786 97 12MB
German Pages XIV, 926 [919] Year 2020
Ulrich Schwabe Wolf-Dieter Ludwig Hrsg.
ArzneiverordnungsReport 2020
Arzneiverordnungs-Report 2020
Ulrich Schwabe Wolf-Dieter Ludwig Hrsg.
ArzneiverordnungsReport 2020 Aktuelle Daten, Kosten, Trends und Kommentare
Hrsg. Ulrich Schwabe, Prof. em. Dr. med. Pharmakologisches Institut der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 366 69120 Heidelberg
ISBN 978-3-662-62167-7 https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4
Wolf-Dieter Ludwig, Prof. Dr. med. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) Herbert-Lewin-Platz 1 10623 Berlin
ISBN 978-3-662-62168-4 (eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Fotonachweis Umschlag: © nikesidoroff/fotolia.com Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Vorwort der Herausgeber Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind 2019 weiter auf 43,4 Mrd. C (C5,4 %) angestiegen und zeigen damit einen höheren jährlichen Zuwachs als in den letzten 4 Jahren. Hauptursachen waren die überdurchschnittlichen Kostensteigerungen in den führenden Indikationsgruppen der Onkologika (C13,7 %), Immunsuppressiva (C7,5 %) Antithrombotika (C10,0 %) und Dermatika (C13,5 %) mit einem hohen Anteil patentgeschützter Arzneimittel. Zur Bewältigung der steigenden Arzneimittelkosten analysieren wir die Verordnungsentwicklung mit evidenzbasierten Kriterien zur Beurteilung von Wirksamkeit und Sicherheit. Die Analysen im Arzneiverordnungs-Report basieren auf den Verordnungsdaten des GKV-Arzneimittelindex für ambulante Patienten, der in der Trägerschaft des AOK-Bundesverbandes vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) erstellt wird. Ein Beirat, in dem alle relevanten Institutionen im Gesundheitswesen vertreten sind, begleitet den GKV-Arzneimittelindex. In bewährter Weise wurden die Arzneimitteldaten über Verordnungen, Umsätze, Nettokosten und definierte Tagesdosen (DDD) nach den Vorgaben der Herausgeber und Autoren bezüglich Arzneimittelklassifikation, Patentstatus, Zeitumfang und Struktur in den Tabellen und Abbildungen vom WIdO zusammengestellt. Ein bisher im Arzneiverordnungs-Report enthaltenes Kapitel (Der GKV-Arzneimittelmarkt: Trend und Marktsegmente) ist in diesem Jahr erstmals als Teil einer eigenen Online-Publikation (Der GKV-Arzneimittelmarkt – Bericht 2020) auf der Internetseite des WIdO (7 http://www.wido.de) erschienen. Der bisherige Anhang mit dem zugehörigen Kapitel (Ergänzende statistische Übersicht) ist ebenfalls in einer separaten Online-Publikation (Der GKV-Arzneimittelmarkt: Klassifikation, Methodik und Ergebnisse 2020) auf der Internetseite des WIdO enthalten. Parallel zu diesen Änderungen haben Herr Dr. Dieter Paffrath und Herr Jürgen Klauber ihre Mitarbeit als Herausgeber des ArzneiverordnungsReports beendet. Unser herzlicher Dank gilt unseren Autoren aus Pharmakologie, Klinik, Praxis, Gesundheitsökonomie und Krankenversicherung für ihre größtenteils jahrzehntelange Treue. Unseren erfahrenen Herausgeberberatern verdanken wir zahlreiche Anregungen. Besonders dankbar sind wir unseren bisherigen Mitherausgebern, Herrn Dr. Dieter Paffrath, der das Projekt vor 40 Jahren initiiert hat, und Herrn Jürgen Klauber, der seit 2017 auch im Herausgeberkreis mitgewirkt hat. Weiterhin danken wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des WIdO, die an der Datenlieferung für das Gesamtwerk beteiligt waren. Schließlich gilt unser Dank dem Springer-Verlag für die professionelle Organisation der Publikation des Arzneiverordnungs-Reports trotz enger zeitlicher Vorgaben. Ulrich Schwabe Wolf-Dieter Ludwig
Heidelberg, Berlin 6. August 2020
VII
Inhaltsverzeichnis I
Allgemeine Verordnungs- und Marktentwicklung
1
Arzneiverordnungen 2019 im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Ulrich Schwabe und Wolf-Dieter Ludwig 2
Neue Arzneimittel 2019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
Uwe Fricke, Lutz Hein und Ulrich Schwabe 3
Biologika und Biosimilars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
Stanislava Dicheva-Radev und Wolf-Dieter Ludwig 4
Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
Wolf-Dieter Ludwig 5
Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich – Marktsteuerungsmechanismen und Einsparpotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
201
Sabine Vogler, Peter Schneider, Dimitra Panteli und Reinhard Busse
II
Indikationsgruppen
6
Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231
Franz Weber und Manfred Anlauf 7
Analgetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
261
Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt 8
Antiallergika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
Anette Zawinell und Ulrich Schwabe 9
Antianämika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297
Jan Matthes 10
Antibiotika und Antiinfektiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
307
Winfried V. Kern 11
Antidementiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
331
Ulrich Schwabe 12
Antidiabetika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
339
Marc Freichel und Klaus Mengel 13
Antiemetika und Antivertiginosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl-Friedrich Hamann
359
VIII
Inhaltsverzeichnis
14
Antiepileptika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
365
Ulrich Schwabe 15
Antihypertonika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
Manfred Anlauf und Franz Weber 16
Antithrombotika und Antihämorrhagika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395
Lutz Hein und Hans Wille 17
Antirheumatika und Antiphlogistika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
421
Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt 18
Antitussiva und Expektorantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
437
Björn Lemmer 19
Betarezeptorenblocker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
447
Björn Lemmer 20
Bronchospasmolytika und Antiasthmatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
Björn Lemmer 21
Calciumantagonisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
473
Thomas Eschenhagen 22
Corticosteroide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
481
Ulrich Schwabe 23
Dermatika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
487
Judith Günther und Uwe Fricke 24
Diuretika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
537
Hartmut Oßwald und Bernd Mühlbauer 25
Gichtmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
549
Bernd Mühlbauer und Gerhard Schmidt 26
Herztherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
555
Thomas Eschenhagen 27
Hypnotika und Sedativa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
571
Martin J. Lohse 28
Hypophysen- und Hypothalamushormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
583
Ulrich Schwabe 29
Immunglobuline und Immunsuppressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
593
Ulrich Schwabe 30
Lipidsenkende Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerald Klose und Ulrich Schwabe
601
IX Inhaltsverzeichnis
31
Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
615
Ansgar W. Lohse und Samuel Huber 32
Migränemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
643
Jan Matthes 33
Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
653
Roland Seifert und Martin Stangel 34
Onkologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
671
Wolf-Dieter Ludwig und Ulrich Schwabe 35
Ophthalmika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
733
Martin J. Lohse 36
Osteoporosemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
759
Hans Christian Kasperk und Reinhard Ziegler 37
Parkinsonmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
771
Roland Seifert 38
Psychopharmaka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
781
Martin J. Lohse 39
Rhinologika und Otologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
815
Karl-Friedrich Hamann 40
Schilddrüsentherapeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
825
Reinhard Ziegler und Hans Christian Kasperk 41
Sexualhormone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
833
Thomas Strowitzki 42
Urologika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
849
Bernd Mühlbauer und Hartmut Oßwald 43
Vitamine und Mineralstoffpräparate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
861
Katja Niepraschk-von Dollen 44
Zahnärztliche Arzneiverordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
873
Frank Halling
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
887 888
Verzeichnis der Herausgeber, Autoren und Berater der Herausgeber
Herausgeber Ulrich Schwabe, Prof. em. Dr. med. Pharmakologisches Institut der Universität
Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg [email protected] Wolf-Dieter Ludwig, Prof. Dr. med. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin [email protected]
Autoren Manfred Anlauf, Prof. Dr. med. Friedrich-Plettke-Weg 12, 27570 Bremerhaven [email protected] Rainer H. Böger, Prof. Dr. med. Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg [email protected] Reinhard Busse, Prof. Dr. med. Fakultät Wirtschaft und Management, Technische
Universität Berlin, Straße des 17. Juni 135 (H80), 10623 Berlin [email protected] Stanislava Dicheva-Radev, Dr. P.H. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin [email protected] Thomas Eschenhagen, Prof. Dr. med. Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg [email protected] Marc Freichel, Prof. Dr. med. Pharmakologisches Institut der Universität Heidelberg,
Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg [email protected] Uwe Fricke, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Pharmakologie der Universität zu Köln, Gleueler Straße 24, 50924 Köln [email protected]
XI Verzeichnis der Herausgeber, Autoren und Berater der Herausgeber
Judith Günther, Dr. rer. nat. Gesellschaft zur Forschung und Beratung im Bereich Arzneimittelversorgung mbH, PharmaFacts, Wilhelmstraße 1e, 79098 Freiburg [email protected] Frank Halling, Priv. Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Gesundheitszentrum Fulda, Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda [email protected] Karl-Friedrich Hamann, Prof. Dr. med. Grillparzerstraße 51, 81675 München
[email protected] Lutz Hein, Prof. Dr. med. Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie, Albert-Ludwig-Universität, Albertstraße 25, 79104 Freiburg [email protected] Samuel Huber, Prof. Dr. med. Zentrum für Innere Medizin, I. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20251 Hamburg [email protected] Hans Christian Kasperk, Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. h.c. Hormon Zentrum Zürich AG, Forchstraße 8a, 8008 Zürich, Schweiz [email protected] Winfried V. Kern, Prof. Dr. med. Innere Medizin II/Infektiologie, Universitätsklinikum Freiburg, Hugstetter Straße 55, 79106 Freiburg [email protected] Gerald Klose, Prof. Dr. med. Gemeinschaftspraxis Dres. Thomas Beckenbauer und Stefan Maierhof, Am Markt 11, 28195 Bremen [email protected] Björn Lemmer, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Zeppelinallee 33, 60325 Frankfurt [email protected] Ansgar W. Lohse, Prof. Dr. med. Zentrum für Innere Medizin, I. Medizinische Klinik
und Poliklinik (Gastroenterologie mit Sektionen Infektiologie und Tropenmedizin), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Martinistraße 52, 20246 Hamburg [email protected] Martin J. Lohse, Prof. Dr. med. Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Robert-Rössle-Straße 10, 13125 Berlin-Buch [email protected] Wolf-Dieter Ludwig, Prof. Dr. med. Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft (AkdÄ), Herbert-Lewin-Platz 1, 10623 Berlin [email protected]
XII
Verzeichnis der Herausgeber, Autoren und Berater der Herausgeber
Jan Matthes, Priv. Doz. Dr. med. Institut für Pharmakologie der Universität zu Köln, Gleueler Straße 24, 50924 Köln [email protected] Klaus Mengel, Dr. med. Höferstraße 15, 68199 Mannheim [email protected] Bernd Mühlbauer, Prof. Dr. med. Institut für Pharmakologie, Klinikum Bremen-Mitte,
St.-Jürgen-Straße 1, 28205 Bremen [email protected] Katja Niepraschk-von Dollen, Dr. rer. nat. Wissenschaftliches Institut der AOK, Rosenthaler Straße 31, 10178 Berlin [email protected] Hartmut Oßwald, Prof. Dr. med. Händelstraße 10, 79312 Emmendingen [email protected] Dimitra Panteli Fachgebiet Management im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin, Straße des 17. Juni 135 (H80), 10623 Berlin [email protected] Gerhard Schmidt, Prof. Dr. med. Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Göttingen, Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen [email protected] Peter Schneider, Mag. M.A. Gesundheit Österreich GmbH, Stubenring 6, 1010 Wien,
Österreich [email protected] Ulrich Schwabe, Prof. em. Dr. med. Pharmakologisches Institut der Universität
Heidelberg, Im Neuenheimer Feld 366, 69120 Heidelberg [email protected] Roland Seifert, Prof. Dr. med. Medizinische Hochschule Hannover, Institut für
Pharmakologie, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover [email protected] Martin Stangel, Prof. Dr. med. Medizinische Hochschule Hannover, Abteilung für Klinischen Neuroimmunologie und Neurochemie und Klinik für Neurologie, Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 Hannover [email protected] Thomas Strowitzki, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen, Universitäts-Frauenklinik, Im Neuenheimer Feld 440, 69120 Heidelberg [email protected]
XIII Verzeichnis der Herausgeber, Autoren und Berater der Herausgeber
Sabine Vogler, Dr. rer. soc. Gesundheit Österreich GmbH, Stubenring 6, 1010 Wien,
Österreich [email protected] Franz Weber, Prof. Dr. med. Thiemannstraße 18, 45219 Essen
[email protected] Hans Wille, Dr. med. Gesundheit Nord gGmbH, Institut für Klinische Pharmakologie, Klinikum Bremen-Mitte, St. Jürgenstraße 1, 28177 Bremen [email protected] Anette Zawinell, Dr. rer. nat. Wissenschaftliches Institut der AOK, Rosenthaler
Straße 31, 10178 Berlin [email protected] Reinhard Ziegler, Prof. Dr. med. h.c. Mozartstraße 20, Heidelberg
Berater der Herausgeber Rieke Alten, Dr. med. Abteilung Innere Medizin II, Rheumatologie, Klinische
Immunologie, Osteologie, Physikalische Therapie und Sportmedizin, Klinisch osteologisches Schmerzzentrum, Schlosspark-Klinik, Heubnerweg 2, 14059 Berlin Claus Bachert, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Chief of Clinics ENT-Department Head Upper Airways Research Laboratory (URL), University Hospital Ghent, C. Heymanslaan 10, 9000 Ghent, Belgien Jürgen Bausch, Dr. med. Bad Sodener Straße 19, 63628 Bad Soden-Salmünster Hans-Christoph Diener, Prof. Dr. med. Medizinische Fakultät der Universität Duisburg-Essen, Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE), Hufelandstraße 55, 45122 Essen Kurt Dreikorn, Prof. Dr. med. Stadtländerstraße 58, 28355 Bremen Erland Erdmann, Prof. Dr. med. Franz-Seiwert-Straße 8, 50933 Köln Veit Flockerzi, Prof. Dr. med. Institut für Pharmakologie und Toxikologie, Universität des Saarlandes, 66421 Homburg Leonhard Hansen, Dr. med. Bahnhofstraße 12, 52477 Alsdorf Hans Harjung, Dr. med. Bessunger Straße 101, 64347 Griesheim Wolfgang Kaesbach Saturnstraße 2B, 45277 Essen
XIV
Verzeichnis der Herausgeber, Autoren und Berater der Herausgeber
Michael M. Kochen, Prof. Dr. med., MPH, FRCGP Ludwigstraße 37, 79104 Freiburg Wilhelm Niebling, Prof. Dr. med. Scheuerlenstraße 2, 79822 Titisee-Neustadt Birger Rostalski Reihe Bäume 16, 56218 Mülheim-Kärlich Peter Schönhöfer, Prof. Dr. med. Rütenhöfe 7 b, 28355 Bremen
1
Allgemeine Verordnungs- und Marktentwicklung Inhaltsverzeichnis Kapitel 1
Arzneiverordnungen 2019 im Überblick – 3 Ulrich Schwabe und Wolf-Dieter Ludwig
Kapitel 2
Neue Arzneimittel 2019 – 43 Uwe Fricke, Lutz Hein und Ulrich Schwabe
Kapitel 3
Biologika und Biosimilars – 151 Stanislava Dicheva-Radev und Wolf-Dieter Ludwig
Kapitel 4
Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft – 185 Wolf-Dieter Ludwig
Kapitel 5
Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich – Marktsteuerungsmechanismen und Einsparpotenziale – 201 Sabine Vogler, Peter Schneider, Dimitra Panteli und Reinhard Busse
I
3
1
Arzneiverordnungen 2019 im Überblick Ulrich Schwabe und Wolf-Dieter Ludwig
Auf einen Blick
Ausgabenprofil Die Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Zuzahlungen der Versicherten (V) sind nach der vorjährigen Zunahme auch 2019 erneut um 5,4 % auf 43,363 Mrd. C (C2,210 Mrd. C, Konto 04399V) gegenüber dem Vorjahr angestiegen und liegen damit weiterhin bei 17,2 % der Leistungsausgaben der GKV (Bundesministerium für Gesundheit 2020, KV45). Die GKV-Gesamtausgaben stiegen auf 251,943 Mrd. C (C5,3 %). Den größten Block in den GKV-Ausgaben bilden weiterhin mit großem Abstand die Kosten für Krankenhausbehandlung mit 80,900 Mrd. C (C3,9 %, Konto 04699V). Danach folgen die bereits genannten Arzneimittelausgaben, die Ausgaben für die vertragsärztliche Versorgung mit 41,059 Mrd. C (C4,0 %, Konto 04099P) und die Ausgaben für zahnärztliche Behandlung mit 15,014 Mrd. C (C3,9 %, Konto 04299Z). Die erhöhten GKV-Ausgaben erklären sich zum Teil dadurch, dass sich die Gesamtzahl der GKV-Versicherten von Juli 2018 bis Juli 2019 auf 73,195 Mio. (Vorjahr 72,997 Mio. C2,7 %, Konto 09996) erhöht hat, sodass die Veränderungswerte je Versicherten entsprechend geringere Ausgabenanstiege ergeben. Dem Ausgabenanstieg stehen Einnahmen der Krankenkassen in Höhe von 250,428 Mrd. C gegenüber, woraus ein Defizit von 1,515 Mrd. C resultiert (Bundesministerium für Gesundheit 2020).
1.1
Segmente des Arzneimittelmarktes
Die Marktsegmente des GKV-Arzneimittelmarktes gliedern sich in die beiden Hauptbereiche der Patentarzneimittel mit einem Umsatz von 21,641 Mrd. C (46,3 %) und den größeren Bereich der patentfreien Arzneimittel mit 23,968 Mrd. C (51,3 %) (. Tab. 1.1). Wesentlich stärker unterscheidet sich die therapeutische Anwendung der beiden Marktbereiche nach Verordnungen und verordneten definierten Tagesdosen (DDD). Auch hier dominieren die patentfreien Arzneimittel, während die Patentarzneimittel nur einen Anteil von 6,4 % am DDD-Gesamtvolumen haben. Dementsprechend liegen die Therapiekosten der Patentarzneimittel im Vergleich zu den patentfreien Arzneimitteln 7-fach höher. Eine weitere wichtige Differenzierung des Arzneimittelmarktes ist die Klassifikation in Nichtbiologika und Biologika, die sich in erster Linie nach dem Herstellungsverfahren unterscheiden. Nichtbiologika sind kleinmolekulare Wirkstoffe, die überwiegend chemisch synthetisiert werden und biologisch relativ stabil sind. Eine spezielle Untergruppe sind komplexe Nichtbiologika, die keine homo-molekulare Struktur aufweisen und aus mehreren Elementen bestehen (liposomale Arzneimittel, Eisen-Zucker-Komplexe, Glatiramoide) (Übersicht bei Schellekens et al. 2014). Biologika sind hochmolekulare Wirkstoffe, die von einem biologischen Organismus hergestellt werden und vorwiegend aus Po-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
4
1
. Tabelle 1.1 Marktsegmente des GKV-Arzneimittelmarktes 2019. Angegeben sind Umsatz (Fertigarzneimittel plus Rezepturarzneimittel), Nettokosten (Umsatz abzüglich gesetzliche Hersteller- und Apothekenabschläge ohne vertragliche Rabatte nach § 130a Abs. 8 SGB V), definierte Tagesdosen (DDD), die jeweiligen Veränderungsraten (in %) und DDD-Kosten Marktsegmente
Umsatz Ände- Nettorung kosten Mrd. C %
Ände- DDD rung
Mrd. C %
Mrd.
Ände- DDDrung Kosten %
C
Arzneimittel (Fertigarzneimittel und Rezepturen) Patentarzneimittel
21,641
6,4
20,637
6,8
2,828
0,9
7,30
Nichtbiologika
12,338
7,1
11,826
7,4
2,240
1,0
5,28
9,303
5,5
8,811
6,0
0,588
8,9
15,00
Nicht-Patentarzneimittel
23,968
5,3
22,201
5,7
39,189
3,1
1,06
Generika
13,529
4,2
12,465
4,4
35,573
3,4
0,35
4,153
4,2
3,825
4,2
2,602
0,6
1,47
1,799
70,8
1,722
71,1
0,097
46,7
17,69
4,487
2,3
4,188
2,9
0,916
4,8
4,57
1,133
0,9
1,021
0,9
1,915
1,5
0,53
46,742
5,7
43,859
6,0
43,932
2,8
1,00
Biologika
Generikafähige Erstanbieterpräparate Biosimilars Biosimilarfähige Erstanbieterpräparate Unklassifizierte Arzneimittel
a
b
Rezepturen und Fertigarzneimittel Nicht-Fertigarzneimittel
c
Rezepturend
4,561
In-vitro-Diagnostika
0,593
Sonstige Apothekenprodukte
1,342
Nicht-Fertigarzneimittel ohne Rezepturen
1,935
Gesamtmarkt
46,742
a
Einschließlich weiterer Biologika, die weder Referenzarzneimittel noch Biosimilar sind. Arzneimittel ohne Informationen zu Patent- bzw. Schutzfristen, die weder dem geschützten noch dem generikafähigen Markt zugeordnet werden können. Dazu gehören beispielsweise Mineralstoffe und homöopathische Arzneimittel. c Neben den Rezepturen und In-vitro-Diagnostika sind unter anderem Pflaster und Verbandsstoffe oder Hilfsmittel enthalten. d Individuell hergestellte parenterale Lösungen, Zytostatikazubereitungen, Auseinzelungen und aus Fertigarzneimitteln entnommene, patientenindividuelle Teilmengen, die in allen Arzneimittelgruppen (Rezepturen und Fertigarzneimittel) enthalten sind. b
lypeptiden (Antikörper, Zytokine, Hormone) bestehen (7 Kap. 3, 7 Abschn. 3.1). Biologika sind keine grundsätzlich neue Arzneimittelgruppe, sondern werden als Impfstoffe schon seit mehr als 200 Jahren angewendet (Übersicht bei Freissmuth 2016). Die unterschiedli-
chen Moleküleigenschaften und Herstellungsverfahren der beiden Arzneimittelgruppen bestimmen auch wesentlich den Status nach Ablauf des Patentschutzes. Patentfreie chemische Arzneimittel werden als Generika oder generikafähige Erstanbieterpräparate bezeichnet und
5 1.1 Segmente des Arzneimittelmarktes
weisen eine identische molekulare Struktur wie der ursprünglich patentgeschützte Wirkstoff auf. Patentfreie biologische Arzneimittel sind entweder biosimilarfähige Erstanbieterpräparate oder Biosimilars, die in Bezug auf Struktur, Funktion, Qualität sowie klinische Wirksamkeit und Sicherheit einem zugelassenen biologischen Originalprodukt sehr ähnlich, aber nicht identisch sind (Ausnahme Bioidenticals) (Declerck et al. 2016; siehe auch 7 Kap. 3). Bei den generikafähigen und biosimilarfähigen Erstanbieterpräparaten handelt es sich um ehemals patentgeschützte Arzneimittel, die trotz generischer Alternativen oder Biosimilars weiterhin in Form der teuren Originalpräparate verordnet werden. Änderungen gegenüber den im Vorjahr publizierten Zahlen ergeben sich zum größten Teil daraus, dass bisher unklassifizierte Arzneimittel den einzelnen Marktsegmenten zugeordnet wurden. Im Patentmarkt haben die Biologika mit 9,303 Mrd. C inzwischen 43 % des Umsatzes erreicht. Im Nicht-Patentmarkt dominieren dagegen die Nichtbiologika mit 17,682 Mrd. C (74 %), die überwiegend in Form von Generika (13,529 Mrd. C) und zu einem geringeren Anteil als generikafähige Erstanbieterpräparate (4,153 Mrd. C) verordnet werden. Bei den patentfreien Biologika entfällt jedoch weiterhin der größte Teil des Umsatzes auf die biosimilarfähigen Erstanbieterpräparate (71 %) und nur ein kleiner, aber steigender Anteil auf die Gruppe der preisgünstigeren Biosimilars (29 %). Wie im vergangenen Jahr sind wiederum die Rezepturarzneimittel in allen Arzneimittelgruppen enthalten, auf die ein Umsatzvolumen von 4,561 Mrd. C und damit 10 % des gesamten GKV-Arzneimittelmarktes entfallen. Lange Zeit wurde im Arzneiverordnungs-Report ausschließlich der GKV-Fertigarzneimittelmarkt dargestellt, obwohl bekannt war, dass vor allem im Bereich der Onkologie der überwiegende Teil der Verordnungen auf Rezepturarzneimittel in Form von parenteralen Infusionslösungen entfällt, während onkologische Fertigarzneimittel einen kleineren Verordnungsanteil haben. Nach der 2010 eingeführten gesetzlichen Auskunftspflicht für
1
die Herstellung von Rezepturarzneimitteln war es möglich, auch den Bereich der Rezepturarzneimittel zu analysieren, was in erster Linie bei den Onkologika von Bedeutung ist (7 Kap. 34). Die pharmakologisch-therapeutischen Analysen werden im ArzneiverordnungsReport generell auf der Basis der Arzneimittelnettokosten (Bruttoumsatz minus gesetzliche Hersteller- und Apothekenabschläge) durchgeführt. Im Jahre 2019 betrugen sie 43,859 Mrd. C nach Abzug der gesetzlichen Abschläge (2,882 Mrd. C) (. Tab. 1.1). Dagegen sind die von den Krankenkassen ausgehandelten Herstellerrabatte (4,882 Mrd. C) nicht öffentlich zugänglich und erscheinen nur als Gesamtsumme in der Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Verordnungsdaten des Jahres 2019 und die Veränderungsraten im Vergleich zum Vorjahr sind nicht direkt mit den im Arzneiverordnungs-Report 2019 publizierten Daten vergleichbar, weil im ArzneiverordnungsReport 2020 für das Jahr 2019 und 2018 erstmals Arzneimittel für ambulante Patienten aus Krankenhausapotheken zusätzlich zu den in öffentlichen Apotheken abgegebenen Arzneimitteln in die Auswertung einbezogen wurden. Die Krankenhausarzneimittel hatten im Jahre 2018 einen Nettokostenanteil von 1,308 Mrd. C (3,0 %) und einen DDD-Anteil von 1,349 Mrd. DDD (3,1 %). Weiterhin sind die Arzneimittelnettokosten sind nicht direkt mit den GKV-Arzneimittelausgaben nach KV45 vergleichbar, weil weitere Ausgaben berücksichtigt werden, die in der KV45-Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit nicht enthalten sind (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 48, Abschn. 48.3). Im GKV-Arzneimittelmarkt ist der Umsatz seit 2004 von 21,7 Mrd. C um 115 % auf 46,7 Mrd. C im Jahre 2019 gestiegen, wobei seit 2012 zusätzlich zu den Fertigarzneimitteln auch die Umsätze der Rezepturarzneimittel einbezogen wurden (. Abb. 1.1). Seit 2010 werden neben dem Umsatz auch die Nettokosten des GKV-Arzneimittelmarktes (Umsatz abzüglich gesetzlicher Rabatte)
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
6
2000
50
1
46,7
Nettokosten Umsatz Verordnungen
44,2 41,5 40,1
40 34,6
38,7
29,7
37,3
29,7
32,8
1200
31,0
26,7 25,3 23,6
23,7
27,2
26,3
27,0
28,1
21,7
20
608
570
591
574
626
626
625
641
653
660
665
668
664
683
690
800
Verordnungen in Mio.
28,5
30
1600
41,4
36,8 33,2
Umsatz in Mrd. Euro
43,9
38,8
594 400
10
0
0 2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 1.1 Verordnungen und Umsatz 2004 bis 2019 im GKV-Arzneimittelmarkt (seit 2012 Fertigarzneimittel und Rezepturarzneimittel)
dargestellt. In den letzten 15 Jahren gab es drei Gesetze (GKV-Modernisierungsgesetz, GMG 2003; Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung, AVWG 2006; GKV-Änderungsgesetz, GKVÄG 2010), um die überproportional steigenden Arzneimittelausgaben zu reduzieren. Die gesetzlichen Maßnahmen haben sichtbare Spuren bei den Arzneimittelkosten hinterlassen, aber die grundsätzlichen Kostenprobleme nie längerfristig in den Griff bekommen. Mit dem GKV-Änderungsgesetz wurde durch die temporäre Erhöhung des gesetzlichen Herstellerabschlages für verschreibungspflichtige Nichtfestbetragsarzneimittel von 6 % auf 16 % in dem Zeitraum von 2011 bis 2013 tatsächlich eine Stabilisierung der Arzneimittelnettokosten erreicht (. Abb. 1.1). Zugleich war das GKV-Änderungsgesetz eine flankierende Maßnahme im Vorgriff auf das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG, Inkrafttreten 01.01.2011), mit dem pro Jahr Einspa-
rungen von 2,0 Mrd. C erzielt werden sollten. Der weitere Verlauf der GKV-Arzneimittelkosten zeigt allerdings, dass dieses Ziel erst ab 2018 erreicht wurde. Denn seit 2012 trat leider genau das Gegenteil ein, nämlich ein Anstieg der Arzneimittelnettokosten um insgesamt 16,9 Mrd. C, also etwa 2,4 Mrd. C pro Jahr (. Abb. 1.1). Der scheinbar ungebremste Kostenanstieg hat mehrere Ursachen. Hauptursache war über viele Jahre das überproportionale Umsatzwachstum der Patentarzneimittel (siehe 7 Abschn. 1.4). Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers zielte darauf, mit dem AMNOG nicht nur den Zusatznutzen von neuen patentgeschützten Arzneimitteln, sondern auch von versorgungsrelevanten Patentarzneimitteln des Bestandsmarkts zu bewerten. Obwohl drei Jahre nach Inkrafttreten des AMNOG 2013 statt der angestrebten 2,0 Mrd. C nur 150 Mio. C Einsparungen durch Erstattungsbeträge erreicht werden
1
7 1.1 Segmente des Arzneimittelmarktes
50 Gesamtmarkt Generikamarkt Patentgeschützte Arzneimittel
45
42,8
Definierte Tagesdosen in Mrd.
40 34,1
35 30
35,3
36,1
37,5
38,3
32,3 29,4
30,0
31,0
30,5
27,9
27,7
29,1
28,5
25,8
24,7
25
26,0
30,3
39,6
31,7
40,2
41,1
41,3
36,3
36,2
2,8
2,8
37,0
43,9
38,2
32,8
27,4
22,7 20,4
20 15
17,8 12,7
13,9
14,8
15,9
15,9 14,1
10 5
4,4
5,3
5,6
5,2
4,5
4,7
4,7
4,7
4,6
4,5
4,2
3,8
2,9
2,9
2,9
2,7
2,8
2,8
0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
. Abb. 1.2 Verordnungsvolumen nach definierten Tagesdosen für Gesamtmarkt, den Generikamarkt und patentgeschützte Arzneimittel von 2000 bis 2019
konnten (. Tab. 1.9), wurde die Nutzenbewertung des Bestandsmarkts 2014 mit dem 14. SGB V-Änderungsgesetz durch Streichung des § 35a Absatz 6 SGB V wieder aufgehoben. Der immense Kostenanstieg ist umso erstaunlicher, da sich die Zahl der ärztlichen Verordnungen seit 2004 nie wieder von dem Schock des GMG erholt hat und seitdem bis 2019 insgesamt nur um 21 % auf 690 Mio. Verordnungen angestiegen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum auch die Zahl der GKV-Versicherten von 70,422 Mio. auf 73,195 Mio. im Jahre 2019 zunahm (C3,9 %). Ganz anders als die Verordnungen hat sich das DDD-Volumen in den einzelnen Gruppen des GKV-Arzneimittelmarktes entwickelt. Hier stehen Generika (einschließlich generikafähige Erstanbieterpräparate) mit 38,2 Mrd. DDD weit an der Spitze und haben damit einen Verordnungsanteil von 87 % (. Tab. 1.1). Den Rest teilen sich Patentarzneimittel, Biosimilarmarkt und unklassifizierte Arzneimittel mit erheblich kleineren DDD-Volumina. Schon seit über 20 Jahren dominieren bei den Verordnungen die Generika, wobei sich aber die derzei-
tige Ausprägung erst seit 2004 entwickelt hat (. Abb. 1.2). Seitdem ist das Verordnungsvolumen der Generika auf mehr als das Doppelte angestiegen und liegt jetzt 14-fach höher als das der patentgeschützten Arzneimittel, das in diesem Zeitraum fast um die Hälfte abnahm. Aus der gegenläufigen Entwicklung der Verordnungsvolumina resultiert 2019 erneut ein enormer Unterschied der mittleren DDDNettokosten der patentgeschützten Arzneimittel mit 7,30 C im Vergleich zu den DDDKosten der Generika, die unverändert gegenüber dem Vorjahr 0,35 C betragen (. Tab. 1.1). Auch die generikafähigen Erstanbieterpräparate sind mit DDD-Kosten von 1,47 C vierfach teurer als Generika, so dass durch eine schnellere Umstellung generikafähiger Erstanbieterpräparate auf Generika ein rechnerisches Einsparpotenzial von 2,914 Mrd. C realisiert werden könnte. Der Vergleich der Tagestherapiekosten offenbart zugleich das wesentliche Problem der gesamten Kostenentwicklung der Arzneimittel. Bei den patentgeschützten Arzneimitteln liegen sie inzwischen im Durchschnitt 7-mal so hoch wie bei den Nicht-Patentarzneimit-
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
8
500
25
1
Umsatz Verordnungen 21,6 20,3 19,1
400
20
18,3
300 12,4
10,0
10,4 9,6
9,0
200
10,1
10,7
12,9
12,3
12,3
15
13,3
11,1 10
8,8
Umsatz in Mrd. Euro
Verordnungen in Mio.
15,8 14,5
7,5
100
5 98 102
104
97 82
84
76
72
44 68
67
62
55 47
0
49
46
43
46
39
43
0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
. Abb. 1.3 Verordnungen und Umsatz patentgeschützter Arzneimittel 2000 bis 2019 im GKV-Fertigarzneimittelmarkt (ab 2001 mit neuem Warenkorb und ab 2016 ergänzt um Zubereitungen)
teln. Trotz steigender Kosten nahm das DDDVolumen der patentgeschützten Arzneimittel auch 2019 nur geringfügig zu (C0,9 %) und hat damit im Verhältnis zu den Generika einen nur noch geringen Anteil an der Arzneimittelversorgung (. Tab. 1.1). Generika gewinnen jedes Jahr weitere Marktanteile hinzu und decken in erster Linie den krankheitsbedingten Versorgungsbedarf an Arzneimitteln ab, während patentgeschützte Arzneimittel mit ihren hohen Kosten bis 2015 immer seltener verordnet wurden. Im Generikamarkt scheint der Wettbewerb zumindest teilweise zu funktionieren, während im Patentmarkt die sinkenden Marktanteile früher über Preiserhöhungen kompensiert wurden. Seit dem Inkrafttreten des Preismoratoriums von 2010, das zuletzt im Mai 2017 durch das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) bis zum 31. Dezember 2022 verlängert wurde, sind Umsatzsteigerungen nur noch durch entsprechend höhere Preise allein bei neu eingeführten Produkten möglich. Allerdings hat sich
der Umsatzanstieg der patentgeschützten Arzneimittel im Vergleich zum Vorjahr (C6,4 %) sichtbar verstärkt (. Abb. 1.3). Eine Ursache für die höheren Kosten der Patentarzneimittel ist der überproportionale Kostenanstieg bei Onkologika (C13,7 %), Antithrombotika (C10 %) und Dermatika (C13,5 %), der im nächsten Abschnitt über die umsatzstärksten Indikationen erläutert wird (. Tab. 1.2).
1.2
Verordnungsschwerpunkte nach Indikationen
Die wichtigsten Entwicklungen in der Verordnung der 40 führenden Arzneimittelgruppen 2019 finden sich in der unten dargestellten Übersicht (. Tab. 1.2). Aufgrund der stetig steigenden Kostendynamik der Arzneimitteltherapie werden die therapeutischen Schwerpunkte seit 2016 auf der Basis von Verordnungskosten analysiert. Dadurch sind die Arz-
9 1.2 Verordnungsschwerpunkte nach Indikationen
neimittelgruppen mit neuen, teuren Patentarzneimitteln und sehr kleinen Verordnungsvolumina besser erkennbar. Die geänderte kostenorientierte Systematik ermöglicht mit den 40 führenden Arzneimittelgruppen eine weitgehende Erfassung des Gesamtmarkts nach Nettokosten (98 %), Verordnungen (92 %) und DDD-Volumen (95 %). An der Spitze der umsatzstärksten Arzneimittelgruppen stehen mit weitem Abstand die Onkologika, die seit 2017 neben den Fertigarzneimitteln einen größeren Anteil in Form von Rezepturarzneimitteln enthalten (. Tab. 1.2). Die Nettokosten sind 2019 erneut um 13,7 % auf 8,206 Mrd. C gestiegen. Damit haben die Onkologika jetzt ihren Kostenanteil am GKV-Arzneimittelmarkt nochmals auf 18,7 % (Vorjahr 17,5 %) erhöht. Der größte Anteil entfällt auf monoklonale Antikörper (3,193 Mrd. C) und Proteinkinaseinhibitoren (2,016 Mrd. C), die beide erneut hohe Zuwachsraten (15,3 bzw. 12,2 %) hatten. Hohe Kosten und eine hohe Kostensteigerungsrate hatten auch wieder spezielle Arzneimittel zur Behandlung des multiplen Myeloms (808 Mio. C, C12,0 %) durch hochpreisige Kombinationstherapien über lange Zeiträume. Das größte DDD-Verordnungsvolumen mit einem Anteil von 65 % entfällt weiterhin auf die Gruppe der Hormonantagonisten, die zur Behandlung des Mammakarzinoms und des Prostatakarzinoms eingesetzt werden (7 Kap. 34, . Tab. 34.1). Auf dem zweiten Rang stehen die Immunsuppressiva, die ihre Position durch stark erhöhte Nettokosten (C7,59 %) und einen hohen Anstieg des DDD-Volumens (6,1 %) weiter ausgebaut haben (. Tab. 1.2). Zu dieser Gruppe gehören gemäß der ATC-Kodierung nicht nur die bekannten zytotoxischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolsäure) und Calcineurininhibitoren, die in der Transplantationsmedizin unentbehrlich sind (7 Kap. 29, Immunglobuline und Immunsuppressiva), sondern vor allem zahlreiche Biologika aus den Gruppen der TNF’-Inhibitoren, der Interleukin-Inhibitoren und weiterer selektiv wirkender Immunsuppressiva, die in der Rheumatolo-
1
gie (7 Kap. 20, Antirheumatika und Antiphlogistika), Gastroenterologie (7 Kap. 34, Magen-Darmmittel und Lebertherapeutika) und Neurologie (7 Kap. 36, Multiple Sklerose) ihren festen Platz haben. Die Antithrombotika sind durch einen erneuten hohen Kostenanstieg (C10,0 %) auf Rang 3 der Indikationsgruppen vorgerückt. Ursache ist die weiter steigende Verordnung der neuen direkten oralen Antikoagulantien (Thrombinantagonisten, Faktor-Xa-Antagonisten), so dass sie nun dreimal so häufig wie die traditionellen Vitamin-K-Antagonisten verordnet werden (7 Kap. 16, Antithrombotika und Antihämorrhagika, . Abb. 19.1). Das hat in den letzten zehn Jahren Mehrkosten von 8,2 Mrd. C verursacht, obwohl die neuen direkten oralen Antikoagulantien nur einen geringen Zusatznutzen in einigen Teilindikationen aufweisen und die Vitamin-KAntagonisten in evidenzbasierten Leitlinien weiterhin einen höheren Evidenzgrad als die neuen oralen Antikoagulantien haben. Dicht dahinter folgen jetzt an vierter Stelle die Antidiabetika, die mit einem nur wenig gestiegenen Verordnungsvolumen erneut höhere Nettokosten aufweisen, ein Zeichen für das weitere Vordringen teurer Patentarzneimittel. Zu dem Kostenanstieg haben vor allem die SGLT2-Inhibitoren (Gliflozine) und die GLP-1-Agonisten beigetragen, die in den neuen Leitlinien aufgrund positiver kardiovaskulärer Endpunktstudien als Erstlinientherapie nach Metformin bei Typ-2-Diabetespatienten mit kardiovaskulären Risiken empfohlen werden (7 Kap. 12). Die Dermatika hatten den zweitgrößten Kostenanstieg (C13,5 %) nach den Onkologika und sind dadurch auf Rang 5 der führenden Indikationsgruppen aufgestiegen. Das therapeutische Spektrum der Dermatika wurde bisher durch preisgünstige Lokaltherapeutika geprägt. Das hat sich seit 2018 rasant geändert, weil die Dermatikakosten besonders stark angestiegen sind, obwohl das DDD-Volumen in den letzten beiden Jahren nur wenig zugenommen hat (1,0 bzw. 2,3 %). Hauptgrund sind die beträchtlichen Kosten von vier
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
10
1
. Tabelle 1.2 Umsatzstärkste Arzneimittelgruppen 2018 Rang
Arzneimittelgruppe
Nettokosten Mio.
Verordnungen % Änd. Mio.
DDD
% Änd. Mio.
% Änd.
1
Onkologika
8.206,43
13,7
7,45
1,6
247,76
3,4
2
Immunsuppressiva
5.623,61
7,5
3,19
3,3
153,21
6,1
3
Antithrombotika
2.638,05
10,0
24,35
2,7
1.896,99
3,7
4
Antidiabetika
2.604,85
5,2
30,83
1,8
2.335,56
2,3
5
Dermatika
1.934,00
13,5
24,64
0,0
750,45
2,3
6
Antiasthmatika
1.915,71
5,9
26,30
1,1
1.386,43
2,2
7
Psychopharmaka
1.776,85
3,1
48,92
1,0
2.368,30
2,2
8
Analgetika
1.734,07
2,8
50,88
3,1
714,41
2,4
9
Angiotensinhemmstoffe
1.605,69
3,8
63,50
2,5
9.974,23
5,0
10
Ophthalmika
1.274,90
5,4
18,74
2,9
839,42
2,6
11
Virostatika
1.203,44
12,4
1,78
0,9
49,49
2,1
12
Immunstimulanzien
979,02
6,8
0,56
5,5
19,88
4,4
13
Lipidsenker
737,35
0,7
25,15
5,9
2.741,80
8,9
14
Antiepileptika
705,50
0,7
12,68
4,7
467,13
4,0
15
Antibiotika
639,71
4,8
33,55
6,2
302,99
5,2
16
Ulkustherapeutika
628,61
3,2
31,23
1,8
3.715,91
1,2
17
Enzymersatztherapeutika
614,62
10,9
0,08
13,4
0,84
13,2
18
Antiphlogistika und Antirheumatika
603,42
2,2
38,81
1,9
1.065,02
0,8
19
Betarezeptorenblocker
584,90
0,3
42,66
1,0
2.175,37
1,1
20
Immunsera und Immunglobuline
533,04
11,6
0,37
3,9
4,83
8,5
21
Antiparkinsonmittel
463,68
0,1
6,25
1,5
159,79
0,5
22
Diuretika
457,82
6,7
23,96
3,9
1.882,76
1,1
23
Antihämorrhagika
424,22
11,1
0,32
1,3
3,38
1,8
24
Hypophysen- und Hypothalamushormone
411,15
2,3
0,46
2,6
15,41
1,1
25
Schilddrüsentherapeutika
390,28
1,2
29,49
1,4
1.879,51
0,6
26
Allergene
380,13
5,1
0,79
0,3
145,33
1,5
27
Osteoporosemittel
377,39
6,1
2,67
1,3
222,50
2,6
28
Sexualhormone
361,30
5,6
10,58
6,8
914,36
7,8
29
Antihypertonika
358,17
1,1
5,43
4,5
371,38
3,1
30
Antianämika
349,53
6,4
4,77
3,3
327,78
1,0
1
11 1.2 Verordnungsschwerpunkte nach Indikationen
. Tabelle 1.2 (Fortsetzung) Rang
Arzneimittelgruppe
Nettokosten Mio.
Verordnungen % Änd. Mio.
DDD
% Änd. Mio.
% Änd.
31
Urologika
348,38
2,5
8,47
2,5
736,90
3,3
32
Blutersatzmittel
314,53
0,4
2,73
3,3
29,96
2,4
33
Calciumantagonisten
273,79
5,4
21,95
5,9
2.441,24
5,6
34
Antidiarrhoika
247,23
2,9
3,23
2,7
106,19
1,9
35
Herztherapeutika
246,67
3,9
6,01
2,9
347,72
3,8
36
Muskelrelaxanzien
197,64
6,8
3,54
7,1
168,38
3,7
37
Zystische Fibrose-Modulatoren
187,47
72,2
0,02
112,5
0,43
99,0
38
Corticosteroide (systemisch)
175,97
0,4
9,55
0,5
451,80
0,0
39
Gichtmittel
140,03
6,4
7,34
0,5
386,47
1,1
40
Calciumhomöostase
138,99
20,4
0,30
10,5
8,28
13,8
Summe Rang 1–40
42.788,15
6,0
633,51
1,4
41.809,62
2,9
GKV-Gesamtarzneimittelmarkt
43.858,35
6,0
690,13
1,1
43.931,96
2,8
neuen monoklonalen Antikörpern zur systemischen Behandlung der Psoriasis (Ustekinumab, Secukinumab, Guselkumab) und der atopischen Dermatitis (Dupilumab), die 2019 zusammen auf 929 Mio. C gestiegen sind und damit fast die Hälfte aller Dermatikakosten ausmachen (7 Kap. 23, Dermatika, . Tab. 23.10 und 23.14). Auch die Antiasthmatika haben weiter steigende Nettokosten (C5,9 %). Das ist vor allem durch häufigere Verordnungen von langwirkenden Muscarinrezeptorantagonisten (LAMA) bedingt, die inzwischen Verordnungskosten von 637 Mio. C erreicht haben. Der größte Teil der Mehrkosten ist durch Neueinführung von weiteren Wirkstoffkombinationen bedingt, wodurch ihre zunehmende Bedeutung für die COPD-Therapie unterstrichen wird (7 Kap. 20, Bronchospasmolytika und Antiasthmatika, . Tab. 20.6). Psychopharmaka zeigen wieder etwas höhere Verordnungskosten (C3,1 %). Der Kostenanstieg beruht vor allem auf einer weiteren Zunahme des DDD-Volumens der immer noch relativ teuren atypischen Neuroleptika, obwohl
für alle wichtigen Wirkstoffe inzwischen Generika verfügbar sind (7 Kap. 38, Psychopharmaka, . Tab. 38.8). Bei den Analgetika hat sich der Kostenanstieg (C2,8 %) parallel zu einem leicht erhöhten Verordnungsvolumen (C2,4 %) entwickelt. Das beruht vor allem auf einer weiteren kontinuierlichen Zunahme der Verordnung von nichtopioiden Analgetika. Hier sind die Verordnungen von Metamizol in den letzten 10 Jahren um fast das Doppelte angestiegen, obwohl die Indikation wegen des Agranulozytoserisikos und von Schockreaktionen bereits vor vielen Jahren auf starke Schmerzen, Tumorschmerzen und hohes Fieber eingeschränkt wurde (7 Kap. 7, Analgetika). Bei den Opioidanalgetika sind wir glücklicherweise nicht mit dem amerikanischen Problem der Opioidkrise konfrontiert, stellen aber fest, dass die Leitlinien-basierte Schmerztherapie mit Morphin immer mehr durch teurere Präparate ersetzt wird. Das hat allein 2019 zu unnötigen Mehrausgaben von 524 Mio. C geführt (7 Kap. 7, Analgetika, . Tab. 7.1).
12
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
Das DDD-Volumen der Angiotensinhemmstoffe ist 2019 erneut stärker als die Nettokosten angestiegen (C5,0 % versus 3,8 %), ein Hinweis auf eine steigende Verordnung kostengünstiger Generika. Sie sind seit vielen Jahren darüber hinaus die verordnungshäufigste Arzneimittelgruppe mit dem höchsten DDD-Volumen, auf das über 20 % aller verordneten Tagesdosen entfällt und gehören zu den erfolgreichsten Arzneimitteln in der Behandlung der Hypertonie sowie von Herz- und Nierenkrankheiten (7 Kap. 6). Als Angiotensinhemmstoffe werden ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorantagonisten und Renininhibitoren zusammengefasst. Die größten Verordnungsanteile haben ACE-Hemmer (60 %) und Angiotensinrezeptorantagonisten (40 %), während Renininhibitoren nur eine sehr geringe Bedeutung haben. Bei den Ophthalmika hat sich der massive Kostenzuwachs der letzten Jahre abgeschwächt (C5,4 %). In dieser traditionell preisgünstigen Indikationsgruppe mit vielen Generika konzentrieren sich die Kosten auf zwei Arzneimittel zur Behandlung der altersbedingten neovaskulären Makuladegeneration (Aflibercept, Ranibizumab). Die Verordnungskosten dieser beiden Präparate betrugen 2019 schon 729 Mio. C und kamen damit auf 57 % aller Ophthalmikakosten (7 Kap. 38, . Tab. 38.9). Die Virostatika sind 2019 nach einem erneuten starken Kostenrückgang (12,4 %) auf Rang 11 zurückgefallen, was vor allem durch weiter gesunkene Verordnungskosten der Hepatitis-C-Therapeutika auf 254 Mio. C (2018: 345 Mio. C) bedingt ist (7 Kap. 31, Magen-Darmmittel und Lebertherapeutika, . Tab. 31.3). Ursache des Kostenrückgangs sind einerseits die niedrigeren Arzneimittelpreise der neuen Präparate, andererseits aber vor allem die weiter gesunkene Verschreibungshäufigkeit, weil die meisten mit Hepatitis C infizierten Patienten erfolgreich kurativ behandelt wurden. Die erfolgreiche Therapie erklärt das erstaunliche Phänomen, das die DDD-Verordnungen seit 2015 um 80 % zurückgegangen sind, so dass die Kosten der
Hepatitis-C-Therapeutika seit dem damaligen Maximalwert (1.325 Mio. C) ebenfalls um 81 % gesunken sind. Die zweite Teilgruppe der Virostatika betrifft die antiretroviralen Mittel zur Behandlung der HIV-Infektion, die 2019 trotz gestiegener Verordnungen mit 571 Mio. C etwas geringere Kosten als im Vorjahr (592 Mio. C) verursacht haben, weil die ersten preisgünstigen Generika für die auch von der GKV erstattete Präexpositionsprophylaxe verfügbar waren (7 Kap. 10, Antibiotika und Antiinfektiva, . Tab. 10.10). Bei den Immunstimulanzien waren die Verordnungskosten ähnlich wie in den letzten fünf Jahren weiter rückläufig (6,8 %). Zu dieser Gruppe gehören gemäß der ATCKodierung koloniestimulierende Faktoren (Filgrastim, Lenograstim), Interferone, Glatirameracetat und BCG-Impfstoff sowie weitere Immunstimulanzien (bakterielle, pflanzliche, homöopathische) ohne spezifische pharmakologische Eigenschaften. Der größte Kostenanteil der Immunstimulanzien entfällt auf Betainterferone (475 Mio. C) und Glatirameracetat (224 Mio. C), die beide als parenterale Präparate zur Behandlung der Multiplen Sklerose eingesetzt werden. Seit 2014 haben ihre Verordnungen kontinuierlich abgenommen, weil in zunehmendem Maße orale Präparate mit alternativen Wirkmechanismen bevorzugt werden (7 Kap. 33, . Tab. 33.1). Schließlich sind noch die Lipidsenker erwähnenswert, weil sie nach Angiotensinhemmstoffen und Ulkustherapeutika das drittgrößte Verordnungsvolumen (2.742 Mio. DDD) haben. Verordnungen (C5,9 %) und DDD-Volumen (C8,9 %) sind überproportional angestiegen, während die Nettokosten durch die verstärkte Verordnung preisgünstiger Generika nur wenig zugenommen haben (C0,7 %). Dominierende Hauptgruppe sind die Statine zur Senkung des LDLCholesterins (7 Kap. 30, . Tab. 30.1), mit denen in zahlreichen Studien das Risiko für kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ereignisse gesenkt wurde. Auffällig ist der erneute starke Verordnungszuwachs der PCSK9-Inhibitoren (C28,8 %) trotz der un-
13 1.3 Verordnung führender Arzneimittel
zureichenden Evidenz hinsichtlich positiver Beeinflussung kardiovaskulärer Endpunkte und der bestehenden Verordnungseinschränkungen (. Tab. 30.3). Insgesamt summieren sich die Mehrkosten der 40 führenden Indikationsgruppen mit gestiegenen Kosten auf 2.422 Mio. C (. Tab. 1.2). Die höchsten Kostenanstiege verzeichneten Onkologika (989 Mio. C), Immunsuppressiva (413 Mio. C), Antithrombotika (240 Mio. C) und Dermatika (230 Mio. C). Dagegen gibt es nur wenige auffällige Kostenrückgänge. Dazu gehören die erneute Abnahme bei den Virostatika (170 Mio. C) sowie kleinere Rückgänge bei Immunstimulanzien (71 Mio. C) und Antibiotika (32 Mio. C). In einigen Indikationsgruppen beruhen die gesunkenen Arzneimittelkosten aber nicht auf einer Abnahme des Verordnungsvolumens, sondern gehen im Gegenteil sogar mit einem erhöhten DDD-Volumen einher. Diese gegenläufige Entwicklung findet sich bei Virostatika, Antiepileptika und Antiparkinsonmitteln, die aufgrund weiter zunehmender Generikaverordnungen jeweils eine Abnahme der Nettokosten zeigen (. Tab. 1.2).
1.3
Verordnung führender Arzneimittel
Die aktuelle Entwicklung der 30 nach Nettokosten führenden Arzneimittel verdeutlicht weitere Schwerpunkte der Ausgabendynamik des Arzneimittelmarktes. Die Kosten dieser Arzneimittel sind 2019 wiederum stärker angestiegen (C7,3 %) als die Kosten des Gesamtmarkts (C6,0 %) und haben damit Mehrausgaben von 742 Mio. C verursacht (. Tab. 1.3). Das bedeutet, dass 2019 30 % des gesamten Kostenanstiegs des GKV-Arzneimittelmarkts durch die 30 führenden Arzneimittel verursacht wurde. Ausschlaggebend für die gestiegenen Kosten waren 26 patentgeschützte Arzneimittel (C1.124 Mio. C), von denen bisher 16 Präparate das Verfahren der Nutzenbewertung durch den G-BA durchlaufen haben. Da-
1
gegen waren die Nettokosten bei den 6 patentfreien Arzneimitteln insgesamt rückläufig (382 Mio. C), was ausschließlich durch biosimilarfähige Biologika (Humira, Enbrel, Lantus) bedingt war, während umsatzstarke Generika (Novaminsulfon Lichtenstein, Ibuflam) und Biosimilars (Benepali) Zuwächse erzielten. Die Onkologika sind mit 11 Arzneimitteln und Nettokosten von 4.057 Mio. C die größte Gruppe der 30 führenden Arzneimittel. Neu hinzugekommen sind zwei Onkologika (Perjeta, Darzalex) mit hohen prozentualen Anstiegen. Den größten Kostenzuwachs hatte der PD-1-Rezeptorantikörper Pembrolizumab (Keytruda), der 2019 fast doppelt so viel wie im Vorjahr verordnet wurde und jetzt das umsatzstärkste Onkologikum ist. Wesentliche Ursache dürften fünf neu zugelassene Indikationen in den letzten beiden Jahren sein (siehe 7 Kap. 2, Neue Indikationen, 7 Abschn. 2.2.25). Nach einem weiteren massiven Verordnungsrückgang ist Herceptin nicht mehr in der Spitzengruppe vertreten und wird jetzt überwiegend in Form von Trastuzumab-Biosimilars verordnet (siehe 7 Kap. 3, . Tab. 3.2; 7 Kap. 34, . Tab. 34.9). Nach weiteren Zuwächsen sind Apixaban (Eliquis) und Rivaroxaban (Xarelto) aus der Gruppe der neuen direkten oralen Antikoagulantien jetzt die beiden führenden Präparate der 30 umsatzstärksten Arzneimittel. Zusammen mit dem dritten Vertreter Edoxaban (Lixiana) kommen sie 2019 auf Nettokosten von 1.902 Mio. C (Vorjahr 1.576 Mio. C) und liegen damit sogar noch über dem Kostenvolumen der führenden TNF’-Inhibitoren. Die dritte Gruppe bilden jetzt die TNF’Inhibitoren mit vier Präparaten, die überwiegend zur Behandlung therapierefraktärer Patienten mit rheumatoider Arthritis, aber zunehmend auch bei weiteren Indikationen (ankylosierende Spondylitis, Psoriasisarthritis, Psoriasis, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa) eingesetzt werden. Humira war über viele Jahre das umsatzstärkste Präparat des deutschen Arzneimittelmarktes, ist aber nach der Einführung von zahlreichen Biosimilars im Okto-
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
14
1
. Tabelle 1.3 Führende 30 Arzneimittel 2019 nach Nettokosten. Angegeben sind die Nettokosten im Jahr 2019 mit der prozentualen Änderung und der Änderung in Mio. Euro im Vergleich zu 2018 Rang
Präparat
Wirkstoff
Nettokosten Änderung
Änderung
Mio. C
Mio. C
%
1
Eliquis
Apixaban
839,7
23,3
158,6
2
Xarelto
Rivaroxaban
761,2
5,0
36,2
3
Humira
Adalimumab
696,6
33,5
351,2
4
Keytruda
Pembrolizumab
593,6
93,8
287,3
5
Revlimid
Lenalidomid
580,2
18,0
88,5
6
Opdivo
Nivolumab
451,2
13,7
54,3
7
Avastin
Bevacizumab
442,1
7,8
37,5
8
Stelara
Ustekinumab
409,0
29,3
92,7
9
Lucentis
Ranibizumab
383,7
4,8
17,7
10
Zytiga
Abirateron
369,6
18,3
57,2
11
Eylea
Aflibercept
345,7
5,5
18,0
12
Cosentyx
Secukinumab
333,8
5,3
16,8
13
Xtandi
Enzalutamid
307,1
15,1
40,4
14
Imbruvica
Ibrutinib
306,3
35,7
80,6
15
Lixiana
Edoxaban
301,5
36,3
80,3
16
Gilenya
Fingolimod
292,4
3,3
9,4
17
Novaminsulfon Lichtenstein Metamizol
291,4
4,0
11,1
18
Benepali
Etanercept
271,5
14,7
34,8
19
Perjeta
Pertuzumab
267,7
31,1
63,5
20
Soliris
Eculizumab
263,6
2,8
7,5
21
Tecfidera
Dimethylfumarat
255,4
0,5
1,4
22
Ibrance
Palbociclib
254,1
9,6
27,1
23
Ibuflam/-Lysin
Ibuprofen
247,7
10,5
23,5
24
Darzalex
Daratumumab
246,9
50,5
82,9
25
Jakavi
Ruxolitinib
237,7
15,5
31,9
26
Enbrel
Etanercept
234,6
25,6
80,9
27
Foster
Formoterol und Beclometason
226,9
8,9
18,5
28
Copaxone
Glatirameracetat
222,0
11,7
29,4
1
15 1.3 Verordnung führender Arzneimittel
. Tabelle 1.3 (Fortsetzung) Rang
Präparat
Wirkstoff
Nettokosten Änderung
Änderung
Mio. C
Mio. C
%
29
Lantus
Insulin glargin
219,9
8,1
19,3
30
Simponi
Golimumab
210,7
4,7
10,5
10.863,8
7,3
742,2
6,0
2.486,2
Summe Rang 1–30 Anteil am Gesamtmarkt Gesamtmarkt
ber 2018 jetzt erstmals deutlich zurückgefallen (siehe auch 7 Kap. 3, Biologika und Biosimilars). Auch zwei weitere Originalpräparate (Enbrel, Simponi) wurden weniger verordnet. Nur das Etanercept-Biosimilar Benepali zeigte einen kleinen Zuwachs und hat damit das stärker rückläufige Originalpräparat Enbrel bereits überflügelt (. Tab. 1.3). Trotz der überwiegend rückläufigen Verordnung haben die vier führenden TNF’-Inhibitoren immer noch Nettokosten von 1.413 Mio. C (Vorjahr 1.750 Mio. C). Alle TNF’-Inhibitoren sind vor Inkrafttreten des AMNOG ohne Nutzenbewertung und Erstattungspreisverhandlungen in Deutschland auf den Markt gekommen, so dass mit der Markteinführung von weiteren Biosimilars deutliche Kostensenkungen zu erwarten sind. Zur Behandlung der multiplen Sklerose sind in diesem Sektor weiterhin drei Präparate vertreten, die zusammen auf Nettokosten von 770 Mio. C kommen, sich aber gegenüber dem Vorjahr nur wenig verändert haben (761 Mio. C). Die beiden oralen Präparate (Gilenya, Tecfidera) haben gering zugelegt, während ein parenterales Präparat (Copaxone) weiter rückläufig war. Das entspricht der seit mehreren Jahren eingetretenen Entwicklung, dass die neuen oralen Präparate bevorzugt eingesetzt werden (7 Kap. 33, multiple Sklerose, . Tab. 33.1). Als nächstes sind zwei monoklonale Antikörper (Ustekinumab, Secukinumab) erwähnenswert, die seit einigen Jahren zur sys-
24,8 % 43.858,4
temischen Behandlung der Psoriasis eingesetzt werden und bereits einen beachtlichen Verordnungsanteil an den überwiegend lokal angewendeten Psoriasismitteln erreicht haben (siehe 7 Kap. 23 Dermatika, . Tab. 23.14). Die Nettokosten dieser beiden Präparate sind 2019 auf 743 Mio. C gestiegen (Vorjahr 616 Mio. C). Weitere teure Arzneimittel sind die beiden VEGF-Antikörper (Lucentis, Eylea) zur Behandlung der neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration, die trotz des weltweiten Off-Label-Einsatzes des erheblich preiswerteren Bevacizumab (Avastin) mit 729 Mio. C weiter steigende Nettokosten aufweisen (Vorjahr 662 Mio. C). Schließlich ist zu erwähnen, dass zwei besonders häufig verordnete Generika (Novaminsulfon Lichtenstein, Ibuflam) und ein Biosimilar (Benepali) mit nur geringen Zuwächsen ihren Platz in der Spitzengruppe der 30 kostenstärksten Arzneimittel behauptet haben. Daneben sind unter den 30 führenden Arzneimitteln nur noch drei weitere patentfreie Arzneimittel (Humira, Enbrel, Lantus) vertreten, deren Nettokosten jedoch rückläufig waren. Zwei führende Präparate des Vorjahres (Herceptin, Clexane) sind nach ausgeprägten Verordnungsrückgängen nicht mehr unter den 30 umsatzstärksten Arzneimitteln vertreten, weil sie Verordnungen an neu eingeführte Biosimilars verloren haben (siehe . Tab. 3.2, 16.2 und 34.9). Die Darstellung der führenden Arzneimittel nach Verordnungshäufigkeit ergibt ein kom-
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
16
1
plett anderes Bild. Hier sind die 30 führenden Präparate bis auf eine Ausnahme alles Generika (. Tab. 1.4). Über die Hälfte der Präparate werden zur Behandlung von Herzkreislaufkrankheiten eingesetzt, Onkologika sind dagegen nicht vertreten. Aus der Gruppe der Angiotensinhemmstoffe sind die ACE-Hemmer (Ramipril) mit drei Präparaten und die Angiotensinrezeptorantagonisten (Candesartan) mit zwei Präparaten vertreten. Die Betarezeptorenblocker (Metoprolol, Bisoprolol) kommen so-
gar auf fünf Präparate und die Statine (Simvastatin, Atorvastatin) auf drei Präparate. Dagegen sind Calciumantagonisten (Amlodipin, Lercanidipin) und Diuretika (Torasemid) in dieser Gruppe nur mit einem oder zwei Präparaten vertreten. An der Spitze der verordnungshäufigen Arzneimittel steht bereits seit mehreren Jahren ein Metamizolpräparat (Novaminsulfon Lichtenstein). Es wird inzwischen schon häufiger verordnet als ein Ibuprofengenerikum (Ibuf-
. Tabelle 1.4 Führende 30 Arzneimittel 2019 nach Verordnungen. Angegeben sind die Verordnungen und Nettokosten im Jahr 2019 mit der prozentualen Änderung im Vergleich zu 2018 Rang
Präparat
Wirkstoff
Verord- Ändenungen rung
Nettokosten
Änderung
in Mio.
in Mio. C
%
%
1
Novaminsulfon Lichtenstein
Metamizol
23,5
4,2
291,4
4,0
2
Ibuflam/-Lysin
Ibuprofen
21,9
11,7
247,7
10,5
3
RamiLich
Ramipril
13,0
6,0
160,4
5,9
4
L-Thyroxin Henning
Levothyroxin
8,5
0,1
111,2
0,2
5
Torasemid AL
Torasemid
8,4
16,3
118,1
16,6
6
Amlodipin Dexcel
Amlodipin
8,1
1,4
84,7
1,4
7
MetoHEXAL/MetoHEXAL succ
Metoprolol
7,3
1,6
104,4
1,3
8
Bisoprolol-ratiopharm
Bisoprolol
7,2
8,7
84,3
8,2
9
L-Thyrox HEXAL
Levothyroxin
6,3
4,8
80,5
4,8
10
Metformin Lich
Metformin
6,2
3,1
81,7
3,4
11
Pantoprazol BASICS
Pantoprazol
5,3
49,4
101,0
47,5
12
Tilidin AL comp
Tilidin und Naloxon
4,8
0,8
180,3
1,0
13
Metoprolol/-succ-1 A Pharma
Metoprolol
4,2
2,9
59,6
2,5
14
Pantoprazol-PUREN protect
Pantoprazol
4,2
12,2
88,7
12,3
15
SalbuHEXAL
Salbutamol
4,1
7,6
65,2
7,3
16
Simva Aristo
Simvastatin
4,1
3,6
71,5
3,0
17
Eliquis
Apixaban
3,9
17,2
839,7
23,3
18
Ramipril-1 A Pharma
Ramipril
3,9
34,4
46,2
30,0
19
Lercanidipin Omniapharm
Lercanidipin
3,8
17,8
47,2
17,6
20
Candesartan-1 A Pharma
Candesartan
3,7
86,5
73,6
87,1
1
17 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
. Tabelle 1.4 (Fortsetzung) Rang
Präparat
Wirkstoff
Verord- Ändenungen rung
Nettokosten
Änderung
in Mio.
in Mio. C
%
%
21
Bisoprolol-1 A Pharma
Bisoprolol
3,6
7,8
41,3
7,6
22
BisoHEXAL
Bisoprolol
3,5
5,4
40,9
5,8
23
Euthyrox
Levothyroxin
3,5
0,2
45,4
0,2
24
Prednisolon acis
Prednisolon
3,5
2,1
43,6
2,1
25
Candesartan Heumann
Candesartan
3,3
22,0
74,8
36,4
26
Simva BASICS
Simvastatin
3,3
51,7
53,3
52,8
27
Novaminsulfon-ratiopharm
Metamizol
3,0
54,3
39,0
53,4
28
Ramipril AbZ
Ramipril
3,0
26,2
33,1
26,1
29
Amoxi-1 A Pharma
Amoxicillin
2,9
7,9
37,5
7,1
30
Atorvastatin Accord
Atorvastatin
2,9
481,1
46,0
480,5
184,9
11,1
3.392,3
14,1
Summe Rang 1–30
lam), das lange Zeit das am häufigsten verordnete Arzneimittel war. Allerdings ist das nichtsteroidale Antirheumatikum Ibuprofen in den geringeren Dosisstärken (bis 400 mg) nicht rezeptpflichtig und wird daher neben den ärztlichen Verordnungen in großem Umfang von den Patienten selbst gekauft. Metamizol ist dagegen ein rezeptpflichtiges Schmerzmittel aus der Gruppe der nichtopioiden Analgetika, das die anderen bekannten Vertreter dieser Gruppe (Paracetamol, Acetylsalicylsäure) weitgehend verdrängt hat (. Tab. 7.5). Wegen tödlicher Agranulozytosen und schwerer Schockreaktionen wurde Metamizol in vielen Ländern verboten oder nie zugelassen. Bei uns kam Metamizol wegen seiner Risiken 1986 unter Rezeptpflicht und wurde in seinen Indikationen stark eingeschränkt. Seitdem sind die Metamizolverordnungen aber nicht zurückgegangen, sondern mehr als 15-fach angestiegen. Eine aktuelle Auswertung von Spontanberichten der europäischen EudraVigilance-Datenbank für die Zeit von 1985 bis 2017 hat 1.448 Metamizol-assoziierte Agranulozytosen mit einer Mortalität von 16 % berichtet, die
zum größten Teil aus Deutschland stammten (siehe 7 Kap. 7, 7 Abschn. 7.3).
1.4
Patentgeschützte Arzneimittel
Patentgeschützte Arzneimittel sind über viele Jahre Hauptursache der steigenden GKVArzneimittelausgaben. In den letzten 20 Jahren sind die Umsätze patentgeschützter Arzneimittel von 7,5 Mrd. C im Jahre 2000 mit zwei Unterbrechungen auf 21,6 Mrd. C im Jahre 2019 gestiegen und erhöhten damit gleichzeitig ihren Umsatzanteil am Gesamtmarkt von 38,8 % auf 46,3 % (. Tab. 1.1, . Abb. 1.3). Im letzten Jahr hat sich die Wachstumsdynamik der Patentarzneimittel weiter verstärkt, da sie wieder einen höheren Anteil (1,302 Mio. C) als die Nicht-Patentarzneimittel (1,206 Mio. C) an dem gestiegenen Arzneimittelumsatz im Gesamtmarkt (2,508 Mrd. C) hatten (. Tab. 1.1). Die weiter wachsende Bedeutung der teuren Patentarzneimittel für die Kostenentwicklung ist nicht einfach erklärbar, da das DDD-Volu-
18
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
men von Generika (C3,4 %) und Biosimilars (C46,7 %) zunahm (. Tab. 1.1). Beide Entwicklungen sollten normalerweise einen kostensenkenden Effekt haben. Die damit verbundene Kostenreduktion ist aber offenbar zu klein, um die Kostensteigerung durch das deutlich erhöhte DDD-Volumen (C8,9 %) der teuren patentgeschützten Biologika mit ihren sehr hohen DDD-Kosten (15,00 C/DDD) zu verhindern (. Tab. 1.1).
1.4.1
Kosten neuer Patentarzneimittel
Die enorme Kostendynamik der patentgeschützten Arzneimittel zeigt sich nicht nur am gesamten Umsatzvolumen der Gruppe sondern auch an den Jahrestherapiekosten der neueingeführten Arzneimittel. Im Jahre 2019 wurden in Deutschland 31 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen auf den Markt gebracht, von denen 26 eine G-BA-Nutzenbewertung erhielten (7 Kap. 2, . Tab. 2.1). Von den nutzenbewerteten Patentarzneimitteln kosteten 12 Präparate mehr als 100.000 C pro Jahr (. Tab. 1.5). Damit belaufen sich die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten der nutzenbewerteten neuen Arzneimittel des Jahres 2019 auf 217.313 C. Auffällig ist weiterhin der hohe Anteil von Orphan-Arzneimitten mit besonders hohen Jahrestherapiekosten. Da die in die Berechnung einbezogenen Jahrestherapiekosten auf den freien Herstellerpreisen zum Zeitpunkt der Markteinführung beruhen, werden die tatsächlichen Kosten nach Abschluss der Verhandlungen über die Erstattungsbeträge niedriger sein. Nach den Vereinbarungen des GKV-Spitzenverbandes für die neuen Arzneimittel des Jahres 2017 betragen die durchschnittlichen Rabatte etwa 20 % (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 6, Tab. 6.9). Das ist eine wichtige Kostensenkung, die mit dem Inkrafttreten des AMNOG im Jahre 2011 wirksam wurde. Das AMNOG und die Preisverhandlungen haben allerdings nicht verhindern kön-
nen, dass die Preise in den letzten 10 Jahren extrem gestiegen sind. Im Jahre 2010 betrugen die durchschnittlichen Jahrestherapiekosten der neu eingeführten Arzneimittel noch 34.253 C, sind aber bis 2019 sechsfach angestiegen (. Tab. 1.5). Die hohen Preise neuer Arzneimittel sind kein deutsches Phänomen, sondern werden in vielen Ländern als Belastung für die Patienten und die Gesundheitssysteme angesehen (Schumock und Vermeulen 2017; Ward et al. 2019; Khullar et al. 2020). Auch in den USA waren Ausgaben für neue Produkte, die zuvor nicht verfügbar waren, der wesentliche kostentreibende Faktor für die gestiegenen Arzneimittelausgaben im Jahre 2019 (Tichy et al. 2020). Insbesondere werden die immens gestiegenen Kosten neuer Onkologika kritisiert, weil sie nicht nur teuer sind, sondern oft auch ihr Nutzen unsicher ist, da häufig vor der Zulassung lediglich eine Beeinflussung von Surrogatendpunkten gezeigt werden konnte (Bach 2019; Vokinger et al. 2020). Die Onkologika waren mit 12 Wirkstoffen auch in Deutschland die größte Gruppe der 31 Neuzulassungen des Jahres 2019, hatten aber bei 8 von den 12 Arzneimitteln keinen oder nur einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen (siehe . Tab. 2.1). Die Jahrestherapiekosten neueingeführter Arzneimittel sind ein wichtiges Signal für die zukünftige Kostenentwicklung. Wie sich die hohen Jahrestherapiekosten pro Patient auf das reale jährliche Gesamtvolumen der Arzneimittelausgaben auswirken, hängt aber entscheidend von der Anzahl der Patienten ab, die tatsächlich mit einem neuen Arzneimittel behandelt werden.
1.4.2
Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten
Im Rahmen der Nutzenbewertung trifft der GBA auch Feststellungen zur Anzahl der Patienten bzw. Abgrenzung der für die Behandlung in Frage kommenden Patientengruppen aus der
1
19 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
. Tabelle 1.5 Jahrestherapiekosten neuer Arzneimittel der Jahre 2019 und 2010. Die Jahrestherapiekosten der Wirkstoffe des Jahres 2019 wurden aus den Nutzenbewertungen des G-BA entnommen, bei den gekennzeichneten Wirkstoffen (*) wurde keine G-BA-Nutzenbewertung durchgeführt. Die Jahrestherapiekosten der Wirkstoffe des Jahres 2010 stammen aus den Wirkstoffprofilen neuer Arzneimittel des Jahres 2010 im Arzneiverordnungs-Report 2011 (7 Kap. 2), bei den gekennzeichneten Wirkstoffen des Jahres 2010 (**) handelt es sich um Einmaltherapien, für die keine Jahrestherapiekosten berechnet wurden. Or: Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) Rang Wirkstoff
Handelsname
Jahres- Wirkstoff therapiekosten C
Neue Wirkstoffe des Jahres 2019 1
Andexanet alfa
Ondexxya
2
Anthraxantigen*
BioThrax
3
Apalutamid
Erleada
4
Axicabtagen-Ciloleucel
Yescarta (Or)
5
Brigatinib
Alunbrig
6
Cannabidiol
Epidyolex (Or)
7
Cemiplimab
Libtayo
8
Chlormethin*
Ledaga
9
Dacomitinib
Vizimpro
10
Damoctocog alfa pegol
Jivi
11
Darvadstrocel
Alofisel (Or)
12
Doravirin
Pifeltro
13
Doravirin + Lamivudin + Tenofovirdisoproxil
14
Handelsname Jahrestherapiekosten C
Neue Wirkstoffe des Jahres 2010 26.656
Amifampridin
Firdapse (Or)
Asenapin
Sycrest
Bazedoxifen
Conbriza
726
Bilastin
Bitosen
456
89.957
Conestat alfa**
Ruconest
8.807
Corifollitropin**
Elonva
Denosumab
Prolia
Dronedaron
Multaq
Eltrombopag
Revolade (Or)
Febuxostat
Adenuric
Histamin
Ceplene (Or)
7.818
Indacaterol
Onbrez
Delstrigo
9.506
Meningokokkenkonjugatimpfstoff**
Menveo
Fremanezumab
Ajovy
7.652
Mifamurtid
Mepact (Or)
172.770
15
Galcanezumab
Emgality
7.652
Ofatumumab
Arzerra (Or)
25.128
16
Gilteritinib
Xospata (Or)
Pazopanib
Votrient (Or)
55.869
17
Humane allogene mesenchymale Stromazellen*
Obnitix
PneumokokkenpolysaccharidKonjugatimpfstoff**
Prevenar 13
18
Lanadelumab
Takhzyro (Or)
319.428
Prucaloprid
Resolor
19
Larotrectinib
Vitrakvi
152.017
Roflumilast
Daxas
690
20
Lorlatinib
Lorviqua
89.675
Silodosin
Urorec
329
21
Lutetium Oxodotreotid
Lutathera (Or)
Tapentadol
Palexia
3.143
22
Neratinib
Nerlynx
79.230
Velaglucerase
Vpriv (O)
23
Pegvaliase
Palynziq (Or)
341.520
Vernakalant**
Brinavess
24
Ravulizumab
Ultomiris
354.323
50.952 389.130
122.221
55.303 593.324 71.400
372.579
63.357 3.176
642 1.303 33.657 511 71.635 591
1.161
181.409
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
20
1
. Tabelle 1.5 (Fortsetzung) Rang Wirkstoff
Handelsname
Jahres- Wirkstoff therapiekosten C
25
Risankizumab
Skyrizi
25.149
26
Ropeginterferon alfa 2b
Besremi (Or)
85.581
27
Rucaparib
Rubraca
106.669
28
Turoctocog alfa pegol
Esperoct
714.714
29
Volanesorsen
Waylivra (Or)
747.774
30
Vonicog alfa*
Veyvondi
31
Voretigen Neparvovec
Luxturna (Or)
Handelsname Jahrestherapiekosten C
821.100
Durchschnittliche Jahrestherapiekosten 217.313
Zielpopulation in der GKV. Mit den Jahrestherapiekosten pro Patient und der Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten werden in der Nutzenbewertung die beiden wesentliche Komponenten erfasst, mit denen die jährlichen Gesamtkosten eines neuen Arzneimittels für die GKV berechnet werden können. Die Methode wird in der Gesundheitsökonomie als sogenannte Budget-Impact-Analyse bezeichnet. Auf die Bedeutung der Budget-ImpactAnalyse hat das IQWiG schon vor Inkrafttreten des AMNOG in einer Publikation über die Methodik für die Kosten-Nutzen-Bewertung im System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung hingewiesen (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen 2009). Die Methoden der KostenNutzenbewertung wurden später in die Allgemeinen Methoden des IQWiG übernommen. In der aktuellen Version der Allgemeinen Methoden bewertet eine Ausgaben-Einfluss-Analyse (Budget-Impact-Analyse) die direkten finanziellen Konsequenzen, die mit der Erstattung einer Intervention in einem Gesundheitssystem in Zusammenhang stehen (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen 2019). Danach werden in einem Berechnungsmodell der Anteil der Patienten, die die neue
34.253
Intervention möglicherweise erhalten werden, sowie die Verbreitung der Intervention im Gesundheitssystem einschließlich ihrer Anwendung bei zuvor unbehandelten Patienten berücksichtigt. Zu den Schlüsselelementen einer Budget-Impact-Analyse gehören die Abschätzung der Größe der infrage kommenden Bevölkerung, der aktuellen Therapiealternativen und des erwarteten Therapiespektrums nach Einführung der neuen Intervention sowie die erwartete Kostenveränderung durch die neue Intervention im Vergleichsszenario (Sullivan et al. 2014). Die Berechnungen sollen mithilfe eines einfachen Kostenrechneransatzes durchgeführt werden, damit sie für Budgetinhaber benutzerfreundlich sind. Wenn die Zahl der mit dem neuen Arzneimittel zu behandelnden Patienten realitätsnah ermittelt wird, sollte die Berechnung des Budget-Impact mit einer einfachen Multiplikation mit den Jahrestherapiekosten des neuen Arzneimittels möglich sein. Eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln ist im AMNOG zwar gesetzlich vorgesehen (§ 35b SGB V), wurde aber bisher noch nie durchgeführt. Ein Grund könnte sein, dass eine Kosten-Nutzen-Bewertung erst nach einem Schiedsspruch der Schiedsstelle von jeder der beiden Vertragsparteien (GKV-Spitzenverband, pharmazeutischer Unternehmer)
21 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
beim Gemeinsamen Bundesausschuss beantragt werden kann (§ 130b, Absatz 8, SGB V). Damit steht eine Kostenprognose der finanziellen Auswirkungen erst am Ende des Nutzenbewertungsverfahrens. In Anbetracht der in den letzten Jahren extrem gestiegenen Jahrestherapiekosten neu eingeführter Arzneimittel wäre es jedoch außerordentlich wichtig, wenn eine Gesamtkostenanalyse bereits am Anfang der Nutzenbewertung durchgeführt würde, damit bei der Erstattungsbetragsvereinbarung neben den Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie auch die Gesamtkosten eines neuen Arzneimittels berücksichtigt werden. Mit realistischen Angaben zur Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten sollte schon bei der Nutzenbewertung eine einfach berechenbare Basis für eine zuverlässige Kostenprognose geschaffen werden, um sicher zu stellen, dass die Gesamtkosten eines neu eingeführten Arzneimittels für die Kostenträger bezahlbar bleiben. Bisher sind die in der Nutzenbewertung publizierten Patientenzahlen offensichtlich nicht geeignet, um realistische Angaben über die Gesamtkosten neuer Arzneimittel berechnen zu können. Das zeigt das Ergebnis eines ersten Versuchs einer Kostenprognose, die wir im vergangenen Jahr mit den in der Nutzenbewertung publizierten Zahlen der Jahrestherapiekosten pro Patient und der Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten durchgeführt haben. Mit dieser Berechnungsmethode haben wir für die 37 neuen Arzneimittel des Jahres 2018 GKV-Gesamtkosten von 52,9 Mrd. C errechnet (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 1, Abschn. 1.4.2). Das Ergebnis liegt jenseits aller Realitäten des deutschen GKV-Arzneimittelmarktes, weil die berechneten Kosten sogar höher als die jährlichen Gesamtnettokosten des GKV-Arzneimittelmarktes von 40,1 Mrd. C waren. Dennoch ist die Analyse von zwei Gesundheitsökonomen ausführlich kommentiert und als wissenschaftsethisch nicht vertretbar kritisiert worden (Cassel und Ulrich 2019). Während die in der Nutzenbewertung angegebenen Jahrestherapiekosten relativ zuver-
1
lässig zu berechnen sind, sind die angegebenen Patientenzahlen offensichtlich viel zu hoch, um damit eine halbwegs zuverlässige Gesamtkostenprognose abgeben zu können. Tatsächlich gibt es Hinweise, dass Korrekturen an den publizierten Patientenzahlen notwendig waren. Im vergangenen Jahr hat der G-BA in der Nutzenbewertung des neuen Migräneprophylaktikums Erenumab (Aimovig) aus der Gruppe der Calcitonin GeneRelated Peptide (CGRP)-Antikörper die Angaben über die Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten in zwei Subgruppen erheblich reduziert (Gruppe unbehandelte und weitere Patienten 1.436.500 statt 2.409.500 Patienten, Gruppe der auf Standardtherapie nicht ansprechende und weitere Patienten 6.200 statt 10.500 Patienten, jeweils Mittelwerte). Nur in der dritten Subgruppe wurden die Patientenzahlen nicht geändert (therapieresistente und weitere Patienten 14.500 Patienten) (Bundesministerium für Gesundheit 2019). Anlass für diese Änderung waren neue Patientenzahlen im Rahmen der Nutzenbewertung eines weiteren CGRP-Antikörpers (Galcanezumab), der 2019 in Deutschland auf den Markt kam (. Tab. 1.5). Damit hat sich die Gesamtzahl von 2,4345 Mio. auf 1,4572 Mio. zu behandelnde Patienten reduziert. Infolgedessen hätte Erenumab (Jahrestherapiekosten 12.435 C) auch geringere potenzielle jährliche Gesamtkosten von 18,1 Mrd. C statt ursprünglich 30,2 Mrd. C gehabt, ein deutlicher Rückgang, aber immer noch eine völlig realitätsferne Kostenprognose. Um die Patientenzahlen der Realität anzupassen, erscheint es sinnvoll, weitere Daten zur Behandlung der infrage kommenden Patienten mit dem neuen Migräneprophylaktikum bei der Ermittlung der Patientenzahlen zu berücksichtigen. Als erstes ist eine Leitlinie zu nennen, die eine Verordnung bei Patienten mit episodischer Migräne gemäß G-BA-Beschluss ermöglicht, wenn mindestens 5 Substanzen aus den 4 verfügbaren, zugelassenen medikamentösen pharmakologischen Gruppen wie Betarezeptorenblocker, Flunarizin, Topiramat, Valproinsäure oder Amitriptylin nicht wirksam waren, nicht
22
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
vertragen wurden oder wenn gegen deren Einnahme Kontraindikationen oder Warnhinweise bestehen (Diener et al. 2019). Durch diese Leitlinienempfehlung wird die Verordnung von CRGP-Antikörpern abweichend von der breiten Zulassung zur Migräneprophylaxe für alle Patienten mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat auf die dritte Patientensubgruppe mit 14.500 Patienten eingeschränkt, die in der Nutzenbewertung einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen gezeigt hatte. Ein weiterer Hinweis auf eine realitätsnahe Erfassung der Patientenzahlen ist die Tatsache, dass auch der Hersteller das Ergebnis der Nutzenbewertung akzeptiert hat und selbst einen vorübergehenden Verordnungsausschluss für die ersten beiden Patientengruppen in der G-BA-Anhörung vorgeschlagen hat (Gemeinsamer Bundesausschuss 2019). Für die 14.500 Patienten mit einem beträchtlichen Zusatznutzen errechnen sich jährliche GKV-Gesamtkosten von 180 Mio. C, die eine realitätsnahe Kostenprognose darstellen. Denn Aimovig wurde 2019 bereits mit Nettokosten von 48 Mio. C verordnet (siehe . Tab. 32.1), nachdem es im November 2018 auf den Markt gekommen war. Andererseits gibt es auch Beispiele, bei denen die in der Nutzenbewertung publizierten Patientenzahlen um ein Mehrfaches überschritten wurden. Ein solches Beispiel sind die beiden PCSK9-Inhibitoren Evolocumab (Repatha) und Alirocumab (Praluent), die zur Senkung des LDL-Cholesterins eingesetzt werden. Für diese Arzneimittel hatte die Nutzenbewertung für die Mehrzahl der Patienten, bei denen eine Statintherapie infrage kommt (270.000 Patienten), keinen Beleg für einen Zusatznutzen ergeben. Daraufhin hatte der G-BA zusätzlich einen weitgehenden Verordnungsausschluss der beiden PCSK9-Inhibitoren beschlossen, solange die Therapie mit Mehrkosten im Vergleich zu einer Therapie mit anderen Lipidsenkern (Statine, Fibrate, Anionenaustauscher, Cholesterinresorptionshemmer) verbunden ist. Damit kamen nur kleinere Patientengruppen für eine Therapie mit PCSK9-Inhibitoren (Evolocumab 3.090 Pati-
enten, Alirocumab 3.250 Patienten) in Betracht, bei denen eine Statintherapie nicht infrage kommt oder bei denen die Optionen zur Lipidsenkung ausgeschöpft sind. Da beide Arzneimittel für weitgehend ähnliche Indikationen zugelassen waren, kommt maximal eine Zahl von 3.250 Patienten für die Behandlung in Betracht, bei denen aufgrund des Verordnungsausschlusses auch noch die Indikation zur Durchführung einer LDL-Apherese besteht. Diese Patientenzahl entspricht in etwa den Verordnungsdaten des Jahres 2016, als 1,0 Mio. DDD von beiden PCSK9-Inhibitoren verordnet wurden, die bei kontinuierlicher Verabreichung ausreichend für die Behandlung von ca. 2.700 Patienten sind (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Tab. 32.2). Aktuell wurden jedoch im Jahre 2019 von beiden Präparaten 5,0 Mio. DDD für ca. 13.700 Patienten verordnet (siehe . Tab. 30.3). Die höhere Patientenzahl hat auch deutlich Auswirkungen auf die GKV-Nettokosten der beiden PCSK9Inhibitoren, die 2019 bereits 99 Mio. C betrugen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Patientenzahlen aus der ersten Nutzenbewertung im Jahre 2016 offensichtlich zu niedrig waren und auch in der zweiten Nutzenbewertung von 2018 nicht geändert wurden. Möglich ist allerdings, dass auch Patienten behandelt wurden, die eigentlich von der Verordnung ausgeschlossen sind. Es gibt also gute Gründe, dass für eine realitätsnahe Kostenprognose nicht nur die Jahrestherapiekosten neuer Arzneimittel sondern auch die Anzahl der für die Behandlung infrage kommenden Patienten zuverlässig ermittelt wird, um die Folgen der Kostenexplosion durch neue Arzneimittel in den Griff zu bekommen. Damit verbunden ist die weitergehende Frage, ob Patientengruppen, bei denen die Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen ergeben hat, generell bei einer sinnvollen Kostenprognose und den Erstattungsbetragsvereinbarungen eine Berücksichtigung finden sollten. So wurde für die Behandlung von Patienten mit Hepatitis C ein Strukturvertrag nach § 73a SGB V abgeschlossen, um die Versorgungsqualität und die Wirtschaftlichkeit durch
23 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
Verzicht auf besonders teure Arzneimittel ohne Zusatznutzen zu erhöhen (Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein und AOK Rheinland/ Hamburg 2016).
1.4.3
Internationale Preisvergleiche
Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die Arzneimittelpreise für Patentarzneimittel in Deutschland höher liegen als in anderen Ländern (Simoens 2007; Garattini et al. 2008; Jönsson et al. 2008; Europäisches Parlament 2011; Kanavos et al. 2011; Vogler et al. 2014, 2017). Hauptgrund für die großen Preisunterschiede ist die Tatsache, dass Deutschland bis zum Inkrafttreten des AMNOG keinerlei Preiskontrollen bei der Markteinführung patentgeschützter Arzneimittel durchführte. Die Hersteller patentgeschützter Arzneimittel konnten den Arzneimittelpreis bis Ende 2010 generell frei festlegen. Das hat sich mit Inkrafttreten des AMNOG zu Beginn des Jahres 2011 geändert. Für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden, vereinbart der GKV-Spitzenverband mit pharmazeutischen Unternehmern innerhalb eines Jahres nach der Markteinführung Erstattungsbeträge gemäß AMNOG (§ 130b Absatz 1 SGB V). Der freie Marktzugang bleibt jedoch erhalten, da neue Arzneimittel im ersten Jahr der Markteinführung weiterhin zum geforderten Preis vermarktet werden können. Bei der Festlegung von Erstattungsbeträgen soll auch die Höhe des tatsächlichen Abgabepreises in anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden (§ 130b, Absatz 9, SGB V). Allein schon dafür sind internationale Preisvergleiche erforderlich. Die methodischen Probleme internationaler Preisvergleiche sind keineswegs gelöst, zumal solche Untersuchungen aus unterschiedlichen Motiven durchgeführt werden (Wagner und McCarthy 2004; Machado et al. 2011). Eine zuverlässige Methode für aussagekräftige Preisvergleiche besteht darin, identische
1
Arzneimittelpackungen zu vergleichen, auch wenn damit nur ein begrenztes Segment des Arzneimittelmarktes untersucht werden kann, weil Angaben zu Packungsgrößen und Dosisstärken in einigen Ländern verfügbar sind, in anderen aber nicht (Wagner und McCarthy 2004). Aus diesem Grunde wurde im Arzneiverordnungs-Report die Methode des Preisvergleichs mit den jeweils umsatzstärksten Arzneimittelpackungen für Schweden, Großbritannien, Niederlande und Frankreich angewendet. Mit dieser Methode wurden erhebliche Einsparpotenziale für den deutschen Patent- und Generikamarkt berechnet. Auch der Vergleich mit Bruttoinlandsprodukt-adjustierten Herstellerabgabepreisen aus 8 europäischen Ländern ergab im deutschen Markt für Patentarzneimittel nach Berücksichtigung des gesetzlichen Herstellerabschlags und der Einsparungen durch Erstattungsbeträge für AMNOG-Arzneimittel ein theoretisches Einsparpotenzial, das für die Jahre 2015 und 2016 1,44 Mrd. C bzw. 1,50 Mrd. C und damit 13 % des Herstellerumsatzes betrug (Arzneiverordnungs-Report 2016 und 2017, Kap. 7, Europäischer Preisvergleich für patentgeschützte Arzneimittel). Die Erstattung von Arzneimitteln in Deutschland unterscheidet sich außerdem in zentralen Punkten von anderen europäischen Ländern. In Deutschland kann der pharmazeutische Unternehmer ein neues patentgeschütztes Arzneimittel weiterhin zu einem frei festgelegten Listenpreis auf dem Markt bringen, der bereits ab dem ersten Tag der Markteinführung von den Krankenkassen erstattet werden muss. Erst ein Jahr nach der Markteinführung gilt der zwischen dem GKVSpitzenverband und dem pharmazeutischen Unternehmer vereinbarte Erstattungsbetrag für neue Arzneimittel. Da die Erstattungsbeträge nicht rückwirkend bei der Markteinführung gültig sind, müssen die im ersten Jahr zu viel gezahlten Arzneimittelkosten nicht an die GKV zurückerstattet werden. Die Mehrkosten der freien Preisbildung im ersten Jahr belaufen sich einschließlich Preisänderungen nach Neubewertungen seit 2011 auf 1.521 Mio. C,
24
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
davon 201 Mio. C im Jahr 2018 (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 6, Der GKVArzneimittelmarkt 2018: Trends und Marktsegmente, Abschn. 6.4.4). Die mangelhafte Transparenz von Arzneimittelpreisen wird seit vielen Jahren kritisiert (z. B. Vogler und Paterson 2017). Kürzlich hat die Weltgesundheitsorganisation eine Resolution zur Verbesserung der Transparenz der Märkte für Arzneimittel, Impfstoffe und andere Gesundheitsprodukte verabschiedet, die von 20 Mitgliedsstaaten (darunter die EU-Staaten Griechenland, Italien, Luxemburg, Malta, Portugal, Slowenien, Spanien) eingebracht wurde. In der Resolution werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, durch wirksame gesetzliche Maßnahmen für mehr Transparenz von Forschungskosten und Preisen für Arzneimittel und Impfstoffe zu sorgen, um den Zugang zu Gesundheitsprodukten weltweit zu verbessern (World Health Organization 2019). Deutschland, Ungarn und das Vereinigte Königreich distanzierten sich förmlich von der angenommenen Resolution, da die Debatte nicht alle möglichen Auswirkungen vollständig berücksichtigt habe. Nach Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit sind die Arzneimittelpreise in Deutschland transparent, wenn auch die zusätzlichen Arzneimittelrabatte als Geschäftsgeheimnisse anerkannt werden, die zwischen pharmazeutischen Unternehmern und Krankenkassen ausgehandelt werden. Die Position der Bundesregierung hat für heftigen Streit mit verschiedenen Hilfsorganisationen (Ärzte ohne Grenzen, Brot für die Welt) sowie Vertretern der Grünen und der Linken gesorgt (Deutsches Ärzteblatt 2019a).
1.4.4
Patentablauf von Arzneimitteln
Mit dem Ablauf von Arzneimittelpatenten und dem anschließenden Einsatz von Generika und Biosimilars entstehen jedes Jahr hohe Einsparpotenziale bei den Arzneimittelausgaben. Im
Jahre 2019 ist der Patentschutz von sieben Wirkstoffen aus der Gruppe der 3.000 meistverordneten Arzneimittel abgelaufen, die alle zur Gruppe der chemisch hergestellten, kleinmolekularen Arzneimittel gehören. Im letzten Jahr vor dem Patentablauf hatten die Originalpräparate ein DDD-Volumen von 150,4 Mio. DDD mit Nettokosten von 392,0 Mio. C. Nach dem Patentablauf waren 2019 erstmals zahlreiche Generika für die jeweiligen Wirkstoffe verfügbar. Das Verordnungsvolumen ist geringfügig auf 155 Mio. DDD angestiegen (. Tab. 1.6). Auffälligerweise war aber die Summe der Nettokosten der sieben Wirkstoffe trotz deutlicher Preissenkungen einzelner Generika 2019 ähnlich wie im Vorjahr. Das liegt größtenteils an dem paradoxen Phänomen, dass die DDD-Kosten der neuen Generika bei den beiden Onkologika (Bortezomib, Pemetrexed) bis auf eine Ausnahme über den DDD-Kosten der Originalpräparate (Velcade, Alimta) liegen. Das erklärt sich dadurch, dass die Generika für Pemetrexed nahezu identische Listenpreise wie das Originalpräparat haben, aber auf höhere DDD-Kosten kommen, weil für das Originalpräparat Alimta preisgünstige Reimporte in die DDD-Kostenberechnung einbezogen werden (siehe 7 Kap. 34 Onkologika, 7 Abschn. 34.2.2). Die Einsparpotenziale der einzelnen Wirkstoffe wurden mit den DDD-Kosten des jeweils preisgünstigsten Generikums berechnet. Die Gesamtkosten der Einsparpotenziale in Höhe von 80,2 Mio. C betragen damit nur 20 % der Nettokostensumme von 384,5 Mio. C. Die geringen Einsparungen liegen wiederum daran, dass auf die beiden Onkologika über die Hälfte des Kostenvolumens entfällt und dass wegen der geringen Absenkung der Generikakosten nur ein minimales Einsparpotenzial in diesem Bereich vorhanden ist. Weiterhin werden im Jahr 2020 insgesamt 18 Wirkstoffe in Deutschland patentfrei (Pieloth et al. 2020). Nach den Angaben von INSIGHT Health (Patentdatenbank SHARK) befinden sich darunter fünf umsatzstarke Wirkstoffe, auf die allein 85 % des patentfrei werdenden Umsatzvolumens von 1,13 Mrd. C
1
25 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
. Tabelle 1.6 Patentabläufe von Arzneimitteln 2019 und 2020. Angegeben sind Wirkstoff, Präparate (bei Originalpräparaten DDD-Änderungen gegenüber 2018), verordnete definierte Tagesdosen (DDD), mittlere DDDNettokosten, Nettokosten und Einsparpotenzial mit den jeweils günstigsten DDD-Nettokosten Wirkstoff
Präparate
DDD
DDD-Nettokosten
Nettokosten
Einsparpotenzial
Mio.
C
Mio. C
Mio. C
Patentabläufe 2019 Bortezomib
Velcade (41,8 %)
0,35
194,28
67,9
Bortezomib STADA
0,23
200,73
45,3
Bortezomib HEXAL
0,02
188,88
2,9
0,60 Pemetrexed
116,1
Albotiva
0,21
174,20
37,4
Pemetrexed HEXAL
0,15
178,80
26,4
Alimta (69,9 %)
0,14
141,82
20,1
Pemetrexed STADA
0,09
181,38
17,0
Pemetrexed medac
0,02
169,33
4,2
Pemetrexed Zentiva
0,01
187,82
2,8
0,62 Febuxostat
Adenuric (20,5 %)
107,9
40,43
1,23
49,7
Febuxodor TAD
2,29
0,59
1,4
Febuxostat Zentiva
1,92
0,57
1,1
Febuxostat beta
1,73
0,55
1,0
Febuxostat-ratiopharm
1,18
0,72
0,9
Febuxostat AbZ
0,77
0,57
0,4
Febuxostat Mylan
0,60
0,57
0,3
Febuxostat HEXAL
0,35
0,87
0,3
Febuxostat Heumann
0,30
0,60
0,2
Febuxostat-1 A Pharma
0,26
0,59
0,2
Febuxostat AL
0,23
0,57
0,1
50,06 Agomelatin
Valdoxan (23,8 %)
55,6
22,26
1,71
38,0
Agomaval TAD
1,77
0,77
1,4
Agomelatin beta
1,45
0,73
1,1
Agomelatin-ratiopharm
1,05
1,22
1,3
2,8
0
27,0
26
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
. Tabelle 1.6 (Fortsetzung) Wirkstoff
Präparate
DDD
DDD-Nettokosten
Nettokosten
Einsparpotenzial
Mio.
C
Mio. C
Mio. C
Agomelatin Zentiva
0,78
0,78
0,6
Agomelatin Mylan
0,43
0,71
0,3
Agomelatin Accord
0,31
0,75
0,2
Agomelatin-neuraxpharm
0,23
0,77
0,2
Agomelatin-biomo
0,21
0,82
0,2
Agomelatin AbZ
0,20
0,75
0,2
Agomelatin Glenmark
0,20
0,76
0,2
Agomelatin Hormosan
0,18
0,75
0,1
Agomelatin AL
0,17
0,76
0,1
Agomelatin Anpharm
0,15
1,72
0,3
Agomelatin Heumann
0,12
0,72
0,1
29,51 Solifenacin
Vesikur (19,3 %)
44,3
49,96
0,57
28,7
Solifemin TAD
4,06
0,29
1,2
Solifenacin Succinat Zentiva
1,73
0,31
0,5
Solifenacin-ratiopharm
1,36
0,44
0,6
Solifenacinsuccinat Mylan
1,21
0,34
0,4
Solifenacin AbZ
1,11
0,29
0,3
Belmacina
0,64
0,33
0,2
Solifenacin Accord
0,59
0,31
0,2
Solifenacin-1 A Pharma
0,50
0,28
0,1
Solifenacinsuccinat AL
0,44
0,28
0,1
Solifenacin Aristo
0,35
0,29
0,1
Solifenacin Glenmark
0,28
0,36
0,1
Solifenacin Micro Labs
0,16
0,30
0,05
Solifenacin Heumann
0,14
0,29
0,04
Solifenacin-PUREN
0,13
0,27
0,04
Solifenacinsuccinat Aurobind
0,12
0,28
0,03
62,78
32,7
23,1
15,8
1
27 1.4 Patentgeschützte Arzneimittel
. Tabelle 1.6 (Fortsetzung) Wirkstoff
Prasugrel
Präparate
DDD
DDD-Nettokosten
Nettokosten
Einsparpotenzial
Mio.
C
Mio. C
Mio. C
Efient (29,6 %)
8,40
2,67
22,4
Prasugrel beta
1,29
1,63
2,1
Prasillt TAD
0,46
1,66
0,8
Prasugrel AL
0,45
1,63
0,7
Prasugrelhydrobromid Zentiva
0,45
1,63
0,7
Prasugrel-ratiopharm
0,45
2,26
1,0
11,50 Aprepitant
27,7
Emend (51,6 %)
0,19
27,58
5,2
Aprepitant Zentiva
0,07
15,70
1,2
Aprepitant-ratiopharm
0,04
19,66
0,8
Summe
9,1
0,30
7,2
2,4
155,37
391,5
80,2
Patentabläufe 2020 Bevacizumab
Avastin
2,50
176,14
442,1
Eculizumab
Soliris
0,23
1.149,30
263,6
Tocilizumab
Roactemra
3,80
52,82
200,7
Tapentadol
Palexia
14,50
10,93
158,5
Natalizumab
Tysabri
2,00
75,55
151,1
Summe
nach Herstellerabgabepreisen entfallen. Dazu gehören vier Biologika aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper (Bevacizumab, Eculizumab, Tocilizumab, Natalizumab) (siehe auch 7 Kap. 3) und ein chemisch definierter kleinmolekularer Wirkstoff (Tapentadol). Nach den GKV-Verordnungsdaten des Jahres 2019 entfallen auf diese fünf Wirkstoffe Nettokosten von insgesamt 1,216 Mrd. C, die aus den DDD-Werten der jeweiligen DDD-Tabellen berechnet wurden (. Tab. 1.6). Umsatzstärkster Wirkstoff ist Bevacizumab (Avastin), ein rekombinanter huma-
23,03
1.216,0
nisierter VEGF-Antikörper, der 2005 zur Erstlinienbehandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms in Kombination mit einer Irinotecan-basierten Chemotherapie eingeführt wurde und später auch für die Behandlung weiterer solider Tumoren (Mammakarzinom, nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, Nierenzellkarzinom, Ovarialkarzinom) zugelassen wurde (siehe 7 Kap. 34 Onkologika, 7 Abschn. 34.5.3). Mit den zahlreichen Indikationen gehört Bevacizumab zu den führenden Onkologika und ist mit Nettokosten von 442 Mio. C auch in der Liste der 30 um-
28
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
satzstärksten Arzneimittel des Jahres 2019 vertreten (. Tab. 1.3). Inzwischen haben bereits zwei Bevacizumab-Biosimilars (Zirabev, Mvasi) eine EMA-Zulassung erhalten, nachdem in klinischen Studien die Gleichwertigkeit mit dem Originalpräparat nachgewiesen wurde (Thatcher et al. 2019; Reinmuth et al. 2019). Die Einsparpotenziale sind jedoch gering, da die beiden Biosimilars nach den Listenpreisen bisher nur 6–8 % billiger als das Originalpräparat Avastin sind (siehe auch 7 Kap. 3). An zweiter Stelle folgt Eculizumab (Soliris), das im Jahr 2007 als monoklonaler Antikörper gegen das Komplementprotein C5 zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie und mit atypischem hämolytisch-urämischem Syndrom zugelassen wurde (siehe 7 Kap. 29). Der Komplementinhibitor hat nur ein kleines Verordnungsvolumen, aber sehr hohe DDD-Kosten (. Tab. 1.6). Biosimilars von Eculizumab werden bereits untersucht, sind aber bisher noch nicht zugelassen. Tocilizumab (RoActemra) ist ein Interleukin-6-Rezeptorantikörper, der 2009 zunächst als Zweitlinientherapie zur Behandlung der mäßigen bis schweren rheumatoiden Arthritis zugelassen wurde und wesentlich weniger als die TNF’-Inhibitoren verordnet wird (siehe 7 Kap. 17, 7 Abschn. 17.2.2). Tocilizumab-Biosimilars werden ebenfalls schon untersucht, bisher ist aber noch kein Präparat zugelassen worden. Tapentadol (Palexia) ist ein Opioidanalgetikum mit einem ähnlichen Wirkungsmechanismus wie Tramadol. Es wurde 2010 zugelassen, unterliegt aber im Gegensatz zu Tramadol dem Betäubungsmittelrecht für stark wirkende Opioide (siehe 7 Kap. 7, 7 Abschn. 7.2.7). Das Präparat hat im Vergleich zu anderen stark wirkenden Opioidanalgetika die höchsten DDD-Kosten, während alle anderen starkwirkenden Opioidanalgetika seit vielen Jahren als Generika verfügbar sind. Bisher sind noch keine Tapentadolgenerika auf dem Markt. Die Rabattquote für Palexia liegt jedoch bei rund 80 % (Pieloth et al. 2020).
Natalizumab ist ein Reservetherapeutikum mit einer engen Zulassung zur Zweitlinientherapie der hochaktiven schubförmigremittierenden multiplen Sklerose sowie als Erstlinientherapie bei rasch fortschreitender schubförmig-remittierender multipler Sklerose (siehe 7 Kap. 33, 7 Abschn. 33.1.5). Es wird im Allgemeinen für Patienten empfohlen, die nicht auf eine krankheitsmodifizierende Erstlinientherapie angesprochen haben oder an einer sehr aktiven Krankheit leiden. Der erwartete Nutzen einer Behandlung mit Natalizumab muss gegen Risiken abgewogen werden, insbesondere gegen das seltene, aber schwerwiegende unerwünschte Ereignis einer potenziell tödlich verlaufenden progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML). Obwohl das Patent für Natalizumab schon seit mehreren Jahren abgelaufen ist, wurden bisher noch keine Biosimilars auf den Markt gebracht, die sich noch in Entwicklung befinden (Müller 2018).
1.5
Generika
Der Verordnungsanteil der Generika ohne patentfreie generikafähige Erstanbieterpräparate am Gesamtmarkt ist seit 2000 von 49,0 % auf 76,8 % im Jahre 2019 angestiegen (. Abb. 1.4). Ein wesentliches Hemmnis für eine zügige Bildung von Festbetragsgruppen ist die relativ lange Dauer des Verfahrens und die gesetzliche Vorgabe, dass mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein müssen (§ 35 Absatz 5 SGB V). So hatten von den 33 Wirkstoffen, die 2017 patentfrei wurden, 13 Wirkstoffe 2018 immer noch einen Verordnungsanteil von weniger als 20 % (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 6, Tab. 6.4) und konnten daher nicht unter Festbetrag genommen werden. Wie groß der Preisunterschied von generikafähigen Erstanbieterpräparaten zu Generika ist, zeigt das Beispiel des 2016 patentfrei gewordenen Imatinib, das mit dem aktuellen Packungspreis als Originalpräparat (Glivec
1
29 1.5 Generika
Anteil in % 80
Umsatz Verordnungen 72,9 70,1
74,6
75,2
36,7
37,0
75,7
76,4
76,1
76,4
76,3
76,8
71,1
68,6
70 65,3 60,0 60
57,3 54,3 50,2
50
55,2
52,3
49,0
40
34,3 30
31,9
20 2000
30,0
29,9
30,4
2001
2002
2003
34,6
35,9
36,4
36,8 35,9
34,7
35,3
36,2
35,6 32,5
31,5 29,3
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
28,9
2019
. Abb. 1.4 Anteil der Generika am Gesamtmarkt 2000 bis 2019 (ab 2001 mit neuem Warenkorb und ab 2016 mit Zubereitungen)
90 Tbl. 400 mg 10.120,90 C) 22-fach teurer als das preisgünstigste Generikum (Imatinib Denk 90 Tbl. 400 mg 466,39 C) ist. Trotz dieses großen Preisunterschieds gibt es auch vier Jahre nach der ersten Markteinführung eines Generikums für Imatinib bisher noch keinen Festbetrag für dieses umsatzstarke Onkologikum, für dessen Verordnung 2019 Nettokosten von 93 Mio. C erzielt wurden. Die größte prozentuale Zunahme der Generikaverordnungen gab es nach Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG) im Jahr 2007 (. Abb. 1.4). Im Jahre 2004 ist der Umsatzanteil der Generika als Folge der geänderten Arzneimittelpreisverordnung kräftig angestiegen. Dieser hohe Zuwachs beruhte speziell auf der Verteuerung preiswerter Generika durch einen einheitlichen Festzuschlag von 8,10 C pro verschreibungspflichtiges Fertigarzneimittel und war kein Zeichen einer erhöhten Verordnung von Generika. Nach einem neuen Maximum mit einem Umsatzanteil von 37,0 % im Jahr 2013 war das Umsatzvolumen der Generika
am Gesamtmarkt in den letzten sechs Jahren wieder rückläufig und hat 2019 nur noch einen Anteil von 28,9 % (. Abb. 1.4). Die Verordnung von Generika trägt seit 30 Jahren zur Dämpfung der Arzneimittelausgaben bei. Daher wurde im Arzneiverordnungs-Report regelmäßig das Einsparpotenzial von Generika auf der Basis der preisgünstigsten deutschen Generika berechnet. Die erste Berechnung wurde für die Verordnungsdaten des Jahres 1987 durchgeführt und ergab ein Einsparpotenzial vom 818 Mio. C (1,6 Mrd. DM) für den damaligen Generikamarkt von 3.597 Mio. C (7.035 Mio. DM) (Arzneiverordnungs-Report 1988, Überblick über die Arzneiverordnungen im Jahr 1987). Die berechneten Einsparpotenziale der Generika stiegen bis 2009 auf 1.584 Mio. C (. Abb. 1.5). Seit 2003 haben die Krankenkassen die Möglichkeit, mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge abzuschließen, die 2007 mit der Verpflichtung der Apotheker zur Abgabe rabattierter Arzneimittel wesentlich effektiver wurden. Bereits vier Jahre später er-
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
30
5.000
1
4.882
Rabatterlöse Generikaeinsparpotenziale
4.503
4.033 3.888
4.000 3.655
3.186 2.972
Mio. Euro
3.000 2.375
1.721 2.000 1.584 1.412 1.552 1.334 1.000
310 0 2008
846
2009
1.455
1.309
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 1.5 Einsparpotenziale von Generika mit jeweils preisgünstigen deutschen Präparaten und Rabatterlöse der Krankenkassen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V von 2008 bis 2019
reichten die Rabatterlöse der Krankenkassen 1.721 Mio. C. Damit wurden die berechneten Einsparpotenziale der Generika auf Ebene der Listenpreise schon nach wenigen Jahren durch die Rabattverträge abgeschöpft. Inzwischen sind die Rabatterlöse im Jahre 2019 weiter auf 4.882 Mio. C (Vorjahr 4.503 Mio. C) angestiegen (. Abb. 1.5), wobei ein nicht unerheblicher Teil der Rabatteinnahmen aus Verträgen zu patentgeschützten Arzneimitteln stammt. 1.6
Biosimilars
Der Markt der Biosimilars ist seit 2010 sprunghaft gewachsen, erkennbar an einer 13-fachen Zunahme der Nettokosten von 75 Mio. C auf 1.722 Mio. C im Jahre 2019 (siehe 7 Kap. 3, Biosimilars, . Abb. 3.1). Allerdings ist der prozentuale Anteil der Biosimilars am Gesamtmarkt der patentfreien Biologika (biosi-
milarfähige Erstanbieterpräparate und Biosimilars) in Höhe von 5,910 Mio. C mit 29,1 % (. Tab. 1.1) weiterhin nicht viel höher als im Jahre 2010 (damals 20,5 %). Beim DDD-Volumen liegt der Anteil der Biosimilars sogar noch niedriger und beträgt mit 97 Mio. DDD nur 9,6 % an den 1.013 Mio. DDD des biosimilarfähigen Gesamtmarktes (. Tab. 1.1). Die Einsparpotenziale durch Umstellung auf das jeweils preisgünstigste Biosimilar sind 2019 ebenfalls gestiegen (7 Kap. 3, . Abb. 3.1). Sie haben 2019 über 40 % zugenommen und betragen jetzt schon 792 Mio. C (Vorjahr: 556 Mio. C), sind aber im Vergleich zu den Einsparpotenzialen bei den Generika noch sehr gering, da die Verkaufspreise der Biosimilars immer noch relativ hoch liegen. Bei der Berechnung der Einsparpotenziale ist allerdings zu berücksichtigen, dass bisher alle biosimilarfähigen Biologika vor Inkrafttreten des AMNOG ohne Nutzenbewertung und ohne Verhandlung eines Erstattungsprei-
31 1.7 Orphan-Arzneimittel
ses auf den Markt kamen. Aufgrund der freien Preisbildung waren die deutschen Preise von Patentarzneimitteln und insbesondere von Biologika schon immer teurer als in anderen europäischen Ländern. Das zeigt das Beispiel Humira (Wirkstoff Adalimumab), das 2018 mit Nettokosten von 1.015 Mio. C das umsatzstärkste Arzneimittel war und 2019 mit Nettokosten von 697 Mio. C immer noch auf Rang 3 der umsatzstärksten Arzneimittel steht (. Tab. 1.3). Schon 2012 haben wir durch einen internationalen Preisvergleich nachgewiesen, dass Humira 16,5 % teurer war als in den Niederlanden, wenn die deutschen Nettokosten nach Abzug der gesetzlichen Abschläge und die unterschiedlichen deutschen und niederländischen Mehrwertsteuersätze berücksichtigt wurden (Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 1, Tab. 1.4). Die bisher mit deutschen Preisen berechneten Einsparpotenziale durch Biosimilars sind etwa doppelt so hoch, wenn als Vergleich europäische Biosimilarpreise herangezogen werden (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 8, Tab. 8.6). Um diese höheren Einsparpotenziale zu realisieren, sollte ein Erstattungspreis für Biosimilars auf der Basis eines Preisvergleichs mit anderen europäischen Ländern wie bei den patentgeschützten Biologika gesetzlich verankert werden. Mit einer solchen Preisverhandlung könnten Kosteneinsparungen in dem schnell wachsenden Sektor der biosimilarfähigen Biologika wesentlich effektiver und auch schneller als derzeit erzielt werden. Der Nettokostenanteil der Biosimilars und biosimilarfähigen Biologika (5,910 Mrd. C) am Gesamtmarkt der Biologika (14,721 Mrd. C) beträgt derzeit 40 % und liegt damit deutlich niedriger als der Kostenanteil von allen generikafähigen Arzneimitteln (16,290 Mrd. C) am Gesamtmarkt der Nicht-Biologika (28,116 Mrd. C) 58 % (. Tab. 1.1). In Anbetracht der in Zukunft zunehmenden Bedeutung der Biosimilars werden Definitionen, Eigenschaften, Zulassungen, Austauschbarkeit und Verordnungen dieser Untergruppe der biologischen Arzneimittel in einem eigenen Kapitel dargestellt (7 Kap. 3, Biologika und Biosimilars).
1.7
1
Orphan-Arzneimittel
Orphan-Arzneimittel werden zur Behandlung seltener Krankheiten eingesetzt. Nach europäischer Definition ist eine seltene Krankheit ein lebensbedrohendes oder chronisch verlaufendes Leiden, von dem nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind (Europäisches Parlament 2000). Nach dieser Definition gilt eine Krankheit in Deutschland als selten, wenn weniger als 40.000 Patienten daran erkrankt sind. Lange Zeit wurde die Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Krankheiten von der pharmazeutischen Industrie wegen hoher Kosten und geringer Umsatzerwartungen vernachlässigt (Schieppati et al. 2008). Das hat sich in den USA 1983 mit dem ersten Orphan-Arzneimittelgesetz und in Europa im Jahre 2000 mit der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates über Arzneimittel für seltene Leiden grundlegend geändert (Orphan Drug Act 1983; Europäisches Parlament 2000). Die regulatorischen und ökonomischen Anreize haben bewirkt, dass in Europa seit 2000 etwa 180 Orphan-Arzneimittel zugelassen wurden, von denen sich 2019 noch knapp 120 Orphan-Arzneimittel im Markt befanden. Auch in Deutschland haben Orphan-Arzneimittel im AMNOG besondere Beachtung gefunden. Das Gesetz hat festgelegt, dass der medizinische Zusatznutzen von Orphan-Arzneimitteln bereits durch die europäische Zulassung als belegt gilt (§ 35a Absatz 1 SGB V). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen haben sich gegen diese Ausnahmeregelung ausgesprochen, die erst in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens eingebracht wurde (Windeler et al. 2010). Diese Kritik hat dazu beigetragen, dass schließlich eine Umsatzobergrenze für die Freistellung von der nationalen Nutzenbewertung in das Gesetz aufgenommen wurde. Übersteigt der Umsatz eines Orphan-Arzneimittels in den letzten 12 Kalendermonaten den Betrag von 50 Mio. C, muss
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
32
30
3.500
1
Umsatz Verordnungen
3.107
3.410 3.000
25 2.605
2.207
17,5 15
15,8
1.532 14,2 1.259
1.238 1.095
10
1.048
999 797 599
5
6,8
9,7
840 8,3
8,8
2.000
1.500
12,8 10,4
Umsatz in Mio. Euro
Verordnungen in Mio. DDD
2.500 20
1.000
9,1 8,2
7,3 500
5,2
0
0 2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 1.6 Verordnungen (DDD) und Umsatz von Orphan-Arzneimitteln von 2007 bis 2019 einschließlich aller Arzneimittel nach Ablauf der 10-jährigen Marktexklusivität, aber ohne Arzneimittel nach Rückzug der Orphan-Designation durch Hersteller. Seit 2016 sind neben Fertigarzneimitteln auch Zubereitungen enthalten
der Zusatznutzen auch für Orphan-Arzneimittel nachgewiesen werden. Die Zweifel an der Eignung der europäischen Zulassung als Basis für den Nutzennachweis von Orphan-Arzneimitteln haben sich in der praktischen Umsetzung voll und ganz bestätigt, da der G-BA für fünf von zehn Orphan-Arzneimitteln des Jahres 2019 nur einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen beschlossen hat (7 Kap. 2, . Tab. 2.1). Ein wichtiger Schritt in Richtung einer fairen Nutzenbewertung von OrphanArzneimitteln wurde bereits durch das Gesetz zu mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) im § 35a Absatz 1 Satz 12 unternommen, da in die Berechnung der Schwellenwerte für den Umsatz eines Orphan-Arzneimittels künftig auch die stationären Kosten einzubeziehen sind. Orphan-Arzneimittel hatten bereits 2010 vor dem Inkrafttreten des AMNOG einen Anteil von 30 % an den jährlichen Neuein-
führungen von Arzneimitteln in Deutschland (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2011, Kap. 3, Abb. 3.1). Im Jahre 2019 sind unter den 31 Neueinführungen 10 Orphan-Arzneimittel entsprechend einem Anteil von 32 % vertreten (7 Kap. 2, . Tab. 2.1). Orphan-Arzneimittel (ohne Arzneimittel nach Rückzug der Orphan-Designation durch Hersteller) haben naturgemäß nur kleine Verordnungsvolumina und erreichten 2019 in Deutschland insgesamt nur 17,5 Mio. DDD (. Abb. 1.6). Das sind gerade einmal 0,04 % des gesamten DDD-Volumens von 43,932 Mrd. DDD (. Tab. 1.1). Trotz des geringen Verordnungsvolumens haben Orphan-Arzneimittel 2019 ein Umsatzvolumen von 3.410 Mio. C erreicht. Seit 2007 ist der Umsatz aufgrund eines besonders dynamischen Wachstums fast sechsfach angestiegen (. Abb. 1.6), während der Gesamtmarkt in diesem Zeitraum nur um 85 % zunahm. Damit erreichte die relativ kleine Gruppe der
33 1.8 Umstrittene Arzneimittel
Orphan-Arzneimittel 2019 bereits 7,3 % des Bruttoumsatzes des gesamten GKV-Arzneimittelmarktes von 46,742 Mrd. C (. Tab. 1.1). Wegen der hohen durchschnittlichen DDDKosten (194,86 C) sind Orphan-Arzneimittel 27-fach teurer als alle patentgeschützten Arzneimittel (. Tab. 1.1). Angesichts der Anreize und Erleichterungen im Rahmen der Zulassung sowie der hohen Preise für Orphan-Arzneimittel haben pharmazeutische Unternehmer Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten als lukratives Geschäftsfeld entdeckt, das durch hohe Wachstumsraten und ständig steigende Umsätze geprägt wird (siehe auch ArzneiverordnungsReport 2019, Kap. 5). Mehrere Organisationen haben Reformen über Arzneimittel für seltene Leiden gefordert, um einen weiteren Missbrauch bestehender Regularien zu vermeiden. Deshalb sind aktuelle Initiativen auf europäischer Ebene zu begrüßen, wie die öffentliche Konsultation der Europäischen Kommission zur Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden und die bereits verabschiedete Verordnung (EU) 2018/781 der Kommission vom 29. Mai 2018 (Europäische Kommission 2018).
1.8
Umstrittene Arzneimittel
Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit sind dadurch definiert, dass ihre therapeutische Wirksamkeit nicht in ausreichendem Maße durch kontrollierte klinische Studien nachgewiesen wurde. Unsere erste Aufstellung umfasste 1986 elf Arzneimittelgruppen mit einem Verordnungsvolumen von 1,7 Mrd. C (3,4 Mrd. DM) (Arzneiverordnungs-Report 1986). Die rückläufige Entwicklung der umstrittenen Arzneimittel hat sich 2019 mit einer Abnahme auf 23,8 Mio. Verordnungen (3,2 %) und unveränderten Nettokosten von 506 Mio. C fortgesetzt (. Tab. 1.7).
1
Viele umstrittene Arzneimittel sind in den USA, Großbritannien und den skandinavischen Ländern nicht erhältlich oder nur als Nahrungsergänzungsmittel im Handel. Daher wurde schon vor 30 Jahren angenommen, dass wir ohne Nachteil für unsere Patienten auf diese umstrittenen Arzneimittel verzichten können (Gysling und Kochen 1987). Die Verordnungsentwicklung hat diese Prognose eindrucksvoll bestätigt. Gegenüber dem Spitzenwert von 5,1 Mrd. C im Jahr 1992 (hier dargestellt ab 2000) sind die Umsätze in dem Bereich seit 2016 auf 0,6 Mrd. C zurückgegangen (. Abb. 1.7). Das noch verbleibende Umsatzvolumen der umstrittenen Arzneimittel ist nicht in vollem Umfang für Einsparungen verfügbar, weil nur ein Teil durch wirksame Arzneimittel ersetzt werden kann. In einigen Arzneimittelgruppen werden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Substitution vorgeschlagen, die nicht mehr erstattungsfähig sind und daher nicht mehr bei den Substitutionskosten berücksichtigt werden. Bei weiteren Indikationsgruppen können keine anderen Arzneimittel empfohlen werden, weil ein Leistungsausschluss festgelegt wurde. Häufig handelt es sich um die Behandlung geringfügiger Gesundheitsstörungen, die eine hohe Selbstheilungstendenz haben und den leistungsrechtlichen Verordnungsausschlüssen nach § 34 Abs. 1 SGB V unterliegen. Zu den Arzneimitteln mit umstrittener Wirksamkeit gehören auch die Homöopathika, die bisher nicht als eigene Arzneimittelgruppe erfasst wurden. Aus Anlass der Diskussion über die Aufhebung der Erstattungsfähigkeit von homöopathischen Mitteln in Frankreich (Deutsches Ärzteblatt 2019b) haben wir die Verordnungen von Homöopathika und anthroposophischen Präparaten des Jahres 2019 aus der Gruppe der 3.000 meistverordneten Arzneimittel zusammengestellt (. Tab. 1.8). Es handelt sich insgesamt um 13 Präparate mit Nettokosten von 6,6 Mio. C, die bis auf eine Ausnahme alle weniger verordnet wurden. Bis
34
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
. Tabelle 1.7 Arzneimittel mit umstrittener Wirksamkeit 2019 Arzneimittelgruppen
Antacidakombinationen
Verordnungen
Nettokosten
In Tsd.
In Mio. C
Änderung %
Änderung %
753
9,3
19,8
8,2
Antiarthrotika u. Antiphlogistika
52
2,1
1,2
9,9
Antibiotika (pflanzliche)
71
0,7
9,8
11
Antidementiva
232
5,8
10,5
4,2
Antihypotonika
12
17,5
0,3
18,1
Antipruriginosa
421
1,9
3,9
3,5
17
32,5
0,2
1.020
0,9
16,7
0,4
Antitussivakombinationen Antivertiginosa
35
401
5
3,9
3,3
63
36,5
1,1
36,7
Cromoglicinsäurekombinationen
217
5,7
14,4
5,1
Darmfloramittel
500
9,5
6,7
5,6
2.790
3,3
69,2
4,6
Dermatika (Bäder)
117
0,3
1,5
0,7
Dermatika (Keratolytika)
520
0
10,9
0,9
20
23
2,3
11,2
Carminativa Clenbuterolkombinationen
Dermatika (Antimykotika-Kortikoidkombinationen)
Dermatika (sonstige) Dimenhydrinatkombinationen
690
1,1
22,7
1,3
Durchblutungsfördende Mittel
164
8,8
6,9
5,3
4.990
9,5
33,1
8,5
0
99,9
0
99,9
Grippemittel
79
16,4
0,9
14,2
Hämorrhoidenmittel
70
20,8
2,2
13,7
Hypnotika (pflanzliche)
96
12
0,8
14,3
Immunstimulantien
88
10,7
1
11,6
Immunstimulantien (Zytostatika)
65
6,9
6,6
6,8
Koronarmittel
67
0,5
1,8
0,5
Laxantien
193
1,8
2,5
6,7
Lipidsenker (andere)
103
5,4
7,8
9,1
Magnesiumpräparate
193
0,1
3,1
4,7
Expektorantien Expektorantien-Antibiotika-Kombinationen
1
35 1.8 Umstrittene Arzneimittel
. Tabelle 1.7 (Fortsetzung) Arzneimittelgruppen
Verordnungen
Nettokosten
In Tsd.
In Mio. C
Änderung %
Änderung %
9
26,8
0,2
Mund- und Rachentherapeutika
702
5,6
5,2
Muskelrelaxantien (Tolperison etc.)
329
4,1
25
5,5
Ophthalmika (sonstige)
342
0,4
2
1,9
3.215
3,8
45,1
4,4
Otologikakombinationen (Antibiotika)
56
32,4
0,9
33
Otologikakombinationen (Corticoide)
156
8,9
2,1
9
98
24,1
0,7
22,4
Prokinetika (pflanzliche)
120
26,1
1,3
25,3
Psychopharmaka (pflanzliche)
295
1,9
13,4
4,2
Rheumamittel (Externa)
105
14,8
1.006
5,1
8,2
3,7
Spasmolytika (sonstige)
259
3,3
7,1
4,2
Tiaprid
134
3,4
7
4,5
Urologika (Antiinfektiva + pflanzliche)
151
2,5
5,2
1,4
1.995
1,9
103,1
1,7
Weitere Einzelpräparate
435
3,2
21,5
21,3
Wundbehandlungsmittel (Dexpanthenol etc.)
259
5
1,6
12,3
96
5,7
2,6
3,9
23.765
3,2
506,0
0,0
Migränemittelkombinationen
Ophthalmikakombinationen (Antibiotika)
Pankreasmittel (pflanzliche)
Rhinologikakombinationen
Urologika (Spasmolytika)
Wundbehandlungsmittel (sonstige) Summe
auf zwei anthroposophische Präparate (Cardiodoron, Cardiodoron RH) sind alle anderen Präparate nicht verschreibungspflichtig und dürfen daher nicht an Erwachsene verordnet werden. Insgesamt haben die GKV-Ausgaben für Homöopathika etwa 20 Mio. C betragen (Deutsches Ärzteblatt 2019b). Die allermeisten Homöopathika werden jedoch von den Patienten selbst bezahlt, denn der Apothekenumsatz lag 2018 bei 380 Mio. C. Schon vor 15 Jahren
1
29 3,7
16
wurde das Ende der Homöopathie prophezeit, als die Schweizer Regierung die Versicherungsleistungen für Homöopathie und weitere komplementäre Behandlungsmethoden eingestellt hatte, weil sie die geforderten Wirksamkeitskriterien nicht erfüllt hatten (Editorial 2005). Genau wie damals vermittelt die erneute Diskussion jedoch den Eindruck, dass die Popularität der Homöopathie umso größer zu sein scheint, je verdünnter die Evidenz ist.
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
2,5
180
1
2,2
Umsatz Verordnungen
2,2
160 162
152
2,0 2,0
140 142
Verordnungen (Mio.)
120
1,8
123 1,5
100
80 0,9
1,0
0,9 0,8
60
0,8
0,8
0,8
0,8 0,7
54 40
0,7
0,7
0,7
0,7 0,6
52 44
43
41
39
Umsatz (Mrd. Euro)
36
0,6
0,6
0,6 0,5
35
32
20
30
30
28
27
26
25
25
24
0
0,0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
. Abb. 1.7 Verordnungen und Umsatz umstrittener Arzneimittel von 2000 bis 2019
. Tabelle 1.8 Verordnungen von Homöopathika und anthroposophischen Arzneimitteln 2019. Angegeben sind Präparat, Bestandteile, definierte Tagesdosen (DDD), DDD-Änderung gegenüber 2018, mittlere DDD-Nettokosten und Nettokosten Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Nettokosten
Mio.
%
C
Mio. C
Cardiodoron
Hyoscyamus niger herba Onopordum acanth. flos Primula veris flos
2,60
2,4
0,39
1,04
Meditonsin
Aconitum D5 Atropinum sulf. D5 Mercurius cyanatus D8
1,60
20,9
0,29
0,46
Cardiodoron RH
Onopordum acanthium Primula veris Hyoscyamus niger
1,40
0,7
0,40
0,56
Euphrasia Augentropfen Wala
Euphrasia D3 Rosae aetherol. D7
1,00
C7,1
0,92
0,92
Tonsipret
Capsicum annum dil. D3 Guaiacum dil. D3 Phytolacca americana Ø
0,90
7,9
0,83
0,75
Euphrasia Augentropfen Weleda
Euphrasia D3
0,82
1,6
0,16
0,13
1
37 1.9 Wirtschaftlichkeitsreserven von Arzneimitteln
. Tabelle 1.8 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Nettokosten
Mio.
%
C
Mio. C
Traumeel S Salbe
Arnika D3 + 12 weitere Bestandteile
0,75
6,0
0,28
0,35
Euphorbium comp SN Spray
Euphorbium D4 + 5 weitere Bestandteile
0,58
11,1
0,57
0,33
Viburcol N
Chamomilla D1 + 4 weitere Bestandteile
0,53
14,8
0,86
0,46
Carum Carvi Wala
Atropa belladonna D2 Chamomilla recutita Ø Nicotiana tabacum D4
0,40
27,3
1,23
0,49
Contramutan
Echin. Angustifolia Ø + 3 weitere Bestandteile
0,32
10,9
2,09
0,67
Fieber- u. Zahnungsalbe Weleda
Atropa belladonna D2
0,05
3,4
2,51
0,13
Sinusitis Hevert SL
Apis D4 + 10 weitere Bestandteile
0,04
9,9
3,56
0,14
Summe
1.9
DDD
Wirtschaftlichkeitsreserven von Arzneimitteln
Seit 1998 werden im Arzneiverordnungs-Report Wirtschaftlichkeitsreserven von Arzneimitteln dargestellt, die bis 2009 im Bereich Generika, Analogpräparate und umstrittene Arzneimittel ermittelt wurden. Ein erster großer Erfolg bei der Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven war der erwähnte Verordnungsrückgang der umstrittenen Arzneimittel mit einer Einsparung von insgesamt 4,6 Mrd. C, der seit 1992 durch eigenständige Sparanstrengungen der Ärzteschaft ohne Unterstützung durch gesetzliche Regelungen erreicht wurde (Kassenärztliche Bundesvereinigung 2000). Das wichtigste Instrument zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven ist die Neubildung und Aktualisierung von Festbetragsgruppen für Arzneimittel (§ 35 SGB V). Seit 1989 hat sich das mit dem Gesund-
10,99
6,57
heitsreformgesetz (GRG) eingeführte Festbetragssystem mit Erstattungshöchstgrenzen für Arzneimittel als erfolgreiche Maßnahme zur Kostenstabilisierung etabliert. Der G-BA bestimmt die einzelnen Arzneimittelgruppen, für die Festbeträge festgesetzt werden können. Festbeträge stellen dabei eine indirekte Form der Preissteuerung dar, da sie nicht direkt in die Preisfestlegung eingreifen, sondern Erstattungshöchstgrenzen setzen. Referenzpreissysteme werden dabei allgemein als weniger restriktiv angesehen als direkte Preiskontrollen, weil mit diesem Instrument ein wirksamer Preiswettbewerb gefördert wird, ohne dass die therapeutisch notwendige Arzneimittelauswahl und die Versorgungsqualität eingeschränkt werden. Deutschland gehört im internationalen Vergleich zu den Pionieren bei der Etablierung von Referenzpreissystemen. Die Preisstabilität für Arzneimittel im deutschen Arzneimittelmarkt ist seit 1989 im Wesentlichen ein Erfolg der Festbeträge (Kanavos und Reinhardt 2003). Arzneimittel für alle drei
38
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
Festbetragsgruppen haben zum Juni 2019 insgesamt Einsparungen von 8,2 Mrd. C pro Jahr erreicht (GKV-Spitzenverband 2019). Ein weiterer Erfolg war 2006 das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung (AVWG), mit dem Defizite bei der Steuerung der Arzneimittelausgaben beseitigt wurden. Schon bald nach Inkrafttreten des Gesetzes gingen die Einsparpotenziale vor allem von Analogpräparaten zurück (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2007, Kap. 1, Tab. 1.8). Hauptgründe waren die Anpassung von Festbeträgen, aber auch die Mehrverordnung preiswerter Generika von teuren Analogpräparaten. Wesentlichen Anteil hatte eine Initiative der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein mit einer Liste von 187 Analogpräparaten (Me-too-Liste), die trotz heftiger juristischer Gegenwehr zahlreicher pharmazeutischer Unternehmer vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen und anderen Sozialgerichten bestätigt wurde (Grill 2007). Sie wurde von mehreren Kassenärztlichen Vereinigungen übernommen und ist auch weiterhin ein Instrument für eine wirtschaftliche Arznei-
verordnung von Bestandsmarktarzneimitteln. Mit dem Patentablauf vieler Analogpräparate stehen allerdings nur noch 19 Arzneimittel (Vorjahr 21) auf der aktuellen Me-tooListe (Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein 2020). Eine entscheidende Rolle zur Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven haben die Krankenkassen durch die Möglichkeit erhalten, mit Herstellern kassenspezifische Arzneimittelrabattverträge abzuschließen (§ 130a Abs. 8 SGB V). Seit die Apotheken im April 2007 verpflichtet wurden, die kassenspezifischen Rabattverträge bei der Arzneimittelabgabe vorrangig zu bedienen, wurde eine umfangreiche und jährlich wachsende Senkung der Arzneimittelausgaben erreicht. Im Jahre 2019 ist der GKV-Rabattbetrag auf 4.882 Mio. C gestiegen und entspricht damit 11,1 % der Arzneimittelausgaben (. Tab. 1.1). Mit dem AMNOG wurde ein grundlegender Durchbruch bei der Mobilisierung von Wirtschaftlichkeitsreserven patentgeschützter Arzneimittel erzielt. Mit dem Inkrafttreten des
. Tabelle 1.9 Bruttoumsatz für Arzneimittel mit Erstattungsbeträgen und Einsparung durch Erstattungsbeträge im Fertigarzneimittelmarkt gemäß § 130b SGB V. Angaben nach Arzneiverordnungs-Report 2012 bis 2019. Ab 2015 mit Einsparungen aus individuellen parenteralen Zubereitungen Jahr
Bruttoumsatz
Einsparung durch Erstattungsbeträge
Mio. C
Mio. C
2012
670
25
AVR 2013, Seite 179
2013
833
150
AVR 2014, Tab. 4.4
2014
1.979
443
AVR 2015, Seite 225
2015
4.339
925
AVR 2016, Seite 160
2016
5.094
1.350
AVR 2017, Abschn. 5.1.2
2017
6.713
1.750
AVR 2018, Kap. 6
2018
8.736
2.650
AVR 2019, Kap. 7
2019
12.680
3.610
Berechnung des WIdO
Summe
10.903
Quelle
39
1
Literatur
AMNOG wurde erstmals eine verpflichtende Bewertung des Zusatznutzens von Arzneimitteln in Deutschland eingeführt und eine jahrzehntelange Sonderstellung des deutschen Arzneimittelmarktes beendet. Die maßgebende Grundlage für die angestrebten Einsparungen waren internationale Preisvergleiche von patentgeschützten Arzneimitteln, mit denen eine Gesamtentlastung von rund 2 Mrd. C pro Jahr für die GKV geschätzt wurde (Deutscher Bundestag 2010). In den ersten Jahren lagen die Sparerfolge allerdings noch weit unter den ursprünglichen Erwartungen, weil nachträglich mehrere Beschränkungen der Nutzenbewertung durch gesetzliche Änderungen eingeführt wurden. Im Jahre 2019 wurden jedoch 3.610 Mio. C durch Erstattungsbeträge eingespart, womit die ursprünglich anvisierten jährlichen Einsparungen inzwischen weit übertroffen wurden (. Tab. 1.9). Die Summe aller AMNOG-Einsparungen in der Zeit von 2012 bis 2019 beträgt insgesamt 10,903 Mrd. C.
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40
1
Kapitel 1 Arzneiverordnungen 2019 im Überblick
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43
2
Neue Arzneimittel 2019 Uwe Fricke, Lutz Hein und Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Trend Im Jahr 2019 wurden 31 neue Wirkstoffe in Deutschland auf den Markt gebracht und damit etwas weniger als im Vorjahr (37 Arzneimittel). Davon wurden 10 neue Wirkstoffe als Orphan-Arzneimittel zugelassen. Weitere Neueinführungen betrafen patentgeschützte Arzneimittel mit neuen Indikationen bereits bekannter Wirkstoffe (37 Präparate) sowie neue Kombinationen bekannter Wirkstoffe (8 Präparate). Bewertung Auf Innovationen entfielen 2019 insgesamt 13 Wirkstoffe mit einem neuartigen Wirkmechanismus. Beachtenswert sind zwei weitere gentherapeutische Arzneimittel (Axicabtagen-Ciloleucel, Voretigen Neparvovec). Sechs Wirkstoffe wiesen verbesserte pharmakodynamische oder pharmakokinetische Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien auf. Die Gruppe der Analogpräparate war 2019 mit 13 Wirkstoffen vertreten. Die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel zeigte bei 13 der 31 neuen Wirkstoffe einen Zusatznutzen in mindestens einer bewerteten Teilindikation gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie. Bei 13 neuen Arzneimitteln ergab die frühe Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen. Fünf weitere neue Wirkstoffe wurden nicht bewertet, weil es sich um patentfreie Wirkstoffe oder andere formale Ausschlussgründe handelte.
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 31 neuartige Arzneistoffe in den Markt eingeführt (. Tab. 2.1). Die Zahl dieser jährlich neu eingeführten Wirkstoffe zeigte seit 2010 zunächst einen leicht rückläufigen Trend, hatte sich aber 2014 gegenüber dem Vorjahr mit 46 Neueinführungen fast verdoppelt und damit die höchste Zahl seit 2001 erreicht (. Abb. 2.1). Die Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen werden seit 1987 im Arzneiverordnungs-Report mit den pharmakologisch-therapeutischen Bewertungen nach der Methode von Fricke und Klaus (siehe Fricke 2000) tabellarisch dargestellt. Seit dem Jahr 2000 werden zusätzlich kurze Charakterisierungen der einzelnen neuen Wirkstoffe gegeben. Nach Inkrafttreten des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) im Jahre 2011 werden auch die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertungen durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einbezogen. Darüber hinaus werden seit 2011 neue Arzneimittel mit neuen Indikationen oder neuen Kombinationen bekannter Wirkstoffe analysiert.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_2
44
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.1 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen 2019. Zusatznutzen gemäß Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), bei mehreren Indikationssubgruppen mit der jeweils höchsten Nutzenbewertung. Die pharmakologisch-therapeutische Bewertung erfolgte nach der Methode von Fricke und Klaus (Fricke 2000): A: Innovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz, B: Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Eigenschaften bereits bekannter Wirkprinzipien, C: Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten, D: Nicht ausreichend gesichertes Wirkprinzip oder unklarer therapeutischer Stellenwert. Zulassungsstatus: O = OrphanArzneimittel, C = Zulassung mit Auflagen (conditional approval), E = Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen (exceptional circumstances) Wirkstoff
Handelsname ZulassungsEinführung inhaber
Indikation
Bewertung Zusatznutzen
Andexanet alfa
Ondexxya 01.09.2019
Portola Netherlands
Aufhebung der Antikoagulation durch Faktor XaInhibitoren (Apixaban oder Rivaroxaban)
A
Nicht belegt
Anthrax AdsorbatImpfstoff
BioThrax 01.05.2019
Emergent Sales
Immunisierung gegen Bacillus anthracis
A
Keine Bewertung
Apalutamid
Erleada 01.02.2019
Janssen
Nicht metastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom
C
Gering
Axicabtagen-Ciloleucel
Yescarta (O) 01.12.2019
Kite Pharma
Diffus großzelliges BZell-Lymphom und primär mediastinales großzelliges B-Zell-Lymphom
B
Nicht quantifizierbar
Brigatinib
Alunbrig 15.01.2019
Takeda
ALK-positives, fortC geschrittenes, nichtkleinzelliges Lungenkarzinom nach Behandlung mit Crizotinib
Nicht belegt
Cannabidiol
Epidyolex (O) GW Pharma 15.10.2019
Krampfanfälle bei LennoxGastaut-Syndrom oder Dravet-Syndrom
A
Nicht quantifizierbar
Cemiplimab
Libtayo 01.08.2019
Regeneron Ireland
Metastasiertes oder lokal fortgeschrittenes kutanes Plattenepithelkarzinom
C
Nicht belegt
Chlormethin
Ledaga 15.05.2019
Recordati Kutanes T-Zell-Lymphom Rare Diseases (MF-CTCL) des Typs Mycosis fungoides
B
Keine Bewertung
Dacomitinib
Vizimpro 01.05.2019
Pfizer
Erstlinienbehandlung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms mit aktivierenden EGFR-Mutationen
C
Nicht belegt
Damoctocog alfa pegol
Jivi 01.01.2019
Bayer
Hämophilie A
C
Nicht belegt
Darvadstrocel
Alofisel (O) 01.12.2019
Takeda
Komplexe perianale Fisteln bei mit nicht-aktivem/ gering-aktivem luminalen Morbus Crohn
A
Nicht quantifizierbar
2
45 Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Wirkstoff
Handelsname ZulassungsEinführung inhaber
Indikation
Bewertung Zusatznutzen
Doravirin
Pifeltro 15.01.2019
MSD
HIV-Infektion
C
Nicht belegt
Doravirin + Lamivudin + Tenofovirdisoproxil
Delstrigo 15.01.2019
MSD
HIV-Infektion
C
Nicht belegt
Fremanezumab
Ajovy 15.05.2019
TEVA
Migräneprophylaxe bei B mindestens 4 Migränetagen pro Monat
Beträchtlich
Galcanezumab
Emgality 01.04.2019
Eli Lilly
Migräneprophylaxe bei B mindestens 4 Migränetagen pro Monat
Beträchtlich
Gilteritinib
Xospata (O) 01.12.2019
Astellas
Akute myeloische Leukämie (AML) mit einer FLT3-Mutation
Beträchtlich
Humane allogene mesenchymale Stromazellen
Obnitix 15.09.2019
Medac
Steroidrefraktäre, akuA te GvHD-Reaktion (Grad II–IV) nach allogener Stammzelltransplantation
Keine Bewertung
Lanadelumab
Takhzyro (O) 01.02.2019
Shire
Prophylaxe von Attacken des hereditären Angioödems
A
Beträchtlich
Larotrectinib
Vitrakvi 15.10.2019
Bayer
Tumoren mit einer neurotrophen Tyrosinrezeptorkinase-Genfusion
A
Nicht belegt
Lorlatinib
Lorviqua 01.06.2019
Pfizer
ALK-positives, fortgeschrittenes, nichtkleinzelliges Lungenkarzinom
C
Nicht belegt
Lutetium (177Lu) Oxodotreotid
Lutathera (O) 01.04.2018
Advanced Accelerator Applications
Nicht resezierbare oder metastatische, Somatostatinrezeptor-positive gastroenteropankreatische neuroendokrinen Tumoren
A
Freigestellt
Neratinib
Nerlynx 01.12.2019
Pierre Fabre
Hormonrezeptor-positiver, HER2-überexprimierter/ amplifizierter Brustkrebs
C
Gering
Pegvaliase
Palynziq (O) 01.07.2019
BioMarin
Phenylketonurie
A
Nicht quantifizierbar
Ravulizumab
Ultomiris 01.08.2019
Alexion
Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
B
Nicht belegt
Risankizumab
Skyrizi 01.06.2019
AbbVie
Mittelschwere bis schwere Plaque-Psoriasis
C
Beträchtlich
B
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
46
. Tabelle 2.1 (Fortsetzung) Wirkstoff
Handelsname ZulassungsEinführung inhaber
Indikation
Ropeginterferon alfa 2b
Besremi 15.09.2019
AOP Orphan
Polycythaemia vera ohne A/C symptomatische Splenomegalie
Nicht belegt
Rucaparib
Rubraca 01.03.2019
Clovis Oncology
Platinsensitives, rezidiviertes, high-grade epitheliales Ovarial-, Eileiter- oder primäres Peritonealkarzinom
C
Nicht belegt
Turocog alfa pegol
Esperoct 01.08.2019
Novo Nordisk Hämophilie A
C
Nicht belegt
Volanesorsen
Waylivra (O) 15.08.2019
Akcea Therapeutics
Familiäres Chylomikronämie Syndrom
A
Nicht quantifizierbar
Vonicog alfa
Veyvondi 15.01.2019
Baxalta Innovations
Von-Willebrand-Syndrom
A
Keine Bewertung
Voretigen Neparvovec
Luxturna (O) 15.04.2019
Novartis Euro- Sehverlust aufgrund pharm einer erblichen Netzhautdystrophie
A
Beträchtlich
2
Bewertung Zusatznutzen
50 46
Gesamtzahl Innovation Verbesserung 40
34
33
33 Zahl der Arzneistoffe
31
31 29
28
30
27
22 20
23
20
21 15
17
17
17 16
2002
2003
13
8
7 5
0 2001
14
14
15
12
10
3
18
17 15
15
7
31
27 23
10
37
37
36
3
2004
9
8
7 5
4 2
2005
5
4
13
9
8 6
5
4
6 3
5 2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Jahr der Markteinführung
. Abb. 2.1 Markteinführung neuer Arzneistoffe mit der Anzahl innovativer und verbesserter Wirkstoffe von 2001 bis 2019
47 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
2.1
Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
Fast alle 31 neuen Arzneimittel des Jahres 2019 mit bisher nicht allgemein bekannten Wirkstoffen wurden zentral durch die European Medicines Agency (EMA) zugelassen. Zwei Arzneimittel erhielten durch das PaulEhrlich-Institut (PEI) eine nationale Zulassung (Anthrax Adsorbat-Impfstoff) bzw. eine Genehmigung (Humane allogene mesenchymale Stromazellen). Nationale Zulassungen haben damit nur noch eine geringe Bedeutung für den Marktzugang neuer Wirkstoffe. Seit 1998 besteht die Verpflichtung für das zentrale europäische Zulassungsverfahren für gentechnisch hergestellte Arzneimittel. Das EU-Zulassungsverfahren ist optional, wenn neue oder in der EU bisher noch nicht zugelassene Wirkstoffe in mehr als einem Mitgliedstaat der EU in den Verkehr gebracht werden sollen. Daneben gibt es das nationale Zulassungsverfahren durch das BfArM und das PEI sowie das dezentrale Zulassungsverfahren als gegenseitiges Anerkennungsverfahren innerhalb von 90 Tagen, wenn eine Zulassung bereits in einem anderen Mitgliedsstaat der EU besteht. Der Schwerpunkt des nationalen Zulassungsverfahrens liegt im Bereich neuer Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen in neuen Kombinationen (siehe 7 Abschn. 2.3). Bei den neuen Indikationen bekannter Arzneimittel gab es 2019 nur Zulassungen durch die EMA. Die pharmakologisch-therapeutische Bewertung der 31 neuen Wirkstoffe zeigt, dass 13 Substanzen als innovativ (Kategorie A) klassifiziert wurden (. Tab. 2.1). Dazu gehört Voretigen Neparbovec (Luxturna) als erstes Arzneimittel für die Gentherapie von erblichen Netzhautdystrophien durch biallelische RPE65-Mutationen, das als Einzelstrang-DNA des gesunden RPE65-Gens in die Retina injiziert wird. Sechs weitere Wirkstoffe weisen gegenüber bereits verfügbaren Arzneistoffen mit gleicher Indikation Verbesserungen auf, die sowohl pharmakodynamische als auch pharmakokinetische Eigenschaften betreffen (B).
2
In die Gruppe der Analogpräparate (C) wurden 12 Wirkstoffe eingestuft, da sie keine oder nur marginale pharmakologische Unterschiede gegenüber vergleichbaren Arzneimitteln haben. Die Nutzenbewertung hat bei den meisten Analogpräparaten keinen Zusatznutzen ergeben. Lediglich Risankizumab (Skyrizi) erreichte bei einer Patientensubgruppe einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (7 Abschn. 2.1.25). Die Bewertung des frühen Zusatznutzens durch den G-BA nach der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung des Bundesministers für Gesundheit (2010) hat für 13 der 31 neuen Wirkstoffe einen Zusatznutzen ergeben (. Tab. 2.1). Sechs neue Wirkstoffe hatten einen beträchtlichen Zusatznutzen (Fremanezumab, Galcanezumab, Gilterinib, Lanadelumab, Risankizumab, Voretigen Neparvovec) in mindestens einer Teilindikation. Zwei neue Wirkstoffe hatten in mindestens einer Teilindikation einen geringen Zusatznutzen. Schließlich erreichten fünf weitere Wirkstoffe einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Auffälligerweise gehören alle diese Wirkstoffe zur Gruppe der Orphan-Arzneimittel, deren medizinischer Zusatznutzen allein schon durch die EMA-Zulassung als belegt gilt. Bei 13 Arzneimitteln war in keiner der bewerteten Teilindikationen ein Zusatznutzen belegt. Schließlich wurden bei fünf neu eingeführten Arzneimitteln aus verschiedenen Gründen keine frühen Nutzenbewertungen vom G-BA durchgeführt. Von den 31 neuen Arzneimitteln des Jahres 2019 haben vier neue Wirkstoffe und drei neue Wirkstoffkombinationen im Jahr ihrer Einführung mehr als 100.000 DDD erreicht (. Tab. 2.2). Die pharmakologisch-therapeutischen Eigenschaften und der Zusatznutzen der neuen Wirkstoffe werden im Folgenden unter Berücksichtigung der zulassungsrelevanten klinischen Studien dargestellt. Darüber hinaus werden entsprechend den Anforderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V, § 73, Abs. 8) rechnerisch mittlere Tagesbehandlungskosten mit den Preisen des Jahres 2020 (Stand 1. April 2020) angegeben. Sie werden
48
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.2 Verordnungen von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen bekannter Wirkstoffe 2019. Angegeben sind definierte Tagesdosen (DDD) der Präparate mit mindestens 0,1 Mio. DDD, Nettokosten und DDD-Kosten im Jahr 2019
2
Präparat
Wirkstoff
DDD
Nettokosten
DDD-Kosten
Mio.
Mio. C
C
Neue Wirkstoffe Skyrizi
Risankizumab
0,27
17,46
64,20
Emgality
Galcanezumab
0,22
4,77
21,35
Ajovy
Fremanezumab
0,11
2,35
21,41
Erleada
Apalutamid
0,11
15,30
139,60
0,72
39,89
55,78
Neue Wirkstoffkombinationen Tonotec HCT
Ramipril Amlodipin Hydrochlorothiazid
0,34
0,21
0,62
Dovato
Lamivudin Dolutegravir
0,24
6,33
26,49
Delstrigo
Lamivudin Tenofovirdisoproxil Doravirin
0,22
5,74
26,15
0,80
12,28
15,31
1,52
52,17
34,32
Summe
in der Regel anhand der größten therapierelevanten Packungsgröße auf der Basis der von der WHO (WHO Collaborating Centre for Drug Statistics Methodology 2020) bzw. in der Amtlichen Fassung des ATC-Index mit DDDAngaben für Deutschland im Jahr 2020 festgelegten definierten Tagesdosen (DDD) berechnet (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2020a). Sind keine entsprechenden Angaben verfügbar, wird die DDD nach der Herstellerempfehlung aus der Fachinformation ermittelt. Die DDD-Angaben sind eine rechtssichere Grundlage für die Bestimmung von Tagestherapiekosten, durch die dem Arzt der Vergleich von Arzneimittelkosten erleichtert werden soll. Sie gewährleisten für alle Präparate einen einheitlichen Bezug für die Angabe von Tagestherapiekosten. Die Preisangaben neuer Arzneimittel beziehen sich
auf die Apothekenverkaufspreise (Listenpreise) bei der Markteinführung sowie auf die Erstattungsbeträge, sofern die Verhandlungen des GKV-Spitzenverbandes mit den Herstellern oder die Entscheidungen der Schiedsstelle abgeschlossen sind. Kassenspezifische Rabattverträge der Krankenkassen gemäß § 130a Abs. 8 SGB V wurden nicht berücksichtigt. Die aktuellen Bruttokosten (Apothekenverkaufspreise ohne GKV-Rabatte) der vom G-BA bewerteten neuen Arzneimittel wurden der Lauertaxe entnommen.
2.1.1
Andexanet alfa (A)
Andexanet alfa (Ondexxya) wurde am 26. April 2019 von der EMA zur Aufhebung
49 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
der Antikoagulation mit einem direkten Faktor Xa (FXa)-Inhibitor (Apixaban oder Rivaroxaban) bei Erwachsenen im Krankenhaus mit einer lebensbedrohlichen oder nicht kontrollierbaren Blutung zugelassen. Ondexxya wurde am 1. September 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Seit 2008 haben oral applizierbare Faktor Xa- und Thrombininhibitoren als direkte Antikoagulantien das pharmakologische Spektrum der Antithrombotika erweitert und werden in den vergangenen Jahren zunehmend häufiger verordnet (7 Kap. 16, 7 Abschn. 16.1.2). Während die ersten Substanzen dieser Gruppe zur Prophylaxe von Venenthrombosen nach operativem Ersatz von Hüft- oder Kniegelenken zugelassen wurden, werden sie nun auch zur Vermeidung von Thromboembolien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern, zur Therapie und Sekundärprophylaxe von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien eingesetzt. Wie für andere Antithrombotika besteht auch für Faktor Xa-Inhibitoren ein erhöhtes Risiko für schwere und tödliche Blutungsereignisse (7 Kap. 16, 7 Abschn. 16.1.2). Andexanet alfa ist das erste zugelassene spezifische Antidot zur Behandlung von Blutungen bei einer Therapie mit den FXa-Inhibitoren Apixaban und Rivaroxaban. Andexanet alfa ist eine rekombinante Form des humanen Gerinnungsfaktors FXa, die in einer Ovarialzelllinie des Chinesischen Hamsters hergestellt wird und bei der gegenüber dem nativen Protein verschiedene Modifikationen eingefügt wurden (Heo 2018; Powell et al. 2019). Zum einen wurde die enzymatische Aktivität durch eine Serin- zu Alanin-Mutation im aktiven Zentrum ausgeschaltet, so dass Andexanet alfa nicht mehr in der Lage ist, Prothrombin zu Thrombin zu aktivieren. Außerdem wurde die ”-Carboxyglutaminsäure-Domäne, die für die Bildung des Prothrombin-Komplexes wichtig ist, deletiert. Andexanet alfa bindet mit hoher Affinität direkte FXa-Hemmer und kann damit ihre antikoagulatorische Aktivität aufheben. Zugelassen wurde die Substanz für Patienten, die mit Apixaban oder Rivaroxaban therapiert werden. Für weitere FXa-Hem-
2
mer liegen keine ausreichenden Daten vor. Ob weitere Effekte, z. B. die Hemmung des Gewebefaktor-Pathway-Inhibitors, zur klinischen Wirkung von Andexanet alfa beitragen, ist bisher nicht abschließend geklärt (Powell et al. 2019). Im Falle einer schweren Blutung wird Andexanet alfa als Bolus gefolgt von einer Infusion intravenös appliziert. Die Bindung von im Plasma vorhandenem Apixaban oder Rivaroxaban tritt innerhalb der ersten Minuten nach Applikation ein. Andexanet alfa wird mit einer Eliminationshalbwertszeit von 4–7 h im Plasma durch Proteasen abgebaut. Wirksamkeit und Sicherheit von Andexanet alfa wurden zunächst in einer placebokontrollierten Studie an gesunden Probanden überprüft, die Apixaban oder Rivaroxaban erhielten (Siegal et al. 2015). Das Antidot führte innerhalb von 2 min nach Ende der Bolusapplikation zur maximalen Aufhebung der Anti-FXa-Aktivität und dieser Effekt kehrte innerhalb von 2 h nach Ende der Bolusapplikation bzw. Infusion auf Ausgangswerte zurück (Siegal et al. 2015). In der ANNEXA-4-Phase IIIb/IV-Studie bei Patienten mit einer schweren Blutung während einer Apixaban- bzw. Rivaroxaban-Therapie wurde die hämostatische Wirksamkeit von Andexanet alfa bei akuten schweren Blutungen getestet (Connolly et al. 2019). Bei insgesamt 352 Patienten waren 64 % der Ereignisse intrakranielle Blutungen sowie 26 % gastrointestinale Blutungen. Andexanet alfa reduzierte die Anti-FXa-Aktivität von Apixaban innerhalb weniger Minuten im Median um 93,4 % und von Rivaroxaban um 92,5 %. Die hämostatische Wirksamkeit wurde bei 81,9 % der Patienten als gut bis sehr gut klassifiziert. Bei 10,2 % (36 von 352 Patienten) kam es innerhalb von 30 Tagen zu Thromboembolien und 15,4 % der Patienten verstarben. Es ist unbekannt, ob dies Ausdruck des thrombotischen Risikos der Patienten ist oder ob Andexanet alfa eine eigene prothrombotische Wirkung besitzt. Weiter ist ungeklärt, ob Andexanet alfa der bisherigen Standardtherapie mit PPSB-Faktorenkonzentrat überlegen ist. Im indirekten Vergleich wirkte Andexanet alfa bei Blutungen unter Faktor-Xa-Inhibitoren, wenn
50
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
überhaupt, klinisch nur unwesentlich besser als die Faktorenkonzentrate (Majeed et al. 2017; Smith et al. 2019). Im Rahmen der Zulassung wurde der Hersteller dazu verpflichtet, bis 2023 eine randomisierte Vergleichsstudie für Andexanet alfa vorzulegen. Die Nutzenbewertung durch den G-BA hat keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Andexanet alfa im Vergleich zu der festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie mit der optimierten Standardtherapie ergeben, da keine für den Vergleich geeigneten Daten vorliegen (Bundesministerium für Gesundheit 2020a). Die Therapiekosten von Ondexxya betragen in Abhängigkeit vom Dosierungsschema 19.040–34.272 C. Fazit Andexanet alfa (Ondexxya) ist ein re-
kombinanter, modifizierter humaner Gerinnungsfaktor Xa, der bei schweren bedrohlichen Blutungen die direkten Antikoagulantien Apixaban oder Rivaroxaban binden und damit deren gerinnungshemmende Wirkung aufheben kann. Vergleichsstudien mit PPSB-Faktorenkonzentrat liegen bisher nicht vor.
2.1.2
Anthrax AdsorbatImpfstoff (A)
Anthrax Adsorbat-Impfstoff (Anthrax Vaccine Adsorbed, AVA) (BioThrax) ist eine sterile Suspension aus zellfreien Filtraten von mikroaerophilen Kulturen eines nicht virulenten und nicht verkapselten Stammes des Bakteriums Bacillus anthracis zur aktiven Immunisierung als Prävention gegen Erkrankungen durch das Bakterium Bacillus anthracis bei Erwachsenen von 18 bis 65 Jahren, die auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit oder anderer Aktivitäten dem Risiko einer Exposition ausgesetzt sind, unabhängig von der Art der Exposition. Der Anthrax-Impfstoff wurde am 24. Juni 2013 vom Paul-Ehrlich-Institut zugelassen und ist seit 1. Mai 2019 in Deutschland verfügbar. Milzbrand ist eine seltene Zoonose, die durch den aeroben Sporenbildner Bacillus an-
thracis verursacht wird. Die Sporen kommen als Umweltkeime im Erdboden vor und können dort über viele Jahre überdauern. Ein geringes Infektionsrisiko besteht bei der Verarbeitung von Tiermaterial und bei Kontakt mit infizierten Tieren in der Landwirtschaft und der Tiermedizin. In Deutschland gab es 1994 den letzten Fall von Hautmilzbrand. Nach einer Freisetzung von Milzbrandsporen aus einer Fabrik für biologische Kampfstoffe in Jekaterinburg erkrankten 1979 77 Personen an Lungenmilzbrand, von denen 66 verstarben. Bei bioterroristischen Anschlägen in den USA sind 2001 nach der Versendung von Briefen mit speziellen Sporenzubereitungen 22 Milzbrandinfektionen mit fünf Todesfällen aufgetreten. In Europa wurde über Milzbrandinfektionen bei Drogenabhängigen nach intravenösem Konsum von vermutlich kontaminiertem Heroin berichtet. Für die Therapie von Milzbrandinfektionen werden mehrere Antibiotika und insbesondere Ciprofloxacin empfohlen, da sie die Bakteriämie reduzieren. Antibiotika haben jedoch keine direkte Wirkung auf das Anthraxtoxin, das für den Großteil der Morbidität und Mortalität bei einer Anthraxinfektion verantwortlich ist (Übersicht bei Biederbick et al. 2002). Nach den Anthraxanschlägen in den USA wurden mehrere Strategien zur Vorbeugung und Behandlung von Anthraxinfektionen verfolgt (Impfung, Antibiotikatherapie, neutralisierende Antikörper). Der Anthrax AdsorbatImpfstoff (Biothrax) wurde in den USA bereits 1970 von der FDA zugelassen. Entscheidend für die Pathogenese von Milzbrandinfektionen ist das von Bacillus anthracis sezernierte Anthraxtoxin, das aus drei monomeren Protein-Komponenten (Protektives Antigen, LethalFaktor, Ödem-Faktor) besteht. Einzeln sind diese Proteine nicht zytotoxisch, die Kombination der drei Proteine führt jedoch zur Bildung des zytotoxischen Letaltoxins bzw. Ödemtoxins. Die Schutzwirkung des Anthrax Adsorbat-Impfstoffs beruht im Wesentlichen auf der Antikörperbildung gegen das Protektive Antigen, wodurch Aktivität dieser Toxinkomponente neutralisiert wird. Die Zulassung des An-
51 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
thrax Adsorbat-Impfstoffs basierte ursprünglich auf einer kontrollierten Feldstudie mit einer früheren Variante des protektiven Antigenbasierten Anthrax-Impfstoffs, die in den Jahren 1955 bis 1959 an 1.249 Textilfabrikarbeitern mit einer damals noch hohen jährlichen Infektionsrate (1,2 Fälle pro 100 Arbeiter) durchgeführt wurde (Brachman et al. 1962). Während der fünfjährigen Studie wurden 26 Fälle von Milzbrand gemeldet, davon 17 Infektionen in der Placebogruppe und 6 Infektionen in der nichtgeimpften Beobachtungsgruppe, während in der Anthraximpfstoffgruppe nur 3 Infektionen auftraten. Die berechnete Wirksamkeit des Impfstoffs in Bezug auf die Prävention aller Arten von Erkrankungen durch Milzbranderreger betrug 92,5 %. Die Bruttokosten der Grundimmunisierung von BioThrax (1 5 ml 50 g Anthraxantigenfiltrat, Listenpreis 1.119,96 C, 3-Dosen-Schema mit jeweils 0,5 ml i. m. in den Monaten 0, 1 und 6) betragen 3.359,88 C. Fazit Anthrax Adsorbat-Impfstoff (BioThrax) wurde zur Prävention gegen Erkrankungen zugelassen, die durch Bacillus anthracis bei Erwachsenen mit Expositionsrisiko verursacht werden. Die Zulassung des Impfstoffs beruht auf einer mehrjährigen kontrollierten Feldstudie, die für die Prävention von Milzbrandinfektionen eine Wirksamkeit von 92,5 % gezeigt hatte.
2.1.3
Apalutamid (C)
Apalutamid (Erleada) ist nach Enzalutamid der zweite Androgenrezeptorantagonist für die Behandlung erwachsener Männer mit nichtmetastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von Metastasen. Die Zulassung durch die EMA erfolgte am 14. Januar 2019, die Markteinführung in Deutschland am 1. Februar 2019. Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung des Mannes. In Deutsch-
2
land traten 2013 59.520 Neuerkrankungen auf, die Zahl der Todesfälle betrug 13.408 (Robert Koch-Institut 2016). Im Laufe des Lebens erkrankt jeder zehnte Mann an einem Prostatakarzinom. Trotz erfolgreicher Behandlung des lokalisierten Prostatakarzinoms mit kurativer Intention kommt es bei vielen Patienten zu einem biochemischen Rezidiv mit Anstieg des Prostata-spezifischen Antigens (PSA). Wichtigstes Prinzip der systemischen Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms ist seit vielen Jahrzehnten die Androgenentzugstherapie, da Androgene definitiv zur Entstehung des Prostatakarzinoms beitragen. Als Methoden stehen die Hormonentzugstherapie mit Gonadorelinanaloga oder Antiandrogenen sowie die chirurgische Kastration zur Verfügung. Dabei beträgt die Zeit bis zum Auftreten einer Kastrationsresistenz 12 Monate und das mediane Überleben etwa 3,5 Jahre. Für das metastasierte, kastrationsnaive Prostatakarzinom wurde in den letzten Jahren eine signifikante Verbesserung des Überlebens durch Kombination der Androgendeprivation mit dem Chemotherapeutikum Docetaxel oder mit dem Testosteronsynthese-Inhibitor Abirateronacetat gezeigt. Für das metastasierte, kastrationsresistente Prostatakarzinoms stehen inzwischen sogar fünf Wirkstoffe mit unterschiedlichen Angriffspunkten zur Verfügung (Docetaxel, Cabazitaxel, Radium-223, Abirateronacetat, Enzalutamid) (Übersicht bei Sartor und de Bono 2018). Die meisten Prostatakarzinompatienten werden in einem lokalisierten Stadium diagnostiziert und mit Strahlentherapie, radikaler Prostatektomie oder aktiver Überwachung behandelt. Trotz erfolgreicher Behandlung des lokalisierten Prostatakarzinoms mit kurativer Intention kommt es bei 40–50 % der Patienten zu einem biochemischen Rezidiv mit Anstieg des Prostata-spezifischen Antigens (PSA). Eine frühzeitige Androgendeprivation senkt bei diesen Patienten den PSASpiegel und verzögert die Zeit bis zur Metastasierung. Die mediane Ansprechdauer der Androgendeprivation beträgt allerdings nur 19 Monate. Ein erneuter PSA-Anstieg
52
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
definiert die Transformation in ein kastrationsresistentes Prostatakarzinom. Wenn trotz kontinuierlicher Androgendeprivation mit supprimiertem Testosteronspiegel (< 50 ng/dl) ein PSA-Anstieg ohne klinische oder radiologische Zeichen für eine Fernmetastasierung in der konventionellen Bildgebung auftritt, wird dieses Krankheitsstadium als nichtmetastasiertes kastrationsresistentes Prostatakarzinom bezeichnet. Bisher wurde geschätzt, dass ein Drittel der Patienten in diesem Stadium innerhalb von zwei Jahren eine Metastasierung entwickelt, wobei das Risiko einer Metastasierung mit dem PSAAusgangswert und der PSA-Verdopplungszeit zusammenhängt. Ziel der weiteren Behandlung ist es, die Zeit bis zur Metastasierung zu verzögern, da Knochenmetastasen mit Schmerzen, pathologischen Frakturen und Rückenmarkskompressionen assoziiert sind (Übersicht bei Mateo et al. 2019). Als erstes Arzneimittel zur Behandlung von Patienten mit nicht-metastasiertem kastrationsresistentem Hochrisiko-Prostatakarzinom wurde Enzalutamid im Oktober 2018 zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 2.2.10). Apalutamid ist ein weiteres Antiandrogen mit einer 10-fach höheren Rezeptoraffinität (IC50 16 nmol/l) als Bicalutamid. Die zytostatische Wirkung wird durch kompetitive Hemmung der Bindung von Dihydrotestosteron an den Androgenrezeptor vermittelt. Dieser Effekt tritt auch bei Rezeptorüberexpression und bei Resistenz gegen andere Antiandrogene ein. Außerdem wird die Translokation des Androgenrezeptorkomplexes in den Zellkern und die anschließende DNA-Bindung blockiert. Apalutamid ist ein reines Antiandrogen und hat beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom keine agonistische Aktivität. Nach oraler Gabe wird Apalutamid fast vollständig resorbiert und nach weitgehender hepatischer Metabolisierung über CYP2C8 und CYP3A4 mit einer terminalen Halbwertszeit von 3–4 Tagen eliminiert, so dass konstante Plasmaspiegel erst nach 14 Tagen erreicht werden (Übersicht bei Al-Salama 2018).
Hauptstudie für die Zulassung war eine Phase-3-Studie an 1.207 Männern mit nichtmetastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom und einer prostataspezifischen Antigenverdopplungszeit von 10 Monaten oder weniger, die mit Apalutamid (240 mg/Tag oral) oder Placebo behandelt wurden (Smith et al. 2018, SPARTAN). Nach einer Studiendauer von 20,3 Monaten betrug das mediane metastasenfreie Überleben (primärer Endpunkt) in der Apalutamid-Gruppe 40,5 Monate verglichen mit 16,2 Monaten in der Placebogruppe. Auch die Zeit bis zum symptomatischen Fortschreiten war bei Apalutamid signifikant länger als bei Placebo (Hazard Ratio 0,45). In einer Zwischenanalyse nach 41 Monaten senkte Apalutamid die Gesamtmortalität um 25 %, was jedoch die präspezifizierte Signifikanzgrenze (p = 0,0121) nicht erreichte, so dass eine weitere Zwischenauswertung erforderlich ist (Small et al. 2019). Häufigste unerwünschte Ereignisse (Apalutamid versus Placebo) waren Müdigkeit (30,4 % versus 23,1 %), Hautausschlag (23,8 % versus 5,5 %), Hypothyreose (8,1 % versus 2,0 %) und Frakturen (11,7 % versus 6,5 %). Nebenwirkungsbedingte Studienabbrüche waren unter Apalutamid etwas häufiger als in der Placebogruppe (10,6 % versus 7,0 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab für Apalutamid im Vergleich zur bestehenden konventionellen Androgendeprivation einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2019a). Wesentlich war eine bisher nicht erreichte moderate Verbesserung für den Endpunkt symptomatische Progression. Die Bruttokosten von Erleada (112 Filmtbl. 60 mg Listenpreis 4.143,81 C, bisher kein Erstattungsbetrag, Tagesdosis 240 mg) betragen 147,99 C pro Tag und 54.018 C pro Jahr (. Tab. 2.3). Sie sind damit höher als die Kosten von Enzalutamid (Xtandi) und Abirateronacetat (Zytiga). Fazit Apalutamid (Erleada) ist ein weiterer Androgenrezeptorantagonist für die Behandlung des nicht-metastasierten kastrationsresis-
2
53 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
. Tabelle 2.3 Arzneimittel zur Behandlung des Prostatakarzinoms. Angegeben sind Wirkstoff, Präparat, Jahr der Zulassung, Halbwertszeit (HWZ), definierte Tagesdosis (DDD) und DDD-Bruttokosten pro Jahr Wirkstoff
Präparat (Beispiele)
Zulassung
HWZ
DDD
DDD-Kosten/ Jahr (C)
Gonadorelinagonisten Goserelin
Zoladex
1988
Implantat
129 g
2.227
Buserelin
Profact
1984
Implantat
110 g
2.056
Leuprorelin
Trenantone
1984
Depot
60 g
1.898
Leuprone HEXAL
2007
Implantat
60 g
1.461
Pamorelin
1986
Depot
134 g
1.888
Triptorelin
Gonadorelinantagonisten Abarelix
Plenaxis
2005
13 d
3,6 mg
4.104
Degarelix
Firmagon
2009
29 d
2,7 mg
2.255
Casodex
1996
7,4 d
150 mg
7.636
Bicalutamid STADA
2009
7,4 d
150 mg
1.585
Enzalutamid
Xtandi
2013
6d
160 mg
46.613
Apalutamid
Erleada
2019
3d
240 mg
54.018
Zytiga
2011
15 h
1.000 mg
45.865
Antiandrogene Bicalutamid
CYP-17-Inhibitor Abirateronacetat
tenten Prostatakarzinoms mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von Metastasen. In einer placebokontrollierten Studie verbesserte Apalutamid das metastasenfreie Überleben um 24 Monate sowie die Zeit bis zum symptomatischen Fortschreiten. Die Nutzenbewertung von Apalutamid ergab im Vergleich zur bestehenden konventionellen Androgendeprivation einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen. Die Therapiekosten sind allerdings bisher noch höher als die von Enzalutamid (Xtandi) und Abirateronacetat (Zytiga).
teneigenen, gentechnologisch veränderten TZellen mit synthetischen antigenspezifischen chimären Antigenrezeptoren (CAR) besteht. Es wird zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) und primär mediastinalem großzelligem B-ZellLymphom (PMBCL) nach zwei oder mehr systemischen Therapien angewendet. Die Zulassung durch die EMA erfolgte am 23. August 2018, die Markteinführung in Deutschland am 1. Dezember 2019. Da beide Krankheitsformen selten sind, wurde Yescarta am 16. Dezember 2014 zur Behandlung von diffus großzelligem B-Zell-Lymphom und am 9. Oktober 2.1.4 Axicabtagen-Ciloleucel (B) 2015 zur Behandlung von primär mediastinalem großzelligem B-Zell-Lymphom als ArzAxicabtagen-Ciloleucel (Yescarta) ist ein gen- neimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneitherapeutisches Arzneimittel, das aus patien- mittel) ausgewiesen.
54
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Das diffuse großzellige B-Zell-Lymphom ist mit einem Anteil von über 30 % die größte Gruppe des Non-Hodgkin-Lymphoms. Die Inzidenz beträgt 3–4/100.000 pro Jahr und nimmt mit dem Alter zu. Charakteristisch ist ein schnelles Tumorwachstum in Lymphknoten, Milz und Knochenmark sowie oft auch in extralymphatischen Organen. Das primäre mediastinale B-Zell-Lymphom (PMBCL) und das transformierte follikuläre Lymphom (TFL) sind weniger häufig, aber ebenfalls wichtige Subtypen. Trotz des aggressiven Wachstums können 60–70 % der Patienten mit einer kombinierten Chemoimmuntherapie (Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison; R-CHOP) als Erstlinientherapie geheilt werden. Die übrigen Patienten mit hohem Risiko zeigen jedoch nach dem ersten Ansprechen einen refraktären oder rezidivierten Verlauf mit einer 5-Jahresüberlebensrate von 33 %. Bei einem Rezidiv können Patienten mit chemotherapieempfindlicher Krankheit eine hochdosierte Chemotherapie gefolgt von einer autologen Stammzelltransplantation erhalten. Damit wird jedoch nur bei einer Minderheit der Patienten eine langfristige Remission erzielt. Insgesamt wird geschätzt, dass nur 10–25 % der Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem großzelligem B-ZellLymphom geheilt werden können. Maßgebend für die Therapie ist das individuelle Risikoprofil eines Patienten entsprechend dem International Prognostic Index (IPI), der fünf klinische Faktoren (Alter, Allgemeinzustand, Ausbreitungsstadium, extranodaler Befall, Laktatdehydrogenase) berücksichtigt. Daneben wurden enorme Anstrengungen unternommen, um Subgruppen des diffusen großzelligen B-ZellLymphoms nach Ursprungszellen und molekularen Merkmalen zu identifizieren, um ein Versagen der Initialtherapie mit R-CHOP oder der Stammzelltransplantation nach einem Rezidiv frühzeitig zu erkennen. Für Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem großzelligem B-Zell-Lymphom spielt die Anwendung der CAR-T-Zellen eine zunehmend wichtige Rolle (Übersicht bei Liu und Barta 2019). Axicabtagen-Ciloleucel (Yescarta) wurde als CAR-
T-Therapie zur Behandlung von Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligem B-Zell-Lymphom am 23. August 2018 von der EMA zugelassen. Am gleichen Tag erfolgte auch die EMA-Zulassung von Tisagenlecleucel (Kymriah), das aber schon am 15. September 2018 in Deutschland auf den Markt kam und daher bereits im Arzneiverordnungs-Report 2019 (Kap. 3, Abschn. 3.1.33) beschrieben wurde. Axicabtagen-Ciloleucel ist ein weiterer Vertreter der T-Zelltherapie mit chimären Antigenrezeptoren (CAR), die definitionsgemäß aus synthetischen Proteinen mit verschiedenen gentechnisch hergestellten Komponenten zusammengesetzt sind. Es wurde entwickelt, um die Limitationen des Immunsystems bei der Elimination von Tumorzellen zu erhöhen, einschließlich einer suboptimalen T-Zellaktivität und einer unzureichenden Anzahl tumorspezifischer T-Zellen. Das CAR-Konstrukt besteht aus einer extrazellulären, antigenbindenden Domäne eines Antikörpers, einer Linkerregion, einer Transmembrandomäne, einer intrazellulären Signaldomäne (CD3-zeta) des T-Zellrezeptors und einer weiteren kostimulatorischen Signaldomäne (CD28 oder CD137). Axicabtagen-Ciloleucel enthält als Antigenerkennungsdomäne das variable Einzelkettenfragment eines monoklonalen Antikörpers gegen CD19, das auf der Zelloberfläche von über 95 % der B-Zell-Lymphome in hoher Dichte exprimiert wird. Die Verankerung von CAR in der Zellmembran geschieht über den Linker und die Transmembrandomäne. Die intrazelluläre Signaldomäne aktiviert die CAR-T-Zellen nach der Bindung an die Tumorzellen zu zytotoxischen T-Zellen, die kostimulatorische Signaldomäne erhöht zusätzlich Proliferation, Persistenz und Wirksamkeit der CAR-TZellen. Insgesamt kombinieren CAR-T-Zellen das zytotoxische Potenzial von T-Zellen mit der Antigenspezifität von Antikörpern gegen Tumorantigene und können daher als „lebende Arzneimittel“ Tumorzellen gezielt erkennen und eliminieren. Sie repräsentieren damit ein völlig neues Wirkprinzip, das anders als alle Arzneimittel nicht abgebaut wird, sondern sich
55 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
im Patienten vermehrt und über lange Zeit persistiert. Für die Herstellung von AxicabtagenCiloleucel werden patienteneigene mononukleäre Blutzellen durch Leukapherese gewonnen und ungefähr 5–10 109 mononukleäre Zellen über Nacht zur zentralen Zellverarbeitungsanlage transportiert. Dort werden CART-Zellen über einen Zeitraum von etwa 2 Wochen in mehreren Schritten hergestellt, wozu die T-Zellseparation, die Expansion mit AntiCD3 und IL-2, die Transduktion von CAR mit Hilfe von lentiviralen Virusvektoren, die Kryokonservierung und eine abschließende Qualitätskontrolle gehören. Zur Vorbereitung der Rückinfusion der autologen CAR-T-Zellen erhalten die Patienten an mehreren Tagen eine lymphodepletierende Chemotherapie mit Fludarabin und Cyclophosphamid, um die Zahl der körpereigenen Immunzellen zu reduzieren und damit günstige Bedingungen für die Expansion der infundierten CAR-T-Zellen zu schaffen (Übersicht bei Jain et al. 2018). Basis für die Zulassung von AxicabtagenCiloleucel war eine Phase-2-Studie an 111 Patienten mit diffusem großzelligem B-ZellLymphom, primärem mediastinalem B-ZellLymphom oder transformiertem follikulärem Lymphom, die trotz vorangegangener Therapie eine refraktäre Erkrankung hatten (Neelapu et al. 2017, ZUMA-1). Die CAR-T-Zellen wurden von 99 % der eingeschlossenen Patienten erfolgreich hergestellt und bei 91 % der Patienten auch verabreicht (Zieldosis 2 106 CAR T-Zellen/kg als i. v. Infusion). Die objektive Ansprechrate (primärer Endpunkt) wurde von 82 % der Patienten und die komplette Ansprechrate von 54 % erreicht. Nach 18 Monaten betrug die Gesamtüberlebensrate 52 %. Die häufigsten schweren Nebenwirkungen (Grad 3 oder höher) waren Neutropenie (bei 78 % der Patienten), Anämie (43 %), Thrombozytopenie (38 %), neurologische Ereignisse (28 %) und Zytokinfreisetzungssyndrom (13 %). Drei Patienten starben während der Behandlung. Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab, dass für Axicabtagen-Ciloleucel zur Behandlung von Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligem B-Zell-Lym-
2
phom und primär mediastinalem großzelligem B-Zell-Lymphom nach zwei oder mehr systemischen Therapien ein nicht quantifizierbarer Zusatznutzen vorliegt (Bundesministerium für Gesundheit 2019b). Eine valide Quantifizierung des Gesamtüberlebens war aufgrund des einarmigen Studiendesigns der ZUMA-1 Studie und des indirekten Vergleichs mit historischen Kontrollen nicht möglich. Die Lebensqualität der Patienten wurde in der ZUMA-1Studie nicht erhoben. Die Jahrestherapiekosten von Yescarta (0,4–2 108 Zellen Infusionsdispersion 68 ml Infusionsbeutel) betragen nach den Angaben des G-BA in der Nutzenbewertung bei einmaliger individueller Dosierung 389.130 C pro Patient. Axicabtagen-Ciloleucel (Yescarta) ist ein gentherapeutisches Arzneimittel mit patienteneigenen, gentechnologisch veränderten CAR-T-Zellen zur einmaligen Behandlung von Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem diffus großzelligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) und primär mediastinalem großzelligem B-Zell-Lymphom (PMBCL) nach zwei oder mehr systemischen Therapien. Nach der zulassungsrelevanten Phase-2-Studie liegt die Gesamtüberlebensrate (52 % nach 18 Monaten) höher als mit bisher verfügbaren Therapien. Bei einem großen Teil der Patienten treten allerdings schwere, teilweise tödliche Nebenwirkungen auf.
Fazit
2.1.5
Brigatinib (C)
Brigatinib (Alunbrig) ist der vierte Tyrosinkinaseinhibitor der anaplastischen Lymphomkinase (ALK) zur Monotherapie von erwachsenen Patienten mit ALK-positivem, fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC), die zuvor mit Crizotinib behandelt wurden. Er wurde am 22. November 2018 von der EMA zugelassen und kam am 15. Januar 2019 in Deutschland auf den Markt. Das Lungenkarzinom war 2013 mit 53.500 Neuerkrankungen (34.690 Männer, 18.810
56
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Frauen) und 44.848 Todesfällen (29.708 Männer, 15.140 Frauen) weiterhin der häufigste letale Tumor in Deutschland (Robert KochInstitut 2016). Bei Männern ist seit Ende der 1980er Jahre ein rückläufiger Trend erkennbar, während die Inzidenz bei Frauen weiter ansteigt. Häufigster Risikofaktor ist das Zigarettenrauchen, aber ein Viertel aller Lungenkarzinome treten auch bei Nichtrauchern auf. Nach Beendigung des Rauchens nähert sich das Krebsrisiko nach 15 Jahren dem der Nichtraucher an, erreicht dieses aber nicht. Passivrauchen erhöht das Risiko ungefähr 1,5fach. Das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom hat mit 85 % den größten Anteil. Seine wichtigsten histologische Untergruppen sind das deutlich angestiegene Adenokarzinom (50 %), das Plattenepithelkarzinom (25 %) und das großzellige Lungenkarzinom (10 %). Für die weitere Klassifikation haben molekularpathologische Subtypen durch onkogene Mutationen eine zunehmende therapeutische Bedeutung gewonnen. Dadurch hat sich die Behandlung des Lungenkarzinoms von der empirischen Anwendung zytotoxischer Therapien zu wirksamen und besser verträglichen Therapien gewandelt, die auf bestimmte molekulare Tumorsubtypen abzielen. Wichtigste diagnostische Maßnahme ist die Gewebebiopsie, um onkogene Mutationen des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors (EGFR) und BRAF V600E sowie die Suche nach onkogenen Translokationen im Gen der anaplastische Lymphomkinase (ALK) und im Protoonkogen ROS1 zu erfassen. Als neueste Entwicklung ist die Testung der Expression des Programmed Death-1-Liganden (PD-L1) hinzugekommen. Dennoch sind die neuen selektiv wirkenden Tumortherapeutika bisher nur bei einer Minderheit der Patienten anwendbar, bei denen entsprechende behandelbare Tumormutationen vorhanden sind. Bei lokaler Begrenzung des Tumors ist die Lungenresektion die Therapie der Wahl. Das stadienabhängige 5Jahresüberleben beträgt nach kurativer Lobektomie im Stadium I 68–92 % und im Stadium II 53–60 %. Zum Zeitpunkt der Diagnose sind jedoch 60 % der Patienten bereits inoperabel
(Stadium IIIB und IV), so dass die relativen 5-Jahres-Überlebensraten dann insgesamt nur noch 16–21 % betragen. Traditionelle Erstlinientherapie beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom ohne behandelbare Mutationen sind weiterhin platinhaltige Zweifachkombinationen (z. B. Carboplatin plus Paclitaxel). Damit werden Ansprechraten von 25–35 % der Patienten und ein Gesamtüberleben von 8–12 Monaten erreicht. Die Kombination mit monoklonalen Antikörpern gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF) wie Bevacizumab und Ramucirumab hatte nur begrenzte Erfolge, häufig aber zusätzliche toxische Nebenwirkungen. Die gezielte Behandlung onkogener Veränderungen des Lungenkarzinoms begann mit den Mutationen des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors (EGFR), die bei 10–20 % der nichtasiatischen Bevölkerung vorkommen. Die Tyrosinkinaseinhibitoren Erlotinib (Tarceva), Gefitinib (Iressa) und Afatinib (Giotrif ) werden als Erstlinientherapie eingesetzt. Bisher wurde allerdings nur eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens im Vergleich zur platinbasierten Standardtherapie nachgewiesen. In einer weiteren genetisch identifizierbaren Patientengruppe wurden Translokationen der onkogene anaplastischen Lymphomkinase (ALK) als therapeutisches Zielprotein identifiziert, die mit einer Prävalenz von 2–7 % an der Entstehung des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms beteiligt ist. BRAF-Mutationen wurden bei 2 % der Patienten mit nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom identifiziert, von denen die Hälfte eine BRAF-V600E-Mutation aufweist. Die häufigsten onkogenen Mutationen beim nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom sind KRAS-Mutationen, die bei 30 % der Adenokarzinome vorkommen, aber bisher nicht erfolgreich behandelbar sind (Übersicht bei Reck und Rabe 2017; Herbst et al. 2018). Bisher sind die ALK-Inhibitoren Crizotinib (Xalkori), Ceritinib (Zykadia) und Alectinib (Alecensa) für die Erstlinientherapie und die Zweitlinientherapie des ALK-positiven, fortgeschrittenen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms zugelassen.
2
57 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
Brigatinib ist ein ATP-kompetitiver, hochselektiver ALK-Inhibitor mit einer niedrigen Hemmkonzentration (IC50 10 nmol/l) und Wirkung gegen weitere Kinasen (ALK, ROS1, IGF-1R) sowie mit hoher inhibitorischer Aktivität gegen resistente ALK-Mutationen. Die primäre Wirkung besteht in einer Hemmung der zellulären Phosphorylierung von ALK, wodurch es zu einer Blockade der nachgeschalteten Signalwege und damit zu einer Hemmung der Proliferation ALK-positiver Tumorzellen kommt. Im Gegensatz zu Crizotinib hat Brigatinib eine hohe ZNS-Penetration, da es kein Substrat des Effluxtransporters P-Glykoprotein an der Bluthirnschranke ist und daher auch das Wachstum von Hirnmetastasen hemmt. Nach oraler Gabe erreicht Brigatinib innerhalb von 1–4 h maximale Plasmaspiegel, wird hauptsächlich über CYP2C8 und CYP4A4 metabolisiert und überwiegend über die Fäzes mit einer Eliminationshalbwertszeit von 25 h ausgeschieden (Übersicht bei Spencer et al. 2019). Die Zulassung von Brigatinib basiert auf einer unkontrollierten klinischen Phase2-Studie an 222 Patienten mit Crizotinib-refraktärem ALK-positivem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom in zwei Dosisarmen (Arm A 90 mg/Tag oral, Arm B 180 mg/Tag oral) (Kim et al. 2017). Nach 8,0 Monaten betrug die vom Prüfer festgestellte objektive Ansprechrate (primärer Endpunkt) in Arm A 45 % und in Arm B 54 %. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 9,2 Monate bzw. 12,9 Monate. Bei Studienbeginn hatten 69 % der Pati-
enten Hirnmetastasen mit einer Ansprechrate von 42 % (Arm A) und 54 % (Arm B). Häufigste Nebenwirkungen waren Übelkeit (Arm A und B: 33 und 40 %), Diarrhö (19 und 38 %), Kopfschmerzen (28 und 27 %) und Husten (18 und 34 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen von Brigatinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Ceritinib, Alectinib) bei Patienten mit vorbehandeltem fortgeschrittenem ALK-positivem nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (Bundesministerium für Gesundheit 2019c). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass keine direkt vergleichenden Studien oder adjustierte indirekte Vergleiche über einen gemeinsamen Brückenkomparator von Brigatinib gegenüber Ceritinib vorliegen. Die Bruttokosten von Alunbrig (28 Filmtbl. 180 mg Listenpreis 7.383,08 C, Erstattungsbetrag 5.458,88 C, Tagesdosis 180 mg) betragen 194,96 C pro Tag und 71.160 C pro Jahr (. Tab. 2.4) und liegen damit in einem ähnlichen Bereich wie die Kosten von drei anderen ALK-Inhibitoren, die bis 2017 zugelassen wurden. Brigatinib (Alunbrig) ist ein weiterer ALK-Inhibitor zur Behandlung von Patienten mit einem ALK-positiven, fortgeschrittenen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, die mit Crizotinib vorbehandelt wurden. Bisher liegt für die zugelassene Indikation nur eine unkontrollierte Phase-2-Studie mit einer objek-
Fazit
. Tabelle 2.4 Arzneimittel zur Behandlung des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate, Jahr der Zulassung, empfohlene Dosierung, Halbwertszeit (HWZ) und Therapiekosten pro Jahr Wirkstoffe
Präparate (Auswahl)
Zulassung Dosierung
HWZ
Bruttokosten pro Jahr (C)
Chemotherapeutika Carboplatin
Carboplatin GRY 1988
400 mg/m2 i. v. Tag 1 alle 28 Tage 3–6 h
5.223
Paclitaxel
Paclitaxel GRY
1994
175 mg/m2 i. v. Tag 1 alle 21 Tage 2–20 h
19.076
Pemetrexed
Alimta
2004
500 mg/m2 i. v. Tag 1 alle 21 Tage 3,5 h
79.254
58
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.4 (Fortsetzung) Wirkstoffe
2
Präparate (Auswahl)
Zulassung Dosierung
HWZ
Bruttokosten pro Jahr (C)
Tyrosinkinaseinhibitoren Erlotinib
Tarceva
2005
800 mg/Tag oral
25–48 h
35.133
Gefitinib
Iressa
2009
250 mg/Tag oral
40–60 h
42.080
Afatinib
Giotrif
2013
40 mg/Tag oral
36 h
32.784
Nintedanib
Vargatef
2015
400 mg/Tag oral
13–19 h
33.592
Osimertinib
Tagrisso*
2016
80 mg/Tag oral
14 Tage
74.896
VEGF-Inhibitoren Bevacizumab
Avastin
2005
7,5–15 mg/kg i. v. alle 21 Tage
5,3 Tage
38.395–76.790
Ramucirumab
Cyramza
2014
10 mg/kg i. v. alle 21 Tage
6 Tage
52.098
ALK-Inhibitoren Crizotinib
Xalkori
2012
500 mg/Tag oral
42 h
66.968
Ceritinib
Zykadia
2015
450 mg/Tag oral
42 h
66.968
Alectinib
Alecensa
2017
2 600 mg/Tag oral
33 h
77.859
Brigatinib
Alunbrig
2018
180 mg/Tag oral
27 h
71.160
Lorlatinib
Lorviqua
2019
100 mg/Tag oral
24 h
65.424
EGFR-Inhibitoren Necitumumab
Portrazza**
2016
800 mg i. v. Tag 1 + 8 alle 21 Tage 48 h
20.166
Dacomitinib
Vizimpro
2019
45 mg/Tag oral
59–85 h
28.644
2015
3 mg/kg i. v. alle 14 Tage
27 Tage
70.692
Pembrolizumab Keytruda
2016
200 mg i. v. alle 21 Tage
25 Tage
113.765
Atezolizumab
Tecentriq
2017
1.200 mg i. v. alle 21 Tage
27 Tage
81.552
Avelumab
Bavencio
2017
800 mg i. v. alle 14 Tage
6,1 Tage 104.872
PD-L1/PD-1-Inhibitoren Nivolumab
Opdivo
BRAF- und MEK-Inhibitoren Dabrafenib
Tafinlar
2013
300 mg/Tag oral
8h
75.261
Trametinib
Mekinist
2015
2 mg/Tag oral
5,3 Tage
56.531
* Vertriebseinstellung 11/2016 (neue Nutzenbewertung durch G-BA, Beschluss Okt 2017), Wiedereinführung 01.11.2017, ** Vertriebseinstellung 2/2017, Wiedereinführung 01.08.2017
59 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
tiven Ansprechrate von 54 % vor. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA hat keinen Beleg für einen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ergeben. Die Kosten sind ähnlich wie bei den anderen ALK-Inhibitoren.
2.1.6
Cannabidiol (A)
Cannabidiol (Epidyolex) ist ein Hauptbestandteil der Hanfpflanze (Cannabis sativa), der zusammen mit Clobazam bei Patienten ab 2 Jahren für die adjuvante Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem DravetSyndrom angewendet wird. Das Präparat wurde am 19. September 2019 von der EMA zugelassen und kam am 15. Oktober 2019 in Deutschland auf den Markt. Da es nur wenige Patienten mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem Dravet-Syndrom gibt, wurde Epidyolex am 15. Oktober 2014 und am 20. März 2017 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Das Lennox-Gastaut-Syndrom ist eine schwere Form der kindlichen Epilepsien, auf die etwa 1–4 % aller Epilepsien im Kindesalter entfallen. Das Syndrom beginnt im Alter von 1 bis 8 Jahren und ist durch multiple Anfallstypen, langsamwellige EEG-Muster sowie geistige Retardierung gekennzeichnet. Häufigste Anfallstypen sind tonische und atonische Anfälle sowie atypische Absencen und generalisierte tonisch-klonische Krämpfe. Die meisten Patienten zeigen diffuse kognitive Störungen. Die Behandlung gestaltet sich schwierig, da auch mit mehreren Antiepileptika nur selten eine befriedigende Anfallskontrolle erreichbar ist. Mittel der ersten Wahl ist Valproinsäure. Weitere Antiepileptika (Lamotrigin, Rufinamid, Topiramat, Clobazam) haben sich bei der Behandlung ausgewählter Patienten als nützlich erwiesen. Als nichtmedikamentöse Therapieverfahren werden ketogene Diät, Corpuscallostomie und Vagusstimulation mit wechselndem Erfolg eingesetzt. Trotz mul-
2
tipler Therapieoptionen werden weniger als 10 % der Patienten anfallsfrei. Daraus ergibt sich eine ungünstige Prognose bezüglich Anfallskontrolle und geistiger Entwicklung. Viele Patienten benötigen eine lebenslange Betreuung (Übersicht bei Verrotti et al. 2018). Das Dravet-Syndrom ist eine schwere epileptische Enzephalopathie, die bereits im ersten Lebensjahr auftritt und überwiegend durch eine monogene Mutation im Gen des spannungsabhängigen Natriumkanals (SCN1A) bedingt ist. Typisch sind initial Fieberkrämpfe mit generalisierten klonischen Anfällen oder einem Status epilepticus, später auch myoklonische Anfälle, Absencen und fokale Bewusstseinsstörungen. Die Krampfanfälle können während des gesamten Lebens der Patienten auftreten. Die Frühmortalität ist hoch, vor allem durch plötzlichen unklaren Tod bei Epilepsie und Status epilepticus. Mittel erster Wahl sind Clobazam und Valproinsäure, bei suboptimaler Anfallskontrolle auch Stiripentol, Topiramat oder ketogene Diät. Nur wenige Patienten werden krampffrei, denn oft sind die Krampfanfälle arzneimittelresistent (Übersicht bei Wirrell und Nabbout 2019). Die Cannabispflanze (Cannabis sativa) enthält über 100 Phytocannabinoide, die unterschiedliche Wirkungen auf das endogene Cannabinoidsystem haben. Am häufigsten wurden bisher die beiden Hauptbestandteile Tetrahydrocannabinol und das nicht-psychoaktive Cannabidiol untersucht. Die antiepileptischen Eigenschaften von Cannabidiol sind komplex, wobei ein Antagonismus des G-Protein-gekoppelten Rezeptors 55, die Desensibilisierung des transienten Rezeptorpotentials von Vanilloid-Typ-1-Kanälen und die Hemmung der Adenosin-Wiederaufnahme beteiligt sind. Cannabidiol ist stark lipophil und hat aufgrund eines hohen First-Pass-Metabolismus in der Leber eine sehr geringe orale Bioverfügbarkeit von nur 6 %. Nach weitgehender hepatischer Metabolisierung (hauptsächlich Demethylierung und Glucuronidierung) werden die Metaboliten überwiegend über die Niere ausgeschieden (Übersicht bei Franco und Perucca 2019).
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.5 Antiepileptika, die speziell zur Behandlung Lennox-Gastaut-Syndroms und des Dravet-Syndroms zugelassen sind. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate, Halbwertszeit (HWZ), Dosierung nach definierten Tagesdosen (DDD) und Bruttotherapiekosten pro Jahr
2
Wirkstoffe
Präparate (Auswahl)
HWZ
DDD
Kosten/Jahr (C)
Lennox-Gastaut-Syndrom Lamotrigin
Lamotrigin Aristo
33 h
300 mg
193
Felbamat
Taloxa
15–23 h
2.400 mg
5.683
Topiramat
Topiramat STADA
21 h
300 mg
564
Rufinamid
Inovelon
6–10 h
1.400 mg
3.512
Cannabidiol
Epidyolex
56–61 h
1.000 mg
54.868
Stiripentol
Diacomit
4,5–13 h
1.000 mg
5.661
Cannabidiol
Epidyolex
56–61 h
1.000 mg
54.868
Dravet-Syndrom
Basis für die Zulassung von Cannabidiol waren mehrere klinische Studien, in denen Cannabidiol als Zusatzbehandlung mit anderen Antiepileptika untersucht wurde. In einer placebokontrollierten Studie an 225 Patienten mit Lennox-Gastaut-Syndrom im Alter von 2–55 Jahren senkte Cannabidiol (10–20 mg/kg/Tag oral) die Anfallsfrequenz (primärer Endpunkt) in Kombination mit Clobazam gegenüber dem Ausgangswert um 37,2–41,9 % und um 17,2 % in der Placebogruppe (Devinsky et al. 2018). Häufigste unerwünschte Ereignisse in den CannabidiolGruppen waren Schläfrigkeit, Appetitlosigkeit und Diarrhö. Bei einigen Patienten (9 %) verursachte Cannabidiol einen Anstieg der Lebertransaminasewerte. In einer weiteren Studie wurde die Wirkung von Cannabidiol an 120 Kindern und Jugendlichen mit DravetSyndrom als Zusatz zur Standardtherapie untersucht (Devinsky et al. 2017). Nach 14wöchiger Behandlung ging die monatliche Anfallsfrequenz (primärer Endpunkt) unter Cannabidiol (20 mg/kg/Tag oral) deutlich zurück (12,4 auf 5,9 Anfälle) im Vergleich zu Placebo (14,9 auf 14,1 Anfälle). Die frühe Nutzenbewertung durch den GBA ergab einen nicht quantifizierbaren Zusatz-
nutzen, da die wissenschaftliche Datengrundlage eine Quantifizierung für beide Indikationen nicht zulässt (Bundesministerium für Gesundheit 2020b, 2020c). Die Bruttokosten von Epidyolex (100 ml Lösung mit 100 mg/ml Listenpreis 1.431,64 C, bisher noch kein Erstattungsbetrag, Erhaltungsdosis 10 mg/kg oral) betragen für Kinder im Alter von 2 Jahren (mittleres Körpergewicht 15 kg) 21,48 C pro Tag und 7.839 C pro Jahr, für Erwachsene (Körpergewicht 70 kg) 128,85 C/Tag und 47.031 C/Jahr. Sie sind damit 10- bis 100fach teurer als die speziellen Antiepileptika für das Lennox-Gastaut-Syndrom und das DravetSyndrom (. Tab. 2.5). Fazit Cannabidiol (Epidyolex) ist ein Haupt-
bestandteil von Cannabis sativa, der als Orphan-Arzneimittel für die Zusatztherapie von Patienten mit dem Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem Dravet-Syndrom zusammen mit Clobazam zugelassen wurde. Bei beiden Indikationen wurde mit Cannabidiol als Zusatztherapie eine deutliche Senkung der Anfallsfrequenz erreicht. Die Nutzenbewertung ergab jedoch wegen der relativ kurzen Studiendauer nur einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Die Kosten von Epidyolex sind im Vergleich zu
61 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
2
den anderen speziellen Antiepileptika für die tenkohorte mit Metastasen (59 Patienten) erreichte Cemiplimab (3 mg/kg/8 Wochen i. v.) beiden Indikationen ungewöhnlich hoch. eine Ansprechrate (primärer Endpunkt) von 47 % nach einer medianen Beobachtungszeit von 7,9 Monaten (Migden et al. 2018). Häu2.1.7 Cemiplimab (C) figste Nebenwirkungen waren Diarrhö (27 %), Müdigkeit (24 %), Übelkeit (17 %), ObstipaCemiplimab (Libtayo) ist ein weiterer mono- tion (15 %) und Hautausschlag (15 %). Aufklonaler Antikörper gegen den Programmed- grund von unerwünschten Ereignissen brachen Death-1-Rezeptor (PD1-Rezeptor), der für die 7 % der Patienten die Behandlung ab. In der Monotherapie von Patienten mit metastasier- Patientenkohorte mit lokal fortgeschrittenem tem oder lokal fortgeschrittenem kutanem Plat- Plattenepithelkarzinom (78 Patienten) erreichtenepithelkarzinom indiziert ist, wenn eine ku- te Cemiplimab (3 mg/kg/8 Wochen i. v.) eine rative Operation oder kurative Strahlentherapie Gesamtansprechrate (primärer Endpunkt) von nicht in Betracht kommt. Das Präparat wurde 44 % (Migden et al. 2020). Die Nutzenbewertung durch den G-BA eram 28. Juni 2019 von der EMA zugelassen und kam am 1. August 2019 in Deutschland auf den gab keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Cemiplimab, da der pharmazeutische UnterMarkt. Das kutane Plattenepithelkarzinom ist mit nehmer einen nicht adjustierten indirekten Vereinem Anteil von 20 % einer der häufigsten gleich zur Bewertung des Zusatznutzens gemalignen Hauttumoren. Therapie der ersten genüber der zweckmäßigen VergleichstheraWahl ist die vollständige chirurgische Exzisi- pie vorgelegt hat (Bundesministerium für Geon, wodurch über 95 % der Patienten geheilt sundheit 2020d). Die Bruttokosten von Libwerden. Bei inoperablen Tumoren kann alter- tayo (350 mg Konzentrat in 7 ml, Listenpreis nativ eine Strahlentherapie eingesetzt werden. 7.623,26 C, bisher kein Erstattungsbetrag, DoBei einem kleinen Teil der Patienten mit lo- sis 350 mg i. v. alle 3 Wochen) betragen kaler Progression oder Fernmetastasen kommt 363,02 C pro Tag und 132.501 C pro Jahr. eine palliative systemische Therapie mit verschiedene Chemotherapeutika oder Immunthe- Fazit Cemiplimab (Libtayo) ist ein monoklorapeutika in Betracht (Übersicht bei Leiter naler Antikörper gegen den PD1-Rezeptor für et al. 2016). die Monotherapie von Patienten mit inoperaCemiplimab ist ein hochaffiner, humaner blem metastasiertem oder lokal fortgeschritmonoklonaler Antikörper gegen den von akti- tenem kutanem Plattenepithelkarzinom. Die vierten T-Zellen exprimierten PD-1-Rezeptor Gesamtansprechrate betrug in einer einarmi(IC50 0,6 nmol/l). Er unterbricht die Interakti- gen Studie 44–47 %. Ohne geeignete Daten on mit dem von Tumorzellen überexprimierten der zweckmäßigen Vergleichstherapie ergab Rezeptorliganden PD-L1 und kann dadurch die die Nutzenbewertung allerdings keinen Beleg immunsuppressive T-Zell-Aktivität gegen den für einen Zusatznutzen. Tumor reaktivieren. Cemiplimab wird als 30minütige intravenöse Infusion appliziert und mit einer Halbwertszeit von 19 Tagen elimi- 2.1.8 Chlormethin (B) niert (Übersicht bei Markham und Duggan 2019). Die Zulassung von Cemiplimab beruht auf Chlormethin (Ledaga) ist ein Stickstofflosteiner nicht randomisierten, einarmigen Phase- präparat, das zur topischen Behandlung von 2-Studie an insgesamt 193 Patienten mit einem kutanem T-Zell-Lymphom des Typs Mycosis metastasierten oder lokal fortgeschrittenen ku- fungoides am 3. März 2017 von der EMA tanen Plattenepithelkarzinom. In der Patien- zugelassen wurde und am 15. Mai 2019 in
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Deutschland auf den Markt kam. Da es nur wenige Patienten mit diesem Hautkrebs gibt, wurde Ledaga am 22. Mai 2012 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Kutane T-Zell-Lymphome sind eine heterogene Gruppe von Non-Hodgkin-Lymphomen, die sich hauptsächlich in der Haut manifestieren. Häufigste Subgruppe aller kutanen T-Zell-Lymphome ist die Mycosis fungoides mit einem Anteil von rund 60 % und einer Inzidenz von 0,3–1,0 pro 100.000 pro Jahr. Die initialen Läsionen sind typischerweise flache, erythematöse Hautflecken, die sich über einen variablen Zeitraum zu tastbaren Plaques mit gut abgegrenzten Rändern bis hin zu Tumoren entwickeln können. Im Patch- und limitierten Plaque-Stadium ist die Prognose günstig. Wenn weniger als 10 % der Körperoberfläche mit Flecken und Plaques betroffen (Stadium IA) sind, ist die Lebenserwartung nicht signifikant verschlechtert. Bei einer Beteiligung von mehr als 10 % der Körperoberfläche sterben ca. 20 % der Patienten in den folgenden 10 Jahren an der Erkrankung. Bei fortgeschrittener Mycosis fungoides mit Erythrodermie oder Tumoren kann es zu einer Lymphknotenoder Viszeralbeteiligung mit ungünstiger Prognose kommen. Im Tumorstadium beträgt das krankheitsspezifische Überleben nach 10 Jahren lediglich 40 %. Die Behandlung der Mycosis fungoides erfolgt im Frühstadium mit lokaler Therapie (UV-Licht, topische Glucocorticoide, Stickstoff-Lost) und in fortgeschrittenen Stadien (ausgedehnte Plaques, Tumoren) mit systemischen Therapien (Retinoide, Chemotherapie, gezielte Therapie) (Übersicht bei Trautinger et al. 2017). Chlormethin (Mechlorethamin, Stickstofflost) ist der Prototyp der alkylierenden Zytostatika und wurde erstmals 1946 für die systemische Behandlung des Morbus Hodgkin, des Lymphosarkoms und von Leukämien eingesetzt (Goodman et al. 1946). Wenige Jahre später wurde Chlormethin auch für die topische Therapie der Mycosis fungoides von der FDA zugelassen, um die toxischen systemischen Nebenwirkungen zu reduzieren. Trotz
Empfehlung in Leitlinien war topisch anwendbares Chlormethin lange Zeit nur als Rezepturarzneimittel verfügbar. Erst vor einigen Jahren wurde ein kommerzielles Gelpräparat von der FDA und 2017 auch von der EMA als Fertigarzneimittel zugelassen (Übersicht bei Trautinger et al. 2017). Wesentliche Daten für die Zulassung von Chlormethin stammen aus einer klinischen Phase-2-Studie an 260 Patienten mit Mycosis fungoides (98,5 % Stadium 1A/1B), die zuvor mit mindestens einer Lokaltherapie behandelt worden waren (Lessin et al. 2013). In dieser Studie wurden zwei Arzneiformen von Chlormethin (0,02 % Gel, 0,02 % Salbe) für die Lokaltherapie (einmal täglich) über einen Zeitraum von maximal 12 Monaten verglichen. Maß der Wirksamkeit war die Ansprechrate, die mit einem kombinierten Index für den Schweregrad der Läsionen (Composite Assessment of Index Lesion Severity) gemessen wurde. Die Ansprechraten (primärer Endpunkt) lagen für das Chlormethin-Gel etwas höher als mit der Chlormethin-Salbe (58,5 % versus 47,7 %). Häufigste Nebenwirkungen waren Hautreizungen (25,0 % versus 14,1 %), Pruritus (19,5 % versus 17,4 %), Erythem (17,2 % versus 14,2 %) und Kontaktdermatitis (14,8 % versus 15,0 %). Wegen therapiebedingter Hautreizungen wurde die Behandlung von einem Teil der Patienten (20,3 % versus 17,3 %) abgebrochen. Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil Chlormethin kein neuer Wirkstoff ist. Die Bruttokosten von Ledaga (60 g Gel 160 g/g, Listenpreis 2.951,81 C, Dosis im Stadium IA/IB ca. 10 % der Körperoberfläche von 1,8 m2 entsprechend 1,8 g/180 cm2 , 1mal täglich) betragen 88,55 C pro Tag und 32.322 C pro Jahr. Fazit Chlormethin (Ledaga) ist ein schon seit
70 Jahren angewendetes Stickstofflostpräparat, das als Orphan-Arzneimittel in Gelform zur topischen Behandlung von kutanem T-Zell-Lymphom des Typs Mycosis fungoides zugelassen wurde. Chlormethin hatte als Gelpräparat eine etwas höhere Ansprechrate als ein bisher ein-
63 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
gesetztes Salbenpräparat. Im Vergleich zu anderen Lokaltherapeutika (Phototherapie, Glucocorticoide) liegen die Therapiekosten des neuen Orphan-Arzneimittels allerdings extrem hoch.
2.1.9
Dacomitinib (C)
Dacomitinib (Vizimpro) ist ein weiterer Vertreter aus der Gruppe der EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren, der als Monotherapie für die Erstlinienbehandlung erwachsener Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom mit aktivierenden EGFR-Mutationen am 2. April 2019 von der EMA zugelassen wurde und am 1. Mai 2019 in Deutschland auf den Markt kam. Eine kurze Beschreibung der Krankheit und der verfügbaren Therapieoptionen findet sich bei Brigatinib in diesem Kapitel (7 Abschn. 2.1.5). Dacomitinib ist ein irreversibler und hochselektiver EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor der zweiten Generation, der die Signalübertragung von Heterodimeren und Homodimeren aller Mitglieder der humanen Epidermal Growth Factor Rezeptor-Familie mit niedrigen IC50 Werten (6 nmol/l) hemmt. Weiterhin hat Dacomitinib günstige pharmakokinetische Eigenschaften, einschließlich einer hohen oralen Bioverfügbarkeit (über 50 %) und einer langen Halbwertszeit (59–85 h) (Übersicht bei Lavacchi et al. 2019). Die Zulassung von Dacomitinib basiert auf einer Phase-3-Studie an 452 neu diagnostizierten Patienten mit nichtkleinzelligem Lungenkarzinom mit einer EGFR-Mutation (Exxon 19), in der Dacomitinib (45 mg/Tag oral) mit Gefitinib (250 mg/Tag oral) in Zyklen von 28 Tagen verglichen wurde (Wu et al. 2017, ARCHER 1050). Nach einer medianen Studiendauer von 22,1 Monaten verbesserte Dacomitinib das mediane progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) im Vergleich zu Gefitinib (14,7 Monate versus 9,2 Monate), während das mediane Gesamtüberleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht wur-
2
de. In der endgültigen Ausweitung der Studie nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 31,3 Monaten verbesserte Dacomitinib das Gesamtüberleben gegenüber Gefitinib (34,1 versus 26,8 Monate) (Mok et al. 2018). Häufigste Nebenwirkungen waren Diarrhö (87 % versus 56 %), Dermatitis (49 % versus 29 %), Stomatitis (44 % versus 18 %), Gewichtabnahme (27 % versus 17 %), Alopezie (24 % versus 14 %), Husten (21 % versus 19 %), Pruritus (19 % versus 13 %), erhöhte Alanin-Aminotransferase-Spiegel (19 % versus 36 %) und Übelkeit (19 % versus 22 %). Permanente Therapieabbrüche traten unter Dacomitinib bei 10 % und unter Gefitinib bei 7 % der Patienten auf. Nebenwirkungsbedingte Todesfälle wurden mit Dacomitinib bei zwei Patienten und mit Gefitinib bei einem Patienten festgestellt. Die Nutzenbewertung ergab keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Dacomitinib bei der Erstlinienbehandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom mit den aktivierenden EGFR-Mutationen sowie andere Mutationen (Bundesministerium für Gesundheit 2019d). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass dem positiven Effekt von Dacomitinib auf das Gesamtüberleben eine Vielzahl nachteiliger Effekte (Symptomatik, Lebensqualität, Nebenwirkungen) gegenüberstehen, die den positiven Effekt auf das Gesamtüberleben aufwiegen. Die Bruttokosten von Vizimpro (30 Filmtbl. 45 mg Listenpreis 4.819,23 C, Erstattungsbetrag 2.354,30 C, Dosis 45 mg/Tag oral) betragen 78,48 C pro Tag bzw. 28.644 C pro Jahr (. Tab. 2.4). Sie liegen damit deutlich höher als die Kosten von Necitumumab (Portrazza). Dacomitinib (Vizimpro) ist ein weiterer EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor, der als Monotherapie für die Erstlinienbehandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom mit aktivierenden EGFR-Mutationen zugelassen wurde. Trotz eines positiven Effektes von Dacomitinib auf das Gesamtüberleben war
Fazit
64
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
ein Zusatznutzen wegen einer Vielzahl nach- 12 Jahren eingesetzt werden, die bereits vorher mit Faktor VIII behandelt wurden, da bei jünteiliger Effekte nicht belegt. geren Patienten häufiger Antikörper gegen den Polyethylenglycol-Teil beobachtet wurden. In einer klinischen Studie entwickelten bis zu 2.1.10 Damoctocog alfa pegol (C) 23 % der Kinder im Alter von unter 6 Jahren neutralisierende Antikörper, während dieses Damoctocog alfa pegol (Jivi) ist ein rekombi- nur bei einem der über 12-Jährigen beobachtet nanter Gerinnungsfaktor VIII, der zur Prophy- wurde (Santagostino et al. 2020). Wirksamkeit und Sicherheit von Damoclaxe und Therapie von Blutungen bei vorbehandelten Patienten ab 12 Jahren mit Hämo- tocog alfa pegol wurden in der Phase II/IIIphilie A am 22. November 2018 von der EMA Studie PROTECT VIII geprüft (Reding et al. zugelassen wurde und am 1. Januar 2019 in 2017). Eingeschlossen wurden Patienten mit Hämophilie A im Alter zwischen 12 und Deutschland auf den Markt kam. Die Hämophilie A gehört zu den angebo- 65 Jahren, die zuvor mindestens 150 Tage mit renen Gerinnungsdefekten. Sie entsteht durch einem Faktor VIII-Präparat behandelt wurden. einen Mangel an Faktor VIII und tritt bei et- Sie erhielten Damoctocog alfa pegol entwewa 1 von 5.000 männlichen Neugeborenen auf. der bei Bedarf, d. h. im Fall von Blutungen, FVIII hat eine zentrale Funktion in der Hä- oder in verschiedenen Dosierungen prophylakmostase bei der Aktivierung von Faktor X und tisch zweimal pro Woche, alle 5 Tage bzw. Thrombin. In Abhängigkeit vom Grad des Fak- einmal wöchentlich. In der prophylaktisch betorenmangels treten Blutungen spontan oder handelten Gruppe betrug die mediane jährliche im Rahmen von Verletzungen auf. Insbesonde- Gesamt-Blutungsrate (median overall annuare Hirn- und Magen-Darm-Blutungen können lized bleeding rate, ABR) 2,1 (Reding et al. akut lebensbedrohlich sein, während Gelenk- 2017). Bei der Anwendung nach Bedarf konnblutungen vor allem bei wiederholtem Auf- ten 66 % von 388 aufgetretenen Blutungen extreten zu chronischen Gelenkschäden führen zellent oder gut behandelt werden. Im Verlauf (Übersicht bei Peyvandi et al. 2016). Lan- einer Extension der 36-wöchigen Studie für ge Zeit erfolgte die Standardtherapie mit aus mehr als 5 Jahre betrug die mediane jährliche Humanplasma gereinigtem oder rekombinant Gesamt-Blutungsrate 1,6 bei prophylaktischer hergestelltem Faktor VIII (Srivastava et al. Behandlung und 34,1 bei Bedarfstherapie (La2013; Tiede 2015). Inzwischen stehen modifi- lezari et al. 2019). Häufigste Nebenwirkungen zierte, rekombinante Faktor VIII-Präparate mit in diesen Studien waren Kopfschmerzen, Husverlängerter Halbwertszeit und damit verlän- ten, Übelkeit und Fieber. In einzelnen Fällen traten hemmende Anti-FVIII-Antikörper auf gertem Applikationsintervall zur Verfügung. Damoctocog alfa pegol ist der erste zuge- (Lalezari et al. 2019). In der PROTECT VIIIlassene rekombinante Gerinnungsfaktor VIII Studie entwickelten 5 Patienten Anti-PEG-Anmit einer ortsspezifischen, kovalenten Anknüp- tikörper (Reding et al. 2017). In der PROTECT fung einer 60 kDa großen Polyethylenglycol VIII Kids-Studie wurde die Behandlung vor (PEG)-Gruppierung (Paik and Deeks 2019). In allem bei Kindern unter 6 Jahren wegen Wirkeiner Phase I-Studie zeigte Damoctocog alfa samkeitsverlust, Überempfindlichkeitsreaktiopegol mit 18,7 h eine um das 1,4-Fache ver- nen oder Anti-PEG-Antikörpern abgebrochen längerte Halbwertszeit im Vergleich mit 13,0 h (Santagostino et al. 2020). Die Nutzenbewertung durch den G-BA für rekombinanten Faktor VIII (Coyle et al. 2014). In Abhängigkeit von der Blutungsnei- hat keinen Beleg für einen Zusatznutzen gung wird bei der prophylaktischen Gabe ein von Damoctocog alfa pegol im Vergleich Applikationsintervall zwischen 5 und 7 Ta- zu der festgelegten zweckmäßigen Vergen empfohlen. Jivi darf nur bei Patienten ab gleichstherapie (rekombinante oder aus
65 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
humanem Plasma gewonnene Blutgerinnungsfaktor VIII-Präparate) ergeben (Bundesministerium für Gesundheit 2019e). Die Jahrestherapiekosten von Jivi betragen in Abhängigkeit vom Dosierungsschema für Erwachsene 484.056,30–679.540,58 C bzw. 345.754,50–485.386,13 C für 12- bis Unter18-Jährige. Fazit Damoctocog alfa pegol (Jivi) ist ein rekombinanter, ortsspezifisch pegylierter Gerinnungsfaktor VIII mit verlängerter Halbwertszeit, der zur Therapie und Prophylaxe von Blutungen bei Hämophilie A zugelassen wurde.
2.1.11
Darvadstrocel (A)
Darvadstrocel (Alofisel) enthält expandierte mesenchymale Stammzellen aus Fettgewebe, die zur Behandlung von komplexen perianalen Fisteln bei Patienten mit nicht-aktivem/ gering-aktivem luminalen Morbus Crohn indiziert sind, wenn die Fisteln unzureichend auf mindestens eine konventionelle oder biologische Therapie angesprochen haben. Das Präparat wurde am 23. März 2018 von der EMA zugelassen und kam am 1. Dezember 2019 in Deutschland auf den Markt. Da es nur wenige Patienten mit Analfisteln gibt, wurde Alofisel am 8. Oktober 2009 als Orphan-Arzneimittel ausgewiesen. Der Morbus Crohn ist eine chronisch entzündliche Darmkrankheit mit einer seit 50 Jahren zunehmenden Häufigkeit in Europa und Nordamerika (Prävalenz 300 pro 100.000 Personen). Als wesentliche Ursachen werden geänderte Umweltfaktoren und westlicher Lebensstil (Rauchen, fett- und zuckerreiche Ernährung, Stress, hoher Sozialstatus) angesehen. Der Morbus Crohn kann den gesamten Gastrointestinaltrakt befallen und ist durch eine transmurale Entzündung mit umschriebenen Infiltraten, Granulomen, Fisteln und perianalem Befall charakterisiert. Bei der Hälfte der Patienten ist innerhalb von 10 Jahren nach der Diagnose eine Operation erforder-
2
lich. Nur 10 % der Patienten erreichen eine langdauernde klinische Remission. Bei leichten akuten Schüben steht am Anfang die Lokaltherapie mit Budesonid oder Mesalazin im Vordergrund, bei schweren Schüben die systemische Therapie mit Glucocorticoiden. Bei Steroidresistenz werden als weitere Optionen Thiopurine und Biologika wie TNF-Inhibitoren (Infliximab, Adalimumab, Golimumab, Certolizumab pegol), Integrinrezeptorantagonisten (Vedolizumab) und Anti-IL12/23Antikörper (Ustekinumab) eingesetzt (Übersicht bei Baumgart und Sandborn 2012; Noor et al. 2020). Perianale Fisteln sind eine typische Komplikation des Morbus Crohn und betreffen etwa 30 % der Patienten, insbesondere bei Kolonbefall mit rektaler Beteiligung. Neben den etablierten Therapieoptionen (Antibiotika, Immunmodulatoren) ist der TNFInhibitor Infliximab das einzige Arzneimittel, das in einer randomisierten klinischen Studie Wirksamkeit gezeigt hat (Übersicht bei Scharl 2019). Darvadstrocel enthält allogene expandierte Stammzellen aus Fettgewebe, die in entzündeten Geweben immunmodulatorisch und entzündungshemmend wirken. Spezifische Wirkungen sind die Hochregulierung von regulatorischen T-Zellen, die beim Morbus Crohn vermindert sind, und die Einwanderung in Entzündungsherde. Die Stammzellen werden aus der stromalen Gefäßfraktion von humanen Lipoaspiraten isoliert, die von gesunden erwachsenen Spendern durch Fettabsaugung extrahiert werden. Anschließend werden die Zellen mit üblichen Zellkulturmethoden in einem Kulturmedium mit 10 % fötalem Rinderserum expandiert und bis zur Verwendung kryokonserviert. Für jede Dosis werden Zellen eines einzelnen Spenders verwendet. Am Tag der Stammzellinjektion werden 120 Mio. Zellen in 24 ml Kulturmedium an das Krankenhaus geschickt. Das formulierte Produkt kann zwischen 15 und 25 ı C für maximal 48 h gelagert werden (Übersicht bei Carvello et al. 2019). Die Zulassung basiert auf einer Hauptstudie an 212 Patienten mit Morbus Crohn
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2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
und therapierefraktären, drainierenden, komplexen, perianalen Fisteln, die eine intraläsionale Einzelinjektion von 120 Mio. allogenen, aus Fettgewebe gewonnenen und expandierten Stammzellen (Cx601-Zellen) in 24 ml Zellkulturmedium oder 24 ml Kochsalzlösung (Placebo) von einem nicht verblindeten Chirurgen zusätzlich zur Basistherapie (Antibiotika, Immunmodulatoren, TNF-Inhibitoren) erhielten (Panés et al. 2016, ADMIRE CD). Die Bewertung der kombinierten Remission (primärer Endpunkt) gemessen als Verschluss aller behandelten äußeren Fistelöffnungen mit Sekretion und Abwesenheit von Flüssigkeitsansammlungen größer als 2 cm in den behandelten Fisteln erfolgte durch einen verblindeten Gastroenterologen. Nach 24 Wochen erreichte ein signifikant höherer Anteil der Stammzellbehandelten Patienten im Vergleich zur Placebogruppe einen Fistelverschluss (50 % versus 34 %). Häufigste behandlungsbedingte Nebenwirkungen waren anale Abszesse (6 versus 9) und Proktalgien (5 versus 9). Auch nach 52 Wochen wurde eine signifikant höhere kombinierte Remissionsrate bei den Stammzell-behandelten Patienten im Vergleich zur Placebogruppe erreicht (56,3 % versus 38,6 %) (Panés et al. 2018, ADMIRE CD). Die frühe Nutzenbewertung ergab einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2018). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass die statistisch signifikanten Vorteile zugunsten von Darvadstrocel in Bezug auf die klinische Remission und die Symptomatik in der Gesamtschau aufgrund bedeutender Limitationen in ihrem Ausmaß nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilbar sind. Die Therapiekosten von Alofisel (5 Mio. Zellen/ ml Injektionssuspension 4 6 ml Durchstechflasche, Dosis 120 Mio. Zellen in 2–3 Fistelgänge) betragen nach den Angaben in der Nutzenbewertung 71.400 C pro Patient.
teln bei Patienten mit luminalen Morbus Crohn zugelassen wurde. Trotz eines positiven Effektes von Darvadstrocel auf den Fistelverschluss ergab die Nutzenbewertung nur einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, weil die klinische Remission und die Symptomatik nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilbar waren.
2.1.12
Doravirin (C)
Doravirin (Pifeltro) ist ein weiterer Vertreter der nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI), der in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln für die Behandlung von Erwachsenen angezeigt ist, die mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV-1) infiziert sind. Das Präparat wurde am 22. November 2018 von der EMA zugelassen und kam am 15. Januar 2019 in Deutschland auf den Markt. Weiterhin wurde eine fixe Kombination von Doravirin mit Lamivudin und Tenofovirdisoproxil (Delstrigo) ebenfalls für die HIV-Therapie zugelassen (siehe 7 Abschn. 2.1.13). Seit der Einführung von Zidovudin (Retrovir) im Jahr 1987 und der breiten Anwendung einer effektiven antiretroviralen Kombinationstherapie hat sich die Prognose von HIV-infizierten Patienten dramatisch verbessert. Wesentlicher Grund war die Entwicklung von über 30 antiretroviralen Arzneimitteln mit verbesserter Wirksamkeit und Verträglichkeit. Ein weiterer wichtiger Schritt war die Einführung von langwirkenden Substanzen und Kombinationspräparaten, wodurch es gelang, die Zahl der täglich einzunehmenden Tabletten zu senken und die Compliance zu verbessern. Zur Initialtherapie stehen Nukleosid-/Nukleotidanaloga (NRTI bzw. NtRTI), nicht-nukleosidische ReverseTranskriptase-Inhibitoren (NNRTI), Ritonaviroder Cobicistat geboosterte ProteaseinhibitoFazit Darvadstrocel (Alofisel) ist ein Orphan- ren (PI) und Integrase-Inhibitoren (INI) zur Arzneimittel, das expandierte mesenchymale Verfügung (. Tab. 2.6). Alle ProteaseinhibitoStammzellen aus Fettgewebe enthält und zur ren sind in Kombination mit niedrig dosiertem Behandlung von komplexen perianalen Fis- (1–2mal 100 mg/d) Ritonavir oder Cobicistat
67 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
(150 mg/d) stärker wirksam als ohne Booster und werden deshalb nur in dieser Kombination empfohlen. Kombinationen aus zwei NRTI mit einem NNRTI, einem INI oder einem geboosterten PI haben sich als sehr wirksam, sicher und im Allgemeinen gut verträglich erwiesen. Bei Notwendigkeit zu einer raschen Therapieeinleitung bei noch ausstehendem Ergebnis einer Resistenzanalyse befürworten viele Experten eine Therapieeinleitung mit einer geboosterten Darunavir- bzw. Dolutegravir oder Bictegravir-basierten Kombination (Deutsche AIDS-Gesellschaft 2019). Die antiretrovirale Kombinationstherapie hat die Ergebnisse für HIV-Patienten ganz erheblich verbessert, so dass die meisten Patienten mit den verfügbaren antiretroviralen Wirkstoffen aufgrund ihrer hohen Wirkungsstärke, guten Verträglichkeit und erleichterten Anwendung heute eine virologische Suppression erreichen können. Nach den Eckdaten des Robert Koch-Instituts lebten in Deutschland Ende 2018 eine geschätzte Gesamtzahl von 87.900 Menschen mit AIDS/ HIV, von denen 77.300 diagnostiziert waren und 68.000 erfolgreich mit einer antiretrovirale Therapie behandelt wurden. Am häufigsten verordnet werden inzwischen die Integraseinhibitoren vor allem in fixen Kombinationen (siehe 7 Kap. 10 . Tab. 10.10). Trotz erfolgreicher Therapie haben sich HIV-Infektionen durch eine hohe Zahl von Neuinfektionen (2.400 in 2018) stark ausgebreitet, so dass die Zahl der HIV-infizierten Personen seit 1995 etwa dreifach angestiegen ist (Robert-Koch-Institut 2019). Das Risiko von Neuinfektionen erfordert wirksame Strategien zur HIV-Prävention bei HIVnegativen Menschen durch Kondome, Verhaltensmaßnahmen und Prophylaxe mit antiviralen Arzneimitteln. Klinische Studien haben gezeigt, dass die Präexpositionsprophylaxe mit der Tenofovirdisoproxil-EmtricitabinKombination das Risiko einer HIV-Infektion bei homosexuellen Männern, heterosexuellen Personen und Drogenabhängigen deutlich verringern kann, wenn sie mit hoher Compliance angewendet wird. Daher wurde die Tenofovirdisoproxil-Emtricitabin-Kom-
2
bination 2012 vom der amerikanischen FDA und 2016 von der EMA als Präexpositionsprophylaxe zugelassen (Übersicht bei Gibas et al. 2019). Im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wurde festgelegt, dass GKVVersicherte mit einem substanziellen HIV-Infektionsrisiko ab dem 1. September 2019 einen Anspruch auf Arzneimittel für die Präexpositionsprophylaxe sowie die dafür erforderlichen ärztlichen Beratungen und Untersuchungen haben (§ 20j SGB V). Doravirin ist ein allosterischer Inhibitor der reversen HIV-1-Transkriptase, der die Virusreplikation mit EC50 -Werten von 0,6–10,0 nmol/l hemmt. Maximale Plasmaspiegel werden 1–4 h nach oraler Gabe erreicht, wobei Nahrungsmittel einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Resorption haben. Doravirin wird hauptsächlich über CYP3A4 und CYP3A5 metabolisiert und mit einer terminalen Halbwertszeit von 12–21 h biliär eliminiert (Übersicht bei Deeks 2018). Doravirin wurde auf der Basis von zwei Phase-3-Studien zugelassen. In der ersten Studie an 769 therapie-naiven HIV-1-Patienten wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Doravirin mit dem Ritonavir-geboosterten Proteasehemmer Darunavir verglichen, wobei beide Studiengruppen zusätzlich zwei vom Prüfarzt ausgewählte Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) (Tenofovir und Emtricitabin oder Abacavir und Lamivudin) erhielten (Molina et al. 2018, DRIVE-FORWARD). Nach 48 Wochen erreichten 84 % der Patienten in der Doravirin-Gruppe und 80 % in der Darunavir-Gruppe eine Viruslast von weniger als 50 Kopien HIV-1-RNA/ml (primärer Endpunkt), womit eine Nichtunterlegenheit nachgewiesen war. Einige arzneimittelbedingte Nebenwirkungen waren mit der Doravirinkombination seltener als mit der Darunavirkombination: Diarrhö (5 % versus 13 %), Übelkeit (7 % versus 8 %) und Kopfschmerzen (6 % versus 3 %). Behandlungsbedingte Therapieabbrüche waren in beiden Gruppen selten (2 % versus 3 %). Ähnliche Ergebnisse zeigte eine zweite Nichtunterlegenheitsstudie einer DoravirinFixdosiskombination (Doravirin 100 mg, La-
68
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.6 Antiretrovirale Arzneimittel zur Behandlung der HIV-Infektion. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate, Jahr der Zulassung, Halbwertszeit (HWZ), Dosierung nach definierten Tagesdosen (DDD) und Bruttotherapiekosten pro Jahr
2
Wirkstoffe
Präparate (Auswahl)
Zulassung
HWZ
DDD
Jahresbruttotherapiekosten (C)
Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) Zidovudin
Retrovir
1987
Zidovudin Aurobindo
2009
Epivir
1996
Lamivudin Mylan
2012
Ziagen
1999
Abacavir Accord
2016
Viread
2002
Tenofovirdisoproxil Cipla
2018
Emtricitabin
Emtriva
2003
Lamivudin + Abacavir
Kivexa
2004
1 Tbl.
8.821
Emtricitabin + Tenofovirdisoproxil
Truvada
2005
1 Tbl.
9.956
Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil Hormosan
2017
1 Tbl.
714
Descovy
2016
1 Tbl.
6.198
Lamivudin
Abacavir
Tenofovirdisoproxil
Emtricitabin + Tenofoviralafenamid
1,1 h
600 mg
5.470 4.030
5–7 h
300 mg
2.751 2.366
1,5 h
600 mg
5.908 4.142
12–18 h
245 mg
3.730 568
10 h
200 mg
3.680
Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) Nevirapin
Viramune
1998
Nevirapin-Hormosan
2018
Sustiva
1999
Efavirenz Medicopharm
2016
2.606
Efavirenz + Emtricitabin + Tenofovirdisoproxil
Atripla
2007
1 Tbl. 15.229
Efavirenz + Emtricitabin + Tenofovirdisoproxil beta
2017
1 Tbl.
Etravirin
Intelence
2008
30–40 h
400 mg
7.875
Rilpivirin
Edurant
2011
45 h
25 mg
4.554
Emtricitabin + Rilpivirin + Eviplera Tenofovirdisoproxil
2011
1 Tbl. 11.007
Emtricitabin + Rilpivirin + Odefsey Tenofoviralafenamid
2016
1 Tbl. 11.007
Doravirin
2018
Efavirenz
Pifeltro
25–45 h
400 mg
5.302 3.646
40–55 h
15 h
600 mg
100 mg
5.297
8.693
7.396
2
69 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
. Tabelle 2.6 (Fortsetzung) Wirkstoffe
Präparate (Auswahl)
Zulassung
HWZ
DDD
Jahresbruttotherapiekosten (C)
Doravirin + Lamivudin + Tenofovirdisoproxil
Delstrigo
2018
Saquinavir
Invirase
1996
7h
2.000 mg
7.797
Indinavir
Crixivan
1996
1,8 h
2.400 mg
4.431
Ritonavir
Norvir
1996
3–5 h
1.200 mg
8.531
Lopinavir + Ritonavir
Kaletra
2001
5–6 h
800 mg
10.263
Fosamprenavir
Telzir
2004
7,7 h
1.400 mg
8.630
Atazanavir
Reyataz
2004
12 h
300 mg
10.513
Tipranavir
Aptivus
2005
4,8–6 h
1.000 mg
11.510
Darunavir
Prezista
2007
15 h
1.200 mg
10.400
1 Tbl. 10.075
Proteasehemmer
Darunavir + Cobicistat + Symtuza Emtricitabin + Tenofovirdisoproxil
2017
1 Tbl. 11.343
Integraseinhibitoren Raltegravir
Isentress
2007
Elvitegravir + Cobicistat + Stribild Emtricitabin + Tenofovirdisoproxil
2013
Dolutegravir
2014
Tivicay
9h
800 mg
10.522
1 Tbl. 11.007
14 h
50 mg
8.658
Dolutegravir + Abacavir + Triumeq Lamivudin
2014
1 Tbl. 11.865
Dolutegravir + Rilpivirin
Juluca
2018
1 Tbl. 10.299
Dolutegravir + Lamivudin
Dovato
2018
1 Tbl. 10.215
Elvitegravir + Cobicistat + Genvoya Emtricitabin + Tenofoviralafenamid
2015
1 Tbl. 11.007
Bictegravir + EmtricitaBiktarvy bin + Tenofoviralafenamid
2018
1 Tbl. 11.007
mivudin 300 mg, Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg, 1mal täglich oral) im Vergleich mit einer weiteren Fixdosiskombination (Efavirenz 600 mg, Emtricitabin 200 mg, Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg, 1mal täglich oral) an 728 therapie-naiven HIV-1-Patienten (Orkin
et al. 2019, DRIVE-AHEAD) (siehe im folgenden 7 Abschn. 2.1.13). Die frühe Nutzenbewertung des DoravirinMonopräparats durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen, da die zweckmäßige Vergleichstherapie in den zulassungsbegründenden Par-
70
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
allelgruppenstudien an therapienaiven HIV-1Patienten nicht umgesetzt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2019f). Die Bruttokosten von Pifeltro (90 Filmtbl. Listenpreis 2.042,96 C, Erstattungsbetrag 1.823,56 C, Dosis 1 Tbl./Tag) betragen 20,26 C pro Tag und 7.395 C pro Jahr. Doravirin ist damit teurer als andere NNRTI-Monopräparate (. Tab. 2.6). Fazit Das neue antiretrovirale NNRTI-Präparat Doravirin (Pifeltro) ist ein weiteres Monopräparat, das in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Behandlung der HIV-1-Infektion angewendet wird. Eine Vergleichsstudie mit dem Ritonavir-geboosterten Proteasehemmer Darunavir und zwei NRTI zeigte eine Nichtunterlegenheit. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen. Das Doravirin-Monopräparat ist teurer als andere NNRTI-Monopräparate.
2.1.13
Doravirin + Lamivudin + Tenofovirdisoproxil (C)
Die Doravirin-Fixdosiskombination mit Lamivudin und Tenofovirdisoproxil (Delstrigo) ist für die Behandlung von Erwachsenen verfügbar, die mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV-1) infiziert sind. Die HI Viren dürfen keine Mutationen aufweisen, die bekanntermaßen mit einer Resistenz gegen die Substanzklasse der NNRTI (nichtnukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren), Lamivudin oder Tenofovir assoziiert sind. Das Kombinationspräparat wurde wie das Monopräparat am 22. November 2018 von der EMA zugelassen und kam am 15. Januar 2019 in Deutschland auf den Markt. Die Doravirin-Fixdosiskombination (Doravirin 100 mg, Lamivudin 300 mg, Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg, 1mal täglich oral) wurde im Vergleich mit einer weiteren Fixdosiskombination (Efavirenz 600 mg, Emtricitabin 200 mg, Tenofovirdisoproxilfumarat 300 mg, 1mal täglich oral, entspricht etwa
dem Handelspräparat Atripla) an 728 therapienaiven HIV-1-Patienten untersucht (Orkin et al. 2019, DRIVE-AHEAD). Nach 48 Wochen erreichten 84,3 % der Patienten mit der Doravirinkombination und 80,8 % mit der Vergleichsmedikation eine Viruslast von weniger als 50 Kopien HIV-1-RNA/ml (primärer Endpunkt), womit eine Nichtunterlegenheit nachgewiesen war. Arzneimittelbedingte Nebenwirkungen waren mit der Doravirinkombination seltener als mit der Efavirenzkombination: Schwindel (8,8 % versus 37,1 %), Schlafstörungen (12,1 % versus 25,2 %) und Hautausschlag (5 % versus 12 %). Die frühe Nutzenbewertung der DoravirinFixdosiskombination durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen, da die zweckmäßige Vergleichstherapie in den zulassungsbegründenden Parallelgruppenstudien an therapienaiven HIV-1-Patienten nicht umgesetzt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2019g). Die Bruttokosten von Delstrigo (90 Filmtbl. Listenpreis 2.484,27 C, noch kein Erstattungsbetrag, Dosis 1 Tbl. tgl.) betragen 27,60 C pro Tag und 10.075 C pro Jahr. Das Kombinationspräparat von Doravirin ist damit kostengünstiger als andere NNRTI-Kombinationspräparate (. Tab. 2.6). Das neue antiretrovirale Kombinationspräparat Doravirin/Lamivudin/Tenofovirdisoproxil (Delstrigo) ist eine weitere fixe NNRTI-Dreifachkombination zur Behandlung der HIV-1-Infektion. Eine Vergleichsstudie zeigte eine Nichtunterlegenheit gegenüber einer weiteren NNRTI-Fixdosiskombination. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen. Delstrigo ist etwas kostengünstiger als andere Kombinationspräparate der reversen Transkriptaseinhibitoren.
Fazit
2.1.14
Fremanezumab (B)
Fremanezumab (Ajovy) ist ein monoklonaler Antikörper gegen das Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP) zur Migräneprophylaxe bei Er-
71 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
wachsenen mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat. Die Zulassung durch die EMA erfolgte am 28. März 2019 und die Markteinführung in Deutschland am 15. Mai 2019. Mit gleicher Indikation wurden inzwischen zwei weitere monoklonale Antikörper gegen das CGRP-Peptid zugelassen: Galcanezumab (Emgality) durch die EMA (siehe 7 Abschn. 2.1.15) und Eptinezumab in den USA durch die FDA. Darüber hinaus wurde Ubrogepant (Ubrelvy) als erster oraler CGRP-Rezeptorantagonist für die Akutbehandlung der Migräne durch die FDA im Dezember 2019 zugelassen, der aber nicht besser als einfache Analgetika wirkt. Migräne ist eine chronische neurologische Krankheit mit Attacken von heftigen Kopfschmerzen sowie reversiblen neurologischen und systemischen Symptomen. Typische Begleitsymptome sind Photophobie (94 %), Lärmempfindlichkeit (91 %), Allodynie (Hyperalgesie) (70 %), Übelkeit (50 %) und Erbrechen (33 %). Migräneattacken können 4 bis 72 h andauern (im Mittel 24 h). Mit einer Einjahresprävalenz von 12 % ist die Migräne eine der häufigsten Krankheiten. Für die Akuttherapie werden von den meisten Patienten Analgetika (Acetylsalicylsäure) oder nichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprofen) verwendet, die bei leichten und mittelstarken Migräneattacken wirksam sind. Bei starken Schmerzen sind Triptane seit 25 Jahren Mittel der ersten Wahl, ausgenommen bei Patienten mit Kontraindikationen bei schweren kardiovaskulären Krankheiten. Bei häufigen Migräneattacken (mehr als 3 pro Monat) wird eine medikamentöse Prophylaxe empfohlen, um die Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneattacken zu reduzieren. Dafür werden bisher Wirkstoffe aus verschiedenen Arzneimittelgruppen (Topiramat, Propranolol, Metoprolol, Amitriptylin, Flunarizin) eingesetzt, die für die Migräneprophylaxe zugelassen sind und die Migränehäufigkeit um etwa 50 % senken (. Tab. 2.7). Umfangreiche klinische Untersuchungen haben starke Beweise dafür erbracht, dass das Neuropeptid CGRP eine Schlüsselrolle bei Migräne spielt. Dieser Nachweis führte zur Entwicklung von niedermolekularen CGRP-
2
Rezeptorantagonisten und monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor (Übersicht bei Dodick 2018; Charles und Pozo-Rosich 2019). Fremanezumab ist ein voll humanisierter monoklonaler Antikörper gegen das Neuropeptid CGRP, der die Bindung von CGRP an seinen Rezeptor verhindert. CGRP ist ein proinflammatorisches vasodilatierendes Neuropeptid, das an der Pathophysiologie der Migräne durch nozizeptive Mechanismen im trigeminovaskulären System beteiligt ist. Bei akuten Migräneanfällen steigen die CGRP-Spiegel im Jugularvenenblut an, bei chronischer Migräne sind sie im Anfallsintervall auch im peripheren Blut erhöht. Maximale Plasmaspiegel von Fremanezumab werden 5–7 Tage nach subkutaner Injektion mit einer Bioverfügbarkeit von 82 % erreicht. Die Elimination erfolgt überwiegend über einen proteolytischen Abbau zu kleinen Peptiden mit einer Halbwertszeit von etwa 31 Tagen (Übersicht bei Hoy 2018). Die Zulassung von Fremanezumab basiert auf zwei Hauptstudien. In der ersten Phase3-Studie wurden 1.130 Patienten mit chronischer Migräne (definiert als Kopfschmerzen von beliebiger Dauer oder Schwere an mehr als 15 Tagen pro Monat und Migräne an mehr als 8 Tagen pro Monat) mit Fremanezumab (675 mg s. c. vierteljährlich oder 675 mg s. c. monatlich bei Studienbeginn und 225 mg in Woche 4 und 8) oder Placebo über einen Zeitraum von 12 Wochen behandelt (Silberstein et al. 2017). Die durchschnittliche Anzahl der Kopfschmerztage (Ausgangswert 13 Tage pro Monat) wurde durch Fremanezumab stärker als durch Placebo vermindert (4,3 und 4,6 versus 2,5). Leberfunktionsstörungen (erhöhte Transaminasewerte) traten bei 5 Patienten in jeder der beiden Fremanezumab-Gruppen und bei 3 Patienten in der Placebogruppe auf. Die Häufigkeit weiterer Nebenwirkungen (Reaktionen am Injektionsort, Infektionen, Benommenheit) war mit Fremanezumab und Placebo ähnlich. Eine zweite Phase-3-Studie an 875 Patienten zeigte bei leicht modifizierter, aber der von der EMA zugelassenen Dosierung, mit einer Abnahme der monatlichen Migränetage
72
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.7 Arzneimittel zur Migräneprophylaxe. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate, Jahr der Zulassung, Halbwertszeit (HWZ), definierte Tagesdosis (DDD) und Bruttokosten pro Jahr
2
Wirkstoffe
Präparate (Auswahl)
Zulassung
HWZ
DDD
Bruttokosten pro Jahr (C)
Propranolol
Dociton
2004
45–68 h
160 mg
131
Metoprolol
MetoHEXAL
2005
3,5 h
150 mg
67
Topiramat
Topiramat STADA
2010
21 h
100 mg
188
Valproinsäure*
Valproat STADA
2005
12–16 h
1.500 mg
188
Betarezeptorenblocker
Antiepileptika
Weitere Migräneprophylaktika Amitriptylin
Amitriptylin-neuraxpharm
2004
10–28 h
75 mg
107
Flunarizin
Flunarizin acis
1995
18 Tage
10 mg
137
Erenumab
Aimovig
2018
28 Tage
2,5 mg
6.366
Galcanezumab
Emgality
2018
28 Tage
4 mg
5.942
Fremanezumab
Ajovy
2019
28 Tage
7,5 mg
5.942
CGRP-Antagonisten
* Verordnungsfähiger Off-Label-Use
nach 12 Wochen von 8,9 auf 4,9 Tage (3mal 225 mg Fremanezumab s. c. im Abstand von jeweils 4 Wochen) bzw. von 9,3 auf 5,2 Tage (einmalig 625 mg Fremanezumab s. c.) versus Placebo (9,1 auf 6,5 Tage) ähnliche Ergebnisse (Dodick et al. 2018). Die Nutzenbewertung von Fremanezumab ergab bei Patienten mit episodischer Migräne, die auf keine der zugelassenen Standardtherapien zur Migräneprophylaxe ansprechen, einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2019h). Bei unbehandelten Patienten und bei unzureichendem Ansprechen auf eine oder mehrere prophylaktische Medikationen (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin) war ein Zusatznutzen nicht belegt. Die Bruttokosten von Ajovy (3 Fertigpen 225 mg, Listenpreis 2.027,36 C, Erstattungsbetrag 1.465,10 C, Dosis 225 mg s. c. monatlich) betragen 16,28 C pro Tag und 5.942 C pro
Jahr (. Tab. 2.7). Die Kosten der CGRP-Antagonisten liegen damit deutlich höher als die Kosten aller anderen Arzneimittel zur Migräneprophylaxe. Fremanezumab (Ajovy) ist ein weiterer monoklonaler CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe bei mindestens vier Migränetagen pro Monat, der die Migränehäufigkeit um 33–35 % senkt und ähnlich wirksam ist wie bisher eingesetzte Mittel zur Migräneprophylaxe. Fremanezumab ist 30–80fach teurer als die bekannten Migräneprophylaktika und sollte daher erst bei Versagen der bisherigen Standardtherapie in Betracht gezogen werden.
Fazit
2.1.15
Galcanezumab (B)
Galcanezumab (Emgality) ist ein weiterer monoklonaler Antikörper gegen das Calcito-
73 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
nin Gene-Related Peptid (CGRP) zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat. Die Zulassung durch die EMA erfolgte am 14. November 2018 und die Markteinführung in Deutschland am 1. April 2019. Mit gleicher Indikation wurden weitere monoklonale Antikörper gegen das CGRP-Peptid zugelassen (siehe 7 Abschn. 2.1.14). Eine kurze Beschreibung der Krankheit und der verfügbaren Therapieoptionen findet sich bei Fremanezumab im vorangehenden Abschnitt (7 Abschn. 2.1.14). Galcanezumab ist ein voll humanisierter monoklonaler Antikörper gegen das Neuropeptid CGRP, der mit hoher Affinität (KD 31 pmol/l) an menschliches CGRP bindet und dadurch die CGRP-induzierte Rezeptoraktivierung verhindert. Maximale Plasmaspiegel von Galcanezumab werden 5 Tage nach subkutaner Injektion erreicht. Die Elimination erfolgt überwiegend über einen proteolytischen Abbau zu kleinen Peptiden mit einer Halbwertszeit von etwa 27 Tagen (Übersicht bei Lamb 2018). Die Zulassung von Galcanezumab basiert auf drei Hauptstudien. In der ersten Phase-3Studie wurden 862 Patienten mit episodischer Migräne (4 bis 14 Migränetagen pro Monat) mit Galcanezumab (120 und 240 mg 1mal/Monat s. c.) oder Placebo behandelt (Stauffer et al. 2018, EVOLVE-1). Die durchschnittliche Anzahl der Kopfschmerztage (Ausgangswert 9,1 Tage pro Monat) wurde durch Galcanezumab stärker als durch Placebo vermindert (4,7 Tage und 4,6 Tage versus 2,8 Tage). Die Häufigkeit von Nebenwirkungen (Reaktionen am Injektionsort, Infektionen, Nausea, Benommenheit) war mit Fremanezumab und Placebo ähnlich. Eine zweite Phase-3-Studie an 915 Patienten mit episodischer Migräne zeigte ähnliche Ergebnisse (Skljarevski et al. 2018, EVOLVE-2), ebenso eine dritte Phase-3-Studie an 1.117 Patienten mit chronischer Migräne (Detke et al. 2018, REGAIN). Die Nutzenbewertung von Galcanezumab ergab bei Patienten mit episodischer Migräne, die auf keine der zugelassenen Standardthera-
2
pien zur Migräneprophylaxe ansprechen, einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2019i). Bei unbehandelten Patienten und bei unzureichendem Ansprechen auf eine oder mehrere prophylaktische Medikationen (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin) war ein Zusatznutzen nicht belegt. Die Bruttokosten von Emgality (3 Fertigpen 120 mg, Listenpreis 2.027,36 C, Erstattungsbetrag 1.465,10 C, Dosis 120 mg s. c. monatlich) betragen 16,28 C pro Tag und 5.942 C pro Jahr (. Tab. 2.7). Die Kosten der CGRP-Antagonisten liegen damit deutlich höher als die Kosten aller anderen Arzneimittel zur Migräneprophylaxe. Fazit Galcanezumab (Emgality) ist ein weiterer monoklonaler CGRP-Antikörper zur Migräneprophylaxe bei mindestens vier Migränetagen pro Monat, der die Migränehäufigkeit um 52 % senkt und ähnlich wirksam ist wie bisher eingesetzte Mittel zur Migräneprophylaxe. Galcanezumab ist 30–80fach teurer als die bekannten Migräneprophylaktika und sollte daher erst bei Versagen der bisherigen Standardtherapie in Betracht gezogen werden.
2.1.16
Gilteritinib (B)
Gilteritinib (Xospata) ist ein FLT3-Tyrosinkinaseinhibitor zur Monotherapie von Patienten mit rezidivierter oder refraktärer akuter myeloischer Leukämie mit einer FLT3-Mutation. Das Präparat wurde am 24. Oktober 2019 von der EMA zugelassen und kam am 1. Dezember 2019 in Deutschland auf den Markt. Da es nur wenige Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) gibt, wurde Xospata am 17. Januar 2018 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Die akute myeloische Leukämie ist eine maligne klonale Erkrankung hämatopoetischer myeloischer Stammzellen, welche die normale Hämatopoese durch Akkumulation unreifer
74
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Myeloblasten beeinträchtigt und dadurch zu schweren Infektionen, Anämie und Blutungen führt. Mit jährlich 3.950 Neuerkrankungen ist die AML in Deutschland die häufigste akute Leukämie des Erwachsenen (Robert KochInstitut 2016). Das mediane Erkrankungsalter liegt bei etwa 70 Jahren. In den meisten Fällen tritt die Erkrankung ohne eine erkennbare Ursache auf (De-novo-AML). Lediglich bei 10–30 % der Patienten besteht eine sekundäre AML nach einem früheren myelodysplastischen Syndrom oder nach Exposition mit Benzol (insbesondere beim Rauchen), ionisierender Strahlung oder zytotoxischen Chemotherapeutika. Bei der AML-Diagnostik gewinnt neben der Knochenmarkszytologie, Immunphänotypisierung und Zytogenetik die molekulargenetische Analytik zunehmend an Bedeutung, um pathogenetische Subgruppen mit therapeutisch bedeutsamen Treibermutationen (z. B. NPM1, CEBPA, FLT3ITD, TP53, RUNX1, ASXL1) gemäß WHOKlassifikation zu identifizieren. Die therapeutische Strategie der AML hat sich nach der Einführung von mehreren neuen Arzneimitteln in den letzten beiden Jahren deutlich geändert, weil die Fortschritte der Molekulargenetik eine schnelle Auswahl einer zielgerichteten Initialtherapie ermöglichen. Ein weiteres wichtiges Element für die Aufstellung des Therapieplans mit einer intensiven Chemotherapie sind patientenrelevante Faktoren, wie Alter, Leistungsfähigkeit und Begleitkrankheiten. Standardtherapie ist die klassische Induktionstherapie (3 + 7 Induktion) mit einer Kombination aus einem Anthrazyklin (Daunorubicin oder Idarubicin) und Cytarabin. Sie besteht aus einer intravenösen Dauerinfusion von Daunorubicin (3 Tage 60 mg/m2 /Tag) und Cytarabin (7 Tage 100 mg/m2 /Tag). Ziel ist die komplette Remission mit weniger als 5 % Blasten im Knochenmark. Sie wird von 60–85 % der unter 60 Jahre alten Patienten erreicht, während die Ansprechraten der Patienten über 60 Jahre geringer sind (40–60 %). Anschließend folgt die Konsolidierungstherapie (Postremissionstherapie) bei unter 60 Jahre alten Patienten mit intermediär dosiertem
Cytarabin (1.000–1.500 mg/m2 alle 12 h über 3 Tage in 2–4 Zyklen), mit der Heilungsraten von 60–70 % erreicht werden. Bei Patienten mit FLT3-Mutationen (ca. 30 %) ist der Tyrosinkinaseinhibitor Midostaurin seit 2017 für die Erstlinientherapie zugelassen, der zusammen mit der Induktions- und Konsolidierungstherapie das Gesamtüberleben um 4 Jahre verlängerte. Dagegen bleibt die Prognose für ältere Patienten, die eine intensive Chemotherapie nicht vertragen, mit einem medianen Überleben von 5–10 Monaten immer noch schlecht (Übersicht bei Short et al. 2018). Gilteritinib ist ein neuer, hochselektiver, oraler Hemmstoff der FMS-like-Tyrosinkinase 3 (FLT3) mit Aktivität gegen FLT3Mutationen (IC50 0,29 nmol/l) und gegen die Tyrosinkinase AXL (IC50 0,73 nmol/l), die an der FLT3-Inhibitorresistenz beteiligt ist. Gilteritinib erreicht 4–6 h nach oraler Gabe maximale Plasmaspiegel, wird hauptsächlich in der Leber über CYP3A4 metabolisiert und überwiegend biliär mit einer terminalen Halbwertszeit von 113 h ausgeschieden (Übersicht bei Dhillon 2019). Die Zulassung von Gilteritinib basiert auf einer Hauptstudie an 371 Patienten mit rezidivierter oder refraktärer FLT3-mutierter AML, die entweder Gilteritinib (120 mg/Tag oral) oder eine Salvage-Chemotherapie mit vier verschiedenen Optionen je nach Vortherapie erhielten (Perl et al. 2019, ADMIRAL). Das mediane Gesamtüberleben (primärer Endpunkt) war in der Gilteritinib-Gruppe signifikant länger als in der Chemotherapiegruppe (9,3 Monate versus 5,6 Monate). Häufigste Nebenwirkungen waren febrile Neutropenie (46,7 % versus 36,7 %), Anämie (47,2 % versus 30,6 %), Fieber (42,7 % versus 29,4 %), Alaninaminotransferase-Anstieg (41,9 % versus 9,2 %), Obstipation (30,9 % versus 14,7 %), Müdigkeit (28,5 % versus 12,8 %), Thrombozytopenie (25,6 % versus 16,6 %), periphere Ödeme (24,0 % versus 11,9 %), Dyspnoe (23,6 % versus 6,4 %) und Erbrechen (21,5 % versus 13,8 %). Der medizinische Zusatznutzen von Orphan-Arzneimitteln gilt durch die EMA-Zulas-
75 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
sung als belegt, ebenso entfallen Angaben zur zweckmäßigen Vergleichstherapie. Das Ausmaß des Zusatznutzens von Gilteritinib ergab nach der Bewertung des G-BA einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2020e). Die Bruttokosten von Xospata (84 Filmtbl. 40 mg, Listenpreis 22.732,83 C, bisher kein Erstattungsbetrag, Dosis 120 mg/Tag oral) betragen 881,89 C pro Tag und 296.339 C pro Jahr und liegen damit in einem ähnlichen Bereich wie die Einführungskosten von Midostaurin (Rydapt). Fazit Gilteritinib (Xospata) ist ein weiterer FLT3-Tyrosinkinaseinhibitor zur Monotherapie von Patienten mit rezidivierter oder refraktärer akuter myeloischer Leukämie mit einer FLT3-Mutation. Das Gesamtüberleben wurde um knapp 4 Monate verlängert. Die Jahrestherapiekosten betragen allerdings fast 300.000 C.
2.1.17
Humane allogene mesenchymale Stromazellen (A)
Humane allogene mesenchymale Stromazellen (Obnitix) werden zusätzlich zur konventionellen Therapie mit Immunsuppressiva (Ciclosporin A, Prednisolon u. a.) zur Behandlung einer steroidrefraktären, akuten Graft-versus-HostDisease (GvHD)-Reaktion (Grad II–IV) von Patienten nach allogener Stammzelltransplantation angewendet. Das Paul-Ehrlich-Institut erteilte am 24. August 2016 für das Präparat eine Genehmigung gemäß den Sondervorschriften für Arzneimittel für neuartige Therapien (§ 4b AMG). Die Markteinführung in Deutschland erfolgte am 15. September 2019. Darüber hinaus ist noch eine Zulassung durch die EMA zu erwarten. Da eine GvHD-Reaktion nur bei 0,16 von 10.000 Menschen in der Europäischen Union auftritt, wurde Obnitix am 26. März 2014 von der EMA als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen.
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Die GvHD-Reaktion ist die häufigste lebensbedrohliche Komplikation nach allogener Stammzelltransplantation, die bei Patienten auftritt, wenn immunkompetente T-Zellen des gespendeten Gewebes den Empfänger als fremd erkennen. Ursache ist eine Immunreaktion gegen Empfängergewebe durch die Aktivierung von T-Lymphozyten des Spenders, um die für sie fremden Antigen-tragende Zellen zu eliminieren. Die beiden wichtigsten klinischen Formen sind die akute GvHD (üblicherweise innerhalb von 100 Tagen) und die chronische GvHD. Die akute GvHD wird nach Ausprägung und Anzahl der befallenen Organe in vier Schweregrade eingeteilt. Typische Symptome der akuten GvHD sind bei leichtgradiger Ausprägung (Grad I) makulopapulärer Ausschlag, bei höheren Schweregraden (II-IV) Hyperbilirubinämie mit Ikterus, Übelkeit, Erbrechen, Kolitis mit massiver Diarrhö und krampfartige Bauchschmerzen. Trotz prophylaktischer Behandlung mit Immunsuppressiva entwickeln 20–80 % der Empfänger nach einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation eine akute GvHD. Zur Behandlung der leichtgradigen GvHD an der Haut können topische Steroide eingesetzt. Bei höheren Schweregraden ist die Standardtherapie weiterhin eine kurzdauernde systemische Therapie mit hochdosiertem Prednisolon, gefolgt von einer strukturierten Dosisreduktion. Patienten mit akuter steroidrefraktärer GvHD haben eine ungünstige Langzeitprognose mit einer Gesamtüberlebensrate von nur 5–30 %. Daher wurden mehrere monoklonale Antikörper zur Therapie der akuten steroidrefraktären GvHD untersucht, bisher aber nur als OffLabel-Therapie eingesetzt. Dazu gehört Basiliximab (Simulect), das zur Prophylaxe der akuten Transplantatabstoßung nach allogener Nierentransplantation zugelassen ist. Weiterhin wurden mesenchymale Stromazellen als potentielle Therapie der schweren GvHD untersucht. Verschiedene klinische Studien zeigten entweder beeindruckende Reaktionen oder keine signifikanten Effekte auf die GvHD-bedingte Mortalität. Die widersprüchlichen Ergebnisse waren möglicherweise durch unter-
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
schiedliche Herstellungsverfahren der mesenchymalen Stammzellen, den Zeitpunkt des Transfers oder den Schweregrad der GvHD bedingt (Übersicht bei Zeiser und Blazar 2017). Seit 2016 sind humane allogene mesenchymale Stromazellen für die Therapie der akuten steroidrefraktären GvHD aufgrund einer Genehmigung des Paul-Ehrlich-Instituts in Deutschland verfügbar. Es handelt sich um ein spezielles Präparat (Mesenchymal Stromal Cells-Frankfurt on Main, Obnitix), das sich in mehreren Eigenschaften von ähnlichen Zellprodukten unterscheidet. Es wird aus gepoolten mononukleären Knochenmarkzellen von mindestens acht gesunden Knochenmarkspendern hergestellt und nicht wie bisher von einem Spender. Dadurch werden vermutlich besonders potente mesenchymale Stromazellen oder ein stärker immunmodulatorischer Phänotyp selektiert. Grundlage der Genehmigung des Paul-Ehrlich-Instituts waren zunächst Ergebnisse einer Multicenter-Studie an Patienten mit schwerer steroidrefraktärer GvHD, die später durch retrospektive Daten aus einem Pharmakovigilanzprogramm von 92 behandelten Kindern und Erwachsenen vervollständigt wurden (Bonig et al. 2019). Die kryokonservierte Zellpräparation wird sofort nach dem Auftauen als intravenöse Infusion in einer Einzeldosis von 1–2 106 humanen allogenen mesenchymalen Stromazellen/kg Körpergewicht mit einer Zieldosis von 4 Einzeldosen im Abstand von jeweils 7 Tagen verabreicht. Die bisher behandelten Patienten erhielten durchschnittlich drei Dosen des Präparates ohne akute infusionsbedingte Toxizität. Die Gesamtansprechrate betrug bei der ersten Untersuchung (31 Tage nach Behandlungsbeginn) 82 % und bei der letzten Untersuchung 81 %. Nach sechs Monaten betrug das Gesamtüberleben 64 % und war damit höher als in einer vergleichbaren Kohorte einer historischen Kontrolle. Eine Nutzenbewertung wurde bisher nicht durchgeführt, weil für humane allogene mesenchymale Stromazellen (Obnitix) noch keine EMA-Zulassung erteilt wurde. Für Kinder betragen die Bruttokosten von Obnitix 30
(1 Beutel 30 Mio. humane allogene mesenchymale Stromazellen mit 1–3 106 Zellen pro ml, Dosis 1–2 106 Zellen/kg für 15–30 kg Körpergewicht, 1mal alle 7 Tage über 4 Wochen) 15.454,01 C pro Woche und 61.816 C pro Therapiekurs. Für Erwachsene (61–90 kg Körpergewicht) betragen die Bruttokosten von Obnitix 90 (1 Beutel 90 Mio. humane allogene mesenchymale Stromazellen mit 1–3 106 Zellen pro ml, Dosis 1–2 106 Zellen/kg, 1mal alle 7 Tage über 4 Wochen) 46.341,65 C pro Woche und 185.366 C pro Therapiekurs. Fazit Humane allogene mesenchymale Stromazellen (Obnitix) werden als OrphanArzneimittel zusätzlich zur konventionellen Therapie mit Immunsuppressiva zur Behandlung einer steroidrefraktären, akuten GvHD-Reaktion bei Patienten nach allogener Stammzelltransplantation angewendet. Pharmakovigilanzdaten zeigen nach sechs Monaten ein Gesamtüberleben von 64 %, so dass die ungünstige Langzeitprognose dieser Patienten offenbar verbessert wird. Die Therapiekosten des neuen Orphan-Arzneimittels betragen je nach Körpergewicht 61.816 bis 185.366 C pro Therapiekurs.
2.1.18
Lanadelumab (A)
Lanadelumab (Takhzyro) ist bei Patienten ab 12 Jahren zur routinemäßigen Prophylaxe von wiederkehrenden Attacken eines hereditären Angioödems zugelassen. Es ist nicht zur Therapie einer akuten Attacke des hereditären Angioödems vorgesehen. Takhzyro wurde am 24.01.2019 von der EMA zugelassen und am 1. Februar 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Takhzyro wurde am 09.10.2015 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Angioödeme, nach dem Erstbeschreiber früher auch Quincke-Ödeme genannt, sind episodische, lebensbedrohliche akute Schwellungen der Haut und Schleimhäute, die einige Tage anhalten und rezidivieren können (Bus-
77 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
se und Christiansen 2020). Den Angioödemen liegen verschiedene Krankheiten und Auslöser zugrunde, darunter sind auch Medikamente wie ACE-Hemmer zu nennen. Die erblichen Formen, hereditäre Angioödeme (HAE), umfassen einen kleinen Anteil der Angioödeme. Dem erblichen Angioödem liegt ein Mangel an C1-Esterase-Inhibitor zugrunde, der durch Mutationen im SERPING1-Gen bedingt ist (Busse und Christiansen 2020). Der C1Esterase-Inhibitor-Mangel kann autosomal dominant vererbt werden und tritt mit einer Häufigkeit von 1 Fall pro 50.000 Personen auf. C1Esterase-Inhibitor hemmt verschiedene Proteasen im Komplement-System, der Blutgerinnung sowie der Fibrinolyse. Bleibt die Hemmung z. B. des Plasma-Kallikreins aus, entsteht vermehrt Bradykinin, das durch verstärkte Aktivierung von Bradykinin B2-Rezeptoren eine ausgeprägte Vasodilatation und Gewebeschwellung auslöst (Bork et al. 2019; Busse und Christiansen 2020). Hereditäre Angioödeme, die auf einem C1-Esterase-InhibitorMangel beruhen, entwickeln sich typischerweise im Laufe der Kindheit (mittleres Manifestationsalter 8–12 Jahre) und aggravieren während der Pubertät. Ist der Gesichts- und Larynxbereich betroffen, kann eine lebensbedrohliche Atemnot entstehen (Bork et al. 2019). Zwei therapeutische Strategien können verfolgt werden: Bei einem akuten Angioödem kann die Attacke behandelt werden (Bedarfstherapie) oder es erfolgt eine Dauertherapie mit dem Ziel, Frequenz und Schweregrad der Attacken zu reduzieren (Bork et al. 2019). Bei einer akuten Attacke können insbesondere C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat, rekombinanter C1-Inhibitor Conestat alfa oder der Bradykinin-B2-Rezeptorantagonist Icatibant gegeben werden (Bork et al. 2019). Corticoide, Antihistaminika oder Adrenalin gelten bei einem hereditären Angioödem durch C1Inhibitormangel als unwirksam (Bork et al. 2019). Wenn trotz optimaler Bedarfstherapie keine Kontrolle der Erkrankung erreicht werden kann, ist eine Langzeitprophylaxe zu erwägen. Hierfür standen bisher u. a. C1-Esterase-
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Inhibitor-Konzentrat, attenuierte Androgene sowie Antifibrinolytika zur Verfügung. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Lanadelumab bei hereditärem Angioödem wurden in einer Placebo-kontrollierten Phase IIIStudie über 26 Wochen mit verschiedenen Dosierungsschemata überprüft. In der PlaceboGruppe traten 1,97 Attacken pro Monat auf. Lanadelumab reduzierte die Frequenz der Attacken pro Monat auf 0,48 in der Gruppe mit 150 mg/4 Wochen, auf 0,53 in der Gruppe mit 300 mg/4 Wochen bzw. auf 0,26 in der Gruppe mit 300 mg Lanadelumab alle 2 Wochen (Banerji et al. 2018). In allen drei Behandlungsgruppen verbesserte sich die Lebensqualität im Vergleich mit Placebo. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen waren Reaktionen oder Erytheme an der Injektionsstelle, virale Infektionen des oberen Respirationstrakts, Kopfschmerzen und Schwindel. Der medizinische Zusatznutzen von Orphan-Arzneimitteln gilt durch die EMA-Zulassung als belegt, ebenso entfallen Angaben zur zweckmäßigen Vergleichstherapie. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab einen beträchtlichen Zusatznutzen von Lanadelumab (Bundesministerium für Gesundheit 2019j). Die Jahrestherapiekosten von Takhzyro betragen 212.951,77–425.903,53 C. Lanadelumab ist ein rekombinanter, vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der spezifisch das Plasma-Kallikrein hemmt und für die Prophylaxe von Attacken des hereditären Angioödems zugelassen ist.
