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German Pages 82 Year 1866
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Auf den
böhmischen Schlachtfeldern.
Erlebnisse eines preußischen Trompeters .
aaa 22 ( Die Leichenplünderer.) Der Trompeter, feiner eigenen Lodesgefahr vergeffend , sprang bei diefer afifchen Scene emper, that einen grellen Stoß in seine Trompete und schrie Die Hölle über euch versluchten Räuber und Mörder 1"
Preis 5 Sgr.
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Bohemian Valle Fieltr
Auf den
böhmischen Schlachtfeldern.
Erlebnisse
eines
preußischen Trompeters.
Mülheim a. d . Ruhr. Verlag von Jul. Bagel.
I.
Böhmen! Destreich! Mit klingendem Spiel über die Grenze. Das erste Bivouaf. Hurrah. w Durch Korn und Flachs. Der BürgerDie vier Freunde. - Durch den Gebirgspaß. Sturm auf die Häuser . meister pon Truutenau . —— Hinterhalt. - Kampf auf dem Kapellenberge. Verwundete. Rückzug. Trautenau zum zweitenmal genommen. Das Zündnadelgewehr . Kampf im Walde. Der Trompeter getroffen. Um 26. Juni des denkwürdigen Jahres 1866 zog ein Theil der preußischen Armee über die böhmische Grenze. Es geschah mit klingendem Spiel und es hatte fast den Anschein , als ob diese kräftigen Gestalten nicht zum blutigen Würfelspiele des Krieges, sondern zu einer friedlichen Parade auszögen. Vereinzelte, furchtsame Gestalten, welche, von Besorgniß getrieben, sich nach der Richtung des Marsches umsehen wollten , lagen hinter Zäunen und Hecken im Versteck und wunderten sich , daß die gefürchteten Preußen, welche herankamen, um Destreich zu zerschmettern, das Kriegswerk mit Musik begannen. Sie warfen einen schnellen Blick auf die flatternden Fähnlein, auf die brau= nen Gesichter und schmucken Gestalten und eilten davon mit gefrümmtem Rücken aus dem Bereiche der Gewehrläufe , die sicher schon mit tootbringenden Kugeln geladen maren. Böhmen ! Oestreich! Hurrah ! erscholl es aus den Kehlen vieler Krieger , als sie die Grenze überschritten , und dieser Ruf erneuerte sich, so oft eine neue Abtheilung den Unter den Spielleuten beFuß über die Grenze sezte. fand sich auch ein junger Trompeter vom Rheine, der troz 1*
4 seiner Jugend von der Begierde brannte , sich mit dem Feinde zu messen. Sein glühender Patriotismus überwog alle andern Gefühle seines Herzens , und diese lodernde Gluth verdankte er seinem Lehrer, der ihm die Vaterlandsliebe eingeimpft und zum besten Theile seines Selbst ge= macht hatte. Als er noch auf der Schulbank saß, lauschte er mit feuchtenden Augen seinem Vortrage, und wenn der Lehrer mit begeisternden Worten die Thaten der deutschen. Kaiser schilderte und mit überzeugender Beredsamkeit die Hoffnung aussprach , daß eine Zeit im Anzuge sei , wo Deutschland wieder mächtig im Rathe der Völker sein würde, dann jauchzte seine Seele auf in Entzücken und er bat den Himmel, daß er dann auch dabei sein möge. Ja. Damals hatte der junge Trompeter oft in seligem Rausche die Stunde herbei gewünscht , in welcher Barbaroffa im Kyffhäuser aufwachen, wo die Schwerter sich krenzen und die Kugeln von hüben und drüben pfeifen würden. Heute war er wirklich dabei , die Stunde des Kampfes war wie ein Gewitter aus unumwölktem Himmel hereingebrochen , eher als er und Andere geglaubt hatten . Jezt gedachte er jener Zeit, wo er geträumt, was nun in Wirklichkeit übergegangen war , und stärker blies er in seine Trompete , als ob er die Wände des gleißenden Metalls mit seinem Odem hätte sprengen wollen. Die Musik verstummte, auch Alfred sezte die Trompete vom Munde ; es war genug, man hatte dem Doppeladler angezeigt, daß man gekommen sei, mit ihm auf Leben und Tod zu ringen. Rings umher schaukelten sich die üppigen Aehren im Winde, die Halme schlugen grüne Wellen, wie die leichten Wogen eines friedlichen Sees. Noch war kein Feind zu sehen ; wie todt und ausge= storben lag die Ebene vor den Kriegern, nur der Widerhall der Hufe und der schreitenden Füße, das Knarren der Munitions- und Bagage-Wagen, der Gesang und das Lachen der Krieger verlieh ihr Leben. Ueber grüne Flachsfelder, durch hochgeschossenen Roggen gingen und ritten die Tausende, und wohin die Füße von Menschen und Thieren traten, da grünte kein Halm mehr.
5 Es war die erste feindliche Handlung , denn bisher war die Saat immer sorgfältig geschont worden. Alfred zey seine Brauen mißvergnügt zusammen, als er die breite Seine Mutter Straße durch das schöne Fruchtfeld sah. hatte ihm einmal eine Strafpredigt gehalten, als er beim Blumenpflücken einen einzigen Halm niedertrat, und ihm vorgerechnet , welch einen unermeßlichen Schaden er angerichtet habe , da jedes Körnlein bei fortgesetzter Aussaat eine Schiffsladung voll Roggen hervorbringen könne. Und hier waren der Halme so viele Millionen zerstampft wor= den. Selbst das Stroh war in Staub und Fasern zerrieben. Aber er drückte den aufsteigenden Mißmuth bald nieder, denn das sah er trotz seiner Jugend doch ein, daß dieses nur der schwache Anfang des Krieges sei. Der Marsch dauerte lange, und da die Musik nur von Zeit zu Zeit zur Ermunterung der Soldaten und Pferde ein Stücklein zu spielen hatte, so blieb unſerm jungen Trompeter Zeit genug , an die verlassenen Lieben in der rheinischen Heimath zu denken . Der blutjunge Mensch war freiwillig unter die Trompeter gegangen, und eigentlich nur aus dem vielleicht nicht allzu lobenswerthen Grunde, mit leichterem Dienste davon zu kommen , als die übrigen Soldaten. Sein Vater hatte es so eingefädelt, denn er war ein alter Prafticus in solchen Dingen , der jeder Sache die lachendste Seite abzugewinnen wußte. Diesmal hatte er sich aber doch gründlich verrechnet und Wer konnte sein Söhnlein recht in die Dinie geritten. aber auch zwischen Preußen und Oestreich einen Krieg vermuthen ? Was unsern Alfred anging, so war ihm das Soldatsein durchaus nicht zuwider, nur bedauerte er , daß er zwar den Sturm anblasen , aber nicht mit schlagen helfen follte. Es wäre ihm lieber gewesen, die Hand an den Degen als an die Trompete zu legen. Die Soldaten waren wacker darauf los marschirt und geritten, muntere Lieder wechselten mit schallendem Hurrahgeschrei ab; aber allmälig kam doch eine gewiſſe Schlaffheit in die Reihen ; Mensch und Thier fühlten die Unstrengung des weiten Marsches über weglose Felder;
6 der aufwirbelnde Staub hatte die Uniformen und die Gesichter fast unkenntlich gemacht. Weißgrau, wie die Karavane der Wüste, die dem gisthauchenden Sirocco ent= ronnen ist, zog sich die lange Heeresschlange dahin , aber, wie gesagt , auf allen Punkten war Ermattung sichtbar, die Fröhlichkeit schwand aus den Gesichtern , die Augen schauten auf den Boden, die Elastizität den Ganges fehlte, und selbst die Gleichmäßigkeit des Schrittes . begann zu mangeln. Die Musil konnte den Soldaten wohl auf einen Augenblick beleben, aber nicht auf die Dauer frisch erhalten. Da wurde Halt commandirt , erreicht.
das erste Bivouak war
Die Soldaten machten nicht viel Umstände, Knall und Fall warfen sie sich an den Stellen, die ihnen zum Lagern angewiesen wurden, nieder. Es war in einem prächtigen Roggenfelde, welches sich in weiter Ausdehnung rings um ein paar alte , baufällige Hütten herumzog. Noch vor einer Stunde mochten sich die Leute des reichen Erntesegens erfreut haben, jetzt aber stand schon kein Halm mehr aufrecht, alles nieder getreten und platt gelegen, eine weite Dreschtenne, che noch die Körner gereift waren. Alfred suchte sich eine etwas erhöhte Stelle aus und schaute mit scharfen Augen über das Bivouak. Drei ſeiner Jugendgenossen dienten bei demselben Regimente, nach ihnen suchte er. Seit 5 Wochen schon hatten sie die Heimath verlassen, aber sich allabendlich in den Quartieren getroffen und gemeinschaftliche Menage miteinander gemacht. Natürlich war es sein Wunsch, sie auch heute zu finden, denn es ging ja nun geraden Weges zur Aftion , und da bedurften sie mehr als je des gegenseitigen Zuspruches und der Erhebung. Es dauerte auch nicht Lange , so kam das trauliche Kleeblatt daher und gesellte sich zu ihm auf den Hügel. Die vier jungen Leute wa= ren in ihren Lebensstellungen sehr verschieden , aber sie hatten sich von Kindheit an gekannt und geliebt und auch später nicht von einander gelassen, als der Beruf sie verschiedene Wege führte. Es ereignete sich wohl, daß Alfred, welcher als talentvoller Geiger und Klavierspieler einen
7 gewissen Ruf in der Stadt hatte , mit dem langhaarigen Maler August, dem Anstreicher Wilhelm und dem Maurer Gottfried über die Straße ging. Doch war ohne Zweifel ein großer Gegensatz unter den Freunden, und die Leute lachten wohl über die sonderbare Composition , aber sie ließen doch nicht von einander, und als sie in das Feld zogen, da gaben sie sich die Hand darauf, treu zuſammen zu halten bis in den Tod und sich gegenseitig Hülfe und Beistand zu leisten. Seitdem hatten sie den Schwur oft genug erneuert, außerdem auch gelobt , wenn es zum Schlagen komme, ihrer Familie und ihrer Vaterstadt Ehre zu machen. Jezt wurden die Tornister geöffnet, die Feldkessel ausgepackt und Anstalten zum Kochen gemacht. Es war ein außerordentlich frugales Mahl und ein gut Theil schlechter, als sie es zu Hause gewohnt gewesen waren, aber der Hunger ist bekanntlich ein vortrefflicher Koch. Es mundete ihnen besser als daheim der beste Braten. Eine Weile plauderten sie noch zusammen, dann warfen sie sich auf den Erdboden und schliefen bald ein. Schlaft nur, ihr guten Gesellen ; zu bald wird euch Der Schlummer that ihnen der Krieg wieder wecken! nach dem Marsche so wohl, und alle vier schwärmten im Traume am Rheine umher, aber die süße Freude dauerte nicht lange. Kaum graute der Tag, so ertönten die Trommeln. Die kurz vorher noch so stille und friedliche Ebene belebte sich, die Krieger sprangen auf die Füße , griffen nach ihren Zündnadelgewehren und reihten sich in Glieder. Die Rosie wieherten dem Morgen entgegen, die Reiter schwangen sich in die Sättel, Commandoruf erfcholl von allen Seiten und die Trompeten gaben die Signale. In dem wohlgeordneten Heere war bald die Ordnung hergestellt. Die Jäger rückten vor, den Marsch zu eröff= nen, ihnen schloß sich ein Piquet Cavalerie und ein Haufen Pioniere an, dann folgte in Abtheilungen das Gros. Die Führer durften stolz auf die Krieger sein, mit denen = fie gegen den Feind auszogen, denn Infanterie , Cavalerie und Artillerie waren gleich tüchtig. Mit schwerem Herzen hatten fast Alle den heimathlichen Heerd verlassen , denn
8 wie man die Sache auch wenden mochte , es war immer ein Kampf gegen Brüder, und wem auch der Sieg blieb, er fonnte ihn nur durch Ströme deutschen und befreundeten Blutes erringen. Jezt aber , wo das Unheil nicht mehr abzuwenden war, wo längere Trauer wie Kleinmuth und Feigheit ausgesehen hätte, jest jubelten sie den bevorstehenden Kämpfen entgegen, und es gab wohl keinen Einzigen in der Schaar , der nicht auf Ruhm und Lorbeern hoffte. Nach einiger Zeit tauchte ein waldiger Gebirgspaß vor den Augen des Heeres auf. Da müssen wir hindurch, ertönte es von mehreren Lippen. Ja, Freunde, wir müssen hindurch, sprach August, der Maler; aber ich fürchte, es wird eine schwere Arbeit wer= den, denn die Oestreicher müßten wahrhaftig ihren Vortheil nicht kennen , wenn sie nicht von beiden Seiten über uns herfielen und ihre Kanonen in unsere Reihen spielen lieBen. Das meinten auch Wilhelm und Gottfried, aber sie bangten nicht, sondern machten sich zu kräftiger Gegenwehr bereit. Je näher der Zug dem Passe kam, desto mehr erstarb das Geräusch in den Reihen ; so leise , als es eine Versammlung so vieler Menschen und Pferde zuließ, rückte man vorwärts. Jezt hatte man den Eingang zu der ge= fährlichen Stelle erreicht ; Jeder faßte seine Waffe fester und schaute aufmerksamen Blickes in das grüne Gezweig, Nicht ohne wo man östreichische Jäger versteckt glaubte. Herzklopfen rückten die Preußen ein und erwarteten jede Setunde aus dem Versteck des Waldes einen Angriff. Zu ihrem Erstaunen zeigte sich keine feindliche Kundgebung, kein Gewehrlauf, keine Kanone , keine östreichische Uniform war sichtbar , Todtenstille herrschte in dem gan = zen Passe. Vielleicht beabsichtigten die Oestreicher den Feind im Rücken anzufallen , um des Sieges desto sicherer zu sein; es wurden Vorkehrungen dagegen getroffen, aber unbegreif= licher Weise war der Paß gar nicht besezt, und die Preußen konnten ungehindert hindurch ziehen. Sie athmeten hoch auf und erreichten unangefochten das freundliche Städtchen Trautenau in Böhmen.
9 Das Anrücken der Preußen konnte hier nicht unbekannt geblieben sein, denn im Städtchen herrschte eine Stille , als ob es ausgestorben sei , die Läden waren geschlossen , und nur einzelne Menschen huschten eilfertig durch die Gassen. Der Bürgermeister des Städtchens fam ihnen entgegen. Die Offiziere fragten ihn, ob deſt= reicher in der Stadt seien. Da er eine verneinende Antwort gab , so besorgte man auch hier keine Gefahr und ging vorwärts. Die Truppen zogen arglos auf den Markt und dachten schon daran, sich Quartiere zu verschaffen, als plötzlich aus mehreren Straßen, welche auf den Markt mündeten, Schüsse krachten. Eine Gewehrsalve folgte der andern, die Preußen wurden förmlich mit Kugeln überschüttet, und es dauerte nicht lange , so donnerten auch die feindlichen Kanonen in sie hinein. Das war der erste Kampf , den die vier Freunde zu bestehen hatten. Die Preußen waren im Anfange von dem plöglichen Ueberfalle überrascht, aber in wenigen Minuten gingen sie gegen die Straßen , aus denen gefeuert wurde, vor und griffen die Oestreicher mit lautem Hurrah an. Gleichzeitig fuhren die Kanonen aus der Stadt hinaus und rasselten einer Anhöhe zu , von wo sie wirksam unter die Destreicher feuerten . Sie waren bald aus der Stadt geschlagen, aber der Kampf war noch nicht beendigt, sondern setzte sich auf den Höhen fort. Hoch auf denfelben thronte eine weithin sichtbare Kapelle , die Stätte des Friedens und des Gebetes. Heute sollte sie Zeuge eines blutigen Kampfes werden. Das Knallen auf den Anhö hen, das Donnern der Kanonen erfüllte die Straßen von Trantenau und machte manches Herz zittern und bangen. Aber es gab auch ruchlose Gemüther in dieser Stadt : Die Destreicher waren bekanntlich vor dem Einrücken der Preußen äußerst kriegslustig , und es galt ihnen als eine ansgemachte Sache , daß sie dieselben bis zur Vernichtung schlagen würden. Derselben Ansicht waren auch die Bürger von Trautenau , und da ihre Landsleute mit den Feinden auf den Höhen hinter ihrer Stadt im Kampfe lagen , und nur noch ein kleines Häuflein Preußen auf
10 dem Markte zurückgeblieben war, so glaubten sie ein tapferes Werk zu verrichten , wenn sie aus sicherm Hinterhalte die tödliche Kugel auf sie abfeuerten. Aus verschiedenen Häusern wurde geschossen, und die Kugeln schlugen verHeerend in die Reihen der Soldaten. Ergrimmt über ein so hinterlistiges Betragen , befiehlt der commandirende Offizier , die Häuser, aus denen Kugeln kommen , zu zerstören. Der Befehl war kaum gege= ben, so stürzten die zornigen Soldaten auf die Häuser los, schlugen die Thüren ein, und nahmen die Einwohner gefangen. Viele von ihnen ließen ihre Wuth an unſchuldigen Gegenständen aus, und zertrümmerten ohne Noth die Möbel. Als sie von Bessergesinnten zurechtgewiesen wurden, schämten sie sich doch und ließen von ihrem wilten Gebahren ab. Auf den Höhen dauerte der Kampf noch fort, aber die Destreicher mußten nach kräftiger Gegenwehr weichen und den siegreichen Preußen das Schlachtfeld überlassen. Siegesjubel und laute Freude herrschte unter den Üeberlebenden; aber ach , diese Freude bildete einen schreienden Gegensatzzu den Todten und Verwundeten . Menschen, welche vor wenigen Stunden noch fröhlich geathmet und für die Ehre ihrer Nation_gestritten hatten , lagen jezt todt auf dem Boden ausgestreckt, die Augen für immer geschlof= sen. Die Herzen, so voller Hoffnung und Pläne für die Zukunft, standen jetzt stille. Von Blut besudelt, von Wunden zerrißen, lagen sie da , das gebrochene Auge zum Himmel emporgerichtet, oder an den Boden geheftet. Dem Einen war die Kugel durch den Kopf gegangen, dem Andern hatte sie das Herz durchbohrt, einem Dritten war ven einem Säbelhiebe der Kopf gespaltet, und das Gehirn, das so plöglich zu denken aufgehört hatte, lag bloß, dem Winde und der Sonne geöffnet. Alfred , der junge Trompeter, sah heute zum ersten= male den Tod in so grausiger Gestalt ; sein Herz krampfte sich zusammen ; er konnte den Anblick nicht ertragen und mußte sich von den blutigen Leichen hinwegwenden. Zwischen den todten Destreichern und Preußen want= delten Soldaten mit Tragbahren umher; sie hatten die
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11 Aufgabe, die schwer Verwundeten nach Trautenau zu tragen, wo die Aerzte ihnen Verband anlegen sollten. Die Meisten waren ohnmächtig und empfanden für den Augenblick nichts von ihrem traurigen Zustande ; einige aber, welche wieder in'3 Bewußtsein zurückgekehrt waren, stöhn= ten und schrien vor Schmerzen. Diejenigen, welche nur leicht verwundet worden was ren, schleppten sich theils allein , theils mit Hülfe ihrer Kameraden dem Städtchen zu, wo bereits zwei Häuser in der Eile zu Spitälern eingerichtet worden waren. Die vier Freunde trafen in einem und demselben Quartier zusammen. Keiner von ihnen war freudig ge = stimmt , obschon jeder seine Schuldigkeit gethan und sich als wackerer Soldat gezeigt hatte. Der Krieg ist grauſig, sprach der Trompeter, und dem stimmten seine Kameraden aus vollem Herzen bei , obschon sie alle erst den Anfang des furchtbarsten Krieges der Neuzeit gesehen hatten. Kaum hatten sie sich in dem Quartiere häuslich eingerichtet, so tam Befehl, von Neuem vorzurücken, denn die geschlagenen und geflohenen Oestreicher hatten sich auf der zweiten Hügelreihe hinter Trautenau von Neuem festgesetzt und sendeten einen wahrhaft erschrecklichen Hagel von Granaten auf die preußischen Soldaten. Diese brannten vor Begierde, auch diese höher liegende Hügelkette zu nehmen. Mit lautem Hurrah-Geschrei wollten sie drauf und dran, aber ihre Führer , welche das Ganze beffer überschauten und mit Sicherheit voraussahen, daß sie nur nuglos Menschenblut opfern würden, thaten Einspruch, und die Ge= neralität beschloß, die Hügel und die Stadt Trautenau zu verlassen und in Liebau Verstärkungen abzuwarten. Eine große Anzahl von östreichischen Gefangenen waren in ihre Hände gefallen , welche nun den Rückmarsch mit antreten mußten ; die Verwundeten aber konnten nicht mitgenommen werden. Man mußte sie der Großmuth der Streichischen Militärärzte überlassen. Alfred ritt an der Spitze der Truppen ; sein Haupt neizte sich, denn seine Seele war allzuvoll von den fürcht= baren Eindrücken, welche sie heute erhalten ; aber bald überkam ihn der Zorn, daß er sich auf dem Rückzuge be-
12 fand, er hätte seine Trompete an den Mund setzen und zur Umkehr, zum Sturm blasen mögen. Neue Aufregung und neuer Grimm kam dazu, als die östreichischen Kanonenkugeln hier und dort in die Reihen schlugen, aber er ergab sich doch schließlich in das Unvermeidliche, der Hoffnung Raum laſſend, daß der nächste Tag den Sieg vervollständigen werde. Den ganzen Tag über war kein Bissen Brod, fein Tropfen Wasser über seine Lippen gekommen, Durst und Hunger quälten ihn, doch dies Ungemach theilte er ja mit Endlich, vielen Andern. Warum sollte er also klagen? nachdem die Nacht schon längst hereingebrochen war, schimmerten ihnen die Lagerfeuer der rückwärts lagernden Kameraden entgegen. Da gab es Ruhe, Speise, Trank und Schlaf, alles Dinge, die dem abgemüdeten Soldaten in diesem Augenblicke mehr galten, als Geld und Diamanten. Lange Ruhe war ihnen indessen nicht vergönnt ; bald ging es wieder vorwärts ; alle Streiter brannten in dem Verlangen, den General Gablenz zu schlagen, der bereitz erlogene Siegesberichte nach Wien geschickt hatte. Der Uebermuth, mit dem die Oestreicher den Kampf begonnen hatten, nahm noch mehr zu, und sie gebehrdeten sich, als ob sie bereits den ganzen Feldzug gewonnen hätten. Es that also Noth, ihnen zu zeigen, daß die rechte Arbeit erst begann. Vorwärts gings mit lautem Hurrah ! Trautenau war stark von den Oestreichern besetzt, aber die Preußen fuhren hinein wie ein zündender Wetterstrahl und warfen den Feind mit einer Bravour , die ihres Gleichen vergebens sucht, aus den Straßen. Die Bürger, noch berauscht von dem gestrigen vermeintlichen Siege, hatten leider ge= meinschaftliche Sache mit den Oestreichern gemacht; aus vielen Häusern wurde auf die Truppen geschossen und aus den Fenstern der oberen Stockwerke kochendes Wasser auf ſie niedergegossen, so daß mehreren, welche nahe an den Für solche Häusern standen, die Haut verbrüht wurde. Schandthaten blieb die gebührende Züchtigung nicht aus, die Uebelthäter wurden ergriffen, gebunden, und nach PreuBen geschickt, wo sie ihren übel angebrachten Patriotismuz zu büßen haben werden.
