»Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts«: Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961. Mit ergänzenden Materialien [2 ed.] 9783428537532, 9783428137534

Der Briefwechsel zwischen Rudolf Smend (1882–1975) und Carl Schmitt (1888–1985) ist ein zentrales Dokument der Geschicht

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»Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts«: Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961. Mit ergänzenden Materialien [2 ed.]
 9783428537532, 9783428137534

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„Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“ Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921 – 1961 Mit ergänzenden Materialien Herausgegeben von Reinhard Mehring

Duncker & Humblot

„Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“ Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961

„Auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts“ Briefwechsel Carl Schmitt – Rudolf Smend 1921–1961 Mit ergänzenden Materialien

Herausgegeben von Reinhard Mehring

Zweite, überarbeitete Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Veröffentlicht unter Mitwirkung des wissenschaftlichen Verlagsbeirats der Carl-Schmitt-Gesellschaft e.V.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten

© 2012 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13753-4 (Print) ISBN 978-3-428-53753-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83753-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort zur Zweiten Auflage Erfreulich schnell wird eine zweite Auflage des Briefwechsels nötig. Das gibt mir Gelegenheit, einige Fehler zu verbessern, auf die ich hingewiesen wurde. Einige interessante Besprechungen sind erschienen. Eine bedauerte, dass Smend die „Nation“ als Integrationsfaktor nicht offensiver ausspielte. Andere rieben sich an polemischen Äußerungen Smends. Mehreren alten Smend-Schülern habe ich für ihre Reaktionen zu danken (Horst Ehmke, Wilhelm Hennis, Alexander Hollerbach, Karl Kroeschell). Einer meinte, Schmitt habe rhetorisch über Smend gesiegt. Einer schrieb: „Für einen alten ,Smendianer‘ hat die Lektüre der Briefe etwas Beklemmendes, weil die entscheidenden Gegensätze ausgeblendet bleiben. [. . .] Das Smend-Seminar, dem ich von 1950 bis 1953 angehörte, war damals ein anspruchsvoller und anregender Kreis von Älteren (Wilhelm Hennis, Peter von Oertzen) und Gleichaltrigen (Horst Ehmke, Henning Zwirner, Christian Graf Krockow u. a.). Nie ist es uns damals gelungen, Smend eine entschiedene Stellungnahme zu Carl Schmitt zu entlocken. Hat irgendeiner von uns geahnt, daß er damals noch mit ihm Briefe wechselte? Ich glaube es nicht.“ Der Briefwechsel trägt die Gegensätze nicht offen aus. Ich finde aber nicht, dass Schmitt im Briefwechsel triumphiert. Es ist gerade die diplomatische Dezenz, irenisch-ironische Reserve Smends, die ihn unterströmig spannend macht. Vielleicht passt hier, was Ernst Jünger zu Schmitts Begriff des Politischen meinte: „eine Mine, die lautlos explodiert“. Düsseldorf, im September 2011

Reinhard Mehring

Inhaltsverzeichnis I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

II. Briefregister Smend / Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

III. Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

IV. Zum Ende der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 V. Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 A. Materialien Carl Schmitt 1. Handschriftlich von Carl Schmitt verfasster Fakultätsantrag für Albert Hensel (Juli 1922) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Schmitts Streit mit Fritz Stier-Somlo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Fritz Stier-Somlos Schmitt-Rezension in der Kölnischen Zeitung 1924 . . 155 b) Carl Schmitts Hobhouse-Rezension 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Erwiderung des Verlegers und Entgegnung Kurt Singers 1924 . . . . . . . . . . 159 d) Stellungnahme Fritz Stier-Somlos 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Drei Bonner Dissertationsgutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Gutachten für Bernhard Braubach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Gutachten für Emil Gerber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Gutachten für Werner Becker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Miszelle: Eine Französische Kritik der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5. Zeitungsbericht über einen Vortrag vom 10. November 1932 . . . . . . . . . . . . . . . 168 6. Gutachten Schmitts für Johannes Heckel (1935) zur Berufung nach Berlin . . . 171 7. Zwei Berliner Dissertationsgutachten von Schmitt und Smend . . . . . . . . . . . . . 172 a) Gutachten für Günther Krauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Gutachten für Albrecht Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8. Artikel: Der Mut des Geistes 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 B. Materialien Rudolf Smend 1. Smends Rezension von Max Weber 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Nachruf auf Günther Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Artikel: Wissenschaft in Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. Artikel: Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5. Artikel: Zum Gedenktag der Göttinger Sieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Heinrich Triepel zum 70. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

6

Inhaltsverzeichnis 7. Auszüge aus Smends Promotionsgutachten für Wilhelm Hennis . . . . . . . . . . . . 195 8. Erwin Jacobi 70 Jahre alt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 9. Nachruf auf Carl Bilfinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 10. Johannes Heckel 70 Jahre alt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

Bücher sind Kräfte in einem abgeleiteten Sinne; wir suchen den Menschen, der hinter ihnen steht. Wilhelm Dilthey, 1889*

I. Vorbemerkung Der Briefwechsel zwischen Rudolf Smend (1882 – 1975) und Carl Schmitt (1888 – 1985) ist ein zentrales Dokument der neueren deutschen Rechtswissenschaftsgeschichte. 71 selbständige Sendungen Schmitts und 44 Briefe Smends sind in den Nachlässen erhalten. Nicht wenige Briefe – über 20% – fehlen allerdings. Die Beziehung schloss auch die Ehefrauen ein und war einige Jahre recht familiär. Man telefonierte häufiger miteinander und sah sich in verschiedenen Zusammenhängen. Smend stammte aus einer protestantischen Pfarrers- und Gelehrtenfamilie1 und machte eine schnelle akademische Karriere. 1908 in Kiel habilitiert, wurde er bald nach Greifswald (1909), Tübingen (1911), Bonn (1915) und Berlin (1922) berufen. Schmitt dagegen kam nicht aus dem akademischen Milieu. Nach seiner Promotion ging er 1910 zunächst ins Referendariat; er trat 1915 dann in die Münchner Heeresverwaltung ein und blieb bis zum Sommer 1919 Soldat. 1916 habilitierte er sich in Straßburg und wurde 1919 hauptberuflicher Dozent an der Handelshochschule München. Smend nimmt den Kontakt mit Schmitt im Frühjahr 1921 nach Erscheinen von dessen Monographie über Die Diktatur auf. Er fördert Schmitt, empfiehlt ihn auf seine erste ordentliche Professur nach Greifswald2 und wünscht ihn als seinen Nachfolger in Bonn.3 Spätestens bei der Gründungsveranstaltung der Staatsrechtslehrervereinigung am 13. / 14. Oktober 1922 in Berlin begegnen sich beide erstmals.4 Im April und Mai 1924 lernen sie sich in Berlin, Jena und auf der Dornburg näher ken* Wilhelm Dilthey, Archive für Literatur, in: ders., Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts. Gesammelte Schriften Bd. XV, Göttingen 1970, S. 1 – 16, hier: 4. 1 Der Vater Rudolf Smend (1851 – 1913), seit 1880 Prof. für Theologie in Basel und Göttingen, kam aus einer alten westfälischen Pfarrersfamilie. Smend bezeichnete deshalb Westfalen gegenüber Schmitt gelegentlich auch als „Heimat“. 2 Matthias Braun / Volker Pesch, Die Umstände der Berufung Carl Schmitts nach Greifswald, in: Schmittiana 7 (2001), S. 195 – 206. 3 Die Universitätschronik verzeichnet: „Zum 1. April 1922 wurde durch Min.-Erl. vom 25. März 1922 U I 15854. 1. der ordentliche Professor Dr. Karl Schmitt in Greifswald in die hiesige juristische Fakultät versetzt. Es wurde ihm das durch den Weggang des Professors Dr. Smend freigewordene Ordinariat verliehen mit dem Auftrag, sein neues Amt rechtzeitig zum Beginn des Sommersemesters 1922 anzutreten.“ (Chronik der Rheinischen FriedrichWilhelms Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1921 / 1922, Bonn 1923, S. 38). 4 Anwesenheitsliste im Tagungsbericht von Heinrich Triepel, Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, in: AöR 43 (1922), S. 349 – 351, hier: 349; zum „Richtungsstreit“

8

I. Vorbemerkung

nen. Zwischen 1924 und 1928 ist ihr Verhältnis besonders eng und freundschaftlich. Schmitt holt sich vielfach kollegialen Rat, bittet um Smends Einfluss im Ministerium. Ab 1929 lockert sich die Beziehung und verstummt ab 1930 einige Jahre nahezu vollständig. Aus den frühen 30er Jahren sind nur wenige Briefe erhalten, ab 1933 ist man politisch distanziert. Vom Wintersemester 1933 / 34 bis Sommersemester 1935 sind beide aber Kollegen in der Berliner Universität. Um der alten Freundschaft willen stellen sie die Differenzen hinter Kooperation zurück. Nach Schmitts Sturz in der nationalsozialistischen Karriereleiter Ende 1936 nimmt Smend den Kontakt wohl im Juli 1937 wieder auf. Für einen Moment hofft Schmitt auf eine Erneuerung der alten Beziehung. Sein Leviathan-Buch widmet er Smend im Sommer 1938 mit der Inschrift: „Meinem besten Weggenossen / auf der gefahrenvollen Straße / des öffentlichen Rechts“. Das alte Vertrauen stellt sich aber nicht wieder ein. Zwar sieht man sich in den Kriegsjahren gelegentlich und es wechseln wichtige Briefe. Smend ist aber darüber enttäuscht, dass Schmitts Sturz in der NS-Ämterordnung nicht zu einem totalen Bruch mit dem Nationalsozialismus führte. Nach 1945 begegnen sich beide nicht mehr persönlich und schreiben einander nur noch förmlich. Von der Bundesrepublik oder dem Streit der Schüler und Schulen5 ist in diesen späten Briefen nicht die Rede. Auch sie haben aber unterströmige Spannung und Aussagekraft. Der Briefwechsel enthält sehr charakteristische Stücke. Im bunten Strauß der Korrespondenzen Schmitts ist er der älteste, längste und gewichtigste mit einem wenig älteren, gleichrangigen Kollegen. Keinen anderen hat Schmitt menschlich und fachlich so geschätzt. Beide sahen sich früh schon als kongeniale Autoren im „Richtungsstreit“ der Weimarer Staatsrechtsdiskussion an. Schmitts Briefwechsel mit Heinrich Triepel, Erich Kaufmann, Erwin Jacobi, Hans Kelsen oder Johannes Heckel sind weit kürzer und förmlicher. Nur Carl Bilfinger stand ihm wohl für einen kürzeren Zeitraum persönlich näher. Fachlich aber achtete Schmitt von den älteren Kollegen niemanden mehr als Smend. Diese besondere Bedeutung geht aus den passagenweise geradezu devoten Briefen deutlich hervor. Schmitt wirbt um Smend, sucht ihn mit großen, rhetorisch kühnen Briefen zu beeindrucken. Seine Bedeutung für Smend dagegen ist weniger ersichtlich. Auch er gehörte aber, gemessen an der Anzahl erhaltener Briefe, zu den wichtigsten Briefpartnern. Von den engen Kollegen Kaufmann und Triepel sind nicht mehr Briefe erhalten.6 Deutlich wird Smends „korporatives“ Bemühen um eine Integrainsgesamt vgl. Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, München 1999; Martin Otto, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884 – 1965), Tübingen 2008; zur Vorgeschichte vgl. Walter Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, Tübingen 1993. 5 Dazu vgl. Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 – 1970, München 2004; Christoph Möllers, Der vermisste Leviathan. Staatstheorie in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 2008. 6 Die engsten Briefpartner Smends waren, gemessen an der vorläufig aufgenommenen Anzahl im Nachlass erhaltener Briefe, Smends Schüler Ulrich Scheuner (1903 – 1981) sowie

I. Vorbemerkung

9

tion Schmitts in die Zunft. Sichtbar ist auch der politische Bruch vor und nach 1933 und 1945. Die zeitgeschichtlichen Zäsuren markieren Epochen in der Korrespondenz. Smends konservative Haltung zur Weimarer Republik mag bisweilen etwas vorbehaltlich oder zweideutig erscheinen. Was Smend rückblickend über Carl Bilfinger schreibt, gilt aber auch für ihn: Er hielt „das ganze politische Erbe der bürgerlichen Aristokratie“ gegen den Anstaltsstaat wach. Smend bezieht sich immer wieder auf den älteren föderalen Liberalismus vor 1848. Seine Nähe und Distanz zu Schmitt ist aber hinter der irenisch-ironischen, skrupulösen und diplomatischen, Schmitt sagt einmal: „hintergründigen“ Fassade nicht immer klar zu sehen. Das betrifft auch politische Fragen. Besonders überrascht hier Schmitts Einladung, auf der Tagung über „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ den zentralen Vortrag zum Staatsrecht zu übernehmen. Meinte er ernstlich, dass Smend das machen würde? Sah er Nähen Smends zu diesem Thema? Wollte er ihn in die nationalsozialistische Diskussion einbeziehen oder gar politisch herausfordern und stellen? Viele solcher Fragen wirft der Briefwechsel auf. Die Korrespondenzpartner sind einander nah und fern. Einige Briefe fehlen schmerzlich. Fast jedes Jahr ist aber vertreten und die Beziehung bleibt über vierzig Jahre sichtbar. Dabei wird der Briefwechsel nie rein fachlich oder gar redundant. Er wirft starke Schlaglichter und Momentaufnahmen auf die „gefahrenvolle“ Lage des öffentlichen Rechts im Systembruch. Die Briefe liegen in den umfangreichen Nachlässen von Smend (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. Ms. R. Smend) und Schmitt (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Abteilung Rheinland. Standort Düsseldorf, Nachlass Carl Schmitt, RW 265). Sie sind meist handschriftlich auf einfachem Papier geschrieben. Fast alle Briefumschläge fehlen. Schmitts Briefe an Smend scheinen vollständiger erhalten zu sein als umgekehrt. Weitere Briefe können auftauchen. Widmungen von Sonderdrucken und Büchern wurden hier, soweit möglich, als Korrespondenz berücksichtigt und bei entsprechender Datierung als selbständige Sendung gezählt. Wenige Briefe der Ehefrauen waren ebenfalls im Nachlass erhalten und wurden mit aufgenommen. Darüber hinaus wurden einige vorläufig transkribierte Tagebuchstellen, Gutachten und andere Materialien teils in chronologischer Anordnung dokumentiert, um die Beziehungsgeschichte und Sicht des „Richtungsstreits“ durchgängig und plastisch sichtbar zu machen. Nach Anzahl der Briefe und Tagebuchnotizen hat Schmitt das Übergewicht. Das wurde durch den Wiederabdruck einschlägiger kleinerer Texte Smends ausgeglichen, die nicht in dessen Staatsrechtliche Abhandlungen stehen. Dazu kommen knappe Texte und unveröffentlichte Gutachten Schmitts. Diese ergänzenden Materialien sollen ein zentrales Thema des Briefwechsels weiter verdeutlichen: die kollegialen Wertungen die befreundeten Max Gutzwiller (1889 – 1989) und Ernst Robert Curtius (1888 – 1956). Von Erich Kaufmann (1880 – 1972) sind über einen längeren Zeitraum (von 1909 – 1972) 86 Briefe erhalten, von Heinrich Triepel mit 67 Briefen gleich viel. Weit geringer ist beispielsweise der Bestand an Briefen von Schmitts Schülern Otto Kirchheimer (23), Werner Weber (20), Ernst Rudolf Huber (16) und Ernst Forsthoff (15).

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I. Vorbemerkung

und Einschätzungen der Fakultätsfronten im „Richtungsstreit“ der damaligen Staatsrechtsdiskussion. Über die Beziehungsgeschichte hinaus gibt die Edition deshalb Einblicke in ein zentrales Kapitel neuerer deutscher Rechtswissenschaftgeschichte.7 Rudolf Smend wird als „Weggenosse“ und Gegenspieler Schmitts vertieft sichtbar. Die Edition kann nicht alle Fragen und Kontexte klären und genügt auch nicht höchsten historisch-kritischen Standards. Als Arbeitsbuch will sie Impulse setzen. Intensiv wurde ich bei den schwierigen Transkriptionen von den Söhnen Prof. Dr. Friedrich Smend und Prof. Dr. Rudolf Smend sowie von Dr. Gerd Giesler und Ernst Hüsmert unterstützt. Friedrich Smend bin ich für sein überaus freundliches und vielfältig hilfreiches Engagement zu besonderem Dank verpflichtet. Die Tagebücher und weitere Texte wurden von Hans Gebhardt transkribiert. Dr. Martin Otto danke ich wichtige Hinweise. Viele andere Personen und Institutionen gaben bereitwillig Auskünfte. Prof. Dr. Friedrich Smend und Prof. Dr. Jürgen Becker erlaubten den Abdruck der Briefe. Mehreren Archiven (bes. Niedersächsische Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Universitätsarchiv der HU-Berlin, Universitätsarchiv Köln, Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn) habe ich auch für die Abdruckgenehmigungen zu danken. Schließlich danke ich Dr. Florian Simon von Duncker & Humblot, dem Hausverlag Schmitts wie Smends, für die Publikation dieses Dokuments.

7 Verzichtet wurde darauf, das Verhältnis zwischen Smend und Schmitt durch Dritte (wie Triepel, Bilfinger, Jacobi, Scheuner, Kirchheimer, Forsthoff, Huber, Werner Weber, Grewe oder Leibholz) zu spiegeln. Sie alle kannten Smend und Schmitt näher. Erwähnt seien hier aber die späten Beiträge von Ernst Rudolf Huber: Rudolf Smend 15. Januar 1882 – 5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1976, Göttingen 1977, S. 105 – 121; ders., Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Republik, in: Arbeiten zur Rechtsgeschichte. FS Gustav Klemens Schmelzeisen, Stuttgart 1980, S. 126 – 141.

II. Briefregister Smend / Schmitt 1921 0/1

1922 1/2

1923 2/1

1924 2/9

1925 2/6

1926 2/4

1927 1/5

1928 4/7

1929 1/4

1930 0/2

1931 1/0

1932 2/0

1933 1/1

1934 0/0

1935 0/2

1936 0/1

1937 0/1

1938 2/4

1939 1/0

1940 1/0

1941 0/1

1942 0/2

1943 2/1

1944 0/0

1945 0/1

1946 0/0

1947 2/1

1948 1/1

1949 1/1

1950 2/2

1951 2/1

1952 1/1

1953 1/1

1954 1/1

1955 1/1

1956 2/1

1957 1/1

1958 1/1

1959 1/1

1960 1/1

1961 Total: 1 / 1 44 / 71

1. Schmitt an Smend am 11. Mai 1921 2. Smend an Schmitt am 1. März 1922 3. Schmitt an Smend am 9. März 1922 4. Schmitt an Smend Karte vom 18. April 1922 5. Schmitt an Smend am 30. April 1923 6. Smend an Schmitt am 6. Mai 1923 7. Smend an Schmitt am 22. Dezember 1923 8. Schmitt an Smend am 25. Mai 1924 9. Schmitt an Smend am 11. Juni 1924 10. Schmitt an Smend am 27. Juni 1924 11. Schmitt an Smend am 10. Juli 1924 12. Schmitt an Smend am 21. Juli 1924 13. Schmitt an Smend am 9. August 1924 14. Smend an Schmitt am 15. August 1924 15. Schmitt an Smend Karte gest. 21. August 1924 16. Schmitt an Smend am 14. November 1924 17. Schmitt an Smend am 27. November 1924 18. Smend an Schmitt am 29. November 1924 19. Schmitt an Smend am 2. Januar 1925 20. Smend an Schmitt am 18. Mai 1925

12

II. Briefregister Smend / Schmitt

21. Schmitt an Smend am 21. Mai 1925 22. Schmitt an Smend am 5. Juni 1925 23. Schmitt an Smend am 15. Juni 1925 24. Smend an Schmitt am 28. Juli 1925 25. Schmitt an Smend am 14. September 1925 26. Schmitt an Smend Karte vom 19. September 1925 27. Schmitt an Smend am 14. Februar 1926 28. Smend an Schmitt am 16. Februar 1926 29. Gedruckte Heiratsanzeige Schmitt März 1926 30. Schmitt an Smend am 7. Mai 1926 31. Schmitt an Smend am 25. September 1926 32. Smend an Schmitt am 10. Oktober 1926 Artikel Smend: Zur 5. Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 33. Schmitt an Smend am 1. Juni 1927 34. Smend an Schmitt am 26. Juni 1927 35. Schmitt an Smend am 15. Juli 1927 36. Schmitt an Smend am 17. Oktober 1927 37. Schmitt an Smend am 20. Oktober 1927 38. Schmitt an Smend am 28. Dezember 1927 39. Smend an Schmitt am 27. Januar 1928 40. Smend an Schmitt am 1. März 1928 41. Schmitt an Smend am 26. April 1928 42. Smend an Schmitt am 30. April 1928 43. Schmitt an Smend am 30. April 1928 44. Schmitt an Smend am 1. August 1928 45. Schmitt an Smend Sommer 1928 46. Schmitt an Smend am 11. September 1928 47. Smend an Schmitt am 3. Oktober 1928 48. Schmitt an Smend Karte Ende November 1928 49. Schmitt an Smend am 10. Dezember 1928 50. Smend an Schmitt am 29. März 1929 51. Schmitt an Smend Karte am 18. Oktober 1929 52. Schmitt an Smend am 22. Oktober 1929 53. Schmitt an Smend Karte am 26. Oktober 1929 54. Schmitt an Smend Ende Oktober 1929

II. Briefregister Smend / Schmitt

55. Schmitt an Smend Karte gest. 31. März 1930 56. Schmitt an Smend am 13. Juli 1930 57. Smend an Schmitt am 4. September 1931 58. Gisela Smend an Duschka Schmitt am 4. September 1931 59. Smend an Schmitt gewidm. SD vom 25. Februar 1932 60. Smend an Schmitt am 11. November 1932 61. Schmitt an Smend Karte am 12. Juli 1933 62. Smend an Schmitt am 15. Juli 1933 63. Schmitt an Smend am 28. April 1935 64. Schmitt an Smend am 20. September 1935 65. Schmitt an Smend am 17. Juli 1936 66. Schmitt an Smend am 16. Juli 1937 67. Schmitt an Smend gewidm. Typoskript zum 15. Januar 1938 68. Schmitt an Smend am 14. April 1938 Grußwort Schmitts zum 350. Geburtstag von Thomas Hobbes 69. Einladungskarte Duschka Schmitt zum 12. Juli 1938 70. Smend an Schmitt am 9. Juli 1938 71. Widmung des Leviathan-Buches an Smend zum 11. Juli 1938 72. Smend an Schmitt am 10. Juli 1938 73. Schmitt Karte an Smend am 30. Juli 1938 74. Gewidm. SD Smend Frühjahr 1939 an Schmitt 75. Smend an Schmitt am 9. Juli 1940 76. Schmitt an Smend am 4. Mai 1941 77. Schmitt an Smend am 14. Januar 1942 78. Gewidm. SD Schmitt an Smend am 22. August 1942 79. Smend an Schmitt am 9. Januar 1943 80. Schmitt an Smend am 14. Januar 1943 81. Smend an Schmitt am 9. Juli 1943 82. Schmitt an Smend am 9. Januar 1945 83. Duschka Schmitt an Smend am 20. Dezember 1945 Artikel Smend: Zwischen den Jahren 84. Schmitt an Smend am 6. Januar 1947 85. Smend an Schmitt am 7. Juli 1947 86. Smend an Schmitt am 29. Oktober 1947 87. Schmitt an Smend am 6. Januar 1948

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II. Briefregister Smend / Schmitt

88. Smend an Schmitt am 7. Juli 1948 89. Schmitt an Smend am 8. Januar 1949 90. Smend an Schmitt am 9. Juli 1949 Artikel Smend: Staatsrechtler-Vereinigung neu gegründet 91. Schmitt an Smend am 10. Januar 1950 92. Smend an Schmitt am 9. Juli 1950 93. Smend an Schmitt am 23. Dezember 1950 94. Schmitt an Smend am 26. Dezember 1950 95. Schmitt an Smend am 11. Januar 1951 96. Gisela Smend an Carl Schmitt am 11. Februar 1951 97. Gewidm. SD Smend an Schmitt im Mai 1951 98. Smend an Schmitt am 9. Juli 1951 99. Schmitt an Smend am 12. Januar 1952 100. Smend an Schmitt am 10. Juli 1952 101. Smend an Schmitt am 10. Juli 1953 102. Schmitt gewidm. SD an Smend Sommer 1953 103. Schmitt an Smend am 13. Januar 1954 104. Smend an Schmitt am 9. Juli 1954 105. Schmitt an Smend am 12. Januar 1955 106. Smend an Schmitt am 10. Juli 1955 107. Schmitt an Smend am 12. Januar 1956 108. Smend an Schmitt am 30. Januar 1956 109. Gisela Smend an Schmitt nach dem 26. Februar 1956 110. Smend an Schmitt am 10. Juli 1956 111. Schmitt an Smend am 12. Januar 1957 112. Smend an Schmitt am 10. Juli 1957 113. Schmitt an Smend am 14. Januar 1958 114. Smend an Schmitt am 10. Juli 1958 115. Schmitt an Smend am 13. Januar 1959 116. Smend an Schmitt am 10. Juli 1959 117. Schmitt an Smend am 13. Januar 1960 118. Smend an Schmitt am 9. Juli 1960 119. Schmitt an Smend am 13. Januar 1961 120. Smend an Schmitt am 9. Juli 1961

II. Briefregister Smend / Schmitt

Erwähnte fehlende Briefe: 1. Smend an Schmitt Karte vom 13. Mai 1924 2. Smend an Schmitt am 17. Juni 1924 3. Smend an Schmitt Mitte Juli 1924 4. Smend an Schmitt am 15. Oktober 1924 5. Smend an Schmitt Ende November 1924 6. Schmitt am 2. Dezember 1924 an Smend 7. Smend an Schmitt Mai / Juni 1925 8. Telegramm Schmitts Ende September 1926 an Smend 9. Smend an Schmitt Ende September 1926 10. Smend an Schmitt November 1926 11. Smend Mitte Juni 1927 an Schmitt 12. Schmitt Mitte Juni 1927 an Smend 13. Smend an Schmitt Mitte Oktober 1927 14. Smend an Schmitt Dezember 1927 15. Schmitt Karte März 1928 an Smend aus Paris 16. Smend Herbst 1928 an Schmitt 17. Smend zum 11. Juli 1933 an Schmitt 18. Smend im Frühjahr (evtl. April) 1935 an Schmitt 19. Smend an Schmitt zum 11. Juli 1937 20. Smend an Schmitt am 21. März 1938 21. Schmitt an Smend zum 15. Januar 1940 22. Smend an Schmitt am 7. April 1941 23. Smend an Schmitt zum 11. Juli 1942 24. Schmitt an Smend am 2. November 1947

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III. Briefe 1921 – 1961

1. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 2] München, den 11. Mai 1921 Schraudolfstr. 5. Sehr verehrter Herr Professor, für Ihre liebenswürdige Güte, mir während Ihres kurzen Aufenthaltes in München die Ehre eines Besuches zu erweisen,1 spreche ich meinen ergebensten Dank aus. Ich bedaure herzlich, daß ich diese schöne Gelegenheit wegen meiner Abwesenheit nicht wahrnehmen konnte. Gleich nach meiner Rückkehr, Ende April, bin ich nun plötzlich erkrankt und seit einiger Zeit im Krankenhaus. Dort schreibe ich auch diesen Brief, dessen Verspätung und Formlosigkeit ich dafür freundlich zu entschuldigen bitte. Ich hatte Ihnen kein Exemplar meines Buches über die Diktatur2 zu geschickt, weil ich nicht wußte, ob die Arbeit Sie interessierte. Nunmehr erlaube ich mir, das zu tun, weil das ja für mich auf jeden Fall ein Mittel ist, meinen Dank für Ihre Freundlichkeit und meine aufrichtige Verehrung zu umschreiben. Dabei muß ich nochmals sagen, wie sehr es mich betrübt, die seltene Gelegenheit, mit einem Kenner der Geschichte des deutschen Staatsrechts sprechen zu dürfen, verfehlt zu haben. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung bin ich, sehr verehrter Herr Professor, Ihr sehr ergebener Carl Schmitt-Dorotic.

2. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15211] Bonn 1. 3. 22 Sehr verehrter Herr Kollege! Haben Sie den Ruf nun endlich! Dann beglückwünsche ich Bonn und Sie von Herzen! Dr. Holstein3 ist zZt. mir nicht erreichbar – ich habe an ihn geschrieben, Evtl. hinterließ Smend eine Nachricht. Carl Schmitt, Die Diktatur. Von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, München und Leipzig 1921; Smends im Familienbesitz erhaltene Handexemplare der 1. und 2. Auflage tragen keine Widmungen. 3 Günther Holstein (1892 – 1931; Abb. 5), Schüler von Josef Kohler, Erich Kaufmann und Rudolf Smend; Holstein promovierte 1920 und habilitierte sich 1921 in Berlin. Er wechselte dann als Fakultätsassistent nach Bonn, übernahm die Lehrstuhlvertretung Schmitts in Greifswald und wurde 1924 dort Ordinarius. Holstein war in Bonn noch im SS 1924 als Privatdo1 2

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III. Briefe 1921 – 1961

werde Ihnen, wenn ich bis morgen oder übermorgen nichts von ihm höre, auch ohne seine Einwilligung seine Habilitationsschrift4 senden. Ich denke bis etwa 25. März hier, dann bis etwa 4. April in Göttingen (Nikolausberger Weg 73), dann in Berlin zu sein (Nikolassee b / Berlin, Prinz Friedrich Leopold-Str. 45, Fernspr. Wannsee 773). An einem dieser Orte hoffe ich endlich Gelegenheit zu haben, Ihre Nachsicht für mein langes (durch Rom, Generalsynode, Krankheit, Vertretung von Kaufmann5 usw. kaum zu entschuldigendes) Schweigen auf Ihren freundlichen Brief vom vorigen Frühjahr6 und Ihre „Diktatur“ zu erbitten. Im Semesterschlußgedränge heute nur meine besten Grüße und Wünsche für Bonn, und angelegentliche Empfehlungen Ihrer sehr verehrten Frau Gemahlin!7 Ihr sehr ergebener Smend

3. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 3] Greifswald, 9. 3. 1922. Sehr verehrter Herr Professor Smend, ich danke Ihnen vielmals für Ihren gütigen Brief vom 1. März. Wenn meine Pläne und Berechnungen sich verwirklichen, werde ich vor dem 25. März in Bonn sein und mir erlauben, Sie aufzusuchen.

zent geführt und kündigte auch Veranstaltungen an. 1930 wechselte er nach Kiel. Sein Nachfolger in Greifswald wurde Gerhard Leibholz. Zur Würdigung Holsteins außer dem (im Anhang abgedruckten) Nachruf von Smend auch Gerhard Leibholz, Holstein und die deutsche Staatsrechtslehre, in: Günther Holstein Erinnerungsheft, Greifswald 1931, S. 13 – 18. 4 Druckfassung: Günther Holstein, Die Staatsphilosophie Schleiermachers, Bonn 1923. 5 Erich Kaufmann (1880 – 1972; Abb. 7) war seit 1912 Prof. in Kiel, Königsberg und seit 1920 in Bonn. Er war als Völkerrechtler ein wichtiger Berater des Auswärtigen Amts und deshalb oft beurlaubt. „Seit 5 Semestern ist er von Bonn beurlaubt“, schreibt Schmitt am 27. Juni 1924 an Gottfried Salomon (Nachlass Salomon, International Instituut voor Sociale Geschiedenis, Amsterdam). Nur vom WS 1924 / 25 bis zum SS 1926 lehrte Schmitt demnach neben Kaufmann. Ab dem WS 1926 / 27 war Kaufmann erneut beurlaubt. 1927 wechselte er nach Berlin. Schmitt entwickelte schon in seinen Bonner Jahren erhebliche Aversionen gegen Kaufmann, der 1934 seinen Lehrstuhl verlor und 1938 nach Holland emigrierte. Kaufmann kehrte 1946 nach Deutschland zurück, lehrte dann in München und war erneut auch als Regierungsberater einflussreich. Kaufmann war seit frühen Kieler Tagen mit Smend befreundet. Würdigung durch Rudolf Smend, Zu Erich Kaufmanns wissenschaftlichem Werk, in: Um Recht und Gerechtigkeit. Festgabe für Erich Kaufmann, Stuttgart 1950, S. 391 – 400. 6 Wohl der Brief vom 11. 5. 1921. 7 Die Formulierung legt eine persönliche Bekanntschaft nahe. Spätestens seit Herbst 1921 lebte Schmitt aber von seiner Ehefrau Pauline Carita Dorotic´ (1883 – 1968) getrennt.

III. Briefe 1921 – 1961

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Dr. Holstein hat mir seine Arbeit geschickt. Er ist als Vertreter für dieses Sommersemester8 vorgeschlagen und wird wohl auch dazu ernannt werden. Heute hat er mich hier besucht; ich bin zufrieden, daß es mir gelungen ist, ihn durchzusetzen. Ich bleibe, mit der Versicherung aufrichtiger Verehrung, in vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

4. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 4. – Postkarte: Ingelheimsche Palast zu Wetzlar, darauf handschriftlich von Schmitt: „Herrn Dr. Rudolf Smend / Professor a. d. Universität / Bonn a. Rh. / Quantiusstr. 5 / bitte nachzusenden.“ Ergänzt: Nikolassee b / Bln / Prinz Friedrich Leopoldstr. 45] (auf der Reise nach Bonn in) Wetzlar, 18. 4. 22 Sehr verehrter Herr Professor Smend, hier, in Wetzlar,9 im Archiv, bat mich der alte Archivar, Geh. Rat Veltmann,10 Ihnen einen Gruß von ihm zu bestellen. Ich sende ihn mit meinen eigenen Grüßen in aufrichtiger Verehrung. Ihr ergebener Carl Schmitt.

8 Vom 15. 5. 1922 datiert ein Dankesbrief Holsteins an Schmitt aus Greifswald (RW 265-6195); Holstein lehrte demnach definitiv schon im SS 1922 in Greifswald. Erst am 1. August 1924 wurde er Ordinarius. Seine Berufung war insbesondere deshalb umstritten, weil Holstein sein Referendariat nur mit der Note Ausreichend bestanden hatte. Kaufmann gutachtete positiv für Holstein. Ein Gutachten Schmitts, das dieser im April 1922 verfasste, ist in den Berufungsakten nicht erhalten. Vgl. Stefan Korioth, ,Geisteswissenschaftliche Methode‘ und Rückwendung zum Rechtsidealismus: Günther Holstein (1892 – 1931), in: Joachim Lege (Hg.), Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815 bis 1945, Tübingen 2009, S. 285 – 302, hier: 286 f. 9 Schmitt hielt sich damals in Marburg und Wetzlar wegen des Promotionsverfahrens seiner Geliebten Kathleen Murray auf. Dazu vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 131 ff. 10 Geh. Archivrat Hermann Veltmann (1837 – 1924) war von 1886 bis 1911 am preußischen Staatsarchiv in Wetzlar tätig. Smend kannte Veltmann vermutlich durch seine Archivarbeit zur Geschichte des Reichskammergerichts.

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III. Briefe 1921 – 1961

5. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend B 5 Bl. 47] Bonn, den 30. April 1923 Meckenh[eimer] Allee 45. Sehr verehrter Herr Smend, ich danke Ihnen herzlich für die Zusendung Ihres Aufsatzes über die politische Gewalt im Verfassungsstaat11 und bitte Sie, die Zusendung meines Büchleins über den Katholizismus,12 das Sie wohl dieser Tage erhalten, als ein Zeichen meiner aufrichtigen Dankbarkeit anzusehen. Wenn Sie mir eine Bemerkung zu dem Aufsatz erlauben: Sie zitieren Hauriou13 nur mit der Anmerkung zu Sirey14 1893 III 129; ich fand seine Ausführungen in den Principes de droit public15 (à l’usage des étudiants en licence – 3e année – et en doctorat ès-sciences politiques) 1910, chap. XI (la séparation du gouvernement et de l’administration) besonders interessant, wo er den Gegensatz von g. und a. als den von Zentralisation und Dezentralisation ausführt, mit Hereinziehung sogar des syndicalisme des fonctionnaires; das Ganze im systematischen Zusammenhang mit seiner Vorstellung vom „Gleichgewicht“, die ihm dient, einige Funktionen Ihres Begriffes der Integration wahrzunehmen. – Ich habe ein Anliegen: würden Sie die Güte haben, mir den Aufsatz von Triepel16 über den art. 19 RV. aus der Festgabe für Kahl für ein paar Tage zu überlassen; vorausgesetzt natürlich, daß Sie einen Sonderabdruck haben. A propos: hat 11 Rudolf Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum Doktorjubiläum, Tübingen 1923, III, S. 3 – 25; dazu vgl. Smends lexikalischen Nachruf auf Wilhelm Kahl in: Encyclopaedia of the Social Sciences, ed. Edwin Seligman, New York 1932, S. 534 – 535; Schmitt zitiert Smends Festgabe häufiger, so in der Broschüre „Die Kernfrage des Völkerbundes“ und im „Begriff des Politischen“ von 1927. 12 Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, Hellerau 1923; Smend kannte offenbar schon die verschollene Urfassung des Essays, denn er zitiert Schmitts zunächst für die Zeitschrift „Dioskuren“ im März 1922 geschriebenen Text „Die politische Idee des Katholizismus“ im Beitrag zur Kahl-Festgabe S. 25 Fn. 2 aus dem Manuskript. 13 Rudolf Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl, Tübingen 1923, S. 6 Fn. 2 (in Schmitts SD rot unterstrichen). 14 Jean-Baptiste Sirey (1762 – 1845), französischer Zivilrechtler. 15 Maurice Hauriou (1856 – 1929), Principes de droit public. Librairie de la société du recueil, J.-B. Sirey, Paris 1910. 16 Heinrich Triepel (1868 – 1946; Abb. 4), berühmter Staats- und Völkerrechtler, seit 1900 Ordinarius, seit 1913 in Berlin, Begründer der Staatsrechtslehrervereinigung; ders., Streitigkeiten zwischen Reich und Ländern. Beiträge zur Auslegung des Art. 19 der Weimarer Verfassung, in: Festgabe der Berliner Juristischen Fakultät für Wilhelm Kahl zum 50. Doktorjubiläum, Tübingen 1923, II S. 1 – 118; vgl. Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, Berlin 1999.

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es Sinn, Zweck und Wert, Triepel ein Exemplar des Aufsatzes über den Katholizismus zu überreichen? Herzlichen Dank und beste Empfehlungen Ihres stets ergebenen Carl Schmitt.

6. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15212 – Postkarte Adresse: „Herrn Professor Dr. jur. K. Schmitt / Bonn a. Rh. / Meckenheimer Allee 45“] Nikolassee 6. Mai 1923 Sehr verehrter Herr Schmitt! Im Voraus sehr vielen Dank für Ihr Katholizismus-Buch! Und auch für Ihre Hauriou-Notiz (es gibt ihn leider in Berlin in meiner Reichweite nicht!). Inzwischen versuche ich an Triepel’s Aufsatz zu kommen, aber vergeblich: einen Sonderabdruck habe ich nicht, und Tr. ebensowenig mehr (wenn Sie ohne diese Gegengabe ihm Ihr bevorstehendes Buch schenken, wird es ihn sehr freuen) – und die ganze Festschrift habe ich z. Zt. infolge eines absonderlichen Tauschverfahrens auch nicht zur Hand. Triepel sagt mir aber, daß er Hensel17 einen Abzug geschickt hat. – Ob Tr. Ihren „Katholizismus“ recht würdigen kann, bezweifle ich, obwohl man ja manchmal verständnisvoller ist als man scheint (ich bin es auch mehr, als man dem in geplagten Abenden mühselig erquälten Festschriftbeitrag von mir ansieht, der ein in der Form stecken gebliebener Teig ist). Nochmals vielen Dank und schönsten Gruß! Ihr Smend

17 Albert Hensel (1895 – 1933; Abb. 13), Schüler Triepels, Diss. 1920 Berlin, Februar 1922 PD Bonn, 1923 apl. Prof. Bonn, zum SS 1929 o. Prof. Königsberg, Pionier des Steuerrechts. Dazu vgl. Paul Kirchhof, Albert Hensel (1898 – 1933). Ein Kämpfer für ein rechtsstaatlich geordnetes Steuerrecht, in: Helmut Heinrichs / Hans-Harald Franzki / Klaus Schmalz / Michael Stolleis (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 781 – 791; Schmitt äußert sich im Briefwechsel zwar negativ über Hensel, arbeitet dann aber in den Bonner Jahren eng mit ihm zusammen und trifft Hensel auch nach 1928 wiederholt in Königsberg und Berlin. Acht im Nachlass erhaltene Briefe Hensels an Schmitt betreffen den Zeitraum vom 12. 11. 1928 bis 21. 11. 1932 (RW 265-5952 / 59).

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7. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15213] Nikolassee 22. 12. 23 Verehrter Herr Schmitt! Im Gedränge von zwei Monaten Ministerium18 ist der Dank für Ihren Zitelmann-Beitrag19 leider liegen geblieben. Darf ich um Ihre Nachsicht bitten, auch für die Flüchtigkeit dieses heutigen Grußes im Augenblick der Abreise! Ich bin weithin sehr einverstanden und dankbar: Den Liberalismus im Ganzen faße ich ebenso auf, beim Marxismus freut mich besonders, daß Sie es nicht Troeltsch20 allein überlassen, von ihm eine frische und selbständige Auffassung zu haben, und vom Syndikalismus usw. erwartet man ja mit Recht von Ihnen besonders verständnisvolle Würdigung. Bei der Demokratie ist es vielleicht ein Wortstreit, wenn ich in ihr das materiale Moment stärker sehe: deshalb ist es selbstverständlich möglich, daß die Demokraten in der Minderheit sind (S. 12), und ebenso wie formelle der sachlich begründeten D. bzw. ihrem Prinzip (S. 16) erliegen kann, so auch z. B. der formelle König, der augenblickliche, dem unsterblichen (Dahlmann21 ein Wort 18 Smend hatte ab 1918 unter Carl Heinrich Becker einige Zeit im Kultusministerium gearbeitet. Ende 1923 kam es offenbar erneut zu einer kürzeren Tätigkeit. Schmitt spricht Smend wiederholt auf seine Erfahrungen und Kontakte im Ministerium an. 19 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, in: Paul Krüger (Hg.), Bonner Festgabe für Ernst Zitelmann. Zum fünfzigjährigen Doktorjubiläum, München und Leipzig 1923, S. 413 – 473. Solche Festgaben hatten Tradition. So gab Zitelmann selbst heraus: Festgabe der Bonner Juristischen Fakultät für Karl Bergbohm zum 70. Geburtstag, Bonn 1919. Zur Entstehung der Zitelmann-Festgabe ist eine Akte der Juristischen Fakultät zu Bonn (Fakultätsarchiv Bd. 179) erhalten: Ernst Landsberg startete am 7. November 1922 einen Umlauf in der Fakultät. Schmitt schreibt. „Ich werde beitragen: Geschichtliche Formen der Vorstellungen vom Nationalcharakter, esprit des nations etc. (Der Titel wird noch genauer formuliert.) Schmitt.“ Diverse Kollegen formulieren ihre Vorschläge. Landsberg nimmt daraufhin Kontakt mit Duncker & Humblot auf. Der Verlagschef Geibel erklärt am 3. November 1922 seine Bereitschaft. Am 20. November nennt er Einzelheiten. Mit Schreiben vom 2. Dezember wünscht der Verlag den 1. April als Abgabetermin und bemerkt: „Wir hatten die Freude, gestern Herrn Professor Schmitt bei uns zu sehen und ich habe ihn gebeten, Ihnen meine verbindlichsten Empfehlungen und meinen Dank für die in Ihrem Briefe vom 23. November ausgesprochenen liebenswürdigen Worte zu übermitteln.“ Landsberg informiert daraufhin die Fakultät vom Stand der Planungen. Ende Februar 1923 gehen erste Manuskripte beim Verlag ein (Krüger, Crome, Landsberg, Pflüger). Anfang April liegen auch die Beiträge von Schulz, Göppert und Heimberger vor. Als Deadline wird nun der 1. Mai angesetzt. Landsberg teilt daraufhin dem Verlag am 12. April mit, er habe die ausstehenden Beiträger (Zorn, Kaufmann, Nottarp, Isay, Hensel, Holstein) brieflich informiert und mit Schmitt „persönlich gesprochen“. Schmitt schreibt seinen Beitrag, den Schlussbeitrag des Bandes, aber erst im Mai. Am 23. Juli informiert der Verlag Landsberg über das Dedikationsexemplar. „Die Ausgabe der Festgabe an den Buchhandel erfolgt erst später im September“, schreibt er. Die rechtzeitige Fertigstellung ist damals gesichert. 20 Ernst Troeltsch (1865 – 1923), Professor für Theologie in Heidelberg und dann Philosophie in Berlin. 21 Friedrich Christoph Dahlmann (1785 – 1860), Zur Verständigung, Basel 1838.

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zur Verständigung). Deshalb ist Legitimität=Legitimierung durch höhere Werte auch als demokratische für mich kein Wunder (18 f.), ebenso deshalb der Zusammenhang von D.[emokratie] und Parlamentarismus nur höchst zufällig (20). Doch ich hoffe leise, bald einmal mündlich mit Ihnen von dem Allen zu sprechen. Sind Sie in den Ferien in Bonn? Kann ich mit belgischem Einreisevisum von Düsseldorf aus nach Köln oder gar nach Bonn fahren?22 Würden Sie dieserhalb eine Postkarte an mich senden (nach Göttingen Nikolausberger Weg 73)?23 Gegebenfalls sehr vielen Dank – bitte in Bonn um Diskretion für diesen Plan – Ihnen nochmals vielen Dank und lebhafteste Fest- und Neujahrswünsche und -grüße Ihr R. Smend Im Frühjahr 1924 treffen Schmitt und Smend sich wiederholt in Berlin und Jena. Schmitt betonte später immer wieder die zentrale Bedeutung dieser ersten näheren Begegnungen. Am 26. März 1924 notiert er von einer Begegnung in der Berliner Universität: „Smend zufällig getroffen und gut unterhalten, sehr froh darüber.“ Am 5. April fährt er dann „um ½ 4 zu Smend nach Nikolassee, wunderschöner Nachmittag, Kaffee getrunken, Spaziergang zum Kleistgrab, über die Privatisierung der Sakramente, über Bogisic´,24 bei ihm zu Abend gegessen, kam kaum dazu, meine Thesen25 vorzulesen. Um 11 brachte er mich zur Bahn, rührend, guter Freund, ich war beglückt.“ (TB 5. 4. 1924) Am 7. April zeigt Schmitt Smend das preußische Justizministerium seines alten Mentors, des Ministers Hugo am Zehnhoff.26 Am 9. April heißt es: „Im Buchladen meinen Parlamentarismus27 gekauft, zu Smend gebracht.“ Am 10. April spricht Schmitt Smend mehrere Stunden erneut „wunderschön“ (TB 10. 4. 1924), auch „über meine Ehe“. Nach der Jenaer Staats22 Zu den Bestimmungen des Versailler Vertrages gehörte die alliierte Besetzung der linksrheinischen Gebiete und einiger rechtsrheinischer Brückenköpfe (mit angrenzender entmilitarisierter Zone) bis spätestens Januar 1935. Vom Januar 1923 bis August 1925 erfolgte zusätzlich die Ruhrbesetzung. Nach Abzug der Amerikaner wechselte Bonn im Februar 1923 aus der englischen in die französische Zone. Die belgische Zone umfasste damals den nordwestlichen Niederrhein bis nach Aachen. Düsseldorf gehörte bereits zur französischen Zone, Köln zur englischen Zone (so Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. VII, Stuttgart 1984, S. 434). Aus dieser verworrenen Lage erklärt sich Smends Frage. 23 Adresse der verwitweten Mutter von Rudolf Smend. 24 Dazu vgl. Werner G. Zimmermann, Valthazar Bogisic ´ 1834 – 1908. Ein Beitrag zur südslavischen Geistes- und Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1962. 25 Thesen des Berichterstatters bei der 2. Jahrestagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Jena; Abdruck in: Carl Schmitt, Die Diktatur des Reichspräsidenten nach Art. 48 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Bd. I, Berlin 1924, S. 63 – 104 (im Wiederabdruck des Jenaer Berichts in der 2. Aufl. der „Diktatur“ sind die Thesen nicht mit aufgenommen). 26 Hugo am Zehnhoff (1855 – 1930) war Anwalt, Zentrumspolitiker, Landtagsabgeordneter und von 1919 bis 1927 preußischer Justizminister. Schmitt wohnte bei seinen Berlin-Besuchen öfters bei seinem alten Düsseldorfer Mentor. 27 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München und Leipzig 1923.

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rechtslehrertagung besucht Schmitt dann mit Smend zusammen die Dornburger Schlösser an der Saale, nahe Jena. Ins Tagebuch notiert er: „Nachmittags Ausflug nach Dornburg, sprach auf der Burg mit Smend über die Schönheit der Landschaft und wie sie durch die Sehnsucht nach einer Frau verdunkelt wird; er erwiderte, es gebe auch im Christentum eine Tragik. Ich fürchte, das ist eine Ausrede.“ (TB 16. 4. 1924)

8. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 5] Bonn, 25. Mai 1924 Endenicher Allee 20. Verehrter lieber Herr Smend! Herzlichen Dank für Ihre Karte vom 13. Mai28 und für das schöne Buch, die politischen Testamente der Hohenzollern;29 eine herrliche Lektüre, die ich mit dem echten Genuß einer wahren Quelle30 aufgenommen habe. Ich habe wieder einmal gesehen, daß alle gute Politik Kabinettspolitik ist, alle „öffentliche“ Politik auf beiden Seiten hinkt und nach zu vielen Seiten schielt, um ein großes Ziel im Auge zu behalten. Ich habe Ihnen Kierkegaards Begriff des Auserwählten31 noch nicht schicken können, der Verleger32 teilte mir mit, er sei vergriffen. Die Tagebücher folgen aber. Pleßner33 kenne ich nicht; das Buch werde ich hoffentlich, nach Ihren Äußerungen, sobald als möglich lesen. Es geht mir wie Ihnen: in Examen und derartigem Betrieb erschöpft sich mein Vorrat an Nerven. Daß Bilfinger34 hier ist, macht mir Fehlt. Wahrscheinlich: Georg Küntzel, Die politischen Testamente der Hohenzollern, 2 Bde., 2. Aufl. Leipzig 1919 / 20. 30 Es handelt sich um eine Textedition der Testamente. 31 Sören Kierkegaard, Der Begriff des Auserwählten. Übersetzung und Nachwort von Theodor Haecker, Hellerau 1917. 32 Jakob Hegner (1882 – 1962), bei dem Schmitt u. a. seine Schrift über den römischen Katholizismus verlegte. 33 Helmuth Pleßner, Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus, Bonn 1924; Plessner lehrte damals als Privatdozent in Köln; vgl. Carola Dietze, Nachgeholtes Leben. Helmuth Plessner (1892 – 1985), Göttingen 2006. 34 Carl Bilfinger (1879 – 1958; Abb. 6) habilitierte sich 1922 in Tübingen. Er begegnete Schmitt erstmals im April 1924 auf der Jenaer Staatsrechtslehrertagung, wo er über den Föderalismus referierte. Für das SS 1924 ist Bilfinger dann als Vertreter von Kaufmann im Bonner Vorlesungsverzeichnis geführt. 1924 an die Universität Halle berufen, wechselte er 1935 nach Heidelberg und 1943 nach Berlin. 1949 kehrte er nach Heidelberg zurück. Siehe Smends Nekrolog im Anhang. 28 29

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Freude und ist menschlich eine Erquickung. Vergessen Sie nicht, daß das öffentliche Recht in Bonn sonst nur noch von Hensel und Isay35 repräsentiert würde. Die beiliegende Besprechung36 suche ich irgendwo zu publizieren. Da man nicht weiß, wielange das dauern kann, so schicke ich Ihnen einen Abdruck des Manuskripts. Es kommt mir nicht darauf an, ob es „Zweck hat“, dergleichen zu veröffentlichen, ich hätte es jedenfalls unmöglich ohne Protest auf sich beruhen lassen dürfen, nachdem ich diesen beschämenden Zustand deutscher Wissenschaftlichkeit an einem so schändlichen Exempel bemerkt hatte. An der weiteren Verbreitung dieser traurigen Art Industrie werde ich wohl nicht viel ändern können. Ich füge noch eine Besprechung Wittmayer37 bei, soviel ich mich erinnere, habe ich sie Ihnen noch nicht geschickt. Viele Grüße, lieber Herr Smend. Ich hoffe von Herzen, einmal mit Ihnen am Rhein oder an der Mosel einige Tage oder Wochen zu verbringen. Guardini38 hat sich durch meinen Römischen Katholizismus zu einer „Rettung des Politischen“ anregen lassen (Die Schildgenossen, 1924 Heft 3), doch macht er mir den Vorwurf, ich begehe den „Fehler, katholisch und romanisch gleichzusetzen“. Vielleicht setze ich, im Politischen, katholisch und römisch nahe beieinander, aber den Fehler, romanisch und römisch gleichzusetzen begehe ich nicht. Friedrich der Große ist Es gibt damals verschiedene Engpässe und Besetzungsquerelen in der Bonner Fakultät. Neben der ständigen Vertretung von Kaufmann sind Nachfolger für Martin Wolff, Josef Partsch, Ernst Zitelmann, Carl Crome und bald auch Joseph Heimberger zu finden. Es gibt mehrere Absagen und Ablehnungen. Im öffentlichen Recht rückt Albert Hensel schnell in ein Extraordinariat ein. Darüber hinaus übernimmt ein Regierungsassessor Dr. Udo Krauthausen Übungen im Verwaltungsrecht. Später folgt ein Landgerichtsrat Neuss für solche Aufgaben. In den Krisenjahren 1923 / 24 vollzieht das Ministerium nicht alle Berufungen. So scheitert damals die Berufung von Leo Rosenberg als Nachfolger für Crome und Hans Dölle wird stattdessen als Berliner PD nach Bonn versetzt. Schmitts engste Kollegen sind in den Bonner Jahren Ernst Landsberg und Heinrich Göppert. Für Schmitt wichtig ist aber auch die Nachfolge für den Strafrechtler Heimberger. Es kommt zum SS 1926 Alexander Graf zu Dohna. 35 Ernst Isay (1880 – 1943), 1919 PD Bonn, SS 1925 Wechsel nach Münster, Emigration, Tod in Sao Paulo. 36 Carl Schmitt, Besprechung von: Leonard Trelawney Hobhouse, Die metaphysische Staatstheorie. Übersetzt von Grete Beutin-Dubislav. Mit einem Vorwort von Fritz Stier-Somlo, Leipzig 1924, erschienen in: Wirtschaftsdienst 9 (1924), S. 986 – 987 (hier im Anhang abgedruckt). 37 Leo Wittmayer (1875 – 1936), seit 1915 Prof. in Wien; dazu vgl. Carl Schmitt, Besprechung von: Leo Wittmayer, Reichsverfassung und Politik, Tübingen 1923, in: Schmollers Jahrbuch 47 (1924), S. 349 – 351; ders., Die Weimarer Reichsverfassung, in: Literaturbeilage der Frankfurter Zeitung Nr. 5 vom 2. März 1923, S. 2. 38 Romano Guardini, Rettung des Politischen, in: Die Schildgenossen 4 (1924), S. 112 – 121; Guardini (1885 – 1968) habilitierte sich 1922 in Bonn und erhielt 1923 einen Lehrstuhl für Religionsphilosophie und Christliche Weltanschauung an der Berliner Universität. Guardini war in der katholischer Jugendbewegung (Quickborn) sehr einflussreich. Einige Schüler Schmitts, so Werner Becker, waren von ihm persönlich beeindruckt. Schmitt selbst aber hielt nur in Berliner Zeit lose Kontakte zu Guardini.

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doch eher ein Römer als es hunderttausend Portugiesen und Rumänen sind. Rome n’est plus dans Rome, elle est toute ou` je suis.39 Aber nochmals: herzliche Grüße und auf Wiedersehen, am liebsten in Trier. Stets Ihr

Carl Schmitt.

9. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 7] Heisterbach, 11. Juni 1924 Verehrter, lieber Herr Smend! besten Dank für Ihre freundlichen Bemühungen um die Sache Hobhouse. Wäre es aber nicht am besten, man veröffentlichte die Besprechung in der Frankf. Ztg (sie ist dazu bereit)? Dann erschien der Protest in einem Blatt, das dem Betroffenen politisch nahe steht. Das hätte einige besondere Momente für sich. Nicht wahr? In der Frage der Prüfungsordnung bin ich sehr pessimistisch.40 Zu schade, daß nicht schon damals, im April in Berlin, die Rede darauf kam. Schriftlich ist nicht viel zu erreichen. Doch will ich wenigstens einen Brief versuchen. Im Juniheft des Hochland steht ein Aufsatz von Hugo Ball41 über meine Politische Theologie. Nach dem, was ich bis jetzt davon gelesen habe (das Heft selbst habe ich noch nicht) ist der Aufsatz literarisch so schön, daß kein Mensch oder Tier von mir noch ein Stück juristischen Brotes nehmen wird. Bilfinger hat vorige Woche einen Ausflug an die Mosel gemacht. Die Begeisterung, mit der er zurückkehrte, hat meinen Wunsch, mit Ihnen an die Mosel zu reisen,42 neu entzündet. Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

39 Zitat aus Pierre C. Corneille (1604 – 1684), Quintus Sertorius (1662), III. Akt, 1. Szene V 936, in: Pierre Corneille, Sertorius. Tragédie, Edition critique par Jeanne Streicher, Genf / Paris 1959, S. 40. 40 Zu deren Änderung vgl. Hans-Heinrich Jescheck, Die juristische Ausbildung in Preußen und im Reich, Vergangenheit und Gegenwart, Berlin 1939. 41 Hugo Ball (1886 – 1927), religiöser Publizist; ders., Carl Schmitts Politische Theologie, in: Hochland 21 (1924), S. 263 – 285. 42 Schmitt reiste einst im April 1922 mit Kathleen Murray an die Mosel. Im Frühjahr 1924 wiederholte er dies als Verlobungsreise mit seiner späteren Frau Duschka Todorovic´ (1903 – 1950). Dabei reiste er gemeinsam mit seinem Freund Georg Eisler und dessen Frau Käte.

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10. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 8] Bonn, den 27. Juni 1924 Endenicher Allee 20. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! mit der Antwort auf Ihren Brief vom 17. Juni43 habe ich bis heute gewartet, weil ich die staatsrechtliche Übung Bilfingers44 erst anhören wollte, ehe ich auf Ihre Frage mich äußere. Gestern nachmittag ist das nun geschehen. Er hat keine besonders glückliche Art des Vortrags, ist im Ton und in der Haltung nicht so präzis und überlegen, wie es gut wäre, um auf die Studenten Eindruck zu machen, aber in der Sache ist er doch ein guter Lehrer und ein Mann von ausgesprochen wissenschaftlicher Art. Alles ist bei ihm wenig konzis, er neigt zu beschaulichen Bemerkungen und Beobachtungen und hat wenig Stringenz in seiner äußern Art. Doch ist er als Mensch wie als Gelehrter eine wertvolle Persönlichkeit; Urteil, Kenntnisse, alles ist, soweit ich es in diesem Semester beobachten konnte, auf dem Niveau eines anständigen Ordinarius des öffentlichen Rechts. Sein Kolleg wie seine Übungen sind ordentlich, durchaus. Innerlich ist er soviel mehr als äußerlich, daß es einen irritieren kann, wenn man ihm näher steht. Ich habe daher mein Urteil so objektiv wie möglich zu formulieren versucht. Eine auch einen Universitätsprofessor zierende Eigenschaft hat er, die heute und besonders in Bonn wesentlich sein dürfte: unbedingt und selbstverständlich taktvoll in jeder Lage. Den Hinnebergschen45 Entwurf einer Tauromachie46 habe ich noch nicht erhalten. Die F. Ztg. hat meinen Aufsatz noch nicht veröffentlicht. Wenn sie es bis Ende Juli hinauszögert, (absichtlich?) verlange ich das Ms. zurück und publiziere es mit dem Vermerk, daß es solange bei der F. Ztg. gelegen hat. An Muschard47 habe ich geschrieben, daß er mich aufsuchen möge. Ich will gern versuchen, ihm zu helfen. Fehlt. Damals schreibt Bilfinger für Schmitt auch ein Dissertationsgutachten zur Arbeit von Ewald Bergmann (Akten der Juristischen Fakultät zu Bonn, Diss. 416 / 24). Bilfinger gutachtet ausführlich am 21. Juli 1924. Schmitt notiert darunter nur „und Schmitt“ und zeichnet damit Bilfingers Gutachten ab. 45 Paul Hinneberg (1862 – 1934), Herausgeber der Deutschen Literatur-Zeitung, in der Schmitt mehrere Rezensionen veröffentlichte, sowie des Sammelwerks „Die Kultur der Gegenwart“. 46 Franz.: Stierkampf, hier wohl bezogen auf den Streit mit Fritz Stier-Somlo (Kampf mit Stier!). 47 Wahrscheinlich: Paul J. H. Muschard; Muschard, 1896 in Köln geboren, machte 1916 Abitur. Ab dem WS 1917 / 18 studierte er bis zum WS 1920 / 21 Rechtswissenschaft in Bonn und wechselte dann in die Geschichte über. Nachdem er dort am Staatsexamen scheiterte, ging er 1922 in die Rechtswissenschaft nach Köln zurück und promovierte 1929 bei Godehard Josef Ebers und Fritz Stier-Somlo. Arbeit: Das Kirchenrecht bei den deutschen Benedik43 44

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Göppert48 bittet mich, Ihnen mitzuteilen, daß Zitelmann,49 als er sein Ende herannahen fühlte, seine eigene Todesanzeige aufsetzte („Mitten aus wissenschaftlichen und künstlerischen Plänen“ etc.), seinen Schwiegersohn ans Bett rief und sich „Faust“ vorlesen ließ, sodaß er in einem großen Haus gestorben ist. Qualis artifex!50 Neuss51 ist in Spanien. Er hat sich über Ihre Grüße sehr lebhaft gefreut und mich besonders gebeten, Ihnen zu sagen, daß er sie herzlich erwidert. Dann habe ich zu grüßen von dem Direktor des deutschen Kolleg52 in Godesberg, Dr. Hans Behrend. Auf Wiedersehen am Rhein und an der Mosel, lieber Herr Smend. Von Herzen Ihr Carl Schmitt. Menschlich=privates P.S. betreffend Bilfinger: mich empört die Ungerechtigkeit, die darin liegt, daß Hensel Extraordinarius53 geworden ist, Holstein vielleicht bald Ordinarius wird und Bilfinger, ein 45jähriger Mann von langer Praxis, keine Aussichten zu haben scheint. Sollte er im nächsten Semester wieder Kaufmanns Vertreter werden, so würde ich alles daran setzen, daß er in die Prüfungskommission kommt.

tinern und Zisterziensern des 18. Jahrhunderts, Diss. Köln 1929; Angaben nach Muschards Lebenslauf in der Promotionsakte Universitätsarchiv Köln, Zugang 42 / 3170 Nr. 7. 48 Heinrich Göppert (1867 – 1937; Abb. 8), seit 1919 Prof. in Bonn, Wirtschaftsrechtler, 1935 infolge der Rassegesetzgebung entpflichtet; Nachruf von Adolf Zycha in: Chronik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1936 / 1937, Bonn 1938, S. 31 – 33; Oliver Wolff, Heinrich Göppert, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im ,Dritten Reich‘, Köln 2004, S. 233 – 249. 49 Ernst Zitelmann (1852 – 1923), seit 1884 Ordinarius für bürgerliches und römisches Recht in Bonn, mehrfach Rektor der Universität. Zitelmann verstarb am 20. November 1923. Nachruf von Ernst Landsberg in: DJZ 29 (1924), Sp. 41 – 42 und ausführlicher ders., Chronik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1923 / 24, Bonn 1924, S. 2 – 12. 50 „Qualis artifex pereo!“ (Was für ein Künstler geht mit mir zu Grunde!): letzte Worte des Kaisers Nero nach Sueton, De Vita Caesarum. Liber VI: Nero, 49, Textausgabe von Wilhelm Kierdorf, Paderborn 1992, S. 71. 51 Wilhelm Neuss (1880 – 1965), seit 1917 Prof. für Kirchengeschichte in Bonn, mit Schmitt bis 1933 befreundet, Gegner des Nationalsozialismus, Domkapitular Köln. 52 Das Deutsche Kolleg in Godesberg wurde 1920 durch den katholischen Geistlichen Edmund Schoppen (1882 – 1961) als Privatschule und Internat gegründet. 1922 übernahm Dr. Hans Berendt (1888 – 1971) die Leitung bis zur Auflösung des Kollegs im Jahre 1938. Das Kolleg wurde mit einem Jesuitenkolleg zusammengelegt und in die Städtische Oberschule Bad Godesberg verwandelt. Berendt war nach 1945 im NRW-Kultusministerium tätig. 53 Schmitt schlug Hensel, der zuvor Fakultätsassistent war, aber am 12. Mai 1922 im Namen der Fakultät zur Berufung auf ein Extraordinariat vor (Gutachten im Anhang). 1923 wurde Hensel Extraordinarius. Bilfinger wurde noch 1924 Ordinarius in Halle.

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11. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 9] Bonn, den 10. Juli 1924. Lieber Herr Smend! Um sofort zu antworten:54 das Exemplar von Hobhouse, das meiner Besprechung zu Grunde liegt und nach welchem die Übersetzung zweifellos gemacht ist, trägt den Vermerk: First published in 1918 (das steht auch in der deutschen Übersetzung: das englische Original erschien zum ersten Male 1918), Reprinted November 1921. Von einer neuen veränderten Auflage ist mir nichts bekannt. Ich habe mein Exemplar im März 1924 durch Preiss55 in Berlin bezogen. Meine Besprechung wird übrigens wohl noch in diesem Semester (Juli) erscheinen; wenn nämlich die F. Ztg. sie länger hinauszögern will, lasse ich sie in den „Kritischen Blättern“ des Hamb. „Wirtschaftsdienst“ drucken.56 Den Plan Hinnebergs verstehe ich nicht recht. Will er meine Kritik57 nicht abwarten oder will er sie zitieren? Ich habe übrigens nie ein Exemplar von Hobhouse durch die D Lit Ztg58 erhalten. Bilfinger zu korrigieren ist nicht leicht, dafür ist alles an ihm zu echt. Auch kommt er jeder diplomatisch ausgeübten Kritik durch Selbstironie zuvor. Ich tue aber gern was meine Pflicht ist. Wegen der PrüfungsO.[rdnung] reise ich, wenn es Zweck hat, nötigenfalls im September nach Berlin. Muchard59 war neulich bei mir, hoffentlich wird er nächstes Semester fertig. Herzliche Grüße und besten Dank für den Brief! Immer Ihr Carl Schmitt. Am 19. Juli notiert Schmitt daraufhin in sein Tagebuch: „Schöner Brief von Smend“.60

Anruf oder evtl. fehlender Brief. Dr. Hans Preiß, Buchhandlung für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Berlin, Gertraudenstraße 19. 56 Dort erschienen: Wirtschaftsdienst 9 (1924), S. 986 – 987 (Abdruck im Anhang). 57 Wohl die Hobhouse-Kritik. In Hinnebergs Deutscher Literaturzeitung erschien keine Besprechung. Schmitt scheint sich aber mit Hinneberg arrangiert zu haben, denn ab Oktober 1925 veröffentlicht er einige Rezensionen in der Literaturzeitung. 58 Deutsche Literaturzeitung. 59 Muschard. 60 Fehlt. 54 55

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12. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 10] Bonn, den 21. Juli 1924 Endenicher Allee 20. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Der beiliegende Artikel von Bilfinger61 wird Sie vielleicht interessieren. Der Schlußabsatz ist eine prämeditierte62 Frozzelei. Die Kritik Hobhouse-Stier-Somlo63 soll, wie mir die Kritischen Blätter des Hamburgischen Wirtschaftsdienstes schreiben,64 noch im Juli dort erscheinen. Ich habe die Frankf. Ztg um Rücksendung des Manuskripts gebeten. Nicht ermittelt. Latein. praemeditari: etwas voraus bedenken, sich im voraus auf etwas gefasst machen; die Stoa kannte die „prämeditatio malorum“, die Antizipation möglicher, zu meidender Übel. 63 Fritz Stier-Somlo (1873 – 1932; Abb. 9), seit 1916 Prof. an der Handelshochschule Köln, die dann zur Universität ausgebaut wurde, 1925 / 1926 Rektor der Universität Köln. Schmitt wurde 1933 Stier-Somlos Nachfolger in Köln. 64 Kurt Singer (1886 – 1962), der Schriftleiter des Wirtschaftsdienstes, war damals ein enger Hamburger Bekannter. Schmitts „Tauromachie“ beginnt mit einer kritischen Besprechung der Parlamentarismusschrift durch Stier-Somlo in der Kölnischen Zeitung Nr 82a (Erste Morgenausgabe) vom 2. Februar 1924 (Text im Anhang). Schmitt notiert dazu ins Tagebuch: „Fand es ekelhaft und lächerlich.“ Dann ärgert er sich in Jena über dessen Kritik an seinem Diktatur-Vortrag. Am 23. April erbittet Stier-Somlo Schmitts Beitrag für den Kongressbericht. Wenige Tage später liest Schmitt das Hobhouse-Buch und notiert (TB 2. 5. 1924): „Wut über Stier-Somlo und seine Herausgabe der Übersetzung von Hobhouse.“ Bald unterhält er sich darüber mit dem Übersetzer Karl Rick. Er notiert dann noch „Unsicherheit“ über sein Vorgehen, überdenkt seine Besprechung, „diktiert“ sie am 16. Mai und schickt sie am 17. Mai an die Frankfurter Zeitung. Da sie dort nicht erscheint, verlangt Schmitt die Besprechung am 21. Juli von der Zeitung zurück und gibt sie an Kurt Singer. Erst danach (24. 7. 1924) liest er Stier-Somlos Kongressbericht: Die zweite Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, in AöR 46 (1924), S. 88 – 105. Am 25. Juli erscheint Schmitts polemische Besprechung des Hobhouse-Buches (Abdruck im Anhang). Sie führt zu weiteren Auseinandersetzungen. Der Meiner-Verlag fordert eine (im Anhang abgedruckte) Gegendarstellung. Singer antwortet Schmitt am 17. September (RW 265-15180), „daß einmal die Leichtfertigkeit, mit der Übersetzungen aus dem Englischen neuerdings angefertigt werden, zum Gegenstand eines Aufsatzes gemacht“ werden solle. Vom 23. September datiert Singers Antwort an den Meiner-Verlag (RW 265-15185). Am 29. November (RW 265-15186) teilt Singer dem Meiner-Verlag den Abdruck seiner Stellungnahme zusammen mit „Gegenbemerkungen“ mit (Wirtschaftsdienst 9, 1924, S. 1680). Am 2. Dezember 1924 teilt er Schmitt (RW 265-15181) den Abdruck des Meiner-Protestes zusammen mit seiner Stellungnahme mit. Schmitt erwägt eine Dokumentation „Der Fall Hobhouse – Stier-Somlo. Dokumente zur Soziologie der deutschen Wissenschaft“ (Schmitt am 23. 2. 1925 an Ludwig Feuchwanger, in: Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918 – 1935, Berlin 2007, S. 120). Feuchtwanger antwortet darauf am 23. März 1925 (Briefwechsel S. 127): „Die Einsichten in die ,Soziologie der deutschen Wissenschaft‘, von denen Sie mir einen Ausschnitt geben, habe ich seit Jahr und Tag; ich nehme diese Geistesverfassung als etwas Gegebenes und ziehe sie für alle Erwägungen und Entschlüsse als sicheren Faktor in mein Kalkül ein. Eine Publikation darüber könnte dem Verfasser und nicht den Betroffenen schaden; denn die allgemeinen mensch61 62

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Im August wollte ich nach Oberbayern65 reisen, im September vielleicht eine Woche nach Berlin zu am Zehnhoff. Ist es nicht möglich, daß wir uns treffen? Es wird schwer sein, einen Vertreter für Kaufmann zu finden, nachdem Bilfinger weggeht. Lassar66 geht nicht gut, ein Christ gegen 3 Juden (Hensel, Isay, Lassar) ist für mich keine Situation. Ich schreibe in der Arbeit des Semesterschlusses. Herzliche Grüße! Stets Ihr

Carl Schmitt.

13. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 11 – Postkarte: Oberstdorf-Allgäu mit Krottenspitze und Höfats; handschriftl. Schmitt: „Herrn Prof. Dr. Rudolf Smend / Nicolassee bei Berlin / Prinz Friedr- Leopoldstr. 45. bitte nachzusenden“] 9 / 8 24 Lieber Herr Smend! Möchten Sie mir gütigst Nachricht geben, wann ich Sie in Berlin treffen kann, ich würde meine Reise (Ende August, September) danach einrichten. Meine jetzige Adresse ist München, Theresienstraße 3c, (Duncker & Humblot). – Sollte die Tauromachie67 sich in einer allgemeinen Gleichgültigkeit erledigen? Herzliche Grüße Ihres Carl Schmitt.

lichen und professoralen Schwächen brauchen nicht mehr bewiesen zu werden, und auf die Spezialfälle mit dem Finger zu deuten, ist nach der allgemeinen ungeschriebenen Konvention bei Strafe der Aechtung verboten.“ 65 Am 1. August fuhr Schmitt mit der schwer erkrankten Duschka Todorovic ´ nach Oberbayern, war für medizinische Untersuchungen einige Tage in München und brachte Duschka dann am 18. August nach Lugano zur Kur. In Lugano traf er Hugo Ball und einmal auch Hermann Hesse. In der zweiten Septemberwoche kehrte er über Stuttgart und Frankfurt nach Bonn zurück. Duschka Todorovic´ blieb noch einige Monate in Kur. 66 Gerhard Lassar (1888 – 1936), PD Berlin 1920, aoProf. Hamburg 1925, Tod durch Suizid. 67 Polemik mit Stier-Somlo.