Fazit
2.1.19
Larotrectinib (A)
Larotrectinib (Vitrakvi) ist ein selektiver Tropomyosin-Rezeptor-Kinase (TRK)-Inhibitor für die Monotherapie von erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit soliden Tumoren mit einer neurotrophen Tyrosin-RezeptorKinase (NTRK)-Genfusion, bei denen eine lokal fortgeschrittene oder metastasierte Erkrankung vorliegt oder eine Erkrankung, bei
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
der eine chirurgische Resektion wahrscheinlich zu schwerer Morbidität führt, und für die keine zufriedenstellenden Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Das Präparat wurde am 19. September 2019 von der EMA zugelassen und kam am 15. Oktober 2019 in Deutschland auf den Markt. Die zunächst erteilte Orphan-Designation wurde vom Hersteller vor der Zulassung zurückgezogen. Larotrectinib ist das erste Arzneimittel, das von der EMA ausschließlich für die tumoragnostische Krebstherapie zugelassen wurde. „Agnostisch“ ist ein altgriechisches Wort und heißt direkt übersetzt „ohne Wissen“. In der Onkologie bedeutet agnostisch, dass die Therapie ausschließlich nach einer Biomarkerabhängigen Diagnose mit spezifischen molekulargenetischen Veränderungen erfolgt und nicht durch die Lokalisation oder die histologische Klassifikation des Tumors. Bisher wurde lediglich Pembrolizumab in den USA für eine tumoragnostische Indikation (metastatische solide Tumoren mit Mikrosatelliteninstabilität) neben vielen anderen organspezifischen Indikationen (z. B. Haut-, Lungen-, Nierenzell- und Blasenkarzinome) zugelassen (Børset 2019). Larotrectinib ist ein hochselektiver Inhibitor von drei Tropomyosin-Rezeptor-Kinasen (TRKA, TRKB, TRKC) mit niedrigen Hemmkonzentrationen (IC50 5–11 nmol/l) und minimaler Aktivität gegen andere Kinasen. Durch die Hemmung der TRK-Aktivierung kommt es in Tumoren mit konstitutiver Aktivierung von TRK-Proteinen, die durch Genfusionen oder Überexpression von TRK-Proteinen bedingt ist, zur zellulären Apoptose und zur Hemmung des Zellwachstums. Larotrectinib erreicht eine Stunde nach oraler Gabe maximale Plasmaspiegel, wird hauptsächlich in der Leber über CYP3A4 metabolisiert und überwiegend biliär aber auch renal mit einer Halbwertszeit von 2,9 h ausgeschieden. Daher ist eine zweimal tägliche Gabe erforderlich (Übersicht bei Scott 2019). Die Zulassung beruht auf drei unkontrollierten klinischen Studien mit insgesamt 102
Patienten (LOXO TRK1401, SCOUT, NAVIGATE), die bisher nur als Teilergebnisse der ersten 55 Patienten in einer gepoolten Analyse publiziert wurden (Russell et al. 2017). Die Patienten hatten 17 verschiedene TRK-Fusionspositive Tumortypen, darunter am häufigsten Speicheldrüsentumoren (22 %), Weichteilsarkome (20 %), infantile Fibrosarkome (13 %) und Schilddrüsentumoren (9 %). Die Gesamtansprechrate (primärer Endpunkt) betrug 75 %. Nach einem Jahr wurden die mediane Ansprechdauer und das mediane progressionsfreie Überleben noch nicht erreicht. Zu diesem Zeitpunkt zeigten 71 % der Patienten weiterhin ein Therapieansprechen und 55 % der Patienten hatten keine Progression. Häufigste Nebenwirkungen waren Transaminaseanstiege (42 %), Müdigkeit (36 %), Erbrechen (33 %), Benommenheit (31 %), Übelkeit (31 %) und Anämie (29 %). Die unerwünschten Ereignisse waren überwiegend geringgradig und führten bei keinem Patienten zum Therapieabbruch. Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Larotrectinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Bundesministerium für Gesundheit 2020f). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass keine kontrollierten Studien für einen direkten oder indirekten Vergleich zur Bewertung des Zusatznutzens vorgelegt wurden. Die Bruttokosten von Vitrakvi (100 ml mit 20 mg/ml, Listenpreis 6.623,56 C, bisher kein Erstattungsbetrag, Dosis für Erwachsene 200 mg/Tag oral) betragen 662,36 C pro Tag und 241.760 C pro Jahr. Sie liegen damit erheblich höher als die Kosten von Tyrosinkinaseinhibitoren, die beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms eingesetzt werden (. Tab. 2.4). Larotrectinib (Vitrakvi) ist das erste Arzneimittel für eine agnostische Tumortherapie, bei der die Behandlung nicht organbezogen sondern ausschließlich über einen Biomarker erfolgt. Der Wirkstoff ist ein selektiver Tropomyosin-Rezeptor-Kinase (TRK)Inhibitor zur Behandlung von soliden Tumoren mit einer neurotrophen Tyrosin-Rezeptor-
Fazit
79 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
Kinase (NTRK)-Genfusion. Nach einem Jahr zeigten 71 % der Patienten ein Therapieansprechen und 55 % der Patienten ein progressionsfreies Überleben. Die Jahrestherapiekosten für Erwachsene sind allerdings extrem hoch.
2.1.20
Lorlatinib (C)
Lorlatinib (Lorviqua) ist ein weiterer Inhibitor der Anaplastischen Lymphomkinase (ALK) und des C-Ros-Onkogen 1 (ROS1) für die Monotherapie erwachsener Patienten mit ALKpositivem, fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, deren Erkrankung fortgeschritten ist nach Ersttherapie mit den ALKTyrosinkinase-Inhibitoren Alectinib oder Ceritinib oder Crizotinib und mindestens einem anderen ALK-Tyrosinkinaseinhibitor. Das Präparat wurde am 6. Mai 2019 von der EMA zugelassen und kam am 1. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt. Eine kurze Beschreibung des Lungenkarzinoms und der verfügbaren Therapieoptionen findet sich bei Brigatinib in diesem Kapitel (7 Abschn. 2.1.3). Lorlatinib ist ein ATP-kompetitiver ALKInhibitor, der gegen die Wildtyp ALK-Tyrosinkinase eine niedrigere Hemmkonstante (Ki Wert < 0,07 nmol) als die ALK-Inhibitoren Crizotinib, Ceritinib und Alectinib aufweist und auch gegen Crizotinib-resistente ALKMutanten eine hohe Wirksamkeit zeigt (Ki Wert < 0,1–0,9 nmol). Weiterhin wird auch die ROS1-Kinase in subnanomolaren Konzentrationen (Ki < 0,025 nmol) gehemmt. Lorlatinib erreicht 1–2 h nach oraler Gabe maximale Plasmaspiegel und zusätzlich auch eine hohe Passage durch die Bluthirnschranke. Es wird hauptsächlich in der Leber über CYP3A4 und UGT1A4 metabolisiert und mit einer Halbwertszeit von 24 h ausgeschieden (Übersicht bei Syed 2019). Basis der Zulassung von Lorlatinib war eine einarmige Phase-2-Studie an insgesamt 276 Patienten mit ALK- oder ROS1-positivem fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungen-
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karzinom, die in sechs verschiedenen Expansionskohorten abhängig vom ALK- und ROS1Status sowie der vorangegangenen Therapie untersucht wurden (Solomon et al. 2018). In den gepoolten Untergruppen der ALK-positiven Patienten zeigte die Behandlung mit Lorlatinib (100 mg/Tag oral in 21-tägigen Zyklen) deutliche Unterschiede im allgemeinen und intrakraniellen Ansprechen des Tumors (primärer Endpunkt). Bei therapienaiven Patienten war das objektive Ansprechen am höchsten (90,0 % der Patienten). Bei mindestens einer vorangegangenen Therapie mit den bisher verfügbaren ALK-Inhibitoren wurden bei 47,0 % der 198 ausgewerteten Patienten objektive Remissionen und bei Hirnmetastasen intrakranielle Remissionen bei 63,0 % der Patienten erzielt. Bei den nur mit Crizotinib vorbehandelten Patienten lag die Remissionsrate höher (69,5 %) und bei den mit neueren ALK-Inhibitoren vorbehandelten Patienten niedriger (32,1 %). Die häufigsten Nebenwirkungen waren Hypercholesterinämie (bei 81 % der Patienten), Hypertriglyzeridämie (60 %), Ödeme (43 %), periphere Neuropathie (30 %), Gewichtsanstieg (18 %) und kognitive Effekte (18 %). Nebenwirkungsbedingte Therapieunterbrechungen waren häufig (30 %), dauerhafte Therapieabbrüche jedoch selten (3 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab, dass ein Zusatznutzen von Lorlatinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt ist (Bundesministerium für Gesundheit 2019k). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass keine Ergebnisse aus kontrollierten Studien für einen direkten oder indirekten Vergleich zur Bewertung des Zusatznutzens vorgelegt wurden. Die Bruttokosten von Lorviqua (30 Filmtbl. 100 mg Listenpreis 7.815,46 C, Erstattungsbetrag 5.377,30 C, Dosis 100 mg/Tag oral) betragen 179,24 C pro Tag und 65.424 C pro Jahr (. Tab. 2.4). Lorlatinib (Lorviqua) ist ein ALKund ROS1-Inhibitor für die Zweitlinientherapie von Patienten mit ALK-positivem, fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzi-
Fazit
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
nom, deren Erkrankung nach Ersttherapie mit anderen ALK-Tyrosinkinaseinhibitoren fortgeschritten ist. In einer einarmigen Studie zeigten die Patienten in Abhängigkeit von der Vorbehandlung unterschiedliche Ansprechraten (32,1 bis 90,0 %). Ein Zusatznutzen war wegen des unkontrollierten Studiendesigns nicht belegt.
2.1.21
Lutetium (177 Lu)Oxodotreotid (A)
Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid (Lutathera) ist ein radioaktiv markiertes Somatostatinanalogon zur Behandlung von nicht resezierbaren oder metastatischen, progressiven, gut differenzierten (G1 und G2) Somatostatinrezeptorpositiven gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren (GEP-NETs) bei Erwachsenen. Da es nur wenige Patienten mit gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren gibt, wurde Lutathera am 31. Januar 2008 als Orphan-Arzneimittel ausgewiesen. Das Präparat wurde am 26. September 2017 von der EMA zugelassen und kam am 1. April 2018 in Deutschland auf den Markt. Die Darstellung erfolgt nachträglich, weil das Arzneimittel 2018 in dem 14-täglich erscheinenden Abschnitt Neueinführungen der Pharmazeutischen Zeitung nicht als neuer Wirkstoff gelistet war. Neuroendokrine Tumoren sind relativ seltene Tumoren (Inzidenz 7/100.000), die erstmals 1907 von dem Münchener Pathologen Siegfried Oberndorfer als Karzinoide beschrieben wurden. Sie entwickeln sich aus den Sekretionszellen des diffusen neuroendokrinen Systems und sind am häufigsten im Dünndarm (31 %), Rektum (26 %), Dickdarm (18 %) und in der Bauchspeicheldrüse (12 %) lokalisiert. Je nach Primärstandort kann die klinische Aggressivität deutlich variieren. So zeigen neuroendokrine Dünndarmtumoren ein relativ hohes malignes Potenzial und sezernieren häufig Serotonin und andere vasoaktive Substanzen, die das Karzino-
idsyndrom mit typischen Symptomen (Flush, Diarrhö, Bauchschmerzen, Schweißausbrüche, Bronchospasmen) auslösen. Einzige kurative Therapie ist die chirurgische Resektion des Primärtumors, die allerdings nur selten erfolgreich ist. Wichtigste Arzneitherapie ist die Anwendung von Somatostatinanaloga (Octreotid, Lanreotid), die jedoch die Symptome aufgrund von dosislimitierenden Nebenwirkungen und Tachyphylaxie nicht bei allen Patienten lindern. Seit 2017 kann Telotristat (Xermelo) bei unzureichender Wirkung der Somatostinanaloga zur Behandlung der Karzinoid-bedingten Diarrhö eingesetzt werden. Bei inoperablen oder metastasierten neuroendokrinen Tumoren wurde Everolimus zur Behandlung zugelassen sowie Sunitinib speziell für die Behandlung von pankreatischen neuroendokrinen Tumoren mit Krankheitsprogression (Übersicht bei Cives und Strosberg 2018). Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid ist ein Radiotherapeutikum, das aus dem Radionuklid 177 Lutethium und einem Somatostatinanalogon besteht. Das Radionuklid emittiert “Strahlen mit einer maximalen Gewebspenetration von 2,2 mm zur Abtötung von Tumorzellen und nur geringer Wirkung auf benachbarte normale Zellen. Die Anwendung beruht auf dem Konzept der Peptidrezeptor-RadionuklidTherapie für gut differenzierte neuroendokrine Tumoren mit einer hohen Expression von Somatostatinrezeptoren. Die hohe Rezeptoraffinität des Somatostatinanalogs für Subtyp2-Somatostatinrezeptoren (SSTR2) ermöglicht über das Andocken des Radionuklidkomplexes direkt an SST2-Rezeptoren überexprimierende Tumorzellen eine gezielte systemische Strahlentherapie. Nach intravenöser Injektion hat Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid eine effektive Bluteliminationshalbwertszeit von 3,5 h und wird überwiegend in Nieren, Tumorläsionen, Leber und Milz aufgenommen. Die Elimination des Radiotherapeutikums erfolgt innerhalb von 24 h zu 60 % über die Niere in weitgehend unveränderter Form (Übersicht bei Hennrich und Kopka 2019). Die Hauptstudie für die Zulassung war eine Phase-3-Studie an 229 Patienten mit gut diffe-
81 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
renzierten metastasierten neuroendokrinen Tumoren des Mitteldarms, die Lutetium (177 Lu)Oxodotreotid (7,4 GBq als i. v. Infusion alle 8 Wochen mit insgesamt 4 Infusionen und zusätzlich zur Symptomkontrolle 30 mg Octreotid-LAR i. m.) oder Octreotid-LAR (60 mg i. m. alle 4 Wochen) als Kontrollgruppe erhielten (Strosberg et al. 2017, NETTER-1). Nach 20 Monaten lag die progressionsfreie Überlebensrate (primärer Endpunkt) mit Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid deutlich höher als in der Kontrollgruppe (65,2 % versus 10,8 %). Eine vorläufige Interimanalyse des Gesamtüberlebens ergab eine 60 %ige Reduktion des Mortalitätsrisikos durch Lutetium (177 Lu)Oxodotreotid. Häufigste Nebenwirkungen waren Übelkeit (59 % versus 12 %), Erbrechen (47 % versus 10 %), Müdigkeit (40 % versus 25 %), Diarrhö (29 % versus 19 %) Muskelschmerzen (29 % versus 20 %) und Thrombozytopenie (25 % versus 1 %). Nebenwirkungsbedingte Therapieabbrüche gab es in beiden Patientengruppen (6 % versus 9 %). Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil der G-BA das Arzneimittel von der Nutzenbewertung wegen der Geringfügigkeit des zu erwartenden Umsatzes freigestellt hat. Preisangaben sind in den üblichen Standardpublikationen nicht verfügbar. Bisher gibt es einen Änderungsvorschlag für den Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS 2020), in dem die Kosten für das Fertigarzneimittel Lutathera für eine Infusion mit etwa 28.500 C angegeben werden, während die Sachkosten der patientenindividuelle Eigenherstellung aus den kommerziell verfügbaren Einzelsubstanzen bisher ca. 2.500–4.000 C betrugen (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2020b). Danach könnte die Radiotherapie mit Lutathera jetzt 114.000 C statt bisher 16.000 C kosten. In den Niederlanden hat der Gesundheitsminister die massive Kostenexplosion für eine Krebsbehandlung mit Lutathera moniert (Tages-Anzeiger 2019).
2
handlung von Somatostatinrezeptor-positiven gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren. Die Radiotherapie erhöht das progressionsfreie Überleben und nach vorläufigen Daten auch das Gesamtüberleben. Lutathera soll jedoch erheblich teurer sein als die bisher in den Kliniken durchgeführte patientenindividuelle Eigenherstellung.
2.1.22
Neratinib (C)
Neratinib (Nerlynx) ist ein Tyrosinkinaseinhibitor des humanen epidermalen Wachstumsrezeptors Typ 2 (HER2) für die erweiterte adjuvante Behandlung von erwachsenen Patienten mit Hormonrezeptor-positivem, HER2-überexprimiertem/amplifiziertem Brustkrebs in einem frühen Stadium, die vor weniger als einem Jahr eine Trastuzumab-basierte adjuvante Therapie abgeschlossen haben. Das Präparat wurde am 31. August 2018 von der EMA zugelassen und kam am 1. Dezember 2019 in Deutschland auf den Markt. Brustkrebs ist der häufigste maligne Tumor der Frau. In Deutschland traten 2013 insgesamt 71.640 Neuerkrankungen und 17.853 Todesfälle auf (Robert Koch-Institut 2016). Die absolute Fünfjahresüberlebensrate hat in den letzten 15 Jahren durch Fortschritte der Früherkennung und der Therapie stetig zugenommen und beträgt derzeit 88 %. Bei 15–20 % der invasiven Mammakarzinome ist der humane epidermale Wachstumsrezeptor Typ 2 (HER2) überexprimiert. Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs haben eine aggressive Verlaufsform mit einem erhöhten Risiko für eine frühe Metastasierung und ein geringeres Gesamtüberleben. Die Anti-HER2-Therapie von HER2positivem Brustkrebs hat den Verlauf dieser Krankheit verändert. Mit der Einführung des HER2-Antikörpers Trastuzumab (Herceptin) wurde die ungünstige Prognose 1998 erstmals grundlegend gebessert. In Kombination mit einer Chemotherapie verlängerte Trastuzumab Fazit Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid das Gesamtüberleben in der metastasierten Si(Lutathera) ist ein Radiotherapeutikum zur Be- tuation um 4,8 Monate. Ebenso verlängert
82
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
die Kombinationstherapie mit Trastuzumab in der adjuvanten Situation das 5-Jahresüberleben und ist seit vielen Jahren der Therapiestandard. Als zweites Arzneimittel wurde 2008 der Tyrosinkinaseinhibitor Lapatinib (Tyverb) zur Zweitlinientherapie des metastasierten HER2positiven Mammakarzinoms eingeführt, wodurch jedoch nur das progressionsfreie Überleben aber nicht das Gesamtüberleben verlängert wurde. Auch in der adjuvanten Situation wurde das krankheitsfreie Überleben durch Kombination von Trastuzumab mit Lapatinib nicht verbessert, die Kombination war aber mit zusätzlichen toxischen Wirkungen belastet. Erfolgreicher war dagegen die Behandlung mit Pertuzumab (Perjeta), einem weiteren HER2-blockierenden Wirkstoff, der als Dimerisierungsinhibitor des HER2-Rezeptors wirkt. Die Monotherapie hatte nur eine geringe Antitumoraktivität, die Kombination mit Trastuzumab und Docetaxel zeigte dagegen in der Erstlinienbehandlung deutliche synergistische Effekte und verlängerte das progressionsfreie Überleben um 6,2 Monate im Vergleich zur Zweifachtherapie mit Trastuzumab und Docetaxel. Auf der Basis dieser Ergebnisse ist die Dreifachkombination der neue Erstlinienstandard für Patientinnen mit HER2-positivem metastasiertem Brustkrebs und gutem Allgemeinzustand geworden (Übersicht bei Loibl und Gianni 2017). Neratinib ist nach Lapatinib ein weiterer Vertreter der Tyrosinkinaseinhibitoren des humanen epidermalen Wachstumsrezeptors 2 (HER2), der zusätzlich die Enzymaktivität von HER1 und HER4 in subnanomolaren Konzentrationen irreversibel hemmt. Durch kovalente Bindung an die ATP-Bindungsstelle des Wachstumsrezeptors wird die nachfolgende Signaltransduktion blockiert und dadurch die Zellproliferation gehemmt. Neratinib erreicht 2–8 h nach oraler Gabe maximale Plasmaspiegel, wird hauptsächlich in der Leber über CYP3A4 und geringerem Maße durch Flavinabhängige Monooxygenasen metabolisiert und mit einer mittleren Eliminationshalbwertszeit von 7–17 h ausgeschieden (Übersicht bei Paranjpe et al. 2019).
Grundlage der Zulassung von Neratinib war eine Phase-3-Studie an 2.840 Frauen mit HER2-positivem Brustkrebs im Stadium 2–3, die eine neoadjuvante und adjuvante Behandlung mit Trastuzumab bis zu einem Jahr vorher abgeschlossen hatten (Chan et al. 2016, ExteNET). Die 2-Jahresüberlebensrate ohne invasive Erkrankungen (primärer Endpunkt) lag in der mit Neratinib (240 mg/Tag oral) behandelten Patientengruppe signifikant höher als in der Placebogruppe (93,9 % versus 91,6 %). In einer weiteren Auswertung nach 5,2 Jahren lag die krankheitsfreie Überlebensrate in der Neratinib-Gruppe ebenfalls höher als in der Placebogruppe (90,2 % versus 87,7 %) (Martin et al. 2017). Häufigste Nebenwirkungen waren Diarrhö (95 % versus 36 %), Übelkeit (43 % versus 22 %), Müdigkeit (27 % versus 21 %), Erbrechen (26 % versus 9 %) und Bauchschmerzen (24 % versus 11 %). Diarrhöbedingte Studienabbrüche traten unter Neratinib häufiger als in der Placebogruppe auf (17 % versus 0,2 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab für Neratinib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2020g). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass dem Vorteil bei Rezidiven gravierende Nachteile bei den Nebenwirkungen gegenüberstanden. Die Bruttokosten von Nerlynx (180 Filmtbl. 40 mg Listenpreis 6.462,07 C, bisher kein Erstattungsbetrag, Dosis 240 mg/ Tag oral) betragen 215,40 C pro Tag und 78.622 C pro Jahr. Sie liegen fast doppelt so hoch wie die Jahrestherapiekosten des HER2-Tyrosinkinaseinhibitors Lapatinib (Tyverb) (49.400 C pro Jahr), der für die Zweitlinientherapie des HER2-positiven Brustkrebses zugelassen ist. Fazit Neratinib (Nerlynx) ist ein HER2Tyrosinkinaseinhibitor für die erweiterte adjuvante Behandlung von Patienten mit Hormonrezeptor-positivem, HER2-überexprimiertem Brustkrebs nach einer vorangegangenen adjuvanten Therapie mit Trastuzumab. In einer
83 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
2
placebokontrollierten Studie verlängerte Nera- kognitive Funktionen, Mikrozephalie, Krämptinib das krankheitsfreie Überleben geringfü- fe und andere neuromotorische Störungen. In Deutschland wurde in den frühen 70er gig. Jahren ein flächendeckendes NeugeborenenScreening für Hyperphenylalaninämie eingeführt. Die Phänotypen der Patienten liegen in 2.1.23 Pegvaliase (A) einem kontinuierlichen Spektrum von leichter Hyperphenylalaninämie bis zu schwerer klasPegvaliase (Palynziq) ist die pegylierte, re- sischer Phenylketonurie. Es besteht eine gute kombinante Form des Enzyms Phenylalanin- Korrelation zwischen dem biochemischen PhäAmmoniaklyase für die Behandlung von Pati- notyp und dem Genotyp der Patienten. Über enten mit Phenylketonurie ab einem Alter von vier Jahrzehnte war die einzige verfügbare Be16 Jahren, deren Phenylalaninwerte im Blut handlung eine restriktive Diät mit niedrigem trotz vorausgegangener Anwendung verfüg- Phenylalaningehalt. Damit entwickeln sich von barer Behandlungsoptionen nicht ausreichend Geburt an behandelte Kinder mit Phenylketoeingestellt sind (Phenylalaninwerte im Blut nurie in der Regel normal und erreichten voll von über 600 mol/l). Das Präparat wurde am leistungsfähig das Erwachsenenalter. Die Di3. Mai 2019 von der EMA zugelassen und kam ät muss lebenslang beibehalten werden, weil am 1. Juli 2019 in Deutschland auf den Markt. sonst Verhaltensstörungen, verminderter IntelAm 28. Januar 2010 wurde Palynziq von der ligenzquotient, und Leistungseinbrüche auftreEMA als Arzneimittel für seltene Leiden (Or- ten können. Die Einhaltung der Diät kann problematisch sein bedingt durch schlechten phan-Arzneimittel) ausgewiesen. Die Phenylketonurie ist die häufigste ange- Geschmack, Ernährungsdefizite und eine nicht borene Stoffwechselkrankheit des Aminosäu- unbeträchtliche psychosoziale Belastung. Dies restoffwechsels. Ursache sind Mutationen des änderte sich 2008 nach der Zulassung der Gens für die Phenylalaninhydroxylase. Bisher Kofaktortherapie mit Saproterin (Kuvan), die sind etwa 1.200 verschiedene Mutationen iden- bei bis zu 55 % der Patienten wirksam ist tifiziert worden, die zu einem Phenylalanin- (Übersicht bei Lichter-Konecki und Vockley hydroxylasemangel mit vielfältigen klinischen 2019). Pegvaliase alfa ist ein pegyliertes, rekombiPhänotypen führen. Die Phenylketonurie tritt in Europa ungefähr mit einer Inzidenz von 1 nantes Enzym einer bakteriellen Phenylalaninauf 10.000 Geburten auf. Bei Säuglingen und Ammoniaklyase aus Anabaena variabilis, das Kleinkindern kann das mit den Nahrungspro- Phenylalanin zu Ammoniak und Transzimtteinen aufgenommene Phenylalanin aufgrund säure abbaut. Durch die Pegylierung wird die des Phenylalaninhydroxylasemangels nicht zu Halbwertszeit erhöht und die ImmunogeniTyrosin hydroxyliert werden, wodurch es zu tät des bakteriellen Proteins vermindert. Nach abnorm hohen Blutspiegeln kommt, die das subkutaner Gabe von Pegvaliase alfa werden Gehirn irreversibel schädigen. Alternativ wer- maximale Plasmaspiegel nach 3,7 bis 4,4 Taden Phenylacetat, Phenyllactat sowie die Keto- gen erreicht. Die mittlere Plasmahalbwertscarbonsäure Phenylpyruvat vermehrt im Urin zeit beträgt 47–60 h (Übersicht bei Markham ausgeschieden, die der Krankheit den Namen 2018). Zulassungsrelevant waren zwei Phase-3gegeben hat. Für die Umwandlung von Phenylalanin in Tyrosin benötigt die Phenylalaninhy- Studien, in denen Pegvaliase alfa an 261 erdroxylase Tetrahydrobiopterin als Koenzym. wachsenen Patienten mit Phenylketonurie und Daher kann auch ein Tetrahydrobiopterinman- Phenylalaninwerten im Blut über 600 mol/l gel zu einer Hyperphenylalaninämie führen. untersucht wurden (Thomas et al. 2018, Symptome der unbehandelten Krankheit sind PRISM). In der ersten Studie (PRISM-1) schwere geistige Behinderung, verminderte wurden die Patienten mit einem Induktions-,
84
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Titrations- und Erhaltungsdosierungsschema auf eine Erhaltungsdosis (20 oder 40 mg s. c. Pegvaliase/Tag) über 26–36 Wochen eingestellt. Die meisten Teilnehmer der PRISM1-Studie (77,8 %) setzten die Pegvaliase-Behandlung in einer vierteiligen PRISM-2-Studie fort, die in den einzelnen Teilen die Messung der Phenylanalinkonzentration, eine placebokontrollierte Absetzphase, Messung von Pharmakokinetik/Pharmakodynamik und eine offene Langzeit-Verlängerungsstudie umfasste. Die mittleren Phenylalaninkonzentrationen im Blut (Ausgangswert 1.232,7 mol/l) sanken nach 12 Monaten um 51,1 % und nach 24 Monaten um 68,7 % gegenüber dem Ausgangswert. Damit erreichten 68,4 % der Teilnehmer Blutspiegel unter 600 mol/l und 51,2 % der Teilnehmer Blutspiegel unterhalb der Obergrenze des Normalwerts (120 mol/l). Mit der Abnahme der Phenylalaninkonzentrationen verbesserten sich auch neuropsychiatrische Endpunkte. Häufigste Nebenwirkungen waren allergische Reaktionen (93,5 %), Arthralgie (70,5 %), Reaktionen an der Injektionsstelle (62,1 %) und Kopfschmerzen (47,1 %). Akute systemische allergische Reaktionen wurden bei 12 Teilnehmern beobachtet (17 Ereignisse). Die Nutzenbewertung von Pegvaliase durch den G-BA ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, weil die wissenschaftliche Datengrundlage eine Quantifizierung nicht zuließ (Bundesministerium für Gesundheit 2020h). Wesentlicher Grund war, dass sich für die Endpunktkategorie Morbidität auf Basis der vorgelegten Daten keine Aussagen zum Ausmaß des Zusatznutzens ableiten lassen. Die Bruttokosten von Palynziq (10 Fertigspritzen 20 mg, Listenpreis 4.960,18 C, Erstattungsbetrag 3.356,56 C, Erhaltungsdosis 40 mg/Tag s. c.) betragen 671,31 C pro Tag und 245.029 C pro Jahr. Fazit Pegvaliase (Palynziq) ist eine pegylierte
bakterielle Phenylalanin-Ammoniaklyase, die als Orphan-Arzneimittel für die Behandlung von nicht ausreichend eingestellten Patien-
ten mit Phenylketonurie ab einem Alter von 16 Jahren zugelassen wurde. In einer unkontrollierten Studie senkte Pegvaliase die Phenylalaninwerte im Blut um etwa 50–70 %. Ein Zusatznutzen war wegen des Fehlens patientenrelevanter Daten nicht belegt. Palynziq hat sehr hohe Jahrestherapiekosten.
2.1.24
Ravulizumab (B)
Ravulizumab (Ultomiris) ist ein weiterer monoklonaler Antikörper gegen das Komplementprotein C5 zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie, die eine Hämolyse zusammen mit einem oder mehreren klinischen Symptomen als Hinweis auf eine hohe Krankheitsaktivität aufweisen sowie bei Patienten, die klinisch stabil sind, nachdem sie mindestens während der vergangenen 6 Monate mit Eculizumab behandelt wurden. Das Präparat wurde am 2. Juli 2019 von der EMA zugelassen und kam am 1. August 2019 in Deutschland auf den Markt. Die paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH) ist eine seltene Form der hämolytischen Anämie mit einer Prävalenz von 16 Fällen pro eine Million Einwohner, die erstmals 1882 von dem Greifswalder Internisten Paul Strübing beschrieben wurde. Typisch ist die klassische klinische Trias mit hämolytischer Anämie, Thrombophilie und Zytopenie. Ausprägung und Verlauf sind jedoch sehr variabel und reichen von einer leichten chronischen Symptomatik bis zu schubartigen lebensbedrohlichen Exazerbationen. Die Krankheit wird durch somatische Mutationen im Gen der Phosphatidylinositol-NAcetylglucosaminyltransferase-Untereinheit A (PIGA) in einem oder mehreren hämatopoetische Stammzellklonen verursacht. Das Genprodukt von PIGA wird für die Biosynthese von Glycosylphosphatidylinositol-Ankern benötigt. PIGA-Mutationen führen zu einem Mangel an Glycosylphosphatidylinositol-verankerten Proteinen wie dem Komplementzerfallsbeschleunigungsfaktor CD55 und dem
85 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
CD59-Glykoprotein, die beide Komplementinhibitoren sind. Der Verlust von CD55 und CD59 macht Erythrozyten anfällig für intravaskuläre Hämolyse, was zu Thrombosen und zu einem Großteil der Morbidität und Mortalität der Krankheit führen kann. Therapeutische Strategien umfassen die Blockade des terminalen Komplements und die Knochenmarktransplantation. Hochwirksam ist der monoklonale Antikörper Eculizumab (Soliris), ein Komplement-Inhibitor, der die Komplementvermittelte intravasale Hämolyse hemmt und 2007 als bisher einzige Therapie der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie zugelassen wurde (Übersicht bei Hill et al. 2017). Ravulizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der als Komplement-C5-Inhibitor durch Umgestaltung von Eculizumab entwickelt wurde, um eine längere Wirkung zu erreichen, die weniger häufige Infusionen erfordert als Eculizumab. Der Antikörper bindet spezifisch und mit hoher Affinität an C5 und hemmt seine Spaltung zu C5a (das proinflammatorische Anaphylaxien) und C5b (die initiierende Untereinheit des terminalen Komplementkomplexes), wodurch die Bildung des terminalen Komplementkomplexes C5b9 verhindert wird. Nach intravenöser Gabe von Ravulizumab werden therapeutische Konzentrationen nach der ersten Dosis erreicht und während des gesamten 8-wöchigen Dosisintervalls aufrechterhalten. Der Abbau des monoklonalen Antikörpers erfolgt vermutlich auf die gleiche Weise wie der von endogenen Immunglobulinen über kleine Peptide und Aminosäuren. Bei PNH-Patienten betrug die mittlere Halbwertszeit der terminalen Elimination 49,7 Tage und ist damit deutlich länger als die von Eculizumab (11,2 Tage) (Übersicht bei McKeage 2019). Daher sind die Behandlungsintervalle mit Ravulizumab (Erhaltungsdosen alle 8 Wochen) gegenüber Eculizumab (Erhaltungsdosen alle 2 Wochen) deutlich länger. Die Zulassung von Ravulizumab beruht auf zwei Phase-3-Studien zur Verringerung des Abbaus von roten Blutkörperchen und zur Vermeidung notwendiger Transfusionen bei Pati-
2
enten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie. In der ersten Studie wurde die Nichtunterlegenheit von Ravulizumab im Vergleich mit Eculizumab bei 246 Komplementinhibitornaiven Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie über einen Zeitraum von 183 Tagen untersucht (Lee et al. 2019). Ravulizumab war Eculizumab bei alle wichtigen klinischen Endpunkten nicht unterlegen. Das galt für die Vermeidung von Transfusionen (73,6 % versus 66,1 %) und die Normalisierung der Laktatdehydrogenase (53,6 % versus 49,4 %) (koprimäre Endpunkte), aber auch für sekundäre Endpunkte (Müdigkeitsmessung mit dem FACIT-Score, Durchbruchshämolysen, stabilisiertes Hämoglobin). Auch Sicherheit und Verträglichkeit von Ravulizumab und Eculizumab waren ähnlich. Die zweite Phase-3-Studie an 195 Komplementinhibitor-erfahrenen Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie hatte ähnliche Ergebnisse (Kulasekararaj et al. 2019). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab, dass ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Eculizumab) nicht belegt ist (Bundesministerium für Gesundheit 2020i). Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass weder positive noch negative Effekte von Ravulizumab im Vergleich zu Eculizumab vorliegen. Die Bruttokosten von Ultomiris (1 Durchstechflasche 300 mg, Listenpreis 5.694,92 C, Erstattungsbetrag 5.133,09 C, Erhaltungsdosis für Erwachsene 3.300 mg als i. v. Infusion alle 8 Wochen) betragen 1.090,44 C pro Tag und 398.012 C pro Jahr. Sie liegen damit in ca. 10 % unter den Kosten von Eculizumab (Soliris). Fazit Ravulizumab (Ultomiris) ist nach Ecu-
lizumab (Soliris) ein weiterer monoklonaler Antikörper gegen das Komplementprotein C5 zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie. Ravulizumab zeigte in zwei Studien eine Nichtunterlegenheit im Vergleich mit Eculizumab. Die Bruttokosten sind etwas geringer als die Kosten von Eculizumab.
86
2.1.25
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Risankizumab (C)
Risankizumab (Skyrizi) ist der dritte monoklonale Antikörper gegen Interleukin-23 für die systemische Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis (. Tab. 2.7). Das Präparat wurde am 26. April 2019 von der EMA zugelassen und kam am 1. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt. Die Psoriasis ist eine chronische, immunvermittelte entzündliche Hautkrankheit mit einer relativ hohen Prävalenz von 2 %. Daneben gibt es extrakutane Manifestationen wie Psoriasisarthritis und Nagelpsoriasis. Bei leichten Krankheitsformen der Psoriasis (70–80 % der Patienten) ist in der Regel eine topische Therapie mit Glucocorticosteroiden oder Vitamin-DAnaloga (Calcipotriol, Tacalcitol) ausreichend. Bei mittelschweren bis schweren Formen der Psoriasis wird die Phototherapie mit UVABestrahlung und seltener die Photochemotherapie als kombinierte Anwendung von Photosensibilisatoren wie Methoxsalen mit UVALicht (PUVA) eingesetzt. Eine systemische Therapie mit Methotrexat, Immunsuppressiva (Ciclosporin), Retinoiden (Acitretin) und Fumarsäureestern bleibt schweren therapieresistenten Formen wie der chronisch aktiven Plaque-Psoriasis, der psoriatischen Erythrodermie und der Psoriasisarthritis vorbehalten. Bei Versagen der systemischen Behandlung kommen als weitere Therapieoption Biologika aus der Gruppe der TNF’Inhibitoren (Infliximab, Etanercept, Adalimumab) und mehrere Interleukininhibitoren (Ustekinumab, Guselkumab, Secukinumab, Brodalumab, Ixekizumab) in Frage (Übersicht bei Boehnke und Schön 2015; Brandon et al. 2019). Risankizumab ist ein weiterer rekombinanter humaner monoklonaler Antikörper gegen Interleukin-23, der durch Expression in einer rekombinanten Ovarialzelllinie des chinesischen Hamsters gewonnen wird und durch selektive Bindung an die p19Untereinheit von Interleukin-23 die Wirkung auf den Interleukin-23-Rezeptor von dendriti-
schen Zellen hemmt. Interleukin-23 ist ein regulatorisches Zytokin, das am Anfang der Entzündungskaskade der Psoriasis für Wachstum und Reifung von bestimmten T-Zellen benötigt wird und dadurch die Bildung nachgeschalteter Effektorzytokine wie Interleukin-17A und TNF’ in T-Helfer 17-Zellen steigert. Durch die Interleukin-23-Blockade werden zusätzlich die Serumspiegel von Interleukin-17A und weiteren Entzündungsmediatoren vermindert. Risankizumab hat nach subkutaner Injektion eine Bioverfügbarkeit von 89 % und erreicht maximale Plasmaspiegel nach 3–14 Tagen. Die Elimination erfolgt über den Abbau zu Peptiden und Aminosäuren mit einer mittleren Halbwertszeit von 28 Tagen (Übersicht bei Li et al. 2020). Basis der Zulassung waren vier klinische Hauptstudien. In der ersten Phase-3-Studie (UltlMMa-1) erhielten 506 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer chronischer PlaquePsoriasis in drei Behandlungsarmen 150 mg Risankizumab, Ustekinumab (45 oder 90 mg gewichtsabhängig) oder Placebo als s. c. Injektionen (Teil A Woche 0, 4 und Teil B Woche 16, 28, 40) (Gordon et al. 2018). Nach der ersten 16-wöchigen Behandlungsperiode (Teil A) wechselten die Placebopatienten in Woche 16 zu 150 mg Risankizumab, die anderen Patienten setzten ihre ursprüngliche Behandlung fort (Teil B, Wochen 16–52). Nach Woche 16 erreichten die Patienten mit Risankizumab und Ustekinumab höhere PASI90-Ansprechraten als mit Placebo (75,3 und 42,0 % versus 4,9 %) und höhere Werte für die ärztliche Beurteilung (static Physician Global Assessment, sPGA) (87,8 und 63,0 % versus 2,0 %). Nach 52 Wochen wurden mit 150 mg Risankizumab ebenfalls höhere PASI90-Ansprechraten als mit Ustekinumab erreicht (81,5 % versus 44,0 %), ebenso in der ursprünglichen Placebogruppe, die ab Woche 16 mit 150 mg Risankizumab behandelt wurde (78,4 %). Die einzigen häufigen unerwünschten Ereignisse waren Infektionen, die nach 16 Wochen keinen wesentlichen Unterschied in den drei Behandlungsgruppen zeigten (24,7 und 20,0 % versus 16,7 %). Ähnliche
2
87 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
. Tabelle 2.8 Systemische Therapie der Psoriasis. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate, Jahr der Zulassung, definierte Tagesdosen (DDD), Halbwertszeit (HWZ) und DDD-Bruttokosten pro Jahr Wirkstoffe
Präparate (Beispiele)
Zulassung
DDD
HWZ
Kosten C/Jahr
MTX Hexal
1990
2,5 mg oral
6–7 h
208
Lantarel
1991
2,5 mg oral
6–7 h
476
Sandimmun
1993
250 mg oral
6,3 h
3.687
Deximmune
2007
250 mg oral
6,3 h
2.982
Acitretin
Neotigason
1992
35 mg oral
50 h
1.860
Fumarsäurederivate
Fumaderm
1994
360 mg oral
1h
3.207
Apremilast
Otezla
2015
60 mg oral
9h
14.234
Dimethylfumarat
Skilarence
2017
360 mg oral
1h
2.907
Remicade
1999
3,75 mg i. v.
8–9,5 d
9.555
Flixabi
2016
3,75 mg i. v.
8–9,5 d
7.621
Enbrel
2000
7 mg s. c.
70 h
18.019
Benepali
2015
7 mg s. c.
70 h
14.201
Humira
2003
2,9 mg s. c.
14 d
24.366
Imraldi
2018
2,9 mg s. c.
14 d
12.370
2009
45 mg s. c. alle 12 Wochen
21 d
22.207
Konventionelle Therapie Methotrexat
Ciclosporin A
TNF’-Inhibitoren Infliximab
Etanercept
Adalimumab
Interleukin-12/23-Inhibitoren Ustekinumab
Stelara
Interleukin-23-Inhibitoren Guselkumab
Tremfya
2017
100 mg s. c. alle 8 Wochen
21 d
22.231
Tildrakizumab
Ilumetri
2018
100 mg s. c. alle 12 Wochen
23 d
22.207
Risankizumab
Skyrizi
2019
150 mg s. c. alle 12 Wochen
28 d
22.273
Interleukin-17-Inhibitoren Secukinumab
Cosentyx
2015
10 mg s. c./Monat
27 d
22.933
Brodalumab
Kyntheum
2017
210 mg s. c./14 d
11 d
18.048
Ixekizumab
Taltz
2017
80 mg s. c./28 d
10,5 d
17.050
88
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Ergebnisse wurden in der identisch durchgeführten zweiten Phase-3-Studie an 491 Patienten (UltIMMa-2) erzielt (Gordon et al. 2018). Weiterhin hatte Risankizumab auch eine überlegene Wirksamkeit im direkten Vergleich mit Adalimumab in einer Studie mit 605 Patienten (Reich et al. 2019, IMMvent). In einer noch nicht publizierten placebokontrollierten Studie mit einer Absetzphase hatte Risankizumab ähnliche Effekte (Übersicht bei Li et al. 2020). Die frühe Nutzenbewertung durch den GBA ergab für Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis, die im Rahmen einer erstmaligen systemischen Therapie nicht für eine konventionelle Therapie in Frage kommen, keinen Beleg für einen Zusatznutzen, weil keine vergleichenden Daten gegenüber einem Wirkstoff der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorgelegt wurden. Für Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis, die auf eine systemische Therapie unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben, ergab die Nutzenbewertung einen Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen, weil Risankizumab gegenüber Ustekinumab eine signifikante Verbesserung der PASI-Scores und der patientenberichteten Symptomfreiheit (Juckreiz, Schmerz, Rötung, Brennen) zeigte (Bundesministerium für Gesundheit 2020j). Die Bruttokosten von Skyrizi (Injektionslösung 2 Fertigspritzen 75 mg, Erhaltungstherapie 150 mg s. c. alle 12 Wochen, Listenpreis 6.153,55 C, Erstattungsbetrag 5.125,85 C) betragen 61,02 C pro Tag und 22.273 C pro Jahr (. Tab. 2.8). Risankizumab (Skyrizi) ist der dritte monoklonale Antikörper gegen Interleukin-23 für die systemische Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer PlaquePsoriasis. In einer aktiv kontrollierten Vergleichsstudie lag die Ansprechrate bei mehreren PASI-Scores mit Risankizumab höher als mit Ustekinumab. Die frühe Nutzenbewertung von Risankizumab ergab bei einer erstmaligen systemischen Therapie keinen Beleg für einen Zusatznutzen im Vergleich zur zweckmäßigen
Fazit
Vergleichstherapie, aber einen beträchtlichen Zusatznutzen für Patienten, die auf eine systemische Therapie unzureichend angesprochen oder diese nicht vertragen haben.
2.1.26
Ropeginterferon alfa 2b (A/C)
Ropeginterferon alfa 2b (Besremi) ist ein rekombinantes pegyliertes Interferon alfa-2b für die Monotherapie von erwachsenen Patienten mit einer Polycythaemia vera ohne symptomatische Splenomegalie. Das Präparat wurde am 15. Februar 2019 von der EMA zugelassen und kam am 15. September 2019 in Deutschland auf den Markt. Da die Polycythaemia vera selten ist, wurde Besremi am 9. Dezember 2011 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen, 2018 wurde die Orphan-Designation vom Hersteller aber zurückgezogen. Die Polycythaemia vera gehört zu den häufigsten Formen der myeloproliferativen Neoplasien mit der höchsten Inzidenz thromboembolischer Komplikationen als Folge der erhöhten Blutviskosität. Das typische Krankheitsbild wird geprägt durch Erythrozytose, aber auch Leukozytose und Thrombozytose häufig mit Splenomegalie und gelegentlich mit Myelofibrose (ca. 10 % der Patienten). Wichtigste Diagnosekriterien sind erhöhte Hämoglobinund Hämatokritwerte sowie eine molekulargenetische Analyse mit Nachweis einer charakteristischen Mutation im JAK2-Gen bei über 95 % der Patienten. Haupttherapieziele sind die Linderung der Symptome sowie die Verlängerung des Überlebens durch Reduktion des Thromboserisikos und die Minimierung des Überganges in Myelofibrose und akute Leukämie. Die Aderlasstherapie ist die Therapie der Wahl zur raschen Absenkung des Hämatokrits (< 45 %). Zur Primärprophylaxe von Thromboembolien wird niedrig dosierte Acetylsalicylsäure empfohlen. Bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko ist eine zytoreduktive Therapie mit Hydroxycarbamid indiziert, wel-
89 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
che die klonale Proliferation bei einem hohen Prozentsatz der Patienten kontrolliert. Seit vielen Jahren wird auch nichtpegyliertes oder pegyliertes Interferon alfa als Off-Label-Therapie mit konstant hohen hämatologischen und molekularen Remissionsraten eingesetzt. Seit der Zulassung des selektiven Januskinase-1/2Inhibitors Ruxolitinib (Jakavi) ist eine nichtmyelotoxische Therapie für Patienten verfügbar, die resistent oder intolerant gegenüber Hydroxycarbamid sind. Ruxolitinib lindert Zytokin-bedingte Symptome wie Juckreiz und kontrolliert die Splenomegalie. Auch das Blutbild wird verbessert, in Bezug auf die Hämatokritkontrolle ist die Phlebotomie jedoch effektiver und kostengünstiger (Übersicht bei Spivak 2018). Ropeginterferon alfa-2b ist ein kovalentes Konjugat (Molmasse ca. 60 kDa) aus einem rekombinanten Prolin-Interferon alfa-2b (19 kDa) und einem zweiarmigen Methoxypolyethylenglykol (40 kDa) am Prolinrest. Die Bindung von Interferon-alfa an seine Rezeptoren führt zu einer Aktivierung von Januskinasen, Tyrosinkinasen und Transkriptionsproteinen, die dann im Zellkern die Transkription von Interferon-stimulierten Genen induzieren und dadurch zahlreiche Effekte auf das Immunsystem vermitteln. Maximale Plasmaspiegel werden 3–6 Tage nach subkutaner Injektion von Ropeginterferon alfa-2b erreicht. Die Elimination erfolgt überwiegend renal mit einer terminalen Eliminationshalbwertszeit von 6–10 Tagen, die durch die Pegylierung im Vergleich zu Interferon alfa deutlich verlängert ist (European Medicines Agency 2019a). Die Zulassung von Ropeginterferon alfa2b beruht auf einer Phase-3-Studie an 257 Patienten mit Polycythaemia vera im Frühstadium (therapienaive oder Hydroxycarbamidvorbehandelte Patienten), in der Ropeginterferon alfa-2b (initial 100 g s. c. alle 2 Wochen) und Hydroxycarbamid (initial 500 mg/ Tag oral) über 182,1 bzw. 164,5 Wochen vergleichend untersucht wurden (Gisslinger et al. 2020, PROUD-PV und CONTINUATION-PV). Nach 12 Monaten (PROUD-PV) lag die komplette hämatologische Ansprechra-
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te mit normaler Milzgröße (koprimärer Endpunkt) mit Ropeginterferon alfa-2b bei 21 % und mit Hydroxycarbamid bei 28 % der Patienten. Nach 36 Monaten (CONTINUATIONPV) zeigte die komplette hämatologische Ansprechrate mit Ropeginterferon alfa-2b eine signifikante Überlegenheit gegenüber Hydroxycarbamid (53 % versus 38 %). Häufigste Nebenwirkungen (Ropeginterferon alfa-2b versus Hydroxycarbamid) waren Thrombozytopenie (15,0 % versus 28,3 %), erhöhte ”Glutamyltransferase (14,2 % versus 0,8 %), Müdigkeit (12,0 % versus 13,8 %), Leukopenie (8,7 % versus 21,3 %) und Anämie (6,3 % versus 24,4 %). Behandlungsbedingte schwere unerwünschte Ereignisse waren selten (2 % versus 4 %). Nach der Nutzenbewertung von Ropeginterferon alfa-2b war in beiden Patientensubgruppen (keine oder bestehende Hydroxycarbamidresistenz) ein Zusatznutzen nicht belegt, weil Informationen zur Symptomatik und gesundheitsbezogenen Lebensqualität fehlen (Bundesministerium für Gesundheit 2020k). Die Bruttotherapiekosten von Besremi (1 Fertigpen 250 g/0,5 ml, 2.778,32 C, bisher noch kein Erstattungsbetrag, Initialdosis 100 g s. c. alle 2 Wochen) betragen 79,38 C pro Tag und 28.974 C pro Jahr. Fazit Ropeginterferon alfa 2b (Besremi) ist ein rekombinantes pegyliertes Interferon alfa2b für die Monotherapie der Polycythaemia vera ohne symptomatische Splenomegalie. Die Nutzenbewertung ergab keinen Zusatznutzen.
2.1.27
Rucaparib (C)
Rucaparib (Rubraca) ist ein weiterer Inhibitor der Poly(ADP-ribose)-Polymerase (PARP) für die Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patientinnen mit platinsensitivem, rezidiviertem, high-grade epithelialem Ovarial-, Eileiter- oder primärem Peritonealkarzinom, die nach platinbasierter Chemotherapie in Remission sind
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
(vollständig oder partiell). Eine weitere Indikation ist die Behandlung von Ovarial-, Eileiteroder Peritonealkarzinomen mit BRCA-Mutationen (Keimbahn und/oder somatisch), die mit zwei oder mehr vorherigen platinbasierten Chemotherapielinien behandelt wurden und keine weitere platinhaltige Chemotherapie tolerieren. Die Zulassung durch die EMA erfolgte am 24. Mai 2018 und die Markteinführung in Deutschland am 1. März 2019. Das Ovarialkarzinom war 2013 mit 7.320 Neuerkrankungen und 5.466 Todesfällen in Deutschland der zweithäufigste maligne Genitaltumor nach dem Endometriumkarzinom und gehört wegen der Diagnose in späteren Krankheitsstadien weiterhin zu den prognostisch ungünstigen Tumoren, da die Fünfjahresüberlebensrate nur 41 % beträgt (Robert Koch-Institut 2016). Das Ovarialkarzinom bleibt lange asymptomatisch, so dass die Diagnose bei 75 % der Patientinnen erst im fortgeschrittenen Stadium erfolgt. Die 5Jahres-Überlebensrate beträgt im fortgeschrittenen Stadium nur noch 29 %, im Frühstadium dagegen 92 %. Die meisten Ovarialkarzinome entstehen sporadisch, nur 15 % der betroffenen Frauen haben eine vererbte genomische Veranlagung. Standardtherapie ist eine Operation mit maximaler Tumorreduktion (Hysterektomie, bilaterale Salpingo-Oophorektomie, Netzresektion) und eine platinbasierte Chemotherapie mit Carboplatin und Paclitaxel. Trotz des initial guten Ansprechens auf die postoperative Chemotherapie entwickeln über 75 % der Patientinnen eine Chemoresistenz mit unheilbaren Rezidiven und zunehmend kürzeren krankheitsfreien Intervallen. Seit 2011 ist zusätzlich die antiangiogene Therapie mit Bevacizumab in Kombination mit Carboplatin und Paclitaxel zur Primärbehandlung des fortgeschrittenen epitheliale Ovarialkarzinoms zugelassen, die jedoch nur bei Hochrisikopatientinnen einen Überlebensvorteil zeigte. Weiterhin wurden die PARP-Inhibitoren Olaparib (Lynparza) und Niraparib (Zejula) zugelassen, die das progressionsfreie Überleben aber nicht das Gesamtüberleben verlängerten (Übersicht bei Lheureux et al. 2019).
Poly(ADP-ribose)-Polymerasen (PARP) sind eine Gruppe von Enzymen, die unter physiologischen Bedingungen an der Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen durch Nukleotidexzision beteiligt sind. PARP-Inhibitoren blockieren die Reparatur von Einzelstrangbrüchen durch kompetitive Bindung an die NAD-Substratbindungsdomäne von PARP und verursachen während der DNA-Replikation in der S-Phase vermehrt Doppelstrangbrüche. In gesunden Zellen werden Doppelstrangbrüche über homologe Rekombination repariert. In BRCA-defizienten Tumoren wie Mammakarzinom und Ovarialkarzinom fehlt jedoch eine intakte homologe Rekombination für eine fehlerfreie Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen, so dass eine PARP-Hemmung in BRCA-defizienten Tumorzellen zu einer Akkumulation von unreparierten Doppelstrangbrüchen mit der Folge von genomischer Instabilität, Blockade der Zellteilung und Apoptose führt. Das entspricht dem Konzept der synthetischen Letalität. In Tumorzellen hemmt Rucaparib PARP-1 und PARP-2 in subnanomolaren Konzentrationen (IC50 0,8 und 0,5 nmol/l). Rucaparib wird mit einer oralen Bioverfügbarkeit von 36 % resorbiert und erreicht maximale Plasmaspiegel nach 1,9 h. Primärer Stoffwechselweg ist der Abbau über CYP2D6 und in geringerem Umfang über CYP1A2 und CYP3A4. Die mittlere terminale Eliminationshalbwertszeit beträgt 17–19 h (Übersicht bei Shirley 2019). Wirksamkeit und Sicherheit von Rucaparib wurden in einer placebokontrollierten Phase-3Studie an 564 Patientinnen mit hochgradigem, rezidivierendem, platinsensitivem Ovarialkarzinom nach Ansprechen auf eine Zweitlinienoder spätere platinbasierte Chemotherapie untersucht (Coleman et al. 2017, ARIEL-3). Rucaparib (600 mg 2mal/Tag oral) verlängerte das progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) bei Patientinnen mit einer BRCAMutation im Vergleich zu Placebo (16,6 versus 5,4 Monate) und ohne BRCA-Mutation mit homologen Rekombinationdefekten (13,6 versus 5,4 Monate), nicht aber das Gesamtüberleben. Häufigste Nebenwirkungen waren
91 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
Übelkeit (75 % versus 37 %), Abgeschlagenheit (69 % versus 44 %), Anämie (37 % versus 6 %), Erbrechen (37 % versus 4 %), Transaminaseanstiege (34 % versus 4 %) und Neutropenie (18 % versus 4 %). Therapieabbrüche wegen Nebenwirkungen waren überschaubar (13 % versus 2 %), häufig waren jedoch Therapieunterbrechungen (64 % versus 10 %) oder Dosisreduktionen (55 % versus 4 %). Die Nutzenbewertung des G-BA ergab, dass ein Zusatznutzen der Erhaltungstherapie mit Rucaparib nicht belegt ist, weil bei Morbidität und Nebenwirkungen überwiegend Nachteile vorlagen. Ein Zusatznutzen ist auch nicht für die Behandlung von Patientinnen belegt, die mit zwei oder mehr vorherigen platinbasierten Chemotherapielinien behandelt wurden und keine weitere platinhaltige Chemotherapie tolerieren (Bundesministerium für Gesundheit 2019l). Die Bruttokosten von Rubraca (60 Filmtbl. 300 mg, Dosierung 1.200 mg/Tag oral, Listenpreis 4.647,63 C, Erstattungsbetrag 2.592,15 C) betragen 172,81 C pro Tag und 63.076 C pro Jahr. Es ist damit deutlich preisgünstiger als die beiden anderen PARP-Inhibitoren Olaparib (Lynparza, 87.731 C/Jahr) und Niraparib (Zejula, 107.085 C/Jahr). Rucaparib (Rubraca) ist ein weiterer PARP-Inhibitor für die Behandlung von Patientinnen mit platinsensitivem, rezidiviertem, high-grade epithelialem Ovarial-, Eileiter- oder primärem Peritonealkarzinom. Der PARP-Inhibitor verlängert das progressionsfreie Überleben, hatte aber bisher keinen Effekt auf das Gesamtüberleben. Ein Zusatznutzen ist nicht belegt. Aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen waren bei vielen Patientinnen Dosisreduktionen oder Therapieunterbrechungen erforderlich.
Fazit
2.1.28
Turocog alfa pegol (C)
Turoctocog alfa pegol (Esperoct) ist ein rekombinanter Gerinnungsfaktor VIII, der zur Prophylaxe und Therapie von Blutungen bei
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Patienten ab 12 Jahren mit Hämophilie A am 25.06.2019 von der EMA zugelassen wurde und am 1. August 2019 in Deutschland auf den Markt kam. Eine kurze Beschreibung der Krankheit und der verfügbaren Therapieoptionen findet sich bei Damoctocog alfa pegol in diesem Kapitel (7 Abschn. 2.1.10) Turoctocog alpha pegol gehört zu einer Gruppe von rekombinanten modifizierten Gerinnungsfaktoren mit verlängerter Halbwertszeit, die zur Therapie der Hämophilie A eingesetzt werden können. Durch die gegenüber den nativen bzw. rekombinanten Faktoren verlängerten Halbwertszeiten können die Applikationsintervalle für die intravenöse Behandlung verlängert werden. Turoctocog alpha pegol ist eine glykopegylierte Variante (Agerso et al. 2012) des rekombinanten Gerinnungsfaktors VIII (NovoEight), der bereits 2014 in Deutschland auf den Markt gebracht wurde. Die Glykopegylierung erlaubt gegenüber der Standard-Pegylierung eine ortsspezifische Anknüpfung einer 40 kDa großen Polyethylenglycol-Kette an das rekombinante Protein. Die Glykopegylierung verlängert die Halbwertszeit gegenüber Turoctocog alfa um das 1,6-Fache auf 18,2–18,4 h (Giangrande et al. 2017). In einer Phase III-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Turoctocog alfa pegol bei insgesamt 186 zuvor mit Faktor VIII-Präparaten behandelten Jugendlichen und Erwachsenen mit schwerer angeborener Hämophilie A getestet (Giangrande et al. 2017). Die Prophylaxe wurde jeden 4. Tag appliziert. In der prophylaktisch behandelten Gruppe betrug die mediane jährliche Gesamt-Blutungsrate (median overall annualized bleeding rate, ABR) 1,33. Bei der Anwendung im Blutungsfall konnten 84,2 % aller 968 aufgetretenen Blutungen erfolgreich mit einer (83,6 %) bzw. zwei Injektionen (95,5 %) gestoppt werden. In einer Extension dieser Studie wurden Patienten mit zwei verschiedenen Dosierungen von Turoctocog alfa pegol für 24 Wochen mit wöchentlichen Injektionen weiter behandelt (Curry et al. 2019). Dabei traten bei mehr als 50 % der Patienten keine Blutungen auf.
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
94,7 % der Blutungen konnten mit 2 Injektionen kontrolliert werden. Häufigste Nebenwirkungen waren Arthralgie, Muskelschmerzen, Nasopharyngitis, Kopfschmerzen. Neutralisierende Antikörper gegen das Arzneimittel wurden nur bei einem Patienten festgestellt. Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Turoctocog alfa pegol im Vergleich zu der festgelegten zweckmäßigen Vergleichstherapie (rekombinante oder aus humanem Plasma gewonnene Blutgerinnungsfaktor VIII-Präparate) (Bundesministerium für Gesundheit 2020l). Die Jahrestherapiekosten von Esperoct betragen in Abhängigkeit vom Dosierungsschema für Erwachsene 584.766,00–844.662,00 C bzw. 454.818,00–649.740,00 C für 12- bis Unter-18-Jährige. Fazit Turoctocog alfa pegol (Esperoct) ist ein
rekombinanter, glykopegylierter Gerinnungsfaktor VIII mit verlängerter Halbwertszeit, der zur Therapie und Prophylaxe von Blutungen bei Hämophilie A zugelassen wurde. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie keinen Beleg für einen Zusatznutzen.
2.1.29
Volanesorsen (A)
Volanesorsen (Waylivra) ist ein Antisense-Oligonukleotid-Inhibitor der Apolipoprotein CIIImRNA für die unterstützende Behandlung neben einer Diät bei erwachsenen Patienten mit genetisch bestätigtem familiärem Chylomikronämie-Syndrom und einem hohen Risiko für Pankreatitis, bei denen das Ansprechen auf eine Diät und eine triglyceridsenkende Therapie unzureichend war. Das Präparat erhielt am 3. Mai 2019 eine bedingte Zulassung von der EMA und kam am 15. August 2019 in Deutschland auf den Markt. Da es nur wenige Patienten mit familiärer Chylomikronämie gibt, wurde Waylivra am 19. Februar 2014 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen.
Das familiäre Chylomikronämie-Syndrom ist eine seltene autosomal-rezessive Störung des Chylomikronen-Stoffwechsels, die zu einer starken Erhöhung der Triglyzeridspiegel (> 10 mmol/l) mit einem milchig-rahmigen Serum führt. Dieser Zustand ist mit einem hohen Risiko einer rezidivierenden akuten Pankreatitis verbunden, die eine ungünstigere Prognose und eine höhere Mortalität als andere Pankreatitiden hat. Trotz des erhöhten Pankreatitisrisikos und der schlechten Lebensqualität ist die Krankheit wenig bekannt und wird bei den meisten Patienten erst spät diagnostiziert. Ursache des familiären Chylomikronämie-Syndroms ist meistens ein Defekt im Gen für die Lipoprotein-Lipase, die normalerweise die triglyzeridreichen Lipoproteine abbaut. Die optimale Diagnose erfolgt durch einen Gentest mit Nachweis von biallelisch pathogenen Mutationen im Gen der Lipoproteinlipase (80–90 %) und nur zu einem kleinen Anteil in anderen Genen für Cofaktoren und Lipoproteinbindungsproteine der Lipoproteinlipase. Triglyzeridsenkende Pharmaka wie Fibrate und Omega-3Fettsäuren sind beim familiären Chylomikronämie-Syndrom nicht wirksam. Die bisher einzig wirksame Therapie ist eine lebenslange fettarme Diät, welche die Bildung von Chylomikronen verhindert. In akuten Notfällen ist auch eine Plasmaaustauschtherapie oder eine Lipidapherese indiziert (Übersicht bei Baass et al. 2020). Volanesorsen ist ein Antisense-Oligonukleotid, das selektiv an die nicht translatierte 30 -Region der mRNA von Apolipoprotein CIII bindet und dadurch die Translation des Proteins verhindert. Mit Apolipoprotein C-III wird ein Inhibitor der Triglyzeridclearance beseitigt, so dass der Abbau von Triglyzeriden und die Senkung der Plasmatriglyzeridspiegel über einen Lipoproteinlipase-unabhängigen Reaktionsweg möglich sind. Volanesorsen reduzierte selektiv die Apolipoprotein C-IIImRNA in menschlichen Hepatozyten in niedrigen Konzentrationen (IC50 2 nmol/l). Maximale Plasmakonzentrationen wurden 2–4 h nach subkutaner Gabe erreicht. Das AntisenseOligonukleotid wird im Gewebe von Endonu-
93 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
kleasen zunächst zu kürzeren Oligonukleotiden abgebaut und dann durch Exonukleasen weiter metabolisiert. Die Plasmaeliminationshalbwertszeit von Volanesorsen lag zwischen 11,7 und 31,2 Tagen (Übersicht bei Paik und Duggan 2019). Wirksamkeit und Sicherheit von Volanesorsen (285 mg s. c./Woche mit Dosisanpassung bei intolerablen Nebenwirkungen) wurden in einer placebokontrollierten Phase-3-Studie an 66 Patienten mit familiärem Chylomikronämie-Syndrom untersucht, die zusätzlich mit einer fettarmen Diät und teilweise mit Lipidsenkern (48 % Fibrate, 29 % Fischölpräparate, 20 % Statine) behandelt wurden (Witztum et al. 2019, APPROACH). Nach drei Monaten wurden die Nüchterntriglyzeridspiegel (primärer Endpunkt) durch Volanesorsen um 77 % im Vergleich zum Ausgangswert gesenkt, während die Placebogruppe einen Anstieg um 18 % zeigte. Nach 12 Monaten betrug die Senkung der Triglyzeridspiegel durch Volanesorsen noch 40 % infolge von Dosisreduktionen und Therapieabbrüchen, während die Triglyzeridspiegel in der Placebogruppe um 9 % angestiegen waren. Häufigste Nebenwirkungen (Volanesorsen versus Placebo) waren Lokalreaktionen an der Injektionsstelle (61 % versus 0 %), Thrombozytopenie (33 % versus 3 %), Bauchschmerzen (27 % versus 21 %) und Abgeschlagenheit (21 % versus 9 %). Infolge von therapiebedingten Nebenwirkungen kam es zu Therapieabbrüchen (14 versus 2 Patienten) und Dosisreduktionen (13 Patienten versus 0 Patienten). Die Nutzenbewertung des G-BA ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, weil die wissenschaftliche Datengrundlage eine Quantifizierung nicht zulässt. Hauptgrund waren fehlende valide Angaben, die zeigen, welche Auswirkungen die Veränderung der Triglyzeridwerte bei Patienten familiärem ChylomikronämieSyndrom auf die patientenindividuell ausgeprägte Symptomatik bzw. auf das Risiko einer akuten Pankreatitis hat (Bundesministerium für Gesundheit 2020m). Die Bruttokosten von Waylivra (1 Fertigspritze 285 mg/1,5 ml,
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Dosis 285 mg s. c. 1mal wöchentlich, nach 3 Monaten Erhaltungsdosis 285 mg alle 2 Wochen s. c., Listenpreis 20.281,43 C, bisher kein Erstattungsbetrag) betragen für die Erhaltungsdosis 528.766 C pro Jahr. Volanesorsen (Waylivra) ist ein Antisense-Oligonukleotid-Inhibitor der Apolipoprotein CIII-mRNA, der für die unterstützende Behandlung des genetisch bestätigten familiären Chylomikronämie-Syndroms mit einem hohen Pankreatitisrisiko bei unzureichendem Ansprechen auf Diät und triglyceridsenkende Therapie als Orphan-Arzneimittel zugelassen wurde. Nach 12 Monaten wurden die Triglyzeridspiegel durch Volanesorsen um 40 % im Vergleich zum Ausgangswert gesenkt, während die Placebogruppe einen Anstieg um 9 % zeigte. Die Nutzenbewertung ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Die Therapiekosten der Erhaltungsdosis betragen 515.436 C pro Jahr. Fazit
2.1.30
Vonicog alfa (A)
Vonicog alfa (Veyvondi) ist ein rekombinanter humaner Von-Willebrand-Faktor (rVWF), der zur Vorbeugung oder Behandlung von Blutungen bei Operationen oder von Blutungen bei Erwachsenen mit Von-Willebrand-Syndrom indiziert ist, wenn eine Behandlung mit Desmopressin alleine nicht wirksam oder nicht indiziert ist. Veyvondi wurde am 31.08.2018 von der EMA zugelassen und am 15. Januar 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Veyvondi wurde am 26.11.2010 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Diese Registrierung wurde vom Hersteller mit dem Zeitpunkt der Marktzulassung zurückgezogen. Das Von-Willebrand-Syndrom (VWS) ist die häufigste angeborene Blutungsneigung mit einer Prävalenz von 0,1–1 % (Leebeek und Eikenboom 2016). Das Syndrom wurde nach dem finnischen Internisten Erik von Wille-
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
brand benannt, der dieses bereits 1926 erstmalig beschrieb. Inzwischen sind zahlreiche Mutationen im Gen bekannt, das für den VonWillebrand-Faktor (VWF) kodiert. Abhängig von der Art der Mutation wird das VWS in drei Formen unterteilt, bei denen der VWF vermindert exprimiert wird (Typ 1), funktionell verändert ist (Typ 2) oder sogar komplett fehlt (Typ 3). VWF ist ein multimeres Protein, das vor allem in Endothelzellen und in Megakaryozyten gebildet wird und im Plasma den Gerinnungsfaktor FVIII bindet und stabilisiert. Bei einer Gefäßverletzung heftet sich VWF an Kollagenfasern und vermitteltet die Bildung eines Thrombozyten-Aggregats. Das VWS manifestiert sich durch abnorme mukokutane Blutungen (z. B. Nasen-, Zahnfleischbluten, Menorrhagie, Hämatome), die spontan oder bei Operationen auftreten können. Bisher erfolgt die Therapie des VWS mit Desmopressin, das die Freisetzung von in Endothelzellen gespeichertem VWF aktiviert, bzw. mit aus Humanplasma gereinigtem VWF (Leebeek und Eikenboom 2016). Mit Vonicog alfa steht der erste rekombinante VWF (rVWF) zur Verfügung, der mittels DNA-Technologie in Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters (CHO) gemeinsam mit rekombinantem Faktor VIII (rFVIII, Octocog alfa) hergestellt und anschließend gereinigt wird. Vonicog alfa wird langsam intravenös injiziert, erreicht innerhalb der ersten Stunde maximale Plasmaspiegel, die mit einer Halbwertszeit von 25,5 h abnehmen (Mannucci et al. 2013). Die Wirksamkeit von Vonicog alfa wurde in zwei Phase 3-Studien bei Patienten mit schwerem VWS zur Prophylaxe von Blutungen bei Operationen sowie zur Behandlung von Blutungen getestet. In einer multizentrischen, offenen und nicht randomisierten Studie wurde Vonicog alfa bei 15 Patienten vor elektiven operativen Eingriffen appliziert (Tran et al. 2020). Dabei wurde rVWF am Tag vor der OP appliziert und der Anstieg des endogenen Faktor VIII-Spiegels kontrolliert. Erreichte endogener FVIII präoperativ ausreichende Werte, wurde rVWF appliziert, sonst zusätzlich auch rFVIII gegeben. Bei allen 15 Patienten konn-
te während der Operation eine exzellente oder gute Hämostase erzielt werden (Tran et al. 2020). Von zwölf unerwünschten Ereignissen wurden zwei als schwer klassifiziert, wobei eine tiefe Venenthrombose als Behandlungsassoziiert eingestuft wurde. In einer weiteren Phase III-Studie wurde Vonicog alfa alleine bzw. in Kombination mit rFVIII zur Therapie von Blutungen bei schwerem VWS getestet (Gill et al. 2015). Insgesamt wurden 192 Blutungen bei 22 Patienten mit 1–4 Infusionen behandelt. Bei allen Blutungen konnte eine gute bis exzellente Hämostase erzielt werden. Eine einzelne Infusion war bei 84 % aller Blutungen effektiv. Bei einem Patienten traten Brustschmerzen und Tachykardie als unerwünschtes Ereignis auf. Es wurden keine Thromboembolien oder schwere allergische Reaktionen beobachtet. Fazit Vonicog alfa (Veyvondi) ist ein rekom-
binanter humaner Von-Willebrand-Faktor, der zur Prophylaxe oder Therapie von Blutungen bei Patienten mit Von-Willebrand-Syndrom zugelassen wurde. Eine frühe Nutzenbewertung durch den G-BA wurde nicht durchgeführt.
2.1.31
Voretigen Neparvovec (A)
Voretigen Neparvovec (Luxturna) ist ein Gentherapeutikum zur Behandlung von erwachsenen und pädiatrischen Patienten mit Sehverlust aufgrund einer erblichen Netzhautdystrophie, die auf nachgewiesenen biallelischen RPE65-Mutationen beruht, und die über ausreichend lebensfähige Netzhautzellen verfügen. Das Präparat wurde am 22. November 2018 von der EMA zugelassen und kam am 15. April 2019 in Deutschland auf den Markt. Da eine erbliche Netzhautdystrophie selten ist, wurde Luxturna für zwei Formen der Krankheit zu verschiedenen Zeitpunkten als OrphanArzneimittel ausgewiesen (Retinitis pigmentosa 28. Juli 2015, Lebersche kongenitale Amaurose 2. April 2012).
95 2.1 Neue Wirkstoffe des Jahres 2019
Erbliche Netzhautdystrophien sind die zweithäufigste Ursache für Blindheit im Kindesalter. Sie werden durch Mutationen in einem von mehr als 220 verschiedenen Genen verursacht. Eine schwer verlaufende, seltene Form ist die Lebersche kongenitale Amaurose, die erstmals 1869 von dem Heidelberger Ophthalmologen Theodor Leber beschrieben wurde und auch heute noch als Bezeichnung für die Gruppe der schweren, erblichen, frühkindlichen Netzhautdystrophien verwendet wird. Charakteristisch ist eine schwere Sehstörung von Geburt an oder in den ersten Lebensmonaten mit Nystagmus, schwachen Lichtreaktionen der Pupille und schneller Progression. Später beschrieb Leber leichter verlaufende Formen derselben Krankheit, die heute als schwere frühkindliche Netzhautdegeneration und Retinitis pigmentosa bezeichnet werden. Die häufigste klinische Untergruppe ist die Retinitis pigmentosa, die initial durch eine verminderte Lichtwahrnehmung (häufig Nachtblindheit), eine fortschreitende Einschränkung des peripheren Gesichtsfeldes (Tunnelblick) und zuletzt durch einen Verlust des zentralen Sehvermögens gekennzeichnet ist. Insgesamt ist die Ausprägung bei diesen Störungen sehr variabel und reicht von leichter Netzhautdysfunktion (Nachtblindheit, Farbenblindheit), Verlust des peripheren oder zentralen Sehvermögens bis hin zur vollständigen Erblindung. Das Ausmaß der Krankheit hängt wesentlich davon ab, welche Genotypen betroffen sind und wie hoch die Restaktivitäten der kodierten Enzyme sind. Als Ursache der Lebersche kongenitalen Amaurose und der schweren, erblichen, frühkindlichen Netzhautdystrophien wurden bisher Mutationen in 25 Genen in den Photorezeptoren und im retinalen Pigmentepithel identifiziert. Eine häufige Mutation betrifft das RPE65-Gen (Anteil 5–10 %), das die 65-kD-Retinoid-Isomerase im retinalen Pigmentepithel kodiert und damit eine Schlüsselfunktion für die Regeneration des Sehpigments Rhodopsin im Sehzyklus hat. Im Photorezeptor beginnt die Aktivierung von Rhodopsin durch Licht mit der Isomerisierung von 11-cis-Retinal zu all-trans-Retinal, das dadurch aus der Rhodopsinbindung in den
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Membranscheiben (Discs) der Stäbchen freigesetzt wird und anschließend im Zytoplasma durch die Retinoldehydrogenase zu all-transRetinol reduziert wird. Nach Transport in das retinale Pigmentepithel wird all-trans-Retinol durch die Retinoid-Isomerase und weitere Enzyme wieder in 11-cis-Retinal umgewandelt. Nach dem Rücktransport in die Photorezeptorzelle wird 11-cis-Retinal erneut an Rhodopsin gebunden und macht den Photorezeptor wieder lichtempfindlich. Biallelische Mutationen im RPE65-Gen reduzieren die Aktivität der 65-kD-Retinoid-Isomerase und blockieren damit die Aktivität des Sehzyklus. Ohne den natürlichen Liganden 11-cis-Retinal kann das Sehpigment in den Photorezeptoren kein Licht für den Start des Sehens einfangen (Übersicht bei Kumaran et al. 2017). Voretigen Neparvovec ist das erste Arzneimittel für die Gentherapie von erblichen Netzhautdystrophien, die durch biallelische RPE65-Mutationen verursacht werden. Dabei wird ein einzelsträngiges DNA-Molekül mit der kodierenden Sequenz des gesunden RPE65-Gens unter Verwendung eines viralen Gentransfervektors und weiteren regulatorischen Elementen (Cytomegalievirus-Verstärker, Hühner-Beta-Actin-Promotor) in die Retina eingeführt. Für den Gentransfer wird ein Adeno-assoziierter viraler Vektor vom Serotyp 2 (AAV2) verwendet, der die retinalen Pigmentepithelzellen effektiv infizieren kann, ein günstiges Sicherheitsprofil hat und weniger immunogen als andere Viren ist. Durch die Gentherapie mit Voretigen Neparvovec wird das defekte Gen nicht repariert, sondern eine Kopie des gesunden Gens in die Zelle transferiert. Dadurch werden eine langanhaltende Genexpression und die Produktion eines funktionellen Enzyms induziert. Die Behandlung erfolgt durch subretinale Injektion einer Einzeldosis (0,3 ml) in jedes Auge im Abstand von mindestens sechs Tagen. Bei etwa der Hälfte der Patienten wurden geringe Konzentrationen der Vektor-DNA in der Tränenflüssigkeit und vereinzelt in Serumproben gefunden (Übersicht bei European Medicines Agency 2018).
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2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Wirksamkeit und Sicherheit von Voretigen Neparvovec (einmalige Injektion von 1,5 1011 Vektorgenome in 0,3 ml subretinal) wurden in einer Phase-3-Studie an 31 Patienten (Durchschnittsalter 15 Jahre) mit erblicher Netzhautdystrophie aufgrund von RP65Mutationen untersucht, die eine ausreichend lebensfähige Netzhaut sowie eine bestkorrigierte Sehschärfe von 20/60 oder schlechter und ein Gesichtsfeld von weniger als 20 Grad hatten (Russell et al. 2017). Der primäre Endpunkt für die Wirksamkeit war die einjährige Änderung der Leistung in einem standardisierten Multiluminanz-Mobilitätstest (MLMT), bei dem das funktionelle Sehen in einem Hindernisparcours unter verschiedenen Lichtverhältnissen von einem Lux (z. B. mondlose Sommernacht) bis zu 400 Lux (z. B. beleuchteter Büroraum) gemessen wurde. Nach einem Jahr erhöhte Voretigen Neparvovec den bilateralen MLMT-Änderungswert im Vergleich zur Kontrollgruppe (1,8 Lichtwerte versus 0,2). Von den mit Voretigen Neparvovec behandelten Patienten bestanden 65 % den Multiluminanz-Mobilitätstest bei dem niedrigsten Lichtniveau (1 Lux) aber kein Patient der Kontrollgruppe, was eine maximal mögliche Verbesserung zeigte. Die meisten unerwünschten Ereignisse in der Interventionsgruppe waren in der Regel leicht und vorübergehend und bestanden in erhöhtem Augendruck (20 %), Katarakt (15 %), retinalen Ablagerungen (10 %) und Augenentzündungen (10 %). Die Nutzenbewertung von Voretigen Neparvovec ergab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, weil mehrere patientenrelevante Endpunkte statistisch signifikante und klinisch relevante Vorteile zeigten (Bundesministerium für Gesundheit 2019m). Die Jahrestherapiekosten von Luxturna (Einmaldosis 1,5 1011 Vektorgenome in 0,3 ml subretinal) betragen nach den Angaben im Rahmen der Nutzenbewertung 821.100 C.
Netzhautdystrophie mit biallelischen RPE65Mutationen zugelassen wurde. Die als Einzeldosis verabreichte Gentherapie verbessert die Orientierungsfähigkeit und die Sehfunktion der Patienten in Abhängigkeit von der Umgebungsbeleuchtung. Die Nutzenbewertung ergab einen beträchtlichen Zusatznutzen. Die Therapiekosten der Einzeldosis betragen allerdings 821.100 C.
2.2
Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
Neben den 31 neuen Wirkstoffen wurden 37 Arzneimittel mit neuen Indikationen bekannter Wirkstoffe 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht (. Tab. 2.9). Darunter befinden sich 21 Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen im Sinne der G-BAVerfahrensordnung, die dementsprechend eine Nutzenbewertung durch den G-BA erhielten. Drei weitere Arzneimittel (Budesonid, Lidocain, Lidocain + Prilocain) enthalten keine neuen patentgeschützten Wirkstoffe im Sinne der G-BA-Verfahrensordnung und erhielten daher auch keine Nutzenbewertung durch den G-BA. Auffälligerweise wurden nur diese drei Arzneimittel in dem 14-täglich erscheinenden Abschnitt Neueinführungen der Pharmazeutischen Zeitung als Arzneimittel mit neuen Indikationen gelistet.
2.2.1
Atezolizumab
Atezolizumab (Tecentriq) ist ein monoklonaler Antikörper gegen den Liganden des Programmed-Death-1-Rezeptors (PD-L1), der nach der Erstzulassung als Zweitlinientherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom und des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht-kleinzelligen LungenkarFazit Voretigen Neparvovec (Luxturna) ist zinoms im Jahre 2017 (Arzneiverordnungs-Redas erste Gentherapeutikum, das als Orphan- port 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.2) für weitere Arzneimittel zur Behandlung der erblichen Indikationen zugelassen wurde. Das gesamte
2
97 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
. Tabelle 2.9 Neue patentgeschützte Arzneimittel bekannter Wirkstoffen mit neuen Indikationen 2019. Angegeben sind Wirkstoff, Handelsname mit Datum der Markteinführung, Hersteller, Indikation und Zusatznutzen gemäß Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 35a SGB V, bei mehreren Indikationssubgruppen mit der jeweils höchsten Nutzenbewertung Wirkstoff
Handelsname Zulassung
Hersteller
Neue Indikation
Zusatznutzen
Atezolizumab
Tecentriq 05.03.2019
Roche
Erstlinienbehandlung des metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) in Kombination mit Bevacizumab, Paclitaxel und Carboplatin
Nicht belegt
29.08.2019
Triple-negatives Mammakarzinom
Nicht quantifizierbar
03.09.2019
Erstlinienbehandlung des metastasier- Nicht belegt ten, nicht-plattenepithelialem, NSCLC in Kombination mit nab-Paclitaxel und Carboplatin
03.09.2019
Erstlinienbehandlung des kleinzelligen Gering Lungenkarzinoms im fortgeschrittenen Stadium
Avelumab
Bavencio 24.10.2019
Merck
Erstlinientherapie von erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom
Beträchtlich
Belimumab
Benlysta 21.10.2019
GSK
Patienten ab 5 bis 17 Jahren mit aktivem, Autoantikörper-positiven systemischen Lupus erythematodes
Nicht quantifizierbar
Blinatumomab
Blincyto 18.01.2019
Amgen
Pädiatrische Patienten im Alter von Nicht 1 Jahr oder älter mit B-Vorläufer-ALL quantifizierbar
18.01.2019
B-Vorläufer-ALL in kompletter Remission mit minimaler Resterkrankung
Nicht quantifizierbar
Brentuximab vedotin
Adcetris 02.06.2019
Takeda
Erstlinienbehandlung des CD30+ Hodgkin-Lymphom im Stadium IV
Nicht quantifizierbar
Ceftolozan/ Tazobactam
Zerbaxa 23.08.2019
MSD
Im Krankenhaus erworbene Pneumonie
Keine G-BABewertung
Dapagliflozin
Forxiga 03.09.2019
AstraZeneca
Unzureichend kontrollierter Typ-1Diabetes mellitus
Gering
Dupilumab
Dupixent 06.05.2019
Sanofi
Eosinophiles Asthma mit Typ-2Inflammation
Nicht belegt
Eculizumab
01.08.2019
Atopische Dermatitis bei Jugendlichen Nicht ab 12 Jahren quantifizierbar
24.10.2019
Chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen
Beträchtlich
Neuromyelitis-optica-SpektrumErkrankungen (NMOSD)
Keine G-BABewertung
Soliris 26.08.2019
Alexion
98
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.9 (Fortsetzung) Wirkstoff
Handelsname Zulassung
Hersteller
Elotuzumab
Empliciti 23.08.2019
Bristol-Myers Multiples Myelom in Kombination mit Beträchtlich Squibb Pomalidomid und Dexamethason nach mindestens zwei vorausgegangenen Therapien
Emicizumab
Hemlibra 11.03.2019
Roche
Hämophilie A-Patienten ohne Hemmkörper
Fingolimod
Gilenya 22.11.2018
Novartis
Multiple Sklerose bei Jugendlichen im Nicht quantifiAlter 11 bis 18 Jahre zierbar
Glecaprevir/ Pibrentasvir
Maviret 11.03.2019
AbbVie
Chronische Hepatitis C bei Jugendlichen im Alter 12 bis 18 Jahren
Glycerolphenylbutyrat
Ravicti 18.12.2018
Immedica
Harnstoffzyklusstörungen bei Säuglin- Nicht quantifigen im Alter von 0 bis 2 Monaten zierbar
Ibrutinib
Imbruvica 02.08.2019
Janssen
Morbus Waldenström in Kombination mit Rituximab
2
02.89.2019
Neue Indikation
Zusatznutzen
Nicht belegt
Nicht belegt
Nicht belegt
Erstlinientherapie der chronischen Gering lymphatischen Leukämie in Kombination mit Obinutuzumab
Incobotulinum A
Xeomin 29.05.2019
Merz
Ipilimumab
Yervoy 11.01.2019
Bristol-Myers Erstlinientherapie des fortgeschritSquibb tenen Nierenzellkarzinoms in Kombination mit Nivolumab
Beträchtlich
Ivacaftor
Kalydeco 22.11.2019
Vertex
Zystische Fibrose bei Kindern im Alter von 12 bis < 24 Monaten
Nicht quantifizierbar
Säuglinge und Kleinkinder mit zystischer Fibrose im Alter von 6 bis < 12 Monaten
Nicht quantifizierbar
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bei Erwachsenen
Nicht belegt
09.12.2019
Chronische Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen
Keine G-BABewertung
Lisdexamfetamin
Elvanse 16.02.2019
Shire
Melatonin
Slenyto 20.09.2018
Infectopharm Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 2–18 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS) und/oder Smith-Magenis-Syndrom
Gering
Mexiletin
Namuscla 18.12.2018
Lupin Europa Nicht-dystrophe myotonische Erkrankungen
Nicht quantifizierbar
Misoprostol
MisoOne 19.06.2019
Nordic Pharma
Keine G-BABewertung
Vorbereitung der Cervix uteri vor einem chirurgischen Schwangerschaftsabbruch
2
99 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
. Tabelle 2.9 (Fortsetzung) Wirkstoff
Handelsname Zulassung
Hersteller
Nivolumab
Opdivo 01.01.2019
Bristol-Myers Erstlinientherapie des fortgeschritSquibb tenen Nierenzellkarzinoms in Kombination mit Ipilimumab
Beträchtlich
Olaparib
Lynparza 08.04.2019
AstraZeneca
HER2-negatives, lokal fortgeschrittenes odermetastasiertes Mammakarzinom
Gering
Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenem Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oderprimären Peritonealkarzinom
Nicht belegt
Adjuvante Behandlung des Melanoms
Nicht quantifizierbar
11.03.2019
In Kombination mit Carboplatin und entweder Paclitaxel oder nab-Paclitaxel zur Erstlinienbehandlung des metastasierenden plattenepithelialen NSCLC
Beträchtlich
26.08.2019
In Kombination mit Axitinib zur Erst- Beträchtlich linienbehandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms
14.11.2019
Erstlinienbehandlung des metastasie- Beträchtlich renden oder nicht resezierbaren rezidivierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region (HNSCC) mit PD-L1-exprimierenden Tumoren
12.06.2019
Pembrolizumab
Keytruda 12.12.2018
MSD
Neue Indikation
Zusatznutzen
Pomalidomid
Imnovid 13.05.2019
Celgene
Multiples Myeloms in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason bei Patienten, die mindestens eine vorausgegangene Therapie, darunter Lenalidomid, erhalten haben
Nicht belegt
Prasteron
Intrarosa 08.01.2018
Endoceutis
Vulväre und vaginale Atrophie bei postmenopausalen Frauen
Keine G-BABewertung
Ramucirumab
Cyramza 01.08.2019
Lilly
Monotherapie von fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom
Gering
Erstlinientherapie von erwachsenen Patienten mit einem metastasierten NSCLC mit aktivierenden epidermalen WachstumsfaktorrezeptorMutationen
Geringerer Zusatznutzen/ nicht belegt (IQWIG)
05.01.2020
100
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.9 (Fortsetzung) Wirkstoff
Handelsname Zulassung
Hersteller
Neue Indikation
Zusatznutzen
Ranibizumab
Lucentis 03.09.2019
Novartis
Frühgeborenen-Retinopathie oder einer aggressiv-posterioren Frühgeborenen-Retinopathie
Keine G-BABewertung
Proliferativen diabetischen Retinopathie
Keine G-BABewertung
2
21.10.2019 Regadenoson
Rapiscan 23.01.2019
GE Healthcare
Messung der fraktionellen Flussreserve einer Koronararterienstenose bei Durchführung einer invasiven Koronarangiographie
Nicht belegt
Ribociclib
Kisqali 17.12.2018
Novartis
Hormonrezeptor-positives, HER2negatives lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Mammakarzinom in Kombination mit einem Aromatasehemmer
Nicht belegt
Hormonrezeptor-positives, HER2negatives, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes Mammakarzinom in Kombination mit Fulvestrant
Nicht belegt
23.01.2019
Rifamycin
Relefalk 09.05.2019
Dr. Falk
Reisediarrhö bei Erwachsenen mit Keine G-BAÜbelkeit, Erbrechen, Blähungen/FlaBewertung tulenz, rektalen Tenesmen, Stuhldrang und abdominalen Schmerzen oder Krämpfen
Rituximab
Mabthera 11.03.2019
Roche
Mäßiger bis schwerer Pemphigus vulgaris
Keine G-BABewertung
Treosulfan
Trecondi 20.06.2019
Medac
Konditionierungstherapie vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation
Keine G-BABewertung
Trifluridin/Tipiracil Lonsurf 03.09.2019
Servier
Monotherapie des metastasierten Magenkarzinoms
Gering
Ustekinumab
Janssen
Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die auf eine konventionelle Therapie oder auf ein Biologikum unzureichend angesprochen haben
Keine G-BABewertung
Mittelschwere bis schwere Psoriasis bei Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren
Keine G-BABewertung
Monotherapie bei infantilen Spasmen (West-Syndrom)
Nicht belegt
Kinder im Alter ab 1 Monat bis unter 7 Jahre mit therapieresistenter partieller Epilepsie (fokale Anfälle)
Nicht belegt
Stelara 03.09.2019
20.01.2020
Vigabatrin
Kigabeq 20.09.2018 20.09.2018
Desitin
101 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
Indikationsspektrum umfasst jetzt sechs Indi-1 Erstlinienbehandlung des metastasierten kationen (mit Zulassungsdatum) nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms 4 Monotherapie bei erwachsenen Patienten in Kombination mit Bevacizumab, zur Behandlung des lokal fortgeschrittePaclitaxel und Carboplatin nen oder metastasierten Urothelkarzinoms In der zulassungsrelevanten Hauptstudie ernach vorheriger platinhaltiger Chemothe- hielten 1.202 Patienten mit metastasiertem rapie oder die für eine Behandlung mit nicht-plattenepithelialem nicht-kleinzelligem Cisplatin als ungeeignet angesehen wer- Lungenkrebs (NSCLC) ohne vorherige Cheden, und deren Tumoren eine PD-L1- motherapie Atezolizumab (1.200 mg i. v. InfuExpression 5 % aufweisen (21.09.2017). sion, Tag 1) plus Carboplatin plus Paclitaxel 4 Monotherapie bei erwachsenen Patienten (ACP), Bevacizumab plus Carboplatin plus Pazur Behandlung des lokal fortgeschritte- clitaxel (BCP) oder Atezolizumab plus BCP nen oder metastasierten nichtkleinzelligen (ABCP) alle 3 Wochen für vier oder sechs Lungenkarzinoms (NSCLC) nach vorheri- Zyklen, gefolgt von einer Erhaltungstherapie ger Chemotherapie (21.09.2017). mit Atezolizumab oder Bevacizumab oder bei4 In Kombination mit Bevacizumab, Paclita- den (Socinski et al. 2018, IMpower150). In xel und Carboplatin bei erwachsenen Pati- der Wildtyppopulation verlängerte die Atezolienten zur Erstlinienbehandlung des meta- zumab-Vierfachkombination das mediane prostasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzi- gressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) noms (NSCLC) mit nicht-plattenepithelia- im Vergleich zur Bevacizumab-Carboplatinler Histologie (05.03.2019) Paclitaxel-Kombination (8,3 versus 6,8 Mo4 In Kombination mit nab-Paclitaxel bei er- nate). In der Population mit hoher PD-L1wachsenen Patienten zur Behandlung des Expression wurde das mediane progressionsnicht resezierbaren lokal fortgeschritte- freie Überleben ebenfalls verlängert (11,3 vernen oder metastasierten triple-negativen sus 6,8 Monate). Auch das mediane GeMammakarzinoms (TNBC – triple-nega- samtüberleben der Wildtyppopulation wurde tive breast cancer), deren Tumoren eine durch die Atezolizumab-Vierfachkombination PD-L1-Expression 1 % aufweisen und verlängert (19,2 versus 14,7 Monate). Das die keine vorherige Chemotherapie zur Be- Sicherheitsprofil der Atezolizumab-Vierfachhandlung der metastasierten Erkrankung kombination stimmte mit den zuvor gemelerhalten haben (29.08.2019). deten Sicherheitsrisiken der einzelnen Arznei4 In Kombination mit nab-Paclitaxel und mittel überein. Carboplatin zur Erstlinienbehandlung des Die frühe Nutzenbewertung von Atezometastasierten NSCLC mit nicht-platten- lizumab in der neuen Indikation ergab keiepithelialer Histologie bei erwachsenen nen Zusatznutzen, weil kein Vergleich gePatienten, die keine EGFR-Mutationen genüber der zweckmäßigen Vergleichstheraund kein ALK-positives NSCLC haben pie des G-BA erfolgte (Bundesministerium für (03.09.2019). Gesundheit 2020n). Die Bruttokosten der Er4 In Kombination mit Carboplatin und Eto- haltungstherapie mit Tecentriq (1 Durchstechposid bei erwachsenen Patienten zur Erstli- fl. 1.200 mg/20 ml Listenpreis 6.350,52 C, Ernienbehandlung des kleinzelligen Lungen- stattungsbetrag 4.692,05 C, Dosis 1.200 mg karzinoms im fortgeschrittenen Stadium alle 3 Wochen als i. v. Infusion) betragen (Extensive Stage Small Cell Lung Cancer, 223,43 C pro Tag bzw. 81.552 C pro Jahr ES-SCLC) (03.09.2019). (. Tab. 2.4). Damit wurde Atezolizumab von der EMA1 Triple-negatives Mammakarzinom 2019 für vier weitere Indikationen zugelassen, Die Zulassung stützt sich auf eine Phase-3die im Folgenden dargestellt werden. Studie an 902 Patienten mit unbehandeltem
102
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
metastasiertem triple-negativem Mammakarzi- Atezolizumab (1.200 mg i. v. alle 3 Wochen) nom, die Atezolizumab (840 mg i. v. Infusion, plus Chemotherapie mit Carboplatin plus nabTag 1 und 14 im 28-Tagezyklus) plus nab Paclitaxel oder Chemotherapie allein (West (nanoparticle albumin bound)-Paclitaxel oder et al. 2019, IMpover130). In der WildtypPlacebo plus nab-Paclitaxel erhielten (Schmid Population wurde das Gesamtüberleben (koet al. 2018, IMpassion130). Die Atezolizumab- primärer Endpunkt) durch die Atezolizumabnab-Paclitaxel-Kombination erhöhte das me- Kombination gegenüber der Chemotherapie diane progressionsfreie Überleben (koprimä- verbessert (18,6 versus 13,9 Monate), was jerer Endpunkt) im Vergleich zu nab-Paclitaxel doch nach dem zweiten Datenschnitt (18,2 ver(7,2 versus 5,5 Monate), ebenso bei Patien- sus 13,1 Monate) nicht mehr signifikant war. ten mit PD-L1-positiven Tumoren (7,5 bzw. Therapiebedingte schwere unerwünschte Er5,0 Monate). Auch das mediane Gesamtüber- eignisse waren unter der Atezolizumab-Komleben (koprimärer Endpunkt) wurde verlän- bination häufiger (24 % versus 13 %). Die frügert (21,3 versus 17,6 Monate), bei Patienten he Nutzenbewertung von Atezolizumab in der mit PD-L1-positiven Tumoren war der Unter- neuen Indikation ergab keinen Zusatznutzen, schied noch größer (25,0 versus 15,5 Mona- weil das Gesamtüberleben mit Atezolizumab te). Es wurden keine neuen Nebenwirkungen in Kombination mit nab-Paclitaxel und Carfestgestellt. Unerwünschte Ereignisse, die zum boplatin keinen signifikanten Unterschied zwiAbsetzen eines Wirkstoffs führten, traten bei schen den Behandlungsarmen zeigte (Bundes15,9 % der Patienten auf, die Atezolizumab ministerium für Gesundheit 2020p). plus nab-Paclitaxel erhielten, und bei 8,2 % der Patienten, die Placebo plus nab-Paclitaxel1 Erstlinienbehandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms im fortgeschrittenen erhielten. Die frühe Nutzenbewertung von AteStadium zolizumab für das triple-negative Mammakarzinom ergab einen nicht quantifizierbaren Zu- In der zulassungsrelevanten Hauptstudie ersatznutzen, weil das als Vergleichstherapie ein- hielten 403 zuvor unbehandelte Patienten gesetzte nab-Paclitaxel nicht für die Erstlini- mit kleinzelligem Lungenkarzinom im fortgeenbehandlung zugelassen ist (Bundesministe- schrittenen Stadium Atezolizumab (1.200 mg rium für Gesundheit 2020o). Die Bruttokosten i. v. Tag 1 alle 3 Wochen) plus Chemotherader Erhaltungstherapie mit Tecentriq (1 Durch- pie mit Carboplatin plus Etoposid oder Chestechfl. 840 mg/14 ml Listenpreis 3.301,64 C, motherapie allein (Horn et al. 2018, IMpoDosis 840 mg alle 2 Wochen als i. v. Infusion) ver133). Nach 13,9 Monaten wurde das mediabetragen 235,83 C pro Tag bzw. 86.078 C pro ne Gesamtüberleben (koprimärer Endpunkt) durch die Atezolizumab-Kombination gegenJahr. über der Chemotherapie verbessert (12,3 ver1 Erstlinienbehandlung des metastasierten, sus 10,3 Monate). Das Sicherheitsprofil von nicht-plattenepithelialem, nichtAtezolizumab plus Carboplatin und Etoposid kleinzelligen Lungenkarzinoms stimmte mit dem zuvor berichteten Sicherin Kombination mit nab-Paclitaxel und heitsprofil der einzelnen Wirkstoffe überein. Carboplatin Die frühe Nutzenbewertung von Atezolizumab In der zulassungsrelevanten Hauptstudie er- in der neuen Indikation ergab einen gerinhielten 723 zuvor unbehandelte Patienten gen Zusatznutzen, weil der positive Effekt auf mit metastasiertem nicht-plattenepithelialem das Gesamtüberlebens durch Nachteile bei den nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (davon Nebenwirkungen eingeschränkt wurde (Bun679 Patienten mit EGFR- und ALK-Wildtyp) desministerium für Gesundheit 2020q).
103 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2.2.2
Avelumab
Avelumab (Bavencio) ist ein weiterer monoklonaler Antikörper gegen den Liganden des Programmed-Death-1-Rezeptors (PDL1), der zuerst 2017 als Monotherapie des metastasierten Merkelzellkarzinoms zugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 2.1.3). Am 24. Oktober 2019 folgte die Zulassung in Kombination mit Axitinib als Erstlinientherapie von erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom. In der Hauptstudie für die Zulassung wurden 886 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom untersucht, die Avelumab (10 mg/kg i. v. alle 2 Wochen) plus Axitinib (2mal 5 mg/Tag oral) im Vergleich mit Sunitinib (50 mg/Tag oral für 4 Wochen mit einem 6-Wochenzyklus) erhielten (Motzer et al. 2019a). Bei den Patienten mit PD-L1-positiven Tumoren (63,2 %) verlängerte die AvelumabAxitinib-Kombination das mediane progressionsfreie Überleben (13,8 versus 7,2 Monate), während das mediane Gesamtüberleben nach 11,5–12 Monaten keinen signifikanten Unterschied zeigte (14,3 % versus 16,9 %) (beides koprimäre Endpunkte). Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder höher) waren in beiden Gruppen häufig (71,2 % versus 71,5 %). Die Nutzenbewertung der neuen Indikation von Avelumab ergab nur in der Gruppe mit ungünstigem Risikoprofil einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, weil die vorliegende Datensituation als unsicher angesehen wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2020r). Die Bruttokosten der Erhaltungstherapie mit Bavencio (1 Durchstechfl. 200 mg/10 ml Listenpreis 1.165,94 C, Erstattungsbetrag 1.005,62 C, Dosis 800 mg alle 2 Wochen als i. v. Infusion) betragen 287,32 C pro Tag bzw. 104.872 C pro Jahr (. Tab. 2.4).
2.2.3
2
Belimumab
Belimumab (Benlysta) ist ein monoklonaler Antikörper gegen das lösliche B-Lymphozyten-Stimulatorprotein (BLyS), der zuerst 2011 als Zusatztherapie des Autoantikörper-positiven systemischen Lupus erythematodes im Jahre 2011 zugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, Neue Arzneimittel). Am 21. Oktober 2019 folgte die Zulassungserweiterung für Patienten ab 5 bis 17 Jahren mit aktivem, Autoantikörper-positiven systemischen Lupus erythematodes (SLE), die trotz Standardtherapie eine hohe Krankheitsaktivität (z. B. positiver Test auf Anti-dsDNAAntikörper und niedriges Komplement) aufweisen. Die Hauptstudie für die Zulassung für die neue Patientengruppe war eine placebokontrollierte Studie an 93 Kindern und Jugendlichen im Alter von 5–17 Jahren mit aktivem systemischen Lupus erythematodes, die eine definierte Krankheitsaktivität (SELENA SLEDAI Score > 6 Punkte) und einen antinukleären Antikörpertiter (ANA) (> 1:80) unter stabiler Vorbehandlung mit Glucocorticosteroiden, Antimalariamitteln, nichtsteroidalen Antiphlogistika, anderen Immunsuppressiva oder Immunmodulatoren aufwiesen (European Medicines Agency 2019b). Belimumab (10 mg/kg i. v. Infusion an Tag 1, 14, 28 und danach alle 28 Tage bis Woche 48) erhöhte die Ansprechrate (SLEDAI Response Index > 6, SRI6) nach 52 Wochen im Vergleich zu Placebo (43,3 % versus 33,8 %). Damit wurde eine ähnliche Ansprechrate wie bei Erwachsenen erreicht. Die Nebenwirkungsrate war ähnlich wie in der Placebogruppe oder sogar niedriger. Häufigste Ereignisse waren Infektionen (56,6 % versus 70,0 %), Muskel- und Bindegewebsstörungen (20,8 % versus 32,5 %), renalen Störungen (7,5 % versus 17,5 %) und Stoffwechselstörungen (0 % versus 10,0 %). Die frühe Nutzenbewertung von Belimumab in der neuen Patientenpopulation ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen, weil die Ergebnisse
104
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
aufgrund der Datenerhebung und der Auswer- Die 2018 und 2019 zugelassenen neuen Inditungsart nicht interpretierbar waren (Bundes- kationen von Blinatumomab werden im Folministerium für Gesundheit 2020s). Die Brut- genden dargestellt. tokosten der Erhaltungstherapie mit Benlysta (1 Durchstechfl. 400 mg Listenpreis 641,10 C,1 Pädiatrische Patienten im Alter von 1 Jahr oder älter mit B-Vorläufer-ALL Erstattungsbetrag 559,75 C, Dosis 10 mg/kg als i. v. Infusion, 14 Dosen pro 52 Wochen, Maßgebliche Daten für die Zulassung stam52,3 kg medianes Körpergewicht nach Studi- men aus einer einarmigen Phase-1/2-Studie an 93 Kindern (Alter von 1 bis < 18 Jahre) enangaben) betragen 10.243 C pro Jahr. mit rezidivierter oder refraktärer B-Zell-Vorläufer akuter lymphatischer Leukämie, die in einem Phase-1-Dosis-Eskalations-Teil und ei2.2.4 Blinatumomab nem Phase-2-Teil zu Wirksamkeit und Sicherheit in zwei 6-wöchigen Behandlungszyklen Blinatumomab (Blincyto) ist ein bispezi- mit Blinatumomab behandelt wurden (von Stafischer CD19-Antikörper, der zuerst 2015 ckelberg et al. 2016). Auf der Grundlage der als Orphan-Arzneimittel für die Monothe- Phase-1-Daten wurde als empfohlene Dosis rapie der Philadelphia-Chromosom-negativen, von Blinatumomab eine Dauerinfusion über CD19-positiven, rezidivierten oder refraktären 28 Tage eingesetzt (5 g/m2 /Tag an Tag 1–7, B-Vorläufer akuter lymphatischer Leukämie danach 15 g/m2 /Tag), gefolgt von 2 therazugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report piefreien Wochen. Von den 70 Patienten mit 2016, Kap. 2, Neue Arzneimittel) Nach weite- der empfohlenen Dosierung erreichten 39 % ren Zulassungen umfasst das Indikationsspek- innerhalb der ersten beiden Zyklen eine volltrum jetzt drei Indikationen (mit Zulassungs- ständige Remission (primärer Endpunkt). Die häufigsten schweren unerwünschten Ereignisdatum) 4 Monotherapie zur Behandlung von Er- se (Grad 3) waren Anämie (36 %), Thrombowachsenen mit Philadelphia-Chromosom- zytopenie (21 %) und Hypokaliämie (17 %). negativer, CD19-positiver, rezidivier- Vier Patienten hatten ein schweres Zytokinter oder refraktärer B-Vorläufer aku- Freisetzungssyndrom (Grad 3 und 4). Die Nutzenbewertung von Blinatumomab ter lymphatischer Leukämie (ALL) in der neuen Indikation ergab einen nicht (23.11.2015). 4 Monotherapie zur Behandlung von pädia- quantifizierbaren Zusatznutzen, weil eine vertrischen Patienten im Alter von 1 Jahr oder gleichende Bewertung der Studienergebnisse älter mit Philadelphia-Chromosom-negati- aufgrund des einarmigen Studiendesigns sover, CD19-positiver, rezidivierter oder re- wie der nicht geeigneten historischen Kontrolfraktärer B-Vorläufer-ALL, die refraktär ist le nicht möglich ist (Bundesministerium für oder nach mindestens zwei vorangegan- Gesundheit 2019n). Nach den Angaben in der genen Therapien rezidiviert ist oder nach Nutzenbewertung betragen die Jahrestherapievorangegangener hämatopoetischer alloge- kosten von Blincyto für Kinder und Jugendliner Stammzelltransplantation rezidiviert ist che zwischen 49.713 und 355.837 C. (23.08.2018). 4 Monotherapie zur Behandlung von Er-1 B-Vorläufer-ALL in kompletter Remission mit minimaler Resterkrankung wachsenen mit Philadelphia-Chromosomnegativer, CD19-positiver, rezidivierter Basis der Zulassung war eine einarmige Hauptoder refraktärer B-Vorläufer-ALL in ers- studie an 116 Patienten mit B-Vorläufer-ALL ter oder zweiter kompletter Remission mit in kompletter hämatologischer Remission nach einer minimalen Resterkrankung (MRD) vorangehender Chemotherapie, aber mit mivon mindestens 0,1 % (18.01.2019). nimaler Resterkrankung (MRD) von mindes-
105 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
als Behandlungsoption in Frage kommt tens 0,1 % Leukämiezellen ( 103 ) (Gökbug(25.10.2012). et et al. 2018). Blinatumomab (15 g/m2 /Tag i. v. 24-h-Dauerinfusion über 28 Tage ge- 4 Rezidiviertes oder refraktäres systemisches anaplastisches großzelliges Lymfolgt von 2 therapiefreien Wochen) wurde phom (25.10.2012). in 1–4 Therapiezyklen verabreicht. Der überwiegende Teil der Patienten (77,6 %) erhielt 4 Erhöhtes Rezidiv- oder Progressionsrisiko nach einer ASCT (24.06.2016). nach der Gabe von Blinatumomab eine allogene hämatologische Stammzelltransplantati- 4 CD30+ kutanes T-Zell-Lymphom (CTCL) nach mindestens einer vorangegangenen on. Eine komplette MRD-Remission (< 0,01 % systemischen Behandlung (15.12.2017). Leukämiezellen, primärer Endpunkt) erreichten 78,3 % der Patienten. Das mediane Ge- 4 Bislang unbehandeltes CD30+ HodgkinLymphom im Stadium IV in Kombination samtüberleben aller Patienten betrug 36,5 Momit Doxorubicin, Vinblastin und Dacarbanate, bei Non-Respondern nur 5,7 Monate. Das zin (AVD) (06.02.2019). Nebenwirkungsprofil war ähnlich wie in früheren Studien. Die frühe Nutzenbewertung von Blinatu- Die 2019 zugelassene neue Indikation von momab in der neuen Indikation ergab einen Brentuximab vedotin wird im Folgenden darnicht quantifizierbaren Zusatznutzen, weil die gestellt. Ergebnisse aus einer einarmigen Studie stammen und ein historischer Vergleich aufgrund1 Erstlinienbehandlung des CD30+ Hodgkin-Lymphom im Stadium IV von unzureichenden Informationen zur Studienpopulation und der daraus resultierenden In der zulassungsrelevanten Hauptstudie fraglichen Vergleichbarkeit vom G-BA nicht an 1.334 Patienten mit zuvor unbehanakzeptiert wurde (Bundesministerium für Ge- deltem CD30+ Hodgkin-Lymphom im sundheit 2019o). Nach den Angaben in der Stadium III oder IV wurde Brentuximab veNutzenbewertung betragen die Jahrestherapie- dotin (1,2 mg/kg i. v. an Tag 1 und 15 im kosten von Blincyto für Erwachsene zwischen 28-Tagezyklus) plus Chemotherapie (Doxorubicin, Vinblastin Dacarbazin) mit alleiniger 73.261 und 293.042 C. Chemotherapie (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin Dacarbazin) verglichen (Connors et al. 2018, ECHELON-1). Nach 24,2 Monaten 2.2.5 Brentuximab vedotin erhöhte Brentuximab vedotin plus Chemotherapie das progressionsfreie 2-Jahresüberleben Brentuximab vedotin (Adcetris) ist ein CD30- (primärer Endpunkt) im Vergleich zur alleiniAntikörper-Wirkstoff-Konjugat, das zuerst gen Chemotherapie signifikant (82,1 % versus 2012 als Orphan-Arzneimittel zur Behandlung 77,2 %). Häufigste Nebenwirkungen waren des systemischen anaplastischen großzelligen periphere Neuropathie (67 % versus 43 %), Lymphoms (Arzneiverordnungs-Report 2013, Neutropenie (58 % versus 45 %) und InfektioKap. 2, Neue Arzneimittel) zugelassen wurde. nen (56 % versus 51 %). In beiden Gruppen Nach weiteren Zulassungen umfasst das Indi- traten therapiebedingte Todesfälle auf (9 % kationsspektrum jetzt fünf Indikationen (mit versus 13 %). Die frühe Nutzenbewertung von BrentuZulassungsdatum) 4 Rezidiviertes oder refraktäres CD30+ ximab vedotin in der neuen Indikation erHodgkin-Lymphom (HL) nach einer au- gab einen nicht quantifizierbaren Zusatznuttologen Stammzelltransplantation (ASCT) zen, weil die zum Vergleich eingesetzte Cheoder nach mindestens zwei vorangegan- motherapie nicht mehr der deutschen Versorgenen Therapien, wenn eine ASCT oder gungsrealität entspricht (Bundesministerium eine Kombinationschemotherapie nicht für Gesundheit 2019p). Die Bruttokosten von
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Adcetris (1 Durchstechfl. 50 mg, Listenpreis 4.920,96 C, Erstattungsbetrag 3.429,04 C, Dosis 1,2 mg/kg, Tag 1 und 15 im 28-Tagezyklus, bei Standardgewicht von 70 kg 168 mg/28 Tage) betragen 11.522 C pro 28 Tage und 150.192 C pro Jahr.
2.2.6
wertung durchgeführt. Die Bruttokosten der Tagesdosis von Zerbaxa (Krankenhausapothekeneinkaufspreis mit 19 % Mwst 10 Pulver 1,5 g 1.088,85 C, Tagesdosis 3mal 1,5 g) betragen 326,66 C und liegen dreimal so hoch wie die von Meropenem (Apothekenverkaufspreis Meropenem Noridem 10 Durchstechfl. 1,0 g 355,88 C, Tagesdosis 3,0 g) mit 106,76 C.
Ceftolozan/Tazobactam
Ceftolozan/Tazobactam (Zerbaxa) ist eine Kombination aus dem Cephalosporin Ceftolozan und dem Betalactamaseinhibitor Tazobactam, die zuerst am 18. September 2015 zur Behandlung komplizierter intraabdomineller Infektionen, akuter Pyelonephritis und komplizierter Harnwegsinfektionen zugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Abschn. 2.1.7). Am 23. August 2019 wurde das Kombinationspräparat zusätzlich für die im Krankenhaus erworbene Pneumonie, einschließlich beatmungsassoziierter Pneumonie zugelassen. Die Zulassung für die neue Indikation basiert auf einer Nichtunterlegenheitsstudie an 726 Patienten mit einer nosokomialen Pneumonie (beatmungsassoziierte Pneumonie oder im Krankenhaus erworbene beatmungsassoziierte Pneumonie), die überwiegend auf einer Intensivstation (92 %) mit 3 g (2 g/1 g) Ceftolozan-Tazobactam oder 1 g Meropenem pro Tag als i. v. Infusion über 8 h für 8–14 Tage behandelt wurden (Kollef et al. 2019, ASPECTNP). Nach 28 Tagen waren 87 (24,0 %) Patienten in der Ceftolozan-Tazobactam-Gruppe und 92 (25,3 %) in der Meropenem-Gruppe verstorben. Es gab keine behandlungsbedingten Todesfälle. Auch bei der klinischen Heilung war Ceftolozan-Tazobactam gegenüber Meropenem nicht unterlegen (54 % versus 53 %). Behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse traten bei 11 % der Patienten in der Ceftolozan-Tazobactam-Gruppe und 8 % in der Meropenem-Gruppe auf. Da Ceftolozan-Tazobactam (Zerbaxa) fast ausschließlich im Krankenhaus angewendet wird, hat der G-BA keine frühe Nutzenbe-
2.2.7
Dapagliflozin
Dapagliflozin (Forxiga) ist ein Inhibitor des Natrium-Glucose-Cotransporters-2 (SGLT-2), der zuerst 2012 zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Typ-2-Diabetes zugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2013, Kap. 2, Neue Arzneimittel). Am 20. März 2019 erhielt Dapagliflozin zusätzlich die Zulassung bei erwachsenen Patienten zur Behandlung von unzureichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes mellitus in Ergänzung zu Insulin bei Patienten mit einem BMI > 27 kg/m2 , wenn Insulin allein den Blutzucker trotz optimaler Insulintherapie nicht ausreichend kontrolliert. Die Zulassung der neuen Indikation basiert auf zwei Phase-3-Studien an Patienten mit unzureichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes (HbA1c 7,5–10,5 %), die mit Insulin plus Dapagliflozin (5 oder 10 mg/Tag oral) oder Insulin allein behandelt wurden. In der ersten Studie an 833 Patienten senkte Dapagliflozin (5 oder 10 mg/Tag oral) den HbA1c-Wert im Vergleich zur Kontrollgruppe nach 52 Wochen (0,33 oder 0,36 %) und das Körpergewicht (2,95 oder 4,54 %) (Dandona et al. 2018, DEPICT-1). Bei den Nebenwirkungen waren Hypoglykämien ähnlich. Genitalinfektionen (15,5 oder 13,5 % versus 3,1 %) und diabetische Ketoazidosen (4,0 oder 3,4 % versus 1,9 %) traten jedoch unter Dapagliflozin häufiger auf. Die zweite Studie an 815 Patienten über 24 Wochen hatte weitgehend ähnliche Ergebnisse (Mathieu et al. 2018, DEPICT-2). Die frühe Nutzenbewertung von Dapagliflozin beim Typ-1-Diabetes ergab einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen,
107 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
weil der HbA1c-Wert als ein ausreichend va- Damit wurde Dupilumab von der EMA 2019 lides Surrogat für mikrovaskuläre Folgeerkran- für drei weitere Indikationen zugelassen, die kungen beim Typ-1-Diabetes angesehen wurde im Folgenden dargestellt werden. (Bundesministerium für Gesundheit 2019q). Die Bruttokosten von Forxiga (98 Filmtablet-1 Eosinophiles Asthma mit Typ-2-Inflammation ten 10 mg, Listenpreis 220,45 C, Erstattungsbetrag 103,46 C, Dosis 10 mg/Tag oral) betra- Maßgebend für die Zulassung waren zwei gen 1,06 C pro Tag und 385 C pro Jahr. Hauptstudien an Patienten im Alter ab 12 Jahre mit unkontrolliertem Asthma. In der ersten Phase-3-Studie an 1.902 Patienten, die bereits mit einem mittel- bis hochdosierten inhalativen 2.2.8 Dupilumab Glucocorticoid und einem langwirkenden Betarezeptoragonisten behandelt wurden, senkte Dupilumab (Dupixent) ist ein monoklonaler Dupilumab (200 oder 300 mg s. c. alle 2 WoInterleukin-4-Antikörper, der nach der Erstzu- chen) die jährliche Rate schwerer Asthmalassung zur Behandlung der atopischen Der- exazerbationen (primärer Endpunkt) im Vermatitis im Jahre 2017 (Arzneiverordnungs-Re- gleich zu Placebo um 47,7 % (Castro et al. port 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.9) für weitere 2018, QUEST). Bei Patienten mit einer höheIndikationen zugelassen wurde. Das gesamte ren Bluteosinophilenzahl (über 300/l) wurde Indikationsspektrum umfasst jetzt vier Indika- die jährliche Rate schwerer Asthmaexazerbationen um 65,8 % gesenkt. Außerdem wurde tionen (mit Zulassungsdatum) 4 Behandlung von mittelschwerer bis schwe- auch die Lungenfunktion (FEV1 ) durch Durer atopischer Dermatitis bei erwachsenen pilumab um 9,2 % im Vergleich zur KontrollPatienten, die für eine systemische Thera- gruppe verbessert. Die Häufigkeit der meisten pie in Betracht kommen (26.09.2017). unerwünschten Wirkungen war in beiden Be4 Add-on-Erhaltungstherapie bei Erwach- handlungsgruppen ähnlich. Unterschiede gab senen und Jugendlichen ab 12 Jahren es lediglich bei den Reaktionen an der Inmit schwerem Asthma mit Typ-2- jektionsstelle (15,2 % der Dupilumab-PatienInflammation, gekennzeichnet durch eine ten versus 5,4 % bei Placebopatienten) und erhöhte Anzahl der Eosinophilen im Blut der Bluteosinophilie (4,1 % versus 0,6 %). Die und/oder erhöhtes fraktioniertes exhaliertes beobachteten Todesfälle (0,4 % versus 0,5 %) Stickstoffmonoxid (FeNO), das trotz hoch- waren nicht therapiebedingt. In der zweiten dosierter inhalativer Kortikosteroide (ICS) Studie an 210 Patienten, die zusätzlich zur plus einem weiteren zur Erhaltungstherapie Standardtherapie mit einem oralen Glucocorangewendeten Arzneimittel unzureichend ticoid behandelt wurden, senkte Dupilumab kontrolliert ist (06.05.2019). (300 mg s. c. alle 2 Wochen) die orale Glu4 Behandlung von mittelschwerer bis schwe- cocorticoiddosis (primärer Endpunkt) stärker rer atopischer Dermatitis bei Jugendlichen als in der Placebogruppe (70,1 % versus im Alter von 12 bis 17 Jahren, die für eine 41,9 %) (Rabe et al. 2018, VENTURE). systemische Therapie in Betracht kommen Trotz einer Verringerung der Glucocortico(01.08.2019). iddosis reduzierte Dupilumab auch noch die 4 Add-on-Therapie mit intranasalen Korti- Exazerbationsrate um 59 % im Vergleich zur kosteroiden zur Behandlung von Erwach- Placebogruppe. Das Nebenwirkungsprofil war senen mit schwerer chronischer Rhinosinu- ähnlich wie in der ersten Studie. sitis mit Nasenpolypen (CRSwNP), die mit Die frühe Nutzenbewertung von Dupilumsystemischen Kortikosteroiden und/oder ab für Patienten mit schwerem Asthma ergab chirurgischem Eingriff nicht ausreichend im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichskontrolliert werden kann (24.10.2019). therapie, dass ein Zusatznutzen nicht belegt
108
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
ist (Bundesministerium für Gesundheit 2020t). war bedeutsam, dass in der Gesamtschau der Hauptgrund für den fehlenden Zusatznutzen Studienergebnisse die positiven Effekte von war die Tatsache, dass die meisten Patien- Dupilumab bei der Morbidität und Lebensquaten in den Kontrollarmen keine der vom G- lität gegenüber dem Nachteil in den NebenwirBA bestimmten Eskalationsoptionen erhielten, kungen überwiegen. während die Patienten in den Interventionsarmen Dupilumab als Zusatztherapie erhielten.1 Chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen Die Bruttokosten der Erhaltungstherapie mit Dupixent (6 Fertigspritzen 300 mg/2 ml, Do- Wirksamkeit und Sicherheit von Dupilumab sis 300 mg s. c. alle 2 Wochen, Listenpreis (300 mg s. c. alle 2 Wochen) für diese Indi5.233,55 C, Erstattungsbetrag 4.645,00 C) be- kation wurden in zwei parallel durchgeführtragen 55,30 C pro Tag und 20.184 C pro Jahr. ten placebokontrollierten Phase-3-Studien an 276 Patienten mit schwerer chronischer Rhi1 Atopische Dermatitis bei Jugendlichen nosinusitis mit Nasenpolypen über 24 Woab 12 Jahren chen und an 448 Patienten über 52 Wochen Zusätzlich zu den Studien an Erwachse- untersucht, wobei als koprimäre Endpunkte nen (Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Änderungen des Nasenpolyp-Scores, des KonAbschn. 3.1.9) wurde eine weitere Phase-3 gestions-Scores der verstopften Nase und der Studie an 251 Jugendlichen (Alter 12 bis Nasennebenhöhlen-CT-Scores (nur in Japan) 17 Jahre) mit mittelschwerer bis schwerer gemessen wurden (Bachert et al. 2019, LIatopischer Dermatitis durchgeführt, die mit BERTY NP SINUS-24, LIBERTY NP SINUStopischer Therapie unzureichend kontrolliert 52). Dupilumab verbesserte den Nasenpolypwurde (Simpson et al. 2020, LIBERTY AD Score (Ausgangswert 5,97) gegenüber PlaceADOL). Die Wirksamkeit von Dupilumab bo nach 24 Wochen um 2,06 Punkte und nach (200 mg s. c. bei einem Körpergewicht unter 52 Wochen um 1,80 Punkte. Der Kongesti60 kg oder 300 mg s. c. über 60 kg alle 2 oder ons-Score (Ausgangswert 2,40) wurde im Ver4 Wochen) wurde mit einer 75 % Verbesserung gleich zu Placebo nach 24 Wochen um 0,89 des Eczema Area and Severity Index (EASI- Punkte und nach 52 Wochen um 0,87 Punkte 75) und dem Investigators Global Assessment gesenkt. Die häufigsten unerwünschten Ereig(IGA), einer globalen Prüfer-basierten Beur- nisse (Nasopharyngitis, Verschlechterung der teilungsskala bestimmt. Die zwei- und vier- Nasenpolypen und Asthma, Kopfschmerzen, wöchentliche Gabe von Dupilumab steigerte Epistaxis und Erythem an der Injektionsstelle) den Anteil der Patienten mit einer EASI-75- waren unter Placebo häufiger. Verbesserung gegenüber dem Ausgangswert Die frühe Nutzenbewertung von Dupilumim Vergleich zu Placebo (41,5 und 38,1 % ver- ab für die Behandlung der schweren chronisus 8,2 %). Bei den Nebenwirkungen lagen die schen Rhinosinusitis mit Nasenpolypen ergab Werte für eine Konjunktivitis mit Dupilumab einen Beleg für einen nicht quantifizierbahöher als mit Placebo (9,8 und 10,8 % versus ren Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmä4,7 %), ebenso für die Reaktionen an der In- ßigen Vergleichstherapie (Bundesministerium jektionsstelle (8,5 und 6,0 % versus 3,5 %). für Gesundheit 2020v). Die frühe Nutzenbewertung von Dupilumab für die Behandlung von mittelschwerer bis schwerer atopischer Dermatitis bei Jugendli- 2.2.9 Eculizumab chen ab 12 Jahren ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichs- Eculizumab (Soliris) ist ein humanisierter motherapie (Bundesministerium für Gesundheit noklonaler Antikörper gegen das Komple2020u). Für das Ausmaß des Zusatznutzens mentprotein C5, der zuerst am 20. Juni 2007
109 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie und am 1. August 2017 für die Behandlung refraktärer generalisierter Myasthenia gravis bei Acetylcholinrezeptor-Antikörper-positiven Patienten zugelassen wurde. Am 26. August 2019 folgte die Zulassung für eine weitere Indikation zur Behandlung von Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) bei Patienten, die positiv für Anti-Aquaporin4-Antikörper sind und einen schubförmigen Krankheitsverlauf zeigen. Da es nur wenige Patienten mit Neuromyelitis-optica-SpektrumErkrankungen gibt, wurde Soliris am 5. August 2013 auch für diese Indikation als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Die Neuromyelitis-optica-SpektrumErkrankung ist eine durch Aquaporin-4Antikörper bedingte entzündliche Autoimmunkrankheit mit schweren Krankheitsschüben durch Optikusneuritiden und Myelitiden, die Erblindung und Lähmungen verursachen können. Zur Rezidivprävention werden derzeit vor allem Immunsuppressiva einschließlich Rituximab eingesetzt, die jedoch für diese Indikation nicht zugelassen sind und weitere Krankheitsschübe bei 25–60 % der Patienten nicht verhindern. Grundlage der Zulassung von Eculizumab war eine placebokontrollierte Hauptstudie an 143 Patienten mit Aquaporin-4-Antikörper-positiver Krankheit, die Eculizumab in den ersten 4 Wochen in einer Dosis von 900 mg/Woche als i. v. Infusion und danach in einer Dosis von 1.200 mg/2 Wochen erhielten (Pittock et al. 2019, PREVENT). Die Rezidivrate (primärer Endpunkt, Ausgangswert 1,99 Rezidive/ Jahr) wurde durch Eculizumab im Vergleich zu Placebo deutlich gesenkt (3 % versus 46 %). Häufigste Nebenwirkungen waren Atemwegsinfektionen (29 % versus 13 %), Kopfschmerzen (23 % versus 23 %), Nasopharyngitis (21 % versus 19 %) und Übelkeit (17 % versus 26 %). In der Eculizumab-Gruppe gab es einen Todesfall durch Lungenempyem. Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da der Wirkstoff Eculizumab bereits
2
seit 2007 zugelassen ist. Die Bruttokosten von Soliris (1 Durchstechflasche 30 ml mit 300 mg, 5.877,61 C, Erhaltungsdosis 1.200 mg alle 14 Tage), betragen 1.679,32 C pro Tag und 612.951 C pro Jahr.
2.2.10
Elotuzumab
Elotuzumab (Empliciti) ist ein monoklonaler Antikörper gegen ein Lymphozytenaktivierungsmolekül (Signaling Lymphocyte Activation Molecule Family Member 7, SLAMF7), der zuerst 2016 als Orphan-Arzneimittel zur Behandlung des multiplen Myeloms in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason nach mindestens einer vorangegangenen Therapie zugelassen wurde (ArzneiverordnungsReport 2017, Kap. 3, Abschn. 3.1.11). Am 23. August 2019 wurde als Indikationserweiterung die Behandlung des rezidivierten und refraktären multiplen Myeloms bei Erwachsenen in Kombination mit Pomalidomid und Dexamethason zugelassen, die mindestens zwei vorausgegangene Therapien, darunter Lenalidomid und einen Proteasom-Inhibitor, erhalten haben und unter der letzten Therapie eine Progression gezeigt haben. Zulassungsrelevant war eine Phase-2Studie an 117 Patienten mit multiplem Myelom und mindestens zwei Vortherapien, die refraktär oder rezidiviert und refraktär gegen Lenalidomid und einen ProteasomInhibitor waren (Dimopoulos et al. 2018a, ELOQUENT-3). Untersucht wurde eine Dreifachkombination aus Elotuzumab (10 mg/kg i. v. an Tag 1, 8, 15 und 22 in den ersten beiden 28-Tage-Zyklen, ab 3. Zyklus 20 mg/kg i. v. an Tag 1), Pomalidomid und Dexamethason im Vergleich mit Pomalidomid plus Dexamethason als Kontrollgruppe. Die ElotuzumabKombination verlängerte das mediane progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) im Vergleich zur Kontrollgruppe (10,3 versus 4,7 Monate). Bei einem zweiten Datenschnitt nach 18,1 Monaten wurde auch die Gesamtüberlebensrate erhöht (Hazard-Ratio 0,54).
110
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Häufigste schwere Nebenwirkungen (Grad 3 und 4) waren Neutropenie (13 % versus 27 %), Infektionen (13 % versus 22 %), Anämie (10 % versus 20 %) und Hyperglykämie (8 % versus 7 %). Die Nutzenbewertung der Indikationserweiterung durch den G-BA ergab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, weil das Gesamtüberleben um 5,5 Monate verlängert wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2020w). Die Bruttokosten von Empliciti (400 mg Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung, 1 Durchstechflasche, Listenpreis 1.987,86 C, Erstattungsbetrag 1.557,64 C, Erhaltungsdosis ab 3. Zyklus 20 mg/kg i. v./28 Tage, Standardkörpergewicht 70 kg) betragen 194,71 C pro Tag und 71.067 C pro Jahr.
2.2.11
Emicizumab
Emicizumab (Hemlibra) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der zuerst am 23. März 2018 als Orphan-Arzneimittel zur Prophylaxe von Blutungsereignissen bei Patienten mit Hämophilie A und Faktor VIIIHemmkörpern durch eine beschleunigte Beurteilung zugelassen wurde (ArzneiverordnungsReport 2019, Kap. 3, Abschn. 3.1.12). Da es nur wenige Patienten mit Hämophilie A und Hemmkörpern gibt wurde Hemlibra 2014 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Seit 11. März 2019 ist Emicizumab zusätzlich auch zur Behandlung von Hämophilie A-Patienten ohne Hemmkörper zugelassen. In der Hauptstudie für die Zulassung zur Behandlung von Hämophilie A-Patienten ohne Hemmkörper wurden 152 Teilnehmer, die zuvor bei Bedarf mit Faktor VIII behandelt worden waren, in drei Gruppen eingeteilt, die Emicizumab in zwei Dosierungen (1,5 oder 3 mg/kg s. c. pro Woche) oder keine Prophylaxe erhielten (Mahlangu et al. 2018, HAVEN 3). Die mediane annualisierte Blutungsrate war in den beiden Gruppen mit wöchentlicher Emici-
zumab-Prophylaxe wesentlich niedriger als ohne Prophylaxe (1,5 oder 1,3 versus 38,2 Ereignisse). Thromboembolischen Ereignisse wurden nicht beobachtet. Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab, dass ein Zusatznutzen für Emicizumab als Routineprophylaxe gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (plasmatische oder rekombinante Blutgerinnungsfaktor-VIII-Präparate, eingesetzt als Routineprophylaxe) nicht belegt ist (Bundesministerium für Gesundheit 2019r). Ausschlaggebend für die Nutzenbewertung war, dass keine direkt vergleichende Studie für Emicizumab gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorgelegt wurde und dass der indirekte Vergleich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen einer Routineprophylaxe mit Emicizumab und der zweckmäßigen Vergleichstherapie zeigte. Nach den Angaben in der Nutzenbewertung betragen die Jahrestherapiekosten von Hemlibra für Erwachsene zwischen 617.548 und 656.592 C, während die Jahrestherapiekosten der Vergleichstherapie zwischen 184.121 C und maximal 786.367 C liegen. Emicizumab erweitert das Spektrum der Therapieoptionen bei Hämophilie A auch unabhängig von der Anwesenheit von hemmenden Antikörpern gegen Faktor VIII mit einer deutlich längeren Halbwertszeit als bisher verfügbare modifizierte rekombinante Gerinnungsfaktoren.
2.2.12
Fingolimod
Fingolimod (Gilenya) ist ein Sphingosin-1Phosphat-Rezeptoragonist zur krankheitsmodifizierenden Monotherapie von hochaktiver schubförmig-remittierend verlaufender Multipler Sklerose bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Betainterferon sowie bei Patienten mit rasch fortschreitender, schwerer schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose, der 2011 zunächst zur Behandlung von Erwachsenen (Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, Neue Arzneimittel) und am 22. November
111 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2018 auch für die Behandlung von Jugendlichen im Alter 11 bis 18 Jahren zugelassen wurde. Die Zulassung für die neue Patientengruppe basiert auf einer Phase-3-Studie an 215 Patienten im Alter von 10–17 Jahren mit schubförmig-remittierender multipler Sklerose (Ausgangswert 2,4 Schübe/2 vorangehende Jahre), die mit Fingolimod (0,25–0,5 mg/Tag oral) oder Interferon Beta-1a (30 g/Woche i. m.) bis zu 2 Jahre behandelt wurden (Chitnis et al. 2018, PARADIGMS). Die annualisierte Schubrate (primärer Endpunkt) wurde durch Fingolimod stärker als durch Interferon Beta1a gesenkt (auf 0,12 versus 0,67 Schübe/Jahr). Schwere Nebenwirkungen waren unter Fingolimod häufiger als unter Interferon Beta-1a (16,8 % versus 6,5 %), die auch häufiger zu Therapieunterbrechungen führten (11,2 % versus 2,8 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab nur in der Patientengruppe, für die ein Wechsel innerhalb der Basistherapeutika angezeigt ist, einen Anhaltspunkt für einen nicht-quantifizierbaren Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2019s). Die Bruttokosten von Gilenya (98 Hartkapseln 0,5 mg Listenpreis 7.973,79 C, Erstattungsbetrag 5.936,23 C, Dosis 1 Tablette pro Tag) betragen 60,57 C pro Tag und 21.109 C pro Jahr.
2.2.13
Glecaprevir/Pibrentasvir
Glecaprevir/Pibrentasvir (Maviret) ist eine Kombination aus dem Proteaseinhibitor Glecaprevir und dem pangenotypischen NS5AReplikationsinhibitor Pibrentasvir zur Behandlung der chronischen Hepatitis C, die 2017 zunächst zur Behandlung von Erwachsenen (Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.12) und am 11. März 2019 auch für die Behandlung von Jugendlichen im Alter 12 bis 18 Jahren zugelassen wurde. Die Zulassung für die neue Patientengruppe basiert auf einer einarmigen Studie an ju-
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gendlichen Patienten mit chronischer HCVInfektion, die mit der Glecaprevir-Pibrentasvir-Kombination 8–16 Wochen behandelt wurden (Jonas et al. 2020, DORA). Die Patienten erreichten nach 12 Wochen eine dauerhafte virologische Ansprechrate (SVR12Rate) von 100 % und ein Sicherheitsprofil, das mit dem bei Erwachsenen übereinstimmt. Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen für die neue Patientengruppe, weil nur Daten aus einer einarmigen, nicht vergleichenden Studie vorgelegt wurden (Bundesministerium für Gesundheit 2019t). Die Bruttokosten von Maviret (84 Filmtabletten Listenpreis 17.478,78 C, Erstattungsbetrag 14.995,06 C, Dosis 1 Tablette pro Tag) betragen 178,52 C pro Tag und 65.157 C pro Jahr.
2.2.14
Glycerolphenylbutyrat
Glycerolphenylbutyrat (Ravicti) ist ein Prodrug von Phenylbutyrat und wird als Stickstofffänger für die Zusatztherapie bei Patienten mit Harnstoffzyklusstörungen eingesetzt, einschließlich Mangel an Carbamoylphosphatsynthetase 1, Ornithintranscarbamylase, Argininsuccinatsynthetase, Argininosuccinatlyase, Arginase 1 und Ornithintranslokase (Hyperammonämie-Hyperornithinämie-Homocitrullinurie-Syndrom), die durch diätetische Eiweißrestriktion oder Aminosäurensubstitution allein nicht behandelt werden können. Nach der 2015 erfolgten Erstzulassung für erwachsene und pädiatrische Patienten im Alter von über zwei Monaten (ArzneiverordnungsReport 2019, Kap. 3, Abschn. 3.1.17) folgte am 18. Dezember 2018 die Zulassung für die Behandlung von Säuglingen im Alter von 0 bis 2 Monaten. Die Zulassung für die neue Patientengruppe basiert auf einer unkontrollierten, offenen Hauptstudie an 16 Säuglingen im Alter von 0 bis 2 Monaten über einen Zeitraum von 24 Monaten, in der Wirksamkeit, Sicherheit und Pharmakokinetik von Glyce-
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
rolphenylbutyrat untersucht wurden (European Medicines Agency 2019c). Die 16 Säuglinge wurden größtenteils von anderen Arzneimitteln umgesetzt (10 Phenylbutyrat, 3 Natriumbenzoat oder Phenylacetat), 3 weitere Säuglinge waren zuvor unbehandelt. Glycerolphenylbutyrat wurde als Flüssigkeit (1,1 g/ml) 3–6mal/Tag oral mit einer vom behandelnden Arzt vorgegebenen Dosis verabreicht (mediane Dosis 8,36 ml/m2 /Tag). Alle Säuglinge wurden unabhängig von der Vortherapie innerhalb von 3 Tagen erfolgreich auf Glycerolphenylbutyrat umgestellt (keine Hyperammonämie-Symptome, Ammoniakblutspiegel < 100 mol/l). Häufigste Nebenwirkungen waren gastrointestinale Störungen (87,5 %), Infektionen (81,3 %), Stoffwechselund Ernährungsstörungen (62,5 %), Hautveränderungen (56,3 %) und Atemwegsstörungen (43,8 %). Eine Hyperammonämie wurde bei 50 % der Säuglinge beobachtet. Insgesamt war das Nebenwirkungsprofil in der Altersgruppe mit 0 bis 2 Monaten ähnlich wie mit 2 Monaten bis 2 Jahren. Die Nutzenbewertung ergab einen nichtquantifizierbaren Zusatznutzen für die neue Patientengruppe, weil nur Daten aus einer unkontrollierten Studie vorgelegt wurden (Bundesministerium für Gesundheit 2019u). Die Therapiekosten von Ravicti (1 Flasche 25 ml mit 1,1 g/ml, Listenpreis 421,89 C, Erstattungsbetrag 272,02 C) betragen nach den Angaben in der Nutzenbewertung 1.248 bis 2.097 C für die ersten zwei Lebensmonate.
2.2.15
Ibrutinib
4 Erwachsene Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem Mantelzell-Lymphom (21.10.2014). 4 Erwachsene Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben, oder zur Erstlinien-Therapie bei Patienten mit einer 17p-Deletion oder einer TP53-Mutation, die für eine Chemoimmuntherapie nicht geeignet sind (21.10.2014). 4 Als Einzelsubstanz zur Behandlung erwachsener Patienten mit Morbus Waldenström, die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben oder zur Erstlinientherapie bei Patienten, die für eine Chemoimmuntherapie nicht geeignet sind (03.07.2015). 4 Als Einzelsubstanz zur Behandlung erwachsener Patienten mit nicht vorbehandelter chronischer lymphatischer Leukämie (26.05.2016). 4 In Kombination mit Bendamustin und Rituximab zur Behandlung erwachsener Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie, die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben (25.08.2016). 4 In Kombination mit Rituximab zur Behandlung erwachsener Patienten mit Morbus Waldenström (02.08.2019). 4 In Kombination mit Obinutuzumab zur Behandlung erwachsener Patienten mit nicht vorbehandelter chronischer lymphatischer Leukämie (02.08.2019). Die beiden 2019 neu zugelassenen Indikationen von Ibrutinib werden im Folgenden dargestellt.
Ibrutinib (Imbruvica) ist ein Tyrosinkinasein-1 Morbus Waldenström in Kombination mit Rituximab hibitor, der nach der Erstzulassung zur Behandlung des Mantelzell-Lymphoms und der Zulassungsrelevant war eine Phase-3-Studie chronischen lymphatischer Leukämie im Jah- an 150 Patienten mit zuvor unbehandeltem re 2014 (Arzneiverordnungs-Report 2015, und behandeltem Morbus Waldenström, die Kap. 2, Neue Arzneimittel) für weitere Indika- Ibrutinib (420 mg/Tag oral) plus Rituximab tionen zugelassen wurde. Das Indikationsspek- (375 mg/m2 als i. v. Infusion in Woche 1, 4, trum umfasst jetzt sieben Indikationen (mit 17 und 20) oder Rituximab allein erhielten Zulassungsdatum) (Dimopoulos et al. 2018b, iNNOVATE). Nach
113 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
30 Monaten wurde das progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) durch die Ibrutinib-Rituximab-Kombination im Vergleich zu Rituximab deutlich verlängert (82 % versus 28 %), während das Gesamtüberleben keinen signifikanten Unterschied zeigte (94 % versus 92 %). Häufigste schwere Nebenwirkungen waren Hypertonie (13 % versus 4 %), Herzrhythmusstörungen (12 % versus 1 %), Anämie (11 % versus 17 %) und Neutropenie (9 % versus 3 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen für die neue Indikation, weil sich bei den patientenrelevanten Endpunkten keine signifikanten Unterschiede zeigten (Bundesministerium für Gesundheit 2020x). Die Bruttokosten von Imbruvica (28 Tabletten 420 mg, Listenpreis 7.831,75 C, Erstattungsbetrag 5.978,75 C, Dosis 420 mg/ Tag) betragen 213,53 C pro Tag und 77.939 C pro Jahr. 1 Erstlinientherapie der chronischen lymphatischen Leukämie in Kombination mit Obinutuzumab
Zulassungsrelevant war eine Phase-3-Studie an 229 Patienten mit zuvor unbehandelter chronischer lymphatischer Leukämie, die Ibrutinib (420 mg/Tag oral) plus Obinutuzumab (100 mg i. v. Tag 1, 900 mg Tag 2, 1.000 mg Tag 8, 1.000 mg Tag 15 von Zyklus 1 und Tag 1 in nachfolgenden 28-Tagezyklen, insgesamt 6 Zyklen) oder Chlorambucil plus Obinutuzumab erhielten (Moreno et al. 2019, iLLUMINATE). Nach 30 Monaten wurde das progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) durch die Ibrutinib-Obinutuzumab-Kombination im Vergleich zur Obinutuzumab-Chlorambucil-Kombination deutlich verlängert (79 % versus 31 %), während das Gesamtüberleben keinen signifikanten Unterschied zeigte. Häufigste schwere Nebenwirkungen (Grad 3 und höher) waren Neutropenie (37 % versus 46 %) und Thrombozytopenie (19 % versus 10 %). Die Nutzenbewertung für die neue Indikation ergab nur für die Patientensubgruppe, für die eine Therapie mit Fludarabin in Kombi-
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nation mit Cyclophosphamid und Rituximab nicht infrage kommt, einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen, weil die Ibrutinib-Obinutuzumab-Kombination Vorteile bei den schweren Nebenwirkungen hatte (Bundesministerium für Gesundheit 2020y).
2.2.16
Incobotulinumtoxin (A)
Incobotulinumtoxin A (Xeomin) ist ein bakterielles Neurotoxin (Clostridium botulinum Neurotoxin Typ A), das am 31. Mai 2005 zuerst zur symptomatischen Behandlung von Blepharospasmus, zervikaler Dystonie mit überwiegend rotatorischer Komponente (Torticollis spasmodicus) sowie Spastik der oberen Extremitäten bei Erwachsenen zugelassen wurde. Am 29. Mai 2019 wurde das Präparat auch für die Behandlung der chronischen Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen zugelassen. Botulinumtoxin ist ein hochwirksamer Hemmstoff der cholinergen Erregungsübertragung, der nach endozytotischer Aufnahme in präsynaptische cholinerge Nervenenden das für die Exozytose essentielle Protein SNAP25 spaltet und dadurch die Freisetzung von Acetylcholin blockiert. In den letzten 30 Jahren wurden mehrere Botulinumtoxinpräparate mit zahlreichen klinischen Anwendungen entwickelt. Als erstes wurde Onabotulinumtoxin A (Botox) 1989 in den USA und 1993 in Europa für die Behandlung von Strabismus und neurologischen Bewegungsstörungen eingeführt. Danach folgten die Zulassungen für eine Vielzahl von ophthalmologischen, gastrointestinalen, urologischen, orthopädischen, dermatologischen, zahnärztlichen, sekretorischen, schmerzhaften und kosmetischen Indikationen. Weitere Botulinumtoxinpräparate sind Abobotulinumtoxin A (Dysport), Incobotulinumtoxin A (Xeomin) und Rimabotulinumtoxin B (NeuroBloc) (Übersicht bei Jankovic 2017). Die Zulassung von Incobotulinumtoxin A stützt sich auf eine placebokontrollierte Phase-
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2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
(nicht resezierbaren oder metastasierten) 3-Studie an 184 Patienten mit Morbus ParMelanoms (18.01.2018). kinson, Schlaganfall oder Schädelhirntrauma, die Injektionen des Präparates (Gesamtdosis 4 In Kombination mit Nivolumab bei Erwachsenen für die Behandlung des fortge75 oder 100 U) in die Speicheldrüsen in einem schrittenen (nicht resezierbaren oder metaeinzigen Therapiezyklus erhielten (Jost et al. stasierten) Melanoms (31.05.2018). 2019, SIAXI). Nach 16 Wochen wurde die unstimulierte Speichelflussrate (Ausgangswert 4 In Kombination mit Nivolumab für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen 0,40 ml/Minute) durch Incobotulinumtoxin A Nierenzellkarzinoms bei Erwachsenen mit 100 U um 0,11 g/Minute (28 %) vermindert. intermediärem/ungünstigen Risikoprofil Auch die Gesamteinschätzung der Patienten (11.01.2019). (Global Impression of Change Scale) wurde signifikant gebessert. Die häufigsten behandlungsbedingten Nebenwirkungen (Incobotuli- Die 2019 neu zugelassene Indikation von Ipilinumtoxin A 75 und 100 U versus Placebo) mumab wird im Folgenden dargestellt. waren Mundtrockenheit (5,4 und 2,7 % versus 0 % der Patienten) und Dysphagie (2,7 und1 Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms in Kombination 0,0 % versus 0 %). mit Nivolumab Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da der Wirkstoff Incobotulinumto- Basis der Zulassung war die Hauptstudie xin A bereits seit 2005 zugelassen ist. Die an 1.096 Patienten mit zuvor unbehandelBruttokosten von Xeomin (4 Durchstechfla- tem Nierenzellkarzinom mit intermediärem schen 100 Einheiten 1.540,51 C, Dosis bei oder ungünstigem Risikoprofil, die NivolumSialorrhö 100 Einheiten alle 16 Wochen), be- ab (3 mg/kg i. v.) plus Ipilimumab (1 mg/kg tragen 3,44 C pro Tag und 1.255,10 C pro i. v.) alle 3 Wochen mit insgesamt 4 Dosen erhielten, gefolgt von Nivolumab (3 mg/kg i. v.) Jahr. alle 2 Wochen oder Sunitinib (50 mg/Tag oral für 4 Wochen mit 2 Wochen Therapiepause) (Motzer et al. 2018, CheckMate 214). Nach 2.2.17 Ipilimumab 18 Monaten wurde die Gesamtüberlebensrate (koprimärer Endpunkt) durch Nivolumab im Ipilimumab (Yervoy) ist ein monoklonaler Vergleich zu Sunitinib verlängert (75 % verCTLA-4-Antikörper, der zuerst 2011 zur Be- sus 60 %) und auch nach 30 Monaten (60 % handlung von vorbehandelten Patienten mit versus 47 %) (Motzer et al. 2019b, Checkfortgeschrittenem Melanom zugelassen wur- Mate 214). Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 de (Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, und 4) waren mit Nivolumab weniger häufig Neue Arzneimittel). Nach weiteren Zulassun- (46 % versus 63 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA gen umfasst das Indikationsspektrum jetzt fünf ergab einen Hinweis für einen beträchtliIndikationen (mit Zulassungsdatum) 4 Patienten mit fortgeschrittenem (nicht rese- chen Zusatznutzen für die neue Indikation, zierbarem oder metastasiertem) Melanom, weil sich beim Gesamtüberleben ein deutlidie bereits zuvor eine Therapie erhalten ha- cher Vorteil zeigte (Bundesministerium für Gesundheit 2019v). Die Bruttokosten von ben (13.07.2011). 4 Zuvor nicht vorbehandelte Patienten Yervoy (1 Durchstechflasche 200 mg/40 ml, mit fortgeschrittenem (nicht resezier- Listenpreis 20.894,28 C, Erstattungsbetrag barem oder metastasiertem) Melanom 15.224,11 C, Dosis 1 mg/kg i. v., Standard(31.10.2013). gewicht 70 kg, alle 3 Wochen mit insgesamt 4 Jugendliche im Alter von 12–17 Jahren 4 Dosen) betragen 21.314 C pro Therapiefür die Behandlung des fortgeschrittenen kurs.
115 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2.2.18
Ivacaftor
2
1 Zystische Fibrose bei Kindern im Alter von 12 bis < 24 Monaten
In einer einarmigen Studie an 7 Kindern Ivacaftor (Kalydeco) ist ein CFTR-Potentiator, (Teil A 4 Tage Therapie) und 19 Kinder zuerst 2012 zur Behandlung der zystischen dern (Teil B 24 Wochen Therapie) im Alter Fibrose (Mukoviszidose) mit einer G551D- von 12 bis < 24 Monaten senkte Ivacaftor Mutation im Gen des Cystic Fibrosis Trans- (50–75 mg oral alle 12 h) nach 24 Wochen membrane Conductance Regulator (CFTR) als die Schweißchloridkonzentration (AusgangsOrphan-Arzneimittel zugelassen wurde (Arz- wert 104,1 mmol/l, Normalwert bei gesunden neiverordnungs-Report 2013, Kap. 2, Neue Kindern ca. < 30 mmol/l) gegenüber dem AusArzneimittel). Nach weiteren Zulassungen um- gangswert um 73,5 mmol/l und erreichte dafasst das Indikationsspektrum jetzt fünf Indika- mit ungefähr Normalwerte (Rosenfeld et al. tionen (mit Zulassungsdatum) 2018, ARRIVAL). Die Wachstumsparameter 4 Zystische Fibrose (Mukoviszidose) bei Pa- waren zu Studienbeginn normal und wurden tienten im Alter ab 6 Jahren mit ei- im Allgemeinen während der Behandlung beinem Körpergewicht von mindestens 25 kg behalten. Die Serumlipase- und Amylase-Wermit einer G551D-Mutation im CFTR-Gen te waren zu Studienbeginn erhöht und nahmen (23.07.2012). mit Ivacaftor schnell ab. Häufigste Nebenwir4 Patienten mit zystischer Fibrose ab kungen waren typische Krankheitssymptome 6 Jahren mit einem Körpergewicht von der Mukoviszidose wie Husten (73,7 % der mindestens 25 kg mit weiteren Gating- Kinder). Relativ häufig waren TransaminaseMutationen (Klasse III) im CFTR-Gen: anstiege (27,8 %), die jedoch keinen TherapieG1244E, G1349D, G178R, G551S, abbruch erforderten. S1251N, S1255P, S549N oder S549R Die Nutzenbewertung durch den G(28.07.2014). BA ergab einen nicht quantifizierbaren 4 Patienten mit zystischer Fibrose ab 18 Jah- Zusatznutzen, da die Studie trotz des einarren, bei denen eine R117H-Mutation im migen Studiendesigns stützende Daten für CFTR-Gen vorliegt (16.11.2015). eine Übertragung des Zusatznutzens auf 4 Kinder mit zystischer Fibrose von 2 bis Kleinkinder enthält (Bundesministerium für 5 Jahren mit einem Körpergewicht von we- Gesundheit 2020z). Die Bruttokosten von Kaniger als 25 kg mit einer der bereits zuge- lydeco (56 Granulattabletten 50 mg/75 mg, lassenen Gating-Mutationen im CFTR-Gen Listenpreis 25.504,75 C, Erstattungsbetrag (16.11.2015). 16.474,32 C, Dosis 2 50 mg/Tag oral bei 4 Zystische Fibrose bei Kindern im Alter einem Körpergewicht von 7–14 kg) betragen von 12 bis < 24 Monaten mit einer der be- 588,37 C pro Tag und 214.755 C pro Jahr. reits zugelassenen Gating-Mutationen im CFTR-Gen (22.11.2018). 1 Säuglinge und Kleinkinder mit zystischer 4 Säuglinge und Kleinkinder mit zystischer Fibrose im Alter von 6 bis < 12 Monaten Fibrose im Alter von 6 bis < 12 Mona- In einer einarmigen Studie an 11 Kindern im ten mit einem Körpergewicht von 5 kg bis Alter von 6 bis < 12 Monaten erhöhte Ivacaftor weniger als 14 kg mit einer der bereits zu- als Granulat nach 24 Wochen das Körpergelassenen Gating-Mutationen im CFTR- gewicht und senkte die Chloridkonzentration Gen (09.12.2019). im Schweiß (vom Ausgangswert 101,5 mmol/l auf 43,1 mmol/l) (Study VX15-770-124, unDie 2018 und 2019 neu zugelassenen Indika- veröffentlicht, zitiert in European Medicines Agency 2019d). Die Nutzenbewertung durch tionen werden im Folgenden dargestellt. den G-BA ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen für die
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
neue Patientengruppe, weil nur Daten aus ei- Dosis 50 mg/Tag) betragen 2,57 C pro Tag und ner einarmigen Studie an 11 Kindern vorgelegt 936 C pro Jahr. wurden und die Übertragung der Ergebnisse zur Ivacaftor-Behandlung von älteren Patien- 2.2.20 Melatonin ten mit Unsicherheiten belastet war (Bundesministerium für Gesundheit 2020za). Melatonin ist ein körpereigenes Neurohormon, das am 29. Juni 2007 zuerst als Monotherapie 2.2.19 Lisdexamfetamin für die kurzzeitige Behandlung der primären, durch schlechte Schlafqualität gekennzeichneten Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren Lisdexamfetamin (Elvanse) ist ein Amphet- als Circadin zugelassen wurde (Arzneiverordaminderivat, das zuerst 2013 im Rahmen einer nungs-Report 2009, Kap. 2, Neue Arzneimittel therapeutischen Gesamtstrategie bei unzurei- 2008). Am 20. September 2018 folgte eine Zuchendem Ansprechen auf Methylphenidat zur lassungserweiterung für die Behandlung von Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hy- Schlafstörungen (Insomnie) bei Kindern und peraktivitätsstörungen (ADHS) bei Kindern ab Jugendlichen im Alter von 2–18 Jahren mit einem Alter von 6 Jahren zugelassen wur- Autismus-Spektrum-Störung (ASS) und/oder de (Arzneiverordnungs-Report 2014, Kap. 2, Smith-Magenis-Syndrom, wenn SchlafhygieNeue Arzneimittel). Am 26. Februar 2019 nemaßnahmen unzureichend waren (Handelsfolgte eine Zulassungserweiterung für die Be- name Slenyto). Die Zulassung für die Indikationserweihandlung von Erwachsenen (Elvanse Adult). Wirksamkeit und Sicherheit von Lisde- terung beruht auf einer placebokontrollierxamfetamin wurden in einer placebokontrol- ten Studie an 125 Kindern und Jugendlierten Studie an 420 Erwachsenen mit mit- lichen (96,8 % Autismus-Spektrum-Störung, telschwerem bis schwerem ADHS untersucht 3,2 % Smith-Magenis-Syndrom), die mit Me(Adler et al. 2008). Nach 4 Wochen zeig- latonin in einer langsam freisetzenden Form te die ADHD-Rating-Scale (Ausgangswert (2–5 mg/Tag oral) behandelt wurden (Gringras 39,4–41,1 Punkte) mit allen drei Dosierungen et al. 2017). Nach 13 Wochen verlängerte (30 mg, 50 mg, 70 mg pro Tag) signifikante Melatonin die nächtliche Schlafdauer (primäVerbesserungen gegenüber der Placebogruppe rer Endpunkt) im Vergleich zu Placebo (57,5 (16,2, 17,4, 18,6 versus 8,2 Punkte). versus 9,14 min), die Schlaflatenz verringerDas Nebenwirkungsprofil von Lisdexamfet- te sich ebenfalls (39,6 versus 12,5 min). Die amin war Amphetamin-typisch. Die häufigs- meisten behandlungsbedingten Nebenwirkunten Nebenwirkungen waren Appetitabnahme gen waren in beiden Gruppen ähnlich mit be(23–29 %), Mundtrockenheit (21–31 %) und kannten Symptomen der Autismus-SpektrumSchlaflosigkeit (17–21 %). Drei weitere Studi- Störung (Unruhe, Stimmungsschwankungen). en hatten ähnliche Ergebnisse (Übersicht bei Mit Melatonin wurden häufiger zentralnervöse Störungen (41,7 % versus 21,5 %) beobachtet, Maneeton et al. 2014). Die Nutzenbewertung durch den G-BA er- die hauptsächlich in Schläfrigkeit und Kopfgab keinen Zusatznutzen für die neue Patien- schmerzen bestanden. Die Nutzenbewertung ergab einen Anhaltstengruppe, weil nur placebokontrollierte Studien mit ungeeigneten indirekten Vergleichs- punkt für einen geringen Zusatznutzen von therapien vorgelegt wurden und die Studi- Melatonin, der auf den Vorteilen bei der Geendauern zu kurz waren (Bundesministerium samtschlafdauer und der Schlaflatenz basiert für Gesundheit 2019w). Die Bruttotherapie- (Bundesministerium für Gesundheit 2019x). kosten von Elvanse (30 Hartkaps. 50 mg, Lis- Die Bruttokosten von Slenyto (60 Retardtablettenpreis 118,38 C, Erstattungsbetrag 76,95 C, ten 1 mg Listenpreis 72,26 C, Erstattungspreis
117 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
61,88 C, Anfangsdosis 2 mg) betragen 2,06 C pro Tag und 753 C pro Jahr und liegen damit 75 % höher als die Kosten von Circadin (30 Retardtabletten 2 mg 35,37 C) mit 430 C pro Jahr.
2.2.21
Mexiletin
Mexiletin ist ein Natriumkanalblocker, der 1984 als Antiarrhythmikum mit dem Handelsnamen Mexitil zur Behandlung von ventrikulären tachykarden Herzrhythmusstörungen zugelassen wurde, 2009 aber vom Hersteller aus dem Handel genommen wurde. Am 18. Dezember 2018 wurde Mexiletin (Namuscla) für eine neue Indikation zur symptomatischen Behandlung von Myotonie bei erwachsenen Patienten mit nicht-dystrophen myotonischen Erkrankungen zugelassen und am 1. Februar 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Da es nur wenige Patienten mit myotonischen Erkrankungen gibt, wurde Namuscla am 19. November 2014 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen. Die nichtdystrophe Myotonie ist eine seltene chronische Krankheit aus der Gruppe der sogenannten Kanalopathien, die durch Mutationen in den Genen des Natrium- oder Chloridionenkanals des Skelettmuskels verursacht wird. Hauptsymptom ist eine Myotonie infolge einer verzögerten Entspannung des Muskels nach spontaner Kontraktion, die zu Muskelsteifheit führt und gelegentlich auch zu weiteren muskulären Veränderungen (Muskelhypertrophie, transiente Muskelschwäche). Bisher gibt es keine zugelassene Behandlung. Für die symptomatische Therapie wurden Mexiletin und weitere Natriumkanalblocker eingesetzt. Mexiletin hat eine ähnliche Struktur wie Lidocain. Bei Kanalopathien bindet es mit hoher Affinität an den Natriumkanal und zeigt eine nutzungsabhängige Natriumkanalblockade. Im Gegensatz zu Lidocain hat Mexiletin eine hohe orale Bioverfügbarkeit. Nach oraler Gabe werden maximale Plasmaspiegel nach 1,5 h erreicht. Mexiletin wird hauptsächlich in der
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Leber über CYP2D6 metabolisiert und mit einer Halbwertszeit von 8–10 h renal eliminiert (Übersicht bei Heatwole et al. 2013). Die Zulassung von Mexiletin für das neue Indikationsgebiet basiert auf einer placebokontrollierten Studie an 25 Patienten mit nichtdystropher Myotonie über einen Zeitraum von 18 Tagen mit einem Crossover-Design nach einer Auswaschphase von 4–8 Tagen (European Medicines Agency 2019e). Mexiletin senkte die Muskelsteifheit (primärer Endpunkt), die mit einer visuellen Analogskala (0–100 mm) gemessen wurde, im Durchschnitt von 64 auf 16 mm, während die Placebogruppe keine signifikante Änderung zeigte (75 auf 66 mm). Die meisten Nebenwirkungen waren mit Mexiletin häufiger als mit Placebo: Gastrointestinale Störungen (24 % versus 8 %), Infektionen (20 % versus 12 %), psychische Störungen (16 % versus 0 %) und muskuläre Störungen (12 % versus 0 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab einen nicht-quantifizierbaren Zusatznutzen von Mexiletin für die Behandlung von Patienten mit nicht-dystrophen myotonen Erkrankungen. Trotz beträchtlicher Effekte von Mexiletin in der Verbesserung der Muskelsteifheit waren Aussagen zur Nachhaltigkeit der Studieneffekte wegen der kurzen Behandlungsdauer nicht möglich (Bundesministerium für Gesundheit 2019y). Die Bruttokosten von Namuscla (100 Hartkps. 167 mg Listenpreis 3.967,31 C, Erstattungsbetrag 2.876,86 C, mittlere Erhaltungsdosis 334 mg) betragen 57,54 C pro Tag und 21.001 C pro Jahr. Das Antiarrhythmikum Mexitil (100 Kps. 100 mg Mexiletin-HCl 55,68 C, entsprechende Dosis 400 mg) kostete bis zur Marktrückname nur 813 C pro Jahr. Die exorbitante Preiserhöhung wurde als weiteres Beispiel für den fortgesetzten Missbrauch der Gesetzgebung zu Orphan-Arzneimitteln kritisiert. Als eine mögliche Lösung dieses Problems wurde vorgeschlagen, bekannte Indikationen oder bekannte Anwendungen bereits zugelassener Arzneimittel von der Berechtigung zur Ausweisung als Orphan-Arzneimittel auszuschließen (Postema et al. 2020).
118
2.2.22
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Misoprostol
1 Vorbereitung der Cervix uteri vor einem chirurgischen Schwangerschaftsabbruch
Misoprostol ist ein Prostaglandin-E1 -Analogon, das nach der Erstzulassung zur Behandlung von Zwölffingerdarmgeschwüren und Magengeschwüren im Jahre 1985 für weitere Indikationen zugelassen wurde. Das gesamte Indikationsspektrum des Wirkstoffs Misoprostol umfasst jetzt fünf Indikationen in vier verschiedenen Handelspräparaten (mit Zulassungsdatum): 4 Behandlung von akuten Zwölffingerdarmgeschwüren und akuten Magengeschwüren (Cytotec 26.09.1985). 4 Behandlung von Patienten, die der Behandlung mit dem nichtsteroidalen Antirheumatikum (NSAR) Diclofenac in Kombination mit Misoprostol bedürfen (Diclofenac-Misoprostolkombination Arthotec forte, 26.03.1997). 4 Medikamentöser Abbruch einer frühen intrauterinen Schwangerschaft, nach der Gabe von Mifepriston, bis zum 49. Tag der Amenorrhö (MisoOne, 23.03.2013) 4 Vaginales Freisetzungssystem zur Einleitung der Wehen bei Frauen mit unreifer Zervix ab der 37. Schwangerschaftswoche, wenn eine Geburtseinleitung klinisch indiziert ist (Misodel, 09.01.2014). 4 Vorbereitung der Cervix uteri vor einem chirurgischen Abbruch der Schwangerschaft während des ersten Trimenons (MisoOne, 19.06.2019). Das Handelspräparat Cytotec wird seit Januar 2006 nicht mehr von der Herstellerfirma Pfizer in Deutschland vermarktet. Die Zulassung wurde zurückgegeben. Das Präparat wird jedoch in Deutschland über Importunternehmen in Verkehr gebracht (z. B. Cytotec 200 kohlpharma, Cytotec 200 g Emra). Dieser Import ist durch geltende Gesetzgebung möglich. Der Vertrieb von Misodel wurde seit August 2019 ebenfalls eingestellt. Die 2019 zugelassene neue Indikation von Misoprostol wird im Folgenden dargestellt.
Die wesentliche Vorbereitung des chirurgischen Schwangerschaftsabbruchs im ersten Trimenon ist die Dilatation des Gebärmutterhalses, um den Eingriff einfacher und sicherer zu gestalten. Standard ist die medikamentöse Vorbereitung (Zervixpriming) mit Misoprostol oder Mifepriston. Alternativ werden osmotische Dilatatoren eingesetzt, die in den Gebärmutterhals eingebracht werden, aber Nachteile haben. Die Anwendung von Misoprostol zur medikamentösen Vorbereitung für einem chirurgischen Schwangerschaftsabbruch ist in den letzten 25 Jahren in mehreren klinischen Studien untersucht worden (Übersicht bei Kapp et al. 2010). Daher basiert die Zulassungserweiterung von Misoprostol für die neue Indikation auf Daten aus publizierten klinischen Studien. So wurde die Wirksamkeit von Misoprostol (400 g oral) in einer placebokontrollierten Studie an 75 Frauen (davon 43 Nullipara) zwischen der 6. und 12. Schwangerschaftswoche untersucht, die Misoprostol 12 h vor dem Schwangerschaftsabbruch durch Vakuumaspiration erhielten (Ngai et al. 1995). Bei Nullipara war die mediane Zervixerweiterung (primärer Endpunkt) durch Misoprostol deutlich größer als durch Placebo (7,8 mm versus 3,7 mm). Auch bei multiparen Patientinnen war der Unterschied statistisch signifikant (9,8 mm versus 6,0 mm). Weiterhin verminderte Misoprostol die Operationsdauer und den Blutverlust. Häufigste präoperative Nebenwirkungen von Misoprostol waren vaginale Blutungen (14 %), Bauchschmerzen (6 %) und Übelkeit (6 %). Weitere Ergebnisse sind in etwa zehn klinischen Studien in einer CochraneÜbersicht über die zervikale Vorbereitung für den chirurgischen Abbruch im ersten Trimester enthalten (Kapp et al. 2010). Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da Misoprostol kein neuer Wirkstoff ist. Die Bruttokosten von MisoOne (1 Tablette 400 g) sind nicht verfügbar.
119 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
Nivolumab
2
Urothelkarzinoms bei Erwachsenen nach Versagen einer vorherigen platinhaltigen Therapie (02.06.2017). Nivolumab (Opdivo) ist ein monoklonaler 4 Monotherapie bei Erwachsenen zur adjuvanten Behandlung des Melanoms Antikörper gegen den Programmed-Death-1mit Lymphknotenbeteiligung oder MetaRezeptor (PD-1-Rezeptor), der zuerst 2015 zur stasierung nach vollständiger Resektion Behandlung des fortgeschrittenen Melanoms (30.07.2018). zugelassen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Abschn. 3.1.25). Nach weite- 4 In Kombination mit Ipilimumab für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen ren Zulassungen umfasst das IndikationsspekNierenzellkarzinoms bei Erwachsenen mit trum jetzt zehn Indikationen (mit Zulassungsintermediärem/ungünstigen Risikoprofil datum): (11.01.2019). 4 Monotherapie bei Erwachsenen für die Behandlung des fortgeschrittenen (nicht resezierbaren oder metastasierten) Melanoms Die 2019 neu zugelassene Indikation von Nivolumab wird im Folgenden dargestellt. (19.06.2015). 4 Lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NS-1 Erstlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms in Kombination CLC) mit plattenepithelialer Histologie mit Ipilimumab nach vorheriger Chemotherapie bei Erwachsenen (28.10.2015). Basis der Zulassung war die Hauptstudie 4 Monotherapie des lokal fortgeschritte- an 1.096 Patienten mit zuvor unbehandelnen oder metastasierten nicht-kleinzelli- tem Nierenzellkarzinom mit intermediärem gen Lungenkarzinoms (NSCLC) mit nicht- oder ungünstigem Risikoprofil, die Nivolumplattenepithelialer Histologie nach vor- ab (3 mg/kg i. v.) plus Ipilimumab (1 mg/kg heriger Chemotherapie bei Erwachsenen i. v.) alle 3 Wochen mit insgesamt 4 Dosen er(04.04.2016). hielten, gefolgt von Nivolumab (3 mg/kg i. v.) 4 Monotherapie des fortgeschrittenen Nie- alle 2 Wochen oder Sunitinib (50 mg/Tag oral renzellkarzinoms bei Erwachsenen nach für 4 Wochen mit 2 Wochen TherapiepauVortherapie (04.04.2016). se) (Motzer et al. 2018, CheckMate 214). Die 4 Monotherapie des rezidivierenden oder re- Ergebnisse der Studie wurden bereits bei Ipilifraktären klassischen Hodgkin-Lymphoms mumab (7 Abschn. 2.2.16) dargestellt. bei Erwachsenen nach einer autologen Die Nutzenbewertung durch den G-BA Stammzelltransplantation und Behandlung ergab einen Hinweis auf einen beträchtlimit Brentuximab Vedotin (21.11.2016). chen Zusatznutzen von Nivolumab für die 4 Monotherapie des rezidivierten oder me- neue Indikation, weil sich beim Gesamtübertastasierten Plattenepithelkarzinoms des leben ein deutlicher Vorteil zeigte (BundesKopf-Hals-Bereichs bei Erwachsenen mit ministerium für Gesundheit 2019z). Die Bruteiner Progression während oder nach einer tokosten von Opdivo (1 Durchstechflasche platinbasierten Therapie (28.04.2017). 100 mg/10 ml, Listenpreis 1.804,00 C, Erstat4 In Kombination mit Ipilimumab bei Er- tungsbetrag 1.344,24 C, Erhaltungsdosis der wachsenen für die Behandlung des fortge- Monotherapie 240 mg i. v. alle 2 Wochen) beschrittenen (nicht resezierbaren oder meta- tragen 230,44 C pro Tag und 84.111 C pro stasiertem) Melanoms (11.05.2017). Jahr. 4 Monotherapie des lokal fortgeschrittenen nicht resezierbaren oder metastasierten 2.2.23
120
2.2.24
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Olaparib
mediane progressionsfreie Überleben im Vergleich zur Standardtherapie nach Wahl des Arztes (7,0 versus 4,2 Monate). Die Rate schwerer unerwünschter Ereignisse (Grad 3 oder höher) war in der Olaparib-Gruppe geringer als in der Standardtherapiegruppe (36,6 % versus 50,5 %). Auch die Therapieabbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen war mit Olaparib geringer (4,9 % versus 7,7 %). Für die Behandlung von Patientinnen mit HER2-negativem, metastasiertem Brustkrebs mit BRCA-Mutationen liegt nach der Nutzenbewertung des G-BA ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen von Olaparib vor, der auf Vorteilen in der Endpunktkategorie Nebenwirkungen für Olaparib gegenüber der Chemotherapie beruht (Bundesministerium für Gesundheit 2020zb). Die Bruttokosten von Lynparza (2 56 Filmtabletten 150 mg, Listenpreis 8.637,22 C, Erstattungsbetrag 6.730,14 C, Dosierung 600 mg/Tag) betragen 240,36 C pro Tag und 87.732 C pro Jahr.
Olaparib (Lynparza) ist ein Inhibitor der Poly(ADP-ribose)-Polymerase (PARP), der zuerst 2014 als Orphan-Arzneimittel für Patientinnen mit einem BRCA-mutierten Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primären Peritonealkarzinom zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3 Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.27). Danach kamen zwei weitere Indikationen hinzu, so dass Olaparib jetzt insgesamt für drei Indikationen zugelassen ist (mit Zulassungsdatum): 4 Monotherapie von Patientinnen mit einem platinsensitiven Rezidiv eines BRCAmutierten high-grade-serösen epithelialen Ovarialkarzinoms, Eileiterkarzinoms oder primären Peritonealkarzinoms, die auf eine Platin-basierte Chemotherapie ansprechen (06.12.2014). 4 Patientinnen mit BRCA1/2-Mutationen in der Keimbahn, die ein HER2-negatives, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes 1 Erhaltungstherapie bei fortgeschrittenem Mammakarzinom haben (08.04.2019). Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder 4 Erhaltungstherapie von Patientinnen mit eiprimären Peritonealkarzinom nem fortgeschrittenen (FIGO-Stadien III und IV) BRCA1/2-mutierten (in der Keim- Die Zulassung beruht auf einer placebokonbahn und/oder somatisch), high-grade epi- trollierten Phase-3-Studie an 391 Patientinthelialen Ovarialkarzinom, Eileiterkarzi- nen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenom oder primären Peritonealkarzinom, nem hochgradigem serösem endometrialem die nach einer abgeschlossenen Platin-ba- Ovarialkarzinom (FIGO-Stadium III oder IV), sierten Erstlinien-Chemotherapie ein An- primärem Peritonealkarzinom oder Eileiterkarsprechen (vollständig oder partiell) haben zinom, die nach platinbasierter Chemothera(12.06.2019). pie ein vollständiges oder teilweises klinisches Ansprechen hatten (Moore et al. 2018, Die beiden 2019 neu zugelassenen Indikatio- SOLO1). Nach drei Jahren erhöhte Olaparib nen werden im Folgenden dargestellt. (300 mg 2mal/Tag oral) das progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) im Vergleich 1 HER2-negatives, lokal fortgeschrittenes zu Placebo (60 % versus 27 %). Das mediane oder metastasiertes Mammakarzinom Gesamtüberleben wurde in beiden StudienBasis der Zulassung war eine Phase-3-Studie armen nach drei Jahren noch nicht erreicht, an 302 Patientinnen mit einer BRCA-Keim- die Überlebensrate zeigte bis dahin keinen sibahnmutation und einem HER2-negativen me- gnifikanten Unterschied (84 % versus 80 %). tastasierten Mammakarzinom, die nicht mehr Unerwünschte Ereignisse stimmten mit den als zwei vorherige Chemotherapien erhalten bekannten toxischen Wirkungen von Olapahatten (Robson et al. 2017, OlympiAD). Ola- rib überein. Nach der Nutzenbewertung durch parib (300 mg 2mal/Tag oral) verlängerte das den G-BA ist ein Zusatznutzen für die zwei-
121 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
der Kopf-Hals-Region (HNSCC) mit PDL1-exprimierenden Tumoren und einem Fortschreiten der Krebserkrankung während oder nach vorheriger Platin-basierter Therapie (04.09.2018). Adjuvante Behandlung des Melanoms im Tumorstadium III mit Lymphknotenbeteiligung nach vollständiger Resektion (12.12.2018). 2.2.25 Pembrolizumab 4 In Kombination mit Carboplatin und entweder Paclitaxel oder nab-Paclitaxel zur Erstlinienbehandlung des metastasierenden Pembrolizumab (Keytruda) ist ein PD-1plattenepithelialen NSCLC (11.03.2019). Rezeptorantikörper, der nach der Erstzulassung als Monotherapie des fortgeschrittenen 4 In Kombination mit Axitinib zur Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen NierenMelanoms im Jahre 2015 (siehe Arzneiverordzellkarzinoms (26.08.2019). nungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.30) für zahlreiche weite- 4 Erstlinienbehandlung des metastasierenden oder nicht resezierbaren rezidivierenden re onkologische Indikationen bei Erwachsenen HNSCC mit PD-L1-exprimierenden Tuzugelassen wurde. Das gesamte Indikationsmoren (14.11.2019). spektrum umfasst jetzt insgesamt 12 Indikationen (mit Zulassungsdatum): 4 Monotherapie des fortgeschrittenen Me- Damit wurde Pembrolizumab seit Dezember lanoms (17.07.2015). 2018 für vier weitere Indikationen zugelassen, 4 Monotherapie des lokal fortgeschrittenen die im Folgenden dargestellt werden. oder metastasierenden nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) mit PD-L1-1 Adjuvante Behandlung des Melanoms exprimierenden Tumoren (TPS 1 %) Relevant für die Zulassung der Indikationsernach vorheriger Chemotherapie bei Er- weiterung war eine placebokontrollierte Phasewachsenen (29.07.2016). 3-Studie an 1.019 Patienten mit vollständig 4 Monotherapie des lokal fortgeschrittenen reseziertem Melanom im Stadium III, die mit oder metastasierenden Urothelkarzinoms Pembrolizumab (200 mg i. v. alle 3 Wochen nach vorheriger Platin-basierter Therapie mit insgesamt 18 Dosen, ca. 1 Jahr) behandelt (24.08.2016). wurden (Eggermont et al. 2018, KEYNOTE4 Erstlinienbehandlung des metastasierenden 054). Nach 15 Monaten wurde die rezidivfreie NSCLC mit PD-L1-exprimierenden Tumo- Einjahres-Überlebensrate (primärer Endpunkt) ren > 50 % (27.01.2017). durch Pembrolizumab im Vergleich zu Placebo 4 Monotherapie des rezidivierenden oder re- signifikant verlängert (75,4 % versus 61,0 %). fraktären klassischen Hodgkin-Lymphoms Schwere unerwünschte Ereignisse (Grad 3–5) (02.05.2017). wurden in der Pembrolizumab-Gruppe häufi4 Erstlinienbehandlung des lokal fortge- ger berichtet (14,7 % versus 3,4 %). schrittenen oder metastasierenden UrothelDie Nutzenbewertung für Pembrolizumab karzinoms (24.08.2017). ergab für die Indikationserweiterung einen 4 In Kombination mit Pemetrexed und Pla- Hinweis für einen nicht quantifizierbaren Zutin-Chemotherapie zur Erstlinienbehand- satznutzen, da die Nachbeobachtungszeit nicht lung des metastasierenden nichtplattenepi- ausreichend lang war, um den Hochrisikothelialen NSCLC (04.09.2018). zeitraum für das Auftreten eines Rezidivs 4 Monotherapie des rezidivierenden oder von 3 Jahren nach Primärdiagnose hinreimetastasierenden Plattenepithelkarzinoms chend abzubilden (Bundesministerium für Gete neue Indikation nicht belegt, da anhand der vorliegenden Datenlage eine abschließende Abwägung der positiven und negativen Effekte von Olaparib gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht möglich ist (Bundes4 ministerium für Gesundheit 2020zc).
122
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
sundheit 2019za). Die Bruttokosten von Keyt-1 Nierenzellkarzinom ruda (Durchstechfl. 100 mg/4 ml Infusions- Grundlage der Zulassung für die neue Indikatilösung, Listenpreis 4.433,07 C, Erstattungs- on war eine offene Phase-3-Studie an 861 Patibetrag 3.083,93 C, Dosis 200 mg i. v. alle enten mit zuvor unbehandeltem fortgeschritte3 Wochen) betragen 293,71 C pro Tag und nem klarzelligem Nierenzellkarzinom, die mit 107.203 C pro Jahr. Pembrolizumab (200 mg alle 3 Wochen i. v.) plus Axitinib (2 5 mg/Tag oral) oder Suniti1 Plattenepitheliales nicht-kleinzelliges nib (1 50 mg/Tag oral in den ersten 4 Wochen Lungenkarzinom (NSCLC) jedes 6-Wochenzyklus) behandelt wurden (RiDie Zulassung basiert auf einer placebokon- ni et al. 2019, KEYNOTE-426). Die Pembrolitrollierten Phase-3-Studie an 559 Patienten zumab-Axitinib-Kombination erhöhte die Gemit unbehandeltem metastasiertem plattenepi- samtüberlebensrate (primärer Endpunkt) nach thelialem NSCLC, die bis zu 35 Zyklen 12 Monaten im Vergleich zu Sunitinib (89,9 % Pembrolizumab (200 mg i. v. alle 3 Wochen) versus 78,3 %). Der Nutzen war unabhängig zusätzlich zu einer Chemotherapie (4 drei- von der PD-Liganden1-Expression. Schwere wöchige Zyklen mit Carboplatin plus Pa- unerwünschte Ereignisse (Grad 3 oder höher) clitaxel oder Nanopartikel-Albumin-gebunde- traten in der Pembrolizumab-Axitinib-Gruppe nes Paclitaxel) erhielten (Paz-Ares et al. etwas häufiger auf (75,8 % versus 70,6 %). 2018, KEYNOTE-407). Pembrolizumab erDie Nutzenbewertung für Pembrolizumab höhte das mediane Gesamtüberleben (primärer ergab für die Erstlinienbehandlung des fortEndpunkt) im Vergleich zur Placebokombina- geschrittenen Nierenzellkarzinoms einen Hintionsgruppe (15,9 versus 11,3 Monate). Der weis für einen beträchtlichen Zusatznutzen Gesamtüberlebensvorteil war unabhängig von aufgrund der höheren Gesamtüberlebensrate der PD-L1-Expression. Schwere unerwünschte (Bundesministerium für Gesundheit 2019zc). Ereignisse (Grad 3 oder höher) traten in beiden Dosierung und Bruttokosten von Keytruda sind Gruppen mit ähnlicher Häufigkeit auf (69,8 % genauso wie oben angegeben. versus 68,2 % der Patienten). Nebenwirkungsbedingte Therapieabbrüche waren unter Pembrolizumab häufiger Gruppe (13,3 % versus1 Plattenepithelkarzinom der Kopf-HalsRegion (HNSCC) 6,4 %). Die Nutzenbewertung für Pembrolizumab In der zulassungsrelevanten Phase-3-Studie erergab für die Erstlinienbehandlung des me- hielten 882 Patienten mit unbehandeltem, lotastasierenden plattenepithelialen NSCLC mit kal unheilbarem, rezidivierendem oder metaeiner PD-L1-Expression von über 50 % ei- stasiertem Plattenepithelkarzinoms der Kopfnen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zu- Hals-Region Pembrolizumab (200 mg alle satznutzen aufgrund der höheren Gesamtüber- 3 Wochen i. v.) allein, Pembrolizumab plus lebensrate. Für die Erstlinienbehandlung des Chemotherapie (Platin und 5-Fluorouracil) metastasierenden plattenepithelialen NSCLC oder Cetuximab plus Chemotherapie behandelt mit einer PD-L1-Expression von 50 % war (Burtness et al. 2019, KEYNOTE-048). Die ein Zusatznutzen ist nicht belegt, weil zahl- Teilnehmer wurden nach PD-L1-Expression reiche Auswertungen zu patientenrelevanten mit dem kombinierten positiven PD-L1-Scores Endpunkten beim indirekten Vergleich fehlen (CPS) in drei Gruppen (CPS > 20 % bei 45 % (Bundesministerium für Gesundheit 2019zb). der Teilnehmer, CPS > 1 % bei 85 % der Dosierung und Bruttokosten von Keytruda sind Teilnehmer, Gesamtgruppe) geschichtet. Bei genauso wie bei der vorgenannten neuen Indi- der zweiten Zwischenanalyse (nach 17 Mokation. naten) wurde das mediane Gesamtüberleben
123 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
tion mit Bortezomib und Dexamethason für die Behandlung des multiplen Myeloms bei erwachsenen Patienten, die mindestens eine vorausgegangene Therapie, darunter Lenalidomid, erhalten haben. Zulassungsrelevant war eine Phase-3Studie an 559 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom nach vorangehender Behandlung mit Lenalidomid, die Pomalidomid (4 mg/Tag oral an Tag 1–14 im sich wiederholenden 21-Tagezyklus) in Kombination mit Bortezomib und Dexamethason im Vergleich zu Bortezomib plus Dexamethason erhielten (Richardson et al. 2019, OPTIMISMM). Nach 15,9 Monaten wurde das progressionsfreie Überleben durch die Dreifachkombination von Pomalidomid mit Bortezomib und Dexamethason im Vergleich zu Bortezomib plus Dexamethason verlängert (11,2 versus 7,1 Monate), aber nicht das Gesamtüberleben. Die häufigsten schweren Nebenwirkungen (Grad 3 und 4) waren Neutropenie (42 % versus 9 %), Infektionen (31 % versus 18 %) und Thrombozytopenie (27 % versus 29 %). Die Nutzenbewertung für die neue Indikation ergab keinen Zusatznutzen, weil das Gesamtüberleben keinen signifikanten Unterschied ergab und auch Morbidität und Lebensqualität weder Vorteile noch Nachteile einer Behandlung mit Pomalidomid in Kombination mit Bortezomib plus Dexamethason zeigten (Bundesministerium für Gesundheit 2019zd). Die Bruttokosten von Imnovid 2.2.26 Pomalidomid (14 Tabletten 4 mg Listenpreis 6.434,90 C, Erstattungsbetrag 6.044,21 C, Dosis 4 mg/Tag Pomalidomid (Imnovid) ist ein Thalidomid- oral an Tag 1–14 im 21-Tagezyklus) betragen derivat, das zuerst 2013 in Kombination mit 287,82 C pro Tag und 105.054 C pro Jahr. Dexamethason für die Behandlung des rezidivierten oder refraktären multiplen Myeloms bei erwachsenen Patienten zugelassen wurde, 2.2.27 Prasteron die mindestens zwei vorausgegangene Therapien, darunter Lenalidomid und Bortezomib, erhalten haben und unter der letzten Thera- Prasteron (Dehydroepiandrosteron) ist eine pie eine Progression gezeigt haben (Arznei- weitgehend inaktive Steroidhormonvorstufe, verordnungs-Report 2014, Kap. 2, Neue Arz- die überwiegend in der Nebennierenrinde geneimittel 2013). Am 13. Mai 2019 folgte ei- bildet wird und in peripheren Geweben in ne Zulassungserweiterung für die Kombina- aktives Estradiol und Testosteron umgewandelt
der CPS20-Gruppe durch Pembrolizumab gegenüber Cetuximab plus Chemotherapie (Platin und 5-Fluorouracil) verbessert (14,9 versus 10,7 Monate), ebenso bei der CPS1-Gruppe (12,3 versus 10,3 Monate), während in der Gesamtgruppe eine Nichtunterlegenheit resultierte (11,6 versus 10,7 Monate). Pembrolizumab plus Chemotherapie verbesserte auch in der Gesamtgruppe das Gesamtüberleben gegenüber Cetuximab plus Chemotherapie (13,0 versus 10,7 Monate). Schwere unerwünschte Ereignisse (Grad 3 oder höher) traten mit Pembrolizumab plus Chemotherapie und Cetuximab plus Chemotherapie häufiger auf als mit Pembrolizumab allein (85 und 83 % versus 55 %). Auch die nebenwirkungsbedingte Mortalität lag mit den Chemotherapie-Kombinationen höher als mit der Pembrolizumab-Monotherapie (12 und 10 % versus 8 %). Die Nutzenbewertung für die Erstlinienbehandlung des metastasierenden oder nicht resezierbaren rezidivierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region ergab für die Kombination von Pembrolizumab mit der Chemotherapie und die Monotherapie mit Pembrolizumab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen aufgrund der höheren Gesamtüberlebensrate (Bundesministerium für Gesundheit 2020zd, 2020ze). Dosierung und Bruttokosten von Keytruda sind genauso wie oben beschrieben.
124
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
wird. Die endogene Dehydroepiandrosteronsynthese nimmt im Alter ab, so dass etwa nur 25 % der postmenopausalen Frauen ausreichend Dehydroepiandrosteron bilden. Prasteron ist seit 30 Jahren wegen angeblicher Anti-Aging-Effekte als Nahrungsergänzungsmittel vor allem in den USA besonders populär (Übersicht bei Heo 2019). In Deutschland war lange Zeit ein injizierbares Kombinationspräparat aus Estradiolvalerat und Prasteronenantat (Gynodian-Depot) zur Hormonersatztherapie auf dem Markt, das 2012 wegen auslaufender Verkehrsfähigkeit infolge fehlender Nachzulassung vom Hersteller zurückgerufen wurde. Am 8. Januar 2018 wurde Prasteron (Intrarosa) zur Behandlung vulvärer und vaginaler Atrophie bei postmenopausalen Frauen mit mittelschweren bis schweren Symptomen zugelassen. Wirksamkeit und Sicherheit von Prasteron (6,5 mg intravaginal/Tag) für die neue Indikation wurden in einer placebokontrollierten Studie an 483 postmenopausalen Frauen anhand von vier koprimären Variablen (Parabasalzellen und oberflächliche Zellen im Vaginalabstrich, vaginaler pH-Wert, Dyspareunie) untersucht (Labrie et al. 2016). Nach 12 Wochen wurde die Dyspareunie (Ausgangswert 2,63 Punkte) durch Prasteron im Vergleich zu Placebo etwas stärker (auf 1,36 versus 1,76 Punkte) gesenkt. Die einzige Nebenwirkung war vermehrter vaginaler Ausfluss durch Schmelzen des Vaginalzäpfchens. Das Verfahren zur Nutzenbewertung von Prasteron ist durch den GBA eingestellt worden, weil Intrarosa mit dem Wirkstoff Prasteron in einer Packungsgröße in Verkehr gebracht wurde, welche die größte Packungsgröße auf Grund der Packungsgrößenverordnung übersteigt. Das hat zur Folge, dass Intrarosa nicht zu Lasten der GKV abgegeben werden darf (Gemeinsamer Bundesausschuss 2019). Die Bruttokosten von Intrarosa (28 Vaginalzäpfchen 6,5 mg Listenpreis 31,27 C, bisher kein Erstattungsbetrag, Dosis 1 Vaginalzäpfchen/Tag) betragen 1,12 C pro Tag und 408 C pro Jahr.
2.2.28
Ramucirumab
Ramucirumab (Cyramza) ist ein vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor-Rezeptor-2Antagonist (VEGF-Rezeptor-2-Antagonist), der nach der Erstzulassung für das fortgeschrittene Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs im Jahre 2014 (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.31) für weitere onkologische Indikationen zugelassen wurde. Das gesamte Indikationsspektrum umfasst jetzt insgesamt 6 Indikationen (mit Zulassungsdatum): 4 In Kombination mit Paclitaxel zur Behandlung von Patienten mit einem fortgeschrittenen Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs mit Tumorprogress nach vorausgegangener Platinund Fluoropyrimidin-haltiger Chemotherapie (19.12.2014). 4 Monotherapie von Patienten mit einem fortgeschrittenen Adenokarzinom des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs mit Tumorprogress nach vorausgegangener Platin- oder Fluoropyrimidin-haltiger Chemotherapie, wenn diese Patienten für eine Kombinationstherapie mit Paclitaxel nicht geeignet sind (19.12.2014). 4 In Kombination mit FOLFIRI (Irinotecan, Folinsäure, 5-Fluorouracil) zur Behandlung von Patienten mit einem metastasierten Kolorektalkarzinom (mKRK) mit Tumorprogress während oder nach vorausgegangener Therapie mit Bevacizumab, Oxaliplatin und einem Fluoropyrimidin (25.01.2016). 4 In Kombination mit Docetaxel zur Behandlung von Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinom mit Tumorprogress nach platinhaltiger Chemotherapie (25.01.2016). 4 Monotherapie von Patienten mit histologisch bestätigtem, fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom, die ein Serum-Al-
125 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
pha-Fetoprotein von 400 ng/ml aufweisen und zuvor mit Sorafenib behandelt wurden (01.08.2019). 4 In Kombination mit Erlotinib zur Erstlinientherapie von Patienten mit einem metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom mit aktivierenden epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor-Mutationen (05.01.2020). Damit wurde Ramucirumab 2019 und 2020 für zwei weitere Indikationen zugelassen, die im Folgenden dargestellt werden. 1 Hepatozelluläres Karzinom
Basis der Zulassung war eine placebokontrollierte Phase-3-Studie an 292 Patienten mit fortgeschrittenem hepatozellulärem Karzinom, die zusätzlich zu Best Supportive Care Ramucirumab (8 mg/kg i. v. alle 2 Wochen) erhielten (Zhu et al. 2019, REACH-2). Ramucirumab verlängerte das mediane Gesamtüberleben (primärer Endpunkt) gegenüber Placebo geringfügig (8,5 Monate versus 7,3 Monate). Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder höher) waren Hypertonie (13 % versus 5 %), Hyponatriämie (6 % versus 0 %) und erhöhte Aspartataminotransferase (3 % versus 5 %). In der Ramucirumab-Gruppe starben drei Patienten an behandlungsbedingten Nebenwirkungen. Die Nutzenbewertung für die neue Indikation ergab einen Beleg für einen geringen Zusatznutzen, weil Ramucirumab für das Gesamtüberleben einen geringen Vorteil gegenüber Placebo zeigte (Bundesministerium für Gesundheit 2020zf). Die Bruttokosten von Cyramza (1 Durchstechfl. 500 mg/50 ml, Listenpreis 3.713,59 C, Erstattungsbetrag 2.141,07 C, Dosis 8 mg/kg i. v. Infusion alle 2 Wochen, Standardgewicht 70 kg) betragen 171,29 C pro Tag und 62.519 C pro Jahr. 1 Erstlinientherapie des metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms
Die Zulassungserweiterung beruht auf einer Phase-3-Studie am 449 bisher unbehandelten Patienten mit einem metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinom mit aktivieren-
2
den EGFR-Mutationen, die mit Ramucirumab (10 mg/kg i. v. alle 2 Wochen) in Kombination mit Erlotinib (150 mg/Tag oral) oder Erlotinib allein behandelt wurden (Nakagawa et al. 2019, RELAY). Nach einer Nachbeobachtungszeit von 20,7 Monaten wurde das mediane progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) durch die Ramucirumab-Erlotinib-Kombination im Vergleich zu Erlotinib verlängert (19,4 versus 12,4 Monate), nicht aber das Zweijahres-Gesamtüberleben (83 % versus 79 %). Die Nutzenbewertung für die neue Indikation ergab keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Ramucirumab, weil das Gesamtüberleben nicht verlängert wurde (IQWIG 13.05.2020, Bundesministerium für Gesundheit 2020zg). Die Bruttokosten von Cyramza (1 Durchstechfl. 500 mg/50 ml, Listenpreis 3.713,59 C, Erstattungsbetrag 2.141,07 C, Dosis 10 mg/kg i. v. Infusion alle 2 Wochen, Standardgewicht 70 kg) betragen bei dieser Indikation 214,11 C pro Tag und 78.149 C pro Jahr.
2.2.29
Ranibizumab
Ranibizumab (Lucentis) ist ein Hemmstoff des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF), der nach der Erstzulassung zur Behandlung der neovaskulären (feuchten) altersabhängigen Makuladegeneration im Jahre 2007 (siehe Arzneiverordnungs-Report 2008, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2007) für weitere ophthalmologische Indikationen zugelassen wurde. Das gesamte Indikationsspektrum umfasst jetzt 6 Indikationen (mit Zulassungsdatum): 4 Neovaskuläre (feuchte) altersabhängige Makuladegeneration (AMD) (22.01.2007) 4 Visusbeeinträchtigung infolge eines diabetischen Makulaödems (DMÖ) (06.01.2011) 4 Behandlung einer Visusbeeinträchtigung infolge eines Makulaödems aufgrund eines retinalen Venenverschlusses (RVV) (Venenastverschluss oder Zentralvenenverschluss) (27.05.2011)
126
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
4 Behandlung einer Visusbeeinträchtigung infolge einer chorioidalen Neovaskularisation (CNV) (14.11.2016) 4 Frühgeborenen-Retinopathie in Zone I (Stadien 1+, 2+, 3 oder 3+), Zone II (Stadium 3+) oder eine AP-ROP (aggressiv-posteriore Frühgeborenen-Retinopathie) (03.09.2019). 4 Proliferative diabetische Retinopathie (PDR) (21.10.2019)
derung des Visus (primärer Endpunkt) in beiden Gruppen keinen signifikanten Unterschied (3,1 versus 3,0 Buchstaben). Ein sehbehinderndes diabetisches Makulaödem entwickelte sich mit Ranibizumab seltener als mit panretinaler Photokoagulation (22 % versus 38 %). Bei den Nebenwirkungen ergaben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Bruttokosten von Lucentis bei proliferativer diabetischen Retinopathie (1 Durchstechflasche 10 mg/ml mit Damit wurde Ranibizumab 2019 für zwei wei- 2,3 mg/0,23 ml 1.263,02 C, Dosis 0,5 mg/Motere Indikationen zugelassen, die im Folgenden nat pro Auge) betragen ohne Auseinzelung 1.263,02 C pro Monat und 15.156 C pro Jahr. dargestellt werden.
1 Frühgeborenen-Retinopathie
Für die Zulassung der neuen Indikation wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Ranibizumab (0,2 oder 0,1 mg intravitreal bilateral) im Vergleich mit einer Lasertherapie an 225 Frühgeborenen mit einer Retinopathie untersucht (Stahl et al. 2019, RAINBOW). Nach 24 Wochen verbesserte Ranibizumab bei den meisten Patienten mit einer Einzelinjektion in beiden Dosierungen die Behandlungserfolgsrate (keine aktive Retinopathie, keine ungünstigen strukturellen Ergebnisse, keine andere Behandlung) gegenüber der Lasertherapie (80 und 75 % versus 66 % der Patienten). Tod, systemische und okuläre Nebenwirkungen waren gleichmäßig auf die drei Gruppen verteilt. Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da Ranibizumab bereits seit 2007 zugelassen ist. Die Bruttokosten von Lucentis (1 Durchstechflasche 10 mg/ml mit 2,3 mg/0,23 ml 1.263,02 C, Dosis 0,2 mg pro Auge), betragen ohne Auseinzelung bei Frühgeborenen 1.263,02 C pro Therapiekurs. 1 Proliferative diabetische Retinopathie
Die Zulassung der weiteren neuen Indikation basiert auf einer Studie an 394 Patienten mit proliferativer diabetischer Retinopathie, in der Ranibizumab (initial 0,5 mg/Monat intravitreal; insgesamt 19,2 Injektionen über 5 Jahre) mit panretinaler Photokoagulation verglichen wurde (Gross et al. 2018). Nach 5 Jahren zeigte die durchschnittliche Verän-
2.2.30
Regadenoson
Regadenoson (Rapiscan) ist ein selektiver koronarer Vasodilatator aus der Gruppe der A2A -Adenosinrezeptoragonisten, der 2010 zuerst als Diagnostikum für Myokardperfusionsaufnahmen mit Radionukliden bei körperlich nicht ausreichend belastbaren Patienten zugelassen wurde. Am 23. Januar 2019 folgte eine Indikationserweiterung zur Messung der fraktionellen Flussreserve (fractional flow reserve, FFR) der Stenose einer Koronararterie bei der Durchführung einer invasiven Koronarangiographie, wenn wiederholte FFR-Messungen nicht zu erwarten sind. Die Zulassung stützt sich auf zwei Hauptstudien mit einer integrierten Analyse von insgesamt 2.015 Patienten mit koronarer Herzkrankheit, bei denen die Wirkung von Regadenoson (400 g i. v. Bolus in 10 s) und Adenosin (840 g/kg i. v. in 6 min) auf die fraktionelle Flussreserve einer Koronararterienstenose verglichen wurde (Cerqueira et al. 2008, ADVANCE MPI). Um reversible Myokardperfusionsdefekte zu erkennen, wird der koronare Blutfluss über die myokardiale Aufnahme eines radioaktiven Arzneimittels gemessen. Regadenoson induziert in gesunden Gefäßen eine 2–3fache Steigerung der koronaren Durchblutung über 3–4 min und in stenosierten Gefäßarealen entsprechende Perfusionsdefekte. Für
127 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
die Messung der fraktionellen Flussreserve mit einem pharmakologischen Stressauslöser wurde zunächst eine erste Myokardperfusionsaufnahme mit Adenosin gemacht und nach 7 Tagen eine zweite Aufnahme mit Regadenoson oder Adenosin. Die durchschnittliche Übereinstimmungsrate zwischen den sequentiellen Myokardperfusionsaufnahmen mit AdenosinAdenosin und Adenosin-Regadenoson betrug 0,62 und 0,63 %. Damit wurde eine Nichtunterlegenheit von Regadenoson gegenüber Adenosin zur Erkennung reversibler Myokardperfusionsdefekte durch Radionuklid-Bildgebung nachgewiesen. Darüber hinaus wurden mit Regadenoson weniger Nebenwirkungen als mit Adenosin beobachtet: Brustschmerzen (29 % versus 41 %), Dyspnoe (28 % versus 26 %), Flush (22 % versus 34 %), Kopfschmerzen (17 % versus 26 %), Hals- und Nackenschmerzen (7 % versus 14 %), AV-Block (2,8 % versus 7,0 %). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen, da vom pharmazeutischen Unternehmer kein vollständiges Dossier vorgelegt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2019ze). Die Bruttokosten von Rapiscan (1 Injektionslösung 400 g 64,26 C, Dosis 400 g) betragen 64,26 C pro Untersuchung.
2.2.31
Ribociclib
Ribociclib (Kisqali) ist ein CDK4/6-Inhibitor, der zuerst 2017 im Kombination mit einem Aromataseinhibitor zur Behandlung von postmenopausalen Frauen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom als initiale endokrin-basierte Therapie zugelassen wurde (siehe ArzneiverordnungsReport 2018, Kap. 3 Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.1.27). Am 17. Dezember 2018 wurde Ribociclib für eine erweiterte Indikation zur Behandlung von Frauen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mamma-
2
karzinom in Kombination mit einem Aromatasehemmer oder Fulvestrant als initiale endokrin-basierte Therapie oder bei Frauen mit vorangegangener endokriner Therapie zugelassen. Grundlage der Zulassungserweiterung der Kombinationstherapie mit einem Aromatasehemmer war eine Phase-3-Studie an 672 prämenopausalen Patientinnen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom, die Ribociclib (600 mg oral/Tag über 3 Wochen, 1 Wochen Pause) in Kombination mit endokriner Therapie (Tamoxifen oder nichtsteroidale Aromatasehemmer plus Goserelin) oder eine endokrine Therapie allein erhielten (Tripathy et al. 2018, MONALEESA7). Nach 19,2 Monaten verlängerte Ribociclib das mediane progressionsfreie Überleben (primärer Endpunkt) im Vergleich zur Kontrollgruppe (23,8 versus 13,0 Monate). Die Daten zum Gesamtüberleben waren zu diesem Zeitpunkt noch unvollständig (13 % versus 14 %). Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder 4, Ribociclib-Gruppe versus Kontrollgruppe) waren Neutropenie (61 % versus 4 %) und Leukopenie (14 % versus1 %). Nebenwirkungsbedingte Therapieabbrüche waren selten (4 % versus 3 %). Es traten keine behandlungsbedingten Todesfälle auf. Weiter wurde die Zulassung von Ribociclib auch für die Kombinationstherapie mit Fulvestrant erweitert. Dazu diente eine Phase3-Studie an 726 postmenopausalen Patientinnen mit einem Hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom, die Ribociclib (600 mg oral/Tag über 3 Wochen, 1 Wochen Pause) in Kombination mit Fulvestrant oder Fulvestrant allein erhielten (Slamon et al. 2020, MONALEESA-3). Nach 42 Monaten verlängerte Ribociclib die Gesamtüberlebensrate (sekundärer Endpunkt) im Vergleich zur Kontrollgruppe (57,8 % versus 45,9 %), jedoch nicht in den beiden Subgruppen von Patientinnen ohne oder mit vorangegangener endokriner Therapie. Schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder 4) waren wiederum Neutropenie (46,6 %
128
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
versus 0 %) und Leukopenie (13,5 % versus 0 %). Die Nutzenbewertung der Ribociclib-Aromatasehemmer-Kombination durch den G-BA ergab in allen drei Patientensubgruppen keinen Beleg für einen Zusatznutzen, weil für das progressionsfreie Überleben keine patientenrelevanten Endpunkte gemessen wurden (Bundesministerium für Gesundheit 2019zf). Auch die Ribociclib-Fulvestrant-Kombination erreichte keinen Zusatznutzen, weil das Gesamtüberleben in den beiden Subgruppen der Patientinnen ohne und mit vorangegangener Therapie nicht verlängert wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2019zg). Die Bruttokosten von Kisqali (3 63 Filmtbl. 200 mg, Listenpreis 16.163,02 C, Erstattungsbetrag 7.270,15 C, Dosis 600 mg/Tag, 28-Tagezyklus mit 1 Woche Pause) betragen 86,55 C pro Tag und 31.590 C pro Jahr.
2.2.32
Rifamycin
Rifamycin ist ein halbsynthetisches Ansamycin-Antibiotikum mit einer Breitbandaktivität gegen grampositive und gramnegative Bakterien, das erstmals 1962 zur parenteralen und topischen Anwendung in die klinische Praxis zur Behandlung von Infektionen durch Staphylokokken und andere grampositive Keime eingeführt wurde (Übersicht bei Sensi 1983). In Deutschland hatte Rifamycin (Chibro-Rifamycin) eine Zulassung als Augentropfen für akute und chronische Bindehautentzündungen und weitere ophthalmologische Indikationen, die aber 1990 nach Verzicht auf eine Nachzulassung gelöscht wurde. Am 9. Mai 2019 wurde Rifamycin (Relefalk) für eine neue Indikation zur Behandlung einer Reisediarrhö bei Erwachsenen zugelassen, die mit Symptomen wie Übelkeit, Erbrechen, Blähungen/ Flatulenz, rektalen Tenesmen, Stuhldrang und abdominalen Schmerzen oder Krämpfen einhergeht, aber ohne klinische Anzeichen einer invasiven Enteritis wie Fieber, Blut, okkultes Blut oder Leukozyten im Stuhl auftritt. Die
Markteinführung in Deutschland erfolgte am 1. Juni 2019. Grundlage der Zulassung waren zwei Phase-3 Studien mit Rifamycin (2mal 200 mg/ Tag oral für 3 Tage) in einer neuen Tablettenformulierung, die mit einer enterischen Beschichtung und einer patentierten Multimatrix7-Technologie hergestellt wurde und die Abgabe des Wirkstoffs an den distalen Dünndarm und den Dickdarm ermöglicht. In der ersten placebokontrollierten Studie an 264 Erwachsenen mit akutem Durchfall nach einer Reise nach Mexiko oder Guatemala verminderte Rifamycin die Dauer der Diarrhö (Zeit von der Verabreichung der ersten Dosis bis zur Passage des letzten nicht geformten Stuhls) signifikant im Vergleich zu Placebo (46 h versus 68 h) (DuPont et al. 2014). Weiterhin wurde auch die klinische Heilung bei einem größeren Prozentsatz der Patienten (81,4 % versus 56,9 %) erreicht. Die Nebenwirkungsrate war unter Rifamycin geringer als unter Placebo (29,6 % versus 38,5 %). In einer weiteren klinischen Studie an 835 Patienten mit einer Reisediarrhö zeigte Rifamycin eine Nichtunterlegenheit im Vergleich mit Ciprofloxacin (2mal 500 mg/ Tag oral), erhöhte aber im Gegensatz zu Ciprofloxacin nicht die Kolonisationsraten von Betalactamase-produzierenden Escherichia coli (0,3 % versus 6,9 %) (Steffen et al. 2018). Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da Rifamycin kein neuer Wirkstoff ist. Die Bruttokosten von Relefalk (12 Tabletten 200 mg 41,14 C, Dosis 200 mg 2mal/Tag), betragen 6,86 C pro Tag und 41,14 C pro Therapiekurs.
2.2.33
Rituximab
Rituximab (MabThera) ist ein monoklonaler CD20-Antikörper, der nach der 1998 erfolgten Erstzulassung für die Erstbehandlung von Patienten mit follikulärem Lymphom und mit CD20-positivem, diffusem großzelligem BZell-Non-Hodgkin-Lymphom (siehe Arzneiverordnungs-Report 1999, Kap. 1, Tab. 3)
129 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
2
für zahlreiche weitere Indikationen zugelas- Damit wurde Rituximab 2019 für eine weitere sen wurde. Das gesamte Indikationsspektrum Indikation zugelassen, die im Folgenden darumfasst jetzt insgesamt 10 Indikationen (mit gestellt wird. Zulassungsdatum): 4 Patienten mit follikulärem Lymphom im1 Pemphigus vulgaris Stadium III–IV, die gegen eine Chemothe- Die Zulassung der neuen Indikation bezieht rapie resistent sind oder nach einer solchen sich auf eine klinische Studie an 90 theraeinen zweiten oder neuerlichen Rückfall pienaiven Patienten mit neu diagnostiziertem haben (02.06.1998) Pemphigus, bei denen die bisherige Standard4 CD20-positives, diffuses großzelliges B- therapie mit Prednison (1,0 oder 1,5 mg/kg Zell-Non-Hodgkin-Lymphom in Kombina- oral pro Tag mit strukturierter Dosisreduktition mit einer CHOP (Cyclophosphamid, on) im Vergleich mit Rituximab (1.000 mg i. v. Doxorubicin, Vincristin, Prednisolon)- an Tag 1 und 14 sowie 500 mg in den MonaChemotherapie (02.06.1998) ten 12 und 18), kombiniert mit einer kurzfris4 Schwere, aktive rheumatoide Arthritis in tigen Prednison-Therapie (0,5 oder 1,0 mg/kg Kombination mit Methotrexat, die unge- oral pro Tag), mit strukturierter Dosisreduktion nügend auf andere krankheitsmodifizieren- über 3 oder 6 Monate untersucht wurde (Jode Antirheumatika (DMARDs) einschließ- ly et al. 2017). Mit der Rituximab-Prednisonlich einer oder mehrerer Therapien mit Kombination erreichten nach 24 Monaten weTumornekrosefaktor-Hemmern angespro- sentlich mehr Patienten eine komplette Remischen oder diese nicht vertragen haben sion mit mindestens zweimonatiger Steroid(06.07.2006) freiheit (primärer Endpunkt) als mit der Pred4 Erhaltungstherapie von Patienten mit re- nison-Monotherapie (89 % versus 34 %). Häuzidivierendem/refraktärem follikulärem figste Nebenwirkungen (Rituximab-Prednison Lymphom, die auf eine Induktionsthera- versus Prednison) waren Diabetes und endopie angesprochen haben (06.07.2006) krine Störungen (22 % versus 11 %), Myopa4 Erstbehandlung von Patienten mit folli- thie (11 % versus 19 %) und Knochenerkrankulärem Lymphom im Stadium III–IV kungen (19 % versus 9 %). in Kombination mit einer Chemotherapie Eine Nutzenbewertung wurde nicht durch(18.01.2008). geführt, da Rituximab schon 1998 zugelas4 Nicht vorbehandelte Patienten mit chro- sen wurde und kein patentgeschützter neuer nischer lymphatischer Leukämie in Wirkstoff ist. Die Bruttokosten von MabTheKombination mit einer Chemotherapie ra (50 ml Konzentrat 500 mg zur Herstellung (23.02.2009) einer i. v. Infusionslösung 2.052,80 C, Dosis 4 Rezidivierende/refraktäre chronische 2mal 1.000 mg im 1. Jahr, Erhaltungstheralymphatische Leukämie in Kombination pie ab 2. Jahr 2mal 500 mg/Jahr), betragen im mit einer Chemotherapie (21.08.2009) 1. Jahr 8.211,20 C und die Erhaltungstherapie 4 Behandlung von Patienten mit follikulärem ab dem 2. Jahr 4.105,60 C pro Jahr. Lymphom, die auf eine Induktionstherapie angesprochen haben (25.10.2010) 4 Schwere, aktive Granulomatose mit Po- 2.2.34 Treosulfan lyangiitis (Wegenersche Granulomatose) (GPA) und mikroskopischer Polyangiitis (MPA) in Kombination mit Glucocortico- Treosulfan (Ovastat) ist ein Busulfanderivat iden (22.04.2013) aus der Gruppe der Alkylanzien, das bereits 4 Mäßiger bis schwerer Pemphigus vulgaris 1961 synthetisiert wurde und nach der 1981 (PV) (11.03.2019) erfolgten Erstzulassung für die palliative Mo-
130
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
notherapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms für weitere Indikationen zugelassen wurde. Das gesamte Indikationsspektrum umfasst jetzt zwei Handelspräparate mit drei Indikationen (mit Zulassungsdatum): 4 Palliative Monotherapie des fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms nach Versagen platinhaltiger Standardtherapien (06.01.1981, Ovastat) 4 Allein oder in der Kombination mit anderen antineoplastisch wirksamen Substanzen in der palliativen Therapie epithelialer Ovarialkarzinome der FIGO Stadien II–IV (22.01.1991, Ovastat) 4 In Kombination mit Fludarabin im Rahmen einer Konditionierungstherapie vor einer allogenen hämatopoetischen Stammzelltransplantation (allo-HSCT) bei erwachsenen Patienten mit malignen und nicht-malignen Erkrankungen sowie bei malignen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen älter als ein Monat (20.06.2019, Trecondi). Da hämatopoetische Stammzelltransplantationen selten sind, wurde Trecondi am 23. Februar 2004 als Arzneimittel für seltene Leiden (Orphan-Arzneimittel) ausgewiesen.
tervallen an 2 Tagen) jeweils in Kombination mit Fludarabin (30 mg/m2 i. v. über 5 Tage). Treosulfan verbesserte im Vergleich zu Busulfan das ereignisfreie Zweijahresüberleben (primärer Endpunkt) (64,0 % versus 50,4 %) und auch das Gesamtüberleben nach zwei Jahren (71,3 % versus 56,4 %). Häufigste schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder höher) waren gastrointestinale Störungen (11 % versus 16 %), Blutbildveränderungen (15 % versus 12 %) und Infektionen (15 % versus 9 %). Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da Treosulfan schon 1981 zugelassen wurde und kein patentgeschützter neuer Wirkstoff ist. Die Bruttokosten von Trecondi (1 Durchstechfl. 5 g zur Herstellung einer Infusionslösung 667,16 C, Gesamtdosis 30 g/m2 , Standard-Körperoberfläche 1,8 m2 ) betragen 7.205,33 C pro Therapiekurs und liegen damit etwas höher als die Bruttokosten von Busulfan-ratiopharm (8 Durchstechflaschen 10 ml, 6 mg/ml, Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung 3.299,52 C, Gesamtdosis 16 Dosen mit 0,8 mg/kg als i. v. Infusion, Standard Körpergewicht 70 kg, insgesamt 16 Dosen mit insgesamt 896 mg) in Höhe von 6.159,10 C pro Therapiekurs.
Die 2019 zugelassene Indikation wird im Folgenden dargestellt. 2.2.35 Trifluridin/Tipiracil 1 Allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation
Basis der Zulassung der neuen Indikation sind zwei Hauptstudien. Die erste Studie war eine Nichtunterlegenheitsstudie von Treosulfan und Busulfan an 476 Patienten mit einer akuten myeloischen Leukämie oder einem myelodysplastischen Syndrom mit der Indikation für eine allogene hämatopoetische Stammzelltransplantationen, die aber wegen eines höheren Lebensalters oder Begleiterkrankungen ein erhöhtes Risiko für myeloablative Standardkonditionierungstherapien hatten (Beelen et al. 2020). Vor der Stammzelltransplantation erhielten die Patienten Treosulfan (10 g/m2 /Tag als i. v. Infusion über 3 Tage) oder Busulfan (0,8 mg/kg als i. v. Infusion in 6-stündigen In-
Das Kombinationspräparat (Lonsurf ) besteht aus dem Nukleosidanalogon Trifluridin und dem Thymidinphosphorylase-Inhibitor Tipiracil und wurde zuerst 2016 zur Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms zugelassen (siehe ArzneiverordnungsReport 2017, Kap. 3 Neue Arzneimittel 2016, Abschn. 3.1.30). Am 3. September 2019 wurde Trifluridin/Tipiracil für eine neue Indikation als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit metastasiertem Magenkarzinom einschließlich Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs zugelassen, die bereits mit mindestens zwei systemischen Therapieregimen für die fortgeschrittene Erkrankung behandelt worden sind.
131 2.2 Bekannte Wirkstoffe mit neuen Indikationen
1 Metastasiertes Magenkarzinom einschließlich Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs
Die Zulassung der neuen Indikation beruht auf einer Phase-3-Studie an 507 Patienten mit nicht resezierbarem metastasierten Magenkarzinom, die mindestens zwei vorangehende Chemotherapien erhalten hatten (Shitara et al. 2018, TAGS). Trifluridin/Tipiracil (35 mg/m2 2mal/Tag oral an Tag 1–5 und 8–12 alle 28 Tage) plus Best Supportive Care verlängerte das Gesamtüberleben im Vergleich zur Kontrollgruppe mit Best Supportive Care (5,7 versus 3,6 Monate). Häufigste schwere Nebenwirkungen (Grad 3 oder höher) waren Neutropenie (34 % versus 0 %), Anämie (19 % versus 8 %) und Bauchschmerzen (4 % versus 9 %). Die Nutzenbewertung der neuen Indikation ergab einen Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen, weil die Verlängerung des Gesamtüberlebens durch Nachteile bei schweren Nebenwirkungen eingeschränkt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2020zh). Die Bruttokosten von Lonsurf (60 Filmtabletten 20 mg/8,19 mg Listenpreis 4.776,33 C, Erstattungsbetrag 3.112,18 C, Dosis 35 mg/m2 2mal/ Tag oral an Tag 1–5 und 8–12 alle 28 Tage, Standardkörperoberfläche 1,8 m2 entsprechend 2mal 60 mg/Tag) betragen 111,15 C pro Tag und 40.569 C pro Jahr.
2.2.36
Ustekinumab
4
4
4
4
2
Ultraviolett A) nicht angesprochen haben, kontraindiziert sind oder nicht vertragen wurden (16.01.2009). Allein oder in Kombination mit Methotrexat für die Behandlung der aktiven psoriatischen Arthritis bei erwachsenen Patienten, wenn das Ansprechen auf eine vorherige nicht-biologische krankheitsmodifizierende antirheumatische (DMARD-)Therapie unzureichend gewesen ist (19.09.2013). Mittelschwere bis schwere Plaque-Psoriasis bei Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren, die unzureichend auf andere systemische Therapien oder Phototherapien angesprochen oder sie nicht vertragen haben (22.06.2015). Erwachsene Patienten mit mittelschwerem bis schwerem aktiven Morbus Crohn, die entweder auf eine konventionelle Therapie oder einen der Tumornekrosefaktor-alpha (TNF’)-Antagonisten unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit oder eine Kontraindikation gegen eine entsprechende Behandlung aufweisen (17.09.2018). Erwachsene Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa, die entweder auf eine konventionelle Therapie oder auf ein Biologikum unzureichend angesprochen haben, nicht mehr darauf ansprechen oder eine Unverträglichkeit oder eine Kontraindikation gegen eine entsprechende Behandlung aufweisen (03.09.2019). Mittelschwere bis schwere Psoriasis bei Kindern von 6 bis 12 Jahren, die unzureichend auf andere systemische Therapien oder Phototherapien angesprochen oder sie nicht vertragen haben (20.01.2020).
4 Ustekinumab (Stelara) ist ein monoklonaler Antikörper gegen Interleukin-12 und Interleukin-23, der nach der 2009 erfolgten Erstzulassung für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Plaque-Psoriasis für weitere Indikationen zugelassen wurde. Das Damit wurde Ustekinumab 2019 und 2020 für Indikationsspektrum umfasst jetzt sechs Indi- zwei weitere Indikationen zugelassen, die im kationen (mit Zulassungsdatum): Folgenden dargestellt werden. 4 Erwachsene Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis indi-1 Colitis ulcerosa ziert, bei denen andere systemische The- Grundlage der Zulassung der neuen Indikarapien einschließlich Ciclosporin, Metho- tion waren zwei placebokontrollierte Phase-3 trexat (MTX) oder PUVA (Psoralen und Studien mit Ustekinumab mit einer Induk-
132
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
tionsphase und einer Erhaltungsphase (Feagan et al. 2016, UNITI-1, UNITY-2, UNITYIM). In der ersten Studie (UNITI-1) erhielten 741 Patienten mit unzureichendem Ansprechen oder Unverträglichkeit von TNF-Antagonisten Ustekinumab als Induktionsdosis (130 mg i. v. oder 6 mg/kg i. v.). In der zweiten Studie (UNITI-2) erhielten 628 Patienten nach unzureichendem Ansprechen oder Unverträglichkeit einer konventionellen Therapie die gleiche Ustekinumabdosis. Patienten, die auf die Induktionstherapie mit Ustekinumab nach 6 Wochen angesprochen hatten, erhielten anschließend eine Erhaltungstherapie mit Ustekinumab (90 mg s. c. alle 8 Wochen oder alle 12 Wochen). Die Induktionstherapien mit Ustekinumab erreichten höhere Ansprechraten (Abnahme des Crohn’s Disease Activity Index von 100 Punkten oder ein Wert < 150, primärer Endpunkt) als Placebo in UNITY1 (34,3 oder 33,7 % versus 21,5 %) und in UNITI-2 (51,7 oder 55,5 % versus 28,7 %). Auch mit der Ustekinumab-Erhaltungstherapie waren in Woche 44 mehr Patienten in Remission (Crohn’s Disease Activity Index < 150) als mit der Placebotherapie (53,1 oder 48,8 % versus 35,9 %). Die Nebenwirkungsraten waren in allen Behandlungsgruppen ähnlich. Eine Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, da Ustekinumab bereits seit 2009 zugelassen ist. Die Bruttokosten von Stelara (1 Durchstechflasche 26 ml 130 mg mit 5 mg/ml 5.186,62 C, erste Dosis 130 mg als i. v. Infusion, 1 Fertigspritze 90 mg/1 ml 5.186,62 C, Dosis 90 mg s. c. 8 Wochen nach der ersten i. v. Dosis, anschließend 90 mg s. c. alle 12 Wochen), betragen im ersten und in den nachfolgenden Jahren jeweils 22.933 C pro Jahr. 1 Mittelschwere bis schwere Psoriasis bei Kindern von 6 bis 12 Jahren
Zulassungsrelevant war eine einarmige Phase3-Studie an 44 Kindern im Alter von 6–12 Jahren mit mittelschwerer bis schwerer PlaquePsoriasis, die mit Ustekinumab (0,75 mg/kg bei einem Körpergewicht bis zu 60 kg, Woche 0, Woche 4 und danach alle 12 Wochen
bis Woche 40) behandelt wurden (Philipp et al. 2020). In Woche 12 erreichten die Kinder hohe Ansprechraten für den PASI 75 und PASI 90 (Psoriasis Area and Severity Index 75 und 90 %) von 84,1 und 63,6 %. Nach der ärztlichen Gesamtbewertung (Physician Global Assessment, PGA) zeigten 77,3 % der Kinder nur noch geringe Psoriasisläsionen (PGA 0/1). Nebenwirkungen traten insgesamt bei 77,3 % der Patienten auf, am häufigsten waren Nasopharyngitis (25,0 %), Pharyngitis (13,6 %), Atemwegsinfektionen (13,6 %) und Reaktionen am Injektionsort (13,6 %).
2.2.37
Vigabatrin
Vigabatrin (Sabril) ist ein Antiepileptikum aus der Gruppe der GABA-Transaminaseinhibitoren, das 1991 zuerst zur Behandlung von Patienten mit pharmakoresistenten fokalen Anfällen sowie infantilen Spasmen (West-Syndrom) zugelassen wurde. Am 20. September 2018 folgte eine Indikationserweiterung für Kinder im Alter ab 1 Monat bis unter 7 Jahre zur Behandlung als Monotherapie bei infantilen Spasmen (West-Syndrom) und zur Behandlung in Kombination mit anderen Antiepileptika für Patienten mit therapieresistenter partieller Epilepsie (fokale Anfälle) mit oder ohne sekundäre Generalisierung, wenn alle anderen geeigneten Arzneimittelkombinationen sich als unzureichend erwiesen haben oder nicht vertragen wurden (neuer Handelsname Kigabeq). Für die Zulassung legte der pharmazeutische Unternehmer Daten aus der publizierten Literatur vor, von denen zwei Studien exemplarisch genannt werden. In einer klinischen Studie an 40 Kindern (Alter 1–20 Monate) mit infantilen Spasmen reduzierte Vigabatrin (50 mg/kg/Tag oral) nach 5 Tagen die Anfallshäufigkeit gegenüber Placebo (78 % versus 26 %) (Appleton et al. 1999). Therapiebedingte Nebenwirkungen waren mit Vigabatrin häufiger als mit Placebo (65 % versus 20 %), am häufigsten Schläfrigkeit. Bei refraktärer partieller Epilepsie senkte Vigabatrin als Zusatz-
133 2.3 Bekannte Wirkstoffe in neuen Kombinationen
therapie in einer placebokontrollierten Studie an 61 Kindern (Alter 12–229 Monate) die Anfallshäufigkeit bei 23 Patienten um mehr als 50 %, während bei 12 Patienten mehr Anfälle auftraten und bei 26 Patienten kein Unterschied beobachtet wurde (Luna et al. 1989). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen, da vom pharmazeutischen Unternehmer für beide neuen Indikationen (partielle Epilepsie, West-Syndrom) kein Dossier vorgelegt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2020zi, 2020zj). Die Bruttokosten von Kigabeq (50 Tabletten 500 mg, 272,49 C, empfohlene Erhaltungsdosis 50 mg/kg/Tag oral, entsprechend 500–1.500 mg/Tag bei einem Körpergewicht von 10–30 kg) betragen 5,45–16,35 C pro Tag und 1.998–5.968 C pro Jahr. Nutzenbewertung ergab keinen Zusatznutzen, da vom pharmazeutischen Unternehmer kein Dossier vorgelegt wurde. 2.3
Bekannte Wirkstoffe in neuen Kombinationen
Weiterhin wurden 2019 nach den Angaben in der Pharmazeutischen Zeitung (14täglich erscheinender Abschnitt Neueinführungen) 11 neue Arzneimittel mit bekannten Wirkstoffen in neuen Kombinationen in Deutschland auf den Markt gebracht (. Tab. 2.10).
2.3.1
Diclofenac/Omeprazol
Die Zweifachkombination aus dem nichtsteroidalen Antiphlogistikum Diclofenac und dem Protonenpumpenhemmer Omeprazol (Diclofenac/Omeprazol Aristo) ist angezeigt zur symptomatischen Behandlung von rheumatoider Arthritis, Arthrose und Spondylitis ankylosans bei erwachsenen Patienten mit einem Risiko für die Entwicklung von NSAR-assoziierten gastrischen und/oder duodenalen Ulcera, die adäquat mit Diclofenac und Omeprazol
2
kontrolliert sind. Die Kombination wurde am 9. April 2019 vom BfArM zugelassen und am 1. Oktober 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Die Fachinformation von Diclofenac/Omeprazol Aristo beschreibt allgemein die pharmakologischen Eigenschaften der beiden Bestandteile ohne aktuelle Studiendaten mit dem neu zugelassenen Kombinationspräparat. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GBA-Verfahrensordnung handelt. Die Bruttokosten von Diclofenac/Omeprazol Aristo (100 Hartkapseln mit Diclofenac 75 mg und Omeprazol 20 g, Listenpreis 41,48 C, Dosis 1 Kps./Tag oral) betragen etwa 0,41 C/Tag und liegen damit 18 % höher als die Kosten der Einzelkomponenten Diclofenac (Diclofenac-ratiopharm 75 mg 100 Tbl. 16,27 C) und Omeprazol (Omeprazol 20 mg 100 Tbl. 18,75 C) mit 0,35 C pro Tag.
2.3.2
Dolutegravir/Lamivudin
Die Zweifachkombination aus dem Integraseinhibitor Dolutegravir und dem reversen Transkriptaseinhibitor Lamivudin (Dovato) ist angezeigt zur Behandlung von HIV1-Infektionen bei Erwachsenen und Jugendlichen ab einem Alter von 12 Jahren mit einem Körpergewicht von mindestens 40 kg, die keine bekannten oder vermuteten Resistenzen gegenüber der Klasse der Integraseinhibitoren oder Lamivudin aufweisen. Die Kombination wurde am 1. Juli 2019 von der EMA zugelassen und am 1. August 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Die Zulassung der neuen Kombination basiert auf zwei Phase-3-Studien an insgesamt 1.441 therapienaiven Patienten mit weniger als 500.000 HIV-1-RNA Kopien/ml (Cahn et al. 2019, GEMINI-1 und GEMINI-2). In der ersten Studie zeigte die Dolutegravir-LamivudinKombination für die Viruslast (HIV-1-RNA Kopien < 50/ml) eine Nichtunterlegenheit gegenüber einer antiretroviralen Dreifachkom-
134
2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
. Tabelle 2.10 Neue patentgeschützte Arzneimittel bekannter Wirkstoffen mit neuen Kombinationen 2019. Angegeben sind Wirkstoffe, Präparate mit Datum der Einführung, Hersteller, Indikation und Zusatznutzen gemäß Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), ggf. bei mehreren Indikationssubgruppen mit der jeweils höchsten Nutzenbewertung Wirkstoffe
Präparate Einführung
Diclofenac/ Omeprazol
Hersteller
Indikation
Zusatznutzen
Diclofenac/ Aristo Omeprazol Aris- Pharma to 01.10.2019
Rheumatoide Arthritis, Arthrose und Spondylitis ankylosans bei Patienten mit einem Risiko für die Entwicklung von NSAR-assoziierten gastrischen oder duodenalen Ulcera
Keine G-BABewertung
Dolutegravir/ Lamivudin
Dovato 01.08.2019
ViiV Healthcare
HIV-Infektion
Nicht belegt
Doxylamin/ Pyridoxin
Cariban 01.06.2019
IFT Pharma
Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft
Keine G-BABewertung
Empagliflozin/ Linagliptin
Glyxambi 01.06.2019
Boehringer Ingelheim/ Lilly
Typ-2-Diabetes
Nicht belegt
GinsengwurzelYamato Gast stock-Kombination 01.07.2019
Pohl Boskamp
Leichte Magen-Darm-Beschwerden
Keine G-BABewertung
Glycopyrroniumbromid/ Formoterolfumarat
Bevespi 15.12.2019
AstraZeneca
Chronisch obstruktive Lungenkrankheit
Keine G-BABewertung
Paracetamol/ Pseudoephedrin Paracetamol/ Diphenhydramin
WickDayNait 15.06.2019
Procter & Gamble
Verstopfung der Nase und der Nasennebenhöhlen, die mit Erkältungs- und grippeartigen Symptomen einhergeht
Keine G-BABewertung
Rosuvastatin/ Amlodipin
Rosulod 01.02.2019
Aristo Pharma
Hypertonie
Keine G-BABewertung
bination (Dolutegravir, Abacavir, Lamivudin) (90 % versus 93 % der Patienten). Die zweite Studie zeigte ein fast identisches Ergebnis (93 % versus 94 % der Patienten). Die Zweifachkombination hatte eine numerisch geringere Nebenwirkungsrate als die Dreifachkombination (18 % versus 24 %). Zwei Todesfälle in der Zweifachkombinationsgruppe waren nicht therapiebedingt. Die frühe Nutzenbewertung von Dolutegravir-Lamivudin ergab keinen Zusatznutzen, weil die kein statistisch signifikanter Unterschied zur Dreifachkombination nachgewiesen wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2020zk). Die Bruttokosten von Dovato (3 30 Tabletten, Listenpreis 2.518,74 C, noch kein
Erstattungsbetrag, Dosis 1 Tablette/Tag) betragen 27,99 C pro Tag und 10.215 C pro Jahr (. Tab. 2.6).
2.3.3
Doxylamin/Pyridoxin
Die Zweifachkombination aus dem nichtsteroidalen Antiphlogistikum Doxylamin und dem Vitamin Pyridoxin (Cariban) ist angezeigt zur symptomatischen Behandlung von Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft bei Erwachsenen, die nicht auf konservatives Management reagieren. Die Kombination wurde am 3. Mai 2018 vom BfArM zugelassen und
135 2.3 Bekannte Wirkstoffe in neuen Kombinationen
am 1. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. In der Fachinformation werden klinische Erfahrungen mit der Kombination von Doxylamin und Pyridoxin in der Literatur ohne aktuelle Studiendaten mit dem neu zugelassenen Kombinationspräparat beschrieben. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GBA-Verfahrensordnung handelt. Die Bruttokosten von Cariban (24 Hartkapseln Doxylamin 10 mg und Pyridoxin 10 mg, Listenpreis 43,79 C, Dosis 2 Kps./Tag oral) betragen 3,65 C/Tag.
2.3.4
Empagliflozin/Linagliptin
Die Zweifachkombination aus dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin und dem DPP-4Inhibitor Linagliptin (Glyxambi) wird angewendet bei Erwachsenen ab 18 Jahren mit Typ2-Diabetes mellitus zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle, wenn Metformin und/oder Sulfonylharnstoff (SH) und eine der Monosubstanzen von Glyxambi zur Blutzuckerkontrolle nicht ausreichen, oder wenn der Patient bereits mit der freien Kombination von Empagliflozin und Linagliptin behandelt wird. Die Kombination wurde am 11. November 2016 von der EMA zugelassen und am 1. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Zwei Hauptstudien an Typ-2-Diabetes-Patienten bilden die Basis der Zulassung der neuen Kombination. In der ersten Studie an 686 Patienten wurde der HbA1c-Wert gegenüber dem Ausgangswert (primärer Endpunkt) nach 24 Wochen durch die EmpagliflozinLinagliptin-Kombination (täglich 25 mg/5 mg und 10 mg/5 mg oral) stärker gesenkt (1,19 und 1,08 %) als durch die Monotherapie mit Empagliflozin (täglich 25 oder 10 mg oral) und Linagliptin (5 mg/Tag oral) (0,62, 0,66 und 0,70 %) (DeFronzo et al. 2015). Die Nebenwirkungsraten waren in allen fünf Therapiearmen ähnlich und ohne therapiebedürftige Hypoglykämien. Ein ähnliches Ergebnis wurde
2
in einer Studie an 677 Patienten mit initialer Kombinationstherapie erzielt (Lewin et al. 2015). Die frühe Nutzenbewertung der Empagliflozin-Linagliptin-Kombination ergab keinen Zusatznutzen, weil keine Studien zum Vergleich der fixen Wirkstoffkombination mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie vorgelegt wurden (Bundesministerium für Gesundheit 2019zi). Die Bruttokosten von Glyxambi 25 mg/5 mg (100 Tabletten, Listenpreis 339,77 C, Erstattungsbetrag 239,93 C, Dosis 1 Tablette/Tag) betragen 2,40 C pro Tag und 876 C pro Jahr.
2.3.5
GinsengwurzelstockKombination
Bei der Ginsengwurzelstock-Kombination (Yamato Gast) handelt es sich um ein traditionelles pflanzliches Arzneimittel mit 8 Bestandteilen (1 Filmtablette enthält 265 mg Trockenextrakt DEV 3–6:1 aus einer Mischung von Ginsengwurzelstock, Atractylodes-japonica-Wurzelstock, Poria-Fruchtkörper, PinelliaRhizom, Citrus Unshiu Fruchtschale, Jujube-Früchte, Süßholzwurzel und Ingwerwurzelstock im Verhältnis 2:2:2:2:1:1:0,5:0,25) zur Linderung von leichten Magen-Darm-Beschwerden wie Appetitlosigkeit, Unwohlsein, Völlegefühl und Blähungen. Yamato Gast ist seit dem 3. Mai 2018 ausschließlich auf Grund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert und wurde am 1. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Nach den Angaben in der Fachinformation liegen keine präparatespezifischen pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Untersuchungen mit dem Kombinationspräparat vor. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GB-A-Verfahrensordnung handelt. Die Bruttokosten von Yamato Gast (126 Filmtabletten 265 mg, Listenpreis 42,14 C, Dosis 3mal 3 Tbl./Tag oral) betragen 3,02 C/Tag und lie-
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2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
gen damit deutlich höher als die Bruttokosten von zugelassenen Arzneimitteln mit einem ähnlichen Indikationsspektrum wie z. B. Simeticon (Lefax 100 Kautabletten 42 mg 18,49 C, Dosis 1–2 Kautbl. 3–4mal/Tag oral, 0,55–1,48 C/Tag).
2.3.6
Glycopyrroniumbromid/ Formoterolfumarat
sen. Die erste Zulassung von Formoterol (Oxis) wurde 1997 erteilt. Die Bruttokosten von Bevespi Aerosphere (3 Inhalatoren mit 120 Sprühstößen und 7,2 g Glycopyrronium/Formoterolfumaratdihydrat 5 g pro Sprühstoß, Listenpreis 222,61 C, Dosis 2 Sprühstöße 2mal/Tag) betragen 2,47 C/Tag und liegen damit in einem ähnlichen Bereich wie andere Glycopyrronium-Kombinationen (. Tab. 20.6).
2.3.7
Die Zweifachkombination aus dem langwirkenden Muscarinrezeptorantagonisten (LAMA) Glycopyrroniumbromid und dem langwirkenden Beta-Rezeptoragonisten (LABA) Formoterolfumarat (Bevespi Aerosphere) ist für die bronchodilatatorische Erhaltungstherapie zur Symptomlinderung bei erwachsenen Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) angezeigt. Die Kombination wurde am 18. Dezember 2018 von der EMA zugelassen und am 15. Dezember 2019 in Deutschland auf den Markt gebracht. Für die Zulassung wurden Wirksamkeit und Sicherheit des inhalativen Kombinationspräparats in mehreren Hauptstudien an über 5.000 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer COPD untersucht (Übersicht bei Al-Salama und Frampton 2019). In der ersten Studie an 2.103 Patienten verbesserte die Glycopyrronium-Formoterol-Kombination nach 24 Wochen die Lungenfunktion (FEV1) im Vergleich zu Glycopyrronium und Formoterol als Einzelsubstanzen (150 ml versus 59 ml und 65 ml). Es gab keine wesentlichen Unterschiede in der Häufigkeit der unerwünschten Ereignisse zwischen den Behandlungsarmen. Ähnliche Ergebnisse lieferten drei weitere klinische Studien. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GBAVerfahrensordnung handelt. Glycopyrronium (Robinul) wurde bereits 1983 zur Anwendung in der Anästhesie zur Hemmung der Speichelund Bronchialsekretion und zum Schutz vor Nebenwirkungen von Cholinergika zugelas-
Paracetamol/ Pseudoephedrin und Paracetamol/ Diphenhydramin
Das Kombinationspräparat (Wick DayNait) besteht aus einer Paracetamol-PseudoephedrinKombination (Tagtablette) und einer Paracetamol/Diphenhydramin-Kombination (Nachttablette) zur kurzzeitigen symptomatischen Behandlung der Verstopfung von Nase und Nasennebenhöhlen, die mit Erkältungs- und grippeartigen Symptomen einhergeht, wie z. B. Schmerzen, Kopfschmerzen und/oder Fieber und nur in Kombination mit Schmerzsymptomen zur Schlafenszeit, die Einschlafprobleme verursachen. Paracetamol ist ein antipyretisch wirkendes nichtopioides Analgetikum. Pseudoephedrin ist ein Ephedrinderivat aus der Gruppe der indirekten Sympathomimetika mit zentralstimulierenden und gefäßverengenden Wirkungen. Diphenhydramin ist ein sedierend wirkendes H1 -Antihistaminikum. Das Kombinationspräparat wurde am 19. Januar 2019 vom BfArM zugelassen und kam am 15. Juni 2019 in Deutschland auf den Markt. In der Fachinformation werden pharmakodynamische und pharmakokinetische Eigenschaften der drei Wirkstoffe ohne aktuelle Studiendaten mit der neu zugelassenen Kombination beschrieben. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GBA-Verfahrensordnung handelt. Die Bruttokosten von Wick DayNait (12 Tagtabletten mit Paracetamol 500 mg und Pseudoephe-
137
2
Literatur
drinhydrochlorid 60 mg pro Tablette, 4 Nacht- Literatur tabletten mit Paracetamol 500 mg und Diphenhydraminhydrochlorid 25 mg pro Tablette Adler LA, Goodman DW, Kollins SH, Weisler RH, Krishnan S, Zhang Y, Biederman J, 303 Study Group mit einem Packungspreis 13,99 C, Dosis 3mal (2008) Double-blind, placebo-controlled study of the 1 Tagtablette/Tag und 1 Nachttablette/Nacht) efficacy and safety of lisdexamfetamine dimesylate betragen 3,50 C pro Tag und liegen etwa dreiin adults with attention-deficit/hyperactivity disorder. mal so hoch wie Kosten einer freien KomJ Clin Psychiatry 69:1364–1373 bination der Einzelbestandteile Paracetamol Agerso H, Stennicke HR, Pelzer H, Olsen EN, Merricks EP, Defriess NA, Nichols TC, Ezban M (2012) Phar(Paracetamol AL 20 Tabletten 500 mg 1,98 C) macokinetics and pharmacodynamics of turoctocog und Diphenhydramin (Medpex Diphenhydraalfa and N8-GP in haemophilia A dogs. Haemophilia min 20 Tabletten 50 mg teilbar 3,93 C) mit 18:941–947 0,37 C/Tag. Al-Salama ZT (2018) Apalutamide: a review in non-
2.3.8
Rosuvastatin/Amlodipin
Die Zweifachkombination aus dem HMGCoA-Reduktasehemmer Rosuvastatin und dem langwirkenden Calciumantagonisten Amlodipin (Rosulod) wurde am 4. Juli 2018 vom BfArM als Substitutionstherapie zur Behandlung von Hypertonie bei erwachsenen Patienten zugelassen, deren Blutdruck bei gleichzeitiger Gabe von Rosuvastatin und Amlodipin als Einzeltabletten in der gleichen Dosisstärke wie im Kombinationspräparat ausreichend eingestellt ist. Die Markteinführung der Kombination in Deutschland erfolgte am 1. Februar 2019. In der Fachinformation werden pharmakodynamische und pharmakokinetische Eigenschaften der beiden Wirkstoffe ohne aktuelle Studiendaten mit der neu zugelassenen Kombination beschrieben. Eine frühe Nutzenbewertung wurde nicht durchgeführt, weil es sich nicht um neue patentgeschützte Wirkstoffe im Sinne der GB-A-Verfahrensordnung handelt. Die Bruttokosten von Rosulod (100 Hartkapseln mit Rosuvastatin 20 mg und Amlodipin 10 mg, Listenpreis 79,96 C, Dosis 1 Kps./Tag oral) betragen 0,80 C/Tag und liegen damit mehr als doppelt so hoch wie Kosten einer freien Kombination der Einzelbestandteile Rosuvastatin (Rosuvastatin Denk 100 Tabletten 20 mg 25,09 C) und Amlodipin (Amlodipin AbZ 100 Tabletten 10 mg 11,54 C) mit 0,37 C/Tag.
metastatic castration-resistant prostate cancer. Drugs 79:1591–1598 Al-Salama ZT, Frampton JE (2019) Glycopyrronium/formoterol: a review in COPD. Drugs 79:1455–1466 Appleton RE, Peters AC, Mumford JP, Shaw DE (1999) Randomised, placebo-controlled study of vigabatrin as first-line treatment of infantile spasms. Epilepsia 40:1627–1633 Baass A, Paquette M, Bernard S, Hegele RA (2020) Familial chylomicronemia syndrome an under-recognized cause of severe hypertriglyceridaemia. J Intern Med 287:340–348 Bachert C, Han JK, Desrosiers M, Hellings PW, Amin N, Lee SE, Mullol J, Greos LS, Bosso JV, Laidlaw TM, Cervin AU, Maspero JF, Hopkins C, Olze H, Canonica GW, Paggiaro P, Cho SH, Fokkens WJ, Fujieda S, Zhang M, Lu X, Fan C, Draikiwicz S, Kamat SA, Khan A, Pirozzi G, Patel N, Graham NMH, Ruddy M, Staudinger H, Weinreich D, Stahl N, Yancopoulos GD, Mannent LP (2019) Efficacy and safety of dupilumab in patients with severe chronic rhinosinusitis with nasal polyps (LIBERTY NP SINUS-24 and LIBERTY NP SINUS-52) results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, parallel-group phase 3 trials. Lancet 394:1638–1650 Banerji A, Riedl MA, Bernstein JA, Cicardi M, Longhurst HJ, Zuraw BL, Busse PJ, Anderson J, Magerl M, Martinez-Saguer I, Davis-Lorton M, Zanichelli A, Li HH, Craig T, Jacobs J, Johnston DT, Shapiro R, Yang WH, Lumry WR, Manning ME, Schwartz LB, Shennak M, Soteres D, Zaragoza-Urdaz RH, Gierer S, Smith AM, Tachdjian R, Wedner HJ, Hebert J, Rehman SM, Staubach P, Schranz J, Baptista J, Nothaft W, Maurer M (2018) Effect of lanadelumab compared with placebo on prevention of hereditary angioedema attacks: a randomized clinical trial. JAMA 320:2108– 2121 Baumgart DC, Sandborn WJ (2012) Crohn’s disease. Lancet 380:1590–1605 Beelen DW, Trenschel R, Stelljes M, Groth C, Masszi T, Reményi P, Wagner-Drouet EM, Hauptrock B, Dreger P, Luft T, Bethge W, Vogel W, Ciceri F, Peccatori J, Stölzel F, Schetelig J, Junghanß C, Grosse-Thie C,
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2
Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Michallet M, Labussiere-Wallet H, Schaefer-Eckart K, Dressler S, Grigoleit GU, Mielke S, Scheid C, Holtick U, Patriarca F, Medeot M, Rambaldi A, Micò MC, Niederwieser D, Franke GN, Hilgendorf I, Winkelmann NR, Russo D, Socié G, Peffault de Latour R, Holler E, Wolff D, Glass B, Casper J, Wulf G, Menzel H, Basara N, Bieniaszewska M, Stuhler G, Verbeek M, Grass S, Iori AP, Finke J, Benedetti F, Pichlmeier U, Hemmelmann C, Tribanek M, Klein A, Mylius HA, Baumgart J, Dzierzak-Mietla M, Markiewicz M (2020) Treosulfan or busulfan plus fludarabine as conditioning treatment before allogeneic haemopoietic stem cell transplantation for older patients with acute myeloid leukaemia or myelodysplastic syndrome (MC-FludT.14/L) a randomised, non-inferiority, phase 3 trial. Lancet Haematol 7:e28– e39 Biederbick W, Fock R, Güttler K, Veit C (2002) Infektionen durch Bacillus anthracis. Dtsch Med Wochenschr 127:809–814 Boehnke WH, Schön MP (2015) Psoriasis. Lancet 386:983–994 Bonig H, Kuçi Z, Kuçi S, Bakhtiar S, Basu O, Bug G, Dennis M, Greil J, Barta A, Kállay KM, Lang P, Lucchini G, Pol R, Schulz A, Sykora KW, Teichert von Luettichau I, Herter-Sprie G, Ashab Uddin M, Jenkin P, Alsultan A, Buechner J, Stein J, Kelemen A, Jarisch A, Soerensen J, Salzmann-Manrique E, Hutter M, Schäfer R, Seifried E, Paneesha S, Novitzky-Basso I, Gefen A, Nevo N, Beutel G, Schlegel PG, Klingebiel T, Bader P (2019) Children and adults with refractory acute graft-versus-host disease respond to treatment with the mesenchymal stromal cell preparation “MSC-FFM”—Outcome report of 92 patients. Cells 8(12):1577. https://doi.org/10.3390/cells8121577 Bork K, Aygören-Pürsün E, Bas M, Biedermann T, Greve J, Hartmann K, Magerl M, Martinez-Saguer I, Maurer M, Ott H, Schauf L, Staubach P, Wedi B (2019) Leitlinie: Hereditäres Angioödem durch C1-InhibitorMangel. Allergo J Int 42(4):2816–2829 Børset M (2019) Tumour-agnostic drugs and future cancer treatment. Tidsskr Nor Laegeforen. https://doi.org/10. 4045/tidsskr.19.0005 Brachman PS, Gold H, Plotkin SA, Fekety FR, Werrin M, Ingraham NR (1962) Field evaluation of a human anthrax vaccine. Am J Public Health Nations Health 52:632–645 Brandon A, Mufti A, Gary Sibbald R (2019) Diagnosis and management of cutaneous psoriasis: a review. Adv Skin Wound Care 32:58–69 Bundesministerium für Gesundheit (2018) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Darvadstrocel vom 22. November 2018, BAnz 14.12.2018 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2019a) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
Bundesministerium für Gesundheit (2019zg) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Ribociclib (neues Anwendungsgebiet: Brustkrebs, in Kombination mit Fulvestrant) vom 4. Juli 2019, BAnz AT 26.08.2019 B7 Bundesministerium für Gesundheit (2019zi) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Empagliflozin/Linagliptin vom 22. November 2019, BAnz AT 24.12.2019 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020a) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Andexanet alfa vom 20. Februar 2020, BAnz AT 27.03.2020 B4 Bundesministerium für Gesundheit (2020b) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Cannabidiol (Dravet-Syndrom, 2 Jahre) vom 2. April 2020, BAnz AT 14.05.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020c) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Cannabidiol (Lennox-Gastaut-Syndrom, 2 Jahre) vom 2. April 2020, BAnz AT 14.05.2020 B4 Bundesministerium für Gesundheit (2020d) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Cemiplimab vom 6. Februar 2020, BAnz AT 04.03.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020e) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Gilteritinib (Akute myeloische Leukämie, FLT3-Mutation) vom 14. Mai 2020, BAnz BAnz AT 26.06.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020f) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Larotrectinib (solide Tumore, Histologie-unabhängig) vom 2. April 2020, BAnz AT 28.05.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020g) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Neratinib vom 14. Mai 2020, BAnz AT 15.06.2020 B2 Bundesministerium für Gesundheit (2020h) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Pegvaliase vom 19. Dezember 2019, BAnz AT 27.01.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020i) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Ravulizumab vom 6. Februar 2020, BAnz AT 16.03.2020 B1
Bundesministerium für Gesundheit (2020j) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Risankizumab vom 22. November 2019, BAnz AT 06.01.2020 B1 Bundesministerium für Gesundheit (2020k) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Ropeginterferon alfa-2b vom 5. März 2020, BAnz AT 04.06.2020 B3 Bundesministerium für Gesundheit (2020l) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Turoctocog alfa pegol vom 6. Februar 2020, BAnz AT 24.03.2020 B5 Bundesministerium für Gesundheit (2020m) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Volanesorsen vom 20. Februar 2020, BAnz AT 27.04.2020 B4 Bundesministerium für Gesundheit (2020n) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Atezolizumab (neues Anwendungsgebiet: NSCLC, nicht-plattenepithelial, 1. Linie, Kombination mit Bevacizumab, Paclitaxel und Carboplatin) vom 2. April 2020, BAnz AT 07.05.2020 B4 Bundesministerium für Gesundheit (2020o) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Atezolizumab (neues Anwendungsgebiet: Mammakarzinom, triple-negativ, PD-L1-Expression 1%) vom 2. April 2020, BAnz AT 16.06.2020 B2 Bundesministerium für Gesundheit (2020p) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Atezolizumab (neues Anwendungsgebiet: NSCLC, nicht-plattenepithelial, 1. Linie, Kombination mit nabPaclitaxel und Carboplatin) vom 2. April 2020, BAnz AT 26.05.2020 B2 Bundesministerium für Gesundheit (2020q) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Atezolizumab (neues Anwendungsgebiet: fortgeschrittenes, kleinzelliges Lungenkarzinom, Erstlinie, Kombination mit Carboplatin und Etoposid) vom 2. April 2020, BAnz AT 28.05.2020 B1 Bundesministerium für Gesundheit (2020r) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Avelumab (neues Anwendungsgebiet: Nierenzellkarzinom, Erstlinie, Kombination mit Axitinib) vom 14. Mai 2020 Bundesministerium für Gesundheit (2020s) Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) – Belimumab (Systemischer Lupus erythemato-
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Kapitel 2 Neue Arzneimittel 2019
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Literatur
Biosimilars ist, lässt sich nicht beurteilen. Allerdings werden seit Jahren in manchen KVRegionen auffällig höhere Verordnungsanteile im Vergleich mit den anderen KV-Regionen erzielt. Vor diesem Hintergrund sind die einzelnen Regionen besonders gefordert. Um eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten, müssen Instrumente wie Biosimilarquoten mit unabhängigen Arzneimittelinformationen gekoppelt und in geeigneter Weise Ärzten in der Praxis vermittelt werden. Dies ist auch deswegen dringend erforderlich, da durch GSAV im Juni 2019 auch der § 84 Abs. 1 geändert wurde. Demnach sind Versorgungs- und Wirtschaftlichkeitsziele und konkrete, auf die Umsetzung dieser Ziele ausgerichtete Maßnahmen, wie z. B. Verordnungsanteile u. a. auch für „im Wesentlichen gleiche biologische Arzneimittel“ [Biosimilars] verpflichtend für alle KV-Regionen vorgesehen. Damit möchte das Bundesministerium für Gesundheit den regional bestehenden erheblichen Unterschieden in den Verordnungsquoten von Biosimilars entgegenwirken (Bundesministerium für Gesundheit 2019).
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4
Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Wolf-Dieter Ludwig
Auf einen Blick
Am 11. November 2010 wurde das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) verabschiedet und ab dem Januar 2011 die frühe Nutzenbewertung (FNB) zur leistungsgerechten Preisfindung von neuen patentgeschützten Arzneimitteln als neue Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses etabliert. Ziel dieses Buchbeitrags ist es, fast 10 Jahre nach Einführung des AMNOG aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) kritisch zu hinterfragen, ob das übergeordnete Ziel dieses Gesetzes – nämlich die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung in Deutschland – erreicht werden konnte bzw. welche gesetzlichen Anpassungen aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Arzneimittelmarkt sowie bei den Zulassungsverfahren für neue Arznei-
Das Kapitel erscheint mit ähnlichem Text in der Publikation Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 32), Andreas Storm (Herausgeber) AMNOG-Report 2020. medhochzwei Verlag, Heidelberg (Mit freundlicher Genehmigung)
mittel in Europa notwendig sind. Am Beispiel der Onkologika, darunter zahlreiche Orphan-Arzneimittel, wird auf die Mängel hingewiesen in den für diese Wirkstoffgruppe relevanten („pivotal“) Zulassungsstudien und den daraus sich ergebenden Schwierigkeiten bei der Bewertung ihres Zusatznutzens. Die vermeintlichen Schwachpunkte der frühen Nutzenbewertung werden besprochen ebenso wie die in den letzten Jahren erfolgten Anpassungen und Änderungen im AMNOG-Verfahren. Abschließend werden die aus Sicht der AkdÄ wichtigsten Zukunftsthemen für die Weiterentwicklung des im Rahmen des AMNOG festgelegten Verfahrens der FNB kurz dargestellt.
4.1
Einleitung
Angesichts der deutlich gestiegenen Arzneimittelausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die seit dem Jahr 2001 über den Ausgaben für ärztliche Behandlung lagen, wurde am 11. November 2010 das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_4
186
4
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
(AMNOG) verabschiedet, das laut einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) einen „Dreiklang aus strukturellen Veränderungen, dem Abbau von Überregulierung und kurzfristigen Einsparungen“ zum Ziel hatte (Der Arzneimittelbrief 2010; Bundesministerium für Gesundheit 2010a). Im Rahmen der Regelungen im AMNOG wurde ab dem Jahr 2011 die FNB zur leistungsgerechten Preisfindung von neuen patentgeschützten Arzneimitteln als wichtige Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) etabliert (Hecken 2017) mit dem Ziel, eine zweckmäßige, qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung sicherzustellen (von Stackelberg et al. 2016). Die FNB verpflichtet den pharmazeutischen Unternehmer (pU) seit dem 1. Januar 2011, unmittelbar nach Markteintritt seines erstattungsfähigen Arzneimittels mit neuem Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen (§ 35a SGB V 2020). Detaillierte Angaben und Ergebnisse der bisher durchgeführten Verfahren der FNB sowie zu den Ergebnissen der AMNOG-Erstattungsverfahren finden sich auf der Homepage des G-BA (7 https://www.g-ba.de/). Weitere Analysen sind regelmäßig erschienen u. a. in Buchkapiteln des Arzneiverordnungs-Reports (seit 2012 zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln und seit 2016 zu den Ergebnissen des AMNOG-Erstattungsverfahrens) und in den AMNOG-Reporten der DAK-Gesundheit. Einen Überblick zu den insgesamt 111 Verfahren der frühen Nutzenbewertung (FNB), an denen sich die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) als zur Stellungnahme berechtigte Institution im Zeitraum von 2011 bis 2018 beteiligt hat, gibt ein Artikel, der im März 2019 in dem unabhängigen Informationsblatt der AkdÄ veröffentlicht wurde (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019). Ziel dieses Buchbeitrags ist es, fast 10 Jahre nach Einführung des AMNOG aus Sicht der AkdÄ anhand der bisher durchgeführten Nutzenbewertungen zu hinterfragen, ob das
übergeordnete Ziel dieses Gesetzes – nämlich die Sicherstellung einer zweckmäßigen, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung in Deutschland – erreicht werden konnte und welche Veränderungen im AMNOG-Verfahren bereits erfolgt bzw. noch notwendig sind. Für die Bewertung und Interpretation der Ergebnisse der FNB von neuen Arzneimitteln ist es wichtig, zunächst kurz auf die Entwicklungen im Arzneimittelmarkt seit 2011 einzugehen, ebenso wie auf die seit 1995 sukzessive in der Europäischen Union (EU) eingeführten beschleunigten Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel. Die aus den Trends im Arzneimittelmarkt und den zunehmend beschleunigten Zulassungsverfahren resultierenden Probleme werden kurz dargestellt und diskutiert anhand der Ergebnisse der FNB für die heute unter den neuen Arzneimitteln stetig ansteigende Zahl der Wirkstoffe zur Behandlung von Krebserkrankungen (Onkologika) und seltenen Leiden (Orphan-Arzneimittel). Abschließend widmet sich dieser Beitrag Problemen der FNB und häufig geäußerter Kritik am AMNOG-Verfahren und stellt Vorschläge vor, welche Änderungen noch erforderlich sind, um im Sinne eines „lernenden Systems“ das AMNOG-Verfahren weiterzuentwickeln. 4.2
Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel in Europa
Seit Inkrafttreten des AMNOG im Jahr 2011 sind verschiedene Entwicklungen im Arzneimittelmarkt zu beobachten, die für die Interpretation der Ergebnisse der FNB relevant sind. Im Jahr 2010 vor Einführung des AMNOG wurden 23 Arzneimittel mit neuem Wirkstoff in Deutschland auf den Markt gebracht (Fricke und Schwabe 2011), darunter 6 Orphan-Arzneimittel und 4 Onkologika. Nur drei dieser neuen Arzneimittel wur-
187 4.2 Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren
den nach beschleunigten Verfahren zugelassen. Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für patentgeschützte Arzneimittel betrugen 2010 14,2 Mrd. C für insgesamt 72 Mio. Verordnungen und unter den 30 umsatzstärksten Arzneimitteln befanden sich nur 2 Onkologika: Imatinib und Anastrozol (Schwabe 2011). Im Vergleich zu 2010 wurden 2018 37 neue Wirkstoffe in Deutschland auf den Markt gebracht (davon 13 als OrphanArzneimittel und 9 Onkologika) und trotz AMNOG sind die Ausgaben der GKV für patentgeschützte Arzneimittel im Jahr 2018 deutlich gestiegen – auf 19,8 Mrd. C – und gleichzeitig haben sich die Verordnungen verringert auf 42 Mio. Umsatzstärkste Arzneimittelgruppe sind seit 2014 die Onkologika mit Kosten im Jahr 2018 von 7,01 Mrd. C. Dabei ist zu berücksichtigen, dass seit 2012 die Umsätze neben Fertigarzneimitteln auch einen größeren Anteil von Rezeptur-Arzneimitteln – häufig Onkologika – enthalten (Schwabe et al. 2019). Diese Kostensteigerung bei Onkologika findet sich auch beim Vergleich der 50 umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel im Jahr 2010 mit den 40 umsatzstärksten Arzneimittelgruppen im Jahr 2018. Während 2010 nur fünf der insgesamt 50 umsatzstärksten Arzneimittel Onkologika waren, befinden sich 2018 in der Gruppe der führenden 30 Arzneimittel (hinsichtlich Nettokosten) jetzt 11 Onkologika. Dabei entfällt der größte Anteil inzwischen auf monoklonale Antikörper sowie ProteinkinaseInhibitoren (4,3 Mrd. C) und die höchste Kostensteigerungsrate wird verursacht durch hochpreisige, über längere Zeiträume verabreichte Kombinationstherapien (z. B. zur Behandlung des Multiplen Myeloms: 687 Mio. C). Auch bei den 37 neuen Wirkstoffen, die im Jahr 2018 in Deutschland auf den Markt gebracht wurden, zeigen sich erhebliche Unterschiede gegenüber den Auswertungen im Jahr 2010 (Fricke et al. 2019). Für die Behandlung onkologischer bzw. hämatologischer Erkrankungen wurden 14 Arzneimittel und als OrphanArzneimittel inzwischen fast ein Drittel der neuen Wirkstoffe (13 von 37) zugelassen –
4
häufig nach beschleunigten Verfahren (Ludwig 2019a). Diese Zahlen belegen einen Trend, der auch in den Jahren vor 2018 bereits zu beobachten war. In der Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe konzentrieren sich pharmazeutische Unternehmer (pU) heute zunehmend auf Indikationen, die ökonomisch lukrativ für sie sind (neben Krebserkrankungen vor allem chronisch-entzündlich verlaufende Erkrankungen) und aufgrund der demographischen Entwicklung auch künftig häufig auftreten und/ oder für deren beschleunigte Zulassung finanzielle bzw. regulatorische Anreize von der Politik geschaffen wurden (z. B. Verordnung für Orphan-Arzneimittel: kostenlose wissenschaftliche Beratung, Befreiung oder Ermäßigung von Gebühren im Zulassungsverfahren, Marktexklusivität für 10 Jahre). Forschung und Entwicklung in anderen Anwendungsgebieten mit großem Bedarf hinsichtlich besser wirksamer und verträglicher medikamentösen Therapieoptionen („unmet medical need“), wie beispielsweise Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen oder Erkrankungen des zentralen Nervensystems, werden demgegenüber von pU aufgrund aufwendiger Forschung und Entwicklung für diese Indikationen meist vernachlässigt. Die heute von pU vorwiegend entwickelten und von ihnen meist als Innovation bezeichneten Wirkstoffe erfüllen jedoch häufig nicht die Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für ein innovatives Arzneimittel: Es handelt sich um ein neues Arzneimittel zur Behandlung bisher nicht oder nur unzureichend behandelbarer Krankheiten, das besser wirksam bzw. verträglich ist als die verfügbaren Wirkstoffe oder aber Vorteile für die Patienten bei der Applikation bzw. Einnahme bietet (OECD 2018). Per se nicht als innovativ bezeichnet werden sollte demgegenüber ein neues Arzneimittel, das keinen zusätzlichen Nutzen gegenüber bereits existierenden Therapien aufweist. Grundsätzlich wird für beschleunigte und reguläre Zulassungen in der EU verlangt, dass
188
4
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
wissenschaftliche Nachweise zur pharmazeutischen Qualität, Wirksamkeit und medizinischen Unbedenklichkeit (Sicherheit) eines neuen Wirkstoffs zu erbringen sind und die für die Zulassung relevanten klinischen Studien in der Regel als „kontrollierte klinische Prüfung“ bzw. – soweit möglich – randomisiert durchgeführt werden sollten (Ludwig 2019a). Dabei ist im Vergleich mit dem neuen Wirkstoff je nach Einzelfall ein Placebo heranzuziehen oder aber ein bereits bekanntes Arzneimittel mit nachgewiesenermaßen therapeutischem Wert. Die derzeitige Arzneimittelgesetzgebung in der EU verlangt jedoch nicht explizit, dass neue Arzneimittel verglichen werden mit den häufig bereits auf dem Markt vorhandenen alternativen Wirkstoffen. Der im Zusammenhang mit dem AMNOG-Verfahren gelegentlich erhobenen Forderung, nur neue Arzneimittel mit einem bewiesenen Zusatznutzen („added therapeutic benefit“) zuzulassen, wurde von führenden Vertretern der Europäischen ArzneimittelAgentur (EMA) jedoch widersprochen, da dies die wissenschaftlich gerechtfertigte Flexibilität bei der Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln beeinträchtigen würde (Eichler et al. 2019). Stattdessen wurde ein als „evidence by design“ bezeichnetes Vorgehen empfohlen, dass eine Quantifizierung des nachzuweisenden Zusatznutzens vor Beginn der für die Zulassung relevanten Studie vorsieht. Als Gründe für das Festhalten an den für die Zulassung derzeit gültigen regulatorischen Anforderungen – der Nutzen („benefit“) eines neuen Arzneimittels überwiegt dessen Risiken – werden von der EMA vor allem vier Gründe genannt: 4 Das Kriterium des belegten Zusatznutzens zum Zeitpunkt der Zulassung würde den Markteintritt von sogenannten „me too“ Arzneimitteln verhindern, die aber aufgrund von Unterschieden im Sicherheitsprofil, in den Arzneimittelinteraktionen und/oder in ihrer Wirksamkeit im Rahmen der Verordnung neuer Arzneimittel benötigt werden. 4 Aufgrund bekannter oder auch noch unbekannter Patientenmerkmale kann sich
das Ansprechen individueller Patienten auf unterschiedliche Arzneimittel einer Wirkstoffklasse unterscheiden. 4 Die Patientenpräferenzen (z. B. hinsichtlich Maximierung der Wirksamkeit bzw. Minimierung von Nebenwirkungen) unterscheiden sich und nur ein zugelassenes Arzneimittel einer Wirkstoffgruppe würde eine individuelle Auswahl für Patienten und Ärzte unmöglich machen. 4 Das Kriterium des etablierten Zusatznutzens würde auch dem Ziel, die Kosten für Arzneimittel stärker zu kontrollieren, widersprechen, da mehrere ähnliche Arzneimittel auf dem Markt zu einer Erniedrigung der Preise beitragen könnten und Monopole verhindern würden. Von den Zulassungsbehörden – zunächst von der Food and Drug Administration (FDA) in den USA und später auch in Europa von der EMA – wurden in den letzten 25 Jahren mehrere beschleunigte Zulassungsverfahren etabliert mit dem Ziel, Patienten mit schweren Erkrankungen einen rechtzeitigen Zugang zu neuen Arzneimitteln zu ermöglichen (Ludwig 2019a). Die Vorreiterrolle der FDA bei der Etablierung beschleunigter Zulassungsverfahren resultierte im Wesentlichen aus dem Druck von Interessengruppen, neue Wirkstoffe zur Behandlung von AIDS rasch den Patienten zur Verfügung zu stellen. Dabei sollte jedoch ausreichende klinische Evidenz für die Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels – in der Regel aus mehr als einer kontrollierten klinischen Prüfung vor der Zulassung – vorliegen und angesichts des schnelleren Markteintritts vielversprechender Wirkstoffe zur Behandlung schwerer Erkrankungen nach Zulassung eine kontinuierliche Überwachung ihrer Wirksamkeit und Sicherheit erfolgen. In der EU existieren derzeit neben der Verordnung für Orphan-Arzneimittel (Ludwig 2019b; Ludwig und Schwabe 2019) vier unterschiedliche Verfahren für eine beschleunigte Zulassung neuer Arzneimittel – bedingte Zulassung, Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen, beschleunigte Beurteilung sowie
189 4.2 Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren
PRIME (PRIORITY MEDICINES) –, die zunächst mit der Zulassung unter außergewöhnlichen Umständen im Jahr 1995 sukzessive eingeführt wurden. Sehr relevant für die Interpretation der Ergebnisse der FNB ist auch die genaue Kenntnis der Anforderungen an Arzneimittel, die nach den derzeit existierenden Verfahren für eine beschleunigte Zulassung bzw. Verordnung für Orphan-Arzneimittel auf den Markt gekommen sind. Eine ausführliche und aktuelle Darstellung der beschleunigten Zulassungsverfahren in der EU, der häufig begrenzten Kenntnisse über Wirksamkeit und Sicherheit der demengemäß zugelassenen neuen Arzneimittel sowie der Anforderungen an die Ausweisung und Zulassung von Orphan-Arzneimitteln finden sich im Arzneiverordnungs-Report 2019 (Ludwig 2019b). Ähnliche Ergebnisse zu der zum Zeitpunkt der Zulassung häufig unzureichend belegten Wirksamkeit und Sicherheit von Orphan-Arzneimitteln finden sich auch in Publikationen aus den USA (Kesselheim et al. 2011; Sarpatwari und Kesselheim 2019). Der von pU immer wieder reklamierte, angeblich durch die Zulassung bereits belegte Zusatznutzen von Orphan-Arzneimitteln (Sydow und Throm 2019) konnte auch in Untersuchungen zehn Jahre nach der Zulassung nicht immer durch aussagekräftige Erkenntnisse aus klinischen Studien nachgewiesen werden (Joppi et al. 2013, 2016). Die Ursachen für eine unzureichende oder begrenzte Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel zum Zeitpunkt der Zulassung werden in kritischen Kommentaren zu den Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung in Deutschland (z. B. nicht belegter Zusatznutzen bzw. nicht quantifizierbar Zusatznutzen) meist verschwiegen bzw. nicht ausreichend analysiert. Die Zulassungen in der Onkologie basieren meist auf den Ergebnissen von nur einer, fast immer vom pU gesponserten und konzipierten klinischen Studie, die überwiegend als offene und eher selten als doppelblinde, randomisierte, kontrollierte Studie durchgeführt wurde. Bei der Mehrzahl dieser Arzneimittel war zum Zeitpunkt der Zulassung
4
eine Verlängerung des Überlebens oder eine Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität nicht belegt (Ludwig 2020). Ein Umdenken bei der Zulassung neuer Arzneimittel in Europa ist deshalb erforderlich, damit zum Zeitpunkt der Zulassung ausreichende Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit zur Verfügung steht. Es sollten deshalb wieder vermehrt aktiv-kontrollierte Phase-III-Studien durchgeführt werden, in denen – sofern möglich – neue Wirkstoffe mit etablierten medikamentösen Therapien in Phase-III-Studien verglichen werden anhand klinischer Endpunkte, die für Patienten relevant sind. Dies erfordert aber Änderungen sowohl auf Ebene der EU – beispielsweise durch Beseitigung der offensichtlichen Mängel im derzeitigen Zulassungsverfahren und sinnvolle Anpassung der regulatorischen Anforderungen – als auch auf der politischen Ebene durch klare Benennung von Indikationen mit fehlenden oder unzureichenden medikamentösen Therapiemöglichkeiten und dementsprechend stärkerer Ausrichtung der Forschung und Entwicklung an diesen Indikationen. Dies soll im Folgenden kurz am Beispiel der onkologischen Arzneimittel – darunter auch zahlreiche Orphan-Arzneimittel – erläutert werden. Systematische Übersichtsarbeiten aus den USA und Europa haben wiederholt auf die Mängel hingewiesen in den für Onkologika relevanten („pivotal“) Zulassungsstudien, die die Übertragbarkeit vieler Ergebnisse zu neuen Wirkstoffen auf die Behandlung von Patienten unter Alltagsbedingungen in Klinik oder Praxis (externe Validität) erheblich einschränken. Hierzu zählen vor allem: sehr eng gefasste Ein- und Ausschlusskriterien, die überwiegende Verwendung von Surrogat- (z. B. Ansprechrate und progressionsfreies Überleben) bzw. kombinierten Endpunkten statt des Nachweises von Überlegenheit in patientenrelevanten Endpunkten (z. B. Verlängerung der Überlebenszeit oder Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität) und die meist sehr kurzen Zeiträume der Behandlung bzw. Nachbeobachtung (z. B. Prasad et al. 2015; Gyawali et al. 2019; Naci et al. 2019; Chen
190
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
erheblich: 1
nicht belegt: 7
Anzahl Beschlüsse: 117
beträchtlich: 20
4 117
gering: 22 nicht quantifizierbar: 67
. Abb. 4.1 AMNOG – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Ausmaß des Zusatznutzens – Orphan-Arzneimittel (Stand: 14. Mai 2020)
et al. 2020). Infolge dieser beschleunigten Verfahren verkürzen sich die Zeiträume für die klinische Forschung und/oder die Begutachtung der für die Zulassung eingereichten Unterlagen. Die bei Zulassung vorliegende Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit erlaubt häufig nicht eine fundierte endgültige Nutzenbewertung neuer Onkologika bzw. Orphan-Arzneimittel. Die FNB von Orphan-Arzneimitteln wird in Deutschland maßgeblich durch die gesetzliche Vorgabe geprägt, dass der medizinische Zusatznutzen gemäß AMNOG durch die europäische Zulassung als belegt gilt (Bundesministerium für Gesundheit 2010b). Dadurch unterscheiden sich die Nutzenbewertungen bei Orphan-Arzneimitteln deutlich von den Ergebnissen der Nicht-Orphan-Arzneimittel. Bei etwa 25 % der von der EMA im Zeitraum 2011–2018 zugelassenen Orphan-Arzneimittel erfolgte keine FNB, da es sich nicht um Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen gemäß § 35a SGB V handelte, bei denen also kein Unterlagenschutz für das erstmalig zugelassene
Arzneimittel mit dem Wirkstoff besteht (Ludwig 2019b). Die derzeit vorliegenden 117 Beschlüsse zur FNB von Orphan-Arzneimitteln zeigen, dass bei mehr als der Hälfte dieser Wirkstoffe ein nicht quantifizierbarer (N = 67) bzw. nicht belegter Zusatznutzen festgestellt wurde und nur bei 20 Arzneimitteln ein beträchtlicher bzw. bei einem Orphan-Arzneimittel sogar ein erheblicher Zusatznutzen konstatiert wurde (. Abb. 4.1). Angesichts dieser enttäuschenden Ergebnisse in der FNB von Orphan-Arzneimitteln, die von pU bereits seit mehreren Jahren aufgrund der erleichterten Anforderungen an die Zulassung (s. o.) und des steten Umsatzwachstums infolge hoher Preise als sehr lukratives Geschäftsfeld entdeckt wurden, gilt es jetzt – auch um einen weiteren Missbrauch der bestehenden Regularien zu verhindern – wirksame Reformen in Europa (auch den USA) für die Ausweisung und Zulassung von Orphan-Arzneimitteln rasch umzusetzen (Ludwig 2019b; Sarpatwari und Kesselheim 2019).