13 Hinaus stürmten die Preußen, den Oestreichern nach, die Zündnadelgewehre sandten mit blizähnlicher Geschwinbigkeit ihren vernichtenden Hagel von Pulver und Blei in ihre Reihen. Sie stürzten zu Hunderten. Ganze Glieder sanken wie niedergemäht in den Tod , alle von der wunderbaren Waffe mitten in die Brust getroffen. Schrecken erfaßte die Oestreicher, schon wandten ſte sich zur Flucht, denn es däuchte ihnen unmöglich, der Waffe , die sie schon in Schleswig-Holstein hatten kennen lernen, länger zu widerstehen ; aber General Gablenz, der den gemessenen Befehl hatte, die Preußen um jeden Preis im Vorrücken zu hindern, trieb sie in den Kampf zurück. Unter dem Knattern des Gewehrfeuers , dem Donner der Kanonen, dem Wiehern der Rosse und einem furchtbaren Getöse von Waffen und lärmendem Geschrei näherte sich der Kampf einem Walde. Hier stand das Gefecht eine Weile, denn es ging Mann gegen Mann, Bruſt an Brust. Die Kanonenkugeln schlugen unaufhörlich in die Wipfel der Bäume und schleuderten Haufen von Aesten und Zweigen auf die Kämpfenden nieder. Nichts konnte ihren Zorn mildern , unaufhörlich schwirrten die bluttriefenden Säbel durch die Luft und mit lautem Wuthgeschrei stürzten die Getroffenen in ihrem Blute zusammen. Die Unglücklichen! Wie viele von ihnen, die noch lange nach dieser eisernen Zeit leben und sich des Daseins freuen konnten, wurden von den Hufen der Pferde, von den Füßen der Soldaten zertreten, oder, hülflos am Boden liegend, von den zerspringenden Geschossen getödtet. Alfred , nachdem er im gestrigen Kampfe die ersten Schrecken der Schlacht überwunden, kannte kaum Furcht mehr. Wie dicht auch die Kugeln um ihn her flogen md rechts und links neben ihm einschlugen, seine Trompete erscholl mitten durch das Getümmel zum Angriffe. Seine Kameraben kannten diesen Klang, sie wußten, daß er von seinen Lippen kam. Um so tapferer schlugen sie fich, war es doch ein Zuruf an sie, dem Vaterlande und der Uniform, die sie trugen, Ehre zu machen ! Alfred war unterdessen in das dichteste Gewühl ge= rathen, er mußte die Trompete sinten lassen und den Sä-
14 bel ziehen, um das eigene Leben zu vertheidigen. Das Pferd wurde ihm unter dem Leibe erstochen, er kämpfte zu Fuß; er war plöglich vom Wirbel bis zur Sohle ein Held geworden. Ein Kroate , ein riesiger Kerl, mit einem breiten Pallasch, mochte sich über die Tapferkeit des jungen bartloſen Bürschchens wundern; mit einem Sahe war er an seiner Seite, schon sauste das breite Schwert über seinem Haupte und der nächste Augenblick mußte unserem Trompeter den Tod bringen , aber in diesem verhängnißvollen Momente schwirrie es von Kugeln umher , als ob eine Höllenmaschine losgelassen wäre. Der Kroate und sein Thier stürzten zusammen, - aber auch der Trompeter war getroffen worden. Er empfand einen furchtbaren Stoß auf der. Brust, wankte und stürzte zusammen, mitten in einen Haufen von blutenden Menschen und Pferden hinein. Nun ist's aus mit mir! Lebt wohl, Vater und Mutter ! Betet für den Alfred ! Ich kann es nicht mehr ! Seine Sinne schwanden ihm ; wie ein Todter lag er unter den Todten.
II. Lobte , Verwundete , zerbrochenes Eine gewonnene Schlacht. Die Todtenbügel. Heergeräth. Die Uhr als Lebensretterin. Die Leichenplünderer. Eine Laterne Einen Trunk, Kamerad. Hundegebell . neben der Leiche. Die Hütte der Armen . Sechs Mann Wache vor der Thüre. Der Kampf tobte weiter , aber der Trompeter hörte nichts mehr von dem Donner der Kanonen, dem Knattern des Kleingewehrfeuers, dem Wiehern der Rosse , dem Fluchen und Hurrahgeschrei der Soldaten. Lang und blutig war der Streit, aber die Preußen trugen den Sieg davon. Endlich, endlich verstummte das schreckliche Getöse, der Kampf war zu Ende. Gablenz mit seinen Oestreichern floh in eiliger, sich selbst überſtürzender Haft , der Lärm des Krieges entfernte sich aus dem Walde und von der
15 weiten Ebene. Noch stand die Sonne über dem Schlachtfelde und beleuchtete tausendfaches Weh : hier Hügel von Todten und ächzende Verwundete, welche nicht die Macht hatten, sich zu erheben , dort Haufen von weggeworfenen Gewehren, zerbrochenen Säbeln, krummgebogenen FlintenLäufen, umgestürzten Karren, zersplitterten Lanzen und der= gleichen Dingen. Es war ein Anblick, welcher die Brust des härtesten Mannes mit Weh, die Augen mit Thränen erfüllen mußte. Das einzige versöhnende Element waren die Krankenträger , welche mit ihren Bahren überall auf dem Schlachtfelde umher eilten und die Verwundeten auftuben, um sie zum Verbande nach Trautenau zu bringen. Der Trompeter erwachte endlich aus seiner Betäubung ; es war dunkel, denn die Nacht war bereits hereingebrochen und hatte all den Jammer mit mitleidigem Mantel zuge= deckt. Alfred lag auf dem Rücken; durch die geknickten Bäume des Waldes blickten ihm die Sterne entgegen. Jhr Licht war so sanft und friedlich, es wurde ihm wohl ums Herz. Er glaubte sich schwer verwundet , aber zu seinem eigenen Erstaunen bemerkte er, daß er seine Glieder be= wegen, daß er aufstehen konnte, nur auf der Brust fühlte Gottes Güte war mit ihm er einen schweren Druck. gewesen, die Kugel, welche ohne Zweifel seine Brüst Durchbohren sollte, hatte an der Uhr Widerstand gefunDas Werk war den, sie hatte ihm das Leben gerettet. verdorben, theilweise zertrümmert, aber diese Trümmer waren ihm von jest an theurer, wie die prächtigste, mit Diamanten besetzte goldene Uhr. Nachdem er ein hastiges Dankgebet zum SternenHimmel emporgeschickt hatte, machte er Anstalt, den Wald zu verlassen, aber sein Fuß strauchelte allenthalben an den Todten, welche rings um ihn her aufgehäuft waren, er fühlte, wie er buchstäblich im Blute watete. Hier stand ihm eine ausgestreckte Todtenhand im Wege, dort versperrte ihm ein Körper, von dem noch das Blut floß, den Weg. Schauber und Entseßen ergriff ihn, und diejes furchtbare Gefühl verstärkte sich noch, als sich die Nacht etwas erhellte und er rechts und links in die ge-
16 brochenen Augen und die klaffenden Wunden der Gefangenen schaute. Ueber Leichen wandernd, oft zwischen ihnen umstürzend und Hände und Gesicht mit Blut besudelt, gelang es ihm endlich, dem Schreckensorte zu entkommen und das Feld zu gewinnen, aber hier sah es nicht besser aus : wie niedergemähte Garben lagen die Todten umher und starrten ihn an, als ob sie von ihm das früh verlorene Leben zurückfordern wollten . Das ging ihm über seine Kraft, es war ihm unmöglich, noch länger diese Scenen zu sehen. Hinter einem Hügel von Todten sette er sich nieder und schloß die Augen, um den Morgen zu er= warten. Schmerzlich bewegt gedachte er der Lieben in der Heimath, der braven Kameraden, welche am Morgen Lebten sie noch mit ihm in den Kampf gezogen waren. oder hatte sie die unbarmherzige Kugel hinweggerafft ? Wer gab ihm Antwort auf diese Frage ? Lange hatte er in dieser Stellung gesessen und den Kopf in die Hände geſtüßt, da hörte er einen tiefen Seufzer neben sich und eine Hand berührte seinen Arm . Einen Trunk, Kamerad, stöhnte eine matte Stimme ! Alfred führte eine kleine Flasche mit Wein bei sich, rasch langte er sie hervor und reichte sie dem Verwundeten, der sie mit einem Zuge leerte. Hab' Dank, stöhnte er, es war der lehte Trunk, den ich auf Erden gethan. Willst Du mir noch eine Liebe erweisen ? Alles will ich für Dich thun, was in meinen Kräften steht, antwortete der Trompeter. Ich danke Dir im Voraus, sprach der Verwundete ; morgen könnte ich's nicht mehr, meine Lippen werden stumm sein, ehe das Morgenroth aubricht. Ich bin ein östreichischer Offizier und auf den Tod verwundet. Ihr Preußen seid uns an Einsicht und Tapferkeit überlegen. Ihr werdet in raschem Siegeslaufe bis nach Wien eilen und unserm Kaiser den Frieden dictiren. Erhält dich Gott, so wirst Du auch nach Brünn kommen, melde dort meiner Frau, daß ich auf dem Schlachtfelde von Trautenau gestorben bin. Hier ist meine Brieftasche,
17 sie enthält meine Adresse. Nimm auch diesen Ring und gieb ihn meiner Frau als leztes Vermächtniß. Er zog den goldenen Ring vom Finger und überreichte ihn dem Die Uhr Trompeter, auch die Brieftasche gab er ihm. aber nimm für dich, fuhr er fort, es ist das Einzige, was ich dir geben kann. Der Trompeter neigte sich mitleidsvoll nieder zu dem Verwundeten und richtete Worte des Trostes an ihn. Jezt erst sah er, daß der Offizier die Uniform aufgeknöpft hatte und daß das strömende Blut sein Hemde noch immer benette. Fassen Sie Muth, sprach er und halten Sie aus, tis morgen. Mit Anbruch des Tages werden unsere Aerzte kommen und Sie verbinden. Zu spät, antwortete der Offizier, für mich giebt es nur noch einen Arzt, der Tod! Seine Stimme wurde mit jedem Augenblicke schwä= cher, es schien in der That, daß seine letzten Lebensmomente gekommen seien. Da blißte in geringer Entfernung ein Licht auf. Alfred richtete sein Auge dahin und jubelte auf, denn er glaubte, es seien die Krankenträger, welche noch in später Nacht die Verwundeten sammelten, Aber der um sie zu den Verbandplägen zu bringen. Lichtstrahl, welcher aus der Laterne blizte, beleuchtete ein paar böhmische Bauern und ein großes startes Weib. Im ersten Augenblicke glaubte er, sie übten ein Werk der Barmherzigkeit an den Hülflosen; schon wollte er ihnen zurufen, sich hierher zu wenden, aber er wurde bald helehrt, daß diese Menschen keine barmherzige Samariter , sondern ehrlose und gottvergessene Räuber waren, welche die Nacht benußten, um den Gefallenen abzunehmen, was sie an Geld und Kostbarkeiten bei sich führten. Eben hatten sie sich niedergebeugt, als ein Er lebt noch, schriller Hülferuf an sein Ohr schlug. rief das entmenschte Weib, schlagt ihn toot, ehe er uns die Preußen auf den Hals lockt. Einer der Männer erhob eine Keule, ein dumpfer Schlag fiel auf das Haupt des Unglücklichen, dann würde es stille. Die Leichenplünderer wühlten in den Taschen und
dem Torniſter 2
18 des Erschlagenen, die Beute mußte aber ihren Erwartungen nicht entsprechen, denn sie fluchten und wetterten und näherten sich mit raschen Schritten dem Orte, wo Alfred bei dem verwundeten Offizier saß. In der Aufwallung des Zornes wollte er sich auf sie stürzen, aber eine kurze Ueberlegung zeigte ihm doch, daß es nicht gerathen sei, mit den starken Männern anzubinden. Er verhielt sich also ruhig, legte den Kopf auf den Bug eines todten Pferdes und wartete des Fortganges ; vielleicht gingen sie weiter, ohne ihn und den Offizier zu bemerken. Halt, rief jezt das Weib, da liegen ganze Haufen, Sie sezte die Laterne auf das wird eine gute Ernte. den Boden, kniete bei einem todten preußischen Husaren nieder und riß ihm die Uniform auf. Eine silberne Uhr und einige preußische Thaler, sprach sie mit einem entsezlich kalten Tone. Da nimm, wandte sie sich an einen der beiden Männer und wühlte weiter in den Taschen des Todten. Da sie weiter nichts fand, wischte sie ihre blutigen Hände an der zerschoffenen Uniform ab und erhob sich. Ein östreichischer Offizier und ein preußischer Trompeter, rief sie jubelnd , das giebt bessere Beute. Sieh, der Offizier hat eine schwere goldene Kette um den Hals, es wird auch eine kostbare Uhr daran hängen. Sie neigte sich nieder und streckte die gierige Hand nach der Kette aus. Plündert einen Sterbenden nicht, lispelte der Offizier mit kaum vernehmbarer Stimme. Was nügen euch die kostbaren Dinge jest, antwortete sie mit einem heiseren Lachen, ihr könnt sie doch nicht mit in die Ewigkeit nehmen. Hättet euch besser wehren sollen , dann ständen unsere Felder noch unzertreten und der Feind wäre niemals hierher gekommen. Der Offizier antwortete nicht , die Schwäche hatte zu sehr zugenommen . Das furchtbare Weib aber zog ein langes Messer aus den Falten ihres Kleides und näherte es dem Herzen des Offiziers . Der Trompeter, ſeiner eigenen Todesgefahr vergeſſend,
19 sprang bei dieser teuflischen Scene empor , that einen grellen Stoß in seine Trompete und schrie: die Hölle über euch verfluchten Räuber und Mörder. Die entmenschten Böhmen glaubten nicht anders, als der Todte sei plötzlich zum Leben aufgewacht, um seine beraubten und mißhandelten Kameraden zu rächen. Zitternd und bebend, mit schlotternden Knieen und weit aufDer gerissenen Augen starrten sie den Trompeter an. aber zog sein Schwert , spaltete der entarteten Megäre den Kopf und drang mit wüthenden Hieben auf die beiden Männer ein. Der eine wurde in die Schulter getroffen, der andere büßte ein Ohr ein ; mit lautem Geschrei fuchten sie zu entkommen und stolperten über die Todten hin. Alfred verfolgte sie einige Schritte , dann kehrte er zu dem Offizier zurück , zu dessen Füßen die brennende Laterne stehen geblieben war. Sie beleuchtete seine letzten Zuckungen; mit einem Seufzer auf den Lippen starb er. Kein Priester war in der Nähe , der die Sterbegebete verrichten, kein Freund, der ihm ein Grab graben konnte. Alfred kniete nieder und sprach ein kurzes Gebet , dann nahm er eine Hand voll der blutgetränkten Erde und streute sie auf die Brust des Hingeschiedenen , der für sein Vaterland auf dem Felde der Ehre gefallen war. Schlafe wohl, Freund, flüsterte er, führt mich mein Weg nach Brünn , so werde ich deine letzten Grüße bestellen und nicht allein den Ring , sondern auch die Uhr soll deine Gattin haben . Er löfte die Kette sanft von seinem Halse, zog die Uhr hervor und stellte die Laterne neben jeinem Haupte nieder. Sieh, Kamerad, sprach er, nicht Sedem wird es so gut auf dem Schlachtfelde , daß ein Licht bei seiner Leiche brennt. Den Säbel in der Faust , immer bereit, niederzuhauen, wenn ihm eine neue Gefahr aufstoßen sollte, ver ließ er den Todten und wanderte weiter , wohin , das wußte er selbst nicht, er wollte nur der unheimlichen Umgebung entfliehen, in welche er gerathen war. Oft noch frieß sein Fuß an Leichen, oft stolperte er über zerbrochene Waffen, aber allmählig wurden der Hindernisse weniger 2*
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und er gelangte auf einen betretenen Pfad , dem er , in Gedanken versunken, folgte. Eine Stunde mochte er ge= wandert haben, als er vor Mattigkeit, Hunger und Durst fast nicht mehr weiter konnte ; seine Schritte wurden langsamer und er suchte nach einer geeigneten Stelle am Wege , wo er sich niederlegen und die Nacht verbringen fonnte. Da hörte er nicht weit von sich das Bellen eines Hundes , das gab ihm frischen Muth, er schritt weiter, denn nun mußte er doch bald zu Leuten kommen . Nur noch wenige Tritte, so erreichte er eine Hütte ; er näherte sich dem Fenster; es war keine einzige Scheibe mehr darin, Kreuz und Rahmen zerschlagen, es hingen nur noch wenige Splitter davon an der Bekleidung. Die Soldaten mußten wie die Unmenschen hier gehauft haben, denn auch die Thüre war eingeschlagen und zertrümmert, selbst die Deckenbalken trugen Spuren wilder Gewalt= thätigkeit. In dem Stübchen brannte eine kleine Lampe , eine Greifin mit zitterndem Kopfe und ein kleines Mädchen Enieten auf dem ungedielten Boden der Stube und beteten. Zuweilen unterbrachen sie das Gebet und suchten den fläffenden Spitz zu beschwichtigen. Still , Spik , sagte die alte Frau , du lockſt uns die Soldaten wieder auf den Hals ! Still, Spit, sagte auch das kleine Mädchen und streichelte ihn während des Betens. Der Hund legte sich fest vor das Kind, schaute ihm in die Augen und gab keinen Laut mehr von sich. Der Trompeter schaute eine Weile in tiefer Rührung zu, dann rief er durch das Fenster : Guten Morgen, lieben Leute, könnt ihr mir etwas zu essen und zu trinken geben? Die beiden Personen flogen mit ängstlichen Geberden in die Höhe , das Mädchen flüchtete sich schreiend hinter die Großmutter und der Spig sprang kläffend gegen das Fenster, als ob er den nahenden Feind abwehren wollte. Thun Sie uns nichts zu Leide , bat die Greisin mit aufgehobenen Händen, wir sind ausgeplündert und beraubt,
21 ich kann Ihnen nichts bieten als ein Nachtlager auf hartem Boden. Der Trompeter suchte sie zu beschwichtigen und ver= ficherte ihnen, daß sie nichts von ihm zu fürchten hätten. Nachdem er in die Stube getreten war und den Tornister abgelegt hatte, bat er um einen Trunk Waſſer, denn die Zunge klebte ihm am Gaumen. Die Greisin holte das Wasser. Habt ihr gar nichts zu essen ? fragte er. Richts, nicht einen Brocken Brod, wir hungern selbst und haben seit vorgestern keinen Bissen über unsere Lippen gebracht. Alfred öffnete seinen Tornister und suchte darin nach ; er fand noch eine harte Kruste Schwarzbrod. Sie hatte seit seinem Ausmarsche aus Dresden darin gelegen und war jo hart und trocken geworden, daß er nicht im Stande war, sie zu brechen , selbst dem Messer setzte sie einen unbesiegbaren Widerstand entgegen. In der Ecke lag ein Beil, er ergriff es und theilte die Kruste in drei Theile. Für Euch, für das Kind und für mich , sprach er, indem er Jedem ein Stück überreichte. So klein die Stückchen auch aussielen, sie waren für Jeden ein kostbarer Schatz und mit Hülfe des Wassers wurden sie bis auf das letzte Körnchen abgenagt und verzehrt. Freilich reichte es nicht weit und der Hunger war durch die kleine Labung fast noch größer geworden ; aber die Greisin erschöpfte sich doch in Dankbarkeit für die geringe Gabe. Liebe Frau, sprach Alfred, wir müſſen durchaus Brod haben ! Sind keine andern Häuser in der Nähe , wo etwas zu haben ist ? Es ist nur noch ein Haus da, antwortete sie, aber die Bewohner sind hartherzig, sie haben mir und meiner Enkelin jede Hülfe verweigert , obschon ich genau weiß, daß sie Brod und Fleisch haben. So müssen wir es mit Gewalt nehmen, sprach der Trompeter. Wo ist das Haus ? Nur zehn Schritte von hier, antwortete die Greifin, aber ich rathe Ihnen nicht hinzugehen, denn Sie sind ein
22 einzelner Mann und dieſe Leute scheuen sich vor einem Mord nicht. Alfred überlegte hin und her ; die Frau hatte Recht, er war allein und es konnte ihm schlimm gehen , wenn er von den Männern, deren zwei in dem Hauſe ſein sollten, angegriffen wurde. Ich weiß ein Mittel , sie zu zwingen, sprach er endlich, stand auf und ging nach dem bezeichneten Hause. Auch hier brannte ein Lämpchen, aber er sah noch Niemanden, doch war die Thüre angelehnt. Die Trompete an den Mund sehend, that er ein paar kräftige Stöße und rief mit lauter Stimme : Sechs Mann bewachen die Thüre ! Es wird scharf geschossen, wenn sich ein Kopf am Fenster zeigt, Niemand darf aus und ein. Wer flieht, wird niedergehauen. Den Säbel ziehend stürzte er sett in das Haus und schrie: Herbei mit den Bewohnern! Zwei Männer kamen eiligst in den Hausflur , flüchteten aber in die erleuchtete Stube, als sie den blanken Säbel sahen . Den Augenblick Speise her, schrie er sie an. Gebt guiwillig und reichlich, denn meine Leute kennen keinen Spaß und sie sind vom Hunger gereizt. Die beiden Männer warfen einen giftigen Blick auf ihn, aber sie wagten doch nicht, sich ihm zu widerseßen, weil sie die sechs Mann fürchteten. Rasch brachten sie Brod und Fleisch herbei und blieben dann in der Entfer nung stehen. Als Alfred jezt einen Blick auf sie warf, zuckte er unwillkührlich zusammen ; diese Menschen mußten die abscheulichen Leichenvögel sein, die er auf dem Schlacht felde getroffen hatte, denn sie waren über und über mit Blut bedeckt und bluteten auch am eigenen Körper. Er schleuderte ihnen einen verächtlichen Blick zu und sprach : Die preußische Gerechtigkeit schläft nicht. Morgen werde ich den Raub von euch fordern, den ihr den Todten und Verwundeten genommen ! Sie wurden leichenblaß und starrten ihn mit weitaufgerissenen Augen an. Alfred verließ das Haus . Draußen rief er laut ge-
23 ung . daß sie es hören konnten : Leute, bewacht mir die Bösewichter gut, ihr steht mit euren Köpfen dafür, daß fie nicht entfliehen ! Rasch eilte er nun hinweg und in dem Hüttchen der Greifin wurde gekocht und gebraten. Alle drei wurden satt und selbst der Spitz, der sich bald mit dem Trompeter befreundet hatte , durfte seinen Hunger stillen. Die alte Frau weinte Dankesthränen und die Enkelin, welche ihn anfangs so sehr gefürchtet hatte, wurde so zutraulich , daß sie mit der Trompete spielte und mit ihren kleinen Fingerchen sogar den Säbel berührte. Alfred warf sich neben dem Herde nieder , um auszurühen, aber er konnte lange den Schlaf nicht finden ; immer mußte er an die abscheulichen Böhmen denken , die er mit seinen sechs Mann bewachen ließ. Leider war er nicht in der Lage, sie gefangen zu nehmen, wie er es gerne gesehen hätte, außerdem wußte er nicht, wo er sich befand und ob die Preußen in seiner Nähe waren. Der erste Sonnenstrahl mußte seine Lüge aufdecken und dann fonnte es leicht geschehen, daß die erzürnten Böhmen ihn überfielen und sich an ihm rächten. Die Müdigkeit schloß ihm endlich doch die Augen und trotz des harten Lagers schlief er nicht allein bis an den lichten Morgen, sondern fest bis in den Mittag. Das alte Mütterchen hatte von dem Brode und Fleische, welches übrig geblieben war, ein Frühstück serwirt und in Ermangelung an Kaffee und Milch klares Wasser dazu gesezt. Er ließ sichs wohl schmecken und nöthigte Großmutter und Enkelin, das Mahl mit ihm zu theilen, eine Einladung, die nicht verschmäht wurde. Nun schien es ihm an der Zeit , einmal nach seinen Arrestanten zu sehen. Sie hatten sich, in dem Glauben, daß sie wirklich bewacht würden, durch die Hinterthüre aus dem Staube gemacht, und ihre gesammten Vorräthe an Brod und Fleisch zurückgelassen. Er trug es der Greisin zu und nahm Abschied, um wieder zur Armee zu stoßen. Er brauchte nicht lange nach der Richtung zu suchen, welche er einzuschlagen hatte, denn der Geschützdonner,
24 welcher ihm aus der Ferne entgegenbrüllte, zeigte ihm den Weg.
