zweck ins Leben, vermischen sich aber dann mit den Einflüssen der ersten Art." 287 Es ist sehr schwierig, diese Einflüsse zu unterscheiden. Wenn ein Mensch aber den Kontakt mit einer bewußten Quelle sucht, ist es sehr wichtig, den Unterschied zu er­ kennen. John G. Bennett hat deshalb in seinem Buch Die Meister der Weisheit in einem großen geschichtlichen Über­ blick herausgearbeitet, wie intelligente und bewußte Grup­ pen und Menschen Einfluß auf die Geschichte nehmen kön­ nen. Die Geschichte der Hadschegan, die „Meister der Weis­ heit", die vom 11.-16. Jhdt. wirkten, ist ein erhellendes Beispiel für seine Hypothese. 288 Eine Hilfe war für ihn da­ bei, daß er Hasan Shushud kennenlernte, der in der Tradi­ tion der Meister stand. Auch Gurdjieff hatte offenbar di­ rekten Kontakt mit Lehrern dieser Schule. Wahrscheinlich meint Gurdjieff die „Meister der Weisheit", wenn er in Beelzebubs Erzählungen von einer Gesellschaft Achaldan spricht. Die Wurzel dieses Wortes ist HLK, das auch in Helkdonis, der dritten Seinsnahrung vorkommt. „In Atlantis war die bewußte Einverleibung dieser Nahrung eine sehr angesehene Aufgabe. Sie wurde Hilfe für Gott genannt." 289 Die Meister (Hadschegan) waren berühmt für ihre strikte Disziplin in Atemkontrolle und Fasten, beides

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Methoden, die sehr wirksam für die seelische Transfor­ mation sind. „Bewußtes Atmen wurde als die grundlegen­ de Technik für die Selbstentwicklung gesehen. Das Raschahatsaqt, die Bedeutung von hosh dar dam [Atem­ kontrolle] sei die, daß das Atmen die Ernährung des inne­ ren Menschen darstelle. Während wir atmen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf jeden der aufeinanderfolgen­ den Atemzüge richten und uns der eigenen Gegenwart gewahr werden." 290 Die Meister hatten durch ihre spirituelle Arbeit und Diszi­ plin starke innere Kräfte erworben, sie hatten dadurch gro­ ßen gesellschaftlichen Einfluß über ihre kleinere, engere Schülerschaft hinaus. Obwohl sie in einen alltäglichen Ar­ beitsprozeß eingebunden waren, meist als Handwerker, Händler oder Lehrer lebten, waren sie durch ihre innere Kraft und ihren Einfluß in der Lage, nach der großen Zer­ störung der Städte durch Dschingis Khan, nicht nur den Aufbau der Städte wieder in Gang zu bringen, sondern auch die Zuversicht des Volks zu stärken. Im Jahre 1221 hatte Dschingis Khan halb Asien von China bis zum Kaspischen Meer erobert. Bevor er weitere Eroberungen plante, ließ er sich von einem Schamanen beraten. „Die Mongolen sahen die Schamanen sowohl als Mittler zu den Geistermächten wie auch als Magier an, welche die Zukunft Vorhersagen und sogar den Gang der Ereignisse beeinflussen konnten. Dschingis Khan blieb seinem eigenen Lehrer, dem Scha­ manen Kökötschü, ergeben und war bereit, die heiligen Männer des Islams als gleichermaßen begabt und ehrwür­ dig anzuerkennen. Dies erklärt die Neigung der Mongolen, sich eher den Hadschegan zuzuwenden, die beim Volk in dem Ruf standen, geistige Kräfte zu besitzen, als der or­ thodoxen Priesterschaft, die mit der herrschenden Dyna­ stie verbunden war." 291 Von da an übten die „Meister" für 200 Jahre einen großen Einfluß in Mittelasien aus. Viele gingen nach Buchara, das ihr Zentrum sein sollte. Dschingis Khan und seine Nachfolger arbeiteten sowohl mit ihren

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Schamanen als mit den Hadschegan eng zusammen, ins­ besondere da Dschingis Khan die Vision hatte, das Wan­ derleben der Nomaden mit der hochintellektuellen städti­ schen Kultur zu verbinden. Auch in Europa gab es einen geistigen Einfluß aus bewuß­ ten Quellen, die von großer Bedeutung für die Entwick­ lung der Gesellschaften waren. Denken wir nur an die Ar­ beit der Erbauer der gotischen Kathedralen in Europa, ins­ besondere im Frankreich des 12. Jahrhunderts. Innerhalb von 100 Jahren wurden über 150 Kathedralen gebaut, in deren Bauweise und Skulpturen das ganze esoterische Wis­ sen verschlüsselt wurde. „Gegen Ende des 11. Jahrhun­ derts, mit Sicherheit später als der persisch-arabische Kulturkreis, entdeckte Cluny den Spitzbogen und seine physiologische Wirkung auf den Menschen... Sicher ist, daß der Spitzbogen auf den Menschen wirkt. Unter dem Spitz­ bogen richtet sich der Mensch auf: er errichtet sich. Ein historisches Ereignis! Denn als der Spitzbogen auftaucht, erwacht der Mensch zum Bewußtsein seiner Individuali­ tät; vorher lebte er nach Art eines Knechts, abhängig von Herrschern, die ihn führten... Noch bedeutsamer ist dies in religiöser Hinsicht; denn durch eine aufrechte Wirbel­ säule stellt sich der Mensch so zwischen Himmel und Erde, daß er im Einflußbereich von beiden Wirkungen steht." 292 Dieser Effekt ist übrigens körperlich direkt erfahrbar, wenn Sie durch das Hauptportal der Kathedrale von Chartres hineingehen, das berühmte Labyrinth durchschreiten und schließlich ins Zentrum der Kathedrale kommen. Als ich diesen Weg ging, konnte ich deutlich spüren, wie unsicht­ bare Kräfte mich aufrichteten. Am Altar, wo der Priester steht, ist die Wirkung am größten. Die Baumeister wußten um die Wirkung der Architektur auf den Menschen. Sie konnten ihre Botschaft zur damaligen Zeit nicht direkt ver­ mitteln, sie fanden einen „schlauen Weg." Die ersten Freimaurer, die aus dieser Bauhüttentradition hervorgegangen sind, verkündeten schließlich offen Ideen

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wie Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte, die heute nach über zweihundert Jahren langsam immer mehr Menschen auf unserem Planeten ergreifen. Der Prozeß ist noch kei­ neswegs abgeschlossen. Viele andere Einflüsse aus klei­ nen „esoterischen" Kreisen haben unser Denken und Han­ deln beeinflußt. Deshalb betonte John G. Bennett immer wieder, daß nicht „Organisationen die Welt verändern, son­ dern Ideen." Genau davon spricht Gurdjieff: „Stellen Sie sich vor, daß es zwei oder drei Menschen gibt, die inmitten einer Menge schla­ fender Leute wach sind. Sicherlich werden sie einander er­ kennen. Aber jene, die schlafen, können sie nicht erkennen. Wie viele sind es? Wir wissen es nicht und können es nicht wissen, bevor wir nicht werden wie sie. Es wurde schon frü­ her ganz klar gesagt, daß jeder Mensch nur auf seiner eige­ nen Seinsstufe sehen kann. No&r zweihundert bewußte Men­ schen, wenn sie existierten und es für notwendig und ge­ rechtfertigt hielten, könnten das ganze Leben auf der Erde verwandeln." 293 Ich denke, daß die Zahl 200 keine „esoteri­ sche" Bedeutung hat, sondern vielmehr als Metapher für im Verhältnis zur Weltbevölkerung - relativ kleine Zahl von bewußten Menschen steht. Dennoch: zweihundert wirklich bewußte Menschen zu finden, d.h. Menschen, die ihr wahres Selbst verwirklicht haben, wird auch heute kaum möglich sein.... In seinem zweiten Buch Begegnungen mit bemerkenswer­ ten Menschen erwähnt er eine Sarman-Bruderschaft, in deren Kloster er die heiligen Tänze gelernt hat 294 . Sarman hat mehrere Bedeutungen: der Begriff kann als „Bienen" übersetzt werden, die ihren Nektar aus vielen Blüten ge­ winnen; Sar steht auch für Kopf, Führer. Der Begriff könn­ te möglicherweise ein Hinweis auf Saman sein, von dem das Wort Schamane abgeleitet ist. Das tungusische Sa be­ deutet „Wissen". Eine Verbindung zum Schamanismus ist nicht unwahrscheinlich. Auf seinen Reisen in die innere Mon­ golei und nach Tibet hat Gurdjieff zweifellos mit alten Scha­

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manen Kontakt gehabt, da die dort lebenden Gemeinschaf­ ten und Völker Ende des letzten Jahrhunderts immer noch schamanische Gemeinschaften waren. Viele Elemente in Gurdjieffs Lehre haben meiner Ansicht nach deutliche schamanische Ursprünge. Wenn er sich auf „abgelegene Klöster" im Hindukusch bezieht, bedeutet das nicht, daß es diese tatsächlich gegeben hat. Das Wort „Klo­ ster" kann durchaus eine Metapher sein. Allerdings muß er auf Quellen gestoßen sein, die außergewöhnliche rituel­ le Tänze entwickelt hatten, die in der Lage sind, den Men­ schen auf eine andere Ebene seines Bewußtseins zu he­ ben. John G. Bennett bringt auch den Schamanismus ins Spiel: „Unter den Meistern hatte Hodscha Ahmed Yesevi mit Sicherheit Kontakte zum Schamanentum und erhielt dort einen Großteil seines Wissens um den heiligen Tanz. Die Schamanen zur Zeit Dschingis Khans praktizierten und lehrten den heiligen Tanz, wenngleich in einer mehr spon­ tanen Form als die Yesevis." 295 Das gilt auch für viele Tän­ ze, die als „Volkstänze" bezeichnet werden, d.h. Tänze, die in traditionellen Gemeinschaften gepflegt wurden. Diese Tänze wurden viel eher in schamanisch geprägten Gemein­ schaften und Volksgruppen getanzt als in „Klöstern". Auch die „tibetischen Maskentänze" die Gurdjieff gelehrt hat, stammen zwar aus dem Umfeld des tibetischen Buddhis­ mus, wurzeln jedoch nicht im tibetischen Buddhismus, sondern in seinem schamanischen Vorläufer, der Bön-Kultur. Die Spekulation über die Herkunft der heiligen Tänze, die Gurdjieff gebracht und weiterentwickelt hat, ist jedoch nicht von Bedeutung. Wichtiger ist vielmehr, daß sie aus einer bewußten Quelle stammen und eine bedeutsame Form der Vermittlung geistigen Wissens sind. Die von Gurdjieff selbst ausgebildete Tanzlehrerin Solange Claustres macht deut­ lich, daß „in diesen Movements und Tänzen das Gesetz der Evolution des menschlichen Bewußtseins angelegt ist." 296 Je mehr innere wie äußere Qualität die Ausführung eines

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Tanzes gewinnt, desto intensiver wirkt die Energie des Be­ wußtseins der Tänzer gestaltend auf die Qualität des Bewußtseinsfelds der Erde ein. Der Radius einer kleinen aber genauen und bewußten Aktivität hat Auswirkungen auf das Ganze. „Positive Gedanken" allein reichen nicht aus. Wenn ich Gurdjieff richtig verstehe, bedarf es großer Anstrengungen im Sinne bewußter Arbeit, um ein starkes, energiereiches Bewußtseinsfeld in einer Gruppe aufzubau­ en. Das gilt natürlich auch für die Ausführung der Tänze, denn die Beherrschung der Choreographie allein führt zu keiner Bewußtseinserweiterung. Entscheidend ist vielmehr die innere Qualität der Ausführung! Die Qualität einer individuellen inneren Erfahrung ist nicht zu unterschätzen. Anthony Blake bringt ein Beispiel: „Es gibt tiefere und oberflächlichere Erfahrungen; unsere ei­ gene Erfahrung vermischt sich mit der des Volkes, dessen Geschichte wir studieren. Ohne Erfahrungen ist Geschich­ te ein Schattenspiel... Sicherlich ist es von Bedeutung, was Männer und Frauen durchmachen, denn dies ist das Medi­ um, worin das Geschehen entsteht! Wir müssen in den Bereich der Werte e indringen, uns mit Tatsachen befassen und dem Gewicht beilegen, was die Menschen erfahren. Vermutlich messen wir der Ekstase des Baha'addin Naqshbandi an einem Grab in Buchara kein besonderes Gewicht bei. Auf den ersten Blick scheinen diese Ekstase und der Gang der Ereignisse getrennt zu sein, und sie können ge­ trennt betrachtet werden. Aber so liegen die Dinge nicht. Die Ekstase Baha'addins war mit Ereignissen verbunden, die schließlich Millionen von Menschen in der ganzen Welt beeinflußten." 297 Je älter eine Überlieferungslinie ist, desto eher steht sie den ursprünglich schamanischen Kulturen nahe, wie wir bei den Hodschagan gesehen haben. Das wird auch deut­ lich in der erwähnten „Hilfe für Gott", denn in vielen scha­ manischen Kulturen ist bis heute die Vorstellung lebendig, daß der Schamane die Aufgabe hat, den Geistern bei ihrer

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Arbeit zu helfen. 298 So läßt sich anhand der schamanischen Praxis lebendig konkretisieren, wie eine innere Arbeit im Bereich des Bewußtseins Einfluß auf die Geschicke der menschlichen Gemeinschaft haben kann. Für den „klassi­ schen" Schamanen einer im traditionellen Kontext leben­ den indigenen Gemeinschaft ist die Heilung eines einzel­ nen Menschen als Teil der Gemeinschaft immer auch eine Heilung der Gemeinschaft. Um eine Heilung zu bewirken, ihre Ursachen aufzuspüren und die zur Heilung notwendi­ ge Vorgehensweise zu erkunden, geht der Schamane bzw. die Schamanin mit Hilfe von Trancezuständen oder psy­ choaktiven Pflanzen in den Bereich der „wahren Wirklich­ keit", in der alles Wissen ohne Beschränkung von Zeit und Raum gespeichert ist. Dadurch können sie tatsächlich se­ hen, wie und wo das Netzwerk der Energiemuster des Be­ wußtseins- oder Geistfeldes repariert werden muß. Sie sehen die strahlend-farbigen Fäden, aus denen die indivi­ duellen Seelenkörper geflochten sind und die mit allem Existierenden verknüpft sind. Sie „flicken" die beschädig­ ten Verknüpfungen, lösen „Verknotungen" auf, so daß ein in „unserer Wirklichkeit" sichtbarer Heilprozeß in Gang ge­ setzt wird. Eine in schamanischen Techniken bewanderte Künstlerin z.B. sah in einem Trancezustand das kristalline Netz des kosmischen Bewußtseins, in dem kleine Wesen­ heiten ununterbrochen eifrig hin- und herliefen, um zer­ rissene Fäden wieder zusammenzuknüpfen. 299 Die Scha­ manen der Shipibo-Conibo im peruanischen Amazo­ nasgebiet arbeiten bis heute in ihren Heilzeremonien mit einem pflanzlichen Wirkstoff, dem Ayahuasca, mit dem sie nicht nur die persönlichen Energiemuster des einzelnen se­ hen, sondern auch in der Lage sind, nichtpersönliche Muster der verschiedenen Schichten des Bewußtseinsfelds zu berei­ sen und in ihnen zu wirken. 300 Peter Russell beschreibt anhand der Erfahrungen mit der Transzendentalen Meditation (TM), begründet von Maharishi Mahesh Yogi, daß die synergetische Wirkung vieler medi­

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tierender Menschen auch einen Einfluß auf das Bewußt­ sein der Menschen ausüben kann. „Kürzlich durchgeführte Untersuchungen lassen darauf schließen, daß dieser Ge­ danke nicht so abwegig ist, wie er zuerst erscheint. Es gibt jetzt eine ganze Reihe von Städten in den Vereinigten Staa­ ten, in denen die Anzahl der Menschen, die die TM aus­ üben, diese theoretische Schwelle überschritten hat. In den offiziellen Verbrechensstatistiken dieser Städte war ein Rückgang der Kriminalität von 8.8% zu verzeichnen, und dies zu einem Zeitpunkt, da in den übrigen Städten des Landes die Verbrechensrate um 6% pro Jahr anstieg. Man stellte ebenfalls fest, daß es einen signifikanten Zusam­ menhang zwischen dem Prozentsatz der Meditierenden in jeder Stadt und dem Absinken der Verbrechensrate gab." 301 Russell spricht davon, daß ca. 1 % der jeweiligen Bevölke­ rung gleichzeitig meditieren sollte. Es sind natürlich viele Variablen zu berücksichtigen, um Ursache und Wirkung di­ rekt einschätzen zu können. Da alles in Bewegung und ewiger Veränderung ist, gesche­ hen auch immer wieder Fehler oder Ungenauigkeiten so­ wohl in der physikalischen wie in der bewußten Welt. Ge­ nauso wie es im menschlichen Körper sogenannte Reparaturgene gibt, sind derartige „Reparaturgene" auch in der Welt des Bewußtseins nötig. Es sind nicht nur die kulturellen Einflüsse, die Richard Dawkins als „Meme" - in Anklang an Gene und ihre Replikation - bezeichnet, also Musik, Ideen, Moden, Gedankensplitter etc. 302 Die Quali­ tät des Bewußtseins geht darüber hinaus. Da wir Men­ schen direkten Zugang zu dieser anderen Welt haben, ist es unsere Aufgabe, unsere Wahrnehmungsfähigkeit für diese Bewußtseinswelt zu entwickeln, um dort mitzuwir­ ken und mitzuhelfen, die entstandenen Fehler zu reparie­ ren, aber auch etwas für die Evolution dieses „größeren Bewußtseins" beizutragen. Damit komme ich wieder auf den „Vierten Weg" zurück. Die Evolution der Menschheit kann sich nur durch die Evo­

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lution von Menschen vollziehen, die in einer Gruppe Z u ­ sammenarbeiten. Der vierte Weg unterscheidet sich von anderen Wegen durch die Tatsache, daß er nie ein bleiben­ der Weg ist. Deshalb nenne ich ihn auch „Schule des Au­ genblicks". „Der vierte Weg besteht nie ohne irgendwelche Arbeit einer bestimmten Bedeutung, ohne irgendein Un­ ternehmen, um das herum und im Zusammenhang mit dem er allein bestehen kann. Wenn diese Arbeit zu Ende ist, das heißt, wenn das gestellte Ziel erreicht ist, verschwin­ det der vierte Weg, das heißt er verschwindet an dem be­ treffenden Platz, verschwindet in der betreffenden Form und besteht vielleicht in einer anderen Form an anderer Stelle weiter. Schulen des vierten Weges bestehen für die Bedürfnisse der Arbeit, die im Zusammenhang mit einem beabsichtigten Unternehmen ausgeführt wird. Sie beste­ hen nie an sich als Schulen zum Zwecke der Erziehung und Belehrung." „Auf dem vierten Weg kann in keiner Arbeit mechanische Hilfe gebraucht werden. Nur bewußte Arbeit kann in allen Unternehmungen des vierten Weges nützlich sein. Der me­ chanische Mensch kann keine bewußte Arbeit vollbringen; und somit ist es die erste Aufgabe derjenigen, die eine solche Arbeit beginnen, bewußte Mitarbeiter zu schaffen." 303 Die Arbeit nimmt unterschiedliche Formen an, kann an unterschiedlichen Orten entsprechend der dortigen Kultur ausgeführt werden. Wenn wir die Geschichte der spirituel­ len Bewegungen und Ideen betrachten, wird deutlich, daß es fast unmöglich ist, zu unterscheiden, ob die Arbeits­ gruppe und ihre Ideen auf eine echte, bewußte Quelle zu­ rückgingen oder nur Imitation waren. Beim heutigen „eso­ terischen Supermarkt", der sich in unseren westlichen, frei­ heitlichen Demokratien (zum Glück) ungestört ausbreiten kann, wird es noch schwerer, das „Falschgold" vom richti­ gen Gold zu unterscheiden. Gurdjieff betont aber, daß auch pseudo-esoterische Systeme eine wichtige Rolle spielen. „Sie sind nämlich das Zwischenglied zwischen einer Mensch­

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heit, die vollständig im materialistischen Leben versunken ist, und Schulen, die daran interessiert sind, eine gewissen Anzahl von Menschen zu erziehen... Sogar die Grundidee der Esoterik, die Idee der Initiation, erreicht die Menschen in den meisten Fällen über pseudo-esoterische Systeme und Schulen; und wenn es nicht diese pseudo-esoterischen Schulen gäbe, hätte die überwältigende Mehrheit der Men­ schen überhaupt keine Möglichkeit, vom Bestehen von et­ was, das größer als das Leben ist, zu hören und zu erfah­ ren." 304 Die „Arbeit an sich selbst" oder die Arbeit an der eigenen harmonischen Entfaltung ist eine lebenslange Arbeit, die nicht aus Büchern gelernt werden kann. Sie bedarf immer einer Hilfe von außen, wenn sie nicht der Entropie unter­ liegen soll, wie wir im Kapitel über das Enneagramm gese­ hen haben. Doch diese äußere Hilfe kann nur einen Anstoß geben. Der Übergang von einer Seinsstufe zu einer ande­ ren wurde durch gewisse Darstellungszeremonien, näm­ lich die Initiation, gekennzeichnet. Legenden über die Mysterienkulte im alten Griechenland, aber auch die „Ein­ weihungen" in anderen lebendigen Traditionen wie dem heute wieder populären tibetischen Buddhismus, sind For­ men, die dem Sucher das Gefühl vermitteln, er sei nun in den Kreis der Eingeweihten aufgenommen worden. Gurdjieff sagt dazu: „Aber eine Wandlung des Seins kann nicht durch irgendwelche Riten bewirkt werden. Riten sind nur das Kennzeichen einer vollendeten Wandlung. Und nur in pseudo-esoterischen Systemen, in denen es nichts an­ deres als diese Riten gibt, beginnt man den Riten eine un­ abhängige Bedeutung zuzusprechen. Man glaubt, daß ein Ritus, indem er in ein Sakrament verwandelt wird, dem Eingeweihten gewisse Kräfte vermittelt. Dies gehört wie­ derum zur Psychologie eines Nachahmungsweges. Es gibt keine äußere Initiation und kann sie auch gar nicht geben. In Wirklichkeit gibt es nur Selbst-Initiation. Systeme und Schulen können auf Methoden und Wege hinweisen, aber

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kein System oder keine Schule kann für einen Menschen die Arbeit tun, die er selbst tun muß. Inneres Wachstum, eine Wandlung des Seins, hängt nur von der Arbeit ab, und die muß der Mensch an sich selbst tun." 305 Die Anthropologin Ruth Benedict prägte 1941 den Begriff der Synergie. Als sie die Formen der Aggression in tradi­ tionellen Stammesgemeinschaften untersuchte, stellte sie fest, daß Gemeinschaften, in denen die Aggression sehr gering war, über eine Sozialstruktur verfügten, die Hand­ lungen förderte, die sowohl dem Einzelnen als auch der Gruppe als Ganzes von Nutzen sind. Sie nannte solche Sozialordnungen „Gesellschaften mit hoher Synergie". Der wichtigste Aspekt eines Systems mit hoher Synergie ist, daß es keinen Unterschied zwischen dem Handeln für sich selbst und dem Handeln für das Wohl der Allgemeinheit gibt. Gurdjieff hat diese Erkenntnis auch im „Kleinen" prak­ tiziert. Fritz Peters berichtet, daß er überrascht war, daß viele alte Leute in sein Apartment kamen, die offenbar nichts mit seinen Arbeitsgruppen zu tun hatten. Auf seine Frage, warum er diesen Leuten mit Geld und Essen hilft, antwor­ tete Gurdjieff: „Du verstehst immer noch nicht. Wenn ich mich selbst und meine Studenten versorgen kann, kann ich auch für andere etwas tun, die es nicht für sich kön­ nen. ... Frage dich selbst, warum diese alte Frau, die sehr wenig Geld hat, jeden Tag im Park die Vögel füttert. Diese Leute, diese Familie, sind meine Vögel. Aber ernsthaft: Ich sage, ich tue das für diese Menschen und auch für mich selbst. Es gibt mir ein gutes Gefühl. Die Frau, die Vögel füttert, macht dies, weil sie Vögel liebt. Aber sie sagt nicht, daß sie auch Freude daran hat." 306 Mit diesem Gedanken schließt sich der Kreis zu Gurdjieffs „objektivem Gewissen". Denn die persönliche Entwicklung des Bewußtseins hat auf jeder Ebene eine direkte Wirkung auf die Entwicklung des Bewußtseins der Menschheit. Die Entwicklung des individuellen Bewußtseins hat unmittel­ baren Einfluß auf die Menschheit im allgemeinen. Je mehr

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wir im Sinne Gurdjieffs über die Gesetze der Welter­ schaffung und Welterhaltung verstehen, desto mehr sind wir in der Lage, auf eine positive Weise im Rahmen der Ganzheit der Schöpfung mitzuwirken.