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14. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 579 Nr. 351 – Briefkopf Hotel Margna Sils-Baselgia] (Ober-Engadin, Schweiz) 15. August 1924 Lieber Herr Schmitt! Für Ihren Brief vielen Dank, und alles Gute für Ihre weiteren Reisepläne! Ob Sie sich mit den meinigen irgendwo werden decken können, weiß ich nicht – ich suche mich hier bis zum 27. 8. halbwegs zu erholen (es will gar nicht vorwärts damit), habe mir eben Schlafwagen zum 27. / 28. Lindau-Berlin bestellt, muß 28. – 30. in Berlin eiligst ein paar Vorträge machen und am 31. in Saßnitz die Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung68 übernehmen, von der ich Mitte September nach Berlin zurückzukehren hoffe. Hoffentlich sehe ich Sie spätestens dann!69 In Unterkünften in der Schweiz bin ich jetzt natürlich nicht mehr sehr beschlagen. Hier oben wird es im September schon recht rauh. Für Daueraufenthalt in mittlerer Lage fand ich früher ganz ausgezeichnet die Pension Alpenblick in Weggis am Vierwaldstättersee (geleitet von der Tochter eines bekannten Berner Theologieprofessors Müller). Sonst fällt mir im Augenblick nichts ein – in der Schweiz werden Sie aber überall in solchen Fragen gut beraten, wenn Sie genau die gewünschte Höhe und Preisstufe angeben. Ihre weiteren Entdeckungen in Sachen Stier habe ich Hinneberg mitgeteilt. Die Sache auf dem Juristentag70 ist heillos; sie ist politisch dumm, wissenschaftlich albern, illoyal gegen die Staatsrechtslehrervereinigung und ihre Referenten, 68 Veranstaltung der Deutschen Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung vom 25. August bis 10. September 1924 in Sassnitz auf Rügen. 69 Das ist wohl nicht erfolgt. Schmitt blieb in Bonn. 70 Vom 11. – 13. September 1924 fand der Deutsche Juristentag in Heidelberg statt (vgl. Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentags (Heidelberg), Berlin und Leipzig 1925). Ein Thema war die von Schmitt in Jena angestoßene Frage: „Wie ist das im Art. 48 Abs. 5 der RVerf. vorgesehene Rechtsgesetz über den Ausnahmezustand zu gestalten?“ In Heidelberg referierten darüber Robert Piloty (S. 73 – 80) und Richard Grau (S. 81 – 116). Beide stellten „gemeinsame Leitsätze“ auf (69 – 70) und distanzierten sich namentlich von Schmitt (S. 77 – 78, 94). Von einer Diskussion wurde abgesehen. Hans Nawiasky legte aber „Leitsätze vor, deren Aufnahme in den Sitzungsbericht der Vorsitzende mit Zustimmung der Versammlung zusagte“ (S. 116), was auch geschah (S. 116 – 119). Schmitt fand seine Position damit von der Zunft zunächst abgelehnt. Am 19. September 1924 schreibt er aber an Waldemar Gurian: „Die Äußerung von [Heinrich] Pohl über meinen Jenenser Vortrag ist mir beruflich interessant. Am 6. September war nämlich die Nummer der deutschen Juristenzeitung schon erschienen, in welcher der hervorragendste Wortführer der in Jena mich ablehnenden Mehrheit, Geheimrat Thoma, Heidelberg, offen erklärt: ,Seitdem die Referate im Druck vorliegen, kann ich mich dem Gewicht ihrer Beweisgründe nicht mehr entziehen.‘ Auch auf dem Juristentag in Heidelberg ging man von der Richtigkeit meiner Thesen aus; was in Jena ,herrschende Ansicht‘ war, ist es heute nicht mehr.“ (Schmitt am 19. 9. 1924 an Gurian, Nachlass Waldemar

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und für meine Fakultät scheußlich, weil der gräuliche Grau71 als geblähter Sieger von Heidelberg zurückkehren und für uns dann als Habilitandus unvermeidlich sein wird. Ich fühle mich leise mitschuldig, weil Triepel von mir einmal bei flüchtiger Begegnung eine Art Zustimmung zu Grau extrahiert hat: ich verstand ihn dahin, er habe Jacobi als ersten Referenten engagiert,72 und fand mich daraufhin mit einem Korreferenten anderen Bekenntnisses ab. Ich bin recht matt und ärgere mich daher doppelt über solche Verdrießlichkeiten. Hoffentlich bald auf um so erfreulicheres Wiedersehen! Der Ihrige Rud. Smend

15. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 12 – Postkarte Laufenburg, Soolbad, gestempelt 21. 8. 1924, Abs. „Prof. Schmitt Lugano / poste restante. / Herrn Prof. Dr. Rudolf Smend / Hotel Margna / Sils-Baselgia / Graubünden“] Lieber Herr Smend! Ihr Brief war wieder eine Enttäuschung. Es tut mir besonders leid, daß Sie keine rechte Erholung finden. Die Angelegenheit des DJT73 empört mich immer von neuem; ich möchte nur wissen, ob es Ungeschicklichkeit oder bewußte Planmäßigkeit ist. Mir haben mehrere ganz besonders sachkundige juristische Praktiker ihr Erstaunen über den Bericht von der Jenenser Tagung74 mitgeteilt und mich gefragt, welches denn eigentlich die Argumente der Mehrheit gewesen seien. Könnten Sie nicht an Hinneberg den Dr. Karl Rick75 aus Bonn (Bennauerstr. 42) als zuverlässigen Kritiker englischer Übersetzungen empfehlen? Er hat die ThompGurian, Box 1, Folder 13, Library of Congress, Washington). Schmitt bezieht sich hier auf den Aufsatz von Richard Thoma, Die Regelung der Diktaturgewalt, in: DJZ 29 (1924), S. 654 – 660; die Äußerung von Pohl in: Hochland 22 (1924 / 25), S. 245 – 248; vgl. auch Martin Otto, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884 – 1965), Tübingen 2008, S. 83 ff., 104 ff. 71 Richard Grau (1899-?), 1922 Diss. Berlin, dann RA in Berlin, 1938 Emigration; ders., Die Diktaturgewalt des Reichspräsidenten und der Landesregierungen – auf Grund von Art. 48 in der Reichsverfassung, Berlin 1922 (von Triepel betreute Berliner Dissertation). 72 Es kam dann Robert Piloty (1863 – 1926), Würzburg, Mitherausgeber des AöR. Nachruf Otto Liebmann, in: DJZ 31 (1926), Sp. 648 – 649. 73 DJT = Deutscher Juristentag. 74 Fritz Stier-Somlo, Die zweite Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, in AöR 46 (1924), S. 88 – 105; kritischer Bericht auch von Gerhard Lassar in der DJZ 29 (1924), Sp. 371 – 372. 75 Dr. Karl Rick, geb. 1882 in Siegburg, Diss. 1905, seit 1908 Lehrer am Städt. Gymnasium Bonn, zum Oktober 1924 Wechsel als Studienrat zum Kaiser-Wilhelms-Gymnasium

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son-Übersetzung Haeckers76 entdeckt. Man müßte den Skandal doch einmal in einem Artikel zusammenfassend behandeln.77 Rick könnte das. Auf Wiedersehen, hoffentlich in Berlin! Herzliche Grüße Ihres

Carl Schmitt.

Lugano 21 / 8 24.

16. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 35] Bonn, den 14. November [1924] Endenicher Alle 20. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! ich hatte gehofft Ihnen und Ihrer verehrten Gattin in Berlin meine Aufwartung machen zu können, aber ich bin seit meiner Rückkehr vom Tessin immer so erkältet, daß ich keine Reise wage. Für Ihren freundlichen Brief vom 15. Oktober78 danke ich Ihnen sehr. Leider kann ich Ihre neue Adresse nicht lesen (Teutonenstraße?), schreibe also an die bisherige. Darf ich Sie um einen Rat bitten? Hensel, der, wie es heißt, bald Ordinarius werden soll, weil Dölle79 es ist, hat in den Ferien seine Stellung als Stadtverordneter80 benutzt, um sich vom Stadtverordneten oder Beigeordneten „feste Zusagen“ Aachen, von 1926 bis 1943 dort auch Lektor für Englisch an der Technischen Hochschule, seit 1933 NSDAP, seit 1939 Schulleiter in Aachen (freundl. Mitteilung des Universitätsarchivs der RWTH); Rick stand in Bonn mit Schmitt in engerer Verbindung und beriet im Hobhouse-Streit als Übersetzer. 76 Francis Thompson (1859 – 1907) war ein englischer religiöser Dichter. Theodor Haecker (1879 – 1945) publizierte: Francis Thompson, Shelley, übersetzt von Th. Haecker, in: Hochland 21 (1923 / 24), Aprilheft 1924, S. 55 – 75; vgl. dann ders., Über Francis Thompson und Sprachkunst, in: Hochland 22 (1924 / 25), S. 206 – 215; wiederveröffentlicht: Theodor Haecker, Thompson, Shelley, Innsbruck 1925; Schmitt traf seinen alten Münchner Bekannten Haecker am 14. August 1924 in München und sprach mit ihm (laut Tagebuch) über die Übersetzung. Am 21. September sprach er auch mit Karl Rick darüber. Am 24. Januar 1925 schreibt Schmitt dann an Waldemar Gurian: „Über den F. Thompson-Aufsatz von Paul Adams wird sich Dr. Rick sehr ärgern. Das hindert nicht, daß der Aufsatz sehr schön ist.“ (Nachlass Waldemar Gurian, Box 1, Folder 13, Library of Congress, Washington). 77 Bleistiftergänzung: Rick könnte das. 78 Fehlt. 79 Hans Dölle (1893 – 1980), kommt 1924 als Privatdozent von Berlin nach Bonn; er wird dort am 1. 10. 1924 persönlicher Ordinarius für Bürgerliches Recht. Dazu vgl. Martin Houbé, Hans Dölle, in: Mathias Schmoeckel (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im ,Dritten Reich‘, Köln 2004, S. 138 – 157. 80 Albert Hensel war am 4. Mai 1924 für die DDP in die Stadtverordnetenversammlung gewählt worden. Er engagierte sich in mehreren Ausschüssen, legte aber schon am 1. Oktober

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geben zu lassen, daß sie an der Universität „zur Ergänzung der verwaltungsrechtlichen Vorlesung“ eine Reihe von Vorlesungen halten werden. Er hat weder Kaufmann noch mich vorher gefragt, sondern die Fakultät bei Beginn des Semesters mit einem „eiligen Antrag“ überrascht, ohne übrigens die Namen der Vorleser zu nennen. Ich halte das für ungehörig. Mir scheint es eine Verletzung akademischer Disziplin zu sein, wenn ein junger Dozent sich in solcher Weise, wie es in seinem Antrag heißt, „feste Zusagen“ geben läßt, ohne die fachvertretenden Ordinarien zu fragen (ich war seit Mitte September ununterbrochen in Bonn). Ich halte es ferner für erstaunlich, daß ein Dozent, der einen Lehrauftrag eigens für Verwaltungsrecht hat, statt den Auftrag auszuführen, dessen Ausführung organisiert und von der nächsten Kommunalverwaltung Erfüllungsgehilfen heranholt. Endlich widerspricht es dem Ansehen einer alten Universität, sich in solcher Weise mit der lokalen Verwaltung zu liieren. Sinn und Motiv der ganzen Aktion sind natürlich ohne weiteres klar. Ich möchte nur wissen, kann ich ein Disziplinarverfahren beantragen und bei wem? Ich möchte es nicht gleich tun, aber doch darauf vorbereitet sein. Kaufmann mißbilligt in der Sache genau wie ich diese unglaubliche Geschichte, er scheint mir aber auf Hensels Onkel81 Rücksicht nehmen zu wollen. Ich möchte nötigenfalls allein vorgehen. Die Fakultät hat sich noch nicht geäußert. Für die Sitzung wüßte ich gern, welches Mittel ich äußerstenfalls habe. Daß ich Sie mit dieser Anfrage nicht in die Sache ziehen will, versteht sich von selbst. Aber vielleicht geben Sie mir die Auskunft, weil mir jede Praxis akademischen Betriebes fehlt. – Man hat mir ein Buch „Manfred H. Ellis, Friedrich II. als Reichsverderber und als Werther“, Sanssouciverlag 1924“82 zugeschickt, dessen Sendung sich aus beiliegendem Zettel ergibt. Kennen Sie es? Ich vermute, daß Blei83 der Verfasser ist, obwohl er versichert, ein Dr. Hegemann84 (Herausgeber einiger Zeitschriften für Städtebau) sei der Autor. Es ist sehr geschickt arrangiert, im ganzen doch wieder dumm, weil es in der Form eines einzigen Gesprächs auf alles mögliche zu reden kommt. 1925 sein Amt mit Hinweis auf die Belastungen im „Hauptberuf als Professor“ nieder. Dazu eingehender Ekkehard Reimer und Christian Waldhoff, Zu Leben und Werk Albert Hensels (1895 – 1933), in: Albert Hensel, System des Familiensteuerrechts und andere Schriften, Köln 2000, S. 1 – 124, hier: 19 – 21. 81 Albrecht Mendelssohn Bartholdy (1874 – 1936), seit 1920 Prof. in Hamburg, dort Begründer des Hamburger Instituts für auswärtige Politik, emigrierte 1934 nach England und lehrte in Oxford. 82 Manfred Maria Ellis, Friedrich II. als Werther und als Reichsverderber. Die letzten vier der sieben Gespräche über das Königsopfer, Sanssouci-Verlag, Berlin 1924. 83 Franz Blei (1871 – 1942), zwischen 1917 und 1933 eng mit Schmitt befreundeter Literaturkritiker und Publizist. 84 Werner Hegemann (1881 – 1936) war der Verfasser. Die Sendung an Schmitt erfolgte vermutlich auf Veranlassung von Hugo Ball, der von dem Buch begeistert und bald mit Hegemann gut befreundet war.

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Ich sage Ihnen meine besten Grüße und bitte Sie, Ihrer Gattin meine Empfehlungen zu übermitteln. Von ganzem Herzen bin ich Ihr Carl Schmitt. Smends Antwortbrief ist nicht erhalten. Schmitt notiert aber am 24. November ins Tagebuch: „Brief von Duschka, Smend, Ball. Smend schrieb, daß es nichts ist mit dem Disziplinarverfahren. Umso schlimmer, also Hensel wird Ordinarius“. Er schreibt dann:

17. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 13] Bonn, 27. November 1924 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! besten Dank für Ihre freundliche Antwort85 auf meinen Brief. Es tut mir leid, daß ich Sie mit dieser Sache beschäftigt habe, während Sie sich nicht wohl fühlten. Das war die Geschichte schließlich doch nicht wert. H.[Hensel] hat inzwischen, auf Vorhaltungen von K.[aufmann] versprochen, abzubauen und es nicht mehr wieder zu tun. Wenn er jetzt Ordinarius wird, so sieht es um die Fakultät böse aus. Übrigens wird es dann auch nicht möglich sein, die satzungsmäßige Verpflichtung zu einem Lehrer des evangelischen Kirchenrechts zu realisieren. Denn H. geht dann sobald nicht von Bonn weg. Kann man nichts tun, um die Ernennung wenigstens ein Jahr zu verzögern, damit er inzwischen einen Ruf nach auswärts bekommt? Ich wäre glücklich, wenn Heckel86 hierher käme, oder irgend ein Mensch, der etwas vom Gelehrten hat und nicht ein Dilettant und Pfuscher par constitution ist. Interessant war mir Ihre Bemerkung, es sei notorisch, daß K. und ich sich nicht mit H. „vertragen“. Es soll sich doch einmal jemand den H. ansehen und anhören über ein nicht finanzrechtliches Thema. Vielleicht sagt man auch, ich könne mich mit Stier-Somlo „nicht vertragen“, oder, was anläßlich der Hobhouse-Kritik in Köln gesagt wurde, ich sei eben ein Krakehler. Das sind also die Kategorien, in denen heute eine Kritik perzipiert wird. Aber jetzt endlich genug davon. Um etwas Erfreuliches zu erzählen: Hier ist seit diesem Semester als Ordinarius der (evangelischen) Kirchengeschichte ein

Fehlt. Johannes Heckel (1899 – 1963), Staats- und Kirchenrechtler, 1926 apl. Prof. in Berlin, seit 1928 Ordinarius in Bonn, vom SS 1933 bis SS 1934 in Bonn beurlaubt, ab 1934 in München. Schmitt schlägt im Mai 1925 schon Heckel der Bonner Fakultät zur Berufung vor. Heckel wird dann Nachfolger Erich Kaufmanns in Bonn. 85 86

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junger protestantischer Theologe, Erik Peterson,87 für mich eine große Wohltat. Aber vielleicht ist das für ihn keine Empfehlung, daß ich mich mit ihm „vertrage“. Ich wünsche Ihnen herzlich gute Erholung, lieber Herr Smend, und gebe Ihrer Frau Recht. Vielleicht kommen Sie einmal wieder an den Rhein, ich würde mich sehr freuen, Sie wiederzusehen. Nach Berlin werde ich wohl vorläufig nicht reisen können. Beste Grüße und Empfehlungen Ihres Carl Schmitt.

18. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 579 Nr. 351] Nikolassee Teutonenstr. 1

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Lieber Herr Schmitt! Kaufmann ist nicht immer ganz dicht – aus Gutherzigkeit erzählt er gelegentlich Dinge weiter, die nicht weitergehen sollen. Deswegen sagen Sie ihm bitte nicht, daß ich hoffe, Hensels Beförderung in Bonn zu stoppen und ihn nach Hamburg wegzuloben. Er muss einmal von seinem Habilitationsort weg, abgesehen von allem Übrigen. Sie sehen, ich bin Ihr gehorsamer Diener. Und da erlauben Sie mir auch, zu finden, daß vom Gouvernement aus gesehen allerdings zwischen Ihnen und Hensel Unstimmigkeiten sind, vulgär, verwaltungspraktisch und mit voller Wurstigkeit gegenüber Verdienst und Schuldfrage ausgedrückt, daß Sie sich nicht ,vertragen‘. Worauf es mir ankommt und wonach Sie fragten, das ist die mutmaßliche ministerielle Auffassung, und die ist angesichts drohender Disziplinarfälle, bei denen derartige Unstimmigkeiten eine Rolle spielen, etwa die von mir gekennzeichnete, meist mit Recht, oft mit Unrecht – aber Richter88 bestätigt mir, daß er zunächst genau so denken würde, wie ich Ihnen vorhersagte. Das hat wirklich mit einer ernsthaften Würdigung oder Nichtwürdigung Ihrer Qualitäten und Ihrer Unwerturteile über Nichtigkeiten oder Schweinhunde von Kollegen nichts zu thun! 87 Erik Peterson (1890 – 1960), 1920 PD Göttingen, 1924 ord. Prof. Bonn; in der Bonner Zeit eng befreundeter protestantischer Theologe, der 1930 zum Katholizismus konvertierte. Dazu vgl. Barbara Nichtweiß, Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk, 2. Aufl. Freiburg 1994; Carl Schmitt, Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder politischen Theologie, Berlin 1970; ähnlich positiv äußert sich damals auch Peterson über Schmitt (in: Brief vom 30. 11. 1924 an Karl Barth und am 2. 12. 1924 an Theodor Haecker, in: ders., Theologie und Theologen. Ausgewählte Schriften Bd. 9.2, Würzburg 2009, S. 213 f.). 88 Werner Richter (1887 – 1962), Professor der Germanistik, von 1920 bis 1932 Ministerialrat und -dirigent im Preußischen Kultusministerium.

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Also – ich hoffe, Sie finden, daß ich Ihnen das vorige89 und dies Mal ernsthaft eine zutreffende Auskunft zu geben versucht habe, und ich hoffe auch, mir glückt Hensels Promotion an die Alster. Ich bin immer noch recht reduziert – daher nur noch einen raschen Gruß! Der Ihrige Rud. Smend Am 2. Dezember 1924 schreibt Schmitt laut Tagebuch erneut einen Brief an Smend.90

19. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 15] Lugano, den 2. Januar 1925 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! ich quäle mich immer noch mit dem Begriff des Integrierens und der Reihe Integration dynamisch moderner Staat

Repräsentation statisch antiker Staat91

und möchte Sie gerne darüber befragen. In meinem Seminar, wo ich über das Thema „Moderne Massendemokratie“ arbeiten lasse,92 haben wir festgestellt, daß der klassische Parlamentarismus noch repräsentativ denkt, der moderne im Abgeordneten den Exponenten93 sieht und eine moderne Wahl gar keine Wahl mehr ist, Der fehlende Brief vom November. Fehlt. 91 Diese Gegenbegriffe bleiben für Smends und Schmitts Selbstbeschreibungen wichtig. Dazu vgl. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 212 f.: „Es ist das antike Staatsbild und eine antikisierende Betrachtungsweise, die von C. Schmitt in glänzender Form repristiniert sind“. Schmitt exponiert seinen Begriff der Repräsentation 1923 in seinem Katholizismus-Essay. 92 Schmitt berichtet dazu in der Universitätschronik: „Im Seminar für Internationale Politik und Recht hielt im W. S. 1924 / 1925 Professor Kaufmann ein völkerrechtliches Seminar über ,Minoritätenschutz‘ (6 Teilnehmer), Professor Schmitt ein staatsrechtlich-politisches Seminar: ,Die moderne Massendemokratie‘ (12 Teilnehmer). Im S.-S. 1925 hielt Professor Schmitt ein staatsphilosophisches Seminar über Rousseau (9 Teilnehmer). Schmitt.“ (Chronik der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1924 / 1925, Bonn 1926, S. 26). 93 Dazu etwa die von Schmitt betreuten Dissertationen: Bernhard Braubach, Zum Begriff des Abgeordneten. Ein ideengeschichtlicher Versuch zum festländischen Staatsrecht, Diss. Bonn 1923; Emil Gerber, Der staatsrechtliche und politische Begriff der Repräsentation in 89 90

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sondern ein Verfahren, um die Masse in eine Bewegung zu versetzen, kraft deren sie einen Ausschuß exponiert. Immer stoße ich auf diesen Gegensatz von Repräsentant und Exponent. Aber heute wollte ich Ihnen beiliegenden Aufsatz zur Kenntnisnahme senden. Ich habe nichts von Schmittmann94 gelesen und kenne ihn nicht; was bedeutet der perfide Angriff auf Bilfinger und von wem geht das aus? Bilfinger selbst möchte ich das Neujahr nicht damit verderben. Schmittmann soll in Köln ein vielbesuchtes Seminar haben. Ich habe auch von seinen Zeitungsaufsätzen keinen zu Ende lesen können, weil mir vor diesen organischen Kümmerlingen graut. Ich sehe aber an diesem Artikel, daß diese süßen Pazifisten und Friedensfreunde bösartig werden können, ohne aufzuhören, das Gute zu lieben und das Böse zu hassen. Der Satz „Bilfinger übersieht, daß die vereinigte Gesamtheit mehr leisten kann als der Einzelne“95 ist kostbar und hätte mich, ohne die hämischen Ausfälle, zu Tränen gerührt. Der arme Bilfinger. Hat er nicht auch übersehen, daß nicht die Hähne, sondern die Hühner die Eier legen? Und viele ähnlich politische Erkenntnisse, die man nur kraft einer organischen Lehre haben kann? Montag reise ich über Basel nach Bonn zurück. Es war schön in Lugano,96 aber ein solches Resultat, wie das Vorwort über Romantik97 hat sich diesmal doch nicht ergeben. Alle guten Wünsche für Sie und Ihre verehrte Gattin. Stets Ihr Carl Schmitt.

der Zeit zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution, Diss. Bonn 1929 (Gutachten im Anhang). 94 Benedikt Schmittmann (1872 – 1939), katholischer Soziallehrer, seit 1915 Prof. für Sozialwissenschaften an der Handelshochschule und dann Universität Köln, ab 1919 Landtagsabgeordneter der Zentrumspartei, 1922 Austritt aus der Partei, Arbeit an einem überkonfessionellen „Reichs- und Heimatbund Dt. Katholiken“, von den Nationalsozialisten mehrfach inhaftiert, 1939 im KZ Sachsenhausen ermordet (NDB 23, 2007, S. 249 – 250). 95 Nicht ermittelt, evtl. eine Rezension von Carl Bilfinger, Der Einfluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Rechtswillens, Leipzig 1922. 96 Schmitt besuchte dort in den Weihnachtsferien die tuberkulosekranke Duschka Todorovic´. 97 Carl Schmitt, Romantik, in: Hochland 22 (1924), S. 157 – 171. Die u. a. um das Vorwort erweiterte 2. Auflage der „Politischen Romantik“ ging Smend im Mai 1925 direkt durch den Verlag zu (dazu Schmitts Schreiben vom 2. 5. 1925 und Feuchtwangers Antwort vom 4. 5. 1925 in: Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918 – 1935, Berlin 2007, S. 134 f.). Smend antwortet darauf am 18. 5. 1925 umgehend.

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20. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15214 / 15] Diktat98

Nikolassee, Teutonenstr. 1. 18. 5. 25.

Verehrter lieber Herr Schmitt! Seit Monaten auch rein technisch immer schreibunfähiger geworden, drückt mich meine Schuld immer mehr, umso mehr, als Sie sie fortgesetzt vergrößern (Neuauflagen der „Romantik“ und der „Rheinlande“). Ich will versuchen, von rückwärts anfangend, Ihnen nun doch nach und nach einiges zu erwidern. Die „Rheinlande“99 haben mir ganz besondere Freude gemacht, nicht nur als glänzende praktisch-politische gemeinverständliche Anwendung Ihrer Auffassung, sondern auch wegen einiger mir noch neuer Elemente Ihrer Denkweise. Ich würde Ihnen gern auseinandersetzen, warum ich hier und anderswo dieselben oder verwandte Dinge anders formulieren und begründen muß. Im Augenblick häuft sich aber zu allerlei Übelbefinden die ganze Arbeit der Einrichtung und Ausstattung einer neuen Wohnung (allerdings im gleichen Hause), in die wir in den nächsten Wochen überzusiedeln hoffen. So sollen diese Zeilen auch heute zunächst nur ein erneutes Schuldanerkenntnis sein, allerdings verbunden mit einer geschäftlichen Bitte. Ihnen ist ja wohl die Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung100 bekannt, die in diesem Jahr vom 25. August – 10. September mit etwa 500 höheren Verwaltungs- und Justizbeamten einen Kurs in Königswinter plant. Würden Sie bei dieser Gelegenheit etwa einen 2 stündigen Vortrag in der Art und sachlichen Richtung Ihres Aprilvortrags101 halten? Viel Honorar gab es wenigstens bisher nicht – ich glaube 100 oder 200 M – aber ein ähnlich dankbares und der Mühe wertes Publikum findet man nicht so leicht wieder. Vor mir liegt noch eine kleine vergriffene Schinkel-Ausgabe,102 die Ihnen schon seit einem halben Jahr zugehen sollte, als nur teilweise Substanziierung der Bedenken und Schwierigkeiten zum Problem preußischer Romantik und Geistesgeschichte, die ich Ihnen ganz gelegentlich einmal vorgelegt hätte.103 Das Buch soll Alle diktierten Briefe schrieb Gisela Smend (1899 – 1992), Smends Ehefrau. Carl Schmitt, Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik, Köln 1925. 100 Die Deutsche Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung zu Berlin veranstaltete alljährliche Fortbildungskurse. Smend hatte schon 1923 in Braunlage (DJZ 28, 1923, Sp. 674) und 1924 in Sassnitz vorgetragen. Der Lehrgang in Königswinter fand dann vom 25. August bis zum 14. September 1925 mit etwa 330 Teilnehmern statt (Bericht von Oberlandesgerichtsrat Ermel in: DJZ 30 (1925), Sp. 1491 – 1492). 101 Am 14. April 1925 hielt Schmitt in Köln seinen Vortrag: Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik, Köln 1925. 102 Wahrscheinlich: Karl Friedrich Schinkel, Briefe, Tagebücher, Gedanken. Ausgewählt, eingeleitet und erläutert von Hans Mackowsky, Berlin 1922. 103 Dazu später Rudolf Smend, Politisches Erlebnis und Staatsdenken seit dem 18. Jahrhundert (1943), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 346 – 362, bes. 350 ff. 98 99

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morgen endlich abgehen, und Weiteres hoffe ich Ihnen bald schriftlich oder diktatweise zu sagen, besonders gern, wenn Sie mir für Königswinter zusagen! In großer Müdigkeit viele Grüße und Semesterwünsche, und nochmals vielen Dank! Der Ihrige R. Smend

21. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 16] Bonn, den 21. Mai 1925 Endenicher Allee 20. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Die Freude, die mir, wie jede Nachricht von Ihnen, auch dieser Brief vom 18. Mai bereitet hat, dient dem Unbehagen, mit dem ich Ihre Einladung für Königswinter absagen muß, als immer neue Nahrung. Ich würde zu gern in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung sprechen, mit besonderem Vergnügen in Königswinter, nur ist gerade dieses Jahr gerade diese Zeit (Ende August-Anfang September) so unglücklich, daß es einfach nicht geht. Ich muß im August sehr weit reisen,104 aus vielen Gründen, nicht nur zu meiner Erholung, und komme Ende September zurück, um bei der Görres-Gesellschaft in Trier105 zu sprechen. Es wird mir schwer, Ihrem Wunsche nicht zu folgen, und ich möchte Sie bitten, meine Ablehnung aus einer ganz besonderen Lage zu erklären, nicht einfach aus dem Wunsch, sich die Ferienreisepläne nicht stören zu lassen. Ich käme ohne weiteres aus Oberbayern, der Schweiz oder Italien zurück, aber leider handelt es sich diesesmal um etwas anderes. Aus Ihrem Briefe höre ich, durch alle freundliche Anerkennung hindurch, doch einen Gegensatz zu meinen Thesen heraus. Wenn sich das nur auf die Thesenhaftigkeit meiner Denk- und Äußerungsweise bezieht, so muß ich mich damit abfin104 Schmitt reiste von Mitte August bis Ende September mit seiner Verlobten zusammen über Triest die Küste entlang und traf deren Vater in Agram (Zagreb, Kroatien), während Duschka Todorovic´ zu ihrer Mutter nach Daruvar weiterreiste. 105 Generalversammlung der Görres-Gesellschaft vom 19. – 23. September 1925 in Trier. Die juristische Sektion tagte dort über das Thema „Das bayerische Konkordat“. Laut Jahresbericht (Die Generalversammlung der Görres-Gesellschaft in Trier 19. – 23. September 1925, in: Jahresbericht der Görres-Gesellschaft 1924 / 25, Köln 1926, S. 5 – 52) sprachen Prof. Dr. Scharnagl und Prof. Dr. Hermann Nottarp. In der kunstwissenschaftlichen Sektion sprach Wilhelm Neuss. Schmitts Beteiligung ist im Jahresbericht nirgendwo erwähnt. Es ist nicht auszuschließen, dass er seinen – evtl. durch Neuss vermittelten – Vortrag an seinen Bonner Kollegen Nottarp weitergab.

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den. Betrifft es aber den sachlichen Inhalt, so müssen Sie mir noch mehr sagen. Ich möchte Sie darum bitten, das zu tun, nicht jetzt, aber später einmal, vielleicht in den Ferien, ich würde deshalb gern nach Berlin reisen, oder wohin Sie mich bestellen. Denn wie es heute nun einmal steht, kann mir wohl kaum jemand außer Ihnen den Dienst erweisen, um den ich damit bitte. Vielleicht fühlen Sie aus meinen Äußerungen die wachsende Vereinsamung. Ich fühle mich in meinem Beruf isoliert, für einen in allen seinen Instinkten orthodoxen Menschen ist das ein schlimmer Zustand. Dazu das ästhetische Ekelgefühl vor der triumphierenden Demokrasserie, die lächerliche Situation, daß Wittmayer,106 Stier-Somlo,107 Mendelssohn Bartholdy108 und Nawiasky,109 – 4 Juden gegen einen Christen – in sämtlichen Zeitschriften über mich herfallen, und niemand merkt, um was es sich handelt.110 Also begreifen Sie meine Bitte! Mit der Schinkel-Ausgabe machen Sie mir die größte Freude. Ich werde sie sorgfältig rezipieren, wie ich es mit den Testamenten der Hohenzollern tue. Nur 106 Kritisch gegen Schmitt damals z. B. Leo Wittmayer, Rezension von Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München und Leipzig 1923, in: AöR 47 (1925), S. 231 – 233; ders., „Einmaligkeit“ und „gleicher Anlaß“ bei der Reichstagsauflösung nach Art. 25 der Reichsverfassung, in: AöR 48 (1925), S. 87 – 90; Replik auf Carl Schmitt, „Einmaligkeit“ und „gleicher Anlaß“ bei der Reichstagsauflösung nach Art. 25 der Reichsverfassung, in: AöR 47 (1925), S. 162 – 174. 107 Fritz Stier-Somlo, Die zweite Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, in: AöR 46 (1924), S. 88 – 105. 108 Schmitt kannte Albrecht Mendelssohn Bartholdy über seine Hamburger Freunde Georg Eisler, Eduard Rosenbaum und Kurt Singer. Im Herbst 1925 versuchte er dann eine Berufung als Nachfolger des Strafrechtlers Heimberger zu verhindern. Mendelssohn Bartholdy und Alexander Graf zu Dohna standen im November 1925 zunächst an gleicher Stelle auf dem ersten Listenplatz. Die Rangfolge war umstritten. Schmitt notiert am 30. 10. 1925 ins Tagebuch: „Fakultätssitzung, furchtbar aufgeregt wegen der Berufung von Mendelssohn Bartholdy, sah die Gemeinschaft der Juden“. Schmitt schrieb dann ein Sondergutachten gegen Mendelssohn Bartholdy (16. 11. 1925) und nannte ihn später seinen Kollegen Adolf Zycha und Hans Schreuer gegenüber einen „widerlichen, feigen, dilettantischen Juden“ (TB 24. 11. 1925). Ernst Landsberg schlug schlichtend einen anderen Kandidaten vor. Nach einer Kampfabstimmung kam Dohna. 109 Hans Nawiasky (1880 – 1961), seit 1919 Prof. in München; Schmitt bezieht sich hier vermutlich auf Nawiaskys Thesen auf dem Deutschen Juristentag sowie auf Hans Nawiasky, Die Auslegung des Art. 48 der Reichsverfassung, in: AöR 48 (1925), S. 1 – 55; vgl. Hans F. Zacher, Hans Nawiasky (1880 – 1961), in: Helmut Heinrichs u. a. (Hg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, München 1993, S. 677 – 692. 110 Schmitt interpretiert die Fakultätsfronten im Rahmen seiner „Politischen Theologie“ konfessionell als Gegensatz von Juden und Christen. Eine genuin katholische Perspektive nimmt er nicht ein. Zwar hält er Vorträge für das Zentrum. Ein Abgeordnetenmandat lehnt er aber ab. Er distanziert sich von der katholischen Naturrechtslehre und „organischen“ Soziallehre sowie von deren Vertretern (wie Benedikt Schmittmann und Godehard Josef Ebers in Köln). In der Weimarer Republik waren die katholischen Juristen noch in der Defensive (zu ihrer Formierung und Annäherung an die Weimarer Republik vgl. Alexander Hollerbach, Katholizismus und Jurisprudenz. Beiträge zur Katholizismusforschung und zur neueren Wissenschaftsgeschichte, Paderborn 2004).

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nicht Romantik!111 Preußen ist etwas anderes; odi et amo;112 aber bitte nichts von Romantik. Hoc fonte derivata clades.113 Ich will Ihr freundliches Geschenk mit etwas sehr Ungleichartigem erwidern, mit dem interessantesten, inhaltsreichsten und französischsten Buch der letzten Jahre, der Explication de notre temps von Lucien Romier.114 Mit herzlichen Grüßen und Wünschen bleibe ich immer Ihr Carl Schmitt.

22. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 18] Bonn, den 5. Juni 1925 Endenicher Allee 20. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Das schöne Geschenk, das Sie mir mit dem Schinkel-Brief115 machten, habe ich inzwischen nicht nur erhalten, sondern auch zu verstehen gesucht. Wie zu vermuten war, hat es mich nur verstärkt in meiner Überzeugung, daß die Größe Preußens ich will nicht sagen ursächlich mit klassischem Geist zu tun hat oder gar umgekehrt, aber wohl, daß diese Art Klassizität jeder Entfaltung eines mächtigen politischen Willens sagen wir ontisch zugeordnet ist. Romier folgt bald. Mein Vortrag über die Rheinlande ist ganz verloren gegangen, vermutlich, weil niemand mit einem Vortrag zu tun haben wollte, der bei einer Zentrums-Veranstaltung gehalten wurde.116 Das ist ein großes Unrecht an der guten Sache. 111 Die bibliophile Ausgabe dokumentiert vor allem Schinkels Italienreisen. Der Herausgeber Mackowsky betont in seiner Einführung, dass „der Klassiker den Romantiker überwuchs“, weil „Schinkel wohl romantisch sich begeistern konnte, aber kein romantischer Charakter war“ (Karl Friedrich Schinkel, Briefe, Tagebücher, Gedanken, Berlin 1922, S. 15 f.), sondern in „Wahlverwandtschaft“ mit der Renaissance zu den alten Griechen strebte. 112 Catull, Carmen 85, in: Gedichte, hrsg. Rudolf Helm, Darmstadt 1963, S. 144 f.: „Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris. / nescio, sed fieri sentio et excrucior.“ Hassen tu’ ich und lieben. Warum ich’s tue, so fragst Du. Weiß nicht. Doch daß ich es tu’, fühl’ ich und martere mich. 113 Horaz, Carminum Liber III 6 V 19 – 20: „Hoc fonte derivata clades / in patriam populumque fluxit.“ Aus diesem Urquell floss des Unheils / Strom auf das Land und das Volk der Römer. (Horaz, Sämtliche Werke, lat. u. dt., hrsg. Hans Färber, München 1993, S. 124 f.). 114 Lucien Romier, Explication de notre temps, Paris 1925, von Schmitt rezensiert in: Wirtschaftsdienst 11 (1926), S. 593 – 594 (Schmitts Miszelle im Anhang). 115 Evtl. nur die angekündigte Buchsendung. 116 Für Schmitts damalige Haltung zur Zentrumspartei gibt es nur wenige Quellen. Deshalb ist auch das Dissertationsgutachten interessant, das Schmitt für Anton Betz (1893 –

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Nun das Wichtigste: Die Jahrtausendausstellung in Köln (bis August 1925)117 ist etwas so Großartiges, dabei Unwiederholbares, eine solche überwältigende Ansammlung herrlichster historischer Denkmäler, Dokumente und Kunstwerke, daß es mir Zeit meines Lebens leid tun würde, wenn gerade Sie diese kostbare Gelegenheit versäumten. Stets Ihr Carl Schmitt.

23. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 19 – gedr. Adresskopf: Prof. Dr. Carl Schmitt / Bonn a. Rh. / Endenicher Allee 20 / handschriftlich:] 15. Juni 1925. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! vielleicht können Sie durch ein gelegentliches Wort in folgender Sache etwas Gutes tun. Es handelt sich für die kath. theologische Fakultät Bonn um die Beset-

1984) schrieb. Betz studierte vom Dezember 1918 bis 1920 in Bonn und Freiburg. Seine Dissertation entstand auf Anregung von Rudolf Smend und wurde nach Smends Wechsel nach Berlin von Erich Kaufmann an Schmitt weitergegeben; Schmitts Erstgutachten vom 15. Juli 1924 gibt die Note „Ausreichend“. Betz arbeitete damals bereits als Journalist und wurde später ein bedeutender Verleger. In seinen Memoiren (Zeit und Zeitung. Notizen aus acht Jahrzehnten 1893 – 1973, Düsseldorf 1973) erwähnt Betz seinen Doktorvater Schmitt nicht. Im Gutachten (Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Dissertationsgutachten Nr. 419 / 24) heißt es: „A. Betz, Beiträge zur Ideengeschichte und literarischen Fundamentierung der Staats- und Finanzpolitik des Zentrums 1870 – 1918. Das Thema der Arbeit ist umso schwieriger und interessanter, als es eine politische Partei betrifft, deren Programm in wesentlichen Fragen weltanschauungsmäßig begründet ist. Das allgemeine Problem des Zusammenhanges von politischer Idee und politischer Praxis würde sich also besonders deutlich und die Rücksicht auf politisch-taktische durch die wechselnden Verhältnisse sich ändernden Erfordernisse der Zeit und der Lager könnte sich gegenüber der ideellen und prinzipiellen Konsequenz besonders nachweisen lassen. Der Verfasser streift auch öfters derartige Fragen (die antiunitarischen Tendenzen des Zentrums, seine Opposition gegen die Ausdehnung der Kompetenzen des Reichs, gegen Reichsmonopole usw.), aber im Ganzen vereinfacht er doch die Schwierigkeit allzu sehr, indem er ohne weiteres davon ausgeht, daß die Politik des Zentrums nicht in den tatsächlichen, politischen Verhältnissen, sondern in einer „festen, von den konkreten Zeitverhältnissen losgelösten Weltanschauung“ begründet ist. So einfach läßt sich die Zentrumspolitik nicht als Weltanschauungspolitik behandeln und verstehen.“ 117 Ausstellung vom Mai bis August 1925: Katalog der Jahrtausend-Ausstellung der Rheinlande in Köln 1925, hrsg. Wilhelm Ewald und Bruno Kuske, Köln 1925; gefeiert wurde der Eintritt des Herzogtums Lothringen in den Reichsverband 925.

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zung des Lehrstuhls für Dogmengeschichte; Prof. Adam118 (Tübingen) hat abgelehnt; auf der Liste stehen noch 2 ganz indiskutable Namen, Hünermann119 und Andres120, deren Unmöglichkeit notorisch ist und die nur deshalb in diesen Zusammenhang geraten sind, weil man bestimmt auf Adam rechnete. Jetzt ist hier ein ganz ungewöhnlich tüchtiger und intelligenter Privatdozent, Dr. Eschweiler,121 der nach der Ansicht von mir und meinen Freunden vortrefflich geeignet wäre. Ich weiß, daß die Fakultät ihn sehr hoch schätzt, aber den Andres, der ein Querulant ist, nicht gern brüskieren möchte. Ich habe einige Besorgnis, daß man aus lauter Biedermeierei diesen ganz belanglosen Andres ernennt und so säße dann in der kath. theologischen Fakultät für eine Generation wieder eine langweilige Nullität. Das ist die Vorstellung, die in mir eine solche Besorgnis hervorruft, daß ich zur Feder gegriffen habe. Daneben bestimmt mich der große Eindruck, den ich von mehreren Arbeiten Eschweilers122 hatte, die mir im Manuskript zugänglich waren und wohl bald erscheinen. Ich habe mit Neuss und mit Ehrhard123 gesprochen, um zu erfahren, wie sie über E. denken, und fand mein Urteil lebhaft bestätigt; ebenso bei dem protestantischen Theologen Peterson, meinem besten Freunde. Dieser Brief entspringt ausschließlich meiner Initiative und meinem ganz sachlichen Interesse an Bonn. Vielleicht verstehen Sie den Impuls, der einen treibt, sich in solchen Fällen einzumischen und vergeben mir diesen Überfall. Mit den besten Grüßen herzlich Ihr Carl Schmitt.

24. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 579 Nr. 351] Diktat.

Nikolasseee, 28. 7. 25.

Verehrter lieber Herr Schmitt! Diesmal ist es mit meiner Schuld noch ärger geworden, als sonst: kein Dank für Romier und Peterson,124 und keine Antwort in der katholisch-theologischen BeruDer katholische Theologe Karl Adam (1876 – 1966) lehrte seit 1919 in Tübingen. Friedrich Peter Hünermann (1886 – 1969), PD Bonn 1920, aoProf. Bonn 1927. 120 Friedrich Andres (1882 – 1947), PD Bonn 1920, aoProf. 1927 Bonn. 121 Karl Eschweiler (1888 – 1936), PD Bonn 1922, 1928 Prof. Braunsberg, als engagiertes NSDAP-Mitglied von der Kirche einige Zeit suspendiert, mit Schmitt seit Bonner Zeit befreundet. 122 Vermutl. u. a. Karl Eschweiler, Die zwei Wege der neueren Theologie, Augsburg 1926. 123 Albert Ehrhard (1862 – 1940), seit 1892 Prof. für Kirchengeschichte, seit 1920 in Bonn. 124 Wahrscheinlich Sendung von: Erik Peterson, Was ist Theologie?, Bonn 1925. 118 119

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fungsfrage! In der letzteren habe ich mich bemüht, aber da bemühen sich offenbar mancherlei Leute, und ich kann leider nicht sagen, was ich in diesem concursus professorum125 ausgerichtet habe. Und in der niederträchtigen Hetze von den letzten Berliner Semesterwochen habe ich auch in die beiden Bücher bisher nur verstohlen hineinschauen können. So darf ich den Bericht darüber wohl noch einmal vertagen. Es ist nicht unmöglich, daß wir im August durch Bonn kommen, und dann versuche ich Sie persönlich zu erreichen – sonst hoffe ich auf schriftlichen und dann späteren mündlichen Austausch. Aus rein physischen Gründen bringe ich es über dies kümmerliche Diktat nicht hinaus – Seien Sie heute noch einmal nachsichtig und nehmen Sie die allerschönsten Wünsche und Grüße zum Semesterende! Der Ihrige Rudolf Smend

25. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 21 / 22]126 Cavtat (Ragusavecchia, das alte Epidaurus) 14. September 1925. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Ich habe hier in der Bibliothek des großen südslawischen Juristen Bogisic´ schön arbeiten können und einen wunderbaren Aufenthalt gehabt. Bogisic´ ist der 1908 verstorbene Verfasser des montenegrinischen Gesetzbuches von 1888,127 einer Kodifikation, welcher Karl Dickel128 1889 ein ganzes panegyrisches Buch gewidmet hat, um sie der Kommission für das deutsche bürgerliche Gesetzbuch als Muster zu empfehlen. Die Bibliothek, 18000 Bände, ist ein wunderschönes Denkmal eines reichen, großartigen Lebens; sie hat offenbar ihr Schicksal, denn sie wird weder einem Antiquar verkauft noch einer großen öffentlichen Bibliothek einverleibt, Lat. Auflauf der Professoren. Dieser Brief ist teils wörtlich die Keimzelle von Carl Schmitt, Illyrien. Notizen von einer dalmatinischen Reise, in: Hochland 23 (1925), S. 293 – 298 (Typoskript RW 265-21493). 127 Valtasar Bogisic´, Quelque mots sur les principes et la méthode suivis dans la codification du droit civil au Monténégro, Paris 1888; Schmitt war seit Mitte August auf Verlobungsreise an der kroatischen Adria (Split, Dubrovnik, Cavtat, Zagreb) und vom 29. August bis zum 16. September in Cavtat, wo er „schön im Franziskaner-Kloster“ wohnte; „kuriert von meiner Mönchsromantik“ (TB 29. 8. 1925), notierte er ins Tagebuch. „Täglich schön in der Bibliothek Bogisic´ exzerpiert.“ (TB 7. 9. 1925) Er fuhr dann nach Zagreb weiter. 128 Karl Dickel, Über das neue bürgerliche Gesetzbuch für Montenegro und die Bedeutung seiner Grundsätze für die Kodifikation im allgemeinen mit Bemerkungen über den neuen Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Marburg 1889; Dickel (1853 – 1920) war Forstwissenschaftler und Jurist, seit 1899 apl. Prof. in Berlin. 125 126

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sondern verfällt in größter Ruhe und Gleichmütigkeit, unter dem Schein der Obhut, die ein faulenzender Franziskaner ausüben soll. Bogisic´ stammte aus diesem Nest von 700 Einwohnern und hatte hier, nachdem er in Rußland (als Professor in Odessa) Italien, Deutschland, Frankreich, Montenegro, Österreich, Ungarn gewesen war, eine schöne Heimat. Die ganze Vielsprachigkeit illyrischen Geistes spiegelt sich in dieser Bibliothek. Jetzt verstehe ich, daß der Autor der Vulgata, der heilige Hieronymus, ein Illyrer sein mußte. Jetzt erkenne ich auch die sauertöpfige Mediokrität der schweizerischen 3-Sprachigkeit. Ich dachte erst, hier eine besondere, historische Bedeutung der kleinen Länder zu bemerken und konstruierte mir, daß nur noch Montenegro und die Schweiz (mit ihrem berühmten Huber)129 einer Kodifikation fähig seien und einen Législateur hervorbringen könnten. Aber das beweist eben nur, daß die Zeit der Kodifikationen, der Lykurge und der Solons vorbei ist, wie die Zeit vieler anderer sympathischer Dinge. Was mir hier klar wurde, ist die Bedeutung großer Staaten. Hier sind sehr merkwürdige Bücher von Russen, die einem sonst nie begegnen. Sie haben einen Horizont so groß wie ihr Land, überschauen Staaten und Völker und ihr psychologischer Blick verläßt sie vor keiner politischen Phrase. Ihre Kritik am Parlamentarismus ist glänzend und keineswegs, wie ich bisher dachte, eine marxistisch=bolschewistische Leistung. Die Liberalen sind die Ausnahme (Gott behüte uns vor der Restauration des Liberalismus, die im Anzug ist, und deren, in den Schafspelz des Pluralismus gekleideter Prophet Laski130 zu werden scheint! Wie wird Kelsen131 gackern, um seine Identität mit ihm zu beweisen!) Vor allem hat mich ein Buch von Vladimir Lamansky, Secrets d’État de Venise, Petersburg 1884,132 in Erstaunen gesetzt. Ein solcher Impetus kann nur aus einem großen Staat kommen. Den Ekel Bakunins133 vor der Schweiz und ihrer demokratischen Vorbildlichkeit verstehe ich sehr gut. Die Geschichte von Dalmatien ist interessant als Geschichte eines Landes, das seit einem Jahrtausend Objekt der großen Politik war: Westrom, Ostrom, Goten, Awaren, Serben, Venetianer, Türken, Ungarn, Franzosen, Österreicher, Serben, haben über dieses politisch gleichgültige Volk geherrscht. Einige Analogien mit dem Eugen Huber (1849 – 1923), Schöpfer des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs von 1907. Harold Laski (1893 – 1950), Prof. für Politikwissenschaft in London. 131 Hans Kelsen (1881 – 1973), seit 1917 Prof. in Wien, Begründer der analytischen Rechtstheorie, ab 1930 in Köln, 1933 Emigration. Theoretischer Antipode Schmitts. 132 Vladimir Ivanovic´ Lamanskij, Secrets d’Etat de Venise. Documents extraits notices et etudes servant a éclaircir les rapports de la seigneurie avec les Grecs, les Slaves et la porte Ottomane a la fin du XVe et au XVIe siécle, Saint-Pétersbourg 1884; Schmitt schreibt zuvor am 5. 9. 1925 an Waldemar Gurian: „Wer war Vladimir Lamansky, Professor a. d. Univ. Petersburg? Er hat 1884 ein erstaunlich interessantes Buch in Petersburg veröffentlicht, das ich seit 3 Tagen mit Spannung lese, Secrets d’état de Venise.“ (Schmitt am 5. 9. 1925 an Gurian, Nachlass Waldemar Gurian, Box 1, Folder 13, Library of Congress, Washington). 133 Michail Bakunin (1814 – 1876), anarchistischer Politiker und Theoretiker; Schmitt zitierte Bakunin und den Anarchismus schon in seiner „Politischen Theologie“ von 1922 und im Essay „Römischer Katholizismus und politische Form“ von 1923; er las 1923 auch die Biographie von Ricarda Huch, Michael Bakunin und die Anarchie, Leipzig 1923. 129 130

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Rheinland stimmen. Das meiste stimmt nicht. Nicht nur weil es kein Hänneschen und Tünneschen134 gibt, keine Kitsch-Lieder, dafür schöne, weiche, langgezogene, melancholische Melodien, in denen sich ein italienischer Ton auf eine dunkle slawische Weisheit legt, sondern vor allem, weil das Land, die Luft, alles noch erfüllt ist von den Geistern des Heidentums, der Völkerwanderung, der griechischen Orthodoxie, der Gnosis, des Islam. Die Luft ist voll Dämonen. In dem ganz großartigen Palast des Diokletian135 in Spalato (Split) lebt zwischen den alten Mauern, Säulenresten und Reliefs eine ganze Stadt, mit Kirche, Pfarrhaus, Läden, Spelunken, Bordellen, einem Dominikanerinnenkloster, und krabbelt darin herum, wie Würmer in einem Kadaver. Die Kirche, das alte Mausoleum Diokletians, wirkt ganz heidnisch und der tote Diokletian triumphiert höhnisch über den Exorzismus.136 Spalato ist die sensationellste Stadt, die ich in meinem Leben sah. Ich muß noch einige Reisen in diesem Lande machen. Anfang Oktober denke ich wieder in Bonn zu sein. Der Gedanke an Deutschland tut mir weh. Ich habe das Gefühl, von einer bösartigen Bande verfolgt zu werden und vogelfrei zu sein. Jetzt hat ein Frankfurter Privatdozent, Heinz Marr,137 in den „Frankfurter Gelehrten Reden“ eine Abhandlung „Klasse und Partei in der modernen Demokratie“ veröffentlicht, wo er ganze Sätze und Definitionen, neue, inzisive138 Definitionen, ruhig abschreibt, ohne mich zu zitieren. Das kann er doch nur wagen, weil er weiß, daß ich wehrlos bin.139 Es handelt sich nicht um einen Zeitungsartikel, der die Anonymität des journalistischen Betriebes geltend machen könnte, sondern um eine sich „gelehrt“ nennende „Frankfurter Rede“ eines akkreditierten Privatdozenten einer wenn auch neuen Universität. Ich habe Hinneberg geschrieben, er antwortet mir nicht. Sie sollen keine Démarche unternehmen, Herr Smend, ich erzähle nur von meinem Ärger, und höre deshalb jetzt lieber mit meinem Briefe auf. Wenn ich nach Berlin komme, werde ich mir erlauben, Sie aufzusuchen. Inzwischen sage ich Ihnen und Ihrer verehrten Gattin meine besten Grüße und Wünsche und bleibe immer Ihr Carl Schmitt. 134 Das Hänneschen Theater war ein Kölner Puppentheater, das die Figuren Tünnes und Schäl entwickelte. 1919 geschlossen, wurde 1925 eine Kommission zur Wiedereröffnung gegründet, die 1926 erfolgte. 135 Gaius Aurelius Valerius Diocletianus (ca 236 – 316), von 284 bis 305 bedeutender röm. Kaiser, 313 oder 316 in Spalatum verstorben, ließ die Christen und Manichäer verfolgen, zog sich 305 freiwillig ins Privatleben zurück und lebte in seinem großen Diokletianspalast in Spalatum nahe seines Geburtsortes. Vgl. Franc Bulic´, Kaiser Diokletans Palast in Split, Zagreb 1929. 136 Versuch der Austreibung des Heidentums aus dem Christentum. 137 Heinz Marr (1876 – 1940), PD Frankfurt 1924, Publikation: Klasse und Partei in der modernen Demokratie (Frankfurter Gelehrte Reden und Abhandlungen Heft 4), Frankfurt 1925. 138 Franz. incisif: schneidend, scharf, bissig. 139 Der Plagiatsvorwurf wird aber durch den damaligen Hamburger Bekannten Eduard Rosenbaum (1887 – 1979) deutlich formuliert in der Buchanzeige von Heinz Marr, in: Wirtschaftsdienst 11 (1926), S. 280 vom 26. 2. 1926.

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26. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 23 – Ansichtskarte Palastgebäude Split, Adresse: „Herrn Professor Dr. Rudolf Smend / Nikolassee bei Berlin / Teutonenstr. 1“] Spalato (Split) 19 / 9 25 Lieber, sehr verehrter Herr Smend! im Nachgang zu meinem Brief: jetzt hat die Reise eine ganz unerwartete Steigerung erfahren: die neuen Ausgrabungen in Salona,140 die ich dank der Güte von Magre Bilic´ sehen konnte, ein heidnischer und ein christlicher Friedhof, auf diesem die Gräber von 10 christlichen Märtyrern, davon 4 von der Leibgarde Diokletians. Herzliche Grüße Ihres sehr ergebenen Carl Schmitt

27. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 24] Bonn, den 14. Februar 1926 Endenicher Allee 20 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Sekretär Berg schrieb mir wegen der „Vereinigung“,141 zu der Sie schon gehören, und lud mich ein, beizutreten. Daß Ihr Name dabei genannt wird, macht auf mich den stärksten Eindruck. Wollen Sie mir deshalb vielleicht ein Wort der Information schreiben? Das Einladungsschreiben hält sich in (begreiflicher) Unklarheit. Ich will Ihnen nicht verschweigen, daß ein Name wie Bornhak142 mich beunruhigt, denn, ohne ihn herabsetzen zu wollen, möchte ich doch nicht, daß eine seiner Entgleisungen (wie jetzt seine von den Zeitungen als Inserat publizierte – Anti=Antialkoholkundgebung) sich auch nur mittelbar mit meinem Namen verbinde. Im übrigen scheint mir alles durchaus sympathisch. Mit den besten Grüßen, wie stets Ihr Carl Schmitt.

140 Salona (Solin), Kroatien / Dalmatien. Diokletian stammte wahrscheinlich aus dieser strategisch wichtigen Stadt am Fluss Jadro, dem Sitz des letzten weströmischen Kaisers. 141 Wahrscheinlich: Vereinigung Deutscher Hofkammern, Interessensorganisation der ehemals regierenden Häuser; Friedrich Wilhelm Bernhard von Berg (1866 – 1939), damals Vorsitzender der deutschen Adelsgenossenschaft, Generalbevollmächtigter der Hohenzollern im Verfahren der Fürstenenteignung. 142 Conrad Bornhak (1861 – 1944) war seit 1898 Berliner Extraordinarius im öffentlichen Recht; dazu vgl. Anna-Maria Gräfin von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, S. 301 f.

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28. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15215 / 16] Diktat.

Nikolassee, 16. 2. 26.

Verehrter lieber Herr Schmitt! Mit noch immer lahmem Arm muß ich in der Hauptsache diktieren – für heute die Feststellung, daß ich mich Ihnen gegenüber wohl (und hoffentlich!) noch nie in solcher Schuld befunden habe, wie heute: Ihre letzten literarischen Gaben, Ihre eindrücklichen Briefe aus Dalmatien – mein Arm, Grippe, Semesterplage usw. sind keine Entschuldigung, auch nicht, daß Sie durch das Versprechen eines Besuchs im Oktober mir die Schreibstimmung genommen hatten. Hoffentlich erwartet mich in Münster143 Ihre persönliche Indemnitätsbewilligung! Heute zunächst auf Ihre Frage wegen der „Vereinigung“: Die Sache ist in der Tat etwas unklar. Das Hausministerium sucht durch diese Veranstaltung einmal dem Kaiser und dem Kronprinzen144 den Eindruck zu geben, daß er mit ernst zu nehmenden Leuten Fühlung hält. Denn will er für seine Preßpropaganda (harmlose Artikel in die Provinz, ganz löblich gegenüber der überwältigend gut aufgezogenen gegnerischen Aktion) eine Art Autorchiffre sehen, die andeuten soll, daß die Artikel von informierten Leuten kommen. Das ist natürlich unerfreulich: wir können natürlich nicht die Verantwortung für all dies Zeug übernehmen, und aus dem Grunde macht Triepel nicht mit. Ich tue es, weil die ja nur für den Notfall in Aussicht genommene Bekanntgabe der Namen, vor der wir vorher noch gefragt werden sollen, praktisch nicht als meine Deutung jener Artikelchen, sondern als ein grundsätzliches Eintreten gegen den Bolschewismus im Sinne Ihres prächtigen Gutachtens145 wirken wird. Das Ganze ist natürlich etwas wunderlich, und ich stelle mich vor allem aus persönlicher Loyalität zur Verfügung – Ihnen mag ich nur die Lage darlegen, ohne Ihnen stark zuzureden, so sehr mich Ihr Ja freuen würde. Daß der völlig vertroddelte Bornhak darauf steht, ist ein einmal begangener Mißgriff, den Triepel und ich scharf beanstandet haben. 143 Dritte Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vom 29. – 30. März 1926 in Münster zu den Themen: Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung. Der Einfluss des Steuerrechts auf die Begriffsbildung des öffentlichen Rechts, mit Beiträgen von Erich Kaufmann, Hans Nawiasky, Albert Hensel, Ottmar Bühler; Schmitt war auf der Jahrestagung in Münster. Auf dem Gruppenfoto von der Vereinigung (Abb. 1) ist er aber nicht zu sehen. 144 Gemeint sind Wilhelm II. (1859 – 1941) und der Kronprinz Wilhelm von Preußen (1892 – 1951). Der Kronprinz war 1923 mit Unterstützung Gustav Stresemanns aus dem Exil zurückgekehrt. Smends Ausführungen sind nicht monarchistisch aufzufassen. Selbst bei der DVP war das Verhältnis zur Dynastie deklaratorisch-taktisch. Gewollt war eine Stärkung der Stellung des Reichspräsidenten Hindenburg. 145 Carl Schmitt, Unabhängigkeit der Richter, Gleichheit vor dem Gesetz und Gewährleistung des Privateigentums nach der Weimarer Verfassung. Ein Rechtsgutachten zu den Gesetzentwürfen über die Vermögensauseinandersetzung mit den früher regierenden Fürstenhäusern, Berlin 1926.

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In Münster möchten wir mit Ihnen eine bescheidene Aktion besprechen. Holstein und ich übernehmen die Redaktion des Abhandlungsteils des Archivs für öffentliches Recht und wollen versuchen, da etwas Fanfare zu blasen.146 Triepel und Koellreutter147 müssen für ihre Abteilungen mit gewonnen werden, sind auch leidlich willig, trotz solcher Albernheiten, wie der Übertragung der Kelsen-Rezension148 an Merkl149 im letzten Heft. Wir möchten aus dem Archiv das ausgesprochene Organ der Richtung, sagen wir, Bilfinger-Holstein-Kaufmann-Schmitt-Triepel machen und begrüßen die jetzige Übernahme auch deshalb, weil Kaufmann’s Referat in Münster150 doch wohl die Litiskontestation151 gegenüber den eigentlichen Gegnern (Anschütz152 und Genossen, nicht so sehr der Kelsensche Unfug) herbeiführen wird. Dann kommen wir (bei aller Verschiedenheit untereinander) geschlossen und bewußt zu Wort, und Manches von dem, was Sie an den Zuständen im Fach beklagen, kann besser werden, wenn Sie nur ausdrücklich mitmachen! Der Arzt schickt mich am 26. d. M. ins Engadin, von wo ich zwischen dem 15. und 20. März hierhin zurückzukehren hoffe. Dann hoffentlich auf erfreuliches Wiedersehen in Münster! Mit allerbesten Grüßen der Ihrige Rudolf Smend

146 Eine Fanfare war die einleitende Abhandlung von Günther Holstein, Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft. Zur Tagung der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer, in: AöR 50 (1926), S. 1 – 40, die als Kongressbericht von der Tagung in Münster ausgeht. 147 Otto Koellreutter (1883 – 1972), 1913 PD Freiburg, 1920 oProf. Halle, 1921 Jena, 1932 Eintritt in die NSDAP, 1933 Wechsel nach München; Schmitt stand mit Koellreutter seit den frühen 20er Jahren in engerem Kontakt; 1933 wurden beide Rivalen beim Aufstieg im Nationalsozialismus; nach 1945 pflegten beide wieder freundschaftlichere Kontakte. 148 Adolf Merkl, Rezension von Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, in: AöR 49 (1926), S. 257 – 275. 149 Adolf Julius Merkl (1890 – 1970), enger Kelsen-Schüler und analytischer Rechtstheoretiker. 150 Erich Kaufmann, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 3, Berlin und Leipzig 1927, S. 2 – 24. 151 Juristischer Fachbegriff: Streiteröffnung. 152 Gerhard Anschütz (1867 – 1948; Abb. 2), seit 1900 Prof. in Heidelberg, 1908 bis 1916 in Berlin und dann wieder Heidelberg; berühmter Staatsrechtslehrer, Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, legte 1933 seine Professur nieder. Zur Biographie vgl. Walter Pauly (Hrsg.), Gerhard Anschütz, Aus meinem Leben, Frankfurt 1993.

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29. Gedruckte Heiratsanzeige vom März 1926153

Professor Dr. Carl Schmitt Duška Schmitt geb. Todorovic´ geben ihre Vermählung bekannt Bonn a. Rh. März 1926 Zagreb

30. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 26] Bonn, den 7. Mai 1926 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! aus Freundschaft für Göppert, aber auch aus Interesse an seinen sehr guten Vorlesungen, also aus Interesse an der Fakultät, greife ich zur Feder und mache Sie zum Adressaten dieser Bitte, die Sie mir nicht verargen wollen: Göppert hat den Antrag gestellt, daß ihm das Kolleggeld seiner Vorlesungen, das ihm sonst auf das Gehalt angerechnet wird, belassen werde. Wie die Sache jetzt liegt, liest er in Wahrheit für den Staat; das wäre ganz recht, aber es bedeutet, daß, wenn er Handelsrecht liest, Schreuer154 das Kolleggeld entgeht; auch das wäre ganz recht, aber dann hat G. kein Interesse Handelsrecht zu lesen und mein Entsetzen vor Schreuerschen Vorlesungen ist so groß, daß ich dachte es wäre ein sehr großer Gewinn für die Fakultät, wenn man Göppert bewegen könnte, regelmäßig Handelsrecht zu lesen. Jetzt höre ich, daß die Initiative zu der Neuregelung seiner Geldansprüche vom Kultusministerium ausgehen müsste. Nicht um Sie zu bemühen, diese Initiative anzuregen, wohl aber um mit meinen bescheidenen Kräften und Einwirkungs153 Da Schmitt staatlich im Februar 1926 heiratete, bezieht sich die Anzeige evtl. auf eine beabsichtigte kirchlich-orthodoxe Heirat mit der serbisch-orthodoxen Duschka. Nach orthodoxem Recht war das problemlos möglich. Zwar war Schmitts erste Ehe kirchlich nicht nullifiziert worden; nach orthodoxem Recht zählte die katholische Ehe aber gar nicht. Duschka besorgt am 23. Januar 1926 in Köln eine „Bescheinigung des griechischen Geistlichen“, sie zu trauen. Bald nach der Heirat am 8. Februar reist sie nach Kroatien in ihre Heimat. Schmitt will nach Semesterende nachkommen. Anfang März erleidet Duschka aber eine „schwere Lungenblutung“ (TB 12. 3. 1926). Schmitt fährt deshalb damals wohl nicht nach Kroatien. Er ist im März in Berlin, Hamburg, Halle und Bonn und Ende März bei der Staatsrechtslehrervereinigung in Münster. Im April ist Duschka Schmitt lebensgefährlich erkrankt in Deutschland zurück. 154 Der Rechtshistoriker Hans Schreuer (1866 – 1931), seit 1908 in Bonn, ist damals ein enger Kollege von Schmitt. Nachruf von Adolf Zycha in: Chronik der Rheinischen FriedrichWilhelms Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1930 / 31, Bonn 1932, S. 28 – 31.

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möglichkeiten Ihr Wohlwollen zu erbitten, schreibe ich diesen Brief, für den Fall, daß Ihnen die Sache begegnen sollte. Ich füge einen Aufsatz aus der Friedenswarte155 bei, in welchem die angezeichnete Stelle charakteristisch ist; daß dergleichen gedruckt und gleichgültig akzeptiert wird, ohne jemand aufzufallen, hat mich doch sehr deprimiert. – Meine Frau ist noch in Ruppichteroth;156 es ist dort sehr schön; ich bin Wochenende immer da. Wir grüßen Sie herzlich, ebenso Ihre Gattin und freuen uns auf eine Begegnung, lieber Herr Smend. Immer Ihr Carl Schmitt.

31. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 25 / 26 – Briefkopf gedruckte Adresse: Dr. Carl Schmitt / o. O. Professor der Rechte / an der Universität Bonn / Godesberg-Friesdorf / Bonner Str. 211] 25 / 9 26 Lieber und verehrter Herr Smend! Ich habe Sie von Frankfurt aus, wo ich einige Tage157 zu Besuch war, plötzlich telegraphisch158 angesprochen und zu meiner großen Freude eine schnelle Antwort und sogar einen langen Brief159 erhalten – eine seltene Auszeichnung, für die ich umso dankbarer bin. Darf ich Ihnen jetzt mit einem Wort sagen, was mich veranlasst hat, zu wünschen, daß der Prinz Rohan160 Sie besucht und daß Sie mit ihm sprechen. Ich entnehme aus Ihrem Brief, daß Sie durch den Grafen 155 Die Friedens-Warte: 1899 begründete pazifistische Fachzeitschrift, seit 1924 vom Völkerrechtler Hans Wehberg (1885 – 1962) herausgegeben. 156 Rupperichteroth war ein kleiner Ort im Bergischen Land zwischen Köln und Bonn. Duschka Schmitt war dort primär aus gesundheitlichen Gründen. 157 Vom 21. 9. – 24. 9. 1926 war Schmitt bei den seit Münchner Tagen befreundeten Georg und Lilly von Schnitzler, traf dort Rohan und telegraphierte Smend umgehend am 22. 9. 1926. Am 16. 11. 1926 hielt Rohan dann einen Vortrag in Bonn und am nächsten Tag besuchte er Schmitt in seinem Haus in Bonn-Friesdorf. 158 Fehlt. 159 Fehlt. 160 Karl Anton Prinz Rohan (1898 – 1975), österreichischer Publizist, begründete 1922 den Europäischen Kulturbund oder Bund für kulturelle Zusammenarbeit, der seit 1924 Jahrestagungen abhielt und ab 1925 die Zeitschrift Europäische Revue herausgab. Deren Eröffnungssatz lautet: „Die Europäische Revue will die geistige Einheit Europas bewußt machen.“ (Vorwort, Europäische Revue 1, 1925, S. 1) Schmitt steht schon 1925 über v. Schnitzler mit Rohan und der Europäischen Revue in Verbindung. Auch nach 1945 korrespondierte er mit Rohan.

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Nostitz161 von dem Unternehmen wissen. Ich sehe immer deutlicher, wieviel heute daran liegt, daß die Dinge, die hinter den Worten Europa, Verständigung etc. real vorhanden sind, nicht in die Hände bestimmter professionels des Internationalismus fallen, die auch das als Mittel benutzen, alles, was es in Europa noch an konservativer Anständigkeit gibt, zu töten. Das ist Ihnen natürlich bekannt. Die Frage ist, ob der Prinz Rohan ein geeigneter Mittelpunkt ist. Er wird Sie bitten, am 18. Oktober in Wien162 zu sein und, während Paul Valéry163 für Frankreich, Luigi Valli (ein Fascist)164 für Italien spricht, ein Wort als Deutscher zu sagen. Wenn ich Sie bitte, das nicht einfach abzulehnen, und wenn ich Sie sogar beschwöre, sich diesesmal nicht zu effacieren,165 so tue ich das, weil mir, bei dem deutschen Teil des Unternehmens, alles davon abzuhängen scheint. Sie wissen, daß man mich gebeten hatte, in Wien zu sprechen und daß ich es grundsätzlich angenommen hätte. Die Gründe, warum es nicht geht, sind ziemlich traurig und ein Teil des Unglücks, das mich seit einem halben Jahr166 verfolgt. Auch ohne das würde ich es aber heute, da ich die Lage besser kenne, für besser halten, wenn Sie sprechen, und nicht ich; und zwar wegen des deutschen Anteils an der Sache. 161 Alfred von Nostitz (1870 – 1953), Jurist, Diplomat und sächsischer Innenminister; Nostiz war Gatte der Berliner Salondame Helene von Nostitz (1878 – 1944), der Vorsitzenden der Berliner Ortsgruppe des Deutschen Kulturbunds. Schmitt war ein Mitglied des Gründungsausschusses der gerade Ende September 1926 gegründeten Berliner Ortsgruppe, der neben Smend auch Victor Bruns, Heinrich Triepel und Werner Sombart angehörten. Weitere Mitglieder waren u. a. Theodor Däubler, Gustav Steinbömer, Harry Graf Kessler. Der Kulturbund wurde somit für Schmitt über den Salon der Helene von Nostiz eine wichtige Kontaktbörse in der frühen Berliner Zeit. Ab 1928 wohnten v.Nostiz in Zehlendorf in der Goethestraße 10, wo auch Max Clauss und die Redaktion der Europäischen Revue waren. 162 Die 3. Tagung des Europäischen Kulturbunds fand vom 16. bis 20. Oktober 1926 in Wien statt. Thema war „Die Rolle des Geistesmenschen im Aufbau Europas“. Es sprachen Paul Valéry, Alfred Weber, Theodor Litt, Balbino Giuliano. Schmitts Bonner Kollege Alexander Graf zu Dohna nahm an der Tagung teil, außerdem die befreundete Lilly von Schnitzler sowie der Maler Max Beckmann. Weitere deutsche Teilnehmer waren Arnold Bergstraesser, Max Hildebert Boehm, Rudolf G. Binding, Annette Kolb. Hugo von Hofmannsthal war ein exponierter Teilnehmer der Tagung. Dazu vgl. Max Clauss, in: Europäische Revue 2 (1926), S. 196 – 200; vgl. Guido Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München 2005, S. 363 ff. 163 Paul Valéry (1871 – 1945), bedeutender Literat und Philosoph. 164 Luigi Valli (1879 – 1930), italien. Dante-Forscher. 165 Franz.: auslöschen, tilgen. 166 Unmittelbar nach der Hochzeit erlitt Duschka Schmitt erneut einen schweren Tuberkulose-Blutsturz und war die folgenden drei Jahre hindurch lebensgefährlich erkrankt, bis einige Operationen eine Stabilisierung bewirkten. Schmitt schreibt dazu am 14. 12. 1959 an Ernst Forsthoff (Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926 – 1974), Berlin 2007, S. 152): „Die Krankheit meiner Frau, besonders in den Jahren 1926 – 1930, war ein schweres Unglück, aber meine Ehe wäre ohne solche Prüfungen nicht das wunderbare Geschenk Gottes geworden, das mich bis heute, noch zehn Jahre nach ihrem Tode, aufrecht hält und mir eine Sicherheit gibt, die jedem Schlag gewachsen ist. Dieses Leidvertrauen ist mehr als das, was man Glück nennt.“

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Werden Sie also den Prinzen in Ruhe anhören? Vielleicht stören Sie viele Äußerlichkeiten, Austriacismen, Keyserlingianismen167 und anderes. Ich glaube aber, daß er ein ehrlicher Junge ist und weiß, daß er Substanz hat und ein Mann wie Sie innerlich viel mit ihm anfangen kann, wenn er Ihnen nur nicht unsympathisch ist. Hören Sie ihn bitte an und lehnen Sie ihn nicht wegen einer Färbung oder Tönung ab. In den 1 ½ Jahren, die ich ihn persönlich kenne, hat er sich erstaunlich entwikkelt, sodaß ich noch vieles hoffe, freilich sehr darüber im Klaren, daß alles darauf ankommt, an wen er sich anschließt. Dies, in großer Eile, mein Anliegen. Ich wohne jetzt in Friesdorf. Das Land ist so schön wie ein Bild von Claude Lorrain.168 Kein Wunder, daß ich in einem fort den Wunsch habe, Sie als Gast bei mir zu haben. Ich lade Sie und Ihre Gattin herzlich ein. Mit den besten Grüßen und Wünschen immer Ihr Carl Schmitt.

32. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15216 / 17] Diktat.

Nikolassee, 10. 10. 26.