III. Ueber Heden und Gräben . - Frühstück am Bach. - Ein HerrenLoses Pferd. Fliehende Füsiliere. Vorwärts ! Hurrah! Mit Gott für König und Vaterland. Ein brennendes Dorf. Ge Alfred rettet zwei Menschen aus Rauch und Flammen. fangen. Ein Hieb Uhr und Ring wurden ihm genommen. in die Schulter. Die Die Retterin aus der Gefahr. Schlucht. Du und Du . — Der Arzt in der Höhle. Zwei Ringe. Ein Trupp Reiter. Die Feuertaufe hatte unser Trompeter schon seit zwei Tagen bekommen, auch in der vergangenen Nacht des Schrecklichen so viel erlebt, daß ihn, trotz seiner Jugend, ein Büschel weißer Haare nicht unnatürlich würde gekleidet haben. Dennoch verlangte ihn jezt schon wieder nach dem Kampfe. Der Kanonendonner, statt ihn kleinmüthig zu machen und einzuschüchtern, reizte ihn zu schnellerem Marsche. Seine Schritte beschleunigten sich , sie wurden zu einem raschen Laufe ; mitten durch Kornfelder stürzte er weiter; die Aehren schlugen ihm um den Kopf zusammen, verstrickten sich zuweilen um seine Beine, daß er nicht vorwärts konnte. Jegt lag das Kornfeld hinter ihm , er mußte Gräben überspringen, durch Hecken schlüpfen, überall boten sich ihm Hindernisse. So lange seine physische Kraft ausreichte, beseitigte er dieselben mit frohem Muthe und von Zeit zu Zeit suchte er dieselben durch ein frisches Soldatenlied wieder zu stärken, aber der Mensch bleibt immer Mensch und zulezt muß er der fortgesetten Anstrengung unterliegen. Auch Alfred sank endlich zusammen ; der Kanonendonner war jest ganz in seiner Nähe, so nah, daß er den Boden, auf dem er lag, unter sich zittern fühlte. Nur ein Gedanke beseelte ihn: daß der Kampf zu Ende gehen könne, ohne daß er an demselben Theil genommen. Am Morgen hatte er seinen Brotbeutel gefüllt und neben ihm floß jezt ein Bächlein; murmelte so ruhig
25 weiter, als ob der tiefste Frieden in Böhmen herrsche. Raid brach er ein Stück Brod ab , fchlürfte auf dem Bauche liegend, Wasser dazu und aß hastig. Jetzt kanns wieder los gehen, sprach er zu sich selber und sprang auf die Beine. Rüstig weiter schreitend und sich immer mehr dem Schlachtfelde nähernd, fam ein herrenloses Pferd dabergerannt. Er stellte sich demselben in den Weg und haschte es beim Zügel. 3m Nu war er im Sattel und nun fühlte er sich wieder neubelebt. So Gott will , bekommen wir unsern Antheil noch mit, rief er, gab dem Gaule die Sporen und sprengte vorwärts. Als er eine Strecke weit geritten war , kam ihm in eiligem Laufe ein Trupp Füsiliere entgegen. Trompeter, wende deinen Gaul, riefen sie ihm zu, der Teufel ist Ios ! So müssen wir ihn bannen, antwortete er ; frisch Jungens, zurück in den Feind ! Ein Schelm , der einen Fuß breit weicht ! Die Füseliere standen einen Augenblick , aber sie schüttelten zu seiner Mahnung die Köpfe. Die Hälfte unserer Mannschaft ist todt, sagten sie , die Offiziere sind sämmtlich gefallen. Wozu nuzles unsere Haut zum Vartte tragen? Sind eure Offiziere toot , so führe ich euch in den Kampf, antwortete er ; die Oestreicher sollen nicht sagen, daß die Preußen die Sohlen ihrer Schuhe sehen lassen. Vorwärts, Jungens ! drauf und dran ! Also rufend segte er seine Trompete an den Mund und bließ zum Angriffe. Das wirkte ! Mit lautem Hurrah drängten sie ihm nach. Von einem Hügel hinab eilend , sahen sie ein brennendes Dorf vor sich, die Flammen schlugen lodernd gen Himmel und durchbrachen die schwarzen Bulverwolken , welche über den brennenden Häusern jchwebten. Diesseits des Dorfes kam ihnen östreichische Infanterie entgegen; sie schossen auf den Trompeter und die Füsiliere. Die Spitkugeln durchsausten die Luft und schlugen zu ihren Füßen nieder oder fuhreu flatschend in einzein stehende Bäume.
26 Trompeter , wir haben keine Patronen mehr , riefen ihm die neuen Kameraden zu. Thut nichts , antwortete er, fehrt die Gewehre um und schlagt mit dem Kolben drein oder senkt ihnen die Bajonette in den Leib ! Vorwärts ! Hurrah ! Mit Gott für König und Vaterland ! Die Begeisterung des jungen Mannes steckte die Krieger an. Sein Hurrah erwidernd streckten sie die Bajonette vor sich her und eilten dem Feinde im Sturmfchritte entgegen. Hier und da fiel einer, aber die Tapferen ließen sich nicht aufhalten. Im Nu hatten sie den Feind erreicht. Die Kolbenschläge fielen hageldicht, die Bajonette stießen Alles nieder ; wenn die Oestreicher einen Augenblick die Ueberhand genommen, so stieß Alfred desto Lauter in seine Trompete und schwang seinen Säbel desto grimmiger. Die preußische Tapferkeit brachte sie schließlich vollständig zum Weichen und mit schallendem Siegesruf wurden sie in das brennende Dorf zurückgejagt. Hier wüthete der Kampf in erschrecklicher Weise ; während die Flammen fast aus jedem Dache zumHimmel loderten, wurde aus allen Fenstern geschossen; in den schmalen Straßen drängten sich Freund und Feind; wie das Flammenmeer so wogten auch die Menschen vorwärts und rückwärts und die zusammenstürzenden Dachſtühle erschlugen nicht selten diejenigen , welche von den feindlichen Kugeln verschont geblieben waren . Die Oestreicher wurden zweimal aus dem Dorfe geschlagen, zweimal kehrten sie wieder, und diesmal war das Gemezel, begleitet von dem Heulen der Gluth und dem Geschrei der Soldaten wahrhaft furchtbar und schreckenerregend. Alfred war in einer engen Nebenstraße handgemein mit einigen Husaren . Dicht neben ihnen stand ein Gehöft in Flammen ; durch die offenstehende Stallthüre konnte man das vom Feuer eingehüllte Vieh sehen. Es brüllte in Todesangst und zerrte an den Ketten, aber es war Niemand da, der ihm in seiner Noth beistand ; der Kampf war so rasch über die Bewohner ge= kommen, daß sie geflohen waren , ohne etwas retten zu können. Da tönte ein herzzerreißender Schrei durch die Gaffe.
27 Alfred blickte empor und ſah am Fenſter des obersten Stockwerkes ein junges Mädchen mit aufgelösten Haaren; es rang die Hände und schrie um Hülfe. Von Mitlei ben ergriffen, sprang er in das brennende Haus und eilte die von Rauch eingehüllte Treppe hinauf. Dem Geschrei des Mädchens folgend gelangte er in das Zimmer. Eine Greifin lag dort auf den Knieen und flehte den Himmel um Rettung an. Das Mädchen stuzte, als es den feindlichen Trompeler sah; aber sein Auge sagte ihr , daß er ein menschenfreundliches Herz im Busen hatte. Retten Sie meine Mutter, rief sie, sie ist des Gebrauches ihrer Füße beraubt ! Alfred faßte die zitternde Frau auf seine Arme und rief dem Mädchen zu : kommen Sie mir nach, es ist keine Zeit zu verlieren ! Fort war er und brachte die Frau durch Rauch und Flammen auf die Straße. Das Mäd, chen aber hatte nicht den Muth gehabt , ihm zu folgen, er hörte sie noch immer um Hülfe rufen. Rasch entschlossen machte er den Weg noch einmal Ohne zurück und fand das Mädchen am Boden liegen. eine Wort zu sprechen nahm er sie auf seine Arme. Sobald sie fühlte, daß ihr Hülfe wurde, klammerte fie sich so fest um seinen Hals, daß er sich kaum bewegen fennte ; aber die Gefahr gebot Eile, denn die Stufen der Mit rasender Eile Treppe standen schon in Flammen. stürzte er hinab, und es gelang ihm , sich und das MädDank, tausend Dank, den auf die Straße zu bringen. bauchte sie, als er sie niedersezte. In diesem Augenblick wurde er von östreichischen Infanteristen ergriffen; sie nahmen keine Rücksicht darauf, daß der Feind sich in der Ausübung eines edeln Liebeswerkes befand. Schämt euch, schrie er sie an! Laßt uns Klinge gegen Klinge kämpfen und jeder wird sein Bestes thun, aber er ist eines Kriegers unwürdig, den Feind in einer solchen Lage zu überfallen ! Auch das Mädchen und die Greisin baten für ihn, aber die Destreicher stießen ihn mit Flintenkolben in ihre Reihen und drohten ihn niederzuschießen, wenn er sich nicht
28 sogleich ergebe. Was konnte er gegen die Uebermacht ausrichien? Den Säbel von sich schleudernd gab er sich gefangen, aber es that ihm doch weher, als wenn er einen Finger von der Hand verloren hätte. Das kleine Häuflein der Preußen hatte unterdessen Verstärkung erhalten; die Zündnadelgewehre thaten Wünder, die Klingen der preußischen Füsiliere schlugen breite Wunden, die Destreicher wichen durch das brennende Dorf zurück. Als ihnen dieses keinen Schuppunkt mehr bot, artete der Rückzug in wilde Flucht aus. Hunderte warfen die Gewehre weg, um besser laufen zu können, wieder hunderte ließen sich freiwillig gefangen nehmen, um nur dieser schrecklichen Retirade los zu werden. Auf der Flucht fielen ihrer dreimal mehr, als in dem Kampfe. Alfred schöpfte Hoffnung; denn er dachte, seine Wächter würden ebenfalls ermatten und dann stände ihm nichts mehr im Wege, zu seinen Freunden zurückzukehren. Aber merkwürdiger Weise verstanden diese Wächter das Laufen wie Schnellläufer von Profession, sie kamen glücklich bis in den Wald, wo ihre Verfolger nicht einzudringen wagten. Nachdem sie noch einige tausend Schritte tiefer in das Dickicht eingedrungen waren, machten sie Halt; sie hatten's nöthig, denn der Athem jagte ihnen, daß man fürchten mußte, die Lungen würden ihnen plazen. Nach und nach erholten sie sich, und nnn wendete sich ihr Zorn gegen den unschuldigen Trompeter, den einzigen Preußen, dessen sie habhaft geworden waren. Durch Stoßen und Schlagen bewiesen sie einen wohlfeilen Heldenmuth gegen einen wehrlosen Menschen. Soldaten, rief Alfred, seid ihr etwa ausgezogen , um einen preußischen Trompeter zu drangsaliren , der euch zwei Menschen vom Tode gerettet hat ? Pfui über euch ! Hätte mich eure Kugel auf dem Schlachtfelde mitten durch das Herz getroffen, wäre mein Haupt von einem Säbel gespalten worden, so würde ich nicht murren ; es ist ein Loos, was uns gegenseitig fallen kann, aber ich glaube, jeder Edeldenkende ist dem Gefangenen Achtung uud milde Behandlung schuldig.
29 Die Oestreicher lachten . Kerl, hast du Geld und Geldeswerth bei dir? fragte ein dicker Korporal. Der Trompeter reichte ihnen das wenige Geld, welches er besaß, und die zertrümmerte silberne Uhr. Dies ist nicht alles, rief der Korporal ; da verräth sich eine goldene Kette und an deinem Finger glänzt ein filberner Ring. Beides gehört nicht mir, antwortete Alfred, ein sterbender Offizier hat es mir gegeben ; ich soll es seiner Gattin nach Brünn bringen. Großmaul, schrie der Korporal, du kommst in deinem Leben nicht nach Brünn ! Her mit den Sachen, ſie ſind bei einem faiserlichen Korporal besser aufbewahrt, als bei einem verhungerten preußischen Trompeter ! Ungeachtet seinen Betheuerungen und Protestationen nahm er ihm Ring und Kette ab und legte sie selbst an. Alfred konnte natürlich nichts dagegen thun, denn er befand sich allein unter drei Dußend übermüthigen Feinden. Das Schießen und Kanoniren dauerte noch immer fort, aber es hatte eine andere Richtung genommen und serhallte mehr und mehr in der Ferne. Laß sie sich nur die Hälse abschneiden , sprach der Korporal, wir sind einstweilen in Sicherheit und können hier besser aushal= ten, als den verfluchten Zünduadelgewehren gegenüber. Aber mich hungert Kameraden , habt ihr nichts zu eſſen? Tornister und Taschen wurden durchsucht, sie waren leer; Niemand konnte dem Korporal ein Stück Brod oder einen Schluck Brantwein geben. Einer von ihnen war auf Recognoscirung ausgegan= gen; er kam jetzt zurück und brachte die Nachricht, daß hinter dem Walde, keine tausend Schritte weiter ein Dorf liege. Sogleich brachen sie auf und eilten dem Orte zit . Als sie ankamen, liefen ihnen die Bauern mit Freubenjauchzen entgegen, denn sie hatten die gefürchteten Breußen erwartet und nun sahen sie ihre eigenen Soldaten kommen. Mit Hurrah ging es in das Dorf, wie in eine eroberte Festung. Ein wildes Getöse erhob sich; flatternd und gacterno flogen die Hühner aus dem Wege , die
30 Hunde bellten, die Kinder schrieen, die Männer wehrten ihrem Ungestüm, die Weiber rangen die Hände, aber die Soldaten benahmen sich wie Räuber und Banditen ; wo ihnen nicht sogleich geöffnet wurde, schlugen sie die Thüren ein und erbrachen Schränke und Kasten. In dem Hause, wo der Korporal sich einquartirt hatte, schwamm die Stube von verschüttetem Wein ; was die Küche bot, was die Vorrathsräume enthielten, wurde herbeigeschleppt und noch bekam der Hauseigenthümer Schläge, weil er in seiner Ueberraschung und Verwir rung nicht schnell genug war. Auch Alfred wurde von Hunger und Durst gequält, er wollte ebenfalls zugreifen, aber der Korporal verhot es ihm. Gefangene müssen hungern ! schrie er. Wofür sind sie sonst Gefangene? Sollte euch gefallen , wenn ihr so gepflegt würdet ! Die ganze Armee eures Marionettenkönigs würde sich ergeben, wenn sie mit Wurst und Schinken gefüttert würde. Alfred senkte das Haupt, so brutal hatte er sich die Menschen nicht gedacht. Als der Schmaus beendigt war , forderie der Korporal Geld. Der Bauer brachte was er hatte, aber es war für seine Gier nicht genug. Ich schieß dir eine Kugel durch den Kopf, wenn du nicht mehr holst, schrie er wüthend . Da trat Alfred zornig vor und verwies ihm seine Abscheulichkeit. Es wäre zu viel in Feindesland", sprach er , geschweige hier bei deinen Landsleuten. Laß Lazz den armen Menschen ; er hat nichts mehr! " Der Korporal zog wüthend seinen Säbel. Unberu fener Hund, rief er, mische dich nicht in meine Händel! Ein scharfer Hieb traf ihn in die Schulter; das Blut drang durch die Uniform und er sank zusammen. Niemand kümmerte sich um ihn, so blieb er denn blutend auf der Erde liegen. Die Oestreicher aber untersuchten alle Behälter und als sie sich überzeugt hatten, daß der Bauer wirklich sein Leßtes gegeben, setzten sie sich wieder hinter den Wein und tranfen, bis sie um den Verstand kamen und unter den Tisch fielen.
31 Als Alfred wieder zu sich kam, saßen nur noch Wenige bei der Flasche, die Meisten schnarchten schon am Boden, auch diese hatten bald des Guten zu viel und fielen in Schlaf. Seine Wunde schmerzte ihn und er wurde von Durst gequält. Leise versuchte er sich zu erheben, aber nun wurde er gewahr, daß ihn die Trunkenbolde festgebunden hatten; die Hände waren außerdem so fest geschnürt, daß er nicht einen Finger bewegen konnte . Auf diese Weise hatten sie sich bei dem Gefangenen eine Woche erspart. Es wurde dunkel. Der mißhandelte Bauer trat ein , stellte eine Lampe auf den Tisch und wollte sich wieder entfernen. Einen Schluck Wasser, flehte Alfred, ich verschmachte ! Der Bauer zuckte die Schultern und flüsterte : Jey wage es nicht , sie würden mich todt schlagen ! Seid menschlich, flehte Alfred noch einmal, einen Schluck Wafser giebt man auch seinem ärgsten Feind ! Der Wirth schielte nach den Flaschen, aber die Augſt war zu groß, er ging hinaus, ohne den Gefangenen zu laben. Roch einmal machte Alfred eine Anstrengung, sich zu erheben, aber er vermochte es nicht. Wie Gott will, seufzte er und schloß die Augen . Bald darauf verfiel er aus Schwäche in Schlummer. Jezt wurde er durch ein Kütteln geweckt; er schaute empor und fah in das Antlig eines lieblichen Mädchens. Auf den ersten Blick erkannte er sie wieder, es war dieselbe, die er aus dem brennenden Hause gerettet hatte . Sie näherte ihren Mund seinem Ohr und flüsterte : Sprechen Sie nicht , ich werde Sie retten! Dann ergriff sie ein Messer, welches einer der Destreicher nach ihm geschleudert hatte, und durchschnitt seine Bande. Der Blutverlust hatte ihn so sehr geschwächt, aber mit ihrer Hülfe konnte er sich doch erheben. Sind Sie ſtark genug, zu gehen ? fragte sie leise. Er nickte. Sie reichte ihm den Arm und führte ihn aus der Stube und aus tem Hause, wo sie sich im Schatten der Wände hielt. De: Wirth darf uns nicht sehen, sprach sie, er würde aus Furcht die Soldaten wecken.