191 4.2 Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren
erheblich: 3
geringer als ZVT: 2
4
Anzahl Beschlüsse: 471
beträchtlich: 92
471
gering: 83
nicht belegt: 200 nicht quantifizierbar: 91
. Abb. 4.2 AMNOG – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Ausmaß des Zusatznutzens; ZVT zweckmäßige Vergleichstherapie (Stand: 14. Mai 2020)
Weitere Probleme, die derzeit im Rahmen der frühen Nutzenbewertung infolge der zunehmend beschleunigten Zulassungsverfahren bei neuen Arzneimitteln zu beobachten sind, verdeutlicht eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (Wieseler et al. 2019). Analysiert wurde der Zusatznutzen der in den Jahren 2011–2017 neu auf den deutschen Markt gekommenen 216 Arzneimittel, darunter 152 mit neuen Wirkstoffen und 64 Arzneimittel, die für eine neue Indikation zugelassen wurden. Nur für 54 der 216 Arzneimittel (25 %) wurde ein erheblicher oder beträchtlicher Zusatznutzen konstatiert, wohingegen bei 125 Arzneimitteln die zum Zeitpunkt der Zulassung vorliegende Evidenz keinen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie hinsichtlich Mortalität, Morbidität oder gesundheitsbezogener Lebensqualität ergab. Dieser fehlende Zusatznutzen wurde besonders häufig bei Arzneimitteln zur Behandlung von Diabetes oder neurologischen bzw. psychiatrischen Krankheiten be-
obachtet. Ein Grund hierfür könnte sein, dass im Rahmen der Zulassungsstudien bei diesen Indikationen häufig weiterhin Placebo als Vergleichsarm akzeptiert wird. Ähnliche Ergebnisse zeigen die aktuelle Auswertung aller G-BA Beschlüsse zu neuen Wirkstoffen bzw. Arzneimitteln mit neuer Indikation (N = 471, Stand: 14. Mai 2020) zum Ausmaß des Zusatznutzens. Nur bei etwa 20 % dieser Arzneimittel wurde ein beträchtlicher oder – sehr selten – ein erheblicher Zusatznutzen konstatiert (. Abb. 4.2). Die AkdÄ hat sich an etwa einem Drittel dieser Verfahren zur FNB beteiligt und den Zusatznutzen ebenfalls nur in 21 % als erheblich oder beträchtlich bewertet (. Abb. 4.3). Die Konzentration der pU auf die Entwicklung onkologischer Arzneimittel wird auch in der Untersuchung des IQWiG deutlich an der Zahl der im o. g. Zeitraum auf den Markt gekommenen Onkologika: mehr als ein Drittel (N = 82) der insgesamt 216 Arzneimittel (Wieseler et al. 2019). Die Bewertung des Zusatznutzens dieser Arzneimittel in der FNB fiel
192
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
keine Bewertung/Aussage: 5
erheblich: 4
geringer als ZVT: 1
AkdÄ-Stellungnahmen: 154 Anzahl Beschlüsse: 149
beträchtlich: 27
4 149
gering: 15
nicht belegt: 72
nicht quantifizierbar: 25
. Abb. 4.3 AMNOG – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Ausmaß des Zusatznutzens in Verfahren mit Beteiligung der AkdÄ; ZVT zweckmäßige Vergleichstherapie (Stand: 14. Mai 2020)
geringer als ZVT: 2
erheblich: 1
Anzahl Beschlüsse: 193
beträchtlich: 53
nicht belegt: 62
193
nicht quantifizierbar: 41
gering: 34
. Abb. 4.4 AMNOG – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Ausmaß des Zusatznutzens – onkologische Erkrankungen; ZVT zweckmäßige Vergleichstherapie (Stand: 14. Mai 2020)
193 4.2 Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren
keine Bewertung/Aussage: 1
erheblich: 4
geringer als ZVT: 1
4
AkdÄ-Stellungnahmen: 70 Anzahl Beschlüsse: 66
beträchtlich: 16
nicht belegt: 20
66
gering: 6 nicht quantifizierbar: 18
. Abb. 4.5 AMNOG – Nutzenbewertung nach § 35a SGB V: Ausmaß des Zusatznutzens – onkologische Erkrankungen in Verfahren mit Beteiligung der AkdÄ; ZVT zweckmäßige Vergleichstherapie (Stand: 14. Mai 2020)
bei insgesamt 193 Beschlüssen positiver aus (. Abb. 4.4) – vermutlich, da neue onkologische Wirkstoffe häufiger für Zweitlinientherapien nach Versagen der primären Therapie zugelassen wurden, für die gut wirksame medikamentöse Alternativen nicht immer zur Verfügung stehen. Allerdings wurde nur in etwa 45 % der Beschlüsse des G-BA ein belegter Zusatznutzen konstatiert. Dabei fand sich auch in dieser Indikation eine gute Übereinstimmung zwischen den Bewertungen der AkdÄ und den Beschlüssen des G-BA, da bei Beteiligung an 66 der 193 Beschlüssen in 40 % ein belegter Zusatznutzen gesehen wurde (. Abb. 4.5). Angesichts dieser Ergebnisse bei der FNB neuer Arzneimittel fordern die Autoren des IQWiG zu Recht ein Umdenken bei der Zulassung. Es sollten wieder vermehrt aktiv-kontrollierte Phase-III-Studien – sofern möglich im Vergleich zu bereits etablierten Therapien – durchgeführt werden mit Endpunkten, die für Patienten relevant sind. Innovative Arzneimittel, die zur Behandlung bisher nicht oder
nur unzureichend therapierbarer Krankheiten entwickelt wurden und die besser wirksam bzw. verträglich sind als die derzeit verfügbaren Wirkstoffe oder aber Vorteile für Patienten bei der Applikation bzw. Einnahme bieten (OECD 2018; Wieseler et al. 2019), sollten im Rahmen der Erstattung bzw. Preisfestsetzung auch durch höhere Preise belohnt werden. Darüber hinaus sollte vor allem bei beschleunigten Zulassungsverfahren bzw. Orphan-Arzneimitteln und künftig auch bei Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMP: Advanced Therapy Medicinal Products) weitere Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit neuer Wirkstoffe nach der Zulassung rasch generiert werden, da Ärzte und Patienten diese Informationen dringend benötigen, um neue Arzneimittel gezielt und sicher einsetzen zu können. Wichtig für das Verfahren der FNB ist auch die Tatsache, dass Sicherheit bzw. Nebenwirkungen neuer Wirkstoffe anhand der aus Zulassungsstudien vorliegenden Ergebnisse nur sehr eingeschränkt beurteilt werden können,
194
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
da aufgrund der mitunter kleinen Patientenzahlen, vor allem bei beschleunigten Zulassungsverfahren und Orphan-Arzneimitteln, und der mitunter kurzen Studiendauer bzw. Nachbeobachtung fast ausschließlich (sehr) häufige bzw. akut auftretende Nebenwirkungen erfasst werden (Ludwig 2019a).
4 4.3
Kritik am AMNOG – berechtigt?
In den letzten Jahren sind zahlreiche Artikel erschienen, die aus Sicht der am AMNOGVerfahren beteiligten Akteure (pU, medizinische Fachgesellschaften, AkdÄ, GKV) auf vermeintliche Mängel und Herausforderungen in der frühen Nutzenbewertung hingewiesen und mitunter auch konkrete Vorschläge für Änderungen im Verfahren bzw. Anpassungsbedarf bei der Preisbildung unterbreitet haben (Litsch et al. 2019; Haas et al. 2019). So wurde beispielsweise 2017 in einem Bericht der vom Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) zum Thema: „Sind G-BA-Beschlüsse für die Versorgungssteuerung geeignet?“ auf Widersprüche von Leitlinienempfehlungen und G-BA-Beschlüssen zur FNB am Beispiel der Onkologie hingewiesen (Ruof et al. 2017). In dieser Untersuchung wurde gezeigt, dass 38 % der Patientengruppen aus den G-BA-Beschlüssen zu onkologischen Arzneimitteln nicht mit den Leitlinien übereinstimmen und dass bei 60 % der Patientengruppen die Empfehlungen in den Leitlinien nicht mit den G-BA-Beschlüssen übereinstimmen. Ein Vergleich der Datengrundlage der berücksichtigten Leitlinien bzw. der G-BA Beschlüsse erfolgte in dieser Untersuchung jedoch nicht. Viele Arzneimittel ohne belegten Zusatznutzen im Beschluss des G-BA wurden trotzdem in den Leitlinien als Therapieoption empfohlen und stellen somit aus Sicht der Autoren dieses Berichts einen unverzichtbaren Anteil des therapeutischen Spektrums dar. Diese Untersuchung suggerierte, dass die Beschlüsse des G-BA im Unterschied zu den Leitlinien
nicht auf die konkrete Behandlungssituation des Arztes ausgerichtet sind, sondern primär auf die Preisregulierung und Wirtschaftlichkeit des betreffenden Medikaments. Grundlage dieser Untersuchung war der Vergleich von klinischen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) mit den G-BA Beschlüssen, mit dem die Übereinstimmung bzw. Widersprüche in der Patientengruppenbildung sowie zwischen G-BA Beschluss und Leitlinienempfehlung überprüft wurden. Nicht berücksichtigt wurde bei dieser Untersuchung jedoch sowohl die zum Zeitpunkt der Zulassung häufig noch unzureichende Evidenz hinsichtlich des therapeutischen Zusatznutzens bzw. der Nebenwirkungen neuer Onkologika infolge Zulassung nach beschleunigten Verfahren und/oder als OrphanArzneimittel als auch die begrenzte Aussagekraft klinischer Leitlinien, vor allem aufgrund der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Leitlinie mitunter veralteten Recherchen, unvollständigen Datenbasis bei Aussage zu neuen Arzneimitteln und nicht systematischen Bewertung der gerade in der Onkologie so wichtigen gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Kaiser T, persönliche Mitteilung). Die Analyse von insgesamt 41 AMNOGVerfahren zu onkologischen Indikationen und 21 Verfahren zu Antidiabetika mit Beschlussfassung durch den G-BA bis August 2015 ergab ebenfalls nicht selten eine unterschiedliche Positionierung zwischen den beteiligten medizinischen Fachgesellschaften, AkdÄ, IQWiG und/oder G-BA, die häufiger bei Antidiabetika als bei Onkologika auftrat (Bleß et al. 2018). Darüber hinaus zeigte diese Analyse, dass der G-BA-Beschluss in beiden Anwendungsgebieten häufiger mit den Bewertungen der AkdÄ übereinstimmte als mit der Positionierung der medizinischen Fachgesellschaften (Bleß et al. 2018). Die Autoren unterstreichen die insgesamt hohe Bereitschaft zur Teilnahme an den Verfahren zur Stellungnahme, betonen jedoch auch die Notwendigkeit eines intensiveren Diskurses im Rahmen der frühen Nutzenbewertung infolge der sehr heterogenen Positionierungen sowohl zwischen medi-
195 4.3 Kritik am AMNOG – berechtigt?
zinischen Fachgesellschaften und AkdÄ bzw. IQWiG und/oder G-BA als auch zwischen medizinischen Fachgesellschaften und AkdÄ. Bemängelt wird in dieser Literaturanalyse auch, dass die Berücksichtigung und Würdigung der Stellungnahmen im Beschluss des G-BA nicht ausreichend transparent beschrieben werden. Diese Transparenz sei jedoch erforderlich, um die Gründe der abweichenden Positionen zwischen den o. g. Institutionen bzw. Fachgesellschaften detailliert zu analysieren. Kritik wurde auch wiederholt geäußert an unterschiedlichen Ergebnissen der frühen Nutzenbewertung beim Vergleich der Beurteilungen des IQWiG und Entscheidungen des GBA. Als mögliche Gründe hierfür wurden genannt Unterschiede in der Betrachtung von Subgruppen sowie in der Interpretation von Endpunkten in klinischen Studien bzw. der vom pU in seinem Dossier zum neuen Arzneimittel vorgelegten Studienergebnisse. Differenzen zeigten sich außerdem in der Bewertung zusätzlicher Evidenz, die sich aus den Addenda ergab, die im Rahmen der Anhörungen zur FNB vom pU angefordert wurden. Außerdem wurde vermutet, dass ein negatives Ergebnis in der FNB einen wesentlichen Grund darstellt für eine Marktrücknahme des jeweiligen Arzneimittels durch den pU (Dintsios et al. 2019). In wissenschaftlichen Publikationen – meist in gesundheitsökonomischen Zeitschriften – wurde darauf hingewiesen, dass im Zeitraum zwischen Januar 2011 und Juni 2016 bei insgesamt 22 von 139 bewerteten Medikamenten eine Marktrücknahme erfolgte infolge von „Opt-out“ bzw. Beendigung der Bereitstellung des jeweiligen Arzneimittels im deutschen Markt. Diese Marktrücknahmen betrafen insgesamt 14 unterschiedliche Indikationsgebiete. Begründet wurden die Ergebnisse dieser Analyse mit deutlichen Unterschieden entweder in den Empfehlungen klinischer Leitlinien oder zwischen klinischen Leitlinien und den Beschlüssen des G-BA. Eine Optimierung der Patientenversorgung erfordere nach Ansicht der Autoren sowohl eine bessere Anpassung der FNB an die klinische Perspek-
4
tive als auch engere Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure (G-BA, IQWiG, AkdÄ, medizinische Fachgesellschaften, Patientenvertreter) (Staab et al. 2018). In dem aktuellen, vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) erstellten Bericht zu den „AMNOG-Daten 2019“ wird dementsprechend auch ein „Barriere-Effekt“ des AMNOG postuliert, der angeblich sogar zu einer Versorgungshürde bei neuen Arzneimitteln führen soll (Cassel und Ulrich 2019). Begründet wird dies mit der Beobachtung, dass im Zeitraum von 2011 bis 2017 die Verfügbarkeitsquote der von der EMA zugelassen Arzneimittel auf 83,8 % zurückgegangen ist und somit 39 von 240 neu zugelassenen Wirkstoffen auf dem deutschen Markt nicht zur Verfügung stehen, da sie gar nicht eingeführt wurden. Die Autoren dieses Berichts räumen jedoch ein, dass Begründungen der pU für den Verzicht auf den Markteintritt meist nicht vorliegen. Ob dadurch die Versorgung der Patienten mit „fortschrittlichen Arzneimitteltherapien“ beeinträchtigt ist, sollte aus Sicht des BPI aber weiter untersucht werden. Darüber hinaus wird in diesem Bericht kritisiert, dass ein hoher Prozentsatz der im Zeitraum von 2011 bis 2018 durchgeführten AMNOGVerfahren zu dem Ergebnis „kein Zusatznutzen belegt“ (44 %) gekommen ist – ganz überwiegend infolge formaler oder methodischer Gründe. Auf die tatsächlichen Gründe für diese Bewertungen, wie beispielsweise „Abweichungen von den Anforderungen des G-BA bei der zweckmäßigen Vergleichstherapie, bei der bestverfügbaren Evidenz, bei direkten oder indirekten Vergleichen, im Studiendesign, bei Surrogatparametern u. a.“ weisen die Autoren zwar hin, betonen aber gleichzeitig, „dass Arzneimittel ohne attestierten Zusatznutzen nicht doch im Versorgungsalltag von therapeutischem Vorteil sein können“. Auf Herausforderungen und Probleme, die sich aus den o. g. Mängeln in den für die Zulassung relevanten klinischen Studien ergeben, gehen die Autoren dieses Berichts jedoch nicht ein. Außerdem werden die in erneuten Nutzenbewertungen angeblich nicht selten abweichenden Ergebnis-
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4
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
se von der initialen frühen Nutzenbewertung zu Recht als Hinweis dafür interpretiert, dass mit der ersten FNB des G-BA noch kein abschließendes Urteil über den therapeutischen Wert neuer Arzneimittel gefällt werden kann. Dem angeblichen „Barriereeffekt“ bzw. der „Gefährdung der Arzneimittelversorgung durch die Wirkung des AMNOG“ wurde vom Vorsitzenden des G-BA ganz klar widersprochen. Die bislang zu beobachtenden Marktaustritte sind eher als „Ausdruck von rein ökonomischem Kalkül und unternehmerischen Entscheidungen“ zu interpretieren, die darauf beruhen, „dass der Preis, der sich aus den Preisverhandlungen ergibt, den unternehmerischen Erwartungen insoweit nicht entspricht, als ein Vertrieb in Deutschland auf Grundlage eben dieser unternehmerischen Zwänge nicht erfolgt“. Darüber hinaus standen für alle bisher erfolgten Marktaustritte in den jeweiligen Anwendungsgebieten Therapiealternativen in ausreichender Zahl zur Verfügung, sodass eine Versorgung der Patienten mit wirksamen Arzneimitteln keineswegs gefährdet war oder ist (Hecken 2017). In einem aktuellen Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) und der DGHO zum Thema „Frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel in Deutschland, 2011–2018“ („Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, Mai 2019) wurden über 340 AMNOGVerfahren mit über 680 Subgruppen ausgewertet, die bis Ende 2018 mit einem Beschluss des G-BA beendet wurden (AWMF et al. 2019). Im Vorwort dieses Positionspapier wird betont, „dass neue Arzneimittel Hoffnungsträger für Heilung, für ein längeres Leben, für die Linderung von Leiden oder die Vorbeugung von Krankheiten sind. Deshalb sei der Zugang zu neuen Arzneimitteln für die AWMF und DGHO ein zentrales Thema“. Hingewiesen wird anhand dieser Analyse u. a. auf die sehr unterschiedlichen Bewertungen neuer Arzneimittel in den einzelnen Fachgebieten, die nicht alle Situationen abdeckenden derzeitigen Bewertungskategorien der Nutzenbewertung und die nicht kongruenten Kriterien zur Bildung
von Subgruppen und zur Bewertung derselben Studiendaten bei Zulassung, früher Nutzenbewertung und bei der Erstellung von Leitlinien. Aufgrund ihrer Auswertung vermuten AWMF und DGHO, dass „die aktuelle Methodik und die Spruchpraxis des G-BA eher für Arzneimittel mit kurzfristig messbarem Nutzen als für chronische Erkrankungen geeignet ist“. Auch in diesem Positionspapier werden jedoch weder die aktuellen Entwicklungen im Arzneimittelmarkt (s. o.) ausreichend gewürdigt, noch erfolgt eine gründliche Analyse der Anforderungen an klinische Studien im Rahmen der häufig beschleunigten Zulassungen in der Onkologie, die nicht selten nur unzureichende Evidenz ergeben im Hinblick auf den Zusatznutzen und die Sicherheit neuer Arzneimittel (Ludwig 2019a). Dass deshalb die Beschlüsse im Rahmen der FNB und Empfehlungen in klinischen Leitlinien mitunter nur eine Momentaufnahme darstellen und nach Vorliegen weiterer Studienergebnisse ggf. rasch revidiert werden müssen, ist offensichtlich.
4.4
Resümee und Blick voraus aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft
Die AkdÄ hat sich in verschiedenen Stellungnahmen – zuletzt 2019 – zum AMNOG und dem Verfahren der FNB von Arzneimitteln geäußert (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019). Die Probleme bei der FNB von OrphanArzneimitteln sind bereits im Abschnitt zu „Aktuelle Entwicklungen im Arzneimittelmarkt und Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel in Europa“ ausführlich diskutiert worden. Die AkdÄ – zusammen mit dem IQWiG – hatte sich bereits vor Etablierung des AMNOG gegen eine Ausnahmeregelung bei Orphan-Arzneimitteln ausgesprochen (Windeler et al. 2010) und hält weiterhin die re-
197 4.4 Resümee und Blick voraus aus Sicht der Arzneimittelkommission
guläre Nutzenbewertung der Orphan-Arzneimittel für notwendig, auch aufgrund des häufig nicht quantifizierbaren Zusatznutzens sowie des steten Umsatzwachstums bei diesen Wirkstoffen infolge der hohen Preise. Der offensichtliche Missbrauch des „Orphan-DrugStatus“, um einer fairen Nutzenbewertung zu entgehen, sollte jetzt endlich beendet werden (Mühlbauer 2019). Ein wichtiger Schritt in diese Richtung wurde bereits durch das Gesetz zu mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) im § 35a Absatz 1 Satz 12 unternommen, da in die Berechnung der Schwellenwerte für den Umsatz eines Orphan-Arzneimittels künftig auch die stationären Kosten einzubeziehen sind (s. u.) (Bundesministerium für Gesundheit 2019). Wegen der Zunahme beschleunigter Zulassungsverfahren mit häufig unzureichender Evidenz für bessere Wirksamkeit gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie Nachweis ausreichender Sicherheit der neuen Arzneimittel sollten pU als patientenrelevanten Endpunkt in den für die Zulassung neuer Arzneimittel durchgeführten klinischen Studien auch verstärkt aussagekräftige Ergebnisse zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität bzw. den von Patienten berichteten Symptomen („Patient-Reported Outcomes“) vorlegen (Babac et al. 2019; Gnanasakthy et al. 2019). Darüber hinaus hält es die AkdÄ weiterhin für geboten, dass bei unzureichender Evidenz für die Beurteilung des Zusatznutzens neuer Arzneimittel eine Befristung der Beschlüsse zur FNB erfolgt. Nach Ablauf der Befristung sollte eine „späte Nutzenbewertung“ (Glaeske et al. 2017) erfolgen und ggf. Sanktionen gegenüber dem pU ausgesprochen werden, falls nach Ablauf der Befristung keine weiteren Ergebnisse zur Wirksamkeit und Sicherheit des jeweiligen Arzneimittels eingereicht wurden. Außerdem ist aus Sicht der AkdÄ angesichts der mannigfaltigen Auswirkungen von finanziellen Interessenkonflikten auf die Bewertung von Arzneimitteln (z. B. im Rahmen der FNB) und Erstellung von Empfehlungen zur medikamentösen Therapie in Leitlinien (Lieb et al. 2018) eine transparente Deklaration
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der Interessenkonflikte in der „Zusammenfassenden Dokumentation“ bzw. im Wortprotokoll der mündlichen Anhörung zu einem neuen Arzneimittel bzw. Indikationsgebiet erforderlich – und zwar für alle medizinischen Experten, die von der AWMF und der AkdÄ an der Erstellung der schriftlichen Stellungnahmen zu Arzneimitteln im Rahmen des AMNOG-Verfahrens beteiligt sind bzw. diese Gremien in der Anhörung zu den Stellungnahmen vertreten. Bei der vom G-BA beim IQWiG beauftragten ergänzenden Bewertung (Addendum) zu einem Auftrag im Rahmen der Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V sollte auch den an der Stellungnahme beteiligten Institutionen die Möglichkeit eingeräumt werden, die Ergebnisse der zusätzlichen Bewertung zu sehen und ggf. zu kommentieren. Die AkdÄ hat verschiedene der in den letzten Jahren bzw. Monaten erfolgten Anpassungen und Änderungen im AMNOG-Verfahren ausdrücklich begrüßt. Sie verdeutlichen, dass der G-BA die Funktion des AMNOG als „Lernendes System“ ernst nimmt und adäquat umsetzt. Hierzu zählen vor allem: 4 die verstärkte Zusammenarbeit des G-BA mit dem Europäischen Netzwerk der HTAInstitutionen (EUnetHTA) und der EMA: bspw. im Rahmen der Beratung – „Early Dialogues“ bzw. „Scientific Advice“ – zur Planung der für die Zulassung relevanten („pivotal“) Studien der Phase-III; 4 die mit dem Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV geschaffene Grundlage für die elektronische Arzneimittelinformationen-Verordnung (EAMIV) zur Veröffentlichung der maschinenlesbaren Fassung der Beschlüsse des G-BA zur FNB mit dem Ziel, Informationen aus dem Beschluss und Hintergründe in elektronische Programme für die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung zu implementieren und dadurch in der Versorgungspraxis besser zu verbreiten (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019; Gemeinsamer Bundesausschuss 2020a);
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4
Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
4 die verstärkte Generierung versorgungsnaher Daten und Nutzung von Daten aus qualitativ hochwertigen Patientenregistern – insbesondere bei beschleunigten Zulassungen und Orphan-Arzneimitteln –, sowie bei befristeten Beschlüssen mit dem Ziel, Konzepte zur anwendungsbegleitenden Datenerhebung zu erstellen und dadurch Evidenzlücken zu schließen (IQWiG 2020a, 2020b); 4 die Änderung von § 7 des 5. Kapitels in der Verfahrensordnung (VerfO) des G-BA, die besagt, dass zu Fragen der Vergleichstherapie die AkdÄ und die wissenschaftlichmedizinischen Fachgesellschaften schriftlich beteiligt werden sollen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020b); 4 die Berücksichtigung des Umsatzes eines Arzneimittels nicht nur im (ambulanten) vertragsärztlichen, sondern auch im stationären Bereich, und die Verpflichtung für den pU, den Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen bei Überschreiten eines Betrages von 50 Mio. C in den letzten 12 Kalendermonaten (§ 35a SGB V, Bundesministerium für Gesundheit 2019). Dies bedeutet beispielsweise, dass auch Orphan-Arzneimittel, die ausschließlich stationär eingesetzt werden und deshalb nie die Umsatzgrenze von 50 Mio. C überschreiten würden, jetzt auch im Rahmen der „regulären“ FNB beurteilt werden.
bereits zugelassener Arzneimittel enthalten detaillierte Informationen zu den Ergebnissen klinischer Studien vor der Zulassung – insbesondere zum Design dieser Studien, den untersuchten Endpunkten sowie der Wirksamkeit und Nebenwirkungen, auch in Subpopulationen. Derartige Informationen sind aus den Publikationen der medizinischen Fachzeitschriften zu diesen Studien häufig nur unvollständig zu erhalten (Köhler et al. 2015; Wieseler et al. 2019). Den im Januar 2018 von der Europäischen Kommission (EC) unterbreiteten und bisher nicht umgesetzten Vorschlag für eine neue Regelung zur Bewertung von Gesundheitstechnologien (Arzneimittel und Medizinprodukte) auf europäischer Ebene mit dem Ziel gemeinsamer klinischer Bewertungen und wissenschaftlicher Konsultationen, die dann eine FNB durch den G-BA ersetzen würde, halten die AkdÄ und auch die unabhängigen Arzneimittelbulletins nicht für zielführend (Der Arzneimittelbrief 2018). Eine besondere Herausforderung für die FNB werden künftig hochpreisige Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMP) darstellen, die bereits heute etwa 40 % der Anträge für das beschleunigte Zulassungsverfahren PRIME ausmachen, und infolge ihrer sehr begrenzten Kenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit zum Zeitpunkt der Zulassung (Litsch et al. 2019; Ludwig 2019a) und mitunter nur einmaligen Verabreichung im derzeitigen Verfahren der FNB nicht adäquat und möglicherDas AMNOG hat aus Sicht der AkdÄ in den weise auch nicht rechtzeitig beurteilt werden letzten 10 Jahren die Umsetzung einer rationa- können. len und auch kostenbewussten Pharmakotherapie mit neuen Arzneimitteln (Mühlbauer 2019; Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte- Literatur schaft 2019) wesentlich gefördert und inzwi§ 35a SGB V Bewertung des Nutzens von Arzneischen auch durch die jährlich erzielten Einspamitteln mit neuen Wirkstoffen, Verordnungsermächrungen bei den Erstattungsbeträgen – zuletzt tigung. https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__ 35a.html. Zugegriffen: 10. Aug. 2020 im Jahr 2019 in Höhe von 3,610 Mrd. C – einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Aus- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2019) Verfahren der frühen Nutzenbewertung – Stellungnahgaben im GKV-System geleistet (7 Kap. 1, men der AkdÄ. Arzneiverordn Prax 46:97–104 7 Abschn. 1.9). AWMF, DGHO, Kommission „Nutzenbewertung von Die Beschlüsse zur FNB bei neuen ArzArzneimitteln“ (2019) Frühe Nutzenbewertung neimitteln bzw. neuen Anwendungsgebieten neuer Arzneimittel in Deutschland 2011–2018. Ge-
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Kapitel 4 Zehn Jahre AMNOG – Rückblick und Ausblick
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Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich – Marktsteuerungsmechanismen und Einsparpotenziale Sabine Vogler, Peter Schneider, Dimitra Panteli und Reinhard Busse
Auf einen Blick
In Biosimilars werden hohe Erwartungen hinsichtlich ihres Einsparpotenzials gesetzt. Um den Einsatz von Biosimilars zu fördern, wenden europäische Länder verschiedene Marktsteuerungsmaßnahmen an. Ein Vergleich mit 15 europäischen Ländern zeigt hierbei meist ähnliche Zugänge bei den analysierten Ländern und auch im Vergleich zu Deutschland. Zwei zentrale Ausnahmen sind: Deutschland zählt gemeinsam mit Dänemark, Großbritannien, den Niederlanden und Schweden zu den Ländern, die keine Preis-Link-Politik anwenden, bei welcher die Preise von Biosimilars (wie auch Generika) als Abschlag des Referenzarzneimittels-Preises festgelegt werden. Des Weiteren nimmt Deutschland mit der geplanten Einführung der automatischen Substitution bei Biologika auf Apothekenebene eine Vorreiterposition in Europa ein. Durch konsequente Anwendung von Marktsteuerungsinterventionen, inklusive Einführung von in anderen Ländern angewandten Maßnahmen, könnten in Deutschland
die Einsparpotenziale besser ausgeschöpft werden. Berechnungen für verschiedene Szenarien (Varianten von Preis-Link-Politik, Festbetragsbildung, Ausweitung der Verordnungsmindestquoten, Biosimilarsubstitution) zeigten für neun biologische Wirkstoffe (u. a. Adalimumab, Enoxaparin, Etanercept, Infliximab, Trastuzumab) Einsparpotenziale von 115,9 Mio. C (4,4 %) bis 319,6 Mio. C (12,2 %) für den GKV-Markt 2019 auf.
Die Diskussionen über die „Hochpreiser“ bei den Arzneimitteln beschäftigen seit Jahren die Zahler, auch in wirtschaftsstarken Ländern wie Deutschland, da wegen der Ausgaben für einige, sehr teure Medikamente die nachhaltige Finanzierung der öffentlichen Solidarsysteme als gefährdet angesehen wird. Auch in Deutschland setzte sich 2019 die im letzten Jahrzehnt zu beobachtende Steigerung der Ausgaben im GKV-Markt fort (vgl. 7 Kap. 1, . Tab. 1.1). Vor diesem Hintergrund werden in Deutschland, wie auch anderen Ländern, ho-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_5
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Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
he Erwartungen in Biosimilars gesetzt. Für Europa wurde etwa ein kumulatives Einsparpotenzial von 11,8 bis 33,4 Mrd. C für die Jahre 2007 bis 2020 auf Grund von Biosimilars geschätzt, wobei den biosimilaren monoklonalen Antikörpern das höchste Kostendämpfungspotenzial zugeschrieben wurde (Haustein et al. 2012). Szenarien, die auf dem niedrigsten beobachteten Biosimilar-Preis in den anderen europäischen Ländern basierten, ermittelten Einsparpotenziale im deutschen GKV-Markt 2019 von bis zu 1.238 Mio. C (Vogler et al. 2019a). In Ländern wie Norwegen, Dänemark, Finnland und der Slowakei wurden hohe Preissenkungen für das Referenzarzneimittel bei Markteintritt eines Biosimilars beobachtet (Quintiles IMS 2017). Das bekannteste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Ausschreibung für Infliximab in Norwegen, wo 2015 der Preis des Biosimilars (Remsima) 72 % unter dem Listenpreis des Referenzarzneimittels lag (GaBI Online 2015). Das biosimilare Infliximab erreichte darüber hinaus eine raschere Marktdurchdringung als andere Biosimilars in Norwegen (Mack 2015). Auch in Italien konnten bei Ausschreibungen für Biologika auf Grund des Wettbewerbs (höhere Anzahl von Anbietern) niedrigere Preise und damit Einsparungen für die Zahler erzielt werden (Curto et al. 2014). Neben der Ausgestaltung des Preisbildungs- und Beschaffungsprozesses für Biosimilars spielen – wie bei Generika – nachfrageseitige (d. h. an Patienten/Patientinnen und Leistungserbringer/innen wie Ärztinnen/Ärzte und Apotheker/innen gerichtete) Maßnahmen eine zentrale Rolle, um die Nachfrage nach und Verordnung bzw. Abgabe von Biosimilars zu fördern (Mestre-Ferrandiz et al. 2016). Ein Beispiel für eine derartige nachfrageseitige Maßnahme ist der Austausch innerhalb der Biologika bei der Abgabe in einer öffentlichen Apotheke (Substitution eines Biosimilars anstelle des Referenzarzneimittels bzw. Austausch von Biosimilars untereinander), wie es das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) 2019 für
Deutschland ab 2022 vorsieht (§ 129, Abs. 1a, SGB V). In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Preisbildung und Erstattung von Medikamenten in den Ländern der Europäischen Union (EU) nationale Angelegenheit sind (Vogler 2018). Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA prüft Biosimilars im Rahmen des Zulassungsverfahrens, da ein zentralisiertes Zulassungsverfahren verpflichtend für die Mehrheit von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln ist. Die EMA trifft aber keine Entscheidung über die Austauschbarkeit und damit verbunden die Möglichkeit zu einem Switch durch die Ärztin bzw. den Arzt und/oder einer Substitution durch die Apothekerin bzw. den Apotheker, sondern überlässt die Entscheidung den Mitgliedstaaten (EMA 2017). In Folge dessen sind die Maßnahmen der Preisbildung und Erstattung von Biosimilars und der Förderung des Biosimilareinsatzes in den EU-Ländern unterschiedlich ausgestaltet (Vogler und Schneider 2017; Trifirò et al. 2018; Moorkens et al. 2017; Ferrario et al. 2020). Für den biosimilarfähigen Markt Deutschlands wird ein Aufholpotenzial attestiert, da die Marktdurchdringung nicht besonders hoch ist (siehe 7 Kap. 3, 7 Abschn. 3.8). Wegen des schwachen Wettbewerbs sind die Preisabstände zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilars eher gering (Schröder et al. 2019). Vor diesem Hintergrund werden in dem vorliegenden Kapitel auf Biosimilars ausgerichtete Marktsteuerungsmaßnahmen in Deutschland und in weiteren europäischen Ländern dargestellt und Einsparpotenziale für Deutschland unter der Annahme der Anwendung von Maßnahmen zur Förderung des Biosimilar-Einsatzes bzw. der Ausweitung derselben betreffend Biosimilars in anderen Ländern ermittelt. Für den europäischen Vergleich werden Belgien (BE), Dänemark (DK), Finnland (FI), Frankreich (FR), Großbritannien (UK; im Wesentlichen beziehen sich die Regelungen auf England), Irland (IE), Italien (IT), die Niederlande (NL), Norwegen (NO), Österreich
203 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
(AT), Portugal (PT), Schweden (SE), Slowakei (SK), Spanien (ES) und die Tschechische Republik (CZ) herangezogen. Damit sind jene 14 Länder eingeschlossen, deren Preise von den pharmazeutischen Unternehmern im Zuge der Preisfestsetzung gemäß der Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V zu melden sind. Zusätzlich wurde Norwegen wegen seiner umfangreichen Aktivitäten der BiosimilarFörderung ergänzend in die Erhebung aufgenommen. Die Informationen über die Marktsteuerungsmaßnahmen rund um Biosimilars beziehen sich im Wesentlichen auf Juli 2020 und wurden von Behörden, meist Mitglieder des Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI)-Netzwerks erhoben, vereinzelt ergänzt um Daten aus der Literatur. PPRI ist ein von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) betriebenes Netzwerk von Behörden für Preisbildung und Erstattung von Arzneimitteln in mittlerweile 51 – schwerpunktmäßig europäischen – Ländern (Vogler et al. 2014; GÖG 2020). Für den vorliegenden Beitrag wurden bei den PPRI-Mitgliedern Informationen über Marktsteuerungsmaßnahmen betreffend Biosimilars und Generika im Juli und Dezember 2019 erhoben und diese Informationen per Juli 2020 aktualisiert. Einsparpotenziale für den GKV-Markt 2019 wurden exemplarisch für neun ausgewählte Wirkstoffe in mehreren Szenarien berechnet. Details über die zugrunde gelegten Annahmen und Datenquellen werden in 7 Abschn. 5.2.1 dargestellt.
5.1
5
Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes im europäischen Überblick
5.1.1
5.1.1.1
Angebotsseitige Maßnahmen „Preis-Link“
Eine Reihe von Ländern wendet die Maßnahme eines „Preis-Links“ bei der Preisfestsetzung für Generika an, und einige, aber nicht alle dieser Länder nutzen diese Maßnahme auch für Biosimilars (Vogler et al. 2019a). Bei dieser „Preis-Link“-Maßnahme wird der Preis des Nachfolge-Arzneimittels (z. B. des Generikums bzw. des Biosimilars) in Bezug zum Preis des Original- bzw. Referenzarzneimittels gesetzt, und ein bestimmter (Mindest-)Abschlag ist zu gewähren (WHO Collaborating Centre for Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Policies 2020). In einigen Ländern bestehen auch Regelungen für weitere Nachfolgeprodukte, deren Preise wiederum einander bedingen, und in manchen Fällen wird auch der Preis des Original- bzw. Referenzarzneimittels gesenkt. . Tab. 5.1 gibt einen Überblick über die Existenz dieser „Link“-Politik bei Biosimilars und im Vergleich dazu bei Generika und stellt auch die Höhe des geforderten Preisabschlags für den Nachfolger (Biosimilar bzw. Generikum) dar. Fast alle untersuchten Länder, die diesen Preis-Link anwenden, fordern für Biosimilars einen niedrigeren Preisabschlag als für Generika, d. h. gestehen Biologika auch im Nachfolgerbereich höhere Preise zu.
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
204
. Tabelle 5.1 Preis-Link-Politik bei Biosimilars im Vergleich zu Generika in den untersuchten Ländern, 2020. (Quelle: Behördennetzwerk Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI)) Land
DE
Biosimilar-Preis-Link
Generika-Preis-Link
In Kraft
Höhe des Preisabschlags
In Kraft
Höhe des Preisabschlags
Nein
–
Nein
–
Länder in Europa AT
Ja
1. Biosimilar: min. 38 % des RAM 2. Biosimilar: min. 15 % des 1. Biosimilars 3. und weitere Biosimilars: min. 10 % des vorigen Biosimilars RAM muss 3 Monate nach Aufnahme des 1. Biosimilars in die Erstattung den Preis um 30 % senken
Ja
1. Generikum: min. 50 % des Originals 2. Generikum: min. 18 % des 1. Generikums 3. und weitere Generika: min. 15 % der vorigen Generika Original muss 3 Monate nach Aufnahme des 1. Generikums in die Erstattung den Preis um 30 % senken
BE
Ja
Biosimilar: 20 % des RAM Weitere Preissenkungen nach 12 Jahren in der Erstattung (abhängig vom Marktanteil des Wirkstoffes)
Ja
Generika der Kategorie A (essenzielle Arzneimittel): 51,52 % des Originals Generika der Kategorie B (alle anderen erstatteten Arzneimittel): 43,64 % Weitere Preissenkungen nach 12 Jahren in der Erstattung (abhängig vom Marktanteil des Wirkstoffes)
CZ
Ja
1. Biosimilar: 30 % des RAM
Ja
1. Generikum: 40 % des Originals
DK
Nein
Nein, keine Preisregulierung (Preise basieren auf Wettbewerb in Prozessen mit Elementen einer Ausschreibung)
Nein
Nein, keine Preisregulierung (Preise basieren auf Wettbewerb in Prozessen mit Elementen einer Ausschreibung)
ES
Ja
Biosimilar: 30 % des RAM
Ja
Generikum: 40 % des Originals Bei Bildung von Festbetragsgruppen muss der Preis der Generika gesenkt werden
FI
Ja
1. Biosimilar: 30 % des RAM
Ja
1. Generikum: 50 bzw. 40 % (bei neuerem „Equipment“) des Originals
FR
Ja
Niedergelassen: Ja Bei Markteintritt der Biosimilars: Biosimilar: 40 % des RAM und Preissenkung des RAM von 20 % Nach 18 und 24 Monaten Preissenkungen, Höhe (5, 10 und 15 %) abhängig vom Marktanteil (< 40 %, 40–60 %, > 60 %) Stationär: Biosimilar: 30 % des RAM und Preissenkung des RAM von 30 %
Niedergelassen: Bei Markteintritt des Generikums: Generikum: 60 % des Originals und Preissenkung des Originals von 20 % Nach 18 Monaten Preissenkungen von 7 % bei Generika und 12,5 % bei Originalpräparaten Stationär: Generika: 40 % des Originals und Preissenkung des Originals von 40 %
IE
Ja
Biosimilar: 40 % des RAM
Ja
Generikum: 60 % des Originals
IT
Ja
Biosimilar: 20 % des RAM
Ja
Generikum: 20 % des Originals
NL
Nein
Allerdings muss der Preis der Biosimi- Nein lars unter jenem des RAM liegen
5
Allerdings muss der Preis der Generika unter jenem des Originals liegen
205 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
5
. Tabelle 5.1 (Fortsetzung) Land
Biosimilar-Preis-Link
Generika-Preis-Link
In Kraft
Höhe des Preisabschlags
In Kraft
NO
Ja
Biosimilars können den gleichen Preis Ja wie das RAM haben und erfahren dann gemeinsam mit dem RAM Preissenkungen bei Patentablauf und 6 und 12 Monate danach (Höhe abhängig vom Umsatz) = sogenanntes „Trinnpris“-Modell Für Wirkstoffe außerhalb des „Trinnpris“-Modells: Preisfestlegung für Biosimlars auf Basis von internationaler und interner Preisreferenzierung (niedrigster Preis)
Generikum: maximal der Preis des Originals, aber Preissenkungen für Generika und Originale bei Patentablauf und 6 und 12 Monate danach im Rahmen des „Trinnpris“-Modells
PT
Ja
Erstattungsfähige Arzneimittel – nieJa dergelassen und stationär: Biosimilar: 20 bzw. 30 % (bei Biosimilar mit Marktanteil pro Wirkstoff von 5 %) des RAM Nicht-erstattungsfähige Arzneimittel: kein Preis-Link
Niedergelassen: Generikum: 50 % des Originals und 25 % anderer Generika, falls FAP < C 10.– bei allen Arzneimitteln (Packungen) ist. Erstattungsfähige Arzneimittel – niedergelassen: Ab dem 5. Generikum: jeweils 5 % des vorigen Generikums, aber max. 20 % des Originals Weitere Generika in der Festbetragsgruppe: 5 % des preisgünstigsten Arzneimittels in der Festbetragsgruppe (Marktanteil von min. 5 %)
SE
Nein
–
Nein
–
SK
Ja
Biosimilar: 25 % des RAM
Ja
Generikum: 45 % des Originals
UK
Nein
–
Nein
–
Höhe des Preisabschlags
RAM = Referenzarzneimittel
5.1.1.2
Ausschreibungen
In allen untersuchten Ländern werden Biosimilars im stationären Sektor mittels Ausschreibungen beschafft (. Tab. 5.2). Ob Ausschreibungen auf zentraler oder regionaler Ebene durchgeführt werden, hängt von dem jeweiligen landesspezifischen Beschaffungssystem für Krankenhäuser ab. In den meisten Ländern ist die Beschaffung von Arzneimitteln auf der Ebene der Krankenhäuser organisiert, wenngleich es auch „Einkaufsverbünde“ und Zusammenschlüsse gibt (z. B. „Beschaffungspools“ im Verantwortungsbereich von Uni-
Kliniken in Finnland). In Frankreich werden gemeinsame Ausschreibungen auf regionaler Ebene als wünschenswert angesehen, aber letztlich steht es den Krankenhäusern frei zu entscheiden, ob sie sich bei der Beschaffung zusammenschließen oder diese individuell im Krankenhaus durchführen. In Schweden schließen sich die Regionen bei der Beschaffung von hochpreisigen Medikamenten zusammen und haben damit hohe Einsparungen bei der Beschaffung von Biosimilars, etwa bei den TNF-’-Inhibitoren, erzielt (TLV 2020).
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
206
. Tabelle 5.2 Rolle von Ausschreibungen und Festbetragssystem für Biosimilars in den untersuchten Ländern, 2020. (Quelle: Behördennetzwerk Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI)) Land
DE
5
Stationärer Sektor
Niedergelassener Sektor
Auss.
Organisation
Ausschreibungen bzw. Ausschreibungselemente
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Ja, im Rahmen der Ja Rabattverträge
Biosimilars im Festbetragssystem
Länder in Europa AT
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Nein
Kein Festbetragssystem
BE
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Nein
Nein
CZ
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Ja
Ja
DK
Ja
Zentral (Einkaufsgesellschaft AMGROS)
Ja, alle zwei Wochen
Ja
ES
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Nein
Ja
FI
Ja
Gemeinsame „Beschaffungs-Pools“ von UniKliniken
Nein
Nein
FR
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser bzw. regional Nein
Nein
IE
Ja
Auf der Ebene der Krankenhäuser
Nein
Nein
IT
Ja
Regional
Nein
Nicht bekannt
NL
Ja
Auf der Ebene von Krankenhäusern oder Grup- Ja pen von Krankenhäusern oder gemeinsam mit Krankenversicherungen
Ja
NO
Ja
Zentral (Einkaufsgesellschaft Sykehusinnkjop)
Ja
PT
Ja
Zentral (zentrale Beschaffungsagentur Serviços Nein Partilhados do Ministério da Saúde/SPMS)
Nein
SE
Ja
Auf regionaler Ebene, Kooperation der Regionen
Nein (nicht für Biosimilars; Ausschreibungselement „Produkt des Monats“ für Generika)
Kein Festbetragssystem
SK
Ja
Auf der Ebene von Krankenhäuser
Ja
Ja
UK
Ja
Zentral (NHS England)
Nein
Kein Festbetragssystem, allerdings landesweite Referenz-/Erstattungspreise für Adalimumab
Auss. = Ausschreibungen
Nein
207 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
Ausschreibungen für Biosimilars und weitere Medikamente, die in Krankenhäusern verwendet werden, erfolgen in Dänemark, Norwegen, Portugal und UK (England) zentral. In Dänemark, Norwegen und Portugal wurden bei der Einführung der zentralen Beschaffung für die öffentlichen Krankenhäuser Einkaufsagenturen gegründet. Eine Beschaffung mittels Ausschreibungen im stationären Sektor kommt auch in Ländern mit Preis-Links zur Anwendung, weil die beschaffenden Institutionen unter Ausnutzung des Wettbewerbs höhere Preisabschläge anstreben. In Deutschland entsprechen die Rabattverträge dem Konzept der Ausschreibungen im niedergelassenen Sektor (Kanavos et al. 2009; Bauckmann et al. 2017). Seit 2003 können die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) mit den pharmazeutischen Unternehmern im Rahmen von § 130a SGB V individuelle Rabattverträge abschließen, bei denen im Gegenzug für Rabatte der pharmazeutische Unternehmer das Recht auf exklusive Abgabe an die Versicherten der jeweiligen Krankenkasse erhält. Bei Biosimilars kommt insbesondere die Variante der Open-House-Verträge zum Einsatz. Dabei bietet eine Krankenkasse allen pharmazeutischen Unternehmern ohne (individuelle) Verhandlungen einen Vertrag zu einem festgelegten Rabattsatz an. Jeder pharmazeutische Unternehmer (Anbieter eines Biosimilars oder des Referenzarzneimittels) kann dem OpenHouse-Vertrag beitreten, sofern er den Rabatt auf den Listenpreis gewährt. Somit gelten alle Arzneispezialitäten im Rahmen des Open-House-Vertrags als gleich wirtschaftlich. Die BARMER GEK setzt bei der Therapie von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) einen Open-House-Vertrag in Verbindung mit einem Selektivvertrag (siehe 7 Abschn. 5.1.2.1) ein und fordert die Ärztinnen und Ärzte auf, vorrangig die rabattierten Arzneimittel zu verordnen (Böhler 2017). So wie Deutschland mit den Rabattverträgen führten auch einige weitere europäische Länder Ausschreibungen bzw. Ausschrei-
5
bungselemente für die Beschaffung von patentfreien Medikamenten, typischerweise Generika, im niedergelassenen Sektor ein (Dylst et al. 2011). Ein bekanntes Beispiel ist die genannte „Präferenzpreispolitik“ der Niederlande, bei denen die Krankenversicherungen Wirkstoffe ausschreiben und der Bestbieter den Zuschlag erhält. Für den Vertragszeitraum (aktuell meist ein Jahr) müssen die Apotheken jene Arzneispezialität, welche die Ausschreibung gewonnen hat, als das „bevorzugte“ Produkt abgeben, und nur diese wird erstattet. Falls Patientinnen/Patienten ein anderes Medikament des ausgeschriebenen Wirkstoffes wünschen, müssen sie dies aus der eigenen Tasche bezahlen. Das „Präferenzpreissystem“ wurde ursprünglich 2005 zentral eingeführt (gemeinsame „Ausschreibungen“ der Krankenversicherungen), aber nach einem Gerichtsurteil 2008, das auf den Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen pochte, müssen die Krankenversicherungen individuell ausschreiben. Somit variieren die „bevorzugten“ Arzneispezialitäten je nach Krankenversicherung. Ab 2016 weiteten einige Krankenversicherungen das „Präferenzpreissystem“ auf Biosimilars aus (Vogler et al. 2017). Auch im niedergelassenen Sektor Dänemarks wird eine Art Ausschreibungsmodell angewandt, das für alle erstattungsfähigen Arzneimittel (einschließlich Biosimilars) gilt. Die Besonderheit beim dänischen System ist die hohe Frequenz: Im Zwei-Wochen-Rhythmus melden pharmazeutische Unternehmer Preise für sämtliche Produkte im niedergelassenen Sektor an die dänische Arzneimittelbehörde. Die Arzneispezialitäten mit dem jeweilig günstigsten angebotenen Preis werden als Erstattungsprodukte der ersten Wahl gelistet und von der öffentlichen Hand finanziert. Zur Gewährleistung der Verfügbarkeit rücken bei Lieferengpässen die nächstgereihten Arzneispezialitäten nach und müssen geliefert werden. Ein pharmazeutischer Unternehmer, der nicht liefern kann, wird für die jeweilige Periode von der Preisliste genommen. Die Bearbeitung der Preismeldungen und damit verbundener Änderungen – bis zu 1.500 Preisänderungen pro
208
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
Preisperiode von zwei Wochen – wird von 5.1.2 Nachfrageseitige einem IT-System unterstützt. Logistische HerMaßnahmen ausforderungen für die öffentlichen Apotheken werden über Kooperationsvereinbarungen mit Großhandel und Pharma-Industrie (z. B. Ver5.1.2.1 Ärztinnen und Ärzte: einbarung zur Rücknahme von ArzneispezialiVerordnungsvorgaben zu täten nach der Preisperiode) bewältigt (Vogler bio-naiven Patientinnen/ et al. 2017).
Patienten und Switch
5.1.1.3
5
Festbetragssystem
Die meisten untersuchten Länder (außer Österreich, Schweden und UK) haben ein Festbetragssystem, bei dem sie wirkstoffidentische bzw. therapeutisch austauschbare Arzneimittel in Gruppen (Festbetragsgruppen) einordnen und einen maximalen Erstattungsbetrag (Festbetrag) pro Gruppe festlegen. Festbetragssysteme unterscheiden sich zwischen den Ländern hinsichtlich der Methodik, wie etwa Festbetragsgruppen oder Festbeträge bestimmt werden. Dies zeigt sich auch bei den Biosimilars: Einige Länder (z. B. Niederlande, Norwegen, Spanien) nehmen – wie Deutschland – die Biosimilars in das Festbetragssystem auf, andere nicht (. Tab. 5.2). In Deutschland traf der G-BA 2009 die Grundsatzentscheidung, dass biotechnologische Arzneimittel in eine Festbetragsgruppe eingeordnet werden können; damals wurde Somatropin eingeordnet (G-BA 2009). 2016 wurde mit Infliximab erstmals eine Festbetragsgruppe von einem Referenzarzneimittel und Biosimilars mit einem monoklonalen Antikörper gebildet (G-BA 2017). Wenngleich England über kein Festbetragssystem verfügt, wurden per 1. April 2019 vom Gesundheitsdienst NHS landesweit einheitliche Referenzpreise für Adalimumab 20 und 40 mg festgelegt, zu denen die Clinical Commissioning Groups (quasi die lokalen Gesundheitsorganisationen) erstattet werden (NHS England 2019).
Ärztinnen und Ärzten kommt eine zentrale Rolle bei der Förderung des Einsatzes von Biosimilars zu, denn sie verschreiben Biosimilars und informieren Patientinnen und Patienten. Eine zentrale Maßnahme in diesem Zusammenhang ist die Wirkstoffverordnung, d. h. Ärztinnen und Ärzte dürfen bzw. müssen die Arzneimittel per Wirkstoffnamen und nicht mit dem Handelsnamen verordnen. In den meisten untersuchten Ländern ist Wirkstoffverordnung erlaubt, und in einigen Ländern ist sie sogar verpflichtend (Italien, Spanien, Portugal; . Tab. 5.3). Nur in ein paar Ländern mit Wirkstoffverordnung bestehen spezielle Regelungen betreffend Biosimilars. In England ist zwar Wirkstoffverordnung im Allgemeinen erlaubt und weit verbreitet, aber Biologika, inklusive Biosimilars, müssen entsprechend der Vorgabe der Zulassungsbehörde Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) mit dem Handelsnamen verschrieben werden (NHS England und NHS Improvement 2019). In Belgien ist Wirkstoffverordnung grundsätzlich für alle Arzneimittel erlaubt, allerdings rät die Zulassungsbehörde Agence Fédérale des Médicaments et des Produits de Santé (AFMPS) bei biologischen Arzneimitteln von der Wirkstoffverordnung ab (AFMPS 2018). Mit der Abschaffung der – ohnehin nicht in die Praxis umgesetzten – Biosimilarsubstitution in Frankreich (siehe 7 Abschn. 5.1.2.2) ergibt sich in der Praxis die Vorgabe für Apotheker/ innen, bei Wirkstoffverordnung von Biologika mit der verschreibenden Ärztin/dem verschreibenden Arzt Rücksprache zu halten (Ordre National des Pharmaciens 2020). Diese Situation ist ähnlich zu jener in Deutschland, wo zur Zeit mangels Biosimilarsubstitution (erst ab 2022, siehe 7 Abschn. 5.1.2.2) die Apotheke
209 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
5
. Tabelle 5.3 An Ärztinnen und Ärzte gerichtete Maßnahmen zur Förderung des Biosimilar-Einsatzes, 2020. (Quelle: Behördennetzwerk Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI), angeführte Referenzen) Land
DE
Wirkstoffverordnung
Verordnung von Biologika/Biosimilars
In Kraft
Form
Verordnungsvorgaben bzw. -empfehlungen
Positionspapiere/Dokumente
Ja
Freiwillig, bei Biologika (außer Bioidenticals) Rücksprache der Apotheke mit Ärztin/Arzt erforderlich
Ja; Arzneimittelvereinbarungen mit Verordnungsquoten und Selektivverträge (integrierte Verträge), Switch in Verbindung mit engmaschigem Monitoring empfohlen
Leitfaden der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu „Biosimilars“a (August 2017)
Länder in Europa AT
Nein
Nicht erlaubt
Ja; Ärztinnen/Ärzte haben das ökonomisch günstigste Arzneimittel aus mehreren therapeutisch geeigneten Alternativen zu verschreiben (dies gilt auch für Biosimilars)
„Richtlinien über die ökonomische Verschreibweise von Heilmitteln und Heilbehelfen (RöV 2005)“ des Dachverbands der österreichischen Sozialversicherungsträgerb
BE
Ja
Im Allgemeinen freiwillig, aber bei Biologika nicht empfohlen
Ja; Verordnungsquoten (unterschiedliche Höhe nach Fachrichtung) für „günstige Arzneimittel“ (inkl. Biosimilars) Empfehlung der Biosimilar-Verordnung bei naiven Patientinnen/ Patienten, Switch zu und innerhalb von Biosimilars ist möglich (bei Überwachung)
Vereinbarungc aus 2016 zwischen Staat, einigen Fachgesellschaften, der Vereinigung der Krankenhausapotheker/innen und der PharmaIndustrie zur Förderung des Biosimilar-Einsatzes, die auch Teil des Rahmenvertrags mit der pharmazeutischen Industrie („Pakt für die Zukunft“) wurde 2020: Einrichtung einer Task Force, um einen dynamischeren Markt zu fördern
CZ
Ja
Freiwillig
Ja; Empfehlung der BiosimilarVerordnung bei naiven Patientinnen/Patienten, Switch zu und innerhalb von Biosimilars ist möglich
Guidelines der Ärzteschaftd
DK
Nein
Nicht erlaubt
Ja; Empfehlung der BiosimilarEmpfehlungen des Dänischen Verordnung bei naiven Patienten/ Gesundheitsratse Patientinnen und des Switches
ES
Ja
Verpflichtend
Ja; Entscheidung über Switch obliegt Ärztin/Arzt; Switch ist möglich
–
FI
Ja
Freiwillig
Ja; Verpflichtung, die günstigste Therapieoption (für alle Patientinnen/Patienten, nicht nur naive) zu verordnen, wenn Biosimilars verfügbar sind. Verordnung einer teureren Alternative muss schriftlich in der Patientenakte begründet werden
Dekret des Ministeriums für Soziales und Gesundheit (zur Verordnung von günstigsten Therapieoptionen); Positionspapier der Zulassungsbehörde zur Austauschbarkeit von Referenzarzneimitteln durch Biosimilarsf
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
210
. Tabelle 5.3 (Fortsetzung) Land
Wirkstoffverordnung
Verordnung von Biologika/Biosimilars
In Kraft
Form
Verordnungsvorgaben bzw. -empfehlungen
Positionspapiere/Dokumente
FR
Ja
Verpflichtend, aber bei Biologika nicht erlaubt
Ja; vertragliche Verpflichtung für Kassenärztinnen und -ärzte, mind. 20 % Biosimilars bei Insulin glargin zu verordnen; Empfehlung für Switch seitens der Nationalen Gesundheitsbehörde
Schriftliche Empfehlung durch Nationale Gesundheitsbehördeg
IE
Ja
Freiwillig
Ja; Empfehlung für Switch, allerdings unter bestimmten Bedingungen (z. B. stabile, gut betreute Patientinnen/Patienten, klinisches Monitoring, Information an die Patientinnen/Patienten, dass Biosimilars nicht als austauschbar mit den Referenzarzneimitteln erachtet werden)
Derzeit noch nicht. Eine nationale Biosimilar-Policy ist in Entwicklung (Konsultationspapier vom August 2017h )
IT
Ja
Verpflichtend
Ja; Entscheidung über Switch Positionspaper der nationalen obliegt Ärztin/Arzt, aber Verord- Arzneimittelbehörde (aktualisiernung von Biosimilars und Switch te Version von 2018)i wird empfohlen, Verschreibungsquoten in einigen Regionen
NL
Ja
Freiwillig
Ja; Empfehlung für Switch
Position von Zulassungsbehörde und Ärzteschaft auf deren Websites publiziertj
NO
Ja
Freiwillig
Ja; Empfehlung für Switch
Position der Arzneimittelbehörde NOMA auf deren Website publiziertk
PT
Ja
Verpflichtend
Ja; Empfehlung, Arzneimittel, für die Biosimilars vorhanden sind, zu verordnen und naive Patientinnen/Patienten auf die die günstige Arzneimitteltherapie einzustellen; Switch ist unter entsprechenden Voraussetzungen (z. B. Pharmakovigilanz) möglich
Guidelines der Nationalen Arzneimittelkommission auf der Website der Arzneimittelbehörde INFARMED publiziertl
SE
Nein
Nicht erlaubt
Ja; Entscheidung über Auswahl des Referenzarzneimittels oder Biosimilars obliegt Ärztin/Arzt. Diese werden angehalten, unter Berücksichtigung sämtlicher Faktoren (Sicherheit, Wirkung, Preisunterschied zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilar) die Entscheidung zu treffen. Mehrfache Switches werden nicht empfohlen
Bericht der Arzneimittelbehörde mit Empfehlungscharakterm
5
211 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
. Tabelle 5.3 (Fortsetzung) Land
Wirkstoffverordnung
Verordnung von Biologika/Biosimilars
In Kraft
Form
Verordnungsvorgaben bzw. -empfehlungen
Positionspapiere/Dokumente
SK
Ja
Verpflichtend
Ja; Switch ist möglich
Hintergrundpapiere zur Erläuterung von Biosimilars (in erster Linie an Patientinnen/Patienten gerichtet)n
UK
(Ja)
Im Allgemeinen Ja; Entscheidung über Auswahl freiwillig, aber nicht des Referenzarzneimittels oder erlaubt für Biologika Biosimilars obliegt Ärztin/Arzt, aber Ärztinnen und Ärzte werden angehalten, „Best-Value“ auszuwählen. Switch ist unter Einhaltung definierter Voraussetzungen (gemeinsame Entscheidung mit Patientinnen/Patienten, Überwachungsmechanismen) erlaubt
Guidance-Dokument zu Biosimilars der Zulassungsbehördeo
7 https://www.akdae.de/Arzneimitteltherapie/LF/PDF/Biosimilars.pdf Heilmittel umfasst Arzneimittel, 7 https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Avsv/AVSV_2005_0005/AVSV_ 2005_0005.pdfsig c 7 https://www.inami.fgov.be/SiteCollectionDocuments/convention_medicaments_biosimilaires_belgique.pdf d 7 https://www.linkos.cz/ceska-onkologicka-spolecnost-cls-jep/stanoviska-cos/tiskove-centrum/opinionof-the-czech-society-for-oncology-on-the-possibility-of-biosimilar-subst/; 7 http://www.csgh.info/cs/ clanek/doporuceni-pro-podavani-biologicke-lecby-pacientum-s-idiopatickymi-strevnimi-zanety-ctvrteaktualizovane-vydani-10994; 7 https://derm.cz/_files/200000194-4fc1f50c1f/Konsensus%20CDS%20JEP %20k%20bios%20update%202019.pdf e 7 https://medicinraadet.dk/anbefalinger-og-vejledninger/vurderinger-af-biosimilaere-laegemidler f 7 https://www.fimea.fi/documents/542809/838272/29197_Biosimilaarien_vaihtokelpoisuus_EN.pdf g 7 https://www.has-sante.fr/portail/upload/docs/application/pdf/2017-11/bum_medicaments_biosimilaires_v1. pdf h 7 https://health.gov.ie/wp-content/uploads/2017/08/National-Biosimilar-Medicines-Policy-ConsultationPaper-2017.pdf i 7 http://www.aifa.gov.it/sites/default/files/pp_biosimilari_27.03.2018.pdf j 7 https://www.cbg-meb.nl/onderwerpen/medicijninformatie-originele-biologische-medicijnen-enbiosimilars/extra-medische-informatie-voor-zorgverleners; 7 https://www.demedischspecialist.nl/sites/default/ files/Standpunt%20Biosimilars%20Federatie%20Medisch%20Specialisten.PDF k 7 https://legemiddelverket.no/nyheter/switching-between-a-reference-product-and-a-biosimilar l 7 http://www.infarmed.pt/documents/15786/1816213/1_Orienta%C3%A7%C3%B5es_CNFT_Completa_ Final.pdf/bd4475fc-147b-4254-a546-03b8cd63efff; 7 http://www.infarmed.pt/documents/15786/1816213/1_ Orienta%C3%A7%C3%B5es_CNFT_Resumo_Final.pdf/a0e7f259-ec02-45a4-8700-994e712a4f14 m 7 https://www.lakemedelsverket.se/sv/tillstand-godkannande-och-kontroll/tillverkningstillstand/biologiskalakemedel#hmainbody1 n 7 https://www.sukl.sk/buxus/docs/odpovede_na_otazky_o_biologickych_liekoch.SUKL.pdf o 7 https://www.england.nhs.uk/medicines/biosimilar-medicines/ a
b
5
212
5
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
im Falle der Wirkstoffverordnung eines biologischen Wirkstoffes auch zur Rücksprache mit der Ärztin/dem Arzt verpflichtet ist. Dies gilt nicht bei den aus einer Produktion stammenden, aber von verschiedenen Unternehmen vertriebenen Bioidenticals (nach Anlage 1 zum Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V). In allen Referenzländern werden Ärztinnen und Ärzte dazu angehalten, rational zu verordnen, wenngleich die therapeutische Letztentscheidung stets in der Verantwortung der Ärzteschaft liegt. In Portugal wird Ärztinnen und Ärzten empfohlen, Arzneimittel zu verordnen, für die Biosimilars am Markt sind. In Deutschland werden im Rahmen der Arzneimittelvereinbarungen gemäß § 84 SGB V zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen und Verordnungsquoten (Verordnungsanteile) für Biosimilars definiert. Allerdings bestehen deutliche regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern hinsichtlich sowohl der Höhe der jeweiligen Quoten als auch der den Quoten unterliegenden Arzneimitteln. Gängig sind in vielen Regionen Zielvereinbarungen zu Epoetinen, Infliximab und Etanercept; darüber hinaus gibt es in einigen Regionen Zielquoten für onkologische Biosimilars (Rituximab und Trastuzumab). Ergänzt werden diese regionalen Verordnungsquoten um Selektivverträge im Rahmen der besonderen bzw. integrierten Versorgung. Die Patientinnen und Patienten werden dabei für die Zeitdauer der Einschreibung in den Vertrag an ebenfalls am Vertrag teilnehmende Leistungserbringer/innen gebunden, welche verpflichtet sind, bevorzugt Biosimilars zu verordnen. Der seit Beginn 2018 gültige Facharztvertrag der Techniker Krankenkasse (TK) enthält etwa Zielquoten für die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte zur Verordnung von Biosimilars (z. B. für Rheumatologinnen/Rheumatologen eine Biosimilar-Verordnungsquote von 60 % für Etanercept und von 80 % für Infusionen von Infliximab und Rituximab; Luley und Pieloth 2018). Auch ein paar andere Länder haben – wie auf KV-Ebene in Deutschland – Verordnungs-
quoten für preisgünstige Arzneimittel und erwähnen dabei explizit Biosimilars. In Frankreich beispielsweise wurde vor einigen Jahren die Kopfpauschale um eine leistungsorientierte Vergütung für Ärztinnen und Ärzte ergänzt (sogenannte rémunération sur objectifs de santé publique, ROSP), und einige Indikatoren beziehen sich auf Mindestanteile bei verordneten Generika. In die seit Anfang 2017 gültige ROSP 2016 wurde erstmals ein Indikator für Biosimilars aufgenommen: ein Mindestanteil von 20 % biosimilaren Verordnungen bei Insulin glargin – im Vergleich dazu: Generikaquoten von 62 % (Asthmamedikamente) bis 92 % (Statine) (Ministère des Affaires Sociales et de la Santé 2016). Seitens der Sozialversicherung wird dieses Instrument positiv bewertet: der Biosimilar-Anteil bei Insulin glargin konnte von 2017 auf 2018 um 6,3 Prozentpunkte und im Jahr 2019 um weitere 5,2 Prozentpunkte erhöht werden (AMELI 2019, 2020). Im stationären Sektor Frankreichs besteht mit den von den regionalen Gesundheitsbehörden festgelegten CAQUES (Contrat d’Amélioration de la Qualité et de l’Efficience des soins) ein ähnliches Steuerungselement. In einigen Regionen enthalten die CAQUES Zielvorgaben für die Verschreibung von Biosimilars. In Belgien variieren die dortigen Verordnungsquoten für „günstige Medikamente“ je nach Fachrichtung (zwischen 38 % – Fachärztin bzw. Facharzt für Innere Medizin im Bereich Endokrinologie/Diabetologie und 91 % – Zahnärztin bzw. Zahnarzt; die Verordnungsquote liegt bei den Allgemeinärztinnen und -ärzten bei 60 %). Als „günstige Medikamente“ werden Generika, Biosimilars sowie Originalpräparate bzw. Referenzarzneimittel, für die eine Preissenkung auf die Höhe des Generikumbzw. Biosimilarpreises vorgenommen wurde, bezeichnet (INAMI 2018). Im April 2019 wurde die Vorgabe „günstig verschreiben“, die sich bislang nur auf den niedergelassenen Sektor bezogen hatte, auf den stationären Sektor ausgeweitet: Nunmehr besteht die Verpflichtung auch für die Verordnung im Krankenhaus, wenn die Arzneimittel durch die Krankenhausapotheke an nicht-stationäre Patientin-
213 5.1 Maßnahmen zur Preisbildung und der Förderung des Biosimilar-Einsatzes
nen und Patienten abgegeben werden (INAMI 2019). Die Verordnung von Biosimilars kann für therapienaive Patientinnen und Patienten erfolgen, oder im Rahmen eines „Switches“, d. h. einer von der verschreibenden Ärztin bzw. dem Arzt vorgenommenen Umstellung vom Referenzarzneimittel auf ein Biosimilar bzw. von einem Biosimilar auf ein anderes. Der „Switch“ war ein intensiv diskutiertes Thema, und vor ein paar Jahren war zwar in einigen Ländern die Neueinstellung auf ein Biosimilar gewünscht, jedoch wurde noch kein Switch empfohlen. Mittlerweile hat sich das Bild geändert. Wenngleich – wie in allen untersuchten Ländern betont – die Letztverantwortung bei der verschreibenden Ärztin bzw. dem Arzt liegt, wird der Switch tendenziell empfohlen, jedenfalls nicht abgelehnt. Die Empfehlung für den Switch wird dabei an bestimmte Auflagen gebunden (z. B. gemeinsame Entscheidung mit der Patientin bzw. dem Patienten, engmaschiges Monitoring). Dazu wurden in den untersuchten Ländern Positions- bzw. Guidance-Dokumente von den zuständigen Behörden bzw. der Ärzteschaft, in manchen Fällen gemeinsam, publiziert, ähnlich dem Leitfaden „Biosimilars“ der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft vom August 2017 (AkdÄ 2017). Argumentativ unterstützend wirkten sogenannte Switch-Studien, bei denen Fragen der Sicherheit und Wirksamkeit bei der Umstellung auf bzw. innerhalb von Biosimilars untersucht wurden. Die vermutlich bekannteste Switch-Studie ist die sogenannte NORSWITCH-Studie (Jørgensen et al. 2017), die den Wechsel bei rheumatologischen Indikationen in ihrer Gesamtheit untersuchte. Weiterhin wurde eine Studie des italienischen BiosimilarNetzwerks zum Switch von Epoetinen publiziert (Belleudi et al. 2019). In den bisherigen Switch-Studien wurden keine negativen Auswirkungen auf Sicherheit und Wirksamkeit festgestellt, allerdings wurde auf die Bedeutung von Informationsarbeit und Überwachung hingewiesen (für Details siehe 7 Kap. 3, 7 Abschn. 3.7).
5.1.2.2
5
Apothekerinnen und Apotheker: Substitution und finanzielle Anreize
Als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von preisgünstigen Arzneimitteln gilt die Substitution von höherpreisigen durch niedrigpreisigere Arzneimittel seitens von Apothekerinnen und Apothekern in einer öffentlichen Apotheke. Generikasubstitution ist mittlerweile ein Standard und in einem Großteil der europäischen Länder (alle untersuchten Länder dieser Studie mit Ausnahme von Österreich und UK) eingeführt (. Tab. 5.4). Substitution bei Biologika (d. h. Abgabe eines Biosimilars anstelle des Referenzarzneimittels bzw. eines anderen Biosimilars) kommt hingegen nur selten vor und ist selbst in Ländern, in denen Generikasubstitution verpflichtend ist, meist nicht erlaubt. In Spanien beispielsweise ist gesetzlich geregelt, welche Arzneimittel von der Substitution durch die Apothekerin oder den Apotheker ausgeschlossen sind (nur möglich, wenn die verschreibende Ärztin bzw. der Arzt ihre bzw. seine Zustimmung dazu gibt), und dabei werden Biologika (mit den Beispielen Insuline, Blutderivate, Impfstoffe und biotechnologische Medikamente) explizit von der Anwendbarkeit der Regelung ausgeschlossen. Dieses über zehn Jahre alte Gesetz ist immer noch gültig (Ministerio de Sanidad y Consumo 2007). In der Slowakei wird in der gesetzlichen Grundlage für Substitution nicht zwischen Generika und Biosimilar differenziert. Allerdings werden keine Biologika bei der Auflistung der Wirkstoffe, für welche die Substitution vorgeschrieben ist, angeführt. Aktuell (Juli 2020) ist unter den Vergleichsländern nur in Tschechien Biosimilarsubstitution erlaubt. In Frankreich war grundsätzlich seit der Novelle des Sozialversicherungsgesetzes 2014 die Biosimilarsubstitution gesetzlich ermöglicht, bedurfte aber zur Umsetzung einer Präzisierung der Modalitäten (z. B. Kriterien für die Aufnahme in eine biosimilare Gruppe und in das Biosimilar-Register)
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
214
. Tabelle 5.4 An Apothekerinnen und Apotheker gerichtete Maßnahmen zur Förderung des BiosimilarEinsatzes, 2020. (Quelle: Behördennetzwerk Pharmaceutical Pricing and Reimbursement Information (PPRI)) Land
DE
5
Biosimilarsubstitution
Generikasubstitution
Finanzielle Anreize zur Abgabe von Biosimilars
In Kraft
Form
Derzeit nein
GSAV 2019 sieht Biosimilarsubstitution nach Feststellung der Austauschbarkeit durch den GBA ab 2022 vor
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize
Länder in Europa AT
Nein
Nicht erlaubt
Nicht erlaubt
Keine finanziellen Anreize
BE
Nein
Nicht erlaubt
Ja, im Allgemeinen freiwillig (verpflichtend bei Antibiotika und Antimykotika)
Keine finanziellen Anreize
CZ
Ja
Nicht explizit verboten, aber Ja, freiwillig wird von Ärzten/Ärztinnen und Apotheker/innen nicht empfohlen
Keine Information über finanzielle Anreize
DK
Nein
Nicht erlaubt
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize
ES
Nein
Nicht erlaubt
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize
FI
Nein
Nicht erlaubt
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize
FR
Nein
Nicht erlaubt (Ermächtigung zur Biosimilarsubstitution aus 2014 per 2020 abgeschafft)
Ja, freiwillig
Ja, im Rahmen des ApothekenAufschlagsschemas
IE
Nein
Nicht erlaubt
Ja, freiwillig
Keine finanziellen Anreize
IT
Nein
Nicht erlaubt
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize (höhere Apothekenspanne für Generika als für Originalpräparate und Biosimilars)
NL
Nein
Nicht erlaubt
Ja, freiwillig
Keine finanziellen Anreize
Ja, freiwillig
Keine Information über finanzielle Anreize
Ja, verpflichtend (gesetzlich definierte Ausnahmen)
Keine finanziellen Anreize
Ja, verpflichtend
Keine finanziellen Anreize
Ja, verpflichtend
Keine Information über finanzielle Anreize
Nicht erlaubt
Keine finanziellen Anreize
NO
Nein
Nicht erlaubt
PT
Nein
Nicht erlaubt
SE
Nein
Nicht erlaubt
SK
Nein
Nicht erlaubt
UK
Nein
Nicht erlaubt
a
b
GAV = Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung a Öffentliche Anhörung seitens des Ministeriums für Gesundheit und Soziales über Ermöglichung von Biosimilar-Substitution in Apotheken b Nicht explizit geregelt, da die gesetzliche Grundlage für die verpflichtende Substitution nicht konkret auf Generika und Biosimilars eingeht. Allerdings werden bei der taxativen Auflistung der Wirkstoffe, für welche die Substitution vorgeschrieben ist, keine Biologika genannt.
215 5.2 Einsparpotenzial für Deutschland
mittels einer Verordnung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (GaBI Online 2014). Diese Umsetzung erfolgte nicht; stattdessen wurde mit dem Sozialversicherungsgesetz 2020 die Ermöglichung der Biosimilarsubstitution wieder rückgängig gemacht (Ordre National des Pharmaciens 2020). Damit zählt Deutschland mit dem „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) vom August 2019 zu einem Vorreiter bei der Biosimilarsubstitution. Das GSAV erlaubt die automatische Substitution von biologischen Arzneimitteln in der öffentlichen Apotheke ab 2022, unter der Voraussetzung, dass der G-BA die Austauschbarkeit der Präparate festgestellt und die verschreibende Ärztin bzw. der Arzt nicht die Substitution ausgeschlossen hat. Darüber hinaus können in Deutschland bereits seit Jahren bioidentische Arzneimittel (aus der gleichen Produktionslinie) in der Apotheke substituiert werden (GKV-Spitzenverband 2019). In Norwegen wird die Einführung von Biosimilarsubstitution zur Zeit (Juli 2020) im Rahmen eines öffentlichen Konsultationsprozesses diskutiert, nachdem bereits 2017 die norwegische Arzneimittelbehörde eine entsprechende Novellierung des Apothekengesetzes vorgeschlagen hatte (NOMA 2017). Mit Ausnahme von Frankreich sind aus keinem anderen der untersuchten Länder finanzielle Anreize für Apothekerinnen und Apothekern zur Abgabe von Biosimilars bekannt. Im Gegenteil: Das in vielen Ländern nach wie vor genutzte System von – zwar degressiv – ausgestalteten Apothekenspannen (Vogler et al. 2019b) begünstigt tendenziell die Abgabe von eher teureren Medikamenten. In Frankreich wird bei Biosimilars (wie bei Generika außerhalb des Festbetragssystems) die Apothekenspanne von dem Referenzarzneimittel aus berechnet; somit erfahren die Apotheker/innen keine finanzielle Benachteiligung bei der Abgabe der preisgünstigeren austauschbaren Medikamente.
5
Einsparpotenzial für Deutschland
5.2
5.2.1
Ausgangssituation und Szenarien
Die Ermittlung der Einsparpotenziale auf Grund von Biosimilars erfolgte für die Arzneimittelausgaben im deutschen GKV-Markt im Jahr 2019. Dafür wurden biologische Wirkstoffe, zu denen im Jahr 2019 Biosimilars auf dem deutschen Markt waren, herangezogen. . Tab. 5.5 bietet eine Übersicht der ausgewählten Wirkstoffe und der dazu gehörigen Arzneispezialitäten. Wie aus . Tab. 5.5 ersichtlich, werden die in die Analyse aufgenommenen Arzneispezialitäten mittels ihrer Wirkstoffmenge1 pro üblicher Verabreichungseinheit definiert. Unterschiede in der Darreichungsform oder Primärverpackung wurden nicht berücksichtigt, da keine Preisunterschiede innerhalb des Untersuchungszeitraums feststellbar waren. Die in der Tabelle angeführten Arzneispezialitäten sind jedoch in verschiedenen Packungsgrößen in Deutschland verfügbar. Für die Berechnungen wurden folgende Daten herangezogen: 4 Daten über Verordnungen für die Arzneispezialitäten der neun ausgewählten Wirkstoffe im GKV-Markt, auf monatlicher Basis, bereit gestellt vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) 4 Preisdaten aus der Lauer-Taxe, aufbereitet über den Service für Pharma-Preisinformation (PPI), zum Zeitpunkt des Markteintritts des ersten Biosimilars sowie monatliche Preisdaten für das Jahr 2019 für 1
In der Literatur wird der Begriff „Stärke“ als Synonym für die Wirkstoffmenge eines Arzneimittels verwendet. Nicht zulässig hingegen ist die Verwendung des Begriffs „Dosierung“, da dieser die Wirkstoffmenge in Bezug zu einer weiteren Größe (z. B. Standardeinheiten wie ml oder mg) setzt. Zum Beispiel kann Adalimumab 40 mg als Dosierung 40 mg/0,5 ml oder 40 mg/1 ml umfassen.
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
216
. Tabelle 5.5 Übersicht der untersuchten Arzneispezialitäten. (Quelle: European Medicines Agency (EMA), Pharma-Preisinformation (PPI)-Service; Auswahl und Darstellung: Autor/innen) #
5
Wirkstoffname
Monat/Jahr des Patentablaufsa
1
Adalimumab
11/2018
2
Adalimumab
3
Wirkstoffmengeb in mg
Darreichungsform
Primärverpackung
20
Injektionslösung
Fertigspritze
11/2018
40
Injektionslösung
Fertigspritze, Fertigpen, Durchstechflasche
Enoxaparin
06/2011
20
Injektionslösung
Fertigspritze
4
Enoxaparin
06/2011
40
Injektionslösung
Fertigspritze
5
Enoxaparin
06/2011
60
Injektionslösung
Fertigspritze
6
Enoxaparin
06/2011
80
Injektionslösung
Fertigspritze
7
Enoxaparin
06/2011
100
Injektionslösung
Fertigspritze
8
Etanercept
02/2016
25
Injektionslösung, Fertigspritze, Pulver und Lösungsmittel Fertigpen, zur Herstellung einer Durchstechflasche Injektionslösung
9
Etanercept
02/2016
50
Injektionslösung
Fertigspritze, Fertigpen
10
Infliximab
02/2015
100
Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
Durchstechflasche
11
Insulin glargin
12/2014
10,5
Injektionslösung
Fertigpen Fertigkartusche
12
Insulin lispro
05/2017
10,5
Injektionslösung
Fertigpen Fertigkartusche
13
Insulin lispro
05/2017
35
Injektionslösung
Durchstechflasche
14
Pegfilgrastim
10/2018
6
Injektionslösung
Fertigspritze
15
Rituximab
04/2017
100
Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
Durchstechflasche
16
Rituximab
04/2017
500
Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
Durchstechflasche
17
Trastuzumab
04/2018
150
Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
Durchstechflasche
18
Trastuzumab
04/2018
420
Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung
Durchstechflasche
a Bezogen auf den Wirkstoff. Aufgrund der Datenexklusivität kann es bei einzelnen Spezialitäten zu Unterschieden der effektiven Marktexklusivität kommen b Bezogen auf die Wirkstoffmenge der üblichen Abgabeeinheit
217 5.2 Einsparpotenzial für Deutschland
sämtliche am Markt befindliche Arzneispezialitäten der eingeschlossenen Wirkstoffe. Es wurden die Fabrikabgabepreise, abzüglich des verpflichtenden Herstellerrabatts (5,88 %2 auf den Fabrikabgabepreis) herangezogen.
5
den weitestgehend die aktuell gültigen Regelungen des Festbetragssystems herangezogen: 1) der Festbetrag darf nicht das Preisniveau des untersten Drittels einer Festbetragsgruppe übersteigen und 2) eine Festbetragsgruppe umfasst Arzneispezialitäten mit gleichem Wirkstoff, gleicher Wirkstoffmenge und gleicher PrimärverpaDie monatlichen Ausgaben der in die Studie ckung. Unterschiedlichen Packungsgrößen eingeschlossenen Arzneispezialitäten wurden in der Festbetragsgruppe wird Rechnung – sowohl für die Ausgangssituation als auch getragen. die entwickelten Szenarien – auf Basis dieser Mengendaten (abgegebene Stück) und Preisin- 4 Szenario 4: Dieses Szenario beschäftigt sich mit den Auswirkungen einer Ändeformationen ermittelt. rung der Verordnungsquoten, siehe auch Die Einsparpotenziale für die neun Wirk7 Abschn. 5.1.2.1. Bei diesem Szenario stoffe im GKV-Markt wurden für vier Szenariwurde eine Steigerung der aktuell durchen untersucht: schnittlichen Verordnungsquoten um wei4 Szenario 1: Für die Referenzarzneimittel tere 40 % angenommen (zum Beispiel: im (Originalprodukte) werden die deutschen Falle einer Verordnungsquote von 35 % Preise im Jahr 2019 herangezogen, wähwürde sich diese auf 49 % erhöhen). rend für Biosimilars ein Preisabschlag von Die prozentuellen Steigerungswerte wur30 % gegenüber dem zum Zeitpunkt des den auf Basis geltender Verordnungsquoten Markeintritts des ersten Biosimilars gültiin den Bundesländern gewählt. gen Preis des Referenzarzneimittels angewendet wird. Dieses Szenario basiert somit 4 Szenario 5: Dies zielt auf das Einsparpotenzial ab, das sich aus der Substitution eines auf der Annahme, es käme eine gesetzlihöherpreisigen Präparates durch ein günsche Preis-Link-Regelung für Biosimilars in tigeres, wirkstoffgleiches Produkt ergibt. Deutschland zur Anwendung. Dabei wird die Annahme getroffen, dass 4 Szenario 2: Gleich wie Szenario 1, aber es 50 % aller Verordnungen des Produktes mit wird angenommen, dass für Referenzarzdem höchsten Preis durch das Präparat mit neimittel ebenfalls ein Preisabschlag von dem niedrigsten Preis substituiert werden. 15 % zum Zeitpunkt des Markteintritts des Biosimilars zur Anwendung kommt. In diesem Szenario wird somit ergänzend eine erweiterte Anwendung einer Preis-Link- 5.2.2 Ergebnisse Regelung (mit einer Preiskürzung auch für Originalprodukte) zugrunde gelegt. 4 Szenario 3: Darin werden die Auswirkun- Die entsprechend der in 7 Abschn. 5.2.1 dargen einer Festbetragsbildung für sämtli- gestellten Methodik ermittelten GKV-Ausgache eingeschlossene biologische Arznei- ben für die neun Wirkstoffe betrugen in Summittel untersucht. In diesem Szenario wer- me 2.612,42 Mio. C im Jahr 2019. Davon entfiel ein knappes Drittel auf Adalimumab 2 Aus dem Bundesfinanzhof-Urteil vom 28.05.2009 – (32,5 % der GKV-Ausgaben für die neun VR2/08 geht hervor, dass der Herstellerabschlag ei- Wirkstoffe), während Etanercept und Trastunen Bruttorabatt darstellt. Dies bedeutet, dass der zumab für jeweils 16,5 bzw. 10,9 % der Ausgesetzliche Herstellerabschlag von 7 % einer Netto- gaben verantwortlich zeichneten (. Abb. 5.1). Entlastung der Krankenkassen von 5,88 % entspricht. Die GKV-Ausgaben wiesen bei einzelnen Die Anwendung des Wertes von 5,88 % bildet daher passender die Einsparpotenziale für die Krankenkas- Wirkstoffen Schwankungen zwischen den Monaten auf, was mit Feiertagen und Urlaubssen ab.
218
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
300,00
250,00
Trastuzumab
200,00
Rituximab Pegfilgrastim Insulin lispro
150,00
Insulin glargin Infliximab Etanercept
5
100,00
Enoxaparin Adlimumab
50,00
Jan
Feb
Mär
Apr
Mai
Jun
Jul
Aug
Sep
Okt
Nov
Dez
. Abb. 5.1 Monatliche Arzneimittelausgaben (in Mio. C) für ausgewählte Wirkstoffe, auf Basis von Mengendaten (abgegebene Stück) und des Fabrikabgabepreises abzgl. Herstellerrabatt, GKV-Markt 2019. (Quellen: Pharma-Preisinformation (PPI) Service, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO); Analyse und Darstellung: Autor/innen)
zeit erklärt werden kann (z. B. Trastuzumab – mögliches Vorziehen von onkologischen Behandlungen). Besonders auffällig ist der 20prozentige Rückgang der Ausgaben zwischen Mai und Juni, welcher sich auf die Verordnungszahlen aller Arzneispezialitäten niederschlägt. Gründe hierfür könnten die Pfingstferien in Bayern und Baden-Württemberg sowie der Beginn der Sommerferien in Berlin und Brandenburg sein, welche 2019 in den Juni fielen. Die Ergebnisse der beschriebenen Szenarien und deren Auswirkungen auf die definierten Arzneispezialitäten sind in . Tab. 5.6 dargestellt. In jedem der beschriebenen Szenarien hätten durch optimierten Einsatz von Marktsteuerungsmaßnahmen Einsparungen für den GKVMarkt 2019 erzielt werden können. In „Szenario 1“ liegen diese bei 115,9 Mio. C, was einer Reduktion von 4,4 % gegenüber dem Ausgangswert entspricht. Die Einsparpotenziale betragen in „Szenario 2“ 319,6 Mio. C (12,2 %), in „Szenario 3“ 306,4 Mio. C (11,7 %), in „Szenario 4“ 52,4 Mio. C (2,0 %) und in „Szenario 5“ 212,4 Mio. C (8,1 %).
Dabei entfällt ein bedeutender Anteil der möglichen Einsparungen auf das ausgabenstarke Adalimumab 40 mg in einer Fertigspritze/ Fertigpen/Durchstechflasche, jedenfalls in den Szenarien 2, 3 und 5. Die höchsten Einsparpotenziale werden in „Szenario 2“ erreicht, in welchem bei der Preis-Link-Politik ein Preisabschlag sowohl für Biosimilars als auch auf das Referenzarzneimittel vorgenommen wurde (wie etwa auch tatsächlich in Frankreich oder Österreich der Fall, vgl. . Tab. 5.1). Das Einsparpotenzial liegt zwischen 3 und knapp 22 % und ist tendenziell niedriger für Arzneispezialitäten des niedergelassenen Sektors, für welche mehr als ein Biosimilar verfügbar ist. Eine vergleichende Analyse der beiden ersten Szenarien zeigt zum einen, dass bei den Referenzarzneimitteln häufig der Preis nicht gesenkt wurde („sticky prices“) und zum anderen, dass immer noch ein beachtlicher Anteil der Verordnungen auf die – höherpreisigen – Referenzarzneimittel entfällt. Ein ähnlich hohes Einsparpotenzial wie „Szenario 2“ weist auch „Szenario 3“ auf, in welchem alle untersuchten Wirkstoffe in das Festbetragssystem eingeschlossen wurden.
Enoxaparin, 60 mg
Enoxaparin, 80 mg
Enoxaparin, 100 mg
Etanercept, 25 mg
Etanercept, 50 mg
Infliximab, 100 mg
Insulin glargin, 10,5 mg
Insulin lispro, 10,5 mg
Insulin lispro, 35 mg
Pegfilgrastim, 6 mg
Rituximab, 100 mg
Rituximab, 500 mg
Trastuzumab, 150 mg
Trastuzumab, 420 mg
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
76,39
1,2
124,85
160,83
198,67
8,61
86,30
319,61
12,2
21,6
19,6
19,0
17,5
11,5
15,1
18,7
15,4
3,1
11,2
12,2
12,8
13,3
13,3
12,7
13,1
Änderung
306,37
2.305,87
122,985
155,55
195,11
8,38
75,54
13,23
85,99
169,09
275,25
364,99
32,47
7,78
21,81
19,40
66,57
3,73
685,56
2,45
11,7
1,5
3,3
1,8
2,7
12,5
9,7
9,5
8,5
11,9
7,6
12,9
14,6
15,5
15,8
18,3
18,1
19,0
25,1
(in Mio. C) (in %)
Szenario 3
Änderung
52,38
2.559,86
124,85
156,01
193,63
8,30
85,06
14,54
93,87
184,72
309,96
378,77
32,54
9,08
25,62
22,65
79,66
4,47
833,45
2,71
2,0
0,0
3,0
2,5
3,7
1,4
0,7
1,3
0,0
0,8
4,1
12,8
0,3
0,8
1,7
2,2
1,7
1,6
17,0
(in Mio. C) (in %)
Szenario 4
Änderung
212,44
2.399,80
123,45
156,87
196,00
8,44
78,23
13,58
88,26
172,00
299,25
374,91
33,75
8,13
22,85
20,34
70,3
3,94
725,87
2,65
8,1
1,1
2,5
1,4
2,0
9,4
7,3
7,2
6,4
4,2
5,0
9,5
10,8
11,5
11,7
13,7
13,4
14,3
18,8
(in Mio. C) (in %)
Szenario 5
219
115,86
2.496,38
109,40
141,17
166,92
7,42
85,27
14,56
2.292,63
12,44
0,6
14,65
87,51
4,4
77,30
7,9
95,05
179,60
97,88
156,26
2,8
184,72
302,77
12,4
302,77
3,1
312,37
371,71
129,28
350,77
5,9
394,82
36,50
12,2
32,74
2,2
37,30
9,00
7,07
7,94
1,2
9,11
25,57
160,96
22,38
0,9
25,81
22,86
16,0
19,97
0,8
23,04
81,49
4,54
13,8
71,16
˙0,0
81,49
–
Enoxaparin, 40 mg
4
3,95
0,3
4,55
Einsparpotenzial (in Mio. C)
Enoxaparin, 20 mg
3
10,2
760,64
846,81
3,26 ˙0,0
846,81
2.612,24
Adalimumab 40 mg
2
3,26
15,9
Änderung
2,74
Szenario 2 (in Mio. C) (in %)
Änderung
˙0,0
Szenario 1
(in Mio. C) (in Mio. C) (in %)
Ausgangswert
Ausgaben gesamt
Adalimumab 20 mg
Ausgaben
1
#
. Tabelle 5.6 Potenzielle Ausgaben und Einsparungen (in %) 2019 für fünf Szenarien, dargestellt nach ausgewählten Arzneispezialitäten. (Quellen: Lauer Taxe/PharmaPreisinformation (PPI) Service, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO); Analyse und Darstellung: Autor/innen)
5.2 Einsparpotenzial für Deutschland
5
220
5
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
Allerdings zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der Höhe des Einsparpotenzials zwischen den Arzneispezialitäten. Wirkstoffe, bei denen einzelne Arzneispezialitäten (im Allgemeinen das Referenzarzneimittel) deutlich über dem Festbetrag liegende Preise aufweisen, bergen ein höheres Einsparpotenzial (z. B. Adalimumab). In „Szenario 4“, in dem die Änderungen der Verordnungsquoten untersucht werden, weisen die möglichen Einsparungen mit 52,4 Mio. C (2,0 % im Vergleich zum Ausgangsszenario) die niedrigsten Werte aus. Lediglich bei Adalimumab 20 mg (17,0 %) und Etanercept 25 mg (12,6 %) weisen die Erhöhungen von Verordnungsquoten für Biosimilars Einsparpotenziale in relevanten Dimensionen (prozentual gesehen) auf. In Absolutbeträgen (0,6 und 4,7 Mio. C) jedoch fallen diese Einsparungen deutlich geringer als für Adalimumab 40 mg (13,4 Mio. C) oder Etanercept 50 mg (16,1 Mio. C) aus. Die Ergebnisse in diesem Szenario legen nahe, dass die in den Rahmenvereinbarungen festgelegten Verordnungsquoten bereits weitestgehend erfüllt zu sein scheinen. „Szenario 5“, in welchem für 50 % der Verordnungen des höchstpreisigen Produktes eines Wirkstoffes eine Substitution durch das niedrigstpreisige Produkt angenommen wird, generiert Einsparungen, welche mit 212,4 Mio. C (8,1 %) eher im Mittelfeld im Vergleich zu den anderen Szenarien liegen. Für Wirkstoffe mit geringen Preisunterschieden zwischen den Arzneispezialitäten liegt das Einsparpotenzial bei lediglich 1,1 bis 2,5 %. Dieses Szenario entfaltet in besonderem Maße seine Wirkung bei jenen Wirkstoffen, bei denen ein hoher Anteil der Verordnungen auf höherpreisige Arzneispezialitäten (i. d. R. Referenzarzneimittel) entfällt; so liegen etwa die Einsparungen bei Adalimumab 40 mg bei 121 Mio. C (14,3 %). In allen Szenarien käme es zu einer Senkung der GKV-Ausgaben für die ausgewählten Wirkstoffe; darüber hinaus würde sich „Szenario 3“ auch auf die privaten Arzneimittelausgaben auswirken: Während in den übrigen
Szenarien die Ausgaben zur Gänze von den öffentlichen Zahlern (Krankenkassen) getragen werden, könnte die Aufnahme von Biosimilars in das Festbetragssystem Aufzahlungen von Patientinnen und Patienten verursachen. Wenngleich Patientinnen und Patienten selten ein Präparat oberhalb des Festbetrags wählen (Anteil aufzahlungspflichtiger Verordnungen betrug 2018 7,8 % (Bundesministerium für Gesundheit 2020)), sollten jedoch mögliche Implikationen nicht außer Acht gelassen werden.
5.3
Diskussion
Die in der Vergangenheit vergleichsweise niedrigen erzielten Einsparungen im deutschen biosimilarfähigen Markt wurden einem mangelnden Wettbewerb, geringen Preisdifferenzen zwischen Referenzarzneimitteln und Biosimilars sowie einer langsamen Marktdurchdringung zugeschrieben (Schröder et al. 2019). Letztere ist wiederum durch Unklarheit über die Sicherheit und Wirksamkeit von Biosimilars sowohl seitens der Ärzteschaft als auch der Patientinnen und Patienten bedingt (siehe 7 Kap. 3, 7 Abschn. 3.8). Diese Effekte finden sich zum Teil auch in den Berechnungen dieses Beitrages wieder (siehe 7 Abschn. 5.2.2). Der vorliegende Beitrag zielte unter anderem auf eine Kontextualisierung ausschlaggebender Faktoren sowie eine Analyse ihrer potentiellen Auswirkungen auf mögliche Einsparpotenziale in Deutschland ab. Als angebotsseitige Maßnahmen wurden der PreisLink, Ausschreibungen im stationären und niedergelassenen Sektor sowie Festbetragssysteme untersucht. Auf der Nachfrageseite wurden an Ärztinnen/Ärzte (Empfehlungen bzw. Vorgaben, etwa in Form von Verordnungsquoten zur verstärkten Verordnung von Biosimilars inklusive der Umstellung vom Referenzarzneimittel zum Biosimilar, also ein sogenannter „Switch“) und an Apotheker/innen (Biosimilarsubstitution) gerichtete Maßnahmen identifiziert.
221 5.3 Diskussion
Im Gegensatz zu den meisten untersuchten Ländern kommt in Deutschland kein Biosimilar Preis-Link zur Anwendung, obwohl dieser Maßnahme – wie auch einer verpflichtenden Biosimilarsubstitution – bedeutende Einsparpotenziale für die GKV zugeschrieben werden (Schröder et al. 2019). Die Ergebnisse der Berechnungen zu „Szenario 1“ und „Szenario 2“ stützen diese Annahme des Einsparpotenzials, wobei einer Preissenkung bei den Referenzarzneimitteln entscheidende Auswirkungen zukämen. Ein Preisabschlag von 30 % ausschließlich auf Biosimilars der in diesem Beitrag betrachteten Wirkstoffe könnte Einsparungen in der Höhe von 115,9 Mio. C generieren. Dieser Betrag würde sich fast verdreifachen, wenn der Preis der Referenzarzneimittel bei Markteintritt eines Biosimilars ebenfalls um 15 % gesenkt würde. Allerdings liegen die Einsparungen bei lediglich 12,2 % des Ausgangwertes. Diese Ergebnisse sind eine Folge der relativ geringen Preisdifferenzen zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilars sowie vergleichsweise hohen Verordnungsanteilen für die Originalpräparate. Vor dem Hintergrund der in anderen europäischen Ländern angewandten Maßnahmen scheinen der angenommene Preisabschlag von 30 % zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilar wie auch der 15-prozentige Preisabschlag für die Referenzarzneispezialität höchst plausibel (vgl. auch Schröder et al. 2019). Länder mit einem PreisLink für Generika (11 der 15 analysierten Vergleichsländer) wenden diese Maßnahme auch bei Biosimilars an; umgekehrt setzen Länder ohne Generika-Preis-Link den Preis des Biosimilars nicht in Bezug zum Referenzarzneimittel. Während Biosimilar-Ausschreibungen im stationären Sektor aller untersuchten Länder eingesetzt werden, sind diese im niedergelassenen Bereich seltener (4 der 15 Vergleichsländer). Die dänische Einkaufsgesellschaft AMGROS, die zentral die Ausschreibungen für den dänischen Krankenhaussektor durchführt, berichtet von insgesamt 65–80 % Einsparungen aufgrund von Biosimilars (persönliche Mitteilung); dies ist auch vor dem Hinter-
5
grund zu sehen, dass Biosimilars in Dänemark hauptsächlich stationär eingesetzt werden. In den Niederlanden wurde das im Sinne der Kostendämmung erfolgreiche „Präferenzpreissystem“ (Panteli et al. 2016) im Jahr 2016 auf Biosimilars ausgeweitet. In Deutschland sind im Rahmen der Rabattverträge nach § 130a SGB V im niedergelassenen Sektor Ausschreibungen für Biosimilars möglich. Die Einführung der Biosimilarsubstitution ab 2022 wird die Bedeutung dieses Instrumentes voraussichtlich stärken: im Generikamarkt zeichnet die Kombination aus Rabattverträgen und Substitution für eine rund 10 %-ige Senkung der GKV-Ausgaben verantwortlich (Schröder et al. 2019). Die Simulation einer alleinigen Substitution für alle in diesem Beitrag betrachtete Wirkstoffe zeigte ein niedrigeres, aber von der Größenordnung vergleichbares Einsparpotential von 8,1 %. Für eine verstärkte Nutzung von ausschreibungsähnlichen Prozessen im niedergelassenen Sektor sprechen auch die bescheidenen Preissenkungen sowie die geringen Preisunterschiede zwischen Referenzarzneimittel und Biosimilars bei Wirkstoffen aus der Stichprobe dieses Beitrags, welche hauptsächlich im Krankenhaus eingesetzt werden, wie Trastuzumab und Rituximab. Die offiziellen Preise, die für die Berechnungen herangezogen wurden, bewegten sich im Durchschnitt bei 80–85 % des Originalpreises bei Patentablauf, und das trotz einer ausreichenden Anzahl an Biosimilaranbietern. Die Preissenkungen, die durch Ausschreibungen bzw. Verhandlungen im stationären Sektor zustande kommen, sind hier nicht beschrieben. In einer Reihe von europäischen Ländern wurden Biosimilars in ein bestehendes Festbetragssystem aufgenommen. Allerdings bedarf ein Festbetragssystem eines funktionierenden Wettbewerbs zwischen mehreren Anbietern, um sein kostendämpfendes Potenzial optimal zu entfalten. Diese Voraussetzung ist aktuell im deutschen Biologikamarkt nur bei wenigen Wirkstoffen erfüllt. Je mehr Anbieter für Biosimilars eines Wirkstoffs am Markt sind, umso niedriger lägen deren Preise im Vergleich zum Preis des Referenzarzneimittels (Curto
222
5
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
et al. 2014), und desto niedriger entsprechend auch der Festbetrag, wenn für seine Bestimmung weiterhin ein Benchmark innerhalb der vorliegenden Preisspanne herangezogen würde. Dies wird auch vom im „Szenario 3“ ermittelten Einsparpotenzial bestätigt, welches mit 306,4 Mio. C (11,7 % des Ausgangswertes) das zweithöchste in der Analyse ist, und sich ungleichmäßig über die eingeschlossenen Wirkstoffe verteilt (in Abhängigkeit von der Anzahl von verfügbaren Biosimilars und den entsprechenden Preisdifferenzen). Vereinzelt wurde das Potenzial dieser Maßnahme selbst von Ländern, die grundsätzlich kein Festbetragssystem einsetzen, genutzt, wie das Beispiel England (landesweit einheitliche Referenzpreise für Adalimumab seit April 2019) zeigt. Auf der Nachfrageseite weist Deutschland hinsichtlich der an Ärztinnen und Ärzte gerichteten Maßnahmen einige Initiativen auf, ist allerdings nicht Vorreiter: Die Wirkstoffverordnung eines Biologikums (abgesehen von aus einer Produktion stammenden, aber von verschiedenen Unternehmen vertriebenen Bioidenticals) führt nicht automatisch zur Abgabe eines Biosimilars in der Apotheke. In diesem Fall muss die Apotheker/in mit der/dem verschreibenden Ärztin/Arzt Rücksprache halten, welches Produkt abgegeben werden darf. Wie in der Mehrheit der untersuchten Länder wird auch Ärztinnen und Ärzten in Deutschland eine Umstellung der Verordnung („Switch“) vom Referenzarzneimittel zu einem Biosimilar empfohlen; dies stützt sich auf die neuesten Erkenntnisse der klinischen Forschung, welche die Unbedenklichkeit des Wechsels bezüglich Sicherheit und Wirksamkeit demonstrieren. Deutschland zählt zu den wenigen Ländern, welche den Biosimilar-Einsatz mittels Verordnungsquoten – allerdings auf regionaler Ebene – zu steigern versuchen. Hierbei zeigen sich allerdings erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Abgesehen davon, dass Verordnungsquoten in Folge der verstärkten Verschreibung der niedrigpreisigeren Biosimilars zu Einsparungen für die GKV betragen, scheinen sie zusätzlich einen An-
reiz für Anbieter von Biosimilars zu schaffen, auf den – bislang noch wettbewerbsarmen – Biologikamarkt Deutschlands zu kommen (Schröder et al. 2019). Insgesamt kann – auch wegen der Neuheit mancher Maßnahmen, etwa der Biosimilarzielquoten im Facharztvertrag der TK – noch keine umfassende Bewertung für Deutschland vorgenommen werden; diese Maßnahmen gilt es zu evaluieren. Allerdings erlaubt das Ergebnis für „Szenario 4“ eine erste Interpretationsmöglichkeit: die zusätzlichen möglichen Einsparungen in Folge der Erhöhung der Biosimilarzielquote fallen mit insgesamt 2 % des Ausgangswertes im Vergleich zu den übrigen Szenarien am niedrigsten aus. Nur für einzelne Produkte wären zusätzliche Einsparungen von über 10 % zu erzielen. Die Maßnahme scheint somit ihre – oft allerdings nicht sehr ambitionierte – Wirkung bereits entfaltet zu haben. Mit der avisierten Biosimilarsubstitution auf Apothekenebene zählt Deutschland zu den Pionierländern, wo dieser Hebel zum Tragen kommen wird. Ob sich diese Regelung kostendämpfend bzw. wettbewerbsfördernd auswirkt, wird sich zu gegebener Zeit zeigen. Das Ergebnis von „Szenario 5“ legt nahe, dass die Höhe der durch eine Substitution erzielbaren Einsparungen bedeutend vom Ausmaß der Preisdifferenz zwischen austauschbaren Produkten abhängt. Im Zusammenhang mit Maßnahmen, die sich an Apotheker/innen richten, sollte eine Überprüfung der Ausgestaltung der Apothekenspannen mitgedacht werden. Sind diese ausschließlich preisorientiert ausgestaltet (d. h. die Spanne orientiert sich an den Medikamentenpreisen) anstelle von leistungsorientierter Honorierung, besteht insbesondere bei hochpreisigen Medikamenten weiterhin ein Anreiz für Apotheken, trotz alternativer Medikamente am Markt tendenziell teurere Produkte abzugeben. Zugleich werden „Hochpreiser“-Medikamente wegen der aktuellen Großhandels- und Apothekenhonorierung von diesen Distributionsakteuren als nicht attraktiv gesehen (Müller 2015). Frankreich scheint sich in die entgegengesetzte Richtung als Deutschland zu bewegen: nach jahre-
223 5.4 Fazit
langer Trägheit bei der Umsetzung wurde die Substitution 2020 ganz abgeschafft. Apotheker/innen müssen jetzt (so wie derzeit noch ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen) bei einer Wirkstoffverordnung mit den verordnenden Ärztinnen und Ärzten Kontakt aufnehmen. Die nachfrageseitigen Maßnahmen zielen vorwiegend darauf ab, die Markdurchdringung von Biosimilars zu erhöhen; wie beschrieben scheint dies teilweise bereits von Erfolg gekrönt gewesen zu sein. Die damit verbundene Steigerung der Marktattraktivität kann wiederum die Anzahl der Anbieter steigern, was preissenkend wirkt. Die Konsequenzen des Markteintritts von zusätzlichen Biosimilars auf das Preisniveau wurden bereits analytisch untersucht (Vogler et al. 2019a). Für Wirkstoffe wie Infliximab und Etanercept – für welche bereits seit längerer Zeit Biosimilars auf dem Markt sind – ließen sich nachhaltige Preissenkungen ausmachen. Die Hoffnung auf mögliche Einsparungen auf Grund einer höheren Marktdurchdringung mit Biosimilars, welche mittels einer ausgewogenen Mischung aus preissenkenden und wettbewerbsfördernden Maßnahmen erreicht werden kann, hegt nicht nur die GKV: Zum Beispiel erwartet NHS England jährliche Einsparungen von umgerechnet rund 330 Mio. C bis zum Jahr 2021 in Folge der Umsetzung der Maßnahmen zur Steigerung des Biosimilar-Einsatzes (NHS England und NHS Improvement 2019). Im internationalen Vergleich bewegen sich deutsche Listenpreise von Biosimilars tendenziell im höheren Bereich (Vogler et al. 2019a). Dies stellt einen Unterschied zu den Generikapreisen dar (Wouters und Kanavos 2017) und könnte unter anderem der oben beschriebenen Konstellation von (neu) eingeführten oder noch umzusetzenden Maßnahmen sowie der Anbieterstruktur geschuldet sein (Vogler et al. 2019a). Das relativ hohe Preisniveau in Deutschland erklärt auch, warum die Einsparpotenziale in diesem Beitrag, in dem die (erweiterte) Umsetzung unterschiedlicher Maßnahmen unter ausschließlicher Betrachtung deutscher Preise simuliert wird, niedriger
5
ausfallen als jene, die auf Basis von offiziellen, niedrigeren Preisen im Ausland berechnet wurden (vgl. Vogler et al. 2019a). Die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Preise mit denen in traditionell preisgünstigeren Ländern konvergieren, ist gering. Darüber hinaus ist im Vergleich zum Arzneiverordnungsreport 2019 festzustellen, dass bei manchen Wirkstoffen niedrigere Ausgaben ermittelt wurden, wenngleich sich die Verordnungszahlen gesamt (für Referenzarzneimittel und Biosimilars) in ähnlichem Ausmaß bewegten. Dies deutet auf eine Erhöhung der Biosimilarquote im Laufe des Jahres 2019 hin und spricht für die Nutzung der Einsparpotenziale der in Deutschland geltenden Maßnahmen.
5.4
Fazit
In der Gesundheitspolitik tragen internationale Vergleiche dazu bei, evidenzbasiert Ideen für die Entwicklung bzw. Umsetzung von Maßnahmen im eigenen Land zu generieren; somit können Einsichten zu „Best Practice(s)“ gewonnen und entsprechende Maßstäbe abgeleitet werden. In diesem Beitrag wurde eine Reihe von marktsteuernden Mechanismen für Biosimilars in Deutschland und 15 weiteren europäischen Ländern untersucht. Abgesehen vom Preis-Link-Ansatz (der derzeit keine Anwendung in Deutschland findet) und der Substitution auf Apothekenebene (die ab 2022 vorgesehen ist) unterscheiden sich die Marktsteuerungselemente in Deutschland kaum von jenen in den Vergleichsländern. Für Generika wurden etwa mittels Rabattverträgen entsprechende Wirtschaftlichkeitspotenziale zu einem großen Teil bereits erschlossen; aufgrund der relativen Neuheit von Biosimilars liegt für Marktsteuerungsmechanismen für diese Medikamentengruppe hingegen vergleichsweise wenig Evidenz vor, da diese Maßnahmen noch nicht lange zur Anwendung kommen bzw. zum Teil erst pilotiert werden. Nichtsdestotrotz scheinen bereits umgesetzte Maßnahmen erste Auswirkungen zu zeigen. Es ist weiter-
224
Kapitel 5 Biosimilars in Deutschland und im europäischen Vergleich
hin – wie es für alle Politikmaßnahmen guter Standard sein sollte – unerlässlich, bestehende und neu einzuführende Interventionen kontinuierlich zu beobachten und zu evaluieren: in Hinblick auf die Entfaltung von Einsparpotenzialen für die öffentliche Hand, aber auch im Hinblick auf weitere, gegebenenfalls nicht intendierte Auswirkungen, insbesondere auf das Patientenwohl.
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227
Indikationsgruppen Inhaltsverzeichnis Kapitel 6
Hemmstoffe des Renin-AngiotensinSystems – 231 Franz Weber und Manfred Anlauf
Kapitel 7
Analgetika – 261 Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt
Kapitel 8
Antiallergika – 279 Anette Zawinell und Ulrich Schwabe
Kapitel 9
Antianämika – 297 Jan Matthes
Kapitel 10
Antibiotika und Antiinfektiva – 307 Winfried V. Kern
Kapitel 11
Antidementiva – 331 Ulrich Schwabe
Kapitel 12
Antidiabetika – 339 Marc Freichel und Klaus Mengel
Kapitel 13
Antiemetika und Antivertiginosa – 359 Karl-Friedrich Hamann
Kapitel 14
Antiepileptika – 365 Ulrich Schwabe
Kapitel 15
Antihypertonika – 379 Manfred Anlauf und Franz Weber
II
Kapitel 16
Antithrombotika und Antihämorrhagika – 395 Lutz Hein und Hans Wille
Kapitel 17
Antirheumatika und Antiphlogistika – 421 Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt
Kapitel 18
Antitussiva und Expektorantien – 437 Björn Lemmer
Kapitel 19
Betarezeptorenblocker – 447 Björn Lemmer
Kapitel 20
Bronchospasmolytika und Antiasthmatika – 455 Björn Lemmer
Kapitel 21
Calciumantagonisten – 473 Thomas Eschenhagen
Kapitel 22
Corticosteroide – 481 Ulrich Schwabe
Kapitel 23
Dermatika – 487 Judith Günther und Uwe Fricke
Kapitel 24
Diuretika – 537 Hartmut Oßwald und Bernd Mühlbauer
Kapitel 25
Gichtmittel – 549 Bernd Mühlbauer und Gerhard Schmidt
Kapitel 26
Herztherapeutika – 555 Thomas Eschenhagen
Kapitel 27
Hypnotika und Sedativa – 571 Martin J. Lohse
Kapitel 28
Hypophysen- und Hypothalamushormone – 583 Ulrich Schwabe
229
Kapitel 29
Immunglobuline und Immunsuppressiva – 593 Ulrich Schwabe
Kapitel 30
Lipidsenkende Mittel – 601 Gerald Klose und Ulrich Schwabe
Kapitel 31
Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika – 615 Ansgar W. Lohse und Samuel Huber
Kapitel 32
Migränemittel – 643 Jan Matthes
Kapitel 33
Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose – 653 Roland Seifert und Martin Stangel
Kapitel 34
Onkologika – 671 Wolf-Dieter Ludwig und Ulrich Schwabe
Kapitel 35
Ophthalmika – 733 Martin J. Lohse
Kapitel 36
Osteoporosemittel – 759 Hans Christian Kasperk und Reinhard Ziegler
Kapitel 37
Parkinsonmittel – 771 Roland Seifert
Kapitel 38
Psychopharmaka – 781 Martin J. Lohse
Kapitel 39
Rhinologika und Otologika – 815 Karl-Friedrich Hamann
Kapitel 40
Schilddrüsentherapeutika – 825 Reinhard Ziegler und Hans Christian Kasperk
II
Kapitel 41
Sexualhormone – 833 Thomas Strowitzki
Kapitel 42
Urologika – 849 Bernd Mühlbauer und Hartmut Oßwald
Kapitel 43
Vitamine und Mineralstoffpräparate – 861 Katja Niepraschk-von Dollen
Kapitel 44
Zahnärztliche Arzneiverordnungen – 873 Frank Halling
231
6
Hemmstoffe des ReninAngiotensin-Systems Franz Weber und Manfred Anlauf
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) gehören zu den erfolgreichsten Arzneimitteln zur Behandlung von Hypertonie, Herz- und Nierenkrankheiten. ACE-Hemmer dominieren weiterhin die Substanzgruppe, steigern ihren Marktanteil jedoch nur gering im Vergleich zum Vorjahr (1,5 %), während Angiotensinrezeptorantagonisten große Gewinne verbuchen (10,8 %). Trend Die Verordnungen der Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems waren zusammen so hoch, dass sie 59,3 % des Verordnungsvolumens der Antihypertensiva ausmachen. Die günstigsten Tagestherapiekosten für Monopräparate haben weiterhin die ACE-Hemmer (0,05 C), deutlich höher liegen Sartane (0,10 C). Bewertung ACE-Hemmer und Sartane werden nach aktuellen Leitlinien als Mittel der Wahl zur antihypertensiven Therapie empfohlen. Eine Überlegenheit der Angiotensinrezeptorantagonisten im Vergleich zu ACEHemmern ist bei den unerwünschten Wirkungen (insbesondere Husten und Angioödem) belegt, für die Verhinderung korona-
rer Ereignisse deutet sich in kontrollierten Studien eine leichte Unterlegenheit, bei der Vermeidung zerebraler Ereignisse eine geringe Überlegenheit an. Eine Kombination von ACE-Hemmern und Angiotensinrezeptorantagonisten wird von der EMA wegen besonderer Gefahren nicht empfohlen.
ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorantagonisten und Renininhibitoren sind Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems. Wichtigster Mediator dieses Systems ist das stark vasokonstriktorisch wirkende Angiotensin II, das über Kurz- und Langzeiteffekte maßgeblich an der Blutdruckregulation beteiligt ist. Zusätzlich hat es zahlreiche indirekte Gefäßeffekte, da es die Freisetzung von Noradrenalin, die adrenale Aldosteronsynthese, die tubuläre Natriumrückresorption und die Bildung von Wachstumsfaktoren (Herzhypertrophie, Remodeling) erhöht. Alle diese Angiotensinwirkungen werden über AT1 -Rezeptoren vermittelt. Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems beeinflussen die Angiotensinwirkungen auf Gefäße, Nieren und Herz auf unterschiedliche Weise. Renininhibitoren hemmen die Bildung von Angiotensin I aus Angiotensinogen. ACE-Hemmer blockieren die Bildung von Angiotensin II durch Hemmung der Konversion
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_6
232
6
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
aus seinem Vorläufer Angiotensin I. Gleichzeitig verhindern ACE-Hemmer den Abbau von Bradykinin und verlängern dadurch seine vasodilatierenden und antiproliferativen Effekte auf die Gefäße. Angiotensinrezeptorantagonisten (AT1 -Rezeptorantagonisten, Sartane) blockieren selektiv den Angiotensin1 -Rezeptor und verhindern dadurch die Wirkungen von Angiotensin II. Durch die Blockade in entscheidenden Bereichen des Renin-Angiotensin-Systems haben ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorantagonisten neben der reinen Blutdrucksenkung wichtige herz-, gefäß- und organprotektive Effekte (Übersicht: Schmieder et al. 2007). Seit vielen Jahren reicht daher die Anwendung von ACE-Hemmern und AT1 Rezeptorantagonisten weit über das ursprüngliche Indikationsgebiet der Hypertonie hinaus und umfasst inzwischen für viele Wirkstoffe auch Herzinsuffizienz, Nephropathie und koronare Herzkrankheit. Das SARS-CoV-2-Virus, das Ende 2019 erstmals in China auftrat und danach weltweit eine Pandemie auslöste, interagiert mit dem Angiotensin-Konversionsenzym-2 und nutzt dieses zum Eintritt in die Zelle. Da Kontroversen darüber bestehen, ob Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems das Angiotensin-Konversionsenzym-2 beeinflussen bestanden Unsicherheiten darüber, ob die Therapie mit diesen Medikamenten die Prognose von Covid-19-Patienten positiv oder negativ beeinflusst. Mehrere Beobachtungsstudien konnten diese Befürchtungen jedoch ausräumen und begründeten die von zahlreichen Fachgesellschaften geäußerte Empfehlung (Übersicht siehe Sanchis-Gomar et al. 2020), diese Medikamente nicht abzusetzen. Die breite therapeutische Bedeutung der Angiotensinhemmstoffe manifestiert sich in der enormen Zunahme ihrer praktischen Anwendung. Das Verordnungsvolumen der Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems ist wieder um 5 % angestiegen und hat 2019 nahezu 10 Mrd. definierte Tagesdosen (DDD) erreicht (. Tab. 1.2). Mit diesem DDD-Volu-
men entfallen wie im Vorjahr 59 % der Verordnungen aller Antihypertensiva auf die Angiotensinhemmstoffe (. Abb. 15.1). Zugleich sind sie die am häufigsten angewendete Arzneimittelgruppe in Deutschland (. Tab. 1.2). In der aktuellen britischen Empfehlung (NICE Guideline 2019) sind die Angiotensinhemmstoffe als first-line-Antihypertensiva für alle kaukasischen Patienten unter 55 Jahre sowie für alle Typ 2-Diabetiker aufgeführt. Nach der letzten europäischen Empfehlung (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and of the European Society of Cardiology 2018) sind Angiotensinhemmstoffe in Kombination mit einem Diuretikum bzw. einem Calciumantagonisten die bevorzugte Zweifachkombination beim Einstieg in die medikamentöse Therapie. Immer wieder vorgebrachte Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Angiotensinhemmstoffen bei bestehender Niereninsuffizienz wurden in einer retrospektiven Studie ausgeräumt (Qiao et al. 2020). Bei Patienten, die unter Angiotensinhemmstoffen innerhalb von 6 Monaten eine Niereninsuffizienz entwickelten, führte das Absetzen dieser Medikamente zu einer signifikant höheren Mortalität (35,1 % vs. 29,4 %) als die weitere Einnahme. Das Risiko einer terminalen Niereninsuffizienz nach 5 Jahren war in beiden Gruppen nicht unterschiedlich (ca. 7 %).
6.1
ACE-Hemmer
ACE-Hemmer weisen 2019 einen geringfügigen Anstieg der Verordnungen um 1,5 % auf (. Abb. 6.1). Der Hauptteil der Patienten wurde mit einem der hier genannten Monopräparate (87,9 %) behandelt, während geringere Mengen auf die fixen ACE-Hemmer-Diuretika-Kombinationen (9,5 %) und die ACEHemmer-Calciumantagonisten-Kombinationen (2,6 %) entfielen (. Tab. 6.1–6.3).
6
233 6.1 ACE-Hemmer
6000
5000
5387
5538
5694
5653
5777
5760
5769
5722
5839
5925
4000
(Mio. DDD)
4035 3643 3303 3000
3105 2882 2647 2383 2149
2000 1816
1942
1000 ACE-Hemmer Angiotensinrezeptorantagonisten 0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 6.1 Verordnungen von ACE-Hemmern und Angiotensinrezeptorantagonisten 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
6.1.1
Monopräparate
Unter den verordnungsstärkeren Monopräparaten sind Ramipril (C4,9 %) und Lisinopril (C1,7 %) die einzigen ACE-Hemmer, die zugenommen haben. Ramipril ist darüber hinaus der am häufigsten verordnete ACE-Hemmer mit 88 % der DDD, gefolgt von Enalapril (7 %) und Lisinopril (5 %) (. Tab. 6.1). Unterschiede zwischen den ACE-Hemmern sind gering und liegen vor allem in der Kinetik. Während Captopril und Lisinopril keine „Prodrugs“ sind, werden alle übrigen ACE-Hemmer in der Leber in die aktive Substanz umgewandelt. Die Plasmahalbwertszeiten liegen zwischen 2 (Captopril) und 24 h. Für die Dosierung bei Dauertherapie haben sie jedoch nur eine untergeordnete Bedeutung, eine ein- oder zweimal tägliche Gabe ist in der Regel ausreichend, für Captopril wird eine 2–3mal tägliche Gabe empfohlen. Fosinopril, in geringerem Maße auch Benazepril, Quinapril, Ramipril und Spirapril haben
neben einem renalen auch einen hepatischen Ausscheidungsweg. Für die Behandlung der Hypertonie sind alle Präparate, für die Herzinsuffizienz alle Monopräparate außer dem hier nicht vertretenen Spirapril, bei diabetischer Nephropathie Captopril (nur Typ I Diabetes), Lisinopril und Ramipril zugelassen, für kardiovaskuläre Hochrisikopatienten, periphere arterielle Verschlusskrankheit und nicht-diabetische glomeruläre Nephropathie mit großer Proteinurie nur Ramipril, bei akutem Herzinfarkt Captopril, Ramipril und Lisinopril. Die mittleren DDD-Kosten für ACE-Hemmermonopräparate lagen im Berichtszeitraum bei 0,06 C. Bei den niedrigen DDD-Kosten der ACE-Hemmer ist zu berücksichtigen, dass die realen Kosten höher liegen, da insbesondere Ramipril am häufigsten mit einer höheren Tagesdosis (5 mg) als der WHO-DDD (2,5 mg) verordnet wird. Für die ACE-Monopräparate ergibt sich eine Ausgabensumme von ca. 310 Mio. C ohne Berücksichtigung der intransparenten Rabattverträge der Krankenkassen.
234
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.1 Verordnungen von ACE-Hemmern 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Captopril
6
Captopril AbZ
Captopril
13,4
(12,1)
0,15
CaptoHEXAL
Captopril
3,1
(C27,7)
0,14
Captopril AL
Captopril
2,8
(4,7)
0,12
19,3
(6,4)
0,14
Enalapril Enalapril AL
Enalapril
248,0
(10,0)
0,09
Enalapril AbZ
Enalapril
50,1
(C0,7)
0,08
EnaHEXAL
Enalapril
18,2
(1,1)
0,09
Enalapril-ratiopharm
Enalapril
17,2
(C99,9)
0,13
Enalapril-1 A Pharma
Enalapril
11,7
(C34,1)
0,09
Enalapril STADA
Enalapril
4,1
(C23,7)
0,09
Corvo
Enalapril
3,6
(0,7)
0,11
Benalapril
Enalapril
2,0
(C6,3)
0,11
354,9
(4,1)
0,09
Lisinopril Lisinopril AbZ
Lisinopril
114,7
(29,3)
0,10
Lisi Lich
Lisinopril
92,9
(C149,0)
0,11
Lisinopril-1 A Pharma
Lisinopril
13,7
(8,7)
0,10
LisiHEXAL
Lisinopril
4,9
(11,4)
0,11
Lisinopril-ratiopharm
Lisinopril
3,8
(15,9)
0,13
Lisinopril STADA
Lisinopril
2,2
(14,5)
0,10
Lisinopril-TEVA
Lisinopril
2,1
(21,3)
0,10
Lisinopril AL
Lisinopril
2,0
(19,2)
0,13
236,1
(C1,7)
0,10
Ramipril RamiLich
Ramipril
2.677,9
(C5,1)
0,06
Ramipril-1 A Pharma
Ramipril
811,6
(C37,4)
0,06
Ramipril AbZ
Ramipril
615,9
(C25,0)
0,05
Ramipril-ISIS
Ramipril
172,7
(64,7)
0,06
6
235 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ramipril-PUREN
Ramipril
135,7
(C147,7)
0,05
Ramipril HEXAL
Ramipril
53,1
(10,4)
0,06
Ramipril-ratiopharm
Ramipril
38,6
(6,1)
0,06
Ramipril AL
Ramipril
15,1
(46,2)
0,05
Delix/-protect
Ramipril
10,9
(11,6)
0,05
Ramipril STADA
Ramipril
7,9
(5,5)
0,05
Ramipril-CT
Ramipril
6,0
(14,5)
0,06
Ramipril beta
Ramipril
5,4
(C21,8)
0,05
Ramiclair
Ramipril
4,8
(13,2)
0,06
4.555,6
(C4,9)
0,06
Weitere ACE-Hemmer Benazepril-1 A Pharma
Benazepril
5,2
(12,5)
0,09
Benazepril AL
Benazepril
3,9
(C39,3)
0,08
Fosino-TEVA
Fosinopril
2,4
(8,3)
0,14
11,4
(C1,3)
0,10
5.177,3
(C4,1)
0,06
Summe
6.1.2
Kombinationen
Kombinationen von ACE-Hemmern mit Diuretika verstärken die Blutdrucksenkung. Als diuretischer Kombinationspartner wird überwiegend Hydrochlorothiazid verwendet. Ausnahmen sind lediglich zwei Kombinationen mit Indapamid oder Piretanid (. Tab. 6.2). Die Verordnungsentwicklung fixer Diuretika-Kombinationen war wiederum negativ (. Tab. 6.2). Diese Fixkombinationen (0,23 C/DDD) sind im Vergleich zu den Monopräparaten (0,06 C/DDD) deutlich teurer, weil der Diuretikumanteil relativ hohe DDD-Kosten hat. Im günstigsten Fall betragen die DDDKosten einer ACE-Hemmer-Hydrochlorothi-
azid-Kombination 0,17 C und kosten damit fast genau so viel wie das günstigste Hydrochlorothiazidpräparat (0,16 C, . Tab. 24.1). Bei den fixen Kombinationen von ACEHemmern und Calciumantagonisten waren die Verordnungen 2019 erneut steigend wegen der anhaltenden Marktentwicklung von ACEHemmer-Amlodipin-Kombinationen und trotz Rückgang nahezu aller übrigen Kombinationen (. Tab. 6.3). Die kombinierte Gabe eines ACE-Hemmers und eines Calciumantagonisten ist prinzipiell sinnvoll und durch Endpunktstudien gut begründet (s. auch 7 Kap. 15). Die DDD-Kosten der günstigsten ACE-Hemmer-Calciumantagonisten-Kombination ist mit 0,28 C höher als die der günstigsten ACEHemmer-Diuretika-Kombination.
236
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.2 Verordnungen von ACE-Hemmer-Diuretika-Kombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Captopril und Hydrochlorothiazid
6
Captopril comp AbZ
Captopril Hydrochlorothiazid
8,0
(5,7)
0,19
CaptoHEXAL comp
Captopril Hydrochlorothiazid
2,1
(2,1)
0,20
10,1
(5,0)
0,19
Ramipril und Diuretika RamiLich comp
Ramipril Hydrochlorothiazid
154,0
(C47,9)
0,21
Ramipril-ratiopharm comp
Ramipril Hydrochlorothiazid
74,4
(55,2)
0,23
Ramiplus AL
Ramipril Hydrochlorothiazid
58,0
(C33,9)
0,18
Ramipril-1 A Pharma plus
Ramipril Hydrochlorothiazid
40,5
(42,1)
0,19
Ramipril comp AbZ
Ramipril Hydrochlorothiazid
33,4
(32,5)
0,19
Ramipril-comp PUREN
Ramipril Hydrochlorothiazid
15,2
(52,1)
0,19
Ramipril HEXAL comp
Ramipril Hydrochlorothiazid
5,5
(31,1)
0,23
Ramipril Piretanid Winthrop
Ramipril Piretanid
4,9
(C2,4)
0,62
Ramiplus STADA
Ramipril Hydrochlorothiazid
1,9
(16,0)
0,18
Delix plus
Ramipril Hydrochlorothiazid
1,8
(22,4)
0,21
389,7
(19,2)
0,21
Enalapril und Hydrochlorothiazid Enalapril plus-1 A Pharma
Enalapril Hydrochlorothiazid
28,6
(C25,3)
0,19
Enaplus AL
Enalapril Hydrochlorothiazid
16,9
(46,9)
0,22
EnaHEXAL comp
Enalapril Hydrochlorothiazid
6,9
(14,3)
0,23
Enalapril comp AbZ
Enalapril Hydrochlorothiazid
5,3
(49,3)
0,17
57,7
(21,2)
0,20
6
237 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Lisinopril und Hydrochlorothiazid Lisi Lich comp
Lisinopril Hydrochlorothiazid
33,7
(22,0)
0,22
Lisinopril comp AbZ
Lisinopril Hydrochlorothiazid
16,3
(9,8)
0,19
Lisinopril-comp-PUREN
Lisinopril Hydrochlorothiazid
4,1
(22,5)
0,19
Lisinopril-1 A Pharma plus
Lisinopril Hydrochlorothiazid
3,1
(20,8)
0,19
LisiHEXAL comp
Lisinopril Hydrochlorothiazid
1,8
(24,6)
0,23
59,0
(19,1)
0,21
Quinapril und Hydrochlorothiazid Quinaplus AL
Quinapril Hydrochlorothiazid
3,0
(C138,1)
0,23
Quinapril/HCT Aurobindo
Quinapril Hydrochlorothiazid
2,0
(61,8)
0,22
5,0
(22,1)
0,23
Benazepril und Hydrochlorothiazid Benazeplus AL
Benazepril Hydrochlorothiazid
2,8
(C92,4)
0,23
Benazepril-1 A Pharma comp
Benazepril Hydrochlorothiazid
1,7
(39,7)
0,23
4,5
(C5,4)
0,23
Weitere ACE-Hemmer und Diuretika Preterax/Bipreterax
Perindopril Indapamid
28,2
(C13,4)
0,61
Perindopril Indapamid ratiopharm
Perindopril Indapamid
2,9
(C68,4)
0,63
31,1
(C16,9)
0,62
557,1
(17,6)
0,23
Summe
238
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.3 Verordnungen von ACE-Hemmer-Calciumantagonisten-Kombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Amlodipinkombinationen Ramidipin
Ramipril Amlodipin
49,8
(C30,5)
0,28
Ramipril HEXAL plus Amlodipin
Ramipril Amlodipin
19,6
(C7,9)
0,51
Tonotec
Ramipril Amlodipin
13,5
(48,5)
0,55
Ramipril Aristo plus Amlodipin
Ramipril Amlodipin
9,6
(> 1.000)
0,54
Viacoram
Perindopril Amlodipin
8,5
(C32,9)
0,56
Ramipril/Amlodipin-ratioph.
Ramipril Amlodipin
2,5
(C360,1)
0,54
Ramipril/Amlodipin AbZ
Ramipril Amlodipin
1,4
(C420,7)
0,55
104,9
(C16,8)
0,41
6
Lercanidipinkombinationen Zanipress
Enalapril Lercanidipin
26,1
(0,2)
0,56
Enalapril/Lercanidipin AbZ
Enalapril Lercanidipin
5,6
(C22,2)
0,54
Enacanpin TAD
Enalapril Lercanidipin
2,7
(17,9)
0,54
Carmen ACE
Enalapril Lercanidipin
1,7
(61,7)
0,49
36,0
(6,3)
0,55
Weitere Kombinationen Viacorind
Perindopril Amlodipin Indapamid
5,7
(> 1.000)
0,86
Delmuno
Ramipril Felodipin
4,6
(32,3)
0,53
Eneas
Enalapril Nitrendipin
2,7
(22,5)
0,55
6
239 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.3 (Fortsetzung) Präparat
Tarka
Bestandteile
Trandolapril Verapamil
Summe
6.1.3 6.1.3.1
Therapeutische Aspekte Hypertonie
Die Attraktivität der ACE-Hemmer für die Behandlung der Hypertonie besteht u. a. in der guten subjektiven Verträglichkeit, sieht man von dem häufig auftretenden Reizhusten ab, der bei 10–20 % das Absetzen veranlasst und dem mit einer Inzidenz von 0,12–0,3/100 Patientenjahre seltenem, potenziell lebensbedrohlichem ACE-Hemmer-induziertem Angioödem (Aygören-Pürsün et al. 2018). Berücksichtigt man allerdings die Verordnungszahlen der ACE-Hemmer, so ergeben sich theoretisch einige 1.000 Angioödeme pro Jahr in Deutschland. Es gibt Hinweise auf ein selteneres Auftreten des Hustens in der Kombinationstherapie oder bei abendlicher Medikamenteneinnahme und auch auf einen spontanen Rückgang (Sato und Fukuda 2015). Zudem haben ACE-Hemmer keine unerwünschten Stoffwechelwirkungen, die das bei Hypertonikern häufig anzutreffende metabolische Syndrom verstärken können. Zahlreiche Einzelstudien sowie auch Metaanalysen der Vergangenheit wiesen auf die zu anderen Antihypertensiva ähnliche Wirksamkeit der ACE-Hemmer bzgl. der Vermeidung kardiovaskulärer Folgeschäden hin (Blood Pressure Lowering Treatment Trialists Collaboration 2000, 2015; Czernichow et al. 2011). Allerdings erwiesen sich die ACE-Hemmer in der aktuell umfangreichsten Metaanalyse von 123 Interventionsstudien (Ettehad et al. 2016) etwas weniger geeignet bei der Vermeidung des Schlaganfalls als
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
1,4
(12,4)
0,55
14,3
(C18,0)
0,67
155,2
(C10,6)
0,47
die übrigen Substanzgruppen. Eine retrospektive Analyse der Daten von 4,9 Mio. Patienten zur initialen antihypertensiven Monotherapie zeigt, dass Thiazid- und Thiazid-ähnliche Diuretika den ACE-Hemmern in der Vermeidung des Schlaganfalls (HR 0,83) aber auch des Herzinfarktes (HR 0,84) und der Hospitalisierung wegen einer Herzinsuffizienz (HR 0,83) überlegen waren (Suchard et al. 2019). Eine Überlegenheit von Amlodipin im Vergleich zu Hydrochlorothiazid als Kombinationspartner von Benazepril wurde in der ACCOMPLISH-Studie mit absolut 2,2 % (rel. 19,6 %) weniger kombinierten kardiovaskulären Endpunkten belegt (Jamerson et al. 2008, 2011). Unter der Thiazid-Kombination profitierten auffälligerweise Normgewichtige weniger als Übergewichtige (Weber et al. 2013). Trotz der therapeutischen Erfolge der Amlodipin-ACE-Hemmer-Kombination (Lv et al. 2010), wurde erst 2013 eine entsprechende Fixkombination auf dem deutschen Markt verfügbar (. Tab. 6.3). Beim Einsatz von Calciumantagonisten sollte die Komedikation mit Clarithromycin bzw. Erythromycin, zwei Hemmern des Cytochrome P450 3A4, wegen der zwar geringen aber signifikant erhöhten Gefahr eines akuten Nierenversagens vermieden werden (Gandhi et al. 2013). Selbst bei sehr alten Hypertonikern (Durchschnittsalter 84 Jahre) senkte eine antihypertensive Therapie mit Indapamid und ggf. zusätzlich Perindopril die Gesamtmortalität um 21 %, die Mortalität an Schlaganfall um 39 % und die Herzinsuffizienzrate um 64 % (Beckett et al. 2008; HYVET). Die über ein Jahr
240
6
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
zu behandelnden Patienten (NNT = number needed to treat) für die Vermeidung eines kardiovaskulären Ereignisses betrug 58, eines vorzeitigen Todesfalles 80. Etwa die Hälfte der ursprünglichen Studienpatienten wurde über ein Jahr nach Studienende weiter beobachtet. Nach einem halben Jahr hatten sich die Blutdruckwerte der beiden Vergleichsgruppen angeglichen. Dennoch war am Jahresende die Gesamtmortalität der ursprünglichen Placebogruppe noch doppelt so hoch wie in der Verumgruppe (Beckett et al. 2012). In einer neueren Metaanalyse von Patienten älter als 80 Jahre (7.653 Pat. aus 7 randomisierten, kontrollierten Studien) konnten Thomopoulos et al. (2018a) zeigen, dass diese von einer antihypertensiven Therapie sowohl hinsichtlich des Schlaganfalls als auch der Herzinsuffizienz profitierten (NNT 15). Dabei waren Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems für alle kardiovaskulären Endpunkte gleich wirksam wie Diuretika und Calciumantagonisten (Thomopoulos et al. 2018b). Auch in der SPRINTStudie (Williamson et al. 2016) kam es unter einer intensiveren Blutdrucksenkung (123,4/62 vs. 134,8/67,2 mm Hg) bei 2.510 älteren Patienten ( 75 Jahre) zu signifikant weniger kardiovaskulären Endpunkten, ohne dass darunter gravierende Komplikationen wie akutes Nierenversagen, Synkopen oder Sturzverletzungen häufiger auftraten. RAS-Inhibitoren (bei 52,2 % der Patienten unter Standardtherapie und 70,6 % unter intensivierter Therapie) waren die in dieser Studie am häufigsten eingesetzten Antihypertensiva. Die absolute Risikoreduktion durch eine intensive Blutdrucksenkung war in der Gruppe der 80–Jährigen in der SPRINT-Kohorte am größten, das Risiko für Komplikationen nicht größer als das der < 80-Jährigen (Byrne et al. 2019). Eine Metaanalyse von 46 Studien mit 182.248 Hochrisikopatienten wies darauf hin, dass der Therapieerfolg mit zunehmender Blutdrucksenkung (> 140 mm Hg, 130–139 mm Hg, < 130 mm Hg) bei diabetischen Patienten eher abnahm, bei nicht diabetischen Patienten dagegen zunahm (Thomopoulos et al. 2017a). In einer weiteren Metaanalyse waren RAS-Inhibito-
ren im Vergleich zu anderen Antihypertensiva bei Diabetikern gering, jedoch signifikant effektiver in der kardiovaskulären Prävention als bei Nichtdiabetikern (Thomopoulos et al. 2017b). 6.1.3.2
Herzinsuffizienz
In einer retrospektiven Analyse von 685 Patienten, die wegen einer Herzinsuffizienz stationär behandelt wurden, erwies sich das Fehlen einer RAS-Inhibition bei Entlassung als Risikofaktor für die Wiederaufnahme wegen gleicher Symptomatik (Pierre-Louis et al. 2016). ACE-Hemmer sind seit vielen Jahren aufgrund zahlreicher positiver Studien fester Bestandteil der Therapie der systolischen Herzinsuffizienz, für die diastolische Herzinsuffizienz gibt es dagegen keine positiven Studiendaten dieser Medikamentengruppe (Flather et al. 2000; Hasenfuss et al. 2013). Daten des Swedish Heart Failure-Registers zeigten erstmals, dass auch die in den meisten Studien unterrepräsentierten > 80-jährigen Patienten mit einer Herzinsuffizienz und reduzierter EF von einer Therapie mit ACE-Hemmern profitieren (Stiles 2018). Die Suche nach einem weiteren Hemmstoff des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems als Kombinationspartner (Angiotensinrezeptorantagonist, direkter Reninhemmer oder Aldosteronantagonist) bei unbefriedigend behandelter Herzinsuffizienz unter einem ACEHemmer ergab in einer Metaanalyse nur für Aldosteronantagonisten positive Ergebnisse (Bangalore et al. 2013). Einen über die kardiovaskulär protektive Wirkung der ACEHemmer und Angiotensinrezeptorantagonisten hinausgehenden Schutz vor kardiovaskulären Schäden bieten die SGLT2-Inhibitoren bei Diabetikern mit hohem kardiovaskulärem Risiko, bezogen auf die Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz auch die Diabetiker ohne kardiale Vorerkrankung (Zelniker et al. 2019). Die Ergebnisse der SPRINT-Studie fanden 2018 Eingang in eine Therapieempfehlung amerikanischer Fachgesellschaften, in der der systolische Zielblutdruck auch für herzinsuffiziente Hypertoniker mit reduzierter und erhaltener Ejektionsfraktion auf < 130/< 80 mm Hg ge-
241 6.1 ACE-Hemmer
senkt wurde (Whelton und Carey 2018). Zur Prävention der Herzinsuffizienz wurde ebenfalls ein Zielblutdruck von unter 130/80 mm Hg empfohlen (Yancy et al. 2017). Allerdings weisen die Daten des OPTIMIZE-HF-Registers (Tsimploulis et al. 2018) bei Patienten mit erhaltener Ejektionsfraktion und einem systolischen Blutdruck unter 120 mm Hg bei Entlassung auf ein erhöhtes Mortalitätsrisiko hin. 6.1.3.3
Koronare Herzkrankheit
Eine Metaanalyse (Bangalore et al. 2017) von 24 Studien an Patienten mit einer stabilen koronaren Herzkrankheit ohne manifeste Herzinsuffizienz ergab für ACE-Hemmer bzw. Angiotensinrezeptorantagonisten nur bei Patienten mit stark erhöhtem kardiovaskulären Risiko einen Vorteil gegenüber anderen Medikamenten. 6.1.3.4
Nephropathie
Nach einigen Studien sind ACE-Hemmer bei diabetischer und nichtdiabetischer Nephropathie besser als andere Antihypertensiva in der Lage, die Progression einer Niereninsuffizienz aufzuhalten (Ruggenenti et al. 2004). In vielen Leitlinien werden deshalb ACE-Hemmer als Mittel der Wahl zur antihypertensiven Therapie bei Patienten mit Nephropathie empfohlen. Nach einer Metaanalyse haben ACEHemmer wie auch Angiotensinrezeptorantagonisten einen größeren antiproteinurischen Effekt als gleich stark blutdrucksenkende Calciumantagonisten (Kunz et al. 2008; weitere Einzelheiten siehe unten). Die Kombination aus Perindopril und Indapamid bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ergab einen Überlebensvorteil und eine Reduktion kardiovaskulärer Komplikationen vor allem bei Patienten mit Nephropathie (ADVANCE-Studie, Heerspink et al. 2010). In der ACCOMPLISHStudie wurde unter Benazepril plus Amlodipin nahezu eine Halbierung der kombinierten Endpunkte aus Dialysepflichtigkeit und Verdopplung des Serumkreatinins gefunden im Vergleich zu Benazepril plus Hydrochlorothiazid (Bakris et al. 2010). Zu bedenken ist allerdings eine unter der ersten Kombination
6
gering bessere Blutdruckeinstellung, vor allem aber auch die Möglichkeit, dass es sich bei den Kreatininanstiegen unter der zweiten Kombination um potenziell reversible hämodynamische Effekte gehandelt haben könnte (Heerspink und de Zeeuw 2010). Ergänzend zu den RAS-Blockern können SGLT2-Inhibitoren bei Diabetikern einen kardioprotektiven und renoprotektiven Effekt ausüben (Übersicht bei Tamargo 2019). Nach einer Metaanalyse von Studien an Patienten mit nicht-diabetischer chronischer Nephropathie war eine intensivere Blutdrucksenkung renoprotektiv zumindest bei Patienten mit Proteinurie, jedoch ohne klaren Einfluss auf Mortalität und kardiovaskuläre Ereignisse (Lv et al. 2013). Metaanalytisch (Ettehad et al. 2016) profitierten bei der Vermeidung bedeutender kardiovaskulärer Ereignisse auch Patienten mit manifester Nierenerkrankung von einer intensiveren Blutdrucksenkung (< 130 mm Hg), wenn auch proportional nicht so stark wie Patienten ohne renale Erkrankung. 6.1.3.5
Normaler Blutdruck mit leicht erhöhtem kardiovaskulärem Risiko
Nach einer Metaanalyse von 20 Studien mit über 1,1 Mio. Teilnehmern waren schon noch normale („high-normal“) Blutdruckwerte von 130–139/85–89 mm Hg mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko verbunden, jedoch ohne Einfluss auf die Gesamtmortalität (Huang et al. 2014). In einer internationalen Kohortenstudie über normotensive Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (Vidal-Petiot et al. 2018) war der systolische Blutdruck von 130–139 mm Hg im Vergleich zu 120–129 mm Hg nicht, der diastolische Blutdruck von 80–89 mm Hg im Vergleich zu 70–79 mm Hg dagegen schon mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Die Analyse der Daten von 1,3 Mio. überwiegend normotonen, ambulanten Patienten (Flint et al. 2019) ergab allerdings, dass sowohl der systolische als auch – wenn auch etwas geringer – der diastolische Blutdruck das kardiovasku-
242
6
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
läre Risiko mitbestimmt. Mit 5 mg Ramipril ließ sich innerhalb von 3 Jahren die Anzahl der Patienten, die von noch normalen Blutdruckwerten ausgehend die Normotoniegrenze von 140/90 mm Hg überschritten von 42,9 auf 34,4 % signifikant reduzieren (Lüders et al. 2008, PHARAO). Nach Metaanalysen zeigte die antihypertensive Therapie selbst normotoner Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankung bzw. Risikofaktoren protektive Wirkungen (Thompson et al. 2011; Ettehad et al. 2016), bei Hochrisikopatienten verhinderte sie Schlaganfälle (Thomopoulos et al. 2017c). 6.1.3.6
Karzinogenität
In zwei großen Kohortenstudien war die langfristige Einnahme eines ACE-Hemmers im Vergleich zu einem Angiotensinrezeptorantagonisten mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko (Hicks et al. 2018; Lin et al. 2020), in einer anderen Studie mit einem gering, aber signifikant erhöhtem Prostatakrebsrisiko assoziiert (Smith et al. 2020). Eine Übersicht der Argumente und der Literatur gegen einen Zusammenhang findet sich bei Hausberg (Hausberg et al. 2019).
6.1.4
Angiotensinrezeptorantagonisten
Angiotensinrezeptorantagonisten werden ebenfalls primär zur Behandlung der Hypertonie eingesetzt. Einige Vertreter (Losartan, Valsartan, Candesartan) sind zusätzlich zur Behandlung der Herzinsuffizienz und zur Behandlung bei diabetischer Nephropathie (Irbesartan, Losartan) zugelassen, Losartan zur Schlaganfallprävention bei linksventrikulärer Hypertrophie, Telmisartan wie Ramipril bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten. Unterschiede zwischen den einzelnen Angiotensinrezeptorantagonisten bestehen in der Pharmakokinetik. Trotz etwas unterschiedlicher Halbwertszeiten wird eine
einmal (bei Losartan auch zweimal) tägliche Gabe empfohlen. Der Prozentsatz renal eliminierter Substanz liegt zwischen 2 % (Telmisartan) und 59 % (Candesartan). Im Gegensatz zu Eprosartan, Telmisartan und Olmesartan werden alle anderen Sartane über das Cytochrom P450-System metabolisiert, was sie anfällig für Interaktionen mit Komedikamenten macht (Yang et al. 2016). Bei allen anderen Eigenschaften überwiegen aufgrund des gemeinsamen Wirkungsmechanismus die Ähnlichkeiten in der Gesamtgruppe, wenngleich sich inzwischen leichte Wirksamkeitsunterschiede andeuten und Besonderheiten bei den Nebenwirkungen auffallen (siehe unten). Die Verordnungen der Angiotensinrezeptorantagonisten haben auch 2019 mit einem Anstieg von 11 % gegenüber dem Vorjahr die seit 2001 zu beobachtende Dynamik behalten (. Tab. 6.4). Die mittleren DDD-Kosten der Monopräparate liegen wie im Vorjahr bei 0,13 C. Wahrscheinlich infolge der potenziell kanzerogenen Verunreinigung beim Herstellungsprozess u. a. mehrerer Valsartanpräparate hat deren Verordnungshäufigkeit insgesamt um 38 % abgenommen (. Tab. 6.4). Wie in den vergangenen Jahren haben die fixen Kombinationen der Angiotensinrezeptorantagonisten mit 20,7 % einen hohen Anteil am Verordnungsvolumen ihrer Gruppe, obwohl ihr Anteil weiterhin rückläufig ist (. Tab. 6.5 und 6.6). In den Zwei- und Dreifachkombinationen wurde als Diuretikum ausschließlich Hydrochlorothiazid verwendet, als Calciumantagonist ausschließlich Amlodipin. Die mittleren Tagesbehandlungskosten für Angiotensinrezeptorantagonisten sind bei den Monopräparaten mit 0,13 C immer noch deutlich höher als bei ACE-Hemmer-Monopräparaten (0,06 C). Ähnliche Kostenunterschiede zeigen die Sartane gegenüber den ACE-Hemmern auch bei den Diuretika-Kombinationen (0,31 C versus 0,23 C) und Calciumantagonisten-Kombinationen (1,03 C versus 0,47 C) (. Tab. 6.2–6.6).
6
243 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.4 Verordnungen von Angiotensinrezeptorantagonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Losartan Losartan Atid
Losartan
44,3
(27,7)
0,19
Losartan-1 A Pharma
Losartan
41,8
(19,9)
0,17
Losartan Axiromed
Losartan
35,4
(Neu)
0,18
Losartan Aristo
Losartan
15,8
(C196,6)
0,20
Losartan HEXAL
Losartan
11,0
(C96,9)
0,19
Losartan Heumann
Losartan
9,1
(57,6)
0,19
Losartan AbZ
Losartan
5,4
(C147,2)
0,16
Losar Denk
Losartan
5,0
(> 1.000)
0,13
Losartan-Kalium TAD
Losartan
4,1
(C198,5)
0,22
Losar TEVA
Losartan
2,7
(C1,1)
0,17
Losartan-ratiopharm
Losartan
2,2
(C72,1)
0,22
176,7
(C15,4)
0,18
Valsartan Valsacor
Valsartan
239,1
(27,5)
0,13
Valsartan dura
Valsartan
124,9
(35,6)
0,13
Valsartan AbZ
Valsartan
8,6
(90,7)
0,16
Valsartan BASICS
Valsartan
4,9
(18,6)
0,12
Valsartan AL
Valsartan
4,9
(C201,9)
0,10
Diovan
Valsartan
4,3
(C81,0)
0,16
Valsartan-ratiopharm
Valsartan
3,0
(29,6)
0,13
Valsartan STADA
Valsartan
2,6
(54,1)
0,11
392,3
(38,3)
0,13
Candesartan Candesartan-1 A Pharma
Candesartan
671,0
(C91,6)
0,11
Candesartan Heumann
Candesartan
600,4
(C20,8)
0,12
Candecor
Candesartan
392,8
(9,3)
0,13
Candesartancilexetil Mylan
Candesartan
175,6
(> 1.000)
0,12
Candesartan Zentiva
Candesartan
159,7
(C332,0)
0,12
Candaxiro
Candesartan
104,1
(Neu)
0,12
244
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.4 (Fortsetzung) Präparat
6
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Candesartan BASICS
Candesartan
35,9
(31,4)
0,11
Candesartan HEXAL
Candesartan
24,2
(C101,3)
0,12
Candesartan AbZ
Candesartan
23,4
(C133,6)
0,12
Candesartan-ratiopharm
Candesartan
22,7
(C124,6)
0,13
Candesartan STADA
Candesartan
22,3
(C171,9)
0,10
Candesartan AL
Candesartan
13,2
(C352,2)
0,12
Candesartancilexetil Hennig
Candesartan
12,8
(C142,4)
0,11
Candesartan-biomo
Candesartan
10,9
(C157,4)
0,10
Atacand
Candesartan
5,7
(C24,7)
0,17
Candesartan AAA Pharma
Candesartan
3,5
(C16,7)
0,11
Blopress
Candesartan
3,4
(C34,9)
0,18
2.281,7
(C57,8)
0,12
Irbesartan Irbesartan-1 A Pharma
Irbesartan
29,6
(C27,3)
0,18
Irbesartan Micro Labs
Irbesartan
26,3
(C19,8)
0,18
Irbesartan Fair Med
Irbesartan
8,7
(5,8)
0,16
Irbesartan AbZ
Irbesartan
8,1
(C285,3)
0,17
Irbesartan STADA
Irbesartan
2,3
(C43,8)
0,16
Irbesartan-ratiopharm
Irbesartan
1,9
(C62,8)
0,21
Irbesartan HEXAL
Irbesartan
1,8
(C23,7)
0,20
Irbesartan AL
Irbesartan
1,5
(C74,2)
0,17
80,2
(C30,1)
0,18
Olmesartan Olmesartan AL
Olmesartan
11,0
(C272,2)
0,18
Olmecor TAD
Olmesartan
9,5
(C75,7)
0,22
Olmesartan HEXAL
Olmesartan
6,8
(C235,9)
0,20
Olmesartan-1 A Pharma
Olmesartan
4,2
(C62,6)
0,21
Olmesartan AbZ
Olmesartan
3,3
(2,3)
0,19
Olmesartan Glenmark
Olmesartan
2,1
(C38,4)
0,23
Olmesartan-ratiopharm
Olmesartan
1,9
(16,1)
0,20
Votum
Olmesartan
1,6
(10,2)
0,20
6
245 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.4 (Fortsetzung) Präparat
Olmesartan Heumann
Bestandteile
Olmesartan
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
1,4
(C162,5)
0,22
41,8
(C86,1)
0,20
Telmisartan Telmisartan Heumann
Telmisartan
77,2
(C23,8)
0,16
Telmisartan AbZ
Telmisartan
23,6
(C6,5)
0,18
Telmisartan Glenmark
Telmisartan
10,1
(C3,6)
0,17
Telmisartan-1 A Pharma
Telmisartan
9,2
(C61,9)
0,17
Telmisartan Micro Labs
Telmisartan
8,6
(C718,7)
0,17
Telmisartan Zentiva
Telmisartan
6,7
(C23,7)
0,16
Telmisartan-ratiopharm
Telmisartan
4,8
(C6,6)
0,17
Telmisartan HEXAL
Telmisartan
4,6
(C32,4)
0,17
Tolura TAD
Telmisartan
3,6
(C94,9)
0,16
148,1
(C27,7)
0,17
3,3
(4,0)
0,25
3.124,1
(C28,1)
0,13
Eprosartan Eprosartan-ratiopharm
Eprosartan
Summe
6.1.5
Therapeutische Aspekte
Angiotensinrezeptorantagonisten haben bei vergleichbaren Indikationen keine den ACEHemmern überlegene Wirksamkeit, sind aber besser verträglich als diese (Saglimbene et al. 2018). Sie sind daher in der Regel indiziert, wenn bei der Notwendigkeit einer Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems ACEHemmer wegen Reizhustens unverträglich sind (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2004; National Collaborating Centre for Chronic Conditions 2006; The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC) 2018). Allerdings ist nicht sicher, ob es sich bei den Sartanen um ei-
ne homogene Medikamentengruppe handelt. Eine nur unter Olmesartan beobachtete schwere Sprue-ähnliche Enteropathie (Rubio-Tapia et al. 2012) führte zu einer entsprechenden Warnung der FDA (FDA Drug Safety Communication 2013). Auch wies eine Untersuchung auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko der Hospitalisierung und Gesamtmortalität unter Olmesartan bei diabetischen Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion hin (Padwal et al. 2014). Nach einer taiwanesischen Kohortenstudie trat unter Olmesartan im Vergleich zu 5 anderen Angiotensinrezeptorantagonisten häufiger ein Diabetes mellitus auf (Chang et al. 2014). Die Nebenwirkungsrate ist insgesamt sehr gering, wenn auch nicht, wie gelegentlich behauptet, gleich der von Placebos. Für die durch Fall-Kontrollstudien (u. a. Schmidt et al. 2015)
246
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.5 Verordnungen von Kombinationen aus Angiotensinrezeptorantagonisten und Diuretika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Losartankombinationen
6
Losartan HCT Aristo
Losartan Hydrochlorothiazid
21,8
(C127,5)
0,34
Losartan HCT Dexcel
Losartan Hydrochlorothiazid
13,0
(27,5)
0,34
Losartan-Kalium HCTad
Losartan Hydrochlorothiazid
6,9
(C32,7)
0,31
Losartan comp AbZ
Losartan Hydrochlorothiazid
5,0
(C81,9)
0,30
Losartan comp Heumann
Losartan Hydrochlorothiazid
1,9
(89,6)
0,32
Losarplus AL
Losartan Hydrochlorothiazid
1,5
(C23,0)
0,32
49,9
(9,3)
0,33
Valsartankombinationen Valsacor comp
Valsartan Hydrochlorothiazid
107,2
(30,2)
0,33
Valsartan/HCT Mylan
Valsartan Hydrochlorothiazid
10,4
(C219,0)
0,28
Valsartan HCT STADA
Valsartan Hydrochlorothiazid
3,0
(18,3)
0,25
120,6
(24,8)
0,32
Candesartankombinationen Candecor comp
Candesartan Hydrochlorothiazid
123,3
(19,7)
0,30
Candesartan comp AbZ
Candesartan Hydrochlorothiazid
54,7
(27,9)
0,34
Candesartan Zentiva comp
Candesartan Hydrochlorothiazid
29,4
(C169,9)
0,29
Candesartancilexetil/
Candesartan Hydrochlorothiazid
23,1
(> 1.000)
0,29
Candesartan plus-1 A Pharma
Candesartan Hydrochlorothiazid
20,3
(C26,1)
0,26
Candesartan/HCT Heumann
Candesartan Hydrochlorothiazid
17,7
(C45,8)
0,31
6
247 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Candesarplus AL
Candesartan Hydrochlorothiazid
5,7
(C251,0)
0,26
Candesartan-ratiopharm comp
Candesartan Hydrochlorothiazid
4,7
(C29,7)
0,37
Candesartan HEXAL comp
Candesartan Hydrochlorothiazid
4,0
(C27,0)
0,34
Candesartan comp PUREN
Candesartan Hydrochlorothiazid
3,3
(79,5)
0,31
Candesartan/HCT STADA
Candesartan Hydrochlorothiazid
2,9
(C79,4)
0,24
Candesartancilexetil comp.-CT
Candesartan Hydrochlorothiazid
1,4
(C27,8)
0,37
290,5
(2,4)
0,30
Irbesartankombinationen Irbesartan comp BASICS
Irbesartan Hydrochlorothiazid
14,1
(C103,6)
0,34
Irbesartan comp HEXAL
Irbesartan Hydrochlorothiazid
3,4
(C87,3)
0,32
Irbesartan/Hydrochlorothiazid1 A Pharma
Irbesartan Hydrochlorothiazid
3,0
(C152,2)
0,33
Irbecor comp
Irbesartan Hydrochlorothiazid
2,7
(C110,4)
0,26
Irbesartan Hydrochlorothiazid Micro Labs
Irbesartan Hydrochlorothiazid
2,6
(C44,7)
0,33
Irbesartan/HCT STADA
Irbesartan Hydrochlorothiazid
2,1
(C37,0)
0,26
Irbesartan comp AbZ
Irbesartan Hydrochlorothiazid
1,9
(29,2)
0,35
Coaprovel
Irbesartan Hydrochlorothiazid
1,4
(C14,2)
0,35
31,3
(C68,7)
0,32
Telmisartan/Hydrochlorothiazid Telmisartan Heumann Hydrochlorothiazid
14,6
(51,4)
0,33
Telmisartan/HCT Zentiva
Telmisartan Hydrochlorothiazid
11,7
(C6,9)
0,33
Telmisartan/Hydrochlorothiazid Telmisartan Axiromed Hydrochlorothiazid
6,9
(C364,5)
0,32
Telmisartankombinationen
248
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Telmisartan HEXAL comp
Telmisartan Hydrochlorothiazid
2,3
(C153,9)
0,32
Telmisartan comp ratiopharm
Telmisartan Hydrochlorothiazid
2,2
(C8,5)
0,34
Telmisartan comp AbZ
Telmisartan Hydrochlorothiazid
2,1
(28,2)
0,34
Telmisartan/HCT Glenmark
Telmisartan Hydrochlorothiazid
2,1
(10,1)
0,31
Telmisartan/Hydrochlorothiazid Telmisartan 1 A Pharma Hydrochlorothiazid
1,3
(C145,7)
0,31
43,2
(15,5)
0,33
6
Weitere Kombinationen Eprosartan-ratiopharm comp
Eprosartan Hydrochlorothiazid
2,9
(23,3)
0,34
Olmesartan/ Hydrochlorothiazid AL
Olmesartan medoxomil Hydrochlorothiazid
2,6
(C79,4)
0,28
Olmesartan AbZ comp.
Olmesartan medoxomil Hydrochlorothiazid
2,0
(C76,0)
0,34
Olmecor HCT TAD
Olmesartan medoxomil Hydrochlorothiazid
1,8
(C4,5)
0,33
9,4
(C15,2)
0,32
544,9
(7,8)
0,31
Summe
geweckten Bedenken hinsichtlich der Kanzerogenität von Angiotensinrezeptorblockern ergaben sich in Reviews bzw. Metaanalysen keine Hinweise (Datzmann et al. 2019; Berrido und Byrd 2020). 6.1.5.1
Hypertonie
Angiotensinrezeptorantagonisten zeigten in Vergleichsstudien mit ACE-Hemmern und anderen Antihypertonika eine etwa gleich starke antihypertensive Wirkung (Malacco et al. 2004, PREVAIL; Julius et al. 2004, VALUE). Metaanalysen belegen die Wirksamkeit von Angiotensinrezeptorantagonisten in der Primärprävention von Schlaganfällen (Staessen et al. 2005; Ettehad et al. 2016) In der Se-
kundärprävention sind die Ergebnisse dagegen widersprüchlich bis negativ (Schrader et al. 2003, ACCESS; Schrader et al. 2005, MOSES; Yusuf et al. 2008, PRoFESS; Sandset et al. 2011, SCAST). Eine Kohortenanalyse (Potier et al. 2017) von 40.625 Hochrisikopatienten, die entweder einen ACE-Hemmer oder ein Sartan einnahmen, ergab für die Sartane nach 4-jähriger Beobachtung einen Vorteil bei der Vermeidung tödlicher kardiovaskulärer Ereignisse und der Gesamtmortalität, jedoch nur in der Sekundärprävention. Vergleichend wurde die Wirksamkeit von Angiotensinrezeptorantagonisten oder ACEHemmern, allein oder in Kombination, an Hochrisikopatienten ohne Herzinsuffizienz ge-
6
249 6.1 ACE-Hemmer
. Tabelle 6.6 Verordnungen von Kombinationen aus Angiotensinrezeptorantagonisten und Calciumantagonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2018 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Valsartankombinationen Exforge HCT
Valsartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
42,5
(22,1)
1,25
Exforge
Valsartan Amlodipin
29,8
(31,1)
1,04
Dafiro HCT
Valsartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
16,7
(28,6)
1,25
Amlo-Valsacor TAD
Valsartan Amlodipin
13,3
(Neu)
0,95
Dafiro
Valsartan Amlodipin
7,6
(35,1)
1,04
Amlodipin HEXAL plus Valsartan
Valsartan Amlodipin
3,9
(C308,5)
1,21
Amlodipin/Valsartan AL
Valsartan Amlodipin
3,8
(Neu)
0,79
Valsamtrio
Valsartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
3,6
(Neu)
0,94
Valsimia
Valsartan Amlodipin
3,4
(Neu)
0,75
Amlodipin HEXAL plus
Valsartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
1,7
(Neu)
1,08
126,4
(5,7)
1,12
Olmesartankombinationen Vocado HCT
Olmesartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
30,8
(15,9)
1,13
Vocado
Olmesartan Amlodipin
24,2
(16,8)
1,04
Sevikar HCT
Olmesartan Amlodipin Hydrochlorothiazid
22,1
(14,5)
1,16
250
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
. Tabelle 6.6 (Fortsetzung) Präparat
6
Bestandteile
Sevikar
Olmesartan Amlodipin
Olmesartan/Amlodipin AL Olmeamlo TAD
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
21,1
(C1,4)
1,00
Olmesartan medoxomil Amlodipin
4,7
(> 1.000)
0,63
Olmesartan medoxomil Amlodipin
4,1
(C365,6)
0,67
Olmesartanmedoxomil/Amlodi- Olmesartan medoxomil pin Amlodipin beta
2,9
(> 1.000)
0,65
Olmesartanmedoxomil/Amlodi- Olmesartan medoxomil pin Amlodipin Mylan
1,6
(> 1.000)
0,76
111,4
(1,8)
1,04
Weitere Kombinationen Caramlo
Candesartan Amlodipin
11,1
(4,9)
0,51
Camlostar
Candesartan Amlodipin
9,9
(C281,8)
0,46
Candeamlo HEXAL
Candesartan Amlodipin
8,4
(C42,3)
1,03
Twynsta
Telmisartan Amlodipin
5,5
(3,5)
0,93
34,9
(C34,8)
0,69
272,7
(0,2)
1,03
Summe
prüft (Yusuf 2002; The ONTARGET-Investigators 2008). Im Ergebnis waren Telmisartan und Ramipril gleichwertig, unter Telmisartan traten allerdings weniger Nebenwirkungen auf. Eine Kombination beider Substanzen führte zu einer etwas stärkeren Blutdrucksenkung mit signifikant häufigeren Hypotonien, Synkopen und Verschlechterung der Nierenfunktion (siehe unten), die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse änderte sich dagegen nicht. Im Vorfeld zu ONTARGET war von den Blood Pressure Lowering Treatment Trialists (2007) eine Metaregressionsanalyse zur Wirksamkeit von ACE-Hemmern und Angiotensin-
rezeptorantagonisten vorgelegt worden. Unterschiede dieser Substanzen zu anderen Antihypertensiva waren weitgehend erklärbar durch Differenzen in den erzielten Blutdruckwerten. Während für die Herzinsuffizienz und den Schlaganfall keine entscheidenden Unterschiede zwischen den hier besprochenen Substanzgruppen gefunden wurden, bewirkten ACEHemmer im Vergleich zu Angiotensinrezeptorantagonisten im Mittel eine etwas stärkere Reduktion des koronaren Risikos als auf Grund der Blutdrucksenkung zu erwarten war. Bestätigt wurde dieser Befund durch die Metaanalyse von Ettehad et al. (2016). Bei den größeren
251 6.1 ACE-Hemmer
6
kardiovaskulären Ereignissen, der Herzinsuf- ber 2015). Eine weitere Entwicklung stellt die fizienz und der Gesamtmortalität waren beide kombinierte Hemmung von AT1 -Rezeptor und gleichwertig. Neprilysin durch das fixe Kombinationspräparat Sacubitril-Valsartan (Entresto) dar, das bei Patienten mit systolischer Herzinsuffizienz und 6.1.5.2 Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion im direkten Verkoronare Herzkrankheit gleich mit Enalapril eine überlegene Senkung Vergleichsstudien des ACE-Hemmers Capto- der Gesamtmortalität und der Hospitalisierung pril und des Angiotensinrezeptorantagonisten wegen Herzinsuffizienz erreicht (McMurray Losartan bei herzinsuffizienten Patienten mit et al. 2014, PARADIGM-HF; vgl. 7 Kap. 26). reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) haben Bei herzinsuffizienten Patienten mit erhaltekeine Überlegenheit für Losartan ergeben, son- ner Ejektionsfraktion war Sacubitril-Valsartan dern lediglich eine bessere Verträglichkeit (Pitt dem Valsartan allein nicht überlegen (Solomon et al. 2000; Dickstein et al. 2002). Dabei wur- et al. 2019). Offenbar bestehen leichte Unterschiede in den allerdings die therapeutische Breite von Losartan durch eine Beschränkung der Dosie- der kardialen Wirksamkeit zwischen ACErung auf 50 mg/Tag statt einer möglichen Gabe Hemmern und Sartanen. Nach einer kurzen von 150 mg/Tag nicht ausgeschöpft (Konstam Studienübersicht (Verma und Strauss 2004) et al. 2009). Nach einer Metaanalyse (40 Stu- werden die koronare Morbidität und Mortadien, 100.354 Patienten) deutet sich bei Diabe- lität durch Sartane möglicherweise weniger tikern ein Vorteil der Angiotensinrezeptoran- gesenkt als durch ACE-Hemmer. Tendenziell tagonisten gegenüber den ACE-Hemmern bei zeigt sich dieser Unterschied auch in der akder Vermeidung der Herzinsuffizienz an (Em- tuellen Metaanalyse von Ettehad et al. (2016). din et al. 2015). In CHARM-ALTERNATIVE Der Hypothese einer Zunahme des korona(Granger et al. 2003) erhielten 2.018 Pati- ren Risikos unter Sartanen wird jedoch auf enten mit einer Auswurffraktion von 40 % der Grundlage einer Metaanalyse mit über und ACE-Hemmer-Unverträglichkeit neben ei- 400.000 Patientenjahren widersprochen (Banner Basistherapie entweder Candesartan oder galore et al. 2011). Allerdings ergaben sich Placebo. Unter Candesartan kam es zu signifi- in einer vergleichenden Metaanalyse Belege kant weniger primären Endpunkten, bestehend für eine blutdruckunabhängige koronare Wirkaus kardiovaskulärem Tod oder Klinikaufnah- samkeit der ACE-Hemmer, die bei den Sartame wegen Herzinsuffizienz. Von der European nen fehlte. ACE-Hemmer, nicht aber AngioSociety of Cardiology (Ponikowski et al. 2016) tensinrezeptorantagonisten bewirkten im Mitwerden Sartane bei symptomatischen Patienten tel eine um 9 % stärkere Reduktion des koromit reduzierter Ejektionsfraktion empfohlen, naren Risikos als auf Grund der Blutdrucksenwenn sie ACE-Hemmer nicht vertragen, mit kung zu erwarten war (Blood Pressure LoweEinschränkung auch bei symptomatischen Pa- ring Treatment Trialists’ Collaboration 2007). tienten, die bereits einen ACE-Hemmer und In einer Metaanalyse zu Studien mit Diaeinen Betablocker erhalten, jedoch Mineralo- betikern fand sich eine signifikante Redukticorticoidrezeptorantagonisten nicht tolerieren. on der Gesamtmortalität, der kardiovaskulären Wegen des Unterschieds im Wirkmechanis- Mortalität und der größeren kardiovaskulämus erscheint eine Kombination von ACE- ren Ereignisse nur unter den ACE-Hemmern, Hemmern und Angiotensinrezeptorantagonis- nicht aber den Angiotensinrezeptorantagonisten theoretisch sinnvoll. Nach den vorliegen- ten (Cheng et al. 2014). Andererseits wurde bei Hypertonie und den Studien überwiegt der Nutzen einer solchen Therapie die Risiken aber nur bei weni- linksventrikulärer Hypertrophie anhand von gen Patienten (European Society of Cardiolo- Daten der LIFE-Studie eine günstige Wirgy, Ponikowski et al. 2016; Anlauf und We- kung von Losartan im Vergleich zu Atenolol
252
6
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
auf die Entstehung einer absoluten Arrhythmie (Wachtell et al. 2005b) und das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen bei Patienten mit vorbestehender absoluter Arrhythmie (Wachtell et al. 2005a) beobachtet. Dagegen verhinderte Valsartan (The GISSI-AF Investigators 2009) das Wiederauftreten von Vorhofflimmern nicht bei normotonen Patienten unter umfangreicher Basismedikation, von denen nur wenige eine linksventrikuläre Hypertrophie aufwiesen. Irbesartan (The ACTIVE I Investigators 2011) verhinderte bei Patienten mit Vorhofflimmern nicht das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse. Die Beobachtungszeit war mit nur einem Jahr unter Valsartan deutlich kürzer als die der LIFE-Studie mit fünf Jahren, unter Irbesartan betrug sie dagegen 4,1 Jahre. Eine Übersicht vorhandener Daten ergab kein eindeutiges Argument für einen Vorzug von Angiotensinrezeptorantagonisten in der Prävention von Vorhofflimmern (Schneider et al. 2010). 6.1.5.3
Nephropathie
Es ist von einer weitgehenden Gleichwertigkeit der Sartane und ACE-Hemmer auszugehen. Entsprechend werden in Leitlinien beide Gruppen als gleichwertig behandelt (z. B. Bundesärztekammer et al. 2011). So fanden sich über 5 Jahre keine Unterschiede in der Abnahme der Nierenfunktion bei Typ-2-Diabetikern mit Mikro- oder Makroalbuminurie, wenn Enalapril oder Telmisartan gegeben wurden (Barnett et al. 2004). Auch bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten unterschieden sich die Inzidenzen des kombinierten Endpunktes aus Verdopplung des Serumkreatinins, Dialysepflichtigkeit und Tod nicht, wenn Ramipril oder Telmisartan gegeben wurde (Mann et al. 2008, ONTARGET). Eine wirkungsvolle Blockade des Renin-Angiotensin-Systems schützt bei diabetischer Nephropathie die Niere offenbar stärker als auf Grund der Blutdrucksenkung zu erwarten ist. Eine Metaanalyse von 157 Studien (Palmer et al. 2015) bestätigte weitgehend diesen Befund, zudem gab es erste Hinweise darauf, dass die Angiotensinrezeptorantagonisten den ACE-Hemmern bei
der Verzögerung des Nierenfunktionsverlustes überlegen sind. Bei überwiegend mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorantagonisten vorbehandelten Diabetikern konnte mit dem SGLT2-Inhibitor Empagliflozin als Antidiabetikum erstmals gezeigt werden, dass eine weitere renale Prognoseverbesserung, gemessen an der Verdopplung des S-Kreatinins, der Notwendigkeit eines Nierenersatzverfahrens oder dem Tod aufgrund der Nierenerkrankung, möglich ist (Wanner et al. 2016). 6.1.5.4
Noch normaler Blutdruck
Wegen der guten Verträglichkeit wurden im Rahmen einer Studie (Julius et al. 2006, TROPHY) Angiotensinrezeptorantagonisten bereits bei Patienten mit „Prähypertonie“ (Blutdruckwerte von 130–139/85–89 mm Hg) eingesetzt. Während einer zweijährigen Behandlung mit 16 mg Candesartan reduzierte sich zwar im Vergleich zur Placebogruppe der Anteil der Patienten, die die Grenze von 140/90 mm Hg überschritten, auf ein Viertel. Nach Absetzen der Behandlung stieg der Blutdruck jedoch rasch wieder auf das Niveau der Unbehandelten an. In der HOPE-3-Studie (Lonn et al. 2016) wurden 12.705 Patienten mit intermediärem Risiko ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung (62 % Normotoniker, mittlerer Blutdruck 132/82 mm Hg) mit 16 mg Candesartan + 12,5 mg Hydrochlorothiazid oder Placebo behandelt. Nach im Median 5,6 Jahren bestand kein Unterschied im kombinierten Endpunkt von kardiovaskulärem Tod, nichttödlichem Herzinfarkt oder Apoplex. Lediglich die Patienten mit erhöhtem Eingangsblutdruck profitierten von der Therapie.
6.2
Renininhibitoren
Seit 2012 nehmen die Verordnungen des ersten oralen Renininhibitors Aliskiren (Rasilez) jährlich ab, 2019 wiederum um 10,5 % (. Tab. 6.7). Die DDD-Kosten liegen weiterhin höher als bei den Sartanen.
6
253 6.4 Ausblick
. Tabelle 6.7 Verordnungen von Renininhibitoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Renininhibitoren Rasilez
Aliskiren
Rasilez HCT
Aliskiren Hydrochlorothiazid
Summe
Die Blutdrucksenkung in der Mono- und Kombinationstherapie entspricht den übrigen hier besprochenen Substanzen, die Verträglichkeit ist gut, die häufigste Nebenwirkung sind Hautausschläge und Durchfälle, die bei 1–3 % liegen und bei Überschreiten der zugelassenen Dosis von 300 mg/Tag zunehmen. Aliskiren als Monotherapeutikum hat sich in der Atmosphere-Studie dem Enalapril in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz nicht als überlegen erwiesen (McMurray et al. 2016). Bei Patienten mit manifester koronarer Herzkrankheit und 2 weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, jedoch systolischen Blutdruckwerten zwischen 125 und 139 mm Hg („Prähypertonie“), stellte eine australische Untersuchergruppe mittels intrakoronarem Ultraschall unter Aliskiren (300 mg) keine Progressionshemmung der Atherosklerose fest (Nicholls et al. 2013, AQUARIUS).
6.3
Kombination von Hemmstoffen des ReninAngiotensin-Systems
Wegen des Risikos der Nierenfunktionsverschlechterung, der Gefahr einer Hyperkaliämie und der symptomatischen Hypotonie wird vor der Kombination eines Angiotensinrezeptorantagonisten mit einem ACE-Hemmer bzw. dem Aliskiren ausdrücklich gewarnt (NICE guideline 2019; The Task Force for the management
10,9
(7,1)
0,78
2,9
(21,5)
1,19
13,8
(10,5)
0,86
of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC) 2018). Eine ausführliche Erläuterung findet sich in AVR 2019 (Weber und Anlauf 2019).
6.4
Ausblick
Der Stellenwert von ACE-Hemmern und Angiotensinrezeptorantagonisten wird neben ihrer Bedeutung in der Hochdruck- und Herzinsuffizienzbehandlung auch bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten und zum Teil unabhängig von ihrer blutdrucksenkenden Potenz gesehen. The Heart Outcomes Prevention Evaluation Studie (The Heart Outcomes Prevention Evaluation Study Investigators 2000, HOPE) wurde vorzeitig abgebrochen, weil bei Hochrisikopatienten ohne Herzinsuffizienz die Gabe von 10 mg Ramipril die Rate von Todesfällen, Herzinfarkten und Schlaganfällen zusammen genommen um 22 % reduzierte, dies führte zu einer entsprechenden Zulassungserweiterung für Ramipril (siehe oben). Ähnlich günstige Ergebnisse wurden mit Perindopril (The EURopean trial On reduction of cardiac events with Perindopril in stable coronary Artery disease Investigators, EUROPA 2003), nicht jedoch mit Trandolapril bei gleichzeitig effektiver eingestellten LDL-Werten (Pitt 2004, PEACE) erzielt. Bei einer kleinen Gruppe der HOPE-Patienten zeigte die
254
6
Kapitel 6 Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems
24-Stunden-Blutdruckmessung allerdings eine Unterschätzung der tatsächlichen Blutdrucksenkung durch den ACE-Hemmer. Diese erfolgte wegen der abendlichen Gabe des Medikamentes vor allem nachts (Svensson et al. 2001). Bei ACE-Hemmer-intoleranten Patienten gelang eine Reproduktion des HOPE-Erfolges mit Telmisartan, wenn die Daten der TRANSCEND- und der PRoFESS-Studie gemeinsam betrachtet wurden (The Telmisartan Randomized Assessment Study 2008, TRANSCEND). ACE-Hemmer und Sartane werden häufiger als alle anderen Arzneimittelgruppen angewendet. Sartane sind in der preiswertesten Variante nur noch geringfügig teurer als der kostengünstigste ACE-Hemmer. Ihre überlegene Verordnungszunahme im Vergleich zu den ACE-Hemmern könnte vor allem an der besseren Verträglichkeit vor allem am Fehlen des Hustens als Nebenwirkung liegen. In einem Review (Messerli et al. 2018) wurde gezeigt, dass Angiotensinrezeptorantagonisten im direkten Vergleich zu ACE-Hemmern bei gleicher Effektivität in der Vermeidung kardiovaskulärer Ereignisse weniger Nebenwirkungen und höhere Adhärenz-Raten aufweisen. Die mit RAS-Blockern behandelten Patienten haben darüber hinaus im Vergleich zu Diuretika und Betarezeptorenblockern ein geringeres Risiko, unter der Therapie einen Diabetes mellitus zu entwickeln (Metaanalyse: Elliott und Meyer 2007).
Literatur Anlauf M, Weber F (2015) Hemmstoffe des ReninAngiotensin-Systems. In: Schwabe U, Paffrath D (Hrsg) Arzneiverordnungs-Report, Bd. 2015. Springer, Berlin Heidelberg, S 267–309 Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (2004) Empfehlungen zur Therapie der arteriellen Hypertonie, 2. Aufl. Arzneiverordnung in der Praxis, Bd. 31 (Sonderheft 2 (Therapieempfehlungen)) Aygören-Pürsün E, Magerl M, Maetzel A, Maurer M (2018) Epidemiology of Bradykinin-mediated angioedema: a systematic investigation of epidemiological studies. Orphanet J Rare Dis 13:73. https://doi.org/10. 1186/s13023-018-0815-5
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Analgetika Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt
Auf einen Blick
Trend Die ärztliche Verordnung von Schmerzmitteln hat in den letzten 25 Jahren eine bemerkenswerte Trendwende vollzogen. Nichtopioide Analgetika wurden weniger verordnet, Opioidanalgetika dagegen dreimal so viel. Das hat dazu geführt, dass jetzt fast doppelt so viele Opioidanalgetika wie nichtopioide Analgetika verschrieben werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht verschreibungspflichtige, nichtopioide Analgetika wie Acetylsalicylsäure und Paracetamol nur in Sonderfällen zu Lasten der GKV verschrieben werden können. Über die Hälfte der Opioidverordnungen entfällt auf die beiden schwachwirksamen Opioide Tramadol und Tilidin/Naloxon. Führende Mittel der starkwirksamen Opioide sind Fentanylpflaster und Oxycodon sowie Hydromorphon, während das als Goldstandard empfohlene Morphin seit Jahren rückläufig ist. Einige Opioide (Methadon, Levomethadon, Buprenorphin) werden in der Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Personen eingesetzt. Bei den nichtopioiden Analgetika ist ein auffälliger Wandel eingetreten. Die Verordnungen von Acetylsalicylsäure und Paracetamol sind in den letzten 10 Jahren um fast 70 % zurückgegangen, während das rezeptpflichtige Metamizol trotz des weiterhin bestehenden Agranulozytoserisikos doppelt so häufig verordnet wurde.
Für die Schmerzbehandlung werden in erster Linie Opioide und nichtopioide Analgetika eingesetzt. Nichtopioide Analgetika wirken zusätzlich antipyretisch, einige auch entzündungshemmend. In manchen Fällen bereitet es Schwierigkeiten, eine eindeutige Trennung von Analgetika gegenüber den Antirheumatika und Antiphlogistika vorzunehmen. Seit mehreren Jahren werden die nichtsteroidalen Antiphlogistika Ibuprofen, Naproxen und Diclofenac in geringerer Dosis auch als rezeptfreie Schmerzmittel verwendet. Die Prinzipien einer rationalen Schmerztherapie basieren auf dem vor über 30 Jahren eingeführten WHO-Stufenschema für die Tumorschmerztherapie (World Health Organization 1986). Nach diesen Empfehlungen sollen möglichst Einzelsubstanzen verwendet werden, solange der Schmerz damit beherrscht werden kann. Reicht die Monotherapie mit nichtopioiden Analgetika oder nichtsteroidalen Antiphlogistika nicht aus, werden diese Substanzen in der Stufe 2 des WHO-Schemas mit schwachwirksamen Opioiden kombiniert (z. B. Dihydrocodein, Tramadol, Tilidin plus Naloxon). Zur Behandlung schwerster Schmerzen können in der dritten Stufe starkwirksame Opioidanalgetika wie Morphin eingesetzt werden, wobei eine Komedikation mit nichtsteroidalen Antiphlogistika beibehalten werden soll und bei neuropathischen Schmerzen zusätzlich Gabapentin, Pregabalin, Duloxetin und trizyklische Antidepressiva in Betracht gezogen werden können. Die analgetische Stufenleiter der WHO bildet seit vielen Jahren die Grundlage für die Empfehlungen zur Therapie von Tumorschmerzen, die mit mehreren deutschen Fachgesellschaften abgestimmt wurden
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_7
262
7
Kapitel 7 Analgetika
(Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2007). In der aktualisierten WHO-Leitlinie für die Tumorschmerztherapie wurde das bisherige Stufenschema bestätigt und vervollständigt (World Health Organization 2018). Paracetamol, nichtsteroidale Antiphlogistika, Morphin und andere Opioide gelten seit Jahrzehnten als Hauptstützen der Tumorschmerzbehandlung und sind es auch heute noch. Die Wahl des Opioidanalgetikums, die Dosierung und der Zeitpunkt sollen sich an der spezifischen Pharmakokinetik der einzelnen Opioidanalgetika, den Kontraindikationen und den Nebenwirkungen bei verschiedenen Patienten orientieren. Es ist jedoch unbedingt erforderlich, dass für alle Patienten orales, schnell freisetzendes und injizierbares Morphin zugänglich ist. Darüber hinaus kann es optimal sein, wenn mehrere Opioidanalgetika für Patienten verfügbar sind, da das für einen Patienten beste Opioid nicht unbedingt für andere Patienten geeignet ist. Auch in den aktuellen europäischen und amerikanischen Leitlinien wird Morphin weiterhin als initiale Standardtherapie für schwere Tumorschmerzen empfohlen (Fallon et al. 2018; Swarm et al. 2019), was im Abschnitt Morphin (7 Abschn. 7.2.1) beschrieben wird. Für den Bereich der nicht-tumorbedingten Schmerzen (z. B. Rückenschmerz, Arthroseschmerz, Postzosterneuralgie, diabetische und nichtdiabetische Polyneuropathien) gibt es keine Leitlinie, die sich speziell mit der Verwendung des WHO-Stufenschemas befasst. Die meisten Leitlinien für Nichttumorschmerzen geben indikationsspezifische Empfehlungen für einzelne Schmerzsyndrome. So werden für die große Gruppe der Rückenschmerzen in der deutschen Nationalen Versorgungsleitlinie an erster Stelle ausgewählte nicht-medikamentöse Maßnahmen (Bewegungstherapie, Funktionstraining, Entspannungsverfahren, Verhaltenstherapie) empfohlen, die durch eine medikamentöse Therapie lediglich unterstützt werden sollen (Bundesärztekammer et al. 2017). Bei der medikamentösen Therapie haben nur nichtsteroidale Antiphlogistika eine eindeu-
tige Empfehlung für eine möglichst kurzzeitige Anwendung erhalten, während Opioidanalgetika nur bei fehlendem Ansprechen oder Vorliegen von Kontraindikationen gegen nichtopioide Analgetika eingesetzt werden sollen. Auch in einer Übersicht über 15 Leitlinien zur Behandlung von Rückenschmerzen werden primär nichtmedikamentöse Maßnahmen sowie nichtsteroidale Antiphlogistika und schwache Opioide für kurze Zeiträume empfohlen (Oliveira et al. 2018). Die Rolle der Opioidanalgetika bei der Langzeitbehandlung von Nichttumorschmerzen bleibt jedoch aufgrund unzureichender Wirksamkeitsnachweise und einer steigenden Zahl von Berichten über Nebenwirkungen umstritten. In einer Metaanalyse von 46 kontrollierten Studien (10.742 Patienten) mit einer Behandlungsdauer von mindestens 3 Wochen wurde die analgetische Wirksamkeit von Opioiden und Nichtopioiden im Vergleich zu Placebo sowie die Physiotherapie und Psychotherapie im Vergleich zu aktiven Kontrollen untersucht (Reinecke et al. 2015). Am Ende der Behandlung betrug die mittlere Schmerzreduktion (100-Punkte-Skala) 12,0 Punkte für starkwirkende Opioide, 10,6 für schwachwirkende Opioide, 8,4 für Nichtopioide sowie 5,5 für Psychotherapie und 4,5 für Physiotherapie, wobei die fünf Interventionen keine statistischen Unterschiede zu den jeweiligen Kontrollen zeigten. In einer weiteren Metaanalyse von 96 kontrollierten Studien mit 26.169 Teilnehmern wurden Nichttumorschmerzen durch Opioide im Vergleich zu Placebo auf einer visuellen Analogskala um 11,9 % gesenkt und körperliche Funktionen um 8,5 % verbessert (Busse et al. 2018). Die Vergleiche von Opioiden mit nichtopioiden Analgetika ergaben Hinweise, dass der Nutzen für Schmerz und Funktion ähnlich war. Auch bei neuropathischen Schmerzen zeigte eine Metaanalyse von 16 Studien mit 2.199 Teilnehmern, dass Opioidanalgetika eine klinisch relevante Schmerzlinderung nur im Vergleich zu Placebo erreichten, aber nicht die Zulassungsanforderungen der EMA für die Behandlung von neuropa-
7
263 7.2 Opioidanalgetika
thischen Schmerzen erfüllten (Sommer et al. nungen des niedrig potenten Opioids Tramadol 2020). sind wieder gegenüber dem Vorjahr rückläufig. Die ebenfalls begrenzt potente Arzneimittelkombination Tilidin/Naloxon ist 2019 erneut häufiger verordnet worden. 7.1 Verordnungsspektrum Bei nichtopioiden Analgetika sind gegenüber dem Vorjahr die Verordnungszahlen von Die Verordnungsentwicklung von Schmerz- Acetylsalicylsäure weiter deutlich zurückgemitteln ist seit über 20 Jahren von einem gangen, während die Verordnungszahlen für kontinuierlichen Anstieg der Opioidanalgetika Paracetamol ebenfalls, aber weniger abgenomum das Dreifache und einem massiven Rück- men haben. Bei den rezeptpflichtigen Subgang der nichtopioiden Analgetika bis 2004 stanzen weist Metamizol, einem langjährigen geprägt, der sich seitdem nur ganz allmählich Trend folgend, erneut einen deutlichen Zuerholt (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2006, wachs auf (. Abb. 7.2). Abb. 6.1). Seit 2010 ist das Verordnungsvolumen der Opioidanalgetika nach definierten Tagesdosen (DDD) nur noch geringfügig 7.2 Opioidanalgetika um 11 % angestiegen, dieser Trend hat sich auch 2019 fortgesetzt (. Abb. 7.1). Morphinpräparate zeigen, einem langjährigen Trend Opioidanalgetika werden in der Schmerzbefolgend, erneut einen Verordnungsrückgang handlung eingesetzt, wenn nichtopioide An(. Tab. 7.1). Das mit Abstand am häufigsten algetika und nichtsteroidale Antiphlogistika verordnete, hochpotente Opioid Fentanyl weist nicht mehr ausreichend wirksam sind. Von be2019 nach langjährigen, deutlichen Zuwächsen sonderer Bedeutung sind die stark wirkenden erneut, wie schon 2018, einen leichten Verord- Opioidanalgetika für die Behandlung von Tunungsrückgang auf (. Tab. 7.1). Die Verord- morschmerzen (. Tab. 7.1). Die analgetische
500
400
387
395
401
408
409
421
423
436
439
394
(Mio. DDD)
300
250 217
200 193
195
199
203
228
262
236
205
100
Opioidanalgetika Nichtopioide Analgetika 0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
. Abb. 7.1 Verordnungen von Analgetika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
2019
264
Kapitel 7 Analgetika
. Tabelle 7.1 Verordnungen stark wirkender Opioidanalgetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Morphin
7
Morphin AL
Morphin
6,0
(C7,7)
2,43
MST/MSR/MSI Mundipharma
Morphin
1,5
(11,5)
2,27
Capros/-akut
Morphin
1,3
(C36,7)
4,31
M-STADA
Morphin
1,1
(7,4)
2,49
Morphin-ratiopharm
Morphin
0,60
(C2,1)
3,01
Morphin Merck
Morphin
0,55
(3,1)
6,12
Morphinsulfat-GRY
Morphin
0,52
(16,4)
3,60
Morphin HEXAL
Morphin
0,52
(36,2)
3,00
Morphin Hameln
Morphin
0,47
(C5,9)
3,75
Morphinsulfat AbZ
Morphin
0,40
(34,7)
2,39
Sevredol
Morphin
0,39
(20,8)
9,53
Morphin Aristo
Morphin
0,28
(49,3)
4,40
Oramorph
Morphin
0,16
(4,0)
9,82
13,8
(3,4)
3,21
Buprenorphin Buprenorphin AL
Buprenorphin
2,8
(C131,8)
4,92
Norspan
Buprenorphin
1,7
(30,7)
6,78
Transtec
Buprenorphin
1,7
(19,1)
5,10
Buprenorphin Glenmark
Buprenorphin
1,6
(C35,2)
5,41
Buprenorphin Libra-Pharm
Buprenorphin
1,2
(C85,5)
6,56
Buprenorphin/Bupre HEXAL
Buprenorphin
0,71
(C6,8)
3,52
Buprenorphin AWD
Buprenorphin
0,67
(26,2)
5,03
Temgesic
Buprenorphin
0,64
(8,3)
2,55
Buprenorphin-ratiopharm
Buprenorphin
0,52
(40,9)
5,81
11,4
(C7,2)
5,29
Fentanyl Fentanyl-1 A Pharma
Fentanyl
19,4
(0,6)
3,90
Fentanyl AL
Fentanyl
11,3
(0,5)
2,81
Fentanyl HEXAL
Fentanyl
6,3
(6,3)
3,88
7
265 7.2 Opioidanalgetika
. Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Fentanyl AbZ
Fentanyl
3,4
(C8,6)
3,11
Fentanyl Winthrop
Fentanyl
2,6
(C0,8)
3,88
Durogesic
Fentanyl
2,5
(7,5)
3,62
Fentanyl-/Fentamat Sandoz
Fentanyl
1,4
(5,5)
3,72
Fentanyl-ratiopharm TTS
Fentanyl
1,0
(31,5)
3,72
Fentanyl Hennig
Fentanyl
0,92
(C45,5)
2,83
Fentanyl Aristo
Fentanyl
0,72
(32,1)
3,18
Effentora
Fentanyl
0,62
(C10,3)
22,10
Fentanyl-Actavis
Fentanyl
0,61
(54,9)
2,75
Fentanyl STADA
Fentanyl
0,56
(C0,4)
2,74
Abstral
Fentanyl
0,35
(20,9)
24,62
51,8
(3,5)
3,89
Oxycodon Oxycodonhydrochlorid Heumann
Oxycodon
4,2
(C31,1)
5,82
Oxycodon-HCL AL
Oxycodon
3,5
(27,7)
6,74
Oxycodonhydrochlorid-PUREN
Oxycodon
3,0
(12,6)
7,32
Oxygesic
Oxycodon
2,1
(8,8)
5,98
Oxycodon HCL beta
Oxycodon
2,0
(8,3)
5,57
Oxycodon-HCL AbZ
Oxycodon
1,8
(32,2)
5,23
Oxycodon-HCL ratiopharm
Oxycodon
1,3
(2,9)
8,06
Oxycodon-HCL-1 A Pharma
Oxycodon
1,2
(30,2)
5,04
Oxycodon-HCL Winthrop
Oxycodon
1,1
(38,0)
5,19
Carenoxal
Oxycodon
1,1
(C226,2)
4,69
Oxyconoica
Oxycodon
1,1
(C228,1)
4,13
Oxycodon HCL Aristo
Oxycodon
0,55
(C44,3)
13,68
Oxycodon-HCL HEXAL
Oxycodon
0,52
(8,3)
5,40
Oxycodon HCL Zentiva
Oxycodon
0,45
(C1,8)
12,26
Oxycodonhydrochlorid STADA
Oxycodon
0,33
(4,5)
3,80
Oxycodon HCL Hormosan
Oxycodon
0,30
(C837,1)
5,19
(5,4)
6,26
24,6
266
Kapitel 7 Analgetika
. Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Oxycodon plus Naloxon
7
Targin
Oxycodon Naloxon
4,3
(32,0)
9,65
Oxycodon/Naloxon Krugmann
Oxycodon Naloxon
3,9
(39,0)
7,64
Oxycodon comp AbZ
Oxycodon Naloxon
1,4
(C183,5)
4,12
Oxycodon comp-1 A Pharma
Oxycodon Naloxon
1,0
(C302,7)
6,30
Oxycocomp-ratiopharm
Oxycodon Naloxon
0,96
(C7,8)
7,17
Oxycodon-HCL/ Naloxon-HCL AL
Oxycodon Naloxon
0,84
(> 1.000)
4,28
Oxycodon-HCL/ Naloxon-HCL beta
Oxycodon Naloxon
0,74
(C69,7)
4,24
Oxycodon/Naloxon Aristo
Oxycodon Naloxon
0,71
(> 1.000)
5,94
Oxycodon comp Amneal
Oxycodon Naloxon
0,63
(C231,3)
4,53
Oxycodon comp HEXAL
Oxycodon Naloxon
0,55
(C36,6)
7,66
Oxycodon/Naloxon Hormosan
Oxycodon Naloxon
0,53
(C49,7)
4,46
Oxycodon-HCl/ Naloxon-HCl Mylan
Oxycodon Naloxon
0,48
(C54,9)
3,96
Oxycaloxon TAD
Oxycodon Naloxon
0,40
(27,9)
6,13
Oxycodon-HCl/ Naloxon-HCl Ethypharm
Oxycodon Naloxon
0,27
(C234,8)
3,94
16,7
(0,2)
6,95
Hydromorphon Hydromorphon AL
Hydromorphon
7,6
(5,3)
5,76
Hydromorphon Aristo
Hydromorphon
3,4
(C18,8)
7,32
Hydromorphon/-hydrochlorid beta
Hydromorphon
3,2
(C3,1)
7,11
Hydromorphon-HCL Heumann
Hydromorphon
3,1
(C15,1)
4,46
Hydromorphon Winthrop
Hydromorphon
2,8
(C16,6)
5,86
7
267 7.2 Opioidanalgetika
. Tabelle 7.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Jurnista
Hydromorphon
2,6
(12,1)
5,66
Hydromorphon dura
Hydromorphon
2,5
(C3,7)
5,59
Hydromorphon-HCL PUREN
Hydromorphon
2,2
(C69,6)
4,28
Palladon
Hydromorphon
1,6
(23,9)
6,74
Hydromorphon HEXAL
Hydromorphon
0,81
(8,8)
4,52
Palladon injekt
Hydromorphon
0,65
(C1,7)
4,48
Hydromorphon-ratiopharm
Hydromorphon
0,38
(C6,5)
6,20
30,8
(C3,7)
5,82
Opioide zur Substitution Methaddict
Methadon
11,8
(C14,1)
0,77
Substitol
Morphin
3,5
(C36,7)
2,78
L-Polamidon zur Substitution
Levomethadon
1,4
(20,5)
0,73
L-Poladdict
Levomethadon
1,2
(C46,7)
0,73
Subutex
Buprenorphin
1,1
(C1,2)
3,15
Buprenaddict
Buprenorphin
0,71
(9,2)
3,22
Bupensan
Buprenorphin
0,38
(C39,4)
3,12
Suboxone
Buprenorphin Naloxon
0,33
(19,2)
4,48
20,4
(C13,3)
1,43
14,5
(C10,7)
10,93
Andere Opioide Palexia
Tapentadol
L-Polamidon
Levomethadon
1,0
(10,4)
1,13
Piritramid Hameln
Piritramid
0,08
(C23,5)
6,12
Dipidolor
Piritramid
0,04
(C14,1)
9,04
15,6
(C9,1)
10,26
185,2
(C1,0)
5,10
Summe
Kapitel 7 Analgetika
268
300 Acetylsalicylsäure Metamizol 247
250
232 215 204 190
200
(Mio. DDD)
175 156 142
150
135 123
100
7
50 28 18 0 2010
2011
14
2012
11
9
7
6
4
4
2013
2014
2015
2016
2017
2018
3 2019
. Abb. 7.2 Verordnungen von Acetylsalicylsäure und Metamizol 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Stufenleiter der WHO hatte einen enormen Wert, als sie mit ihren konservativen und einfachen Prinzipien für die Schmerzbehandlung eingeführt wurde, die überall auf der Welt angewendet werden konnten. Das WHO-Stufenschema hat wesentlich dazu beigetragen, dass die frühere Zurückhaltung bei der Verordnung von Opioiden in der Schmerztherapie aufgegeben wurde. Seit vielen Jahren mehren sich aber Berichte, dass die gestiegene Verschreibung von Opioiden mit einer Zunahme des Opioidmissbrauchs korreliert ist (Boscarino et al. 2010; Kaye et al. 2017; Brat et al. 2018). Sehr früh wurde erkannt, dass ein Zusammenhang zwischen Opioid-Verschreibungsmustern und Todesfällen aufgrund von Opioidüberdosierungen bestand (Bohnert et al. 2011). Die opioidbedingten Todesfälle haben in den USA ein krisenhaftes Ausmaß erreicht und werden daher als Opioidepidemie oder Opioidkrise bezeichnet. In den letzten 20 Jahren hat die Opioidkrise 770.000 Todesfälle in den USA verursacht, von denen ein erheblicher Teil das direkte Ergebnis einer Überverschreibung von
Opioiden war (Healton et al. 2019). Viele Todesfälle betreffen frühere Schmerzpatienten, die zunächst mit verschreibungspflichtigen Opioidanalgetika behandelt wurden, dann aber auf das kostengünstigere und leichter illegal zu beschaffende Heroin sowie synthetische Opioide wie Fentanyl umgestiegen sind. Die Opioidkrise hat bereits über drei aufeinanderfolgende Jahre zum Rückgang der Lebenserwartung in den USA beigetragen, ein Phänomen, das bisher nur während der Grippepandemie von 1918 beobachtet wurde. Die Ursachen der Opioidkrise sind komplex und vielfältig. Neben den Überdosierungen sind mangelndes Wissen über Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Langzeitkonsum, Opioidmissbrauch und Opioidabhängigkeit von Bedeutung. Eine Hauptursache für die Krise scheint der Einfluss der Pharmaindustrie auf die Verschreibung von Ärzten zu sein, der in den späten 1990er Jahren mit der aggressiven Vermarktung von Oxycodon bei chronischen nicht-krebsbedingten Schmerzen durch die Purdue Pharma begann (Spithoff et al. 2020). Diese Aktivitäten wurden mit dem
269 7.2 Opioidanalgetika
Anstieg der Opioidverordnungen in den USA und den daraus resultierenden Schäden in Verbindung gebracht. Obwohl sich die Muster der Opioidverordnungen in Deutschland ähnlich wie in anderen Industrieländern entwickelt haben, gibt es bei uns bisher keine Anzeichen einer Opioidepidemie, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Zahl der opioidbedingten Todesfälle seit 2006 stabil geblieben ist (Rosner et al. 2019). Führende Schmerztherapeuten plädieren daher dafür, die Opioidkrise in den USA und die Opioidverschreibungen in Deutschland differenzierter zu betrachten sowie die Unterschiede zwischen dem US-amerikanischen und dem deutschen Gesundheitssystem deutlich zu machen (Häuser et al. 2020). Als ein wichtiger Unterschied werden die deutlich restriktiveren Regelungen im Betäubungsmittelrecht in Deutschland angesehen. Darüber hinaus haben deutsche Patienten und Ärzte freien Zugang zu nichtmedikamentösen Verfahren wie einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie.
7.2.1
Morphin
Morphin ist seit 30 Jahren der Goldstandard in der Stufe 3 des WHO-Stufenschemas der Tumorschmerztherapie (World Health Organization 1986). Dementsprechend wurde in Deutschland lange Zeit ganz überwiegend Morphin verordnet. In der Gruppe der stark wirksamen Opioidanalgetika entfielen 1996 über 60 % der Verordnungen auf Morphin, während andere stark wirkende Opioide (Buprenorphin, Levomethadon) nur eine untergeordnete Rolle spielten (siehe Arzneiverordnungs-Report 1997). Im Jahre 2019 sind die Verordnungszahlen für Morphin, das fast nur als orales Retardpräparat zur Behandlung von Tumorschmerzen verschrieben wird, gegenüber dem Vorjahr weiter zurückgegangen, so dass der Verordnungsanteil von Morphin an den stark wirkenden Opioidanalgetika jetzt nur noch 7 % beträgt (. Tab. 7.1). Diese Entwick-
7
lung wurde vorwiegend dadurch geprägt, dass in den vergangenen Jahren verschiedene Alternativen zu oralem Morphin eingeführt wurden, vor allem neue Arzneiformen von seit langem bekannten Arzneistoffen. Dazu gehören transdermale Präparate von Fentanyl und Buprenorphin sowie Retardpräparate von Oxycodon und Hydromorphon. Das hat dazu geführt, dass auch 2019 über 30 % der verordneten Tagesdosen auf die transdermalen Präparate entfällt. Initiale Standardmedikation für schwere Tumorschmerzen ist nach der aktualisierten WHO Leitlinie weiterhin Morphin nach Stufenplan, nach der Uhr und sorgfältig abgestimmt auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten (World Health Organization 2018). Diese WHO-Vorgaben finden sich auch in aktuellen europäischen und amerikanischen Leitlinien. Nach der Leitlinie der European Society for Medical Oncology sind starke Opioide die Hauptstütze der analgetischen Therapie bei der Behandlung mittelschwerer bis schwerer krebsbedingter Schmerzen. Obwohl eine Vielzahl starker Opioide existiert, ist orales Morphin weiterhin das Mittel der ersten Wahl für die Therapie schwerer Tumorschmerzen. Es ist das am weitesten verbreitete und verschriebene Opioidanalgetikum, weil es keine Überlegenheit neuerer Opioidanalgetika gibt (Fallon et al. 2018). Auch in der neuesten amerikanischen klinischen NCCN-Praxisleitlinie für die Onkologie wird Morphin als Mittel der Wahl für die initiale Therapie von Tumorschmerzen von therapienaiven Patienten angesehen, weil es ähnliche analgetische Wirkungen wie andere Opioide hat und in einer Vielzahl von Formulierungen und Applikationsformen erhältlich ist, einschließlich oraler, parenteraler und rektaler Verabreichung (Swarm et al. 2019). Die Therapie mit stark wirkenden Opioidanalgetika hat sich jedoch in vielen Ländern abweichend von den Leitlinien entwickelt. In einer Untersuchung aus Italien wurde beobachtet, dass anstelle von Morphin häufig transdermales Fentanyl als Mittel der ersten Wahl bei Patienten eingesetzt wird, die keine Kontraindikationen für orales Morphin haben, deren Dosis noch nicht titriert wurde und die da-
270
Kapitel 7 Analgetika
zu noch ein instabiles Schmerzprofil aufwiesen (Ripamonti et al. 2006). Auch in Deutschland wurde transdermales Fentanyl bei vielen opioidnaiven Patienten als Opioid der ersten Wahl verwendet, was wegen des erhöhten Risiko schwerwiegender Opioidnebenwirkungen als unzweckmäßige Verschreibung kritisiert wurde (Garbe et al. 2012).
7.2.2
7
Fentanyl
Unter den stark wirkenden Opioiden ist Fentanyl die meistverordnete Substanz. Sie wird in der ambulanten Krankenversorgung vornehmlich zur transdermalen Opioidzufuhr als Membranpflaster verwendet. Insgesamt ist die Verordnung von Fentanylpflastern 2019 gegenüber dem Vorjahr erneut etwas zurückgegangen (. Tab. 7.1). Das besonders gut an Haut und Blut-Hirnschranke penetrierende transdermale Fentanyl ist für eine schnelle Opioidtitration nicht geeignet und sollte nur empfohlen werden, wenn Patienten nicht schlucken können oder bei Patienten mit geringer Morphintoleranz und schlechter Compliance (Fallon et al. 2018; Swarm et al. 2019). In Deutschland werden diese Leitlinienempfehlungen offenbar nicht beachtet, da nach einer neueren Arzneimittelverbrauchsstudie 85 % der mit Fentanylpflastern behandelten Patienten opioidnaiv waren und 73 % keine Schwierigkeiten mit oraler Arzneitherapie hatten (Garbe et al. 2012). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2012) hat sich daher veranlasst gesehen, nochmals auf die leitlinienkonforme Opioidtherapie hinzuweisen, zumal Berichte zu Überdosierungen durch Fentanylpflaster mit schwerwiegenden Folgen vorliegen (Bewusstseinsstörungen, Somnolenz, Atemdepression). Für die Therapie von Durchbruchschmerzen von analgetisch behandelten Tumorpatienten steht Fentanyl auch in schnell, stark und kurz wirkenden Arzneiformen wie Nasenspray und Sublingual- oder Bukkaltabletten zur Verfügung. Eine Bukkaltablette (Effentora) ist mit einem erneuten Verordnungszuwachs
weiterhin unter den meistverordneten Präparaten vertreten (. Tab. 7.1). Für diese spezielle Indikation gibt es mehrere Vergleichsstudien, die eine Überlegenheit von Fentanyl gegenüber nichtretardiertem Morphin beschreiben (Bornemann-Cimenti et al. 2013). Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die verfügbaren Vergleichsstudien alle pharmaindustrienah durchgeführt wurden. So fehlt auch der Vergleich mit Morphintropfen als Standardtherapie für eine schnell wirkende orale Opioidtherapie von Tumorschmerzen.
7.2.3
Buprenorphin
Buprenorphinpräparate sind 2019 etwas häufiger verschrieben worden als im Vorjahr (. Tab. 7.1). Bis auf eine Ausnahme (Temgesic) wird Buprenorphin als transdermales Pflaster angewendet. Preisgünstige Generika zeigen teilweise massive Zuwächse, die beiden Originalpräparate (Norspan, Transtec) sind dagegen erneut rückläufig. Ein kleiner Teil der Verordnungen entfällt auf die orale Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Patienten mit Sublingualtabletten. Buprenorphin ist ein partieller Agonist an opioiden - und ›-Rezeptoren mit hoher Affinität, der nicht durch Morphin oder Heroin vom Rezeptor verdrängt werden kann. Transdermales Buprenorphin wird in höheren Dosierungen (35–70 g/Stunde) zur Behandlung mäßig starker bis starker Tumorschmerzen eingesetzt, ist aber kein typisches Erstlinien-Opioid. In geringeren Dosierungen (5–20 g/Stunde) kann es auch bei nicht-malignen Schmerzen eingesetzt werden (Übersicht bei Foster 2013). Nach einem Cochrane-Review (19 Studien, 1.421 Patienten) ist die Positionierung von Buprenorphin bei der Behandlung von Tumorschmerzen noch nicht abgeschlossen (Schmidt-Hansen et al. 2015). Eine mögliche Option ist der Einsatz in der vierten Linie im Vergleich zur Standardtherapie mit Morphin, Oxycodon und Fentanyl. Die sublinguale Gabe und die Injektion haben
271 7.2 Opioidanalgetika
7
eine gute analgetische Wirkung, während die tienten mit regulärer Laxantientherapie nicht Ergebnisse mit der transdermalen Applikation gesichert. Daher wird der Einsatz von Oxycodon/Naloxon nicht empfohlen (Kassenärztuneinheitlich waren. liche Bundesvereinigung 2012a). 7.2.4
Oxycodon 7.2.5
Oxycodon weist 2019 erstmalig nach langjährigen Zuwächsen gegenüber den Vorjahren einen Verordnungsrückgang auf. Ähnlich wie Morphin ist es für die orale Dauertherapie schwerer bis sehr schwerer Schmerzen geeignet, hat aber durch eine höhere orale Verfügbarkeit (65 %) und eine längere Halbwertszeit (4–6 h) pharmakokinetische Vorteile gegenüber Morphin, die jedoch bei der länger wirkenden Retardform keine Rolle spielen. Oxycodon wird als Alternative zu Morphin mit einem ähnlichen Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum angesehen (Fallon et al. 2018; Swarm et al. 2019). Es wird etwa doppelt so häufig verordnet wie Morphin, obwohl es immer noch doppelt so teuer ist (. Tab. 7.1). Durch die Verfügbarkeit mehrerer Generika ist der Preisunterschied gegenüber Morphin zwar etwas geringer geworden, aber immer noch deutlich vorhanden. Das Kombinationspräparat Targin, das neben Oxycodon auch Naloxon enthält, soll die spastische Obstipation vermindern. Es zeigt erneut einen Verordnungsrückgang gegenüber 2018. Dieser Rückgang wird aber durch viele neue Oxycodon/Naloxon Kombinationspräparate, die auch preisgünstiger als Targin sind, weitgehend ausgeglichen (. Tab. 7.1). Die vermeintliche Besserung der Darmfunktion durch die Kombination mit Naloxon war jedoch marginal, da die meisten Patienten (45–70 %) weiterhin Laxantien benötigten (Placebo 81 %) (Meissner et al. 2009). Gleichzeitig wurden vermehrt Nebenwirkungen beobachtet, die zum Teil als Zeichen eines durch Naloxon induzierten Opioidentzuges erklärbar sind, wie Schwitzen, Diarrhö, Nausea, abdominelle Schmerzen, Unruhe, Muskelspasmen, Kopfschmerzen und Schwindel (Wilcock 2009). Ein klinischer Zusatznutzen ist bei Pa-
Hydromorphon
Hydromorphon ist ein weiteres klassisches Opioidanalgetikum, das seit 1999 auch als orales Retardpräparat (Palladon) mit einer Wirkungsdauer von 12 h am Markt ist. Im Jahre 2006 wurde ein zweites retardiertes Hydromorphonpräparat eingeführt (Jurnista), das mit einem oralen osmotischen System eine einmal tägliche Gabe ermöglicht (Drover et al. 2002). Hydromorphon unterscheidet sich von Morphin nur durch eine 6-Oxogruppe und ist wie Morphin ein voller -Rezeptoragonist. Auch die pharmakokinetischen Eigenschaften (orale Bioverfügbarkeit 40 %, Halbwertszeit 2,6 h) sind ähnlich wie bei Morphin. Nach einem Cochrane-Review wirkt Hydromorphon ähnlich wie Morphin und Oxycodon und hat ein ähnliches Nebenwirkungsprofil wie andere Rezeptoragonisten (Bao et al. 2016). 2019 ist Hydromorphon wieder häufiger verordnet worden als im Vorjahr, während die beiden Originalpräparate (Jurnista, Palladon) weiter rückläufig waren (. Tab. 7.1).
7.2.6
Levomethadon und Methadon
Levomethadon (L-Polamidon) taucht als Fertigarzneimittel in zwei Positionen auf: Einmal als Analgetikum, bei dem die Verordnungszahlen 2019 gegenüber dem Vorjahr auf niedrigem Niveau weiter zurückgegangen sind, zum anderen zur Substitutionsbehandlung opioidabhängiger Patienten. Bei dieser Verwendung hat die Verordnung von Levomethadon gegenüber dem Vorjahr durch Einschluss eines weiteren Präparates zugenommen (. Tab. 7.1).
272
Kapitel 7 Analgetika
Das Fertigarzneimittel Methaddict, das racemisches Methadon enthält, weist 2018 erneut einen deutlichen Zuwachs auf. Wesentlich höher liegen die Verordnungsmengen von racemischem D,L-Methadon in Form von Rezepturen aus Apotheken. Mit der Verwendung von Methadon zur oralen Substitutionsbehandlung von Opioidabhängigen, die 1993 durch eine Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtmVV) eingeführt wurde, haben die Methadonrezepturen in den darauffolgenden Jahren stark zugenommen, blieben aber seit 2001 auf einen annähernd konstanten Niveau mit 40–42 Mio. Tagesdosen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2006).
7 7.2.7
Tapentadol
Tapentadol (Palexia retard) wurde im August 2010 in Deutschland zugelassen und wird nach einem weiteren Verordnungsanstieg schon mehr als Morphin verordnet (. Tab. 7.1). Ähnlich wie Tramadol hemmt Tapentadol die neuronale Noradrenalinwiederaufnahme zusätzlich zur Aktivierung des Rezeptors (Übersicht bei Frampton 2010). Beide Wirkprinzipien tragen zur analgetischen Wirkung bei. Im Gegensatz zu Tramadol unterliegt Tapentadol ebenso wie andere stark wirksame Opioidanalgetika den betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften. Palexia ist zur Behandlung starker chronischer Schmerzen zugelassen, wurde bisher jedoch vornehmlich bei Nichttumorschmerzen untersucht. Nach einem Cochrane Review scheint Tapentadol eine ähnliche Effektivität bei Tumorschmerzen zu haben wie Morphin oder Oxycodon (Wiffen et al. 2015). Es gibt allerdings Befunde, dass Tapentadol verglichen mit äquianalgetisch wirksamen Dosen der klassischen Opioide weniger die typischen unerwünschten Opioidwirkungen wie Atemdepression und spastische Obstipation aufweist (Langford et al. 2016). Aufgrund noch nicht ausreichender Studienergebnisse bleibt Tapentadol eine therapeutische Reserve für eine sehr überschaubare Anzahl
klinischer Situationen (Kassenärztliche Bundesvereinigung 2012b). Eine neuere Zusammenstellung der vorhandenen Ergebnisse beim Vergleich von Tramadol und Tapentadol erwähnt verschiedene Vorteile von Tapentadol, weist aber auch auf die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen bezüglich der Toxikologie hin (Faria et al. 2018).
7.2.8
Schwach wirksame Opioidanalgetika
Das schwach wirksame, nicht der Betäubungsmittelverschreibung unterliegende Tramadol bleibt mit einer gegenüber dem Vorjahr geringeren Verordnungshäufigkeit das am meisten verschriebene Opioid als Monopräparat (. Tab. 7.2). Es ist auch in fixer Kombination mit dem nichtopioiden Paracetamol verfügbar. Diese Kombinationstherapie ist 2019 erneut häufiger verschrieben worden. Unter den Kombinationspräparaten mit Opioiden nehmen Tilidinkombinationen insofern eine Sonderstellung ein, als sie für die Bekämpfung schwerer Schmerzen in ähnlicher Weise verwendet werden können wie stark wirkende Opioide, die unter der BtmVV stehen. Durch den Zusatz von Naloxon, welches nach intravenöser Zufuhr die Wirkung von Tilidin antagonisiert, nach oraler Zufuhr jedoch infolge First-pass-Metabolismus weitgehend inaktiviert wird und die analgetische Wirkung von Tilidin ungeschwächt zulässt, sind die retardierten Tilidinkombinationen aus der Bestimmung der BtmVV ausgenommen. Die Verordnung der Tilidinkombinationen weist 2019 gegenüber dem Vorjahr wieder einen Zuwachs auf (. Tab. 7.3). Bei den Kombinationspräparaten von Codein ist die Kombination mit Paracetamol in der Verordnungshäufigkeit 2019 gegenüber dem Vorjahr weiter deutlich abgesunken (. Tab. 7.4). Auch andere Codeinkombinationen sind 2019 in der Verordnungshäufigkeit zurückgegangen. Nach einem Cochrane-Review bewirkt Codein allein oder in Kombina-
7
273 7.2 Opioidanalgetika
. Tabelle 7.2 Verordnungen von Tramadol 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tramadol Tramadol Librapharm
Tramadol
33,7
(C0,3)
0,84
Tramadol AL
Tramadol
11,2
(C20,6)
1,05
Tramadol-1 A Pharma
Tramadol
3,5
(35,5)
0,88
Tramagit
Tramadol
2,9
(7,3)
0,96
Tramadolor
Tramadol
2,4
(17,2)
0,99
Tramal
Tramadol
2,2
(16,4)
1,02
Tramabeta
Tramadol
1,9
(18,4)
0,97
Tramadol-ratiopharm
Tramadol
1,4
(12,9)
0,96
Tramadol STADA
Tramadol
1,1
(16,4)
0,88
Tramadol AbZ
Tramadol
1,1
(21,0)
0,77
Tramadol axcount
Tramadol
0,82
(32,3)
0,76
62,2
(4,1)
0,90
Tramadolkombinationen Tramabian
Tramadol Paracetamol
1,0
(C11,8)
3,32
Tramadol/Paracetamol Aristo
Tramadol Paracetamol
0,34
(C57,5)
3,64
Zaldiar
Tramadol Paracetamol
0,20
(26,4)
4,37
1,6
(C11,4)
3,53
63,7
(3,7)
0,96
Summe
tion mit Paracetamol bei einigen Patienten mit Tumorschmerzen eine gute Schmerzlinderung. Unklar ist, ob die Zugabe von Paracetamol die Wirkung verstärkt (Straube et al. 2014). Da-
gegen gibt es keine ausreichende Evidenz, ob Paracetamol allein oder in Kombination mit Codein bei neuropathischen Schmerzen wirksam ist (Wiffen et al. 2016).
274
Kapitel 7 Analgetika
. Tabelle 7.3 Verordnungen von Tilidinkombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tilidinkombinationen Tilidin AL comp
Tilidin Naloxon
143,7
(C0,5)
1,25
Tilidin-1 A Pharma
Tilidin Naloxon
14,4
(4,4)
1,29
Valoron N
Tilidin Naloxon
11,4
(C144,8)
1,14
Tilidin comp STADA
Tilidin Naloxon
3,7
(13,6)
0,82
Tilidin-ratiopharm plus
Tilidin Naloxon
1,6
(3,7)
0,74
Tilidin comp HEXAL
Tilidin Naloxon
1,2
(0,5)
1,03
Tilidin AbZ
Tilidin Naloxon
0,46
(10,3)
0,72
7
Summe
176,5
(C3,5)
1,23
. Tabelle 7.4 Verordnungen von Codeinpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Codein mit Paracetamol Titretta
Paracetamol Codein
0,71
(28,5)
0,52
Paracetamol AL comp
Paracetamol Codein
0,43
(C8,5)
3,44
Azur compositum SC
Paracetamol Codein
0,34
(C23,7)
3,51
Talvosilen
Paracetamol Codein
0,34
(9,2)
1,31
Paracetamol comp STADA
Paracetamol Codein
0,32
(20,1)
2,80
Gelonida Schmerz
Paracetamol Codein
0,18
(12,4)
3,24
2,3
(12,2)
2,14
7
275 7.3 Nichtopioide Analgetika
. Tabelle 7.4 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Andere Codeinkombinationen Voltaren plus
Diclofenac Codein
1,2
(1,8)
1,40
Dolomo TN
Acetylsalicylsäure Paracetamol Coffein/Codein
0,46
(5,9)
3,37
1,6
(3,0)
1,96
4,0
(8,7)
2,07
Summe
7.3
Nichtopioide Analgetika
Die nichtopioiden Analgetika Acetylsalicylsäure und Paracetamol sind rezeptfrei und damit nur in Ausnahmefällen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verschreibbar. Ihre Verordnungszahlen sind 2019 bei Acetylsalicylsäure wie schon in den Jahren zuvor stark zurückgegangen, auch bei Paracetamol ist ein Verordnungsrückgang eingetreten (. Tab. 7.5). Viele Patienten bezahlen diese rezeptfreien Analgetika in Form der preiswerten Generika ohne Verordnung selbst, zumal die Zuzahlungsbeträge meist über dem Gesamtpreis der Packungen lagen. Paracetamol ist in Fertigpackungen, die mehr als 10 g Paracetamol enthalten, wegen der toxischen Wirkung seit 2009 rezeptpflichtig. Das rezeptpflichtige Metamizol, welches seit mehr als 10 Jahren kontinuierliche Zunahmen der Verordnung aufweist, ist auch 2019, einem langjährigen Trend folgend, wieder häufiger verordnet worden (. Abb. 7.2 und . Tab. 7.5). Es drängt sich der Verdacht auf, dass Metamizol auch deshalb verordnet wird, weil es wegen der Rezeptpflicht im Gegensatz zu den anderen nichtopioiden Analgetika zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnungsfähig ist. Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass die Gefahr der Sensibi-
lisierung und Auslösung von Agranulozytosen und Schockreaktionen (nach i. v. Gabe) zu einer Einschränkung der Indikation für die Verwendung von Metamizol führen muss. Die zuverlässige schmerzstillende Wirkung von Metamizol durch intravenöse Anwendung z. B. bei Steinkoliken wäre sicherer, wenn nicht durch Einsatz bei leichten Schmerz- und Fieberzuständen die Sensibilisierungsrate gegenüber Pyrazolanalgetika kritiklos gesteigert würde. Obwohl das Anwendungsgebiet von Metamizol aus diesem Grunde erheblich eingeschränkt und die Rezeptpflicht angeordnet wurde (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 1986), und obwohl das damalige Bundesgesundheitsamt 1987 für alle metamizolhaltigen Kombinationspräparate die Zulassung widerrufen hat, hält der Trend zur Mehrverordnung dieser Substanz über die letzten zehn Jahre kontinuierlich an. Eine neuere, systematische Auswertung der Publikationen über die Risiken der Verwendung von Metamizol hat ergeben, dass ein 1,5- bis 40,2-fach gesteigertes Risiko für das Auftreten einer Agranulozytose gefunden wurde, während für eine aplastische Anämie kein höheres Risiko nach Metamizol beobachtet wurde (Andrade et al. 2016). Eine aktuelle Auswertung von Spontanberichten der europäischen EudraVigilance-Datenbank für die Zeit von 1985 bis 2017 hat 1.448 Metamizol-assoziierte Agranulozytosen ergeben, von de-
276
Kapitel 7 Analgetika
. Tabelle 7.5 Verordnungen von nichtopioiden Analgetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Salicylate ASS-ratiopharm
Acetylsalicylsäure
1,9
(20,7)
0,06
ASS Fair-Med
Acetylsalicylsäure
0,62
(57,3)
0,10
2,6
(34,4)
0,07
Paracetamol
7
Paracetamol-ratiopharm
Paracetamol
3,3
(1,5)
0,43
Paracetamol AL
Paracetamol
2,9
(12,3)
0,42
Paracetamol-1 A Pharma
Paracetamol
1,7
(7,2)
0,41
Ben-u-ron
Paracetamol
1,0
(11,7)
0,48
Paracetamol AbZ
Paracetamol
0,85
(C30,6)
0,35
Paracetamol STADA
Paracetamol
0,34
(19,1)
1,07
Paracetamol BC
Paracetamol
0,30
(C9,0)
0,34
Paracetamol Sanavita
Paracetamol
0,08
(Neu)
0,32
Paracetamol-1 A Pharma
Paracetamol
0,03
(C14,0)
0,49
10,6
(4,6)
0,44
Pyrazolderivate Novaminsulfon Lichtenstein
Metamizol
201,3
(C2,8)
1,45
Novaminsulfon-ratiopharm
Metamizol
30,7
(C50,8)
1,27
Novaminsulfon-1 A Pharma
Metamizol
10,7
(C13,6)
1,31
Novaminsulfon AbZ
Metamizol
1,1
(C329,3)
1,07
Novalgin
Metamizol
0,81
(16,9)
1,29
Metamizol Heumann
Metamizol
0,57
(C30,6)
1,30
Metamizol HEXAL
Metamizol
0,55
(C10,0)
1,40
Berlosin
Metamizol
0,37
(91,1)
1,74
Metamizol Aristo
Metamizol
0,34
(> 1.000)
1,59
Metamizol-1 A Pharma
Metamizol
0,16
(C907,9)
1,43
246,5
(C6,3)
1,42
259,7
(C5,2)
1,36
Summe
277
7
Literatur
nen 16,2 % tödlich verliefen (Hoffmann et al. 2020). Der größte Teil der berichteten Agranulozytosefälle stammte aus Deutschland (42 %), davon allein 40 im Jahre 2017. Da die Agranulozytose nach Metamizol unabhängig von Dosierung und Anwendungsdauer auftreten kann, ist eine sorgfältige Beobachtung von Symptomen während der ganzen Behandlungsdauer erforderlich.
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278
7
Kapitel 7 Analgetika
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279
8
Antiallergika Anette Zawinell und Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Größte Gruppe der Antiallergika sind die allergenspezifischen Immuntherapeutika bei allergisch bedingten Atemwegskrankheiten mit einem Verordnungsanteil von 55 % und Nettokosten von 358 Mio. C. Danach folgen H1 Antihistaminika, die vor allem zur Behandlung des Heuschnupfens, der allergischen Bindehautentzündung und der Urtikaria eingesetzt werden. Trend Nach dem drastischen Rückgang im Jahr 2004 haben die Verordnungsvolumina der H1 -Antihistaminika seit 2012 wieder kontinuierlich zugenommen. Die Verordnungskosten der wenig sedierenden H1 -Antihistaminika betragen 47 Mio. C mit Einsparpotenzialen von 35 Mio. C durch preisgünstige Generika. Bei der allergenspezifischen Immuntherapie entfällt der größte Teil auf Präparate mit Allergenen aus Gräser- und Getreidepollen gefolgt von Hausstaubmilben- und Baumpollenpräparaten. Obwohl die Therapieallergene-Verordnung mit den Vorschriften über die Zulassung von Therapieallergenen bereits 2008 in Kraft getreten ist, sind 2019 immer noch die Hälfte der Präparate mit Nettokosten von 138 Mio. C ohne reguläre Zulassung unter den häufig verordneten Arzneimitteln.
Antiallergika werden zur Behandlung der allergischen Rhinitis und Konjunktivitis, des Asthma bronchiale, allergischer Hautreaktionen (z. B. Urtikaria, Pruritus) und generalisierter allergischer Krankheiten (z. B. Insektengiftallergien, anaphylaktische Reaktionen) eingesetzt. In diesem Kapitel werden schwerpunktmäßig H1 -Antihistaminika, Epinephrin für die Notfallbehandlung und Präparate der allergenspezifischen Immuntherapie (Therapieallergene) besprochen. Weitere Arzneimittel für allergische Indikationen werden in den Kapiteln über Bronchospasmolytika (7 Kap. 20), Corticosteroide (7 Kap. 22), Dermatika (7 Kap. 23), Ophthalmika (7 Kap. 35) und Rhinologika (7 Kap. 39) dargestellt. Das Verordnungsvolumen der Antihistaminika ist nach dem massiven Einbruch im Jahre 2004 als Folge des GKV-Modernisierungs-Gesetzes (GMG) in den folgenden Jahren weiter gesunken, hat jedoch seit 2012 wieder kontinuierlich zugenommen (. Abb. 8.1). Die Verordnungen der allergenspezifischen Immuntherapeutika waren in den letzten 10 Jahren weitgehend konstant.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_8
Kapitel 8 Antiallergika
280
180
160
152
150
149
152
155 145
147
147
148
153
140
120
(Mio. DDD)
120 100 97
99
108
109
2014
2015
114
126
110
100 94
80
60
40
20 H1-Antihistaminika Hyposensibilisierungsmittel 0 2010
8
2011
2012
2013
2016
2017
2018
2019
. Abb. 8.1 Verordnungen von Antiallergika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
8.1
H1 -Antihistaminika
Systemisch anwendbare Antihistaminika sind zur symptomatischen Linderung der allergischen Rhinitis und der Urtikaria geeignet. Die ersten Vertreter wurden vor über 70 Jahren eingeführt. Sie haben allerdings ausgeprägte sedierende und anticholinerge Nebenwirkungen und werden nur noch selten für diese Indikation eingesetzt. In den letzten 30 Jahren wurden sie weitgehend durch die wenig sedierenden H1 -Antihistaminika verdrängt. Führende Vertreter sind Cetirizin, Fexofenadin, Ebastin, Levocetirizin und Desloratadin (. Tab. 8.1). Bei fast allen Wirkstoffen ist inzwischen der Patentschutz abgelaufen, so dass Generika die Verordnungslandschaft bestimmen. In klinischen Studien der verschiedenen Substanzen wurden vergleichbare Effekte auf die Reduktion allergischer Symptome beobachtet, so dass es keine Evidenz für die Überlegenheit eines Vertreters dieser Arzneimittelgruppe gibt (Übersicht bei Wheatley und Togias 2015). Insgesamt sind die Verordnungen im vergangenen Jahr etwas angestiegen (. Tab. 8.1). Am
preisgünstigsten sind einige Cetirizin- und Loratadingenerika. Die mittleren DDD-Nettokosten der wenig sedierenden H1 -Rezeptorantagonisten liegen vierfach höher als die von preiswerten Loratadingenerika (. Tab. 8.1). Bei einem DDDVolumen von 111 Mio. DDD und Nettokosten von 47 Mio. C lässt sich daher ein Einsparpotenzial von 35 Mio. C berechnen, wobei die Rabattvereinbarungen von Krankenkassen nicht berücksichtigt sind, da sie nicht öffentlich zugänglich sind. Bei kleinen Packungen rezeptfreier Generika (z. B. Lora-ADGC, 20 Tbl. 10 mg 2,70 C) ist der Preis sogar deutlich niedriger als die Mindestzuzahlung von 5 C. Die Verordnungen der sedierenden H1 Antihistaminika sind 2019 erneut gesunken (. Tab. 8.2). Die lokale Anwendung von Antihistaminika auf der Haut ist aus dermatologischer Sicht problematisch. Sie sind wenig wirksam und können bei längerer Anwendung Sensibilisierungen und Kontaktdermatitiden auslösen (O’Neill und Forsyth 1988; Valsecchi et al. 1994).
8
281 8.1 H1 -Antihistaminika
. Tabelle 8.1 Verordnungen von wenig sedierenden H1 -Antihistaminika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cetirizin Cetirizin-ADGC
Cetirizin
4,7
(C25,1)
0,13
Cetirizin-ratiopharm
Cetirizin
2,0
(C28,2)
0,75
Cetirizin AL
Cetirizin
1,9
(C3,0)
0,61
Cetidex
Cetirizin
1,8
(26,1)
0,14
Cetirizin AbZ
Cetirizin
1,2
(11,2)
0,13
Cetirizin HEXAL
Cetirizin
1,0
(31,2)
0,69
Cetirizin-1 A Pharma
Cetirizin
0,60
(28,1)
0,30
Cetirizin STADA
Cetirizin
0,22
(19,1)
0,62
13,4
(0,6)
0,35
Fexofenadin Fexofenadin Winthrop
Fexofenadin
20,2
(C19,2)
0,40
Fexofenadinhydrochlorid Cipla
Fexofenadin
3,7
(20,6)
0,42
23,8
(C10,6)
0,41
Ebastin Ebastel
Ebastin
13,5
(C44,9)
0,36
Ebastin Aristo
Ebastin
8,1
(9,1)
0,38
21,6
(C18,5)
0,37
Levocetirizin Levocetirizin Micro Labs
Levocetirizin
3,8
(C3,5)
0,41
Xusal/-akut
Levocetirizin
3,0
(21,8)
0,54
Levocetirizin TAD
Levocetirizin
1,5
(C88,7)
0,45
Levocetirizin Bluefish
Levocetirizin
1,4
(C97,6)
0,43
Levocetirizin Glenmark
Levocetirizin
1,3
(62,8)
0,42
Levocetirizin-1 A Pharma
Levocetirizin
0,93
(C44,9)
0,38
11,9
(8,8)
0,45
Rupatadin Urtimed
Rupatadin
3,8
(23,6)
0,55
Rupatadin AL
Rupatadin
2,4
(C77,8)
0,50
282
Kapitel 8 Antiallergika
. Tabelle 8.1 (Fortsetzung) Präparat
Rupatadin Bluefish
Bestandteile
Rupatadin
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
1,1
(C253,3)
0,51
7,3
(C10,0)
0,53
Desloratadin
8
Desloratadin Glenmark
Desloratadin
10,4
(C52,7)
0,41
Aerius
Desloratadin
6,5
(7,1)
0,54
Deslora Denk
Desloratadin
3,6
(C80,3)
0,40
Desloratadin-Actavis
Desloratadin
3,6
(37,9)
0,51
Dasselta
Desloratadin
3,2
(28,4)
0,51
Desloratadin/Deslora-1 A Pharma
Desloratadin
1,4
(C48,6)
0,46
Desloratadin AbZ
Desloratadin
0,82
(C14,1)
0,51
Desloratadin Aristo
Desloratadin
0,32
(C132,2)
1,09
29,9
(C7,1)
0,47
Weitere wenig sedierende Antihistaminika Lora ADGC
Loratadin
1,9
(C20,4)
0,10
Mizollen
Mizolastin
1,1
(C1,3)
0,50
3,0
(C12,7)
0,25
110,9
(C7,2)
0,42
Summe
8.2
Epinephrin
Epinephrinpräparate zur Notfallbehandlung von schweren, akuten allergischen Reaktionen hatten 2019 ein gestiegenes Verordnungsvolumen (. Tab. 8.2). Adrenalin (Epinephrin) ist einer der stärksten Agonisten der adrenergen Alpha- und Betarezeptoren und vermindert wichtige Symptome einer akuten allergischen Reaktion durch Vasokonstriktion, verminderte Gefäßpermeabilität, Bronchodilatation, Ödemreduktion und positive kardiale Inotropie. Es sind mehrere Präparate in Form von Autoinjektoren zur einmaligen Anwendung verfügbar,
die in Notfallsituationen vom Patienten selbst oder von einer Begleitperson intramuskulär injiziert werden können, wenn keine sofortige ärztliche Hilfe erreichbar ist. Die Wirkung tritt etwa 8 min nach intramuskulärer Gabe ein und ist bei herzgesunden Personen nicht mit schweren Nebenwirkungen verbunden (Übersicht bei Rietschel et al. 2013). Die Autoinjektoren sind unverhältnismäßig teuer und haben nur eine begrenzte Haltbarkeit (18 Monate). In den USA hatte die Firma Mylan den Preis für ihren Autoinjektor EpiPen innerhalb weniger Jahre von etwa 100 US-$ auf etwa 600 US$ erhöht und wurde wegen seiner Preispolitik heftig kritisiert (DAZ-Online 2016).
8
283 8.3 Allergenspezifische Immuntherapie
. Tabelle 8.2 Verordnungen von weiteren Antiallergika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sedierende H1 -Antihistaminika Fenistil
Dimetinden
2,1
(14,6)
1,11
Hydroxyzin Bluefish
Hydroxyzin
1,5
(C37,9)
0,82
Atarax
Hydroxyzin
1,2
(25,2)
0,85
Tavegil
Clemastin
0,75
(C0,8)
1,28
Histakut Dimetindenmaleat
Dimetinden
0,31
(C101,1)
2,77
5,9
(3,1)
1,09
Dimetinden
1,9
(5,8)
0,48
Fastjekt
Epinephrin
0,11
(C7,4)
80,68
Jext
Epinephrin
0,06
(C22,7)
83,03
Emerade
Epinephrin
0,05
(13,3)
93,80
0,23
(C5,3)
84,36
8,0
(3,5)
3,31
Topische Antihistaminika Fenistil Gel Epinephrin
Summe
8.3
Allergenspezifische Immuntherapie
Die allergenspezifische Immuntherapie ist eine wirksame Behandlung für Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis, allergisch bedingtem Asthma bronchiale und Insektengiftallergien (Abramson et al. 2003; Pfaar et al. 2014). Eine Indikation zur Immuntherapie mit Allergenen ist gegeben, wenn eine wirksame Allergenkarenz nicht möglich ist oder eine Arzneitherapie zur Kontrolle von Symptomen nicht ausreicht. Voraussetzung für die Anwendung ist der Nachweis einer spezifischen Sensibilisierung der Patienten durch Hauttests, der Nachweis von IgE sowie die Ursache dieses Allergens für die Beschwerden der Patienten (z. B. durch Provokationstestung) und die Verfügbarkeit standardisierter Allergenextrakte.
Nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation gliedert sich die allergenspezifische Immuntherapie in eine Phase von ansteigenden Allergenkonzentrationen und eine anschließende Erhaltungsphase. Der Trend geht dahin, die zeitaufwendige klassische Behandlung durch spezielle Therapieschemata zu verkürzen. Hier muss jedoch auf eine ausreichende Sicherheit geachtet werden, da Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen einer allergenspezifischen Immuntherapie abhängig von den Dosierungsschemata sind und die meisten Reaktionen während der Dosissteigerungsphase auftreten (Jutel et al. 2015; Roberts et al. 2018). Präparate zur spezifischen Immuntherapie sind zur sublingualen und subkutanen Anwendung verfügbar. Für beide Therapieverfahren liegen mehrere systematische Übersichtsarbeiten aus placebokontrollierten Studien vor
284
8
Kapitel 8 Antiallergika
(Meadows et al. 2013; Dhami et al. 2017a, 2017b). In der umfangreichen Übersichtsarbeit von Dhami et al. (2017b) über die Wirkung der Immuntherapie bei allergischer Rhinokonjunktivitis wurde eine Metaanalyse von 62 überwiegend placebokontrollierten Studien durchgeführt, die zahlreiche Belege für eine Verbesserung der Symptom-, Medikationsund kombinierten Symptom- und Medikationswerte bei Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis ergab. Weiterhin gab es einige Hinweise, dass die symptombezogenen Vorteile nach Absetzen der Therapie erhalten bleiben. Nach einer Metaanalyse von 98 klinischen Studien senkt die allergenspezifische Immuntherapie auch beim allergischen Asthma die kurzfristigen Symptomenscores und den Arzneimittelbedarf, hatte jedoch keine konsistenten Effekte auf Asthmakontrolle, Exazerbationen und Lungenfunktion (Dhami et al. 2017a). Der aktuelle Stand der spezifischen Immuntherapie ist in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (Pfaar et al. 2014) sowie in einer Leitlinie der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) speziell für die Therapie der allergischen Rhinokonjunktivitis dargestellt (Roberts et al. 2018). In beiden Leitlinien wird empfohlen, standardisierte Immuntherapeutika mit Nachweis der Wirksamkeit in der klinischen Dokumentation zu verwenden. Die sublinguale Immuntherapie (SLIT) gewinnt am Markt zunehmend an Bedeutung. So ist der Verordnungsanteil der sublingualen Präparate seit 2011 von 9,6 % (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2012, Tab. 7.4) auf 20,1 % im Jahre 2019 gestiegen (. Tab. 8.3–8.6). Als Vorteile werden aufgeführt, dass die Therapie anwenderfreundlich zu Hause durchgeführt werden kann, dass die schmerzhaften Injektionen entfallen und dass das Risiko von schwerwiegenden Nebenwirkungen geringer ist. Ein bisher ungelöstes Problem ist die unzureichende Compliance der allergenspezifischen Immuntherapie. Nach einer niederländischen Analyse von Apothekendaten betrug die Compliance der oralen SLIT-Präparate bei der er-
forderlichen Therapiedauer von drei Jahren nur noch 7 %, während sie bei der SCIT wenigstens bei 23 % lag (Kiel et al. 2013). Dagegen zeigte eine Hersteller-gesponserte Verordnungsanalyse aus Deutschland im dritten Behandlungsjahr praktisch keine Unterschiede in der Persistenz der Medikation zwischen SLIT-Tablette und SCIT-Injektion (30 % versus 31 %) (Allam et al. 2018). Nach Leitlinien ist eine unzureichende Compliance bei beiden Applikationsformen der spezifischen Immuntherapie eine Kontraindikation (Pfaar et al. 2014), die jedoch in den Fachinformationen nicht angegeben wird. In Deutschland waren aufgrund einer Ausnahmebestimmung des Arzneimittelgesetzes individuell hergestellte Arzneimittel zur spezifischen Immuntherapie lange Zeit von der Zulassungspflicht ausgenommen. Mit dem Inkrafttreten der Therapieallergene-Verordnung wurden die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes über die Zulassung der Arzneimittel auf individuell hergestellte Therapieallergene ausgedehnt (Bundesministerin für Gesundheit 2008). Nach einer Übergangsfrist werden für die wichtigsten Allergene (Süßgräser, Birke, Erle, Hasel, Hausstaubmilben, Bienengift, Wespengift) nur noch zugelassene Allergenpräparate und keine Individualrezepturen mehr verfügbar sein. Ohne Zulassung dürfen nur noch Therapieallergene in den Verkehr gebracht werden, die für einzelne Patienten mit seltenen Allergien aufgrund einer Rezeptur hergestellt werden. Voraussetzung für eine weitere Verkehrsfähigkeit der Altpräparate war eine Anzeige und ggf. ein Zulassungsantrag bei der zuständigen Bundesoberbehörde. Bis zum 14. Mai 2009 erhielt das Paul-Ehrlich-Institut 6.654 Anzeigen von Therapieallergenen von 10 pharmazeutischen Unternehmern und bis Ende November 2010 insgesamt 123 Zulassungsanträge (Englert et al. 2012). Für die Zulassungsanträge gelten weitere Übergangsfristen von einem Jahr für die Zeit bis zur Mängelbehebung nach eventuellen Mängelschreiben der Zulassungsbehörde, die bis maximal 7 Jahre verlängert werden kann. Das ursprüngliche Ende dieser Übergangsregelung für noch nicht
285 8.3 Allergenspezifische Immuntherapie
zugelassene Therapieallergene war demnach für 2018 geplant. Nach dem aktuellen Stand sind derzeit weiterhin 65 Therapieallergene im Zulassungsverfahren, für die Unterlagen zur Qualität, präklinischen und klinischen Prüfung bewertet und Mängelschreiben teilweise noch 2018 versandt wurden (Paul-Ehrlich-Institut 2019). Demnach geht das Paul-EhrlichInstitut von einer Ausweitung der Übergangsphase bis ca. 2026 aus. Bisher wurden erst zwei Präparate (Sublivac/-fix Bäume, Sublivac fix Birke) im Rahmen der Therapieallergene-Verordnung zugelassen. Aufgrund dieser Tatsache wurde gefordert, dass Patienten nur mit Produkten behandelt werden sollten, die ein positives Nutzenverhältnis aufweisen. Für nichtzweckmäßige und unwirtschaftliche Therapieallergene sollte der G-BA einen Ausschluss von der Erstattungsfähigkeit festlegen dürfen (BKK-Dachverband 2019). Eine jeweils aktualisierte Übersicht über verkehrsfähige Therapieallergene im Zulassungsverfahren wird vom Paul-Ehrlich-Institut (2020) publiziert. Gemäß der deutschen Leitlinie zur spezifischen Immuntherapie sollten zugelassene Allergenpräparate oder im Rahmen der Therapieallergene-Verordnung verkehrsfähige Präparate mit in klinischen Studien dokumentierter Wirksamkeit und Sicherheit bevorzugt eingesetzt werden (Pfaar et al. 2014). Die Leitlinie zur spezifischen Immuntherapie wurde daher für die praktische Durchführung der Verordnungstätigkeit empfohlen, weil die präparatespezifische Darstellung zur Studien- und Zulassungslage in einer halbjährlich aktualisierten Übersichtstabelle zu allen auf dem Markt befindlichen Präparaten eine evidenzbasierte Verordnungsweise erleichtert (Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg 2015). Unverständlicherweise wurde diese Empfehlung als „korrekturbedürftige Fehleinschätzung“ kritisiert, weil es wissenschaftlich überhaupt keinen Sinn mache, die genannten Präparate mit einem neuen Beurteilungskriterium der „Evidenz/Zulassungsklassifikation“ zu bewerten (Klimek et al. 2015). Daraufhin sahen sich die Leitlinienautoren veranlasst, die Auflistung der Präparate zur spezifischen
8
Immuntherapie mit einer Fußnote zu versehen, dass die Tabelle als Entscheidungshilfe zur Verordnungs- oder Erstattungsfähigkeit im Sinne einer Positiv- oder Negativliste ungeeignet sei. Offenbar sind die Leitlinienautoren von ihrem ursprünglichen Mut zur Publikation einer uneingeschränkten evidenzbasierten Empfehlung wohl wieder verlassen worden. Für die Darstellung der Verordnungsentwicklung der spezifischen Immuntherapeutika wurden 55 Präparate mit mindestens 3.000 Verordnungen unter Bezug auf die jeweiligen Pharmazentralnummern analysiert (. Tab. 8.3–8.6). Hierbei wurden die definierten Tagesdosen (DDD) der Therapieallergene anhand der angegebenen Dosierungsschemata der Hersteller in der Fach- oder Gebrauchsinformation für die einzelnen verordneten Packungen berechnet. In den DDD-Nettokosten sind diese verordnungsanteilig gewichtet auf ein Präparat zusammengefasst. Soweit vom Hersteller angegeben, wurde nach Anfangsund Fortsetzungsbehandlung unterschieden sowie eine ganzjährige oder eine saisonale Erhaltungstherapie zu Grunde gelegt. Die allergenspezifische Verordnungsanalyse ist therapeutisch bedeutsam, da die Erfolgsaussichten entscheidend von der Art des Allergens geprägt werden. Erstaunlicherweise sind unter den analysierten 55 Arzneimitteln nur 29 Präparate zugelassen (Paul-Ehrlich-Institut 2020), während weitere 26 Produkte mit einem Verordnungsvolumen von 64 Mio. DDD und Nettokosten von 138 Mio. C zwar gemäß der Therapieallergene-Verordnung verkehrsfähig sind, aber bisher keine reguläre Zulassung erhalten haben. Auffälligerweise sind Verordnungsvolumen (C3,9 %) und die Nettokosten (C6,2 %) der nicht regulär zugelassenen Allergenpräparaten gegenüber dem Vorjahr wieder angestiegen (. Tab. 8.3–8.6).
8.3.1
Gräserpollenpräparate
Die größte Gruppe der spezifischen Immuntherapeutika bilden Gräserpollen, Getreidepol-
286
Kapitel 8 Antiallergika
. Tabelle 8.3 Verordnungen von Allergenen zur Immuntherapie gegen Gräser-, Getreide- und Kräuterpollen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Subkutane Immuntherapie
8
Pollinex Quattro Gräser/Roggen
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Roggenpollen
4,9
(4,8)
2,08
Depigoid/-XT Gräser-Mix/ Roggen
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Roggenpollen
3,7
(2,7)
1,51
Purethal Gräser
1993
Allergenextrakt aus: Gräserpollen
3,6
(C3,7)
3,96
Allergovit Gräser/Roggen
1992
Allergoid-Depot aus: Gräserpollen Roggenpollen
3,3
(C0,1)
2,96
Alk-Depot SQ Gräser/Roggen
1990
Allergene aus: Gräserpollen Roggenpollen
3,3
(4,2)
2,26
Allergenextrakt aus: Gräserpollen
2,8
(1,7)
1,50
Depigoid/-XT Gräser-Mix Allergovit Gräser
1992
Allergoid-Depot aus: Gräserpollen
2,7
(C10,9)
2,70
Allergovit Gräser/Getreide
1992
Allergoid-Depot aus: Gräserpollen Getreidepollen
1,8
(C9,8)
2,78
TA Gräser top
1976
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Roggenpollen
1,2
(C2,9)
4,27
Purethal Gräser+Getreide
2005
Allergenextrakt aus: Gräserpollen Getreidepollen
0,88
(9,7)
3,95
28,2
(0,2)
2,57
Sublinguale Immuntherapie Oralair
2008
Allergenextrakt aus: Gräserpollen
5,9
(C2,9)
1,87
Grazax
2006
Allergenpräparat aus: Wiesenlieschgraspollen
5,6
(C3,5)
4,13
Allergenextrakt aus: Gräserpollen
0,97
(12,5)
1,29
Lais Gräser
8
287 8.3 Allergenspezifische Immuntherapie
. Tabelle 8.3 (Fortsetzung) Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Sublivac fix Gräser/Roggen
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Roggenpollen
0,51
(3,3)
3,63
Oralvac Gräser/Roggen
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Roggenpollen
0,48
(C1,2)
3,34
Sublivac fix Gräser
Allergenextrakt aus: Gräserpollen
0,36
(8,3)
3,61
Slitone Gräser+Roggen
Allergenpräparat aus: Gräsermischung Roggen
0,29
(20,5)
4,23
14,1
(C0,7)
2,93
42,3
(C0,1)
2,69
Summe
len und Kräuterpollen. Sie wurden 2019 im gleichen Ausmaß wie im Vorjahr verordnet, wobei auf die subkutanen Präparate immer noch der größere Teil der Verordnungen entfällt (. Tab. 8.3). Seit längerer Zeit sind Wirksamkeit und Sicherheit für beide Applikationsformen der subkutanen und der sublingualen Immuntherapie durch zahlreiche Studien belegt (Übersicht bei Calderon et al. 2010). Die meisten Verordnungen entfallen auf die beiden zugelassenen sublingualen Präparate Grazax und Oralair (. Tab. 8.3). Grazax hatte in der ersten placebokontrollierten Studie an 634 Patienten mit saisonaler Rhinokonjunktivitis den Symptomenscore (Schnupfen, verstopfte Nase, Niesen, Nasenjuckreiz, Augenrötung mit Juckreiz, tränende Augen) im ersten Jahr um 30 % gegenüber Placebo gesenkt (Dahl et al. 2006). Initial wurden häufig lokale Reaktionen im Mund (Pruritus, Mundödem, Halsreizung, Niesen) beobachtet, die jedoch nach 1–7 Tagen spontan zurückgingen. Diese ersten Ergebnisse wurden später in mehreren klinischen Studien an Erwachsenen und Kindern bestätigt (Übersicht bei Scaparrotta et al. 2015). Darüber hinaus wur-
de die sublinguale Immuntherapie mit Grazax in einer placebokontrollierten Fünf-Jahresstudie untersucht, in der nach einer 3-jährigen Behandlung eine 2-jährige immuntherapiefreie Nachbeobachtungsphase angeschlossen wurde (Durham et al. 2012). Nach Abschluss der Immuntherapie wurde im fünften Jahr der Studie ein therapieüberdauernder Effekt auf den Rhinokonjunktivitis-Symptomenscore nachgewiesen, der immerhin noch eine Reduktion um 25 % gegenüber Placebo zeigte, allerdings geringer war als in den ersten drei Jahren mit der aktiven Immuntherapie (31 %, 36 %, 29 %). Eine weitere Sublingualtablette aus fünf verschiedenen Gräserpollen (Oralair Gräser) besserte in einer Studie an 628 Patienten rhinokonjunktivale Symptome um 27 % im Vergleich zu Placebo (Didier et al. 2007). Allerdings benötigten nur 20 % der eingeschlossenen Patienten eine Arzneitherapie zur Kontrolle der allergischen Rhinokonjunktivitis. Auch diese Ergebnisse wurden in weiteren klinischen Studien bestätigt (Übersicht bei Larenas-Linnemann 2016). Eine Besonderheit von Oralair ist die Zulassung für die saisonale Therapie, die vier Monate vor dem erwarteten
288
8
Kapitel 8 Antiallergika
Anfang der Pollensaison beginnt und bis zum Ende der Pollensaison fortgeführt wird. Dagegen wird für Grazax die Fortsetzung der täglichen Behandlung über drei aufeinanderfolgende Jahre empfohlen. Es ist daher mehr als doppelt so teuer wie Oralair Gräser (4.522 C versus 2.048 C pro 3 Jahre). Die nach wie vor bedeutsame Rolle der symptomatischen Arzneitherapie wurde in einer Metaanalyse von 10 Studien über sublinguale Immuntherapie und 28 Studien über symptomatische Therapie für Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis aufgrund einer Graspollenallergie untersucht. Bei einem indirekten Vergleich war der relative klinische Effekt von Gräserpollentabletten (29,6 %) zwar günstiger als der von H1 -Antihistaminika (15 %), aber ähnlich wie der von nasalen Glucocorticoiden (23,5 %) (Devillier et al. 2014).
8.3.2
Hausstaubmilbenpräparate
An zweiter Stelle folgen 2019 die Hausstaubmilbenpräparate mit einem annähernd konstanten Verordnungsvolumen (. Tab. 8.4). Auch hier entfällt der überwiegende Teil des DDD-Volumens auf die Präparate zur subkutanen Immuntherapie, unter denen allerdings nur zwei zugelassene Präparate vertreten sind (Depigoid Milbenmix, Alk-Depot SQ Milbe), während für vier weitere Präparate dieser Gruppe auch keine Studien in der Präparateliste der deutschen Leitlinie angegeben wurden (Pfaar et al. 2014). Eine erfolgreiche Hyposensibilisierung wurde in zahlreichen placebokontrollierten Studien mit definierten Hausstaubmilben (Dermatophagoides pteryssimus, Dermatophagoides farinae) nachgewiesen. Allein seit 2013 wurden 15 klinische Studien vor allem über neue Präparate zur sublingualen Immuntherapie publiziert (Übersicht bei Nelson 2018). In der Gruppe der sublingual angewendeten Milbenextrakte gibt es das erste zugelassene Präparat (Acarizax), das 2015 zur Be-
handlung von allergischer Rhinitis und allergischem Asthma bei Patienten mit nachgewiesener Hausstaubmilbenallergie eingeführt wurde. Seine Verordnungen haben 2019 weiter zugenommen und erreichten damit schon 60 % des DDD-Volumens der sublingualen Präparate. Acarizax senkte in einer placebokontrollierten Studie an 992 Patienten mit allergischer Rhinitis den kombinierten Symptomen- und Medikationsscore um 22 % (Demoly et al. 2016a). In einer weiteren Studie an 834 Patienten mit allergischem Asthma wurden Asthmaexazerbationen im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert (Virchow et al. 2016). In beiden Studien kam es initial zu lokalen Reaktionen im Mund (Pruritus, Halsreizung, Mundödeme), die jedoch nach 5–23 Tagen mit Fortschreiten der Behandlung abklangen. Vier weitere sublinguale Präparate (Lais Milbe, Sublivac fix Milbenmischung, Oralvac compact Milbe, Slitone Milbenmischung) wurden 2019 weniger verordnet. Sie sind zwar verkehrsfähig, verfügen aber nach den Angaben in der aktualisierten Präparateliste der deutschen Leitlinie bisher nicht über publizierte klinische Studien zur Wirksamkeit (Pfaar et al. 2014).
8.3.3
Baumpollenpräparate
Als weitere klinisch bedeutsame Gruppe folgen die Baumpollenpräparate mit leicht steigenden Verordnungen (. Tab. 8.5). Auch hier entfallen 80 % des DDD-Volumens auf Präparate zur subkutanen Immuntherapie, die über eine Zulassung oder publizierte Studiendaten in der Präparateliste der deutschen Leitlinie verfügen (Pfaar et al. 2014). Nach epidemiologischen Daten aus mehreren europäischen Ländern ist die Birke ein wesentlicher Pollenallergie-verursachender Baum. Erstmals vertreten ist ein weiterer sublingualer Birkenpollenallergenextrakt (Itulazax), der im Juli 2019 vom Paul-EhrlichInstitut zugelassen wurde (. Tab. 8.5). In einer placebokontrollierten Studie an 634 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aller-
8
289 8.3 Allergenspezifische Immuntherapie
. Tabelle 8.4 Verordnungen von Allergenen zur Immuntherapie gegen Hausstaubmilben 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Subkutane Immuntherapie Depigoid Milbenmix
Allergenextrakte aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
8,8
(C1,1)
1,71
Acaroid
Depot-Allergoid aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
8,1
(7,3)
1,85
Clustoid Milben
Depot-Allergoid aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
4,0
(C5,3)
2,13
Tyro Milbe/Tyro-Mite
Allergenextrakte aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
2,4
(1,8)
1,78
Allergene aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
2,0
(8,8)
1,80
27,7
(2,3)
2,02
Allergenextrakt aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
4,7
(C18,5)
3,28
Lais Milbe
Allergenextrakt aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
1,4
(2,9)
1,55
Sublivac fix Milbenmischung
Allergenextrakte aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
0,64
(13,7)
3,64
Oralvac Milben
Allergenextrakte aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
0,39
(6,4)
4,10
Slitone Milbenmischung
Allergenpräparat aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
0,30
(19,2)
4,22
Sulgen Spray Milben
Allergenextrakte aus: Dermatophag. farinae Dermatop.pteronyssinus
0,28
(C1,1)
5,21
7,8
(C6,8)
3,14
35,5
(0,4)
2,26
Alk-depot SQ Milbenmischung
2005
1990
Sublinguale Therapie Acarizax
Summe
2015
290
Kapitel 8 Antiallergika
. Tabelle 8.5 Verordnungen von Allergenen zur Immuntherapie gegen Baumpollen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Allergoid-Depot aus: Birkenpollen Erlenpollen Haselstrauchpollen
6,1
(C23,6)
2,63
Pollinex Quattro Birke/Erle/ Hasel
Allergenextrakte aus: Birkenpollen Erlenpollen Haselstrauchpollen
4,9
(C9,6)
2,10
Depigoid/-XT Bäume-Mix
Allergenextrakt aus: Baumpollen
4,6
(C2,7)
1,51
Subkutane Immuntherapie Allergovit Birke/Erle/Hasel
8
1992
Purethal Bäume
1989
Allergenextrakt aus: Baumpollen
3,5
(C14,6)
3,96
Alk-depot SQ Frühblühermischung
1990
Allergene aus: Birkenpollen Erlenpollen Haselstrauchpollen
3,1
(C4,3)
2,23
Allergovit Birke
1992
Allergoid-Depot aus: Birkenpollen
3,0
(C24,5)
2,54
Depigoid/-XT Birke Purethal Birke
1989
Pollinex Quattro Birke
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
2,1
(C16,3)
1,53
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
1,8
(C14,7)
3,96
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
1,7
(C10,7)
2,10
TA Bäume
1995
Allergenextrakt aus: Baumpollen
1,2
(C14,5)
4,23
Alk-depot SQ Birke
1990
Allergene aus: Birkenpollen
1,0
(C8,5)
2,06
33,0
(C13,0)
2,51
Sublinguale Therapie Staloral Birke/Erle/Hasel
2004
Allergenextrakte aus: Birkenpollen Erlenpollen Haselstrauchpollen
1,4
(C31,5)
4,02
Sublivac/-fix Bäume
2018
Allergenextrakt aus: Baumpollen
1,0
(C10,8)
4,27
Staloral Birke
2004
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
0,94
(C11,8)
3,89
8
291 8.3 Allergenspezifische Immuntherapie
. Tabelle 8.5 (Fortsetzung) Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Sulgen Spray Pollen
Allergenextrakte aus: Pollen
0,90
(C12,5)
5,11
Oralvac Bäume
Allergenextrakte aus: Birkenpollen Erlenpollen Haselstrauchpollen
0,78
(C10,9)
3,37
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
0,68
(Neu)
5,77
Allergenpräparat aus: Frühblühern
0,64
(12,1)
4,25
Allergenextrakt aus: Birkenpollen
0,55
(C42,3)
4,27
6,9
(C26,9)
4,32
40,0
(C15,2)
2,82
Itulazax
2019
Slitone Frühblühermischung Sublivac fix Birke
2018
Summe
gischer Rhinokonjunktivitis wurde der kombinierte Rhinokonjunktivitis-Gesamtscore während der Birkenpollensaison um 40 % gesenkt (Biedermann et al. 2019). Ähnliche Effekte wurden auch schon früher mit einem anderen Birkenpollenextrakt (Alutard SQ) nachgewiesen, der den mittleren Symptomenscore (Schnupfen, Niesen, verstopfte Nase, Augensymptome, Bronchialsymptome) in der Pollensaison gegenüber Placebo (2,6 versus 4,3) signifikant senkte (Arvidsson et al. 2002). Itulazax ist allerdings etwa 50 % teurer als andere zugelassene sublinguale Birkenpollenallergenextrakte (. Tab. 8.5).
8.3.4
Insektengiftpräparate
In der Gruppe der Insektengiftpräparate sind traditionell drei Allergene zur subkutanen Immuntherapie vertreten, die alle schon vor über 25 Jahren zugelassen wurden. Bei IgE-vermittelten Insektengiftallergien ist die spezifische Immuntherapie ein wirksames Behandlungsverfahren, um anaphylaktische Reaktionen durch Bienen- oder Wespengifte zu verhindern. Eine Metaanalyse von 17 klinischen Studien hat bestätigt, dass die spezifische Immuntherapie das Risiko von neuerlichen Stichreaktionen senkt und Nebenwirkungen relativ gering sind (Dhami et al. 2017c). Bei den Verordnungen der Insektengiftpräparate dominieren Wespengiftallergene mit weitem Abstand (. Tab. 8.6).
Kapitel 8 Antiallergika
292
. Tabelle 8.6 Verordnungen von weiteren Allergenen zur subkutanen Immuntherapie 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Zulas- Bestandteile sung
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Insektengifte Alk-depot/lyophilisiert SQWes- 1992 pengift
Wespengiftallergene
6,3
(C2,9)
3,89
Alk-depot/lyophilisiert SQBienengift
1992
Bienengiftallergene
1,4
(4,3)
3,03
Venomil Wespe
1980
Wespengift
1,1
(C32,8)
2,41
8,8
(C4,7)
3,56
Rezepturpräparate
8
Clustoid Pollen
Allergoid-Depot nach individueller Rezeptur
12,7
(C15,2)
2,11
Pollinex Quattro Gräser/Roggen/Birke/Erle/Hasel
Allergenextrakte nach individueller Rezeptur
1,4
(C0,8)
2,10
14,2
(C13,5)
2,11
Allergenextrakt aus: Gräserpollen Baumpollen
1,2
(C5,2)
3,97
Allergenextrakte aus: Gräserpollen Baumpollen
0,90
(C3,0)
1,58
Allergenextrakt aus: Gräserpollen Birkenpollen
0,76
(C1,9)
3,96
2,9
(C3,6)
3,22
25,8
(C9,2)
2,73
Mischpräparate Purethal Gräser+Bäume
1989
Depigoid Gräser/Bäume-Mix
Purethal Gräser+Birke
1989
Summe
8.3.5
Individualrezepturen und Mischpräparate
Einige Hyposensibilisierungsmittel werden als Individualrezepturen oder Mischpräparate mit unterschiedlichen Allergenen verordnet (. Tab. 8.6). Bei den Rezepturpräparaten können bis zu maximal vier Allergene vom Arzt für einen Patienten rezeptiert werden. Viele
Verordnungen werden immer noch in Form von Einzelallergenen nach individueller Rezeptur des Arztes eingesetzt, obwohl alle hier vertretenen Rezepturpräparate ohne reguläre Zulassung auf dem Markt sind. Das Hauptproblem der rezeptierbaren Einzelallergene war lange Zeit die Tatsache, dass Arzneimittel, die für einzelne Personen aufgrund einer Rezeptur als Therapieallergene gemäß § 21 Abs. 2 AMG hergestellt werden, bis auf einige
293
8
Literatur
Ausnahmen keine Zulassung und damit auch keine Zulassungsstudien zur Wirksamkeit benötigten. Das wurde mit der Ausweitung der Zulassungspflicht auf Therapieallergene durch die Therapieallergene-Verordnung geändert (Bundesministerin für Gesundheit 2008). Die große Mehrheit (60–80 %) der Patienten ist polysensibilisiert und kann daher klinisch polyallerg sein. Die Allergenimmuntherapie bei polysensibilisierten und polyallergischen Patienten ist jedoch nicht standardisiert (Demoly et al. 2016b). Bei diesen Patienten sollte die Therapie jedoch immer auf der Identifizierung eines oder mehrerer klinisch relevanter Allergene beruhen. Auch bei polyallergischen Patienten wird die Therapie mit Einzelantigenen empfohlen. Hauptgrund ist die limitierte Evidenz für die Wirksamkeit und Sicherheit von Allergenkombinationen. In einer amerikanischen Übersicht über 13 Studien mit mehreren Allergenen für die subkutane oder sublinguale Immuntherapie waren nur sieben Studien doppelblind, placebokontrolliert und randomisiert (Nelson 2009). In einer neueren europäischen Übersichtsarbeit über Mehrfachallergentherapie wird ebenfalls auf die schwachen experimentellen Belege hingewiesen. Außerdem gibt es bei den Allergenmischungen noch ungelöste Probleme hinsichtlich der Verdünnung, der Verträglichkeit und der möglichen Inaktivierung von Allergenen (Passalacqua 2014). Wesentliches Risiko der Immuntherapie mit Allergenen sind anaphylaktische Reaktionen. In Deutschland wurden im Zusammenhang mit der Anwendung von Therapieallergenen in der Zeit von 1991 bis 2000 drei Todesfälle und 555 schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen gemeldet (LüderitzPüchel et al. 2001). Obwohl sich das Sicherheitsprofil der subkutanen Immuntherapie mit der Entwicklung von Praxisrichtlinien verbessert hat, sollte der verordnende Arzt Risikofaktoren für schwere Nebenwirkungen erkennen (Übersicht bei James und Bernstein 2017). Die sublinguale Immuntherapie hat ein günstigeres Sicherheitsprofil mit einer höheren Rate von lokalen Reaktionen, aber einer geringeren In-
zidenz von systemischen Nebenwirkungen und sollte bei der Behandlung von allergischer Rhinitis berücksichtigt werden.
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Kapitel 8 Antiallergika
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297
9
Antianämika Jan Matthes
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Der größte Teil der Verordnungen von Antianämika entfällt weiterhin auf Eisenpräparate, mit einem erneut steigenden Anteil von parenteralen Präparaten. Danach folgen Folsäure und Epoetinpräparate mit jeweils deutlich geringeren Verordnungsvolumina. Seit 2013 nahmen die Verordnungszahlen aller drei Antianämikagruppen stetig zu, nachdem sie zuvor bei Eisenpräparaten stagnierten bzw. bei Epoetinpräparaten leicht zurückgegangen waren.
Eine Anämie kann viele Ursachen haben, die vor der Therapie mit Antianämika geklärt werden sollten. Am häufigsten ist die Eisenmangelanämie durch mangelnde Zufuhr, ungenügende Resorption, gesteigerten Bedarf oder Verlust von Eisen, z. B. durch okkulte Blutungen. Auch bei Blutspendern kommt es zu einem Abfallen des Hämoglobins (Hb), der durch eine niedrig dosierte Eisensupplementation verkürzt wird (Kiss et al. 2015). Daneben gibt es sekundäre Anämien bei Leber- oder Nierenkrankheiten, Tumoren, Infektionen oder Zytostatikatherapie sowie weitere Anämieformen mit gestörter Erythrozytenbildung (z. B. aplastische Anämie) und mit gesteigertem Erythrozytenabbau (hämolytische Anämien). Bei älteren Patienten liegt die Prävalenz der Anämie bei bis zu 40 % (Bach et al. 2014). Gerade die Betrachtung der Anämie bei Älteren unterstreicht die Bedeutung der Multikausalität (Röhrig et al. 2019).
9.1
Eisenpräparate
Die Verordnung von Eisenpräparaten war 2004 als Folge des GKV-Modernisierungsgesetzes auf die Hälfte eingebrochen. Danach nahm sie wieder deutlich zu, blieb aber zwischen 2009 und 2013 weitgehend stabil. Die Verordnungszahlen steigen seither wieder stetig an (. Abb. 9.1). Der frühere Rückgang war wenig plausibel, da Eisenpräparate zwar nicht verschreibungspflichtig, aber als wirksame Standardtherapeutika einer gesicherten Eisenmangelanämie nach der Ausnahmeliste gemäß § 34 Abs. 1 SGB V weiterhin erstattungsfähig sind.
9.1.1
Orale Eisenpräparate
Die orale Eisensubstitution ist Therapie der Wahl einer Eisenmangelanämie, da sie wirksam, relativ sicher, einfach und kostengünstig ist. Neben einer Ernährungsberatung werden für Erwachsene Tagesdosen von 100–200 mg Eisen täglich empfohlen, für Kinder 3–6 mg/kg (Camaschella 2015). In Deutschland überwiegt bei weitem die Verordnung von Eisen(II)glycinsulfat (. Tab. 9.1), das Eisen in Magen und Dünndarm (Ferro sanol) bzw. erst im Duodenum (magensaftresistent überzogene Pellets in Ferro sanol duodenal) freisetzt. Die orale Bioverfügbarkeit von Eisen(II)sulfatpräparaten liegt bei 10–15 %, während die Bioverfügbarkeit von Eisen(III)sulfat wegen der geringen Löslichkeit 3–4-fach niedriger ist (Santiago 2012). Neben Ferrum Hausmann (Sirup, Tropfen), dessen Verordnung nach einem Anstieg im Vorjahr 2019 deutlich
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_9
Kapitel 9 Antianämika
298
80 Eisenpräparate Epoetinpräparate Folsäure
70
70
71
73
68 65
60
61 57
56
56
57
(Mio. DDD)
50
40 31
33
28
30 23 20 20
10
13
0 2010
9
19
14
2011
18 16
2012
17 17
2013
19
20
24
18
19
20
2014
2015
2016
22
2017
2018
26
2019
. Abb. 9.1 Verordnungen von Antianämika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
zurückging, steht Feraccru (Eisen(III)maltol) als orales Präparat mit dreiwertigem Eisen zur Verfügung. Der Zuwachs bei den Verordnungen des letztgenannten Präparats dürfte durch die Erweiterung der Indikation auf alle Erwachsenen mit Eisenmangel erklärt werden. Unter oralen Eisenpräparaten treten sehr häufig gastrointestinale Störungen auf, unter Eisen(II)sulfat und Eisen(II)gluconat (derzeit nicht mehr unter den meistverordneten Eisenpräparten vertreten) wohl noch häufiger als unter Eisen(II)glyinsulfat (Cancelo-Hidalgo et al. 2013). Eisen(II)glycinsulfat-Kombinationen mit Folsäure sind 2019 wieder häufiger verordnet worden (. Tab. 9.1), allerdings sollte die Indikation für die Verordnung der Kombination gut geprüft werden. Während z. B. die Folsäuregabe ab circa vier Wochen vor Konzeption und im ersten Schwangerschaftsdrittel sinnvoll ist, um Neuralrohrdefekten beim Fetus vorzubeugen (siehe unten), ist eine Eisensupplementation nur bei nachgewiesenem Eisenmangel indiziert und kommt oft erst ab dem zweiten Trimenon in Frage, wenn der Eisenbedarf ansteigt. Generell
sind Fixkombinationen von Arzneistoffen kritisch zu hinterfragen, da die Möglichkeiten der Dosierung in der Regel eingeschränkt sind. Es gibt keine überzeugenden Belege, dass eine routinemäßige pränatale Eisensubstitution die mütterliche und kindliche Gesundheit verbessert (Koletzko et al. 2018). In einer systematischen Übersicht zur täglichen Supplementation in der Schwangerschaft schien – obwohl nicht direkt verglichen – die Kombination von Eisen und Folsäure der alleinigen Gabe von Eisen bezüglich der mütterlichen Anämie nicht effektiver zu sein (Peña-Rosas et al. 2015).