„Einem Menschen kann man unmöglich etwas geben, das, ohne irgendeine Arbeit seinerseits, sein unveräußerliches Eigentum zu werden vermag; eine derartige Einweihung' gibt es nicht, doch leider glauben das die Leute allzu häu­ fig. Es gibt nur Selbsteinweihung." G.I. Gurdjieff

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11. Die kosmische Mahlzeit Essen und Gegessenwerden „Die Wissenschaft des Idiotismus" ist eines der Transport­ mittel von Gurdjieffs Lehre. Das Ritual ist außergewöhnlich und vermittelt auf eine ganz besondere Weise einen Aspekt von Gurdjieffs Arbeit. Die nachfolgenden zwei Kapitel wur­ den von mir bereits in meinem Buch „Die Kunst, ein perfek­ ter Idiot zu werden" veröffentlicht. Da das Buch vergriffen ist, füge ich diese Kapitel mit kleinen Änderungen hier hinzu, um allen neuen Leserinnen einen Einblick in einen weiteren Aspekt von Gurdjieffs Lehrweise zu geben. "Dann ergriff er das Glas Perrier, das er mit seinem Kaffee trank und sagte zu Marianne: 'Sprich'. Sie sagte: 'Auf die Gesundheit aller einfachen weisen Menschen'. Dann war er einen Augenblick still und erklärte dann: 'Wahrlich, das ist eine sehr alte Wissenschaft, die Wissenschaft der Idio­ ten.' Er führte weiter aus, daß diese Lehre 4500 Jahre alt sei, älter als Babylon, und daß sie nur von 'eingeweihten Personen' gebraucht werden solle. Nachdem er diese Leh­ re gelernt hatte (ich dachte, er sagte in Tibet, aber ich bin mir nicht sicher), hatte er sich dazu entschlossen, sie für seine Arbeit einzusetzen, auch wenn er keine Genehmi­ gung hatte, sie zu nutzen. Die Eingeweihten nahmen es ihm deshalb auch krumm. Aber in der neuen Welt würde sie gebraucht. Denn er erklärt der alten Welt den Krieg: Er will unser Bild vom sogenannten 'Gott' mit langem Bart und einem Kamm in seiner Weste auflösen. Und jeder, der lernen will, muß immer wieder 'die erste Serie meiner Schriften lesen'. Jene, die mehr verstehen möchten, müs­ sen auch die zweite Serie lesen, und jene, die ein eigenes Sein erlangen wollen, die dritte Serie." 307 Es gibt bereits eine Bibliothek voller Veröffentlichungen über Gurdjieff, seine Theorien, seine Lehre. Erstaunlicherweise

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gab es aber keine Veröffentlichung zu seiner psychologi­ schen Typenlehre, der „Wissenschaft des Idiotentums". Die Typenlehren, die das von Gurdjieff entdeckte Enneagramm benutzen, haben eine Zuordnung von Persönlichkeitstypen, die nicht von Gurdjieff stammt, auch wenn immer wieder auf ihn Bezug genommen wird. Und Gurdjieffs „Typenlehre" - wenn man sie so nennen will - hat, wie vieles von ihm, einen ganz besonderen Anlaß: sie wurde nur während einer rituellen Mahl­ zeit gelehrt. Das Wissen, das Gurdjieff uns mit seinem trogoautoegokratischen Prinzip - der gegenseitigen Erhaltung alles Existierenden - in seiner Kosmologie vermittelt, findet durch diese rituelle Mahlzeit ihren konkreten Ausdruck. Wie das Abendmahl, das Jesus mit seinen zwölf Jüngern feierte und das im christlichen Ritual der Kommunion wiederholt wird, trägt die rituelle Mahlzeit die Bedeutung der Rückbindung an das kosmische Geschehen in sich und verbindet uns mit der Wirklichkeit. Die Besonderheit dieses Rituals bestand darin, daß wäh­ rend der Mahlzeiten Trinksprüche auf die teilnehmenden „Idioten" mit einem Glas Wodka ausgebracht wurden. „Ver­ stehen Sie", schreibt Kenneth Walker, „er ist Russe, und die Russen trinken eine Menge Wodka. Aber es gibt einen anderen und weit wichtigeren Grund, warum alle seine Gäste trinken mußten, was auch immer ihr persönlicher Geschmack war. Denn viele Menschen kamen zu Gurdjieff, und um ihnen gerecht zu werden, mußte er ganz schnell ihren Charakter sehen. Und Sie wissen, Alkohol öffnet ei­ nen Menschen, so daß alles, was er vorher verstecken und verstellen konnte, offenbart wurde." 308 Was meint Gurdjieff nun mit einem „Idioten". Im heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff für „Dummkopf", „Narr" oder „Trottel" gebraucht. Das griechische idiotes bedeutet ursprünglich „Privatmann" oder „gewöhnlicher, einfacher Mensch", von idios, eigen, eigentümlich, manchmal auch in der Bedeutung von „besonders". Bei Gurdjieff steht es für „sich selbst zu sein", denn ein Mensch, der sich selbst

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ist, scheint wie ein Verrückter zu handeln - aber nur für jene, die in der Welt der Illusionen leben. Wenn diese da­ her einen Menschen als „Idioten" bezeichnen, meinen sie, daß er nicht ihre Illusionen teilt. John G. Bennett erläutert diesen Umstand: „Jeder, der an sich selbst zu arbeiten be­ schließt, ist ein Idiot in beiden Bedeutungen. Die Weisen wissen, daß er nach der Wirklichkeit sucht. Die Törichten denken, er habe den Verstand verloren." 309 Der Sufi-Gelehrte Idries Shah weist darauf hin, daß das arabische Wort für „Heiliger" ( wali) dasselbe numerische Äquivalent hat wie das Wort für „Idiot" ( balid ). „So haben wir einen doppelten Grund dafür, die großen Sufis als Vor­ bilder für unsere eigenen Idioten zu sehen." 310 In der Schule Gurdjieffs wurde erwartet, daß die Schüler nach der Wirklichkeit suchten, also Idioten seien. Doch um sich selbst zu sein, muß man seinen eigenen Idiotentyp finden. Der Typ ist allerdings nicht ein für alle Mal unver­ änderlich. Im Laufe der Schulung, durch die bewußte „Ar­ beit an sich selbst" erlangt man zur Erkenntnis seines „Idiotentyps" Hat man alle Facetten dieses Typs erkannt, ist man in der Lage, seinen Typ zu ändern. „Auf jeder Stu­ fe gibt es einen Tod und eine Auferstehung, bevor man eine neue Abstufung der Vernunft erreicht." 311 Die Stufen­ folge ist jedoch nicht linear, d.h. man schreitet nicht von Idiot 1 zu Idiot 2 usw. voran. Es kommt auf die Qualität der Erkenntnis an, die einem die Einsicht in seine eigene Idiotie bringt. 312 Die rituellen Mahlzeiten, bei der diese „Typenlehre" gelehrt wurden, waren ein herausragender Teil der Arbeitsbedin­ gungen von Gurdjieffs „Schule des Augenblicks". 313 Der Treffpunkt in seinem Apartment in der Rue des Colonels Renard in Paris bestand aus einem Salon und dem Eßzim­ mer. Die manchmal fünfzig Teilnehmer der allabendlichen Mahlzeiten drängten sich in einem kleinen Raum, der nicht größer war, als ein gewöhnliches Wohnzimmer. Sie saßen dicht beieinander, keiner konnte sich richtig bewegen. Rina

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Hands erinnert sich: „Der Salon ist die Hälfte von einem kleinen Zeichenraum mit einem chinesischen Schrank, der vor geschlossenen Doppeltüren steht. Dieser ist voll von Puppen und allen möglichen Ornamenten. Jede Wand im Zimmer ist vollständig mit Bildern, Fotos und Dekoratio­ nen bedeckt. Sogar die Vorhänge haben eine Menge Bor­ düren und sind behängt mit Weihnachtsdekoration. Der Raum selbst war voller Leute, die auf Stühlen, Sesseln und auf dem Boden saßen." 314 Rina Hands berichtet auch, wie schwer es ihr fiel, sich in dieser Atmosphäre zu konzen­ trieren, besonders wenn Gurdjieff selbst anwesend war, da seine innere Präsenz für die Teilnehmer kaum auszu­ halten war. Vor den Mahlzeiten wurde im Salon des kleinen Apartments Gurdjieffs meistens aus seinem Werk Beelzebubs Erzäh­ lungen für seinen Enkel gelesen, was immer eine beson­ dere Aufmerksamkeit erforderte. Gurdjieffs ellenlange Sätze mit vielen ungewöhnlichen Begriffen sind geradezu eine Herausforderung für die Konzentration. 315 Nach der Lesung gingen die Teilnehmer ins Eßzimmer, wo alle dichtgedrängt um den Tisch saßen. Das Essen mußte durch die Reihen gereicht werden, zuerst die Suppe, dann die Hauptspeise und der typische „Gurdjieffsalat". „Dieser Salat scheint an sich schon berühmt zu sein. Wir servierten diesen bei vielen Gelegenheiten, doch wenn neue Leute kamen, jemand, der beeindruckt werden sollte, flü­ sterte mir mein Onkel zu: 'Das ist mein Salat'. Er kam ge­ legentlich in die Küche und bereitete ihn selbst zu. Die ganze Zeit über probierte er. Valya und ich und meine Tante schnit­ ten, schnitten, schnitten und gaben ihm dann das Gemü­ se... Dann sagte er: 'Genug geschnitten. Ihr seid gute Mädchen'." 316 Luba Gurdjieff, Gurdjieffs Nichte, die bis in die siebziger Jahre ein berühmtes russisches Restaurant in London führ­ te, lüftet das Geheimnis: „Sie können das Rezept haben. Die Zutaten kosten eine Menge! Sie nehmen alles, was Sie

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auf dem Markt finden können: Tomaten, Gurken, Radies­ chen, Stangensellerie und anderes frisches Gemüse. Aber keinen grünen Salat! Der wird nämlich zu weich. Er fügte auch Nüsse, Oliven (ohne Stein), getrocknete Pflaumen, gestückelt, hinzu. Und eine Menge Chutney. Und er liebte Kapern. Manchmal gingen zwanzig bis dreißig verschiede­ ne Sachen in den Salat, auch Äpfel.... Und das Dressing: nur ein bißchen Essig und etwas Öl. Sonst nichts." 317 Gurdjieff kam aus Zentralasien, einem Kulturraum, in dem rituelle Feste ein Teil der Lebensweise der Derwische sind. Diese rituellen Feste zeichnen sich unter anderem dadurch aus, daß ihnen ein „Zeremonienmeister" vorsteht. Er nimmt die Rolle eines Gastgebers ein und hat eine große Verant­ wortung. Das christliche Abendmahl steht ebenfalls in die­ ser Tradition, die von der christlichen Kirche offenbar falsch verstanden wurde. Denn das gemeinsame Essen ist un­ trennbar mit der Idee der „heiligen Mahlzeit" verbunden. Kochen und Essen sind. Dieses Element liegt vielen religiösen Ritualen zugrunde, wie dem Agape, dem Liebesfestmahl aus alter Zeit. Gurdjieff nutzte - wie viele andere Lehrer - diese Gelegenheit, Ein­ sichten zu vermitteln. „Interessanterweise geschieht dies nicht nur durch Tischgespräche", wie Anthony Blake erläu­ tert, „oft spielt auch die Einnahme von bestimmten Sub­ stanzen, die eine starke Auswirkung auf die menschliche Psyche haben, eine Rolle. In Gurdjieffs Fall war diese Sub­ stanz Alkohol. In anderen Fällen ist es die Nahrung selbst, die durch ein Ritual in einen machtvollen Zustand gebracht wird." 318 Eine andere Form dieser Nahrung sind bei man­ chen schamanistischen Ritualen psychoaktive Pilze und andere hochwirksame Pflanzen. In diesem Falle wird vor der Einnahme gefastet. Anthony Blake betont, daß die Mahlzeit eine wesentlich tiefere Bedeutung hat, als wir normalerweise wahrnehmen: „In gewissem Sinne wird die Gemeinschaft selbst zur Nah­ rung für unsichtbare Wesenheiten, denn die Welt des Es­

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sens und Gegessenwerdens ist mit der Welt der Kommuni­ kation und Intelligenz verbunden. Unsere Rolle während des Essen ist, uns des Transformationsprozesses der Nah­ rung bewußter zu werden und auf diese Weise Leben mit dem zu verbinden, was über das Leben hinausgeht." 319 Die Wissenschaft der Idioten kann nach Aussagen der Schü­ ler Gurdjieffs nicht ohne die rituelle Mahlzeit verstanden werden. 320 Deshalb wurden nach seinem Tode die Trink­ sprüche auf die Idioten von der offiziellen Nachfolgeorga­ nisation, des „Instituts Gurdjieff", 321 nicht mehr durchge­ führt. Ich hatte das Glück, an mehreren Tafeln mit John G. Bennett teilzunehmen, bei denen das ursprüngliche Ritual mit Essen, Trinken und den „Toasts auf die Idioten" durch­ geführt wurde und mir einen Hauch Ahnung davon vermit­ teln konnte, wie es damals in Paris bei Gurdjieff zuging. Als ich einen der noch lebenden Schüler Gurdjieffs nach der Idiotenlehre fragte, reagierte er sehr schroff: „Welch einen Nutzen könnte jemand möglicherweise von einer solchen Wissenschaft haben?" Diese Aussage ist beispiel­ haft dafür, wie eng die „Traditionalisten" Gurdjieffs Lehre auslegen. Natürlich hat diese Lehre einen Nutzen, sonst hätte Gurdjieff sie nicht eingeführt. Aber eines gibt uns die Aussage zu denken, einen Punkt, den Sie beim Lesen die­ ses Textes immer im „Hinterkopf" behalten sollten: „Psy­ chologie sollte Kunst sein, sie kann niemals nur eine Wis­ senschaft sein," wie Gurdjieff herausstrich. 322 Kunst hat sehr viel mit direkter Wahrnehmung zu tun. Um ein Kunst­ werk - was ein Mensch zweifellos ist - zu verstehen, bedarf es vielerlei Fähigkeiten und Studien. „Wir sehen nur das, was wir wissen," pflegt meine Frau Nana, selbst eine Künst­ lerin, in Anlehnung an J.W. von Goethe zu sagen. Da die Idiotenlehre sehr hilfreich sein kann, die menschli­ chen Wesenszüge auf eine ganz unübliche Weise zu ver­ stehen, bin ich nach reiflicher Überlegung zur Ansicht ge­ kommen, sie müsse der Nachwelt erhalten bleiben. Gurdjieff selbst hat immer wieder mit seinen Übungen und

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seiner Lehre experimentiert, ebenso wie mein Lehrer John G. Bennett. Wichtig ist, daß der Kern einer Lehre nicht verwässert wird, sondern seine ursprüngliche Kraft be­ wahrt. Diese Kraft kann nicht durch museales Bewahren gehalten werden, sondern nur durch Anpassung an die jeweiligen Welt- und Lebensumstände. Ich werde deshalb versuchen, die ursprüngliche Lehre so getreu wie mög­ lich darzustellen. Entscheidend ist: alles was uns hilft, unseren inneren Weg dynamisch voranzubringen, kann von Nutzen sein. Gurdjieffs psychologische Einsicht hat ihn dazu geführt, die Idiotenlehre innerhalb eines intensiven „Settings" zu lehren, weil wir erst durch die gesteigerte Wahrnehmung, die ein solches „Setting" hervorbringen kann, intuitiv ver­ stehen, was ein „Idiot" ist, d. h. wer wir selbst sind. Da wir nun nicht mehr an Gurdjieffs rituellen Mahlzeiten teil­ haben können, müssen wir eine entsprechende rituelle Grundlage schaffen, um dieselbe Intensität zu erreichen, ohne Gurdjieffs Formen zu imitieren. Diese rituelle Mahl­ zeit mit den Toasts auf die Idioten, wenn sie in der richti­ gen Haltung durchgeführt wird, kann uns einen „Ge­ schmack" von der Wirklichkeit vermitteln, meiner Erfah­ rung nach vergleichbar mit einem innerlich ergreifenden rituellen Tanz. Es ist wichtig, während dieses Rituals an unserer Wachheit und Aufmerksamkeit zu arbeiten, so daß wir neue Erkenntnisse aus diesem Lernprozeß gewinnen. Um mit dieser Lehre zu arbeiten, müssen wir jedoch ver­ stehen lernen, was Gurdjieffs „Werk" beinhaltet und wie wir in Verbindung mit der Wirklichkeit kommen können, um schließlich ein „perfekter Idiot" zu werden - wobei je­ der seine eigene Vollkommenheit erreichen soll, kein ab­ straktes „Ideal" einer Perfektion, die kein Mensch kennen kann. „Es ist wohl richtig, daß die höheren Welten freier sind als die niederen, aber es gibt noch etwas, das nichts mit diesem Gesichtspunkt zu tun hat: nämlich, daß jeder einzelne von uns seine eigene Vollkommenheit finden muß.

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Vollkommenheit ist Vollkommenheit - mehr gibt es nicht, darüber hinaus gibt es nichts. Wenn jemand erreicht, wo­ für er bestimmt ist, hat er seine Vollkommenheit erlangt und alles andere ist ohne Bedeutung," schreibt John G. Bennett zum Ende seines Werkes Die inneren Weiten des Menschen , 323 Die Wissenschaft der Idioten ist nur sinnvoll für jene, die bereit sind, an ihrer inneren Entwicklung zu arbeiten. Hermann Hesse hat diesen Punkt in seiner Erzählung vom Steppenwoifi 24 auf seine Art hervorgehoben:

„Magisches Theater Eintritt nur für Verrückte"

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Die Wissenschaft der Idioten „ Wenn Du nach einer besonderen Erleuchtung suchst, schau in das menschliche Gesicht: In seinem Lachen kannst Du deutlich die Essenz der endgültigen Wahrheit sehen. "

Jelaluddin Rumi Gurdjieffs Charakterisierungen von Menschen orientierten sich an deren innerer Wesensentwicklung. Solange wir noch Persönlichkeitsrollen spielen, bleiben wir tatsächlich in den Fixierungen stecken, die wir im Laufe unseres Lebens ent­ wickeln. Diese Persönlichkeitsrollen sind relativ statische Fixierungen. Wenn wir unsere Wesenseigenschaften ent­ falten, steigen wir auf der „Stufenleiter der Vernunft" zu unserer wirklichen Aufgabe und Rolle im Leben auf. Wahrscheinlich hatte die Entstehung der „Wissenschaft der Idioten" mit dem individuellen Bezug der Menschen zum „Werk" 325 zu tun. Rene Zuber, der in den vierziger Jahren Schüler von Gurdjieff war, macht dies deutlich: „Der ge­ samte Aufbau dieser Idioten-Hierarchie war möglicherweise bloß eine erstaunliche Konstruktion, die uns helfen sollte, bei anderen und bei uns selbst gewisse, unserer Natur tief eingeprägte Eigentümlichkeiten festzustellen, die wir ohne dieses Hilfsmittel gar nicht hätten sehen können; ein Spiel der Widerspiegelungen, in dessen Verlauf die anderen dazu dienten, uns unser eigenes Bild vor Augen zu halten." 326 Da unsere Selbsterkenntnis selten ausreichend entwickelt ist, um eindeutig zu erkennen, wer wir wirklich sind, soll­ ten wir zuerst einmal den Idiotentyp einnehmen, der uns am passendsten erscheint. Ein Hinweis darauf gibt uns Elizabeth Bennett: „Er schimpfte auf eine Frau aus Miss Heaps Gruppe, weil Sie noch keinen Idioten gewählt hatte, obwohl sie schon sechs Tage hier sei. Das Mädchen sagte, sie könne sich nicht entscheiden. Gurdjieff mochte das nicht und sagte, sie sei 'unehrlich', und solch eine Unsicherheit wäre ein sicheres Zeichen dafür, was sie verberge." 327 Über

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eine andere Frau sagte er, wenn er sie bitten würde, die Rolle des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Ameri­ ka für die nächsten drei Stunden einzunehmen, werde sie das tun. Er sagte, es sei deshalb leicht für sie, weil sie bereits mit 11 Jahren zu lernen angefangen hätte (sie war mit 11 bei einer Weihnachtsfeier bei Gurdjieff). Er sagte noch, daß sie sogar in der Lage wäre, die Rolle von Ma­ dame de Salzmann zu spielen (die Leiterin seiner Gruppen und seine rechte Hand seit den zwanziger Jahren). Doch auch die Wahl eines Idioten hatte bei Gurdjieff so seine Tücken. Elizabeth Bennett beschreibt eine solche Si­ tuation: „Eines Tages fragte Scylla, ob sie ihren Idioten wechseln könne, aber G. sagte nein - oder nur, wenn sie bereit wäre, 'seine Ausgaben am nächsten Tag zu bezah­ len'. Um zu wissen, wieviel das kostet, soll sie die Sekretä­ rin fragen. Zweimal jedoch hatte er ihr bereits angedeu­ tet, daß sie ein „prahlender Idiot" sei. Nachdem ich mir nun diese zwei Situationen vergegenwärtige, meine ich, daß sie hätte sagen sollen: 'ich möchte mich zum 'prah­ lenden Idioten' verändern' anstatt zu sagen, 'darf ich zu einem anderen Idioten werden'. Seine Reaktion wäre an­ ders gewesen." 328 Diese und andere Begebenheiten wei­ sen deutlich darauf hin, daß die Auseinandersetzung mit einer bestimmten „Idiotie" zur Erkenntnis unserer Hand­ lungsmuster beitragen kann, da jeder diese Muster in sich trägt. Auch ein Phlegmatiker kann wütend werden... Gurdjieff hat mit der „Wissenschaft der Idiotie" versucht, typische Verhaltensmuster herauszustellen, die bei vielen Menschen immer deutlicher erkannt werden können, je länger sie auf dem Weg der Selbstverwirklichung arbeiten. Seine Beschreibungen sind allerdings sehr auf die Umstände seiner rituellen Mahlzeiten oder der besonderen „Arbeits­ bedingungen" durch seine Anwesenheit gemünzt. Vermut­ lich taten der Alkohol und der Humor sein übriges, damit die „Gäste" intuitiv seine oft sehr kryptischen Formulie­ rungen verstanden. Die einzelnen Beschreibungen sind

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„Kunstwerke" auch im Sinne des Wortes. Das Charakteri­ stische eines Idioten ist ein kunstvolles Bild, das für einen Komplex von Eigenschaften und Handlungsformen steht, die in jedem Menschen zu sehen sind. Von unseren alltäglichen Beobachtungen her kennen wir sicherlich Menschen, die in einer bestimmten Situation im­ mer wieder auf eine ihnen typische Weise reagieren oder handeln: Ein „mitfühlender Idiot" wird sich immer wieder für das Wohl anderer Menschen oder Tiere einsetzen. Ein „hoffnungsloser Idiot" wird sich in Aktivitäten verstricken, die ihn von seinem eigentlichen Ziel ablenken, ein „sich windender Idiot" fragt immer um Rat und macht dann doch etwas anderes. Haben wir solche Züge nicht schon oft bei unseren engeren Freunden beobachtet? Die kunstvolle Psy­ chologie dieser Charakterisierungen ist meiner Meinung nach viel direkter als die allgemeinen Züge einer astrologi­ schen Beschreibung oder die in den letzten Jahren veröf­ fentlichten „Enneagramm-Typenlehren". Die „Idioten" um­ fassen nicht den vollständigen Charakter eines Menschen, - was sicherlich keine Charakterlehre leisten kann - sie stellen vielmehr die Schwäche heraus, die den einzelnen daran hindert, sein Wesen zu verwirklichen. Die Schwäche verbirgt die Stärke. Auch das „wirkliche Ich" des Menschen handelt auf unterschiedliche, individuelle Weise. Wie Menschen mit bestimmten Situationen umge­ hen, sagt mehr über sie aus, als allgemeine Persönlichkeits­ beschreibungen. Deshalb ziehe ich es vor, nach Gurdjieffs Ansatz zwischen „Persönlichkeitstypen" „Wesenstypen" und „Willenstypen" zu unterscheiden. Wenn ein Mensch noch in seiner Persönlichkeit verankert ist, handelt und reagiert er nach angelerntem Muster. Verändert sich der Schwer­ punkt in sein Wesen, wird dieser Mensch anfänglich nach charakterlichen Stärken und Schwächen handeln. Erst durch die Vereinheitlichung der Selbstheiten im „wahren Selbst", wenn das wirkliche Ich in seinem Wesen gefestigt ist, wer­ den die Handlungen dieses Menschen seine ihm eigene

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Ausdrucksform finden. Die Schwäche eines Willensaus­ drucks kann durch die Stärke eines Wesenszugs ausgegli­ chen werden und umgekehrt. Die Merkmale eines „Idioten" beschreiben die typischen Reaktionen auf eine Herausforderung. Wenn wir diese ty­ pische Handlungsweise einmal bei einer Person entdeckt haben, wird sie uns mehr auffallen. Der „Idiot", der sich nicht helfen lassen will, ruft schon morgen wieder an, klagt über ein Problem, wir hören geduldig zu, sagen ihm oder ihr, was wir dazu denken, und tags darauf erfahren wir, daß er oder sie doch etwas ganz anderes gemacht hat. Selten können wir alle Aspekte der Wirklichkeit sehen. Die Idiotenlehre zeigt uns die verschiedenen Aspekte, Facet­ ten unserer Wirklichkeit, sie stellt bestimmte Handlungs­ muster der Menschen heraus, die „typisch" sind. Doch sie sind nicht feststehend und unveränderlich. Im Laufe des Lebens - und insbesondere wenn wir daran arbeiten, un­ ser Wesen zu entfalten - bewegen wir uns durch verschie­ dene Eigenheiten, die uns zu einem besonderen Zeitpunkt mehr im Griff haben als andere. Hauptsächlich wurden die ersten zwölf Idioten mit Trinksprüchen bedacht, denn die­ se besonders ausgeprägten Handlungsmuster können wir auch häufig im Alltag beobachten. Ohne „Arbeit an sich selbst" bleiben wir in dieser jeweiligen Eigenheit stecken. Mit der Erkenntnis der persönlichen Eigentümlichkeit ge­ lingt es schließlich, diese zu relativieren. Dann steigen wir auf der „Leiter der Vernunft", wie sie auch bezeichnet wur­ de, eine Stufe weiter - um eine neue Variante der mensch­ lichen Eigentümlichkeiten zu erfahren. Die allgemeine Regel bei Gurdjieffs Mahlzeiten war, daß jeder Neuling ein Besucher war, ein „geschätzter Gast", der an der Zeremonie teilnahm. Er sollte nur zuhören und sich die verschiedenen Idioten merken, denn „wenn er zu­ fällig ein zweites Mal kommen sollte, muß er sich seinen Idioten auswählen" Das muß er dem „Direktor des Abends"

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mitteilen oder gleich auf seiner Besucherkarte vermerken und diese dem Direktor geben. Und jeder, der eine solche Besucherkarte hat, zeigt, daß er in die Wissenschaft ein­ geweiht sei und so überall empfangen wird. „Es gibt Klö­ ster in Zentralasien, wo er mit einer solchen Karte sofort aufgenommen wird." Sobald das Ritual begann, gab der Zeremonienmeister ei­ nen Toast auf die „Gesundheit aller einfachen Idioten". Wenn jemand anwesend war, der als „einfacher Idiot" ausgesucht worden war - meistens wurde ein Kind als einfacher Idiot dafür ausgewählt - fügte der Direktor hinzu: „und auch auf deine Gesundheit, soundso. Dann wurden nach und nach alle weiteren Idioten während des Abend durchge­ gangen. „Es gibt einundzwanzig Abstufungen der Vernunft begin­ nend mit dem gewöhnlichen Menschen bis zu der unserer Unendlichkeit, das ist Gott. Niemand kann die absolute Vernunft Gottes erreichen, und nur die Söhne Gottes wie Jesus Christus können die zwei Stufen 19 und 20 einneh­ men. Deshalb muß es das Ziel jedes Wesens sein, das voll­ kommen werden will, die 18. Stufe erreichen." 329 Der er­ ste ist der einfache Idiot und der einundzwanzigste der einzigartige Idiot, in Gurdjieffs Formulierung „ist das un­ ser Gott". John G. Bennett äußert den Eindruck, daß ein Idiot jemand sei, der nach etwas strebt, im Prozeß des Werdens ist. Deshalb sind „stationäre" Wesen, wie „Wei­ se", nicht in der Lage, Idioten zu werden. 330

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Stufenleiter der Idioten: 331 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21.