32 Bald hatten sie den Wald erreicht, in welchem sie am Tage gelagert hatten. Laß mich einen Augenblick ruhen, gutes Mädchen, sprach er, ich kann vor Mattigkeit nicht weiter, Hunger und Durst verzehren mich. Sie ließ ihn auf einen umgeschlagenen Baumstamm nieder und eilte hinweg ; bald kam sie zurück, in der Höhlung der zusammengeschlossenen Hände Wasser bringend, welches sie ihm an den Mund führte. Er schlürfte es bis zum legten Tropfen aus . Hast du etwas zu essen? fragte er. Sie griff in die Tasche und gab ihm ein Stück Brod , welches er mit wahrem Heißhunger verschlang. Können Sie jest weiter gehen ? fragte sie. Ich will es versuchen, gab er zur Antwort, reiche mir deinen Arm, denn allein gehts doch nicht. Das Mädchen stützte ihn so gut sie konnte, aber der Marsch ging doch nur langsam von statten, weil ihn bei jedem Schritte die Schulterwunde schmerzte. Er biß indessen die Zähne zusammen, denn er wollte dem Mädchen seine Schwäche nicht zeigen, Der Weg wurde jest abschüssig und sie gelangten zwischen steilen Felsen in eine Thalschlucht, wo ein munteres Bächlein plätscherte. Hier sind wir einstweilen außer Gefahr, sprach sie, denn die Schlucht liegt abseit von allen gangbaren Wegen und ich glaube nicht, daß die Soldaten uns hierher folgen werden, selbst, wenn sie ihren Gefangenen vermissen sollten. Wo sind Sie verwundet ? In der Schulter, antwortete er, der Korporal hat die Heldenthat begangen. Vielleicht treffe ich noch einmal wieder mit ihn auf dem Schlachtfelde zusammen und dann hoffe ich es ihm heimzuzahlen. Jezt leuchtete der Vollmond in die Schlucht ; man konnte jeden Gegenstand deutlich erkennen , die Felsen, den Bach, die Gräser und Kräuter an demselben und selbst die lieblichen Augen der schönen Böhmin . Mein Gott, rief er aus, dir ist in dem Brande dein schönes Langes Haar versengt worden ! Ja, antwortete sie, aber es wäre faſt nicht dabei geblieben; ohne Ihre rasche und muthige Hülfe lägen ich und die Großmutter jest als verkohlte Leichen unter den
33 Trümmern unseres Hauses. Ach, ich bin so traurig, daß ich so wenig für Sie thun kann! Bald ziehen Sie für immer fort und ich sehe Sie nimmer wieder. Du hast es schon quitt gemacht, antwortete der Trompeter; der Korporal und seine Soldaten hätten mir sicher den Caraus gemacht, wenn Du nicht, wie ein Engel in der Nacht gekommen wärest und mich gerettet hättest . Nein, nein, antwortete sie unter heftigem Schluchzen, ich bleibe Ihnen ewig Dank schuldig und kann ihn nicht heimzahlen. Während noch ihre Thränen rieselten, riß sie ihre Echürze entzwei, wischte ihm das geronnene Blut hinweg und verband die Wunde. Welch ein Glück, daß Du mich fandest, sprach Alfred, aber wie ging das zu ? Der Dank trieb mich Ihnen nach, antwortete ſie ; Sie waren meinetwegen zum Gefangenen gemacht wor de und es verstand sich von selbst, daß ich Sie auch wieder frei machen mußte. Ich wäre Ihnen bis nach Wien gefolgt, um es möglich zu machen ; aber Gott hat mir geholfen, daß es schneller ging. Du liebes , gutes Mädchen,sprach er gerührt, ich werde ewig an Dich, meinen Schußengel, denken, wenn ich jemals wieder an den Rhein zurückkomme. Aber sage mir wie Du heißest. Kathinka, hauchte sie. Es war ihm so wohl und wonnig zu Muthe, er fühlte von seiner Wunde fast nichts mehr und horchte mit stillem Entzücken dem Geplauder Kathinka's. In seinen bisherigen Schmerzen und seiner Aufregung hatte er wenig auf ihre Ausdrucksweise gemerkt, erst jezt fiel es ihm auf, daß sie sich sehr gewählt ausdrückte und eine weit größere Bildung besaß, als er bei einem böhmischen Torfmädchen voraussehen durfte. Aus ihrer Erzählung erfuhr er, daß sie die Tochter eines Arztes war, welcher sich eben auf dem Schlachtfelde befand, als ihr Dorf zum Kampfplage wurde. Ihre Mutter war seit Jahren todt und sie führte dem Vater die Haushaltung. Alfred jchämte sich, daß er sie ebenhin behandelt und Du genannt hatte; sie aber lachte fröhlich und meinte, er habe 3
34 sich dieses Vorrecht in den Flammen ihres brennenden Hauses verdient. Und Du in der Bauernstube zwischen den schlafenden Deſtreichern, antwortete er; was dem Éinen recht, ist dem Andern billig! Sei's, sprach sie lächelnd und reichte ihm die Hand. Nach einer halbstündigen Rast schritten sie tiefer in die Thalschlucht hinab, die sich in vielen Windungen um die steilen Felsen frümmte. Wohin führst Du mich ? fragte er. Zu meinem Vater, gab sie zur Antwort; er hat die Großmutter hierher geflüchtet , bis die Gefahr vorüber ist. Er wird Dir einen besseren Verband anlegen, wie ich. Steh, da sind wir schon zur Stelle. In einer Höhle loderte ein Feuer ; ein Mann mit aufgestreiften Aermeln stand an demselben und bereitete ein Abendbrod ; neben ihm saß die alte Großmutter. Kathinka flog auf den Mann zu und umarmte ihn. Mein Gott, Kind, rief der Arzt ; wo bist Du gewefen ? Ich und die Großmutter haben in tausend Aengsten geschwebt und glaubten Dich schon in die Hände der Preußen gefallen. Ich mußte diesen braven Mann retten, antwortete ſie, denn er hat Dir die Tochter und die Mutter erhalten. Der Doctor reichte ihn die Hand und schloß ihn in seine Arme. Es freut mich von Herzen, daß ich Ihnen danken kann, sprach er ; leider kann ich Ihnen in diesem Versteck nur wenig Bequemlichkeiten bieten, aber wenig stens will ich Ihre Wunden untersuchen, die Ihnen von ruchloser Hand beigebracht worden sind. Der Arzt nahm den Verband ab, welchen Kathinka angelegt hatte und untersuchte die Wunde beim Scheine des Feuers. Sie sind gut davon gekommen, sprach er, die Wunde geht nur bis auf die Knochen, und ich habe ein Heilmittel bei mir, das Sie in wenigen Tagen wieder ganz gesund macht. Er nahm ein Fläschchen aus der Tasche, träufelte einige Tropfen davon in die Wunde, legte ein Pflaster darüber und verband sie von Neuem. Alfred bis die Zähne zusammen, denn die Tropfen verursachten ihm einen furchtbaren Schmerz.
35 Tapfer ausgehalten, sprach der Arzt, der Schmerz ist bald vorüber, nachher werden Sie die wohlthätige Wirkung verspüren . So war es in der That ; nach zehn Minuten fühlte er sich ziemlich schmerzfrei. Die drei Personen höckten um das Feuer und unterhielten sich ganz vortrefflich. Alfred mußte von seiner Heimath und von den Lieben erzählen, die er in derselben zurückgelassen ; der Arzt schilderte die Schrecken des Schlachtfeldes ; Kathinka die Angst bei dem stattgefundenen Kampfe und dem ausgebrochenen Brande ; die Großmutter hörte nicht auf, ihren Dank zu wiederholen. Endlich mußte man doch an den Schlummer denken, er war für alle nöthig. Jeder suchte sich ein Eckchen an dem Felsen, wo er den Rücken anlehnen konnte. Kathinka hatte am Eingang der Höhle Plaz genommen; der Mond schien ihr voll in's Gesicht und Alfred konnte ihre reinen und wahrhaft schönen Züge be wundern. Er that es lange, dann wandte er den Kopf um ; die Zeit und die Ereignisse waren doch zu ernst, um im fernen Böhmenlande das Herz zu verschenken. Morgen ging's ja weiter, vielleicht oder vielmehr wahrscheinlich sah er Kathinka niemals wieder, wozu also sich einen Stachel in die Brust bohren, der schwerer heraus zu bringen war, als die Wunde aus der Schulter ? Wit riesem Vernunftschluffe schlief er ein, und erwachte erst, als Kathinka ihn zum Frühstücke rief, welches freilich aus hartem Brode und Wasser bestand, aber es mundete doch trefflich, denn der Hunger that das Seinige dazu. Der Arzt reichte dem Trompeter die Hand. Sie bleiben mit Kathinka und meiner Mutter in dieser sichern Höhle, sprach er, biz Sie vollständig genesen sind, ich aber muß zu meiner Pflicht zurückkehren ; eine Hand weniger ist bei der Masse von Verwundeten sehr zu beklagen. Die Aussicht, mit dem schönen Mädchen einige Tage, vielleicht Wochen in traulicher Gemeinschaft zu verleben, war für den Trompeter eine lockende Versuchung , besonders als auch Kathinka mit aufrichtiger Jnnigkeit in ihn drang. Aber das Schwanken dauerte nicht lange. Herr Doctor, gab er zur Antwort, Ihre Pflicht ist bei den 3*
36 Sterbenden, die meinige bei den Streitern ; meine Trompete hat die Aufgabe, sie in den Kampf zu schmettern. Ich wäre kein echter preußischer Soldat, wenn ich hier die Zeit verlottern sollte, während meine Kameraden im Kugelregen stehen . Lebt wohl, ihr guten Leute, und habt Dank für alle Güte ! Kathinka gab sich Mühe, ihn zu halten, aber er blieb standhaft. So will ich Dich wenigstens den nächsten Pfad auf eine gebahnte Straße führen, sprach sie, und schritt ihm voraus. Beide sprachen kein Wort, Beiden war das Herz zu voll. Am Auswege des Waldes blieb die Böhmin stehen und zeigte ihm die Landstraße. Ihre Augen standen voll Wasser, darum wandte sie sich rasch um ; er sollte nicht sehen, daß sie weinte. Da verließ den Trompeter doch seine erkünftelte Ruhe. Halt. Kathinka, rief er, so darfst Du doch nicht gehen. Unser Abschied gilt vielleicht fürs Leben und da muß ich Dir doch sagen, daß ich Dichherzlich lieb habe. Kathinka kehrte um, durch ihre Thränen lächelnd lag sie in seinen Armen. Werde ich Dich wiedersehen ? hauchte sie. Gott weiß es, gab er zur Antwort. Wenn Kugel und Schwert meiner schonen, so ziehe ich nicht an den Rhein, ohne dich gesehen zu haben. Da nimm diesen Goldreif und erinnere dich, daß ein treues Herz ihn ge= tragen. Sie nahm das Ringlein ohne Widerstreben , reichte ihm den ihrigen und lispelte : Das Herz der Böhmin schlägt nicht weniger treu, als das dez Rheinländers . Ein Kuß dann drückten sie sich noch einmal die Hände und schlugen entgegengesetzte Richtungen ein. Wie war es dem Trompeter so wundersam zu Muthe, als er auf der staubigen Landstraße daherschritt. Welchen Wechsel von Ereignissen hatte er in den wenigen Tagen er fahren ! Blut und Schlachtendonner, die Schreckniffe des Blütfeldes und die Süßigkeit der Liebe ! Kathinka wird die Meine, tönte es in seinem Herzen. Wenn der Krieg vorüber ist, hole ich mir die Braut !
37 Wohin sollte er sich wenden , um wieder zu seinem Er wußte es nicht , denn er hatte Corps zu kommen ? nicht einmal einen Begriff von der Himmelsgegend, in welcher er sich befand. Mehrere Stunden lang war er rüstig weiter geschritten, nur einzelne böhmische Bauern die Menschen machten drohende Gesich begegneten ihm ter, sie gaben sich durchaus keine Mühe, ihren Haß zu verbergen, und einige riefen ihm in czechischer Sprache So lange Schimpfwörter nach und ballten die Fäuste. er sich nicht er es mit Einzelnen zu thun hatte , brauchte zu fürchten, aber wenn er zufällig auf einen größeren Trupp stieß, so konnte man das Ende nicht voraus ſehen . Es schien ihm deshalb angemessen, sich feitwärts in die Büsche zu schlagen, wo seine feindliche Uniform nicht so leicht zu erkennen war . Ju der Ferne stiegen jezt Staubwolken in die Höhe ; er duckte sich ins Gesträuch, denn er wußte nicht, ob es Die Reiter kamen näher, sie Freund oder Feind war. fangen ein Soldatenlied. „ Steh' ich in finstrer Mitternacht !" klang es zu ihm herüber. Das sind Rheinländer, rief . er hocherfreut, sprang aus seinem Versteck auf die Straße, sezte die Trompete an den Mund und begleitete den Gesang. Die Reiter mußten ihn vernommen haben, denn der Gesang verstummte ; da kam es wie helle Lust über ihn und er blies zur Attaque, die Pferde griffen aus und im u waren die Reiter in seiner Nähe. Alfred ! Alfred ! erschallte es aus zehn Kehlen zugleich. Wo kommst Du her ? Aus der Gefangenschaft, gab er zur Antwort, aber er that auch zugleich einen Freudenschrei, denn bei den Reitern befanden sich seine drei Busenfreunde. Die Reiter machten Halt und nun gab's ein Erzählen von allen Seiten. Auch sie waren nahe daran gewesen, in Gefangenschaft zu gerathen, aber sie hatten sich ritterlich durchgehauen. Jest waren sie eben auf dem Wege, ihre Fahnen wieder aufzusuchen. Glücklicherweise hatten sie noch ein leeres Pferd bei sich. Alfred schwang sich in den Sattel und fort ging es, daß die Funken davonstoben.
38 IV. Eine schlafende Schildwache. Nächtliche Lagerfeuer. Zehntauſeno Preußen. — Zwei schwarze Punkte. In der Falle Unheimliches Gewimmer. — Lebendig eingemauert. Pandurenrache. Soldatenhelme als Waſſereimer. Der Sterbende zwi schen den Kornhalmen . Den ganzen Tag über ritten sie im raschen Trabe weiter ; in den Dörfern, welche sie passirten, wurden ihnen aus Furcht reichlich Lebensmittel gegeben und sie litten keinen Mangel, aber sie konnten von den erbitterten Bauern nirgendwo erfahren, wo die Preußen anzutreffen seien, sie zogen die Schultern und gaben vor, unbekannt mit ihrer Stellung zu sein. Die Nacht kam, da erblickten sie in der Ferne zahlreiche Feuer, aber noch wußten sie nicht, ob es Freunde, ob es Feinde seien. Nur immer munter drauf los , rief Alfred . Eie trabten schärfer, die Feuer wurden heller, aber sie sahen teine Zelte, die Soldaten mußten ohne allen Schuß auf der bloßen Erde campiren. Halt, Vorsicht ! rief einer, wir sind nicht mehr weit vom Bivouat! Der Trupp hielt, die Vordersten stiegen von den Pferden und gingen leise vorwärts, um zu recognosciren , die Andern blieben zurück. Die Späher näherten sich vorsichtig den La= gernden. Jezt gelangten sie an einen Posten , es war ein Destreicher ; der arme Mensch war vor Ermattung eingeschlafen, an einen Baum gelehnt schnarchte er jo laut, dag Alfred das Lachen nicht verbeißen konnte. Leise rletterte er auf einen andern Baum und schaute über die Feuer ; die Anzahl der Destreicher war nicht halb so groß, wie er geglaubt hatte. Die Lust, einen jovialen Streich zu spielen, fam über ihn . Najch rutschte er vom Baume herab, entrieß der schlafenden Wäche das Gewehr und schrie ihm in die Ohren : Abscheulicher Kerl, thust Du so Deine Pflicht ? Meine zehntausend Preußen werden Dir den Schlaf vertreiben ! Der arme Kerl war ein echtes Wiener Kind ; er hatte in dem kurzen Feldzuge schön manchmal Fersengeld gegeben und wußte, was das sagen wollte : Zehntausend Preußen!
39 Alfred ließ ihn los und blies zur Attaque. Seine Kameraden, welche ihn in Gefahr glaubten, sprengten vorwärts, daß der Boden dröhnte. Beim Klange der Trombete waren die Oestreicher aufgewacht ; noch halb schlaftrunken hörten sie von der pflichtvergessenen Schildwache den Ruf: Zehntausend Preußen ! Zehntausend Preußen! tönte es aller Enden , und im Nu gaben sie sich auf die Retirade. Schüsse knallten ihnen im Rücken, die Kugeln saus'ten um ihre Köpfe, Schrecken bemeisterte sich aller Herzen, und sie fleben mit Sturmeseile in die Nacht hinaus. So, die Schlacht hätten wir wieder einmal aewonnen, rief Alfred, als die Oestreicher im Walde verschwanden, nun wollen wir einmal das Schlachtfeld besehen ! Sie tehrten an die Lagerfeuer zurück und ſahen zu ihrer größten Belustigung, daß die Oestreicher in ihrer Eile Waffen und Gepäck zurückgelassen hatten. Die kommen nicht wieder, sprach er, denn sie haben keine einzige Büchse bei sich. Die muthige Schaar, welche durch den kecken Ueber= muth eines Trompeters einen so raschen und unblutigen Sieg davon getragen hatte, machte sich's nun bequem an ten lodernden Feuern. Diejenigen, welche alle Stunden lang Hunger hatten, untersuchten die Tornister der Flüchtlinge und fanden zu ihrer Freude manches Stück Fleisch und Wurst. Aber es gab auch noch eine Menge anderer Dinge, die nicht zu verschmähen waren. Die Herren Destreicher schienen alle Bauernhöfe der Umgegend geplündert zu haben, denn neben den Feuern lagen in ganzen Haufen Hühner, Enten und Gänse, gerupfte und ungerupfte. Sie boten für den kleinen Trupp auf mehrere Tage Nahrung . Die hungrigen also gaben sich noch ans Kochen und Braten, die übrigen überließen sich dem Schlummer oder festen sich in Gruppen zusammen und plauderten beim Mondenschein, zu den letzteren gehörten auch Alfred und jeine Kameraden. Sie erzählten sich einander ihre Erleb= nisse, die oft seltsam und abenteuerlich genug flangen. Unser Trompeter erzählte ebenfalls und er war in
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seinen Berichten genau ; aber von Kathinka schwieg er, denn er fürchtete das Lachen und den Sport seiner Kameraden, und die Erinnerung an das liebe Mädchen war ihm doch allzu heilig, als daß er sie einer rohen oder auch nur muthwilligen Aeußerung Preis geben sollte. Fast Keiner von der kleinen Truppe hatte in der vergangenen Nacht geschlafen ; Alfred erbot sich deshalb freiwillig, die Wache zu übernehmen. Er wurde jubelnd beim Worte genommen, denn seine Wachsamkeit war befanut, auch war im Falle der Gefahr Niemand im Stande, so viel Lärm zu machen, wie er mit seiner Trompete. Die Kameraden zahlten der Natur ihren Zoll , sie schliefen, Alfred aber schritt vor dem Lager auf und nieder und ließ seine Augen nach allen Richtungen gehen. Er hatte sich einen kleinen Hügel ausgesucht, von dem er bei der Helle des Mondes nicht allein das Lager, sondern auf die Umgegend bis zum Walde übersehen konnte. Nirgends regte sich etwas, allenthalben die tiefste Ruhe, selbst in dem Walde, wohin die Oestreicher geflohen waren. Seine Gedanken richteten sich unwillkührlich nach Kathinka, dem lieblichen Böhmenmädchen, und er hatte rechte Müße, denselben nachzuhängen. Die Abwesenheit von ihr malte sie ihm noch einmal so schön ; er machte sich Vorwürfe , daß er sie sobald verlassen hatte, und meinte, die Soldatenehre hätte nicht darunter gelitten, wenn er seine Schulterwunde bei ihr habe vernarben lassen , ehe er den Rückweg angetreten. Fest stand es bei ihm, daß er Böhmen nicht verlassen wolle bis er sie vorausgeseßt, daß er am Leben blieb noch einmal gesehen . Eben so fest war es , daß ſie ſeine Gattin werden sollte. Der Leser mag sich in denselben Fall hineindenken und er wird zugeben, daß ihm die Stunden außerordentlich rasch vergingen, denn , welches Thema wäre unterhaltender als die Liebe, und gar eine Liebe mitten im Schlacht- und Lagerleben ! Vom Hin- und Hergehen müde, hatte er sich auf den Boden gesezt, da sah er zwei schwarze Punkte am Saume des Waldes, die vorher nicht dagewesen waren. Aufmerksamer
41 schaute er hin, sie bewegten sich , sie kamen näher , jcht erfannie er, daß es zwei Menschen waren , welche direct auf das Lager zufamen. Nicht lange, so konnte er die Uniform erkennen , es waren zwei von den östreichischen Flüchtlingen, die vorhin an dieser Stelle gelagert hatten. Rasch legte er sich flach nieder, nahm aber zur Vorsicht das östreichische Gewehr zur Hand, welches ihm die Kameraden zum Schuße mitgegeben hatten. Was mögen die Kerle wollen ? fragte er sich. Er sollte es bald sehen: als sie sich dem Lager auf etwa hundert Schritte genähert hatten, duckten sie sich und krochen auf Hand und Fuß bis an den Hügel , wo er lag. Siehst du, flüsterte der Eine, die Preußen schlafen wie die Ratten, wir können unsere Waffen wiederholen und sie alle mit einander todtschlagen, denn es sind ihrer nicht den zehnten Theil so viel, wie wir vermutheten. Nachdem sie noch einen Blick über die Schlafenden gethan hatten, gingen sie mit raschen Schritten zurück und verschwanden im Walde. Soll euch der Kuckuck holen, ihr Nacker, murmelte Alfred, wir werden euch die nächtlichen Spaziergänge einsalzen. Geräuschlos weckte er jetzt die Kameraden und theilte ihnen mit, was bevorstand . Es wurde eine kurze Berathung gehalten und beschlossen , daß jeder sein Gewehr in der Hand haltend, liegen bleiben solle , doch, daß sie mit einem einzigen Sprunge in Reih und Glied und schußfertig daſtänden, wenn die Oestreicher kämen . Diese hatten sich bei der angenehmen Nachricht sogleich auf den Marsch begeben, um ihre Waffen zu holen . Mit aller Vorsicht kamen sie näher. Das Herz mochte ihnen. bei Sem gewagten Unternehmen doch nicht wenig klopfen, denn ihre Schritte wurden allmählig langsamer , sie machten sogar einen Augenblick Halt und berathschlagten, famen dann aber wieder vorwärts . Jeßt duckten sie sich und frochen wie die Kazen auf allen Vieren näher ; mit jedem Augenblick wurde der Raum zwischen ihnen und dem Lager geringer, nur noch wenige Fuß, dann erhoben sie sich und wollten sich über die Schlafenden herstürzen.