9.1.2
Parenterale Eisenpräparate
Die parenterale Eisenbehandlung war früher Ausnahmefällen vorbehalten, wenn die orale Gabe nicht möglich oder kontraindiziert war. Grund waren zahlreiche Risiken durch hochmolekulare Dextranpräparate, insbesondere schwere anaphylaktoide Reaktionen mit zahlreichen Todesfällen in den USA (Fish-
9
299 9.1 Eisenpräparate
. Tabelle 9.1 Verordnungen von Eisenpräparaten und Eisenchelatoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Eisensulfat Tardyferon
Eisen(II)sulfat
9,4
(C8,5)
0,55
Eisentabletten AbZ
Eisen(II)sulfat
2,1
(C18,1)
0,41
Eisentabletten-ratiopharm
Eisen(II)sulfat
1,4
(C29,9)
0,45
Eisensulfat Lomapharm
Eisen(II)sulfat
0,65
(C3,8)
0,39
Dreisafer
Eisen(II)sulfat
0,58
(42,5)
0,45
14,0
(C7,4)
0,51
50,4
(C2,7)
0,53
Weitere Eisensalze Ferro sanol/ Ferro sanol duodenal
Eisen(II)glycinsulfat
Ferrum Hausmann
Eisen(III)hydroxid-Polymaltose-Komplex
0,65
(29,9)
0,69
Feraccru
Eisen(III)maltol
0,46
(C47,9)
3,11
51,5
(C2,3)
0,56
Eisen(II)glycinsulfat Folsäure Cyanocobalamin
1,0
(C12,9)
0,98
Ferinject
Eisen(III)hydroxid-Polymaltose-Komplex
1,4
(C2,4)
32,32
Ferrlecit
Eisen(III)Natrium-Dgluconat-Komplex
0,89
(0,0)
8,40
Fermed
Eisen(III)oxid-Saccharose-Komplex
0,34
(C9,7)
15,25
Monofer
Eisen(III)-Derisomaltose
0,15
(C231,5)
27,57
2,8
(C6,3)
22,33
0,66
(C5,0)
96,05
(C3,6)
2,32
Eisensulfatkombinationen Ferro sanol comp
Parenterale Eisenpräparate
Eisenchelatoren Exjade Summe
Deferasirox
70,1
300
9
Kapitel 9 Antianämika
bane 2003). Hier gab es durch dextranfreie parenterale Eisenpräparate mit verbessertem Sicherheitsprofil einen Wandel. Darüber hinaus ist die gastrointestinale Verträglichkeit parenteraler Eisenpräparate deutlich besser als die oraler Präparate (Tolkien et al. 2015). Da die intravenöse Applikation außerdem die problematische enterale Eisenresorption umgeht, werden die Hb-Werte schneller und wirksamer erhöht als mit oralen Präparaten (Girelli et al. 2018). Ein Cochrane-Review über Studien mit Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zeigte, dass mit parenteralen Eisenpräparaten höhere Hb-Werte, höhere Eisenplasmaspiegel und wohl auch ein geringerer Epoetinbedarf als mit oralen Eisenpräparaten erreicht werden (O’Lone et al. 2019). Bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten und Eisenmangelanämie zeigten sich mit parenteraler Eisentherapie ebenfalls höhere Anstiege von Hb und Ferritin. Die Unterschiede zur oralen Gabe waren jedoch gering und ihr klinischer Nutzen ungewiss, Therapieabbrüche waren hingegen häufiger (Lee et al. 2012). In einer neueren systematischen Übersicht und Netzwerk-Metaanalyse waren in derselben Indikation Eisencarboxymaltose-Komplexe die effektivsten parenteralen Präparate und die einzigen, die oralem Eisen bezüglich der Hb-Steigerung überlegen waren (Aksan et al. 2017). Der Nationalen Versorgungsleitlinie „Chronische Herzinsuffizienz“ zufolge „kann“ bei Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Pumpfunktion (HFrEF), bei denen ein Eisenmangel vorliegt, eine i. v. Eisensupplementierung „erwogen werden“ (Bundesärztekammer et al. 2019). Die Zurückhaltung ist in unzureichenden Daten zu „harten“ Endpunkten (Dekompensationen, Krankenhausbehandlungen, Mortalität) begründet, die eher weite Indikation (Eisenmangel) auf die in Studien fehlende Differenzierung zwischen anämischen und nicht-anämischen Patienten. Eisen(III)hydroxid-Polymaltose- (Ferinject) und Eisen(III)oxid-Saccharose-Komplex
(Fermed) zeigen bei parenteralen Eisenpräparaten unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln erneut einen Anstieg der Verordnungszahlen (. Tab. 9.1). Mit einem Zuwachs um mehr als 200 % findet sich hier jetzt auch Eisen(III)-Derisomaltose (Monofer). Dies erstaunt, waren doch Berichte über schwere anaphylaktische Reaktionen für diesen Wirkstoff vergleichsweise häufig, so dass noch 2017 die Spanische Arzneimittelbehörde vor der Anwendung warnte (Nathell et al. 2020). Zwei randomisierte, kontrollierte Studien mit > 3.000 Patienten konnten zwar diesbezüglich kein erhöhtes Risiko im Vergleich zu einer Eisen(III)hydroxidSaccharose-Verbindung zeigen, dürften aber angesichts des Zeitpunkts der Publikation der Ergebnisse keinen wesentlichen Einfluss auf die Verordnung in 2019 gehabt habe (Auerbach et al. 2019; Bhandari et al. 2020). Eisen(III)-Derisomaltose (im Englischen: iron isomaltoside) ist dextranfrei, zeigte aber in einem Immunoassay eine Reaktion auf einen Antidextran-Antikörper (Lipp 2016). Die Stabilität parenteraler Eisen-Komplexe nimmt in der Reihenfolge Gluconat-, Saccharose-, Maltose-Komplexe zu. Je stabiler der Komplex, umso größer der Anteil an Eisen, der von Makrophagen aufgenommen wird (Girelli et al. 2018). Hiermit wird u. a. auch eine bessere Verträglichkeit erklärt. Die hohe Stabilität der Eisen-Maltose-Komplexe erlaubt außerdem die rasche Applikation hoher Dosen, was ggf. die Verabreichung der Gesamtdosis mit einer Gabe ermöglicht. Ferinject (Eisen(iii)hydroxid-Polymaltosekomplex) und Monofer (Eisen(III)-Derisomaltosekomplex) können bis zu einer Einzeldosis von 1.000 mg intravenös infundiert werden (Lipp 2016). Die hohe Dosierung erfordert weniger Einzelinfusionen, ist aber mehr als dreimal so teuer wie Ferrlecit Ampullen. Fermed (Eisen(III)hydroxid-Saccharose-Komplex) wird bis zu einer Einzeldosis von 500 mg intravenös infundiert, ist aber fast doppelt so teuer wie Ferrlecit Ampullen.
301 9.3 Erythropoetin
9.1.3
Eisenchelatoren
Der Eisenchelator Deferasirox (Exjade) ist ein Orphan-Arzneimittel zur oralen Behandlung der chronischen Eisenüberladung infolge häufiger Transfusionen bei Beta-Thalassämia major und anderen Anämien. Es hat CochraneReviews zufolge eine ähnliche Wirksamkeit wie das parenterale Deferoxamin (Desferal) (Meerpohl et al. 2014; Bollig et al. 2017). Aufgrund des früheren Zulassungszeitpunkts ist die Indikation von Deferoxamin weiter gefasst als die von Deferasirox (Cario et al. 2015). Die Adhärenz sowie die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung sind bei parenteralem Deferoxamin allerdings geringer als beim oralen Deferasirox (Bollig et al. 2017; Moukalled et al. 2018). Verordnungszahlen und DDDKosten von Deferoxamin sind 2019 angestiegen (. Tab. 9.1). 9.2
Folsäure
Die Verordnung von Folsäurepräparaten hat in den letzten zehn Jahren stetig um mittlerweile mehr als 150 % zugenommen (. Abb. 9.1). Wichtig ist Folsäure vor allem in der Schwangerschaft, so dass Frauen, die eine Schwangerschaft planen, zusätzlich zu einer ausgewogenen Ernährung 400 g Folsäure pro Tag oder äquivalente Dosen anderer Folate in Form eines Supplements empfohlen werden (Koletzko et al. 2018). Die Einnahme soll mindestens vier Wochen vor der Konzeption beginnen und bis zum Ende des 1. Schwangerschaftsdrittels fortgesetzt werden. Hintergrund ist, dass die Zufuhr von Folatäquivalenten über die Nahrung deutlich geringer ist, als für Erwachsene im Allgemeinen und Schwangere im Besonderen empfohlen wird. Andererseits zeigen epidemiologische Studien und Metaanalysen, dass die perikonzeptionelle Folsäuresupplementation das Risiko für kindliche Fehlbildungen des Nervensystems (Neuralrohrdefekte) reduziert. Leider hat die Prävalenz von Neuralrohrdefekten in Europa zwischen 1991 und
9
2011 nicht abgenommen (Khoshnood et al. 2015). Grund dürfte u. a. eine mangelnde Umsetzung der Empfehlung sein, Folsäure perikonzeptionell zu substituieren, wie epidemiologische Daten und der Vergleich der Anzahl jährlicher Schwangerschaften und verordneter DDD (. Tab. 9.2) nahelegen (Koletzko et al. 2018).
9.3
Erythropoetin
Das Glykoprotein Erythropoetin wird vorwiegend in den Nieren gebildet. Rekombinante Verbindungen mit gleicher Proteinstruktur werden Epoetine genannt. Rekombinantes humanes Epoetin alfa (z. B. Erypo) wurde 1988 in die Therapie eingeführt, gefolgt von Epoetin beta (z. B. NeoRecormon). Seit 2007 haben mehrere Biosimilars von Epoetin eine Zulassung der European Medicines Agency erhalten. Das Verordnungsvolumen der Epoetinpräparate hat seit 2013 wieder zugenommen (. Abb. 9.1). Die Zahlen waren nur für Epoetin beta (NeoRecormon) 2019 rückläufig (. Tab. 9.2). Das 2001 eingeführte Epoetinanalogon Darbepoetin alfa (Aranesp) unterscheidet sich von Epoetin in fünf Aminosäuren und enthält fünf statt drei Stickstoff-gebundene Kohlenhydratseitenketten. Dadurch ist die terminale Eliminationshalbwertszeit drei- bis fünfmal (nach i. v.-Gabe) bzw. zwei- bis dreimal (nach s. c.Applikation) so lang wie bei den kurzwirksamen Epoetinen. Für Darbepoetin alfa reicht in der Erhaltungsphase die wöchentliche, gegebenenfalls sogar die zweiwöchentliche oder monatliche Gabe (Hörl 2013). Das Präparat ist 30–40 % teurer als Epoetin, führt die Liste der Epoetinpräparate aber dennoch deutlich an. Seit 2007 ist mit Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta (Mircera) ein weiteres langwirkendes Epoetinanalogon im Handel. Die Konjugation von Epoetin beta mit einer Methoxy-Polyethylenglycol-Polymerkette resultiert in einer deutlich verlängerten Halbwertszeit,
302
Kapitel 9 Antianämika
. Tabelle 9.2 Verordnungen von Folsäure und Epoetinpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Folsäure Folsäure AbZ
Folsäure
14,5
(0,8)
0,26
Folsan
Folsäure
6,8
(17,0)
0,24
Folsäure-ratiopharm
Folsäure
4,9
(C420,3)
0,27
Folsäure Lomapharm
Folsäure
2,6
(C691,1)
0,26
Folsäure Sanavita
Folsäure
1,6
(> 1.000)
0,24
Folarell
Folsäure
0,59
(C546,8)
0,26
31,1
(C27,6)
0,25
Epoetin alfa
9
Epoetin alfa HEXAL
Epoetin alfa
4,9
(C16,0)
8,21
Abseamed
Epoetin alfa
2,5
(C6,2)
8,22
Erypo
Epoetin alfa
1,8
(C2,1)
8,19
Binocrit
Epoetin alfa
0,57
(C53,5)
7,93
9,8
(C12,2)
8,19
Weitere Epoetinpräparate Silapo
Epoetin zeta
3,0
(C21,9)
7,75
Retacrit
Epoetin zeta
2,1
(C4,2)
7,70
Neorecormon
Epoetin beta
1,2
(4,0)
8,18
6,2
(C10,2)
7,81
Langwirkende Epoetinanaloga Aranesp
Darbepoetin alfa
6,9
(C1,1)
10,82
Mircera
Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta
2,4
(C6,0)
10,43
9,3
(C2,3)
10,72
56,4
(C17,9)
4,20
Summe
weshalb die Substanz als CERA (Continuous Erythropoietin Receptor Activator) bezeichnet wird und eine monatliche Verabreichung ausreichen kann. Die Affinität zum Epoetinrezeptor ist allerdings durch die Veränderung des Epoetinmoleküls deutlich reduziert (Hörl
2013). Mehrere Vergleichsuntersuchungen mit Epoetin alfa und beta zeigten eine nahezu identische Wirksamkeit und Verträglichkeit (Curran und McCormack 2008; Saglimbene et al. 2017). Etwa 10 % der Epoetinverordnungen entfallen auf Mircera. Die Tagestherapiekosten
303
9
Literatur
sind mit denen für Darbepoetin alfa vergleichbar (. Tab. 9.2). Eine Netzwerkmetaanalyse der Cochrane Collaboration fand keine Unterschiede in der Wirksamkeit von Epoetin alfa, Epoetin beta, Darboetin alfa oder Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta bei Patienten mit Anämie im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz. Die Datenlage ist u. a. bedingt durch das Verzerrungsrisiko in vielen Studien unzureichend, was den Nachweis der Überlegenheit einer der Substanzen betrifft (Palmer et al. 2014). Auch eine systematische Übersicht und Metaanalyse von 2018 zeigt, dass die Wirksamkeit der verschiedenen Epoetine weitestgehend vergleichbar ist. Auch hier ist Qualität der zugrunde gelegten Studien sehr heterogen (Amato et al. 2018). Vor diesem Hintergrund ist aber bemerkenswert, dass das Verordnungsvolumen der fast ein Drittel teureren Epoetinanaloga Darboetin alfa und Methoxy-PolyethylenglycolEpoetin beta schon fast das der Epoetin alfa enthaltenden Präparate erreicht hat. Die hochdosierte Gabe von Epoetinen bei renaler Anämie ist mit einem gesteigerten kardiovaskulären Risiko assoziiert (Wright et al. 2015). Die erforderlichen Dosen sind bei s. c.Applikation der kurzwirksamen Epoetinpräparate geringer als bei i. v.-Gabe, die Wirksamkeit ist bei adäquater Dosierung aber vergleichbar (Hörl 2013; Wright et al. 2015). Es ist außerdem keine Normalisierung des Hb-Wertes anzustreben, da dies prognostisch ungünstig ist (Phrommintikul et al. 2007). Die Lebensqualität ist bei subnormalen Zielwerten hingegen nicht reduziert (Collister et al. 2016). Aktuelle Leitlinien empfehlen einen Hb-Zielbereich von 10–12 g/dl (Locatelli et al. 2013; Mikhail et al. 2017). Eine ergänzende Eisensupplementation kann weiter helfen, die erforderliche Epoetindosis zu reduzieren (Roger et al. 2017). Dies mag auch das Risiko für einen sekundären Eisenmangel verringern, der entstehen kann, falls nicht rechtzeitig mit Gabe von Eisen dem erhöhten Bedarf vorgebeugt wird. Es gibt jedoch keine generelle Empfehlung zur präventiven Eisensupplementation bei Epoetingabe (Locatelli et al. 2013).
Die o. g. Daten zu Risiken der Hb-Normalisierung bei renaler Anämie, insbesondere mittels hochdosierter Epoetingabe sind als ein Grund für den zwischenzeitlichen, deutlichen Rückgang der Verordnungszahlen vom Maximum im Jahre 2007 (27 Mio. DDD) bis 2013 zu sehen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2014, Abb. 8.1). Seitdem ist die Häufigkeit der Verordnungen allerdings wieder stetig angestiegen und hat beinahe die Werte von 2007 erreicht (. Abb. 9.1). Epoetine können grundsätzlich auch bei Anämien wirksam sein, die mit bestimmten anderen chronischen Grunderkrankungen assoziiert sind. Allerdings ist hier die NutzenSchaden-Relation einer Therapie oft noch unklar. Bei Krebspatienten zeigten sich z. B. eine Übersterblichkeit und ein gesteigertes Risiko venöser thrombembolischer Ereignisse (Bohlius et al. 2009; Gao et al. 2014). Die Empfehlungen zum Einsatz von Epoetinen sind hier daher derzeit sehr zurückhaltend (Hastka et al. 2018). Ähnlich sieht es bei chronischer Herzinsuffizienz aus. Der Nutzen von Epoetinen zur Behandlung einer Anämie ist hier nicht eindeutig belegt (Desai et al. 2010; Ngo et al. 2010), während es Hinweise auf ein gesteigertes Risiko für thrombembolische Ereignisse unter Darboetin alfa gibt, sodass die NVL „Chronische Herzinsuffizienz“ bei Patienten in dieser Indikation von der Behandlung einer Anämie mit erythropoesestimulierenden Substanzen abrät, falls keine fortgeschrittene Niereninsuffizienz vorliegt (Bundesärztekammer et al. 2019).
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Kapitel 9 Antianämika
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307
10
Antibiotika und Antiinfektiva Winfried V. Kern
Auf einen Blick
Trend Die Antibiotikaverordnungen zeigen 2019 gegenüber dem Vorjahr von der Gesamtmenge her erneut eine Abnahme. Vor allem sind die Verordnungen von Fluorchinolonen deutlich gesunken. Amoxicillin-Clavulansäure wurde deutlich häufiger verordnet, angestiegen sind wie bereits im Vorjahr auch die Verordnungen von Pivmecillinam. Ein leichter Rückgang ist wiederum bei Makroliden/Clindamycin, Tetracyclinen, nicht jedoch bei Sulfonamiden und Trimethoprim zu verzeichnen. Die Antimykotika wurden ähnlich häufig wie im Vorjahr verordnet, ebenso die Substanzen gegen Herpes simplex und Herpes zoster. Bei den antiretroviralen Mitteln kam es zu einer deutlichen Mehrverordnung eines neuen Kombinationspräparats mit Integrase-Inhibitor.
Beim Verordnungsvolumen (nach definierten Tagesdosen, DDD) der antibakteriellen Substanzen war 2019 erneut ein Rückgang im Vergleich zum Vorjahr zu beobachten (vgl. . Tab. 1.2). Betalactame stellen die praktisch bedeutsamste Gruppe dar; Tetracycline, Makrolide und Fluorchinolone folgen (. Abb. 10.1, 10.2). Neben pharmakologischen Eigenschaften des Wirkstoffs sind bei der Auswahl eines Antibiotikums Art und Ort der Infektion, Erregerempfindlichkeit und die klinische Situation des
Patienten maßgebend. Folgende Punkte sind zu beachten: 4 Das pharmakokinetische Profil, das Nebenwirkungsprofil und die klinische Wirksamkeit aus kontrollierten Studien müssen berücksichtigt werden. 4 Zu beachten sind Wirkungen auf die Resistenzentwicklung, bei denen sich die verschiedenen Antibiotikaklassen nicht gleich verhalten. Bei bakteriellen Erregern von Atemwegsinfektionen gelten Penicilline günstiger als Makrolide. Oralcephalosporine und Fluorchinolone sind keine Substanzen der ersten Wahl bei Atemwegsinfektionen und unkomplizierten Harnwegsinfektionen. 4 Bei Gleichheit aller Faktoren soll das kostengünstigste Präparat ausgewählt werden. 4 Bei schweren Infektionen ist der Versuch einer Erregersicherung notwendig; nur so kann in vielen Fällen von einem (unnötig) breit wirksamen Präparat gezielt auf eine weniger breit wirksame Substanz umgestellt werden. Hauptindikation für eine antibakterielle Therapie im ambulanten Bereich bleibt die Atemwegsinfektion. Der Hinweis, dass im Unterschied zur Pneumonie akute Atemwegsinfektionen, vor allem die akute Bronchitis, in mehr als 90 % der Fälle durch Viren ausgelöst werden und daher keine primäre Indikation für Antibiotika darstellen, bleibt wichtig und ist in mehreren Studien nochmals bestätigt worden (Butler et al. 2010; Little et al. 2013; TonkinCrine et al. 2017).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_10
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
308
100 2018
2019 87
84 80
68
(Mio. DDD)
63 60 53 49 45 41 40 26 18
20
19
17 10
12
0 Penicilline
Aminopenicilline
Cephalosporine
Tetracycline
Makrolide und Clindamycin
SulfonamidKombinationen
Fluorchinolone
. Abb. 10.1 Verordnungen von Antibiotika und Antiinfektiva 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen 200 Makrolide Tetracycline Beta-Lactamantibiotika Fluorchinolone 159
10
177 168
171
174
172
170
168
46
45
41
160 147
145
59
60
(Mio. DDD)
120
80
53 40 38
52 37
57 49 37
60 53 52 36
45 34
50 45 34
49 42 32
40 29
38
33
26 17
0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 10.2 Verordnungen von Antibiotika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Bei den häufigen Atemwegs- und Harnwegsinfektionen im ambulanten Bereich, bei denen meist eine empirische („kalkulierte“) Therapie (ohne Erregersicherung) eingeleitet wird, bieten viele neuere Wirkstoffe keine wesentlichen Vorteile gegenüber den älteren, weniger kostspieligen Antibiotika. Ent-
scheidend in dieser Situation sind das erwartete Erregerspektrum und die erwartete Erregerempfindlichkeit. Kenntnisse zur aktuellen Situation bezüglich bakterieller Resistenzentwicklung bei den Erregern ambulant erworbener Infektionen sind somit wichtig. Dies gilt vor allem bezüglich der Empfind-
309 10.1 Betalactamantibiotika
lichkeit von Pneumokokken und A-Streptokokken gegenüber Penicillin und Makroliden, der Empfindlichkeit von Haemophilus gegenüber Amoxicillin sowie der Empfindlichkeit von Escherichia coli gegenüber Trimethoprim bzw. Co-trimoxazol, Nitrofurantoin, Fosfomycin, Pivmecillinam und Fluorchinolonen. Deutschland hat – wie die skandinavischen Länder und Holland seit vielen Jahren – bis 2015 in einem Antibiotikaverbrauchsund -Resistanzatlas (GERMAP 2015) aktuelle Informationen hierzu zusammengefasst. Daten aus der nationalen Antibiotikaresistanz-Surveillance des Robert-Koch-Institutes (Routinedaten) und aus den Querschnittserhebungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft sind online verfügbar (7 https://ars.rki.de/ bzw. 7 www.p-eg.org/econtext/Berichte%20der%20Studien). Die langjährige Dominanz der klassischen Betalactamantibiotika (Oralpenicillin, Aminopenicilline, Cephalosporine) beruht nach über 50jähriger Anwendung auf der Kombination meist günstiger pharmakologischer Eigenschaften mit einer hohen antibakteriellen Aktivität, geringer Toxizität und der daraus resultierenden großen therapeutischen Breite. Der weitaus größte Teil der Betalactamverordnungen entfällt auf die Aminopenicilline, gefolgt von Oralcephalosporinen. Auch bei den zahnärztlichen Antibiotikaverordnungen stellen Penicillinderivate die Hauptgruppe dar (. Tab. 44.2).
10.1
Im Vergleich zu Phenoxymethylpenicillin haben die Aminopenicilline ein breiteres Wirkungsspektrum im gramnegativen Bereich (vor allem Haemophilus). Durch die guten Serumund Gewebespiegel und hohe Aktivität gerade auch gegenüber Pneumokokken gilt Amoxicillin als bestgeeignetes orales Betalactam bei Pneumonien und wird in der Leitlinie zur Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie und auch seitens der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft als Mittel erster Wahl empfohlen (Ewig et al. 2016; Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2013). Indikationen sind darüber hinaus obere Atemwegsinfektionen wie eitrige Otitis media und akute Rhinosinusitis, soweit hier eine Antibiotikaindikation besteht (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2013; Berner et al. 2015). Die Tagestherapiekosten von Amoxicillin sind günstig (. Tab. 10.2). Pivmecillinam ist 2019 wieder angestiegen. Es ist ein Prodrug des Betalactam-Antibiotikums Mecillinam, ein in Skandinavien und Österreich seit langem eingesetztes Penicillinderivat mit Wirksamkeit in erster Linie gegen gramnegative Bakterien und einer Zulassung für die unkomplizierte Zystitis, das 2016 in Deutschland auf den Markt kam (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Abschn. 3.2.7). Es hat interessanterweise auch eine gute in vitro-Aktivität gegenüber ESBL-produzierenden Gram-negativen Bakterien (Jansåker et al. 2014; Fuchs und Hamprecht 2019).
Betalactamantibiotika 10.1.2
10.1.1
10
Basispenicilline
Die Gruppe der Basispenicilline (Phenoxymethylpenicillin, Amoxicillin) liegt im Jahre 2019 gegenüber dem Vorjahr im derselben Größenordnung. Vor allem Amoxicillin-Clavulansäurekombinationen und das relativ neue Pivmecillinam wurden häufiger verordnet, nicht jedoch Phenoxymethylpenicillin (. Tab. 10.1, 10.2).
AminopenicillinBetalactamaseinhibitorKombinationen
Zwei verschiedene Kombinationspräparate sind zur oralen Verabreichung erhältlich, Amoxicillin-Clavulansäure und AmpicillinSulbactam (in Form von Sultamicillin, eine Doppelesterverbindung von Ampicillin und Sulbactam). Vorteil dieser Substanzen im Vergleich zu Amoxicillin ist das um Moraxella,
310
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.1 Verordnungen von Penicillinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Phenoxymethylpenicillin Penicillin V AL
Phenoxymethylpenicillin
3,3
(7,3)
1,21
Penicillin V-ratiopharm
Phenoxymethylpenicillin
3,1
(1,8)
1,21
Infectocillin
Phenoxymethylpenicillin
3,0
(2,8)
1,77
Pen Mega-1 A Pharma
Phenoxymethylpenicillin
2,3
(C32,0)
1,16
Penicillin V STADA
Phenoxymethylpenicillin
1,9
(3,6)
1,31
PenHEXAL
Phenoxymethylpenicillin
1,7
(C7,0)
1,23
Penicillin Sandoz
Phenoxymethylpenicillin
0,54
(C3,5)
1,16
Isocillin
Phenoxymethylpenicillin
0,33
(C9,3)
1,64
Penicillin V acis
Phenoxymethylpenicillin
0,29
(8,4)
2,47
16,5
(C1,3)
1,35
Weitere Penicilline
10
Infectobicillin
PhenoxymethylpenicillinBenzathin
1,8
(C12,1)
3,72
Pivmelam Apogepha
Pivmecillinam
0,97
(C287,8)
3,04
X-Systo
Pivmecillinam
0,45
(C34,4)
2,61
Staphylex
Flucloxacillin
0,15
(1,6)
14,00
Flucloxacillin Altamedics
Flucloxacillin
0,09
(C14,6)
11,03
Tardocillin
Benzylpenicillin-Benzathin
0,02
(C4,5)
70,57
3,4
(C43,0)
4,30
20,0
(C6,7)
1,85
Summe
Klebsiella, Staphylococcus aureus und Anaerobier erweiterte Spektrum. Die gelegentlich auftretenden Betalactamase-positiven Haemophilus-Spezies werden ebenfalls erfasst. Die Hälfte der amoxicillinresistenten Escherichia coli ist empfindlich gegenüber AmoxicillinClavulansäure. Nachteile sind die gastrointestinalen Störungen, die häufiger im Vergleich zu Basispenicillinen zu sein scheinen. Insgesamt kam es 2019 zu einer deutlichen Zunahme der Verordnung von Amoxicillin-Clavulansäu-
re. Es ist vom in vitro-Wirkspektrum ähnlich dem Ampicillin-Sulbactam, was als parenterale Verabreichung in Deutschland dem parenteralen Amoxicillin-Clavulansäure vorgezogen wird. Als orale Verabreichung wird Amoxicillin-Clavulansäure in der Pneumonie-Leitlinie als erste Wahl bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie und komplizierender Grunderkrankung empfohlen (Ewig et al. 2016; Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2013).
10
311 10.1 Betalactamantibiotika
. Tabelle 10.2 Verordnungen von Aminopenicillinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Amoxicillin Amoxi-1 A Pharma
Amoxicillin
28,4
(C5,3)
1,32
Amoxicillin AL
Amoxicillin
16,5
(3,4)
1,17
Amoxicillin-ratiopharm
Amoxicillin
8,2
(36,5)
1,29
Amoxicillin Micro Labs
Amoxicillin
5,7
(C881,0)
1,19
AmoxiHEXAL
Amoxicillin
1,9
(39,0)
1,61
Infectomox
Amoxicillin
0,91
(C0,2)
2,09
Amoxicillin AbZ
Amoxicillin
0,79
(20,0)
1,15
Amoxibeta
Amoxicillin
0,51
(32,2)
1,16
Amoxicillin AbZ
Amoxicillin
0,22
(16,3)
1,24
Amoxicillin Heumann
Amoxicillin
0,20
(C103,9)
1,42
Amoxicillin axcount
Amoxicillin
0,17
(14,3)
1,15
63,5
(0,5)
1,28
Andere Aminopenicilline Unacid PD
Sultamicillin
1,5
(21,6)
9,15
Sultamicillin-ratiopharm
Sultamicillin
0,53
(C289,8)
9,07
2,0
(0,3)
9,13
Kombinationen Amoxi Clavulan Aurobindo
Amoxicillin Clavulansäure
9,7
(C23,5)
4,46
Amoxiclav BASICS
Amoxicillin Clavulansäure
3,9
(C6,2)
4,66
Amoxiclav-1 A Pharma
Amoxicillin Clavulansäure
1,9
(C0,2)
4,84
Amoxi Clavulan STADA
Amoxicillin Clavulansäure
1,2
(C29,4)
3,82
Amoxicillin/Clavulansäure Heumann
Amoxicillin Clavulansäure
0,60
(C68,0)
3,65
Amoxi-Clavulan AL
Amoxicillin Clavulansäure
0,56
(C425,5)
3,73
Amoxicillin-ratiopharm comp
Amoxicillin Clavulansäure
0,52
(40,3)
5,03
Amoclav/Amoxclav HEXAL
Amoxicillin Clavulansäure
0,48
(27,3)
5,02
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
312
. Tabelle 10.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Amoxiclav Aristo
Amoxicillin Clavulansäure
0,37
(C46,3)
4,84
Amoxclav Sandoz
Amoxicillin Clavulansäure
0,30
(C21,7)
4,57
Amoxi-saar plus
Amoxicillin Clavulansäure
0,15
(C51,1)
4,46
Infectosupramox
Amoxicillin Clavulansäure
0,10
(2,4)
4,20
Amoxicillin/Clavulansäure Heumann
Amoxicillin Clavulansäure
0,10
(C85,6)
3,70
19,9
(C16,3)
4,48
85,4
(C3,0)
2,21
Summe
10.1.3
Cephalosporine
10 Die Oralcephalosporine zeigten 2016 erstmals seit vielen Jahren keine Verordnungszunahme, 2017 setzte sich dieser Trend fort. Der Rückgang der Verordnungen betrug im Jahre 2018 rund 11 %, und jetzt im Jahr 2019 beträgt er knapp 5 % (. Tab. 10.3). Oralcephalosporine entsprechen in ihrem Wirkungsspektrum weitgehend den Aminopenicillin-Betalactamaseinhibitor-Kombinationen mit Ausnahme der schlechteren bzw. fehlenden Anaerobierwirksamkeit. Auch ist die Wirksamkeit gegenüber Pneumokokken etwas geringer als die von Penicillin und Amoxicillin. Cefuroximaxetil ist seit vielen Jahren bis heute mit Abstand die führende Substanz. 2019 sieht man eine weitere Reduktion der Verordnungsmenge bei diesem Präparat (6 %) (. Tab. 10.3), die Substanz macht aber immer noch rund 75 % aller verordneten Cephalosporin-Tagesdosen aus. Cefuroxim hat gegenüber Cefaclor eine bessere Wirksamkeit gegenüber Pneumokokken und ein im gramnegativen Bereich erweitertes Spektrum. Als oral zu verabreichende Substanz (Cefuroxim-
axetil) sind jedoch deren Serum- und Gewebespiegel meist unzureichend, sodass diese Substanz bei Atemwegsinfektionen nicht oder nur als Reserve empfohlen wird, und bei Haut/Weichteilinfektionen durch Staphylokokken als nicht ausreichend wirksam gilt (und Cefalexin dagegen als gut geeignet gilt). Die immer noch hohen Zahlen der in Deutschland verordneten Cefuroximaxetil-Tagesdosen weisen auf eine häufig nicht leitlinienkonforme Verschreibung hin (Bätzing-Feigenbaum et al. 2016). Die neueren Oralcephalosporine Cefixim und Cefpodoximproxetil sind im Wirkungsspektrum gegenüber Cefuroxim wiederum um gramnegative Bakterien erweitert, wirken gegenüber Pneumokokken jedoch nicht besser als Cefuroximaxetil. Cefpodoxim gilt als Reservesubstanz bei Harnwegsinfektionen (Deutsche Gesellschaft für Urologie 2010), aber auch Cefixim kann bei dieser Indikation gegeben werden. Die Verordnungsmengen von Cefixim sind im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen. Es spielt eine gewisse Rolle in der Behandlung von Gonorrhoe und neuerdings auch von Lues. Bei nahezu allen Oralcephalosporinen als problematisch gilt das erhöhte Risiko für Clos-
10
313 10.1 Betalactamantibiotika
. Tabelle 10.3 Verordnungen von Cephalosporinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cefaclor Cefaclor BASICS
Cefaclor
3,1
(34,4)
2,40
Cefaclor AL
Cefaclor
2,1
(C37,2)
2,26
Cefaclor Aristo
Cefaclor
1,6
(C49,3)
2,25
Infectocef
Cefaclor
1,2
(8,2)
1,85
Cefaclor-1 A Pharma
Cefaclor
0,75
(C0,6)
2,26
CEC
Cefaclor
0,20
(28,7)
2,50
9,1
(7,2)
2,26
Cefuroximaxetil Cefurax
Cefuroximaxetil
19,1
(C122,4)
1,43
Cefurox BASICS
Cefuroximaxetil
18,8
(35,6)
1,39
Cefuroxim AL
Cefuroximaxetil
3,0
(C23,0)
1,38
Cefuroxim Heumann
Cefuroximaxetil
2,7
(62,1)
1,39
Cefuroxim-1 A Pharma
Cefuroximaxetil
2,3
(16,7)
1,25
Cefuroxim-PUREN
Cefuroximaxetil
0,82
(> 1.000)
1,32
Cefurax
Cefuroximaxetil
0,25
(C213,6)
1,36
46,9
(6,4)
1,40
Cefpodoxim Cefpodoxim-1 A Pharma
Cefpodoxim
1,7
(C41,6)
3,66
Cefpodoxim AL
Cefpodoxim
1,4
(C10,2)
3,63
Cefpodoxim-ratiopharm
Cefpodoxim
0,84
(C14,8)
4,28
Cefpo BASICS
Cefpodoxim
0,61
(14,4)
3,61
Cefpodoxim HEXAL
Cefpodoxim
0,35
(C28,4)
3,94
Cefpodoxim STADA
Cefpodoxim
0,08
(C55,2)
3,68
5,0
(C17,3)
3,77
Weitere Cephalosporine Grüncef
Cefadroxil
0,55
(C8,9)
2,90
Cephalexin-ratiopharm
Cefalexin
0,28
(C1,0)
3,23
Infectoopticef
Cefixim
0,24
(C95,5)
2,64
Cephalex-CT
Cefalexin
0,14
(C14,8)
2,57
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
314
. Tabelle 10.3 (Fortsetzung) Präparat
Cefadroxil HEXAL
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cefadroxil
Summe
tridium difficile, das zumindest teilweise durch die nur mäßige orale Bioverfügbarkeit und im Vergleich zu Amoxicillin stärkere Veränderung der Darmflora erklärt wird. 10.2
DDD
Tetracycline
0,13
(C28,2)
4,51
1,3
(C18,8)
3,04
62,3
(4,5)
1,75
lung angesehen wird, bei der geringere Dosen eingesetzt werden und teilweise auch topisch behandelt wird (Aslam et al. 2015). Es gibt jedoch keine zuverlässige Evidenz für eine Überlegenheit gegenüber anderen Aknetherapeutika (Garner et al. 2012). 10.3
10
Tetracycline hatten ursprünglich ein breites Wirkungsspektrum. Heute sind sie noch sehr aktiv gegenüber Haemophilus und Moraxella (Olzowy et al. 2017), wirken gut gegen Erreger der sogenannten atypischen Pneumonie und sind Mittel der Wahl bei der Chlamydienurethritis und bei der Lyme-Borreliose. Interessanterweise sind Tetracycline auch gegen viele Stämme von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) wirksam und hier auch im Fall von leichten bis mittelschweren Haut- und Weichteilinfektionen einsetzbar (Ruhe und Menon 2007). Zusätzlich scheinen sie protektiv gegenüber Clostridium difficile zu wirken (Brown et al. 2013; Deshpande et al. 2013). Die Tetracyclinresistenz von Pneumokokken ist in den letzten Jahren in Deutschland auf einem niedrigen Niveau (5–10 %) geblieben. Doxycyclin war auch 2019 das mit Abstand meistverordnete Tetracyclin (. Tab. 10.4). Die mittleren DDD-Kosten waren wie in den Jahren zuvor im Vergleich zu anderen Substanzen sehr günstig. Minocyclin hat ein nahezu identisches Wirkungsspektrum wie Doxycyclin, es ist jedoch teurer und hat bei einer dem Doxycyclin vergleichbaren Dosierung mehr zentrale Nebenwirkungen. Minocyclin ist besonders lipophil, was als Vorteil bei der Aknebehand-
Makrolidantibiotika und Clindamycin
Makrolidantibiotika besitzen eine gute antibakterielle Aktivität gegen grampositive Bakterien mit zusätzlichen Wirkungen gegen Legionellen, Mycoplasma pneumoniae, Campylobacter, Helicobacter und Chlamydien. Die Wirkung der meisten Substanzen gegenüber Haemophilus ist nicht überzeugend (Courter et al. 2010; Sahm et al. 2000). Seit 1992 wurde eine zunehmende Resistenzentwicklung bei Pneumokokken und A-Streptokokken in Deutschland beobachtet, die inzwischen durch die Pneumokokkenimpfung gestoppt zu sein scheint. Die Resistenzrate bei Pneumokokken betrug 2010 15–20 %; 2018 beträgt sie nur noch ~ 10 %. Die neueren Makrolide besitzen gegenüber dem Erythromycin eine bessere orale Bioverfügbarkeit und gelten als besser verträglich. Auf Arzneimittelinteraktionen und Herzrhythmusstörungen ist zu achten (Simkó et al. 2008; Abo-Salem et al. 2014; Bin Abdulhak et al. 2015). Clarithromycin sowie Azithromycin haben ein dem Roxithromycin vergleichbares Wirkspektrum. Clarithromycin wird zusätzlich in Kombination mit anderen Substanzen zur Eradikation von Helicobacter pylori bei pepti-
10
315 10.3 Makrolidantibiotika und Clindamycin
. Tabelle 10.4 Verordnungen von Tetracyclinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Doxycyclin Doxycyclin AL
Doxycyclin
22,3
(13,2)
0,49
Doxycyclin-1 A Pharma
Doxycyclin
10,2
(C2,9)
0,51
Doxyderma
Doxycyclin
2,0
(C9,1)
0,45
Oraycea
Doxycyclin
1,3
(20,9)
2,11
DoxyHEXAL
Doxycyclin
1,1
(C20,6)
0,51
Doxakne
Doxycyclin
0,76
(C7,4)
0,46
Doxycyclin-ratiopharm/Doxy M
Doxycyclin
0,46
(7,5)
0,47
38,0
(7,5)
0,55
(C2,4)
1,06
Minocyclin Skid
Minocyclin
2,7
Minocyclin-ratiopharm
Minocyclin
0,40
(29,3)
1,07
3,1
(3,2)
1,07
0,18
(6,6)
1,13
(7,2)
0,59
Tetracyclin Tetracyclin-Wolff
Tetracyclin
Summe
schen Ulzera eingesetzt. Die Resistenzrate ist hier allerdings bereits > 10 % (Bluemel et al. 2019). Azithromycin hat eine ungewöhnlich hohe Gewebsaffinität und eine lange terminale Halbwertszeit (2–4 Tage), so dass die Substanz noch bis zur vierten Woche nach der letzten Gabe im Urin ausgeschieden wird. Deshalb wirkt eine 3–5tägige Therapie genauso gut wie eine zehntägige Erythromycintherapie. Sowohl Clarithromycin als auch Azithromycin verändern für Wochen nach Einnahme die orale Mikroflora im Sinne des vermehrten Nachweises von makrolidresistenten Streptokokken (Malhotra-Kumar et al. 2007) – anders als es bei Amoxicillin beobachtet wurde (Malhotra-Kumar et al. 2016).
41,3
Die Verordnungen der Makrolide haben seit 2009 abgenommen (. Abb. 10.2). Auch 2019 sind die Verordnungsmengen der Makrolide im Vergleich zum Vorjahr weiter zurückgegangen (. Tab. 10.5). Clindamycin hat ein ähnliches Wirkungsspektrum wie die Makrolidantibiotika, die Anwendung bei schweren Anaerobier- und Staphylokokkeninfektionen ist jedoch sicherer. Weiterhin wird über die Hälfte der Verbrauchsmenge von Zahnärzten verordnet (. Tab. 44.3). Die Substanz ist teurer als Makrolide und führt häufiger zu gastrointestinalen Nebenwirkungen (z. B. pseudomembranöse Colitis). Das Verordnungsvolumen hat sich im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr nicht geändert (. Tab. 10.5).
316
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.5 Verordnungen von Makrolidantibiotika und Clindamycin 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Erythromycin Infectomycin
Erythromycin
1,0
(17,9)
3,14
Roxi Aristo
Roxithromycin
3,7
(6,0)
1,65
Roxi-1 A Pharma
Roxithromycin
1,1
(33,5)
1,58
Roxithromycin AbZ
Roxithromycin
0,72
(46,5)
1,49
Roxithromycin AL
Roxithromycin
0,49
(C71,3)
1,76
Roxithromycin Heumann
Roxithromycin
0,41
(C7,5)
1,66
RoxiHEXAL
Roxithromycin
0,11
(30,5)
1,80
6,6
(15,9)
1,63
Roxithromycin
Clarithromycin
10
Clarilind
Clarithromycin
4,7
(C5,0)
1,25
Clarithromycin BASICS
Clarithromycin
3,1
(43,0)
1,20
Clarithromycin-1 A Pharma
Clarithromycin
1,8
(C4,4)
1,23
Clarithromycin Micro Labs
Clarithromycin
0,77
(C24,6)
1,16
Clarithromycin HEC Pharm
Clarithromycin
0,70
(> 1.000)
1,12
Clarithromycin HEXAL
Clarithromycin
0,27
(36,8)
1,26
11,4
(10,8)
1,22
Azithromycin Azithromycin-Hecpharm
Azithromycin
7,2
(C1,7)
2,17
Azithromycin-1 A Pharma
Azithromycin
5,2
(C5,4)
2,42
Azi-TEVA
Azithromycin
0,44
(C8,0)
2,35
Azithromycin HEXAL
Azithromycin
0,38
(14,4)
2,99
Azithromycin Aristo
Azithromycin
0,34
(66,8)
2,04
Azithromycin AbZ
Azithromycin
0,25
(36,7)
2,35
Azithromycin-ratiopharm
Azithromycin
0,12
(53,9)
3,18
Azithromycin-Hecpharm
Azithromycin
0,07
(C15,9)
2,13
14,0
(4,0)
2,30
Clindamycin Clindasol
Clindamycin
5,1
(C24,1)
2,36
Clindamycin Aristo
Clindamycin
2,8
(C32,2)
2,14
10
317 10.5 Fluorchinolone
. Tabelle 10.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Clindamycin-1 A Pharma
Clindamycin
2,8
(C7,5)
2,19
Clinda-saar
Clindamycin
2,1
(36,6)
2,22
ClindaHEXAL
Clindamycin
1,4
(15,8)
2,37
Clindamycin-ratiopharm
Clindamycin
0,59
(44,5)
2,26
Sobelin Vaginal
Clindamycin
0,57
(C13,9)
4,44
Clindamycin AL
Clindamycin
0,27
(C22,1)
2,43
Sobelin
Clindamycin
0,07
(14,9)
6,66
15,7
(0,1)
2,36
48,7
(6,6)
1,99
Summe
10.4
Sulfonamid-Kombinationen und Trimethoprim
Sulfonamide und Trimethoprim bewirken nach dem Prinzip der Sequenzialblockade eine synergistische Hemmung der bakteriellen Folsäuresynthese und stellen ein wirksames Kombinationsprinzip mit einem breiten antibakteriellen Wirkungsspektrum dar. Beide Komponenten werden renal eliminiert und haben bei normaler Nierenfunktion ähnliche Eliminationshalbwertszeiten. Die Kombination (Cotrimoxazol) ist viele Jahre Mittel der Wahl bei Harnwegsinfektionen gewesen. Co-trimoxazol ist gegenüber Staphylokokken incl. MRSA und gegen A-Streptokokken gut wirksam und gilt als mögliche Reservetherapie bei Haut-Weichteilinfektionen (Daum et al. 2017) – auch in Deutschland. Bei schweren Staphylokokkeninfektionen sollte sie nicht in der Initialtherapie verwendet werden (Paul et al. 2015). Die Substanz wurde früher auch bei Otitis media eingesetzt. Bei Escherichia coli ist auch in Deutschland eine kritische Resistenzsituation entstanden: 20–30 % der Isolate sind resistent gegenüber Trimethoprim wie auch gegenüber Cotrimoxazol (GERMAP 2015). Bei Escherichia
coli-Isolaten von Patientinnen mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen gilt dies mit Einschränkung ebenfalls (Kresken et al. 2016), so dass die Substanzen nicht mehr als Mittel der ersten Wahl empfohlen werden. Alternativen sind Fosfomycin, Pivmecillinam und Nitrofurantoin (Kranz et al. 2017). Co-trimoxazol – wie auch Amoxicillin bzw. Amoxicillin-Clavulansäure – kann nach Austestung und bestätigter Empfindlichkeit nach wie vor verabreicht werden – auch bei Pyelonephritis. Die Verordnungen von Co-trimoxazol sind 2019 überraschenderweise angestiegen – möglicherweise im Zusammenhang mit der Zurückhaltung der Fluorchinolon-Verordnung (. Tab. 10.6).
10.5
Fluorchinolone
Fluorchinolone (Gyrasehemmer) stellen seit einiger Zeit die viertstärkste Verordnungsgruppe dar (nach Betalactamen, Makroliden und Tetracyclinen), zeigen aber seit 10 Jahren einen Verordnungsrückgang von über 50 % (. Abb. 10.2). Ursache war zunächst der Resistenzanstieg vor allem bei gramnegativen Erregern. Isolate von Patien-
318
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.6 Verordnungen von Sulfonamiden und Trimethoprim 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sulfonamid-Trimethoprim Kombinationen Cotrim-ratiopharm
Trimethoprim Sulfamethoxazol
4,8
(C3,1)
1,66
Cotrimoxazol AL
Trimethoprim Sulfamethoxazol
4,4
(C9,4)
1,49
Cotrim-1 A Pharma
Trimethoprim Sulfamethoxazol
2,3
(C56,8)
1,06
Cotrim-CT
Trimethoprim Sulfamethoxazol
0,29
(C47,4)
1,62
Cotrim HEXAL
Trimethoprim Sulfamethoxazol
0,16
(C84,8)
1,71
12,0
(C14,6)
1,48
1,5
(C8,8)
2,68
13,5
(C13,9)
1,62
Trimethoprim Infectotrimet
10
Trimethoprim
Summe
ten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen und Isolate von Krankenhauspatienten sind nur noch zu 70–80 % empfindlich (GERMAP 2015), Escherichia coli-Isolate von Patientinnen mit unkomplizierten Harnwegsinfektionen nur noch zu etwa 85–90 % (Kresken et al. 2016). Die Fluorchinolone können in einer therapeutisch ausgerichteten Klassifikation dargestellt werden. Die erste Gruppe bilden die Harnwegs-Fluorchinolone mit dem Hauptvertreter Norfloxacin (. Tab. 10.7), das bei der unkomplizierten Zystitis durch empfindliche Erreger eine sehr gute Wirksamkeit hat und bei dieser Indikation den anderen Fluorchinolonen vorzuziehen ist. Die nächste Gruppe bilden Fluorchinolone mit breiter Indikation, die heute auch als Standardfluorchinolone bezeichnet werden. Mit Abstand führender Vertreter ist Ciprofloxacin, während auf das enantiomerselektive Levofloxacin und das ältere racemische
Ofloxacin deutlich weniger Verordnungen entfallen (. Tab. 10.7). Bei ambulant erworbener Pneumonie, aber auch den meisten anderen ambulant erworbenen Atemwegsinfektionen ist Ciprofloxacin wegen der schlechten Wirksamkeit gegenüber Pneumokokken nicht indiziert (Fuller und Low 2005). Das ältere Ofloxacin – inzwischen teurer als Levofloxacin und Norfloxacin – macht zu Recht nur noch einen geringen Anteil (rund 3 %) unter den verordneten Fluorchinolonen aus (. Tab. 10.7). Zur dritten Gruppe der Fluorchinolone mit verbesserter Aktivität gegen grampositive und atypische Erreger sowie gegen Anaerobier („Atemwegsinfektions“-Fluorchinolone) gehört Moxifloxacin. Es hat im Vergleich zu Ciprofloxacin und Levofloxacin eine verminderte Aktivität gegen Pseudomonas aeruginosa und andere gramnegative Bakterien (Balfour und Wiseman 1999). Das Präparat hatte rasch eine ungewöhnlich hohe Bedeutung
10
319 10.5 Fluorchinolone
. Tabelle 10.7 Verordnungen von Fluorchinolonen (Gyrasehemmern) 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Harnwegs-Fluorchinolone Norfloxacin AL
Norfloxacin
0,42
(39,4)
2,26
NorfloHEXAL
Norfloxacin
0,09
(20,4)
2,18
0,51
(36,6)
2,24
Ciprofloxacin Cipro BASICS
Ciprofloxacin
3,1
(57,4)
2,42
Ciprofloxacin AL
Ciprofloxacin
2,3
(C8,8)
2,40
Cipro-1 A Pharma
Ciprofloxacin
1,6
(13,2)
2,29
Ciprofloxacin Aristo
Ciprofloxacin
1,6
(26,9)
2,16
Ciprofloxacin HEC Pharm
Ciprofloxacin
0,61
(C73,0)
2,06
CiproHEXAL
Ciprofloxacin
0,37
(59,1)
2,33
Ciprofloxacin AbZ
Ciprofloxacin
0,24
(56,3)
2,66
9,7
(35,7)
2,33
Ofloxacin Ofloxacin-ratiopharm
Ofloxacin
0,25
(29,6)
2,64
Oflox BASICS
Ofloxacin
0,23
(46,8)
2,49
0,48
(39,0)
2,57
Levofloxacin Levofloxacin Aurobindo
Levofloxacin
2,2
(16,4)
1,81
Levofloxacin-1 A Pharma
Levofloxacin
0,69
(43,5)
1,78
Levofloxacin Aristo
Levofloxacin
0,31
(49,7)
1,85
Levofloxacin Heumann
Levofloxacin
0,25
(69,7)
1,90
Levofloxacin HEXAL
Levofloxacin
0,24
(27,4)
2,02
Levofloxacin HEC Pharm
Levofloxacin
0,20
(C31,9)
1,83
Levofloxacin STADA
Levofloxacin
0,10
(44,5)
1,79
4,0
(33,0)
1,83
Moxifloxacin Moxifloxacin HEC Pharm
Moxifloxacin
0,47
(C99,1)
3,22
Moxifloxacin Aurobindo
Moxifloxacin
0,35
(15,6)
4,08
Moxifloxacin-1 A Pharma
Moxifloxacin
0,26
(36,3)
3,27
320
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.7 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Moxifloxacin-PUREN
Moxifloxacin
0,20
(28,4)
3,15
Moxifloxacin AL
Moxifloxacin
0,12
(65,5)
3,22
1,4
(17,2)
3,43
16,2
(33,9)
2,31
Summe
10
DDD
als Reservemittel bei ambulant erworbenen Pneumonien und bei akuten Exazerbationen chronischer Bronchitiden erlangt. Seine Verordnungen sind jedoch seit 2010 um etwa 60 % zurückgegangen (. Tab. 10.7). Ein wesentlicher Grund ist wahrscheinlich, dass in einigen Fällen schwere hepatotoxische Reaktionen nach oraler Einnahme von Moxifloxacin (European Medicines Agency 2008), aber auch der anderen Chinolonen beobachtet wurden. Bei allen Fluorchinolonen kann es zur Sehnenruptur kommen. Herzrhythmusstörungen und Dysglykämien sind beschrieben. Bekannt ist das erhöhte Risiko für Clostridium difficile-Infektionen – sowohl im Krankenhaus als auch im ambulanten Bereich (Deshpande et al. 2013; Feazel et al. 2014). Auch aufgrund der jüngst berichteten weiteren unerwünschten Wirkungen sollten Fluorchinolone daher nur ausnahmsweise als Therapeutika der ersten Wahl eingesetzt werden (Kern 2018). Die Verordnungen gingen nach den in den letzten Jahren wiederholten Hinweisen zur zurückhaltenden Verordnung deutlich zurück, im Jahr 2019 betrug der Rückgang > 30 % gegenüber dem Vorjahr.
moniasis, bakterieller Vaginose (Aminkolpitis), Amöbenruhr, Lambliasis und Anaerobierinfektionen erfolgreich eingesetzt wird (Übersicht bei Löfmark et al. 2010). Eine wichtige Indikation unter den Anaerobierinfektionen ist die Clostridium difficile-Infektion, bei der in leichten bis mittelschweren Fällen Metronidazol weiterhin verordnet werden kann, obwohl einige Leitlinien jetzt Vancomycin als erste Wahl empfehlen. Bedeutsam ist der Einsatz im Rahmen der Therapie des Ulcus ventriculi et duodeni zur Eradikation von Helicobacter pylori. Die Verordnungen der Metronidazolpräparate lagen im Jahr 2019 leicht unter denen des Vorjahrs (. Tab. 10.8).
10.6.2
Nitrofurantoin
Nitrofurantoin wird in deutschen Leitlinien bei unkomplizierter Harnwegsinfektion (Zystitis) empfohlen (DEGAM 2009; Kranz et al. 2017). Die Resistenzsituation ist gut. Die Tagestherapiekosten sind vergleichsweise günstig. Die Wirksamkeit ist bei Verlängerung der Behandlung der unkomplizierten Zystitis von drei auf fünf Tage akzeptabel (Cunha 2006). Das Ver10.6 Weitere antibakterielle ordnungsvolumen ist 2018 sowie 2019 nochSubstanzen mals deutlich angestiegen (. Tab. 10.8). Die Halbwertzeit von Nitrofurantoin ist sehr kurz (< 30 min); die Substanz wird rasch 10.6.1 Nitroimidazole abgebaut. Im Urin werden jedoch ausreichend hohe Konzentrationen erreicht. VerwenHauptvertreter der Nitroimidazole ist Metro- det wird in der Regel die retardierte Form. nidazol, das seit über 50 Jahren bei Tricho- Häufige Nebenwirkungen sind gastrointesti-
10
321 10.6 Weitere antibakterielle Substanzen
. Tabelle 10.8 Verordnungen sonstiger Chemotherapeutika und Antibiotika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Nitroimidazole Metronidazol Aristo
Metronidazol
1,2
(C29,3)
3,68
Arilin Vaginal
Metronidazol
0,98
(4,1)
4,40
Metronidazol AL
Metronidazol
0,51
(36,6)
3,72
Arilin oral
Metronidazol
0,14
(9,7)
4,33
Vagi Metro
Metronidazol
0,09
(10,1)
2,76
Metronidazol Heumann
Metronidazol
0,07
(25,2)
3,84
2,9
(4,0)
3,93
Nitrofurantoin Furadantin
Nitrofurantoin
4,7
(C16,2)
0,67
Nifurantin/Nifuretten
Nitrofurantoin
3,7
(C3,4)
0,78
Uro-Tablinen
Nitrofurantoin
1,5
(C2,8)
0,85
Nifurantin B6
Nitrofurantoin Vitamin B6
0,21
(7,6)
2,56
(C8,6)
0,78
10,2 Fosfomycin Fosfomycin Aristo
Fosfomycin
0,90
(13,0)
14,46
Fosfomycin AL
Fosfomycin
0,64
(C835,0)
14,46
Fosfomycin Eberth
Fosfomycin
0,22
(39,3)
14,02
Monuril
Fosfomycin
0,11
(42,7)
15,46
Fosfuro
Fosfomycin
0,09
(52,6)
14,50
2,0
(C6,2)
14,47
Andere Mittel Eremfat
Rifampicin
2,1
(C6,5)
2,91
Dapson-Fatol
Dapson
1,6
(0,2)
0,50
Isozid comp N
Isoniazid Pyridoxin-HCl
1,5
(5,1)
0,32
Nitroxolin MIP Pharma
Nitroxolin
1,1
(C0,9)
3,87
Vancomycin Enterocaps
Vancomycin
0,06
(9,1)
147,51
6,4
(C0,8)
3,14
21,4
(C4,1)
3,16
Summe
322
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
nale Unverträglichkeit. Es treten gelegentlich eine Allergie, selten Lupus-ähnliche Syndrome auf. Problematisch sind akute und chronische Lungenreaktionen, zentralnervöse Symptome, und Polyneuropathie. Nitrofurantoin hat bei Tieren zu erhöhten Fehlbildungen geführt, die bisherigen Daten beim Menschen sind hierzu unschlüssig (Goldberg et al. 2013, 2015), der Einsatz sollte zurückhaltend erfolgen. Die Substanz soll nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit, eingeschränkter Nierenfunktion, Polyneuropathie, während der letzten 3 Monate der Schwangerschaft, bei Frühgeborenen und Säuglingen bis Ende des 3. Lebensmonats, Glukose-6Phosphatdehydrogenasemangel (Risiko für hämolytische Anämie) und Lungenfibrose. Umstritten ist vor allem die prophylaktische Gabe über einen längeren Zeitraum. 10.6.3
10
Fosfomycin
Fosfomycin-Trometamol war früher Reservemedikament zur Therapie von Harnwegsinfektionen. Die Substanz, ursprünglich aus Streptomycesarten isoliert, wird auch zur parenteralen Therapie bei komplizierten Infektionen durch Gram-negative Bakterien und Staphylokokken verwendet. Hier ist sie in der Regel nur indiziert, wenn eine Penicillin- und Cephalosporinallergie und/oder Resistenz gegen andere Antibiotika oder Multiresistenz vorliegen. Fosfomycin-Trometamol als orale Form hat aufgrund der bakteriellen Resistenzentwicklung bei Harnwegs-E. coli Bedeutung erlangt. Bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen gilt die orale Einmalgabe in Form des Granulates seit einigen Jahren als Mittel der Wahl (Deutsche Gesellschaft für Urologie 2010). Das Granulat wird in einer Dosis von 8 g (entsprechend 3 g Fosfomycin) verabreicht. Nur 40 % der verabreichten Dosis werden resorbiert; die Substanz wird jedoch nahezu unverändert mit dem Urin ausgeschieden und erreicht hier hohe Konzentrationen. Eine neue Studie zeigt eine gewisse Unterlegenheit des Präparates gegenüber
Nitrofurantoin, möglicherweise zurückzuführen auf die lediglich einmalige Gabe (Huttner et al. 2018). Es gibt auch Erfahrung mit der Substanz in der Behandlung der asymptomatischen Bakteriurie in der Schwangerschaft. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2019 erneut mehr Tagesdosen (6 %) verordnet – vermutlich zuungunsten von Fluorchinolonen (. Tab. 10.8).
10.6.4
Nitroxolin
Nitroxolin ist ein seit den 60er Jahren bekanntes 8-Hydroxy-Chinolin mit gewisser antimikrobieller und Antitumor-Aktivität. Es wurde in Deutschland zugelassen aufgrund einer Reanalyse von Daten älterer (1992–1993) vergleichender Studien mit weniger als 500 Patienten (Naber et al. 2014); zusätzlich liegen unkontrollierte, wenig aussagekräftige Beobachtungsstudien vor. Die klinische Pharmakologie ist nicht gut bekannt (Wijma et al. 2018). Die Substanz ist in vitro wirksam gegen E. coli (Kresken und Körber-Irrgang 2014), scheint aber nur bakteriostatische Aktivität zu haben. In einer neueren Arbeit bei geriatrischen Patienten mit Harnwegsinfektion war die Wirkung wenig überzeugend (Forstner et al. 2018). Trotz der sehr limitierten Daten wird Nitroxolin (über 5 Tage) für die Behandlung der unkomplizierten Zystitis seit einigen Jahren empfohlen. Die Verordnungszahlen sind gering und 2019 auch nicht weiter angestiegen (. Tab. 10.8).
10.7
Orale Antimykotika
Zu den systemisch wirkenden oralen Antimykotika zählen u. a. Fluconazol und Itraconazol. Wenig Bedeutung in der ambulanten Medizin haben die aspergilluswirksamen Substanzen Voriconazol (Vfend) und Posaconazol (Noxafil) sowie das neue Isavuconazol (Cresemba). Terbinafin ist oral (Lamisil und andere) und
10
323 10.7 Orale Antimykotika
topisch einsetzbar; es gehört zur Gruppe der Allylamine. Fluconazol ist eine bewährte, seit vielen Jahren auf dem Markt befindliche Substanz. Nach oraler Gabe wird sie innerhalb von zwei Stunden nahezu vollständig resorbiert; die orale Bioverfügbarkeit ist mit > 90 % sehr gut. Die Halbwertszeit erlaubt eine einmal tägliche Gabe. Bei der Candidiasis der Mundhöhle oder der Speiseröhre (Soor) ist die Behandlung mit 50–100 mg Fluconazol ausreichend (Reinel et al. 2008), bei vaginaler Candidiasis ist die eine einmalige Gabe von 150 mg wirksam (Hof 2006). Die Gesamtverordnungsmenge von Fluconazol ist 2019 im Vergleich zum Vorjahr nicht angestiegen (. Tab. 10.9). Itraconazol wird nach oraler Gabe gut resorbiert, sofern es zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen wird; die Resorptionsquote nach Nüchterngabe liegt lediglich bei 40 %. Es
steht auch eine Lösung zur Verfügung, die als Hilfsstoff ein Cyclodextrinderivat enthält. Die Lösung muss im Gegensatz zu den Kapseln auf nüchternen Magen eingenommen werden. Die Proteinbindung von Itraconazol ist sehr hoch, die Gewebepenetration ist gut, insbesondere in die Haut und die Nägel lagert sich Itraconazol ein. Es sind eine Reihe von Arzneimittelwechselwirkungen zu beachten. Die Verordnungen von Itraconazol haben 2018 wie im Vorjahr schon wieder deutlich zugenommen (. Tab. 10.9). Fluconazol und Itraconazol sind auch bei Dermatomykosen und Onychomykosen indiziert. Bei Onychomykosen bewährt hat sich dabei die intermittierende Therapie (meist 1 Woche Einnahme, 3 Wochen Einnahmepause, Wiederholung des Behandlungszyklus). Itraconazol hat hier Vorteile gegenüber dem Fluconazol.
. Tabelle 10.9 Verordnungen von Antimykotika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Itraconazol Itraconazol Aristo
Itraconazol
1,6
(C27,0)
3,70
Itraconazol Heumann
Itraconazol
0,21
(58,2)
3,81
Itraisdin
Itraconazol
0,15
(C14,7)
7,92
2,0
(C3,9)
4,02
Fluconazol Fluconazol-PUREN
Fluconazol
0,99
(C44,2)
6,80
Fluconazol Aristo
Fluconazol
0,85
(C31,4)
6,19
Fluconazol BASICS
Fluconazol
0,38
(58,9)
6,91
2,2
(1,8)
6,58
Weitere Antimykotika Ampho-Moronal
Amphotericin B
2,3
(2,3)
3,19
Ampho-Moronal Lutschtabl
Amphotericin B
2,1
(C4,3)
2,04
4,4
(C0,7)
2,65
324
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.9 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Nystatin Nystatin acis
Nystatin
0,10
(7,1)
2,03
Nystaderm/-S
Nystatin
0,07
(C6,1)
2,70
Moronal Filmtabletten/ Suspension
Nystatin
0,06
(16,2)
2,65
Nystatin Holsten Filmtabletten/Suspension
Nystatin
0,06
(C26,6)
2,42
0,28
(1,2)
2,40
Miconazol
10
Infectosoor Mundgel
Miconazol
0,12
(6,5)
3,46
Mykoderm Mundgel
Miconazol
0,10
(6,9)
2,56
Micotar Mundgel
Miconazol
0,04
(14,2)
2,79
0,26
(7,9)
3,02
Gynäkologische Antimykotika Kadefungin
Clotrimazol
0,53
(17,5)
2,24
Inimur myko Vaginal
Ciclopirox
0,31
(5,2)
2,18
Gyno Mykotral
Miconazol
0,27
(C6,4)
1,54
Canifug Vaginal
Clotrimazol
0,16
(0,0)
2,24
Antifungol Vaginal
Clotrimazol
0,13
(C11,9)
2,38
Gyno-Pevaryl
Econazol
0,12
(27,0)
4,45
1,5
(8,6)
2,29
10,7
(1,0)
3,67
Summe
Das oben erwähnte Terbinafin hat im Vergleich zu den Azolen bei Dermatomykosen und Onychomykosen Vorteile (Bell-Syer et al. 2012). Die Hepatotoxizität ist zu beachten. Sie scheint bei der für Terbinafin empfohlenen kontinuierlichen Gabe höher zu sein als bei intermittierender Gabe der Azole. In der Regel reversible, jedoch als sehr unangenehm empfundene Geschmacksstörungen und Ge-
schmacksverlust stellen die Hauptzahl der unter Terbinafin berichteten unerwünschten Arzneimittelwirkungen dar. Terbinafin wird deutlich häufiger verordnet als die Azolpräparate (siehe . Tab. 23.5). Daneben werden Antimykotika als Lokaltherapeutika in großem Umfang in der Dermatologie (. Tab. 23.5) und geringem Umfang auch in der Gynäkologie (. Tab. 10.9) angewendet.
325 10.9 Weitere Virostatika
10.8
Antiretrovirale Mittel
Als Standardtherapie bei HIV-Infektion wird eine Kombination von mindestens drei antiretroviralen Substanzen empfohlen, die neben zwei Nukleosiden typischerweise einen Proteaseinhibitor, einen nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) oder einen Integraseinhibitor enthalten (EACS 2018). Durch die breite Anwendung der hochaktiven antiretroviralen Therapie (HAART) wurde die Prognose HIV-infizierter Patienten entscheidend verbessert. Während die Letalitätsrate von HIV-infizierten Patienten 1995 noch 23 % betrug, sank sie in der zweiten Hälfte der 90er Jahre auf < 5 % und liegt inzwischen noch darunter (Gueler et al. 2017). Dies gilt nicht für Regionen mit eingeschränkter HAART-Verfügbarkeit bzw. für Patienten, die sehr spät in medizinische Behandlung kommen. Die Kosten dieser zum Teil innovativen Substanzen sind hoch (. Tab. 10.10). Die Verordnungen sind 2019 im Vergleich zum Vorjahr wieder etwas angestiegen – vor allem bei Emtricitabin/Tenofovir, das als Präexpositionsprophylaxe (Deutsch-Österreichische Leitlinie 2019) gegeben wird und jetzt als Generikum über 90 % billiger ist als das Originalpräparat Truvada. Massiv zugenommen hat auch Biktarvy, eines der neuesten Kombinationspräparate für die einmal tägliche Gabe, die in einer Einzeltablette verabreicht werden können und so die Compliance verbessern. Dazu gehören auch Odefsey, Genvoya, Symtuza und Triumeq (. Tab. 10.10).
10.9
10
Weitere Virostatika
Aciclovir ist ein Virostatikum zur Behandlung von Herpes-simplex- und Varicella-zoster-Virusinfektionen. Es hemmt nach Phosphorylierung zu Aciclovirtriphosphat die DNSPolymerase und damit die Virusreplikation. Die Bioverfügbarkeit ist gering. Für Varicellazoster-Virusinfektionen werden sehr viel höhere Dosen benötigt als für Herpes-simplexVirusinfektionen. Die Verordnung von Aciclovir hat 2019 erneut leicht zugenommen (. Tab. 10.11). Die Verordnung des Virostatikums Brivudin hat 2019 ebenfalls gering zugenommen. Es wird zur Behandlung von Herpes zoster eingesetzt und kann aufgrund einer fast vollständigen Resorption oral gegeben werden. Aufgrund der vereinfachten 1mal täglichen Einnahme besitzt es eine gewisse Überlegenheit gegenüber Valaciclovir und Famciclovir insbesondere bei älteren Patienten. Auch hinsichtlich der Entwicklung einer postherpetischen Neuralgie ist es mindestens gleichwertig (Gross et al. 2003). Eine gleichzeitige oder zeitnahe Verabreichung von Brivudin mit Uracil-Zytostatika ist eine strenge Kontraindikation. Oseltamivir (Tamiflu) ist ein zur Therapie und Prophylaxe der Influenza zugelassener oral verabreichbarer Neuraminidaseinhibitor, dessen klinischer Nutzen in der Therapie umstritten ist (Jefferson et al. 2012; Muthuri et al. 2014; Dobson et al. 2015), jedoch im Rahmen von Chemoprophylaxe bei Influenzaausbrüchen oft sehr effektiv ist. Nach einem massiven Anstieg im Jahre 2018 war 2019 wieder ein deutlicher Rückgang zu beobachten (. Tab. 10.11). Weitere Virostatika mit Wirkung gegen Hepatitis B- und Hepatitis C-Viren sind bei den Lebertherapeutika (. Tab. 31.3) aufgeführt.
326
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 10.10 Verordnungen antiretroviraler Mittel 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) Descovy
Emtricitabin Tenofoviralafenamid
2,3
(29,0)
20,57
Emtricitabin/Tenofovir disop-ratiopharm
Emtricitabin Tenofovirdisoproxil
1,9
(C124,3)
2,11
4,3
(C2,9)
12,18
Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) Odefsey
Emtricitabin Rilpivirin Tenofoviralafenamid
1,7
(5,6)
37,24
Symtuza
Emtricitabin Tenofoviralafenamid Darunavir Cobicistat
1,5
(C35,6)
31,49
Norvir
Ritonavir
0,14
(37,0)
19,68
1,6
(C23,1)
30,44
Proteasehemmer
10
Integraseinhibitoren Biktarvy
Tenofoviralafenamid Emtricitabin Bictegravir
3,3
(C342,6)
29,96
Genvoya
Elvitegravir Cobicistat Emtricitabin Tenofoviralafenamid
2,7
(17,9)
36,41
Triumeq
Lamivudin Abacavir Dolutegravir
2,7
(9,7)
39,26
Tivicay
Dolutegravir
2,5
(16,5)
23,74
Isentress
Raltegravir
1,9
(11,9)
24,88
13,0
(C7,5)
31,23
20,6
(C6,3)
27,72
Summe
10
327 Literatur
. Tabelle 10.11 Weitere Virostatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Aciclovir Aciclo BASICS
Aciclovir
2,8
(6,6)
3,13
Aciclovir Aristo
Aciclovir
0,67
(23,2)
2,87
Aciclovir-1 A Pharma
Aciclovir
0,53
(C31,6)
3,14
Aciclovir AL
Aciclovir
0,51
(C64,3)
3,12
Acic
Aciclovir
0,35
(C330,9)
2,74
Aciclovir Heumann
Aciclovir
0,33
(20,3)
2,72
Aciclostad
Aciclovir
0,28
(C57,5)
3,24
Zovirax
Aciclovir
0,04
(2,2)
4,52
5,5
(C4,0)
3,06
(2,3)
12,14
Weitere Mittel Zostex
Brivudin
1,5
Brivudin Aristo
Brivudin
0,17
(> 1.000)
12,12
Tamiflu
Oseltamivir
0,17
(55,3)
7,05
Valaciclovir Aurobindo
Valaciclovir
0,09
(40,7)
14,51
2,0
(6,7)
11,80
7,5
(C1,0)
5,34
Summe
Literatur Abo-Salem E, Fowler JC, Attari M, Cox CD, Perez-Verdia A, Panikkath R, Nugent K (2014) Antibiotic-induced cardiac arrhythmias. Cardiovasc Ther 32:19–25 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2013) Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen und der ambulant erworbenen Pneumonie, 3. Aufl. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Berlin Aslam I, Fleischer A, Feldman S (2015) Emerging drugs for the treatment of acne. Expert Opin Emerg Drugs 20:91–101 Balfour JAB, Wiseman LR (1999) Moxifloxacin. Drugs 57:363–373 Bätzing-Feigenbaum J, Schulz M, Schulz M, Hering R, Kern WV (2016) Antibiotikaverordnung in der ambulanten Versorgung – Eine bevölkerungsbezogene Untersuchung in Deutschland zum regionalen, alters-
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328
10
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
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330
Kapitel 10 Antibiotika und Antiinfektiva
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10
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331
11
Antidementiva Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Größte Gruppe der Antidementiva sind die Cholinesterasehemmer gefolgt von Memantin, das aber nur etwa halb so viel verordnet wird. In beiden Gruppen sind nur noch Generika vertreten. Traditionelle Antidementiva (Piracetam, Ginkgoextrakt, Nicergolin) ohne gesicherten Nutzen haben ihren rückläufigen Trend fortgesetzt. Bewertung Der symptomatische Nutzen der Cholinesterasehemmer bei Patienten mit leichter bis mäßiger Alzheimerdemenz ist begrenzt. Trotz positiver Studienbelege gibt es eine fortgesetzte Debatte über den klinischen Nutzen der Cholinesterasehemmer, da die Behandlungseffekte klein sind und in der Praxis nicht immer in Erscheinung treten. In der NICE-Leitlinie wird Memantin nur bei Intoleranz oder Kontraindikationen gegen Cholinesterasehemmer sowie bei schwerer Alzheimerdemenz empfohlen. Eine Kombination von Memantin mit Donepezil hatte keinen Zusatznutzen.
Die Demenz ist eine Krankheit des höheren Lebensalters und hat sich durch den steigenden Anteil der älteren Bevölkerung in vielen Industrieländern zu einem großen Gesundheitsproblem entwickelt. Häufigste Ursache ist die Alzheimer’sche Krankheit. Die Prävalenz nimmt ab dem 60. Lebensjahr rasch zu und erreicht bei 85jährigen 24–33 % der Bevölkerung (Übersicht bei Ballard et al. 2011). Etwa 70 % des Krankheitsrisikos ist genetisch be-
dingt. Bei 10 % der Demenzkranken liegen potentiell reversible Grundkrankheiten vor, die sich nach rechtzeitiger Diagnose und spezifischer Therapie teilweise oder vollständig rückbilden können. Die Alzheimerdemenz ist eine progressive neurodegenerative Krankheit, die zu einem irreversiblen Verlust von Nervenzellen und Nervenzellverknüpfungen führt. Sie entwickelt sich nach heutiger Kenntnis über einen langen präklinischen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten. Der manifesten Alzheimer-Demenz geht jahrelang ein Stadium der leichten kognitiven Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) voraus, das von weiteren klinischen Veränderungen (depressive Symptome, Geruchsstörungen) begleitet sein kann. Manifeste klinische Symptome sind ein zunehmender Verlust von Gedächtnis, Urteilsfähigkeit, Orientierung und Sprache. Bei vielen Alzheimerpatienten kommen Verhaltensänderungen und psychiatrische Störungen hinzu, die eine enorme Belastung für den Patienten selbst wie auch für die Betreuungspersonen darstellen und für einen großen Teil der Kosten nach Aufnahme in institutionalisierte Pflegeeinrichtungen verantwortlich sind. Nach epidemiologischen Daten leben in Deutschland derzeit 1,6 Mio. Personen mit Demenz, jedes Jahr kommen etwa 300.000 Neuerkrankungen hinzu (Escher und Jensen 2019). Für die nächsten Jahrzehnte wird aufgrund der Altersentwicklung der Bevölkerung eine Steigerung der Zahl der Erkrankten prognostiziert. Als entscheidende neuropathologische Ursache der Alzheimer’schen Krankheit wird weiterhin das kombinierte Auftreten von extrazellulären Amyloidablagerungen und intrazel-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_11
332
11
Kapitel 11 Antidementiva
lulären Tau-Aggregaten in Form von Neurofibrillenbündeln angesehen. Amyloid-beta-Peptid 1–42, Gesamt-Tau-Proteine und PhosphoTau-181 sind daher auch wichtige zerebrospinale Biomarker, die eine hohe diagnostische Sensitivität und Spezifität von 85–90 % haben, um präklinische Veränderungen im Stadium der leichten kognitiven Beeinträchtigung zu erfassen. Als bildgebende Verfahren sind Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) mit Fluorodeoxyglucose zur Erkennung von zerebralen Atrophiemustern und regionalem Glucosehypometabolismus etabliert. Weiterhin gewinnen Amyloid-PET und Tau-PET im Rahmen klinischer Studien an Bedeutung (Übersicht bei Scheltens et al. 2016). Trotz vieler Anstrengungen war die Reduktion der Betaamyloidplaques in klinischen Studien bisher nicht erfolgreich. Nach einer Immunisierung mit Betaamyloidpeptid (AN1792) kam es bei Alzheimerpatienten zwar zu einer beträchtlichen Abnahme der Betaamyloidplaques, die progressive Neurodegeneration wurde jedoch nicht verhindert (Holmes et al. 2008). Fehlgeschlagen sind auch vier Phase-3-Studien mit insgesamt 4.500 Alzheimerpatienten, die das Ziel verfolgten, mit den monoklonalen Antikörpern Solanezumab und Bapineuzumab die löslichen Formen von Betaamyloid zu binden und den Abtransport aus dem Gehirn zu fördern (Doody et al. 2014; Salloway et al. 2014). Nach diesen Misserfolgen wurde überlegt, ob Anti-Amyloid-Arzneimittel vielleicht in frühen Krankheitsstadien wirksamer sind. Aber auch in Studien an prodromalen Alzheimerpatienten mit niedriger Liquorkonzentration von Amyloid-beta-Peptid 1–42 waren die Ergebnisse mit dem monoklonalen Antikörper Gantenerumab und dem ”-SekretaseInhibitor Avagacestat nicht ermutigend (Übersicht bei Scheltens et al. 2016). Trotz erheblicher Fortschritte beim wissenschaftlichen Verständnis der Krankheit sind die meisten klinischen Studien zur Behandlung der Alzheimer-Demenz gescheitert. Seit 2002 hatten von bisher über 400 Studien mit über 200
Wirkstoffen 99,6 % negative Ergebnisse (Cummings 2018). Die einzige bisher theoretisch fundierte Therapie der Alzheimer’schen Krankheit basiert immer noch auf der Hypothese des cholinergen Defizits, die bereits vor 40 Jahren aufgestellt wurde (Davies und Maloney 1976). Auffällig ist die Abnahme der Zahl cholinerger Neurone im basalen Vorderhirn (vor allem Nucleus basalis Meynert) und ein entsprechender Verlust cholinerger Axone im Cortex von Alzheimerpatienten. Diese Hirnareale sind mit Lernen, Gedächtnis, Funktionssteuerung, Verhalten und emotionalen Reaktionen assoziiert. Die Behandlungsstrategien zur Behebung des cholinergen Defizits zielen daher auf eine Steigerung cholinerger Funktionen durch Acetylcholinesterasehemmstoffe, die den Abbau von Acetylcholin hemmen.
11.1
Verordnungsspektrum
Größte Gruppe der Antidementiva sind die Cholinesterasehemmer mit einem Verordnungsvolumen, das in den letzten 10 Jahren um fast 30 % zugenommen hat (. Abb. 11.1). Der NMDA-Rezeptorantagonist Memantin folgt mit deutlichem Abstand und wird etwa nur halb so viel wie die Cholinesterasehemmer verordnet. In der Gruppe der traditionellen Antidementiva hat der seit langem rückläufige Trend bei Piracetam weitere Verordnungsabnahmen zur Folge. Ginkgoextrakt stagniert seit vielen Jahren auf niedrigem Niveau.
11.1.1
Cholinesterasehemmer
In der Gruppe der Cholinesterasehemmer entfällt der größte Teil der Verordnungen weiterhin auf Donepezil gefolgt von Rivastigmin und Galantamin (. Tab. 11.1). Durch den hohen Generikaanteil sind die Kosten der Cholinesterasehemmer mit Ausnahmen von Rivastigmin relativ niedrig.
11
333 11.1 Verordnungsspektrum
70 Ginkgo-Extrakt Piracetam Cholinesterasehemmer Memantin
60
59
65
66
34
34
34
8
8
8
62
63
34
35
9
61
57
54 51
53
(Mio. DDD)
50
40
33
30 26
28
29
31
20 16 18
13 11
10
10 7 0 2010
6
6
7
7
7
7
7
7
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
9 6 2019
. Abb. 11.1 Verordnungen von Antidementiva 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Zu Donepezil liegen zahlreiche klinische Studien vor. In einem Cochrane-Review über 28 klinische Studien mit 8.257 Patienten fanden sich Besserungen kognitiver Funktionen und der Alltagsaktivität und eine positivere globale ärztliche Beurteilung (Birks und Harvey 2018). Eine Langzeitstudie an 565 ambulanten Alzheimerpatienten, die vom britischen National Health Service initiiert wurde, bestätigte die leichten Verbesserungen des kognitiven Status und der funktionellen Alltagsaktivität durch Donepezil über einen Zeitraum von 2 Jahren (AD2000 Collaborative Group 2004). Dagegen hatte Donepezil nach 3 Jahren keinen signifikanten Nutzen für den Beginn der institutionalisierten Pflege oder Progression der Alltagsbeeinträchtigung (primäre Endpunkte). Bei der Behandlung leichter kognitiver Störungen wurde die Progression zur Alzheimer’schen Krankheit durch Donepezil in den ersten 12 Monaten geringfügig verzögert, jedoch nicht über einen Zeitraum von 3 Jahren (Petersen et al. 2005, ADCS-Studie). Leichte kognitive Störungen sind jedoch eine ätiologisch heterogene Gruppe, die nur zum Teil in eine Alzheimer’sche Demenz überge-
hen, so dass potentielle krankheitsverzögernde Effekte von Cholinesterasehemmern verwässert werden können. Der zweite Cholinesterasehemmer Rivastigmin ermöglicht ähnlich wie Donepezil eine begrenzte Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Neben der Acetylcholinesterase wird auch die Butyrylcholinesterase gehemmt. Nach einer Cochrane-Metaanalyse über 13 Studien verbessert Rivastigmin im Vergleich zu Placebo kognitive Funktionen, Alltagsaktivität und den Schweregrad in Tagesdosen von 6–12 mg (Birks und Grimley Evans 2015). Ein transdermales Rivastigminpflaster (9,5 mg/Tag) war genauso wirksam wie das orale Präparat (12 mg/Tag), hatte aber weniger Nebenwirkungen. Insgesamt ist die Qualität der Evidenz ist jedoch wegen hoher nebenwirkungsbedingter Abbruchquoten nur begrenzt. Galantamin bindet zusätzlich zu seiner Acetylcholinesterase-blockierenden Wirkung allosterisch an den nicotinischen Acetylcholinrezeptor und verstärkt dadurch die Wirkung des endogenen Acetylcholins. In einem Cochrane-Review über zehn Studien mit 6.805 Patienten zeigte Galantamin konsistente posi-
334
Kapitel 11 Antidementiva
. Tabelle 11.1 Verordnungen von Cholinesterasehemmern und NMDA-Rezeptorantagonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Donepezil Donepezil HCL BASICS
Donepezil
27,1
(C18,7)
0,52
Donepezilhydrochlorid Bluefish Donepezil
7,7
(C40,7)
0,35
Donepezil/-hydrochl. AL
Donepezil
2,2
(C198,4)
0,45
Donepezil HCL Zentiva
Donepezil
1,6
(> 1.000)
0,61
38,6
(C32,2)
0,49
Galantamin Galantamin Heumann
Galantamin
6,0
(C15,2)
0,67
Galantamin-ratiopharm
Galantamin
1,1
(46,9)
0,70
7,1
(3,0)
0,68
Rivastigmin
11
Rivastigmin Heumann
Rivastigmin
4,2
(C141,6)
2,11
Rivastigmin-1 A Pharma
Rivastigmin
3,8
(C39,0)
2,44
Rivastigmin Glenmark
Rivastigmin
2,7
(37,0)
2,28
Rivastigmin Zentiva
Rivastigmin
0,87
(18,6)
3,19
Rivastigmin Aurobindo
Rivastigmin
0,43
(76,8)
1,67
12,0
(C3,0)
2,32
NMDA-Rezeptorantagonisten Memantin Heumann
Memantin
14,1
(C34,3)
1,02
Memantin Abdi
Memantin
11,0
(1,9)
0,89
Memantin BASICS
Memantin
2,4
(33,8)
1,23
Memantin Winthrop
Memantin
1,2
(C6,0)
1,01
Memantin Aurobindo
Memantin
1,0
(73,8)
0,90
29,6
(1,9)
0,98
87,3
(C11,4)
0,92
Summe
tive Effekte über eine Dauer von 3–6 Monaten (Loy und Schneider 2006). In zwei Studien an Patienten mit leichten kognitiven Störungen hatte Galantamin über einen Zeitraum von zwei Jahren keinen Einfluss auf die Konversion in eine Demenz, erhöhte aber die Mortali-
tät im Vergleich zu Placebo (Winblad et al. 2008). Trotz der Evidenz aus über 30 kontrollierten Studien und der zusätzlichen klinischen Erfahrung gibt es eine fortgesetzte Debatte über den klinischen Nutzen von Cho-
335 11.1 Verordnungsspektrum
linesterasehemmern. Nach Metaanalysen sind alle drei Cholinesterasehemmer bei leichter bis mittelschwerer Alzheimerkrankheit wirksam (Birks 2006; Raina et al. 2008). Die meisten Studien haben eine bescheidene Besserung kognitiver Symptome um 2,7 Punkte der ADAS-Cog-Subskala und 1,4 MMSE-Punkte gezeigt. Trotz geringfügiger Unterschiede im Wirkungsmechanismus gibt es keine Belege für eine unterschiedliche klinische Wirksamkeit. Eine deutsche S3-Leitlinie über Demenzen empfiehlt die Gabe von Cholinesterasehemmern bei leichter bis moderater Demenz vom Alzheimer-Typ (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2016). Die Auswahl soll sich am Nebenwirkungsprofil orientieren, da keine ausreichenden klinischen Unterschiede in der Wirksamkeit vorliegen. Zusätzlich wird besonderes Gewicht auf die Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen sowie auf psychosoziale Interventionen und nichtpharmakologische Therapieverfahren gelegt. Auch das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (2018) empfiehlt die drei Cholinesterasehemmer in seiner aktuellen Leitlinie für Patienten mit Demenz. Die Behandlung soll nur fortgesetzt werden, wenn eine angemessene Wirkung auf globale, funktionelle und verhaltensorientierte Parameter vorliegt.
11.1.2
NMDARezeptorantagonisten
Nach aktuellen einem Cochrane-Review hat Memantin bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Alzheimerdemenz begrenzte positive Effekte auf Denken, Alltagsaktivitäten und Verhaltensstörungen (McShane et al. 2019). Die Verträglichkeit ist insgesamt gut, bei einigen Patienten kann jedoch Schwindel auftreten. Bei leichter Alzheimerdemenz ist Memantin wahrscheinlich nicht besser als Placebo.
11
Die deutsche S3-Leitlinie beurteilt Memantin als wirksam auf Kognition, Alltagsfunktion und klinischen Gesamteindruck und empfiehlt eine Behandlung bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde und Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2016). In der Leitlinie des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (2018) wird die Anwendung von Memantin bei Patienten mit Alzheimerkrankheit nur bei Intoleranz oder Kontraindikationen gegen Cholinesterasehemmer sowie bei schwerer Alzheimerdemenz empfohlen. Die Kombination von Memantin mit Cholinesterasehemmern zeigte in einer Metaanalyse von 14 randomisierten Studien mit 5.019 Patienten bei mäßiger bis schwerer Alzheimerdemenz im Vergleich zur Monotherapie keine Überlegenheit in Bezug auf die kognitive Funktion und Alltagsaktivitäten sondern nur bei neuropsychiatrischen Symptomen und Verhaltensstörungen (Tsoi et al. 2016). Trotz der relativ guten Verträglichkeit wurden daher die zusätzlichen Kosten der Kombinationstherapie als unnötig angesehen.
11.1.3
Ginkgoextrakt
Der langjährige Verordnungsrückgang der Ginkgopräparate hat sich in den letzten Jahren nicht weiter fortgesetzt (. Abb. 11.1). Nach einem Cochrane-Review gibt es keine konsistente Evidenz, dass Ginkgo trotz akzeptabler Verträglichkeit einen klinischen Nutzen für Patienten mit Demenz oder leichten kognitiven Störungen hat (Birks und Grimley Evans 2009). In einer französischen placebokontrollierten Studie an 2.854 Patienten mit Gedächtnisstörungen hatte ein standardisierter Ginkgoextrakt über 5 Jahre keinen Effekt auf die Progression zur Alzheimer’schen Krankheit (Vellas et al. 2012). Dagegen kann nach der deutschen S3-Leitlinie Demenzen eine Behandlung mit einem standardisierten Ginkgoextrakt bei Patienten mit leichter bis mittel-
336
Kapitel 11 Antidementiva
. Tabelle 11.2 Verordnungen von sonstigen Antidementiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ginkgoblätterextrakt
1,6
(20,2)
0,99
Piracetam AL
Piracetam
3,7
(14,1)
0,37
Piracetam-neuraxpharm
Piracetam
1,6
(C16,4)
0,37
5,4
(6,6)
0,37
0,92
(9,3)
0,62
7,8
(10,0)
0,52
Ginkgo-biloba-Extrakt Tebonin Piracetam
Nicergolin Nicergolin-neuraxpharm Summe
11
Nicergolin
gradiger Alzheimerdemenz erwogen werden, 11.2 Wirtschaftliche Aspekte allerdings nur mit dem Empfehlungsgrad 0 (Expertenmeinung, klinische Studien von guDer Überblick über die Antidementivaverordter Qualität nicht verfügbar). nungen zeigt mehrere auffällige Entwicklungen. Trotz der steigenden Bedeutung dementieller Erkrankungen im höheren Lebensalter 11.1.4 Piracetam haben die Verordnungen von Antidementiva seit 1992 kontinuierlich abgenommen. Damals Piracetam ist auch 2019 erneut rückläufig ge- wurden noch 516 Mio. definierte Tagesdosen wesen (. Tab. 11.2). Nach einem älteren Co- (DDD) von Antidementiva mit einem Umchrane-Review wird die Anwendung von Pir- satz von 467 Mio. C verordnet (Arzneiverordacetam bei Demenz oder kognitiven Störungen nungs-Report 2002, Abb. 11.1), mit denen rein nicht durch die vorliegende Literatur gestützt rechnerisch täglich 1,4 Mio. Patienten behan(Flicker und Grimley Evans 2001), während ei- delt werden konnten. Bis 2019 sind die Antine Hersteller-gesponserte Übersicht zu einem dementiva-DDD um knapp 80 % auf 116 Mio. gegenteiligen Ergebnis kam (Winblad 2005). zurückgegangen. Damit können 318.000 PatiIn der deutschen S3-Leitlinie Demenzen wird enten behandelt werden. eine Behandlung mit Piracetam nicht empfohDie Verordnungen von Cholinesteraselen, da die Evidenz für eine Wirksamkeit bei hemmstoffen und NMDA-Antagonisten haben Alzheimerdemenz unzureichend ist. sich gegenläufig entwickelt. Hier wurden 2019 insgesamt 100 Mio. Tagesdosen mit einem Kostenaufwand von 92 Mio. C verordnet, die für eine Dauerbehandlung von täglich 274.000 Patienten ausreichend sind. Damit sind die Kosten gegenüber früheren Jahren zurückgegangen, so dass die bisher kritisierte Fehlversorgung weiter abgebaut worden ist.
337
11
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339
12
Antidiabetika Marc Freichel und Klaus Mengel
Auf einen Blick
Trend Die Arzneitherapie des Diabetes mellitus hat in den letzten zehn Jahren weiter zugenommen. Insulinverordnungen stagnieren seit 2014 trotz des ungebrochenen Anstiegs der Insulinanaloga auf Grund des kontinuierlichen Rückgangs der Humaninsuline. Die Verordnungen von Metformin stagnierten zwar seit 2010 lange Zeit, sind aber in den letzten beiden Jahre wieder um fast 10 % angestiegen. Die Sulfonylharnstoffverordnungen haben seit 2010 um fast 65 % abgenommen und liegen mittlerweile deutlich niedriger als die Verordnungen der DPP-4-Hemmer, die trotz einschränkender Therapiehinweise 2019 erneut etwas gestiegen sind. Glinide sind nach der Verordnungseinschränkung stark rückläufig und nur noch mit einem Präparat vertreten. SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Agonisten werden in aktuellen Leitlinien aufgrund von positiven kardiovaskulären Endpunktstudien als primäre Zweitlinientherapie von Typ-2-Diabetespatienten mit kardiovaskulären Risiken empfohlen, bei Patienten mit hohen oder sehr hohen kardiovaskulären Risiken sogar als Erstlinientherapie. Die positiven Studiendaten haben vermutlich dazu beigetragen, dass SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Agonisten 2019 erneut um ca. 30 % mehr verordnet wurden. Kosten Die Antidiabetika stehen 2019 nach einem erneuten Anstieg der Nettokosten auf 2.605 Mio. C (C5,2 %) auf Rang 4 der umsatzstärksten Arzneimittelgruppen. Insuline
haben mit 1.292 Mio. C den höchsten Kostenanteil. Preisgünstige langwirkende Analoginsuline ermöglichen hohe Einsparpotentiale.
Ziele der Diabetestherapie sind Symptomfreiheit, Verbesserung der Lebensqualität und Vermeidung von Sekundärkomplikationen. Diese werden nach den Daten der vorliegenden Studien immer noch in erster Linie durch eine möglichst optimale Blutzuckereinstellung erreicht, wobei sich in den letzten Jahren gezeigt hat, dass optimal nicht mit möglichst niedrig gleichzusetzen ist. Für den Typ-1-Diabetes ist die Wirkung der Blutzuckereinstellung durch die klassische DCCT-Studie gesichert (Diabetes Control and Complications Trial Research Group 1993). Eine Nachuntersuchung der Patienten bestätigte, dass sogar 17 Jahre nach Beendigung der DCCT-Studie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse durch die intensivierte Therapie um 42 % gesenkt wurde (The Diabetes Control and Complications Trial/Epidemiology of Diabetes Interventions and Complications (DCCT/EDIC) Study Research Group 2005). Eine weitere Optimierung wird mit der Insulinpumpentherapie angestrebt, die vor allem bei Kleinkindern indiziert und verordnungsfähig ist (Ziegler und Neu 2018). Für den Typ-2-Diabetes haben die Ergebnisse der UKPDS-Studie gezeigt, dass eine intensivierte Diabetestherapie mit einem HbA1c Wert unter 7 % über die ersten zehn Jahre nach der Diagnose die Häufigkeit mikrovaskulärer und – in geringerem Ausmaß – makrovaskulärer Komplikationen senkt (UK Prospective
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_12
340
12
Kapitel 12 Antidiabetika
Diabetes Study Group 1998a; Stratton et al. 2000). Auch 10 Jahre nach Beendigung der UKPDS-Studie wurde eine andauernde Risikoreduktion für Diabetesendpunkte, Herzinfarkte und Mortalität beobachtet, obwohl die ursprünglichen Unterschiede in der Blutglucosekontrolle (HbA1c ) bald verschwunden waren (Holman et al. 2008). Einige Studien haben jedoch die Grenzen der intensivierten Therapie (HbA1c < 6,5 %) des Typ-2-Diabetes gezeigt. In der ADVANCE-Studie änderten sich kardiovaskuläre Endpunkte und die Mortalität nicht, lediglich die Nephropathie wurde reduziert (The ADVANCE Collaborative Group 2008). In der ACCORD-Studie wurde die Mortalität im Vergleich zur Standardtherapie sogar erhöht (The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group 2008). Eine Metaanalyse fünf großer randomisierter Studien mit 33.040 Patienten hat bestätigt, dass die Intensivtherapie lediglich koronare Ereignisse um 15 % senkt, während die Häufigkeit von Schlaganfällen und die Mortalität nicht beeinflusst wurden (Ray et al. 2009). Trotz der seit langem bekannten Risiken empfiehlt die deutsche Nationale Versorgungsleitlinie zur Therapie des Typ-2-Diabetes immer noch einen HbA1c -Korridor von 6,5–7,5 % (Bundesärztekammer et al. 2014). Der aktuelle Consensus Report der American Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) gibt dagegen für die meisten Erwachsenen < 7,0 % als angemessenen Zielwert an, der unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen, Begleitkrankheiten und Präferenz individuell mit dem Patienten vereinbart werden kann (Davies et al. 2018). Inzwischen wurden neue klinische Studiendaten publiziert, die 2008 von der amerikanischen FDA und 2010 von der EMA in Sicherheitsrichtlinien gefordert worden waren. Neue Antidiabetika sollten nicht nur eine blutzuckersenkende Wirkung nachweisen, sondern auch kardiovaskuläre Risiken ausschließen, die bei Rosiglitazon zur Einschränkung der Zulassung durch die FDA und in Europa zur Marktrücknahme geführt hatten. Insgesamt wur-
den über 25 klinische Sicherheitsstudien mit 195.000 Teilnehmern begonnen und teilweise auch schon abgeschlossen. Die meisten dieser kardiovaskulären Endpunktstudien verwendeten einen kombinierten Endpunkt aus drei unerwünschten kardiovaskulären Ereignissen (kardiovaskulärer Tod, nichttödlicher Herzinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall). Bisher sind die Ergebnisse von 15 Studien publiziert worden, davon vier mit DPP4-Inhibitoren, drei mit einem SGLT2-Inhibitor und acht mit GLP1-Rezeptoragonisten. In diesen Studien wurde ein inakzeptables kardiovaskuläres Risiko für Insulin glargin und degludec, Sitagliptin, Alogliptin, Saxagliptin, Lixisenatid und für einmal wöchentlich appliziertes Exenatid ausgeschlossen. In fünf Studien wurde eine Senkung der kardiovaskulären Mortalität mit den SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin und Canagliflozin sowie den GLP-1-Rezeporagonisten Liraglutid, Semaglutid und Albiglutid nachgewiesen (Übersicht bei Hinnen und Kruger 2019). Die Ergebnisse dieser Studien werden bei den einzelnen Antidiabetika dargestellt. Nach wie vor ist eine Lebensstiländerung mit Ernährungstherapie, körperlicher Aktivität, Gewichtsreduktion und Rauchverzicht die Grundlage jeder Diabetestherapie (Bundesärztekammer et al. 2014; Davies et al. 2018). Die Ersteinstellung übergewichtiger Typ-2Diabetiker mit Absenkung des HbA1c -Wertes um 1–2 Prozentpunkte ist grundsätzlich allein durch Diät und Normalisierung des Körpergewichts möglich. Erst bei unzureichendem Erfolg von Diät und körperlicher Aktivität ist eine Arzneitherapie des Typ-2-Diabetes zur Kontrolle der Blutglucose erforderlich. Wichtigstes Ziel der Diabetestherapie ist die Senkung der Langzeitkomplikationen durch eine gute Blutglucosekontrolle, um Beginn und Progression von mikrovaskulären Komplikationen zu reduzieren. Der Nutzen einer solchen Therapie wurde ursprünglich mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin gezeigt. Inzwischen haben mehrere Endpunktstudien eine Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse mit neueren Antidiabetika aus der Gruppe der SGLT2-Inhibitoren und der GLP-
12
341 Kapitel 12 Antidiabetika
1000
900 810
821 841
832
800
857
837
854
855
862
844
700 608
(Mio. DDD)
600
500
581
453
603
602
598
590
597
422
400
364
630
652
393
407
602
374
338 307
378 300
333 296 269
200
257
231
100 111 0 2010
2011
230 202
Insuline Sulfonylharnstoffe Metformin DPP-4-Hemmer
179
2012
2013
2014
2015
2016
2017
177
152
2018
2019
. Abb. 12.1 Verordnungen von Antidiabetika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
1-Agonisten gezeigt. Da 15–25 % der Typ-2Diabetespatienten kardiovaskuläre Krankheiten haben, ist es wichtig, das kardiovaskuläre Risiko in einem frühen Schritt der Therapieplanung zu berücksichtigen. Für die initiale Monotherapie ist Metformin zusammen mit einer umfassenden Lebensstiländerung weiterhin das orale Antidiabetikum der ersten Wahl. Wird der HbA1c -Zielwert innerhalb von 3 Monaten nicht erreicht, wird in Abhängigkeit vom kardiovaskulären Risiko ein zweites Antidiabetikum zusätzlich als Zweifachtherapie gegeben, was die wichtigste Änderung gegenüber den bisherigen Leitlinien darstellt (Davies et al. 2018). Bei Patienten mit atherosklerotischen kardiovaskulären Krankheiten, Herzinsuffizienz oder chronischen Nierenkrankheiten werden GLP-1-Agonisten oder SGLT2-Inhibitoren mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Nutzen empfohlen. Bei Patienten ohne kardiovaskuläre Krankheiten oder chronische Nierenkrankheiten werden DPP4-Inhibitoren, GLP-1-Agonisten oder SGLT2Inhibitoren vorgeschlagen, wenn ein möglichst geringes Hypoglykämierisiko erforderlich ist, und bei übergewichtigen Patienten GLP-1-
Agonisten oder SGLT2-Inhibitoren. Sulfonylharnstoffe werden nur noch bei Kostenproblemen in Betracht gezogen. Die Ergebnisse des Consensus Reports wurden inzwischen auch in die klinischen Praxisempfehlungen der American Diabetes Association (2019) übernommen. Bei Diabetespatienten mit sehr hohem/hohen Risiko wurden SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Agonisten mittlerweile sogar als Antidiabetika der ersten Wahl empfohlen (Consentino et al. 2020). Insgesamt hat die Arzneitherapie des Diabetes in den letzten 10 Jahren weiter zugenommen, neben den stark rückläufigen Sulfonylharnstoffen sind allerdings erstmals auch die Verordnungen der Insuline leicht rückläufig (. Abb. 12.1). Seit 2010 ist das Verordnungsvolumen von Metformin um 12 % angestiegen. Die Verordnungen von Sulfonylharnstoffen haben seit 2010 um mehr als 65 % abgenommen und liegen mittlerweile bei ca. einem Drittel der verordneten Dipeptidylpeptidase-4Inhibitoren (Gliptinen) (. Abb. 12.1). Die Insulinverordnungen sind in den letzten 10 Jahren nur noch um 4 % angestiegen, wobei die Humaninsuline einen kontinuierlichen Rück-
342
Kapitel 12 Antidiabetika
gang verzeichnen. Die gesamte Indikationsgruppe der Antidiabetika steht 2019 mit einem erneuten Anstieg der Nettokosten auf 2.605 Mio. C (C5,2 %) auf Rang 4 der umsatzstärksten Arzneimittelgruppen (. Tab. 1.2).
12.1 12.1.1
12
Orale Antidiabetika Metformin
Bei den meisten Patienten gilt Metformin nach wie vor das Mittel der ersten Wahl für die Behandlung des Typ-2-Diabetes, weil die Monotherapie wichtige Vorteile hat (hohe Wirksamkeit, niedrige Kosten, geringes Hypoglykämierisiko, Gewichtsreduktion) (Bundesärztekammer et al. 2014; Davies et al. 2018). Die primäre antidiabetische Wirkung beruht auf einer Hemmung der hepatischen Glukoseproduktion, woran höchstwahrscheinlich eine Hemmung der mitochondrialen Atmungskette mit nachfolgendem ATP-Abfall und indirekter Stimulation der AMP-Kinase sowie eine Hemmung der Fettsäuresynthese beteiligt sind. Daneben ist nach neueren Untersuchungen eine Hemmung der Fructose-1,6-Bisphosphatase und der mitochondrialen Glycerin-3-phosphatDehydrogenase für die akute Hemmung der Gluconeogenese durch Metformin bedeutsam. Daraus lässt sich auch die verminderte Metabolisierung von Laktat zu Pyruvat und damit das Zustandekommen von Laktatazidosen unter Metformintherapie erklären (Übersicht bei Foretz et al. 2019). HbA1c -Werte werden unter Metformin-Behandlung um 1–2 Prozentpunkte gesenkt (Inzucchi und McGuire 2008). Im Gegensatz zu den insulinotropen Antidiabetika löst Metformin kaum Hypoglykämien und keine Gewichtszunahme aus und wird daher vor allem für übergewichtige Typ-2-Diabetiker empfohlen. In einer 10-Jahresstudie senkte Metformin die Gesamtletalität von übergewichtigen Typ-2-Diabetikern um 36 % im Vergleich zu Patienten, die mit Sulfonylharnstof-
fen (Glibenclamid, Chlorpropamid) oder Insulin behandelt wurden (UK Prospective Diabetes Study Group 1998b). Die mit Metformin behandelten Patienten zeigten außerdem eine geringere Gewichtszunahme und seltener Hypoglykämien. Die Laktatspiegel ändern sich unter den therapeutischen Dosierungen nicht. Bei Beachtung der Kontraindikationen (z. B. Niereninsuffizienz, Leberfunktionsstörungen, schwere Herzinsuffizienz) ist das Auftreten einer Laktazidose daher unwahrscheinlich, wobei die Kontraindikation bei eingeschränkter Niereninsuffizienz kürzlich gelockert wurden, wenn keine zusätzlichen Erkrankungen vorliegen, die das Risiko für eine Laktazidose erhöhen (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2015). Eine Metaanalyse fand im Unterschied zur UKPDS-Studie allerdings keine Reduktion der Mortalität (Boussageon et al. 2012). Die Verordnung von Metformin ist seit über 20 Jahren kontinuierlich angestiegen, stagnierte von 2011 bis 2017 auf einem Niveau von etwa 600 Mio. DDD und ist seitdem wieder um fast 10 % angestiegen (. Abb. 12.1, . Tab. 12.1). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2013) beobachtete eine Zunahme der Spontanberichte über Laktatazidosen unter Metformin, darunter auch Fälle mit tödlichem Ausgang, möglicherweise als Folge der breiteren Anwendung bei älteren Patienten, bei denen häufig eine eingeschränkte Nierenfunktion besteht.
12
343 12.1 Orale Antidiabetika
. Tabelle 12.1 Verordnungen von Metformin 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Metformin Metformin Lich
Metformin
412,5
(C3,6)
0,20
Metformin-1 A Pharma
Metformin
120,0
(C92,0)
0,21
Metformin Atid
Metformin
68,0
(31,6)
0,22
Metformin axcount
Metformin
12,8
(61,7)
0,21
Siofor
Metformin
12,6
(C9,7)
0,25
Metformin HEXAL
Metformin
5,3
(C2,9)
0,22
Metformin AL
Metformin
5,0
(C33,5)
0,21
Metformin-ratiopharm
Metformin
5,0
(12,7)
0,22
Metformin STADA
Metformin
2,6
(C7,6)
0,22
Glucophage
Metformin
2,0
(9,7)
0,25
Metformin-CT
Metformin
1,4
(13,5)
0,20
Juformin
Metformin
1,3
(C67,9)
0,22
Metformin AbZ
Metformin
1,2
(C45,5)
0,21
649,7
(C3,5)
0,20
Summe
12.1.2
Sulfonylharnstoffe
Sulfonylharnstoffderivate verzeichnen weiterhin einen kontinuierlichen Rückgang und haben in den letzten 10 Jahren viel von ihrer früheren Bedeutung als ehemals führende Antidiabetika verloren (. Abb. 12.1). Glimepirid wird seit vielen Jahren weitaus mehr als Glibenclamid verordnet (. Tab. 12.2). Sulfonylharnstoffe steigern die Sekretion von Insulin aus den B-Zellen der Pankreasinseln. Eine noch vorhandene Funktionsfähigkeit des Inselorgans ist daher Voraussetzung für ihre Anwendung. Sulfonylharnstoffe sind ähnlich wirksam wie Metformin (HbA1c -Senkung um 1–2 Prozentpunkte, Inzucchi und McGuire 2008), haben jedoch den Nachteil der Hy-
poglykämie insbesondere bei älteren Patienten. Außerdem steigt häufig das Körpergewicht (um ca. 2 kg) an. Glibenclamid ist der bislang einzige insulinotrope Wirkstoff, für den ein positives Langzeitergebnis auf mikrovaskuläre diabetische Sekundärkomplikationen nachgewiesen wurde (UK Prospective Diabetes Study Group 1998a). Die Anwendung von Glibenclamid ist allerdings dadurch belastet, dass seine Kombination mit Metformin mit einer Zunahme von Diabetes-bedingten Todesfällen assoziiert war (UK Prospective Diabetes Group 1998b). Glimepirid verbessert die Stoffwechselkontrolle von Typ-2-Diabetikern vergleichbar wie andere Sulfonylharnstoffe, hat aber keine überlegene Wirkung auf Nüchternplasmaglucose und HbA1c -Werte (Dills und Schneider
344
Kapitel 12 Antidiabetika
. Tabelle 12.2 Verordnungen von Sulfonylharnstoffen und Gliniden und Acarbose 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Glibenclamid Glib-ratiopharm
Glibenclamid
7,2
(C7,0)
0,18
Glibenclamid AbZ
Glibenclamid
4,5
(19,5)
0,18
Maninil
Glibenclamid
2,7
(4,7)
0,22
Glibenclamid AL
Glibenclamid
0,96
(71,3)
0,17
15,3
(17,0)
0,19
Glimepirid Glimepirid Winthrop
Glimepirid
111,4
(11,4)
0,14
Glimepirid-1 A Pharma
Glimepirid
8,9
(49,2)
0,13
Glimepirid Aristo
Glimepirid
5,1
(C13,9)
0,13
Glimepirid Heumann
Glimepirid
4,4
(C28,2)
0,13
129,7
(14,1)
0,14
Repaglinid
2,8
(C1,7)
0,92
Acarbose
1,2
(8,1)
1,19
149,0
(14,1)
0,17
Repaglinid Repaglinid AL Acarbose
12
Acarbose Genevida Summe
1996; Draeger et al. 1996). Die Einführung des Glimepirid wurde mit einer niedrigeren Hypoglykämieinzidenz begründet, insbesondere bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion, und der längeren Wirkungsdauer, die eine nur einmalige tägliche Gabe ermöglicht. Eine neuere Netzwerkmetaanalyse zeigte, dass Glimepirid und Gliclazid ein geringeres Mortalitätsrisiko als Glibenclamid aufweisen (Simpson et al. 2015). Da Sulfonylharnstoffe der neueren Generation ein geringeres Hypoglykämierisiko sowie günstige Kosten, Wirksamkeit und Sicherheitsprofile haben, sind sie weiterhin eine vernünftige Wahl, insbesondere wenn die Kosten eine Rolle spielen (Davies et al. 2018).
12.1.3
Glinide
Mit den Gliniden sollte nach den Angaben der Hersteller ein neues Therapiekonzept, die Mahlzeiten-angepasste Sekretionssteigerung (prandiale Therapie), eingeführt werden. Sie haben eine Eliminationshalbwertszeit von 1–2 h. Repaglinid wird hauptsächlich hepatisch eliminiert, die renale Clearance ist nur bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion vermindert. Aufgrund der kurzen Wirkdauer könnte man erwarten, dass durch Repaglinid eine bessere Blutzuckereinstellung bei geringerer Hypoglykämiehäufigkeit als mit Glibenclamid erreicht wird (Moses 2000). HbA1c -Werte werden um 0,5–1,5 Prozent-
345 12.1 Orale Antidiabetika
punkte gesenkt (Inzucchi und McGuire 2008). Nach einem Cochrane-Review sind Glinide eine mögliche Alternative bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation gegen Metformin, jedoch fehlt eine Evidenz aus Langzeitstudien, insbesondere Daten über die Mortalität (Black et al. 2007). Die Verordnungen der Glinide hatten 2005 ihren Höhepunkt mit 36,5 Mio. DDD erreicht und sind seither um über 90 % zurückgegangen (. Tab. 12.2). Nach Inkrafttreten der Verordnungseinschränkung der Glinide im Juli 2016 durfte Nateglinid nicht mehr zu Lasten der GKV verordnet werden, Repaglinid nur noch bei niereninsuffizienten Patienten mit einer Kreatininclearance unter 25 ml/min, für die andere orale Antidiabetika nicht infrage kommen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2016). Danach sind die Verordnungen von Repaglinid massiv zurückgegangen und sind 2019 nur noch mit einem Präparat vertreten (. Tab. 12.2).
12.1.4
’-Glucosidasehemmer
’-Glucosidashemmer verzögern den Abbau von Di- und Polysacchariden im Darm und hemmen damit die Resorption von Glucose. Acarbose vermindert bei Typ-2Diabetikern selektiv postprandiale Hyperglykämien und senkt das glykosylierte Hämoglobin um 0,5–0,8 Prozentpunkte (Chiasson et al. 1994). Zudem reduziert Acarbose nach der STOP-NIDDM-Studie das Fortschreiten von gestörter Glucosetoleranz zu Typ-2-Diabetes um ca. 25 % (Chiasson et al. 2002). Nach einem Cochrane-Review bleibt unklar, ob ’Glucosidaseinhibitoren Mortalität und Morbidität von Patienten mit Typ-2-Diabetes beeinflussen (Van de Laar et al. 2005). Auch die kürzlich durchgeführte ACE-Studie, die Acarbose im Hinblick auf kardiovaskuläre Komplikationen an 6.522 Patienten in China untersuchte, zeigte keinen Nutzen (Holman et al. 2017). Die Verordnung der ’Glucosidasehemmer hat seit 1996 um über
12
90 % abgenommen und ist 2019 nur noch mit einem Präparat vertreten, das weiter rückläufig war (. Tab. 12.2).
12.1.5
SGLT2-Inhibitoren
Als erster Vertreter der Natrium-GlucoseKotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2-Inhibitoren) kam Dapagliflozin (Forxiga) 2012 in Deutschland auf den Markt. Im März 2014 wurde Canagliflozin (Invokana) als zweiter Vertreter dieser Substanzklasse eingeführt, der vom Gemeinsamen Bundesausschuss keinen Beleg für einen Zusatznutzen erhalten hat und daher vom Hersteller ab September 2014 in Deutschland aus dem Handel genommen wurde (Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2014). Führender Vertreter der SGLT2-Inhibitoren ist inzwischen das 2014 zugelassene Empagliflozin (Jardiance) (. Tab. 12.3). SGLT2-Inhibitoren hemmen die Rückresorption von Glucose im proximalen Tubulus der Niere und senken durch eine vermehrte renale Glucoseausscheidung die Blutglucose (Übersicht bei Bailey 2011). Die damit verbundene osmotische Diurese führt zu Gewichtsverlust und Blutdrucksenkung ohne durch den Wirkmechanismus bedingtes Hypoglykämierisiko. Weitere zusätzliche Effekte von SGLT2-Inhibitoren, die bei der Beurteilung der Langzeitwirkungen dieser Substanzen in Betracht gezogen werden müssen, umfassen eine Senkung der Harnsäurespiegel sowie Reduktion von oxidativem Stress (Inzucchi et al. 2015). Die Wirksamkeit ist aber nicht von der Betazellfunktion oder der Insulinsensitivität abhängig. SGLT2-Inhibitoren fanden bereits Einzug in den ADA/EASD-Consensus Report als Kombinationstherapie mit Metformin sowie in verschiedenen Kombinationen einer Tripletherapie (Davies et al. 2018). Aufgrund des Wirkungsmechanismus wird die Anwendung bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz (< 60 ml/min/1,73 m2 ), Volumenmangel, Hypotonie, Elektrolytstörungen, Harnwegsin-
346
Kapitel 12 Antidiabetika
. Tabelle 12.3 Verordnungen von weiteren Antidiabetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
SGLT2-Inhibitoren Jardiance
Empagliflozin
92,9
(C34,6)
2,12
Forxiga
Dapagliflozin
57,0
(C23,0)
1,01
Xigduo
Metformin Dapagliflozin
26,0
(C16,8)
0,99
Steglujan
Sitagliptin Ertugliflozin
3,0
(C460,8)
3,19
178,9
(C29,5)
1,62
DPP-4-Inhibitoren
12
Januvia
Sitagliptin
114,3
(C7,5)
1,46
Janumet
Sitagliptin Metformin
100,9
(0,3)
1,30
Velmetia
Sitagliptin Metformin
89,7
(C2,0)
1,30
Xelevia
Sitagliptin
73,0
(C3,6)
1,47
Komboglyze
Saxagliptin Metformin
13,3
(11,1)
0,96
Onglyza
Saxagliptin
10,8
(13,4)
1,05
Icandra
Vildagliptin Metformin
2,7
(> 1.000)
0,96
Jalra
Vildagliptin
1,1
(> 1.000)
1,07
405,7
(C3,2)
1,35
GLP-1-Agonisten Trulicity
Dulaglutid
60,0
(C33,7)
2,69
Victoza
Liraglutid
30,8
(C33,4)
4,51
Byetta
Exenatid
2,1
(20,2)
2,93
Bydureon
Exenatid
1,1
(19,2)
4,10
94,1
(C30,6)
3,31
678,7
(C12,5)
1,69
Summe
fektionen und Patienten über 85 Jahre nicht empfohlen. Unerwünschte Wirkungen sind Harnwegs- und Genitalinfektionen. Außerdem wurden 20 Verdachtsberichte über Kranken-
hausaufnahmen wegen diabetischer Ketoazidose oder Ketose unter SGLT-2-Inhibitoren dokumentiert, wobei in der Hälfte der Fälle weder Triggerfaktoren für eine diabetische
347 12.1 Orale Antidiabetika
Ketoazidose noch alternative Erklärungen für die Entwicklung einer metabolischen Azidose vorlagen (Food and Drug Administration 2015). Im Januar 2019 berichteten die Zulassungsinhaber von Arzneimitteln mit SGLT-2Inhibitoren, dass Fälle von Fournier Gangränen (Nekrotisierende Fasziitis des Perineums) mit der Anwendung von SGLT2-Inhibitoren in Verbindung gebracht werden (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019). Dapagliflozin (Forxiga) ist zugelassen für die Monotherapie bei Unverträglichkeit bzw. Kontraindikationen von Metformin sowie in Kombination mit anderen antihyperglykämisch wirkenden Substanzen inklusive Insulin. In den USA wurde Dapagliflozin erst nach zweijähriger Verzögerung im Januar 2014 mit Auflagen zur Abklärung eines Blasenkrebsrisikos bei Patienten zugelassen (Food and Drug Administration 2014). Die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ergab keinen Zusatznutzen von Dapagliflozin im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie mit den Sulfonylharnstoffen bzw. mit Metformin (Bundesministerium für Gesundheit 2013a). Wegen Uneinigkeit bei der Preisverhandlung wurde Dapagliflozin im Dezember 2013 vom Markt genommen, ist aber seit Februar 2014 mit einem um fast 50 % reduzierten Preis wieder im Handel. Inzwischen stehen die Daten einer großen placebokontrollierten Sicherheitsstudie an 17.160 Diabetespatienten mit einem Risiko für atherosklerotische kardiovaskuläre Krankheiten zur Verfügung, in der Dapagliflozin die Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz senkte, aber die Rate kardiovaskulärer Ereignisse (kardiovaskulärer Tod, nichttödlicher Herzinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall) nicht änderte (Wiviott et al. 2019, DECLARE–TIMI 58). Bei Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion mit oder ohne Diabetes trat unter Dapagliflozin der primäre Endpunkt, eine Kombination aus Verschlechterung der Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingtem Tod, signifikant seltener auf (McMurray et al. 2019, DAPA-HF). Weiterhin wurde Dapaglif-
12
lozin 2019 zusätzlich zur Behandlung von unzureichend kontrolliertem Typ-1-Diabetes in Ergänzung zu Insulin zugelassen (siehe Kap. 2, Neue Arzneimittel, Abschn. 2.2.7). Forxiga wurde 2019 um 23 % häufiger verordnet als im Vorjahr (. Tab. 12.3). Auch die fixe Kombination aus Dapagliflozin und Metformin (Xigduo) wurde trotz fehlenden Zusatznutzens häufiger verordnet als in 2017. Die Verordnungshäufigkeit von Empagliflozin (Jardiance) hat 2019 nach bereits drastischem Anstiegen in den Jahren seit 2016 auch 2018 erneut kräftig zugenommen (. Tab. 12.3). In der ersten Nutzenbewertung des G-BA war ein Zusatznutzen nicht belegt (Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2014). Ein Grund für den starken Verordnungsanstieg sind die viel diskutierten Ergebnisse der EMPA-REG-OUTCOME Studie. Hier führte Empagliflozin bei 7.020 Typ 2-Diabetespatienten mit hohem kardiovaskulären Risiko nach 3,1 Jahren im Vergleich zur Standardtherapie zu einer Reduktion des primären kombinierten Endpunktes (kardiovaskuläre Mortalität, nichttödlicher Herzinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall) (10,5 % versus 12,1 %) sowie der Gesamtsterblichkeit (5,7 % versus 8,3 %) (Zinman et al. 2015). Aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde vom pharmazeutischen Unternehmer eine neue Nutzenbewertung beantragt, die für vier Patientensubgruppen mit manifester kardiovaskulärer Beteiligung aufgrund der Senkung der Mortalität einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen von Empagliflozin ergab (Bundesministerium für Gesundheit 2016). In einer nachfolgenden Analyse sekundärer Endpunkte der EMPA-REG OUTCOME-Studie wurde berichtet, dass auch die Verschlechterung der Nierenfunktion (Progression von Albuminurie bzw. Verdopplung des Serumkreatinin) unter Empaglifozintherapie signifikant vermindert war (Wanner et al. 2016). Es ist nach wie vor unklar, inwieweit diese Ergebnisse auf eine Senkung des Blutzuckerspiegels oder andere Wirkungen wie gesteigerte Diurese bzw. Blutdrucksenkung zurückzuführen sind. Neue-
348
12
Kapitel 12 Antidiabetika
re Untersuchungen führen zu der Hypothese, nach der SGLT2-Inhibitoren die intrazelluläre Natriumionenkonzentration in Kardiomyozyten herzinsuffizienter Patienten durch Inhibition der NaC /HC Austauschers hemmen und dadurch die mitochondriale Energiebilanz und den Redoxstatus günstig beeinflussen (Übersicht in Bertero et al. 2018). Auch das in Deutschland nicht verfügbare Canagliflozin (siehe oben) erreichte einer placebokontrollierten Langzeitstudie (188 Wochen) an 10.142 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko zusätzlich zur Standardtherapie eine signifikante Senkung des primären Endpunktes aus Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingten Tod (26,9 % versus 31,5 %) (Neal et al. 2017, CANVAS). Bei den unerwünschten Wirkungen fiel eine zweifache Zunahme der Amputationen (6,3 % versus 3,4 %) auf. Ein Klasseneffekt der drei untersuchten SGLT2Inhibitoren als Grundlage dieser Ergebnisse wird als wahrscheinlich angesehen und sollte durch zusätzliche Informationen aus weiteren laufenden Endpunktstudien über kardiovaskuläre Wirkungen von SGLT2-Inhibitoren belegt werden (Scheen 2018).
12.2
Inkretinmimetika
Zwei Gruppen von Inkretinmimetika stehen für die Inkretin-basierte Therapie des Typ-2Diabetes zur Verfügung: Hemmstoffe des Enzyms Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4-Hemmer, Gliptine) und metabolisch stabile GLP-1Agonisten. Nach der Aufnahme von Nahrung werden Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) und Glucose-abhängiges insulinotropes Polypeptid (GIP) als sogenannte Inkretine vom Dünndarm sezerniert. Von besonderem Interesse für die Diabetestherapie ist das Glucagon-like peptide-1, weil es bei Patienten mit Typ-2Diabetes weniger gebildet wird. Es stimuliert normalerweise die Insulinsekretion nach oraler Glucosegabe, hemmt die postprandiale Glucagonfreisetzung, verzögert die Magenentlee-
rung, steigert das Sättigungsgefühl und regt das Wachstum von Betazellen an. Das endogene Hormon ist nicht zur Behandlung des Diabetes geeignet, weil es im Körper durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) rasch abgebaut wird (Übersicht bei Drucker und Nauck 2006).
12.2.1
DPP-4-Hemmer (Gliptine)
Als erster DPP-4-Hemmer wurde 2007 Sitagliptin (Januvia) eingeführt. Als weitere Vertreter dieser Gruppe folgten 2008 Vildagliptin (Galvus) und 2009 Saxagliptin (Onglyza). DPP-4-Hemmer zeigen trotz eines Therapiehinweises durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (siehe unten) seit 10 Jahren hohe Zuwachsraten (. Abb. 12.1). Auch 2019 haben die Verordnungen von Sitagliptin gegenüber dem Vorjahr wieder leicht zugenommen, während Saxagliptinpräparate erneut rückläufig waren (. Tab. 12.3). DPP-4-Hemmer wirken auf eine zellmembranständige Serinprotease, die den Abbau von Inkretinen einschließlich Glucagonlike Peptide-1 (GLP-1) regelt. Die DPP-4Hemmung erhöht die zirkulierenden Inkretinspiegel und bewirkt dadurch eine verstärkte Insulinfreisetzung sowie eine Abnahme der Glucagonspiegel. Die Senkung des HbA1c liegt bei 0,5–0,8 Prozentpunkten (Inzucchi und McGuire 2008) und ist damit geringer als bei der üblichen Initialtherapie mit Metformin (Übersicht bei Richter et al. 2008). Im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen ist das Hypoglykämierisiko wesentlich geringer. Risiken der Inkretinmimetika (DPP-4Hemmer, GLP-1-Agonisten) sind akute Pankreatitiden und Pankreaskarzinome, auf die wiederholt hingewiesen wurde (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2008; Food and Drug Administration 2009; Elashoff et al. 2011; Singh et al. 2013). Nach Bekanntwerden einer weiteren Studie mit möglichen pankreatischen Sicherheitssignalen (Butler et al. 2013), haben FDA und EMA unabhängig voneinander die Befunde umfassend
349 12.2 Inkretinmimetika
analysiert. Beide Zulassungsbehörden stimmten darin überein, dass die gegenwärtige Datenlage keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Inkretinmimetika und dem Auftreten von Pankreatitis bzw. Pankreaskarzinomen belegt (Egan et al. 2014). Aus den Sicherheitsstudien mit DPP-4Hemmern geht weiterhin hervor, dass die zusätzliche Gabe von Sitagliptin zur Standardtherapie bei 14.671 Diabetespatienten das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse nicht erhöht, aber auch keine kardiovaskulären Ereignisse verhindert (Green et al. 2015, TECOS). Gleiches gilt für den DPP-4-Hemmer Alogliptin (in Deutschland nicht im Handel), der in einer 18monatigen Studie an 5.380 Patienten mit Diabetes und akutem Koronarsyndrom untersucht wurde (White et al. 2013, EXAMINE). Dagegen zeigte eine placebokontrollierte Studie mit Saxagliptin an 16.492 Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren eine erhöhte Inzidenz für Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz (Scirica et al. 2013, SAVOR-TIMI 53), was möglicherweise den erneuten Rückgang in den Verordnungen erklärt. Die Behandlung mit DPP-4-Hemmern ist mit Ausnahme von Saxagliptin nach wie vor teurer als mit Insulin. Das war vermutlich ein wesentlicher Grund, die Gabe von Sitagliptin und Vildagliptin auf die Fälle zu beschränken, bei denen die vorhandenen kostengünstigeren Alternativen aufgrund von Kontraindikationen nicht eingesetzt werden können, unverträglich sind oder nicht zu einer adäquaten Blutzuckerkontrolle führen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2008a, 2008b).
12.2.2
GLP-1-Agonisten
Eine weitere Gruppe der Inkretinmimetika sind die Glucagon-like-Peptide-1-Agonisten (GLP1-Agonisten). Sie haben eine ähnliche Aktivität wie das endogene Hormon. Das körpereigene Peptidhormon ist jedoch für die praktische Anwendung nicht geeignet, weil es durch die Dipeptidylpeptidase-4 schnell abgebaut wird
12
und nur eine Halbwertszeit von 1–2 min hat (Übersicht bei Drucker und Nauck 2006). Als erster Vertreter der GLP-1-Agonisten wurde 2007 Exenatid (Byetta) zur Behandlung des Typ-2-Diabetes eingeführt. Es ist kein Substrat der Dipeptidylpeptidase-4, so dass nach subkutaner Injektion eine hohe Bioverfügbarkeit von 65–75 %, eine wesentlich längere Halbwertszeit (2,4 h) und eine längere Wirkungsdauer von etwa 10 h resultieren. Die Senkung des HbA1c beträgt 0,5–1,0 Prozentpunkte (Inzucchi und McGuire 2008). Vorteilhaft ist eine stärkere Gewichtsabnahme als mit Placebo (Übersicht bei Keating 2005). Seit 2011 ist auch eine retardierte Formulierung von Exenatid (Bydureon) verfügbar, die nur einmal wöchentlich appliziert werden muss (. Tab. 12.4). In einer direkten Vergleichsstudie senkte langwirkendes Exenatid den HbA1c über einen Zeitraum von 26 Wochen stärker als das zweimal täglich injizierte kurzwirkende Präparat (1,9 % versus 1,5 %) ohne erhöhtes Hypoglykämierisiko und mit ähnlicher Gewichtsreduktion (Drucker et al. 2008). Als zweiter GLP-1-Agonist wurde 2009 Liraglutid (Victoza) eingeführt, ein acyliertes Derivat des humanen GLP-1 mit einer 97%igen Strukturhomologie mit dem nativen Peptid. Durch Änderungen von zwei Aminosäuren und Einführung einer Fettsäure wird die Plasmaalbuminbindung erhöht und damit der Abbau durch die Dipeptidylpeptidase-4 verzögert. Daraus resultiert eine langsamere Anflutung und eine längere Plasmahalbwertszeit von 12,5 h, so dass eine einmal tägliche Gabe möglich ist (Übersicht bei Deacon 2009). In einer direkten Vergleichsstudie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes, die zuvor unzureichend mit oralen Antidiabetika einstellbar waren, senkte die zusätzliche Gabe von Liraglutid (1,8 mg/Tag s. c.) den HbA1c um 1,12 % und von Exenatid (10 g s. c. 2mal/Tag) um 0,79 % (Buse et al. 2009, LEAD-6). Auch in dieser Studie war Übelkeit die Hauptnebenwirkung beider Inkretinmimetika, die initial etwa gleich häufig (13 %) auftrat, sich aber nach 6 Wochen mit Liraglutid schneller als mit Exenatid zu-
350
Kapitel 12 Antidiabetika
. Tabelle 12.4 Verordnungen von Insulinpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Kurzwirkende Insuline Actrapid human
Humaninsulin
58,3
(10,9)
1,18
Insuman Rapid/-Infusat
Humaninsulin
24,7
(12,3)
1,19
Huminsulin Normal
Humaninsulin
14,7
(8,2)
1,13
Berlinsulin H Normal
Humaninsulin
11,7
(15,3)
1,10
109,4
(11,4)
1,17
Verzögerungsinsuline Protaphane
Humaninsulin
22,8
(14,9)
1,19
Huminsulin Basal
Humaninsulin
11,7
(12,0)
1,12
Insuman Basal
Humaninsulin
8,4
(13,2)
1,19
Berlinsulin H Basal
Humaninsulin
7,4
(16,9)
1,11
50,3
(14,3)
1,16
Mischinsuline
12
Actraphane
Humaninsulin
28,7
(11,7)
1,18
Insuman Comb
Humaninsulin
10,0
(14,5)
1,18
Berlinsulin H
Humaninsulin
4,7
(15,3)
1,10
Huminsulin Profil
Humaninsulin
4,3
(6,3)
1,12
47,7
(12,2)
1,17
Kurzwirkende Insulinanaloga Novorapid
Insulin aspart
104,3
(4,2)
1,57
Humalog
Insulin lispro
102,9
(0,7)
1,45
Apidra
Insulin glulisin
53,8
(1,9)
1,59
Liprolog
Insulin lispro
42,3
(C5,6)
1,50
Fiasp
Insulin aspart
20,2
(C21,6)
1,57
Humalog Mix
Insulin lispro
12,5
(4,0)
1,49
Liprolog Mix
Insulin lispro
6,2
(3,0)
1,49
Insulin Lispro Sanofi
Insulin lispro
5,1
(C117,1)
1,38
Novomix
Insulin aspart
4,5
(7,9)
1,60
351,8
(C0,3)
1,52
12
351 12.2 Inkretinmimetika
. Tabelle 12.4 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Langwirkende Insulinanaloga Lantus
Insulin glargin
118,1
(8,1)
1,86
Toujeo
Insulin glargin
76,8
(C8,7)
1,83
Levemir
Insulin detemir
48,8
(11,2)
1,85
Abasaglar
Insulin glargin
26,0
(C26,3)
1,62
Tresiba
Insulin degludec
15,3
(> 1.000)
1,30
285,1
(C3,6)
1,80
844,3
(2,1)
1,53
Summe
rückbildete. In einer direkten Vergleichsstudie mit wöchentlich injiziertem Exenatid war Liraglutid ebenfalls effektiver (HbA1c 1,48 % versus 1,28 %) aber schlechter verträglich, da es häufiger Übelkeit, Diarrhö und Erbrechen verursachte (Buse et al. 2013). Ungeklärt ist die Bedeutung Liraglutid-induzierter C-Zelltumoren der Schilddrüse aus tierexperimentellen Untersuchungen (Joffe 2009), die vermutlich Anlass waren, unerwünschte Ereignisse im Bereich der Schilddrüse in die Fachinformation aufzunehmen. In einer Studie, in der Liraglutid bei Patienten mit Typ2-Diabetes und hohem Risiko kardiovaskulärer Ereignisse auf Nichtunterlegenheit hinsichtlich des Auftretens kardiovaskulärer Ereignisse untersucht wurde, zeigte sich eine geringere Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität sowie eine verminderte Rate an Herzinfarkten und renalen Komplikationen (Marso et al. 2016, LEADER). Die DDD-Nettokosten von Victoza sind nach wie vor erheblich höher als die von Insulin (z. B. Protaphane siehe . Tab. 12.4). Als dritter GLP-1-Rezeptoragonist wurde Lixisenatid (Lyxumia) 2013 zur Behandlung des Typ-2-Diabetes in Kombination mit unzureichend wirksamen, oralen Antidiabetika oder Insulin eingeführt. Nachdem der Gemeinsame Bundesausschuss hat keinen Beleg für einen
Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie sah (Bundesministerium für Gesundheit 2013b), wurde der Vertrieb von Lixisenatid aus preispolitischen Gründen eingestellt. Dulaglutid (Zulassung 2014) ist ein weiterer Vertreter der langwirkenden GLP-1Rezeptoragonisten, bei dem zwei modifizierte GLP-1-Moleküle kovalent an das schwere Kettenfragment eines modifizierten humanen Immunglobulin G4 gekoppelt sind. Durch die beiden Modifikationen wird die Eliminationshalbwertszeit von 2 min auf 5 Tage verlängert. Wie drei andere GLP-1-Agonisten wurde auch Dulaglutid in einer großen kardiovaskulären Sicherheitsstudie an 9.901 Patienten mit Typ-2-Diabetes und hohem kardiovaskulären Risiko untersucht. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 5,4 Jahren trat der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nichttödlicher Herzinfarkt, nichttödlicher Schlaganfall) in der Dulaglutidgruppe seltener als in der Placebogruppe auf (12,0 % versus 13,4 % der Teilnehmer) (Gerstein et al. 2019, REWIND). Die Verordnung des GLP1-Agonisten Dulaglutid (Trulicity) stieg auch 2019 erneut massiv an und ist jetzt der führende Vertreter dieser Antidiabetika (. Tab. 12.4). Ein Grund ist vermutlich neben dem positiven Ergebnis der frühen Nutzenbewertung die Sen-
352
12
Kapitel 12 Antidiabetika
kung des Erstattungsbetrages um 37 % (Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.11). Damit hat Trulicity jetzt die günstigsten DDD-Kosten aller GLP-1-Agonisten. Ein weiterer langwirkenden GLP-1Rezeptoragonist ist Albiglutid (Eperzan), der 2014 von der EMA zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2014, Abschn. 2.1.1), aber bisher nicht unter den häufig verordneten Arzneimitteln vertreten ist. Auch für diesen GLP-1-Rezeptoragonisten wurde eine kardiovaskuläre Endpunktstudie an 9.463 Patienten mit Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Krankheiten publiziert, in welcher der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (MACE) nach 1,6 Jahren in der Albiglutidgruppe seltener als in der Placebogruppe (7 % versus 9 %) auftrat (Hernandez et al. 2018, HARMONY Outcome). Die Häufigkeit einer akuten Pankreatitis, eines Pankreaskarzinoms und anderer schwerer unerwünschter Wirkungen unterschied sich nicht zwischen den beiden Gruppen. Die positiven Ergebnisse der kardiovaskulären Sicherheitsstudien haben wesentlich dazu beigetragen, dass GLP-1-Agonisten für Diabetespatienten mit manifesten kardiovaskulären Vorerkrankungen in Leitlinien und Disease-Management-Programmen empfohlen werden (Davies et al. 2018; Gemeinsamer Bundesausschuss 2019; Consentino et al. 2020). Dabei ist die Evidenz für einen kardiovaskulären Nutzen für Liraglutid am stärksten, für Semaglutid als günstig und als weniger sicher für Exenatid einzuschätzen.
gerungsinsuline mit Protamin als Depotfaktor (NPH-Prinzip) und Mischinsuline. Ursache ist die seit Jahrzehnten erfolgreich etablierte intensivierte Insulintherapie nach dem BasisBolus-Prinzip (Holman et al. 1983). Die intensivierte Insulintherapie ist die Standardtherapie beim Typ-1-Diabetes und wird auch bei einem Teil der Typ-2-Diabetiker durchgeführt.
12.3.2
Insulinanaloga
Die Verordnung der Insulinanaloga hat seit der Einführung des ersten Präparates im Jahre 1996 einen rasanten Aufschwung erfahren. Seit 2010 hat sich die Verordnung von Insulinanaloga fast verdoppelt und liegt nun mehr als 3-fach höher als die von Humaninsulinen (. Abb. 12.2). Kurzwirkende Analoga des Humaninsulins werden nach s. c. Injektion schneller als reguläre Humaninsulin resorbiert. Die Wirkung setzt bereits nach 15 min ein und hält nur 2–3 h an. Als Vorteile gelten der Fortfall des Spritz-Ess-Abstandes, niedrigere postprandiale Blutzuckerspiegel und die Entbehrlichkeit von Zwischenmahlzeiten zur Vermeidung von Hypoglykämien (Wilde und McTavish 1997). Auf die Langzeitkontrolle des Diabetes ließ sich jedoch nur ein moderater Effekt der Analoga nachweisen. In einem Cochrane-Review über 42 kontrollierte Studien zeigten die Patienten mit Typ-1-Diabetes nur eine geringe Abnahme der HbA1c -Werte von 0,1 % zugunsten der kurzwirkenden Insulinanaloga, während bei Patienten mit Typ-2-Diabetes kein Unterschied nachweisbar war (Siebenhofer et al. 2004). Auch bei der Summe aller Hypogly12.3 Insuline kämien waren die Unterschiede bei beiden Diabetestypen gering. Der Gemeinsame Bundesausschuss (2006) hat daraufhin beschlos12.3.1 Humaninsuline sen, dass kurzwirksame Insulinanaloga zur Behandlung von Typ-2-Diabetespatienten grundWichtigste Insulingruppen sind mittlerweile sätzlich nur dann verordnungsfähig sind, wenn die kurzwirkenden und langwirkenden Insu- sie nicht teurer als reguläres Humaninsulin linanaloga (. Tab. 12.4). Mit deutlichem Ab- sind. Die Insulinhersteller haben mit den meisstand folgen kurzwirkenden Insuline, Verzö- ten Krankenkassen Rabattverträge für kurzwir-
12
353 12.3 Insuline
625
622
591
600 556
500
488 471
454
500
449 424 391
400
365
(Mio. DDD)
408
327
367 339
296
300
264 236 207
200
100 Humaninsuline Insulinanaloga 0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 12.2 Verordnungen von Insulinen 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
kende Insulinanaloga abgeschlossen, die eine Lieferung zu Preisen von regulärem Humaninsulin ermöglichen. Nach einem aktuellen Cochrane-Review (10 Studien, 2.751 Teilnehmer) ist weiterhin nicht gesichert, ob kurzwirksame Insulinanaloga für die langfristige Blutzuckerkontrolle oder für die Verringerung von Hypoglykämien besser sind als normales Humaninsulin (Fullerton et al. 2018). Die Verordnung der langwirkenden Insuline hat erneut leicht zugenommen (. Tab. 12.4). Nach der Einführung von Insulin-glargin-Biosimilars (z. B. Abasaglar) ist die Verordnung von Lantus weiter rückläufig. Erstmals wieder vertreten ist Insulin degludec (Tresiba), das in der Nutzenbewertung keinen Beleg für einen Zusatznutzen gezeigt hatte und 2016 vom Hersteller in Deutschland vom Markt genommen wurde, nachdem die Erstattungsbetragsverhandlungen mit der Schiedsstelle gescheitert waren (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 14). Nach einer erneuten Nutzenbewertung hat sich der Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband auf einen Erstattungsbetrag geeinigt, der auf dem Niveau von Humaninsulin liegt (Apotheke Adhoc 2019).
Insulin glargin senkt die Häufigkeit nächtlicher Hypoglykämien im Vergleich zu NPHInsulin, verbessert aber nicht die Langzeitkontrolle der Blutglucose, so dass die Inzidenz mikrovaskulärer und kardiovaskulärer Komplikationen des Diabetes wahrscheinlich nicht gesenkt werden (Warren et al. 2004). Auch nach einem Cochrane-Review hat die Behandlung mit langwirksamen Insulinanaloga bei Patienten mit Typ-2-Diabetes im Vergleich zu NPH-Insulinen in Bezug auf symptomatische nächtliche Hypoglykämien nur einen geringen klinischen Nutzen (Horvath et al. 2007). Nach dem Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) (2009) gab es keinen Beleg für einen Zusatznutzen von langwirkenden Insulinanaloga gegenüber NPH-Insulin.. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat daraufhin beschlossen, dass langwirksame Insulinanaloga zur Behandlung von Typ-2-Diabetespatienten nicht verordnungsfähig sind, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich zu intermediär wirkendem Humaninsulin verbunden sind und ein Zusatznutzen im Vergleich zum höheren Preis nicht erkennbar ist (Bundesministerium für Gesund-
354
12
Kapitel 12 Antidiabetika
heit 2010). Diese Regelungen gelten nicht für Patienten, bei denen im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie in Einzelfällen ein hohes Risiko für schwere Hypoglykämien bestehen bleibt. Kurzwirkende Insulinanaloga sind im Durchschnitt immer noch ca. 30 % teurer als vergleichbare Humaninsulinpräparate (. Tab. 12.4). Trotz der höheren Verordnungskosten ist der Anteil der Insulinanaloga am Gesamtvolumen der Insulinverordnungen inzwischen auf 75 % angestiegen (. Abb. 12.2). Die Nettokosten aller Insulinpräparate betrugen 2019 1.292 Mio. C und haben damit einen Anteil von 50 % an den Gesamtkosten der Antidiabetika in Höhe von 2.605 Mio. C (. Tab. 1.2). Bei den kurzwirkenden Insulinanaloga wurde das Einsparpotenzial weitgehend durch Rabattverträge der Hersteller mit den Krankenkassen realisiert, da diese Präparate nicht verordnungsfähig sind, solange sie mit Mehrkosten im Vergleich mit kurzwirkendem Humaninsulin verbunden sind (Gemeinsamer Bundesausschuss 2006). Bei den langwirkenden Insulinanaloga ergibt sich mit den neuen günstigen DDDKosten von Insulin degludec ein Einsparpotenzial von 194 Mio. C und damit weitaus mehr als mit dem Biosimilar von Insulin glargin (. Tab. 12.4).
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Kapitel 12 Antidiabetika
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Kapitel 12 Antidiabetika
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359
13
Antiemetika und Antivertiginosa Karl-Friedrich Hamann
Auf einen Blick
Trend Antiemetika und Antivertiginosa werden zur Behandlung von Erbrechen und Schwindel eingesetzt. Der weitaus größte Teil der Verordnungen entfällt auf Betahistin für Patienten mit Morbus Menière. Schwerpunkt der H1 -Antihistaminika sind Prophylaxe und symptomatische Therapie von Übelkeit und Erbrechen. Während die Verordnungen von Betahistin geringfügig zugenommen haben, waren die von H1 -Antihistaminika, Scopolamin, 5-HT3 -Antagonisten und Neurokinin-1Antagonisten rückläufig. Kaum verändert haben sich die Verordnungen der Dopaminrezeptorantagonisten. Bewertung Aufgrund neuer Datenlage wird die Verschreibung von Betahistin für Patienten mit Morbus Menière nicht mehr empfohlen. Hochwirksame Antiemetika zur Behandlung des zytostatikainduzierten Erbrechens sind 5-HT3 -Antagonisten und Neurokinin-1-Antagonisten.
Für die symptomatische Behandlung von Erbrechen und Schwindel stehen mehrere Arzneimittelgruppen zur Verfügung, die in der Regel zerebrale Rezeptoren für Neurotransmitter blockieren. Die weitaus größte Gruppe bilden Betahistin sowie die klassischen H1 Antihistaminika, die neben ihren antiallergischen Wirkungen (siehe 7 Kap. 8) als Antiemetika bei Reisekrankheiten und bei Schwin-
delzuständen unabhängig von der Ätiologie eingesetzt werden. Weiterhin werden Dopaminantagonisten aus der Gruppe der Benzamide (z. B. Alizaprid) angewandt. Zu dieser Gruppe gehört auch Metoclopramid, das bei den Magen-Darm-Mitteln (siehe 7 Kap. 31) ausführlich besprochen wird. Besonders wirksame Antiemetika sind 5-HT3 -Antagonisten und Neurokinin-1-Antagonisten, die speziell bei der Behandlung des zytostatikainduzierten Erbrechens indiziert sind. Mit Ausnahme von Betahistin und Dopaminrezeptorantagonisten haben die Verordnungen aller anderen Antiemetika abgenommen (. Tab. 13.1 und 13.2).
13.1
Antihistaminika
Hauptvertreter der Antihistaminika ist Dimenhydrinat, das zur Prophylaxe und symptomatischen Therapie von Übelkeit und Erbrechen unterschiedlicher Genese insbesondere von Kinetosen zugelassen ist. Dimenhydrinat ist ein Salz aus dem Antihistaminikum Diphenhydramin und 8-Chlortheophyllin, das nach oraler oder rektaler Gabe im Blut vollständig in seine beiden Bestandteile dissoziiert. Die antiemetische Wirkung beruht auf Diphenhydramin, während das milde Psychostimulans 8-Chlortheophyllin die sedativen Effekte des Antihistaminikums aufheben soll (Übersicht bei Sanger und Andrews 2018). Trotzdem hat Dimenhydrinat sehr häufig sedierende Nebenwirkungen (Somnolenz, Benommenheit, Schwindelgefühl). Dimenhydrinat wird bis auf eine Ausnahme (Vomex A) nur noch als
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_13
360
Kapitel 13 Antiemetika und Antivertiginosa
. Tabelle 13.1 Verordnungen von Antiemetika und Antivertiginosa 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
H1 -Antihistaminika Arlevert
Cinnarizin Dimenhydrinat
6,2
(24,7)
1,99
Cinnarizin Dimenhydrinat Hennig
Cinnarizin Dimenhydrinat
3,3
(C60,0)
2,02
Vomex A/N
Dimenhydrinat
2,1
(10,3)
2,08
Vertigo Vomex plus Cinnarizin
Cinnarizin Dimenhydrinat
1,5
(C25,5)
1,83
Flunarizin acis
Flunarizin
1,2
(C5,4)
0,47
Vomacur
Dimenhydrinat
0,55
(22,3)
1,50
Cinna/Dimen-neuraxpharm
Cinnarizin Dimenhydrinat
0,46
(C230,2)
1,83
15,3
(3,1)
1,85
Histaminanaloga
13
Betavert
Betahistin
26,2
(14,3)
0,24
Betahistin AL
Betahistin
17,5
(C2,6)
0,38
Vasomotal
Betahistin
17,0
(C37,0)
0,18
Betahistin STADA
Betahistin
1,1
(C55,2)
0,33
61,8
(C1,7)
0,27
Dopaminrezeptorantagonisten Vergentan
Alizaprid
0,48
(C0,2)
3,22
Scopolamin
0,54
(6,4)
3,65
(C0,7)
0,62
Muscarinrezeptorantagonisten Scopoderm TTS Summe
Kombinationspräparat mit dem Calciumantagonisten Cinnarizin angewendet. Cinnarizin ist ein Calciumkanalblocker mit zusätzlichen pharmakologischen Eigenschaften, der 1958 als Stugeron zugelassen wurde, aber nicht in Deutschland vermarktet wird. Nach einer systematischen Übersichtarbeit ist nicht bekannt, ob Cinnarizin die Symptome bei einem akuten Anfall von Morbus Menière unterdrücken
78,2
kann, da keine Studien von guter Qualität gefunden wurden (James und Thorp 2007). Die führende Dimenhydrinat-Kombination ist weiterhin Arlevert, die vor über 30 Jahren auf den Markt kam, aber nach Einführung mehrerer Generika erneut rückläufig ist (. Tab. 13.1). In der akuten Phase der Neuropathia vestibularis, bei der akuten Menièreattacke und beim physiologischen Reizschwindel (Bewe-
13
361 13.1 Antihistaminika
. Tabelle 13.2 Verordnungen von weiteren Antiemetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ondansetron Ondansetron STADA
Ondansetron
0,45
(C21,3)
12,44
Ondansetron Bluefish
Ondansetron
0,38
(C33,0)
11,67
Ondansetron Aristo
Ondansetron
0,28
(55,6)
14,65
Onsetron Denk
Ondansetron
0,13
(C241,4)
8,48
Zofran
Ondansetron
0,06
(3,1)
15,85
1,3
(6,0)
12,45
Granisetron Granisetron beta
Granisetron
0,12
(C26,9)
16,70
Granisetron-ratiopharm
Granisetron
0,08
(14,1)
16,52
Axigran
Granisetron
0,07
(41,5)
26,50
Granisetron B.Braun
Granisetron
0,06
(C132,2)
29,46
Granisetron HEXAL
Granisetron
0,06
(1,4)
30,40
Granisetron Kabi
Granisetron
0,06
(C6,7)
22,65
Granisetron/Grani Denk
Granisetron
0,05
(C105,5)
23,14
0,50
(C5,7)
22,64
Weitere 5-HT3 -Antagonisten Akynzeo
Palonosetron Netupitant
0,09
(C26,3)
81,20
Palonosetron Accord
Palonosetron
0,06
(C21,8)
70,95
Aloxi
Palonosetron
0,02
(25,3)
84,78
0,18
(C14,5)
78,15
(51,6)
27,58
Neurokinin-1-Antagonisten Emend
Aprepitant
0,19
Aprepitant Zentiva
Aprepitant
0,07
Ivemend
Fosaprepitant
0,06
(C1,0)
60,67
0,32
(28,1)
31,25
2,3
(6,5)
22,39
Summe
(Neu)
15,70
362
Kapitel 13 Antiemetika und Antivertiginosa
gungskrankheit) werden Antihistaminika als Monopräparate zur symptomatischen Unterdrückung von Übelkeit und Erbrechen empfohlen (Brandt et al. 1998; Baloh 2003). Für eine Langzeittherapie sind sie nicht geeignet, da mit einer Unterdrückung vestibulärer Kompensationsvorgänge gerechnet werden muss. Eine Kombination ist nur begründbar, wenn eine Überlegenheit gegenüber anderen kompensationsfördernden Maßnahmen bewiesen wäre.
13
eintreten, und die Attacken nach mehreren Jahren in 80–90 % der Fälle sistieren (Hamann und Arnold 1999). 13.3
Dopaminrezeptorantagonisten
Unter den Dopaminrezeptorantagonisten aus der Gruppe der Benzamide spielt nur noch das teure Alizaprid (Vergentan) eine Rolle (. Tab. 13.1). Alizaprid ist zugelassen zur Vor13.2 Betahistin beugung und Behandlung von zytostatikainduziertem Erbrechen, ist aber bei dieser Indikation weniger wirksam als Metoclopramid Der weitaus größte Teil der Verordnungen (Molino et al. 1991). Seine Verordnungen havon Antiemetika und Antivertiginosa entfällt ben sich 2019 kaum verändert (. Tab. 13.1). auf Betahistin, das in seinen Verordnungen geringfügig zugenommen hat (. Tab. 13.1). Das Strukturanalogon von Histamin wirkt 13.4 Muscarinrezeptorauf zentrale Histaminrezeptoren als schwaantagonisten cher H1 -Rezeptoragonist und stärkerer H3 Rezeptorantagonist. Es hat gefäßerweiternde sowie kompensationsfördernde Effekte und Das Alkaloid Scopolamin (Scopoderm) ist soll die Durchblutung im Bereich der vertebro- ein Muscarinrezeptorantagonist mit parasymbasilären Strombahn und des Innenohres ver- patholytischen Eigenschaften, penetriert aber bessern (Lacour et al. 2007; Ihler et al. 2012). besser als Atropin in das Gehirn. Die WirBetahistin ist in zahlreichen klinischen Studi- kung erfolgt über eine Hemmung cholinerger en bei Patienten mit Morbus Menière geprüft Neurone in den Vestibulariskernen. Scopolworden. Während mehrere frühere Studien ei- amin wirkt schon in geringer Dosis motorisch ne Reduktion von Schwindel zeigten (Murdin dämpfend und sedierend. Nach einer Cochraet al. 2016), ergab sich in einer neueren pla- ne-Analyse von 14 Studien mit 1.025 Patienten cebokontrollierten Doppelblindstudie für zwei ist transdermales Scopolamin wirksam zur PräBetahistindosierungen bei einer neunmonati- vention von Kinetosen (Spinks und Wasiak gen Behandlungsdauer keine Überlegenheit 2011). Seine Verordnungen haben 2019 leicht gegenüber Placebo (Adrion et al. 2016). Das abgenommen. Ergebnis entspricht einer älteren Übersichtsarbeit, in der keine sichere Evidenz gefunden 13.5 5-HT -Antagonisten 3 wurde, ob Betahistin bei Menschen mit Morbus Menière besser als Placebo gegen Schwindel, Tinnitus oder Hörverlust wirkt (James Ondansetron (Zofran) wurde 1991 als erster und Thorp 2007). Betahistin kann daher nicht selektiver 5-HT3 -Antagonist in die Therapie mehr als Mittel der Wahl zur Prophylaxe von eingeführt. Später folgten Granisetron (1995) Schwindelbeschwerden bei M. Menière ange- und Palonosetron (2005). Sie werden als Mittel sehen werden. Erfolgsquoten bei der Meniè- der Wahl gegen das akute zytostatikainduzierte re’schen Krankheit sind schwierig zu beur- Erbrechen eingesetzt, wirken jedoch weniger teilen, da beim Morbus Menière mittelfristig gut gegen das verzögerte Erbrechen. Üblicherspontane Remissionen bei 60 % der Patienten weise werden sie bei ungenügender Wirkung
363
13
Literatur
anderer Antiemetika eingesetzt, da sie sehr Literatur hohe Behandlungskosten haben. Nach einem Cochrane-Review über 16 Studien mit 7.808 Adrion C, Fischer CS, Wagner J, Gürkov R, Mansmann U, Strupp M (2016) Efficacy and safety of betaPatienten haben Ondansetron und Granisetron histine treatment in patients with Meniere’s disease: vergleichbare Wirkungen bei hochemetogener primary results of long term, multicentre, doubled Chemotherapie (Billio et al. 2010). Die Komblind, randomised, placebo controlled, dose defining trial (BEMED trial). BMJ 352:h6816 bination von Palonosetron mit Dexamethason hemmte in einer Studie das verzögerte Erbre- Baloh RW (2003) Clinical practice. Vestibular neuritis. N Engl J Med 348:1027–1032 chen besser als die Dexamethasonkombination Billio A, Morello E, Clarke MJ (2010) Serotonin recepmit Granisetron. Dieses Ergebnis muss jedoch tor antagonists for highly emetogenic chemotherapy in durch weitere Evidenz bestätigt werden. Das adults. Cochrane Database Syst Rev 2010(1):CD6272 Verordnungsvolumen der Gruppe der 5-HT3 - Brandt T, Dichgans J, Diener HC (Hrsg) (1998) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen, 3. Aufl. Antagonisten hat insgesamt geringfügig abgeKohlhammer, Stuttgart Berlin Köln, S 127–156 nommen (. Tab. 13.2). 13.6
Neurokinin-1-Antagonisten
Aprepitant ist ein oraler Neurokinin-1Antagonist, der gezielt beim Erbrechen im Rahmen einer Cisplatin-Chemotherapie eingesetzt wird. Allerdings ist bei der Kostenbetrachtung zu berücksichtigen, dass der Wirkstoff im Allgemeinen nur in Kombination mit einem 5-HT3 -Antagonisten und einem Glucocorticoid zur Prophylaxe verwandt wird. Seine Verordnungen haben 2019 trotz Einführung eines Generikums abgenommen. Weitgehend unverändert sind die Verordnungen des deutlich teureren Fosaprepitants (Ivemend), eines Prodrugs, das innerhalb von 30 min nach intravenöser Gabe durch Phosphatasen vollständig in Aprepitant umgewandelt wird (. Tab. 13.2).
Hamann K-F, Arnold W (1999) Menière’s disease. In: Büttner U (Hrsg) Vestibular dysfunction and its therapy. Adv ORL, Bd. 55, S 137–168 Ihler F, Bertlich M, Sharaf K, Strieth S, Strupp M, Canis M (2012) Betahistine exerts a dose-dependent effect on cochlear stria vascularis blood flow in guinea pigs in vivo. Plos One 7:e39086 James AL, Thorp MA (2007) Menière’s disease. BMJ Clin Evid 2007:505 Lacour M, van de Heyning PH, Novotny M, Tighilet B (2007) Betahistine in the treatment of Ménière’s disease. Neuropsychiatr Dis Treat 3:441–453 Molino A, Guglielmo L, Azzolini ME, Biondani P, Capelli MC, Grandinetti A, Griso C, Martinelli G, Martini N, Zanotti R et al (1991) The antiemetic activity of high-dose metoclopramide and high-dose alizapride in combination with lorazepam in patients receiving cancer chemotherapy. A prospective, randomized, double-blind study. Oncology 48:111–115 Murdin L, Hussain K, Schilder AG (2016) Betahistine for symptoms of vertigo. Cochrane Database Syst Rev 2016(6):CD10696. https://doi.org/10.1002/14651858. CD010696.pub2 Sanger GJ, Andrews PLR (2018) A history of drug discovery for treatment of nausea and vomiting and the implications for future research. Front Pharmacol 9:913. https://doi.org/10.3389/fphar.2018.00913 Spinks AB, Wasiak J (2011) Scopolamine (hyoscine) for preventing and treating motion sickness. Cochrane Database Syst Rev. https://doi.org/10.1002/14651858. CD002851.pub4
365
14
Antiepileptika Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Auffällig ist das weiter steigende Verordnungsvolumen der neueren Antiepileptika, das sich seit 2010 ungefähr verdoppelt hat. Sie werden inzwischen dreimal so häufig wie traditionelle Antiepileptika (z. B. Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin) verordnet. Die Verordnungen von Valproinsäure sind seit einigen Jahren weitgehend konstant, während das früher führende Carbamazepin in den letzten 10 Jahren um 40 % abgenommen hat. Mit Abstand führende Vertreter der neueren Antiepileptika sind Pregabalin und Levetiracetam. Bewertung Die Belege für die Überlegenheit neuer Antiepileptika gegenüber älteren Vertretern sind relativ spärlich, so dass ihre Anwendung in der Leitlinie des britischen National Institute of Health and Care Excellence (NICE) nur bei Versagen oder Unverträglichkeit älterer Mittel sowie für Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter empfohlen wird. Pregabalin wird ganz überwiegend für die Behandlung neuropathischer Schmerzen angewendet, ohne dass eine ausreichende Evidenz für einen Zusatznutzen gegenüber Amitriptylin oder Gabapentin verfügbar ist.
Die Arzneitherapie ist das wichtigste Verfahren zur Behandlung von Epilepsien. Maßgebend für die Auswahl von Antiepileptika sind arzneimittelspezifische Variable (Nebenwirkungsprofil, Teratogenität, Pharmakokinetik, Interaktionspotenzial, Arzneiformen) und Patienten-abhängige Faktoren (Anfallstyp, Al-
ter, Geschlecht, Frauen im gebärfähigen Alter, Komedikation, Begleitkrankheiten, Verträglichkeit, genetischer Hintergrund). Mit geeigneten Arzneimitteln erreichen etwa 70 % der Patienten eine Anfallsfreiheit. Eine Monotherapie ist die beste Therapieoption, denn Kombinationstherapien erhöhen das Risiko für Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen. Unabhängig von prognostischen Faktoren werden die meisten Patienten mit dem zuerst eingesetzten Antiepileptikum anfallsfrei. Als pharmakoresistente Epilepsie wird definiert, wenn mit zwei Arzneimitteln als Monotherapie oder in Kombination keine Anfallsfreiheit erzielt wird. Trotz zahlreicher neuer Antiepileptika haben 30 % der Patienten eine therapieresistente Epilepsie mit erhöhter Mortalität, kognitiven Störungen und eingeschränkter Lebensqualität. Unter diesen Bedingungen kommen als nichtpharmakologische Verfahren Epilepsiechirurgie, Neurostimulation und diätetische Verfahren in Betracht (Übersicht bei Thijs et al. 2019). Für die Behandlung generalisierter tonisch-klonischer Epilepsien bleiben weiterhin traditionelle Antiepileptika wie Carbamazepin und Valproinsäure die bevorzugten Erstwahlmittel (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2017; National Institute for Health and Care Excellence 2018). Die Gesamtzahl der verordneten Tagesdosen (DDD) der Antiepileptika betrug im Jahr 2019 467,1 Mio. DDD (. Tab. 1.2). Daraus errechnet sich eine Zahl von 1,280 Mio. Patienten in Deutschland, die eine Dauertherapie mit Antiepileptika erhalten. Das entspricht 1,64 % der 72,781 Mio. GKV-Versicherten und liegt damit deutlich höher als die Prävalenz der Epilepsien bei 0,4–1,2 % der Bevölkerung (Thijs
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_14
Kapitel 14 Antiepileptika
366
80 Valproinsäure Barbiturate
60
58
Carbamazepin Phenytoin
58 58
58
57
57
54
56
55
55
54
(Mio. DDD)
51 47 44
40
42 39
37
35
33
32
20 10
10
9
9
9
9
10
9
8
7
7
6
6
5
5
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
0 2010
2011
8
8
8
8
5 2019
. Abb. 14.1 Verordnungen von traditionellen Antiepileptika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
14
et al. 2019). Die höhere Zahl behandelter Patienten erklärt sich dadurch, dass einige Antiepileptika (Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin) in zunehmendem Umfang bei Schmerzpatienten eingesetzt werden. Das Verordnungsprofil der Antiepileptika hat sich in den letzten 10 Jahren grundlegend geändert. Die Verordnungen der traditionellen Antiepileptika sind in diesem Zeitraum um 25 % zurückgegangen, wohingegen die neueren Antiepileptika 2-fach mehr verordnet wurden (. Abb. 14.1 und 14.2).
14.1 14.1.1
Traditionelle Antiepileptika Valproinsäure
Valproinsäure ist Mittel der Wahl mit Evidenzstufe I für partielle und sekundär generalisierte Epilepsie, aber auch bei kindlichen Absencen, juveniler Myoklonusepilepsie und generalisierten Epilepsien (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2017; National Institute for
Health and Care Excellence 2018). Bei mehreren gleichzeitig bestehenden Anfallsarten kann sie daher als wirksames Monotherapeutikum eingesetzt werden. In der mehrjährigen klinischen SANAD-Studie des britischen National Health Service war Valproinsäure besser verträglich als Topiramat und besser wirksam als Lamotrigin (Marson et al. 2007b). Weitere Vorteile von Valproinsäure sind ein geringes Interaktionspotential, günstige Behandlungskosten, viele Arzneiformen und eine 50-jährige Erfahrung. Nur bei Frauen im gebärfähigen Alter soll Valproinsäure grundsätzlich vermieden werden, weil sie während der Schwangerschaft mit einem signifikanten Risiko für dosisabhängige teratogene Effekte (insbesondere Neuralrohrdefekte) assoziiert ist und die postnatale kognitive Entwicklung bei Kindern beeinträchtigt (Tomson et al. 2016). Bei Kleinkindern wird Valproinsäure wegen seltener, potentiell tödlicher Leberschäden mit Vorsicht und nur noch als Monotherapeutikum angewendet. Das breite Anwendungsspektrum von Valproinsäure bei verschiedenen Epilepsieformen ermöglicht eine zusätzliche Sicherheit,
14
367 14.1 Traditionelle Antiepileptika
117
120 Pregabalin Lamotrigin Gabapentin Levetiracetam
100
108 99 96
93
100
89 85 78
80 71 (Mio. DDD)
66
84
78
71
62
60 60 53
54 45 40
40
42
37 29
31
33
43
35
46
38
46
40
46 43
48
51
46 45
47
49
20
0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 14.2 Verordnungen von neueren Antiepileptika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
wenn initial keine exakte Diagnose verfüg- Carbamazepin seit 2010 40 % seiner Verordbar ist. Die Akzeptanz dieser Empfehlungen nungen verloren (. Abb. 14.1). ist auch daran erkennbar, dass die Verordnungen der Valproinsäure sind seit mehreren Jahren auf konstant hohem Niveau liegen 14.1.3 Phenytoin (. Abb. 14.1).
14.1.2
Carbamazepin
Carbamazepin wird neben Lamotrigin weiterhin als Mittel der Wahl für die Erstbehandlung fokaler Epilepsien empfohlen (National Institute for Health and Care Excellence 2018). Nach einem Cochrane-Review wird Carbamazepin jedoch bei annähernd gleicher antiepileptischer Wirksamkeit häufiger als Lamotrigin wegen Nebenwirkungen abgesetzt (Nevitt et al. 2018). Auch in einer mehrjährigen klinischen Studie des britischen National Health Service war Lamotrigin klinisch besser wirksam als Carbamazepin (Marson et al. 2007a). Als Folge davon hat das einstmals führende
Phenytoin wirkt ohne eine generelle Hemmung zerebraler Funktionen und kann für alle Epilepsieformen mit Ausnahme von Absencen eingesetzt werden. In den letzten 10 Jahren ist die Anwendung weiter zurückgegangen (. Abb. 14.1), weil die Nebenwirkungen problematischer als mit Carbamazepin oder Valproinsäure sind. Bei der Langzeittherapie sind vor allem reversible Veränderungen an Haut und Schleimhäuten störend, wie z. B. Gingivahyperplasie, Hypertrichose, Hirsutismus und Hautverdickung mit vergröberten Gesichtszügen. Phenytoin wird daher nur noch als Mittel dritter Wahl bei fokalen Epilepsien empfohlen, wenn eine Zusatztherapie mit neueren Antiepileptika unwirksam oder unverträglich war (National Institute for Health and Care Excellence 2018).
Kapitel 14 Antiepileptika
368
14.1.4
Barbiturate
kennen lassen (National Institute for Health and Care Excellence 2018).
Barbiturate haben vor 100 Jahren wichtige Grundlagen der antiepileptischen Therapie gelegt, spielen aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Primidon entfaltet seine Wirkung hauptsächlich über den aktiven Metaboliten Phenobarbital. Trotz geringer systemischer Toxizität werden Phenobarbital und Primidon nur noch als Mittel dritter Wahl empfohlen, weil ihre sedativen Nebenwirkungen die kognitiven Fähigkeiten schon bei therapeutischen Plasmaspiegeln einschränken können, die sonst keine weiteren Unverträglichkeitserscheinungen er-
14.1.5
Benzodiazepine
Clonazepam ist ein Benzodiazepin mit stärker ausgeprägten krampfhemmenden Eigenschaften, das in erster Linie bei myoklonischen und atonischen Anfällen indiziert ist. Bei ungenügender Wirkung von Diazepam und Phenytoin wird es auch beim Status epilepticus eingesetzt. Die Verordnungen haben sich kaum verändert (. Tab. 14.1).
. Tabelle 14.1 Verordnungen traditioneller Antiepileptika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Carbamazepin
14
Carbamazepin Aristo
Carbamazepin
11,9
(19,7)
0,52
Carbamazepin-neuraxpharm
Carbamazepin
6,3
(C21,0)
0,52
Tegretal
Carbamazepin
3,3
(3,4)
0,62
Timonil
Carbamazepin
2,9
(2,9)
0,65
Carbamazepin AL
Carbamazepin
2,6
(C32,5)
0,52
Carbadura
Carbamazepin
2,2
(C6,5)
0,48
Carbamazepin-ratiopharm
Carbamazepin
1,1
(22,8)
0,57
Carbamazepin HEXAL
Carbamazepin
0,94
(14,3)
0,48
31,2
(5,3)
0,54
Valproinsäure Orfiril
Valproinsäure
15,7
(C1,0)
0,93
Ergenyl
Valproinsäure
10,8
(5,7)
0,75
Valproat chrono Winthrop
Valproinsäure
5,9
(C2,8)
0,70
Valpro beta
Valproinsäure
4,4
(C6,3)
0,59
Valproat-neuraxpharm
Valproinsäure
3,2
(23,8)
0,76
Valproat AbZ
Valproinsäure
3,0
(C5,6)
0,56
Valproat-/chrono CT
Valproinsäure
2,3
(C2,6)
0,73
14
369 14.1 Traditionelle Antiepileptika
. Tabelle 14.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Valproinsäure-ratiopharm/ Valproat-ratiopharm chrono
Valproinsäure
1,9
(C19,6)
0,76
Valproat Chrono Glenmark
Valproinsäure
1,5
(22,9)
0,56
Valproat HEXAL
Valproinsäure
1,1
(C28,7)
0,78
Valproat STADA
Valproinsäure
1,1
(C50,8)
0,57
Valpro AL
Valproinsäure
1,0
(C0,4)
0,69
Valproat-1 A Pharma
Valproinsäure
0,96
(C93,2)
0,61
Valproat-biomo
Valproinsäure
0,68
(C293,8)
0,56
53,5
(C1,1)
0,76
Phenytoin Phenhydan
Phenytoin
2,7
(C8,5)
0,26
Phenytoin AWD
Phenytoin
2,1
(20,3)
0,26
4,8
(6,5)
0,26
Barbiturate Luminal/Luminaletten
Phenobarbital
2,8
(3,2)
0,50
Mylepsinum
Primidon
1,7
(6,0)
0,82
Liskantin
Primidon
1,5
(C1,2)
1,05
Primidon Holsten
Primidon
0,90
(C6,7)
0,87
6,9
(1,8)
0,75
(C3,7)
1,29
(12,2)
1,47
3,4
(C2,3)
1,31
Benzodiazepine Rivotril
Clonazepam
3,1
Antelepsin
Clonazepam
0,25
Weitere Antiepileptika Ospolot
Sultiam
1,2
(8,9)
2,64
Petnidan
Ethosuximid
1,1
(1,4)
2,49
2,3
(5,6)
2,57
102,0
(1,6)
0,73
Summe
370
Kapitel 14 Antiepileptika
14.2
Neuere Antiepileptika
Seit 1992 sind in Deutschland 17 neue Antiepileptika in die Therapie eingeführt worden (. Tab. 14.2). Sie bieten zusätzliche Therapieoptionen, gestalten aber die Auswahl auch komplexer. Vierzehn dieser neuen Wirkstoffe waren 2019 unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln vertreten. In der Regel wurden die neuen Antiepileptika zunächst als Zusatztherapie bei nicht ausreichend behandelbaren Epilepsien eingeführt. Inzwischen sind
Vigabatrin, Lamotrigin, Gabapentin, Topiramat, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Zonisamid, Lacosamid und Eslicarbazin für Mono- und Zusatztherapie zugelassen. Bisher liegen jedoch nur wenige vergleichende klinische Studien vor, in denen die neuen Substanzen untereinander oder mit den alten Antiepileptika verglichen wurden. Durch die Einführung von neuen Antiepileptika sind die Therapiemöglichkeiten verbessert worden, obwohl die Belege für ihre Überlegenheit gegenüber den älteren Vertretern relativ spärlich sind (Hitiris und Bro-
. Tabelle 14.2 Neuere Antiepileptika
14
Einführung
Wirkstoff
Präparat
Anwendungsgebiete
1992
Vigabatrin
Sabril
Zusatztherapie pharmakoresistenter Anfälle, Monotherapie infantiler Spasmen
1993
Lamotrigin
Lamictal
Mono- und Zusatztherapie
1995
Gabapentin
Neurontin
Mono- und Zusatztherapie, neuropathischer Schmerz
1995
Felbamat
Taloxa
Kombinationstherapie bei Lennox-Gastaut-Syndrom
1997
Tiagabin
Gabitril*
Zusatztherapie bei partiellen Anfällen
1998
Topiramat
Topamax
Mono- und Zusatztherapie
2000
Levetiracetam
Keppra
Mono- und Zusatztherapie
2000
Oxcarbazepin
Trileptal
Mono- und Zusatztherapie
2004
Pregabalin
Lyrica
Neuropathischer Schmerz, Zusatztherapie bei partiellen Anfällen, Angststörungen
2005
Zonisamid
Zonegran
Mono- und Zusatztherapie bei fokalen Anfällen
2007
Rufinamid
Inovelon
Zusatztherapie bei Lennox-Gastaut-Syndrom
2008
Lacosamid
Vimpat
Mono- und Zusatztherapie bei fokalen Anfällen
2008
Stiripentol
Diacomit
Zusatztherapie bei schwerer myoklonischer Epilepsie im Kindesalter (Dravet-Syndrom)
2009
Eslicarbazepin
Zebinix
Mono- und Begleittherapie bei partiellen Anfällen
2011
Retigabin
Trobalt**
Zusatztherapie bei fokalen Anfällen
2012
Perampanel
Fycompa
Zusatztherapie bei fokalen und tonisch-klonischen Anfällen
2016
Brivaracetam
Briviact
Zusatztherapie bei fokalen Anfällen
* Marktrücknahme 2013 in Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen ** 2012 Marktrücknahme in Deutschland wegen nicht belegten Zusatznutzens, 2017 weltweite Marktrücknahme wegen geringer Anwendung
371 14.2 Neuere Antiepileptika
die 2006). Trotzdem werden in einer Leitlinie amerikanischer Fachgesellschaften neuere Antiepileptika (Lamotrigin, Levetiracetam, Zonisamid) für die Erstbehandlung empfohlen (Kanner et al. 2018). Dagegen hat das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (2018) seine bisherige Haltung gegenüber neueren Antiepileptika nur punktuell geändert und lediglich Lamotrigin neben Carbamazepin als Mittel der Erstlinienbehandlung fokaler Anfälle empfohlen. Diese weitgehend unveränderte Position wird damit begründet, dass die Ergebnisse der Monotherapiestudien keine verwertbaren Unterschiede in der Wirksamkeit zwischen neueren und älteren Antiepileptika aufweisen. Auch mit der Kombinationstherapie wird nur selten eine Anfallsfreiheit erreicht. Es gibt auch keine gute Evidenz, dass irgendein Antiepileptikum den anderen bezüglich einer langanhaltenden Anfallsfreiheit überlegen ist. Das hat auch eine Metaanalyse über die klinische Vergleichbarkeit neuerer Antiepileptika bestätigt, die bei therapierefraktären Epilepsien nur relativ geringe Unterschiede fand (Costa et al. 2011). Aus diesem Grunde gibt NICE (2018) in seiner aktualisierten Leitlinie die Empfehlung, dass neuere Antiepileptika nur für Patienten mit Therapieresistenz oder Unverträglichkeit älterer Mittel sowie für Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter reserviert werden sollen.
14.2.1
Lamotrigin
14
exzitatorischer Neurotransmitter vom Typ des Glutamats. Die Zusatztherapie mit Lamotrigin senkte die Anfallsfrequenz bei 13–67 % von sonst therapierefraktären Patienten um mindestens 50 % (Goa et al. 1993). Als Monotherapie hat Lamotrigin eine ähnliche Wirksamkeit wie Carbamazepin, ist aber nach einem Cochrane-Review besser verträglich (Nevitt et al. 2018). Weiterhin hat die SANAD-Studie gezeigt, dass Lamotrigin bei partieller Epilepsie klinisch deutlich besser wirksam war als die Standardsubstanz Carbamazepin (Marson et al. 2007a).
14.2.2
Gabapentin
Gabapentin wurde 1995 als Zusatztherapie bei partiellen Anfällen mit und ohne Generalisierung eingeführt. Nach kontinuierlichen Anstiegen über viele Jahre haben die Verordnungen seit 2014 ein Plateau erreicht (. Abb. 14.2). Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Gabapentin für die Monotherapie wurden in drei großen Multizenterstudien nachgewiesen (Beydoun 1999). Gabapentin weist eine strukturelle Ähnlichkeit zu ”Aminobuttersäure (GABA) auf und erhöht die GABA-Freisetzung. Seit 2001 ist Gabapentin auch für die Behandlung neuropathischer Schmerzen zugelassen. Bei Patienten mit diabetischer Neuropathie wirkte Gabapentin über einen Zeitraum von 6–8 Wochen etwas besser als Placebo (2,5 versus 1,4 Punkte) und ähnlich wie Amitriptylin (52 % versus 67 % Schmerzlinderung) (Gabapentin Diabetic Neuropathy Study Group et al. 1998; Morello et al. 1999). Gabapentin ist damit eine Alternative zur Therapie neuropathischer Schmerzen, bietet aber keine Vorteile gegenüber Amitriptylin.
Lamotrigin wurde 1993 als zweiter Vertreter der neuen Antiepileptika eingeführt. Die Verordnungen sind 2019 weiter gestiegen (. Tab. 14.3). Als Phenyltriazinderivat zeigt es strukturelle Verwandtschaft zu den Folatreduktasehemmstoffen Pyrimethamin und Trimethoprim und ist ebenfalls ein schwacher 14.2.3 Topiramat Hemmstoff dieses Enzyms. Seine Hauptwirkung besteht in der Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle und einer daraus resul- Topiramat (Topamax) wurde 1998 in Deutschtierenden Hemmwirkung auf die Freisetzung land als Zusatztherapie bei therapieresistenten
372
Kapitel 14 Antiepileptika
. Tabelle 14.3 Verordnungen neuerer Antiepileptika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Lamotrigin Lamotrigin Aristo
Lamotrigin
13,2
(C18,7)
0,75
Lamotrigin Heumann
Lamotrigin
8,1
(C37,2)
0,90
Lamotrigin Aurobindo
Lamotrigin
7,2
(12,9)
0,78
Lamotrigin dura
Lamotrigin
5,1
(C30,3)
0,68
Lamotrigin Desitin
Lamotrigin
4,0
(C10,2)
0,94
Lamotrigin-neuraxpharm
Lamotrigin
2,8
(C21,4)
0,92
Lamictal
Lamotrigin
2,4
(C9,8)
1,00
Lamotrigin-1 A Pharma
Lamotrigin
1,7
(19,2)
0,71
Lamotrigin-ratiopharm
Lamotrigin
1,0
(35,7)
0,94
Lamotrigin TEVA
Lamotrigin
0,76
(28,6)
0,88
Lamotrigin acis
Lamotrigin
0,61
(C57,7)
0,99
46,9
(C10,4)
0,82
Gabapentin
14
Gabapentin Micro Labs
Gabapentin
32,7
(C14,5)
1,56
Gabapentin Aurobindo
Gabapentin
3,4
(22,5)
1,61
Gabapentin Aristo
Gabapentin
3,3
(26,2)
1,70
Gabapentin AL
Gabapentin
1,7
(11,1)
1,25
Gabapentin TEVA
Gabapentin
1,1
(24,1)
1,62
Gabapentin-1 A Pharma
Gabapentin
1,0
(C11,6)
1,68
Gabapentin AAA Pharma
Gabapentin
0,88
(24,8)
1,73
Gabapentin AbZ
Gabapentin
0,81
(13,8)
1,75
Gabapentin-ratiopharm
Gabapentin
0,80
(40,7)
1,80
Gabapentin Glenmark
Gabapentin
0,62
(C643,7)
1,30
Gabapentin HEXAL
Gabapentin
0,45
(6,3)
1,69
Gabapentin Holsten
Gabapentin
0,42
(C234,3)
1,25
47,3
(C2,9)
1,57
Oxcarbazepin Apydan extent
Oxcarbazepin
5,9
(C0,1)
1,55
Oxcarbazepin AL
Oxcarbazepin
1,8
(9,2)
1,44
Oxcarbazepin dura
Oxcarbazepin
1,6
(C46,8)
1,42
14
373 14.2 Neuere Antiepileptika
. Tabelle 14.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Trileptal
Oxcarbazepin
1,6
(C1,2)
1,75
Oxcarbazepin-neuraxpharm
Oxcarbazepin
1,3
(7,7)
1,44
Timox/-extent
Oxcarbazepin
0,70
(4,3)
1,92
Oxcarbazepin-1 A Pharma
Oxcarbazepin
0,61
(34,1)
1,70
13,5
(0,8)
1,56
Levetiracetam Levetiracetam-PUREN
Levetiracetam
20,6
(C6,5)
1,13
Levetiracetam UCB
Levetiracetam
15,2
(C17,4)
0,94
Levetiracetam Zentiva
Levetiracetam
13,1
(C23,6)
0,92
Levetiracetam Heumann
Levetiracetam
11,3
(22,7)
1,15
Levetiracetam Hormosan
Levetiracetam
7,4
(C73,1)
0,94
Levetiracetam Aurobindo
Levetiracetam
5,6
(61,9)
1,17
Levetiracetam-1 A Pharma
Levetiracetam
4,5
(C100,6)
1,12
Levetiracetam-neuraxpharm
Levetiracetam
3,6
(22,1)
0,95
Levetiracetam Aristo
Levetiracetam
2,6
(C25,7)
1,01
Levetiracetam BASICS
Levetiracetam
2,3
(C169,6)
0,68
Levetiracetam Accord
Levetiracetam
1,9
(C828,7)
0,78
Levetiracetam AL
Levetiracetam
1,6
(C42,8)
0,89
Levetiracetam beta
Levetiracetam
1,6
(C24,0)
0,70
Levetiracetam HEXAL
Levetiracetam
1,4
(C85,0)
1,32
Levetiracetam Desitin
Levetiracetam
1,3
(C18,5)
1,23
Levetiracetam-ratiopharm
Levetiracetam
1,3
(C13,0)
1,91
Keppra
Levetiracetam
0,34
(28,3)
4,00
95,9
(C3,6)
1,05
Topiramat Topiramat Glenmark
Topiramat
2,8
(C17,7)
2,00
Topiramat Aurobindo
Topiramat
1,4
(24,2)
2,32
Topamax
Topiramat
0,77
(6,6)
2,27
Topiramat Heumann
Topiramat
0,34
(2,9)
2,24
Topiramat-1 A Pharma
Topiramat
0,33
(C42,4)
2,08
5,6
(C0,4)
2,14
374
Kapitel 14 Antiepileptika
. Tabelle 14.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Pregabalin Pregabalin-neuraxpharm
Pregabalin
53,8
(C76,2)
1,80
Pregabalin beta
Pregabalin
22,5
(C37,4)
1,79
Pregabalin Glenmark
Pregabalin
6,3
(C20,0)
1,72
Pregabalin BASICS
Pregabalin
6,2
(17,6)
1,87
Pregabin
Pregabalin
5,4
(37,4)
1,76
Pregabador TAD
Pregabalin
3,9
(48,7)
1,73
Pregabalin ratiopharm
Pregabalin
3,4
(31,3)
1,85
Pregabalin Pfizer
Pregabalin
3,1
(C98,8)
1,76
Pregabalin AbZ
Pregabalin
2,4
(57,1)
1,85
Pregabalin Accord
Pregabalin
2,2
(> 1.000)
1,79
Lyrica
Pregabalin
1,8
(84,5)
1,72
Pregabalin-1 A Pharma
Pregabalin
1,7
(63,9)
1,80
Pregabalin AL
Pregabalin
1,4
(26,0)
1,98
Pregabalin Aristo
Pregabalin
1,1
(C868,4)
1,75
Pregatab
Pregabalin
0,66
(C779,6)
2,28
PregabaHEXAL
Pregabalin
0,38
(63,7)
1,89
116,1
(C8,1)
1,80
12,9
(C16,1)
7,28
Weitere neue Antiepiletika
14
Vimpat
Lacosamid
Briviact
Brivaracetam
5,0
(C46,8)
2,36
Zebinix
Eslicarbazepin
1,9
(C13,6)
6,31
Fycompa
Perampanel
1,6
(C52,0)
4,81
Zonegran
Zonisamid
1,0
(8,7)
6,56
Zonisamid Glenmark
Zonisamid
0,62
(> 1.000)
5,03
Sabril
Vigabatrin
0,52
(C0,4)
3,94
Inovelon
Rufinamid
0,40
(C3,1)
9,36
Buccolam
Midazolam
0,26
(C11,6)
25,46
24,2
(C24,1)
6,09
349,5
(C6,9)
1,72
Summe
375 14.2 Neuere Antiepileptika
fokalen und sekundär generalisierten Anfällen eingeführt. Eine Besonderheit des pharmakologischen Profils von Topiramat ist die Hemmung der neuronalen Erregbarkeit durch Blockade von Glutamatrezeptoren vom AMPATyp, die neben einer Natriumkanalblockade und einer benzodiazepinähnlichen Verstärkung GABAA -Rezeptor-vermittelter Hemmwirkungen zur antiepileptischen Wirkung beiträgt. Nach einem Cochrane-Review über 11 placebokontrollierte Studien mit 1.401 Patienten mit therapieresistenter partieller Epilepsie ist Topiramat dreifach wirksamer als Placebo (Pulman et al. 2014). Die Zusatztherapie mit Topiramat ist jedoch bisher nur kurzfristig (11–19 Wochen) untersucht worden und hat ein deutlich erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen. In der SANAD-Studie war Topiramat im direkten Vergleich mit Valproinsäure und Lamotrigin schlechter verträglich (Marson et al. 2007a, 2007b). Wichtigste Nebenwirkungen sind psychische und kognitive Veränderungen, Gewichtsabnahme und gelegentlich das Auftreten von Nierensteinen. Die Einnahme von Topiramat in der Schwangerschaft erhöht das Missbildungsrisiko (Veroniki et al. 2017). Im Jahre 2004 erhielt Topiramat auch die Zulassung für die Migräneprophylaxe. Die Anwendung in dieser Indikation ist gering aber zunehmend (Baftiu et al. 2016). Insgesamt bewegen sich die Verordnungen von Topiramat weiterhin auf einem niedrigen Niveau und haben sich 2019 kaum verändert (. Tab. 14.3).
14
wirksam (Anfallsfreiheit 56,6 %) wie Carbamazepin (58,5 %) (Brodie et al. 2007). Auch die Abbruchraten zeigten keinen signifikanten Unterschied (14,4 % versus 19,2 %). Levetiracetam bindet spezifisch an das synaptische Vesikelprotein SVZA und beeinflusst dadurch möglicherweise die Freisetzung inhibitorischer Neurotransmitter (Lynch et al. 2004). Ein Cochrane-Review hat bestätigt, dass die Zusatztherapie mit Levetiracetam bei therapieresistenten fokalen Epilepsien eine deutliche Senkung der Anfallshäufigkeit bei Erwachsenen und Kindern bewirkt (Mbizvo et al. 2012). Eine Netzwerkmetaanalyse hat gezeigt, dass Levetiracetam ebenso wie Lamotrigin kein signifikant erhöhtes Missbildungsrisiko im Vergleich zu Kontrollen aufweist (Veroniki et al. 2017).
14.2.5
Oxcarbazepin
Oxcarbazepin hat als Carbamazepinderivat ein ähnliches Wirkungsspektrum und eine vergleichbare antiepileptische Aktivität wie die Ursprungssubstanz. Es wird in der Leber zu dem aktiven Metaboliten 10Hydroxycarbazepin reduziert, der primär die antiepileptische Wirkung vermittelt. Oxcarbazepin verursacht weniger unerwünschte Wirkungen und Arzneimittelinteraktionen als Carbamazepin (Übersicht bei LaRoche und Helmers 2004). Nach einem Cochrane-Review sind Oxcarbazepin und Carbamazepin bei Patienten mit partiellen Anfällen ähnlich 14.2.4 Levetiracetam wirksam und verträglich (Koch und Polman 2009). Mit Carbamazepin behandelte Patienten litten seltener unter Übelkeit und Erbrechen. Levetiracetam ist nach Pregabalin das meistDie Verordnungen von Oxcarbazepin waren verordnete Antiepileptikum mit einem erneu2019 annähernd konstant (. Tab. 14.3). ten Zuwachs im Jahre 2019 (. Tab. 14.3). Bei der Anwendung von Levetiracetam als Zusatztherapeutikum lagen die Ansprechra- 14.2.6 Lacosamid ten (23–42 %) in mehreren Studien höher als mit Placebo (10–17 %) (Dooley und Plosker 2000). Als Monotherapeutikum war Levetir- Lacosamid (Vimpat) ist ein D-Serinanalogon, acetam bei 579 Patienten mit erstmals diagnos- das keine Strukturverwandtschaft zu anderen tizierter Epilepsie nach 12 Monaten genauso Antiepileptika aufweist und in einer Serie von
376
Kapitel 14 Antiepileptika
funktionalisierten Aminosäuren als Antiepileptikum geprüft wurde. Bisher gibt es Hinweise, dass Lacosamid die langsame Inaktivierung des spannungsabhängigen Natriumkanals verstärkt, ohne die schnelle Inaktivierung zu beeinflussen, so dass damit eine Stabilisierung einer neuronalen Überaktivität möglich erscheint. Weiterhin kommt als mögliches Bindungsprotein das Collapsin Response Mediator Protein 2 (CRMP 2) in Frage, das an der neuronalen Differenzierung und dem Auswachsen von Axonen beteiligt ist (Übersicht bei Perucca et al. 2008). Lacosamid wurde als Zusatztherapie zu 1–2 Antiepileptika an 418 erwachsenen Patienten mit nicht ausreichend kontrollierten partiellen Anfällen untersucht und senkte die Anfallshäufigkeit dosisabhängig um 10–40 % (Ben-Menachem et al. 2007). Eine Übersichtsarbeit bestätigt, dass Lacosamid die Anfallsfrequenz bei fokaler Epilepsie wirksamer als Placebo senkt, aber häufiger zu Nebenwirkungen und Therapieabbrüchen führt (Nunes et al. 2013).
14.2.7
14
Pregabalin
Pregabalin bleibt weiterhin der führende Wirkstoff der neueren Antiepileptika und hat 2019 mit der Einführung weiterer Generika nochmals zugenommen (. Tab. 14.3). Das lipophile GABA-Derivat hat ähnliche Eigenschaften wie Gabapentin, wirkt aber nicht auf GABAerge Mechanismen, sondern hemmt durch Bindung an die ’2 -• Untereinheit des spannungsabhängigen Calciumkanals den depolarisationsabhängigen Calciumeinstrom und moduliert die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter. Indikationsgebiete sind neuropathische Schmerzen, Zusatztherapie von partiellen Anfällen mit und ohne sekundäre Generalisierung sowie generalisierte Angststörungen. Bei therapieresistenter partieller Epilepsie lagen die Ansprechrate bei nahezu 50 % und die
Anfallsfreiheit bei 3–17 % der Patienten (Übersicht bei Brodie 2004). Pregabalin wird fast ausschließlich (89 %) für die Behandlung neuropathischer Schmerzen eingesetzt. Es wurde in 19 kontrollierten Studien an 7.003 Patienten mit diabetischer postherpetischer Neuralgie, diabetischer Neuropathie, zentralen neuropathischen Schmerzen und Fibromyalgie geprüft und war in Dosierungen von 300–600 mg/Tag wirksamer als Placebo (Moore et al. 2009). In einer neueren Metaanalyse gehört Pregabalin neben Gabapentin, Venlafaxin, Duloxetin und den trizyklischen Antidepressiva zu den Arzneimitteln, die für die Erstlinienbehandlung neuropathischer Schmerzen empfohlen werden, zeigt aber eine deutlich höhere NNT (Number needed to treat) als trizyklische Antidepressiva (Finnerup et al. 2015).
14.2.8
Brivaracetam
Brivaracetam (Briviact) zeigte 2019 nochmals einen kräftigen Verordnungszuwachs (. Tab. 14.3). Das Levetiracetamderivat bindet mit einer 20-fach höheren Affinität an das synaptische Vesikelproteins als seine Muttersubstanz, zeigt aber nur eine ähnliche Wirksamkeit und Verträglichkeit wie andere neue Antiepileptika (Stephen und Brodie 2017). Nach einem Cochrane-Review senkt Brivaracetam bei arzneimittelresistenter Epilepsie als Zusatztherapie die Anfallshäufigkeit (Bresnahan et al. 2019). Die Nutzenbewertung durch den G-BA hat keinen Beleg für einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie mit anderen Antiepileptika ergeben. Daraufhin hat die Herstellerfirma Briviact zunächst ab dem 1. November 2016 außer Vertrieb gesetzt, dann aber nach Abschluss der Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband mit einem um 48 % gesenkten Erstattungsbetrag wieder bereitgestellt.
377
14
Literatur
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378
Kapitel 14 Antiepileptika
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14
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15
Antihypertonika Manfred Anlauf und Franz Weber
Auf einen Blick
Verordnungsprofil In diesem Kapitel zu speziellen Antihypertonika werden neben den Empfehlungen zur antihypertensiven Therapie Alpharezeptorenblocker und zentral wirkende Antisympathotonika sowie Kombinationspräparate von Betarezeptorenblockern und Calciumantagonisten dargestellt. Trend Auf diese meist älteren Präparate entfällt im Vergleich zu den fünf wichtigen Gruppen der Antihypertonika (Diuretika, Betarezeptorenblocker, ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorantagonisten, Calciumantagonisten) nur ein kleiner Anteil der Verordnungen. Monopräparate eingeschlossen zeigt sich bei den Antihypertonika eine Zunahme der Verordnungen von 3,8 % im Vergleich zum Vorjahr. Sie ist fast ausschließlich eine Folge der Verordnungszunahme von Sartanen um 10,8 %. Von den hier auch besprochenen Vasodilatatoren gegen pulmonale Hypertonie sind in dieser Liste wieder zwei Präparate statt einem im Vorjahr vertreten.
Eine arterielle Hypertonie besteht trotz sehr guter Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland bei einem großen Teil der Bevölkerung. Sie begünstigt das Auftreten von Apoplexie, Demenz, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Nierenversagen und peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Welche Komplikationen bei welcher Blutdruckhöhe vermehrt auftreten, ist abhängig von systolischem und diastolischem
Druck und der Blutdruckamplitude (Rapsomaniki et al. 2014), sowie Alter und Geschlecht. Der günstige Effekt einer konsequenten antihypertensiven Arzneitherapie auf Morbidität und Mortalität des Hochdruckpatienten ist durch zahlreiche Studien belegt. In absoluten Werten ist er umso größer, je höher das kardiovaskuläre Ausgangsrisiko ist (Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration 2014; Ho et al. 2018). In einer Einzelstudie (The SPRINT Research Group 2015), aber auch metaanalytisch wurde der Nutzen einer Blutdrucksenkung selbst bei systolischen Ausgangswerten von unter 140 mm Hg gezeigt (Ettehad et al. 2016; Thomopoulosa et al. 2017). Das kardiovaskuläre Gesamtrisiko wird bestimmt durch demographische Charakteristika, Labor-Parameter vor allem des Lipid- und Glukosestoffwechsels, hochdruckbedingte Organschäden sowie manifeste kardiovaskuläre und renale Erkrankungen (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018). Die Messung möglichst repräsentativer Blutdruckwerte auch außerhalb der Praxis (Selbstmessung, 24h-Blutdruckmessung) ist zur Vermeidung blutdrucksteigender, seltener auch senkender Weißkitteleffekte (Agarwal 2017; Anlauf und Weber 2018b) in der Regel unumgänglich. Im Alter von 18 bis 79 Jahre leidet in Deutschland etwa jeder Dritte an einer arteriellen Hypertonie (Kintscher et al. 2014). Die Prävalenz der Hypertonie steigt mit dem Alter, isolierte systolische Hypertonien (ISH) werden häufiger als systolisch-diastolische Blutdruckerhöhungen (Neuhauser et al. 2016). Aber auch bei 18–49jährigen ist eine ISH nicht sel-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_15
380
15
Kapitel 15 Antihypertonika
ten und risikosteigernd (Yano et al. 2015). Nachdem kontrollierte Studien gezeigt hatten, dass eine antihypertensive Therapie auch im Alter die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität senkt (Übersicht bei Aronow et al. 2011), wurden Studien mit neueren Medikamenten sogar vorzugsweise an Älteren mit hohem kardiovaskulärem Gesamtrisiko vorgenommen (Übersicht bei Anlauf und Weber 2005). Selbst bei über 80jährigen hat die antihypertensive Therapie einen günstigen Einfluss auf Morbidität und Mortalität, wenn die Komorbidität niedrig ist (Beckett et al. 2008, 2011, HYVET; Williamson et al. 2016), selbst dann, wenn der systolische Blutdruck intensiv (soweit verträglich auch unter 130 mm Hg) gesenkt wird (Byrne et al. 2019). Zur Frage der Indikation einer Pharmakotherapie der Hypertonie empfehlen maßgebliche nationale und internationale Institutionen (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018; Whelton et al. 2018) und Leitlinien (siehe 7 Abschn. 15.1.1) vor Therapiebeginn eine Risikostratifizierung insbesondere bei Jüngeren und bei leichter Hypertonie (Ausnahme James et al. 2014; Ho et al. 2018). Hierbei werden neben der Blutdruckhöhe die oben genannten Faktoren berücksichtigt. Das Verfahren wurde unter anderem anhand der individuellen Daten von über 50.000 Patienten aus 11 kontrollierten Studien intern validiert. Auf den vier unterschiedlichen Risikostufen war die relative Risikosenkung durch antihypertensive Therapie mit 13–18 % ähnlich (Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration 2014). Eine medikamentöse Therapie sollte erwogen werden, wenn eine Hypertonie bei wiederholten Messungen bestätigt und eine „Praxishypertonie“ ausgeschlossen wurde, insbesondere durch ambulante Blutdruck-Langzeitmessung. Ein unverzüglicher Beginn ist nach neueren Empfehlungen (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018) dann notwendig, wenn
der Blutdruck 160/100 mm Hg erreicht oder übersteigt, ab 140/90 mm Hg bei Risikopatienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, Nierenkrankheit oder hochdruckvermittelten Organschäden. Bei allen Schweregraden des Hochdrucks werden den Blutdruck senkende Änderungen des Lebensstils empfohlen, auch bereits bei sogenanntem hochnormalem Druck (130–139/85–89 mm Hg). Liegt eine Hypertonie des Schweregrades 1 (140–159/90–99 mm Hg) mit leichtem Risiko und ohne eine der genannten Organveränderungen vor, kann deren Wirkung über 3–6 Monate abgewartet werden, bevor mit einer zusätzlichen medikamentösen Therapie begonnen wird.
15.1
Arzneimittelauswahl
Für die medikamentöse Hochdruckbehandlung steht eine große Zahl von Arzneistoffen mit vielfältigen Angriffspunkten zur Verfügung. Bedeutsam für die Auswahl sind Wirksamkeitsnachweis, Wirkungsprofil und Nebenwirkungen sowie positive oder negative Wirkungen bei zusätzlich bestehenden Krankheiten und Gesundheitsrisiken. Vor allem bei koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Nephropathie können Zusatzwirkungen, z. B. der Betarezeptorenblocker (siehe 7 Kap. 19) oder der Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (siehe 7 Kap. 6), genutzt werden. Therapiestrategien des sukzessiven Aufbaus einer Kombinationsbehandlung („Stufentherapie“) oder von sequentiellen Monotherapien werden lediglich noch für gebrechliche Patienten oder bei Hypertonie Grad 1 empfohlen. In allen übrigen Fällen wird eine primäre Kombinationstherapie mit zwei oder sogar drei (Salam et al. 2019) Antihypertensiva bevorzugt, soweit möglich in Form einer einzigen Tablette zur Erhaltung der Compliance. Da jetzt seit Jahrzehnten Innovationen bei der medikamentösen Hochdrucktherapie ausgeblieben sind, treten möglichst wirkungsvolle Anwendungen der bestehenden Thera-
381 15.1 Arzneimittelauswahl
15
piemöglichkeiten in den Vordergrund (Beispie- punkte bei 137/79 mm Hg, bei Diabetikern bei le sind: Chow et al. 2017; Williams et al. 2018). 131/69 mm Hg und bei über 69jährigen dagegen bei 140/70 mm Hg (Sim et al. 2014). Bemerkenswert ist, dass das National Institute for Health and Care Excellence (2019) seine 15.1.1 Geltende Empfehlungen allgemeinen Zielwertempfehlungen von unter 140/90 mm Hg, von unter 150/90 mm Hg bei Ziel der Blutdruckeinstellung waren bisher in 80jähringen und älteren seit Jahren nicht geder Regel Werte unter 140/90 mm Hg In der ändert hat. Canadian Hypertension (2020), eiaktuellen europäische Leitlinie zur Behand- ne nationale non-profit Organisation, betrachlung der arteriellen Hypertonie wurden auf tet bei nicht-diabetischen Hypertonikern Prader Grundlage der SPRINT-Studie und von xis-Zielwerte von unter 140/90 mm Hg als Metaanalysen für Erwachsene folgende Ziel- einen Kompromiss, da Patienten mit niedriwertkorridore empfohlen bei Messungen in der gem Risiko davon kaum einen Nutzen hätten, Praxis (The Task Force for the management of während Hochrisikopatienten sogar von niedarterial hypertension of the European Society rigeren Werten profitieren könnten. Bei Nieof Hypertension and the European Society of drigrisikopatienten belegt eine neuere MetanaCardiology 2018): Systolisch bis zum 65. Le- lyse zudem eine erhöhtes Schadenspotential bensjahr 130–120 mm Hg, aber nicht niedriger, (Sheppard et al. 2018). Auch spricht einiges für über 65jährige 139–130 mm Hg soweit ver- für eine Unterschätzung der bei niedrigen Zieltragen. Dies gilt auch für Patienten mit Dia- werten in Kauf genommenen Risiken (Sexton betes mellitus, mit koronarer Herzkrankheit et al. 2017; Mancia and Corrao 2018). Denund Monate zurück liegendem Schlaganfall noch werden in der Praxis auch bei über 80jähoder TIA. Eine Ausnahme bilden lediglich un- rigen niedrige Blutdruckwerte unter Therapie ter 65jährige mit chronischer Nierenkrankheit. vielfach gut toleriert, wenn u. a. orthostatische Hier legten die Studien der Task Force ledig- oder postprandiale Hypotonien ausgeschlossen lich eine Senkung auf 139–130 mm Hg nahe. werden. In SPRINT lagen sie in dieser AltersDiastolisch gilt für alle Alters- und sonstige gruppe unter intensivierter Therapie im Mittel Gruppen ein Korridor von 70–79 mm Hg. Da- bei 127/62 mm Hg und reduzierten das kardiomit wurden die Europäischen Empfehlungen vaskuläre Risiko (Byrne et al. 2019). Für die unterschiedlichen Konsequenzen, den US-amerikanischen weitgehend angeglichen (Whelton et al. 2018). Bei Hypertonikern die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Leitliunter Therapie wurde wiederholt ein j- oder u- nien zur Risikofaktorenmedizin trotz gleicher förmiger Zusammenhang zwischen Blutdruck- Studienlage gezogen werden, dürften neben dihöhe und kardiovaskulärem Risiko dokumen- daktischen vor allem gesundheitsstrategische tiert (The Task Force for the management of Erwägungen auf Bevölkerungsebene eine Rolarterial hypertension of the European Society le spielen. Eine Bilanzierung der Erfahrungen mit of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018; Mancia et al. 2014), insbe- ACE-Hemmern, Calciumantagonisten und Ansondere beim diastolischen Druck (Khan et al. giotensinrezeptorantagonisten weisen diese als 2018; Vidal-Petiot et al. 2018). Blutdruckwer- gleichwertig aus. Betarezeptorenblocker werte unter 120/70 mm Hg sollten nicht angestrebt den vor allem dann eingesetzt, wenn für sie Zuwerden, auch wenn in epidemiologischen Un- satzindikationen vorliegen, für die Prävention tersuchungen therapieunabhängig keine j- oder größerer kardiovaskulärer Ereignisse, Schlagu-förmige Relation zwischen Blutdruckhöhe anfall und Nierenversagen zeigt sich eine Unund Morbiditätsrisiko gefunden wird (Rapso- terlegenheit im Vergleich zu anderen Antimaniki et al. 2014). In einer Kohortenstudie hypertensiva (Ettehad et al. 2016). Diuretika an fast 400.000 Personen lagen die Risikotief- werden für die Kombinationstherapie mit An-
382
15
Kapitel 15 Antihypertonika
giotensinhemmstoffen empfohlen, oder auch ergänzend alternativ zu Calciumantagonisten (The Task Force for the Management of Arterial Hypertension of the European Society of Hypertension and The European Society of Cardiology 2018). In einer großen retrospektiven Analyse waren Diuretika als initiale Monotherapeutika ACE-Hemmern überlegen (Suchard et al. 2019). In mehreren großen kontrollierten Studien qualifizierten sich ACE-Hemmer und Angiotensinrezeptorantagonisten für die Initialtherapie. Angiotensinrezeptorantagonisten gelten als indiziert bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern (vor allem Reizhusten, siehe 7 Kap. 6). Calciumantagonisten waren beim metaanalytischen Vergleich mit Diuretika zwar bei der Vermeidung des Schlaganfalls überlegen, aber bei Herzinsuffizienz unterlegen (Blood Pressure Lowering Treatment Trialists 2000; Ettehad et al. 2016). ALLHAT bestätigte dieses Ergebnis später auch für den langwirkenden nach Verordnungen erstrangigen Calciumantagonisten Amlodipin (The ALLHAT Officers and Coordinators 2002; Davis et al. 2006). NichtDihydropyridin-Calciumantagonisten unterlagen im Vergleich den anderen in der initialen Monotherapie verwendeten Substanzgruppen (Suchard et al. 2019). Alpha1 -Rezeptorenblocker gelten vorzugsweise als Kombinationspartner bei Therapieresistenz. Hier zeigte sich allerdings Spironolacton dem Doxazosin (Williams et al. 2015) ebenso wie dem Clonidin (Krieger et al. 2018) überlegen, da Therapieresistenz häufiger als vermutet Folge einer Aldosteron-bedingten Kochsalzretention sein kann. Die klassischen Antisympathotonika (Clonidin, Moxonidin) und direkte Vasodilatatoren (Dihydralazin, Minoxidil) sind aufgrund zahlreicher Nebenwirkungen nur noch Reservemittel (Weber und Anlauf 2014). Wie bisher sollten nach der europäischen Leitlinie (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the Eu-
ropean Society of Cardiology 2018) Diuretika, Betarezeptorenblocker, Calciumantagonisten, die RAS-Hemmer ACE-Hemmer bzw. Angiotensinrezeptorantagonisten vor allem in Abhängigkeit von Begleiterkrankungen und Verträglichkeit eingesetzt werden. Für Patienten mit unkomplizierter Hypertonie, mit koronarer Herzkrankheit (KHK), mit chronischer Nierenerkrankung (CNE), mit Herzinsuffizienz und reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) und mit Vorhofflimmern (FF) entwerfen ESH/ESC jeweils eigene Therapieschemata und Eskalationsstufen unter Betonung einer möglichst niedrigen Tablettenzahl/Tag (Egan et al. 2012; Chow et al. 2017; u. a.). In der Initialtherapie, möglichst in fixer Kombination einmal täglich, sollten nicht fehlen: Bei KHK oder HFrEF ein Betablocker, bei CNE oder HFrEF ein RAS-Hemmer. Bei Herzinsuffizienz (HFrEF und wohl auch HFeEF) ist initial auch ein Diuretikum indiziert. Für den weiteren Aufbau einer antihypertensiven Therapie gilt, dass prinzipiell jede Antihypertensivagruppe mit jeder kombiniert werden kann, zu vermeiden sind jedoch Nicht-Dihydropyridin-Calciumantagonisten plus Betablocker, Diuretikum plus Betablocker bei metabolischem Syndrom und ACE-Hemmer plus Angiotensinrezeptorantagonist. Weitere Individualisierungen der antihypertensiven Therapie sind möglich und können hohe Anforderungen stellen (Brown 2011; Beispiel in Anlauf 2013).
15.1.2
Gesichtspunkte und neuere Entwicklungen
Für Betarezeptorenblocker zeigen Metaanalysen eine Unterlegenheit bei der Verhinderung des Schlaganfalls (Ettehad et al. 2016; siehe auch 7 Kap. 19), von dem vor allem ältere Patienten nach einer epidemiologischen Studie stärker bedroht sind (Rothwell et al. 2005). Im Vergleich zu keiner Behandlung bzw. einer Placebotherapie wurde auch kei-
383 15.1 Arzneimittelauswahl
ne Abnahme der Gesamtmortalität gefunden (Wiysonge und Opie 2013). Diese Metaanalysen werden dominiert von Studien mit Atenolol, vergleichbare Studien zum häufig verordneten Nebivolol fehlen. Außerdem könnten Blutdruckdifferenzen zwischen den Behandlungsarmen (Staessen et al. 2000; Staessen und Birkenhäger 2005; Blood Pressure Lowering Treatment Trialists 2000) die gefundenen Wirksamkeitsunterschiede ebenfalls zumindest teilweise erklären. Eine andere Erklärung für eine Unterlegenheit von Betarezeptorenblockern im Vergleich zu Calciumantagonisten finden Rothwell et al. (2010a) in einer besseren Reduktion der Langzeit- d. h. „visitto-visit“-Variabilität des Blutdrucks durch Calciumantagonisten. Dieser Risikoindikator war von derselben Arbeitsgruppe beschrieben worden (Rothwell et al. 2010b). Eine Subgruppe, der möglicherweise durch Betarezeptorenblocker Schaden zugefügt wird, sind Diabetiker (Tsujimoto et al. 2018). Hierfür spricht auch eine Metaanalyse nicht-randomisierter bzw. von post-hoc Daten randomisierter Studien (Malik et al. 2019). Gegen einen bevorzugten Einsatz von Diuretika und Betarezeptorenblockern bei unkomplizierter Hypertonie spricht ihre diabetogene Wirkung u. a. wegen der zunehmenden Prävalenz des metabolischen Syndroms vor allem auch bei jüngeren Patienten. In ALLHAT und ASCOT trat bei Diuretika- bzw. Betarezeptorenblocker-basierter Therapie jährlich pro 140 bis 240 Patienten ein Diabetesfall mehr auf als unter den neueren Antihypertensiva (The ALLHAT Officers and Coordinators 2002; Dahlöf et al. 2005). In einer Netzwerkmetaanalyse von 22 Studien (Elliott und Meyer 2007) wurde folgende Rangfolge (nach Odds Ratio) für die Gefährdung aufgestellt, unter Therapie einen Diabetes mellitus zu entwickeln: Diuretika (diabetogenes Risiko: 1), Betarezeptorenblocker (0,9), Placebo (0,77), Calciumantagonisten (0,75), ACEHemmer (0,67), Angiotensinrezeptorantagonisten (0,57). Die pathogene Bedeutung der Veränderungen des Glucosestoffwechsels wird
15
unterschiedlich eingeschätzt. Nach Absetzen von Diuretika ist der Diabetes häufig reversibel, auch bei Vermeidung einer Hypokaliämie kann er weitgehend verhindert werden. Die wenigen Ergebnisse der hier notwendigen Langzeitbeobachtungen zum kardiovaskulären Risiko der diabetisch gewordenen Patienten (Verdecchia et al. 2004; Kostis et al. 2005; u. a.) sind methodisch problematisch und widersprüchlich. In einer Vergleichsstudie über 24 Wochen verhinderte der kombinierte Einsatz von Amilorid und Hydrochlorothiazid eine Verschlechterung der Glukosetoleranz, die unter Hydrochlorothiazid-Monotherapie auftrat (Brown et al. 2016). Unter den Diuretika sollte u. E. Chlortalidon gegenüber Hydrochlorothiazid bevorzugt werden. Offenbar erfolgt zurzeit eine entsprechende Verlagerung der Verordnungen (siehe . Tab. 24.1) Ein systematischer Review mit einer Netzwerkmetaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass Chlortalidon dem Hydrochlorothiazid in der Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse überlegen ist. Hierfür werden eine stärkere Wirkung auf den systolischen Blutdruck, eine längere Wirkdauer sowie pleomorphe Effekte verantwortlich gemacht (Roush et al. 2012). Eine Studie an einem kleinen Kollektiv von Patienten mit leicht erhöhtem Blutdruck bestätigte die gegenüber HCT stärkere, mittels 24 Std-Messung gemessene Blutdrucksenkung unter Chlortalidon insbesondere nachts (Pareek et al. 2016). In den ESH/ESCEmpfehlungen von 2018 werden Chlortalidon, Thiaziddiuretika und Indapamid jedoch weiterhin gleichstellt. Der aktuelle Nachweis einer Erhöhung des Hautkrebsrisikos unter HCT, bisher aber nicht unter Chlortalidon ist ein weiteres Argument für Chlortalidon (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2019; siehe auch 7 Kap. 24). Ob Antihypertensiva generell, in der Kombinationstherapie zumindest teilweise abends eingenommen werden sollten, wie es die Studien einer Arbeitsgruppe nahelegen (u. a. Hermida et al. 2019), ist strittig (Middeke et al. 2020).
384
Kapitel 15 Antihypertonika
15.2
Verordnungsspektrum
15.2.1
Die in diesem Kapitel dargestellten Antihypertonika beschränken sich auf Kombinationspräparate von Betarezeptorenblockern und Calciumantagonisten sowie auf Alpharezeptorenblocker und Antisympathotonika. An anderer Stelle werden Diuretika (7 Kap. 24), Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems (7 Kap. 6) sowie die Monopräparate der Betarezeptorenblocker (7 Kap. 19) und Calciumantagonisten (7 Kap. 21) dargestellt, die zum überwiegenden Teil und weit mehr als die hier besprochenen fixen Kombinationen und übrigen Medikamente für die antihypertensive Therapie eingesetzt werden. Die in . Abb. 15.1 dargestellten DDD zeigen, dass 2019 im Vergleich zum Vorjahr insgesamt nur 3,8 % mehr antihypertensiv wirkende Arzneimittel verordnet wurden, während zum Beispiel der Anstieg vor 13 Jahren noch 11,8 % betrug (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2006, Abb. 15.1). Jetzt liegt die jährliche Verordnung von Antihypertensiva bei einem Wert um 17 Mrd. DDD, theoretisch ausreichend, um mehr als jeden zweiten Deutschen mit einer Tagesdosis zu versorgen.
Betarezeptorenblockerkombinationen
Die Gesamtgruppe der Betarezeptorenblockerkombinationen sowie jede ihrer Untergruppen nahm im Jahr 2019 deutlich ab (. Tab. 15.1), wobei anzumerken ist, dass Monopräparate der hier ausschließlich vertretenen beta1 selektiven Betarezeptorenblocker etwa 12mal häufiger verordnet werden (siehe . Tab. 19.1) mit leicht steigender Tendenz. In der Regel ist die Wirkung der verschiedenen Betarezeptorenblocker auf den Ruheblutdruck bei äquivalenter Dosierung gleich. Unterschiede bestehen dagegen in den Nebenwirkungen. Unter beta1 -selektiver Blockade werden unerwünschte Effekte auf die Bronchialmuskulatur, die peripheren Gefäße und, vor allem relevant für Patienten mit metabolischem Syndrom und Diabetiker, den Glucosestoffwechsel seltener beobachtet. Für diese Patientengruppe gilt eine Betarezeptorenblocker-Diuretika-Kombination nicht als Therapieoption erster Wahl. Für eine in Metaanalysen sich andeutende Unterlegenheit des Atenolol z. B. im Vergleich zu Metoprolol gibt es keine plausible Erklärung (Lindholm et al. 2005). Die Abhängigkeit
7000 2018
2019 58395925
6000
15 (Mio. DDD)
5000 4035 4000
3643
3000 2312
2441 22002175 18621883
2000
1000 231 235
111 116
15
14
0 Calciumantagonisten
Diuretika
Betarezeptoren- Antisympatho- Alpharezeptoren- ACE-Hemmer blocker tonika blocker
Sartane
Renininhibitoren
. Abb. 15.1 Verordnungen von Antihypertonika 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
15
385 15.2 Verordnungsspektrum
. Tabelle 15.1 Verordnungen von Betarezeptorenblockerkombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Metoprololkombinationen MetoHEXAL comp/MetoHEXAL succ comp
Metoprolol Hydrochlorothiazid
22,8
(16,8)
0,30
Metoprololsuccinat plus-1 A Pharma/ Metoprolol plus HCT-1 A Pharma
Metoprolol Hydrochlorothiazid
10,2
(13,8)
0,36
Metodura comp
Metoprolol Hydrochlorothiazid
7,0
(C23,8)
0,19
Mobloc
Felodipin Metoprolol
3,3
(30,2)
0,42
Metoprolol comp AbZ
Metoprolol Hydrochlorothiazid
1,7
(63,6)
0,19
44,9
(17,0)
0,30
Atenololkombinationen Atenolol AL comp
Atenolol Chlortalidon
4,6
(16,5)
0,30
Tri-Normin
Atenolol Chlortalidon Hydralazin
1,8
(11,3)
0,73
6,4
(15,1)
0,42
Bisoprololkombinationen Bisoprolol-ratiopharm comp
Bisoprolol Hydrochlorothiazid
42,0
(9,6)
0,23
Bisoprolol comp AbZ
Bisoprolol Hydrochlorothiazid
28,7
(24,5)
0,18
Bisoprolol plus-1 A Pharma
Bisoprolol Hydrochlorothiazid
17,6
(16,6)
0,18
BisoHEXAL plus
Bisoprolol Hydrochlorothiazid
6,3
(34,8)
0,23
Biramlo
Bisoprolol Amlodipin
5,1
(C55,9)
0,42
Bisoprolol dura plus
Bisoprolol Hydrochlorothiazid
4,0
(C4,9)
0,23
Bisodipin TAD
Bisoprolol Amlodipin
2,3
(C36,3)
0,31
106,0
(14,5)
0,22
157,3
(15,3)
0,25
Summe
386
Kapitel 15 Antihypertonika
der Atenololelimination von der Nierenfunktion dürfte hierfür nicht ausreichen. Als Diuretikakomponenten der Kombinationen findet sich für Metoprolol sowie Bisoprolol Hydrochlorothiazid, lediglich für die Atenolol-Kombinationen das länger wirkende Chlortalidon, das in ALLHAT und einer Anzahl weiterer Studien eingesetzt wurde. Chlortalidon ist damit das bestdokumentierte Diuretikum bei arterieller Hypertonie. Dennoch spielte es bei uns bisher nur eine geringe Rolle. Seine Verordnungen haben sich in der Monotherapie jedoch mehr als verdoppelt und sind deutlich häufiger als in der Kombinationstherapie (siehe 7 Kap. 24, . Tab. 24.1). Hämodynamisch sinnvoll sind auch BetablockerKombinationen mit Calciumantagonisten vom Dihydropyridintyp. Gegen den Abwärtstrend der Gesamtgruppe fallen zwei Bisoprolol-Amlodipin-Kombinationen mit Steigerungen von über 30 % auf, allerdings auf niedrigem Niveau. Eine Metoprolol-Felodipin-Kombination ist dagegen deutlich gefallen, eine AtenololNifedipin-Kombination aus dieser Liste verschwunden.
15.2.2
15
Alpha1 -Rezeptorenblocker
Die Gesamtgruppe der Alpha1 -Rezeptorenblocker nahm 2019 gering zu (. Abb. 15.1). Doxazosin wird nach dem negativen Ergebnis der ALLHAT-Studie (siehe oben) nicht mehr für die Monotherapie und Zweifachkombinationen empfohlen. Eine Ausnahme bilden herzgesunde Männer mit prostatabedingten Miktionsstörungen, die sich unter Doxazosin bessern. Außerdem wird es als vierter Kombinationspartner bei nicht ausreichend blutdrucksenkender Dreifachkombination eingesetzt. Große Unterschiede in den
Änderungen der Verordnungszahlen einzelner Präparate korrelieren nicht mit unterschiedlichen DDD-Kosten, möglicherweise infolge intransparenter Rabattverträge. Als weiteres Präparat der Alpha1 -Rezeptorenblocker hat Ebrantil (Urapidil) weiter abgenommen zu Gunsten eines etwas preiswerteren generischen Präparates. Dennoch blieb Urapidil viermal bzw. dreimal so teuer wie Doxazosin (. Tab. 15.2). Urapidil wirkt nicht nur alpha1 -blockierend, sondern auch geringfügig alpha2 -stimulierend und serotoninantagonistisch.
15.2.3
Vasodilatatoren
Minoxidil, das seit langem teuerste Antihypertensivum, zeigt 2019 wieder eine Verordnungszunahme im Vergleich zum Vorjahr. Es handelt sich um ein Reserveantihypertensivum, das eine sorgfältige und nicht zu unterbrechende Kombinationsbehandlung mit einem frequenzsenkenden Antihypertensivum, vorzugsweise einem Betarezeptorenblocker, und einem hochdosierten Diuretikum notwendig macht. Etwas stärker zugenommen hat das preiswertere Dihydralazin, das jedoch im Gegensatz zu Minoxidil mehrmals täglich gegeben werden muss. Es sollte ebenfalls ausschließlich in der Kombinationstherapie verwendet werden (. Tab. 15.2). Alpha1 -Rezeptorenblocker und Vasodilatatoren können neben den oben genannten Hauptgruppen als Reserveantihypertensiva mit gleichen Kombinationsmöglichkeiten zusammengefasst werden (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018; Weber und Anlauf 2014). Auch Calciumantagonisten haben eine vasodilatatorische Wirkung.
15
387 15.2 Verordnungsspektrum
. Tabelle 15.2 Verordnungen von Alpharezeptorenblockern und Vasodilatatoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Doxazosin Doxazosin AL
Doxazosin
37,7
(C21,9)
0,28
Doxazosin Aurobindo
Doxazosin
13,1
(C1,6)
0,29
Doxagamma
Doxazosin
7,7
(24,6)
0,28
Doxazosin/-Cor-1 A Pharma
Doxazosin
7,7
(C33,6)
0,28
Doxazosin Heumann
Doxazosin
3,6
(30,1)
0,28
Doxazosin-ratiopharm
Doxazosin
2,7
(45,8)
0,27
Doxazosin STADA
Doxazosin
2,0
(C20,7)
0,30
74,6
(C4,0)
0,28
Weitere Alpha1 -Rezeptorenblocker Ebrantil
Urapidil
20,8
(2,2)
1,05
Urapidil Stragen
Urapidil
18,8
(C15,8)
0,87
39,6
(C5,6)
0,97
12,7
(C8,5)
0,75
2,2
(C5,0)
4,62
14,9
(C8,0)
1,33
129,1
(C4,9)
0,61
Direkte Vasodilatatoren Nepresol
Dihydralazin
Lonolox
Minoxidil
Summe
15.2.4
Antisympathotonika
Bei den Antisympathotonika ist Moxonidin seit mehreren Jahren mit jetzt wiederum 93 % der DDD der dominierende Vertreter dieser Gruppe (. Tab. 15.3). Es zeigt insgesamt eine leichte Verordnungszunahme allerdings mit großer Streuung zwischen den Präparaten. Die blutdrucksenkende Wirkung von Moxonidin wird genauso wie die Wirkung von Clonidin (und Methyldopa) über postsynaptische Alpha2A -Rezeptoren vermittelt, da bei-
de Substanzen bei Alpha2A -Knockoutmäusen wirkungslos sind (Zhu et al. 1999). Wirkungen und Dosisbereich von Moxonidin sind denen von Clonidin ähnlich. Die Wirkdauer ist jedoch länger, und die Häufigkeit von Nebenwirkungen soll bei leichter bis mittelschwerer Hypertonie niedriger sein. Der Markterfolg von Moxonidin hat jedoch keine Evidenzbasis in einer Senkung kardiovaskulärer Hochdruckkomplikationen. Im Gegensatz zu Betarezeptorenblockern kann die Substanz bei Patienten mit Herzinsuffizienz (NYHA II-IV) sogar gefährlich sein und ist hier deshalb kontraindi-
388
Kapitel 15 Antihypertonika
. Tabelle 15.3 Verordnungen von Antisympathotonika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Methyldopa Presinol
Methyldopa
2,0
(C8,1)
0,96
Methyldopa STADA
Methyldopa
1,7
(C28,4)
0,93
Dopegyt
Methyldopa
0,45
(34,5)
1,09
4,2
(C7,5)
0,96
Clonidin Clonidin-ratiopharm
Clonidin
10,7
(4,3)
0,50
Cloni STADA
Clonidin
1,7
(C10,0)
0,40
Catapresan
Clonidin
0,71
(C19,8)
0,72
13,0
(1,5)
0,50
Moxonidin Moxonidin AL
Moxonidin
72,2
(36,2)
0,26
Moxonidin Heumann
Moxonidin
71,1
(C244,3)
0,21
Moxonidin-1 A Pharma
Moxonidin
45,0
(C3,3)
0,21
Moxonidin AAA Pharma
Moxonidin
15,1
(30,7)
0,22
Moxonidin AbZ
Moxonidin
8,4
(C40,5)
0,21
Moxonidin HEXAL
Moxonidin
1,9
(40,2)
0,26
Moxonidin STADA
Moxonidin
1,6
(13,6)
0,21
215,2
(C2,4)
0,23
232,5
(C2,2)
0,26
Summe
15 ziert (Cohn et al. 2003). Moxonidin sollte bei Hochdruckpatienten mit Herzinsuffizienz nicht eingesetzt werden. Methyldopa hat hohe DDD-Kosten, ist aber bei Schwangerschaftshypertonie das Antihypertensivum erster Wahl neben einzelnen Kalziumantagonisten und Labetalol (nicht auf dem deutschen Markt) (The Task Force for the Management of Arterial Hypertension of the European Society of Hypertension and The European Society of Cardiology 2018). Methyldopa
zeigt eine Zunahme auf niedrigem Niveau, die günstigeren Clonidinpräparate sind dagegen eher rückläufig.
15.3
Pulmonale Hypertonie
Neben dem Endothelinantagonist Macitentan (Opsumit, DDD 0,75 Mio., Änderung C74,2 %, DDD-Nettokosten 21,36 C) ist 2019
389 15.4 Schlussbemerkung
wieder der Phosphodiesterase-5-Inhibitoren Sildenafil (Sildenafil-Heumann PAH, DDD 0,7 Mio., Änderung C73,2 %, DDD-Nettokosten 68,29 C) vertreten. Die verordneten DDD wären ausreichend für eine Dauerbehandlung von ca. 4.000 Patienten. Die DDD-Kosten sind sehr viel höher als die aller Mittel gegen arterielle Hypertonie. Eine Übersicht zu den heutigen Therapiemöglichkeiten sowie den wichtigsten Studien geben Hopkins und Rubin (2020). Zu den Phosphodiesterase-5-Inhibitoren in dieser Indikation siehe Anlauf und Weber (2018a) sowie Barnes et al. (2019). Macitentan hemmt im Vergleich zu Bosentan den Endothelinrezeptor A deutlich stärker als den Endothelinrezeptor B. In einer Studie an 242 Patienten steigerte Macitentan innerhalb 6 Monaten die 6-Minuten-Gehstrecke placebokontrolliert um 22 m (Pulido et al. 2013, SERAPHIN-Investigators). Erstmals wurden in dieser Studie auch die Wirkungen eines Endothelinrezeptorblockers auf Morbidität und Mortalität untersucht. Nach einer mittleren Behandlungsdauer von 27 Monaten trat der kombinierte Endpunkt (Tod, atriale Septotomie, Lungentransplantation, parenterale Prostanoidbehandlung, Verschlechterung der pulmonalen arteriellen Hypertonie) bei 31,4 % der mit Macitentan Behandelten auf, unter Placebo dagegen bei 46,4 %. Daran hatte die Verschlechterung der pulmonalen Hypertonie den größten Anteil mit 24,4 bzw. 37,2 % der Patienten. Die Mortalität an pulmonaler Hypertonie war gering und nicht signifikant unterschiedlich (2,1 bzw. 2,0 % der Patienten). Positiv beeinflusst wurde dagegen die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Mehta et al. 2017). Inzwischen wurde anhand dieser Studiendaten auch die prognostische Bedeutung der 6-Minuten-Gehstrecke bei pulmonaler Hypertonie untersucht. Erreichten Patienten über 400 m, so hatten sie eine bessere Prognose. Allerdings waren die therapiebedingten Änderungen der Gehstrecke nicht mit einer Änderung der Prognose assoziiert (Souza et al. 2018).
15.4
15
Schlussbemerkung
Vorrangig für die Wahl eines Antihypertensivums ist die Wahrscheinlichkeit, mit der Morbidität und Mortalität der Behandelten gesenkt werden. Anschaulich drückt sie sich in der Zahl der Patienten aus, die über einen gewissen Zeitraum behandelt werden muss, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu vermeiden (NNT, Number Needed to Treat). Sie ist umso kleiner je stärker der Patient durch das Gesamt seiner Risikofaktoren oder bereits manifeste Erkrankungen gefährdet ist (Anlauf und Weber 2005). Die Wirksamkeit von Antihypertensiva ist in zahlreichen kontrollierten Großstudien geprüft worden. Umfangreiche Metaanalysen haben unsere Kenntnisse vertieft und ermöglichen weitere allgemeine Schlussfolgerungen, wie den Vorrang der antihypertensiven Wirkung gegenüber besonderen organprotektiven Substanzeigenschaften. Dies gilt allerdings nicht für jedwede Organprotektion wie z. B. der besonders wirksame Einsatz von Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems bei Herzinsuffizienz oder Nephropathien zeigt. Da seit über fünfzehn Jahren fast ausschließlich Vergleichsstudien zwischen verschiedenen Antihypertensiva publiziert werden (Ausnahme Beckett et al. 2008, HYVET; Beckett et al. 2011), gerät bei Diskussionen der differentiellen Nettoeffekte häufig der Basis- oder Bruttonutzen einer antihypertensiven Therapie aus dem Blick. Cum grano salis kann auf Bevölkerungsebene angenommen werden, dass die zurzeit verfügbaren Substanzen der vier großen Gruppen ACE-Hemmer, Calciumantagonisten, Angiotensinrezeptorantagonisten und Diuretika bei Anwendung über mehrere Jahre in ihrer präventiven kardiovaskulären Potenz weitgehend gleichwertig sind. Zur Beantwortung der Frage, für welches Antihypertensivum bzw. welche Kombination sich der Arzt entscheiden soll, sind im Einzelfall neben kontrollierten Studien und deren Metaanalysen Begleiterkrankungen, Verträglichkeit, Dosierungshäu-
390
15
Kapitel 15 Antihypertonika
figkeit und Preis wichtige zusätzlichen Entscheidungskriterien. Die Palette der jetzt zur Verfügung stehenden Antihypertensiva kann allerdings so genutzt werden, dass auch niedrige Zielblutdruckwerte erreicht werden. Hierfür sind Großstudien u. a. ALLHAT mit seiner teilweise nicht einmal optimalen Kombinationstherapie aber einer mittleren Blutdruckeinstellung von 135/75 mm Hg, ASCOT, in der eine mittlere Blutdruckeinstellung auf 137/78 mm Hg gelang, ACCOMPLISH (Jamerson et al. 2008) mit mittleren Werten um 132/74 mm Hg und schließlich SPRINT (The SPRINT Research Group 2015) mit mittleren Werten nach einem Jahr von 121/69 mm Hg unter intensiver Therapie eindrucksvolle Belege. Damit ist die Frage des individuell optimalen Zielblutdruckes unter Therapie jedoch nicht beantwortet. Hier sind sorgfältige Beobachtung von Wirkung und Nebenwirkung unter Berücksichtigung der Gesamtprognose und zusätzlich bestehender Erkrankungen unverzichtbar. Die Leistungsfähigkeit der modernen Hochdrucktherapie in England belegt eine lineare Steigerung des Anteiles behandelter Patienten mit erreichten Zielwerten von 33 % auf 63 % im Zeitraum von 1994 bis 2011 (Falaschetti et al. 2014). Dass dennoch eine befriedigende konservative Blutdruckeinstellung bei einer größeren Zahl von Patienten nicht gelingt, zeigen die Bemühungen um gerätebasierte Hochdruckbehandlungen wie die Carotis-Sinus-Nerv-Stimulation und insbesondere die renale Denervation (The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension and the European Society of Cardiology 2018). Nach ernüchternden Erfahrungen (Bhatt et al. 2014; Desch et al. 2015) sollten diese weiterhin vorzugsweise im Rahmen von Studien angewendet werden. In einem Multicenter RCT wurde mit verbesserter Technik die blutdrucksenkende Wirkung des Verfahrens nach drei Monaten u. a. durch ambulante Blutdruckmessung gesichert (Böhm et al. 2020), ein proof of principle mit noch zu klärender therapeutischer Relevanz.
Trotz der verfügbaren verschiedenen Substanzklassen werden wahrscheinlich nicht alle blutdruckerhöhenden Mechanismen neutralisiert. Zudem sollten Arzneimittel nicht nur den Blutdruck senken, sondern auch helfen, hochdruckbegleitende Erkrankungen zu verhindern oder zu behandeln. Unter diesen Gesichtspunkten sind eine Reihe neuer Substanzen von Interesse: weitere duale AngiotensinrezeptorNeprilysin-Inhibitoren, lösliche Guanylatcyclase-Stimulatoren, nichtsteroidale Dihydropyridin basierte Mineralocorticoidrezeptorantagonisten sowie weitere SGLT2-Inhibitoren (Azizi et al. 2019).
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395
16
Antithrombotika und Antihämorrhagika Lutz Hein und Hans Wille
Auf einen Blick
Trend Die Gesamtverordnungen der Thrombozytenaggregationshemmer sind 2019 gegenüber dem Vorjahr weitgehend gleichgeblieben, die der oralen Antikoagulantien dagegen erneut deutlich angestiegen. Die Verordnungen der Vitamin-K-Antagonisten nahmen 2019 weiter ab, während die Verordnungen der Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten erneut massiv zugenommen haben und jetzt mehr als doppelt so hoch wie die der Vitamin-K-Antagonisten liegen. Die Kosten der Antithrombotika sind 2019 auf 2.638 Mio. C gestiegen, was allein durch die neuen direkten oralen Antikoagulantien bedingt ist. Bei den Antihämorrhagika sind die Faktor-VIII-Präparate die umsatzstärkste Gruppe. Modifizierte rekombinante Gerinnungsfaktoren sowie ein monoklonaler Antikörper (Emicizumab) erweitern die Therapieoptionen bei Patienten mit angeborener Hämophilie A oder B. Bewertung Acetylsalicylsäure ist der wichtigste Thrombozytenaggregationshemmer. ADP-Rezeptorantagonisten haben in Kombination mit Acetylsalicylsäure lediglich bei kardiologischen Spezialindikationen einen nachgewiesenen Zusatznutzen. Ticagrelor zeigt bei einzelnen Patientengruppen mit akutem Koronarsyndrom Vorteile gegenüber Clopidogrel.
Die direkten neuen Antikoagulantien reduzieren das Schlaganfallrisiko bei Vorhofflimmern ähnlich wie Vitamin K-Antagonisten, lösen aber weniger Hirnblutungen aus. Validierte, in der Praxis verfügbare Labortests existieren für die direkten Thrombinund Faktor Xa-Hemmer weiterhin nicht. Vitamin-K-Antagonisten werden in Leitlinien weiterhin zur Thromboembolieprophylaxe bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern empfohlen, mittlerweile jedoch meist nachrangig zu den neuen direkt wirkenden oralen Antikoagulantien. Dennoch sind Vitamin K-Antagonisten für viele Patienten als die zu bevorzugende Therapieoption anzusehen. Trotzdem stiegen die Verordnungszahlen der neuen, direkten Antikoagulantien in den letzten 8 Jahren steil an. Sie sind bis zu 20-fach teurer und haben allein 2019 Mehrkosten von 1,9 Mrd. C verursacht.
Antithrombotika (Antikoagulantien, Thrombozytenaggregationshemmer) werden bei venösen und arteriellen thromboembolischen Gefäßkrankheiten mit unterschiedlichen therapeutischen Zielen eingesetzt. Die akute Antikoagulation mit Heparin und nachfolgender Gabe oraler Vitamin-K-Antagonisten ist weiterhin eine Standardtherapie für akute tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien. In wesentlich größerem Umfang werden Vitamin-KAntagonisten zur Prophylaxe kardiogener Embolien bei Vorhofflimmern sowie bei Herzklap-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_16
396
16
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
penerkrankungen und nach Klappenersatz angewendet. Für die Prophylaxe embolischer Ereignisse bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern werden seit 2011 in stetig zunehmendem Maße die direkt wirkenden Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten verwendet, die anfänglich nur zur Prophylaxe venöser Thromboembolien nach großen orthopädischen Operationen zugelassen waren. Einige Faktor Xa-Antagonisten können mittlerweile auch bei weiteren kardiovaskulären Indikationen eingesetzt werden. Niedermolekulare Heparine werden überwiegend zur Prophylaxe venöser thromboembolischer Komplikationen bei immobilisierten Patienten, seltener aber auch für die Therapie tiefer Venenthrombosen bei ambulanten Patienten und im Rahmen von Hämodialysen eingesetzt. Thrombozytenaggregationshemmer sind vor allem zur Sekundärprophylaxe nach Herzinfarkten und zerebrovaskulären Durchblutungsstörungen wie transienten ischämischen Attacken (TIA) oder ischämischen Insulten indiziert. Wichtigster Vertreter dieser Gruppe ist die Acetylsalicylsäure, die bereits in Dosen von 50–100 mg täglich eine irreversible Acetylierung der thrombozytären Cyclooxygenase auslöst und dadurch eine über Tage anhaltende Hemmung der Plättchenaggregation bewirkt. Bei speziellen kardiologischen Indikationen wie dem akuten Koronarsyndrom und der Implantation koronarer Stents werden die ADP-Rezeptorantagonisten Clopidogrel, Prasugrel (seit 2009) oder Ticagrelor (seit 2011) für eine begrenzte Zeit zusätzlich zur Acetylsalicylsäure eingesetzt. Sie blockieren den thrombozytären P2Y12 -ADP-Rezeptor und hemmen damit auch die ADP-vermittelte Aggregation. Die therapeutisch bedeutsamste Gruppe der Antihämorrhagika sind die Faktor-VIII-Präparate zur Behandlung der Hämophilie A.
16.1
Antikoagulantien
Die Verordnungen für Heparine stiegen bis 2012 kontinuierlich an, nehmen aber seit 2015 langsam wieder ab. Im Jahr 2013 nahm die Verordnung der Vitamin K-Antagonisten erstmalig gegenüber dem Vorjahr ab. Dieser Trend setzte sich 2019 vergleichbar deutlich wie 2018 fort. Parallel dazu stiegen die Verordnungen der Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten abermals und jetzt um 18 % gegenüber 2018 (. Abb. 16.1). Der Anteil der Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten an den Verordnungen aller oralen Antikoagulantien ist jetzt fast dreimal so groß wie der Anteil der Vitamin K-Antagonisten. Die Verordnungen für orale Antikoagulantien insgesamt sind seit 2010 auf fast das Doppelte gestiegen, die Kosten von 75 Mio. C auf 2.060 Mio. C. Sie haben in 10 Jahren mehr als 25-fach zugenommen. Die Kosten aller Antithrombotika sind 2019 um nochmals 10,0 % gegenüber dem Vorjahr auf 2.638 Mio. C gestiegen (vgl. . Tab. 1.2), allein bedingt durch die Verordnungszunahme neuer direkter oraler Antikoagulantien.
16.1.1
Vitamin-K-Antagonisten
Vitamin-K-Antagonisten zählen weiter zu den wichtigsten Antikoagulantien für die Prophylaxe systemischer und Hirnembolien bei Vorhofflimmern. Dagegen bieten sie zur Sekundärprävention nichtembolischer transitorischer Attacken und kleinerer Schlaganfälle gegenüber der Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure keine Vorteile (Algra et al. 2001). Bei Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung können sie die Gabe von Acetylsalicylsäure ersetzen, z. B. wenn aus anderen Gründen wie Vorhofflimmern eine Indikation zur oralen Antikoagulation besteht. Eine Kombination aus Vitamin-K-Antagonisten und Acetylsalicylsäure bietet hier keinen relevanten Zusatznutzen, erhöht aber die Ra-
16
397 16.1 Antikoagulantien
623
Vitamin-K-Antagonisten Heparine Thrombin- und Faktor Xa-Antagonisten
600
527 500 421
(Mio. DDD)
400
380
389
360
371
364
346
333 320
300
285
253
249 216
183
200 123
137
143
138
142
143
137
132
127
2017
2018
120
100 110 38 0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2019
. Abb. 16.1 Verordnungen von Antikoagulantien 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
te schwerer Blutungen (Dentali et al. 2007). Auch bei Patienten mit Arteriosklerose peripherer Arterien vermindert die Kombination von Vitamin-K-Antagonisten mit Acetylsalicylsäure die Rate an kardiovaskulären Todesfällen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen nicht effektiver als die alleinige Therapie mit Acetylsalicylsäure (The Warfarin Antiplatelet Vascular Evaluation Trial Investigators 2007). Dagegen nimmt das Risiko lebensbedrohlicher Blutungen unter der Kombination auf das 3,4-Fache zu. Als Vitamin-K-Antagonisten werden in Deutschland Phenprocoumon und in sehr geringem Umfang auch Warfarin verordnet. Die Verordnungen dieser Arzneimittel haben 2019 gegenüber dem Vorjahr erneut deutlich abgenommen, seit 10 Jahren um 40 % (. Tab. 16.1 . Abb. 16.1). Vitamin-K-Antagonisten hemmen die Vitamin-K-abhängige Bildung funktionsfähiger Faktoren des Gerinnungssystems (z. B. Prothrombin) in der Leber und führen im Endeffekt zu einer verminderten Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Das Ausmaß der Wirkung wird durch individuelle Faktoren, Ernährungsgewohnheiten und bei zahlreichen Begleitmedikationen durch Arzneimittelinteraktionen be-
einflusst. Deswegen und aufgrund der geringen therapeutischen Breite ist eine Therapieüberwachung erforderlich, wofür sich in der Praxis die Bestimmung des International Normalized Ratio (INR)-Wertes etabliert hat. In der Regel sollte auch bei stabiler Antikoagulation mit Vitamin K-Antagonisten der INR-Wert mindestens einmal im Monat bestimmt werden.
16.1.2
Direkte Faktor Xa- und Thrombininhibitoren
Seit 2008 wurden vier neue, direkt wirkende orale Antikoagulantien zugelassen: Dabigatran (Pradaxa, 2008), Rivaroxaban (Xarelto, 2008), Apixaban (Eliquis, 2011) und zuletzt Edoxaban (Lixiana, 2015), das 2019 wie schon in den beiden Jahren zuvor prozentual den stärksten Anstieg der Verordnungen aufwies (. Tab. 16.1). Dabigatran ist ein direkter Hemmstoff von Thrombin (Faktor IIa), während Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban durch direkte Blockade von Faktor Xa die Thrombinaktivierung hemmen. Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban wurden zu-
398
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
. Tabelle 16.1 Verordnungen von oralen Antikoagulantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Vitamin-K-Antagonisten Marcumar
Phenprocoumon
90,2
(11,6)
0,15
Phenprogamma
Phenprocoumon
51,6
(13,1)
0,16
Falithrom
Phenprocoumon
45,4
(17,4)
0,16
Phenprocoumon acis
Phenprocoumon
17,7
(C3,0)
0,16
Phenpro-ratiopharm
Phenprocoumon
6,3
(44,2)
0,16
Coumadin
Warfarin
2,6
(8,7)
0,25
Marcuphen AbZ
Phenprocoumon
2,2
(C42,0)
0,16
216,1
(13,3)
0,16
34,4
(1,9)
3,63
Thrombinantagonisten Pradaxa
Dabigatran etexilat
Faktor Xa-Antagonisten Eliquis
Apixaban
253,3
(C25,9)
3,31
Xarelto
Rivaroxaban
231,7
(C6,7)
3,28
Lixiana
Edoxaban
103,3
(C41,4)
2,92
588,3
(C19,7)
3,23
838,8
(C8,1)
2,46
Summe
16
nächst zur Prophylaxe von Venenthrombosen nach chirurgischem Hüft- oder Kniegelenksersatz zugelassen, eine Indikation, die Edoxaban in Deutschland nicht besitzt. Seit 2011 werden Dabigatran und Rivaroxaban, seit 2012 Apixaban und seit 2015 auch Edoxaban zur Vermeidung von Thromboembolien bei nichtvalvulärem Vorhofflimmern eingesetzt. Alle vier direkt wirkenden oralen Antikoagulantien sind auch zur Therapie und Sekundärprophylaxe von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien zugelassen. Rivaroxaban besitzt zudem seit 2013 eine Zulassung für das akute Koronarsyndrom mit erhöhten kardialen Biomarkern und seit 2018 auch für die Prophylaxe atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit oder sym-
ptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit mit hohem Risiko. Es war 2019 erstmals nicht mehr das am häufigsten verordnete neue orale Antikoagulans und wurde hierin von Apixaban abgelöst (. Tab. 16.1). Mittlerweile liegen mit Idarucizumab (Praxbind, seit 2015) für Dabigatran sowie mit Andexanet alfa (Ondexxya, seit 2019) für Apixaban und Rivaroxaban Antidota für drei der vier direkt wirkenden oralen Antikoagulantien vor (vgl. Kap. 2, Neue Arzneimittel, Abschn. 2.1.1). Rivaroxaban wurde in mehreren randomisierten Studien zur Prophylaxe tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien nach elektivem Hüft- oder Kniegelenksersatz mit Enoxaparin verglichen. Nach Metaanalysen traten unter täglich 10 mg Rivaroxaban symptomati-
399 16.1 Antikoagulantien
sche tiefe Venenthrombosen zwar signifikant seltener auf als unter täglich 40 mg Enoxaparin (0,2 gegenüber 0,8 %) (Ning et al. 2016); schwere Blutungen waren jedoch signifikant häufiger (2,1 gegenüber 1,3 %). Weder symptomatische Lungenembolien noch Todesfälle waren unter Rivaroxaban seltener als unter Enoxaparin. Auch für Dabigatran und Apixaban fanden Metaanalysen der relevanten randomisierten Vergleichsstudien keinen klinisch relevanten Zusatznutzen gegenüber Enoxaparin zur Thromboembolieprophylaxe bei Hüft- und Kniegelenksersatz: Die Rate an Lungenembolien oder Todesfällen unterschied sich nicht, und symptomatische tiefe Venenthrombosen traten gleich häufig oder geringfügig seltener auf, dann aber unter vergleichbarer Zunahme schwerer Blutungen (Gómez-Outes et al. 2012; Neumann et al. 2012). Bei Vorhofflimmern wurden Wirksamkeit und Sicherheit der direkten Thrombin- und Faktor Xa-Inhibitoren in randomisierten Vergleichsstudien mit Warfarin verglichen. Dabigatran wurde bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem mittleren CHADS2 -Score von 2,1 in zwei Dosierungen geprüft. Unter täglich zweimal 150 mg traten weniger Schlaganfälle und arterielle Thromboembolien auf (1,11 %/Jahr) als unter Warfarin (1,69 %/Jahr) (Connolly et al. 2009). Auch die Rate ischämischer Schlaganfälle war signifikant geringer (0,92 gegenüber 1,20 %/Jahr). Die Häufigkeit schwerer Blutungen unterschied sich jedoch nicht signifikant zwischen Dabigatran (3,11 %/Jahr) und Warfarin (3,36 %/Jahr). In der Dosierung von zweimal 110 mg/Tag war Dabigatran ebenso wirksam wie Warfarin, es traten aber weniger schwere Blutungen auf (2,71 %/Jahr). Die Rate der prognostisch bedeutsamen intrakraniellen Blutungen war unter beiden Dabigatran-Dosierungen signifikant geringer (0,30 bzw. 0,23 %/Jahr) als unter Warfarin (0,74 %/Jahr). Da Dabigatran überwiegend renal eliminiert wird, steigen die Plasmaspiegel bei eingeschränkter Nierenfunktion (Stangier et al. 2010) und damit das Risiko für Blutungen kontinuierlich an. Bereits kurz nach Zulassung von Dabigatran zur Prophylaxe von
16
Schlaganfällen bei Vorhofflimmern wurde über tödliche Blutungen unter Dabigatran berichtet (European Medicines Agency 2011), die vor allem bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz auftraten. Auch Nachauswertungen der RE-LY Studie zeigten eine Zunahme des Blutungsrisikos bei erhöhten Plasmaspiegeln (Reilly et al. 2014). Bei Patienten mit künstlichen Herzklappen erhöht Dabigatran nicht nur das Risiko von Blutungen im Vergleich zu Warfarin, sondern auch von Thromboembolien. Es ist daher wie die übrigen direkten oralen Antikoagulantien bei diesen Patienten kontraindiziert (Eikelboom et al. 2013). Rivaroxaban reduzierte Schlaganfälle oder systemische Embolien bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem mittleren CHADS2 Score von 3,5 im Vergleich zu Warfarin nicht signifikant (1,7 gegenüber 2,2 %/Jahr) (Patel et al. 2011). Schwere Blutungen waren (5,6 %/Jahr) gleich häufig wie unter Warfarin (5,4 %/Jahr). Intrakranielle Blutungen traten allerdings auch unter Rivaroxaban signifikant seltener auf (0,5 %/Jahr) als unter Warfarin (0,7 %/Jahr). Unter Apixaban waren bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem mittleren CHADS2 -Score von 2,1 sowohl Schlaganfälle oder systemische Embolien (1,27 gegenüber 1,60 %/Jahr) als auch schwere Blutungen seltener als unter Warfarin (2,13 gegenüber 3,09 %/Jahr) (Granger et al. 2011). Die Rate intrakranieller Blutungen war ebenfalls signifikant geringer (0,33 gegenüber 0,80 %/Jahr). Edoxaban wurde bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem mittleren CHADS2 Score von 2,8 in zwei Dosierungen mit Warfarin verglichen (Giugliano et al. 2013). Unter einmal 30 mg/Tag Edoxaban traten Schlaganfälle oder systemische Embolien numerisch häufiger auf als unter Warfarin (1,61 gegenüber 1,50 %/Jahr), ischämische Schlaganfälle jedoch signifikant häufiger (1,77 gegenüber 1,25 %/Jahr). Die niedrige Dosierung ist deshalb nur für Patienten zugelassen, bei denen die höhere Edoxaban-Dosierung z. B. wegen eingeschränkter Nierenfunktion reduziert werden muss. Einmal 60 mg/Tag Edoxaban wa-
400
16
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
ren Warfarin weder in der Prophylaxe von Schlaganfällen oder systemischen Embolien (1,57 gegenüber 1,80 %/Jahr) noch von ischämischen Schlaganfällen (je 1,25 %/Jahr) unterlegen. Schwere Blutungen (2,75 gegenüber 3,43 %/Jahr) und intrakranielle Blutungen (0,39 gegenüber 0,85 %/Jahr) traten unter 60 mg Edoxaban signifikant seltener auf. Die Nierenfunktion hatte dabei einen hochsignifikanten Einfluss auf die Effektivität von Edoxaban: Bei normaler Kreatininclearance war die Schlaganfall- und Embolierate unter Edoxaban höher als unter Warfarin und die Nichtunterlegenheit nicht zu belegen (European Medicines Agency 2015). In den USA darf Edoxaban bei einer Kreatininclearance über 95 ml/min deshalb nicht eingesetzt werden (US Food & Drug Administration 2015). Zur Initialbehandlung und anschließenden Erhaltungstherapie von tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien wurden Apixaban, Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban mit der Standardtherapie aus Enoxaparin und nachfolgendem Warfarin verglichen. Apixaban (Agnelli et al. 2013a), Dabigatran (Schulman et al. 2009, 2014), Edoxaban (The Hokusai-VTE Investigators 2013) und Rivaroxaban (The EINSTEIN-Investigators 2010; The EINSTEIN-PE-Investigators 2012) waren der sequenziellen Gabe von Enoxaparin und Warfarin nicht unterlegen. Schwere Blutungen traten nur unter Apixaban signifikant seltener auf als unter Warfarin (0,6 gegenüber 1,8 %), unter Rivaroxaban nur bei der Behandlung von Lungenembolien (1,1 gegenüber 2,2 %) (The EINSTEIN-PE-Investigators 2012). Der Stellenwert der direkt wirkenden oralen Antikoagulantien zur Therapie Tumor-assoziierter tiefer Venenthrombosen oder Lungenembolien ist noch unzureichend geklärt: Eine Reduktion symptomatischer Thromboembolierezidive im Vergleich zu niedermolekularen Heparinen ist nicht belegt, schwere oder klinisch relevante Blutungen scheinen dagegen häufiger aufzutreten (Raskob et al. 2018; Young et al. 2018; Agnelli et al. 2020). Zur primären Prophylaxe Tumor-assoziierter venöser
Thromboembolien sind sie nicht zugelassen. Unter praktischen Aspekten ist von Bedeutung, dass Apixaban und Rivaroxaban von Beginn an zur Behandlung venöser Thromboembolien eingesetzt werden können, während bei Dabigatran und Edoxaban anfangs für mindestens fünf Tage parenteral ein Heparin gegeben werden muss. Apixaban, Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban können nach einer venösen Thromboembolie auch zur so genannten verlängerten Erhaltungstherapie im Anschluss an die meist drei- bis sechsmonatige anfängliche Erhaltungstherapie eingesetzt werden, wenn weiterhin eine Indikation zur Antikoagulation besteht. Nur für Dabigatran ist in der verlängerten Erhaltungstherapie aber die Nichtunterlegenheit gegenüber Warfarin gezeigt worden (Schulman et al. 2013), für Apixaban (Agnelli et al. 2013b) und Rivaroxaban (Romualdi et al. 2011) lediglich die Überlegenheit gegenüber Placebo. Für Edoxaban liegen hierzu keine auswertbaren Daten vor.
16.1.3
Heparine
Für die ambulante Heparinbehandlung werden fast ausschließlich niedermolekulare Heparine verwendet (. Tab. 16.2), die durch Spaltung oder Depolymerisierung aus nativem Heparin gewonnen werden und ein mittleres Molekulargewicht von 4.000–6.000 Dalton im Vergleich zu 12.000–15.000 Dalton des unfraktionierten Heparins aufweisen. Ihre Bioverfügbarkeit nach subkutaner Applikation beträgt 87–98 % und ist damit 3–6fach höher und wesentlich konstanter als bei unfraktioniertem Heparin. Die längere Halbwertszeit (3–6 h) ermöglicht die einmal tägliche Gabe. Standarddosen zur Thromboseprophylaxe können bei normaler Nierenfunktion im Allgemeinen ohne Laborkontrollen angewendet werden (Zed et al. 1999). Alle sechs verfügbaren niedermolekularen Heparine gehören zu den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln. Das Verordnungsvo-
16
401 16.1 Antikoagulantien
. Tabelle 16.2 Verordnungen von Heparinen und weiteren Wirkstoffen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Enoxaparin Clexane
Enoxaparin
69,2
(13,2)
2,61
Enoxaparin Becat
Enoxaparin
11,1
(C24,6)
2,07
Inhixa
Enoxaparin
5,2
(C78,5)
2,09
Hepaxane
Enoxaparin
2,4
(Neu)
1,80
Crusia
Enoxaparin
0,60
(Neu)
1,96
88,4
(3,3)
2,49
Weitere niedermolekulare Heparine Mono-Embolex
Certoparin
13,5
(2,9)
3,95
Innohep
Tinzaparin
9,8
(9,7)
3,39
Fragmin
Dalteparin
4,8
(24,2)
3,32
Fraxiparin
Nadroparin
2,2
(19,1)
3,92
Clivarin
Reviparin
0,54
(43,6)
2,81
(11,3)
3,65
30,8 Unfraktionierte Heparine Heparin-ratiopharm
Heparin
0,81
(C36,1)
3,91
Arixtra
Fondaparinux
2,1
(2,6)
7,83
Argatra
Argatroban
0,02
(2,1)
183,51
Actilyse
Alteplase
0,003
(C28,1)
2.033,66
2,2
(2,6)
12,42
122,2
(5,3)
2,97
Weitere Wirkstoffe
Summe
lumen der Gesamtgruppe hat gegenüber 2018 um 5,5 % und damit vergleichbar wie in den Vorjahren abgenommen (. Tab. 16.2). 58,1 % der verordneten Tagesdosen (DDD) entfallen auf das in klinischen Studien am besten untersuchte Enoxaparin, 16,2 % auf seine vier Biosimilars. Letztere sind etwa 20 % preisgünstiger und können in allen für das Original zugelassenen Indikationen eingesetzt werden (. Tab. 16.2). In den relativ wenigen direk-
ten Vergleichsstudien wurden keine klinisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den einzelnen niedermolekularen Heparinen gefunden (White und Ginsberg 2003). Da sich biologische Aktivität und pharmakokinetische Parameter der einzelnen Mittel unterscheiden, erscheint es jedoch ratsam, diejenigen niedermolekularen Heparine einzusetzen, die für die jeweilige Indikation klinisch am besten untersucht sind (Hao et al. 2019).
402
16
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
Niedermolekulare Heparine sind für die Thromboseprophylaxe in der Allgemein- und Viszeralchirurgie nach mehreren Metaanalysen genauso wirksam und sicher wie Standardheparine (Mismetti et al. 2001; Koch et al. 2001). Bei größeren orthopädischen Eingriffen wie Hüft- und Kniegelenksersatz schützen sie sicherer vor proximalen tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien (Koch et al. 2001; Sobieraj et al. 2012). Bei akut medizinisch Erkrankten verhindern sie venöse Thromboembolien so effektiv wie Standardheparine, verursachen aber weniger Blutungen (Alikhan und Cohen 2009). Zur Initialbehandlung der tiefen Venenthrombose und Lungenembolie sind sie mindestens so sicher und effektiv wie Standardheparine (Lensing et al. 1995; Gould et al. 1999) und vermindern möglicherweise die Gesamtsterblichkeit (Erkens und Prins 2010). Stationär werden Heparine bei akuten Koronarsyndromen (instabile Angina pectoris, Herzinfarkt mit und ohne ST-Hebung) im Rahmen unterschiedlicher Behandlungsstrategien und meist zusätzlich zu anderen Antithrombotika eingesetzt. Metaanalysen zeigen hier entweder keine signifikanten Unterschiede (Bangalore et al. 2014; Kodumuri et al. 2011) oder geringe Vorteile für niedermolekulare Heparine (Murphy et al. 2007; Eikelboom et al. 2005) im Vergleich zu Standardheparinen bezüglich der Herzinfarkt- bzw. Reinfarktrate und Mortalität. Im Rahmen von perkutanen Koronarinterventionen eingesetzt sind Heparine dem teureren direkten Thrombininhibitor Bivalirudin mindestens gleichwertig (Verdoia et al. 2016). Das Blutungsrisiko als wichtigste Nebenwirkung unterscheidet sich nicht wesentlich zwischen Standard- und niedermolekularen Heparinen. Mit der einfacheren Handhabung sind niedermolekulare Heparine auch zur Behandlung ambulanter Patienten einsetzbar. Gemäß Metaanalysen randomisierter Studien ist bei den meisten Patienten mit tiefen Venenthrombosen oder Lungenembolien eine häusliche Behandlung mit niedermolekularen Heparinen genauso sicher und effektiv wie die stationäre Therapie mit Standardheparinen (Othieno et al. 2007; Piran et al. 2013). Bei der Er-
haltungstherapie nach Akutbehandlung venöser Thromboembolien sind sie mindestens so wirksam wie Vitamin-K-Antagonisten, bei Patienten mit fortgeschrittenen Tumorkrankheiten wahrscheinlich effektiver (Akl et al. 2011). Sie sind aber erheblich teurer als Vitamin-KAntagonisten (. Tab. 16.2) und kommen seit Zulassung der direkten Thrombin- und AntiXa-Hemmer für diese Indikation auch bei Kontraindikationen von Vitamin-K-Antagonisten nur noch selten in Betracht. Das Risiko für heparininduzierte Thrombozytopenien Typ II (HIT II) ist nach einer Metaanalyse unter Standardheparinen (2,6 %) etwa 10-fach größer als unter niedermolekularen Heparinen (0,2 %) (Martel et al. 2005) und bei Anwendung zur Prophylaxe bei großen chirurgischen Eingriffen höher als bei kleineren Eingriffen oder bei medizinischen Patienten (Greinacher und Warkentin 2008). Tritt eine HIT II unter Standardheparinen auf, besteht eine hohe Gefahr von „Kreuzreaktionen“ gegenüber niedermolekularen Heparinen. Nur sehr selten treten solche Kreuzreaktionen gegenüber dem Heparinoid Danaparoid auf. Die Symptomatik in Form venöser und arterieller thromboembolischer Komplikationen mit Thrombozytenabfall unter Heparin wird mittlerweile meist frühzeitig erkannt und nach Absetzen von Heparin eine Ersatzantikoagulation mit Danaparoid oder dem direkten Thrombininhibitor Argatroban eingeleitet (Greinacher 2015). Fondaparinux wurde 2002 in die Therapie eingeführt und verzeichnete auch 2019 gegenüber dem Vorjahr leicht sinkende Verordnungszahlen auf ohnehin niedrigem Niveau (. Tab. 16.2). Das synthetische Pentasaccharid verstärkt die hemmende Wirkung von Antithrombin auf den Faktor Xa. Es ist zur Thromboembolieprophylaxe bei chirurgischen und nicht-chirurgischen Patienten mit erhöhtem Thromboserisiko sowie für die Behandlung akuter Koronarsyndrome, tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien und für die Therapie akuter, symptomatischer, oberflächlicher Venenthrombosen der unteren Extremität zugelassen. Fondaparinux ist zur Therapie
403 16.1 Antikoagulantien
tiefer Venenthrombosen oder Lungenembolien den niedermolekularen Heparinen gleichwertig (Kearon et al. 2012) und bei der Therapie akuter Koronarsyndrome mindestens so effektiv (Qiao et al. 2016). Die Anwendung von Fondaparinux bei heparininduzierter Thrombozytopenie ist formal nicht zugelassen. Bei Patienten mit einer länger zurückliegenden heparininduzierten Thrombozytopenie kann es jedoch zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (Greinacher 2015), nach aktuellen USamerikanischen Leitlinien sogar zur initialen Therapie bei stabilen Patienten mit heparininduzierter Thrombozytopenie Typ II eingesetzt werden (Cuker et al. 2018).
16.1.4
Therapieempfehlungen zu Antikoagulantien und offene Fragen
Wichtigste Indikation für orale Antikoagulantien ist das nichtvalvuläre Vorhofflimmern, das in Deutschland etwa 1 Mio. Patienten betrifft. In Leitlinien werden orale Antikoagulantien für Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern empfohlen, die einen Schlaganfall oder eine transitorisch ischämische Attacke (TIA) erlitten haben oder einen CHA2 DS2 -VASc Score von 2 oder größer aufweisen (January et al. 2014, 2019; Kirchhof et al. 2016). Die 2019 aktualisierte US-amerikanische Leitlinie nennt unter den Optionen Vitamin K-Antagonisten (INR 2,0 bis 3,0) wie in der Vorversion mit einem höheren Evidenzgrad (Level A) als die neuen oralen Antikoagulantien (Level B für Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban). Dennoch empfiehlt sie (ebenfalls Level A), die neuen oralen Antikoagulantien gegenüber Vitamin-K-Antagonisten bei denjenigen Patienten zu bevorzugen, bei denen sie eingesetzt werden können (January et al. 2019). Begründet wird diese Empfehlung damit, dass sie als Gruppe gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten nicht unterlegen und mit weniger Blutungen assoziiert seien. Die Leitlinie des NICE zur Behandlung des
16
Vorhofflimmerns empfiehlt nur bei Patienten ohne ausreichende INR-Kontrolle unter Vitamin-K-Antagonisten einen Wechsel zu den neuen oralen Antikoagulantien (National Institute for Health and Care Exellence 2014). Ob sie in dieser Situation von Vorteil sind, ist durch Studien nicht belegt. In der aktuellen ESC-Leitlinie aus 2016 werden die neuen oralen Antikoagulantien weiterhin explizit gegenüber Vitamin-K-Antagonisten bevorzugt (jetzt IA-Empfehlung). Von einem CHA2 DS2 VASc Score von 1 als Schwelle zur Einleitung einer Antikoagulation wie 2012 wurde aber mittlerweile abgerückt; für den Regelfall wird eine Antikoagulation erst ab einem Score von 2 empfohlen (Kirchhof et al. 2016). Wesentliches Problem aller Zulassungsstudien der neuen oralen Antikoagulantien für die Indikation nichtvalvuläres Vorhofflimmern ist die mangelhafte Qualität der Antikoagulation in den Kontrollgruppen, bei denen die INR-Werte unter Warfarin im Median nur über 58–68 % der Zeit im therapeutischen Bereich von 2–3 lagen. Dass die Wirksamkeit und Sicherheit einer Therapie mit Vitamin K-Antagonisten von der Güte der INR-Einstellung abhängig ist, ist lange bekannt und wurde beispielsweise durch Analysen eines nationalen schwedischen Registers eindrücklich unter Beweis gestellt (Björck et al. 2016). INR-Werte über 70 % der Zeit im therapeutischen Bereich gelten allgemein als Ziel (De Caterina et al. 2013), das in den Zulassungsstudien viele europäische Zentren auch erreicht haben, beispielsweise die deutschen, vor allem aber die skandinavischen Zentren. In Subgruppenanalysen der Zulassungsstudien konnte für alle vier Mittel gezeigt werden, dass eventuelle Vorteile gegenüber Warfarin bezüglich thromboembolischer und/oder Blutungskomplikationen umso geringer ausfielen oder gar nicht mehr vorhanden waren, je besser die INREinstellung unter Warfarin in der Kontrollgruppe gelang (Wallentin et al. 2010, 2013; Piccini et al. 2014; Daiichi Sankyo Deutschland GmbH 2015). Ergebnisse des schwedischen nationalen AURICULA-Registers haben zeigen können, dass auch unter Versorgungs-
404
16
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
bedingungen eine optimale Warfarintherapie mit INR-Werten über 75 % der Zeit im therapeutischen Bereich möglich ist und dann Schlaganfälle oder Embolien (1,54 %/Jahr), schwere Blutungen (2,18 %/Jahr) und auch intrakranielle Blutungen (0,38 %/Jahr) nur selten auftreten (Sjögren et al. 2015). Das optimale Vorgehen bei Patienten, die beispielsweise wegen Vorhofflimmern antikoaguliert sind und gleichzeitig aufgrund eines akuten Koronarsyndroms oder einer elektiven perkutanen Koronarintervention vorübergehend zusätzlich Thrombozytenaggregationshemmer benötigen, ist nicht abschließend geklärt. Bisher galt eine Triple-Therapie aus Vitamin KAntagonisten (INR-Einstellung auf 2 bis 2,5), Acetylsalicylsäure und Clopidogrel als Verfahren der Wahl, wobei die Dauer der TripleTherapie von der klinischen Situation abhängig war. Mittlerweile liegen hierzu für alle neuen oralen Antikoagulantien randomisierte Vergleichsstudien vor (Gibson et al. 2016; Cannon et al. 2017; Lopes et al. 2019; Vranckx et al. 2019). Wegen der unterschiedlichen und teils kritikwürdigen Konzeption sind die Ergebnisse nicht widerspruchsfrei interpretierbar. Gepoolte Auswertungen lassen aber den Schluss zu, dass eine Kombination aus neuem oralen Antikoagulans lediglich mit Clopidogrel zu weniger intrakraniellen und anderen schweren Blutungen führt als die klassische Triple-Therapie, ohne die Gesamtrate kardiovaskulärer Ereignisse oder die Sterblichkeit zu erhöhen. Myokardinfarkte könnten allerdings geringfügig zunehmen (Gargiulo et al. 2019). Die aktuelle Versorgungsleitlinie chronische koronare Herzerkrankung empfiehlt die klassische Triple-Therapie nur noch bei Patienten mit hohem Ischämierisiko und für möglichst kurze Zeit (Bundesärztekammer et al. 2019). Aktuell wird viel die Frage diskutiert, ob intensiver nach Vorhofflimmern gescreent werden sollte, um asymptomatische Episoden zu entdecken, die ein Risiko für embolisch bedingte Schlaganfälle und dann eine Indikation zur Antikoagulation darstellen könnten (Jones et al. 2020). Gegen dieses Konzept sprechen
momentan die Ergebnisse der Studien RESPECT ESUS und NAVIGATE ESUS (Diener et al. 2019; Hart et al. 2018). 5.390 bzw. 7.112 Patienten mit vorangegangenen, nachweislich embolisch bedingten Schlaganfällen, bei denen Vorhofflimmern als Quelle vermutet jedoch mit der üblichen Diagnostik nicht nachzuweisen war, erhielten zur Sekundärprophylaxe randomisiert Dabigatran bzw. Rivaroxaban oder Acetylsalicylsäure. Unter den oralen Antikoagulantien traten Schlaganfallrezidive nicht seltener auf, Blutungskomplikationen waren aber häufiger als unter Acetylsalicylsäure. Effizienz und Sicherheit der neuen oralen Antikoagulantien bei Vorhofflimmern in der Versorgungssituation bleiben in Diskussion. Aussagen hierzu erlauben am ehesten Daten populationsbezogener Register oder repräsentativer Krankenversicherungen. Nach Analysen der Daten von knapp 120.000 Patienten aus dem Dänischen Nationalen Verschreibungsregister analysiert, die wegen nichtvalvulären Vorhofflimmerns mit Warfarin oder Rivaroxaban, Apixaban oder Dabigatran in Standard(Larsen et al. 2016) oder reduzierter Dosierung (Nielsen et al. 2017) antikoaguliert wurden, sind ischämische Schlaganfälle unter neuen oralen Antikoagulantien vergleichbar häufig wie unter Warfarin, Blutungskomplikationen unter Apixaban und Dabigatran dagegen seltener. Nahezu die Hälfte der Patienten erhielt die neuen oralen Antikoagulantien wegen ihres Alters und ihrer Begleiterkrankungen in reduzierter Dosierung. Diese Patienten wiesen unter Apixaban (15,5 %/Jahr) und Rivaroxaban (15,8 %/Jahr) eine höhere Sterblichkeit auf als Patienten unter Warfarin (10,1 %/Jahr). Ob hierfür substanzspezifische Effekte oder unbekannte bzw. nicht ausreichend erfasste oder nicht erfassbare Confounder ursächlich waren, ist nicht zu entscheiden. Andererseits bleibt aber auch unklar, ob eine Ausdehnung der Indikation für neue orale Antikoagulantien auf ältere und gebrechliche Patienten mehr nutzt als schadet. Aus Deutschland liegen zwei methodisch ähnlich konzipierte Postmarketing-Analysen
405 16.1 Antikoagulantien
zur Effizienz und Sicherheit neuer Antikoagulantien gegenüber Phenprocoumon bei Patienten mit Vorhofflimmern vor. Eine von Herstellern gesponserte mit 61.205 Versicherten fand unter Apixaban und Dabigatran, nicht aber unter Rivaroxaban, ein signifikant geringeres Risiko für Schlaganfälle, Embolien und schwere Blutungen (Hohnloser et al. 2018). Unter Rivaroxaban waren dagegen schwere gastrointestinale Blutungen und Todesfälle signifikant häufiger auf als unter Phenprocoumon. In der zweiten, von einer großen Krankenversicherung unterstützten Analyse mit 175.994 Versicherten unterschied sich das Risiko für ischämische Schlaganfälle unter Rivaroxaban oder Phenprocoumon nicht, war aber bei den mit Apixaban Behandelten signifikant erhöht (Ujeyl et al. 2018). Schwere Blutungen traten unter Apixaban oder Dabigatran seltener auf als unter Phenprocoumon, unter Rivaroxaban gleich häufig. Auch hier wiesen mit Rivaroxaban Behandelte eine höhere Sterblichkeit auf. Diese Postmarketing-Analysen werfen Fragen auf. Der Einsatz oraler Antikoagulantien ist in Deutschland seit Zulassung der neuen Mittel für nichtvalvuläres Vorhofflimmern erheblich ausgeweitet worden: 2019 wurden orale Antikoagulantien insgesamt nahezu doppelt so oft verordnet wie noch 2012 – bei gleichzeitigem Rückgang der Verordnungen für die Vitamin K-Antagonisten um 44 %. Die Indikationsausweitung betrifft offenbar vorwiegend Ältere: In den deutschen Versorgungsanalysen waren 61,5 % der mit neuen oralen Antikoagulantien Behandelten älter als 75 Jahre (Ujeyl et al. 2018), in den Zulassungsstudien dagegen nur 31 bis 41 % (Ruff et al. 2014). Dies könnte auch den häufigen Einsatz von Rivaroxaban und Apixaban in reduzierter Dosis erklären (Coleman et al. 2015; Hohnloser et al. 2018). Nicht indizierte Dosisreduktionen können das Risiko für Schlaganfälle nach US-Analysen allerdings deutlich erhöhen (Yao et al. 2017). Da validierte Tests zur Therapiekontrolle, obwohl mit vertretbarem Aufwand realisierbar (Cuker et al. 2014), in der Versorgungssituation nicht zur Verfügung stehen, können bei Therapie mit neuen oralen Antikoagulantien weder
16
die Adhärenz noch die Güte der Einstellung überwacht werden. Nach US-amerikanischer Versicherungsdaten weisen nur etwa 50 % der mit direkten oralen Antikoagulantien Behandelten eine ausreichende Adhärenz auf, was die Behandlungserfolge wesentlich beeinflusst (Yao et al. 2016). Fragen zur Sicherheit und Effektivität neuer oraler Antikoagulantien im Vergleich zu Vitamin K-Antagonisten, im Vergleich untereinander und in einzelnen Patientengruppen sowie Fragen zur Dosierung, Adhärenz und Beachtung der Empfehlungen zur sicheren Verordnung waren Gegenstand einer kürzlich publizierten Untersuchung der europäischen Arzneimittelbehörde. Sie kommt letztlich zu dem Schluss, dass auch in der Versorgung gegenüber Vitamin K-Antagonisten die nichtunterlegene Wirksamkeit ausreichend belegt, die Rate intrakranieller Blutungen geringer, aber speziell unter Dabigatran und Rivaroxaban die Rate gastrointestinaler Blutungen erhöht ist. Gegenwärtig sieht die europäische Behörde nicht die Notwendigkeit, dass die Empfehlungen zur Dosierung, speziell auch bei Älteren, oder die allgemeinen Hinweise zur sachgerechten Anwendung der neuen oralen Antikoagulantien geändert werden müssten (European Medicines Agency 2020). Seit 2018 können zweimal täglich 2,5 mg Rivaroxaban zusätzlich zu Acetylsalicylsäure auch zur Prophylaxe atherothrombotischer Ereignisse bei Patienten mit stabiler koronarer Herzerkrankung oder symptomatischer peripherer arterieller Verschlusserkrankung und hohem Risiko für ischämische Ereignisse eingesetzt werden. Basis der Zulassungserweiterung ist die dreiarmige randomisierte COMPASS-Studie, in der 27.395 Patienten zweimal täglich 2,5 mg Rivaroxaban plus 100 mg Acetylsalicylsäure, zweimal täglich 5 mg Rivaroxaban oder täglich 100 mg Acetylsalicylsäure erhielten (Eikelboom et al. 2017). Innerhalb von 23 Monaten traten unter zusätzlich zweimal 2,5 mg Rivaroxaban signifikant weniger kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte oder Schlaganfälle auf als unter Acetylsalicylsäure allein (4,1 gegenüber 5,4 %). Schwere
406
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
(3,1 gegenüber 1,9 %) und kleinere Blutungen (9,2 gegenüber 5,5 %) waren allerdings signifikant häufiger. Bei Patienten ab 75 Jahren waren Gefäßereignisse nicht signifikant seltener, die Zunahme der Blutungskomplikationen aber deutlicher und somit die NutzenSchaden-Bilanz negativ. Subgruppenanalysen der COMPASS-Studie fanden für Patienten mit koronarer Herzerkrankung (91 %) oder peripherer Verschlusskrankheit (27 %) vergleichbare Ergebnisse wie für das Gesamtkollektiv (Connolly et al. 2018; Anand et al. 2018). Clopidogrel bietet allerdings bei symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit Vorteile gegenüber Acetylsalicylsäure (CAPRIE Steering Committee 1996; Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen 2006) bietet, wäre für diese Patientengruppe als Vergleichstherapie sinnvoller gewesen. Eine von den Autoren beschriebene Mortalitätsreduktion sieht die europäische Arzneimittelbehörde als nicht hinreichend belegt an (European Medicines Agency 2017). Zweimal 5 mg Rivaroxaban allein boten in COMPASS gegenüber zweimal 2,5 mg zusätzlich zu Acetylsalicylsäure keine Vorteile und erhielten folglich keine Zulassung für diese Indikation. 16.2
16.2.1
16
Thrombozytenaggregationshemmer Acetylsalicylsäure
Bei den Thrombozytenaggregationshemmern entfällt der Hauptteil der Verordnungen weiterhin auf Acetylsalicylsäurepräparate (. Abb. 16.2 und . Tab. 16.3). Sie haben sich nach einer steilen Abnahme im Jahre 2004 in den folgenden Jahren kontinuierlich erholt und sind seit 2010 weiter um 15 % angestiegen. Für die Rezidivprophylaxe mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure nach Herzinfarkten und Schlaganfällen ist der therapeutische Nutzen in zahlreichen Studien belegt und in Metaanalysen evaluiert worden (Antithrombo-
tic Trialists’ Collaboration 2002, 2009). Laboranalytisch lässt sich bei bis zu 10 % der Behandelten ein fehlendes Ansprechen selbst auf Tagesdosen von 325 mg Acetylsalicylsäure nachweisen (Gum et al. 2001). Solche Acetylsalicylsäure-resistente, oft als „non-responder“ bezeichnete Patienten weisen ein 3,5-fach höheres Risiko auf, an kardiovaskulären Leiden zu versterben (Eikelboom et al. 2003). Ob in diesen Fällen eine ersatzweise oder zusätzliche Gabe von ADP-Rezeptorantagonisten von Nutzen ist, ist durch klinische Studien weiterhin nicht geklärt. Zum Einsatz von Acetylsalicylsäure für die Primärprävention von Gefäßereignissen sind in vergangenen Jahren nochmals mehrere größere randomisierte Studien veröffentlicht. Auch bei gepoolter Auswertung aller Studien ist ein Nutzen nicht erkennbar, ein erhöhtes Blutungsrisiko dagegen möglich (Christiansen et al. 2019).