Einfacher Idiot Selbstgefälliger Idiot Erzidiot Hoffnungloser Idiot Mitfühlender Idiot Sich windender Idiot Quadratischer Idiot Runder Idiot Zickzack-Idiot Erleuchteter Idiot Zweifelnder Idiot Prahlender Idiot Geborener Idiot Patenter Idiot Genialer Idiot Polyedrischer Idiot Meisterlicher Idiot Perfekter Idiot Heiliger Idiot Kosmischer Idiot Einzigartiger Idiot

Die besondere Kraft als Lehrmethode liegt in hohem Maße in der Ordnung der Reihe. Bennett schreibt: „Wenn wir die ersten zehn betrachten, jene, auf die am häufigsten ge­ toastet wurde, scheint es, daß sie in aufsteigender Rei­ henfolge gehen, vom einfachen zum erleuchteten Idioten. Die nächsten sieben bewegen sich in eine Richtung, die weder aufwärts noch abwärts geht. Sie zeugen vielmehr von großer Hilflosigkeit und Abhängigkeit von Einflüssen, die nicht in ihrer Kontrolle liegen. Ich bezweifle, ob irgend­ jemand, der nur die Beschreibungen studiert, die innere Bedeutung der Reihe herausfindet. Das liegt in der Tatsa­ che, daß es zwei Bewegungsrichtungen gibt, 'aufwärts' zur

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Nummer 21 und 'abwärts' zum einfachen Idioten. Da es letztlich Ziel und Zweck des Daseins jedes Wesens ist, die Quelle alles Existierenden zu erreichen, soweit es in der Kraft des einzelnen liegt, könnte man natürlicherweise er­ warten, daß es besser ist, die Leiter aufzusteigen als abzu­ steigen. Das Problem dabei ist, daß der Aufstieg mit Bela­ stungen früher oder später ein Scheitern mit sich bringt, um weiter aufzusteigen. Auf einer höheren Stufe können die Lasten nicht mehr mit anderen geteilt werden - und sie werden unüberwindbar." 332 Gurdjieff machte immer wieder deutlich, daß es besser sei, wenn immer man sich selbst gefunden hat, bewußt abwärts zu steigen, mit dem Ziel, ein einfacher Idiot zu werden, um seine Identifikation mit einer Besonderheit wieder zu verlieren. Es lag für mich nahe, die Reihe der Idioten mit der großen Arkana des Tarot zu vergleichen, auch wenn solche Ver­ gleiche unterschiedlicher Systeme und Betrachtungswei­ sen immer Probleme aufwerfen. Den „einfachen Idioten" als den „Narren" des Tarot zu identifizieren ist nicht schwer. Hier gibt es eine augenscheinliche Parallelität. Die geome­ trische Reihe mit den entsprechenden Tarotkarten in Ver­ bindung zu bringen, ist nicht so augenscheinlich. Es könn­ te aber auch sein, daß - vorausgesetzt, die Aussage Gurd­ jieffs stimmt, die Wissenschaft der Idioten sei sehr alt - die Reihe der Idioten in die zeitgemäße Tarotsymbolik der Re­ naissance einging und dort eine Wandlung durchgemacht hat. 333 Ich werde in den folgenden Beschreibungen die je­ weilige Tarotsymbolik als interessanten Anstoß zu einem Gedankenspiel hinzufügen. Die Gurdjieffschülerin Micheline Stuart schrieb in ihrem Buch Der Tarotweg zur Selbstentfaltung, daß im Tarot die Theorie der inneren Evolution des Menschen verborgen liegt. Es ist schrittweise aufgebaut und zeigt, was man auf dem Weg zu erwarten hat, und führt den Menschen dahin, wohin er gehen muß. „Nur die höchste Anstrengung zählt.

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Nachgiebigkeit und Halbherzigkeit reichen nicht aus. Zu jedem Zeitpunkt können unsere Anstrengungen in ihr Ge­ genteil umschlagen. Deshalb müssen wir - einmal zu un­ serer Aufgabe aufgewacht - wach bleiben." 334 Üblicherweise werden die Tarotkarten in der Reihenfolge vom Narren (0) über den Magier (1) bis hin zur Welt (21) numeriert und auch entsprechend interpretiert. Wenn wir sie als symbolischen Entwicklungsweg interpretieren, ist es naheliegend - wie Micheline Stuart vorgeschlagen hat -, die Reihenfolge umzukehren, vom Narren bis zum Ma­ gier. Auf diese Weise finden wir deutliche Parallelen zu den Idioten. In den Tarot sind natürlich auch zeitbedingte Bil­ der eingeflossen, die für wenige von uns heute noch von großer Bedeutung sind. Ich denke, daß z.B. „Hoheprie­ ster,, (Papst) und „Hohepriesterin" (Päpstin), „Herrscher" (König) und „Herrscherin" (Königin) Bilder sind, die zeit­ gemäß benannt werden sollten. Im Sinne der menschli­ chen Entwicklung können weltliche Herrscherin oder reli­ giöse Priesterin für jeweils zwei Seiten derselben Entwick­ lungsstufe stehen. Nun hat die große Arkana (die Hauptkarten) des Tarot 22 Karten, während Gurdjieffs Idiotenleiter nur 21 Bilder hat. Das halte ich jedoch für kein Problem. Die Karte „Die Welt" mit einem inneren Kreis, der eine junge Frau umschließt, und den figürlichen Symbolen der Tiere der Apokalypse (Stier, Löwe, Mensch, Adler und Taube) symbolisiert die verschiedenen Zentren Gurdjieffs: Bewegungszentrum, Gefühlszentrum, Denkzentrum, Intelligenz, Liebe; sie wird in abgewandelter Form von Gurdjieff in der Titelillustration seines Prospektes für das „Institut für die harmonische Ent­ wicklung des Menschen" aufgegriffen. „Die Welt" stellt die Schule des Lebens dar und umfaßt den Weg. 335 In „Gurdjieffs 'Wissenschaft der Idiotie'," sagt John Ben­ nett, „geht es um die Transformation, Schritt für Schritt, von der mechanischen Gleichheit, die tatsächlich eine Ab­ wesenheit der Identität ist, bis zu dieser anderen Gleich­

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heit, die eine Vollkommenheit der Identität darstellt. Eine der Fallen auf diesem Pfad ist, daß man sich so sieht, als habe man eine Art von Identität, eine Art Wirklichkeit, die man tatsächlich nicht hat. Lebt man mit dieser Illusion er­ reicht man einen Punkt, an dem es unmöglich ist, weiter­ zukommen." 336 Wenn ich bei den folgenden Beschreibung „er" verwende, beziehe ich mich auf die maskuline Form „der Idiot". Selbst­ verständlich sind damit alle Geschlechter gemeint!

Karte „Die Weit" und Ausschnitt aus Gurdjieffs Emblem"

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1. Der einfache Idiot Der einfache Idiot ist der Startpunkt für das Wachsen des Verstehens, das allein die Macht hat, die Hindernisse aus dem Weg wegzuräumen, so daß es nicht zu einem Stillstand in der Entwicklung kommt. Der einfache Idiot entspricht sicher­ lich dem Bild des Narren im Tarot. Ein typischer Narr ist der Mullah Nasruddin. 337 Deshalb kann man sagen, daß Einfach­ heit, Klarheit, Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewußtsein und die Abwesenheit von Selbsttäuschung die Zeichen eines einfachen Idioten sind. Wahrscheinlich entspricht er auch dem russischen Wort Obyvatel, des guten, ehrlichen Haushälters in P.D. Ouspenkys Auf der Suche nach dem Wunderbarem „Wenn ich sage, daß ein Obyvatel ernster zu nehmen ist als ein 'Vagabund' oder 'Verrückter', so meine ich hiermit, daß ein Obyvatel, der gewohnt ist, mit wirklichen Werten in Be­ rührung zu kommen, die Möglichkeiten der 'Wege' und die Möglichkeiten von 'Befreiung' oder 'Erlösung' besser und schneller bewertet als ein Mensch, der sein ganzes Leben gewohnt ist, sich in einem Kreis eingebildeter Werte, einge­ bildeter Interessen und eingebildeter Möglichkeiten zu bewe­ gen. Menschen, die der Obyvatel nicht ernst nimmt, sind sol­ che, die in der Phantasie leben, hauptsächlich in der Phanta­ sie, daß sie etwas tun können." 338 „Die Menschen, die gründlich über die Wege nachdenken, vor allem Menschen der intellektuellen Wege, blicken sehr oft auf den Obyvatel herab und verachten im Allgemeinen seine Tugenden. Aber hiermit zeigen sie nur ihre eigene Ungeeignetheit für irgendeinen Weg. Denn kein Weg be­ ginnt auf einer tieferen Stufe als der des Obyvatel." 339 Mit diesen Zitaten wird deutlich, warum wir bei Schwierigkei­ ten auf dem Weg immer wieder zu einfachen Idioten wer­ den müssen, wenn wir den Weg der Selbstentfaltung be­ schreiten. Das Wesen des einfachen Idioten ist stark und seine äußere Persönlichkeit schwach. Deshalb spricht man ihm die Qualität eines Kindes zu.

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„Gurdjieff betont in seiner 'Wissenschaft der Idiotie' deut­ lich die Notwendigkeit, daß wir zu dem Punkt zurückkeh­ ren müssen, wo wir vollständig akzeptieren, daß wir ande­ ren Menschen gleich sind. Das ist mit einfachem Idioten gemeint: gewöhnlich-gleich. Wenn wir nicht von hier be­ ginnen, werden wir früher oder später von unseren Einbil­ dungen eingefangen, daß es schwer möglich wird, wieder zu entkommen. An einem Punkt müssen wir nackt sein, nichts haben, nichts mit uns tragen." 340 Im Zen gibt es das Gleichnis der Veränderung unserer Wahrnehmung, das gut zu dieser Idee paßt: Am Anfang sehen wir Bäume, Flüsse und Berge. Im Laufe der Arbeit und Meditation verändern sich Bäume, Flüsse und Berge, sie sind nicht mehr das, was sie waren. Am Ende sehen wir wieder Bäume, Flüsse und Berge, so als ob nicht geschehen sei.

Positiver Aspekt: Weil er den Wunsch hat, mehr zu werden als er ist, und mehr als er kann und werden könnte, arbei­ tet der einfache Idiot an sich selbst und entwickelt sich weiter. Negativer Aspekt Weil er einen gewissen Kontakt mit der Realität hat, kann er selbstzufrieden werden und den Wunsch vernachlässigen, sich weiterzuentwickeln.

2. Der selbstgefällige Idiot Der selbstgefällige Idiot hat „etwas Besonderes". Dieses „Etwas" ist aber ein Ausdruck seiner Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit. Vielleicht hat er einen interessanten, ein­ träglichen Beruf. Vielleicht hat er bereits zwei „Selbst­ entfaltungsseminare" besucht oder mit einem Schamanen in der Mongolei Tee getrunken und meint deshalb, er kön­ ne bereits „tun". Jeder sieht, daß seine Arroganz auf Ein­ bildung beruht, wobei er mit jeder neuen „Entdeckung" einer scheinbar interessanten Gruppe oder eines interes­

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santen Gurus nur seiner Persönlichkeit und seinem Ego etwas hinzufügt, ohne daß sein Wesen davon berührt wird. Natürlich ist er noch weit vom inneren Wachstum entfernt. Seine Schwierigkeit ist, daß er der Täuschung unterliegt, er könne bereits etwas tun. Er ist der typische Intellektuel­ le, der immer alles besser weiß. Er verachtet im allgemei­ nen den „einfachen Idioten", kann aber gleichzeitig nicht ohne ihn bestehen. Allerdings ist seine Fähigkeit, sich im Leben zurechtzufinden, unter dem Gesichtspunkt der Ar­ beit eine sehr nützliche Eigenschaft - wenn er lernt, sie für sein inneres Wachstum produktiv zu nutzen. Jeder kennt diesen Typ: Erzählen Sie ihm etwas, was Sie gerade neu entdeckt haben, ein Buch, ein Film, eine Idee. Er weiß es bereits schon - und hat immer Argumente da­ gegen. Entspricht der Karte „Das Gericht": Wir müssen aus dem Schlaf aufwachen, vom „Totenbett" aufstehen. Auf dieser Stufe müssen wir die Kleidung unser üblichen Selbsttäu­ schung abiegen.

Positiver Aspekt: Obwohl er „Etwas" in sich hat und das weiß, kann ihm klarwerden, wie wenig er tatsächlich ent­ wickelt und wie unbeständig sein Charakter ist. Nimmt er diese Erkenntnis an, kann er den Pfad weiterverfolgen. Negativer Aspekt: Da er bereits etwas erreicht hat, wird er davon gefangengenommen, er identifiziert sich damit und pflegt seine Eitelkeit.

3. Der Erzidiot Gurdjieff liebte das Präfix Erz, das für Erzbischof, Erzen­ gel, Erzteufel usw. benutzt wird. Der Erzidiot ist ein from­ mer Mensch, der alles glaubt, ohne Fragen zu stellen. Das

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Wort „Erztyp" kann auch mit „Archetyp" ausgetauscht wer­ den. Wir haben hier also einen „archetypischen Idioten" vor uns, der weder „einfach" noch „selbstgefällig" ist. Der Erzidiot hat aber kein entsprechendes inneres Verständnis für wesentliche Dinge, er versucht nicht, selbst der Wahr­ heit auf den Grund zu gehen. Die äußere Rolle, die er spielt, übersteigt seine inneren Fähigkeiten und sein Verständnis. Der Erzidiot steckt in der Situation eines Menschen, der von äußeren Zeichen oder Wundern beeindruckt ist und nicht verstanden hat, daß Religionen oder „ultimative" spi­ rituelle Wege die eigene Nichtigkeit nicht verdecken kön­ nen. Der Erzidiot ist der typische „Groupie": Er sucht immer den Dunstkreis eines Menschen, der eine wichtige Position hat, der erfolgreich ist, ein Guru oder Meister. Er meint, die Sonne seines Meisters ersetzt seine eigene Sonne. Der Erzidiot könnte der Tarotkarte „Die Sonne" entspre­ chen; dort stehen die Sonnenzwillinge, die die zwei Seiten dieser Stufe darstellen: Nur weil er von der Sonne eines Vorgesetzten oder Meisters beschienen wird, bildet er sich ein, er habe bereits eine höhere Stufe seiner Entwicklung erreicht. Auf der anderen Seite hat ein Erzidiot, der sich auf dem Aufwärtspfad befindet, eine innere Kraft und Aus­ strahlung, die von seinen Mitmenschen Respekt ab verlangt.

Positiver Aspekt: Er erkennt die Kluft zwischen seiner äu­ ßeren Rolle oder Position und dem, was er wirklich ist. Er fühlt sich wie ein heuchlerischer Schauspieler. Diese Ein­ sicht führt ihn dazu, wirklich an sich zu arbeiten. Negativer Aspekt: Seine Puffer verhindern, daß er diese Widersprüche sieht. Er bleibt in seiner Rolle stecken.

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4. Der hoffnungslose Idiot Rene Zuber berichtet: „Der vierte Trinkspruch, der 'auf die Gesundheit aller hoffnungslosen Idioten' dargeboten wur­ de, war von einem ausführlichen Kommentar begleitet, den der tamada (der Direktor) Wort für Wort wiederholen muß­ te, selbst dann, wenn er dessen tiefste Bedeutung nicht auszuloten vermochte. ... Die Hoffnungslosen wurden in zwei Kategorien eingeteilt: Die einen waren Kandidaten, die 'wie Hunde verenden', während die anderen Anwärter­ schaft auf einen ehrenvollen Tod besaßen. Dabei wurde folgende Unterscheidung gemacht: Die ersteren waren ohne objektive Hoffnung (sie werden wie Hunde verenden), die anderen ohne subjektive Hoffnung (dazu berufen, ehren­ haft zu sterben)." 341 Der objektiv hoffnungslose Idiot benutzt die „innere Ar­ beit" als Vermeidungsstrategie. Er ist ständig mit irgend etwas beschäftigt, nimmt alle möglichen Schwierigkeiten auf sich, macht alles, was der Lehrer von ihm will. Er „ar­ beitet, um der Arbeit aus dem Weg zu gehen." Um ein subjektiver hoffnungsloser Idiot zu sein, muß man begon­ nen haben, ernsthaft an sich selbst zu arbeiten. Gurdjieff nutzte diesen Trinkspruch bei jeder Gelegenheit, um zu betonen: „Jeder Mensch muß ein Ziel haben. Wenn er kein Ziel hat, ist er kein Mensch. Und es ist ein sehr einfaches Ziel, nicht wie ein Hund zu verenden. Und wenn du dieses Ziel erreicht hast, einen ehrenvollen Tod zu sterben, dann kannst du dir ein größeres Ziel setzen." 342 Mit ehrenvollem Tod meint Gurdjieff natürlich nicht „auf dem Schlachtfeld des Krieges", sondern vielmehr auf dem „Feld der Selbst­ verwirklichung" gekämpft zu haben. Ein hoffnungsloser Idiot (objektiv) rennt immer hinter scheinbar wichtigeren Lehrern, Schulen, Ideen hinterher, sammelt „Papers" bei Konferenzen, legt Archive an, ist eine typische „Betriebsnudel", ständig aktiv für irgendwelche „absolut" wichtigen Dinge.

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Ein hoffnungsloser Idiot (subjektiv) verhält sich ähnlich, doch sein Wesen bleibt nicht unberührt von den Aktivitä­ ten, bis er eines Tages bemerkt, daß nicht die Äußerlich­ keiten zählen. Dann ist er kein hoffnungsloser Idiot mehr. Dieser Idiot entspricht der Mondkarte im Tarot. Wir müs­ sen ein Ziel haben, um bereit zu sein, unseren Wesens­ kern zu entwickeln. Sonst sind wir „Futter für den Mond", also von unbewußten Einflüssen abhängig, die uns inner­ lich auffressen, wie Gurdjieff die Menschen beurteilt, die nicht an sich arbeiten.

Positiver Aspekt: Dieser Idiot fühlt sich hilflos, sogar ver­ zweifelt. Dadurch kann er die Arbeit weiterführen, mit dem Ziel vor Augen, „nicht wie ein Hund zu sterben". Mit Demut gibt er sich dem Ziehen seines wirklichen Ichs hin. Negativer Aspekt: Dieser Idiot gefällt sich in seiner Hoff­ nungslosigkeit, die er manchmal wahrnimmt, ist selbstzu­ frieden mit dem Erreichten. Er bemüht sich nicht, ein kla­ res Ziel für sich abzustecken und hört auf, an sich selbst zu arbeiten.

5. Der mitfühlende Idiot Der mitfühlende Idiot wird von Gurdjieff in zwei Arten ein­ geteilt: als sympathetisch 343 (tatsächlich mitfühlend und im Unsichtbaren wirkend) und antipathetisch (unsympa­ thisch, gefühllos). Später führte er noch „soundso" für Men­ schen ein, die weder „Fisch noch Fleisch" sind, deren Mit­ gefühl recht oberflächlich ausgeprägt ist, Menschen, die zwar mitfühlend reagieren, aber nichts tun. Der wirklich mitfühlende Idiot „sieht einen Menschen im Schmutz liegen, in zerrissener Kleidung, hungrig, hilflos. Er geht sofort zu ihm und hilft ihm auf jede Weise, er gibt

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ihm sogar sein eigenes Hemd. Der antipathetische Idiot macht genau das gleiche, aber nur deshalb, weil der Vater seiner Verlobten aus dem Fenster schaut." 344 Der mitfühlende Idiot „soundso" gibt manchmal und manch­ mal nicht, das hängt vielleicht vom Wetter ab.... Dazu paßt die Zen-Geschichte von Bankei, zu dem ein Schüler kam und klagte: „Meister, ich habe eine unbeherrschte Laune. Wie kann ich sie heilen?" „Zeig sie mir", antwortete Bankei. „Ich kann sie gerade nicht zeigen." „Wann kannst du sie mir zeigen?" „Sie kommt ganz unerwartet", meinte der Schüler. „Dann", folgerte der Meister, „kann sie nicht deine wahre Natur sein." Im Gegensatz zum „hoffnungslosen Idioten", der nur auf sich konzentriert ist, immer im Mittelpunkt der Aktion ste­ hen will, sieht der mitfühlende Idiot sich im Verhältnis zu anderen Menschen. Wenn er sich nicht selbst täuscht, er­ kennt er, daß er anderen nur helfen kann, wenn er ein gewisses inneres „Sein" erworben hat. Dieser Idiot entspricht der Ta rot karte „ Der Stern Die Ster­ ne, d. h. das Gewissen, führen ihn auf dem Weg, so daß er seine Qualitäten nach außen strömen lassen kann.

Positiver Aspekt: Er hat Herzensgüte und ist offen für das Leiden anderer Menschen. Er handelt aus echtem Mitge­ fühl und ist in der Lage, Menschen zu helfen. Negativer Aspekt: Sein Mitgefühl wärmt sein Ego und stärkt die Eigenliebe, wodurch er tatsächlich blind für die Nöte anderer wird, auch wenn er anscheinend hilft.

6. Der sich windende Idiot Dieser Idiot meint, er wäre besonders schlau. „Er will nicht wahrhaben, daß er ein Idiot ist. Dieser Idiot kommt zu mir, und bittet mich um meine Hilfe. Ich beweise ihm, was für

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ein Idiot er ist. Er stimmt zu, er sei einer. Dann geht er weg und grübelt darüber nach: 'Aber warum bin ich ein Idiot? Habe ich nicht etwas für 100 Francs eingekauft und für 200 verkauft? Ich bin also kein Idiot, Gurdjieff ist ei­ ner'" Er ist der Typ von Mensch, der ständig anruft oder kommt, seine Leiden oder seltsamen Erlebnisse klagt, im­ mer den Rat sucht und stundenlang über sich redet. Na­ türlich weiß er alles besser - und macht schließlich doch, was er will - auch wenn es dem erbetenen Rat entgegen­ gesetzt ist. Gurdjieff brachte ein schönes Beispiel für die­ sen Idioten: „Er ist wie ein Fisch, der an Land gespült wur­ de. Er hat nur wenig Zeit, um wieder ins Wasser zu gelan­ gen. Aber er hat keine Füße. Wenn ich ihn ergreife, um ihn ins Wasser zurückzuwerfen, windet er sich und fällt aus meiner Hand, so daß ich ihm überhaupt nicht helfen kann." Bennett erläutert diese Bilder: „In beiden Fällen ist es schwer, zu helfen. Der Konflikt besteht zwischen der inne­ ren und äußeren Welt. Weder hat er Glauben noch ist er hoffnungslos. Er ist nicht mitfühlend, denn dafür ist er zu sehr mit seiner eigenen Welt beschäftigt. Und dennoch kämpft er mit sich. Er ist nie zufrieden... Das positive dar­ an ist, daß er überhaupt kämpft und daraus vielleicht doch ein Ergebnis erzielt." 345 Der sich windende Idiot entspricht der Karte "Der Turm". Unser Ego muß wie durch einen Blitzschlag getroffen zu­ sammenbrechen, sonst ist keine weitere Hilfe möglich.

Positiver Aspekt: In plötzlicher Einsicht erkennt er, daß die einzige Hoffnung, die bleibt, das Vertrauen in die Führung durch die geistigen Kräfte ist. Negativer Aspekt: Er kann diese Hilfe nicht annehmen, weil er wie ein Fisch zappelt und nicht erkennt, daß eine hel­ fende Hand ausgestreckt ist.

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Die Wissenschaft der Idioten

7. Der quadratische Idiot Gurdjieff erläuterte ihn folgendermaßen: „Der quadrati­ sche Idiot ist manchmal kein Idiot. Er ist ein Kandidat für den runden Idioten. Der runde Idiot ist immer ein Idiot, doch der quadratische hat manchmal einen Augenblick der geistigen Klarheit in sich." Der quadratische Idiot ist näm­ lich kein Idiot, wenn er in den Ecken steht. Der quadratische Idiot identifiziert sich meistens mit Din­ gen, die nicht seine eigenen sind. Manchmal identifiziert er sich mit eingebildeten Dingen, manchmal mit wirklichen. Aber immer identifiziert er sich mit etwas, das ihm „unbe­ dingt wichtig" erscheint. Wie das Bild so schön illustriert ist er ein Mensch, der „im Quadrat läuft". Dieser Mensch lebt ständig unter äußerer Anspannung. Nur eine konkrete Notwendigkeit oder ein Mangel kann diesen Menschen dann veranlassen, sich wirklich zu bemühen, am Leben etwas zu ändern. Dann hat er auch ein Erfolgserlebnis. In den Ecken des Quadrats kann eine Richtungsänderung vorgenommen werden. Doch meistens ändern diese Men­ schen dauernd ihre Richtung, ändern ständig ihre Meinung. Der quadratische Idiot hat durchaus 'praktische' Fähigkei­ ten, er ist derjenige, der immer weiß, wie er etwas organi­ sieren oder reparieren kann. Er wendet diese praktischen Fähigkeiten aber häufig für Aktivitäten an, die eigentlich illusionär sind, weil sie ihn nicht weiterbringen. Wenn die­ ser Idiot dann tatsächlich daran glaubt, daß diese Aktivi­ täten einen objektiven Wert besitzen, verliert er den Be­ zug zur Realität vollständig. Wenn ein quadratischer Idiot seine Lage begreift - auch innerhalb seiner eigenen Begrenzungen - kann er sich für ein objektives, nicht eingebildetes Ziel einsetzen. Wenn er sich mit Dingen und Problemen identifiziert, die nicht seine eigenen sind, also seiner Neigung zum Opportunismus folgt, ist er verloren, d.h. bleibt in seiner quadratischen Idiotie stecken.