Lieber Herr Schmitt! Auf dem Sprunge zu einer kleinen Reise heute nur dreierlei. Einmal unsere herzlichsten Wünsche für das Ergehen Ihrer Gattin! Hoffentlich sehen wir uns bald einmal und ist dann beiderseits alles gut! Dann der Dank für Ihren Brief in Sachen Rohan. Ich sehe es taktisch ganz wie Sie: R. selbst und diese Veranstaltungen dürfen deutscherseits nicht in den Händen von Einstein,169 Keyserling und ihresgleichen bleiben. Sie werden mir wegen meiner Nichterfüllung meiner Mission böse sein – Aber ich muß einstweilen innere und äußere Ruhe haben, und in dieser Situation hätte ich in Wien einfach versagt. Ich habe R. das angedeutet, und – anfühlend wie er ist – hat er das offenbar begriffen. – Zu viel Einwirkung auf ihn bin ich leider nicht gekommen, denn unser Zusammensein löste sich in allerlei technische Hilfen und Vermittlungen meinerseits für ihn Anspielung auf den Publizisten Hermann Graf Keyserling (1880 – 1946). Claude Lorrain (1600 – 1682), klassizistischer Maler; im neuen Haus in Bonn-Friesdorf hing eine Reproduktion von Lorrain, die Schmitt begeisterte (TB 14. 9. 1926 und 16. 9. 1926). 169 Albert Einstein (1879 – 1955), 1907 PB Berlin, seit 1909 Prof. für Physik; seit 1914 in Berlin, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik, 1921 Nobelpreis für Physik, schon Ende 1932 Emigration (NDB 4, 1959, S. 404 – 408); Rohans Vereinigung gehörten parteiübergreifend sehr unterschiedliche Mitglieder an. 167 168

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auf. Aber ich hoffe, daß es eine Gelegenheit gibt, uns weiter auszutauschen. Für einen Oesterreicher hat er immerhin noch eine ganz erfreuliche Menschenähnlichkeit. Noch ein Wort vom Literarischen: Daß Sie den Parlamentarismus, verstärkt um die Thoma-Polemik,170 neu herausgebracht171 haben, ist famos. Ihre AnschützPolemik172 reproduziert ja stark Ihr Fürstengutachten173 und bringt dessen Grundgedanken so an ein weiteres Publikum; es hätte Ihnen sicher Freude gemacht, zu sehen, wie diese Rezension hier bei manchen verständigen aber noch etwas führungsbedürftigen Leuten174 eingeschlagen hat. Und ganz vortrefflich, daß Sie nicht zu Meinecke175 geschwiegen haben. Ich habe es bisher getan, weil mir Ihre Höflichkeit versagt ist: ich müßte sagen, daß hier wissenschaftlicher Agnostizismus, ethische Skepsis und liberale Staatsfremdheit einen widerwärtigen ästhetisierenden Ausweg in sentimentale Perversion nehmen, daß hier die Weise ist, auf die Liberalismus und Historismus in Schönheit verfaulen möchten. Also vielen Dank, und seien Sie nicht böse! Und viele Grüße und Wünsche von Haus zu Haus! Der Ihrige R. Smend

170 Carl Schmitt, Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie, in: Hochland 23 (1926), S. 257 – 270. 171 Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 2. Aufl. München und Leipzig 1926; ausführlich dazu Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 153 ff. 172 Carl Schmitt, Rezension von Gerhard Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches vom 11. August 1919, 3. Aufl. Berlin 1926, in: Juristische Wochenschrift 55 (1926), S. 2270 – 2272. 173 Carl Schmitt, Unabhängigkeit der Richter, Gleichheit vor dem Gesetz und Gewährleistung des Privateigentums nach der Weimarer Verfassung, Berlin 1926. Das Auftragsgutachten greift zum Jahresbeginn 1926 in die Streitfrage um die Abfindung oder Enteignung der Vermögen der ehemaligen Fürstenhäuser ein. Die SPD brachte im Januar 1926 zusammen mit der KPD einen Antrag auf Volksbegehren über die Fürstenenteignung ein. Politisch war das Zusammenwirken von SPD und KPD besonders umstritten (vgl. Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Bd. VII, Stuttgart 1984, S. 577 ff.; aus der neueren Literatur: Otmar Jung, Volksgesetzgebung. Die Weimarer Erfahrungen aus dem Fall der Vermögensauseinandersetzung zwischen Freistaaten und ehemaligen Fürsten, Hamburg 1990; Hanns-Jürgen Wiegand, Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte, Berlin 2004, S. 76 ff.). Schmitt entwickelte seine Unterscheidung von Liberalismus und Demokratie am Institut des Volksbegehrens (vgl. Carl Schmitt, Volksbegehren und Volksentscheid. Ein Beitrag zur Auslegung der Weimarer Verfassung und zur Lehre von der unmittelbaren Demokratie, Berlin 1927). 174 Smend könnte hier etwa Gerhard Leibholz (1901 – 1982) meinen, der damals im Juni 1926 (RW 265-8715) den brieflichen Kontakt mit Schmitt aufnahm. 175 Friedrich Meinecke (1862 – 1954), berühmter Historiker, Vertreter des Historismus, seit 1901 Prof., seit 1914 in Berlin; Schmitts negative Rezension von Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, München und Berlin 1924, in: ASwSp 56 (1926), S. 226 – 234.

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Schmitt notiert dazu am 11. November 1926 ins Tagebuch: „Brief von Smend,176 der mir sehr schön schrieb; Gefühl der Bedeutung und fröhlicher Stolz.“ Am 19. März 1927 erscheint in der Juristischen Wochenschrift 56 (1927), 745 ein Artikel von Rudolf Smend: Zur 5. Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer.177 Ein Kreis, der sich die gemeinsame Pflege des öffentlichen Rechts zur Aufgabe gemacht hat, braucht heute weniger als je sein Daseinsrecht zu erweisen. Er bedarf auch keiner ausdrücklichen Glückwünsche zu der reichen Ernte, die auf ihn wartet. Das öffentliche Recht ist im Vordringen, und nicht nur der Rechtsstoff wächst, nach Ausdehnung und Bedeutung, sondern auch seine Theorie. Mit der Staatsumwälzung ist die bisherige Staatsrechtstheorie erst recht zur Geltung gekommen, im Verfassungswerk, in Gesetzgebung und Rechtsanwendung, und in der neuen Ordnung der Dinge fand sie sich vor Aufgaben gestellt, die von ihr neue Leistungen, aber auch neue grundsätzliche Besinnung auf ihr Wissensziel und ihre Methode forderten. Diese Doppelaufgabe neuer stofflicher und neuer methodischer Problemstellungen hat sich auch für die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer im ersten Lustrum ihres Bestehens immer mehr als der Sinn ihrer Arbeiten herausgestellt. Und in beiden Richtungen steht sie mit der Gesamtheit juristischer Praxis und Theorie in näherer Fühlung als jemals. Dort, sofern sich die Gemengelage des öffentlichen Rechts mit den übrigen Teilen der Rechtsordnung ständig steigert und die praktische Arbeit, vor allem auch der Anwaltschaft, immer mehr in Anspruch nimmt. Hier, sofern es immer mehr die großen gemeinsamen Probleme der Rechtsphilosophie, der Rechtstheorie, der Rechtsvergleichung sind, denen die Arbeit des Staatsrechtslehrers in parallelem Vordringen mit der Theorie der übrigen Rechtsdisziplinen gilt. Die großen geschichtlichen Ereignisse, aber auch der davon nur bedingt abhängige innere Strom der Geistesgeschichte haben zu diesem Zustande gesteigerter Anregung und Lebendigkeit in der Theorie des öffentlichen Rechts geführt. Solche Zeiten erhöhten geistigen Lebens sind zugleich Zeiten des Kampfes. An Kampf und Gegensätzen fehlt es auch im Kreise der deutschen Staatsrechtslehrer nicht. Die Auseinandersetzung in diesem Kreise, wie sie mit gesteigerter Wirkung erst sein Zusammenschluß seit 1922 möglich gemacht hat, hat wohl sogar zu schärferer und bewußterer Gruppierung dieser Gegensätze geführt. Solche Zeiten geistigen Kampfes sind die fruchtbarsten: sie entwickeln die neuen Fragestellungen und die neuen Triebkräfte für die Arbeit kommender Jahrzehnte. Und das Leben, das sich in solchen Kämpfen äußert, bannt gefährlichere Spaltungen: der Gegensatz der politischen Richtungen verschwindet in dem Ringen mit der gemeinsamen Aufgabe, in dem sich die Gruppen bilden ohne jede Rücksicht auf politischen Standpunkt, rein nach geistiger Zusammengehörigkeit und zu geistiger Arbeitsteilung. Wenn die Vereinigung auch nur die Hochschullehrer zusammenschließt, so weiß sie sich doch über ihre Satzungsschranken hinaus in engerer geistiger Gemeinschaft mit den übrigen Gruppen der Juristenschaft, als sie jemals bestanden hat. Nicht zuletzt mit der Anwaltschaft! 176 177

Fehlt. [vom 24. – 25. März 1927 in München].

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Sie steht mehr denn je in lebendigstem Austausch dauernder Anregung und Förderung mit der Praxis und der literarischen Arbeit der Praktiker. Sie hat mit Freuden in die Hand eingeschlagen, die ihr der Anwaltverein und die Leitung dieser Zeitschrift boten, als sie die Arbeit der Anwaltschaft und insbes. der Juristischen Wochenschrift dem öffentlichen Recht in gleicher Weise zur Verfügung stellten, wie bisher dem bürgerlichen und dem Strafrecht. Aus der Anwaltschaft ist kürzlich erneut die Losung gekommen: ,Öffentliches Recht voraus!‘ Die deutschen Staatsrechtslehrer werden die Losung aufnehmen, ermutigt und getragen von der verständnisvollen Mitarbeit des ganzen Juristenstandes, wie sie in solchem Sinne und Maße ihren Vorgängern versagt war. Bevor Schmitt am 20. Mai 1927 abends in der Berliner Hochschule für Politik seinen Vortrag zum „Begriff des Politischen“ hält, besucht er Smend nachmittags und erzählt ihm von seinem „Aufsatz über das Politische“. Am nächsten Tag hört er Smend in der Vorlesung und besucht dann mit ihm zusammen die Gemäldegalerie. Bald darauf schreibt er an Smend:

33. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 29 / 30 – Briefkopf Godesberg-Friesdorf] 1 / 6 27 Sehr verehrter und lieber Herr Smend, bei meinem Besuch in Berlin habe ich, aus Unkenntnis der Situation, etwas versäumt: Sie um Ihre Meinung wegen eines etwaigen Nachfolgers von E. Kaufmann178 zu bitten. Jetzt, d. h. seit einer Woche, wird in der Fakultät lebhaft darüber gesprochen, und wie ich auf dem Umweg über Schulz179 erfahre, gilt Holstein als Ihr Kandidat, den Sie in einem Brief an Göppert empfohlen haben. Bisher hat G. mir nichts davon gesagt. Möglicherweise hält er es für „taktisch“, mir nichts davon mitzuteilen. Ich verstehe nichts von dieser Art Politik und habe nur einen Wunsch, nämlich von Ihnen Ihre Meinung zu erfahren, die für mich viel zu bedeutungsvoll ist, als daß ich sie auf Umwegen kennen lernen möchte. Bisher habe ich nicht den Eindruck gehabt, als käme Holstein im Ernst in Betracht. Daß Kaufmann sich für ihn einsetzt, beweist nichts für und nichts gegen ihn; denn die persönlichen Motive sind eben zu handgreiflich, und die Routine K’s, irgend einen Subjektivismus mit einem Aufgebot von Argumenten, Behauptungen, Verneinungen, Wertungen, Deu178 Erich Kaufmann war erneut nach Berlin beurlaubt und wurde dort zum Wintersemester 1927 / 28 Honorarprofessor. Im Bonner Vorlesungsverzeichnis blieb er weiter als beurlaubter Bonner Ordinarius geführt. Im Verlauf des Jahres 1927 veränderte sich durch Schmitts Wechsel nach Berlin sowie durch den Tod Ernst Landsbergs ständig die berufungspolitische Gesamtlage. Für Kaufmann kam statt Holstein Schmitts Wunschkandidat Johannes Heckel. 179 Fritz Schulz (1879 – 1957), seit 1910 Ordinarius für Röm. Recht (Innsbruck, Kiel, Göttingen), seit 1923 in Bonn und seit 1931 in Berlin. 1933 wurde Schulz zwangsemeritiert. Er emigrierte 1939 nach Holland und England.

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tungen etc. zu umkleiden, allzu bekannt, als daß damit die Frage entschieden sein könnte. Darf ich Sie deshalb bitten, mir zu sagen, was in der Sache so stark für Holstein spricht? Ich habe alles, was er publiziert hat, wenigstens soweit es zugänglich ist, wieder durchgesehen. Was er heute bedeutet, verdankt er Ihnen und Kaufmann. Über das Programm einer „geisteswissenschaftlichen Wendung“180 ist er noch nicht hinausgekommen. Über evangelisches Kirchenrecht hat er noch nichts181 veröffentlicht; der Aufsatz über Elternrecht182 ist doch keine kirchenrechtliche Arbeit. Seine eigentliche Begabung, das Rednerische, steckt noch ganz im Schleiermacherisch=Theo=Philosophischen und wirkt auf Juristen nur sehr wenig – wo ist denn eigentlich etwas Eigenes wissenschaftlich realisiert? Daß er eine Hoffnung ist, daß er mehr ist als die langweiligen unter den verehrten Herrn Kollegen, alles das mag sein. Dies in Eile, nicht als erschöpfende Begründung, sondern nur zur Andeutung meines Eindrucks von H. Was er als Protestant bedeutet, will und darf ich nicht beurteilen. Ich darf aber vielleicht sagen, daß er nach meinen eigenen Wahrnehmungen183 auf rheinische Protestanten nicht so wirkt, wie auf die Pommern. Daß ich ihm persönlich nichts Böses will, versteht sich von selbst. Ich habe ihn nach Greifswald empfohlen, als meinen Nachfolger, habe ihn dringend für die „Staatsphilosophie“ bei dem philosophischen Handbuch des Verlages Oldenbourg184 empfohlen und bemühe mich, auch seine Schleiermacher-Verehrung zu verstehen. Aber immer wieder: ist er denn heute mehr als ein „Standpunkt“? Und wollen Sie auf dieser Basis für womöglich 2 Generationen über einen so wichtigen Lehrstuhl [gestrichen: wie] Bonn entscheiden? Ich kann nur mit Ihnen so offen sprechen, denn fast alle Staatsrechtler sind natürlich persönlich an dieser Berufung interessiert. Sie dürfen mich nicht mißverstehen, wenn ich, ohne alle Bedenken, Sie unmittelbar frage und bitte, mir doch zu sagen, was in Ihren Augen Holstein so ungewöhnlich qualifiziert. Meine Verehrung für Sie und mein menschliches Vertrauen ist so groß und ernst, daß ich wohl ein Recht habe, Mißverständnisse nicht zu befürchten. Nochmals vielen Dank für die freundliche Aufnahme in Berlin und die besten Grüße von Haus zu Haus. Daß Sie uns mit Ihrer Frau im Herbst besuchen wollen, 180 Programmatisch Günther Holstein, Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, in: AöR 50 (1926), S. 1 – 40; vgl. auch ders., Reichsverfassung und Staatsrechtslehre, Greifswald 1929. 181 Bald aber: Günther Holstein, Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928. 182 Günther Holstein, Elternrecht, Reichsverfassung und Schulverwaltungssystem, in: AöR 51 (1927), S. 187 – 254. 183 Holstein lehrte als PD noch bis 1924 in Bonn. 184 Günther Holstein, Geschichte der Staatsphilosophie, in: Günther Holstein / Karl Larenz, Staatsphilosophie (Handbuch der Philosophie), München und Berlin 1933, S. 3 – 88; eine Vorbemerkung vermerkt, dass Erich Kaufmann die „Korrekturdurchsicht“ übernahm.

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ist schon jetzt eine Ursache freudiger Erwartung für uns und jeder besonders schöne Tag dieses Sommers erinnert nur an Ihr Versprechen. Immer Ihr herzlich ergebener Carl Schmitt. Am 21. Juni 1927 notiert Schmitt ins Tagebuch: „Nachmittags schöner Brief von Smend über Holstein,185 der mich sehr freute und versöhnte.“ Schmitt schrieb daraufhin offenbar erneut an Smend186 und schickte seinen Machiavelli-Artikel.

34. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15217 / 18] Diktat.

Nikolassee, 26. 6. 27.

Verehrter lieber Herr Schmitt! Für den famosen Macchiavelli-Aufsatz187 vielen Dank! Inzwischen ist mein Gepäck und damit Ihr Brief wieder in meine Hände gekommen. Ich kann aber daraufhin auch nicht mehr sagen, als das vorige Mal. Sie habe ich nicht zu beraten, was Sie für Bonn tun sollen – etwas Anderes war es mit Göppert, der meinen Rat haben wollte, während Sie nur freundschaftlich mein allgemeines Urteil über Holstein wissen wollen. Nicht ganz einverstanden bin ich mit Ihrer radikalen Ablehnung aller Kaufmann’scher Meinungen. Ich verstehe Ihre Empfindlichkeit gegen sie, ihren häufigen Muffel und die Art, wie sie den Zeitgenossen an den Kopf geworfen werden – ich glaube nicht, daß noch jemand so viel unter E. Kaufmann zu leiden gehabt hat wie ich. Aber zu dem Bemerkenswerten an K. gehört doch vor allem sein erstaunliches Wissen um Dinge, an denen er Anteil zu haben glaubt oder haben möchte, obwohl sie ihm versagt sind – daher das beinah Tragische, das doch einmal an seiner Persönlichkeit hängt, und die merkwürdige Armut einer so bedeutenden kritischen Arbeitsleistung an sachlichen Ergebnissen. Sein Urteil über Holstein rechne ich zu den Zeugnissen für seine Einsicht in das Wesentliche – so sehr ich Ihnen alle von Ihnen angedeuteten Fehlerquellen bei ihm zugebe. Mühsam und keuchhustend sammele ich hier die Trümmer meines Sommersemesters zusammen. Wie schön muß es inzwischen bei Ihnen sein! Mit den allerbesten Grüßen von Haus zu Haus der Ihrige R. Smend Fehlt. Fehlt. 187 Carl Schmitt, Macchiavelli. Zum 22. Juni 1927, in: Kölnische Volkszeitung Nr. 68 vom 21. Juni 1927. 185 186

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35. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 31] Godesberg-Friesdorf 15. 7. 1927. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Vielen herzlichen Dank für Ihre Äußerung über Günther Holstein. Vorläufig scheint die Angelegenheit wieder in einige Ferne gerückt. Ich schreibe Ihnen in Eile nur eine Empfangsbestätigung, und hoffe, daß wir uns im September bei Ihrem Besuch188 in Ruhe unterhalten können. Ich komme über vieles bei H. wissenschaftlich einfach nicht hinweg; am schlimmsten ist das „Vielversprechende“. Mein Gefühl für Staat und Politik ist zu intensiv, als daß mir die Antworten „Schleiermacher“, „Organismus“ etc. (heute!!) nicht als ein hilfloser Anachronismus, ein Symptom tiefster Unproduktivität erscheinen müßten, die sich mit großer Vitalität und Rhetorik sehr gut vereinigen läßt. Das Allerschlimmste bleibt die Äußerung in Münster, S. 55 Bd. 3. der Veröffentlichungen der Staatsrechtslehrer.189 Man kann über die dort kombinierten Dinge – Metaphysik, Naturrecht, Historismus, Soziologie, exakte Begriffe, Troeltsch und Seeberg190 etc. – denken wie man mag, aber die Kombination ist doch hanebüchen. Ich bitte Sie, nur einige Zeilen Satz für Satz zu lesen. Aber das läßt sich alles im Gespräch schneller klären und beinahe glaube ich, jetzt einen moralischen Anspruch auf Ihren Besuch zu haben. Hoffentlich erholen Sie sich gut. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie glücklich wir wären, Sie mit Ihrer Frau bei uns zu sehen. Wir können uns auch so einrichten, daß Sie alle Rücksichten, die Ihr gesundheitliches Befinden verlangt, ohne weiteres und ohne jemand zu stören beobachten können. *) *) Dieser Satz auf besonderen Wunsch meiner Frau eigens hinzugefügt, mit herzlichen Grüßen und Wünschen!!191 Ich schreibe in der Arbeit der letzten Semesterwochen, betäubt von der oft viehischen Unbildung, die in Examensarbeiten zu Tage tritt. Seien Sie also bitte nachsichtig gegen diese eilige Antwort. Immer und in allem Ihr Carl Schmitt

Dieser wohl geplante Besuch erfolgte offenbar (s. anschließender Brief) nicht. Günther Holstein, Aussprache zum Zweiten Beratungsgegenstand über die „Gleichheit vor dem Gesetz“ (Berichte von Erich Kaufmann und Hans Nawiasky), in: Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Heft 3, Berlin und Leipzig 1927, S. 55 – 57. 190 Erich Seeberg (1888 – 1945), seit 1919 Prof. für Kirchengeschichte, seit 1927 in Berlin. 191 *) Satz am Seitenrand. 188 189

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36. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 32] Godesberg-Friesdorf 17. Oktober 1927 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, es tut uns immer noch leid, daß Sie uns nicht besucht haben, und wenn ich in den letzten Wochen fast täglich mir die Frage stellen mußte, was Sie zu den vielen an mich herantretenden Angelegenheiten sagen würden – nicht nur als heuristische Methode frage ich mich das oft, sondern aus vielen von meiner Seite aus ganz existentiellen Verbundenheiten – und mir sagen mußte, daß Sie ja beinahe hier gewesen wären und hätten antworten können, so empfand ich doch eine große Enttäuschung, wie sie ein Thomist empfinden müßte, wenn ihm die Lesung des heiligen Thomas entgangen wäre. Inzwischen habe ich mich entschlossen, nach Berlin zu gehen. Vorgestern hat die Fakultätssitzung192 wegen der Nachfolge Kaufmann stattgefunden. Ich konnte meinen Entschluß noch nicht mitteilen, weil ich erst gestern nachmittag die entscheidende Antwort von Berlin bekam, doch hat man schon die Eventualität einer Besetzung beider Lehrstühle erörtert. In Wahrheit war die Erörterung nur eine Diskussion über Holstein.193 Kaufmann regte an, daß ich 192 Am 26. Oktober 1927 schreibt Fritz Schulz als Dekan an den Universitätskurator Norrenberg betreffend einer Doppelbesetzung der Nachfolge für Kaufmann und Schmitt. Er macht einen Doppelvorschlag mit sechs Namen: An erster Stelle stehen Karl Rothenbücher und Richard Thoma. Bilfinger, Holstein und Koellreutter stehen dann an zweiter Stelle und Walter Jellinek ist an dritter Stelle. Holstein steht also nicht an Eins. Kaufmann nimmt zu dem Vorschlag ausführlich Stellung und schickt Schmitt sein Schreiben mit Brief vom 27. Oktober 1927. Schmitt gibt dem Dekan Schulz daraufhin am 6. November 1927 die „Erklärung, daß ich mit beiliegendem Entwurf – von der Herrn Kollegen Holstein betreffenden Stelle abgesehen – in allem einverstanden bin.“ (Akten der Juristischen Fakultät zu Bonn, Bd. 42). Taktisch will Schmitt Holstein also wenigstens auf den dritten Listenplatz herunterstufen. Nach Landsbergs Tod werden dann vom Ministerium zunächst Rothenbücher, Heckel und Friedrich Hubert Heyer berufen. Die Fakultät erklärt sich zwar zunächst gegen Heckel und das Kirchenrecht, das Heyer mit übernehmen soll. Rothenbücher sagt dann aber am 5. März 1928 ab und Richard Thoma (1874 – 1957) wird (als Schmitts Nachfolger) berufen, wie von der Fakultät gewünscht. Johannes Heckel war als Nachfolger Kaufmanns von der Fakultät weniger gewollt. Einerseits schien sein kirchenrechtlicher Schwerpunkt nicht so erforderlich, andererseits war die Fakultät besorgt, dass Heckels kirchenpolitisches Engagement ihn zu stark in Anspruch nahm. 1931 erhielt Heckel die theologische Ehrendoktorwürde der Universität Berlin. Im Sommersemester 1933 wurde er aus kirchenpolitischen Gründen beurlaubt. Im Januar 1934 wurde er zunächst nach Heidelberg berufen und für das Sommersemester 1934 erneut beurlaubt. Heckel wechselte dann nach München. Schmitt wollte ihn nach Berlin holen (Gutachten im Anhang). Ein deutlicher Missklang auch über Heckels politisches Engagement ist in der Bonner Fakultät erkennbar. Zur Lage insgesamt die personenzentrierten Darstellungen zu Dohna, Dölle, Göppert, Heckel, Heyer, Thoma u. a. im Sammelband: Die Juristen der Universität Bonn im ,Dritten Reich‘, hrsg. Mathias Schmoeckel, Köln 2004. 193 Thoma stand demnach nicht ernstlich zur Debatte. Strittig war nur, ob Holstein oder Heckel die Nachfolge Kaufmanns erhielten. Der Listenvorschlag löst das Problem zunächst entkonfessionalisierend und dilatorisch, indem Rothenbücher neben Thoma an die erste Stelle gesetzt wird.

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Ihren Brief über Holstein194 der Fakultät vorlege. Ich tue das – natürlich nur für die Holst. und Heckel betr. Professur und nur in Abschrift – gern, möchte Sie aber vorher um Ihre Erlaubnis bitten. Daß ich nicht eine Stunde mit Ihnen sprechen konnte, hat mich sehr bedrückt. Vorläufig ist noch nichts beschlossen, natürlich. Ich fürchte, die Kandidatur Holstein hat den Effekt gehabt, daß das ganze öffentliche Recht der Bonner Juristischen Fakultät jetzt einfach konfessionalisiert wird, auf der Grundlage des gültigsten (anti-integrationistischen) Satzes unseres Verfassungslebens: der Parität.195 Diese kurze Mitteilung nur als Zeichen meines Wunsches, mit Ihnen zu sprechen. Wie geht es Ihnen gesundheitlich, wie weit ist Ihr Buch?196 Ich hätte auch wegen dieses Buches gern mit Ihnen gesprochen. Denn ich möchte eine systematische Darstellung der Verfassungslehre publizieren, wenn sie fertig wird; momentan bin ich sehr pessimistisch und ganz erschrocken vor einer solchen Aufgabe, dem Liberalismus die Totenmaske abzunehmen.197 Dann entwerfe ich in Gedanken eine lange Denkschrift an Sie, über meine Gründe, a) von Bonn weg b) an die Handelshochschule nach Berlin zu gehen, über die 30 – 40 Punkte dieser Frage. Aber auch das hoffe ich Ihnen einmal mündlich vortragen zu dürfen. Viele herzliche Grüße, lieber Herr Smend, und Ihrer Frau meine besten Empfehlungen. Ich bleibe, in treuer Verehrung immer Ihr Carl Schmitt. 37. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 33] 20 / 10 27. Sehr verehrter, lieber Herr Smend, vielen herzlichen Dank für Ihren Brief,198 dessen Freundlichkeit mich sehr gerührt hat. Ich schicke Ihnen in Eile die beiden Evtl. der Brief vom Juni 1927. Neben dem (formalen) Katholiken Thoma ein Protestant. 196 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München und Leipzig 1928. Der gemeinsame Verleger Ludwig Feuchtwanger teilte Schmitt am 14. 6. 1927 erstmals Smends Arbeit am Buch als „Vorarbeit für ein ausgebautes Lehrbuch des Staatsrechts“ mit und hielt ihn in den nächsten Monaten über die Arbeit auf Stand. Am 26. 10. 1927 teilte er Schmitt bspw. den Eingang des Manuskripts mit, um ihn zum schnellen Abschluss der „Verfassungslehre“ zu drängen. Schmitt lag insbesondere an einem zeitnahen Erscheinen seines Buches. So schreibt er am 22. 1. 1928 an Feuchtwanger: „Je mehr es der Publikation nahe geht, um so nervöser werde ich natürlich, denn der Vergleich mit der Arbeit von Smend liegt zu nahe und ich habe gar keine Vorstellung von dem, was S. sagen wird.“ (Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918 – 1935, Berlin 2007, S. 245). 197 Zum damaligen Zeitpunkt war Schmitts Arbeit an der „Verfassungslehre“ bereits weit fortgeschritten. 198 Fehlt. 194 195

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Briefe über Holstein. Vielleicht schreiben Sie mir ad hoc einen Brief, den ich der Fakultät vorlege. Das Plädoyer von Kaufmann war schlecht und hat H. mehr geschadet als genützt; es wäre kein faires Spiel, wenn Ihr Urteil nicht voll zur Geltung käme. Ich freue mich außerordentlich, Sie in Berlin zu sehen. Im übrigen gehe ich ohne Erwartungen und ohne Illusionen. Meine „Verfassungslehre“ wird nur ein Rahmen, kein Buch. Meinen Aufsatz über das Politische199 halte ich für meine beste Arbeit. Dies nur um Ihnen zu antworten und damit dieser Brief Sie noch in Berlin erreicht. Alles Gute für Ihre Gesundheit und die besten Empfehlungen an Ihre verehrte Gattin. Immer Ihr Carl Schmitt.

38. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 34] Godesberg 28 / 12 27. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Ihre Wünsche200 erwidern wir herzlich; ich kann es nicht lassen, mir einen Besuch von Ihnen und Ihrer Frau in Friesdorf zu wünschen; möge mir das kommende Jahr das wenigstens noch bringen, bevor ich dieses schöne Land verlasse. Es tut mir weh, wenn ich sehe wie Sie sich macerieren.201 Warum machen Sie Ihre Freunde und Verehrer traurig? Wir kennen Sie doch und wissen, warum wir Sie bewundern und lieben. Die Depressionen bei der Lektüre von Korrekturbogen sind übrigens die normalste Sache von der Welt und ein Zeichen ungebrochenen Vollkommenheits-Triebes. Letzteren halte ich für den Feind von guten Menschen und guten Büchern. Nur diese Erkenntnis ermöglicht mir die Lektüre meiner Korrekturbogen, sonst wäre ich längst verzweifelt. Ich hatte die letzte Woche einen merkwürdigen Besuch: Jacques Maritain,202 der Thomist der katholischen Universität in Paris war einige Tage bei uns; ein heiligmäßiger Mann. Wir sprachen über den Unterschied von potestas und auctoritas. Er

Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, in: ASwSp 53 (1927), S. 1 – 33. Ein Weihnachtsbrief Smends fehlt. 201 Lat. macerare: einweichen; eine feste Substanz längere Zeit der Einwirkung einer Säure o. Ä. aussetzen. 202 Jacques Maritain (1882 – 1973), Neuthomist. 199 200

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hat in einem neulich erschienenen Brief La primauté du Spirituel203 die übliche Lehre von der potestas directa und potestas indirecta wiederholt, während meine These dahin geht, daß der Papst nur auctoritas, keine potestas habe, übrigens auch kein Papst vor dem 11. Jahrhundert potestas beansprucht hat.204 Ich bin jetzt in einiger Spannung, ob die These sich durchsetzt und möchte zu gern mit Ihnen darüber sprechen. Im Januar schicke ich Ihnen den Sonderdruck eines Aufsatzes „Der Völkerbund und Europa“, das ist ein Vortrag, den ich vor der Geffrub205 gehalten habe, also eine Art Schwanengesang.206 Sie werden sehen, welcher Simplizität ich fähig bin. Aber es nützt alles nichts. Das wird dann einfach als „westeuropäischer Klassizismus“ abgetan. Übrigens war die Wirkung auf die Industriellen sehr groß und äußerte sich gelegentlich sehr amüsant. Des unlösbaren Problems jedoch: wie spricht man, damit ein Ordinarius es aufmerksam liest? werde ich mir täglich von neuem bewußt. Schreibe immer so etc. Ich plaudere als wäre ich in Ihrem Zimmer und mißbrauchte Ihre Geduld. Vielleicht macht mich die Erwartung des neuen Jahres mit den vielen zu erwartenden neuen Dinge nervös und gesprächig. Jedenfalls dürfen Sie mir deshalb nicht böse sein. Ich wollte mit Ihnen sprechen, weil Ihr letzter Brief mich traurig gemacht hat und sogar etwas besorgt, nicht weil ein Grund zur Besorgnis wäre, sondern weil ich den Gedanken, daß Sie traurig sind, nicht ertrage. Viele herzliche Grüße und Wünsche Ihnen und Ihrer Gattin von Frau Schmitt und Ihrem in treuer Verehrung ergebenen Carl Schmitt.

203 Jacques Maritain, Sur la primauté du spirituel, in: Chronique Sociale de France 35 (1927), S. 761 – 763; vgl. ders., Primauté du spirituel, in: Oevres Complètes, Vol. III., Fribourg 1984, S. 783 – 988. 204 Zur „Papstrevolution“ vgl. Eugen Rosenstock, Die europäischen Revolutionen. Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena 1931, S. 121 ff. 205 Carl Schmitt, Der Völkerbund und Europa, in: Zehnte Hauptversammlung der Gesellschaft von Freunden und Förderern der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn [Geffrub], Bonn 1927, S. 39 – 48; auch in: Hochland 25 (1928), S. 345 – 354. 206 Eine Art Bonner Abschiedsvorlesung.

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39. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15218] Nikolassee, 27. 1. 28 Verehrter lieber Herr Schmitt! Quoad207 unsere beiderseitigen Möglichkeiten: 1) ich bin den Freitag ganz in der Stadt, allenfalls zu gemeinsamem Frühstück zu greifen. Samstag und Sonntag habe ich nichts bestimmtes vor. 2) Sie könnten, wenn Sie Ihre gewohnte soziale Höhe vorübergehend drangeben würden, in unserem Fremdenzimmerchen kampieren. Es ist zwar gerade als Reservearbeitszimmer für mich eingerichtet, für die Zeit, in der ich vor fremder Musik aus meinem gewöhnlichen fliehen muß. Aber zur Not existieren kann man noch darin – ein Zentral=Hotel freilich ist es nicht! Es wäre sehr nett – am Freitag freilich würde auch meine Frau nur Nachmittags hier sein. Also überlegen und befehlen Sie! „Völkerbund und Europa“ ist wieder ganz famos! Vielen Dank! Und der Index Ihres neuen Buchs,208 den Duncker und Humblot mir schickt, läßt wieder Glanz der Sache, der Diktion, der Disposition wie immer ahnen. Im Erfolge dessen bin ich angesichts meines eigenen übereilten, übermüdeten, überalterten Schusterstükkes molto depressivo. Eine Magen- und Darmgrippe thut dazu das Ihrige. Die Tage werden länger und schöner. Möchten sie Ihnen und Ihrer Gattin schöne Abschiedswochen einleiten! Viele Grüße und Empfehlungen von Haus zu Haus! Der Ihrige R. Smend

Vom 3. bis 6. Februar 1928 ist Schmitt in Berlin. Am 4. Februar (Samstag) fährt er nachmittags zu Smend und übernachtet dort: „Eine wahre Erholung, bei diesen anständigen Leuten zu sein. Er zeigte mir sein Buch über Verfassung, das er gerade bekommen hatte. Wir sprachen sehr nett zusammen, tranken eine Flasche Bordeaux, um 1/2 12 zu Bett. Glücklich, aus dem Hotel heraus zu sein. Las das Buch von Smend, mit großer Freude, wurde glücklich, von ihm respektiert zu werden.“ (TB 4. 2. 1928) Am nächsten Tag notiert er dann: „Schön ausgeschlafen bis 9 Uhr, dann mit Smend und seiner Frau gefrühstückt, sehr nett geplaudert, bis 1 / 2 12.“ Damals widmet Smend ihm ein Exemplar von „Verfassung und Verfassungsrecht“:209

Lat.: anlangend (betreffend). Der Index von Schmitts „Verfassungslehre“ ist auch in Smends einige Wochen früher erschienenem Hauptwerk „Verfassung und Verfassungsrecht“ (München und Leipzig 1928) als Verlagswerbung abgedruckt. 207 208

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Carolo Schmitt hospiti et lectori benevolentissimo 5. 2. 28 R.Sm210 Schmitt veranlasst im März 1928 die Sendung seiner „Verfassungslehre“ direkt durch den Verlag, weshalb Smends – im Familienbesitz erhaltenes – Handexemplar keine Widmung trägt. Die Dedikationsliste der Exemplare an die Kollegen wird aber von Smend angeführt.211

209 Schmitts Handexemplar (RW 265-27587) ist intensiv durchgearbeitet. Es lassen sich drei Lektüren an der Form der Anstreichungen und Schriftart recht deutlich unterscheiden: eine älteste stenographische Bleistiftlektüre, vermutlich aus dem Jahre 1928, eine alte Rotstiftlektüre (vermutlich ebenfalls vor 1933), die sich auf Unterstreichungen beschränkt, sowie eine weit spätere Füllerlektüre (blau), evtl. aus den späten 50er Jahren, mit zahlreichen Randbemerkungen. Eine Fußnote Smends, dass er Schmitts Begriffsbestimmung des Politischen „nicht für glücklich halte“ (Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, S. 112 Fn. 2) kommentiert Schmitt am Rand: „Das kann ich mir wohl denken, lieber Herr Smend!“ Schmitt hat Smends Hauptwerk zusammenbinden lassen mit Aufsätzen und Rezensionen zum Hauptwerk. Im Einzelnen sind das (in dieser Reihenfolge): Verfassung und Verfassungsrecht; Ernst Wilhelm Eschmann, Moderne Soziologen III. Rudolf Smend, in: Die Tat 23 (1931), S. 139 – 152; Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat; Edgar Tatarin-Tarnheyden, Integrationslehre und Staatsrecht, SD aus: ZgStW 85 (1928), S. 1 – 20; Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, SD ohne Widmung; Smend, Protestantismus und Demokratie, SD mit Widmung vom 25. 2. 1932; Rezension Günther Holstein, Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: DLZeitung 49 (1928), S. 1367 – 1376; Rezension Otto Hintze von Smend 1928, in: HZ 139 (1929), S. 557 – 562. Auf die letzte Seite des Bandes notiert Schmitt später zwei wichtige Begegnungen: „mit R. Smend am Grabe Kleists von Nikolassee aus: Samstag 5. April 1924 / in Dornburg (von Jena, Staatsrechtslehrertagung) aus: Mittwoch 16 / 4 / 1924“. 210 Für Carl Schmitt, dem Gastfreundlichen und äußerst gewogenen Leser; das Titelblatt des Handexemplars (Abb. 18) enthält neben der Widmung noch zahlreiche teils stenographische Notizen Schmitts. So notiert er Seitenangaben zum Stichwort „Weimar“, „Wien“, „C. S. (antik!)“, „Begriffsrealismus“, „Hobbes“, „Bakunin“, „Max Weber“, „Hauriou“, „Faschismus“, „Bürgerschaft“ u. a. Unter den Seitenangaben zu „Weimar“ (24, 125, 126 / 27) steht: „Es ist schlechter als Bismarcks Verfassung, darüber ist man sich einig, soweit man nicht aus Wien ist“. 211 Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918 – 1935, Berlin 2007, S. 263; es folgen Heinrich Triepel, Victor Bruns und andere Größen des Faches, erst danach die Bonner Kollegen und Freunde. Smends längste öffentliche Auseinandersetzung mit Schmitts „Verfassungslehre“ findet sich später in der Rede „Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht“ vom 18. Januar 1933. Dort heißt es, Schmitts Begriff vom „bürgerlichen Rechtsstaat“ sei „ein polemischer Begriff, bestimmt, als Folie zu dienen für eine gegensätzliche, politischere Begriffswelt, sei es der Demokratie, sei es autoritärer und diktatorischer Staatsgestaltung, sei es endlich des vielberufenen ,totalen‘ Staats.“ (in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 314 f.).

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40. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15219] Nikolassee 1. März 1928 Verehrter lieber Herr Schmitt! Im Begriff, aus tiefster Semestermüdigkeit für eine Woche in den Harz zu flüchten, bringen wir es nur zu einem flüchtigen Dank für Ihre reichen Gaben. Der Binding212 ist wirklich ein gutes Bild seiner Generation, die nicht mehr das Selbstgefühl unserer Väter hatte und noch nicht halbwegs unbefangen über das fin de siècle urteilen konnte, weil sie zu sehr darunter litt. Wenn sie sich selbst weniger wichtig genommen hätte, wäre ihr mehr gelungen: es ist eine tragische Periode, die da höchst eindrücklich repräsentiert wird, und für diese Eindrücklichkeit sind wir Ihnen sehr dankbar. Die Relazioni e Proposte213 habe ich nur eben anblättern können. Das ist in der Tat eine Bereicherung der Fachbibliothek, die ich schon hätte haben sollen und die von Ihnen zu besitzen mir nun eine besondere Freude ist. Sie werden nun beginnen, sich aufzulösen.214 Alles Gute für Ende dort und Anfang hier, und nochmals vielen Dank, viele Grüße und Empfehlungen von Haus zu Haus! Der Ihrige R.Smend

41. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 40] 26. 4. 28. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Seit langem bin ich ohne Nachricht von Ihnen. Sind Sie von Wien215 zurück und war die Tagung interessant? Ich bin Anfang 212 Rudolf G. Binding, Erlebtes Leben, Frankfurt 1927; der Schriftsteller Binding (1867 – 1938) war Sohn des bedeutenden Leipziger Straf- und Staatsrechtslehrers Karl Binding (1841 – 1920). 213 Ital. Berichte und Vorschläge, genauer Titel nicht ermittelt. 214 Gemeint ist der zunächst beabsichtigte Umzug nach Berlin. Schmitt zog dann aber erst im Herbst zum WS 1928 / 29 nach Berlin (Klopstockstraße 48). Im Sommersemester 1928 wohnte er vorübergehend in der Villa Muthesius (Potsdamer Chaussee 48) in unmittelbarer Nähe zu Smend (Teutonenstraße) und war deshalb auch das erste Berliner Semester hindurch häufiger mit Smend zusammen. 215 6. Staatsrechtslehrertagung vom 23. – 24. April 1928 in Wien zum Thema: Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit; Überprüfung von Verwaltungsakten durch die ordentlichen Gerichte; dazu vgl. Walter Jellinek, Hans Kelsen und Rudolf Smend. Zum 70. Geburts-

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nächster Woche in Berlin, am 1. Mai fange ich an zu lesen. Heute schicke ich Ihnen einen Aufsatz von Hermann Hefele216 über den Begriff des Politischen; vielleicht bringt er Ihnen meinen Gedankengang besser nahe als meine eigene, unzulängliche Darlegung. Sie wissen, wie sehr mir gerade an diesem Aufsatz liegt. (Der Aufsatz in demselben Heft des Abendland, der meinen Namen trägt,217 ist nur ein mit-stenographierter Vortrag; im nächsten Heft218 wird das ausdrücklich vermerkt). Auf Wiedersehen, lieber Herr Smend, ich bleibe mit herzlichen Grüßen und mit den besten Empfehlungen an Ihre verehrte Gattin, immer Ihr Carl Schmitt.

42. Rudolf Smend an Carl Schmitt [Karte RW 265-15220] Nikolassee 30. 4. 28 Verehrter lieber Herr Schmitt! Also endgültig herzlich willkommen in Berlin! Aber Sie hüllen sich so in den Schleier des Geheimnisses, daß ich seit Wochen ohne Ihre Adresse war (ich hätte mich sonst einmal gerührt, vermutete Sie aber in Paris),219 auch jetzt nicht weiß, ob Sie allein oder zu zweien hier sind, wo Sie wohnen (dies haben Sie auch dem Sekretariat der Hochschule verschwiegen) – sodaß Sie uns einstweilen jede andere Art der Begrüßung als diese abgeschnitten haben! Möchten Sie heute unter guten Vorzeichen eingezogen sein! Ich bin leider durch einen verschleppten Magenkatarrh um meine Ferien gekommen. Ihre Verfassungslehre220 habe ich inzwischen in einigen Stücken schon akzeptieren müssen, und via Hefele finde ich nun wahrscheinlich auch den Weg zum tag der beiden Gelehrten, in: Juristenzeitung 7 (1952), S. 20 – 23, bes. 21: „Aber auch auf der Wiener Staatsrechtslehrertagung, im Jahre 1928, trafen sich [ . . . ] die beiden Gestirne nur, um sich desto heftiger abzustoßen.“ 216 Hermann Hefele (1865 – 1936), Zum Problem des Politischen, in: Abendland 3 (1928), S. 203 – 205. 217 Carl Schmitt, Der bürgerliche Rechtsstaat, in: Abendland 3 (1928), S. 201 – 203. 218 Im Heft 8 vom Mai 1928 (Abendland 3, 1928, S. 255) steht als Mitteilung der Schriftleitung: „Bei dem im Aprilheft erschienenen Beitrag von Prof. Dr. Carl Schmitt ,Der bürgerliche Rechtsstaat‘ handelt es sich, wie anzumerken versäumt wurde, um eine stark gekürzte Nachschrift nach einem im Januar d. J. in kleinem Kreise gehaltenen Vortrag. Die Redaktion.“ Die Mitschrift besorgte Schmitts Schüler Werner Becker. 219 Schmitt war ab Mitte März 1928 über eine Woche in Paris u. a. für Sieyès-Studien in der Bibliothèque nationale. 220 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München und Leipzig 1928.

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„Politischen“. Für dies Alles, Ihre gestrige Karte221 und die aus Paris222 wenigstens vorläufig vielen Dank und die besten Grüße und Empfehlungen von Haus zu Haus! Der Ihrige R.Smend Dank Verreistsein und Wien bin ich noch nicht durch Ihr Buch hindurch, und so vertage ich noch einmal meine Glückwünsche zu dieser großen und glänzenden Leistung!223

43. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 34 – Briefpapier Continental Hotel Berlin, Bahnhof Friedrichstraße] 30. April [1928] Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Seit gestern bin ich in Berlin und wohne vorläufig in diesem Hotel. Sind Sie zufrieden von Wien zurückgekehrt? Und nimmt Sie der Semesterbeginn nicht zu sehr in Anspruch? Zufällig traf ich Herrn Robson,224 einen jungen Amerikaner, der in Bonn studiert und den Sie dorther kennen. Ich weiß seine Berliner Adresse nicht und möchte ihn vor seiner Abreise gern noch einmal sehen. Da er mir sagte, daß er Sie Mittwoch sieht, wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihm meine Berliner Wohnung mitteilten und ihm sagten, daß ich mich freuen würde, wenn er mich Mittwoch nachmittag um 5 oder abends anruft und mir Nachricht gibt, ob wir uns noch treffen können. Läßt es sich einrichten, daß ich Sie sehe, ohne Ihnen zur Last zu fallen oder Sie zu ermüden? Ich wäre sehr glücklich darüber. Meine besten Empfehlungen an Ihre verehrte Gattin und herzliche Grüße Ihres sehr ergebenen Carl Schmitt.

Wahrscheinlich die Karte vom 26. 4. 1928. Fehlt. 223 Nachsatz quer geschrieben am Kartenrand. 224 Charles Baskerville Robson, geb. 1900 in Sranton / Pennsylvania, kam mit Diplom der Princeton-Universität zum Wintersemester 1927 / 28 nach Bonn und wechselte Mitte April 1928 nach Berlin (freundliche Mitteilung des Universitätsarchivs Bonn). Er wurde später Prof. für Political Science in Chapel Hill. 221 222

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Am 4. Juni 1928 schreibt Schmitt dann an Ludwig Feuchtwanger aus Nikolassee, damals in unmittelbarer Nähe zu Smend wohnend: „Von Berlin habe ich noch keinen einheitlichen Eindruck. Ich wohne im Sommer in der Villa des berühmten Architekten225 sehr schön und ruhig. Smend sehe ich öfters. Donnerstag halte ich eine Vorlesung über seine Integrationslehre. Aber sicher, ihn verstanden zu haben, bin ich nicht. Vielleicht ist es nur protestantische Theologie.“226 Schmitt verbringt damals seinen 40. Geburtstag am 11. Juli 1928 im Garten Smends. In diesen Wochen schenkt er Gisela Smend ein Exemplar von Robert Lewis Stevenson, Der Junker von Ballantrae,227 mit der Widmung: „Frau Smend für Ihre Roman-Bibliothek / Nikolassee, Sommer 1928 / Carl Schmitt“.

44. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 41] Godesberg-Friesdorf 1. August 1928. Sehr verehrter, lieber Herr Smend, drei Tage und Nächte habe ich geschlafen, um nach diesem Berliner Semester wieder in Form zu kommen; jetzt empfinde ich in dieser rheinischen Landschaft – dulce solum228 – trotz des Regens ein sentimentales Glück. Mit Rührung und Dankbarkeit erinnere ich mich der Güte und Freundlichkeit mit der Sie und Ihre verehrte Gattin einen todmüden und erschöpften Menschen aufgenommen und gastlich behandelt haben. Ich bin schon wieder vitalen Genüssen zugänglich, so dem Vergnügen über die naive Dummheit, mit der Kelsen229 in den jüngst erschienenen „Philosophischen Grundlagen (!) der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus“ besonders im 2. Teil seine intellektuelle, moralische und kulturelle Powerteh230 entwickelt und aus der Dunstwolke von Methodologie und Betriebsamkeit als kleiner Moritz süß lächelnd hervortritt. Dieses Bild wird mir den Aufenthalt auf der Pariser Konferenz231 wohl unmöglich machen. Auch der Sommaire des Rapport von Jèze232 (über die libertés individuelles) ist wahrhaftig nicht verlockend. – Hermann Muthesius (1861 – 1927) war im Oktober 1927 tödlich verunglückt. Carl Schmitt – Ludwig Feuchtwanger. Briefwechsel 1918 – 1935, Berlin 2007, S. 269. 227 Robert Lewis Stevenson, Der Junker von Ballantrae, übers. von Paul Baudisch (Gesammelte Werke, hrsg. von Marguerite und Curt Thesing), München o. J. 228 Lat: süßer Boden. 229 Hans Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Berlin 1928. 230 Hugenottisch gefärbter berlinerischer Ausdruck für franz.: pauvreté (Armseligkeit, Dürftigkeit). 231 Dazu der Bericht von Rudolf Laun, Die Tagung des Institut International de Droit Public in Paris 20. – 22. Oktober 1928, in: AöR 55 (1929), S. 120 – 121. Von den deutschen Staatsrechtslehrern waren dort nur Richard Thoma und Rudolf Laun anwesend. Hans Kelsen trug (laut Bericht) vor über „La sanction juridictionelle des principes constitutionels“; Gaston 225 226

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Für Ihre Ferienreise wünsche ich Ihnen und Ihrer Frau gutes Wetter und gute Erholung. Mir selber wünsche ich, daß wir uns bei mir in Godesberg233 treffen. Viele herzliche Grüße von Haus zu Haus! Ich bleibe in treuer Verehrung immer Ihr Carl Schmitt.

45. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 37 – undatiert] Lieber Herr Smend, ich wollte Sie bitten, sich bequem auszuruhen und die Hausschuhe und den Hausrock zu benutzen, die ich zurücklegen lasse. Auch ein Bad ist schnell gemacht. Sie machen mir eine solche Freude mit Ihrem Besuch, daß ich ganz unglücklich wäre, wenn Sie sich bei mir nicht einmal ausruhen könnten. Aus den Korrekturbogen des Aufsatzes über „Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung“234 interessiert Sie vielleicht Bl. IV (Anm. 11) und der Schluß Bl. XXIV. Bis gleich, herzlich Ihr C. S. Jèze, der Präsident der Vereinigung, sprach über „La signification juridique des libertés publiques“. Die Veröffentlichung der Vorträge erfolgte im „Annuaire de l’Institut International de Droit Public“. Dazu auch der Bericht über die Nachfolgetagung vom 22. – 24. Juni 1929 in Paris von Richard Thoma, Die zweite Tagung des Institut International de Droit Public, in: AöR 57 (1930), S. 134 – 136. 232 Gaston Jèze, Rapport sommaire sur les libertés individuelles, Paris 1928; Jèze (1869 – 1953) war Finanzwissenschaftler, Präsident des Institut International de Droit Public in Paris. 233 Bonn-Friesdorf, Bonner Straße 211, wo Schmitt vom September 1926 bis Herbst 1928 ein Haus bewohnte. 234 Carl Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, in: Otto Schreiber (Hg.), Die Reichsgerichtspraxis im deutschen Rechtsleben. Festgabe der juristischen Fakultät zum 50jährigen Bestehen des Reichsgerichts am 1. Oktober 1929, Berlin / Leipzig 1929, Bd. I, S. 154 – 178. Die Fußnote 11 nimmt ausschließlich und ausführlich zu Smends Integrationslehre Stellung und betont die Notwendigkeit „statischer“ Elemente. Es ist die vielleicht ausführlichste öffentliche Äußerung zu Smends Lehre überhaupt. Sie lautet (Wiederabdruck in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 68): „Es liegt nahe, hier statt von ,Umschaltung‘ mit Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (1928) von ,Integration‘ zu sprechen. Aber eine Herausnahme aus dem Integrationsprozeß kann es wohl für Smend eigentlich nicht geben, weil bei ihm restlos alles in die Bewegung des fortwährenden dynamischen Prozesses der Integration aufgelöst wird und jede Art von Statik verschwindet. Demgegenüber möchte ich daran festhalten, daß es keinen Staat ohne statische Elemente gibt. [ . . . ] Eine restlose Dynamisierung aller statischen Elemente würde nicht zur Integration, sondern zur Desintegration führen. Im Zusammenhang der Ausführungen dieses Textes ist dieser kurze und – angesichts der großen Bedeutung von Smends Buch – keineswegs erschöpfende Hinweis deshalb von Interesse, weil damit die Frage aufgeworfen wird, wieweit überhaupt durch eine verfassungsgesetzliche Normierung stabile Elemente geschaffen werden können und ob

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46. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 42] Godesberg-Friesdorf 11. September 1928 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Jetzt sind Sie vielleicht wieder in Berlin,235 hoffentlich gut erholt und in bester Gesundheit. Werden Sie bis Ende Oktober dort bleiben? Ich muß im Oktober nach Berlin kommen, um dort schnell eine Wohnung zu suchen; wahrscheinlich bin ich nach dem 6. Oktober einige Tage in Berlin; ich darf mir dann erlauben, Sie anzurufen, um Sie vielleicht einen Augenblick zu sprechen. Ihr Brief aus Telfes236 hat mich sehr erfreut, aber auch sehr nachdenklich gemacht. Deshalb möchte ich gern mit Ihnen sprechen. Auch wegen Paris, wo ich auf jeden Fall einmal mit Ihnen zusammentreffen muß; die Frage ist nur, ob gerade aus diesem Anlaß eines Kelsen-Kongresses. Aber Ihre Ermahnungen haben für mich eine überwältigende Autorität,237 besonders seitdem ich in dem einzigen Fall, bei dem ich unfolgsam war,238 mich sehr korrigieren mußte; leider zu spät; aber auch dazu mündlich. Heute nur diese Mitteilung über meine Reise nach Berlin. Glauben Sie wirklich, lieber Herr Smend, die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an dem Pariser Kongreß könnte darüber entscheiden, ob ich Außenseiter bin oder nicht? Ist das nicht der verhängnisvolle Irrtum, der viele anständige Leute ins Parlament gelockt hat? Ist es nicht „noble in mind“239 beiseite zu stehen und seine Stellungnahme irgendwo zu dokumentieren, gleichgültig wer sie beachtet? Als ich

durch eine bloße Normierung überhaupt etwas stabilisiert werden kann, was nicht in sich stabil ist.“ 1930 schreibt Schmitt dann (Hugo Preuss. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 20 f.): „Der Staat ist jetzt ,Selbstorganisation‘ der Gesellschaft. [ . . . ] Es wird nicht mehr in einen bestehenden Staat hinein-, sondern der Staat selber wird integriert. So verstehe ich die modernste deutsche Staatslehre, die vielgenannte Integrationslehre von Rudolf Smend.“ 235 Vermutlich war Smend also vor Schmitts Umzug tatsächlich noch in Bonn. 236 Brief fehlt; Telfes ist ein Ort im Innsbrucker Land. 237 Gemeint ist hier vielleicht die Mitwirkung am Pariser Institut International de Droit Public. Smend war förmliches Mitglied und trug auf der Jahrestagung 1930 vor. Schmitt ist im Jahrbuch der Vereinigung als assoziiertes Mitglied geführt (Annuaire de l’Institut International de Droit Public, Paris 1929, S. 23), was auf Smends „Ermahnungen“ zurückgehen könnte. Deutsche Vollmitglieder waren (1929) E. Kaufmann, H. Kelsen, R. Laun, W. Schücking, R. Smend, F. Stier-Somlo, R. Thoma, H. Triepel. Die Wiener A. Menzel und A. Merkl gehörten ebenfalls dem Institut an, so dass die Rede vom Kelsen-Kongress sich evtl. auf dieses Institut und Kelsens Einfluss bezieht. 238 Evtl. die Absage des von Smend initiierten Vortrags für die Vereinigung für Staatswissenschaftliche Fortbildung in Königswinter (s. Brief vom 21. Mai 1925). 239 Evtl. Anspielung auf Shakespeare, Hamlet III.1. (Ophelia): „Oh what a noble mind is here o’erthrown!“

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im Herbst 1925 meinen Vortrag „Der Status quo und der Friede“240 veröffentlichte (der Vortrag ist im Sommer 1925 gehalten) sagten mir Zentrumsleute, warum gehen Sie nicht mit nach Genf; wenn ich heute, unter dem Eindruck der allerletzten Genfer Erfahrungen, diesen Aufsatz lese und nur an die Möglichkeit denke, daß ich vielleicht doch noch hätte beredet werden können, wird mir angst. Paris ist natürlich nicht so wichtig, aber eben doch in der Sphäre meines Berufes und meines Standes. Was Sie mit dem Wort „Außenseiter“ sagen wollen, habe ich noch viel heftiger seit mindestens 2 Jahren empfunden und mich „desencadré“241 gefühlt, für einen „normalen“ Menschen ein grauenhafter Zustand. Glauben Sie, diese ganz in der Situation der Zeit begründete Position oder Nicht-Position meiner bescheidenen Einzel-Existenz würde durch die Teilnahme an einem längst arrangierten und gemanagten Kongreß geändert? Aber ich gerate schon ins Gespräch und der Faden geht mir durch. Ich wollte Ihnen nur noch sagen, daß ich in der Ruhe der letzten Wochen viel in Ihrem Buch242 gelesen habe, daß ich es sehr lieb gewonnen habe und erst allmählich kennen lerne, weil viele Sätze sich nur langsam entfalten, dann aber umso nachhaltiger und schöner. Dann wollte ich Sie noch an P. Kloeppel,243 30 Jahre deutscher Verfassungsgeschichte (Leipzig 1900 bei Veit)244 erinnern und – hoffentlich bekomme ich es noch – Ihnen Kloeppels Gesetz und Obrigkeit, eine kleine, lesenswerte Broschüre, für Ihre Bibliothek überreichen. Für Ihre Gattin habe ich wieder einen hübschen Roman. Am 20. September reist meine Frau nach San Remo245 und bleibt dort den ganzen Winter. Sie bedauert es sehr, daß wir Sie und Ihre verehrte Gattin nicht hier am Rhein zu Gast haben konnten und läßt herzlich grüßen. Ich grüße ebenfalls und wünsche von Herzen alles Gute. Unabänderlich Ihr Carl Schmitt.

Carl Schmitt, Der Status quo und der Friede, in: Hochland 23 (1925), S. 1 – 9. Aus dem Rahmen / Leim gegangen. 242 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München und Leipzig 1928. 243 Paul Kloeppel, Gesetz und Obrigkeit. Zur Klärung des Staats- und Rechtsbegriffs, Leipzig 1891; Kloeppel (1840 – 1902) – laut NDB 12, 1973, S. 112 – 113 richtig: Peter – war ein erfolgreicher Anwalt am Reichsgericht und ab 1882 PD in Jena und Leipzig. 244 Paul Kloeppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte (1867 – 1897), Leipzig (Veit) 1900. 245 Erneuter Sanatoriumsaufenthalt; im März 1929 kommt es dort zu einer lebensgefährlichen Krise, weshalb Duschka Schmitt mit ihrem baldigen Tod rechnet. Sie wird dann aber in St. Gallen mehrfach operiert, und ihre Gesundheit stabilisiert sich. 240 241

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47. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15221] Nikolassee 3. Okt. 1928 Lieber verehrter Herr Schmitt! Seit Wochen sollte Sie wenigstens ein kurzer Gruß erreichen, aber leidigste Gesundheits-Wirrungen ließen es zu keiner Zeile kommen. Wenigstens soviel muß ich Ihnen noch vor Ihrer Herkunft246 sagen: wie schmerzlich es uns ist, daß Sie im Winter wieder allein kommen müssen. Übermitteln Sie es bitte auch Ihrer Gattin – mit unseren herzlichsten Wünschen. Alles Weitere hoffentlich baldigst mündlich. Leider haben meine Schwiegermutter und mein Bruder auf unsere Fremden-„Ritze“ (wie der Berliner sagt) abonniert, sodaß wir sie Ihnen nicht als bescheidenes Standquartier für Ihre Wohnungssuche vorschlagen können. Und wir sind doch jetzt zentral geworden: Seit drei Tagen haust Erich Kaufmann oben über der Rehwiese!247 (leider durch sein Augen-Unglück noch immer ganz mattgesetzt.) Ich studiere mit Vergnügen Stratmann c / a248 Schmitt,249 aber (daran sehen Sie mein Befinden!) erst seit heute wieder Ihre Verfassungslehre. Vor vierzehn Tagen schien es, als ob meiner Lunge nur durch lange Verschickung zu helfen wäre – jetzt stellt sich die Sache als harmloser heraus und ich hoffe den Winter im ganzen hier zu sein. Aber Paris überlasse ich anderen. Wenn ich in den nächsten Wochen wieder zu mir komme, so durch die Unterhaltung mit der Verfassungslehre und hoffentlich Ihnen selbst! Viele Grüße, auch von meiner Frau! Immer der Ihrige R.Smend Meine Frau dankt auch noch sehr für das Ludendorff=Kabarett!250 Schmitt sieht ab dem November 1928 wiederholt einen Stummfilmklassiker „Die Passion der Jungfrau von Orleans“ von Carl Theodor Dreyer.251 Am 28. November 1928 sieht er ihn Umzug Ende Oktober nach Berlin in die Klopstockstraße 48. Rehwiese, Teil von Berlin-Nikolassee, Villengegend und heute Landschaftsschutzgebiet; Kaufmann wohnte Sudetenstraße 54a (heute: Lückhoffstraße). 248 Kürzel für: contra. 249 Pater Franziskus Stratmann, Carl Schmitts ,Der Begriff des Politischen‘, in: Der Friedenskämpfer 4 (1928), Nr. 5, S. 1 – 7, und Nr. 6, S. 1 – 7. 250 Evtl. das am 11. 9. 1928 erwähnte neuerliche Buchgeschenk an Gisela Smend. 251 Jeanne d’Arc war eine Heldin der damaligen französisch-katholischen Publizistik. Wichtig ist hier bspw. Charles Peguy, Le Mystère de la Charité de Jeanne d’Arc, Paris 1910; Léon Bloy, Jeanne d’Arc et l’Allemagne, Paris 1915. Carl Schmitt war aber besonders beein246 247

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im Zoopalast mit Smend. Ins Tagebuch notiert er: „Rannte zum Zoologischen Garten, der Film war ganz herrlich. Sprach noch nachher in einem Kinorestaurant eine halbe Stunde mit Smend und seiner Frau sehr schön, über Reformation, Protestantismus, er meinte, mit diesem Film sei eine neue Dimension entdeckt, eine Erneuerung nicht nur im Reiche des Schönen, sondern auch des Wahren. Froh nach Hause.“ Als undatierter Brief ist erhalten:

48. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 1 – Karte Ende November 1928] Sehr verehrter, lieber Herr Smend, noch einmal zu unserem Gespräch über die Jeanne d’Arc. Ein national gestimmter Deutscher kann der römischen Kirche eigentlich keinen Vorwurf machen; sie hat die Jeanne d’Arc verbrannt; Resultat: die französische Nation; sie hat Johannes Huß verbrannt; Resultat: eine sehr lebensfähige Nation; sie war bereit, Martin Luther zu verbrennen und es ist nicht ihre Schuld, daß er in Sicherheit gebracht wurde und als ein alter Mann starb. Immer wieder stelle ich Ihnen diese Frage. Ex toto corde252 Ihr Carl Schmitt.

49. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 43, Datum: 10 / 12 / 28] Sehr verehrter, lieber Herr Smend, herzlichen Dank. Ich fühle mich gebunden und werde einen Aufsatz253 liefern, so gut ich kann. Jetzt muß ich Sie wieder ins Theater treiben. Der Londoner verlorene Sohn254 von Shakespeare im Schillertheater Charlottenburg in einer vortrefflichen Regie,

druckt von dem Stummfilmklassiker „Die Passion der Jungfrau von Orleans“ von Carl Theodor Dreyer (1928), der den Prozess ins Zentrum stellt. In kurzer Zeit sah er diesen Film mit verschiedenen Personen zusammen über 10 Mal. 252 Aus ganzem Herzen. 253 Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: AöR 16 (1929), S. 161 – 237. 254 Albert Steinrück (1872 – 1929).- Dazu die Besprechung von Monty Jacobs im Shakespeare-Jahrbuch 65, 1929, S. 237: „Für uns Zuschauer bedeutete der Abend zudem eine wehmütige Erinnerung. Denn er brachte in der Rolle eines Vaters, der im Lakaienrock zu herrschen weiß, die letzte starke Bühnenleistung von Albert Steinrück“. Den bald verstorbenen Steinrück kannte Schmitt vermutlich aus seiner Münchner Zeit. Steinrück war ein bekannter Theater- und Filmschauspieler. Von 1908 bis 1920 war er am Münchner Nationaltheater, zuletzt dort Intendant. Das apokryphe Stück ist publiziert: William Shakespeare, Der verlorene Sohn, bearb. von Ernst Kamnitzer, Hellerau (Hegner) 1930.

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mit Steinrück, der aber nur bis zum 15. Dezember spielt.255 Ein höchst wichtiges und lehrreiches Kapitel Politischer Theologie, die barocke (und großartige) Idee des „leitenden Mannes“, der alles dirigiert, wie Prospero im Sturm, hier aber nicht in magischen sondern alltäglichen Sphären. Vor allem wird evident, daß die Dynamik Shakespearescher Stücke auf einer unbestreitbaren Statik beruht,256 der Monolog (als Ausdruck der statischen Ruhe) ist das allein Reale, die Bewegung Spiel und Schein. Hier ist Steinrück manchmal groß im übrigen mimt er etwas viel. Noch eine Frage, das Statische betreffend, in dem wir uns verständigen können: warum gibt es bei Shakespeare keine untreuen Frauen? Ergo Statik. Verfassungstheoretische Nutzanwendung: bitte sehen Sie sich das mit Ihrer verehrten Gattin doch einmal an, solange Steinrück spielt. Ich reise morgen an den Rhein und stille mein Heimweh. Auf Wiedersehen, lieber Herr Smend. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Gattin von Ihrem getreuen Carl Schmitt. 10 / 12 28. Am 10. Januar 1929 fährt Schmitt dann „um ½ 8 mit Auto zum Schillertheater. Wartete auf Peterson und Smend. Frau Berend257 und Breinlinger258 waren auch da. Breinlinger ging aber am Schluss des Theaters nach Hause, weil er plötzlich grippekrank wurde. Wir gingen mit Smend zum Café, tranken Pomery, trafen Frau Smend. Sehr nett unterhalten. Smend sprach wundervoll über das Stück.“ (TB 10. 1. 1929) Am nächsten Tag notiert er aber: „Mit Peterson gefrühstückt und über Smend gesprochen, allmählich wieder Angst vor ihm und seiner Hintergründigkeit usw.; er haßt mich offenbar als Katholiken. Ich armes Huhn.“ (TB 11. 1. 1929) Bei zahlreichen Treffen das Jahr 1929 hindurch notiert Schmitt fortan immer wieder seine „Angst“ vor Smend.

50. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15222] Nikolassee 29. März 29 Verehrter lieber Herr Schmitt! Es ist uns zu Ostern eine besondere Freude und Beruhigung, daß Sie mit Ihrer Gattin das Fest ohne Sorgen feiern können,259 und so sind es lebhafteste Fest255 35 Aufführungen im Schillertheater 1928 / 29, inszeniert von Ernst Engel; zu den Aufführungen vgl. Christa Jansohn, Zweifelhafter Shakespeare. Zu den Shakespeare-Apokryphen und ihrer Rezeption von der Renaissance bis zum 20. Jahrhundert, Münster 2000. 256 Implizite Antwort auf Smends Schmitt-Kritik. 257 Alice Berend (1875 – 1938), befreundete Schriftstellerin. 258 Hans Breinlinger (1888 – 1963), expressionist. Maler, geb. Konstanz, seit 1926 in Berlin, Gatte von Alice Berend. 259 Damals erlitt Duschka Schmitt aber eine lebensgefährliche Krise.

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wünsche besonderer Art, die wir Ihnen senden. Möchte das nächste Ostern Sie in noch glücklicheren Umständen finden! Sie gehen inzwischen topographisch und geistig würdige Wege. Ich thue das alles entschieden nicht, und ich weiß nur, daß ich es wieder einmal falsch angefangen habe, mit dem Erfolge, daß ich jetzt müder und unbrauchbarer bin, als am Semesterschluß. Mich drückt auch die Hoffnungslosigkeit in politischer und geistiger und nicht zuletzt auch fachwissenschaftlicher Lage. Gestern war ich mit Hekkel zusammen, der es mit den substanzielleren Dingen seiner besonderen Fächer ja glücklicher hat als ich. Er schreibt gerade an einer Geschichte der Beendigung des Kulturkampfs260 – da läge, glaube ich, auch für mich das Richtige. Der Artikel der Stampa261 ist vorzüglich gemacht – vielen Dank! Ich fange an, unsere Verhältnisse ungefähr ebenso anzusehen, wie die Italiener. Daß man Ihre Verfassungslehre als eine angemessene und sogar zustimmende Entwicklung der deutschen Verhältnisse würdigt, ist ein seltsamer Beleg für die Harmlosigkeit unserer Fachgenossen und der Deutschen überhaupt – den Dingen und Ihnen gegenüber. Ich hoffe, wir erreichen Sie und Ihre Gattin mit diesen unseren Grüßen und Wünschen noch zum Ostersonntag. Alles Gute! Ihr Smend Am Himmelfahrtstag, dem 9. Mai 1929, begleitet Erich Kaufmann Carl Schmitt „zu Smends; ich aß dort bescheiden zu Abend, Frau Smend war sehr nett, Smend herzlich, lachte in einem fort (wie Braubach,262 mit dem er sehr große Ähnlichkeit hat). Ich war dumm und sprach zuletzt vom Alten Testament und dessen Sinnlosigkeit; er verteidigte es, pastorenhaft, aber ohne mich ernst zu nehmen. Ging sehr traurig und deprimiert nach Hause, um 12 zu Bett.“ (TB 9. 5. 1929). Smend behandelt damals im Sommersemester 1929 Schmitts Verfassungstheorie wiederholt im Seminar: so am 17. Mai, 7. Juni und 2. August. Die Sitzung vom 7. Juni steht unter dem Thema „Reaktionen gegen den Pluralismus (Kirchheimer, Trotzki, C. Schmitt)“.263

260 Johannes Heckel, Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: Forschungen und Berichte 6 (1930), S. 235 – 237; ders., Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 29 (1930), S. 215 – 353. 261 Ital. Tageszeitung La Stampa. 262 Schmitts erster Bonner Doktorand Bernhard Braubach (1892 – 1930). 263 Dazu Smends Aufzeichnungen in: Cod. Ms. R. Smend N 23.

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51. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 44 – Postkarte Innenraum der Kathedrale Barcelona. Adresse: „Alemania / Herrn Prof. Dr. / R. Smend / Teutonenstr. 1. / Berlin-Nikolassee“] Herzlichst C.S.264

18 / 10 29

52. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Brief Familienbesitz Smend; Briefkopf: Hotel Nacional / Paseo del Prado / Madrid] 22 / 10 29. 265

Sehr verehrter, lieber Herr Smend, noch bevor ich den Escorial gesehen habe, dachte ich auf dieser Reise oft an Sie und kam zu dem Beschluß, daß eine spanische Reise für Sie zu den ersten und dringlichsten Pflichten gehört. Alles – Landschaft, Volk, Geschichte, Politik etc. etc. – ist so groß in seiner unberührten Echtheit, daß man Europa nicht kennt, wenn man nicht in Spanien war. Daß ich auf dem Montserrat266 an Sie dachte, lag nicht nur an dem Gespräch mit Paula Cramer,267 die von Ihren gemeinsamen Tanzstunden in Göttingen erzählte. Die Hauptsache (vielleicht noch mehr als der Escorial) sind die Stiergefechte. Mit guten Stieren und guten Matadoren ist das die größte, großartigste Sensation, die es heute gibt. Unter freiem Himmel, mit zehntausend akklamierenden Zuschauern, ein Kampf zwischen Mensch und Tier, mit dem ganzen Risiko eines wirklichen Kamp264 Vom 16. – 19. Oktober war in Barcelona der Kongress des Verbandes für kulturelle Zusammenarbeit. Schmitt sprach über „Die europäische Kultur in Zwischenstadien der Neutralisierung“ (Europäische Revue 5 (1929), S. 517 – 530). Weitere Referenten waren Giuseppe Bottai („Masse und Kultur“), Franz Graf Hunyady („Der aristokratische Kulturbegriff“), Karl Bühler („Europa und der amerikanische Kulturwille“), Eugenio d’Ors („Ausblick auf eine Kultur des 20. Jahrhunderts“) und Paul Langevin („Der demokratische Kulturbegriff“) (Europäische Revue 5, 1929, S. 627). Die Einladung erfolgte auch über den befreundeten Georg v. Schnitzler. 265 Schloss- und Klosteranlage bei Madrid, Residenz von Philipp II.; Schmitt thematisiert Philipp II. mit Friedrich Schillers Drama „Don Carlos“ in: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullingen 1954, S. 19; Spanien wurde damals unter König Alfons XIII. (1886 – 1941) seit 1923 faktisch als Militärdiktatur von Miguel Primo de Rivera (1870 – 1930) regiert. Im April 1931 ging aus Wahlen die Zweite Spanische Republik hervor; es folgten der Spanische Bürgerkrieg und Franco. Es ist nicht klar, ob Schmitt mit seiner Begeisterung Smend gegenüber auch auf diese Möglichkeit oder spanische Realität einer monarchisch gestützten Militärdiktatur anspielt, die seiner Konstruktion einer „kommissarischen Diktatur“ des Reichspräsidenten nicht unverwandt ist. 266 Berg in Katalonien mit berühmtem Benediktinerkloster, Wallfahrtsort. 267 Nicht ermittelt.

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fes, bei dem der Mensch seine Ruhe der Wut eines gereizten, mächtigen Tieres entgegenstellt, das ist unerhört groß und ein Volk, das sich durch keinen humanitären Schmus daran hindern läßt, hat noch den Instinkt der Realität. Es ist mehr als jede Jagd,268 von Sport nicht zu reden. Das wollte ich Ihnen schnell sagen, um den vielen Gesprächen, die ich auf dieser Reise mit Ihnen geführt habe, für die wichtigste Angelegenheit ein kleines Ventil zu schaffen. Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer verehrten Gattin Immer Ihr Carl Schmitt.

53. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Familienbesitz Smend; Ansichtskarte vom Escorial (Abb. 11 / 12), gestempelt 26. 10. 29; Adresse: Alemania / Herrn Prof. Dr. / Rudolf Smend / Teutonenstr. 1 / Berlin-Nicolassee] Sehr verehrter, lieber Herr Smend, alle Erwartungen sind weit übertroffen; es ist gar nicht denkbar und nicht möglich, daß Sie nicht bald dieses größte, erste und letzte Kapitel jeder Staatslehre aufnehmen. Immer Ihr Carl Schmitt Escorial, 26. 10. 29.

54. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Familienbesitz Smend; Briefkopf Hotel Palais d’Orsay / Quai d’Orsay / Paris; ohne Datum] Sehr verehrter, lieber Herr Smend Alles – Kirchen, Gemälde, Landschaften, auch die Stierkämpfe – tritt zurück und wird bloße Koloratur neben dem Escorial. Ich habe gleich nach meiner Ankunft in Paris den Platz von Versailles besehen, um es unter dem frischen Eindruck des Escorial zu vergleichen: er ist sehr schön, auch großartig, aber human und schließlich nur ein Park und eine großartige Fassade. Der Escorial ist preußischer, aber in Preußen fehlt das Kloster, und die Askese, die zum Staat gehört, ist dort ohne Öl und Wein. Wenn die römische Kirche noch mutig wäre und nicht, wie jede 268

Smend war Jäger.

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Bürokratie, opportunistisch nach dem Eindruck schielte, müßte sie Philipp II. kanonisieren. Vorläufig ist ihre Angst vor dem liberalen Mythos, der aus diesem Mann ein Scheusal macht, zu groß – ein Vers aus der Légende des siècles von Victor Hugo (wörtlich!): Philippe Deux était une chose terrible.269 Wetten wir, daß er in 120 Jahren kanonisiert ist! In 60 Jahren? Und heute schon jeder geschmackvolle Mensch derartiges hugoneskes Zeug für eine chose terrible hält? Oder sollen wir, angesichts der Etats-Unis de l’Europe lieber wetten, daß Victor Hugo kanonisiert wird? Ich hörte in Madrid, daß man Sie zu einem Vortrag einladen wird. Wenigstens um den Escorial zu besuchen, müssen Sie das annehmen, und alle meine hilflosen Exklamationen sollen Ihnen nur den Ernst dieser Verpflichtung zum Ausdruck bringen. Dr. Paul Adams,270 der künftige Leiter des Intercambio german-español271 hat mir versprochen, Sie einzuladen. Auf Wiedersehen, lieber Herr Smend, ich bin, mit herzlichen Grüßen und den besten Empfehlungen an Ihre sehr verehrte Gattin, immer Ihr Carl Schmitt.

55. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 45 – Postkarte gestempelt Berlin 31. 3. 30] Sehr verehrter, lieber Herr Smend, ist es Vorsicht oder ein Zeichen mangelnder Begrifflichkeit, wenn folgender Vers Vergils, Georg IV 514 / 5272 mir die Feder in die Hand drückt: at illa (re philomela) flet noctem, ramoque sedens miserabile carmen integrat. – Jetzt integrieren also auch schon die Nachtigallen! Jetzt werden also auch schon Lieder integriert; wo soll das enden? Ich muß Ihnen das mitteilen, denn es ist in meiner langen Vergil269 Victor Hugo, La rose de l’infante, in: La légende des siècles. La vision d’ou ` est sorti ce livre XXVI, Paris 1950, S. 437 – 443, hier: 439. 270 Schmitt verwechselt hier evtl. die Gebrüder Adams miteinander, die beide an seinem Bonner Seminar teilnahmen. Paul Adams (1894 – 1961) war ein promovierter Germanist und wechselte 1928 als Journalist nach Berlin zur Zeitung „Germania“. Der jüngere Bruder Alfons Adams (1899 – 1973) promovierte 1923 in Münster mit einer Arbeit über Bonald und 1928 in Bonn in der Rechtswissenschaft mit einer Arbeit über „Die Lehre von Verbrechen und Strafe im System Adolf Merkls“. Er wurde dann Leiter des DAAD in Spanien (Angaben nach Piet Tommissen, in: Schmittiana 8, 2003, S. 133 – 135). 271 Unterstreichung evtl. von Smend. 272 Vergil, Georgica, Liber IV 513 – 515 (Sie nun weint durch die Nacht hin, sitzt auf dem Zweig, verströmt voller Jammer Lied auf Lied), in: Vergil, Landleben, lat. u. dt., hrsg. Karl Bayer, 6. Aufl. Zürich 1995, S. 206 f.

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Lektüre273 der erste Fall, daß sich die Integrität des Vergilischen Latein nicht als stärker erwiesen hat, als alle Assoziationen der recenten274 Gegenwart; Ihr Wort hat einen schönen Zauber gestört. Immer Ihr ganz ergebener Carl Schmitt.

56. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 47]275 13 / 7 30 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, ich danke Ihnen nochmals für die liebenswürdige Aufmerksamkeit Ihrer Gratulation zu meinem Geburtstag. Von den vielen Einzelheiten, die ich bei diesem Gespräch Ihnen noch mitteilen wollte, trifft gerade folgende Kleinigkeit mein Gedächtnis: In dem Heft der Kant-Studien,276 das meinen Vortrag enthält, steht auch ein Vortrag von Hans Freyer277 über Ethische Normen und Politik, der Sie wegen seines Anknüpfens an den deutschen Idealismus vielleicht interessiert, außerdem sprachlich besonders klar und schön ist, sodaß ich auf ihn aufmerksam machen darf (ich schicke Ihnen gern das ganze Heft), obwohl seine Anerkennung meiner Definition des Politischen geeignet ist, Sie, wie alles was aus meiner Art entspringt, zu froisieren278 und zu desinteressieren. Anschütz habe ich, gelegentlich einer Zusendung meines Aufsatzes, folgendes geschrieben: Ich habe gehört, daß Sie vorhaben zu Kelsens neuestem Pamphlet279 Stellung zu nehmen und freue mich sehr darauf. Daß der Meister unseres Faches den methodologischen Besen in die Ecke weist280 und der trüben Flut aus Tal273 In Schmitts Werk zeigt sich dies vor allem als Vergil-Motto „Ab integro nascitur ordo“ am Ende des „Begriffs des Politischen“ und der „Positionen und Begriffe“. 274 Jüngste Gegenwart. 275 Schmitt notiert diesen Brief auch am 13. 7. 1930 in voller Länge als Entwurf in sein Tagebuch. Smend wird die Monate zuvor im Tagebuch nicht erwähnt. Dieses längere Schweigen sowie Schmitts Andeutungen machen wahrscheinlich, dass das Verhältnis in diesen Monaten schon deutlich belastet war. 276 Carl Schmitt, Staatsethik und pluralistischer Staat, in: Kant-Studien 35 (1930), S. 28 – 42. 277 Hans Freyer, Ethische Normen und Politik, in: Kant-Studien 35 (1930), S. 99 – 114. 278 Verkühlen. 279 Gemeint ist wahrscheinlich: Hans Kelsen, Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wien 1930; vgl. dann ders., Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Berlin 1931. 280 Anspielung auf Goethes Ballade vom „Zauberlehrling“.

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mudistik, Geltungsbedürfnis und Prioritätswahn ein Ende macht usw. Sie sehen, wie groß mein Vertrauen auf Anschütz als Menschen und Mann doch immer noch ist. Warten wir ab. Vorläufig halte ich mich daran, daß er Mut hat und nicht feige ist. Ich habe ihm auch geschrieben, daß die Methoden politischer Denunziation den akademischen Nachwuchs korrumpieren müssen und kann nicht glauben, daß er ohne jeden echten liberalen Instinkt sein sollte. Jedenfalls denke ich, daß er einem antwortet.281 Ich bleibe, lieber Herr Smend, mit den herzlichsten Grüßen an Sie und Ihre sehr verehrte Gattin, auch von Frau Schmitt bestens grüßend immer Ihr aufrichtig ergebener Carl Schmitt. Am 7. Oktober 1930 notiert Schmitt dann ins Tagebuch: „Abends japanisches Theater, traf Smend, endlich fertig mit ihm; widerlicher Eindruck (am Telefon hat er mich belogen).“ Danach kommt es kaum noch zu persönlichen Begegnungen. Durch den Kontakt der Ehefrauen wird der Konflikt etwas gemildert.

281 Anschütz antwortete auf Schmitts Schreiben vom 19. 6. 1930 am 16. 7. 1930 (RW 265-418) im längsten und wichtigsten erhaltenen Brief überhaupt. Ausführlich weist er zunächst Schmitts Auffassung des Art. 76 WRV zurück. Sodann antwortet er auf die Übersendung von Otto Kirchheimers Dissertation „Zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus“: „Ich hatte, wie so oft beim Lesen solcher Schriften aus dem Lager der jüngsten Generation, den unbehaglichen Eindruck: alles wankt heutzutage, alles. Wohin geht die Reise?“ Anschütz geht dann auf Schmitts neuere Publikationen ein und zuletzt ausführlich auf Kelsen. Er schreibt: „Sie haben ,erzählen hören‘, daß ich gegen Kelsen auftreten würde? Da muß ich Sie enttäuschen. Ich habe niemals daran gedacht, mich in diesen Streit Wien _/. Berlin einzumischen, denke auch jetzt nicht daran. Wie käme ich dazu?“ Die Betroffenen sollten sich äußern; Smends Buch legte es darauf an. Anschütz variiert ein Sprichwort: „,Wie man in den (Wiener) Wald hineinruft, so schallt’s hinaus.‘“ Er schreibt weiter: „Thoma schreibt mir, daß ,Berlin‘ beabsichtigt, diesen Gelehrtenstreit in das Forum der nächsten Staatsrechtslehrerversammlung zu bringen.“ Anschütz lehnt das ab, weil er eine „Spaltung“ der Vereinigung befürchtet. Er endet deshalb auch versöhnlich: „Daß ich im übrigen ganz u. gar nicht zu den Kelsenianern gehöre, u. mit K.’s ganzer Wissenschaftsart im Grunde nichts anfangen kann, mich also von ihm insoweit sehr bewußt distanziere, wird Ihnen nicht unbekannt sein.“ Anschütz ergreift also im Streit zwischen Berlin und Wien nicht öffentlich Partei und verteidigt Kelsen. Für „Berlin“ nennt er namentlich Smend und Kaufmann. Der Berliner Kollege Heinrich Triepel weist Kelsen dann in einer scharfen Rezension in der Deutschen JuristenZeitung politisch zurecht. Er schreibt: „Zwei so grundverschiedene Denker wie S. und K. werden in Hauptfragen fast immer aneinander vorbeireden. Die Schrift ist in einem ungewöhnlich scharfen, oft höhnischen und verletzenden Tone geschrieben, der auch dadurch nicht gerechtfertigt wird, daß S. selber mit abweichenden Meinungen nicht eben freundlich umgegangen ist. Besonders schlimm ist, daß K. seinem Gegner dauernd und namentlich am Schluß ohne stichhaltige Gründe politische Absichten unterschiebt, ja, die Smendsche Schrift geradezu als Mittel eines Kampfes gegen die Demokratie und die Weimarer Verf. verdächtigt. Das ist unentschuldbar“ (Heinrich Triepel, Rezension von Hans Kelsen, Der Staat als Integration. Eine prinzipielle Auseinandersetzung, Wien 1930, in: DJZ 35 (1930), Sp. 1041).

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57. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15223] Ahrenshoop 4. September 1931 Verehrter lieber Herr Schmitt! Ihre freudige Nachricht282 erreichte uns verspätet, und dann haben auch wir noch ein wenig mit unserem Gruß gesäumt. Er ist darum nicht weniger herzlich. Es ist doch ein Fußfassen des Menschen auf der Erde, ohne das er nicht völlig ist – und für Sie und Ihre Gattin bedeutet es zugleich das Ende bedrückender Leidenszeit.283 So haben wir Ihnen doppelt Glück zu wünschen – möge die Kleine nun gedeihen zur Freude der Eltern und Ihnen sogar aus Berlin284 eine Art Heimat machen! In wärmstem und freudigstem Anteil der Ihrige Rudolf Smend

58. Gisela Smend an Duschka Schmitt [RW 265-15208] Ahrenshoop, 4. 9. 31 Liebe Frau Schmitt! Wir kommen so verspätet mit unseren Glückwünschen, die aber ganz besonders herzlich sind. Ich freue mich so sehr mit Ihnen, hoffentlich gedeiht das Töchterchen nach Kräften und geht in ein solches Leben und hoffentlich geht es auch Ihnen recht, recht gut. Ich habe Ihnen das kleine Säckchen fabriziert und alle guten Wünsche hineingestrickt. Ich hoffe, ich darf Sie in der zweiten Septemberhälfte, wenn wir zurück sind, bald einmal besuchen. Viele herzliche Grüße von meinem Mann und mir Ihre Gisela Smend Am 5. November 1931 besucht Schmitt Smend in der Vorlesung. Er notiert dazu ins Tagebuch: „Miserabel. Nachher mit Frau Smend in das Deutsche Museum und Kaiser-FriedrichMuseum. Mit ihr auf der Stadtbahn zurückgefahren.“ (TB 5. 11. 1931). Aus diesen Tagen ist ein Foto von Duschka und Töchterchen Anima Schmitt mit Widmung im Nachlass Smends erhalten (Abb. 16), dazu handschriftlich von Duschka Schmitt: „Berlin 17.XII.31. Anima282 283 284

Geburt der einzigen Tochter Anima Louise Schmitt (1931 – 1983) am 20. August 1931. Langjährige Erkrankung Duschka Schmitts. Anspielung auf Schmitts vielfach bezeugtes Unbehagen an der Großstadt Berlin.

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Louise vier Monate alt.“ Am 18. Februar 1932 ist Frau Smend dann bei Schmitts zu Besuch. In den folgenden Wochen notiert Schmitt immer wieder sein „Leid“ mit Smend und seinen Ärger und „Ekel“ über „Gemeinheit“ ins Tagebuch.

59. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-27587 – Sonderdruck „Protestantismus und Demokratie“ aus „Krisis. Ein politisches Manifest“, Erich Lichtenstein Verlag, Berlin 1932, 182 – 193, Beistiftwidmung Smend:]285 Ein müdes Produkt voller Krisen! Mit freundlichen Grüßen von Haus zu Haus! R. Sm 25 / 2 32 Von „Pfingsten 1932“ datiert ein weiteres Kinderfoto von Anima Schmitt im Nachlass Smends. Das Verhältnis ist damals stark belastet. Am 20. Juli notiert er eine negative Begegnung bei einer Abendgesellschaft. Beide gehen sich damals aus dem Weg. Am 24. Juni 1932 notiert Schmitt von einem Vortrag in der Hochschule für Politik: „sah den widerlichen Smend“ (TB 24. 6. 1932).

60. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15224] Nikolassee 11. 11. 32 Verehrter lieber Herr Schmitt! Gestern Abend bin ich aus der Diskussion entflohen (aus der Zeitung286 sehe ich mit Bedauern, daß es doch wohl gelohnt hätte, dazubleiben) und so konnte ich Sie 285 Schmitt bezog sich auf diese Publikation in seiner letzten Monographie „Politische Theologie II. Die Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie“ (Berlin 1970). Dort schreibt er (S. 19) zur protestantischen Reflexion der Auflösung der Unterscheidung von Staat und Kirche in der Weimarer Republik: „Der Bereich der Gesellschaft und des Sozialen ergriff beides und löste die Unterscheidung auf. So entstand für den deutschen Protestantismus eine Situation, in der evangelische Theologen die Krisis der Religion, der Kirche, der Kultur und des Staates und schließlich Kritik überhaupt als das Wesen des Protestantismus erkannten, eine Erkenntnis Bruno Bauers, die seit 1848 vom Marxismus überschattet war. In einem ,Politischen Manifest‘ des Jahres 1932, das den Titel Krisis führte, konnte der Staatsrechtslehrer Rudolf Smend mit Selbstverständlichkeit vom Zusammenhang der politischen mit der religiösen ,Krisis‘ sprechen.“ 286 Schmitts Vortrag „Das Leipziger Urteil“ vom 10. November in der „Deutschen Gesellschaft“ blieb unveröffentlicht. Eingehender notiert Schmitt seinen Eindruck ins Tagebuch. Moritz Bonn, Triepel, Smend, Hans Peters und Richard Grau waren anwesend. Außer

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nicht zu Ihrer charmanten Bewältigung287 der Aufgabe beglückwünschen. Ich bin nicht endgültig einer Meinung, oder wohl nicht ganz der Ihrige – jedenfalls haben Sie das Verdienst, die Frage in die richtige Höhe gebracht zu haben. Auch für „Legalität und Legitimität“ 288 schulde ich Ihnen wohl noch Dank (der Verlag bezeichnet freilich sich als den freundlichen Geber) – jedenfalls für die Fülle der Anregung. Anregung nicht zuletzt auch zum Widerspruch – wäre ich nur gesundheitlich weniger labil und könnte ihn schneller herausbringen! Nochmals schönsten Dank, und viele Grüße von Haus zu Haus! Ihr R. Smend

Am 21. März 1933 kommt es nach langer Zeit einmal wieder zu einer längeren persönlichen Begegnung in Schmitts Wohnung. Man bespricht die „Staatsprobleme“. Schmitt „plauderte ruhig und freundlich, als wäre nichts passiert.“ (TB 21. 3. 1933) Mitte Juni 1933 trifft er Smend erneut in Berlin.

61. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 49 – Karte vom 12. Juli 1933 mit gedruckter Adresse: Professor Carl Schmitt / Köln-Lindenthal / Pfarriusstr. 6] Sehr verehrter Herr Smend, vielen herzlichen Dank für Ihre Wünsche,289 deren Freundlichkeit und Aufmerksamkeit mich tief gerührt haben. Wegen des „Jagdhauses“290 habe ich mich bei Erwin v. Beckerath291 erkundigt, der öfters hingeht. Ich füge eine alte Ansichtskarte292 von ihm bei. Bedenklich ist nur 1) daß man vom Wetter abhängiger ist als anderswo (die Kehrseite der Einfachheit und Einsamkeit), 2) daß der Wirt nur Pferdefuhrwerk, kein Auto hat, 3) daß das Haus im August Schmitts Schülern Huber und Lohmann nahmen auch die befreundeten Georg und Käte Eisler sowie Margot von Quednow und Hella Ehrik teil. Einen guten Eindruck vom Vortrag gibt der – im Anhang abgedruckte – kritische Bericht unter dem Titel „Carl Schmitts Epilog. Nach dem Leipziger Staatsprozess“ in der Vossischen Zeitung vom 11. 11. 1932 (RW 265-21410); vgl. dann Schmitts Kölner Antrittsrede: Reich-Staat-Bund, in: ders., Positionen und Begriffe, Hamburg 1940, S. 190 – 198; aus der Literatur: Gabriel Seiberth, Anwalt des Reiches. Carl Schmitt und der Prozess ,Preußen contra Reich‘, Berlin 2001. 287 Von Schmitt unterstrichen. 288 Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, München und Leipzig 1932. 289 Vermutlich fehlender Geburtstagsbrief zum 11. Juli 1933 (Schmitts 45. Geburtstag). 290 Jagdhaus Wiese bei Schmallenberg (Rothaargebirge / Hochsauerland). 291 Erwin von Beckerath (1889 – 1964), Nationalökonom, ab 1924 Prof. in Köln und ab 1939 in Bonn. 292 Fehlt.

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meistens überfüllt ist. Ein Arzt wäre frühestens in 1 Stunde zu erreichen. Im übrigen ist die Unterkunft zwar nicht Palace=Hotel=artig, aber sauber, fließendes Wasser, und die Verpflegung großartig. Dazu kommt der billige Preis. Frau Schmitt bittet um Verzeihung und Nachsicht, daß sie sich für die schönen Bilder von Ihrem Sohn293 noch nicht bei Ihrer Frau bedankt hat, sie verspricht bald zu schreiben und schickt heute nur das beiliegende Bild der kleinen Anima. Ich füge meine besten Grüße und Wünsche hinzu und bleibe in alter Verehrung stets Ihr 12. 7. 1933.

Carl Schmitt.

62. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 579 Nr. 351] Nikolassee 15. 7. 33 Verehrter lieber Herr Schmitt! Der neuliche Bereich meiner Wünsche hat sich inzwischen so kräftig konkretisiert, daß auch ich sie konkretisieren kann – das Allerbeste dafür, für Ihre Wirksamkeit und für die Sache! Ich bin ja ein Schwarzseher, und so macht mir Vieles von dem, was geschieht, Sorge, zumal so mancher Dilettantismus (Kirchenfrage!!). Möchten Sie da ein Feld nicht nur großer Aufgaben, sondern großer und dauerhafter Erfolge vor sich haben! Sie würden Manchem seine Sorgen erleichtern, nicht zuletzt mir die meinigen. Zum Gedeihen von Anima ebenfalls viele Wünsche! Da kommt unser kleiner Kerl aber nicht mit! Und endlich das Sauerland. Ich hoffe doch noch, in diesem Jahr hinzukommen. Ich möchte einmal wieder Westfalen an Ort und Stelle sehen – die einzige Kirchenprovinz übrigens, die sich erfolgreich des Kirchenkommissars294 erwehrt hat, was die eigentlich demütigenden und unsachlichen Anordnungen anging. Helfen Sie uns vor neuen Kulturkämpfen bewahren – dies Kapitel der deutschen Geschichte darf Ihre NSDAP nicht dauernd ignorieren.

293 Rudolf Smend jun. (*17. 10. 1932), Theologe, PD 1962 Bonn, 1963 Prof. Berlin, ab 1965 Ordinarius in Münster und ab 1971 in Göttingen. 294 Kirchenpolitisches Instrument der „Deutschen Christen“ unter Ludwig Müller (1883 – 1945) zur Gleichschaltung der Landeskirchen. Dagegen formierte sich die Bekennende Kirche. Schmitt war mit Heinrich Oberheid (1895 – 1977), einem Bischof der „Deutschen Christen“, eng befreundet, so dass Smend hier um mäßigenden Einfluss bittet. Zur Einordnung des damaligen Kirchenkampfs dann Rudolf Smend, Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz (1951), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 411 – 422.

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Meine Frau glückwünscht und dankt mit mir, zumal zu dem Bilde und für dieses. Viele Grüße von Haus zu Haus! Der Ihrige R. Smend Schmitts Briefen liegt eine Abschrift bei von Wilhelm Stuckarts Mitteilung vom 7. September 1933 an die Berliner Juristische Fakultät, dass Schmitt nach Berlin berufen ist (Cod. Ms. R. Smend A 759). Die Abschrift trägt einen handschriftlichen Vermerk vom damaligen Dekan Ernst Heymann:295 „Herrn Kollegen Smend vertraulich zur Kenntnis Heymann 16 / 9 / 33“. Durch seinen Wechsel an die Berliner Universität wurde Schmitt vom Wintersemester 1933 / 34 bis einschließlich Sommersemester 1935 ein direkter Kollege Smends im öffentlichen Recht. In den knappen Tagebucheintragungen wird Smend damals kaum erwähnt. Es ist davon auszugehen, dass Schmitt und Smend sich jenseits der politischen und persönlichen Differenzen um ein kollegiales Verhältnis bemühten. Bei der Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1934 sitzen beide während der Festrede nebeneinander. Frau Smend kommt am 19. Januar zu Besuch. Schmitt besucht Smend am 2. Mai 1934. Smend setzt sich damals in seinen Seminaren universitätsöffentlich mit Schmitt auseinander.296 Gelegenheit zur Kooperation geben Dissertationen. Schmitt notiert am 7. Juli 1934 in seinen Taschenkalender: „6 [18.00 Uhr Hubertus] Bung, nachher Günther Krauss, nervös, mit Smend über Dissertation von Krauss telefoniert.“ Smend übernimmt dann das Zweitgutachten für Günther Krauss297 und im Oktober 1935, wenige Tage vor seinem Wechsel nach Göttingen, noch ein Zweitgutachten für Albrecht Wagner (Gutachten im Anhang).298

295 Ernst Heymann (1870 – 1946); der maschinenschriftliche Brief vom 7. September 1933 des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, stellvertretend gezeichnet vom Staatssekretär Wilhelm Stuckart, lautet im Text: „Der Juristischen Fakultät teile ich mit, dass ich mich veranlasst gesehen habe, den preussischen Staatsrat Herrn Professor Dr. Carl Schmitt in Köln auf einen der freien Lehrstühle in der Juristischen Fakultät zum Wintersemester zu berufen. Es handelt sich um einen der Lehrstühle, die im Zusammenhang mit der Juristischen Studienreform neu geschaffen wurden und die im Hinblick auf die kommende Neuordnung des juristischen Studiums mit einem Öffentlichrechtler besetzt werden muss. Die Anwesenheit des Staatsrat Schmitt in Berlin ist ausserdem aus staatspolitischen Gründen erforderlich. In Vertretung gez. Stuckart.“ 296 So behandelte er im SS 1933 Schmitts Schrift „Legalität und Legitimität“ „und dagegen O. Kirchheimer“ im Seminar (dazu Smends Notizen Cod. Ms. R. Smend N 28). Im WS 1934 / 35 erörterte er Schmitts Schrift „Politische Theologie“ in einer Sitzung (Cod. Ms. R. Smend N 31). Smend las die Schrift, notierte sich einzelne Stichworte zu einigen Stellen und berücksichtigte aus der Sekundärliteratur Waldemar Gurians (unter dem Namen Paul Müller veröffentlichte) Kritik (Entscheidung und Ordnung. Zu den Schriften von Carl Schmitt, in: Schweizerische Rundschau 34, 1934, S. 566 – 576) sowie Ernst Rudolf Hubers verfassungstheoretische Auseinandersetzung aus den Blättern für Deutsche Philosophie 5 (1931 / 32), S. 302 – 315. An dem Seminar nahmen u. a. Herbert Krüger und Jürgen von Kempski teil, mit denen auch Schmitt in Verbindung stand. 297 Günther Krauss, Der Rechtsbegriff des Rechts. Eine Untersuchung des positivistischen Rechtsbegriffs im besonderen Hinblick auf das rechtswissenschaftliche Denken Rudolf Sohms, Hamburg 1936.

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63. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 51] z. Zt. Zagreb, den 28. April 1935. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Vielen Dank für Ihre freundlichen Grüße und Wünsche!299 Ich hoffe, daß Sie das Zwischensemester gut begonnen und ein schönes Osterfest gehabt haben. Was meine Erholung300 angeht, so ist sie leider über einige Ansätze nicht hinausgekommen. Mitte Mai muß ich schon wieder in Berlin sein. Ich habe, nachdem ich Ihre Wünsche und Pläne wegen der Vorlesungen des kommenden Semesters kennen gelernt habe, dem Dekan mitgeteilt, daß ich 1) Staat und Volk 2) Völkerrecht 3) eine verwaltungsrechtliche Übung 4) eine 1 stündige Vorlesung für Hörer aller Fakultäten lesen möchte.301 Dabei versteht es sich von selbst, daß ich gern bereit bin, diesen Plan zu ändern, wenn er im Ganzen oder teilweise Ihnen oder einem der anderen Kollegen im Wege stehen sollte. Was Sie über die neuen Vorlesungen302 schreiben, ist auch meine Ansicht; aber man muß einfach einmal anfangen und die neue Aufgabe versuchen, an sich selbst, an den Studenten, in und an Neuerscheinungen usw. Wir haben ja alle noch zu büßen für das, was Heckel den „Sündenfall des Juden Laband“303 nennt. 298 Albrecht Wagner, Der Kampf der Justiz gegen die Verwaltung in Preußen dargelegt an der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Konfliktgesetzes von 1854, Hamburg 1936. 299 Smends Brief mit Wünschen zum Freisemester und Planungen für das Wintersemester fehlt. 300 Schmitt war für das SS 1935 beurlaubt. Er reiste am 12. April nach Italien, besichtigte einige Städte (Bozen, Verona, Ravenna, Padua, Rom) und fuhr dann nach Zagreb (damals: Agram) weiter, wo er seinen Schwiegervater traf und Abstammungsunterlagen für den „Ariernachweis“ seiner Frau besorgte. 301 Schmitt bot im WS 1935 / 36 dann laut Vorlesungsverzeichnis Veranstaltungen an über „Staat und Volk“, „Völkerrecht“, „Völkerrechtliche Übungen“ und als die einstündige Vorlesung für Hörer aller Fakultäten „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches“. Smend kündigte eine Vorlesung über Verfassung sowie „Übungen im Verfassungsrecht“ an, wechselte aber dann nach Göttingen. 302 Semesterplan der neuen Studienordnung in: Karl August Eckhardt, Das Studium der Rechtswissenschaft, Hamburg 1935, S. 12 – 15; vgl. auch die von Schmitt mit einer Vorbemerkung herausgegebenen Berichte über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts, Hamburg 1935. Der neue Studienplan sah beispielsweise Vorlesungen über „Volk und Staat“ (Allgemeine Staatslehre ersetzend) und „Verfassungsgeschichte der Neuzeit“ vor. „Staatsrecht“ wurde durch „Verfassung“ ersetzt. Schmitt kündigt in seiner Vorbemerkung denn auch eine „Abhandlung ,Kritik der Allgemeinen Staatslehre‘“ an (Carl Schmitt (Hg.), Bericht über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts (Heckel, Henkel, Walz, Larenz), Hamburg 1935, S. 8), die er aber nicht publizierte. 303 Nicht ermittelt; zur Programmatik vgl. Johannes Heckel, Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht im Dritten Reich, in: Carl Schmitt (Hg.), Berichte über die Lage und das Studium des öffentliches Rechts, Hamburg 1935, S. 9 – 29, und dann ders., Der Einbruch des jüdischen Geistes in das Staats- und Kirchenrecht durch Friedrich Julius Stahl, in: Historische

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Nochmals besten Dank für Ihren freundlichen Brief und alles Gute Ihnen und Ihrer sehr verehrten Gattin. Stets Ihr Carl Schmitt.

64. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 52 – Briefkopf: Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen (BNSDJ), Schreibmaschine gez. von Medem,304 mit handschriftl. Unterschrift Schmitts; Adresse: Professor Dr. Rudolf Smend, / Berlin – Nikolassee / Teutonenstr. 4] 20. Sept. 1935 Sehr geehrter Herr Kollege! Die Reichsfachgruppe Hochschullehrer veranstaltet eine wissenschaftliche Arbeitstagung über den Fragebereich des Vereins- und Körperschaftsrechts. In meiner Eigenschaft als Reichsfachgruppenleiter Hochschullehrer erlaube ich mir, Sie zur Teilnahme an den Besprechungen ergebenst einzuladen. Die Tagung findet am Sonnabend, dem 12. und Sonntag, dem 13. Oktober in Berlin im Haus der Deutschen Rechtsfront, Tiergartenstr. 20 statt.305 Die Besprechungen beginnen am Sonnabend, dem 12. Oktober um 10 Uhr 30. Heil Hitler! Prof. Dr. Carl Schmitt Pr. Staatsrat

Zeitschrift 155 (1937), S. 506 – 541; Smend sprach 1939 negativ davon, „daß die Labandsche Staatsrechtswissenschaft an den Problemen ihres Gegenstandes vorbeiging“: „In diesem mangelnden Ernst gegenüber den verfassungspolitischen Gewissens- und Lebensfragen des deutschen Volkes liegt das tiefe Unrecht von Labands Werk und die Ursache seiner geringen aufbauenden und überwiegend ungünstigen Wirkung.“ (Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtslehre des 19. Jahrhunderts auf das Leben in Verfassung und Verwaltung, in: Deutsche Rechtswissenschaft 4, 1939, S. 25 – 39, hier: 33; Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 336) Es handelt sich hier um die vielleicht problematischste Formulierung Smends seit 1933; sie zeigt erneut den gemeinsamen Ausgang von der Positivismuskritik und die Ablehnung des bürokratischen Anstaltsstaats. 304 Eberhard von Medem (1913 – 1993), Mitarbeiter Carl Schmitts. 305 Bericht in DJZ 40 (1935), Sp. 42 – 44.

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65. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 53 – Briefkopf: National-Sozialistischer Rechtswahrer-Bund, Schreibmaschine gez. Eberhard von Medem, handschriftliche Unterschrift Schmitts. Adresse: Herrn / Professor Dr. Smend / Göttingen / Hansenstr. 26; am Seitenrand handschriftlich von Smend vermerkt: „abgelehnt“] 17. 7. 36 Sehr verehrter Herr Kollege! Anfang Oktober findet die große Tagung der Reichsgruppe über das Judentum in der Rechtswissenschaft statt.306 Ich würde mich freuen, wenn es Ihnen möglich wäre, auf dieser Tagung ein Referat über das Judentum im Staatsrecht307 zu übernehmen. Ich darf Sie bitten, mir mitteilen zu wollen, ob Sie zur Übernahme eines solchen Referates evtl. bereit wären. Heil Hitler Ihr sehr ergebener Carl Schmitt.

66. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 54 – Briefkopf: Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17; Brief Schreibmaschine mit bleistiftschriftlicher Unterschrift] 16. Juli 1937 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Ueber Ihren Geburtstagswunsch308 habe ich mich diesmal ganz besonders309 gefreut. Ich danke Ihnen herzlich dafür und erwidere ihn mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit und Ihre Erholung im Radiumbad. Ich selber muß diesen Brief leider diktieren, weil sich vor acht Tagen plötzlich eine 20 Jahre alte Ruhr wieder 306 Die Tagung war am 3.-4. Oktober 1936. Aus der Literatur: Hasso Hofmann, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist, in: Karlheinz Müller / Klaus Wittstaedt (Hg.), Geschichte und Kultur des Judentums, Würzburg 1988, S. 128 – 140; Christian Busse, ,Eine Maske ist gefallen‘. Die Berliner Tagung ,Das Judentum in der Rechtswissenschaft‘ vom 3. / 4. Oktober 1936, in: Kritische Justiz 33 (2000), S. 580 – 593; Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 372 ff. 307 Dann: Edgar Tatarin-Tarnheyden, Der Einfluß des Judentums in Staatsrecht und Staatslehre, Berlin 1938. 308 Fehlt. 309 Evtl. Anspielung auf Schmitts Verlust seiner nationalsozialistischen Ämter und seine resultierende Isolation.

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einmal meiner in Treue erinnert hat, so daß ich im jämmerlichsten Zustande zu Bett liege und die lang ersehnte Westfalen-Reise310 verschieben mußte. Wären die guten Freundschaften doch nur halb so treu wie die bösen Krankheiten! Hoffentlich geht es Ihrer Gattin und Ihren Kindern gut. Wir haben in diesem letzten Jahr oft von Ihnen allen gesprochen und würden uns freuen, Sie bald wieder einmal zu sehen. In alter Verehrung bleibe ich stets Ihr unveränderlicher Carl Schmitt.

67. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Typoskript (Familienbesitz Smend): Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff. Bericht der Klasse II der Abteilung für Rechtsforschung der Akademie für Deutsches Recht zur 4. Jahrestagung am 29. Oktober 1937, 67 S.; handschriftliche Widmung:] Rudolf Smend als verspäteten Neujahrsgruss von Carl Schmitt Januar 1938 From jigging veins of rhyming mother-wits And such conceits as clownage keeps in pay We’ll lead you to the stately tent of war. (Marlowe)311

68. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 55] Gründonnerstag den 14. April 1938. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Die freudige Erwartung, die ihr Brief vom 21. März312 bei mir erregt hatte, ist nun leider enttäuscht worden und ich muß mich jetzt schriftlich für Ihr freundliches Reise nach Plettenberg / Westfalen. Die ersten Verse des Prologs von Christopher Marlowe (1564 – 1593), Tamburlaine the Great (1588 / 90), in: The Complete Works of Christopher Marlowe, Vol. V, ed. David Fuller, Oxford 1998, S. 6; übersetzbar etwa: Von der Sprunghaftigkeit des gereimten Mutterwitzes / und solchen Einfällen, die sich der Narr in Diensten hält / werden wir Euch zum stattlichen Zelt des Krieges führen. 312 Fehlt. 310 311

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Schreiben und für die beiden Aufsätze313 bedanken. Beides, Schreiben und Aufsätze, ist so voll von guten Gesprächsthemen, daß es mir doch recht leid tut, Sie diesesmal nicht getroffen zu haben. Der Zustand unseres Faches, von dem Sie in Ihrem Briefe sprechen, ist hier in Berlin besonders fühlbar. Aber ubi quaerar, quos implorem?314 Man muß es durchstehen. Unter den ganz jungen Jahrgängen sind hoffentlich weniger verkrampfte Geister und Gemüter, als unter den jetzt schon etwas alten Neuen der letzten Jahre. Bei der Lektüre Ihres Aufsatzes über Triepel wurde mir die schwierige Übergangslage klar, in der wir beide stehen. Es gibt nichts Undankbareres, als Thore zu öffnen, durch die Andere weiter marschieren. Triepel ist eigentlich zu beneiden. Und von der Art Ruhm, wie sie Dahlmann zu seinem Schaden zuteil wurde, hat uns ein nicht sehr angenehmes, aber doch wohl gütiges Geschick bewahrt.315 Die freundlichen Worte,316 die Sie zu meiner Schrift über den diskriminierenden Kriegsbegriff sagen, tun mir wohl. Es ist ganz unglaublich, wie dumm und hässlich 313 Rudolf Smend, Heinrich Triepel zum 70. Geburtstag am 12. Februar 1938, in: Forschungen und Fortschritte 4 (1938), S. 58 – 59; Zum Gedenktag der Göttinger Sieben, in: ZAkDR 4 (1937), S. 691 (beide im Anhang). Schmitt hat diese (ohne persönliche Widmung von Smend übersandten) Sonderdrucke aufbewahrt. Er gab sie später in eine Mappe (RW 265-21773), mit der er den Tod Smends bearbeitete. Den Triepel-Artikel zitiert Schmitt 1939 einleitend in seiner Rezension von Triepels Buch „Die Hegemonie“ (Stuttgart 1938), Wiederabdruck in: Carl Schmitt, Staat, Großraum, Nomos, Berlin 1995, S. 225; Schmitts langjähriger Mitarbeiter Karl Lohmann (1901 – 1996) bittet Smend damals in Absprache mit Werner Weber mit Schreiben vom 13. Mai 1938 (Cod. Ms. R. Smend A 527) als Schriftleiter der Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht um einen ähnlichen Aufsatz oder kleinen Beitrag zu Schmitts 50. Geburtstag. Smend macht das aber nicht. Jens Jessen (1895 – 1944) wünscht von Smend später eine Rezension. Schmitt bewahrte seine stenographischen Abschrift (RW 265-3173) von Smends ablehnender Antwort auf. Transkribiert (durch Hans Gebhardt) lautet der Brief: „Smend an Jessen, 21. 2. 1940 / Sehr verehrter Herr Kollege! Für die auszeichnende Aufforderung zur Besprechung von Dr. Schmitts ,Positionen und Begriffe‘ danke ich Ihnen sehr. Die Aufgabe würde mich reizen, schon um dem weiteren Kreise derer, die unter dem starken Eindruck dieser Arbeit stehen, ohne ihre Denkvoraussetzungen zu verstehen, eine gewisse Einführung darin zu geben. / Aber ich bin für Völkerrecht nicht zuständig, und so muss ich schon deshalb leider Nein sagen, ganz abgesehen von der Frage, ob ich überhaupt angesichts meiner ,konkreten Situation‘, um mit Carl Schmitt zu reden, zu diesen und anderen Dingen zu schweigen habe. / Mit bestem Dank und wiederholt grüße ich / Heil Hitler / Ihr sehr ergebener Smend“. 314 „Ubi quaerar, quos implorem, patres conscripti, diripi rem publicam atque audacissimo cuique esse praedae?“ Aber – meine Senatoren – wo soll ich denn klagen, an wen mich bittend wenden, daß der Staat geplündert wird und jedem, je frecher er ist, zur Beute fällt?, in: Sallust, Invektive und Episteln, hrsg. Karl Vretska, Heidelberg 1961, Bd. I, S. 88. 315 Dahlmann hatte gegen den Verfassungsbruch (Rücknahme des Staatsgrundgesetzes von 1833) des neuen Königs Ernst August I. von Hannover (1771 – 1851) protestiert und den Widerstand der „Göttinger Sieben“ initiiert; er verlor deshalb seine Göttinger Professur und wurde (zusammen mit Jacob Grimm und Gervinus) ausgewiesen. Schmitt distanziert sich hier von dem Dahlmann rechtfertigenden Artikel, den Smend ihm übersandte. 316 Wohl im fehlenden Brief vom 21. März 1938.

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dagegen „geschossen“ worden ist. Die Narrheit Koellreutters317 (der übrigens für 1 Jahr nach Tokio geht, als Repräsentant des deutschen Staatsrechts) ist doch mehr bösartig als dumm. Aber auch andere dekouvrieren ihre arme Seele in einer peinlichen Weise. Ich hoffe, Ihnen den Bericht nächstens als gedruckte Broschüre318 zusenden zu können. Es ist nicht mehr, als eine bescheidene Besuchskarte, die ich in einem Antichambre des Weltgeistes abgeben zu müssen glaubte. Seit Monaten bin ich auf einer sonderbaren Fährte: ich pirsche mich an den „Leviathan“ heran. Ein Vortrag in Leipzig319 (in der Philos. Gesellschaft des sehr feinen Gehlen)320 hat meinen Eifer nur vermehrt, Ende des Monats321 spreche ich darüber in Kiel, in der Hobbes-Gesellschaft des Baron Cay von Brockdorff322 – dem richtigen Rahmen für solche Spleens. Trotzdem: warum hat noch niemand darüber nachgedacht, was der Leviathan als Symbol und politischer Mythos eigentlich bedeutet? Die apologetische wie die ikonographische Entwicklung dieses Bildes ist sehr spannend, aber die Nachforschungen sind mühselig. Schließlich stößt man auf die Kabbala, und in diese Höhle wage ich mich doch nicht hinein. Sollte Ihnen eine Verwendung des Bildes vom L. in irgendeiner Zeit auffallen, wäre ich für eine Mitteilung dankbar. Ich hoffe, Ihnen im Sommer einen ausgearbeiteten Vortrag über „Sinn und Bedeutung des L. als eines politischen Symbols“ zusenden zu können.323 Jetzt aber genug von meinen Liebhabereien. Ich bitte Sie, diese Expektoration324 als Zeichen meiner Wünsche nach einem Gespräch mit Ihnen aufzufassen und hoffe, daß dieser Wunsch bald in Erfüllung geht. Inzwischen wünsche ich Ihnen, Ihrer hochverehrten Gattin und Ihren Jungens ein schönes Osterfest, auch von Frau Schmitt, die herzlich grüßen läßt, und bleibe in alter Verehrung stets Ihr Carl Schmitt. 317 Gemeint ist vermutlich keine Rezension, da Schmitts Bericht noch nicht publiziert war. Koellreutter veröffentlichte dann aber: Leviathan und totaler Staat, in: Reichsverwaltungsblatt 59 (1938), S. 803 – 807. 318 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden Kriegsbegriff, München 1938. 319 Am 21. Januar 1938 in der Leipziger Ortsgruppe der Philosophischen Gesellschaft. 320 Arnold Gehlen (1904 – 1976), Philosoph, PD Leipzig 1930, ab 1934 Ordinarius in Leipzig, 1938 Königsberg und 1940 Wien, nach 1945 dann in Speyer und Aachen. 321 29. April 1938 in Kiel. 322 Baron Cay von Brockdorff (1874 – 1946), Philosoph, ab 1921 apl.Prof. in Kiel, Begründer der Hobbes-Gesellschaft; Schmitt war schon vor 1933 Mitglied der Gesellschaft (Schmitt am 21. 6. 1930 an Ferdinand Tönnies, Landesbibliothek Kiel, Nachlass Tönnies, cb 54.56: 734, 10); Christian Tilitzki spekuliert (Zwei Miszellen, in: Schmittiana 6, 1998, S. 167 – 189, hier: 176 ff.), dass Schmitt aus politischen Gründen vom nationalsozialistischen Kieler Rektor Paul Ritterbusch als Redner nicht erwünscht gewesen sei. 323 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938. 324 Wörtl. latein. Auswurf, also Ironisierung der eigenen Ausführungen.

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Wenige Tage zuvor hatte Carl Schmitt in den Veröffentlichungen der HobbesGesellschaft Bd. 9 (1938), S. 15, eine Grußbotschaft zum 350. Geburtstag von Thomas Hobbes publiziert. Der Text lautet:

Thomas Hobbes von Malmesbury zum 5. April 1938 Erst jetzt im 4. Jahrhundert seiner Wirkung, tritt das Bild dieses großen politischen Denkers in reinen Linien zu Tage und wird der echte Klang seiner Stimme vernehmbar. Für sein eigenes Jahrhundert hat er selbst voll Bitterkeit von sich gesagt: ,Doceo, sed frustra.‘325 Im folgenden Jahrhundert war er der ungenannt bleibende Inaugurator des staatspolitischen Denkens. Dann wurden seine Begriffe herrschend, aber das Bild seines ,Leviathan‘ blieb ein Schreckmythos, und seine lebendigsten Prägungen sanken zu Redensarten herab. Heute dagegen begreifen wir die unverminderte Kraft seiner Polemik, verstehen wir die innere Geradheit seines Gedankens und lieben wir den unbeirrten Geist, der die existentielle Angst des Menschen furchtlos zu Ende dachte und als ein wahrer ðrüìá÷ïò326 die trüben Evasionen aller ,indirekten Gewalten‘ zerstörte. So ist er für uns der echte Denker einer politischen Wirklichkeit; einsam, wie jeder Wegbereiter; ungelohnt, wie jeder, der ein Tor öffnet, durch das andere weitermarschieren; und doch in der unsterblichen Gemeinschaft der großen Wissenden der Zeiten – a sole retriever of an ancient prudence.327 Über die Jahrhunderte hinweg rufen wir ihm zu: Non jam frustra doces, Thomas Hobbes!328 Carl Schmitt

69. Von Duschka Schmitt geschriebene, teils vorgedruckte Einladungskarte [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 46] Staatsrat Professor Carl Schmitt und Duschka Schmitt geben sich die Ehre / Herrn und Frau Professor Dr. Rudolf Smend am Dienstag den 12. Juli um 8 Uhr zum Abendessen einzuladen. Anzug: Smoking / Berlin-Dahlem / Kaiserswertherstr. 17.

[Ich lehre, aber vergebens.]. [Griechisch: Vorkämpfer]. 327 [Ein einziger Retter einer alten Weisheit; James Harrington (The Commonwealth of Oceana, 1656, edited and translated by J. G. A. Pocock, Cambridge 1992, S. 30) münzte dieses Wort auf „Machiavel, the sole retriever of this ancient prudence“; Schmitt parallelisiert seine Rehabilitierung von Hobbes so mit Harrington]. 328 [Du lehrst nun nicht mehr vergebens, Thomas Hobbes.]. 325 326

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70. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15225] Göttingen 9. Juli 1938 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Meine Frau und ich machen nach gemeinsamer Angina mit Betthaft die ersten Aufstehversuche und denken etwas wehmütig an die Aussicht, in anderthalb Wochen mit Ihnen zu feiern. Nehmen Sie mit Ihrer Gattin vielen herzlichen Dank, daß Sie an uns gedacht haben! Aber wir sind dann noch nicht wieder so weit, dass wir Derartiges unternehmen können, und zudem sind wir dann durch unseren Ältesten gehemmt, den wir (ohne sonstige Hülfe) mit in die Harzer Sommerfrische nehmen wollen. Um so mehr werden wir Ihrer in den Tagen gedenken. Heute sagen wir Ihnen nur wiederholten herzlichen Dank und die allerbesten Grüße von Haus zu Haus! Der Ihrige R. Smend

71. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Widmung des Leviathan-Buches329 von 1938] Meinem besten Weggenossen auf der gefahrenvollen Straße des öffentlichen Rechts, Rudolf Smend, in treuer Verehrung und dankbarer Erinnerung Berlin, Juli 1938 Carl Schmitt. káëüò 1 kéíäõíüò.330

329 Carl Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938 (Exemplar im Familienbesitz Smend). 330 Korrekt heißt es: káëüò 1 kßíäõíïò.: Schön ist das Wagnis. In der antiken Literatur mehrfach zu findendes Zitat; Schmitt bezieht sich wahrscheinlich auf Platon, Phaidon 114 d; Platon (Sokrates) meint hier das Wagnis des Glaubens an die Unsterblichkeit der Seele.

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72. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15226]331 Torfhaus (Oberharz), 10. Juli 1938 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt! Das Geburtstagsgeschenk zu Ihrem fünfzigsten Geburtstage bringen Sie den Anderen – der „Leviathan“ hat, wie freilich im Grunde alles von Ihnen, nicht nur die Inhaltsfülle, sondern auch die Anmut, die das echte Geschenk haben muß. Und er wird auch dem Tage gerecht – auch wenn das fünfzigste Jahr für den schaffenden Mann kein eigentlicher Lebensabschnitt ist, der zum abschließenden Rückblick genügt, so machen Sie es doch jedem Glückwünschenden leicht, sich an diesem anmutigen Werk Ihre geistige Gestalt ohne Mühe noch einmal deutlich zu machen, um zu wissen, wofür er Ihnen zu danken und Sie und sich selbst zu beglückwünschen hat. Ich nehme Ihre Gabe mehr als Bestätigung dessen, was ich bewußt zu sehen glaube – und die freundlichen Worte, mit denen Sie sie begleiten,332 auch als Ausdruck Ihres Einverständnisses mit meiner Deutung.333 Ich wiederhole Ihnen heute diese Deutung nicht. Ich vermute, daß Sie sich und Ihr Werk heute etwa in dem Lichte sehen, in das Sie in den letzten Sätzen Ihres Buches Ihren Helden und sein Werk rücken334 – aber ist der Einschlag von Resignation darin nicht das Schicksal jedes bedeutenden schöpferischen Lebens? Und ist Ihr Schicksal nicht doch glücklicher? Einmal im Bereich der überwältigenden Evidenz, die Sie nun doch einmal vor dem alten Engländer voraus haben – nehmen Sie doch nur die kleine Münze davon, die Kolumbuseier, die Sie immer wieder so verblüffend hinstellen – Ihr Buch enthält wieder eine Anzahl, das für mich eindrücklichste und schönste die glänzende Kontrastierung Hobbes-Spinoza S. 88. Und das ist nur Ihr Kleingeld! Aber vor allem: die Linie nach vorwärts und nach rückwärts, die Sie deutlich machen, wie kein Zeitgenosse. Zurückhaltender in der Zukunft – da kann man ja auch nur Alternativen zeigen, und vielleicht gehen wir da auseinander – vielleicht sehen wir die vor uns liegende neue Stufe der Geschichte und des Geistes noch sich klären. Entschiedener in die Vergangenheit: die aufgegebene Begründung und Ausrichtung unseres Denkens haben Sie so nachdrücklich herausgestellt, daß hier in 331 Im Nachlass (RW 265-15226) befinden sich auch eine schreibmaschinenschriftliche Abschrift des Briefes sowie ein Durchschlag der Abschrift. 332 Schmitts Widmung an Smend. 333 Bezieht sich wohl auf ein früheres Gespräch oder einen verlorenen Brief. 334 Die Schlusssätze lauten: „So ist er für uns der echte Lehrer einer großen politischen Erfahrung; einsam wie jeder Wegbereiter; verkannt, wie jeder, dessen politischer Gedanke sich nicht im eigenen Volk verwirklicht; ungelohnt, wie der, der ein Tor öffnet, durch das andere weitermarschieren; und doch in der unsterblichen Gemeinschaft der großen Wissenden der Zeiten, ,a sole retriever of an ancient prudence‘. Über die Jahrhunderte hinweg rufen wir ihm zu: Non jam frustra doces, Thomas Hobbes!“ (Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, Hamburg 1938, S. 132).

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der That nur etwas von den Andern zu fordern ist. Von Hobbes ist ja doch irgendwie, wenn auch nicht im Sinne seines Autors, das Ranke’sche Wort wahr, daß er zu den großen Agonien des 17. Jahrhunderts gehört.335 Sie gehören nicht zu denen des 19. oder des 20., ganz im Gegenteil – es sei denn, daß wir endgültig in das nachwissenschaftliche Zeitalter eingetreten wären. Das wäre, glaube ich, in der Tat die Grenze Ihrer Wirkung und Ihrer Geltung – und zuweilen möchte man bei den Jungen, zuweilen sogar bei Ihren Schülern an dergleichen glauben. An die Endgültigkeit dieser Wendung und damit Ihrer Wirksamkeit glaube ich einstweilen aber ganz und gar nicht – das Gegenteil wünsche ich der Welt, uns allen, und zum Geburtstage Ihnen das Dringendste! Möchte es ein fröhlicher Festtag sein, den Sie begehen, und möchte er voll guter Vorzeichen sein für die vor Ihnen liegenden Jahrzehnte! Noch immer in der Rekonvaleszenz begriffen, können meine Frau und ich übermorgen nur in Gedanken mitfeiern – das tun wir aber aufs herzlichste! Mit den wärmsten Wünschen und Grüßen Ihnen und Ihrer Frau von uns beiden der Ihrige Rudolf Smend

73. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 57 – Postkarte: Plettenberg, Böhler Kapelle; „Herrn Prof. Dr. Rudolf Smend / aus Göttingen / z. Zt. Torfhaus Oberharz / Wulferts Hotel“, handschriftlich ergänzt: „weitergeschickt: Göttingen, Am Goldgraben 13“] 30. 7. 38 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Ihren wunderschönen Geburtstagsbrief336 beantworte ich heute mit herzlichen Grüßen aus den sauerländischen Bergen, in deren Einsamkeit die gütigen und klugen Worte Ihres Briefes noch unmittelbar lebendig sind. Vielen Dank aus ganzem Herzen und alles Gute für Sie, Ihre hochverehrte Gattin und für Ihre Familie! In alter Verehrung immer Ihr Carl Schmitt

335 Smend wandelt dieses Rankewort ab in seinem Artikel zum Gedenktag der Göttingen Sieben, in: ZAKDR 4 (1937), S. 691. 336 Schmitt instrumentalisierte diesen Brief später in seiner Vergangenheitspolitik, so etwa in der Korrespondenz mit Armin Mohler (Schmitt am 10. 4. 1964 an Mohler, in: Carl Schmitt. Briefwechsel mit einem seiner Schüler, Berlin 1995, S. 337) und Hans-Dietrich Sander (Schmitt am 15. 7. 1975 an Sander, in: Carl Schmitt – Hans-Dietrich Sander. WerkstattDiscorsi. Briefwechsel 1967 – 1981, Schnellroda 2008, S. 352).

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74. Rudolf Smend an Carl Schmitt [Sonderdruck: Der Einfluß der deutschen Staats- und Verwaltungsrechtslehre des 19. Jahrhunderts auf das Leben in Verfassung und Verwaltung, in: Deutsche Rechtswissenschaft 4 (1939), 25 – 39, darauf Bleistiftwidmung Smends]337 Leider zu sehr in der Bedrängnis der 45=Minuten Berichtsachen steckengeblieben – und leider ohne genügend Fruktifizierung Ihrer Erwägungen! Viele Grüße! R. Smend

75. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 579 Nr. 351] Göttingen 9. Juli 1940 Sehr verehrter, lieber Herr Schmitt! Es drückt mich, daß ich, entgegen monatelanger Absicht, Ihren Brief zu meinem Geburtstage338 erst ein halbes Jahr danach und also zu dem Ihrigen beantworte. Mit dem Dank für Ihre Gesinnung und Wünsche, und mit wärmster Erwiderung. Die Wünsche, die ich Ihnen zu sagen habe, sind anderer Art, als die, die man mir sagen kann – unendlich inhaltreicher, und mit unendlich größerer Chance der Verwirklichung – möchten Sie in Amt und Haus gute und gesunde, glückliche und fruchtbare Zeiten vor sich haben! Bei der Rückkehr von einem Trimester in Leipzig (vor Weihnachten – ein merkwürdiges Gefühl, nach so langer Zeit einmal wieder in akademischer Luft339 zu sein) fand ich Ihre Triepel-Besprechung340 vor – vielen Dank! Natürlich – die Einleitung ist schade. Aber sonst ein guter Triepel. Und der Staatsbegriff – ich bin ihm ja bisher nur sammelnd nachgegangen, aber nun muß ich doch mehr an ihn wenden – da ist ja wirklich so viel noch zu thun. Ich weiß nicht, ob ich mich da zu Ihrer These bequeme – aber es ist doch wenigstens endlich eine ernst zu nehmende und darum allein schon weiter fördernde – die Anderen kommen ja doch über die billige Entdeckung, daß das bei Höhn341 alles nicht stimmt, nicht hinaus. 337 Schmitt zitiert diese Abhandlung damals wiederholt in seinen Publikationen, so in: Neutralität und Neutralisierungen, Wiederabdruck in: ders., Positionen und Begriffe, Hamburg 1940, S. 276. 338 Schmitts Brief an Smend zum 15. 1. 1940 fehlt. 339 In Leipzig lehrten damals u. a. Ernst Rudolf Huber und Franz Wieacker. Smend freut sich damals evtl. auch einfach nur darüber, der nationalsozialistischen Atmosphäre in Göttingen einige Zeit entronnen zu sein. 340 Carl Schmitt, Führung und Hegemonie, Rezension von Heinrich Triepel, Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten, Stuttgart 1939, in: Schmollers Jahrbuch 63 (1939), S. 513 – 520. 341 Reinhard Höhn (1904 – 2000), z. B.: Der individualistische Staatsbegriff und die juristische Staatsperson, Berlin 1935; ders., Otto von Gierkes Staatslehre und unsere Zeit, Hamburg

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Und dann das ,Allgemeine deutsche Staatsrecht‘.342 Eine höchst lehrreiche Linie – neben der dann aber andere herlaufen, über die man doch auch gern ein kräftig Wörtlein von Ihnen gehört hätte. Dahlmann? Seit mir ein thörichter Rektor343 hier eine vom Dekan bestellte Festschrift344 für Universitätsjubiläum und Göttinger Sieben coupiert hat, habe ich ihn verärgert liegen lassen. Aber sein Verfassungsmythus gehört auch in das Bild, wenn auch nicht in Ihre Fragestellung. Schmerzlich ist mir der im Grunde trostlose Nachgeschmack, der bei Ihnen bleibt – mir ging es seinerzeit ja ebenso. Thun wir da doch dem 19. Jahrhundert Unrecht – aber wenn, wo liegt der Fehler? Hier ist Scheuner345 eine unverhoffte Bereicherung, wenn auch leider – dank vielfacher Abwesenheit und vieler Arbeit – eine ziemlich unsichtbare. Ich selbst war freilich dies Jahr auch nicht zu brauchen – und dafür diese Briefverspätung – allerlei Plage, letzte Krankheit und Tod meiner Mutter und Auflösung des elterlichen Haushalts, in der Fakultät die gute Luft eines seit zwei Jahren laufenden Disziplinarprozesses,346 dessen eigentlicher Angeklagter die Fakultätsmehrheit ist und der nun alles das noch vergiftet, was allenfalls noch für Gemüt und Nerven zu ertragen gewesen wäre. Aber das sind kleine Dinge, deren man heutzutage nicht gedenken sollte. 1936; Höhn, seit 1933 SS-Mitglied, wurde zum WS 1935 / 36 Prof. in Berlin, weshalb Smend auch nach Göttingen wechseln musste. 342 Carl Schmitt, Das ,allgemeine deutsche Staatsrecht‘ als Beispiel rechtswissenschaftlicher Systembildung, in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 100 (1940), S. 5 – 24. 343 Der Germanist Friedrich Neumann (1889 – 1978) war Göttinger Rektor von 1933 bis 1938. 344 Erschienen sind: 200-Jahrfeier der Georgia-Augusta-Universität vom 25. bis 30. Juni 1937, Göttingen 1937; 200 Jahre Universität Göttingen 1737 – 1937, Sonderheft der Niedersächsischen Hochschulzeitung, Göttingen 1937; Bildnisse Göttinger Professoren aus zwei Jahrhunderten (1737 – 1937). Festgabe des Universitätsbundes zum Jubiläum der Georgia Augusta, hrsg. Max Voit, Göttingen 1937; Goetz von Selle, Die Georg-AugustUniversität zu Göttingen 1737 – 1937, Göttingen 1937; Wissenschaft und Glaube. Reden und Ansprachen zur 200-Jahrfeier der Georg-August-Universität zu Göttingen im Juni 1937, Berlin 1938; dazu vgl. Miriam Saage-Maaß, Die Göttinger Sieben – demokratische Vorkämpfer oder nationale Helden? Zum Verhältnis von Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur in der Rezeption des Hannoverschen Verfassungskonflikts, Göttingen 2007, S. 108 ff. 345 Ulrich Scheuner (1903 – 1981; Abb. 14) war ein Berliner Schüler von Heinrich Triepel und Rudolf Smend, stand aber auch mit Carl Schmitt seit 1928 in engem Kontakt. Ab 1933 war er Prof. in Jena, Göttingen (1940), Straßburg (1941) und Bonn (1950). Dazu vgl. Ulrich Scheuner, Rudolf Smend, Leben und Werk, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag 15. Januar 1952, Göttingen 1952, S. 433 – 443. 346 Richard Passow (1880 – 1949) war im August 1938 seine amtliche Tätigkeit untersagt worden. Am 8. April 1940 wurde seine Entlassung zwar aufgehoben. Passow hatte aber weiter Hausverbot. Erst 1942 erging ein abschließendes Urteil. Rektor war damals von 1938 bis zum November 1941 das SS-Mitglied Otto Sommer (1902 – 1987); Dekan war Karl Siegert. Dazu vgl. Anikó Szabó, Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen 2000, S. 149 – 151.

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Ihnen und den Ihrigen einen fröhlichen Festtag und gute Zeit347 danach! Und dazu die allerbesten Grüße von Haus zu Haus! Wie immer der Ihrige R. Smend

76. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 58] 4. Mai 1941 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Meine Annahme, daß Sie an dem gestrigen und vorgestrigen Auftrieb des Völkerrechts in der Akademie für Deutsches Rechts348 teilnehmen würden und ich dann Gelegenheit haben würde, Sie zu sprechen und mich für Ihren Brief vom 7. April349 (aus Hohegeiß)350 zu bedanken, hat sich leider nicht bestätigt. So will ich Ihnen jetzt wenigstens mit einigen Zeilen schriftlich danken, obwohl ich ganz von dem Gefühl beherrscht bin, daß unsere Besprechung nur in einem mündlichen Gespräch von Angesicht zu Angesicht Sinn haben könnte. Dieses Gefühl ist bei mir im Augenblick besonders stark, weil Hans Freyer von Budapest351 aus vor einigen Tagen bei mir war und diese Begegnung von wenigen Stunden im Vergleich zu jedem denkbaren Ergebnis eines Briefwechsels so unverhältnismäßig reich und fruchtbar wurde, daß dadurch die mit dem Alter wachsende Abneigung gegen das Schreiben noch heftiger, ja erbitterter wird. Der oben erwähnte Auftrieb war übrigens so deprimierend, daß Sie sich glücklich schätzen können, solche Erniedrigungen der reinen Wissenschaft und des wissenschaftlichen Geistes nicht mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommen zu haben. Zu sehen, wie Professoren sich hochgeehrt fühlen, wenn sie jüngeren Referenten oder auch alten aus einem Ministerium lauschen dürfen, ist sehr traurig. Wenn dann noch eine von Bruns352 geleitete „Diskussion“ eintritt, in der Herr Folgende Worte quer am Seitenrand geschrieben. Tagung des Völkerrechtsausschusses in der Akademie für Deutsches Recht am 2. / 3. Mai 1941, Bericht in der ZAkDR 8 (1941), S. 162. 349 Fehlt. 350 Kurort im Harz. 351 Hans Freyer (1887 – 1969), 1922 Prof. Kiel und ab 1925 Leipzig, war von 1938 bis 1944 Gastprofessor in Budapest und leitete dort das Deutsche Kulturinstitut. Schmitt sprach dort Anfang Mai 1942 und im November 1944. Dazu allgemein: Frank-Rutger Hausmann, ,Auch im Krieg schweigen die Musen nicht‘. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2001; vgl. Christian Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkriegs, in: Schmittiana 6 (1998), S. 191 – 259, hier: 202 ff. 352 Victor Bruns (1884 – 1943), Prof. in Tübingen und ab 1912 in Berlin, Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. 347 348

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Thoma, Herr Bilfinger353 und ein ebenso alter Herr von Düngern354 bahnbrechende Konstruktionen – unter Dankesbezeugungen, daß ihnen eine so auszeichnende Erlaubnis zuteil wurde – an die Adresse seiner hohen Behörden vortragen, so sehnt man sich nach der Mansarde. Doch sind das tägliche Erfahrungen, die ich hier mache und die ich umso tiefer empfinde, als ich jetzt seit fast 8 Jahren verzweifelte Versuche einer Rettung unserer Würde vergeblich unternehme. In diesem Zusammenhang stand auch der Satz (der von Pascal ist) „toute notre dignité consiste dans notre pensée“.355 Man darf solche Sätze nicht geistesgeschichtlich, sondern muß sie aus der Existenz des Einzelnen heraus verstehen. Was ist ein Satz von Seneca, oder von Morus, oder auch von unserem Kollegen Bodin allgemein genommen? Und wie herrlich leuchtet er als existenzielle Äußerung eines Christenmenschen in einer konkreten Situation! Aber das wissen Sie längst. Ich wollte Ihnen damit nur zeigen, daß ich gesprächsbereit bin und mich freue, wenn Sie mich anläßlich eines Besuches in Berlin anrufen. Den gleichen Sinn hat die Übersendung der beiliegenden Ausgabe eines Aufsatzes von Lorenz Stein.356 Er kann heute „entdeckt“ werden. Was wird in 100 Jahren von uns entdeckt werden? Herzliche Grüße Ihnen und Ihrer Frau! Auch Frau Schmitt grüßt vielmals. Ich bleibe in alter und unveränderlicher Verehrung stets Ihr Carl Schmitt.

77. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 59 / 63 – Briefkopf: Preussischer Staatsrat / Professor Carl Schmitt / Berlin-Dahlem / Kaiserswerther Str. 17, Text Schreibmaschine mit handschriftlicher Unterschrift; als maschinenschriftl. Abschrift auch in Schmitts Nachlass RW 265-13531 und an anderen Stellen] 14. Januar 1942 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! In dieser bitteren Zeit haben die Glückwünsche, die einer Zeit der Ruhe, Sicherheit und Ordnung entsprachen, ihren Sinn und Klang verloren. Ich bin nicht mehr jung genug, um mit dem jungen Hölderlin zu rufen: „Triumph, die Paradiese Richard Thoma und Carl Bilfinger. Otto Freiherr von Dungern (1875 – 1967), Rechtshistoriker, seit 1916 Prof. für Staatsund Verwaltungsrecht in Graz. 355 Blaise Pascal, Pensées. Texte de L’Édition Brunschvicg, Paris 1951, S. 163 (347). 356 Lorenz von Stein, Zur preußischen Verfassungsfrage (1852), hrsg. Carl Schmitt, Berlin 1940; Smends im Familienbesitz erhaltenes Handexemplar trägt keine Widmung. 353 354

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schwanden!“357 Selbst die Widmung káëüò 1 kéíäõíüò.“, die ich Ihnen im Sommer 1938 in das Exemplar meines Leviathan hineinschrieb, klingt heute schon fast leichtsinnig. Aber ich möchte auch nicht jammern und gratuliere daher vertrauensvoll und guten Mutes zu Ihrem Geburtstag. Ihnen und Ihrer Familie wünsche ich von Herzen Glück und Segen zu diesem festlichen Tage, der mir, wie vielen anderen, einen Anlaß gibt, von meiner Verehrung und Verbundenheit zu sprechen. Frau Schmitt schließt sich in treuer und unveränderter Sympathie auf das lebhafteste an und grüßt Sie und Ihre Frau aufs Beste. Wir hoffen, daß dieser Tag für Sie und Ihre Familie ein großer Feiertag und eine dauernde schöne Erinnerung wird. Es ist, wenn ich recht unterrichtet bin, Ihr 60. Geburtstag, eine Tatsache, die ich nach dem Eindruck der Frische und Initiative, den Sie vor einigen Wochen bei Ihrem letzten Besuch358 in Berlin hinterließen, kaum zu glauben vermag. Positivistisch betrachtet ist jedoch bekanntlich Jahr gleich Jahr und 60 gleich 60. Daher müßte nach allen Regeln und in jeder Hinsicht der Tag diesesmal gegenüber den vorangehenden Geburtstagen sichtbar hervorgehoben werden. Er muß vielen Kollegen aller Fakultäten und allen Kollegen unseres gemeinsamen Faches ein Anlaß sein, sich die eigene geistige Situation im Hinblick auf Ihr Werk und Ihre Laufbahn zum Bewußtsein und den Dank in einer großen, ehrenden Veranstaltung zum Ausdruck zu bringen. Da ich aber zu den Vorbereitungen der gewiß besser legitimierten und besser organisierten Veranstalter359 nicht hinzugezogen worden bin, schreibe ich meinen Geburtstagsbrief für mich und bitte Sie, ihn auch in dieser Vereinzelung gelten zu lassen. Nicht nur Ihre Schüler, sondern alle Kollegen unserer gemeinsamen Wissenschaft im Ganzen und unseres Lehrfaches im Besonderen haben heute viele guten Gründe, zu Ihnen von ihrer Dankbarkeit zu sprechen. Hätte ich etwas zu sagen, so müßten diesesmal Alle antreten und sich über Sie, über Ihr Werk und Ihre geistige Existenz in artikulierter Weise äußern. Nicht in einem pauschalen Sprechchor, sondern richtig gestaffelt, in Monologen, Duetten, Quintetten usw. Die Gefahr der Langeweile müßte im Interesse der Situationsklärung in Kauf genommen werden. Es würde sich jedenfalls zeigen und Manchem, der es noch nicht wissen will, zum Bewußtsein kommen, in welchem Maße Sie, lieber Herr Smend, über Ihre bekannten Veröffentlichungen und über die Wirkung Ihrer Vorlesungen und Seminare hinaus durch Ihre, wenn ich so sagen darf, Lebensform als Professor des öffentlichen Rechts die Gesamtlage geistig beherrschen. Man darf heute noch viel weniger als sonst das Fazit einer Lehrer- und Forschertätigkeit nach den erhaltenen Zitierungen, Festschriften und Widmungen einschätzen. Karl Binding360 konnte noch sa357 Friedrich Hölderlin, Das Schicksal, in: Kleine Stuttgarter Ausgabe. Sämtliche Werke Bd. I, Stuttgart 1972, S. 190. 358 Daten zum Treffen nicht ermittelt. 359 Es gab aber in Göttingen keine größeren Feiern von Smends 60. Geburtstag. 360 Karl Binding (1841 – 1920), Leipziger Staats- und Strafrechtslehrer, dessen Normentheorie Schmitt schon früh beeindruckte.

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gen, daß ein wirklicher Professor den wahren Pour le Mérite erhalte, wenn ihm ein anderer Gelehrter ein bedeutendes Buch widme, und daß er selber in den Adelsstand erhoben worden sei, als Heusler361 sein großes Werk Karl Binding widmete. Das ist sehr schön und Sie selber haben sich ja auch an solchen Nobilitierungen beteiligt. In der heutigen Situation könnte das sogar erst recht eine Bedeutung erhalten. Doch ist der Raum traditioneller Publizität und Berühmtheit, den jener Ausspruch Bindings voraussetzt, nicht mehr vorhanden. Wir Professoren insbesondere haben jetzt einen strukturell völlig veränderten Raum. Unsere Fächer sind eher Wellenfunktionen eines mehrdimensionalen Konfigurationssystems. Doch auch in ihm gibt es starke Wirkungen und Energien. Unabhängig von allen überkommenen Formen und Dokumentationsweisen könnte eine richtig veranstaltete Gratulationsfeier deutscher Professoren heute erkennen lassen, wie sehr Sie in der Mitte stehen, welche starken Elektronen von Ihnen ausgehen und wie sehr die nicht dokumentierbaren Wellen dieses Konfigurationssystems von Ihnen bestimmt sind.362 Wenn ich an das Schicksal manches grossen Namens aus der Karl Binding-Zeit denke, möchte ich sogar die heutige, schwierigere Art der Wirkung und des Erfolges vorziehen, weil sie einer schwierigeren und wirklicheren Situation entspricht. Was aber wären die Gesichtspunkte und Stichpunkte meiner eigenen Partie, die ich bei dieser Gesamtveranstaltung der deutschen Rechtswissenschaft zu artikulieren hätte, und die sich, meinem Einzelgängertum gemäß, nur als Monolog darstellen ließen? Seit über zwanzig Jahren bin ich in Ihrer Schuld. Die ersten Regungen meines staatstheoretischen und verfassungsrechtswissenschaftlichen Dranges haben Sie liebevoll bemerkt und neidlos gelten lassen. Dann haben mich zwei Gespräche vom April 1924 – eines bei Ihnen in Nikolassee und auf einem Spaziergang zum Grabe Kleists, das andere im damaligen Preußischen Justizministerium363 in der Wilhelmstraße – weiter getrieben, folgenreicher, als Sie vielleicht selber wissen, obwohl Ihre Äußerungen im Gespräch im allgemeinen nichts Unwissentliches zu enthalten pflegen. Die weitere Entwicklung ist im Ganzen wohl durch den Unterschied bestimmt, den Sie im Auge hatten, als Sie mich und meine Art mit dem Wort „antik“ belegten. Jedenfalls ist hier der Punkt, von dem aus die verschiedene Art der Selbstergreifung unseres eigenen Wesens am deutlichsten wird. Sie sind wie kein anderer deutscher Professor der Gegenwart herkünftig und Andreas Heusler (1834 – 1921), Baseler Zivilrechtler und Rechtshistoriker. Metaphorische Anleihe an die moderne Quantenphysik; dazu vgl. Carl Schmitt, Der neue Raumbegriff in der Rechtswissenschaft, in: Raumforschung und Raumordnung 11 / 12 (1940), S. 440 – 442, als Schlusskapitel aufgenommen in die 4. Aufl. der „Völkerrechtlichen Großraumordnung“. 363 Hugo am Zehnhoff war damals preußischer Justizminister; Schmitt hielt sich öfters im Ministerium seines alten Mentors auf, so auch, um dort in der Bibliothek seinen Jenaer Staatsrechtslehrervortrag auszuarbeiten. In seinem Handexemplar von Smends Hauptwerk verweist Schmitt auch auf die Bedeutung der Begegnungen in Berlin, Jena und der Dornburg. 361 362

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wesensmäßig ein Teil der deutschen Universität als konkreter Institution und der deutschen Geisteswissenschaft als konkreter Situation. Bei Ihnen ist, mehr als bei irgendeinem Andern, die Klärung der sachlichen Fragen immer wesentlich mit Ihrer eigenen Klärung und Selbstbegreifung verbunden, eine sozusagen inklusive Art der Wissenschaftlichkeit, ein Prozeß der Selbstintegration, der bei Ihnen in wunderbarer, glücklicher Weise einen persönlich-existentiellen und zugleich sachlichinstitutionellen Sinn hat. Indem Sie sich selber im Sinn begreifen, erfassen Sie die konkrete Ordnung der deutschen Universität als Geschichts- und Lebensform, ebenso wie alle Ihre wissenschaftliche Arbeit an den deutschen Verfassungsproblemen zugleich und wesentlich eine Selbstbegreifung enthält. So sind Sie, wie kein anderer von uns, ein Vorbild und ein Zeugnis deutscher Universitätswissenschaft geworden. Ich selber habe das erfahren und mehr als die meisten anderen genutzt. Im Kampfe gegen die unfruchtbaren Neutra unseres Faches wäre ich entweder auf nachträgliche Situationen zurückgeworfen worden und hätte mich, wie ein anderer Orpheus, umgesehen nach Wirkungen, Schülern, Erfolg und anderen Bestätigungen; oder ich hätte in der Sackgasse eines ebenso, wenn auch entgegengesetzt unfruchtbaren Umschlags-Dezisionismus geendet. Wo aber Ihr Vor- und Gegenbild wirksam ist, treten solche Gefahren und Versuchungen in ein so lichterfülltes Bewußtsein, daß damit schon eine neue Situation gegeben ist. Wir sind sehr anders, aber in unserer Verschiedenheit liegt die Voraussetzung der Gerechtigkeit, deren Sie in so hohem Maße fähig sind, und die in Ihrem Sinn für Reciprocität und für die anderen, nicht gerade hervortretenden Seiten eines Verhältnisses wurzelt. Justitia est ad alterum.364 Darum liegt hier die spezifische Ursache der tiefen Verpflichtung, die mich bindet, wenn es sich um Sie, um Ihre Person und um Ihr Werk handelt und von der ich heute dankbar und offen sprechen darf. Mögen die anderen Kollegen auf ihre Weise ihre spezielle und ihre generelle Dankesschuld bezeugen. Mein bescheidener Dank stört keine ihrer Feiern. Was ich Ihnen dann noch über jene, wenn ich so sagen darf, existentielle Verpflichtung hinaus als deutscher Professor der Rechtswissenschaft verdanke, alle die große wissenschaftliche Förderung und Anregung, die vielen Beweise Ihrer menschlichfreundschaftlichen Gesinnung, Ihrer Gastfreundschaft und Ihrer persönlichen Liebenswürdigkeit, das alles will ich hier nicht darlegen, aber an diesem Tag der Erinnerung und des Nachdenkens auch nicht vergessen und unerwähnt lassen. Es soll mitklingen in den Grüssen und Wünschen, die ich Ihnen heute als Zeichen meines Gedenkens von Haus zu Haus übersende. Wenn die Redner des großen Festmahls gesprochen und Alle auf Ihr Glück, Ihre Gesundheit und auf weitere segensreiche Arbeit angestoßen haben, darf ich dann wohl auch meinerseits Ihnen zutrinken. In der tiefen Verbundenheit, wie sie nur in den zwei wechselvollen Jahrzehnten eines gemeinsamen, gefahrenrei364 Die Gerechtigkeit bezieht sich auf den Anderen: Kriterium des Sozialbezugs der Gerechtigkeit nach Thomas von Aquin; zu dessen Lehre vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, Tübingen 2002, S. 242 ff.