16.2.2
Clopidogrel
Clopidogrel ist weiterhin der Hauptvertreter der P2Y12 ADP-Rezeptorantagonisten, deren Verordnung in den letzten 10 Jahren auf niedrigerem Niveau ähnlich wie die der Acetylsalicylsäure zugenommen, zuletzt aber ein weitgehend stabiles Niveau erreicht hat (. Abb. 16.2). Clopidogrel zeigt in der Monotherapie zur Sekundärprävention ischämischer Ereignisse im Vergleich zu Acetylsalicylsäure nur eine marginale Überlegenheit. In der CAPRIE-Studie mit 19.185 Patienten betrug das jährliche Risiko für Schlaganfall, Myokardinfarkt oder vaskulär bedingten Todesfall mit Clopidogrel 5,32 % und mit Acetylsalicylsäure 5,82 % (CAPRIE Steering Committee 1996). Gemäß einer Bewertung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2006) ist der Zusatznutzen auf die Reduktion vaskulärer Ereignisse bei Patienten mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit beschränkt. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dar-
16
407 16.2 Thrombozytenaggregationshemmer
800 Acetylsalicylsäurepräparate ADP-Rezeptorantagonisten 655
209
211
2017
2018
207
2015
2016
205
2013
2014
2012
205
207
195
189
721
687
682
668
712
694
683
665
629
(Mio. DDD)
600
400
200
166
0 2010
177
2011
2019
. Abb. 16.2 Verordnungen von Thrombozytenaggregationshemmern 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
aufhin die Verordnungsfähigkeit von Clopidogrel in der Monotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen auf diese Patienten sowie auf solche mit Acetylsalicylsäure-Unverträglichkeit beschlossen (Bundesministerium für Gesundheit 2012a). Allerdings ist Clopidogrel bei lediglich gastrointestinaler Unverträglichkeit von Acetylsalicylsäure keine zweckmäßige Option. Patienten mit blutenden Magenulzera unter Acetylsalicylsäure zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse entwickelten nach Umstellung auf Clopidogrel in 12 Monaten wesentlich häufiger Blutungsrezidive als Patienten, die zusätzlich zu Acetylsalicylsäure Esomeprazol erhielten (8,6 gegenüber 0,7 %) (Chan et al. 2005). Nach gastrointestinalen Blutungen unter Acetylsalicylsäure ist die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpenhemmers deshalb sinnvoller als ein Wechsel auf einen P2Y12 ADP-Rezeptorantagonisten. Die Kombination von Acetylsalicylsäure und Clopidogrel bleibt einigen speziellen kardiologischen Indikationen vorbehalten. In der CURE-Studie traten bei 12.562 Patienten mit akutem Koronarsyndrom innerhalb von drei
bis zwölf Monaten unter Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure seltener kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle auf als unter Acetylsalicylsäure allein (9,3 gegenüber 11,4 %). Schwerere Blutungen waren allerdings in der Clopidogrelgruppe signifikant häufiger (3,7 gegenüber 2,7 %) (The Clopidogrel in Unstable Angina to Prevent Recurrent Events Trial Investigators 2001). Die Substudie PCI-CURE-Studie (Mehta et al. 2001) zeigte, dass die zusätzliche Gabe von Clopidogrel bei interventionell behandelten Patienten kardiovaskuläre Ereignisse sowohl vor als auch nach der Intervention senkt. In der PCICLARITY-Studie und in der COMMIT-Studie konnten die Ergebnisse auch bei Patienten mit ST-Hebungsinfarkt bestätigt werden (Sabatine et al. 2005; Chen et al. 2005). Die Kombination aus Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure gilt seither als Referenztherapie für Patienten mit akuten Koronarsyndromen. Lange war strittig, für welche Dauer Clopidogrel zusätzlich zu Acetylsalicylsäure nach Implantation koronarer Stents in Abhängigkeit vom Stenttyp und der klinischen Situation
408
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
. Tabelle 16.3 Verordnungen von Thrombozytenaggregationshemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Acetylsalicylsäure ASS AL TAH/-protect
Acetylsalicylsäure
210,2
(C28,9)
0,03
ASS AbZ protect/-TAH
Acetylsalicylsäure
176,8
(C161,4)
0,03
ASS 100/-protect-1 A Pharma
Acetylsalicylsäure
150,9
(34,2)
0,03
ASS Dexcel 100/-protect
Acetylsalicylsäure
66,2
(C25,9)
0,03
ASS-ratiopharm TAH/-PROTECT 100 mg/Herz ASS-ratiopharm
Acetylsalicylsäure
45,8
(52,3)
0,04
ASS 100 HEXAL/-protect
Acetylsalicylsäure
31,4
(34,9)
0,03
ASS TAD protect
Acetylsalicylsäure
13,2
(43,0)
0,04
Aspirin N/-protect
Acetylsalicylsäure
10,7
(24,1)
0,06
ASS STADA 100
Acetylsalicylsäure
10,2
(C8,7)
0,03
Godamed
Acetylsalicylsäure
5,0
(24,4)
0,03
720,3
(C1,4)
0,03
Clopidogrel Clopidogrel Zentiva
Clopidogrel
107,7
(C105,2)
0,33
Clopidogrel Heumann
Clopidogrel
42,5
(55,6)
0,31
Grepid
Clopidogrel
9,7
(C35,1)
0,25
Clopidogrel TAD
Clopidogrel
3,1
(44,9)
0,33
163,0
(C1,3)
0,32
Weitere ADP-Rezeptorantagonisten
16
Brilique
Ticagrelor
26,2
(C6,3)
2,52
Efient
Prasugrel
8,4
(29,6)
2,67
Prasugrel beta
Prasugrel
1,3
(Neu)
1,63
35,9
(1,9)
2,52
919,2
(C1,3)
0,18
Summe
verabreicht werden soll. Die gepoolte Auswertung der Studien REAL-LATE und ZESTLATE fand für eine duale Plättchenhemmung keinen Vorteil mehr gegenüber der Monotherapie mit Acetylsalicylsäure, wenn sie länger als ein Jahr nach Stentimplantation fortgeführt
wurde (Park et al. 2010). Die groß angelegte DAPT-Studie mit 9.961 Patienten zeigte bei einer dualen Plättchenhemmung nach Implantation beschichteter Stents über zwölf Monate hinaus zwar eine weitere Reduktion von Stentthrombosen und Herzinfarkten; sie ging aber
409 16.2 Thrombozytenaggregationshemmer
mit einer erhöhten Blutungsrate und Mortalität einher (Mauri et al. 2014). Diese und weitere randomisierte Studien zur optimalen Dauer einer dualen Plättchenhemmung bei Implantation beschichteter Stents wurden kürzlich in einer umfassenden Metaanalyse ausgewertet (Yin et al. 2019). Mit zunehmender Dauer der dualen Plättchenhemmung nahm vor allem das Risiko schwerer Blutungen zu, bei Dauer über mehr als zwölf Monate auch die nicht-kardiale Sterblichkeit, ohne dass dem ein klarer Nutzen gegenübersteht. Bei beschichteten Stents der neueren Generation (Everolimus, Zotarolimus) nahm die Gesamtsterblichkeit sogar zu, wenn die duale Plättchenhemmung über mehr als zwölf durchgeführt wurde statt nur bis zu sechs Monate. Aktuelle europäische und US-amerikanische Leitlinien empfehlen entsprechend, dass die Dauer der dualen Plättchenhemmung nach Stentimplantation individuell festgelegt werden soll und eine Verkürzung von zwölf Monaten auf sechs oder drei Monate gerechtfertigt sein kann (Valgimigli et al. 2018; Levine et al. 2016). Bei unbeschichteten Stents kann die duale Plättchenhemmung in der Regel auf vier Wochen verkürzt werden, wenn es sich um elektive Eingriffe handelt. In der CHARISMA-Studie wurden Clopidogrel und Acetylsalicylsäure zur Sekundärprophylaxe bei 15.603 kardiovaskulären Risikopatienten untersucht (Bhatt et al. 2006). Die Kombination zeigte nach 28 Monaten keine signifikante Reduktion von kardiovaskulären Todesfällen, Herzinfarkten oder Schlaganfällen gegenüber der Therapie mit Acetylsalicylsäure allein (6,7 gegenüber 7,2 %). In einer Subgruppe mit multiplen Risikofaktoren war die kardiovaskuläre Sterblichkeit sogar höher als unter Acetylsalicylsäure allein. Die randomisierte MATCH-Studie verglich über 18 Monate Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure mit Clopidogrel allein bei Patienten mit kurz zuvor aufgetretenen ischämischen Schlaganfällen oder transienten ischämischen Attacken (Diener et al. 2004). Die Kombination verhinderte vaskuläre Ereignisse nicht effektiver als Clopidogrel allein (15,7 gegenüber 16,7 %), ging jedoch mit einer signifikant höheren Rate
16
lebensbedrohlicher Blutungen einher (2,6 versus 1,3 %). Im Rahmen der ACTIVE A-Studie wurde bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern, bei denen eine Therapie mit VitaminK-Antagonisten nicht indiziert war, Clopidogrel zusätzlich zu Acetylsalicylsäure getestet (The ACTIVE Investigators 2009). Unter der Kombination traten in 3,6 Jahren weniger Schlaganfälle, Embolien, Herzinfarkte oder kardiovaskuläre Todesfälle auf (6,8 gegenüber 7,6 %/Jahr) aber mehr schwere Blutungskomplikationen als unter Acetylsalicylsäure allein (2,0 gegenüber 1,3 %/Jahr). In der AVERROES-Studie reduzierte Apixaban bei einem ähnlichen Patientenkollektiv mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern, bei dem VitaminK-Antagonisten nicht erwünscht oder indiziert waren, Schlaganfälle und Embolien gegenüber Acetylsalicylsäure allein jedoch deutlicher (1,6 gegenüber 3,7 %/Jahr) und ohne dass Blutungskomplikationen zunahmen (Connolly et al. 2011). Die ACTIVE-W-Studie, in der Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure bei Patienten mit Vorhofflimmern mit einer Warfarintherapie mit INR-Zielwerten von 2–3 verglichen wurde, musste nach 1,3 Jahren vorzeitig beendet werden, da die Kombination in der Verhinderung von Schlaganfällen, Embolien, Herzinfarkten oder kardiovaskulären Todesfällen Warfarin unterlegen (5,60 gegenüber 3,93 %/Jahr) war (The ACTIVE Writing Group of the ACTIVE Investigators 2006). Eine Therapie mit oralen Antikoagulantien ist somit die wirksamste Option zur Verhinderung zerebraler Insulte bei Patienten mit Vorhofflimmern. Die Kombination aus Clopidogrel plus Acetylsalicylsäure wird entsprechend in Leitlinien nur noch für spezielle Situationen oder als fernere Option empfohlen (January et al. 2019; Kirchhof et al. 2016). Clopidogrel ist eine inaktive Vorstufe, an deren Aktivierung das Cytochrom CYP2C19 wesentlich beteiligt ist. Genetische Polymorphismen von CYP2C19 tragen zur Variabilität des pharmakologischen Effektes bei (Collet et al. 2009; Simon et al. 2009). Zudem kann das Cytochrom durch Protonenpumpenhem-
410
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
mer inhibiert werden. In der großen randomisierten COGENT-Studie hatte die gleichzeitige Therapie mit Omeprazol zusätzlich zu einer dualen Plättchenhemmung mit Clopidogrel und Acetylsalicylsäure jedoch keinen negativen Effekt auf die Rate kardiovaskulärer Ereignisse (Bhatt et al. 2010). Die klinische Bedeutung dieser Interaktion ist aber vor allem bei Hochrisikopatienten nicht ausreichend geklärt (Bauer et al. 2011), so dass die Europäische Gesellschaft für Kardiologie im Zweifelsfall ein pragmatisches Vorgehen und den Einsatz von Protonenpumpenhemmern mit geringer Inhibition von CYP2C19 wie Pantoprazol empfiehlt (Agewall et al. 2013).
16.2.3
16
Prasugrel
Prasugrel ist ähnlich wie Clopidogrel die inaktive Vorstufe eines aktiven Metaboliten, der die P2Y12 ADP-Rezeptoren irreversibel blockiert. Anders als Clopidogrel wird Prasugrel in der Leber vor allem durch CYP3A4 und CYP2B6 aktiviert. Maximale Plasmaspiegel des aktiven Metaboliten werden bereits nach 30 min erreicht. In der TRITON-TIMI 38 Studie wurden Prasugrel und Clopidogrel in Kombination mit Acetylsalicylsäure bei 13.608 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, bei denen eine perkutane Koronarintervention durchgeführt werden sollte, miteinander verglichen (Wiviott et al. 2007). Kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte oder Schlaganfälle traten unter Prasugrel signifikant seltener auf als unter Clopidogrel (9,9 gegenüber 12,1 %). Schwere Blutungen waren jedoch signifikant häufiger (2,4 gegenüber 1,8 %), insbesondere bei Patienten über 75 Jahre oder wenn eine Bypass-Operation notwendig wurde. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2011) kommt zum Schluss, dass ein Zusatznutzen von Prasugrel gegenüber Clopidogrel nicht belegt ist, da die publizierten Ergebnisse durch systematische Fehler in der Studienanlage und -auswertung verzerrt waren. Die Therapie mit Prasugrel sollte daher laut
Therapiehinweis des Gemeinsamen Bundesausschusses auf Patienten mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Mortalität und niedrigem Blutungsrisiko beschränkt bleiben (Bundesministerium für Gesundheit 2010). Aktuell sorgt die 2019 publizierte ISARREACT-5-Studie für Diskussionen. Sie fand bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und geplanter perkutaner Koronarintervention unter einer Therapiestrategie mit Prasugrel plus Acetylsalicylsäure nach einem Jahr weniger Todesfälle, Infarkte oder Schlaganfälle (9,3 gegenüber 6,9 %) als unter einer Strategie mit Ticagrelor plus Acetylsalicylsäure (Schüpke et al. 2019). Die Gesamtmortalität und die Rate schwerer Blutungen unterschieden sich nicht. Kritikpunkte an der Studie sind das offene Design, die geringe Fallzahl und die nicht plausible Fallzahlkalkulation. Zudem stehen die Ergebnisse in gewissem Widerspruch zu der einige Jahre zuvor erschienenen Studie PRAGUE-18 (Motovska et al. 2018), die bei einem akuten Koronarsyndrom unter Prasugrel in der Tendenz mehr Todesfälle, Infarkte oder Schlaganfälle fand als unter Ticagrelor (6,6 gegenüber 5,7 %). Die Verordnungszahlen für Prasugrel waren auch 2019 gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen (. Tab. 16.3).
16.2.4
Ticagrelor
Im Gegensatz zu Clopidogrel und Prasugrel ist Ticagrelor ein direkt wirkender und reversibler Antagonist des P2Y12 -Rezeptors, der keine hepatische Aktivierung erfordert. Ticagrelor hemmt die Thrombozytenfunktion auch ohne Loading-Dose rascher als Clopidogrel und ähnlich schnell wie Prasugrel. Nach Absetzen hält die Thrombozytenaggregationshemmung ebenfalls kürzer an. Zusätzlich zur Blockade des P2Y12 -Rezeptors hemmt Ticagrelor auch den Nukleosidtransporter ENT1, der für die zelluläre Aufnahme von Adenosin verantwortlich ist. Der Anstieg des Adenosinplasmaspiegels (Bonello et al. 2014) könnte für die nach
411 16.3 Antihämorrhagika
Ticagrelor häufiger als nach Clopidogrel beobachtete Dyspnoe (13,8 gegenüber 7,8 %) verantwortlich sein. In der PLATO Studie wurden über zwölf Monate die Kombinationen aus Acetylsalicylsäure mit Ticagrelor oder mit Clopidogrel bei 18.624 Patienten mit akutem Koronarsyndrom verglichen, die rein medikamentös, mit perkutanen Interventionen oder mit einem Koronarbypass behandelt wurden (Wallentin et al. 2009). Vaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle wurden durch Ticagrelor gegenüber Clopidogrel signifikant reduziert (9,8 gegenüber 11,7 %). Auch die Gesamtmortalität (4,5 gegenüber 5,9 %), die kardiovaskuläre Mortalität (4,0 gegenüber 5,1 %) und die Herzinfarktrate (5,8 gegenüber 6,9 %) waren geringer. Dennoch traten schwere Blutungen nicht häufiger auf als unter Clopidogrel (11,6 gegenüber 11,2 %). In der EUCLID-Studie war die Monotherapie mit Ticagrelor einer Behandlung mit Clopidogrel bei 13.885 Patienten mit stabiler symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit nicht überlegen (Hiatt et al. 2017). Die Rate an kardiovaskulären Todesfällen, Myokardinfarkten und ischämischen Schlaganfällen unterschied sich nach 30 Monaten nicht (10,8 vs. 10,6 %), akute Ischämien der Extremitäten und Blutungen waren gleich häufig. Eine Zulassung von Ticagrelor in dieser Indikation besteht nicht und ist auch nicht zu erwarten. In der PEGASUS-TIMI 54-Studie wurde Ticagrelor in der Langzeittherapie zusätzlich zu Acetylsalicylsäure bei 21.162 Patienten geprüft, die ein bis drei Jahre zuvor einen Herzinfarkt erlitten hatten (Bonaca et al. 2015). Innerhalb von drei Jahren verminderte Ticagrelor in einer Dosierung von 2 60 mg/d gegenüber Placebo signifikant kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte und Schlaganfälle (7,77 gegenüber 9,04 %), allerdings unter Zunahme schwerer Blutungen (2,30 gegenüber 1,06 %) und ohne die Gesamtmortalität zu verbessern. Die Zulassung für Ticagrelor wurde daraufhin 2016 entsprechend erweitert. Ticagrelor wurde 2011 als erstes Arzneimittel der frühen Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz
16
(AMNOG) unterzogen. Dabei wurde der Zusatznutzen von Ticagrelor bei den verschiedenen Formen des akuten Koronarsyndroms separat bewertet. Nur bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder Nicht-STHebungsinfarkt (NSTEMI) wurde für Ticagrelor ein beträchtlicher Zusatznutzen gegenüber Clopidogrel anerkannt. Für Patienten mit STHebungsinfarkt (STEMI) lagen keine ausreichenden Daten vor (Bundesministerium für Gesundheit 2012b). Im Jahr 2016 wurde für die erweiterte Indikation nach zurückliegenden Herzinfarkten ein Anhalt für einen geringen Zusatznutzen konstatiert (Bundesministerium für Gesundheit 2016). Aus Sicht der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bestanden allerdings zu große Unklarheiten, ob die Kombination für Langzeittherapie nach Herzinfarkten in der Gesamtbilanz Vorteile bringt (Arzneiverordnungen in der Praxis 2017). Sein Einsatz in dieser Indikation wird auch in der aktuellen Versorgungsleitlinie zur chronischen koronaren Herzkrankheit nicht empfohlen (Bundesärztekammer et al. 2019). Die Verordnungen haben 2019 gegenüber dem Vorjahr weiter zugenommen (. Tab. 16.3).
16.3 16.3.1
Antihämorrhagika Blutgerinnungsfaktoren
Die umsatzstärkste Gruppe der Antihämorrhagika sind die Faktor-VIII-Präparate (. Tab. 16.4), die zur Prophylaxe und Therapie von Blutungen bei Patienten mit angeborenem Faktor VIII-Mangel (Hämophilie A) eingesetzt werden. Standardtherapie ist die primäre Prophylaxe durch regelmäßige intravenöse Infusion von Faktor VIII, die der bedarfsgesteuerten Behandlung bezüglich Blutungsereignissen und Gelenkfunktion deutlich überlegen ist (Hoots und Nugent 2006; Giangrande et al. 2014). Die Vorteile der prophylaktischen Therapie gegenüber einer OnDemand-Therapie sind mittlerweile in randomisierten Studien bestätigt (Manco-Johnson
412
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
. Tabelle 16.4 Verordnungen von Antihämorrhagika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Blutgerinnungsfaktoren Advate
Octocog alfa
0,03
(25,7)
1.034,48
Kovaltry
Octocog alfa
0,03
(5,9)
999,69
Elocta
Efmoroctocog alfa
0,03
(C20,4)
1.057,60
Beriate
Gerinnungsfaktor VIII
0,02
(18,7)
937,70
0,11
(10,2)
1.014,12
Phytomenadion
0,47
(15,5)
0,41
Tranexamsäure
0,40
(3,0)
3,76
Vitamin K Konakion Antifibrinolytika Cyklokapron
Thrombopoetin-Rezeptoragonisten Revolade
Eltrombopag
0,86
(C18,7)
89,41
Nplate
Romiplostim
0,61
(C11,9)
92,10
1,5
(C15,8)
90,53
2,5
(C3,7)
99,61
Summe
16
et al. 2014; Kavakli et al. 2015). Die Hämophilie gehört zu den seltenen Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen und hoch spezialisierten Leistungen, die für die ambulante Behandlung im Krankenhaus zugelassen sind (§ 116 b Absatz 3 SGB V). Aus diesem Grunde wird ein großer Teil der Faktor-VIIIPräparate über Direktverträge an Krankenhäuser geliefert, die in den hier dargestellten Umsatzwerten nicht erfasst werden. Umsätze und Veränderungsraten der Gerinnungsfaktoren sind daher unvollständig (. Tab. 16.4). Octocog alfa ist ein rekombinanter Blutgerinnungsfaktor VIII, der aus Zellkulturen gewonnen wird und häufiger zur Behandlung von Patienten mit Hämophilie A gegeben wird als aus humanem Plasma gewonnener, gereinigter Gerinnungsfaktor VIII. Efmoroctocog alfa (Elocta) ist ein Fusionsprotein einer verkürzten Version des humanen Gerinnungsfaktors
VIII mit dem Fc-Teil des humanen Immunglobulins IgG1 mit einer verlängerten Halbwertszeit. Als weitere rekombinante Faktor VIII-Präparate wurden 2019 Damoctocog alfa pegol (Jivi) und Turoctocog alfa pegol (Esperoct) zugelassen, sodass nun insgesamt elf rekombinante Faktor VIII-Präparate zur Verfügung stehen (vgl. Kap. 2, Neue Arzneimittel, Abschn. 2.1.10 und 2.1.28). Für Patienten mit Hämophilie A, die hemmende Antikörper gegen Faktor VIII (Hemmkörper) entwickelt haben, steht seit 2018 Emicizumab (Hemlibra) zur Verfügung. Emicizumab ist ein bispezifischer monoklonaler Antikörper, der sich an die Gerinnungsfaktoren IX und X bindet und dadurch fehlenden Faktor VIII umgehen kann. Faktor-IX-Präparate zur Prophylaxe und Therapie von Blutungen bei Patienten mit angeborenem Faktor IX-Mangel (Hämophilie B) sind unter den meistverordneten Arzneimit-
413
16
Literatur
teln nicht vertreten, da diese Hämophilieform wesentlich seltener ist. In Analogie zum Faktor VIII wurden auch modifizierte rekombinante Faktor IX-Präparate hergestellt, die gegenüber den humanplasmatischen Präparaten aufgrund einer verlängerten Plasmahalbwertszeit ein deutlich längeres Dosierungsintervall aufweisen. Insgesamt stehen fünf verschiedene rekombinante Faktor-IX-Präparate zur Verfügung, davon drei mit verlängerter Halbwertszeit. Zur Behandlung des angeborenen Von-Willebrand-Syndroms wurde 2019 erstmalig ein rekombinanter Von-Willebrand-Faktor, Vonicog alfa (Veyvondi) zugelassen (vgl. Kap. 2, Neue Arzneimittel, Abschn. 2.1.30).
16.3.2
ThrombopoetinRezeptoragonisten
Eltrombopag (Revolade) ist ein oral applizierbarer Agonist des Thrombopoetinrezeptors und fördert im Knochenmark die Bildung neuer Thrombozyten. Er wurde 2010 zugelassen und kann zur Behandlung von Patienten mit chronischer immun(idiopathischer)thrombozytopenischer Purpura (ITP), Thrombozytopenie bei chronischer Hepatitis C oder bei erworbener schwerer aplastischer Anämie eingesetzt werden. Der Thrombopoetin-Rezeptoragonist Romiplostim (Nplate) ist ein FcPeptid-Fusionsprotein, das bei Patienten mit chronischer immun-(idiopathischer) thrombozytopenischer Purpura (ITP) einmal wöchentlich subkutan appliziert wird. Beide Thrombopoetin-Rezeptoragonisten sind auch 2019 erneut deutlich häufiger als im Vorjahr verordnet worden (. Tab. 16.4).
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Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
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420
Kapitel 16 Antithrombotika und Antihämorrhagika
Guidelines (CPG), ESC National Cardiac Societies (2018) 2017 ESC focused update on dual antiplatelet therapy in coronary artery disease developed in collaboration with EACTS: The Task Force for dual antiplatelet therapy in coronary artery disease of the European Society of Cardiology (ESC) and of the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 39:213–260 Verdoia M, Schaffer A, Barbieri L, Suryapranata H, De Luca G (2016) Bivalirudin versus unfractionated heparin in acute coronary syndromes: An updated metaanalysis of randomized trials. Rev Esp Cardiol (engl Ed) 69:732–745 Vranckx P, Valgimigli M, Eckardt L, Tijssen J, Lewalter T, Gargiulo G, Batushkin V, Campo G, Lysak Z, Vakaliuk I, Milewski K, Laeis P, Reimitz PE, Smolnik R, Zierhut W, Goette A (2019) Edoxaban-based versus vitamin K antagonist-based antithrombotic regimen after successful coronary stenting in patients with atrial fibrillation (ENTRUST-AF PCI): a randomised, open-label, phase 3b trial. Lancet 394:1335–1343 Wallentin L, Becker RC, Budaj A, Cannon CP, Emanuelsson H, Held C, Horrow J, Husted S, James S, Katus H, Mahaffey KW, Scirica BM, Skene A, Steg PG, Storey RF, Harrington RA, Thorsén M, PLATO Investigators (2009) Ticagrelor versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 361:1045– 1057 Wallentin L, Yusuf S, Ezekowitz MD, Alings M, Flather M, Franzosi MG, Pais P, Dans A, Eikelboom J, Oldgren J, Pogue J, Reilly PA, Yang S, Connolly SJ, RE-LY investigators (2010) Efficacy and safety of dabigatran compared with warfarin at different levels of international normalised ratio control for stroke prevention in atrial fibrillation: an analysis of the RE-LY trial. Lancet 376:975–983 Wallentin L, Lopes RD, Hanna M, Thomas L, Hellkamp A, Nepal S, Hylek EM, Al-Khatib SM, Alexander JH, Alings M, Amerena J, Ansell J, Aylward P, Bartunek J, Commerford P, De Caterina R, Erol C, Harjola VP, Held C, Horowitz JD, Huber K, Husted S, Keltai M, Lanas F, Lisheng L, McMurray JJ, Oh BH, Rosenqvist M, Ruzyllo W, Steg PG, Vinereanu D, Xavier
16
D, Granger CB, Apixaban for Reduction in Stroke and Other Thromboembolic Events in Atrial Fibrillation (ARISTOTLE) Investigators (2013) Efficacy and safety of apixaban compared with warfarin at different levels of predicted international normalized ratio control for stroke prevention in atrial fibrillation. Circulation 127:2166–2176 White RH, Ginsberg JS (2003) Low-molecular-weight heparins: are thy all the same? Br J Hematol 121:12–20 Wiviott SD, Braunwald E, McCabe CH, Montalescot G, Ruzyllo W, Gottlieb S, Neumann FJ, Ardissino D, De Servi S, Murphy SA, Riesmeyer J, Weerakkody G, Gibson CM, Antman EM, TRITON-TIMI 38 Investigators (2007) Prasugrel versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 357:2001–2015 Yao X, Abraham NS, Alexander GC, Crown W, Montori VM, Sangaralingham LR, Gersh BJ, Shah ND, Noseworthy PA (2016) Effect of adherence to oral anticoagulants on risk of stroke and major bleeding among patients with atrial fibrillation. J Am Heart Assoc 5:pii: e3074 Yao X, Shah ND, Sangaralingham LR, Gersh BJ, Noseworthy PA (2017) Non-vitamin K antagonist oral anticoagulant dosing in patients with atrial fibrillation and renal dysfunction. J Am Coll Cardiol 69:2779– 2790 Yin SH, Xu P, Wang B, Lu Y, Wu QY, Zhou ML, Wu JR, Cai JJ, Sun X, Yuan H (2019) Duration of dual antiplatelet therapy after percutaneous coronary intervention with drug-eluting stent: systematic review and network meta-analysis. BMJ 365:l2222 Young AM, Marshall A, Thirlwall J, Chapman O, Lokare A, Hill C, Hale D, Dunn JA, Lyman GH, Hutchinson C, MacCallum P, Kakkar A, Hobbs FDR, Petrou S, Dale J, Poole CJ, Maraveyas A, Levine M (2018) Comparison of an oral factor Xa inhibitor with low molecular weight heparin in patients with cancer with venous thromboembolism: Results of a randomized trial (SELECT-D). J Clin Oncol 36:2017–2023 Zed PJ, Tisdale JE, Borzak S (1999) Low-molecularweight heparins in the management of acute coronary syndromes. Arch Intern Med 159:1849–1857
421
17
Antirheumatika und Antiphlogistika Rainer H. Böger und Gerhard Schmidt
Auf einen Blick
Trend Bei den Verordnungen der Antirheumatika und Antiphlogistika dominieren auch 2019 mit klarem Abstand die nichtsteroidalen Antiphlogistika. Unter diesen steht Ibuprofen weiterhin, inzwischen mit sehr großem Vorsprung, an erster Stelle vor Diclofenac in der Verordnungshäufigkeit. Die Verordnungen der zwei auf dem Markt verbliebenen selektiven Cyclooxygenase-2Hemmer haben deutlich zugenommen, sie machen jedoch nur 15 % der Gesamtverordnungen bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika aus. Krankheitsmodifizierende Antirheumatika haben in der Verordnung erneut weiter zugenommen. Größte Gruppe sind die synthetischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika mit dem bevorzugt eingesetzten Methotrexat. Inzwischen sind zwei Januskinaseinhibitoren mit einem kräftigen Verordnungszuwachs vertreten. Bei den biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika dominieren seit vielen Jahren die TNF’-Inhibitoren, allerdings erstmalig mit weitgehend unveränderten Verordnungszahlen. Nur Adalimumab zeigt noch einen deutlichen Verordnungszuwachs durch einen sprunghaften Anstieg der Biosimilars. Auf niedrigerem Niveau zeigten der Interleukin6-Rezeptorantagonist Tocilizumab und Kostimulationsinhibitor Abatacept wieder geringe Zunahmen. Die Bedeutung der um-
strittenen Externa („Rheumasalben“) ist weiter rückläufig.
In der Therapie rheumatischer Erkrankungen werden vorzugsweise nichtsteroidale Antiphlogistika eingesetzt (. Abb. 17.1). Mit ihnen gelingt es, den entzündlichen Prozess zurückzudrängen, die Beweglichkeit zu verbessern und den entzündlichen Schmerz zu vermindern, wohingegen sie die rheumatische Gelenkzerstörung nicht verhindern. Glucocorticoide (vgl. 7 Kap. 22) haben bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis einen schnellen symptomatischen und krankheitsmodifizierenden Effekt, können aber wegen schwerer Nebenwirkungen in der Langzeitbehandlung nur als niedrig dosierte Therapie eingesetzt werden. Die krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Arzneimittel („Diseasemodifying antirheumatic drugs“, DMARDs) hemmen ebenfalls die rheumatische Gelenkentzündung, wirken aber auch auf die Progression der rheumatischen Gelenkdestruktion (Übersicht bei Smolen et al. 2016). Sie haben mengenmäßig nur einen geringen, jedoch im Verlauf der letzten Jahre kontinuierlich steigenden Anteil an den Verordnungen der Antirheumatika und Antiphlogistika (vgl. . Abb. 17.2). Am häufigsten werden die synthetischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika verordnet, insbesondere das bevorzugt eingesetzte Methotrexat. Unter den biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika erfahren die TNF’-Inhibitoren
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_17
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
422
600 Ibuprofen
Diclofenac
COX-2-Hemmer 548
564 546
557
553
525
500 457
444
500
424 395 400
422 357
391 (Mio. DDD)
318 291
300
266 236 219
202
200
100
84
0 2010
90
98
105
2011
2012
2013
109
112
114
118
2014
2015
2016
2017
132
2018
145
2019
. Abb. 17.1 Verordnungen von nichtsteroidalen Antiphlogistika und COX-2-Hemmern 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
kaum einen Verordnungszuwachs, während die Verordnung der biologischen Nicht-TNF’Inhibitoren zur Zweitlinientherapie (Tocilizumab, Abatacept) auf niedrigerem Niveau weiter zugenommen hat. Die rezeptfreien topischen Antirheumatika sind in der Regel von der Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung seit 2004 ausgenommen und deshalb nur noch mit zwei Präparaten vertreten.
17.1
17
Nichtsteroidale Antiphlogistika
Nichtsteroidale Antiphlogistika werden seit über 100 Jahren zur Behandlung von Schmerzen und rheumatischen Entzündungen eingesetzt. Der gemeinsame Wirkungsmechanismus besteht in einer Hemmung der Cyclooxygenase, wodurch die Bildung von Prostaglandinen und Thromboxan vermindert wird (Vane 1971). Prostaglandine vermitteln einerseits Schmerz und Entzündungsprozesse, haben gleichzeitig aber auch schleimhautprotek-
tive Effekte im Magendarmtrakt. Die generelle Hemmung der Prostaglandinbildung führt daher zu einer engen Kopplung erwünschter entzündungshemmender Wirkungen und unerwünschter gastrointestinaler Nebenwirkungen. Die längerfristige Anwendung nichtsteroidaler Antiphlogistika führt bei etwa 1 % der Patienten zu Krankenhauseinweisungen wegen Ulkuskomplikationen (Blutungen, Perforationen) mit jährlich tausenden von Todesfällen (Wolfe et al. 1999). Mit Einführung einer Prophylaxe gegen die gastrointestinalen Läsionen durch nichtsteroidale Antiphlogistika mit Protonenpumpenhemmern oder Histamin 2-RezeptorAntagonisten ist das Risiko geringer geworden. Die Entdeckung einer durch Entzündung induzierbaren Cyclooxygenase war der erste Hinweis auf zwei unterschiedliche Isoformen dieses Enzyms (Fu et al. 1990). Die Cyclooxygenase-1 (COX-1) wird in den meisten Körperzellen konstitutiv gebildet und regelt physiologische Funktionen wie Magenschleimhautprotektion, Thrombozytenaggregation, Nierendurchblutung und Elektrolythaushalt. Die Cyclooxygenase-2 (COX-2)
17
423 17.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika
100 Methotrexat TNF-Inhibitoren Lefluomid Sulfasalazin 79
80
80
83
84
75 71 67 61
60 (Mio. DDD)
54
53
52
56
48 44 36
40 33 29 26 21
23
20 13
13
14
14
14
14
15
14
15
14
13
13
13
13
13
13
13
13
12
12
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
0 2010
2019
. Abb. 17.2 Verordnungen von krankheitsmodifizierenden Antirheumatika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
wird in Entzündungszellen durch Zytokine und Endotoxin induziert und vermittelt vor allem Schmerz und Entzündungsprozesse. Dementsprechend entfalten nichtsteroidale Antiphlogistika ihre analgetischen und entzündungshemmenden Wirkungen über eine COX-2Hemmung. Die typischen unerwünschten gastrointestinalen Nebenwirkungen entstehen jedoch vornehmlich über eine Hemmung der konstitutiven COX-1. Tatsächlich hemmten bereits die bis dahin bekannten nichtsteroidalen Antiphlogistika die beiden Isoenzyme in unterschiedlichem Ausmaß (Mitchell et al. 1993). Klinische Hinweise auf eine unterschiedliche Verträglichkeit wurden in einer britischen Fallkontrollstudie beobachtet (Langman et al. 1994). Das niedrigste Ulkusblutungsrisiko im Vergleich zu Kontrollen zeigten Ibuprofen (2fach) und Diclofenac (4fach), während höhere Risiken für Indometacin (11fach), Piroxicam (14fach) und insbesondere Azapropazon (32fach) beobachtet wurden. Deshalb wurde durch die Entwicklung selektiver COX-2-Inhibitoren eine verbesserte gastrointestinale Verträglichkeit der Therapie mit nichtsteroidalen Antiphlogistika erwartet.
Die ersten Ergebnisse schienen diese Hypothese zu bestätigen, nachfolgende placebokontrollierte Studien zeigten jedoch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko für die neu entwickelten COX-2-Inhibitoren (Coxib and traditional NSAID Trialists’ Collaboration 2013). Nach mehrjährigen kontroversen Auseinandersetzungen wurden schließlich drei Vertreter dieser Stoffgruppe vom Markt genommen: Rofecoxib (Vioxx) 2004, Valdecoxib (Bextra) 2005 und Lumiracoxib (Prexige) 2008 (Literatur siehe Arzneiverordnungs-Report 2014). Seitdem sind nur noch Celecoxib (Celebrex) und Etoricoxib (Arcoxia) mit zusätzlichen kardiovaskulären Kontraindikationen verfügbar.
17.1.1
Nichtselektive Cyclooxygenasehemmer
Nach Kenntnis über das erhöhte kardiovaskuläre Risiko bei den COX-2-Hemmstoffen und der Marktrücknahme von drei Präparaten ist die Verordnung der traditionellen nichtselektiven Cyclooxygenasehemmer zunächst um et-
424
17
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
wa den gleichen Umfang angestiegen, um den die COX-2-Hemmer zurückgegangen waren. Neben den seit langem bekannten gastrointestinalen Nebenwirkungen bei den nichtselektiven Cyclooxygenasehemmstoffen werden auch andere potentielle Risiken diskutiert, die bisher noch nie ausführlich und über einen längeren Zeitraum untersucht wurden. Frühzeitig wurde der Verdacht geäußert, dass selbst die klassischen nichtsteroidalen, nichtselektiven Antiphlogistika bei längerdauernder, etwas höher dosierter Anwendung ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko aufweisen (FDAStatement 2004). Die europäische Arzneimittelbehörde EMA kam bei der Neubewertung des kardiovaskulären Risikos nichtsteroidaler Antiphlogistika zu einem ähnlichen Resultat (European Medicines Agency 2012). Bereits die erste große Metaanalyse (138 randomisierte Studien, 145.373 Teilnehmer) mit einem Vergleich von selektiven COX-2-Inhibitoren mit Placebo oder traditionellen nichtsteroidalen Antiphlogistika zeigte, das nicht nur COX2-Inhibitoren sondern auch Ibuprofen und Diclofenac mit einem Anstieg des Risikos für vaskuläre Ereignisse assoziiert sind, nicht jedoch Naproxen (Kearney et al. 2006). Auch in einer umfangreichen Netzwerkmetaanalyse (31 Studien, 116.429 Patienten) sind kardiovaskuläre Risiken der traditionellen nichtsteroidalen Antiphlogistika Naproxen, Ibuprofen und Diclofenac sowie der COX-2-Hemmer Rofecoxib, Celecoxib, Etoricoxib und Lumiracoxib analysiert worden (Trelle et al. 2011). Rofecoxib und Lumiracoxib steigerten das Herzinfarktrisiko auf das Doppelte, während es nach Diclofenac und Naproxen unverändert war. Demgegenüber ergab sich beim Schlaganfall für alle Substanzen ein gegenüber Placebo erhöhtes Risiko, das bei Etoricoxib und Diclofenac mit einem Faktor 4 am ausgeprägtesten war. Die bisher größte Metaanalyse (280 placebokontrollierte Studien mit 124.513 Teilnehmern, 474 aktiv kontrollierte Studien mit 229.296 Teilnehmern) hat diese Ergebnisse weitgehend bestätigt. Die vaskulären Risiken von hochdosiertem Diclofenac und möglicherweise Ibuprofen sind mit de-
nen von COX-2-Inhibitoren vergleichbar, während Naproxen geringere vaskuläre Risiken als andere nichtsteroidale Antiphlogistika aufweist (Coxib and traditional NSAID Trialists’ Collaboration 2013). Für alle nichtsteroidalen Antiphlogistika gilt, dass sie in der niedrigsten effektiven Dosis und für einen möglichst kurzen Zeitraum verwendet werden sollen, um das Risiko so gering wie möglich zu halten (Patrono und Baigent 2015). Bei längerdauernden Behandlungen muss besonders auf Interaktionen mit anderen Medikamenten geachtet werden (Übersicht bei Petri 2019). Diese Erkenntnisse gewinnen zunehmend Einfluss auf die praktische Verordnung. Bei den traditionellen nichtselektiven nichtsteroidalen Antiphlogistika hat Ibuprofen seine führende Stellung 2019 weitgehend behauptet, während das über lange Jahre am meisten verordnete Diclofenac erneut zurückgegangen ist (. Tab. 17.1). Möglicherweise beruht der bevorzugte Einsatz von Ibuprofen auf einem geringeren Risiko für blutende peptische Ulzera, das in einer britischen Fallkontrollstudie beobachtet wurde (Langman et al. 1994). Diclofenac hat immer noch eine erhebliche COX-1-Aktivität, so dass bei üblichen therapeutischen Plasmakonzentrationen die Prostaglandinbildung im Magen deutlich gehemmt wird (Cryer und Feldman 1998). Diclofenac zeigt auch ein höheres kardiovaskuläres Risiko als Ibuprofen (Coxib and traditional NSAID Trialists’ Collaboration 2013). Das Auftreten einer Gastropathie kann bei Risikopatienten durch Protonenpumpenhemmer (z. B. Omeprazol) oder das Prostaglandinderivat Misoprostol verringert werden (Chan et al. 2002; Graham et al. 1993). Das Kombinationspräparat (Vimovo) aus Naproxen und dem Protonenpumpenhemmer Esomeprazol weist 2019 nach bisher rückläufigen Verordnungen erstmalig wieder einen Verordnungszuwachs auf. Die nichtselektiven, nichtsteroidalen Antiphlogistika sind mit Ausnahme von Naproxen und Piroxicam 2019 erneut weniger verschrieben worden (. Tab. 17.1). Der Verordnungszuwachs von Naproxen könnte daran liegen, dass in mehreren Untersuchungen gefunden wurde,
17
425 17.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika
. Tabelle 17.1 Verordnungen von Antirheumatika und Antiphlogistika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Diclofenac Diclo/Diclofenac-ratiopharm
Diclofenac
75,5
(30,2)
0,32
Voltaren
Diclofenac
34,9
(23,2)
0,36
Diclofenac Natrium Micro Labs Diclofenac
20,5
(C195,0)
0,34
Diclo-1 A Pharma
Diclofenac
18,3
(10,1)
0,49
Diclo KD
Diclofenac
18,1
(C60,7)
0,37
Diclofenac AL
Diclofenac
11,9
(C83,3)
0,40
Diclac
Diclofenac
8,1
(22,6)
0,50
Diclofenac Heumann
Diclofenac
5,0
(C62,3)
0,24
Diclofenac STADA
Diclofenac
4,5
(C101,5)
0,21
Diclofenac AbZ
Diclofenac
2,3
(C0,8)
0,35
Diclo Dispers
Diclofenac
2,0
(C116,2)
0,55
Diclo-Divido
Diclofenac
1,1
(20,7)
0,23
202,3
(7,7)
0,36
Ibuprofen Ibuflam/-Lysin
Ibuprofen
492,2
(C9,8)
0,50
Ibu/Ibu Lysin-ratiopharm
Ibuprofen
16,5
(14,9)
0,47
Ibu-1 A Pharma
Ibuprofen
13,3
(39,6)
0,45
Ibuprofen AbZ
Ibuprofen
8,9
(61,5)
0,62
Nurofen
Ibuprofen
8,0
(38,0)
0,69
Ibuprofen AL
Ibuprofen
5,8
(68,1)
0,48
Ibuprofen/Ibu Atid
Ibuprofen
3,2
(0,0)
0,50
IbuHEXAL/Ibu Lysin HEXAL
Ibuprofen
1,6
(49,6)
0,40
Ibuprofen-PUREN
Ibuprofen
1,5
(9,5)
0,66
Ibuprofen STADA
Ibuprofen
0,60
(15,6)
0,46
Imbun Ibu-Lysinat
Ibuprofen
0,49
(8,2)
0,65
Dolormin/-extra/-Migräne
Ibuprofen
0,25
(74,4)
0,50
Ib-u-ron
Ibuprofen
0,23
(C18,0)
0,71
Ibuprofen/Ibu Atid
Ibuprofen
0,13
(2,8)
1,10
(0,3)
0,51
552,6
426
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
. Tabelle 17.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Indometacin Indomet-ratiopharm
Indometacin
2,5
(36,2)
0,45
Indometacin AL
Indometacin
1,5
(C65,2)
0,36
4,0
(16,6)
0,42
Piroxicam Piroxicam HEXAL
Piroxicam
1,2
(C4,0)
0,35
Piroxicam AbZ
Piroxicam
1,1
(C6,2)
0,38
Piroxicam AL
Piroxicam
1,0
(C9,9)
0,45
3,3
(C6,5)
0,39
Acemetacin Acemetacin STADA
Acemetacin
1,7
(6,0)
0,56
Acemetacin Heumann
Acemetacin
1,3
(C18,9)
0,60
Rantudil
Acemetacin
1,2
(37,3)
0,77
4,2
(12,8)
0,63
Naproxen Naproxen AL
Naproxen
32,0
(C22,1)
0,43
Naproxen Aristo
Naproxen
4,5
(C42,2)
0,35
Naproxen-1 A Pharma
Naproxen
2,9
(56,7)
0,34
Naproxen STADA
Naproxen
1,8
(C26,1)
0,39
Naproxen HEXAL
Naproxen
1,2
(C0,9)
0,51
42,5
(C9,5)
0,42
Meloxicam
17
Meloxicam-1 A Pharma
Meloxicam
3,6
(C118,3)
0,32
Meloxicam AL
Meloxicam
1,2
(83,3)
0,39
4,8
(45,0)
0,34
Andere nichtsteroidale Antiphlogistika Sympal
Dexketoprofen
1,4
(2,5)
1,88
Gabrilen
Ketoprofen
0,93
(4,8)
0,56
2,4
(3,4)
1,36
17
427 17.1 Nichtsteroidale Antiphlogistika
. Tabelle 17.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Kombinationen Vimovo
Naproxen Esomeprazol
Summe
dass Naproxen das geringste kardiovaskuläre Risiko bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika aufweist (Kearney et al. 2006; Coxib and traditional NSAID Trialists’ Collaboration 2013). Dagegen sind die Gründe für den Verordnungsanstieg von Piroxicam unklar, da es ein wesentlich höheres Risiko von Ulkusblutungen als das präferentiell COX-2-hemmende Diclofenac hat (Langman et al. 1994). Darüber hinaus hat Piroxicam eine besonders lange Wirkungsdauer (Halbwertszeit 40 h). Die lange Verweildauer im Organismus birgt die Gefahr, dass sich der Wirkstoff selbst bei einmal täglicher Gabe im Körper anreichert und kumulative Überdosierungserscheinungen entstehen. Für viele rheumatische Erkrankungen sind Antiphlogistika mit kurzer Wirkungsdauer besser steuerbar, weil man damit die tageszeitlich stark schwankende Schmerzsymptomatik gezielter unterdrücken kann als mit einem lang wirkenden Therapeutikum. Seit vielen Jahren empfiehlt die EMA daher Anwendungsbeschränkungen für Piroxicam (nur noch zweite Wahl, maximal 20 mg pro Tag, Überprüfung nach 14 Tagen) (European Medicines Agency 2007). Sie sind in den Stufenplanbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel eingegangen und über einen Roten Hand Brief der Ärzteschaft mitgeteilt worden (Piroxicam Rote-Hand-Brief 2007). Indometacin zeichnet sich unter den nichtsteroidalen Antiphlogistika durch einen schnellen Wirkungseintritt aus, weist aber gleichzeitig auch intensive unerwünschte Wirkungen auf. In einer Metaanalyse über
4,0
(C19,7)
0,54
820,1
(2,3)
0,47
45 klinische Studien zeigte Indometacin gastrointestinale Nebenwirkungen schon nach 7 Tagen, andere nichtsteroidale Antiphlogistika erst nach 2–3 Monaten (Richy et al. 2004). Als präferentieller COX-2-Inhibitor wurde 1996 Meloxicam in Deutschland zugelassen. Es hemmt die COX-2 stärker als die COX-1 und weist damit eine dem Diclofenac vergleichbare Selektivität auf. Nach anfänglicher Euphorie ist die Verordnung seit 10 Jahren jedoch um etwa 70 % zurückgegangen (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2011, Tab. 16.3). Die Tendenz hat auch 2019 weiter angehalten (. Tab. 17.1). Eine Ursache könnte ein erhöhtes Risiko für einen hämorrhagischen Schlaganfall sein, das mit Diclofenac und Meloxicam beobachtet wurde (Cooper et al. 2019).
17.1.2
COX-2-Hemmer
Celecoxib (Celebrex) wurde 2000 als erster selektiver COX-2-Hemmer zu Behandlung von aktivierten Arthrosen und rheumatoider Arthritis zugelassen. Nach Bekanntwerden von Daten einer Langzeitstudie zur Prävention kolorektaler Adenome (APC-Trial) mit Celecoxib zeigte sich auch für diese Substanz ein dosis- und therapiedauerabhängig erhöhtes Risiko von Myokardinfarkten und Schlaganfällen gegenüber einer Placebobehandlung (Solomon et al. 2005). Daraufhin haben die amerikanische Food and Drug Administration und die European Medicines Agency zusätzliche Kontraindikationen für Patienten mit Herzinsuffizi-
428
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
enz, koronarer Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit und zerebrovaskuläre Krankheiten verfügt. Auch Etoricoxib ist mit potentiellen kardiovaskulären Risiken belastet, die in einem Editorial kritisch analysiert wurden (Day 2002). Weiterhin wurde speziell für Etoricoxib als zusätzliche Maßnahme eine Kontraindikation bei Patienten mit Hypertonie und ungenügender Blutdruckkontrolle festgelegt (European Medicines Agency 2005). Nach den regulatorischen Entscheidungen der FDA und der EMA wurde eine Vielzahl von Metaanalysen klinischer Studien veröffentlicht, um die kardiovaskulären Risiken der COX-2-Hemmer aufzuklären. Die drei größten Metaanalysen wurden bereits im vorangehenden Abschnitt über nicht-selektive Cyclooxygenasehemmer (7 Abschn. 17.1.1) dargestellt (Kearney et al. 2006; Trelle et al. 2011; Coxib and traditional NSAID Trialists’ Collaboration 2013). Die Ergebnisse dieser Metaanalysen
waren auch die Basis für Therapieempfehlungen in einem Positionspapier der ESC-Arbeitsgruppe für kardiovaskuläre Pharmakotherapie (Schmidt et al. 2016). Danach erfordert die Verordnung von nichtsteroidalen Antiphlogistika eine sorgfältige Bewertung des Risikos von Herz-Kreislauf-Komplikationen und Blutungen. Nichtsteroidale Antiphlogistika sollten im Allgemeinen nicht bei Patienten mit einem nachgewiesenen Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten angewendet werden. Ältere nichtsteroidale Antiphlogistika wie Diclofenac sollten nicht verordnet werden, da ihre Verwendung angesichts der damit verbundenen kardiovaskulären Risiken nicht zu rechtfertigen ist. Trotz aller Diskussionen über die erhöhten kardiovaskulären Risiken wurden die beiden COX-2-Inhibitoren 2019 gegenüber dem Vorjahr wieder etwas häufiger verschrieben (. Tab. 17.2). Insgesamt lag der Verordnungs-
. Tabelle 17.2 Verordnungen von COX-2-Inhibitoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Celecoxib
17
Celecoxib Micro Labs
Celecoxib
16,7
(C27,6)
0,53
Celecoxib Heumann
Celecoxib
10,1
(13,4)
0,44
Celecoxib Zentiva
Celecoxib
1,9
(21,6)
0,55
Celecoxib Actavis
Celecoxib
1,0
(14,0)
0,51
Celecoxib beta
Celecoxib
0,70
(21,7)
0,49
30,4
(C4,1)
0,50
Etoricoxib Etoricoxib Heumann
Etoricoxib
30,5
(C281,9)
0,42
Etoricoxib AL
Etoricoxib
18,3
(C377,8)
0,43
Etoricoxib beta
Etoricoxib
17,8
(C31,7)
0,42
Etoricoxib Micro Labs
Etoricoxib
11,7
(C54,7)
0,44
Etoriax TAD
Etoricoxib
7,9
(41,5)
0,41
17
429 17.2 Krankheitsmodifizierende Antirheumatika
. Tabelle 17.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Etoricoxib Glenmark
Etoricoxib
5,0
(C93,9)
0,44
Etoricoxib Libra-Pharm
Etoricoxib
3,6
(79,7)
0,46
Etoricoxib STADA
Etoricoxib
3,0
(C101,1)
0,44
Etoricoxib-PUREN
Etoricoxib
2,4
(C15,4)
0,49
Etoricox AbZ
Etoricoxib
2,3
(43,6)
0,47
Etorican
Etoricoxib
1,9
(C70,0)
0,44
Etoricoxib Mylan
Etoricoxib
1,9
(C47,6)
0,46
Arcoxia
Etoricoxib
1,4
(85,3)
0,42
Etoricoxib Zentiva
Etoricoxib
1,1
(73,9)
0,48
Etoricoxib-ratiopharm
Etoricoxib
1,1
(81,7)
0,51
Etoricox HEXAL
Etoricoxib
0,94
(41,5)
0,50
110,7
(C13,2)
0,43
141,1
(C11,1)
0,45
Summe
aus, sind jedoch im Verordnungsvolumen in den letzten 10 Jahren um mehr als 60 % angestiegen. Der massive Zuwachs betrifft nur Methotrexat und die TNF-Inhibitoren, während die Verordnung von Leflunomid und Sulfasalazin weitgehend konstant geblieben ist (. Abb. 17.2). Einige Remissionsinduktoren 17.2 Krankheitsmodifizierende (z. B. Methotrexat) werden auch für andere Antirheumatika Indikationen verwendet und sind daher auch als Antimetabolite bei den Zytostatika (siehe Die Indikation für die Anwendung krankheits- . Tab. 34.3) aufgelistet. modifizierender Antirheumatika in der Therapie der rheumatoiden Arthritis wird vornehmlich von Rheumatologen gestellt. Die prognos- 17.2.1 Synthetische tischen Faktoren, die für eine Entscheidung krankheitsmodifizierende bezüglich einer Therapie der rheumatoiden Antirheumatika Arthritis mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs) von Bedeutung sind, finden sich in einer aktuellen Übersicht (Al- Wichtigster Vertreter der synthetischen krankbrecht und Zink 2017). Für diese Mittel sind heitsmodifizierenden Antirheumatika ist das zur Risikominderung regelmäßige Kontroll- Immunsuppressivum Methotrexat, auf fast untersuchungen notwendig. Sie machen da- 70 % der Verordnungen dieser Gruppe entfällt her mengenmäßig nur einen geringen Anteil (. Tab. 17.3). Im Frühstadium ist Methotrexat anteil der COX-2-Hemmstoffe nach dem Verordnungseinbruch von 2005 aber weiterhin nur bei etwa 15 % der Gesamtverordnungen der nichtsteroidalen Antiphlogistika.
430
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
. Tabelle 17.3 Verordnungen synthetischer krankheitsmodifizierender Antirheumatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Methotrexat Metex/Metex FS
Methotrexat
38,4
(C10,6)
2,30
MTX HEXAL
Methotrexat
19,9
(C13,1)
0,57
Lantarel
Methotrexat
19,1
(28,4)
1,21
Trexject
Methotrexat
5,6
(C114,2)
3,29
82,9
(C1,7)
1,70
Sulfasalazin Azulfidine RA
Sulfasalazin
4,3
(C25,3)
0,94
Sulfasalazin-Heyl
Sulfasalazin
2,9
(C132,7)
0,78
Pleon
Sulfasalazin
2,5
(C38,5)
0,77
Sulfasalazin medac
Sulfasalazin
1,4
(20,9)
0,79
11,0
(C34,6)
0,84
Leflunomid Leflunomid Heumann
Leflunomid
6,2
(C86,9)
3,19
Leflunomid Bluefish
Leflunomid
2,2
(C27,2)
2,99
Leflunomid medac
Leflunomid
1,9
(4,4)
3,29
Leflunomid AL
Leflunomid
1,4
(C87,9)
3,03
Leflon Heumann
Leflunomid
1,1
(77,4)
2,92
Leflunomid Winthrop
Leflunomid
0,59
(44,3)
3,17
Arava
Leflunomid
0,48
(18,7)
2,94
Leflunomid STADA
Leflunomid
0,14
(C112,0)
2,71
Leflunomid-ratiopharm
Leflunomid
0,13
(C66,4)
3,24
14,1
(2,2)
3,12
Hydroxychloroquin
17
Quensyl
Hydroxychloroquin
6,0
(13,8)
0,93
Hydroxychloroquin Aristo
Hydroxychloroquin
1,6
(C25,9)
0,88
Hydroxychloroquinsulfat Dr.Eberth
Hydroxychloroquin
0,71
(C524,8)
0,88
(0,4)
0,91
8,3
17
431 17.2 Krankheitsmodifizierende Antirheumatika
. Tabelle 17.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Januskinaseinhibitoren Xeljanz
Tofacitinib
2,9
(C105,6)
42,61
Olumiant
Baricitinib
2,9
(C49,2)
45,74
5,8
(C72,9)
44,17
122,0
(C5,5)
3,74
Summe
das Mittel der Wahl unter den remissionsinduzierenden Arzneimitteln in der Rheumatherapie (Smolen et al. 2017; Fiehn et al. 2018). Eine wichtige Neuerung in den aktuellen Leitlinien ist die Empfehlung, dass niedrigdosierte Glucocorticoide als Teil der initialen Behandlung in Kombination mit einem oder mehreren synthetischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika bis zu 6 Monaten in Betracht gezogen werden sollten, wobei jedoch die Dosis so schnell wie möglich reduziert werden sollte. Weitere Substanzen dieser Gruppe sollten nur eingesetzt werden, wenn Methotrexat sich als nicht ausreichend wirksam gezeigt hat. Als eine besondere Gefahr bei der Verwendung von Methotrexat in der Rheumatherapie hat sich ergeben, dass die bestimmungsgemäße Anwendung der Dosis einmal pro Woche mit einer täglichen Verwendung verwechselt wurde. Durch eine solche 7mal zu hohe Dosis sind lebensbedrohliche Überdosierungen induziert worden (NN 2018). Sulfasalazinpräparate wurden 2019 öfter als im Vorjahr verordnet, erreichten aber nicht das Verordnungsvolumen der 5 Präparate des Vorjahres (vgl. ArzneiverordnungsReport 2019). Die Verordnung von Leflunomid ist etwas zurückgegangen (. Tab. 17.3). Die Verträglichkeit von Leflunomid ist gegenüber anderen Antirheumatika wie Methotrexat und Sulfasalazin ungünstiger. In den USA sind in drei Jahren 130 Fälle mit schwerer Lebertoxizität, darunter 12 Todesfälle, nach Gabe von Leflunomid aufgetreten (Charatan 2002).
Seitdem wurde eine Kontraindikation für Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion und eine regelmäßige Kontrolle der Leberfunktion eingeführt (Alcorn et al. 2009). Ein erhöhtes Risiko für eine pulmonale Toxizität hat sich dagegen nicht bestätigt (Conway et al. 2016). Die beiden Januskinase (JAK)-Inhibitoren Tofacitinib und Baricitinib zeigen trotz erheblich höherer Therapiekosten erneut massive Verordnungszuwächse (. Tab. 17.3). Eine plausible Erklärung liefert die Positionierung der JAK-Inhibitoren in den aktuellen Leitlinien der Rheumatherapie (Smolen et al. 2017; Fiehn et al. 2018). Danach gelten die JAK-Inhibitoren bei der Zweitlinientherapie nach unzureichendem Ansprechen von Methotrexat als annähernd gleichwertig mit den biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika. Maßgebende Auswahlkriterien sind vorhandene Langzeiterfahrungen (nur bei Biologika) sowie individuelle patientenbezogene Faktoren, wie die bevorzugte Applikationsform (parenteral versus oral) oder bestehende Begleitkrankheiten. Tofacitinib (Xeljanz) wurde 2017 zunächst zur Behandlung der mittelschweren bis schweren aktiven rheumatoiden Arthritis zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.33). Ein Jahr später folgte die Zulassung zur Behandlung der aktiven Psoriasis-Arthritis in Kombination mit Methotrexat bei Patienten, die auf eine vorangegangene krankheitsmodifizierende antirheumatische Therapie unzureichend
432
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
angesprochen haben (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 3.2.23). Gleichzeitig wurde auch die Behandlung von Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa zugelassen. Die beiden zusätzlichen Indikationen haben vermutlich zu dem starken Verordnungsanstieg beigetragen. Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tofacitinib waren ähnlich wie von Adalimumab, lediglich Herpes-zoster-Infektionen traten häufiger auf (Übersicht bei Dhillon 2017, Alten et al. 2020). Auch Baricitinib (Olumiant) hatte in Kombination mit Methotrexat eine ähnliche ACR20-Ansprechquote wie Adalimumab und weist wie andere Januskinaseinhibitoren ein erhöhtes Risiko für Herpes-zoster-Infektionen auf (Bechman et al. 2019).
17.2.2
17
Biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika
Wichtigste Vertreter der biologischen krankheitsmodifizierenden Antirheumatika sind die TNF’-Inhibitoren, die auch als „Biologika“ bezeichnet werden. Sie sind als echter Fortschritt für die Behandlung der aktiven rheumatoiden Arthritis, der ankylosierenden Spondylitis und weiterer Krankheiten (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Psoriasisarthritis, Psoriasis, Uveitis, Hidradenitis) anzusehen. Bei Patienten, die unzureichend auf Methotrexat und andere synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika ansprechen, sollten TNF’Inhibitoren oder andere biologische krankheitsmodifizierende Antirheumatika mit Methotrexat kombiniert werden (Singh et al. 2016; Smolen et al. 2017). Danach ist der Einsatz von TNF’-Inhibitoren gerechtfertigt, wenn die Therapie mit zumindest zwei konventionellen Basistherapeutika, eines davon Methotrexat, allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend langen Zeitraum (in der Regel 6 Monate) versagt hat. Individuelle Besonderheiten (z. B. Kontraindikationen gegen Basistherapeutika, ho-
he Krankheitsprogression) können einen früheren Einsatz (weniger als 2 Basistherapeutika, weniger als 6 Monate) von TNF’Inhibitoren erforderlich machen. Hauptrisiko ist die damit verbundene verminderte Infektabwehr (Tuberkulose, andere Atemwegsinfektionen). Adalimumab weist auch 2019 wieder einen Verordnungszuwachs auf, der aber ausschließlich durch die erstmals vertretenen Biosimilars bedingt ist, während Humira stark rückläufig war. Als nächstes folgt Infliximab mit vier Präparaten und einem insgesamt unverändertem Verordnungsvolumen (. Tab. 17.4). Etanercept ist ein Fusionsprotein aus dem FcAnteil von IgG1 und zwei rekombinanten p75TNF’-Rezeptoren, die genauso wie lösliche TNF’-Rezeptoren den TNF’ binden und dadurch inaktivieren. Zwei weitere monoklonale Antikörper gegen TNF’ (Golimumab, Certolizumab pegol) haben dagegen ein wesentlich kleineres DDD-Volumen. Um die Risiken der Verwendung der TNF’-Inhibitoren besser zu erfassen, ist für mehrere europäische Länder ein Langzeitregister eingerichtet worden. Für Deutschland ist es beim Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin angesiedelt („RABBIT“ Rheumatoide Arthritis-Beobachtung der Biologikatherapie). Zwei weitere Biologika stehen für Patienten mit mäßiger bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis als Zweitlinientherapie zur Verfügung, die unzureichend auf synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika oder TNF’-Inhibitoren angesprochen oder diese nicht vertragen haben. Abatacept (Orencia) ist ein rekombinant hergestelltes Fusionsprotein, das aus einer Domäne des humanen T-Lymphozytenantigens 4 und einem Fragment aus dem Immunglobulin IgG1 besteht. Es blockiert die Kostimulation von T-Zellen durch Antigen-präsentierende Zellen. Abatacept kam 2007 auf den Markt und ist 2019 gegenüber dem Vorjahr erneut etwas häufiger verschrieben worden (. Tab. 17.4). Tocilizumab (RoActemra) ist ein humanisierter, monoklonaler Antikörper gegen den Interleukin6-Rezeptor, der 2009 in die Therapie einge-
17
433 17.2 Krankheitsmodifizierende Antirheumatika
. Tabelle 17.4 Verordnungen biologischer krankheitsmodifizierender Antirheumatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Infliximab Remicade
Infliximab
5,6
(9,9)
25,56
Inflectra
Infliximab
4,5
(2,4)
25,84
Remsima
Infliximab
3,5
(0,1)
25,54
Flixabi
Infliximab
2,2
(C52,3)
20,58
15,8
(C0,3)
24,93
Etanercept Benepali
Etanercept
5,7
(C13,1)
47,32
Enbrel
Etanercept
4,0
(27,1)
58,62
Erelzi
Etanercept
1,5
(C65,7)
47,61
11,3
(1,8)
51,36
Adalimumab Humira
Adalimumab
11,6
(33,8)
60,31
Imraldi
Adalimumab
3,1
(C997,6)
38,26
Amgevita
Adalimumab
2,5
(> 1.000)
38,71
Hyrimoz
Adalimumab
2,1
(> 1.000)
38,30
Hulio
Adalimumab
1,3
(> 1.000)
38,31
20,6
(C14,7)
50,66
Weitere Biologika Simponi
Golimumab
4,3
(5,0)
48,46
Roactemra
Tocilizumab
3,8
(C1,9)
52,82
Cimzia
Certolizumab pegol
3,2
(C3,5)
51,96
Orencia
Abatacept
1,4
(C4,1)
73,32
12,8
(C0,1)
53,34
60,6
(C4,3)
44,63
Summe
führt wurde und 2019 erneut einen kleinen Verordnungszuwachs aufweist. Interleukin 6 ist ein wichtiges, proinflammatorisches Zytokin in der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis. In aktuellen Leitlinien gelten alle derzeit verfügbaren biologischen krankheits-
modifizierenden Antirheumatika als ähnlich wirksam und generell als sicher nach Versagen konventioneller krankheitsmodifizierender Antirheumatika (Singh et al. 2016; Smolen et al. 2017). Nachdem langfristige Registerdaten verfügbar sind, gilt das grundsätzlich auch
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
434
für die biologischen Nicht-TNF’-Inhibitoren, wenn auch noch mehr Sicherheitsdaten für Abatacept, Rituximab und Tocilizumab benötigt werden. 17.3
Topische Antiphlogistika
Die topisch anzuwendenden antirheumatischen Externa fallen, da nicht rezeptpflichtig, seit Anfang 2004 unter die Regelung des Ausschlusses von GKV-Verordnungen. Dadurch
erklären sich auch die geringen Verordnungszahlen, so dass 2019 wieder nur noch 2 topische Präparate (2003: 39 Präparate) mit weiter stark rückläufigen Verordnungen vertreten sind (. Tab. 17.5). Die Aufbringung der nichtsteroidalen Antiphlogistika auf der Haut führt zwar in anwendungsnahen Regionen zu hohen wirksamen Konzentrationen, in tiefen Bereichen (z. B. in den großen Gelenken) sind die erreichten Konzentrationen mit den Plasmaspiegeln identisch (Literatur im Arzneiverordnungs-Report 2004).
. Tabelle 17.5 Verordnungen von topischen Antirheumatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Topische Antirheumatika Traumeel S Salbe
Arnika D3 Calendula Ø Hamamelis Ø Echinacea ang. Ø Echinacea purp. Ø Chamomilla Ø Symphytum D4 Bellis perennis Ø Hypericum D6 Millefolium Ø Aconitum D1 Belladonna D1 Mercurius sol. D6 Hepar sulfuris D6
0,75
(6,0)
0,28
Voltaren topisch
Diclofenac
0,33
(25,7)
1,33
1,1
(13,1)
0,60
1,1
(13,1)
0,60
Summe
17
435
17
Literatur
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436
Kapitel 17 Antirheumatika und Antiphlogistika
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17
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437
18
Antitussiva und Expektorantien Björn Lemmer
Auf einen Blick
Trend Seit 1995 sind die Verordnungen der Antitussiva und der Expektorantien stark zurückgegangen. Hauptgrund des rückläufigen Trends ist die zweifelhafte Wirksamkeit dieser Substanzen. Auch der Ausschluss rezeptfreier Arzneimittel aus der Erstattung hat die Abnahme des Verordnungsvolumens seit 2004 weiter beschleunigt. Im Jahre 2019 ist erneut eine Abnahme der Verordnungen festzustellen. Kosten Die Verordnungskosten sind seit 1995 von 590 Mio. C um über 80 % auf 108 Mio. C im Jahre 2019 zurückgegangen.
Antitussiva und Expektorantien werden bei Husten im Rahmen einer akuten oder chronischen Bronchitis angewendet. Dieses Symptom kann bei einer Reihe ätiologisch unterschiedlicher Krankheiten auftreten, die häufigste Ursache ist eine Virusinfektion in den oberen Atemwegen, wie sie bei Erkältungskrankheiten und Grippe vorkommt. Chronischer Husten ist häufig durch Rauchen bedingt. Atemnot unter Belastung, chronischer Husten und vermehrte Schleimbildung (Auswurf) sind Leitsymptome (AHA-Symptome) bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), ein Krankheitsbild mit weltweit steigender Morbidität und Mortalität und zunehmender sozioökonomischer Bedeutung (Celli et al. 2015).
Das früher hohe Verordnungsvolumen der Antitussiva und Expektorantien ist seit dem Maximum im Jahre 1995 von 940 Mio. DDD (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2004) kontinuierlich zurückgegangen. Im letzten Jahr lag das Verordnungsvolumen bei 94 Mio. DDD (. Abb. 18.1).
18.1
Antitussiva
Antitussiva werden bei unproduktivem, quälendem und belastendem Husten angewendet, vor allem wenn dieser den Schlaf stört. Starke Antitussiva sind die zentral wirkenden Opioide, die den Hustenreflex durch einen direkten Effekt auf das Hustenzentrum unterdrücken. Relevante unerwünschte Wirkungen dieser Substanzen sind das Abhängigkeitspotenzial, die Atemdepression und die Hemmung der mukoziliären Clearance. Die wichtigsten Opioidantitussiva sind nach wie vor Codein und Dihydrocodein. Noscapin, ein Alkaloid der Papaverinreihe, das antitussive Wirkungen, jedoch nicht die unerwünschten Wirkungen der Opioide hat, ist in einem Monopräparat enthalten. Die Verordnung von Antitussiva hat im Jahre 2019 um 14,7 % abgenommen (. Tab. 18.1). Codein und Dihydrocodein gehören zur Gruppe der Opioide und sind seit Jahren die am häufigsten verordneten Antitussiva (. Tab. 18.1). Obwohl Codein in älteren Studien positive Effekte zeigte, war es nach einem Cochrane-Review nicht besser wirksam als Placebo (Smith et al. 2014). Zur gleichen Auf-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_18
Kapitel 18 Antitussiva und Expektorantien
438
150 Antitussiva Expektorantien
119 108 100
96
100
90
90
87 82
(Mio. DDD)
82 76
50
26
0 2010
26
2011
24
2012
26
2013
22
2014
24 21
2015
2016
20
2017
21
2018
18
2019
. Abb. 18.1 Verordnungen von Antitussiva und Expektorantien 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
18
fassung kommt ein weiterer Übersichtsartikel mit einer kritischen Übersicht über die Wirkungen und Wirkungsmechanismen von Antitussiva (Dicpinigaitis et al. 2014). Neuere Studien liegen nicht vor. Eine Pilotstudie aus Deutschland weist auf einen Missbrauch von Dextromethorphan bei Erwachsenen hin (Müller et al. 2014). Führendes Präparat der nichtopioiden Antitussiva ist Capval mit dem bereits erwähnten Antitussivum Noscapin, für das nur wenige ältere Studien vorliegen (Karlsson et al. 1990). Pentoxyverin ist ein synthetisches Antitussivum (. Tab. 18.1), dessen Wirksamkeit in klinischen Studien nicht sicher belegt ist. Die Mechanismen der Wirkungen sind nicht bekannt, eine jüngste PubMed-Recherche ergab auch keine aussagekräftigen Hinweise auf entsprechend positive Studien trotz einer positiven Bewertung in Aufbereitungsmonographien. Auch für rezeptfreie Husten- und Erkältungsmittel waren bei Kindern keine klinisch bedeutsamen Unterschiede im Vergleich zu
Placebo nachweisbar (American Academy of Pediatrics 1997). Da nach der Anwendung dieser scheinbar harmlosen Produkte zahlreiche Todesfälle beschrieben wurden, ist in den USA eine schärfere Kontrolle durch die Arzneimittelbehörde gefordert worden (Sharfstein et al. 2007). Eine Übersichtsarbeit über die Wirksamkeit von sog. nicht-verschreibungsfähigen Erkältungspräparaten bei 6.496 Patienten ergab eine insgesamt niedrige Qualität der Studien mit signifikanten Limitationen und potentiellem Bias (Malesker et al. 2017). Die Gabe von Honig bei Kindern mit akutem Husten hatte einen besseren Effekt als keine Behandlung, unterschied sich jedoch nicht von der mit Dextromethorphan, Diphenhydramin oder Placebo, war jedoch ohne Nebenwirkungen (Oduwole et al. 2014). Die Amerikanische (FDA) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) haben empfohlen, wegen der unerwünschten Wirkungen Codein nicht Kindern unter 12 Jahren und stillenden Müttern zu verordnen (Lazaryan et al. 2015).
18
439 18.2 Expektorantien
. Tabelle 18.1 Verordnungen von Antitussiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Codein Codeintropfen-CT
Codein
1,6
(18,3)
2,88
Tryasol Codein
Codein
0,87
(15,6)
2,44
Bronchicum Mono Codein
Codein
0,72
(14,0)
1,91
Codicaps
Codein
0,68
(16,5)
2,80
Codicompren
Codein
0,52
(13,2)
2,19
Codeinum phosphoricum Com- Codein pren
0,39
(6,2)
2,48
Codeintropfen HEXAL
Codein
0,30
(23,2)
3,47
Tussoret
Codein
0,29
(16,3)
1,87
Codeinum phosphoricum BC
Codein
0,27
(12,9)
3,59
5,6
(15,8)
2,60
Pentoxyverin Sedotussin
Pentoxyverin
0,58
(13,1)
1,83
Silomat gegen Reizhusten
Pentoxyverin
0,07
(17,1)
1,48
0,65
(13,5)
1,79
Weitere Antitussiva Capval
Noscapin
6,3
(13,4)
2,75
Paracodin/-N
Dihydrocodein
4,8
(15,8)
2,71
Quimbo
Levodropropizin
0,68
(10,8)
2,10
11,7
(14,2)
2,70
18,0
(14,7)
2,64
Summe
18.2
Expektorantien
Expektorantien sollen bei produktivem Husten die Sekretion der Bronchialflüssigkeit fördern oder die Viskosität eines verfestigten Bronchialschleims senken. Obwohl diese Idee theoretisch reizvoll ist, wurde in zahlreichen kontrollierten Studien keine Überlegenheit der Expektorantien gegenüber Place-
bo bzw. Flüssigkeitszufuhr nachgewiesen. In einem Übersichtsartikel der „Cochrane Library“ (Poole et al. 2015) werden 34 Studien mit Expektorantien bei 9.367 Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD (chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung) bei einer Behandlungsdauer von mindestens 2 Monaten analysiert. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die Langzeitbehandlung mit einer geringen Verminderung akuter Exazerba-
440
Kapitel 18 Antitussiva und Expektorantien
tionen (0,03 Exazerbationen pro Patient und Monat), jedoch nur mit einer leichten oder keiner Zunahme der Lebensqualität einherging. Die Autoren stellen eine signifikante Heterogenität (87 %) zwischen den Studien fest, die Effekte waren in früheren Studien größer, da damals kleinere Patientenzahlen eingeschlossen waren, mit einem Selektions- bzw. Publikations-Bias. Ein überzeugender Beweis für eine Verbesserung der Lungenfunktion gibt es nicht. Eine umfangreiche Analyse von 29 placebokontrollierten Studien bei 3.799 Erwachsenen und 1.036 Kindern ergab keinen überzeugenden Hinweis auf eine therapeutische Wirkung dieser Pharmaka (Smith et al. 2014). Husten ist das beste Expektorans. Zur Sekretentfernung ist es daher sinnvoll, die Patienten abhusten zu lassen. Zu beachten ist, dass der Begriff „Exazerbation“ bisher nicht klar definiert war. Als Definition für moderate Exazerbationen, die auch von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) unterstützt wird, gelten eine oder mehrere Bedingungen über 2 Tage: Verschlimmerung der Symptome, Verschlechterung der Lungenfunktion, vermehrter Verbrauch von schnell wirkenden Bronchodilatatoren (Virchow et al. 2015). Generell sollte den Ursachen der vermehrten Schleimbildung (z. B. Rauchen, chronische Infekte) nachgegangen werden. Dies gilt vor allem für die COPD, die nach Prognosen der WHO von Rang sechs der häufigsten Todesursachen 1990 im Jahre 2020 auf Platz drei rangieren wird. Beta2 -Sympathomimetika und Theophyllin sind nach wie vor bessere Stimulatoren der mukoziliären Clearance als Acetylcystein und Ambroxol.
18
18.2.1
Acetylcystein
Führender Wirkstoff der Expektorantien ist seit vielen Jahren das Mukolytikum Acetylcystein, auf das im Jahre 2019 mit fünf Präparaten 63 % der Verordnungen entfallen (. Tab. 18.2). Die Verordnungen von Acetylcystein waren auch
2019 weiter rückläufig. Acetylcystein ist ein Mukolytikum mit freien Sulfhydrylgruppen, das nach Inhalation die Viskosität des Bronchialschleims durch Spaltung von Disulfidbrücken erniedrigt. Da inhalatives Acetylcystein bei Asthmapatienten Bronchospasmen auslöst, wird diese Applikationsform von Pulmologen nicht mehr empfohlen. Seitdem ist die orale Gabe in Gebrauch gekommen, obwohl die Bioverfügbarkeit von Acetylcystein nur etwa 10 % beträgt (Olsson et al. 1988). Unter diesen Bedingungen kam die GOLD-Initiative zu der Folgerung, dass für Antioxidantien wie Acetylcystein noch künftige klinische Studien sorgfältig evaluiert werden müssen, bevor eine routinemäßige Verwendung bei COPD empfohlen werden kann (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease 2017). Nach einer PubMed-Recherche liegt nur eine neue doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit Acetylcystein vor, in der 120 COPD-Patienten im Alter von 50–80 Jahren über ein Jahr eine hohe Dosis von Acetylcystein (2mal 600 mg/Tag) erhalten hatten (Tse et al. 2013), dabei wurde eine geringe Verbesserung von Lungenfunktionen (Forced Expiratory Flow 25–75 ml) und eine signifikante Reduzierung der Exazerbationen (0,96 versus 1,71/Jahr) beobachtet. Nachteilig bei Acetylcystein sind seine relativ häufigen unerwünschten Wirkungen, z. B. allergische und gastrointestinale Reaktionen, die auch in jüngster Zeit immer wieder bei verschiedenen Indikationen beschrieben wurden.
18.2.2
Ambroxol
Ambroxolpräparate wurden deutlich weniger als Acetylcysteinpräparate verordnet, die Verordnungszahlen der Ambroxolpräparate nahmen 2019 erneut ab (. Tab. 18.2). Anders als Acetylcystein hat Ambroxol eine ausreichende orale Bioverfügbarkeit von 50–65 %. Als Beleg der Wirksamkeit gilt eine ältere italienische Studie zur Prävention akuter Exazerbationen der chronischen Bronchitis (Olivieri et al. 1987). In einer weiteren Ambrox-
18
441 18.2 Expektorantien
. Tabelle 18.2 Verordnungen von Expektorantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Acetylcystein ACC HEXAL
Acetylcystein
16,6
(10,7)
0,40
NAC-ratiopharm
Acetylcystein
6,7
(6,7)
0,27
NAC-1 A Pharma
Acetylcystein
1,6
(4,5)
0,34
NAC AL
Acetylcystein
0,88
(5,7)
0,18
Fluimucil
Acetylcystein
0,47
(19,4)
0,89
26,2
(9,4)
0,36
Ambroxol Mucosolvan
Ambroxol
3,4
(11,2)
0,46
Ambroxol AbZ
Ambroxol
1,3
(C29,1)
0,55
AmbroHEXAL
Ambroxol
1,3
(37,2)
0,31
Ambroxol AL
Ambroxol
0,73
(5,3)
0,52
Ambroxol-1 A Pharma
Ambroxol
0,72
(17,8)
0,49
Ambroxol-ratiopharm
Ambroxol
0,46
(36,3)
0,60
Ambrobeta
Ambroxol
0,11
(C7,3)
0,56
8,0
(14,4)
0,47
Inhalative Kochsalzlösungen Pari NaCl Inhalationslösung
Physiologische Kochsalzlösung
4,5
(C12,8)
0,78
Mucoclear
Hypertone Kochsalzlösung
0,84
(C6,8)
2,51
Paediasalin
Physiologische Kochsalzlösung
0,67
(4,3)
0,65
Isotonische Kochsalzlösung zur Inhalation Eifelfango
Physiologische Kochsalzlösung
0,53
(C19,1)
1,06
6,6
(C10,5)
1,01
0,56
(8,2)
35,13
(7,8)
0,96
Weitere Mukolytika Pulmozyme Summe
Dornase alfa
41,4
442
Kapitel 18 Antitussiva und Expektorantien
olstudie wurden die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit verkürzt, subjektive Symptome (Atemnot, Husten, Auswurf) und Klinikaufenthalte aber nicht beeinflusst (Cegla 1988). Bei 90 Patienten mit chronischer Bronchitis war in einer randomisierten, placebokontrollierten und doppelblind durchgeführten Studie kein therapeutischer Vorteil von Ambroxol nachweisbar (Guyatt et al. 1987). In einer randomisierten, doppel-blinden, placebokontrollierten Studie bei 242 Patienten mit COPD hatte Ambroxol nach 6 und 12 Monaten ebenfalls keinen signifikanten Effekt auf die Exazerbationen, wie die Kaplan-Meier-Analysen zeigten (Malerba et al. 2004). Neuere Studien liegen nach PubMed (2020) nicht vor. Ambroxol gehört aus diesem Grunde nicht zu den Standardtherapeutika der chronischen Bronchitis. Ebenso empfiehlt die GOLD-Initiative Mukolytika wie Ambroxol und Carbocistein aufgrund mangelnder Beweislage nicht bei COPD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease 2017). Die European Medicines Agency (2015) empfiehlt, auf das Risiko von Allergien und Hautreaktionen bei Ambroxol und Bromhexin hinzuweisen.
18.2.3
18
Inhalative Kochsalzlösungen
Auffällige erneute Zunahmen zeigen inhalativ angewendete Kochsalzlösungen (. Tab. 18.2). Bei Mukoviszidose verbessern hypertone Kochsalzlösungen nach einem CochraneReview (12 Studien, 442 Teilnehmer, Alter 6–46 Jahre) Exazerbationen und Lebensqualität, aber nicht die Lungenfunktion (Wark und McDonald 2009). Eine weiterer Cochrane-Review zeigte bei Kleinkindern mit akuter viraler Bronchiolitis eine Verkürzung der Hospitalisierungsdauer durch Inhalation hypertoner Kochsalzlösung (Zhang et al. 2017). Die Inhalation physiologischer Kochsalzlösung wird dagegen nur als Placebo eingesetzt und nicht in Leitlinien genannt (Øymar et al. 2014).
18.2.4
Dornase alfa
Bei Dornase alfa (Pulmozyme) handelt sich um eine gentechnisch hergestellte humane Desoxyribonuklease zur inhalativen Anwendung bei Mukoviszidose, um die aus zerfallenden Leukozyten freigesetzte DNA zu spalten und dadurch die Viskosität des zähen Bronchialschleims zu vermindern. Nach einem Cochrane-Review über 15 Studien mit 2.469 Patienten verbessert Dornase alfa die Lungenfunktion um 3–8 %, ohne dass die Exazerbationsrate vermindert wurde (Jones und Wallis 2010).
18.2.5
Pflanzliche Expektorantien
Unter den pflanzlichen Expektorantien ist die Präparategruppe mit Extrakten aus Efeublättern (Folia Hedera) führend, auf sie entfielen 2019 ca. 85 % der Verordnungen (. Tab. 18.3). Viele dieser Präparate stützten sich lediglich auf Übersichtsartikel und Erfahrungswissen aus der Aufbereitungsmonographie der Kommission E für die phytotherapeutische Therapierichtung (Bundesgesundheitsamt 1981). Inzwischen berufen sich die Phytotherapeuten auf eine Efeu-Monographie der European Medicines Agency (2011). In dem endgültigen Beurteilungsbericht wurden 10 kontrollierte klinische Studien aufgelistet, die jedoch nach Auffassung von 5 Mitgliedern der Kommission für Pflanzenprodukte (HMPC) keine ausreichenden Belege für eine allgemeine medizinische Anwendung enthalten, auch die sichere Verwendung bei Kindern unter 12 Jahren sei nicht belegt (European Medicines Agency 2012). Zwischenzeitlich sind weitere Efeustudien erschienen, die ebenfalls keinen Deut besser sind, da sie lediglich die Verträglichkeit nachweisen, zwei Efeuextrakte miteinander vergleichen oder unkontrollierte Anwendungsbeobachtungen beschreiben (StaussGrabo et al. 2010; Cwientzek et al. 2011; Schmidt et al. 2012).
18
443 18.2 Expektorantien
. Tabelle 18.3 Verordnungen von pflanzlichen Expektorantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Efeublätterextrakt Prospan
Efeublätterextrakt
23,7
(5,4)
0,43
Hedelix
Efeublätterextrakt
1,4
(C4,3)
0,90
Sinuc
Efeublätterextrakt
0,51
(18,7)
0,34
Bronchofit Efeu
Efeublätterextrakt
0,29
(17,1)
0,30
(5,4)
0,45
25,9 Thymianextrakt Soledum Hustensaft/-tropfen
Thymianextrakt
0,22
(12,6)
1,56
Tussamag Hustensaft/-tropfen
Thymianextrakt
0,14
(15,6)
1,55
Melrosum Hustensirup
Thymianextrakt
0,08
(19,0)
1,55
Aspecton
Thymianextrakt
0,05
(9,5)
2,27
0,49
(14,3)
1,63
Weitere Mittel Bronchipret
Thymianextrakt Efeublätterextrakt
2,5
(0,3)
1,52
Bronchicum
Thymianextrakt Primelwurzelextrakt
1,1
(14,8)
1,66
Umckaloabo
Pelargoniumwurzelextrakt
0,56
(12,2)
1,18
4,1
(6,2)
1,51
30,5
(5,6)
0,61
Summe
Die Verordnung von Thymianpräparaten war 2019 erneut rückläufig (. Tab. 18.3). Hauptinhaltsstoff ist das ätherische Thymianöl mit angeblichen sekretolytischen und broncholytischen Eigenschaften, die jedoch nach einer PubMed-Recherche ebenfalls nicht durch klinische Studien belegt sind. Pelargoniumwurzelextrakt aus südafrikanischen Geraniumarten (Umckaloabo) enthält Cumarine und Gerbsäuren, die in hohen Konzentrationen (0,6–10 g/l) schwache antibakterielle Wirkungen entfalten (Kayser und Kolodziej 1997). Seit 2007 ist das Prä-
parat für die Behandlung von Atemwegsinfektionen zugelassen. Nach einem Cochrane-Review hat der Pelargoniumwurzelextrakt nur zweifelhafte Wirkungen auf die Linderung von Symptomen bei akuter Rhinosinusitis und Erkältungskrankheiten (Timmer et al. 2013). Trotz massiver Werbung nahm das Verordnungsvolumen 2019 erneut ab (. Tab. 18.3). Auch die Verordnungen der Kombinationspräparate und der homöopathischen Grippemittel haben 2019 erneut stark abgenommen (. Tab. 18.3 und 18.4).
Kapitel 18 Antitussiva und Expektorantien
444
. Tabelle 18.4 Verordnungen von Grippemitteln, Inhalaten und Brusteinreibungen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Grippemittel Meditonsin
Aconitum D5 Atropinum sulf. D5 Mercurius cyanatus D8
1,6
(20,9)
0,29
Contramutan
Echin. Angustifolia Ø Aconitum Ø Belladonna Ø Eupatorium Perfol. Ø
0,32
(10,9)
2,09
1,9
(19,4)
0,60
Inhalate und Brusteinreibungen Babix-Inhalat N
Eucalyptusöl Fichtennadelöl
1,1
(11,2)
0,29
Eucabal Balsam S
Eucalyptusöl Kiefernnadelöl
0,27
(3,4)
0,54
Emser Inhalation
Emser Salz
0,17
(7,0)
1,93
1,5
(9,4)
0,52
3,4
(15,2)
0,56
Summe
18.2.6
Externe Expektorantien
Die Verordnungen von Inhalaten und Brusteinreibungen haben seit 1996 von 121 Mio. DDD (siehe Arzneiverordnungs-Report 1997) drastisch abgenommen und waren auch 2019 weiter rückläufig (. Tab. 18.4). Diese Präparate enthalten zumeist ätherische Öle, für die keine gezielten, klinisch kontrollierten Untersuchungen über die Wirkungen und Wirksamkeit vorliegen, ihre Anwendung basiert überwiegend auf Empirie (Kurz 1986).
18
18.3
Wirtschaftliche Aspekte
Nach den Einsparungen durch rückläufige Verordnungen der Antitussiva und Expektorantien in den vorangehenden Jahren ist der Kosten 2019 auf 108 Mio. C zurückgegangen
(. Tab. 18.1–18.4). Aufgrund einer KostenNutzen-Analyse zur Verwendung von Acetylcystein kamen Grandjean et al. (2000) bereits vor 16 Jahren zu der Folgerung, dass „die Behandlung von Patienten mit chronischer Bronchitis mit Acetylcystein während der Wintermonate teuer ist, sowohl von Seiten der Kostenträger als auch vom gesellschaftlichen Standpunkt“. Von praktischer Bedeutung ist, dass ein Kombinationsarzneimittel mit Hustenmitteln zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnungsfähig ist, weil grundsätzlich die Verordnung von Monopräparaten eines Hustenmittels (Antitussiva, Expektorantien oder Mukolytika) untereinander und in Kombination mit einem anderen Wirkstoff wirtschaftlicher ist. Es ist medizinisch nicht sinnvoll, ein hustenhemmendes Antitussivum mit einem auswurffördernden und schleimlösenden Expektorantien fix zu kombinieren, da
445
18
Literatur
entgegengesetzte Wirkstoffe sich unter Umständen gegenseitig behindern bzw. in ihrer Wirkung neutralisieren können, sodass kein voller Nutzeffekt aller Wirkstoffe zu verzeichnen ist. Unerlässlich ist auch, dass vor allem der Beseitigung der Ursachen der Erkrankung (z. B. vor allem Rauchen, Luftverschmutzung) Beachtung geschenkt werden sollte. Auf die bedrohliche Zunahme der COPD wurde hingewiesen, bei der dem Rauchen ursächlich auch in der Zukunft eine führende Rolle zukommt. Leider hat sogar die European Medicines Agency die deutsche Phytostrategie übernommen und keine Anstrengungen unternommen, Phytotherapeutika nach anerkannten klinischen Prüfungsrichtlinien untersuchen zu lassen.
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446
Kapitel 18 Antitussiva und Expektorantien
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18
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447
19
Betarezeptorenblocker Björn Lemmer
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Betarezeptorenblocker spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung kardiovaskulärer Krankheiten. Hauptindikationen sind arterielle Hypertonie, koronare Herzkrankheit, tachykarde Herzrhythmusstörungen und chronische Herzinsuffizienz. Wichtigste Gruppe sind die “1 selektiven Betarezeptorenblocker, die seit 30 Jahren kontinuierlich zugenommen haben. Nichtselektive Wirkstoffe sind dagegen seit mehreren Jahren rückläufig und liegen unter 10 % der Verordnungen. Der Generikaanteil hat inzwischen bei den meisten Wirkstoffen über 90 % erreicht. Frühere Preisunterschiede zwischen den Präparaten sind weitgehend verschwunden. Betarezeptorenblocker hemmen die Funktion des sympathischen Nervensystems in allen Organen, die mit adrenergen Betarezeptoren (“1 -/“2 -) ausgestattet sind. Dazu gehören insbesondere das Herz, die Nieren und die glatte Muskulatur von Bronchien und Muskelgefäßen. Therapeutisch bedeutsam sind die Senkung der Herzfrequenz, des kardialen Sauerstoffverbrauchs, der Reninausschüttung aus der Niere und die Erniedrigung des Augeninnendrucks (7 Kap. 35). Nachteilig kann sich die Betarezeptorenblockade auf die Herzkraft, die kardiale Erregungsleitung, die Bronchialfunktion (Gefahr des Bronchospasmus) und die Gefäßmuskulatur (Durchblutungsstörungen) auswirken.
Betarezeptorenblocker werden nach ihrer unterschiedlichen Wirkung auf die Rezeptorsubtypen folgendermaßen eingeteilt: 4 nichtselektive Betarezeptorenblocker, 4 beta1 -selektive Betarezeptorenblocker, 4 Betarezeptorenblocker mit intrinsischer sympathomimetischer Aktivität (ISA), 4 Betarezeptorenblocker mit vasodilatierenden Eigenschaften. Für die indikative Verwendung und die Abschätzung potentieller unerwünschter Wirkungen von Betarezeptorenblockern ist von Bedeutung, dass die nichtselektiven Blocker die Betarezeptoren in allen Organen hemmen. Beta1 -selektive Blocker wirken bevorzugt auf die Beta1 -Rezeptoren von Herz und Niere, führen weniger leicht zu einer Verlängerung Insulin-bedingter hypoglykämischer Perioden und zu einer Verringerung der Muskeldurchblutung und erzeugen erst in höheren Dosierungen die therapeutisch nicht erwünschte Blockade der Beta2 -Rezeptoren in Bronchien und Gefäßen. Die Beta1 -Selektivität ist also nur relativ und erfordert daher, dass die üblichen Kontraindikationen für Betarezeptorenblocker weiterhin zu beachten sind. Betarezeptorenblocker mit intrinsischer sympathomimetischer Aktivität (ISA; identisch mit partialagonistischer Aktivität, PAA) führen in Ruhe zu einer geringeren Abnahme der Herzfrequenz und sollen initial einen geringeren Anstieg von Gefäßund Bronchialwiderstand bewirken. Betarezeptorenblocker mit ISA sollten heute nicht mehr verwendet werden (Williams et al. 2018). Eine Metaanalyse von 29 Studien weist darauf hin, dass eine generelle Kontraindikation
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_19
448
19
Kapitel 19 Betarezeptorenblocker
von beta1 -selektiven Betarezeptorenblockern bei leichtem bis mittlerem Asthma oder COPD nicht angebracht scheint, da dabei keine akuten unerwünschten respiratorischen Effekte auftraten, andererseits Patienten mit zusätzlichen kardiovaskulären Erkrankungen von Betarezeptorenblockern profitieren würden (Salpeter et al. 2006). Diese Bewertung wird durch eine jüngste GOLD-Empfehlung gestützt (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease 2019). Weiterhin muss heute berücksichtigt werden, dass ein Überlappen von Asthma und COPD (asthma-COPD-overlap syndrome ACOS) mehr Komplikationen und eine geringere Lebensqualität beinhaltet (Hines und Peebles 2017). Betarezeptorenblocker gelten vor allem bei jüngeren Patienten als wichtige Antihypertensiva, bei Älteren gilt ihr Einsatz der Vermeidung kardiovaskulärer Komplikationen sowie der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2009; Chobanian et al. 2003). Auch bei der Hypertonie sind die “1 -selektiven Rezeptorenblocker zu bevorzugen (Williams et al. 2018). Betarezeptorenblocker haben sich in Meta-Analysen bei Verminderung des Herzinfarktes, der Herzinsuffizienz, kardiovaskulärer Ereignisse bei hypertensiven Patienten wirksamer als Placebo erwiesen (Thomopulos et al. 2015). Ihr Nebenwirkungsprofil scheint grösser zu sein als der RAS-Inhibitoren. Vorteile bieten sie bei symptomatischer Angina pectoris, bei der Kontrolle der Herzfrequenz und dem Post-Infarkt-Syndrom (Thomopulos et al. 2015). Betarezeptorenblocker sind keine homogene Gruppe, solche mit vasodilatierenden Eigenschaften – Nebivolol, Carvedilol, Celiprolol – scheinen günstige Wirkungen bei zentralem Hochdruck und endothelialer Dysfunktion zu haben. Eine Meta-Analyse von 15 klinischen Studien zeigt, dass Betarezeptorenblocker bei der COPD das Mortalitätsrisiko und die Zahl der Exazerbationen vermindern können (Du et al.
2014), diese Hypothese bedarf jedoch einer Überprüfung. Beim akuten Herzinfarkt vermindert die frühzeitige intravenöse Applikation von Betarezeptorenblockern die Letalität. Die Inzidenz und Letalität von Reinfarkten und von plötzlichem Herztod kann durch eine Langzeittherapie mit Propranolol, Atenolol oder Metoprolol um 20–30 % gesenkt werden (Williams et al. 2018). Betarezeptorenblocker sind ebenfalls wirksam in der Prävention eines plötzlichen Herztodes und einer Herzinsuffizienz nach einem Infarkt (Sackner-Bernstein 2005; Kintscher et al. 2014). Eine perioperative Betarezeptorblockade mit retardiertem Metoprolol bei nicht-kardialen Eingriffen hatte dagegen in einer großen placebokontrollierten Studie an 8.301 Patienten mit kardiovaskulären Risiken keinen Nutzen, da eine Abnahme der Herzinfarktrate (4,2 versus 5,7 %) mit einer Zunahme der Mortalität (3,1 versus 2,3 %) und der Schlaganfallrate (1,0 versus 0,5 %) einherging (POISE Study Group 2008). Bei chronischer Herzinsuffizienz ist die erfolgreiche Anwendung der Betarezeptorenblockade mit einer Verlängerung der Überlebenszeit gesichert. Es ist jedoch bisher nicht klar, ob dies ein Gruppeneffekt der Betarezeptorenblocker ist oder nur für einzelne Substanzen zutrifft. Die frühen Ergebnisse mit dem nichtselektiven Carvedilol in der COPERNIKUSStudie (Packer et al. 2001) sowie mit den beta1 selektiven Betarezeptorenblockern Bisoprolol (CIBIS II Study 1999) und Metoprolol (MERIT-HF Study 1999) zeigten im Mittel einer Verminderung der Mortalität um 33 %. Eine Übersichtsarbeit und Leitlinien empfehlen bei der Herzinsuffizienz die Verwendung von Bisoprolol, Carvedilol, Metoprololsuccinat und Nebivolol, da man nicht von einem Gruppeneffekt der Betarezeptorenblocker ausgeht (Williams et al. 2018). Eine Netzwerkmetaanalyse von 21 Studien mit 23.122 Patienten zur Frage des Nutzens von Betarezeptorenblockern bei der Herzinsuffizienz mit verminderter Ejektionsfraktion stützt hingegen einen
449 19.1 Verordnungsspektrum
Klasseneffekt ohne Evidenz für eine Überlegenheit eines individuellen Betarezeptorenblockers (Chatterjee et al. 2013). Von Interesse ist, dass in einer weiteren Metaanalyse von 13 Studien mit Betarezeptorenblockern bei Herzinsuffizienz nur 5 (Hyperglykämie, Diarrhö, Schwindelgefühl, Claudicatio, Bradykardie) der 33 bekannten Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo auftraten (Barron et al. 2013), was auf eine deutliche Überschätzung der unerwünschten Wirkungen von Betarezeptorenblockern hinweist. 19.1
Verordnungsspektrum
Im Jahr 2019 waren 50 Präparate mit 8 verschiedenen Betarezeptorenblockern unter den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln vertreten (. Tab. 19.1 und 19.2). Es handelt sich ausschließlich um Monopräparate, denn die Kombinationspräparate sind bei den Antihypertonika aufgeführt (vgl. 7 Kap. 15). Drei weitere Betarezeptorenblocker (Timolol, Metipranolol, Levobunolol) werden zur Lokaltherapie des Glaukoms eingesetzt (vgl. 7 Kap. 35).
19.1.1
Beta1 -selektive Rezeptorenblocker
Die beta1 -selektiven Substanzen sind seit vielen Jahren die therapeutisch bedeutsamste Gruppe unter den Betarezeptorenblockern mit einem Verordnungsanteil von 95 % (. Abb. 19.1). Führender Wirkstoff der “1 selektiven Rezeptorenblocker ist weiterhin Metoprolol. Generika haben über 95 % der Verordnungen erreicht, das früher am häufigsten verordnete Originalpräparat Beloc ist weit zurückgefallen (. Tab. 19.1). An zweiter Stelle folgt das stärker selektive Bisoprolol mit einen marginalen Zuwachs in den Verordnungen auf (. Tab. 19.1). Als weitere “1 -selektive Betarezeptorenblocker sind
19
Atenolol, Nebivolol und Betaxolol unter den verschreibungshäufigsten Arzneimitteln vertreten. Nebivolol ist ein langwirkender “1 selektiver Betarezeptorenblocker mit zusätzlichen vasodilatierenden Eigenschaften, die auf einer endothelabhängigen NO-Freisetzung beruhen (Bowman et al. 1994; Moen und Wagstaff 2006). Die Freisetzung von NO trägt zur Verbesserung der endothelialen Dysfunktion bei (Tzemos et al. 2001). Nebivolol scheint die NO-Freisetzung unter Bindung an Östrogenrezeptoren mit konsekutiver Stimulation der endothelialen NO-Synthase zu fördern (Grundt et al. 2007).
19.1.2
Weitere Betarezeptorenblocker
In der Gruppe der nichtselektiven Betarezeptorenblocker sind die Verordnungen der Propranololpräparate unverändert (. Tab. 19.2). Propranolol (Hemangiol) zeigt auch in einer großen klinischen Studie eine signifikante Wirksamkeit bei der Behandlung des infantilen kindlichen Hämangioms (Léauté-Labrèze et al. 2015). In der Gruppe der Betarezeptorenblocker mit intrinsischer Aktivität ist nur noch Celiprolol vertreten (. Tab. 19.2), ein beta1 selektiver Antagonist mit gering beta2 -selektiv agonistischer und vasodilatierender Wirkungsqualität. Carvedilol ist ein nichtselektiver Betarezeptorenblocker mit zusätzlich vasodilatierenden Eigenschaften, die auf einer Blockade von adrenergen alpha1 -Rezeptoren basiert. Unter klinischen Bedingungen überwiegt die Betarezeptorenblockade, die Verordnungen nahmen erneut leicht ab (. Tab. 19.2). Nach erfolgreichen Studien bei schwerer Herzinsuffizienz mit dem Nachweis der Verminderung der Mortalität (siehe oben.) ist Carvedilol auch für diese Indikation zugelassen.
450
Kapitel 19 Betarezeptorenblocker
. Tabelle 19.1 Verordnungen von beta1 -selektiven Betarezeptorenblockern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Metoprolol MetoHEXAL
Metoprolol
351,3
(0,2)
0,30
Metoprolol/Metoprololsuccinat-1 A Pharma
Metoprolol
204,2
(C2,2)
0,29
Metoprolol/Metoprololsuccinat-ratiopharm
Metoprolol
112,8
(C23,3)
0,29
Metoprolol/Metoprololsuccinat/-Z AL
Metoprolol
65,4
(41,5)
0,25
Metodura/Metoprololsuccinat dura
Metoprolol
45,7
(C45,3)
0,30
Metoprolol/Metoprololsuccinat AbZ
Metoprolol
36,6
(5,6)
0,23
Beloc
Metoprolol
12,4
(12,3)
0,24
Metobeta
Metoprolol
9,0
(2,4)
0,21
Metoprolol/Metoprololsuccinat/-Zot STADA
Metoprolol
6,3
(10,4)
0,27
Metoprolol/Metoprololsuccinat Heumann
Metoprolol
3,3
(C179,8)
0,23
Meto-Succinat Sandoz
Metoprolol
2,4
(17,4)
0,28
Meprolol succinat TAD
Metoprolol
0,97
(C87,3)
0,33
850,5
(1,1)
0,29
Bisoprolol
19
Bisoprolol-ratiopharm
Bisoprolol
313,1
(C5,3)
0,27
Bisoprolol-1 A Pharma
Bisoprolol
148,1
(C5,7)
0,28
BisoHEXAL
Bisoprolol
143,3
(C8,5)
0,29
Bisoprolol AbZ
Bisoprolol
93,9
(22,8)
0,22
Biso Lich
Bisoprolol
73,0
(C21,7)
0,22
Bisoprolol Dexcel
Bisoprolol
16,5
(C41,0)
0,33
Concor
Bisoprolol
6,4
(11,0)
0,25
Bisoprolol-CT
Bisoprolol
4,5
(19,9)
0,24
Bisoprolol STADA
Bisoprolol
2,9
(11,7)
0,22
Bisobeta
Bisoprolol
2,5
(11,1)
0,21
Biso-Hennig
Bisoprolol
2,1
(11,4)
0,21
Bisoprolol AL
Bisoprolol
1,9
(12,8)
0,21
Bisoprolol dura
Bisoprolol
1,5
(11,9)
0,21
809,5
(C2,8)
0,26
19
451 19.2 Wirtschaftliche Aspekte
. Tabelle 19.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Atenolol Atenolol Heumann
Atenolol
16,7
(C16,9)
0,22
Atenolol AbZ
Atenolol
3,1
(34,8)
0,22
Atenolol-ratiopharm
Atenolol
2,5
(25,4)
0,27
Atenolol AL
Atenolol
2,0
(46,4)
0,22
Atenolol-1 A Pharma
Atenolol
1,8
(C36,8)
0,20
26,1
(4,9)
0,22
Nebivolol Nebivolol Glenmark
Nebivolol
143,7
(C10,0)
0,13
Nebivolol STADA
Nebivolol
27,6
(8,7)
0,12
Nebivolol- Actavis
Nebivolol
15,6
(7,3)
0,12
Nebivolol AL
Nebivolol
5,7
(29,7)
0,13
Nebilet
Nebivolol
4,1
(14,1)
0,12
196,7
(C3,2)
0,12
2,3
(8,3)
0,13
1.885,1
(C0,9)
0,26
Weitere Wirkstoffe Kerlone
Betaxolol
Summe
19.2
Wirtschaftliche Aspekte
Die Generika der Betarezeptorenblocker spielen im Verordnungsvolumen eine zunehmende Rolle. Auf die Nachfolgepräparate entfallen 2019 inzwischen bei den wichtigen Wirkstoffen weit über 90 % der verordneten Tagesdosen (. Tab. 19.1 und 19.2). Einzige Ausnahme ist Propranolol mit etwa 60 %. Die Preisunterschiede innerhalb der einzelnen Präparate, die in den Vorjahren z. T. groß waren, sind nun fast vollständig verschwunden.
452
Kapitel 19 Betarezeptorenblocker
. Tabelle 19.2 Verordnungen von nichtselektiven Betarezeptorenblockern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Propranolol Dociton
Propranolol
7,4
(8,6)
0,74
Propra-ratiopharm
Propranolol
6,5
(C10,3)
0,81
Obsidan
Propranolol
3,6
(5,9)
0,81
Propranolol AL
Propranolol
1,2
(C54,3)
0,59
Hemangiol
Propranolol
0,43
(C6,7)
9,14
19,1
(C0,7)
0,96
Celiprolol
4,0
(11,6)
0,12
Carvedilol AL
Carvedilol
38,0
(C5,5)
0,39
Carvedilol-1 A Pharma
Carvedilol
19,6
(7,7)
0,35
Carvedilol HEXAL
Carvedilol
12,6
(13,6)
0,31
Carve TAD
Carvedilol
3,4
(C29,2)
0,40
Carvedilol Aurobindo
Carvedilol
2,6
(C121,0)
0,41
Carvedilol-TEVA
Carvedilol
1,8
(61,4)
0,38
Carvedilol STADA
Carvedilol
0,86
(C40,9)
0,38
Carvedilol Atid
Carvedilol
0,63
(C84,2)
0,44
79,4
(2,2)
0,37
102,6
(2,1)
0,47
Celiprolol Celipro Lich Carvedilol
Summe
19
19
453 Literatur
2000
1778
1804
1833
1849
1880
1878
1877
1860
1881
1892
1600
(Mio. DDD)
1200 Beta-1-selektiv Nicht selektiv 800
400
130 0 2010
126
122
118
116
112
109
105
103
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
101
2019
. Abb. 19.1 Verordnungen von Betarezeptorenblockern 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
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Kapitel 19 Betarezeptorenblocker
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455
20
Bronchospasmolytika und Antiasthmatika Björn Lemmer
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die inhalativen Glucocorticoide haben sich seit einigen Jahren zur größten Arzneimittelgruppe in der Asthmatherapie entwickelt. Eine weitere wichtige Arzneimittelgruppe sind die Betasympathomimetika, die weit überwiegend in Kombination mit inhalativen Glucocorticoiden verordnet werden. Bei chronisch obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) werden bevorzugt inhalative Muscarinrezeptorantagonisten eingesetzt. Trend Die Verordnungen der inhalativen Glucocorticoide nahmen in den letzten 10 Jahren weiter zu und haben inzwischen die Betasympathomimetika überflügelt. Dieser Trend ist begleitet von einer Präferenz der Kombinationspräparate von inhalativen Glucocorticoiden mit langwirkenden Betasympathomimetika, während auf die Monopräparate nur noch ein Viertel der Verordnungen entfällt.Betasympathomimetika zeigen in den letzten 10 Jahren ein leicht rückläufiges Verordnungsniveau. Kurzwirkende Betasympathomimetika sind die Domäne der inhalativen Akutbehandlung des Asthmas, wobei sie entsprechend den aktuellen Therapieleitlinien als Bedarfsmedikation angewendet werden. Langwirkende Betasympathomimetika sollen wegen Hinweisen auf erhöhte Mortalität unter einer Monotherapie nur in Kombination mit in-
halativen Glucocorticoiden gegeben werden. Die Theophyllinverordnungen gingen weiter zurück und haben in den letzten 10 Jahren über 80 % eingebüßt. Dagegen hat sich das Verordnungsvolumen der inhalativen Muscarinrezeptorantagonisten in den letzten 10 Jahren verdoppelt, auch durch Neueinführung von weiteren Wirkstoffen und Kombinationspräparaten, wodurch ihre zunehmende Bedeutung für die COPD-Therapie unterstrichen wird. Monoklonale Antikörper zur Behandlung des allergischen/ eosinophilen Asthmas sind nun mit 3 Präparaten vertreten.
Bronchospasmolytika werden zur Behandlung des Asthma bronchiale und der chronischobstruktiven Lungenkrankheit (COPD) eingesetzt. Bei beiden Erkrankungen ist es das Ziel, die Bronchialobstruktion, die beim Asthma besser reversibel ist als bei der COPD, zu reduzieren. Im Spätstadium der COPD mit Ateminsuffizienz, Emphysem und Cor pulmonale sollen die Symptome so weit wie möglich gebessert werden. 20.1
Asthma bronchiale
In der neuesten S2k-Leitlinie der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaften für Pneumologie und der Pädiatrischen Pneumologie wird Asthma definiert als eine „heterogene,
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_20
456
20
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
multifaktorielle, meist chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege. Charakteristisch sind eine bronchiale Hyperreagibilität und eine Obstruktion der Atemwege, was sich durch respiratorische Symptome (Luftnot, Brustenge, Giemen, Husten) äußern kann“ (Buhl et al. 2017; Reddel et al. 2019). Das breite pathophysiologische Spektrum, welches zu den klinischen Symptomen eines Asthmas führen kann, beinhaltet epitheliale und subepitheliale, immunologische und neuromuskuläre, sowie vaskuläre Veränderungen, die miteinander vernetzt sind und sich gegenseitig beeinflussen (Buhl et al. 2017). Die Folge ist ein heterogenes Erscheinungsbild, das sich in klinischer und therapeutischer Hinsicht unterscheidet. Asthmatische Anfälle (synonym: akutes Asthma, Exazerbation, Buhl et al. 2017) pflegen in 70–80 % der Fälle vor allem nachts aufzutreten (Smolensky et al. 2007). Eine Zunahme der zirkadianen Tag-Nacht-Amplitude der Flussrate in den Atemwegen ist symptomatisch für den Schweregrad der Erkrankung. Asthmabeschwerden in der Nacht und den frühen Morgenstunden sind ein besonders wichtiger Indikator einer unzureichenden Asthmakontrolle (National Heart Lung and Blood Institute 2007; Smolensky et al. 2007; Buhl et al. 2017). Ziel jeder Therapie ist es, eine Kontrolle des Asthmas zu erreichen mit möglichst geringen Exazerbationen und Arzneimittelnebenwirkungen. Die Behandlungsempfehlungen müssen die prinzipielle Heterogenität des Asthmas und die variable Ausprägung der Erkrankung im Verlauf in Betracht ziehen. Einteilung und Therapie innerhalb der Stufen-Einteilung nach dem Schweregrad orientiert sich vor allem am Erscheinungsbild. Zur symptomatischen Akutbehandlung (Bedarfsmedikation, „Reliever“) beim Asthma werden als Mittel der Wahl kurzwirksame inhalative Beta2 -Sympathomimetika, ggf. Muscarinrezeptorantagonisten als Alternative bei Unverträglichkeit von Beta2 -Sympathomimetika empfohlen. Obwohl der Wirkungseintritt der systemischen Glucocorticoide verzögert ist, werden sie bei Asthmaexazerbationen auch als Reliever eingesetzt. Die
Langzeittherapie (Dauermedikamente, „Controller“) des Krankheitsgeschehens orientiert sich an einem Stufenplan, der keine statische sondern variable Einschätzung des Schweregrads im Krankheitsverlauf ist. Dabei werden antiinflammatorisch wirkende inhalative und systemische Glucocorticoide sowie lang wirksame Beta2 -Sympathomimetika und retardiertes Theophyllin verwendet. Als weiteres therapeutisches Prinzip steht der Leukotrienantagonist Montelukast zur Verfügung. Akupunktur, Homöopathie und Chiropraxis haben keinen nachgewiesenen Effekt auf die Asthmakontrolle (Buhl et al. 2017). Kurzwirkende Beta2 -Sympathomimetika werden nicht mehr zur Behandlung des milden Asthmas bei Erwachsenen/Heranwachsenden empfohlen, sie sollten symptomorientiert oder täglich mittels Verwendung eines CorticoidInhalers eingesetzt werden, um das Risiko schwerer Exazerbationen zu verhindern (Reddel et al. 2019). Bei stärkeren Beschwerden werden zusätzlich Muscarinrezeptorantagonisten oder orale Glucocorticoide vorgeschlagen. Langwirkende Beta2 -Sympathomimetika sind zur Dauertherapie (Controller) indiziert. Seit einiger Zeit sind Bedenken hinsichtlich ihrer Sicherheit aufgetreten (vor allem Salmeterol). Daher sollen nur Patienten mit langwirkenden Beta2 -Sympathomimetika behandelt werden, die unter inhalativer Steroidtherapie nicht kontrolliert sind, eine Monotherapie mit langwirkenden Beta2 -Sympathomimetika sollte unbedingt vermieden werden (Haasler et al. 2011). Eine Resistenzentwicklung gegen Glucocorticoide ist ein zunehmendes Problem beim schweren Asthma. Es ist dadurch definiert, dass trotz Therapie mit hochdosierten Glucocorticoiden in Kombination mit langwirkenden Beta2 -Rezeptoragonisten schwere Exazerbationen auftreten und die Lungenfunktion eingeschränkt ist (Chung et al. 2014). Auch mit dieser Definition erfasst das schwere Asthma keine einheitliche Patientengruppe sondern beschreibt Patienten mit unterschiedlichen pathophysiologischen Merkmalen. Um diese Heterogenität besser zu verstehen, entstand das
457 20.2 Chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD)
Konzept einzelner Asthmaphänotypen mit molekularen und patientenbezogenen Merkmalen. Mit der Identifizierung von entzündungsbedingten Phänotypen wurden dann gezielte Therapien gegen einzelne Entzündungsmediatoren entwickelt. Als erster monoklonaler AntiIgE-Antikörper wurde Omalizumab zur Behandlung von Patienten mit schwerem allergischem Asthma eingeführt, der die Mastzelldegranulation verhindert und Asthmaexazerbationen deutlich reduziert. Weiterhin zeigen etwa 50 % der Asthmapatienten eine Zunahme von Eosinophilen im Blut und Gewebe, die überwiegend durch das proeosinophile Zytokin Interleukin-5 aktiviert werden. Darauf basiert die Entwicklung von Interleukin-5Antikörpern (Mepolizumab, Reslizumab) zur Behandlung des schweren eosinophilen Asthmas (Übersicht bei Fajt und Wenzel 2017).
20.2
Chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD)
Die COPD wurde als Krankheitsbild neu definiert (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease GOLD 2017; Vogelmeier et al. 2018): Anstelle der vier Schweregrade sind nun die Klassifikationen GOLD A, B, C, und D getreten, die sich auf die Symptome und Exazerbationen beziehen. Die S2kLeitlinie empfiehlt für die Wahl der medikamentösen Behandlung nun die Evaluation der Symptomatik und die Abschätzung des Exazerbationsrisikos (Vogelmeier et al. 2018). Für jede der 4 Gruppen wurde ein therapeutisches Vorgehen vorgeschlagen, dass zur Vermeidung von Exazerbationen führen soll. Alle Patienten sollen langwirksame Muscarinrezeptorantagonisten (LAMA) oder langwirksame Betarezeptoragonisten (LABA) als Monotherapie oder in Kombination erhalten. Inhalative Steroide (ICS) sollen nur noch Patienten mit häufigen Exazerbationen step-up trotz einer dualen Bronchodilationstherapie erhalten. Die COPD ist ein heterogenes Krankheitsbild mit unterschiedlichen Ursachen und pa-
20
thogenetischen Mechanismen (Rennard und Drummond 2015; Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease, GOLD 2017; Vogelmeier et al. 2018) und von zunehmender sozioökonomischer Bedeutung. Sie ist gekennzeichnet durch eine progressive, kaum reversible Atemwegsobstruktion, bedingt durch strukturelle Veränderungen in den Atemwegen (obstruktive Bronchitis) und im Lungenparenchym (Emphysem). Eine neue Leitlinie der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Pneumologie liegt vor (Vogelmeier et al. 2018). Auch bei der COPD spielt eine chronische Entzündung eine Rolle, die aber ein vom Asthma unterschiedliches Muster der Entzündungszellen und -mediatoren aufweist (Barnes 2008; Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease, GOLD 2017). Im Gegensatz zum Asthma sind die zugrundeliegenden Mechanismen der Entzündung und der Zerstörung des Gewebes bei der COPD noch zu wenig erforscht, was die Entwicklung therapeutischer Fortschritte behindert (Ngkelo und Adcock 2013). Bei der COPD müssen ein Rauchverzicht konsequent eingehalten und rezidivierende Atemwegsinfektionen sowie eine berufliche Staubexposition vermieden werden. Überschneidungen zwischen Asthma und COPD (ACOS) stehen heute vermehrt im Vordergrund (Gibson und McDonald 2015; Woodruff et al. 2015; Barnes 2015; Lange et al. 2016; Hizawa 2016; Hines und Peebles 2017). Es scheinen genetische Varianten vorzuliegen, die auf eine erhöhte Empfindlichkeit für virale Infekte und auf eine gestörte Lungenentwicklung hinweisen (Hizawa 2016). Die Suche nach weiteren Phänotypen der COPD ist vielversprechend (Lange et al. 2016), steckt aber noch in den Anfängen. Gerade die Corticoidresistenz ist ein neues Forschungsfeld des ACOS (Barnes 2015). Auch zwischen COPD und der obstruktiven Schlafapnoe (OSA) zeichnen sich immer mehr überlappende Symptome auf (McNicholas 2017), die sicher zunehmend für Diagnostik und Therapie an Bedeutung gewinnen werden. Die Krankheitskosten liegen in Deutschland pro Jahr beim Asthma bei 445–2.543 C
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
458
und bei der COPD bei 1.212–3.492 C (Kirsch et al. 2013). Der Verlust an Produktivität durch COPD summiert sich in der EU auf jährlich 28,5 Mrd. C.
20.3
Verordnungsspektrum
Die bei Asthma und COPD zugelassenen Präparate lassen sich mehreren pharmakologischen Stoffklassen zuordnen. Die inhalativen Glucocorticoide haben sich seit einigen Jahren zur größten Arzneimittelgruppe in der Asthmatherapie entwickelt und werden inzwischen deutlich mehr verordnet als die Beta2 Sympathomimetika (. Abb. 20.1). Diese zeitliche Verordnungsentwicklung ist abweichend von den bisherigen Darstellungen gemäß ATCKlassifikation, in der die fixen Kombinationspräparate der inhalativen Glucocorticoide mit langwirkenden Betasympathomimetika in die Gruppe der Betasympathomimetika eingeordnet sind. Da die inhalativen Glucocorticoide der primäre therapierelevante Kombinations-
partner sind und langwirksame Betasympathomimetika nur bei Patienten mit einer inhalativen antiinflammatorischen Therapie (Glucocorticoide) indiziert sind, wurden die fixen Kombinationspräparate der inhalativen Glucocorticoide mit langwirkenden Betasympathomimetika erstmals in die Gruppe der inhalativen Glucocorticoide klassifiziert. Danach folgen die kontinuierlich steigenden Verordnungen von Muscarinrezeptorantagonisten und die weiter rückläufigen Xanthinpräparate. Als Antiallergika werden hauptsächlich Leukotrienantagonisten verordnet, während Ketotifen nur noch eine kleine Randgruppe bildet. Weiterhin vertreten sind der PDE-4-Hemmer Roflumilast sowie die monoklonalen Antikörper Omalizumab, Mepolizumab und Benralizumab.
20.3.1
Beta2 -Sympathomimetika
Beta2 -Sympathomimetika sind nach wie vor die wirksamsten Bronchospasmolytika bei der Behandlung von Bronchialobstruktionen. Ne-
600
500
488
501
448
457
485 473
490 482
503
503
511
507
463
458
451
523
529
462
463
483
(Mio. DDD)
400
320
Betasympathomimetika Xanthinderivate Glucocorticoide (inhalativ) Muscarinrezeptorantagonisten
300
294 267 247 215
225
195
200 155
164
176
119 99 100
0 2010
20
2011
84
2012
70
2013
58
2014
45
2015
38
31
27
2016
2017
2018
22
2019
. Abb. 20.1 Verordnungen von Bronchospasmolytika und Antiasthmatika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
459 20.3 Verordnungsspektrum
ben ihrem bronchodilatatorischen Effekt verstärken sie die mukoziliäre Clearance und vermindern die mikrovasale Exsudation und die Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Neuere Studien zeigen, dass die regelmäßige Gabe von Beta2 -Sympathomimetika bei bestimmungsgemäßem Gebrauch keine vermehrten Risiken, aber auch keine Vorteile gegenüber einer Bedarfstherapie mit sich bringt. Bei Asthma ist ab Schweregrad zwei zusätzlich die regelmäßige Anwendung eines inhalativen Glucocorticoids indiziert. Beta2 -Sympathomimetika werden inhalativ angewandt, da sie in dieser Applikationsweise sicherer, wirksamer und mit weniger unerwünschten Wirkungen behaftet sind. Unabdingbar ist, dass der Patient durch Schulung (richtige Inhalationstechnik, Verwendung von Inhalationshilfen, Peak-Flow-Messungen, Dokumentation von Symptomen und Arzneimittelverbrauch) und ärztlich geführte Selbstbehandlung lernen muss, seine Erkrankung zu verstehen, um einen optimalen Therapieerfolg zu erreichen. Die Verordnungen der kurzwirksamen inhalativen Beta2 -Sympathomimetika (SABA) nahmen im Jahre 2019 weiter leicht zu (. Tab. 20.1). Der weit überwiegende Anteil entfällt auf Salbutamol, während andere Beta2 -Sympathomimetika nur eine untergeordnete Rolle spielen und weiter rückläufig sind. Die Verordnungen der fixen Kombinationen kurzwirkender inhalativer Betasympathomimetika mit Ipratropiumbromid oder Cromoglicinsäure blieben unverändert (. Tab. 20.1). Die Verordnung kurzwirkender Kombinationspräparate entfällt überwiegend auf Berodual, das neben dem Beta2 -Sympathomimetikum Fenoterol den Muscarinrezeptorantagonisten Ipratropiumbromid enthält (siehe unten). Die Kombination eines Beta2 -Sympathomimetikums mit Ipratropiumbromid kann sinnvoll sein, weil Fenoterol einen schnelleren Wirkungseintritt hat, während Ipratropiumbromid in der Wirkung langsamer einsetzt, aber länger anhält.
20
Allergospasmin und Aarane/N enthalten neben einem Beta2 -Sympathomimetikum das Antiallergikum Cromoglicinsäure. Letzteres wird bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nicht mehr empfohlen (Buhl et al. 2017). Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Monotherapie mit Reproterol den gleichen Effekt wie die Reproterol-Cromoglicinsäurekombination bei Patienten mit Belastungsasthma hatte (Küpper et al. 2012). Die oralen Beta2 Sympathomimetika nahmen 2019 weiter stark ab, sie spielen in der Therapie keine Rolle (. Tab. 20.2). Die langwirkenden Beta2 -Sympathomimetika (LABA) sind für die Dauertherapie und bei Patienten mit nächtlichem Asthma oder häufiger Bedarfsmedikation grundsätzlich nur in Kombination mit inhalativen Glucocorticoiden (ICS) indiziert (FDA 2017; Buhl et al. 2017), da die alleinige Verordnung von LABAs mit einem erhöhten Risiko Asthma-induzierter Todesfälle einhergeht (FDA 2017; Buhl et al. 2017). Mehrere, von der FDA geforderte Studien zu LABAs hatten gezeigt, dass die Kombination von LABA mit ISC nicht das Risiko Asthma-induzierter Komplikationen erhöht (FDA 2017). Dies zeigt, dass Druck/ Auflagen von Aufsichtsbehörden auf pharmazeutische Hersteller zur Klarheit der therapeutischen Verwendung von Arzneimitteln führen können. Die Deutsche Atemwegsliga ist ebenfalls der Auffassung, dass die langwirkenden Beta2 -Sympathomimetika ein Gefahrenpotenzial besitzen, und dass bei der Langzeittherapie mit Salmeterol und Formoterol der Asthmaschweregrade III und IV die Kombination mit einer antientzündlichen Substanz obligat ist (Buhl et al. 2017). Die Verordnungen von Formoterolpräparaten nahmen auch im Jahre 2019 weiter ab, machen aber 98 % des Verordnungsvolumens der langwirkende Mono-Beta2 -Sympathomimetika aus (. Tab. 20.3). Der größere Teil der Verordnungen von LABAs entfällt auf die Kombinationen mit Glucocorticoiden (. Tab. 20.4).
460
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
. Tabelle 20.1 Verordnungen von kurzwirkenden inhalativen Betasympathomimetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Salbutamol SalbuHEXAL
Salbutamol
155,5
(C8,2)
0,42
Salbutamol-ratiopharm
Salbutamol
55,0
(0,9)
0,49
Salbutamol AL
Salbutamol
11,3
(C19,2)
0,61
Sultanol
Salbutamol
5,4
(22,7)
0,37
Salbu Easyhaler
Salbutamol
3,6
(C4,7)
0,40
Bronchospray
Salbutamol
3,5
(3,4)
0,38
Ventilastin Novolizer
Salbutamol
1,4
(5,6)
0,49
Apsomol Inhalat
Salbutamol
1,3
(20,4)
0,30
Salbutamol-1 A Pharma
Salbutamol
0,67
(84,2)
0,38
Salbutamol STADA
Salbutamol
0,26
(C80,8)
1,84
237,8
(C3,3)
0,44
33,9
(2,4)
0,25
(1,2)
0,41
34,5
(2,4)
0,25
Weitere Betasympathomimetika Berotec
Fenoterol
Aerodur Turbohaler
Terbutalin
0,60
Kombinationen Berodual
Ipratropiumbromid Fenoterol
90,0
(C1,3)
0,59
Allergospasmin
Cromoglicinsäure Reproterol
7,1
(C8,7)
1,25
Aarane
Cromoglicinsäure Reproterol
4,5
(20,7)
1,25
Ipramol TEVA
Ipratropiumbromid Salbutamol
1,2
(C8,1)
2,28
Combiprasal
Salbutamol Ipratropiumbromid
0,26
(C379,3)
2,07
103,0
(C0,9)
0,69
375,3
(C2,1)
0,49
Summe
20
20
461 20.3 Verordnungsspektrum
. Tabelle 20.2 Verordnungen von oralen Beta2 -Sympathomimetika. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Monopräparate Salbubronch
Salbutamol
1,6
(1,7)
5,56
Terbutalin AL
Terbutalin
0,38
(56,1)
0,71
2,0
(20,5)
4,63
0,36
(37,8)
3,02
2,4
(23,7)
4,39
Kombinationen Spasmo-Mucosolvan
Clenbuterol Ambroxol
Summe
. Tabelle 20.3 Verordnungen von langwirksamen inhalativen Beta2 -Sympathomimetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Salmeterol Serevent
Salmeterol
1,4
(C45,3)
1,28
Formatris
Formoterol
23,7
(6,7)
1,01
FormoLich
Formoterol
18,0
(9,5)
0,84
Formoterol AL
Formoterol
14,0
(18,7)
0,91
Forair
Formoterol
10,2
(3,3)
0,97
Formo-Aristo
Formoterol
7,5
(C60,3)
0,92
Formoterol-CT
Formoterol
3,2
(C4,0)
0,92
Foradil
Formoterol
3,0
(18,2)
0,94
Formoterol Easyhaler
Formoterol
2,9
(C66,2)
0,90
82,5
(4,3)
0,93
84,0
(3,8)
0,94
Formoterol
Summe
462
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
. Tabelle 20.4 Verordnungen von inhalativen Glucocorticoiden. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Beclometason Beclometason-ratiopharm
Beclometason
10,4
(C16,9)
0,72
Junik
Beclometason
8,8
(13,7)
0,55
Ventolair
Beclometason
7,4
(15,3)
0,59
Sanasthmax
Beclometason
1,4
(14,0)
1,79
Beclomet Easyhaler
Beclometason
1,2
(17,7)
0,68
29,2
(5,6)
0,69
Budesonid Novopulmon
Budesonid
37,0
(6,7)
0,50
Budesonid Easyhaler
Budesonid
22,3
(C3,8)
0,55
Budiair
Budesonid
21,2
(2,1)
0,55
Miflonide
Budesonid
6,8
(4,6)
0,59
Budes N
Budesonid
6,3
(8,4)
0,46
Cyclocaps Budesonid
Budesonid
2,1
(6,1)
0,56
Pulmicort
Budesonid
1,9
(21,5)
1,74
Budenobronch
Budesonid
1,5
(C14,3)
4,81
Larbex
Budesonid
0,37
(C75,4)
5,61
99,5
(3,4)
0,64
Weitere Mittel Alvesco
Ciclesonid
6,1
(C1,9)
0,28
Flutide
Fluticason
4,3
(11,5)
1,07
Fluticason Cipla
Fluticason
2,3
(C98,1)
0,70
12,7
(C5,8)
0,63
118,3
(C7,8)
1,92
Kombinationen
20
Foster
Beclometason Formoterol
Symbicort
Budesonid Formoterol
70,7
(13,6)
2,13
Viani
Fluticason Salmeterol
52,0
(5,6)
1,22
Relvar Ellipta
Fluticasonfuroat Vilanterol
34,9
(C14,1)
1,32
20
463 20.3 Verordnungsspektrum
. Tabelle 20.4 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Atmadisc
Fluticason Salmeterol
34,1
(3,2)
1,27
Flutiform
Fluticason Formoterol
24,8
(C7,1)
1,30
Bufori Easyhaler
Budesonid Formoterol
16,4
(C138,5)
1,77
Inuvair
Beclometason Formoterol
10,6
(4,6)
1,83
Duoresp Spiromax
Budesonid Formoterol
9,8
(9,8)
2,06
Serroflo
Fluticason Salmeterol
4,7
(C66,9)
1,23
Revinty Ellipta
Vilanterol Fluticason furoat
3,8
(> 1.000)
1,33
Airflusal
Fluticason Salmeterol
2,5
(21,9)
1,43
Rolenium
Fluticason Salmeterol
2,0
(14,7)
1,24
Serkep
Fluticason Salmeterol
0,97
(46,0)
1,57
385,9
(C2,9)
1,68
527,3
(C1,2)
1,41
Summe
20.3.2
Glucocorticoide
Inhalative Glucocorticoide zeigen seit 30 Jahren eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung der Verordnungen (hier dargestellt ab 2010) und haben die Verordnungen der Betasympathomimetika seit einigen Jahren überflügelt (. Abb. 20.1). Sie sollten nach jüngsten Empfehlungen bei mildem Asthma symptomabhängig eingesetzt werden, um das Risiko schwerer Exazerbationen zu vermindern (Reddel et al. 2019). Um die systemischen Nebenwirkungen möglichst gering zu halten, soll zunächst immer die inhalative Anwendung erfolgen. Dafür stehen topisch stark wirksame Glucocortico-
ide zur Verfügung. Die Berechnung der definierten Tagesdosen basiert einheitlich auf den WHO-DDD für die Dosieraerosole, Trockenpulver und Inhalationslösungen von Beclometason (0,8 mg), Budesonid (0,8 mg) und Fluticason (0,6 mg). Auch bei inhalativen Glucocorticoiden sind lokale und systemische unerwünschte Wirkungen zu bedenken. Die überwiegende Meinung geht heute dahin, dass die niedrigste therapeutisch wirksame Dosis eingesetzt werden sollte (Pedersen 2006; Fuhlbrigge und Kelly 2014). Bei höheren Tagesdosen sollte, um eine orale Candidiasis zu vermeiden, ein Spacer verwendet und der Mund nach Inhalation ausgespült werden. Verwendung von Spacern
464
20
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
verbessert auch die Wirkstoffdeposition in der Lunge. Bei mit niedrig dosierten inhalierbaren Glucocorticoiden gut eingestellten Patienten nimmt das Risiko für Asthmaexazerbationen nach Absetzen im Vergleich zur Beibehaltung der Therapie zu (Rank et al. 2013). Eine Cochrane-Analyse zeigt, dass zwar die intermittierende Gabe von inhalierbarem Budesonid oder Beclometason mit weniger symptomfreien Tagen und einer gering schlechteren Kontrolle des Asthmas einherging, die tägliche Gabe bei der Gruppe der Vorschul- und Schulkinder jedoch mit einem geringeren Längenwachstum verbunden war (Chauhan et al. 2013a). Diese beiden Studien verdeutlichen, dass die Behandlung des Asthmas auf jeden einzelnen Patienten zugeschnitten und kontinuierlich überprüft werden muss. Budesonid ist der führende Wirkstoff der inhalativen Monopräparate der Glucocorticoide. Der weitaus größere Anteil entfällt jedoch auf die inhalativen Kombinationspräparate, die 2019 etwas mehr verordnet wurden (. Tab. 20.4). Die Kombinationstherapie aus inhalativen Glucocorticoiden und langwirksamen Beta2 -Sympathomimetika ist in ihrer Wirksamkeit allen weiteren möglichen Kombinationen (z. B. Glucocorticoide plus Antileukotrienen oder Theophyllin) überlegen (Haasler et al. 2011). Bei fixen Kombinationen ist die Flexibilität bei der Wahl der Dosierung der Einzelkomponenten schwieriger umzusetzen. Die intermittierende oder langfristige orale Anwendung von Glucocorticoiden ist entsprechend dem Stufenschema erst indiziert, wenn alle übrigen arzneitherapeutischen Maßnahmen versagen. Die inhalative Gabe wird dabei fortgesetzt, um die Dosis der systemischen Glucocorticoide möglichst gering zu halten (National Heart Lung and Blood Institute 2007; Buhl et al. 2017). Bei schwer zu kontrollierendem Asthma mit nächtlichen Beschwerden kann die Tagesdosis des systemischen Glucocorticoids auf 2/3 am Morgen und 1/3 am Abend verteilt werden. Auch bei instabilem chronischem Asthma wird nach einer kurzzeitigen Verordnung von oralen Cortico-
steroiden eine Langzeittherapie lediglich mit hohen inhalativen Dosen angestrebt.
20.3.3
Phosphodiesterasehemmer
Retardiertes Theophyllin wird als leicht bis mäßig wirksamer Bronchodilatator angesehen, sein Stellenwert in der Therapie des Asthmas hat weiter abgenommen. In der aktuellen deutschen Versorgungsleitlinie wurde Theophyllin aufgrund seiner geringen therapeutischen Breite, des Nebenwirkungspotentials und der verfügbaren Alternativen nicht mehr in das Stufenschema für die Behandlung des Asthma aufgenommen (Bundesärztekammer et al. 2018). Die Verordnung von Theophyllin war auch 2019 erneut deutlich rückläufig und hat in den letzten 10 Jahren um über 80 % abgenommen (. Abb. 20.1). Der selektive Phosphodiesterase-4Hemmer Roflumilast (Daxas) ist für die Dauertherapie der COPD und der chronischen Bronchitis zugelassen und verzeichnete 2019 erneut eine leichte Zunahme (. Tab. 20.5). Bei der Zusatztherapie zu langwirkenden Bronchodilatatoren war die Verbesserung des präbronchodilatatorischen FEV1 -Wertes bei Salmeterol (49 ml) und Tiotropiumbromid (80 ml) begrenzt (Fabbri et al. 2009). Die Exazerbationsrate wurde nicht signifikant gesenkt. Häufigste Nebenwirkungen waren Gewichtsverlust, Diarrhö, Appetitverminderung und Schlaflosigkeit. Unsere zurückhaltende Einschätzung von Roflumilast wird durch einen aktuellen CochraneReview (28 Studien mit Roflumilast, 18.046 Teilnehmer) bestätigt (Janjua et al. 2020), der die Verwendung von Phosphodiesterase4-Inhibitoren bei COPD nur mit Vorsicht unterstützt. Sie boten einen geringen Vorteil bei der Verbesserung der Lungenfunktion und der Verringerung von COPD-Exazerbationen, hatten jedoch nur geringe Auswirkungen auf die Lebensqualität und die COPD-Symptome. Nebeneffekte wie Durchfall und Gewichtsverlust waren häufig.
20
465 20.3 Verordnungsspektrum
. Tabelle 20.5 Verordnungen von Phosphodiesterasehemmern. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Theophyllin Theophyllin AL
Theophyllin
7,0
(13,6)
0,24
Theophyllin-ratiopharm
Theophyllin
7,0
(10,9)
0,22
Bronchoretard
Theophyllin
3,5
(C12,8)
0,20
Theophyllin STADA
Theophyllin
1,4
(0,6)
0,18
Solosin
Theophyllin
0,65
(16,8)
0,63
19,5
(8,1)
0,24
8,8
(C4,7)
2,13
28,3
(4,4)
0,83
PDE-4-Hemmer Daxas
Roflumilast
Summe
20.3.4
Muscarinrezeptorantagonisten
Muscarinrezeptorantagonisten (Anticholinergika) gehören zu den Mitteln der ersten Wahl bei der COPD (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease 2017; Vogelmeier et al. 2018). Beim Asthma gelten sie als Medikamente der zweiten Wahl (National Heart Lung and Blood Institute 2007). Sie stellen eine Alternative dar für die relativ seltenen Patienten, die inhalative Beta2 -Sympathomimetika schlecht tolerieren. Ein Übersichtsartikel weist darauf hin, dass Tiotropiumbromid auch Asthmapatienten additiv gegeben werden kann, die unzureichend auf eine Therapie mit inhalativen Glucocorticoiden ansprachen (Befekadu et al. 2014). Die Verordnungen der Muscarinrezeptorantagonisten haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt (. Abb. 20.1). Das langwirkende Tiotropiumbromid (Spiriva) ist trotz erneut rückläufiger Verordnungen weiterhin das mit Abstand führende Präparat (. Tab. 20.6). Tiotropiumbromid war in Deutschland zunächst
nur für die COPD zugelassen, nach Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ist es seit 2015 auch für die Zusatztherapie bei schwerem Asthma zugelassen. Die erste große placebokontrollierte Langzeitstudie mit Tiotropiumbromid (UPLIFT) an 5.993 COPD-Patienten (FEV1 < 60 %) über vier Jahre zeigte eine Verbesserung der Lungenfunktion, der Lebensqualität und der Exazerbationen, jedoch wurde der Abfall des FEV1 nicht verhindert (Tashkin et al. 2008). Eine Subanalyse der UPLIFT-Studie zeigt auch eine signifikante Wirksamkeit bei COPD-Patienten, Stadium GOLD II und mit einem FEV1 60 % (Tashkin et al. 2012). In einer Metaanalyse an 14.783 Patienten mit COPD wurde nach inhalativen Muscarinrezeptorantagonisten bei einer kleinen Zahl von Patienten (Muscarinrezeptorantagonisten: 135, Kontrolltherapie: 83) ein gering erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Mortalität und Herzinfarkte gefunden (Singh et al. 2008). Es bedarf einer weiteren Abklärung, in wie weit die Arzneimitteldosen oder die Art der Inhaler beteiligt sind (Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease, GOLD 2017). Im Gegensatz dazu wurde in
466
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
. Tabelle 20.6 Verordnungen von Muscarinrezeptorantagonisten. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tiotropiumbromid Spiriva
Tiotropiumbromid
78,1
(22,3)
1,83
Srivasso
Tiotropiumbromid
29,5
(C175,2)
1,89
Braltus
Tiotropiumbromid
12,2
(C19,5)
1,53
119,8
(1,4)
1,82
Ipratropiumbromid Atrovent
Ipratropiumbromid
6,7
(C2,5)
1,31
Ipratropium TEVA
Ipratropiumbromid
1,8
(3,6)
2,98
Iprabronch
Ipratropiumbromid
0,22
(C434,0)
3,15
8,7
(C3,3)
1,70
Weitere Monopräparate Seebri Breezhaler
Glycopyrroniumbromid
11,9
(8,8)
1,73
Bretaris genuair
Aclidiniumbromid
10,8
(4,5)
1,35
Incruse
Umeclidiniumbromid
3,3
(2,0)
1,25
Eklira genuair
Aclidiniumbromid
2,8
(25,7)
1,35
Rolufta Ellipta
Umeclidiniumbromid
0,89
(C910,0)
1,28
29,6
(6,0)
1,49
Kombinationspräparate
20
Ultibro Breezhaler
Indacaterol Glycopyrroniumbromid
49,7
(C9,4)
2,31
Spiolto Respimat
Olodaterol Tiotropiumbromid
36,2
(C21,6)
2,17
Anoro Ellipta
Vilanterol Umeclidiniumbromid
17,4
(C14,7)
1,64
Brimica Genuair
Formoterol Aclidiniumbromid
17,4
(C2,0)
2,15
Trimbow
Formoterol Glycopyrroniumbromid Beclometason
12,9
(C110,6)
2,84
Duaklir Genuair
Formoterol Aclidiniumbromid
10,0
(C7,0)
2,14
Trelegy Ellipta
Vilanterol Umeclidiniumbromid Fluticasonfuroat
6,4
(C183,9)
2,81
20
467 20.3 Verordnungsspektrum
. Tabelle 20.6 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ulunar
Indacaterol Glycopyrroniumbromid
5,9
(C6,1)
2,31
Elebrato Ellipta
Vilanterol Umeclidiniumbromid Fluticasonfuroat
3,6
(C435,6)
2,82
Laventair Ellipta
Vilanterol Umeclidiniumbromid
1,3
(> 1.000)
1,66
160,6
(C22,4)
2,25
318,7
(C8,9)
2,00
Summe
einem systematischen Übersichtsartikel kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Tiotropiumbromid gefunden (Rodrigo et al. 2009). Die Muscarinrezeptorantagonisten Glycopyrroniumbromid, Aclidiniumbromid und Umeclidiniumbromid sind weitere langwirkende Muscarinrezeptorantagonisten mit höherer Affinität zu M3 -Rezeptoren, die auch langsamer vom Rezeptor dissoziieren (Alagha et al. 2014). Die Nutzenbewertung von Aclidiniumbromid im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (Tiotropiumbromid) hat bei Patienten mit einem Schweregrad III (30 % FEV1 < 50 % Soll) einen beträchtlichen Zusatznutzen ergeben (Bundesministerium für Gesundheit 2016a), während für Umeclidiniumbromid kein Zusatznutzen belegt war (Bundesministerium für Gesundheit 2016b). Insgesamt wurden die Monopräparate trotz der weiteren neuen Wirkstoffe 2018 weniger verordnet (. Tab. 20.6). Eine erneute kräftige Zunahme der Verordnungen um 22 % zeigen dagegen alle fixen Kombinationspräparate der Muscarinrezeptorantagonisten mit langwirkenden Beta2 -Sympathomimetika (LABA) (. Tab. 20.6). Besonders ausgeprägt sind die Verordnungszunahmen der Dreifachkombinationen, die als dritte Komponente noch ein inhalatives Glucocorticoid enthalten. Sie wurden 2017 als Erhaltungstherapie bei Patienten mit moderater
bis schwerer chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zugelassen, die mit einer Zweifachkombination nicht ausreichend eingestellt sind (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 2, Abschn. 2.2.11).
20.3.5
Antiallergika
In der Gruppe der Antiallergika ist nur noch ein Ketotifenpräparat enthalten (. Tab. 20.7). Wie andere, ältere H1 -Antihistaminika hat der Wirkstoff Ketotifen eine ausgeprägte sedierende Wirkung. Er wird von der Deutschen Atemwegsliga nicht mehr erwähnt und wird nur noch gering verordnet.
20.3.6
Leukotrienantagonisten
Leukotrienantagonisten werden als Zusatzmedikation zur Behandlung bei leichten bis mittelschweren Formen (Stufe 2–3) des Asthma bronchiale eingesetzt (National Heart Lung and Blood Institute 2007; Buhl et al. 2017). Einziger Vertreter ist Montelukast, ein Antagonist am Cysteinyl-Leukotrien-Rezeptorsubtyp CysLT1 . Er ist bei unzureichendem Ansprechen auf inhalative Glucocorticoide sowie bei Kindern von 2–14 Jahren als Alternative zu
468
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
. Tabelle 20.7 Verordnungen von Antiallergika, Leukotrienantagonisten und monoklonalen Antikörpern. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ketotifen Ketotifen STADA
Ketotifen
0,53
(5,0)
0,44
Montelukast Montelukast-1 A Pharma
Montelukast
13,7
(C5,0)
0,54
Montelukast dura
Montelukast
7,5
(C60,2)
0,49
Montelukast AbZ
Montelukast
2,7
(0,5)
0,56
Montelukast Aurobindo
Montelukast
2,4
(56,8)
0,50
Montelukast Heumann
Montelukast
2,3
(C140,3)
0,53
Singulair
Montelukast
1,7
(13,8)
0,82
Montelukast-PUREN
Montelukast
1,6
(C36,9)
0,71
Montelukast-ratiopharm
Montelukast
0,88
(C2,2)
1,26
32,8
(C6,1)
0,57
Monoklonale Antikörper Xolair
Omalizumab
2,4
(C18,4)
49,76
Nucala
Mepolizumab
1,0
(C16,4)
45,72
Fasenra
Benralizumab
0,78
(C147,0)
57,55
4,2
(C30,6)
50,24
37,5
(C8,2)
6,07
Summe
20
niedrig dosierten inhalativen Glucocorticoiden zugelassen. Die Verordnungen von Montelukast haben jedoch 2019 leicht zugenommen und entfallen jetzt auf über 90 % auf Generika (. Tab. 20.7). Montelukast hat entzündungshemmende Wirkungen, allerdings nur bei etwa 50–60 % der Patienten, schützt partiell vor Belastungsasthma und reduziert die bronchiale Hyperreaktivität. Der Bedarf an Beta2 -Sympathomimetika und topischen Glucocorticoiden soll reduziert werden. Montelukast wird durch Cytochrom P450 3A4 metabolisiert. Daher ist Vorsicht bei gleichzeitiger Verordnung von Pharmaka angebracht, die CYP3A4 induzie-
ren, wie Phenytoin, Phenobarbital und Rifampicin. Montelukast sollte nicht zur Behandlung eines akuten Asthmaanfalls eingesetzt werden. Die Europäische und die Britische Arzneimittelbehörde wiesen kürzlich darauf hin, dass unter Montelukast neuropsychiatrische Störungen auftreten können, es sollten daher Nutzen und Risiken sorgfältig abgewogen werden (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019). Nach neueren Arbeiten sind inhalierbare Steroide (Brand 2011; Chauhan et al. 2013b) bzw. in Kombination mit LABAs (Cingi et al. 2015) immer noch die erste Wahl bei der Behandlung des kindlichen Asthmas. Aufgrund
469
20
Literatur
der bisherigen Datenlage scheinen Leukotrien- Literatur antagonisten nicht für die Routineverwendung geeignet zu sein (Watts und Chavasse 2012). Bei Anstrengungsasthma ist Montelukast bei Alagha K, Palot A, Sofalvi T, Pahus L, Goultra M, Tummino C, Martinez S, Charpin D, Bourdin A, ChaErwachsenen auch als Monotherapie zugelasnez P (2014) Long-acting muscarinic antagonists for sen. the treatment of chronic airway diseases. Ther Adv 20.3.7
Monoklonale Antikörper
Der humanisierte, rekombinante monoklonale anti-IgG Antikörper Omalizumab (Xolair), der an IgE bindet und dadurch die Degranulation von Mastzellen und Basophilen sowie die Freisetzung von Histamin reduziert, ist seit 2005 als Zusatztherapie zur verbesserten Asthmakontrolle bei schwerem persistierenden allergischen Asthma bei Erwachsenen und Kindern über 6 Jahren zugelassen. Trotz hoher Kosten nahm die Verordnung 2019 weiter zu (. Tab. 20.7). Nach einem CochraneReview über 25 klinische Studien vermindert Omalizumab als Zusatztherapie zu inhalativen Glucocorticoiden Asthmaexazerbationen und Hospitalisierungen (Normansell et al. 2014). Omalizumab wurde bis auf Reaktionen an der Injektionsstelle gut vertragen. Mepolizumab ist ein humanisierter monoklonaler Interleukin-5-Antikörper, der 2015 als Zusatzbehandlung bei schwerem refraktärem eosinophilem Asthma zugelassen wurde. Bei Patienten mit schwerem eosinophilem Asthma wurde die Exazerbationsrate durch Mepolizumab um etwa 50 % gesenkt (Pavord et al. 2012). 2018 ist Benralizumab neu hinzugekommen, ein humanisierter monoklonaler Antikörper des Typs IgG1›, der mit hoher Affinität und Spezifität an den humanen Interleukin5-Rezeptor (IL-5R’) auf der Oberfläche der eosinophilen Granulozyten bindet. Benralizumab kann bei Erwachsenen mit schwerem eosinophilem Asthma, das trotz hochdosierter inhalativer Glucocorticoide plus langwirksamer Beta-Agonisten unzureichend kontrolliert ist, als Add-on-Therapie eingesetzt werden (Matera et al. 2017).
Chronic Dis 5:85–98 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2019) AkdÄ Drug Safety Mail 59-2019 Barnes PJ (2008) Immunology of asthma and chronic obstructive pulmonary disease. Nat Rev Immunol 8:183– 192 Barnes PJ (2015) Therapeutic approaches to asthmachronic obstructive pulmonary disease overlap syndromes. J Allergy Clin Immunol 136:531–545 Befekadu E, Onofrei C, Collice GL (2014) Tiotropium in asthma: a systematic review. J Asthma Allergy 7:11– 21 Brand PL (2011) Inhaled corticosteroids should be the first line of treatment for children with asthma. Paediatr Respir Rev 12:245–249 Buhl R, Bals R, Baur X, Berdel D, Criée C-P, Gappa M et al (2017) S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma. http:// www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-009l_ S2k_Asthma_Diagnostik_Therapie_2017-11_1.pdf (WMF-Registernummer 020-009) Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) (2018) Nationale VersorgungsLeitlinie Asthma – Langfassung, 3. Aufl. https://doi.org/10.6101/AZQ/000400 (Version 1, www.asthma.versorgungsleitlinien.de) Bundesministerium für Gesundheit (2016a) Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der ArzneimittelRichtlinie (AM-RL) (Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) Aclidiniumbromid vom 7. Apr. 2016 veröffentlicht am 7. April 2016, BAnz AT 3. Mai 2016 B3) Bundesministerium für Gesundheit (2016b) Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der ArzneimittelRichtlinie (AM-RL) (Anlage XII – Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) Umeclidinium vom 21. Juli 2016 veröffentlicht am 11. August 2016, BAnz AT 11. Aug. 2016 B4) Chauhan BF, Chartrand C, Ducharme FM (2013a) Intermittent versus daily inhaled corticosteroids for persistent asthma in children and adults. Cochrane Database Syst Rev 2:CD9611
470
20
Kapitel 20 Bronchospasmolytika und Antiasthmatika
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473
21
Calciumantagonisten Thomas Eschenhagen
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Hauptgruppen der Calciumantagonisten sind die Dihydropyridine und die relativ stärker kardiodepressiv wirkenden Substanzen Verapamil und Diltiazem. Das Gesamtverordnungsvolumen steigt weiterhin langsam an und ist unverändert mit einem Trend zu langwirkenden Dihydropyridinen und einer Abnahme der Calciumantagonisten vom Verapamiltyp verbunden. Die Verordnung von Kombinationspräparaten aus Calciumantagonisten und ACE-Hemmern steigt relativ stark an. Kosten Amlodipin und Lercanidipin sind die kostengünstigsten Calciumantagonisten und liegen in einem ähnlichen Bereich wie die generischen ACE-Hemmer.
Calciumantagonisten hemmen am Herzen und an der glatten Muskulatur den Einstrom von Calciumionen aus dem Extrazellulärraum. Dies führt zu einer Vasodilatation vorwiegend der präkapillären Widerstandsgefäße mit Reduktion der Nachlast des Herzens und am Herzen selbst zu einer Abnahme von Kontraktionskraft und Herzfrequenz, die allerdings durch eine adrenerge Gegenregulation infolge der Vasodilatation kompensiert wird. Bei kurz- und schnellwirksamen Calciumantagonisten vom Nifedipintyp (Dihydropyridine) bewirkt dieser als ungünstig anzusehende Mechanismus nicht selten eine reflektorische Tachykardie und Flush-Symptomatik. Die Abnahme von Herzkraft und Herzfrequenz einerseits und die Gefäßerweiterung
andererseits sind qualitativ bei allen Calciumantagonisten gleich. Allen Calciumantagonisten gemeinsam ist auch, dass die Vasodilatation im Vergleich zur Kardiodepression bei niedrigeren Konzentrationen auftritt. Allerdings ist der Abstand zwischen vasodilatierend und kardiodepressiv wirkenden Konzentrationen unterschiedlich. Bei einigen Dihydropyridinen (z. B. Felodipin, Nisoldipin und Nitrendipin) ist der Abstand 10- bis 100-fach, bei Nifedipin und Amlodipin etwa 3- bis 10fach und bei Verapamil und Diltiazem 1- bis 3-fach. Diese quantitativen Unterschiede rechtfertigen den weit verbreiteten Nomenklaturunterschied „gefäßwirksame“ und „herzwirksame“ Calciumantagonisten nicht. Ein qualitativer Unterschied besteht nur in Bezug auf die AV-Überleitung, die Calciumantagonisten vom Verapamil- und Diltiazemtyp hemmen, die Dihydropyridine jedoch nicht.
21.1
Verordnungsspektrum
Das Gesamtverordnungsvolumen der Calciumantagonisten ist 2019 wiederum leicht angestiegen (. Abb. 21.1, vgl. . Tab. 1.2). Innerhalb der Gruppe nehmen die Verordnungen der langwirkenden Substanzen Amlodipin und Lercanidipin kontinuierlich zu (. Abb. 21.2). Fast alle anderen Calciumantagonisten haben weiter abgenommen und machen zusammen nur noch etwa 5 % aus. Mit einer Verordnungshäufigkeit von 2.441 Mio. DDD sind Calciumantagonisten nach Angiotensinhemmstoffen die zweitstärkste kardiovaskuläre Indikationsgruppe (vgl. . Tab. 1.2).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_21
Kapitel 21 Calciumantagonisten
474
2500
21
2372
Dihydropyridine Calciumantoagonisten vom Verapamil- und Diltiazemtyp
2000
1903
1940
2238
1993
2029
2095
2137
1827
1852
143
129
117
106
98
89
83
77
73
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
(Mio. DDD)
1500
1000
500
0 2010
69 2019
. Abb. 21.1 Verordnungen von Calciumantagonisten 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen 1800 Nitrendipin Amlodipin Lercanidipin
1600
1670
1419
1462
1503
1528
1573
1752
1600
1346
1400 1285
(Mio. DDD)
1200
1000
800
600 494 400 233
229
236
257
289
321
357
390
434
200 140 0 2010
127
115
102
94
2011
2012
2013
2014
85 2015
78 2016
71 2017
67 2018
63 2019
. Abb. 21.2 Verordnungen von langwirkenden Calciumantagonisten 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Während lange Zeit vor allem die Verord- nuierlich rückläufig waren, gehen seit einigen nungen der kurzwirksamen Calciumantagonis- Jahren auch die der anderen länger wirkenden ten Nifedipin, Verapamil und Diltiazem konti- Dihydropyridine wie Nitrendipin und Felodi-
21
475 21.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 21.1 Verordnungen von Calciumantagonisten (Verapamil-Typ) 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Verapamil Isoptin
Verapamil
13,9
(C120,0)
0,33
Verapamil-1 A Pharma
Verapamil
13,7
(4,3)
0,32
Verapamil Hennig
Verapamil
8,7
(0,3)
0,32
Verapamil AbZ
Verapamil
7,2
(51,7)
0,36
VeraHEXAL
Verapamil
5,9
(C14,1)
0,34
Verapamil AL
Verapamil
4,1
(C7,2)
0,34
Verapamil-ratiopharm
Verapamil
3,0
(C1,5)
0,40
Veramex
Verapamil
0,67
(36,8)
0,44
57,2
(0,3)
0,34
Diltiazem Diltiazem AbZ
Diltiazem
3,7
(C50,5)
0,46
Diltiazem AL
Diltiazem
3,4
(34,7)
0,43
Diltiazem Ethypharm
Diltiazem
1,8
(C169,1)
0,39
Dilzem
Diltiazem
0,94
(0,5)
0,53
9,8
(C5,9)
0,44
67,1
(C0,6)
0,35
Summe
pin zurück (. Tab. 21.1, 21.2). Der generelle Trend zu Amlodipin (72 % von gesamt) und die weiter deutliche Zunahme bei Lercanidipin dürften nicht zuletzt dem geringen Preis geschuldet sein (. Tab. 21.2). Da Amlodipin dazu auch der am besten in klinischen Studien untersuchte Calciumantagonist ist und Lercanidipin weniger häufig periphere Ödeme verursacht, erscheint diese Entwicklung sinnvoll. Auch die Zunahme der fixen Kombinationen von ACE-Hemmern und Amlodipin oder Lercanidipin (. Tab. 6.3) erscheint sinnvoll.
476
21
Kapitel 21 Calciumantagonisten
. Tabelle 21.2 Verordnungen von Dihydropyridinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Nifedipin Nifedipin AL
Nifedipin
8,4
(15,0)
0,34
Nifedipin-ratiopharm
Nifedipin
5,1
(12,5)
0,39
Nifedipin AbZ
Nifedipin
2,7
(C40,1)
0,17
Nifedipin STADA
Nifedipin
2,0
(2,3)
0,19
Nifedipin acis
Nifedipin
0,71
(C62,2)
0,48
Adalat
Nifedipin
0,36
(9,6)
0,68
19,3
(6,1)
0,32
Nitrendipin Nitrendipin-ratiopharm
Nitrendipin
24,3
(30,9)
0,16
Nitrendipin Aristo
Nitrendipin
20,6
(C686,3)
0,17
Nitrendipin AL
Nitrendipin
16,5
(21,5)
0,17
Bayotensin
Nitrendipin
(C0,3)
5,10
62,3
(C4,3)
0,23
0,78
Amlodipin Amlodipin Dexcel
Amlodipin
970,3
(C0,5)
0,09
Amlodipin Fair-Med
Amlodipin
309,3
(C28,9)
0,10
Amlodipin-1 A Pharma
Amlodipin
222,7
(C3,3)
0,10
Amlodipin Winthrop
Amlodipin
136,4
(C35,8)
0,11
Amlodipin HEXAL
Amlodipin
58,9
(24,4)
0,10
Amlodipin besilat AbZ
Amlodipin
26,1
(29,9)
0,09
Amlodipin-ratiopharm N
Amlodipin
10,6
(14,8)
0,10
Amlodipin-CT N
Amlodipin
2,8
(14,4)
0,10
Amlodipin/-besilat AL
Amlodipin
2,7
(26,4)
0,10
Amlodipin AAA Pharma
Amlodipin
2,4
(10,9)
0,10
Amlodipin dura
Amlodipin
2,4
(26,3)
0,10
Amlodipin STADA
Amlodipin
2,2
(21,4)
0,10
1.746,8
(C4,9)
0,09
Felodipin Felodipin-ratiopharm
Felodipin
18,2
(10,7)
0,33
Felodipin AbZ
Felodipin
8,5
(17,1)
0,26
21
477 21.3 Therapeutische Gesichtspunkte
. Tabelle 21.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Felodipin Heumann
Felodipin
7,2
(C43,6)
0,29
Felocor
Felodipin
5,2
(C57,3)
0,29
Felodipin AL
Felodipin
2,0
(23,1)
0,30
41,1
(1,1)
0,30
Lercanidipin Lercanidipin Omniapharm
Lercanidipin
466,7
(C15,9)
0,10
Carmen
Lercanidipin
14,2
(13,7)
0,09
Corifeo
Lercanidipin
5,4
(C1,2)
0,11
Lercanidipin STADA
Lercanidipin
5,0
(26,8)
0,10
491,2
(C14,0)
0,10
2.360,8
(C6,5)
0,10
Summe
21.2
Wirtschaftliche Gesichtspunkte
Mit dem weiter steigenden Anteil der preisgünstigen Amlodipin- und Lercanidipingenerika und rückläufigen Verordnungen aller anderen Generika sind die Gesamtkosten der Calciumantagonisten mit 274 Mio. C 2019 etwas weniger als das Verordnungsvolumen gestiegen (vgl. . Tab. 1.2).
21.3
Therapeutische Gesichtspunkte
Klassische Indikationen für Calciumantagonisten sind die arterielle Hypertonie, die koronare Herzkrankheit und beim Verapamilund Diltiazemtyp supraventrikuläre Tachyarrhythmien. Nimodipin, ein Dihydropyridin, ist bei hirnorganisch bedingten Leistungsstörungen im Alter zugelassen und wird in oraler Darreichung als Prophylaxe verzögert auftretender ischämischer Defizite nach Subarach-
noidalblutungen (SAB) empfohlen. Retardiertes Nimodipin verursachte in einer kleinen randomisierten Studie an Patienten mit SAB weniger periphere Hypotension und war mit weniger zerebraler Ischämie und Notfalltherapie assoziiert als unretardiertes Nimodipin (Hänggi et al. 2017). Es gibt Hinweise, dass die Gabe von Blutdrucksenkung mit Calciumantagonisten bei im Mittel gleicher Blutdrucksenkung mit einer geringeren DemenzRate einhergeht (van Middelaar et al. 2017). Allerdings war eine placebokontrollierte Interventionsstudie mit Nilvadipin bei Patienten mit milder Alzheimerdemenz neutral (Lawlor et al. 2018). Die klinisch vermutete Wirkung von Dihydropyridinen bei Nierensteinen konnte in einer kontrollierten klinischen Studie nicht bestätigt worden (Pickard et al. 2015). Dagegen zeigte Nifedipin kürzlich eine ähnliche Effektivität zur Verhinderung vorzeitiger Geburten wie ein Oxytozinrezeptorantagonist (van Vliet et al. 2016). Retardiertes Nifedipin normalisierte den Blutdruck in einer randomisierten Studie bei Schwangerschaftshypertonie in einem etwas höheren Prozentsatz als die Standardsubstanzen Labetolol und Methyldo-
478
21
Kapitel 21 Calciumantagonisten
pa, war aber auch mit einer etwas höheren Rate an Intensivpflichtigkeit der Neugeborenen verbunden (Easterling et al. 2019). Eine kleine Studie weist darauf hin, dass Verapamil bei Patienten mit einem kürzlich aufgetretenen Typ-1 Diabetes mellitus das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt, möglicherweise über ein verbessertes Überleben von pankreatischen Betazellen (Ovalle et al. 2018). Alle Calciumantagonisten wirken über ihre gefäßerweiternde, nachlastsenkende Wirkung antianginös und antihypertensiv. In ihrem sonstigen Wirkungsspektrum sind die einzelnen Calciumantagonisten jedoch nicht identisch. Wegen der Reflextachykardie können Dihydropyridine gut mit Betarezeptorenblockern kombiniert werden, während dies wegen der Gefahr von AV-Blockierungen und Hemmung der kardialen Kontraktionskraft bei Calciumantagonisten vom Verapamil- und Diltiazemtyp kontraindiziert ist. Weiterhin erlaubt die unterschiedlich ausgeprägte kompensatorische Kardiostimulation differenzialtherapeutische Überlegungen insofern, als Verapamil und Diltiazem vor allem bei Patienten mit höherer Herzfrequenz, Dihydropyridine dagegen bei solchen mit Bradykardie eingesetzt werden. Dihydropyridine können bei Patienten mit zusätzlicher Störung der Sinusknotenfunktion eingesetzt werden, Verapamil und Diltiazem dagegen nicht. Die unterschiedliche Beeinflussung des AV-Knotens hat keine Bedeutung für die antihypertensive und antiischämische Wirkung der Calciumantagonisten. Alle Calciumantagonisten werden gut aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert, unterliegen jedoch einem beträchtlichen First-passMetabolismus, so dass ihre Bioverfügbarkeit relativ gering ist. Der Metabolismus verläuft über das enterale und hepatische CYP3A4 Isoenzym, was insbesondere bei dem starken CYP3A4-Hemmer Verapamil zu Arzneimittelinteraktionen z. B. mit Statinen, Erythromycin, Clarithromycin, HIV-Proteaseinhibitoren, Ciclosporin und vielen anderen führt. Verapamil hemmt zusätzlich das enterale P-Glykoprotein (MDR1) und verursacht darüber einen Anstieg der Bioverfügbarkeit von Digoxin, Ciclospo-
rin, Tacrolimus und vielen anderen. Angesichts dieses hohen Interaktionspotentials ist die abnehmende Verordnung von Verapamil zu begrüßen. Die langwirkenden Calciumantagonisten, insbesondere Amlodipin, Felodipin und Lercanidipin, haben neben der längeren Wirkdauer einen relativ langsamen Wirkungseintritt und verursachen damit nur eine geringe oder keine reflektorische Tachykardie. Dies ist als therapeutischer Vorteil gegenüber dem kurzwirkenden Nifedipin anzusehen, das heute bei instabiler Angina pectoris und akutem Myokardinfarkt innerhalb der ersten vier Wochen nach Infarkteintritt kontraindiziert ist. Schnell freisetzende Arzneiformen von Nifedipin dürfen auch bei Hypertonie und chronischer Angina pectoris nur noch eingesetzt werden, wenn andere Arzneimittel nicht angezeigt sind (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 1997). Sie sind damit praktisch obsolet (Ausnahme Prinzmetal-Angina). Lercanidipin scheint seltener zu Unterschenkelödemen zu führen als Amlodipin oder andere Dihydropyridine der 1. Generation (Felodipin, Nifedipin) (Makarounas-Kirchmann et al. 2009) und bietet sich daher insbesondere bei Patienten mit Ödemen unter der Therapie mit Amlodipin als Alternative an. Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch die häufig praktizierte gleichzeitige Gabe eines Hemmstoffs des Renin-Angiotensin-Systems zu einer Reduktion der Ödemrate führt. Die zunehmend verwendeten Kombinationspräparate aus Amlodipin und ACE-Hemmern bzw. Angiotensinrezeptorantagonisten (. Tab. 6.3, 6.7) sind wirksamer als die Einzelkomponenten (Mancia et al. 2014) und auch aus Compliance-Gründen prinzipiell zu begrüßen. Bei dem günstigsten Präparat (Amlodipin + Ramipril, . Tab. 6.3) ist der Preis allerdings mit 0,28 C immer noch deutlich höher als die Summe der Einzelkomponenten. Amlodipin und Felodipin können im Gegensatz zu anderen Calciumantagonisten auch bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion eingesetzt werden, weil sie in klinischen Studien keinen negativen Ein-
479
21
Literatur
fluss auf die Prognose hatten (Packer et al. 1996; Cohn et al. 1995; The Defiant-II Research Group 1997). Die ALLHAT-Studie hat gezeigt, dass Amlodipin bei Hypertoniepatienten mit mindestens einem weiteren Risikofaktor die Zahl der Herzinfarkte und die Gesamtletalität nicht anders beeinflusste als das Diuretikum Chlortalidon oder der ACE-Hemmer Lisinopril (The ALLHAT Officers and Coordinators 2002). Die unter Amlodipin in der ALLHAT-Studie beobachtete höhere Rate an Herzinsuffizienz ist auch bei Lisinopril gesehen worden und mit einiger Wahrscheinlichkeit auf das Studiendesign zurückzuführen. Sie sollte nicht überbewertet werden. In einer placebokontrollierten Vergleichsstudie an Patienten mit koronarer Herzkrankheit und normalem Blutdruck (CAMELOT) hat Amlodipin bei gleicher Blutdrucksenkung und ähnlicher Verträglichkeit (mehr Ödeme, weniger Husten) bezüglich der Senkung kardiovaskulärer Ereignisse sogar besser abgeschnitten als Enalapril (Nissen et al. 2004). In der ASCOTBPA Studie war bei Hypertonikern mit mindestens drei weiteren Risikofaktoren ein auf der Erstgabe von Amlodipin basiertes Therapieregime (zweite Stufe + Perindopril) einem primär auf dem Betarezeptorenblocker Atenolol (zweite Stufe + Thiazid) basierten überlegen, allerdings zum Teil auch aufgrund der im Mittel stärkeren Blutdrucksenkung (Dahlöf et al. 2005). Möglicherweise ist ein Teil des Vorteils von Amlodipin auf eine stärkere Senkung der intraindividuellen Blutdruckschwankung zurückzuführen (Rothwell et al. 2010). Auch in der ALLHAT-Studie war die Blutdrucksenkung unter Amlodipin (vor allem gegenüber Lisinopril) am stabilsten (Muntner et al. 2014). Die prognostische Bedeutung dieses Parameters ist nicht klar. In der Diskussion der antihypertensiven Therapie hat in den letzten Jahren vor allem die renale Denervierung eine Rolle gespielt, die in initialen Studien an relativ kleinen Patientenzahlen beeindruckende Effekte bei Patienten mit „therapieresistenter Hypertonie“ zeigte (SIMPLICITY HTN-2, Esler et al. 2010). Die erste große randomisierte Studie (SIMPLICITY HTN-3) hat allerdings
keinen Vorteil gegenüber einer intensivierten Pharmakotherapie bestätigt (Bhatt et al. 2014), was möglicherweise etwas mit dem starken Placeboeffekt bei den in der Praxis gemessenen Blutdruckwerten (im Gegensatz zu den durch Langzeitmessung zuhause ermittelten Werten) zu tun hat. Der Wert der besonders in Deutschland weit verbreiteten renalen Denervierung und die Definition des dafür geeigneten Patientenkollektivs bleiben weiter unklar (siehe auch 7 Kap. 14, 7 Abschn. 14.1.4). Bei der koronaren Herzkrankheit ist die Bedeutung der Calciumantagonisten in den letzten Jahren ähnlich wie die der Nitrate zurückgegangen. Dies hat mehrere Gründe. Einerseits hat die symptomatische medikamentöse antianginöse Therapie insgesamt an Bedeutung gegenüber interventionellen und sekundärprophylaktischen Therapiemaßnahmen (Lipidsenkung, Thrombozytenaggregationshemmung) verloren. Zweitens werden Betarezeptorenblocker seit vielen Jahren als erste Wahl für die Angina-pectoris-Prophylaxe empfohlen, wenn keine Kontraindikationen vorliegen (Bundesärztekammer et al. 2014), da für Betarezeptorenblocker, nicht aber für Calciumantagonisten und Nitrate, bei verschiedenen Formen der koronaren Herzkrankheit (Zustand nach Infarkt, Herzinsuffizienz) eine Verbesserung der Prognose erwiesen ist. Schließlich ist die Therapie mit Betarezeptorenblockern bei der koronaren Herzkrankheit mit weniger unerwünschten Wirkungen assoziiert als die mit Calciumantagonisten (Heidenreich et al. 1999).
Literatur Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (1997) Calciumantagonisten vom 1,4-Dihydropyridin-Typ. Dtsch Arztebl 22:C-1122–C-1123 Bhatt DL, Kandzari DE, O’Neill WW, D’Agostino R, Flack JM, SYMPLICITY HTN-3 Investigators et al (2014) A controlled trial of renal denervation for resistant hypertension. N Engl J Med 370:1393–1401 Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (2014) Nationale Versorgungsleitlinie Chronische KHK. Langfassung, 3.
480
21
Kapitel 21 Calciumantagonisten
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481
22
Corticosteroide Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Corticosteroide werden überwiegend als Glucocorticoide zur Entzündungshemmung und Immunsuppression eingesetzt, während die Hormonsubstitution mit dem Nebennierenrindenhormon Cortisol und dem Mineralocorticoid Fludrocortison nur einen kleinen Teil der Verordnungen betrifft. Bei den Glucocorticoiden hat die Verordnung von Prednisolon aufgrund seiner pharmakokinetischen und preislichen Vorteile 2019 weiter zugenommen, während Prednison erneut weniger verordnet wurde.
Als Corticosteroide werden die natürlichen Steroidhormone der Nebennierenrinde und ihre synthetischen Derivate bezeichnet. Nach ihren vorherrschenden Wirkungen auf den Kohlenhydratstoffwechsel und den Elektrolythaushalt werden sie in Glucocorticoide und Mineralocorticoide eingeteilt. Sie haben ein weites Spektrum physiologischer und pharmakologischer Wirkungen. In niedrigen physiologischen Mengen dienen sie zur Hormonsubstitution bei Nebennierenrindeninsuffizienz, wie z. B. bei Morbus Addison und adrenogenitalem Syndrom. Bei diesen Indikationen wird Cortisol (Hydrocortison) als natürliches Nebennierenrindenhormon bevorzugt, weil es glucocorticoide und mineralocorticoide Eigenschaften vereinigt. In höheren pharmakologischen Dosen werden synthetische Glucocorticoide eingesetzt, um Entzündungserscheinungen und immuno-
logische Reaktionen zu unterdrücken. Hier wird Prednisolon aus der Gruppe der nichtfluorierten Glucocorticoide als Standardsteroid verwendet, weil es nur noch geringe mineralocorticoide Aktivität besitzt und am längsten in die Therapie eingeführt ist. Zu den wichtigsten Indikationen gehören rheumatische und allergische Krankheiten sowie Asthma bronchiale und Kollagenosen. Inhalative Glucocorticoide werden bei den Bronchospasmolytika und Antiasthmatika (7 Kap. 20) besprochen, topische Glucocorticoide bei den Dermatika (7 Kap. 23) und den Ophthalmika (7 Kap. 35). Wegen der Risiken der Langzeitbehandlung werden orale Glucocorticoide zur Entzündungshemmung nur kurzfristig und immer nur in der möglichst niedrigsten Dosis eingesetzt (Übersicht bei Smolen et al. 2016). Trotz jahrzehntelanger Bemühungen ist es bisher nicht gelungen, die Risiko-Nutzen-Relation der Glucocorticoide grundlegend zu ändern (Strehl und Buttgereit 2013). Eine der wichtigsten Anwendungen der Glucocorticoide ist die antirheumatische Therapie. Hier haben die Glucocorticoide in den Empfehlungen der EULAR (European League Against Rheumatism) eine bemerkenswerte Aufwertung erfahren (Smolen et al. 2017). Niedrig dosierte Glucocorticoide sollen als Teil der initialen Behandlung in Kombination mit einem oder mehreren konventionellen synthetischen krankheitsmodifizierenden antirheumatischen Arzneimitteln (DMARDs) bis zu 6 Monate in Betracht gezogen werden, jedoch mit möglichst schneller Dosisreduktion.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_22
Kapitel 22 Corticosteroide
482
Verordnungsspektrum
22.1
Glucocorticoide werden in nichtfluorierte und fluorierte Glucocorticoide sowie Depotpräparate eingeteilt. Nichtfluorierte Glucocorticoide haben sich seit über 30 Jahren als führende Therapieoption etabliert und sind seit 2010 noch weiter angestiegen (. Abb. 22.1). Die Verordnungen der fluorierten Glucocorticoide liegen auf deutlich niedrigerem Niveau, sind aber in den letzten 10 Jahren annähernd konstant geblieben. Dagegen waren die größtenteils umstrittenen Depotpräparate rückläufig. In der gesamten Indikationsgruppe der systemischen Corticosteroide hat sich das Verordnungsvolumen nach definierten Tagesdosen (DDD) im Jahr 2019 mit 437 Mio. DDD kaum verändert (vgl. . Tab. 1.2).
Nichtfluorierte Glucocorticoide
22.1.1
In der Gruppe der nichtfluorierten Glucocorticoide entfallen inzwischen 87 % der 400 Nichtfluorierte Glucocorticoide Fluorierte Glucocorticoide Depotpräparate
350
300
312
318
324
334
342
347
348
361
362
56
56
56
29
30
349
250 (Mio. DDD)
22
Verordnungen auf Prednisolonpräparate (. Tab. 22.1). Prednisolon hat im Vergleich zu dem natürlichen Nebennierensteroid Cortisol (Hydrocortison) nur noch eine geringe Mineralocorticoidaktivität und löst daher seltener Natriumretention, Ödembildung und Hypokaliämie aus. Darüber hinaus hat Prednisolon pharmakokinetische Vorteile gegenüber seinem Prodrug Prednison, weil es bereits die aktive Wirkform darstellt, während Prednison biologisch inaktiv ist und erst durch die hepatische 11“-Hydroxysteroiddehydrogenase in seinen aktiven Metaboliten Prednisolon umgewandelt werden muss. Da diese Umwandlung ca. eine Stunde benötigt, wirkt Prednisolon bei akuten Therapieindikationen schneller als Prednison. Außerdem hat Prednisolon nach oraler Gabe eine höhere Bioverfügbarkeit als Prednison (Kamada et al. 1997). Die pharmakologisch-therapeutischen Vorteile des Prednisolons haben sich weitgehend in der praktischen Therapie durchgesetzt, da Prednisolonpräparate wesentlich häufiger als Prednisonpräparate verordnet werden (. Tab. 22.1). Zusätzlich ist damit eine Kosteneinsparung verbunden, da Prednisolonpräparate im Durchschnitt bis auf zwei
200
150
100 54
51
35
36
50
0 2010
2011
52 35 2012
51
30 2013
54
29 2014
55
30 2015
57
31 2016
2017
2018
29 2019
. Abb. 22.1 Verordnungen von Glucocorticoiden 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
22
483 22.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 22.1 Verordnungen von nichtfluorierten Glucocorticoiden 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Prednisolon Prednisolon acis
Prednisolon
185,3
(1,9)
0,24
Prednisolon AL
Prednisolon
84,3
(C11,4)
0,23
Prednisolon Galen
Prednisolon
13,3
(0,3)
0,44
Predni H Tablinen
Prednisolon
12,0
(C6,5)
0,24
Dontisolon D
Prednisolon
5,5
(C7,6)
0,69
Prednisolut/-L
Prednisolon
4,0
(6,9)
0,89
Prednisolon JENAPHARM
Prednisolon
3,6
(13,4)
0,66
Decortin H
Prednisolon
2,4
(17,5)
0,26
Solu-Decortin H
Prednisolon
1,6
(10,3)
1,16
PredniHEXAL oral
Prednisolon
0,80
(25,4)
0,24
Predni H Injekt/-Lichtenstein N
Prednisolon
0,42
(C141,8)
1,20
Prednisolon acis
Prednisolon
0,34
(C17,9)
0,41
Okrido
Prednisolon
0,29
(C51,1)
2,29
Infectocortikrupp
Prednisolon
0,22
(C3,7)
7,18
Klismacort Rektal
Prednisolon
0,07
(C1,8)
9,90
314,2
(C1,5)
0,28
Prednison Prednison GALEN
Prednison
18,1
(0,3)
0,28
Lodotra
Prednison
1,9
(17,9)
2,92
Decortin
Prednison
1,6
(24,3)
0,28
Rectodelt
Prednison
0,83
(C1,0)
6,88
22,5
(4,2)
0,74
Methylprednisolon Metypred GALEN
Methylprednisolon
12,2
(C32,6)
0,55
Urbason/-solubile
Methylprednisolon
3,1
(23,7)
0,72
Methylprednisolon JENAPHARM
Methylprednisolon
1,4
(C91,3)
0,56
16,7
(C19,3)
0,58
Hydrocortison Hydrocortison JENAPHARM
Hydrocortison
4,8
(C2,0)
1,41
Hydrocortison GALEN
Hydrocortison
2,6
(C15,8)
1,30
484
Kapitel 22 Corticosteroide
. Tabelle 22.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
22
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Hydrocortison acis
Hydrocortison
1,00
(C1,4)
1,42
Hydrocortison Hoechst
Hydrocortison
0,68
(14,3)
1,47
9,2
(C4,0)
1,38
362,5
(C1,9)
0,35
Summe
besondere Arzneiformen (Infektocorticokrupp, Okrido) billiger als alle anderen Glucocorticoide sind. An zweiter Stelle folgen die Prednisonpräparate, die durchschnittlich mehr als doppelt so teuer wie Prednisolonpräparate sind, was in Anbetracht der pharmakokinetischen Vorteile von Prednisolon schwer verständlich ist. Ein kleiner Teil der Verordnungen entfällt auf ein Prednisonpräparat mit verzögerter Freisetzung (Lodotra), das bei Patienten mit aktiver rheumatoider Arthritis die morgendliche Gelenksteifigkeit im Vergleich zu schnell freisetzendem Prednison um 22 % reduzierte (Buttgereit et al. 2008). Das Präparat wird abends eingenommen und setzt Prednison 4 h später unmittelbar vor Beginn des morgendlichen Cortisolgipfels frei, während das übliche schnell freisetzende Prednison morgens eingenommen wird. Lodotra ist allerdings zehnfach teurer als Prednisongenerika (. Tab. 22.1). An dritter Stelle steht Methylprednisolon (. Tab. 22.1). Die DDD-Kosten liegen im Durchschnitt doppelt so hoch wie für Prednisolonpräparate, ohne dass wesentliche therapeutische Unterschiede dokumentiert sind. Ein sehr kleiner Teil der Verordnungen entfällt auf das natürliche Nebennierenrindenhormon Hydrocortison (Cortisol). Es wird vor allem zur Substitution bei primärer Nebenniereninsuffizienz (Morbus Addison) eingesetzt (Pulzer et al. 2016). Eine zweite wichtige Indikation ist das adrenogenitale Syndrom mit einer Störung der Cortisolbiosynthese der Nebennierenrinde infolge eines Defekts der 21Hydroxylase. Durch die Substitution wird der
Cortisolmangel ausgeglichen und gleichzeitig die reaktive ACTH-Überproduktion und die damit verbundene Hyperandogenämie supprimiert (Dörr und Schöfl 2009).
22.1.2
Fluorierte Glucocorticoide
Fluorierte Glucocorticoide haben im Gegensatz zu Prednisolon keine mineralocorticoiden Wirkungen. Die Wirkungsdauer von Betamethason und Dexamethason ist erheblich länger als die von Prednisolon. Sie werden daher für die gezielte Hypophysenhemmung eingesetzt, sind aber für die übliche einmal morgendliche Dosierung am Gipfelpunkt der zirkadianen Rhythmik nicht geeignet. Vorteilhaft ist die längere Wirkungsdauer bei der intraartikulären Lokaltherapie, für die mehrere Dexamethasonpräparate eingesetzt werden. Die Verordnungen von Dexamethason haben 2019 etwas abgenommen (. Tab. 22.2).
22.1.3
Depotpräparate
Die intramuskuläre Injektion von Depotcorticosteroiden bei Heufieber und anderen Allergien wurde schon vor 40 Jahren als nebenwirkungsreiches Verfahren mit fragwürdigen Indikationen kritisiert (Köbberling 1979). Im Vergleich zur oralen Therapie sind atrophische Veränderungen an Haut, Knochen und Muskulatur (sogenannte „Triamcinolonlöcher“) bei Langzeitgabe besonders ausge-
22
485 22.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 22.2 Verordnungen von fluorierten Glucocorticoiden und Mineralocorticoiden 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Dexamethason Dexagalen Injekt/Dexamethason GALEN Tabl.
Dexamethason/ -dihydrogenphosphat
33,9
(C5,4)
0,33
Dexa-ratiopharm/Dexamethason-ratiopharm
Dexamethason/ -dihydrogenphosphat
9,3
(20,0)
0,37
Dexamethason JENAPHARM
Dexamethason/ -dihydrogenphosphat
2,4
(35,6)
0,52
Dexamethason AbZ
Dexamethasondihydrogenphosphat
0,97
(C152,6)
0,49
Fortecortin
Dexamethason/ -dihydrogenphosphat
0,93
(35,9)
0,40
DexaHEXAL
Dexamethasondihydrogenphosphat
0,93
(C54,5)
0,52
Infectodexakrupp
Dexamethasondihydrogenphosphat
0,70
(C5,8)
5,29
Lipotalon
Dexamethasonpalmitat
0,59
(2,0)
3,16
Supertendin
Dexamethasonacetat Lidocain
0,47
(3,9)
1,32
50,2
(3,0)
0,47
Triamcinolonacetonid Triam Injekt Lichtenstein
Triamcinolonacetonid
15,7
(C6,2)
0,24
TriamHEXAL
Triamcinolonacetonid
6,4
(2,4)
0,24
Volon A/-Kristallsusp.
Triamcinolonacetonid
6,1
(16,3)
0,41
Volon A Haftsalbe
Triamcinolonacetonid
0,80
(C7,1)
1,78
29,1
(1,3)
0,32
Betamethason
2,1
(2,3)
1,82
Fludrocortison
4,2
(C3,3)
0,54
85,6
(2,1)
0,46
Betamethason Celestan/Celestamine N Mineralocorticoide Astonin H Summe
486
22
Kapitel 22 Corticosteroide
prägt. Eine dänische Übersichtsarbeit bestätig- Literatur te, dass die Dokumentation der intramuskulären Depottherapie mit Glucocorticoiden bei Buttgereit F, Doering G, Schaeffler A, Witte S, Sierakowski S, Gromnica-Ihle E, Jeka S, Krueger K, Szechinski allergischer Rhinitis mangelhaft ist (Mygind J, Alten R (2008) Efficacy of modified-release veret al. 2000). Generell sind intramuskuläre Insus standard prednisone to reduce duration of morning jektionen wegen der unkontrollierbaren systestiffness of the joints in rheumatoid arthritis (CAPRA1): a double-blind, randomised controlled trial. Lancet mischen Glucocorticoidwirkung über Wochen 371:205–214 nicht zu empfehlen (Reinhart 2005). Dörr HG, Schöfl C (2009) Adrenogenitales Syndrom und Dagegen ist der Nutzen einer intraartikuWachstumshormonmangel. Internist 50:1202–1206 lären Injektion eines Glucocorticoids bei akti- Hale GM, Valdes J, Brenner M (2017) The treatment of vierter Arthrose durch einen Cochrane-Review primary orthostatic hypotension. Ann Pharmacother 51:417–428 für einen Zeitraum von 2–3 Wochen gut dokumentiert (Jüni et al. 2015). Trotz der intraarti- Huppertz HI, Pfuller H (1997) Transient suppression of endogenous cortisol production after intraarticular stekulären Injektion wird die endogene Cortisolroid therapy for chronic arthritis in children. J Rheuproduktion über einen Zeitraum von 10–30 Tamatol 24:1833–1837 gen supprimiert und der zirkadiane Rhythmus Jüni P, Hari R, Rutjes AW, Fischer R, Silletta MG, Reichenbach S, da Costa BR (2015) Intra-articular cortider hypothalamisch-hypophysären Steuerung costeroid for knee osteoarthritis. Cochrane Database der Nebennierenrinde gestört (Huppertz und Syst Rev 2015:CD5328 Pfuller 1997). Allerdings entfällt nur ein klei- Kamada AK, Wiener MB, LaVallee NM, Bartoszek SM, ner Teil der Verordnungen von TriamcinolonaSelner JC, Szefler SJ (1997) A pharmacokinetic comcetonid auf Arzneiformen, die ausschließlich parison of two oral liquid glucocorticoid formulations. Pharmacotherapy 17:353–356 für die sinnvolle intraartikuläre und intrafokale Anwendung angeboten werden. Die Verord- Köbberling J (1979) Gefahren der DepotkortikoidTherapie. Internist Welt 4:118–122 nungen von Triamcinolonacetonid haben sich Mygind N, Laursen LC, Dahl M (2000) Systemic cor2019 kaum verändert (. Tab. 22.2). ticosteroid treatment for seasonal allergic rhinitis: 22.1.4
Mineralocorticoide
Fludrocortison (Astonin H) ist das derzeit einzige verfügbare Mineralocorticoid, das bei nicht ausreichender Wirkung von Hydrocortison zur zusätzlichen Substitution bei Morbus Addison und adrenogenitalem Syndrom mit Salzverlust eingesetzt wird. Daneben ist es bei schwerer hypoadrenerger orthostatischer Hypotonie nach Versagen nichtmedikamentöser Maßnahmen und Midodrin zugelassen, wobei ausgeprägte Nebenwirkungen (Wasserretention, Ödeme, Hypokaliämie) zu beachten sind (Hale et al. 2017). Die Verordnungen von Fludrocortison haben 2019 gegenüber dem Vorjahr erneut zugenommen (. Tab. 22.2).
a common but poorly documented therapy. Arerugi 55:11–15 Pulzer A, Burger-Stritt S, Hahner S (2016) Morbus Addison, primäre Nebenniereninsuffizienz. Internist 57:457–469 Reinhart WH (2005) Steroidtherapie. Prax (Bern 1994) 94:239–243 Smolen JS, Aletaha D, McInnes IB (2016) Rheumatoid arthritis. Lancet 388:2023–2038 Smolen JS, Landewé R, Bijlsma J, Burmester G, Chatzidionysiou K, Dougados M, Nam J, Ramiro S, Voshaar M, van Vollenhoven R, Aletaha D, Aringer M, Boers M, Buckley CD, Buttgereit F, Bykerk V, Cardiel M, Combe B, Cutolo M, van Eijk-Hustings Y, Emery P, Finckh A, Gabay C, Gomez-Reino J, Gossec L, Gottenberg JE, Hazes JMW, Huizinga T, Jani M, Karateev D, Kouloumas M, Kvien T, Li Z, Mariette X, McInnes I, Mysler E, Nash P, Pavelka K, Poór G, Richez C, van Riel P, Rubbert-Roth A, Saag K, da Silva J, Stamm T, Takeuchi T, Westhovens R, de Wit M, van der Heijde D (2017) EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2016 update. Ann Rheum Dis 76:960–977 Strehl C, Buttgereit F (2013) Optimized glucocorticoid therapy: teaching old drugs new tricks. Mol Cell Endocrinol 380:32–40
487
23
Dermatika Judith Günther und Uwe Fricke
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Seit Jahren verändert sich das Verordnungsspektrum der zahlreichen dermatologischen Wirkstoffklassen nur marginal. Wie in den Vorjahren werden topische Corticosteroide am häufigsten verordnet. Auf sie entfällt fast jede zweite verordnete Dermatikatagesdosis. Antimykotika (12 %), Psoriasismittel (10 %), Aknemittel (6 %), Antiinfektiva (5 %), Warzenmittel, Wundbehandlungsmittel und Mittel bei aktinischen Keratosen (jeweils 4 %) sowie Rosazeamittel und Antipruriginosa (jeweils 3 %) werden deutlich seltener verordnet. Die verbleibenden Gruppen hatten 2019 zusammen nur noch einen Verordnungsanteil von weniger als 3 %. Trend Die Verordnungen in den einzelnen Marktsegmenten werden weitgehend durch nationale und internationale Therapieempfehlungen gestützt. Die Gesamtverordnungsmenge bezogen auf DDD stieg 2019 im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 2,3 %, mit deutlicheren Zuwächsen bei den Corticosteroidtopika und den Psoriasismitteln. Die Mehrverordnungen sind jedoch mit Kostensteigerungen von 13,5 % verbunden, die in erster Linie auf das Konto der hochwirksamen Biologika (Ustekinumab, Secukinumab, Guselkumab) zur Behandlung der Psoriasis gehen. Damit entfällt fast die Hälfte der gesamten dermatologischen Verordnungskosten (1.934 Mio. C) nur auf diese drei Präparate.
23.1
Verordnungsspektrum
Dermatika zählen in Deutschland zu den verordnungsstärksten Arzneimitteln. Sie werden bei vielfältigen Hauterkrankungen unterschiedlichster Ursachen angewandt. Entsprechend heterogen sind die zum Einsatz kommenden Wirkstoffklassen, die von den Corticosteroidexterna über die dermatologischen Antimykotika, die Psoriasismittel sowie die Wundbehandlungsmittel bis hin zu den Hautschutz- und Pflegemitteln reichen (. Abb. 23.1). Die Verordnungsmenge der Dermatika blieb 2019 im Vergleich zum Vorjahr überwiegend stabil. Verordnungsstärkste Gruppe sind nach wie vor die Corticosteroide (. Abb. 23.1). Die übrigen Stoffgruppen weisen eine deutlich geringere Verordnungshäufigkeit auf. Antimykotika mit Indikationen, die über die Behandlung von Erkrankungen der Haut und der Hautanhangsorgane hinausgehen, finden sich in 7 Kap. 10 (Antibiotika und Chemotherapeutika). Bei den Psoriasismitteln und der Therapie der Neurodermitis wird die Entwicklung durch einen starken Zuwachs der monoklonalen Antikörper geprägt. Die in der Gruppe der Wundbehandlungsmittel zusammengefassten Präparate werden nachfolgend aus pharmakologisch-praktischen Gründen teils in dem eigenständigen Abschnitt Wundbehandlungsmittel (. Tab. 23.16), teils unter antiseptikahaltigen Dermatika (. Tab. 23.8) besprochen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_23
Kapitel 23 Dermatika
488
400 2018 350
2019
337 343
300
250 (Mio. DDD)
23
200
150
100
87 87 68 73 48 47
39 40
50
34 33
22 24 0
Corticosteroide
Dermato- Antibiotika und logische Antimykotika Antiseptika
Antipruriginosa
27 30
Aknemittel Warzenmittel Aktinische Keratosemittel
21 23 Psoriasismittel
Rosazeamittel
35 33
Wundbehandlungsmittel
. Abb. 23.1 Verordnungen von Dermatika und Wundbehandlungsmitteln 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
23.2
Corticosteroidexterna
Glucocorticoide werden in der Dermatologie wegen ihrer antiphlogistischen und antiproliferativen Wirkung bei zahlreichen Hauterkrankungen, z. B. atopischer Dermatitis und anderen nicht infizierten Ekzemen, bei Psoriasis, entzündlichen Lichtdermatosen oder bei juckenden Hauterkrankungen, eingesetzt und nehmen daher in der externen Therapie eine zentrale Stellung ein. Corticosteroide können keine Krankheiten heilen, sie unterdrücken lediglich die krankheitsbedingten Symptome. Eine zu lange Anwendung oder die Wahl der falschen Wirkstärke rufen unerwünschte, z. T. irreversible Wirkungen oder einen Krankheitswechsel hervor. In der Fachliteratur wird daher sowohl in Bezug auf die Indikation als auch im Hinblick auf das einzusetzende Steroid ein kritischer Umgang mit Glucocorticoiden gefordert (Rathi und D’Souza 2012; Saraswat 2014). Corticosteroide werden nach ihren erwünschten entzündungshemmenden und unerwünschten atrophisierenden Wirkungen in vier Klassen eingeteilt (Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015). Sie reichen
von schwach wirksamen Steroiden (Klasse I) wie Hydrocortison (. Tab. 23.1) mit entsprechend geringem Risiko unerwünschter Wirkungen bis zu den fluorierten Corticosteroiden mit sehr starker Wirksamkeit (Klasse IV) wie Clobetasol (. Tab. 23.3), die dann aber bei längerer Anwendung auch das Risiko erheblicher unerwünschter Wirkungen in sich bergen – bei Clobetasol sogar schon nach wenigen Tagen. Da vergleichende Untersuchungen zur Wirksamkeit topischer Corticosteroide fehlen und konzentrationsabhängige Verschiebungen von einer Gruppe in die andere möglich sind, sollte eine solche Einteilung allerdings nur als grobe Richtlinie angesehen werden. Auch von der verwendeten Grundlage (Galenik) sowie der Form der Anwendung ist die Wirkintensität der Lokalcorticosteroide abhängig. Darüber hinaus können Hautbeschaffenheit und Lokalisation einer Dermatose die Kinetik der Glucocorticoide beeinflussen und damit Ursache potenzieller lokaler und systemischer Nebenwirkungen sein. Um das Risiko unerwünschter Wirkungen möglichst gering zu halten, werden stark bis sehr stark wirksame Glucocorticoide in der Regel nur kurzfristig und kleinflächig angewen-
23
489 23.2 Corticosteroidexterna
. Tabelle 23.1 Verordnungen schwach wirksamer Corticosteroide 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Hydrocortison Hydrogalen
Hydrocortison
3,2
(15,4)
0,55
Hydrocutan
Hydrocortison
1,8
(C39,7)
0,47
Hydrocort-1 A Pharma
Hydrocortison
0,77
(Neu)
0,56
Linolacort Hydro/Linola akut
Hydrocortison
0,60
(C5,9)
0,45
Hydro/-cortison Heumann
Hydrocortison
0,32
(13,7)
0,61
Fenihydrocort
Hydrocortison
0,25
(31,4)
0,38
7,0
(C8,7)
0,52
Prednisolon Linola H N/-H fett N
Prednisolon
4,5
(3,1)
0,39
Prednisolon LAW
Prednisolon
0,62
(58,1)
0,33
Lygal Kopftinktur N
Prednisolon
0,21
(20,6)
1,20
5,3
(16,6)
0,41
0,98
(5,1)
0,36
(4,0)
0,47
Dexamethason Dexamethason LAW
Dexamethason
Summe
det. Schwach wirksame Corticosteroide eignen sich dagegen auch für eine längerfristige und großflächige Anwendung bzw. für eine Applikation bei Kindern. Die Lokaltherapie sollte zunächst mit dem am stärksten wirksamen Präparat begonnen werden, das die Dermatose unter Berücksichtigung der Lokalisation und Ausprägung zulässt. Die Weiterbehandlung erfolgt im Anschluss mit dem gerade noch effektiven Glucocorticoid. Schließlich wird die Therapie im Wechsel mit einer steroidfreien Basissalbe/creme fortgeführt (Intervalltherapie), bis eine ausschließlich pflegende Nachbehandlung möglich ist (Hengge et al. 2006; Ference und Last 2009; Rathi und D’Souza 2012). Eine andere Strategie zur Risikominderung bei länger erforderlichem Einsatz von Lokalcorticosteroiden, z. B. bei Patienten mit atopischer
13,2
Dermatitis, ist die diskontinuierliche Applikation nach erfolgreicher Behandlung eines akuten Schubs. So wurde in Untersuchungen mit Fluticason bzw. Methylprednisolonaceponat gezeigt, dass eine 2-mal wöchentliche Anwendung der Corticosteroide ausreicht, die Rezidivhäufigkeit im Vergleich mit einer ausschließlichen Emollentientherapie deutlich zu senken (Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015).
23.2.1
Monopräparate
Corticosteroidhaltige Lokaltherapeutika werden fast nur als Monopräparate verschrieben (. Tab. 23.1, 23.2, 23.3). Gegenüber
490
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.2 Verordnungen mittelstark wirksamer Corticosteroide 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Triamcinolonacetonid Triamgalen
Triamcinolonacetonid
Volon A/Volonimat/-N
Triamcinolonacetonid
Triamcinolon AbZ Kortikoid-ratiopharm
10,5
(9,5)
0,62
0,42
(C16,4)
0,71
Triamcinolonacetonid
0,37
(10,6)
0,84
Triamcinolonacetonid
0,34
(C4,5)
0,84
11,6
(8,5)
0,63
Hydrocortisonbutyrat Alfason
Hydrocortisonbutyrat
6,6
(3,5)
0,56
Laticort
Hydrocortisonbutyrat
1,8
(C18,1)
0,41
Neuroderm akut
Hydrocortisonbuteprat
0,87
(C1,0)
1,69
9,3
(C0,5)
0,64
Prednicarbat Prednitop
Prednicarbat
31,8
(C8,0)
0,36
Dermatop
Prednicarbat
13,9
(25,0)
0,33
Prednicarbat acis
Prednicarbat
12,2
(C37,5)
0,36
57,8
(C1,8)
0,35
58,4
(C8,7)
0,36
2,2
(C5,9)
0,70
60,6
(C8,6)
0,37
139,4
(C3,6)
0,40
Andere Corticosteroide Advantan
Methylprednisolonaceponat
Decoderm
Flupredniden
Summe
dem Vorjahr wurden mittelstark bis sehr stark wirksame Corticosteroide geringfügig häufiger, schwach wirksame Corticosteroide dagegen erneut etwas seltener verordnet. Hydrocortisonpräparate sind in Zubereitungen von 0,25–0,5 % in kleinen Packungsgrößen häufig nicht-verschreibungspflichtig und seit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungs-Gesetzes (GMG) am 1. Januar 2004 weitgehend von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Verordnungen für Kinder bis zum
vollendeten 12. Lebensjahr sowie für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sind von dieser Regelung ausgenommen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020). Uneingeschränkt verschreibungspflichtig und erstattungsfähig sind lediglich alle Zubereitungsformen von Linolacort Hydro. Unter den mittelstark wirksamen Corticosteroiden (Klasse II) (. Tab. 23.2) werden die nichthalogenierten Doppelester Prednicarbat
23
491 23.2 Corticosteroidexterna
. Tabelle 23.3 Verordnungen stark und sehr stark wirksamer Corticosteroide 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Betamethason Betagalen
Betamethasonvalerat
32,3
(C14,2)
0,53
Soderm
Betamethasonvalerat
12,1
(14,4)
0,56
Diprosis
Betamethasondipropionat
0,64
(28,0)
0,47
Diprosone Creme etc.
Betamethasondipropionat
0,58
(13,3)
0,52
45,6
(C3,8)
0,54
Mometason Momegalen
Mometason
48,2
(2,9)
0,32
Mometason/-furoat Glenmark
Mometason
7,5
(0,9)
0,37
Momecutan
Mometason
5,9
(C190,8)
0,35
Ecural
Mometason
4,4
(C7,7)
0,40
Monovo
Mometason
3,3
(C13,2)
0,33
69,4
(C4,6)
0,34
Andere stark wirksame Corticosteroide Jellin
Fluocinolonacetonid
1,6
(2,9)
0,46
Amciderm
Amcinonid
1,1
(21,7)
0,48
Topisolon
Desoximetason
0,95
(8,0)
0,45
Nerisona
Diflucortolon
0,61
(C0,9)
0,50
4,3
(9,2)
0,47
Sehr stark wirksame Corticosteroide Karison
Clobetasol
10,5
(1,0)
0,40
Clobegalen
Clobetasol
8,8
(9,7)
0,38
Clobetasol acis
Clobetasol
5,6
(C82,3)
0,39
Dermoxin/Dermoxinale
Clobetasol
4,9
(5,6)
0,47
Clobex
Clobetasol
1,1
(C5,1)
1,83
30,9
(C4,3)
0,46
150,2
(C3,8)
0,43
Summe
492
23
Kapitel 23 Dermatika
und Methylprednisolonaceponat unter Sicherheitsaspekten als besonders günstig eingestuft (Luger et al. 2004). Sie werden in der Haut oder nach Resorption in der Leber rasch abgebaut, so dass atrophogene Wirkungen und Systemeffekte nur schwach ausgeprägt sind (Schäfer-Korting et al. 1996; Ruzicka 2006). Darüber hinaus sind sie besonders preisgünstig und machen wohl daher über 80 % der jährlich in diesem Marktsegment verordneten Tagestherapiedosen aus. Auch bei Hydrocortisonbutyrat überwiegen die erwünschten gegenüber den unerwünschten Wirkungen. Der Wirkstoff hat eine gute antiphlogistische Wirksamkeit und eine geringe Atrophogenität, weist aber im Vergleich zu Prednicarbat oder Methylprednisolonaceponat ein etwas höheres allergenes Potential und eine etwas geringere Wirksamkeit auf (Luger et al. 2004). Unter den stark wirksamen Corticosteroiden (Klasse III) (. Tab. 23.3) wird der preis-
günstige halogenierte Glucocorticoidmonoester Mometasonfuroat am häufigsten eingesetzt, 2019 erneut mit leichtem Verordnungsanstieg. Ähnlich den oben erwähnten Doppelestern hat auch Mometasonfuroat ein besonders günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis (Luger et al. 2004), da es systemisch rasch inaktiviert wird (Schäfer-Korting et al. 1996). Als Corticosteroid mit sehr starker Wirksamkeit (Klasse IV) (. Tab. 23.3) kommen seit einigen Jahren allein Clobetasol-haltigen Lokaltherapeutika zum Einsatz – 2019 sogar mit leichtem Verordnungsanstieg.
23.2.2
Corticosteroidkombinationen
Der Einsatz von Glucocorticoidkombinationen, insbesondere von antibiotika- und
. Tabelle 23.4 Verordnungen corticosteroidhaltiger Dermatikakombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Corticosteroide und Salicylsäure Betadermic
Betamethason Salicylsäure
5,2
(C50,9)
0,53
Soderm plus
Betamethason Salicylsäure
4,3
(22,4)
0,66
Diprosalic
Betamethason Salicylsäure
1,5
(C10,1)
0,93
Volon A Tinktur N
Triamcinolonacetonid Salicylsäure
0,56
(C0,3)
1,14
Alpicort
Prednisolon Salicylsäure
0,46
(C7,6)
1,03
(C6,0)
0,68
(6,8)
1,06
(C5,4)
0,69
12,1 Andere Corticosteroidkombinationen Hydrodexan Summe
Hydrocortison Harnstoff
0,50 12,6
493 23.3 Antimykotika
antiseptikahaltigen (. Tab. 23.7 und 23.8) sowie antimykotikahaltigen Kombinationen (. Tab. 23.6), wird kontrovers diskutiert. Lediglich Kombinationen von Glucocorticoiden mit Salicylsäure oder Harnstoff (. Tab. 23.4) werden bei keratotischen Hauterkrankungen, einschließlich der Psoriasis vulgaris, vorbehaltlos positiv bewertet. Bei diesen Kombinationen wird die Penetration und damit die Wirkung des Corticosteroids erhöht (Jacobi et al. 2015; Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015), so dass prinzipiell auf schwächer wirksame Corticosteroide zurückgegriffen und damit der Einsatz stark wirksamer, nebenwirkungsreicherer Corticosteroide umgangen werden kann. 23.3
Antimykotika
Antimykotika werden in der Dermatologie hauptsächlich als Lokaltherapeutika eingesetzt. Während alle oralen Antimykotika der Verschreibungspflicht unterliegen, sind zahlreiche Lokalantimykotika rezeptfrei und damit seit Inkrafttreten des GKV-ModernisierungsGesetzes (GMG) am 1. Januar 2004 weitgehend von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen (Ausnahmen siehe Gemeinsamer Bundesausschuss 2020, ArzneimittelRichtlinie, Abschnitt F, § 12). Nach dem darauf folgenden drastischen Verordnungsrückgang bei den Antimykotika stagnieren die Verordnungen – allenfalls mit leichten jährlichen Zu- oder Abnahmen – auf insgesamt niedrigem Niveau (. Abb. 23.1).
23.3.1
Therapeutische Aspekte
Pilzinfektionen werden klinisch-diagnostisch und therapeutisch nach ihrer Lokalisation und der Art der Erreger unterschieden. Am häufigsten sind oberflächliche Mykosen der Haut und Hautanhangsorgane sowie der Schleimhäute. Organmykosen sind in unseren Breiten deutlich seltener, haben aber bei Patienten mit
23
erworbener Immunschwäche (AIDS) erhebliche Bedeutung (Ramos-e-Silva et al. 2012) und sind auch im Rahmen einer immunsuppressiven Therapie zu beachten. Dermatomykosen werden durch Dermatophyten, Hefen und andere Sprosspilze sowie durch Schimmelpilze ausgelöst. Immunologische Faktoren wie eine herabgesetzte Immunabwehr, z. B. bei AIDS- oder Krebspatienten unter einer Chemotherapie, aber auch nicht-immunologische Faktoren wie ein Diabetes mellitus, nosokomiale Infektionen oder opportunistische Infektionen bei Brandwunden können begünstigend wirken (Singh et al. 2015). Auch eine Schädigung des Hautmilieus oder begleitend gegebene Arzneimittel wie Antibiotika, Glucocorticoide oder Immunsuppressiva können eine Pilzinfektion fördern. Glucocorticoide – häufig Kombinationspartner von Antimykotika – verschleiern das klinische Bild (Hengge et al. 2006; Rathi und D’Souza 2012). Zur Behandlung von Pilzinfektionen der Haut und Schleimhäute werden Antimykotika überwiegend als Lokaltherapeutika verordnet. Nystatin und Miconazol werden in oraler Darreichungsform auch bei orointestinalen Candidainfektionen angewandt (7 Kap. 10, Antibiotika und Chemotherapeutika). Die systemisch wirksamen, oralen Azolantimykotika Fluconazol und Itraconazol sowie das Allylamin Terbinafin werden auch bei großflächigen oder häufig rezidivierenden Pilzinfektionen der Haut und Hautanhangsgebilde wie der Onychomykose, bei vulvovaginalen Mykosen sowie bei immundefizienten Patienten mit opportunistischen Infektionen eingesetzt, wenn eine lokale Behandlung allein nicht ausreichend wirksam ist.
23.3.2
Lokale Antimykotika
Bei Pilzerkrankungen der Haut sind prinzipiell alle Lokalantimykotika (. Tab. 23.5) nach placebokontrollierten Studien wirksam (Rotta et al. 2012), wenn auch die individuellen
494
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.5 Verordnungen dermatologischer Antimykotika 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Clotrimazol Clotrimazol AL
Clotrimazol
0,68
(C35,8)
0,27
Clotrimazol-1 A Pharma
Clotrimazol
0,17
(16,6)
0,28
Imazol Paste
Clotrimazol
0,15
(6,0)
0,67
0,99
(C15,8)
0,33
Ciclopirox Ciclopirox-ratiopharm
Ciclopirox
2,4
(12,3)
0,83
Batrafen
Ciclopirox
1,9
(43,6)
0,44
Ciclopoli
Ciclopirox
1,3
(C146,4)
0,79
Ciclopirox HEXAL
Ciclopirox
0,79
(C21,2)
0,86
6,3
(12,1)
0,71
Nystatin Nystaderm
Nystatin
0,28
(2,0)
0,69
Candio-Hermal
Nystatin
0,24
(C1,4)
0,70
Nystaderm Mundgel
Nystatin
0,11
(C2,7)
1,13
0,64
(C0,0)
0,77
Miconazol Mykoderm Miconazolcreme
Miconazol
0,33
(32,3)
0,39
Miconazol KSK
Miconazol
0,24
(2,8)
0,32
Miconazol acis
Miconazol
0,20
(C24,2)
0,38
Micotar Creme etc.
Miconazol
0,17
(C2,2)
0,38
0,94
(11,5)
0,37
Terbinafin (oral) Terbinafin-PUREN
Terbinafin
4,6
(C22,4)
1,18
Terbinafin Heumann
Terbinafin
4,4
(35,5)
0,94
Terbigalen
Terbinafin
2,3
(C161,3)
0,93
Terbinafin-1 A Pharma
Terbinafin
1,1
(36,1)
1,19
Terbinafin Aurobindo
Terbinafin
1,1
(2,6)
0,96
23
495 23.3 Antimykotika
. Tabelle 23.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Dermatin
Terbinafin
0,47
(12,4)
1,20
Terbinafin beta
Terbinafin
0,43
(C148,9)
1,17
14,5
(4,3)
1,05
23,3
(6,0)
0,89
Summe
Anwendungsgebiete zum Teil erheblich voneinander abweichen und die möglicherweise unterschiedliche Verträglichkeit des jeweiligen Vehikels zu berücksichtigen ist. Die Azolantimykotika (Clotrimazol, Miconazol) haben ein breites Wirkungsspektrum, das nahezu alle menschen- und tierpathogenen Pilze umfasst. Ihr Wirkungstyp ist fungistatisch. Azolantimykotika können bei Infektionen durch Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze eingesetzt werden (Lipp 2019). Ein vergleichbares Wirkungsspektrum wie die Azolantimykotika weist auch Ciclopirox auf (Subissi et al. 2010). Auch das Allylaminderivat Terbinafin (7 Abschn. 23.3.3, Orale Antimykotika) besitzt in der topischen Anwendung ähnliche Wirkeigenschaften (Brodt 2013). Sein Wirkungstyp ist gegenüber Dermatophyten und Schimmelpilzen fungizid, gegen Candida albicans fungistatisch. Nystatin weist demgegenüber nur ein schmales Wirkungsspektrum auf und erfasst im wesentlichen Candidaarten. Entsprechend ist Nystatin nur bei Candidamykosen indiziert. Sein Wirkungstyp ist fungistatisch, in höherer Konzentration auch fungizid (Lipp 2019). Die topische Behandlung von Onychomykosen ist weniger effektiv als die orale Behandlung. Topische Antimykotika werden bei Onychomykosen daher vor allem in Kombination mit oralen Antimykotika bzw. zur Prophylaxe nach erfolgreicher Behandlung der Onychomykose empfohlen (Grover und Khurana 2012; Feng et al. 2017). Ciclopirox weist als Nagellack mykologische Heilungsraten von etwa 53 % auf (Gupta und Joseph 2000).
23.3.3
Orale Antimykotika
Das Allylamin Terbinafin wird primär oral angewendet (. Tab. 23.5). Allylamine haben ein ähnlich breites Wirkungsspektrum wie die Azolantimykotika (7 Abschn. 23.3.2. Lokale Antimykotika). Verglichen mit den Azolantimykotika ergeben sich leichte Vorteile bei Infektionen mit Dermatophyten und Schimmelpilzen (Crawford und Hollis 2007; El-Gohary et al. 2014). Hefen sind weniger empfindlich, daher ist Terbinafin bei Candidosen oral nicht wirksam und in dieser Darreichungsform nur zugelassen zur Behandlung von Dermatophyteninfektionen der Füße und des Körpers sowie der Finger- und Zehennägel (Darkes et al. 2003). In topischer Darreichungsform kann Terbinafin dagegen auch bei Candidosen und Pityriasis versicolor eingesetzt werden. Bei Dermatophyteninfektionen der Haut und der Füße ist Terbinafin Griseofulvin überlegen und anderen Antimykotika wie Ketoconazol, Fluconazol oder Itraconazol mindestens klinisch äquivalent (Bell-Syer et al. 2012). Eine systemische Behandlung von Onychomykosen ist erforderlich bei Pilzbefall der Nagelmatrix sowie einem Nagelbefall > 50 % (Iorizzo et al. 2010). Die Behandlung ist langwierig (Fingernägel 4–6 Monate, Fußnägel 12–18 Monate), aber die Raten vollständiger Heilung sind mit 30–50 % auch nach Behandlung mit modernen Antimykotika noch enttäuschend gering (Kreijkamp-Kaspers et al. 2017). Nach dem Cochrane-Review können mit Terbinafin bei systemischer Gabe bessere
496
23
Kapitel 23 Dermatika
Heilungsraten von Onychomykosen des Fußnagels erwartet werden als mit Azolantimykotika, ohne dass damit vermehrt unerwünschte Wirkungen verbunden sind. In der Rate rekurrierender Nagelpilzerkrankungen scheinen sich die beiden Behandlungen allerdings nicht zu unterscheiden (Kreijkamp-Kaspers et al. 2017). Bei mäßigen und schweren Onychomykosen aufgrund von Dermatophyten gilt Terbinafin als Mittel der Wahl, Itraconazol als Alternative, wenn Terbinafin nicht eingesetzt werden kann oder nicht ausreichend wirksam ist. Aufgrund des unzureichenden Wirkspektrums von oralem Terbinafin müssen auch bei Nagelinfektionen durch Hefen und Schimmelpilze Azolantimykotika wie Itraconazol eingesetzt werden (Darkes et al. 2003). Zu beachten sind als seltene unerwünschte Arzneimittelwirkungen von systemischem Terbinafin das Erythema exsudativum multiforme, Stevens-Johnson-Syndrom und toxische epidermale Nekrolyse bzw. Lyell-Syndrom, Hepatitis und Leberschäden. Besonders störend sind lang anhaltende, wenngleich reversible Geschmacksveränderungen bis hin zu vollständigem Geschmacksverlust sowie ebenfalls reversible Störungen des Farbsinns, was bei unbekannter pathophysiologischer Ursache auf neurotoxische Schädigungen hinweist (Darkes et al. 2003; Singal und Khanna 2011). Auch auf psychiatrische Störungen mit Depressionen, Angststörungen, Panikreaktion, Unruhezustände und Suizidversuch wurde hingewiesen (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2006).
23.3.4
Antimykotikakombinationen
Corticosteroidhaltige Antimykotikakombinationen werden wie in den Vorjahren mehr als doppelt so häufig wie die reinen Lokaltherapeutika verordnet (. Tab. 23.6), obwohl sie in Leitlinien zur Behandlung von Pilzerkrankungen der Haut gar nicht erwähnt oder kontrovers diskutiert werden (Czaika und Zuberbier 2015). Die rasch einsetzende Wirkung der Corticosteroidkomponente kann zwar den initialen Behandlungserfolg, vor allem bei Infektionen mit Dermatophyten, durchaus begünstigen, sie darf jedoch nicht zu einer unerwünschten Langzeittherapie verführen (Erbagci 2004). Allenfalls ein kurzfristiger Einsatz (maximal 1–2 Wochen), gefolgt von einer alleinigen antimykotischen Monotherapie wird akzeptiert. Corticosteroidhaltige Antimykotikakombinationen erleichtern zwar die ärztliche Verordnung und erhöhen auch die Compliance des Patienten, können aber – vor allem bei Kombinationen mit höher potenten Corticosteroiden (Klasse III wie Betamethason oder Diflucortolon) – insbesondere bei nicht sachgemäßer Anwendung zu lokalen und systemischen Nebenwirkungen führen (Schaller et al. 2016). Dies gilt vor allem für die Anwendung derartiger Fixkombinationen bei Kindern (Wheat et al. 2017). Dem gegenüber werden zinkoxidhaltige Kombinationen (. Tab. 23.6) aus fachtherapeutischer Sicht bei Candidainfektionen der Haut und im Ano-Genitalbereich (z. B. bei Windeldermatitis) als sinnvoll angesehen (Ring und Fröhlich 1985). Zinkoxid kann durch seinen abdeckenden und trocknenden Effekt die Abheilung begünstigen.
23
497 23.3 Antimykotika
. Tabelle 23.6 Verordnungen dermatologischer Antimykotika 2019 (Kombinationen). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Corticosteroidhaltige Kombinationen Decoderm tri
Miconazol Flupredniden
20,7
(C4,5)
1,45
Lotricomb
Clotrimazol Betamethason
14,2
(C1,2)
0,78
Vobaderm
Miconazol Flupredniden
5,5
(C13,3)
1,53
Nystalocal
Nystatin Chlorhexidin Dexamethason
4,9
(C10,9)
1,98
Baycuten HC
Clotrimazol Hydrocortison
3,4
(2,5)
1,07
Epipevisone
Econazol Triamcinolonacetonid
2,5
(1,9)
1,06
Nystaderm comp
Nystatin Hydrocortison
1,4
(0,9)
1,03
Candio-Hermal Plus
Nystatin Flupredniden
0,92
(4,6)
1,25
Travocort
Isoconazol Diflucortolon
0,73
(C2,5)
1,21
Imazol comp
Clotrimazol Hexamidindiisethionat Prednisolon
0,19
(2,3)
1,49
54,4
(C3,8)
1,27
Zinkoxidhaltige Kombinationen Multilind Heilpaste
Nystatin Zinkoxid
2,8
(12,4)
0,59
Infectosoor Zinksalbe
Miconazol Zinkoxid
1,1
(1,3)
2,40
Mykoderm Heilsalbe
Nystatin Zinkoxid
0,98
(8,1)
0,51
Antifungol HEXAL Heilpaste
Clotrimazol Zinkoxid
0,49
(9,7)
0,39
Mykundex Heilsalbe
Nystatin Zinkoxid
0,41
(6,8)
0,62
5,8
(9,0)
0,92
60,2
(C2,4)
1,24
Summe
498
23.4
23
Kapitel 23 Dermatika
Antibiotika und Antiseptika
Die Verordnungen antibiotischer und antiseptischer Lokaltherapeutika haben sich seit Jahren auf niedrigem Niveau stabilisiert (. Abb. 23.1), allerdings werden vor allem Corticosteroidkombinationen therapeutisch eingesetzt (. Tab. 23.7, 23.8).
23.4.1
Antibiotika
Der Einsatz topischer Antibiotika (. Tab. 23.7) wird zurückhaltend bewertet. Für ihre therapeutische Wirksamkeit liegen bis auf die Behandlung einer Impetigo oder
für eine nasale Entkolonialisierung von Staphylococcus aureus nur begrenzt klinische Daten vor. Dies gilt auch für ihren Einsatz zur Vorbeugung oder Behandlung chronischer Wundinfektionen (Williamson et al. 2017). Zudem werden Resistenzentwicklungen und Sensibilisierungen aufgrund ihres breiten Einsatzes gefürchtet (Drucker 2012; Francis et al. 2017). Grundsätzlich sollten daher nach Möglichkeit nur solche Antibiotika lokal eingesetzt werden, die keine systemische Anwendung finden (Koning et al. 2012). Damit scheiden in der Regel Antibiotika wie Chloramphenicol, Fusidinsäure, Gentamicin und Tetracycline für einen topischen Einsatz aus. Fusidinsäure steht in Deutschland jedoch ausschließlich in topischer Darreichungsform zur Verfügung und gilt als eines der wirksams-
. Tabelle 23.7 Verordnungen von antibiotikahaltigen Dermatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Fusidinsäure Fucidine
Fusidinsäure
3,8
(2,6)
1,95
Fusicutan
Fusidinsäure
3,0
(C29,3)
2,50
Fusidinsäure-ratiopharm
Fusidinsäure
0,50
(39,4)
2,28
7,3
(C3,6)
2,20
Aminoglykoside Refobacin
Gentamicin
1,2
(1,1)
1,62
Infectogenta
Gentamicin
1,2
(2,3)
1,35
Leukase N Puder/Salbe
Framycetin
0,20
(2,2)
2,04
2,5
(1,7)
1,53
Andere Antibiotika Infectopyoderm
Mupirocin
1,2
(C2,0)
2,63
Turixin
Mupirocin
0,84
(C2,9)
1,71
Unguentum oxytetracyclini
Oxytetracyclin
0,38
(C8,8)
0,72
Tyrosur
Tyrothricin
0,16
(0,6)
1,66
2,5
(C3,1)
1,98
23
499 23.4 Antibiotika und Antiseptika
. Tabelle 23.7 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Corticosteroidkombinationen Diprogenta
Betamethason Gentamicin
8,0
(C3,6)
1,06
Fusicutan plus Betamethason
Betamethason Fusidinsäure
3,2
(C59,9)
2,60
Jellin-Neomycin
Fluocinolonacetonid Neomycin
1,5
(2,2)
1,42
Decoderm comp
Flupredniden Gentamicin
1,5
(C5,0)
1,22
Sulmycin mit Celestan-V
Betamethason Gentamicin
1,4
(1,7)
2,21
Fucicort
Betamethason Fusidinsäure
0,94
(53,3)
3,24
Fusidinsäure/Betamethason Mylan
Betamethason Fusidinsäure
0,28
(C154,7)
1,85
Fucidine-H
Hydrocortisonacetat Fusidinsäure
0,22
(C6,6)
2,39
17,0
(C3,6)
1,64
29,3
(C3,1)
1,80
Summe
ten Antibiotika bei durch Staphylococcus aureus hervorgerufenen Hautinfektionen wie Impetigo, Follikulitis oder Furunkulose (Schöfer und Simonsen 2010). Bei begrenzter, unkomplizierter Impetigo ist die Lokalbehandlung mit Fusidinsäure einer systemischen Antibiotikatherapie ebenbürtig bzw. sogar überlegen (Koning et al. 2012). Primär resistente Staphylokokkenstämme sind selten. Eine rasche Resistenzentwicklung unter der Therapie ist jedoch möglich (Heng et al. 2013). Resistenzraten bis zu 68 % sind beschrieben (Dobie und Gray 2004). Eine Kreuzresistenz mit anderen Antibiotika besteht nicht, da der Wirkstoff keine strukturelle Ähnlichkeit zu anderen Antibiotikaklassen zeigt (Brodt 2013). In neuerer Zeit wird nun aufgrund der gegenüber Fusidinsäure zunehmenden Resistenz von Staphylococcus aureus zu einer restriktiven Verord-
nungsweise geraten (Alsterholm et al. 2010; Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015). Prinzipiell sollte Fusidinsäure nur kurzfristig, d. h. nicht länger als 2 Wochen, angewandt werden (Schöfer und Simonsen 2010). Das Aminoglykosid Gentamicin besitzt bei zunehmender Resistenzhäufigkeit, insbesondere gegenüber Enterobacter, Proteus und Enterokokken, eine gute Wirksamkeit u. a. auf Pseudomonas aeruginosa und Methicillinempfindliche Staphylokokken und ist in parenteraler Darreichungsform (in Kombination mit einem weiteren Antibiotikum, z. B. Acylaminopenicillin oder Cephalosporin) bei schweren Infektionen (Sepsis, Endokarditis, Peritonitis u. a.) indiziert (Brodt 2013). Als Lokaltherapeutikum ist Gentamicin – außer in der Augenheilkunde (7 Kap. 35, Ophthalmika) – zur Behandlung von Ulcera cruris, Dekubitus und
500
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.8 Verordnungen von antiseptikahaltigen Dermatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Povidon-Iod Betaisodona Salbe etc.
Povidon-Iod
1,0
(15,5)
0,65
PVP Jod AL
Povidon-Iod
0,50
(C40,9)
0,47
Polysept Lösung/Salbe
Povidon-Iod
0,26
(C11,0)
0,45
Braunovidon
Povidon-Iod
0,19
(12,1)
0,57
2,0
(2,2)
0,57
Andere Antiseptika Octenisept
Octenidin Phenoxyethanol
3,2
(0,5)
0,73
Furacin Sol
Nitrofural
0,87
(1,4)
0,98
Rivanol
Ethacridinlactat
0,67
(7,2)
0,76
Serasept
Polihexanid
0,19
(C27,4)
1,68
5,0
(0,8)
0,81
Corticosteroidkombinationen Infectocortisept
Halometason Triclosan
2,1
(C9,5)
1,07
Duogalen
Flumetason Triclosan
0,99
(C0,3)
1,39
Locacorten-Vioform
Flumetason Clioquinol
0,70
(0,8)
1,67
Leioderm P
Prednisolon Chinolinolsulfat
0,22
(43,5)
1,31
4,0
(C0,2)
1,27
10,9
(0,7)
0,93
Summe
kurzfristig bei oberflächlichen, kleinflächigen Hautinfektionen zugelassen. Im Vordergrund der Therapie chronischer Wunden steht allerdings die Behandlung der Grundkrankheit, z. B. beim Ulcus cruris die möglichst weitgehende Beseitigung der chronisch venösen Mikro- und Makrozirkulationsstörung durch Kompressionsverbände (O’Meara et al. 2012). Dekubitalulzera werden primär konservativ, z. B. unter Verwendung von Wundauflagen be-
handelt (. Tab. 23.16, Wundbehandlungsmittel). Eine ungezielte Anwendung Gentamicinhaltiger Lokaltherapeutika kann die Entstehung resistenter Pseudomonasstämme auf der Haut nach sich ziehen, die schließlich Anlass zu schwer therapierbaren Infektionen innerer Organe oder sogar zu einer Pseudomonassepsis geben könnten (Gloor 1982). Framycetin (Neomycin B) ist obsolet. Keuzresistenzen mit dem oral eingesetzten Re-
501 23.4 Antibiotika und Antiseptika
serveantibiotikum Gentamicin sind beschrieben. Bei großflächiger und dauerhafter Anwendung sind nephro- oder ototoxische Eigenschaften, insbesondere bei Risikopatienten, nicht auszuschließen. Zudem besteht die Gefahr von Kontaktdermatitiden (Brodt 2013). Neomycin-haltige Kombinationen wie JellinNeomycin sind bei jahrelangem, unkontrolliertem Einsatz, insbesondere bei Patienten mit Unterschenkelekzemen, durch häufig auftretende Kontaktsensibilisierungen belastet (Thaçi und Schöfer 2005; Menezes de Padua et al. 2008). Die Verordnung von Jellin-Neomycin ist seit Jahren rückläufig. Mupirocin ist als Infectopyoderm zur Behandlung bakterieller Hautinfektionen mit empfindlichen Erregern wie Staphylococcus aureus (einschl. methicillinresistenter Stämme), das wirkstoffidentische Turixin zur Elimination von Staphylokokken aus der Nasenschleimhaut zugelassen. In der Behandlung der unkomplizierten Impetigo ist Mupirocin einer oralen Therapie mit Erythromycin überlegen (Koning et al. 2012). Bei intranasaler Anwendung verhindert Mupirocin im intensivmedizinischen Bereich das Auftreten Methicillinresistenter Staphylococcus-aureus-Infektionen (Muller et al. 2005) und kann bei chronischer Exazerbation einer Rhinosinusitis den Einsatz parenteraler Antibiotika ersetzen (Solares et al. 2006). Mupirocin gilt daher bei Staphylokokkeninfektionen der Nasenschleimhaut als Mittel der ersten Wahl (Schöfer und Simonsen 2010). Resistenzen gegen Staphylococcus aureus liegen bei Kindern mit Haut- und Weichteilinfektionen aber bereits bei 9,8 % (McNeil et al. 2014) und können für den Einsatz von Mupirocin im intensivmedizinischen Bereich zukünftig eine Gefahr darstellen (Hayden et al. 2016). Tyrothricin (Tyrosur) wird bei infizierten und infektionsgefährdeten Hautverletzungen oder Wunden sowie bei Verbrennungen etc. eingesetzt. Tyrothricin (Gemisch aus 70–80 % Tyrocidin und 20–30 % Gramicidin) ist ein Polypeptidantibiotikum mit guter Wirksamkeit auf grampositive Kokken und Stäbchen. Es besteht keine Kreuzresistenz mit anderen An-
23
tibiotika (Brodt 2013). Tyrosur ist nicht verschreibungspflichtig und damit bei Kindern und Jugendlichen über 12 Jahren sowie Erwachsenen primär von der Erstattungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen. Ähnlich kontrovers wie bei den Monopräparaten wird auch der Einsatz topischer antibiotika-/antiseptikahaltiger Kombinationen beurteilt. Zwar wird vereinzelt, z. B. bei superinfizierten Dermatosen, initial eine kurzzeitige kombinierte Anwendung von Glucocorticoiden mit einem Antibiotikum oder Antiseptikum (. Tab. 23.7, 23.8) befürwortet, in klinischen Studien wurde jedoch kein zusätzlicher therapeutischer Nutzen eines topischen Antibiotikums in Kombination mit einem topischen Glucocorticoid gezeigt (Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015; Francis et al. 2017).
23.4.2
Antiseptika
Zur Behandlung bakterieller (und mykotischer) Hautinfektionen werden – nicht zuletzt wegen der potenziell fehlenden bakteriellen Resistenz (Lachapelle 2014) – auch bereits jahrzehntelang bekannte Lokalantiseptika wie Ethacridinlactat, Octenidin, Nitrofural oder Povidon-Iod (. Tab. 23.8) eingesetzt. Zur Wunddesinfektion werden in erster Linie Octenidin, Polihexanid (. Tab. 23.16 Wundbehandlungsmittel) oder Povidon-Iod empfohlen, vor allem weil ihnen ein gravierend störender Einfluss auf den Wundheilungsprozess fehlt (Kujath und Michelsen 2008; Koburger et al. 2010; Willy et al. 2016). Polyhexanidhaltige Wundsprays sind überwiegend als Medizinprodukte im Handel und daher nicht erstattungsfähig. Zu beachten sind – insbesondere bei Povidon-Iod – Anwendungsbeschränkungen im Kindesalter sowie bei Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen (Eifler-Bollen und Fluhr 2005). Ethacridinlactat (Rivanol) führt häufig zu Kontaktallergien und wird wegen seines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses
502
23
Kapitel 23 Dermatika
nicht mehr empfohlen (Eifler-Bollen und Fluhr 2005). Octenidin (in Octenisept) hat bakterizide und fungizide Eigenschaften und wird zur adjuvanten Wundbehandlung sowie zur Unterstützung bei Interdigitalmykosen eingesetzt (Christiansen 1988; Lachapelle 2014). Das Antiseptikum zeigt im In-vitro-Vergleich zu anderen Antiseptika wie etwa Povidon-Iod das günstigste Verhältnis von mikrobizider zu zytotoxischer Wirkung (sog. Biokompatibilitäts-Index) (Müller und Kramer 2008). Unerwünschte Wirkungen sind gelegentliche Hautirritationen. Auch über Kontaktdermatitiden wurde berichtet (Calow et al. 2009). Bei unsachgemäßer Anwendung sind über Wochen und Monate anhaltende ödematöse Schwellungen und zum Teil nekrotische Gewebeschädigungen nach Spülungen von (Stich-)Verletzungen im Handbereich beschrieben (Franz und Vögelin 2012). Nitrofural (Furacin-Sol) ist als einziger Vertreter unter den aufgeführten Antiseptika verschreibungspflichtig und wird ebenfalls im Wesentlichen zur Lokalbehandlung infizierter Wunden und Ulzera sowie bei Verbrennungen eingesetzt. Es wirkt bei lokaler Anwendung bakterizid auf Staphylokokken, Streptokokken, Escherichia coli, Enterobacter, Klebsiella und Proteus, nicht dagegen auf Pseudomonas aeruginosa und Candida albicans. Allergische Reaktionen (Kontaktekzem) sind möglich. Die Anwendung während der Schwangerschaft sowie eine Dauertherapie sollten wegen onkogener Eigenschaften unterbleiben (Brodt 2013). Triclosan wird typischerweise in der Wund- und Händedesinfektion eingesetzt. In Kombination mit Glucocorticoiden (Duogalen, Infectocortisept) besitzt es eine Zulassung bei infizierten Formen von akuten ekzematischen Hauterkrankungen. Sein antiseptisches Wirkspektrum umfasst grampositive und gramnegative Bakterien sowie Viren. Gegenüber Pilzen ist es nicht ausreichend wirksam (Brodt 2013). Die 8-Hydroxychinolinderivate Chinolinolsulfat und Clioquinol besitzen bakteriostatische und fungistatische Eigenschaften (Pippi et al. 2017) und werden in Kombi-
nation mit Prednisolon (Leioderm P) bzw. Flumetason (Locacorten-Vioform) zur Initialbehandlung von akuten bis subakuten Dermatosen eingesetzt. Mit Ausnahme einer älteren Doppelblindstudie (Konopka et al. 1975), die eine deutliche klinische Besserung unter Locacorten-Vioform gegenüber Clioquinol bzw. Flumetason allein sieht, fehlen vor allem auch neuere Studien, die eine Überlegenheit der Fixkombinationen gegenüber den Einzelwirkstoffen ausreichend belegen.
23.5
Virostatika
Antivirale Dermatika wurden 2019 gegenüber dem Vorjahr etwas häufiger verordnet (. Tab. 23.9). Aciclovir-haltige Fertigarzneimittel werden bei Infektionen durch Herpes-simplex-Viren zur Linderung von Schmerzen und Juckreiz bei rezidivierendem Herpes labialis und Herpes genitalis eingesetzt. Herpes labialis ist eine selbstlimitierende Erkrankung, eine Behandlung ist daher bei vielen Patienten nicht erforderlich. Bei häufigeren Rezidiven kann die prophylaktische Applikation von Sonnenschutzoder zinkoxidhaltigen Cremes hilfreich sein. Topische Virostatika sind zum vorbeugenden Einsatz nicht geeignet (Chi et al. 2015) und haben nach Reaktivierung der Herpesviren selbst bei frühzeitiger Anwendung nur einen geringen klinischen Nutzen (Chen et al. 2017). Da sich zudem unter der Therapie mit topischen Virostatika wie Aciclovir Resistenzen entwickeln können, wird diese Anwendung in aktuellen Leitlinien nicht empfohlen (Patel et al. 2017). In einigen Ländern werden für diese Patienten vielmehr systemische Virostatika befürwortet (Cunningham et al. 2012; Rahimi et al. 2012). Wie in der Therapie des Herpes labialis ist auch bei Herpes genitalis die systemische Anwendung der topischen Applikation überlegen. Podophyllotoxin (Condylox) wird bereits seit den 1970er Jahren therapeutisch bei Infektionen mit humanen Papillomaviren (Condylo-
23
503 23.6 Antiphlogistika und Antipruriginosa
. Tabelle 23.9 Verordnungen von antiviralen Dermatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Aciclovir Aciclostad Creme
Aciclovir
1,5
(C20,6)
0,63
Aciclovir Creme/-akut 1 A Pharma
Aciclovir
0,41
(14,8)
0,72
Aciclovir-ratiopharm Creme
Aciclovir
0,37
(1,0)
0,65
Acic Creme
Aciclovir
0,22
(C25,2)
0,94
2,5
(C10,0)
0,68
Andere antivirale Mittel Condylox
Podophyllotoxin
0,93
(C6,8)
2,21
Veregen
Grüner Tee
0,46
(5,5)
3,06
1,4
(C2,4)
2,49
3,9
(C7,2)
1,32
Summe
mata acuminata, Feigwarzen) eingesetzt (von Krogh 1978). Das Glykosid aus den Rhizomen von Podophyllum-Arten wirkt über eine Bindung an Tubulin antimitotisch und weist Remissionsraten zwischen 62 % und 70 % auf (Thurgar et al. 2016), aber auch hohe Rezidivraten bis 90 % (Lopaschuk 2013). Grüner-Tee-Extrakt (Veregen) ist seit 2010 zur Behandlung äußerlicher Feigwarzen im Genital- und Perianalbereich immunkompetenter Erwachsener zugelassen. Der Wirkmechanismus des Extraktes ist ungeklärt. In den Zulassungsstudien lagen die Heilungsraten nach maximal 16 Behandlungswochen bei 3mal täglicher Anwendung unter Grünem-TeeExtrakt bei 51–57 % im Vergleich zu 34–37 % unter Vehikel, wobei Frauen eine höhere Erfolgsrate aufwiesen als Männer (Stockfleth et al. 2008; Tatti et al. 2008). Lokale Nebenwirkungen an der Applikationsstelle waren sehr häufig und stärker ausgeprägt als unter Scheinbehandlung (Tatti et al. 2008). Die Rezidivrate lag unter 10 %. Direkte Vergleichsuntersuchungen zu Podophyllotoxin oder Imi-
quimod (siehe 7 Abschn. 23.8.3) fehlen allerdings. 23.6
Antiphlogistika und Antipruriginosa
Die Verordnungen entzündungshemmender und juckreizstillender Dermatika zeigten 2019 gegenüber dem Vorjahr einen leichten Anstieg (. Tab. 23.10). In dieser Wirkstoffgruppe entfällt die Hälfte der Verordnungen auf rezeptfreie Präparate (Gerbstoffe, Polidocanolpräparate), die nur in Ausnahmefällen zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020).
23.6.1
Calcineurinantagonisten
Tacrolimus (Protopic) ist in topischer Darreichungsform als Zweitwahlmittel bei Erwachsenen und Jugendlichen (als 0,1 %ige
504
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.10 Verordnungen entzündungshemmender und juckreizstillender Dermatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
23
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Calcineurinantagonisten Elidel
Pimecrolimus
4,4
(C26,2)
2,70
Protopic
Tacrolimus
2,6
(24,2)
2,99
7,0
(C1,3)
2,81
Gerbstoff Tannosynt
Gerbstoffe
4,0
(C3,4)
0,20
Tannolact
Gerbstoffe
3,5
(C6,7)
0,51
7,5
(C4,9)
0,35
Andere Monopräparate Anaesthesulf Lotio
Polidocanol
2,4
(C7,6)
0,27
Tarmed
Steinkohlenteer
2,3
(C7,5)
0,14
4,7
(C7,5)
0,20
Alitretinoin
0,97
(C1,4)
17,57
Dupilumab
1,8
(C100,6)
56,76
Polidocanol Harnstoff
2,0
(C9,0)
0,28
24,0
(C8,4)
5,96
Orale Retinoide Toctino Monoklonale Antikörper Dupixent Kombinationspräparate Optiderm Summe
Salbe) sowie bei Kindern ab 2 Jahren (als 0,03 %ige Salbe) zur Behandlung des mittelschweren bis schweren atopischen Ekzems zugelassen, die auf topische Corticosteroide nicht ausreichend ansprechen oder diese nicht vertragen. Pimecrolimus (Elidel) ist dagegen bei Patienten ab 2 Jahren unter derselben Voraussetzung nur zur Behandlung des leichten bis mittelschweren Ekzems indiziert. Die Anwendung der Calcineurinantagonisten sollte zudem möglichst kurzfristig und bei Anwendung über längere Zeiträume
(bis zu 12 Monate) nur intermittierend erfolgen. Calcineurinantagonisten sind mindestens genauso wirksam wie die Standardtherapie mit topischen Glucocorticoiden, jedoch ohne deren Risiken der Langzeittherapie (Hautatrophie, Hypopigmentation). Außerdem können Tacrolimus und Pimecrolimus im Gegensatz zu den Corticosteroiden auch im Gesicht und Halsbereich, z. B. beim periorbitalen Ekzem, angewendet werden. Tacrolimus ist nach diversen Metaanalysen etwas potenter als Pimecro-
505 23.6 Antiphlogistika und Antipruriginosa
limus, was sich auch im unterschiedlichen Zulassungsstatus widerspiegelt (Wollenberg et al. 2018). Die Inzidenz unerwünschter Ereignisse unter Tacrolimus und Pimecrolimus ist etwa vergleichbar. Dennoch brechen unter Pimecrolimus mehr Patienten die Behandlung wegen Nebenwirkungen oder unzureichender Wirksamkeit ab. Am häufigsten sind ein anfangs auftretendes Hautbrennen am Applikationsort und Pruritus. Ein transient erhöhtes Infektionsrisiko für Virusinfektionen (z. B. Herpes simplex, Zoster, Eczema herpeticum) sollte vor allem bei pädiatrischen Patienten beachtet werden (Wollenberg et al. 2018). Anlass zu erhöhter Aufmerksamkeit geben auch Einzelfallberichte über Myopathie mit Verdacht auf eine Rhabdomyolyse bei einer Patientin nach 2-jähriger Behandlung mit Protopic 0,1 % (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2005) sowie über multiple aktinische Keratosen nach > 3-jähriger Anwendung von Protopic 0,03 % (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2011). Präklinische Studien weisen auf eine mögliche Photokarzinogenität hin (Williams 2002). Pimecrolimus und Tacrolimus dürfen daher nicht mit einer UV-Therapie kombiniert werden, und bei Anwendung im Gesicht ist ein Sonnenschutz unerlässlich. Mittel der Wahl bei akuten Schüben der atopischen Dermatitis bleiben die stadiengerecht verwendeten topischen Corticosteroide, nicht zuletzt auch wegen der 5–10fach geringeren Tagesbehandlungskosten (Weidinger und Novak 2016).
23.6.2
Gerbstoff
Gerbstoffpräparate (. Tab. 23.10) werden vor allem bei entzündlichen, nässenden und juckenden Hauterkrankungen wie Neurodermitis oder Windpocken in der Pädiatrie eingesetzt. Synthetischer Gerbstoff ist ein wasserlösliches Mischkondensationsprodukt aus Phenolund Kresolsulfonsäure, Harnstoff und Form-
23
aldehyd, das an der Haut in niedriger Konzentration entquellend und in höherer Konzentration durch Proteinfällung adstringierend, gerbend und Schorf bildend wirken. Darüber hinaus werden antimikrobielle, antientzündliche und juckreizstillende Effekte angenommen (Fölster-Holst und Latussek 2007). Nach einer Medline-Recherche stützt sich die Anwendung lediglich auf einen älteren Erfahrungsbericht (Post und Jänner 1971). In Leitlinien wird die Anwendung mangels kontrollierter Studien allenfalls in Einzelfällen als unterstützende Maßnahme erwogen, eine antientzündliche Behandlung können Gerbstoffe nicht ersetzen (Wollenberg et al. 2018).
23.6.3
Andere Antiphlogistika und Antipruriginosa
Auch andere lokal angewendete antientzündliche und juckreizstillende Dermatika werden in der Dermatologie eher negativ bewertet. Polidocanol (Anaesthesulf ) besitzt lokalanästhetische und juckreizstillende Eigenschaften, kann aber auch selbst sensibilisierend wirken. Optiderm enthält neben Polidocanol zusätzlich Harnstoff und wird vor allem bei Kindern mit Neurodermitis als Corticoid einsparendes Externum genutzt. Für die beiden polidocanolhaltigen Präparate liegen keine kontrollierten Studien vor (Wollenberg et al. 2018).
23.6.4
Steinkohlenteer
Tarmed, ein Shampoo mit Steinkohlenteer, ist für verschiedene Kopfhauterkrankungen wie Schuppenflechte, seborrhoische Dermatitis oder Pityriasis der Kopfhaut zugelassen. Wegen – insbesondere bei der Langzeitanwendung – möglichen mutagenen und karzinogenen Wirkeigenschaften ist Steinkohlenteer verschreibungspflichtig und darf nicht bei Kindern unter 12 Jahren angewendet werden. Die Beleglage ist verbesserungsbedürftig und be-
506
Kapitel 23 Dermatika
zieht sich bei der Behandlung der Neurodermitis auf einen methodisch unzureichenden Direktvergleich mit Hydrocortison (Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015).
23
23.6.5
Orale Retinoide
Alitretinoin (9-cis-Retinsäure) ist ein Isomer von Isotretinoin (. Tab. 23.11) und wie dieses ein physiologisch vorkommendes Retinoid, das an der Regulation der Zelldifferenzierung und -proliferation sowie der Apoptose beteiligt ist. Es wurde unter dem Handelsnamen Panretin Gel erstmals im Jahr 2000 zur Lokalbehandlung von Hautläsionen bei Patienten mit AIDS-bedingtem Kaposi-Sarkom zugelassen (Markteinführung in Deutschland 2005). Im Jahr 2008 erfolgte dann die Zulassung in oraler Darreichungsform (Toctino) zur Behandlung von Erwachsenen mit schwerem chronischem Handekzem, das auf potente topische Corticosteroide nicht ausreichend anspricht. Das chronische Handekzem ist die häufigste Form berufsbedingter Hauterkrankungen. Therapeutisch stehen in der akuten Phase feuchte Kompressen, in der chronischen Phase Hautschutzmaßnahmen mit Hydratation der Haut, Auftragen von Emollientien (. Tab. 23.17) und die Vermeidung von Triggerfaktoren sowie topische Corticosteroide im Vordergrund. Kurzfristig können orale Corticoide bei einem akuten Handekzem oder bei akuten Schüben eines chronischen Handekzems eingesetzt werden, eine andauernde orale Therapie mit diesen Mitteln wird allerdings nicht empfohlen. Alitretinoin ist derzeit die einzige systemische Therapie, die auch längerfristig eingesetzt werden kann (Diepgen et al. 2015). Nach einem Cochrane-Review steigt bei Retinoid-behandelten Patienten mit einem chronischen Handekzem gegenüber einer Placebotherapie der Anteil mit guter bis sehr guter Symptomverbesserung dosisabhängig um absolut ca. 11 % (10 mg Alitretinoin) auf ca. 26 % (30 mg Alitretinoin) (Christoffers et al. 2019). Der Wirkungsmechanismus beim chronischen
Handekzem ist nicht bekannt, jedoch werden Wirkungen auf die Immunmodulation, Entzündung, Angiogenese und Keratinisierung für möglich gehalten. Dosisabhängige Nebenwirkungen betreffen vor allem Kopfschmerzen, mukokutane Störungen, Hyperlipidämie und einen Abfall der Thyreotropin- und Thyroxinwerte. Wie andere Retinoide, z. B. Acitretin (7 Abschn. 23.9 Psoriasismittel), ist Alitretinoin teratogen und damit bei Schwangeren absolut kontraindiziert. Aufgrund der im Gegensatz zu Acitretin recht kurzen Halbwertzeit müssen Frauen im gebärfähigen Alter jedoch nur während sowie jeweils einen Monat vor Beginn und nach Beendigung der Behandlung mit Alitretinoin eine zuverlässige und kontinuierliche Kontrazeption einhalten.
23.6.6
Monoklonale Antikörper
Gegenüber dem Vorjahr wurde Dupilumab (Dupixent) zur Behandlung einer mittelschweren bis schweren Neurodermitis bei Erwachsenen, die für eine systemische Therapie in Betracht kommen, deutlich häufiger verordnet. Neben dieser Indikation kann der Wirkstoff seit September 2019 auch bei schwerem Asthma mit Typ 2-Inflammation und bei chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen eingesetzt werden. Dupilumab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der an die Alpha-Untereinheit des Interleukin (IL)4-Rezeptor bindet und dadurch die IL4- und IL13-Signalwege hemmt. Den beiden Zytokinen der Typ2-T-Helferzellen wird eine zentrale Rolle bei der Entstehung des atopischen Ekzemes zugestanden. Dupilumab besserte bei Patienten mit moderater bis schwerer Neurodermitis zusätzlich zu einer topischen Glucocorticoidbehandlung den Hautzustand und das Beschwerdebild deutlicher als die topische Glucocorticoidbehandlung alleine (Blauvelt et al. 2017a). Ende 2019 berichtet die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft über Einzelfälle von Aktivierung eines Morbus Crohn unter der Therapie mit Du-
23
507 23.6 Antiphlogistika und Antipruriginosa
. Tabelle 23.11 Verordnungen von Aknemitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Topische Antibiotika Aknemycin Lösung/Salbe
Erythromycin
2,0
(C19,2)
0,92
Zindaclin
Clindamycin
1,5
(C24,3)
0,68
Inderm
Erythromycin
0,80
(18,3)
0,66
Nadixa
Nadifloxacin
0,73
(1,3)
1,45
Aureomycin Riemser Salbe
Chlortetracyclin
0,24
(C0,5)
1,25
5,3
(C8,8)
0,90
Andere topische Aknemittel Skinoren
Azelainsäure
5,1
(C0,9)
1,13
Differin
Adapalen
2,2
(5,6)
0,53
Dipalen
Adapalen
1,3
(C13,0)
0,65
Cordes VAS
Tretinoin
0,35
(5,4)
0,63
9,0
(C0,5)
0,89
Topische Kombinationen Duac/-Akne
Clindamycin Benzoylperoxid
9,5
(11,7)
0,87
Epiduo
Adapalen Benzoylperoxid
8,6
(C12,2)
0,93
Acnatac
Clindamycin Tretinoin
4,4
(C3,1)
0,89
Aknemycin Plus
Erythromycin Tretinoin
1,0
(C9,5)
1,02
Zineryt
Erythromycin Zinkacetat
0,88
(52,1)
0,71
24,4
(4,2)
0,90
Orale Retinoide Isogalen
Isotretinoin
2,8
(22,2)
1,30
Aknenormin
Isotretinoin
2,4
(C12,1)
1,31
Isotretinoin BASICS
Isotretinoin
0,76
(> 1.000)
1,24
6,0
(C3,9)
1,29
44,7
(0,8)
0,95
Summe
508
23
Kapitel 23 Dermatika
pilumab (Arzneimittelkommission der deut- sind ferner neuere Hinweise auf neuropsychiatrische Störungen unter der Behandlung mit schen Ärzteschaft 2019a). oralen Retinoiden (siehe Orale Aknemittel), wenn auch nach derzeit vorliegenden Daten die 23.7 Aknemittel systemische Exposition als Folge topischer Behandlung vernachlässigbar und ein daraus reDie Verordnungen der Aknemittel blieben sultierendes Risiko psychiatrischer Erkrankun2019 gegenüber dem Vorjahr nahezu stabil gen unwahrscheinlich ist (Arzneimittelkom(. Abb. 23.1, . Tab. 23.11). Für die Behand- mission der deutschen Ärzteschaft 2019b). Azelainsäure ist eine natürlich vorkomlung der Akne ist ein therapeutischer Stumende C9 -Dicarbonsäure mit antibakteriellen fenplan nach Schweregrad, Vorherrschen verund entzündungshemmenden Eigenschaften, schiedener Effloreszenzen (Komedonen, Padie zu einer Normalisierung der gestörten folpeln, Pusteln, Knötchen, Knoten) und Verlauf likulären Keratinisierung führt. Kontrollierte festgelegt, der zunächst (Acne comedonica) klinische Studien zeigen eine anderen topieine topische Monotherapie mit einem Retinoschen Aknemitteln wie Benzoylperoxid, Treid, alternativ mit Azelainsäure, bei schwereren tinoin oder den Antibiotika Clindamycin und Aknefällen (Acne papulopustulosa) den komErythromycin äquivalente Wirksamkeit. Wie binierten Einsatz mehrerer Topika (Retinoide, Benzoylperoxid, ggf. Antibiotika) vorsieht. mit diesen sind erste klinische Besserungen Diese können zusätzlich zusammen mit oralen nach etwa vier Wochen zu erwarten. PatienAntibiotika oder bei Frauen auch mit systemi- ten mit papulopustulöser Akne und Komedoschen hormonellen Antiandrogenen eingesetzt nen-Akne sprechen am besten an. Aufgrund werden. Topische Retinoide (ggf. in Kombina- fehlender mutagener und teratogener Wirkuntion mit Benzoylperoxid) sind auch Mittel der gen besteht während der Schwangerschaft und Wahl im Rahmen der Rezidivprophylaxe. Bei Stillperiode kein besonderes Anwendungsrisischwerer Akne, die nicht auf systemische An- ko (Fluhr und Degitz 2010). Topische Antibiotika können bei leichter tibiotika und topische Therapie anspricht, sind bis mittelschwerer umschriebener Akne einauch orale Retinoide wie Isotretinoin indiziert gesetzt werden. Allerdings wird eine Mono(Zaenglein et al. 2016). therapie mit topischen Antibiotika mittlerweile abgelehnt. Ein therapeutischer Stellenwert wird ihnen lediglich in Kombination mit Ben23.7.1 Topische Aknemittel zoylperoxid, topischen Retinoiden wie Tretinoin oder Isotretinoin, bei RetinoidunverIn der lokalen Behandlung der Akne gelten Re- träglichkeit alternativ mit Azelainsäure zuertinoide wie Isotretinoin, Adapalen oder Treti- kannt. Dies steigert die Effektivität, verkürzt noin sowie als Kombinationspartner auch Ben- die Behandlungsdauer und verzögert bzw. verzoylperoxid als Mittel der Wahl (Zaenglein hindert die Resistenzentwicklung (Zaenglein et al. 2016; Nast et al. 2016). Nach Besseet al. 2016). Adapalen weist bei vergleichbarer Wirk- rung des Hautbefundes (Rückgang der Entzünsamkeit die beste Verträglichkeit unter den dung) sollte das Antibiotikum unter Fortsettopischen Retinoiden auf (Thielitz et al. 2010). zung der Retinoidtherapie abgesetzt werden. Wegen ihrer teratogenen Eigenschaften auch Ist eine Besserung innerhalb von 6–8 Wochen in topischer Darreichungsform dürfen Reti- nicht eingetreten, sollte die Therapie insgesamt noide jedoch nicht während der Schwanger- umgestellt werden. Als topische Antibiotika schaft (und Stillperiode) eingesetzt werden. kommen in erster Linie Clindamycin und EryDas größte teratogene Potenzial innerhalb die- thromycin zum Einsatz (. Tab. 23.11). Auch ser Stoffgruppe hat Tretinoin. Zu beachten Benzoylperoxid und – weniger ausgeprägt –
509 23.7 Aknemittel
Azelainsäure besitzen antibakterielle Eigenschaften gegenüber Propionibakterien (Worret und Fluhr 2006), weswegen Benzoylperoxid auch wegen der fehlenden bakteriellen Resistenzentwicklung alleine oder in Kombination mit einem Retinoid einer länger dauernden Therapie mit Antibiotika vorgezogen wird (Valente Duarte de Sousa 2014). Das zur lokalen Aknetherapie zugelassene Fluorchinolon Nadifloxacin gilt aufgrund der im Vergleich mit Erythromycin deutlich geringeren In-vitro-Aktivität gegen Propionibacterium acnes sowie der zu erwartenden weiteren Ausbreitung der Chinolonresistenz als bedenklich, zumal zur Behandlung der Akne zahlreiche bewährte und auch besser belegte Wirkstoffe zur Verfügung stehen (Lohde und Stahlmann 2004). Für topische Tetrazykline (Aureomycin) liegen nur wenige, ältere klinische Studien mit eingeschränkter Aussagekraft vor. Die zur Aknebehandlung eingesetzten topischen Antibiotikakombinationen (. Tab. 23.11) sind der jeweiligen Monotherapie hinsichtlich Wirksamkeit (schnellere Abheilung, höhere Heilungsraten) und Verträglichkeit häufig überlegen (Zaenglein et al. 2016). Die Kombination von Adapalen mit Benzoylperoxid (Epiduo) war bei Patienten mit milder bis mittelschwerer papulopustulöser Akne bei gleicher Verträglichkeit wirksamer als die jeweiligen Monotherapie (Thiboutot et al. 2007; Gollnick et al. 2009) und erhält für diese Indikation als einziges antibiotikafreies Kombinationsmittel den höchsten Empfehlungsgrad (Nast et al. 2016). Die amerikanische Food and Drug Administration (2014) warnt allerdings vor seltenen, aber schweren allergischen Reaktionen nach lokaler Applikation Benzoylperoxid-haltiger Aknemittel, die innerhalb von Minuten bis 24 h einsetzen. In fast der Hälfte der Fälle war eine Klinikeinweisung erforderlich. Die Fixkombination aus Clindamycin und Tretinoin (Acnatac) verbessert das Hautbild deutlicher als die jeweiligen Einzelkomponenten und Placebo (Dréno et al. 2014) und führt einer randomisierten Vergleichsstudie zufolge seltener zu Hautirritationen wie Juckreiz, Brennen
23
und Stechen als Epiduo. In Bezug auf Erythemfläche und Hauttrockenheit ergaben sich jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Fertigarzneimitteln (Goreshi et al. 2012). Zinkacetat (in Zineryt) wird zur Lokalbehandlung der Akne nicht empfohlen (Zaenglein et al. 2016; Nast et al. 2016). Nach einer einfach verblindeten Studie an 148 Aknepatienten war eine Kombination aus Erythromycin und Zinkacetat weniger und langsamer wirksam als eine Kombination aus Clindamycin und Benzoylperoxid (Duac Akne) (Langner et al. 2007).
23.7.2
Orale Aknemittel
Bei schwerer zystischer Akne (Acne conglobata) oder bei Akneformen, die auf eine Lokalbehandlung nicht ansprechen, sind nach Versagen einer kombinierten Gabe oraler Antibiotika mit topischen Aknemitteln (Retinoide, Benzoylperoxid) orale Retinoide wie Isotretinoin (. Tab. 23.11) Mittel der Wahl (Zaenglein et al. 2016; Nast et al. 2016). Zu beachten ist bei Retinoiden jedoch das nicht unerhebliche teratogene Potenzial, das eine Anwendung während der Schwangerschaft sowie bei gebärfähigen Frauen ohne strenge Kontrazeption ausschließt (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019b). Nach einem Cochrane-Review wird der Stellenwert von Isotretinoin in der Praxis aufgrund der vorliegenden randomisierten Studien zwar akzeptiert, es fehlen aber verlässliche Informationen zu seiner Verträglichkeit und dem Risiko schwerer unerwünschter Wirkungen (Costa et al. 2018). Ein deutlicher Anstieg der Kreatinkinase während der Behandlung mit oralen Isotretinoinpräparaten ist mit dem potenziellen Risiko einer Rhabdomyolyse in Zusammenhang gebracht worden (Chroni et al. 2010). Daher sollte Isotretinoin bei einer deutlichen Erhöhung der Kreatinkinase oder bei muskulären Symptomen abgesetzt werden. Obwohl bisher keine weiteren Fallberichte von Rhabdomyolysen unter oralen Retinoiden wie Acitre-
510
23
Kapitel 23 Dermatika
tin oder Alitretinoin bekannt geworden sind, kann ein Stoffklasseneffekt bislang nicht ausgeschlossen werden (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2013). In seltenen Fällen wurde ferner unter der Einnahme oraler Retinoide über Depressionen oder damit verbundene, verstärkte Angststörungen sowie über Stimmungsschwankungen berichtet. Allerdings ist bekannt, dass Patienten mit schweren Hauterkrankungen an sich ein erhöhtes Risiko für psychiatrische Erkrankungen haben (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2019b). 23.8
Warzenmittel und Mittel zur Behandlung von Verhornungsstörungen
Die Verordnungsmenge der Warzenmittel und der Mittel bei Verhornungsstörungen blieb 2019 gegenüber dem Vorjahr stabil (. Abb. 23.1, . Tab. 23.12). Es handelt sich vor allem um apothekenpflichtige Präparate, die im Rahmen der Ausnahmeregelungen der Arzneimittel-Richtlinie (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020) nur bedingt zu Lasten der GKV verordnungsfähig sind. Lediglich die 5-Fluorouracilkombinationen Verrumal und Verrucutan sowie die Tretinoin/Harnstoffkombination (Ureotop + VAS) sind verschreibungspflichtig. Sie machen etwa 80 % der Verordnungen in diesem Marktsegment aus.
23.8.1
Salicylsäure
In der Lokalbehandlung kleiner Warzen gelten Salicylsäurezubereitungen als Mittel der ersten Wahl. Bei Kontraindikation oder unzureichender Wirksamkeit kann als Zweitwahlbehandlung eine Kryotherapie in Betracht gezogen werden. Salicylsäure war in mehreren Studien wirksamer als Placebo. Warzen an den Händen sprachen besser an als Warzen an den Füßen. Kryotherapie zeigte vergleichbare Ergebnisse wie Salicylsäure. Höhere Re-
missionsraten sind mit einer Kombination aus topischer Salicylsäure und Kryotherapie zu erwarten (Kwok et al. 2012). Ein besonders praktikables und zudem sehr kostengünstiges Vorgehen ist der Einsatz von Salicylsäurepflastern wie z. B. Guttaplast (Ring und Fröhlich 1985).
23.8.2
Kombinationen
Verrumal enthält neben Salicylsäure zusätzlich Fluorouracil. Letzteres ist ein Zytostatikum mit begrenzter Evidenz einer Wirksamkeit bei kutanen Warzen (Kwok et al. 2012) und gilt mit dieser Indikation eher als Drittwahlmittel (Dall’oglio et al. 2012; Kwok et al. 2012). 5-Fluorouracil darf nur kleinflächig, zeitlich begrenzt und nicht bei Säuglingen sowie während Schwangerschaft und Stillzeit eingesetzt werden. Bei Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD)-Defizienz sind nach topischer Behandlung mit 5-Fluoruracil Neutropenien und Thrombozytopenien mit lebensbedrohenden Komplikationen beschrieben (Johnson et al. 1999). Das Mittel darf aus diesem Grund auch nicht gemeinsam mit Hemmstoffen der DPD wie Brivudin (Zostex) angewendet werden. Darüber hinaus muss eine Wartezeit von vier Wochen nach Abschluss einer Behandlung mit Fluoropyrimidinen – dies gilt explizit auch für die topische Anwendung – eingehalten werden, bevor eine Therapie mit brivudinhaltigen Mitteln eingeleitet werden kann (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2020). Für die Fixkombination aus Salicylsäure und Milchsäure (in Clabin, Duofilm) finden sich nach einer Medlinerecherche keine validen Studien, die Vorteile gegenüber einer alleinigen Anwendung von Salizylsäure bei der Warzenbehandlung bietet. Die Harnstoff-Tretinoin-Kombination Ureotop + VAS wird zur Behandlung von Verhornungsstörungen, einschließlich schwerer Fälle wie Ichthyosis, eingesetzt. Harnstoff wird aufgrund seiner wasserbindenden, bar-
23
511 23.8 Warzenmittel und Mittel zur Behandlung von Verhornungsstörungen
. Tabelle 23.12 Verordnungen von Warzenmitteln und Mitteln bei Verhornungsstörungen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Salicylsäure Guttaplast
Salicylsäure
1,9
(5,1)
0,13
Verrucid
Salicylsäure
0,93
(1,0)
0,24
2,8
(3,8)
0,17
Kombinationen Verrumal
Fluorouracil Salicylsäure
20,9
(15,1)
0,34
Verrucutan
Fluorouracil Salicylsäure
4,8
(C268,6)
0,32
Clabin N/plus
Salicylsäure Milchsäure
2,4
(4,5)
0,14
Duofilm
Salicylsäure Milchsäure
1,1
(6,5)
0,11
Ureotop + VAS
Harnstoff Tretinoin
0,99
(2,3)
0,39
30,2
(1,5)
0,31
33,0
(1,7)
0,30
Summe
riereregenerierenden, entschuppenden und antimikrobiellen Wirkung als wichtigster Wirkstoff für die Ichthyosetherapie angesehen (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2016). Nach 4- bzw. 8-wöchiger Behandlung mit einer 10%igen Harnstofflotion lagen die Responderraten von 65 % bzw. 78 % jedoch nur geringfügig höher als mit wirkstofffreier Lotion (50 % bzw. 72 %) (Küster et al. 1998).
chere Differenzialdiagnose mit gegebenenfalls histologischen Kontrollen zur Diagnose und Beurteilung des therapeutischen Erfolges sein. Zur Behandlung stehen verschiedene Optionen zur Verfügung: Exzision, Kryotherapie, photodynamische Therapie sowie die lokale Anwendung von 5-Fluorouracil, Diclofenac oder Imiquimod (de Berker et al. 2017). Gegenüber dem Vorjahr ist auch 2019 ein Verordnungsanstieg in diesem Marktsegment zu beobachten, vor allem aufgrund von Mehrverordnungen Fluorouracil- und Diclofenac-haltiger Mittel 23.8.3 Mittel zur Behandlung (. Abb. 23.1, . Tab. 23.13). aktinischer Keratosen Imiquimod (Aldara) ist ein Immunmodulator mit antineoplastischen und apoptotiAktinische Keratosen gelten als Carcinoma in schen Wirkungen, der über die Synthese prositu der Haut mit möglichem Übergang in inflammatorischer Zytokine letztlich zu eiein Plattenepithelkarzinom. Grundlage jeder ner Hochregulation der Th 1-T-Helferzell-vernichtinvasiven Therapie sollte daher eine si- mittelten Immunantwort führt (Gaspari et al.