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Dieser Idiot entspricht dem „ Teufet" der Tarotkarte. Sie drückt die illusionäre Persönlichkeit aus, die Kräfte der ma­ teriellen Welt ziehen uns in ihren Bann. Objektiv gesehen hat das mit dem Bild des „ Teufels"zu tun, der uns etwas vorspiegelt und uns dadurch an die Weit fesselt. Wir sind mit uns selbst identifiziert. Wenn dieser Mensch seine Lage durchschaut, kann ersieh aus diesem Gefängnis befreien.

Positiver Aspekt: Wenn er sich an den Ecken seines Qua­ drats im rechten Moment zusammenreißt, kann er die rich­ tige Entscheidung treffen und die Richtung ändern. Er be­ hält seine Einsicht und wird zum runden Idioten... Negativer Aspekt: Er bleibt unfähig, in kritischen Situation die richtige Entscheidung zu treffen, und bleibt in seiner quadratischen Starrheit gefesselt.

8. Der runde Idiot Der runde Idiot hat seine quadratische Starrheit verlas­ sen. Aber der runde Idiot bleibt immer sich selbst, er kann nicht anders. Sein Wesen ist gefestigt. Deshalb umkreist er sich selbst und bleibt in seinem eigenen Kreislauf stekken. Ein runder Idiot sieht alle Dinge relativ, er kann we­ der werten noch unterscheiden. Sein Wissen ist umfang­ reich, aber er hat noch keinen „Charakter", keine eigene Tiefe. Meistens faßt er alles auf eine „falsche" Weise auf: Man sagt A, er meint B. Einmal sagte Gurdjieff, daß ein runder Idiot in einer besonders schwierigen Situation sei: Es gibt keine Stelle im Kreis, von der er entkommen kön­ ne. Deshalb wird er von Zeit zu Zeit „hysterisch" [heutzu­ tage würde man sagen, „er flippt aus"], und wenn er Glück hat, wird er zum Zickzack-Idioten werden. Aber bis dahin wird er keine Verantwortung für sich und andere überneh­ men. Eigentlich ist er sehr glücklich dran: Was auch immer

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er macht, niemand kann ihm etwas vorwerfen. Er wird sa­ gen: „Was könnt ihr erwarten! Ich bin ein runder Idiot." 346 Gurdjieff sagte, daß ein runder Idiot sehr schwer und an­ dauernd mit sich kämpfen muß. „Wenn er seine besondere Idiotie erkennt, wird er Tag und Nacht darum kämpfen, frei zu sein." 347 Aber da er ein runder Idiot ist, kann er den Kreis nicht verlassen. Doch immer wieder versucht er, sich von seiner selbstbeschränkenden Vollendung, die der Kreis symbolisiert, zu befreien. Dieser Wunsch verleiht ihm die Stärke, eine Öffnung zu finden, die ihn aus seinem Ge­ fängnis des Kreises hinausläßt. Wenn ein solcher Idiot sich seiner Unzulänglichkeit bewußt wird, hat er immer einen „Erinnerungsfaktor" in sich, der ihn dazu bringt, auf eine Weise an sich zu arbeiten, wie es andere nicht können. Diese Situation wird durch die „Mäßigkeit" im Tarot aus­ gedrückt. Der Engel schüttet Wasser von einem Gefäß in das andere. Als „Schutzengel" verkörpert er die Hilfe, die wir bekommen, um unserem Leben eine neue Richtung zu geben - wenn wir sie annehmen.

Positiver Aspekt: Da er unablässig mit sich kämpft, um aus dem Teufelskreis hinauszugelangen, aus seiner eige­ nen selbstbeschränkenden Vollkommenheit, kann er schließlich eine Lücke in den Kreis schlagen und weiterge­ hen. Negativer Aspekt: Der Kreis wird zum Gefängnis. Er ist eingelullt von der Perfektion seines Kreises, die ihn hypno­ tisiert. Er identifiziert sich mit dem Erreichten und findet keinen Ausweg.

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9. Der Zickzack-Idiot Der Zickzack-Idiot ist aus dem Kreis ausgebrochen, hat seine Selbstzentrierung verloren und geht in eine Richtung, die jedoch nicht klar ist. Er hat das Gefühl, alle Ordnungen überwunden zu haben. Dieses Gefühl, alles sei offen, es gibt keine festen Regeln mehr, ist eine notwendige Vorbe­ dingung zur Erleuchtung. Dieser Idiot wurde immer auf witzige Weise behandelt. Der typische Trinkspruch war: „Auf die Gesundheit aller Zickzack-Idioten, sie haben fünf Freitage in der Woche. Und auf die Gesundheit aller hysterischen (d.h. überspannten) Wesen und auf die Gesundheit aller drei Geschlechter." Warum hat der Zickzack-Idiot „fünf Freitage in der Wo­ che"? Jeder Tag der Woche ist für ihn ein Freitag: Er wird nie mit der Arbeit fertig und steht immer am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der Zickzack-Idiot hat keine Sta­ bilität in sich. Sein Kennzeichen ist extravertierte Stärke und introvertierte Schwäche. Auch wenn er Anstrengun­ gen unternimmt, tritt er auf der Stelle. Da er keine innere Festigkeit hat und zwischen diesen Extremen schwankt, ist er immer etwas überspannt, immer aufgedreht wie eine Feder. Nach Gurdjieff „macht er vielleicht Fehler, aber er hört nie auf zu kämpfen." Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem „sich windenden Idioten" ist unverkennbar. Tarotkarte „Der Tod" - Abschneiden der Illusionen...

Positiver Aspekt: Wenn der Zickzack-Idiot seine Fantasien und Einbildungen wegräumt und eine gerade Linie findet, entwickelt er auch innere Stärke. Wenn er dieses Problem als Erinnerungsfaktor annimmt, kann er sich entwickeln. Negativer Aspekt: Wenn er keine Linie findet, verliert er sich in seiner „Verrücktheit", und der Impuls, an sich zu arbeiten, geht in seiner Verworrenheit unter.

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Exkurs: Drei Idiotentypen - drei Aspekte John G. Bennett schlägt vor, die erste Folge der Idioten zu Triaden zusammenzufassen: Der erste Idiot in der Triade repräsentiert den statischen Aspekt eines Menschen, der zweite in der Triade die dynamischen Manifestationen und der dritte ist der gemeinsame Nenner ihrer Handlungswei­ se. „Dies kann bedeuten, daß es eine bestimmte Analogie zwischen den Idioten innerhalb ihrer Triade gibt... Sie stel­ len jeweils eine andere Stufe in der Verwirklichung eines bestimmten Aspektes der menschlichen Erfahrung dar." 348 Ein einfaches Beispiel für die Qualität einer Triade ist die Wechselwirkung zwischen aktiver, passiver und vereinigen­ der Kraft. Jede Dynamik benötigt diese drei grundlegen­ den Antriebe. Aus der Wechselwirkung zwischen der akti­ ven und passiven oder rezeptiven Kraft ergibt sich ein drit­ ter Faktor, die synergetische Kraft, die beide Kräfte in sich aufhebt, aber eine eigene Qualität hat. Die Wirkkräfte in einer Triade haben jeweils eine eigenständige Qualität. Das Bild „Mutter-Vater-Kind" illustriert eine Form der Triade. Aus einer Zweierbeziehung wird eine Dreierbeziehung, die das Verhältnis von Mann und Frau grundlegend verändert. Das Kind ist zwar das Ergebnis der Beziehung, wenn es aber in die Beziehung tritt, hat es eine eigene Kraft, die die Richtung der Beziehung stark beeinflußt. Wenden wir diese Überlegung auf die ersten neun Idioten an: 1. Der einfache Idiot: statischer Aspekt 2. Der selbstgefällige Idiot: aktiver Aspekt 3. Der Erzidiot: vereinigender Aspekt 4. Der hoffnungslose Idiot: statischer Aspekt 5. Der mitfühlende Idiot: aktiver Aspekt 6. Der sich windende Idiot: vereinigender Aspekt

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7. Der quadratische Idiot: statischer Aspekt 8. Der runde Idiot: aktiver Aspekt 9. Der Zickzack-Idiot: vereinigender Aspekt Man sieht deutlich, daß z.B. im letzten Triadenbeispiel der Zickzack-Idiot beide Erscheinungsformen des quadratischen und runden Idioten in sich trägt, sozusagen die „Quadra­ tur des Kreises" ist. Der quadratische Idiot ist mit sich selbst beschäftigt, der runde Idiot mit der Außenwelt, der Zick­ zack-Idiot schwankt zwischen beiden Aspekten hin und her. Dennoch hat er mehr Möglichkeiten, auf seinem Weg vor­ anzukommen, weil er eine gerade Linie finden kann. Wir können vielleicht sogar die drei zusammengehörigen Idioten nach den funktionalen Aspekten der drei Zentren zuordnen, das heißt der statische oder rezeptive Typ ent­ spricht einem Menschen, bei dem das Gefühlszentrum im Vordergrund steht, der aktive Typ wäre körperorientiert und der synergetische Typ hätte seinen Schwerpunkt im Denken. Auf diese Weise entspräche jede der sieben Idiotentypen-Triade einem Menschen auf einer entsprechen­ den Entwicklungsstufe. 349 Die Idioten im inneren Dreieck des Enneagramms bringen Impulse von außen.

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Nun gehen wir die Stufenleiter der Entwicklung unserer Vernunft weiter und stoßen auf neue Herausforderungen.

10. Der erleuchtete Idiot Der erleuchtete Idiot „überwindet große Schwierigkeiten, um nicht nur mehr Wissen zu erhalten, sondern wirkliches Verstehen zu erwerben. Diese Arbeit verändert ihn, und er erklettert die Stufe, bis er erleuchtet ist. Dann weiß er al­ les, was für ihn zu wissen möglich ist. Er weiß, was er tun muß, um wirkliche Freiheit zu erlangen. Doch er kann es nicht tun." 350 Auf einer Stufe angelangt, auf der er sich nicht mehr auf sein Wissen verlassen kann, sondern am Sein arbeiten muß. Er ist „erleuchtet", doch hilft ihm das nicht weiter, weil er darin gefangen ist. Die Sufis unterscheiden deshalb zwischen hat, der tem­ porären Vision oder Erleuchtung, und makam, Zustand des Seins. Deswegen gilt jeder Erleuchtete für Gurdjieff als Pro­ blemfall, weil er zwar einen Blick in die Wirklichkeit gewor­ fen hat, aber noch nicht die Wesensfestigkeit erworben hat, die notwendig ist, um auf dem Weg weiterzugehen. „Selbst Gott kann ihm nicht helfen", sagt Gurdjieff auf sei­ ne ihm eigene Art. Der erleuchtete Idiot ist in einer Sackgasse. Er fühlt sich zum geistigen Lehrer berufen, weil er einen Einblick in die ganze Wirklichkeit gewonnen hat. Vielleicht fühlt er sich sogar zum „Guru" berufen. Um aber weiter zu kommen, muß er dies alles aufgeben, was er erreicht hat und zur Stufe des einfachen Idioten zurückkehren, um neue Kraft aus der Unschuld zu schöpfen. Die Tarotkarte „Der Gehenkte" symbolisiert die Situation des Erleuchteten. An einem Bein hängend mit dem Kopf nachunten. Es wird deutlich, daß der „Erleuchtete" erheb­ liche Probleme hat: Er muß sein Ego aufgeben und sich

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unter den Willen einer höheren Kraft stellen. Auf dem Weg des Wissens ist es unmöglich, ohne innere Festigkeit, ohne gefestigten Wesenskern weiterzukommen.

„Wir müssen jeden Anspruch, besondere Menschen zu sein, fallen lassen, um wirkliche Freiheit zu erlangen." J.G. Bennett

Positiver Aspekt: Er erkennt, daß die Erleuchtung, die er gewonnen hat, keine „persönliche" Errungenschaft ist, son­ dern ein Geschenk. Er akzeptiert, daß diese Gnade oder Hilfe ihn auf diese Stufe gebracht hat, und daß er bereit sein muß, in Demut weitere Hilfe anzunehmen. Das ge­ lingt nur, wenn er seine eigene Nichtigkeit anerkennt. Negativer Aspekt: Sein Stolz verleitet ihn zu glauben, er habe alles aus eigener Kraft erreicht und bläht sein Ego auf, so daß das „wirkliche Ich" keinen Platz im Zentrum hat. Auf diese Weise bleibt er in seiner Entwicklung stehen und führt andere Menschen in die Irre.

11. Der zweifelnde Idiot „Ich liebe diesen Idioten. Er zweifelt daran, ein Idiot zu sein und dann sieht er es." 351 C. S. Nott erklärt noch: „Ich war immer verunsichert über diesen Idioten. Monatelang hörte ich nichts über ihn, außer daß er 'die Scheiße der Scheiße' sei. Dann gab es plötzlich zwei Arten: Der eine war antipathetisch, d.h. er wünscht nur clever zu sein, und der sympathetische zweifelt ernsthaft. Über ihn sagte Gurdjieff: 'Ich liebe diesen Idioten - mit ihm würde ich die ganze Nacht durchtrinken'." 352 Gurdjieff benutze gerne die Begriffe „sympathetisch", d.h. mitfühlend, und „anti­ pathetisch", eines der von ihm selbstgeschaffenen Wörter. Antipathetisch meint eigentlich „unsympathisch", ohne Mit­

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gefühl. Im Falle des antipathetischen Zweiflers verachtet er dessen Cleverness, die ja nicht von Herzen kommt. Auf gewisse Art wurde der Zweifler manchmal mit dem runden Idioten verglichen, weil er sich wie dieser im Kreis dreht. Er weiß nicht, wie es weitergehen soll und ob er überhaupt auf dem Weg vorankommt. Aber Zweifel sind auch eine Stärke, denn im Gegensatz zum erleuchteten Idioten hat der Zweifler nicht mehr das Gefühl, alles er­ reicht zu haben. Der Zweifler grübelt zuviel über sich und die Welt. Er stellt alles in Frage, den Glauben, das Wissen und das Werk. Wenn er die Zweifel als Antrieb nutzt, seine innere Kraft zu stählen, kann er seinen Weg machen. Dieser Idiot entspricht der Karte „Die Stärke". Bis der Mensch seine innere Stärke jenseits der Zweifel gefunden hat, wird er in seiner Entwicklung stehenbleiben und viel­ leicht sogar die „Arbeit an sich selbst" vernachlässigen. Erkennen wir unsere Stärken, können wir den Löwen in uns wecken. Das Unendlichkeitszeichen auf dem Kopf der Frau zeigt, daß die Möglichkeiten nun unbegrenzt sind.

Positiver Aspekt: Dieser Idiot zweifelt ehrlich, von ganzem Herzen. Er zweifelt sogar an seiner Idiotie. Und da er dar­ an zweifelt, ist er nicht damit identifiziert und ist fähig, sich selbst zu sehen. Er hat ein Ziel vor Augen. Negativer Aspekt. Er zweifelt zwar, doch dieser Zweifel ist eine Selbsttäuschung und kommt nicht von Innen, seinem Wesen. Er ist clever und überschätzt sich selbst. So bleibt er in seinem eigenen Dualismus hängen und der Zweifel führt nur zu weiterem Zweifel, vielleicht sogar in die Ab­ lehnung eines jeglichen Sinns.

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12. Der prahlende oder angeberische Idiot Der prahlende Idiot hat seine Zweifel überwunden. Der natürliche Glanz der Zufriedenheit scheint durch seine Ar­ beit hindurch. Er hat einiges auf dem Weg erreicht, das allerdings ein gefährliches magnetisches Feld um ihn her­ um erschafft. „Zu den vielen besonderen Zügen der Psy­ che dieses seltsamen Vogels gehört auch der, daß der Trut­ hahn, man weiß nicht warum, es immer für nötig hält, groß zu tun und sich grundlos aufzublähen. Er macht sich sogar wichtig und bläht sich selbst dann auf, wenn ihn niemand sieht und tut es in solchen Fällen dann einzig aus seiner eigenen Einbildung und seinen dummen Träumerei­ en heraus." 353 Dieser ist das Gegenstück zum erleuchteten Idioten. Er hat Visionen gehabt und seine Zweifel überwunden. Da­ durch hat er eine Stufe der Entwicklung jenseits der Sta­ gnation des erleuchteten Idioten erreicht. Doch er muß erkennen, daß sein Ego jeden Fortschritt verhindert. Der prahlende Idiot ist der „Guru", der auf halbem Weg ste­ hengeblieben ist. Er sammelt Schüler um sich, die ihn ver­ göttern, und er verkündet Weisheiten, die er noch nicht wirklich verstanden hat. Wenn der Angeber reumütig erkennt, daß er einen Platz eingenommen hat, den er nicht halten kann, hat er die Chance, aus seinem Gefängnis der Eitelkeit und Großspu­ rigkeit auszubrechen. Wahrscheinlich muß er wie der er­ leuchtete Idiot wieder auf die Stufe des einfachen Idioten herabsteigen, um die einfachen Dinge des Lebens zu er­ fahren. Nur weil er bereits an seinem Wesen gearbeitet, Charakterstärke hat und Menschen führen kann, ist er nicht frei vom Egoismus. Der prahlende Idiot, der sich dessen nicht bewußt ist, ge­ rätin einen endlosen Teufelskreis, wie es das „Schicksals­ rad" im Tarot darstellt. Menschen, die voller Energie und

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Begeisterung von der Antriebsenergie getragen werden, sind nicht bewußt, reichen des Zenits unvermeidlich vom getragen werden. Wir müssen lernen, einzuschätzen.

des Rades nach oben daß sie mit dem Er­ Rad wieder herunter­ diese Situation richtig

Positiver Aspekt: Stolz und Eitelkeit führen zur Einbildung, doch gleichzeitig ist dieser Idiot offen für jede Gelegen­ heit, weiterzukommen. Er ist bereits in der Lage, seine Schwächen zu sehen, und deshalb ist es ihm auch mög­ lich, aufzuwachen und sein Ego sterben zu lassen. So wird aus dem „prahlenden Idioten" der „reumütige Idiot", der in manchen Berichten auch als eigene Stufe herausgestellt wird. Ich denke jedoch, daß dies vor allem den positiven Aspekt des zweifelnden Idioten betont. Negativer Aspekt: Er verhält sich wie ein Truthahn, und da er sich mit seiner Eitelkeit identifiziert, ist er davon über­ zeugt, daß er keine äußere Hilfe mehr benötigt. Das führt zur Ablehnung der Gnade, die ihm weiterhelfen kann. So hält er seine geistige Unreife für eine Stärke, die ihn daran hindert, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich das Ego fallenzulassen. Selten ging Gurdjieff während der Mahlzeiten über die er­ sten zwölf Idioten hinaus. Die nächsten drei Idioten sind nicht leicht zu verstehen, weil sie bereits eine entwickeltere Stufe erreicht haben. Ihre Merkmale liegen in ihrer Charak­ terstruktur verborgen. Die Triade aus „geboren, patent und genial" weist deutlich auf Charakterzüge von Menschen hin, die man als „in sich zentriert" bezeichnen könnte. Auf die­ ser Ebene muß der Wille ins Spiel kommen, das „wirkliche Ich", um die Probleme zu meistern, die mit diesen Idioten verbunden sind. Denn jemand, dessen Wesen erstarrt ist, kann sich nicht ohne eine Kraft, die stärker ist als das Wesen, verändern oder weiterentwickeln.

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13. Der „echte" oder „geborene" Idiot Nachdem der „prahlende Idiot" reumütig an seiner Selbst­ darstellung und Eitelkeit gearbeitet hat und im wahren Selbst zentriert ist, ist er nun ein „echter Idiot". Jetzt hat er eine Stufe der Integration erreicht, auf der er seine Persönlichkeitsmuster wirklich durchschauen kann und nicht mehr damit identifiziert ist. Er hat nun viele Freiheiten der Entscheidung, da seine Individualität bereits seine Hand­ lungen beeinflußt. Er fühlt sich selbstsicher und handelt bewußt. Doch da auf dieser Ebene noch starke Schwan­ kungen in seinen Gefühlen und Gedanken Vorkommen kön­ nen, wird er nicht leicht merken, daß auch er weiter an sich arbeiten muß. Die Tarotkarte "Der Einsiedler" symbolisiert den gebore­ nen Idioten. Er trägt sein eigenes Licht vor sich her. Die Gefahr dieser Stufe besteht darin, daß er statisch wird und nicht aus seiner selbstgeschaffenen Höhle heraus­ kommt.

Positiver Aspekt: Ein Mensch, der diese Stufe erreicht hat, ist bescheiden geworden und weiß, daß er nichts weiß. Um wirkliche Selbsterkenntnis zu haben, wird es für die­ sen Idioten wichtig sein, die tieferen Ebenen in sich zu er­ kennen und sich an den wirklichen Willen anzuschließen. Negativer Aspekt. Während der erleuchtete Idiot, der ihm in der Triade entspricht, mehr Wissen als Sein angesam­ melt hat, ruht der geborene Idiot im Sein und bemüht sich weniger um Wissen. Die Gefahr ist, daß er selbstgenüg­ sam in sich ruht und jegliche Dynamik des Lebens vergißt.

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14. Der patente Idiot Dieser Mensch ist noch stärker in seinem Wesen veran­ kert. Er ist nicht mehr von der materiellen Welt angezo­ gen. Er ist geschickt, handelt ohne zu zögern, weiß immer eine Lösung. Diese praktische Veranlagung, die durch den bereits bestehenden Kontakt mit seinem Willen ausgeprägt ist, kann allerdings dazu führen, daß der patente Idiot meint, alles fliegt ihm zu, er hat immer den richtigen Rie­ cher. Häufig ist er zu schnell, zu unreflektiert in seinen Handlungen, weil er sich so sicher ist, das Richtige zu tun. Er ist weltgewandt und eloquent. Er weiß um seine Quali­ täten. Selbstverständlich führt das leicht zur Überhöhung des Egos. Der patente Idiot meint, immer schlauer zu sein. Folgende Geschichte mag das illustrieren: Nasruddin beschloß, et­ was Neues zu lernen. Er ging zu einem berühmten Klavier­ lehrer und fragte: „Wieviel kostet Ihr Unterricht",, Im er­ sten Monat 100 DM die Stunde, im zweiten Monat 80 DM und im dritten 60 DM die Stunde."„Ausgezeichnet", mein­ te Nasruddin. „Dann fange ich im dritten Monat an." Die „Gerechtigkeit" der Ta rot karte gibt uns einen weiteren Hinweis: Gerechtigkeit kann eine gute Sache sein, wenn sie viele Aspekte der Wirklichkeit sieht, beachtet und inte­ griert. Doch häufig ist sie nur mit ihren eigenen Zielen beschäftigt und auf einem Auge blind.

Positiver Aspekt: Er ist fähig, alles loszulassen, was ihn auf dem Weg behindert. Er übernimmt Verantwortung für sich und andere. Diese Verantwortung hilft ihm, die richti­ gen Entscheidungen zu treffen. Negativer Aspekt: Da er in vielen Lebenslagen geschickt ist, kann das dazu führen, daß er seine Rolle zu ernst nimmt, und so in seiner „Besonderheit" stecken bleibt.

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15. Der „geniale" Idiot Der letzte Idiot dieser Triade, die auf Wesensqualitäten hin­ weist, die wie angeboren erscheinen, hat auf Gurdjieffsche Art eine für ihn typische, kritische Variante. Er nannte die­ se Menschen „stinkvornehm", denn Menschen mit guter Bildung und Ausbildung, erfolgreich im Beruf oder erfolg­ reiche Wissenschaftler kamen zu Gurdjieffs Zeit meistens aus gesellschaftlich angesehener Herkunft, entweder aus dem Großbürgertum oder aus dem Adel. Über diese Men­ schen machte sich Gurdjieff häufig lustig. Denn die gesell­ schaftlich „höhere" Herkunft bringt nicht notwendigerwei­ se mit sich, daß dieser Mensch auch auf seinem spirituel­ len Weg bereits „höher" steht. Er muß genauso an sich arbeiten wie jeder andere. Manchmal wurde dieser Idiot auch als „psychopathisch" bezeichnet, natürlich nicht im klinischen Sinne, sondern mehr in Hinblick auf die Identifi­ kation mit einer besonderen „Originalität". Die Grenze zwi­ schen Genie und Wahnsinn ist sehr klein. Wenn „geniale" Idioten in der Lage sind, sich einer geisti­ gen Kraft hinzugeben, der Führung durch den Willen, dann können sie einen bedeutenden Beitrag für die Menschheit einbringen.

Positiver Aspekt: Sie sind kosmopolitisch und transkulturell eingestellt, haben klare Ziele und Vorstellungen und sind in der Lage, jederzeit Entscheidungen zu treffen, und wenn diese falsch waren, sind sie häufig fähig, sie zu korrigie­ ren. Sie sind bewußt und selbstkritisch, ohne überemp­ findlich zu reagieren. Negativer Aspekt: Ihre Falle besteht darin, daß sie sich einen ganz „besonderen" Weg suchen, der natürlich nur für sie gemacht scheint. Die

Karte

"Der

Wagen"könnte

diesen

Menschen

symboli-

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sieren. Er hat, im positiven Sinne gesehen, bereits Kon­ trolle über seine Emotionen gewonnen, die durch die Pfer­ de dargestellt werden. Er ist ein Kämpfer, den seine Her­ kunft oder Ausbildung bereits gut vorbereitet hat. Aber es gibt keine Garantie. Und wenn jemandem die Herkunft, die gesellschaftliche Stellung oder die spirituellen Errun­ genschaften zu Kopf steigt, ist er auf dem Feld des Kamp­ fes genauso verloren wie auf dem Feld der inneren Arbeit. ***

Über die folgenden Idioten gibt es nur Hinweise, aber kei­ ne direkten Zitate und Überlieferungen. Sie wurden außer Nr. 17 meines Wissens auch nie getoastet. Es wäre natür­ lich überheblich Aussagen über Entwicklungsstufen zu tref­ fen, die ganz im Bewußtsein verankert sind. Aber es liegt nahe, dafür die Symbolik des Tarot weiter zu verwenden, da sie uns bisher nicht im Stich gelassen hat. Dennoch können wir uns vorstellen, welche Qualitäten diese Idioten entfaltet haben.