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chen Berufes erwächst, rufe ich Ihnen dann, lieber Herr Smend, als Weggenosse zu:365 Auf Gerechtigkeit – alle Zeit! Stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt.

78. Carl Schmitt an Rudolf Smend [SD, Familienbesitz Smend: Carl Schmitt, Die Formung des französischen Geistes durch den Legisten, in: Deutschland-Frankreich. Vierteljahresschrift des Deutschen Instituts Paris 1 (1942), 1 – 30; handschriftl. Widmung:] Mit bestem Dank für den freundlichen Geburtstagsbrief366 C.S. 22 / 8 42

79. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15227, handschriftliche Notiz Schmitts: „beantw. 13 / 1 43“; eine Fotokopie dieses Briefes (RW 265-15227) zeigt eine handschriftliche Transkription Schmitts von Smends schwer lesbaren Zeilen] Göttingen 9. Januar 1943 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Das ist nun mein bestes Briefpapier – in solchen Dingen sind wir hier auf dem Dorfe doch noch schlechter dran, als Sie. Aber es wird höchste Zeit, Ihnen endlich für den „Legisten“ zu danken. Daß es nicht früher geschah, lag an einem merkwürdigen mit ihm zusammenhängenden Interesse, der Frage nämlich, die mich und andere in der Erörterung der gegenüber der Luther=Philologie trostlos unterentwickelten Calvin=Forschung bedrängt: was an Calvin ist durch seine Juristenqualität bedingt? Ist dieser größte Lutheraner (denn das ist und bleibt doch seine erste Kennzeichnung) auf die Wege der Institutio367 geführt durch seine romanische, seine humanistische, seine juristische Sonderart? Da sind wir deutschen Protestanten beinahe so hülflos, wie bei der Ermittelung, wo das Spezifikum, Sondergut und Sonderart eines der großen katholischen Barocktheologen liegt – in dem ingens Anspielung auf Schmitts Widmung des Leviathan-Buches 1938. Fehlt. 367 Johannes Calvin, Christianae Religionis Institutio (1536 / 1559), theologisches Hauptwerk Calvins. 365 366

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aequor368 des Überlieferungsguts überhaupt wird das Unterscheiden für den Nichteingeweihten beinahe unmöglich. Aber ich bin mit Calvin in den Monaten seit Ihrer freundlichen Gabe durchaus nicht vorwärts gekommen. Immerhin kann ich von meinen früheren Bemühungen auf diesem Felde aus wohl ein wenig besser würdigen, als mancher andere, was Ihre Arbeit an Aufklärung bedeutet. Ich habe natürlich das ganze Voßler’sche369 Œuvre auf diese Frage hin durchgearbeitet, und da ist mir die entscheidende Schwäche erst angesichts Ihres „Legisten“ aufgegangen. Die Voßlersche Grundhaltung verschließt ihm den Zugang zu der eigentlichen Konkretheit dieser französischen Sonderart. Ästhetische und idealistische Kategorien allein thun es da nicht. Und so fühle ich mich wenigstens auch einmal über E. R. Curtius370 hinaus gefördert. In der Grundfrage – und in unzähligen spezielleren – angefangen von den vielen Formulierungen zum modernen Staatsbegriff, bis hin zu Bemerkungen, die dem Fernerstehenden [ein Wort unleserlich] französischer Wissenschaftstechnik, die der Dictionnaires, von Sirey und Dalloz371 und all den anderen uns so fremdartigen Erscheinungsformen französischer Jurisprudenz, wohl ganz einleuchtend machen (und ich habe gerade in Straßburg einen eigentümlichen Kursus gerade in diesen Dingen durchgemacht) – überall überraschendste Hülfe und Klärung. Also vielen Dank! Hoffentlich haben Sie das neue Jahr gut begonnen! Souverän in Ihrer Arbeit und der Wahl Ihres Weges! Was das heißt, weiß ich nach langen hiesigen Jahren. Ich habe mich nun – ganz einstweilen und precariissimo372 hier durchgesetzt, und selbst recht hohe Stellen sehen, was hier ruiniert und verschuldet ist. Aber wie soll man wieder aufbauen, mit einem machtlosen und deshalb auch uninteressierten Ministerium, angesichts der erbitterten Zähigkeit aller übrigen Widerstände? Und lohnt es – angesichts so vieler schwererer und größerer Dinge und Sorgen sonst? Vielleicht rufe ich von demnächigster hoffnungsloser Ministeriumsfahrt einmal wieder bei Ihnen an, um hoffentlich zu hören, daß es Ihnen und Ihrem Hause wohl geht. Eben werde ich in Sachen eines ärgerlichen Selbstmordes373 angerufen, den Lat.: ungeheuer großes Meer. Karl Voßler (1872 – 1949), Romanist, seit 1902 Prof. in Heidelberg, Würzburg und München, Rektor der Universität München. 370 Ernst Robert Curtius (1886 – 1956), Prof. in Bonn (1919), Marburg (1920), Heidelberg (1924) und Bonn (1929); berühmter Romanist, mit dem Smend freundschaftlich korrespondierte und Schmitt 1921 / 1922 über die Dissertation Kathleen Murrays in engerer Verbindung stand. 371 Juristische Fachverlage, die auch Textsammlungen („Recueil Sirey“ bzw. „Recueil Dalloz“, in neuerer Zeit auch „Recueil Dalloz Sirey“) herausgaben; vgl. Armond Dalloz, Dictionnaire général et raisonné de legislation, de doctrine et de jurisprudence, en matière civile, commerciale, criminelle, administrative et de droit public, Paris 1836 – 1841. 372 Lat.: gnadenhalber, auf Widerruf. 373 Nicht ermittelt. 368 369

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ich durch schwer vermeidbare harte Haltung von Fakultäts wegen ausgelöst habe. Eine von unzähligen bösen Folgen der Ruinierung unserer Fakultät. Nochmals vielen Dank und ein „glückseliges“ neues Jahr – viele Grüße von Haus zu Haus! Der Ihrige

R. Smend

80. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 64] Berlin-Dahlem, den 14. Januar 1943. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem Geburtstag gratuliere ich mit allen guten Wünschen für Ihre Gesundheit und einen befriedigenden Erfolg Ihrer Arbeit. Frau Schmitt schließt sich meinen Wünschen und Grüßen an. Wir hoffen, daß Sie den Festtag trotz des Krieges im Kreise Ihrer Familie würdig begehen können und grüßen besonders Ihre verehrte Frau aufs herzlichste. Wenn ich Ihnen hier ein armseliges Reclam-Heftchen374 schicke und zum Träger meiner Geburtstagsgrüße mache, so müssen Sie das aus der allgemeinen Kümmerlichkeit der Lage verstehen und verzeihen. Ich hätte Ihnen gern etwas Schöneres geschenkt und wenigstens ein gebundenes Exemplar auf besserem Papier. Aber der Verlag lehnt alles das als „verboten“ ab. So müssen Sie sich also mit dem ehrlichen animus donandi375 begnügen. Wenn das Büchlein die Widmung trägt „Meiner Tochter Anima erzählt“, so wollte ich damit keine epischen Fähigkeiten in Anspruch nehmen und etwa mit Dickens A child’s history of England376 in Vergleich treten; im Gegenteil, ich will mir damit die Anwartschaft auf Ihre Nachsicht und Milde sichern, ohne die ich es nicht wagen dürfte, mit einer solchen Kleinigkeit vor Ihnen zu erscheinen. Achten Sie, falls Sie sich zur Lektüre entschließen sollten, bitte nur darauf, wie die allgemeine Hilflosigkeit des Mannes vor der Frau im Verhältnis des Vaters zur Tochter ihren Gipfel erreicht. Ein Professor des Völkerrechts verwandelt sich in einen Plauderonkel von einer unbeschreiblichen und, wie ich vor allem hoffe, entwaffnenden Formlosigkeit. Vielen herzlichen Dank für Ihren Brief vom 9. Januar, dessen Neujahrswünsche ich in gleicher Gesinnung von Haus zu Haus erwidere. Für Ihr Interesse an meinem Legisten-Aufsatz danke ich Ihnen ganz besonders. Das Glück, einen Leser gefun374 375 376

Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Leipzig 1942. Zivilrechtlicher Fachausdruck: Schenkungswille. Charles Dickens, A child’s history of England, Leipzig 1853 / 54.

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den zu haben, ist etwas Seltenes und Außerordentliches. Solche Arbeiten sind bei dem heutigen Stand der Publizität einfach verloren und begraben. Das hat freilich den Vorzug, den der erfahrene Rivarol377 gekannt hat: l’obscurité protège mieux que la loi et donne plus de sécurité que l’innocence. Aber der arme Autor bleibt trotzdem ein Mensch und fühlt sich von einem menschlichen Echo beglückt. Also vielen Dank aus ganzem Herzen! Ich würde mich sehr freuen, Sie anläßlich des in Ihrem Brief erwähnten Berliner Aufenthaltes nicht nur telefonisch zu sprechen und lade Sie ein, bei uns einen Abend zu verbringen. Mit den besten Grüßen stets Ihr alter und unveränderlicher Carl Schmitt [Schmitt schickte zusammen oder parallel ein Widmungsexemplar von: Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Reclam, Leipzig 1942:]

Rudolf Smend mit herzlichen Geburtstagswünschen zum 15. Januar 1943 überreicht von Carl Schmitt. „Allerdings, das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.“ (H. von Kleist)378 377 Antoine de Rivarol (1753 – 1801), französ. Schriftsteller, der vor der Revolution emigrierte. Die Maxime „Nous sommes dans un siècle ou` l’obscurité protège mieux que la loi et rassure plus que l’innocence“ ist ein Lieblingszitat Carl Schmitts. Rivarol wurde ihm evtl. über Ernst Jünger bekannt. Im Anhang zu seinem Rivarol-Bändchen (Ernst Jünger, Rivarol, Frankfurt 1956) verweist Jünger (S. 180 – 182) seinerseits auf die Anregung durch eine Dissertation von Karl-Eugen Gaß (Antoine de Rivarol und der Ausgang der französischen Aufklärung, 1938). Er betont die damalige politische Bedeutung von Rivarol und erörtert auch ausführlich (S. 189 – 193) das von Schmitt zitierte Beispiel. Jünger diskutiert die „obscurité“ als „Verborgenheit“ und „Bedeutungslosigkeit“ und übersetzt: „Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Bedeutungslosigkeit mehr schützt als die Gesetze und ein besseres Gewissen als die Unschuld verleiht.“ (S. 192) Jünger korrespondierte darüber auch mit Schmitt (Schmitt am 10. 8. 1955 an Jünger und Jünger am 17. 8. 1955 an Schmitt, in: Ernst Jünger – Carl Schmitt, Briefe 1930 – 1983, Stuttgart 1999, S. 279, 281; vgl. Schmitt vom 26. 9. 1955 an Ernst Forsthoff, in: Briefwechsel 1926 – 1974, Berlin 2007, S. 114). 378 Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, Schlusssatz („Allerdings, antwortete er; das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.“). Der Essay handelt von der funktionalen und ästhetischen Überlegenheit mechanischer und tierischer Bewegungen gegenüber dem Menschen. Die Schlusspassagen des Essays lauten: „So findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein; so, daß sie, zu gleicher Zeit, in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten erscheint, der entweder gar keins, oder ein unendliches Bewußtsein hat, d. h. in dem Gliedermann, oder in dem Gott. Mithin, sagte ich ein wenig zerstreut, müßten wir wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen? Allerdings, antwortete er; das ist das letzte Kapitel von der Geschichte der Welt.“ (Heinrich von Kleist, Über das Marionettentheater, in: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden, Bd. III, hrsg. Klaus Müller-Salget, Frankfurt 1990, S. 555 – 563, hier: 563).

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81. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15228] Göttingen 9. Juli 1943 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Nun habe ich es doch wieder fertig gebracht, Quittung und Rechenschaft über „Land und Meer“ solange zu versäumen, bis Ihr Geburtstag die Tinte mit der Unausweichlichkeit des Kalenders zum Fließen bringt. Aber es paßt zueinander: ein erster Glückwunsch muß ja doch diesem schönen Gelingen gelten. Sie sind nie so in eigentümlichem Sinne musikalisch gewesen, wie in dieser weltgeschichtlichkosmischen Symphonie, zu der Sie freilich auch einige Instrumente mehr mitbringen, als andere Leute. Die Leute des 18. Jahrhunderts flüchteten aus dem Elend des Tages in die Philosophie – ich habe dies „kleine“ Buch schon öfter als eine ästhetische Zuflucht bewährt gefunden. Das läßt auf Qualitäten schließen, die heute wenige Bücher haben (und manche verloren haben) – die der Zeit offenbar nötiger sind, als Vieles, und zu denen ich Sie beglückwünschen darf, Ihret- und der Zeit wegen. Und damit bin ich bei Ihrem neuen Jahr. Möchten Sie es mit einem schönen sonntäglichen Feiertage beginnen – auch die Nachrichten aus dem Felde sind ja endlich wieder ermutigender – und mit Befriedigung enden, möchte in Arbeit, Haus und Weltgeschichte Ihnen inzwischen viel Erwünschtes begegnen! Freilich stößt man mit Wünschen und Erwartungen heute wohl mehr ins Dunkle, denn je. Es ist, als ob der Zwischenaktsvorhang der Geschichte dies Mal besonders tief und undurchdringlich herunterhänge.379 Mir kommt es wenigstens so vor, als ob die Gemüter verdunkelter und hülfloser wären, als jemals – und freilich: was soll man ihnen sagen? Die Reihe von Wuppertaler Häusern, deren mir nahestehende Besitzer keine Handtasche voll gerettet haben, soweit nicht einer von ihnen zufällig verreist war, ist nicht gering, und wie wird es weitergehen? Und wer weiß dazu ein wirklich helfendes Wort zu sagen? Auch für Ihren Geburtstagsbrief, den ich bei der Rückkehr vom letzten Zusammensein mit Ihnen vorfand, habe ich Ihnen sehr zu danken. An Brief und Abend habe ich seitdem viel gedacht. Es war Mühe und fruchtlose Arbeit seitdem, und ich seufze vergeblich in dieser Galeere oder besser Karre. Westfalen und Elsaß380 als Unterbrechungen – welche Herrlichkeiten und welche Schwierigkeiten! Ist es die Zeit, die so sensibel (und in Vielem so genußfähig) macht? (Die französische Revolution hat ja wohl auch solche Steigerungen bei sich beobachtet) oder ist es das Altwerden? Ich habe von Kunst und Menschen, Landschaft und Büchern, die ich kannte, das Gefühl, sie völlig neu zu sehen. Oder ist es eine unvermerkt völlig anders gewordene Welt, in der sie darum auch Anderes und Neues bedeuten? Anspielung auf Schmitts Widmung von „Land und Meer“. Offenbar besuchte Smend Schmitt auf der Durchreise aus dem Elsass um die Jahreswende 1942 / 43 in Plettenberg. 379 380

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Sie sehen, der rechte Ton der tabula gratulatoria381 bleibt aus. Es liegt an dem gerade heute verstimmten Instrument. Aber ich soll gerade die grundsätzliche Neuaufziehung der Schulungsvorhaben im NSRB.382 als Dekan mitmachen – und das hier auf dem Dorfe.383 Möge das neue Jahr Ihnen solche Mühen ersparen! Einen guten, glücklichen, reichen Gehalt für das Gefäß, das sich am Sonntag vor Ihnen aufthut! Und Ihnen und den Ihrigen die allerbesten Grüße384 auch von meiner Frau! Wie immer der Ihrige R. Smend

82. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Brief und Typoskript Familienbesitz Smend] Berlin-Schlachtensee, Schönerer Zeile 19 den 9. Januar 1945 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Verzeihen Sie diese etwas hilflose Geste,385 die meinem Geburtagswunsch eine gewisse Steigerung geben möchte. Aber Ihre Abstraktionsfähigkeit wird es Ihnen ermöglichen, über das Störende hinwegzusehen und den guten, echten animus gratulandi386 zu erkennen. Viele herzliche Glückwünsche auch von Frau Schmitt und von uns allen für Sie und Ihre hochverehrte Gattin die besten Grüße Ihres alten und unveränderlichen Carl Schmitt. [Dazu beiliegend Typoskript:387 Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, mit Widmung:]

Gratulatorenliste. Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund. 383 Smend spielt damit auch ironisch auf seine Versetzung von Berlin nach Göttingen an. Er wurde nach Göttingen genötigt, formal nicht zwangsversetzt, um dem SS-Juristen Reinhard Höhn Platz zu machen. Laut Universitätschronik wurde er im November 1935 Nachfolger des Kirchenrechtlers Geheimrat Paul Schön (Chronik der Universität, in: Mitteilungen des Universitätsbunds Göttingen e.V. 17 (1936), Heft 2, S. 46). 384 Die folgenden Worte am Seitenrand geschrieben. 385 Beigabe des Typoskriptes der „Lage der europäischen Rechtswissenschaft“. 386 Lat.: Geist (Absicht) des Gratulierens. 387 Schmitts Typoskript war zur Veröffentlichung in einer Festschrift für Johannes Popitz vorgesehen. Die Organisation der Festschrift lässt sich anhand einiger erhaltener Briefe des Herausgebers Werner Weber an Schmitt verfolgen. Schon am 28. Mai 1944 (RW 265-17747) schreibt Weber an Schmitt zu dessen Beitrag, der aus mehreren Vorträgen hervorging: „Ihren Vortrag habe ich noch einmal mit großer Bereicherung gelesen. Er wird der ganzen Festschrift die Note geben, und mancher von uns wird aus ihm für unsere Wissenschaft neue Hoffnung schöpfen. Mir fiel nur beim wiederholten Lesen auf, daß der Vortrag an einigen 381 382

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Rudolf Smend als Geburtstagsgruß von Carl Schmitt. Berlin, den 11. Januar 1945 Stellen mehr am Anfang doch erkennbar ursprünglich für Ausländer stilisiert war. Es finden sich dort Wendungen, die im Verhältnis zum eingeweihten inländischen Publikum zu wenig voraussetzen, wie mir scheint. Etwas zweifelhaft bin ich auch darin, ob Sie es wirklich bei der starken Herausstellung Savignys belassen wollen.“ Weber versichert dem Kritiker Walter Lewald später am 24. Mai 1950 die Identität der Druckfassung von 1950 mit der vorgesehenen Fassung vom Herbst 1944, die Smend erhielt. Weber schreibt: „Im Herbst 1944, als Popitz schon unter Anklage stand, ohne daß wir uns dadurch grundsätzlich in unserem Vorhaben hätten beirren lassen, tauschte Schmitt das vorläufige Manuskript gegen die endgültige, für den Druck hergerichtete Fassung aus, in der die Schrift jetzt erschienen ist.“ (Werner Weber am 24. 5. 1950 an Walter Lewald, Durchschlag RW 265-17725). Es gibt also mindestens drei Fassungen: vom Frühjahr 1944, Herbst 1944 und die gedruckte Fassung von 1950. Die unpublizierte Herbstfassung unterscheidet sich nicht unerheblich von den 1950 bzw. 1958 publizierten Fassungen. Der Text wurde stilistisch überarbeitet. Alle Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt. Einzelne Sätze und Fußnoten wurden ergänzt bzw. gestrichen. Zwei Verweise auf den „Rassegedanken“ mit Fußnote zum antisemitischen Publizisten Johann von Leers wurden gestrichen. Sämtliche Verweise auf Johannes Popitz wurden erst 1950 ergänzt. Zwei lange Absätze wurden im letzten Kapitel umgestellt. Vor allem wurde das Stichwort von der „Abstandnahme“ hinzugefügt und der ganze Schluss umgeschrieben. Zwei Absätze wurden hier gestrichen, ein Schlussabsatz ergänzt. 1944 / 45 spricht Schmitt von Savignys Verhältnis zum preußischen Freiheitskampf 1814 und von einem neuen „Bündnis wissenschaftlichen Geistes mit einem durch den Krieg geweckten Bewusstsein neuer, jugendlicher Kraft“.1950 spricht er dagegen im letzten Absatz vom „Abstand“, „Asyl“ und von der „Krypta“ der Rechtswissenschaft gegenüber dem „Terror der Vernichtungsmittel“. Das sind Zusätze nach 1945. Die ursprünglichen zwei Schlussabsätze der Abhandlung lauten im Typoskript: „Vor über hundert Jahren, als Savigny seine Abhandlung schrieb und veröffentlichte, war das Problem eines leeren, legalitären Technizismus noch nicht entfernt so groß, wie heute im Zeitalter des motorisierten Gesetzes und der motorisierten Dekrete. Umso größer und bewundernswürdiger war die geistige Kraft, die dazu gehörte, um die Gefahr damals schon zu erkennen und zu beschwören. Diese geistige Kraft Savignys war aber nicht etwa die Privatsache eines genialen Individuums. Es war auch nicht der Selbsterhaltungstrieb eines Professors des römischen Rechts. Vielmehr waren es die geistigen und moralischen Energien der Zeit der deutschen Freiheitskriege, die ihm den Mut gaben, die Rechtswissenschaft zur Seele eines Rechtswahrerstandes zu erheben, und wenn er von der Jugend der Völker sprach, so meinte er das konkret und gegenwärtig, denn es hörte ihn eine aus den Freiheitskriegen zurückgekehrte Jugend, die ihn verstand. Was später im Lauf der folgenden Jahre aus dem großen Schwung dieser vom Krieg erfassten Jugend geworden ist, die Enttäuschungen und Missverständnisse einer geistig hilflosen Reaktion und der traurige Absturz von Savigny selbst, ist ein anderes, weiteres Kapitel der deutschen Geistesgeschichte. In dem Augenblick des Jahres 1814 war es jedenfalls der Genius europäischer Freiheitskriege, der sowohl die Kraft Savignys, wie den Enthusiasmus seiner Hörer und Leser ins Leben gerufen und getragen hat. Ich möchte mit einem Bekenntnis schließen. Das wahre Geheimnis des großen Aufrufs zur Rechtswissenschaft, der 1814 entstand, liegt in dem Bündnis wissenschaftlichen Geistes mit einem durch den Krieg geweckten Bewusstsein neuer, jugendlicher Kraft. So werden auch in den Leiden des gegenwärtigen Weltkrieges neue Keime wissenschaftlichen Geistes entstehen. Sie werden selbst im Lärm der Materialschlachten und des Luftterrors die geheimnisvolle Stille zu finden wissen, die zu ihrem Wachstum gehört und werden eines Tages ihre Blüte entfalten und ihre Früchte tragen. Dieses Vertrauen, und nicht etwa ein Programm für Ausgrabungen, schöpfe ich aus Savignys Aufruf zur Rechtswissenschaft. Der Geist europäischer Rechtswissenschaft wird sich auf sich selbst besinnen und der Genius,

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83. Duschka Schmitt an Rudolf Smend [Schreibmaschine mit handschriftlicher Unterschrift:] Frau Prof. Schmitt Berlin-Schlachtensee, Kaiserstuhlstr. 19

den 20. Dezember 1945

Herrn Professor Rudolf Smend Göttingen Am Goldgraben 13 Sehr geehrter Herr Professor Smend, Zu Ihrem bevorstehenden Geburtstag sendet Ihnen Carl Schmitt die herzlichsten Glückwünsche. Er ist leider nicht im Stande, Ihnen persönlich zu schreiben. Seit dem 26. September befindet er sich in Haft bei den Amerikanern;388 z. Zt. in einem Lager in Lichterfelde-Süd. Er ist dort auf der Krankenstation in Behandlung von Prof. Kreuz389 und es geht ihm erträglich. Ich habe meinen Mann am 14. Dezember gesehen und gesprochen; ich hoffe, daß er genug Reserven hat, um diese Situation zu überstehen. Nach einer Auskunft sollen Anfang des Jahres in grösserem Umfange Freilassungen stattfinden. Die Bibliothek von Carl Schmitt ist am 18. Oktober beschlagnahmt und abgeholt worden; sie soll nach einem halben Jahr zurückgegeben werden. Ich hoffe, lieber Herr Smend, dass Sie das Kriegsende mit Ihrer Familie gut überstanden haben. Ihre Söhne werden inzwischen schon große Jungens sein und werden Ihnen viel Freude machen. Unsere Tochter geht in Cloppenburg i.O. zur Schule, wo es ihr sehr gut geht; das ist für mich ein großer Trost. So wird diese Weihnachten unsere kleine Familie getrennt verleben. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest und grüße Sie und Ihre Gattin recht herzlich Ihre Duschka Schmitt

b.w.

Die Adresse: Prof. Dr. Carl Schmitt Berlin district Civilian Detention Camp Berlin-Lichterfelde / Süd Wismarer Strasse

der uns in den Schrecken früherer Jahrhunderts nicht verlassen hat, wird uns auch in diesem Weltkrieg retten.“ 388 Dazu Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009, S. 442 ff. 389 Lothar Kreuz (1888 – 1969), Mediziner, SS-Standartenführer, letzter Rektor der Berliner Universität vor Kriegsende.

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P. S. Carl Schmitt würde sich sicher ganz besonders freuen, von Ihnen etwas zu hören. Man muß mit der Schreibmaschine schreiben. d. U. Am 10. Januar 1946 veröffentlicht Smend in der Göttinger Universitäts-Zeitung (1, 1945 / 46, Heft 3, 1) einen kleinen Neujahrsaufruf:

Zwischen den Jahren Wir haben das neue Jahr diesmal nicht mit dem gewohnten Lärm anderer Neujahrsnächte begonnen. Es ist kein Anlaß zu lärmender Freude, sondern zu ernster Besinnung – in dieser Zeit ,zwischen den Jahren‘, in der man, wie es im Grünen Heinrich heißt, die Marksteine des Lebens deutlicher ragen sieht. Auch die Georgia Augusta hat ihr Arbeitsjahr im Herbst nicht mit einer Festfeier begonnen. Sie war sich dessen bewußt, daß die eigentlichen Schwierigkeiten damals nicht schon hinter, sondern erst vor ihr lagen. Sie tritt mit zwei Sorgen in das neue Jahr. Die nächsten Monate werden die ganze Tiefe unseres äußeren Elends enthüllen, und jeder von uns wird Mühe haben, sich in den veränderten Verhältnissen zurechtzufinden – es gilt eine schwere Krise des äußeren Daseins zu überstehen. Und zugleich wird die innere Problematik unseres Zusammenseins zutage treten: Werden wir der gemeinsamen Aufgabe gewachsen sein, die uns in diesem und in den kommenden Semestern gestellt ist, trotz aller Spannungen zwischen den Altersstufen, trotz aller geistigen und politischen Gegensätze, trotz aller Belastungen, die jeder von uns mitbringt? Werden die Alten sich in die Lage einer jungen Generation versetzen können, die im Dritten Reich aufgewachsen ist, und nur von diesem Dritten Reich und von keinem anderen Deutschland weiß? Wird die junge Generation den Weg zu einem anderen Deutschland unter und hinter den Trümmern des Dritten Reiches überhaupt finden? Wird sie fähig und gewillt sein, die vielfachen Lücken ihres Schulsacks auszufüllen? Werden alt und jung gutwillig und aufgeschlossen sein für das Umlernen, das uns allen obliegt? Jedenfalls haben wir alle diesen Schwierigkeiten nicht leidend, sondern bewußt und tätig zu begegnen. Wer in diesen Monaten viel mit Beobachtern aus dem Ausland zu sprechen hatte, dem ist oft das Wort ,Initiative‘ vorgehalten worden – als Frage, ob sie bei uns da sei, als Lob, wenn sie festgestellt, als Tadel, wenn sie vermißt wurde. Darin liegt viel Wahres. Nur eine starke geistige und sittliche Eigenbewegung kann uns davor bewahren, in dem Strom der äußeren Nöte, die uns bevorstehen, unterzugehen, und nur sie kann uns aus der geistig-sittlichen Krise zu einer neuen produktiven Stufe unseres deutschen Lebens emportragen. Große Umwälzungen pflegen gerade auf geistigem Gebiet nicht nur neue Ziele zu setzen, sondern auch neue Kräfte zu entbinden, neue Möglichkeiten zu eröffnen. Es ist in unsere Hand gelegt, diese Möglichkeiten zu ergreifen und zu Wirklichkeiten zu machen. Allerdings gehen diese seltenen Stunden der Geistesgeschichte rasch vorüber, und so gilt es zuzugreifen. Darum ist es ein dankenswertes Geschick, daß die deutschen Universitäten zu den Teilen des deutschen Gesamtlebens gehören, die vor anderen wieder in Gang gebracht werden – unter ihnen als erste die Georgia Augusta. Das ist ein Vorsprung, der uns tief verpflichtet. An uns

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liegt es, ob dieser Anfang ein gutes oder ein schlechtes Vorzeichen sein wird für den Wiederaufstieg unseres Volkes im ganzen. Wir treten diesen Weg in Hoffnung und tiefem Ernst an. IN SILENTIO ET SPE ERIT FORTITUDO VESTRA.390

84. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 66] Berlin-Schlachtensee, Kaiserstuhlstr. 19 den 6. Januar 1947. Sehr verehrter, lieber Herr Smend, zu Ihrem bevorstehenden Geburtstag gratuliere ich Ihnen herzlich, wie ich das viele Jahre getan habe. Nach den Berichten, die aus Göttingen kommen, darf ich hoffen, daß meine Wünsche Sie und Ihre Familie in bestem Befinden erreichen. Mein vorjähriger Glückwunsch ist Ihnen durch meine Frau übermittelt worden, da ich selbst verhindert war. Zwar ist keine Antwort eingetroffen,391 aber ich denke mir, daß man gute Gewohnheiten auch in bösen Zeiten nicht fallen lassen soll. Im übrigen halte ich mich an den Satz: Tout ce qui arrive est adorable.392 Diesen Satz von Léon Bloy finde ich schöner als den von Hegel: alles was wirklich ist, ist vernünftig. Mit der Bitte, Ihre verehrte Gattin von Frau Schmitt und mir bestens zu grüßen bin ich wie stets Ihr Carl Schmitt.

85. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15229] Göttingen 7. Juli 1947 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Ihren letzten freundlichen Brief finde ich in der Flut der Eingänge der letzten Monate nicht. Aber zum Freitag393 versuche ich Sie trotzdem zu erreichen, mit 390 [Jesaja 30.15: Im Schweigen und in der Hoffnung wird Eure Stärke sein. Lieblingsspruch Luthers und Inschrift am Portal seines Hauses]. 391 Smend hat wohl auch nicht geantwortet. 392 Léon Bloy (1846 – 1917), französ. religiöser Schriftsteller. Die bei Schmitt wie Ernst Jünger beliebte Wendung findet sich in: Journal de Léon Bloy, Paris 1956, Vol. I, S. 188 (Eintrag vom 8. Juni 1895). 393 Schmitts 59. Geburtstag am 11. Juli 1947.

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vielen guten Wünschen, zunächst dazu, daß Sie wieder in Freiheit394 sind. Nach allem, das Sie gesagt haben, ist das schon erfreulich, und Sie werden eine Zurückgezogenheit mit Machiavelli oder Hobbes395 zu nutzen wissen. Was haben Sie inzwischen alles gesehen – und so wenig ich es recht verstanden habe, daß Sie diesen Teufelsspuk jemals ernst nehmen konnten, so verdanken Sie dem doch eine überwältigende Fülle der Erfahrung. Freilich ist die Erbschaft von dorther nun so trostlos – und einstweilen wohl auch so gefährdet in jedem Sinne –, daß uns Anderen, die wir sie nun antreten sollen, täglich schwüler wird, ohne daß es für uns ein beneficium inventarii396 gäbe. Ich komme gerade von allerlei Verhandlungen aus der Schweiz und bin auf dem Wege nach Schweden, war voriges Jahr einige Zeit in England – die Rückkehr ist dann jedes Mal das Allerschwerste. Hoffentlich geht es den Ihrigen wohl, und sind Sie selbst wohlauf, guter Dinge und produktiv! Um das Sauerland sind Sie zu beneiden – für mich ist die westfälische Heimat, abgesehen von eiligen Dienstreisen, auch in diesen Jahren wie „ein fernes Land, unnahbar euren Schritten“397. Ich führe ein amtliches Wanderleben,398 in Sachen von Universität und Akademie der Wissenschaften, Evangelischer Kirche in Deutschland und Ökumene und Reformierter Kirche, und finde, daß mir diese Lerngelegenheiten zu spät geboten werden. Meine Frau ist arg geplagt, ohne häusliche Hülfe, und meine Jungens wachsen zu spät für mich heran (sie sind jetzt 14 und 12 Jahre alt). Im Fach sind die Lücken, die 1945 schlagen mußte, und die Ausfälle infolge der Habilitationssperre für unabhängige Leute seit 1933 fatal. Ich habe hier Kraus,399 der seit einem Jahre in Nürnberg statt hier ist, 394 Im Mai 1947 wurde Schmitt aus Nürnberg entlassen. Er kehrte nach Plettenberg in das Haus seiner verstorbenen Eltern und seiner beiden Schwestern zurück und betrat Berlin niemals wieder. 395 Die Identifikation mit Hobbes ist dann greifbar in: Carl Schmitt, Ex Captivitate Salus, Köln 1950, sowie ders., Dreihundert Jahre Leviathan. Zum 5. April 1951, in: Die Tat, Zürich, vom 5. April 1951; Wiederabdruck: Universitas 7 (1952), S. 179 – 181. 396 Erbrechtlicher Fachausdruck: Rechtswohltat einer Haftungsbeschränkung (freundl. Hinweis von Prof. Karl Kroeschell). 397 Richard Wagner, Lohengrin, III. Aufzug, 3. Szene (Lohengrin: „In fernem Land, unnahbar euren Schritten, / liegt eine Burg, die Monsalvat genannt“). 398 Smend war damals u. a. der erste Nachkriegsrektor der Universität Göttingen und Akademiepräsident (1944 – 1949). Er begründete 1945 das Kirchenrechtliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland, das u. a. eine breite gutachterliche Wirkung entfaltete. Er war auch Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche und des Moderamens (Leitungsorgan) des Reformierten Bundes. Die Mitgliedschaft erforderte eine umfangreiche Reisetätigkeit unter schwierigen Bedingungen im Nachkriegsdeutschland. Der Rat tagte an wechselnden Orten. Zur damaligen Lage der Universität vgl. Werner Conze, Die Georg-August-Universität in Göttingen in den Nachkriegsjahren, in: Mitteilungen des Universitätsbunds Göttingen 26 (1950), Heft 2, S. 1 – 12. 399 Herbert Kraus (1884 – 1965), Völkerrechtler, seit 1928 in Göttingen, wurde als Gegner des Nationalsozialismus 1937 mit Publikationsverbot zwangspensioniert und erhielt 1945 seinen Lehrstuhl zurück. Kraus war in Nürnberg einer der Verteidiger von Hjalmar Schacht. Dazu vgl. Herbert Kraus, Gerichtstag in Nürnberg, Hamburg 1947; insgesamt vgl. Anikó

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und Leibholz,400 der seit einer Woche hier liest, aber offenbar noch nicht zwischen Berlin, Göttingen und Oxford entschieden ist. Auch ich bin wieder vor die Berliner Frage401 gestellt, aber trotz meiner tiefen Liebe zu Berlin bedrücken mich die Ruinen dort allzu sehr. Im Fach fehlt mir noch immer alle Übersicht – seit dem Zusammenbruch bin ich für so viel Dinge in Anspruch genommen, daß ich für mein Eigentliches gar keine Zeit mehr fand, und ich sehe noch nicht recht, wohin das führen soll. – Eben findet sich auch Ihr freundlicher Gruß zu meinem letzten Geburtstage wieder, und ich beantworte ihn nun vor allem mit dem Glückwunsch zu den Jahren, die Sie noch mal vor sich haben und die für mich schon dahin sind. Möchten es gute Zeiten sein, die Sie am 11. beginnen – für Sie und die Ihrigen! Mit vielen Grüßen und Empfehlungen von Haus zu Haus der Ihrige R. Smend

86. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15230 – Postkarte an: „Herrn Professor Dr. Carl Schmitt / 21 Plettenberg (Westf.) / [Absender] Rudolf Smend / Göttingen / Am Goldgraben 13“ – mit handschriftlicher Bemerkung Smends: „German Affairs“, stenographische Antwortnotiz Schmitts vom 2. 11. 47] Göttingen 29. 10. 47. Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Heute eine Bitte. Assessor Günther Wasse,402 Ihnen von früher bekannt, bemüht sich um ein Nachwuchs-Stipendium. Wir werden nicht recht klug aus ihm. Offenbar Szabó, Vertreibung, Rückkehr, Wiedergutmachung. Göttinger Hochschullehrer im Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen 2000, S. 152 – 157. 400 Gerhard Leibholz (1901 – 1982), Jurist, Schüler Triepels, 1929 PD Berlin, 1929 ord. Prof. Greifswald, 1931 Wechsel nach Göttingen, 1935 Entzug des Lehrstuhls, später Emigration, 1947 Remigration nach Göttingen, von 1951 – 1971 einflussreiches Mitglied des Bundesverfassungsgerichts. Dazu vgl. Manfred H. Wiegandt, Norm und Wirklichkeit: Gerhard Leibholz (1901 – 1982). Leben, Werk und Richteramt, Baden-Baden 1995; ders., Von der Weimarer zur Bonner Republik. Gerhard Leibholz (1901 – 1982), in: Joachim Lege (Hg.), Greifswald – Spiegel der deutschen Rechtswissenschaft 1815 – 1945, Tübingen 2009, S. 373 – 397. 401 Rückkehr an die Berliner Universität; Smend wäre in Berlin im öffentlichen Recht u. a. auf Schmitts Bonner Schüler Peter Alfons Steiniger (1904 – 1980) getroffen. Dazu vgl. Kristin Kleibert, Die ersten neuberufenen Professoren an der Juristischen Fakultät der Berliner Universität nach 1945. Ein Vergleich von Peter Alfons Steiniger und Walther Neyer, in: http: // www.forhistiur.de / zitat / 0905kleibert.htm. 402 Günter Wasse, geb. 1919, war ein Berliner Schüler Schmitts. Ab dem WS 1938 / 39 studierte er in Berlin Rechtswissenschaft. Im August 1942 legte er sein 1. Staatsexamen ab, trat

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begabt, aber bisher ein etwas unstetes Hin und Her der Interessen, und nach Verlust seines bei Ihnen gemachten Dissertationsansatzes in den 2 ½ Jahren hier in Göttingen gar nichts, kein Seminarreferat, nur Referendarthätigkeit, „ausreichendes“ Assessorexamen, und viel Erzählen von wissenschaftlichen Plänen. Nachwuchsstipendien setzen doch ein specimen diligentiae403 irgendwelcher Art als erbracht voraus. Wie urteilen Sie? Mit vielem Dank im Voraus und schönsten Grüßen von Haus zu Haus Ihr R. Smend

[Schmitts stenographischer Antwortentwurf lautet in der Transkription Hans Gebhardts:] 2 / 11. 47 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Von Günther Wasse kenne ich leider keine Leistung, die man unbedenklich als specimen diligentiae ansehen könnte. Der Ansatz zu einer Dissertation war wirklich nur ein Ansatz, nicht untüchtig, aber kein klares Zeichen entscheidenden wissenschaftlichen Interesses oder selbstständigen Problembewusstseins oder sonstiger besonderer Qualität. Ich hatte von ins Referendariat ein und war im SS 1943 und WS 1943 / 44 Schmitt als Fakultätsassistent förmlich zugeordnet. 1943 verlor er sein Dissertationsmanuskript bei einer Ausbombung. Er zog dann nach Greifswald und wurde dort Assistent von Günther Küchenhoff. Einige längere Briefe an Schmitt (RW 579-414) sind aus den letzten Kriegsjahren erhalten. Eingehend berichtet Wasse darin von seiner Lage. So schreibt er am 29. Dezember 1944: „Daß ich die Arbeit nicht schon längst vorgelegt habe, hat seinen Grund allein in einer Reihe von ungünstigen Umständen“ (RW 579-414). Noch am 25. März 1945 schickt er einen gerade erschienenen, selbst verfassten Zeitungsartikel zum Begriff des Politischen (RW 579-414). 1947 legt er sein 2. Staatsexamen ab. Wasse tritt dann als Richter in den Justizdienst ein. Im Juli 1947 begegnet er Schmitt in Köln und berichtet über seine beruflichen Ziele und akademischen Absichten (Wasse am 19. 10. 1947 an Schmitt; RW 579-414). „Eine bemerkenswerte Zusammenarbeit zwischen Kirche und Wissenschaft scheint sich anzubahnen!“, schreibt er damals und sucht den Kontakt auch mit Forsthoff. Ab dem Dezember 1951 lässt er sich einige Zeit für die Abfassung der Dissertation beurlauben (Angaben nach Wasses Lebenslauf vom 24. Februar 1953 in der Promotionsakte Wasse, Günther Johann Wolfgang 30. 06. 1953, Universitätsarchiv Göttingen). Wasse promoviert dann 1953 bei Werner Weber und Arnold Köttgen mit der Note Ausgezeichnet (publiziert: Die Werke und Einrichtungen der evangelischen Kirche. Ein Beitrag zum kirchlichen Organisationsrecht, Göttingen 1954). Da der Lebenslauf für 1947 das 2. Staatsexamen und den Eintritt in den Justizdienst angibt, scheint Wasse damals kein Promotionsstipendium erhalten zu haben. Das legt auch Schmitts stenographische Antwort nahe. Smend fördert dann aber die Diskussion der Arbeit von „Kirchenrat“ Wasse: dazu vgl. Rudolf Smend, Das Kirchenrecht und die kirchlichen Werke und Dienste. Zur Eröffnung einer Diskussionsfolge, in: ZevKR 4 (1955), S. 70 – 73; Günter Wasse, Die Werke und Einrichtungen der evangelischen Kirche, in: ZevKR 4 (1955), S. 74 ff. 403 Lat.: Probe der Sorgfalt.

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Anfang an den Eindruck, dass es ihm zunächst etwas darauf ankommt, sich einen Posten zu sichern, auf dem er dann arbeiten kann. Er würde sicher einen ordentlichen wissenschaftlichen Beamten abgeben. Das muss es auch geben, aber Sie wissen, dass dieser Typ mir persönlich zu wenig liegt, als dass ich dem gerecht werden könnte. Schließlich ist Wasse mir nicht unsympathisch und ich würde ihm gerne helfen und die ihm nötige Chance geben, wenn dadurch anderen, ausgesprochenen Begabungen keine Chancen genommen werden.

87. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 67 – Gedruckter Briefkopf: Carl Schmitt, Plettenberg, den]404 6. Januar 1948. Lieber und verehrter Herr Smend! Zu Ihrem Geburtstag gratuliere ich Ihnen herzlich, mit vielen Wünschen für Sie und Ihre Familie. Ich hoffe, daß mein Glückwunsch Sie und die Ihrigen alle in guter Gesundheit antrifft, daß Sie ein schönes Weihnachtsfest gehabt und das neue Jahr gut begonnen haben. Frau Schmitt, die Ende Oktober von Berlin hierher gekommen ist, läßt ebenfalls herzlich grüßen und gratulieren. Die Jahreszahl 1948 wird Anlaß zu vielen Rückblicken und Anknüpfungen geben.405 Der Boden des deutschen Idealismus hatte es anscheinend in sich und das Geröll des skeptischen Bruches406 mit ihm scheint sich in ein Feld vieldeutig rumorender theogonischer Ansätze zu verwandeln. Aber Sie kennen ja Ihren Weg und ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie sich auch im kommenden Jahr durch schöne Erfolge und gute Früchte für Ihre entsagungsreiche Arbeit belohnt fühlen mögen. Stets Ihr Carl Schmitt.

404 Schmitt notiert seinen Brief auch am 6. 1. 1948 in sein „Glossarium“ (Berlin 1991, S. 76 f.). Er schreibt dort (S. 104) am 23. 2. 1948 auch: „Sowohl Smend wie Carl Brinkmann schrieben mir 1947 / 8 verzeihend-taktlos.“ Schmitt führt Smends Reaktion aber nicht in seiner Liste „Erlittene Refus“ (RW 265-19600) auf, in der ab 1947 u. a. Gottfried Benn, Eugen Ott, Helmuth Plessner stehen. 405 Gemeint sind hier die Säkularbetrachtungen 1848 – 1948. Schmitt spielt aber auch auf seinen kommenden 60. Geburtstag an. 406 Anspielung auf Karl Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts, Zürich 1941.

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88. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15231] Göttingen 7. Juli 1948 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Im Begriff, zur konstituierenden Kirchenversammlung nach Eisenach407 zu fahren, muß ich diesen Gruß zu Ihrem sechzigsten Geburtstage vor der Zeit abschikken. Und in dieser bedrängten Geschäftslage bringe ich es auch nicht dazu, viele Worte zu machen. Ich habe mir in dieser Zeit oft Gedanken darüber gemacht, wie Verschiedene ihre Differenzierung von ihrer Vergangenheit empfinden und nutzen mögen. Und ich habe mir es immer so vorgestellt, daß Sie das in der Plettenberger Stille besser und würdiger thun werden, als z. B. in dem Strudel aller verschiedenster Geschäfte. Ich habe gestern dankbar wieder in der „Lage der europäischen Rechtswissenschaft“408 geblättert, und empfinde heute mehr als damals in der Spannung einer Zeit, in der die Gestapo mich beinahe an den Galgen gebracht hätte, wie eindrücklich Sie da ihre eigenste Welt beschrieben haben. In der damals bekundeten Souveränität werden Sie heute ein Treiben beobachten, in dessen vereinzelten Wellen jeder von uns an seiner Stelle und auf seine Weise schwimmt oder untergeht. Und jedenfalls werden Sie etwas Würdiges realisieren, und diese Haltung auch irgendwie uns anderen vermitteln. In solcher Haltung, rückwarts und vorwärts gesehen, darf ich Sie heute beglückwünschen. Möchten Sie und die Ihrigen wohlauf sein und die dunkle und drohende Zeit glücklich überstehen! Mit vielen Wünschen und Grüßen von Haus zu Haus der Ihrige R. Smend

89. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 68 – gedr. Briefkopf: Carl Schmitt / Plettenberg, den] 8. Januar 1949. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem Geburtstage sage ich Ihnen meine besten Glückwünsche. Ich hoffe, dass Sie den Tag, trotz der Fülle Ihrer Arbeit und Geschäfte, in gutem Befinden 407 Vom 9. – 13. Juli 1948 fand die Kirchenversammlung in Eisenach statt. Am 13. Juli wurde dort eine fundamentale „Grundordnung“ verabschiedet. Dazu vgl. Peter Brunner, Eisenach 1948, in: ZevKR 3 (1954), S. 126 – 163. 408 S. Brief vom 9. 1. 1945.

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und ungestörter Freude begehen können. Für das kommende Jahr wünsche ich Ihnen und den Ihrigen von Herzen alles Gute. Ich erinnerte mich in diesen Januartagen daran, dass wir vor 20 Jahren in Berlin im Theater waren, in dem „Londoner verlorenen Sohn“, und anschliessend ein Gespräch über die Ontologen hatten.409 Sonderbar, wie die fortwährende Präsenz einer objektiven Geistigkeit es nicht verschmäht, sich auch der Kalenderdaten als Werkzeuge unseres subjektiven Bewusstseins zu bedienen. Nun, dann brauchen wir unsrerseits uns solcher Handhaben auch nicht zu schämen. Ich benutze diesen Anlass, um Ihnen für Ihren Brief vom Juli des vergangenen Jahres bestens zu danken und bleibe mit vielen Grüssen und Wünschen stets Ihr Carl Schmitt. Zum Sommersemester 1949 wechselte Schmitts enger Schüler Werner Weber über die Grenze von Leipzig nach Göttingen.410 Weber wohnte in Smends Nachbarschaft. Smend hielt sich in den nächsten Jahren auch aus kollegialer Rücksicht auf Weber mit negativen Äußerungen über Schmitt zurück.

90. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15232 – Brief am Ende mit stenographischem Entwurf von Schmitts Antwortbrief] Göttingen 9. Juli 1949 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Von längerer Dienstfahrt in die Ostzone zurückkehrend, wurde ich vom Kalender lebhaft an den Montag gemahnt. Nehmen Sie die allerbesten Wünsche! Daß Sie schon 61 Jahre alt zu werden behaupten, überzeugt mich noch nicht – jedenfalls haben Sie trotz allem noch sehr viel mehr vor sich und uns zu geben, als Leute dieses Jahrgangs sonst! Da ich Mühe habe, die Nachtpost zu erreichen, sage ich nicht viel von uns. Sie erleben die schönsten Jugendjahre an Fräulein Anima, in den schönen sauerländischen Bergen, auf dem auch mir so teuren westfälischen Boden. Für dies Dasein im häuslichen Kreis ebenso viele Wünsche, wie für die Arbeit! Unsere Jungens wachsen heran, zu meinem Kummer mit mehr Büchern und weniger Fußball und dergleichen, als ich für erwünscht halte. Meine Frau ist etwas geplagt, aber leidlich dran. Und ich beklage, daß ich nach den bösen Jahren hier seit 1935 noch die langen Jahre Dazu vgl. Schmitts Brief Nr. 49 vom 10. 12. 1928 an Smend. Dazu vgl. Martin Otto, Werner Weber – ein Opfer der politischen Säuberung nach 1945. Als Professor des öffentlichen Rechts verließ er 1949 die Universität Leipzig, in: Sächsische Verwaltungsblätter 9 (2004), S. 201 – 205. 409 410

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der Geschäfte in Universität, Akademie und Kirche darangegeben habe, als ob es nicht wenigstens meines Amtes gewesen wäre, wenigstens mit produktivem Versuch auf unsere alten Bahnen der zwanziger Jahre zurückzukehren.411 Wer hat wo seitdem eigentlich was gemacht – Sie ausgenommen – und vielleicht Heller?412 Aber ich bin nun da, wo die Abwärtskurve fühlbar steiler wird. Nehmen Sie die Jahre davor wahr – die ersten 66 sind die besten, trotz Ihrer freundlichen Wünsche zum 67. Geburtstage, für die ich Ihnen noch einmal sehr danke! Um mich liegt es wirr, von mitgebrachten Akten und kommunistischen Büchern,413 und in mir ist es noch ebenso – und die Zeit drängt, wenn ich unter den Montagsgratulanten nicht fehlen will. Ihnen allen die wärmsten Wünsche und Grüße von meiner Frau und Ihrem alten R. Smend 411 Smend wollte ursprünglich „Verfassung und Verfassungsrecht“ eine Staatslehre folgen lassen. „Verfassung und Verfassungsrecht“ war keine Staatslehre, sondern nur die „Grundlegung der Verfassungs- und Verfassungsrechtstheorie“ oder „Grundlegung einer geisteswissenschaftlichen Theorie von Staat und Verfassung als geistigen Wirklichkeiten“ (Verfassung und Verfassungsrecht, 1928, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, hier: S. 180, 233). Das Werk ist deshalb besser mit Schmitts „Begriff des Politischen“ als mit dem Lehrbuch der „Verfassungslehre“ zu vergleichen. Auch nach 1945 erwog Smend gelegentlich eine Einlösung seiner Theorie als Staatslehre. Vor allem erwog er eine Überarbeitung. Der Verlag Duncker & Humblot hatte bereits mit Schreiben vom 27. August 1947 eine „Neuauflage“ des Lehrbuches angeregt. Smend machte das in seiner Antwort vom 20. September von einer Überarbeitung abhängig, wofür ihm aber vorerst die Muße fehle. Der Verlag erklärte sich (Schreiben vom 20. 9. 1947 an Smend; Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Mappe Smend, Staatsrechtliche Abhandlungen) mit einer „Neubearbeitung“ einverstanden. Wilhelm Hennis ergriff dann mit Schreiben vom 21. Mai 1953 „im Auftrag eines Kreises von jüngeren Schülern unseres Lehrers, Professor Smend“ die Initiative für eine Sammlung der verstreuten kleineren Schriften anlässlich des goldenen Doktorjubiläums. Diese Sammlung ist zunächst ohne einen Wiederabdruck von „Verfassung und Verfassungsrecht“ geplant. Am 13. Juni 1953 schlägt Hennis erstmals eine „Mitaufnahme“ der Monographie von 1928 vor. Smend willigt „nach einigem Zögern“ (Hennis am 27. 7. 1953 an den Verlag) ein, zieht aber dann seine Einwilligung wieder zurück. Erst am 2. Juli 1954 kann Hennis schreiben, dass Smend der Wiederauflage von „Verfassung und Verfassungsrecht“ – und damit dem Verzicht auf eine Neubearbeitung – zustimmte: „Unserem hartnäckigen Drängen, die Genehmigung zum Wiederabdruck von ,Verfassung und Verfassungsrecht‘ zu erteilen, ist Professor Smend schließlich erlegen – man kann es schon bald so ausdrücken. Ich glaube, daß der Neudruck von Carl Schmitt’s ,Verfassungslehre‘ ihm Mut gegeben hat, das Buch doch wieder zugänglich zu machen.“ Im Juli 1955 erscheinen dann endlich Smends „Staatsrechtliche Abhandlungen“. Sie bringen auch eine Erstveröffentlichung zweier Vorträge von 1945 / 46 („Staat und Politik“ und „Das Problem der Presse“). 412 Gemeint ist: Hermann Heller, Staatslehre, Leiden 1934; Heller (1891 – 1933) war PD 1920 Kiel, wurde 1928 apl. Prof. Berlin, 1932 ord. Prof. Frankfurt und verstarb 1933 früh in der spanischen Emigration. Im Staatsgerichtshofprozess „Preußen contra Reich“, wo Schmitt das Reich vertrat, war Heller ein Anwalt der preußischen Gegenpartei. Seitdem spätestens waren beide persönlich überworfen. 413 Vermutlich Geschenke oder Mitbringsel von der Dienstfahrt.

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Ende 1949 veröffentlicht Smend in der Göttingen Universitäts-Zeitung einen kurzen Tagungsartikel (GUZ 4, 1949, Heft 21, S. 15 f.).

Staatsrechtler-Vereinigung neu gegründet In der beginnenden Konsolidierung unserer öffentlichen Zustände haben die Theoretiker des öffentlichen Rechts eine besondere Verantwortung. Sie haben die bisherigen Anfänge zu deuten, vor allem das Bonner Grundgesetz. Sie haben damit einen nicht geringen Einfluß auf die Weichenstellungen in die weitere Zukunft hinein. Die 1922 begründete Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer hatte ihre Tätigkeit seit 1933 eingestellt, um nicht ,gleichgeschaltet‘ und ,gereinigt‘ und dann als ein Werkzeug des Unrechts gebraucht zu werden. Ihre Wiedereröffnung an klassischer Stätte deutscher Wissenschaft vom öffentlichen Recht in Heidelberg am 20. und 21. Oktober 1949 war darum nicht nur ein wissenschaftlicher, sondern in gewissem Sinne auch ein politischer Akt. Allerdings vermied sie alle Deklamationen und Resolutionen für den politischen Lautsprecher und blieb damit in der guten Überlieferung ihrer ersten Arbeitsperiode vor 1933. Aber sie wußte, was sie wollte, und so war ihr Zusammentritt eine politische Kundgebung, auch ohne laute Worte. Eingeladen war zu einigen Tagen intensivster gemeinsamer Facharbeit in eindringender Erörterung schwieriger Kernfragen des Bonner Grundgesetzes. In das innerste Problemgefüge unseres nunmehrigen konstitutionellen Kräftespiels nach dem Grundgesetz hatten die Berichterstatter über ,Kabinettsfrage und Gesetzgebungsnotstand nach dem Bonner Grundgesetz‘ einzuführen – [ . . . ] – nicht ohne einschränkende Stellungnahme zu W. Webers vielerörterter Charakterisierung des Grundgesetzes414 als allzu einseitige Reaktion auf die Mängel der Weimarer Verfassung. [ . . . ] Das wissenschaftliche Ergebnis der Heidelberger Tage war überraschend groß. Größer war das rechtspolitische: der Zusammenschluß der Sachverständigen im Zeichen strengster wissenschaftlicher Facharbeit, die allein das Recht gibt, in Fragen des deutschen öffentlichen Rechts mitzureden. Nach den heillosen Jahren, in denen so manches gute alte Recht zu neuer ,Volksordnung‘ umgebogen wurde und umgekehrt so oft versucht werden mußte, aus nationalsozialistisch gemeinter neuer Ordnung durch Auslegung und Anwendung im echten Rechtssinne doch noch das Beste zu machen, ist nun auf dem allmählich freiwerdenden Boden wahrhaft gemeinverbindlichen deutschen Rechts auch die begründete Autorität deutscher Rechtswissenschaft wiederherzustellen. Daß der gemeinsame Einsatz hierzu in alter methodischer Arbeitszucht und nüchterner Bemühung um einzelne positive Rechtssätze und Rechtsinstitute geschah, ist ein hohes Verdienst der Veranstalter und der Berichterstatter. Nur auf solcher Grundlage sind weitere Arbeitsweisen gerechtfertigt, von denen in Heidelberg nicht die Rede war. Nicht die Rede war davon, daß das Verfassungs- und Verwaltungsleben, um dessen Regelung es ging, ein dialektisches Gefüge ist [ . . . ]. Es war ferner nicht die Rede von den außerrechtlichen Mächten der Rechtsentwicklung. [ . . . ] Die Versammlung war stark besucht. Man hatte den Kreis verhältnismäßig weit gezogen: nur eine bescheidene Zahl allzu ausgesprochener Vorkämpfer des Dritten Reiches war nicht eingeladen. Darin lag eine stille Kritik an einer zu strengen Entnazifizierungspraxis der Spruchkammern und an einer zu ängstlichen Berufungspraxis der Ministerien, die beide oft vergessen, daß 1949 und nicht 1945 im Kalender steht und daß mit allen Gutwilligen endlich Friede gemacht werden werden muß. Freilich: nur die Leitung einer 414

[Werner Weber, Weimarer Verfassung und Bonner Grundgesetz, Göttingen 1949].

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Vereinigung wie diese, die sich als Ganzes von jedem braunen Flecken freigehalten hat, durfte solche Kritik üben.

91. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 69]415 Plettenberg, den 10. Januar 1950. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem kommenden Geburtstag darf ich wiederum herzlich gratulieren. Zugleich wünsche ich Ihnen und den Ihrigen ein segensreiches neues Jahr und Ihnen insbesondere den besten Erfolg für die viele Arbeit, die Sie in Kirche, Universität und Akademie haben. Für Ihr freundliches Schreiben vom Juli des vergangenen Jahres muss ich noch vielmals danken. Sie sagen darin etwas von der „Abwärtskurve“ die nach 60 eintritt. Aber ich denke, das sind doch nur Stilfragen (wobei ich unter Stil etwas anderes verstehe als Heinrich Triepel416 in seinem letzten Buch). Es kommt doch nur darauf an, den esprit de son âge417 und die Form seines Lebens-Zeit- und Weltalters zu finden. Sie selber haben diesen Stil längst gefunden. Das habe ich Ihnen schon öfters aussprechen dürfen und deshalb gratuliere ich auch heute mit unbesorgtem Herzen. Stets Ihr Carl Schmitt.

92. Rudolf Smend an Carl Schmitt [Sonderdruck (RW 265-29147) mit handschriftlicher bibliographischer Angabe durch Smend: Deutsches evangelisches Kirchenrecht und Ökumene, in: Verantwortung und Zuversicht. Festgabe für Otto Dibelius zum 15. 5. 50 / Gütersloh Bertelsmann, Gütersloh 1950, 179 – 187; handschriftliche Widmung:] Nur vorläufige Skizze – Endgültige Fassung folgt – Mit schönsten Grüßen! 415 Schmitt notiert zu diesem Brief am 10. 1. 1950 in sein „Glossarium“ (Berlin 1991, S. 288): „Smend schrieb mir in seinem Geburtstagsbrief vom Juli vorigen Jahres von der Abwärtskurve, die nach dem 60. Lebensjahr eintritt. Aber es kommt doch nur darauf an, seinen Stil zu finden, wobei ich unter Stil etwas anderes verstehe als Heinrich Triepel in seinem letzten Buch.“ 416 Heinrich Triepel, Vom Stil des Rechts. Beiträge zu einer Ästhetik des Rechts, Heidelberg 1947. 417 Zeitgeist / Geist des persönlichen Alters.

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[RW 265-15233] Göttingen 9. Juli 1950 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Für Ihr dreiundsechzigstes Jahr darf ich Ihnen heute vor allem wünschen, daß Sie an seinem Ende mit uns allen die Welt beruhigter ansehen können,418 als heute. Und dazu gute Gesundheit Ihnen und den Ihrigen,419 und Freude und inneres und äußeres Gelingen der Arbeit! Sehr schön, daß die „Europäische Rechtswissenschaft“, die ich als eine Art Manuskript mit viel handschriftlichen Einträgen von Ihnen besitze, nun auch im Buchhandel ist420 – vielen Dank für den nachdenklichen Artikel aus der „Neuen Ordnung“!421 Ihr Ressort wird unter allen Umständen bleiben, um unsere Horizonterweiterung im richtigen Sinne (statt so vieler planetarischer und anderer Blähungen unseres Bewußtseinsgehalts ohne Nährwert) bemüht zu sein – wir freuen uns dankbar, daß Sie da weiter422 auf dem Posten sind! Nur die Unzulänglichkeit Ihrer äußeren Lage, von deren Besserung ich noch nicht hörte, ist uns ein Kummer: findet man auf alle Vorstöße in diese Richtung noch immer keinen Weg, hier einfach das Würdige zu thun? Daß das nur etwas sehr Nüchternes sein kann, ist klar, aber eine Respektbezeugung wäre doch allmählich fällig. Als ich nach der Besetzung 1945 den hiesigen akademischen Trümmerhaufen übernahm, war einer unserer ersten Schritte, daß der Kurator und ich Emanuel Hirsch423 aus Göttinger Machtvollkommenheit pensionierten – sonst hätte dieser im Erblinden begriffene Mann nichts gehabt, als vielleicht eine Internierung. Das war ein bescheidener und trivialer Weg gegenüber dem (bei allen Einwänden gegen ihn) doch bei weitem besten Mann unter denen, von denen wir uns trennen mußten, aber er bezeugte ihm und aller Welt doch unseren Respekt. Dazu hätte irgend eine 418 Anspielung auf Schmitts ungesicherte finanzielle Lage. Erst ab Frühjahr 1952 erhielt Schmitt nach Art. 131 GG seine Pension. 419 Seit Frühjahr 1949 zeigte sich allerdings eine Krebserkrankung von Duschka Schmitt. Im Juli 1950 war sie bereits sterbenskrank. 420 Im März 1950 wurde ausgeliefert: Carl Schmitt, Die Lage der europäischen Rechtswissenschaft, Tübingen 1950. 421 Carl Schmitt, Das Problem der Legalität, in: Die neue Ordnung 5 (1950), S. 270 – 275; Schmitt schickte Smend den SD (als zweites Exemplar) am 30. Juni 1950 (Schmitts Adressatenverzeichnis RW 265-19600 S. 5). Seine sonstigen Bücher und Veröffentlichungen hat Schmitt dagegen Smend (laut Verzeichnis) nicht geschickt. 422 Vor Gründung der BRD hatte Schmitt Publikationsverbot. 423 Emanuel Hirsch (1888 – 1972), bedeutender, aber nationalsozialistisch belasteter evangelischer Theologe; Smend legte Hirsch nahe, aus gesundheitlichen Gründen seine Pensionierung zu beantragen. Dazu die Darstellung des Sohnes Rudolf Smend, Eine Fakultät in kritischer Zeit. Die Göttinger Theologie zwischen 1920 und 1950, in: ders., Zwischen Mose und Karl Barth. Akademische Vorträge, Tübingen 2009, S. 170 – 203, hier: 195 f.; vgl. auch Stefan Korioth, Evangelisch-theologische Staatsethik und juristische Staatslehre in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik, in: Konfession im Recht, hrsg. Pascale M. Cancik, Thomas Henne, Thomas Simon, Frankfurt 2009, S. 121 – 145.

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Stelle doch auch Ihnen gegenüber den Weg finden sollen! Möchte es inzwischen geschehen sein oder bevorstehen! Von der Welt werden Sie auf Ihrem Wartturm (so etwa deute ich Ihr sauerländisches Patmos)424 mehr sehen, hören und wissen, als ich auf meinen unruhigen Dienstwegen. Das gehört ja wohl auch dazu, damit Sie nur immer weitere Ernten425 einbringen können, die wir bei Ihnen reif wissen. Solchen Ernten gelten unsere Wünsche, Ihnen und uns! Von uns habe ich – leider – nichts Wesentliches zu berichten. Meine Frau plagt sich leider mit einer kranken Galle. Meine Jungens wachsen heran, und der ältere ist nun vor der Frage, ob Theologe oder Jurist oder beides. Ich bin durch einen Krankheitsfall am Ausscheiden aus den Kirchenleitungen verhindert, werde den Exitus aber bald vollziehen, und radikaler, als aus dem akademischen Amt, das ich auch als Emeritus noch nicht ganz geräumt habe.426 Leider bleiben mehrere heillose Ketten am Bein, nicht zuletzt die demnächst anlaufende Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht.427 Nochmals Ihnen und den Ihrigen und der westfälischen Heimat die herzlichsten Wünsche und Grüße – auch von meiner Frau! Wie immer Ihr R. Smend

93. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15234] Göttingen 23. Dezember 1950428 Verehrter lieber Herr Schmitt! Verspätet erfahren wir erst von Ihrem tiefen Leid, und in kranken Tagen kam ich auch dann nicht sogleich zu einem Wort an Sie. Meine Frau und ich haben in die424 Patmos, Ort der Offenbarung des Johannes, von Hölderlin hymnisch besungene griechische Insel, von Martin Luther auf die Wartburg bezogen, worauf anspielend Smend vom „Wartturm“ spricht; Smend deutet damit Schmitts Plettenberger „Asyl“ ironisch zum religiösen Offenbarungsraum um. Schmitt nannte sein Plettenberger Haus nach Machiavellis Verbannungsort „San Casciano“. Cassian von Imola, Schulmeister, als Märtyrer vermutl. Opfer der Christenverfolgung Diokletians, ist auch Schutzpatron der Stenographen. 425 1950 publizierte Schmitt gleich vier Bücher, die entstehungsgeschichtlich teils bis auf die ersten Kriegsjahre zurückgehen oder ältere Aufsätze bündeln. 426 Smend wurde 1951 emeritiert, las aber noch einige Jahre und leitete das Kirchenrechtliche Institut der EKD noch bis 1969. 427 Die ZevKR erschien ab 1951. 428 Daneben stenographische Antwortnotiz Schmitts vom 26. 12. 1950.

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sen Tagen Ihrer und der Dahingegangenen429 immer wieder in schmerzlicher Bewegung gedacht. In Erinnerung an das eigentümlich Große ihrer Persönlichkeit, das bei Frauen so selten und dann so schön und bedeutend ist und das sie offenbar in den letzten Monaten des Leidens noch so sehr bewährt hat – und in Erinnerung an ihre tiefe menschliche Güte, für die gerade auch meine Frau sich ihrem Andenken in lebenslanger Dankbarkeit verbunden weiß. Vor solch großer und schwerer Trauer schweigen wir ehrerbietig. Möchte der Trost der weihnachtlichen Stille und Freude Ihnen und Ihrer Tochter hülfreich sein! In schmerzlicher Mittrauer der Ihrige R. Smend

94. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 70 – gedruckte Anzeige: „Zur Erinnerung an Duschka Schmitt-Todorovic´ * 13. 2. 1903 † 3. 12. 1950“, dazu handschriftlich:] 430 Rudolf Smend mit herzlichem Dank für seine Teilnahme! 26 / 12 50 C. S.

Am 3. Dezember 1950 verstarb Duschka Schmitt in einem Heidelberger Krankenhaus. Die Klappkarte enthält auf der linken Innenseite Verse des Dichters Konrad Weiss: „So wird der Sinn, je mehr er sich selber sucht, / aus dunkler Haft die Seele geführt zur Welt, / vollbringe, was du mußt, es ist schon / immer vollbracht und du tust nur Antwort.“ Auf der rechten Innenseite steht: „Am Abend des 1. Advents-Sonntags, dem 3. Dezember 1950, starb in einer Heidelberger Klinik meine Frau, die Mutter meiner Tochter Anima, / Duschka Schmitt, geb. Todorovic´ / Die lange Krankheit, an der sie leiden mußte, hat die Kraft ihrer Seele nicht gebrochen. Viele Verwandte, Freunde und Nachbarn, denen sie in der Gefahr ohne jede Furcht geholfen hat, werden ihrer in Liebe gedenken. / Sie ruht auf dem Friedhof in Eiringhausen bei Plettenberg, neben den Gräbern meiner Eltern, so, wie sie es gewünscht und angeordnet hat. / Plettenberg (Westfalen), den 7. Dezember 1950 / Prof. Dr. Carl Schmitt / zugleich im Namen / der serbischen Eltern und Verwandten“. Schmitt schickte „Frau Smend“ laut Verzeichnis (RW 265-19600 S. 15) „Die 2 Photos vom 26 / 11 50“ von der sterbenskranken Duschka. Schmitt verschickte die Fotos über 20 Mal. Frau Smend steht in der Dedikationsliste an sechster Stelle. Davor stehen: Frau Jünger, Oberheid, H. Popitz, Frau Marta Weber, Veronika Schranz. Auch die über 170 Empfänger der Todesanzeige hat Schmitt mit Datum genau verzeichnet. 429 430

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95. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 72] Plettenberg, der 11. Januar 1951. Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem Geburtstage gratuliere ich Ihnen mit vielen Glücks- und Segenswünschen. Ich hoffe, dass Sie und Ihre Familie das neue Jahr in guter Gesundheit begonnen haben und dass Sie mit dem Erfolg Ihrer Arbeit zufrieden sind. Für Ihr teilnahmevolles Beileid zum Tode meiner Frau darf ich Ihnen nochmals431 meinen herzlichen Dank sagen. Ich bin mit den besten Grüssen und Empfehlungen stets Ihr Carl Schmitt.

96. Gisela Smend an Carl Schmitt Göttingen, 11. 2. 51 Lieber Herr Schmitt! Sie haben mir mit den Bildern432 Ihrer lieben Frau eine sehr große und tiefe Freude gemacht, für die ich Ihnen von ganzem Herzen dankbar bin. Ihre Frau hat immer einen besonderen Platz in meinem Herzen gehabt und wird ihn behalten. Jedesmal, wenn ich sie gesehen habe, wurde es mir warm und wohl, wie sonst selten bei einem Menschen, und ich besinne mich wohl tiefer auf jedes einzelne Zusammensein mit ihr. Zuerst muß ich aber jetzt sagen, wie ganz besonders herzlich ich übermorgen, an ihrem Geburtstag, an sie denken werde. Besinnen Sie sich, wie Sie uns 1929 an diesem Tag zu sich eingeladen haben, um sie mit Ihnen zu feiern? Wie lange ist das her, aber ich weiß es wie gestern. Eine ganz besonders glückliche Erinnerung ist mir dann ein Tag, den ich von früh an in Ihrem Haus zubrachte. Das war irgendwann 1932,433 als Anima noch winzig war und als unser Großer, der immer noch Mend heißt, geboren wurde. Da wollte Ihre Frau mir genau zeigen, wie es alles mit so einem kleinen Paketchen gemacht wurde. Ich wurde mit so einem herrlichen Frühstück empfangen, und dann haben wir zusammen gebadet und gefüttert und ausgefahren und wieder gefüttert und gewickelt, bis zum Abend, alles ganz vorschriftsmäßig. Ihre Frau war so glücklich und eifrig und stolz,

431 432 433

s. Karte vom 26. 12. 1950. Fotos vom 26. 11. 1950 von der sterbenskranken Duschka Schmitt. Vielleicht der von Schmitt im Tagebuch erwähnte Besuch am 18. Februar 1932.

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mir das alles zu zeigen. Und ich wurde unglaublich verwöhnt. Sie hatten so besonders schöne weiße Kittelschürzen und sie hat mir dann 4 in ihrem Geschäft bestellt, die ich noch besitze, und jedes Mal, wenn ich sie brauche, denke ich an Ihre Frau und gerade an diesen Tag. Ein anderesmal hatte sie ganz feierlich eine Damengesellschaft veranstalt[et], richtig mit einem feinen Abendessen, da fühlte man sich sehr geehrt und festlich. So nett war immer, wenn Maria434 kam und gute Nacht sagte, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig war. In allem, wie Ihre Frau war und was sie tat, habe ich sie von Herzen bewundert und verehrt und lieb gehabt. Ich kanns in einem Wort gar nicht so genau ausdrücken, was mir so unbeschreiblich wohl an ihr tat. Ich hätte sie gerne viel öfter gesehen, aber im Grund war mir gerade in Berlin immer alles viel zu viel und ich kam eigentlich nie recht mit dem Leben, in jeder Weise, mit. Vielleicht empfand ich deshalb so besonders beglückend die Kraft, die von Ihrer Frau ausging, und die mir fehlte. Aber auch nur, wenn ich an sie dachte, und das habe ich oft und oft getan, all die langen Jahre hindurch und werde das immer weiter tun, half es mir und machte mir wohl. Und deshalb bin ich so besonders glücklich, daß ich die beiden Bilder besitze, und ich werde sie immer nah bei mir haben. Ich finde in ihnen so beglückend alles wieder, wofür ich ihr immer so dankbar war. Auch nur beim Denken an sie: den großen Ernst und die tiefe Pflichttreue und als Gnade dann die klare und reine Heiterkeit. Ich habe Ihre Frau sehr sehr lieb gehabt und werde ihr immer tief dankbar sein; wer kann wissen, wie sehr noch. Ich soll Ihnen herzliche Grüße von meinem Mann sagen und den Dank für Ihren Brief. In herzlichem und dankbarem Gedenken Ihre Gisela Smend

97. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-29148 – SD Heft 1 ZevKR 1 (1951), 1 – 14: Zur Einführung; Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, Widmung:] Mit vielen Grüßen! Mai 1951

434

Nicht ermittelt.

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98. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15235] Göttingen 9. Juli 1951 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Es ist schwer, Ihnen nach einem so traurigen Jahre Glück zu wünschen. Aber der Feiertag des eigenen persönlichen Lebens soll ja gerade den Alternden und Entsagenden auch an die Lebenspflicht erinnern, an deren freudiger und tapferer Ergreifung und Erfüllung Sie es nie haben fehlen lassen. Daß die res publica Ihnen dazu auch ein wenig helfen möge, hoffe und wünsche ich mit immer gleicher Dringlichkeit. Aber Sie und Ihre Haltung sind die Hauptsache: möchten Sie dann übermorgen in Ihr vierundsechzigstes Jahr als einen rechtem annus domini, wenn auch nach einem calculus Schmittianus, fröhlich und getrost eintreten! Meine Frau finde ich oft vor dem Bilde der Dahingegangenen. – Mit vielen Wünschen und Grüßen von uns beiden der Ihrige R. Smend

99. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 73] Plettenberg,435 den 12. Januar 1952 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem 70. Geburtstag gratuliere ich Ihnen mit allen guten Wünschen für Sie, Ihre sehr verehrte Gattin und Ihre Kinder. Ich wünsche Ihnen den besten Erfolg für Ihre wissenschaftliche Arbeit, Ihre Tätigkeit in der Kirche und Ihre gesamte, vielseitige Arbeit. Vor 10 Jahren habe ich Ihnen in einem langen Brief aus Berlin zu Ihrem 60. Geburtstag gratuliert. Neulich fand ich eine Abschrift davon. Ich habe den Brief heute wieder gelesen und könnte eigentlich noch heute nicht viel anderes sagen als vor 10 Jahren, müsste also heute mein Schreiben vom Januar 1942 wiederholen. Das geht natürlich nicht, denn man kann denselben Brief nicht zweimal schreiben. Man kann nicht zweimal durch denselben Fluss gehen, und eine Wahrheit ist nur einmal wahr.436 Aber der Schluss meines damaligen Briefes: Handschriftl. Ergänzung Smends: II Westf., Brockhauserweg 10. Formulierung Schmitts auch in damaligen Publikationen, so in ders., Gespräch über den Neuen Raum, in: Staat, Großraum, Nomos, Berlin 1995, S. 552 – 569, hier: 563. 435 436

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Auf Gerechtigkeit – allezeit, möge auch der Schluss meines heutigen Briefes sein. Ich bin mit ergebensten Grüssen für Sie und Ihre sehr verehrte Gattin Ihr Carl Schmitt.

100. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15236] Göttingen 10. Juli 1952 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Seit Monaten schreibe ich in Gedanken an einem Dankesbrief an Sie (der Dank für den größeren Teil der Glückwünsche zu meinem 70. Geburtstag ist noch ungeschrieben), und schon wieder einmal ist unversehens der 11. Juli vor der Tür und ich werde Sie kaum noch morgen Vormittag erreichen. So bitte ich Sie, gerade eben noch zu einer unvorhergesehenen Sitzung entboten, um Ihre Nachsicht und um freundliche Aufnahme herzlichen Dankes für ein so freundliches Gedenken! Ihres 64. Geburtstages (wie jung noch! von meinem zunehmend sich beschleunigenden Abstiege her gesehen) mit leichtem Herzen zu gedenken, wird mir schwer. Daß Ihre Lage sich im Grunde nicht zum Guten ändert, ist bedrückend – nicht alles im Verlauf der Dinge ist notwendig oder gar erfreulich. Aber schmerzlicher ist uns bei jedem Gedenken an Sie, daß die Dahingegangene in Ihrem Leben fehlt. Und in solcher Richtung müssen auch unsere Wünsche liegen: für ein tapferes und fröhliches Herz in allem Leid und aller Entsagung – und für ein erfolgreiches und fruchtbares Behaupten des Platzes, der Ihnen in der geistigen Welt zukommt. Je dunkler und unklarer die äußere und die geistlich-sittliche Zukunft vor uns liegt, um so mehr hängt an den Lichtträgern auf dem Wege. Seien Sie uns allen einer auch im neuen Lebensjahre! Möchte Ihr Fräulein Tochter wenigstens zu dieser Zeit bei Ihnen sein! Wir werden morgen sehr Ihrer gedenken. Ich enthalte mich trivialer Mitteilungen über die Trivialitäten unseres Daseins, um so mehr, als ich weiß, wie hart Sie über so viel Verfallenheit an diese Trivialitäten kirchlicher und anderer Geschäfte urteilen würden. Die Sitzung drängt – nochmals unsere herzlichsten Wünsche und Grüße! Ihr R. Smend

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101. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15237] Göttingen 10. Juli 1953 Verehrter lieber Herr Schmitt! Sie schreiten morgen eine Stufe weiter auf dem Wege durch das siebente Lebensjahrzehnt, und von einer mühseligen Wanderung durch das achte her kann ich wehmütig bezeugen, daß das Ihrige das ungleich bessere und an Möglichkeiten reichere ist. Auf Ihre Realisierung solcher Möglichkeiten hoffen wir nun fernerhin und wünschen Ihnen von Herzen alles, was dazu gehört: gute Gesundheit, und Frieden der Seele, viel Freude an glücklichen Lebenswegen von Fräulein Anima und an der produktiven Stille, die Ihnen gegönnt ist. Nicht als ob Sie nicht auch aus unruhigeren Jahren stets mehr zu machen verstanden hätten, als wir anderen – aber Sie haben doch auch von der Würde des geistigen Lebens immer mehr gewußt. Ihre Gedanken werden morgen vor allem bei der allzu früh Dahingegangenen sein. In dieser Erinnerung werden meine Frau und ich Ihnen besonders begegnen. Mit allen guten Wünschen und Grüßen der Ihrige R. Smend

102. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Schmitt verzeichnet seine Sendung an Smend Ende August 1953 an 34. Stelle (RW 265-19600 S. 28): Piet Tommissen: Versuch einer C.S.-Bibliographie,437 Pri437 Piet Tommissen hatte Smend im Zuge seiner bibliographischen Arbeit am 2. Januar 1953 angeschrieben und um die Auskunft gebeten, ob er sich „irgendwie und irgendwo“ mit Schmitt ausführlicher auseinandergesetzt habe. Smend antwortete am 6. 1. 1953 u. a. (Cod. Ms. R. Smend A 879): „Sehr geehrter Herr Tommissen! Über Carl Schmitt habe ich mich wohl nirgendwo eingehender geäußert. Einer so bedeutenden und so komplexen Erscheinung gegenüber wird eine befriedigende Beurteilung wohl erst der jüngeren Generation möglich sein. Mir war eine nähere Auseinandersetzung mit ihm deshalb aufgegeben, weil unsere Arbeitsweisen und Arbeitsziele durchaus gegensätzlicher Art waren. Ich habe ihn immer in erster Linie als einen Kritiker größten Stils verstanden, während ich meine Aufgabe im Aufbau im Kleinen suchte. Eine kritische Stellungnahme aus der jungen Generation zu ihm finden Sie in dem im Druck befindlichen Buche von Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung als Verfassungsproblem.“ (Druckfassung: Horst Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, Berlin 1953) Smend hätte auch die Dissertation von Wilhelm Hennis nennen können, die eine Bestandsaufnahme vom „Richtungsstreit“ am Begriff der Souveränität entwickelt. Smends Dissertationsgutachten dazu ist im Auszug im Anhang abgedruckt.

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vatdruck, Academia moralis, Düsseldorf 1953, mit der handschriftliche Widmung:] Rudolf Smend mit herzlichem Dank für seinen Geburtstagswunsch. Sommer 1953

Carl Schmitt.

„Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag? / Und was du tust, sagt erst der andre Tag“438

103. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 74] Plettenberg, den 13. Januar 1954 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Ihnen gegenüber habe ich das geheimnis- und schicksalvolle Faktum der Contemporaneität 439 immer besonders stark empfunden, vor allem auch ihr „dunkel geahntes Gesetz, dass keine der wahrhaft geistigen Potenzen einer Epoche gewaltsam ausgeschaltet werden könnte, ohne dass dadurch alle übrigen ihre Wirkungskraft verlören“ (Gespräch Hofmannsthal-Carossa).440 Das Datum Ihres diesjährigen Geburtstages erinnert mich – wie seit vielen Jahren – von neuem daran und so darf ich Ihnen meine herzlichen Glückwünsche senden, verbunden mit meinem Dank für Ihr freundliches Gedenken zu meinem 65. Geburtstag im vergangenen Jahre. Ich grüsse Sie und Ihre hochverehrte Frau vielmals und hoffe, dass Sie Ihren 438 Johann Wolfgang v. Goethe, Ilmenau, am 3. September 1803, in: Hamburger Ausgabe, hrsg. Erich Trunz, München 1982, Bd. I, S. 107 – 112, hier: V 100 / 103, zum Kontext: „O frage nicht! Denn ich bin nicht bereit, / Des Fremden Neugier leicht zu stillen; / Sogar verbitt’ ich deinen guten Willen; / Hier ist zu schweigen und zu leiden Zeit. / Ich bin dir nicht imstande selbst zu sagen, / Woher ich weiß, wer mich hierher gesandt; / Von fremden Zonen bin ich her verschlagen / Und durch die Freundschaft festgebannt. / Wer kennt sich selbst? Wer weiß, was er vermag? / Hat nie der Mutige Verwegnes unternommen? / Und was du tust, sagt erst der andre Tag, / War es zum Schaden oder Frommen.“ 439 Zeitgenossenschaft. 440 Ein Gespräch mit Carossa ist nicht nachgewiesen. Schmitt zitiert wahrscheinlich aus: Hans Carossa, Erinnerung [an H.v.H.], in: Neue Rundschau 40 (1929), S. 631 – 633, hier: 632: „Die „Rede [zwischen Hofmannsthal und Carossa] war von der Unmittelbarkeit irdischer Begegnungen, die zur rechten Sternenstunde erfolgen, und von der dunklen Ahnung eines Gesetzes, wonach keine von den wahrhaft geistigen Potenzen der Zeit ausgeschaltet werden könnte, ohne daß dadurch auch die übrigen, sogar die gegnerischen, an Wirkungskraft einbüßen würden. Es war ,das Geheimnis der Kontemporaneität‘, das er da beleuchtet fand – ,welches Geheimnis mich zu beschäftigen nie aufhört, sowohl im Leben als in der Arbeit; denn es ist eigentlich der Schlüssel zum geistigen Dasein, sofern es zugleich menschliches Dasein ist.‘“ Vgl. später auch: Hugo von Hofmannsthal – Hans Carossa. Briefwechsel 1907 – 1929, in: Die neue Rundschau 71 (1960), S. 357 – 409 und 573 – 584.

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Geburtstag in guter Gesundheit feiern können. Mit allen guten Wünschen für Sie und Ihre Familie stets Ihr Carl Schmitt.

104. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15238] Göttingen 9. Juli 1954 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Sechundsechzig – wie jung noch! – wie augenscheinlich angesichts dessen, was Sie in die Welt hinaussenden! Mag es nun von Plettenberg aus geschehen – oder von einem Katheder, dessen triviale Schulmeisterlichkeit Sie sofort ins Geistigste transponieren – das ist bei Ihnen nicht sehr wesentlich. Mit größerem Kummer denken meine Frau und ich an die, die wir mitgrüßen möchten und an die wir nur in der Stille denken dürfen. Möchte Ihr Fräulein Tochter in glücklich aufsteigender Jugend Einiges von der Lücke füllen! Möchten Sie mit ihr ein reiches, gutes, glückliches Jahr vor sich haben! Sie dürfen vorwärts blicken, und tun es. Ich möchte desgleichen tun, aber die Plage meines bürokratischen und kirchenpolitischen Tages versperrt es mir, und ich frage mich, ob ich nicht schon auf den Rückblick auf lauter Fehler und leider Versäumtes zurückgeworfen bin. An der Handschrift – verzeihen Sie, daß ich sie Ihnen noch zumute! – sehen Sie, wie mich gerade heute das Rheuma plagt. Meiner Frau geht es leidlich (die Leber ist leider noch immer nicht brav), von meinen Jungens versinkt der eine unter theologischer Flagge in die Orientalistik, und der andere441 ist, weit vom Stamm, in die Physik gegangen. Sie sollten meine Enkel sein. Heute gehorcht die Hand nicht mehr. So danke ich Ihnen nur noch einmal sehr für Ihr Gedenken zum 15. Januar und für die stolze bibliographische Begleitsendung, und grüße Sie mit meiner Frau zusammen auf das wärmste! Der Ihrige R. Smend Smend schreibt am 8. November 1954 dann das Zweitgutachten zu der von Helmuth Plessner betreuten Dissertation von Christian Graf von Krockow (Der Dezisionismus bei Ernst Jünger, Carl Schmitt und Martin Heidegger, seine soziale Funktion und seine sozialtheoreti441

Friedrich Smend (*1934), 1970 PD Göttingen, ab 1974 Prof. für Physik in Göttingen.

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sche Bedeutung, Diss. Phil. Göttingen 1954),442 einer der ersten Monographien über Carl Schmitt. Im Zweitgutachten vom 8. 11. 1954 schreibt Smend u. a. (Cod. Ms. R. Smend F 32; Material): „Auch ich begrüße die Arbeit lebhaft, ihre Fragestellung, die Art ihrer Durchführung und ihre Ergebnisse. Für meinen Arbeitsbereich liefert sie die erste große Kritik an Carl Schmitt, aus einem Gesamtzusammenhange heraus, über den der Fachjurist nicht verfügt, so daß diese schillernde und über ihre Voraussetzung niemals Rechenschaft ablegende Erscheinung sozusagen ,gestellt‘, verstanden und erfolgreich kritisiert werden kann. Die systematische wie die soziologische Erfassung und Zusammenordnung der drei behandelten Autoren ist einleuchtend und höchst anregend. Über ihre Begründung zu urteilen liegt jenseits meiner Zuständigkeit. So beschränke ich mich auf zwei kritische Bemerkungen.“ Smend moniert dann Vereinfachungen bei den Unterschieden der Autoren und bei der Verhältnisbestimmung von Rechtsstaat und Volkssouveränität, die Smend für die „richtige materiale Rechtsstaatsidee“ getrennt wissen will. Schmitt bezeichnet er hier als eine schwer zu fassende „Erscheinung“.

105. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 75] Plettenberg, den 12. Januar 1955 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Möge mein Geburtswunsch Sie auch in diesem Jahre in gutem Befinden erreichen. Ich sage Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau meine herzlichen Grüße und hoffe, daß Sie zufrieden das Neue Jahr begonnen haben, das Ihnen und Ihrer Familie Glück und Segen bringen soll. In den Briefen, die Sie mir freundlicherweise zu meinem Geburtstag im Sommer schreiben, sprechen Sie oft vom Alter und seinen Sorgen. Darf ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen, daß man, trotz allem, was das Alter mit sich bringt, wirklich alt erst dann ist, wenn man seine Frau verloren hat. Es gibt nichts traurigeres als die Rolle des Philemon ohne Baucis,443 und auch nichts Endgültigeres und Unabänderlicheres. So wünsche ich Ihnen auch dieses Jahr ein schönes Fest Ihres Geburtstages und bleibe in alter Verehrung Ihr Carl Schmitt. 442 Veröffentlichung: Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Untersuchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Göttinger Abhandlungen zur Soziologie Bd. 3, Stuttgart 1958. 443 Gestalten aus der griechischen Mythologie; bei Ovid (Metamorphosen VIII, 630 ff., hrsg. Hermann Breitenbach, Zürich 2. Aufl. 1964, S. 560 ff.) bewirtet das alte Ehepaar Zeus gastfreundlich und wird dafür belohnt. Es wünscht im gleichen Moment zu sterben und verwandelt sich in Bäume (V 711 ff.).

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106. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15239] Göttingen 10. Juli 1955 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Ihr so freundlicher Gruß zu meinem letzten Geburtstage, den ich heute mit meinem Dank erwidere, war resignierten Tones. Wer unter uns Älteren hätte dazu keinen Grund? So tief und schmerzlich mitempfindend wir gerade den Ihrigen achten, in schmerzlichster Erinnerung an die Verlorene. Aber: was alles sollten Sie morgen feiern! Eine einzigartige Lebensleistung. Und ein Leben selbst, wie es keinem von uns gegönnt ist: des weisen, und des wahrhaft akademischen Menschen. Wenn Ihnen dies alles abginge, dann wären Sie zu beklagen. Aber so ist die Feier Ihres Geburtstages nicht die eines Lebens überhaupt, sondern eines einzigartig reichen und eines würdigen Lebens, und Ihrer Pflicht, solches dankbar zu feiern, gelten unsere Glückwünsche! Von uns habe ich wenig zu sagen. Meiner Frau geht es leidlich, die Jugend geht ihre eigenen Studierwege, und ich erlebe trotz Ausscheidens aus dem Rat der Evangelischen Kirche fast nur Geschäfte und nicht die gehoffte wissenschaftliche Nachblüte. Meine Frau wünscht Ihnen mit mir gute und gesunde Tage und begrüßt Sie mit mir in der Gemeinschaft wehmütiger Erinnerung. Der Ihrige R. Smend [SD: Zum Problem des Öffentlichen und der Öffentlichkeit. In: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, München 1955, 11 – 20, handschriftl. Bleiftiftwidmung:] 2 kleine Splitter!

107. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 76] Plettenberg, den 12. Januar 1956 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen auch zu Ihrem diesjährigen Geburtstag, daß Sie ihn in bester Gesundheit begehen, daß Sie dem neuen Lebensjahr mit gutem Mut entgegengehen und das[s] dieses Jahr Ihnen und Ihrer Familie nur Gutes bringen möge. Ich habe ein einsames Weihnachtsfest und einen ebenso einsamen Jahresbeginn gehabt, weil meine Tochter Anima seit dem Sommer in Spanien ist und erst dieses

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Ostern zurückkehrt.444 Auf diese Weise war ich imstande, das Glück Ihres Alters vielleicht noch besser zu schätzen als Sie selbst. Ich weiß, mit welcher Verehrung Ihre Frau sich meiner verstorbenen Frau erinnert. Deshalb möchte ich mir eine Frage erlauben: Vor kurzem hat die Frau von Ernst Jünger ein Buch „Silhouetten“ veröffentlicht,445 und zwar unter ihrem Mädchennamen Gretha von Jeinsen, ein autobiographisches Geplauder, mit all der désinvolture,446 von der ihr Mann soviel spricht und von der er so wenig hat. Darin ist aber ein Kapitel „Duschka“, in dem sie ihrer Liebe zu meiner Frau ein rührendes Denkmal setzt. Wenn Ihre verehrte Frau das Buch noch nicht kennt und sich dafür interessiert, würde ich es ihr mit besonderer Freude schicken. Ich bleibe mit den besten Grüßen und Wünschen für Sie und die Ihrigen Ihr alter Carl Schmitt.

108. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15240] Göttingen 30. Januar 1956 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Meinem Dank für Ihr so freundliches Gedenken zu meiner diesjährigen Station auf dem Alterswege wollte meine Frau ihren Dank für ihr so herzbewegendes Erbieten hinzufügen. Denn es bewegte sie (und mich) aufs tiefste. Ich brauche davon keine Worte zu machen. Daß wir uns nicht mit wendender Post meldeten, lag an der zermürbenden täglichen Plage, die auf einer heutigen Hausfrau liegt, gesteigert durch allerlei auswärtigen Besuch. Und heute mußte sie dringend zu ihrer nun sehr alt gewordenen Mutter nach Jena fahren. Da fiel es uns beiden sehr aufs Herz, daß wir gegen unsere Absicht so lange geschwiegen hatten, und ich übernahm es, Ihnen das herzliche und dankbare Ja meiner Frau zu übermitteln. Möchten Sie bald mit der Wiederkehr von Fräulein Anima neues fröhliches Leben im Hause haben! Jungens sind nicht dasselbe – ein zu alter Vater erfährt von ihnen, ohne ihren bösen Willen, oft allzu deutlich, wie alt er ist. Ja – wenn es nur die Augen und die Beine wären, die nicht mehr recht wollen! Viele Grüße! In bewegter Dankbarkeit Ihr R. Smend 444 Anima Schmitt studierte an der Heidelberger Universität Übersetzen und Dolmetschen und war damals insbesondere zum Spracherwerb in Spanien. 445 Gretha von Jeinsen, Silhouetten. Eigenwillige Betrachtungen, Pfullingen 1955. 446 Franz.: Ungezwungenheit.

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109. Gisela Smend an Carl Schmitt Lieber Herr Schmitt! Mit der Übersendung des Buches haben Sie mir eine sehr, sehr große Freude gemacht. Die Worte über Ihre Frau bewegen mich im Tiefsten. Ich habe Ihre Frau ja gar nicht oft gesehen, aber ich habe ein ganz festes Bild von ihr, ohne daß ich sagen könnte, wofür eigentlich es ein so tiefes und ein mir so lieber und wertvoller Besitz ist. Ich bin nun ganz bewegt und fast betroffen, wie sehr die Worte in dem Buch mir aus der Seele gesprochen sind, und wie das, was ich mehr nur ahnte und was mich so zu ihr zog und mein Herz für sie warm machte, für die nahe Freundin so viel Wirklichkeit war. Ich freue mich sehr, nun diese Bestätigung zu haben, die mir alles so viel lebendiger macht. Ihre Frau ist so ein guter Geist für mich und das ist mir nun wieder ein Stück realer und eindringlicher geworden, und das ist sehr wichtig für mich. – Meinen allerherzlichsten Dank, auch für Ihren Brief, und Ihre Worte vorn im Buch.447 Es war sehr schade, daß wir Sie neulich nicht haben besuchen können. Mein Mann hatte nicht davon gehört, daß Sie hier sein würden, während es offenbar eine nicht ganz kleine Zahl von Studenten erfahren hat. So hoffen wir auf ein andermal. Ich hätte gerne gehört, wie es Ihrer Tochter geht. Ich wünsche ihr viel Gutes, und Ihnen selbst auch. Mein Mann grüßt herzlich mit mir. In warmer Dankbarkeit Ihre Gisela Smend

110. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15241] Göttingen 10. Juli 1956448 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Ist die Behauptung des Gelehrtenkalenders richtig, daß Sie morgen den Emeritierungstermin realisieren? Dann um so entschiedener den an diesem Datum fälligen Wunsch nunmehriger wirklicher akademischer Freiheit, in konsolidierter Fülle des Lebens und Wirkens! Mit all den Abstrichen, die wir Zeitgenossen die letzten fünfzig Jahre sämtlich zu machen haben!

447 448

Das Widmungsexemplar ist nicht erhalten. Darunter handschriftlich Schmitt: 1956.

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Welcher Dämon hat mich von Ihrem neulichen Hiersein449 erst post festum450 erfahren lassen? Das nächste Mal hoffe ich auf Ihre anderweitige Initiative! Viele Grüße und Wünsche, auch von meiner Frau! Ihr R. Smend

111. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 77 – maschinenschriftlich:] Neujahrgruß 1957

káß íüìïí fãíù451 links: jetzt ist die zeit gekommen die alles unrecht heilt es wird nicht mehr genommen es wird nur noch geteilt

rechts: wie ist mein Herz beklommen wie sind wir eingekeilt es wird nicht mehr genommen es wird nur noch geteilt

Rudolf Smend mit herzlichen Wünschen zum 14. Januar und verehrungsvollem Gruß von Carl Schmitt 12 / I 1957

449 Schmitt sprach am 23. Februar 1956 auf studentische Einladung über „Die Weimarer Verfassung und ihre Lehren“. Mit Schreiben vom 18. 1. 1956 (RW 265-6131) hatte ihn Thomas Will im Namen des „Historischen Kolloquiums“ eingeladen. Schmitt sagte umgehend am 20. 1. 1956 zu. Werner Weber war damals an der Teilnahme gehindert (Weber am 20. 2. 1956 bedauernd an Schmitt; RW 265-17778). 450 Lat.: nach dem Fest, im Nachhinein. 451 Handschriftliche Ergänzung Schmitts; im Adressatenverzeichnis (RW 265-19600 S. 39) ist Smend hier als 60. Empfänger verzeichnet. Das griechische Zitat ist Schmitts Grabínschrift. Dazu vgl. Reinhard Mehring, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall, München 2009, S. 578; den „Neujahrsgruss 1957“ veröffentlichte Schmitt unter dem Pseudonym Erich Strauss in: Rüdiger Altmann / Johannes Gross, Die neue Gesellschaft. Bemerkungen zum Zeitbewusstsein, Stuttgart 1958, S. 68.

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112. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15242] Göttingen 10. Juli 1957 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Die letzte Jahresstufe vor dem Septuagesimä452 des Lebens – Sie betreten sie hoffentlich in guter Gesundheit und jedenfalls in der Haltung würdiger Weisheit, die die besessene Unrast unserer Tage uns anderen versagt. Von der stillen Schönheit der westfälischen Berge her sieht Ihnen hoffentlich auch das große Weltgetriebe nicht so trostlos aus, wie unsereinem – hoffentlich auch das geistige, das uns oft wie viel Fleiß und Betrieb und allzu wenig Substanz vorkommt. Ach, wo sind die Illusionen von 1945 geblieben? Und hatten Sie keine? Möge es ein guter Anlauf hin zum achten Lebensjahrzehnt sein, den Sie morgen antreten! Alle guten Wünsche und viele Grüße, auch von meiner Frau! Ihr R. Smend

113. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 78] Plettenberg den 14. Januar 1958 Sehr verehrter, lieber Herr Smend! Zu Ihrem diesjährigen Geburtstag gratuliere ich Ihnen in alter Weise und hoffe von Herzen, daß Sie sowohl diesen Tag, wie die vorangehenden Weihnachts- und Neujahrstage, bei guter Gesundheit im Kreise Ihrer Familie begehen, und daß Sie sich des Erfolges Ihrer Arbeit und Ihrer Bemühungen erfreuen. Ich habe vor einigen Wochen, Mitte Dezember, meine Tochter Anima nach Spanien verheiratet.453 Jetzt wird die Einsamkeit um mich schon beinahe metaphysisch. Für eine immer deutlichere Erkenntnis ist das nicht schlecht. Ihnen und Ihrer verehrten Frau die besten Grüße und Wünsche Ihres Carl Schmitt.

Vor dem siebzigsten Geburtstag. Anima heiratete Alfonso Otero Anfang Dezember 1957 staatlich in Santiago de Compostela und dann am 13. Dezember kirchlich in der Heidelberger Schlosskapelle. 452 453

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114. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15243] Göttingen 10. Juli 1958454 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Ist es wahr, daß Sie morgen Ihr Septuagesimä feiern? Und in der Ferne,455 sodaß ein Gruß Sie nicht pünktlich erreichen kann? Aber pünktlich gedacht wird Ihrer – Sie werden genug davon hören, und ich brauche nichts hinzuzufügen. Es bewegt uns sehr, daß Sie Frau Anima nach Spanien haben ziehen lassen müssen – daß Ihr Eintritt ins achte Jahrzehnt also beinahe zusammenfällt mit einer so einschneidenden Änderung Ihrer häuslichen Umstände. Damit sind auch unsere Wünsche gegeben. Möchte das Glück des töchterlichen Hauses viel neuen glücklichen Reichtum in Ihr Leben bringen! Möchte Spanien Sie uns nicht ganz entfremden! Möchten Sie gute und glückliche Zeiten vor sich haben – in der würdigen Rolle des Weisen, zur Lehre und Hülfe für uns arme Packesel in der täglichen Fron! Mit meiner Frau und meinen wärmsten Wünschen und Grüßen Ihr R. Smend

115. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 79] Plettenberg den 13. Januar 1959 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, auch in diesem Jahr spreche ich Ihnen meine herzlichen Wünsche zu Ihrem Geburtstage aus und hoffe, daß Sie den Tag mit Ihrer Familie in bester Gesundheit begehen. Ich habe mich über Ihre Gratulation zu meinem 70. Geburtstag im Sommer des vergangenen Jahres besonders gefreut; Ihr Schreiben erreichte mich in Santiago de Compostela, wo meine Tochter Anima seit Dezember 1957 verheiratet ist. Mit den besten Grüßen und Empfehlungen für Sie und Ihre hochverehrte Frau bleibe ich Ihr Carl Schmitt.

454 455

Darunter Schmitt handschriftlich: 1958. Schmitt verbrachte seinen 70. Geburtstag bei seiner Tochter in Spanien.

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116. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15244] Göttingen 10. Juli 1959 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Gerade bricht bei mir ein wesentlicher Teil der westfälischen Kirchenleitung456 ein und bringt, neben kirchenrechtlichen Nöten, ein Stück vom heimatlichen westfälischen Seelentum mit. Sie dürfen in dieser heimatlichen Luft leben – zu dem morgigen Abschnitt dieses Lebens wärmste Wünsche! Zugleich herzlichen Dank für Ihren entsprechenden Gruß vom Januar! Wäre doch stattdessen ein Gespräch möglich! Meine Frau grüßt und glückwünscht wärmstens mit Ihrem R. Smend

117. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 80] Plettenberg den 13. Januar 1960 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, aus besonderem Anlaß muß ich in den letzten Wochen immer wieder an Max Weber denken, der jetzt 96 Jahre alt wäre. Einige Zeit vor seinem Tode widmete er seiner Frau ein Buch mit den Worten: „bis ins pianissimo des höchsten Alters“.457 Ich habe jetzt selber ein hohes Alter und frage mich: wieso denn pianissimo? In Wirklichkeit wird es doch immer lauter und lärmender.458 Was hat Max Weber, der große connaisseur of chaos, sich eigentlich dabei gedacht? Nun, solche harmlosen Fragen sind ja wohl noch erlaubt; sie machen meinen Glückwunsch zu Ihrem morgigen Geburtstag nur umso angelegentlicher und konkreter. Ich verbinde damit meinen herzlichen Dank für Ihren freundlichen Glück456 Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen war seit 1948 Ewald Ernst Wilms (1901 – 1989), der als Mitglied der Bekennenden Kirche drei Jahre im KZ-Dachau gefangen war. 457 Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Tübingen 1920. Die Widmung gilt „Marianne Weber / 1893 „bis ins Pianissimo des höchsten Alters“ / 7. Juni 1920“. 458 Evtl. Anspielung auf die auch von Smend betriebenen Auseinandersetzungen um Schmitts 70. Geburtstag und seine Festschrift.

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wunsch vom vorigen Sommer. Bleiben Sie auch in diesem Jahr gesund und erfreuen Sie sich der Früchte Ihrer reichen Lebensarbeit. Sagen Sie Ihrer hochverehrten Frau meine besonderen Grüße und Wünsche! In alter Erinnerung stets Ihr Carl Schmitt. Von diesem Brief sind auch eine stenographische Disposition (RW 265-21773) sowie eine Abschrift (RW 265-13532) erhalten: Pl. 13.1.1[9]60 Sehr verehrter lieber Herr Smend, aus irgendeinem Anlass heraus muss ich seit den letzten Wochen immer wieder an Max Weber denken, der inzwischen 96 Jahre alt ist. Einige Zeit vor seinem Tod widmete er seiner Frau ein Buch mit den Worten: Bis ins Pianissimo des höchsten Alters. Ich stehe inzwischen selber in hohem Alter und frage mich: wieso denn pianissimo? In Wirklichkeit wird es doch immer lärmender. Was hat Max Weber, der große connaisseur of chaos, sich eigentlich dabei gedacht? Nun, solche harmlosen Fragen sind ja wohl noch erlaubt; sie machen meinen Glückwunsch zu Ihrem morgigen Geburtstag nur umso angelegentlicher und konkreter. Ich verbinde damit meinen herzlichen Dank für Ihren freundlichen Glückwunsch vom vorigen Sommer. Bleiben Sie auch in diesem Jahr gesund und erfreuen Sie sich der Früchte Ihrer reichen Lebensarbeit. Sagen Sie Ihrer hochverehrten Frau meine besonderen Grüße und Wünsche! In alter Ergebenheit stets Ihr C.S. Abschrift eines Briefes an Prof. Rudolf Smend (zu seinem Geburtstag Januar 1960) Plettenberg, 13 / 1. / 60 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, aus besonderem Anlaß muss ich in den letzten Wochen immer wieder an Max Weber denken, der jetzt 96 Jahre alt wäre. Einige Zeit vor seinem Tode widmete er seiner Frau ein Buch mit den Worten: „bis ins pianissimo des höchsten Alters“. In Wirklichkeit wird es doch immer lauter und lärmender. Was hat Max Weber, der grosse connaisseur of chaos, sich eigentlich dabei gedacht? Nun, solche harmlosen Fragen sind ja wohl noch erlaubt; sie machen meinen Glückwunsch zum morgigen Tage nur umso angelegentlicher und konkreter. Ich verbinde damit meinen herzlichen Dank für Ihre Wünsche zum vorigen Sommer. Bleiben Sie auch in diesem Jahre gesund und erfreuen Sie sich der Früchte Ihrer reichen Lebensarbeit. Sagen Sie Ihrer hochverehrten Frau meine besonderen Grüße und Wünsche! In alter Erinnerung stets Ihr gez. Carl Schmitt.

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118. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15245] Göttingen 9. Juli 1960 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Eine neue Stufe in Ihrem achten Jahrzehnt – im Anfang, während ich mich dem Ende nähere! Möchten es gute und glückliche Stufen sein! Möchten sie Sie mit dem ganzen Corpus Ihrer deutschen Fachgenossen wieder näher zusammenführen! Könnten Sie nicht etwas dafür tun? Es wäre einem wie mir, der dem Abschiede so viel näher ist, als Sie, eine große Genugtuung. Wir werden älter, die Söhne treten ins Leben, und wir denken der Vergangenheit, nicht zuletzt der unvergeßlichen Ihnen Voraufgegangenen. Mit allen guten Wünschen und Grüßen Ihr R. Smend Am 2. August 1960 schreibt Schmitt daraufhin an Ernst Forsthoff: „Eine Besonderheit will ich Ihnen aber nicht verschweigen: Smend schreibt mir in seinem diesjährigen Geburtstagsbrief: ,Möchten sie (die kommenden Jahre) Sie mit dem ganzen Corpus Ihrer deutschen Fachgenossen wieder näher zusammen führen! Könnten Sie nicht etwas dafür tun? Es wäre einem wie mir (Smend), der dem Abschied so viel näher ist, als Sie, eine große Genugtuung.‘ – Ich bin gewohnt, ihm erst zu seinem Geburtstag (Januar) zu antworten und will an dieser Gewohnheit festhalten.“ (Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926 – 1974), Berlin 2007, 164) Werner Weber schreibt Schmitt am 13. September 1960 (RW 265-17784) beschwichtigend: „Den Corpus-Passus in dem Brief von Smend haben Sie hoffentlich nicht zu ernst genommen. Er wird in der Sache nichts tun, hat sich aber Ihnen gegenüber intern sozusagen salviert. Mehr wird man hinter der Bemerkung nicht suchen dürfen.“ Dennoch ist (RW 265-13533) eine maschinenschriftliche Abschrift eines vermutlich unabgeschickten Briefentwurfes an Smend mit stenographischen Randnotizen im Nachlass Schmitts erhalten:

Plettenberg / Westf. den 13. August 1960 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, vielen Dank für Ihre freundlichen Wünsche zu meinem 73. Geburtstag! Nach dem Turnus unseres bisherigen Briefwechsels müsste ich Ihnen erst im Januar zu Ihrem Geburtstag schreiben. Aber Sie fragen mich, ob ich nicht etwas dazu tun könnte, um mich „mit dem Corpus meiner deutschen Fachgenossen wieder näher zusammenzuführen“, und darauf muß ich schon jetzt antworten. Im Oktober erscheint die Festschrift der Freien Universität Berlin, die nach der Art und Weise

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Ihrer Beteiligung459 oder Ausschließung die Verfemung meiner Person und meines Werkes erneuert, an die sich das von Ihnen genannte Corpus, ohne geregeltes Verfahren und ohne Gehör seit anderthalb Jahrzehnten gewöhnt hat. Sie selber sind an dieser Festschrift prominent beteiligt. Was immer die Motive, Begründungen oder Gesichtspunkte [folgende Worte gestrichen: einer solchen Demonstration sein mögen, ihr Zeitpunkt ist für mich nicht der Moment einer Wiederzusammenführung mit jenem Corpus. Ich fühle mich dem Abschied so nah wie Sie und es wird mir nicht schwer fallen, das Zeitliche zu segnen. Aber das soll eine klare Sache werden und keine Verwischung. Ich habe Sie noch kein einziges mal mit meiner Lage befasst.] Diese Zeilen schreibe ich nur, um nichts zu verschweigen, nicht etwa, um Gegenfragen zu stellen oder weil ich eine Antwort von Ihnen erwarte. Mit allen guten Wünschen und Grüßen Ihr gez. Carl Schmitt

119. Carl Schmitt an Rudolf Smend [Cod. Ms. R. Smend A 759 Bl. 81] Plettenberg den 13. Januar 1961 Sehr verehrter, lieber Herr Smend, jetzt bin ich wieder an der Reihe, zum Geburtstag zu gratulieren und nehme meinen Turnus mit besonderem Eifer wahr, in der Hoffnung und Erwartung, daß Sie das neue Lebensjahr in bester Gesundheit und Zufriedenheit verbringen und daran anschließend einen schönen Jubiläums-Geburtstag feiern. Ich grüße Sie und Ihre sehr verehrte Frau vielmals und wünsche Ihnen und Ihrer Familie alles Gute für das kommende Jahr. 459 Gemeint ist: Rudolf Smend, Zur Geschichte der Berliner Juristenfakultät im 20. Jahrhundert, in: Studium Berolinense. Gedenkschrift der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Freien Universität Berlin zur 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1960, S. 109 – 129, hier: 125; Schmitt wird hier im Anschluss an Hermann Heller nur kurz erwähnt. Smend schreibt, dass Schmitts „Schriften vor allem die verfassungsrechtliche Pathologie der Weimarer Republik schonungslos aufgehellt und dem herrschenden Denken im öffentlichen Recht in ihrem Dezisionismus eine blendende Gegenthese entgegengestellt hatten, die sich alsbald als wirkungsvoller Schrittmacher des nationalsozialistischen Gewaltsystems bewährte.“ Von Schmitt am Seitenrand seiner Kopie (RW 265-29150) nur diskret ohne Randbemerkung angestrichen. Smend äußerte sich dann in späteren Publikationen verschiedentlich noch kritisch über Schmitt, so in ders., Heinrich Triepel, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl. Berlin 1994, S. 594 – 608, hier: 602: „Carl Schmitt ließ die letzte Grundlage der staatlich-politischen Welt in der diktatorischen Machtfülle des Art. 48 der Weimarer Verfassung zutage treten“. Zuletzt ders., Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 3. Aufl. Berlin 1994, S. 620 – 635.

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Für Ihren freundlichen Glückwunsch zu meinem letzten Geburtstag sage ich Ihnen aufrichtigen Dank. Sie erwähnen in Ihrem Schreiben das „Corpus der Fachgenossen“ und begründen das mit einem Hinweis auf Ihr Alter. Das hat mich besonders getroffen und gerührt, denn ich stehe Ihnen an Lebensjahren nicht so viel nach. Ich fürchte allerdings, wir können nicht viel ändern an der Wahrheit des Satzes aus Goethes Alters-Reflexionen: „Der Alte verliert eines der größten Menschenrechte; er wird nicht mehr von Seinesgleichen beurteilt.“460 Nun, Deus dabit his quoque finem,461 und inzwischen kann ich ihn nur bitten, daß er mich bewahre vor Schwäche und Ungeduld. Stets Ihr Carl Schmitt.

120. Rudolf Smend an Carl Schmitt [RW 265-15246] Göttingen 9. Juli 1961 Sehr verehrter lieber Herr Schmitt! Es sind immer höhere Altersstufen, zu denen wir an unseren Geburtstagen hinaufsteigen – immer nachdenklichere Stationen des Lebensweges. Um so mehr sind Sie zu beglückwünschen, und ein wenig zu beneiden, daß Sie noch in voller Kraft auf dem Wege sein können. Bei mir ist es nicht mehr so – um so wärmer sind meine Wünsche dafür, daß Ihnen der steilere Abfall der Lebenskurve noch lange erspart bleiben möge! Mit allen guten Wünschen und Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr alter R. Smend

460 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, in: Hamburger Ausgabe, Bd. XII, S. 542. 461 Vergil, Aeneis I 199: „O passi graviora, dabit deus his quoque finem.“ (Die Ihr Schweres tragt, auch diesem Leid wird Gott ein Ende setzen).

IV. Zum Ende der Beziehung Den Abbruch der Korrespondenz beleuchten einige Auseinandersetzungen um Schmitts 70. Geburtstag sowie die verspätet erscheinende Festschrift (Festschrift für Carl Schmitt. Zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. Hans Barion, Ernst Forsthoff und Werner Weber, Berlin 1959), für die sich im Göttinger Nachlass Smends eine Mappe (Cod. Ms. R.Smend D 23), „Problem Carl Schmitt“ überschrieben, findet. Die Materialien der Mappe knüpfen an einen Brief Erich Kaufmanns vom 18. 10. 1958 an Ernst Forsthoff an, mit dem Kaufmann auf Forsthoffs Artikel vom 17. 7. 1958 in „Christ und Welt“1 antwortete. Kaufmann schickt damals eine Kopie seines Forsthoff-Briefes an Smend. Smend überlegt daraufhin eine gemeinsame Aktion der Staatsrechtslehrervereinigung. Er schreibt am 27. 10. 1958 an Walter Mallmann, den Herausgeber der Juristenzeitung,2 und wünscht „Publizität“ und „volle sachliche Schärfe“ gegen Schmitt. Smend denkt weniger an eine Veröffentlichung von Kaufmanns Brief als an eine gemeinsame Aktion. Er schreibt deshalb auch am 1. 11. 1958 an Ulrich Scheuner über Kaufmann: „Ich bin sehr angenehm überrascht von seinem Vorstoß. Aber wenn es dabei bleibt, ist es schlimmer als vorher.“ Am 10. 11. 1958 dankt Smend Kaufmann: „Du hast damit endlich das Eis gebrochen.“ Kaufmann bestätigt umgehend, dass er seinen Brief in der „Deutschen Rundschau“3 publizieren wird. Neben dem Kaufmann-Brief dokumentiert die Mappe Auseinandersetzungen um die Schmitt-Festschrift von 1959. Smend ist damals über eine kritische Glosse von Adolf Schüle4 in der Juristenzeitung dankbar. Er wünscht eine Solidarisierung der Staatsrechtslehrer mit Schüle und initiiert dies erneut über Mallmann. Smend schreibt über die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung: „Schwer für den, der die Beziehung zu ihm trotzdem nie abgebrochen hat, wie mich. Sie ist seit 1945 beschränkt auf formellste, kürzeste Grüße zu den gegenseitigen Geburts1 Ernst Forsthoff, Der Staatsrechtler im Bürgerkrieg. Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, in: Christ und Welt vom 17. Juli 1958. Forsthoff schickt Schmitt den Artikel am 20. 7. 1958 mit der Bemerkung, dass er „durch die Redaktion im letzten Satz in dummer Weise verstümmelt worden ist. Immerhin: daß Christ und Welt den Aufsatz von mir erbat, bleibt anzuerkennen.“ (Briefwechsel Ernst Forsthoff – Carl Schmitt (1926 – 1974), Berlin 2007, S. 140). 2 Walter Mallmann (1908 – 1982), ab 1957 Ordinarius in Frankfurt, Herausgeber der Juristenzeitung. 3 Erich Kaufmann, Carl Schmitt und seine Schule. Offener Brief an Ernst Forsthoff, in: Deutsche Rundschau 84 (1958), S. 1013 – 1015. 4 Adolf Schüle (1901 – 1967), PD Berlin, ab 1948 Prof. in Heidelberg und ab 1954 in Tübingen; gemeint ist Adolf Schüle, Eine Festschrift, in: Juristenzeitung 14 (1959), S. 729 – 731.

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tagen. Vorher habe ich ihn, abgesehen von einem ästhetischen Reiz, als Stein im Spiele gegen Hitler betrachtet. Und meine schwerste Enttäuschung (die nie seinem völligen Amoralismus gegolten hat: der lag ja vom ersten Augenblick an am Tage) war die, daß er und seine Leute 1945 kein Wort der Absage an ihre eigene Vergangenheit fanden.“ Scheuner schlägt mit Brief vom 25. 11. 1959 an Smend eine öffentliche Erklärung der Vereinigung gegen die Festschrift vor. Auch er schreibt, dass „die mangelnde Selbstklärung die entscheidende Unterlassung der Schule von C.S. ist“. Scheuner gibt seine eigene Belastung zu und wünscht „gemäßigte gemeinsame Schritte“. Nach Rücksprache mit Schüle bittet er Smend dann um eine öffentliche Äußerung. Am 22. 12. 1959 schreibt Scheuner an Smend, er wolle „nicht weiterhin drängen“. Mallmann bittet Smend am 23. 12. 1959 um eine Stellungnahme im Archiv des öffentlichen Rechts. Auch Otto Bachof5 wünscht (8. 1. 1960) eine Stellungnahme für das Archiv. Smend schreibt daraufhin am 11. 1. 1960 an Bachof, er wolle sein „ohnehin schwieriges Verhältnis zu Werner Weber nicht gern endgültig verderben“ und seine „Haut allein zu Markte“ tragen, wo die Kollegen „Stillschweigen“ hielten. Smend will erneut eine gemeinsame Aktion, eine „Plenarversammlung“ der Staatsrechtslehrervereinigung zum Thema. Am 12. 1. 1960 schreibt er an Mallmann ablehnend wegen einer persönlichen Stellungnahme, die er nicht „für den richtigen Weg halte“. Er wünscht erneut eine „Kollektivität der Reaktion“. Bachof lehnt aber ein Plenum des Vorstandes ab, weil das „der Anfang zu einer Spaltung der Vereinigung“ wäre. Smend antwortet Bachof daraufhin am 13. 2. 1960, er werde über die Form der Reaktion „immer ratloser“. Damals erscheint in der „Deutschen Zeitung“ Nr. 46 vom 24. 2. 19606 unter dem Titel „Schüle und Schmitt“ ein Angriff auf Schüles Glosse. Bachof schickt daraufhin eine gemeinsame „Stellungnahme“ an den Chefredakteur der Deutschen Zeitung, die von prominenten Staatslehrern – darunter Ernst Friesenhahn – unterzeichnet ist. Smend dankt am 2. 5. 1960 einem der Initiatoren der Stellungnahme, Hermann Mosler,7 mit Bedauern über die Platzierung der Stellungnahme unter die Leserbriefe. „Für eine grundsätzliche Aktion ist es nun allerdings wohl zu spät geworden“, schreibt Smend. Er antwortet dann mit seinem Beitrag zur Geschichte der Berliner Juristenfakultät. Seine Mappe „Problem Carl Schmitt“ enthält noch diverse Zeitungsartikel, darunter auch originale Artikel der Angriffe auf Carl Schmitt in der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ vom 3. 12. 1936 und 10. 12. 1936. Otto Bachof (1914 – 2006), ab 1952 Prof. in Erlangen, ab 1955 in Tübingen. Deutsche Zeitung Nr. 46 vom 24. 2. 1960; Schmitt hat auch diesen Protest im Kreis verschickt (Verzeichnis der Adressaten RW 265-19600). Der Mitherausgeber Werner Weber schreibt am 24. April 1960 an Schmitt (RW 265-17782): „Von den Auseinandersetzungen über die Festschrift in der ,Deutschen Zeitung‘ erfuhr ich [ . . . ] erst, als ich Forsthoff und Schneider am 23. und 24. März in Regensburg traf. [ . . . ] Übrigens hat das Nachspiel zu der Festschrift meine Genugtuung darüber, mit der Festschrift ein Zeichen gesetzt zu haben, beträchtlich erhöht.“ 7 Hermann Mosler (1912 – 2001), ab 1949 Prof. in Frankfurt und Heidelberg. 5 6

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Zeitlich parallel zum Scheitern einer kollektiven Protestaktion ergibt sich für Smend damals die Möglichkeit einer exponierten Stellungnahme in anderer Form. Am 12. 12. 1959 wird er mit Rundschreiben des Präsidenten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Hermann Jahrreiß,8 zu einem Festschriftbeitrag zum 150. Geburtstag der Berliner Universität aufgefordert.9 Smend antwortet umgehend am 23. 12. 1959, dass er, wie gewünscht, dem „Ehrenpräsidium“ beitritt, sagt aber noch keinen Beitrag zu. Der Berliner FU-Rektor Eduard Neumann bittet Smend daraufhin persönlich um seinen Beitrag. Smend antwortet am 13. 2. 1960 Ludwig Raiser10 ausweichend. Er sucht nach alternativen Autoren bei kurzer Frist. Smend ärgert sich damals auch über eine geplante Mitwirkung des nationalsozialistisch belasteten Carl August Emge,11 sagt Neumann aber am 15. 6. 1960 dann einen kleinen Beitrag mit Bitte um Terminverlängerung zu. Am 16. 8. 1960 schickt er das Manuskript an den Rektor. Bald schickt er die korrigierten Fahnen. Smend protestiert dann am 23. 11. 1960 gegen den Festschriftbeitrag von Emge. Am 14. 4. 1961 schreibt er an den Herausgeber Wilhelm Weischedel12 in scharfer Form: „Den Beitrag zum Studium Berolinense hätte ich nicht geliefert, wenn ich gewußt hätte, in welche Gesellschaft ich da geriet.“ Im Nachlass Schmitts befindet sich eine Mappe (RW 265-21773), in der Schmitt den Tod Smends bearbeitet. Sie eröffnet mit der förmlichen Todesanzeige ohne handschriftlichen Zusatz. Es folgen eine handschriftliche Abschrift „Mein letztes Schreiben an Rudolf Smend 13 / 1 / 1961“, stenographische Notizen vom 30. Mai 1974, eine Inhaltsanzeige der Festschrift zu Smends 80. Geburtstag, mehrere Durchschläge und Kopien von Schmitts Geburtstagsbrief vom 14. Januar 1942 an Smend, mehrere Zeitungsartikel, weitere stenographische Notizen, kleinere Artikel Smends13 sowie mehrere Kopien einer Schreibmaschinenabschrift von Schmitts Brief vom 13. Januar 1960. Schmitt dokumentiert mit dieser Mappe sein Verhältnis. Die Mappe bestätigt, dass Schmitt den Kontakt bewusst abbrach. Eine Kopie des lexikalischen Stichwortartikels „Integration“ kommentiert er (später Eintrag, 8 Hermann Jahrreiß (1894 – 1992), ab 1926 Prof. in Leipzig, Greifswald, Köln, Göttingen, Innsbruck und erneut Köln. Jahrreiß verteidigte Generaloberst Adolf Jodl im Nürnberger Prozess, beriet dort auch Carl Schmitt. 1958 bis 1960 war er Rektor der Universität Köln und Präsident der Rektorenkonferenz. 9 Jahrreiß am 12. 12. 1959 an Smend (Mappe Cod. MS R.Smend C 45). 10 Ludwig Raiser (1904 – 1980), Diss. 1931 Berlin, Habilitation 1933 politisch aberkannt, Prof. in Göttingen (1945) und Tübingen (1955), Rektor der Universität Göttingen, Präsident der DFG, Mitglied der Synode der EKD. 11 Carl August Emge (1886 – 1970), ab 1928 Prof. in Jena, ab 1934 Berlin. Emge wurde 1937 stellvertretender Präsident der Akademie für Deutsches Recht. Nach 1949 lehrte er in Würzburg. 12 Wilhelm Weischedel (1905 – 1975), Philosoph, ab 1953 Prof. in Berlin. 13 Rudolf Smend, Zwanzig Richter hüten das Grundgesetz. Zehn Jahre Bundesverfassungsgericht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 38 vom 14. 2. 1962, S. 11 f.; SD: Zum Gedenktag der Göttinger Sieben, in: ZAkDR 4 (1937), S. 691; SD: Heinrich Triepel zum 70. Geburtstag am 12. Februar 1938, in: Forschungen und Fortschritte 14 (1938), S. 58 – 59.

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70er Jahre): „Integration, das große Placebo“ (RW 265-29145). Öffentlich äußert er sich nach Smends Tod in seiner letzten größeren Publikation „Die legale Weltrevolution“ 1978 knapp zustimmend: „Nach einer Feststellung des 1975 hochbetagt verstorbenen deutschen Verfassungsjuristen Rudolf Smend ist es das deutsche Volk, das an einem ,rührenden Legalitätsbedürfnis‘ leidet.“14

14 Carl Schmitt, Die legale Weltrevolution. Politischer Mehrwert als Prämie auf juristische Legalität und Superlegalität, in: Der Staat 17 (1978), S. 321 – 339; Wiederabdruck in: Carl Schmitt, Frieden oder Pazifismus?, Berlin 2005, S. 919; Schmitt zitierte dieses Wort schon fünf Jahrzehnte früher, 1928, in seiner Rede „Völkerrechtliche Probleme im Rheingebiet“, Wiederabdruck in ders., Positionen und Begriffe, Hamburg 1940, S. 104.

V. Materialien A. Materialien Carl Schmitt 1. Handschriftlich von Carl Schmitt verfasster Fakultätsantrag für Albert Hensel (Juli 1922) 2. Schmitts Streit mit Fritz Stier-Somlo a) Fritz Stier-Somlos Schmitt-Rezension in der Kölnischen Zeitung 1924 b) Carl Schmitts Hobhouse-Rezension 1924 c) Erwiderung des Verlegers und Entgegnung Kurt Singers 1924 d) Stellungnahme Fritz Stier-Somlos 1924 3. Drei Bonner Dissertationsgutachten a) Gutachten für Bernhard Braubach b) Gutachten für Emil Gerber c) Gutachten für Werner Becker 4. Miszelle: Eine Französische Kritik der Zeit 5. Zeitungsbericht über einen Vortrag vom 10. November 1932 6. Gutachten Schmitts für Johannes Heckel (1935) zur Berufung nach Berlin 7. Zwei Berliner Dissertationsgutachten von Schmitt und Smend a) Gutachten für Günther Krauss b) Gutachten für Albrecht Wagner 8. Artikel: Der Mut des Geistes 1950

B. Materialien Rudolf Smend1 1. Smends Rezension von Max Weber 1918 2. Nachruf auf Günther Holstein

1 Smend schrieb zahlreiche kollegiale Würdigungen und Nachrufe zu den Akteuren des Richtungsstreits. Weitere Artikel thematisieren die Staatsrechtslehrervereinigung und Lage des Faches. Weitere Texte Smends „Zu Erich Kaufmanns wissenschaftlichem Werk“, zur deutschen Staatsrechtswissenschaft oder zur Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer finden sich in den Staatsrechtlichen Abhandlungen. Andere, so die Würdigung „Gerhard Leibholz zum 70. Geburtstag“ (AöR 96, 1971, S. 568 – 572), könnten das Bild noch abrunden.

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V. Materialien

3. Artikel: Wissenschaft in Gefahr 4. Artikel: Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht 5. Artikel: Zum Gedenktag der Göttinger Sieben 6. Heinrich Triepel zum 70. Geburtstag 7. Auszüge aus Smends Promotionsgutachten für Wilhelm Hennis 8. Erwin Jacobi 70 Jahre alt 9. Nachruf auf Carl Bilfinger 10.Johannes Heckel 70 Jahre alt

A. Materialien Carl Schmitt 1. Handschriftlich von Carl Schmitt verfasster Fakultätsantrag für Albert Hensel (Juli 1922)2 Für das durch die Emeritierung von Herrn Prof. Dr. Seibt3 freigewordene Extraordinariat schlägt die Fakultät den Privatdozenten an der Universität Bonn, Herrn Dr. Albert Hensel vor, mit dem Antrag, ihm einen Lehrauftrag für Steuerrecht sowie zu ergänzender Lehrtätigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zu erteilen. Herr Privatdozent Hensel, geb. 9. 2. 1895 hat sich im Februar d. J. an der hiesigen Universität für Steuerrecht habilitiert. Dieser Disziplin hat er sich sowohl in der Praxis, durch seine Tätigkeit beim Finanzamt und durch eine umfangreiche, von dem gesamten Lehrkörper der Universität dankbar anerkannte Beratungstätigkeit in Steuerfragen als auch durch ausgezeichnete Vorlesungen mit großem Erfolg gewidmet. Seit längerer Zeit hat er außerdem mit den beiden Ordinarien des öffentlichen Rechts, Prof. Kaufmann und Prof. Smend, in Übungen und Konversatorien gemeinschaftlich gearbeitet und auch hier einen vorzüglichen Eindruck gemacht. An wissenschaftlichen Arbeiten liegt zunächst eine größere Abhandlung vor „Der Finanzausgleich im Länderstaat in seiner staatsrechtlichen Bedeutung“ als 4. Heft der von den Proff. Triepel, Kaufmann und Smend herausgegebenen öffent2 Akten der Juristischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, Nr. 42, Fach 4 No. 1; Schmitt schreibt das Gutachten im Fakultätsauftrag; er begründet das Urteil der Fakultät advokatorisch unabhängig von seiner eigenen Meinung. Die Fakultät stellte einen ersten Antrag schon vor seiner Ankunft in Bonn. So schreibt Schmitt das Gutachten in einer quasi externen Gutachterrolle. Dennoch sind die advokatorischen Argumente ihm auch ein Stück weit zurechenbar. 3 Karl Julius Gustav Seibt (1873 – 1947); Seibt war ein Schüler Gustav Schmollers. Der Ökonom ist noch bis zum SS 1921 mit Veranstaltungen zur Wirtschaftsstatistik und Justizstatistik geführt.

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lich-rechtlichen Abhandlungen Berlin 1922 erschienen. Die Arbeit behandelt ein in seiner Schwierigkeit bisher kaum erkanntes wesentliches Problem des bundesstaatlichen Rechts und gibt eine wertvolle rechtsvergleichende Darstellung ausländischen sowie des bisherigen deutschen Staatsrechts, mit einer bemerkenswerten Begabung für die Herausarbeitung der verschiedenen juristischen Typen. Die gute und klare Übersichtlichkeit der Schreibart ist hier ein besonders anzuerkennender Vorzug, weil die Materie bisher wenig juristisch durchgearbeitet ist. Die Habilitationsschrift „System des Familiensteuerrechts“ behandelt unter dem Gesichtspunkt der Gesamtfamilie alle Steuergesetze der letzten Jahre und macht dadurch den Anfang zu einer wahrhaft wissenschaftlichen, an systematischen Interessen orientierten Gestaltung des Steuerrechts. Ein außerordentlich vielgestaltiger, bisher nur in Einzelheiten kommentierter Rechtsstoff liegt dieser Bearbeitung zu Grunde. Die umfassende Sachkenntnis und der Reichtum an juristischen Gedanken machen diese Arbeit zu einer der interessantesten und wertvollsten Erscheinungen der letzten Jahre. Die Fakultät hält Herrn Dr. Hensel für besonders geeignet, das genannte Extraordinariat mit einem entsprechenden Lehrauftrag zu übernehmen. Wegen der Änderung der Lehraufgabe für dieses Extraordinariat wird auf unseren dem vorgeordneten Ministerium im Februar d. J. unterbreiteten Antrag Bezug genommen.4

2. Schmitts Streit mit Fritz Stier-Somlo a) Fritz Stier-Somlos Rezension in der Kölnischen Zeitung Nr. 82a vom 2. Februar 1924 Karl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, (München, Duncker u. Humblot) Die Krise des Parlamentarismus ist unverkennbar. Auch die führende Presse hat (wie z. B. häufig die Kölnische Zeitung) auf sie hingewiesen. Die vorliegende Studie kommt zur rechten Zeit. Der Verfasser führt den italienischen Senator Mosca an, der 1922 als Hilfsmittel gegen die Mängel des parlamentarischen Systems drei Lösungen angab: die sogenannte Diktatur des Proletariats, einen wenig verhüllten Absolutismus einer Bureaukratie, die syndikalistische Herrschaftsform, d. h. Ersetzung der individualistischen Repräsentation im heutigen Parlament durch eine Organisation der Syndikate. Der Verfasser stellt zutreffend fest, der Kampf gegen den Parlamentarismus komme von rechts wie von links, und es verbänden sich konservative, syndikalistische, anarchistische Argumente, monarchische, aristokratische und demokratische Gesichtspunkte. Er geht dem Problem eigenartig zu Leibe, indem er zunächst – in wenig geläufigen Begriffsformen – von den „maßgebenden 4 Der Antrag ist unterzeichnet vom Dekan Carl Crome, von Ernst Landsberg, Hans Schreuer, Josef Partsch, Josef Heimberger, Heinrich Göppert, Carl Schmitt.

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Identitätsformen des demokratischen Denkens und den in der politischen Wirklichkeit an ihre Stelle tretenden Identifikationen“ handelt: Identität von Regierenden und Regierten, Herrscher und Beherrschten, von Subjekt und Objekt staatlicher Autorität, des Volkes mit seiner Repräsentation im Parlament, von Staat und Gesetz. Solche Identitäten seien aber nicht handgreifliche Wirklichkeit, sondern beruhten auf einer Anerkennung der Identität, es seien „Identifikationen“. Es wäre freilich interessant gewesen, zu erfahren, ob nicht auch diese Identifikationen – der Verfasser meint zu Unrecht, daß das auch durch sie ausgedrückte Prinzip, vom Fascismus abgesehen, unbestritten anerkannt sei – in ihrer der Wirklichkeit z. T. kraß widersprechenden Dogmatik unterhöhlt sind; er nimmt kühn an, daß „die heute herrschende Legitimität tatsächlich demokratisch ist“. In Wirklichkeit besteht eine sehr starke Strömung in allen Kulturstaaten, die z. B. jener Gleichstellung von Parlament und Volk, Staat und Gesetz entgegen ist. Als Prinzipien des Parlamentarismus erachtet der Verfasser im Anschluß an Smend Oeffentlichkeit und Diskussion, Gewaltenteilung und Balancierung, lehnt andere Auffassungen ab, z. B. die das Parlament als Ausschuß von Vertrauensleuten statt aller ansieht (Repräsentatividee) und stellt die Behauptung auf: wenn aus praktischen und technischen Gründen statt des Volkes Vertrauensleute des Volkes entscheiden, kann ja auch ein einziger Vertrauensmann entscheiden und dies würde, ohne aufzuhören demokratisch zu sein, einen antiparlamentarischen Zäsarismus rechtfertigen. Es wird dabei meines Erachtens die Kleinigkeit übersehen, daß eine Volksherrschaft weder begrifflich noch dynamisch-politisch gesehen mit einer Einherrschaft zusammenfallen kann. Ein weiteres Kapitel behandelt, in losem Zusammenhang, mit natürlich auf Hegel zurückgehendem philosophischen Tiefgang die Diktatur im marxistischen Denken, in dem noch die Möglichkeit einer rationalistischen Diktatur liege, während alle Lehren direkter Aktion und Gewaltanwendung mehr oder weniger bewußt auf einer Irrationalitätsphilosophie beruhen. Der Verfasser beschäftigt sich hier hauptsächlich mit dem Buch des Syndikalisten Georges Sorel, Réflexions sur la violance (4. Aufl. 1919), dem er nicht nachträgt, daß er sich auf den Philosophen Bergson stützt. Aus der betonten Bedeutung der Lehre vom Mythos, die die Wirksamkeit des Irrationalen scharf unterstreicht, aber auch meines Erachtens ebenso stark überschätzt, folgt für den Verfasser, „daß der relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren hat“. Das dürfte wohl bestritten werden. Ob der heutige Parlamentarismus in seinen Voraussetzungen und Formen sich halten kann, ist mir recht zweifelhaft; aber der Gedanke der Repräsentation der Vielen durch Wenige wird sich – solange die Unmöglichkeit einer unmittelbaren Volksherrschaft einleuchtet –, sei es in politischer, sei es in berufsständischer Gestalt, immer wieder durchdringen. Der Irrationalismus als leitender und organisatorischer Gedanke ist doch wohl ein Widerspruch in sich. Die Schrift ist dankenswert und mit Sinn für weite Ueberschau, mit intuitivem Durchfühlen geistiger Strömungen geschrieben. Starke Subjektivität und eine essayistische Buntheit lassen oft den führenden Faden vermissen, sind aber immer anregend. Universitäts-Professor Dr. Stier-Somlo, Köln.

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b) Carl Schmitts Rezension im Wirtschaftsdienst 9 (1924), S. 986 – 987 Die metaphysische Staatstheorie, eine Kritik von L. T. Hobhouse. Übersetzt von Grete Beutin-Dubislav, mit einem Vorwort von Fritz Stier-Somlo, Leipzig 1924 Wenn eine Übersetzung mit einem Vorwort herausgegeben wird, so kann die Frage der wissenschaftlichen Verantwortlichkeit ihre besonderen Schwierigkeiten haben, weil nicht immer erkennbar ist, wie sich die Leistungen und Bürgschaften von Herausgeber und Übersetzer abgrenzen lassen. Denn beide treten als Vermittler des Originals auf. Indessen braucht man im vorliegenden Fall die Frage nicht zu komplizieren. Die Übersetzerin ist nach der Art ihrer Leistung offenbar Anfängerin, wenigstens auf diesem Gebiet und weder ihr Name noch ihr Beruf werden den deutschen Leser bestimmen, sich ihrer Übersetzung anzuvertrauen. Was nun den Herausgeber anbelangt, so gibt er in seinem Vorwort folgende Erklärung wörtlich ab: ,Es war ein von Herrn Dr. Felix Meiner freundlichst aufgenommener Lieblingsgedanke von mir, in guten Übersetzungen kennzeichnende neue Werke ausländischer, besonders englisch schreibender Schriftsteller in Deutschland herauszugeben.‘ Über das Buch von Prof. Hobhouse selbst, das in der Hauptsache eine Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Kollegen Bosanquet ist, und darüber wie weit es ein ,kennzeichnendes‘ Werk genannt werden kann, mag in einem anderen Zusammenhang gesprochen werden. Bleiben wir zunächst bei der deutschen Ausgabe und bei den deutsch schreibenden Schriftstellern – Made in Germany steht auf der Rückseite des ersten Blattes zu lesen – und betrachten wir die Übersetzung etwas näher. Von ihren stilistischen Eigenarten und ihrer oft merkwürdigen Handhabung der deutschen Sprache soll dabei nicht die Rede sein, auch über die zahllosen Ungenauigkeiten, Schiefheiten, Oberflächlichkeiten, Weglassungen, braucht man nicht mehr zu sprechen. Die sprachlichen und sachlichen Fehler sind derartig, daß jedes Interesse an der Feinheit einer Übersetzung unangebracht wäre. Manches ist so unglaublich, daß es statt in eine deutsche wissenschaftliche Publikation wohl eher in eine Sammlung von schlechten Witzen gehörte. [ . . . ] Aber für die Beurteilung der vorliegenden deutschen Ausgabe eines englischen Autors ist etwas Anderes, vielleicht noch wichtiger als eine derartig unzulängliche Wiedergabe des Originals. Die englische Ausgabe trägt eine zwei Seiten lange ,Dedication‘ des Autors an seinen Sohn, den Fliegerleutnant R. O. Hobhouse. Diese Widmung bleibt in der deutschen Ausgabe stillschweigend weg. Doch ist sie für das Buch bedeutungsvoll, nicht nur als Vorrede, sondern auch, weil manche Sätze des Textes erst durch sie verständlich werden. Sie betont, daß das Buch während des Krieges entstanden ist, während deutsche Flugzeuge England heimsuchten. Damals kämpfte der Sohn gegen die Deutschen in der Luft. Der Vater aber sagt von sich in seiner Widmung, auch er habe mitgekämpft, wenn er auch ,with more pedestrian methods‘ zufrieden sein müsse. Aber ,um aus der Welt eine sichere

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Stätte für die Demokratie zu machen‘ (ein Zitat: ,to make the world a safe place for democracy‘) seien die geistigen Waffen so notwendig wie die körperlichen (the weapons of spirit are as necessary as those of the flesh) und beide, Vater und Sohn, seien auf ihre verschiedenen Wegen Kämpfer in einer großen Sache (in our different ways we are both fighters in the great cause). Mit diesem Satz schließt die Widmung. Das Buch, das diese Widmung trägt, ist in der Tat ein Teil der während des Krieges gegen Deutschland geschriebenen Literatur, und nicht nur in dieser Vorrede, auch im Text zeigt sich der Gegensatz gegen Deutschland. Nicht einmal der berühmte ,Fetzen Papier‘ fehlt, obwohl die Übersetzung (S. 109) natürlich ahnungslos darüber hinweggeht. In Vergleich zu mancher Propagandaliteratur ist das Buch von Hobhouse allerdings ruhig und kühl, aber es gehört doch wesentlich zu seinem Charakter, daß es sich bewußt an dem Kampf gegen Deutschland beteiligt und den wissenschaftlichen Vertreter, Bosanquet, als einen Vertreter deutscher Ideen hinstellt. Wie man nun immer über den Kreuzzug gegen Deutschland denken mag, ein englischer Autor hat keinen Grund, die Tendenz seines Buches und eine solche Widmung zu verschweigen. Welchen Grund aber hat ein deutscher Herausgeber, sie den deutschen Lesern vorzuenthalten? Eine Erklärung ist schwer zu finden. An sich wären zwei Möglichkeiten denkbar: entweder hat er die Widmung und die von ihr aus verständlichen, zahlreichen Anspielungen des Textes überhaupt nicht bemerkt – eine so horrende Möglichkeit kann man nicht annehmen. Oder aber er hat sie bemerkt und das bedeutet, daß er sie mit vollem Bewußtsein und mit Überlegung verschwiegen hat. Er sagt in seinem Vorwort: ,Das Werk von Hobhouse, das in den Kriegsjahren 1917 / 18 aus Vorträgen entstanden ist, wird uns Deutsche besonders fesseln.‘ Er behauptet sogar (angesichts eines solchen Buches ganz unverständlich): ,Es ist unverkennbar von deutscher Philosophie, insbesondere der Hegels, mag es sich auch noch so kritisch zu ihr stellen, beeinflußt. Sie (wer?) zeigt den hohen Ernst und die tiefe Verwurzelung des geistigen Lebens in England in der Staatsidee.‘ Wozu sich nebenbei die Frage aufdrängt, ob man dafür nicht zweckmäßiger Bosanquet übersetzt hätte. Und der Schluß des Vorworts lautet: ,Das Buch mag uns auch zeigen, wie fern von rein utilitaristischer Einstellung die Besten der englischen Schriftsteller sind und wie sich in der hingebenden Liebe an höchste und tiefidealistische Probleme ihr Geist mit denen der Deutschen begegnet.‘ Nach solchen Sätzen ist es noch auffälliger, daß dem deutschen Leser jene für die Beurteilung des Buches so wesentliche englische Widmung verheimlicht wird. Sollte etwa die für Deutsche bestimmte Ausgabe einer gegenseitigen Verständigung englischer und deutscher Wissenschaft dienen? Dann mußte man vor allem aufrichtig sein und durfte nicht den englischen Autor dem Verdacht aussetzen, als habe er nicht den Mut, seine Widmung vor deutschen Lesern zu bekennen, durfte aber ebenso wenig den deutschen Leser durch eine stillschweigende Weglassung beleidigen. Der arme deutsche Leser! Alle möglichen Arten von Ersatz hat er während des Krieges gekostet. Nach dem Krieg hat man ihm dann in steigenden Quantitäten in der Form von Übersetzungen, einen literarischen Ersatz angeführt. In der vorlie-

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genden Veranstaltung aber bietet sich ihm außerdem ein besonderes Schauspiel: An der Seite des englischen Originals, das in allem Haltung und Würde bewahrt, präsentiert sich eine deutsche Ausgabe, in schlechter Fassung, ohne Gefühl für die Verantwortlichkeit einer Übersetzung, ohne sprachliche Zucht und ohne wissenschaftliche Korrektheit, in der zweifelhaften Haltung dessen, der etwas verheimlicht – ein trauriger Anblick. Bonn am Rhein

Prof. Carl Schmitt

c) Erwiderung des Verlegers und Entgegnung Kurt Singers im Wirtschaftdienst 9 (1924), S. 1680 Einige Feststellungen

In Nr. 7 der Kritischen Blätter vom 25. Juli 1924 hatte Prof. Dr. Carl SchmittBonn eine Kritik der im Verlag von Felix Meiner-Leipzig erschienenen, von Prof. Dr. Stier-Somlo herausgegebenen und von Frl. G. Beutin-Dubislav besorgten Übersetzung des Buches von L.-T. Hobhouse: Die metaphysischen Staatstheorien veröffentlicht. Gegen diese Besprechung, die sich in erster Linie gegen die Unzulänglichkeit der Übersetzung, in zweiter Linie gegen die Fortlassung der deutsch-feindlichen Widmung richtete, wendet sich der Verleger in einer Zuschrift, die er uns zu veröffentlichen ersucht. Wir entsprechen diesem Wunsch insoweit als die Zuschrift Feststellungen enthält, die für die Beurteilung des Falls relevant sind. Die persönlichen Meinungen und Gefühle eines Verlages gegenüber einer Rezension eines von ihm verlegten Werkes kommen für die wissenschaftliche Erörterung ohnehin nicht in Betracht. Der Verleger wünscht festzustellen: 1. Daß der englische Verfasser selber „sich die Durchsicht der Übersetzung in einer Art vorbehalten habe, die mich (den Verlag) glauben machen mußte, daß er einer solchen Aufgabe auch gewachsen sei. Die Übersetzung hat ihm vorgelegen und ist von ihm als ,all right‘ bezeichnet worden“. 2. Die Fortlassung der Widmung ist auf Veranlassung des Verlages erfolgt, ,der der Ansicht war, daß es zwecklos ist, an die Bedingtheiten der Entwicklung eines wissenschaftlichen Werkes in einer immer noch nationalistisch aufgeregten Zeit zu erinnern‘. Er habe ,die lautere Absicht mit der Ausgabe des Werkes verfolgt, dem deutschen Volk nach jahrelanger Isolierung zu zeigen, wie im Auslande die Einwirkungen der deutschen Philosophie sich fortgepflanzt und unter dem Einflusse des Krieges modifiziert haben‘. Der englische Verfasser selber habe die Anregung dazu gegeben, ,statt der bewußten Widmung an seinen Sohn, derentwegen er von unserer Seite befragt wurde, im Vorwort nur die Feststellung anzubringen, daß das Buch im Jahre 1917 – 1918 geschrieben sei, daß es sich also um eine Kriegserscheinung handele‘. Zu diesen Feststellungen des Verlages haben wir folgendes zu bemerken:

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1. Durch das ,all right‘ des englischen Verfassers wird weder der Herausgeber, noch die Übersetzerin noch der Verlag von seiner Verantwortung entlastet. Dagegen erhebt sich die Frage, ob ein des Deutschen in diesem Maß Unkundiger oder ein in diesem Maß flüchtig arbeitender Verfasser überhaupt das Recht hat, in Sachen der deutschen Philosophie und Staatslehre gehört zu werden. Man vergleiche die von Prof. Schmitt festgestellten Ungeheuerlichkeiten der Übersetzung und frage sich, wie weit ein Autor deutsche Bücher zu lesen und zu beurteilen imstande sein kann, der solche Übersetzungsfehler passieren läßt. 2. In der fortgefallenen Widmung hatte der englische Verfasser sein Werk unter das Zeichen des Kreuzzuges gegen Deutschland gestellt. Daß der Verlag dies im Interesse der Verbreitung und Wirkung der deutschen Übersetzung verschwiegen zu sehen wünschte, beweist entweder Mangel an politischem Sinn oder eine uns unverständliche Auffassung von nationalem Takt. Wenn der englische Verfasser mit der Fortlassung der Widmung einverstanden war, so kann ein solches Verhalten ebenfalls auf zweierlei Motive zurückgehen: entweder ist es eine Kriegslist, zu der der arglose deutsche Verlag selbst die Hand geboten hat; oder der Verfasser hat die Torheit des Kreuzzugsgedankens eingesehen. In diesem zweiten Fall würde der Wert einer deutschen Übersetzung eines solchen Buches noch fragwürdiger erscheinen als es nach den Schmittschen Darlegungen ohnehin der Fall ist. Die Schriftleitung [Kurt Singer]

d) Stellungnahme Fritz Stier-Somlos im Wirtschaftsdienst 9 (1924), S. 1832 Zum Thema: Hobhouse

Wir [Schriftleitung des Wirtschaftsdienstes] erhalten folgende Zuschrift: „Ich ersuche Sie um Veröffentlichung dieses Schreibens in den ,Kritischen Blättern‘, Beilage des ,Wirtschaftsdienst‘. Vor kurzem sandte mir Herr Dr. Felix Meiner, Verleger in Leipzig, eine Besprechung, die in den ,Kritischen Blättern‘ vom 25. Juli 1924 Herr Prof. Dr. Carl Schmitt in Bonn über die Übersetzung des Buches von L. T. Hobhouse, Die metaphysische Staatstheorie, veröffentlicht hat. Ich beschränke mich auf folgende Feststellungen. 1. Ich bin nicht der Herausgeber der Übersetzung jenes Werkes. Der Rezensent gibt einen Satz des von mir geschriebenen Vorworts wieder: ,Es war ein von Herrn Dr. Felix Meiner freundlichst aufgenommener Lieblingsgedanke von mir, in guten Übersetzungen kennzeichnende neue Werke ausländischer, besonders englisch schreibender Schriftsteller in Deutschland herauszugeben‘. Der Rezensent erwähnt aber nicht den unmittelbar darauffolgenden Satz: ,Die harte Not der Zeit verhindert es, einen solchen weitumfassenden Plan jetzt auszuführen‘.