512
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.13 Verordnungen von Mitteln zur Behandlung aktinischer Keratosen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Imiquimod Aldara
Imiquimod
2,0
(2,3)
3,56
Zyclara
Imiquimod
0,29
(C4,1)
6,47
2,3
(1,5)
3,93
Diclofenac Solaraze
Diclofenac
5,3
(18,1)
2,43
Solacutan
Diclofenac
3,5
(13,0)
2,28
Diclofenac Acis Gel
Diclofenac
2,0
(> 1.000)
2,13
Diclofenac-ratiopharm Gel
Diclofenac
0,74
(> 1.000)
2,21
11,5
(C9,2)
2,32
15,1
(C9,2)
0,15
Andere Mittel Actikerall
Fluorouracil Salicylsäure
Efudix
Fluorouracil
0,73
(C28,7)
4,36
Picato
Ingenolmebutat
0,12
(7,7)
33,06
16,0
(C9,8)
0,58
29,8
(C8,6)
1,51
Summe
2009). Er ist zur Behandlung nicht hyperkeratotischer, nicht hypertropher aktinischer Keratosen im Gesicht oder auf der Kopfhaut bei immunkompetenten Erwachsenen zugelassen, wenn andere Verfahren nicht eingesetzt werden können. In 5%iger Zubereitung (Aldara) werden nach 3-mal wöchentlicher Applikation über 4 Wochen mit 85 % ähnliche Heilungsraten wie unter 5-Fluorouracil gefunden, während mit der Kryotherapie deutlich geringere Effekt erzielt wurden (Samrao und Cockerell 2013). Eine 12 Monate andauernde Erscheinungsfreiheit für das gesamte Behandlungsareal wiesen 4 % der Patienten nach Kryotherapie, 33 % nach 5-Fluorouracil-Behandlung und 73 % nach Behandlung mit Imiquimod 5 % auf. Die Behandlung mit Imiquimod zeigte
auch das beste kosmetische Ergebnis (Gupta et al. 2012). Das über zwei Behandlungszyklen von jeweils zwei Wochen einmal täglich anzuwendende, niedriger dosierte Zyclara 3,75 % ist etwa doppelt so teuer wie Aldara 5 %, obwohl die klinische Heilungsrate 8 Wochen nach Behandlungsende nur 35,6 % betrug (Swanson et al. 2010). Aldara kann außerdem beim Basalzellkarzinom eingesetzt werden. Die histologischen Heilungsraten in dieser Indikation liegen nach 5- bzw. 7-tägiger Therapie pro Woche nach 12 Behandlungswochen im Bereich von 80 % (vs. 3 % unter Vehikelapplikation), bei 2-mal täglicher Applikation liegen die Heilungsraten sogar bei 100 % (Sapijaszko 2005). Nach einer Netzwerkmetaanalyse wird aber nach einer Imiquimod-Behandlung auf
513 23.8 Warzenmittel und Mittel zur Behandlung von Verhornungsstörungen
Basis der vorhandenen Daten mit etwa 14 % eine höhere Rezidivrate als nach operativer Entfernung (etwa 4 %) geschätzt. Allerdings schneidet das kosmetische Ergebnis der operativen Entfernung im Vergleich zu alternativen Therapiemöglichkeiten wie etwa die Phototherapie insgesamt schlechter ab (Drucker et al. 2018). Desweiteren ist Imiquimod für die topische Behandlung von Feigwarzen zugelassen. Die kompletten Remissionsraten betragen bei dieser Indikation etwa 50 % (vs. 11 % unter Vehikel), wobei Frauen offensichtlich besser als Männer ansprechen (komplette Remissionsraten von 72 % vs. 33 %) (Gupta et al. 2005). Im indirekten Vergleich sind auf Grundlage der vorhandenen Studien Podophyllotoxin und Imiquimod bei der Behandlung von Feigwarzen therapeutisch vergleichbar, unter Imiquimod treten aber offenbar weniger systemische unerwünschte Wirkungen auf (GrilloArdila et al. 2014; Werner et al. 2017). Die Rezidivraten für Imiquimod liegen bei 22–63 % (Lopaschuk 2013). 5-Fluorouracil hemmt als Antimetabolit die RNA- und DNA-Synthese, wird darüber hinaus in die RNA inkorporiert und zeigt so eine höhere Affinität zu rasch proliferierenden Zellen. Das Zytostatikum wird als 5 %ige Creme (Efudix) in Deutschland bereits seit vielen Jahren zur Behandlung aktinischer Keratosen eingesetzt. In einem vierarmigen Headto-Head-Vergleich bei Patienten mit multiplen aktinischen Keratosen am Kopf war die kumulative Wahrscheinlichkeit für einen Therapieerfolg bei Flächenbehandlung nach 5%igem Fluorouracil mit 75 % im Vergleich zu Imiquimod (54 %), photodynamischer Therapie (38 %) oder Ingenolmebutat (29 %) am höchsten (Jansen et al. 2019). Eine Fixkombination aus 5-Fluorouracil (0,5 %) und Salicylsäure (10 %) soll die Penetration des Antimetaboliten in die aktinisch veränderte Haut verbessern. Im direkten Vergleich zu Diclofenac 3 % lagen die histologischen Heilungsraten unter der Kombination mit 72 % signifikant höher als unter Diclofenac (59 %) und Vehikel (45 %) (Stockfleth
23
et al. 2011). Lokale Nebenwirkungen wie entzündliche Reaktionen und Brennen traten unter Actikerall häufiger in Erscheinung als unter Diclofenac, waren aber in der Regel nur mäßig ausgeprägt. Nach einem neueren Review waren die kompletten klinischen Heilungsraten unter der Fixkombination (55,4 %) im indirekten Vergleich auch gegenüber Ingenolmebutat (42,2 %) und 2,5 bzw. 3,75 % Imiquimod (25,0–30,6 % bzw. 34,0–35,6 %) höher. Zudem lag die Rückfallrate unter kombinierter Anwendung von Fluorouracil und Salicylsäure niedriger als unter Ingenolmebutat (Stockfleth et al. 2016). Diclofenac hat antiproliferative, angiostatische und proapoptotische Eigenschaften, die über eine Hemmung der Cyclooxygenase (COX)-2 zustande kommen sollen. Folge sind eine gesteigerte Keratolyse und ein verstärkter Kollagenabbau (Merk 2007; Samrao und Cockerell 2013). Klinische Heilungsraten lagen nach Applikation über 60–90 Tage bei 58 %, bei kombinierter Anwendung mit Kryotherapie bei 64 % (Samrao und Cockerell 2013). Ingenolmebutat (Picato) ist ein Diterpenester aus dem Pflanzensaft der Garten-Wolfsmilch, der 2012 für die topische Behandlung von nicht-hyperkeratotischen, nicht-hypertrophen aktinischen Keratosen zugelassen wurde und 2019 auf niedrigem Niveau verordnet wurde. Aufgrund von Hinweisen auf ein erhöhtes Hautkrebsrisiko wurde das Nutzen-RisikoVerhältnis von Ingenolmebutat durch die Europäische Arzneimittelagentur erneut bewertet. Nach einer Sicherheitsstudie an 484 Patienten mit einem Follow-up von drei Jahren wurden bei mit Ingenolmebutat behandelten Patienten häufiger Hauttumoren wie Plattenepithelkarzinome oder Morbus Bowen an den behandelten Hautarealen beobachtet als bei mit Imiquimod behandelten Patienten (6,3 % vs. 2,0 %). Dieses Ergebnis ließ sich auch in einer gepoolten Analyse verschiedener Vehikel-kontrollierter Studien mit dem verwandten Ingenoldioxat bestätigen. Aufgrund dieser Ergebnisse wurde Picato im April 2020 die Zulassung entzogen (European Medicines Agency 2020).
23
514
Kapitel 23 Dermatika
23.9
Psoriasismittel
Die Verordnungen der Psoriasismittel haben auch 2019 erneut zugenommen (. Abb. 23.1). Verursacht wird diese Steigerung in erster Linie durch die drei monoklonalen Antikörper Ustekinumab (Stelara), Secukinumab (Cosentyx) und Guselkumab (Tremfya), die erheblich teurer als die bisher verfügbaren Psoriasismittel sind (. Tab. 23.14). Allein diese drei Präparate verursachten Verordnungskosten von 826 Mio. C und damit fast die Hälfte der Kosten aller Dermatika in Höhe von 1.934 Mio. C (vgl. 7 Kap. 1, . Tab. 1.2).
23.9.1
Therapeutische Aspekte
Die Behandlung der Psoriasis erfolgt entsprechend allgemeinen Therapieempfehlungen primär lokal. Vor allem bei leichteren Erkrankungsformen, die bei etwa 75 % aller Psoriasispatienten vorliegen und mit einer Ausdehnung der Psoriasisherde auf insgesamt maximal 5–10 % der Hautoberfläche einhergehen, steht die Lokaltherapie im Vordergrund. Mit ansteigendem Schweregrad der Erkrankung werden systemische Antipsoriatika oder kombinierte Therapieverfahren erforderlich (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2017). Aufgrund der nach wie vor ungeklärten Pathogenese erfolgt die Behandlung der Schuppenflechte weitgehend symptomatisch. Die überlegene Wirksamkeit von Immunsuppressiva wie Ciclosporin (siehe 7 Kap. 29. Immunglobuline und Immunsuppressiva) bzw. der TNF’-Antagonisten wie Adalimumab oder Etanercept (siehe 7 Kap. 17. Antirheumatika und Antiphlogistika) oder Interleukinantagonisten wie Ustekinumab, Secukinumab oder Guselkumab bei schwersten Formen der Psoriasis weist auf eine zentrale Rolle der TLymphozyten in der Pathogenese und damit auf eine Autoimmunreaktion hin (Griffiths und Barker 2007). Die Lokaltherapie erfolgt im Wesentlichen mit stark bis sehr stark wirksamen
Glucocorticoiden (. Tab. 23.3), Vitamin-D3 Analoga (. Tab. 23.14) sowie Dithranol (Cignolin). Darüber hinaus werden als Basistherapie der Psoriasis wirkstofffreie Salbengrundlagen (. Tab. 23.17) sowie topische Zubereitungen von Harnstoff (3–10 %) und Salicylsäure (3–10 %) eingesetzt (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2017). Eine große Bedeutung hat – insbesondere bei großflächiger Erkrankung – die Phototherapie bzw. Photochemotherapie (PUVA, UVB, UVB311nm , UVB308nm ). Die kombinierte Anwendung mit Vitamin-D3 -Analoga kann die Ansprechrate verbessern, was sich auch in einem Verordnungsanstieg bei den Fixkombinationen mit Glucocorticoiden widerspiegelt (. Tab. 23.14). Bei der Therapieentscheidung muss das für die orale PUVA gesicherte und für die lokale PUVA sowie die UVB-Schmalspektrum Lichttherapie wahrscheinliche karzinogene Risiko bedacht werden. Insgesamt kann daher die Phototherapie nicht als Langzeittherapie empfohlen werden (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2017). Zur Entfernung der Schuppen wird vor allem zu Beginn der Behandlung 3–10 %ige Salicylsäure-Vaseline eingesetzt, die als nicht verschreibungspflichtige Zubereitung nach den Arzneimittel-Richtlinien als Teil der Behandlung der Psoriasis und hyperkeratotischer Ekzeme zu Lasten der GKV verordnungsfähig ist (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020). Dies dient jedoch weniger der eigenständigen Behandlung der Psoriasis als vielmehr der Resorptionsverbesserung anderer Antipsoriatika, insbesondere von Glucocorticoiden (van de Kerkhof et al. 2011; Hendriks et al. 2013a). Eine entschuppende Wirkung haben auch 1–3 %ige Kochsalzbäder bzw. andere NaCl-haltige Zubereitungen oder Ölbäder, z. B. Linola-Fett-N Ölbad (. Tab. 23.17). Die systemische Therapie bleibt schweren, therapieresistenten Formen der Psoriasis vorbehalten, z. B. der chronisch aktiven, großflächigen Plaque-Psoriasis, der pustulösen Psoriasis, der psoriatischen Erythrodermie sowie allen Formen der Psoriasisarthritis, die durch nichtsteroidale Antiphlogistika nicht behandel-
23
515 23.9 Psoriasismittel
. Tabelle 23.14 Verordnungen von Psoriasismitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Vitamin-D-Analoga Daivonex
Calcipotriol
8,1
(7,1)
0,76
Curatoderm
Tacalcitol
1,2
(7,4)
0,94
Calcipotriol HEXAL
Calcipotriol
1,0
(7,2)
0,76
Silkis
Calcitriol
0,58
(C1,1)
1,24
10,9
(6,7)
0,80
Kombinationspräparate Daivobet
Calcipotriol Betamethason
19,3
(16,1)
1,06
Enstilar
Calcipotriol Betamethason
13,6
(C32,0)
1,15
Calcipotriol comp. HEXAL
Calcipotriol Betamethason
5,1
(C592,5)
0,92
38,0
(C11,8)
1,07
Orale Psoriasismittel Skilarence
Dimethylfumarat
2,3
(C19,5)
8,69
Fumaderm
Ethylhydrogenfumarat Dimethylfumarat
1,8
(28,2)
8,22
Otezla
Apremilast
1,7
(C6,3)
39,12
Neotigason
Acitretin
0,51
(C16,8)
4,14
Acicutan
Acitretin
0,50
(16,8)
3,93
6,9
(3,7)
15,51
Monoklonale Antikörper Stelara
Ustekinumab
10,4
(C28,7)
39,29
Cosentyx
Secukinumab
5,7
(C7,2)
58,96
Tremfya
Guselkumab
1,4
(C162,6)
58,53
17,5
(C25,7)
47,22
73,3
(C9,8)
13,40
Summe
516
23
Kapitel 23 Dermatika
bar sind. Eine Indikation ist dann gegeben, es auch für die Fixkombination aus Calcipowenn durch die Lokaltherapie kein akzeptabler triol und Betamethasondipropionat (Hendriks et al. 2013b; Deutsche Dermatologische GeHautzustand mehr erreichbar ist. sellschaft 2017). Die Anwendung der Fixkombination ist vor allem in der Anfangsbehandlung für die Dauer von 4 Wochen sinnvoll. 23.9.2 Vitamin-D3 -Analoga Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Behandlung ist in begründeten Ausnahmefällen Vitamin-D3 -Analoga gelten neben Glucocor- und unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle ticoiden als Mittel der Wahl bei leichter zu vertreten. Wiederholte Anwendungen sind und mittelschwerer Psoriasis und erhalten für für einen Zeitraum von bis zu 52 Wochen die topische Behandlung eine starke Empfeh- beschrieben. Weitere Anwendungsbeschränlung (Deutsche Dermatologische Gesellschaft kungen entsprechen den Empfehlungen für 2017). Sie wirken antiproliferativ und hemmen die Monotherapie mit den Vitamin-D3 -Anadie Akkumulation von Neutrophilen sowie die loga. Funktion von T-Lymphozyten, einschließlich der IL-1 induzierten T-Zell-Aktivierung. Klinisch sind die Vitamin-D3 -Analoga wirksamer 23.9.3 Apremilast als Dithranol, im Vergleich zu stark wirksamen topischen Glucocorticoiden (. Tab. 23.3) aber weitgehend äquivalent. Sie führen bei Apremilast ist ein Hemmstoff der PhosphoPatienten mit leichter bis mittelschwerer Pso- diesterase-4 (PDE-4), der die cAMP-Konzenriasis vulgaris innerhalb weniger Wochen in tration in dendritischen Zellen wie Monozy30–50 % der Fälle zu einer deutlichen Besse- ten, Neutrophilen und Keratinozyten erhöht rung oder vollständigen Abheilung der Haut- und dadurch die Bildung von Entzündungsläsionen. Bei Anwendung in besonders sensi- mediatoren vermindert. Seine Zulassung umblen Arealen, z. B. im Gesicht, wird alternativ fasst die Behandlung Erwachsener mit einer zum dann kontraindizierten Calcipotriol wegen mittelschweren bis schweren Psoriasis oder eiseines geringeren irritativen Potenzials Tacal- ner Psoriasisarthritis, wenn andere systemische citol empfohlen, das zudem den Vorteil der Therapien nur unzureichend ansprechen oder nur einmal täglichen Applikation aufweist. Im kontraindiziert sind. direkten Vergleich ist Tacalcitol aber etwas Während der Behandlung mit Apremilast schwächer wirksam als Calcipotriol (Deutsche erreichen nach 16 Wochen mehr Patienten eine Dermatologische Gesellschaft 2017). 75 %ige Abnahme des Index zur Beurteilung Vitamin-D3 -Analoga werden auch zusätz- von Fläche und Schweregrad einer Psoriasis lich zu UVB oder in freier Kombination mit to- (PASI-75) als unter Placebo (29–33 % versus pischen Corticosteroiden angewandt und sind 5–6 %) (Papp et al. 2015; Paul et al. 2015). In dann wirksamer als UVB allein oder die je- einer Untersuchung an Patienten mit moderaweilige Monotherapie (Deutsche Dermatolo- ter bis schwerer Psoriasis wurde nach 16 Begische Gesellschaft 2017). Vorteil einer se- handlungswochen im direkten Vergleich eine quenziellen Therapie von Vitamin-D3 -Analoga ähnlich höhere Ansprechrate des PASI-75 (priund topischen Corticosteroiden ist eine ver- märer Endpunkt) unter Apremilast sowie Etabesserte Wirksamkeit bei gleichzeitiger Mi- nercept gegenüber Placebo erreicht (40 % und nimierung unerwünschter Wirkungen. Klini- 48 % versus 12 % der Patienten) (Reich et al. sche Studien belegen unter diesen Bedingun- 2017a). Mehrere Netzwerkmetaanalysen weigen nach 6-monatiger Behandlung Remissi- sen aber für die beiden Therapeutika gegenonsraten von 76 % im Vergleich zu 40 % unter über anderen Biologika, wie z. B. Infliximab, Placebo (Koo 2005). Ähnliche Befunde gibt Brodalumab, Secukinumab u. a. z. T. deutlich
517 23.9 Psoriasismittel
23
geringere Wirkstärken aus (Sawyer et al. 2019; ca. 65–75 % der behandelten Patienten das Beschwerdebild der Psoriasis um mindestens Sbidian et al. 2020). 75 % (PASI 75) (Griffiths et al. 2010). Fünf Jahre nach Studienbeginn waren noch 70 % des 23.9.4 Acitretin ursprünglichen Patientenkollektivs unter Behandlung mit Ustekinumab. Die Ansprechraten (PASI-75) lagen zwischen 75 und 80 % Acitretin ist ein Derivat der Vitamin-A-Säure, (Langley et al. 2015). Im direkten Vergleich das mangels ausreichender Wirksamkeit bei zu Etanercept liegen die PASI-75-Raten unter niedriger Dosierung und verstärkten NebenUstekinumab nach 12 Wochen absolut um etwirkungen an Haut- und Schleimhaut bei Dowa 10–20 % höher (Griffiths et al. 2010). Nach siserhöhung nur noch zurückhaltend zur Psoeiner aktualisierten Netzwerkmetaanalyse der riasisbehandlung empfohlen wird (Deutsche Cochrane Collaboration ergeben sich im indiDermatologische Gesellschaft 2017). In Komrekten Vergleich für Ustekinumab im Hinblick bination mit Phototherapie weist Acitretin eine auf den PASI-75 Vorteile gegenüber Fumarzumindest vergleichbare klinische Effektivität säureester, Apremilast, Acitretin, Etanercept wie andere klassische systemische Psoriasisund Methotrexat. Dieses Ergebnis wird auch mittel auf und wird daher bei kontraindizierter für PASI 90 bestätigt (Sbidian et al. 2020). Da immunsuppressiver Therapie als wichtige TheUstekinumab das Immunsystem supprimiert, rapiealternative angesehen (Booij und van de darf das Mittel nicht bei aktiver Tuberkulose Kerkhof 2011). Zu beachten sind aber teraund nicht zusammen mit Lebend-Impfstoffen togene Eigenschaften, die nicht nur während verabreicht werden. Vor Behandlungsbeginn der Therapie mit Acitretin, sondern auch nach sind chronische oder rezidivierende InfektioBeendigung der Behandlung über mindestens nen auszuschließen. Zu beachten sind darü3 Jahre einen sicheren Konzeptionsschutz erber hinaus Einzelfallbeschreibungen einer unfordern. ter der Therapie mit TNF’-Inhibitoren neu aufgetretenen Psoriasis oder Verschlimmerung einer bereits vorbestehenden Psoriasis mehrere 23.9.5 Monoklonale Antikörper Monate bis Jahre nach Beginn einer Behandlung mit diesen Mitteln (Glenn et al. 2011; Zur Behandlung mittelgradiger und schwerer Shmidt et al. 2011). Da bei Psoriasispatienten Formen der Psoriasis kommen als monoklona- nach TNF’-Inhibitoren auch Demyelinisierunle Antikörper auch TNF’-Inhibitoren wie Infli- gen des ZNS beschrieben wurden, sollten diese ximab und Adalimumab in Frage, die bei den Mittel sicherheitshalber nicht bei Patienten mit Antirheumatika dargestellt sind (7 Kap. 17, anamnestisch oder familiär bekannter multi. Tab. 17.4). Netzwerk-Metaanalysen zeigen pler Sklerose angewandt werden (Zhu et al. im indirekten Vergleich, dass Infliximab die 2016). Auch Secukinumab ist als humaner monohöchste Effektivität hat, gefolgt von ähnlichen Wirkungen für Certolizumab, Adalimu- klonaler Interleukin-17A-Antikörper zur Behandlung erwachsener Patienten mit mittelmab und Etanercept (Sbidian et al. 2020). Ustekinumab (Stelara) ist ein humaner mo- schwerer und schwerer Psoriasis zugelassen, noklonaler IgG1›-Antikörper gegen Interleu- die für eine systemische Therapie in Frakin IL-12 und IL-23 zur Behandlung der ge kommen. Im direkten Vergleich schneidet Psoriasis mit mittelschwerem bis schwerem das Mittel bei Patienten mit moderater bis Verlauf bei unzureichendem Ansprechen oder schwerer Psoriasis und unzureichender AntKontraindikationen für andere systemische wort, Kontraindikationen oder UnverträglichTherapien. Im Vergleich zu einer Scheinbe- keiten gegenüber anderen systemischen Thehandlung verbessert sich nach 12 Wochen bei rapien mit einem PASI-75 nach 12 Wochen
518
23
Kapitel 23 Dermatika
von 77 % besser ab als Etanercept (44 %) und Placebo (5 %) (Langley et al. 2014). Auch gegenüber Ustekinumab war Secukinumab mit einem PASI-90 nach 16 Wochen von 79 % (versus 58 %) überlegen (Thaçi et al. 2015). Diese Unterschiede wurden auch noch nach einem Jahr bestätigt (Blauvelt et al. 2017b; Strober et al. 2017). Die frühe Nutzenbewertung von Secukinumab durch den GBA ergab bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen, Kontraindikationen oder Unverträglichkeit gegenüber anderen systemischen Antipsoriatika und für solche mit einer Vorbehandlung mit einem Biologikum einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Bundesministerium für Gesundheit 2015). Auch bei Patienten mit moderater bis schwerer Psoriasis ohne bisherige systemische Vorbehandlung stellte der G-BA einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie fest (Bundesministerium für Gesundheit 2017). Diesem Beschluss liegt eine direkte Vergleichsstudie zugrunde, in der sich bei Patienten, die auf topische Mittel oder Phototherapien (z. B. UVA, UV-B, Balneophototherapie ohne Psoralen oder andere UV-verstärkende Badezusätze) nur unzureichend angesprochen hatten, nach 24 Wochen die Hauterscheinungen häufiger unter Secukinumab vollständig zurückbildeten als unter Fumarsäureester (45 % versus 6 %). Auch die Abbruchrate aufgrund unerwünschter Wirkungen lag unter Secukinumab lediglich bei 2 % im Vergleich zu 33 % unter der zweckmäßigen Vergleichstherapie (Sticherling et al. 2017). Als erster Interleukin-23-Antikörper ist Guselkumab 2019 erstmals unter den meist verordneten Mitteln vertreten. Guselkumab ist zur Behandlung einer mittelschweren bis schweren Plaque-Psoriasis zugelassen, wenn systemische Mittel erforderlich sind. Im direkten Vergleich war Guselkumab bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis mit PASI-90-Ansprechraten von 73 % versus 50 % nach 16 Behandlungswochen besser wirksam als Adalimumab (Blauvelt et al. 2017c). Die
Überlegenheit war auch nach 48 Wochen noch nachweisbar, Non-Responder auf Adalimumab zeigten nach Wechsel auf Guselkumab deutliche Hautverbesserungen. Bei Patienten, deren Guselkumab-Behandlung beendet wurde, verschlechterte sich das Hautbild (Reich et al. 2017b). In einer weiteren Vergleichsstudie wurden bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf Ustekinumab durch Wechsel auf Guselkumab die PASI90-Ansprechraten (51,1 % vs. 21,1 %) nach 52 Wochen verbessert (Langley et al. 2018). Die frühe Nutzenbewertung ergab für Guselkumab im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen. Dieser Einschätzung liegt eine direkte Vergleichsstudie gegen Fumarsäureester an Patienten mit Psoriasis ohne vorangegangene systemische Behandlung zugrunde (Thaçi et al. 2019). Zudem wird bei Patienten, die auf zweckmäßige Vergleichstherapien nur unzureichend angesprochen haben oder nicht anwenden können, Guselkumab gegenüber Adalimumab in Bezug auf PASI 90 ein Beleg für einen beträchtlichen Zusatznutzen bei vergleichbarer Verträglichkeit zuerkannt (Bundesministerium für Gesundheit 2018).
23.9.6
Fumarsäurederivate
Ist eine alleinige äußerliche Therapie nicht ausreichend, kann zur oralen Anwendung bei mittelschweren bis schweren Formen der Psoriasis vulgaris auch eine Dimethylfumaratkombination (Fumaderm) eingesetzt werden (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2017). Die Kombination hat seit 1994 in Deutschland eine nationale Zulassung, ist aber weder in anderen europäischen Ländern noch in den USA zugelassen (Balak et al. 2016). Fumaderm ist ein Gemisch eines Dimethylesters und eines Monoethylesters der Fumarsäure sowie dessen Calcium-, Magnesiumund Zinksalzes. Der Wirkungsmechanismus ist nicht endgültig geklärt. Als wichtigste Zielstruktur gilt das Immunsystem, wobei insbe-
519 23.10 Rosazeamittel
sondere durch die Wirkung von Dimethylfumarat, das über die Interaktion mit Glutathion die Aktivität des Transkriptionsfaktors NF-›B hemmen soll, proinflammatorische Zytokine herunterreguliert und die Proliferation von Keratinozyten gehemmt werden. Klinische Erfahrungen mit dem Fumarsäureestergemisch beruhen auf Fallbeschreibungen und auf den Ergebnissen einiger placebo- und auch verumkontrollierter Studien mit jeweils nur geringen Fallzahlen. Danach kommt es unter der Therapie mit Fumaderm über 12 bis 16 Wochen zu einer mittleren Reduktion des Psoriasis Area and Severity Index (PASI) zwischen 42 und 65 % (Balak et al. 2016). Die begrenzte Evidenz für Fumarsäureester wird auch durch ein systematisches Review der Cochrane Collaboration bestätigt (Atwan et al. 2016). Hinweise auf eine hohe Zahl von Therapieabbrüchen unter Fumaderm aufgrund von Therapieversagen und Krankheitsverschlimmerung sowie auf schwere unerwünschte Wirkungen in Form von gastrointestinalen Störungen, Lymphozytopenie, Panzytopenie, Kaposi-Sarkom oder rezidivierenden Pneumonien finden sich in älteren Studien und Fallbeschreibungen (Balak et al. 2016). Darüber hinaus wurden in neuerer Zeit im Zusammenhang mit der Anwendung von Fumarsäureestern mehrere Fälle einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) beschrieben (Balak et al. 2017; Gieselbach et al. 2017). Eine längerfristige, schwere Lymphopenie unter Therapie mit Dimethylfumarat wird als Risikofaktor für die Entstehung einer PML angesehen. Daher sind bei Patienten, die mit Dimethylfumarat-haltigen Arzneimitteln behandelt werden, regelmäßige Blutbildkontrollen (inkl. Differentialblutbild) notwendig. Gegebenenfalls muss die Medikation bei niedrigen Lymphozytenwerten abgesetzt werden. Ein letal verlaufener Fall zeigt jedoch, dass eine PML unter der Therapie mit Dimethylfumarat-haltigen Mitteln zur Behandlung der Psoriasis auch ohne schwere Lymphozytopenie auftreten kann (Nieuwkamp et al. 2015). Dimethylfumarat (Skilarence) wurde nach Erstzulassung als Tecfidera zur Behandlung
23
der Multiplen Sklerose im Jahr 2014 in einer weiteren Indikation als Monotherapie mit gleicher Indikation wie das Fumarsäureestergemisch Fumaderm zugelassen und wird 2019 bereits häufiger eingesetzt als die Kombination. Insgesamt gehen die Verordnungsraten fumarsäurehaltiger Dermatika in den letzten Jahren aber zurück. Mit der dreiarmigen BRIDGE-Studie, in der Dimethylfumarat gegen Fumaderm und Placebo bei moderater bis schwerer Psoriasis untersucht wurde, wurde auch die Datenlage für das Kombinationspräparat Fumaderm deutlich verbessert. Sowohl unter Dimethylfumarat-Monotherapie als auch unter der Kombination erreichen nach 16 Behandlungswochen signifikant mehr Patienten eine 75 %ige Verbesserung des Beschwerdebildes (PASI 75) als unter Placebotherapie (37,5 % und 40,3 % vs. 15,3 %). Im Vergleich zu Placebo treten allerdings deutlich mehr Magen-Darm-Beschwerden, Flush und erythematöse Hauterscheinungen auf. Lymphopenien werden unter Dimethylfumarat wie unter dem Fumarsäuregemisch bei 10 bzw. 11 von 100 Behandelten gefunden, während diese unter Placebobehandlung in keinem Fall beobachtet wurden (Mrowietz et al. 2017).
23.10
Rosazeamittel
Die Verordnungen von Rosazeamitteln stiegen 2019 weiter an, in erster Linie aufgrund von Zuwächsen bei topisch angewendetem Ivermectin (. Abb. 23.1, . Tab. 23.15). In vielen Fällen ist eine topische Behandlung der Rosacea erythematosa-teleangiectatica und der Rosacea papulopustulosa ausreichend (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2013). Wenn Topika die Beschwerden nicht hinreichend lindern können oder bereits ein schwerwiegendes Erscheinungsbild der Rosazea vorliegt, wird mit einer systemischen Behandlung aufgestockt. Zum Einsatz kommen dann Tetracycline. Als Mittel der ersten Wahl werden doxycyclinhaltige Mittel, in der im Rahmen einer antiinfektiven Behand-
520
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.15 Verordnungen von Rosazeamitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
11,4
(C16,6)
0,82
Rosazeamittel Soolantra
Ivermectin
Metrogel/-creme/-lotion
Metronidazol
7,0
(4,1)
0,87
Rosiced
Metronidazol
2,9
(C1,2)
0,88
Mirvaso
Brimonidin
1,1
(6,9)
0,97
Metrogalen
Metronidazol
0,54
(C28,6)
0,91
22,9
(C6,5)
0,85
22,9
(C6,5)
0,85
Summe
lung üblichen Dosierung, aber auch in einer niedrig dosierten Zubereitung (Oraycea), eingesetzt (7 Kap. 10 Antibiotika und Chemotherapeutika, . Tab. 10.4). Das systemisch zur Behandlung der Krätzmilbe eingesetzte makrozyklische Lacton Ivermectin steht in topischer Zubereitungsform (Soolantra) zur Behandlung der papulopustulösen Rosazea zur Verfügung und stellte 2019 erstmals den am häufigsten eingesetzten topischen Wirkstoff zur Rosazeabehandlung (. Tab. 23.15). Sein Wirkmechanismus in dieser Indikation ist noch nicht hinreichend geklärt. Angenommen werden antientzündliche Effekte sowie antiparasitäre Wirkungen mit Eradikation von Demodex-Milben in den Haarfollikeln, die als Auslöser der Entzündungsreaktion bei Rosazea diskutiert werden. In vehikelkontrollierten Studien besserte Ivermectin über die Behandlungsdauer von 12 Wochen bei vergleichbarer Verträglichkeit das Hautbild der papulopustulösen Rosazea, ein Effekt, der sich bei Extension der Behandlung auf 52 Wochen noch steigern lässt (Stein Gold et al. 2014). Im direkten, allerdings lediglich einfach verblindeten Vergleich mit topischer Metronidazol-Cremezubereitung ergibt sich für Ivermectin nach 16wöchiger Behandlung eine geringfügig bessere Reduktion ent-
zündlicher Hautläsionen, ohne dass Nebenwirkungen häufiger auftraten (Taieb et al. 2015; Cardwell et al. 2016). Auch eine systematische Übersichtsarbeit stellt nach viermonatiger Behandlung einer papulopustulösen Rosazea für Ivermectin gegenüber Metronidazol eine signifikante Verbesserung des Beschwerdebildes fest. Wird ein halbes Jahr weiterbehandelt, bleibt für Ivermectin gegenüber Metronidazol ein leichter Vorteil bestehen, allerdings treten nach Behandlungsende bei etwa Zweidrittel der Betroffenen die Hauterscheinungen wieder auf (Ebbelaar et al. 2018; Van Zuuren et al. 2019). Die therapeutische Wirksamkeit von Metronidazol ist in dieser Indikation durch zahlreiche kontrollierte klinische Studien gesichert. Das Mittel verbessert das Hautbild im Vergleich zu Placebo und ist hierin der Azelainsäure (Skinoren, 7 Abschn. 23.7 Aknemittel) weitgehend ebenbürtig. Im Vordergrund steht vor allem die signifikante Besserung entzündlicher Läsionen (Papeln, Pusteln) sowie des Erythems, während Teleangiektasien kaum beeinflusst werden (Van Zuuren et al. 2019). Metronidazol ist nach einer kleineren klinischen Studie auch zur Rezidivprophylaxe geeignet. Rezidive nach Absetzen der Therapie sind nicht häufiger als nach oraler Gabe von
521 23.11 Wundbehandlungsmittel
Tetracyclinen (Conde et al. 2007). Nach topischer Applikation wird Metronidazol kaum resorbiert, so dass systemische Nebenwirkungen (z. B. Alkoholintoleranz) nicht zu erwarten sind (McClellan und Noble 2000). Auch das vasokonstringierende Brimonidin (Mirvaso) führt nach vehikelkontrollierten Studien zu einer symptomatischen Verbesserung des Gesichtserythems mit deutlicher Abnahme der rosazeabedingten Hautrötung (Fowler et al. 2012; Layton et al. 2015; Van Zuuren et al. 2019). Die Besserungen treten bereits 30 min nach der Applikation des Gels ein. Nach den bisherigen Erkenntnissen kommt es innerhalb der kontrollierten Anwendung über den Zeitraum von knapp einem Monat weder zu einer Tachyphylaxie noch zu Reboundphänomenen nach Absetzen der Behandlung (Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2013). Allerdings wurden nach der Einführung des Mittels etwa bei jedem sechsten Behandelten auch Verschlimmerungen des Rosazea-Erythems sowie verstärkte Rötungen und Brennen der Haut berichtet (Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency 2016). Auch die kombinierte Anwendung von Brimonidin und Ivermectin bei mittelgradiger bis schwerer Rosazea wurde klinisch untersucht – allerdings nur gegen Vehikel (Gold et al. 2017). Die Untersuchung gibt allenfalls indirekte Hinweise auf die Überlegenheit eines kombinierten Einsatzes. Dass die gemeinsame Anwendung von Brimonidin und Ivermectin tatsächlich Vorteile bietet, bedarf weiterer Untersuchungen. 23.11
Wundbehandlungsmittel
Die Verordnungsmenge von Wundbehandlungsmitteln war 2019 gegenüber dem Vorjahr leicht rückläufig (. Abb. 23.1). Mit Ausnahme der Sulfadiazin-Silber-haltigen Mittel (Flammazine, Urgotül S. Ag., Allevyn Ag Gentle Border) sowie von Iruxol N (. Tab. 23.16) sind alle aufgeführten Mittel nicht verschreibungspflichtig und daher nur in Ausnahmefällen zu Lasten der GKV verordnungsfähig (Gemeinsamer Bundesausschuss 2020).
23.11.1
23
Therapeutische Aspekte
Entsprechend den Phasen der Wundheilung lassen sich Wundbehandlungsmittel in Mittel zur Reinigung, Granulationsförderung und Förderung der Epithelisierung unterscheiden. Sie werden im Wesentlichen bei chronischen, schlecht heilenden Wunden eingesetzt. Traumatische Wunden bedürfen in der Regel keiner zusätzlichen Therapie, sie heilen nach chirurgischer Primärversorgung spontan ab (Kujath und Michelsen 2008). Auch bei chronischen Wunden wird die nicht-medikamentöse Behandlung der Grundkrankheit, z. B. beim Ulcus cruris die möglichst weitgehende Beseitigung der chronisch venösen Mikro- und Makrozirkulationsstörung durch Kompressionsverbände, als wesentliche Voraussetzung für einen ungestörten Heilungsverlauf gesehen (Dissemond et al. 2016; National Institute for Clinical Excellence 2016). Zur Reinigung und Desinfektion chronischer Wunden werden neben lokalchirurgischen Maßnahmen, Ausduschen der Wunde, ggf. unter Zusatz von Antiseptika wie Octenidin (. Tab. 23.8), und Umschlägen mit hypertoner Kochsalzlösung, auch proteolytische und kollagenolytische Enzyme wie Clostridiopeptidase (Iruxol N) zum Abbau nekrotischer Belege eingesetzt (. Tab. 23.16). Ein Cochrane-Review findet außer für isotonische Kochsalzlösung mit Zusätzen von Silberchlorid, Aloe vera und dem nicht-ionischen Surfactant Decylglucosid (vs. isotonische Kochsalzlösung allein) keinen signifikanten Einfluss von Wundreinigungsmitteln auf die Ulkusheilung (Moore und Cowman 2013).
23.11.2
Dexpanthenol
Die Ergebnisse experimenteller und klinischer Studien zur Wirksamkeit von Dexpanthenol sind uneinheitlich (Løkkevik et al. 1996; Ebner et al. 2002). Ein Expertenpanel votiert gegen den Einsatz von Dexpanthenol bei der Behand-
522
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.16 Verordnungen von Wundbehandlungsmitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
23
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Dexpanthenol Panthenol Cr. JENAPHARM
Dexpanthenol
1,4
(C61,8)
0,14
Bepanthen Wund- u. Heilsalbe
Dexpanthenol
1,2
(C4,9)
0,18
Panthenol-ratiopharm
Dexpanthenol
1,1
(26,4)
0,18
Panthenol Heumann
Dexpanthenol
0,82
(21,4)
0,16
4,5
(0,8)
0,16
Zinkoxidpräparate Mirfulan
Lebertran Zinkoxid
2,8
(C4,0)
0,39
Zinksalbe etc. Bombastus
Zinkoxid
0,71
(C2,1)
0,13
Zinkoxid/Zinkpaste LAW
Zinkoxid
0,47
(C1,3)
0,21
Mitosyl
Zinkoxid
0,46
(31,6)
0,31
4,4
(1,8)
0,32
Wundauflagen Urgotül/-comfort
Vaseline Carmellose
6,8
(8,8)
2,45
Mepilex Ag
Silbersulfat Aktivkohle Polyurethan Silikon
1,6
(8,0)
4,94
Biatain Silikon Ag
Silber, ionisch
1,1
(12,1)
4,15
Dracofoam
Polihexanid Polyurethan
0,99
(C17,9)
3,48
Allevyn Ag Gentle Border
Sulfadiazin Silber Polyurethanschaum Silikone
0,80
(C1,7)
4,03
Atrauman Ag
Silber
0,79
(6,8)
2,82
Urgotül Silver
Silbersalz Vaseline Paraffin Carmellose
0,72
(7,9)
5,93
Urgotül S AG
Sulfadiazin-Silber Vaseline Paraffin Carmellose
0,28
(17,7)
6,87
(6,9)
3,37
13,1
23
523 23.11 Wundbehandlungsmittel
. Tabelle 23.16 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Weitere Wundbehandlungsmittel Flammazine
Sulfadiazin-Silber
4,4
(3,4)
0,39
Iruxol N
Clostridiopeptidase
1,6
(2,2)
0,66
Bepanthen Antiseptisch
Dexpanthenol Chlorhexidin
0,25
(C14,6)
0,48
Hametum Salbe etc.
Hamamelisextrakt
0,19
(5,8)
0,70
Kamillin-Extern Robugen
Kamillenblütenextrakt
0,10
(C2,6)
2,48
6,6
(2,5)
0,50
28,6
(4,2)
1,73
Summe
lung bzw. Prophylaxe von akuten oder späteren Strahlenschäden (Wong et al. 2013). Eine Vergleichsstudie an 46 Säuglingen mit Windeldermatitis fand unter Dexpanthenol- bzw. Zinkoxid-haltiger Salbe gegenüber einer wirkstofffreien Salbe einen verminderten transepithelialen Wasserverlust, aber keinen klinischen Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen (Wananukul et al. 2006). Dagegen weist ein explorativer Halbseitenvergleich an 30 Kindern mit leichter bis mäßiger atopischer Dermatitis nach 4-wöchiger Behandlung auf eine äquieffektive Wirksamkeit von 5%iger Dexpanthenolsalbe gegenüber 1%iger Hydrocortisonsalbe bei allerdings signifikant schnellerem Wirkungseintritt unter der Corticoidbehandlung hin (Udompataikul und Limpa-o-vart 2012). Kontaktallergien gegen das ubiquitär in Pharmazeutika, Kosmetika und Pflegemitteln eingesetzte Dexpanthenol sind beschrieben (z. B. Clerens und Goossens 2017).
Cremes auch Zinkoxid-haltige Zubereitungen (. Tab. 23.16) zur Verfügung. Sie wirken adstringierend, austrocknend und exsudatbindend und werden außer zur Randabdeckung von Ulcera crurum vor allem in der Säuglingsund Kleinkinderpflege, bei Windeldermatitis, subakuten intertriginösen Entzündungen oder bei Dekubitalläsionen eingesetzt und sind nach kontrollierten klinischen Studien wirksam (Lansdown et al. 2007).
23.11.4
Wundauflagen
Zur Wundabdeckung wird eine nahezu unübersehbare Zahl verschiedenster Wundauflagen angeboten. Allen gemeinsam ist der Versuch, die physiologische Wundheilung durch Erhaltung eines feuchten Wundmilieus zu unterstützen. Man unterscheidet inaktive (konventionelle), interaktive und (bio)aktive (aus Transplantatmaterialien bestehende) Wundauflagen (Kujath und Michelsen 2008). Als inak23.11.3 Zinkoxid tive Wundauflagen werden Mullkompressen, Vliese oder Wundgaze eingesetzt. Sie besitZur Abdeckung der Wundränder und zur zen eine hohe Saugfähigkeit und werden zur Hautpflege stehen neben wirkstofffreien Erhaltung eines feuchten Milieus in der Re-
524
23
Kapitel 23 Dermatika
gel mit physiologischer Kochsalzlösung getränkt und mit einer wasserdichten Folie abgedeckt. Vorteile sind ihre hohe Saugfähigkeit und der niedrige Preis. Nachteilig sind ein mögliches Austrocknen der Wunde und das Verkleben mit dem Wundgrund, wodurch frisches Granulationsgewebe beim (für den Patienten sehr schmerzhaften) Verbandwechsel zerstört werden kann. Interaktive Wundauflagen wie Alginate, Hydrokolloide, mit Salben imprägnierte Gaze oder silberhaltige Auflagen (. Tab. 23.16) ermöglichen aufgrund ihrer besonderen Materialeigenschaften optimale Bedingungen der Wundheilung und werden entsprechend den jeweiligen Wundheilungsphasen eingesetzt. Vorteile bestehen in einem selteneren und weitgehend schmerzfreien Verbandwechsel (Dissemond et al. 2014). Allerdings ist mit der vorliegenden Evidenz aus klinischen Studien zu Hydrokolloiden, Alginaten, Schaumverbänden und Hydrogelen unklar, ob diese gegenüber anderen Verbänden relevante Vorteile bei der Wundheilung besitzen (Dumville et al. 2015a, 2015b, 2016). Allenfalls bei der Behandlung eines diabetischen Fußsyndroms scheinen Hydrogelauflagen gegenüber konventionellen Wundverbänden einen geringfügigen Vorteil für die Wundheilung zu besitzen (Saco et al. 2016). Silberhaltige Wundauflagen bzw. Wundbehandlungsmittel (Flammazine) werden bei infizierten oder infektionsgefährdeten Wunden, z. B. bei Dekubitus, Ulcus cruris oder diabetischem Fuß bzw. nach Verbrennungen, Verbrühungen und Verätzungen eingesetzt. Silberionen bilden Komplexe mit bakteriellen Proteinen, schädigen irreversibel Zellmembran, Enzyme oder die DNA und wirken so bakterizid (Dissemond et al. 2014). Nach einer systematischen Literatursichtung lassen sich bei Brandwunden für silberhaltige Wundauflagen aber keine relevanten Vorteile gegenüber nicht silberhaltigen Wundauflagen nachweisen. Dies gilt insbesondere für Sulfadiazin-Silber haltige Wundverbände und -behandlungsmittel (Nímia et al. 2019). Ähnliche Ergebnisse werden auch für Brandwunden bei Kindern gefunden (Rashaan et al. 2014). Bei Geschwüren
aufgrund chronisch-venöser Insuffizienz oder zur Infektionsprophylaxe nach Verbrennungen besitzen silberhaltige Wundbehandlungsmittel ebenfalls keinen nachgewiesenen Nutzen (Barajas-Nava et al. 2013; O’Meara et al. 2014). Polihexanid ist ein seit den 1960er Jahren bekanntes Antiseptikum mit breitem Wirkungsspektrum, das in Form von Wundauflagen (Dracofoam) bei infizierten akuten und chronischen Wunden eingesetzt wird. Polihexanid hat ein breites Wirkspektrum, es zeigt antimikrobielle Eigenschaften gegen gramnegative und grampositive Bakterien, einschließlich Enterokokken und Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) sowie Candida albicans. Nach In-vitro-Untersuchungen besitzt Polihexanid – neben Octenidin (. Tab. 23.8) – im Vergleich zu anderen Antiseptika die besten antimikrobiellen Eigenschaften gegen verschiedene MRSAStämme (Dittmann et al. 2019). Seine antiseptische Wirkung tritt langsamer ein als bei Octenidin oder Povidon Jod (Dissemond et al. 2009; Fjeld und Lingaas 2016). Polihexanid besitzt eine gute Zell- und Gewebeverträglichkeit und hat antientzündliche und wundheilungsfördernde Eigenschaften. Kontaktsensibilisierungen sind selten und Resistenzen unter der Therapie bisher nicht beschrieben (Eberlein und Assadian 2010; Willy et al. 2016). Insgesamt werden Wundauflagen – mit Ausnahme von Dracofoam – auch 2019 im Vergleich zum Vorjahr wieder seltener verordnet.
23.11.5
Andere Wundbehandlungsmittel
Clostridiopeptidase (Iruxol N) ist eine bakterielle Kollagenase und wird zur enzymatischen Reinigung kutaner Ulzera von nekrotischem Gewebe eingesetzt. Systematische Übersichten finden jedoch nur schwache Belege für die Wirksamkeit eines enzymatischen Wunddebridements für den diabetischen Fuß oder Dekubitalgeschwüre (Patry und Blanchette 2017).
525 23.12 Hautschutz- und Pflegemittel
Für die kombinierte Anwendung von Dexpanthenol und Chlorhexidin fehlen klinische Studien, die die spezifische Zusammensetzung zur Wundbehandlung hinreichend begründen. Eine systematische Übersichtsarbeit findet auf Grundlage der derzeitigen Literatur – mit Ausnahme von Cadexomer-Iod – keine ausreichenden Belege für eine Routineanwendung von Antiseptika oder Antibiotika bei chronischen Beinulcera aufgrund von venöser Insuffizienz (O’Meara et al. 2014). Hamamelisextrakt (Hametum) hat den Status eines traditionell angewendeten Phytotherapeutikums bei trockenen oder entzündlichen Hautzuständen, da keine aussagekräftigen Studien zur Wirksamkeit vorliegen (European Medicines Agency 2009). Auch für Kamillenblütenextrakt (KamillinExtern Robugen) erkennt die Europäische Zulassungsbehörde lediglich einen traditionellen Gebrauch zur Behandlung bei leichten entzündlichen Hauterkrankungen und oberflächlichen Wunden an, da ausreichende Belege für eine therapeutische Wirksamkeit fehlen (European Medicines Agency 2015).
23.12
Hautschutz- und Pflegemittel
Die Wirksamkeit einer lokalen Behandlung von Hautkrankheiten wird nur selten vom pharmakologischen Wirkstoff allein bestimmt. Eine wesentliche Bedeutung hat in der Dermatologie auch die galenische Grundlage (Wohlrab 2016). Aus diesem Grund gehörten Basistherapeutika sowie Hautschutz- und
23
Pflegemittel über viele Jahre zu den häufig verordneten Dermatika, darunter vor allem Basiszubereitungen corticosteroidhaltiger Externa und harnstoffhaltige Basistherapeutika. Hautschutz- und Pflegemittel werden vor allem seit 2004 als Auswirkung des GKV-Modernisierungs-Gesetzes nur noch wenig verordnet, da dieses Marktsegment ausschließlich durch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel repräsentiert wird. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile nur noch wenige Fertigarzneimittel in diesem Marktsegment unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln vertreten sind (. Tab. 23.17). Die verschreibungsfreien Mittel können zu Lasten der GKV nur noch an Kinder unter 12 Jahren und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen unter 18 Jahren verordnet werden. Basistherapeutika und Emollientien werden aber zur unterstützenden Behandlung trockener oder schuppender Dermatosen wie Psoriasis und Neurodermitis eingesetzt und bei Patienten mit atopischem Ekzem oder therapiebedürftiger Psoriasis vulgaris auch empfohlen (Deutsche Dermatologische Gesellschaft et al. 2015; Deutsche Dermatologische Gesellschaft 2017). Die wirkstofffreien Basistherapeutika kommen zudem bei seborrhoischer Haut, berufsbedingten Hautschäden sowie zur Corticosteroidfreien Intervallbehandlung von Dermatosen zum Einsatz. Die diskontinuierliche topische Corticosteroidbehandlung (Tandem- bzw. Intervalltherapie) ist allgemein akzeptiert, da sich damit Glucocorticoide einsparen und deren unerwünschte Wirkungen mildern oder sogar vermeiden lassen (Van Zuuren et al. 2017).
526
Kapitel 23 Dermatika
. Tabelle 23.17 Verordnungen von Hautschutz-/Pflegemitteln und sonstigen Dermatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
23
DDD
Änderung
DDDNettokosten
Mio.
%
Euro
Hautschutz- und Pflegemittel Sanacutan Basiscreme/-salbe
Wirkstoff-freie Grundlage
8,6
(C49,5)
0,30
Linola/-Fett
Ungesättigte Fettsäuren
4,0
(8,2)
0,58
Allergika Basis
Wirkstoff-freie Grundlage
0,83
(8,6)
0,24
Linola Fett-N Ölbad
Paraffin, dickflüssig Hexadecyl(2-ethylhexanoat)-Octadecyl(2ethylhexanoat)-Isopropylmyristat ’-Dodecyl-¨-hydroxypoly(oxyethylen)-2 (Dodecyltetradecyl)-¨hydroxypoly(oxyethylen)-4,5-poly(oxypropylen)-5
0,58
(C1,0)
0,34
Neuroderm Mandelölbad
Mandelöl Paraffin, dünnflüssig
0,44
(C3,9)
1,13
14,5
(C20,4)
0,40
Sonstige Dermatika Vagantin
Methanthelinium
1,6
(2,2)
1,04
Crinohermal fem
Estradiol Flupredniden
1,00
(14,5)
0,55
2,5
(7,4)
0,85
17,0
(C15,2)
0,47
Summe
23.13
Sonstige in der Dermatologie eingesetzte Mittel
Crinohermal fem ist eine Fixkombination aus Estradiol und Flupredniden und besitzt die Zulassung zur symptomatischen Behandlung von Frauen mit mäßig ausgeprägten Entzündungen der Kopfhaut, die auf ein mittelstarkes Glucocorticoid ansprechen. Im Vordergrund steht damit die Glucocorticoidwirkung. Der therapeutische Beitrag von Estradiol ist dagegen zweifelhaft (Hoffmann und Happle 2000). Seit Jahren fehlen Studien, die belegen, dass die Kombi-
nation besser wirksam ist als die Einzelmittel. Methantheliniumbromid (Vagantin) ist ein orales Anticholinergikum, das nach Abschluss der Nachzulassung seit 2015 nur noch zur Behandlung einer persistenten exzessiven idiopathischen primären Hyperhydrosis axillaris zugelassen ist. An rund 400 Patienten wurde die Schweißproduktion in der Axilla, aber nicht an den Händen vermindert (Hund et al. 2004; Müller et al. 2013). Die klinische Bedeutung dieses Effektes bleibt allerdings unklar. Typische anticholinerge Nebeneffekte wie Mundtrockenheit, trockene Schleimhäute in Auge und Nase, Akkommodationsstörungen sowie Harnverhalt begleiten die Anwendung.
527
23
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528
23
Kapitel 23 Dermatika
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Kapitel 23 Dermatika
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537
24
Diuretika Hartmut Oßwald und Bernd Mühlbauer
Auf einen Blick
Trend Von den Diuretika werden hauptsächlich Schleifendiuretika und Thiazide verordnet. Aldosteronantagonisten folgen mit deutlichem Abstand. Schleifendiuretika sind weiterhin die dominierende Gruppe der Diuretika und machten 2019 über 60 % der verordneten Tagesdosen dieser Gruppe aus. Bei den Thiaziddiuretika ist ein verstärkter Wechsel von Hydrochlorothiazid zu Chlortalidon und Indapamid zu beobachten, der vermutlich mit dem erhöhten Hautkrebsrisiko unter Hydrochlorothiazid zusammenhängt. Die Thiazidkombinationen setzten ihren seit 10 Jahren zu beobachtenden Rückgang weiter fort. Der Einsatz von Spironolacton und Eplerenon nahm weiter zu, während Spironolacton-Furosemidkombinationen deutlich abnahmen. Bewertung Die Verordnung von Diuretika ist nach wie vor ein fester Bestandteil der Therapie von Hypertonie, Herzinsuffizienz und Ödemen. Die Abnahme der Verordnungen von fixen Kombinationen von Thiaziden mit kaliumsparenden Diuretika spiegelt den Fortschritt der Pharmakotherapie der Herz-Kreislauferkrankungen wieder. Auch Aldosteronantagonisten gehören zur Standardtherapie der Herzinsuffizienz, wobei es keinen Beleg für einen patientenrelevanten Vorteil von Eplerenon gegenüber Spironolacton gibt.
Diuretika werden zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt, bei denen das therapeutische Ziel die Verminderung des Extrazellulärvolumens durch Vermehrung der Ausscheidung von Salz und Wasser ist. Hauptindikationen sind arterielle Hypertonie, Herzinsuffizienz sowie Ödeme kardialer, hepatischer und renaler Genese. Diuretika vergrößern den Harnfluss vor allem über eine Hemmung der Rückresorption von Natrium und Chlorid in der Niere. Die einzelnen Gruppen von Diuretika wirken an verschiedenen Tubulusabschnitten des Nephrons und unterscheiden sich in Stärke und Dauer ihrer diuretischen Wirkung. Bei Thiaziden und ihren Analoga tritt die Wirkung relativ langsam ein, sie wirken 6 bis 72 h. Ihre maximale Wirkungsstärke liegt bei einer Ausscheidung von etwa 5–10 % der glomerulären Filtrationsrate. Die Wirkung von Schleifendiuretika tritt schneller ein und ist in der Regel kürzer. Sie sind stärker wirksam als Thiazide und können bis zu 30 % des glomerulären Filtrats zur Ausscheidung bringen. Sie sind auch noch bei eingeschränkter Nierenfunktion wirksam. Kaliumsparende Diuretika führen zu einer Hemmung der Kaliumausscheidung, während ihre natriuretische Wirkung sehr schwach ausgeprägt ist. Ihre therapeutische Bedeutung besteht daher vor allem in der Korrektur der Hypokaliämien, wie sie bei der diuretischen Therapie mit Thiaziden und Schleifendiuretika entstehen können. Aus diesem Grunde werden sie ausschließlich in Kombination mit den beiden anderen Diuretikagruppen angewendet. Aldosteronantagonisten haben ebenfalls eine hemmende Wirkung auf die Kaliumausscheidung und wurden früher hauptsächlich bei
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_24
Kapitel 24 Diuretika
538
24.1
Verordnungsspektrum
Das Verordnungsvolumen der gesamten Indikationsgruppe der Diuretika ist 2019 leicht auf 1.883 Mio. DDD (C1,1 %) angestiegen (vgl. . Tab. 1.2). Schleifendiuretika sind seit über 20 Jahren die am häufigsten verordnete Gruppe aller Diuretika und hielten das seit 2010 erreichte stabile Verordnungsniveau bis 2018 bei (. Abb. 24.1). Im Jahr 2019 nahm das Verordnungsvolumen jedoch etwas zu. Die Thiazidmonopräparate zeigten in den letzten 10 Jahren eine leichte, aber kontinuierliche Abnahme (14 %), während sich bei den Thiazidkombinationen mit Triamteren und Amilorid die rückläufige Entwicklung mit einer Abnahme um über 60 % fortgesetzt hat (. Abb. 24.1). Als Grund wird der zunehmende Einsatz von ACE-Hemmern und AT1 Rezeptorantagonisten gesehen, die über die Verringerung der Aldosteronsekretion ebenfalls antikaliuretisch wirken.
1400
1200
1210
1205
1198
1221
1210
1209
1191
1206
1240
1200
1000
(Mio. DDD)
24
Hyperaldosteronismus eingesetzt. Seit vielen Jahren gehören sie mit Diuretika, ACE-Inhibitoren und Betarezeptorenblockern zur Standardtherapie der schweren Herzinsuffizienz. Eine neue Klasse von diuretisch wirksamen Substanzen sind die spezifischen Hemmstoffe des Natrium-Glucose Kotransporters 2 (SGLT2) im proximalen Tubulus der Niere. Sie führen zu einer vermehrten Ausscheidung von Glucose, Natrium und Wasser. Die SGLT2Inhibitoren Empagliflozin und Canagliflozin verringerten bei Patienten mit Typ-2-Diabetes in zwei großen klinischen Studien kardiovaskuläre Endpunkte (Zinman et al. 2015, EMPAREG OUTCOME; Neal et al. 2017, CANVAS). Weiterhin führte Canagliflozin zu einer Verlangsamung der fortschreitenden diabetischen Nephropathie (Perkovic et al. 2019, CREDENCE; siehe auch 7 Kap. 15 Antidiabetika). Der dritte Vertreter der Wirkstoffklasse, Dapagliflozin, erhielt im Mai 2020 die FDAZulassung zur Behandlung der Herzinsuffizienz diabetischer und nicht-diabetischer Patienten, was die pharmakologische Einordnung auch als Diuretikum unterstreicht (Food and Drug Administration 2020).
800 Schleifendiuretika Thiazide Thiazidkombinationen 600 466
457
447
436
436
420
425
418
409
400
200
162
0 2010
143
2011
125
2012
113
2013
104
2014
94
2015
85
76
70
2016
2017
2018
. Abb. 24.1 Verordnungen von Diuretika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
401
60
2019
24
539 24.1 Verordnungsspektrum
24.1.1
Thiazide und Thiazidanaloga
Thiaziddiuretika sind in der Gruppe der 3.000 am häufigsten angewandten Präparate weiterhin mit vier Wirkstoffen vertreten (. Tab. 24.1), die sich in ihrem Wirkungsprofil deutlich voneinander unterscheiden. Die Verordnungen von Hydrochlorothiazid nahmen im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab, während die Verordnungen von Indapamid und Chlortalidon stark zunahmen (. Tab. 24.1). Ursache
des Rückgangs der Hydrochorothiazidverordnungen sind vermutlich die Ergebnisse von zwei pharmakoepidemiologischen Studien aus Dänemark über ein erhöhtes Risiko von nichtmelanozytärem Hautkrebs im Zusammenhang mit der Anwendung von Hydrochlorothiazid (Pottegård et al. 2017; Pedersen et al. 2018), auf die auch in einem Rote-Hand-Brief der Herstellerfirmen in Abstimmung mit den Arzneimittelbehörden hingewiesen wurde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2019).
. Tabelle 24.1 Verordnungen von Thiaziddiuretika 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Hydrochlorothiazid HCT Dexcel
Hydrochlorothiazid
177,5
(19,7)
0,18
HCT-1 A Pharma
Hydrochlorothiazid
20,9
(52,2)
0,18
HCT HEXAL
Hydrochlorothiazid
20,2
(49,3)
0,17
HCT beta
Hydrochlorothiazid
8,4
(C12,8)
0,16
227,0
(27,3)
0,18
Xipamid Xipamid AAA Pharma
Xipamid
57,0
(C33,6)
0,19
Xipamid-ratiopharm
Xipamid
4,8
(56,8)
0,19
Xipamid-1 A Pharma
Xipamid
2,8
(C199,3)
0,17
64,6
(C18,1)
0,19
Indapamid Indapamid Heumann
Indapamid
31,4
(C132,7)
0,37
Natrilix
Indapamid
3,0
(C304,5)
0,51
Indapamid AL
Indapamid
1,9
(C294,1)
0,43
36,3
(C146,6)
0,38
65,8
(C146,7)
0,13
393,6
(3,6)
0,19
Chlortalidon Hygroton Summe
Chlortalidon
540
24
Kapitel 24 Diuretika
Chlortalidon (Hygroton) entspricht in seinem natriuretischen Wirkprofil dem des Hydrochlorothiazid, weist aber eine wesentlich längere Halbwertszeit von 47 h auf, die im Alter zunehmen kann. Der Gefahr der Kumulation und der Wechselwirkungen mit anderen Pharmaka steht die stabilere Wirkungsdauer auch bei gelegentlichem Vergessen der Einnahme gegenüber. Chlortalidon hat auch 2019 einen deutlichen Zuwachs an Verordnungen gezeigt. Dies dürfte auf seinem durch die ALLHAT-Studie demonstrierten therapeutischen Nutzen beruhen (The ALLHAT Officers and Coordinators 2003). Weiterhin hat ein systematischer Review mit Netzwerkmetaanalyse gezeigt, dass das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse durch Chlortalidon im Vergleich zu Hydrochlorothiazid um 21 % reduziert wird (Roush et al. 2012). Das erhöhte Hautkrebsrisikos unter Hydrochlorothiazid, bisher aber nicht unter Chlortalidon ist ein weiteres Argument für die vermehrte Verordnung von Chlortalidon (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2019). Das Thiazidanalogon Xipamid ist in seinem Wirkungseintritt und der Wirkungsdauer dem Hydrochlorothiazid ähnlich, hat aber in höheren Dosierungen (40–80 mg) eine etwas stärkere diuretische Wirkung und kann daher auch bei niereninsuffizienten Patienten eingesetzt werden (Oßwald et al. 2004). Xipamidverordnungen sind 2019 ebenfalls angestiegen(. Tab. 24.1). Indapamid ist bis zu einer Tagesdosis von 2,5 mg ein Antihypertensivum ohne diuretische Wirkung. In höheren Dosierungen von 5 mg ruft es einen den Thiaziden ähnlichen diuretischen Effekt hervor, der jedoch die blutdrucksenkende Wirkung nicht steigert (Oßwald et al. 2004). Es kann auch in niedriger Dosierung Hypokaliämien auslösen. Das Verordnungsvolumen dieses überdurchschnittlich teuren Diuretikums ist 2019 ebenfalls stark angestiegen (. Tab. 24.1). Insgesamt stellen Thiazidmonopräparate 2019 13 % der Diuretikaverordnungen dar (. Tab. 24.5). Dieser gering erscheinende Prozentsatz sollte nicht darüber hinweg-
täuschen, dass diese Substanzgruppe häufig in Fixkombination mit anderen Antihypertensiva (z. B. ACE-Inhibitoren und AT1 Rezeptorantagonisten) angewandt wird und ein bewährtes Therapieprinzip darstellt (siehe 7 Abschn. 24.2 Therapeutische Aspekte). 24.1.2
Thiazidkombinationen
Auch 2019 sind die fixen Kombinationen von Thiaziddiuretika mit kaliumsparenden Diuretika deutlich weniger als im Vorjahr verordnet worden, so dass ihr Anteil auf 2 % aller Diuretikaverordnungen zurückfiel (. Tab. 24.5). Dies beruht vermutlich auf der bereits erwähnten hohen Verordnungshäufigkeit von ACEInhibitoren und AT1 -Rezeptorantagonisten bei der Behandlung von Herzinsuffizienz und arterieller Hypertonie. Die Kombinationen mit Amilorid haben nur noch einen Anteil von 23 % am Gesamtvolumen der Thiazidkombinationen (. Tab. 24.2).
24.1.3
Schleifendiuretika
Die Verordnungen der Schleifendiuretika blieben seit 2010 nahezu konstant, stiegen aber 2019 um 3,2 % an (. Abb. 24.1, . Tab. 24.3). Wie schon im Vorjahr nahmen die Verordnungen von Torasemid zu und die von Furosemid ab, obwohl die mittleren DDD-Kosten für Torasemid immer noch über denen von Furosemid liegen. Piretanid spielt trotz einer Zunahme in 2019 nur eine untergeordnete Rolle (. Tab. 24.3). Allerdings muss, wie auch bei Furosemid, berücksichtigt werden, dass DDD-Kosten ein verfälschtes Bild abgeben können, wenn bestimmte Präparate auch als hochdosierte Arzneiformen (z. B. 200 mg) bei niereninsuffizienten Patienten eingesetzt werden. Aus methodischen Gründen werden die Tagesdosen hochdosierter Präparate auf die WHO-DDD von 15 mg umgerechnet und weisen dadurch niedrigere DDD-Kosten auf.
24
541 24.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 24.2 Verordnungen von kaliumsparenden Diuretikakombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Triamterenkombinationen Turfa/gamma
Hydrochlorothiazid Triamteren
17,5
(C52,8)
0,15
Nephral
Hydrochlorothiazid Triamteren
6,3
(56,9)
0,15
Dytide H
Hydrochlorothiazid Triamteren
5,2
(15,4)
0,17
Triamteren HCT AL
Hydrochlorothiazid Triamteren
4,6
(51,6)
0,15
Triamteren comp-ratiopharm
Hydrochlorothiazid Triamteren
3,6
(8,1)
0,15
Triampur comp/forte
Hydrochlorothiazid Triamteren
3,0
(15,6)
0,15
Dehydro Sanol tri/-mite
Triamteren Bemetizid
2,6
(0,7)
0,32
42,7
(17,4)
0,16
Amiloridkombinationen Tensoflux
Bendroflumethiazid Amilorid
8,1
(C18,3)
0,30
Amilorid comp-ratiopharm
Hydrochlorothiazid Amilorid
4,6
(0,0)
0,14
12,7
(C10,9)
0,24
55,5
(12,3)
0,18
Summe
Nach wie vor fehlen zweifelsfreie klinische Belege für eine Überlegenheit von Torasemid gegenüber Furosemid. Von insgesamt zehn klinischen Vergleichsstudien wurden signifikante Unterschiede zwischen Furosemid und Torasemid nur in zwei Studien beobachtet. In der offenen Einjahresstudie von Murray et al. (2001) war die Klinikwiederaufnahme herzinsuffizienter Patienten in der Torasemidgruppe (17 %) niedriger als in der Furosemidgruppe (32 %). Wegen des offenen Studiendesigns und des subjektiv beeinflussbaren Endpunktes ist das Ergebnis jedoch nicht aussagekräftig. Das
gleiche gilt für die Aszitesstudie von Gentilini et al. (1993) wegen zu geringer Patientenzahl. Die Frage nach der möglichen Überlegenheit von Torasemid gegenüber Furosemid in der klinischen Praxis wird in einer neueren Übersicht ausführlich diskutiert (Buggey et al. 2015). Die Autoren stimmen unserem Urteil zu, dass eine große prospektive, randomisierte, kontrollierte klinische Studie durchgeführt werden sollte, um im direkten Vergleich die Wirksamkeit von Furosemid mit Torasemid bei der Therapie der Herzinsuffizienz definitiv beurteilen zu können.
542
Kapitel 24 Diuretika
. Tabelle 24.3 Verordnungen von Schleifendiuretika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2018 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Furosemid
24
Furosemid-ratiopharm
Furosemid (h)
188,4
(7,0)
0,12
Furobeta
Furosemid (h)
26,4
(14,2)
0,12
Furorese
Furosemid (h)
13,6
(9,0)
0,12
Furosemid-1 A Pharma
Furosemid (h)
12,1
(3,0)
0,10
Furosemid AbZ
Furosemid (h)
10,2
(20,2)
0,11
Furosemid AL
Furosemid (h)
2,7
(2,8)
0,11
Lasix
Furosemid (h)
1,2
(10,9)
0,23
254,6
(8,3)
0,12
Torasemid Torasemid AL
Torasemid (h)
563,1
(C22,0)
0,21
Torasemid-1 A Pharma
Torasemid (h)
237,5
(0,9)
0,17
Torasemid HEXAL
Torasemid (h)
153,8
(19,7)
0,13
Torasemid AbZ
Torasemid
14,0
(C5,1)
0,21
Torasemid-ratiopharm
Torasemid (h)
2,1
(26,3)
0,17
Torasemid AAA Pharma
Torasemid (h)
1,4
(45,2)
0,28
Torem
Torasemid (h)
0,97
(26,8)
0,23
972,8
(C6,6)
0,19
Piretanid Piretanid HEXAL
Piretanid
3,0
(6,0)
0,30
Piretanid-1 A Pharma
Piretanid
2,2
(C7,7)
0,29
Arelix
Piretanid
1,8
(C72,8)
0,30
Piretanid AL
Piretanid
1,7
(C39,7)
0,27
8,7
(C15,9)
0,29
1.236,1
(C3,2)
0,17
Summe
Aldosteronantagonisten
lussystem wird die Natriumausscheidung verstärkt und die Kaliumausscheidung gesenkt. Der diuretische Effekt von Spironolacton ist Spironolacton ist ein kompetitiver Antagonist gering. Er setzt am zweiten Tag ein und erdes Mineralocorticoids Aldosteron. Durch Ver- reicht sein Maximum nach 3–5 Tagen. Die minderung der Natriumreabsorption im Tubu- klassische Indikation von Spironolacton ist 24.1.4
24
543 24.1 Verordnungsspektrum
180 Spironolacton Spironolacton-Kombinationen Eplerenon
160
165 150 141
140
132 118
120
112 97
(Mio. DDD)
123
106
101
100
80
60
40
31
28
26
24
27
18
17
16
2017
2018
24
23
21
19
20
13
15
18
11 2013
2014
2015
2016
20 6 0 2010
7 9 2011
2012
2019
. Abb. 24.2 Verordnungen von Aldosteronantagonisten 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
die Behandlung des primären und sekundären Hyperaldosteronismus sowie die Therapie von Ödemen bei chronischer Herzinsuffizienz, Leberzirrhose und nephrotischem Syndrom, wenn andere Diuretika nicht ausreichend wirksam waren. Nach den Ergebnissen der RALES-Studie verringert Spironolacton, zusätzlich zur Standardtherapie gegeben, die Mortalität bei schwerer Herzinsuffizienz (Pitt et al. 1999). Als eine mögliche Ursache für diesen günstigen Effekt wird zurzeit diskutiert, dass Spironolacton die Aldosteron-bedingte Steigerung der Fibroblastenproliferation im Myokard hemmt. Während der Therapie mit Spironolacton muss grundsätzlich der Serumkaliumspiegel kontrolliert werden, weil auch bei gleichzeitiger Gabe von Thiaziden oder Schleifendiuretika eine Hyperkaliämie auftreten kann. Angesichts der niedrigen Spironolactontagesdosen in dieser Indikation wurde diese Gefahr bisher als gering erachtet. Eine Studie zeigte jedoch unter Behandlung mit Spironolacton eine durchaus ernstzunehmende Rate an Hyperkaliämien, gekoppelt mit einem Anstieg der Zahl der Klinikeinweisungen (Juurlink et al.
2004). In der ESC/ESH-Leitlinie wird Spironolacton auch bei therapieresistenter Hypertonie als viertes Arzneimittel zusätzlich zu ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorantagonisten, Diuretikum und Calciumantagonisten empfohlen (Williams et al. 2018), ist aber für diese Indikation nicht zugelassen. Die Verordnungsfrequenz der Spironolactonmonopräparate hat auch in 2019 den seit Jahren beobachteten kontinuierlichen Anstieg fortgesetzt. Seit 2010 hat sich das Verordnungsvolumen um 70 % erhöht (. Abb. 24.2). Das ist vor allem auf die hinzugekommene Indikation der systolischen Herzinsuffizienz zurückzuführen. Die Verordnung der Spironolactonkombinationen war 2019 insgesamt rückläufig (. Tab. 24.4). Die unterschiedliche Wirkungsdauer von Furosemid (4–6 h) und von Spironolacton (48–72 h) erfordert in der Praxis eine genaue Beobachtung des angestrebten Kombinationseffektes, um Entgleisungen der Elektrolyte zu vermeiden. Der zweite Aldosteronantagonist Eplerenon soll nicht über die unerwünschten antiandrogenen und progestagenen Nebenwirkungen
544
Kapitel 24 Diuretika
. Tabelle 24.4 Verordnungen von Aldosteronantagonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Spironolacton
24
Spironolacton-ratiopharm
Spironolacton
98,5
(C3,7)
0,30
Aldactone Tabletten/Kapseln
Spironolacton
16,5
(C18,3)
0,46
Spironolacton AL
Spironolacton
8,5
(C48,6)
0,29
Spironolacton HEXAL
Spironolacton
4,3
(1,3)
0,29
Spironolacton Aristo
Spironolacton
3,8
(C3,9)
0,29
Spironolacton-1 A Pharma
Spironolacton
3,5
(C34,5)
0,29
Spirobeta
Spironolacton
2,2
(C176,7)
0,29
137,2
(C8,9)
0,32
Eplerenon Eplerenon Heumann
Eplerenon
18,6
(C14,4)
3,40
Eplerenon beta
Eplerenon
3,2
(8,3)
3,20
Eplerenon AbZ
Eplerenon
2,0
(C46,1)
3,26
Eplerenon-PUREN
Eplerenon
1,6
(C48,7)
2,93
25,5
(C14,5)
3,33
Spironolacton und Schleifendiuretika Spiro comp-ratiopharm
Spironolacton Furosemid
12,9
(C57,2)
0,31
Spironolacton comp Heumann
Spironolacton Furosemid
2,8
(66,8)
0,31
15,7
(5,7)
0,31
178,4
(C8,2)
0,75
Summe
von Spironolacton verfügen. Von der europäischen Zulassungsbehörde erhielt die Substanz eng definierte Anwendungsbeschreibungen. Mit dem Behandlungsziel einer Verringerung des Risikos für kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität kann Eplerenon zusätzlich zur optimalen Standardtherapie eingesetzt werden bei stabilen Patienten mit linksventrikulärer Dysfunktion (LVEF 40 %) und klinischen Zeichen einer Herzinsuffizienz nach kürzlich aufgetretenem Herzinfarkt sowie bei Patien-
ten mit chronischer Herzinsuffizienz NYHA II und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion (LVEF 30 %). Grundsätzlich zu begrüßen sind klinisch relevante Endpunkte in der Zulassungsstudie. In dieser an über 6.600 Patienten durchgeführten Studie reduzierte die Zusatztherapie mit Eplerenon die Mortalität und Morbidität im Vergleich zur Placebogruppe, auch wenn der absolute Unterschied mit 2,3 % relativ gering war. Die Rate schwerer Hyperkaliämien war in der Eplerenongruppe signifikant
24
545 24.2 Therapeutische Aspekte
um 1,6 % gegenüber Placebo erhöht. Weitere Nebenwirkungen waren Hypotonie, Diarrhö und Nausea (Pitt et al. 2003, EPHESUS; Jacob und Tang 2011; Lachaine et al. 2011). Der für den Beleg einer wirklichen Innovation wohl wichtigste Vergleich, nämlich mit Spironolacton, wurde in dieser Studie nicht gemacht. Trotz seiner im Vergleich zu Spironolacton erheblich höheren Generikakosten hat sich das DDD-Volumen von Eplerenon erneut gegenüber dem Vorjahr weiter erhöht (. Tab. 24.4). Die derzeitigen Festbeträge für Eplerenon (z. B. 100 Tbl. 50 mg 199,41 C) liegen fast 7-fach höher als die Listenpreise von Eplerenongenerika in anderen europäischen Ländern (z. B. Niederlande: 100 Tbl 50 mg 30,00 C). Mit preisgünstigen niederländischen Eplerenongenerika wären 2019 also Einsparungen von 77 Mio. C bei den hier gelisteten Eplerenonpräparaten (Nettokosten 85 Mio. C) möglich gewesen.
24.2
Therapeutische Aspekte
Thiazide haben nach den günstigen Ergebnissen der ALLHAT-Studie mit Chlortalidon (The ALLHAT Officers and Coordinators 2003) weitere Unterstützung durch eine Metaanalyse von 42 klinischen Studien mit 192.478 Patienten erhalten, in der niedrig dosierte Diuretika die wirksamste Behandlung zur Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität der Hypertonie waren (Psaty et al. 2003). Diese Ergebnisse wurden in den aktuellen amerikanischen und europäischen Leitlinien zur Behandlung der Hypertonie mit der Empfehlung berücksichtigt, Thiaziddiuretika initial für die Behandlung der meisten Patienten mit unkomplizierter Hypertonie allein oder in Kombination mit anderen Antihypertonika einzusetzen (Whelton et al. 2018; Williams et al. 2018). Auch nach einer neueren Übersicht senken Thiaziddiuretika kardiovaskuläre Ereignisse bei der Behandlung der Hypertonie mindestens ebenso effektiv wie andere Arzneimittelgruppen, bei der Schlaganfallreduktion
. Tabelle 24.5 Verordnungen von Diuretika Arzneimittelgruppen
2018
2019
Mio. DDD
Mio. DDD
Thiaziddiuretika Monopräparate (. Abb. 24.1)
418
401
70
60
Kombinationen mit Betarezeptorenblockern (. Tab. 15.1)
172
196
Kombinationen mit ACE-Hemmern (. Tab. 6.2)
676
557
Kombinationen mit AT1 -Antagonisten (. Tab. 6.5)
591
545
Kombinationen mit AT1 -Antagonisten und Calciumantagonisten (. Tab. 6.6)
111
117
4
3
2.042
1.879
Monopräparate (. Abb. 24.1)
1.206
1.240
Summe
3.248
3.119
Kombinationen mit kaliumsparenden Diuretika (. Abb. 24.1)
Kombinationen mit Renininhibitoren (. Tab. 6.7)
Schleifendiuretika
546
24
Kapitel 24 Diuretika
sind sie sogar wirksamer als Betarezeptorenblocker und ACE-Hemmer (Roush et al. 2014). Die Verordnungen von Thiaziddiuretika sind seit mehreren Jahren leicht rückläufig (. Abb. 24.1). Um den vollen Verordnungsumfang der Thiaziddiuretika richtig einzuschätzen, müssen die zahlreichen Kombinationen mit anderen Antihypertensiva berücksichtigt werden, die vor allem in der Hochdrucktherapie eingesetzt werden. Insgesamt kommt dann 2019 ein beachtliches Verordnungsvolumen von 1.879 Mio. DDD (Vorjahr: 2.042 Mio. DDD) zusammen, das sich wie folgt zusammensetzt (siehe . Tab. 24.5). Damit liegt das Verordnungsvolumen von Thiaziddiuretika weitaus höher als die 1.240 Mio. DDD der Schleifendiuretika, die fast ausschließlich als Monotherapeutika verordnet werden. Weiterhin zeigt diese Zusammenstellung, dass immer noch 79 % der Verordnungen von Thiaziddiuretika auf fixe Kombinationspräparate entfallen. Das hohe Verordnungsvolumen von Schleifendiuretika hängt zum Teil damit zusammen, dass ein großer Anteil der verordneten DDD auf hochdosierte Arzneiformen für niereninsuffiziente Patienten entfallen. Ob diese stark wirksamen Mittel in allen übrigen Fällen einer Diuretikatherapie indiziert sind, ist fraglich. Bei intakter Nierenfunktion sind Thiazide erste Wahl zur Diuretikatherapie. Bei den inzwischen üblichen niedrigen Dosierungen von Thiaziden spielen die metabolischen Nebeneffekte nach einer Übersichtarbeit von 59 Studien mit 58.520 Patienten keine wesentliche Rolle mehr, da die blutzuckersteigernde Wirkung der Diuretika durch eine ausreichende Behandlung der Hypokaliämie weitgehend verhindert wird (Zillich et al. 2006).
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547
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Literatur
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549
25
Gichtmittel Bernd Mühlbauer und Gerhard Schmidt
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die spezifische Arzneitherapie der Gicht umfasst Xanthinoxidasehemmer, Colchicin und Benzbromaron. Standardmittel für die chronische Gicht ist Allopurinol, auf das 84 % aller Verordnungen entfallen. Der zweite Xanthinoxidasehemmer Febuxostat weist keine klinisch relevanten Vorteile gegenüber dem bewährten Allopurinol auf. Ein Rote-Hand-Brief mit Warnung vor kardiovaskulären Risiken führte noch nicht zum erwarteten Verordnungsrückgang, in 2019 war lediglich eine Umverteilung in Richtung der hinzugekommenen generischen Produkte zu beobachten. Beim akuten Gichtanfall wird Colchicin eingesetzt. Es ist 2019 erneut seltener verordnet worden als in den Vorjahren. Auch die Verordnungen des Urikosurikums Benzbromaron haben 2019 weiter abgenommen, sowohl als Monopräparat als auch in der Kombination mit Allopurinol.
Gicht ist eine Stoffwechselkrankheit mit erhöhten Harnsäurespiegeln im Serum, die durch erhöhte hepatische Bildung (selten) oder renale Minderausscheidung (häufig) bedingt ist. Die Hyperurikämie ist zunächst oft symptomlos. Gichtkomplikationen entstehen durch kristalline Ausfällung der Harnsäure. In der Synovia von Gelenken führt dies zu schmerzhaften Gichtanfällen, im Gewebe zu immunologischer Reaktion mit Knötchenbildung (Tophi), in der Niere zu Uratsteinen. Wichtige Risikofaktoren für die Entstehung einer Hyperurikämie sind Hypertonie (74 %), Niereninsuffizi-
enz (71 %), Adipositas (53 %) und Diabetes (14 %) sowie die Einnahme einiger Arzneimittel (Thiaziddiuretika, Ciclosporin und Tacrolimus) (Übersicht bei Dalbeth et al. 2016). Basis der Therapie ist eine Diät mit reduzierter Purinzufuhr. Der größte Teil der Harnsäure stammt jedoch aus dem körpereigenen Purinmetabolismus. Nach epidemiologischen Untersuchungen erhöhen Übergewicht und erheblicher Alkoholkonsum, unabhängig von der Harnsäureserumkonzentration, das Risiko eines Gichtanfalls (Lin et al. 2000). Neben purinarmer Kost sind daher Gewichtreduktion und Einschränkung des Alkoholkonsums wichtige nichtmedikamentöse Maßnahmen. Die asymptomatische Hyperurikämie erfordert keine routinemäßige Arzneitherapie, da viele hyperurikämische Patienten keine Gichtanfälle entwickeln und umgekehrt die Harnsäurespiegel bei einem akuten Gichtanfall im Normalbereich liegen können (Richette et al. 2017). Bei asymptomatischer Hyperurikämie wird zu häufig Allopurinol oder Febuxostat verordnet (NN 2014). Bei nur gering erhöhten Serumharnsäurewerten ist das Risiko oft größer als der Nutzen. Das gilt ganz besonders bei Patienten im höheren Lebensalter (Pasina et al. 2014). Trotzdem ist die Hyperurikämie mit einem Harnsäurespiegel über 6 mg/dl ein wichtiger Risikofaktor der Gicht (Shiozawa et al. 2017). Vor dem ersten Gichtanfall sind Tophi oder Nierenschäden selten nachweisbar. Die medikamentöse Therapie der symptomatisch gewordenen Gicht zielt auf die Behandlung des akuten Gichtanfalls und auf die dauerhafte Senkung der Harnsäurespiegel. Sie gliedert sich in drei Therapieprinzipien: Un-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_25
550
25
Kapitel 25 Gichtmittel
terdrückung der zum Gichtanfall führenden Entzündungsreaktion, Hemmung der Harnsäurebildung durch Urikostatika und Förderung der Harnsäureausscheidung durch Urikosurika. Die European League Against Rheumatism (EULAR) hat gut begründete evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnose und Therapie der Gicht entwickelt (Richette et al. 2017). Auch die aktualisierte Leitlinie des American College of Rheumatology empfiehlt Allopurinol als Therapie der ersten Wahl mit einer niedrigen Initialdosis von Allopurinol ( 100 mg/Tag) und Dosistitration auf einen Harnsäurezielwert von < 6 mg/dl (FitzGerald et al. 2020). Für die Therapie des akuten Gichtanfalls kommen Colchicin und nichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Naproxen, Indometacin) in Frage. Beide sind wirksam zur Linderung der akuten Gichtsymptome, haben aber auch ihre spezifischen Nebenwirkungen (FitzGerald et al. 2020). Colchicin kann insbesondere in höheren Dosierungen schwere Durchfälle auslösen, bei nichtsteroidalen Antiphlogistika besteht ein erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen. Üblicherweise werden nichtsteroidale Antiphlogistika verwendet. Diese Präferenz beruht jedoch mehr auf Tradition und persönlicher Erfahrung, da beide Behandlungen nicht direkt miteinander verglichen wurden. Neuere Untersuchungen favorisieren niedrigere Colchicindosen (van Echteld et al. 2014) gegenüber höheren und orale Glucocorticoide gegenüber nichtsteroidalen Antiphlogistika in der Therapie des akuten Gichtanfalls (Suresh und Das 2012). Die Verordnungen von nichtsteroidalen Antirheumatika (siehe Antirheumatika und Antiphlogistika, 7 Kap. 17) und Glucocorticoiden (siehe Corticosteroide, 7 Kap. 22) werden in separaten Kapiteln dargestellt. Orale Glucocorticoide (Prednisolon, Triamcinolon) sind Therapie der Wahl bei Kontraindikationen gegen Colchicin oder nichtsteroidale Antiphlogistika, wenn auch keine überzeugenden Studienbelege für diese Therapie existieren (Janssens et al. 2008). Mit Colchicin in geringeren Dosierungen ist auch
eine effektive Prophylaxe von Gichtanfällen möglich. Eine harnsäuresenkende Dauertherapie der symptomatisch gewordenen Gicht ist bei Patienten nach wiederholten Gichtanfällen, Gichtarthropathie, Tophi oder radiologischen Veränderungen indiziert. Ziel der Harnsäuresenkung ist die Auflösung bestehender Harnsäureablagerungen und die Prävention neuer Ablagerungen. Neben nichtmedikamentösen Maßnahmen wird eine Senkung der Serumharnsäure empfohlen, wenn die Zielwerte (< 6 mg/dl, bei schwerer Gicht unter 5 mg/dl) nicht erreicht werden. Allopurinol ist das Mittel der Wahl mit Anpassung der Dosierung an die Nierenfunktion. Wenn die Zielwerte mit Allopurinol nicht erreicht werden, können Febuxostat, ein Urikosurikum oder eine Kombination von Allopurinol mit einem Urikosurikum in Betracht gezogen werden (Richette et al. 2017). Trotz seines jahrzehntelangen Einsatzes ist die ausreichende Allopurinoldosis nicht befriedigend geklärt (Übersicht bei Sundy 2010). Eine Steigerung der Tagesdosis von 300 auf 600 mg erhöhte die Ansprechrate von 26 auf 78 %. Die maximale Tagesdosis beträgt 800 mg (Fachinformation Allopurinol ratiopharm 2018). Seit 2010 ist der Xanthinoxidasehemmer Febuxostat im Handel. Neben dem Originalpräparat (Adenuric) sind in 2019 erstmals vier Generika vertreten (Febuxodor TAD, Febuxostat Zentiva, Febuxostat beta, Febuxostatratiopharm). In den Zulassungsstudien senkte Febuxostat die Harnsäure effektiver als 300 mg Allopurinol, doch gegen höhere und damit effektivere Allopurinoldosen wurde es nicht geprüft. Als Vorteil wird in der Werbung darüber hinaus angegeben, dass Febuxostat zu lediglich 10 % renal eliminiert wird, was bei Patienten mit Nierenfunktionseinschränkung von Vorteil sein könnte (Love et al. 2010). In einem Cochrane-Review gab es nach dreijähriger Nachbeobachtung für Febuxostat (80 oder 120 mg/Tag) und Allopurinol keine signifikanten Unterschiede bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit (Tayar et al. 2012). Dies bestätigt eine weitere Metaanalyse direkter Ver-
551 25.1 Verordnungsspektrum
gleichsstudien: Die gegenüber Allopurinol etwas ausgeprägtere Senkung des Harnsäurespiegels unter Febuxostat schlug sich nicht in einer Reduktion klinischer Gichtsymptome nieder (Faruque et al. 2013). Alarmierende Befunde ergab eine Sicherheitsstudie, die aufgrund kardiovaskulärer Warnsignale in den Zulassungsstudien von den Behörden auferlegt wurde. Darin wies Febuxostat bei Patienten mit Gicht und kardiovaskulärer Vorerkrankung eine im Vergleich zu Allopurinol erhöhte Sterblichkeit auf (gesamt und kardiovaskulär), wenn auch der primäre kombinierte Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall sowie instabile Angina mit erforderlicher Katheterintervention) keine Unterlegenheit zeigte (White et al. 2018). Auch Vorhofflimmern war bei älteren Patienten nach Febuxostat häufiger als nach Allopurinol (Singh und Cleveland 2019). Das BfArM warnte Mitte 2019 vor diesen Risiken durch Präparate mit dem Wirkstoff Febuxostat (Rote-Hand-Brief 2019). Febuxostat soll demnach ausschließlich den seltenen Fällen vorbehalten bleiben, in denen Allopurinol wegen Unverträglichkeit nicht verwendet werden kann oder trotz ausreichender Dosierung nicht die angestrebten Uratkonzentrationen erreicht werden. Als Originalpräparat war Febuxostat 2019 sechsmal teurer als Allopurinol, die Generika waren doppelt bis dreimal so teuer. In 2019 sind den gesetzlichen Krankenkassen durch Verordnung dieser Präparate 42 Mio. C weitgehend unnötiger Ausgaben entstanden. Aufgrund der Risikowarnungen ist jedoch ein deutlicher Verordnungsrückgang zu erwarten.
25.1
Verordnungsspektrum
Seit vielen Jahren haben die Verordnungen von Allopurinol einen Anteil von über 80 % am DDD-Volumen der Gichtmittel (. Tab. 25.1). Auch 2019 haben sich die Allopurinolverordnungen gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Dagegen wurde Febuxostat trotz der
25
Einführung der ersten Generika weniger verordnet. Auch die Verordnungen von Colchicin und Benzbromaron waren rückläufig. Neben den Allopurinolmonopräparaten findet sich 2019 noch ein Kombinationspräparat aus Allopurinol und Benzbromaron auf der Liste der 3.000 häufigsten Verordnungen (. Tab. 25.1). Seine Verordnungszahlen sind gegenüber dem Vorjahr erneut zurückgegangen. Aus theoretischen Gründen könnte es sinnvoll erscheinen, die Prinzipien Xanthinoxidasehemmung und Urikosurie zu kombinieren, um dadurch eine Wirkungssteigerung zu erzielen oder eine Dosisreduktion der Einzelsubstanzen zu ermöglichen. Bisher ist dieses Konzept jedoch nur in einer Beobachtungsstudie bestätigt worden, in der die Kombination die Harnsäureserumspiegel stärker senkte als die Einzelkomponenten (Azevedo et al. 2014). Colchicin ist ein Alkaloid aus Blüten oder Samen der Herbstzeitlose. Es wird für die Akuttherapie des Gichtanfalls und die vorübergehende Anfallsprophylaxe zu Beginn einer medikamentösen Therapie zur Harnsäuresenkung eingesetzt. In Deutschland waren bisher nur Pflanzenextrakte der Herbstzeitlose auf dem Markt, während in anderen Ländern das Reinalkaloid als Handelspräparat zur Verfügung steht. Colchysat Bürger enthält einen Auszug aus frischen Herbstzeitlosenblüten, der lange Zeit als pflanzliches (und damit scheinbar harmloses) Arzneimittel in Packungsgrößen von 30 ml (15 mg) und 100 ml (50 mg) beworben wurde, obwohl Colchicin eine geringe therapeutische Breite mit einer Höchstdosis von 8 mg/Tag hat und letale Vergiftungen mit 4–26 mg vorgekommen sind. Daher wurden kürzlich eine Begrenzung der Abgabemenge sowie ein Verzicht auf die Darreichungsform als Tropfen gefordert (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2017). Anlass war eine tragische tödliche Überdosierung, bei der ein Patient zur Behandlung eines nächtlichen Gichtanfalls einen Schluck (ca. 50 ml) statt einiger Tropfen aus einer 100 ml-Flasche eingenommen hatte. Aufgrund dieser Fallmeldung wurde vom BfArM ein Stufenplanverfahren eingeleitet und die Packungsgröße mit
552
Kapitel 25 Gichtmittel
. Tabelle 25.1 Verordnungen von Gichtmitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Allopurinol
25
Allopurinol AL
Allopurinol
110,2
(C85,2)
0,23
Allopurinol Heumann
Allopurinol
79,8
(57,4)
0,25
Allopurinol AbZ
Allopurinol
54,5
(C46,2)
0,23
Allopurinol-ratiopharm
Allopurinol
47,2
(C52,3)
0,23
Allopurinol-1 A Pharma
Allopurinol
18,7
(C478,9)
0,22
Allobeta
Allopurinol
5,7
(C113,2)
0,25
Allopurinol HEXAL
Allopurinol
3,8
(C72,0)
0,27
Allopurinol STADA
Allopurinol
2,9
(C208,8)
0,18
Allo-CT
Allopurinol
0,97
(C25,0)
0,26
323,8
(0,4)
0,24
Febuxostat Adenuric
Febuxostat
40,4
(20,5)
1,23
Febuxodor TAD
Febuxostat
2,3
(Neu)
0,59
Febuxostat Zentiva
Febuxostat
1,9
(Neu)
0,57
Febuxostat beta
Febuxostat
1,7
(Neu)
0,55
Febuxostat-ratiopharm
Febuxostat
1,2
(Neu)
0,72
47,6
(6,5)
1,13
Colchicin Colchicum-Dispert
Herbstzeitlosensamenextrakt
2,9
(39,4)
1,44
Colchysat Bürger
Herbstzeitlosenblütenextrakt
1,2
(C10,4)
0,96
Colchicin Tiofarma
Colchicin
0,81
(Neu)
1,54
5,0
(16,7)
1,34
Benzbromaron
4,4
(16,8)
0,15
Allopurinol Benzbromaron
2,5
(5,7)
0,19
383,3
(1,7)
0,36
Benzbromaron Benzbromaron AL Kombinationspräparate Allopurinol-ratiopharm comp Summe
553
25
Literatur
100 ml Colchysat Bürger vom Markt genommen (Diesinger und Schriever 2017). Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Datenbankrecherche des BfArM ergab seit 1986 106 Fälle mit Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Colchicin, darunter 11 Todesfälle. Seit September 2019 ist erstmals chemisch synthetisiertes Colchicin als Reinalkaloid (Colchicin Tiofarma) auf dem deutschen Markt verfügbar, das im Oktober 2017 eine Zulassung über ein europäisches Verfahren der gegenseitigen Anerkennung erhielt und 2019 unter den meistverordneten Arzneimitteln vertreten war (. Tab. 25.1).
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555
26
Herztherapeutika Thomas Eschenhagen
Auf einen Blick
Herzglykoside gehen in ihren Verordnungszahlen unvermindert zurück, während sich Antiarrhythmika auf niedrigem Niveau stabilisiert haben. Für beide Gruppen fehlt eine klare Evidenz für prognostisch günstige Wirkungen, dazu haben Antiarrhythmika und Herzglykoside eine niedrige therapeutische Breite mit potentiell lebensbedrohlichen Nebenwirkungen. Die Verordnung von Nitraten und Molsidomin geht ebenfalls zurück, was wahrscheinlich zum Teil einer Abnahme von Patienten mit stabiler Angina pectoris geschuldet ist. Mit der Kombination aus Sacubitril und Valsartan ist ein neues Therapieprinzip zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz verfügbar, dessen Verordnung 2019 um etwa 70 % angestiegen ist.
Herztherapeutika umfassen Antiarrhythmika, Koronarmittel und Kardiaka inklusive Sacubitril und Valsartan, dessen Verordnung 2019 trotz hoher Therapiekosten weiter stark zugenommen hat und die von Digoxin überholt hat. Die Klassifikation orientiert sich primär an therapeutischen Kriterien und weniger an pharmakologischen Wirkungen, weil Nitrate, Molsidomin und auch Sacubitril/Valsartan ihren Hauptangriffspunkt nicht am Herzmuskel oder den Koronarien, sondern an peripheren Gefäßen haben bzw. in die neurohumorale Systemkontrolle eingreifen. Die Zusammenfassung folgt dem ATC-System der WHO.
26.1
Herzglykoside
Herzglykoside sind positiv inotrop wirkende Arzneimittel zur Behandlung der Herzinsuffizienz mit zusätzlich antiarrhythmischen Eigenschaften. Die Bedeutung der Herzglykoside insgesamt nimmt mit dem erfolgreichen Einsatz von ACE-Hemmern, Betarezeptorenblockern, Aldosteronantagonisten und Sacubitril/ Valsartan bei der Herzinsuffizienz und Betarezeptorenblockern beim Vorhofflimmern immer weiter ab.
26.1.1
Verordnungsspektrum
Wie in den vorangehenden Jahren nahm die Verordnungshäufigkeit aller Herzglykoside 2019 gegenüber dem Vorjahr erneut ab (51 % gegenüber 2010) (. Tab. 26.1, . Abb. 26.1). Dagegen nehmen die Verordnungen von ACE-Hemmern plus Angiotensinrezeptor-Blockern (7 Kap. 6) und Betarezeptorenblockern (7 Kap. 19) und Diuretika (7 Kap. 24) im selben Zeitraum weiter zu, was die Bedeutung der jeweiligen Gruppen in der leitliniengerechten Behandlung der Herzinsuffizienz widerspiegelt. Diese Entwicklung hat sich durch die Verfügbarkeit von Sacubitril/ Valsartan zusätzlich beschleunigt. Unter den häufig verordneten Digitalisglykosiden dominiert zunehmend Digitoxin. Dies ist durchaus kritisch zu sehen, weil überprüfte Normalwerte der Plasmakonzentration und kontrollierte Studien fehlen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_26
Kapitel 26 Herztherapeutika
556
. Tabelle 26.1 Verordnungen von Herzglykosiden und Neprilysin-Inhibitoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Digoxinpräparate
26
Novodigal
“-Acetyldigoxin
9,2
(11,3)
0,37
Lanicor
Digoxin
1,8
(C1,3)
0,15
Lanitop
Metildigoxin
1,1
(28,1)
0,30
12,1
(11,5)
0,33
Digitoxin Digimerck
Digitoxin
37,3
(C9,8)
0,19
Digitoxin AWD
Digitoxin
27,9
(C1,9)
0,19
65,1
(C6,3)
0,19
34,1
(C69,3)
5,43
111,3
(C17,1)
1,81
Neprilysin-Inhibitoren Entresto
Sacubitril Valsartan
Summe 140
Digoxin-Derivate Digitoxin Digoxin 120
115 108 102
100
94
(Mio. DDD)
88 81
80
75 70
68
14
12
2
2
66
60
40
40 35
31 26
23
20 4
4 0 2010
2011
3 2012
19
3
2
2
2013
2014
2015
16
2 2016
2017
2018
10 2 2019
. Abb. 26.1 Verordnungen von Herzglykosiden 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
557 26.1 Herzglykoside
26.1.2
Therapeutische Gesichtspunkte
Herzglykoside werden bei der chronischen Herzinsuffizienz und zur Reduktion der Kammerfrequenz bei Vorhofflimmern eingesetzt. Für Digoxin (und nur dafür!) ist gezeigt worden, dass es die Notwendigkeit von Krankenhausaufnahmen bei Herzinsuffizienz senkt. Die Letalität wurde nicht signifikant gesenkt (The Digitalis Investigation Group 1997). Interessanterweise war dieses Ergebnis dem der SHIFT-Studie zu Ivabradin sehr ähnlich, ist aber anders bewertet worden (Castagno et al. 2012). Die aktuelle Nationale Versorgungsleitlinie sagt, dass Herzglykoside als Reservemittel verordnet werden können. Die Leitlinien der European Society of Cardiology (Ponikowski et al. 2016) empfehlen Herzglykoside nur noch als letzte Wahl. Die Indikation von Herzglykosiden bei Herzinsuffizienz und tachyarrhythmischem Vorhofflimmern wurde lange Zeit empfohlen (z. B. Bundesärztekammer et al. 2013). Allerdings ist auch dies kritisch zu sehen, weil sie anders als Betarezeptorenblocker die Anfallsfrequenz bei paroxysmalem Flimmern nicht senken und ihre frequenzsenkende Wirkung unter körperlicher Belastung nachlässt. Metaanalysen zur prognostischen Wirkung von Herzglykosiden bei Patienten mit Vorhofflimmern ergaben Hinweise auf ein erhöhtes Sterberisiko (Vamos et al. 2015) oder waren neutral (Ziff et al. 2015). Herzglykoside haben eine bekannte geringe therapeutische Breite und potentiell lebensbedrohliche Nebenwirkungen, vor allem Herzrhythmusstörungen. Die Häufigkeit von Herzglykosidüberdosierungen hat zwar abgenommen, liegt aber nach einer Studie in den Niederlanden immer noch bei 0,04 % aller Krankenhauseinweisungen oder 1,94 Krankenhauseinweisungen/1.000 Patientenjahre (Aarnoudse et al. 2007). Interessanterweise war die Rate bei Frauen um 40 % höher als bei Männern, ein Befund, der in einer deutschen Studie bestätigt wurde (Schmiedl et al. 2007). Frau-
26
en erhielten hier in einem deutlich höheren Prozentsatz eine zu hohe Tagesdosis von Digitoxin (> 1 g/kg). Diese Daten weisen auf die Notwendigkeit einer körpergewichtsadaptierten Digitoxindosis hin, was problematisch ist, weil es zwei der drei häufig verordneten Digitoxinpräparate (Digitoxin AWD, Digimed) zurzeit nur in der 0,07 mg Dosis gibt. Insbesondere für schlanke Frauen steht daher zurzeit nur Digimerck pico (0,05 mg) zur Verfügung und sollte bevorzugt eingesetzt werden. Ein Vorteil von Digitoxin ist, dass das in der Praxis gelegentliche Auslassen einer Tagesdosis aufgrund der langen Halbwertszeit unproblematisch ist. Digoxin und Digoxinderivate sind in entsprechender galenischer Zubereitung gut bioverfügbar und ausreichend gut steuerbar. Allerdings muss bei Digoxinpräparaten die Dosis bei eingeschränkter Nierenfunktion und damit insbesondere im Alter reduziert werden, was bei Digitoxin nicht der Fall ist. Retrospektive Auswertungen weisen darauf hin, dass niedrige Digoxin-Plasmakonzentrationen (0,5–0,8 ng/ml) mit einem Vorteil, höhere (> 1,2 ng/ml) aber mit einem signifikanten Überlebensnachteil einhergingen (Rathore et al. 2003). Die alten „Normalwerte“ von 0,8–2,0 ng/ml müssen daher als eindeutig zu hoch gelten. Leider fehlen derartige Informationen zu Digitoxin, und eine prospektive Überprüfung der niedrigen Digoxindosen fehlt. Eine weitere Nachauswertung der DIGStudie hat aber gezeigt, dass Digoxingabe in den ersten 12 Monaten im gesamten Kollektiv mit einer signifikanten Abnahme der Gesamtletalität verbunden war (Ahmed et al. 2009). Dieser überraschende Befund lässt sich möglicherweise damit erklären, dass die insgesamt zu hohen Dosen im ersten Jahr bei im Schnitt jüngeren Patienten mit besserer Nierenfunktion noch zu „therapeutischen“ Plasmakonzentrationen führte. Diese Daten lassen wiederum eine prospektive Studie dringend erforderlich erscheinen. Anhand des Verordnungsvolumens von 78 Mio. definierten Tagesdosen (DDD) lässt sich abschätzen, dass 2018 nur noch et-
558
26
Kapitel 26 Herztherapeutika
wa 214.000 Patienten eine Dauertherapie mit kung von ACE-Hemmern durch Hinzunahme von ARBs oder dem Renininhibitor AliskiHerzglykosiden erhielten. ren zu steigern. Anders als Omapatrilat, einer Substanz, die gleichzeitig ACE und Neprily26.1.3 Wirtschaftliche sin hemmt, wurden unter Sacubitril/Valsartan nicht vermehrt Angioödeme beobachtet. Eine Gesichtspunkte Kombination mit ACE-Hemmern ist aber wegen dieses Risikos kontraindiziert. Während Digitoxinpräparate sind im Schnitt günstiger amerikanische Leitlinien Sacubitril/Valsartan als Digoxinderivate, was wahrscheinlich neben bereits als primäre Alternative zu ACE-Hemdem zunehmenden Lebensalter mit vermuteter mern empfehlen, hat die ESC das Umsetzen oder tatsächlicher Einschränkung der Nieren- von ACE-Hemmer auf die Kombination bei funktion für das zunehmende Überwiegen von solchen Patienten empfohlen, die unter ACEDigitoxin mitverantwortlich ist. Es erstaunt Hemmern, Betarezeptorenblockern und Mineaber, dass Digoxin, das den niedrigsten DDD- ralokortikoidrezeptorantagonisten immer noch Preis und die wegen der größeren Verbreitung symptomatisch sind (Ponikowski et al. 2016). in angelsächsischen Ländern mit Abstand bes- Dies reflektiert das Studiendesign der PARAte Datenlage aufweist, am wenigsten verordnet DIGM-HF-Studie und trifft nach Erfahrungen wird. großer Kliniken auf 21 % der Patienten mit HFrEF zu (Pellicori et al. 2017). Die klinische Anwendung wird vor allem durch die 26.2 Angiotensinrezeptor/ Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) relativ ausgeprägte Blutdrucksenkung eingeschränkt. Da die genetische Ausschaltung von Neprilysin bei Mäusen mit einer vermehrten Mit der fixen Kombination des Angiotensin- Amyloidablagerung einherging, klären derzeit rezeptorblockers (ARB) Valsartan und dem laufende Studien die langfristige Sicherheit Neprilysin-Inhibitor Sacubitril ist 2016 erst- der Substanz in Bezug auf die Alzheimer malig seit langer Zeit ein neues Prinzip zur Erkrankung. Auswertungen der PARADIGMBehandlung der chronischen Herzinsuffizi- HF-Studie sprechen nicht für eine Zunahme enz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) von dementiellen Symptomen (Cannon et al. eingeführt worden (Arzneiverordnungs-Report 2017). Ein Studie zum Vergleich von Sacubi2017, Kap. 3: Neue Arzneimittel 2016, tril/Valsartan gegen Enalapril bei 800 PatienAbschn. 3.1.24). Die weltweite Zulassung er- ten mit akut dekompensierter Herzinsuffizienz folgte auf der Basis der PARADIGM Studie fand eine stärkere Abnahme des Herzinsuffi(McMurray et al. 2014), die bei über 8.000 Pa- zienz-Biomarkers NT-bro-BNP unter Sacubitienten mit mittelschwerer Herzinsuffizienz im tril/Valsartan, aber keine signifikanten UnterVergleich zu dem ACE-Hemmer Enalapril eine schiede bei klinischen Endpunkten (Velazquez um etwa 20 % geringere kardiovaskuläre und et al. 2019, PIONEER-HF). Die mit Spannung Gesamtmortalität gezeigt hat. Unter Sacubi- erwartete PARAGON-HF-Studie bei Patientril/Valsartan war der mittlere Blutdruck etwas ten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener linksgeringer als unter Enalapril (3,2 mm Hg). ventrikulärer Funktion (HFpEF) konnte keine Symptomatische Hypotonie wurde bei 14 vs. Überlegenheit von Sacubitril/Valsartan gegen9 % beobachtet. Bemerkenswert ist, dass dies über Valsartan nachweisen (Solomon et al. mit weniger Nebenwirkungen an der Niere 2019). Das Verordnungsvolumen von Entresoder Hyperkaliämien einherging (z. B. 3,3 vs. to (34 Mio. DDD) hat 2019 gegenüber dem 4,5 % Kreatininanstieg auf > 2,5 mg/dl). Letz- Vorjahr um 69 % zugenommen (. Tab. 26.1), teres unterscheidet die Therapie wesentlich danach wurden etwa 93.000 Patienten mit Entvon den (gescheiterten) Versuchen, die Wir- resto behandelt. Die Verordnung des teuren
559 26.3 Antiarrhythmika
Präparats wird als Praxisbesonderheit (gemäß Schiedsspruch nach § 130b Abs. 4 SGB V vom 17.03.2017) nicht auf das Arzneimittelbudget des verordnenden Arztes angerechnet. Trotzdem wäre zu wünschen, wenn die Substanz durch weitere Preissenkungen einem breiteren Patientenkreis zugutekäme.
26.3
Antiarrhythmika
Antiarrhythmika werden zur Behandlung von tachykarden Rhythmusstörungen verwendet und hier hauptsächlich bei Vorhofflimmern. Die wichtigsten Antiarrhythmika sind Betarezeptorenblocker, weil sie bei vielen kardiovaskulären Grunderkrankungen auch lebensverlängernd wirken. Sie werden aber in der Regel nicht primär als Antiarrhythmika verordnet und werden daher unter Betarezeptorenblockern besprochen (7 Kap. 19). Ausnahme ist das Klasse III-Antiarrhythmikum Sotalol, das zusätzliche betarezeptorenblockierende Wirkung hat (im L-Enantiomer) und daher unter den Antiarrhythmika besprochen wird (. Tab. 26.2). Bradyarrhythmien werden vorwiegend nichtmedikamentös behandelt, Parasympatholytika wie Ipratropiumbromid oder Betasympathomimetika sind nur überbrückend geeignet. Lebensbedrohliche tachykarde Herzrhythmusstörungen werden auch überwiegend nichtmedikamentös durch Implantation von Defibrillatoren/Cardiovertern behandelt (Moss et al. 2002; Sanders et al. 2005). Antiarrhythmika werden in Anlehnung an Vaughan Williams (1975) nach ihren elektrophysiologischen Wirkungen in vier Klassen eingeteilt: I. Membranstabilisierende Substanzen bewirken eine Hemmung des schnellen Natriumeinstroms. Die einzelnen Substanzen unterscheiden sich in der Beeinflussung der Aktionspotentialdauer, Nebenwirkungen sowie ihrer Verweildauer am Kanal. Chinidinartige (Klasse I A) verbreitern das Aktionspotential aufgrund einer zusätzlichen Kaliumkanal-Hemmung, während solche
26
vom Lidocaintyp (Klasse I B) das Aktionspotential geringgradig verkürzen. Flecainid und Propafenon (Klasse I C) beeinflussen die Aktionspotentialdauer nicht wesentlich und haben eine besonders lange Verweildauer am Kanal. Bei Propafenon kommen noch betarezeptorenblockierende Eigenschaften hinzu. II. Betarezeptorenblocker hemmen vor allem die durch Calciumionen vermittelten arrhythmogenen und herzfrequenzsteigernden Wirkungen der endogenen Catecholamine. Sie sind die einzigen Antiarrhythmika, für die lebensverlängernde Wirkungen bei strukturellen Herzerkrankungen nachgewiesen sind. III. Repolarisationshemmende Substanzen verbreitern durch Hemmung von Kaliumauswärtsströmen das Aktionspotential und führen dadurch zu einer Verlängerung der Refraktärzeit. In diese Gruppe gehören Amiodaron, Dronedaron und der Betarezeptorenblocker Sotalol. IV. Calciumantagonisten hemmen den langsamen Calciumeinstrom. Prototypen dieser Gruppe sind Verapamil und Diltiazem. Mit ähnlicher Indikation wie Calciumantagonisten werden Herzglykoside und (akut, nur zur Konversion einer AV-Knotentachykardie) Adenosin wegen ihrer negativ dromotropen Wirkung am AV-Knoten eingesetzt. Sie bilden eine eigene Antiarrhythmika-Klasse V. Die traditionelle Einteilung der Antiarrhythmika darf in ihrer Bedeutung für die klinische Differentialtherapie nicht überschätzt werden, da sich die Wirksamkeit einer Substanz bei einer bestimmten Arrhythmieform nur bedingt vorhersagen lässt. Eine Vorbedingung jeder antiarrhythmischen Medikation ist eine eindeutige kardiologische Diagnose und eine Klassifikation der Rhythmusstörung. Aufgrund der allen Antiarrhythmika eigenen proarrhythmischen Wirkungen muss die Indikationsstellung streng erfolgen. Dies gilt insbesondere für eine Kombinationstherapie, die, wenn überhaupt, nur mit Substanzen aus verschiedenen Klassen durchgeführt werden soll-
560
Kapitel 26 Herztherapeutika
. Tabelle 26.2 Verordnungen von Antiarrhythmika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Flecainid
26
Flecainid/Flecainidacetat PUREN
Flecainid
8,3
(13,7)
1,05
Flecainid AAA Pharma
Flecainid
2,3
(C27,2)
0,80
Flecainid-1 A Pharma
Flecainid
2,2
(C100,5)
0,81
Flecainidacetat Aurobindo
Flecainid
2,1
(18,6)
0,77
Tambocor
Flecainid
1,7
(C41,6)
1,04
Flecadura
Flecainid
1,6
(17,1)
1,08
18,2
(0,3)
0,96
Propafenon Rytmonorm
Propafenon
1,6
(C38,3)
0,61
Propafenon-ratiopharm
Propafenon
1,3
(32,3)
0,47
Propafenon AL
Propafenon
0,63
(25,0)
0,46
Propafenon Heumann
Propafenon
0,60
(C8,7)
0,45
4,1
(7,1)
0,52
Amiodaron Amiogamma
Amiodaron
21,6
(30,9)
0,47
Amiodaron Heumann
Amiodaron
8,4
(C140,7)
0,60
Amiodaron Winthrop
Amiodaron
7,8
(C87,6)
0,63
Amiodaron Holsten
Amiodaron
2,4
(C57,4)
0,48
Amiodaron-1 A Pharma
Amiodaron
2,4
(20,8)
0,47
Amiodaron STADA
Amiodaron
1,8
(C43,3)
0,47
Amiodaron Aurobindo
Amiodaron
1,4
(> 1.000)
0,47
45,8
(C2,1)
0,52
Dronedaron
5,4
(7,6)
3,40
Sotalol AbZ
Sotalol
3,8
(C14,3)
0,26
Sotalol-ratiopharm
Sotalol
2,2
(14,0)
0,30
Dronedaron Multaq Sotalol
26
561 26.3 Antiarrhythmika
. Tabelle 26.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sotalol-1 A Pharma
Sotalol
2,0
(14,3)
0,28
SotaHEXAL
Sotalol
1,2
(39,0)
0,29
9,3
(9,6)
0,28
82,7
(1,0)
0,78
Summe
te (z. B. Amiodaron + Betarezeptorenblocker). Es muss realisiert werden, dass bei Klasse I und III Antiarrhythmika antiarrhythmische und proarrhythmische Mechanismen untrennbar miteinander verbunden sind. Natriumkanalhemmung (Klasse I) kann langsame kreisende Erregungen unterbrechen, erhöht aber über die mit ihr verbundene Leitungsverlangsamung die Wahrscheinlichkeit von kreisenden Erregungen. Klasse III Antiarrhythmika können diese durch Verlängerung der Refraktärzeit unterbrechen, erhöhen aber über den mit der Aktionspotentialverlängerung verbundenen vermehrten Calciumeinstrom die Gefahr von Automatien im Ventrikel.
26.3.1
wahrscheinlich auf seine gute Wirksamkeit bei nahezu allen Arrhythmien und sein relativ geringes proarrhythmisches Potential zurückzuführen. Die Verordnung von Flecainid war 2019 trotz des deutlichen proarrhythmischen Risikos bei strukturellen Herzerkrankungen als Folge seiner guten Wirksamkeit bei supraventrikulären Arrhythmien („pill in the pocket“ Konzept bei Vorhofflimmern) weiterhin stabil. Mit Dronedaron ist 2010 das erste Mal seit Jahrzehnten ein neues orales Antiarrhythmikum auf den Markt gekommen und bereits ein Jahr später aufgrund von Toxizität und Übersterblichkeit erheblich in seiner Indikation eingeschränkt worden ist. Die Verordnungen fielen 2019 weiter ab.
Verordnungsspektrum 26.3.2
Unter den 3.000 am häufigsten verordneten Präparaten befinden sich 2019 gegenüber 11 verschiedenen Wirkstoffen im Jahre 1994 nur noch 5 in dieser Liste: die Klasse-IIIAntiarrhythmika Amiodaron, Dronedaron und Sotalol sowie die Natriumkanalblocker (Klasse IC) Flecainid und Propafenon (. Tab. 26.2). Das Gesamtverordnungsvolumen der Antiarrhythmika hatte sich in den letzten Jahren stabilisiert und ist 2019 etwas gesunken. War Sotalol 2009 noch das am häufigsten verwendete Antiarrhythmikum (. Abb. 26.2), liegt das Verordnungsniveau heute unter dem von Flecainid und nahm gegenüber 2018 weiter ab (. Tab. 26.2). Der Erfolg einer nebenwirkungsreichen Substanz wie Amiodaron ist
Therapeutische Gesichtspunkte
Die Gruppe der Antiarrhythmika bietet besondere Auffälligkeiten, nachdem in der CASTStudie bei Patienten nach Myokardinfarkt mit Flecainid oder Encainid mehr Todesfälle als bei der Placebogruppe beobachtet worden waren (Echt et al. 1991). Dies hat 1989 zu einer Zulassungsbeschränkung für Flecainid geführt, die 1993 auf alle Antiarrhythmika der Klassen I A und I C sowie in abgeschwächter Form auf die Substanzen der Klassen I B und III ausgedehnt worden ist. Außerdem wurde ein Hinweis auf den fehlenden lebensverlängernden Effekt in die Gebrauchsinformation aufgenommen. Insgesamt hat sich die Er-
Kapitel 26 Herztherapeutika
562
60 Propafenon Flecainid Amiodaron Sotalol
50
(Mio. DDD)
40
42
45
46
26
22
17
18
47
47
47
47
48
48
19
19
19
19
19
19
11
10 4
43
37 30 30
20 16
26
16
19 16 14
10
9
12 8
0 2010
2011
8
2012
7
2013
6 2014
6 2015
5
5
5
2016
2017
2018
2019
. Abb. 26.2 Verordnungen von Antiarrhythmika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
kenntnis durchgesetzt, dass Klasse I und III Antiarrhythmika insbesondere bei struktureller Herzkrankheit, z. B. Herzinsuffizienz oder koronarer Herzkrankheit nach abgelaufenem Infarkt, mehr Schaden als Nutzen bewirken. Zur Verhinderung des arrhythmogenen plötzlichen Herztodes sind nichtmedikamentöse Maßnahmen wie die Implantation eines elektrischen Defibrillators/Cardioverters (ICD) der medikamentösen Therapie überlegen und relativ kosteneffektiv (Moss et al. 2002; Sanders et al. 2005). Häufig werden Amiodaron oder Betarezeptorenblocker adjuvant zur Reduktion der Auslösewahrscheinlichkeit von ICD-Schocks verordnet. Mit dem besseren Verständnis der molekularen Ursachen des genetisch bedingten LQTSyndroms sind auch die durch Arzneimittel verursachten Formen des LQT-Syndroms verstärkt in das Bewusstsein gelangt. Viele der proarrhythmischen Wirkungen von Antiarrhythmika sind Folge einer Hemmung kardialer Kaliumkanäle mit Aktionspotentialverlängerung und dem Risiko für Torsade de pointesArrhythmien. Dies gilt nicht nur (definitionsgemäß) für das Klasse III-Antiarrhythmikum
Sotalol, sondern auch für Chinidin („Chinidinsynkope“) und andere Vertreter der Klasse 1A (Ajmalin, Disopyramid, Procainamid) sowie in geringerem Umfang auch für Amiodaron. Patienten mit einem LQT3 Syndrom, dessen Ursache eine unvollständige Inaktivierung des Natriumkanals ist, reagieren gut auf das oral verfügbare Klasse IB Antiarrhythmikum Mexiletin. Die Wirkung scheint von der Art der Mutation abzuhängen, was Anlass für eine genetisch begründete individualisierte Therapie sein kann (Zhu et al. 2019). Amiodaron hat neben seiner Kaliumkanalblockierenden, Klasse III-Wirkung ein breites Spektrum von Wirkungen auf Natrium- und Calciumkanäle sowie Alpha- und Betarezeptoren. Wahrscheinlich ist daher sein arrhythmogenes Potential geringer als das anderer Antiarrhythmika. Es ist Mittel der Wahl zur Behandlung sonst therapierefraktärer symptomatischer supraventrikulärer und ventrikulärer Rhythmusstörungen bei Patienten mit struktureller Herzerkrankung. In klinischen Studien an Patienten mit Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern hatte es weder einen positiven noch negativen Effekt auf die Überlebenspro-
563 26.3 Antiarrhythmika
gnose (Bardy et al. 2005; Roy et al. 2008). Die relativ häufige Verordnung ist durchaus kritisch zu sehen. Einerseits hat Amiodaron viele und z. T. schwere unerwünschte Wirkungen, z. B. Über- und Unterfunktion der Schilddrüse und Einlagerung in zahlreiche Gewebe (z. B. Corneaablagerungen, cave Lungenfibrose). Andererseits gehört es über Hemmung von Cytochrom P450 2C9 und 3A4 zu den Arzneimitteln mit hohem Interaktionspotential (z. B. Phenprocoumon, Statine). Dronedaron (Multaq) ist ein jodfreies Amiodaronderivat, das in frühen Studien eine gegenüber Amiodaron um 50 % geringere Wirksamkeit bei Vorhofflimmern hatte (36,5 vs. 24,3 % Wiederauftreten nach Kardioversion), aber auch weniger Nebenwirkungen (Le Heuzey et al. 2010, DIONYSOS). Eine vorangehende Studie an Patienten mit Herzinsuffizienz oder schwerer linksventrikulärer Dysfunktion musste wegen erhöhter kardialer Mortalität nach Gabe von Dronedaron abgebrochen werden (Køber et al. 2008, ANDROMEDA). Zulassungsrelevant war die ATHENA Studie bei Patienten mit Vorhofflimmern, bei der Dronedaron einen kombinierten Endpunkt aus Hospitalisierung wegen kardiovaskulärer Indikation und Tod im Vergleich zu Placebo relativ um 24 % senkte (Hohnloser et al. 2009). Im Januar 2011 warnte ein Rote-HandBrief vor schweren Leberschäden unter Dronedaron, darunter zwei Fälle, in denen eine Lebertransplantation notwendig war. Die PALLAS-Studie bei Patienten mit permanentem Vorhofflimmern wurde abgebrochen, weil Dronedaron mit einer etwa 2-fachen Erhöhung der Sterblichkeit und anderer Endpunkte assoziiert war (Connolly et al. 2011). Die Indikation ist daraufhin im September 2011 erheblich eingeschränkt worden. Die Mortalität in der PALLAS-Studie war mit der gleichzeitigen Gabe von Digoxin assoziiert, was zusammen mit einer deutlichen Erhöhung der mittleren Digoxin-Plasmakonzentrationen von 1,1 gegenüber 0,7 ng/ml in der Dronedaron-Gruppe für die Bedeutung einer über gp-170-Hemmung
26
vermittelten pharmakokinetischen Interaktion spricht (Hohnloser et al. 2014). Die bei weitem häufigste Indikation für eine antiarrhythmische Therapie ist Vorhofflimmern. Betarezeptorenblocker reduzieren bei permanentem Vorhofflimmern die Kammerfrequenz, bei paroxysmalem Vorhofflimmern möglicherweise auch die Anfallshäufigkeit, insbesondere bei adrenerg induziertem Vorhofflimmern (Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung 2017). Sie sind daher Mittel der Wahl. Flecainid wird, bei strukturell gesundem Herzen, als Standby-Medikation zur Unterbrechung von Anfällen empfohlen. Studien zur Rezidivprophylaxe nach Kardioversion haben gezeigt, dass eine 6-monatige Gabe von Flecainid geringgradig effektiver war als eine 4-wöchige, beides aber auf niedrigem Niveau (61 vs. 54 % Freiheit von Vorhofflimmern; Kirchhof et al. 2012). In ähnlicher Weise hatten schon frühere Studien gezeigt, dass eine dauerhaft gegebene Fixkombination aus Chinidin und Verapamil (Cordichin) oder Sotalol wenig effektiv in der Verhinderung von erneutem Vorhofflimmern sind und mit einer Zunahme lebensbedrohlicher Herzrhythmusstörungen, bei Sotalol vor allem Torsade de pointes, assoziiert waren (Fetsch et al. 2004; Patten et al. 2004). Zusammen mit der AFFIRM-Studie (Wyse et al. 2002) sprechen diese Daten dafür, dass man sich bei Vorhofflimmern in der Regel auf eine Kontrolle der Frequenz und Antikoagulation beschränken und die medikamentöse Rhythmuskontrolle auf hochsymptomatische Patienten beschränken sollte (Roy et al. 2008). Die Studien begründen auch die abnehmenden Verordnungen von Sotalol (. Abb. 26.2). Bei hochsymptomatischen Patienten ist die Indikation zur kurativen Vorhofflimmerablation zu erwägen (Hocini et al. 2005). Diese ist bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern hocheffektiv, bei persistierendem nur dann, wenn die Dauer des Vorhofflimmerns kürzer als etwa 1 Jahr beträgt. Daher muss der richtige Zeitpunkt der Intervention beachtet werden.
Kapitel 26 Herztherapeutika
564
26.4
Verordnungsspektrum
26.4.1
In der Indikationsgruppe Koronarmittel sind Arzneimittel zur symptomatischen Behandlung der koronaren Herzkrankheit zusammengefasst. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind organische Nitrate und Molsidomin (NO-Donatoren). Hinzukommen Trapidil, Ivabradin und Ranolazin. Außer Koronarmitteln werden zur symptomatischen Behandlung der koronaren Herzkrankheit Calciumantagonisten (7 Kap. 21), unter prognostischen Gesichtspunkten vor allem Betarezeptorenblocker (7 Kap. 19) und Statine (7 Kap. 30) verwendet. Die seit Jahren rückläufige Verordnung der Koronarmittel hat sich bei den Langzeitnitraten und Molsidomin auch 2019 fortgesetzt (. Abb. 26.3). Standardmittel zur Kupierung des akuten Angina-pectoris-Anfalls ist Glyceroltrinitrat. Mengenmäßig bedeutsamer ist die Verordnung der Langzeitnitrate Isosorbiddinitrat (ISDN) und Isosorbidmononitrat (ISMN) sowie Molsidomin zur symptomatischen antianginösen Dauertherapie.
Das weiter rückläufige Verordnungsvolumen der ganzen Indikationsgruppe erscheint sinnvoll, da es für NO-Donatoren in der Dauertherapie keine überzeugenden Belege für eine Reduktion von kardiovaskulärer Morbidität und Letalität gibt, sie also im Gegensatz zu den Betarezeptorenblockern rein symptomatisch wirken. Außerdem könnte es ein Ausdruck der Tatsache sein, dass diese Patienten heute mehrheitlich interventionell behandelt werden, was die Zahl symptomatischer Patienten verringert. Pentaerythrityltetranitrat (PETN, Pentalong) war lange Zeit das am häufigsten eingesetzte Nitrat zur Dauertherapie (. Tab. 26.3), weil es weniger Toleranz auslösen soll als Isosorbiddinitrat (ISDN) und Isosorbidmononitrat (ISMN). Überzeugende Studien zu dieser Frage sind bislang nicht veröffentlicht worden. Nach jahrelangem Rechtsstreit um die Nachzulassung, ist Pentalong seit Juli 2017 formal zugelassen und damit wieder erstattungsfähig. Das dürfte der
300 Langwirkende Nitrate Glyceroltrinitrat Molsidomin
262
233
200 173 (Mio. DDD)
26
Koronarmittel
140 120 100
100 107 94
47
0 2010
43
2011
95
40
2012
85 89
84
39
40
2013
2014
75 77
40
2015
70
38
2016
63
66
58
59
55
33
31
32
2017
2018
2019
. Abb. 26.3 Verordnungen von Koronarmitteln 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
26
565 26.4 Koronarmittel
. Tabelle 26.3 Verordnungen von Nitraten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Glyceroltrinitrat Nitrolingual
Glyceroltrinitrat
29,3
(C50,1)
0,41
Nitrangin
Glyceroltrinitrat
2,3
(78,9)
0,42
Nitronal
Glyceroltrinitrat
0,19
(1,0)
2,70
31,9
(C3,4)
0,43
Isosorbiddinitrat ISDN AL
Isosorbiddinitrat
16,4
(C1,2)
0,24
Isoket
Isosorbiddinitrat
9,0
(C23,7)
0,21
ISDN STADA
Isosorbiddinitrat
2,1
(67,1)
0,31
ISDN-ratiopharm
Isosorbiddinitrat
0,77
(70,4)
0,28
28,2
(12,8)
0,24
Isosorbidmononitrat IS 5 mono-ratiopharm
Isosorbidmononitrat
14,0
(16,0)
0,19
ISMN AL
Isosorbidmononitrat
6,0
(8,8)
0,17
ISMN AbZ
Isosorbidmononitrat
1,2
(33,5)
0,19
21,2
(15,4)
0,18
8,2
(C8,2)
0,62
89,5
(6,6)
0,33
Pentaerythrityltetranitrat Pentalong
Pentaerythrityltetranitrat
Summe
Grund sein, warum es auch 2019 in den Verordnungszahlen deutlich zugelegt hat. In der Gruppe der anderen Koronarmittel ist der Hemmstoff des Schrittmacherstroms If, weiterhin das führende Präparat. Ranolazin (Ranexa), das zur Therapie der stabilen Angina pectoris 2009 zugelassen worden ist, hat trotz des sehr hohen Preises deutlich zugenommen, während der Phosphodiesterasehemmer Trapidil (Rocornal) nur noch eine ungeordnete Rolle spielt und auch 2019 weiter abnahm (. Tab. 26.4).
26.4.2
Therapeutische Gesichtspunkte
Die . Tab. 26.3 und 26.4 zeigen, dass zur symptomatischen Therapie der koronaren Herzkrankheit vor allem Molsidomin, ISDN und ISMN verwendet werden. Mit ISDN und ISMN kann eine wirksame Anfallsprophylaxe durchgeführt werden. Allerdings ist zur Vermeidung einer Toleranzentwicklung zu beachten, dass die Dosis nicht zu hoch gewählt und dass ein nitratfreies bzw. nitratarmes Intervall eingehalten wird. Das wird am besten dadurch
566
Kapitel 26 Herztherapeutika
. Tabelle 26.4 Verordnungen von Molsidomin und weiteren Mitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Molsidomin
26
Corvaton
Molsidomin
39,5
(8,4)
0,19
Molsidomin STADA
Molsidomin
13,6
(C2,6)
0,15
Molsidomin Heumann
Molsidomin
1,1
(6,5)
0,38
54,2
(5,8)
0,18
Ivabradin Procoralan
Ivabradin
10,9
(47,9)
1,97
Ivabradin Heumann
Ivabradin
5,8
(> 1.000)
0,79
Ivabalan TAD
Ivabradin
1,8
(C86,5)
0,76
Ivabradin beta
Ivabradin
1,8
(C205,4)
0,79
Ivabradin-1 A Pharma
Ivabradin
1,3
(C560,0)
0,93
Ivabradin-PUREN
Ivabradin
1,3
(> 1.000)
0,76
Ivabradin-ratiopharm
Ivabradin
0,80
(C55,7)
1,43
Ivabradine Anpharm
Ivabradin
0,74
(10,2)
1,05
24,4
(C0,3)
1,35
17,0
(C9,0)
4,11
Weitere Mittel Ranexa
Ranolazin
Cardiodoron
Hyoscyamus niger herba Onopordum acanth. flos Primula veris flos
2,6
(2,4)
0,39
Cardiodoron RH
Onopordum acanthium Primula veris Hyoscyamus niger
1,4
(0,7)
0,40
Rocornal
Trapidil
0,74
(11,8)
1,57
21,7
(C6,0)
3,33
100,3
(2,0)
1,15
Summe
erreicht, dass die Nitrate ungleichmäßig über den Tag verteilt eingenommen werden (z. B. morgens und mittags). ISMN hat gegenüber ISDN lediglich theoretische Vorzüge, z. B. eine höhere Bioverfügbarkeit, die jedoch praktisch, außer bei der Dosisfindung, keine Bedeutung besitzen. Außerdem ist ISMN wegen seiner
relativ langsamen Resorption auch bei sublingualer Applikation im Gegensatz zu ISDN nicht zur Behandlung akuter Angina-pectorisAnfälle geeignet. ISMN ist in diesem Sinne also kein „Universalpräparat“. Molsidomin wirkt ähnlich wie die Nitrate, soll aber nach experimentellen Daten ei-
567 26.4 Koronarmittel
ne geringere Toleranzentwicklung induzieren, weil aus Molsidomin das letztlich in der Zelle wirkende Stickstoffmonoxid (NO) nichtenzymatisch freigesetzt wird. Vergleichsstudien zeigen jedoch, dass die antiischämischen Effekte nicht nur von Isosorbiddinitrat, sondern auch von Molsidomin bereits nach 1–4 Tagen deutlich abgeschwächt sind (Wagner et al. 1991; Lehmann et al. 1998). Deshalb ist auch die zeitweise gängige Kombination von Isosorbiddinitrat am Tag mit Molsidomin in der Nacht („Schaukeltherapie“) nicht ausreichend begründet. Grundsätzlich problematisch an Molsidomin ist, dass es keine kontrollierten Endpunktstudien gibt. Eine Studie zur Beeinflussung der endothelialer Dysfunktion kam zu einem negativen Ergebnis (Barbato et al. 2015). Der Stellenwert des PDE-Hemmers Trapidil ist unklar. Trapidil wirkt positiv inotrop und venodilatatorisch und hemmt die Thrombozytenaggregation. Damit unterscheidet es sich in seinem Wirkungsspektrum von den übrigen Koronarmitteln (Mest 1990). Es ist in seiner antianginösen Wirkung ISDN vergleichbar, die Häufigkeit von Kopfschmerz scheint jedoch geringer zu sein (Meinertz und Lehmacher 2006). In einer placebokontrollierten Studie an Patienten nach elektiver Ballondilatation mit und ohne Stent hatte die Substanz keinen Einfluss auf das Risiko von Tod, Myokardinfarkt oder Reinterventionen (Maresta et al. 2005). Ivabradin hemmt spezifisch den Schrittmacherstrom If im Sinusknoten des Herzens. Dies senkt die Herzfrequenz und damit den Energieverbrauch, ohne negative Inotropie. Studien weisen auf eine Betarezeptorenblockern vergleichbare Verlängerung der symptomfreien Belastungszeit hin (Tardif et al. 2005; Tardif 2007). In der ersten Endpunktstudie (Fox et al. 2008) an Patienten mit stabiler Angina pectoris und eingeschränkter linksventrikulärer Funktion hatte die zusätzliche Gabe von Ivabradin (zu Betarezeptorenblockern) keinen Einfluss auf den primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und Hospitalisierung wegen Infarkt oder Verschlechterung einer Herzinsuffizienz. In einer Folgestudie an 6.500 Patienten mit Herz-
26
insuffizienz, deren Herzfrequenz unter Betarezeptorenblockern nicht ausreichend (< 70/min) gesenkt war, reduzierte Ivabradin die Hospitalisierungsrate (26 %), hatte aber keinen signifikanten Einfluss auf die kardiovaskuläre oder Gesamtsterblichkeit (Swedberg et al. 2010, SHIFT). Auffällig war, dass die mittlere Ausgangsherzfrequenz der Patienten mit 80/min vor Beginn der Ivabradintherapie nicht niedriger lag als in vergleichbaren Studien ohne Vorbehandlung mit Betarezeptorenblockern. Tatsächlich erhielten nur 26 % die Zieldosis des jeweiligen Betarezeptorenblockers, was den Wert der Studie einschränkt, andererseits aber auch den Praxisalltag widerspiegelt. Ivabradin ist zugelassen zur symptomatischen Behandlung der chronischen Angina pectoris bei Patienten, die Betarezeptorenblocker nicht vertragen oder trotz einer optimalen Betarezeptorenblockerdosis unzureichend eingestellt sind und deren Herzfrequenz > 60 Schläge pro Minute ist. 2012 erfolgte die Indikationserweiterung auf Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und systolischer Dysfunktion im Stadium II–IV mit einer Herzfrequenz > 75/min unter Standardtherapie mit Betarezeptorenblockern oder bei Unverträglichkeit gegenüber denselben. Eine Studie an Patienten mit stabiler Angina pectoris und normaler linksventrikulärer Funktion zeigte nun, dass die zusätzliche Gabe von Ivabradin bei mehrheitlich mit Betarezeptorenblockern behandelten Patienten (83 %) keinen günstigen symptomatischen Effekt hatte und sogar einen Trend zur Zunahme von kardiovaskulären Endpunkten und eine Zunahme von Bradykardien, Vorhofflimmern und QT-Verlängerungen verursachte (Fox et al. 2014). Dies wirft grundsätzliche Fragen zur Bedeutung der Herzfrequenz einer nicht herzinsuffizienten Patientengruppe und den Wert der Substanz bei stabiler Angina auf. Die 2014 erlassene Zulassungsbeschränkung listet nun die gleichzeitige Behandlung mit Verapamil oder Diltiazem als Kontraindikationen auf und weist auf das erhöhte Risiko für Vorhofflimmern hin. Die Daten mahnen zu einer sorgfältigen Überprüfung der Indikation.
568
26
Kapitel 26 Herztherapeutika
Ranolazin wird als selektiver Hemmstoff des späten Natriumstroms eingeordnet, hat aber auch eine Reihe weiterer Wirkungen auf das Herz (z. B. Hemmung des Natrium-Spitzenstroms und repolarisierender Kaliumströme, Hemmung der Fettsäureoxidation, Betarezeptorblockade), deren Bedeutung unklar ist. Die Senkung der intrazellulären Natrium- und konsekutiv Calciumkonzentration in der Herzmuskulatur soll die diastolische Funktion verbessern, was letztlich zu einer verbesserten Belastbarkeit beiträgt. Dies könnte auch bei Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen von Vorteil sein. Im Gegensatz zu Betarezeptorenblockern und Calciumantagonisten senkt Ranolazin in üblicher Dosis nicht die Herzfrequenz oder den Blutdruck und kann daher bei stabiler Angina pectoris zusätzlich eingesetzt werden, wenn erstere nicht ausreichend wirksam sind. In einer Subgruppe von Patienten mit akutem Koronarsyndrom und erhöhten BNP-Spiegeln hatte es einen günstigen Einfluss auf einen kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Infarkt und wiederkehrende Ischämien hatte (Morrow et al. 2010). Die Gabe von Ranolazin bei Typ 2 Diabetikern und chronischer stabiler Angina war mit einer moderaten Reduktion der Angina-Symptomatik und Verbesserung der Lebensqualität verbunden (Arnold et al. 2014), hatte aber in einer großen prospektiven Studie an Patienten nach interventioneller Revaskularisierung weder Einfluss auf harte Endpunkte wie Revaskularisierung oder Hospitalisierung (Weisz et al. 2016) noch auf Angina oder Lebensqualität (Alexander et al. 2016). Bei Patienten mit inkompletter Revaskularisierung hatte die Substanz nach 12 Monaten keinen Effekt auf die Anginasymptomatik (Fanaroff et al. 2017). Schließlich war auch in einer placebokontrollierten Studie bei Patienten hypertrophischer Kardiomyopathie kein Effekt von Ranolazin nachweisbar (Olivotto et al. 2018). Die neueren Studien stellen den therapeutischen Nutzen der Substanz bei der stabilen Angina in Frage. Als CYP3A4 Substrat unterliegt Ranolazin den typischen Arzneimittelinteraktionen dieses Systems.
Mit Cardiodoron RH und Cardiodoron befinden sich trotz abnehmender Verordnungen weiterhin zwei pflanzliche Arzneimittel in der Liste der 3.000 verordnungsstärksten Arzneimittel. Das erstaunt, weil es für diese Phytopharmaka weder studienbasierte Evidenz für günstige Wirkungen bei Koronarer Herzkrankheit noch Leitlinienempfehlungen gibt.
26.4.3
Wirtschaftliche Gesichtspunkte
Die Preisunterschiede zwischen den beiden Langzeitnitraten ISDN und ISMN, die noch vor wenigen Jahren bei über 60 % lagen, sind heute weniger relevant (. Tab. 26.3). Trapidil ist relativ teuer, ohne dass therapeutische Vorteile belegt wären. Das ebenfalls sehr teure Ivabradin konkurriert nicht mit den Koronarmitteln, sondern den Betarezeptorenblockern, gegenüber denen es eindeutig nur 2. Wahl ist. Die DDD-Kosten von Ranolazin liegen besonders hoch, obwohl sowohl die symptomatische als auch prognostische Wirksamkeit der Substanz in Frage steht. Insgesamt ist das Einsparpotential im Bereich der Koronarmittel durch Umstellung aber eher gering und am ehesten durch Überprüfung der Indikation gegeben.
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570
26
Kapitel 26 Herztherapeutika
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571
27
Hypnotika und Sedativa Martin J. Lohse
Auf einen Blick
Trend Auffälligste Entwicklung bei den Schlafmitteln ist der seit 25 Jahren zu beobachtende starke Verordnungsrückgang um 80 %. Die Rückgänge betrugen im vergangenen Jahr bei den Benzodiazepinen wiederum über 10 % und bei den Benzodiazepinagonisten Zolpidem und Zopiclon 4 %. Die Verordnungen von Melatonin haben wiederum sehr deutlich zugenommen. Pflanzliche Hypnotika sind nur noch mit einem homöopathischen Präparat vertreten. Bewertung Die Umschichtung zu den kurzwirksamen Z-Substanzen ist durch ihre selektivere hypnotische Wirkung und das vermutlich geringere Abhängigkeitspotenzial gerechtfertigt. Insgesamt zeigen die Zahlen, dass nur ein Bruchteil der Patienten mit Schlafstörungen Hypnotika verordnet bekommt. Nach neueren Metaanalysen sind verhaltenstherapeutische Verfahren wirksam und insgesamt der Behandlung mit Hypnotika überlegen.
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden in der Bevölkerung. Im Vordergrund steht die subjektive Wahrnehmung des nicht erholsamen Schlafes, die sich einerseits als mangelnder nächtlicher Schlaf und andererseits als übermäßige Tagesschläfrigkeit manifestieren kann (Riemann und Hajak 2009a; Morin und Benca 2012; Winkelman 2015; Rémi et al. 2019). Chronische
Insomnien sind Ursache einer reduzierten Lebensqualität und eingeschränkter psychosozialer Funktionsfähigkeit. Sie implizieren ein erhöhtes Risiko für psychische und kardiovaskuläre Krankheiten. Sie stellen auch einen Risikofaktor für Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom dar. Nach neueren epidemiologischen Daten aus Deutschland, aber auch aus den USA hatte etwa ein Drittel der Befragten im letzten Monat potenziell relevante Ein- oder Durchschlafstörungen, etwa ein Fünftel berichtete zusätzlich über eine schlechte Schlafqualität und bei 6 % bestand unter Berücksichtigung von Tagesbeeinträchtigungen ein Insomniesyndrom. Frauen waren doppelt so häufig betroffen wie Männer (Ohayon 2002; Schlack et al. 2013). Riemann et al. (2020) haben kürzlich auf die engen Beziehungen zwischen Insomnien und Depressionen hingewiesen. Die Diagnostik von Schlafstörungen ist heute sehr differenziert. Dazu hat vor allem eine detaillierte Unterteilung der Schlafstörungen, ausgehend von Klassifikationen wie dem DSM-5, der ICD-10 und der International Classification of Sleep Disorders (ICSD), beigetragen. Eine differenzierte Diagnostik ist auch in der 2016 aktualisierten S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) enthalten (Riemann et al. 2017). Diese Leitlinie ist inzwischen ausgelaufen und befindet sich in der Überarbeitung. Jüngst fertig geworden ist dagegen eine neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Entwicklungsstufe S2k; AWMF-Registernummer: 030/045),
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_27
572
27
Kapitel 27 Hypnotika und Sedativa
die sich mit Insomnien bei neurologischen Erkrankungen befasst (7 https://www.dgn. org/images/red_leitlinien/LL_2020/PDFs_ Download/030045_LL_Insomnie_2020.pdf). Die ICSD-3 (American Academy of Sleep Medicine 2014) unterteilt im Wesentlichen in Insomnien, Hypersomnien, Parasomnien und Schlaf-bezogene Bewegungsstörungen sowie weitere Formen (z. B. Atmungsstörungen). Dabei ist die Prävalenz von Hypersomnien (EDS) mit 0,002–0,01 % (Sowa 2016) sehr niedrig, die des Restless-Legs-Syndroms mit 5–10 % wesentlich höher (Garcia-Borreguero und Cano-Pumarega 2017). In der Gruppe der Insomnien sind die Schlafstörungen zusammengefasst, bei denen eine unzureichende Erholungsfunktion des Schlafes vorliegt. Sie gehen einher mit einer Beschwerde des nicht-erholsamen Schlafes, geben zur Verordnung von Hypnotika Anlass und machen etwa ein Drittel aller Schlafstörungen aus. Die Therapie der Schlafstörungen orientiert sich so weit wie möglich an ihren Ursachen. Während bei Schlafapnoe vor allem die Anwendung von positivem Atemdruck (nasal continuous positive airway pressure, nCPAP) propagiert wird (Jordan et al. 2014), sind beim Restless-Legs-Syndrom Dopaminagonisten zugelassen, die jedoch bei der Langzeitanwendung mit einer dopaminergen Verstärkung (Augmentation) der Symptome assoziiert sind (Garcia-Borreguero und CanoPumarega 2017). Bei primären Hypersomnien stehen Psychostimulanzien im Vordergrund (Sowa 2016). Die in diesem Kapitel behandelten Hypnotika werden zur symptomatischen Therapie von Insomnien eingesetzt. Situativ und transient auftretende Insomnien sind häufig und bedürfen meist keiner Behandlung. Behandlungsbedürftig sind dagegen chronische Insomnien vor allem bei solchen Patienten, deren Schlafstörungen über einen Monat mindestens dreimal pro Woche auftreten und zur Einbuße in der Tagesbefindlichkeit und Leistungsfähigkeit führen oder starken Leidensdruck, Unruhegefühle, Reizbarkeit, Angst, Depressivität,
Erschöpfung und Müdigkeit auslösen (Riemann et al. 2017). Insomnien können sowohl nichtmedikamentös als auch medikamentös behandelt werden. Gerade bei chronischen Insomnien sollten nichtmedikamentöse Verfahren bevorzugt werden; am wirksamsten ist dabei die kognitive Verhaltenstherapie. Zum Einsatz kommt eine auf den Schlaf fokussierte psychotherapeutische Behandlung, die im Rahmen von Einzel- oder Gruppentherapie angeboten wird. Die Leitlinie des American College of Physicians (ACP) empfiehlt, dass alle erwachsenen Patienten eine kognitive Verhaltenstherapie für Schlaflosigkeit als erste Behandlungsoption für chronische Schlaflosigkeitsstörungen erhalten (Qaseem et al. 2016). Auch in der genannten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) ist die kognitive Verhaltenstherapie bei Erwachsenen jedes Lebensalters die erste Behandlungsoption (Riemann et al. 2017). Mehrere Studien und Metaanalysen haben gezeigt, dass kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen, ggf. auch digital vermittelt, wirksam sind und die Behandlung mit Hypnotika einer verhaltenstherapeutischen Intervention nur kurzfristig vergleichbar, langfristig jedoch deutlich unterlegen ist (Riemann und Hajak 2009b; Morin und Benca 2012). So zeigte eine placebokontrollierte Untersuchung aus Harvard an 63 Erwachsenen in jüngerem und mittleren Alter, dass Verhaltenstherapie (cognitive behavioural therapy, CBT) nicht nur einen größeren therapeutischen Effekt hatte als eine medikamentöse Behandlung, sondern dass die Effekte auch andauerten (Jacobs et al. 2004). Cheng et al. (2019) zeigten kürzlich, dass über eine Dauer von einem Jahr hinaus CBT nicht nur den Schlaf verbesserte, sondern auch Symptome einer Depression. Allerdings stehen insgesamt nicht genügend Therapeuten für solche Behandlungen zur Verfügung. Mit der Anwendung von Hypnotika sind eine Reihe von Risiken verbunden: Stürze, kognitive Beeinträchtigungen, Abhängigkeit und Entzugserscheinungen. Daher sollten sie nur bei schwerer Schlaflosigkeit und möglichst
573 27.1 Verordnungsspektrum
in der niedrigsten Dosis angewendet werden, welche die Symptome für kurze Zeiträume kontrolliert (National Institute for Health and Care Excellence 2015). Vor diesem Hintergrund besteht die hauptsächliche Indikation für Hypnotika in der kurzfristigen (in der Regel nicht länger als 4 Wochen) Anwendung im Sinne einer Überbrückungsmaßnahme. In verschiedenen Metaanalysen waren die Effekte von Hypnotika signifikant von Placebo verschieden. Allerdings sind sie – vor allem bei älteren Patienten – quantitativ oft klein (z. B. verlängert sich die Schlafzeit bei über 60-Jährigen um nicht mehr als 25 min) und – auch bevorzugt bei älteren Patienten – mit unerwünschten Wirkungen (vor allem psychomotorischen und kognitiven) assoziiert (Glass et al. 2005). Über die Wirksamkeit und Sicherheit einer längerfristigen Verwendung von Hypnotika gibt es nur wenig Daten, obwohl sie in der Praxis häufig vorkommt (Mattila et al. 2011; Wilt et al. 2016). Die wesentlichen Risiken einer längeren Einnahme von Hypnotika sind die Entwicklung von Toleranz, von Substanzabhängigkeit und die bereits genannte Gefahr von Fehlhandlungen und Stürzen. Es existieren Hinweise auf Grund größerer epidemiologischer Studien, dass zumindest die längerfristige Einnahme von Hypnotika mit erhöhter Mortalität assoziiert sein könnte. Dazu dürften u. a. Überdosierung, Infektionen, Autounfälle und Stürze beitragen (Weich et al. 2014; Kripke 2016). Eine Reihe von Studien hat für die „Z-Substanzen“ eine längerfristige Wirksamkeit gezeigt, wenn die Medikamentengabe nicht täglich sondern im Sinne einer „bedarfsregulierten Intervalltherapie“ erfolgt. Unter diesen Bedingungen blieb zum Beispiel Zolpidem über 8 bzw. 12 Wochen wirksam (Walsh et al. 2000; Perlis et al. 2004) nach einer jüngeren Studie sogar über 8 Monate (Randall et al. 2012) und eine kleinere polysomnografische Studie derselben Arbeitsgruppe fand sogar über 12 Monate einer Zolpidemmedikation keine Anzeichen für Rebound-Insomnien im Vergleich zu Placebo (Roehrs et al. 2012). Andererseits ha-
27
ben kürzlich Lähteenmäki et al. (2019) gezeigt, dass sich nach Absetzen von langfristig eingenommenen Schlafmitteln Zolpidem, Zopiclon und Temazepam die Schlafqualität von älteren Menschen verbesserte. Bei den Diskussionen über das Risiko einer Schlafmittelabhängigkeit und die Möglichkeiten, den Hypnotikaverbrauch weiter einzuschränken, ist bislang außer Acht geblieben, welche konkreten praktischen Hilfen außer einem Schlafmittelrezept oder einer oft nicht zugänglichen Verhaltenstherapie den zahllosen Menschen mit Schlafstörungen angeboten werden können. Hier besteht ein klarer und bisher ungedeckter medizinischer Bedarf (MüllerOerlinghausen und Kiebgis 2018). Ob neuere pharmakologische Prinzipien wie der jüngst in einer Phase-3-Studie positiv gegenüber Placebo und Zolpidem bewertete Orexin-Antagonist Lemborexant (Rosenberg et al. 2019) dabei helfen können, bleibt abzuwarten.
27.1
Verordnungsspektrum
Die Hypnotika gliedern sich im Wesentlichen in drei Gruppen auf (. Abb. 27.1): Benzodiazepine, chemisch andersartige Benzodiazepinrezeptoragonisten (Nichtbenzodiazepine oder Z-Substanzen: Zopiclon und Zolpidem) und pflanzliche Präparate. Daneben finden sich unter den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln noch Chloralhydrat (Chloraldurat), Melatonin (Circadin, Slenyto) und ein Homöopathikum (Viburcol N) (. Tab. 27.3). Neben den hier aufgeführten Hypnotika werden auch andere Arzneimittelgruppen für die Behandlung von Insomnien mit zugelassener Indikation oder Off-Label eingesetzt. Dazu gehören insbesondere sedierende Antidepressiva und niedrigpotente Neuroleptika (7 Kap. 38). Letztere sind nach der oben genannten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie von 2020 gerade im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen oft bevorzugt einzusetzen. So werden bei Morbus Parkinson Eszopiclon, Doxepin, Zolpidem, Trazodon, Ra-
Kapitel 27 Hypnotika und Sedativa
574
90 81
Benzodiazepine Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon Pflanzliche Präparate
80 77
80
74
74
72
70
70
68
68 65
(Mio. DDD)
60
50
40
39 34 28
30
25
23 21
20
27
10 4 0 2010
18
16
15
3
3
4
4
5
5
6
3
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
13 8
2019
. Abb. 27.1 Verordnungen von Hypnotika und Sedativa 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
melteon und Melatonin, aber auch das Antipsychotikum Pimavanserin und die Antidepressiva Venlafaxin und Nortriptylin empfohlen. Insgesamt sind die Verordnungen von Hypnotika und Sedativa seit 1992 von 476 Mio. definierten Tagesdosen (DDD) (s. Arzneiverordnungs-Report 2001) auf 86 Mio. DDD im Jahre 2019 um über 80 % zurückgegangen, hier dargestellt ab 2010 (. Abb. 27.1). In diesem Zeitraum hat sich der Verordnungsrückgang bei den einst dominierenden Benzodiazepinen kontinuierlich fortgesetzt. Aber auch die Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon) sind etwas weniger verschrieben worden. Pflanzliche Präparate haben nur noch eine Randbedeutung in der Verordnungspraxis. Dafür scheinen sich Melatoninpräparate bei den Verordnern einer zunehmenden Beliebtheit zu erfreuen, obwohl ihre Wirksamkeit sich in Studien als gering erwiesen hat. Die Gesamtzahl der Verordnungen von Hypnotika im Rahmen der GKV von 86 Mio. Tagesdosen entspricht etwa 236.000 Patienten pro Tag. Im Vergleich zu den oben genann-
ten epidemiologischen Zahlen für Schlafstörungen, die von vielen Millionen Betroffenen sprechen, ist die Zahl der mit Hypnotika Behandelten demnach sehr gering. Ob und ggf. wie die übrigen Patienten behandelt werden, ist bisher unzureichend untersucht. Es kann vermutet werden, dass viele Menschen auch bei hartnäckigen Schlafstörungen nicht den Weg zum Arzt nehmen und dass in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen statt Hypnotika auch sedierende Antidepressiva wie z. B. Mirtazapin (Shen et al. 2006; Ivgy-May et al. 2020) oder niederpotente Neuroleptika (vgl. 7 Kap. 38) verordnet werden. Einige kontrollierte Studien sprechen für die Wirksamkeit von sedierenden Antidepressiva, wie z. B. Doxepin in niedriger Dosierung (in Deutschland nur zugelassen für Schlafstörungen im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen) bei Kurzzeittherapie (Yeung et al. 2015). Dagegen fehlen ausreichende Belege für die Anwendung von Neuroleptika, die insbesondere in der Geriatrie eingesetzt werden. Für Insomnien wurden aus dieser Gruppe Melperon und Pipamperon ohne adäquate kontrollierte Studien
27
575 27.1 Verordnungsspektrum
zugelassen. Der Einsatz von atypischen Neu- 27.1.1 Benzodiazepine roleptika ist bei akuten psychotischen Erkrankungen mit Schlafstörungen indiziert, jedoch nicht bei isolierten Schlafstörungen (Riemann Für den Einsatz von Benzodiazepinen als Hypnotika ist bei insgesamt ähnlichen Eigenschafet al. 2017). ten dieser Substanzen die Wirkdauer der entscheidende Parameter für die differentialtherapeutische Anwendung. Deshalb werden sie in Präparate mit kurzer, mittlerer und langer Wirkdauer unterteilt. Dabei wird die Wirkdauer nicht nur durch die Halbwertszeit der
. Tabelle 27.1 Verordnungen von Benzodiazepinhypnotika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Lormetazepam Noctamid
Lormetazepam
2,5
(C127,2)
0,36
Lormetazepam AL
Lormetazepam
1,4
(46,0)
0,42
Lormetazepam-ratiopharm
Lormetazepam
1,1
(53,8)
0,42
5,0
(17,7)
0,39
Temazepam Temazep-CT
Temazepam
1,4
(6,7)
0,70
Remestan
Temazepam
0,57
(13,3)
0,72
1,9
(8,8)
0,71
Nitrazepam Nitrazepam AL
Nitrazepam
1,2
(0,1)
0,39
Nitrazepam-neuraxpharm
Nitrazepam
0,53
(13,7)
0,37
1,7
(4,6)
0,38
Weitere Benzodiazepine Lendormin
Brotizolam
1,5
(4,3)
0,62
Rohypnol
Flunitrazepam
0,86
(14,6)
0,60
Flurazepam real
Flurazepam
0,52
(5,9)
0,61
Halcion
Triazolam
0,33
(17,1)
0,63
Midazolam-ratiopharm
Midazolam
0,11
(1,4)
3,66
3,3
(8,8)
0,71
12,0
(12,2)
0,53
Summe
576
27
Kapitel 27 Hypnotika und Sedativa
Wirksubstanz, sondern auch durch Umverteilungsprozesse, aktive Metaboliten sowie nicht zuletzt durch patientenbezogene Variablen bestimmt. Zu Letzteren zählt auch, dass die meisten pharmakokinetischen Daten an jungen Gesunden erhoben sind, dass aber der Metabolismus der meisten Benzodiazepine durch Leberfunktionsstörungen und ganz allgemein im Alter massiv verlangsamt sein kann (Klotz 1995). Dies gilt in geringerem Ausmaß für Substanzen, die direkt glukuronidiert werden und die deshalb mit größerer Sicherheit dosiert werden können: Lorazepam, Lormetazepam, Oxazepam und Temazepam. Von diesen stellen Lormetazepam und Temazepam daher mit Recht die bevorzugten Benzodiazepin-Hypnotika dar. Empfohlen werden bei Einschlafstörungen Präparate mit kurzer Wirkdauer wie das relativ häufig verordnete Brotizolam. Bei Durchschlafstörungen sind solche mit mittlerer Wirkdauer (Lormetazepam, Temazepam) besser geeignet. Besonders bei langwirkenden Benzodiazepinen (Nitrazepam, Flunitrazepam, Flurazepam) muss auch am nächsten Tage mit einer Sedation gerechnet werden. Sehr kurz wirkende Benzodiazepine wie Triazolam verursachen tagsüber möglicherweise Unruhe- und Angstzustände (Lader 1987; Schutte-Rodin et al. 2008). Triazolam, 1987 mit 60 Mio. DDD noch Spitzenreiter, spielt heute kaum noch eine Rolle (. Tab. 27.1).
27.1.2
Benzodiazepinrezeptoragonisten
Die Benzodiazepinrezeptoragonisten Zopiclon und Zolpidem sind chemisch den Benzodiazepinen nicht verwandte Substanzen, die ebenfalls an Rezeptoren des ”-Aminobuttersäure (GABA)-regulierten Chloridkanals angreifen. Die Halbwertszeiten betragen 3–6 h für Zopiclon und 2–3 h für Zolpidem. Damit haben diese Substanzen nur geringe Wirkungen am nächsten Morgen.
Diese Substanzen binden im Vergleich zu den Benzodiazepinen nur an die Subtypen des GABA/Benzodiazepinrezeptors, die die ’1Untereinheit enthalten (Crestani et al. 2000). Diese Selektivität stellt vermutlich die Basis für ein unterschiedliches pharmakologisches Profil dar. Insgesamt deuten die verfügbaren klinischen und epidemiologischen Daten auf ein geringeres Abhängigkeitsrisiko von Zopiclon und Zolpidem hin. Eine frühe Analyse von weltweit publizierten Fällen von Missbrauch und Abhängigkeit kam zu dem Schluss, dass die Substanzen relativ sicher sind und Missbrauchsgefahr im Wesentlichen nur bei Patienten mit bekannten Abhängigkeiten sowie psychiatrischen Patienten besteht (Hajak et al. 2003). Neuere Publikationen geben jedoch Hinweise, dass Benzodiazepinrezeptoragonisten, besonders Zolpidem, über längere Zeit und in höheren Dosen als empfohlen verordnet wurden und damit ein höheres Abhängigkeitsrisiko aufweisen, als bisher angenommen wurde (Hoffmann und Glaeske 2014). Verschiedentlich wurden Schlafwandeln und andere psychiatrische Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Einnahme von Zolpidem beobachtet (Anonym 2007). Weiterhin wurde bisher angenommen, dass ca. 8 h nach Einnahme von Zolpidem keine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit mehr besteht, weil der Blutspiegel dann unter 50 ng/ml abgefallen ist. Inzwischen zeigte sich aber, dass dies bei 15 % der Frauen und 3 % der Männer nicht stimmt, weshalb die FDA eine niedrigere Dosis für Frauen empfohlen hat (Farkas et al. 2013). Kürzlich hat die Food and Drug Administration (2019) mit einer sogenannten „Black Box“ davor gewarnt, dass einige häufig verschriebene Hypnotika (Zolpidem und in den USA auch Eszopiclon) in seltenen Fällen schwere Verletzungen und sogar Todesfälle aufgrund von Schlafstörungen (Schlafwandeln, Schlaffahren) verursacht haben. Ob die Benzodiazepinrezeptoragonisten wesentliche Vorteile gegenüber den Benzodiazepinen aufweisen, wird in manchen Übersichten in Zweifel gezogen (Dündar et al. 2004; Riemann und Hajak 2009b). Größere direk-
27
577 27.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 27.2 Verordnungen kurzwirkender Benzodiazepinrezeptoragonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Zolpidem Zolpidem AL
Zolpidem
15,9
(C12,7)
0,67
Zolpidem-1 A Pharma
Zolpidem
3,1
(C7,5)
0,64
Zolpidem AbZ
Zolpidem
1,3
(58,3)
0,68
Zolpidem-ratiopharm
Zolpidem
1,2
(25,6)
0,73
Zolpi-Lich
Zolpidem
1,2
(43,1)
0,68
22,6
(4,5)
0,67
Zopiclon Zopiclon AbZ
Zopiclon
19,5
(C32,1)
0,68
Zopiclon-ratiopharm
Zopiclon
10,5
(29,5)
0,81
Zopiclon AL
Zopiclon
5,7
(4,6)
0,68
Zopiclon Aristo
Zopiclon
1,5
(0,6)
0,71
Zopiclon-neuraxpharm
Zopiclon
1,1
(C24,1)
0,75
Zopiclodura
Zopiclon
0,86
(21,4)
0,67
Zopiclon-1 A Pharma
Zopiclon
0,82
(55,3)
0,71
Zopiclon axcount
Zopiclon
0,66
(C296,2)
0,81
Zopiclon-CT
Zopiclon
0,31
(23,0)
0,78
Zopiclon HEXAL
Zopiclon
0,30
(76,9)
0,67
41,2
(3,7)
0,72
63,9
(4,0)
0,70
Summe
te Vergleichsstudien fehlen. Eine auf FDADaten gestützte Metaanalyse folgert, dass die Z-Substanzen relativ kleine polysomnographische Veränderungen (Schlaflatenz 22 min verkürzt) induzieren, am ehesten mit höheren Dosen und bei längerer Behandlungsdauer, wobei Zolpidem etwas besser als Zaleplon abschneidet (Huedo-Medina et al. 2012). Nach einer amerikanischen Leitlinie gibt es geringgradige bis mäßige Evidenz, dass Zolpidem Einschlaflatenz, Gesamtschlafzeit und nächtliches Aufwachen verbessert (Qaseem et al. 2016). Die deutsche DGSM-Richtlinie erwähnt die langen
Halbwertszeiten von Benzodiazepinen, da sie die morgendliche Leistungsfähigkeit der Patienten (Fahrtüchtigkeit, Arbeitsfähigkeit, psychosoziale Leistungsvermögen) beeinträchtigen, was bei den Z-Substanzen aufgrund geringerer Halbwertszeiten weniger ausgeprägt ist (Riemann et al. 2017), gibt aber keine eindeutige Empfehlung für die eine oder andere Substanzgruppe. Eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2018 zum S-Isomer des Zopiclon, dem Eszopiclon, das in Europa nicht in den Handel gekommen ist, weil es nicht den Status einer Innovation erhalten sollte, bestätigt der
578
27
Kapitel 27 Hypnotika und Sedativa
Substanz eine generelle moderate Wirksamkeit bei geringen unerwünschten Wirkungen, solange sie sachgerecht verwendet wird (Rösner et al. 2018). Eine Metaanalyse polysomnografischer Untersuchungen kam zu dem Schluss, dass sowohl die Benzodiazepine als auch die Z-Substanzen signifikante Verbesserungen bei Einschlaflatenz und Schlafdauer haben, und dass ihre Effekte ausgeprägter seien als die von sedierenden Antidepressiva wie Doxepin (Winkler et al. 2014). Bei den Benzodiazepinrezeptoragonisten entfallen auf das länger wirkende Zopiclon sehr viel mehr Verordnungen als auf das kürzer wirkende Zolpidem (. Tab. 27.2). Beide Substanzen sind inzwischen fast nur noch als Generika am Markt und sind 2019 etwas weniger als im Vorjahr verordnet worden. Trotz ihres weiterhin etwas höheren Preises haben sie aus vermutlich guten Gründen die Verordnung von Benzodiazepinhypnotika seit vielen Jahren überholt und jetzt schon einen Marktanteil von fast 80 % erreicht (. Abb. 27.1). Wichtig erscheint eine sehr protrahierte Dosisreduktion (über zwei Wochen nicht mehr als minus 25 % der bisherigen Dosis) um nach längerer Einnahmedauer zu starke Entzugssymptome zu vermeiden. Im Übrigen gibt es Hinweise darauf, dass mehr als die Hälfte von Zolpidem und Zopiclon über Privatrezepte verordnet wird (Hoffmann und Glaeske 2014).
27.1.3
27.1.4
Antihistaminika, Antidepressiva
Antihistaminika (H1 -Rezeptorenblocker) sind Sedativa/Hypnotika mit langsamer Anflutung über einen Zeitraum von 2–4 h und im Vergleich zu den Benzodiazepinen geringerer hypnotischer Wirkungsstärke (Glass et al. 2003). Als Vorteil wird das geringe Abhängigkeitspotenzial angesehen. Die geringe Effektivität, der sehr langsame Wirkungseintritt und die unzureichende Datenlage haben dazu geführt, dass die Anwendung als Schlafmittel nicht mehr empfohlen oder gar nicht mehr erwähnt wird (Qaseem et al. 2016; Riemann et al. 2017). Die Stiftung Warentest (2017) bewertet sie dagegen als „geeignet“ für die kurzfristige Anwendung. Nicht selten werden zur Besserung einer Insomnie und in dem Bestreben, einer Substanzabhängigkeit vorzubeugen auch sedierende Antidepressiva „Off-label“ in niedriger Dosierung eingesetzt wie z. B. Doxepin oder Mirtazapin (7 Kap. 38), in den USA auch gerne Trazodon (Winkelman 2015), wobei unter Mirtazapin das Risiko einer Gewichtszunahme berücksichtigt werden muss. Die oben erwähnte Metaanalyse polysomnografischer Studien kam allerdings zu dem Schluss, dass sedierende Antidepressiva geringere Effekte auf den Schlaf haben als Benzodiazepine und Z-Substanzen (Winkler et al. 2014).
Chloralhydrat 27.1.5
Die Verordnungen von Chloraldurat (. Tab. 27.3) sind seit 20 Jahren aus gutem Grund rückläufig (1995 4,8 Mio. DDD, Arzneiverordnungs-Report 1996). Diese Entwicklung ist nachvollziehbar, denn die Datenlage zu Chloralhydrat ist schlecht (Riemann und Hajak 2009b). Deshalb wird die Anwendung nicht mehr empfohlen (Morin und Benca 2012; Winkelman 2015) und in Leitlinien nicht mehr erwähnt (Qaseem et al. 2016; Riemann et al. 2017).
Melatonin
Melatonin (Circadin) wurde 2009 für die kurzzeitige Behandlung der primären, durch schlechte Schlafqualität gekennzeichneten Insomnie bei Patienten ab 55 Jahren zugelassen, wenn auch die Wirksamkeit nur gering ist (European Medicines Agency 2007). In einer Metaanalyse von 17 placebokontrollierten Studien senkte Melatonin die Schlaflatenz um 4 min und verlängerte die Schlafdauer um 13 min (Brzezinski et al. 2005). Eine weite-
27
579 27.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 27.3 Verordnungen weiterer Hypnotika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Monopräparate Circadin
Melatonin
5,5
(C14,0)
1,05
Slenyto
Melatonin
1,3
(Neu)
2,20
Chloraldurat
Chloralhydrat
0,56
(7,3)
1,26
7,3
(C34,9)
1,26
0,53
(14,8)
0,86
7,9
(C29,8)
1,24
Homöopathika Viburcol N
Chamomilla D1 Belladonna D2 Plantago major D3 Pulsatilla D2 Calc. carb. Hahnem. D8
Summe
re Metaanalyse von 14 placebokontrollierten Studien kam zu dem Ergebnis, dass Melatonin die Schlaflatenzzeit um 11,7 min senkt und daher für die Behandlung der meisten primären Schlafstörungen bei vierwöchiger Anwendung nicht wirksam ist (Buscemi et al. 2005; Wilt et al. 2016). In neueren Metaanalysen von kontrollierten klinischen Studien zeigten sich bei primären wie bei sekundären Insomnien bei Schlaflatenzzeit und Schlafdauer geringe Effekte, die insgesamt zu einer verhalten positiven Wertung führten (Auld et al. 2016; Li et al. 2019). Eine niedrigdosierte Zubereitung von Melatonin, Slenyto, bekam 2018 eine spezifische Zulassung für die Pädiatrie (Paediatric Use Marketing Authorisation) und hat sich auf Anhieb unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln etabliert. Die Zulassung erstreckt sich bisher nur auf Kinder mit AutismusSpektrum-Störung und/oder Smith-MagenisSyndrom (ein sehr seltenes genetisches Deletions-Syndrom). Der Gemeinsame Bundesausschuss hat Slenyto abweichend von der Bewertung des IQWiG und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2019)
einen wenn auch geringen Zusatznutzen zugesprochen. Eine jüngere Meta-Analyse unterstützt die Ansicht, dass Melatonin bei Kindern mit Autismus und anderen neurologischen Entwicklungsstörungen wirksam sei (McDonagh et al. 2019), während eine zweite Meta-Analyse vor allem auf Grund von Bias und großen Streuungen der Daten vorsichtiger urteilt (Parker et al. 2019). Neben dem neuen Slenyto haben die Verordnungen von Circadin wiederum um 14 % bei einem insgesamt doch relativ kleinen Volumen zugenommen (. Tab. 27.3). Möglicherweise wird von den Verordnern das geringere Abhängigkeitspotenzial als Vorteil gewertet und der Placeboeffekt therapeutisch genutzt. Zur Behandlung des Jetlags ist das Präparat nicht zugelassen. In den USA ist unretardiertes Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich und dürfte eine Wirksamkeit bei Jetlag nach sehr langen Fernflügen haben, vor allem ostwärts, sofern es vorschriftsmäßig, d. h. nach den chronobiologischen Vorgaben eingenommen wird (Herxheimer 2005; Sack 2010). Irritierend aber ist, dass auch in Deutschland Melatonin in Dosierungen von 0,5–1,0 mg als
580
Kapitel 27 Hypnotika und Sedativa
Nahrungsergänzungsmittel verkauft wird, obwohl BfArM und BfR festgestellt haben, dass Melatonin in solchen Dosierungen ohne Einschränkung verschreibungspflichtig ist (Tröbitscher 2019).
27.1.6
27
Pflanzliche Präparate
Pflanzliche Präparate aus Baldrian, Melisse, Hopfen etc. werden in der traditionellen Phytotherapie zur Behandlung von Schlaflosigkeit seit langem eingesetzt. Ihre Wirkung ist nicht ausreichend belegt. Von vielen Autoren werden sie im Wesentlichen als (Pseudo-)Placebos eingestuft (Übersicht bei Sarris und Byrne 2011). Die vorhandenen Metaanalysen weisen auf die schlechte Qualität der Einzelstudien hin und finden praktisch keine Wirksamkeit (z. B. Leach und Page 2015). Durch das GKVModernisierungsgesetz sind die rezeptfreien pflanzlichen Hypnotika praktisch nicht mehr zu Lasten der GKV verordnungsfähig. Damit ist von den bis 2004 verordneten „alternativen“ Arzneimitteln nur noch ein homöopathisches Mittel (Viburcol N) vertreten, dessen Verordnung weiter abgenommen hat.
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28
Hypophysen- und Hypothalamushormone Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Hauptvertreter der Hypophysen- und Hypothalamushormone sind Wachstumshormon, Somatostatin, Gonadotropinpräparate und Vasopressinanaloga. Wachstumshormonpräparate sind mit Kosten von 191 Mio. C weiterhin die umsatzstärkste Gruppe, gefolgt von Somatostatinanaloga (138 Mio. C) und Follitropinpräparaten (60 Mio. C). Die Verordnungskosten der Vasopressinanaloga für die Behandlung des zentralen Diabetes insipidus waren annähernd konstant (18 Mio. C).
Hormone der Hypophyse und des Hypothalamus sind die zentralen Steuerungshormone für endokrine Drüsen und somatische Körperfunktionen. So regeln einige Hypophysenhormone die periphere Hormonproduktion in Schilddrüse, Nebennierenrinde und Gonaden, andere steigern Wachstum, Laktation, peripheren Gefäßtonus und renale Wasserrückresorption. Die Steuerung der hypophysären Hormonfreisetzung erfolgt einerseits zentral durch die übergeordneten Releasinghormone und Hemmstoffe des Hypothalamus, andererseits bei einigen Hypophysenhormonen durch die peripheren Hormone der endokrinen Drüsen über eine inhibitorische Feedbackregulation.
Hypophysen- und Hypothalamushormone wurden ursprünglich als Diagnostika für die Funktionsprüfung endokriner Organe eingesetzt. Seit vielen Jahren steht jedoch ihre therapeutische Bedeutung im Vordergrund. Besonders zu nennen ist die Hemmung gonadotroper Funktionen durch Gonadorelinanaloga bei der hormonsuppressiven Behandlung des Prostatakarzinoms, die Substitution des Wachstumshormonmangels und die ovarielle Stimulation mit Gonadotropinen zur Behandlung der weiblichen Infertilität im Rahmen der In-vitroFertilisation. Die Bestimmungen des GKV-Modernisierungs-Gesetzes zur künstlichen Befruchtung (§ 27a Abs. 3, SGB V) haben 2004 zu tiefgreifenden Veränderungen geführt, da die Behandlungskosten für die künstliche Befruchtung nur noch zu 50 % von den Krankenkassen übernommen werden. Die Arzneimittelausgaben für Hypophysen- und Hypothalamushormone haben sich nach dem Einbruch im Jahre 2004 in den folgenden Jahren wieder erholt und weisen 2019 Nettokosten von 483 Mio. C auf, die sich gegenüber dem Vorjahr (464 Mio. C) leicht erhöht haben. Es sind relativ teure Arzneimittel mit DDD-Nettokosten bis zu 184 C. Wegen der geringen Zahl der verordneten Präparate wurde die Verordnungsanalyse auf Präparate mit mindestens 3.000 Verordnungen ausgedehnt und damit 47 Präparate erfasst.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_28
584
28.1
28
Kapitel 28 Hypophysen- und Hypothalamushormone
Gonadorelin- und Gonadotropinpräparate
tropinausschüttung verwendet. Darüber hinaus werden Gonadorelinanaloga in großem Umfang für die hormonsuppressive Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms eingesetzt (siehe Onkologika, 7 Kap. 34). Mit der Einführung der beiden Gonadorelinantagonisten Cetrorelix und Ganirelix besteht die Möglichkeit einer direkten Blockade hypophysärer Gonadorelinrezeptoren. Dieses neue Behandlungsprinzip wirkt schneller und führt seltener zu ovarieller Überstimulation. Nach einem Cochrane-Review (45 Studien mit 7.511 Frauen) gab es keinen Unterschied in der Lebendgeburtenrate zwischen Gonadorelinagonisten und Gonadorelinantagonisten (AlInany et al. 2011). Im Jahre 2019 sind die Verordnungen der Gonadorelinantagonisten durch die wiederum kräftige Zunahme des ersten Ganirelix-Generikums gestiegen (. Tab. 28.1).
Die Gonadotropin-Releasinghormone des Hypothalamus (Gonadoreline, GnRH, LHRH) und die Gonadotropine des Hypophysenvorderlappens werden als gonadale Steuerungshormone für zahlreiche Indikationen eingesetzt. Follitropin (Follikelstimulierungshormon, FSH) stimuliert die Follikelreifung im Ovar und die Spermatogenese im Hoden. Lutropin (Luteinisierungshormon, LH) erhöht die ovarielle Steroidsynthese und induziert in der Zyklusmitte den Eisprung. In den Leydigzellen des Hodens stimuliert Lutropin die androgene Steroidsynthese. Choriongonadotropin ist ein weiteres Gonadotropin, das in der Plazenta gebildet wird und vorwiegend luteotrope Aktivität hat. Alle drei Gonadotropine werden in aktiver Form über die Niere ausgeschieden und können aus dem Harn durch 28.1.2 Follitropinpräparate Aufreinigung gewonnen werden.
28.1.1
Gonadorelinpräparate
Neben den natürlichen Gonadotropin-Releasinghormonen werden synthetische Gonadorelinanaloga eingesetzt, die aufgrund ihrer stärkeren Wirkung und längeren Wirkungsdauer die hypophysären Gonadorelinrezeptoren desensitisieren und dann als funktionelle Gonadorelinantagonisten die hypophysäre Gonadotropinsekretion und die nachgeschaltete gonadale Steroidsynthese hemmen. Präparate von Goserelin (Zoladex-Gyn) und Leuprorelin (Trenantone-Gyn, EnantoneGyn) werden für die Behandlung der Endometriose und des Uterus myomatosus eingesetzt. Ein weiterer Vertreter dieser Gruppe ist Nafarelin (Synarela), das zweimal täglich als Nasenspray appliziert wird und ebenfalls für die hormonsuppressive Therapie der Endometriose indiziert ist. Außerdem wird es für die Vorbereitung der assistierten Fertilisation zur Ausschaltung der endogenen Gonado-
Das DDD-Volumen der Follitropinpräparate hat sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert (. Tab. 28.1). Ihre Hauptindikation ist die weibliche Infertilität. Dabei werden sie zur Stimulation des Follikelwachstums bei hypooder normogonadotroper Ovarialinsuffizienz sowie bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) zur kontrollierten ovariellen Überstimulation eingesetzt. Wesentlich seltener werden sie zur Stimulation der Spermiogenese bei hypogonadotropem Hypogonadismus zusammen mit humanem Choriongonadotropin verwendet. Die Verordnungen der Follitropinpräparate liegen mit 1,4 Mio. DDD (Nettokosten 60 Mio. C) immer noch erheblich unter dem Niveau vor der Einführung der 2004 geänderten Kostenregelungen für die künstliche Befruchtung, das damals bei 3,6 Mio. DDD lag (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2004, Kap. 31 Hypophysen- und Hypothalamushormone). Bei einer mittleren Tagesdosis von 150–225 I.E. und einer mittleren Behandlungsdauer von 10 Tagen werden für eine ausreichende Follikelreifung 1.875 I.E. (25 WHO-
28
585 28.1 Gonadorelin- und Gonadotropinpräparate
. Tabelle 28.1 Verordnungen von Gonadorelin- und Gonadotropinpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Gonadorelinanaloga Trenantone-Gyn
Leuprorelin
0,48
(0,1)
5,50
Enantone-Gyn
Leuprorelin
0,42
(C18,3)
5,75
Zoladex-GYN
Goserelin
0,40
(C7,6)
6,30
Synarela
Nafarelin
0,27
(C3,3)
3,78
Decapeptyl Gyn/-N/-IVF
Triptorelin
0,14
(10,6)
8,28
Triptofem
Triptorelin
0,01
(C55,0)
11,26
1,7
(C5,5)
5,74
Gonadorelinantagonisten Orgalutran
Ganirelix
0,13
(0,2)
45,02
Cetrotide
Cetrorelix
0,04
(6,2)
47,29
Fyremadel
Ganirelix
0,04
(C109,2)
40,09
0,21
(C8,0)
44,65
1,3
(3,1)
0,57
(C5,4)
48,06
(C114,6)
13,46
1,4
(2,1)
3,65
Choriongonadotropin Brevactid
Choriongonadotropin
Ovitrelle
Choriongonadotropin alfa 0,09
Predalon
Choriongonadotropin
0,02
Follitropinpräparate Gonal
Follitropin alfa
0,45
(5,6)
40,56
Menogon
Menotropin
0,26
(4,1)
31,89
Puregon
Follitropin beta
0,25
(6,2)
37,70
Ovaleap
Follitropin alfa
0,22
(C20,2)
34,70
Pergoveris
Lutropin alfa Follitropin alfa
0,18
(C3,0)
84,72
Bemfola
Follitropin alfa
0,06
(C22,5)
33,17
1,4
(0,1)
42,90
586
Kapitel 28 Hypophysen- und Hypothalamushormone
. Tabelle 28.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ovulationsauslöser Clomifen-ratiopharm
Clomifen
2,3
(21,0)
0,34
Clomifen GALEN
Clomifen
1,1
(C11,1)
0,49
3,4
(12,9)
0,39
8,1
(5,0)
10,63
Summe
28
DDD zu 75 I.E.) für einen Behandlungszyklus und für die durchschnittlich 1,66 Behandlungszyklen pro Patientin 3.113 I.E. (41,4 WHODDD) benötigt. Aus den Verordnungen von 1,4 Mio. DDD errechnet sich damit, dass 2019 insgesamt ca. 34.000 GKV-Patientinnen mit Follitropinpräparaten für die IVF behandelt wurden. Nach den Daten des Deutschen IVF-Registers (2019) wurden 2017 insgesamt 64.247 Frauen behandelt, wobei in dem Register nicht nur GKV-Versicherte sondern alle behandelten Frauen erfasst werden. Die Zahl der Lebendgeburten nach IVF-Behandlung betrug 2017 21.295 Kinder (2016: 20.754 Kinder) und liegt nach dem dramatischen Rückgang im Jahre 2004 (10.437 Lebendgeburten) erneut deutlich über der Zahl des Jahres 2003 (18.726 Lebendgeburten) (Deutsches IVF-Register 2019). Die eindrucksvollen Erfolge der Reproduktionsmedizin sollten Anlass sein, die Beschränkungen der Kostenübernahme für Kinderwunschbehandlung des Jahres 2004 endlich wieder aufzuheben. Führendes Präparat ist weiterhin das rekombinante Gonadotropin Gonal (Follitropin alfa), obwohl es seit der Einführung von Biosimilars (Ovaleap, Bemfola) weniger verordnet wurde (. Tab. 28.1). Abgenommen haben auch die Verordnungen des preisgünstigen Menotropin (Menogon), ein humanes Menopausengonadotropin, das aus dem Harn postmenopausaler Frauen gewonnen wird und zu gleichen Teilen Follitropin und Lutropin enthält. Ein Cochrane-Review zeigte nur geringe
Unterschiede zwischen Menotropin und rekombinantem Follitropin bezüglich Lebendgeburten oder Hyperstimulationssyndrom (Van Wely et al. 2012). Danach folgt ein rekombinantes Kombinationspräparat (Pergoveris), das im Vergleich zu Menotropin einen doppelt so hohen Anteil von Follitropin (150 I.E.) und Lutropin (75 I.E.) enthält. Diese Kombination hatte in einer Vergleichsstudie ähnliche IVF-Resultate wie Menotropin, aber ein höheres Risiko für ein ovarielles Überstimulationssyndrom (Pacchiarotti et al. 2010). Das wurde auch durch einen Cochrane-Review über 36 Studien betätigt, der keine eindeutigen Hinweise auf einen Unterschied zwischen der Kombination und rekombinantem Follitropin in Bezug auf die Lebendgeburtenrate zeigte (Mochtar et al. 2017). Auch bei Frauen mit polyzystischen Ovarien (PCO) und Versagen von Clomifen ergaben sich keine sicheren Unterschiede zwischen den beiden Gonadotropinpräparaten bezüglich Lebendgeburten oder Hyperstimulationssyndrom (Weiss et al. 2019).
28.1.3
Choriongonadotropin
Ein weiteres häufig verordnetes Gonadotropin ist das aus Schwangerenharn gewonnene humane Choriongonadotropin (Brevactid, Predalon), das wegen seiner LH-Aktivität eingesetzt wird. Trotz unterschiedlicher endogener Funktionen werden Lutropin und das luteotrop
587 28.2 Wachstumshormonpräparate
wirkende humane Choriongonadotropin in der praktischen Anwendung häufig als austauschbar angesehen. Humanes Choriongonadotropin hat jedoch eine höhere Rezeptoraffinität und eine längere Halbwertszeit als Lutropin (Übersicht bei Choi und Smitz 2014). In der Geburtshilfe wird humanes Choriongonadotropin zur Ovulationsauslösung nach eingetretener Follikelreifung im Rahmen der assistierten Fertilisation und in der Kinderheilkunde bei Kryptorchismus und bei verzögerter Pubertätsentwicklung zur Steigerung der Gonadenfunktion eingesetzt. Die beiden Hauptvertreter haben ein unterschiedliches Indikationsspektrum. Bei Brevactid überwiegen die pädiatrischen Indikationen mit geringeren Dosierungen, die entsprechend der WHO-DDD dann auch erheblich geringere DDD-Kosten aufweisen (. Tab. 28.1). Predalon wird hauptsächlich mit einer hohen Einmaldosis (5.000–10.000 I.E.) zur Ovulationsinduktion bei assistierter Fertilisation angewendet und hat daher höhere DDD-Kosten. Das rekombinante humane Choriongonadotropin alfa (Ovitrelle) ist ausschließlich zur Stimulation des Follikelwachstums zugelassen. Auch hier hat ein Cochrane-Review gezeigt, dass es keine überzeugenden Belege für einen Unterschied zwischen dem rekombinanten und dem gereinigtem Choriongonadotropin bezüglich Lebendgeburten, Schwangerschaftsraten oder Hyperstimulationssyndrom gibt (Youssef et al. 2016). Ovitrelle ist aber dreifach teurer als Predalon, das für vergleichbare Indikationen zugelassen ist (. Tab. 28.1).
28.1.4
Ovulationsauslöser
Clomifen ist ein oral wirksames Antiöstrogen aus der Gruppe der Stilbene, das durch Blockade inhibitorischer Östrogenrezeptoren in Hypothalamus und Hypophyse die Gonadorelinund Gonadotropinsekretion steigert und dadurch eine Ovulation bei anovulatorischen Zyklen auslöst. Es gilt allgemein als Mittel der ersten Wahl für die pharmakologische
28
Ovulationsinduktion bei Frauen mit polyzystischen Ovarien (PCO). Mit Clomifen beträgt die Lebendgeburtsrate 23 %, allerdings verbunden mit einem erhöhten Risiko von Mehrlingsschwangerschaften (Übersicht bei Perales-Puchalt und Legro 2013). Clomifen wurde 2019 erneut weniger als im Vorjahr verordnet (. Tab. 28.1). 28.2 28.2.1
Wachstumshormonpräparate Wachstumshormon
Wachstumshormon ist ein weiteres Hormon des Hypophysenvorderlappens. Seine wichtigste Indikation ist die Behandlung des hypophysären Minderwuchses. Die 1985 eingeführten gentechnischen Präparate haben eindrucksvolle Erfolge bei der Steigerung des Längenwachstums von Kindern mit hypophysärem Minderwuchs ermöglicht. Die Behandlung wird für Kinder mit nachgewiesenem Wachstumshormonmangel, Turner-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom, chronischer Niereninsuffizienz und Kleinwuchs wegen SHOXMangel empfohlen (National Institute for Health and Care Excellence 2010). Nach Erreichen der Zielgröße kann die Somatropinbehandlung normalerweise beendet werden. Seit 1996 ist Wachstumshormon auch zur Substitution des Wachstumshormonmangels bei Erwachsenen zugelassen. In kontrollierten Studien bei Erwachsenen mit Somatropinmangel gibt es Hinweise auf eine erhöhte Knochendichte, eine verbesserte Leistungsfähigkeit der Muskulatur und eine Senkung des Körperfettgehalts. Eine Substitution von Wachstumshormon kann daher für Erwachsene mit nachgewiesenem Wachstumshormonmangel von Vorteil sein. Jedoch sind weitere kontrollierte Studien erforderlich, um individualisierte Wirksamkeitsmarker zu verfeinern. Da Wachstumshormon bei sonst gesunden Personen mit normaler Hypophysenfunktion inakzeptable Nebenwirkungen haben kann, empfehlen Leitlinien kein Wachstumshormon als
588
Kapitel 28 Hypophysen- und Hypothalamushormone
. Tabelle 28.2 Verordnungen von Wachstumshormonen und weiteren Hypophysenhormonen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Wachstumshormone Omnitrope
Somatropin
1,3
(C7,7)
27,24
Norditropin
Somatropin
1,1
(6,3)
38,72
Genotropin
Somatropin
0,97
(8,0)
36,92
Saizen
Somatropin
0,85
(C4,8)
38,83
Humatrope
Somatropin
0,58
(0,5)
37,48
Nutropinaq
Somatropin
0,38
(8,5)
36,76
Zomacton
Somatropin
0,23
(11,1)
37,16
5,4
(1,7)
35,35
Pegvisomant
0,24
(C3,3)
95,31
Somatuline
Lanreotid
1,1
(C17,7)
67,47
Sandostatin
Octreotid
1,1
(10,1)
64,27
2,1
(C2,0)
65,87
28 Wachstumshormonantagonist Somavert Somastatinanaloga
Vasopressinanaloga Nocutil
Desmopressin
1,8
(C34,5)
3,52
Minirin
Desmopressin
1,6
(5,2)
4,14
Desmogalen
Desmopressin
0,76
(C10,9)
1,36
Desmopressin TEVA
Desmopressin
0,72
(26,5)
3,95
Nocdurna
Desmopressin
0,11
(C24,2)
8,40
Desmospray/-tabs
Desmopressin
0,09
(76,2)
2,26
5,1
(1,2)
3,53
Tetracosactid
0,01
(18,5)
16,10
Tolvaptan
0,10
(C12,4)
183,56
(0,8)
30,16
Synacthen Synacthen Vasopressinantagonisten Samsca Summe
13,0
589 28.3 Weitere Hypophysenhormone
Anti-Aging-Therapie (Übersicht bei Melmed 2019). Die Verordnungen von Somatropin haben 2019 abermals etwas abgenommen (. Tab. 28.2). Mit der Einführung preisgünstiger Biosimilars (Omnitrope) ergeben sich Einsparpotenziale von 44 Mio. C. Mit der Entwicklung langwirkender Somatropinanaloga wird es möglich sein, die bisher täglichen Injektionen auf einmal wöchentliche oder monatliche Gabe zu reduzieren (Moore et al. 2016).
matischen Therapie endokrin aktiver Tumoren des Gastrointestinaltrakts (metastasierende Karzinoide, VIPome, Glukagonome) sowie bei Akromegalie eingesetzt wird. Als zweiter Vertreter dieser Stoffgruppe wurde 2005 Lanreotid (Somatuline) primär zur Behandlung der Akromegalie eingeführt. Beide Präparate werden als Depotpräparate mit einem Injektionsintervall von 28 Tagen angewendet und sind etwa genauso wirksam (Übersicht bei Fleseriu 2011).
28.3.2 28.2.2
Wachstumshormonantagonist
Der Wachstumshormonantagonist Pegvisomant (Somavert) wurde 2003 zur Behandlung der Akromegalie eingeführt und zeichnet sich durch eine überlegene therapeutische Wirksamkeit gegenüber anderen arzneitherapeutischen Verfahren (Dopaminagonisten, Somatostatinanaloga) aus. Im Hinblick auf den Einfluss von Pegvisomant auf die Hypophysentumorgröße ist die Anwendung nur bei Versagen von Operation, Bestrahlung oder Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid) indiziert (Übersicht bei Melmed 2006). In einer neueren Langzeitstudie trat bei 3,2 % der mit Pegvisomant behandelten Patienten ein Anstieg der Hypophysentumorgröße auf (van der Lely et al. 2013). 28.3
28.3.1
Weitere Hypophysenhormone Somatostatinanaloga
Somatostatin hemmt die Freisetzung anderer Peptidhormone aus dem Hypophysenvorderlappen und dem Gastrointestinaltrakt. Octreotid ist ein Somatostatinanalogon mit stärkerer und längerer Wirkung, das zur sympto-
28
Vasopressinanaloga
Desmopressin ist ein Derivat des Hyopohysenhinterlappenhormons Vasopressin (Adiuretin) mit verstärkter antidiuretischer Wirkung ohne wesentliche blutdrucksteigernde Aktivität. Hauptindikation ist der zentrale Diabetes insipidus. Außerdem kann es bei Hämophilie A zur Steigerung der Faktor-VIII-Gerinnungsaktivität eingesetzt werden. Die Verordnungen der sechs Präparate waren 2019 leicht rückläufig (. Tab. 28.2).
28.3.3
Vasopressinantagonist
Tolvaptan (Samsca) ist ein selektiver V2Vasopressinrezeptorantagonist, der 2009 zur Behandlung einer Hyponatriämie als sekundäre Folge des Syndroms der inadäquaten Sekretion des antidiuretischen Hormons zugelassen wurde. Die Therapie erhöht das Serumnatrium innerhalb von 30 Tagen, hatte aber keinen Effekt auf die Mortalität der akut dekompensierten Herzinsuffizienz. Später wurde Tolvaptan (Jinarc) auch zur Behandlung der autosomaldominanten polyzystischen Nierenerkrankung zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Abschnitt 3.2.6). In der neuen Indikation wird die Progression von Zystenentwicklung und Niereninsuffizienz verlangsamt, Nebenwirkungen sind allerdings relativ häufig.
590
28.3.4
28
Kapitel 28 Hypophysen- und Hypothalamushormone
Prolaktinhemmer
Niedrigdosierte Dopaminrezeptoragonisten aus der Gruppe der Sekalealkaloide werden in der Gynäkologie bei hyperprolaktinämischen Zuständen eingesetzt. An erster Stelle der Anwendungsgebiete stehen immer noch primäres und sekundäres Abstillen, obwohl diese Präparate nur bei Versagen anderer Maßnahmen eingesetzt werden sollen. Dementsprechend sind die Verordnungen von Bromocriptin für diese Indikation seit 1996 kontinuierlich von 10,5 Mio. DDD auf 0,6 Mio. DDD im Jahre 2011 zurückgegangen. Nach einem zwischenzeitlichen Anstieg sind die Verordnungen seit einigen Jahren wieder rückläufig (. Tab. 28.3).
Das Verordnungsvolumen des langwirkenden Dopaminrezeptoragonisten Cabergolin ist 2019 im Vergleich zum Vorjahr deutlich höher, als nur zwei Präparate vertreten waren (. Tab. 28.3). Cabergolin wurde 1995 für primäres Abstillen und die Behandlung der Hyperprolaktinämie zugelassen, verschwand aber 2008 aus der Gruppe der meistverordneten Arzneimittel. Als Ursache für den Verordnungsrückgang wurden damals neue Warnhinweise wegen fibrotischer Herzveränderungen bei längerdauernder Anwendung diskutiert. Cabergolin gehört weiterhin zu den Arzneimitteln, die fibrotische Herzklappenveränderungen verursachen können (Andrejak und Tribouilloy 2013).
. Tabelle 28.3 Verordnungen von Prolaktinhemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Bromocriptin Bromocriptin AbZ
Bromocriptin
0,35
(26,9)
1,02
Bromocriptin-ratiopharm 2,5
Bromocriptin
0,34
(30,3)
1,08
Pravidel Tabl.
Bromocriptin
0,25
(C168,8)
1,31
Bromocriptin 2,5-CT
Bromocriptin
0,12
(C9,0)
0,97
1,1
(9,2)
1,10
Cabergolin Cabergolin-ratiopharm 0,5 mg
Cabergolin
0,54
(C45,6)
3,59
Dostinex
Cabergolin
0,30
(31,8)
3,48
Cabergolin TEVA 0,5 mg
Cabergolin
0,09
(C65,4)
3,53
0,93
(C7,8)
3,55
Weitere Prolaktinhemmer Norprolac
Quinagolid
0,36
(C0,5)
1,58
Liserdol
Metergolin
0,08
(4,2)
2,25
0,44
(0,4)
1,70
2,4
(1,7)
2,15
Summe
591
28
Literatur
Literatur Al-Inany HG, Youssef MA, Aboulghar M, Broekmans F, Sterrenburg M, Smit J, Abou-Setta AM (2011) Gonadotrophin-releasing hormone antagonists for assisted reproductive technology. Cochrane Database Syst Rev 2011(5):CD1750 Andrejak M, Tribouilloy C (2013) Drug-induced valvular heart disease: an update. Arch Cardiovasc Dis 106:333–339 Choi J, Smitz J (2014) Luteinizing hormone and human chorionic gonadotropin: origins of difference. Mol Cell Endocrinol 383:203–213 Deutsches IVF-Register (2019) Jahrbuch 2018. J Reproduktionsmed Endokrinol 16:279–315 Fleseriu M (2011) Clinical efficacy and safety results for dose escalation of somatostatin receptor ligands in patients with acromegaly: a literature review. Pituitary 14:184–193 van der Lely AJ, Biller BM, Brue T, Buchfelder M, Ghigo E, Gomez R, Hey-Hadavi J, Lundgren F, Rajicic N, Strasburger CJ, Webb SM, Koltowska-Häggström M (2013) Long-term safety of pegvisomant in patients with acromegaly: comprehensive review of 1288 subjects in ACROSTUDY. J Clin Endocrinol Metab 97:1589–1597 Melmed S (2006) Acromegaly. N Engl J Med 355:2558– 2573 Melmed S (2019) Pathogenesis and diagnosis of growth hormone deficiency in adults. N Engl J Med 380:2551–2562 Mochtar MH, Danhof NA, Ayeleke RO, Van der Veen F, van Wely M (2017) Recombinant luteinizing hormone (rLH) and recombinant follicle stimulating hormone (rFSH) for ovarian stimulation in IVF/ICSI cycles. Cochrane Database Syst Rev 5:CD5070. https://doi. org/10.1002/14651858.CD005070.pub3
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29
Immunglobuline und Immunsuppressiva Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Humane Immunglobuline sind präformierte Antikörper zur Substitutionstherapie bei Immunmangelkrankheiten und zur Immunmodulation bei speziellen seltenen Krankheiten. Die Verordnungen sind relativ niedrig, da die Versorgung weitgehend über Direktlieferverträge der Krankenkassen mit Krankenhäusern und Spezialambulanzen erfolgt. Immunsuppressiva werden zur Prophylaxe der Abstoßungsreaktion nach Organtransplantation und bei verschiedenen Autoimmunkrankheiten eingesetzt. Größte Gruppe sind die zytotoxischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolsäure) gefolgt von den Calcineurininhibitoren und mTORInhibitoren. Weitere selektive Immunsuppressiva sind Biologika (Belimumab, Eculizumab, Belatacept) mit speziellen Indikationen und kleinen Verordnungsmengen aber sehr hohen Therapiekosten.
Immunglobuline und Immunsuppressiva sind zwei Arzneimittelgruppen aus dem Gesamtbereich der Immuntherapie, die in diesem Kapitel dargestellt werden. Bei den Immuntherapeutika handelt es sich um eine große Gruppe von Arzneimitteln, die über unterschiedliche Mechanismen auf das Immunsystem wirken und zur Behandlung von zahlreichen Krankheiten
eingesetzt werden. Eine traditionelle pharmakologische Klassifikation der Immuntherapeutika unterscheidet zwischen Immunstimulanzien und Immunsuppressiva. Zur Gruppe der Immunstimulanzien gehören gemäß ATC-Kodierung koloniestimulierende Faktoren (Filgrastim, Lenograstim), Interferone, Glatirameracetat und BCG-Impfstoff sowie weitere Immunstimulanzien ohne spezifische pharmakologische Eigenschaften mit bakteriellen oder pflanzlichen Bestandteilen. Koloniestimulierende Faktoren werden als hämatopoetische Wachstumsfaktoren bei Patienten mit Neutropenien eingesetzt, die wegen maligner Tumoren mit zytotoxischer Chemotherapie behandelt werden. Sie werden daher zusammen mit den Onkologika beschrieben (7 Kap. 34, Onkologika). Die Verordnungen der Betainterferone und Glatirameracetat werden im Kapitel über die Multiple Sklerose dargestellt (7 Kap. 33, Pharmakologische Behandlung der Multiplen Sklerose). Alfainterferone wurden noch bis 2016 für die Behandlung der chronischen Hepatitis C verordnet, sind aber inzwischen weitgehend durch die interferonfreie Therapie mit den direkt wirkenden Virostatika verdrängt worden (7 Kap. 31, Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika). Eine weitere Möglichkeit der Stimulation des Immunsystems ist die aktive Immunisierung mit Impfstoffen oder die passive Immunisierung mit präformierten Antikörpern in Form von
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_29
594
29
Kapitel 29 Immunglobuline und Immunsuppressiva
Immunglobulinen, die in diesem Kapitel dargestellt werden. Wesentlich umfangreicher ist die Gruppe der Immunsuppressiva, die eingesetzt werden, um Immunreaktionen bei der Organtransplantation und bei Autoimmunkrankheiten zu verhindern. Die ersten Vertreter dieser Gruppe waren die bekannten zytotoxischen Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolsäure) und Calcineurininhibitoren, die in der Transplantationsmedizin unentbehrlich sind und in diesem Kapitel dargestellt werden. Eine weitaus größere Gruppe sind die selektiv wirkenden Immunsuppressiva, die als Biologika zu den TNF’-Inhibitoren, Interleukin-Inhibitoren und weiteren selektiv wirkenden Immunsuppressiva gehören. Sie haben in der Rheumatologie (7 Kap. 17, Antirheumatika und Antiphlogistika), Gastroenterologie (7 Kap. 31, Magen-Darmmittel und Lebertherapeutika) und Neurologie (7 Kap. 33, Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose) ihren festen Platz und werden mit Ihren Verordnungen bei den einzelnen Indikationen dargestellt. Ein weiteres rasch expandierendes Gebiet der Immuntherapie sind die monoklonalen Antikörper zur Behandlung von Patienten mit hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren, die bei den Onkologika ausführlich dargestellt werden (7 Kap. 34, Onkologika). Unterschieden werden direkt wirkende monoklonale Antikörper, die zytotoxische Effekte über zellspezifische Antigene, neugebildete Tumorantigene oder überexprimierte onkogene Rezeptoren induzieren, und monoklonale Antikörper, die über eine erhöhte Aktivierung von zytotoxischen CD8-positiven T-Zellen die körpereigene Immunantwort des Patienten stimulieren, wie CTLA-4-Antikörper, PD-L1Antiköper und PD-1-Rezeptorantikörper.
29.1
Immunglobuline
Humane Immunglobuline sind zur Substitutionstherapie bei Immunmangelkrankheiten (z. B. kongenitale Agammaglobulinämie, sekundäre Hypogammaglobulinämie) und zur Immunmodulation bei z. B. idiopathischer thrombozytopenischer Purpura, GuillainBarré-Syndrom und Kawasaki-Syndrom zugelassen. Alle sind ausgesprochen seltene Krankheiten. Nach Schätzungen sind in Deutschland zwar mindestens 100.000 Menschen von einem angeborenen Immundefekt betroffen, aber nur ca. 2.000 Betroffene diagnostiziert (Borte et al. 2012). Das DDDVolumen der humanen Immunglobuline ist auf niedrigem Niveau weiter angestiegen (. Tab. 29.1). Nicht erfasst werden weitere Verordnungen von Immunglobulinen, die über Direktlieferverträge der Krankenkassen mit Krankenhäusern und Spezialambulanzen abgewickelt werden. Palivizumab (Synagis) wurde 1998 zur Prävention der durch Respiratory-Syncytial-Virus (RSV) hervorgerufenen schweren Erkrankungen der unteren Atemwege bei Hochrisikokindern für RSV-Erkrankungen zugelassen, die Krankenhausaufenthalte erforderlich machen. Ein Cochrane-Review über 7 Studien mit 8.265 Patienten hat gezeigt, dass durch die Palivizumab-Prophylaxe die RSVHospitalisierungen um 51 % im Vergleich zu Placebo gesenkt wurden, während die Reduktion der Gesamtmortalität nicht signifikant war (Andabaka et al. 2013). Wegen der hohen Kosten wird die Palivizumab-Prophylaxe hauptsächlich auf ausgewählte Hochrisikokinder beschränkt. Nach den erhobenen Verordnungsdaten wurden 2019 etwa 3.000 Kinder behandelt, wenn eine 5-monatige Prävention während einer Saison wie in den Zulassungsstudien durchgeführt wurde (. Tab. 29.1). Anti-D-Immunglobulin (Rhophylac) wird zur Prophylaxe der Rh(D)-Immunisierung bei Rh(D)-negativen Frauen während der Schwangerschaft oder bei Geburt eines Rh(D)positiven Kindes eingesetzt. Eine weitere
29
595 29.2 Immunsuppressiva
. Tabelle 29.1 Verordnungen von Immunglobulinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Humane Immunglobuline Privigen
Immunglobulin, human
0,83
(C10,1)
134,05
Gamunex
Immunglobulin, human
0,72
(C9,9)
134,46
Octagam
Immunglobulin, human
0,62
(C31,8)
141,01
Kiovig
Immunglobulin, human
0,31
(11,2)
133,79
Intratect
Immunglobulin, human
0,25
(C12,0)
138,06
2,7
(C11,3)
136,08
Weitere Immunglobuline Synagis
Palivizumab
1,1
(2,7)
45,31
Rhophylac
Anti-D(rh)Immunglobulin
0,05
(11,7)
76,85
1,2
(3,1)
46,68
3,9
(C6,6)
109,26
Summe
Indikation ist die Behandlung von Rh(D)negativen Personen nach inkompatiblen Transfusionen von Rh(D)-positivem Blut oder Erythrozyten-haltigen Produkten. Das Risiko einer Rhesus-D-Alloimmunisierung während einer ersten Schwangerschaft beträgt etwa 1 %. Nach einem Cochrane-Review kann dieses Risiko in der ersten Schwangerschaft durch eine Prophylaxe mit Anti-D-Immunglobulin auf 0,2 % ohne wesentliche Nebenwirkungen gesenkt werden (Crowther et al. 2013). Die Verordnungen von Rhophylac sind fast unverändert gering (. Tab. 29.1).
29.2
Immunsuppressiva
Aus der Gruppe der Immunsuppressiva werden in diesem Abschnitt zytotoxische Immunsuppressiva (Azathioprin, Mycophenolatmofetil), selektiv wirkende Immunsuppressiva aus den Gruppen der Calcineurininhibitoren (Ciclos-
porin, Tacrolimus) und der mTOR-Inhibitoren (Sirolimus, Everolimus) sowie weitere selektive Immunsuppressiva dargestellt.
29.2.1
Zytotoxische Immunsuppressiva
Der größte Teil des Verordnungsvolumens entfällt auf Azathioprin, ein zytotoxisches Immunsuppressivum aus der Gruppe der Purinanaloga, das bereits vor 60 Jahren in die Therapie eingeführt wurde. Es ist ein Prodrug, das im Körper rasch zur aktiven Verbindung 6-Mercaptopurin metabolisiert wird und über Wechselwirkungen mit dem Nukleinsäurestoffwechsel die Zahl der Lymphozyten verringert. In Kombination mit anderen immunsuppressiven Substanzen ist es zur Immunsuppression bei Organtransplantationen zugelassen. Weiterhin wird es üblicherweise in Kombination mit Glucocorticoiden bei schweren
596
Kapitel 29 Immunglobuline und Immunsuppressiva
. Tabelle 29.2 Verordnungen von zytotoxischen Immunsuppressiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Azathioprin
29
Azathioprin Heumann
Azathioprin
15,4
(C7,5)
1,01
Azathioprin HEXAL
Azathioprin
2,1
(31,6)
0,91
Azathioprin AL
Azathioprin
1,5
(2,5)
1,19
Azathioprin-1 A Pharma
Azathioprin
0,94
(36,0)
1,22
Azathioprin dura
Azathioprin
0,88
(C2,2)
1,19
Azathioprin-ratiopharm
Azathioprin
0,39
(16,5)
1,19
Azafalk
Azathioprin
0,35
(32,8)
0,95
Imurek
Azathioprin
0,32
(11,4)
1,17
Azathioprin STADA
Azathioprin
0,13
(C9,3)
0,94
Aza Q
Azathioprin
0,11
(18,5)
0,89
22,1
(3,3)
1,03
Mycophenolsäure CellCept
Mycophenolsäure
4,3
(1,2)
11,78
Myfortic
Mycophenolsäure
2,0
(12,3)
12,97
Mowel
Mycophenolsäure
1,1
(C55,3)
6,65
Mycophenolatmofetil Heumann
Mycophenolsäure
0,57
(44,7)
7,24
Mycophenolat-1 A Pharma
Mycophenolsäure
0,38
(C92,6)
7,74
Mycophenolat mofetil Accord
Mycophenolsäure
0,34
(C14,4)
6,74
Mycophenolsäure HEXAL
Mycophenolsäure
0,32
(C331,6)
16,79
Mycophenolatmofetil-biomo
Mycophenolsäure
0,13
(C66,1)
6,87
Myfenax
Mycophenolsäure
0,10
(C16,5)
10,71
9,3
(C1,8)
10,86
31,4
(1,8)
3,93
Summe
Formen von Autoimmunkrankheiten eingesetzt, um Glucocorticoide einzusparen (Übersicht bei Anstey und Lear 1998). Das Verordnungsvolumen von Azathioprin war 2010 erneut leicht rückläufig (. Tab. 29.2). Mycophenolatmofetil wurde vor 25 Jahren zur Prophylaxe der akuten Abstoßungsreaktion
bei der Organtransplantation in Kombination mit Ciclosporin und Glucocorticoiden zugelassen. Das Prodrug wird im Organismus zur aktiven Mycophenolsäure umgewandelt wird. Es hemmt die Inosinmonophosphatdehydrogenase, die entscheidend für die De-novo-Synthese von Guanosinnukleotiden ist. Dieses Enzym
597 29.2 Immunsuppressiva
wird vor allem in T- und B-Lymphozyten wirksam, während andere Zelltypen die in ihnen enthaltenen Purine wiederverwerten können. Über diesen Mechanismus kommt es zu einer selektiven Hemmung der DNA-Synthese von Lymphozyten und der Lymphozytenproliferation (Übersicht bei Staatz und Tett 2007). Seine Verordnungen sind 2019 erneut leicht gestiegen.
mittelschweren bis schweren atopischen Ekzems (7 Kap. 23, Dermatika). Wie in den vergangenen Jahren waren die Verordnungen der Ciclosporinpräparate auch 2019 weiter rückläufig, während das Verordnungsvolumen von Tacrolimus im Vergleich zum Vorjahr etwas anstieg (. Tab. 29.3).
29.2.3 29.2.2
29
mTOR-Inhibitoren
Calcineurininhibitoren
Calcineurininhibitoren haben die Organtransplantation revolutioniert und sind nach wie vor die Standardmittel für diese Indikation. Der erste Vertreter war Ciclosporin, das in T-Zellen mit hoher Affinität an ein intrazelluläres Protein aus der Familie der Immunophiline (Ciclophilin) bindet und über den gebildeten Ciclosporin-Ciclophilin-Komplex die Calcineurinaktivität, die Interleukin-2-Bildung und damit die Aktivierung von T-Zellen hemmt. Ciclosporin wird hauptsächlich zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung bei Organtransplantationen eingesetzt. Daneben ist es auch zur Immunsuppression bei Autoimmunkrankheiten (z. B. rheumatoide Arthritis, schwere Psoriasis, schwere atopische Dermatitis) zugelassen. Das später eingeführte Tacrolimus bindet an ein separates Ciclophilin (FK-Bindungsprotein), hemmt dann aber analog wie Ciclosporin Calcineurin und die T-Zellaktivität. Es wirkt bereits in 10–20fach geringerer Dosis als Ciclosporin und hat Vorteile bei der Verhinderung von akuten Abstoßungsreaktionen, erhöht aber das Risiko für einen transplantationsbedingten Diabetes sowie neurologische und gastroenterologische Nebenwirkungen (Webster et al. 2005). Tacrolimus ist zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung bei verschiedenen Organtransplantationen und zur Behandlung der anderweitig therapieresistenten Transplantatabstoßung zugelassen. Daneben gibt es eine topische Darreichungsform von Tacrolimus (Protopic) zur Behandlung des
Hauptvertreter der mTOR (Mammalian Target of Rapamycin)-Inhibitoren sind das natürlich vorkommende Makrolidantibiotikum Sirolimus und sein Hydroxyethylderivat Everolimus. mTOR ist eine Serin-Threonin-Proteinkinase, die an der Regulation verschiedener zellulärer Funktionen wie Wachstum, Proliferation und Überleben beteiligt ist. Die mTORInhibitoren hemmen die B- und T-Zell-Proliferation und werden in immunsuppressiven Therapieschemata zur Verhinderung einer Organabstoßung bei Organtransplantationen eingesetzt. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber den Calcineurininhibitoren ist ihre geringere Nephrotoxizität (Übersicht bei Ma et al. 2018). Sirolimus (Rapamune) wurde bereits 1975 als Makrolidantibiotikum aus einer Bodenprobe der Osterinsel Rapa Miu gewonnen und zuerst als Rapamycin bezeichnet, aber erst 2001 für die Prophylaxe der Organabstoßung bei Nierentransplantation zugelassen. Initial wird Sirolimus in Kombination mit Ciclosporin und Glucocorticoiden angewendet, nach 2–3 Monaten aber nur noch mit Glucocorticoiden als Erhaltungstherapie gegeben, um das Risiko der Nephrotoxizität durch stufenweises Absetzen von Ciclosporin zu reduzieren. Everolimus (Certican) wurde 2004 ebenfalls zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung nach Organtransplantation zugelassen. Wie in den Vorjahren sind seine Verordnungen 2019 weiter angestiegen und liegen jetzt sechsfach höher als die von Sirolimus (. Tab. 29.3). Gründe für die Präferenz von Everolimus im Vergleich zu Sirolimus sind seine höhere orale Bioverfügbarkeit und das Potenzial, die ne-
598
Kapitel 29 Immunglobuline und Immunsuppressiva
. Tabelle 29.3 Verordnungen von selektiven Immunsuppressiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ciclosporin Sandimmun
Ciclosporin
2,9
(4,1)
10,14
Prograf
Tacrolimus
5,1
(C1,5)
21,78
Advagraf
Tacrolimus
2,4
(C3,8)
20,48
Modigraf
Tacrolimus
0,07
(C17,6)
40,47
7,6
(C2,3)
21,54
Tacrolimus
m-TOR-Inhibitoren Certican
Everolimus
2,7
(C5,4)
20,53
Rapamune
Sirolimus
0,43
(3,4)
23,27
3,1
(C4,1)
20,91
29 Weitere Immunsuppressiva Taltz
Ixekizumab
1,7
(C92,3)
50,40
Benlysta
Belimumab
0,46
(C18,9)
34,01
Esbriet
Pirfenidon
0,42
(C8,1)
103,02
Nulojix
Belatacept
0,24
(C28,1)
28,35
Soliris
Eculizumab
0,23
(3,7)
1.149,30
3,1
(C46,4)
135,67
16,6
(C7,4)
40,57
Summe
phrotoxischen Effekte der Calcineurininhibito- induzierte Bildung von Autoantikörpern und ren stärker zu reduzieren (Übersicht bei Kla- vermindert die Krankheitsaktivität über einen witter et al. 2015). Zeitraum von 52 Wochen. Die Nutzenbewertung von Belimumab ergab gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Hinweis für einen beträchtlichen Zusatznutzen. 29.2.4 Weitere Immunsuppressiva In den aktualisierten EULAR-Empfehlungen für die Behandlung des systemischen Lupus Belimumab (Benlysta) wurde 2011 als Zusatz- erythematodes wird Belimumab bei persistherapie bei Patienten mit aktivem, Autoan- tierender extrarenaler Erkrankung mit unzutikörper-positivem systemischem Lupus ery- reichender Kontrolle durch die Standardthethematodes zugelassen. Der monoklonale An- rapie (Hydroxychloroquin, Glucocorticosterotikörper gegen den B-Lymphozytenstimulator ide, Immunsuppressiva) als Zusatztherapie in (BLyS) blockiert die durch B-Lymphozyten Betracht gezogen (Fanouriakis et al. 2019).
599
29
Literatur
Im Oktober 2019 erhielt Belimumab eine Zulassungserweiterung für Patienten von 5 bis 17 Jahren (siehe 7 Kap. 3, 7 Abschn. 2.2.3). Die Verordnungen von Benlysta sind 2019 weiter gestiegen (. Tab. 29.3). Die Jahrestherapiekosten liegen mit etwa 12.400 C deutlich höher als die Kosten der derzeitigen Standardtherapie. Pirfenidon (Esbriet) ist ein Orphan-Arzneimittel, das 2011 von der EMA zur Behandlung der pulmonalen Fibrose zugelassen wurde. Es hatte in den ersten Studien bei Patienten mit pulmonaler Fibrose keine einheitlichen Effekte auf die forcierte Vitalkapazität. Die Nutzenbewertung von Pirfenidon ergab damals einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie (siehe Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2011). Neuere placebokontrollierte Studien haben jedoch gezeigt, dass Pirfenidon die Abnahme der Lungenfunktion im Laufe eines Jahres um etwa 50 % verlangsamt. Auch die Häufigkeit von akuten Exazerbationen und Hospitalisierungen wegen Atemwegserkrankungen wurde reduziert. Gepoolte Daten und Metaanalysen lassen vermuten, dass Pirfenidon sogar die Mortalität verringern könnte (Übersicht bei Lederer und Martinez 2018). Eculizumab (Soliris) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen das Komplementprotein C5, der 2007 zur Behandlung von Patienten mit paroxysmaler nächtlicher Hämoglobinurie und mit atypischem hämolytischurämischem Syndrom zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2008, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2007). Durch die spezifische Bindung an das Komplementprotein C5 wird die Spaltung in C5a und C5b blockiert und damit die Komplement-vermittelte intravasale Hämolyse verhindert. Seit August 2017 ist Eculizumab auch für die Behandlung der refraktären generalisierten Myasthenia gravis bei Acetylcholinrezeptor-Antikörper-positiven Patienten zugelassen. Basis der Zulassung waren die Ergebnisse einer placebokontrollierten Phase-3-Studie an 125 Patienten mit refraktärer Myasthenia gra-
vis, die trotz Behandlung mit mindestens zwei immunsuppressiven Therapien weiterhin eine eingeschränkte Alltagsaktivität aufwiesen (Howard et al. 2017, REGAIN). Eculizumab hatte nach 26 Wochen im Vergleich zu Placebo keinen Effekt auf die Alltagsaktivität, senkte jedoch die Häufigkeit von Myasthenia gravisExazerbationen (24 % versus 10 %). Auch eine Rettungstherapie mit Immunglobulinen wurde seltener benötigt (10 % versus 19 %). Eine Nutzenbewertung der neuen Indikation wurde nicht durchführt. Soliris hat extrem hohe Jahrestherapiekosten von fast 420.000 C und gehört trotz eines kleinen DDD-Volumens mit Nettokosten von 264 Mio. C zu den 30 umsatzstärksten Arzneimitten des Jahres 2019 (7 Kap. 1, . Tab. 1.3). Belatacept (Nulojix) ist ein Immunsuppressivum aus der Gruppe der selektiven Kostimulationsinhibitoren, das zur Prophylaxe einer Transplantatabstoßung nach Nierentransplantation in Kombination mit Glucocorticoiden und Mycophenolsäure angewendet wird. Es bewirkt eine ähnliche Immunsuppression wie Ciclosporin, aber ohne die bekannten nephrotoxischen Spätschäden der Calcineurinantagonisten, so dass eine besser erhaltene Nierenfunktion resultiert (Übersicht bei van der Zwan et al. 2020). Die Nutzenbewertung von Belatacept ergab gegenüber Ciclosporin einen Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2011). Die Kosten der Erhaltungstherapie betragen 10.340 C pro Jahr und liegen damit etwa dreifach höher als die derzeitige Standardtherapie mit Ciclosporin (. Tab. 29.3).
Literatur Andabaka T, Nickerson JW, Rojas-Reyes MX, Rueda JD, Bacic Vrca V, Barsic B (2013) Monoclonal antibody for reducing the risk of respiratory syncytial virus infection in children. Cochrane Database Syst Rev 2013(4):CD6602 Anstey A, Lear JT (1998) Azathioprine: clinical pharmacology and current indications in autoimmune disorders. BioDrugs 9:33–47
600
29
Kapitel 29 Immunglobuline und Immunsuppressiva
Borte M, Baumann U, Pittrow D, Hensel M, Fasshauer M, Huscher D, Reiser M, Stangel M, Gold R, Kirch W (2012) Anwendung von Immunglobulinen bei primären und sekundären Immundefekten und neurologischen Autoimmunerkrankungen. Dtsch Med Wochenschr 137:675–680 Crowther CA, Middleton P, McBain RD (2013) AntiD administration in pregnancy for preventing Rhesus alloimmunisation. Cochrane Database Syst Rev 2013(2):CD20 Fanouriakis A, Kostopoulou M, Alunno A, Aringer M, Bajema I, Boletis JN, Cervera R, Doria A, Gordon C, Govoni M, Houssiau F, Jayne D, Kouloumas M, Kuhn A, Larsen JL, Lerstrøm K, Moroni G, Mosca M, Schneider M, Smolen JS, Svenungsson E, Tesar V, Tincani A, Troldborg A, van Vollenhoven R, Wenzel J, Bertsias G, Boumpas DT (2019) 2019 update of the EULAR recommendations for the management of systemic lupus erythematosus. Ann Rheum Dis 78:736–745 Howard JF Jr, Utsugisawa K, Benatar M, Murai H, Barohn RJ, Illa I, Jacob S, Vissing J, Burns TM, Kissel JT, Muppidi S, Nowak RJ, O’Brien F, Wang JJ, Mantegazza R, REGAIN Study Group (2017) Safety and
efficacy of eculizumab in anti-acetylcholine receptor antibody-positive refractory generalised myasthenia gravis (REGAIN): a phase 3, randomised, doubleblind, placebo-controlled, multicentre study. Lancet Neurol 16:976–986 Klawitter J, Nashan B, Christians U (2015) Everolimus and sirolimus in transplantation-related but different. Expert Opin Drug Saf 14:1055–1070 Lederer DJ, Martinez FJ (2018) Idiopathic pulmonary fibrosis. N Engl J Med 378:1811–1823 Ma MKM, Yung S, Chan TM (2018) mTOR inhibition and kidney diseases. Transplantation 102(2S Suppl 1):S32–S40 Staatz CE, Tett SE (2007) Clinical pharmacokinetics and pharmacodynamics of mycophenolate in solid organ transplant recipients. Clin Pharmacokinet 46:13–58 Webster A, Woodroffe RC, Taylor RS, Chapman JR, Craig JC (2005) Tacrolimus versus cyclosporin as primary immunosuppression for kidney transplant recipients. Cochrane Database Syst Rev 2005(4):CD3961 van der Zwan M, Hesselink DA, van den Hoogen MWF, Baan CC (2020) Costimulation blockade in kidney transplant recipients. Drugs 80:33–46
601
30
Lipidsenkende Mittel Gerald Klose und Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die Verordnungen der Statine haben auch 2019 weiter zugenommen. Hierzu dürften die in Evidenz-basierten Leitlinien empfohlenen immer niedrigeren LDL-Cholesterinzielwerte oder intensivere Statintherapie beigetragen haben. Führendes Präparat ist erstmals Atorvastatin, das nach einem weiteren kräftigen Verordnungszuwachs den langjährigen Marktführer Simvastatin überrundete. Auf niedrigerem Niveau wurden auch Ezetimibpräparate deutlich mehr verordnet, insbesondere preisgünstige Generika. Fibrate und Colestyramin spielen nur eine untergeordnete Rolle. Bewertung Nach weiteren Zunahmen haben Statine 2019 ein Verordnungsvolumen erreicht, das die tägliche Behandlung von 6,9 Mio. Patienten mit Standarddosierungen ermöglicht. Der Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib verstärkt die Cholesterinsenkung durch Statine und reduziert kardiovaskuläre Ereignisse, was jedoch nicht mit einer Abnahme der kardiovaskulären Mortalität verbunden war. Die Verordnungen der beiden PCSK9-Inhibitoren sind nochmals deutlich angestiegen, obwohl sie aufgrund einer Verordnungseinschränkung nur für Patienten mit heterozygot familiärer oder nicht nicht-familiärer Hypercholesterinämie eingesetzt werden dürfen, bei denen eine Indikation zur Durchführung einer LDL-Apherese besteht.
Erhöhte Cholesterinwerte des Low-DensityLipoprotein (LDL)-Cholesterins gehören zusammen mit arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus und Zigarettenkonsum zu den wichtigsten Risikofaktoren kardiovaskulärer Krankheiten. Ein Konsensus-Statement der European Atherosclerosis Society begründet anhand der Evidenz aus genetischen, epidemiologischen und klinischen Studien die kausale Rolle LDL-Cholesterins für Atherosklerose-bedingte kardiovaskuläre Erkrankungen (Ference et al. 2017). Zur therapeutischen Evidenz gehören die Metaanalysen der Cholesterol Treatment Trialists Collaborators (2005), die eine 21 % relative Risikoreduktion kardiovaskulärer Ereignisse pro 1 mmol/l LDL-Cholesterinsenkung ergaben. In der letzten Metaanalyse (27 Studien, 174.149 Teilnehmer) wurden kardiovaskuläre Ereignisse bei Frauen und Männern in ähnlichem Ausmaß um 16 bzw. 22 % gesenkt (Cholesterol Treatment Trialists Collaboration 2015). In beiden Gruppen ging auch die Gesamtmortalität um 9 bzw. 10 % zurück. Daher ist die cholesterinsenkende Therapie weiter zentraler Bestandteil internationaler Evidenz-basierter Leitlinien zur Prävention der koronaren Herzkrankheit. Die aktuelle 2019 ESC/EAS Dyslipidämie-Leitlinie empfiehlt gegenüber der Leitlinie 2016 noch weiter abgesenkte LDL-Cholesterinzielwerte für 4 Risikokategorien (Mach et al. 2019). Bei Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko wird eine LDL-Cholesterinreduktion von 50 % gegenüber dem Ausgangswert und ein LDL-Cholesterinzielwert von < 1,4 mmol/l (< 55 mg/dl) empfohlen. Bei hohem kardio-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_30
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30
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
vaskulären Risiko wird eine Reduktion von 50 % gegenüber dem Ausgangswert und ein Zielwert < 1,8 mmol/l (< 70 mg/dl) empfohlen. Bei Patienten mit mäßigem kardiovaskulärem Risiko sollte ein Zielwert von < 2,6 mmol/l (< 100 mg/dl) in Betracht gezogen werden, während bei Personen mit geringem Risiko ein Zielwert von < 3,0 mmol/l (< 116 mg/dl) akzeptabel ist. Das Ausmaß des therapeutischen Nutzens korreliert mit der LDL-Cholesterinsenkung und dem globalen Risiko für kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ereignisse (Ference et al. 2017). In der aktualisierten Nationalen Versorgungsleitlinie Chronische KHK wird der zielwertorientierten Therapiestrategie die Strategie der festen Dosis als Empfehlung oder Statement der DEGAM und der ACC/ AHA 2013 Leitlinie gegenübergestellt (Bundesärztekammer et al. 2019). Im Ergebnis wird allen Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine feste Hochdosis-Statintherapie empfohlen. Die Metaanalyse zur Wirksamkeit einer intensiveren Statinbehandlung belegte deren Zusatznutzen (Cholesterol Treatment Trialists Collaboration 2010). Die Intensität der Statinbehandlung als Therapiestrategie bei vier Personengruppen anstelle von LDL-Cholesterinzielwerten war in der ACC/AHA Leitlinie mit der Empfehlung ergänzt worden, bei bestimmten Risiken eine maximale Statintherapie mit Ezetimib oder PCSK9-Hemmern zu kombinieren, wenn keine LDL-Cholesterin-Konzentration < 70 mg/dl erreichbar war (Grundy et al. 2019). Ein eventuelles Erfordernis dieser Kombinationstherapien ist auch die Empfehlung in den 2019 ECS/EAS Dyslipidämie-Leitlinien zur Erreichung der oben angeführten Risikobasierten Zielwerte. Die neue ESC/EAS Dyslipidämie Leitlinie und die AHA/ACC-Leitlinie führen zu einer deutlichen Ausweitung der Behandlungsindikation, insbesondere die Primärprävention bei vergleichsweise niedrigem kardiovaskulärem 10-Jahresrisiko ab 7,5 %. In einer aktuellen Analyse der Copenhagen General Population Study wurde die Ausweitung aufgrund der niedrigeren Zielwerte und der Berücksichtigung höheren Alters bestätigt.
Gleichzeitig steigt der Anteil verhinderter Ereignisse bei vollständiger Implementierung der 2019 Leitlinien gegenüber 2016 von 11 auf 25 % (Mortensen und Nordestgaard 2020). Seit längerer Zeit werden zusätzliche entzündungshemmende Wirkungen der Statine diskutiert, welche die entzündliche Komponente der Atherosklerose über sogenannte pleiotrope lipidunabhängige Effekte modulieren (Schönbeck und Libby 2004; Libby 2013). Neben der vorherrschenden Wirkung auf das LDL-Cholesterin senken Statine auch das Creaktive Protein (CRP), das bei akuten und chronischen Entzündungsvorgängen zytokinabhängig in der Leber gebildet wird. Nach Statintherapie hatten Koronarpatienten mit niedrigem CRP-Plasmaspiegel eine geringere Progression der Atherosklerose und weniger Herzinfarktrezidive als Patienten mit hohen CRPWerten (Nissen et al. 2005; Ridker et al. 2005). Eine Studie an 20.536 Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko ergab jedoch keine Hinweise, dass die Beeinflussung des CRPPlasmaspiegels den kardiovaskulären Nutzen der Statintherapie modifiziert (Heart Protection Study Collaborative Group 2011). Dagegen wurde die Hypothese der Inflammationshemmung durch eine kleine Studie mit Colchicin (0,5 mg/Tag) gestützt, das zusätzlich zu Statinen einen erstaunlichen Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse (5,3 % versus 16,0 %) bei der Sekundärprävention der koronaren Herzkrankheit hatte (Nidorf et al. 2013). Eine neue größere randomisierte klinische Studie mit Colchicin 0,5 g/Tag bei 4.745 Patienten bestätigte den klinischen Nutzen mit Erreichung einer 23%igen relativen Senkung des primären Endpunktes nach 42 Monaten (Tardif et al. 2019). Therapeutische Evidenz für die Wirksamkeit antiinflammatorischer Maßnahmen lag auch mit den Ergebnissen der CANTOS-Studie vor. Mit dem gegen Interleukin-1“ gerichteten monoklonalen Antikörper Canakinumab war gegenüber Placebo eine etwa 15 %ige relative Risikosenkung des primären kardiovaskulären Endpunktes zu erreichen (Ridker et al. 2017). Eine praktisch eher um-
603 Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
setzbare Entzündungshemmung mit Methotrexat war in der CIRT-Studie dagegen hinsichtlich eines positiven Outcomes nicht erfolgreich (Ridker et al. 2019). Grundlagen der lipidsenkenden Therapie sind weiterhin Ernährungsumstellung durch Fettrestriktion und Fettmodifikation sowie vermehrte körperliche Aktivität. Allerdings wurde auf eine unzureichende Evidenz für die Rolle der gesättigten Fettsäuren hingewiesen (de Souza et al. 2015). Bei geringem Risiko reichen die derzeitigen Empfehlungen für das Behandlungsziel von 160 mg/dl LDL-Cholesterin aber oft aus. Darüber hinaus sollten die Patienten motiviert werden, alle anderen Risikofaktoren für die Entstehung einer Arteriosklerose (Rauchen, Hypertonie, Übergewicht) abzubauen. Der Erfolg nichtmedikamentöser Maßnahmen als Basistherapie wurde in der bislang nicht durch andere Studien bestätigten Lyon Diet Heart Study an 605 Patienten nach Herzinfarkt gesehen, in der eine mediterrane Kost die kardiale Mortalität und Herzinfarktrate um relativ 68 % im Vergleich zu Normalkost senkte (De Lorgeril et al. 1999). Praktisch wichtig ist es daher, den Anteil von rotem Fleisch und Milchprodukten in der Nahrung zu vermindern und mehr Nüsse, Fisch, Sojaprodukte und nicht hydrierte Pflanzenöle zu verwenden. Beachtung finden auch die Ergebnisse der umfangreicheren PREDIMED-Studie mit einer 30%igen relativen Risikosenkung durch eine Mittelmeerdiät mit viel Nüssen und Olivenöl (Estruch et al. 2013). Die partiell erreichbare Senkung des kardiovaskulären Risikos durch nichtmedikamentöse Maßnahmen und Statine führt zu Konzepten noch stärkerer LDL-Cholesterinsenkung und HDL-Cholesterinsteigerung. Besonders aussichtreich sind die neuen Hemmstoffe der Proproteinkonvertase Subtilisin Kexin Typ 9 (PCSK9). Evolocumab (Repatha) war der erste PCSK9-Inhibitor, mit dem bei Patienten mit primärer Hypercholesterinämie zusätzlich zu einer intensiven Statintherapie das LDL-Cholesterin um 60 % auf bisher unerreichte Werte von 33–38 mg/dl gesenkt wurde
30
(Raal et al. 2015a, RUTHERFORD-2). Weniger effektiv war Evolocumab entsprechend des Fehlens der eine Wirkung voraussetzenden LDL-Rezeptoren bei Patienten mit homozygoter familiärer Hypercholesterinämie (Raal et al. 2015b, TESLA). Auch mit Alirocumab (Praluent) gelang bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko eine Senkung des LDL-Cholesterins zusätzlich zu einer intensiven Statintherapie um 60 % (Robinson et al. 2015). Für beide PCSK9-Inhibitoren wurde jedoch bis zur Zulassung keine Wirkung auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität in klinischen Endpunktstudien nachgewiesen. Eine entscheidende Wende für die praktische Anwendung der PCSK9-Inhibitoren brachten erste Ergebnisse über die Wirkung von Alirocumab auf die Frequenz der Lipoproteinapherese bei heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie. In einer kleinen placebokontrollierten Studie an 62 Patienten mit heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie, die trotz lipidsenkender Therapie wegen eines hohen LDL-Cholesterin (Ausgangswert 174–195 mg/dl) eine Lipoproteinapherese benötigten, senkte Alirocumab über einen Zeitraum von 18 Wochen das LDL-Cholesterin um 53,7 %, so dass die Frequenz der Lipoproteinapherese um 75 % im Vergleich zu Placebo vermindert werden konnte (Moriarty et al. 2016, ODYSSEY ESCAPE). Daraufhin wurde vom G-BA in Absprache mit den pharmazeutischen Unternehmern für Evolocumab und Alirocumab eine Verordnungseinschränkung beschlossen. Beide Wirkstoffe sind nicht verordnungsfähig, solange das angestrebte Behandlungsziel bei der familiären Hypercholesterinämie oder gemischten Dyslipidämie mit anderen Lipidsenkern zu erreichen ist. Ausgenommen von dieser Verordnungseinschränkung wurden Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie, bei denen nach Ausschöpfung aller diätetischen und medikamentösen Optionen zur Lipidsenkung die Indikation zur Durchführung einer LDL-Apherese besteht (Bundesministerium für Gesundheit 2016a, 2016b).
604
30
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
Inzwischen sind mit beiden PCSK9Inhibitoren große klinische Endpunktstudien durchgeführt worden. Evolocumab senkte bei 27.564 Patienten mit arteriosklerotischen Krankheiten und Statinbehandlung das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (kombinierter Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, instabiler Angina pectoris mit Hospitalisierung, koronarer Revaskularisation) nach 2,2 Jahren von 11,3 auf 9,8 % (Sabatine et al. 2017, FOURIER). Die kardiovaskuläre Mortalität wurde jedoch nicht beeinflusst. Unklar ist die Bedeutung, dass die relative Risikoreduktion für die Subgruppe der europäischen Patienten deutlich geringer als in der untersuchten Gesamtpopulation ausfiel (9 % versus 15 %). Weiterhin erhielten 30 % der Patienten keine hochintensive Statintherapie und nur 5 % der Patienten Ezetimib. Die vom pharmazeutischen Unternehmer aufgrund der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse beantragte erneute Nutzenbewertung hat daher keinen Zusatznutzen von Evolocumab für ein Teilanwendungsgebiet (primäre Hypercholesterinämie oder gemischte Dyslipidämie) gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie in allen drei Subgruppen ergeben (Bundesministerium für Gesundheit 2018). In einer weiteren großen Endpunktstudie mit Alirocumab wurden die Ergebnisse der Evolocumab-Studie grundsätzlich betätigt. Nach 2,8 Jahren senkte Alirocumab (75 mg s. c. alle 2 Wochen) bei 18.924 Patienten mit akutem Koronarsyndrom und nicht ausreichend kontrollierten Cholesterinwerten trotz maximal tolerierter Statintherapie (LDL-Cholesterin 70 mg/dl, Apolipoprotein B 80 mg/dl) den kombinierten primären Endpunkt (Tod durch koronare Herzkrankheit, nichttödlicher Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall, instabile Angina pectoris mit Hospitalisierung) im Vergleich zu Placebo (9,5 versus 11,1 %) (Schwartz et al. 2018, ODYSSEY OUTCOMES). Die nicht signifikant verminderte Gesamtmortalität (3,5 % versus 4,1 %) ohne Beeinflussung der kardio-
vaskulären Mortalität (2,5 % versus 2,9 %) schränkt die klinische Bedeutung der Ergebnisse ein. Die Anwendung von Ezetimib war in beiden Armen der ODYSSEY-OUTCOMES Studie ebenfalls sehr niedrig (2,8 und 3,0 %). Trotz des positiven Ergebnisses für den kombinierten primären Endpunkt hat die vom pharmazeutischen Unternehmer beantragte erneute Nutzenbewertung von Alirocumab in allen vier Subgruppen keinen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie ergeben (Bundesministerium für Gesundheit 2019b). Hauptgrund war die Tatsache, dass aufgrund der fehlenden Anpassung der lipidsenkenden Therapie im Kontrollarm über einen Zeitraum von über 2,5 Jahren nicht ausgeschlossen werden konnte, dass diese Patienten auch einem höheren Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ausgesetzt waren. Nach einer aktuellen Netzwerk-Metaanalyse von 30 klinischen Studien mit 59.026 Patienten sind Alirocumab und Evolocumab gut verträglich und können die Lipidprofile bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko erheblich verbessern (Guedeney et al. 2020). Bei Patienten mit Hypercholesterinämie oder atherosklerotischen Herz-Kreislaufkrankheiten verringerten beide PCSK9-Inhibitoren das Risiko für nichttödliche Ereignisse (Myokardinfarkt, ischämischen Schlaganfall, koronare Revaskularisierung). Die Wirkung von PCSK9-Inhibitoren auf die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Mortalität bleibt jedoch unklar.
30.1
Verordnungsspektrum
Das Verordnungsvolumen der lipidsenkenden Mittel nach definierten Tagesdosen (DDD) hat 2019 erneut um 8,9 % zugenommen (vgl. . Tab. 1.2). Hauptgrund ist ein weiterer Anstieg der Statine um 8,6 % (. Abb. 30.1). Dagegen sind die Nettokosten der Lipidsenker 2019 gegenüber dem Vorjahr kaum (C0,7 %) gestiegen und betragen jetzt 737 Mio. C (vgl.
30
605 30.1 Verordnungsspektrum
2800 Statine Ezetimibpräparate 2400
2524 2324 2133 2035
2000 1907
(Mio. DDD)
1822 1716
1600 1471
1544
1629
1200
800
400 110 0 2010
105
98
86
83
88
105
122
142
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
167
2019
. Abb. 30.1 Verordnungen von lipidsenkenden Mitteln 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
. Tab. 1.2), da deutlich mehr Generika von ne größere Senkung des LDL-Cholesterins pro mg Arzneimittel als die älteren Wirkstoffe Statinen und Ezetimib verordnet wurden. (z. B. Simvastatin und Pravastatin). Nur mit Atorvastatin (40–80 mg/Tag) oder Rosuvastatin (20–40 mg/Tag) kann das LDL-Cholesterin 30.1.1 Statine um 50 % und mehr gesenkt werden. Folglich sollte sich die intensive Statintherapie auf PatiDer Anteil der Statine an den Verordnungen enten mit einem höheren Risiko für vaskuläre der lipidsenkenden Pharmaka ist weiter an- Ereignisse konzentrieren und nicht nur auf Pagestiegen. Der Hauptteil des Zuwachses der tienten mit hohen Cholesterinkonzentrationen, Statine entfällt 2019 wiederum auf Atorvas- da die proportionale Verringerung der Häufigtatin, das nach einem weiteren kräftigen Ver- keit von Gefäßereignissen mit Statintherapie ordnungszuwachs (C20,1 %) den langjähri- mit der absoluten Verringerung des LDL-Chogen Marktführer Simvastatin (4,8 %) über- lesterins zusammenhängt (Übersicht bei Colrundet hat (. Tab. 30.1). Insgesamt wur- lins et al. 2016). den 2.524 Mio. definierte Tagesdosen (DDD) von Statinen im Jahre 2019 verschrieben (. Abb. 30.1), die eine tägliche Behandlung 30.1.2 Cholesterinresorptionsvon 6,9 Mio. Patienten mit Standarddosen erhemmer möglichen. Damit werden bei den Statinverordnungen in zunehmendem Maße die unterschied- Der Cholesterinresorptionshemmer Ezetimib lichen Wirkstärken der einzelnen Statine be- bewirkt zusammen mit Statinen eine zusätzlirücksichtigt. Die neueren Wirkstoffe (z. B. che Senkung des LDL-Cholesterins. Da lange Atorvastatin und Rosuvastatin) bewirken ei- Zeit klinische Endpunktstudien fehlten, wa-
606
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
. Tabelle 30.1 Verordnungen von Statinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Simvastatin
30
Simva Aristo
Simvastatin
373,7
(C2,7)
0,19
Simva BASICS
Simvastatin
316,1
(C53,5)
0,17
Simvastatin-1 A Pharma
Simvastatin
180,0
(18,0)
0,19
Simvastatin-ratiopharm
Simvastatin
167,5
(44,1)
0,20
SimvaHEXAL
Simvastatin
66,9
(C9,9)
0,19
Simvastatin AbZ
Simvastatin
19,0
(43,1)
0,19
Simvabeta
Simvastatin
7,8
(9,7)
0,20
Simvastatin AL
Simvastatin
7,7
(C107,2)
0,17
Simvastatin STADA
Simvastatin
5,3
(15,6)
0,15
Simvastatin Bluefish
Simvastatin
4,1
(C86,6)
0,13
Simvastatin/Simva dura
Simvastatin
2,1
(39,6)
0,17
Simva-Hennig
Simvastatin
1,6
(17,2)
0,19
1.151,6
(4,8)
0,19
Pravastatin Pravastatin-ratiopharm
Pravastatin
29,1
(24,9)
0,22
Prava TEVA
Pravastatin
14,9
(C45,1)
0,19
Pravastatin-1 A Pharma
Pravastatin
10,0
(5,2)
0,21
Pravastatin HEXAL
Pravastatin
5,7
(4,5)
0,21
Pravastatin Heumann
Pravastatin
3,0
(C11,1)
0,21
PravaLich
Pravastatin
2,7
(C374,9)
0,20
65,4
(5,0)
0,21
Fluvastatin Fluvastatin HEXAL
Fluvastatin
10,4
(C19,2)
0,22
Fluvastatin-ratiopharm
Fluvastatin
4,6
(43,6)
0,28
Locol
Fluvastatin
4,6
(C118,1)
0,18
Fluvastatin AbZ
Fluvastatin
4,4
(20,8)
0,29
Fluvastatin-PUREN
Fluvastatin
3,5
(57,5)
0,18
27,5
(16,2)
0,23
30
607 30.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 30.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Atorvastatin Atorvastatin Accord
Atorvastatin
393,8
(C479,6)
0,12
Atorvastatin-ratiopharm
Atorvastatin
277,6
(38,5)
0,13
Atorvastatin BASICS
Atorvastatin
176,6
(C9,9)
0,12
Atorvastatin AbZ
Atorvastatin
118,0
(35,1)
0,14
Atorvastatin-1 A Pharma
Atorvastatin
89,4
(C40,0)
0,13
Atorvastatin AL
Atorvastatin
46,3
(C129,1)
0,14
Atorvastatin Aurobindo
Atorvastatin
28,2
(C94,3)
0,11
Atorvastatin STADA
Atorvastatin
12,3
(C184,5)
0,10
Atorvastatin Axiromed
Atorvastatin
12,2
(> 1.000)
0,12
Atorvastatin HEXAL
Atorvastatin
11,0
(C75,6)
0,13
Atorvastatin Aristo
Atorvastatin
6,3
(C105,0)
0,12
Atorvastatin Hennig
Atorvastatin
2,4
(6,0)
0,14
1.174,0
(C20,1)
0,13
Rosuvastatin Rosuvastatin-ratiopharm
Rosuvastatin
30,6
(C370,3)
0,16
Rosuvastatin Axiromed
Rosuvastatin
28,3
(> 1.000)
0,14
RosuHEXAL
Rosuvastatin
9,6
(C267,6)
0,13
Rosuvastatin Elpen
Rosuvastatin
6,0
(C520,7)
0,15
Rosuvastatin Aurobindo
Rosuvastatin
5,1
(C103,9)
0,16
Rosuvastatin Denk
Rosuvastatin
4,6
(C513,6)
0,13
Rosuvastatin Aristo
Rosuvastatin
3,9
(C36,8)
0,16
Rosu-1 A Pharma
Rosuvastatin
3,6
(C254,4)
0,17
Rosuvador TAD
Rosuvastatin
1,7
(C28,1)
0,17
93,4
(C371,6)
0,15
2,3
(C42,2)
0,50
Weitere Statine und Kombinationen Iltria
Atorvastatin Acetylsalicylsäure Ramipril
608
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
. Tabelle 30.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Lovabeta
Lovastatin
1,7
(C6,9)
0,33
Lovastatin-ratiopharm
Lovastatin
1,3
(C88,8)
0,31
5,3
(C35,8)
0,40
2.517,2
(C8,9)
0,16
Summe
ren die Ezetimib-Verordnungen bis 2014 rückläufig (. Abb. 30.1). Die IMPROVE-IT-Studie an 18.144 Hochrisikopatienten mit akutem Koronarsyndrom hat gezeigt, dass eine Ezetimib-Simvastatin-Kombination im Vergleich zu Simvastatin die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse um 6,4 % senkt, was allerdings nicht mit einer Abnahme der kardio-
30
DDD
vaskulären Mortalität verbunden war (Cannon et al. 2015). Nach jahrelangen kontroversen Diskussionen gehört Ezetimib damit zu den Nicht-Statinen, mit denen eine Senkung des kardiovaskulären Risikos nachgewiesen wurde (Robinson und Stone 2015). Diese Ergebnisse sind jetzt auch vom Gemeinsamen Bundesausschuss durch die Aufhe-
. Tabelle 30.2 Verordnungen von Ezetimibpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ezetimib Ezetimib-ratiopharm
Ezetimib
14,2
(C104,9)
0,93
Ezetad TAD
Ezetimib
12,4
(C98,2)
0,67
Ezetimib-1 A Pharma
Ezetimib
7,7
(C781,0)
0,45
Ezetrol
Ezetimib
6,3
(77,4)
1,57
Ezetimib beta
Ezetimib
5,7
(C146,0)
0,43
Ezetimib Denk
Ezetimib
5,5
(C317,6)
0,44
Ezetimib AbZ
Ezetimib
4,7
(C210,9)
0,45
Ezetimib HEXAL
Ezetimib
2,7
(C55,6)
0,93
Ezetimib AL
Ezetimib
2,4
(C119,1)
0,44
Ezetimib Zentiva
Ezetimib
2,3
(C3,3)
0,64
Ezetimib Mylan
Ezetimib
2,3
(C285,2)
0,56
Ezetimib Axiromed
Ezetimib
1,6
(> 1.000)
0,64
Ezetimib-PUREN
Ezetimib
1,3
(7,8)
0,45
69,2
(C27,0)
0,72
30
609 30.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 30.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ezetimibkombinationen Atozet
Atorvastatin Ezetimib
25,1
(C23,0)
2,26
Tioblis
Atorvastatin Ezetimib
14,1
(3,5)
2,28
Inegy
Simvastatin Ezetimib
14,0
(67,6)
1,92
Ezesimin TAD
Simvastatin Ezetimib
6,6
(Neu)
0,74
Ezetimib/Simvastatin ratiopharm
Simvastatin Ezetimib
5,8
(C317,5)
1,60
Ezetimib/Simvastatin beta
Simvastatin Ezetimib
4,0
(> 1.000)
0,74
Antilia
Rosuvastatin Ezetimib
3,6
(C594,4)
1,72
Ezetimib Simvastatin Zentiva
Simvastatin Ezetimib
3,2
(Neu)
0,73
Ezetimib/Simvastatin AL
Simvastatin Ezetimib
2,2
(> 1.000)
0,74
Ezetimib/Simvastatin-1 A Pharma
Simvastatin Ezetimib
2,1
(C624,4)
0,76
Ezesimvahexal
Simvastatin Ezetimib
2,1
(C89,7)
1,56
Ezetimib/Simva AbZ
Simvastatin Ezetimib
2,1
(C242,1)
0,76
Ezetimib/Simvastatin Mylan
Simvastatin Ezetimib
1,9
(> 1.000)
0,74
Rosuzet
Rosuvastatin Ezetimib
1,9
(C354,3)
1,38
88,8
(C7,2)
1,73
157,9
(C15,0)
1,29
Summe
bung des Therapiehinweises zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von Ezetimib berücksichtigt worden (Bundesministerium für Gesundheit 2019a). Dementsprechend sind die Ezetimib-Verordnungen 2019 kräftig weiter gestiegen, insbesondere durch preisgünstige
Generika (. Tab. 30.2). Die fixen Ezetimibkombinationen sind allerdings im Durchschnitt doppelt so teuer wie freie Kombinationen von Simvastatin (0,19 C/DDD) oder Atorvastatin (0,13 C/DDD) mit preisgünstigen Ezetimibgenerika (0,46 C/DDD).
610
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
30.1.3
Fibrate
Fibrate senken bevorzugt erhöhte Triglyzeridspiegel, während die cholesterinsenkende Wirkung weniger stark ausgeprägt ist. Nach der Einführung der Statine haben die Verordnungen der Fibrate seit 1992 kontinuierlich abgenommen. Die noch vertretenen 6 Präparate des Jahres 2019 wurden insgesamt etwas mehr ver-
ordnet (. Tab. 30.3), haben aber ein geringeres DDD-Volumen als die 7 Präparate des Vorjahres. Fibrate haben seit der Verfügbarkeit von Statinen in großen klinischen Studien keinen Zusatznutzen bei kardiovaskulären Endpunkten gezeigt (The Bezafibrate Infarction Prevention BIP Study Group 2000; The FIELD Study Investigators 2005). In einer Metaanalyse von 18 Studien mit 45.058 Teilnehmern hatte eine Fibrattherapie keinen Effekt auf die kardiovas-
. Tabelle 30.3 Verordnungen von weiteren lipidsenkenden Mitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Fibrate
30
Fenofibrat Heumann
Fenofibrat
14,1
(C12,0)
0,32
Bezafibrat AL
Bezafibrat
8,5
(C67,6)
0,40
Cil
Fenofibrat
2,3
(63,4)
0,39
Lipidil
Fenofibrat
2,3
(C62,0)
0,47
Fenofibrat Ethypharm
Fenofibrat
2,3
(C416,2)
0,19
Cedur
Bezafibrat
1,2
(65,0)
0,39
30,7
(C4,7)
0,35
(7,8)
1,76
Colestyramin Colestyramin-ratiopharm
Colestyramin
1,5
Colestyramin-1 A Pharma
Colestyramin
0,39
Lipocol
Colestyramin
0,29
(C3,9)
3,60
2,2
(C14,6)
2,08
(Neu)
2,17
Omega-3-Fettsäuren Omacor
Omega-3-ethylsäureester
2,7
(C10,8)
1,39
Omega Glenmark
Omega-3-ethylsäureester
0,97
(C61,0)
1,64
3,7
(C20,8)
1,46
PCSK9-Inhibitoren Repatha
Evolocumab
3,1
(C89,1)
23,14
Praluent
Alirocumab
1,9
(15,7)
13,99
5,0
(C28,8)
19,70
41,6
(C8,9)
2,88
Summe
611
30
Literatur
kuläre Mortalität oder die Gesamtmortalität, 30.1.6 PCSK9-Inhibitoren nur bei größeren kardiovaskulären Ereignissen und Koronarereignissen ergab sich eine mäßige aber signifikante relative Risikoreduktion Die Verordnungen der beiden PCSK9Inhibitoren haben sich unterschiedlich von 10 bzw. 13 % (Jun et al. 2010). entwickelt. Evolocumab (Repatha) wurde 2019 trotz der bestehenden Verordnungseinschränkungen fast doppelt so häufig wie im 30.1.4 Anionenaustauscher Vorjahr verordnet, während die Verordnungen von Alirocumab (Praluent) um 15,7 % zurückgegangen sind (. Tab. 30.3). UrsaDer Anionenaustauscher Colestyramin gehörche ist die Marktrücknahme von Praluent te ursprünglich zu den gut wirksamen Mitteln im Juli 2019 durch Sanofi aufgrund eines bei der familiären Hypercholesterinämie. Mit Patenstreit-Urteils in Deutschland (Deutsche diesem Stoff wurde erstmals eine Senkung der Erkrankungshäufigkeit an koronarer Herz- Apothekerzeitung 2019). Das gesamte Verkrankheit bei Männern mit Hypercholesterin- ordnungsvolumen der PCSK9-Inhibitoren ist ämie nachgewiesen (Lipid Research Clinics 2019 trotz der bestehenden VerordnungseinProgram 1984). Seit 1992 ist das Verordnungs- schränkungen erneut um fast 30 % angestiegen volumen von Colestyramin (damals 4,9 Mio. (. Tab. 30.3). Die Verordnung von 5,0 Mio. DDD) ständig zurückgegangen. Gründe waren DDD bedeutet, dass 13.700 Patienten kontinudie subjektiv unangenehmen Nebenwirkungen ierlich behandelt wurden. Diese Patientenzahl des Anionenaustauschers und die geringere liegt jetzt viermal so hoch wie die im Rahmen Wirksamkeit im Vergleich zu den Statinen. der Nutzenbewertung geschätzte Anzahl der Seit 2009 wurde wieder vermehrt Colestyra- Patienten mit Hypercholesterinämie, bei demin verordnet, das jetzt mit drei Präparaten nen eine Statintherapie nicht infrage kommt (1.750 Patienten) oder medikamentöse und vertreten ist (. Tab. 30.3). diätetische Optionen zur Lipidsenkung ausgeschöpft worden sind (1.500 Patienten) sowie bei Patienten mit homozygoter familiärer Hy30.1.5 Omega-3-Fettsäuren percholesterinämie (60–70 Patienten). Die aktuellen Jahrestherapiekosten der beiden Das Verordnungsvolumen der Omega-3- PCSK9-Inhibitoren (7.190 C) sind erheblich Fettsäuren hat in den letzten 10 Jahren um über geringer als die Kosten der Lipoproteinaphe30 % abgenommen (siehe Arzneiverordnungs- rese (23.012 bis 67.293 C pro Jahr), die bei Report 2011, Tab. 31.3). In einigen Leitlini- der Nutzenbewertung zugrunde gelegt wurden en werden Omega-3-Fettsäuren zur Förderung (Bundesministerium für Gesundheit 2018). der kardiovaskulären Gesundheit empfohlen. Neuere Studien haben das jedoch nicht bestätigt. Einzige Ausnahme ist die REDUCE- Literatur IT-Studie (Bhatt et al. 2019), bei der jedoch Abdelhamid AS, Brown TJ, Brainard JS, Biswas P, Thorpe das Studiendesgin mit Mineralöl als Placebo GC, Moore HJ, Deane KH, Summerbell CD, Wortkritisch kommentiert wurde. Nach einem aktuhington HV, Song F, Hooper L (2020) Omega-3 fatty acids for the primary and secondary prevention ellen Cochrane-Review (86 Studien, 162.796 of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Personen) hat eine Erhöhung von EicosapentaRev 3(2):CD3177. https://doi.org/10.1002/14651858. ensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) CD003177.pub5 aus Fischöl nur geringe oder keine Auswir- Bhatt DL, Steg PG, Miller M, Brinton EA, Jacobson kungen auf Todesfälle und kardiovaskuläre TA, Ketchum SB, Doyle RT Jr, Juliano RA, Jiao L, Ereignisse (Abdelhamid et al. 2020). Granowitz C, Tardif JC, Ballantyne CM, REDUCE-
612
30
Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
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Kapitel 30 Lipidsenkende Mittel
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615
31
Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika Ansgar W. Lohse und Samuel Huber
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Bedeutsamste Gruppe der Magen-Darm-Mittel sind wie in den vergangenen Jahren die Protonenpumpeninhibitoren (PPI), die 2019 trotz leicht rückläufiger Verordnungen weiterhin mit großem Abstand vor allen anderen Präparategruppen liegen. Der Rückgang der Verordnungen einiger der neu entwickelten Medikamente, mit denen eine chronische Hepatitis C geheilt werden kann, bedarf der gesonderten Betrachtung. Verordnungen der klassischen Prokinetika sind weiter rückläufig. Bei Medikamenten gegen chronisch-entzündliche Darmkrankheiten ist eine weitere Zunahme der Verschreibung des Integrin-Inhibitors Vedolizumab zu verzeichnen. Die Verschreibung von Infliximab ist stabil, die von Adalimumab etwas gestiegen, wobei hier eine Verlagerung auf Biosimilars zu beobachten ist. Die Verordnung der Pankreatinpräparate ist hingegen weitgehend stabil. Kleinere Verordnungsvolumina entfallen auf Spasmolytika, Antidiarrhoika und Laxantien. Trend Die Verordnungen von PPI waren 2019 ungefähr auf dem Niveau von 2018, aber immer noch 70 % höher als vor 10 Jahren. Ihre Haupteinsatzgebiete sind Refluxkrankheit und Magen-Duodenal-Ulkus. Ein
weiteres wichtiges Indikationsgebiet dürfte die Prophylaxe einer oberen gastrointestinalen Blutung aus Läsionen hervorgerufen durch Acetylsalicylsäure und nichtsteroidale Antirheumatika sein. PPI werden auch nach gastrointestinaler Blutung bei oraler Antikoagulation eingesetzt. Vermutlich werden PPI in Ermangelung anderer therapeutischer Konzepte auch bei dem sehr häufigen Reizmagen-Syndrom eingesetzt ohne hinreichende wissenschaftliche Evidenz hierfür. Da es nach Absetzen von PPI häufig zu vorübergehend vermehrter Säuresekretion und damit Symptomatik kommt, bleiben viele Patienten dann dauerhaft unter Therapie ohne sichere Indikation. Des Weiteren ist ein Trend bei den Medikamenten gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen hin zu den neueren Biologika, wie Vedolizumab zu verzeichnen. Kosten Aufgrund des weiter leicht gesunkenen Verordnungsvolumens liegen die Nettokosten der Ulkustherapeutika 2019 bei 629 Mio. C (3,2 %), was vermutlich vornehmlich daran liegt, dass Protonenpumpenhemmer nicht mehr verschreibungspflichtig sind. Die Verordnungskosten der Hepatitis-Therapien, insbesondere der Hepatitis C, sind zurückgegangen, da sowohl die Verschreibungszahlen gesunken sind als
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_31
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
616
auch die Preise der meisten Medikamente. Durch in der Höhe nicht bekannte Rabattverträge ist die errechnete Gesamtsumme von 260 Mio. C (Vorjahr 345 Mio. C) aber wahrscheinlich zu hoch. Die Kosten der medikamentösen Therapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen können letztlich nicht exakt angegeben werden, da für die Biologika keine indikationsspezifischen Verordnungsdaten verfügbar sind.
4000 H-2-Antagonisten Protonenpumpenhemmer
3683 3832
3475
3654
3690
3654
36
3500 3178 2919
3000 2595 2500 (Mio. DDD)
31
Als Magen-Darm-Mittel werden verschiedene Arzneimittelgruppen zur Behandlung von Krankheiten des Gastrointestinaltrakts zusammengefasst. Das weitaus größte Verordnungsvolumen nach definierten Tagesdosen (DDD) entfällt auf die Protonenpumpeninhibitoren (PPI), mit deutlichem Abstand gefolgt von Arzneimitteln gegen chronisch entzündliche Darmerkrankungen (intestinale Antiphlogistika), Laxantien, motilitätssteigernden Mitteln (Prokinetika), H2 -Rezeptorantagonisten und Lebertherapeutika (. Abb. 31.1, 31.2). Das
Verordnungsvolumen der PPI betrug 2019 3,65 Mrd. Tagesdosen, und liegt somit weiterhin mit großem Abstand vor allen anderen Präparategruppen (. Abb. 31.1). Die PPIVerordnungen sind seit 20 Jahren fast linear ansteigend gewesen und lagen trotz des leichten Rückgangs in den letzten drei Jahren 2019 mehr als doppelt so hoch als vor 10 Jahren (. Abb. 31.2). In dieser Zahlenangabe sind die rezeptfreien PPI nicht einmal inbegriffen, so dass zu befürchten ist, dass der Verbrauch nicht gesunken ist. Die Nettokosten der Ulkustherapeutika lagen 2019 bei 629 Mio. C (3,2 %) (vgl. . Tab. 1.2). Die Revolution in der Therapie der Hepatitis C mit Heilungsraten um 100 % ist ein großer, aber teurer medizinischer Fortschritt. Die hohen Therapiekosten fallen jetzt aber wieder durch die Einführung mehrerer Konkurrenzpräparate und durch zahlreiche Rabattverträge. Außerdem sinkt die Zahl der behandelten Patienten, wahrscheinlich, weil die Mehrzahl bereits erfolgreich behandelt wurde. TNF’-Inhibitoren wie Infliximab, Adalimumab und Golimumab, die auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zur
2272 ,
2000
1500
1000
500 96 0 2010
85
74
66
60
54
50
48
47
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 31.1 Verordnungen von Ulkustherapeutika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
31
617 31.1 Ulkustherapeutika
2018
2019
100
98
96
95
92
(Mio. DDD)
80
60
54 50
40 31
34
20
20
20 10
10
0 Lebertherapeutika
Spasmolytika, Prokinetika und Carminativa
Pankreatin
Intestinale Antiphlogistika
Antidiarrhoika
Laxantien
. Abb. 31.2 Verordnungen von Leber- und Darm-Mitteln 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Anwendung kommen, werden im Kapitel Antirheumatika und Antiphlogistika (7 Kap. 17, . Tab. 17.4) aufgeführt. Ebenso wird Ustekinumab, ein monoklonaler Antikörper gegen Interleukin 12/23, der auch zur Therapie von M. Crohn zugelassen ist, bei seinem Hauptindikationsgebiet, der schweren bis mittelschweren Plaque-Psoriasis aufgelistet (7 Kap. 23, Dermatika, . Tab. 23.14). Corticosteroidpräparate (mit Ausnahme von Budesonid und Hydrocortisonacetat; . Tab. 31.7) werden im Kapitel Corticosteroide (. Tab. 22.1) besprochen. Bezüglich Immunsuppressiva wie Azathioprin wird auf das Kapitel Immuntherapeutika (7 Kap. 29) verwiesen. Zytostatika zur Behandlung gastrointestinaler Neoplasien inklusive Inhibitoren verschiedener Tyrosinkinasen wie Erlotinib (Pankreaskarzinom), Sorafenib (hepatozelluläres Karzinom), Imatinib (gastrointestinale Stromatumoren) oder monoklonale Antikörper gegen VEGF (Bevacizumab) oder EGF-Rezeptoren (Cetuximab, Panitumumab: metastasiertes kolorektales Karzinom; Trastuzumab: HERpositives Magenkarzinom) oder sogenannte „Immuncheckpoint-Inhibitoren“ wie Pembrolizumab, sind im Kapitel Onkologika enthalten (7 Kap. 34).
31.1 31.1.1
Ulkustherapeutika Helicobacter-pyloriInfektion
Mit der Entdeckung der Rolle von Helicobacter pylori für die Ulkusentstehung und dem Nachweis, dass die Eradikation die Heilung von Ulcera ventriculi und Ulcera duodeni fördert und die Rezidivrate bei Patienten mit H. pylori verursachter Ulkuskrankheit relevant senkt, hat sich die Ulkustherapie grundlegend gewandelt. Die Behandlung des Magen- und Zwölffingerdarmgeschwürs besteht bei Nachweis von H. pylori in der Regel nicht mehr in einer siebentägigen sondern, um eine höhere Eradikationswahrscheinlichkeit zu erreichen, zweiwöchigen Therapie mit einem PPI und zwei antimikrobiell wirksamen Substanzen. Durch die erfolgreiche Eradikation von H. pylori kann die infektionsbedingte Ulkuskrankheit geheilt werden. Aufgrund der verbesserten hygienischen Voraussetzungen in vielen Industrienationen sowie den erfolgreichen H. pylori Eradikationstherapien der letzten Jahrzehnte nimmt die Prävalenz der He-
618
31
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
licobacter-pylori-Infektion ab. Dies dürfte die Ursache der Abnahme Helicobacter-pylori-bedingter Krankheiten wie gastroduodenale Ulkuskrankheit und Magenkarzinom sein. Probleme ergeben sich jedoch aus der zunehmenden Antibiotikaresistenz, insbesondere gegen das häufig verwendete Clarithromycin (Savoldi et al. 2018). Die zunehmende Resistenzentwicklung hat zu neuen Empfehlungen zur medikamentösen Eradikationstherapie von Helicobacter pylori geführt (Fallone et al. 2019). Die traditionelle Tripeltherapie wird nur noch bei niedriger Clarithromycinresistenz empfohlen (Fischbach et al. 2016), und eine Verlängerung der Therapie auf zwei Wochen hat höhere Erfolgschancen. Bei hoher Clarithromycinresistenz wird eine Vierfachtherapie mit Wismut empfohlen, die aus einer Dreifachkombination (Pylera, Hartkapsel in äußerer Hülle 140 mg Bismutsubcitrat und 125 mg Metronidazol, im Inneren 125 mg Tetracyclin) sowie Omeprazol (je 20 mg vor dem Frühstück und vor dem Abendessen) besteht (Malfertheiner et al. 2012). Die Therapie erfordert eine gute Compliance, da das Kombinationspräparat 4mal am Tag über 10 Tage eingenommen werden muss. Mit diesem Behandlungsregime werden Eradikationsraten von über 80 % erzielt (Malfertheiner et al. 2011). Entsprechend erfreulich ist der weitere Anstieg der Bismut-haltigen Quadrupeltherapie in 2019 (. Tab. 31.2). Bei Versagen der Standardtherapie kann auch eine Zweitlinientherapie mit weiteren Antibiotika wie Levofloxacin oder Rifabutin ggf. mit Resistenzprüfung erfolgen (Fischbach et al. 2016; Fallone et al. 2019). Nach der Maastricht III & IV-Konferenz und der deutschen S2k-Leitlinie wird eine H. pylori-Eradikation heute bei Patienten mit Magen- oder Duodenalulkus, Mukosa-assoziiertem Lymphom (MALT, Marginalzellenlymphom), Patienten mit atrophischer Gastritis, erstgradig Verwandten von Patienten mit Magenkarzinom, Patienten mit unklarer Eisenmangelanämie und Patienten mit chronisch idiopathischer thrombozytopenischer Purpura empfohlen, sofern ein H. pylori Nachweis er-
folgt ist. Da die Durchseuchung mit H. pylori abnimmt, und die Testverfahren auch falsch positive Befunde ergeben können, wird heute allgemein verlangt, dass zwei unabhängige Testverfahren (z. B. Histologie, HUT-Test, Stuhl-Antigen-Nachweis) positiv sind. Rezidivierende Abdominalbeschwerden bei Kindern stellen als „test and treat“-Strategie keine Indikation dar (Malfertheiner et al. 2012). Die Fünf-Jahres-Rezidivrate nach Beendigung einer erfolgreichen Eradikationstherapie liegt in den westlichen Industrienationen mit hohem Hygienestandard deutlich unter 10 %.