42 Da plötzlich schmetterte die Trompete , im Nu waren die Preußen auf den Füßen, streckten ihnen ihre eigenen Flinten entgegen und eine kräftige Männerstimme rief: „Wer sich einen Fußbreit weit entfernt , ist des Todes ! " Die Oestreicher standen wie angedonnert und ließen die Köpfe hängen. An Flucht war nicht zu denken , sie hatten sich unvorsichtiger Weise in die Falle begeben und mußten nun geschehen laſſen, was sie nicht ändern fonuten. Sie stießen zwar barbarische Flüche aus , ergaben sich aber doch. Noch eine Stunde, dann trat die Dämmerung ein. Jetzt erst sahen die Preußen, daß sie einen sehr gewagten Streich gespielt hatten, denn der Gefangenen waren so viele, daß sie troß ihrer Waffen den Kürzern ziehen Sie suchten deshalb mußten, wenn sie sich empörten. zunächst aus dem Bereiche des Lagers zu kommen , wo fich die Gefangenen mit Leichtigkeit ihrer Waffen bemächtigen und einen um so erfolgreicheren Widerstand leisten In der Hoffnung, irgendwo auf preußische Soldaten zu stoßen , setzten sie ihren Marsch fort. Von Zeit zu Zeit kamen sie durch eingeäscherte Dörfer, überall hatte der Krieg in grausenhafter Gestalt gewüthet, Wälder und Felder waren mit Leichen bedeckt. Es war offenbar, daß sie auf einer Straße einherzogen , auf welcher die Breußen die Oestreicher vor sich hergetrieben hatten, denn an vielen Stellen waren die Wege vollgestopft von kaiserlichen Wagentrümmern, weggeworfenen Armaturstücken, todten Pferden und Menschen. Die Bauern, welche sich nach den blutigen Kämpfen wieder aus ihren Verstecken hervorwagten, bestätigten diese Vermuthung, sagten aber auch, daß die Preußen einen Vorsprung von einem ganzen Tage hätten. Nun wurde scharf geritten, kaum gönnte man sich Nast genug, ein Stück Brod zu genießen und den Pferden einen Mund voll Hafer zu geben. Gegen Abend waren endlich die Kräfte vollständig erschöpft und die Gefangenen waren so müde, daß sie zu Dußenden niederfielen. In der Ferne sah man die verbrannten Dächer eines Dorfes, dort sollte die Nacht zugebracht werden.
43 Alfred's Wunde schmerzte, die Anstrengung war zu greß gewesen , er mußte durchaus Ruhe haben. Die Kameraden machten ihm ein Nachtlager in einem Hause, an welchem Fenster und Thüre zerschlagen waren . Er schlief bald ein, hatte aber unruhige Träume , die ganze Nacht glaubte er aus allen Winkeln ein jammervolles Wimmern zu vernehmen. Zweimal wachte er davon auf, aber die Müdigkeit schloß ihm die Augen wieder . Tas Wimmern wurde immer fläglicher und als Alfred mit Tagesanbruch erwachte, drang es beängstigend in feine Kammer. Das war also nicht bloß ein Traum, dachte er ; es muß ein Verwundeter im Hause sein. Er durchsuchte die durchlöcherten Kammern, fand aber nichts als halbverkohlte Balken, durchgeschlagene Kugeln und ungestürzte Mauerstücke . Das Wimmern dauerte immer tort und jetzt schien es ihm vom Dache herzukommen . Eiligst sprang er die Treppe hinauf, fand aber auch hier nichts . Kopfschüttelnd ging er weiter hinab und lauschte. Es kommt aus dem Keller, sprach er zu sich selber, und diese Jammertöne rühren offenbar von einem Menschen her. Rasch war er im Keller und durchsuchte alle Winkel. Das geht nicht mit rechten Dingen zu , dachte er, es ist ja fast wie in einem verwunschenen Schloffe. He, holla, wer stöbnt ? Hier, hier ! hörte er eine schwache Stimme sagen. Mit einem Sprunge war er an dem Orte, woher sie gekommen war, aber fand nur Mauern und den nackten Beden. Wir sind hier eingemauert ! tönte es ; stoßen Sie die Mauer ein, sonst müssen wir sterben ! Eingemauert ? Um Gottes willen ! dachte er, das ist ja entseßlich ! Ein Streichholz anzündend, besah er sich die Mauer, woran er stand, genau und fand , daß der Mörtel noch naß und weich war. Mit wenig Mühe zog er einen Stein heraus und machte ein Loch ; dem ersten folgte ein zweiter und dritter, zuletzt stürzte die ganze Mauer zusammen. In einer Ecke lag ein blasses Weib am Boden; die Hände und Füße waren ihr zusammengebunden ; die
44 Stricke hatten ihr in's Fleisch eingeschnitten, so daß dieses hoch angeschwollen war. An ihrer Seite lagen zwei Kinder, sie hatten die Augen geschlossen und der Athem schien entflohen. Sie waren ebenfalls gebunden . Alfred schnitt die Stricke entzwei und trug sie an die Luft. Von allen Seiten kamen die Soldaten herbei und fragten, was es gäbe. Das wußte Alfred selbst noch nicht, aber er sah, daß diese armen Menschen dem Verhungern nahe waren. Man gab der Frau zu trinken und reichte ihr Brod. Als sie einen Schluck genossen hatte, beugte sie sich zu den Kindern, welche die Augen wieder aufgeschlagen Die Soldaten hatten und ließ sie ebenfalls trinken. fuchten Brod und Fleisch zusammen, Jeder gab, was er hatte, und sah schweigend zu, wie die Frau und ihre Kinder den Heißhunger stillten. Als sie gegessen hatten, fragte Alfred, wie sie in diesen schrecklichen Zustand gekommen seien. Sie sah sich scheu um, und da sie keine östreichischen Uniformen sah, so begann sie zu erzählen : Wir sind Deutsche und wohnen hier mitten unter Czechen, von Vor drei Tagen lagen denen wir viel zu leiden haben. hier Panduren im Quartier ; ich war mit meinen Kindern allein, denn meinen Mann hatten sie gezwungen, Verwundete zu fahren. Er ist noch nicht zurückgekehrt. Sie mußten wohl glauben, daß ich ihre Sprache nicht verstände, denn sie berathschlagten in meiner Gegenwart über ein schändliches Verbrechen. Im Kampfe waren einige deutsche Soldaten in ihre Hände gefallen, welche Die Panduren waren gebunden in der Scheune lagen. furchtbar erbittert über dieselben, denn sie hatten einen ihrer Freunde erschossen. Was sollen wir die Kerle noch Wenn der Friede ge= lange mitschleppen ? sagte einer. schlossen wird, so wird man sie wieder freigeben und wir sind um unsere Rache. Wißt ihr was, wir wollen die. Scheune anzünden und sie lebendig verbrennen. Es geht jezt so manches Gebäude in Flammen auf, daß eine Scheune mehr oder minder nichts verschlägt. Ich zitterte vor Schrecken, war aber fest entschlossen,
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die armen Menschen zu retten. Ohne mich lange zu be sinnen, nahm ich ein Messer, ging in die Scheune, Sie ignitt sie los und rieth ihnen, eiligst zu fliehen. machter sich schnell aus dem Staube und als die Panduren tamen, um die Scheune anzuzünden , waren sie bereits im Walde. Diese sezten ihnen nach, fanden ſie aber nicht. Sogleich fiel der Verdacht auf mich, meine Landsleute gewarnt und befreit zu haben. Ich konnte es nicht leugnen, auch würde der Versuch dazu vergeblich gewesen sein, denn außer mir und den Panduren befand jich Niemand in der Nähe, auf den ein Verdacht hätte fallen können. Wüthend fielen sie über mich her und wollten mir den Kopf spalten, aber der Anführer meinte, diese Todesart sei viel zu gelinde für mich, eine solche Verrätherin müsse eingemauert werden und sammt ihrer Brut bei gesundem Leibe verhungern. Alle brüllten ihm Beifall zu , wir wurden in den Keller hinabgeschleppt, gebunden und vermauert. Das war kaum geschehen, so hörten wir über unseren Köpfen ein furchtbares Schießen, Kugeln schlugen überall durch sie Mauern, die Wände stürzten ein, das Haus stand in Flanımen . Wir schrien, so laut wir konnten, aber in dem Getümmel des Kampfes hörte uns Niemand. Als dies rorüber war, herrschte Todtenstille um uns her, nur das Sausen der Flammen hörten wir. Wir schrien uns heiser, aber alle Einwohner waren geflohen , die Oeste Keine reicher vertrieben, die Preußen hinter ihnen her. Menschenseele befand sich weit und breit, die uns in Eine furchtdieser schrecklichen Lage beistehen konnte. are Stunde nach der andern verging, unsere Kräfte schwanden, der Hunger quälte uns, die Stimme versagte. Die Kinder wimmerten nach Brod , ich konnte ihnen nichts geben, es war mehr, als ein Mutterherz ertragen fann. Wir beteten unaufhörlich, bis wir auch das nicht mehr konnten. In den Tod ergeben lagen wir in un1erm Kerfer, da hörte ich gestern Abend Menschen anfommen. Die Hoffnung belebte mich wieder, sie gab mir die Stimme zurück und so wurden wir endlich durch diesen wackern Trompeter gerettet.
46 Die Soldaten hatten dieser schaurigen Erzählung mit gerührtem Herzen gelauscht ; Thränen flossen über die sonnverbrannten Gesichter, und wie von einem Gedanken beseelt, suchten sie ihre Geldvorräthe zusammen und schüt= teten sie in die Hände der armen Frau, welcher der Krieg Alles genommen hatte, Eine halbe Stunde später zogen sie weiter ; ein stiller Ernst lag auf der sonst so muntern Schaar , sie konnten noch immer das Schicksal der gemarterten Mutter und ih rer Kinder nicht vergessen. Weiter ging's über eine Haide , die Sonne brannte glühend auf die Reiter herab und nirgends war Waſſer für den heißen Durst, nirgends ein Haus, .wo man Wilch Endlich kam man an oder Branntwein haben fonnte. einen Brunnen auf dem Felde , welcher den Ziegelbäckern zum Wafferschöpfen gedient hatte. Mit Freudejauchzen trabten sie auf denselben zu, aber, neues Mißgeschick der Eimer fehlte. Der Trompeter, welcher sich in jeder Lebenslage leicht zu helfen wußte, nahm seinen Helm vom Kopfe , ließ sich noch einen zweiten und dritten geben und band sie alle drei an die Stange. Seine Erfindung wurde mit freudigem Zujauchzen begrüßt und Alle betheuerten , niemals so kostbares Wasser getrunken zu haben, als aus diesen schweißtriefenden Helmen. Gestärkt zogen sie weiter, die Gegend wurde viel freundlicher , zu beiden Seiten dehnten sich Kornfelder , deren Halme noch aufrecht ſtanden . Die Zungen waren im muntern Gespräche , die Hufe der Pferde klapperten auf dem harten Boden, die Gefangenen schritten mit verdrießlichen Gesichtern zwischen ihnen . Da erscholl ein Stöhnen von der einen Seite des Weges , es war so herzzerreißzend und so durchoringend, daß man es deutlich durch das Getöse vernahm , welches die Reiter verursachten. Die Halme bewegten sich an einer Stelle auf und nieder, ein blutgetränktes Tuch, auf ein Bajonet gespießt, erschien über denselben. Halt, Kameraden ! rief der Trompeter, hier liegt ein Verwundeter, welcher unserer Hülfe bedarf !
47 Gemach! antwortete ein Anderer, es ist nicht das erste Mal, daß unsere Feinde solche Kunststücke brauchen, um uns ins Verderben zu locken. Ich wette , das ganze Feld liegt voller Oestreicher. Sogleich waren die Säbel aus der Scheide , aus dem Korne aber drang das Schmerzgeschrei noch furchtbarer. Alfred war im Nu vom Pferde und sprang trotz der Herr Gott!" Warnung seiner Kameraden in das Korn. Da lag ein welch ein entseßlicher Anblick !" rief er, auf dem Blutes Lache einer estreichischer Infanterist in Rücken. Die ganze Bruſt war ihm aufgerissen, ein Wunber, daß er noch lebte. Ich erwartete hier den Barmherzigkeit , stöhnte er. Led , aber er will nicht kommen . Laßt mich nicht verhungern in tausendfacher Qual ! August, Wilhelm, Gottfried! rief der Trompeter. Die Getreuen waren sogleich bei der Hand , halfen den Verrundeten nothdürftig verbinden und legten ihn dann vor Alfred auf das Pferd, der ihn mit starken Armen hielt. Ach, die Hülfe war vergeblich gewesen, in einer Stunde war er eine Leiche. Sie scharrten ihn an der Landstraße ein, steckten zwei Zweige in Form eines Kreuzes auf das Stab und ritten schweigend weiter. Am Abend erreichten sie endlich die Preußen, gaben ihre Gefangenen ab und ernteten reiches Lob.
V. Die Kleider Algemeines Begräbniß. - Leiber und Glieder. bir Gefallenen werden von den Lebenden angezogen. Von den Der Tooten auferstanden. Der Gottesdienst im Walde. Brief auf der Trommel. Des Königs Vorrücken . - Die Mägde Christi. Kriegsrath während der Nacht. Als sich die Streiter am folgenden Morgen im Bireuak erhoben , wurde durch Trommelschlag bekannt ge= macht, daß am heutigen Tage die Todten begraben werden follten und zwischen den Kriegführenden eine 24 stündige Waffenruhe eingetreten sei. Welch ein Begräbniß ! So
48 profan, so ceremonienlos, und doch so thränenreich! Hier war nicht die Stede von Kreuz und Fahnen, von Brieſtern und Trauerangehörigen ! Wie hätte man für jeden Einzelnen auch nur einen Stoßseufzer zum Himmel richten können ! Die Zahl war so überaus groß, daß selbst das Zählen der Todten ein schweres und langdauerndes Geschäft war. Die Pioniere zegen ernst und schweigend mit ihren Hacken und Schaufeln aus ; wo die Reihen der Gefallenen am dichtesten lagen , schlugen sie ihre Hauer in Wo bisher der die Erde und höhlten große Löcher aus . Pflug des Landmannes den Boden zur Aufnahme der Saat gerigt hatte , da sollten jezt die blutigen Glieder der Erschlagenen ruhen. Bon allen Seiten näherten sich Soldaten mit Trag= bahren und Wagen, um die Todten aufzulesen und zu den Gruben zu bringen . Auch Alfred mit seinen Kameraden betheiligten sich an dem Liebeswerke . Der Zufall führte sie an eine Stelle , wo Kartätschen und Granaten arg gewüthet hatten . Menschen und Pferde lagen hier in Hügeln zusammen. Im Todeskampfe hatten sie noch Anstrengungen gemacht , sich zu erheben und fortzukriechen, aber der Eine hatte den Andern in seinen Bemühungen gehindert und niedergedrückt ; die Glieder waren so ineinander verworren und verschlungen, daß man Mühe hatte, sie von einander zu trennen. Einen schrecklichen Anblick gewährten die Verstümmelten , manchen fehlten die Arme und Beine , vielen war der Kopf abgeschossen, andere zu einer formlosen Maſſe zerschmettert worden . Einzelne, von den Körpern getrennte Glieder lagen umher und kein Mensch war im Stande , zu unterscheiden , wem sie im Leben angehört hatten. Von den Todtenbestattern waren nicht wenige vorhanden, deren Uniformen in Feßen an ihnen herunter hingen, die weder Schuh noch Strümpfe mehr besaßen. In gewöhnlichen Lebenslagen würden sie um keinen Preis einen Todten berührt haben. Jezt aber zogen sie denselben die Bekleidungsstücke , die ihnen fehlten , aus und legten sie selber an. Sie klebten zwar hier und dort noch von verHärtetem Blute zusammen, aber sie überwanden den Ekel
49 cor folchen Erscheinungen , das Entsetzen vor dem Tode war ihnen schon längst abhanden gekommen. Alfred's Mantel war ebenfalls zerrissen und durchlöchert, auch waren die Sohlen an seinen Stiefeln aus den Nähten gegangen und noch manches Andere that ihm noth, so daß der Wunsch in ihm aufstieg , sich ebenfalls neu zu betleiden. Abseiten lag ein Landwehrmann aus seiner Heimath, er kannte ihn an den Gesichtszügen und der feinen Iniform, die er aus eigenen Mitteln angeschafft hatte. Eine Kugel war ihm durch die Stirne gegangen, sonst gar kein Fleckchen Blut an ihm. Schon streckte er die Hand nach ihm cus, aber er zog sie hastig wieder zurück, eine Thräne sant aus seinen Augen auf den Todten herb. Nein, flüsterte er, ich kann es nicht. Du sollst bekleidet in die Grube gehen ; es wird deinem Weibe ein Trest sein, wenn ich ihr sagen kann , daß du auch im Grabe deinen Mantel trägst. Andere waren weniger zartfühlend , aber Alfred bat : Die rauhen Nehmt ihm nichts , er war mein Freund.
Krieger ehrten seinen Wunsch . Dankend nahm er ihn auf die Schultern und trug ihn zur nächsten Grube , wo er ihn als den Ersten der Bestatteten niederlegte, das Antlig nach der Heimath gerichtet. Tragbahren und Wagen kamen jezt. Die Leichen wurden in Doppelreihen gelegt, die Füße gegen einander ge = kehrt , und als die erste Schicht den Boden bedeckte , legte man eine zweite, eine dritte und eine vierte darüber. Jetzt war die Grube voll, die Soldaten entblößten die Häupter, jeder nahm eine Hand voll Erde und streute sie über die Bestatteten. Freund und Feind lagen da beisammen. Die Söhne der rothen Erde, die Wehrmänner vom muntern Rheinstrome, die Krieger von der Donau, die heißblüligen Ungarn, die Anwohner vom Po und von der Adria, die Pelen und die Panduren , Alle schliefen , Herz an Herz gedrängt, den ewigen Schlaf. Mit ihren Körpern wurde auch ihr Haß begraben ! Mancher, der niemals geweint hatte, vergoß bei diesem Anblick Heiße Thränen. Ehre solchen bittern Schmerzenstropfen ! 4
50 Die Pioniere begannen jezt , mit ihren Schaufeln die Da erausgegrabene Erde über die Todten zu werfen. tönte von den Lippen des Trompeters ein lauter Schrei . Alle schauten ihn erstaunt an, er aber wies mit dem Finger in die Grube und rief : Haltet ein, Kameraden, da unten regt sich Einer! Es war so ! Einer der Begrabenen hob den Arm empor, stieß einen tiefen Seufzer aus und erhob sich dann Aus einer langen und langsam in jihende Stellung. tiefen Ohnmacht erwacht , starrte sein Auge halb bewußt= los umher. Plöglich aber erhielt er ein Verständniß deſsen , was sich mit ihm begab, und seiner Brust entrang sich ein Angstschrei . Von Schrecken erfaßt standen die Todtengräber , aber im nächsten Augenblicke langten hundert Arme nach dem Lebendigbegrabenen und zogen ihn aus der Grube. War er der Einzige, welcher wieder ins Leben zurückkam, oder lagen unter der obern Schicht noch Andere, die, von der Last ihrer Kameraden nieder gehalten , ihrem Verhängnisse nicht entgehen konnten ? Wer weiß es ? Mit zitternden Händen häuften die Pioniere die Erde Als die Arbeit vollendet war , nahmen sie, zum Hügel. von einem bessern Gefühle getrieben, die Helme von den Alfred Häuptern und sprachen ihnen das letzte Gebet . aber las zwei zerbrochene Säbel zu seinen Füßen auf, band sie in Kreuzesform zusammen und steckte dasselbe mit einem Seufzer auf das Grab der Helden. Allerwärts war man noch beschäftigt , aus Gräben, unter Sträuchern und aus dem Walde Todte herkei zu schleppen, aber ehe der Abend sich nieder senkte, war das Liebeswerk vollbracht und die Ebene mit Grabhügeln bedeckt. Wohl mochten nicht Alle eine Bestattung gefunden. haben. Die Verwundeten, welche sich in ihren Schmerzen weiter geschleppt hatten und an einsamen Orten, in Waldschluchten und im hohen Korne , fern von Lagern und Dörfern, verschieden waren, deckte nur die Nacht. Wenn der Friede gekommen ist, der Landmann sein Feld bestcut, der Holzhauer mit der Art in den Wald geht, dann wird man ihre Gebeine finden.