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Das ist doch deutlich: Ich bin nicht Herausgeber. Wenn dann von einem ,Versuch mit dem vorliegenden Buch‘ die Rede ist, so kann, daß dies der Versuch des Herrn Dr. Meiner und nicht der meinige ist, umso weniger zweifelhaft sein, als die ersten Worte des Vorworts lauten: ,Dem Wunsche des Verlags entspreche ich gern, dem Werke von Hobhouse in der Gestalt dieser Übersetzung einige Sätze vorauszuschicken‘. Kein Kenner der Verhältnisse wird annehmen, daß ein Herausgeber eines Werkes nur ,einige Sätze auf Wunsch des Verlages vorausschickt‘, sondern daß er Plan und Absicht, Zweck und Durchführung darzulegen und eventuell zu rechtfertigen, jedenfalls sich als Herausgeber zu bekennen oder vorzustellen hat. Das ist in dem vorliegenden Falle nicht geschehen, tatsächlich hat auch meine Herausgeberschaft, wie doch Herr Dr. Meiner und ich am besten wissen müssen, nicht bestanden, es ist von ihr auch mit keiner Silbe die Rede. Auf dem Titelblatt heißt es: ,Übersetzt von Grete Beutin-Dubislav. Mit einem Vorwort von Fritz Stier-Somlo‘. Auch hier ist kein Hinweis auf eine von dem Rezenenten behauptete Herausgeberschaft. Wer ein Vorwort (von übrigens 33 Zeilen) und nur dieses auf Bitte eines Verlegers schreibt, ist noch niemals als Herausgeber in Anspruch genommen worden. Alle gegen meine – unrichtig behauptete – Eigenschaft als Herausgeber gerichteten Vorwürfe des Rezensenten sind daher an die falsche Adresse gerichtet und gegenstandslos. 2. Ich hatte seinerzeit das Werk von Hobhouse vom Verlag Dr. Meiner in Aushängebogen ohne die Widmung an den Sohn des Verfassers erhalten. Gleichzeitig schrieb mir Herr Dr. Meiner, der Verfasser rege an, die Widmung fortzulassen und lediglich zu sagen, es sei das Buch im Jahre 1917 / 18 erschienen. Herr Dr. Meiner hat dies auch in seiner Erklärung hervorgehoben, die in diesen Blättern vom 28. November 1924 erschien. Ich habe die Widmung bis zum heutigen Tage nicht gesehen, konnte auch nicht annehmen, daß eine Widmung an den eigenen Sohn des Verfassers etwa enthalte, was, wie der Rezensent behauptet, zum Verständnis mancher Sätze des Buches dient. 3. Für die Übersetzung sind Verlag und Übersetzerin verantwortlich, ebenso der Verfasser selbst, der jene dauernd kontrolliert hat. Ich habe weder dem Verlage noch dem Publikum gegenüber in dieser Hinsicht irgend welche Pflicht der Kontrolle übernommen, wie es auch wohl niemals jemand tut, der nur auf Bitte eines Verlages einige Worte vorausschickt und sich nicht als Herausgeber vorstellt. 4. Das Buch von Hobhouse ist durchaus wert, dem deutschen Leser bekannt zu werden. Hochachtungsvoll Dr. Fritz Stier-Somlo Ordentlicher Professor des öffentlichen Rechts und der Politik an der Universität Köln.“

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3. Drei Bonner Dissertationsgutachten a) Gutachten für Bernhard Braubach5 Bernhard Braubach, „Zum Begriff des Abgeordneten“ Die Arbeit, deren Interesse auf eine Untersuchung der antiparlamentarischen Strömungen in Frankreich gerichtet ist, stellt systematisch den Begriff der Repräsentation in den Mittelpunkt ihrer Darlegung. Maßgebend sind ihr dabei die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert herrschenden Vorstellungen der stoischen Philosophie, ohne die eine geistesgeschichtliche Erkenntnis der Staatstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts in der Tat unmöglich ist. Die alles beeinflussende Wirkung stoischer Begriffe wie Vernunft und „Natur“, ihre Gleichsetzung des „Weisen“ mit dem Gesetzgeber, des staatlichen Gesetzes mit der „ratio“, wird an der Entwicklung vom 17. Jahrhundert zu Montesquieu, Rousseau und Condorcet gezeigt, welche Entwicklung eine immer weitere Ausdehnung des Naturbegriffs zur Freiheit enthält. Bei Condorcet wird insbesondere die Übertragung mathematischer Vorstellungen auf Staatslehre und Politik aufgewiesen, wodurch der Zusammenhang des mathematischen Wahrscheinlichkeitskalküls mit der demokratischen Ausdehnung des Wahlrechts evident wird. Condorcet’s große Bedeutung, die von Wolzendorff sehr hervorhob, erhält dadurch ihre eigentliche Dokumentierung: er ist der typische Repräsentant der staatstheoretischen Idee der Demokratie. Die Darstellungsweise der Arbeit erschwert die Lektüre. Die Gedanken sind aufs äußerste kompriminiert, ein ungewöhnlich reiches ideengeschichtliches Material und eine Fülle selbständiger Gedanken sind in einer unauffälligen, oft nur 5 Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Dissertationsgutachten Nr. 390 / 23; Bernhard Braubach (1892 – 1930) war Schmitts ältester Bonner Schüler und Doktorand; er kam aus Köln; nach seinem Abitur 1911 studierte er bis zum Kriegsbeginn und war dann bis Kriegsende im Heeresdienst. Im November 1919 promovierte er in der Philosophischen Fakultät Bonn mit einer Arbeit über „Die Einführung der Kantischen Philosophie in Frankreich durch Charles de Villers“; seit dem WS 1920 / 21 studierte er Rechtswissenschaft. Als Zweitgutachter erklärte sich Ernst Landsberg mit Schmitts Notenvorschlag einverstanden. Die mündliche Prüfung absolvierte Braubach im Hauptfach Staatsrecht bei Schmitt „sehr gut bis ausgezeichnet“. Schmitt plädierte am 30. 7. 1923 für das seltene Gesamtprädikat ausgezeichnet, das Braubach am 31. 7. 1923 auch erhielt. Schmitt pflegte einige Zeit engeren Umgang mit Braubach. Im Januar 1924 verstritt er sich aber mit ihm, weshalb Braubach als Schüler auch lange vergessen war. 1923 bis 1925 war Braubach Assistent im staatswissenschaftlichen Seminar. Im Sommer 1928 habilitierte er sich in der Philosophie mit einer Arbeit über „Sieyès und die Theorie der Repräsentation“. Am 4. November 1930 verstarb er nach einem Blutsturz. Die Dissertation wurde in zwei Aufsätzen teilveröffentlicht: Bernhard Braubach, Der Einfluss der Stoa auf das französische Staatsrecht der Revolution, in: Schmollers Jahrbuch 48 (1924), S. 219 – 242; ders., Stoa und Demokratie in der Ideenwelt der französischen Revolution (Condorcet), in: Schmollers Jahrbuch 48 (1924), S. 637 – 653; Braubach verschweigt seinen Doktorvater in seinem akademischen Lebenslauf von 1928 zum Habilitationsverfahren, der abgedruckt ist in einem ausführlichen, namentlich nicht gezeichneten Nachruf: Bernhard Braubach, in: Chronik der Rheinischen Universität zu Bonn für das akademische Jahr 1930 / 1931, Bonn 1932, S. 8 – 12.

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andeutenden, scheinbar oft skizzenhaften Art der Auseinandersetzung verborgen. Es ist keine Frage, daß die geistesgeschichtliche Erkenntnis der Demokratie durch den Beweis des Zusammenhangs mit dem materialistischen Monismus der Stoa in einer höchst wertvollen Weise gefördert wird. Darin liegt die wissenschaftliche Bedeutung der Arbeit. Hinzu kommt die glänzende Darlegung über eine so wichtige und typische Persönlichkeit wie Condorcet. Angesichts dieser bedeutenden Leistung wird man die Neigung des Verfassers, seine Gedanken oft nur beiläufig anzudeuten, nicht als einen zu großen Fehler ansehen dürfen. Die Menge philosophischer und staatstheoretischer Kenntnisse und selbständiger Gedanken bietet einen vollkommenen Ausgleich, sodaß ich keine Bedenken trage, für die Arbeit das Prädikat Ausgezeichnet vorzuschlagen. Bonn, 25 / 7 23.

Schmitt b) Gutachten für Emil Gerber6

Gerichtsreferendar Emil Gerber, Der staatsrechtliche und politische Begriff der Repräsentation in der Zeit zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution Die Arbeit untersucht, was in dem Zeitraum von 1818 – 1848 in Deutschland staatsrechtlich unter Repräsentation verstanden wurde, wieweit die Bezeichnung sich als technischer Ausdruck für eine besondere Art der Vertretung herausgebildet hat und warum diese Art der Vertretung, zum Unterschied von anderen, Repräsentation hieß. Eine solche Untersuchung ist deshalb besonders schwierig, weil der spezifische Begriff der Repräsentation noch kaum erkannt, weit weniger erforscht ist. In der Literatur von 1815 – 1848 werden zwar immer die „alten Feudalstände“ der „neuen Repräsentation“ entgegengestellt, aber, wie der Verfasser zeigt, ohne begriffliche Klarheit. Die terminologische und sachliche Untersuchung gruppiert diese Literatur sehr gründlich nach den 3 Fragen: Wer repräsentiert? Wer wird repräsentiert? Wem gegenüber wird repräsentiert? Eine mühselige Arbeit, die aber notwendig war und nicht nur terminologisch von großem Wert ist; sie führt zu dem Ergebnis, daß der (nur in Verbindungen wie Repräsentation=Verfassung oder Repräsentations=System vorkommende) Begriff der R. eine Reihe spezifischer Merkmale zeigt (sie sind in den Thesen, S. 192 der Arbeit, aufgeführt). 6 Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Dissertationsgutachten Nr. 589 / 29; Emil Gerber, geb. 1897 in Neunkirchen, war nach seinem Abitur in St. Wendel ab 1916 im Heeresdienst; ab 1919 studierte er zunächst Altphilologie und Germanistik in Bonn und dann Rechtswissenschaft in München und Bonn; 1924 legte er das 1. Staatsexamen ab. Danach ging er ins Referendariat nach Saarbrücken. Vom Mai bis Juli 1926 ließ er sich für die Abfassung seiner Dissertation beurlauben. Seine mündliche Prüfung schloss er am 14. 2. 1926 mit der Note „gut“ ab; aus Geldmangel verzögerte sich die Drucklegung. Publikation: Emil Gerber, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation in Deutschland zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution, Neunkirchen 1929; Gerber verstarb im Zweiten Weltkrieg.

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Ich halte dieses Ergebnis für sehr beachtenswert und sehe darin den Anfang einer Klärung für einen wichtigen, aber bisher ganz verschwommenen Begriff der Allgemeinen Staatslehre. Der Verfasser neigt stark zu philologischen Wortunterscheidungen und zeigt eine gewisse Pedanterie. Die Kehrseite dieser Mängel sind aber Vorzüge, die sich gerade bei einem solchen Thema bewähren: ehrliche und gründliche Untersuchungen und große Vorsicht in den Schlüssen und Folgerungen. Ich möchte dafür das Prädikat cum laude vorschlagen. Bonn, 15 / 2 26.

Schmitt.

c) Gutachten für Werner Becker7 Werner Becker, Über die Staatslehre des Hobbes. Eine gründliche monographische Behandlung der Staatslehre des Hobbes hat bisher in der deutschen Literatur gefehlt. Das Interesse der zahlreichen Äusserungen über dieses Thema war entweder rein philosophisch, sogar rein erkenntnistheoretisch bestimmt (wie noch die letzte grössere Abhandlung von Hönigswald, 1923), oder es wurde infolge der nahe liegenden und wohlbegründeten Einbeziehung in die Entwicklung des naturrechtlichen Gedankens von Grotius bis Chr. Wolff gerade das spezifisch Staatliche der Lehre des Hobbes zu wenig beachtet. In den Lehrbüchern der allgemeinen Staatslehre figuriert H. zwar immer als wichtiger Staatsphilosoph, aber meistens nur mit einigen bekannten geflügelten Wendungen, ohne dass das eigentlich Neue seines Staatsbegriffes zur Geltung kam, das m. E. darin liegt, dass der Sinn des Staats weniger im Recht als in der Entscheidung über das Recht enthalten ist. Auch das deutsche Hauptwerk über Hobbes, das bedeutende Buch von Tönnies, hat dieses „dezisionistische“ Element im System des Hobbes nicht beachtet. Es gab bisher eigentlich nur eine staatsrechtlichen In-

7 Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn, Dissertationsgutachten; Typoskript mit handschriftlichen Passagen; Werner Becker (1904 – 1981) wurde in Mönchengladbach geboren. Nach dem Abitur 1922 studierte er zunächst Rechtswissenschaft in Freiburg, Berlin, Bonn mit Studienaufenthalten in London und Oxford. Im Lebenslauf vom 2. Juli 1925 betont Becker die Anregung durch Schmitt. Zweitgutachter ist Ernst Landsberg. Am 23. Juli legt Becker die mündliche Prüfung ab. Seine Abgabefassung der Dissertation ist kaum greifbar. Als Pflichtexemplar akzeptierte die Fakultät Beckers komprimierten Stichwortartikel Hobbes im Staatslexikon. Becker gab darüber hinaus auch ein erheblich überarbeitetes und erweitertes Typoskript über „Die politische Systematik der Staatslehre des Thomas Hobbes“ (Köln 1928) ab, das jedoch nicht im Druck erschien. Nach seiner juristischen Dissertation studierte er Theologie und wurde 1932 Pfarrer in Aachen und dann Marburg. 1939 wechselte er als Studentenpfarrer nach Leipzig und blieb dort auch nach 1945. Becker gehörte zu Schmitts engsten Bonner Schülern. Dazu vgl. Werner Becker, Briefe an Carl Schmitt, hrsg. Piet Tommissen, Berlin 1998.

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teressen entgegenkommende wissenschaftliche Sonderbehandlung, nämlich die These von Atger (Montpellier 1906). Mit der vorliegenden Dissertation tritt ihr eine deutsche Arbeit mindestens gleichberechtigt an die Seite. Das geschichtliche Material, die umfangreiche, in Deutschland bisher nicht einmal dem Namen nach bekannte, Hobbes-Literatur, eine heute leider ungewöhnlich gewordene Kenntnis naturrechtlicher Konstruktionen und die noch seltenere Fähigkeit selbständiger Wiedergabe und kritischer Erörterung solcher Theorien, dazu eine grosse methodische Sicherheit, mit welcher die psychologische und zeitgeschichtliche Motivierung von den systematischen Argumentationen unterschieden wird, obwohl auch das Psychologische und das Zeitgeschichtliche vortrefflich dargestellt ist – alles das macht die Arbeit zu einer besonders wertvollen Leistung. Sie hat das Verdienst, durch ihr genaues Eindringen in die Materie zahlreiche Einzelheiten zu berichtigen, und insbesondere den Zusammenhang mit den politischen Ideen von Baco gezeigt zu haben, ausserdem aber noch das weit höher stehende Verdienst, wichtige systematische Begriffe der Staatslehre des Hobbes, wie die Souveränität und Repräsentation, klar herauszustellen, und schliesst mit einem grossen, ganz neuen Ausblicke eröffnenden Hinweis darauf, dass dem „homo homini lupus“ bei Hobbes ein bisher gar nicht beachtetes „homo homini deus“ entspricht. Ich möchte für diese wertvolle, die Kenntnis eines wichtigen Abschnittes der Staatslehre wesentlich fördernde Arbeit das Prädikat summa cum laude vorschlagen. 17 / 7 1925.

Schmitt

4. Wirtschaftsdienst 11 (1926), S. 593 – 594 vom 7. Mai 1926 Eine Französische Kritik der Zeit. Lucien Romier, Explication de notre temps8

Kein Buch der letzten Jahre enthält eine ähnliche Fülle kluger und treffender Bemerkungen. Die Menge der Gedanken, sehr übersichtlich, fast zu übersichtlich geordnet und aufgereiht, beginnt bei den natürlichen Gegebenheiten Frankreichs, den geographischen und wirtschaftlichen Bedingungen, auf denen Frankreichs Schicksal sich aufbaut, geht von dieser Grundlage weiter zu psychologischen und moralischen Fragen, zu den Ideen, welche heute die öffentliche Meinung und dadurch die Politik beherrschen und stellt schließlich die Frage nach dem Schicksal Europas, dieses armen Kontinents, der heute in Gefahr ist, zwischen der wirtschaftlichen Übermacht Amerikas und einem rätselhaft unklaren Osten vernichtet zu werden. Der frühere, selbstgenügsame, auf Agrar- und Luxusproduktion beruhende Reichtum Frankreichs vermag heute keine Machtstellung mehr zu begründen. Die Achse von Welthandel und Weltindustrie hat sich von Frankreich weg verlegt, und geht jetzt von Mittel- und Nordeuropa nach Amerika, über Hamburg, Rotterdam, Antwerpen, London, und nur eine ungeheure Kraftanstrengung wäre imstande, diese 8

Paris (Bernard Grasset) 1925.

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Linie zu ändern und aus Paris den großen atlantischen Seehandel zu machen, der Hamburg und Antwerpen überflügeln würde. Durch die moderne Verkehrstechnik ist die Erde sehr klein geworden. Frankreich kann nicht in seiner alten, selbstzufriedenen Gleichgültigkeit verharren und ist gezwungen, sich für außerfranzösische Dinge zu interessieren. Daß es auch in der neuen Ordnung der Welt seine große Stellung bewahren muß, und dass es ohne Frankreich kein Europa geben kann, versteht sich für einen Franzosen von selbst, denn für ihn ist sein Land die eigentliche traditionelle Macht der europäischen Zivilisation, die Hüterin der europäischen Ordnung. Das große Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa, nicht als Ausdruck einer pazifistisch internationalen Ideologie, sondern eines klaren Willens der europäischen Völker, die sich ihrer Lage bewußt geworden sind. Die Schwierigkeit liegt darin, daß heute die öffentliche Meinung von Ideologien beherrscht ist – Demokratie, Nationalismus, Fortschritts- und Wissenschaftsglaube –, denen kein wirklicher Glaube mehr entspricht. Mit wirtschaftlichen und technischen Organisationen wird man das Problem Europa nicht lösen. Es bedarf eines Glaubens, einer neuen Autorität, neuer Führer, einer neuen Aristokratie. Das Buch ist von der Hoffnung beseelt, alles das zu erreichen, und zwar mit Hilfe der jungen, durch den Krieg hindurchgegangenen Generation. Aber dem Verfasser ist nicht verborgen, wer der eigentliche Feind seiner Hoffnungen ist: keine offen entgegentretende, feindliche Idee, sondern die allgemeine Skepsis und Resignation, die im steigenden Maße, nach den Erfahrungen, die man mit dem parlamentarischen Parteienstaat gemacht hat, das Bürgertum erfaßt und schließlich dazu führt, daß die Politik zu dem ziemlich verachteten Gespräch einer ziemlich verachteten Klasse von Berufspolitikern wird. Trotz dieser lähmenden und deprimierenden Erkenntnis bewahrt das Buch seinen Glauben an die Größe Frankreichs und die Zukunft Europas. Viele deutsche Leser werden sich die Einwände gegen solche Gedanken leicht machen. In Deutschland ist es noch nicht soweit gekommen, daß die Parteien alle öffentlichen Angelegenheiten, Staat, Politik und Verwaltung restlos in Beute- und Handelsobjekte verwandelt hätten. Auch gibt es bei uns, trotz mancher Überheblichkeit und Einbildung, doch nicht die geistige Selbstgenügsamkeit Frankreichs. Tatsächlich treffen die psychologischen Bemerkungen Romiers in der Hauptsache die Franzosen, über die man aus seinem Buch mehr erfährt, als aus zahllosen Geschichtswerken und Reiseschilderungen. Am meisten wird es auffallen, daß das Buch in dem Wort „Autorität“ gipfelt – sogar das Wort Hierarchie kommt vor. Deutsche werden darin etwas typisch Französisches sehen und den Ausdruck eines romanischen Herrschaftsgefühles, das unsern Vorstellungen von germanischen Freiheit und Selbstverwaltung fremd ist. Doch halte ich solche Einwände für ebenso wenig entscheidend, wie andere ebenso naheliegende Klassifizierungen. Wer noch in der Atmosphäre und den Bedürfnissen der Vorkriegsgesellschaft lebt, könnte z. B. leicht sagen, daß Romiers Buch noch zu der Krisenliteratur der Nachkriegszeit gehöre, von der als deutsche Beispiele die „Krisis der europäischen Demokratie“ von M. J. Bonn und Alfred Webers „Krisis des modernen Staates“ zu nennen sind, und daß dieses beständige Krisenthema – Krise des Parlamentarismus, der Demokratie, des modernen Staates und Europas – allmählich langweilig werde. Das Bedürfnis nach

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interessanten und abwechslungsreichen Gesprächsthemen mag allerdings groß sein. Wer sich aber bewußt geworden ist, daß unsere Existenz in Frage steht, wird aufhören, nach Abwechslung zu schreien, und wird von den Insassen eines sinkenden Schiffes keine bunten Unterhaltungen verlangen. So kann man ein Buch wie Romiers „Explication“ nicht behandeln. Dagegen wird es, wie mir scheint, von einem andern Bedenken getroffen, das sich geltend macht, wenn man es mit einem, trotz aller Verschiedenheiten in der Struktur sehr ähnlichen Vorkriegsbuch vergleicht, mit Walter Rathenaus „Kritik der Zeit“ aus dem Jahre 1912.9 Auch Rathenau hat hier eine Fülle praktischer Beobachtungen und Anregungen mit weiten Ideen und Forderungen verbunden. Sein Buch hat noch etwas von der Sicherheit der Vorkriegszeit. Vielleicht ist das der Grund, warum seine Kritik mit seiner Darstellung der Zeit wenig zusammenstimmt und auf der einen Seite ein selbstsicheres, sachverständiges Teilnehmen, auf der anderen eine unverbunden darüber schwebende Kritik entsteht. Rathenau fand, daß die Zeit mechanisiert und seelenlos geworden sei und antwortete auf das Problem dieser Zeit mit dem Ruf nach einer irgendwoher von außen kommenden „Seele“. Das war eigentlich keine Kritik, sondern eine Klage. Romiers Buch fällt nicht so sichtbar auseinander. Die Klage ist jetzt wirklich Kritik geworden und ergreift die Sache, das heißt die wirtschaftlichen, politischen und moralischen Zustände unmittelbar und mit einer bewunderungswürdigen Intelligenz. Das ändert aber nichts daran, daß das entscheidende Wort „Autorität“ ebenso fremd und von außen erscheint wie bei Rathenau die „Seele“. Je klüger ein Buch ist, je treffender und klarer die kritische Erklärung der Zeit, um so größer und kritischer wird die Spannung, mit der man die Antwort des Verfassers erwartet, nicht irgendeine Detailantwort, wie die technische Lösung des Problems, aus Paris einen Seehafen zu machen, oder eine wirtschaftliche oder berufsständische Vertretung einzurichten, sondern die letzte Antwort auf die Grundfrage. Hier lautet die Antwort: Autorität, ohne Autorität wird weder Frankreich noch Europa gerettet werden können. Mit dieser Antwort steht Romier nicht allein. Gugliemo Ferrero hat die Krisis des 20. Jahrhunderts aus dem Mangel eines Autoritätsprinzips erklärt und auch Alfred Weber fordert eine nichtegalitäre Demokratie. Bedeutet das nun wirklich eine so große geistige Neuerung und Umwälzung, wie es vielleicht auf den Blick scheint? Allzuviele Fragen bleiben offen. Wenn eine neue Aristokratie die Trägerin einer neuen Autorität werden soll, so wird man fragen müssen, wo die stabilen Besitzverhältnisse sind, die zu einer Aristokratie gehören, ob in einer kapitalistischen Gesellschaft eine echte Aristokratie überhaupt möglich ist, ob wir vielleicht auf dem Kontinent, nach den zahlreichen anderen Imitationen, nun auch noch die englische Aristokratie imitieren sollen, und vor allem, wo denn eigentlich der Glaube zu finden ist, der, wie Romier richtig hervorhebt, zu jeder Autorität gehört. Hier, wo sie am stärksten sein müßte, wird die „Erklärung der Zeit“ schwach und ungenau. Mancher wird aus dem ganzen Buch entnehmen, daß heute tatsächlich das Heil Europas nur noch von England abhängt; andere werden 9 [Dazu vgl. Carl Schmitts Rezension „Kritik der Zeit“, in: Die Rheinlande 12 (1912), S. 323 – 324].

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aus der Forderung einer neuen Autorität nur einen Aufruf zur Bildung einer neuen Rechtspartei heraushören, das heißt eine neue Verbindung des Liberalismus mit einem konservativen Ordnungsbegriff. Das wäre nichts Neues, sondern bliebe im Rahmen einer alten liberalen Tendenz. In kritischen Zeiten haben sich die Liberalen immer nach rechts gewandt. Wirklich findet man bei Romier trotz des Wortes Autorität alle liberalen Elemente wieder. Er verlangt zwar nach einem Glauben als Basis der neuen Aristokratie, aber gleichzeitig hat er eine liberale Toleranz für jeden Glauben und nennt jede gläubige Überzeugung „attrayante comme toute les fois“, womit er jener deprimierenden Skepsis, die er so gut zu kritisieren weiß, selber ziemlich nahe kommt. Auch betont er, daß die Autorität sich auf der freien Würde jedes Menschen aufbauen müsse, was wir nicht bestreiten wollen, was aber doch schwierige Fragen nahe legt, die nicht einmal andeutend behandelt sind. Und was ist, näher betrachtet, seine Autorität anderes als die Autorität von Erziehern, also etwas gut Liberales? So dürfen wir trotz der überraschenden Klugheit des Buches nicht verkennen, von welchem geschichtlichen Strom es getragen wird: es bewegt sich in den überlieferten Verbindungen des Liberalismus mit der bestehenden Ordnung. Mindestens seit 1848 ist die Kritik an der radikal durchgeführten Demokratie ein Stück echtesten Liberalismus. Die Autorität ist in Wahrheit eine Art von Erziehungsautorität, an die man im 18. Jahrhundert glauben konnte, die aber heute, im 20. Jahrhundert, nicht mehr die letzte, unproblematisch hingestellte Antwort auf die sozialen und weltpolitischen Fragen sein kann. Autorität ist ein gefährliches Wort. Von Freiheit, Menschheit, Frieden und dergleichen kann man im allgemeinen reden, wer Autorität sagt, muß immer bestimmte Menschen nennen, denen die Autorität zukommt, oder er hat überhaupt nichts gesagt. Das ist das Konkrete und Anspruchsvolle eines solchen Begriffs. Als das europäische Bürgertum einige Jahrzehnte nach Freiheit gerufen hatte, erschien 1848 das Proletariat, und alle Liberalen riefen erschreckt nach Ordnung. Wer weiß, was erscheint, wenn man noch einige Jahrzehnte nach Autorität gerufen hat.

5. Zeitungsbericht über einen Vortrag, handschriftlich von Schmitt datiert als: Vossische Zeitung vom 11. November 1932 (RW 265-20925)10 Carl Schmitts Epilog Nach dem Leipziger Staatsprozeß Die ,Deutsche Gesellschaft‘, die in der vorigen Woche Professor Peters11 über das Urteil des Staatsgerichtshofs hatte sprechen lassen, gab gestern der anderen 10 Der namentlich nicht gezeichnete Zeitungsartikel findet sich in Schmitts Nachlass. Er gibt den unveröffentlichten Vortrag eingehend wieder und zeigt Schmitt ein letztes Mal in der freien Diskussion mit prominenten Vertretern der Zunft. 11 [Hans Peters (1896 – 1966), Prof. seit 1928 in Breslau, Berlin und ab 1949 Köln, 1932 Opponent Schmitts als Anwalt der Preußischen Regierung im Staatsgerichtshofprozess „Preußen contra Reich“].

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Seite in der Person von Professor Carl Schmitt das Wort zu dem gleichen Thema. Wie sehr beides, Thema und Persönlichkeit, das Interesse erweckt, zeigte das ungewöhnlich zahlreiche Auditorium, das Gelehrte und Politiker wie Juristen aller Gattungen umfaßte. Schmitts Vortrag entsprach den Erwartungen: er war gewohntermaßen fesselnd, reich an blendenden Formulierungen und ungemein geschickt aufgebaut. Nur eines war er nicht: überzeugend. Schmitt verweilte zunächst überraschender Weise sehr ausführlich bei den formalen Voraussetzungen des Prozesses. Er machte es dem Staatsgerichtshof zum Vorwurf, daß er die Frage der Aktivlegitimation der Prozeßparteien erst an den Schluß der Verhandlung gestellt habe, so daß mehrere von ihnen im Urteil als nicht legitimiert bezeichnet wurden, nachdem sie eine Woche lang von allen Prozeßrechten ausgiebig Gebrauch gemacht hätten, warf die Frage auf, wie es käme, daß sich eine so bunt zusammengesetzte Schar von Gegnern hier gegen das Reich zusammengefunden habe. Statt die naheliegende Antwort zu geben, daß eben die Reichsregierung durch ihr Vorgehen vom 20. Juli es fertig gebracht hat, die verschiedensten Gruppen, die nichts miteinander gemeinsam haben, in gleicher Weise gegen sich aufzubringen, fand er die Lösung in der Formel, daß das Deutsche Reich [sich] in einen Parteienbundesstaat verwandelt habe. Aus diesem Begriff zog er dann seine Folgerungen für die Kritik des Urteils. Durch die Zulassung der Benutzung des Artikels 48 Absatz 2 zu einer Zusammenlenkung von Reich und Land in die gleichen Bahnen, habe der Staatsgerichtshof die Einheit des Reiches gegenüber der in dem Wort ,Parteienbundesstaat‘ liegenden Kombination von Vielstaatlichkeit und Parteienherrschaft sehr stark betont, aber daneben stelle das Urteil ganz andere mit diesem Grundsatz unvereinbare Gedanken, wie den der Eigenwüchsigkeit des Landes, die auch in der äußersten Gefahrenlage Entfernung einer Landesregierung nicht zulasse. Damit übernahm der Staatsgerichtshof ein extremes bayerisches Argument, einen Gedanken, den in der nachfolgenden Debatte Professor Triepel,12 der mit dem Leipziger Urteil durchaus nicht einverstanden ist, entschieden zurückwies. Auch von der Auffassung des Staatsgerichtshofs, daß der Reichskommissar nicht Landesorgan sein könne, behauptete Schmitt, daß sie aus dem Arsenal des radikalen bayerischen Föderalismus stamme. Auf der anderen Seite habe der Staatsgerichtshof die Absetzung von Landesregierungen auf Grund des Abs. 1 des Art. 48 [ver]worfen. Dieser habe somit zwar nicht in abstracto, wohl aber in concreto, nämlich in der Frage der Vertretung im Reichsrat recht behalten. Dies nannte Schmitt die innere Gespaltenheit der Entscheidungsgründe. Sie schien ihm auch in der Feststellung des Staatsgerichtshof zutage zu treten, daß Preußen keine Pflichtverletzung begangen habe, womit er, wie Schmitt anerkannte, Preußen moralisch recht gegeben habe. Dies auszuspre12 [Dazu vgl. Heinrich Triepel, Die Entscheidung des Staatsgerichtshofs im Verfassungsstreit zwischen Preußen und dem Reich, in: DJZ 37 (1932), Sp. 1501 – 1508].

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chen, sei aber gar nicht Sache des Staatsgerichtshofs; denn nur der Reichspräsident sei zuständig, eine Pflichtverletzung festzustellen. Denn es handele sich um politische Pflichten, und darum um die Angelegenheit des politischen Ermessens. Der Staatsgerichtshof dürfe nicht sein politisches Ermessen an Stelle des politischen Ermessens des Reichspräsidenten setzen. Damit kam Schmitt aber auf seine grundsätzliche Ablehnung der ,justizförmischen‘ Entscheidung in politischen Fragen. Wenn man sich einmal auf den entgegengesetzten Standpunkt stelle, meine er, dann dürfe man sich nicht mit einer Instanz begnügen, sondern müsse ein geordnetes Rechtsmittelverfahren einführen. Dann käme man allerdings auf die Wege des Deutschland des 17. und 19. Jahrhunderts. Die innere Gespaltenheit der Urteilsgründe, die eine Gespaltenheit des praktischen Ergebnisses zur Folge habe, sei nicht Schuld der Richter, sondern Ausfluß der Institution selbst. So lange diese Methode der Behandlung politischer Fragen bleibe, sei das Ergebnis unausweichlich. Es gehöre nicht zum Wesen des Rechtsstaats, daß politische Fragen justizförmlich entschieden werden. Die weltgeschichtliche Erfahrung habe gelehrt, daß gerade die Berufung auf das Recht von Seiten jeder Partei unvermeidlich zum Bürgerkrieg führe. Ein solcher Prozeß sei in keinem anderen Staate möglich. Hierauf antwortete Professor Peters, der auch sonst Schmitts Argumenten sehr wirksam entgegentrat, es sei auch in keinem anderen Land möglich, daß die Regierung eines großen Staates monatelang gewaltsam aus ihrem Amte entfernt werde. Schmitts Polemik gegen die Institution des Staatsgerichtshofs fand grundsätzlichen Widerspruch, namentlich auch bei Professor Triepel, der sich unter ungewöhnlich lebhaftem Beifall zum Rechtsstaat bekannte, für den er immer eingetreten sei, und darauf hinwies, daß die Länder völlig schutzlos wären, wenn man die gerichtliche Kontrolle der Diktatur streiche. Das war um so eindrucksvoller, weil Triepel im übrigen ziemlich scharfe Kritik an dem Urteil übte. Sein Hauptvorwurf ging dahin, daß der Staatsgerichtshof die innere Verbindung der beiden Absätze des Artikels 48 verkannt habe. Wenn nach Absatz 1 unbestrittenermaßen eine Sequestration zulässig sei, so müsse auch Absatz 2 sie erlauben. Dieser Auffassung stellte Rechtsanwalt Grau13 das Argument entgegen, daß die Befugnis des Reichspräsidenten aus den beiden Absätzen zwei sich schneidende, aber nicht zwei sich deckende Kreise darstellte.

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[Richard Grau].

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6. Gutachten Schmitts für Johannes Heckel (1935) zur Berufung nach Berlin (RW 265-20235) Professor Dr. Johannes Heckel, München, steht als Lehrer und Forscher des Kirchenrechts, der neueren Rechtsgeschichte und des Staats- und Verwaltungsrechts in der ersten Linie der deutschen Rechtsgelehrten. Über seine kirchenrechtliche Leistung wird Herr Kollege Geheimrat Stutz berichten. Was seine staats- und verfassungsrechtliche Arbeit angeht, so ist ein grosser Teil seiner staatskirchenrechtlichen Veröffentlichungen und Denkschriften wegen ihrer engen Verbindung mit dem staatlichen Recht als eine staats- und verfassungsrechtliche Leistung zu werten. Das gilt z. B. für die bedeutende Abhandlung: Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung XIX, 1930, Seite 268 ff., für den Vortrag: Kirchenautonomie und staatliches Stiftungsrecht, Nördlingen 1932, und für die in ihrer gedrängten Knappheit meisterhafte Übersicht über das staatskirchenrechtliche Schrifttum der Jahre 1930 / 31 im Verwaltungs-Archiv Band 37 (1932), Seite 280 – 300. Alle diese Schriften behalten den Zusammenhang mit der Verfassungslage stets im Auge und sind daher auch als staats- und verfassungsrechtliche Leistung anzusehen. Außer diesen staatskirchenrechtlichen Arbeiten hat Professor Heckel mehrere budgetrechtliche Abhandlungen veröffentlicht, die ihn für dieses besonders schwierige Gebiet des öffentlichen Rechts als einen hervorragenden Fachmann, ja unter den heutigen Professoren des öffentlichen Rechts als den ersten Spezialisten erscheinen lassen. Er ist zuerst mit einer speziellen Abhandlung: ,Budgetäre Ausgabeninitiative im Reichstag zugunsten eines Reichskulturfonds‘, Archiv des Öffentlichen Rechts, Neue Folge 12, Seite 420 – 471, hervorgetreten und hat dann in dem von G. Anschütz und R. Thoma herausgegebenen Handbuch des deutschen Staatsrechts, Band 2, Seite 358 – 416 vier geradezu klassische Abhandlungen über die Entwicklung des parlamentarischen Budgetrechts und seiner Ergänzungen, Die Einrichtung und rechtliche Bedeutung des Reichshaushaltsgesetzes, Die Budgetverabschiedung, insbesondere die Rechte und Pflichten des Reichstages, und über: Die Haushaltsgesetze und Finanzgesetze der deutschen Länder, veröffentlicht. Diese Arbeiten sind nach dem Urteil aller Sachverständigen ausgezeichnet. Insbesondere hat eine der ersten Autoritäten dieses Gebietes, der jetzige Preussische Finanzminister, Professor Dr. Popitz seine Bewunderung für diese rechtswissenschaftliche Leistung Prof. Heckels mir gegenüber oft zum Ausdruck gebracht. Eine dritte Art staats- und verfassungsrechtlicher Schriften Prof. Heckels betrifft die schwierigen Verfassungsfragen des Jahres 1932. Es handelt sich dabei um die Aufsätze: Diktatur, Notverordnungsrecht, Verfassungsnotstand im Archiv des Öffentlichen Rechts, Neue Folge 22, Seite 257 bis 338 und um das Urteil des Staatsge. richtshofes vom 25. Oktober 1932 in dem Verfassungsstreit ,Reich ./ Preussen‘, Seite 183 – 246. Meine Stellungnahme zu den verfassungsrechtlichen Fragen, die in diesen Abhandlungen erörtert sind, weicht in juristischer wie in politischer Hinsicht von den Ansichten Prof. Heckels bedeutend ab. Ich will auch nicht verschweigen,

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. daß ich als Vertreter der Reichsregierung in dem Prozess Preussen ./ Reich die erstgenannte Abhandlung Prof. Heckels als ein schweres Hindernis für den Sieg des Reiches über die preussische Weimarer Koalitionsregierung empfunden habe. Trotzdem sind Gründlichkeit, Materialkenntnis, wissenschaftliche Sorgfalt auch hier bewundernswert und die rechtswissenschaftliche Qualität nicht zu bestreiten. Professor Heckel hat, wie ich aus mehreren eingehenden Gesprächen, die ich mit ihm führen konnte, weiss, die Grösse des nationalsozialistischen Umbruchs aufs tiefste erfahren und in sich aufgenommen. Ich bin überzeugt, dass nicht nur seine grosse Sachkunde und Erfahrung, sondern auch seine innere Haltung ihn zu einem der ersten und besten wissenschaftlichen Mitarbeiter des heutigen nationalsozialistischen Staates macht. Der Bericht über Staats-, Verfassungs- und Kirchenrecht im Dritten Reich in den Berichten über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts, Hamburg 1935, Seite 9 – 29, ist hierfür ein Beweis grossen Stils. Dieser Bericht hat überall, bei alten Nationalsozialisten sowie auch bei solchen Kollegen, die dem Nationalsozialismus noch mit Zurückhaltung gegenüberstehen, den tiefsten Eindruck gemacht. Ich halte ihn in der Entschiedenheit seiner Thesen wie in der Fülle der Gedanken und des Materials und in dem Ernst seines wissenschaftlichen Verantwortungsgefühls für eines der wichtigsten Dokumente der deutschen Rechtswissenschaft überhaupt. Auch als Lehrer und Erzieher steht Professor Heckel in der ersten Linie der deutschen Rechtsgelehrten. In seinen Übungen und Seminaren führt er die beste Tradition strengster wissenschaftlicher Schulung weiter. Als Vortragsredner ist er von einer phrasenlosen Sachlichkeit, aber keineswegs uninteressant und steril, sondern sehr anziehend und oft von einem guten trockenen Humor. Sein interessanter Bericht auf der grossen Hochschullehrertagung der Reichsfachgruppe Hochschullehrer im NS-Juristenbund am 20. Dezember 1934 hat auf alle Zuhörer den tiefsten Eindruck gemacht. Als Kollegen und Menschen kenne ich Prof. Heckel auch aus der Zeit, in der unsere Meinung und Gesamthaltung noch sehr gegensätzlich waren, nur von der besten Seite her. Er ist ein ruhiger, sachlicher Mann, ernst und zurückhaltend, von unbedingter Zuverlässigkeit und Treue. 7. Zwei Berliner Dissertationsgutachten von Schmitt und Smend a) Gutachten für Günther Krauss14 Referat über die rechtswissenschaftliche Dissertation des Rechtskandidaten Guenther Krauss15 aus Köln am Rhein: Das rechtswissenschaftliche Denken Rudolph Sohms. Darstellung und Kritik. 14 Typoskript mit wenigen handschriftlichen Korrekturen und Unterschrift im Universitätsarchiv der HU-Berlin (UAHUB) Jur. Fak. 308 Bl. 103 – 106.

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Die Arbeit beschränkt sich auf eine rechtstheoretische Untersuchung des Rechtsbegriffes Sohms. Sie läßt den Kirchenbegriff nach Möglichkeit aus der Erörterung und vermeidet alle eigentlich theologischen Fragen. Diese Beschränkung bedeutet aber nicht, daß der Kandidat einen isolierten Allgemeinbegriff vom ,Recht‘ aufstellt, um es einer anderen Untersuchung zu überlassen, in gleicher Weise einen Allgemeinbegriff von ,Kirche‘ aufzustellen, und beides dann, je nach dem, zu kombinieren oder aber zu konfrontieren. Vielmehr ist die Arbeit durchaus konkret in dem Sinne, daß sie den Rechtsbegriff Sohms in seiner Zeitgebundenheit darstellt, ihn als ein typisches Denkschema des positivistischen 19. Jahrhunderts nachweist und wesentlich dem juristischen Denken einer privatrechtlichen Gesellschaftsordnung zuordnet. Auf diese Weise wird das Ergebnis gewonnen, das man als die These dieser Dissertation ansehen kann: daß der Rechtsbegriff Sohms, ebenso wie der positivistische Rechtsbegriff des 19. Jahrhunderts, nicht Staat und Kirche, sondern der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet ist und folgerichtig dazu führen müßte, den konkreten Begriff der Kirche Christi in den Allgemeinbegriff einer ,Religionsgesellschaft‘ umzuwandeln, daß aber die rechtswissenschaftliche Größe Sohms, gegenüber seinen evangelischen wie katholischen, von dem gleichen Rechtsbegriff ausgehenden Kritikern, gerade darin liegt, daß Sohm lieber die Möglichkeit des Kirchenrechts geleugnet, als eine solche Konsequenz gezogen hat. Die Kritik, die der Kandidat an dem Positivismus des 19. Jahrhunderts und dessen berühmten Autoren übt, ist scharf und von einer oft jugendlich grausamen Unerbittlichkeit. Sie trifft besonders Puchta, Windscheid, Bergbohm und Stammler. Savigny wird, trotz seines rechtsgeschichtlichen Denkens, das als wesentlich privatrechtsgeschichtlich angesehen wird, bereits in den Anfang dieser Entwicklungsreihe einbezogen, wobei die hierzu nicht passenden Elemente Savignys, die dem Kandidaten keineswegs unbekannt geblieben sind, als Erbmasse eines ,Edelmanns des Barock‘ erklärt werden. Der letzte, bis zur Gegenwart reichende Abschnitt dieses Positivismus, der durch Namen wie G. Jellinek und Kelsen gekennzeichnet ist, wird nur als das leere Abschnurren einer in der Sache bereits erledigten Gedankenreihe gelegentlich gestreift. Die Autoren des 19. Jahrhunderts, auf die sich der Ver15 Günther Krauss (1911 – 1989) studierte ab 1929 in Berlin und Köln. Er stand vor 1933 schon in engem Kontakt mit Schmitt und folgte ihm nach dem Kölner SS 1933 nach Berlin. Krauss hörte vor 1933 an der Berliner Universität vermutlich auch bei Rudolf Smend. Er gehörte zu Schmitts engsten Schülern um 1933. Schmitt sorgte nicht nur für die Drucklegung seiner Dissertation in der Hanseatischen Verlagsanstalt (Der Rechtsbegriff des Rechts. Eine Untersuchung des positivistischen Rechtsbegriffs im besonderen Hinblick auf das rechtswissenschaftliche Denken Rudolph Sohms, Hamburg 1936), sondern gab auch dessen Dissertationsverteidigung (Günther Krauss / Otto von Schweinichen, Disputation über den Rechtsstaat, Hamburg 1935) als Modellfall einer akademischen Disputation heraus. Kurze Zeit wurde Krauss dann Mitarbeiter von Schmitt, bis er durch einen Artikel (G.K., Zum Neubau deutscher Staatslehre. Die Forschungen Carl Schmitts, in: Jugend und Recht 10, 1936, S. 252 – 253) ungewollt an Schmitts Sturz im Nationalsozialismus mitwirkte und Schmitt daraufhin den Kontakt abbrach. Erst nach 1945 kam es zu erneuten Kontakten. Krauss war in den 50er Jahren einer der wichtigsten Akteure im Unterstützerkreis der „Academia moralis“. Das Verhältnis wurde aber wieder gespannt.

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fasser stützt und die bei ihm zu Ehren kommen, sind ausser Hegel: von Kirchmann, B. W. Leist, Klöppel und Bülow. Sohms Rechtsbegriff, von dem seine berühmte These über die Unvereinbarkeit von Recht und Kirche ausgeht, wird als ein Stück des positivistischen 19. Jahrhunderts aufgefasst, dessen Rechtsbegriff eine aus Norm und Imperativ gemischte Kombination ist. Daß Sohm im übrigen sehr bedeutende Ansätze eines konkreten Ordnungsdenkens zeigt und besonders in dem Kirchenbegriff seiner ,Unvereinbarkeitsthese‘ bewährt, hat der Verfasser nicht übersehen; diese Einsicht gehört vielmehr gerade zum Kern seiner These. Im übrigen ist er den zahlreichen einzelnen Meinungen und Stellungnahmen Sohms zu historischen Fragen nicht nachgegangen, obwohl dadurch das Gesamtbild des Sohm’schen Rechtsdenkens runder und vollständiger geworden wäre. Doch liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Interesse an einer Einfügung Sohms in die Gesamtlinie des 19. Jahrhunderts. Für den Verfasser ist das Gesetz wesentlich Plan und die positivistische Trennung von ,Programm‘ und ,positiver Norm‘ eine falsche Auseinanderreissung. Die Verbindung von Norm und Imperativ, die für den Positivismus kennzeichnend ist, erscheint ihm als eine hilflose Dialektik, ohne echten Normbegriff und ohne echten Imperativ. Der Imperativ vermag nicht nur nicht Recht, sondern vor allem auch keine Macht zu begründen (vgl. den charakteristischen Satz S. 257: „Es ist eine phantastische Vorstellung, daß sich der Staat durch einen Imperativ Macht beilegen könnte, die er nicht zuvor und ohnehin schon hat“); Gebot und Verbot werden als ,sekundäre‘ Rechtsphänomene angesehen, der Zwang als Merkmal des Rechts, auch in der Form des bl[o]ssen ,Geltungszwanges‘, vermag keinen echten Rechtsbegriff zu tragen; die höchsten Gesetze (Verfassung) werden zu Leges imperfectae, die anderen zu leges mere poenales. Die Auseinanderreissung von Sittlichkeit und Recht macht aus dem Positivismus eine leere Technizität; der ,Rechtsbegriff des Rechts‘[,] wie Sohm sagt, d. h. der positivistische Rechtsbegriff des 19. Jahrhunderts, ist polemisch gegen Religion, Weltanschauung, Sittlichkeit und sachinhaltliche Gerechtigkeit gerichtet und endet in einem völlig auswegslosen Paradoxon: summa jus, summa injuria. Der reine Normativismus kommt zu keinem Normbegriff; der ,Dezisionismus‘ ist ,Verlegenheit‘ und die niemals beantwortete Frage: quis judicabit? Sohms Antithesen von Auesserlich und Innerlich, Rechtsnorm (als Zwangsnorm) und Konventionalregel werden auf den Gegensatz von Staat und Gesellschaft zurückgeführt. Ich halte die Arbeit in ihrer Durchführung wie in der These, zu der sie gelangt, für eine sehr bedeutende, ungewöhnliche rechtswissenschaftliche Leistung. Ihr Wert liegt sowohl in der Kritik des Rechtsdenkens des 19. Jahrhunderts wie in der Fähigkeit, auch abstrakte Rechtsbegriffe auf ihre konkrete Ordnungen oder Voraussetzungen (Staat, Kirche, bürgerliche Gesellschaft) zu beziehen. Die langjährige Erörterung der berühmten Unvereinbarkeitsthese Sohms ist dadurch auf einen neuen Boden gestellt; Sohms Rechtsbegriff wird nicht widerlegt, sondern als zeitgebunden und überholt erwiesen. Gewisse Einseitigkeiten der Arbeit sind unverkennbar, gehören aber, meiner Auffassung nach, zu einer Individualität von der

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trotz seiner Jugendlichkeit bereits scharf ausgeprägten Denkart des Verfassers. Seine Begabung für begriffliche Schärfe und Antithetik, seine Neigung zu thomistischen Formeln und Definitionen empfinde ich nicht als störend, sondern rechne sie zu jener ausgeprägten Individualität. Ein Schrifttum von ungeheuerem Umfang ist mit einem anerkennenswerten Fleiß durchgearbeitet; die Zitate sind mit großer Sicherheit und Selbständigkeit ausgewählt; die Darlegung ist nach jeder Richtung, gegenüber evangelischen wie katholischen Meinungen, mutig und offen; das Ergebnis wissenschaftlich wertvoll und von Bedeutung. Die Arbeit verdient nach meiner Ueberzeugung das Prädikat: SUMMA CUM LAUDE. Prof. Dr. Carl Schmitt. Berlin, den 10. Dezember 1934

Dissertation Krauss16 Die Arbeit ist eine ganz ungewöhnliche Leistung, von ihrem Ausgangspunkt aus mit größtem Scharfsinn und größter Folgerichtigkeit durchgeführt. Unvermeidlich ist weithin nicht der Sohm’sche Positivismus, sondern der deutsche Positivismus des 19. Jahrhunderts überhaupt der Gegenstand. Vielleicht noch dringender und wichtiger als seine – heute immer weiteren Kreisen einleuchtende – Kritik würde die Aufklärung seiner Voraussetzungen sein. Das war nicht die Aufgabe, die der Verfasser sich gestellt hat; allerdings folgt daraus, daß seine Arbeit von einer immanenten Kritik des Positivismus und insbesondere Sohm absieht. Dazu hat er natürlich das Recht. Zweifelhafter ist mir, ob im dritten Teil ohne den Sohm’schen Kirchenbegriff auszukommen war und ob Sohm die gewisse ihm hier zuteil gewordene Anerkennung ganz verdient. Seine These vom Kirchenrecht ist nicht in seinem Rechts-, sondern in seinem Kirchenbegriff und, soviel ich sehe, vor allem in dessen reformierter Komponente begründet. Im übrigen wie der Herr Berichterstatter. Smend 19. 1. 35

b) Gutachten für Albrecht Wagner Referat über die Dissertation des Referendars Albrecht Wagner aus Eberswalde: Preussische Verwaltung und Justiz als selbständige Ordnungen, dargelegt an der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Konfliktgesetzes von 1854.17 16 Handschriftliches Zweitgutachten Rudolf Smends auf gesondertem Blatt UAHUB Jur. Fak. 308 Bl. 107. 17 Typoskript mit wenigen handschriftlichen Korrekturen und Unterschrift UAHUB Jur. Fak, 310 Bl. 22 – 24; das Gutachten wurde hier um den halben Umfang gekürzt.

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Die Arbeit behandelt einen wichtigen Abschnitt der preussischen Rechts- und Verwaltungsgeschichte, der bisher nur unter den Gesichtspunkten und Maßstäben des liberalen ,Rechtsstaats‘ gesehen und beurteilt worden ist. Nicht nur Edgar Loening (Aufsätze in Band 2 und 3 des Verwaltungsarchivs 1894 / 1895, sowie das zusammenfassende Buch: Gerichte und Verwaltungsbehörden in BrandenburgPreussen, Halle 1914), sondern auch Otto Hintze, der Loening in mancher Hinsicht korrigiert und dem preussischen Verwaltungsstaat besser gerecht wird (Preussens Entwicklung zum Rechtsstaat, Forschungen zur brandenburgisch-preussischen Geschichte 1920 Band 32 Seite 385 – 451) bewegt sich in den mit der Kategorie ,Rechtsstaat‘ gegebenen Bahnen; er sieht in der Kontrolle der Justiz über die Verwaltung das Ziel, das der geschichtlichen Entwicklung ihren Sinn gibt. Demgegenüber ist es an sich schon eine beachtenswerte Leistung, wenn sich, wie in der vorliegenden Dissertation, ein Autor von der Herrschaft solcher Kategorien frei macht und die preussische Verwaltung als eine konkrete Ordnung ansieht, die das ,staatliche Prinzip‘ gegen eine Justiz verteidigt, die sich im Bündnis mit dem Zeitgeist das Recht zuspricht, über innere Angelegenheiten dieser konkreten Ordnung im Namen des Rechts und des Rechtsstaats zu Gericht zu sitzen, wobei sie in Wirklichkeit nur ein politisches Instrument im Kampf der individualistischen ,Gesellschaft‘ gegen den preussischen Soldaten- und Beamtenstaat ist. Erst diese Überwindung der Kategorien des liberalen Rechtsstaates und der liberalen Justizgläubigkeit macht es dem Verfasser möglich, der preussischen Verwaltung in ihrem hundertjährigen innerpolitischen Kampf wissenschaftlich gerecht zu werden und die juristischen Tarnungen, mit denen der Liberalismus die konservativen Kräfte des preussischen Beamtenstaates zerstörte, geschichtlich und rechtswissenschaftlich zu durchschauen. [...] Die Arbeit beweist eine außerordentliche juristische Begabung: sie ist ausserdem so fleissig und ergebnisreich, daß ich für sie das Prädikat magna cum laude vorschlagen möchte. Berlin, den 24. Oktober 1935 Carl Schmitt.

Die Betrachtungsweise des Verfassers, die er auf sein reiches Material energisch anwendet, ergibt eine wichtige Bereicherung des rechtsgeschichtlichen Bildes. Daß die Einfachheit seiner Kontrastierung dem der geschichtlichen Wirklichkeit nicht überall gerecht werden kann, liegt auf der Hand. Das ändert nichts am Urteil über die Arbeit, in dem ich dem Herrn Erstreferenten durchaus zustimme. Smend 27. 10. 3518

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8. Artikel: Der Mut des Geistes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. 12. 1950, S. 619 Der Mut des Geistes

Der deutsche Bürger? Als Deutscher, als Bürger, als beides zusammen ist er heute der Besiegteste aller Besiegten. Ihn haben sie alle zur Strecke gebracht, die Antibürgerlichen im Osten und die Bürgerlichen von Westen. Leninisten, Trotzkisten, Stalinisten, Titoisten liquidieren ihn im Namen antibürgerlicher, andere, ganz andere im Namen bürgerlicher Parolen. So etwas an Niederlage hat es noch nicht gegeben. Beamte und Funktionäre, Manager und Technokraten, Treuhänder und Kommissare schicken sich an, ihn zu beerben. Mitleid dürfen wir nicht empfinden. Im gerechten Krieg gilt: Kein Ruhm dem Sieger, kein Mitleid dem Besiegten. Das Zeichen unserer Zeit ist die Verwandlung des Staatenkrieges in den Bürgerkrieg, des Weltkrieges in den Weltbürgerkrieg. Man sollte meinen, im Bürgerkrieg wäre der Bürger auf der Höhe der Situation, und Bürgerkriege wären Kriege, in denen der Bürger Subjekt und nicht nur Objekt ist, Kombattant und nicht nur Beute. Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Spezialisten des Bürgerkriegs, Berufsrevolutionäre und Partisanen, machen sich über ihn lustig und plündern ihn nach Herzenslust. Und der arme Bürger selbst, jedenfalls der deutsche Bürger, hat genug vom Bürgerkrieg, Widerstand und Revolution. Er scheint sich nicht einmal für das Danaergeschenk des Widerstandsrechts zu interessieren, das einige Verfassungen ihm – natürlich auf seine eigene Rechnung und Gefahr – großzügig in die Hand drücken. Der deutsche Bürger ist keine Bürgerkriegs- und noch weniger eine Weltbürgerkriegs-Figur. Im Zeitalter der knappen Mehrheiten muß er zugrunde gehen. Aber schließlich ist er doch noch vorhanden. Was ist er also? Ein weltgeschichtliches Vakuum, ein leerer Raum, ein Nichts? Das wären gefährliche Chancen. Der Proletarier war einmal das Nichts gegenüber dem Kleriker. Aber der deutsche Bürger hat eine Doppelnatur. Er ist ein Komposit aus Bildung und Besitz, aus Besitz und Bildung. Lange überwucherte der Besitz. Die Bildung wurde etwas komisch, und es ergab sich der sogenannte Wilhelminismus. Heute entfällt der Besitz oder er ist, soweit noch vorhanden, jedenfalls gefährdet. Jetzt geht es nur noch um die deutsche bürgerliche Bildung. Sie ist durchaus noch vorhanden. Weit mehr, weit lebendiger, als diejenigen sich träumen lassen, die heute auf dem Grabe des Bürgers tanzen. Bildung war das eigentliche weltgeschichtliche Potential des deutschen Bürgers. Selbst Bismarck hatte eine bür18 Handschriftliches Zweitgutachten Rudolf Smends UAHUB Jur. Fak. 310 Bl. 24; wenige verdeckte Buchstaben an der Randheftung wurden durch Konjektur ergänzt und nicht kursiviert. 19 Antwort auf eine Neujahrsumfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema: „Hat der deutsche Bürger ausgespielt?“ Mit Antworten u. a. von Hans Freyer, Margret Boveri und Max Bense.

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gerliche Mutter. Freilich haben Prosperität, Sekuritätsgefühl und Erfolg den deutschen Bürger verdummt, wie übrigens die meisten anderen auch. Infolgedessen hat er die geschichtliche Kraft der Askese nicht mehr realisiert. Ich spreche hier von der Askese als geschichtlicher Kraft, nicht von der Disziplin und Haltung technisierter Massen. Heute handelt es sich um Besitzaskese. Das ist eine harte Form der Askese, denn der Besitztrieb des Westlers ist stärker als seine Sexualität. Um so größer die Chance der besitzenthobenen deutschen Bildung, wenn sie nicht mit dem Besitz eines gemeinsamen Fellachentodes stirbt, wenn sie nicht in fremden Diensten untergeht, nicht im Mülleimer der entfesselten Technik verdirbt, sondern frei wird in einem großartigen Sinne von Freiheit als freie Intelligenz und geistiger Mut. Wenn das eintritt, dann ist die große Stunde der Phänomenologie des Geistes gekommen. Dann wird die deutsche Bildung ihr Auge wieder aufschlagen, und ihr erster, erstaunter Blick wird alle diejenigen treffen, vor denen sie seit 1918 kapituliert hat. Carl Schmitt

B. Materialien Rudolf Smend 1. Auszug aus Smends Rezension von Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, München und Leipzig 1918, in: Schmollers Jahrbuch 42 (1918), S. 369 – 373, hier: 371 – 37320 [...] Das Buch ist eine politische Streitschrift, in der gefühlmäßige Neigung und Abneigung vielfach die Feder geführt haben. Es ist aber, ganz abgesehen von seinen politischen Zielen und Ergebnissen, über die man verschiedener Meinung sein kann, von erheblicher wissenschaftlicher Bedeutung wegen der in ihm niedergelegten Betrachtungsweise politischer Dinge. Es bezeichnet selbst seine Eigenart durch den immer wieder unterstrichenen Gegensatz gegen die gewöhnliche politische Schriftstellerei des ,dilettantischen Literatentums‘. Es ist nicht immer dasselbe darunter verstanden: bald mehr die Schicht der akademisch Gebildeten und der Lehrerschaft im weitesten Sinne und die von ihnen getragene und gelesene politische Presse, bald mehr nur die akademischen Lehrer oder die Alldeutschen; die ,populäre Bismarck-Literatur für den Weihnachtstisch des Spießbürgers‘ oder auch die ,konservative Legende‘. Gemeint ist, wenn man von dem politischen Gegensatz 20 Zu Max Weber später ausführlich Rudolf Smend, Staat und Politik (1945), in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 363 – 379.

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absieht, die herkömmliche politische Schriftstellerei, die keine Probleme sieht, die etwa die Bismarcksche Politik und die von ihm geschaffenen Institutionen als undiskutabel hinnimmt, ohne den besonderen Gründen und Bedingtheiten ihrer Entstehung und Ihrer Funktion, etwa auch im unbefangenen Vergleich mit dem Auslande, näher nachzugehen, meist mit dem selbstverständlichen Anspruch der Überlegenheit über das Ausland, das man auch in dieser Hinsicht nicht näher kennt – und die zu ernsthafter politischer Kritik unfähig ist, weil sie über die treibenden Kräfte und den Sinn der Formen des politischen Lebens nachzudenken nicht gelernt hat. Demgegenüber liegt der Wert des Weberschen Buches in seiner Anleitung zu politischem Wirklichkeitssinn. Der hier gegebenen Soziologie des modernen und zumal des deutschen Beamtentums und Parteilebens ist nicht viel Gleichwertiges in der deutschen Literatur an die Seite zu stellen. Allerdings handelt es sich um keine geschlossene oder auch nur in der Form abgerundete Darstellung, und deshalb ist es auch noch kaum möglich, sich grundsätzlich mit ihr auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung würde aber wesentlich politischer Art sein und gehört daher nicht an diesen Ort. Aber festgestellt mag werden, daß Bücher dieser Art in Deutschland leider selten sind. Weber bemerkt einmal mit großem Recht, daß neben guten juristischen Arbeiten über die Geschäftsordnung des deutschen Reichstages jede politische Analyse seiner wirklichen Lebensvorgänge fehle, wie solche für außerdeutsche Parlamente vorliegen. Hier, in der Fähigkeit zur Beobachtung des wirklichen politischen Lebens, ist allerdings unsere deutsche politische Literatur und unser politisches Denken im Vergleich mit dem Ausland in beschämendem Rückstande. Grundsätzliche Einwände werden gegen die schroffe Einseitigkeit der Gesichtspunkte zu erheben sein, von denen aus die politischen Erscheinungen erklärt und beurteilt werden. Das gilt namentlich von der Kritik der staatlichen Institutionen. Die obersten Einrichtungen des Verfassungslebens werden von Weber ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der technischen Leistung beurteilt – Monarchie und Parlament sind nun aber einmal nicht lediglich ,staatstechnische Einrichtungen‘ und fallen deshalb auch nicht ausschließlich unter technische, sondern zugleich unter politisch-ethische Maßstäbe. Die in Deutschland bestehende Beamtenherrschaft beruht nicht allein auf der, mit bekannten Gedankenelementen der Weberschen Geschichtsauffassung glänzend geschilderten geradezu mechanischen Unentrinnbarkeit der Bureaukratie, sondern auch auf bestimmten Seiten unserer politischen Psyche, die diese Herrschaft zum Bedürfnis machen, ihr aber zugleich Vorzüge sichern, die sie anderswo nicht besitzt und die wohl auch bei Weber etwas zu kurz kommen. Dieselben Gründe, nicht nur Bismarckscher Zäsarismus und bestimmte Verfassungssätze, wie die Unvereinbarkeit von Bundesrats- und Reichstagsmitgliedschaft oder das Fehlen des Enqueterechts, haben die Entstehung des Parlamentarismus verhindert und werden auch in Zukunft für das neuerdings angebahnte ,gemischte System‘ sprechen, auch wenn das sich so ergebende System der Führerauslese damit ein anderes und vielleicht mangelhafteres bleibt als das eng-

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lische. Die Weberschen Forderungen selbst sind nicht einfach ,staatstechnische Änderungen, die an sich eine Nation weder tüchtig noch glücklich und wertvoll machen‘, sondern es handelt sich um unmittelbare Eingriffe in das politische Ethos von Volk und Staat, und diese Seite der Frage wird mit Unrecht vernachlässigt. Diese völlige Ausschaltung der Imponderabilien ist hier die Schattenseite der nüchternen Beobachtung der politischen Wirklichkeit. Das gilt namentlich auch von Webers Auseinandersetzung mit dem Föderalismus, die trotz einer Fülle treffend beobachteter Einzelzüge wohl der am wenigsten befriedigende Teil des Ganzen ist. Alle Einwände, die der politisch oder staats- und sozialtheoretisch anders Denkende erheben wird, treten aber zurück gegenüber der Anerkennung, daß hier eins der seltenen wertvollen Stücke unserer politischen Literatur vorliegt. Der Kampf, der hier gegen den ,Literatendilettantismus‘ aufgenommen ist, ist notwendig, wenn auch das Übel vielleicht noch tiefer sitzt. Mit größerem Recht als von den Regierungen kann man von den politischen Literaturen sagen, daß ein Volk diejenige hat, die es verdient. Der Tiefstand unserer politischen Literatur beruht auf zwei Ursachen: einmal auf die Trennung des Politischen vom Strom unseres geistigen Lebens überhaupt, die daran schuld ist, daß wir keine lebendige politische Ethik haben – ein Mangel, der sich in den inneren Spannungen der Kriegszeit so sehr herausgestellt hat –, und sodann auf der mangelnden Fühlung der einzelnen Deutschen mit dem eigentlichen politischen Leben. Die Folge ist die Leere und Konventionalität unserer politischen Gedankenwelt, die in der politischen Literatur zutage tritt, aber tiefer begründet ist als in der Unzulänglichkeit dieser Schriftsteller selbst. In beiden Richtungen hat der Krieg Fortschritte gebracht – in der Richtung der politischen Tatsachenkenntnis ist das Webersche Buch eine der wichtigsten Anregungen, die hoffentlich nicht das letzte Verdienst des Verfassers auf diesem Felde sein wird. z.Z. Berlin

R. Smend

2. Nachruf auf Günther Holstein, in: Archiv des öffentlichen Rechts 20 (1931), S. 1 – 6 Günther Holstein 22. 5. 1892 – 11. 1. 1931.

Wenn früher an dieser Stelle einem der Herausgeber ein Wort ehrenden Gedächtnisses gewidmet wurde, so galt es regelmäßig einem Manne der älteren Generation, dessen Lebenswerk im wesentlichen abgeschlossen war, dessen Eigenart und Bedeutung im Kreise der Fachgenossen feststand. Mit Günther Holstein ist einer der Jungen von uns gegangen, noch dreißig Jahre von der akademischen Altersgrenze entfernt, nicht am Ende seines Lebenswerkes – freilich auch keineswegs erst am Anfang –, in seiner Besonderheit innerhalb des wissenschaftlichen Gesamtbildes unserer Zeit, in seiner Bedeutung für ihren wis-

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senschaftlichen Gesamtertrag noch nicht abschließend zu schätzen, zwar schon eine große Erfüllung, aber noch mehr eine große Hoffnung. Daß er eine bedeutende geistige Erscheinung war, das wußten auch die, die ihm wissenschaftlich ferner standen. Allerdings hatte er nicht die scharfe wissenschaftliche Kontur Jemandes, dessen Leistung in bestimmten Thesen, Theorien, Nomenklaturen gipfelt und durch sie bezeichnet wird. So liegt der innere Zusammenhang in dem überreichen literarischen Ertrage des Jahrzehnts, das ihm zu wissenschaftlicher Produktion gegönnt war, nicht auf den ersten Blick zutage. Zwar ist die ideengeschichtliche Grundlegung deutlich: sie führt von der ,Staatsphilosophie Schleiermachers‘ – mit der die Untersuchung über Luther und die deutsche Staatsidee zusammenhängt – über die ,Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts‘ zu der nachgelassenen Geschichte der Staatsphilosophie, deren Korrekturabzüge ihn in seinen letzten Tagen beschäftigten. Dazu tritt aber die dogmatische Arbeit: von der Dissertation über die öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkung, die mit ihrer ganz und gar theoretischen Haltung gerade den Beifall der Praxis, insbesondere des preußischen Oberverwaltungsgerichts fand, und von der vorbildlichen rechtsvergleichenden Behandlung der französischen und belgischen Verordnungsrechtstheorien, über die Schriften zum Hochschulrecht und allerlei (nur z. T. veröffentlichte) Gutachten zu der Abhandlung über das Elternrecht der Reichsverfassung, zu den großangelegten Übersichten über die wissenschaftliche Lage im Bericht über die Münsterer Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung und in der Verfassungsrede von 1929 (Reichsverfassung und Staatsrechtswissenschaft) und zu der Krönung dieses Jahrzehnts wiederum in den ,Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts‘. Sein wissenschaftliches Charisma war bezeichnet durch seine ganz ungewöhnliche und sich noch immerfort erweiternde Bildung, durch seine eigentümliche Gestaltungskraft und durch die tiefe Ursprünglichkeit seines wissenschaftlichen Lebens und Produzierens. Er schrieb und sprach aus einer unablässig zuströmenden Fülle des Stoffs und einer ebenso unablässig strömenden Gestaltungskraft. Daher die Sättigung und stoffliche Dichtigkeit seiner Arbeiten, daher ihr Gestaltetsein in den Bildern und Gestalten seiner Geschichtsschreibung, vor allem zahlreich im ,Schleiermacher‘ und im ,Kirchenrecht‘, aber auch in denen seiner dogmatischen Arbeit, etwa in den Abhandlungen zum Hochschulrecht oder im ,Elternrecht‘. Seine Ergebnisse waren nie nur errechnet aus den Faktoren und Argumenten, die ihm die Geschichte und die juristische Erörterung darboten, sondern waren gewonnen aus einer gestaltenden Verarbeitung dieses stets souverän beherrschten Stoffs, die ihr Recht in ihrer tiefer als jede rechenhafte Argumentation und zerlegende Polemik gegründeten kraftvollen Ursprünglichkeit und darauf beruhenden Evidenz suchte und fand. Daher hat er nicht kritisiert und polemisiert, sondern positiv gestaltet, beinahe wie der Künstler, der die Gestalt für sich sprechen und überzeugen läßt, über ihr Recht aber nicht weiter diskutiert. In der Auseinandersetzung hätte sich wohl zumeist sein Horizont als der stofflich und gedanklich weitere gegenüber der Mehrzahl der Andersdenkenden herausgestellt. Aber diese Auseinandersetzung

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lockte ihn nicht – vielleicht hie und da allzu wenig – dem ,Schleiermacher‘ merkt man es kaum an, daß er in einer Zeit allgemeiner Abwendung von seinem Helden entstanden ist. Auf das Staats- und Verwaltungsrecht in größerem Zusammenhange hat er diese Arbeitsweise nicht angewandt. Aus guten, von ihm allerdings wohl nur mündlich ausgesprochenen Gründen. Er hielt die Zeit für größere systematische Arbeiten jedenfalls in Staatsrecht und Staatstheorie noch für lange hinaus nicht für gekommen. Hier glaubte er nur an die Möglichkeit monographischer, vor allem aber auch geschichtlicher Arbeit, die mit der Herausstellung des überkommenen Erbguts den Sinn einer Gegenwart und Zukunft herauszustellen hätte, die berufen wären, Antithese und Synthese dieser geschichtlichen Thesis zu sein. Er rühmte den besonderen Beruf der Kriegsteilnehmergeneration, die allein imstande sei, das Alte und Neue gleichmäßig zu bejahen und richtig zu verbinden. Er beklagte gerade angesichts dieses ihres Berufs ihre furchtbare Dezimierung und empfand seine eigene Berufung auch deshalb mit Recht besonders stark – umso unersetzlicher nun gerade sein Verlust. Um so unersetzlicher, als er in dem, was seine eigentliche Stärke war, nicht seinesgleichen hatte. Das Große an ihm war die Selbstverständlichkeit der geistigen und insbesondere juristischen Gedankenfülle gleichmäßig, wie er zu unterscheiden pflegte, im Rechtsideologischen und Rechtssoziologischen wie im Rechtslogischen. Es ist kaum auszusagen, welche Fülle von Gedanken und Ergebnissen der ,Schleiermacher‘ enthält abgesehen von der Darlegung der Staatsphilosophie Schleiermachers selbst – es wäre eine lohnende Aufgabe, einmal die allgemeinen Gedanken zur Rechts-, Sozial-, Staatstheorie und -philosophie zusammenzustellen, die in den ,Grundlagen‘ beiläufig verstreut sind. Diese Breite und Intensität des von ihm repräsentierten Besitzes an Kultur, insbesondere auch an Rechtskultur, ist das höchste Ziel und die edelste Frucht wissenschaftlicher und insbesondere rechtswissenschaftlicher Arbeit, kennzeichnend für die kulturelle Reife von Völkern, Rechtssystemen, Rechtswissenschaften, Juristenpersönlichkeiten, die darin ihren geistigen Wurzelboden haben. Das Zeitalter des deutschen Idealismus, an dem Holstein mit ganzer Seele hing, hat eine solche Rechtswissenschaft gesehen – das Ausland ist uns hie und da in solcher Überlieferung überlegen – in der Art, wie Günther Holstein sie mit der ganzen inneren Einheit und Geschlossenheit seiner Persönlichkeit repräsentierte, liegt seine einzigartige und dauernde Bedeutung. Er hat die ,Abhandlungen‘ unserer Zeitschrift durch neun Bände hindurch herausgegeben und an sie viel stille Mühe gewendet, stets in seiner irenischen Haltung, die aus eigener Sicherheit heraus jedes Andersartige anerkennen und würdigen konnte. Dabei war er sich bewußt und sprach es aus, daß das Archiv des öffentlichen Rechts bei seiner Begründung eine ganz bestimmte wissenschaftliche Linie verfolgt hatte, und er wünschte ihm nunmehr die durch die Gegenwart geforderte Eigenart zu geben – als einer Stelle, an der insbesondere die Vertreter der geisteswissenschaftlichen Richtung zu Worte kommen könnten. Das alles im Sinne des

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Friedens und der sittlichen Arbeitsgemeinschaft aller Fachgenossen. Er konnte mit Schärfe den ,Offenbarungseid der metaphysischen Impotenz‘ und den Rückzug auf den ,Standpunkt von vorgestern‘ bekämpfen und dem Positivismus vorhalten, wie sehr er selber auf das Überpositive angewiesen sei und wie dringend für ihn die Gefahr der Deformierung zur Technik, der Herauslösung aus dem Kreise der Geisteswissenschaften und aus dem Zusammenhang der abendländischen Rechtssysteme sei, um dagegen zur Besinnung auf den ,großen geistesgeschichtlichen Imperativ unserer Vergangenheit‘ aufzurufen, der uns erinnert, daß der ,Wille zur Rechtsidee die Beziehung zur Kulturtotalität einer Zeit und eines Volkes in sich schließt‘. Aber er hat zugleich wie keiner in seinem wissenschaftlichen Vermächtnis, der Verfassungsrede von 1929, das Verdienst und die Bedeutung aller Richtungen gewürdigt, in der tiefen Gerechtigkeit und der ruhigen Überlegenheit, die ihn schon früh als einen eigentümlich Vollendeten erscheinen ließen. Als ein Vollendeter ist er von uns gegangen. Als ein Vollendeter bleibt er unter uns lebendig.