31.1.2
Protonenpumpeninhibitoren
Zwar nimmt nach epidemiologischen Erhebungen die Refluxkrankheit in den Industrienationen zu, aber sicher nicht so stark in den letzten 10 Jahren, um diese Häufigkeit der Verordnung von PPI zu rechtfertigen, zumal ja auch das durch H. pylori verursachte Ulkusleiden in den gleichen Ländern immer seltener vorkommt. Vermutlich werden PPI nach wie vor, in Ermangelung anderer Medikamente, bei dem sehr häufigen Krankheitsbild des Reizmagensyndroms eingesetzt. Allerdings zeigen nur wenige Studien eine auch nur schwache Evidenz für diese Indikation (Pinto-Sanchez et al. 2017). Auch wenn multimorbide ältere Patienten in der Regel eine Vielzahl von Medikamenten gleichzeitig bekommen und ein Schutz vor NSAR-Läsionen des Magens und Duodenums durch PPI in Studien gezeigt wurde, muss dennoch von einem zu großzügigen Einsatz von PPI im Rahmen einer unkritischen Polypragmasie ausgegangen werden (Savarino et al. 2018). Bei der Verordnung von PPI gab es auch 2019 unterschiedlichste Fluktuationen der Verschreibungen (. Tab. 31.1). Die durchschnittlichen Kosten der DDD stabil bei 0,16 C. Weshalb nicht konsequent nur die preiswertesten Pantoprazolgenerika mit einer DDD von 0,13 C eingesetzt werden, beruht vermutlich
31
619 31.1 Ulkustherapeutika
. Tabelle 31.1 Verordnungen von Protonenpumpenhemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Omeprazol Omeprazol AL
Omeprazol
177,0
(C51,7)
0,18
Omeprazol Mylan
Omeprazol
115,1
(C60,6)
0,16
Omeprazol-ratiopharm
Omeprazol
103,9
(6,1)
0,20
Omeprazol-1 A Pharma
Omeprazol
96,4
(6,5)
0,16
Omeprazol Heumann
Omeprazol
94,4
(55,4)
0,20
Omeprazol Dexcel/Omepradex
Omeprazol
33,0
(7,8)
0,19
Omep
Omeprazol
14,9
(13,0)
0,21
Omeprazol STADA
Omeprazol
7,8
(25,9)
0,16
Antra
Omeprazol
1,4
(14,6)
0,26
643,9
(5,1)
0,18
Pantoprazol Pantoprazol BASICS
Pantoprazol
686,4
(C52,1)
0,15
Pantoprazol-PUREN protect
Pantoprazol
536,2
(12,3)
0,17
Panto/Pantoprazol Aristo
Pantoprazol
340,4
(C157,0)
0,15
Pantoprazol-1 A Pharma
Pantoprazol
326,9
(C72,8)
0,15
Pantoprazol Heumann
Pantoprazol
248,6
(6,1)
0,13
Pantoprazol-ratiopharm
Pantoprazol
221,9
(28,1)
0,16
Pantoprazol Aurobindo
Pantoprazol
172,6
(33,6)
0,15
Pantoprazol TAD
Pantoprazol
98,7
(61,9)
0,16
Pantoprazol Micro Labs
Pantoprazol
57,8
(C102,3)
0,15
Pantoprazol Winthrop
Pantoprazol
16,3
(26,1)
0,16
Pantoprazol Nyc
Pantoprazol
11,4
(19,7)
0,16
Pantoprazol Hennig
Pantoprazol
9,1
(23,1)
0,16
Pantoprazol Pensa
Pantoprazol
8,7
(93,2)
0,17
Pantoprazol HEXAL
Pantoprazol
7,0
(19,5)
0,27
Pantoprazol dura
Pantoprazol
6,5
(43,2)
0,13
Pantoprazol AL
Pantoprazol
4,9
(54,7)
0,16
Pantoprazol STADA
Pantoprazol
3,8
(58,0)
0,13
Pantopra-Q
Pantoprazol
2,8
(31,1)
0,16
620
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Pantoprazol-CT
Pantoprazol
2,3
(32,5)
0,17
Pantoprazol AAA-Pharma
Pantoprazol
1,6
(26,1)
0,20
Pantozol
Pantoprazol
0,25
(15,7)
2,94
2.764,2
(C1,2)
0,15
Lansoprazol Lansoprazol Aurobindo
Lansoprazol
11,6
(C67,5)
0,15
Lansoprazol AbZ
Lansoprazol
2,2
(51,3)
0,15
Lansoprazol AL
Lansoprazol
2,2
(C12,9)
0,15
15,9
(C20,0)
0,15
Esomeprazol
31
Esomeprazol Ethypharm
Esomeprazol
90,9
(C76,5)
0,16
Esomeprazol TAD
Esomeprazol
75,2
(23,6)
0,16
Esomeprazol Aristo
Esomeprazol
12,8
(34,0)
0,17
Esomeprazol BASICS
Esomeprazol
7,8
(C110,7)
0,16
Esomeprazol AbZ
Esomeprazol
5,9
(C5,3)
0,17
Esomeprazol-ratiopharm
Esomeprazol
2,5
(51,4)
0,17
Esomep
Esomeprazol
2,2
(38,0)
0,17
Esomeprazol-PUREN
Esomeprazol
1,9
(C2,8)
0,17
Nexium
Esomeprazol
1,6
(12,0)
0,39
200,8
(C5,1)
0,17
Rabeprazol Rabeprazol-ratiopharm
Rabeprazol
2,9
(C38,3)
0,15
Rabeprazol-PUREN
Rabeprazol
2,3
(23,7)
0,15
5,2
(C1,6)
0,15
0,41
(C2,1)
13,68
(C0,3)
0,16
Kombinationen Zacpac
Summe
Pantoprazol Amoxicillin Clarithromycin
3.630,4
31
621 31.1 Ulkustherapeutika
. Tabelle 31.2 Verordnungen von H2 -Antagonisten und weiteren Ulkusmitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ranitidin Ranitidin BASICS
Ranitidin
15,8
(16,7)
0,28
Ranidura
Ranitidin
9,2
(C24,8)
0,29
Ranitidin-1 A Pharma
Ranitidin
2,5
(60,2)
0,30
Ranitidin AbZ
Ranitidin
2,2
(26,5)
0,28
Ranitidin AL
Ranitidin
0,92
(47,3)
0,30
Ranitidin-ratiopharm
Ranitidin
0,86
(72,2)
0,93
Ranitic
Ranitidin
0,84
(47,3)
0,85
32,4
(23,2)
0,32
Weitere Ulkusmittel Gastrozepin
Pirenzepin
2,6
(C3,8)
0,59
Famotidin-ratiopharm
Famotidin
1,1
(C52,2)
0,33
Famotidin STADA
Famotidin
1,1
(C29,0)
0,30
Cimetidin acis
Cimetidin
1,0
(C109,4)
0,44
Sucrabest
Sucralfat
0,84
(C0,7)
1,43
Pylera
Bismutsubcitrat Tetracyclin Metronidazol
0,83
(C23,9)
9,29
7,5
(C23,8)
1,53
39,9
(17,3)
0,55
Summe
auf Rabattverträgen der Krankenkassen. Rechnerisch ließen sich bei 3,63 Mrd. DDD bei 4 Cent Preisunterschied weitere 145 Mio. C einsparen. Pantoprazol ist unverändert der am häufigsten eingesetzte PPI, obgleich keine Studien vorliegen, die eine therapeutische Überlegenheit von Pantoprazol gegenüber anderen PPI belegen (Mössner 2016). Für Pantoprazol wird eine geringere Arzneimittelinteraktion im Rahmen des Cytochrom-P450-Stoffwechsels der Leber beschrieben. Eine durch klinische Studien belegte Relevanz dieser geringeren Interaktionen ist aber bislang nicht publiziert. In dieser Tabelle ist die sogenannte franzö-
sische Tripeltherapie zur Helicobacter pylori Eradikation (PPI in Kombination mit Clarithromycin und Amoxicillin) nur mit dem Fertigparat ZacPac erfasst (Pantoprazol als PPI). Daneben gibt es die Quadrupeltherapie mit Pylera (Metronidazol, Tetracyclin, Bismutsubcitrat) in freier Kombination mit Omeprazol (. Tab. 31.2). Weitere Antibiotika für die Eradikationstherapie von Helicobacter pylori, z. B. für die italienische Tripeltherapie (PPI, Metronidazol, Clarithromycin), Rifabutin, Levofloxacin, sind im 7 Kap. 10 aufgelistet. Der häufige klinische Einsatz von PPI reflektiert die Wirksamkeit dieser Substanzen bei
622
31
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
der Ulkuskrankheit, der Refluxkrankheit und bei der Prävention und Therapie von Erosionen und Ulzerationen, die unter der Einnahme von NSAR und ASS im Magen und Duodenum entstehen (Übersicht bei Stedman und Barclay 2000). Nicht nur aufgrund des Einsparpotenzials sollte aber die Indikation zur PPI-Therapie kritischer gestellt werden, zumal sich auch Berichte über Nebenwirkungen bei einer Langzeittherapie häufen; z. B. erhöhtes Infektionsrisiko u. a. mit Clostridium difficile, erhöhtes Osteoporoserisiko aufgrund verminderter Calciumresorption (Mössner 2016), Vitamin B12 -Mangel, Magnesiummangel, hepatische Enzephalopathie etc. Auch wenn ein kritischerer Einsatz der PPI wegen potentieller Nebenwirkungen angemahnt werden muss, können PPI bezogen auf die Häufigkeit ihrer Verordnung als insgesamt sehr sichere Medikamente angesehen werden (Koop 2018). Worauf der Rückgang seit 2017 zurückzuführen ist, lässt sich nur spekulieren. Auch in der Laienpresse gab es viele, oft auch übertrieben kritische Berichte über Nebenwirkungen einer Langzeit-Therapie mit PPI. Zusätzlich ist aber auch in der Statistik die rezeptfreie Einnahme nicht mit berücksichtigt, der wahrscheinlich nicht ganz unerheblich ist. Auch die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) kritisiert den unkritischen, nicht indikationsgerechten Einsatz der PPI (Ueberschaer und Allescher 2017). Für alle verfügbaren PPI ist ihre Effizienz nachgewiesen, die aus zahlreichen Studien abzuleiten ist. Zur Langzeittherapie der Refluxkrankheit reichen häufig niedrigere Dosierungen. So zeigte Esomeprazol (20 mg/Tag) bei der Erhaltungstherapie der Refluxösophagitis eine Überlegenheit gegenüber Pantoprazol (20 mg/Tag) (Labenz et al. 2005). Zur Langzeittherapie einer nichterosiven Refluxösophagitis ist auch eine sogenannte Bedarfstherapie zu empfehlen (Bour et al. 2005). Bei abgeheilter erosiver Refluxösophagitis ist eine Dauertherapie mit PPI der Bedarfstherapie zur Prophylaxe des Ösophagitisrezidivs überlegen (Sjöstedt et al. 2005). Die Ergebnisse
klinischer Studien haben Eingang in nationale und internationale Leitlinien und Therapieempfehlungen gefunden (Malfertheiner et al. 2007; Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2009; Koop et al. 2014; National Institute for Health and Care Excellence 2014). Der sehr breite Einsatz von PPI zur Prophylaxe von Stressulcera bei Intensivpatienten, der dann häufig zu einer Dauertherapie auch im Anschluss führt, ist in einer großen kontrollierten Studie aktuell überprüft worden (Krag et al. 2018). Zwar wurde die Blutungsrate reduziert, aber ein Gesamtnutzen konnte nicht nachgewiesen werden, so dass hier in Zukunft sicherlich eine sehr viel strengere Indikationsstellung erfolgen sollte. PPI werden auch zur Prophylaxe von Magen-Duodenalläsionen bei Gabe von NSAR oder Acetylsalicylsäure eingesetzt. Eine große aktuelle Meta-Analyse bestätigt zwar die prophylaktische Wirksamkeit von PPI, allerdings war auch hier kein Effekt auf die Mortalität nachweisbar, so dass eine weitere Zurückhaltung anzuraten wäre (Scally et al. 2018). Da bei der großen Zahl der Verschreibungen von NSAR eine generelle Prävention gastroduodenaler Läsionen mit einem PPI zu Mehrkosten und einer Zunahme PPI bedingter Nebenwirkungen führen würde, sollen nur jene Patienten eine Präventivtherapie erhalten, bei denen das Risiko für die Ausbildung von Komplikationen besonders hoch ist, wie z. B. Patienten, die älter als 60 Jahre sind, Patienten mit früher aufgetretener gastrointestinaler Blutung, Patienten mit bekannter Ulkuskrankheit und Patienten, die gleichzeitig Corticosteroide oder Antikoagulantien erhalten. Insbesondere Patienten unter einer Mehrfach-Antikoagulation, z. B. bei koronarer Herzkrankheit, die mit Arzneimittel-freisetzenden Stents behandelt wurde, oder Vorhofflimmern, das zur Schlaganfallsprophylaxe mit Vitamin-K-Antagonisten behandelt wird, zeigen ein deutlich erhöhtes gastrointestinales Blutungsrisiko. Dieses Risiko ist auch erhöht, wenn Vitamin-K-Antagonisten durch direkt wirkende orale Antikoagulantien (Faktor Xa- oder Thrombininhibitoren) ersetzt wer-
623 31.1 Ulkustherapeutika
den. Durch die Verordnung von selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren kann die Häufigkeit gastrointestinaler Nebenwirkungen gegenüber nichtselektiven Cyclooxygenaseinhibitoren vermindert werden (Bombardier et al. 2000). In der Prävention von Ulzerationen durch NSAR, z. B. Diclofenac, ist die gleichzeitige Gabe von Omeprazol ähnlich wirksam wie der selektive COX-2-Hemmer Celecoxib (Chan et al. 2002). Den klassischen, sogenannten traditionellen NSAR in Kombination mit einem PPI wird gegenüber einem COX2-Hemmer nach wie vor der Vorzug gegeben, obgleich auch das potentielle kardiovaskuläre Risiko nichtselektiver NSAR nicht ausgeräumt ist. Das Risiko von Dünndarmläsionen durch NSAR lässt sich mit PPI nicht reduzieren. Möglicherweise wäre dies eine „Indikationsnische“ für Coxibe, sobald das kardiovaskuläre Risiko der Coxibe und vielleicht auch der traditionellen NSAR besser angegeben werden kann. Dieses Thema wird aber in der aktuellen Literatur auch 2019 kaum besprochen. Kommt es unter niedrig dosierter Acetylsalicylsäure zu einer Ulkusblutung, ist der Ersatz durch Clopidogrel keine Alternative. Auch hier ist die prophylaktische Gabe eines PPI überlegen (Chan et al. 2005). Wie oben bereits erwähnt, gibt es Berichte über Nebenwirkungen der PPI wie Oberschenkelhalsfrakturen, Osteoporose, Infektionen und Vitamin B12 -Mangel (Corley et al. 2010; Lam et al. 2013; Mössner 2016; Malfertheiner et al. 2017). Eine aktuelle Studie der Veterans Administration zeigte auch eine, allerdings rein assoziativ, erhöhte Gesamtmortalität bei PPI-Nutzern, was auch an entsprechenden Ko-Morbiditäten liegen mag (Xie et al. 2019). Säurehemmung allein ohne Vorliegen weiterer Risikofaktoren für das Auftreten einer Osteoporose scheint das Frakturrisiko aber nicht zu erhöhen. Bei der extrem hohen Zahl an Verordnungen muss daher unverändert festgestellt werden, dass es sich bei den PPI um sehr sichere Medikamente handelt.
31
Eine kontroverse Diskussion hatte sich zur Frage möglicher Stentthrombosen infolge von Arzneimittelinteraktionen der PPI mit Clopidogrel entwickelt, da sie in der Leber das Cytochrom-P450-Enzym CYP2C19 hemmen, das wesentlich an der Bildung des aktiven Metaboliten von Clopidogrel beteiligt ist (Einzelheiten siehe Thrombozytenaggregationshemmer, . Tab. 16.3 und 16.4). Nach mehreren Studien zu diesem Thema scheint aber kein klinisch relevantes Risiko vorzuliegen und der Nutzen der PPI-bedingten Prophylaxe gastrointestinaler Blutungen überwiegt (Depta und Bhatt 2012). Wesentliches Problem der PPI ist, dass es nach Absetzen der Therapie, auch bei der rein prophylaktischen Gabe über mehrere Wochen oder Monate, zu einem Rebound-Phänomen mit vermehrter Säuresekretion und gastrointestinalen Beschwerden kommen kann (Niklasson et al. 2010; Reimer et al. 2009). Dies führt dann häufig dazu, dass die Medikamente wieder angesetzt werden, und so eine Art körperlicher Abhängigkeit entsteht. PPI sollten deswegen, insbesondere nach längerer Einnahme, schrittweise ausgeschlichen werden, um dieses Phänomen zu minimieren.
31.1.3
H2 -Rezeptorantagonisten und weitere Ulkusmittel
Bei den H2 -Rezeptorantagonisten sind die verordneten Tagesdosen kontinuierlich jetzt seit Jahren rückläufig (. Tab. 31.2). Es sind wieder nur noch Verordnungen von Ranitidin aufgeführt. H2 -Blocker werden wahrscheinlich bei Nicht-Ulkuserkrankungen, wie z. B. der funktionellen Dyspepsie (Nichtulkus-Dyspepsie, Reizmagen-Syndrom) und der nichterosiven Refluxkrankheit (Stadium 0 nach Savary und Miller) eingesetzt. Weitere Ulkusmittel (Pirenzepin, Sucralfat) sind nur noch von marginaler Bedeutung (. Tab. 31.2).
624
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
Lebertherapeutika
besondere für die Therapie der Hepatitis C. Die Verordnung von Arzneimitteln zur Behandlung von Leberkrankheiten spielte 2019 mit Kosten Im Laufe der letzten Jahre haben sich die von 260 Mio. C (2018: 345 Mio. C) weiterhin Behandlungsmöglichkeiten für einige Leber- eine große Rolle, die Gesamtkosten fallen aber krankheiten erheblich verbessert. Das gilt ins- (. Tab. 31.3). Bei gesunkener Verschreibungs31.2
. Tabelle 31.3 Verordnungen von Lebertherapeutika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen von Arzneimitteln mit mindestens 20.000 DDD, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Hepatitis-B-Therapeutika Tenofovirdisoproxil Cipla
Tenofovirdisoproxil
2,0
(C464,0)
1,49
Entecavir Cipla
Entecavir
1,6
(C342,0)
1,92
Vemlidy
Tenofoviralafenamid
0,41
(C28,8)
10,42
Baraclude
Entecavir
0,32
(53,5)
15,97
4,3
(C152,0)
3,55
Hepatitis-C-Therapeutika
31
Maviret
Glecaprevir Pibrentasvir
0,25
(23,8)
535,43
Epclusa
Sofosbuvir Velpatasvir
0,19
(C18,3)
356,96
Zepatier
Elbasvir Grazoprevir
0,14
(9,7)
309,46
Vosevi
Sofosbuvir Velpatasvir Voxilaprevir
0,02
(39,9)
715,52
0,59
(11,0)
430,89
Ursodesoxycholsäure Ursofalk
Ursodesoxycholsäure
17,9
(C5,0)
1,15
Urso Heumann
Ursodesoxycholsäure
6,3
(C11,4)
1,20
Urso-1A Pharma
Ursodeoxycholsäure
1,8
(C812,7)
1,20
UDC AL
Ursodesoxycholsäure
0,80
(27,4)
1,13
26,8
(C11,6)
1,17
1,9
(C3,9)
3,92
33,6
(C19,0)
9,22
Weitere Mittel Hepa-Merz Granulat/Infusion Summe
Ornithinaspartat
625 31.2 Lebertherapeutika
häufigkeit aber auch durch Preisvorgaben sind die Kosten seit dem Maximalwert im Jahre 2015 (1,325 Mio. C) erheblich gesunken. Von den zur Therapie der Hepatitis C zugelassenen Kombinationspräparaten wurden 2019 0,60 Mio. DDD (2018: 0,68 Mio. DDD) eingesetzt. Dabei wurden zusätzlich zur Standardauswertung der 3.000 meistverordneten Arzneimittel auch Hepatitis-C-Therapeutika mit mindestens 0,02 Mio. DDD erfasst. Die Zahl der Patienten, die aufgrund einer Hepatitis C 2019 behandelt wurden, sinkt somit weiter, was wesentlich darauf zurückzuführen ist, dass inzwischen die meisten infizierten Patienten erfolgreich behandelt wurden und die Zahl der Neuinfektionen glücklicherweise sehr niedrig ist. Zu weiteren Fortschritten ist es in der Therapie der Autoimmunkrankheiten der Leber gekommen. Die Autoimmunhepatitis wird standardmäßig mit Glucocorticoiden (Prednisolon) und Immunsuppressiva (Azathioprin) behandelt, die bei Corticosteroiden (7 Kap. 22) und Immuntherapeutika (7 Kap. 29) dargestellt werden. Bei noch nicht vorliegender Leberzirrhose kann auch das Glucocorticoid Budesonid gegeben werden, dessen Wertigkeit aber in der Erhaltungstherapie nicht in Studien belegt und umstritten ist. Eine aktuelle Analyse zeigte, dass eine Vielzahl von Patienten in Deutschland keine Leitliniengerechte Therapie erhalten, und gerade Budesonid häufig gegeben wird, obwohl eigentlich eine steroidfreie Erhaltungstherapie angestrebt werden sollte (Sebode et al. 2020). Bei primär biliärer Cholangitis (PBC) gilt Ursodesoxycholsäure als Therapie der Wahl, nicht jedoch bei primär sklerosierender Cholangitis (PSC). Für die häufige nichtalkoholische Fettleber gibt es keine zugelassenen Arzneimittel. Hier stehen Maßnahmen zur Senkung der Risikofaktoren (Gewichtsreduktion, Besserung der Stoffwechsellage) im Vordergrund. Obeticholsäure (Ocaliva) zur Behandlung der PBC bei Patienten, die nicht auf Ursodesoxycholsäure ansprachen, wurde 2017 zugelassen (Nevens et al. 2016). Als effektive Alternative in dieser Indikation wurde in einer kontrollierten Studie
31
Bezafibrat mit noch besserer Wirksamkeit und besserem Nebenwirkungsprofil nachgewiesen, ist aber leider bisher nicht für diese Indikation zugelassen (Corpechot et al. 2018).
31.2.1
Hepatitis B
Die erfolgreiche Einführung der Hepatitis-BImpfung im Jahre 1981 hat zwar die Inzidenz der Infektion und des hepatozellulären Karzinoms auf dem Boden einer chronischen Hepatitis B deutlich gesenkt, andererseits erreichen uns durch Migration aus Endemiegebieten immer neue Patienten mit einer chronischen Hepatitis B. Die Inzidenz des hepatozellulären Karzinoms als Folgekomplikation insbesondere der Fettleberhepatitis, aber auch allen Formen der Leberzirrhose, ist hingegen deutlich gestiegen und steigt weiter. Die akute Hepatitis-B-Infektion ist bei 95 % der immunkompetenten Patienten selbstlimitierend, so dass eine antivirale Therapie nur bei schweren Verläufen erforderlich ist. Bei Patienten mit chronischer Hepatitis B ist dagegen grundsätzlich eine antivirale Therapie in Abhängigkeit von der Virusreplikation, den Serumtransaminasen sowie dem Entzündungs- und Fibrosestatus der Leber indiziert. Für die Behandlung der chronischen Hepatitis B-Infektion sind in Deutschland sieben Arzneimittel zugelassen: Kurzwirkendes Interferon alfa, langwirkendes Peginterferon alfa, drei Nukleosidanaloga (Lamivudin, Entecavir, Telbivudin) und zwei Nukleotidanaloga (Adefovir, Tenofovir). Mit wenigen Ausnahmen wird die nebenwirkungsreiche Therapie mit Interferonen nicht mehr empfohlen, sondern die Anwendung der hochwirksamen und allgemein sehr gut verträglichen Nukleos(t)idanaloga mit hoher genetischer Resistenzbarriere (Entecavir oder Tenofovir), wobei die notwendige Therapiedauer Gegenstand von Studien ist. Die heute noch relevanten Hepatitis B-Präparate sind Entecavir und Tenofovir (European Association for the Study of the Liver 2017). Beide sind inzwischen aus dem Patentschutz
626
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
gefallen und als Generika auf dem Markt, die einen erheblichen Marktanteil inzwischen erobert haben (. Tab. 31.3). Weiter deutlich angestiegen ist die Verschreibung des neuen Tenofovir-Präparates Tenofoviralafenamid, das im Vergleich zu dem herkömmlich Tenofovirdisoproxil in Studien eine etwas geringere Nephrotoxizität zeigt und etwas weniger Osteopenie. Beide Nebenwirkungen spielen allerdings bei der Hepatitis B-Therapie nur extrem selten eine Rolle (im Gegensatz zur Therapie der HIV-Infektion), wenn überhaupt, weshalb der starke Anstieg (. Tab. 31.3) der Verschreibung skeptisch beobachtet werden muss. Die Indikation wird in Leitlinien eher restriktiv empfohlen, angesichts der Notwendigkeit einer langjährigen, meist sogar dauerhaften Therapie kann die Abwägung aber im Zweifelsfalle medizinisch sehr schwierig sein (European Association for the Study of the Liver 2017).
31.2.2
Hepatitis C
31 Einer der größten medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte ist die Entwicklung hoch-effektiver und sehr gut verträglicher antiviraler Therapien, die bei fast allen Patienten mit Hepatitis C innerhalb von drei Monaten eine Ausheilung bewirken können. Seit der Einführung von Sofosbuvir im Jahre 2014 hat sich die interferonfreie Behandlung der Hepatitis C zum neuen Therapiestandard entwickelt. Die Medikamente sind verschiedene antivirale Kombinationspräparate. Bei allen Medikamenten, die auf „previr“ enden, handelt es sich um Proteaseinhibitoren, bei Endung auf „asvir“ um NS5-Inibitoren und bei Endung auf „buvir“ um Polymerase-Inhibitoren. Die bedeutsamen Fortschritte der interferonfreien Therapie sind in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungsund Stoffwechselkrankheiten zur Therapie der Hepatitis C dargestellt, sowie, noch aktueller, in den Empfehlungen der European Association for the Study of the Liver (Zimmermann
et al. 2018; European Association for the Study of the Liver 2018). Die Art der interferonfreien medikamentösen Kombinationen mit ihren verschiedenen antiviralen Wirkprinzipien und die Zeitdauer der Therapie richten sich nach dem Genotyp des Virus, dem Vortherapiestatus und der Frage, ob bereits eine Leberzirrhose vorliegt. Angesichts der inzwischen extrem hohen Wirksamkeit mehrerer Kombinationspräparate ist die Wahl des Präparates wesentlich auch durch den Preis bedingt. Individuelle Rabattverträge in unterschiedlichen Regionen und mit unterschiedlichen Krankenkassen haben zu entsprechend variierenden Behandlungsempfehlungen geführt. Führendes Präparat war 2019 die Kombination Glecaprevir-Pibrentasvir (Maviret) gefolgt von der Velpatasvir-Sofosbuvir-Kombination (Epclusa). Die Dreifachkombination Sofosbuvir-Velpatasvir-Voxilaprevir (Vosevi) hat auch bei Zirrhose und bei vergeblich vorbehandelten Patienten eine sehr hohe Ansprechquote (98 %). Allerdings ist dies nur eine sehr kleine Patientengruppe (ca. 240 Patienten), und der Preis für diese erneute Innovation wiederum sehr hoch. Nach dem hohen Anstieg in 2018 waren die Verordnungen 2019 wieder stark rückläufig (. Tab. 31.3). Auch wenn die Therapiekosten angesichts des Wettbewerbes und durch Rabattverträge fallen, sind die Gesamtkosten pro Patient immer noch sehr hoch, angesichts der exzellenten Wirksamkeit und der Möglichkeit, die Hepatitis C komplett zu eradizieren, nicht nur individuell sondern auch gesamtgesellschaftlich gerechtfertigt. Da auch im Stadium der Zirrhose, und bei auch bei vorbehandelten Patienten die Wirksamkeit nahe 100 % ist, limitiert nur die Detektionsrate und die Versorgungssituation die Erreichung des Zieles einer HepatitisC-freien Gesellschaft mit entsprechend positiven Folgen auf die Inzidenz der Leberzirrhose, des hepatozellulären Karzinoms und die Zahl an Patienten, die einer Lebertransplantation bedürfen. Der Rückgang der Behandlungszahlen in den letzten zwei Jahren weist auf die bereits erfolgreiche Therapie der Mehrzahl der Patienten hin, und gibt Anlass zu Optimismus. Dies
627 31.4 Motilitätssteigernde Mittel
31
führt auch zu einem weiteren Rückgang der lumen ist seit 1992 von 63 Mio. DDD (Arzneiverordnungs-Report 2002) auf 7,8 Mio. DDD Behandlungskosten für diese Indikation. 2019 zurückgegangen (. Tab. 31.4). Mebeverin ist weiterhin das am häufigsten verordnete Spasmolytikum. Es gehört zur Gruppe der 31.2.3 Ursodesoxycholsäure myotropen Spasmolytika und wird speziell für die Behandlung des Reizdarmsyndroms eingeUrsodesoxycholsäure (UDCA) ist eine Gal- setzt. Nach einer Metaanalyse lindern einige lensäure mit vergleichsweise geringen hepa- Spasmolytika die Beschwerden des Reizdarmtotoxischen Eigenschaften. Durch eine kom- syndroms, ihre Wirkung wird jedoch durch petitive Hemmung der intestinalen Resorpti- anticholinerge Nebenwirkungen limitiert (Ford on endogener Gallensäuren ersetzt sie bis zu et al. 2014). Die Evidenz ist gering, Mebeve50 % des gesamten Gallensäurepools. Inwie- rin wird nicht erwähnt. Bezüglich Diagnostik fern auch eine immunologische Wirkung von und Therapie des Reizdarmsyndroms darf auf UDCA besteht ist umstritten. Ursodesoxychol- die S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft säure gilt seit langem als Mittel der Wahl für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stofffür die Behandlung der primär biliären Cho- wechselkrankheiten (DGVS) verwiesen werlangitis (PBC). Auch wenn der Nutzen von den (Layer et al. 2011). UDCA bei der Therapie der PBC vor allem Butylscopolamin (Buscopan) ist ein für die Frühformen der Erkrankung nachge- Scopolaminderivat aus der Gruppe der neuwiesen ist, so konnte ein aktuelle große Studie rotropen Spasmolytika (. Tab. 31.4). Nach der Global PBC study group zeigen, dass das parenteraler Gabe ist Butylscopolamin (20 mg Transplantat-freie Überleben bei allen Patien- i. v.) bei Kolikschmerzen durch Gallensteiten verlängert wird, selbst bei denjenigen, bei ne sicher wirksam, allerdings langsamer als denen kein überzeugendes biochemisches An- Analgetika (Schmieder et al. 1993). Die Wirksprechen nachzuweisen ist (Harms et al. 2019). samkeit der oralen oder rektalen Gabe ist nicht Die Verschreibung von Ursodesoxycholsäure durch kontrollierte Studien dokumentiert, und hat 2019 weiter leicht zugenommen, wobei wegen des hohen hepatischen first-pass Effekgleichzeitig epidemiologische Studien zeigen, tes zumindest für die orale Gabe sehr fraglich. dass weiterhin ein erheblicher Prozentsatz der PBC-Patienten diese Standardtherapie nicht erhält (Sebode et al. 2020). Ursodesoxycholsäure 31.4 Motilitätssteigernde Mittel wird sicher nicht nur indikationsgerecht bei PBC eingesetzt sondern außerhalb klar belegter Evidenz als „hepatoprotektives“ Medika- Die Verschreibungshäufigkeit von Domperiment bei verschiedensten Erkrankungen, die don und Metoclopramid fiel 2019 weiter mit einer Cholestase verbunden sind. Inwie- (. Tab. 31.4). Hauptvertreter ist unverändert fern der Einsatz von UDCA bei rezidivierender Metoclopramid, das vor allem zur Behandlung Choledocholithiasis oder Gallengangsstenose von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt wird gerechtfertigt ist, ist unklar. (Bouras und Scolapio 2004). Dagegen wird die Anwendung bei diabetischer Gastroparese angesichts des problematischen Nebenwir31.3 Spasmolytika kungsprofils bei Langzeittherapie kontrovers beurteilt (Smith und Ferris 2003). Das oft unSpasmolytika sind nach dem massiven Ein- kritisch verordnete Metoclopramid ist nicht bruch der Verordnungen im Jahre 2004 zu ei- nur bezüglich Dosis mit deutlichen Auflagen ner kleinen Randgruppe mit nur noch wenigen versehen worden (Bundesinstitut für ArzneiPräparaten geschrumpft. Das Verordnungsvo- mittel und Medizinprodukte 2014).
628
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.4 Verordnungen von Spasmolytika, Prokinetika und Carminativa 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Spasmolytika Duspatal/-retard
Mebeverin
5,6
(C13,2)
0,91
Mebeverin-PUREN
Mebeverin
1,9
(31,0)
0,90
Buscopan
Butylscopolamin
0,26
(C0,1)
2,93
7,8
(2,3)
0,98
Metoclopramid MCP AL
Metoclopramid
24,6
(5,4)
0,74
MCP-ratiopharm
Metoclopramid
2,2
(6,9)
1,51
MCP AbZ
Metoclopramid
0,43
(4,6)
3,77
MCP HEXAL
Metoclopramid
0,15
(37,8)
1,88
MCP STADA
Metoclopramid
0,13
(28,7)
1,17
27,5
(6,0)
0,86
Domperidon
31
Domperidon AbZ
Domperidon
5,7
(15,2)
0,80
Motilium
Domperidon
1,3
(10,7)
1,60
Domperidon AL
Domperidon
0,81
(C179,4)
0,90
Domperidon HEXAL
Domperidon
0,54
(16,3)
0,92
8,4
(8,4)
0,95
Prucaloprid
2,5
(C7,6)
3,10
Iberogast
Bittere Schleifenblume Angelikawurzel Kamillenblütenextrakt Kümmeltinktur Schöllkrauttinktur Mariendistelfrüchtetinktur Melissenblättertinktur Süßholzwurzeltinktur Pfefferminzblättertinktur
1,00
(26,3)
1,27
Carum Carvi Wala
Atropa belladonna D2 Chamomilla recutita ø Nicotiana tabacum D4
0,40
(27,3)
1,23
Prucaloprid Resolor Pflanzliche Mittel
31
629 31.5 Carminativa
. Tabelle 31.4 (Fortsetzung) Präparat
Carum Carvi Baby-Kümmelzäpfchen
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Carum Carvi
0,33
(C77,0)
1,03
1,7
(17,4)
1,22
Dimeticon Sab simplex
Dimeticon
1,2
(2,4)
1,81
Lefax
Dimeticon
0,71
(7,0)
1,81
Espumisan
Dimeticon
0,21
(9,2)
1,79
2,2
(4,6)
1,81
50,0
(5,6)
1,06
Summe
Das pflanzliche Kombinationspräparat Iberogast wird auf Rezept bei Kindern verordnet. Bei Erwachsenen erfolgt, wahrscheinlich aufgrund positiver placebokontrollierter Studien, von einigen gesetzlichen Krankenkassen die Rückerstattung nach Einreichung eines Privatrezepts. Mehrere Meldungen über schwere Leberschäden bis hin zum Leberversagen (Teschke et al. 2012; Pantano et al. 2017), am ehesten bedingt durch das enthaltene Schöllkraut, für das es schon früher solche Berichte gab, haben nach langen Widerständen der Firma im September 2018 endlich zu entsprechenden Warnhinweisen geführt (Deutsche Apothekerzeitung 2018) und 2019 auch zu einer deutlichen Abnahme des Verbrauchs (. Tab. 31.4). Einen weiteren Anstieg der Verordnungen erfuhr Prucaloprid (Resolor) (. Tab. 31.4). Prucaloprid stimuliert über serotonerge 5-HT4 Rezeptoren die Acetylcholinfreisetzung. Im Gegensatz zu dem vom Markt genommenen Cisaprid hat Prucaloprid keine kardialen Nebenwirkungen. Die Substanz ist für Frauen mit chronischer Obstipation, die auf Laxantien nicht ansprechen, zugelassen (Camilleri et al. 2008). Nach einer Information der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (2011) ist Prucaloprid als Abführmittel einzustufen und kann nur
dann bei Frauen verordnet werden, wenn eine chronische Verstopfung bei den Ausnahmeindikationen für Laxantien vorliegt und andere Abführmittel keinen Erfolg gezeigt haben. Prucaloprid ist auch bei dem sehr seltenen Krankheitsbild der intestinalen Pseudoobstruktion wirksam (Emmanuel et al. 2012).
31.5
Carminativa
Unter den Carminativa werden Dimeticonpräparate und pflanzliche Mittel mit ätherischen Ölen zusammengefasst, welche die MagenDarm-Motorik anregen und dadurch Völlegefühl und Blähungen beseitigen sollen. Im Vordergrund steht die Verordnung von Dimeticon. Bei dieser Substanz handelt es sich um Polydimethylsiloxan (Dimeticon), das mit Siliziumdioxid aktiviert wurde und wegen seiner oberflächenspannungssenkenden Wirkung als Entschäumer verwendet wird. Dieses Mittel hat unter anderem die Indikation Meteorismus mit gastrointestinalen Beschwerden und wird zur Entfernung abnormer Gasansammlungen im Gastrointestinaltrakt empfohlen. Dimeticon ist auch speziell bei Säuglingskoliken geprüft worden, war aber nicht besser wirksam als Pla-
630
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
cebo (Metcalf et al. 1994). Zur Vorbereitung diagnostischer Untersuchungen im Abdominalbereich liegen ältere positive Studiendaten vor (Sudduth et al. 1995; Kark et al. 1995), aber eine Wirksamkeit bei wiederholtem oder dauerhaftem Einsatz ist sehr fraglich. Außerdem wird Dimeticon in der gastrointestinalen Endoskopie gelegentlich zur Sichtverbesserung bei Schaumbildung über den Biopsie/ Absaugkanal des Endoskops eingespritzt. Die Verordnung von Dimeticon hat auch 2019 weiter abgenommen (. Tab. 31.4).
31.6
31
Pankreasenzympräparate
Pankreasenzympräparate werden zur Behandlung der exokrinen Pankreasinsuffizienz im fortgeschrittenen Stadium benötigt. Eine Enzymsubstitution ist erst formal dann indiziert, wenn die tägliche Stuhlfettausscheidung 15 g überschreitet oder der Patient an Gewicht abnimmt. Indikationsbereiche sind die chronische Pankreatitis und ein Zustand nach ausgedehnten Pankreasoperationen. Aber auch bei Zustand nach schwerer akuter nekrotisierender Pankreatitis mit Defektheilung oder Pankreaskarzinom wird Pankreatin eingesetzt. Nach Magenresektionen, insbesondere Gastrektomien, kann es zu einer funktionellen Pankreasinsuffizienz im Rahmen einer pankreaticocibalen Dyssynchronie kommen. Auch hier können Pankreasenzyme eingesetzt werden. Placebokontrollierte Vergleichsstudien, ob sich das Körpergewicht heben lässt, liegen allerdings nicht vor. Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich ist die Therapie der Maldigestion bei Mukoviszidose (zystische Fibrose). Zur Substitution wird meist Pankreatin vom Schwein verwendet. Für den therapeutischen Erfolg ist der Lipasegehalt der Enzympräparate von Bedeutung. Als Richtdosis werden initial 20.000–40.000 FIP-Einheiten Lipase pro Mahlzeit angegeben, bei nicht ausreichender Wirksamkeit Erhöhung bis auf 80.000, d. h. insgesamt 240.000 Einheiten pro Tag (Hoffmeister et al. 2012). Es ist erforder-
lich, dass diese Präparate galenisch so hergestellt werden, dass sie bei der Passage durch den Magen nicht durch die Salzsäure inaktiviert werden. In der Galenik haben sich säuregeschützte Minitabletten oder Mikropellets mit einem Durchmesser nicht über 2 mm bewährt (Halm et al. 1999). Bezüglich Indikation und Evidenz des Einsatzes von Pankreatinpräparaten darf auf die S3-Leitlinie zur chronischen Pankreatitis verwiesen werden (Hoffmeister et al. 2012). Die Verschreibung von Pankreatinpräparaten hat auch 2019 zugenommen, die Nettokosten betrugen 78 Mio. C (. Tab. 31.5). Ihre Verschreibung wird nur erstattet, wenn eine Pankreasinsuffizienz nachgewiesen wird. Unter den direkten und indirekten Pankreasfunktionsuntersuchungsmöglichkeiten inklusive Bestimmung der Fettausscheidung im drei Tage gesammelten Stuhl, ist praktisch nur noch die Bestimmung der Pankreaselastase im Stuhl in Deutschland möglich und üblich. Der 13C-Triolein Atemtest, der eine höhere Sensitivität als die Bestimmung der Elastase im Stuhl hat, wird an wenigen Zentren eingesetzt. Lipase spaltet Triolein. Die Menge des 13C markierten CO2 in der Ausatemluft steht in proportionaler Relation zur Kapazität der exokrinen Pankreasfunktion. Bestimmung der Stuhlelastase führt beispielsweise bei Diarrhö unterschiedlicher Genese oft zu falsch pathologisch erniedrigten Werten. Ferner wird die Elastaseausscheidung im Stuhl erst pathologisch niedrig bei mittelschwerer bis schwerer Pankreasinsuffizienz (Siegmund et al. 2004). Der Pankreasenzyme verschreibende Arzt steht daher vor dem Dilemma, keine valide Aussage zum Grad der eingeschränkten Pankreasfunktion treffen zu können. Unter Bezug auf die S3-Leitlinie sollte bei einem Patienten mit durch ein bildgebendes Verfahren gesicherter chronischer Pankreatitis und Gewichtsverlust mit oder ohne Diarrhö, die Krankenkasse aber bereit sein, das Pankreatinpräparat zu erstatten. Enzympräparate werden aber vielfach ungerechtfertigt zur Behandlung dyspeptischer Beschwerden wie Druck- und Völlegefühl eingesetzt. Die Ver-
31
631 31.7 Mittel gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
. Tabelle 31.5 Verordnungen von Pankreatinpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Kreon
Pankreatin
8,5
(C9,6)
3,95
Pangrol
Pankreatin
5,1
(C5,9)
3,87
Panzytrat
Pankreatin
2,8
(29,8)
3,93
Pankreatan
Pankreatin
1,8
(C51,2)
4,19
Pankreatin Nordmark
Pankreatin
0,50
(> 1.000)
3,83
Pankreatin-ratiopharm
Pankreatin
0,49
(11,0)
3,82
Ozym
Pankreatin
0,37
(35,1)
3,95
Pankreatin STADA
Pankreatin
0,23
(C13,5)
4,05
(C3,6)
3,94
Summe
19,8
Als weitere Gruppe werden in . Tab. 31.6 schreibung unter dieser Indikation ist daher erschwert. Die Behandlung dieser Beschwer- Glucocorticoide aufgeführt. Budesonid wird den mit Enzympräparaten ist ineffektiv und infolge eines hohen First-Pass-Effekts in der Leber rasch metabolisiert und hat daher geteuer. ringere systemische Nebenwirkungen. Es wird bei entzündlichen Darmerkrankungen mit Be31.7 Mittel gegen chronischfall des terminalen Ileums oral oder mit Befall des Rektosigmoids als Klysma verabentzündliche reicht. Budesonid ist bei mildem bis modeDarmerkrankungen ratem klinischen Schweregrad des M. Crohn in der Therapie mit Mesalazin vergleichbar Sulfasalazin, Mesalazin, Olsalazin sind the- (Tromm et al. 2011). Budesonid verhindert rapeutisch wirksam bei der Behandlung des jedoch nicht Rezidive, kann aber die RemisMorbus Crohn und der Colitis ulcerosa. Die- sionsdauer nach initialer Therapie verlängern. se Substanzen beeinflussen nicht nur die akute Budesonid erwies sich ebenfalls als nicht wirkEntzündungsphase, sondern sie reduzieren, als sam bei der Verhinderung von Rezidiven eines Langzeitprophylaxe, auch Rezidive bei der Co- Morbus Crohn nach vorausgegangener chirlitis ulcerosa und auch beim Morbus Crohn, urgischer Behandlung (Hellers et al. 1999). insbesondere nach Darmresektionen (Hanauer 2015 neu eingeführt wurde in Deutschland ein et al. 2004). In der Remissionserhaltung war oral einzunehmendes Budesonid-Retardpräpabei Colitis ulcerosa in einer Studie die Einmal- rat (Cortiment), welches den Wirkstoff erst im gabe von Mesalazin (5-Aminosalicylsäure) mit Kolon freigibt. Cortiment erhielt die Zulaslangsamer Freisetzung der Zweimalgabe pro sung für die leichte bis mittelschwere Colitis, Tag nicht unterlegen (Sandborn et al. 2010). die auf Mesalazin nicht anspricht, und ist hier Sulfasalazin und Olsalazin werden kaum noch eine sehr sinnvolle Ergänzung unseres Theeingesetzt. Die Verschreibung von Mesalazin rapiespektrums. Die Verschreibungshäufigkeit hat noch weiter, wie bereits in den Vorjahren, von Cortiment hat entsprechend weiter deutlich zugenommen (. Tab. 31.6). Als topische geringfügig zugenommen (. Tab. 31.6).
632
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.6 Verordnungen von Mitteln gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Mesalazin Salofalk
Mesalazin
40,8
(4,7)
1,67
Claversal
Mesalazin
16,4
(C21,9)
1,60
Pentasa
Mesalazin
14,9
(C4,6)
1,43
Mezavant
Mesalazin
6,5
(C1,5)
1,31
78,6
(C2,2)
1,58
Sulfasalazin
1,1
(C11,3)
0,94
Budenofalk
Budesonid
9,4
(C2,7)
4,77
Entocort
Budesonid
1,6
(C0,7)
4,61
Cortiment
Budesonid
1,2
(C5,4)
4,88
12,3
(C2,7)
4,76
4,5
(C28,0)
42,64
96,4
(C3,3)
3,88
Sulfasalazin Azulfidine Glucocorticoide
31
Monoklonale Antikörper Entyvio
Vedolizumab
Summe
Therapie mit kaum Nebenwirkungen stellen Klysmen (Budesonid, Hydrocortisonacetat) eine effektive Behandlungsform vorwiegend bei linksseitig lokalisierten entzündlichen Darmerkrankungen dar. Weiterhin kommen bei der Behandlung des schwergradigen Morbus Crohn und der Colitis ulcerosa TNF’-Inhibitoren wie Infliximab und Adalimumab in Frage. Sie werden bei chronisch aktivem Verlauf oder Fistelbildung, die auf eine Therapie mit Glucocorticoiden und Immunsuppressiva, wie Azathioprin, nicht angesprochen haben, eingesetzt. Gleiches gilt für Patienten mit schwerer aktiver Colitis ulcerosa (Feagan et al. 2014). Der TNF’-Inhibitor Golimumab (Simponi) hat neben den rheumatologischen Indikationen (rheumatoide Arthri-
tis, M. Bechterew, Psoriasis Arthritis) bislang nur die Zulassung bei Colitis ulcerosa. Die TNF’-Inhibitoren sind bei den Antirheumatika und Antiphlogistika (7 Kap. 17, . Tab. 17.4) dargestellt. Auch auf die bedeutsamen Einsparpotentiale durch Ersatz der Analogpräparate durch sogenannte Biosimilars wird hier nicht eingegangen (siehe 7 Kap. 3, Biosimilars). Die kombinierte Immunsuppression, TNF’Inhibitoren und Azathioprin, erweist sich auch in der Therapie der Colitis ulcerosa als am effektivsten (Panaccione et al. 2014). Der Integrininhibitor Vedolizumab (Entyvio) ist 2014 für die Behandlung von M. Crohn als auch bei Colitis ulcerosa als ‚first line‘ Biologikum zugelassen worden. Vedolizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper
633 31.8 Antidiarrhoika
gegen das Adhäsionsmolekül Integrin ’4“7 auf der Oberfläche von aktivierten Lymphozyten, der die Lymphozyteneinwanderung in die Darmmukosa und damit die gastrointestinale Entzündung ohne eine systemische Immunsuppression blockiert. Der therapeutische Effekt tritt aufgrund des Wirkmechanismus daher erst verzögert ein, da bereits in der Mukosa vorhandene Lymphozyten nicht tangiert werden. Die Verschreibungshäufigkeit von Vedolizumab hat 2019 nochmals deutlich zugenommen. 2017 ist ein weiterer monoklonaler Antikörper, Ustekinumab (Stelara), gerichtet gegen Interleukin-12 und -23 zur Therapie des M. Crohn und seit 2019 auch für die Colitis ulcerosa zugelassen worden (Feagan et al. 2016; Sands et al. 2019a). Ustekinumab wird bereits seit 2009 zur Therapie der mittelschweren Plaquepsoriasis und der Psoriasisarthritis eingesetzt (vgl. Dermatika, 7 Kap. 23, . Tab. 23.14). Mittlerweile gibt es eine prospektive, doppelblinde Studien, die unterschiedliche Biologika miteinander vergleicht: so wurde Vedolizumab im direkten Vergleich mit dem TNF’-Inhibitoren Adalimumab bei Patienten mit Colitis ulcerosa untersucht (Sands et al. 2019b). Hier scheint Vedolizumab effektiver als Adalimumab zu sein.
31.8
Antidiarrhoika
Grundlage der Behandlung akuter Durchfallerkrankungen ist eine ausreichende Zufuhr von Flüssigkeit und Salzen, die vorzugsweise als enterale Elektrolytlösungen gegeben werden sollen. Die Anwendung von Arzneimitteln aus der Gruppe der obstipierenden Mittel und Chemotherapeutika ist nur dann notwendig, wenn die allgemeinen Maßnahmen nicht ausreichen und sollte mit Vorsicht erfolgen. Viele Präparate sind nicht verschreibungspflichtig und damit auch nicht erstattungsfähig. Das nicht resorbierbare Antibiotikum Rifaximin (Xifaxan), welches die Zulassung zur Prophylaxe der Reisediarrhö und der Therapie und Prophylaxe der
31
hepatischen Enzephalopathie hat, zeigte in placebokontrollierten Studien eine Wirksamkeit in der Therapie der hepatischen Enzephalopathie (Bass et al. 2010; Kimer et al. 2014; Wu et al. 2013). Die Verordnungen von Xifaxan sind 2019 im Vergleich zum Vorjahr weiter gestiegen (. Tab. 31.7). Dies dürfte vor allem auf den Einsatz bei hepatischer Enzephalopathie zurückzuführen sein. Eine Reisediarrhö sollte gemäß Leitlinie der DGVS primär gar nicht antibiotisch behandelt werden; in schweren Fällen und bei besonderen Umständen kann eine probatorische Therapie, am ehesten mit Azithromycin, verwendet werden (Hagel et al. 2015).
31.8.1
Loperamid
Loperamid wird am häufigsten verordnet (. Tab. 31.7). Es wirkt über eine Stimulation der Opioidrezeptoren im Darm. Neben der Hemmung der Propulsivmotorik vermindert Loperamid auch die intestinale Flüssigkeitssekretion. Häufiges Anwendungsgebiet für Loperamid ist die Reisediarrhö, wobei es hier sicherlich nur selten indiziert ist (Hagel et al. 2015). Opioide sollten keinesfalls bei bakteriellen Darminfektionen eingesetzt werden, die mit hohem Fieber und blutiger Diarrhö einhergehen. Bei Kindern unter zwei Jahren ist die Substanz kontraindiziert. 31.8.2
Probiotika
Das Trockenhefepräparat Saccharomyces boulardii wurde 2019 wieder weniger verordnet. Die Verordnung des Bakterienpräparats E. coli Nissle (Mutaflor) (. Tab. 31.7) ist gleich geblieben. Probiotische Mikroorganismen (Lactobacillus rhamnosus, Lactobacillus acidophilus, Escherichia coli Stamm Nissle 1917) und probiotische Hefepräparate (Saccharomyces boulardii) sind in zahlreichen kleineren Studien untersucht worden, größere Interventionsstudien fehlen jedoch, so dass die
634
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.7 Verordnungen von Antidiarrhoika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Loperamid Loperamid AL
Loperamid
1,0
(7,2)
1,42
Loperamid Heumann
Loperamid
0,80
(C6,8)
1,56
Loperamid/-akut Aristo
Loperamid
0,80
(C23,5)
1,55
Loperamid-1 A Pharma
Loperamid
0,54
(C7,5)
1,63
Imodium
Loperamid
0,47
(8,7)
1,62
Loperamid-ratiopharm
Loperamid
0,40
(6,7)
1,56
Loperamid STADA
Loperamid
0,40
(C25,0)
1,75
Lopedium
Loperamid
0,23
(23,2)
1,63
4,6
(C2,2)
1,56
Hefepräparate
31
Perenterol
Saccharomyces boulard.
0,89
(8,0)
1,91
Yomogi
Saccharomyces boulard.
0,12
(14,4)
1,70
1,0
(8,8)
1,89
Bakterienpräparate Mutaflor Kapseln
Escherichia coli
1,3
(0,8)
1,87
Mutaflor Suspension
Escherichia coli
0,33
(8,0)
5,85
Lacteol
Lactobacillus acidophilus
0,11
(17,4)
1,55
1,7
(3,5)
2,63
Weitere Mittel Xifaxan
Rifaximin
1,5
(C18,6)
12,97
Oralpädon 240
Natriumchlorid Kaliumchlorid Glucose Natriumhydrogencitrat
0,58
(9,5)
2,08
Infectodiarrstop LGG
Lactobacillus rham. Natriumcitrat Kaliumchlorid Natriumchlorid Glucose
0,05
(17,4)
5,22
Diarrhoesan
Apfelpektin Kamillenblütenextrakt
0,02
(16,0)
7,90
2,2
(C8,2)
9,82
9,5
(C1,1)
3,66
Summe
635 31.9 Laxantien
Indikationen umstritten bleiben. Die meisten Studien erfüllen nicht moderne wissenschaftliche Kriterien (McFarland und Go 2019; Wei et al. 2018). Studien zur Wirksamkeit zur Prävention der C. diff. Colitis haben entgegen den Erwartungen auch keine Wirksamkeit zeigen können, allerdings wegen der geringen Inzidenz der Colitis in der Studie kann ein eventueller positiver Effekt auch unterschätzt worden sein (Ehrhardt et al. 2016). 31.9
Laxantien
Die Gruppe der Laxantien umfasst in ihrem Wirkungsmechanismus unterschiedliche Substanzen wie osmotische Laxantien (Lactulose, Macrogolkombinationen, . Tab. 31.8) sowie hydragoge Laxantien (z. B. Bisacodyl), Quellstoffe und rektale Laxantien in Form von Klysmen (Gleitmittel, salinische Laxantien) (. Tab. 31.9). Da Laxantien im Wesentlichen bei Patienten mit intaktem Kolon zum Einsatz kommen, sollten nach ausführlicher Beratung und diätetischer Empfehlungen von schlackenreicher Kost und reichlich Flüssigkeit vorrangig Quellstoffe verordnet werden. Die Gruppe der Laxantien zeigt auch 2019 gegenüber wie in den Vorjahren, ein gestiegenes Verordnungsvolumen, das durch eine Mehrverordnung von Macrogolpräparaten und Lactulose bedingt ist (. Tab. 31.8). Alle Präparate sind nicht verschreibungspflichtig und damit nur noch zur Behandlung von Krankheiten im Zusammenhang mit Tumorleiden, Divertikulose, Mukoviszidose sowie bei Behandlung mit Phosphatbindern und Opioiden erstattungsfähig. Der überwiegende Anteil der verordneten Tagesdosen entfällt auf Macrogolkombinationen und Lactulosepräparate, die nach Versagen diätetischer Maßnahmen und von Quellstoffen indiziert sind. Ma-
31
crogol ist ein Polyethylenglycol mit einem Molekulargewicht von 4.000, das nicht resorbiert oder metabolisiert wird und daher bis in den Dickdarm gelangt, um dort seine osmotische Wirkung zu entfalten. Die Hauptindikation ist die prophylaktische Gabe bei Schmerztherapie mit Opioiden, wo diese meist sinnvolle Maßnahme häufig vergessen wird, und der Anstieg insofern wünschenswert erscheint. Lactulose ist ein schwer resorbierbares Disaccharid, das im Darmlumen osmotisch Flüssigkeit bindet und erst im Dickdarm bakteriell zu Milchsäure und Essigsäure gespalten wird. Durch die kolonspezifische Wirkung werden potentielle Risiken anderer Laxantien vermieden. Nach einem Cochrane-Review ist Macrogol für die Behandlung der chronischen Obstipation zu bevorzugen, da es Lactulose in Bezug auf Stuhlfrequenz, Bauchschmerzen und Zusatzmedikationen überlegen ist (LeeRobichaud et al. 2010). Lactulose hat seine eigentliche Indikation bei der Behandlung und Prophylaxe der hepatischen Enzephalopathie (Prasad et al. 2007), wo es das Mittel der ersten Wahl ist, und erst bei Versagen der Therapie zusätzlich Rifaximin gegeben werden sollte (Gerbes et al. 2019). Bei schwerer Enzephalopathie sind zusätzlich auch Lactuloseeinläufe indiziert. Naloxegol (Moventig) ist ein pegyliertes Naloxonderivat, das 2014 zur Behandlung der opioidinduzierten Obstipation bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf Laxantien zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Abschn. 3.1.22). Bei diesen Patienten wurden mit Naloxegol höhere Ansprechraten in einer placebokontrollierten Studie erreicht (Chey et al. 2014). Das Präparat wurde 2019 erneut mehr verordnet, obwohl es fast zehnfach teurer als die Standardtherapie mit Laxantien ist.
636
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.8 Verordnungen von osmotischen Laxantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Lactulose Bifiteral
Lactulose
12,9
(C28,8)
0,32
Lactulose AbZ
Lactulose
3,7
(24,2)
0,31
Lactulose AL
Lactulose
2,2
(24,5)
0,32
18,9
(C5,5)
0,32
Macrogolpräparate Movicol
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
27,2
(C1,9)
1,42
Macrogol AbZ
Macrogol 3350 Natriumchhlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
4,9
(C13,0)
1,21
Macrogol beta plus Elektrolyte
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
3,5
(C208,8)
0,97
Macrogol AL
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
2,9
(25,4)
0,97
Macrogol dura
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,9
(C1,7)
0,98
Kinderlax elektrolytfrei
Macrogol
1,8
(C44,1)
1,42
Macrogol-ratiopharm Balance
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,8
(C70,5)
1,08
Laxbene/-junior
Macrogol
1,6
(C30,5)
1,67
Macrogol STADA
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,6
(C11,4)
1,00
Macrogol-1 A Pharma
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,3
(40,7)
0,93
31
31
637 31.9 Laxantien
. Tabelle 31.8 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Macrogol HEXAL plus/Macrogol HEXAL
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,2
(38,2)
1,13
Juniorlax
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
1,0
(C85,5)
0,71
Kinderlax Pulver
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
0,77
(29,0)
0,93
Laxofalk
Macrogol
0,66
(1,8)
0,57
Macrogol-neuraxpharm
Macrogol 3350 Natriumchlorid Natriumhydrogencarbonat Kaliumchlorid
0,38
(C246,2)
0,94
Moviprep
Macrogol 3350 Natriumsulfat Natriumchlorid Kaliumchlorid Ascorbinsäure Natriumascorbat
0,02
(23,5)
85,63
Plenvu
Macrogol 3350 Natriumsulfat Natriumchlorid Kaliumchlorid
0,02
(C234,6)
65,10
(C6,1)
1,31
(C9,5)
21,68
(C6,0)
1,06
52,7 Weitere Mittel Eziclen
Summe
Natriumsulfat Magnesiumsulfat Kaliumsulfat
0,03
71,5
638
Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
. Tabelle 31.9 Verordnungen von weiteren Laxantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Hydragoge Laxantien Laxoberal
Natriumpicosulfat
7,9
(0,4)
0,25
Laxans-ratiopharm Pico
Natriumpicosulfat
4,1
(C7,8)
0,19
Dulcolax
Bisacodyl
1,7
(15,8)
0,50
Laxans AL
Bisacodyl
0,52
(C98,4)
0,13
Laxans-ratiopharm
Bisacodyl
0,22
(C31,8)
0,41
Picoprep
Natriumpicosulfat Magnesiumoxid Citronensäure Kaliumhydrogencarbonat
0,03
(1,4)
20,24
Citrafleet
Natriumpicosulfat Magnesiumoxid Citronensäure
0,02
(C10,0)
21,49
14,4
(C1,9)
0,33
Plantago-ovata-Samenschalen
2,4
(C5,0)
0,54
Microlax
Natriumcitrat Dodecylsulfoacetat Sorbitol
1,3
(0,2)
1,65
Lecicarbon CO2-Laxans
Natriumhydrogencarbonat Natriumdihydrogenphosphat
0,80
(C1,5)
0,53
Freka Clyss
Natriumdihydrogenphosphat Natriummonohydrogenphosphat
0,49
(C0,7)
2,27
Babylax
Glycerol
0,21
(2,8)
1,89
Glycilax
Glycerol
0,19
(0,1)
0,77
Klistier Fresenius
Natriumdihydrogenphosphat Natriummonohydrogenphosphat
0,13
(C10,8)
2,09
Klysma-Salinisch
Natriumdihydrogenphosphat Natriummonohydrogenphosphat
0,11
(1,5)
2,62
Nene-Lax
Glycerol
0,06
(5,9)
0,83
3,3
(C0,4)
1,48
1,0
(C55,0)
4,51
21,2
(C3,7)
0,74
Quellstoffe
31
Mucofalk Rektale Laxantien
Moventig Moventig Summe
Naloxegol
639
31
Literatur
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Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
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Kapitel 31 Magen-Darm-Mittel und Lebertherapeutika
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643
32
Migränemittel Jan Matthes
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Unter den 3.000 meistverordneten Mitteln findet sich seit Jahren erstmals wieder ein Wirkstoff, der nicht zur Gruppe der Triptane gehört: der für die Migräneprophylaxe zugelassene CGRP-Rezeptorantagonist Erenumab. Unter den zur Behandlung von akuten Migräneattacken zugelassenen Triptanen hat die Leitsubstanz Sumatriptan mit > 60 % aller Verordnungen immer noch das höchste Verordnungsvolumen, das für die Triptane insgesamt weiter zugenommen hat. Sumatriptan zeichnet sich durch seine gut belegte therapeutische Wirksamkeit und sein breites Applikationsspektrum aus. Andere Triptane haben nur geringe klinische Vorteile, sind aber immer noch teurer als Sumatriptangenerika. Zur Migräneprophylaxe sollten zunächst Betarezeptorenblocker (Propranolol, Metoprolol), Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure oder Onabotulinumtoxin A eingesetzt werden.
Zwischen 10 und 15 % der erwachsenen Bevölkerung leiden in Deutschland an Migräne. Die Erkrankung ist häufig genetisch bedingt, bei 60–70 % der betroffenen Patienten lässt sich eine familiäre Belastung nachweisen. Vor der Pubertät liegt die Krankheitshäufigkeit zwischen 3 und 7 %, wobei Mädchen und Jungen in etwa gleich häufig betroffen sind. Zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr ist die Prävalenz einer Migräne am höchsten. In dieser Zeitspanne sind Frauen etwa dreimal häufiger betroffen als Männer (Diener et al. 2018a). Bei
Frauen ist häufig (7–8 %) ein Zusammenhang mit der Menstruation zu beobachten (Maasumi et al. 2017). Als Auslösefaktoren für einzelne Attacken kommen Stress, hormonelle Faktoren, Wetterumschwung und visuelle Stimuli sowie Wein in Frage (Martin und Behbehani 2001). Bei nahezu jedem siebten Patienten leiten Aura-Symptome visueller und sensorischer Natur den Anfall ein. In etwa einem Drittel der Fälle handelt es sich um einen holokraniellen Kopfschmerz (Diener et al. 2018a). Fast immer sind die Attacken mit Appetitlosigkeit verbunden, Übelkeit liegt in 80 % der Fälle vor, Lichtscheu in 60 %. Auch Lärmempfindlichkeit, Erbrechen und Aversionen gegen bestimmte Gerüche können vorkommen. Pathophysiologische Grundlage der Migräne ist nach heutigem Verständnis maßgeblich eine neurovaskuläre Störung, die das Ganglion trigeminale involviert und im Rahmen derer es zu einer intrakraniellen Vasodilatation kommt, die vorrangig durch Freisetzung des Neuropeptids CGRP (calcitonin gene-related peptide) vermittelt wird (Edvinsson 2017). Schmerzfreiheit bzw. die deutliche Besserung von Kopfschmerzen zwei Stunden nach Medikamenteneinnahme sowie eine reproduzierbare Wirkung bei zwei bis drei Migräneattacken gelten als Kriterien für eine erfolgreiche Therapie des akuten Migräneanfalls. Leichte Migräneanfälle sind mit den üblichen Analgetika und Antiemetika gut zu beeinflussen. Vertreter aus der Gruppe der 5-HT1B=1D Rezeptoragonisten (Triptane) sind Arzneistoffe der Wahl bei mittelschweren bis schweren Migräneattacken, falls diese nicht oder nicht ausreichend auf eine Therapie mit Analgetika bzw. nicht-steroidalen Antirheumati-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_32
Kapitel 32 Migränemittel
644
ka (NSAR) ansprechen (Diener et al. 2018a). 1993 wurde mit Sumatriptan der erste Vertreter dieser Wirkstoffgruppe eingeführt. Seither sind sechs weitere Triptane auf den Markt gekommen, die sich u. a. mit Blick auf Bioverfügbarkeit und Halbwertszeit von Sumatriptan unterscheiden. Unter den 3.000 meistverordneten Mitteln waren 2019 fünf der sieben in Deutschland verfügbaren Triptane. Nicht vertreten sind Almotriptan und Eletriptan.
Triptane
32.1
Triptane sind selektive Serotoninrezeptoragonisten (5-HT1B=1D ) und derzeit die wirksamsten Mittel für eine Behandlung akuter Migräneanfälle. Über 5-HT1B -Rezeptoren bewirken sie eine Vasokonstriktion z. B. der Meningealgefäße (van den Broek et al. 2002). Daneben hemmen sie via 5-HT1D -Rezeptoren die neurogene Entzündung im Migräneanfall durch eine verminderte Freisetzung proinflammatorischer Neuropeptide aus perivaskulären Trigeminusfasern (Deleu und Hanssens 2000). Als dritte
Wirkkomponente der Triptane wird eine Unterbrechung der trigeminalen Schmerztransmission zum Nucleus caudalis beschrieben. Triptane können zu jedem Zeitpunkt innerhalb einer Migräneattacke eingenommen werden. Aus Sicherheitsgründen und um die Wirksamkeit zu gewährleisten wird aber empfohlen, das Abklingen einer etwaigen Aura abzuwarten (Diener et al. 2018a). Grundsätzlich wirken Triptane am effektivsten, wenn sie möglichst früh nach Beginn des Kopfschmerzes zum Einsatz kommen. Eine Einnahme sollte nur dann erfolgen, wenn sicher von einer Migräneattacke ausgegangen werden kann, da die Mittel bei Spannungskopfschmerz in aller Regel unwirksam sind. Triptane lindern zudem die migränetypischen Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Lichtscheu und Lärmempfindlichkeit (z. B. Derry et al. 2014). Die verschiedenen Vertreter haben ein ähnliches Wirkprofil, unterscheiden sich aber in der Pharmakokinetik und damit in Wirkungsdauer und Häufigkeit des Wiederauftretens von Migräneanfällen. Bei zu häufiger Anwendung können Triptane die Anfallshäufigkeit erhöhen und zu einem Arzneimittel-induzierten Dauer-
32 Sumatriptan Zolmitriptan Rizatriptan
20
18 17
18
18
18
5
5
5
3
4
3
2015
2016
2017
19
19
6
6
4
4
18
17 15
(Mio. DDD)
13
10
4
5 3
3
4
3 1 0 2010
2011
2 2012
4
2
2013
3
2014
2018
. Abb. 32.1 Verordnungen von Triptanen 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
2019
645 32.1 Triptane
kopfschmerz führen. Ihre Anwendung ist daher auf höchstens zehn Tage im Monat zu begrenzen (Diener et al. 2018a, 2018b). In den letzten zehn Jahren wuchs das Verordnungsvolumen der Triptane kontinuierlich an (. Abb. 32.1). Mit > 60 % aller Verordnungen stellte Sumatriptan 2019 weiterhin die Leitsubstanz der Wirkstoffgruppe dar. Als Gründe für diese herausragende Stellung können das breite Angebot unterschiedlicher Zubereitungsformen, die eher geringen therapeutischen Vorteile anderer Triptane sowie die im Vergleich zu den preisgünstigen Sumatriptangenerika im Mittel höheren Tagestherapiekosten der anderen Vertreter angeführt werden (. Tab. 32.1). Rizatriptan und Zolmitriptan kommen zusammen auf gut 30 % der Verordnungen. Sumatriptan ist von allen Triptanen am besten untersucht. Der Wirkstoff führt in Dosen von 50–100 mg oral in Abhängigkeit vom Schweregrad der Symptome bei 30–60 % der Betroffenen innerhalb von zwei Stunden zu Beschwerdefreiheit. Im Vergleich zu Placebo errechnet sich eine Number Needed to Treat (NNT) von 3,0 bis 6,1 (Derry et al. 2014). Bezüglich des Endpunkts Schmerzlinderung war die Ansprechrate bei moderaten bis schweren Schmerzen ähnlich. Ein Nicht-Ansprechen ist selten: in 80–90 % der Fälle war Sumatriptan in mindestens einer von drei Migräneattacken wirksam (Ferrari et al. 2002). Ist Sumatriptan in einem Anfall aber unwirksam, sollte in derselben Attacke auch keine zweite Einnahme erfolgen. Sumatriptan kann in Dosen von 25 mg auch rektal oder 10–20 mg als Nasenspray eingesetzt werden, was sich bei Patienten mit Übelkeit und Erbrechen anbietet. Besonders wirksam ist die subkutane Injektion, nach der sich die Symptome bereits binnen 60 min bei 30–40 % der Patienten vollständig zurückbilden und sogar bei 70 % zumindest nachlassen. Nach zwei Stunden liegen die Ansprechraten bei 50–60 % (Schmerzfreiheit) bzw. 70–80 % (Schmerzlinderung) (Derry et al. 2014). Auch mit der nasalen Applikation ist im Vergleich zur oralen Anwendung ein schnellerer Wirkeintritt zu erreichen (Rapoport
32
und Winner 2006), mit Schmerzfreiheit bei 12–30 % (ein bzw. zwei Stunden nach Einmalgabe von 20 mg) sowie Schmerzlinderung in 46–60 % (Derry et al. 2014). Die rasche Wirksamkeit wird aber mit einem höheren Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse erkauft, insbesondere bei hoher Dosierung. Zwei bis 24 h nach oraler Gabe von Sumatriptan treten bei ca. 30 % der Patienten erneut Migränekopfschmerzen auf (Wiederkehrkopfschmerz), was bei einer Eliminationshalbwertszeit von zwei Stunden nicht erstaunt (Ferrari et al. 2002; Loder 2010). Wenn Sumatriptan initial wirksam war, empfiehlt sich eine erneute Einnahme, allerdings im Abstand von mindestens zwei Stunden und unter Beachtung der Tageshöchstdosis. Rizatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan, Frovatriptan und Eletriptan zeigen eine höhere orale Bioverfügbarkeit, eine längere Halbwertszeit und eine bessere Lipidlöslichkeit als Sumatriptan (Deleu und Hanssens 2000). Diese gegenüber Sumatriptan als günstiger erachteten pharmakokinetischen Eigenschaften bedingen aber offenbar keine generelle Überlegenheit in der klinischen Anwendung. So hält die Wirkung von Frovatriptan und Naratriptan zwar relativ lang an und der Wiederkehrkopfschmerz ist seltener, dafür wirken diese Substanzen aber erst zwei bis vier Stunden nach der Einnahme (Deleu und Hanssens 2000; Ferrari et al. 2002). Im indirekten Vergleich scheint Eletriptan insgesamt (Berücksichtigung des Anteils an Patienten mit Schmerzlinderung oder Schmerzfreiheit, Häufigkeit des Wiederkehrkopfschmerzes sowie der nach Einnahme anhaltenden Schmerzfreiheit) das wirksamste Triptan zu sein (Deleu und Hanssens 2000; Ferrari et al. 2002; Thorlund et al. 2014). Allerdings zeigt sich die Überlegenheit lediglich bei Einmalgabe der Tageshöchstdosis (zwei Filmtabletten à 40 mg), bei der dann aber auch die Verträglichkeit schlechter ist. Rizatriptan ist in der höheren Dosierung (10 mg) tendenziell wirksamer als Sumatriptan (100 mg), führt aber häufiger zum Wiederauftreten der Kopfschmerzen (Ferrari et al. 2002). In der-
646
Kapitel 32 Migränemittel
. Tabelle 32.1 Verordnungen von Migränemitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sumatriptan Sumatriptan dura
Sumatriptan
9,4
(C40,6)
1,48
Sumatriptan Aurobindo
Sumatriptan
2,6
(8,1)
1,53
Sumatriptan Bluefish
Sumatriptan
1,8
(50,3)
1,38
Sumatriptan beta
Sumatriptan
1,7
(35,3)
1,64
Sumatriptan-1 A Pharma
Sumatriptan
1,2
(C3,0)
1,34
Sumatriptan Hormosan
Sumatriptan
0,72
(C34,1)
8,98
Sumatriptan STADA
Sumatriptan
0,52
(C54,4)
1,20
Imigran
Sumatriptan
0,25
(C5,2)
17,69
18,2
(C0,9)
1,99
Zolmitriptan
32
Ascotop
Zolmitriptan
1,5
(C6,3)
7,00
Zolmitriptan-neuraxpharm
Zolmitriptan
0,71
(C76,8)
1,50
Zolmitriptan AL
Zolmitriptan
0,69
(C21,1)
1,24
Zolmitriptan-1 A Pharma
Zolmitriptan
0,55
(C12,4)
1,52
Zolmitriptan Glenmark
Zolmitriptan
0,38
(46,1)
1,60
3,8
(C7,2)
3,63
Rizatriptan Rizatriptan Glenmark
Rizatriptan
2,4
(C27,7)
2,13
Maxalt
Rizatriptan
1,2
(9,9)
2,24
Rizatriptan AL
Rizatriptan
0,80
(15,9)
1,93
Rizatriptan Aurobindo
Rizatriptan
0,50
(36,8)
2,31
Rizatriptan-neuraxpharm
Rizatriptan
0,38
(C41,9)
2,06
Rizatriptan Heumann
Rizatriptan
0,22
(C244,4)
2,41
5,5
(C4,0)
2,15
Naratriptan Naratriptan-1 A Pharma
Naratriptan
0,49
(C59,8)
2,46
Naratriptan AL
Naratriptan
0,33
(33,1)
2,42
Naratriptan STADA
Naratriptan
0,19
(C118,3)
2,00
1,0
(C13,5)
2,36
32
647 32.1 Triptane
. Tabelle 32.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Weitere Triptane Allegro
Frovatriptan
0,23
(8,0)
2,54
Erenumab
2,5
(> 1.000)
19,11
31,3
(C10,9)
3,58
Migräneprophylaktika Aimovig Summe
selben Metaanalyse zeigte sich für Rizatriptan die höchste Ansprechrate aller Triptane (Häufigkeit von Schmerzlinderung bzw. -freiheit in mindestens einer von drei Attacken). Zolmitriptan weist im Vergleich zu Sumatriptan eine praktisch identische Wirksamkeit und Verträglichkeit auf (Bird et al. 2014). Nach den verfügbaren Studiendaten sind alle Triptane wirksam und insgesamt gut verträglich (Diener et al. 2018a). Almotriptan und Naratriptan sind bereits rezeptfrei erhältlich, Sumatriptan wird wohl noch dieses Jahr folgen. Nach systematischer Übersicht besteht nur ein geringer Unterschied in der akuten therapeutischen Wirksamkeit von Triptanen und adäquat dosierten NSAR (Xu et al. 2016). Die aktuelle Migräne-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) gibt an, dass bei ca. 60 % aller Non-Responder für NSAR Triptane wirksam sind (Diener et al. 2018a). Diese Aussage wird allerdings nur mit einer methodisch schwachen Studie begründet, in der Eletriptan bei Patienten zum Einsatz kam, die mit der Wirkung einer Kombination aus Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Koffein nicht zufrieden waren (Diamond et al. 2004). Die kombinierte Einnahme von Sumatriptan und Naproxen lindert den Migränekopfschmerz besser als die alleinige Einnahme der Einzelmittel (Law et al. 2016; Xu et al. 2016). Der Zusatznutzen der Kombination ist gegenüber einer Monotherapie mit Naproxen deutlich, im Vergleich zu Sumatriptan alleine allerdings nur gering ausgeprägt (Law et al.
2016). Andererseits unterscheidet sich nach den Studienergebnissen das Risiko für unerwünschte Wirkungen zwischen der Kombination und Sumatriptan alleine nicht, ist gegenüber der Monotherapie mit Naproxen hingegen erhöht. Auch bei Kindern und Jugendlichen, die nicht ausreichend auf Analgetika oder NSAR ansprechen, können Triptane zur Behandlung akuter Migräneanfälle eingesetzt werden. Mehr als 90 % aller hochwertigen Untersuchungen zur medikamentösen Akutbehandlung dieser Patientengruppe befassen sich mit Vertretern aus der Gruppe der Triptane (Richer et al. 2016). Danach sind Triptane bei Kindern wie bei Jugendlichen im indirekten Vergleich ähnlich wirksam. In Deutschland sind Imigran nasal (Sumatriptan) und AscoTop nasal (Zolmitriptan) für die Anwendung bei Kindern ab 12 Jahren zugelassen. Außerdem finden sich positive Studienberichte zur Anwendung von oralem Rizatriptan und Almotriptan bei Kindern (Eiland und Hunt 2010). Unter der Behandlung mit Triptanen wurden sehr seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkungen bei Patienten mit kardialen Vorerkrankungen beobachtet, aufgrund derer die Fachinformationen diverse Anwendungsbeschränkungen beinhalten. So dürfen die Wirkstoffe nicht bei Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte oder solchen mit symptomatischer, ischämischer Herzkrankheit, Koronarspasmen, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Morbus Raynaud oder mittelschwe-
648
32
Kapitel 32 Migränemittel
rem bis schwerem Bluthochdruck bzw. leichtem unkontrolliertem Bluthochdruck eingesetzt werden. Außerdem sollten Triptane bei Patienten mit Schlaganfall oder transitorischen ischämischen Attacken nicht gegeben werden. Eine systematische Übersicht fand allerdings in drei Beobachtungsstudien keine signifikant erhöhte Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse (Roberto et al. 2015). Die Daten zweier Studien zum Schlaganfallrisiko waren widersprüchlich. Aus den Daten schlussfolgern die Autoren aber, dass das Schlaganfallrisiko allenfalls gering erhöht sein könne. Meldungen aus einem Spontanmeldesystem der Food and Drug Administration zufolge können Triptane als Serotoninrezeptoragonisten bei Komedikation mit selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren oder Serotonin-NoradrenalinRückaufnahme-Inhibitoren ein lebensgefährliches Serotoninsyndrom auslösen (Soldin und Tonning 2008). Das Serotoninsyndrom darf aber als (relevante) unerwünschte Wirkung der Triptane in Frage gestellt werden (Gillman 2010; Rolan 2012). Ähnliches gilt für die potenzielle Wechselwirkung mit Hemmstoffen der Monoaminoxidase (MAO) A, die die Metabolisierung von Sumatriptan, Zolmitriptan, Rizatriptan und Almotriptan beeinträchtigen können (Rolan 2012). Mit Blick auf das Serotoninsyndrom und die Interaktion mit MAOA-Hemmern belässt es die aktuelle Migräneleitlinie bei dem Hinweis, dass sich die Auswahl eines Triptans auch nach der Begleitmedikation und der Metabolisierung richten sollte (Diener et al. 2018a). Etwa 0,7–1 % der deutschen Bevölkerung leidet unter einem Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch, dem überwiegend die Einnahme von Schmerzmitteln oder Triptanen zugrunde liegt (Straube et al. 2010; Diener et al. 2018b). Ein Kriterium für die Diagnose wäre u. a., dass Triptane an mehr als zehn Tagen pro Monat für die Dauer von einem Vierteljahr eingenommen wurden. In Deutschland betreiben etwa 40–50 % der Patienten mit chronischem Kopfschmerz einen Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln. Migränepatienten, die wegen eines Medikamen-
tenübergebrauchs unter Triptanen über einen Kopfschmerz klagen, berichten meist über tägliche migräneähnliche Beschwerden oder eine zunehmende Häufigkeit von Migräneattacken (Limmroth et al. 2002). Im Vergleich zu NichtOpioid-Analgetika entwickelt sich der Kopfschmerz bei Übergebrauch unter Triptanen deutlich schneller (im Mittel 1,7 vs. 5,2 Jahre). Als Therapie werden eine Medikamentenpause bzw. ein Entzug empfohlen, was bei Triptanen wie auch Nicht-Opioid-Analgetika abrupt erfolgen kann (Diener et al. 2018b). Darunter kommt es meist zu Entzugssymptomen, die sich unter anderem als Verschlechterung der Kopfschmerzen äußern. Entzugssymptome halten etwa zwei bis sieben Tage an, sind aber im Falle der Triptane eher kurz (Katsarava et al. 2001).
32.2
Migräneprophylaxe
Eine Migräneprophylaxe ist aufgrund empirischer Erkenntnisse indiziert, wenn drei oder mehr Migräneanfälle pro Monat auftreten, die die Lebensqualität deutlich einschränken, eine Zunahme der Attackenfrequenz beobachtet wird, regelmäßig Migräneattacken auftreten, die länger als 72 h anhalten oder auf eine angemessene Akuttherapie nicht ausreichend ansprechen, besonders schwere Krankheitsfälle mit langanhaltenden Auren vorliegen, sowie Schmerz- und Migränemittel an mehr als zehn Tagen im Monat eingenommen werden müssen (Pringsheim et al. 2012; Diener et al. 2018a). Als Ziel einer prophylaktischen Behandlung sollen in erster Linie die Anfallshäufigkeit, die Dauer und die Schwere von Migräneanfällen reduziert werden. Maßnahmen zur Migräneprophylaxe werden als erfolgreich angesehen, wenn die Anzahl von Migräneattacken unter der Behandlung um 50 % zurückgeht (Diener et al. 2018a). Daneben sollen die Leistungsfähigkeit verbessert, die Arbeitsunfähigkeit vermindert und die Krankheitsprogression verlangsamt werden. Durch die Verminderung der Attackenintensität soll das
649 32.2 Migräneprophylaxe
Ansprechen auf die Akutmedikation verbessert werden. Die Therapiedauer einer medikamentösen Prophylaxe sollte mindestens sechs Monate betragen, ein Wechsel der Medikation oder ein Therapieabbruch ist indiziert, wenn innerhalb von zwei bis drei Monaten nach Erreichen der Maximaldosis des Prophylaktikums keine ausreichende Besserung erreicht werden kann (Diener et al. 2018a, 2019). Als Mittel der Wahl bei den Migräneprophylaktika können Betarezeptorenblocker gelten (z. B. Propranolol und Metoprolol), die im 7 Kap. 19 besprochen werden. Daneben sind auch Flunarizin, Topiramat und Onabotulinumtoxin A zur Prophylaxe von Migränekopfschmerzen zugelassen (Diener et al. 2018a). Flunarizin ist ähnlich wirksam wie Metoprolol, wird aber schlechter vertragen (Diener et al. 2018a). Die Bezeichnung von Flunarizin als Calciumkanalblocker ist im Zusammenhang mit der Migräneprophylaxe wenig hilfreich, da die Substanz einerseits noch andere pharmakologische Wirkungen zeigt und andererseits spezifischere Calciumkanalblocker wie Nifedipin oder Nimodipin (und vermutlich auch Verapamil) bei Migräne nicht prophylaktisch wirksam sind. Alternativ zu Metoprolol und Propranolol kann auch das Antiepileptikum Topiramat eingesetzt werden (Diener et al. 2018a). Es senkt die Attackenfrequenz um 1,2 Attacken in vier Wochen (Linde et al. 2013a). Als wirksame Dosierung gelten 50 mg bzw. 100 mg. Eine höhere Dosierung wirkt nicht besser, verursacht aber mehr Nebenwirkungen. Die Therapie mit Topiramat wird häufig aufgrund von unerwünschten Wirkungen abgebrochen (Pringsheim et al. 2012). Des Weiteren liegen überzeugende Belege zur Wirksamkeit des Antidepressivums Amitriptylin in der Migräneprophylaxe bei Erwachsenen vor (Jackson et al. 2015; Diener et al. 2018a; Xu et al. 2017), insbesondere wenn Komorbiditäten wie Depression, Schlafstörungen oder Untergewicht bestehen. Valproinsäure senkt die Attackenfrequenz um 4,3 Attacken in vier Wochen (Linde et al. 2013b). Das Antikonvulsivum ist bei Erwachsenen trotz fehlender Zulas-
32
sung in der Migräneprophylaxe verordnungsfähig (Off-Label-Gebrauch), wenn der Einsatz sämtlicher zur Migräneprophylaxe zugelassener Wirkstoffe nicht erfolgreich war, Nebenwirkungen zu einem Therapieabbruch führten oder diese Mittel nicht angewendet werden können (Gemeinsamer Bundesausschuss 2010). 2019 hat der G-BA eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie auf den Weg gebracht, wonach die Verordnung von Valproinsäure zur Migräneprophylaxe nur noch durch Fachärzte für Nervenheilkunde, Psychiatrie oder Neurologie erfolgen soll. Mit Obsidan (Propranolol) ist ein Mittel der ersten Wahl zur Migräneprophylaxe bei Kindern ab 12 Jahren zugelassen. Der Einsatz von Antikonvulsiva ist bei Kindern und Jugendlichen aufgrund ungenügender Evidenz in dieser Indikation nicht sinnvoll (Diener et al. 2018a). Die prophylaktische Wirksamkeit von Topiramat ist bei diesem Patientenkollektiv auch nicht ausreichend nachgewiesen (Shamliyan et al. 2013; Le et al. 2017). Eine Therapieoption mit einem neuen Wirkungsmechanismus sind monoklonale Antikörper gegen das Calcitonin Gene-Related Peptid (CGRP) oder den CGRP-Rezeptor. Erenumab (Aimovig) ist der erste CGRP-Rezeptorantagonist zur Migräneprophylaxe bei Erwachsenen (siehe auch ArzneiverordnungsReport 2019, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2018, Abschn. 3.1.14). Studien belegen die Wirksamkeit des monatlich subcutan zu injizierenden Antikörpers (Lattanzi et al. 2019). Über 12 Wochen war Erenumab bei Erwachsenen mit initial mindestens vier Migränetagen pro Monat Placebo in der Reduktion der Anfallshäufigkeit sowie der Tage, an denen Migränemittel genommen wurden, überlegen. Die Wirksamkeit bestätigte sich auch bei Patienten, bei denen zuvor zwei bis vier andere Migräneprophylaktika versagt hatten. Ein Vorteil der Antikörper im Vergleich zu anderen Prophylaktika dürfte die offenbar sehr gute Verträglichkeit sein. Bei über 2.600 Patienten in vier Studien lag die Nebenwirkungsrate auf Placeboniveau, nur Schmerzen an der Einstichstelle waren mit 3,5 % gegenüber 2,3 %
650
32
Kapitel 32 Migränemittel
häufiger (Lattanzi et al. 2019). Da sie den Vasodilatator CGRP antagonisieren und klinische Daten zu ihrem Einsatz bei bestimmten Risikogruppen noch nicht vorliegen, sollten die Antikörper bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko Experten zufolge nicht eingesetzt werden (Diener et al. 2020). Der G-BA sah allerdings nur für Erwachsene, die auf keine der zunächst zu erwägenden Prophylaktika (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin, Valproinsäure, Clostridium botulinum Toxin Typ A) ansprechen, für diese nicht geeignet sind oder diese nicht vertragen, Anhaltspunkte für einen (wenn auch beträchtlichen) Zusatznutzen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2019). Selbst im Falle eines Verordnungsausschlusses für Patienten, für die es laut G-BA keinen Hinweis auf einen Zusatznutzen gibt, könnte die Menge verordneter DDD auf mehr als das Doppelte der Verordnungszahlen aus 2019 zunehmen, was einen erheblichen Anstieg der Therapiekosten zur Folge hätte (Erenumab ist 50–100fach teurer als andere Arzneimittel zur Migräneprophylaxe). Auch daher ist eine verantwortungsvolle Verordnung geboten, die neben der Nutzenbewertung durch den G-BA die kritische ReEvaluation der Antikörpertherapie nach drei bzw. Pausierung nach 6–9 Monaten berücksichtigt, wie sie die DGN in einem Addendum zu ihrer aktuellen Migräneleitlinie empfiehlt (Diener et al. 2019). Als erste CGRP-Antagonisten wurden Galcanezumab (Emgality) und Fremanezumab (Ajovy) im April und Mai letzten Jahres zugelassen (Übersicht bei Hargreaves und Olesen 2019).
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653
33
Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose Roland Seifert und Martin Stangel
Auf einen Blick
Spektrum Zur Behandlung der multiplen Sklerose werden krankheitsmodifizierende Immuntherapeutika und symptomatisch wirkende Arzneistoffe eingesetzt. Die Verordnung von Beta-Interferonen für die Behandlung der schubförmig-remittierenden multiplen Sklerose geht seit Jahren zu Gunsten anderer Arzneistoffe (insbesondere Dimethylfumarat, Glatirameracetat und Teriflunomid) zurück. Den stärksten Verordnungsschub mit fast einer Verdoppelung verzeichnet Ocrelizumab. Als Muskelrelaxantien (Antispastika) stehen Baclofen, Tizanidin und Botulinumtoxin bei der symptomatischen Behandlung der multiplen Sklerose im Vordergrund. Die Verordnungszahlen für das Cannabinoidpräparat Nabiximols sind deutlich angestiegen. Erstaunlicherweise wurden auch Muskelrelaxanzien mit unzureichender Beleglage (z. B. Chininsulfat, Methocarbamol, Pridinol) deutlich häufiger verordnet. Kosten Der weitaus größte Teil der Kosten entfällt mit deutlich steigender Tendenz mit 1.750 Mio. C auf die Immuntherapeutika.
Die multiple Sklerose ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter. Sie manifestiert sich in der Regel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Die multiple Sklerose ist gekennzeichnet durch multiple Herde entzündlicher Demyelinisierung sowie zunächst schubförmigen und später oft fortschreitenden Krankheitsverlauf und führt in vielen Fällen zu bleibenden neurologischen Schäden und Behinderung. Zu Beginn des entzündlichen Prozesses steht die Aktivierung autoreaktiver Lymphozyten mutmaßlich gegen Myelin. Im späteren Verlauf führt der chronische Entzündungsprozess mit aktivierter Mikroglia zur Entmarkung der Myelinscheiden und zur Axonschädigung. Diagnostisch und therapeutisch werden verschiedene Verlaufsformen der multiplen Sklerose unterschieden. Bei etwa 85 % der Patienten beginnt die Krankheit mit einem schubförmig-remittierenden Verlauf. Die Krankheitsschübe sind gekennzeichnet durch Empfindungsstörungen, Sehstörungen, Koordinationsprobleme oder Lähmungserscheinungen und klingen in der frühen Krankheitsphase in der Regel innerhalb von Wochen z. T. auch folgenlos ab, in einigen Fällen können aber auch Restsymptome bestehen bleiben. Die Frequenz und Schwere der Schübe ist individuell sehr unterschiedlich. Wird die Erkrankung nicht behandelt, kommt es innerhalb von durchschnittlich 10 Jahren bei etwa der Hälfte dieser Patienten zur sekundär progredienten Form der multiplen Sklerose. Ab diesem Stadium verschlechtert sich der Krankheitszustand nicht nur schubförmig, sondern auch schlei-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_33
654
33
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
chend und kontinuierlich. Von einer sekundär progredient verlaufenden multiplen Sklerose spricht man, wenn sich Beschwerden und Ausfallerscheinungen über mindestens 6 Monate kontinuierlich verschlechtern. Nur bei etwa 10 bis 15 % der Patienten verläuft die Krankheit schon von Beginn an progredient. Während von der primär progredient verlaufenden Form Männer und Frauen in etwa gleich häufig betroffen sind, weisen Frauen im Vergleich zu Männern eine dreimal höhere Erkrankungsrate bei der schubförmig verlaufenden Erkrankungsform auf (Montalban et al. 2018). In Deutschland gibt es ca. 200.000 Patienten mit multipler Sklerose. Die Ursache der multiplen Sklerose ist nach wie vor unbekannt, kurative Arzneistoffe stehen daher nicht zur Verfügung. Da es sich bei der multiplen Sklerose um eine Autoimmunkrankheit handelt, werden verschiedene Immuntherapeutika zur spezifischen Arzneimitteltherapie eingesetzt. In erster Linie sind dies Immunmodulatoren wie die Interferone, Dimethylfumarat, Glatirameracetat, Teriflunomid, Fingolimod, Ocrelizumab und Natalizumab. Auf dem Gebiet der Therapie der multiplen Sklerose gibt es einige Innovationen, wie Ocrelizumab, den ersten CD20Antikörper zur Behandlung der primär progredienten multiplen Sklerose (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2018, Abschn. 3.1.22), Cladribin und einen weiteren Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulator (Siponimod) (Cree et al. 2019), der im Januar 2020 zugelassen wurde. Symptomatisch werden bei der multiplen Sklerose Muskelrelaxanzien zur Behandlung der spastischen Tonuserhöhung der Skelettmuskulatur eingesetzt. Im Vordergrund stehen hierbei Baclofen und Tizanidin. Durch eine einschleichende Dosierung wird versucht, die bestehende Spastik zu reduzieren, ohne dass die meist gleichzeitig bestehenden Lähmungserscheinungen zu stark hervortreten. Seit 2011 sind zur Therapie der Spastik bei multipler Sklerose auch Cannabinoide als Spray zur Anwendung in der Mundhöhle (Sativex) sowie Fampridin zur oralen Anwendung (Fampyra)
zur Verbesserung der Gehfunktion zugelassen. Muskelrelaxanzien, die für andere Indikationen (Schlaganfall, Lumbago, Beinkrämpfe) zugelassen sind, werden gelegentlich bei Patienten mit multipler Sklerose off-label eingesetzt.
33.1
Immuntherapie bei multipler Sklerose
Als Basistherapeutika für die Behandlung der multiplen Sklerose gelten derzeit die parenteral zu verabreichenden Beta-Interferone und Glatirameracetat sowie die oral verfügbaren Arzneistoffe Dimethylfumarat und Teriflunomid, die zur Behandlung der mild bis moderat ausgeprägten multiplen Sklerose eingesetzt werden können. In der Eskalationstherapie bei hochaktiven Verlaufsformen gewinnt das ebenfalls oral einsetzbare Fingolimod gegenüber dem seit mehr als 10 Jahren verfügbaren, aber intravenös zu verabreichenden Natalizumab zunehmend an Bedeutung und wurde 2019 doppelt so häufig verordnet wie dieses (. Abb. 33.1). Nicht mehr vertreten ist der Reservearzneistoff Alemtuzumab der bereits 2018 deutlich weniger verordnet wurde. Wesentlicher Grund sind vermutlich Berichte über schwere, in Einzelfällen tödliche Nebenwirkungen, die zu einer Einschränkung der Indikation und zu zusätzlichen Gegenanzeigen durch die EMA geführt haben (Sanofi 2020). In den letzten Jahren wurde eine Reihe neuer Immuntherapeutika zur Behandlung der multiplen Sklerose in den deutschen Arzneimittelmarkt eingeführt. Trotz zahlreicher publizierter Studien stehen bedauerlicherweise kaum direkte Vergleichsstudien mit ausreichender methodischer Qualität zur Verfügung. In Ermangelung entsprechender Daten werden Nutzenvergleiche der Immuntherapeutika indirekt über Netzwerkmetaanalysen berechnet, offene Fragen mit Post-hoc- oder retrospektiven Subgruppen-Analysen sowie Registerstudien bearbeitet. Sichere Aussagen zur relativen Wirksamkeit und Verträglichkeit dieser Mittel
33
655 33.1 Immuntherapie bei multipler Sklerose
15 14 13
Betainterferone Glatirameracetat Fingolimod Dimethylfumarat
14
13 12
11 10
10
9 (Mio. DDD)
8 7 6 5
5
6
6
5
5
5
6 5
5
6 6 5
3 4
7
5
4
4 2 2 0,5 0 0 2010
2011
1 2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 33.1 Verordnungen von Mitteln zur Behandlung der multiplen Sklerose 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
im zugelassenen Indikationsgebiet sind damit kaum möglich (Fogarty et al. 2016; Huisman et al. 2017). Als seltene, aber schwerwiegende und gegebenenfalls auch tödlich verlaufende Komplikation beim Einsatz von Immuntherapeutika ist das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) zu beachten. Diese Infektion wurde bislang überwiegend in Zusammenhang mit Natalizumab beobachtet, selten auch unter Fingolimod und Dimethylfumarat. Um das PML-Risiko zu reduzieren, müssen therapiebegleitend konsequente regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden, sobald die Behandlung mit einem der genannten Arzneistoffe beginnt. 2019 wurden 33,4 Mio. DDD an Immuntherapeutika verordnet, die rechnerisch für eine Dauerbehandlung von 91.500 Patienten ausreichen. Damit erhalten nur weniger als die Hälfte aller Patienten mit multipler Sklerose eine Dauertherapie mit Immuntherapeutika. Im Vergleich zu den um 3 % gestiegenen Verordnungszahlen nahmen die Gesamtkosten für Immuntherapeu-
tika im Vergleich zum Vorjahr um 5 % auf 1.750 Mio. C zu (. Tab. 33.1).
33.1.1
Beta-Interferone
Seit Anfang der 1990er Jahre stellen Beta-Interferone die Basistherapie der schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose dar und werden – neben Glatirameracetat – bei der frühen Nutzenbewertung als zweckmäßige Vergleichstherapeutika akzeptiert. Interferone sind für die Behandlung bei Patienten mit schubförmig verlaufender multipler Sklerose zugelassen, die mindestens zwei Krankheitsschübe während der letzten zwei bis drei Jahre hatten. Außerdem können die Arzneistoffe eingesetzt werden bei Patienten mit einem ersten demyelinisierenden Ereignis (klinisch isoliertes Syndrom – KIS), wenn ein hohes Risiko für die Entwicklung einer klinisch sicheren multiplen Sklerose besteht. Möglicherweise sind die Mittel auch dann indiziert, wenn bei sekundär progredienter multipler Sklerose noch
656
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
. Tabelle 33.1 Verordnungen von Mitteln zur Behandlung der multiplen Sklerose 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Interferone Avonex
Interferon beta-1a
2,7
(9,2)
55,55
Rebif
Interferon beta-1a
2,2
(10,9)
69,28
Betaferon
Interferon beta-1b
1,8
(7,6)
48,11
Plegridy
Peginterferon beta-1a
1,4
(5,0)
61,24
8,1
(8,6)
58,63
Immunmodulatoren Tecfidera
Dimethylfumarat
6,7
(C6,6)
37,86
Copaxone
Glatirameracetat
5,1
(7,2)
43,96
Aubagio
Teriflunomid
3,9
(C11,3)
30,91
Ocrevus
Ocrelizumab
2,1
(C93,9)
81,72
Tysabri
Natalizumab
2,0
(5,6)
75,55
Mavenclad
Cladribin
0,81
(C75,1)
85,04
20,5
(C8,7)
47,96
4,8
(C3,4)
60,73
33,4
(C3,2)
52,38
Sphingosin-1P-Agonist Gilenya
Fingolimod
Summe
33 Krankheitsschübe auftreten (La Mantia et al. 2012). Für Patienten mit primär progredientem Verlauf fehlen Belege für eine therapeutische Wirksamkeit (Rojas et al. 2010). Wie in den Vorjahren sank auch 2019 das Verordnungsvolumen der Beta-Interferone um fast 10 % weiter ab (. Tab. 33.1). Aussagen zum Wirkvergleich der verschiedenen Interferone sind jedoch aufgrund methodischer Schwächen der vorhandenen Vergleichsstudien oder fehlender Studiendaten mit Unsicherheiten verbunden (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2014). Aufgrund der Zulassung mehrerer neuer und wahrscheinlich effektiverer Substanzen sind solche (kleinen) Unterschiede auch in den Hintergrund gerückt. Typische unerwünschte Wirkungen von Inter-
feronen sind insbesondere zu Beginn der Behandlung grippeähnliche Beschwerden, Kopfschmerzen und Muskelschmerzen. Mit Dauer und Dosis steigt das Risiko für die Bildung von neutralisierenden Antikörpern mit negativem Einfluss auf die Wirksamkeit der rekombinanten Interferone. Seit 2014 steht für die Therapie der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose mit Peginterferon beta-1a (Plegridy) ein langwirkendes pegyliertes Beta-Interferon zur Verfügung, das aufgrund der PolyethylenglykolKonjugation im Gegensatz zu nicht-pegylierten Beta-Interferonen nur einmal alle 2 Wochen subkutan verabreicht wird. Nach einer Netzwerkanalyse mit indirekten Vergleichen zeigte Peginterferon beta-1a eine vergleichba-
657 33.1 Immuntherapie bei multipler Sklerose
re Wirksamkeit auf die jährliche Schubrate der multiplen Sklerose und ein potenziell günstigeres Sicherheitsprofil als nicht-pegylierte Interferone (Tolley et al. 2015). Die aktuelle europäische Leitlinie (Montalban et al. 2018) empfiehlt eine Frühtherapie der multiplen Sklerose mit Interferonen als Basisbehandlung bereits bei Diagnosestellung eines ersten Krankheitsschubes mit hohem Risiko für eine definitive Diagnose (KIS), um die Krankheitsprognose positiv zu beeinflussen. Nach einer aktuellen Übersichtsarbeit könnte – allerdings auf Basis schwacher oder sehr schwacher Evidenz – der frühe Einsatz von Interferon beta-1a, Interferon beta-1b und Glatirameracetat auch die Konversion in eine definitive multiple Sklerose verzögern (Brown et al. 2019).
33.1.2
Glatirameracetat
Glatirameracetat ist ein synthetisches Polypeptidgemisch, dessen Bestandteile Ähnlichkeiten mit den Strukturen der Myelinscheiden von Nervenfasern haben. Sein Wirkmechanismus ist ungeklärt. Man nimmt an, dass durch das Polypeptidgemisch die Lymphozyten-vermittelten Entzündungsreaktionen in den neuronalen Strukturen von Patienten mit multipler Sklerose vermindert werden. Glatirameracetat wird in einer Dosierung von 20 mg einmal täglich subkutan verabreicht. Seit Januar 2015 liegt eine Zubereitung mit 40 mg Glatirameracetat vor, die ein Verabreichungsintervall von 48 h erlaubt. Es gibt inzwischen auch eine generische Zubereitung von Glatirameracetat. Eine Dosiswirkungsbeziehung besteht Studien zu Folge nicht (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2014). Der Arzneistoff verringert die Schubrate bei schubförmig verlaufender multipler Sklerose in vergleichbarem Umfang wie die Interferone. Auch im Hinblick auf die Krankheitsprogression ergibt sich nach einem Behandlungsjahr kein relevanter Unterschied. Allerdings scheinen nach MRT-Bildgebung zentralnervöse Nervenschädigungen im
33
Zeitverlauf unter Beta-Interferonen geringfügig geringer ausgeprägt zu sein (La Mantia et al. 2010, 2016a).
33.1.3
Dimethylfumarat
Mit Dimethylfumarat (Tecfidera) wurde 2014 ein in der Dermatologie bekannter Arzneistoff erstmals zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig-remittierender multipler Sklerose zugelassen und war 2018 bereits das führende Präparat der Immunmodulatoren. Zusammen mit anderen Fumarsäureestern wird Dimethylfumarat in Deutschland seit vielen Jahren in der Psoriasisbehandlung angewendet (siehe Dermatika, 7 Kap. 23). Im Gegensatz zu den bisherigen Basistherapeutika wird Dimethylfumarat oral verabreicht. Der zugrundeliegende Wirkmechanismus bei der multiplen Sklerose ist nicht vollständig geklärt. Dimethylfumarat und sein Hauptmetabolit reduzierten in präklinischen Modellen die Immunzellaktivierung und die nachfolgende Freisetzung von entzündungsfördernden Zytokinen als Reaktion auf Entzündungsstimuli. Es wird angenommen, dass Dimethylfumarat über die Blockade eines spezifischen Rezeptors (HCA2-Rezeptor) die Einwanderung von Leukozyten in die Nervenbahnen verhindert und damit die entzündlichen Reaktionen im Rahmen einer multiplen Sklerose unterbindet (Chen et al. 2014). Nach einem Cochrane-Review gibt es Hinweise aus zwei placebokontrollierten Studien mit insgesamt 2.667 Patienten, dass Dimethylfumarat die annualisierte Rezidivrate über zwei Behandlungsjahre um etwa 40 % senkt, während eine verzögerte Progression der Behinderung nur unzureichend belegt ist (Xu et al. 2015). Häufigste unerwünschte Wirkungen sind anfallsartige Hautrötungen (Flush) und gastrointestinale Störungen (Durchfall, Übelkeit, Oberbauchbeschwerden) sowie ein erhöhtes Risiko für Lympho- und Leukopenien, die zum Therapieabbruch führen können (Übersicht bei Tintore et al. 2019). In seltenen
658
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
Fällen ist eine PML aufgrund einer potenziell tödlichen opportunistischen Virusinfektion mit hochgradiger Lymphopenie aufgetreten. Aus diesem Grunde muss die Lymphozytenzahl alle 3 bis 6 Monate kontrolliert werden und die Behandlung bei einer länger anhaltenden Lymphopenie (< 500 Zellen/l für mehr als 6 Monate) unterbrochen werden (Übersicht bei Tintore et al. 2019). Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen für Dimethylfumarat im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie, weshalb der Erstattungsbetrag von Tecfidera um 42 % gesenkt wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2014).
33.1.4
33
Teriflunomid
Teriflunomid (Aubagio) ist der Hauptmetabolit von Leflunomid (Arava), das als Immunsuppressivum seit 1999 bei rheumatoider Arthritis eingesetzt wird. Auch dieser Arzneistoff wird oral verabreicht und besitzt eine Zulassung als Basistherapeutikum. Der genaue Wirkmechanismus von Teriflunomid bei der multiplen Sklerose ist noch nicht hinreichend geklärt. Man nimmt an, dass der Arzneistoff über die Hemmung der Dihydroorotatdehydrogenase die De-novo-Pyrimidinsynthese stört und damit die Proliferation sich teilender Zellen, darunter autoreaktive B- und T-Lymphozyten, blockiert. In Folge sinkt auch die Zahl aktivierter Lymphozyten im Blut, die Aktivität des Immunsystems ist reduziert, Entzündungen nehmen ab. Darüber hinaus soll der Arzneistoff für ein antientzündliches Zytokinprofil sorgen. Bei schubförmig-remittierender multipler Sklerose senkt Teriflunomid im Vergleich zu Placebo die jährliche Schubrate, in hoher Dosierung von 14 mg scheint der Arzneistoff auch über einen Behandlungszeitraum von 2 Jahren die Krankheitsprogression aufzuhalten. Dieser Befund bedarf aber einer Bestätigung in qualitativ hochwertigen Studien (He et al. 2016). Die langjährige Nachbeobachtung eines Studienkollektivs zeigt, dass die
schubvermindernde Wirkung von Teriflunomid gegenüber Placebo auch neun Jahre nach Behandlungsbeginn bestehen bleibt (O’Connor et al. 2016). Im direkten Vergleich zu Interferon beta-1a wurde über einen Zeitraum von mindestens 48 Behandlungswochen für Teriflunomid keine signifikante Überlegenheit im zusammengesetzten primären Endpunkt aus der Anzahl von Patienten mit einem ersten Krankheitsschub und dem Abbruch der Behandlung gleich welcher Ursache festgestellt (Vermersch et al. 2014). Aufgrund methodischer Unzulänglichkeiten lässt sich aus diesem Studienergebnis aber keine vergleichbare Wirksamkeit von Interferon beta-1a und Teriflunomid ableiten. Direkte Vergleichsstudien zu Interferon beta-1b fehlen. Eine Untersuchung mit niedriger Beweiskraft legt nahe, dass sich auch mit Teriflunomid bei Patienten mit einem ersten demyelinisierendem Ereignis die Zeit bis zur definitiven Diagnose einer multiplen Sklerose verlängert (Miller et al. 2014; Montalban et al. 2018). In der frühen Nutzenbewertung attestiert der Gemeinsame Bundesausschuss Teriflunomid keinen Zusatznutzen im Vergleich zu Beta-Interferonen und Glatirameracetat (Bundesministerium für Gesundheit 2014). Erneut wird das im Vergleich zu anderen Immunmodulatoren preisgünstige Teriflunomid auch 2018 gegenüber dem Vorjahr deutlich häufiger verordnet (. Tab. 33.1). Als unerwünschte Wirkungen werden unter Teriflunomid Haarausfall, Empfindungsstörungen, Blutbildveränderungen, Leberfunktionsstörungen und Hautreaktionen häufig berichtet. Wegen der Gefahr der Lebertoxizität darf das Mittel nicht an Patienten mit deutlichen Leberfunktionsstörungen verabreicht werden.
33.1.5
Natalizumab
Natalizumab ist ein Reservetherapeutikum, da ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung der potentiell tödlich verlaufenden PML besteht (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2009; Berger 2017). Seine enge Zulas-
659 33.1 Immuntherapie bei multipler Sklerose
sung wurde ausgesprochen für den Einsatz bei hochaktiver schubförmig-remittierender multipler Sklerose nach unzureichender Therapieantwort auf eine mindestens 12 Monate andauernde Behandlung mit Interferonen oder Glatirameracetat; als Erstlinientherapie darf Natalizumab bei rasch fortschreitender schubförmig-remittierender multiplen Sklerose gegeben werden. Der humanisierte monoklonale Antikörper gegen das T-Zelladhäsionsmolekül ’4-Integrin blockiert Oberflächenrezeptoren von autoreaktiven Lymphozyten, die für die Auswanderung aus Blutgefäßen in Entzündungsregionen im zentralen Nervensystem von Bedeutung sind. Dadurch werden neue Entzündungsherde im Gehirn und im Rückenmark verhindert. Nach den vorliegenden Studiendaten über einen Behandlungszeitraum von 24 Monaten reduziert Natalizumab die Schubrate und das Fortschreiten von Behinderungen (Pucci et al. 2011; Montalban et al. 2018). Allerdings wurden diese Daten an einem nicht über 12 Monate mit Basistherapeutika vorbehandeltem Kollektiv ermittelt, die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf das zugelassene Indikationsgebiet ist daher fragwürdig. Indirekte Vergleiche geben Hinweise darauf, dass Natalizumab die jährliche Schubrate deutlicher vermindert als Beta-Interferone und Glatirameracetat (Tramacere et al. 2015). Im indirekten Vergleich zu Fingolimod ergeben sich keine relevanten Unterschiede in Bezug auf die Remissionsfreiheit und die Krankheitsprogression, wenn über 2 Jahre behandelt wird (Tsivgoulis et al. 2016). Da Head-to-Head-Studien fehlen, können derzeit aber keine zuverlässigen Aussagen zur relativen Wirksamkeit von Natalizumab im Vergleich zu anderen Arzneistoffen zur Behandlung der multiplen Sklerose getroffen werden. Das unter Natalizumab erhöhte Risiko für eine durch das JC-Virus bedingte PML steigt mit der Behandlungsdauer und bei immunsupprimierender Vortherapie (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2014) und wird in der Fachinformation mit einer Häufigkeit von 1 bis 10 von 1.000 als gelegentlich angegeben. Durch eine Begrenzung der Behandlungszeit auf 2 Jahre und die Berücksich-
33
tigung des JC-Antikörperstatus des Patienten wird versucht, das Risiko der PML zu reduzieren (Bloomgren et al. 2012; Chan und Gold 2014). Neuere Daten geben aber Hinweise darauf, dass die Inzidenz der PML bei Natalizumab-behandelten Patienten auch durch eine entsprechende Risikostratifizierung nicht sicher gesenkt werden kann (Cutter und Stüve 2014). Der für die Risikobewertung zuständige Ausschuss der europäischen Zulassungsbehörde (PRAC) hat daher weitere Maßnahmen zur Risikominderung eines Natalizumab-Einsatzes beschlossen. Hierzu zählen unter anderem die Durchführung einer aktuellen MRT-Untersuchung und eines JC-Virus-Antikörpertestes vor Behandlungsbeginn. Für Patienten mit einem höheren PML-Risiko werden regelmäßige, etwa alle 3 bis 6 Monate stattfindende MRT-Untersuchungen zur möglichst frühzeitigen PMLDiagnose und Verbesserung der Überlebensraten der Betroffenen empfohlen (European Medicines Agency 2016). In einer aktuellen Übersichtsarbeit werden therapeutische Strategien für Patienten mit hohem PML-Risiko aufgezeigt, insbesondere intensives Monitoring, größeres Dosierungsintervall oder Wechsel zu einer alternativen Therapie (Sellner und Rommer 2019).
33.1.6
Fingolimod
Fingolimod wurde mit ähnlicher Indikation wie Natalizumab zur Eskalationstherapie bei Erwachsenen mit schubförmig verlaufender multipler Sklerose zugelassen. Der Arzneistoff ist ein Strukturanalogon von Sphingosin1-Phosphat und bindet dauerhaft an dessen Rezeptor. Die Bindung von Sphingosin-1Phosphat an seinen Rezeptor vermittelt mit dem Austritt von autoreaktiven Lymphozyten aus den Lymphknoten den ersten Schritt der Krankheitsausbildung. Durch die langandauernde Rezeptorbindung des aktiven Fingolimodmetaboliten kommt es in den Zellen des lymphatischen Gewebes zur Desensitisierung und Internalisierung des Rezeptors mit an-
660
33
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
schließendem intrazellulärem Rezeptorabbau. Damit entfällt das Austrittssignal der Lymphozyten aus den Lymphknoten. Im Gegensatz zu den anderen Arzneistoffen für die Eskalationstherapie der multiplen Sklerose ist Fingolimod oral verfügbar. Fingolimod reduziert im Vergleich zu einer Placebobehandlung während eines Behandlungszeitraums von 2 Jahren die Schubrate bei schweren Verläufen und erhöht auch den Anteil von Patienten ohne Fortschreiten der Behinderung (Kappos et al. 2010). Gegenüber intramuskulärem Interferon beta1a ergeben sich sowohl bei der Schubrate wie auch bei der Anzahl von Patienten ohne Schub in 12 Behandlungsmonaten Vorteile (Cohen et al. 2010). Unterschiede beim Fortschreiten von Behinderungen waren allerdings nicht zu erkennen. Die Langzeitverträglichkeit des Immunsuppressivums ist nicht hinreichend untersucht (La Mantia et al. 2016b), Einzelfallmeldungen zu plötzlichen Todesfällen nach Fingolimodeinnahme sind bekannt (Novartis Pharma GmbH 2013). Unter der Behandlung wurden unerwünschte kardiale Wirkungen wie AVÜberleitungsstörungen und Bradykardie beobachtet. Aus diesem Grund wurde nachträglich ein Warnhinweis in die Fachinformation eingefügt, Fingolimod möglichst nicht an Patienten mit kardiovaskulären Risiken wie solche mit Synkopen, QT-Verlängerung, ischämischer Herzkrankheit, oder Herzinsuffizienz zu verabreichen. Der Hersteller veröffentlichte einen Rote-Hand-Brief zu unerwünschten Wirkungen von Fingolimod auf das Immunsystem wie Basalzellkarzinome, opportunistische Infektionen, PML sowie zu Maßnahmen, die bestehenden Risiken zu vermindern (Novartis Pharma GmbH 2016). Fingolimod wirkt teratogen. Bei gebärfähigen Frauen ist daher eine sichere Kontrazeption obligat. Die frühe Nutzenbewertung von Fingolimod durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ergab 2012 gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nur in der Subgruppe der Patienten mit rasch fortschreitender schwerer schubförmig-remittierender multipler Sklerose einen geringen Zusatznutzen (Bundesmi-
nisterium für Gesundheit 2012a), der nach Ablauf der Befristung bestätigt wurde (Bundesministerium für Gesundheit 2015). Gegenüber Beta-Interferonen sinkt die jährliche Schubrate und grippeähnliche Symptome treten unter Fingolimod deutlich seltener auf. Dafür deuten die Studiendaten aber auch darauf hin, dass es unter Fingolimod etwas häufiger zu schweren unerwünschten Ereignissen kommen kann. Im Hinblick auf andere krankheitsbedingte Ereignisse, Behinderungsprogression, Aktivitäten des täglichen Lebens, die Lebenserwartung oder die Lebensqualität ergaben sich hingegen keine Unterschiede zwischen den Behandlungsregimes oder es lagen keine verwertbaren Daten für die Beurteilung vor. Für das 2015 neu zugelassene Anwendungsgebiet bei hochaktiver schubförmig-remittierend verlaufender multipler Sklerose trotz Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie ist ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie nicht belegt (Gemeinsamer Bundesausschuss 2016). Auch bei Patienten mit primär progredient verlaufender multiplen Sklerose hatte eine mindestens dreijährige Fingolimodbehandlung keinen positiven Effekt auf die Krankheitsprogression (Lublin et al. 2016). Insgesamt fehlen für Fingolimod valide direkte Vergleichsstudien, insbesondere solche zu relevanten Subgruppen. Auf Basis Biasanfälliger indirekter Vergleiche ist für Fingolimod bislang nur eine numerisch, statistisch aber nicht abgesichert günstigere jährliche Schubrate gegenüber Dimethylfumarat bei Patienten mit hochaktiver multipler Sklerose erkennbar. Gegenüber Natalizumab gibt es dagegen Hinweise auf eine geringer ausgeprägte schubreduzierende Wirksamkeit bei Patienten mit rasch fortschreitender schwerer Erkrankung (Huisman et al. 2017).
661 33.2 Symptomatische Therapie bei multipler Sklerose
33.1.7
Ocrelizumab
Ocrelizumab ist ein monoklonaler Antikörper gegen CD20 und bewirkt eine Depletion von CD20-positiven B Zellen. Der genaue Wirkmechanismus bei der MS ist bislang nicht vollständig geklärt. Die Zulassung für die Therapie der MS erfolgte 2018 für die Behandlung der aktiven schubförmigen MS (RMS) sowie der frühen (je nach Behinderungsgrad 10 bzw. 15 Jahre Erkrankungsdauer) aktiven primär progredienten MS (PPMS). Damit ist Ocrelizumab das erste Immuntherapeutikum mit Zulassung für die PPMS. Dabei ist die klinische Aktivität durch klinische Schübe sowie Behinderungsprogression charakterisiert und die MRT-Aktivität durch Zunahme von Läsionen oder Kontrastmittelanreicherung definiert. Die Gabe erfolgt i. v. mit je 300 mg im Abstand von 2 Wochen und dann Einmalgabe von 600 mg alle 6 Monate. Neben Infusionsreaktionen ist der Abfall der Immunglobuline im Langzeitverlauf (IgM > IgG) derzeit noch unklar. In den Zulassungsstudien zur schubförmigen MS war Ocrelizumab dem Interferon beta-1a in Bezug auf Schubrate und Behinderungsprogression ebenso wie in den MRT-Parametern überlegen (Hauser et al. 2017), so dass Ocrelizumab überwiegend als Eskalationstherapeutikum bzw. bei hochaktiver MS eingesetzt wird. Die Zulassungsstudie für die PPMS wurde die Behinderungsprogression im Vergleich zu Placebo leicht verzögert (Montalban et al. 2017). 2019 kam es zu einem sehr starken Anstieg des Einsatzes, was einerseits mit der relativ neuen Zulassung und der zunehmenden Erfahrung der Therapeuten zusammenhängt, aber auch mit positiven Erfahrungen mit anderen antiCD20 Antikörpern wie Rituximab. Auch wird Ocrelizumab als Alternative zu Natalizumab bei Patienten mit hohem PML-Risiko angesehen. Schließlich ist es bislang auch der einzige Arzneistoff, welcher für die PPMS zugelassen ist.
33.1.8
33
Cladribin
Cladribin wurde 2017 für die hochaktive schubförmige MS zugelassen. Cladribin ist ein Nukleosid-Analogon des Desoxyadenosins, welches intrazellulär zu 2-Chlordesoxyadenosin-50-triphosphat (CdATP) phosphoryliert wird. Eine hohe Expression der entsprechenden Kinasen in Lymphozyten führt zu einer Anreicherung von Cd-ATP in diesen Zellen, die dann apoptotisch werden. Der biologische Effekt ist lange andauernd, so dass die Einnahme von Cladribin in Tablettenform im ersten Jahr nur 2 5 Tage im Abstand von einem Monat beträgt. Die Dosierung ist körpergewichtsadaptiert. Im 2. Behandlungsjahr erfolgt dann eine identische Behandlung. Eine weitere Behandlung ist zunächst für weitere 2 Jahre nicht vorgesehen. Erste Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass ca. ein Drittel der Patienten in diesem Zeitraum jedoch nicht komplett stabil ist und auf eine andere Therapie umgestellt wird. Die wichtigste unerwünschte Wirkung ist die Lymphopenie, die letztlich aber auch den Wirkmechanismus darstellt. Aufgrund der einfachen Handhabung mit nur wenigen Behandlungstagen im Jahr sowie auch nur vergleichsweise wenigen erforderlichen Laborkontrollen hat die Verschreibung von Cladribin 2019 sehr stark zugenommen.
33.2
Symptomatische Therapie bei multipler Sklerose
In der symptomatischen Behandlung der multiplen Sklerose werden Muskelrelaxanzien mit unterschiedlichen Wirkungsmechanismen eingesetzt (. Tab. 33.2). Sie werden insgesamt mehr als fünfmal häufiger als die spezifischen Immuntherapeutika der multiplen Sklerose verordnet (. Tab. 33.1). Das liegt daran, dass die meisten Präparate auch bei anderen Indikationen zur Behandlung von Spastizität und Muskelverspannungen ange-
662
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
. Tabelle 33.2 Verordnungen von Muskelrelaxantien zur Behandlung der multiplen Sklerose 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Baclofen Baclofen dura
Baclofen
10,3
(C30,2)
0,62
Baclofen-ratiopharm
Baclofen
8,0
(22,9)
0,65
Lioresal
Baclofen
1,1
(7,3)
2,26
Baclofen-neuraxpharm
Baclofen
0,36
(17,5)
0,68
19,7
(0,7)
0,72
Botulinumtoxin Botox
Botulinumtoxin Typ A
44,5
(C5,1)
1,08
Dysport
Botulinumtoxin Typ A
31,4
(C1,9)
0,86
Xeomin
Botulinumtoxin Typ A
27,9
(1,9)
1,00
103,9
(C2,2)
0,99
Tizanidin Tizanidin TEVA
Tizanidin
3,5
(1,2)
0,90
Sirdalud
Tizanidin
3,3
(C4,6)
0,69
6,8
(C1,5)
0,80
Weitere Mittel
33
Fampyra
Fampridin
4,8
(C1,6)
6,93
Sativex
Nabiximols
2,1
(C17,0)
7,93
Dantamacrin
Dantrolen
0,69
(1,6)
1,85
7,5
(C5,1)
6,74
138,0
(C1,9)
1,26
Summe
wendet werden bzw. ein Patient gelegentlich auch mehrere dieser Arzneistoffe gleichzeitig erhält. Lediglich Fampridin und Nabiximols sind ausschließlich für die Behandlung von Patienten mit multipler Sklerose zugelassen. Die symptomatische Therapie Behandlung der Spastik erfordert vor allem eine konsequente Physiotherapie und nur bei nicht ausreichender Wirkung eine zusätzliche Arzneitherapie mit gut untersuch-
ten Arzneistoffen (Übersicht bei Henze et al. 2017).
33.2.1
Fampridin
Fampridin ist als Rezeptursubstanz eine seit 30 Jahren eingesetzte therapeutische Option zur symptomatischen Behandlung der multi-
663 33.2 Symptomatische Therapie bei multipler Sklerose
33
9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol standardisiert ist. Das Präparat verzeichnete 2019 gegenüber dem Vorjahr einen deutlichen Verordnungszuwachs (. Tab. 33.2). Nabiximols kann als Zusatztherapeutikum im Rahmen eines Therapieversuchs zur Symptomverbesserung bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Spastik aufgrund einer multiplen Sklerose angewendet werden, die auf therapeutische Alternativen nicht ausreichend angesprochen haben. Das Spray unterliegt der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung. Gemäß Fachinformation sollte die Behandlung nach einem vierwöchigen Anfangstherapieversuch beendet werden, wenn keine klinisch erhebliche Verbesserung der Symptome beobachtet wird. Die therapeutische Wirksamkeit des Cannabisextrakts war lange Zeit umstritten. Etwa 40 von 100 Patienten sprechen danach auf die Therapie mit Nabiximols an (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2014). Für das zugelassene Indikationsgebiet liegt eine Studie an 572 Patienten vor (Novotna et al. 2011). Von diesen wurden 241 Personen nach Anfangsbehandlung mit Sativex zusätzlich zur bestehenden Vortherapie als Responder randomisiert, von denen 74 % auch nach weiteren 12 Behandlungswochen mit Sativex noch eine deutliche Verbesserung der Spastik verspürten im Vergleich zu 51 % unter Placebo. Aus den Studienangaben geht nicht hervor, wie hoch der Anteil der Patienten lag, die im Vorfeld eine individuell optimierte muskelrelaxierende Behandlung erhalten hatten. Die frühe Nutzenbewertung ergab daher für Sativex lediglich einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2012b). Dieser Beschluss war auf die Dauer von 3 Jahre befristet und wurde in den Folgejahren jeweils um ein weiteres Jahr verlängert. Aktuelle Reviews beschreiben die widersprüchlichen Ergebnisse zum Einsatz von Cannabinoiden bei Patienten mit multipler Sklerose und fordern weitere qualitati33.2.2 Nabiximols ve hochwertige Studien, um den therapeutischen Stellenwert besser einschätzen zu könNabiximols ist ein Dickextrakt aus Cannabis nen (Behm und Morgan 2018; Herzog et al. sativa (Sativex), der auf ein Gemisch aus Delta- 2018).
plen Sklerose. Es wirkt als Kaliumkanalblocker. Man nimmt an, dass auf diesem Weg die Impulsübertragung entlang der geschädigten Nerven erleichtert wird. In zwei Phase-IIIStudien verbesserte Fampridin die Gehzeit einer normierten Gehstrecke von 7,5 Metern im Vergleich zu Placebo signifikant, allerdings um weniger als eine Sekunde (10,8 versus 11,6 s bzw. 10,2 versus 10,5 s) (Goodman et al. 2009, 2010). Auch eine Untersuchung an rund 130 Patienten gibt Hinweise auf eine Beschwerdebesserung unter Fampridin im Vergleich zu einer Scheinbehandlung (Hupperts et al. 2016). Eine aktuelle Übersichtsarbeit ergab nur eine begrenzte Evidenz für eine Verbesserung der Gehfähigkeit durch Fampridin. Die Patientenrelevanz dieser Ergebnisse ist nicht geklärt und die Responderrate lag im Schnitt unter 40 % (Behm und Morgan 2018), so dass bei jedem Patienten das individuelle Ansprechen einer zweiwöchigen Therapie Ausschlag über die weitere Therapie geben sollte. Die frühe Nutzenbewertung ergab wegen nicht ausreichender Studiendaten keinen Beleg für einen Zusatznutzen von Fampridin im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (Krankengymnastik) (Bundesministerium für Gesundheit 2012c). In den Preisverhandlungen wurde daher der Listenpreis von Fampyra auf die Therapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie gesenkt (GKV-Spitzenverband und Biogen Idec GmbH 2013). Auch die Verträglichkeit des Kaliumkanalblockers bei Daueranwendung ist noch nicht zufriedenstellend abschätzbar. Insbesondere erfordert sein epileptogenes Potential eine weitere sorgfältige Beobachtung (European Medicines Agency 2011). In einer aktuellen Übersichtsarbeit werden die therapeutischen Möglichkeiten und Limitationen von Fampridin kritisch diskutiert (Albrecht et al. 2018).
664
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
Da die THC-Inhaltsstoffe psychotrope Wirkungen haben, darf Sativex nicht bei Patienten mit einer Disposition für Schizophrenie, andere Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen angewendet werden. Mit steigender Dosierung von Sativex dürfte sich auch die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung oder Abhängigkeit erhöhen. Bei den unerwünschten Wirkungen stehen Schwindel, Müdigkeit, Gleichgewichts- und Gedächtnisstörungen im Vordergrund, aber auch gastrointestinale Nebenwirkungen wie schmerzhafte Mundschleimhaut, Übelkeit und Diarrhö können vorkommen.
33.2.3
33
Botulinumtoxin
Gemessen an den verordneten Tagesdosen steht das parenteral verabreichte Botulinumtoxin Typ A an der Spitze aller Muskelrelaxanzien (. Tab. 33.2). Der Wirkstoff verhindert die periphere Acetylcholinfreisetzung an den präsynaptischen Nervenendigungen und führt damit zu einer langandauernden Hemmung der neuromuskulären Übertragung, was bei regional begrenzter Anwendung eine länger andauernde Wirkung garantiert (Übersicht bei Jankovic 2017). Botulinumtoxin wird für die Behandlung zahlreicher neurologischer Störungen mit spastisch gestörter Muskelkontraktion eingesetzt (fokale Spastizität bei infantiler Zerebralparese und Schlaganfallpatienten, Blepharospasmus, hemifazialer Spasmus, zervikale Dystonie), aber auch für die Behandlung der chronischen Migräne und von Blasenfunktionsstörungen (idiopathische überaktive Blase, neurogene Detrusorhyperaktivität). Als einziges der drei gelisteten Botulinumtoxinpräparate ist Botox speziell bei Harninkontinenz mit neurogener Detrusorhyperaktivität infolge multipler Sklerose zugelassen. Nach einem Cochrane-Review ist Botulinumtoxin eine wirksame Therapie für refraktäre Symptome der überaktiven Blase, wenn auch relativ wenig kontrollierte Daten im Vergleich mit an-
deren Interventionen vorliegen (Duthie et al. 2011). Insbesondere zur Langzeitanwendung und in Bezug auf die Therapiesicherheit werden von den Autoren noch valide kontrollierte Untersuchungen gefordert. Vor der ersten Gabe von Botulinumtoxin sollten die Patienten in der sicheren Selbstkatheterisierung geschult sein, da unter der Medikation das Risiko für Restharn und Harnverhalt steigt (Schurch und Carda 2014).
33.2.4
Baclofen
Baclofen ist zur Behandlung der Spastizität der Skelettmuskulatur bei multipler Sklerose und weiteren neurologischen Krankheiten zugelassen. Das zentralwirksame GABA-Derivat vermindert den Tonus der Skelettmuskulatur durch Veränderung der neuronalen Übertragungsraten in den absteigenden und segmental-spinalen, polysynaptischen Neuronensystemen. Typische Nebenwirkung ist die Sedierung, was vor allem den Einsatz bei berufstätigen Personen einschränkt. Klinische Studien zeigen eine Verbesserung der Symptomatik gegenüber Placebo. Insbesondere weil direkte Vergleichsstudien zu anderen Myotonolytika fehlen, ist die Beleglage aber verbesserungsbedürftig (Shakespeare et al. 2003; Otero-Romero et al. 2016).
33.2.5
Tizanidin
Tizanidin ist wie Clonidin ein ’2 -Adrenozeptoragonist, der sedierende und hypotensive unerwünschte Wirkungen hat. In mehreren placebokontrollierten Studien zeigte Tizanidin eine muskelrelaxierende Wirksamkeit bei Patienten mit multipler Sklerose und Rückenmarksverletzungen (Übersicht bei Malanga et al. 2008). Es gilt daher als sinnvolle Alternative zu Baclofen bei Patienten mit spinal bedingter Spastizität (Chou et al. 2004; Otero-Romero et al. 2016).
665 33.2 Symptomatische Therapie bei multipler Sklerose
33.2.6
Andere Muskelrelaxanzien
Weitere Muskelrelaxanzien sind nicht explizit für die Behandlung der multiplen Sklerose zugelassen, werden aber zumindest teilweise in einer Leitlinie für diese Indikation genannt (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2014). Bei all diesen Wirkstoffen ist die Beleglage unzureichend. In einer neueren Übersichtsarbeit zur Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose werden sie nicht mehr erwähnt (Henze et al. 2017). Hinzukommen bei Tolperison sind Sicherheitsrisiken, die bereits früher beschrieben wurden (vgl. Kapitel Muskelrelaxanzien, Arzneiverordnungs-Report 2013). Methocarbamol ist ein zentral wirkendes Myotonolytikum mit sedierenden und anxiolytischen Eigenschaften, das zur symptomatischen Behandlung schmerzhafter Muskelverspannungen zugelassen ist. Trotz häufiger und weiter steigender Verordnung (. Tab. 33.3) sind die Nutzenbelege für Methocarbamol bei Muskelverspannungen im Vergleich zu Placebo inkonsistent und es fehlen Vergleiche mit Standardtherapeutika (Chou et al. 2004). In einer aktuellen randomisierten Untersuchung zur akuten Beschwerdelinderung bei nicht-traumatischer und nicht-radikulärer Lumbalgie hat die kombinierte Anwendung von Naproxen mit einem Muskelrelaxans (Methocarbamol oder Orphenadrin) keinen Zusatznutzen gegenüber der alleinigen Gabe des Cyclooxygenase-Inhibitors (Friedman et al. 2018). Hinzu kommen insbesondere bei älteren Menschen Verträglichkeitsprobleme mit einem erhöhten Unfallrisiko aufgrund von Müdigkeit und Verwirrtheit (Spence et al. 2013). Umso weniger verständlich ist die deutliche Zunahme der Verschreibungen im Vergleich zum Vorjahr. Tolperison wird seit über 50 Jahren als zentralwirkendes Myotonolytikum angewendet, wurde aber nur in wenigen placebokontrollierten Studien untersucht (Übersicht bei Quasthoff et al. 2008). Nach zahlreichen Berichten über schwere allergische Reaktionen wurde Tolperison einer Neubewertung unterzogen, die nur bei neurologischen Krankhei-
33
ten mit Spastizität eine moderate Verbesserung der Spastik durch Tolperison im Vergleich mit Placebo (32 % versus 14 %) ergab (European Medicines Agency 2013). Als Konsequenz dieses Verfahrens wurde die bis dahin breite Zulassung von Tolperison (schmerzhafte Muskelverspannungen, insbesondere als Folge von Erkrankungen der Wirbelsäule und der achsennahen Gelenke) auf die symptomatische Behandlung der Spastizität nach einem Schlaganfall eingeschränkt (European Medicines Agency 2013). Nach einem CochraneReview zeigte Tolperison auch bei dieser Indikation ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wirkungen (Lindsay et al. 2016). Im Vergleich zum Vorjahr gingen die Verordnungen 2019 merklich zurück (. Tab. 33.3). Chininsulfat (Limptar N) ist zur Therapie und Prophylaxe nächtlicher Wadenkrämpfe zugelassen, wenn diese sehr häufig auftreten und mit besonders schmerzhaft sind. Nach einem Cochrane-Review über 23 Studien mit 1.586 Teilnehmern senkte Chinin im Vergleich zu Placebo die Anzahl der Krämpfe über zwei Wochen um 28 % und die Intensität der Krämpfe um 10 % (El-Tawil et al. 2015). Das Präparat ist ein preisgünstiges Muskelrelaxans, das häufig und 2019 weiter zunehmend verordnet wurde (. Tab. 33.3). Dies ist in Anbetracht der potentiell schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen bei moderater Wirkung nicht nachvollziehbar. Die 2015 erfolgte Unterstellung unter die Verschreibungspflicht geht auf ein Stufenplanverfahren der deutschen Zulassungsbehörde zur Abwehr von Arzneimittelgefahren zurück (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte 2015). Unter der Einnahme von Chininsulfat treten in seltenen Fällen schwerwiegende Nebenwirkungen wie Thrombozytopenien, Herzrhythmusstörungen, schwere Hautreaktionen wie Stevens-JohnsonSyndrom sowie Sehstörungen und Tinnitus auf. Das seit Anfang der 1960er Jahre im Handel befindliche Orphenadrin ist ein zentral wirkender Muscarinrezeptorantagonist. Es besitzt oral wie auch parenteral bei Erwachsenen eine Zulassung zur Behandlung schmerzhaf-
666
Kapitel 33 Pharmakologische Behandlung der multiplen Sklerose
. Tabelle 33.3 Verordnungen von weiteren Muskelrelaxantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Methocarbamol Ortoton/-forte
Methocarbamol
20,1
(11,4)
2,18
Methocarbamol AL
Methocarbamol
2,8
(Neu)
1,96
Methocarbamol-neuraxpharm
Methocarbamol
1,7
(C129,3)
2,09
Dolovisano Methocarbamol
Methocarbamol
0,42
(23,2)
2,05
25,0
(C4,4)
2,14
Tolperison Tolperison HCL AL
Tolperison
4,2
(2,7)
1,14
Tolperison HCL dura
Tolperison
1,8
(11,0)
1,21
Mydocalm
Tolperison
0,46
(C92,2)
1,16
Tolperison HCL neuraxpharm
Tolperison
0,41
(24,0)
1,13
6,9
(3,5)
1,16
21,5
(C8,8)
0,52
Andere Muskelrelaxantien Limptar N
Chininsulfat
Myopridin
Pridinol
1,7
(C250,2)
2,45
Myditin
Pridinol
1,6
(Neu)
2,63
Norflex
Orphenadrin
0,68
33 Summe
ter Muskelverspannungen. Die therapeutische Wirksamkeit von Orphenadrin ist nur unzureichend belegt (Chou et al. 2004). Nach einer aktuellen randomisierten Untersuchung kann auch die kombinierte Anwendung mit einem peripher wirkenden Analgetikum die Beschwerden bei akuten Kreuzschmerzen nicht besser lindern als die alleinige Anwendung des Schmerzmittels (Friedman et al. 2018). Als Nebenwirkungsprofil werden mit Müdigkeit, Beeinträchtigung des Denkvermögens, Mundund Augentrockenheit und Harnverhalt für Orphenadrin typische antimuscarinerge Störwirkungen beschrieben.
(0,1)
0,97
25,5
(C21,8)
0,79
57,4
(C10,3)
1,43
Vom Mechanismus her ähnlich einzuordnen wie Orphenadrin ist Pridinol, das seit 1960 als Muskelrelaxans (Lyseen-Hommel, Parks 12, Myoson) angewendet wurde. Schon bei der Markteinführung von Myoson lagen nach einer Medline-Recherche keine kontrollierten Studien für die beanspruchten Indikationen vor (Arzneiverordnungs-Report 2000, Kap. 39 Muskelrelaxantien). Als fiktiv zugelassenes Arzneimittel war es nicht erstattungsfähig und verschwand nach jahrelangen Verordnungsrückgängen schließlich vom Markt. Im Dezember 2017 wurde Pridinol unter einem neuen Handelsnamen (Myopridin) für mehrere
667
33
Literatur
Indikationen (zentrale und periphere Muskelspasmen, Lumbalgie, Torticollis, allgemeine Muskelschmerzen) zugelassen. Ein Jahr später wurde im Deutschen Ärzteblatt (2019) über die Zulassung eines weiteren Pridinolpräparates (Myditin) berichtet, für das eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Muskelkrämpfen in 29 Studien bestätigt wurde. Allerdings wurden die Studien bisher nicht publiziert und auf Nachfrage von der Herstellerfirma auch nicht zur Verfügung gestellt (ArzneiTelegramm 2020). Umso erstaunlicher ist es, dass die Verordnungszahlen für Pridinol im letzten Jahr um fast das Siebenfache zugenommen haben. Marketing-Aspekte scheinen hierbei eine wesentliche größere Rolle zu spielen als wissenschaftliche Evidenz.
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Onkologika Wolf-Dieter Ludwig und Ulrich Schwabe
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Das höchste Verordnungsvolumen unter den Onkologika haben weiterhin Hormonantagonisten zur Behandlung des Mammakarzinoms und des Prostatakarzinoms, auf die 65 % der definierten Tagesdosen (DDD) entfallen. An zweiter Stelle stehen die klassischen Zytostatika mit der führenden Gruppe der Antimetabolite, was vor allem auf den häufigen Verordnungen von 5-Fluorouracil beruht. Als nächste Gruppen folgen monoklonale Antikörper und Proteinkinaseinhibitoren. Führende Gruppen der monoklonalen Antikörper sind weiterhin die HER2-Antikörper zur Behandlung des HER2-positiven Mammakarzinoms gefolgt von Antikörpern gegen PD-1-Rezeptoren und PD-L1-Liganden, die für ein stetig wachsendes Spektrum von onkologischen Indikationen zugelassen sind. Führende Vertreter der Proteinkinaseinhibitoren sind die CDK4/6-Inhibitoren für die Behandlung des hormonrezeptorpositiven, fortgeschrittenen Mammakarzinoms, obwohl die Nutzenbewertung bisher keinen Zusatznutzen ergeben hat. Weitere Proteinkinaseinhibitoren werden zur Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie, der chronischen lymphatischen Leukämie, der primären Myelofibrose, des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms, des Nierenzellkarzinoms, des Melanoms, des kolorektalen Karzinoms und des Mammakarzinoms eingesetzt.
Kosten Onkologika sind 2019 mit 8,2 Mrd. C die mit Abstand umsatzstärkste Indikationsgruppe des GKV-Arzneimittelmarktes. Die höchsten Kosten verursachen monoklonale Antikörper (3,2 Mrd. C), gefolgt von Proteinkinaseinhibitoren (2,0 Mrd. C) und Hormonantagonisten (1,1 Mrd. C). Deutlich geringere Kosten entfallen auf die einzelnen Wirkstoffklassen der klassischen Zytostatika.
In der medikamentösen Tumortherapie werden zahlreiche Wirkstoffklassen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen eingesetzt. Die wichtigsten Gruppen der Onkologika sind Zytostatika, Hormone, Hormonantagonisten und zahlreiche Arzneimittel für sog. zielgerichtete Therapien, zu denen vor allem Proteinkinaseinhibitoren, monoklonale Antikörper und immunonkologische Therapien, wie Checkpoint-Inhibitoren und Arzneimittel für neuartige Therapien wie CAR-T-Zellen gehören (June und Sadelain 2018; Tang et al. 2018; Falzone et al. 2018). Zytostatika waren die ersten Arzneimittel, die vor mehr als 70 Jahren die Ära der antineoplastischen Chemotherapie einleiteten (DeVita und Rosenberg 2012). Auch heute sind sie weiterhin häufig angewendete Arzneimittel in der Krebstherapie. Durch ihren Einsatz als Monotherapie, vor allem aber in empirisch entwickelten Polychemotherapien, wurden große Fortschritte in der Behandlung von hämatologischen Neoplasien (z. B. akute Leukämien, maligne Lymphome) erzielt.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_34
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Kapitel 34 Onkologika
Auch bei fortgeschrittenen soliden Tumoren werden heute mit alleiniger Polychemotherapie Heilungen erzielt, so beispielsweise bei Keimzell- bzw. Hodentumoren. Darüber hinaus sind Zytostatika weiterhin ein unverzichtbarer Bestandteil im Rahmen (neo-)adjuvanter multimodaler Therapiestrategien – meist in Kombination mit operativen und strahlentherapeutischen Verfahren. Zu den klassischen Zytostatika zählen vor allem alkylierende Substanzen, Antimetabolite, Alkaloide und sonstige Naturstoffe (z. B. Podophyllotoxinderivate, Taxane), Anthrazykline, Platinverbindungen, Camptothecinderivate sowie sonstige Wirkstoffe (z. B. Bleomycin, Mitomycin). Die Nebenwirkungen der Zytostatika resultieren aus ihren pharmakologischen Wirkungen (z. B. zytotoxische Effekte durch Beeinträchtigung der DNS-, RNS- oder Proteinsynthese; Hemmung der Zellteilung; Auslösung von Apoptose). Da die zytostatische Wirkung unspezifisch ist und auch schnell proliferierende normale Zellen schädigt, betreffen früh auftretende Nebenwirkungen vor allem das Knochenmark (Myelosuppression mit infektiösen Komplikationen) sowie Schleimhautschäden im Bereich der Mundhöhle und des Gastrointestinaltrakts (z. B. Stomatitis, Mukositis, Diarrhö). Zytostatika gehören zu den Arzneimitteln mit der geringsten therapeutischen Breite und bei Überdosierung besteht die Gefahr vermehrter, mitunter lebensbedrohlicher Nebenwirkungen. Große Fortschritte auf dem Gebiet der Grundlagenforschung – vor allem in den beiden letzten Jahrzehnten – waren Voraussetzung für ein besseres Verständnis der (molekular-) genetischen Heterogenität von Tumorerkrankungen und ermöglichten die Einteilung von morphologisch bzw. histologisch homogen erscheinenden Tumorerkrankungen in klinisch relevante Subgruppen (Vogelstein et al. 2013). Dadurch wurde die Entwicklung neuer Wirkstoffe ermöglicht, die sich genauer gegen molekulare Mechanismen richten, die für die Pathogenese der Tumorentstehung und des Tumorwachstums wichtig sind (Hanahan und Weinberg 2011; Hanahan 2014), und gleichzeitig eine neue Ära in der medikamentösen
Behandlung von Tumorerkrankungen einleiteten (Dobbelstein und Moll 2014). Hierzu zählen neben neuartigen Hormonantagonisten vor allem Proteinkinaseinhibitoren, die charakteristische, das Tumorwachstum beeinflussende Merkmale (z. B. Onkoproteine, resultierend aus Mutationen oder Überexpression) ausschalten sollen, sowie monoklonale Antikörper, die heute teilweise in Kombination mit zytotoxischen Wirkstoffen als AntikörperWirkstoff-Konjugate (Scott et al. 2012; Thomas et al. 2016) eingesetzt werden. Außerdem stehen inzwischen verschiedene Immuntherapien zur Verfügung, wie beispielweise monoklonale Antikörper, bispezifische T-Zell-aktivierende Antikörper (z. B. Blinatumomab) (Kantarjian et al. 2017) und als erste Vertreter neuartiger Therapien CAR-TZellen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 2, Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel in Europa, Abschn. 2.2.4), die in klinischen Studien bei einigen hämatologischen Neoplasien und inzwischen auch bei soliden Tumoren erfolgreich eingesetzt werden (June und Sadelain 2018). Grundlage dieser neuen therapeutischen Prinzipien in der Onkologie sind große Fortschritte im Verständnis der Funktion tumorreaktiver T-Lymphozyten im Rahmen der Tumorimmunologie und der Nachweis von Tumorrückbildung durch Checkpoint-Inhibitoren. Als Zielstrukturen werden derzeit vor allem das „cytotoxic Tlymphocyte antigen 4“ (CTLA-4), der „Programmed (Cell) Death“-1 (PD-1)-Rezeptor und PD-Ligand 1 (PD-L1) therapeutisch genutzt (Kobold et al. 2015; Marin-Acevedo et al. 2018). Diese neuartigen Immuntherapien haben teilweise jedoch auch schwere Nebenwirkungen, die vor allem durch die nicht gegen Tumorzellen, sondern gegen körpereigene Strukturen gerichtete Aktivierung des Immunsystems erklärt werden (Puzanov et al. 2017; Wang et al. 2018; Baraibar et al. 2019). Durch die Kombination von Wirkstoffen mit unterschiedlichen Angriffspunkten (z. B. Zytostatika plus monoklonale Antikörper oder Proteinkinaseinhibitoren; Checkpoint- plus Proteinkinaseinhibitoren) sollen synergistische anti-
673 34.1 Verordnungsspektrum
neoplastische Wirkungen erzielt, Resistenzentwicklungen verzögert und unerwünschte zytotoxische Wirkungen reduziert werden (Wilson et al. 2017; Marin-Acevedo et al. 2018). Die Entwicklung einer Vielzahl neuer „zielgerichteter“ Wirkstoffe sowie die Identifizierung von prädiktiven Biomarkern (Lyman und Moses 2016), die das Ansprechen individueller Patienten auf spezielle Wirkstoffe vorhersagen, haben dazu beigetragen, dass heute die Onkologie eine Vorreiterrolle in der Präzisionsmedizin einnimmt (Collins und Varmus 2015; Tannock und Hickman 2016; Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2019). Das Potenzial der Onkologika wird auch daran erkennbar, dass sie seit vielen Jahren die größte und umsatzstärkste Arzneimittelgruppe unter den jährlichen Neuzulassungen bilden (IQVIA 2019; Mullard 2020). Unter den 31 neuen Arzneimitteln des Jahres 2019 sind die Onkologika mit 12 neuen Wirkstoffen vertreten (7 Kap. 2, . Tab. 2.1). Zusätzlich wurden 2019 auch noch für bereits eingeführte Arzneimittel 25 neue onkologische Indikationen zugelassen (7 Kap. 2, . Tab. 2.9).
34.1
Verordnungsspektrum
Die Auswertung der Verordnungen von Onkologika zeigt schon in der Übersicht einige bemerkenswerte Ergebnisse. Für GKV-Patienten wurden 2019 insgesamt nur 7,4 Mio. Verordnungen von Onkologika und damit nur 1,1 % aller verordneten Arzneimittel des GKVArzneimittelmarktes ausgestellt (. Tab. 34.1). Andererseits verursachen die Onkologika mit 8,2 Mrd. C und einem Umsatzanteil von 18,7 % die höchsten Kosten des GKV-Arzneimittelmarktes (. Tab. 34.1). Sie liegen damit deutlich höher als die Kosten der Immunsuppressiva (5,64 Mrd. C), Antithrombotika (2,64 Mrd. C) und Antidiabetika (2,60 Mrd. C) (7 Kap. 1, Arzneiverordnungen 2019 im Überblick, . Tab. 1.2). Die Zusammenstellung der einzelnen Arzneimittelgruppen der Onkologika zeigt, dass
34
die traditionellen Hormonantagonisten, die vor allem beim Mammakarzinom und Prostatakarzinom eingesetzt werden, das höchste Verordnungsvolumen mit 162 Mio. DDD haben (. Tab. 34.1). Wesentlich geringere DDD-Volumina zeigen alle übrigen onkologischen Arzneimittel (. Abb. 34.1). Verordnungsstärkste Gruppe der klassischen Zytostatika sind die Antimetabolite, was vor allem auf den häufigen Verordnungen von 5-Fluorouracil beruht. Monoklonale Antikörper und Proteinkinaseinhibitoren sind 2019 mit deutlichem Abstand die umsatzstärksten Onkologika. Die seit langem angewendeten Hormonantagonisten und klassische Zytostatika weisen dagegen trotz teilweise sehr viel höherer DDD-Volumina geringere Nettokosten auf (. Tab. 34.1). Eine Untersuchung der in den USA zwischen 2009 und 2013 von der FDA zugelassenen Onkologika ergab keine Korrelation zwischen Innovationsgrad bzw. klinischem Nutzen und den Preisen, die von pharmazeutischen Unternehmern bei Markteintritt für die neuen Wirkstoffe verlangt werden (Mailankody und Prasad 2015). Daraus wurde gefolgert, dass die derzeitige Preispolitik bei Onkologika nicht rational ist, sondern vor allem widerspiegelt, was der Markt bereit ist zu zahlen. Die fehlende Korrelation zwischen klinischem Nutzen und Preis von Onkologika wurde kürzlich auch für Onkologika in Europa nachgewiesen, wobei allerdings die Preise in den USA für Onkologika weiterhin deutlich höher sind als in Europa (Vokinger et al. 2020). Die Verordnungsdaten der Onkologika des Jahres 2019 werden auf der Basis einer Vollerfassung von 7,4 Mio. Verordnungen mit mehr als 100.000 definierten Tagesdosen (DDD) pharmakologisch-therapeutisch analysiert. Seit 2014 werden die Verordnungsdaten der Onkologika als Fertigarzneimittel und Rezepturarzneimittel gemeinsam dargestellt. Ein besonderes Merkmal der Onkologika ist die Tatsache, dass über 50 % der Nettokosten auf Rezepturarzneimittel für die intravenöse Infusion entfallen, die zeitnah zur Anwendung hergestellt werden müssen. Die Berechnung der angegebenen Nettokosten erfolgte mit den zwischen
674
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.1 Verordnungen von Onkologika 2019. Angegeben sind Gesamtverordnungen, definierte Tagesdosen (DDD) und Nettoumsatz 2019 Arzneimittelgruppe
Verordnungen
Änderung DDD
Änderung Nettoumsatz
Änderung
Mio.
%
%
%
Mio
Mio. Euro
Alkylanzien
0,3
7,3
3,8
3,8
110,7
7,3
Antimetabolite
1,0
5,0
20,2
1,6
381,2
4,5
Platinverbindungen
0,3
5,0
4,8
0,4
56,8
12,5
Anthracycline
0,1
13,9
2,2
6,9
45
11,7
Topoisomerasehemmstoffe
0,2
4,9
1,7
0,5
53,8
11,8
Taxane
0,4
4,9
5,1
4,1
162,2
11,3
Vincaalkaloide
0,1
8,7
0,6
8,8
30,1
4,8
Onkologika für Multiples Myelom
0,2
4,2
3,2
8,0
808,3
12,0
Proteinkinaseinhibitoren
0,5
17,3
13,5
14,5
2.015,7
12,2
Monoklonale Antikörper
2,1
3,3
19,2
11,6
3.192,8
15,3
Hormonantagonisten
1,9
3,5
2,5
1.063,1
10,9
Weitere Zytostatika
0,4
6,5
11,3
4,5
286,7
24,9
Summe
7,4
1,6
247,8
3,3
8.206,4
12,1
Anteil am GKV-Arzneimittelmarkt
1,1
GKV-Arzneimittelmarkt
162
0,6
690,1
18,7
43.924
43.859,4
25 2018
34
2019 20,5 20,2
20
19,2 17,0
(Mio. DDD)
15 11,8 10,1 10
5
5,4 5,1
4,9 4,8 3,9 3,8 2,4 2,2
1,7 1,7
0 Alkylanzien
Platinverbindungen
Anthrazykline
TopoisomeraseHemmstoffe
Antimetabolite
Taxane
Proteinkinaseinhibitoren
. Abb. 34.1 Verordnungen von Onkologika 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
Monoklonale Antikörper
675 34.2 Zytostatika
GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband vereinbarten Abrechnungspreisen der Apothekenzuschläge für Zubereitungen aus Stoffen der Arzneimittelpreisverordnung (§ 5 Abs. 4 und 5 AMPreisV). Dabei wurden auch weitere Bestandteile der Rezepturen (Trägerlösungen, Behältnisse, weitere Hilfsmittel) und die in der Arzneimittelpreisverordnung ausgewiesenen Apothekenaufschläge für die verschiedenen parenteralen Lösungen berücksichtigt. In einigen Fällen ohne vereinbarte Abrechnungspreise wurden ersatzweise der Apothekeneinkaufspreis verwendet oder ggf. ein von der abrechnenden Apotheke niedrigerer angegebener Preis.
34.2 34.2.1
Zytostatika Alkylanzien
Alkylanzien sind die am längsten bekannten Zytostatika und weiterhin ein wichtiger Bestandteil zahlreicher Polychemotherapien. Sie werden auch eingesetzt im Rahmen der Hochdosis-Chemotherapie bzw. Konditionierung vor autologer bzw. allogener Stammzelltransplantation. Es handelt sich um eine chemisch sehr heterogene Wirkstoffklasse, die als hochreaktive Verbindungen eine Alkylierung der DNS bewirken und über die resultierende DNS-Quervernetzung die Zellteilung blockieren. Trotz inzwischen verschiedener medikamentöser Alternativen zur Chemotherapie hat das Verordnungsvolumen der Alkylanzien 2019 nur wenig abgenommen (. Tab. 34.2). Ein klassischer Vertreter ist Cyclophosphamid (Endoxan) (. Tab. 34.2), das seit 50 Jahren essenzieller Bestandteil zahlreicher Kombinationsschemata der zytostatischen Polychemotherapie bei hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren ist. Der Wirkstoff hat auch immunsuppressive Eigenschaften und wird in niedrigeren oralen Dosen bei schweren Autoimmunkrankheiten sowie bei progredienten Formen der Lupusnephritis und der Wegener-Granulomatose eingesetzt.
34
Temozolomid ist ein neueres alkylierendes Zytostatikum aus der Gruppe der Triazenanaloga zur Behandlung des Glioblastoma multiforme und des anaplastischen Astrozytoms. Es hat eine hohe orale Bioverfügbarkeit von 96 %, passiert rasch die Bluthirnschranke und erreicht im Liquor ca. 30 % der Plasmaspiegel. Die Kombination von Temozolomid mit einer Strahlentherapie erhöhte bei Patienten mit erstmals diagnostiziertem Glioblastom die mittlere Überlebenszeit auf 14,6 Monate im Vergleich zu 12,1 Monaten bei alleiniger Strahlentherapie, ohne dass die Toxizität wesentlich anstieg (Stupp et al. 2005). Die Zweijahresüberlebensrate liegt allerdings auch unter Einbeziehung von Temozolomid nur im Bereich von 8–26 % (Nagasawa et al. 2012). In der Behandlung des malignen Astrozytoms bei älteren Patienten war Temozolomid einer Strahlentherapie hinsichtlich des Gesamtüberlebens nicht unterlegen (Wick et al. 2012). Ein weiterer klassischer Vertreter der Alkylanzien ist Melphalan (Alkeran), das ebenso wie Cyclophosphamid und Chlorambucil zu den Stickstofflost-Derivaten gehört, und wie alle Stickstofflost-Derivate auch immunsuppressiv und karzinogen wirkt. Es wurde bereits 1964 von der Food and Drug Administration (FDA) zur oralen Behandlung des multiplen Myeloms in niedriger Dosis zugelassen. Die parenterale Verabreichung in höheren Dosen erfolgt heute im Rahmen der Hochdosis-Chemotherapie gefolgt von autologer Stammzelltransplantation. Bei älteren Patienten wird die orale oder parenterale Therapie mit Melphalan in konventioneller Dosierung heute häufig in Kombination mit immunmodulatorisch wirkenden Arzneimitteln (z. B. Thalidomid, Lenalidomid) oder Proteasominhibitoren (z. B. Bortezomib) verordnet (Gerecke et al. 2016; Moreau 2017). Mitomycin, ein alkylierendes Antibiotikum, ist als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Zytostatika zur palliativen Therapie eines breiten Spektrums fortgeschrittener Tumoren im Gastrointestinaltrakt zugelassen (z. B. kolorektales Karzinom, Leberzellkarzinom) (Übersicht bei Hofheinz et al. 2008).
676
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.2 Verordnungen von Alkylanzien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cyclophosphamid Endoxan
Cyclophosphamid
0,38
(8,9)
16,85
Cyclophosphamid HEXAL
Cyclophosphamid
0,20
(C0,8)
23,95
0,58
(5,8)
19,28
Temozolomid Temozolomid Accord
Temozolomid
0,43
(3,6)
65,22
Temomedac
Temozolomid
0,20
(14,1)
64,83
0,64
(7,2)
65,10
Mitomycin Mitomycin medac/Mito medac
Mitomycin
0,51
(3,8)
26,54
Urocin Apogepha
Mitomycin
0,12
(C12,6)
32,01
0,62
(1,1)
27,56
Weitere Alkylanzien
34
Cecenu
Lomustin
0,48
(C8,0)
2,68
Alkeran
Melphalan
0,14
(C1,6)
2,09
Leukeran
Chlorambucil
0,13
(16,2)
2,02
Bendamustin medac
Bendamustin
0,12
(C8,1)
28,11
Bendamustin Accord
Bendamustin
0,11
(C21,3)
28,26
0,98
(C4,4)
8,49
0,10
(C0,3)
13,61
2,9
(1,7)
27,20
Uroprotektor Uromitexan
Mesna
Summe
Darüber hinaus wird es auch in der Gynäkologie (Mammakarzinom, Zervixkarzinom), beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom und bei Kopf-Hals-Tumoren eingesetzt. Bendamustin, ebenfalls ein StickstofflostDerivat, wurde bereits in den 1960iger Jahren in der ehemaligen DDR synthetisiert und dort für die Monotherapie des Non-HodgkinLymphoms, der chronischen lymphatischen Leukämie und des multiplen Myeloms einge-
setzt. Bendamustin erhielt 2008 eine Zulassung der FDA zur Primärtherapie von Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (Übersicht bei Cheson und Rummel 2009). In Deutschland ist Bendamustin derzeit für die Erstlinientherapie bei chronischer lymphatischer Leukämie zugelassen, wenn Fludarabinhaltige Kombinationen ungeeignet sind (Leitlinienprogramm Onkologie Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2020). Weitere Indika-
677 34.2 Zytostatika
tionen sind die Monotherapie bei indolenten Non-Hodgkin-Lymphomen mit Progression nach Rituximab-haltiger Therapie und die Primärtherapie bei multiplem Myelom in Kombination mit Prednison bei Patienten über 65 Jahren, die nicht für eine autologe Stammzelltransplantation geeignet sind und bei denen eine Neuropathie die Anwendung von Thalidomid- bzw. Bortezomib-haltigen Therapien ausschließt. Chlorambucil (Leukeran) ist ein Zytostatikum aus der Gruppe der bifunktionellen Alkylanzien, das schon 1957 für die Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie zugelassen wurde, später auch für indolente Non-Hodgkin-Lymphome und die Waldenström Makroglobulinämie. Chlorambucil galt lange als Standard für die palliative Behandlung älterer Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie (CLL), vor allem wegen seiner guten Verträglichkeit und oralen Verabreichung (Übersicht bei Stilgenbauer und Hallek 2013). Neue Therapiestandards für die Erstlinientherapie der CLL entwickeln sich derzeit aus dem Einsatz von Inhibitoren der Signalübertragung über den B-Zell-Rezeptor (z. B. Ibrutinib) bzw. von einem Inhibitor des BZell-Lymphom (BCL-2) Proteins, das Apoptose in B-Zellen hemmt (Venetoclax), die als Monotherapie oder in Kombination mit monoklonalen CD20-Antikörpern (z. B. Rituximab, Ofatumumab, Obinutuzumab) eingesetzt werden (Dreger et al. 2018; von Tresckow et al. 2019; Der Arzneimittelbrief 2019; Leitlinienprogramm Onkologie Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2020). Lomustin (Cecenu) ist ein alkylierendes Zytostatikum aus der Gruppe der Nitrosoharnstoffe mit guter Hirngängigkeit, das vor allem zur palliativen Kombinationstherapie von Hirntumoren und Hirnmetastasen eingesetzt wird (Übersicht bei Lecavalier-Barsoum et al. 2014).
34.2.2
34
Antimetabolite
Zu den Antimetaboliten gehören Pyrimidinanaloga (z. B. Fluorouracil, Gemcitabin) und Purinanaloga (z. B. Mercaptopurin) sowie die Folsäureantagonisten Methotrexat und Pemetrexed. Antimetabolite sind mit 20,2 Mio. DDD und Nettokosten von 381 Mio. C die am häufigsten eingesetzte Wirkstoffgruppe der Zytostatika (. Tab. 34.1). Wesentlicher Grund sind die hohen Verordnungen der klassischen Kombination von 5-Fluorouracil und Calciumfolinat, während Gemcitabin, Capecitabin und die Folsäureantagonisten deutlich geringere Verordnungsvolumina haben (. Tab. 34.3). 5-Fluorouracil wurde 1957 von Charles Heidelberger synthetisiert und 1962 von der amerikanischen FDA zunächst zur palliativen Behandlung des Kolonkarzinoms zugelassen. Seitdem ist es ein essenzieller Bestandteil der Zytostatikatherapie zahlreicher solider Tumoren, insbesondere der adjuvanten Therapie des Kolonkarzinoms und des fortgeschrittenen oder metastasierten kolorektalen Karzinoms. 5-Fluorouracil ist ein Antimetabolit des endogenen Uracils, der nach intrazellulärer Phosphorylierung die Thymidilatsynthetase hemmt und somit auch die DNS-Synthese blockiert. 5-Fluorouracil wird zusammen mit Calciumfolinat infundiert, welches die Bindung von 5-Fluorouracil an die Thymidilatsynthetase stabilisiert und dadurch die Blockade der DNS-Synthese verstärkt.. Bei Patienten mit fortgeschrittenem kolorektalem Karzinom verminderte die Kombination die Tumorgröße und verlängerte das mediane Gesamtüberleben von 6 auf 11 Monate (Übersicht bei Meyerhardt und Mayer 2005). Auch neuere Kombinationstherapien mit Oxaliplatin (. Tab. 34.4) und Irinotecan (. Tab. 34.5) sowie den monoklonalen Antikörpern Bevacizumab und Cetuximab (. Tab. 34.9) enthalten 5-Fluorouracil und Folinsäure als wesentliche Bestandteile. Bei der adjuvanten Behandlung des Kolonkarzinoms mit Kombinationstherapien wie FOLFOX (5Fluorouracil, Calciumfolinat, Oxaliplatin) oder CAPOX (Capecitabin plus Oxaliplatin) liegt in-
678
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.3 Verordnungen von Antimetaboliten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
5-Fluorouracil 5-FU medac
Fluorouracil
7,7
(0,5)
5,96
Fluorouracil Accord
Fluorouracil
1,7
(C65,2)
6,81
Ribofluor
Fluorouracil
1,6
(13,5)
6,19
Fluorouracil HEXAL
Fluorouracil
0,85
(40,1)
6,55
5 Fu Cellpharm
Fluorouracil
0,12
(37,7)
7,31
(2,1)
6,17
12,0 Folinate
34
FOLI-cell
Calciumfolinat
0,47
(C88,0)
8,40
Calciumfolinat HEXAL
Calciumfolinat
0,41
(7,7)
9,39
Oncofolic
Natriumfolinat
0,26
(9,2)
30,50
Calciumfolinat Amneal
Calciumfolinat
0,25
(27,3)
8,58
Ribofolin
Calciumfolinat
0,22
(C28,2)
9,21
Bendafolin
Calciumfolinat
0,22
(C30,8)
8,34
Folinsäure Tillomed
Calciumfolinat
0,20
(> 1.000)
9,12
Folinsäure Aurobindo
Calciumfolinat
0,19
(50,2)
8,84
Calciumfolinat Onkovis
Calciumfolinat
0,18
(C4,4)
7,55
Calciumfolinat Kabi
Calciumfolinat
0,17
(C142,2)
5,65
Ribosofol
Natriumfolinat
0,14
(5,9)
29,25
Calciumfolinat-GRY
Calciumfolinat
0,13
(18,4)
11,25
2,8
(C8,9)
11,62
Gemcitabin Gemcitabin HEXAL
Gemcitabin
0,67
(0,1)
16,52
Gemedac
Gemcitabin
0,13
(4,1)
16,19
Gemcitabin Accord
Gemcitabin
0,10
(C177,5)
15,91
0,90
(C7,1)
16,40
Capecitabin Capecitabin Accord
Capecitabin
1,0
(C30,2)
7,53
Capecitabin medac
Capecitabin
0,16
(23,7)
7,62
34
679 34.2 Zytostatika
. Tabelle 34.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Capecitabin AL
Capecitabin
0,11
(55,0)
7,58
Capecitabin HEXAL
Capecitabin
0,11
(C67,9)
7,74
1,4
(C7,1)
7,56
(C28,5)
0,37
Folsäureantagonisten Methotrexat Lederle Tabl.
Methotrexat
0,68
Albotiva
Pemetrexed
0,21
(Neu)
174,20
Pemetrexed HEXAL
Pemetrexed
0,15
(Neu)
178,80
Alimta
Pemetrexed
0,14
(69,9)
141,82
1,2
(C18,3)
71,32
Weitere Antimetabolite Vidaza
Azacitidin
0,44
(C2,3)
174,97
Puri-Nethol
Mercaptopurin
0,28
(9,9)
11,18
Lonsurf
Trifluridin Tipiracil
0,20
(C5,5)
117,14
Dacogen
Decitabin
0,15
(C1,7)
164,42
1,1
(0,7)
120,29
19,4
(C1,6)
17,80
Summe
zwischen das erkrankungsfreie Überleben nach 3 Jahren bei knapp 75 % (Schilsky 2018). Mit den vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten beträgt das Gesamtüberleben von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom heute 30 Monate und ist damit mehr als doppelt so lang wie vor 20 Jahren (van Cutsem et al. 2016). Capecitabin ist ein oral einzunehmendes Prodrug von 5-Fluorouracil, das nach der Resorption in drei enzymatischen Stufen in Leber- und Tumorzellen zu 5-Fluorouracil aktiviert wird. Die letzte Stufe wird durch eine Thymidinphosphorylase katalysiert, die im Tumor deutlich aktiver als im gesunden Gewebe ist und dadurch im Tumor dreifach höhere 5Fluorouracilspiegel erzeugt. Capecitabin wird als Monotherapie zur adjuvanten Behandlung des Kolonkarzinoms und des metastasierten Kolorektalkarzinoms sowie in verschiedenen
Kombinationstherapien beim fortgeschrittenen Magenkarzinom und metastasierten Mammakarzinom eingesetzt. Vergleichende Studien bei Patienten mit metastasiertem Kolorektalkarzinom haben gezeigt, dass Capecitabin gegenüber infundiertem 5-Fluorouracil plus Calciumfolinat eine etwas höhere Ansprechrate hat (19–25 % versus 15 %), das Gesamtüberleben aber nicht verbessert. Die Nebenwirkungsrate war ähnlich, wobei unter Capecitabin häufiger ein Hand-Fuß-Syndrom und seltener Neutropenien auftraten (Übersicht bei Meyerhardt und Mayer 2005). Das oral verabreichte Capecitabin wurde 2019 erneut mehr verordnet, erreicht aber trotzdem nur 12 % der Verordnungen des parenteral verabreichten 5Fluorouracil (. Tab. 34.3). Gemcitabin (Difluordesoxycytidin) hemmt nach intrazellulärer Umwandlung in
680
34
Kapitel 34 Onkologika
Gemcitabintriphosphat die DNS-Synthese und wirkt wie Fluorouracil spezifisch in der SPhase, aber auch in der G1-/S-Phase des Zellzyklus. Gemcitabin wurde seit 1996 zur Chemotherapie des fortgeschrittenen Pankreaskarzinoms eingesetzt, verlängerte aber das Gesamtüberleben im Vergleich mit 5Fluorouracil nur geringfügig (5,7 versus 4,4 Monate). Inzwischen hat eine Kombination von Gemcitabin mit Nanopartikel-Albumingebundenem (nab)-Paclitaxel gegenüber einer Monotherapie mit Gemcitabin eine geringe Überlegenheit im Gesamtüberleben (8,5 versus 6,7 Monate) beim metastasierten Pankreaskarzinom gezeigt, die besser verträglich als FOLFIRINOX und bei einer breiteren Patientenpopulation anwendbar ist (Übersicht bei Kamisawa et al. 2016). Seit einigen Jahren ist Gemcitabin auch in Kombination mit unterschiedlichen Zytostatika zur Behandlung bei anderen fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren zugelassen (z. B. Harnblasenkarzinom, NSCLC, Ovarialkarzinom, Mammakarzinom). Wichtigster Vertreter der Folsäureantagonisten ist Methotrexat, das kompetitiv und spezifisch die Dihydrofolatreduktase und dadurch die DNS- und RNS-Synthese hemmt. Die Wirkung von Methotrexat kann durch Tetrahydrofolsäure-Derivate wie 5-Formyltetrahydrofolat/Calciumfolinat antagonisiert werden. Als Zytostatikum wird es vor allem in Therapieschemata zur Behandlung von akuten lymphatischen Leukämien und soliden Tumoren (z. B. Mammakarzinom) eingesetzt. Die Methotrexatverordnungen nahmen 2019 deutlich zu (. Tab. 34.3). In wesentlich größerem Umfang wird Methotrexat als Immunsuppressivum, vor allem zur krankheitsmodifizierenden Therapie der rheumatoiden Arthritis eingesetzt (7 Kap. 17, Antirheumatika und Antiphlogistika, . Tab. 17.3). Pemetrexed (Alimta) ist ähnlich wie Methotrexat ein Folsäureantagonist, hat aber durch zusätzliche Hemmung folatabhängiger Enzyme (Thymidilatsynthase, Glycinamidribonucleotid-Formyltransferase) ein verbreitertes Wirkungsspektrum. Das Arzneimittel wur-
de 2004 für die Erstlinienbehandlung des Pleuramesothelioms und des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) in Kombination mit Cisplatin zugelassen und inzwischen auch – jeweils außer beim Plattenepithelkarzinom – als Monotherapie für die Erhaltungstherapie sowie die Zweitlinientherapie bei lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC. Basis der Zulassung war ein gering verbessertes Gesamtüberleben in der Subgruppe Adenokarzinom des NSCLC (12,6 versus 10,9 Monate), wenn eine platinbasierte Kombinationstherapie von Pemetrexed mit einer Cisplatin-Gemcitabin-Kombination verglichen wurde (Übersicht bei Tomasini et al. 2016). In den letzten Jahren hat die Einführung der Antikörper gegen PD-1 (z. B. Pembrolizumab) die Behandlungsoptionen für Patienten mit NSCLC erheblich verbessert. Die Erstlinientherapie mit Pembrolizumab in Kombination mit Pemetrexed und Cis- oder Carboplatin verlängerte das Gesamtüberleben von NSCLCPatienten ohne EGFR- oder ALK-Mutationen im Vergleich zu Pemetrexed und Cisoder Carboplatin unabhängig von der PD-L1Expression des Tumors (22,0 versus 10,7 Monate) (Gadgeel et al. 2020) (siehe auch Pembrolizumab, 7 Abschn. 34.5.5). Nach dem Patentablauf von Alimta sind erstmals Pemetrexedgenerika vertreten, die jedoch nahezu identische Listenpreise wie das Originalpräparat haben, aber höhere DDD-Kosten, weil bei Alimta preisgünstige Reimporte in die DDD-Kostenberechnung einbezogen werden (. Tab. 34.3). In anderen europäischen Ländern (z. B. Niederlande) sind die Preise von Pemetrexedgenerika bereits 43 % niedriger als die von deutschen Generika. Mercaptopurin (Puri-Nethol) ist ein Analogon des Adenins, das nach Umwandlung in 6-Mercaptopurinribonucleotid vor allem als kompetitiver Hemmstoff von Enzymen der Purinbiosynthese wirkt und dadurch die DNSund RNS-Synthese reduziert. Es wird seit über 50 Jahren zur Induktions- und Erhaltungstherapie der akuten lymphatischen Leukämie eingesetzt (Übersicht bei Schmiegelow et al. 2014).
681 34.2 Zytostatika
Azacitidin (5-Azacytidin, Vidaza) ist ein weiteres Zytostatikum aus der Gruppe der Antimetabolite. Neben zytotoxischen Effekten wirkt Azacitidin in niedrigeren Konzentrationen auch als Methyltransferasehemmer und führt zur Hypomethylierung neugebildeter DNS mit Reaktivierung der Zelldifferenzierung durch epigenetische Suppression. Azacitidin wurde 2008 zugelassen für die Behandlung von erwachsenen Patienten, die für eine Transplantation hämatopoetischer Stammzellen nicht geeignet sind und eine der folgenden Krankheitsbilder aufweisen: myelodysplastische Syndrome mit intermediärem oder hohem Risiko, chronische myelomonozytäre Leukämie mit 10–29 % Knochenmarkblasten und akute myeloische Leukämie (AML) mit 20–30 % Knochenmarkblasten und mehrlineärer Dysplasie. Bei Hochrisikopatienten wird die mediane Überlebenszeit durch Azacitidin im Vergleich zu niedrig dosiertem Cytarabin und optimalen supportiven Maßnahmen deutlich verlängert (24,5 versus 15,0 Monate), nicht aber im Vergleich zu einer intensiven Induktionstherapie (Fenaux et al. 2009). Azacitidin und Decitabin sind in der Behandlung myelodysplastischer Syndrome besser wirksam als die beste supportive Behandlung. Direkt vergleichende Studien dieser beiden Antimetabolite in der Behandlung myelodysplastischer Syndrome liegen jedoch nicht vor (Almasri et al. 2018). Die DDD-Kosten sind sehr hoch (. Tab. 34.3), so dass Jahrestherapiekosten von 63.000 C resultieren. Decitabin (Dacogen) ist der zweite Methyltransferasehemmer aus der Gruppe der Antimetabolite, der 2012 zur Behandlung von älteren Patienten mit de novo oder sekundärer AML zugelassen wurde, für die eine Standard-Induktionstherapie nicht in Frage kommt. Eine systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse zur Gabe von Decitabin bei älteren Patienten mit AML ergab bei meist guter Verträglichkeit eine begrenzte Wirksamkeit mit kompletten Remissionsraten um 27 % und einem Gesamtüberleben von etwa 8 Monaten (He et al. 2017). Diese Ergebnisse wurden durch eine weitere systematische Übersichtsar-
34
beit und Metaanalyse bestätigt, die Therapieergebnisse bei Patienten mit refraktärer oder rezidivierter AML nach Behandlung mit Decitabin in Kombination mit Chemotherapie und neuartigen, gegen molekulare Veränderungen in Leukämiezellen gerichtete Therapien auswertete (Ma et al. 2019). Die Therapiekosten von Decitabin liegen ähnlich hoch wie die von Azacitidin (. Tab. 34.3). Das Kombinationspräparat Trifluridin/Tipiracil (Lonsurf ) wurde 2016 zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom zugelassen, die bereits mit verfügbaren Therapien behandelt wurden oder für diese nicht geeignet sind (. Tab. 34.3). Es besteht aus der zytostatischen Komponente Trifluridin und dem Thymidinphosphorylaseinhibitor Tipiracil, der den Abbau von Trifluridin hemmt und über den dadurch erhöhten Plasmaspiegel eine gesteigerte Phosphorylierung zu dem zytostatisch wirkenden Trifluridintriphosphat ermöglicht. Bei mehrfach vorbehandelten Patienten erhöhte die Trifluridinkombination das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zu Placebo (7,1 versus 5,3 Monate) (Mayer et al. 2015). Die Nutzenbewertung der Trifluridin-Tipiracilkombination ergab einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2016, Abschn. 3.1.30). Im September 2019 erhielt Trifluridin/Tipiracil eine weitere Zulassung für die Monotherapie des metastasierten Magenkarzinoms nach Vorbehandlung mit mindestens zwei systemischen Therapieregimen. Die Nutzenbewertung ergab einen geringen Zusatznutzen, weil die Verlängerung des Gesamtüberlebens durch Nachteile infolge schwerer Nebenwirkungen eingeschränkt wurde (siehe 7 Kap. 2, Neue Indikationen, 7 Abschn. 2.2.35).
34.2.3
Platinverbindungen
Platinverbindungen hemmen die Zellteilung durch Quervernetzung der DNS-Einzel- und Doppelstränge, ähnlich wie die Alkylanzien.
682
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.4 Verordnungen von Platinverbindungen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cisplatin Cisplatin Neocorp
Cisplatin
0,31
(4,1)
10,71
Cisplatin TEVA
Cisplatin
0,17
(21,1)
10,31
Cisplatin Accord
Cisplatin
0,14
(C11,4)
14,55
0,62
(6,8)
11,47
Carboplatin Carbomedac
Carboplatin
0,78
(3,7)
9,73
Carboplatin Accord
Carboplatin
0,55
(C32,6)
9,86
Ribocarbo L
Carboplatin
0,21
(C138,3)
9,53
Carboplatin-GRY
Carboplatin
0,18
(6,9)
10,02
CARBO-cell
Carboplatin
0,18
(26,6)
9,79
Neocarbo
Carboplatin
0,17
(C60,2)
9,90
Carboplatin Kabi
Carboplatin
0,17
(14,2)
9,44
Carboplatin-Actavis
Carboplatin
0,13
(30,4)
10,65
2,4
(C5,7)
9,81
Oxaliplatin
34
Oxaliplatin Accord
Oxaliplatin
0,48
(C56,3)
14,52
Medoxa
Oxaliplatin
0,21
(C20,9)
13,44
Oxaliplatin HEXAL
Oxaliplatin
0,16
(C6,1)
14,57
Oxaliplatin-GRY
Oxaliplatin
0,15
(20,7)
14,83
Oxaliplatin sun
Oxaliplatin
0,15
(C9,1)
14,23
1,1
(C19,9)
14,34
4,1
(C7,1)
11,32
Summe
Sie wirken nicht spezifisch in einer Phase des Zellzyklus. Als erster Vertreter wurde Cisplatin 1979 zur Behandlung des Hodenkarzinoms und des Ovarialkarzinoms sowie weiterer solider Tumoren zugelassen. Der Wirkstoff reichert sich insbesondere in der Niere an und verursacht eine dosislimitierende, kumulative Nephrotoxizität, die durch gesteigerte Flüssigkeitszufuhr verringert, jedoch nicht vollständig
vermieden werden kann. Neben der emetogenen Wirkung sowie Neuro- und Ototoxizität ist die Nephrotoxizität der Hauptgrund, dass Cisplatin heute weniger als die neueren, besser verträglichen Platinverbindungen verordnet wird (. Tab. 34.4). Bei einigen Indikationen (z. B. Hodenkarzinom, Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich) bleibt Cisplatin wegen seiner überlegenen Wirksamkeit im Ver-
683 34.2 Zytostatika
gleich zu Carboplatin jedoch weiterhin die bevorzugte Alternative, insbesondere bei jüngeren Patienten, die diese Nebenwirkungen besser tolerieren (Ho et al. 2016). Carboplatin wurde als Weiterentwicklung von Cisplatin 1988 aufgrund einer besseren Verträglichkeit in die Therapie eingeführt. Es hat bei zahlreichen Malignomen ein ähnlich breites klinisches Spektrum wie Cisplatin, ist aber vor allem bei Kombinationstherapie mit neueren Onkologika weniger nephrotoxisch und emetogen, bei allerdings stärkerer Myelotoxizität (insbesondere Thrombozytopenie) (Übersicht bei Ho et al. 2016). Hauptindikationen sind epitheliale Ovarialkarzinome und kleinzellige Lungenkarzinome. Oxaliplatin wurde 1999 als dritter Vertreter der Platinverbindungen eingeführt. Es wird eingesetzt in Kombination mit 5-Fluorouracil und Folinsäure (FOLFOX-Schema) zur adjuvanten Behandlung des Kolonkarzinoms und des metastasierten kolorektalen Karzinoms. Diese Kombinationstherapie erhöhte bei adjuvanter Behandlung des Kolonkarzinoms im Stadium III das 6-Jahresüberleben im Vergleich zu 5-Fluorouracil/Folinsäure von 68,7 auf 72,9 % (Schilsky 2018). FOLFOX-Kombinationen mit Cetuximab oder Panitumumab werden in den ESMO-Leitlinien zur Erstbehandlung von Patienten mit RASund BRAF-Wildtyp empfohlen (van Cutsem et al. 2016) (siehe auch EGFR-Antikörper, 7 Abschn. 34.5.4).
34.2.4
Anthrazykline
Anthrazykline sind zytostatisch wirksame Antibiotika, die aus Streptomycesarten isoliert wurden und typischerweise aus 3- bis 4gliedrigen Ringsystemen bestehen. Sie hemmen die DNS- und RNS-Synthese durch die Interaktion mit der Topoisomerase II (Bildung kovalenter Topoisomerase-DNS-Komplexe). Sie wirken vorwiegend auf die S-Phase des Zellzyklus, können jedoch auch andere Phasen des Zellzyklus beeinflussen und gel-
34
ten deshalb als Zellzyklusphasen-unspezifisch. Eine typische und gefürchtete Nebenwirkung der Anthrazykline ist ihre Kardiotoxizität. Dabei muss unterschieden werden zwischen der akuten und subakuten Kardiotoxizität (z. B. in Form vorübergehender Arrhythmien), die selten ein ernstes klinisches Problem darstellen, und der chronischen, mitunter auch erst spät auftretenden Kardiotoxizität, die sich als Kardiomyopathie (abhängig von der verabreichten Dosis des Anthrazyklins), ventrikuläre Dysfunktion sowie in Form von Arrhythmien manifestiert und häufig irreversibel ist. Verschiedene Dosierungsschemata mit verlängerter Infusionsdauer vermindern die Kardiotoxizität (Übersicht bei van Dalen et al. 2016). Doxorubicin wurde von der amerikanischen FDA bereits 1974 zugelassen. Seine wichtigsten Indikationen sind akute Leukämien und maligne Lymphome sowie eine Reihe solider Tumoren, insbesondere Mammakarzinom und kleinzelliges Lungenkarzinom. Führendes Doxorubicinpräparat ist eine liposomale Formulierung (Caelyx), die eine geringere Kardiotoxizität hat, aber etwa 10fach teurer ist (. Tab. 34.5). Bei Patienten mit metastasiertem Mammakarzinom verminderte liposomales Doxorubicin im Vergleich mit konventionellem Doxorubicin die Kardiotoxizität; in Bezug auf das Gesamtüberleben zeigten die beiden Präparate jedoch keinen Unterschied (Übersicht bei Lao et al. 2013). Epirubicin kam 1984 in Europa auf den Markt und hat eine fast identische Molekülstruktur wie Doxorubicin, von dem es sich nur durch Epimerisierung einer Hydroxylgruppe (40 -Epidoxorubicin) unterscheidet. Epirubicin zeigt eine ähnliche klinische Wirksamkeit wie Doxorubicin, ist aber genauso wie liposomales Doxorubicin weniger kardiotoxisch (Yamaguchi et al. 2015). Das ist vermutlich der Grund für die häufigere Verordnung von Epirubicin insbesondere beim Mammakarzinom (. Tab. 34.5). Die Bedeutung der Anthrazykline für die adjuvante Chemotherapie des frühen Mammakarzinoms wurde durch eine große Metaanalyse von 194 Studien mit 144.934
684
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.5 Verordnungen von Anthrazyklinen und Topoisomerasehemmstoffen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Doxorubicin Caelyx
Doxorubicin
0,27
(C2,4)
104,65
Doxorubicin Accord
Doxorubicin
0,15
(C51,4)
7,78
Doxorubicin HCL TEVA
Doxorubicin
0,12
(13,9)
7,82
DOXO-cell
Doxorubicin
0,12
(24,7)
7,78
0,65
(0,4)
47,27
Epirubicin Epimedac
Epirubicin
0,47
(C26,7)
7,08
Epi TEVA
Epirubicin
0,25
(22,7)
7,99
Epirubicin HEXAL
Epirubicin
0,20
(C31,5)
7,21
EPI-cell
Epirubicin
0,10
(22,4)
6,60
1,0
(C4,6)
7,28
Irinotecan Irinomedac
Irinotecan
0,18
(C28,7)
19,53
Irinotecan Accord
Irinotecan
0,14
(C285,2)
19,99
Irinotecan Aurobindo
Irinotecan
0,13
(15,1)
19,58
Irinotecan Fresenius
Irinotecan
0,13
(38,2)
19,70
Irinotecan Amneal
Irinotecan
0,11
(17,8)
21,10
Onivyde
Irinotecan
0,11
(0,3)
202,08
0,79
(C2,0)
44,42
34 Etoposid Etoposid HEXAL
Etoposid
0,22
(C2,4)
16,28
Eto-GRY
Etoposid
0,12
(C15,3)
15,41
0,34
(C6,6)
15,97
2,8
(C2,9)
28,05
Summe
Patientinnen bestätigt. Im Vergleich zur klassischen Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Methotrexat und 5-Fluorouracil (CMF) senkte eine 6-monatige anthrazyklinbasierte Chemotherapie (5-Fluorouracil, Doxorubicin oder
Epirubicin, Cyclophosphamid) die Mortalität nach 15 Jahren bei Frauen unter 50 Jahren um 38 % und bei Frauen im Alter von 50–69 Jahren um 20 % (Early Breast Cancer Trialists’ Collaborative Group 2005).
685 34.2 Zytostatika
34.2.5
Topoisomerasehemmstoffe
Topoisomerasen sind temporär DNS-spaltende Enzyme, welche die bei der DNS-Reduplikation auftretende Superspiralisierung durch einen DNS-Strangbruch verhindern und nach erfolgter DNS-Reduplikation die DNS-Strangbruchenden wieder verknüpfen. Es gibt zwei unterschiedliche Enzyme. Die Topoisomerase I erzeugt DNS-Einzelstrangbrüche, die Topoisomerase II DNS-Doppelstrangbrüche. Für beide Enzymformen gibt es selektive Hemmstoffe. Das Camptothecinderivat Irinotecan ist der wichtigster Vertreter der TopoisomeraseI-Hemmstoffe, das spezifisch die Topoisomerase I und dadurch die DNS- und RNSSynthese hemmt. Irinotecan wurde kurz nach Topotecan im Jahre 1998 in die Therapie eingeführt und ist beim metastasierten kolorektalen Karzinom als Erstlinientherapie in Kombination mit 5-Fluorouracil und Folinsäure (FOLFIRI) sowie mit weiteren Onkologika (Cetuximab, Bevacizumab, Capecitabin) zugelassen. FOLFIRI erhöhte das Gesamtüberleben gegenüber der klassischen Zweifachkombination aus 5-Fluorouracil und Folinsäure um 2–3 Monate (Übersicht bei Pizzolato und Saltz 2003). Nach der ESMO-Leitlinie sind FOLFIRI-Kombinationen mit Cetuximab oder Panitumumab Erstbehandlungsoptionen für RAS- und BRAF-Wildtyp-Patienten (van Cutsem et al. 2016). Etoposid bzw. Etoposidphosphat gehört zur Gruppe der halbsynthetischen Podophyllotoxinderivate, die als Topoisomerase-II-Inhibitoren die DNS-Synthese hemmen. Ihre Wirkung ist abhängig vom Zellzyklus, wobei proliferierende Zellen vorwiegend in der S- und G2-Phase des Zellzyklus beeinflusst werden. Etoposid wurde 1980 eingeführt zur Kombinationstherapie bei Hodentumoren und kleinzelligem Lungenkarzinom sowie bei speziellen Subgruppen der akuten myeloischen Leukämien und malignen Lymphome. Bei Hodentumoren ist Etoposid Bestandteil des BEP-Schemas (Bleomycin, Etoposid, Cisplatin), mit dem
34
Überlebensraten von 95 % bei allen Patienten und über 80 % auch noch in metastasierten Stadien erreicht werden (Alsdorf et al. 2019). Darüber hinaus werden Etoposid bzw. Etoposidphosphat eingesetzt beim Chorionkarzinom der Frau sowie als Monotherapie bei fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen nach Versagen von platinhaltigen Standardtherapien. Wie Alkylanzien sind die Podophyllotoxinderivate karzinogen und können abhängig von der kumulativen Dosis sekundäre akute myeloische Leukämien und myelodysplastische Syndrome auslösen.
34.2.6
Taxane
Taxane sind Naturstoffe, die bei einer breit angelegten Stoffsuche aus der pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) isoliert wurden. Als antimikrotubuläre Wirkstoffe begünstigen sie den Aufbau der Mikrotubuli und verhindern deren Depolymerisation. Dadurch kommt es zu einer Störung der Mitose in proliferierenden Zellen mit einer Blockade am Übergang der Metazur Anaphase. Dosislimitierender Faktor der Taxane ist die Myelosuppression. Überempfindlichkeitsreaktionen treten ohne Prophylaxe bei 30 % und mit Prophylaxe bei ca. 1–3 % der Patienten auf. Als erster Vertreter der Taxane wurde Paclitaxel 1994 in die Therapie eingeführt, das für ein breites Spektrum solider Tumoren eingesetzt wird. Dazu gehören fortgeschrittene Stadien des Ovarialkarzinoms, des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms und des Mammakarzinoms in verschiedenen Kombinationen und Therapielinien. Erstaunlicherweise steht das Nanopartikel-Albumin-gebundene (nab)Paclitaxel (Abraxane) an zweiter Stelle der sonst generischen Paclitaxelpräparate, obwohl es etwa vierfach teurer ist (. Tab. 34.6). Das albumingebundene Präparat wurde als lösungsmittelfreie Formulierung entwickelt, um die Verträglichkeit des Standardpräparats zu verbessern (Kundranda und Niu 2015). Es wurde 2008 zunächst als Monotherapie für
686
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.6 Verordnungen von Taxanen und Vincaalkaloiden 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Paclitaxel NeoTaxan
Paclitaxel
1,3
(C11,1)
18,32
Abraxane
Paclitaxel
0,71
(C1,6)
91,46
Paclitaxel Accord
Paclitaxel
0,23
(C43,7)
17,44
Paclitaxel Kabi
Paclitaxel
0,22
(23,0)
20,43
Paclitaxel Aqvida
Paclitaxel
0,18
(C400,6)
16,36
Taxomedac
Paclitaxel
0,16
(C5,3)
18,18
Paclitaxel Onkovis
Paclitaxel
0,16
(C22,4)
18,41
3,0
(C12,5)
35,79
Docetaxel Docetaxel Accord
Docetaxel
0,40
(C16,7)
15,12
Taxceus
Docetaxel
0,19
(9,0)
14,52
Docetaxel NC
Docetaxel
0,13
(C1,6)
14,44
Docetaxel Amneal
Docetaxel
0,10
(34,9)
14,77
0,83
(1,8)
14,83
Cabazitaxel
0,18
(C3,8)
131,71
Halaven
Eribulin
0,15
(9,1)
95,71
Navirel
Vinorelbin
0,15
(0,8)
22,96
0,29
(5,1)
59,34
4,3
(C7,7)
37,38
Cabazitaxel Jevtana Vincaalkaloide und Eribulin
34
Summe
die Zweitlinienbehandlung des metastasierten Mammakarzinoms zugelassen, 2013 auch für die Erstlinienbehandlung des metastasierten Pankreaskarzinoms in Kombination mit Gemcitabin (Übersicht bei Kamisawa et al. 2016). Die Nab-Paclitaxel-Gemcitabin-Kombination, eingesetzt als Alternative zu FOLFIRINOX bei Patienten in gutem körperlichem Zustand, verlängerte das Gesamtüberleben im Vergleich mit Gemcitabin aber nur wenig (8,7
versus 6,6 Monate) (Sohal et al. 2016; Springfeld et al. 2019). Im Jahr 2015 erfolgte die Zulassung in Kombination mit Carboplatin für die Erstlinienbehandlung von erwachsenen Patienten mit NSCLC, bei denen eine potenziell kurative Operation oder Strahlentherapie nicht möglich ist (EMA 2015). Grundlage dieser Zulassungserweiterung war eine Phase-3-Studie an 1.052 Patienten, in der Nab-Paclitaxel im Vergleich mit Paclitaxel lediglich eine höhe-
687 34.2 Zytostatika
34
die spezifisch an den Grundbaustein der Mikrotubuli, Tubulin, binden, und dadurch den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Spindelapparates verhindern sowie die Zellteilung hemmen. Als erste Vertreter dieser Stoffgruppe wurden 1963 Vincristin und 1965 Vinblastin von der FDA zugelassen. Unter den ambulant verordneten Präparaten ist nur Vinorelbin vertreten (. Tab. 34.6), ein halbsynthetisches Vincaalkaloid mit unterschiedlichem Wirkprofil, das 1995 für die Mono- und Kombinationstherapie des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) sowie als Monotherapie bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom nach Versagen einer Chemotherapie mit Anthrazyklinen oder Taxanen zugelassen wurde (Gregory und Smith 2000). Bei NSCLC-Patienten mit vollständiger Resektion im Frühstadium verbessert eine adjuvante Chemotherapie mit Cisplatin-Vinorelbin das Überleben und wird daher als Standardtherapie angesehen (Valdes et al. 2016). Beim metastasierten Brustkrebs wird Vinorelbin häufig nach Versagen von Anthrazyklinen und Taxanen eingesetzt, weil es ein günstiges Sicherheitsprofil hat. Dieses Ergebnis wurde aber nicht ausreichend validiert in Phase-III-Studien (Jerusalem et al. 2015). Eribulin (Halaven) ist ein HalichondrinAnalogon aus der Gruppe der Tubulin-bindenden Mitosehemmstoffe. Es unterscheidet sich in seinem Wirkungsmechanismus von den Vincaalkaloiden, da es an eine andere Bindungsstelle der Mikrotubuli bindet und dadurch die Polymerisation der Mikrotubuli ohne Beeinflussung der Depolymerisation hemmt. Die Zulassung erfolgte 2011 für die Monotherapie von Patientinnen mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom, bei denen nach mindestens zwei Chemotherapien eine weitere Progression eingetreten ist. Eribulin verlängerte in einer offenen Studie das Gesamtüberleben um 2,5 Monate im Vergleich zu 34.2.7 Vincaalkaloide und Eribulin einer frei gewählten Vergleichstherapie, hatte aber auch mehr Nebenwirkungen (Cortes et al. Vincaalkaloide sind eine Gruppe von Mito- 2011, EMBRACE). Die letzte Nutzenbewersehemmstoffen aus einer Immergrünpflanze tung durch den G-BA hat nur für Patientinnen, (Catharanthus roseus, Synomym Vinca rosea), die nicht mehr mit Taxanen oder Anthrazykli-
re Ansprechrate (33 % versus 25 %), jedoch keinen signifikanten Unterschied im Gesamtüberleben zeigte (Socinski et al. 2012). Docetaxel ist ein semisynthetisches Derivat von Paclitaxel mit weitgehend analogen Eigenschaften, das 1996 zuerst für die Behandlung des Anthrazyklin-refraktären Mammakarzinoms eingeführt wurde. Später folgten Zulassungen für die adjuvante Therapie des operablen nodal-positiven und nodal-negativen Mammakarzinoms, das platinrefraktäre NSCLC, das metastasierte, hormonrefraktäre Prostatakarzinom und weitere maligne Tumoren (Magenkarzinom, Kopf-Hals-Karzinome). Obwohl die zytostatischen Wirkungen von Paclitaxel und Docetaxel sehr ähnlich sind, bestehen Unterschiede bezüglich der Kreuzresistenz, denn Docetaxel kann als Zweitlinienbehandlung auch bei Patienten mit Paclitaxelresistenten Tumoren eingesetzt werden (Übersicht bei Montero et al. 2005). Cabazitaxel (Jevtana) ist ein Dimethoxyderivat von Docetaxel, das 2011 zur Zweitlinienbehandlung von Patienten mit hormonrefraktärem metastasiertem Prostatakarzinom zugelassen wurde. Cabazitaxel verbesserte das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zu Mitoxantron geringfügig (15,1 versus 12,7 Monate), hatte aber eine höhere Toxizität (De Bono et al. 2010). Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA hat nur für Patienten, für die eine weitere oder erneute Behandlung mit Docetaxel nicht infrage kommen, einen Hinweis für einen geringen Zusatznutzen ergeben. Aufgrund von Nebenwirkungen (febrile Neutropenie, therapieassoziierte Todesfälle) wurde Cabazitaxel zunächst nur zurückhaltend eingesetzt (von Amsberg und Merseburger 2020). Die Therapiekosten liegen neunmal so hoch wie die von Docetaxel (. Tab. 34.6).
688
Kapitel 34 Onkologika
nen behandelt werden können, einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen ergeben (Bundesministerium für Gesundheit 2015). Im Mai 2016 wurde Eribulin auch für die Zweitlinientherapie des nicht resezierbaren Liposarkoms zugelassen.
34.2.8
34
Arzneimittel zur Behandlung der essenziellen Thrombozythämie
Die essenzielle Thrombozythämie ist eine myeloproliferative Neoplasie, die durch die Proliferation von klonalen Megakaryozyten im Knochenmark und durch eine erhöhte Thrombozytenzahl im peripheren Blut gekennzeichnet ist. Standardtherapie ist bei allen Patienten mit Niedrig- oder Intermediärrisiko „Watch and Wait“ oder bei Mikrozirkulationsstörungen niedrig dosiertes Aspirin (50–100 mg/ Tag) (Übersicht bei Spivak 2017; Tefferi und Pardanani 2019). Die Frage zur Indikation einer zytoreduktiven Therapie bei Patienten mit Thrombozytose wird weiterhin diskutiert. Da es jedoch keine Hinweise darauf gibt, dass Thrombozytose mit Thrombose korreliert, sollte die Normalisierung der Thrombozytenzahl nach Ansicht der meisten Experten nicht als Therapieziel angesehen werden. Nur bei Hochrisikopatienten (anamnestisch bekannte thromboembolische Komplikationen oder schwere Blutungen; Alter > 60 Jahre; Thrombozyten > 1.500.000/l) wird die Einleitung einer zytoreduktiven Therapie mit pegyliertem Interferon alpha bzw. bei unzureichendem Ansprechen oder Unverträglichkeit Hydroxycarbamid oder Anagrelid empfohlen (Onkopedia Leitlinien (2018) Essentielle (oder primäre) Thrombozythämie (ET); Guglielmelli und Vannucchi 2020). Hydroxycarbamid ist ein älterer Antimetabolit, der schon seit über 50 Jahren als Zy-
tostatikum verwendet wird. Seine Wirkung beruht auf einer Hemmung der Ribonukleosiddiphosphatreduktase, die als geschwindigkeitsbegrenzendes Enzym an der DNS-Synthese beteiligt ist. Daraus resultiert eine spezifische Wirkung auf die S-Phase des Zellzyklus mit Arretierung der Zellen am Übergang von der G1- zur S-Phase (Übersicht bei Navarra und Preziosi 1999). Hydroxycarbamid wird vorwiegend eingesetzt zur Behandlung chronischer myeloproliferativer Erkrankungen sowie zur raschen Zytoreduktion bei Hyperleukozytose im Rahmen chronischer und akuter myeloischer Leukämien. Bei Polycythaemia vera und essenzieller Thrombozythämie ist Hydroxycarbamid weiterhin die am häufigsten eingesetzte Erstlinientherapie, durch die zumeist eine Zytoreduktion bei gesteigerter Myeloproliferation erreicht wird (Guglielmelli und Vannucchi 2020). Anagrelid (Xagrid) ist ein Imidazo-Chinazolinderivat, das bei Risikopatienten mit essenzieller Thrombozythämie eingesetzt wird, wenn diese ihre bisherige Therapie nicht vertragen oder nicht ausreichend darauf ansprechen. Es senkt die erhöhte Thrombozytenzahl durch Hemmung der Megakaryozytenreifung. Im direkten Vergleich mit der Standardtherapie war es weniger wirksam (Harrison et al. 2005). Daher ist Hydroxycarbamid in Kombination mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure weiterhin die Primärtherapie von Hochrisikopatienten mit essenzieller Thrombozythämie (Tefferi und Pardanani 2019). Eine neuere Untersuchung hat verdeutlicht, dass auch 10 Jahre nach der Zulassung durch die EMA unklar ist, ob Anagrelid erhöhte Thrombozytenwerte besser senkt bzw. thrombotische oder hämorrhagische Komplikationen wirksamer verhindert als Hydroxycarbamid (Joppi et al. 2016). Nach dem Patentablauf von Xagrid sind erstmals Generika von Anagrelid vertreten, die bereits einen Verordnungsanteil von über 40 % erreicht haben (. Tab. 34.7).
34
689 34.2 Zytostatika
. Tabelle 34.7 Verordnungen von weiteren Zytostatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Mittel zur Behandlung der essentiellen Thrombozythämie Syrea
Hydroxycarbamid
3,0
(C0,7)
5,05
Litalir
Hydroxycarbamid
0,65
(C6,5)
4,20
Hydroxycarbamid-1 A Pharma
Hydroxycarbamid
0,53
(C102,9)
5,06
Xagrid
Anagrelid
0,39
(50,2)
19,23
Anagrelid Heumann
Anagrelid
0,15
(C270,3)
9,47
Anagrelid Beta
Anagrelid
0,15
(C197,7)
9,11
0,14
(C28,1)
4,55
5,0
(C3,5)
6,30
Hydroxycarbamid Ribosepharm Hydroxycarbamid
Mittel zur Behandlung des Multiplen Myeloms Revlimid
Lenalidomid
2,2
(C11,7)
260,50
Velcade
Bortezomib
0,35
(41,8)
194,28
Kyprolis
Carfilzomib
0,27
(4,2)
205,39
Bortezomib STADA
Bortezomib
0,23
Imnovid
Pomalidomid
0,14
(C27,1)
396,53
3,2
(C7,6)
250,29
8,2
(C5,1)
102,05
Summe
34.2.9
Arzneimittel zur Behandlung des multiplen Myeloms
Etwa seit 10 Jahren wurden beim multiplen Myelom durch die medikamentöse Behandlung mit neuen Wirkstoffen, vor allem Immunmodulatoren, Proteasom-Inhibitoren und monoklonalen Antikörpern, deutliche Fortschritte erzielt (Übersichten bei Gerecke et al. 2016; Rajkumar und Kyle 2016; Raza et al. 2017; Moreau 2017; Der Arzneimittelbrief 2018; Rajkumar 2020). Mehrere Jahrzehnte stand nur das bereits 1964 in die Therapie des multiplen Myeloms eingeführte Melphalan in Kombination mit Glucocorticosteroiden zur Verfügung.
(Neu)
200,73
Es führte zu einer partiellen Remission bei etwa 40–60 % der Patienten und einem progressionsfreien Überleben von 18 Monaten (San Miguel 2015). Im letzten Jahrzehnt wurde eine deutliche Verbesserung von progressionsfreiem und Gesamtüberleben, aber auch der Lebensqualität durch die Einführung von neuartigen Arzneimitteln mit unterschiedlichen Wirkprinzipien (Immunmodulatoren, Proteasominhibitoren, Histondeacetylase-Inhibitoren, monoklonale Antikörper) erreicht (van de Donk et al. 2016; Raza et al. 2017; Rajkumar 2020). Wesentliche Therapieziele bei der Behandlung des multiplen Myeloms sind Symptomfreiheit, Verhinderung von Organkomplikationen und Lebenszeitverlängerung. Um eine länger andauernde komplette oder sehr gute par-
690
34
Kapitel 34 Onkologika
tielle Remission zu erzielen, erhalten jüngere Patienten ohne gravierende Begleiterkrankungen zunächst eine Induktionstherapie (z. B. mit der Kombination von Bortezomib plus Cyclophosphamid plus Dexamethason) und anschließend eine hoch dosierte Chemotherapie mit Melphalan und nachfolgender autologer Stammzelltransplantation (Gerecke et al. 2016). Danach besteht heute die Möglichkeit einer Erhaltungstherapie mit beispielsweise Thalidomid, Lenalidomid oder Bortezomib. Der Stellenwert dieser Erhaltungstherapie ist jedoch angesichts offener Fragen zur Verlängerung des Gesamtüberlebens, Verträglichkeit und Spättoxizität (z. B. Auslösung von Zweitneoplasien) noch unklar. Bei Rezidiv oder Progression können bereits etablierte Arzneimittel wie Immunmodulatoren oder Proteasominhibitoren als Monotherapie sowie in Kombination mit Glucocorticosteroiden, Zytostatika oder neueren Wirkstoffen (z. B. monoklonale Antikörper) eingesetzt werden (Übersicht bei Laubach et al. 2016; Der Arzneimittelbrief 2018). Viele Patienten kommen jedoch aus Altersgründen oder aufgrund von schweren Begleitkrankheiten für eine autologe Stammzelltransplantation nicht in Frage und werden daher mit unterschiedlichen Kombinationen der heute verfügbaren Wirkstoffe behandelt. Als initiale Therapie der Wahl werden Bortezomib plus Lenalidomid plus Dexamethason (VRD) empfohlen, wenn die Patienten eine Dreifachkombination ausreichend vertragen. Auch die Kombination von Bortezomib, Cyclophosphamid und Dexamethason hat eine gute Verträglichkeit und hohe Wirksamkeit gezeigt. Daneben bleiben Zweifachkombinationen wie Lenalidomid plus Dexamethason eine wichtige Behandlungsoption für ältere und gebrechliche Patienten (Übersicht bei Kumar et al. 2017). Aufgrund der Verfügbarkeit neuer Therapieoptionen ist in den letzten 20 Jahren das mediane Überleben von 3 auf 6 Jahre angestiegen. Auch bei Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom wurde durch neue Wirkstoffe in Kombination mit Dexamethason, Proteasominhibitoren oder Immunmodulato-
ren eine deutliche Verlängerung des progressionsfreien Überlebens erreicht (Rajkumar und Kyle 2016; Harousseau und Attal 2017). Trotz dieser Fortschritte ist eine Heilung des multiplen Myeloms weiterhin sehr selten, da die meisten Patienten nach primärer oder sekundärer Resistenzentwicklung ein Rezidiv erleiden (Übersicht bei Laubach et al. 2016). So erfreulich die Zunahme und Verbesserung der Therapieoptionen durch viele neue Wirkstoffe sind, so schwierig ist heute die Entscheidung über die optimalen Therapiestrategien bei Diagnose und im Rezidiv des multiplen Myeloms. Es werden deshalb zunehmend strategische klinische Studien gefordert, die wichtige Fragen für die alltägliche Versorgung von Patienten mit multiplem Myelom beantworten sollen (Moreau und Rajkumar 2016). Zunehmend kritisch beurteilt werden auch das Fehlen aussagekräftiger randomisierter kontrollierter Studien zum Vergleich der verfügbaren Kombinationstherapien sowie die Konsequenzen der enorm hohen Preise neuer Therapieoptionen für solidarisch finanzierte Gesundheitssysteme und den Zugang zu neuen Wirkstoffen (Rajkumar und Kyle 2016; Rajkumar und Harousseau 2016). Bortezomib (Velcade) war der erste therapeutisch nutzbare Proteasominhibitor, der seit 2004 zur Behandlung des multiplen Myeloms eingesetzt wird. Im Vergleich zum klassischen MP-Schema (Melphalan, Prednisolon) verlängert die zusätzliche Gabe von Bortezomib bei zuvor unbehandelten, älteren Patienten das Gesamtüberleben (56,4 versus 43,1 Monate) und senkt das Mortalitätsrisiko um 31 % (Übersicht bei Palumbo und Mina 2013). Die heute bevorzugte Dreifachkombination bei Patienten mit neu diagnostiziertem Myelom besteht aus Bortezomib, Lenalidomid, Dexamethason (VRD), die das Gesamtüberleben im Vergleich mit Lenalidomid-Dexamethason signifikant verbesserte (75 versus 64 Monate) und trotz höherer Abbruchraten (23 % versus 10 %) ein akzeptables Nutzen-Risiko-Profil hatte (Durie et al. 2017). Bortezomib hat nach der Einführung von Bortezomib-Generika weiterhin hohe Jahrestherapiekosten (über 70.000 C), da Generika höhere Listenpreise als
691 34.2 Zytostatika
preisgünstige Reimporte von Velcade haben und dadurch sogar größere DDD-Kosten als Velcade haben (. Tab. 34.7). In anderen europäischen Ländern (z. B. Niederlande) sind die Preise von Bortezomibgenerika bereits 33 % niedriger. Lenalidomid (Revlimid) gehört wie Thalidomid und Pomalidomid zur Gruppe der immunmodulatorischen Arzneimittel und hat gegenüber Thalidomid stärkere antiangiogene und tumorhemmende Wirkungen. Lenalidomid wurde 2007 zunächst für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom in Kombination mit Dexamethason zugelassen, die mindestens eine vorausgegangene Therapie erhalten haben, und 2013 für die Behandlung von Patienten mit transfusionsabhängiger Anämie infolge spezieller myelodysplastischer Syndrome in Verbindung mit einer isolierten Deletion 5q als zytogenetische Anomalie. Schließlich erfolgte 2016 die neueste Indikationserweiterung für Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem Mantelzell-Lymphom. Lenalidomid wirkt genauso wie Thalidomid teratogen und ist daher in der Schwangerschaft und bei gebärfähigen Frauen ohne Konzeptionsschutz kontraindiziert. Wegen der oralen Verabreichung und relativ guten Verträglichkeit ohne kumulative Toxizität wurden immunmodulatorische Arzneimittel als Option für die Erhaltungstherapie des multiplen Myeloms untersucht. In einer neueren Metaanalyse verbesserte Lenalidomid als Erhaltungstherapie nicht nur das progressionsfreie Überleben (52,8 versus 23,5 Monate) sondern auch das Gesamtüberleben um 25 % (McCarthy et al. 2017). Auch Revlimid hat sehr hohe Jahrestherapiekosten (ca. 95.000 C) und erzielte 2019 einen weiteren Verordnungszuwachs mit Nettokosten von 580 Mio. C (siehe 7 Kap. 1, . Tab. 1.3). Pomalidomid (Imnovid) ist ein weiteres Thalidomidderivat, das 2013 als Orphan-Arzneimittel zur Behandlung des rezidivierten oder refraktären multiplen Myeloms zugelassen wurde. Es hat stärkere TNF-inhibitorische und tumorhemmende Wirkungen als Lenalidomid und verlängert in Kombination
34
mit Dexamethason die Gesamtüberlebenszeit im Vergleich mit Dexamethason (12,7 versus 8,1 Monate) (San Miguel et al. 2013). Nach der frühen Nutzenbewertung des G-BA war das Ausmaß des Zusatznutzens von Pomalidomid beträchtlich (siehe Arzneiverordnungs-Report 2014, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2013, Abschn. 2.1.22). Trotz besonders hoher Jahrestherapiekosten (144.700 C) sind die Verordnungen weiter deutlich angestiegen (. Tab. 34.7). Carfilzomib (Kyprolis) ist nach Bortezomib (Velcade) der zweite Proteasominhibitor, der 2015 zur Behandlung des multiplen Myeloms in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason nach mindestens einer vorangegangenen Therapie als Orphan-Arzneimittel zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.6). Im Gegensatz zu dem reversiblen Proteasominhibitor Bortezomib bildet Carfilzomib ein kovalentes Addukt mit dem 20S Proteasom und ist damit ein irreversibler Inhibitor mit größerer Selektivität und geringeren Nebenwirkungen. Carfilzomib verbesserte als Zweifachkombination mit Dexamethason im Vergleich zu BortezomibDexamethason das mediane progressionsfreie Überleben und in einer späteren Auswertung auch das mediane Gesamtüberleben (47,6 versus 40,0 Monate) (Dimopoulos et al. 2017a). Weiterhin verbesserte Carfilzomib als Dreifachkombination mit Lenalidomid und Dexamethason im Vergleich zur Zweifachkombination Lenalidomid mit Dexamethason das mediane progressionsfreie Überleben und in einer späteren Auswertung auch das mediane Gesamtüberleben (48,3 versus 40,4 Monate) (Siegel et al. 2018). Eine erneute Nutzenbewertung des G-BA wegen Überschreitung der 50-Millionen-Euro-Umsatzgrenze ergab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, da das Gesamtüberleben einen signifikanten Vorteil der Kombinationstherapie mit Carfilzomib gegenüber Lenalidomid mit Dexamethason bzw. Bortezomib mit Dexamethason gezeigt hatte (Bundesministerium für Gesundheit 2018a). Die Verordnungen von Carfil-
692
34
Kapitel 34 Onkologika
zomib waren 2019 jedoch erneut rückläufig (. Tab. 34.7). Daratumumab (Darzalex) ist der erste humane CD38-Antikörper, der 2016 als OrphanArzneimittel eine bedingte Zulassung für die Monotherapie von Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplen Myelom erhielt, wenn sie bereits mit einem Proteasominhibitor und einem Immunmodulator behandelt worden waren und während der letzten Therapie eine Krankheitsprogression zeigten (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.1.5). Das Präparat wird bei den monoklonalen Antikörpern aufgelistet und zeigt 2019 erneut eine deutliche Zunahme der Verordnungen (. Tab. 34.9). Der monoklonale Antikörper verbesserte die Wirksamkeit von etablierten Therapieregimen für das multiple Myelom (Bortezomib mit Dexamethason bzw. Lenalidomid mit Dexamethason) auch bei stark vorbehandelten Patienten (Übersichten bei Varga et al. 2018; Harousseau und Attal 2017; Der Arzneimittelbrief 2018). Im August 2018 folgte als weitere Indikation die Zulassung zur Behandlung von Patienten mit neu diagnostiziertem multiplen Myelom in Kombination mit Bortezomib, Melphalan und Prednison, die für eine Stammzelltransplantation nicht geeignet sind (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 3.2.8). Die Vierfachkombination erreichte eine höhere Dreijahresüberlebensrate im Vergleich mit der Bortezomib-Melphalan-Prednison-Kombination (VMP) (78,0 % versus 67,9 %) (Mateos et al. 2020). Die frühe Nutzenbewertung der neuen Indikation ergab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, da das Gesamtüberleben im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie verlängert war. Im November 2019 und im Januar 2020 folgten zwei weitere Indikationen, die aber erst im August 2020 eine Nutzenbewertung erhalten. Die neuen Indikationen haben wesentlich dazu beigetragen, dass Daratumumab 2019 erneut eine starke Zunahme der Verordnungen von fast 60 % aufweist (. Tab. 34.9). Elotuzumab (Empliciti) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen das
„Signaling Lymphocytic Activation Molecule Family Member 7“ (SLAMF7). Das Glykoprotein wird auf der Oberfläche von Myelomzellen exprimiert, aber auch von normalen Plasmazellen, Natural Killer (NK)-Zellen und einer Subgruppe anderer Immunzellen. Der Wirkmechanismus dieses monoklonalen Antikörpers beruht sowohl auf einer Antikörper-abhängigen zellvermittelten Zytotoxizität als auch auf einer Aktivierung von NKZellen. Elotuzumab ist in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason als Zweitlinientherapie für Patienten mit multiplem Myelom indiziert (siehe ArzneiverordnungsReport 2017, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.1.11). Darüber hinaus ist Elotuzumab inzwischen auch in Kombination mit Pomalidomid und Dexamethason zugelassen zur Behandlung für Patienten mit multiplem Myelom, die mindestens zwei vorausgegangene Therapien (mit Lenalidomid und einem Proteasom-Inhibitor) erhalten haben. In einer Phase-3-Studie an Patienten mit multiplem Myelom und 1–3 vorangegangenen Therapien wurde mit Elotuzumab zunächst eine Verlängerung des progressionsfreien Überlebens und der Gesamtansprechrate gezeigt sowie in einer Follow-Up-Analyse eine geringe Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens (43,7 versus 39,6 Monate) (Dimopoulos et al. 2017b; Der Arzneimittelbrief 2018). Daraufhin ergab die Nutzenbewertung des G-BA einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2016a). Die Verordnungen von Elotuzumab sind 2019 weiter gestiegen (. Tab. 34.9).
34.3
Proteinkinaseinhibitoren
Proteinkinasen sind in vielfältiger Weise in die Signaltransduktion von membranständigen Rezeptoren zum Zellkern eingebunden und katalysieren eine ATP-abhängige Phosphorylierung von Proteinen. Rezeptortyrosinkinasen bilden den intrazellulären Teil eines Membranrezeptors, der auf der Zellaußenseite von
34
693 34.3 Proteinkinaseinhibitoren
seinen Liganden aktiviert wird und dadurch seine Proteinkinaseaktivität auf der Zellinnenseite anschaltet, um andere intrazelluläre Proteine zu phosphorylieren. Intrazellulär gibt es zahlreiche zytoplasmatische Tyrosin- und Serin-Threonin-Kinasen, die in mehrstufigen Signalkaskaden physiologische Wachstumsimpulse von Zellmembranrezeptoren zum Zellkern weiterleiten, wie z. B. die RAS-RAFMEK-ERK-Signalkette. Bei vielen Signalproteinen sind inzwischen onkogene Mutationen bekannt, die unabhängig von einer physiologischen Rezeptorstimulation den Signalweg aktivieren (Hanahan und Weinberg 2011; Hanahan 2014). Proteinkinaseinhibitoren hemmen onkogene, aber auch physiologische Aktivierungen solcher Signalkaskaden selektiv oder weniger spezifisch (Multikinaseinhibitoren). Seit der Einführung von Imatinib (Glivec) im Jah-
re 2001 sind zahlreiche Proteinkinaseinhibitoren für die Tumortherapie entwickelt worden (Übersicht bei Gharwan und Groninger 2016). Das Verordnungsvolumen ist 2019 gegenüber dem Vorjahr weiter gestiegen, weil Lenvatinib (Lenvima) aus dieser Gruppe erstmals bei den meistverordneten Onkologika vertreten ist (. Tab. 34.8). Die Dynamik auf dem Gebiet der Proteinkinaseinhibitoren ist auch daran erkennbar, dass 2019 neue Indikationen von zwei bekannten Proteinkinaseinhibitoren (Ibrutinib, Ribociclib) zugelassen wurden (vgl. 7 Kap. 2, Neue Arzneimittel 2018, . Tab. 2.9). Trotz eines mit 13,5 Mio. DDD nur geringen Anteils (5,4 %) am Verordnungsvolumen der Onkologika erreichten die in der Tumortherapie eingesetzten Proteinkinaseinhibitoren 2019 mit Bruttokosten von 2,02 Mrd. C die zweitgrößten Nettokosten und hatten von allen Onkologika die höchste Zuwachsrate des
. Tabelle 34.8 Verordnungen von Proteinkinaseinhibitoren und weiteren antineoplastischen Wirkstoffen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
BCR-ABL-Tyrosinkinaseinhibitoren Tasigna
Nilotinib
0,83
(1,4)
129,79
Glivec
Imatinib
0,65
(11,8)
122,95
Sprycel
Dasatinib
0,36
(15,6)
198,92
Imatinib beta
Imatinib
0,24
(C77,7)
7,29
Imatinib Devatis
Imatinib
0,24
(C113,0)
6,42
Imatinib Denk
Imatinib
0,13
(2,4)
6,13
Imatinib Accord
Imatinib
0,10
(C18,5)
29,20
2,6
(C3,2)
104,61
Ibrutinib
1,2
(C35,6)
248,76
Ruxolitinib
1,6
(C15,0)
150,38
Bruton-Tyrokinaseinhibitoren Imbruvica Januskinaseinhibitoren Jakavi
694
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.8 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Rezeptor-Tyrosinkinaseinhibitoren Ofev
Nintedanib
0,59
(C16,1)
104,85
Tagrisso
Osimertinib
0,46
(C145,5)
242,30
Sutent
Sunitinib
0,39
(17,1)
159,06
Votrient
Pazopanib
0,32
(13,4)
147,62
Cabometyx
Cabozantinib
0,23
(C47,3)
267,36
Giotrif
Afatinib
0,20
(24,0)
113,98
Nexavar
Sorafenib
0,13
(16,2)
160,90
Lenvima
Lenvatinib
0,12
(C72,2)
215,60
Vargatef
Nintedanib
0,12
(C29,6)
100,61
2,6
(C12,5)
166,37
BRAF- und MEK-Inhibitoren Mekinist
Trametinib
0,37
(C33,8)
146,32
Tafinlar
Dabrafenib
0,37
(C30,7)
194,48
0,74
(C32,2)
170,37
m-TOR-Inhibitoren
34
Afinitor
Everolimus
0,11
(47,4)
169,85
Votubia
Everolimus
0,11
(C11,5)
194,12
0,22
(28,7)
181,91
Alectinib
0,18
(C46,4)
201,28
Ibrance
Palbociclib
2,3
(C26,8)
111,16
Kisqali
Ribociclib
0,45
(C150,1)
197,88
2,7
(C37,9)
125,34
ALK-Inhibitoren Alecensa CDK-Inhibitoren
PARP-Inhibitoren Lynparza
Olaparib
0,35
(C94,0)
226,75
Zejula
Niraparib
0,13
(C19,5)
402,64
0,49
(C66,0)
274,46
0,18
(C174,4)
232,90
(C20,3)
156,97
BCL-2-Inhibitoren Venclyxto Summe
Venetoclax
12,5
695 34.3 Proteinkinaseinhibitoren
DDD-Volumens (C14,5 %) (. Tab. 34.1). Wegen der zahlreichen Wirkstoffe werden die Arzneimittel dieser Gruppe in einer indikationsbezogenen Gliederung dargestellt. CDKInhibitoren werden ausschließlich zur Behandlung des Mammakarzinoms eingesetzt und werden deshalb zusammen mit den Hormonantagonisten dargestellt (7 Abschn. 34.6.2).
34.3.1
Philadelphia-Chromosompositive chronische myeloische Leukämie
Imatinib (Glivec) wurde 2001 zur Behandlung von Patienten mit Philadelphia-Chromosompositiver chronischer myeloischer Leukämie (CML) eingeführt, für die damals eine allogene Stammzelltransplantation als Erstbehandlung nicht in Betracht kam. Ursache der Krankheit ist die Fusion des Abelson-Murine-Leukemia(ABL)-Gens auf Chromosom 9 mit dem Breakpoint-Cluster-Region-(BCR)-Gen auf Chromosom 22, woraus das Fusionsgen BCRABL entsteht, das eine konstitutiv aktive Tyrosinkinase kodiert. Als potenter kompetitiver Inhibitor der BCR-ABL-Tyrosinkinase erzielte Imatinib bei Patienten mit CML erstmals stabile, komplette zytogenetische und molekulare Remissionen (O’Brien et al. 2003). Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 10,9 Jahren bestätigte sich die sehr gute Wirksamkeit von Imatinib (Gesamtüberlebensrate 83,3 %, komplette zytogenetische Remission 82,8 %) ohne schwerwiegende kumulative Toxizität oder spät auftretenden Nebenwirkungen (Hochhaus et al. 2017). Seit der Einführung von Imatinib ist die jährliche Mortalität der CML von 10–20 % auf 1–2 % gesunken. Inzwischen haben die meisten Patienten mit CML eine normale Lebenserwartung, sodass die Lebensqualität eine zusätzliche Bedeutung bekommen hat. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das Absetzen der Imatinibtherapie nach Erreichen einer stabilen tiefen molekularen Remission. Die erste prospektive Studie zum weiteren klinischen und molekularen Verlauf
34
nach Beendigung der Therapiemit Imatinib zeigte nach 77 Monaten bei 38 % der Patienten eine stabile molekulare Remission ohne weitere Therapie (Etienne et al. 2017). Bei Patienten mit einem molekularen Rückfall wurde die Therapie mit Imatinib erneut begonnen. Fast alle Patienten (96 %) erreichten wiederum eine tiefe molekulare Remission und bei keinem Patienten kam es zu einer Progression der CML in eine akzelerierte Phase oder Blastenkrise. Nach den aktuellen Empfehlungen des European LeukemiaNet kann daher bei Patienten mit dauerhafter tiefer molekularer Remission als weiteres Ziel ein Absetzversuch in Betracht gezogen werden (Hochhaus et al. 2020a). Standard in der Erstlinienbehandlung der CML ist derzeit die Gabe von Imatinib oder einem der bisher zugelassenen Tyrosinkinaseinhibitoren der zweiten Generation (Dasatinib, Nilotinib, Bosutinib). Die Tyrosinkinaseinhibitoren der zweiten Generation sind hinsichtlich des Erreichens einer tiefen molekularen Remission wirksamer als Imatinib, verbessern aber das 10 Jahresüberleben (unter Imatinib etwa 83 %) bisher nicht. Die Auswahl der Erstlinientherapie erfolgt individuell und orientiert sich vor allem am Patientenwunsch (z. B. rasches Erreichen einer tiefen molekularen Remission), am unterschiedlichen Nebenwirkungsspektrum, individuellen Risikofaktoren und Begleiterkrankungen. Tyrosinkinaseinhibitoren der zweiten Generation werden heute vor allem bei Hochrisikopatienten (Pfirrmann et al. 2020) sowie bei Resistenz oder Unverträglichkeit gegenüber Imatinib verabreicht. Bei Patienten mit niedrigem Risiko gilt Imatinib weiterhin als Standard in der Erstlinientherapie, da es bei der Mehrzahl der Patienten wirksam ist, fast 20 Jahre therapeutische Erfahrungen mit Imatinib vorliegen und schwere oder späte unerwartete toxische Effekte nicht aufgetreten sind. Imatinibgenerika sind derzeit die kostengünstigste Erstbehandlung bei chronischer CML (Hochhaus et al. 2020a). Dementsprechend haben die Verordnungen der Imatinibgenerika deutlich zugelegt, während Nilotinib und Dasatinib rückläufig waren (. Tab. 34.8).
696
34
Kapitel 34 Onkologika
Dasatinib (Sprycel) und Nilotinib (Tasigna) wurden 2006 bzw. 2007 ebenfalls für die Erstlinienbehandlung der CML sowie zusätzlich für Patienten mit Resistenz gegenüber oder Unverträglichkeit von Imatinib zugelassen. Mit beiden Tyrosinkinaseinhibitoren wurden in klinischen Studien rascher tiefe molekulare Remissionen als mit Imatinib erreicht. Bosutinib (Bosulif ) wurde 2013 als weiterer Tyrosinkinaseinhibitor zur Behandlung der CML in der chronischen, akzelerierten und Blastenkrise zugelassen für Patienten, die mindestens mit einem Tyrosinkinaseinhibitor vorbehandelt wurden und bei denen Imatinib, Dasatinib und Nilotinib nicht als geeignete Behandlungsoption angesehen wurden. Das Nebenwirkungsprofil dieser 3 Tyrosinkinaseinhibitoren unterscheidet sich von Imatinib. Dasatinib sollte nicht bei Patienten eingesetzt werden, bei denen ein Risiko besteht, Pleuraergüsse zu entwickeln (z. B. Herzinsuffizienz, Lungenerkrankungen) und Nilotinib infolge der Auslösung von Hyperglykämien nicht bei Patienten mit Diabetes mellitus (Rassaf et al. 2020; Steegmann et al. 2016). Bosutinib führt häufig zu vorübergehenden Diarrhoen und Erhöhung der Transaminasen, weshalb eine einschleichende Dosierung und Gabe von Loperamid empfohlen wird. Auch aus diesem Grund wird empfohlen, die neuen Tyrosinkinaseinhibitoren nur bei Patienten einzusetzen, die nicht optimal auf Imatinib ansprechen oder schon bei der Diagnose hohe Risikoscores aufweisen (Übersicht bei Jabbour und Kantarjian 2018). Ponatinib (Iclusig), ein Tyrosinkinaseinhibitor der dritten Generation mit breitem Wirkspektrum, wurde ebenfalls 2013 zugelassen für Patienten mit BCR-ABL1 T3151I-Mutation und für Patienten die resistent sind gegenüber Dasatinib bzw. Nilotinib oder diese Tyrosinkinaseinhibitoren nicht vertragen (Cortes et al. 2018; Hochhaus et al. 2020b).
34.3.2
Chronische lymphatische Leukämie
Die Strategien für die medikamentöse Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie haben sich in den letzten 5 Jahren deutlich verändert. Grund hierfür ist die Zulassung neuer Arzneimittel, die durch Hemmung von Kinasen (Ibrutinib, Idelalisib), die Signalübertragung über den B-Zell-Rezeptor bei Patienten mit CLL unterbrechen bzw. das antiapoptotisch wirkende Protein BCL-2 hemmen (Venetoclax). Diese neuen Arzneimittel wurden zunächst bei Patienten mit rezidivierter bzw. refraktärer CLL untersucht, inzwischen aber auch bei Patienten in der Erstlinientherapie verglichen mit der bisherigen Standardtherapie (Chemo-/Immuntherapie: Kombination verschiedener Zytostatika mit monoklonalen Antikörpern, die gegen das CD20-Antigen auf B-Lymphozyten gerichtet sind) (Dreger et al. 2018; Der Arzneimittelbrief 2019; Iovino und Shadman 2020; Wierda et al. 2020). Ibrutinib (Imbruvica), ein selektiver, potenter und irreversibler Inhibitor der BrutonTyrosinkinase (BTK), wurde 2014 als OrphanArzneimittel zunächst zur Zweitlinientherapie der chronischen lymphatischen Leukämie sowie zur Erstlinientherapie bei 17p-Deletion oder TP53-Mutation eingeführt. Inzwischen ist Ibrutinib auch in der Erstlinienbehandlung der CLL als Monotherapie uneingeschränkt zugelassen (Der Arzneimittelbrief 2019). Damit steht ein weiteres Arzneimittel zur Verfügung sowohl für unbehandelte Patienten, bei denen eine Indikation zur medikamentösen Behandlung der CLL besteht, als auch für Patienten, die auf die bisherigen Therapiestandards für die Erstlinienbehandlung (z. B. Chemo-/Immuntherapie mit Fludarabin, Cyclophosphamid und dem CD20-Antikörper Rituximab bei körperlich „fitten“ Patienten) nicht mehr ansprechen (von Tresckow et al. 2019). Ibrutinib verbesserte in einer Phase-2-Studie im Vergleich zu dem CD20-Antikörper Ofatumumab die Gesamtansprechrate (42,6 % versus 4,1 %), das progressionsfreie Überleben und das Ge-
697 34.3 Proteinkinaseinhibitoren
34
krankheitsbedingter Splenomegalie oder anderer krankheitsbezogener Symptome bei primärer Myelofibrose und Post-Polycythaemiavera- bzw. Post-Essenzieller Thrombozythämie-Myelofibrose (Übersicht bei Cervantes 2014). Die Familie der Januskinasen besteht aus 4 zytoplasmatischen Proteintyrosinkinasen, die an der Signaltransduktion verschiedener Zytokinrezeptoren und hämatopoetischer Wachstumsfaktorrezeptoren zum Zellkern beteiligt sind. Ruxolitinib ist der erste selektive JAK1/JAK2-Inhibitor, der durch Hemmung inflammatorischer Zytokinsignale antiproliferativ und proapoptotisch wirkt, jedoch nicht zu anhaltenden molekularen oder pathologischen Remissionen bei Myelofibrose führt (Pardanani und Tefferi 2018). In einer placebokontrollierten Phase-3-Studie an Patienten mit fortgeschrittener Myelofibrose und stark vergrößerter Milz erreichten 41,9 % der mit Ruxolitinib behandelten Patienten in Woche 24 den primären Endpunkt, eine 35 %ige Abnahme des Milzvolumens im Vergleich zu 0,7 % unter Placebo (Verstovsek et al. 2012). Weiterhin senkte Ruxolitinib einen Score zu Symptomen (50 % Besserung von Nachtschweiß, Juckreiz, Völlegefühl, Bauchschmerzen, Inaktivität) stärker als Placebo (45,9 % versus 5,3 %). Das Risiko hämatologischer Nebenwirkungen (Anämie, Thrombozytopenie) und nicht hämatologischer Toxizitäten (Neuropathie, Infektionen) war erhöht (Pardanani und Tefferi 2018). Eine zweite offene Studie im Vergleich mit bester verfügbarer Therapie lieferte nach 48 Wochen ähnliche Ergebnisse (Harrison et al. 2012). Die erneute Nutzenbewertung von Ruxolitinib durch den G-BA nach Überschreitung eines GKV-Jahresumsatzes von 50 Mio. C ergab einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen, da das Gesamtüberleben teilweise signifikante Ergebnisse zugunsten von Ruxolitinib zeigte (Bundesministe34.3.3 Myelofibrose und rium für Gesundheit 2014). Eine gepoolte Polycythaemia vera Analyse der beiden COMFORT-Studien bestätigte, dass Ruxolitinib das GesamtüberRuxolitinib (Jakavi) ist der erste Januskina- leben im Vergleich zur Kontrollgruppe erseinhibitor, der 2012 als Orphan-Arzneimit- höht (5,3 versus 3,8 Jahre) (Verstovsek et al. tel zugelassen wurde für die Behandlung von 2017). Inzwischen wurde Ruxolitinib 2015 samtüberleben nach 12 Monaten (90 % versus 81 %) (Byrd et al. 2014). Ibrutinib wurde inzwischen auch als Monotherapie für die Behandlung des rezidivierten oder refraktären Mantelzell-Lymphoms und für Patienten mit Morbus Waldenström zugelassen, die mindestens eine vorangehende Therapie erhalten haben, oder zur Erstlinientherapie bei Patienten, die für eine Chemo-/Immuntherapie nicht geeignet sind. Beim Einsatz von Ibrutinib zur Behandlung von Patienten mit nicht vorbehandelter B-CLL ist jedoch zu berücksichtigen, dass inzwischen neue Ergebnisse zu teilweise schweren kardiovaskulären Nebenwirkungen unter „Real-World“ Bedingungen (Salem et al. 2019; Der Arzneimittelbrief 2020) publiziert wurden, die bei dem Einsatz dieses BTKInhibitors zur Behandlung der häufig älteren Patienten mit B-CLL und kardiovaskulären Risikofaktoren bedacht werden müssen. Imbruvica erreichte 2019 einen weiteren kräftigen Zuwachs in den Verordnungen (. Tab. 34.8) und gehört mit 306 Mio. C zu den 30 umsatzstärksten Arzneimitteln (. Tab. 1.3). Venetoclax (Venclyxto) ist der erste Inhibitor des antiapoptotisch wirkenden BZell-Lymphom-2-Proteins (BCL-2), der zuerst 2016 für die Monotherapie von Patienten mit einer B-CLL zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.34). Im Oktober 2018 folgte die Zulassung der Zweitlinienbehandlung von CLL-Patienten in Kombination mit Rituximab (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 3.2.24). In den Zulassungsstudien zeigte Venetoclax eine gute Wirksamkeit, auch bei gegenüber Chemotherapie refraktären Patienten und in (molekular)genetischen CLLHochrisikogruppen.
698
Kapitel 34 Onkologika
auch für die Behandlung der Polycythaemia vera bei Resistenz oder Intoleranz gegen Hydroxycarbamid zugelassen. In einer Phase-3-Studie an 222 Patienten wurde gezeigt, dass Ruxolitinib gegenüber einer Standardtherapie bei Patienten mit unzureichendem Ansprechen oder inakzeptablen Nebenwirkungen von Hydroxycarbamid den Hämatokritwert besser kontrollierte, das Milzvolumen verkleinerte und Symptome verbesserte (Vannucchi et al. 2015). Jakavi wurde 2019 erneut mehr verordnet (. Tab. 34.8) und ist jetzt mit Nettokosten von 238 Mio. C unter den 30 umsatzstärksten Arzneimitteln vertreten (. Tab. 1.3).
34.3.4
34
Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)
Für die Behandlung des metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms wurden in den letzten Jahren verschiedene neue medikamentöse Therapieoptionen entwickelt. Der ursprüngliche Goldstandard der platinbasierten Chemotherapie ist in vielen histologisch und molekular definierten Untergruppen durch zielgerichtete Therapien abgelöst worden. Dazu gehören EGFR-Tyrosinkinaseinhibitoren (Erlotinib, Afatinib, Nintedanib, Osimertinib), ALK-Inhibitoren (Crizotinib, Alectinib) und PD-1-/PD-L1 Rezeptorinhibitoren (Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab) (Übersicht bei Heigener et al. 2019). Führender Vertreter der Tyrosinkinaseinhibitoren ist Osimertinib (Tagrisso), ein irreversibler mutantenselektiver EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor, der 2016 zuerst für die Zweitlinienbehandlung von Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC und einer positiven T790M-EGFR-Mutation zugelassen wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Abschn. 3.1.19) und 2018 auch für die Erstlinienbehandlung (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 3.2.20). Grundlage der Indikationserweiterung war eine Phase-3-Studie an 556 Pa-
tienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem, EGFR-mutationspositivem NSCLC, in der das Gesamtüberleben durch Osimertinib im Vergleich zu zwei anderen EGFRTyrosinkinaseinhibitoren (Gefitinib, Erlotinib) (38,6 versus 31,8 Monate) verlängert wurde (Ramalingam et al. 2020). In der frühen Nutzenbewertung erhielt Osimertinib deshalb einen Anhaltspunkt für einen beträchtlichen Zusatznutzen. Weiterhin wird Osimertinib in der aktualisierten NSCLC-Leitlinie der ESMO nun als eine Erstlinienoption für Patienten mit EGFR-mutationspositiven Tumor angesehen (Planchard et al. 2019). Dementsprechend haben sich die Verordnungen von Osimertinib 2019 2,5-fach erhöht, obwohl die Behandlungskosten doppelt so hoch sind wie mit Afatinib und Nintedanib (. Tab. 34.8). Der EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor Afatinib (Giotrif ) wurde 2013 zur Erstlinienbehandlung des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC mit aktivierenden EGFRMutationen zugelassen. Bei Patienten mit NSCLC (Adenokarzinom) im Stadium IIIB oder IV und aktivierenden EGFR-Mutationen verlängerte Afatinib im Vergleich zur Chemotherapie mit Cisplatin und Pemetrexed nur das progressionsfreie Überleben (13,9 versus 6,9 Monate), aber nicht das Gesamtüberleben (LUX-Lung 3). Erst eine weitere Auswertung dieser überwiegend an asiatischen Patienten durchgeführten offenen, aktiv kontrollierten Phase-3-Studie zeigte, dass Afatinib nur bei Patienten mit del19 EGFR Mutationen das Gesamtüberleben verlängerte (LUX-Lung 3: 33,3 versus 21,1 Monate, LUX-Lung 6: 31,4 versus 18,4 Monate), aber nicht in der Leu858Arg-positiven Subgruppe (Yang et al. 2015). In einem Cochrane-Review von 19 Studien mit 2.317 Teilnehmern (davon 1.700 Asiaten) mit EGFR-Mutationspositivem NSCLC zeigten Erlotinib, Gefitinib und Afatinib im Vergleich zur Chemotherapie eine erhöhte Ansprechrate und ein verlängertes progressionsfreies Überleben mit weniger Toxizität im Vergleich zur Chemotherapie, jedoch keine Verlängerung des Gesamtüberlebens (Greenhalgh et al. 2016).
699 34.3 Proteinkinaseinhibitoren
Nintedanib (Vargatef ) ist ein weiterer EGFR-Tyrosinkinaseinhibitor, der 2019 nach einem deutlichen Verordnungsanstieg wieder unter den häufig verordneten Onkologika vertreten ist (. Tab. 34.8). Er erhielt 2014 zunächst eine Zulassung in Kombination mit Docetaxel zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen, metastasierten oder lokal rezidivierten NSCLC mit Adenokarzinom-Histologie nach Erstlinienchemotherapie, später auch zur primären Behandlung dieses NSCLC-Subtyps. In einer Phase-3-Studie an 1.314 Patienten mit rezidiviertem NSCLC (Stadium IIIB/IV) nach Progression unter Erstlinienchemotherapie verlängerte Nintedanib plus Docetaxel mit Adenokarzinom-Histologie das Gesamtüberleben im Vergleich zu Docetaxel (12,6 Monate versus 10,3 Monate) (Reck et al. 2014). Wesentlich mehr verordnet wird das zweite Nintedanibpräparat (Ofev) zur Behandlung der idiopathischen Lungenfibrose (. Tab. 34.8). Damit steht nach dem 2012 eingeführten Pirfenidon (Esbriet) ein weiteres Arzneimittel für diese Indikation zur Verfügung (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2016, Abschn. 3.1.24). Alectinib (Alecensa) ist ein ALK-Tyrosinkinaseinhibitor, der 2017 zunächst zur Zweitlinienbehandlung und 2018 auch zur Erstlinienbehandlung von Patienten mit einem ALKpositiven, fortgeschrittenen NSCLC zugelassen wurde. Vorteil im Vergleich mit Crizotinib ist eine höhere ZNS-Penetration, da es kein Substrat des Effluxtransporters P-Glykoprotein an der Bluthirnschranke ist und daher auch das Wachstum von Hirnmetastasen hemmt. In einer Phase-3-Studie an zuvor unbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positivem NSCLC war das progressionsfreie Überleben nach 12 Monaten nach Therapie mit Alectinib höher als mit Crizotinib (68,4 versus 48,7 %) (Peters et al. 2017). Auch die Progressionsrate von Hirnmetastasen war mit Alectinib niedriger als mit Crizotinib (12 % versus 45 %). Dagegen zeigte die Gesamtüberlebensrate nach 12 Monaten keinen signifikanten Unterschied (84,3 % versus 82,5 %). Die Nutzenbewertung für das neue
34
Anwendungsgebiet ergab einen Anhaltspunkt für einen nicht-quantifizierbaren Zusatznutzen von Alectinib für die Erstbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positivem NSCLC. Entscheidend für die Gesamtbewertung war die Tatsache, dass die Zeit bis zur ZNS-Progression aufgrund von Unsicherheiten in der Datengrundlage als nicht quantifizierbar eingestuft wurde (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Abschn. 3.2.1). Trotzdem sind die Verordnungen von Alecensa 2019 wieder kräftig gestiegen (. Tab. 34.8). Erlotinib (Tarceva) und Crizotinib (Xalkori) sind nach weiter rückläufigen Verordnungen nicht mehr unter den meistverordneten Onkologika vertreten (. Tab. 34.8).
34.3.5
Nierenzellkarzinom
Für die Erst- und Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen oder metastasierten Nierenzellkarzinoms werden heute vor allem Tyrosinkinaseinhibitoren (Sunitinib, Sorafenib, Pazopanib, Axitinib), mTOR-Inhibitoren (Temsirolimus, Everolimus), VEGF-Inhibitoren (Bevacizumab, evtl. plus Interferon) und PD1-Rezeptorinhibitoren (Nivolumab) eingesetzt (Übersicht bei Choueiri und Motzer 2017). Sunitinib (Sutent) ist ein multimodaler Rezeptortyrosinkinaseinhibitor von VEGF-Rezeptoren, PDGF-Rezeptoren und anderen Tyrosinkinasen. Er wurde 2006 als Erstlinientherapie von fortgeschrittenen oder metastasierten Nierenzellkarzinomen sowie als Zweitlinientherapie von gastrointestinalen Stromatumoren (GIST) nach Versagen von Imatinib zugelassen. Seitdem ist die frühere Zytokin-basierte Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms weitgehend durch die Therapie mit Proteinkinaseinhibitoren und mTOR-Inhibitoren ersetzt worden. Sunitinib verbesserte das mediane progressionsfreie Überleben (11 Monate) im Vergleich zu Interferon-alfa (5 Monate) und gehört seitdem zur Standardtherapie für diese Indikation (Übersicht bei Choueiri und Motzer 2017).
700
34
Kapitel 34 Onkologika
Sorafenib (Nexavar) ist ebenfalls ein multimodaler Proteinkinaseinhibitor, der 2006 nur für die Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms nach Versagen einer Zytokin-basierten Therapie zugelassen wurde (Übersicht bei McKeage und Wagstaff 2007). Vermutlich wird er deshalb nicht so häufig wie Sunitinib eingesetzt (. Tab. 34.8). Als weitere Indikationen von Sorafenib wurden später das Leberzellkarzinom und das metastasierte, differenzierte, Iod-refraktäre Schilddrüsenkarzinom zugelassen. Als dritter multimodaler Rezeptortyrosinkinaseinhibitor des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms wurde Pazopanib (Votrient) 2010 zugelassen, das in einer placebokontrollierten Studie als Erstlinientherapie oder an Zytokin-vorbehandelten Patienten eine deutliche Verlängerung des progressionsfreien Überlebens zeigte (11,1 versus 2,8 Monate). Der direkte Vergleich mit Sunitinib ergab keine Unterschiede im Gesamtüberleben, aber Vorteile für Pazopanib bei Verträglichkeit und Lebensqualität (Motzer et al. 2013). Everolimus (Afinitor) ist ein Inhibitor von mTOR (mammalian target of rapamycin), der 2009 als Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms nach Versagen einer Anti-VEGF-Therapie zugelassen wurde. Der Wirkstoff ist ein Sirolimusderivat und bildet genauso wie Sirolimus einen Komplex mit einem Immunophyllin (FK-Bindungsprotein), der die mTOR-Aktivität hemmt (Übersicht bei Grgic et al. 2011). Everolimus wurde 2004 zunächst als Immunsuppressivum mit dem Handelsnamen Certican zur Prophylaxe der Transplantatabstoßung nach allogener Nieren- oder Herztransplantation in einer 10-fach geringeren Dosis zugelassen und wird bei dieser Indikation wesentlich häufiger verordnet (2,4 Mio. DDD, . Tab. 29.3) als Afinitor bei der onkologischen Indikation (. Tab. 34.8). Erstmals ist Everolimus mit einem weiteren Präparat (Votubia) vertreten (. Tab. 34.8), das seit 2011 zur Behandlung des renalen Angiomyolipoms assoziiert mit tuberöser Sklerose und des subependymalen Riesenzellastrozytoms zugelassen ist (Übersicht bei Capal und Franz 2016).
Cabozantinib (Cabometyx) ist ein weiterer multimodaler Tyrosinkinaseinhibitor mit zwei Indikationen. Die Indikationserweiterung ist vermutlich der Grund dafür, dass das Präparat auch 2019 trotz hoher DDD-Kosten deutlich mehr verordnet wurde (. Tab. 34.8). Zuerst wurde Cabozantinib (Cometriq) 2014 als Orphan-Arzneimittel zur Behandlung des medullären Schilddrüsenkarzinoms zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 2, Abschn. 2.1.6). Als nächste Indikation folgte 2016 die Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms mit Cabozantinib (Cabometyx). Basis der Zulassung war eine aktiv kontrollierte Phase-3-Studie von Cabozantinib im Vergleich mit Everolimus an 658 Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom, in der das mediane Gesamtüberleben durch Cabozantinib im Vergleich mit Everolimus verlängert wurde (21,4 versus 16,5 Monate) (Choueiri et al. 2016). Die Nutzenbewertung von Cabozantinib zur Behandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms ergab jedoch nur einen geringen Zusatznutzen, weil es relevante Nachteile im Vergleich zu Everolimus durch eine Zunahme von schweren unerwünschten Ereignissen hatte. Im November 2018 kam als dritte Indikation die Monotherapie des Leberzellkarzinoms bei Patienten hinzu, die zuvor mit Sorafenib behandelt wurden. Auch in dieser Indikation erhielt Cabozantinib trotz eines positiven Effekts auf das Gesamtüberleben wegen negativer Effekte (schweren Nebenwirkungen, fehlende Daten zur Lebensqualität) nur einen geringen Zusatznutzen (Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 2, Abschn. 2.2.6).
34.3.6
Melanom und Lungenkarzinom
Dabrafenib (Tafinlar) ist nach Vemurafenib (Zelboraf ) der zweite Inhibitor der BRAFSerin-Threonin-Kinase, der 2013 zur Monotherapie von Patienten mit nicht resezierbarem oder metastasiertem Melanom mit BRAF-
701 34.4 Weitere antineoplastische Wirkstoffe
V600 Mutation zugelassen wurde, nachdem eine Vergleichsstudie mit Dacarbazin deutlich höhere Ansprechraten (50 % versus 3 %) und ein verbessertes progressionsfreies Überleben (5,1 versus 2,7 Monate) gezeigt hatte (Hauschild et al. 2012). Als nächste Indikation wurde 2015 Dabrafenib in Kombination mit dem MEK-Inhibitor Trametinib (Mekinist) zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit nicht-resezierbarem oder metastasiertem Melanom mit einer BRAF-V600-Mutation zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.2.5). Im Jahre 2017 wurde die DabrafenibTrametinib-Kombination auch zur Behandlung des fortgeschrittenen, nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms mit einer BRAF-V600Mutation zugelassen. Die Kombination von BRAF-Inhibitoren mit MEK-Inhibitoren wird eingesetzt, weil es unter der Therapie mit Dabrafenib bei den meisten Patienten infolge einer raschen Resistenzentwicklung nach 6 Monaten zu einem Rezidiv mit erneutem Tumorwachstum kommt. Ursache der Resistenz ist vermutlich eine Reaktivierung der Mitogen-aktivierten Proteinkinase (MAP) durch Mutationen in einzelnen Stufen der RASRAF-MEK-ERK-MAP-Kaskade (Weeraratna 2012). Unter den verschiedenen Strategien zur Ausschaltung der Resistenz hat die kombinierte Anwendung mit MEK-Inhibitoren eine besondere Bedeutung, weil sie in der MAP-Kinasekaskade unmittelbar nach BRAF wirken und damit ein Tumorwachstum durch onkogene BRAF-Mutationen blockieren. Die Indikationserweiterung von Dabrafenib plus Trametinib für das neue Indikationsgebiet beruht auf zwei einarmigen Phase-2-Studien an Patienten mit nicht-kleinzelligem BRAF-V600Epositivem Lungenkarzinom, in denen die Kombination eine Ansprechrate von über 60 % erreichte. Die frühe Nutzenbewertung von Dabrafenib in der neuen Indikation ergab keinen Beleg für einen Zusatznutzen, da nur Daten aus unkontrollierten Studien mit wenigen Patienten vorgelegt wurden (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.2.5). Die neueste Indi-
34
kationserweiterung beim Melanom war 2018 die kombinierte Anwendung von Dabrafenib und Trametinib zur adjuvanten Behandlung von Melanom-Patienten im Stadium III mit einer BRAF-V600-Mutation nach vollständiger Resektion, die bei der Nutzenbewertung sogar einen beträchtlichen Zusatznutzen ergab (Arzneiverordnung-Report 2019, Kap. 3). Die verschiedenen Indikationserweiterungen haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass Dabrafenib und Trametinib 2019 erneut mehr verordnet wurden (. Tab. 34.8). Die Jahrestherapiekosten der Kombination der beiden Proteinkinaseinhibitoren sind mit 124.370 C allerdings sehr hoch (. Tab. 34.8). 34.4
34.4.1
Weitere antineoplastische Wirkstoffe PARP-Inhibitoren
Poly(ADP-ribose)-Polymerasen (PARP) sind eine Gruppe von Enzymen, die unter physiologischen Bedingungen an der Reparatur von DNA-Einzelstrangbrüchen durch Nukleotidexzision beteiligt sind. PARP-Inhibitoren blockieren die Reparatur von Einzelstrangbrüchen durch kompetitive Bindung an die NADSubstratbindungsdomäne von PARP und verursachen während der DNA-Replikation in der S-Phase vermehrt Doppelstrangbrüche. In gesunden Zellen werden Doppelstrangbrüche über homologe Rekombination repariert. In BRCA-defizienten Tumoren wie Mammakarzinom und Ovarialkarzinom fehlt jedoch eine intakte homologe Rekombination für eine fehlerfreie Reparatur von DNA-Doppelstrangbrüchen, so dass eine PARP-Hemmung in BRCAdefizienten Tumorzellen zu einer Akkumulation von unreparierten Doppelstrangbrüchen mit der Folge von genomischer Instabilität, Blockade der Zellteilung und Apoptose führt. Das entspricht dem Konzept der synthetischen Letalität. Olaparib (Lynparza) ist der erste PARPInhibitor, der 2015 als Orphan-Arzneimittel
702
34
Kapitel 34 Onkologika
zugelassen wurde für die Erhaltungstherapie von Patientinnen mit einem platinsensitiven Rezidiv eines high-grade epithelialen Ovarialkarzinoms, Eileiterkarzinoms oder primären Peritonealkarzinoms, die auf eine Platin-basierte Chemotherapie ansprechen. In einer placebokontrollierten Phase-2-Studie verlängerte Olaparib nur das progressionsfreie Überleben (11,2 versus 4,3 Monate), nicht aber das Gesamtüberleben (34,9 versus 31,9 Monate) (Ledermann et al. 2012, 2014). Das Ausmaß des Zusatznutzens war nach der Bewertung des G-BA nicht quantifizierbar, da der medizinische Zusatznutzen von Orphan-Arzneimitteln durch die EMA-Zulassung als belegt gilt (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.27). Im Jahre 2019 erhielt Olaparib weitere Zulassungen für das high-grade epitheliale Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäre Peritonealkarzinom sowie für das HER2negative, lokal fortgeschrittene oder metastasierte Mammakarzinom mit BRCA (BReast CAncer Gen)1/2-Mutationen. Die Nutzenbewertung ergab für das Mammakarzinom wegen der besseren Verträglichkeit einen geringen Zusatznutzen, nicht aber für Ovarialkarzinom, Eileiterkarzinom oder primäres Peritonealkarzinom (siehe 7 Kap. 2, Neue Indikationen, 7 Abschn. 2.2.24). Die beiden Indikationserweiterungen haben vermutlich dazu beigetragen, dass sich die Verordnungen von Lynparza 2019 fast verdoppelt haben, obwohl die Jahrestherapiekosten (fast 83.000 C) sehr hoch liegen (. Tab. 34.8). Niraparib (Zejula) ist ein weiterer PARPInhibitor, der 2017 als Orphan-Arzneimittel ebenfalls für die Erhaltungstherapie bei Patientinnen mit Rezidiv eines platinsensiblen, gering differenzierten serösen Karzinoms der Ovarien, der Tuben oder mit primärer Peritonealkarzinose zugelassen wurde. Die zulassungsrelevante Studie war eine placebokontrollierte Phase-3-Studie mit Niraparib an 553 Patientinnen mit platinsensitivem Ovarialkarzinom, Tubenkarzinom oder primärem Peritonealkarzinom, die zuvor mindestens zwei platinbasierte Behandlungen mit partiellem oder kom-
plettem Ansprechen erhalten hatten und in über 50 % eine schädliche BRCA-Mutation in der Keimbahn oder im Tumor hatten (Mirza et al. 2016). Niraparib verlängerte das progressionsfreie Überleben bei Patientinnen mit einer BRCA-Mutation im Vergleich zu Placebo (21,0 versus 5,5 Monate) und ohne BRCAMutation (12,9 versus 3,8 Monate), senkte aber nicht die Mortalität nach einer medianen Gesamtbeobachtungsdauer von 16,9 Monaten (16,1 % versus 19,3 %) (ArzneiverordnungsReport 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.22). Wegen der Überschreitung der 50 Mio. Euro-Umsatzgrenze hat der G-BA eine erneute Nutzenbewertung von Niraparib vorgenommen, die in der Gesamtschau der Ergebnisse keinen Zusatznutzen von Niraparib gegenüber Olaparib ergab. Das Gesamtüberleben zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied; für weitere Endpunktkategorien (Morbidität, Lebensqualität) lagen keine verwertbaren Daten vor (Gemeinsamer Bundesauschuss 2020).
34.5
Monoklonale Antikörper für die Tumortherapie
Durch den Einsatz monoklonaler Antikörper wurden in den letzten 20 Jahren deutliche Fortschritte in der Behandlung von Patienten mit hämatologischen Neoplasien und soliden Tumoren erzielt (Scott et al. 2012). Grundlage für die Entwicklung dieser neuen Wirkstoffklasse war die Identifizierung Tumor-assoziierter Antigene, die im Vergleich zu normalen Zellen auf Tumorzellen häufig überexprimiert werden oder mutiert sind. Unterschieden wird zwischen direkt wirkenden monoklonalen Antikörpern und monoklonalen Antikörpern, die vor allem über eine erhöhte Aktivierung von zytotoxischen CD8positiven T-Zellen die körpereigene Immunantwort des Patienten stimulieren, wie z. B. CTLA-4-Antikörper (Ipilimumab) oder Antikörper gegen PD-1 bzw. PD-L1Rezeptoren (Nivolumab, Pembrolizumab, Atezolizumab, Avelumab) (Übersicht bei Scott et al. 2012;
703 34.5 Monoklonale Antikörper für die Tumortherapie
Kobold et al. 2015; Wilson et al. 2017). Direkt wirkende monoklonale Antikörper binden an zellspezifische Antigene (z. B. CD20), neu gebildete Tumorantigene oder überexprimierte onkogene Rezeptoren (z. B. EGFR). Nach Bindung des spezifischen Antikörpers werden die Tumorzellen dann selektiv über unterschiedliche zytotoxische Mechanismen (z. B. signalinduzierte Apoptose, Komplement-abhängige Zytotoxizität, antikörperabhängige zellvermittelte Zytotoxizität oder antikörperabhängige Phagozytose) zerstört. Diese beiden Gruppen der monoklonalen Antikörper unterscheiden sich deutlich im Spektrum und Schweregrad ihrer Nebenwirkungen (Hansel et al. 2010; Roberts et al. 2017; Postow et al. 2018). Als erster monoklonaler Antikörper wurde Rituximab 1998 für die Behandlung von Patienten mit follikulärem Non-Hodgkin-Lymphom im Stadium III–IV in die Therapie eingeführt. Seitdem sind in den letzten 20 Jahren zahlreiche monoklonale Antikörper für die Immuntherapie von Tumorkrankheiten zugelassen worden, die heute als eine sehr wichtige Wirkstoffklasse unter den neuen Krebstherapeutika gelten. Im Jahre 2019 entfielen auf monoklonale Antikörper Nettokosten von 3,193 Mrd. C und somit dem stärksten Anstieg unter den Onkologika gegenüber dem Vorjahr (C15,3 %). Das Verordnungsvolumen von 19,2 Mio. DDD ist noch relativ niedrig, hatte aber 2019 mit 11,6 % ebenfalls eine hohe Zuwachsrate (. Tab. 34.1). Im Jahre 2019 sind 14 Wirkstoffe aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper und ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (Trastuzumab Emtansin) unter den häufig verordneten Onkologika vertreten, darunter ein neuer Antikörper (Durvalumab) (. Tab. 34.9). Bemerkenswert ist die weiter sehr rasch steigende Zahl der Vorordnungen der ersten Biosimilars zu Trastuzumab und Rituximab. Das größte Verordnungsvolumen entfällt weiterhin auf monoklonale Antikörper gegen den humanen epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor 2 (HER2-Antiköper) zur Behandlung des HER-2-positiven Mammakarzinoms (Trastuzumab, Pertuzumab, Trastuzumab Emsantin).
34
Dann folgt die Gruppe der immunmodulatorischen PD-1-Rezeptorantikörper (Nivolumab, Pembrolizumab) und PD-L1-Antikörper (Atezolizumab, Durvalumab), die aufgrund ihres deutlich angestiegenen Verordnungsvolumens bereits den zweiten Platz der verschiedenen Gruppen monoklonalen Antikörper erreicht haben. An dritter Stelle stehen zwei Antikörper (Bevacizumab, Ramucirumab) gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF-Antikörper). Dann folgen die CD20Antikörper (Rituximab, Obinutuzumab). Zwei monoklonale Antikörper, die gegen den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) (Cetuximab, Panitumumab) gerichtet sind, haben nur relativ kleine, 2019 weiter rückläufige Verordnungsvolumina. Die beiden monoklonalen Antikörper Elotuzumab (Empliciti) und Daratumumab (Darzalex) werden bei den Arzneimitteln zur Behandlung des multiplen Myeloms dargestellt (7 Abschn. 37.3). Die Verordnungsanalyse erfolgt nach den jeweiligen Zielstrukturen, da die einzelnen monoklonalen Antikörper meist für mehrere Indikationen zugelassen sind.
34.5.1
CD20-Antikörper
Rituximab (MabThera) wurde 1997 als erster gentechnisch hergestellter chimärer monoklonaler Antikörper in die Onkologie eingeführt (Übersicht bei Cheson und Leonard 2008). Zunächst erfolgte die Zulassung für die Behandlung von Non-Hodgkin-Lymphomen (follikuläres Lymphom, diffuses großzelliges BZelllymphom), später auch für die chronische lymphatische Leukämie in Kombination mit Chemotherapie und seit 2006 auch für die rheumatoide Arthritis nach Versagen von TNFInhibitoren. Rituximab ist gegen das Oberflächenantigen CD20 auf B-Lymphozyten gerichtet, das die frühen Schritte im Aktivierungsprozess des Zellzyklus und der Zelldifferenzierung reguliert. CD20 kommt auf allen BLymphozyten und auf der Mehrzahl der B-Zell Non-Hodgkin-Lymphome vor. Durch Bindung
704
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.9 Verordnungen von monoklonalen Antikörpern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
HER2-Antikörper Perjeta
Pertuzumab
2,1
(C34,1)
127,59
Herceptin
Trastuzumab
1,3
(60,3)
107,59
Herzuma
Trastuzumab
1,2
(C134,2)
99,63
Kanjinti
Trastuzumab
1,1
(C273,8)
98,08
Kadcyla
Trastuzumab Emtansin
0,37
(C18,2)
223,57
Ontruzant
Trastuzumab
0,29
(C523,0)
98,32
6,4
(C6,1)
117,29
VEGF-Antikörper Avastin
Bevacizumab
2,5
(9,0)
176,14
Cyramza
Ramucirumab
0,27
(C17,4)
160,31
2,8
(7,0)
174,61
EGFR-Antikörper Erbitux
Cetuximab
0,30
(15,8)
176,09
Vectibix
Panitumumab
0,29
(C2,1)
175,48
0,59
(7,9)
175,79
CD20-Antikörper
34
Truxima
Rituximab
1,1
(C13,4)
100,00
Rixathon
Rituximab
0,84
(C41,7)
101,61
Mabthera
Rituximab
0,52
(50,1)
117,12
Gazyvaro
Obinutuzumab
0,24
(C35,2)
166,91
2,7
(3,1)
109,81
PD-1-Rezeptorantikörper Opdivo
Nivolumab
2,2
(C15,3)
202,11
Keytruda
Pembrolizumab
2,1
(C96,6)
280,53
Tecentriq
Atezolizumab
0,34
(C70,5)
199,78
Imfinzi
Durvalumab
0,19
(> 1.000)
262,29
(C51,3)
238,33
4,9
34
705 34.5 Monoklonale Antikörper für die Tumortherapie
. Tabelle 34.9 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Weitere monoklonale Antikörper Darzalex
Daratumumab
1,4
(C58,1)
181,20
Empliciti
Elotuzumab
0,15
(C18,9)
180,57
1,5
(C53,2)
181,14
18,8
(C13,2)
162,95
Summe
an CD20 fördert Rituximab Komplement-vermittelte sowie Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität und induziert Zelllyse sowie Apoptose. Bei älteren, zuvor unbehandelten Patienten mit diffusem großzelligen B-Zell-Lymphom erhöhte die zusätzliche Gabe von Rituximab zur Chemotherapie mit CHOP (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison) das Zweijahresüberleben (70 % versus 57 %) ohne Zunahme einer klinisch relevanten Toxizität (Coiffier et al. 2002). Bei unterschiedlichen Subtypen des Non-Hodgkin-Lymphoms wurde in zahlreichen Studien bestätigt, dass Rituximab die Krankheitskontrolle und das Gesamtüberleben im Vergleich zu alleiniger Chemotherapie verbessert (Übersicht bei Shankland et al. 2012). So verlängert Rituximab in fortgeschrittenen Stadien des follikulären Lymphoms als Zusatz zur initialen Chemotherapie das Gesamtüberleben, sowie als Erhaltungstherapie das progressionsfreie Überleben nach erfolgreicher Induktionstherapie. Die Verordnungen von Rituximab haben sich 2019 weiter zu den Biosimilars verlagert (. Tab. 34.9; vgl. 7 Kap. 3, Biologika und Biosimilars, . Tab. 3.2). Allerdings sind die Unterschiede der DDD-Kosten zum Originalpräparat noch relativ gering, denn in den Niederlanden sind die Listenpreise der Biosimilars bereits 38 % niedriger als von MabThera in Deutschland (siehe auch 7 Kap. 3, Biosimilars). Obinutuzumab (Gazyvaro) ist ein weiterer CD20-Antikörper, der zuerst 2014 zur
Erstlinienbehandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) in Kombination mit Chlorambucil zugelassen wurde. Später folgten Indikationserweiterungen für die Erstlinienbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem follikulärem Lymphom in Kombination mit Chemotherapie und die Zweitlinienbehandlung von Patienten mit follikulärem Lymphom in Kombination mit Bendamustin – bei Ansprechen auf die Therapie jeweils gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Obinutuzumab (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.2.11). Die Zulassungsstudie für die Erstlinienbehandlung von Patienten mit follikulärem Lymphom zeigte nach 34,5 Monaten ein längeres progressionsfreies Überleben (primärer Endpunkt) für die Obinutuzumab-basierte Chemotherapie als für die Rituximab-basierte Chemotherapie (80,0 % versus 73,3 %) (Marcus et al. 2017). Eine ungeplante vorläufige Auswertung des Gesamtüberlebens ergab jedoch keinen signifikanten Unterschied. Weiterhin traten schwere unerwünschte Ereignisse (Grad 3–5) mit Obinutuzumab häufiger als mit Rituximab auf (74,6 % versus 67,8 %). Die frühe Nutzenbewertung ergab einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen in der neuen Indikation im Vergleich mit Rituximab, da mit Obinutuzumab kein eindeutiger positiver Effekt auf die Wirksamkeit erkennbar war und schwere Nebenwirkungen sogar häufiger auftraten. Die Verordnungen von Obinutuzumab sind 2019 nochmals deutlich angestiegen, obwohl es fast
706
34
Kapitel 34 Onkologika
70 % höhere DDD-Kosten als Rituximab hat als medizinischer Standard. Im Jahre 2009 wurde Trastuzumab auch für die Behandlung (. Tab. 34.9). des HER2-positiven metastasierten Magenkarzinoms zugelassen. Auch Trastuzumab wurde 2019 überwiegend in Form von Biosimilars 34.5.2 HER2-Antikörper verordnet (. Tab. 34.9; vgl. 7 Kap. 3, Biologika und Biosimilars, . Tab. 3.2). Die UnterTrastuzumab (Herceptin) ist ein humanisier- schiede der DDD-Kosten zum Originalpräpater monoklonaler Antikörper gegen den epider- rat sind wiederum sehr klein, während in den malen Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2), Niederlanden die Trastuzumab-Biosimilars beder im Jahre 2000 zur Behandlung des reits 40 % unter dem deutschen Listenpreis von HER2-positiven metastasierten Mammakarzi- Herceptin liegen. Pertuzumab (Perjeta) wurde als weitenoms zugelassen wurde. Etwa 20–25 % aller Mammakarzinome weisen eine HER2- rer monoklonaler HER2-Antikörper 2013 zur Überexpression oder HER2-Genamplifikation Erstlinienbehandlung von Patientinnen mit auf, die mit erhöhten Wachstumsraten, frü- HER2-positivem metastasiertem oder lokal reher Metastasierung und schlechter Prognose zidiviertem, inoperablem Mammakarzinom in einhergehen. Trastuzumab bindet an die extra- Kombination mit Trastuzumab und Docetaxel zelluläre Domäne des HER2-Rezeptorproteins zugelassen. Pertuzumab bindet an ein andeund hemmt dadurch das Tumorzellwachstum. res extrazelluläres Epitop des HER2 als TrasBei Patientinnen mit metastasiertem Mam- tuzumab und hemmt über eine verminderte makarzinom erhöhte die Erstlinientherapie mit Rezeptordimerisierung mit anderen RezeptoTrastuzumab in Kombination mit einer Che- ren (EGFR, HER3, HER4) die nachfolgende motherapie (Doxorubicin plus Cyclophospha- Signaltransduktion für Proliferation und Übermid oder Paclitaxel) im Vergleich zu al- leben von Tumorzellen. In der Kombination leiniger Chemotherapie das Gesamtüberleben mit Trastuzumab und Docetaxel verlänger(25,1 versus 20,3 Monate), aber auch die te Pertuzumab das progressionsfreie ÜberleKardiotoxizität bei Kombination mit Paclita- ben (18,5 versus 12,4 Monate) (Swain et al. xel (11 %) oder Anthrazyklinen (28 %) (Sla- 2013, CLEOPATRA). Die Nutzenbewertung mon et al. 2001). Eine einjährige adjuvante des G-BA ergab bei Patientinnen mit viszeraler Therapie des frühen HER2-positiven Mamma- Metastasierung einen Anhaltspunkt für einen karzinoms mit Trastuzumab verbesserte nach beträchtlichen Zusatznutzen von Pertuzumab 65 Monaten die Gesamtüberlebensrate im Ver- gegenüber der zweckmäßigen Vergleichsthegleich zur alleinigen Chemotherapie (91–92 % rapie, nicht aber bei Patientinnen mit nicht versus 87 %), wobei auch hier die anthra- viszeraler Metastasierung (siehe Arzneiverordzyklinhaltige Kombinationstherapie häufiger nungs-Report 2014, Kap. 2, Neue Arzneimittel Herzinsuffizienz und akute Leukämien aus- 2013). Danach erhielt Pertuzumab 2015 die löste (Perez et al. 2014). Die 2017 publi- Zulassung zur neoadjuvanten Behandlung von zierten Langzeitergebnisse der HERA-Studie HER2-positivem lokal fortgeschrittenem, entnach medianer Beobachtung von 11 Jahren be- zündlichem oder frühem Brustkrebs mit hostätigen den therapeutischen Stellenwert der hem Rezidivrisiko und 2018 für die adjuvanadjuvanten Behandlung mit Trastuzumab bei te Behandlung mit HER2-positivem frühem Patientinnen mit HER-2-positivem Mamma- Brustkrebs mit hohem Rezidivrisiko, jeweils in karzinom (Cameron et al. 2017). Da sich we- Kombination mit Trastuzumab und Chemotheder erkrankungsfreies noch Gesamtüberleben rapie (siehe Arzneiverordnungs-Report 2019, nach ein- oder zweijähriger Gabe von Tras- Kap. 3, Neue Indikationen, Abschn. 3.2.22). tuzumab signifikant unterschieden, gilt heu- Die frühe Nutzenbewertung von Pertuzumab te die einjährige Therapie mit Trastuzumab in der neuen Indikation ergab einen Anhalts-
707 34.5 Monoklonale Antikörper für die Tumortherapie
punkt für einen geringen Zusatznutzen, da das Gesamtüberleben keinen signifikanten Unterschied und das rezidivfreie Überleben nur einen moderaten positiven Effekt von Pertuzumab zeigte. Die letzte Indikationserweiterung hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Verordnungen von Perjeta 2019 nochmals deutlich gestiegen sind (. Tab. 34.9). Die Nettokosten der Kombinationstherapie von Pertuzumab mit Docetaxel und Trastuzumab betragen etwa 88.000 C pro Jahr und Patientin. Trastuzumab Emtansin (Kadcyla) ist ein Antikörper-Wirkstoffkonjugat, das aus Trastuzumab und dem Mitosehemmstoff DM1 besteht (Zolot et al. 2013). DM1 ist ein Maytansinderivat, das über einen Thioetherlinker kovalent an Trastuzumab gebunden ist. Der Begriff Emtansin bezeichnet die Kombination aus Linker und DM1. Die Wirkung von Trastuzumab Emtansin beruht auf beiden Komponenten: Trastuzumab bindet an die extrazelluläre Domäne des HER2-Rezeptors, inhibiert die Signalübertragung und vermittelt die Antikörper-abhängige zelluläre Zytotoxizität. DM1 führt über einen Bindung an Tubulin zur Apoptose. Trastuzumab Emtansin wurde 2014 zugelassen zur Behandlung von Patientinnen mit HER2-positivem, inoperablem lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom, die zuvor einzeln oder kombiniert Trastuzumab und ein Taxan erhalten haben. Grundlage der Zulassung war eine aktiv kontrollierte Phase-3-Studie an Patientinnen mit metastasiertem HER2-positivem Mammakarzinom, in der Trastuzumab Emtansin im Vergleich zu Lapatinib plus Capecitabin das progressionsfreie Überleben (9,6 versus 6,4 Monate) und nach einer zweiten, aber ungeplanten Interimsanalyse auch das mediane Gesamtüberleben (30,9 versus 25,1 Monate) verlängerte (Verma et al. 2012). Die Nutzenbewertung durch den G-BA ergab für Trastuzumab Emtansin gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen bei Patientinnen mit HER2-positivem, metastasiertem Mammakarzinom nach vorangegangener Therapie mit Anthrazyklinen, Taxanen und Trastuzumab. Für zwei weitere Sub-
34
gruppen ist ein Zusatznutzen nicht belegt (siehe Arzneiverordnungs-Report 2015, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2014, Abschn. 2.1.42). Im Dezember 2019 wurde Trastuzumab für eine weitere Indikation zugelassen für Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs im Frühstadium, die nach einer neoadjuvanten Taxanbasierten und HER-2 gerichteten Therapie eine invasive Resterkrankung in der Brust oder in den Lymphknoten aufweisen. Die Verordnungen von Kadcyla haben sich 2019 wieder deutlich erhöht (. Tab. 34.9).
34.5.3
VEGF-Antikörper
Bevacizumab (Avastin) ist ein rekombinanter humanisierter Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), der 2005 zur Erstlinienbehandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms in Kombination mit einer Irinotecan-basierten Chemotherapie (5-Fluorouracil, Folinsäure, Irinotecan) zugelassen wurde. Später folgten weitere Zulassungen für die Behandlung fortgeschrittener solider Tumoren (Mammakarzinom, nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, Nierenzellkarzinom, Ovarialkarzinom). Die Bindung des Antikörpers an VEGF hemmt die wachstumsfördernde Wirkung auf Endothelzellen und verhindert so die Neubildung von Gefäßen (Angiogenese), die für die Blutversorgung von größeren Tumoren notwendig sind. In der ersten Zulassungsstudie bei zuvor unbehandelten Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom verlängerte Bevacizumab in Kombination mit IFL (Irinotecan und 5-Fluorouracil als Bolus plus Calciumfolinat) das Gesamtüberleben auf 20,3 Monate im Vergleich zu 15,6 Monaten mit der IFL-Therapie allein (Hurwitz et al. 2004). Nebenwirkungen waren mit Bevacizumab häufiger (Hypertonie, Blutungen, Magen-Darm-Perforationen, Herzinsuffizienz). Schon in der zweiten klinischen Studie zur Erstlinienbehandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms mit ei-
708
34
Kapitel 34 Onkologika
ner Oxaliplatin-basierten Kombination wurde die Verlängerung des Gesamtüberlebens nicht bestätigt (Saltz et al. 2008). Anhand einer Metaanalyse mehrerer klinischer Studien wurde gezeigt, dass Bevacizumab bei der Erstlinienbehandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms nicht in allen Behandlungsschemata besser wirksam ist als die alleinige Chemotherapie, insbesondere nicht zusammen mit den 5-Fluorouracil-Kombinationen FOLFIRI (5-Fluorouracil, Folinsäure, Irinotecan) und FOLFOX (5-Fluorouracil, Folinsäure, Oxaliplatin) (Macedo et al. 2012). Eine aktuelle Metaanalyse (7 Studien, 3.588 Patienten) bestätigte, dass die zusätzliche Gabe von Bevacizumab zur derzeit verwendeten Chemotherapie (5-Fluorouracil plus Irinotecan oder Oxaliplatin) nur das progressionsfreie Überleben, aber nicht das Gesamtüberleben verlängerte (Baraniskin et al. 2019). Auch beim metastasierten Mammakarzinom verdeutlichte ein Cochrane-Review, dass der patientenbezogene Gesamtnutzen von Bevacizumab bei der Erst- und Zweitlinientherapie bestenfalls als mäßig angesehen werden kann (Wagner et al. 2012). Bereits 2011 haben Studienergebnisse beim metastasierten Mammakarzinom das Ausmaß der ursprünglich angenommenen positiven Effekte auf das progressionsfreie Überleben nicht bestätigt und sprachen für ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis. Daraufhin wurde die 2008 in den USA erteilte Zulassung von Bevacizumab zur Behandlung des metastasierten Mammakarzinoms 2011 wieder zurückgezogen (Food and Drug Administration 2011). Auch das britische NICE hat Bevacizumab in Kombination mit einem Taxan nicht als Erstlinienbehandlung des metastasierten Mammakarzinoms empfohlen (National Institute for Health and Care Excellence 2014). Bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom erhöht Bevacizumab in Kombination mit der Standardchemotherapie das progressionsfreie Überleben bei Erst- und Zweitlinientherapie, während das Gesamtüberleben nur bei der Erstlinienthera-
pie geringfügig verlängert wurde (Übersicht bei Jayson et al. 2014). Der nicht eindeutig belegte therapeutische Stellenwert in den wichtigsten onkologischen Indikationen hatte bereits Auswirkungen auf die Verordnung von Avastin, das 2019 erneut weniger verordnet wurde (. Tab. 34.9), aber mit einem Umsatzvolumen von 442 Mio. C immer noch zu den führenden monoklonalen Antikörpern gehört (. Tab. 1.3). Ramucirumab (Cyramza) ist ein humaner monoklonaler Antikörper und VEGFRezeptor-2-Antagonist, der 2014 zuerst als Orphan-Arzneimittel für die Zweitlinientherapie des fortgeschrittenen Adenokarzinoms des Magens und des gastroösophagealen Übergangs mit Tumorprogress nach vorausgegangener Platin- und Fluoropyrimidin-haltiger Chemotherapie zugelassen wurde (Aufhebung des Status als Orphan-Arzneimittel im Dezember 2015). Die Monotherapie und die Kombinationstherapie mit Paclitaxel verlängerten das Gesamtüberleben geringfügig (1,4 bzw. 2,2 Monate), zeigten aber ebenfalls die typischen Nebenwirkungen einer Angiogenesehemmung. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab für beide Indikationen einen geringen Zusatznutzen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.31). Seitdem wurde Ramucirumab für weitere Indikationen (metastasiertes kolorektales Karzinom, lokal fortgeschrittenes oder metastasiertes nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom, fortgeschrittenes hepatozelluläres Karzinom) zugelassen (siehe 7 Kap. 2, Neue Indikationen, 7 Abschn. 2.2.28). Die frühe Nutzenbewertung für das fortgeschrittene hepatozelluläre Karzinom ergab einen Beleg für einen geringen Zusatznutzen, weil Ramucirumab für das Gesamtüberleben einen geringen Vorteil gegenüber Placebo zeigte. Bei allen anderen Indikationen war ein Zusatznutzen nicht belegt. Die Verordnungen von Cyramza liegen im Vergleich zu Avastin deutlich niedriger und sind 2019 etwas angestiegen (. Tab. 34.9).