16. Der polyedrische Idiot Dieser Idiot wurde deshalb auch „polyedrisch", d.h. viel­ seitig, genannt, weil er eine „höhere Stufe" der geometri­ schen Reihe (Idioten Nr. 7, 8, 9) darstellt. Seine Schwie­ rigkeit liegt darin, daß er durch seine Vielseitigkeit nicht nur wie der quadratische Idiot von einer Ecke zur anderen läuft oder wie der runde Idiot im Kreis. Sein Problem stel­ len die ungezählten Möglichkeiten dar, die er auf dieser Stufe sieht. Er ist der „Glasperlenspieler" Hermann Hesses. 354 Der polyedrische Idiot lebt wie im „Elfenbein­ turm", um dort alles zu studieren, was ihm überhaupt mög­ lich ist. Dieser Idiot ist visionär, er hat die Vielfältigkeit in der Einheit und die Einheit in der Vielfältigkeit verwirklicht.

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Seine „höheren" Zentren sind geöffnet, so daß Vernunft und Gewissen eine Einheit bilden. Die Welt ist in ihrer Struktur unergründlich, er möchte es aber wissen. Aus diesem visionären Erkennen, das vom höheren intellektuellen Zentrum gespeist wird, bringt er neue Ideen in die Welt.

Positiver Aspekt: Auch wenn dieser Idiot eine direkte Wahr­ nehmung der Wirklichkeit und die Freude des kosmischen Bewußtseins erlebt hat, so daß er Mitgefühl und Liebe aus­ strahlt, empfindet er tiefe Demut vor der kosmischen Wucht, die ihn ergriffen hat. Er weiß, daß er auch daran nicht verhaftet bleiben kann. Negativer Aspekt: Er hält am Erreichten fest, so daß er nicht erkennt, daß der Weg hier noch nicht zuende ist. Der poiyedrische Idiot entspricht meiner Meinung nach der Tarotkarte des„Hohepriesters", nicht der Karte „Die Lieben­ den", die der Tarotreihenfolge nach hier kommen müßte. Doch wer sagt uns, daß diese Reihenfolge stimmt? Der „Ho­ hepriester" symbolisiert ganz eindeutig den „Glasperlen­ spieler" Wie in Umberto Ecos Buch „Der Name der Rose "ist er der eigentliche Wissende, der Herrscher über die Biblio­ thek. Nichts wird mit weltlichen Absichten gemacht, es geht einzig und allein um die geistigen Dinge. Es durchdringt alle unsere Handlungen. Erfolg oder Mißerfolg sind unbedeutend. Nur jemand mit einem vollständig entwickelten Wesen kann die Verantwortung dieser „heiligen" Krone tragen.

17. Der meisterhafte Idiot Gurdjieff bezeichnete sich einmal selbst als Idiot Nr. 17. Er hat alles erreicht, was ein Mensch auf dem Weg leisten kann. Er hat die Meisterschaft über sich selbst gewonnen

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und kann andere auf dem Weg führen. Wenn er Mitgefühl und Liebe integriert hat, ist er frei von den Egoismen, die einen „erleuchteten" oder einen „prahlenden" Idioten ver­ giften. Gurdjieff konnte nie dazu bewegt werden, seinen Begriff für diesen Idioten zu sagen. „Tatsächlich sagte er, daß ihn niemand je kennen würde, denn wenn wir ihn während der Toasts erreichen würden, 'tanze ich auf dem Tisch, aber niemand sieht es, weil alle betrunken unter dem Tisch liegen.'" 355 Die Tarotkarte „Die Liebenden", die in unserer Stufenleiter hier steht, zeigt diesen Punkt: Wenn die „höhere" Liebe uns einen Pfeil ins Herz schießt, befinden wir uns auf dem Weg zur wichtigsten Qualität unserer Entwicklung. Unsere Herzen sind erfüllt von der umfassenden Liebe zur Welt und zur Menschheit. Wahres Mitgefühl hat Besitz ergrif­ fen. Wir sind in Kontakt mit unserer Seele, symbolisiert durch das Weibliche. Aber Liebe macht auch blind. Nach Gurdjieff gibt es drei verschiedene Arten der Liebe: Die Liebe des Körpers, die Liebe des Gefühls, die Liebe des Geistes. 356

Positiver Aspekt: Wenn der meisterhafte Idiot erkennt, daß der Weg des Herzens ergänzt werden muß durch den Weg der „objektiven Vernunft" kann er ein vollkommener Idiot werden. Negativer Aspekt: Der Weg des Herzens, die Wärme der Liebe, ist nur eine Seite der kosmischen Kraft. Dieser Idiot wird in die Geschichtsbücher als großer Liebender eingehen, wie z.B. Shams-i-Täbris oder Jelaluddin Rumi. Doch der Mangel der „kühlen" Seite kann diese große Errungen­ schaft vermindern.

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18. Der vollkommene Idiot Das führt uns zur Stufe des „vollkommenen Idioten". Eine Rolle, die ein Mensch in seltenen Fällen ausfüllen kann. „Es war das erste Mal in meiner Gegenwart, daß Gurdjieff be­ hauptete, er sei der Lehrer unserer Epoche. Natürlich hat­ te mir Elizabeth erzählt, daß er davon sprach, daß nur sehr wenige Nr. 18 je existieren - zum Beispiel war Aschiata Schiämasch eine Nr. 18." 357 Aschiata Schiämasch wird von Gurdjieff in Beelzebubs Er­ zählungen als geistiger Lehrer dargestellt, der festgestellt hatte, daß das Leben des Menschen nicht durch die Reli­ gionen, die die Wege von Glaube, Liebe und Hoffnung ver­ körpern, verändert werden kann. Er kommt zu dem Schluß, daß nur der „heilige Impuls" des Gewissens die Mensch­ heit aus ihrem Schlaf aufwecken kann. Dieses Gewissen darf nicht mit der gesellschaftlichen Moral verwechselt werden. Das Gewissen ist ein unabhängiges Selbsturteil, das durch Einblick in die Wirklichkeit befähigt, in Einklang mit der Ganzheit zu handeln. Keinerlei Regeln können um­ fassend und flexibel genug sein, um der ständigen Verän­ derungen des menschlichen Lebens gerecht zu werden. Ge-Wissen ist das Wissen, das aus der kosmischen Intelli­ genz kommt. Deshalb hat man im mittelalterlichen Tarot diese Stufe mit dem Kaiser oder dem Herrscher symbolisiert. Der Herr­ scher scheint fähig zu sein, mit unparteiischem Urteil in weltlichen und spirituellen Dingen gleichermaßen zu han­ deln. Man sprach dem Kaiser höchste Intelligenz und wahre Königlichkeit zu. Für unsere heutige Zeit wäre mir die Karte „Aschiata Schiämasch"passender. Im Wortstamm von Aschiata steckt übrigens „As ha" und „Shah". Das persi­ sche Asha steht für Gesetz und „Shah "heißt auch König.

Die Gefahr oder die andere Seite dieser Stufe ist, daß die

288 Die Wissenschaft der Idioten

Macht und genausogut wenden. In zum Narren vielen Höfen

Autorität auch verblenden kann. Er kann sie selbstherrlich, intolerant und gewalttätig an­ diesem Falle muß auch der Herrscher wieder werden. Vielleicht ein Grund dafür, warum an ein „Hofnarr" beschäftigt wurde.

19. Der heilige Idiot Der Heilige oder die Heilige sind jenseits der weltlichen Natur angesiedelt. Dem oder der Heiligen, sei es in der westeuropäischen oder auch der asiatischen Tradition, spricht man immer besondere Kräfte und Fähigkeiten zu. Der oder die Heilige bleibt von den Bedürfnissen der Welt unberührt, sie werden von ihren Jüngern verehrt. „Heilig" wird man nicht durch eigene Anstrengung, sondern durch „Gnade". Bei Heiligen denken wir an große Mystiker wie die heilige Hildegard von Bingen, die heilige Teresa von Avila, Ramana Maharshi von Arunachala, Ramakrishna, Bahaudin Naqshband und andere. Was ist ein Heiliger? „Ein Heiliger ist ein Mann oder eine Frau, der oder die vollständig und für immer vom Egois­ mus befreit ist. Wenn so ein Mensch reif ist, dann kann die geistige Kraft ... in seine Seele eintreten und sich mit ihr vereinigen. Dann kommt die schöpferische Energie des Wahren Selbst ganz unter die Gewalt der spirituellen Kraft. So eine Seele kann zum Instrument in dem Wirken von Wundern und der geistigen Erweckung anderer werden." 358 Die Tarotkarte „Die Hohepriesterin" müßte hier als „die Heilige" umbenannt werden, denn ist Hegt nahe, das spiri­ tuelle weibliche Prinzip als Archetyp des Heiligen zu deu­ ten.

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20. Der kosmische Idiot Der Archetyp des kosmischen Idioten verkörpert jeweils einen Aspekt der göttlichen Weisheit und Vollkommenheit. Wie Jakob Böhme sagte: „Sie bewegt sich vor Gott nur zum Zwecke der Offenbarung seiner Wunder." In der indi­ schen Tradition wäre der kosmische Idiot ein Avatar. Avatare kommen aus dem Göttlichen, selbstverwirklichte Menschen wie der perfekte oder heilige Idiot gehen zum Göttlichen. Mit Avataren wird die Idee einer Erscheinung Gottes in kör­ perlicher Gestalt ausgedrückt (z. B. Krishna als Avatar des Gottes Vishnu). In Gurdjieffs Glauben wäre es Jesus Chri­ stus. Während der/die Heilige selbstverwirklichte Menschen und daher dem Göttlichen nahegekommen sind, stellen Avatare einen verkörperten Aspekt des Göttlichen oder Kosmischen dar. Alle sogenannten Archetypen des kollektiven Unterbewußt­ seins lassen sich auch als „Energielinien" darstellen. Die afro-brasilianische Religionsform „Umbanda" spricht von sieben Energielinien, die sich in Trance-Ritualen in medial ausgebildeten Menschen verkörpern („inkorporieren"). Ein ähnliches System finden wir bei den marokkanischen Gnaua, die von sieben Farblinien sprechen. Im Unterschied zu den indischen Avataren inkorporiert je­ der Mensch in seinem höheren Selbst eines der Geistwesen, die Orishas. So typisiert z.B. Ogun den Wegbereiter und Krieger, Oshun die Schönheit, Ossain den Zauberer, Nana die Zeit, Shango die feurige Kraft. Jeder Orisha drückt durch einen Menschen, der mit ihm in Kontakt ist, seine Körper­ haltung, seine Vorlieben und seine Ideen aus. Im Unter­ schied zu den indischen Kulten werden die Orishas sehr menschlich gesehen und verehrt. Die Tarotkarte „ Die Herrscherin " könnte als „ Orisha " oder „Avatar"umbenannt werden.

290 Die Wissenschaft der Idioten

21. Der einzigartige Idiot „Eines Tages, als die Idioten wieder getoastet wurden und Jane Heap gebeten wurde, ihren Idioten zu wählen, sagte sie: 'Ich bin kein Idiot mehr. Ich habe alle durchgearbei­ tet. ' Gurdjieff sagte: 'Was! Kein Idiot? Jeder ist ein Idiot. Ich bin ein Idiot. Sogar Gott ist ein Idiot. " 359 Selbstverständlich ist der einzigartige Idiot der Magier im Tarot. Er meistert die Elemente und durchstreift die Un­ endlichkeit. Gurdjieff sprach von Gott als dem „einzigarti­ gen Idioten". Im übertragenen Sinne wäre ein Mensch, der durch den Willen Gottes lebt, auf dieser Stufe der Entwick­ lung „Gottes Sohn". Wir alle haben einen Funken dieser Eigenschaft in unserer Seele. Wie der große Sufi AlHalladsch einmal ausrief: Ana'l haqq: ich bin Gott. Oder vielleicht treffender, so wie Ibn Arabi es ausdrückte: Gott bin Ich. ***

Wenn wir die Stufenleiter der Idiotie studieren, sollten wir uns Hermann Hesses „Traktat vom Steppenwolf" zu Her­ zen nehmen, wo er an einer Stelle sagt: „Denn kein einziger Mensch... auch nicht der Idiot, ist so angenehm einfach, daß sein Wesen sich als Summe von nur zweien oder dreien Hauptelementen erklären ließe; und gar einen so sehr differenzierten Menschen wie Harry mit der naiven Einteilung in Wolf und Mensch zu erklären, ist ein hoffnungslos kindlicher Versuch. Harry besteht nicht aus zwei Wesen, sondern aus hundert, aus tausenden. Sein Leben schwingt (wie jedes Menschen Leben) nicht bloß zwischen zwei Polen, etwa dem Trieb und dem Geist, oder dem Heiligen und dem Wüstling, sondern es schwingt zwi­ schen tausenden, zwischen unzählbaren Polpaaren.'" 360

291

Bibliographie „Anstrengung ist nie verschwendet. Früher oder später er­ John G. Bennett halten wir etwas zurück. " Abbott, Edwin A.: Flächenland, Stuttgart 1982 Anderson, Margaret: The Unknowable Gurdjieff, London 1962 Anirvan, Sri and Lizelle Reymond: To Live Within, Masham, New Yorkshire, 1984 Becker, Robert O.: Der Funke des Lebens - Elektrizität und Lebensenergie, München 1991 Bennett, Harry J. (Hrsg): A Dictionary of Etymological Roots for Gurdjieff's All and Everything, Portland 1997 Bucke, R. M.: Die Erfahrung des kosmischen Bewußtseins, Freiburg 1975 Bennett, John G.: Gurdjieff - Der Aufbau einer neuen Welt, Freiburg 1976 Bennett, John G.: Gurdjieff entschlüsselt, Frankfurt 1981 Bennett, John G.: Die inneren Welten des Menschen, Südergellersen 1984 Bennett, John G.: Eine spirituelle Psychologie, Frankfurt 1977 Bennett, John G.: Harmonische Entwicklung, Salzhausen 1982 Bennett, John G.: Ein neues Bild Gottes, Südergellersen 1980 Bennett, John G.: Die Meister der Weisheit, Südergellersen 1993 Bennett, John G.: Risiko und Freiheit, Südergellersen 1983 Bennett, John G.: Transformation, Pittenhart 1978 Bennett, John G.: The Way to be Free, New York 1980 Bennett, John G.: The Science of Idiotism, unveröffentlichtes Manuskript, 1950 Bennett, John G.: Das Durchqueren des Großen Wassers Die Autobiographie, Oberbrunn 1984 Bennett, John G.: Elementary Systematics, Santa Fe 1993 Bennett, John G.: The Dramatic Universe, vier Bände, London 1956-1966 Bennett, Elizabeth: Idiots in Paris, York Beach 1991 Blake, Anthony G. E.: Das intelligente Enneagramm, Südergellersen 1993; englische Ausgabe: The Intelligent Enneagram, Boston 1996

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Bibliographie 293

Martin, Bruno: Die Kunst, ein perfekter Idiot zu werden, Hamburg 1996 Meckelburg, Ernst: Wir alle sind unsterblich, München 1997 Moore, James: Gurdjieff - Magier und Menschenfänger, München 1994 Naranjo, Claudio: Erkenne Dich selbst im Enneagramm Die 9 Typen der Persönlichkeit, München 1994 Nicoll, Maurice: Psychological Commentaries of Gurdjieff & Ouspensky, 5 Bände, London 1952; neu bei Weisser, York Beach, N.Y. plus ein 6. Band. Nott, C.S. Teaching of Gurdjieff, London 1961 Nott, C.S. Journey through this World, London 1969 Ornstein, Robert: Multimind, Paderborn 1989 Ouspensky, P.D.: Auf der Suche nach dem Wunderbaren, Weilheim 1966 Ouspensky, P.D.: Der Vierte Weg, Basel 1983 Ouspensky, P.D.: Das seltsame Leben des Iwan Osokin, Basel 1984 Ouspensky, P.D.: Ein Neues Modell des Universums, Weilheim 1966 Palmer, Cynthia u.a.: Tänzerinnen zwischen Himmel und Hölle Löhrbach 1997 Patterson, William Patrick: Struggle of the Magicians, Why Uspenskii left Gurdjieff, Fairfax 1996 Peters, Fritz: Gurdjieff Remembered, London 1965 Roth, Allen: Sherborne - An Experiment in Transformation, Santa Fe 1998 Rumi, Dschalaluddin: Das Mesnewi, München 1997 Shah, Idries: Die Weisheit der Narren, Freiburg 1983 Shah, Idries: The Pleasantries of the Incredible Mulla Nasruddin, London 1968 Shah, Idries: Die Sufis, Köln 1976 Sheldrake, Rupert u. Matthew Fox: Die Seele ist ein Feld, München 1998 Stuart, Micheline, Der Tarotweg zu Selbstentfaltung, Südergellersen 1984 Tart, Charles T.: Die innere Kunst der Aufmerksamkeit, Freiamt 1994

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295

Diskographie Wim van Dullemen: Gurdjieff's Music for the Movements

Doppel-CD mit 40seitigem Booklet. Erste und hervorragende Einspielung der Movements-Musik, die Gurdjieff von 1918 bis 1924 komponiert hat. Channel Classics Records (im BM-Vertriebsservice) Thomas de Hartmann, Piano The Music of Gurdjieff/De Hartmann

Drei CD-Album. Dies sind die einzigen Aufnahmen von Thomas de Hartmann, auf der er selbst die Musik spielt, die er zusam­ men mit Gurdjieff komponiert hat. Die 56 Musikstücke wurden in den fünziger Jahren, zum Teil sogar ohne Wissens de Hart­ manns, analog aufgenommen und 1989 von Hintergrund­ geräuschen gereinigt auf CD gebracht. Meisterhafte Komposi­ tionen meisterhaft vom congenialen Mitkomponisten gespielt. Triangle Records, New York. Gurdjieff/de Hartmann: Music for the Piano

Eine neue Einspielung langjähriger Gurdjieff-Gruppen-Mitglieder: Laurence Rosenthal (der auch die Musik zum Film „Begeg­ nungen mit bemerkenswerten Menschen" komponierte), Linda Daniel-Spitz und Charles Ketcham. Meiner Meinung nach zu „akademisch" eingespielt, ohne die Leidenschaft, die z.B. Wim van Dullemen in die Musik legt. Dennoch eine Freude, die ge­ samte Musik von Gurdjieff auf CD zu haben. Diese Doppel-CD-Reihe basiert auf der definitiven Notenausga­ be der Gurdjieff-de Hartmann-Musik bei Schott, Mainz. Vol. Vol. Vol. Vol.

I: Aslan Songs and Rhythms II: Music of the Sayyids and the Dervishes III: Hymns, Prayers and Rituals IV: Hymns from a Great Temple and other Selected Works.

Herbert Henck: Gurdjieff/de Hartmann, Klavierzyklen

Enthält Hymns from a Great Temple, Dances and Chants of the Seids, Seekers of the Truth. 2 CD-Set. Schöne Einspielung.

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Video Peter Brooks, Regie: Meetings with Remarkable Men

Film nach dem Buch von G.I. Gurdjieff „Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen" englische Version ohne Untertitel Curzon Video (Vertrieb: Fox Video)

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Adressen Falls Sie durch dieses Buch Interesse bekommen haben, praktische Erfahrungen mit Gurdjieffs Lehre zu machen, können Sie sich gerne an mich wenden: Bruno Martin, Postfach 1123, 21394 Kirchgellersen, Tel: 04135-414 - Fax: 04135-7745 email: [email protected] internet: www.gurdjieff-work.de Weitere Adressen von Seminarveranstaltern in ihrer Nähe, die mit Gurdjieffs Methoden arbeiten, erhalten Sie auf Wunsch. Sie finden diese auch auf meiner Website.

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Anmerkungen 1 G. I. Gurdjieff: Begegnungen mit bemerkenswerten Menschen, neue­ ste Auflage: München 1997 (Heyne), S. 199. Zu Gurdjieffs Leben sie­ he die Biographie von James Moore: Georg Iwanowitsch Gurdjieff, Mün­ chen 1992 (Scherz). Interessanter, weil mit philosophischem Hinter­ grund siehe John G. Bennett: Gurdjieff - Der Aufbau einer Neuen Welt, Freiburg 1976 (Aurum) 2 James Moore, Gurdjieff, München 1992 (Scherz), S. 33 3 Moore, a.a.O., S. 35 4 Begründer des rhythmischen Erziehungssystems „Eurythmic" ist Emile Jaques-Dalcroze (1865-1950), Komponist, Musikpädagoge und Schü­ ler Bruckners. Er gründete in Hellerau bei Dresden das Institut für Eurythmische Gymnastik. Im Dalcroze-Institut in Paris wurden 1922 bis 1924 unter Leitung von Jessmin Howarth auch die Gurdjieff-Tänze gelehrt. Die Eurythmic hat übrigens nichts mit Rudolf Steiners Eurythmie zu tun. 5 siehe: Moore, a.a.O. und Paul Beekman Taylor: Shadows of Heaven, York Beach 1998. Margaret Anderson, Jane Heap und Katherine Mansfield waren und sind bekannte Schriftstellerinnen, A.R. Orage war Herausgeber des Literaturmagazins „New Age" mit großem Einfluß in der Literaturszene. Denis Saurat war Professor an der Akademie Francaise, Maurice Nicoll war ein Freund von C. G. Jung und Tiefen­ psychologe, John G. Bennett war Mathematiker. Weitere bekannte Namen in Moore, a.a.O. 6 G. I. Gurdjieff: All und Alles - Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel, Wien 1950. Neuauflage in 3 Bänden, Basel 1981 (Sphinx). Eine weitere Neuauflage ist geplant beim Eugen Diederichs Verlag (im Jahr 2000). Beelzebubs Erzählungen bei Zitaten abgekürzt als BE. 7 In den vergangenen Jahren unternahm der berühmte Notenverlag Schott in Mainz die Herausgabe des gesamten Ouevres von Gurdjieffs und de Hartmanns Musik. Allerdings nicht der Tänze, auch „Move­ ments" genannt. Und das ist gut so. Denn die Familie Gurdjieffs will nicht, daß die Tänze durch Rechtsmittel blockiert werden. Ausführlich zu den Tänzen siehe Kapitel 9. Siehe auch Diskographie. 8 Henri Tracol: Die wahre Frage bleibt, Freiburg 1999, S. 266 9 Meine Definition des Wortes „Bewußtsein" hier in Kürze vorausge­ schickt: Bewußtsein ist keine Gehirnfunktion, sondern ein allumfas­ sendes Kraftfeld, das die ganze Biosphäre durchdringt und enthält. Ausführlicher in Kapitel 4, 5, 6. 10 John G. Bennett: Gurdjieff - Der Aufbau einer Neuen Welt, Freiburg 1976, S. 253 11 Bennett, Gurdjieff, a.a.O., S. 257

300 Anmerkungen

12 zu konkreten Beispielen siehe auch Kapitel 10. 13 In der französischen Fassung heißt es „das Notwendige und Befrie­ digende...", was einen anderen Sinn ergibt... 14 Anmerkung: Die Vorstellung einer „Schuld" kommt aus Gurdjieffs christlichem Hintergrund. Ich würde heute stattdessen sagen „aus be­ wußter Einsicht individuelle Verantwortung übernehmen". 15 Dieses Streben ist sicherlich identisch mit der buddhistischen Vor­ stellung des Bodhisattva. BE 410. 16 In Zitaten werden seine Formulierungen selbstverständlich beibe­ halten. 17 C.S. Nott, The Teachings of Gurdjieff, London 1961, S. 134 18 Rina Hands: Diary of Madame Egout Pour Sweet, Aurora, OR, 1991 19 P. D. Ouspensky: Auf der Suche nach dem Wunderbaren Fragmente einer unbekannten Lehre, Weilheim 1966 (O.W. Barth). Sehr gut übersetzt von meinem Freund Arnold Keyserling, der Gurdjieff noch in Paris kennenlernte. Bei Zitaten abgekürzt als ASW. 21 ASW 26 22 Tatsächlich gibt es eine Gruppe in England, die von Ouspenskys Frau Sophie begründet wurde, die als Schülerin Gurdjieffs die Move­ ments weitergegeben hat. Diese Gruppe hat die Praxis der Tänze bis heute sehr getreu bewahrt, vor allem die Tänze, die vor 1930 von Gurdjieff gelehrt wurden. Persönliche Übermittlung von Wim van Dullemen. Siehe auch dessen Booklet zur CD (aufgeführt in der Disko­ graphie). 23 William Patrick Patterson: Struggle of the Magicians - Why Uspenskii left Gurdjieff, Fairfax, CA 1996 (Arete). Viele bedeutende Schüler ha­ ben Gurdjieff verlassen, sogar einer der für ihn wichtigsten: Thomas de Hartmann (1927). Wenn die Schüler hinterher den Lehrer und die Lehre nicht kritisieren, sondern wie Ouspensky oder de Hartmann die Lehre weiter hoch achten und sogar verbreiten, liegt der Grund mei­ stens darin, daß die Schüler auf eigenen Beinen stehen wollen oder ihre Entwicklung durch die Anwesenheit des Meisters behindert se­ hen. Ich denke manchmal, daß diese Ursachenforschung nur Leute anstellen, die ihre eigene innere Arbeit vermeiden wollen... 24 siehe mein Buch: Die Kunst ein perfekter Idiot zu werden, Ham­ burg 1996 (edition nada; vergriffen) 25 John G. Bennett: Das Durchqueren des großen Wassers, Autobio­ graphie, S. 389. 26 Der einzige und sehr treffend erzählte Bericht eines Teilnehmers an Bennetts Schulungsexperiment ist kürzlich erschienen: Allen Roth: Sherborne - An Experiment in Transformation, Santa Fe 1998 (Ben­ nett Books). 27 BE 27 28 sogenannte Neologismen, Wortneubildungen