3. Artikel: Wissenschaft in Gefahr, in: Deutsche Juristen-Zeitung 37 (1932), Sp. 121 – 125, vom 15. Januar 1932 Wissenschaft in Gefahr

Die deutschen Universitäten und insbes. die juristischen Fakultäten haben seit den ersten Tagen und Wochen der Umwälzung kein neues Jahr unter ähnlich bedrohlichen Vorzeichen angetreten, wie dieses Mal [1932]. Angesichts ihrer Aufgabe: von Jahr zu Jahr wird die Massenausbildung künftiger brotloser Akademiker eine immer drückendere Last – für den akademischen Unterricht ein unlösbares Problem, in seinem Ergebnis eine sinnlose Uebersättigung des Volkskörpers mit berufslosen Intellektuellen. Angesichts ihres Verhältnisses zum Staat: hier haben sich die Eingriffe in die Zusammensetzung der Hochschulen durch politische Oktroyierungen, in ihren Lehrbetrieb durch die Reglementierungen zunächst der juristischen Studienreform, in die persönlichen Verhältnisse der Hochschullehrer durch Verkürzung ihrer Bezüge und zumal durch die Infragestellung ihrer eigentümlichen Rechtsstellung überhaupt (in dem Versuch, die Emeritierung durch die Pensionierung zu ersetzen) neuerdings so sehr gehäuft, daß der geschichtliche Charakter der Universität überhaupt bedroht wird. Denn alle diese Erscheinungen haben eine Tendenz zu immerwährender Steigerung, zum System; sie schaffen ein Geleise, das auch etwa im Falle eines politischen Umschwunges nicht verlassen, sondern zwangsläufig weiter benutzt werden wird, wenn auch i. S. veränderter politischer Zielsetzungen. Schon jetzt aber verschiebt sich, zumal für den unbefangenen ausländischen Beobachter, das Bild unserer akademischen Zustände von Jahr zu Jahr im ungünstigen Sinne, zumal, was die juristischen Fakultäten angeht, und Abraham Flexner ist nicht der einzige Kritiker, der uns vor der dringenden Gefahr des Absinkens zur Fachschule warnt.

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Der ganze Ernst der Lage wird aber erst dann deutlich, wenn man sich die Faktoren vergegenwärtigt, die sich heute gegen die akademischen Bestrebungen auf Erhaltung der akademischen Autonomie und des überkommenen Charakters akademischer Verbindung von Forschung und Lehre verbündet haben. Sie gliedern sich in drei nur z. T. untereinander zusammenhängende Gruppen. Vorweg die zumal in akademischen Kreisen viel zu wenig beachtete überkommene Dynamik im Verhältnis von Staat und Hochschule21. Die Universitäten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten zu den bevorzugten Lebensformen des nationalen Geistes – sie empfanden kaum das Bedürfnis nach stärkerer Sicherung ihrer Selbständigkeit und bemerkten nicht, daß Selbstverwaltung nicht gesichert ist ohne die Grundlage eigener finanzieller Kraft. Die Weimarer Verfassung hat das nicht geändert; wir wissen heute besser als die Nationalversammlung, wie sehr die liberalen Sterne ihres Werks schon in cadente domo22 standen, und seitdem haben der natürliche Radikalismus sich neu konsolidierender Demokratie ebenso wie die Diktatur der verzweifelten Notgemeinschaft des deutschen Volkes das Gefälle zuungunsten aller Universitätsfreiheit und akademischer Eigenart verhängnisvoll gesteigert. In diesem stillen Kampf haben die Universitäten und vor allem die juristischen Fakultäten wenig Bundesgenossen. Vorweg nicht in der studierenden Jugend: deren verzweifelter Kampf ums Dasein sucht auf dem akademischen Wege das verfassungsmäßige Recht auf Arbeit geltend zu machen und fordert daher gerade das Nichtakademische: reglementierten schulmäßigen Studiengang mit möglichst weitgehender Gewähr des Prüfungserfolges. Hinter dieser Jugend steht verzweifelter Selbsterhaltungs- oder Aufstiegswille versinkender und aufstrebender sozialer Schichten, der wenig nach akademischem Geist und um so mehr nach Berechtigung und Versorgungsaussicht fragt. Ihren politischen Ausdruck finden diese Forderungen in den parlamentarischen Parteien, deren sich auflösender bürgerlicher Kern allein noch mit den Universitäten sympathisiert, deren Mehrheiten aber diesem Rest der ,bürgerlichen‘ Welt um so fremder gegenüberstehen. Dazu tritt in einem verbeamteten und titelsüchtigen Volk unendliches Ressentiment derer, die an den akademischen Graden, Berufen, Lehrstellen keinen Anteil haben – hier spielen Neid und Missgunst ihre häßliche Rolle, wie so mancher Wunsch, auf dem akademischen Felde durch Literatenkritik und parteipolitische Gewaltmaßnahmen geistige Positionen zu erobern, die sich auf geistig-legitimem Wege nicht gewinnen lassen wollten. Und schließlich finden diese Angriffe auf die akademische Welt vereinzelte, aber wirksame Verbündete in der Bürokratie, die verkennen, daß nur eine wahrhaft wissenschaftliche Vorbildung dem gelehrten Beamten- und vor allem Richtertum auf die Dauer das innere Recht auf seinen Fortbestand gibt, ja, deren 21 Vgl. die eindrückliche, in der Oeffentlichkeit nicht genug bekannt gewordene Darlegung dieser Verhältnisse durch den Leiter des preuß. Hochschulwesens in dem Sammelwerk ,Das akademische Deutschland‘ Bd. III. 22 [Im fallenden Haus; astrologische Wendung bei Friedrich Schiller, Wallensteins Tod, I.1.].

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Haltung zuweilen an Max Webers bitteres Wort erinnert, daß wir von Ungebildeten regiert werden. Endlich die tiefste und innerlichste Schwierigkeit der Lage für die Universität: die geistige Situation von heute. Sie ist wissenschaftsfeindlich (eine Feindseligkeit, die, wie K. Jaspers23 soeben schön gezeigt hat, nur die andere Seite ihres Aberglaubens an die Wissenschaft ist) – sie sucht im wissenschaftlichen Betriebe wissenschaftsfremde Dinge: Berufstechnik einer-, Offenbarung und Glauben andererseits. Es ist vor allem die Zerstörung des historischen Bewusstseins in der jungen Generation, die – zumal in den Geistes- und hier in erster Linie wieder in den Rechts- und Staatswissenschaften – die Gewinnung wissenschaftlicher Haltung zu dem Gegenstande überhaupt erschwert, ja unmöglich macht. Dazu tritt die Eigenart des Massendaseins an Hochschulen: es hat, wie Jaspers mit Recht feststellt, die Tendenz, Wissenschaft als Wissenschaft zu vernichten, und wenn es statt dessen den zwangsläufigen Studienplan fordert und erhält, der die Hochschule zur Schule denaturiert, so sind jedenfalls technisch erfasste Stofflichkeit und Glaube die beiden Pole seines Interesses, und der Repetitor einer-, der Agitator andererseits die eigentlichen Vollstrecker seiner Wünsche. Aber der akademische Boden ist damit verlassen, und der Versuch der Unterrichtsverwaltungen, durch Studienreform und politische Oktroyierungen jene beiden Lehrertypen in die Universität zu verpflanzen, wird im Ergebnis nur eine Anerkennung, nicht eine Befriedigung des doppelten Bedürfnisses sein, das, seinem eigenen Gesetz folgend, seine Erfüllung auch in Zukunft nicht in der ihm wesensfremden Universität, sondern außerhalb suchen wird. Um so weniger aber kann die Universität auf wirkliche Resonanz und Hilfe bei den vorherrschenden Geistesmächten der Zeit und einer von ihnen erfüllten Jugend rechnen. Darin wird allerdings in der Demokratie, in der öffentliche Institutionen auch der öffentlichen Anerkennung bedürfen, unter allen Umständen eine Lebensschwierigkeit der Wissenschaft und ihrer Organisation liegen. Sie sind notwendig eine von vielen Minderheiten, vollends in Deutschland, wo die Provinzen des geistigen Lebens nicht so konzentrisch mit dem nationalen Leben überhaupt gelagert sind, wie in den romanischen und angelsächsischen Ländern. Sie sind notwendig in gewissem Grade lebensfern – sonst haben sie diesem Leben nichts Eigenes mehr zu sagen. In der deutschen Gegenwart kommt hinzu, daß sich die wissenschaftliche Jurisprudenz in einer Uebergangslage befindet, in der ihre Bedeutung für das geistige und praktische Gesamtleben der Nation nicht von der gleichen Evidenz ist, wie vor einem Menschenalter, wo der Reichtum der stolzen Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts noch einmal in den großen Namen etwa der damaligen Berliner und Leipziger Fakultät zusammengefasst erschien und vermöge solcher Repräsentation den unbestrittenen Respekt der Nation für die deutsche akademische Rechtswissenschaft begründete. Heute bedingt schon das Fehlen der dem Auslande selbstverständlichen humanistischen Grundlagen der ju23

[Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin 1931].

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ristischen wie der Allgemeinbildung eine im Vergleich mit dem Auslande stärkere Isolierung und geringere Respektierung der Wissenschaft in der weiteren Oeffentlichkeit wie in der juristischen Praxis. In solcher kritischer Zeit richtet sich die erste und dringendste Forderung des Tages an die juristischen Fakultäten selbst. Sie können sich gegenüber dem von vielen Seiten gegen sie geführten Angriff nur dann behaupten, angesichts einer Zeit, die bei aller Wissenschaftsfremdheit doch geistig sehr rege und sehr anspruchsvoll ist, wenn sie aus ihrer schwierigen inneren Lage, aus der Not ihrer in weiten Bereichen noch gar nicht bewußt gewordenen Krise eine Tugend machen, eine geistige Bewegtheit und Kraft entwickeln, die die Tragkraft ihrer bisherigen geistigen Grundlagen auch für die veränderte heutige Lage erneuert und befestigt. Auch auf diesem Felde bleibt Herr der Zukunft nur, ,wer sich wandeln kann‘. Sie werden die Forderung der Zeit auch auf didaktischem Gebiet nicht ganz überhören dürfen. Die Studienreform kann sich als eine Lebensgefahr der Universität und zunächst der akademischen Jurisprudenz auswirken, im Sinne so vieler geistes- und wissenschaftsfeindlicher Triebkräfte, die sie tragen. Sie wird es aber nur dann tun, wenn die Fakultäten sich ihr gegenüber ins Unrecht setzen, die in ihr liegende berechtigte Mahnung an die Notwendigkeiten einer neuen schweren Zeit nicht überhören, ihr begegnen – bei aller sehr nötigen Kritik im einzelnen wie im Ganzen – als einer Anregung zum Ergreifen und Erfüllen neuer Aufgaben, zu neuer Kraftentwicklung. Aus solcher Haltung heraus wird die deutsche Rechtswissenschaft aber auch den Antrieb finden, eine längst dringende Aufgabe eigener Rechtfertigung zu erfüllen. Sie hat es versäumt, trotz großer historischer Vorbilder, wohl gehemmt durch die Schablone einer vielfach veralteten Rechtsquellenlehre, die Rolle der wissenschaftlichen Jurisprudenz als lebendigen Faktor der Rechtswirklichkeit, der lebendigen Positivität des Rechts, nachdrücklich ins Licht zu rücken und anschaulich zu machen. Niemand zweifelt, daß die Wirklichkeit des internationalen Rechtsbewußtseins in hohem Grade bedingt ist von der Internationale des gelehrten Rechtsbewußtseins – daß unser Staatsrecht lebt und sich wandelt in den Denkformen der gelehrten Theorie und im Wandel dieser Denkformen – als dialektisches Moment unserer gesamten Rechtswirklichkeit ist die deutsche wissenschaftliche Jurisprudenz nicht wegzudenken. Sie selbst lebt aber von der ihr überkommenen akademischen Luft und dem nur in ihr zu wahrenden Erbe des 19. Jahrhunderts. Sie wird als lebendige geistige Kraft in dem Augenblick erlöschen, in dem sie nur noch in Fachschulen gelehrt werden wird. In solchen Fachschulen, wie sie die Forderung der aufstrebenden Klassen, aber im Grunde auch das Ideal mancher Kreise der Bürokratie sind, wird ein rein an der Praxis orientiertes Prüfungsziel wahrscheinlich mit geringerem Risiko erreicht werden, als an den juristischen Fakultäten. Die Studienreform bedeutet von einer Seite her einen großen Schritt in dieser Richtung; die fortschreitende Nivellierung der Sonderstellung des Professors, seine fort-

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schreitende Verbeamtung einen ebenso großen von einer anderen. Man braucht sich nur noch wenige Schritte weiter auf dem Wege dieser Einebnung und dieser Entwicklung vorzustellen, und der akademische Charakter der juristischen Fakultäten wäre dahin – Professor und Praktiker würden auswechselbar werden; schlechte und unproduktive Lehrer könnten in der Praxis verschwinden, in die unter Preisgabe ihrer akademischen Sonderstellung überzutreten ihnen jetzt nicht zugemutet werden kann; die zurzeit stockende Ergänzung durch Habilitationen würde rationalisiert und vielleicht – nach entfernten französischen Vorbildern – statt durch private Forschung durch rationellen repetitormäßigen Unterricht vorbereitet; der Unterricht selbst würde gründlich rationalisiert, individualisiert, vor allem diszipliniert werden. Damit würde aber ein wesentliches und lebenswichtiges Moment im dialektischen Spiel unseres Rechtslebens einer-, unseres gesamten wissenschaftlich-geistigen Lebens anderseits exstirpiert sein – mitsamt all seiner geistig befreienden Kraft, seiner Verbindungswirkung zwischen dem Leben des Rechts und der allgemeinen Geistigkeit, seinen geistig-sittlichen Solidaritätswerten über die nationalen Grenzen hinweg. Was in neuester Zeit gegenüber den juristischen Fakultäten geschehen ist, wird sich vielleicht in naher Zukunft herausstellen als das erste Anlegen der Axt an ihre Wurzeln. Sind sie einmal ins Wanken gebracht, so werden sie nicht leicht wieder aufzurichten sein – Frankreich müht sich bekanntlich seit hundert Jahren um die Wiederherstellung des als nötig eingesehenen akademischen Sonderrechts seiner Universitäten. Bei der viel geringeren Stabilität unseres geistigen Nationalbesitzes haben wir hier viel mehr zu verlieren; bei der gegenwärtigen geistig-politischen Lage haben wir viel geringere Aussicht, die notwendige Form für dies lebenswichtige Stück des nationalen Geistes wiederherzustellen. Möge den zerstörenden Tendenzen rechtzeitig Einhalt geboten werden – nicht Professoren oder Studenten, sondern der Wissenschaft und dem Recht zuliebe!

4. Artikel: Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, in: Forschungen und Fortschritte 9 (1933), S. 92 – 93 (vom 1. März 1933) Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht Von Prof. D. Dr. Rudolf Smend, Universität Berlin

Die Frage ist noch nicht ganz und nicht endgültig geklärt [am 1. März 1933], wie weit die Weimarer Verfassung einen Bruch mit der Vergangenheit bedeutet, wie weit sie Erbgut des 19. Jahrhunderts übernommen hat. Und dieselbe Frage besteht für eine etwaige heutige Neuordnung der Dinge: wie viel von diesem staatsrechtlichen Erbgut des 19. Jahrhunderts ist noch vorhanden und muß als solches erkannt werden, und an welche Bestände solchen Erbguts ist jede künftige Neuordnung gebunden?

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Die innere Geschichte unseres Staatsrechts, die Geschichte seiner eigentlichen und letzten Grundgedanken ist in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – nicht der Gegenstand einer einheitlichen Fragestellung und einer einheitlichen und planmäßigen Bearbeitung. Dem Historiker liegt die hier unvermeidliche systematische Fragestellung ferner, und er arbeitet hier aus methodischen Gründen meist in den Bahnen, die ihm die Natur seiner Quellen vorzeichnet, im Anschluß an die Akten, an die politische und Parteiliteratur, an die großen politischen Denker: sämtlich nicht unmittelbare Zeugen der in Geltung stehenden Rechtsgedanken, um die es sich doch hier in erster Linie handelt. Und den Juristen des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts ist diese Fragestellung infolge des herrschenden juristischen Positivismus und Formalismus verlorengegangen. Die verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Gedankenwelt von Lorenz v. Stein und Bluntschli, von Mohl und Zachariä, Stahl und Gneist ist ein nicht angetretenes Erbe geblieben; seit Laband hat dem verfassungspolitischen Denken des deutschen Volkes der unerläßliche Rückhalt lebendiger Theorie gefehlt. Vergeblich hat Gierke vor dieser verhängnisvollen Lücke in der geistigen Front der Nation gewarnt – sein eigenes Lebenswerk hat nur die Fundamente einer Ausfüllung geliefert, nicht mehr diese selbst. Wie dringend das Bedürfnis nach Ausfüllung dieser Lücke war und ist, zeigt der Erfolg des Buchs, das vor einigen Jahren den Versuch unternommen hat, sie zu schließen. Die Verfassungslehre von Carl Schmitt (1928) ist ein System von verfassungsrechtlichen Grundgedanken, wie es so in Deutschland seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht entwickelt worden war. Aber: es ist zum guten Teil eine Weiterbildung der französischen konstitutionellen Theorie, und damit des Gegenstandes allenfalls einer Teilrezeption in Deutschland, nicht so sehr ein System des unendlich verwickelteren und aus vielen Gründen unendlich schwerer zu erfassenden Verfassungserbguts der deutschen konstitutionellen Geschichte selbst. Auf den ersten Wurf konnte auch schwerlich mehr geleistet werden – nur über Ansatz und Methode kann man streiten; auf die Dauer aber wird man auch sachlich andere Wege gehen müssen. Denn Deutschland ist nicht im eigentlichen Sinne revolutioniert, hat nie das Ganze des französischen Verfassungsschemas rezipiert. Es hat seine eigene, aus vielen, äußeren und inneren, Gründen höchst undurchsichtige Entwicklung durchgemacht. Otto Mayer hat deren Ergebnis mit dem bekannten Wort zu bezeichnen gesucht, daß hier das wirkliche Recht noch erfüllt sei mit den Trümmern vorausgehender Entwicklungsstufen, die als Widerspruch mit den Grundgedanken des neuen Rechts dastehen und allmählich verschwinden oder sich umbilden müssen, daß Wissenschaft und Praxis noch gebunden seien in veralteten Anschauungen und Ausdrucksweisen. Das ist gesehen vom Standpunkt des radikal durchsystematisierten und durchrationalisierten französischen Rechts und entsprach zugleich dem formalistischen Denken der Zeit. In Wahrheit sind jene ,Trümmer‘ und ,veralteten Anschauungen‘ weithin gerade das sittlich Lebendige und das spezifisch Deutsche an unserer öffentlichen Rechtsordnung. Jene angeblich allein gültige, formale und

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inhaltliche Modernität und Folgerichtigkeit stehen in schärfstem Widerspruch zur Wirklichkeit unseres Rechts und zur Wirklichkeit der diesem Recht zugrunde liegenden positiven staats- und sozialethischen Gedankenwelt. Diese herauszuarbeiten – in notgedrungenem Widerspruch auch zur marxistischen Rechts- und Staatsgeschichtsforschung, die in entlarvender Entleerung das Werk des Formalismus zum folgerichtigen Ende zu führen bestrebt ist – ist eine heute theoretisch und praktisch gleich dringende Aufgabe wissenschaftlicher und politisch-ethischer Selbstbesinnung. Einen einzelnen, aber m. E. besonders wichtigen spezifisch deutschen Grundgedanken unseres Verfassungsrechts habe ich in einer Festrede zum 18. Januar 1933 wenigstens in allergrößten Zügen herauszuarbeiten gesucht24. Gustav Radbruch hat zu zeigen unternommen25, daß das Recht des 19. Jahrhunderts auf den intelligenten, egoistischen Individualisten zugeschnitten sei, wie die klassische Nationalökonomie. Angewandt auf das Staatsrecht bedeutet das eine Auslegung des Staatsrechts im Sinne des ,bürgerlichen‘, d. h. unpolitischen, bourgeoisen Rechtsstaats, wie ihn Carl Schmitt als die eine Seite des modernen, auch des deutschen Verfassungsrechts entwickelt hat. Insbesondere die Grundrechte unserer Verfassungen wären danach als die Sicherung von Privatleuten gegen den Staat zu verstehen; und so erscheinen sie denn auch in der älteren wie der heutigen, zumal auch der sozialistischen Literatur vielfach als bezeichnende Denkmäler der Epoche der Bourgeoisie. Es bedarf hier näheren Zusehens in der Geschichte und der sozialethischen Wirklichkeit, um auf den tragenden Grund unserer Institutionen zu stoßen. Der Freiherr vom Stein und E. M. Arndt sind Zeugen dafür, daß Freiheit, Eigentum, freies Wort und Waffenehre nicht als bourgeoise Interessen und private Güter, sondern als die zur Nationalerziehung notwendige Berufsausstattung des freien Mannes, des Staatsbürgers gemeint sind. So ist die grundrechtliche Freiheit auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der Zeit der vielberufenen politischen ,Honoratioren‘ und des von ihnen getragenen politischen Lebens, verstanden worden. Nur dies Verständnis der Grundrechte nimmt dem zweiten Teil der Weimarer Verfassung den Charakter bourgeoiser, innerlich staatsfremder Sicherungen einzelner Volksfragmente gegeneinander und gegen den Staat, im Sinne des ungelösten Pluralismus, der ihm heute vielfach zugeschrieben wird, und läßt ihn als einen Versuch gelten, jedem Deutschen im Interesse materialer Demokratie, der Ermöglichung wirklicher Gleichheit und Freiheit, das Seine an Sicherung der Voraussetzungen für wahre demokratische staatsbürgerliche Gleichheit zu gewähren. Nur so tritt dieser Teil der Verfassung in das Licht seines wahren Sinnes: öffentliches staatsbürgerliches Berufsrecht zu sein, nicht kümmerliche Demarkation eines Status quo im Gruppen- und Klassenkampf. 24 Bürger und Bourgeois im deutschen Staatsrecht, Berlin. Preuß. Druckerei- und VerlagsA.G. 1933. 25 Der Mensch im Recht, 1927.

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In der staatsrechtlichen und verfassungstheoretischen Literatur des romanischen und angelsächsischen Auslandes sind historisch-juristische Untersuchungen, wie die hier in einem Einzelpunkt angedeutete und angefangene, nicht mehr nötig – die Kontinuität der verfassungstheoretischen Selbstbesinnung ist dort nicht so stark erschüttert worden, wie bei uns. Um so dringender ist die Ergänzung dieser Besinnung auch bei uns – als historische, juristische, politische Aufgabe.

5. Artikel: Zum Gedenktag der Göttinger Sieben, in: ZAkDR 4 (1937), S. 69126 Zum Gedenktag der Göttinger Sieben (18. November 1937)

Die Erklärung der Göttinger Sieben, daß sie sich trotz des Staatsstreichs des Königs Ernst August von Hannover und der von ihm ausgesprochenen Entbindung der Beamten von ihrem Verfassungseid an das gebrochene Grundgesetz und ihren darauf geleisteten Eid gebunden fühlten, und ihre Entlassung ist eins der volkstümlichsten Ereignisse der deutschen Verfassungs- und Universitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts geworden und geblieben. Es war eine unzweifelhaft sittliche Tat von Männern, die überzeugt waren, nur in solcher Haltung ehrlich zu bleiben. Und es war ein geschichtlich folgenschweres Ereignis: An ihm orientierte sich das gesamtdeutsche Bewußtsein von Recht und Unrecht autokratischer Restauration, und von hier datiert die endgültige Vertrauenskrise des Bundestages, der dem gebrochenen Recht wider besseres Wissen seinen Schutz in einer Weise versagte, die an Genfer Minderheitenschutz erinnert. Auch der deutsche Rechtswahrerstand von 1937 schuldet diesem tapferen Kampf ums Recht an seinem Erinnerungstag ein ehrendes Gedenken. Um so mehr, als vom Standpunkt des deutschen Umbruchs, wie die gesamte neuere deutsche Verfassungsgeschichte, auch die Tat von 1937 in ein neues Licht tritt. Nicht freilich in dem Sinn, daß für diese Vorbilder und Helden des deutschen liberalen Bürgertums jener Zeit heute ein politischer Alibibeweis angetreten werden müßte. Das läge unter der Würde dieser Männer und dieses geschichtlichen Ereignisses. Wohl aber in dem Sinn, daß ihr verfassungsgeschichtlicher Ort neu bestimmt werden muß. Bisher erschien die Tat der Sieben im wesentlichen als ein – mit viel persönlichen Opfern erkaufter – sittlicher Sieg der Verfassungs- und Einheitsbewegung über die vom Deutschen Bund unterstützte Autokratie, und die Sieben erschienen als vorbildliche Vorkämpfer dieser Bewegung, als charaktervolle Bekenner einer volkstümlichen politischen und Rechtsüberzeugung, als Vorbilder des deutschen politischen Mannes – genauer des politischen Privatmannes. Das ist geschichtlich ein völliges Mißverständnis. Die Sieben haben ihren Kampf aufgenommen und Amt und Heimat aufs Spiel gesetzt nicht, um privaten 26 Ausführlicher dann Rudolf Smend, Die Göttinger Sieben (1951), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, 1955, S. 391 – 410.

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politischen Meinungen, persönlichem Rechtsgefühl, persönlicher Kritik am Staatsstreich des Königs aus noch so ehrenhafter sittlicher Nötigung heraus Luft zu machen. Sondern sie haben gehandelt, wie ihre Erklärung sagt, kraft besonderen Berufs, als zur Verteidigung des Staatsgrundgesetzes besonders Berufene und Berechtigte: einmal als Mitglieder der Universität, sofern diese Wahlkörper zur Ständeversammlung war, und ferner als akademische Lehrer, deren tiefste und eigentliche Wirksamkeit dahin sein werde, wenn sie in den Augen der studierenden Jugend als Männer erschienen, die mit ihren Eiden ein leichtfertiges Spiel trieben. Das gilt besonders vom Führer der Sieben, von Dahlmann. Nicht zur Beruhigung seines privaten politischen Gewissens hat er den Schritt getan, sondern genötigt durch die Autorität, die er als Vorkämpfer des deutschen Volkes im Ringen der holsteinischen Stände gegen den dänischen König, als Vertrauensmann der hannoverischen Regierung bei der Abfassung des gebrochenen Staatsgrundgesetzes, als berühmter Lehrer der Politik und der politischen Ethik begründet hatte, eine Autorität, die zu üben er amtlich berufen war und deren tiefste Grundlage er durch Schweigen zerstört hätte. Und Ähnliches gilt von der Fortsetzung des Kampfes gegen den Staatstreich unter Stüves Führung: Nicht eine Gruppe von politischen Privatleuten oder Parteien, sondern Stadtmagistrate, die nach dem Staatsgrundgesetz als ,Obrigkeiten‘ die Steuern zu erheben hatten und für die verfassungsmäßigen Grundlagen dieser Steuererhebung verantwortlich waren, haben angesichts dieser amtlichen Verantwortung den Verfassungsstreit vor dem Bundestag gebracht, dessen Versagen gegenüber diesem Anruf (1839) Treitschke mit Recht als seine Selbstvernichtung charakterisiert hat. Die Tat der Göttinger Sieben ist nicht ein Kampf des privaten Gewissens, sondern ein Widerspruch dazu amtlich berufener Autorität, die neben der des Königs bestand. In der politischen Auswirkung ist daraus ein großes Stück siegreichen Fortschritts der deutschen Freiheits- und Einheitsbewegung geworden. Die verfassungsgeschichtliche Betrachtung hat dabei allzu sehr übersehen, daß die von den Sieben eingesetzte und aufs Spiel gesetzte amtliche Autorität nicht nur unterlegen, sondern zerschlagen worden ist. Zerschlagen durch den König, der sich erfolgreich über diesen Widerstand berufener rechtswahrender Autorität, wie sie auf echt deutscher geschichtlicher Grundlage neben ihm bestand, hinwegsetzte und damit die Epoche des endgültigen Verschwindens solcher im Wesen der Monarchie liegender konkurrierender Autorität einleitete. Zerstört aber mindestens ebensosehr durch den Beifall Deutschlands, der den Akt der Autorität, die hier gesprochen hatte, liberalistisch als eine Kundgebung charaktervoller liberaler Privatleute mißverstand.27 Seitdem gibt es keine echte politische Autorität neben der Regierung mehr in Deutschland. An Stelle verfassungspolitischer Möglichkeiten im 27 Auf diesem Mißverständnis beruht auch die wohl einzige ernst zu nehmende Kritik an den Sieben: die in Hannover wohl noch heute verbreitete, daß diese Professoren sich hier ohne inneres Recht politisch wichtig gemacht hätten, und die des Königs, daß sich hier Federfuchser und ,Ausländer‘ in Dinge gemischt hätten, die sie nichts angingen.

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Sinne Steins trat endgültig der Dualismus von Staat und (westlich verstandener, aus Privatleuten bestehender) Gesellschaft. Dahlmann selbst ist in der Paulskirche nicht mehr ein berufener Träger begründeter Autorität, sondern nur noch ein berühmter Privatpolitiker. Sein Schüler Treitschke hat in dem eindrücklichen Bild Dahlmanns als des leidenschaftlichen Lehrers politischer Sittlichkeit nur den seit 1837 gebliebenen Restbestand seiner geschichtlichen Rolle festgehalten. Es ist bezeichnend, daß ihm das andere entging, wie schon Georg Beselers im Persönlichen ebenso verständnisvoller wie im Institutionellen versagender Verteidigungsschrift von 1838. Man hat das Schicksal der Göttinger Sieben tragisch genannt. Es ist das nicht wegen ihres unvermeidlichen Unterliegens gegenüber Ernst August. Auch nicht, wie E. R. Hubers schöne Erinnerungsschrift an Dahlmann meint28, wegen des Konflikts zwischen ihrer Bindung an den König und der an die Verfassung: Rechtswahrende Autorität neben dem König ist nach älterem Denken gerade zu unbeirrbarer Treue gegenüber dem Recht berufen, so daß hier kein echter Konflikt bestand. Die Tragik der Sieben liegt darin, daß der leidenschaftliche Beifall der Nation ihre Tat wirksamer ihres eigentlichen Charakters entkleidet hat, als die Verbannung durch den Welfenkönig es vermochte. Die Göttinger Sieben sind nicht nur Vorläufer eines Aufstieges, tapfere Wegbereiter deutscher Einigung, sondern bedeuten zugleich ein wenig bemerktes, aber schmerzliches und folgenschweres Ende echter volkstümlicher Autorität neben der Staatsführung, deren ein Volk bedarf und die alle liberalen Errungenschaften von 1837 bis 1933 dem deutschen Volke nicht haben bieten können. Insofern sind sie nicht nur ein großes und leuchtendes Vorbild der Treue zum Recht und ein Ruhmestitel der deutschen Universität, sondern gehören sie zugleich, um ein berühmtes Wort Rankes abzuwandeln, „zu den großen Agonien des neunzehnten Jahrhunderts“. Professor Dr. Rudolf Smend, Göttingen Mitglied der Akademie für Deutsches Recht

6. Heinrich Triepel zum 70. Geburtstag, in: Forschungen und Fortschritte 14 (1938), S. 58 – 59 Heinrich Triepel zum 70. Geburtstage am 12. Februar 1938

Es ist ein wichtiges Stück deutscher geistiger Weltgeltung, das mit dem Namen Heinrich Triepel verknüpft ist. Es wird für alle absehbare Zukunft schon äußerlich mit ihm verbunden bleiben, solange Theorie und Praxis des Völkerrechts und der Politik in der ganzen Welt mit der unersetzlichen Stoffsammlung des ,Recueil Martens‘ arbeiten müssen, den Triepel vor dreißig Jahren als das seit anderthalb Jahrhunderten weltberühmte Sammelwerk übernahm und den er seitdem durch die 28

Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, 1937, S. 38.

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Jahrzehnte der internationalen Weltkrise hindurch zu gesteigerter Bedeutung geführt hat. Triepels internationaler Ruf war bei der Übernahme des ,Recueil Martens‘ längst begründet. Sein in eine Reihe ausländischer Sprachen übersetztes Buch ,Völkerrecht und Landesrecht‘ (1899) war alsbald ein Welterfolg geworden, der Angel- und Orientierungspunkt des deutschen und ausländischen Denkens vom Wesen des Völkerrechts, zumal in seinem Verhältnis zum Landesrecht. In größter konstruktiver Schärfe und Klarheit und in gewissenhaftester Verarbeitung unendlichen positiven Stoffs wird hier der doppelte ausschließende Gegensatz zwischen Völkerrecht und Landesrecht entwickelt: im Gegenstande und in den Rechtsquellen. Vor der Helligkeit dieser Erörterungen und dieser stofflichen Nachweise schwanden endlich die Nebel verschollener Denkweisen des 16. und 17. Jahrhunderts, in deren Zwielicht das Völkerrecht noch immer als eine Art Naturrecht und zugleich als eine Art Landesrecht erschien. Das konstruktive und positive Denken der deutschen Rechtswissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat hier eine seiner größten, erfolgreichsten und unvergänglichsten Leistungen hinterlassen. Im engeren deutschen Kreise bedeutet das Buch die Befreiung zunächst des völkerrechtlichen Denkens von absterbendem Epigonentum der philosophischen und der politischen Periode der deutschen Wissenschaft. Seine eigenen geistigen Zusammenhänge werden einigermaßen bezeichnet durch die Widmung an Karl Binding. Seitdem hat sich ein tiefer Umschwung des juristischen Denkens vollzogen, lange vorbereitet und mehr unter der Oberfläche sich ankündigend, dann sich in breiter Front durchsetzend. In Triepels völkerrechtlicher Arbeit seit 1899 erscheint er als organisches Fortschreiten zur Herausstellung des geschichtlichen Charakters der konkreten Staaten- und Völkerrechtswelt, der damit geschichtlich begründeten Bindungen und der Verzerrung und Verleugnung dieses Charakters in Versailles und in der völkerrechtlichen Kampfjurisprudenz der Feindmächte. Hier erwächst aus der theoretisch grundlegenden Leistung von 1899 die sittlich-politische Leistung der Verteidigung gerechten und anständigen Völkerrechts und damit zugleich der deutschen Anliegen gegen das Versailler Diktat. Mindestens so sehr wie auf Triepels Leistung für das Völkerrecht hat die Gegenwart Anlaß, sich auf seine umfänglichere Lebensarbeit im Staatsrecht zu besinnen. Allerdings liegt diese Arbeit heute für den oberflächlichen Blick im Schatten der geschichtlichen Ereignisse. Sie hat vor allem zwei Verfassungen gegolten, die heute Vergangenheit geworden sind: der Bismarckschen und der Weimarer Reichsverfassung. Als mustergültige Bearbeitung dieses Stoffs hat sie natürlich auch heute noch unmittelbare Bedeutung. Es ist bezeichnend, daß für die meisten Fragen des Bismarckschen Reichsstaatsrechts und damit für viele staatsrechtliche Vorfragen der Gegenwart noch heute Triepels großes Werk über die Reichsaufsicht (1917) zuverlässigere, auf tiefer gehende Stoffkenntnis und stärkerer politischer Anschauung beruhende Auskunft gehen kann als Labands berühmtes System des Reichsstaatsrechts, das heute beinahe nur noch als Zeugnis wirklichkeitsfremden,

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formalistischen Denkens der Theorie jener Jahrzehnte fortlebt. Gegenüber der Weimarer Verfassung ist Triepel eine andere Aufgabe erwachsen: die des Kampfs gegen den leeren Mehrheitsformalismus ihrer liberalen Demokratie um die in ihr enthaltenen Ansätze zu sachlichem Gehalt und gegen den Formalismus und Begriffsnominalismus ihrer Auslegung für eine in deutschem Fühlen und Rechtsdenken wurzelnde, eine sachlich gerechte Ordnung ins Licht rückende wissenschaftliche Rechtsfindung. Die eigentliche Gegenwartsgeltung dieses staatsrechtlichen Lebenswerks liegt aber mehr noch als in seinen praktisch noch wichtigen Einzelheiten in seiner Bedeutung für den Gesamtgang des rechtswissenschaftlichen Denkens in Deutschland. Der geschichtliche Umbruch der Zeit ist begleitet von einem Umbruch des Denkens überhaupt und insbesondere des juristischen Denkens. In dieser Wandlung ist die Theorie des öffentlichen Rechts den übrigen juristischen Disziplinen ein bis zwei Jahrzehnte vorausgegangen. Im Verfassungsrecht sind ja die Zusammenhänge zwischen dem Recht und den geschichtlichen Mächten und den Problemen der Transzendenz, in seiner Theorie sind die Zusammenhänge mit dem allgemeinen Denken und der Philosophie deutlicher als im bürgerlichen Recht – umgekehrt fehlt es im öffentlichen Recht weithin an der Anregung, Richtigstellung und Bewährung des theoretischen Denkens, die in anderen Rechtsgebieten in der überreichen Fülle der Praxis liegt. So hat der Umbruch des Denkens, der Kampf gegen Positivismus und Formalismus im öffentlichen Recht als grundsätzliche, methodische Forderung schon früh hervorragende Vertreter gefunden, als es in den übrigen Rechtsdisziplinen davon noch still war. Die stetige Durchführung und Bewährung des neuen Denkens am positiven Stoff hat damit nicht gleichen Schritt gehalten – und doch liegt erst in dieser Durchführung und Bewährung die eigentliche Leistung, die den großen Juristen macht. Triepel hat nie vorher ein Programm aufgestellt, sondern hat im Ringen mit dem Stoff und mit seinen eigenen, etwa durch seine Beziehung zu Binding bezeichneten wissenschaftlichen Voraussetzungen schrittweise den Weg von überwiegend konstruktiver Behandlung zu einer immer stärker in Geschichte und politischer Wirklichkeit begründeten Arbeitsweise gefunden – und hat damit den einzigen zwingenden Beweis für die methodische Richtigkeit des neuen Denkens geliefert. Er hat das Neue auch grundsätzlich vertreten, besonders reizvoll und eindrücklich in der berühmten Berliner Rektoratsrede von 1926 über ,Staatsrecht und Politik‘. Aber er hat seine Lebensaufgabe nicht in der Beteiligung am Methodenstreit gesehen, sondern in strengster und gewissenhaftester Arbeit am Stoff und in dem so zu gewinnenden Höchstmaß an Einsicht in die Dinge und in das Gesetz, das in und über den Dingen ist. Diese wissenschaftliche Haltung hat seine Autorität begründet, die in den verworrenen Jahren nach Versailles und Weimar nach so vielen Seiten zum Guten gewirkt hat. Sie hielt die Fachgenossen in unruhiger Zeit in der von ihm gegründeten und anfangs geleiteten Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer zusammen

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und hat in diesem Kreise manchen bedenklichen Abweg verhindert. Sie war ein politisch-sittliches Aktivum im äußeren wie im innerpolitischen deutschen Kampf – um so eindrücklicher, je entschiedener Triepel im Gegensatz zum Versailler wie zum Weimarer System stand. In der Folge der akademischen Lebensstufen, die ihn nach Freiburger und Leipziger Studentenjahren von Leipzig über Tübingen und Kiel nach Berlin geführt haben, ist Triepel stets eine in jedem und im höchsten Sinne akademische Persönlichkeit gewesen. Daher seine größte Wirkung vom Katheder und im Kreise der Kollegen, das tiefe Vertrauen, das er überall erworben hat, seine Erfolge in der Vertretung von Universität und Wissenschaft im öffentlichen Leben. Sein akademischer Stil ist bei aller Treue zur akademischen Überlieferung in Wahrheit nur der Ausdruck höchster wissenschaftlicher Lebensleistung. Werk und Persönlichkeit, für sich und in ihrer untrennbaren Einheit, sind das Geheimnis der unübersehbar verzweigten Wirkungen, die von Heinrich Triepel ausgegangen sind. Sie sind Voraussetzung und Vorbild der Weiterarbeit auch für eine veränderte Zeit. 7. Auszüge aus Smends Promotionsgutachten (Universitätsarchiv Göttingen, Prom. 02749) vom 19. Januar 1951 für Wilhelm Hennis29 Die Dissertation Wilhelm Hennis

Die ungewöhnlich reife und gedanklich auf das sorgfältigste durchgearbeitete Dissertation ist in ihrer jetzigen Gestalt nicht in voller Muße abgeschlossen und durchgefeilt. Insofern bedarf sie noch einer ganz äußerlichen letzten Überholung. Improvisationen des Augenblicks sind, soweit ich sehe, allenfalls die zu knapp geratene letzte Seite, und der Titel, dessen zweiter Teil meines Erachtens lauten müsste: „Ein Beitrag zur neueren politikwissenschaftlichen Literaturgeschichte und Problematik“ oder besser „zur neueren Literaturgeschichte und gegenwärtigen Problematik der politischen Wissenschaft“. Die Arbeit geht von einer Voraussetzung aus, über die ich mit dem Verfasser einig bin. In der deutschen Staatstheorie und Staatsrechtslehre herrscht eine peinliche Verwirrung, darin begründet, daß nach dem Fragwürdigwerden des formalistischen Positivismus Verschiedene auf sehr verschiedenen Wegen neue Gehalte für die überkommenen vom Formalismus entleerten Begriffe suchten. Zwischen Carl Schmitt und Erich Kaufmann, H. Heller und mir (um nur methodisch Einseitige zu 29 Etwa halber Umfang des ganzen Gutachtens, beschränkt auf Smends Referat der staatsrechtswissenschaftlichen Sicht des „Richtungsstreites“, ohne die Ausführungen zu Hennis’ positiver Lösung und ohne alle Verweise auf Seitenzahlen im Typoskript. Die Dissertation wurde erst Jahrzehnte später veröffentlicht: Wilhelm Hennis, Das Problem der Souveränität. Ein Beitrag zur neueren Literaturgeschichte und gegenwärtigen Problematik der politischen Wissenschaften (1951). Mit einem Vorwort von Christian Starck, Tübingen 2003. Dazu vgl. Stephan Schlak, Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik, München 2008.

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nennen) besteht eine pluralistische Gegensätzlichkeit der Begriffe und des Denkens, die unsere Arbeit nicht zu gemeinverbindlichen Trägern einer neuen politischen Theorie und Staatsrechtslehre werden läßt. Diese Verwirrung ist nur so zu überwinden, dass einmal begriffsgeschichtlich der Weg der formalistischen Entleerung zurückgegangen wird bis an seine ersten Anfänge, um so des uns zustehenden geistigen Erbes überhaupt erst wieder ansichtig zu werden. Ein Beispiel für solche Arbeit ist die Beantwortung der an unsere im tiefsten verantwortliche Besinnung gerichteten Frage nach dem Gegenwartssinne der überkommenen Institutionen und Begriffe in unserer konkreten Zeitlage – in diesem Sinne fragt der zweite Teil. Der erste Teil zeigt die literaturgeschichtliche Fehlentwicklung im Sinne der „Einseitigkeit und Problemverengerung“ durch das Mißverständnis der Souveränität im Sinne bloßer Rechtsbegrifflichkeit, ohne festen Problembestand und zusammengehalten nur durch Polemik, stark mitbedingt durch die deutsche politische Geschichte. Diese Entleerung setzt nach Stahl ein, führt von Gerber über Laband zu Jellinek und Anschütz, unter Preisgabe wichtiger Zusammenhänge zwischen deutschem und westeuropäischem Denken und wichtiger Erkenntnisse älteren Staatsdenkens, unter Albert Haenels einsamem Widerspruch. Unter zutreffender Kritik dieser Entleerung versucht Hugo Preuss vergeblich, den Souveränitätsbegriff überhaupt als absolutistisch, obrigkeitsstaatlich, romanistisch zu eliminieren. Ähnlich Krabbe (und Duguit). Auf völlig anderer Ebene als diese sachlich, politisch argumentierenden Souveränitätsgegner liegt Kelsens rein erkenntnistheoretische Polemik, die den Souveränitätsbegriff „in einen Rest von Logik“ auflöst, unter verantwortungsloser Vernachlässigung des hier bestehenden „politischen Lebensproblems ersten Ranges“.- Überall geht das Schwinden des Souveränitätsdenkens zusammen mit dem Schwund substanzieller Staatsformen, des Sinns für politische Entscheidung, und echter Anthropologie. (Bezeichnend auch, daß der Souveränitätsbegriff im nationalsozialistischen Schrifttum seit 1935 nur noch als völkerrechtlicher Begriff vorkommt) Dem wird die Neugewinnung des Souveränitätsbegriffs in zwei Stufen gegenübergestellt: In C. Schmitts und Hermann Hellers Denken in der deutschen Gegenbewegung in der Weimarer Zeit, und in der Reaktion der Züricher Schule darauf. Zwischen C. Schmitt und H. Heller werden Licht und Schatten ungleich (ich lasse dahingestellt, ob ungerecht) verteilt. Des Verfassers Sympathie gehört aus vielen Gründen der gedanklich motivreicheren, menschlich humaneren, der konkreten Lage gegenüber verantwortungsbewußteren Hellerschen Staatslehre. Die – was die Fakten angeht, zutreffend wiedergegebene – Entwicklung der C. Schmittschen Souveränitätslehre wird nach Voraussetzungen und Konsequenzen beim Wort genommen, in gewissem Sinne ausgewalzt, so daß ihre Verkehrung des normalen Denkens ins Ausnahmedenken und die darin gefundene letzte Rechtsfremdheit, ihre Begriffsbildung, ihre Anthropologie und ihre letztlich im unguten Sinne „romantische“ Haltung in überhelles Licht rücken, damit allerdings auch ihre Be-

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gründung der Souveränität fragwürdig wird. Dagegen findet er in Hellers Souveränitätslehre, vor allem in ihrer Überwindung der Kelsen’schen Normlogik und der C. Schmitt’schen Normlosigkeit, mit Recht den „Beginn einer neuen Tradition der wissenschaftlichen Erkenntnis des Souveränitätsproblems“, bei aller wohlbegründeten Polemik gegen Hellers zu einseitige, dezisionistische, herrschaftliche, zu wenig materiale und damit material rechtfertigende Begründung der staatlichen, seine zu wenig koordinationsrechtliche Begründung der völkerrechtlichen Souveränität. Der soziologische Funktionssinn, nicht die materiale Legitimation der souveränen Staatsgewalt ist von Heller befriedigend dargetan – mit Recht erinnert der Verfasser hier an Albert Haenel. Nicht verwunderlich ist bei C. Schmitt und Heller die polemische Bindung an die Vergangenheit und damit an deren systematische Einordnung des Souveränitätsproblems. [...] In staatstheoretischer Hinsicht halte ich die Arbeitsweise des Verfassers für den Weg, auf dem allein über die babylonische Sprach- und Begriffsverwirrung im Fach hinauszukommen ist. Daß gerade ein Gegenstand wie dieser, von so geringer inhaltlicher Konstanz, von jedem Bearbeiter anders angefasst wird, ist unvermeidlich. Über den methodisch richtigen Weg kann aber m. E. kein Zweifel sein, auch nicht über seine Zielsetzung. Hinter der bescheidenen Selbstverständlichkeit, mit der hier die Ergebnisse jahrelanger vielseitiger literarischer Studien und jahrelangen Nachdenkens vorgelegt werden, verbirgt sich eine bei einem Doktoranden seltene wissenschaftliche, menschliche, ich meine auch sagen zu sollen politische Reife. Und sachlich scheint mir die Arbeit ein Musterbeispiel fruchtbarer Leistung auf staatstheoretischem Gebiet. [...] Smend 19. 1. 51

8. Erwin Jacobi 70 Jahre alt, in: ZevKR 3 (1954), S. 177 Erwin Jacobi 70 Jahre alt

Am 15. Januar 1954 haben weite Kreise der Öffentlichkeit, der Wissenschaft, der Kirche den 70. Geburtstag Erwin Jacobis gefeiert und geehrt, die Leipziger Theologische Fakultät durch Verleihung der theologischen Ehrendoktorwürde. Mit schmerzlicher Verspätung schließt sich die Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht ihnen an. Dem stolzen Kreise der Leipziger Vertreter des Kirchenrechts, der Friedberg, Sohm und Wach, Otto Mayer und Alfred Schultze, hat E. Jacobi als Schüler, Mitarbeiter und Kollege angehört. Er selbst ist ganz vom Kirchenrecht ausgegangen. Kirchenrechtliche Fragen sind die Gegenstände seiner Promotions- und Habilita-

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tionsschrift. Nach guter alter Art hat er sich in seinen Arbeiten zum Patronatsrecht und zum gratianischen Prozeß rechtsgeschichtlich und auch im eigentlichen Sinne kanonistisch ausgewiesen. In der Bemühung um Sohms wissenschaftlichen Nachlaß hat er mit den Grundfragen heutiger evangelischer Kirchenrechtswissenschaft gerungen und sich im stillen um Sohms Erbe verdient gemacht, wie sonst, auch diesem Meister gegenüber, in voller wissenschaftlicher Selbständigkeit. Dann vom Staats- und Verwaltungsrecht und vor allem von den grundsätzlich neu zu bewältigenden Problemen des Arbeitsrechts allzu sehr beansprucht, hat er mit dem Kirchenrecht im ganzen nur mehr stille Fühlung gehalten. Aber er ist seinen wissenschaftlichen Anfängen nie untreu geworden. So ist es nur ein Wiederhervortreten dieser Treue nach außen, wenn er seit 1945 im synodalen Leben seiner Heimatkirche wie im Kreise der Mitarbeiter der Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht in führender Mitarbeit steht, von der Wissenschaft und Kirche noch viel zu erwarten haben. In solcher Hoffnung begrüßen wir die neue Stufe seiner Lebensarbeit dankbar und glückwünschend.

9. Nachruf auf Carl Bilfinger, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 20 (1959 / 60), S. 1 – 4 Carl Bilfinger †

Mit Carl Bilfinger (21. Januar 1879 – 2. Dezember 1958) ist eine eigenartige und in ihrer Weise einzigartige Persönlichkeit aus dem Kreise der Wissenschaft des öffentlichen, insbesondere des Staats- und Völkerrechts dahingegangen. Erst als reifer Mann und mit reifer Leistung trat er 1923 in diesen Kreis ein. Nach Justiz- und diplomatischer Praxis als beinahe Vierzigjähriger promoviert, als Dreiundvierzigjähriger habilitiert, wies er sich mit der Schrift über den ,Einfluß der Einzelstaaten auf die Bildung des Reichswillens‘ als überlegener Kenner bundesstaatlicher Politik, aber zugleich als hervorragender Vertreter des neuen Denkens im Fach aus. Das Buch bezeichnete sich im Untertitel als ,eine staatsrechtliche und politische Studie‘. Der Positivismus und Formalismus der bis dahin herrschenden wissenschaftlichen Generation lag hier schon weit zurück. Zeitlebens war es das Besondere an ihm, daß er zu dieser wissenschaftlichen Haltung auf ganz anderen Wegen gekommen war, als wir Anderen alle. Uns Anderen zerbrach die überkommene Methode in der eigenen wissenschaftlichen Arbeit. Bilfinger brachte die neue Haltung als Selbstverständlichkeit aus seiner politischen Lehrzeit mit. Politische Schulung und politischer Sinn waren ihm freilich nicht nur erworbener Bildungsschatz, sondern auch Erbgut. War sein Oheim, der Ministerpräsident v. Weizsäcker, sein politischer Lehrer, so brachte er zugleich bewußt das ganze politische Erbe der bürgerlichen Aristokratie mit, die so lange der politische Ge-

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genspieler der Dynastie in Württemberg gewesen war und in der seine Familie eine hervorragende Rolle gespielt hatte – am bedeutendsten sein Vorfahr Georg Bernhard Bilfinger, der als führendes Mitglied der vormundschaftlichen Regierung von 1737 – 1750 mit umfassender Weltkenntnis und großer Weisheit die Staats- und Kirchenpolitik des Landes geleitet hatte. Dem Oheim, der im eigenen demokratischen Lande ein überlegener und erfolgreicher konservativer Politiker, dem Unheil des Wilhelminismus im Reich bis zur Verzweiflung ohnmächtig hatte zuschauen müssen, verdankte er mit der politischen Schulung zugleich den Einschlag skeptischer Resignation, dem Vater, dem Prälaten und Hofprediger Adolf Bilfinger, und dem Großvater, dem Kirchenhistoriker und Kanzler Carl v. Weizsäcker, den Anteil an der Fülle des schwäbischen Geisteserbes. Er konnte es gelegentlich als sein Ideal bezeichnen, zugleich Theoretiker, Empiriker und Realpolitiker zu sein. Empiriker nicht zuletzt in dem Sinne, daß er sich die Fragen von der Praxis stellen ließ, daß auch seine Arbeiten stets von konkreten Lagen ausgehen, und daß alle seine Argumente stets wirklichkeitsnah bleiben. Theoretiker in dem Sinne, daß ein sehr durchgebildetes, grundsätzliches Denken von Recht, Staat und Politik seine Arbeit trägt – mochte er auch das System dem positiv Gegebenen entnehmen, insbesondere darauf dringen, die Verfassung als einheitlich gedachtes Ordnungssystem zu verstehen, so war er doch zugleich um überhöhende Fragestellungen für Völker-, Staats- und Verwaltungsleben bemüht. Er war Rechtspolitiker in dem Sinne, die Macht des Rechts sinnvoll einzusetzen, im völkerrechtlichen Ringen der deutschen Juristen in den zwanziger Jahren, aber zunächst schon in der höchst fruchtbaren neuen Sicht des deutschen Bundesstaatsrechts, wie die Schrift von 1923 und sein Bericht in der Staatsrechtslehrertagung von 1924 sie entwickelte. Eine umfassende systematische Leistung hat er sich wohl nie als Aufgabe gestellt, sie hätte auch seinem Wesen nicht entsprochen. Um so mehr hat ihn von Anfang an bis zu seinem Tode das grundsätzliche Problem Recht und Politik beschäftigt, bezeichnenderweise nur bis zum zweiten Weltkriege als Gegenwarts-, später wesentlich als geschichtliche, an der Geschichte der Bismarck’schen Politik verfolgte Frage. Seine größeren Arbeiten zum Staatsrecht, über den Sparkommissar, den Reichsrat, die Rede zum Verfassungstage 1929, liegen wesentlich in der Problemschicht der ersten Arbeiten, ebenso die große Abhandlung von 1934 über das Reichsstatthaltergesetz, nach der er bezeichnenderweise zum Staatsrecht endgültig geschwiegen, vom Dritten Reich nur noch unter völkerrechtlichem Gesichtspunkt gehandelt hat. Gegen 1930 setzen die völkerrechtlichen Arbeiten ein. Die methodische Linie liegt nicht so offen zutage wie beim Staatsrecht, zumal ein Teil seiner Schriften bis in den zweiten Weltkrieg hinein unter dem Gesichtspunkt völkerrechtlicher Polemik stand. Das Spannungsverhältnis zwischen dem politischen Gestaltungswillen der Staaten und dem Völkerrecht als normativem Ordnungssystem kristallisierte sich mehr und mehr als das beherrschende Thema heraus; es stand vor allem im letzten Lebensjahrzehnt fast ausschließlich im Mittelpunkt seines Interesses. Eine Anzahl von Abhandlungen in dieser Zeitschrift legen dafür

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Zeugnis ab. Auch die Vorlesungen über die Grundlagen der Staatengemeinschaft, die er im Jahre 1938 in der Haager Völkerrechtsakademie hielt, sollen nicht unerwähnt bleiben. Sein nach Umfang und Vielseitigkeit der Gegenstände reiches schriftstellerisches Werk knüpft meist an konkrete und jeweils aktuelle Fragen an. Diese größeren und kleineren Abhandlungen sind oft kleine Kunstwerke in ihrer Art: in der Klarheit des Aufbaus, der Schönheit der Sprache, der vollendeten Elastizität des Gedankens und des Worts. Er war kein Redner, aber ein Schriftsteller. Besonders reizvoll ist etwa der Vergleich einer von ihm kritisierten Entscheidung einer völkerrechtlichen oder staatsrechtlichen Instanz mit Bilfingers eigener Stellungnahme: die vollendete Klarheit, mit der er den Tatbestand, die kritisierte Begründung und dagegen die eigentliche immanente Logik des Falls entwickelt, überzeugt sachlich und ist eine ästhetische Freude. Mit schlechtem Deutsch hätte er sein Bildungserbe verleugnet, mit fachlichem Kauderwelsch die gute Erziehung des Diplomaten. Gleichzeitig mit seiner wissenschaftlichen erlebte er auch seine entscheidende politische Ausrichtung. Seit 1918 war die Gegenwehr gegen das Unrecht von Versailles und die Wiederherstellung des nationalen Staats sein beherrschendes sachliches Anliegen. Nur von hier aus ist es zu erklären, daß er, wie viele andere seiner Generation, das Dritte Reich wenigstens zeitweilig als restaurative und defensive Fortsetzung des Bismarck’schen Werks mißverstand. Wenn schon seine staatsrechtlichen Arbeiten sich verhältnismäßig wenig mit den liberalen und demokratischen Elementen der Weimarer Verfassung beschäftigten – dieser geistige Aristokrat war auch politisch kein Demokrat –, so hatte ihn die konstitutionelle Entwicklung der Weimarer Republik tief enttäuscht; nur deshalb konnte er sich mit dem autoritären Staat abfinden. Aber dieser Irrweg begründet nur einen Teil der Tragik dieses Lebensabschnitts: die tiefere Entsittlichung der Politik des Dritten Reichs entzog Bilfingers politischer und juristischer Arbeit, die ihren Sinn von 1918 her gewonnen hatte, ihre eigentliche Rechtfertigung. Seine politische und wissenschaftliche Stärke lag darin, daß er eine bestimmte Lage in ihrer ganzen Konkretheit ergriffen hatte, das, was er als das gute deutsche Recht gegenüber 1918 empfand, – seine Schwäche vielleicht vor allem darin, daß er demgegenüber von den ungeheuren sozialen und internationalen Umwälzungen der Zeit nicht genug Kenntnis nahm. Dem nationalstaatlichen Denken jedenfalls hat er in enttäuschter Einsicht abgesagt. Es war für ihn im Alter nur noch das Kennzeichen einer vergangenen Epoche der deutschen Geschichte. Dieser inneren Lebenskurve entsprach die äußere. 1922 Privatdozent in Tübingen, 1924 ordentlicher Professor in Halle, 1935 in Heidelberg, 1944 in Berlin als Nachfolger seines Vetters Viktor Bruns, übernahm er dort auch dessen Gründung, das Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Das Institut und seine völkerrechtliche Bibliothek gingen im Bombenkrieg unter, Bilfinger kehrte als Flüchtling nach Heidelberg zurück, richtete dort das Institut

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von 1949 bis 1954 als Max-Planck-Institut wieder auf und brachte es mit ungebrochener Energie und großem Geschick nach Überwindung vieler Schwierigkeiten zu neuer Blüte. 1952 trat er auch als Honorarprofessor wieder in den Heidelberger Lehrkörper ein. Die Institutsarbeit war nun der Hauptinhalt seiner Tätigkeit und seine abschließende Leistung. In ihr bewährte sich der aristokratische Reichtum seines Wesens: neben dem Gelehrten von ungewöhnlicher Leistung ein Mann ungewöhnlicher menschlicher Eigenschaften zu sein. Dieser Reichtum seines Wesens war sein eigentümlicher Vorzug, vielleicht nicht überall seine Stärke. Der Sammler und sublime Kenner, der er nicht nur in Kunstdingen war, mochte dem tätigen Gestalter und ausgreifenden Politiker wohl auch im Wege sein. Aber sein bleibender Rang auch in der Gelehrtengeschichte beruht doch auf diesem Reichtum, darauf, daß er nicht nur ein bedeutender und produktiver Gelehrter war, sondern auch in seiner beruflichen Arbeit und Leistung ein weiser und vornehmer Mann, gütig und von höchstem persönlichen Reiz.

10. Johannes Heckel 70 Jahre alt, in: ZevKR 7 (1959 / 60), S. 187 Johannes Heckel 70 Jahre alt

[...] Johannes Heckel hat ein ungewöhnlich reiches Erbe angetreten. Im väterlichen Pfarrhause aufgewachsen unter dem Eindruck einer auch in die Gesamtkirche stark einwirkenden kirchlichen Arbeit, von tiefgewurzelter humanistischer Schul- und wissenschaftlicher Universitätsbildung, lernte er nach stark bestimmenden Kriegserlebnissen die zentrale Leitung und Verwaltung der damals größten evangelischen Kirche der Welt im Berliner Evangelischen Oberkirchenrat und dann den staatlichen Gegenspieler in der Geistlichen Abteilung des Preußischen Kultusministeriums kennen, in der Beteiligung auch an Konkordats- und Kirchenvertragsschluß jener Zeit. Wissenschaftlich ausgehend von der kirchenrechtsgeschichtlichen Arbeit der Stutzschen Schule, führte er diese über ihre vorwiegend dem Mittelalter zugewandte Arbeitsrichtung hinaus auch dem evangelischen Kirchenrecht zu, ausgerüstet mit einzigartiger Anschauung des kirchlichen Rechtslebens von innen und von außen her und mit der Kraft eines in großen Leistungen auf dem Gebiete des weltlichen öffentlichen Rechts bewährten Rechtsdenkens. So war er wie kein anderer zu der Feststellung berufen, wo es in evangelischer Kirchenrechtswissenschaft fehle: zuvörderst in der Grundlegung und in den geschichtlichen Zusammenhängen hin zur Gegenwart. Die neue Grundlegung hat er unternommen in den großen Untersuchungen zur Rechtslehre der Reformation, insbesondere Luthers. Den weiteren Zusammenhängen gilt seine angekündigte Geschichte des deutschen evangelischen Kirchenrechts. Zum geltenden Kirchenrecht sind seine Abhandlungen und vor allem seine zahlreichen Rezensionen eine Fundgrube, auf die nicht genug hingewiesen werden kann.

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In tiefer Dankbarkeit wünschen wir ihm viele fernere glückliche Jahre zur Fortsetzung und Vollendung eines so einzigartigen Lebenswerks. Rudolf Smend

Archive Universitätsarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin Archiv der Juristischen Fakultät der Universität Bonn Universitätsarchiv Bonn Verlagsarchiv Duncker & Humblot Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Universitätsarchiv Göttingen Universitätsarchiv Köln Landesarchiv Nordrhein-Westfalen. Abteilung Rheinland. Standort Düsseldorf

Siglenverzeichnis AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ASwSp

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik

DJZ

Deutsche Juristen-Zeitung

HZ

Historische Zeitschrift

JZ

Juristenzeitung

ZAkDR

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht

ZevKR

Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht

ZgStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

Bildnachweise Abb. 1. Gruppenfoto Staatsrechtslehrervereinigung Münster 1926 (Privatbesitz Smend) Abb. 2. Gruppenfoto Ordinarienfolge Tübinger Staatsrechtslehrer (20er Jahre) (Privatbesitz Smend) Abb. 3. Rudolf Smend (Portraitsammlung der Universitätsbibliothek HU Berlin) Abb. 4. Heinrich Triepel (Portraitsammlung der Universitätsbibliothek HU Berlin) Abb. 5. Günther Holstein, in: Günther Holstein 22. Mai 1892 – 11. Januar 1931, hrsg. Heinrich Rendtorff, Gerhard Kittel, Walther Schönfeld, Stuttgart 1933 Abb. 6. Carl Bilfinger, Fotoarchiv Universität Halle (UAH Rep. 40 B I Nr. 14) Abb. 7. Erich Kaufmann (Portraitsammlung der Universitätsbibliothek HU Berlin) Abb. 8. Heinrich Göppert (Universitätsarchiv Bonn) Abb. 9. Rektor Fritz Stier-Somlo (Universitätsarchiv Köln, Zugang 20 / 48) Abb. 10. Carl Schmitt am Katheder, Bonner Zeit (Universitätsarchiv Bonn) Abb. 11. Postkarte Schmitt: Escorial (Privatbesitz Smend) (zu Brief Nr. 53) Abb. 12. Handschriftenprobe Carl Schmitt (Privatbesitz Smend) (zu Brief Nr. 53) Abb. 13. Albert Hensel (aus: Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, hrsg. Helmut Heinrichs u. a., München 1993) Abb. 14. Ulrich Scheuner (Portraitsammlung der Universitätsbibliothek HU-Berlin) Abb. 15. Carl Schmitt (Privatbesitz Ernst Hüsmert) Abb. 16. Duschka Schmitt mit Tochter Anima (Universitätsbibliothek Göttingen, Nachlass Rudolf Smend) Abb. 17. Handschriftenprobe Smend, Brief vom 15. 7. 1933 (Nachlass Carl Schmitt, Düsseldorf) (zu Brief Nr. 62) Abb. 18. Widmungsexemplar von Smends Hauptwerk an Carl Schmitt mit Schmitts Notizen (Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland – RW 0265 Nr. 27587) Abb. 19. Johannes Heckel, im Alter von ca. 60 Jahren (Privatbesitz Martin Heckel) Abb. 20. Rudolf Smend in den 50er Jahren (Privatbesitz Smend)

Literaturverzeichnis Bott, Marie-Luise, Die Haltung der Berliner Universität im Nationalsozialismus. Max Vasmers Rückschau 1948, Berlin 2009 Friedrich, Manfred, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997 Grothe, Ewald, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900 – 1970, München 2005 Günther, Frieder, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 – 1970, München 2004 Hennis, Wilhelm, Integration durch Verfassung? Rudolf Smend und die Zugänge zum Verfassungsproblem nach 50 Jahren unter dem Grundgesetz, in: Juristenzeitung 54 (1999), S. 485 – 495 Huber, Ernst Rudolf, Rudolf Smend 15. Januar 1882- 5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 1976, Göttingen 1977, S. 105 – 121 Huber, Ernst Rudolf, Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Republik, in: Arbeiten zur Rechtsgeschichte. FS Gustav Klemens Schmelzeisen, Stuttgart 1980, S. 126 – 141 Korioth, Stefan, Integration und Bundesstaat. Ein Beitrag zur Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990 Lhotta, Roland (Hrsg.), Die Integration des modernen Staates. Zur Aktualität der Integrationslehre von Rudolf Smend, Baden-Baden 2005 Lösch, Anna-Maria von, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999 Mayer, Hans, Die Krisis der deutschen Staatslehre und die Staatsauffassung Rudolf Smends, Köln 1931 Mehring, Reinhard, Integration und Verfassung. Zum politischen Verfassungssinn Rudolf Smends, in: Politisches Denken. Jahrbuch 4 (1994), S. 19 – 35 Mehring, Reinhard, Carl Schmitt. Aufstieg und Fall. Eine Biographie, München 2009 Möllers, Christoph, Der Methodenstreit als politischer Generationenkonflikt. Ein Angebot zur deutschen Staatsrechtslehre, in: Der Staat 43 (2004), S. 399 – 423 Möllers, Christoph, Der vermisste Leviathan. Staatstheorie in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 2008 Mols, Manfred Heinrich, Allgemeine Staatslehre oder politische Theorie? Interpretationen zu ihrem Verhältnis am Beispiel der Integrationslehre Rudolf Smends, Berlin 1969 Notthoff, Thomas, Der Staat als ,geistige Wirklichkeit‘. Der philosophisch-anthropologische Aspekt des Verfassungsdenkens Rudolf Smends, Berlin 2008

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Literaturverzeichnis

Obermeyer, Sandra, Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungsnormativität. Die Verfassungstheorie Rudolf Smends im Lichte einer transdisziplinären Rechtstheorie, Berlin 2008 Otto, Martin, Von der Eigenkirche zum Volkseigenen Betrieb: Erwin Jacobi (1884 – 1965), Tübingen 2008 Rechtsprobleme in Staat und Kirche. Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburtstag 15. Januar 1952, Göttingen 1952 Rennert, Klaus, Die ,geisteswissenschaftliche Richtung‘ in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Untersuchungen zu Erich Kaufmann, Günther Holstein und Rudolf Smend, Berlin 1987 Scheuner, Ulrich, Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in der Zeit der Weimarer Republik, in: AöR 97 (1972), S. 349 – 374 Schmitt, Carl, Verfassungslehre, München und Leipzig 1928 Schmitt, Carl, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924 – 1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1958 Schmitt, Carl, Glossarium. Aufzeichnungen der Jahre 1947 – 1951, hrsg. Eberhard von Medem, Berlin 1991 Schmitt, Carl, Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916 – 1969, hrsg. Günter Maschke, Berlin 1995 Schmitt, Carl, Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924 – 1978, hrsg. Günter Maschke, Berlin 2005 Schmitt, Carl / Feuchtwanger, Ludwig. Briefwechsel 1918 – 1935, hrsg. Rolf Riess, Berlin 2007 Schmoeckel, Mathias (Hg.), Die Juristen der Universität Bonn im ,Dritten Reich‘, Köln 2004 Schönberger, Christoph, Das Parlament im Anstaltsstaat, Frankfurt 1997 Smend, Rudolf, Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 1955, Berlin 3. erw. Aufl. 1994 Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Dritter Band: Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, München 1999

Personenverzeichnis1 Adam, Karl 47 Adams, Paul 83 Andres, Friedrich 47 Anschütz, Gerhard 53, 58, 84 f. Bakunin, Michail 49 Ball, Hugo 28 Beckerath, Erwin von 88 Berendt, Hans 30 Berg, Friedrich von 51 Bilfinger, Carl 26, 28 – 33, 41, 53, 104 Bilic´, Magre 51 Binding, Karl 105 f. Binding, Rudolf G. 70 Blei, Franz 37 Bloy, Léon 117 Bodin, Jean 104 Bogisic´, Valthasar 48 f. Bornhak, Conrad 51 f. Brockdorff, Kay von 96 Bruns, Viktor 103 Calvin, Johannes 108 f. Carossa, Hans 135 Cramer, Paula 81 Curtius, Ernst Robert 109 Dahlmann, Friedrich 24, 95, 102 Dalloz 109 Dickel, Karl 48 Dickens, Charles 110 Diokletian 50 f. Dölle, Hans 36 Dungern, Otto von 104 Ehrhard, Albert 47 Einstein, Albert 57

Ellis, Manfred H. 37 Eschweiler, Karl 47 Freyer, Hans 84, 103 Friedrich II. 27, 37 Gehlen, Arnold 96 Goethe, Johann W. von 148 Göppert, Heinrich 30, 54, 60, 62 Grau, Richard 35 Guardini, Romano 27 Haecker, Theodor 36 Hauriou, Maurice 22 f. Heckel, Johannes 38, 65, 80, 91 Hefele, Hermann 71 Hegel, Georg W. F. 117 Hegemann, Werner 37 Hegner, Jacob 26 Heller, Hermann 124 Hensel, Albert 23, 26 f., 30, 33, 36 – 40 Heusler, Andreas 106 Hinneberg, Paul 29, 31, 34 f., 50 Hirsch, Emanuel 127 Hobbes, Thomas 96, 99 f., 118 Hobhouse, Leonard 28, 31 ff., 38 Höhn, Reinhard 101 Hölderlin, Friedrich 104 Hofmannsthal, Hugo von 135 Holstein, Günther 19, 21, 30, 53, 55, 60 – 66 Huber, Eugen 49 Hünermann, Friedrich 47 Hugo, Victor 83 Huß, Johannes 78

1 Das Register berücksichtigt nur die Briefe (ohne Materialien und Fußnoten) und nicht die Familien Schmitt und Smend.

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Personenverzeichnis

Isay, Ernst 27, 33 Jeanne d’Arc 78 Jèze, Gaston 73 Jünger, Ernst 139 Jünger, Gretha 139 Kahl, Wilhelm 22 Kaufmann, Erich 20, 30, 33, 37, 38, 39, 53, 60 ff., 64, 66, 77 Kelsen, Hans 49, 53, 73, 75, 84 Keyserling, Hermann 57 Kierkegaard, Sören 26 Kleist, Heinrich von 106, 111 Kloeppel, Paul 76 Koellreutter, Otto 53, 96 Kraus, Herbert 118 Kreuz, Lothar 115 Laband, Paul 91 Lamanski, Vladimir 49 Laski, Harold 49 Lassar, Gerhard 33 Leibholz, Gerhard 119 Lorrain, Claude 57 Ludendorff, Erich 77 Luther, Martin 78, 108 Machiavelli, Niccolo 62, 118 Maritain, Jacques 66 f. Marlowe, Christopher 94 Marr, Heinz 50 Meinecke, Friedrich 58 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht 37, 44 Merkl, Adolf 53 Morus, Thomas 104 Müller 34 Muschard, Paul 29, 31 Nawiasky, Hans 44 Neuss, Wilhelm 30, 47 Nostiz, Alfred von 56 Pascal, Blaise 104 Peterson, Erik 39, 47 Philipp II. 83 Plessner, Helmuth 26

Ranke, Leopold von 100 Richter, Werner 39 Rick, Karl 35 f. Rivarol, Antoine de 111 Robson, Charles 72 Rohan, Karl Anton 55 ff. Romier, Lucien 45, 47 Scheuner, Ulrich 102 Schinkel, Karl Friedrich 42, 44 f. Schleiermacher, Friedrich 61, 63 Schmittmann, Benedikt 41 Schreuer, Hans 54 Schulz, Fritz 60 Seeberg, Erich 63 Seneca 104 Shakespeare, William 78 f. Sirey 22, 109 Spinoza, Baruch 99 Stein, Lorenz von 104 Steinrück, Albert 79 Stier-Somlo, Fritz 32, 34, 38, 44 Stratmann, Franziskus 77 Thoma, Richard 58, 104 Thomas von Aquin 64 Thompson, Francis 35 f. Triepel, Heinrich 22 f., 35, 52 f., 95, 101, 126 Troeltsch, Ernst 24, 63 Valéry, Paul 56 Valli, Luigi 56 Veltmann, Hermann 21 Vergil 83 f. Voßler, Karl 109 Wasse, Günther 119 ff. Weber, Marianne 144 f. Weber, Max 144 f. Wilhelm (Kronprinz) 52 Wilhelm II. 52 Wittmayer, Leo 27, 44 am Zehnhoff, Hugo 33 Zitelmann, Ernst 24, 30

Abb. 1: Gruppenfoto Staatsrechtslehrervereinigung Münster 1926 Untere Reihe von links: 3. von links mit Brille: Albert Hensel, daneben mit spitzem Bart: Alexander Graf zu Dohna, daneben: Fritz Stier-Somlo, daneben Mitte rechts mit gekreuten Beinen: Heinrich Triepel, daneben Gerhard Anschütz, dann: Hans Kelsen (mit verschränkten Armen), Richard Thoma (seitlich blickend), ganz rechts unten: Hans Nawiasky; mittlere Reihe (direkt hinter Triepel, seitlich blickend): Erwin Jacobi, dritter von rechts wahrscheinlich Hermann Heller; links neben Jacobi ganz in der Mitte: Friedrich Giese, zweiter daneben mit Fliege und lichtem Haar: Erich Kaufmann (hinter Dohna); hintere Reihe seitlich stehend rechts hinter Jacobi: Rudolf Smend

Abb. 2: Gruppenfoto Ordinarienfolge Tübinger Staatsrechtslehrer (20er Jahre) Von links unten: 1) Gerhard Anschütz (1899 / 1900 in Tübingen), 2) Heinrich Triepel (1900 / 1909), 3) Richard Thoma (1909 / 1911); oben: 4) Rudolf Smend (1911 / 1915 in Tübingen), 5) Fritz Freiherr Marschall von Bieberstein (1915 / 1920), 6) Heinrich Pohl (1920 / 1928)

Abb. 3: Rudolf Smend (1882 – 1975)

Abb. 4: Heinrich Triepel (1868 – 1948)

Abb. 5: Günther Holstein (1892 – 1931)

Abb. 6: Carl Bilfinger (1879–1958)

Abb. 7: Erich Kaufmann vor 1918 (1880 – 1972)

Abb. 8: Heinrich Göppert (1867 – 1937)

Abb. 9: Fritz Stier-Somlo (1873 – 1932) mit Kölner Rektorenkette

Abb. 10: Carl Schmitt am Katheder

Abb. 11: Postkarte Escorial

Abb. 12: Handschriftenprobe: Carl Schmitt an Rudolf Smend (Brief Nr. 53)

Abb. 13: Albert Hensel (1895 – 1933)

Abb. 14: Ulrich Scheuner (1903 – 1981)

Abb. 15: Carl Schmitt

Abb. 16: Duschka Schmitt mit Tochter Anima (Dezember 1931)

Abb. 17: Handschriftenprobe: Rudolf Smend an Carl Schmitt

Abb. 18: Widmungsexemplar von Smends Hauptwerk an Carl Schmitt mit Schmitts Notizen

Abb. 19: Johannes Heckel, im Alter von ca. 60 Jahren

Abb. 20: Rudolf Smend in den 50er Jahren