51 Nach so vieler Blutarbeit, bei der sich das Herz der Menschen verhärtet und alle edleren Gefühle übertruſtet werden , war es an der Zeit , die Herzen der Soldaten wieder zum Himmel zu richten . Es war noch aus einem andern Grunde nothwendig : der König von Preußen war am vorgestrigen Tage bei der Armee angekommen und weilte jetzt mit seinem Gefolge auf den Schlachtfeldern . Allgemein sah man einer Hauptschlacht entgegen , gegen welche die bisherigen Kämpfe nur unbedeutende Scharmühel sein würden. Alle die Tausende, welche heute noch athmeten, konnten in wenigen Tagen Leichen sein, sie mußren sich zu ihrem legten Gange vorbereiten. Am Morgen sammelten sich die Schaaren der Streiter im Walde von Königinhof. In Züge geordnet, von einer feierlichen Musik geführt , trafen sie unter den Bäumen des Waldes zusammen, der jetzt zum Tempel werden sollte . Die Feldprediger der beiden Confessionen bestiegen erhöhte Standpunkte , wo sie von Allen gesehen werden konnten. Die Trommeln schollen dumpf durch die Reihen, der GotLesdienst begann . Lautlose Stille trat ein, Jeder lauschte mit verhaltenen Athemzügen den ernsten, gehaltvollen Worten der Feldprediger. Jeder Einzelne fühlte , daß es ihm galt , und was er zu Hause im tiefen Frieden manchmal mit gleichgültigem Ohre gehört hatte, das drang jezt in die tiefsten Winkel seines Herzens, und wahrlich , es fand einen Widerhall, wie in den Tagen der frommen Kindheit, nur ernster, schwerer, nachhaltiger . Als der Gottesdienst vorüber war, als sich die Herzen geläutert hatten, da empfingen sie das Abendmahl, Jeder nach den Vorschriften seiner Kirche. So erneuerten sich im Walde von Königinhof die fremmen Gebräuche des Mittelalters. Wie Kaiser Otto es gehalten , als er die Hunnen auf dem Lechfelde bei Augsburg schlug, so thaten es jetzt die Preußen, die Nachkommen der Heldensöhne der Franken und Sachsen. Gereinigt , mit aufrichtiger Neue über alle Sünden und Schwachheiten, die er in seinem Leben begangen, er= hob sich Alfred von den Knien und lehnte den Rücken an einen Baumstamm . Er mußte jetzt der fernen Mutter 4*
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gedenken , die in der Heimath schwere Thränen um ihn Er rückte sie Neben ihm stand eine Trommel. vergaß. zu sich heran , zog ein Stück Papier aus der Tasche und schrieb mit Bleistift einen Brief an die Bekümmerte. Mag nun fommen, was will, schloß er, ich kann ruhig sterben, denn ich habe den Leib des Herrn empfangen. Den Brief steckte er in ein Couvert , um denselben nachher auf die Feldpost zu geben. Der Gottesdienst war jest beendigt und sämmtliche Soldaten kehrten unter klingendem Spiel aus dem Walde von Königinhof in ihre Stellungen zurück. Sie sollten rasten, um sich für die kommenden Ereignisse zu stärken, aber der vorhergegangene Gottesdienst und der Empfang des Abendmahls hatte die Gemüther sehr aufgeregt und die wenigsten fanden Ruhe. Als ob es in der Luft gelegen habe, als ob die Soldaten es auf den Gesichtern der Offiziere abläsen , hatte Jedermann die Ahnung von einer Entscheidungsschlacht . Wie ein Mensch, der sich seines nahenden Todes bewußt iſt, trafen sie leztwillige Entscheidungen. Wer nur ein Stückchen Papier erhaschen kounte, schrieb an die Eltern, die Frau, die Braut oder an gute Freunde. Es schien so natürlich, daß man beim Abschied von der Welt seinen Lieben Lebewohl sagte. Es wurde nicht allen so gut , eine Trommel zu erHaschen ; der eine lag flach auf dem Boden, das Papier halb in den Koth gedrückt , der andere schrieb auf einem Knie oder auf seinem Notizbuche , ein Dritter brauchte den Rücken seines Kameraden , Bequemlichkeit hatte Niemand, Dinte nur Wenige. Unter den Briefschreibern befanden sich viele, die in ihrem Leben nicht oft ihre Gedanken zu Papier gebracht hatten , sie machten ganz abenteuerliche Hafen und Schnörkel, auch litt die Grammatik viel Schiffbruch, von der Ortographie und Interpunktion gar nicht zu reden, aber die Liebe ließ sie doch das richtige Wort finden und sie waren sicher, daß sie zu Hause verstanden wurden . Endlich war das schwere Geschäft abgethan ; die Briefe wurden gesammelt und einer aus der Schaar brachte sie zur Feldpost.
53 Während der vorhergehenden Tage war der König mit dem Prinzen Carl, dem Grafen von Bismarck, dem Kriegsminister von Roon, dem Grafen Moltke, nebst einem großen Gefolge von Prinzen, Generälen und Beamten von Reichenberg aufgebrochen und hatte sich nach dem Schlosse Sichrow bei Turnau begeben . Dort hatte er bis tief in die Nacht Berichte von den Schlachtfeldern entge= gengenommen und mit seinen Generälen neue Anordnungen getroffen, heute sollte er einen Theil deſſen ſehen , woüber ihm berichtet worden, mit eigenen Augen sehen, denn er tam über Schlachtfelder, wo sich glänzende Siege an die preußischen Fahnen geheftet hatten. Der Anblick war nicht erfreulich, den überall traf der Blick auf verdunstende Blutlachen, auf Leichen und zerbrochenes Heergerä= the . Es kam ihm der Gedanke, wie furchtbar die Verantwortung auf den Fürsten laste, welche sich bekriegten. So viele tausend frische Leben, dachte er, die den Ihrigen Ernährer und Stüße waren, liegen nun leblos auf den Die Opfer sind groß und furchtböhmischen Gefilden. bar , seufzte er, aber der Segen , der aus diesem Blute quillt, wird auch groß sein, und was die Väter säeten das werden die Söhne erndten, und die Enkel werden ihnen noch danken, wenn die Helden, die diese Schlachten geschlagen haben, längst gestorben sind . Kaum war er im Schlosse Sichrow angekommen , so stürmten schon wieder aus allen Gegenden Böhmens Boten heran, um Nachrichten von den kriegerischen Erfolgen zu bringen. Er empfing sie alle mit gerührtem Herzen und ermunterte sie, auch in den künftigen Tagen so wakter für Preußens Ruhm einzustehen. Erst spät war ihm Ruhe vergönnt und am folgenden Morgen um 7 Uhr setzte er seine Fahrt schon weiter fort. Unterwegs trat ihm von Neuem das Elend und der Jammer des Krieges entgegen , denn in den Gehöften und Häusern am Wege hatte man in der Eile Lazarethe eingerichtet , in denen Die Aerzte verwundete Preußen und Oestreicher lagen. waren hier in voller Thätigkeit, aber es war eine Thätigkeit, welche die Nerven des stärksten Mannes erschüttern mußten. Hier knirschte die Säge durch menschliche Kno-
54 chen, dort fuhr das Messer durch das Fleisch, an einer dritten Stelle fuhr die Heftnadel durch die Ränder einer Wunde. Das Stöhnen und Schmerzgeschrei war so furchtbar, daß es selbst den Aerzten heißen Schweiß auspreßte. Mitten unter all diesen Qualen, die wahrlich Niemand aus Neugier ansieht, die vielmehr von jedem geflohen werden, dessen Gefühl noch nicht abgeſtumpft iſt, hat= ten sich die barmherzigen Schwestern, Diakonissinen und Mönche vom Rheine und aus Westfalen eingefunden, um aus christlicher Liebe und Barmherzigkeit die verwundeten Brüder zu pflegen. Hut ab vor solchen Dienern Gottes ! Sehet diese schwachen Mädchen, die ein rauhes Wort einschüchtert, die sich schon vor einem kleinen Schmerz fürch= ten, die beim Anschauen von Blut ohnmächtig zusammen= sinken , sie sind plöglich zu Heldinnen geworden. Die echte Freudigkeit, der feste Wille, dem Nebenmenschen zu dienen und die Begeisterung für die heilige Sache haven sie umgewandelt. Die schwache Natur hat sich gestählt, ohne Grauen wandeln sie über Blut und abgeschnittene Stücke Fleisch. Ohne Zittern halten sie den Arm fest, welcher abgesägt werden muß , unaufhörlich verbinden sie Wunden, sprechen den Leidenden Trost und beten mit ihnen. Die Hand auf's Herz und bekannt : wir sind ge= gen diese Mägde Gottes doch nur arme Stümper ! Wir können wohl groß flunkern und mit Redensarten um uns werfen, aber es fehlt uns der Muth und die Lust, auf das Schlachtfeld zu gehen und mitten im Kugelregen die Todten aufzulesen oder am Orte des Jammers dem Arzte dienend zur Seite zu stehen. Auch der König war tief erschüttert, um so mehr, da er wohl wußte, daß dieses erst das Vorspiel zu dem blutigen Drama war. Draußen auf der Landstraße gab es auch Scenen, die jedes preußische Herz mit Freuden erfüllen mußten, denn ganze Züge von Gefangenen famen von den rückwärts liegenden Schlachtfeldern, um nach Preußen geführt zu werden. Sie waren alle ohne Waffen, die eigentlichen Destreicher gingen mit gesenktem Kopfe umher, sie fühlten die Schmach, mit welcher ihre Fahnen
55 bedeckt waren, und grollten mit dem Geschicke , daß sie in diesem Kampfe unterliegen ließ. Die Ungarn aber und Sie hatten für die Italiener saben fast fröhlich drein. eine fremde Sache gekämpft ; ohne Begeisterung und ohne Liebe waren sie dem Rufe des Kaisers nur gezwungen gefolgt, und die Gefangenschaft kam ihnen nicht hart an. Sie wußten, daß sie einer liebevollen Behandlung entgegensahen, daß es Ihnen nicht an Speise und Trank fehlen werde. Warum sollten Sie also traurig sein. Um 12 Uhr kam der König in Gitschin an, wo ihn das Grenadier-Regiment Friedrich Wilhelm mit lautem Jubelruf empfing. Der König lobte sie , denn sie hatten am 29. wie die Löwen gekämpft, jeder Einzelne von ihnen war ein Held. Das Lob des Monarchen that ihnen wohl und sie gelobten sich feierlich, in den kommenden Tagen nicht schlechter zu kämpfen , wie sie es vorher gethan hatten. An alle Truppen , welche vor dem Feinde standen, war der Befehl ergangen, daß sie an diesem Tage ruhen sollten, dem König selbst aber wurde keine Ruhe, denn er hatte bis in die Nacht hinein Besuche zu empfangen, Rapporte anzunehmen, die Stellung des Feindes zu ſtudiren und sich mit seinen Generälen zu berathschlagen. Die Prinzen Friedrich Carl und Albrecht waren schon am Morgen gleich bei seiner Ankunft nach Gitschin gekommen, hatten sich aber am Nachmittage wieder zu ihrem Corps begeben, damit nichts versäunit werde. Ueberall wurden auf des Königs Befehl Recognoscirungen vorgenommen, die ganze Gegend mußte abgesucht werden, damit man die Stellung des Feindes genau erfunde. Die Abgesandten kamen erst spät am Abende, theilweise sogar in der Nacht zurück. Nach allen Berichten mußte der König annehmen , daß der Feind ſtarke Massen vor der Front der ersten Armee zwischen Horiz und Königgrät aufgestellt habe und über die Elbe ge= gangen sei. Der Chef des Generalstabes der Armee , General v. Moltke, bestätigte das und um jeden Zweifel zu beseitigen, fam gegen elf Uhr, vom Prinzen Friedrich Karl gesandt,
66 der Generallieutenant von Voigts-Rhet in Gitschin an. Der König wollte sich so eben zur Ruhe begeben , als ihm aber der Bote gemeldet wurde, befahl er, daß der= selbe sogleich eintrete. Prinz Friedrich Karl meldete ihm, daß der Feind die Elbe und die Bistrit überschritten habe, um die erste Armee anzugreifen, daß er aber entschlossen sei, diesem Angriffe zuvorzukommen , wenn der Kronprinz von Preußen mit der zweiten Armee, die noch bei Königinhof stand , zum Angriff des rechten feindlichen Flügels zeitig auf dem Schlachtfelde erscheinen könne. Um Mitternacht wurde Kriegsrath gehalten und die Schlacht beschlossen. Um zwei Uhr waren schon alle Befehle abgesandt. Jest ging der König zur Ruhe ; es war ihm nur kurze Zeit zugemessen , denn schon um halb 5 Uhr sollte nach dem Schlachtfelde aufgebrochen werden. Ob er wirklich geschlafen hat oder die Zwischenzeit wachte, weiß wohl nur der König allein. Diese 2 Stunden waren jedenfalls die verhängnißvollsten seines langen Lebens . Die vereinigten Sachsen und Oestreicher standen ihm in Neberzahl gegenüber ; wenn sie ihn besiegten und nach Schlesien zurückdrängten , so stand mehr als eine verlorene Schlacht auf dem Spiele, es fonnte Krone und Reich fosten. Wahrlich , er ging nicht leichtsinnig in den Kampf, er kannte die ganze Tragweite seines Unternehmens, aber er vertraute auf Gott und seine Armee.
VI. Aufbruch zum Schlachtfelde von Königgräß. — Stiefel obne Sporen. Granaten plaßen in des Königs Nähe. Frugales Mahl des Königs von Preußen. Die Erde bebt vom Donner der Waffer Kanonen. Die Armee des Kronprinzen erscheint. und Blut ein kostbarer Trank. Sturm auf eine Batteric. Rückgewinnung von Ring und Uhr . Glänzender Sieg bei Decoration des Kronprinzen . -- Brüderliche TheiKöniggräs. lung eines Trunkes. - Flucht ohne Halten. Punkt 5 Uhr war der König zur Abfahrt bereit ; der Regen klatschte gegen die Fenster , das Wetter war ganz abscheulich und stellte für die Schlacht Unannehm-
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57 lichkeiten die Menge in Aussicht, aber der Beschluß war einmal gefaßt und konnte nicht mehr zurückgenommen werden. Rasch fuhr der König in die Kleider und zog die wasserdichten Stiefel an, welche man ihm des Regens wegen hingestellt hatte. Um 5 Uhr saß er im Wagen und fuhr bis zum Dorfe Dös, wo sie um 8 Uhr anfamen. Hier stieg er zu Pferde , um die Schlacht, welche sich voraussichtlich auf dem weiten Felde um Königgrät ausdehnen würde , zu leiten. Jetzt erst machte er die Entdeckung, daß die wasserdichten Stiefel keine Sporen hatten. Ein Reitknecht in des Königs Nähe musste die feinigen hergeben, welche ihm über die Beinfleider geschnallt wurden. Kaum war er dienstfertig, so fingen die Kanonen schon an zu donnern, der Angriff hatte begonnen . Auf einer gegenüberliegenden Höhe hielt der Feind ; seine Kanoniere bemerkten den König mit seinem glänzenden Stabe und im Nu richteten sie ihre Granaten dorthin ; sie schlugen an einer Stelle ein, welche der König soeben verlassen hatte und auf die Chauffee von Sadowa hinabgeritten war, um der vorrückenden 7. und 8. Division näher zu sein. Ueberall, wo sich der König zeigte, wurde er mit be geistertem Jubelrufe empfangen , selbst die Furchtſamen zitterten nicht mehr, alle brannten vor Begierde, ſich_unfer feinen Augen auszuzeichnen , ein Blatt des Ruhmes in den preußischen Lorbeer winden zu helfen. Es kam darauf an, daß die erste Armee den Kampf aushielt, bis die zweite herankam, die noch so weit zurück war, daß sie im günstigsten Falle nicht vor Mittag erscheinen konnte. Er traf demgemäß seine Dispositionen und wie sie klug berechnet waren, das zeigte in der Folge der glänzende Sieg. Der Kampf wurde heißer und heißer, tas donnern der Kanonen war betäubend , die Schlacht kam zum Stehen, es wurde weder auf preußischer, noch auf östreichischer Seite ein merklicher Vortheil erreicht, der König und seine Soldaten sehnten sich nach dem Erschei = nen der zweiten Armee aber es war noch keine Spur von ihr zu sehen.