Anmerkungen 301

29 BE IX 30 siehe mein Buch: Die Kunst ein perfekter Idiot zu werden, Süder­ gellersen 1996; die „Wissenschaft des Idiotismus" habe ich im Kapitel 11 in ergänzter und verbesserter Form eingefügt. 31 aus einem Gespräch mit einem Schüler, unveröffentlicht. 32 1997 erschien die Arbeit des Amerikaners Harry J. Bennett (nicht verwandt mit John G. Bennett) und seiner Gruppe, die in einem Dictionary of Etymoiogicai Roots from the Armenian, Greek, Russian and Turkish Languages Gurdjieffs Neologismen analysiert. 33 Harry J. Bennett, a.a.O. 34 Nott, a.a.O. S. 136 35 John G. Bennett: Fallen Leaves, Aphorismen, Privatdruck 1978 36 BE 53ff. Karnak ist wahrscheinlich ein Hinweis auf die riesigen Tempelanlagen gleichen Namens in Ägypten. Die ägyptische Mytholo­ gie ist übrigens auch ein Schlüssel zu einigen von Gurdjieffs Ideen. Karnak ist ein armenisches Wort, das mit der griechischen Idee ver­ bunden ist, daß der Körper das Grab der Seele sei. Orage sagt, daß Beelzebubs Erzählungen an die „toten Seelen", die im Körper einge­ schlafen sind, gerichtet ist. 37 BE 95 38 C.S. Nott, Teachings of Gurdjieff, London 1961, S. 131 39 Denkgehirn (Cortex), Gefühlsgehirn (Limbisches System), Bewe­ gung- und Instinktgehirn (Stammhirn) 40 siehe die Erzählung von Edwin A. Abbot: Flächenland - Ein mehrdi­ mensionaler Raum verfaßt von einem alten Quadrat. Stuttgart 1982 (Klett-Cotta). Das Buch erschien zuerst 1884! 41 Insgesamt spricht Gurdjieff von sieben miteinander verzahnten Kosmen gemäß seiner Oktavenlehre. Ausführlich in Kapitel 7. 42 ASW 302; siehe auch Kapitel 4 und 7 43 Antonio R. Damasio: Descartes' Irrtum, Stuttgart 1994 44 siehe dazu: Johannes Holler: Das Neue Gehirn, Paderborn 1996 45 ASW 29ff 46 ASW 97 47 ASW 98 48 ASW 28 49 SW 29, siehe auch Kapitel 3. 50 Fritz Peters, Gurdjieff Remembered, S. 56 51 BE 20 52 Gurdjieff entschlüsselt, S. 28 53 ebenda, S. 52 54 siehe auch Kapitel 10 55 ASW 109 56 BE 70 57 BE 77

302 Anmerkungen

58 ASW 144 59 Gurdjieff, Aus der wirklichen Welt, S. 246 60 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 180 61 Gurdjieff nennt diesen Impuls „Gewissen", d.h. direktes Wissen, siehe Kapitel 3. 62 ASW 42 63 J.G. Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 149ff 64 siehe dazu ausführlich: Allen Roth: Sherborne - An Experiment in Transformation, Santa Fe 1998; Übungen werde ich in meinem Ar­ beitsbuch veröffentlichen, das für 2000/2001 geplant ist. 65 G.I. Gurdjieff: Lecture on Symbolism, 1924, unveröffentlichtes Ma­ nuskript (Privatarchiv). 66 ASW 69 67 Zu den einzelnen Wegen, ihren Gemeinsamkeiten und Unterschie­ den siehe mein Buch: Handbuch der spirituellen Wege, München 1997 68 ASW 70 69 das Gesetz der Drei, siehe Kapitel 5 und 7 70 BE 154; Okidanoch ist der Schöpfungswille, der sich in den drei Aspekten des Triamasikamno-Gesetzes (Gesetz der Drei) manifestiert. 71 BE 155-56 72 ASW 63 73 John G. Bennett: Die inneren Welten des Menschen, a.a.O., S. 349 74 hier: 1. physischer Körper, 2. astraler Körper, 3. mentaler Körper und 4. kausaler Körper („Ich"). 75 BE 1280. Ganbledzoin ist das „Blut" bzw. die Energie des zweiten Körpers 76 ASW 132f 77 ASW 57 78 ausführlicher zum Thema in Kapitel 6. 79 John G. Bennett: Eine spirituelle Psychologie, Frankfurt 1977, S. 140 80 ASW 415 81 Titus Burckhardt, Alchemie, a.a.O., S. 74. Siehe auch Kapitel 5. 82 Das Verstehen von Zahlenqualitäten geht jedoch über diese einfa­ che Kombinatorik hinaus. John G. Bennett hat auf der Grundlage die­ ser Idee seine Erkenntnismethode Systematics entwickelt. Dabei geht es um das Verstehen von strukturellen Inhalten der Systeme, die als Zahlenqualitäten ausgedrückt werden. Siehe dazu ausführlich: Anthony Blake, Systematics, A Method of Understanding in the Study of Complex Wholes, UniS Institute, Bridgewater 1997 83 siehe Kapitel 5 und 7 84 ASW 244 ff. John G. Bennett hat Gurdjieffs „zwölf Wasserstoffe" als die zwölf universalen „Energien" bezeichnet. Ich verwende im weite­ ren diesen Energiebegriff, der einfacher verständlich ist.

Anmerkungen 303

85 in: Titus Burckhardt: Alchemie, Olten 1960, S. 80. Ein ausgezeich­ netes Werk, das die alchemistischen Ideen der menschlichen Transfor­ mation beschreibt. 86 siehe ausführlich John G. Bennett: Die inneren Welten des Men­ schen, a.a.O. ab S. 327 87 ausführlich über die Movements in Kapitel 9 88 siehe ASW 102ff 89 ASW 104 90 in: Alan Roth: Sherborne, An Experiment in Transformation, a.a.O. 91 siehe auch Kapitel 10 92 BE 329. Gurdjieff bezieht sich in diesem Zusammenhang auf den „Kontinent Atlantis", von dem die Sphinx und das Wissen um die Un­ sterblichkeit bis in unsere Zeit überliefert wurde. Neuere archäologi­ sche Forschungen datieren die Entstehung der Sphinx tatsächlich auf das Jahr 10.500 vor unserer Zeitrechnung, das Ende der Eiszeit. Als das Eis schmolz, war das damalige Ägypten überschwemmt und ver­ mutlich auch die dort lange vor der Pyramidenkultur bestehende Hoch­ kultur der Nubier oder Atlanter. Deshalb schreibt Gurdjieff in Begeg­ nungen mit bemerkenswerten Menschen so begeistert vom Fund ei­ ner Karte des „Vor-Sand-Ägyptens" und den Entdeckungen die er mit dem Archäologen Professor Skridlow machte. Außerdem beschäftigen sich viele Pyramiden-Texte, die sich auf Horus beziehen, mit der Su­ che nach der Unsterblichkeit und der Frage nach dem Sinn des Le­ bens, beides zentrale Ideen der Lehren Gurdjieffs. Siehe auch Graham Hancock: The Message of the Sphinx, Crown Publ., New York 1997. 93 John G. Bennett: Die inneren Welten des Menschen, op.cit. S. 131 94 Das Thema „Energien" ausführlicher in den nächsten Kapiteln. 95 ASW 96 John G. Bennett, Die inneren Welten des Menschen, op.cit., S. 142 97 John G. Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 80 98 John G. Bennett, Die inneren Welten des Menschen, op.cit., S. 86 99 ASW 108 100 Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 116 101 ebenda, S. 157 102 ebenda, S. 122 103 ebenda S. 182 104 BE 325 105 ASW 128 106 siehe ASW 204ff. Ausführlicher siehe Kapitel 6. 107 ASW165 108 ASW 145 109 ASW 160 110 siehe u.a. Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt 1990

304 Anmerkungen

111 Dieses Thema wird ausführlich behandelt in: Johannes Holler, Das Neue Gehirn, Paderborn 1996 (Junfermann) 112 ASW 206 113 ASW 455 114 John G. Bennett: Die inneren Welten des Menschen, Südergeller­ sen 1984, S. 86 115 Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 96/97 116 Bennett, Die inneren Welten, a.a.O., S. 87 117 Bennett, ebenda 118 Paul Reps: Ohne Worte - ohne Schweigen, Bern, München 1985 119 In Beelzebubs Erzählungen ist dieser Begriff als „seiner-selbsteingedenk-sein" übersetzt. BE 1134, 1179 120 Nott, a.a.O, S. 176 121 BE 157 122 näheres siehe dazu Kapitel 7 - Das Enneagramm 123 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 143 124 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 144 125 Bucke, R.M., Die Erfahrung des kosmischen Bewußtseins, Frei­ burg 1987, S. 19 126 Anais Nin in: Tänzerinnen zwischen Himmel und Hölle, Löhrbach 127 John G. Bennett, Die inneren Welten, a.a.O., S. 262f 128 ASW 205 129 Bennett, Die inneren Welten, a.a.O., S. 88f; siehe auch Kapitel 7 130 Renee Weber: Wissenschaftler und Weise - Gespräche über die Einheit des Seins, Reinbek 1992 131 Jean Charon, zitiert in Ernst Meckelburg, Wir sind alle unsterblich, München 1997, S. 67/68. Interessantes Kapitel zum Bewußtsein aus physikalischer Sicht, die von der Gehirnforschung gern ausgeblendet wird. 132 Davies, Paul, Mehrfachwelten, Köln 1981, S. 144 133 Lewis, C.S., Die Große Scheidung, Einsiedeln 1980 134 Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 146 135 John G. Bennett, Die inneren Welten des Menschen, a.a.O., S. 282. 136 Grafik ebenda, S. 283 137 ebenda, S. 284 138 ebenda, S. 255 139 ASW 177 140 ASW 178 141 siehe Der Spiegel Nr. 30 v. 26.7.99 142 Briggs/Peat: Die Entdeckung des Chaos, München 1990, S. 216 143 ebenda, S. 209 144 Bennett, Hasard, S. 9 145 zu den „technischen Details" siehe Kapitel 7, Enneagramm

Anmerkungen 305

146 BE 798 147 BE 798; die widersprüchliche Aussage, daß das „leere" Weltall erfüllt war mit der Ursubstanz Ätherokrilno werde ich ein paar Absätze später behandeln, um hier nicht den Faden der Idee zu unterbrechen. 148 John G. Bennett: Gurdjieff entschlüsselt, Frankfurt 1981, S. 112ff. Vermutlich entspricht diese Befreiung von der Existenz unserer vier­ ten Welt. 149 BE 133 150 in C.S. Nott, a.a.O., S. 139 151 BE 140f 152 BE 133f 153 siehe dazu: John G. Bennett: Risiko und Freiheit, Südergellersen 1983, S. 115ff 154 ASW 308; wenn die „Superstring-Theorie" anstatt weitere Raum­ dimensionen einzuführen, zwei weitere Zeitdimensionen akzeptieren könnte, wäre die Lösung ihrer Weltformel vielleicht möglich, meine ich als Nicht-Physiker... 155 Bennett bezeichnet die 6. Dimension als Hyparxis, die Fähigkeit zu sein. Siehe Bennetts Diskussion der drei Zeitdimensionen in „The Dramatic Universe", Vol. 1. 156 BE 799 157 ASW 116f 158 siehe Kapitel 7, Enneagramm 159 BE 809 160 Der Spiegel, Nr. 52/1998, S. 166 161 BE 149 162 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 82 163 BE 149 164 siehe zu diesem Thema die ausführliche wissenschaftliche Dis­ kussion in Henning Genz, Die Entdeckung des Nichts, a.a.O. 165 BE 149 166 das Gesetz der Drei, siehe Kapitel 7 167 ASW 125 168 Burckhardt, Alchemie, a.a.O. S. 83f 169 Anthony Blake: Das intelligente Enneagramm, a.a.O., S. 95/96 170 Bennett, Risiko a.a.O. S. 118 171 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, a.a.O., S. 88 172 Vortrag von Gurdjieff, 1924, Privatarchiv 173 Bennett, Die inneren Welten des Menschen, a.a.O., S. 57 174 Die Energien werden ausführlich im 7. Kapitel behandelt. 175 Technisch wird die Energieaufwertung anabolische Transformati­ on genannt und die Energieabwertung katabolische Transformation. Ausführlich siehe J. G. Bennett: Energien, Frankfurt 1977 176 siehe BE 835ff. Siehe auch Kapitel 7.

306 Anmerkungen

177 BE 1176 178 Siehe „Is the Earth Alive" in: Magazin Discover, Oktober 1999 179 G.I. Gurdjieff, Gespräche, S. 242; siehe auch ASW 57ff 180 ASW 74 181 ASW 56f 182 Gurdjieff spricht von sieben Kosmen gemäß des Oktavengesetzes. Siehe Kapitel „Enneagramm". 183 BE 813 184 ebenda. Tetartokosmos ist ein Kosmos der 4. Stufe, die in Gurd­ jieffs Schöpfungsstrahl der Welt der Sonne entspricht... 185 ASW 58 186 ASW 61; meiner Meinung nach ein weiterer Hinweis auf alchemistische Ideen in Gurdjieffs Lehre. 187 Titus Burckhardt, Alchemie, a.a.O. S., 117 188 siehe Robert O. Becker: Der Funke des Lebens, München 1991, S. 99 u. 113 189 Ausführlich zu den unterschiedlichen Energien und ihrer Transfor­ mation im nächsten Kapitel. 190 Diese Übung kann man täglich für 15 Minuten durchführen, mit erstaunlichen Ergebnissen. Üblicherweise wird mit dem Gesicht ange­ fangen und „füllt" dann Schritt für Schritt alle Körperteile mit Empfin­ dung. Die Bewegung geht rechts den Körper nach unten und links wieder hoch. Es empfiehlt sich zuvor alle Muskelpartien zu entspan­ nen, um die nötige Energie zu generieren. Gurdjieff erwähnt diese Übung in BE 84. Einige dieser Energieübungen werden ich in meinem Arbeitsbuch zu Gurdjieff veröffentlichen. 191 BE 606 192 Robert O. Becker, a.a.O., S. 99 193 BE 261f 194 Bennett, Energien, S. 34. 195 BE 264 196 siehe Kapitel 5 - Kosmisches Intermezzo 197 Bennett, Risiko und Freiheit, S. 117 198 Burckhardt, Alchemie, a.a.O. S. 80 199 seihe auch BE 867ff 200 Hazrat Inayat Khan, Musik, Weinstadt 1996, S. 77 201 ebenda, S. 78 202 Raskuarno bedeutet „Trennung der Teile". Das erste Raskuarno betrifft nur die „äußeren Teile", d.h. die Schicht des zweiten Körpers, der aus sensitiver Energie erschaffen wurde. Sphäre bedeutet in die­ sem Zitat wahrscheinlich die „Astralwelt", die aus den sensitiven Ener­ gien besteht. Die Hülle des dritten Körpers besteht aus bewußten En­ ergien, die beim zweiten Raskuarno hinterlassen werden... 203 BE 816

Anmerkungen 307

204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217 218 219 220 221 222

BE 818 BE 816 BE 793ff BE 820 Gurdjieff entschlüsselt, S. 104 BE 818 BE 818 BE 826 siehe dazu: John G. Bennett, Die inneren Welten des Menschen BE 606 BE 1190ff Ernst Meckelburg, Wir alle sind unsterblich, a.a.O., S. 71 Anais Nin, a.a.O., S. 176 Gurdjieff entschlüsselt, S. 65 ASW 433 siehe auch Kapitel 8 BE 800 BE 886 Arnold Keyserling, Durch Sinnlichkeit zum Sinn, Südergellersen 1986, Seite 73 223 ASW 420,423 224 siehe ausführlich in: Anthony Blake, Das intelligente Enneagramm 225 ASW 190f 226 Arnold Keyserling in: Im Jahr des Uranus, Südergellersen 1986, S. 118 227 ASW 427 228 ASW 191 229 siehe ausführlich Bennett, Die inneren Welten des Menschen, a.a.O. S. 214ff 230 Anthony Blake, Enneagramm, a.a.O., S. 181 231 Blake, a.a.O., S. 133 232 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 107. Siehe dazu BE 812ff 233 Hans Cousto, Die Oktave, Berlin 1982, S. 24 234 John G. Bennett, Enneagram Studies, York Beach 1983 235 ASW 432 236 man beachte auch das Zahlenspiel: 4 und 3 = 7 237 in: Douglas Hofstadter, „Gödel, Escher, Bach", Stuttgart 238 Hofstadter zitiert in: Helmut Bodenstein, Das Alphabet des Le­ bens, S. 124 239 kursive Stellen im Original. Zitat aus: Jeremy Narby, The Cosmic Serpent, S. 137 (erscheint 2000 auf deutsch) 240 John G. Bennett, Enneagram Studies, a.a.O. 241 BE 838 242 Hans Cousto, a.a.O., S. 45f

308 Anmerkungen

243 Burckhardt, Alchemie, a.a.O., S. 145 244 aus: Anthony Blake, Das intelligente Enneagramm, S. 118 245 ebenda, S. 119 246 ASW 433. Siehe auch Kapitel 9. 247 Anthony Blake, Das intelligente Enneagramm, Südergellersen 1993, S. 56 248 BE 839 249 ASW, S. 256 250 siehe Bennett, Energien, Die inneren Welten 251 Bennett, innere Welten, S. 91 252 Blake, Enneagramm, S. 136 253 Das Enneagramm ist ein mächtiges Symbol des Verstehens. Ich konnte in diesem Kapitel nur eine Annäherung an sein Potential ma­ chen und empfehle zum tieferen Verständnis das ausführliche Werk von Anthony Blake: Das intelligente Ennegramm, Südergellersen 1993. Wer des Englischen mächtig ist, sollte die später erschienene ameri­ kanische Version „The Intelligent Enneagram", Boston 1996, zur Hand nehmen, da dort einige Punkte noch verständlicher und ausführlicher behandelt werden. 254 siehe: John G. Bennett, Harmonische Entwicklung - Die sieben Aspekte der Arbeit, Salzhausen 1982, und auch: John G. Benett, Der grüne Drache, Südergellersen 1993, S. 47ff 255 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 135; siehe auch Kapitel 9 256 ASW 327. Was Gurdjieff damals sagte, z.B. daß die Gruppen­ teilnehmer „unfähig sind, das in der Gruppe Gesagte richtig wiederzu­ geben" trifft natürlich immer zu. Doch ein Grund für die damalige Ge­ heimhaltung war der zaristische Geheimdienst, der überall Verschwö­ rungen witterte. Die französische Gurdjieff-Linie hält es heute noch wie 1915, weil die Franzosen traditionell Geheimgesellschaften lieben. Außerdem hat die katholische Kirche immer noch einen starken Ein­ fluß. Religionsfreiheit gibt es in Frankreich nur auf dem Papier. Ich bin der Meinung, daß die in ASW 329ff geforderte strikte Gruppendisziplin zwar hilfreich sein kann, aber eher die Anpassung - und somit den Schlaf - als die Freiheit fördert. 257 ASW 146 258 Quellen: Articulate Core (Warminster, England), Magazin Bres (Am­ sterdam), All & Everything Conference (The Proceedings 1997/98/99) 259 Diese Kategorien basieren auf La musique de Gurdjieff von L. Rosenthal in L'Age d'Homme, 1992, und Een vuur in Siberie von Wim van Dullemen, Magazin Bres 1995. Die Zahlen stammen aus meiner eigenen Auflistung (Wim van Dullemen). 260 Ursprünglich hatte Gurdjieff geplant, die Hymnen als „emotiona­ le" Begleitung zu seinem „Beelzebubs Erzählungen" spielen zu lassen. 261 siehe Kapitel 9.

Anmerkungen 309

262 Anmerkung von Bruno Martin: Sehr interessant ist es die Musik des Armeniers Djivan Gasparyan im Vergleich zu hören: Djivan Gasparian, I will be sad in this world, All Saints Records, London 1992; und besonders Djivan Gasparian & Michael Brook, Black Rock, Real World 1998. 263 Nach einer persönlichen Mitteilung von John G. Bennett. 264 Für dieses besondere Musiknotationssystem bin ich den Erfindern Georg Balan und den Leitern des Musicosophia-Instituts in Deutsch­ land dankbar, die so freundlich waren, mich darin zu unterrichten (Wim van Dullemen). 265 Anmerkung von Bruno Martin: die technischen Details der Aus­ führung habe ich weggelassen. 266 ASW 22 267 John G. Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 116 268 Zitiert nach Wim van Dullemen, The Origins, Meaning and Pur­ pose of the Movements, Zeitschrift Bres, Nov. 1997 269 James Moore, Gurdjieff, a.a.O. 270 nur nebenbei: Quersumme 9! Die meisten der Tänze Gurdjieffs haben nur Zahlentitel, die im Normalfall keine „esoterische" Bedeu­ tung haben... 271 persönlich mitgeteilt von Herrn Gerhard Thomas, Berlin, der die Mathematik der kontexturalen und mehrwertigen Logik nach Günther weiterentwickelt hat. 272 Im Sufismus fana und baka genannt. Siehe: John G. Bennett, The Way to be Free, New York 1980, S. 83 ff. 273 ASW 22 274 ebenda. Das Szenario Struggle of the Magicians wurde veröffent­ licht von David Kherdian, New York 1988 (Globe Press). Die fünf erhal­ tenen, wunderschönen Musikstücke zum Ballett sind auf der CD von Wim van Dullemen. 275 zitiert aus dem Booklet zur CD Gurdjieffs Music for the Move­ ments, von Wim van Dullemen. Siehe Diskographie. 276 Wim van Dullemen: Defining Gurdjieff's Movements, a cooperative project, Text für die „All-And-Everything-Conference" 1999. Unveröf­ fentlicht. 277 Dullemen, Booklet zur CD, a.a.O. 278 Solange Claustres, in Dullemen, Zeitschrift Bres, a.a.O. 279 ASW 207 280 ASW 230 281 siehe dazu u.a. Fritz Peters, Gurdjieff Remembered, London 1965, S.65 282 ASW 226ff 283 ASW 227 284 In ASW spricht Gurdjieff von einem „höheren Gefühlszentrum"

310

Anmerkungen

und einem „höheren Denkzentrum". Das erste entspricht dem Gewis­ sen, das zweite dem objektiven Bewußtsein. 285 BE 665 286 BE 666 287 ASW, S. 290ff 288 John G. Bennett: Die Meister der Weisheit, Südergellersen 1993 (Vertrieb jetzt durch den Triade Verlag, Singhofen) 289 Bennett, Gurdjieff entschlüsselt, S. 137 290 John G. Bennett: Die Meister der Weisheit, a.a.O., S. 158 291 ebenda, S. 174 292 Louis Charpentier: Die Geheimnisse der Kathedrale von Chartres, Köln 1972, S. 37. Idries Shah betont in seinem Werk „Die Sufis", daß diese Geheimnisse bereits lange Jahre davor in esoterischen Kreisen im Orient bekannt waren und das Wissen darüber durch Eingeweihte mit den Templern nach den Kreuzzügen nach Europa kam. 293 ASW 456 294 Sehr eindrucksvoll „mysteriös" dargestellt im Film von Peter Brook „Meetings with Remarkable Men" auf Grundlage des Buches von Gurdjieff. 295 John G. Bennett: Die Meister der Weisheit, a.a.O., S. 181 296 Zitiert in: Wim van Dullemen, Zeitschrift Bres, Nov. 97 297 in: John G. Bennett, Die Meister der Weisheit, a.a.O., S. 10 298 Aus den Geistern wurden in den Ackerbaukulturen, den soge­ nannten „Hochkulturen", die Götter. 299 persönlicher Bericht 300 Christian Rätsch in: Curare Sonderband Ethnomedizin 301 Peter Rüssel: Der direkte Weg, Recklinghausen 1995, S. 194 302 Richard Dawkins, zitiert in: Douglas Hofstadter, Metamagical The­ mas, New York 1985, S. 51 303 ASW 460ff 304 ASW 461 305 ASW 463 306 Fritz Peters, Gurdjieff Remembered, S. 93 307 Elizabeth Bennett, Idiots in Paris, York Beach 1991, S. 10 308 Kenneth Walker, Venture with Ideas 309 J.G. Bennett, Gurdjieff, Aufbau einer Neuen Welt, Freiburg 1976, Seite 166 310 Idries Shah, Die Weisheit der Narren, Freiburg 1983, S. 8 311 J.G. Bennett, The Science of Idiotism, unveröffentlichtes Manu­ skript, Coombe Springs 1949 312 Die Querverbindungen und möglichen Schritte werden im Ennea­ gramm der Idioten auf Seite 275 veranschaulicht. 313 siehe dazu das nächste Kapitel 314 Rina Hands, Madame Egout Pour Sweet, Aurora/Oregon

Anmerkungen 311

315 Charles Tart schreibt: „In einigen Gurdjieffgruppen wird es wie eine Bibel behandelt, deren Worte die absolute Wahrheit enthalten. Die nega­ tive Auswirkung davon ist, daß diejenigen, die den Inhalt nicht klar ver­ stehen, sich schuldig und unzulänglich fühlen." in: Die innere Kunst der Achtsamkeit, S. 302 316 Luba Gurdjieff Everett, A Memoir with Recipes, Berkeley 1993, S. 81 317 ebenda 318 Anthony Blake, Das intelligente Enneagramm, a.a.O., S. 195; der Zeremonienmeister, Tamada, wird bei jeder Versammlung von den Tscherkesen (Kaukasier) eingesetzt. 319 ebenda, S. 197 320 James Moore, Gurdjieff - Magier, Mystiker, Menschenfänger - Eine Biographie, München 1992, S. 363 321 Die „Gurdjieff Foundation" hat ihren Hauptsitz in Paris (dort heißt sie „Institute Gurdjieff") und wird von Michel de Salzmann geleitet. 322 ASW 393 323 J. G. Bennett, Die inneren Welten des Menschen, a.a.O. 324 Hermann Hesse, Der Steppenwolf, Frankfurt 1955, S. 37. Die Erzäh­ lung vom Steppenwolf faszinierte viele meiner Generation. Wenn ich sie heute wieder lese, bewundere ich, welch tiefe psychologische Einsichten Hesse bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts über das Wesen eines Menschen hatte. 325 „Werk", ein Begriff aus der Gurdjieff-Terminologie, der wahrscheinlich dem alchemistischen Begriff „Das große Werk" entspricht; „Das große Werk" bezeichnet die Transformation von Materie in Geist. Bei Gurdjieff stellt es auch als die kosmische Bewußtseinskraft dar, an der wir durch unsere Arbeit an der Selbstvervollkommnung von Natur und Mensch teil­ haben und die uns hilft, diese Arbeit zu verwirklichen. 326 Rene Zuber, Wer sind Sie, Herr Gurdjieff? Basel 1981 327 Elizabeth Bennett, Idiots in Paris, York Beach, S. 83 328 ebenda, S. 83 329 ebenda 330 John G. Bennett, Science of Idiotism, unver. Manuskript, a.a.O. 331 ebenda; die Namen er Idioten sind nur teilweise dort oder in der Literatur zu finden. Ich habe die Namen der inhaltlichen Bedeutung ange­ paßt und auch neue Begriffe gefunden, die mir der „Stufenleiter der Ver­ nunft" nach richtig erschienen. 332 Bennett, Science of Idiotism, a.a.O. 333 Eine interessante Darstellung der Symbolik des Tarot ist u.a. in: P. D. Ouspensky, Ein Neues Modell des Universums, Basel 1986 334 Micheline Stuart, DerTarotweg zur Selbstentfaltung, Frankfurt 1978