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Der König schien sein Leben nicht zu achten, denn er setzte sich oft dem verderblichsten Eisenhagel aus, ohne nur mit einem Auge zu zucken. Seit fünf Uhr früh hatte er nichts mehr gegessen und getrunken, jest meldeten sich Hunger und Durst und er fragte in seiner Umgebung, ob nirgendwo Speise und Trank zu haben sei. Ein Flügeladjutant fragte überall nach , aber es dauerte lange, bis er etwas fand. Von einem Reitknechte erhielt er endlich einen Schluck Wein, seine Ordonnanz besäß noch ein Stück Wurst und einen Rest Commißbred, welches er dem König überbrachte. Dieser nahm es dankbar an und verzehrte es mit Appetit. Der Feind hatte eine überaus günstige Stellung auf den staffelförmigen Höhen hinter der Bistriß, die nur mit einem außerordentlichen Muthe und mit Aufbietung von großen Menschenopfern genommen werden konnte. Den= noch brannten alle Streiter vor Verlangen durch den unaufhörlichen Eisenregen die Höhen hinanzustürmen . Schon um 9 Uhr hatte der König Befehl gegeben, den Fluß zu überschreiten. Das konnte, wie erwähnt, nicht ohne Schwierigkeit geschehen, aber ohne Zögern ging die erste Armee vor und stieß bei dem Dorfe Sadowa auf den Feind, wo sich ein furchtbarer Kampf entwickelte, der sich bald am ganzen Flußufer entlang fortsette. Es galt, den Fluß zu überschreiten, die Wälder und die Dörfer, wo sich der Feind festgesetzt hatte und die mit Kanonen gespickten Höhen zu nehmen. Schon brannten die Dörfer lichterloh, der Kampf wogte hin und her, aber die PreuBen gewannen mehr und mehr Terrain und kletterten jenseits der Bistrik die Höhen hinan. Da nuchs wie durch einen Zauberschlag die Anzahl der östreichischen Kanonen, überall auf den Höhen, an den Waldfäumen und in den Dörfern wurden Batterien aufgedeckt und das Donnern wurde so furchtbar, daß die Erde bebte ; das Sausen der Granaten und das Plazen derselben war furchtbar anzuhören, aber mit dem Wachsen der Gefahr stieg auch die Begeisterung und der Kampfesmuth der Preußen ; sie stürmten mit lautem Hurrah die brennenden Dörfer und vertrieben die Oestreicher aus
59 ihrer Stellung; diese zogen sich in Ordnung zurück, faßten bald wieder festen Fuß und wollten trotz aller Anstrengung nicht weichen. Der König ritt überall im Kugelregen umher und ermuthigte die Truppen. Wo er erschien wurde er mit Freudengeichrei empfangen und die Soldaten stürmten unter Absingung des Liedes : „Heil Dir im Siegerkranz “ ohne Heim und Tornister in den Feind. Da erschien gegen 2 Uhr die Armee des Kronprinzen auf den Höhen von Chlum. Sogleich ließ das Schießen der Destreicher gegen die erste Armee nach, denn ihr rechter Flügel hatte es mit einem neuen Feinde zu thun. Schon an dem freudigen Hurrah der Soldaten konnte man annehmen, daß sie von diesem rechtzeitigen Eintreffen die Entscheidung erwarteten. Doch wir wollen ja keinen Schlachtbericht liefern, sondern nur die Erlebnisse des Trompeters Alfred erzählen. Zu seiner größten Freude war er wieder mit seiner Truppe bereinigt. Im nassen Bivouaf, wo unaufhörlich der Regen aufihn niederträufelte, wo er in einer schlammigen Pfüße lag, feinen trockenen Faden am Leibe hatte und dazu noch vom Hunger gequält wurde, gefiel es ihm nicht im mindesten. Wenn es auf ihn angekommen wäre, so würde er sogleich zu Pferde gestiegen und dem Feinde entgegengeritten sein. Er fürchtete sich weniger vor dem Pulveriegen, als vor diesem abscheulichen Wetter. Viele seiner Rameraden dachten ebenso wie er und waren deshalb ganz zufrieden damit, als sie bald nach Mitternacht sich erheben und vorrücken mußten. Brod hatte freilich feiner von ihnen und obschon der Magen gewaltig knurrte, mußten sie doch hungrig in die Schlacht reiten. Gegen 9 Uhr hatten sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht, der Geschüßdonner war recht im Gange. Das Herz bebte ihnen doch etwas, denn es krachten mehr als 1200 Geschüße gegeneinander und nur selten entstand eine kleine Pause. Geschah es einmal, so war es wie das Athemholen zu lauterein furchtbarerem Gebrüll. Aber nur ein Moment, dann war die Angst vorüber ; Alfred handhabte seine Trompete so sicher, wie Sonntagsmorgens in
60 blanker Uniform bei der Parade. Mit Hurrah stürmten ste dem Feinde entgegen, und als ihnen nun gar der König auf dem Schlachtfelde begegnete und ihnen zurief : „Vorwärts Kinder, Preußens Ehre ist auch eure Ehre !" Da war fein Spalten mehr. Wie ein Bündel entzündeter Schwärmer flogen sie auseinander, hier und dort auf den Feind, hieben alles nieder, was ihnen in den Weg trat und schlossen sich dann wieder zusammen, um gleich darauf einen neuen Angriff zu machen. Gegen Mittag als der Kronprinz mit seiner Armee heranrückte, war die tapfre Schaar so ermattet, daß sie einen Augenblick Ruhe haben mußten . In einer Senkung, die von den feindlichen Kanonen etwas gedeckt war, machten sie halt. Ein rieselndes Bächlein ergeß sich hier zur Bistrit, es war roth von dem Blute der Oestreicher, welche hier kurz vorher niedergemacht worden waren. Mehr als ein Düßend Leichen lagen theils über dasselbe her, theils in dem blutgefärbten Wasser. Der Durst aber
war so groß, daß sie von den Pferden sprangen, die glühenden Lippen in das Bächlein senkten und mit gierigen Zügen Blut und Wasser schlürften. Hochaufathmend erhoben sie sich und durchsuchten ihre Taschen nach einem Stücken Brod, aber keiner von ihnen besaß etwas. Einer der Reiter durchsuchte die Taschen der Gefallenen ; mit lautem Frohlocken zog er ein Stück Brod hervor. Es war hart wie Stein, dazu von Blut und Schmutz besudelt. Uns, die wir in gemächlicher Ruhs diese Geschichte lesen, würde es angeefelt haben, aber diese hungrigen Soldaten betrachteten es wie eine vom Himmel geschickte Gabe, theilten es mit den Säbeln und verschlucks ten es mit gierigem Heißhunger. Vorwärts , commandirte der Offizier, und sogleich sasen sie zu Pferde und sprengten auf Chlum zu. Auf einer Höhe stand eine Batterie, welche ihnen furchtbaren Schaden that und sie hageldicht mit Eisen überschüttete . Dit jedem Schuffe stürzten Etliche aus dem Haufen nieder und nach wenigen Minuten waren fast alle diese Tapfern gefallen. Der Trompeter wischte sich eine Thräne aus den Au-
64 gen , es waren liebe Freunde unter den Gefallenen, aber seine drei Busenfreunde lebten noch. Auf dem Platz, wo er stand , eilte jetzt ein Häuflein Füsiliere in Sturmschritt zu ; sie hatten ihre Offiziere verloren und ein Gefreiter führte sie an. Komm mit, Trompeter, rief ihm dieser zu, wir müssen die Batterie nehmen ! Ich bin dabei , rief er. Mit Gott, für König und Vaterland vorwärts ! Hinauf gings, auf Hand und Fuß mußte man die steile Wand erflettern und Mancher rutschte wieder hinab. Zähneknirschend standen sie wieder auf und traten den Todesweg von Neuem an, der muthige Trompeter, welcher gleich vom Pferde gesprungen war, befand sich immer an der Spize. Die Oestreicher bemerkten die Gefahr, welche ihnen drohte, Jufanteristen traten an den Abhang und feuerten auf die Stürmenden hinab. Viele Kugeln trafen gut, die Hetroffenen überschlugen sich und rollten in das Thal zurück. Unverdrossen stiegen die Ueberlebenden immer weiter, der Todesgefahr nicht achtend , nur an den preußischen Waffenruhm denkend. Den Kerl muß ich haben, rief der Trompeter plöglich, und deutete auf einen Korporal, der eben sein Gewehr auf ihn anschlug. „Der hat mir Uhr und Ring genommen, die ich nach Brünn bringen soll." Mit einer Seitenbewegung entging er dem tödtlichen Blei und zog sich an den Zweigen des Gesträuchs in die Höhe. Mit einem lauten Jauchzen war er oben, der erste an der Batterie. Die Füsiliere hatten unterdessen einen Standpunkt erreicht, wo sie von ihren Zündnadelgewehren Gebrauch machen konnten. Wie Schneeflocken fiel die Bedienungsmannschaft der Batterie , denn ihre Kugeln prasselten unaufhörlich in sie hinein. Alfred, der Gefahr nicht achtend , von den Kugeln der eigenen Kameraden getroffen zu werden, stürzte sich auf den Oest= reicher, schlug ihm das Gewehr aus der Hand und riß ihn nieder. Mit beiden Knieen seine Brust pressend entriß er ihm den Raub , gab ihm einen Stoß und rief: Lauf, du Schuft, du bist mir zu schlecht für einen Sä-
62 belhieb ! " Der Mensch schnellte auf, um zu fliehen, aber er hatte sich kaum erhoben, so schlug ihn eine Kugel burch den Kopf und stürzte sterbend den Abhang hinab. Die Batterie war genommen. Der Trompeter sprang auf eine der Kanonen und blies einen Siegesmarsch in das Thal hinab. Die Füsiliere aber schwenkten die Müßen und riefen : Victoria ! Sie waren nicht die Einzigen gewesen, welche solche Heldenthaten verrichtet hatten. Zur selben Zeit waren auch mehrere andere Batterien auf den Höhen genommen worden und zwar gerade diejenigen , welche den Preußen am verderblichsten waren . Als die Oestreicher sahen, daß die Höhen nicht mehr zu halten waren, wandten sie sich zur Flucht. In dies sem Augenblick kam der König eben an ; ein nicht en den wollendes begeistertes Jubelgeschrei erfüllte die Luft. Vorwärts, Kinder ! rief er, wie es in den FranzosenKriegen der alte Blücher gethan hatte, und vorwärts gings. Die ganze Armee war hinter den Flüchtigen her. Noch waren eine Menge ausgezeichneter Stellungen in den Händen der Destreicher, aber der Vordrang der PreuBen war so gewaltig , daß sie keine einzige Batterie mehr halten konnten, Kanone auf Kanone fiel in ihre Hände. An einigen günstigen Punkten stellten sie sich noch zur Gegenwehr und schlugen sich tapfer , aber was half die Bravour einzelner Haufen , wo die Entmuthigung immer mehr Ueberhand nahm ! Die Ordnung der Fliehenden ging immer mehr verloren, das ganze Heer gerieth in Verwirrung , löste sich auf und stürzte außer Athem und in tödtlichster Angst weiter Das ganze Terrain war übersät von Todten, Waffen und zerbrochenem Heergeräth und wurde häufig ein Hinderniß für die Verfolgenden. Wo die Brücken mangelten oder für ein rasches Vorwärtskommen nicht Raum genug boten , warfen sich die Geschlagenen in's Wasser, aber nur Wenige retteten sich durch Schwimmen , die meisten wurden von den Nachfolgenden niedergeworfen und ertranfen. Um 4 Uhr Nachmittags war die Schlacht entschieden,
63 174 Kanonen, 11 Fahnen erbeutet , 20,000 Mann Gefangene gemacht. Bis 8 Uhr dauerte die Verfolgung ; wäten die Preußen nicht selbst vom Kampfe so sehr erschöpft gewesen , so würde die ganze östreichische Armee aufgehört haben zu cristiren. Die Truppen bivouakierten auf dem Schlachtfelde zwischen Bergen von Todten und Verwundeten. Das war bie glorreiche Schlacht von Königgrätz am 3. Juli 1866 , die in der Weltgeschichte zu Preußens Ruhme glänzen wird, so lange die Welt steht. Der König traf nach gethaner Blutarbeit mit dem Kronprinzen zusammen und hing ihm den höchsten militairischen Orden pour le mérite um. Aber wie sah es auf dem Schlachtfelde aus ? Die Wirklichkeit trogt aller Beschreibung und die fruchtbarſte Phantasie ist nicht im Stande, sich dieses Leichenfeld vorzustellen. Die Gesunden lagen zwischen den Todten, oftmals Seite an Seite, aber die Müdigkeit und die äußerste Erschöpfung nahm ihnen jede Scheu , welche dem Lebendigen dem Todten gegenüber so natürlich ist. Auch störte sie das furchtbare Gestöhn und Schmerzgeschrei nicht im Schlafe. Alfred lag mit seinen drei Freunden zusammen ; ein gefallenes Pferd diente ihnen als Kopfpfühl. Mit verfahlungenen Händen und heißem Gebete auf den Lippen schliefen sie ein . Gegen Mitternacht erwachte er, denn in seiner Nähe nahm das Stöhnen so überhand, daß es einen Tauben hätte aufwecken können. Wasser, Waſſer , rief eine jammeribe Stimme und eine kraftlose Hand zerrte an seiner Uniform. Von Mitleid ergriffen , sprang er auf und durchsuchte die Umgebung. Hunderte von Lichtern huschten zwischen den Leichenhaufen umher ; es waren die Kranfenträger , welche die ganze Nacht hindurch die Verwunbeten aufsuchten . Aber auch andere unheimliche Nachtvögel schwärmten umber, es waren die entmenschten Czechen , welche selbst in diesen schrecklichen Stunden die kaum erkalteten Leichen
64 plünderten und ihnen entrissen, was sie an Geld und Werthsachen bei sich trugen. Alfred traf auf einen Trupp solcher Bestien und er hatte nicht übel Lust, ihnen den Garaus zu machen, aber er mußte jezt für den Verwundeten sorgen. Einer der Schändlichen trug eine Flasche bei sich, die er gerade an den Mund sezte ; er entriß ihm dieselbe und eilte frohen Herzens zurück. Die Flasche enthielt zwar kein Waſſer, sondern Bier, aber er dankte dem Himmel auch dafür . Mit schnellen Schritten eilte er zurück und labte den Verschmachteten . Dank , Dank! stammelte dieser, Gott wir es dir lohnen ! Alfred selbst wurde von heftigem Durste verzehrt und, nachdem der Verwundete getrunken hatte, führte er die Flasche zum Munde, aber beschämt jetzte er sie von den Lippen, ehe noch ein Tropfen über seine Zunge gekommen war. Er wird bald wieder Durſt haben, lispelte er, ich will ihn nicht verkürzen. Der Verwundete mußte ein angenehmes Gefühl empfin= den, daß es noch einen Menschen auf der Welt gab , der ihn in dieser schweren Stunde Liebe erwies, dann kroch er mühsam so weit vorwärts, daß sein brennendes Haupt auf die Brust des Trompeters zu liegen kam. Alfred legte den Arm um seinen Nacken und sprach ihm Trost zu. Der arme Mensch warf sich unruhig hin und her, Nach einiger er mußte furchtbare Schmerzen leiden. Zeit stieß er einen tiefen Seufzer aus, dann wurde er ruhig . Der müde Trompeter verſank wieder in Schlaf. Als er am Morgen gar kalt und starr erwachte, hielt er einen Todten im Arme. Er widmete ihm eine Thräne und legte ihn fauft auf den Boden, dann seßte er die Flasche an den Mund, that einen tüchtigen Schluck und reichte den Nest seinen Freunden . Am Morgen dieses Tages zeigte es sich erst recht, wie sehr die Oestreicher gelitten hatten, immer mehr wurden der Trophäen und der Gefangenen. Der östreichische Feldmarschall von Gablenz kam in das preußische Lager und erbat einen Waffenstilstand . Er wurde ihm abge=
65 schlagen, denn der größte Gewinnst bestand noch in einem raschen Verfolgen des flüchtigen Feindes. Das preußische Heer brach gleich wieder auf und war den Oestreichern auf dem Nacken, ehe sie sich's verfahen. Im Sturmschritt ging es unaufhaltsam vorwärts ; die Fliehenden fanden nirgends Ruhe. Wenn sie glaub. ten, einen Augenblick Athem schöpfen zu können, so waren die Preußen mit ihrem frischen Muthe und ihren schnellfeuernden Gewehren gleich wieder da und heßten sie förm = lich zu Tode. Keine Stadt, kein Dorf kein Gehöfte konnten sie halten. Es war ein wunderbarer Zug , wie die Welt noch feinen gesehen. Selbst der große Schlachtenkönig Napoleon würde staunend dieser preußischen Geschwindigkeit zuge= sehen und gestandenhaben, daß er es nicht nachmachen fönne. Am 8. Juli rückten die Heldensöhne in Prag ein, am 12. in Brünn , am 16. in Lundenburg, im Angesichte der östreichischen Hauptstadt. Die Wiener sahen im Geiste schon, ihre Hauptstadt demolirt und die furchtsamen Gemüther , so wie die reichen Gelosäcke , welche dieselben zu verlieren fürchteten, verließen massenweise die Residenz. Da nun aus den kleinern Städten und vom flachen Lande eine Menge von Menschen in die Stadt hineinströmten, weil sie hier Schuß und Nahrungsmittel zu finden hofften, so entstand in der Residenz eine furchtbare Verwirrung , welche im Falle eines Angriffes die Noth und Unordnung nur vermehrt haben würde. Die preußischen Soldaten aber , welche
schon mit bloßen Augen die feindlichen Kanonen sehen fonnten, freuten sich, nach einem letzten Kampfe in die Residenz einzuziehen und sich für die langen Unbilden des Wetters und des Lagerlebens zu entschädigen. Die Schanzen von Florisdorf ängstigten die Preußen nicht, denn ſie hatten in den letztern Tagen noch schwierigere Batterien nehmen müssen; den Wienern aber konnten sie theuer zu stehen kommen. Beim Kaiser und seiner Umgebung nahm die Furcht vor den nächsten Ereignissen überhand, die Bank flüchtete ihre Schäße in die Festung Komorn , die Kaiſerin eilte 5
63 nach Pesth und das Kriegsministerium packte schon seine Acten zusammen, um ihr zu folgen. Wenn die Deſtreicher jezt nicht stegten, dann war ihre große Existenz dahin.
VII. Der Maler wird krank und stirbt. - Der Gang mit dem Sarge. - Die Locke des Todten . - Ueberfall im Schuppen. Die Offizierswittwe. Der Engel der Verwundeten . Unser Trompeter lag mit seinen Freunden in Lundenburg, sie hatten einen Ruhetag, um Kraft für die kommenden Ereignisse zu sammeln . Diese Zeit wurde von Allen benutzt , um Briefe in die Heimath zu schreiben, in denen sie die erlittenen Drangsale schilderten. Fast wie durch ein Wunder Gottes waren die vier Freunde gesund geblieben und nur Alfred hatte eine Verwundung davon getragen , die ihn aber bei Königgräg nicht gehindert hatte, wie ein großer Held darin zu schlagen. Leider sollte sich das noch an demselben Tage ändern. Die vier Freunde erhielten den Auftrag , zurückzugehen, um eine Meldung an die vor Brünn nachrückenden Truvpen zu machen. Sogleich brachen sie auf; nach einem Ritte von vier starken Stunden trafen sie auf den General, an den sie abgeschickt waren und machten ihm ihre Meldung . Es wurde schon Nacht und sie mußten sich im freien Felde in's Bivouak zu den übrigen Truppen begeben. In der Nacht regnete es stark und sie lagen mit dem halben Leibe im Wasser. Der Maler fror und klagte über heftiges Leibschneiden. Die Freunde thaten alles, ihm beizustehen, aber die Schmerzen nahmen bis zum Morgen mehr und mehr zu . Ein Lazareth- Gehülfe der bei dem schnellen Vorgehen von den Truppen mit fortgerissen worden war, machte ein sehr bedenkliches Gesicht, als er den Zustand des Kranken sah und lispelte dem Trompeter zu, daß sein Freund die Cholera habe. Mit Schrecken wurde die Mittheilung vernommen, denn man konnte sich vor diesem schrecklichen Gaſte we=
67 niger sichern als vor den feindlichen Kugeln. Um das Unglück voll zu machen war auch weit und breit fein Arzt aufzutreiben. Sie befanden sich alle in den rückwärtsliegenden Lazarethen. Gegen Mittag wurde die Krankheit so bedenklich, daß der Betroffene selber die Befürchtung aussprach , nicht wieder aufzustehen. Es thut mir wehe, daß ich aufsolche Weise mein junges Leben lassen muß, sprach er mit schwacher Stimme. Vor dem Feinde und mit einer Kugel durch das Herz wäre ich gerne gestorben, aber jetzt wird mir das Scheiden schwer. Sie ermunterten und trösteten ihn, aber er schüttelte mit dem Kopfe und machte sich auf das Sterben gefaßt. Als die Schmerzen immer größer wurden, zog er seine Brieftasche Hervor und nahm die Photographie seiner Mutter heraus , welche er unverwendeten Auges betrach tete und häufig mit Küssen bedeckte. Das schien ihn zu stärken, doch es war eben nur Schein. Plöhlich that er einen lauten Aufschrei und sank zusammen. Die furchtbar schnelle Krankheit hatte ihn mitten aus der Blüthe feiner Jünglingsjahre hinweggerissen, er war todt. Alfred und die beiden andern Freunde warfen sich über ihn und weinien ; sie wollten gar nicht glauben, daß er schon ausgerungen habe. Jetzt kam ein Arzt , leider viel zu spät. Für den sind alle Gefahren überstanden, fprach er; feine Kunst kann ihm das Leben wiedergeben! Man muß nur sorgen, daß er rasch verscharrt wird ! Die Freunde schauten sich einander mit Thränen in den Augen an. Er darf nicht hier im Felde verscharrt werden, sprach Alfred ; er muß ein christliches Begräbniß haben. So meinten auch die andern und sofort machten sie sich auf den Weg zu einem Schreiner, der ihnen für schweres Geld einen Sarg aus schlechten Brettern zujammenschlug. In diesen Sarg legten sie den todten Freund und umwanden sein kaltes Haupt mit einem Kranze von Feldblumen. Als dieses geschehen war , holten sie sich die Erlaubniß, den Gestorbenen im nächsten Kirchdorfe be5*
€8 graben zu dürfen. Es wurde ihnen zu diesem Zwecke ein Urlaub bewilligt, aber die feste Bedingung daran geknüpft, daß sie um Mitternacht zurück sein müßten, da sie am nächsten Morgen gegen die Schanzen von Florisdorf vorgehen würden . Die drei Freunde nahmen den Sarg auf ihre Schultern und eilten mit der geliebten Last hinweg. In weiter Ferne zeigte sich der Thurm einer Kirche, auf dieſe schritten sie zu. Ach, es war ein trauriger Gang , ber traurigste ihres Lebens ! Müde und abgespannt erreich ten sie das Dorf, aber es war kein Priester da. Beim Durchzuge der Preußen war er mit den meisten Einwohnern geflohen und hatte sich in die Wälder versteckt. Ein altes Mütterchen sagte ihnen , daß sich zwei Stun den weiter noch ein anderes Kirchdorf befinde. Schweren Herzens nahmen sie den Sarg wieder auf und pilgerten weiter. Schon war es Abend geworden, als sie in der Ferne den hochragenden Kirchthurn er= blickten . Rüstig schritten sie mit der geliebten Laſt weiter, bis sie das Dorf erreichten. Einer von ihnen ging sogleich zum Pfarrer, die andern begaben sich auf den Friedhof und stellten den Sarg in einem Kranze von bemooſten Steinkreuzen nieder. Der freundliche Pfarrer kam sogleich zu ihnen heraus, erklärte aber, daß er die Einsegnung der Leiche und die Beerdigung derselben am vorgerückten Abende nicht mehr vornehmen könne. Die Freunde des Todten waren untröstlich, denn es war ihnen zur Herzenssache geworden, dem Hingeschiedenen ein christliches Begräbniß an geweihter Stätte zu geben. Bis zum nächsten Morgen durften sie nicht bleiben, well um Mitternacht ihr Urlaub zu Ende ging, sie mußten sich also dem Unvermeidlichen fügen, doch versprach ihnen der Geistliche, daß das Begräbniß in würdiger Form und zwar von ihm selbst vorgenommen werden sollte. Da er ihnen erlaubte, die Leiche die Nacht über in die Kirche zu stellen, so trugen sie dieselbe vor den Hochaltar, verrichteten unter vielen Thränen ein Gebet und begaben sich traurigen Herzens auf den Rückweg.
69 Das Wetter war furchtbar, unaufhörlich folgten sich die Donnerschläge , und die fortwährenden Regengüsse weichten den Boden so sehr auf, daß sie mit jedem Schritte Wenige bis über die Knöchel in den Koth sanken. Minuten vor Mitternacht erreichten sie das Lager. Schon von weitem scholl ihnen lauter Gesang entgegen, ein Anzeichen, daß ein freudiges Ereigniß eingetreten sein müſſe. Neugierig näherten sie sich den Vorposten und fragten nach der Ursache des fröhlichen Lärms. Waffenstilstand ! tönte es ihnen entgegen und „Waffensti Üstand " ! rief es ihnen überall von ihren trinkenden und schmausenden Kameraden entgegen. Das war ein fröhliches Wort für alle diese Tausende, welche bisher nur in Blut gewandelt, unter Leichen geschlafen und Hunger und Noth erduldet hatten. Es war ein fröhliches Wort für alle , die nicht aus Haß und Streitlust die Waffen schwangen, sondern auch im Feinde den Bruder ehrten ; ein fröhliches Wort für die Väter, welche Weib und Kind daheimgelassen hatten, um ihr Leben dem Vaterlande zu weihen. Auch für die drei Freunde erklang es wie ein Engelsruf vom Himmel und sie hatten noch einen Nebengrund für ihre Freude, denn wie ein Blik ging es ihnen durch die Seele : Nun können wir den August doch begraben! Sogleich meldeten sie sich, berichteten , wie sie ihren Zweckt nicht erreicht hätten und baten um neuen Urlaub. Der Offizier hörte ihnen tiefgerührt zu und sprach : Brav, Kinder, ihr habt echt kameradschaftlich an den Todten gehandelt; geht denn in Gottes Namen und erweist ihm die lezte Ehre. Ein solches Begräbniß ist eine Auszeichnung, die in diesen schweren Tagen keinem Offizier zu Theil wird. Ohne erst einen Imbiß zu sich zu nehmen , wandten fie sich um und schritten wieder in die Regennacht hinaus. Wohl war es ein langer und beschwerlicher Marſch, aber sie fühlten weder Regen, noch Ermattung, es galt ja dem Freunde, den sie im Leben so sehr geliebt hatten und der ihnen im Tode heilig war. Mit dem ersten Morgengrauen hatten sie den Friedhof
70 erreicht ; die Kirche war noch geschlossen, aber der Schimmer der ewigen Lampe , die ja auch dem Todten leuchtete, strahlte wie ein Friedenslicht durch die hohen Bogenfenster. Der Küster tam jezt, um die Morgenglocke zu läuten, und fand die Soldaten an der großen Eingangsthüre. Sie traten mit ihm ein und begaben sich zu dem Sarge. Kameraden , flüsterte Alfred, wenn wir die Leiche in böhmische Erde eingesenkt haben, so bleibt seinen braven Eltern nur die traurige Erinnerung an den geliebten Sohn. Wir wollen ihnen, als sichtbares Zeichen einen Theil, von ihm selbst in die Heimath schicken. Eine Locke seines schönen Haares wird ihnen ein Schatz sein, der bis zum Ende ihren unbezahlbaren Werth behält. Das hat Dir Gott eingegeben, antworteten die beiden Andern; ja, wir wollen ihnen eine Locke schicken . Der Sarg war nur leicht vernagelt, es kostete nicht viel Mühe, den Deckel zu entfernen . Da lag der frische Jüngling in dem engen Schreine; keine Wunde entſtellte ihn, kein Blut verunzierte sein männlich schönes Gesicht, in welches jezt die ersten Sonnenstrahlen hinein schienen. Und doch hätten sie viel darum gegeben , eine feindliche Kugel hätte ihm das junge Herz durchbohrt. Ist doch der Tod auf dem Felde der Ehre schöner und rühmlicher, als das Hinscheiden an einer qualvollen Senche! Der Trompeter nahm eine kleine Scheere aus seiner Brieftasche ; die Mutter hatte ihm dieselbe hinein gesteckt, Sie sollie als er für das Vaterland in den Krieg zog.
nur den kleinen Bedürfniſſen des täglichen Lebens dienen, Die sorgliche aber sie war noch nicht gebraucht worden. Frau hatte gewiß keine Ahnung davon, daß ihr Sohn jezt im fernen Böhmenlande an einem Sarge niederkniete und dem Freunde eine Locke vom Haupte schnitt, die er neben der Scheere in seiner Brieftasche barg. Der Geistliche war leise in die Kirche getreten und wurde Zeuge der Liebe, die sie dem Todten erwiesen. Eine Thräne der Rührung trat in seine Augen. Jest näherte er sich den Jünglingen, reichte ihnen die Hand und sprach : Der Todtengräber wird sogleich kommen. Sie müssen sich noch gedulden, bis er die Gruft fertig hat.
71 Nein, nein, antwortete Alfred, teine frembe Hand soll ihm das letzte Bett machen; erlauben Sie, daß wir ihm selbst die Gruft graben. Der Geistliche nickte seine Zustimmung ; sie gingen hinaus und machten die Gruft. Als sie fertig war, fehrten sie in die Kirche zurück. Unterdessen hatten sich viele Einwohner des Dorfes eingefunden , um die drei Jüng= finge zu sehen , welche ihren Kriegskameraden so hoch ehrien. Kein preußischer Krieger hat ein so feierliches Begräbnis in Böhmen erhalten, als der Maler August, denn als die drei Soldaten die Leiche aus der Kirche trugen, schlos sen sich alle Bewohner des Dorfes an , und manches alte Mütterchen, das auch einen Sohn auf dem Schlachtfelde hatte, weinte dem jungen Leben aufrichtige Thränen nach . Das Gebet verhallte, der Priester hielt eine kurze Anrese an die Umstehenden , der Sarg fuhr in die Grube Eine Handvoll und die Freunde bedeckten ihn mit Erde. steckten sie davon zu sich, um sie mit der Locke den Eltern zu übersenden. Dann glätteten sie den Hügel und bega= ben sich wieder zu ihrem Regimente. Vou den Friedensverhandlungen zu erzählen, ist nicht unsere Absicht, aber wir dürfen eines Abenteuers nicht vergessen, welches unserm Trompeter und seinen Freunden fait das Leben gekostet hätte. Der Waffenstillstand brachte für viele der Krieger eine große Erleichterung mit sich, indem sie so weit es anging, in Städte und Dörfer einquartiert wurden. Auch Alfred, Wilhelm und Gottfried sollten unter Dach und Fach komJhr Quartier befand sich auf einem abgelegenen Gehäfte. Das Aeußere des Hauses verrieth Wohlstand ; froh, wieder in Betten zu schlafen und nährende Kost zu genießen, nahten sie sich der Eingangsthüre ; aber gleich beim Empfange sahen sie schon , daß sie nicht willkommen waren. Der Bauer machte ein sehr mürrisches Gesicht, murmelte Flüche in den Bart und wies ihnen einen fast dachlosen Schuppen zum Aufenthalte an. Nun, sie konnten sich gut in die Stimmung der Leute hinein denken, welche die ganze Last des Krieges zu tragen hatten und dazu noch
72 der unterliegende Theil waren ; deshalb schwiegen sie und nahmen mit der schlechten Herberge fürlieb. Es war doch wenigstens Heu und Stroh genug vorhanden , worauf sie die müden Glieder ausstrecken konnten. Es wurde Mittag , der Magen meldete sich , aber es kam keine Mahlzeit in den Schuppen; Stunde auf Stunde verging, die Hungrigen schienen vergessen. Da ging einer von ihnen in's Haus und forderte in bescheidener Weise ein Mittagbrod. Der Bauer schnauzte ihn an, gab ihm aber doch wenigstens Brod mit. Zufällig öffnete sich die Stubenthüre und der Preuße sah um einen reich beladenen Tisch ein Duzend östreichische Soldaten . Kameraden, sprach er bei seiner Rückkehr, ich fürchte, wir sind hier in eine Mausefalle gerathen , da drinnen wimmelt es von Oestreichern , welche wie die Fürsten bewirthet werden , während wir mit diesem trockenen Brode zufrieden sein sollen . Sie sezten sich um das Brod und aßen, nahmen sich aber vor, auf ihrer Hut zu sein. Niemand kümmerte sich um sie, nur zuweilen schlich ein Knecht um den Schuppen und warf spähende Blicke hinein. Der Abend kam und sie legten sich zum Schlafen nieder, schlossen aber die Thüre nach Innen zu, damit ste nicht geräuschlos überfallen werden konnten. In der Nacht hörten sie ein leises Rütteln an der Thüre. Sie sprangen auf und nahmen ihre Säbel zur Hand. Es war feinen Augenblick zu früh geschehen, denn im nächsten wurde von Außen mit so großer Gewalt gegen dieselbe gedrückt , daß die Bretter nachgaben und zusammenbrachen. Zu gleicher Zeit stürzten die Oestreicher herein, welche auf dem Hofe einen Versteckt gefunden hatten, und zogen mit großem Ges schrei vom Leder. Zu ihrem Verdruß fanden sie den Feind , den sie im Schlafe zu überraschen gedachten, gerüstet. Die 3 Freunde schlossen sich fest aneinander und machten von ihren Säbeln Gebrauch. Die Schläge fielen hageldicht von beiden Seiten, mehrere der Angreifenden stürzten zu Boden ; tödlich getroffen stießen sie furchtbare Flüche aus. Die Kameraden der Gefallenen geriethen nun in noch größere
73 With und schwuren hoch und theuer, den Platz nicht zu verlassen, bis sie die Preußen getödtet hätten. Diese aber wehrten sich verzweiflungsvoll und schlugen endlich die Daß war ein schwerer Friedensbrecher in die Flucht. Kampf gewesen und sie bluteten alle drei aus tiefen Fleischwunden. Es geht nicht an's Leben, sprach ter Trompeter, aber hier können wir doch nicht länger bleiben. Wir müssen sogleich abmarschiren und Meldung von dem meuchlerischen Borfalle machen. In derselben Nacht noch eilten sie zu dem nächsten Orte, wo ein Offizier lag und meldeten, wie sie behandelt worden seien. Dieser brach sogleich mit fünfzig Mann auf, um die Uebelthäter und den treulofen Bauern zu züchtigen , aber sie fanden den Hof geräumt , die Einwohner waren geflohen und hatten den gesammten Viehſtand mitgenommen. Die drei Verwundeten , welche vor der Hand kampfunfähig waren, erhielten die Erlaubniß, bis an die böh= mische Grenze zurückzugehen und sich in einem der dortizen Lazarethe pflegen zu lassen. Den Arm in der Binde tragend, nahmen sie Abschied von ihren Kameraden und richteten ihren Marsch zunächst nach Brünn, wo Alfred zunächst die Wittwe des Offiziers aufsuchen wollte, der ihm auf dem Schlachtfelde von Trautenau sterbend Ring und Brieftasche übergeben hatte. Er fand das arme Weib in tiefer Trauer , denn es war ihr bereits der Tod ihres Gatten gemeldet. Ein Trost wurde ihr doch in ihrem Leid , als der preußische Trompeter ihr von seinen letzten Augenblicken erzählte. Den Ning und das Taschenbuch bedeckte sie mit heißen Küssen , die Uhr aber wollte sie nicht nehmen . Halten Sie dieselbe, mein Freund, sprach sie, sie möge Ihnen ein Andenken an ihn und mich sein. Alfred sträubte sich, aber die Wittwe ließ es nicht anders zu, fast war es, als ob der Geist des Gatten ihr ugerufen, daß die Uhr bereits ein Vermächtniß des Verstorbenen an den Lebenden jei. Nachdem sie einige Tage in Brünn gerastet und die
1 74 müden Körper gepflegt hatten, zogen sie weiter. Alfred wurde troß seiner Wunten nicht müde ; die Erinnerung an Kathinka trieb ihn vorwärts . Früh morgens brachen sie auf, spät abends legten sie sich nieder. Die beiden Kameraden wollten wissen, warum er so sehr vorwärts eile ; aber er schloß sein Geheimniß in die Brust und sagte nur: Später sollt Ihr's erfahren, für jest dringt nicht weiter in mich. Endlich hatten sie den Ort erreicht, wo er Kathinka und ihre Großmutter aus dem Feuer gerettet hatte. Hier wollten sie in's Lazareth gehen , denn Alfred wußte, daß ihm auf diese Weise Gelegenheit gegeben sein würde, das geliebte Mädchen oft zu sehen. Da es schon spät am Abend war, so ließen sie fich ein Quartierbillet geben , um in der vorgerückten Stunde die Verwundeten nicht zu belästigen . Die Wirthsleute waren freundliche Menschen, setzten sich zu ihnen und unterhielten sie auf die angenehmste Weise. Die Frau des Hauses erzählte unter anderen Dingen auch von dem Engel ihres Dorses. Wer ist dieser Engel ? fragte Alfred . Ein ganz liebes Mädchen, die Tochter eines Arztes, gab sie zur Antwort. Seit die Schlacht hier gewüthet, und sie von einem preußischen Soldaten aus dem brennenden Hause gerettet wurde, ist sie zum Engel der Verwundeten geworden. Sie hat sich der Pflege derselben ganz gewidmet. Tag und Nacht kommt sie nicht aus dem Lazarethe, weil Freund und Feind von ihr gepflegt sein will. Das Mädchen verdient den Himmel an den armen Leuten. Leider strengt sie sich zu sehr an und sie kann leicht ein Opfer der Cholera werden, die jest rings umher in den Lazarethen auftritt. Das ist meine Kathinka , jubelte es in dem Herzen des Trompeters; eine Freudenthräne lief ihm über die Wangen , aber sein Geheimniß verrieth er auch jezt noch nicht . Morgen werden auch wir diesen Engel sehen, sagte er nur. Am folgenden Morgen schellten die drei Verwundeten an der Thüre des Krankenhauses .
75 Eine barmherzige Schwester öffnete, sie hatte Thränen in den Augen. Die erste Thür in dem Gange stand offen, Schluchzen drang aus dem Gemach. Alfred erkannte in dem Weinenden Kathinkas Vater. Er trat näher, um ihn zu begrüßen , aber mit einem Schrei stürzte er zusammen, denn auf dem Pfühl zu des Arztes Füßen lag die Leiche Kathinkas. Sie war so eben, mitten in ihrem schönen Berufe, von der Cholera hingerafft werden. Alfreds Ring glänzte noch an ihrem Finger. Mein Sohn, sprach der Arzt, Kathinka hat mir völlig veriraut, sie ist mit Deinem Namen auf den Lippen ge= storben. Alfred fiel in eine schwere Krankheit, aber die Kunſt Ses Arztes rettete ihm das Leben und jetzt weilt er mit gebrochenem Herzen am Heerde der Mutter.
Einiges noch aus dem Rriegsleben.
Ein Soldatenlied. (Mel.: Prinz Eugen, der edle Ritter.) Desterreich mit großem Munde Schwer zu seiner schlimmsten Stunde: Schlesien, das nehm'n wir weg ! Preußen, das muß aus dem Leime ! Seinen Plan hält er geheime, Der Feldmarschall Benedek! Sachsen, das wollt' auch was haben, Ja, es trähten selbst die Schwaben, Und es rüstet Liechtenstein. Auch Hannover und Kurhessen Sind der alten Ehr' vergessen, Woll'n sich Preußen's Ende freu'n ! Doch der König Wilhelm sagte : Ob sie denn der Teufel plagte, Daß man nicht die Preußen kennt? Schlesien nahm der alte Frize Und sein Enkel an der Spize Steht von jedem Regiment ! Schnell befiehlt er seinem Moltke: Mady mit dem Kroaten-Volke Zu dem Feldzug einen Plan! Moltke sprach : Troz Beust'scher Tücken Woll'n wir schnell nach Böhmen rücken Und im eignen Land sie schla'n !
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Bismarck that es lang schon wollen, Daß sich Oestreich sollte trollen Aus dem morschen deutschen Bund. Roon, der hat es still bereitet, Wie man siegt und wie man streitet , Jezo ward der Welt es kund ! Seinem Erben that der König geben Schlesiens Heer, und gleich daneben Friedrich Carln die böhm'sch' Armee ! Vogeln, Herwarth und Steinmeßen Thät er auf die Feinde hezen, Benedek , der schreit : O weh !
Bei Königgräß ward er geschlagen, Bis nach Ungarn thäten ihn jagen Der Kronprinz und sein Vetter da. Und dem durst'gen Knödelfreffer Ging's am Maine auch nicht besser, Preußen schießt Victoria !
Lieber Gott im großen Himmel, Hast bewahrt im Schlachtgetümmel Unsern König doch allein! Hält'st die Hand Du über Preußen, Woll'n wir jeden Feind schon schmeißen , An der Donau, wie am Rhein !
Ein Muster treuer Gattenliebe
teilt uns ein Bericht der Wiener Zeitung" in Folgendem vor Augen . Die Verlustliste der Schlacht bei Königgräg wies unter Andern auch den Generalmajor und Brigadier Ferdinand Poschacher von Poschach als schwer verwundet nach. Seine Gemahlin blieb jedoch trotz der umfassendsten Erkundigungen über das weitere Schicksal desselben ohne Nachricht, mit Ausnahme eines am 8. Juli an sie gelangten Telegramms, laut welchem sich General Boschacher in Prag verwundet befinden sollte, worauf sie aljegleich nach Legterem Orte eilte. Allein alle während eines zehntägigen Aufenthaltes sowohl in Prag als in den
78 umliegenden Spitälern eingeholten Erkundigungen blieben erfolglos, daher sie wieder nach Wien zurückkehrte. Uner= müdet in weiteren Nachforschungen brachte dieselbe unterm 19. August neuerdings durch Privatnachricht in Erfahrung , daß General Poschacher in einem von den preußischen Truppen beseßten Dorfe nächſt Königgräß sich in Folge seiner Verwündung in ärztliche Behandlung befinde. Von neuer Hoffnung beseelt, schickte sie sich unverweilt zur Reise dahin an, keine Beschwerde oder Gefahr scheuend, welche damit in Verbindung stand , da sie auch Orte berührte, wo die Cholera graffirte. Am Morgen des 12. August 1866 in der Festung Königgräß angekommen, ers fuhr sie, daß wenig Hoffnung für das Auffinden ihres Gemahls , vielmehr die traurige Wahrscheinlichkeit sei, daß nach Aussage eines östreichischen Soldaten, welchem die Preußen am Abend nach der Schlacht bei Königgräg die Beerdigung eines öftreichischen Generals befohlen, dieser General Höchst wahrscheinlich Herr v. Poschacher sein dürfte , den der Feind irrig unter einem anderen Namen bezeichnen ließ. Mit gebrochenem Herzen vernahm die unglückliche Frau diese Nachricht und unternahm sofort die Aufsuchung ihres Gemahls , eilte aber vorher noch nach Horzizz , als den Ort, woher ihr die Privatnachricht von dem Leben desselben am 10. August zukam. Doch wurde auch dieſe Hoffnung getäuscht. Sie fuhr sonach auf das Königgräger Schlachtfeld zurück, bei vielen Grabeshügeln aussteigend und suchend, bis sie endlich ganz in der Nähe des Dorfes Bereitwillig Rozborsiz zu dem bezeichneten Hügel kam. öffneten dortige Bauersleute das Grab , welches wirklich die Leiche des Generals Poschacher , mit der Generalsuniform angethan, barg, der in der Schlacht am 3. Juli 1866 den Heldentod gefunden hatte. So entstellt auch der Leichnam bereits war, die liebende Gattin erkannte ihn dennoch gleich, und ein Kleinod , welches Poschacher von seiner Gemahlin als Geschenk erhielt und bei sich trug, gab noch die vollste, traurige Gewißheit. So glücklich" sind aber nicht alle Suchenden. Bei der reichen Ernte, welche der Tod vor Königgräß gehalten,
79 hat man faum die Todten zu sortiren und in große Schachte zu werfen, Zeit und Arbeitskräfte gefunden. Nächst Sabowa, in einer Allee von Obstbäumen, abseits der Straße, nd acht Schachte mit 1600 Leichen; ein großes maſſives Kreuz ist auf einem der Gräber aufgerichtet; auf den übriNoch heute sind gen rohe Kreuze aus schmalen Latten. die Kampffelder bei Chlum, Nechaniz, Sadowa mit unübersehbaren Haufen von Kriegsgeräth bedeckt. Hügeln von Tornistern, die von den Bauern aufgelesen und zusammen getragen wurden, wüste Haufen von Patrontaschen , Bajonnetscheiden, Pickelhauben , Czakos 2c. liegen umher.
Kühn und umsichtig. Als das 2. Bataillon des 7. Ostpreußischen Infanterie-Regiments Nr. 44 in dem Gefecht bei Tobitschau nach hartnäckigem Kampfe das Dorf Wierowan genommen hatte, besetzte es, nach Gefangennahme eines feind= lichen Feldlazareths, das nächste Dorf Rokodau und zwar, weil der Feind östlich nach Olmütz abzog , die östliche Lisiere. Zur Beobachtung der westlichen Lisiere dieses sehr weitläuftigen, von Gebüsch, Teichen und Flußarmen durchschnittenen Dorfes wurde der Seconde-Lieutenant M. . . r mit nur 7 Mann detachirt, weil von dieser Seite kein feindlicher Angriff zu erwarten stand . Als sich Lieutenant M. jedoch später , um bessere Uebernicht zu gewinnen , nach der nördlichen Lisiere begeben wollte, bemerkte er plößlich jenseits eines freien Plages einzelne Oestreicher, die, als sie seiner ansichtig wurden, halten blieben. Vergebens suchte Lieutenant M. sich Gewißheit zu verschaffen, ob größere Abtheilungen hinter den feindlichen Posten ständen, um durch schleunige Meldung die alsdann so drohende Gefahr von dem Bataillon abzuwenden . Lieutenant M. , nachdem er sich überzeugt hatte, daß die vorliegenden Häuser, Gärten und Gebüsche jece Einsicht nach dem Feinde verhinderten , nahm nunmehr seinen Revolver in die Hand, ging gerade auf einen feindlichen Soldaten los und rief ihm, auf einige Schritt von demselben herangekommen, zu , sie müßten sofort die Gewehre wegwerfen und ihm folgen , denn sie wären seine
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Gefangenen! Die östreichischen Soldaten sahen ihn ganz erstaunt an und erwiderten, ſie könnten sich nicht gefangen geben , auch ständen hinter ihnen die Anderen und der Herr Oberstlieutenant. Dabei hatte Lieutenant M … ..r jezt Zeit gehabt, sich genau umzuschauen und eine feindliche Abtheilung hinter den Häusern hervorkommen zu sehen, die über 80 Mann stark war. Wahrscheinlich war das eine in das Dorf entsendete feindliche Seitendeckung, denu in demselben Augenblick bemerkte der preußische Offizier einige hundert Schritt davon, westlich des Dorfes , schon mit ihm in gleicher Höhe , 4 feindliche Bataillone, mindestens 1 Batterie und Kavallerie, die sich von Olmüh gegen Tobitschau in Schlachtordnung dirigirte und die, wenn sie im Vorgehen blieb , das Bataillon in schlimme Lage bringen konnte. Ein so plötzlich aufgerolltes Bild der Gefahr ist allerdings geeignet, Manchen aus der Fasfung zu bringen. Lieutenant M . . . r verlor aber die Geistesgegenwart keinen Augenblick , sondern fuhr die Destreichischen barsch an und sagte drohend , er würde ihnen gleich zeigen , daß sie Gefangene seien, denn er würde gleich seine Soldaten holen ! Alsdann machte er ruhig Kehrt und ging im langsamen Schritt zurück. Die dreiste Anrede machte aber die Oestreicher so stubig , daß sie sich ganz verblüfft ansahen, ihn bis an 300 Schritt ungestört zurückgehen ließen, und ihm dann erst ; ihre Kugeln , ohne ihm jedoch zu schaden , nachsendeten . Das muthige, entschlossene Benehmen des Lieutenant M ... r hatte den Erfolg, daß die ganze feindliche Abtheilung im Dorfe sich sofort zurückzog und so ge= stattete, daß eine schnell herbeigeführte Kompagnie ungehindert Aufstellung in jener Gegend des Dorfes gegen die feindlichen 4 Bataillone u. s. w. nehmen konnte. Das wohlgezielte Schnellfeuer der schwachen Kompagnie, trozdem es sofort ein heftiges Granatfeuer auf sich zog, bewirkte, daß sich die feindlichen Kolonnen durch Hinlegen und in Gräben zu decken suchten und keinen Schritt weiter vorgingen.
Gedruckt bei F. H. Nieten in Duisburg.