312 Anmerkungen

335 Zusammen mit dem Enneagramm ist es das Symbol der Achal dan-Gesellschaft, an deren Tempeleingang die Sphinx stand. 336 J.G. Bennett, The Way to be Free, New York 1980, S. 151 337 siehe die Sammlungen von Idries Shah 338 ASW 535 339 ASW 533 340 Bennett, The Way to be Free, a.a.O., S. 150 341 nach Bennett, Science of Idiotism, a.a.O., siehe auch: Rene Zu ber, Wer sind Sie, Herr Gurdjieff, a.a.O., S. 85 342 siehe Rina Hands, a.a.O. 343 ein typisches Gurdjieff'sches Kunstwort 344 Bennett, Science, a.a.O. 345 ebenda 346 ebenda 347 ebenda 348 ebenda 349 mehr zu diesem Thema im Kapitel 3. 350 Bennett, Science, a.a.O. 351 C.S. Nott, Teachings of Gurdjieff, London 1961 352 ebenda 353 BE 641 354 siehe Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel, Frankfurt 355 C. S. Nott, Further Teachings of Gurdjieff, London 1968, S. 76f 356 siehe Beelzebubs Erzählungen, a.a.O. 357 J. G. Bennett in: Elizabeth Bennett, Idiots in Paris, a.a.O., Seiten 38-39; Aschiata Schiämasch ist eine wichtige Figur in Gurd jieffs Beelzebubs Erzählungen-, siehe BE 336ff 358 John G. Bennett, Eine spirituelle Psychologie, a.a.O., S. 160 359 E. Bennett, Idiots in Paris, a.a.O. 360 Hesse, Steppenwolf, a.a.O., S. 64

313

Index A Abbot, Edwin 34 Abendmahl christliches 249 Abhängigkeit 96, 196 Abrustdonis 139 Absicht 215 Absolute, das 116, 170 Achaldan 69, 194, 232 Achaldan-Gesellschaft 164, 194 Adams, Douglas 107 Ägypten vor dem Sand 303 Ahun 30 Aiäsiriturasnische Betrachtung 160 Ain 116 Aktion in der Welt 126 Aktionsfeld 167 Aktualität 154 Alchemie 59, 147, 303 Alchimisten 63, 154, 180 Alkohol 246, 254 All und Alles 299 Alles-Existierende-All-Umfassende 152 Alphabet arabisches 218 Ameisen 143 Ana'l haqq 290 Anderswelt 121 Anima 82 Animus 82 Anlagen 105 Ansanbaluizar 128 Anstoß bewußter 184 Anstrengung 48, 291 Anstrengungen 55, 58, 193 Anstrengungen, bewußte 60 Apparat selbstregulierender 173 Arabi, Ibn 59, 64, 290 Arbeit 162

bewußte 83, 99, 189 spirituelle 189 Arbeit an sich selbst 124, 195, 241 Arbeit, bewußte 48 Arbeit, Früchte 48 Arbeit, praktische 51 Arbeit, unbewußte 48 Arbeit, Linien der 50 Arbeitsbedingungen 195 Arbeitsgruppe 196, 240 Archetyp 265 Architektur. Siehe auch Kunst, objektive Wirkung der 234 Arkana, große 259, 260 Aschiata Schiämasch 42, 48, 287 Asha 288 Ashok 202 Askokin 139, 171 Assimilation 189 Astralkörper 59, 104 Astralwelt 306 Atem 151 Atemkontrolle 233 Athanor 63 Äther 130 Ätherokrilno 122, 128, 129, 131, 132, 133, 134, 137 Atlantis 232, 303 Atmen 139, 151, 217 bewußtes 189, 233 Ein- und Ausatmen 181 Atmosphäre 152 Atmospherics 179 Atom 148 Atome 130, 150 Auferstehung Wiedergeburt 247 Auflösungstendenzen 196 Aufmerksamkeit 17, 65, 84, 92, 113, 188, 195, 215, 251 und Sensitivität 97 Aufwachen 97, 99 aufwachen 48 Auge 150 Augenblick 105, 180, 214. Siehe auch Meister des Augenblicks Schule des 248 Augenblicks, Schule des 195

314 Index Aurobindo, Sri 135 Autoegokrat 126 Autorität 288 Avatar 289 Ayahuasca 238

B Baal. Siehe Beelzebub Babylon 245 Bach, Johann Sebastian 220 baka 309 Balan, Georg 309 balid 247 Ballett Kampf der Magier 222 Ballettszenario 21 baqa 64 Baraka 13, 190 Bauhüttentradition 234 Becker, Robert O. 150 Beeinflußbarkeit 41, 231 Beelzebub 27, 29 Beelzebubs Erzählungen 135, 248 Befehlsstruktur Wille 172 Befreiung 48 Bejahung 84 Benedict, Ruth 242 Bennett, Eilzabeth 254 Bennett, J.G. 24, 71 Bennett, John G. 12, 194 Beobachtung 108 Berührung 91 Besonderheit 259 Bewegung immerwährende 181 Bewegungen rhythmische 222 Bewegungsabläufe 65 Bewegungszentrum 70, 92 Bewußtsein 33, 46, 56, 58, 64, 65, 68, 74, 85, 89, 96, 133, 137, 139, 148, 154, 170, 188, 299. Siehe objektives alltägliches 95 Ebenen 89 Entwicklung 242 Erwachen ins 105 Feld 226

gewöhnliches 79 im Enneagramm 193 kosmische Energie 186 kosmisches 102, 130, 238, 285 Leben 152 objektives 90, 102, 105, 310 Qualität 239 Symphonie 156 und Gewissen 230 Welten 218 Welten des 135 Bewußtsein ist alles 96 Bewußtsein seiner selbst 97 Bewußtseins Einfluß des 192 jenseits des 116 Körper des 157 Welt des 172 Welten des 155 Bewußtseinsdimension parallele 161 Bewußtseinsenergie 97, 149, 159 Bewußtseinsenergien 79 Bewußtseinserweiterung 237 Bewußtseinsevolution 220 Bewußtseinsfeld 237 in einer Gruppe 226 Bewußtseinsfelder 161 Bewußtseinsfilter 109 Bewußtseinsforscher 161 Bewußtseinskörper 104, 157 Bewußtseinsöffnung 104 Bewußtseinsschulung 226 Bewußtseinsstufe vierte 105 Bewußtseinsstufen vier 102 Bewußtseinswelten 104 Bewußtseinszustand 139, 203 erhöhter 86 Bewußtseinszustände 14, 108 Bewußtsseinstufen 111 Bienen 120, 235 Biologie 112 Biophotonen 148, 178 Biosphäre 156, 171, 300 Bismillah 219 Blake, William 33 Blut 58 Blutkreislauf 140

Index 315 Bodhisattva 49, 300 Bohm, David 93, 106 Böhme, Jakob 289 Bön-Kultur 236 Böse, das 229 Boten von Oben 54 Botenribonukleinsäure 175 Brahma 219 Bucke, R.M. 102 Buddha 53, 122, 150 Buddhismus 13 tibetischer 236

c Charaktereigenschaften 80ff Charaktertypen 71, 80, 255 Charakterzüge 280 Charon, Jean E. 106 Chartres Kathedrale 234 Chemie 63 Choreographie 65, 237 der Tänze 213 Choreographien der Tänze 224 Christus 53, 289 Chromosomen 106 Claustres, Solange 215, 236 Cluny 234 Code genetischer 161, 175 Codebausteine 174 Contact 33 Cortex 35 Cousto, Hans 172, 179 Coyote 46 Crick, Francis 174 Cyberspace 95

D Dalcroze, Jacques- 11 Dalcroze-Institut 224 Dawkins, Richard 239 Denkmuster 64 Denkzentrum 56, 58, 70, 92 Denkzentrum, höheres 62, 70, 309 Der Vierte Weg 52, 59 Derwische 10, 200, 249

Derwischstücke 199 Derwischtänze 217, 225 Derwischübungen 182 Derwish Prayer 225 Desoxyribonukleinsäure 174 Deuterokosmos 171 Dezimalbruch 0,142857 164 Dialektik 133 Dick, Philip K. 94, 107 Dienst 189 Dimension fünfte 153 sechste 126 Dimensionen höhere 110 Diskographie 295 Disziplin 233 DNS 120, 174, 177, 179 DNS-Buchstabenkombinationen 177 DNS-Strang 174 Doppelhelix 174 Doppelschlange 175, 179 Drama kosmisches 214 drei Zentren 38 Dreidimensionalität 35 Dreieck inneres 167, 173 Dreiecke 219 Dreiheit 60, 61, 204 im Atomkern Tanz 219 dreihirnige Wesen 36, 69 Dreivierteltakt 219 Droschkentaxi 58, 60, 73 Dschartklom 98, 99 künstliches 100, 101 natürliches 101 Dschartklom-Prozeß 56, 60 Dschingis Khan 233 Dualismus 31, 136 dukha 122 Dullemen, Wim van 197, 223

E echter Idiot 281 Eco, Umberto 286 Ego 68, 83, 101 Egoismus 67, 83, 84

316 Index Eifersucht 86 Eigentümlichkeiten menschliche 257 Eindrücke 36, 139, 171, 184, 193 bewußte 189 einfacher Idiot 257, 259, 262 Eingeweihte 241, 245 Einheit 86, 134, 170 der Welten 115 von Körper, Seele, Geist 161 Einheit in der Vielheit 183 Einsiedler, der Tarot 281 Einweihung 9, 241 einzigartige Idiot 258 einzigartiger Idiot 290 Eitelkeit 280 Ekstase 237 elektromagnetische Felder 148, 151 Elektronen 131 Elemente 61, 130 neun 167 periodisches System 155 Elemente, vier 61 Empfänglichkeit 190 Empfinden 35 energeia 137 Energie 124, 132, 149 automatische 92, 186 bewußte 105, 114, 140, 186, 189 konstruktive 185 kosmische 151, 186 kreative 86, 106, 186 sensitive 77, 186 Bewußtsein 188 transzendente 187 und Bewußtsein 134 und Materie 133 vereinigende 86 Liebe 186 vitale 185 Energie und Materie 178 Energieabwertung 306 Energieaufwertung 306 Energieebene höhere 133 Energieformen 111 Energieintensität 137 Energiekörper 149

Energiemenge 137 Energiemuster des Bewußtseins 238 Energien 14, 86, 185 bewußte 104 der geistigen Welt 216 Konzentration bewußter 161 kosmische 185 materielle 185 Tabelle 111 Energiequalität 137 Energiespannung 137 Energiestärke 137 Energietransformation 100, 140, 157, 165, 178 Energietransformationsprozeß 149 Enkel 19, 30 Enneagramm 67, 128, 163, 246, 276, 308 Energietransformation 187 Funktionsweise 176, 189 in Beelzebub 164 in Bewegung 182 Titelillustration 70 verstehen 182 Enneagramm-Typenlehren 255 Enneagrammtänze 225 Entropie 124, 138, 192, 241 Entscheidung 60, 85, 125 Entwicklung 14. Siehe auch Seele harmonische 191 Stufen der 163 Entwicklung, harmonische 58, 64 Entwicklungsstufen 66 Erde 151 Erdrotation 179 Erfahrung gewöhnliche 106 subjektive 184 Erfahrungen 112, 184 menschliche 160 Erfahrungsqualität 113 Erfahrungsqualitäten 111 Erfüllung 14 Erhaltung des Weltalls 119 gegenseitige 128, 140, 144, 156, 246 Erinnerung 35 Erinnerungsfaktor 272

Index 317 Erinnerungsspuren 108 Erlebnisse sinnliche 108 erleuchtete Wesen 42 erleuchteter Idiot 276 Erleuchtung 90, 253, 276 Erschaffung der Welt 119, 122 Erwachen 98, 102 Erweiterung. Siehe Bewußtsein Erzählungen 37 Erzählweise 42 Erzengel 31 Erzidiot 265 Erzphantastisch 100 Escher, H.C. 155 Esoterik 45, 222, 241 Essen und Gegessenwerden 245 Essenz 110 etheros 129 Ethnomusik 199 Eurythmic 11, 299 Evolution 13, 38, 64, 117, 138, 162, 183. Siehe auch Bewußtsein der Seele 156 menschliche 172 Evolutionsprozesse 136, 169 Ewigkeit 126, 153 Existenz 112, 124 materielle 146

F Fabrik chemische 138 Fallgesetz 45. Siehe Gesetz fana 64, 309 Fantasiegebilde 109 Farbe 155 Farbenlehre 108 Farbqualität 153 Faust 130 Feedbacksystem 179 Fegefeuer Planet 159 Feld 161 Feld des Bewußtseins 162 Fermat 208

Feste rituelle 249 Feuer 194 Figur periodische 182 Figuren geometrische 221 Film 39 Flächenland 34, 302 Flachland-Symbol 182 Flachland-Welt 93 Foster, Jody 33 Fraktale 125, 132, 166 Frauen 36 lesbische 82 Frauentänze 82, 225 Freiheit 192 Freiheit, innere 67 Freiheitswillen 83 Freimaurer 218, 234 Funktion 62, 66, 71, 133 Funktionen 71 Futter für den Mond 139,267

G Gaia-Hypothese 141 Galaxien 128 Galaxis 169 Ganbledzoin 58, 150, 302 Ganzheit der Menschheit 106 Gast 257 Gebet 207, 208 inneres 209 Gebet, Großes 222 Geburt 106 Gedächtnis 108 Gedanken 111, 138 positive 237 Gedankenerwachen 37 Gefühl 35 Gefühle 64, 65, Ul, 138 Gefühlserleben 214 Gefühlshirn 56. Siehe auch limbisches System Gefühlsregungen 204 Gefühlszentrum 56, 58, 70 höheres 70 Gefühlszentrum, höheres 62, 82, 85

318 Index Gehenkte, der Tarot 277 Gehirn 35, 55, 56, 74 Gehirne 94 Gehirne, drei 62 Gehirnforscher 143 Gehirnforschung 36, 65, 93 Gehirnfunktionen 39, 143 Gehirnhälfte 37, 39 rechte 166 Geist 63, 148, 155, 158 Welt 114 Geist und Materie 85 Geist und Seele 154 Geister 121 Geistwesen 175 Gemeinschaften schamanische 236 Gene 239 genialer Idiot 283 geometrische Formen 221 Gerechtigkeit 160, 229 Tarot 283 Gericht 264 Gesamtkunstwerk 224 Geschichtenerzähler 40 Geschlechter Selbst 82 Geschlechterrollen 82 Geschmack guter 79 Gesellschaften mit hoher Synergie. Siehe Syner­ gie Gesetz der Drei 56, 132, 165, 170, 219 in der Musik 204 der Neunfältigkeit 165 der Sieben 41, 165, 167, 207, 219, 220 in der Musik 204 Gesetze 16, 45 der Drei u. Sieben 136 der Energietransformation 165 der Weltentstehung 164 der Welterschaffung 140, 155, 214 des Bewußtseins 215 kosmische 204, 231 gesetzmäßige Unregelmäßigkeit 168

Gesetzmäßigkeiten 121 Geste 218 Gestik 11 Gewissen 16, 69, 229, 242, 269, 287, 302, 309 Gefühlswelt 230 Selbsterinnerung 230 Gewissensbiß 99 Gewohnheiten der Natur 77 Glasperlenspiel 140, 285 Glaube 48, 287 Glauben 121 Glücksgefühle 203 Goethe, J.W. von 22, 108, 130 Gold 171 Goraknath 101 Gornachur Harharch 100 Gott 121, 133, 245, 258, 277 als Schöpfer 169 Ebenbild 159 Hilfe für 232 Gottes Sohn 290 Gravitationsgesetz 45 Great Prayer 225 Grundstoff 149. Siehe auch Stoff kosmischer 129 Gruppe 11, 166, 191, 192, 194, 195, 226, 240 Gruppenarbeit 194 Gruppendynamik 195 Gruppenprozesse 166 Gurdjieff Institut 250 Jugend 201 Musik 12 Gurdjieff, Luba 249 Gurdjieff-Musik 223 Gurdjieff-Tänze 218 Gurdjieffsalat 248 Gurdjieffschule alte 101 Guru 264, 265, 279 Gut und Böse 229 Gute, das 229 Gymnastik heilige 214

Index 319

H Hadschegan 232, 233 Haffeider, Günter 166 hal 276 Halluzination 109 Hamolinadir 54 Handlungen bewußte 90 Handlungsmuster 256 Hands, Rina 248 Harmonie dynamische 176 harmonische Entwicklung 52 des Menschen 189 Harnelhahut 192 Harnelmiatznell 100, 149, 188 Hartmann, Olga de 11 Hartmann, Thomas de 11, 197, 224 Hassin 47. Siehe auch Enkel Hatha-Yoga 101 Heap, Jane 82, 290, 299 Heilige, der 288 Heilige Tänze 223 Heiliger 247 Heilprozeß 238 Heldenreise 91 Helkdonis 139, 194, 232 Heptaparaparschinoch 100, 150, 164, 165, 178 Hermes Trismegistos 45 Heropas 122, 125 Hesse, Hermann 253 Hexagramm 180 Hingabe 55, 84, 190 Hoffnung 48, 287 hoffnungsloser Idiot 255, 266 Hofnarr 288 Hofstadter, Douglas 175 Hohepriesterin 289 holographisch 132 Homo Sapiens 146 Hören 97 Horus 304 Howarth, Dushka 224 Howarth, Jessmin 224, 299 Humor 254 Huxley, Aldous 21 Hymnen 200 Hyparxis 134, 305

Hypnose 95 der Normalität 195

I Ich 51, 58, 84, 158 und Bewußtsein 98 Ich kann 192 Ich will 192 Ich, wirkliches 57, 60, 73, 83, 115, 190, 281 Ich wünsche 192 Ich-Stärke 85 Ichs, viele 75 Ideen 16, 43 Identifikation 57 Idiot 246 Merkmale 256 Idioten 27, 246, 253 Stufenleiter 258 Idiotenlehre 250, 253 Idiotentyp 247 Idiotie 254 Idiotismus 245 Illusion 94 immanent 106 Indianer 46 Individualität 67, 68 Information 112, 133, 148 genetische 174 Musik 203 Träger der 106 Informationen 175 Informationsfeld 126 Informationsträger 148, 151, 178 Initiation 241 Selbstinitiation 241 Inspiration 160 Institut für die harmonische Entwicklung 261 harmonische Entwicklung 70 Instrument der Kommunikation 163 des Verstehens 170 Intelligenz 17, 70, 132, 148, 159, 194 höhere 190 schöpferische 137, 169, 183, 185, 217

320 Index selbstorganisierende 171 Intelligenz, lebendige Kosmos 170 Intelligenzen 160 höhere 175 intergalaktische Reise 156 Intervalle 167 musikalische 172 Involution 138, 185 Involutionsgesetze 136 Involutionsstrom 162

J Jaques-Dalcroze, Emile 299 Jesus Christus 258, 289 Jung, C.G. 91

K Kampf innerer 189 Kampf der Magier 20, 199, 222 Kampfsportarten 226 Kandinsky 198 Kanon 219, 225 Karnak 30, 301 Kesdjan-Körper 150 Kesdschan-Körper 139, 150, 157, 158, 160 Keyserling, Arnold 166, 168 khalqa 194 Khan, Hazrat Inayat 155 Kino 39 Kirche 63 Kloster 236 klügeln 36 Koestler, Arthur 21 Kohlenstoff 61 Kombinatorik 303 Kommunikation 163 Kompositionen 200 Konstante 132 Konstruktivismus 93 Kontakt 91, 171 Koordination körperliche 214 Körper 58, 63, 302. Siehe auch Unsterblichkeit dritter 159, 189, 193

physischer 155 zweiter 147, 149, 152, 153, 154, 172, 189, 192, 193 Blut des 150 Körper, Seele, Geist 62 Körper, vier 58, 59 Körperbewegungen 218 Körperempfinden 39 Körperempfindung 64, 149, 189, 214 Körpererhaltung 140 Körperhaltungen 218, 222, 226 Körperregulation 35 Körperwelt 113 Körperzentrum 56 Kosmen 170 kosmischer Idiot 289 Kosmologie 41 Kosmos 34, 125, 143, 173, 178 Anfang 122 und Schöpfungsstrahl 170 Kräfte drei 134 unsichtbare 131 Kräfte, drei 60, 63, 119 Kraftfelder 151 kreativ 130 Kreativität 35, 120, 129, 186, 188, 190, 227 Kreis 180 Kreislauf 180, 192 Kreuz 219 Kriege 229 Kristall 154 Kristalle 130 Kristallisation kosmische 131 Kristallisationen 55, 130, 159, 221 kristallisiert 130 Kristallisierungen 145 Kundabuffer 31, 48 Kunst 215, 227, 250 objektive 114, 202, 213 und Wissenschaft 183 Kunstwerke 112, 255 Kurde 57 Kurde, transkaukasischer 40, 57 Kyrie Eleison 205

Index 321 Magen-Darmtrakt 140 Magier 197 schwarz und weiß 223 Lachen 253 Tarot 290 Lahut 116 Magnetfelder 148 Lama 53 Maharishi Mahesh Yogi 238 Leben 171 Maharshi, Ramana 289 Wunder des 177 Mahayana 49 Lebensenergie 77, 112, 149 Mahlzeit Lebensenergien 185 kosmische 245 Lebensformen 140 rituelle 246, 249 Lebensgeist 63 makam 276 Lebenslanges Lernen 194 Makrokosmos 136 Lebensmuster 193 Mandala 103, 162 Lebensodem 151 Mandelbrotmenge 211 Lebensprinzip 124 Manifestation 190, 222 Lebensstil 80 Manifestationen, unangenehme 49 Lebewesen 151 Männlichkeit 82 Legomonismus 28 Mansfield, Katherine 299 Lehre Märchen 37, 217 Gurdjieffs 164 Marsreise 107 Lehrer 191, 194, 216 Maschine. Siehe Mensch Lehrgeschichten 39 Maschine Mensch 75 Lehrmethode 39, 258 Maschinen. Siehe auch Menschen Leiden 49 Maskentänze 236 absichtliches 49, 83, 231 Massenmedien 95 Lernen 35 Mäßigkeit 273 komplizierter Muster 214 materia prima 147 lebenslanges 195 Materialismus 31, 63 Lewis, C.S. 110 Materie 155 Licht 120 Vergeistigung 135 Lichtfrequenz 153 materielle Frage 51 Liebe 48, 56, 86, 117, 134, 186, 219, 287 Mathematik, höhere des Tanzes 220 göttliche 125 mathematische Grundlagen kosmische 86 der Musik 218 Liebenden, die mathematische Struktur 221 Tarot 286 mathematischer Aufbau limbisches System 35 der Tänze 220 Liturgie 205 Matrix russisch-orthodoxe 200 der Film 95 Logos 133 Mdnel-In 165, 180 Lokalisierungen 36 Meditation 55, 99, 108 Lovelock, James 141 Meditierende 239 LSD-Trip 103 Megalokosmos 30, 159, 171 Luft 171, 184 Meister 233, 265 Luftverschmutzung 151 Meister der Weisheit 24, 232 meisterhafter Idiot 286 M Melodien 198 Maeterlinck, Maurice 143 Meme 239

L

322 Index Mensch 36 emotionaler 66 integrierter 67 intellektueller 66 physischer 66 Tetartokosmos 171 Mensch Nr. 4 81 Mensch Nr. 5 81, 104 Menschen 200 bewußte 235 Menschentypen, sieben 65 Menschenverstand, gesunder 55 Mentekizoin 145 Metall 63 Metamorphose 156 Metaphern 37, 40 Methode Gewalt 101 sanfte 101 Methoden 195 Mevlevi-Derwisch-Ritual 213 Mevlevi-Derwische 166 Mikrokosmos 169, 174 Milchstraße 169 Miniaturweltall 89 Mitarbeiter bewußte 240 mitfühlender Idiot 255, 268 Mitgefühl 269 Mitwirkung bewußte 121 Möglichkeiten 126 Mohammed 53, 200 Mönche 10 Mond 127, 139 Mondkarte 267 Mongolen 233 Moore, James 212 Moral objektive 229 Morris-Tänze 213 Motorik 214 Movements 65, 96, 99, 195, 199, 211, 214, 224, 300 der vierziger Jahre 224 Multiplikationen 225 Musik 239 Effekte 202 Gurdjieffs 197

religiöse 201 Wahrnehmung 203 Musikalisches Opfer 220 Musikstücke Gurdjieff 198 Muster 162 geistiges 193 mathematisches in der Musik 207 schöpferisches des Tanzes 215 Mutter Erde 219 Mysterienkulte 241 Mystiker 289 Mythen 37, 188, 217 Mythen, nordische 121 Mythologie ägyptische 301 Mythos 212

N Nachkriegsgeneration. Siehe Enkel Nahrung 151, 171 Umwandlung 178 Nahrung für den Mond 139 Nahrungsarten drei 139, 178 Nahuas 217 Naqshband(i) Baha'addin 237, 288 Narby, Jeremy 175 Narr im Tarot 262 Nasruddin 262 Neologismen 301 Nervensystem 65, 74 neurobiologische Funktionen 56 neuronale Prozesse 35 Neurotransmitter 138 Neutrinos 131 nicht-dualistische Anschauung 161 Nicht-Tun 85 Nijinski 198 Nin, Anais 102

O Obertonreihe 168 objektiv 38

Index 323 Obyvatel 262 Peters, Fritz 39 Pfefferschoten 40 Öffnung 158 Pflanzen 249 Okidanoch psychoaktive 102, 103, 175, 238 56, 99, 131, 133, 138, 145, 153, Philosophie 53 158, 160, 170, 188, 302 Photonen 131, 150, 151 Okipkhalevnischer Austausch 157 Physik, neue 221 okkult 54 Pilze Oktave 155 psychoaktive 249 absteigende 166 polyedrischer Idiot 285 aufsteigende 166, 168 Popkultur 95 der Eindrücke 193 der Schöpfung 138 Popp, Fritz 179 Potential kosmische 170 schöpferisches 85 Unregelmäßigkeiten 167 Potentialität 154 Oktaven prahlender Idiot 279 drei 172, 181 Präkognition 113 Oktavengesetz Prana 151 61, 127, 155, 165, 167, 172, 178, 219 Prieurö 12, 51, 162, 197 nach Keyserling 169 Prophet 43 Orage, A.R. 29, 299 Protokosmos 170 Ordnung Prozeß eingefaltete 93, 106 evolutionäre 180 kosmische 217, 221 involutionäre 180 Organ. Siehe Kundabuffer Prozeß, kosmischer 157 Organ der Wahrnehmung 157 Prozesse Organ des Bewußtseins 156 gegenseitig korrigierende 176 Organe der Biosphäre 156 in Raum und Zeit 134 Organisationen 43, 235 Psyche 143 Organismus 173 Psychologie 143, 250 einzelliger 177 Gurdjieffs 251 Orishas 290 kunstvolle 255 Ouspensky, Madame 21 Psychotherapie 35 Ouspensky, P.D. 11, 20 Punkte Ouspensky, Sophie 300 neun 180

P

Parallelwelt 109, 113 Parallelwelten 107, 109 Partikel 106 patenter Idiot 282 Perfektion 252 Perpetuum Mobile 177 Persönlichkeit 73, 77, 92, 193 mit vielen Ichs 75 Zweck 80 Persönlichkeitsmuster 81 Persönlichkeitsrollen 253 Persönlichkeitstypen 246, 255 Persönlichkeitsveränderung 76

Q Quadrat 219 quadratischer Idiot 270, 285 Qualität 237 unsichtbare 154 Quantenfeld 130 Quantenphysik 107 Quarks 131 Quecksilber 63 Quelle 101 Quellen bewußte 234, 236 Quintessenz 194

324 Index

R Raskuarno 157, 306 Raum 130 Raum-Zeit-Dimension 113, 156 Raumfahrt 32 Raumschiff 32 Raumschiffe 45 Realitätsmatrix 95 Realitätsorientierung 95 Reinkarnation 157 Reise intergalaktische 156 Relativität 36, 65 des Zeitbegriffs 123 Relativitätstheorie 109 Religionen 47, 48, 53 Reue 99 Rezept 249 Rhythmus 65, 220 Ribosomen 175 Risiko 119, 121, 176, 191 Ritual 27, 222, 223, 245, 250, 257 des Tanzes 227 Rituale schamanistische 250 Rituelle Tänze 225 Ritus 217 RNS-Ketten 179 Routinen 195 Rumi, Jelaluddin 253, 286 runder Idiot 270, 271 Russell, Peter 238

S Salat 248 Salz 63 Salzmann, Jeanne de 11, 224, 254 Salzmann, Michel de 311 Saman 235 Sandage Allen 129 Sarman-Bruderschaft 235 Sauerstoff 61 Saurat, Denis 299 Schamanen 10, 30, 157, 175, 179, 188, 233 schamanische Kulturen 237 Schamanismus 109, 121, 235

Schicksalsrad 280 Schlaf 15, 90, 229 Leben im 230 Schlafzustand 69, 91, 113 Schlange kosmische 179 Schmausen 41 Schock 168, 181 SCHÖPFER 122 Schöpfer 117 Schöpfung 121 Schöpfungsdynamik 219 Schöpfungsentwürfe 162 Schöpfungsgeschichte 121 Schöpfungsimpulse 131 Schöpfungsstrahl 127 Endstufe 171 und Kosmen 170 und Oktave 169 und Tonleiter 169 Schöpfungsstriade 56. Siehe auch Triade Schöpfungswille 133 Schularbeit 67 Schuld 300 Schule 69, 195 des Augenblicks 194, 240 essoterische 164 spirituelle 191 Schulen pseudo-esoterische 241 Schüler 216 Gurdjieffs 203 Schulungsweg 52 Schumacher, Olga de. Siehe Hart­ mann, Olga de Schwäche 65, 255 Schwächen 191 Schwarzenegger, Arnold 107 Schwefel 63 Schwerkraft 157 Schwert 217 Schwingung 11, 131 Schwingungen 120, 132, 155, 172, 179 der Oktave 168, 179 kosmische 197 Schwingungsdichte 185 Schwingungsebene 64 Schwingungsverstärkung 179

Index 325 Science-Fiction 32 Scriabin 198 Sechseck 219. Siehe auch Hexa­ gramm inneres 191 Sechseckfigur im Enneagramm 179 Seele 58, 59, 63, 84, 115, 143, 144, 146, 160, 222. Siehe auch Sinn individualisierte 156 Substanz der 145, 146 unsterbliche 160 Wachstum 153 Zentrum 85 Seelenkörper 156, 238 Seelenleben. Siehe Seele Seelenreise 156 Seelenträger 131, 154, 160. Siehe auch Okidanoch Sehen 85, 97, 105, 159, 188 bewußtes 94 Sehende 100 Seidenstrasse 212 Seids 200 Sein 36, 62, 67, 71, 113, 133, 137, 193, 276 Fähigkeit zu 134 Schwerpunkt 111 sein, tun 37 Seins-Körper-Kesdschan 184 Seins-Nahrung erste, Evolution 184 Seins-Parktdolgpflicht 47, 99 Seins-Pflicht 47 Seinsaspekt des Selbst 73 Seinseindrücken 160 Seinsentwicklung 71, 105 Seinsformen 148 Seinskörper höhere 153, 187 höherer 104, 159 Seinskörper, höherer 59 Seinsnahrung 139 erste 187 zweite 171 Seinsqualität 69 Seinsstufe 241

Selbst 69 bewußtes 72, 80 Ebenen 89, 111 geteiltes 79 materielles 72, 91. Siehe auch Schlaf materielles, ff 74 reagierendes 72, 78, 94 Schichten 72 wahres 72, 90, 98 Selbst, das wahre 82 Selbst und Seele 84 Selbst, vier Ebenen 59 Selbstbeobachtung 64 Selbstentwicklung 51, 233 Selbsterinnerung 90, 98, 230 Selbsterkenntnis 254 Selbsterneuerung 120, 122, 165, 179 Selbsterneuerung der Kosmen 173 Selbsterneuerungsprozeß 173 selbstgefälliger Idiot 264 Selbstheit 111 Selbstorganisation des Universums 128 Selbststudium 64 Selbstvervollkommnung 229 Sema 166 Sensibilität 77, 97, 187 Sensitivität 59, 79, 96 der Gruppe 166 und Bewußtsein 188 Sexenergie 139 Sexualität und Liebe 86 Shah 288 Shah, Idries 310 Shambala 9-312 Shams-i-Täbris 286 Sherborne 213 Shipibo 238 Shiva 219 Shunyata 116 Shushud, Hasan 116, 232 sich windender Idiot 255, 269 Sieben, Gesetz 167 sieben Linien 189 Siebentonleiter 170 Sinn 144 des Lebens 13 Sinn und Zweck, Existenz 83

326 Index Sinneseindrücke 98, 108, 138 Sinneswahrnehmung 38, 74 Sklaverei 96 Soliunensius 231 solve et coagula 64, 180 Sonne 266 Sonne Absolut 122, 125, 126, 128, 131, 158 Sonnensystem 159 Sphinx 69, 303 Spitzbogen 234 Spontanität 105 Sprache 36. Siehe Relativität; Sprache: Raum der der DNS 174 Relativität 163 Stabilität 46 Stammesgemeinschaften 213, 242 Stammhirn 35, 56, 166 Standort 194 existentieller 159 StarWars 39 Stärke, die Tarot 278 Stein der Weisen 64 Steiner, Rudolf 299 Steppenwolf 252, 290, 311 Sterben 152 Stickstoff 61 Stoff 129, 132, 147, 154 Stoffe kosmische 184 Stofflichkeit 127, 147 Stoffwechsel allkosmischer 128, 140 kosmischer 160 Stoffwechselprozeß 156 biosphärischer 141 kosmischer 135, 139, 155, 161, 189 Stolz 277 Streben 48 Strebungen 16 Struggle of the Maglcians 300, 310 Struktur energetische 156 periodische 130 Stufen, sieben 71 subjektiv 38 Substanz 132, 178

Substanzen chemische 177 psychoaktive 109, 249 Sucher nach der Wahrheit 10 Sufis 217, 276, 310 Sufismus 13, 64 Superstring-Theorie 305 Superstrings 120 Symbol des Enneagramms 164 Symbolik, alchimistische 63 Synergie 193, 242 Synthetasen 175 Systematics 303 Systeme pseudo-esoterische 240

T Tagtraum 92 Tagträume 57, 94 Tanz der heilige 218 Muster 215 Tanz als Gebet 225 Tänze 22, 41, 52, 65, 96, 124, 182, 198, 203 Choreographie 201 Gurdjieffs 212 heilige 101, 164, 211, 235 Rhytmen und Strukturen 213 rituelle 194, 211, 222 zentralasiatische 212 Tanzgymnastik 226 Tarot 259 Tarotkarten 260 Tarotsymbolik 260 Techniken, spirituelle 52 Teilchen 120 Teile, neun 167 Teleskop 143 Tempeltänze 221 Tempeltänze. 212 Templer 310 Terminologie neue 71 Tetartokosmen 145, 171 Tetartokosmos 171, 178, 306 Tetrade 61 Teufel 271

Index 327 Theater magisches 253 Theomertmalogos 131, 133, 134, 137, 159 Thoth 169 Tierkreis 166 Titanic 39 Titelillustration 261 TM transzendentale Meditation 238 Toasts 251 auf die Idioten 250 Tod 106, 161, 196, 247, 274 Moment des 200 und Wiedergeburt 222 Tod und Wiedergeburt 64 Ton 155 Tonleiter 168, 169 Tonleitern abendländische 168 Total Recall 107 Tradition Gurdjieffs 166 Hüter 164 Träger 130 Trägersubstanz 156 Trance 99, 108, 238 Transformation 59, 60, 64, 185 Methoden 192 von Nahrung 138 Transformationen 137 siehe auch Energie Transformationsprozeß 139, 184, 185, 194. Siehe Energien kosmischer 144 Transformationsprozesse 155, 192, 193, 249 ganzheitliche 183 im Enneagramm 196 kosmische 148 Transmutation 64 Transportmittel 15, 164, 245. Siehe auch Gurdjieff der Lehre 213 transzendent 106 Träume 90, 92, 94, 108, 113, 218 Traumwelt 95, 139 Traumzeit 218 Traurigkeit 204

Trennung von Sensitivität und Bewußtsein 79 Triade 132, 274. Siehe auch Gesetz der Drei Triaden 132 Triamasikamno 56, 71, 99, 131, 150, 165, 172, 173, 302 Trinität christliche 219 Tripletts 174 Tritokosmos 171 Trogoautoegokrat 140, 145, 187 trogoautoegokratischer Prozeß 166 trogoautoegokratischen Prozesses 174 trogoautoegokratisches Prinzip 100, 127, 128, 132, 246 trogoautoegokratisches Schöpfungs­ prinzip 165 Truthahn 280 Tun 38, 85 Turm 270 Turmbau zu Babel 54 Typenlehren 246ff, 255

U überbewußt 90 Überheblichkeit 264 Überlieferungslinie 237 Übersetzungsmechanismus 174 Übung 306 Übungen 52 innere 99 Ufo-Glauben 32 Uhrzeigersinn 166 Umgebung künstliche 165, 173 Umwandlung 56 Umwandlung von Energien 14. Siehe auch Energien Unendliche, das 121 UNENDLICHER 126 Unfaßbares 87 Universalprache 163 Universum 129, 136, 155 Unregelmäßigkeit 183 Unregelmäßigkeiten der Oktave 167

328 Index Unsterblichkeit 57, 68, 303 unterbewußt 90 Unterbewußtsein 90 Unterscheidung 160 Unzulänglichkeit. Siehe Sprache Urknall 128, 133, 138 Uroboros 165 Urstoff 147 Ursuppe 174 Urzelle 174

kosmische 188 visualisieren 215 Vivitskaia 202 Volkstänze 213, 225, 236 vollkommener Idiot 287 Vollkommenheit 251, 252 Volt 137 Vorsehung 193

V

Wachbewußtsein wirkliches 97 Wachheit 113, 166 Wachsamkeit 186 Wachstum 153 Wachzustand 69, 90, 93 Wagen, der Tarot 284 Wahrheit 48, 55 Wahrnehmung 32, 35, 49, 56, 65, 66, 147, 156, 182 Änderung 203 Kapazität 71 Tore der 103 Wahrnehmungsvermögen 36 Wahrnehmungszentrum im Gehirn 93 wali 247. Siehe auch Heiliger Wasserstoff 61 Wasserstoffatom 62 Wasserstoffe 303 Tabelle Ul Wasserstofftabelle 62, 116 Weg 18. Siehe auch eigener Weg der Selbstverwirklichung 255 Weg, alchimistischer 60 Weg des schlauen Menschen 55 Weg des Yogi 54. Siehe auch Weg des Fakirs; Weg des Mönches Weg, eigener 46 Wege 57 Weise 258 Wellenform 120 Welt 34 der Einheit 135 des Bewußtseins 135 geistige 193 sichtbare 79 unsichtbare 79

Vakuum 117 Verantwortung 68 Verbrechensrate 239 Verdichtung kosmische 158 Verdichtungen 135 Verhaltenswissenschaft 143 verneinende Teile 139 Vernunft 35, 159, 257 Grade 171 objektive 172, 188 Stufen der 247 Stufenleiter 253, 257 Vernunft des Wissens 36 Verstandeskräfte 102 Verstehen 38, 55, 157, 170, 193, 215, 220 Muster 85 Werkzeug des 193 verstehen 84 Vervollkommnung 16, 83 Verwirklichung 154, 190, 193 Verwirklichungen kosmische 143 Vibrationen 10, 202 Vibrationsaffinität 120 Vielheit 53, 134 Vielschichtigkeit 42 Vierheit 60, 61, 219 Vierte Weg, der 13 Vierter Weg 194, 239 Ziel 85 Viervierteltakt 219 Vishnu 219, 289 Vision 105, 215, 276 kosmologische 119 Visionen 222

w

Index 329 vierdimensionale 110 Wissen 38, 52, 163, 221, 235 schamanisches 235 Welt 1 112 Wissen, bewußtes 64 Welt 2 113 Welt 3 114 Wissenschaft der Idioten 250 Welt des Bewußtseins 89ff, 135, 153 Weltall 45, 89, 128 des Idiotismus 245 Weltanschauung Wissenschaft der Idioten 253 dualistische 132 Wodka 246 nicht-dualistische 161 Wort Gottes 133 Wortneuschöpfungen 28 Weltbild Wunder 182 Gurdjieffs 167 Wunderbaren, Auf der Suche nach Welten 111, 127 dem 22 alle 127, 171 Wunsch 84, 162 des Bewußtseins 66, 89ff, 135 mikrokosmische 136 Y sieben 128 Welten, vier 107 Yesevi, Ahmed 236 Welterhaltung 18, 164. Siehe auch Yogischule 54 Gesetze Welterschaffung 18. Siehe auch Gesetze Weltmodell 129 Zahlen 60, 61 Werk 16, 51, 52, 101, 162, 190, im Enneagramm 166 193, 253, 311 Zahlenqualitäten 303 Werkgruppe 196 Zeit 122, 123, 166, 218 Wesen 73, 77, 80, 256 einzig-ideal-subjektive 126 des Tanzes 212 subjektive 125 dreihirnige 178 Zeitbegriff 123 Zentrum 83 Zeitdimension 105 Wesensänderung 76 Zeitebenen 124 Wesenskern 194 Zeiterleben 217 Wesenstypen 255 Zelle 174 Wheeler, John 108 Zellmaschinerie 176 Whitman, Walt 102 Zen 263 Wiedergeburt 222 Zen-Geschichte 99, 268 Wille Zentren 55, 58, 65 58, 62, 67, 71, 84, 126, 133, 134, 135, höhere 62, 106 143, 158, 172, 187, 193 Zentren, drei 61, 67 schöpferischer 160 Zentren, sieben 62 Willen, Welt des 167 Zentrum 38 Willensenergie 138 Zeremonie 207, 222, 257 Willenskraft 188, 215 Zeremonienmeister 249, 257 Willenskräfte Zickzack-Idiot 272, 273 Triade der 178 Ziel 57 Willenstypen 255 Ziolkowski 32 Winkel 218 Zirkel 218 wirkliche Welt. Siehe Welt Zuber, Rene 253 wirkliches Ich 58 zweifelnder Idiot 278 Wirklichkeit 94, 107, 134, 162, 238 Zwölftonmusik 202 andere 110

z

Danksagung Um ein solches Buch zu schreiben, genügt es nicht, sich alleine ins stille Kämmerlein zurückzuziehen und Quellen zu studieren. Es braucht den lebendigen Beitrag der Er­ fahrung und des Wissens vieler Menschen. Aus diesem Grund bin ich allen Lehrerinnen und Lehrern dankbar, die mich im Laufe der letzten dreißig Jahre auf meinem Weg geleitet und zum immer tieferen Verstehen der Welt des Bewußtseins geführt haben. Besonders danke ich all jenen, die durch ihre Teilnahme an meinen Seminaren und ihre Beobachtungen und Beiträge geholfen haben, meine Gedanken zu klären, zu prüfen und zu präzisieren. Diese Gedanken als Buch in eine vorläufig endgültige Form zu bringen benötigt mehr, als nur die Grammatikfehler zu beseitigen. Für diese besonders viel Aufmerksamkeit erfordernde Hilfe mein Dank an: Christi Brucher, Frank Brück, Christine Spieth, Klausbernd Vollmar, Monika Wanner, Thomas Werner. Höchste Dankestöne an Wim van Dullemen, ohne dessen Kapitel über die Musik Gurdjieffs das Buch unvollständig geblieben wäre; auch seine Art der Vermittlung der Move­ ments hat mir sehr geholfen, neue wesentliche Erkennt­ nisse zu gewinnen. Die langjährige Arbeit mit Anthony Blake, dessen brillante Gedanken mir immer wieder wich­ tige Anstöße gegeben haben, war eine weiterer Baustein für die Ausführung dieses Buches. Meinem Freund und Weg­ gefährten Hugh Elliot danke ich sehr für seinen besonde­ ren Beitrag zur rituellen Mahlzeit und den Idioten-Toasts. Ein besonders lieber Dank gilt natürlich meiner Frau Nana Nauwald, ohne deren Liebe und unseren intensiven Ge­ sprächen über die Fragen nach dem Bewußtsein und der Seele viele Erkenntnisse in diesem Buch nicht möglich ge­ wesen wären. Und schließlich möchte ich mich bei Martin Seeger für sei­ ne liebevolle und großzügige Unterstützung ganz herzlich bedanken. Bruno Martin, im Januar 2000

Weitere Titel bei edition nada Felicitas Goodman und Nana Nauwald

Ekstatische Trance Neue rituelle Körperhaltungen Das Arbeitsbuch

Dr. Felicitas Goodman und ihre Mitarbeiterin Nana Nauwald beschrei­ ben hier alle erforschten schamanischen Körperhaltungen, die mittels rhythmischer Anregung in einen veränderten Bewußtseinszustand führen, die ekstatische Trance. Das Buch enthält alle 56 bislang erforschten rituellen Körperhaltun­ gen mit Hintergrundinformation und Abbildung und genauer Be­ schreibung, so daß dieses Buch das erste vollständige Nach­ schlagwerk ist. Es enthält ausführliche, praktische Arbeitshinweise und Themenbeschreibungen der verschiedenen Erlebnisschwerpunkte der Trancehaltungen sowie neueste Forschungsergebnisse. Dr. Felicitas D. Goodman, geb. 1914, Anthropologin. Sie erforscht seit 30 Jahren Trancezustände, u.a. die schamanische Technik der rituellen Körperhaltung. Sie lebt in Cuyamungue, New Mexico und in Columbus, Ohio, USA. Nana Nauwald, geb. 1947, lebt und arbeitet als freie Künstlerin in der Lüneburger Heide. Sie hat nahezu 20 Jahre Erfahrung mit Trance­ techniken und dem Schamanismus verschiedener Kulturen. Sie er­ forscht und lehrt die rituellen Körperhaltungen. 160 Seiten ISBN 3-933467-00-4 Felicitas Goodman

Die blaue Brücke - Märchen Dr. Felicitas Goodman, bekannt durch ihre Forschung als Anthropolo­ gin auf dem Gebiet veränderter Bewußtseinszustände, hat uns mit dem Märchenzyklus „Die blaue Brücke" ein besonderes Kleinod an­ vertraut. Immer schon hat der Mensch zur Mythe gegriffen, um am ungelösten Rätsel des menschlichen Verhaltens nicht zu zerschellen. Dieses Rätsel bildet den Kern der Märchen, die von F. Goodman in archetypische Bilder gekleidet humorvoll und tiefgründig zugleich er­ zählt wird. 1942 für ihre Kinder geschrieben, haben diese Märchen bis zum heutigen Tag nichts an Aktualität verloren Die Mutter, die Künstlerin, der biedere Koch, die unfreiwilligen Helden und die betende Prinzessin - sie überdauern und geleiten uns in das neue Jahrhundert auf der blauen Brücke. 72 Seiten, 4 Farbseiten mit Gemälden von Nana Nauwald - ISBN 3-933467-03-9

Weitere Titel bei edition nada Pir Vilayat Inayat Khan

Das, was durchscheint, durch das, was er­ scheint Sufismus erleben

Dieses Buch des Sufi-Meisters Pir Vilayat Khan ist ein außergewöhnli­ cher Führer zur Entdeckung und Entfaltung der Seele und des Gei­ stes. Für Pir Vilayat ist nicht ein entferntes Ziel wichtig. Jeder Schritt unser Entfaltung und Bewußtseinserweiterung verwirklicht das Licht des Geistes im Leben. „Wenn wir erwachen, entdecken wir die göttli­ che Vollkommenheit durch unsere Unvollkommenheit." Schritt für Schritt erläutert dieses besondere Werk die Methoden der inneren Arbeit und die Stufen der Meditation, die uns zu dieser Wahr­ nehmung führen - und zu der Erkenntnis „Sie müssen sich um ihre eigene Erweckung, um ihre eigene Befreiung bemühen. Seien sie nicht davon abhängig, daß jemand sie erweckt oder befreit. Erwekkung geschieht nicht durch die Gnade des Gurus..." Pir Vilayat erreicht es mit diesem Buch, der Leserin oder dem Leser ein Werkzeug für die eigene Transformation in die Hand zu geben und ein Gefühl dafür zu wecken, wie wir den eigenen Fortschritt steuern können. Der eigene „Fortschritt" ist „nur" die fortschreitende Reini­ gung unserer Wahrnehmung für die Wirklichkeit, daß wir all dies sind. Ein außerordentliches Dokument, das zu jedem spricht, der auf dem spirituellen Pfad reist oder ihn betreten möchte. 260 Seiten ISBN 3-933467-01-2 Hazrat Inayat Khan

Gesundheit und geistige Entfaltung „Der natürliche Wunsch jeder Seele ist es, in vollkommener Gesund­ heit das Beste aus dem Leben auf dieser Welt zu machen." Dieses Werk des großen Sufi-Meisters und Musikers Hazrat Inayat Khan, der in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts den Sufismus in den Westen brachte, enthält einzigartige und begeisternde Vorträ­ ge über Leben und Tod, Gesundheit und Heilung bis hin zu den tiefen Erkenntnissen der Sufi-Lehre über Geist, Bewußtsein und Wille. Er gibt praktische Anregungen zur täglichen Praxis der geistigen Entfal­ tung: Heilung des Körpers und der Seele, Geheimnis des Atems, Träume und Offenbarungen, Konzentration und Meditation. 324 Seiten, ISBN 3-933467-02-0 Auslieferung an den Buchhandel: BM-Vertriebsservice. Postfach 1123 21394 Kirchgellersen. Tel: 04135-414 - Fax: 04135-7745

Erkenntnisdrang, Risikobereitschaft und eine abenteuerliche Su­ che bestimmten den Weg des außergewöhnlichen Lebenslehrers G. I. Gurdjieff. Seine eigenwillige und herausfor­dernde Lehre hat an Anziehungskraft bis heute nichts verloren. Gurdjieff hinterließ ein umfangreiches Vermächtnis an Ideen, Methoden, Büchern, Musik und "Heiligen Tänzen". Gurdjieffs Hauptwerk "Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel" ist in seiner verschlüsselten Erzählweise nicht leicht zugänglich. In "Auf einem Raumschiff mit Gurdjieff" wird vom Autor, der seit dreißig Jahren mit Gurdjieffs Ideen und Methoden arbeitet, erst­ malig ein Schlüssel angeboten, der ein Verständnis für "Beelze­ bubs Erzählungen" eröffnet. Die konkreten Lehren des "Vierten Wegs", Gurdjieffs Kosmologie, seine Lehre der Seele und des Bewußtseins sowie die prozeß­ orientierte Anwendung des Enneagramms bilden weitere Schwerpunkte dieses Buches. Das Hauptanliegen Gurdjieffs, die "harmonische Entwicklung des Menschen", verwirklicht sich in der Berührung der Sinne, der Bewegung, der Gefühle und des Denken durch seine Musik und seine rituellen Tänze. Zum ersten Mal für eine breitere Öffent­ lichkeit zugänglich bietet Bruno Martin durch lebendige Bei­spiele einen Einblick in den Hintergrund, die verborgene Be­deutung und tiefe Wirkung der Musik und der "Heiligen Tänze". Bruno Martin, Autor der Bücher "Handbuch der spirituellen We­ ge" und "Die Kunst, ein perfekter Idiot zu werden" lernte direkt bei einem der bedeutendsten Schüler Gurdjieffs, John G. Ben­ nett, und arbeitet seit rund 30 Jahren theoretisch wie praktisch mit deren Lehren und Methoden.