709 34.5 Monoklonale Antikörper für die Tumortherapie
34.5.4
EGFR-Antikörper
Der chimäre EGFR-Antikörper Cetuximab (Erbitux) ist seit 2004 zugelassen zur Behandlung des EGFR-exprimierenden metastasierten Kolorektalkarzinoms mit Wildtyp-K-RasGen in Kombination mit verschiedenen Chemotherapieprotokollen sowie des Plattenepithelkarzinoms im Kopf- und Halsbereich in Kombination mit Strahlentherapie oder platinbasierter Chemotherapie (Übersicht bei Ciardiello und Tortora 2008). Bei Patienten mit Irinotecan-refraktärem kolorektalem Karzinom erhöhte die Kombination von Cetuximab mit Irinotecan die Ansprechquote im Vergleich zur Monotherapie mit Cetuximab (56 % versus 32 %); die Überlebenszeit änderte sich jedoch nicht signifikant (Cunningham et al. 2004). Dagegen erhöhte die Erstlinienbehandlung mit Cetuximab in Kombination mit FOLFIRI bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom mit KRAS-Wildtyp das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zu FOLFIRI allein (23,5 versus 20,0 Monate) (Van Cutsem et al. 2011). In Kombination mit FOLFOX war Cetuximab jedoch hinsichtlich einer Verbesserung des Gesamtüberlebens nicht besser wirksam als FOLFOX allein. Nach der ESMO-Leitlinie sind Kombinationen von Cetuximab oder Panitumumab (siehe unten) mit FOLFOX- oder FOLFIRI die Erstbehandlungsoptionen für RASund BRAF-Wildtyp-Patienten (van Cutsem et al. 2016). 2019 waren die Verordnungen von Cetuximab (Erbitux) erneut rückläufig (. Tab. 34.9). Panitumumab (Vectibix) ist ein weiterer, im Unterschied zu Cetuximab humaner monoklonaler EGFR-Antikörper. Er wurde 2008 zur Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms mit nicht-mutiertem RASWildtyp in mehreren Therapiemodalitäten zugelassen. Bei Patienten mit gegenüber Chemotherapie refraktärem, metastasiertem kolorektalem Karzinom verlängerte Panitumumab nur das progressionsfreie Überleben im Vergleich mit bester supportiver Therapie von
34
8,5 Wochen auf 13,8 Wochen, während sich im Gesamtüberleben kein Unterschied zeigte (Van Cutsem et al. 2007). Auch bei der Erstlinientherapie in Kombination mit FOLFOX-4 erhöhte Panitumumab nur das progressionsfreie Überleben (9,6 versus 8,0 Monate), nicht aber das mediane Gesamtüberleben (Douillard et al. 2010). Später zeigte eine Biomarkeranalyse dieser Studie bei Patienten mit RAS-Wildtyp-Tumoren eine Verlängerung des Gesamtüberlebens mit der Panitumumab-FOLFOX4-Kombination im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie mit FOLFOX-4 (26,0 versus 20,2 Monate) (Douillard et al. 2013). 2019 wurde Vectibix geringfügig mehr verordnet (. Tab. 34.9).
34.5.5
PD-1-Rezeptorantikörper und PD-L1-Antikörper
Der inhibitorisch wirkende „Programmed (Cell) Death“-1 (PD-1)-Rezeptor aus der CD28-Familie wird von T-Lymphozyten und weiteren Immunzellen (dendritische Zellen, Monozyten) exprimiert, nach T-Zellaktivierung hochreguliert und ist somit ein negativer Regulator der Aktivität von T-Lymphozyten. Die bisher bekannten Liganden des PD-1Rezeptors sind PD-L1 und PD-L2, die sich in ihrem Expressionsmuster deutlich unterscheiden. PD-L1 kommt auf T- und B-Zellen, Monozyten, Makrophagen und dendritischen Zellen vor und wird daneben aber auch exprimiert in mehreren nicht hämatopoetischen Geweben wie Herz, Pankreas, Plazenta, vaskulärem Epithel, Leber, Lunge und Haut. Von besonderem Interesse ist die häufig beobachtete Überexpression von PD-L1 in Tumorzellen, womit die T-Zell-abhängige Immunabwehr von Tumoren ausgeschaltet wird. Monoklonale Antikörper gegen PD-L1 und den PD-1-Rezeptor unterbrechen die Interaktion mit dem von Tumorzellen überexprimierten Rezeptorliganden PD-L1 und können dadurch die immunsuppressive T-Zell-Aktivität gegen den Tumor reaktivieren. Dagegen wird PD-L2
710
34
Kapitel 34 Onkologika
nur in relativ wenigen Zellen gebildet und vor allem in Antigen-präsentierenden Zellen hochreguliert (Übersicht bei Chinai et al. 2015). Als erster monoklonaler Antikörper gegen den PD-1-Rezeptor wurde 2015 Nivolumab für die Monotherapie des fortgeschrittenen Melanoms zugelassen. Inzwischen sind insgesamt fünf Arzneimittel zugelassen worden, die entweder direkt an den PD-1-Rezeptor (Nivolumab, Pembrolizumab) binden oder an den Rezeptorliganden PD-L1 (Atezolizumab, Avelumab, Durvalumab). Sie haben die Prognose von Melanomen, nicht-kleinzelligem Lungenkrebs, Urothelkarzinomen und einer Vielzahl anderer maligner Erkrankungen deutlich verbessert (Übersicht bei Centanni et al. 2019; Zimmermann und Peters 2019; Topalian et al. 2019; Wu et al. 2019), aber auch schwere, durch die Aktivierung des Immunsystems ausgelöste Nebenwirkungen haben können (Postow et al. 2018; Baraibar et al. 2019). Aktuelle Schätzungen für die USA gehen davon aus, dass etwa 44 % der Patienten mit onkologischen Erkrankungen für eine Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren in Betracht kommen, aber nur etwa 13 % von ihnen profitieren (Haslam und Prasad 2019). Diese Zahlen verdeutlichen angesichts der sehr hohen Kosten für PD1/PD-L1 Antikörper die finanziellen Probleme, mit denen solidarisch finanzierte Gesundheitssysteme künftig konfrontiert werden, aber auch die Notwendigkeit, anhand validierter Biomarker frühzeitig Patienten besser identifizieren zu können, die tatsächlich von diesen sehr teuren Arzneimitteln profitieren (Manson et al. 2016). Nivolumab (Opdivo) ist ein humaner (IgG4) monoklonaler Antikörper, der an den PD-1-Rezeptor bindet und dadurch die Interaktion des Rezeptors mit den Liganden PD-L1 und PD-L2 blockiert (Topalian et al. 2019). Nivolumab ist der erste PD-1Rezeptorantikörper, der zunächst für die Monotherapie des fortgeschrittenen Melanoms zugelassen wurde. Der Antikörper verlängerte die Gesamtüberlebensrate nach einem Jahr im Vergleich zur Chemotherapie mit Dacarbazin (72,9 % versus 42,1 %) und hatte wegen ver-
besserter Verträglichkeit weniger Therapieabbrüche zur Folge (Robert et al. 2015a). Außerdem erhöhte Nivolumab das Gesamtüberleben des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten NSCLC nach vorheriger Chemotherapie und zeigte auch hier ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als die Vergleichstherapie mit Docetaxel. Für beide Indikationen ergab die Nutzenbewertung durch den G-BA in den therapeutisch bedeutsamen Subgruppen einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.25). Nivolumab wurde inzwischen für insgesamt zehn Indikationen zugelassen (7 Kap. 2, Neue Indikationen, 7 Abschn. 2.2.23). Die zahlreichen neuen Indikationen sind wahrscheinlich wesentlicher Grund für den weiteren Verordnungsanstieg von Opdivo im Jahre 2019 (. Tab. 34.9). Die Jahrestherapiekosten sind mit fast 74.000 C weiterhin sehr hoch. Pembrolizumab (Keytruda) ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der ebenfalls an den PD-1-Rezeptor bindet, und zuerst für die Monotherapie des fortgeschrittenen Melanoms zugelassen wurde. Der monoklonale Antikörper verlängerte die Gesamtüberlebensrate in zwei Dosierungen im Vergleich zur Immuntherapie mit Ipilimumab nach 12 Monaten (74,1 %, 68,4 % versus 58,2 %) und führte wegen verbesserter Verträglichkeit zu weniger Therapieabbrüchen als Ipilimumab (Robert et al. 2015b). Auch hier ergab die Nutzenbewertung durch den G-BA in den therapeutisch bedeutsamen Subgruppen einen beträchtlichen Zusatznutzen (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2015, Abschn. 3.1.30). Die zweite wichtige Indikation von Pembrolizumab war das fortgeschrittene NSCLC, vor allem auch eine Zulassung bei hoher PD-L1-Expression ohne EGFR- oder ALK-Tumormutationen (Übersicht bei Peters et al. 2018). Ähnlich wie Nivolumab wurde Pembrolizumab inzwischen für insgesamt zwölf Indikationen zugelassen, allein 2019 für drei neue Indikationen: Erstlinienbehandlung des metastasierenden plattenepithelialen nicht-kleinzelligen Lungenkarzi-
711 34.6 Hormonantagonisten
noms, Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms und Erstlinienbehandlung des metastasierenden oder nicht resezierbaren rezidivierenden Plattenepithelkarzinoms der Kopf-Hals-Region mit PD-L1exprimierenden Tumoren (7 Kap. 2, Neue Indikationen 2019, 7 Abschn. 2.2.25). Die zahlreichen neuen Indikationen waren vermutlich auch bei Keytruda der Hauptgrund, dass sich die Verordnungen 2019 nahezu verdoppelt haben (. Tab. 34.9). Mit Verordnungskosten von 594 Mio. C ist Keytruda inzwischen das umsatzstärkte onkologische Arzneimittel (siehe . Tab. 1.3). Atezolizumab (Tecentriq) ist ein monoklonaler Antikörper gegen den PD-L1-Liganden (Wu et al. 2019) für die Zweitlinientherapie des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinoms und des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC). Beim Urothelkarzinom wurde mit Atezolizumab nur eine verbesserte Verträglichkeit beobachtet, die bei der frühen Nutzenbewertung als geringer Zusatznutzen bewertet wurde. Für die zweite Indikation wurden 850 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC nach vorheriger Chemotherapie untersucht (Rittmeyer et al. 2017). Atezolizumab verbesserte das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zu Docetaxel (13,8 versus 9,6 Monate), auch bei Patienten mit geringer oder nicht messbarer PD-L1-Expression (12,6 versus 8,9 Monate). Daher wurde im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ein beträchtlicher Zusatznutzen konstatiert (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.1.2). Atezolizumab wurde 2019 für insgesamt vier weitere Indikationen zugelassen: Erstlinienbehandlung des metastasierten NSCLC mit nicht-plattenepithelialer Histologie, metastasiertes triple-negatives Mammakarzinom mit PD-L1-Expression 1 %, metastasiertes NSCLC mit nicht-plattenepithelialer Histologie ohne EGFR- und ALK-Tumormutationen, Erstlinienbehandlung des fortgeschrittenen kleinzelligen Lungenkarzinoms. Die Nutzenbewertung von Atezoli-
34
zumab ergab nur für das fortgeschrittene kleinzellige Lungenkarzinom einen geringen Zusatznutzen (7 Kap. 2, Neue Indikationen 2019, 7 Abschn. 2.2.1). Die neuen Indikationen haben vermutlich dazu beigetragen, dass die Verordnungen von Tecentriq 2019 stark zugenommen haben (. Tab. 34.9). Durvalumab (Imfinzi) ist ein weiterer monoklonaler Antikörper gegen den PD-L1Liganden, der 2019 erstmals unter den häufig verordneten Onkologika vertreten ist. Die Zulassung erfolgte im September 2018 für die Zweilinientherapie des lokal fortgeschrittenen, inoperablen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC). In der zulassungsrelevanten Hauptstudie an Patienten mit NSCLC im Stadium III nach mindestens zwei Zyklen einer platinbasierten Radiochemotherapie verbesserte Durvalumab die Gesamtüberlebensrate nach 2 Jahren im Vergleich zu Placebo (66,3 % versus 55,6 %). Die Nutzenbewertung ergab einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2018, Abschn. 3.1.11).
34.6
Hormonantagonisten
Als Hormonantagonisten werden in diesem Abschnitt Gonadorelinanaloga, Antiöstrogene (Tamoxifen, Fulvestrant), Aromatasehemmer, Antiandrogene (Bicalutamid, Flutamid, Enzalutamid, Apalutamid) und ein Androgensynthesehemmer (Abirateronacetat) für onkologische Indikationen dargestellt. Weitere Gonadorelinanaloga für gynäkologische Indikationen finden sich im Kapitel Hypophysen- und Hypothalamushormone (7 Kap. 28). Das Verordnungsvolumen der Hormonantagonisten für die endokrine Therapie übertrifft mit 162 Mio. DDD alle anderen Arzneimittelgruppen der Onkologika und umfasst etwa 65 % aller onkologischen Verordnungen (. Tab. 34.1). Die beiden Hauptindikationen der Hormonantagonisten sind das Prostatakarzinom und das Mammakarzinom, an denen sich die Verordnungsanalyse orientiert.
712
34.6.1
34
Kapitel 34 Onkologika
Prostatakarzinom
Der Androgenentzug ist das wichtigste Prinzip der systemischen Therapie nach einem biochemischen Rezidiv des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms (Übersicht bei Attard et al. 2016). Gonadorelinanaloga bzw. Gonadorelinantagonisten haben sich zum Standard der Hormontherapie entwickelt und werden wegen der Reversibilität im Vergleich zur Orchiektomie sowie der möglichen intermittierenden Anwendung in Leitlinien empfohlen (Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2019). In den letzten zehn Jahren haben sich die Behandlungsoptionen des Androgenentzugs durch die Einführung neuartiger Arzneimittel wesentlich verbessert. Bei Patienten mit neu diagnostiziertem metastasiertem kastrationsnaivem Prostatakarzinom hat die Therapie einen erheblichen Wandel erfahren, weil neben der alleinigen Androgendeprivation neue Kombinationstherapien mit Androgendeprivation plus Docetaxel sowie selektiv wirkende Antiandrogene (Abirateronacetat, Enzalutamid, Apalutamid) in Kombination mit dem Androgenentzug einen deutlichen Überlebensvorteil gezeigt haben. Obwohl keine direkten Vergleichsstudien durchgeführt wurden, scheint die Wirksamkeit dieser Arzneimittel ähnlich zu sein. Es gibt aber deutliche Unterschiede in ihren Nebenwirkungsprofilen (Übersichten in Sartor und de Bono 2018; Hall et al. 2020). Gonadorelinanaloga werden am häufigsten für die Androgendeprivation beim hormonabhängigen Prostatakarzinom eingesetzt mit dem Ziel, das Serumtestosteron auf Kastrationsniveau zu senken. Führendes Arzneimittel für die Langzeittherapie des Prostatakarzinoms ist Leuprorelin, deutlich geringere Verordnungsvolumina entfallen auf Triptorelin (Pamorelin), Buserelin (Profact) und Goserelin (Zoladex) (. Tab. 34.10). Leuprorelin und Goserelin sind Wirkstoffe mit einer relativ langen Halbwertszeit und werden daher präparateabhängig als subkutane Depotimplantate im Abstand von 1–3 Monaten injiziert. Auch Buserelin (Profact) kann beim Prostatakarzinom als
Depotimplantat alle 2–3 Monate gegeben werden. Insgesamt waren die Verordnungen der Gonadorelinanaloga 2019 annähernd konstant (. Tab. 34.10). Der Gonadorelinantagonist Degarelix (Firmagon) wurde 2009 zur Behandlung des fortgeschrittenen hormonabhängigen Prostatakarzinoms zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2010, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2009). Trotz theoretischer Vorteile spielt er im Vergleich zu den Gonadorelinanaloga nur eine geringe Rolle (. Tab. 34.10). Nach retrospektiven Daten soll Degarelix im Vergleich zu Gonadorelinanaloga Vorteile in Bezug auf Gesamtüberleben und kardiovaskuläre Risiken haben (Rosario et al. 2016). Antiandrogene werden als Alternative zu den Gonadorelinanaloga oder Gonadorelinantagonisten als Monotherapie angewendet, wenn Patienten eine Erhaltung der Sexualfunktion anstreben und bereit sind, Nebenwirkungen (Gynäkomastie) und ggf. eine verkürzte Überlebenszeit zu akzeptieren (National Institute for Health and Clinical Excellence 2019). Ein Cochrane-Review über 11 klinische Studien mit 3.060 Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom hat bestätigt, dass nichtsteroidale Antiandrogene (Bicalutamid, Flutamid) in Bezug auf Gesamtüberleben, klinische Progression und Therapieversagen weniger wirksam sind als die medikamentöse oder chirurgische Kastration (Kunath et al. 2014). Auch die kombinierte Androgenblockade zusammen mit Gonadorelinanaloga hat kaum zusätzliche Effekte, aber negative Auswirkungen auf die Lebensqualität (Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2019). Hauptvertreter der nichtsteroidalen Antiandrogene ist Bicalutamid, das 1996 zur Behandlung des lokal fortgeschrittenen Prostatakarzinoms mit hohem Progressionsrisiko eingeführt wurde. Es leitet sich von Flutamid ab, hat aber eine deutlich längere Halbwertzeit (7 Tage) und ist besser verträglich als Flutamid, das nur noch eine untergeordnete Rolle spielt (. Tab. 34.10). In einer großen Studie an über 8.000 Patienten mit lokal fortgeschrit-
34
713 34.6 Hormonantagonisten
. Tabelle 34.10 Verordnungen von Gonadorelinanaloga und Antiandrogenen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Leuprorelin Trenantone
Leuprorelin
14,9
(C0,9)
5,45
Leuprone HEXAL
Leuprorelin
7,5
(C0,3)
4,28
Eligard
Leuprorelin
4,8
(7,8)
4,92
Leupro Sandoz
Leuprorelin
1,5
(C6,3)
4,20
Leuprolin-ratiopharm
Leuprorelin
1,1
(> 1.000)
4,18
Sixantone
Leuprorelin
0,91
(C5,9)
5,00
Enantone
Leuprorelin
0,59
(2,3)
5,65
Lutrate depot
Leuprorelin
0,29
(C13,6)
4,96
31,6
(C3,2)
4,98
Weitere Gonadorelinanaloga Pamorelin
Triptorelin
5,2
(C2,5)
5,76
Profact
Buserelin
3,6
(2,9)
5,55
Zoladex
Goserelin
1,9
(C6,5)
5,72
10,6
(C1,2)
5,68
Gonadorelinantagonisten Firmagon
Degarelix
0,76
(2,1)
5,59
Bicalutamid Heumann
Bicalutamid
5,4
(6,4)
2,34
Bicalutamid Winthrop
Bicalutamid
1,1
(24,9)
3,13
Bicalutamid medac
Bicalutamid
0,89
(C36,6)
3,57
Bicalutin
Bicalutamid
0,69
(13,5)
3,48
Bicalutamid TEVA
Bicalutamid
0,44
(C517,5)
2,62
Bicalutamid Bluefish
Bicalutamid
0,38
(C94,5)
3,83
Bicadex TAD
Bicalutamid
0,19
(C18,6)
2,91
Bicalutamid Aristo
Bicalutamid
0,16
(8,1)
3,90
Bicalutamid Uropharm
Bicalutamid
0,13
(12,8)
3,36
Bicalutamid-ratiopharm
Bicalutamid
0,11
(73,4)
4,17
9,6
(3,8)
2,78
Bicalutamid
714
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.10 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Weitere Antiandrogene Zytiga
Abirateron
2,9
(C19,0)
126,27
Xtandi
Enzalutamid
2,5
(C17,3)
124,73
Flutamid AL
Flutamid
0,23
(24,3)
1,00
Erleada
Apalutamid
0,11
Summe
34
tenem Prostatakrebs verbesserte Bicalutamid nach 9,7 Jahren das progressionsfreie Überleben, nicht aber das Gesamtüberleben (Iversen et al. 2010). Häufigste Nebenwirkungen waren Brustschmerzen und Gynäkomastie. Die Verordnungen von Bicalutamid waren 2019 wieder leicht rückläufig (. Tab. 34.10). Der Androgensynthesehemmer Abirateronacetat (Zytiga) wurde 2011 zunächst zur Behandlung des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms in Kombination mit Prednison oder Prednisolon im Progress nach einer Docetaxel-haltigen Chemotherapie zugelassen (Übersicht in Sartor und de Bono 2018). Durch die Hemmung des Enzyms CYP17 wird auch die extragonadale Androgenbiosynthese im Tumor und Metastasen gehemmt (siehe Arzneiverordnungs-Report 2012, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2011). Die Nutzenbewertung von Abirateronacetat durch den G-BA ergab für Patienten, die für eine erneute Behandlung mit Docetaxel nicht in Frage kommen, im Vergleich mit bestmöglicher supportiver Therapie einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen. Im Januar 2013 wurde Abirateronacetat auch für Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom und asymptomatischem oder mild symptomatischem Verlauf zugelassen, bei denen nach Versagen der Androgenentzugstherapie eine Chemotherapie noch nicht klinisch
(Neu)
139,59
5,7
(C17,8)
120,76
58,3
(C2,8)
16,14
indiziert ist. Eine klinische Studie an 1.088 Patienten ohne vorangehende Chemotherapie hatte in der finalen Analyse gezeigt, dass Abirateronacetat in Kombination mit Prednison das mediane Gesamtüberleben im Vergleich zu Prednison verbessert (34,7 versus 30,3 Monate) (Ryan et al. 2015). Im Oktober 2017 wurde als dritte Indikation für Abirateron das neu diagnostizierte Hochrisiko-metastasierte hormonsensitive Prostatakarzinom in Kombination mit einer Androgenentzugstherapie zugelassen. Basis der Zulassung war eine Phase-3-Studie an 1.199 Patienten mit neu diagnostiziertem, metastasierten Hochrisiko-Prostatakarzinom, in der Abirateron in Kombination mit einer Androgenentzugstherapie im Vergleich zu einer alleinigen Androgenentzugstherapie die Gesamtüberlebensrate nach 3 Jahren (66 % versus 49 %) erhöhte (Fizazi et al. 2017). Ähnliche Ergebnisse zeigte eine weitere Studie an 1.917 Hochrisikopatienten (James et al. 2017). Die frühe Nutzenbewertung dieser Indikation von Abirateron ergab einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.2.1). Die Verordnungen von Zytiga sind 2019 weiter gestiegen und haben jetzt Nettokosten von 370 Mio. C erreicht (. Tab. 1.3). Enzalutamid (Xtandi) ist ein reiner Androgenrezeptorantagonist, der eine 10-fach höhere
715 34.6 Hormonantagonisten
Rezeptoraffinität als Bicalutamid hat und daher auch bei Überexpression des Rezeptors und bei Resistenz gegen andere Antiandrogene tumorhemmend wirkt. Enzalutamid wurde 2013 zunächst zur Behandlung von Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom zugelassen, deren Krankheit während oder nach einer Chemotherapie mit Docetaxel fortschreitet. Grundlage waren die Ergebnisse einer placebokontrollierten Studie an 1.199 Patienten mit kastrationsresistentem metastasiertem Prostatakarzinom im Progress nach einer Chemotherapie mit Docetaxel, die eine Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens (18,4 Monate versus 13,6 Monate) zeigte (Scher et al. 2012). In einer weiteren placebokontrollierten Studie vor einer Chemotherapie wurde nach 12 Monaten eine Abnahme des radiologisch belegten progressionsfreien Überlebens um 85 % und nach 22 Monaten eine Senkung des Mortalitätsrisikos um 29 % beobachtet (Beer et al. 2014). Mit diesen Daten wurde Enzalutamid auch für Patienten zugelassen, bei denen nach Versagen der medikamentösen Androgendeprivation eine Chemotherapie noch nicht indiziert ist. Für beide Indikationen hat die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA einen Hinweis auf einen beträchtlichen Zusatznutzen ergeben (siehe Arzneiverordnungs-Report 2014, Kap. 2, Neue Arzneimittel 2013). Weiterhin verlängerte Enzalutamid als zusätzliche Gabe zur Testosteronsuppression nach 36 Monaten auch das Gesamtüberleben bei Patienten mit metastasiertem, hormonsensitivem Prostatakarzinom im Vergleich zur Standardtherapie (80 % versus 72 %) (Davis et al. 2019). Enzalutamid (Xtandi) zeigt 2019 einen weiteren Anstieg der Verordnungen (. Tab. 34.10). Apalutamid (Erleada) ist der zweite selektive Androgenrezeptorantagonist, der 2019 erstmals unter den häufig verordneten Onkologika vertreten ist. Die Zulassung erfolgte im Januar 2019 für die Behandlung des nicht-metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von Metastasen. Basis der Zu-
34
lassung war eine Phase-3-Studie an Patienten mit nicht-metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom und einer prostataspezifischen Antigenverdopplungszeit von bis zu 10 Monaten. Durch Apalutamid wurde das metastasenfreie Überleben im Vergleich zu Placebo verlängert (40,5 Monate versus 16,2 Monate). Die Nutzenbewertung ergab einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen (7 Kap. 2, Neue Arzneimittel 2019, 7 Abschn. 2.1.3). Im Januar 2020 wurde eine erste Indikationserweiterung für Apalutamid zugelassen (metastasiertes hormonsensitives Prostatakarzinom in Kombination mit Androgendeprivationstherapie). Für diese Indikation läuft derzeit das Verfahren der Nutzenbewertung. Bisher fehlt aber ausreichende Evidenz für die optimale Behandlungssequenz des metastasierten Prostatakarzinoms sowie die am besten geeignete Kombinationstherapie, die bei vielen Tumorkrankheiten erfolgreich angewendet wird (Übersicht in Sartor und de Bono 2018). Wegen der besseren Verträglichkeit werden hormonelle Mittel generell für die Erstlinientherapie bevorzugt. Eine aktuelle Metaanalyse (8 Studien, 643 Patienten) hat einen ersten Hinweis auf ein verbessertes progressionsfreies Überleben für eine Abirateronacetat-Enzalutamid-Sequenz ergeben, jedoch nicht für das Gesamtüberleben (Mori et al. 2020).
34.6.2
Mammakarzinom
Die adjuvante Standardtherapie des Hormonrezeptor-positiven Mammakarzinoms ist weiterhin die endokrine Therapie. Adjuvante endokrine Therapien wie Tamoxifen und Aromatasehemmer reduzieren signifikant die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs um ca. 40 % und die Wahrscheinlichkeit des Versterbens um ca. 30 % (Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2018). Für prä- oder perimenopausale Patientinnen wird Tamoxifen als Mittel der Wahl für eine Dauer von mindestens 5 Jahren emp-
716
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.11 Verordnungen von Antiöstrogenen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tamoxifen Tamoxifen AL
Tamoxifen
20,7
(23,1)
0,19
Tamoxifen Heumann
Tamoxifen
9,4
(C2,1)
0,19
Tamoxifen HEXAL
Tamoxifen
8,5
(C102,7)
0,21
Tamoxifen Aristo
Tamoxifen
2,5
(C16,7)
0,20
Tamox-1 A Pharma
Tamoxifen
2,2
(C102,8)
0,19
Tamoxifen-ratiopharm
Tamoxifen
1,5
(14,7)
0,21
Tamoxifen AbZ
Tamoxifen
0,30
(C9,9)
0,19
45,0
(1,1)
0,20
Fulvestrant Faslodex
Fulvestrant
1,1
(9,8)
30,47
Fulvestrant HEXAL
Fulvestrant
0,93
(9,9)
26,46
Fulvestrant-ratiopharm
Fulvestrant
0,24
(22,5)
27,43
Fulvestrant beta
Fulvestrant
0,22
(C244,7)
25,98
Fulvestrant Ever Pharma
Fulvestrant
0,16
(Neu)
26,23
Summe
34
fohlen. Abhängig vom Rezidivrisiko und vom Wunsch der Patientin soll die antiöstrogene Therapie über 5 Jahre hinaus bis insgesamt 10 Jahre bzw. bis zum Rezidiv erfolgen. Diese Leitlinienempfehlung basiert auf neueren Langzeitdaten, die eine weitere Senkung der Mortalität durch eine Ausdehnung der Tamoxifentherapie auf 10 Jahre gezeigt haben. Bei hohem Rezidivrisiko und prämenopausaler Situation nach adjuvanter Chemotherapie soll eine Ovarialsuppression (Gonadorelinanaloga, bilaterale Ovarektomie) zusätzlich zu Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer erwogen werden. Postmenopausale Patientinnen, die zuvor 5 Jahre mit Tamoxifen behandelt wurden, sollte die Wahl einer über 5 Jahre fortgesetzten Therapie mit Tamoxifen oder ein Wechsel
2,6
(C1,2)
28,15
47,6
(1,0)
1,75
zu einem Aromatasehemmer angeboten werden. Nach Metastasierung sollte bei postmenopausalen Patientinnen zunächst ein Aromatasehemmer eingesetzt werden, wenn adjuvant ausschließlich Tamoxifen eingesetzt wurde (Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2018). Die Verordnung von Tamoxifen nahm 2019 leicht ab (. Tab. 34.11). Fulvestrant ist der erste rein steroidale Östrogenrezeptorantagonist ohne die agonistische Restaktivität von Tamoxifen. Trotz seiner pharmakologischen Vorteile hatte Fulvestrant bei postmenopausalen Patientinnen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Mammakarzinom keinen klinischen Zusatznutzen im direkten Vergleich mit Tamoxifen (Howell et al. 2004) oder mit Anastrozol bei eingetretener
717 34.6 Hormonantagonisten
Tamoxifenresistenz (Howell et al. 2002; Osborne et al. 2002). Seit 2009 ist Fulvestrant in einer doppelt so hohen Dosis (500 mg/Monat) wie bisher zugelassen, die aber gegenüber der 250 mg-Dosis das Gesamtüberleben nur wenig erhöhte (26,4 versus 22,5 Monate) (Di Leo et al. 2014). Die Erstlinientherapie mit Fulvestrant (500 mg) oder Anastrozol (1 mg) zeigte in einer Phase-2-Studie an 205 postmenopausalen Patientinnen mit fortgeschrittenem hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom zunächst nur eine ähnliche klinische Wirksamkeit (objektives Ansprechen plus stabiler Krankheitsverlauf) von 72,5 % versus 67,0 % (Robertson et al. 2009). Ein nachfolgende Auswertung des medianen Gesamtüberlebens ergab einen geringen Vorteil für Fulvestrant (54,1 versus 48,4 Monate) (Ellis et al. 2015). Auch in einem Cochrane-Review (9 Studien, 4.514 Frauen) war Fulvestrant (250 mg) für die Behandlung des fortgeschrittenen hormonsensitiven Mammakarzinoms bei postmenopausalen Patientinnen ähnlich wirksam wie die anderen drei endokrinen Standardtherapien. Nur in einer der 9 Studien wurde Fulvestrant in der neuen Standarddosis (500 mg) verglichen mit Anastrozol und zeigte Überlegenheit in Bezug auf Zeit bis zur Progression und Überleben (Lee et al. 2017). Einen Vorteil für Kombinationstherapien von Fulvestrant plus andere endokrine Therapie bestand nicht. Die Verordnungen von Fulvestrant haben sich 2019 kaum verändert (. Tab. 34.11). Überwiegend werden Generika verordnet, die aber auch noch sehr hohe DDD-Kosten (26–27 C) haben, während in den Niederlanden die Tagestherapiekosten (9,33 C) deutlich niedriger liegen. Aromatasehemmer werden weiterhin häufiger als Tamoxifen verordnet und zeigen 2019 auch einen Verordnungszuwachs (. Tab. 34.12). Sie galten in den vergangenen Jahren als Standard der adjuvanten Therapie in der Postmenopause, da eine direkte Vergleichsstudie von Anastrozol und Tamoxifen bei postmenopausalen Patientinnen in der adjuvanten Situation Vorteile für den Aromatasehemmer Anastrozol gezeigt
34
hatte. Die 10-Jahresergebnisse dieser Studie haben bestätigt, dass Anastrozol das krankheitsfreie Überleben verbessert und die Zahl der Rezidive vermindert. Unterschiede im Gesamtüberleben bestehen aber nicht (Cuzick et al. 2010; Goss et al. 2016). Die adjuvante endokrine Therapie für postmenopausale Patientinnen mit einem hormonrezeptorpositiven Mammakarzinom sollte daher einen Aromatasehemmer enthalten (Deutsche Krebsgesellschaft et al. 2018). Weiterhin wichtigste Initialtherapie des östrogenrezeptorpositiven Mammakarzinoms ist die adjuvante endokrine Therapie. Dagegen war beim fortgeschrittenen Mammakarzinom bisher eine Chemotherapie die erste Therapieoption. Mit der Einführung von Hemmstoffen (Palbociclib, Ribociclib) der Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6) stehen jetzt erstmals Wirkstoffe für eine medikamentöse Behandlung vor einer Chemotherapie zur Verfügung, die bereits als neuer Standard in der Erstlinientherapie von Patientinnen mit fortgeschrittenem bzw. metastasiertem Hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom gesehen werden (Rugo 2019). CDK4/6-Inhibitoren blockieren die Cyclin-abhängigen Kinasen 4 und 6, die beim östrogenrezeptorpositiven Mammakarzinom infolge einer Überexpression von Cyclin D1 häufig verstärkt aktiviert werden und zu einer unkontrollierten Proliferation und einer Resistenzentwicklung gegen die endokrine Therapie des Mammakarzinoms führen. Als erster CDK4/6-Inhibitor wurde Palbociclib (Ibrance) zur Behandlung des östrogenrezeptorpositiven, HER2-negativen fortgeschrittenen Mammakarzinoms in Kombination mit einem Aromatasehemmer oder Fulvestrant zugelassen. In Kombination mit Palbociclib verlängerte Letrozol das progressionsfreie Überleben im Vergleich zur Monotherapie mit Letrozol (24,8 versus 14,5 Monate), hatte aber wegen häufiger nebenwirkungsbedingter Therapieabbrüche (Neutropenie) keinen signifikanten Effekt auf das Gesamtüberleben (Finn et al. 2016). Daher ergab die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA keinen Beleg für einen
718
Kapitel 34 Onkologika
. Tabelle 34.12 Verordnungen von Aromatasehemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Anastrozol Anastrozol Accord
Anastrozol
6,5
(C45,6)
0,49
Anastrozol Glenmark
Anastrozol
5,0
(C29,6)
0,49
Anastrozol Heumann
Anastrozol
3,4
(45,7)
0,77
Anastrozol Sun
Anastrozol
0,61
(C34,6)
0,52
Anastrozol beta
Anastrozol
0,56
(17,5)
0,76
Anastrozol Denk
Anastrozol
0,46
(C129,1)
0,47
Anastrozol Devatis
Anastrozol
0,45
(C50,9)
0,52
Anastrozol-1 A Pharma
Anastrozol
0,43
(10,9)
0,76
Anablock
Anastrozol
0,40
(17,3)
0,76
Anastrozol Aristo
Anastrozol
0,35
(2,7)
0,76
AnastroHEXAL
Anastrozol
0,28
(11,9)
0,77
Anastrozol AL
Anastrozol
0,18
(12,9)
0,49
18,6
(C3,0)
0,57
Letrozol
34
Letrozol Accord
Letrozol
9,8
(C205,7)
0,64
Letrozol Devatis
Letrozol
3,9
(C47,8)
0,39
Letrozol Glenmark
Letrozol
3,1
(C27,9)
0,52
Letrozol Heumann
Letrozol
2,9
(11,2)
0,70
Letrozol Sun
Letrozol
2,3
(54,8)
0,69
Letrozol beta
Letrozol
2,3
(29,2)
0,70
Letrozol AbZ
Letrozol
0,87
(59,4)
0,70
Letrozol Winthrop
Letrozol
0,63
(C194,0)
0,70
Letrozol-1 A Pharma
Letrozol
0,62
(22,9)
0,69
Letrozol Bluefish
Letrozol
0,51
(8,9)
0,40
LetroHEXAL
Letrozol
0,44
(20,6)
0,69
Letrozol Aristo
Letrozol
0,36
(7,0)
0,70
Letrozol Denk
Letrozol
0,29
(34,1)
0,38
Letroblock
Letrozol
0,25
(23,0)
0,70
Letrozol STADA
Letrozol
0,13
(17,5)
0,51
34
719 34.6 Hormonantagonisten
. Tabelle 34.12 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Letrozol-ratiopharm
Letrozol
0,13
(21,0)
0,69
Letrozol-PUREN
Letrozol
0,11
(23,2)
0,52
28,7
(C11,2)
0,61
Exemestan Exemestan Pfizer
Exemestan
2,9
(31,1)
1,26
Exemestan Heumann
Exemestan
2,0
(C112,9)
1,26
Exemestan AL
Exemestan
0,94
(C38,8)
1,11
Exemestan Accord
Exemestan
0,65
(8,9)
1,11
Exemestan-1 A Pharma
Exemestan
0,23
(C48,7)
1,15
Exemestan Aristo
Exemestan
0,20
(C3,6)
1,25
Exemestan beta
Exemestan
0,19
(34,5)
1,26
Exemestan STADA
Exemestan
0,17
(C102,6)
1,09
Exemestan Devatis
Exemestan
0,16
(C50,0)
1,04
Exemestan-PUREN
Exemestan
0,13
(C18,7)
1,09
7,6
(C0,8)
1,21
54,9
(C6,8)
0,68
Summe
Zusatznutzen in allen vier Subgruppen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2017, Abschn. 3.1.21). Auch in einer Phase-3-Studie erreichte Palbociclib in Kombination mit Fulvestrant keinen signifikanten Effekt auf das Gesamtüberleben (34,6 versus 28,9 Monate) (Turner et al. 2018), so dass auch für diese Kombination kein Zusatznutzen belegt war (Bundesministerium für Gesundheit 2019a). Trotz des fehlenden Zusatznutzens und hoher Jahrestherapiekosten von 40.573 C erreichte Ibrance einen weiteren Verordnungsanstieg (. Tab. 34.8) und gehört auch nach einer fast 50%igen Preissenkung mit Nettokosten von 254 Mio. C weiterhin zu den 30 umsatzstärksten Arzneimitteln (. Tab. 1.3). Ribociclib (Kisqali) ist der zweite CDK4/6-Inhibitor, der 2017 zur Behand-
lung von postmenopausalen Frauen mit einem hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom zugelassen wurde. Für die Zulassung relevant war eine placebokontrollierte Phase-3-Studie an 668 postmenopausalen Frauen mit hormonrezeptorpositivem, HER2-negativem, rezidiviertem oder metastasiertem Brustkrebs, in der die Erstlinientherapie mit Ribociclib in Kombination mit Letrozol das progressionsfreie Überleben im Vergleich zur Kontrollgruppe (63,0 % versus 42,2 %) nach 18 Monaten verlängerte (Hortobagyi et al. 2016). Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen von Ribociclib, weil kein statistisch signifikanter Unterschied für das Gesamtüberleben zwischen den Studienarmen bestand (Bundesministerium für Gesundheit
720
Kapitel 34 Onkologika
2018c). Im Dezember 2018 wurde Ribociclib für eine erweiterte Indikation zur Behandlung von Frauen mit einem Hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom in Kombination mit einem Aromatasehemmer oder Fulvestrant als initiale endokrinbasierte Therapie oder bei Frauen mit vorangegangener endokriner Therapie zugelassen. Die Kombination mit Fulvestrant wurde in einer Phase-3-Studie an 726 postmenopausalen Patientinnen mit einem Hormonrezeptorpositiven, HER2-negativen, lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Mammakarzinom untersucht, die Ribociclib in Kombination mit Fulvestrant oder Fulvestrant allein erhielten (Slamon et al. 2020). Nach 42 Monaten wurde das Gesamtüberleben (sekundärer Endpunkt) in der der Gesamtpopulation im Vergleich zur Kontrollgruppe (57,8 % versus 45,9 %) signifikant verlängert, jedoch nicht in den beiden Subgruppen von Patientinnen ohne oder mit vorangegangener endokriner Therapie. Schwere Nebenwirkungen unter Ribociclib (Grad 3 oder 4) waren wiederum Neutropenie (57,1 % versus 0,8 %) und hepatobiliäre Störungen (13,7 % versus 5,8 %). Auch die frühe Nutzenbewertung der neuen Kombinationstherapie ergab daher in allen vier Subgruppen keinen Zusatznutzen (Bundesministerium für Gesundheit 2019b).
34 34.7
34.7.1
Weitere onkologische Präparate Hämatopoetische Granulozyten-Kolonienstimulierende Faktoren (G-CSF)
Koloniestimulierende Faktoren (CSF) fördern als hämatopoetische Wachstumsfaktoren die Proliferation und Differenzierung von hämatopoetischen Stammzellen und Vorläuferzellen. Granulozyten-CSFs werden bei Patien-
ten prophylaktisch eingesetzt, die wegen solider Tumore oder hämatologischer Neoplasien chemo- oder strahlentherapeutisch behandelt werden, und bei denen das Risiko, eine febrile Neutropenie zu entwickeln, größer als 20 % ist. Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat erstmals 1994 Leitlinien für den Einsatz von CSFs herausgegeben und diese wiederholt, zuletzt 2015 aktualisiert (Smith et al. 2015). Diese Empfehlungen für den rationalen Einsatz von Granulozyten (G)-CSFs umfassen insgesamt 15 Kernaussagen zur primären und sekundären Prophylaxe der Neutropenie mit G-CSFs, aber auch Empfehlungen, wann G-CSFs bei Patienten mit onkologischen Krankheiten nicht eingesetzt werden sollten. Auch die Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) aus dem Jahr 2017 geben Empfehlungen zum Einsatz von GCSFs bei Vorliegen einer Neutropenie und darüber hinaus Ratschläge zur Behandlung einer durch Tumorerkrankungen- und/oder Chemotherapie-induzierten Anämie (Crawford et al. 2017). Zur Verfügung stehen heute neben Filgrastim (r-MetHuG-CSF), seinem pegyliertem Analogon Pegfilgrastim und Lenograstim (rHuG-CSF) auch Lipegfilgrastim (Lonquex) als ein weiteres langwirkendes pegyliertes Filgrastim, das 2013 zugelassen wurde. Lipegfilgrastim ist praktisch, aber nicht formal, ein Biosimilar von Pegfilgrastim (Neulasta) ist (7 Kap. 3, Biologika und Biosimilars, . Tab. 3.2). Damit entfallen jetzt 90 % des Verordnungsvolumens auf die beiden langwirkenden Filgrastimpräparate (. Tab. 34.13).
34.7.2
BCG-Immuntherapie
Die intravesikale Immuntherapie mit Bacillus Calmette-Guérin (BCG) wurde vor 40 Jahren zur Behandlung nicht-invasiver urothelialer Harnblasenkarzinome mit hohem Risiko eingeführt. Die BCG-Immuntherapie gilt zusammen mit der transurethralen Resektion weiterhin als der Standard einer blasenerhal-
34
721 34.7 Weitere onkologische Präparate
. Tabelle 34.13 Verordnungen von weiteren onkologischen Präparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Koloniestimulierende Faktoren Neulasta
Pegfilgrastim
0,92
(24,6)
78,74
Lonquex
Lipegfilgrastim
0,57
(21,0)
76,01
Pelgraz
Pegfilgrastim
0,32
(> 1.000)
73,45
Filgrastim HEXAL
Filgrastim
0,13
(3,0)
136,79
Neupogen
Filgrastim
0,08
(6,0)
141,03
2,0
(6,7)
83,31
BCG-Impfstoff
2,1
(C10,3)
4,90
Iscador
Mistelkrautextrakt
1,0
(6,9)
2,18
Helixor
Mistelkrautextrakt
0,99
(7,6)
2,34
Abnobaviscum
Mistelkrautextrakt
0,44
(5,2)
3,09
Lektinol
Mistelkrautextrakt
0,27
(15,3)
2,11
2,7
(7,8)
2,37
6,9
(2,6)
26,94
BCG-Immuntherapie BCG medac Mistelpräparate
Summe
tenden Therapie und sollte als Erhaltungsthera- karzinom während und nach einer Chemothepie über 1–3 Jahre durchgeführt werden (Über- rapie zugelassen ist, ohne dass eine lebensversicht bei Kamat et al. 2016). längernde Wirkung nachgewiesen wurde. Die Verordnungen der Mistelpräparate sind seit ihrem Höhepunkt mit 23 Mio. DDD im Jahre 1999 (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2000, 34.7.3 Mistelpräparate Kap. 30, Immuntherapeutika und Zytostatika) um fast 90 % zurückgegangen und waIn Deutschland sind weiterhin anthroposophi- ren 2019 weiter rückläufig (. Tab. 34.13). sche Mistelpräparate (Helixor, Iscador, Ab- In einer systematischen Übersichtsarbeit über nobaviscum) zur Behandlung bösartiger und 10 klinische Studien mit Mistelpräparaten, die gutartiger Geschwulstkrankheiten zugelassen. größtenteils beträchtliche Schwächen im StuDaneben ist bei den häufig verordneten Arz- diendesign aufwiesen, zeigte keine der meneimitteln auch ein pflanzliches Mistelpräpa- thodisch zufriedenstellenden Untersuchungen rat (Lektinol) vertreten, das unterstützend zur eine Wirksamkeit in Bezug auf Lebensqualität Verbesserung der Lebensqualität bei Mamma- oder Überleben (Ernst et al. 2003).
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Kapitel 34 Onkologika
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Kapitel 34 Onkologika
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Kapitel 34 Onkologika
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Ophthalmika Martin J. Lohse
Auf einen Blick
Trend Unter den Ophthalmika dominieren seit vielen Jahren die Glaukommittel, bei denen sich in den letzten Jahren einige Therapieprinzipien durchgesetzt haben, nämlich selektive Alpha2 -Agonisten, lokal wirkende Carboanhydrasehemmer und vor allem Prostaglandinderivate; hinzukommen wird mit dem Rho-Kinase-Inhibitor Netarsudil seit vielen Jahren erstmals wieder ein neues Wirkprinzip. Daneben spielen die ophthalmischen Antiinfektiva mit einer Vielzahl von Substanzen eine größere Rolle. Bei den meisten übrigen Gruppen von Ophthalmika sind die Verordnungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz 2004 drastisch gesunken. Im Jahre 2019 haben sich die Verordnungen von Ophthalmika insgesamt kaum verändert. Als Neuentwicklungen für die antineovaskuläre Therapie haben sich neben dem viel diskutierten antineovaskulären Antikörper Ranibizumab (Lucentis) mit dem Aflibercept (Eylea) ein weiterer VEGF-Antagonist sowie ein Dexamethason-Implantat (Ozurdex) unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln etabliert.
Die Indikationsgruppe der Ophthalmika umfasst Präparate, die in aller Regel lokal angewendet werden. . Abb. 35.1 gibt als Übersicht die wichtigsten Arzneimittelgruppen des Gesamtmarktes wieder. Neben den stark dominierenden und stetig, wenn auch nur noch langsam anwachsenden Glaukommitteln sind mengenmäßig im Wesentlichen nur noch Antiinfektiva und Antiphlogistika bedeutsam, de-
ren Verordnungen jeweils seit einem Jahrzehnt ungefähr konstant geblieben sind, bei den Antiphlogistika aber langsam wieder ansteigen. Als vierte Gruppe etabliert sich die von den Verordnungszahlen her noch kleine, von den Kosten und therapeutischen Effekten her aber zunehmend wichtige und auch innovative Gruppe der antineovaskulären Mittel. Insgesamt ist das Verordnungsvolumen der Ophthalmika 2019 geringfügig angestiegen (vgl. . Tab. 1.2). Bei diesen Veränderungen ist bemerkenswert, dass einige durchaus fragwürdige, aber verschreibungspflichtige Ophthalmika weiterhin zu Lasten der GKV verordnet werden können, während andere medizinisch gut begründete Arzneimittel von den Patienten selbst gezahlt werden müssen. So führte die 2004 aufgehobene Erstattungsfähigkeit der Filmbildner, die beim Syndrom des trockenen Auges (Keratokonjunktivitis sicca) indiziert sind, zum fast völligen Verschwinden aus dem GKV-Arzneimittelmarkt. In der Ophthalmologie hat es in den letzten Jahren nur wenige interessante Neuentwicklungen gegeben. Die „neueren“ Glaukommittel – Brimonidin, lokal anwendbare Carboanhydrasehemmer und Prostaglandine – dominieren seit etlichen Jahren sehr deutlich die Therapie. Hier steht mit der Zulassung in den USA und der positiven Bewertung durch die EMA der Rho-Kinase-Inhibitor Netarsudil und damit seit vielen Jahren erstmals wieder ein neues Therapieprinzip vor dem Markteintritt. Die spannendsten Neuentwicklungen gibt es auf dem zuvor sehr unbefriedigenden Gebiet der Augenerkrankungen mit Gefäßneubildungen wie insbesondere der Makuladegeneration: Mit Pegaptanib (Macugen) wurde 2006 zunächst
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_35
Kapitel 35 Ophthalmika
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600 2018
2019
541 551
500
(Mio. DDD)
400
300
200 145 148 100
75
82 26
7
7
5
5
2
28
2
14
15
0 Antiinfektiva
Mydriatika
Antiphlogistika
Antiallergika
Glaukommittel
Filmbildner
Antineovaskuläre Vitamine und Mittel sonstige Mittel
. Abb. 35.1 Verordnungen von Ophthalmika 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
35
ein RNA-Aptamer eingeführt (Holz und Martini 2007). Deutlich wirksamer ist eine Blockade des „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF), die sich mit dem für die Indikation Makuladegeneration zugelassenen und sehr teuren humanisierten Antikörperfragment Ranibizumab (Lucentis), aber nach vielen Studien auch ebenso gut mit dem hierfür nicht zugelassenen, sehr viel preisgünstigeren Krebsmittel Bevacizumab (Avastin) erreichen lässt. Einen letztlich ähnlichen Weg der VEGF-Blockade nutzt ein Fusionsprotein aus VEGF-Rezeptor und Fc-Immunglobulin in Aflibercept (Eylea). Schließlich wurden für die Behandlung des Makulaödems in den letzten Jahren Glucocorticoidimplantate mit Dexamethason (Ozurdex) und Fluocinolon (Iluvien) zugelassen. Dieses Thema ist am Ende des Kapitels näher behandelt.
35.1
Antiinfektiva
Antiinfektive Ophthalmika (. Tab. 35.1, 35.2) werden zur Behandlung von Infektionen des vorderen Augenabschnittes eingesetzt (Messmer 2012). Diese Infektionen äußern sich zu-
meist als Konjunktivitiden. Virale und bakterielle Konjunktivitis lassen sich klinisch kaum unterscheiden, wenn auch morgendlich verklebte Augen sowie das Fehlen von Juckreiz und von Konjunktivitiden in der Anamnese eine bakterielle Genese nahelegen (Rietveld et al. 2004; Yeu und Hauswirth 2020). Daher erklärt sich die insgesamt geringe Wirksamkeit von Antibiotika wohl wesentlich auch durch die hohe Prävalenz (deutlich über 50 %) von nichtbakteriellen Konjunktivitiden. Verschiedenste bakterielle Erreger können eine Konjunktivitis auslösen. Eine Analyse aus dem Raum Turin über 30 Jahre zeigt Veränderungen bei den isolierten Bakterien; derzeit überwiegen zu etwa 75 % Gram-positive Erreger, vor allem verschiedene Staphylokokkenstämme, aber auch Gram-negative Pseudomonaden und Enterobakterien (Grandi et al. 2019). Ähnliche Ergebnisse zeigt bei Erwachsenen eine jüngere Studie aus England, während bei Kindern häufig Hämophilus-Spezies gefunden wurden, besonders im Frühling (Lee et al. 2019). Resistenzen gegen Antibiotika nehmen zu und verändern sich; auch multi-resistente Keime, besonders Staphylokokken kommen gehäuft vor, vor allem bei klinischen Isolaten
35
735 35.1 Antiinfektiva
. Tabelle 35.1 Verordnungen antiinfektiver Ophthalmika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Gentamicin Gent-Ophtal
Gentamicinsulfat
11,8
(C5,4)
0,62
Gentamicin-POS
Gentamicinsulfat
2,8
(C15,1)
0,62
Infectogenta Augen
Gentamicinsulfat
2,8
(C31,1)
0,57
17,4
(C10,4)
0,61
Ofloxacin Ofloxacin-ophtal
Ofloxacin
38,0
(C14,7)
0,49
Floxal
Ofloxacin
8,5
(33,5)
0,54
Ofloxacin-ratiopharm AT
Ofloxacin
4,1
(18,7)
0,43
Ofloxa-Vision
Ofloxacin
3,5
(C31,4)
0,56
Ofloxacin Stulln
Ofloxacin
1,8
(6,4)
0,40
55,9
(C0,7)
0,49
Weitere Fluorchinolone Vigamox
Moxifloxacin
5,1
(0,7)
0,35
Oftaquix
Levofloxacin
0,91
(8,2)
0,68
Ciloxan
Ciprofloxacin
0,63
(0,3)
0,60
6,6
(1,8)
0,42
Weitere Antibiotika Kanamycin-POS
Kanamycin
6,8
(C12,3)
0,74
Fucithalmic
Fusidinsäure
1,6
(16,1)
0,54
Polyspectran
Polymyxin B Neomycin Gramicidin
0,77
(C32,4)
1,12
Oxytetracyclin AS JENAPHARM
Oxytetracyclin
0,66
(3,8)
1,41
Infectoazit
Azithromycin
0,31
(5,0)
5,80
Azyter
Azithromycin
0,30
(C37,4)
4,88
10,4
(C6,7)
1,05
Virostatika Acivision
Aciclovir
2,5
(C5,8)
0,60
Virgan
Ganciclovir
0,72
(C5,2)
1,88
3,2
(C5,7)
0,89
93,6
(C3,0)
0,58
Summe
736
Kapitel 35 Ophthalmika
. Tabelle 35.2 Verordnungen antiinfektiver Ophthalmikakombinationen mit Glucocorticoiden 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Dexamethasonkombinationen Dexagent Ophtal
Gentamicin Dexamethason
17,0
(C5,5)
0,77
Dexa-Gentamicin
Gentamicin Dexamethason
12,5
(1,8)
0,72
Isopto-Max
Neomycin Polymyxin B Dexamethason
11,1
(C1,9)
1,27
Dexamytrex
Gentamicin Dexamethason
4,9
(C3,4)
0,79
Tobradex
Tobramycin Dexamethason
4,7
(C9,8)
0,36
Dispadex comp
Neomycin Dexamethason
1,8
(C26,1)
0,66
52,0
(C3,6)
0,82
1,8
(C14,7)
1,24
53,8
(C4,0)
0,84
Prednisolonkombinationen Oxytetracyclin-Prednisolon JENAPHARM
Oxytetracyclin Prednisolon
Summe
35
(Lee et al. 2019; Asbell et al. 2020). Die genannte Longitudinalstudie aus Turin fand die beste in vitro-Wirksamkeit für Gyrasehemmer und Chloramphenicol gefolgt von Tetracyclinen, Ampicillin und Aminoglykosiden; Resistenzen nahmen über die Jahre zu, besonders gegen Aminoglykoside bei Gram-negativen und gegen Aminoglykoside und Gyrasehemmer bei Gram-positiven Erregern (Grandi et al. 2019). Experimentelle (Behrens-Baumann und Begall 1993) wie auch klinische Untersuchungen (Isenberg et al. 2002) zeigten, dass Antiseptika wie Ethacridin (Biseptol) oder Povidon-Iod zu schnellerer Elimination der Bakterien und Regression der Symptome führten als Antibiotika. Zu einem ähnlichen
Schluss kommen die Übersichten der Cochrane Database (Sheikh et al. 2012) sowie von Rose (2007), nach denen Antibiotika zwar die Heilung zu beschleunigen scheinen, jedoch das Endergebnis nicht beeinflussen. Daher empfehlen die 2018 aktualisierten Richtlinien der American Academy of Ophthalmology (7 https://www.aao.org/preferredpractice-pattern/conjunctivitis-ppp-2018) im Zweifelsfall einfach die Gabe des billigsten Antibiotikums; sie enthalten aber auch sehr differenzierte Behandlungsvorschläge für zahlreiche Formen der Konjunktivitis. Eine randomisierte Studie aus Praxen in Großbritannien kommt zu dem Schluss, die beste Strategie sei der verzögerte Einsatz von Anti-
737 35.1 Antiinfektiva
biotika, und zwar nur dann, wenn Symptome persistieren (Everitt et al. 2006). In einer Studie mit Levofloxacin gegen Placebo berichteten Hwang et al. (2003) dagegen, dass auch das Endergebnis bei Levofloxacin besser sei. Ein Cochrane-Review zu diesem Thema kommt auf der Basis einer insgesamt als unbefriedigend bewerteten Studienlage zu dem Schluss, dass die Gabe von Antibiotika bei Konjunktivitis im Wesentlichen wegen der etwas schnelleren Abheilung empfehlenswert sei (Sheikh et al. 2012). Die genannten ResistenzDaten sprechen für zusätzliche Zurückhaltung bei der Gabe von Antibiotika; wenn sie gegeben werden, dann sollte in den meisten Fällen eine lokale antibiotische Behandlung des Auges eine Woche nicht überschreiten. Bei schweren Infektionen des vorderen Augenabschnittes, etwa Keratitis, ist dagegen eine antibiotische Therapie dringend geboten. Bei schweren Hornhautulzera sind eine Erregeridentifikation und ein Antibiogramm erforderlich (Rachwalik und Pleyer 2015), während in weniger schweren Fällen empirisch mit Breitspektrumantibiotika behandelt werden kann, wobei sich vor allem Gentamicin und Moxifloxacin als wirksam erwiesen haben (Kowalski et al. 2013; Rachwalik und Pleyer 2015). Interessant ist, dass ein großer Teil dieser Infektionen durch das Tragen weicher Kontaktlinsen verursacht ist (Rachwalik und Pleyer 2015); daher werden Studien zu Erregern bei Konjunktivitiden auch von Kontaktlinsen-Herstellern unternommen und gesponsert (etwa Asbell et al. 2015, 2020). Bei den für die Behandlung von Konjunktivitis und Keratitis verfügbaren Substanzen und Präparaten hat es in den letzten Jahren kaum Veränderungen gegeben, und die meisten Umschichtungen bei den Verordnungen scheinen aus preislichen Gründen zu geschehen. Insgesamt haben ihre Verordnungen im letzten Jahrzehnt um etwa 20 % abgenommen. Dieser Trend hat sich aber 2019 nicht weiter fortgesetzt.
35.1.1
35
Monopräparate
Die Verordnungen von antibiotischen Monopräparaten haben 2019 nach schwankendem Verlauf in den Vorjahren wieder leicht zugenommen, während die Verordnungen antiviraler Substanzen nur ein kleines, 2018 aber deutlich gewachsenes Segment umfassen (. Tab. 35.1). Die Rolle der Aminoglykoside Gentamicin und Kanamycin hat über die letzten Jahre deutlich abgenommen. Die Gyrasehemmer (Fluorchinolone) sind nach kontinuierlichen Zunahmen in den letzten Jahren die ganz überwiegend verordneten ophthalmischen Antibiotika, was durch gute lokale Penetration und geringe unerwünschte Wirkungen gerechtfertigt ist (O’Brien et al. 1995; Hanioglu-Kargi et al. 1998), jedoch wegen der Resistenzlage zunehmend schwierig ist. Ganz überwiegend wird das racemische Ofloxacin verordnet, auch wenn Levofloxacin etwas wirksamer sein soll (Schwab et al. 2003). Etliche etwas preisgünstigere Generika haben in den letzten Jahren sehr stark an Bedeutung gewonnen und liegen deutlich vor dem Originalpräparat Floxal. An Bedeutung weiter verloren hat die Fusidinsäure (Fucithalmic), die vor allem gegen Staphylokokken wirksam ist und nur zweimal täglich angewendet werden muss, gegen die aber in einer Größenordnung von 50 % auch im ambulanten Bereich Resistenzen beobachtet wurden (Lee et al. 2019). Nach Zuwächsen in den vergangenen Jahren haben sich die Verordnungen der teuren Azithromycinpräparate Infectoazit und Azyter stabilisiert, die mit Erfolg bei purulenter und trachomatöser Konjunktivitis eingesetzt werden (BremondGignac et al. 2015). Die Kombinationen von mehreren lokal anwendbaren Antibiotika waren lange Zeit in der Ophthalmologie beliebt, sind nun aber nur noch mit einem älteren Präparat (Polyspectran) vertreten, das seit längerem deutlich rückläufig ist, 2019 aber wieder deutlich vermehrt verordnet wurde (. Tab. 35.1). Ein relativ hohes Allergisierungs- und Reizungspotenzial, die ungünstige Resistenzlage und langsame Ab-
738
Kapitel 35 Ophthalmika
heilungsraten im Vergleich zu Gyrasehemmern (Granet et al. 2008) begründen die bisherigen Rückgänge. Ophthalmische Virostatika stellen ein kleines, in seinen Indikationen und seiner Wirksamkeit gut definiertes Segment von Arzneimitteln dar. Aciclovir ist auch 2019 nur noch mit einem Präparat vertreten, das trotz weiterer Zunahme nicht die Aciclovirverordnungen früherer Jahre erreicht hat. Ein deutlich teureres Präparat ist Ganciclovir, bei dem es auch 2019 wieder eine kleine Zunahme gegeben hat (. Tab. 35.1).
35.1.2
35
Kombinationspräparate
Kombinationen von Antibiotika und Glucocorticoiden erfreuten sich auch 2019 großer Beliebtheit (. Tab. 35.2), wobei es innerhalb dieses Segments einige Umschichtungen gab. Diese Präparate machten auch 2019 rund ein Drittel der Verordnungen von Antibiotika in der Ophthalmologie aus. Ganz überwiegend werden hier Dexamethason-haltige Präparate verwendet. Durch die Kombination von Antibiotika und Glucocorticoiden erhofft man bei echten bakteriellen Konjunktivitiden eine Abnahme von Entzündungserscheinungen und ein besseres Endergebnis. Die aktuellen Richtlinien der American Academy of Ophthalmology für die bakterielle Keratitis und für die Konjunktivitis führen dieses Ziel auf, betonen aber, dass die wissenschaftliche Evidenz hierfür gering sei (7 http://www.aao.org/ preferred-practice-pattern/bacterial-keratitisppp-2018; 7 http://www.aao.org/preferredpractice-pattern/conjunctivitis-ppp-2018). Eine Studie an 500 Patienten ergab, dass auch bei Ulcera in der Cornea Steroide den Visus weder nach 3 Monaten noch in einer späteren 12-Monats-Analyse verbesserten (Srinivasan et al. 2012, 2014). Eine ungezielte Verwendung von Glucocorticoiden am Auge kann wegen ihrer Risiken in den meisten Fällen nicht begründet werden (Holland et al. 2019). Ob eine frühzeitige Gabe bei speziellen Sub-
gruppen günstig ist, bleibt noch abzuklären (Ray et al. 2014).
35.2
Antiphlogistische Ophthalmika
Die oben schon besprochenen Glucocorticoide werden in der Ophthalmologie bei verschiedenen entzündlichen Erkrankungen der Cornea, Sklera und Iris sowie zur Unterdrückung von Narbenwucherungen an Lidern und Cornea eingesetzt. Nicht indiziert sind sie in der Regel bei infektiöser Konjunktivitis (siehe oben). Die akuten Gefahren ihrer Anwendung am Auge liegen in dem Aufflammen von infektiösen Prozessen, besonders Pilzinfektionen. Bei längerer Anwendung können Glaukome ausgelöst werden, bei prädisponierten Patienten vereinzelt auch schon innerhalb weniger Wochen. Nach Anwendung über ein oder mehrere Jahre können sich Linsentrübungen entwickeln. Grundsätzlich gewarnt werden muss vor der Anwendung von Glucocorticoiden, wenn die Hornhaut nicht intakt ist. Aus diesen Gründen sollte jede längerdauernde Anwendung von Glucocorticoiden am Auge sorgfältig überwacht werden. Zum Einsatz kommen verschiedene Glucocorticoide, die sich nicht nur in ihrer Potenz, sondern auch in ihrer Resorbierbarkeit erheblich unterscheiden. So ist die Resorption von Prednisolonacetat (Inflanefran, Ultracortenol) höher als die der Phosphatsalze (Dexa-sine). Dagegen ist – gleiche Resorption vorausgesetzt – die Potenz von Dexamethason deutlich höher als die von Prednisolon und Hydrocortison. In den Kombinationspräparaten mit Antibiotika (. Tab. 35.2) findet fast nur Dexamethason Verwendung, häufig in Form der schlechter resorbierten Phosphatsalze. Bei den Monopräparaten (. Tab. 35.3) dagegen überwiegt die Verwendung von Prednisolonacetat. Ein plausibler Grund für diese Unterschiede ist nicht erkennbar. Der in den vergangenen Jahren auch bei den Monopräparaten beobachtbare Trend zum Dexamethason hat sich 2019
35
739 35.2 Antiphlogistische Ophthalmika
. Tabelle 35.3 Verordnungen von antiphlogistischen Ophthalmika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Prednisolon Predni-POS
Prednisolon
13,2
(C13,1)
0,17
Prednifluid
Prednisolon
8,0
(C31,2)
0,56
Inflanefran
Prednisolon
4,9
(18,6)
0,74
Prednisolon AS JENAPHARM
Prednisolon
4,2
(0,9)
0,30
Predni-Ophtal
Prednisolon
2,7
(9,7)
0,32
Ultracortenol
Prednisolon
0,81
(1,1)
1,02
33,7
(C6,2)
0,39
Dexamethason Dexa EDO/Dexagel
Dexamethason
5,5
(0,9)
0,82
Dexa ophtal
Dexamethason
4,6
(8,7)
0,31
Dexafluid
Dexamethason
2,3
(C10,1)
0,58
Dexapos
Dexamethason
1,7
(C6,3)
0,73
Dexa-sine
Dexamethason
1,6
(C6,1)
0,93
Monodex
Dexamethason
1,4
(C2,5)
0,72
Dexamethason AS JENAPHARM
Dexamethason
1,0
(C3,3)
0,63
18,0
(0,1)
0,64
Weitere Glucocorticoide Softacort
Hydrocortison
2,3
(C164,8)
0,69
Fluoropos
Fluorometholon
2,0
(C26,7)
0,38
Hydrocortison-POS N
Hydrocortison
0,97
(C1,8)
1,23
Ficortril
Hydrocortison
0,77
(C18,8)
1,17
Efflumidex
Fluorometholon
0,38
(55,9)
0,74
Lotemax
Loteprednol
0,35
(3,8)
1,01
6,7
(C28,3)
0,75
Nichtsteroidale Antiphlogistika Nevanac
Nepafenac
11,0
(C30,8)
0,58
Ketovision
Ketorolac
2,7
(14,7)
0,45
Voltaren ophtha
Diclofenac
1,8
(8,2)
0,69
Acular
Ketorolac
0,86
(4,6)
0,50
740
Kapitel 35 Ophthalmika
. Tabelle 35.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Difen UD
Diclofenac
0,49
(C7,0)
0,79
Diclo Vision
Diclofenac
0,29
(C138,0)
0,99
17,1
(C14,3)
0,58
75,6
(C8,0)
0,53
Summe
35
DDD
nicht fortgesetzt, dagegen fällt der Anstieg beim Hydrocortison auf. Kombinationen von Glucocorticoiden mit Alphasympathomimetika finden sich seit einigen Jahren nicht mehr unter den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln. Loteprednol (Lotemax) ist ein nur in der Ophthalmologie genutztes, topisch anwendbares Glucocorticoid, das zur Behandlung entzündlicher Augenerkrankungen und nach chirurgischen Eingriffen am Auge eingesetzt wird und mit relativ niedrigen Verordnungszahlen unter die verordnungshäufigsten Arzneimittel gekommen ist (. Tab. 35.3). Als Alternative zu Glucocorticoiden werden bei verschiedenen Indikationen auch nichtsteroidale Antiphlogistika eingesetzt (Schalnus 2003), wie Diclofenac (Voltaren ophtha), Indometacin (Indocolir) und Ketorolac (Acular, Ketovision) sowie das besser penetrierende und sehr beliebt gewordene und auch 2019 wieder mit einem hohen Zuwachs herausragende Nepafenac (Nevanac) (. Tab. 35.3). Sie werden hauptsächlich zur Entzündungshemmung nach Operationen sowie zur Vermeidung intraoperativer Miosis eingesetzt, bei denen ihre antiinflammatorische Potenz der der Glucocorticoide gleichkommt (Wright et al. 1997). Bei den Zahlen ist zu bedenken, dass diese Therapie ganz wesentlich auch in der Klinik durchgeführt wird.
35.3
Antiallergika
Für die Therapie allergischer Erkrankungen steht eine Reihe von vorwiegend älteren Substanzen zur Verfügung (Bielory 2002; BenEli und Solomon 2018). Langsam eintretende Wirkungen haben die vor allem prophylaktisch eingesetzten Mastzellstabilisatoren Cromoglicinsäure und die ähnlich aber schneller wirkenden Substanzen Nedocromil und Lodoxamid. Die Verordnungen dieser Präparate sind mit dem GKV-Modernisierungsgesetz stark zurückgegangen (. Tab. 35.4). Cromoglicinsäure, von der 2003 noch 12,7 Mio. DDD verordnet worden waren, kommt hier gar nicht mehr vor. Eine noch gelegentlich verordnete Alternative stellt das Ketotifen dar, dem neben einer Degranulationshemmung noch eine Reihe weiterer Wirkmechanismen zugesprochen werden und das der Cromoglicinsäure bei schnellerem Wirkungseintritt gleichwertig (Ben-Eli und Solomon 2018), in mehreren Vergleichsstudien aber verschiedenen Antihistaminika unterlegen ist (etwa Lai et al. 2002). Lokal anwendbare H1 -Antihistaminika wirken bei Konjunktivitis schneller und länger als die Mastzellstabilisatoren (Ben-Eli und Solomon 2018). Allerdings sind die Ergebnisse insgesamt nicht wesentlich besser als bei anderen antiallergisch wirkenden Substanzen, wozu die hohe Placeborate von 30–80 % beiträgt (Noble und McTavish 1995). Zur Verfügung steht eine ganze Reihe von Substanzen, wobei nur noch Olapatadin und Levocabastin
35
741 35.4 Glaukommittel
. Tabelle 35.4 Verordnungen von antiallergischen Ophthalmika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Levocabastin
0,85
(18,3)
0,33
Opatanol
Olopatadin
1,2
(C1,7)
0,72
Zaditen ophtha
Ketotifen
0,64
(C0,2)
0,48
1,9
(C1,2)
0,64
2,7
(5,8)
0,54
H1 -Antihistaminika Livocab Augentropfen Weitere Antiallergika
Summe
unter den verordnungshäufigsten Präparaten und Khaw 2004; Webers et al. 2008; Costagliola et al. 2009a, 2009b). Große Studien auftauchen. aus den letzten Jahren dienten dem Vergleich dieser Strategien und der Definition der Therapieziele. Ein Befund der Ocular Hyperten35.4 Glaukommittel sion Treatment Study (OHTS) ist, dass die Senkung des asymptomatischen erhöhten AuAls Glaukom wird eine Anzahl von ätiologisch geninnendruck das Auftreten von Gesichtsverschiedenen Krankheiten bezeichnet, deren felddefekten verhindern oder verzögern kann gemeinsames Kennzeichen ein individuell zu – mithin dass auch ohne Symptome eine Behoher Augeninnendruck ist, aus dem die Ge- handlung angezeigt sein dürfte (Kass et al. fahr von zunehmenden Gesichtsfeldausfällen 2002). Ob dies angesichts der Kosten bei allen resultiert. Dabei ist es wichtig zu berücksich- solchen Patienten durchgeführt werden soll, tigen, dass sich auch bei normalem Druck ein wird bezweifelt (Pfeiffer 2005). Daten der OHGlaukom entwickeln kann und viele Patien- TS-Studie belegen allerdings, dass eine frühe ten von ihrer Erkrankung auch in entwickelten medikamentöse Therapie signifikant das AufLändern nicht wissen (Quigley 1996). In einer treten von Glaukomschäden erniedrigt, und Screening-Studie aus Israel wurden immerhin zwar von 22 auf 16 % bei 13-jähriger Be13 % der Bevölkerung als glaukomverdächtig obachtungszeit; der Effekt einer frühzeitigen identifiziert (Nesher et al. 2014). In Deutsch- Medikation war besonders groß bei Hochrisiland wird die Zahl der Glaukompatienten auf kopatienten (40 vs. 28 %; Kass et al. 2010). etwa 800.000 bis 900.000 geschätzt, die Dun- In die gleiche Richtung gehen die Daten der kelziffer nicht diagnostizierter Glaukomfälle CIGTS-Studie, die ebenfalls für eine aggressoll noch einmal fast so hoch sein (Dietlein sive Therapie spricht, falls Erhöhungen oder et al. 2009). Kriterien für eine frühzeitige kor- Schwankungen des Augeninnendrucks beobrekte Diagnose werden im Rahmen des Early achtet werden (Musch et al. 2011). Die ErgebManifest Glaucoma Trial erarbeitet (Öhnell nisse der britischen UKGTS-Studie bestätigen, dass die medikamentöse Senkung des Augenet al. 2019). Bei erhöhtem Augeninnendruck und bei innendrucks langfristig das Gesichtsfeld erhalGlaukom gibt es eine ganze Reihe medikamen- ten kann (Garway-Heath et al. 2015; Founti töser und chirurgischer Therapien (Weinreb et al. 2020).
742
35
Kapitel 35 Ophthalmika
Zweitens hat sich gezeigt, dass das Gesichtsfeld bei symptomatischen Patienten umso besser erhalten wird, je niedriger der Augeninnendruck ist. Erst bei einem Augeninnendruck unter 14 mm Hg blieb es in etwa stabil (AGIS Investigators 2000). Dies spricht für eine aggressive Therapie zumindest bei fortgeschrittenem Glaukom. Drittens zeigte die CIGTS-Studie die Gleichwertigkeit von medikamentöser und chirurgischer Therapie (Feiner et al. 2003), wobei die chirurgischen Therapien zunehmend besser werden und durch optimierte Nachsorge noch weiter verbessert werden könnten (Grehn 2008). Die 5-Jahres-Daten der CIGTS-Studie deuten auf eine geringfügige, für den Visus allerdings nicht relevante Überlegenheit eines operativen Vorgehens (Parrish et al. 2009). In dem von der European Glaucoma Society (2014) empfohlenen Therapiestufenplan steht die medikamentöse Augeninnendrucksenkung vor der Laserchirurgie des Trabekelwerkes und vor der (filtrierenden) Glaukomchirurgie. Zur Klärung, ob am Beginn der Glaukomtherapie eher eine Laser-Behandlung oder eine medikamentöse Therapie stehen sollte, wurden in jüngster Zeit mehrere Multicenter-Studien begonnen. Von diesen wurde kürzlich die LiGHT-Studie an 718 Patienten aus England veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, dass die Laser-Trabekuloplastie nicht nur etwas effektiver sondern vor allem kostengünstiger sei als die medikamentöse Therapie (Gazzard et al. 2019). Die GITS-Studie an 240 Patienten ergab, dass eine kombinierte Therapie (Laser-Trabekuloplastie plus Medikation) einem stufenweisen Vorgehen mit initialer medikamentöser Monotherapie überlegen war (Lindén et al. 2018). In der letzten Zeit gewinnen Fragen der Compliance in Studien an Bedeutung. Aus Nordamerika ist bekannt, dass niedriger sozioökonomischer Status mit geringer Compliance bei der Glaukom-Medikation einhergeht (Leung et al. 2015); gerade bei solchen Patienten ist die ausführliche Instruktion wichtig. Hoffnung geben Ergebnisse, dass ein Verhaltenstraining das bereits geschädigte Gesichts-
feld wieder verbessern kann (Sabel und Gudlin 2014). Eine jüngere Studie an 1.200 Patienten ergab allerdings, dass Interventionen und Information von Ärzten wie Patienten die Compliance nicht verbesserten (Fiscella et al. 2018). Die große Bedeutung der Compliance für die Ergebnisse wurde kürzlich eindrücklich mit den 10-Jahres-Ergebnissen der CIGTSStudie dokumentiert (Newman-Casey et al. 2020). In der medikamentösen Therapie des Glaukoms stehen verschiedene klassische Gruppen von Arzneimitteln zur Auswahl, die entweder den Kammerwasserabfluss erhöhen (Cholinergika) oder die Kammerwasserproduktion reduzieren (Betarezeptorenblocker, Alpha2 Sympathomimetika). Neuere, inzwischen auch seit vielen Jahren gut etablierte Therapiemöglichkeiten stellen das stark alpha2 -selektive Brimonidin, die lokal wirksamen Carboanhydrasehemmer Dorzolamid und Brinzolamid sowie die Prostaglandinderivate Latanoprost, Travoprost, Bimatoprost und Tafluprost dar (Weinreb und Khaw 2004; Webers et al. 2008; Costagliola et al. 2009a, 2009b; Uusitalo et al. 2010). Die DDD für die Glaukommittel beziehen sich auf zwei Augen, auch wenn Glaukome bei etwa einem Drittel der Patienten nur einseitig bestehen. Für die Eindosispackungen wurde angenommen, dass eine Packung pro Tag verwendet wird, auch wenn strikt genommen wegen der Gefahr bakterieller Kontamination bei jeder einzelnen Applikation eine neue Packung angebrochen werden sollte. Nach deutlichen Steigerungen in den achtziger Jahren haben sich die Verordnungen von Glaukommitteln seit 1992 stabilisiert, in den letzten zehn Jahren haben sie aber wieder einen stetigen langsamen Zuwachs gezeigt (. Abb. 35.2). Angesichts der vermuteten Dunkelziffer unerkannter Glaukome ist dieser Trend zu begrüßen. Anhand der Glaukomverordnungen von 551 Mio. DDD (. Abb. 35.1) ergibt sich auch bereits eine Zahl von medikamentös behandelten Glaukompatienten von 1,5 Mio. – also deutlich mehr als die oben angegebene Schätzung von 800.000 bis 900.000,
35
743 35.4 Glaukommittel
300 Betarezeptorenblocker Prostaglandinanaloga Carboanhydrasehemmer Alpha2-Sympathomimetika
250
271 261 244 217
227
234
202 200
187 174
(Mio. DDD)
163 150
100
129
122
108
113
119
121
117
113
127
108
132
102
137
95
149
153
88
85
80
44
141
50 45
0 2010
45
46
46
48
47
44
43
44
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 35.2 Verordnungen von Glaukommitteln 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
was zur Hoffnung Anlass gibt, dass die Dunkelziffer kontinuierlich abnimmt. Unter den verschiedenen Arzneimittelgruppen haben sich die langjährig beobachteten Umschichtungen zu neueren Therapieprinzipien fortgesetzt (. Abb. 35.2), mit denen sich die medikamentöse Therapie des Glaukoms grundlegend gewandelt hat: Die Rolle der Betarezeptorenblocker nimmt weiterhin kontinuierlich ab (außer bei einigen Kombinationen), die Prostaglandinanaloga haben seit 2008 die größte und kontinuierlich zunehmende Bedeutung, topische Carboanhydrasehemmer haben inzwischen ebenfalls die Betarezeptorenblocker als Monopräparate deutlich überflügelt, Alpha2 -Rezeptorenagonisten zeigen gleichbleibende Verordnungen auf niedrigerem Niveau und die Cholinergika haben nur noch eine Randstellung (. Tab. 35.5–35.8). In den Kombinationspräparaten spielen die Betarezeptorenblocker (in der Regel Timolol) aber nach wie vor die wichtigste Rolle. Dies entspricht den geltenden Empfehlungen, die Therapie mit Prostaglandinanaloga zu beginnen und bei ungenügender Wirksamkeit diese mit Betarezeptorenblockern, Alpha2 -
Rezeptorenagonisten oder topischen Carboanhydrasehemmern zu kombinieren (Whitson 2007). Unter den Leitsubstanzen der verschiedenen Arzneimittelgruppen scheint Latanoprost wirksamer zu sein als Dorzolamid, während Brimonidin offenbar zwar gleich wirksam ist, aber mehr unerwünschte Wirkungen zeigt (Hodge et al. 2008). Eine große Metaanalyse, zwar schon aus dem Jahr 2005 aber immer noch Grundlage der Leitlinien-Empfehlungen, besagt, dass Prostaglandine am wirksamsten seien, dicht gefolgt von Timolol, und mit einigem Abstand Betaxolol, Brimonidin und schließlich Dorzolamid (van der Valk et al. 2005). Zwei jüngere Meta-Analysen kommen zu dem Schluss, dass unter den Prostaglandinderivaten Bimatoprost sowohl als Monopräparat als auch in Kombination mit Timolol am wirksamsten sei (Tang et al. 2019; Xing et al. 2020). Aktuell noch gültige Empfehlungen zum praktischen Vorgehen bei Glaukom finden sich in den Richtlinien der American Academy of Ophthalmology (Prum et al. 2016; 7 http://www.aao.org/preferred-practicepattern/primary-open-angle-glaucoma-ppp-
744
35
Kapitel 35 Ophthalmika
2015), ebenso wie die oben erwähnten Leitlinien der European Glaucoma Society (2017; 7 https://www.eugs.org/eng/egs_guidelines_ reg.asp?l=1). Es ist allerdings damit zu rechnen, dass die oben zitierten neuen Studien, die eine Überlegenheit einer frühzeitigen Laserbehandlung nahelegen, diese Empfehlungen verändern werden. Während die Senkung des Augeninnendrucks das Fortschreiten der Glaukomschäden begrenzen kann, ist ein direkter medikamentöser Schutz der absterbenden Zellen bisher nicht gelungen. Theoretische Überlegungen haben zu laufenden Versuchen geführt, das Fortschreiten des Glaukomschadens durch Neuroprotektiva zu hemmen (Danesh-Meyer 2011). Nach der letztverfügbaren Cochrane-Analyse (Sena und Lindsley 2017) sowie einem White Paper der European Glaucoma Society (Tamm et al. 2013) gibt es aber keine Evidenz, dass irgendein derzeit verfügbares Medikament bei Glaukom eine Neuroprotektion bewirkt, auch wenn interessante Optionen in der Forschung verfolgt werden. Neuere Therapieprinzipien, die noch nicht am Markt eingeführt wurden und möglicherweise auch neuroprotektive Effekte haben, betreffen eine direkte Stimulation von EP2 -Prostanoidrezeptoren, die additiv zu anderen Mitteln wirken sollen (Schachar et al. 2011), sowie Adenosinrezeptorliganden und die Hemmung der Rho-Kinase (Donegan und Lieberman 2016; Schehlein und Robin 2019). Unter diesen Mitteln steht der RhoKinase-Inhibitor Netarsudil nach der erfolgreichen ROCKET-4-Studie (Khouri et al. 2019), in der allerdings nur die Nicht-Unterlegenheit gegenüber Timolol gezeigt wurde, und einem positiven Votum der EMA auch bei uns kurz vor der Zulassung. Dies wäre seit vielen Jahren erstmals wieder ein neues Therapieprinzip in der Glaukombehandlung.
renblockern – verliert wegen unerwünschter Wirkungen zunehmend an Bedeutung: Miosis mit Sehstörung in der Dämmerung und bei Linsentrübungen sowie, besonders bei jungen Patienten, akkommodative Myopie und Ziliarmuskelspasmus. Ganz überwiegend wird Pilocarpin benutzt, dessen Verordnungen auch 2019 bei den Monopräparaten (. Tab. 35.5) wie auch bei den Kombinationen mit Betarezeptorenblockern (. Tab. 35.6) auf niedrigem Niveau verharrten.
35.4.2
Alpha2 -Sympathomimetika
Bei den Alpha2 -Sympathomimetika führten lange Jahre die klassischen Clonidinpräparate vor dem stärker alpha2 -selektiv wirkenden Brimonidin (. Tab. 35.5). Seit etwa 2010 aber nahmen die Verordnungen des Brimonidin wieder deutlich zu, so dass es seitdem trotz höherer Kosten dominiert. Auch bei der lokalen Anwendung dieser Substanzen ist an die Möglichkeit systemischer Nebenwirkungen, Blutdruckabfall und Sedierung, zu denken (Nordlund et al. 1995). In der oben zitierten Metaanalyse (van der Valk et al. 2005) wurde Brimonidin schlechter bewertet als Timolol. Einzelne Studien widersprechen dem aber. Brimonidin erwies sich in einer großen Studie als dem Timolol (0,5 %) überlegen, ohne Effekte auf Blutdruck oder Herzfrequenz zu zeigen; allerdings wurden bei über 10 % der Patienten lokale allergische Reaktionen beobachtet (Katz 1999). Die Low-pressure Glaucoma Treatment Studie (LoGTS) hat in ähnlicher Weise gezeigt, dass die Patienten, die Brimonidin (0,2 %) vertragen, bessere Ergebnisse haben als mit Timolol (0,5 %) behandelte Glaukompatienten mit niedrigem (< 22 mm Hg) Augeninnendruck (Krupin et al. 2011). Ähnliches fand sich bei der Kombination mit Travoprost, wo Brimonidin, falls vertragen, wirksamer war 35.4.1 Cholinergika als Timolol (Pfeiffer et al. 2011). Die Verordnungen von Brimonidin haben sich nach einer Die klassische Therapie mit Cholinergika – Zunahme von über 30 % in 2015 in den letzten allein oder in Kombination mit Betarezepto- Jahren in etwa gehalten.
35
745 35.4 Glaukommittel
. Tabelle 35.5 Verordnungen von Cholinergika und Alpha2 -Sympathomimetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Cholinergika Pilomann
Pilocarpin
1,7
(C1,7)
0,21
Spersacarpin
Pilocarpin
1,4
(7,9)
0,20
3,0
(2,8)
0,21
Clonidin
16,7
(C0,4)
0,24
Brimonidin AL
Brimonidin
15,2
(0,7)
0,62
Brimo-vision
Brimonidin
3,8
(C44,8)
0,93
Alphagan
Brimonidin
1,3
(14,9)
0,73
20,3
(C4,4)
0,68
40,0
(C2,1)
0,47
Clonidin Clonid-Ophtal Brimonidin
Summe
35.4.3
Betarezeptorenblocker
Betarezeptorenblocker dominierten über lange Zeit die medikamentöse Therapie des Glaukoms. Als Standard gilt dabei Timolol, von dem zahlreiche Generika am Markt sind. Keiner der anderen Betarezeptorenblocker hat sich – bei insgesamt guter Wirksamkeit – im Vergleich mit Timolol als überlegen erwiesen (Sorensen und Abel 1996; Watson et al. 2001). Entsprechend nimmt die Bedeutung anderer Betarezeptorenblocker in der Glaukomtherapie kontinuierlich und deutlich ab. Inzwischen befindet sich mit dem Levobunolol nur noch ein alternativer Betarezeptorenblocker unter den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln, und dies mit geringen und deutlich abnehmenden Verordnungszahlen (. Tab. 35.6). Auch die Anwendung von Betarezeptorenblockern kann systemische unerwünschte Wirkungen mit sich bringen. Daher stel-
len insbesondere Asthma bronchiale und AV-Überleitungsstörungen Kontraindikationen dar. Lokale Nebenwirkung der Therapie mit Betarezeptorenblockern kann ein Sicca-Syndrom sein, das vor allem bei Kontaktlinsenträgern zu Problemen führt. Mit dem Aufkommen von Alternativen war bereits diskutiert worden, ob die Betarezeptorenblocker wegen ihrer im Vergleich zu neueren Medikamenten geringeren Wirkung noch in der primären Therapie indiziert sind (Goldberg 2002). In diesem Zusammenhang ist es konsequent, dass wie schon in den Vorjahren die Verordnungen von Betarezeptorenblockern weiter zurückgegangen sind (. Tab. 35.6), während gleichzeitig die Verordnungen der neueren, stärker wirksamen Arzneimittel weiter zugenommen haben (. Abb. 35.2). Falls letztere aber nicht ausreichen, ist die Kombination neuerer Substanzen mit einem Betarezeptorenblocker aber nach wie vor die wesentliche Form der Kombinationstherapie bei Glaukom.
746
Kapitel 35 Ophthalmika
. Tabelle 35.6 Verordnungen von Betarezeptorenblockern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Timolol Tim-Ophtal
Timolol
44,4
(8,4)
0,20
Timo-Comod
Timolol
17,6
(C1,9)
0,17
Timolol-1 A Pharma
Timolol
10,0
(2,5)
0,17
TimoHEXAL
Timolol
1,3
(C33,5)
0,19
Timomann/Timo EDO
Timolol
1,2
(20,0)
0,37
Timo-Stulln
Timolol
0,90
(C0,7)
0,35
75,4
(5,0)
0,19
Levobunolol
1,1
(27,5)
0,29
Combigan
Brimonidin Timolol
4,8
(6,8)
0,82
Fotil
Pilocarpin Timolol
1,2
(C1,8)
0,63
6,0
(5,2)
0,78
82,5
(5,4)
0,24
Andere Betarezeptorenblocker Vistagan Kombinationen
Summe
35.4.4
35
Carboanhydrasehemmer
Der systemisch angewandte Carboanhydrasehemmstoff Acetazolamid spielt nur noch bei akuten Anfällen und in der kurzfristigen Glaukomtherapie eine Rolle (. Tab. 35.7); interessanterweise haben seine Verordnungen wie schon im Vorjahr auch 2019 um über 10 % zugenommen. Bei der Dauertherapie dominieren dagegen lokal anwendbare Präparate wie Dorzolamid, dessen Wirksamkeit und Verträglichkeit seit langem gut dokumentiert sind (Herkel und Pfeiffer 2001). Es wird sowohl als Monopräparat als auch in Kombinationen, vor allem mit Betarezeptorenblo-
ckern eingesetzt. Ein zweiter lokal anwendbarer Carboanhydrasehemmstoff ist Brinzolamid, das als Monotherapie zweimal täglich (gegenüber dreimal täglich bei Dorzolamid) angewendet werden kann, besser verträglich und preisgünstiger ist (Cvetkovic und Perry 2003) und inzwischen das führende Monopräparat darstellt. Es kann auch mit anderen Glaukommitteln wie etwa einer Travoprost/ Timolol-Kombination verbunden werden und wirkt dann additiv (Goldberg et al. 2012). Bei den Verordnungen der Carboanhydrasehemmer überwiegen inzwischen die Kombinationen, meist mit Timolol, was im Sinne einer ausreichenden Drucksenkung sinnvoll ist (. Tab. 35.7).
35
747 35.4 Glaukommittel
. Tabelle 35.7 Verordnungen von Carboanhydrasehemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Acetazolamid Glaupax
Acetazolamid
2,1
(C9,2)
1,34
Acemit
Acetazolamid
0,36
(C17,0)
1,30
2,4
(C10,3)
1,33
Dorzolamid Dorzo vision
Dorzolamid
11,7
(C49,1)
0,89
Trusopt/-S
Dorzolamid
4,3
(C2,7)
1,36
Dorzolamid AL
Dorzolamid
3,1
(17,2)
0,82
Dorzolamid Heumann
Dorzolamid
2,6
(50,3)
0,64
21,7
(C3,4)
0,94
Brinzolamid Azopt
Brinzolamid
21,4
(15,2)
0,56
Brinzolamid Heumann
Brinzolamid
7,5
(C69,7)
0,54
Brinzolamid-1 A Pharma
Brinzolamid
4,5
(C186,2)
0,56
Brinzolamid-ratiopharm
Brinzolamid
1,6
(C24,4)
0,56
Brinzolamid HEXAL
Brinzolamid
1,2
(C69,6)
0,57
Brinzo-Vision
Brinzolamid
1,2
(54,5)
0,56
37,3
(C4,5)
0,56
Kombinationen Dorzocomp vision
Dorzolamid Timolol
33,7
(C9,5)
0,84
Azarga
Brinzolamid Timolol
15,5
(3,7)
0,74
Simbrinza
Brinzolamid Brimonidin
14,9
(C10,8)
0,99
Dorzolamid AL comp
Dorzolamid Timolol
8,2
(31,9)
0,73
Cosopt
Dorzolamid Timolol
7,9
(C4,5)
0,89
Duokopt
Dorzolamid Timolol
4,8
(7,9)
0,69
Dorzolamid/Timolol Micro Labs
Timolol Dorzolamid
3,2
(> 1.000)
0,60
748
Kapitel 35 Ophthalmika
. Tabelle 35.7 (Fortsetzung) Präparat
Cosduo
Bestandteile
Timolol Dorzolamid
Summe
35.4.5
35
Prostaglandinderivate
Die inzwischen führende Therapiemöglichkeit zur medikamentösen Behandlung des Weitwinkelglaukoms stellen die Prostaglandinanaloga dar, die – anders als die meisten Glaukommittel – eine Erhöhung des Kammerwasserabflusses bewirken. Latanoprost (Xalatan, Zulassung 1997) war das erste derartige Präparat. Es zeichnet sich durch gute therapeutische Wirksamkeit aus, aber auch durch lokale Nebenwirkungen mit Pigmentierungen der Iris bei bis zu 10 % der Patienten sowie Wachstum und Pigmentierungen von Lidhaaren (Ravinet et al. 2003; Perry et al. 2003). Über Einzelfälle der Reaktivierung von Herpes-simplex-Infektionen wurde berichtet (Wand et al. 1999). Nach einer Metaanalyse ist Latanoprost dem Dorzolamid in seiner Wirksamkeit überlegen, während es gleich wirksam wie Brimonidin, aber besser verträglich ist (Hodge et al. 2008). Seit 2001 wurden drei weitere neue Prostaglandinderivate ebenfalls erfolgreich eingeführt: Travoprost (Travatan), Bimatoprost (Lumigan) und Tafluprost (Taflotan) (. Tab. 35.8). Eine bessere Wirksamkeit der neueren Substanzen zeigte sich in manchen früheren Studien; spätere Daten sprechen eher für Gleichwer-
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
1,2
(C27,9)
0,70
89,5
(C3,9)
0,82
151,0
(C4,0)
0,78
tigkeit (Parrish et al. 2003; Yildirim et al. 2008; Uusitalo et al. 2010). Es wurde bereits einleitend darauf hingewiesen, dass zwei jüngere Meta-Analysen wieder darauf hinweisen, dass unter den Prostaglandinderivaten Bimatoprost sowohl als Monopräparat als auch in Kombination mit Timolol am wirksamsten sei (Tang et al. 2019; Xing et al. 2020). Insgesamt stellen die Prostaglandinderivate die bedeutsamste Neuerung in der Glaukomtherapie dar und werden derzeit als Mittel der ersten Wahl angesehen. Es ist deshalb zu begrüßen, dass ihre Verordnungen kontinuierlich ansteigen und sie seit 2009 die führenden Glaukommittel sind. Ähnlich wie bei den Carboanhydrasehemmern umfassen die Kombinationspräparate ausschließlich Kombinationen mit dem Betarezeptorenblocker Timolol. Das Jahr 2019 ist bei diesen Präparaten vor allem durch den weiteren Aufstieg zahlreicher preisgünstiger Generika gekennzeichnet, die den inzwischen gar nicht mehr teureren Originalpräparaten praktisch den gesamten Markt abgenommen haben (. Tab. 35.8). Latanoprost hat das Timolol als wichtigstes Monopräparat bei den Glaukommitteln seit einiger Zeit schon abgelöst, während das Timolol in den Kombinationen immer noch deutlich überwiegt, wozu auch die zahlreichen Kombinationen mit Prostaglandinderivaten kräftig beitragen.
35
749 35.4 Glaukommittel
. Tabelle 35.8 Verordnungen von Prostaglandinderivaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Latanoprost Latanoprost Pfizer
Latanoprost
68,1
(C50,5)
0,50
Monoprost
Latanoprost
40,2
(C16,4)
0,71
Latanelb
Latanoprost
6,2
(72,9)
0,38
Latano Vision
Latanoprost
5,6
(20,2)
0,50
Latanoprost AL
Latanoprost
3,3
(13,0)
0,50
Latano Q
Latanoprost
2,5
(12,7)
0,43
Xalatan
Latanoprost
1,6
(19,1)
0,50
127,5
(C7,7)
0,56
Travoprost Travatan
Travoprost
4,9
(55,8)
0,50
Travoprost HEXAL
Travoprost
3,4
(C718,3)
0,46
Travoprost-1 A Pharma
Travoprost
2,4
(C255,4)
0,46
Travoprost AL
Travoprost
2,1
(C26,2)
0,39
Travo-Vision
Travoprost
1,3
(C124,7)
0,46
Travoprost-ratiopharm
Travoprost
1,2
(8,7)
0,45
15,5
(2,8)
0,46
Weitere Wirkstoffe Lumigan
Bimatoprost
25,9
(6,0)
0,60
Taflotan
Tafluprost
19,1
(1,2)
0,84
Bimato-Vision
Bimatoprost
3,2
(C107,1)
0,69
48,1
(0,5)
0,70
Kombinationen Ganfort
Bimatoprost Timolol
30,2
(C3,0)
0,85
Tavu
Latanoprost Timolol
25,5
(C15,2)
0,65
DuoTrav
Travoprost Timolol
7,5
(32,3)
0,67
Fixaprost
Latanoprost Timolol
3,6
(> 1.000)
1,00
Latanotim Vision
Latanoprost Timolol
3,3
(5,9)
0,66
750
Kapitel 35 Ophthalmika
. Tabelle 35.8 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Latanoprost-ratiopharm comp
Latanoprost Timolol
1,9
(34,1)
0,66
Xalacom
Latanoprost Timolol
1,3
(2,7)
0,66
Travotim-Vision
Travoprost Timolol
1,2
(C47,7)
0,58
74,4
(C4,9)
0,75
265,6
(C4,7)
0,63
Summe
35.5
35
DDD
Antineovaskuläre Ophthalmika
Bei verschiedenen Augenerkrankungen kommt es zu einer Neubildung von Blutgefäßen im Augeninneren. Die Unterdrückung dieser Neubildung kann therapeutisch sehr bedeutsam sein (s. vorn). Als besonders wirksam hat sich eine Blockade des „Vascular Endothelial Growth Factor“ (VEGF) erwiesen. Nachdem zunächst hierfür das RNA-Aptamer Pegaptanib (Macugen) auf den Markt kam (Holz und Martini 2007), erwies sich als noch wirksamer die Blockade des Rezeptors durch rekombinante Antikörper. Für die Indikation Makuladegeneration zugelassen ist das sehr teure humanisierte Antikörperfragment Ranibizumab (Lucentis). Vermutlich ähnlich wirksam ist das hierfür nicht zugelassene, rund 20mal preisgünstigere schon länger eingeführte Krebsmittel Bevacizumab (Avastin), ein humanisierter Antikörper (Lynch und Cheng 2007). In der schwierigen Diskussion um den häufig praktizierten und preisgünstigen „off label“-Einsatz und die Notwendigkeit klinischer Studien und Zulassungen zeichnet sich zunehmend ab, dass Lucentis bei denjenigen Indikationen eingesetzt wird, wo es zugelassen ist, während Avastin weltweit „off label“ bei den vielen anderen Erkrankungen mit Gefäßneubildungen im Auge eingesetzt
wird (Gunther und Altaweel 2009). Es sind also viel mehr Rechts- als medizinische Gründe, die Lucentis im Markt etablieren. Das Präparat findet sich seit 2010 unter den 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimitteln, seine Verordnungen haben sich in 2015 mehr als verdoppelt, in 2016 aber nur noch um 11 % und seit 2017 nur noch einstellig zugenommen (. Tab. 35.9). Seine Tagestherapiekosten (beruhend auf einmal monatlicher Injektion) betragen über 40 C, wobei die den Krankenkassen gewährten Rabatte allerdings nicht eingerechnet sind. Sowohl die grundlegende wissenschaftliche Fragestellung als auch die Kosten waren Anlass für eine Reihe direkter Vergleichsstudien. Alle bisher verfügbaren Daten sprechen dafür, dass die Ergebnisse mit beiden Präparaten etwa gleich sind (etwa Subramanian et al. 2009; Gharbiya et al. 2010; Biswas et al. 2011). Die in verschiedenen Publikationen veröffentlichte multizentrische CATTStudie, die an über 1.000 Patienten die beiden Präparate bei feuchter altersabhängiger Makuladegeneration (AMD) verglich, fand gleiche Resultate beider Medikamente in Bezug auf die Sehschärfe; sie fand weiter, dass die regelmäßige monatliche Gabe von Ranibizumab einer an den Befunden orientierten Gabe nicht überlegen ist (CATT Research Group 2011). Allerdings gab es bei den mit Bevacizumab behandelten Patienten eine Reihe
35
751 35.5 Antineovaskuläre Ophthalmika
. Tabelle 35.9 Verordnungen von antineovaskulären Mitteln, Mydriatika und sonstigen Ophthalmika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Antineovaskuläre Mittel Eylea
Aflibercept
18,7
(C5,9)
18,47
Lucentis
Ranibizumab
9,0
(C5,1)
42,64
27,7
(C5,6)
26,32
Dexamethason
4,6
(C11,1)
7,32
Atropin-POS
Atropin
1,7
(2,4)
0,23
Cyclopentolat Alcon
Cyclopentolat
1,5
(4,8)
0,18
3,2
(3,5)
0,21
Ciclosporin
2,4
(C28,3)
3,25
Bepanthen Roche Augen- und Nasensalbe
Dexpanthenol
4,4
(2,6)
0,16
Hylo Gel
Hyaluronsäure
2,8
(C15,8)
0,63
Corneregel
Dexpanthenol
1,2
(9,2)
0,10
Euphrasia Augentropfen Wala
Euphrasia D2 Rosae aetherol. D7
1,0
(C7,1)
0,92
Euphrasia Augentropfen Weleda
Euphrasia D3
0,82
(1,6)
0,16
10,3
(C1,9)
0,35
48,2
(C5,6)
16,09
Intravitreale Antiphlogistika Ozurdex Mydriatika
Immunsuppressiva Ikervis Sonstige Mittel
Summe
unspezifischer, offenbar nicht VEGF-vermittelter unerwünschter Effekte, die Anlass für weitere Untersuchungen sein sollten (Rosenfeld 2011). Diese blieben auch bei den 2- und 5-Jahresauswertungen bestehen (Comparison of Age-related Macular Degeneration Treatments Trials (CATT) Research Group 2012, 2016) und schließen auch vergleichbare Entwicklungen am zweiten Auge ein (Maguire et al. 2013). Therapeutische Gleichwertigkeit ohne zusätzliche unerwünschte Wirkun-
gen zeigten neben der genannten Studie von Biswas et al. (2011) bei AMD auch die Zweijahresauswertung der multizentrischen britischen IVAN-Studie an immerhin 610 Patienten (Dakin et al. 2014), eine österreichische Studie (Krebs et al. 2013), sowie die LUCASStudie an 441 Patienten (Berg et al. 2015). Die IVAN-Studie zeigt darüber hinaus, dass Bevacizumab intermittierend verabreicht besser wirkt, als wenn es kontinuierlich gegeben wird.
752
35
Kapitel 35 Ophthalmika
Ähnlich wie frühere Metaanalysen kommen daher praktisch alle Übersichten zu dem Schluss, dass auf Grund der bisher vorliegenden direkten Vergleiche kein wesentlicher Vorteil für Ranibizumab gegenüber Bevacizumab bestehe und dass unter Kosten-NutzenGesichtspunkten Bevacizumab wesentlich besser abschneide (American Academy of Ophthalmology 2015; Solomon et al. 2016). Diese Gesamtlage macht es notwendig, dass Zulassungsbehörden und Versicherungen klären, ob und wie der bisherige „off label“-Einsatz von Avastin künftig erlaubt sein soll. Die Fachverbände haben die Erlaubnis eines solchen Einsatzes bereits gefordert, und auch von Juristen ist dieses schwierige medizinethische und juristische Thema unter dem Titel „AvastinLucentis-Debakel“ intensiv diskutiert worden (Jansen 2013). Die Preispolitik des Lucentis verbunden mit den guten Wirksamkeitsnachweisen hat den Wettbewerb stimuliert. Im Jahr 2013 fand sich erstmals ein zweiter VEGF-Antagonist, das Aflibercept (Eylea) unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln; seine Verordnungen haben seither deutlich zugenommen und es hat inzwischen das Lucentis weit hinter sich gelassen, sicher auch stimuliert durch die nicht einmal halb so hohen Kosten (. Tab. 35.9). Bei Aflibercept sind die extrazellulären Domänen der VEGF-Rezeptoren mit dem Fc-Anteil des humanen IgG1 fusioniert. Dieses Fusionsprotein bindet sowohl VEGF selbst als auch den ähnlichen placentaren Wachstumsfaktor PlGF. Laut den Zulassungsdokumenten der EMA ist es in seinen erwünschten wie seinen unerwünschten Wirkungen dem Ranibizumab vergleichbar (7 http://ec.europa.eu/health/documents/ community-register/2012/20121122124535/ anx_124535_de.pdf). Dies stützt sich auf die direkt vergleichenden an 2.457 Patienten durchgeführten VIEW-Studien, mit denen die Nicht-Unterlegenheit von Aflibercept gezeigt wurde (Schmidt-Erfurth et al. 2014). KostenNutzen-Bewertungen auf der Basis einer öffentlich geförderten multizentrischen Studie an
660 Patienten mit diabetischem Makulaödem zeigen Gleichwertigkeit bei milden Formen und eine Überlegenheit von Aflibercept bei schwereren Fällen (Diabetic Retinopathy Clinical Research Network et al. 2015). Die jüngste Cochrane-Analyse, die sich auf die zitierten Studien stützt, kommt zum Schluss der therapeutischen Gleichwertigkeit bei günstigerer Anwendungsfrequenz (Sarwar et al. 2016). Die amerikanische SCORE2-Studie findet ebenfalls Gleichwertigkeit zwischen Aflibercept und Bevacizumab bei Zentralvenenverschluss (Scott et al. 2017), und ähnliches fanden mehrere Autoren bei diabetischer Retinopathie, wo sich für Aflibercept sogar Vorteile abzeichnen (Bahrami et al. 2017; Bressler et al. 2017). Bereits seit 2010 ist mit Ozurdex ein Dexamethason-haltiges Arzneimittel zur Behandlung eines diabetischen Makulaödems und eines Makulaödems beim Verschluss von Netzhautvenen auf dem Markt. Es handelt sich dabei um ein Implantat, das in den Glaskörper des Auges eingebracht wird und sich dort langsam auflöst (Garweg und Zandi 2016). 2016 ist es erstmals in den Rang der 3.000 verordnungshäufigsten Arzneimittel aufgestiegen und in 2017 haben seine Verordnungen nochmals um fast ein Viertel zugelegt; seitdem schwanken sie auf dem bisherigen Niveau (. Tab. 35.9). Eine Reihe kontrollierter Studien belegen die Wirksamkeit dieses Implantats bei Makulaödem. Im direkten Vergleich ist die Wirksamkeit offenbar dem Bevacizumab ähnlich (Aroney et al. 2016). Direkte Vergleiche mit Ranibizumab oder Aflibercept fehlen bisher; allerdings scheint eine additive Wirkung nicht gegeben zu sein (Chaudhary et al. 2016), auch wenn eine Reduktion der Anwendungen von Ranibizumab durch das DexamethasonImplantat erreichbar zu sein scheint (Kuppermann et al. 2015). Mit typischen unerwünschten Corticosteroidwirkungen (Katarakt, Glaukom) muss gerechnet werden. Eine noch nicht unter den verordnungshäufigsten Präparaten auftauchende Alternative ist das seit 2013 zugelassene Implantat mit dem Glucocorticoid Fluocinolon (Iluvien).
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Literatur
35.6
Mydriatika und sonstige Ophthalmika
viskositätserhöhenden Tränenersatzmittel, das in Deutschland lediglich als Medizinprodukt im Verkehr ist. Gemäß Gebrauchsinformation wird das Produkt zur Befeuchtung der Augenoberfläche bei stärkerem und chronischem Trockenheitsgefühl der Augen gebraucht, ist aber teurer als andere viskositätserhöhende Tränenersatzmittel, die zur Behandlung des trockenen Auges (Keratoconjunctivitis sicca) zugelassen sind. Nach einer systematischen Übersichtsarbeit bestehen bei Behandlung des trockenen Auges keine wesentlichen Unterschiede zwischen Hyaluronsäure und Carbomer (Doughty und Glavin 2009).
Als Mydriatika kommen im Prinzip sowohl Alphasympathomimetika als auch Anticholinergika in Frage. Unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln finden sich jedoch nur noch das Anticholinergikum Atropin sowie das Cyclopentolat, während Scopolamin hier nicht mehr vorkommt (. Tab. 35.9). Mydriatika werden vor allem zur Ausschaltung der Akkommodation für diagnostische Zwecke aber auch zur Ruhigstellung von Iris und Ziliarkörper bei Entzündungen des vorderen Augenabschnittes (z. B. Iritis) eingesetzt. Das Immunsuppressivum Ciclosporin A Literatur (Ikervis) ist seit 2015 zur Behandlung schwerer Keratitis bei Erwachsenen mit trockenen AGIS Investigators (2000) The advanced glaucoma interAugen zugelassen, bei denen trotz Behandlung vention study (AGIS): 7. The relationship between control of intraocular pressure and visual field detemit Tränenersatzmitteln keine Besserung einrioration. Am J Ophthalmol 130:429–440 getreten ist; seine Wirksamkeit wurde in der American Academy of Ophthalmology, Preferred Prac2016 publizierten SANSIKA-Studie an 246 tice Pattern Guidelines (2015) Age Related MacuPatienten gezeigt (Leonardi et al. 2016). Es lar degeneration. San Francisco, CA, 2015. Agekam praktisch auf Anhieb unter die 3.000 verRelated Macular Degeneration PPP – Updated 2015. http://www.aao.org/preferred-practice-pattern/ ordnungshäufigsten Arzneimittel und hat seine age-related-macular-degeneration-ppp-2015 Verordnungszahlen auch 2019 nochmals deutAroney C, Fraser-Bell S, Lamoureux EL, Gillies MC, Lim lich steigern können. LL, Fenwick EK (2016) Vision-related quality of life Als „sonstige Mittel“ sind Präparate aufoutcomes in the BEVORDEX study: a clinical trial gelistet, die keiner der bisher aufgeführten comparing Ozurdex sustained release dexamethasone intravitreal implant and bevacizumab treatment for Arzneimittelgruppen zugeordnet werden köndiabetic macular edema. Invest Ophthalmol Vis Sci nen (. Tab. 35.9). Bei diesen überwiegend 57:5541–5546 apothekenpflichtigen und damit nicht generell Asbell PA, Sanfilippo CM, Pillar CM, DeCory HH, Sahm erstattungsfähigen Präparaten sind die VerordDF, Morris TW (2015) Antibiotic resistance among nungen in den beiden letzten Jahren wieder ocular pathogens in the United States: five-year results from the antibiotic resistance monitoring in ocular leicht angestiegen, obwohl ihre Wirksamkeit microorganisms (ARMOR) surveillance study. JAMA oft fraglich ist. Die beiden Dexpanthenol-halOphthalmol 133:1445–1454 tigen Präparate dürften im Wesentlichen ähnAsbell PA, Sanfilippo CM, Sahm DF, DeCory HH (2020) lich wie die Filmbildner indifferent wirken Trends in antibiotic resistance among ocular micround z. B. zur Reduktion von Fremdkörpergeorganisms in the United States from 2009 to 2018. JAMA Ophthalmol 9(138):1–12 fühl besonders bei abendlicher Gabe geeignet sein, auch wenn für Dexpanthenol-haltige Trä- Bahrami B, Hong T, Zhu M, Schlub TE, Chang A (2017) Switching therapy from bevacizumab to aflibercept for nenflüssigkeit spezifische Wirkungen berichtet the management of persistent diabetic macular edema. wurden (Göbbels und Gross 1996). Gleiches Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 255:1133–1140 dürfte für die beiden anthroposophischen Eu- Behrens-Baumann W, Begall T (1993) Antiseptics versus antibiotics in the treatment of the experimental phrasia-Präparate gelten. conjunctivitis caused by staphylococcus aureus. Ger Weiter vertreten ist ein Hyaluronsäure-halJ Ophthalmol 2:409–411 tiges Präparat (Hylo Gel) aus der Gruppe der
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Kapitel 35 Ophthalmika
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Kapitel 35 Ophthalmika
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759
36
Osteoporosemittel Hans Christian Kasperk und Reinhard Ziegler
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Hauptvertreter der Osteoporosemittel sind Bisphosphonate, die in der Onkologie auch dem Schutz vor Knochenmetastasen dienen. Seit mehreren Jahren zeichnet sich ein Rückgang der Bisphosphonatverordnungen ab. Leitsubstanz der Bisphosphonate ist Alendronsäure, auf die jetzt 65 % des Verordnungsvolumens dieser Stoffgruppe entfallen, während Risedronsäure, Ibandronsäure und Zoledronsäure deutlich kleinere Anteile haben. Mit weitem Abstand folgt das weiterhin aufsteigende Denosumab. Calciumpräparate werden mit leichter Abnahme weiterhin als Basistherapeutika vor allem in Kombination mit Vitamin D eingesetzt, auch wenn sie nur einen bescheidenen Effekt auf die Frakturrate haben und vor allem bei Vitamin-D-Mangel wirksam sind. Weitere Calciumpräparate sind als Phosphatbinder zur Behandlung der Hyperphosphatämie bei Hämodialysepatienten von Bedeutung.
bauhemmenden Antiresorptiva (Bisphosphonate, Raloxifen, Denosumab) und der knochenaufbaufördernden Osteoanabolika (Teriparatid) (Übersicht bei Compston et al. 2019). Östrogene sind nach der aktuellen Risikobewertung und entsprechenden Leitlinien nur noch zur Osteoporoseprävention zugelassen, wenn andere Mittel unverträglich oder kontraindiziert sind. In dem folgenden Abschnitt werden zunächst die Calciumpräparate dargestellt. Zusätzlich wird die Anwendung von Calciumpräparaten als Phosphatbinder sowie die Gruppe der Calcimimetika bei der Behandlung des Hyperparathyreoidismus einbezogen. Danach folgt ein Abschnitt über spezielle Osteoporosemittel, in dem Bisphosphonate sowie andere Osteoporosemittel wie Raloxifen und Denosumab abgehandelt werden. 36.1
Calciumpräparate
Calciumsalze werden bei nutritiven oder malabsorptionsbedingten Calcium- und VitaminD-Mangelzuständen sowie substitutiv-adjuvant zur Unterstützung einer spezifischen Therapie der Osteoporose eingesetzt. Daneben werden Calciumsalze in höheren Dosen als Grundlage der Behandlung der Osteoporose Phosphatbinder zur Behandlung der Hypersind nichtmedikamentöse Maßnahmen und ei- phosphatämie bei dialysepflichtiger chronine ausreichende Zufuhr von Calcium und Vita- scher Niereninsuffizienz angewendet. min D als Basistherapie (Rizzoli et al. 2008). Bei niedrigem Frakturrisiko reichen sie zur Prophylaxe von osteoporotischen Frakturen 36.1.1 Calciumsubstitution aus. Ab einem 10-Jahresfrakturrisiko von 30 % für Schenkelhalsfraktur und Wirbelkörperfraktur ist eine spezifische Osteoporosetherapie Die empfohlene tägliche Calciumzufuhr beindiziert (Dachverband Osteologie 2017). Sie trägt für Erwachsene 1.000 mg, für Schwanstützt sich auf den Einsatz der knochenab- gere, Stillende und postmenopausale Frauen, © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_36
760
36
Kapitel 36 Osteoporosemittel
sowie für Männer und Frauen im Alter über 65 Jahre 1.500 mg (NIH Consensus Conference 1994). Diese Mengen können durch den Calciumgehalt der üblichen Ernährung gedeckt werden. Besonders calciumreich sind Milch, Milchprodukte (Käse, Joghurt, Quark, Schokolade, Eiscreme) und viele Gemüse sowie bestimmte calciumreiche Mineralwässer. Für eine ausreichende Calciumaufnahme wird Vitamin D in seiner wirksamen Form als 1,25Dihydroxycolecalciferol benötigt. Bei funktionierender Calciumhomöostase hat eine den Bedarf übersteigende Calciumzufuhr beim gesunden Organismus keinen Nutzen. Leichtere Calciummangelerkrankungen können infolge unzureichender Zufuhr oder leichter Resorptionsstörungen entstehen. Sie sollten primär durch eine ausreichende Calciumaufnahme mit der Nahrung (Milchprodukte) behandelt werden, bevor Calciumpräparate in Betracht gezogen werden. Chronische Calciummangelzustände infolge Hypoparathyreoidismus, Rachitis, Osteomalazie und Malabsorptionszuständen müssen dagegen mit Colecalciferol (Vitamin D3 ) oder seinen Metaboliten (bei ungenügender Aktivität der renalen 1’-Hydroxylase, z. B. bei terminaler Niereninsuffizienz) behandelt werden, um die intestinale Calciumresorption zu erhöhen. Die Calciumpräparate dienen in derartigen Situationen der Garantie eines ausreichenden bzw. optimierten Angebotes. Der verschreibende Arzt muss nach geschätztem Bedarf verordnen und kann sich an dem Parathormonspiegel orientieren. Die Bedeutung des Calciums und des Vitamin D als „Basistherapie“ bei der Osteoporose ist heute unbestritten (Ziegler 2002; Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2008). Kombinationen von Fluorid plus Calcium plus Vitamin D oder Bisphosphonate plus Calcium oder Bisphosphonate plus Vitamin D werden angeboten. In Substitutionsdosen reduzieren Calcium und Colecalciferol bei alten Menschen Frakturen relevant. Bei gesunden postmenopausalen Frauen erhöht die Supplementation mit Calcium und Vitamin D die Knochendichte, aber bei Überdosierung und
entsprechenden renalen Vorschäden auch das Risiko von Nierensteinen, Hüftfrakturen wurden jedoch nicht vermindert (Jackson et al. 2006). Für die orale Substitutionsbehandlung wird in erster Linie Calciumcarbonat empfohlen, da es gut resorbiert wird, den höchsten Calciumgehalt (40 %) hat und daher weniger Tabletten als andere Calciumsalze benötigt (Straub 2007). Für die Beurteilung der verordneten Calciumpräparate sind daher ein ausreichender Calciumgehalt und eine entsprechende Dosierungsempfehlung von Bedeutung. Legt man den Richtwert von 1.000 mg Calcium pro Tag zugrunde, dann sind inzwischen fast alle Calciumpräparate ausreichend hoch dosiert, um in 1–2 Tagesdosen das Optimum zu erfüllen. Ein in diesem Ausmaß überraschender Befund war die Halbierung der Verordnung der rezeptfreien Calciumpräparate im Jahre 2004 als Folge des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG). Eine leichte vorübergehende Erholung fand 2005 bis 2010 statt, nachfolgend sind die Verordnungen seit 2015 sogar unter den Tiefstand von 2004 gesunken (. Abb. 36.1). Hier dürfte eine Unsicherheit der Verschreiber mitbeteiligt sein, in welchen Fällen Calcium bei der Osteoporosetherapie unverzichtbar ist. Denn die Präparate stehen auf der Ausnahmeliste gemäß § 34 Abs. 1 SGB V und sind daher bei der Behandlung der manifesten Osteoporose weiterhin verordnungsfähig. Nach den gültigen Empfehlungen begleitet die Basistherapie aus Calcium und Vitamin D alle anderen differenzierten Medikamente (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2008). Nachdem allein die Verordnungen für Bisphosphonate, Raloxifen, und Denosumab nunmehr bei 224 Mio. DDD liegen, ist zu befürchten, dass die notwendige begleitende Basistherapie nur eingeschränkt erfolgt. Die Verordnungen von „nur“ 74 Mio. DDD an Calciumpräparaten, die ja auch noch die Fälle einschließen, bei denen Calcium/ Vitamin D ohne zusätzliches weiteres Antiosteoporotikum zur Behandlung eines Calcium und Vitamin D Mangel bedingten sekundären Hyperparathyreoidismus eingesetzt wer-
36
761 36.1 Calciumpräparate
250 Calcium Bisphosphonate Denosumab
217 209 197
200
186
183 175 169
166
164
168
(Mio. DDD)
150 125 118
113 102
100
96
50 32
91
38
85
79
77
51
47
43
74 55
24 17 9 2 0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 36.1 Verordnungen von Osteoporosemitteln und Calciumpräparaten 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
den, lassen auf ein echtes Versorgungsdefizit schließen. Zwar kann in einem Teil der Behandlungsfälle durch eine diffizile Ernährungsanamnese und den Verweis auf Nahrungsquellen bzw. ausreichende Besonnung etc. ein gröberes Defizit vermieden werden. Ob dieses Potenzial aber entsprechend differenziert ausgeschöpft wird, bleibt zu bele-
gen. Ob am Verordnungsrückgang auch Patienten selbst beteiligt sind, indem sie auf den Arztbesuch und die notwendige Verschreibung verzichten, kann nur spekuliert werden. Dass Calciumsupplemente das Herzinfarktrisiko steigern könnten, mag auf die Verordnungen dämpfend wirken (Bolland et al. 2013).
. Tabelle 36.1 Verordnungen von Calciumpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Monopräparate Calcium HEXAL
Calciumcarbonat
6,3
(C12,4)
0,47
Calcium-Sandoz Brausetabl.
Calciumcarbonat Calciumlactogluconat
3,9
(26,4)
0,19
Calcium Verla
Calciumcarbonat
3,3
(C11,8)
0,36
Calcium-ratiopharm
Calciumcarbonat
0,64
(51,2)
0,50
(6,7)
0,37
14,1
762
Kapitel 36 Osteoporosemittel
. Tabelle 36.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Vitamin-D-Kombinationen Calcimagon-D3
Calciumcarbonat Colecalciferol
12,9
(3,6)
0,45
Calcigen D
Calciumcarbonat Colecalciferol
6,8
(21,9)
0,37
Ideos
Calciumcarbonat Colecalciferol
5,0
(4,8)
0,50
Calcilac BT/-KT
Calciumcarbonat Colecalciferol
4,0
(3,5)
0,37
Calcium-Sandoz D
Calciumcarbonat Colecalciferol
4,0
(11,9)
0,35
Calcimed D3
Calciumcarbonat Colecalciferol
3,7
(C24,7)
0,32
Calcivit D
Calciumcarbonat Colecalciferol
3,0
(24,5)
0,35
Calcium D3 acis
Calciumcarbonat Colecalciferol
2,6
(1,3)
0,34
Calcium D3 STADA
Calciumcarbonat Colecalciferol
2,1
(C3,5)
0,35
Calcium-D3 AL
Calciumcarbonat Colecalciferol
1,9
(C32,7)
0,30
Calci D3 Denk
Calciumcarbonat Colecalciferol
1,9
(C178,6)
0,45
Calcium dura Vit. D3
Calciumcarbonat Colecalciferol
1,8
(7,3)
0,28
Calcium D3-ratiopharm
Calciumcarbonat Colecalciferol
1,8
(1,8)
0,46
Calcicare D3
Calciumcarbonat Colecalciferol
1,2
(32,1)
0,30
Ossofortin forte
Calciumcarbonat Colecalciferol
0,91
(C16,1)
0,55
53,6
(4,4)
0,40
67,7
(4,9)
0,39
36
Summe
Wie es bei der Basistherapie der Osteoporose empfohlen wird (Ziegler 2002), hat sich seit einigen Jahren ein stärkerer Trend zu Kombinationen von Calcium
mit Vitamin D entwickelt, der jedoch 2019 weiterhin leicht abnehmende Tendenz zeigt (. Tab. 36.1). Die wirtschaftlich sinnvolle Mindestdosis von 500 mg Calcium pro Tag
763 36.1 Calciumpräparate
36
erreicht inzwischen die Mehrzahl der Prä- nerika immer noch zehnfach höhere DDDKosten als die Calciumpräparate (. Tab. 36.2). parate. Lanthancarbonat (Fosrenol) ist ein weiterer Phosphatbinder, der zur Vermeidung einer Hyperphosphatämie bei Dialysepatienten 36.1.2 Phosphatbinder mit chronischer Niereninsuffizienz indiziert ist und 2019 nahezu unverändert verordnet wurde Die Arzneitherapie des sekundären Hyperpara- (. Tab. 36.2). Ein Vorteil gegenüber Calciumthyreoidismus bei chronischer Niereninsuffizi- salzen ist die Vermeidung der damit verbundeenz besteht in erster Linie in einer Senkung des nen Hyperkalzämie. Allerdings wird LanthanSerumphosphatspiegels sowie einer Gabe von carbonat nach oraler Gabe ähnlich wie AluCalciumsalzen und Vitamin D. Die Gesamt- minium aus dem Darm resorbiert und akkugruppe hat 2019 neuerlich leicht zugenommen muliert nach Langzeitgabe in Leber, Knochen, (. Tab. 36.2). Zur Phosphatsenkung werden Niere und Gehirn. Potentielle Langzeitrisiken neben der Reduktion der Phosphataufnahme der Lanthandeposition sind immer noch unbemit der Nahrung calciumhaltige Phosphatbin- kannt (Drüeke 2007; Malberti 2013). Nachteider wie Calciumacetat zur Hemmung der en- lig sind die erheblich höheren Therapiekosten, teralen Phosphatresorption eingesetzt. Calci- so dass Lanthancarbonat nur für solche Patienumhaltige Phosphatbinder sind preisgünstig, ten reserviert werden sollte, die nicht befriedihaben aber den störenden Nebeneffekt, dass sie gend mit Calciumsalzen einstellbar sind. Sucroferric Oxyhydroxid (Velphoro) ist den Calciumspiegel im Serum erhöhen und die ein weiterer calciumfreier Phosphatbinder, der Calciumablagerung in Arterien verstärken. Calciumfreie Polymere wie Sevelamer kor- 2014 zur Kontrolle des Serumphosphatspiegels rigieren die Hyperphosphatämie bei Hämodia- bei dialysierten Patienten mit chronischer Nielysepatienten ohne gesteigerte Calciumablage- renkrankheit zugelassen wurde (siehe Arzneirungen in den Gefäßwänden. Lange Zeit war verordnungs-Report 2015, Kap. 2, Neue Arzjedoch ungeklärt, ob Sevelamer die Mortali- neimittel 2014). Das Präparat senkte erhöhte tät senkt. In einer klinischen Studie an 2.103 Serumphosphatspiegel in vergleichbarem AusHämodialysepatienten zeigten Sevelamer und maß wie Sevelamer, führte jedoch wegen gascalciumhaltige Phosphatbinder keine signifi- trointestinaler Nebenwirkungen häufiger zum kanten Unterschiede in der Gesamtmortalität Therapieabbruch. Die frühe Nutzenbewertung (Suki et al. 2006, DCOR). Dagegen gab es in durch den G-BA ergab keinen Zusatznutzen im einem aktuellen Cochrane-Review (104 Stu- Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstheradien, 13.744 Patienten) Hinweise, dass Sevel- pie. amer bei Dialysepatienten die Gesamtmortalität im Vergleich zu calciumbasierten Phosphatbindern senkt und weniger behandlungs- 36.1.3 Calcimimetika bedingte Hyperkalzämien verursacht (Ruospo et al. 2018). Bisher gibt es jedoch noch kein optimales Phosphatbindemittel ohne Sicher- Das Calcimimetikum Cinacalcet (Mimpara) heitsrisiken und zu geringen Kosten, so dass wird zur Senkung des Calciumserumspiegels weiterhin empfohlen wird, die Therapie mit bei sekundärem Hyperparathyreoidismus und Phosphatbinden unter Berücksichtigung von Nebenschilddrüsenkarzinom eingesetzt. Seine Alter, Ernährungsstatus, Komorbiditäten, Ver- Verschreibung hat 2019 erneut geringfügig abträglichkeit und wirtschaftlichen Aspekten zu genommen (. Tab. 36.2). Mit Calcimimetika individualisieren (Floege 2020). steht erstmals eine Möglichkeit zur Verfügung, Sevelamer wurde 2019 deutlich mehr ver- den Parathormonspiegel zu senken, ohne die ordnet und hat trotz Einführung mehrerer Ge- Serumspiegel von Calcium und Phosphat zu
764
Kapitel 36 Osteoporosemittel
. Tabelle 36.2 Verordnungen von Phosphatbindern und Calcimimetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Calciumacetat Osvaren
Calciumacetat Magnesiumcarbonat
1,1
(2,9)
1,59
Calciumacetat-Nefro
Calciumacetat
0,87
(4,9)
0,91
Calcet
Calciumacetat
0,58
(C0,3)
0,83
2,6
(2,9)
1,19
Sevelamer Sevelamercarbonat Zentiva
Sevelamer
1,9
(C15,9)
9,18
Renagel
Sevelamer
1,0
(0,1)
10,55
Sevelamercarbonat AL
Sevelamer
0,36
(C16,8)
8,80
3,3
(C10,4)
9,57
Weitere Phosphatbinder Fosrenol
Lanthan(III)-carbonat
2,2
(0,7)
8,04
Phosphonorm
AluminiumchloridhydroxidKomplex
0,66
(6,7)
2,08
Velphoro
Eisen(III)-oxidhydroxidSaccharose-Stärke-Komplex
0,41
(C5,4)
5,79
3,3
(1,3)
6,56
Calcimimetika Mimpara
Cinacalcet
3,7
(4,9)
16,15
Parsabiv
Etelcalcetid
2,1
(C160,0)
15,55
5,7
(C23,4)
15,93
15,0
(C9,4)
9,90
Summe
36 erhöhen. Die calcimimetische Wirkung von Cinacalcet wird über eine erhöhte Empfindlichkeit des calcium-sensitiven Rezeptors der Nebenschilddrüse vermittelt. Normalerweise wird der Rezeptor durch erhöhtes extrazelluläres Calcium aktiviert, wodurch die Parathormonsekretion gesenkt wird. Unter dem Einfluss des Calcimimetikums signalisiert der Calciumrezeptor schon bei normalem Calciumspiegel einen höheren Wert, so dass die
Sekretion von Parathormon abnimmt. In einer 26-wöchigen Studie an Hämodialysepatienten mit sekundärem Hyperparathyreoidismus senkte Cinacalcet den Parathormonspiegel um 43 %, während in der Placebogruppe ein Anstieg bei 9 % der Patienten eintrat. Den primären Endpunkt (Senkung des Parathormonspiegels auf Werte 250 pg/ml) erreichten unter Cinacalcet 43 % (versus 5 % unter Placebo) der Patienten (Block et al. 2004). In einer klini-
36
765 36.2 Spezielle Osteoporosemittel
schen Studie an 3.883 Hämodialysepatienten, die alle mit der Standardtherapie (Phosphatbinder, Vitamin D) behandelt wurden, hatte Cinacalcet keinen Effekt auf Mortalität und klinische Endpunkte, verursachte aber häufiger Hypokalzämie und gastrointestinale Nebenwirkungen (The EVOLVE Trial Investigators 2012). Etelcalcetid (Parsabiv) ist ein neueres Calcimimetikum zur Behandlung des sekundären Hyperparathyreoidismus bei hämodialysepflichtigen Patienten mit chronischer Nierenkrankheit. Es wurde 2016 zugelassen (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Abschn. 3.1.10) und hat 2019 weiter kräftig zugenommen (. Tab. 36.2). Der Parathormonspiegel wird durch Etelcalcetid etwas stärker als durch Cinacalcet gesenkt, patientenrelevante Endpunkte (Übelkeit, Erbrechen) zeigten jedoch keine Unterschiede. Die Nutzenbewertung durch den G-BA hat daher keinen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ergeben.
Spezielle Osteoporosemittel
36.2 36.2.1
Bisphosphonate
Eines der Prinzipien der Osteoporosetherapie ist die Hemmung der verstärkten Resorption von Knochengewebe durch die sogenannten Antiresorptiva. Aus dieser Gruppe werden in erster Linie Bisphosphonate verordnet (. Tab. 36.3). Seit 2010 haben die Verordnungen der Bisphosphonate allerdings über mehrere Jahre abgenommen (. Abb. 36.1). Die wieder aktualisierte Diskussion einer möglichen Übertherapie mag hierbei eine Rolle spielen (Shane et al. 2010). Auf der anderen Seite wird vor ungenügender Therapietreue mit der Folge der Zunahme eines Frakturrisikos gewarnt (Wade et al. 2012). Hauptgrund dürfte die Umstellung auf Denosumab sein, das mit 55 Mio. DDD (. Tab. 36.4) den Verordnungsrückgang der Bisphosphonate vollständig ausgeglichen hat.
. Tabelle 36.3 Verordnungen von Bisphosphonaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Alendronsäure Alendronsäure Aurobindo
Alendronsäure
49,0
(C20,0)
0,41
Alendronsäure Bluefish
Alendronsäure
13,5
(C178,9)
0,41
Alendron Aristo
Alendronsäure
12,7
(C22,5)
0,51
Alendronsäure BASICS
Alendronsäure
10,6
(46,3)
0,54
Alendronsäure-1 A Pharma
Alendronsäure
8,5
(2,0)
0,40
Alendron-1 A Pharma plus
Alendronsäure Colecalciferol
2,6
(C65,0)
0,45
Alendronsäure Heumann
Alendronsäure
2,1
(79,5)
0,50
Binosto
Alendronsäure
1,9
(10,0)
0,60
Alendronsäure Heumann plus Cole- Alendronsäure calciferol Colecalciferol
1,3
(C136,7)
0,49
102,3
(C3,2)
0,44
766
Kapitel 36 Osteoporosemittel
. Tabelle 36.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Risedronsäure Risedronat Heumann
Risedronsäure
6,4
(C154,3)
0,56
Acara Trio
Risedronsäure Calciumcarbonat Colecalciferol
5,4
(C69,8)
0,70
Risedronat Aurobindo
Risedronsäure
4,7
(53,9)
0,56
Risedronat Bluefish
Risedronsäure
4,0
(C292,4)
0,56
Risedronsäure-1 A Pharma
Risedronsäure
2,8
(C12,7)
0,56
Risedronat AL
Risedronsäure
1,7
(C37,5)
0,57
Actonel 5/35/75
Risedronsäure
1,3
(C18,3)
0,63
Actonel plus Calcium D
Risedronsäure Calciumcarbonat Colecalciferol
1,1
(26,7)
0,70
27,4
(C17,8)
0,60
Ibandronsäure Ibandronsäure AL Fertigspritze
Ibandronsäure
7,5
(C41,2)
1,18
Ibandronic Accord Fertigspritze
Ibandronsäure
4,0
(10,8)
1,22
Ibandronsäure AL 150 mg oral
Ibandronsäure
2,4
(C75,2)
0,64
Ibandronsäure beta Fertigspritze
Ibandronsäure
2,2
(28,1)
1,13
Bonviva Fertigspritze
Ibandronsäure
1,5
(C4,2)
1,12
Ibandronsäure Chemi Bendalis
Ibandronsäure
1,3
(C69,4)
0,92
18,9
(C15,3)
1,09
5,2
(C2,4)
1,12
Zoledronsäure Aclasta
36
Zoledronsäure
Mittel für skelettbezogene Tumorkrankheiten Zoledro-Denk
Zoledronsäure
1,38a
(C73,4)
1,56a
Zoledronsäure Mylan
Zoledronsäure
1,25a
(C29,2)
6,77a
a DDD-Werte und DDD-Nettokosten beziehen sich auf die tatsächliche Tagesdosierung und nicht mehr auf die bisher verwendeten WHO-DDD-Angaben mit Bezug auf die Dosis pro Behandlungszyklus (3–4 Wochen).
An führender Stelle steht Alendronsäure (meistens 70 mg wöchentlich) mit Zehnjahresdaten zur Therapiesicherheit (Bone et al. 2004), auf die 65 % der Verordnungen der
Bisphosphonate entfällt (. Tab. 36.3). Danach folgen Risedronsäure und Ibandronsäure mit weiteren Generika. Alle drei Bisphosphonate haben ähnliche Wirkungen. Geringe Ver-
36
767 36.2 Spezielle Osteoporosemittel
. Tabelle 36.4 Verordnungen von weiteren Osteoporosemitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Raloxifen Raloxifen AL
Raloxifen
1,5
(5,5)
1,13
54,6
(C7,4)
1,65
Denosumab Prolia
Denosumab
Xgeva
Denosumab
6,9a
(C3,9)
14,88a
Teriparatid
1,1
(0,8)
20,05
Parathormonanaloga Forsteo a
DDD-Werte und DDD-Nettokosten beziehen sich auf die tatsächliche Tagesdosierung und nicht mehr auf die bisher verwendeten WHO-DDD-Angaben mit Bezug auf die Dosis pro Behandlungszyklus (3–4 Wochen).
ordnungsmengen entfallen auf Zoledronsäure (Aclasta), die zur einmal jährlichen Infusionsbehandlung der postmenopausalen Osteoporose und des Morbus Paget eingeführt wurde (. Tab. 36.3). Mit dieser Applikationsform wurde bei Patienten mit Hüftfrakturen die Häufigkeit neuer klinischer Frakturen im Vergleich zu Placebo gesenkt (8,6 % versus 13,9 %) (Lyles et al. 2007). Zoledronsäure ist auch bei tumorinduzierter Hyperkalzämie indiziert und wird bei dieser Indikation alle 4 Wochen infundiert. Die Diskussion um die Induktion von Kieferosteonekrosen vor allem bei Tumorpatienten und intravenöser Bisphosphonatgabe mit einer geschätzten Häufigkeit von 1:10.000 bis 1:100.000 hält an (Favia et al. 2009). Ähnliches gilt für die Diskussion des seltenen Vorhofflimmerns (Pazianas et al. 2010) und der ebenfalls seltenen atypischen Femurschaftfrakturen (Edwards et al. 2016).
tor ›B Liganden (RANKL) und vermindert durch eine Hemmung der Osteoklastogenese osteoporotische Frakturen (Cummings et al. 2009, FREEDOM). Prolia wird in einer Dosis von 60 mg alle 6 Monate subkutan injiziert. Mit 55 Mio. DDD gleicht es die Verordnungsabnahme bei den Bisphosphonaten vollständig aus (. Abb. 36.1). Im Juli 2011 wurde Denosumab (Xgeva) auch in einer hochdosierten Form (120 mg s. c. alle 4 Wochen) zur Prävention skelettbezogener Komplikationen durch Knochenmetastasen solider Tumoren zugelassen (Brown und Coleman 2012). Wenn auch auf einem niedrigeren Niveau, sind die Verordnungen von Xgeva in der zweiten Indikation weiter angestiegen (. Tab. 36.4).
36.2.3
Weitere Osteoporosemittel
Das Parathormonanalog Teriparatid (Forsteo) kam 2003 in Deutschland auf den Markt, wurde aber in den letzten Jahren weniger verord36.2.2 Denosumab net. Die Substanz senkt das Wirbelkörperfrakturrisiko um 65 % und reduziert auch nichtDer RANKL-Antagonist Denosumab (Prolia) vertebrale Frakturen um 50 % (Übersicht bei bindet den Rezeptoraktivator des Nuklearfak- Lamy 2012). Zudem ist sie bei steroidindu-
768
Kapitel 36 Osteoporosemittel
zierter Osteoporose mit multiplen Frakturen wirksamer als Bisphosphonate. Das innovative Wirkprinzip unterliegt jedoch weiterhin praktisch bedeutsamen Beschränkungen, da die Anwendungsdauer wegen eines potenziellen Osteosarkomrisikos auf 24 Monate beschränkt ist. Hinzu kommt der sehr hohe Preis, der 40fach über den Kosten der Standardtherapie mit Alendronsäure liegt (. Tab. 36.4). Der selektive Östrogenrezeptormodulator Raloxifen (Evista) erlebte seit 2016 eine Renaissance als Generikum, wurde aber 2019 wieder weniger verordnet (. Tab. 36.4). Wegen eines erhöhten thromboembolischen Risikos unter Raloxifenbehandlung bei eher geringer Wirbelkörperfraktur-senkender Wirksamkeit gegenüber Bisphosphonaten sollte Raloxifen eher nicht bei mobilitätseingeschränkten oder hochbetagten Osteoporosepatienten verordnet werden.
Literatur
36
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769
36
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771
37
Parkinsonmittel Roland Seifert
Auf einen Blick
Trend Levodopapräparate sind die führenden Vertreter der Parkinsonmittel. An zweiter Stelle folgen die Dopaminrezeptoragonisten. Insgesamt ist eine erfreuliche Fokussierung auf preiswerte und wirksame Präparate zu beobachten, was auch von leicht sinkenden Gesamttherapiekosten begleitet wird. Bewertung Die Langzeittherapie mit Levodopa verursacht Dyskinesien und motorische Fluktuationen, die durch Dosisfraktionierung und adjuvante Therapie reduziert werden können. Alternativ werden bei leichteren Symptomen Dopaminrezeptoragonisten und MAO-B-Inhibitoren als initiale Monotherapie empfohlen. Muscarinrezeptorantagonisten werden wegen der Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten bei älteren Patienten immer seltener eingesetzt.
Der Morbus Parkinson ist eine fortschreitende neurodegenerative Krankheit des extrapyramidalmotorischen Systems, von der 1 % der Bevölkerung über 65 Jahre betroffen ist. Ursache ist eine in ihrer Ätiologie unbekannte Degeneration dopaminerger Neurone in der Substantia nigra, die zu einem striatalen Dopaminmangelsyndrom führt und mit einer erhöhten muscarinergen Aktivität einhergeht. Die klassischen Symptome sind Akinese, Rigor und Tremor. Daneben treten zunehmend nichtmotorische Symptome wie vegetative und kognitive Störungen ins Blickfeld, die mit den derzeit verfügbaren Therapieoptionen weniger
gut beeinflussbar sind. Neben dem Verlust dopaminerger Neuronen gewinnen bei der Entstehung des Morbus Parkinson sogenannte LewyKörper an Bedeutung, die erstmals 1912 von dem Berliner Neurologen Friedrich Lewy beschrieben wurden. Sie bestehen vorwiegend aus pathogenen Oligomeren und unlöslichen Proteinaggregaten des präsynaptischen Proteins ’-Synuclein, dessen genaue physiologische Funktion allerdings noch unbekannt ist. Dennoch ist ’-Synuclein als mögliches pharmakologisches Zielprotein für die Entwicklung von krankheitsmodifizierenden Parkinsonmitteln von Interesse, die den Abbau der pathogenen Formen von ’-Synuclein steigern oder die pathologische Proteinaggregation abschwächen (Übersicht bei Kalia und Lang 2015). Ziel der derzeitigen Arzneitherapie ist es, das fehlende Dopamin zu substituieren und die gesteigerte muscarinerge Aktivität zu dämpfen. Levodopa wurde vor fast 60 Jahren erstmals zur Behandlung des Morbus Parkinson eingesetzt (Birkmayer und Hornykiewicz 1961). Es ist weiterhin das wirksamste Parkinsonmittel und wird schon in den Frühstadien des Morbus Parkinson als Erstlinientherapie empfohlen, wenn motorische Symptome die Lebensqualität der Patienten beeinträchtigen (Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2016; National Institute for Health and Care Excellence 2017). Es bessert vor allem die Akinese, während Rigor wenig und Tremor kaum ansprechen. Problematisch sind jedoch extrapyramidalmotorische unerwünschte Wirkungen wie Wirkungsverlust, Dyskinesien, On-off-Fluktuationen und paradoxe Akinesien („Freezing“) bei der Langzeittherapie. Daher
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_37
Kapitel 37 Parkinsonmittel
772
80 Levodopa Dopaminagonisten COMT-Hemmer
70
60
55
56
57
57
42
43
61
60
(Mio. DDD)
50
40
39
40
62
66
68
63
44
45
45
44
45
45
13
30
20
10 10 0 2010
11
11
11
11
11
12
13
10
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 37.1 Verordnungen von Parkinsonmitteln 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
37
können bei leichteren Symptomen, vorherrschendem Tremor oder älteren Patienten Dopaminrezeptoragonisten, MAO-B-Inhibitoren, Amantadin oder Beta-1-Rezeptorantagonisten als initiale Monotherapie eingesetzt werden, um die motorischen Levodopakomplikationen zu vermeiden. Das Verordnungsvolumen der Parkinsonmittel war 2019 im Vergleich zum Vorjahr mit 159,8 Mio. DDD leicht angestiegen bei leicht abfallenden Gesamttherapiekosten (. Tab. 1.2). Dies ist ein erfreulicher Trend. Levodopapräparate haben in den letzten zehn Jahren nach einem kontinuierlichen Anstieg um 24 % auf 68 Mio. DDD zugenommen (. Abb. 37.1). Die Verordnungen der Dopaminagonisten sind im gleichen Zeitraum um 15 % angestiegen. Die Muscarinrezeptorantagonisten (Anticholinergika) sind wegen abnehmender Verordnungszahlen nicht mehr in . Abb. 37.1. vertreten. Insgesamt wird eine sehr positiv zu beurteilende Fokussierung auf gut wirksame und preiswerte Präparate beobachtet. Der Dopaminrezeptoragonist Apomorphin und der Monoamintransporter-Inhibitor Tetrabenazin werden wegen abnehmender
Verordungszahlen nicht mehr ausführlich besprochen.
37.1 37.1.1
Dopaminerge Mittel Levodopapräparate
Levodopa wird in Kombination mit Inhibitoren der Dopadecarboxylase (Benserazid, Carbidopa) verwendet, die den peripheren Stoffwechsel von Levodopa hemmen und dadurch die zerebrale Verfügbarkeit von Levodopa als Vorstufe von Dopamin erhöhen. Durch die sinnvolle Kombination werden wesentlich geringere Dosierungen von Levodopa benötigt und seine peripheren vegetativen unerwünschten Wirkungen vermindert. Trotz dieser Verbesserung führt die Langzeittherapie mit Levodopa zu Dyskinesien und motorischen Fluktuationen, die sich nach fünf Jahren bei 30–50 % der Patienten entwickeln, aber nur bei weniger als 10–20 % der Patienten behindernd sind. Eine übliche Strategie ist die Dosisfraktionierung sowie die adjuvante Therapie mit Dopaminre-
37
773 37.1 Dopaminerge Mittel
zeptoragonisten unter gleichzeitiger Reduktion der Levodopadosis. Entgegen früheren Annahmen gibt es keine überzeugende Evidenz, dass die Levodopatherapie in frühen Krankheitsstadien die klinische Progression der Parkinson’schen Krankheit verzögert (de Bie et al. 2020). Über 65 % der Verordnungen von Levodopa entfallen auf Benserazidkombinationen. Das lange Zeit führende Originalpräparat Madopar wurde von einem etwas preiswerteren Generikum überholt (. Tab. 37.1). An vierter Stelle folgt die Levodopakombination Restex, die ausschließlich zur Behandlung des Restless-Legs-Syndroms zugelassen ist. Levodopapräparate werden schon seit 20 Jahren für diese Indikation eingesetzt und haben sich in mehreren Studien als wirksam erwiesen (Schapira 2004). Problematisch sind Reboundphänome-
ne sowie eine Verstärkung der Beinunruhe nach höheren Dosen und nach längerer Anwendung von Levodopa. Auch Dopaminrezeptoragonisten sind zur Behandlung des RestlessLegs-Syndroms wirksam (Scholz et al. 2011). Die zweite Levodopakombination enthält den Decarboxylaseinhibitor Carbidopa, der ähnliche Wirkungen wie Benserazid hat. Inzwischen entfällt hier der größte Teil der Verordnungen auf Generika, während das teurere Originalpräparat Nacom nur noch eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Weiterhin vertreten ist Duodopa, ein extrem teures Präparat für die kontinuierliche intestinale Anwendung, das temporär über eine Nasoduodenalsonde oder über eine Dauersonde nach endoskopischer Gastrostomie mit einer tragbaren Pumpe infundiert wird. Nach einer Beobachtungsstudie vermindert die intraduodenale Infusion von
. Tabelle 37.1 Verordnungen von Levodopapräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Levodopa und Benserazid Levodopa Benserazid neuraxpharm
Levodopa Benserazid
15,3
(C22,9)
1,55
Madopar
Levodopa Benserazid
9,5
(C2,6)
1,70
Levodopa plus Benserazid AL
Levodopa Benserazid
8,9
(7,9)
1,53
Restex
Levodopa Benserazid
7,2
(C1,1)
2,13
Levodopa/Benserazid-ratiopharm
Levodopa Benserazid
2,6
(7,4)
1,52
Levodopa Benserazid beta
Levodopa Benserazid
0,88
(26,9)
1,48
Levopar
Levodopa Benserazid
0,69
(C147,0)
1,59
Levodopa Benserazid-CT
Levodopa Benserazid
0,68
(C13,6)
1,50
(C5,5)
1,67
45,7
774
Kapitel 37 Parkinsonmittel
. Tabelle 37.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Levodopa und Carbidopa Levodop-neuraxpharm
Levodopa Carbidopa
7,8
(C26,2)
1,04
Levodopa/Carbidopa-ratiopharm
Levodopa Carbidopa
4,9
(39,5)
1,12
Dopadura C
Levodopa Carbidopa
4,4
(C46,4)
1,24
Isicom
Levodopa Carbidopa
1,3
(C3,7)
0,91
Levocarb-1 A Pharma
Levodopa Carbidopa
1,1
(C13,9)
1,13
Levobeta/-retard
Levodopa Carbidopa
0,65
(C41,8)
1,72
Levocomp/-retard
Levodopa Carbidopa
0,54
(18,1)
1,06
Nacom
Levodopa Carbidopa
0,52
(17,4)
1,40
Duodopa Gel
Levodopa Carbidopa
0,32
(C8,6)
139,57
21,5
(0,2)
3,20
67,2
(C3,6)
2,15
Summe
37
Levodopa motorische Fluktuationen und Dyskinesien über einen Zeitraum von einem Jahr um etwa 20 % (Pålhagen et al. 2012). Diese Applikation ist indiziert, wenn mit oraler Gabe keine ausreichende Symptomkontrolle möglich ist. Die Entscheidung zur Anwendung intraduodenaler Levodopaapplikationen ist individuell zu fällen. Patienten mit einer Psychose in der Anamnese sollten ausgeschlossen werden (Antonini und Jost 2018). Als eine schwerwiegende unerwünschte Wirkung unter dieser Therapie sind Polyneuropathien zu beachten (Antonini und Jost 2018).
37.1.2
Dopaminrezeptoragonisten
Die Gruppe der Dopaminrezeptoragonisten ist 2019 konstant geblieben (. Abb. 37.1). Ropinirol wurde 1997 als erster Vertreter der Nichtergolinderivate eingeführt. In einer fünfjährigen Vergleichsstudie wurden bei initialer Ropiniroltherapie deutlich seltener Dyskinesien als mit Levodopa (20 % versus 45 %) beobachtet (Rascol et al. 2000). Auch Pramipexol, das 1998 als zweiter Vertreter der Nichtergolinderivate auf den Markt kam, löste in einer Vergleichsstudie über 4 Jahre seltener Dyskinesien als Levodopa (47 % versus 63 %) aus (The Parkinson Study Group 2004). Diese zunächst überzeugenden Befunde sind
37
775 37.1 Dopaminerge Mittel
. Tabelle 37.2 Verordnungen von Dopaminrezeptoragonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Ropinirol Ropinirol-neuraxpharm
Ropinirol
2,7
(C41,5)
3,58
Ropinirol Heumann
Ropinirol
2,2
(C6,6)
3,21
Ropinirol AL
Ropinirol
1,7
(30,1)
3,60
Requip
Ropinirol
1,5
(17,4)
2,82
Ralnea TAD
Ropinirol
1,0
(C9,8)
3,46
9,0
(0,3)
3,36
Pramipexol Pramipexol-neuraxpharm
Pramipexol
9,0
(C62,1)
2,56
Oprymea
Pramipexol
3,0
(C4,5)
2,45
Pramipexol-ratiopharm
Pramipexol
2,2
(15,1)
2,45
Glepark
Pramipexol
1,7
(31,1)
1,74
Pramipexol Aurobindo
Pramipexol
1,5
(C44,3)
1,63
Sifrol
Pramipexol
1,3
(40,8)
2,41
Pramipexol Heumann
Pramipexol
1,3
(59,0)
2,61
Pramipexol Winthrop
Pramipexol
1,0
(C37,9)
2,77
Pramipexol TAD
Pramipexol
0,64
(3,1)
2,66
Pramipexol AL
Pramipexol
0,29
(C23,6)
1,85
Pramipexol biomo
Pramipexol
0,23
(C5,2)
3,10
22,2
(C2,0)
2,41
Weitere Dopaminrezeptoragonisten Neupro
Rotigotin
7,0
(C4,0)
12,04
Clarium
Piribedil
1,8
(3,1)
10,83
Leganto
Rotigotin
1,0
(C3,8)
13,69
9,9
(C2,6)
11,98
41,0
(C1,6)
4,92
Summe
jedoch nicht allein maßgebend für die derzeitigen Probleme der Parkinsonbehandlung. Dopaminrezeptoragonisten unterscheiden sich bezüglich der Langzeitwirkung auf Behinderungen und Lebensqualität nicht von Levodopa.
Sie verursachen jedoch früher nicht bekannte unerwünschte Wirkungen wie Schlafattacken, Beinödeme und Störungen der Impulskontrolle (Spielsucht, Essanfälle, zwanghaftes Kaufverhalten, Hypersexualität) (Übersicht bei Rascol
776
Kapitel 37 Parkinsonmittel
minationshalbwertszeit verlängert, so dass die Wirkungsdauer zunimmt und weniger motorische Fluktuationen resultieren. Nach einem Cochrane-Review können Tolcapon und Entacapon bei motorischen Komplikationen der Levodopatherapie eingesetzt werden, um OffFluktuationen zu reduzieren, die Levodopadosis zu senken und motorische Behinderungen etwas zu verbessern (Deane et al. 2004). Diese Bewertung beruht allerdings nur auf einer bestenfalls mittelgradigen Evidenz. Entacapon wird nur noch als Dreifachkombination mit Levodopa und Carbidopa verordnet, da das Monopräparat (Comtess) nicht mehr vertreten ist (. Tab. 37.3). Die Kombination zeigte in Bezug auf die Verminderung motorischer Fluktuationen keine Überlegenheit im Vergleich zur konventionellen Levodopamedikation (Stocchi et al. 2010, STRIDE-PD). Die Verordnungen der Dreifachkombination sind 2018 trotz des Vorhandenseins von fünf Generika deutlich rückläufig (. Tab. 37.3). Opicapon (Ongentys) ist ein weiterer COMT-Inhibitor, der 2016 für die Zusatztherapie zu Levodopa bei Patienten mit Morbus Parkinson und motorischen End-of-dose-Fluktuationen zugelassen wurde. Die Verordnungszahlen sind im Vergleich zu 2019 nochmals um 30 % gestiegen (. Tab. 37.3). In placebokontrollierten Studien zeigte Opicapon eine Nichtunterlegenheit im Vergleich mit Entacapon bezüglich der Off-Zeit. Die frühe Nutzenbewertung durch den G-BA hat keinen Beleg für einen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie ergeben (siehe Arzneiverordnungs-Report 2017, Kap. 3, Neue Arzneimittel, Abschn. 3.1.18). Sehr erfreulich sind die günstigen DDD-Nettokosten für Opicapon, die nach der Senkung des 37.1.3 COMT-Inhibitoren Erstattungsbetrages um 41 % jetzt sogar unter den Kosten der generischen EntacaponkombiInhibitoren der Catechol-O-Methyltransferase nationen liegen. (COMT) vermindern in zahlreichen Geweben den Abbau endogener Catecholamine, aber auch der therapeutisch eingesetzten Dopaminvorstufe Levodopa zu inaktiven Metaboliten. Dadurch wird die Bioverfügbarkeit von Levodopa um 40–90 % erhöht und seine Eliet al. 2011). Auch werden die Spätstadien des Morbus Parkinson heute durch Probleme wie Stürze und Demenz geprägt, die durch eine frühe Behandlung mit Dopaminrezeptoragonisten nicht beeinflusst werden. Die Verordnungen des transdermal anwendbaren Dopaminrezeptoragonisten Rotigotin haben 2019 weiter zugenommen (. Tab. 37.2). Das Pflaster ermöglicht eine einmal tägliche Applikation, hatte aber in einer direkten Vergleichsstudie geringere Erfolgsquoten als oral verabreichtes Ropinirol (Giladi et al. 2007). Über einen Zeitraum von 6 Monaten erreichten 30 % der Placebopatienten, 52 % der Rotigotinpatienten und 68 % der Ropinirolpatienten eine 20 %ige Verbesserung der UPDRS-Skala (Unified Parkinson’s Disease Rating Scale). In einer weiteren 6-monatigen Vergleichsstudie an 506 Patienten mit fortgeschrittenem Morbus Parkinson wurde die OffZeit durch transdermales Rotigotin um 2,5 h, durch orales Pramipexol um 2,8 h und durch Placebo um 0,9 h verkürzt, aber auch hier waren die Ansprechraten mit Pramipexol (67,0 %) höher als mit Rotigotin (59,7 %) (Poewe et al. 2007). Die Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health (2015) hat daher empfohlen, dass Rotigotin für die Behandlung der Parkinson’schen Krankheit im fortgeschrittenen Stadium gelistet werden soll, wenn die Therapiekosten mit denen von Ropinirol oder Pramipexol vergleichbar sind. Apomorphin ist nicht mehr unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln vertreten (siehe Abschn. 37.37, Tab. 37.2 Arzneiverordnungs-Report 2019)
37
37
777 37.1 Dopaminerge Mittel
. Tabelle 37.3 Verordnungen von COMT-Inhibitoren und MAO-B-Inhibitoren 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Entacapon-Kombinationen Levodopa/Carbidopa/Entacapone Orion
Levodopa Carbidopa Entacapon
3,3
(0,2)
3,94
Levodopa/Carbidopa/Entacapon beta
Levodopa Carbidopa Entacapon
1,9
(C22,0)
3,58
Stalevo
Levodopa Carbidopa Entacapon
1,2
(20,4)
4,19
Levodopa/Carbidopa/Entacapon PUREN
Levodopa Carbidopa Entacapon
1,0
(37,5)
4,00
Levodopa/Carbidopa/Entacapon neurax
Levodopa Carbidopa Entacapon
0,63
(C256,2)
3,56
Levodopa/Carbidopa/Entacapon AbZ
Levodopa Carbidopa Entacapon
0,52
(36,0)
3,72
8,6
(4,9)
3,86
Opicapon
3,5
(C32,4)
3,39
Xadago
Safinamid
4,2
(C17,8)
2,84
Rasagilin Glenmark
Rasagilin
2,4
(C45,0)
2,32
Azilect
Rasagilin
1,6
(C50,9)
2,54
8,2
(C30,6)
2,63
20,3
(C13,0)
3,28
Opicapon Ongentys MAO-B-Hemmer
Summe
37.1.4
MAO-B-Inhibitoren
Der Prototyp der Hemmstoffe der Monoaminoxidase-B (MAO-B) ist Rasagilin. Die Wirksamkeit von Rasagilin wurde in mehreren klinischen Studien gegenüber Placebo nachgewiesen, wobei auch die Frage einer möglichen
neuroprotektiven Wirkung untersucht wurde, aber nie überzeugend geklärt wurde (Übersicht bei Hoy und Keating 2012). Nach jahrelangem Rückgang der Verordnungszahlen sind die Verschreibungen von Rasagilin im letzten Jahr wieder stark angestiegen, und liegen nun wieder gleichauf mit den Verordnungszahlen des 2015 eingeführten Safinamid (Xada-
778
Kapitel 37 Parkinsonmittel
go). Dies ist erfreulich, da ein Zusatznutzen nungen von Amantadin deutlich rückläufig von Safinamid im Verhältnis zur zweckmäßi- sind (. Tab. 37.4). gen Vergleichstherapie nicht belegt ist (siehe Arzneiverordnungs-Report 2016, Kap. 3, Neue Arzneimittel, Abschn. 3.1.32). 37.3 Muscarinrezeptor-
antagonisten 37.2
Amantadin
Amantadin wirkt schwächer, aber schneller als Levodopa und erzeugt weniger unerwünschte Wirkungen. Nach einem Cochrane-Review stammt ein großer Teil der Daten über die Wirksamkeit von Amantadin aus nicht kontrollierten Studien, so dass die Analyse von sechs randomisierten Studien keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit und Sicherheit von Amantadin bei der Behandlung von Parkinsonpatienten lieferte (Crosby et al. 2003). Erfreulich ist daher, dass die Verord-
Die Verordnungen von Muscarinrezeptorantagonisten sind seit vielen Jahren rückläufig. Dieser Trend hat sich 2019 fortgesetzt. Dies ist positiv zu bewerten, weil sie bei der Parkinson’schen Krankheit weniger effektiv als dopaminerge Mittel sind und bei älteren Patienten wegen der Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten vermieden werden sollen (Silver und Ruggieri 1998). Nach einem Cochrane-Review über neun placebokontrollierte Studien wirken Muscarinrezeptorantagonisten besser als Placebo auf motorische Funktionen, eine kombinierte Analyse war jedoch wegen der Hetero-
. Tabelle 37.4 Verordnungen von Muscarinrezeptorantagonisten, Amantadin und weiteren Mitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Muscarinrezeptorantagonisten
37
Akineton
Biperiden
5,2
(3,3)
0,65
Sormodren
Bornaprin
2,9
(1,8)
0,60
Biperiden-neuraxpharm
Biperiden
2,7
(C1,8)
0,66
Parkopan
Trihexyphenidyl
0,82
(C16,8)
0,75
11,5
(0,6)
0,65
Amantadin Amantadin AL
Amantadin
2,7
(33,4)
0,32
Amantadin-neuraxpharm
Amantadin
2,6
(C56,4)
0,35
5,4
(7,3)
0,33
3,6
(C3,4)
1,82
20,5
(1,8)
0,77
Weitere Mittel Tiaprid AL Summe
Tiaprid
779
37
Literatur
genität der Daten nicht möglich (Katzenschlager et al. 2003). Das Verordnungsvolumen der Muscarinrezeptorantagonisten beruht vor allem auf dem hohen Anteil von Biperiden, das vermutlich weitaus häufiger für das durch Antipsychotika ausgelöste Parkinsonoid bei der Behandlung schizophrener Psychosen eingesetzt wird.
37.4
Andere Mittel gegen extrapyramidale Störungen
Tiaprid ist ein D2 -Dopaminrezeptorantagonist aus der Gruppe der Benzamide, der bei Dyskinesien verschiedener Ursachen eingesetzt wird. Die widersprüchlichen Berichte über seine klinische Wirksamkeit waren 2003 der Grund für eine weitgehende Einschränkung der Zulassung, so dass es nur noch zur Behandlung Neuroleptika-induzierter Spätdyskinesien indiziert ist. Darüber hinaus soll es Bewegungsstörungen bei Chorea Huntington verringern können. Trotz fehlender Indikation wurde Tiaprid weiterhin bei anderen dyskinetischen und choreatischen Syndromen eingesetzt (Müller-Vahl 2007). Die Verordnungszahlen für Tiaprid sind 2018 leicht angestiegen. Tetrabenazin (Nitoman) zur Behandlung der Chorea Huntington ist nicht mehr unter den 3.000 meistverordneten Arzneistoffen vertreten. Dies ist in Anbetracht der geringen therapeutischen Wirkungen und schweren unerwünschten Wirkungen sehr positiv zu beurteilen.
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780
Kapitel 37 Parkinsonmittel
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37
Stocchi F, Rascol O, Kieburtz K, Poewe W, Jankovic J, Tolosa E, Barone P, Lang AE, Olanow CW (2010) Initiating levodopa/carbidopa therapy with and without entacapone in early Parkinson disease: the STRIDEPD study. Ann Neurol 68:18–27 The Parkinson Study Group (2004) Pramipexole vs levodopa as initial treatment for Parkinson disease: a 4-year randomized controlled trial. Arch Neurol 61:1044–1053
781
38
Psychopharmaka Martin J. Lohse
Auf einen Blick
Trend Die Verordnungsstruktur der Psychopharmaka hat sich in den letzten Jahren auffällig verändert. Im Durchschnitt haben die Verordnungen der Antidepressiva in der letzten Dekade nochmals um mehr als 40 % zugenommen. Dieser Anstieg wurde vor allem von den selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und den Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) getragen, während die älteren nichtselektiven MonoaminRückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI, Trizyklika) seit 2010 in ihrer Verordnung rückläufig waren. Ungebrochen ist auch der Verordnungsanstieg bei den sog. atypischen Neuroleptika, der durch einen nur sehr moderaten Rückgang der Verschreibung klassisch hochpotenter Neuroleptika nicht kompensiert wird. Es handelt sich also vermutlich um Indikationsausweitungen oder einen Trend zu höheren Dosierungen. Niedrigpotente Neuroleptika werden in stets gleichbleibendem Umfang verordnet. Die Verordnungen von Psychostimulanzien sind seit starken Zuwächsen in den 2000er Jahren nunmehr seit 5 Jahren annähernd konstant, und die von Tranquillantien schon seit vielen Jahren weiter rückläufig. Circa ein Drittel der Psychopharmakaverordnungen stammen von Allgemeinmedizinern. Bewertung Ob das über lange Zeit steigende Verordnungsvolumen von neueren An-
tidepressiva rationalen Kriterien gehorchte und somit für die Mehrheit der Patienten einen echten Nutzen impliziert, wird zunehmend bezweifelt. Antidepressiva sind nach neueren unabhängigen Leitlinien nicht mehr Mittel der ersten Wahl bei den in der hausärztlichen Praxis vorwiegend vorkommenden leichten Depressionen. Auch bringen neu zugelassene Antidepressiva keinen therapeutischen Vorteil. Es gibt Hinweise auf akute Entzugssyndrome und Reboundphänomene nach Absetzen von Antidepressiva. Atypische Neuroleptika (Antipsychotika) einschließlich ihrer zunehmenden kombinierten Anwendung begegnen ebenfalls der Kritik von Experten, insbesondere hinsichtlich ihrer massenhaften Anwendung im geriatrischen Bereich.
Die Psychopharmaka lassen sich in vier große Gruppen unterteilen: Antidepressiva, Neuroleptika (Antipsychotika), Tranquillantien und Psychostimulanzien. Hinzu kommen verschiedene kleinere Gruppen, so die vorzugsweise zur Langzeittherapie bzw. Prophylaxe affektiver Störungen eingesetzten Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer), wie z. B. Lithiumsalze, und bestimmte Antiepileptika. Die meisten Gruppen von Psychopharmaka werden heutzutage für eine Vielzahl von Indikationen eingesetzt, die in den letzten eineinhalb Jahrzehnten sowohl bei den Antidepressiva wie auch bei den Neuroleptika deutlich erweitert wurden. Einige psychiatrische Meinungsbildner nennen deshalb die der-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_38
782
38
Kapitel 38 Psychopharmaka
zeit noch gültige Klassifikation „obsolete and confusing“ (Baumann et al. 2017). So haben beispielsweise einige „atypische“ Neuroleptika auch in der Akut- und Langzeitmedikation affektiver Störungen erfolgreich Fuß gefasst. Der weiter anhaltende Verordnungsanstieg sog. atypischer Neuroleptika kann möglicherweise auf diesem Hintergrund erklärt werden. Dies ist ebenso kritisch zu sehen wie die Propagierung von Neuroleptika zur „Frühprävention“ schizophrener Psychosen (Moncrieff 2008). Besonders bedenklich erscheint die steigende Verordnung von Neuroleptika und anderen Psychopharmaka in der Geriatrie sowie bei Kindern und Jugendlichen, weitgehend als Off-Label-Use (Vitiello et al. 2009; Maher und Theodore 2012; Abbas et al. 2016). Beunruhigend ist auch die zunehmend durch neuere Publikationen noch unterstützte Kombination verschiedener Psychopharmaka, etwa die gleichzeitige Gabe mehrerer Neuroleptika bzw. Antidepressiva bei verschiedenen Indikationen, z. B. die „Augmentation“ eines selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitors (SSRI) durch Quetiapin bei „therapieresistenter“ Angststörung (Frye et al. 2000; Clark et al. 2002; Grohmann et al. 2004). Sie wird vermutlich durch das verführerische, aber objektiv falsche Argument der angeblich besseren Verträglichkeit atypischer Neuroleptika erheblich befördert (Komossa et al. 2010; Spielmans et al. 2013). Da es kaum belastbare Belege für einen „Mehrgewinn“ (basierend auf dem Nutzen-Risiko-Kosten-Quotienten) dieser vielerorts praktizierten polypharmazeutischen Strategien gibt, müssen sie als bedenklich angesehen werden (Tranulis et al. 2008; Niedrig et al. 2016; Davies et al. 2019). Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (2009) hat in einem Memorandum für einen restriktiven und verantwortungsvollen Umgang mit Antipsychotika plädiert. Insbesondere muss in Zukunft auf der Basis verschiedener Studien mehr Wert auf die Einhaltung der niedrigstmöglichen Dosis gelegt werden, um Langzeitschäden zu vermeiden (McGorry et al. 2013). Zu-
dem mehreren sich die Hinweise für schädliche Wirkungen verschiedener Psychopharmakagruppen inkl. einer Neuroleptika-assoziierten erhöhten Mortalität bei älteren Menschen (Coupland et al. 2011; Gerhard et al. 2014; Hwang et al. 2014; Danielsson et al. 2016). Deshalb werden jetzt auch in Deutschland weitere Studien zur Untersuchung von unerwünschten Wirkungen in der Gerontopsychiatrie gefördert (Institut für Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie, AMSP e. V. 2018).
38.1
Verordnungsspektrum
Die Verordnungskosten der Psychopharmaka waren 2019 mit 1,78 Mrd. C etwas höher (C3,1 %). Trotzdem stehen sie weiterhin an siebter Stelle der umsatzstärksten Indikationsgruppen (. Tab. 1.2). Die zunehmende ökonomische wie auch medizinische Bedeutung der Psychopharmaka ist weiterhin daran erkennbar, dass das Verordnungsvolumen in den letzten 10 Jahren weiter um fast 30 % auf inzwischen deutlich über 2 Mrd. Tagesdosen gestiegen ist (. Abb. 38.1). Das vergangene Jahr brachte einen weiteren, wenn auch geringen Anstieg des Verordnungsvolumens. In den einzelnen Indikationsgruppen ist die Verordnungsentwicklung jedoch sehr unterschiedlich. Die Antidepressiva sind seit langem die mit Abstand führende Gruppe der Psychopharmaka und haben allein in den letzten 10 Jahren noch einmal um fast 40 % zugenommen, der stetige Anstieg hat sich jedoch in den letzten Jahren abgeflacht. Die Verordnung der Neuroleptika (Antipsychotika) ist dagegen nur noch um 19 % gestiegen (. Abb. 38.1). Die Tranquillantien haben ihre einstmals dominierende Stellung schon lange verloren, da ihre Verordnungen seit 1983 von dem damals erreichten Maximum (613 Mio. DDD) insgesamt um etwa 85 % zurückgegangen sind (vgl. Arzneiverordnungs-Report 1993, Abb. 36.2) und in den letzten 10 Jahren auch noch einmal um etwa 30 % (. Abb. 38.1).
38
783 38.2 Tranquillantien
Tranquillantien Neuroleptika Antidepressiva
1500
1566 1445
1469
1609
1491
1401 1341
1308 1255
(Mio. DDD)
1200
1174
900
600
321 303
330
315
313
338
339
341
352
360
300
125 0 2010
119
111
105
104
99
94
89
89
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
86 2019
. Abb. 38.1 Verordnungen von Psychopharmaka 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
38.2
Tranquillantien
Tranquillantien (Anxiolytika) werden bevorzugt zur Dämpfung von Angst- und Spannungszuständen, jedoch auch im Kontext antimanischer und antidepressiver Therapie eingesetzt. Gegenwärtig werden hierzu ganz überwiegend Benzodiazepine verwendet. Die bisher verfügbaren Benzodiazepine erscheinen pharmakodynamisch und von ihrem klinischen Wirkprofil her nicht unterschiedlich, wenn auch die Heterogenität der GABA/ Benzodiazepinrezeptoren ebenso wie die Entwicklung der Benzodiazepinrezeptoragonisten als spezifischere Schlafmittel (Zolpidem u. ä. s. 7 Kap. 27) die prinzipielle Möglichkeit solcher Unterschiede nahelegen. Sehr verschieden ist bei den derzeit als Tranquillantien eingesetzten Benzodiazepinen dagegen die Pharmakokinetik, die deshalb als vornehmliches Kriterium der Klassifikation dient. Diazepam gilt als Prototyp langwirksamer Benzodiazepine, während Lorazepam und Oxazepam mittellang wirken.
Unter den verordnungshäufigsten Arzneimitteln befindet sich eine große Zahl von Präparaten, die sich vor allem auf fünf Benzodiazepine konzentrieren (. Tab. 38.1). Lorazepam steht mit seinen seit vielen Jahren stabilen Verordnungen mittlerweile an der Spitze der Tranquillantien, weil es gerne auch zur Therapie manischer und anderer psychotischer Zustände eingesetzt wird. Insgesamt zeigt sich eine leichte Abnahme der Tranquillantien. Auf die Probleme der Dauertherapie mit Benzodiazepinen ist vielfach hingewiesen worden (Näheres siehe 7 Kap. 27). Die mit vielen Unsicherheiten behaftete Schätzung der Zahl von Benzodiazepin-Abhängigen in Deutschland reicht bis zu 1,6 Mio.; es wird vermutet, dass in diesem Zusammenhang Verordnungen auf Privatrezept eine wichtige Rolle spielen (Janhsen et al. 2015). Buspiron als mögliche Alternative zu Benzodiazepinen spielt nach wie vor keine wesentliche Rolle, seine Verordnung hat weiter abgenommen. Benzodiazepine (vor allem Lorazepam) werden relativ hoch dosiert bei akut suizid-
784
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.1 Verordnungen von Tranquillantien 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Diazepam Diazepam-ratiopharm
Diazepam
9,1
(7,2)
0,43
Diazepam STADA
Diazepam
4,2
(C61,7)
0,21
Diazepam AbZ
Diazepam
4,0
(21,3)
0,41
Valocordin-Diazepam
Diazepam
0,94
(30,1)
0,40
Diazepam Desitin
Diazepam
0,25
(5,6)
5,68
18,5
(3,2)
0,45
Bromazepam Bromazepam-ratiopharm
Bromazepam
4,9
(19,2)
0,54
Bromazepam-1 A Pharma
Bromazepam
2,0
(C44,9)
0,54
Bromazanil
Bromazepam
1,8
(16,3)
0,60
Bromazepam AL
Bromazepam
0,41
(C133,2)
0,52
9,2
(6,7)
0,55
Oxazepam Oxazepam-ratiopharm
Oxazepam
3,7
(2,9)
0,83
Oxazepam AL
Oxazepam
0,82
(11,2)
1,23
Oxa-CT
Oxazepam
0,41
(C26,6)
0,53
Praxiten
Oxazepam
0,33
(15,9)
0,59
Adumbran
Oxazepam
0,17
(24,7)
1,10
5,5
(4,3)
0,86
Lorazepam
38
Tavor
Lorazepam
19,9
(7,8)
0,80
Lorazepam dura
Lorazepam
14,3
(C13,1)
0,64
Lorazepam-ratiopharm
Lorazepam
(40,9)
0,43
34,6
(0,9)
0,73
0,45
Alprazolam Alprazolam-ratiopharm
Alprazolam
5,5
(8,6)
0,46
Alprazolam-1 A Pharma
Alprazolam
1,5
(C58,9)
0,42
Alprazolam AL
Alprazolam
0,69
(C5,7)
0,39
Tafil
Alprazolam
0,69
(9,1)
0,48
8,3
(C0,2)
0,45
38
785 38.3 Antidepressiva
. Tabelle 38.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Weitere Benzodiazepine Frisium
Clobazam
1,8
(12,9)
0,61
Tranxilium
Dikaliumclorazepat
1,6
(9,5)
0,64
Rudotel
Medazepam
1,2
(6,9)
0,66
4,6
(10,2)
0,63
0,55
(7,1)
1,35
(2,9)
0,62
Buspiron Busp
Buspiron
Summe
gefährdeten Patienten eingesetzt. Interessant erscheint diesbezüglich aber ein Ergebnis der AMSP-Gruppe, dass die Suizidalität-induzierenden Eigenschaften der SSRIs durch gleichzeitige Gabe von Benzodiazepinen nicht vermindert werden (Stübner et al. 2018). Patienten mit einer generalisierten Angststörung können grundsätzlich psychotherapeutisch oder medikamentös behandelt werden. Die jüngste S3-Leitlinie von 2014 – schon seit 2019 nicht mehr gültig – enthält sich diesbezüglich einer Präferenz. Bei dieser Indikation wurden evidenzbasiert nicht nur Tranquillantien sondern insbesondere auch neuere Antidepressiva eingesetzt (Zwanzger 2016; Strawn et al. 2018). In Europa ist seit 2006 auch Pregabalin (Lyrica) zur Behandlung der generalisierten Angststörung zugelassen, nicht aber in den USA (Wensel et al. 2012). Aufgrund von Spontanmeldungen, u. a. aus Schweden, wurde inzwischen in die Fachinformation ein Hinweis auf das Missbrauchspotenzial der Substanz aufgenommen. Da gerade bei Patienten mit einer Angststörung häufig auch eine Suchtanamnese besteht, sollte die Substanz mit entsprechender Vorsicht eingesetzt werden (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2011). Dennoch zeigte Pregabalin in einer jüngst publizierten Studie Vorteile gegenüber anderen Substanzen im Verhältnis von
81,3
Wirksamkeit und Verträglichkeit (Slee et al. 2019). Insgesamt findet sich jedoch für keine der analysierten Substanzen eine hohe Effektstärke.
38.3
Antidepressiva
Depressionen müssen nicht in jedem Fall medikamentös behandelt werden, da es gut validierte nichtmedikamentöse Behandlungsverfahren gibt (Bschor und Adli 2009). Für mild ausgeprägte Depressionen stellen Antidepressiva laut den derzeit gültigen Leitlinien nicht mehr das Mittel der ersten Wahl zur Primärtherapie dar (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2015;). Ihre Wirksamkeit ist begrenzt und relativ unspezifisch. Im Durchschnitt und abhängig von der Schwere der Depression beträgt der absolute Unterschied der Responserate zwischen Antidepressiva und Placebo 20 %, gemessen üblicherweise am 50 %igen Rückgang des Punktwerts auf der Hamilton Depression Skala. Dies macht den Nachweis der Wirksamkeit und noch mehr den von Wirksamkeitsunterschieden zwischen verschiedenen Antidepressiva schwierig (Baier und Bschor 2019).
786
38
Kapitel 38 Psychopharmaka
Entsprechend wurde zunehmend kritisch kommentiert, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva überschätzt werde (Baghai et al. 2011). Eine Metaanalyse zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antidepressiva in der hausärztlichen Praxis fand Responderraten von 56–69 % unter Verum vs. 42–47 % unter Placebo. Die NNT für NSMRI betrug ca. 4, für SSRI 6 (Arroll et al. 2005). Freilich werden auch vorhandene Möglichkeiten, die antidepressive Therapie zu optimieren wie z. B. das Therapeutische Drug Monitoring (Hiemke et al. 2011; Baumann et al. 2017) oder die Augmentation mit Lithiumsalzen bei Nonrespondern nicht genutzt. Dagegen wurden andere Augmentationsstrategien in einer Metaanalyse kritisch bewertet (Davies et al. 2019). Metaanalysen legen nahe, dass bei nur leicht oder mittel ausgeprägten Depressionen der Placeboanteil der Gesamtwirkung im Vordergrund steht (Kirsch et al. 2008; Fournier et al. 2010; Müller-Oerlinghausen 2011). Das Ausmaß der Placebowirkung ist bei Antidepressiva groß; eine jüngere Metaanalyse von kontrollierten Untersuchungen berichtet über eine Rate von im Mittel 36 %, mit weiter Streuung (Furukawa et al. 2016). Die THREADStudie fand zwar bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Depression eine Überlegenheit der Kombination von SSRI plus psychosoziale Unterstützung versus psychosoziale Unterstützung alleine, aber die Autoren bewerten die Differenz als relativ klein und als möglichen Placeboeffekt (Kendrick et al. 2009). Auch resultieren drastisch geringere Effektstärken bei fast allen Antidepressiva, wenn die von den Herstellern nicht publizierten Studien zur Bewertung mit herangezogen werden (Turner et al. 2008). Eine kritische Nachberechnung der Daten von Kirsch et al. (2008) erbringt keine überzeugenden Einwände (Fountoulakis und Möller 2010). Ein großes Echo hat die umfangreiche Metaanalyse von 21 Antidepressiva gefunden, in der die Wirksamkeit aller untersuchten Antidepressiva statistisch signifikant nachgewiesen worden sei (Cipriani et al. 2018); die Au-
toren ermittelten dabei eine mittlere Effektstärke von nur 0,36 (wobei die höchste Odds-Ratio Amitriptylin zukommt) und haben den durchschnittlichen Effekt als nur „moderat“ beschrieben. Andere jüngere Metaanalysen sind etwas kritischer. Mallery et al. (2019) betonen in ihrer Metaanalyse von Studien mit älteren Patienten (> 65 J), dass Antidepressiva in dieser Patientengruppe eher mit unerwünschten als mit erwünschten Wirkungen assoziiert seien. Plöderl und Hengartner (2019) sehen deshalb die genannte deutsche S3-Leitlinie zur Depression im Widerspruch zur wissenschaftlichen Literatur, weil sie die Wirksamkeit der Antidepressiva überbetone. Von klinischer Seite wird dieser Meinung entgegengehalten, dass in aller Regel die kontrollierten Studien von Antidepressiva nicht mit wirklich schwer depressiven Patienten durchgeführt würden, und dass dies aus ethischen Gründen auch gar nicht möglich sei. Die von der deutschen nervenärztlichen Fachgesellschaft DGPPN behauptete Senkung der Häufigkeit suizidaler Handlungen durch Antidepressiva ist durch valide Studien widerlegt worden (Moncrieff und Kirsch 2005; Reeves und Ladner 2010; Bschor und Müller-Oerlinghausen 2014). In den USA ist trotz massenhafter Verordnung moderner Antidepressiva die Zahl der Suizidtoten zwischen 1999 und 2016 um fast 30 % angestiegen (Stone et al. 2018). Ob der pharmakoepidemiologische Befund, dass 10 % der Europäer in mittlerem Alter jährlich Antidepressiva einnehmen (Blanchflower und Oswald 2016), mehrheitlich rational begründete Indikationen reflektiert, darf füglich bezweifelt werden. Eine langfristige Überprüfung der Lebensqualität depressiver Menschen in der „Züricher Kohorte“ über 30 Jahre führte zu dem aktuellen Ergebnis, dass es den mit Antidepressiva behandelten Patienten schlechter ging als den nicht behandelten (Hengartner et al. 2018). Die Randunschärfe mancher neuer psychiatrischer Krankheitsbilder in modernen Diagnosesystemen (ICD-10; DMS-5) hat ebenfalls Kritiker gefunden (Whitaker 2010).
38
787 38.3 Antidepressiva
Auch die zunehmende Zahl von Kindern und Jugendlichen, die insbesondere in den USA Antidepressiva erhalten, gibt Anlass zur Sorge, da hierdurch Verhaltensstörungen ausgelöst werden können, die dann ihrerseits zu psychiatrischen Fehldiagnosen führen (Offidani et al. 2013). Eine entsprechende Studie kam Deutschland betreffend nicht zu beunruhigenden Ergebnisse (Abbas et al. 2016). Beunruhigend sind aber die zunehmenden Berichte über akute Entzugssyndrome nach Absetzen von Antidepressiva und Hinweise auf Reboundphänomene, wobei Substanzen wie Venlafaxin oder Paroxetin eine besondere Rolle zu spielen scheinen (Henssler et al. 2019). Der Einsatz von Antidepressiva in der Palliativmedizin ist ebenfalls kritisch zu bewerten. Der Wirksamkeitsbeleg ist in diesem Bereich oft nicht vorhanden und die unerwünschten Wirkungen belasten die Patienten zusätzlich (Ujeyl und Müller-Oerlinghausen 2012).
38.3.1
Nichtselektive MonoaminRückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI)
Die nichtselektiven Monoamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NSMRI, „Trizyklika“), die inzwischen preislich deutlich höher als die SSRIGenerika liegen, zeigten bis 2010 ein weitgehend konstantes Verordnungsvolumen sind aber seitdem leicht rückläufig (. Abb. 38.2). Vor allem Amitriptylin, daneben auch Doxepin und Trimipramin dominieren als klassische „trizyklische“ Substanzen mit stärker sedierenden Wirkungen (. Tab. 38.2). Diese Substanzen werden wohl mehrheitlich bei Depression und chronischen Schmerzzuständen eingesetzt, wo ihre Wirksamkeit sehr viel besser belegt ist als die von SSRI. Nachdenklich stimmt, dass in einer großen britischen Kohortenstudie bei älteren Patienten NSMRI in niedrigen Dosen verträglicher waren als SSRI oder SNRI (Coupland et al. 2011). Bei Depressionen im Kontext verschiedener körperlicher Krankheiten (z. B. Krebs, Morbus Parkin-
800 744
Trizyklische Antidepressiva SSRI SNRI Mirtazapin
700
717
626 572
600
585
596
288
280
648
660
677
530
(Mio. DDD)
500
400 294 300
292
201 200 149 100
142
0 2010
220
161
2011
2012
268
269
280
298
306
240
255
259
248
247
244
176
181
183
185
194
198
168
2013
2014
2015
2016
2017
2018
174 154
277
. Abb. 38.2 Verordnungen von Antidepressiva 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
2019
788
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.2 Verordnungen trizyklischer und weiterer nichtselektiver Antidepressiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Amitriptylin Amitriptylin-neuraxpharm
Amitriptylin
29,9
(2,0)
0,38
Amineurin
Amitriptylin
23,4
(11,0)
0,40
Amitriptylin Micro Labs
Amitriptylin
20,3
(C37,5)
0,44
Amitriptylin-CT
Amitriptylin
5,5
(6,6)
0,32
Amitriptylin Sandoz
Amitriptylin
1,9
(26,8)
0,25
Syneudon
Amitriptylin
1,6
(C1,4)
0,35
82,7
(C1,2)
0,39
Doxepin Doxepin-ratiopharm
Doxepin
17,4
(27,1)
0,39
Doxepin-neuraxpharm
Doxepin
9,8
(1,4)
0,53
Doxepin-1 A Pharma
Doxepin
5,6
(C115,7)
0,51
Doxepin dura
Doxepin
1,4
(C124,1)
0,39
Doxepin AL
Doxepin
1,4
(C66,1)
0,31
Doneurin
Doxepin
0,87
(C177,7)
0,42
Doxepin Holsten
Doxepin
0,63
(C48,3)
0,38
Aponal
Doxepin
0,30
(56,5)
1,06
37,5
(4,7)
0,45
Trimipramin
38
Trimipramin-neuraxpharm
Trimipramin
18,9
(C22,0)
0,65
Trimipramin-1 A Pharma
Trimipramin
3,2
(17,8)
0,57
Trimipramin AL
Trimipramin
2,0
(51,4)
0,72
Trimineurin
Trimipramin
1,1
(14,2)
0,66
Trimipramin Aristo
Trimipramin
1,00
(31,0)
1,37
Stangyl
Trimipramin
0,71
(13,9)
0,65
26,9
(0,8)
0,67
Opipramol Opipram
Opipramol
42,0
(10,2)
0,38
Opipramol AL
Opipramol
19,8
(C100,4)
0,37
Opipramol-neuraxpharm
Opipramol
11,1
(C20,5)
0,35
38
789 38.3 Antidepressiva
. Tabelle 38.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Insidon
Opipramol
2,4
(7,3)
0,65
Opipramol-1 A Pharma
Opipramol
1,3
(76,2)
0,49
Opipramol STADA
Opipramol
1,1
(35,4)
0,31
Opipramol Heumann
Opipramol
0,71
(70,0)
0,31
78,5
(C0,4)
0,38
Weitere trizyklische Antidepressiva Anafranil
Clomipramin
5,9
(C1,4)
0,62
Amioxid-neuraxpharm
Amitriptylinoxid
4,8
(5,4)
0,19
Tianeurax
Tianeptin
4,2
(C9,8)
1,56
Imipramin-neuraxpharm
Imipramin
1,9
(6,5)
0,43
Clomipramin-neuraxpharm
Clomipramin
0,46
(50,5)
0,60
17,3
(2,4)
0,71
Weitere nichtselektive Antidepressiva Trazodon-neuraxpharm
Trazodon
3,0
(18,5)
1,22
Maprotilin-neuraxpharm
Maprotilin
1,9
(C4,7)
0,36
Trazodon Glenmark
Trazodon
1,2
Trazodon HEXAL
Trazodon
1,0
(2,4)
1,21
7,2
(C9,5)
0,99
250,0
(0,2)
0,47
Summe
son) dürften NSRMI wirksamer als SSRI sein (Ujeyl und Müller-Oerlinghausen 2012). Das gut steuerbare Nortrilen ist nicht mehr vertreten, weil es ab Juli 2017 wegen Erlöschen der Zulassung abverkauft wurde (Arzneimittel-Info 2017). Seit Oktober 2018 ist Nortriptylin als Generikum (Nortriptylin Glenmark) auf dem Markt. Opipramol ist ein bereits 1962 entwickeltes trizyklisches Antidepressivum, das ausschließlich zur Behandlung generalisierter Angststörungen und somatoformer Störungen zugelassen ist. Es wird weiterhin in großem Umfang verordnet (. Tab. 38.2). Anders als die klassischen NSMRI bewirkt es jedoch keine
(Neu)
1,22
Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin, sondern hat eine ausgeprägte agonistische Wirkung auf den Sigmarezeptor, dem neuroprotektive Wirkungen zugeschrieben werden. Die Wirkungsweise der Substanz ist jedoch nicht hinreichend geklärt. Opipramol spielt in der klinischen Psychiatrie gegenwärtig nur eine geringe Rolle. Seine Wirksamkeit im ambulanten Bereich, wo es weiterhin stark verordnet wird, ist nicht überzeugend nachgewiesen (Übersicht bei Gahr et al. 2017). Tianeptin, das schon 1988 in Frankreich eingeführt wurde, ist 2012 in Deutschland als Generikum auf den Markt gekommen. Es wird auch als „atypisches“ Antidepressivum
790
Kapitel 38 Psychopharmaka
bezeichnet, weil sich seine pharmakologischen Eigenschaften von denen anderer Antidepressiva prinzipiell unterscheiden. Einen „Durchbruch“ in der medikamentösen antidepressiven Therapie dürfte es nicht darstellen, da Tianeptin eine fast identische Wirksamkeit wie andere NSMRI mit etwas weniger anticholinergen Effekten und möglicherweise weniger kardiovaskulären und sexuellen Störwirkungen hat (Wagstaff et al. 2001). Tianeptin hat aber eine Opioidrezeptoraktivität und erzeugt dadurch in hohen Dosen Euphorie. Aus den USA stammen mehrere Publikationen über Missbrauch, Abhängigkeitsentwicklung, Entzugssyndrome und tödliche Intoxikationen infolge Überdosierung (Bakota et al. 2018). In Deutschland sind die Verordnungen des überteuerten Tianeptin (Tianeurax) 2019 nur noch wenig angestiegen (. Tab. 38.2).
38.3.2
38
Selektive SerotoninRückaufnahme-Inhibitoren (SSRI)
Die generelle Wirksamkeit und Verträglichkeit von SSRI bei der Depression unterscheiden sich vermutlich nicht wesentlich von der klassischer NSMRI-Antidepressiva (siehe oben) (MacGillivray et al. 2003; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2015). Metaanalysen weisen darauf hin, dass zwar das Nebenwirkungsprofil der neueren Antidepressiva ähnlich ist, sich jedoch bezüglich der Ausprägung einzelner Effekte deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen finden (Gartlehner et al. 2008). Bei stationären Patienten bzw. schwerer Depression ist die Wirksamkeit von NSMRI im Vergleich zu SSRI eher größer (Anderson 2000). Eine neuere Metaanalyse bestätigt die Aussage, dass SSRI bei schweren Depressionen weniger wirksam sind als die NSMRI (Valerio et al. 2018). Dementsprechend empfiehlt das American College of Physicians, dass, falls eine antidepressive Therapie überhaupt indiziert ist, das adäquate Antidepressivum un-
ter Berücksichtigung der Patientenpräferenz, des individuellen Nebenwirkungsprofils und der Kosten ausgewählt wird (Qaseem et al. 2008). Es bestehen begründete Zweifel, ob das Spektrum der somatischen Risiken einer SSRI-Langzeitbehandlung und ihre Dosisabhängigkeit in der Praxis genügend berücksichtigt werden (Sterke et al. 2012). So gibt es seit längerer Zeit Berichte, dass SSRIs und SNRIs lang anhaltende sexuelle Funktionsstörungen verursachen können, bei denen die Symptome trotz Absetzen der Antidepressiva anhalten. Die europäische Zulassungsbehörde hat daher veranlasst, dass die Zulassungsinhaber von 13 selektiv wirkendenden Antidepressiva einen speziellen Warnhinweis in die Gebrauchsinformation aufnehmen müssen (European Medicines Agency 2019). Weitere Risiken sind die Hyponatriämie, das erhöhte Osteoporose- und Sturz-, aber auch Blutungsrisiko insbesondere in Kombination mit Acetylsalicylsäure (Tsapakis et al. 2012; Sayadipour et al. 2012). Dies sollte speziell in der Geriatrie beachtet werden, auch vor dem Hintergrund, dass bei Alzheimerpatienten keine antidepressive Wirksamkeit von z. B. Sertralin beobachtet wurde (z. B. Rosenberg et al. 2010). Eine neue Studie zeigt ein erhöhtes Sterberisiko bei älteren Patienten insbesondere bei Einnahme von Antidepressiva mit einem speziellen Arrhythmierisiko wie z. B. Citalopram (Danielsson et al. 2016). Bei den Antidepressiva vom SSRI-Typ ist das Verordnungsvolumen in den letzten 10 Jahren nochmals um 40 % gestiegen (. Abb. 38.2), und diese Zunahme setzt sich weiter fort (. Tab. 38.3). Eine deutliche Zunahme um fast 14 % findet sich zum wiederholten Mal bei Sertralin, das wie das weiterhin dominierende Citalopram den Vorteil eines geringeren Interaktionspotentials besitzt. Escitalopram, das inzwischen nicht mehr teurere S-Isomer von Citalopram, zeigt 2019 nach der Einführung zahlreicher Generika nochmals eine starke Verordnungszunahme, liegt aber immer noch deutlich niedriger als Citalopram (. Tab. 38.3). Jedoch könnte der Rote-Hand-
38
791 38.3 Antidepressiva
. Tabelle 38.3 Verordnungen selektiver Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Citalopram Citalopram Aristo
Citalopram
175,3
(C2,6)
0,18
Citalopram-1 A Pharma
Citalopram
34,7
(C2,1)
0,24
Citalopram AL
Citalopram
22,7
(27,0)
0,24
Citalopram-neuraxpharm
Citalopram
8,7
(C45,3)
0,19
Citalopram dura
Citalopram
8,1
(36,7)
0,24
Citalopram AbZ
Citalopram
3,0
(36,8)
0,23
Citalopram BASICS
Citalopram
2,6
(C1,5)
0,18
Citalopram HEXAL
Citalopram
2,4
(58,0)
0,24
Citalopram-biomo
Citalopram
1,8
(C42,3)
0,15
Citalopram-ratiopharm
Citalopram
1,7
(46,0)
0,24
260,9
(4,1)
0,20
Fluoxetin Fluoxetin-neuraxpharm
Fluoxetin
20,3
(25,8)
0,23
Fluoxetin-1 A Pharma
Fluoxetin
17,3
(C7,1)
0,23
Fluoxetin HEXAL
Fluoxetin
14,1
(C15,1)
0,24
Fluoxetin beta
Fluoxetin
5,5
(C171,2)
0,22
Fluoxetin-ratiopharm
Fluoxetin
2,8
(C35,4)
0,26
Fluoxetin AL
Fluoxetin
2,4
(C19,1)
0,24
Fluoxetin STADA
Fluoxetin
1,4
(C82,0)
0,21
63,8
(C1,8)
0,23
Paroxetin Paroxetin-neuraxpharm
Paroxetin
13,5
(C37,9)
0,26
Paroxedura
Paroxetin
12,1
(5,0)
0,21
Paroxetin-1 A Pharma
Paroxetin
11,9
(1,1)
0,23
Paroxat
Paroxetin
5,8
(C6,6)
0,24
Paroxetin beta
Paroxetin
4,2
(41,6)
0,24
47,5
(C0,7)
0,23
Sertralin Sertralin Accord
Sertralin
46,4
Sertralin BASICS
Sertralin
42,5
(Neu) (C33,6)
0,22 0,26
792
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sertralin Aurobindo
Sertralin
39,9
(58,0)
0,25
Sertralin Heumann
Sertralin
18,3
(C291,6)
0,25
Sertralin dura
Sertralin
17,8
(10,5)
0,23
Sertralin-1 A Pharma
Sertralin
12,5
(C115,4)
0,25
Sertralin AL
Sertralin
8,1
(8,6)
0,26
Sertralin-neuraxpharm
Sertralin
6,1
(C5,7)
0,25
Sertralin STADA
Sertralin
3,4
(C144,8)
0,21
Sertralin Bluefish
Sertralin
3,0
(C331,4)
0,20
198,0
(C13,9)
0,24
Escitalopram Escitalopram Heumann
Escitalopram
42,0
(C3,9)
0,21
Escitalopram Micro Labs
Escitalopram
27,6
(C23,7)
0,20
Escitalopram Glenmark
Escitalopram
20,4
(6,6)
0,19
Escitalopram BASICS
Escitalopram
19,1
(C12,5)
0,19
Escitalopram AbZ
Escitalopram
15,2
(C29,3)
0,22
Escitalopram beta
Escitalopram
12,7
(C42,6)
0,19
Escitalopram-1 A Pharma
Escitalopram
9,3
(C61,7)
0,20
Escitalopram neuraxpharm
Escitalopram
2,7
(52,9)
0,21
Escitalopram-ratiopharm
Escitalopram
2,0
(12,5)
0,27
Escitalopram Lundbeck
Escitalopram
2,0
(10,3)
0,21
Escitalopram AL
Escitalopram
1,6
(C75,5)
0,19
Escitalopram HEXAL
Escitalopram
1,5
(14,1)
0,23
156,3
(C10,8)
0,20
2,0
(15,9)
0,24
728,6
(C4,2)
0,22
Weitere Mittel Fluvoxamin-neuraxpharm
Fluvoxamin
Summe
38 Brief zu Citalopram, der vor der Anwendung höherer Dosen wegen des kardialen Risikos (Torsades de pointes) warnte, hierfür eine Rolle gespielt haben. Auch mit Bezug auf den Preis gibt es keinen Grund, das racemische Ci-
talopram dem Escitalopram vorzuziehen, und dies spiegelt sich im Trend der Vorordnungen wieder. Als stark beworbener Vorteil der SSRI gilt ihre niedrige akute Toxizität im Hinblick auf
793 38.3 Antidepressiva
das hohe Suizidrisiko depressiver Patienten. Schon ältere Literaturübersichten deuten jedoch auf ein erhöhtes Suizidrisiko unter SSRI hin (Healy 2003). Die Balance zwischen suizidalitätsvermindernden und suizidalitätsinduzierenden Effekten ist bei Erwachsenen möglicherweise neutral, während bei Patienten über 65 Jahre vielleicht statistisch der suizidalitätsvermindernde Effekt überwiegt (Reeves und Ladner 2010). Weitere Publikationen bestätigen die bereits 2004 publizierten Warnungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und erbringen auch deutliche Hinweise, dass das suizidogene Risiko der SSRI höher ist als das der älteren Antidepressiva (Braun et al. 2016; Stübner et al. 2018). Coupland et al. (2015) zeigten anhand einer großen britischen Kohorte von fast 239.000 Patienten, dass nicht generell das genannte Risiko bei SSRIs statistisch größer ist als bei NSMRI, dass aber z. B. das Risiko von Suizidversuchen unter Venlafaxin bzw. Mirtazapin erheblich höher ist als unter Amitriptylin (HR 1,85 bzw. 1,70 im Vergleich zu 0,71).
38.3.3
Serotonin-NoradrenalinRückaufnahme-Inhibitoren (SNRI)
Das Verordnungsvolumen der Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) ist in den letzten 10 Jahren mehr als zweifach angestiegen und hat seit 2016 die Verordnungen der NSMRI übertroffen (. Abb. 38.2). Die Venlafaxinverordnungen haben sich nicht mehr vermehrt im Vergleich zu 2018 (. Tab. 38.4). Metaanalysen weisen auf eine im Vergleich zu SSRI etwas höhere Wirksamkeit bzw. höhere Zahl von Vollremissionen unter Venlafaxin hin (Smith et al. 2002), wobei freilich Venlafaxin nicht effektiver als NSMRI, insbesondere Amitriptylin oder Clomipramin, ist und seine „duale“ Wirkung sich erst in höherer Dosierung zeigt. Auch neuere Metaanalyse zeigen, dass Venlafaxin im Vergleich zu NSMRI weder eine bessere Wirksamkeit
38
noch Verträglichkeit besitzt (Schueler et al. 2011; Valerio et al. 2018). Das Risiko der Induktion suizidaler Ideen oder Handlungen trifft auch auf Venlafaxin zu (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2004; Sharma et al. 2016). Duloxetin ist trotz Einführung der ersten Generika vielfach teurer und wurde 2019 erneut mehr als 2018 verordnet (. Tab. 38.4), obwohl es nach einem neueren Cochrane-Review nicht besser als einige andere neue Antidepressiva wirkt und im direkten Vergleich gegenüber diesen sowohl in der Effektivität als auch in der Verträglichkeit schlechter abschneidet (Hegerl et al. 2012; Cipriani et al. 2012, 2018). Sein Vorteil soll in einer analgetischen Wirkungskomponente liegen, welche sich aber nicht bestätigen ließ. Auf diesem Hintergrund erscheint der bisherige Verordnungsanstieg rational nicht begründbar. Das in Deutschland erst kürzlich eingeführte Milnacipran, ein Antidepressivum mittlerer Effektstärke (Cipriani et al. 2018), hat es schnell in das Feld der verordnungsstärksten Arzneimittel geschafft.
38.3.4
NoradrenalinRückaufnahme-Inhibitoren (NaRI)
Auffällig ist die weitere Zunahme der Verordnungen von Bupropion. Diese Substanz hat ein dosisabhängiges Risiko für Krampfanfälle von 0,24–0,4 %, das durch Komedikation mit Antipsychotika und Antidepressiva weiter erhöht werden kann (Dersch et al. 2011). Diesem bedenklichen Risiko steht freilich ein praktischer Vorteil gegenüber. Im Vergleich zu den SSRI ist das Risiko von Sexualstörungen deutlich kleiner. Weiterhin wird Bupropion (Zyban) auch zur Raucherentwöhnung eingesetzt. Inwieweit die bei dieser Indikation beobachteten suizidalen Handlungen eher der Substanz oder dem Nikotinentzug zuzurechnen sind, ist nicht geklärt (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2004).
794
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.4 Verordnungen selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Venlafaxin Venlafaxin Heumann
Venlafaxin
81,0
(30,9)
0,40
Venlafaxin-neuraxpharm
Venlafaxin
30,5
(2,4)
0,36
Venlafaxin AL
Venlafaxin
17,9
(C112,8)
0,35
Venlafaxin AAA Pharma
Venlafaxin
16,5
(C34,8)
0,47
Venlafaxin-1 A Pharma
Venlafaxin
15,1
(5,3)
0,41
Venlafaxin Bluefish
Venlafaxin
5,8
(8,9)
0,32
Venlafaxin beta
Venlafaxin
5,5
(C298,6)
0,47
Venlafaxin Aristo
Venlafaxin
5,5
(C132,7)
0,46
Venlafaxin TAD
Venlafaxin
4,7
(C5,5)
0,52
Venlafaxin Winthrop
Venlafaxin
4,2
(C203,8)
0,39
Venlafaxin-ratiopharm
Venlafaxin
4,0
(C136,0)
0,47
Venlafaxin AbZ
Venlafaxin
3,9
(C95,4)
0,32
Venlafaxin HEXAL
Venlafaxin
3,4
(C113,1)
0,44
Venlafaxin Atid
Venlafaxin
3,0
(C777,8)
0,66
Venlafaxin fair-med
Venlafaxin
2,5
(C108,8)
0,52
Venlafaxin-PUREN
Venlafaxin
2,3
(> 1.000)
0,49
Venlafaxin Hennig
Venlafaxin
1,9
(C53,3)
0,47
207,8
(0,7)
0,41
Duloxetin
38
Duloxalta
Duloxetin
33,3
(C230,9)
1,42
Duloxetin Glenmark
Duloxetin
30,2
(39,5)
1,05
Duloxetin beta
Duloxetin
14,0
(C183,8)
1,11
Duloxetin Zentiva
Duloxetin
3,7
(50,8)
1,48
Cymbalta
Duloxetin
3,3
(5,3)
1,16
Duloxetin-neuraxpharm
Duloxetin
2,9
(C127,5)
1,27
Duloxetin Lilly
Duloxetin
1,4
(9,8)
1,42
88,9
(C12,8)
1,23
4,6
(C33,8)
1,65
301,3
(C3,4)
0,67
Milnacipran Milnaneurax Summe
Milnacipran
38
795 38.3 Antidepressiva
Einzelne Fallberichte sprechen dafür, dass Nach einem Cochrane-Review über 13 StuAbsetz-/Entzugsphänomene auch unter Bupro- dien mit 4.495 Patienten stellt der Melatoninpion auftreten können. rezeptoragonist Agomelatin (Valdoxan) keinen wesentlichen Fortschritt in der Depressionstherapie dar (Guaiana et al. 2013). In der umfangreichen Vergleichsanalyse von 21 Anti38.3.5 Weitere Antidepressiva depressiva von Cipriani et al. (2018) schneidet Agomelatin bezüglich der Verträglichkeit am Das schon lange Zeit relativ hohe Verord- besten ab und ist neben Fluoxetin die einzige nungsvolumen von Mirtazapin hat 2019 noch- Substanz, die in dieser Beziehung signifikant mals ein wenig zugenommen (. Tab. 38.5). besser abschneidet als Placebo; bezüglich der Es wird vermutlich wegen seiner sedieren- Wirksamkeit liegt es in dieser Analyse im Mitden Wirkungen relativ breit und möglicher- telfeld. Die Stiftung Warentest bewertet seine weise auch off-label eingesetzt (Gibbons et al. Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Anti2007). Die Wirksamkeit einer Kombination depressiva als insgesamt geringer (Niklewski von Mirtazapin mit SSRI oder NSMRI ist et al. 2018). Seine Verordnungen haben trotz im Vergleich zu anderen Kombinationen bes- zweier hier neu auftauchender Generika 2019 ser belegt (Bschor und Hartung 2008). In den deutlich abgenommen (. Tab. 38.5). oben erwähnten Vergleichsanalysen von Antidepressiva schneidet Mirtazapin hinsichtlich der Effektivität, nicht aber der Verträglichkeit, 38.3.6 Lithiumsalze besonders gut ab (Cipriani et al. 2012, 2018). Die unter Mirtazapin häufiger beobachtete Gewichtszunahme kann in der Praxis Probleme Klar umrissen in Indikationen wie auch unbereiten (Gartlehner et al. 2008). Für diabeti- erwünschten Wirkungen ist die Anwendung sche Patienten ist Mirtazapin möglicherweise von Lithiumsalzen zur Prophylaxe von makeine gute Wahl (Song et al. 2015). In einer nisch-depressiven Phasen und zur Therapie der schwedischen Registerstudie war Mirtazapin akuten Manie (Grof und Müller-Oerlinghausen unter allen Antidepressiva mit dem höchsten 2009; Bauer und Gitlin 2016). Aber auch PatiSterberisiko bei älteren Menschen statistisch enten mit einer phasischen unipolaren Depresassoziiert (Danielsson et al. 2016). Seine sedie- sion können von einer Lithiumlangzeitmedikarende Wirkungskomponente ist keine belast- tion profitieren (Abou-Saleh et al. 2017) Die bare Begründung für seinen Einsatz bei akut Verordnungen sind in den vergangenen Jahren weitgehend konstant geblieben. Ein kleiner suizidalen Patienten. . Tabelle 38.5 Verordnungen weiterer Antidepressiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NaRI) Elontril
Bupropion
24,3
(0,7)
0,95
Bupropion neuraxpharm
Bupropion
11,5
(C58,1)
1,03
Bupropionhydrochlorid HEXAL
Bupropion
4,8
(26,4)
1,10
40,7
(C6,1)
0,99
796
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Mirtazapin Mirtazapin Aurobindo
Mirtazapin
43,1
(16,0)
0,42
Mirtazapin Heumann
Mirtazapin
42,7
(27,3)
0,40
Mirtazapin AbZ
Mirtazapin
31,4
(C48,5)
0,36
Mirtazapin-ratiopharm
Mirtazapin
25,5
(C34,5)
0,50
Mirtazapin AL
Mirtazapin
16,6
(C85,8)
0,41
Mirta Lich
Mirtazapin
9,9
(> 1.000)
0,36
Mirta TAD
Mirtazapin
9,5
(48,1)
0,47
Mirtazapin-1 A Pharma
Mirtazapin
6,2
(C52,7)
0,43
Mirtazapin Hormosan
Mirtazapin
6,1
(C31,4)
0,36
Mirtazapin STADA
Mirtazapin
2,2
(2,8)
0,37
Mirtazapin-neuraxpharm
Mirtazapin
1,2
(26,4)
0,39
194,4
(C2,3)
0,41
MAO-Inhibitoren Jatrosom
Tranylcypromin
3,5
(C1,0)
1,09
Moclobemid-ratiopharm
Moclobemid
1,4
(12,8)
0,72
4,9
(3,4)
0,98
Lithiumsalze Quilonum
Lithium
18,1
(C3,4)
0,48
Hypnorex
Lithium
4,2
(4,7)
0,54
22,3
(C1,8)
0,50
Melatonerge Antidepressiva
38
Valdoxan
Agomelatin
22,3
(23,7)
1,71
Agomaval TAD
Agomelatin
1,8
(Neu)
0,77
Agomelatin beta
Agomelatin
1,4
(Neu)
0,73
25,5
(12,7)
1,59
287,8
(C1,2)
0,61
Summe
797 38.3 Antidepressiva
Anstieg zeigt sich 2019 (. Tab. 38.5). Aktuelle unabhängige Leitlinien empfehlen nachdrücklich Lithium als Mittel der ersten Wahl vor allen anderen Substanzen zur Langzeitprophylaxe bipolarer Phasen, so auch die derzeit aktuellste S3-Leitlinie (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2015). Zunehmend verdichten sich auch die Hinweise auf eine neuroprotektive Wirksamkeit von Lithium (Rybakowski et al. 2018). Insgesamt dürfte die Zahl der Lithium-behandelten Patienten in der Bundesrepublik angesichts des auch volkswirtschaftlich eindrucksvollen Nutzens dieser Prophylaxe zu niedrig liegen. Eine praktisch wichtige, in kontrollierten Studien gut belegte Anwendung von Lithium ist die leider nicht ausreichend genutzte Augmentationsstrategie, d. h. die Kombination mit Lithium bei auf Antidepressiva nicht befriedigend ansprechenden Patienten (Bauer et al. 2010; Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde 2015). Die Therapie mit Lithiumsalzen ist von einer ganzen Reihe unerwünschter Wirkungen begleitet, die vor allem die Niere und die Schilddrüse betreffen. Zum Spektrum dieser unerwünschten Wirkungen ist eine Metaanalyse veröffentlicht worden, in der mehr Beachtung für die Hyperkalzämie und eine verminderte renale Clearance bei mehr als 20-jähriger Behandlungszeit empfohlen wird (McKnight et al. 2012). Eine neuere Studie der gleichen Arbeitsgruppe ergibt Hinweise, dass das Risiko einer renalen Schädigung insbesondere bei älteren Frauen und solchen mit einem Diabetes erhöht ist (Shine et al. 2015). Die auf vielen Studien der 1980er/90er Jahre beruhende Vorstellung, dass das Risiko einer progressiven chronischen Niereninsuffizienz unter einer gut überwachten Lithiumlangzeitmedikation verschwindend gering ist, kann nach sorgfältigen Untersuchungen an über Jahrzehnte mit Lithium behandelten und sorgfältig dokumentierten Patienten nicht aufrechterhalten werden (Bendz et al. 2010; Bocchetta et al. 2013; Azab et al. 2015). Umso wichtiger ist eine präzise,
38
fortlaufende Dokumentation des Krankheitsverlaufs, damit im Falle einer bioptisch gesicherten chronischen Niereninsuffizienz, für die andere Ursachen ausgeschlossen werden können, die schwierige Entscheidung, ob ein Absetzen oder die Fortführung der Medikation die für den Patienten bessere Option ist, auf der Basis einer validen Abschätzung der bisherigen klinischen Wirkungen getroffen werden kann. Als potentielle Alternativen zu Lithiumsalzen spielen vor allem einige Antikonvulsiva eine wichtige Rolle, z. B. Valproat oder Carbamazepin, jedoch auch einige atypische Neuroleptika (siehe unten), die aber alle als Phasenprophylaktika dem Lithium nicht gleichwertig sind. Für einige SSRIs und SNRIs ist die rezidivprophylaktische Wirksamkeit bei unipolaren Depressionen recht gut belegt, obwohl die Studiendauer für eine valide Aussage fast immer zu kurz ist (Hansen et al. 2008). Eine große prospektive deutsche Langzeitstudie fand eine bessere Rezidivprophylaxe über 2,5 Jahre mit Lithium im Vergleich zu Amitriptylin (Greil et al. 1996). Die Wirksamkeit von Valproinsäure und neueren Antikonvulsiva (Gabapentin, Topiramat) in der Phasenprophylaxe von bipolaren Störungen ist gegenwärtig nicht ausreichend belegt (Cipriani et al. 2013a; Bschor et al. 2014). Eine große epidemiologische Untersuchung beschrieb 2003 eine 2,7-fach höhere Suizidrate bei Valproatim Vergleich zu Lithium-behandelten Patienten (Goodwin et al. 2003). Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Song et al. (2017) in einer sehr großen prospektiven Studie. Aber auch die nicht-Suizid-bedingte Mortalität ist unter Lithium niedriger als unter Valproat (Smith et al. 2015; Toffol et al. 2016). Die European Medicines Agency (EMA) hat 2010 für Valproat die Indikation stark eingeschränkt, weil es nur noch zur Behandlung von manischen Episoden bei einer bipolaren Störung zugelassen ist, wenn Lithium kontraindiziert ist oder nicht vertragen wird. Hingegen ist für Lamotrigin eine selektiv depressionspräventive Wirksamkeit bei Patienten mit bipolaren Störungen in zwei großen Studien gezeigt worden, die zur Zulas-
798
Kapitel 38 Psychopharmaka
sung in dieser Indikation geführt hat (Goodwin et al. 2004). Als Ergebnis der gegenwärtigen Studienlage ist festzuhalten, dass eine Senkung des hohen Suizidrisikos bei Patienten mit affektiven Psychosen vom uni- oder bipolaren Typ ist bislang nur für Lithiumsalze eindeutig belegt worden ist (Cipriani et al. 2013b; Lewitzka et al. 2013, 2015). Antidepressiva senken das Suizidrisiko nicht (Braun et al. 2016).
38.4
38
Neuroleptika
Neuroleptika, heutzutage vermehrt mit dem im Englischen üblichen Begriff „Antipsychotika“ bezeichnet, der eine enge Indikation suggeriert, wurden primär zur Behandlung schizophrener und manischer Psychosen entwickelt. Sie lassen sich recht grob in drei Gruppen einteilen, die auch für das Verordnungsverhalten und seine Veränderungen relevant sind: unter den klassischen älteren Substanzen unterscheidet man vor allem nach Wirkstärke in niedrig- (und mittel-)potente Substanzen und hochpotente andererseits. Die Grenze ist naturgemäß fließend, hier sind unter hochpotent (. Tab. 38.6) alle Substanzen eingruppiert, deren definierte Tagesdosen (DDD) bis zu 30 mg betragen, während bei den niedrigpotenten Substanzen (. Tab. 38.7) die Tagesdosen über 100 mg liegen. Inzwischen werden die Verordnungen dieser „klassischen“ Neuroleptika weit von solchen Neuroleptika übertroffen, die als „atypisch“ klassifiziert werden (. Tab. 38.8). Dabei ist unter „atypisch“ ausgehend von der Leitsubstanz Clozapin vor allem die Aussage relevant, dass diese Substanzen geringere extrapyramidale unerwünschte Wirkungen mit sich brächten – was für das Clozapin als belegt gelten kann, bei den meisten anderen Substanzen aber in Frage gestellt werden muss. Neben dem Einsatz bei Psychosen werden diese Substanzen zunehmend auch bei anderen Indikationen, z. B. Erregungszuständen im Rahmen oligophrener Syndrome, im geriatrischen Bereich oder bei chronischen Schmerz-
zuständen und Schlafstörungen sowie häufig auch in Kombination mit anderen Psychopharmaka (siehe oben) verwendet. Unabhängige Autoren weisen auf die Bedenklichkeit dieser Entwicklung – meist im Off-label-Bereich – angesichts der relativ schwachen Wirksamkeit und gravierender unerwünschter Wirkungen hin (Maher et al. 2011). Das gilt ganz besonders für die zunehmende Verordnung von Risperidon bei Kindern und Jugendlichen (Bachmann et al. 2014; Abbas et al. 2016). Ein grundlegender Nachteil von fast allen Neuroleptika besteht darin, dass sie zwar die akuten psychotischen Symptome gut beeinflussen können, viel weniger oder gar nicht dagegen die kognitiven oder Negativ-Symptome der Schizophrenie. Gerade letztere begründen aber die chronische psychosoziale Behinderung dieser Patienten (Miyamoto et al. 2012). Zudem beeinträchtigen verschiedene unerwünschte Wirkungen wie z. B. Sexualstörungen und Gewichtszunahmen, die bei 50–70 % der Patienten auftreten, erheblich die Lebensqualität (La Torre et al. 2013). Der Nutzen von Neuroleptika wird gern überschätzt. So wird ihre generelle antipsychotische Wirksamkeit bei vorbehandelten schizophrenen Patienten in einer Übersicht von 120 Studien als minimal im Vergleich zu Placebo beschrieben (Lepping et al. 2011). In einer weiteren Metaanalyse über mehr als 7.000 Patienten wurde eine hohe Abbruchrate von über 50 % und nur bei einem Sechstel der Patienten eine über Placebo hinausgehende Wirkung beschrieben (Leucht et al. 2009b). Verstärkte Aufmerksamkeit haben Befunde erhalten, die eine Verminderung des frontalen Hirnvolumens bei Schizophrenen nach jahrelanger Einnahme von verschiedensten Antipsychotika sehr wahrscheinlich machen (Aderhold et al. 2014). Als praktische Konsequenz ergibt sich, dass für jeden Patienten das für ihn optimale Neuroleptikum unter besonderer Berücksichtigung seines individuellen Risikoprofils und bei sorgfältigem kontinuierlichen Monitoring ausgewählt werden sollte (Leucht et al. 2003; National Institute for Health and Care Excellence 2014). Immer ist die niedrigstmögliche
38
799 38.4 Neuroleptika
. Tabelle 38.6 Verordnungen hochpotenter Neuroleptika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Haloperidol Haloperidol-ratiopharm
Haloperidol
4,9
(4,8)
0,36
Haloperidol-neuraxpharm
Haloperidol
4,7
(16,4)
0,55
Haldol
Haloperidol
4,1
(C15,2)
0,58
13,6
(4,4)
0,49
Flupentixol Fluanxol
Flupentixol
7,8
(6,8)
0,91
Flupentixol-neuraxpharm
Flupentixol
2,1
(5,3)
1,37
9,9
(6,5)
1,01
Weitere hochpotente Neuroleptika Perazin-neuraxpharm
Perazin
8,7
(4,0)
0,36
Benperidol-neuraxpharm
Benperidol
8,6
(C2,6)
0,24
Fluphenazin-neuraxpharm
Fluphenazin
4,7
(5,2)
0,46
Ciatyl-Z
Zuclopenthixol
4,5
(C1,3)
0,83
Imap
Fluspirilen
0,83
(11,6)
1,59
Perphenazin-neuraxpharm
Perphenazin
0,46
(4,8)
1,36
27,7
(1,7)
0,47
51,2
(3,4)
0,58
Summe
Dosis zu ermitteln. Wenn immer realisierbar, ren einen kontinuierlichen Abwärtstrend zeisollten regelmäßig Absetzversuche von vorn- gen (. Abb. 38.3). Diese Entwicklungen haherein eingeplant sein. ben sich auch 2019 im Prinzip fortgesetzt, allerdings mit leichten Zunahmen bei den niedrigpotenten Substanzen (. Tab. 38.6, 38.7). 38.4.1 Hochpotente und Auch wenn von verschiedenen Seiten anderslautend argumentiert wird, spricht der aktuelle niedrigpotente typische Neuroleptika (Neuroleptika Literaturstand doch dafür, dass kostengünstige, typische Neuroleptika (inkl. ihrer mittelpotender 1. Generation) ten Vertreter wie z. B. Perazin) nach wie vor zur Behandlung psychotischer Störungen efBei den älteren niedrigpotenten Neurolepti- fektiv und sicher angewendet werden können – ka zeigt die Verordnungshäufigkeit seit vie- nicht aber als „Tranquillantien“. Eine Ausnahlen Jahren wenig Veränderungen, während me stellt das hier unter Neuroleptika eingrupdie hochpotenten Neuroleptika seit 10 Jah- pierte Promethazin dar, das in erster Linie in
800
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.7 Verordnungen niedrigpotenter Neuroleptika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Promethazin Promethazin-neuraxpharm
Promethazin
28,1
(C6,3)
0,46
Atosil
Promethazin
2,1
(C8,9)
0,62
Prothazin UCB
Promethazin
1,00
(C57,8)
0,48
31,3
(C7,6)
0,47
Melperon Melperon-ratiopharm
Melperon
5,5
(26,5)
2,14
Melperon-neuraxpharm
Melperon
3,9
(C52,0)
2,17
Melperon Aristo
Melperon
1,4
(C39,8)
2,26
Melperon-1 A Pharma
Melperon
0,33
(C162,5)
2,21
Melperon AL
Melperon
0,31
(C312,4)
2,32
Melneurin
Melperon
0,16
(C10,8)
2,21
Melperon STADA
Melperon
0,11
(C759,8)
2,47
11,7
(C2,6)
2,18
Sulpirid Sulpirid-neuraxpharm
Sulpirid
1,7
(C46,5)
2,06
Sulpirid-1 A Pharma
Sulpirid
0,27
(54,4)
1,93
Sulpirid AL
Sulpirid
0,17
(58,5)
2,19
2,2
(1,1)
2,05
Pipamperon
38
Pipamperon-1 A Pharma
Pipamperon
7,8
(C4,6)
1,75
Pipamperon-neuraxpharm
Pipamperon
5,7
(C68,8)
1,90
Pipamperon HEXAL
Pipamperon
3,3
(28,2)
1,79
Dipiperon
Pipamperon
0,39
(C44,6)
1,87
17,1
(C9,5)
1,81
Weitere niedrigpotente Neuroleptika Dominal
Prothipendyl
6,1
(0,7)
1,22
Chlorprothixen Holsten
Chlorprothixen
3,0
(C49,3)
0,70
Chlorprothixen-neuraxpharm
Chlorprothixen
2,7
(26,0)
0,85
Levomepromazin-neuraxpharm
Levomepromazin
2,3
(10,6)
1,34
38
801 38.4 Neuroleptika
. Tabelle 38.7 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Thioridazin-neuraxpharm
Thioridazin
0,31
(5,6)
0,96
Neurocil
Levomepromazin
0,30
(C109,7)
1,74
14,7
(1,1)
1,07
76,9
(C5,2)
1,19
Summe
niedrigerer Dosierung (DDD 75 mg) als Seda- sich 2019 mit einem nochmaligen Anstieg tivum Verwendung findet (s. auch 7 Kap. 27). um 6,5 % fortgesetzt. Zwischen den einzelnen Substanzen bestehen aber deutliche Unterschiede. Quetiapin führt mit deutlichem Abstand vor den beiden Standardsubstanzen 38.4.2 Atypische Neuroleptika Olanzapin und Risperidon. Die Zunahmen der (Neuroleptika der Verordnungen betreffen alle als atypisch klas2. Generation) sifizierte Neuroleptika mit Ausnahme des Clozapin (. Tab. 38.8). Das als erstes atypisches Neuroleptikum Die Verordnungen der atypischen Neuroleptika haben sich in den letzten 10 Jahren eingeführte Clozapin erweist sich trotz der mit einer Zunahme von fast 50 % zu der Notwendigkeit engmaschiger Kontrollen wemit Abstand führenden Neuroleptikagruppe gen möglicher Blutbildschäden weiterhin als entwickelt (. Abb. 38.3). Dieser Trend hat eine unverzichtbare Substanz. In Literaturana-
210
hochpotente Neuroleptika atypische Neuroleptika niedrigpotente Neuroleptika
200
191
196
217
200
183 174 152
161
165
(Mio. DDD)
150
100 77
76
74
73
74
72
74
75
75
69
67
65
50
0 2010
2011
2012
2013
2014
2015
75
75
76
77
61
58
56
54
2017
2018
2016
. Abb. 38.3 Verordnungen von Neuroleptika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
2019
802
Kapitel 38 Psychopharmaka
. Tabelle 38.8 Verordnungen atypischer Neuroleptika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Clozapin Clozapin-neuraxpharm
Clozapin
10,6
(C134,9)
1,77
Clozapin AbZ
Clozapin
1,9
(74,0)
1,43
Clozapin-1 A Pharma
Clozapin
1,6
(24,2)
1,55
Leponex
Clozapin
0,93
(4,6)
1,82
Clozapin HEXAL
Clozapin
0,81
(11,6)
1,83
15,9
(0,4)
1,71
Olanzapin Olanzapin BASICS
Olanzapin
19,4
(1,4)
1,04
Olanzapin Glenmark
Olanzapin
12,2
(C212,7)
0,80
Olanzapin Heumann
Olanzapin
6,2
(45,4)
0,83
Olanzapin-neuraxpharm
Olanzapin
3,3
(C130,9)
1,00
Olanzapin Aurobindo
Olanzapin
2,1
(53,8)
0,93
Olanzapin-1 A Pharma
Olanzapin
1,7
(11,9)
0,95
Olanzapin axcount
Olanzapin
1,0
(> 1.000)
0,97
Zalasta
Olanzapin
0,99
(18,8)
0,88
Zypadhera
Olanzapin
0,76
(C9,0)
12,53
47,6
(C6,4)
1,12
Risperidon
38
Risperidon Atid
Risperidon
18,0
(C6,9)
0,84
Risperidon Aristo
Risperidon
8,3
(C71,4)
1,03
Risperdal
Risperidon
4,1
(7,0)
14,50
Risperidon-1 A Pharma
Risperidon
3,3
(4,3)
0,82
Risperidon-ratiopharm
Risperidon
2,7
(54,5)
0,83
Risperidon Heumann
Risperidon
0,81
(C34,8)
0,96
Risperidon Mylan
Risperidon
0,64
(C285,8)
0,51
37,8
(C4,6)
2,35
Quetiapin Quetiapin Accord
Quetiapin
26,4
(C154,7)
1,23
Quetiapin-ratiopharm
Quetiapin
7,3
(67,5)
1,50
38
803 38.4 Neuroleptika
. Tabelle 38.8 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Quetiapin-1 A Pharma
Quetiapin
6,8
(C16,3)
1,48
Quetiapin AbZ
Quetiapin
5,4
(7,4)
1,38
Quetiapin AL
Quetiapin
4,8
(C53,7)
1,27
Quetiapin HEXAL
Quetiapin
3,5
(C5,5)
1,52
Quetiapin-neuraxpharm
Quetiapin
3,1
(C100,4)
1,72
Quetiapin TAD
Quetiapin
2,3
(C31,2)
1,81
Quetiapin Hormosan
Quetiapin
2,3
(20,0)
1,31
Quetiapin Heumann
Quetiapin
1,3
(59,4)
1,37
Quetiapin Devatis
Quetiapin
0,19
(C333,0)
1,34
63,4
(C5,0)
1,37
Aripiprazol Arpoya
Aripiprazol
11,7
(C15,9)
2,75
Aripiprazol beta
Aripiprazol
5,4
(25,2)
3,73
Abilify
Aripiprazol
3,3
(C11,2)
12,61
Aripiprazol AbZ
Aripiprazol
2,3
(6,0)
3,60
Aripiprazol Heumann
Aripiprazol
1,8
(C109,1)
1,56
Aripiprazol Glenmark
Aripiprazol
1,6
(C2,7)
3,27
Aripiprazol-neuraxpharm
Aripiprazol
1,3
(C663,2)
3,04
27,5
(C8,4)
4,18
Weitere atypische Neuroleptika Amisulprid AAA Pharma
Amisulprid
11,1
(C2,2)
1,19
Xeplion
Paliperidon
8,5
(C9,2)
15,22
Trevicta
Paliperidon
2,3
(C19,3)
12,94
Ziprasidon-PUREN
Ziprasidon
1,4
(C193,2)
3,30
Amisulprid Holsten
Amisulprid
0,98
(C120,4)
1,17
Reagila
Cariprazin
0,97
(C601,6)
8,93
25,2
(C16,9)
7,39
217,3
(C6,5)
2,57
Summe
804
38
Kapitel 38 Psychopharmaka
lysen hat sich immer wieder herausgestellt, dass Clozapin das einzige Neuroleptikum ist, das tatsächlich eine größere Wirksamkeit auch bei anderweitig therapieresistenten Patienten und eine besonders niedrige Rate an extrapyramidalmotorischen Störungen auch im Vergleich zu niedrig/mittel potenten Neuroleptika besitzt (McEvoy et al. 2006). Die intensive Suche nach Clozapin-ähnlichen Wirkstoffen hat zur Einführung von Risperidon (1994) und Olanzapin (1996) geführt. Risperidon war in Phase-III-Studien ähnlich wirksam wie Haloperidol bei geringeren extrapyramidalmotorischen Wirkungen. Für eine besonders günstige Beeinflussung der Negativsymptomatik durch Atypika außer Clozapin finden große vergleichende Studien freilich keine Evidenz (Geddes et al. 2000; Davidson et al. 2009). Weder die therapeutische Überlegenheit noch die Kosteneffektivität atypischer Neuroleptika ist bislang überzeugend belegt (Lieberman et al. 2005; Leucht et al. 2009b). Insbesondere bleibt die oft behauptete bessere Wirkung auf die kognitiven Störungen schizophrener Patienten zweifelhaft (Goldberg und Gomar 2009; Davidson et al. 2009). Eine schon vor 10 Jahren erstellte unabhängige Analyse des norwegischen Instituts für öffentliche Gesundheit erbrachte nur geringe Wirksamkeitsunterschiede zwischen Neuroleptika der ersten und zweiten Generation. Die „Atypika“ unterschieden sich untereinander nur wenig bezüglich Wirksamkeit und unerwünschter Wirkungen (Pike et al. 2009). Auch bei jugendlichen schizophrenen Patienten zeigte sich keine Überlegenheit von Olanzapin oder Risperidon gegenüber einem konventionellen Antipsychotikum (Sikich et al. 2008). Olanzapin und Risperidon führten in placebokontrollierten Studien bei älteren Patienten mit Demenz zu einer dreifach erhöhten Sterblichkeit und häufigeren zerebrovaskulären Ereignissen (Yunusa et al. 2019). In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis auf das erhöhte Risiko thromboembolischer Ereignisse bei älteren Patienten unter atypischen Neuroleptika wichtig (Hägg et al. 2008; Wolter 2009). Ein weiteres Risiko ist die unter vie-
len Antipsychotika beobachtete QT-Zeit-Verlängerung (Ray et al. 2009), die bei älteren Menschen mit einer deutlichen Übersterblichkeit (relatives Risiko 2,98) verknüpft ist (Danielsson et al. 2016). Olanzapin ist auch für die Behandlung der akuten Manie zugelassen sowie für die Langzeitprophylaxe solcher manisch-depressiver Patienten, die zuvor auf den Wirkstoff während einer akuten manischen Phase positiv angesprochen haben. Im Hinblick auf die unter Olanzapin beobachtete teilweise massive Gewichtszunahme und das diabetogene Risiko sowie das Fehlen einer suizidprotektiven Wirkung sollte die Indikation zur Langzeitmedikation bei bipolaren Patienten freilich nur sehr kritisch gestellt werden (American Diabetes Association et al. 2004; Cipriani et al. 2010). Dies gilt entsprechend kritischen Metaanalysen auch für andere Atypika (McDonagh et al. 2010). Quetiapin bleibt die Substanz mit dem relativ größten Verordnungsvolumen (. Tab. 38.8). Unterschiede der Wirksamkeit von Quetiapin im Vergleich zu typischen Neuroleptika wurden auch in einer Metaanalyse freilich nicht gefunden (Leucht et al. 2009a). Das Profil unerwünschter Wirkungen ist deutlich different von Olanzapin oder Risperidon (Tandon und Jibson 2003). Orthostatische Störungen, Somnolenz sowie Hinweise auf Blutbildungsstörungen und Katarakte mahnen zur Wachsamkeit. Gleiches gilt für schwere neurologische Störungen (Walder et al. 2009). Deshalb ist auch die durch zwei Studien gestützte und von manchen Fachkreisen empfohlene Anwendung bei der bipolaren Depression kritisch zu sehen (Connolly und Thase 2011; Müller-Oerlinghausen 2012). Eine britische Kohortenstudie über mehr als 5.000 bipolare Patienten zeigte sehr deutlich die Überlegenheit von Lithium im Vergleich zu Valproat, Olanzapin oder Quetiapin als Langzeitmedikation, wenn die Zeit bis zum Abbruch der Medikation oder Hinzugabe eines weiteren Psychopharmakons als Zielkriterium genommen wurde (Hayes et al. 2016). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
805 38.5 Psychostimulanzien
produkte (2016) hat ausdrücklich vor der OffLabel-Anwendung von Quetiapin gewarnt. Das hochpreisige Aripiprazol ist ein partieller Agonist an Dopamin- und 5HT1A Rezeptoren und ein Agonist an 5HT2 Rezeptoren. Nach einer Cochrane-Analyse (Komossa et al. 2009) ist Aripiprazol nicht wirksamer als andere atypische Antipsychotika. In einer prospektiven Vergleichstudie an Patienten mit einer ersten schizophrenen Episode war es Risperidon deutlich unterlegen (Wang et al. 2017). Es hat – bezogen auf Sedierung, Gewichtszunahme, Hyperprolaktinämie – vielleicht ein etwas günstigeres Nebenwirkungsprofil als Olanzapin oder Risperidon und wird auch gerne in Kombination mit anderen Neuroleptika eingesetzt. Der Partialagonismus an Dopaminrezeptoren bedingt aber möglicherweise die Auslösung von Psychosen und führt häufig zum Behandlungsabbruch. Die Food and Drug Administration (2016) hat auf das Risiko von Impulskontrollstörungen (Spielsucht, Sexsucht, etc.) hingewiesen. Die in der Vergangenheit in den USA beobachtete Metamorphose von Aripiprazol zur Nummer 1 bei der Behandlung bipolarer Störungen geht de facto auf eine einzige Studie zurück, deren methodische Defizite Tsai et al. (2011) kritisch analysierten. Ein besonderes „Atypikum“ ist Amisulprid, dessen Verordnungen deutlich zugenommen haben. Es blockiert D2 -artige Rezeptoren, wird aber weniger als andere Neuroleptika im nigrostrialalen System angereichert. Es soll insbesondere bei primärer Negativsymptomatik wirksam sein. Es wird nicht hepatisch metabolisiert, sondern unverändert renal ausgeschieden. Eine spezielle unerwünschte Wirkung ist der häufig beobachtete Prolaktinanstieg. Die seit 2011 eingeführten Depotpräparate des Risperidonmetaboliten Paliperidon (Xeplion, Trevicta) zeigen einen weiteren Verordnungszuwachs (. Tab. 38.8), obwohl diese präparate keine bessere Langzeitwirksamkeit als das Depotpräparat Haldoldecanoat zeigten, aber stärkere Zunahmen von Gewicht und Serumprolaktin (McEvoy et al. 2014).
38.5
38
Psychostimulanzien
Psychostimulanzien werden in erster Linie bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verordnet, daneben aber auch z. B. bei Narkolepsien. Es fällt auf, dass auf der einen Seite epidemiologische Studien über die letzten Jahrzehnte keinen Prävalenzanstieg der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gefunden haben, während andrerseits Krankenkassendaten auf eine Zunahme diagnostizierter und behandelter Fälle während der letzten 25 Jahre hinweisen (Schubert und Lehmkuhl 2017). Das spiegelt sich sehr deutlich auch in der massiven und damals intensiv diskutierten Zunahme der Verordnungen von Methylphenidat wieder, die im vorletzten Jahrzehnt zu beobachten war (s. frühere Auflagen des Arzneiverordnungsreports). Seit 2010 sind diese Verordnungen aber bei geringen Schwankungen und Zunahmen stabil. Das Verordnungsvolumen von Methylphenidat hat sich 2019 nicht wesentlich verändert, die Verordnungen weiterer Psychostimulanzien haben – auf deutlich niedrigerem Niveau – zugenommen (. Tab. 38.9). Der Einsatz von Psychostimulanzien, besonders auch Methylphenidat, ist durch Studien gut belegt. So hat die MTA-Studie den Stellenwert der medikamentösen Therapie bei hyperkinetischer Verhaltensstörung im Vergleich zu nichtmedikamentösen Ansätzen herausgearbeitet (MTA Cooperative Group 1999). Allerdings hat die Nachbeobachtung nach 3 Jahren gezeigt, dass trotz Behandlung mit Methylphenidat erheblich mehr Kinder straffällig wurden (27,1 % versus 7,4 % bei Nichterkrankten) und dass auch der Drogenkonsum häufiger war (17,4 % versus 7,8 %) (Molina et al. 2007). Eine exakte, kinderpsychiatrisch abgesicherte Diagnose, eine sorgfältige Verlaufskontrolle durch Spezialisten sowie die Einbindung in ein multimodales Therapiekonzept und regelmäßige Auslassversuche sind Voraussetzungen für die Verordnung (Remschmidt und Working Group 2005; Jans und Warnke 2010). Nach einem Cochrane-Review verbessert Methylphenidat
806
38
Kapitel 38 Psychopharmaka
ADHS-Symptome, Gesamtverhalten und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichem mit ADHS, wobei das Ausmaß wegen der geringen Studienqualität nicht gesichert ist. Die therapeutischen Effekte sind mit leichten unerwünschten Wirkungen (Schlafstörungen, verminderter Appetit) aber nicht mit einem erhöhten Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen assoziiert (Storebø et al. 2015). Neben Methylphenidat haben sich in den letzten Jahren eine Reihe weiterer Psychostimulanzien etabliert, wenn auch im Wesentlichen als Zweitlinien-Therapeutika. Die Verordnung des insgesamt wenig verschriebenen und sehr teuren Atomoxetin (Strattera) hat 2019 abgenommen (. Tab. 38.9). 2013 neu auf den Markt gekommen, stark beworben und weiter kräftig verordnet ist das im Vergleich zu Methylphenidat doppelt so teure Lisdexamfetamin (. Tab. 38.9). Es ist ein inaktives Prodrug von Dexamfetamin (D-Amphetamin) Lisdexamfetamin hat ähnliche Effekte wie langsam freisetzendes Methylphenidat oder Atomoxetin (Übersicht bei Frampton 2018). Die Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss hat keinen Zusatznutzen von Lisdexamfetamin gegenüber Atomoxetin ergeben (vgl. ArzneiverordnungsReport 2014, Kap. 2, Abschn. 2.1.12). Ein großes Problem stellt zunehmend die Behandlung des ADHS bei Erwachsenen dar, da ein größerer, bislang aber wohl nicht exakt definierbarer Teil von jugendlichen ADHSPatienten auch Symptome im Erwachsenenalter behalten und insbesondere bei Frauen die Diagnose ADHS mit einer deutlich erhöhten Mortalität assoziiert ist (Dalsgaard et al. 2015; Schubert und Lehmkuhl 2017). Für diese Indikation ist neben einem stark verordneten speziellen Methylphenidatpräparat (Medikinet adult) auch Atomoxetin unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen. In der Tat sprechen einige Studiendaten für eine Wirksamkeit auch bei Erwachsenen (Mészáros et al. 2009). Eine altersbezogene Auswertung von AOK (WIDO) Daten zeigt, dass die Verordnung von Stimulanzien bei Kindern und Jugendlichen mit einer ADHS Diagnose zwischen 2009 und 2014
abnahm, bei Erwachsenen mit ADHS dagegen anstieg (Bachmann et al. 2017). Guanfacin (Intuniv) ist ein selektiver Alpha2A -Rezeptoragonist, der 1979 zur Behandlung der Hypertonie (Estulic) zugelassen wurde, aber 1999 vom Hersteller aus kommerziellen Gründen aus dem Handel genommen wurde. Jetzt erhielt die Substanz eine Zulassung zur Behandlung des ADHS nach unzureichendem Ansprechen auf Psychostimulanzien (siehe Arzneiverordnungs-Report 2018, Kap. 3, Neue Arzneimittel, Abschn. 3.2.3). Die Substanz wurde lediglich in placebokontrollierten Studien untersucht, ist aber fast doppelt so teuer wie Lisdexamfetamin, das für die gleiche Indikation zugelassen ist. Dexamfetamin (Attentin) wurde 2015 zur Behandlung des ADHS nach unzureichendem Ansprechen auf eine vorangegangene Behandlung mit Methylphenidat zugelassen und ist wegen seines hohen Suchtpotenzials dem Betäubungsmittelrecht unterstellt (Übersicht bei Heal et al. 2013). Seit der Markteinführung fällt es durch hohe Zuwachsraten bei einem insgesamt sehr niedrigen Verordnungsvolumen auf (. Tab. 38.9). Eine neue große Netzwerkanalyse spricht für den bevorzugten Einsatz von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen und von Amphetaminen bei Erwachsenen (Cortese et al. 2018). Ein Editorial zu dieser Studie wirft freilich eine Fülle von kritischen Fragen auf, die aufgrund der bisher limitierten Studiensituation bislang ungeklärt bleiben (Arnett und Stein 2018).
38.6
Mittel zur Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten
Die Verordnungen von Clomethiazol (Distraneurin) sind auch 2019 wiederum rückläufig (. Tab. 38.9). Zur ambulanten Behandlung bei Alkohol- oder Medikamentenabhängigen ist es kontraindiziert. Acamprosat und Naltrexon werden offenbar in Deutschland kaum verordnet, obwohl sie eine zumindest mäßige Wirksamkeit besitzen. Möglicherweise werden
38
807 38.6 Mittel zur Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten
. Tabelle 38.9 Verordnungen von Psychostimulanzien und weiteren Psychopharmaka 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Methylphenidat Medikinet
Methylphenidat
20,4
(C2,0)
1,28
Medikinet adult
Methylphenidat
12,4
(C9,6)
1,67
Ritalin/-LA
Methylphenidat
4,6
(13,6)
1,25
Kinecteen
Methylphenidat
3,7
(C71,3)
1,20
Equasym
Methylphenidat
3,5
(2,0)
1,25
Concerta
Methylphenidat
3,0
(21,2)
1,30
Methylphenidathydrochlorid neuraxpharm
Methylphenidat
3,0
(14,4)
1,17
Ritalin adult
Methylphenidat
2,3
(11,8)
1,65
Methylpheni TAD
Methylphenidat
1,5
(C8,4)
1,05
Methylphenidat-1 A Pharma
Methylphenidat
0,80
(C4,6)
1,12
Methylphenidat-ratiopharm
Methylphenidat
0,68
(C554,9)
1,18
56,0
(C2,4)
1,36
11,4
(C9,9)
2,75
Weitere Psychostimulantien Elvanse
Lisdexamfetamin
Intuniv
Guanfacin
2,1
(C29,4)
4,72
Strattera
Atomoxetin
1,7
(20,6)
7,81
Elvanse adult
Lisdexamfetamin
1,1
Attentin
Dexamfetamin
0,73
(C14,8)
3,47
Modafinil Glenmark
Modafinil
0,57
(4,5)
6,98
(C14,2)
3,64
17,5
(Neu)
2,56
Mittel zur Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten Naltrexonhydrochlorid Accord
Naltrexon
0,39
(C9,1)
4,20
Distraneurin
Clomethiazol
0,23
(5,9)
2,54
0,61
(C3,0)
3,58
Johanniskraut Laif
Johanniskraut
28,2
(C6,4)
0,41
Neuroplant
Johanniskraut
2,2
(14,6)
0,50
30,4
(C4,5)
0,42
104,6
(C4,8)
1,48
Summe
808
Kapitel 38 Psychopharmaka
in der Praxis verstärkt potentielle Alternativen wie Baclofen, Topiramat etc. eingesetzt (Soyka und Lieb 2015). 38.7
Pflanzliche Psychopharmaka
Von den pflanzlichen Psychopharmaka wurden 2019 nur noch zwei Johanniskrautpräparate häufig verordnet, von denen nur Laif ein größeres Verordnungsvolumen erreichte (. Tab. 38.9). Der Stellenwert von Johanniskraut zur Depressionsbehandlung in der hausärztlichen Praxis bleibt dennoch durch den Mangel einer genügenden Zahl aussagekräftiger Studien und wegen des Risikos gefährlicher Wechselwirkungen unsicher (Linde et al. 2015).
Literatur
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38
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815
39
Rhinologika und Otologika Karl-Friedrich Hamann
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Rhinologika werden lokal zur symptomatischen Linderung der behinderten Nasenatmung bei Nasenschleimhautentzündungen eingesetzt. Die weitaus größte Gruppe bilden die schleimhautabschwellenden Sympathomimetika mit mehr als 50 % der Verordnungen. Otologika werden entweder zur lokalen Antibiotikatherapie bei Entzündungen des äußeren Ohrs eingesetzt oder als Lokalanästhetika zur symptomatischen Therapie des Ohrschmerzes. Bewertung Die topischen Sympathomimetika gehören zu den nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und werden daher fast nur noch bei Kindern verordnet. Topische Glucocorticoide sind bei allergischer Rhinitis zuverlässig wirksam. Für die Lokaltherapie der Otitis externa stehen mit der Einführung von Ciprofloxacin-Ohrentropfen gut wirksame Monopräparate zur Verfügung. Die nur symptomatisch wirksamen Lokalanästhetikakombinationen zeigen weiter Verordnungsabnahmen.
Mit Rhinologika und Otologika werden Arzneimittel zusammengefasst, die überwiegend lokal bei verschiedenen Erkrankungen des äußeren Ohres und des Mittelohres sowie bei bestimmten Erkrankungen der Nasenhaupthöhlen und bei Beteiligung der Nasennebenhöhlen eingesetzt werden. Die Beliebtheit der Lokaltherapeutika geht auf den alten Volksglauben zurück, Krankheiten dort behandeln zu müssen, wo sie sich bemerkbar machen. Der Hauptteil der Verordnungen fällt weiterhin auf Sympathomimetika und glucocorticoidhaltige Rhinologika, während alle anderen Rhinologika und auch die Otologika eine geringere Rolle spielen (. Abb. 39.1). Im Laufe der letzten 10 Jahre waren die Verordnungen der glucocorticoidhaltigen Rhinologika nach einem kontinuierlichen Anstieg in den letzten drei Jahren rückläufig, während rhinologische Sympathomimetika und Otologika relativ stabil blieben. Rhinologika und Otologika zählen, bezogen auf die Einzelverordnung, zu den preiswerten Therapeutika, erreichen jedoch relativ hohe Umsätze, weil sie in der Behandlung von sehr häufig auftretenden Erkrankungen zum Einsatz kommen.
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_39
Kapitel 39 Rhinologika und Otologika
816
200 Rhinologische Sympathomimetika Glucocorticoidhaltige Rhinologika Otologika 161
156
151
150
151
145
144
150
146
151
146
146 139
(Mio. DDD)
117 102
128
107 113
112
115
17
100 93
50
19
0 2010
18
18
19
2011
2012
2013
15
15
15
15
17
2014
2015
2016
2017
2018
2019
. Abb. 39.1 Verordnungen von Rhinologika und Otologika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
39.1
39
Rhinologika
Im Vordergrund der symptomatischen Behandlung mit Rhinologika steht die Beseitigung der behinderten Nasenatmung. Sie ist das am meisten störende Symptom aller Rhinitisformen, wobei in manchen Fällen noch Niesreiz und eine Hypersekretion der Schleimhäute hinzukommen. Zur lokalen Applikation stehen schleimhautabschwellende Alphasympathomimetika, Corticosteroide und Antiallergika zur Verfügung. Als systemische Präparate werden nur noch die umstrittenen Homöopathika angewendet. Die im Zusammenhang mit banalen Erkältungskrankheiten auftretende akute Rhinitis ist im Allgemeinen harmlos und weist eine hohe Selbstheilungsrate auf. Der Gesichtspunkt einer Vorbeugung von Komplikationen in den Nasennebenhöhlen und die durch starke Blutfüllung der Schleimhäute bedingte „verstopfte Nase“ machen je nach Leidensdruck dennoch eine Therapie notwendig. Sinnvoll ist die kurzfristige Anwendung von Alphasym-
pathomimetika. Durch ihren abschwellenden Effekt lässt sich zum einen die Nasenluftpassage selbst verbessern, zum anderen werden auch die Ostien der Nasennebenhöhlen für den natürlichen Selbstreinigungsmechanismus frei gemacht. Schließlich muss man auch versuchen, ein Zuschwellen der Ostien der Tuba Eustachii zu verhindern und so den Mittelohr-Belüftungsmechanismus aufrechtzuerhalten, damit kein lästiger Ohrendruck entsteht. Die Therapiedauer sollte sieben Tage nicht überschreiten, damit nicht durch den vasokonstriktorischen Effekt eine trophische Störung der Schleimhaut mit anschließender Nekrosebildung auftritt. Dieser Gesichtspunkt gewinnt vor allem bei langanhaltenden Beschwerden an Bedeutung. Der Begriff „nasale Hyperreaktivität“ umfasst alle übersteigerten Reaktionsformen der Nasenschleimhaut auf physikalische, chemische oder pharmakologische Reize, die zu den bekannten Symptomen Obstruktion, Sekretion und Niesreiz führen (Bachert und Holtappels 2015). Sie beruht auf unterschiedlichen, sich teilweise überlappenden Pathomechanismen.
817 39.1 Rhinologika
39
rung der behinderten Nasenatmung, wie sie bei akuter Rhinitis im Rahmen von Erkältungskrankheiten, aber auch bei der allergischen Rhinitis auftritt. Allerdings kommt es bei diesen Substanzen zu einem Reboundphänomen nach 4–6 h mit verstärkter Schleimhautschwellung, die eine erneute Anwendung notwendig macht. Um diesen Circulus vitiosus nicht zu stabilisieren, sollte die Anwendung auf sieben Tage begrenzt sein, maximal auf 14 Tage (Günnel und Knothe 1973). Hinzu kommt, dass der vasokonstriktorische Effekt bei Daueranwendung zu einer Mangeldurchblutung der Schleimhaut führt und damit zu einer Beeinträchtigung ihrer Hauptfunktion, der Schleimbildung. Die Folge davon ist, dass weniger Schleim produziert wird. Die Nase trocknet aus, es kommt zur Borkenbildung, in extremen Fällen zu39.1.1 Alphasympathomimetika sätzlich zu Nekrosen mit dem Endbild einer Ozäna (Stinknase). Um einem Missbrauch Die Sympathomimetika sind bei geringen Ver- vorzubeugen, sollten die Sympathomimetika ordnungsabnahmen im Jahre 2019 weiterhin zur rhinologischen Anwendung nur in kleinsdie größte therapeutische Gruppe (mehr als ten Packungen von 10 ml verschrieben wer50 % Anteil) der Rhinologika (. Abb. 39.1). den. Der Hauptteil der Verordnungen entfällt auf drei führende Xylometazolinpräparate, während andere Sympathomimetika nur eine ge- 39.1.2 Antiallergika ringere Rolle spielen (. Tab. 39.1). Alle Wirkstoffe gehören zur Gruppe der Alpha1 Sympathomimetika und gelten als therapeu- Die Bedeutung der lokal wirksamen Antiallertisch gleichwertig. Das relativ teure Kombi- gika war 2019 leicht rückläufig (. Tab. 39.1). nationspräparat Nasic hat auch 2019 weitere Sie sind nicht verschreibungspflichtig und daMarktanteile an das erste Generikum verloren. mit nur noch bei Kindern bis zu 12 Jahren Alle diese Präparate sind nicht verschreibungs- zu Lasten der gesetzlichen Krankenversichepflichtig und sind daher seit Inkrafttreten des rung erstattungsfähig. Cromoglicinsäure soll GKV-Modernisierungsgesetzes nur noch für als Degranulationshemmer prophylaktisch das Kinder bis zu 12 Jahren zu Lasten der ge- Auftreten allergischer Symptome verhindern. setzlichen Krankenversicherung verordnungs- Im Gegensatz zu manchen systemisch verfähig. abreichten Antiallergika ist für diese topisch Die schleimhautabschwellenden Sympa- applizierten Substanzen nicht mit sedierenden thomimetika ermöglichen eine sichere Linde- Nebenwirkungen zu rechnen. Dazu gehören auch die allergische Rhinitis und die früher sog. „vasomotorische Rhinitis“, der neben lokalen Reizfaktoren auch psychosomatische Faktoren zugrunde liegen können. Die Behandlung der nasalen Hyperreaktivität richtet sich, wenn möglich, nach Ätiologie und Pathogenese, vor allem aber gegen die dominierenden Symptome (Bachert 1996). Zur medikamentösen Therapie werden Degranulationshemmer (Cromoglicinsäure), die am besten prophylaktisch anzuwenden sind, topische und systemische Corticosteroide, Alphasympathomimetika sowie topische und systemische Antihistaminika vorzugsweise in Form der wenig sedierenden Präparate eingesetzt (siehe 7 Kap. 8, Antiallergika).
818
Kapitel 39 Rhinologika und Otologika
. Tabelle 39.1 Verordnungen rhinologischer Alphasympathomimetika und Antiallergika. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Xylometazolin Nasengel/Spray/Tropfen AL
Xylometazolin
57,5
(C6,0)
0,07
Otriven
Xylometazolin
40,1
(4,8)
0,07
Olynth
Xylometazolin
19,2
(C2,5)
0,06
Nasenspray/-tropfen/-gel-ratiopharm
Xylometazolin
5,4
(40,7)
0,07
Imidin
Xylometazolin
4,3
(35,2)
0,08
Nasenspray Zentiva
Xylometazolin
0,52
(Neu)
0,22
127,0
(2,9)
0,07
Oxymetazolin
10,9
(3,6)
0,16
Nasic
Xylometazolin Dexpanthenol
5,2
(20,1)
0,22
Nasenduo
Xylometazolin Dexpanthenol
2,3
(C54,5)
0,19
7,5
(6,2)
0,21
(C4,7)
0,93
Andere Sympathomimetika Nasivin Kombinationen
Antiallergika Allergodil Nasenspray, Nasenspray/ Augentropfen
Azelastin
1,2
Livocab Nasenspray, Nasenspray/ Augentropfen
Levocabastin
0,37
(29,4)
2,96
0,10
(12,4)
1,30
1,6
(6,7)
1,42
147,0
(3,2)
0,10
Cromo-ratiopharm Nasenspray, Nasen- Cromoglicinsäure spray/Augentropfen
Summe
39.1.3
39
Glucocorticoide
Lokal applizierte Glucocorticoide besitzen zwar zuverlässige Wirkungen in der Behandlung der allergischen Rhinitis, manche sind aber je nach Wirkstoff nicht frei von systemischen Nebenwirkungen (Myginol und Anders-
son 2006). Der Wirkungseintritt ist allerdings langsam. Corticosteroide können auch zu einer Schrumpfung von Nasenpolypen führen. Das mit weitem Abstand führende Mometason hat 2019 wieder einen Zuwachs erreicht (. Tab. 39.2). Auch Budesonid wurde mehr verordnet. Alle anderen topischen Glucocorticoide haben leicht abgenommen. Die meis-
39
819 39.1 Rhinologika
. Tabelle 39.2 Verordnungen von glucocorticoidhaltigen Rhinologika. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Budesonid Budes Nasenspray
Budesonid
14,7
(25,4)
0,39
Aquacort Nasenspray
Budesonid
12,7
(C48,2)
0,32
Budesonid-1 A Pharma
Budesonid
3,7
(C29,7)
0,24
Budapp nasal
Budesonid
2,2
(C329,1)
0,40
33,2
(C5,1)
0,35
Fluticason Avamys
Fluticason
3,3
(2,0)
0,62
Flutica TEVA
Fluticason
1,9
(4,9)
0,57
Flutide Nasal
Fluticason
0,64
(5,8)
0,57
5,9
(3,4)
0,60
Mometason Momeallerg/Momegalen Nase
Mometason
30,7
(C1,3)
0,50
MometaHEXAL
Mometason
15,1
(C10,0)
0,49
Mometasonfuroat Abz
Mometason
3,7
(C367,4)
0,38
Mometason/-furoat ratiopharm
Mometason
2,7
(C208,6)
0,48
Nasonex
Mometason
2,3
(20,2)
0,55
Mometasonfuroat AL
Mometason
0,65
(37,0)
0,47
55,2
(C11,2)
0,49
Weitere Mittel Dymista
Fluticason Azelastin
5,8
(C2,9)
1,12
Beclometason-ratiopharm nasal
Beclometason
5,5
(5,5)
0,27
Syntaris
Flunisolid
4,5
(4,6)
0,38
Rhinisan
Triamcinolonacetonid
1,3
(7,8)
0,46
Beclorhinol
Beclometason
0,90
(C31,8)
0,44
Dexa Rhinospray Mono
Dexamethason
0,25
(5,3)
1,16
18,3
(1,5)
0,60
112,6
(C6,3)
0,47
Summe
820
Kapitel 39 Rhinologika und Otologika
ten Wirkstoffe zeigen neben der guten lokalen Wirkung keine systemischen Corticosteroidnebenwirkungen. Triamcinolon wird als zilienhemmend eingestuft (Merkus et al. 2001). Es gibt keine eindeutige Evidenz, dass eines der verschiedenen topisch angewendeten Glucocorticoide eine überlegene Wirkung hat (Waddell et al. 2003). Gleiches gilt mit Ausnahme von Dexamethason auch für das Nebenwirkungsprofil, insbesondere wachstumshemmende Wirkungen bei Kindern. Unter diesen Bedingungen sind ohne Einschränkungen bei Wirksamkeit und Verträglichkeit deutliche Kostensenkungen möglich, wenn relativ teure Präparate durch preisgünstige Budesonidgenerika substituiert werden. Für Dexamethason ist bekannt, dass mit systemischen Nebenwirkungen zu rechnen ist. Nach Anwendung Dexamethason-haltiger Nasentropfen sind wiederholt Fälle von iatrogenem Cushing-Syndrom und Nebennierenrindensuppression beschrieben worden (Fuchs et al. 1999). Die Anwendung solcher Präparate erscheint trotz der relativ geringen Dexamethasonmengen nicht mehr gerechtfertigt, da andere Corticosteroide ohne solche Nebenwirkungen zur Verfügung stehen. Das einzige noch vertretene Dexamethasonpräparat hat weiter abgenommen. Die Verordnungen des relativ teuren Kombinationspräparats Dymista aus dem H1 -Rezeptorantagonisten Azelastin und dem Glucocorticoid Fluticasonpropionat sind fast gleichgeblieben. Es war im März 2013 zur Linderung der Symptome der mittelschweren bis schweren saisonalen und perennialen allergischen Rhinitis zugelassen worden. Die Azelastin-Fluticason-Kombination wirkte bei 70 % der Patienten innerhalb eines Monats und hatte einen Langzeiteffekt über einen Zeitraum von 52 Wochen (Übersicht bei Derendorf et al. 2014).
39
39.1.4
Sonstige Rhinologika
Selbst hergestellte Salzlösungen oder Fertigpräparate wie Emser Salz Nase haben keine direkten Wirkungen auf die Durchgängigkeit der Nase, bewirken aber durch eine pH-Verschiebung eine Alkalisierung des Schleimes und damit eine Verflüssigung. Besonders bei lang anhaltenden Rhinitiden mit starker Borkenbildung kommt dieses rational begründete Therapieprinzip in Frage. Als Salzlösung erscheint nur noch Emser Salz Nase, das in seinen Verordnungen leicht abgenommen hat (. Tab. 39.3). Die Verordnungen der pflanzlichen und homöopathischen Rhinologika waren bereits 2004 um mehr als 70 % zurückgegangen, da alle diese Präparate nicht verschreibungspflichtig und damit außer bei Kindern unter 12 Jahren nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind. Im Jahre 2019 ist es bei den noch verbliebenen drei Kombinationspräparaten zu mehr oder weniger deutlichen Abnahmen der Verordnungen gekommen (. Tab. 39.3), was vermutlich damit zusammenhängt, dass sie vielfach als Placebo angesehen werden.
39
821 39.2 Otologika
. Tabelle 39.3 Verordnungen sonstiger Rhinologika. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Monopräparate Emser Salz Nase
Emser Salz
2,7
(4,8)
0,29
Sinupret
Enzianwurzel Schlüsselblumenblüten Ampferblätter Holunderblüten Eisenkraut
3,1
(4,2)
1,80
Euphorbium comp SN Spray
Euphorbium D4 Pulsatilla D2 Mercurius biiod. D8 Hepar sulfuris D10 Argentum nitr. D10 Luffa operculata D2
0,58
(11,1)
0,57
Sinusitis Hevert SL
Apis D4 Baptisia D4 Cinnabaris D3 Echinacea D2 Hepar sulfuris D3 Kalium bichromic. D8 Lachesis D8 Luffa D4 Mercurius bijodatus D9 Silicea D2 Spongia D6
0,04
(9,9)
3,56
3,7
(5,4)
1,62
6,5
(5,1)
1,06
Kombinationen
Summe
39.2
Otologika
Otologika sind Arzneimittel zur topischen Applikation in den äußeren Gehörgang. Sie werden eingesetzt zur Behandlung des Ohrekzems, der Otitis externa und zur Vorbereitung einer operativen Therapie der chronischen Otitis media. Für die Therapie der akuten Otitis media sind Otologika nicht geeignet, da diese Substanzen den Ort der Erkrankung wegen des geschlossenen Trommelfells nicht erreichen können.
Bei der Otitis externa handelt es sich um eine banale Entzündung der Haut des äußeren Gehörgangs. Sie wird meist verursacht durch Bakterien, die über Mikroläsionen in die Haut eindringen können. Im Allgemeinen tritt die Otitis externa als diffuse Form auf, ganz selten als Gehörgangsfurunkel. Wegen der entzündlich bedingten Schwellung kommt es zu starken Schmerzen mit erheblichem Leidensdruck. Die Abschwellung der Gehörgangshaut selbst bringt meist schon den gewünschten Erfolg und eine Abheilung der Entzündung.
822
Kapitel 39 Rhinologika und Otologika
Die chronische Mittelohrentzündung entsteht, von Ausnahmen abgesehen, als primär chronische Erkrankung. Sie ist gekennzeichnet durch einen mesotympanalen oder epitympanalen Defekt, durch den es immer wieder zum Eindringen von Mikroorganismen und damit zum Aufflammen der Entzündung kommt. Die chronische Mittelohrentzündung macht sich fast nie durch Schmerzen bemerkbar als vielmehr durch eine pathologische Ohrsekretion und Schwerhörigkeit. Die sinnvolle Therapie einer chronischen Mittelohrentzündung besteht in der Tympanoplastik. Allerdings sind die Erfolgschancen von tympanoplastischen Operationen sehr vom Reizzustand der Mittelohrschleimhaut abhängig. Man versucht daher immer, eine chronische Mittelohrentzündung ohne akute Reizzeichen zu operieren. Dieser Gesichtspunkt berechtigt zur Vorbehandlung mit Otologika, die das Ziel hat, die pathologische Ohrsekretion zum Stillstand zu bringen.
39.2.1
Antibiotika
In der Therapie der Otitis externa diffusa kommen Präparate mit dem Ziel einer lokalen antibiotischen Wirkung zur Anwendung. Wegen des Keimspektrums, das sich hauptsächlich aus Pseudomonas aeruginosa und Proteus zusammensetzt, werden fast nur noch Fluorchinolone eingesetzt. Nach einem Cochrane-Review
von fünf Studien sind Fluorchinolone bei der Behandlung der chronischen Mittelohrentzündung wirksamer als andere Lokalantibiotika (Acuin et al. 2000). Die Verordnungen der Ciprofloxacin-haltigen Ohrentropfen haben sich 2019 kaum verändert. Die glucocorticoidhaltigen Ciprofloxacinkombinationen, die sogar preiswerter als die Monopräparate sind, haben dagegen zugenommen (. Tab. 39.4). In diesen Kombinationspräparaten ist ein Corticosteroid enthalten, das die akuten Entzündungserscheinungen zurückdrängen soll. Nach heutiger Auffassung stellen Viruserkrankungen wie der Zoster oticus keine absolute Kontraindikation für Corticosteroide dar.
39.2.2
Lokalanästhetikakombinationen
Die Lokalanästhetikakombinationen Otobacid N und Otalgan werden mit dem Ziel einer lokalen Schmerzbehandlung eingesetzt. Selbst wenn der lokalanästhetische Effekt wegen der geringen Resorption durch die Haut nur schwach ist, wird er durch das abschwellende Agens unterstützt. Reicht diese Therapie nicht aus, müssen systemisch wirkende Analgetika zusätzlich eingesetzt werden. In dem Kombinationspräparat Otobacid N ist neben dem Lokalanästhetikum (Cincho-
. Tabelle 39.4 Verordnungen von Otologika. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Antibiotika
39
Ciloxan Ohren
Ciprofloxacin
3,4
(1,0)
1,20
Panotile cipro
Ciprofloxacin
3,0
(1,2)
1,77
Infectocipro Ohrentropfen
Ciprofloxacin
0,68
(C3,4)
2,33
7,1
(0,7)
1,55
39
823 Literatur
. Tabelle 39.4 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Corticosteroide Otoflamm
Fluocinolonacetonid
0,19
(C5,5)
2,14
Infectociprocort
Fluocinolonacetonid Ciprofloxacin
4,6
(C9,0)
1,34
Cilodex
Dexamethason Ciprofloxacin
2,9
(C2,0)
0,94
Infectospectran HC
Polymyxin-B Bacitracin Hydrocortisonacetat
0,44
(C937,5)
0,88
8,0
(C11,8)
1,17
Antibiotikakombinationen
Lokalanästhetikakombinationen Otobacid N
Dexamethason Cinchocain Butandiol
1,1
(9,9)
1,75
Otalgan
Phenazon Procain
0,42
(5,0)
0,38
1,6
(8,6)
1,38
16,9
(C4,0)
1,36
Summe
cain) Dexamethason enthalten. Es wird bevorzugt beim Ohrekzem zur Behandlung des Juckreizes palliativ eingesetzt. Seine Verordnungen sind weiter rückläufig (. Tab. 39.4).
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825
40
Schilddrüsen-therapeutika Reinhard Ziegler und Hans Christian Kasperk
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Krankheiten der Schilddrüse werden mit Schilddrüsenhormonen, Iodsalzen und Thyreostatika behandelt. Die größte Gruppe der Schilddrüsentherapeutika sind Schilddrüsenhormone, die bei Schilddrüsenunterfunktion und beim Iodmangelkropf eingesetzt werden. Als zweitgrößte Gruppe folgen Iodsalze zur Strumaprophylaxe. Wesentlich seltener und weiter langsam abnehmend werden Thyreostatika zur Hemmung der Hormonproduktion bei Schilddrüsenüberfunktion eingesetzt. Trend Seit 2010 sind die Verschreibungen für Schilddrüsenhormone kontinuierlich weiter um fast 40 % angestiegen. Der frühere Einbruch bei den Iodsalzen ist immer noch nicht zum Stillstand gekommen. Zwei Komponenten können eine Rolle spielen: (a) die Anerkennung des fortbestehenden therapeutischen Bedarfs, (b) vermehrte Selbstmedikation bei Iodsalzen.
Schilddrüsentherapeutika werden eingesetzt, um einen Schilddrüsenhormonmangel zu substituieren bzw. eine Kropfprophylaxe zu betreiben oder eine Schilddrüsenhormonübersekretion zu behandeln. Dementsprechend werden innerhalb dieser Indikationsgruppe drei Arzneimittelgruppen unterschieden. Schilddrüsenhormone werden gegeben, um bei Unterfunktion die mangelnde Hormonbildung der Drüse zu substituieren. Sie dienen auch der TSH-Absenkung bei der endemischen Struma infolge Iodmangels. Bei letzterem werden bevorzugt
Iodidpräparate verabreicht, insbesondere solange die Struma noch nicht regressiv bzw. knotig verändert ist. Thyreostatika werden bei Schilddrüsenüberfunktion gegeben, um eine übermäßige Hormonproduktion der Schilddrüse zu blockieren bis zur Einleitung einer definitiven Therapie (Operation oder Radiojodbehandlung). Die weitaus häufigste Schilddrüsenerkrankung in Deutschland ist der Iodmangelkropf, der bei etwa 25 % der Bevölkerung entsprechend mindestens 20 Mio. Personen nachgewiesen ist (Schumm-Dräger und Feldkamp 2007). Wesentliche Ursache ist eine nicht ausreichende Iodversorgung der Bevölkerung, die immer noch hinter den Empfehlungen der WHO zurückbleibt. Bedeutsam ist auch die Hypothyreose, die bei 0,5–1 % der Gesamtbevölkerung vorkommt und am häufigsten durch eine Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto Thyreoiditis) bedingt ist. Bei der Schilddrüsenüberfunktion stehen funktionelle Autonomien und der Morbus Basedow im Vordergrund. Die Prävalenz einer latenten/manifesten Hyperthyreose beträgt in Süddeutschland 5,8 bzw. 0,8 % (Saam et al. 2005).
40.1
Verordnungsspektrum
Schilddrüsentherapeutika gehören mit einem Verordnungsvolumen von 1,9 Mrd. DDD zu den zehn führenden Indikationsgruppen (siehe . Tab. 1.2). Die Verlaufsbeobachtung der definierten Tagesdosen (DDD) zeigt bei den Hormonen seit 2010 einen Anstieg um fast 40 %, während die Verordnung der iodhaltigen Präparate (Iodidmonopräparate, Kombinatio-
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_40
Kapitel 40 Schilddrüsentherapeutika
826
1600 Hormone Iodidhaltige Präparate Thyreostatika
1400
1309
1347
1426
1449
1372
1264 1195 1200 1088
1141
1044
(Mio. DDD)
1000
800
600 430
422
421
418
422
418
410
399
401
392
56
53
52
50
48
46
45
42
41
39
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
400
200
0 2010
2011
2019
. Abb. 40.1 Verordnungen von Schilddrüsentherapeutika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
40
nen von Iodid plus Schilddrüsenhormon) nach dem früheren Einbruch von 2004 weitgehend stabil geblieben sind. Bei den Verordnungen der iodhaltigen Präparate hat sich die bisher geäußerte Vermutung einer verbesserten Iodidversorgung mit der Nahrung leider nicht dauerhaft bestätigt. Im Vergleich zu früher war die Iodidversorgung in Deutschland zwar verbessert worden, lag aber immer noch am unteren Ende der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Werte (Thamm et al. 2007). In den letzten Jahren hat sich die Iodidversorgung bei Schulkindern jedoch in dem Zeitraum von 2007–2010 wieder verschlechtert und lag erneut unterhalb der empfohlenen Mindestaufnahmen (Johner et al. 2013). Die Jodversorgung der deutschen Erwachsenenbevölkerung liegt nach den Gesundheitsdaten der Jahre 2008–2011 im mittleren unteren Bereich der von der WHO geforderten Zufuhr und ist damit noch nicht optimal, da über 30 % der untersuchten Population eine Jodzufuhr unterhalb ihres mittleren geschätzten Bedarfs aufwiesen (Johner et al. 2016).
Der weitaus größte Teil der Verordnungen entfällt auf Schilddrüsenhormone, gefolgt von den deutlich weniger, aber relativ konstant verordneten Iodidpräparaten, während der Anteil der Thyreostatika nur sehr gering ist und in den letzten 10 Jahren weiter um 30 % abgenommen hat (. Abb. 40.1).
40.1.1
Schilddrüsenhormone
Bei den Schilddrüsenhormonen entfällt der Hauptteil der verordneten Tagesdosen auf drei führende Monopräparate (L-Thyroxin Henning, L-Thyrox HEXAL, Euthyrox) (. Tab. 40.1). Bei den Kombinationspräparaten von Liothyronin (Triiodthyronin) und Levothyroxin haben sich die Verschreibungen gegenüber 2018 kaum verändert. Hauptindikation ist die Hypothyreose, insbesondere bei deutlich erhöhten TSH-Werten (über 5 U/ml) und positiven TPO-Antikörpern als Zeichen einer Autoimmunthyreoiditis (Gärtner und Reincke 2008). In den meisten
40
827 40.1 Verordnungsspektrum
. Tabelle 40.1 Verordnungen von Schilddrüsenhormonen und Kaliumiodid 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Levothyroxin L-Thyroxin Henning
Levothyroxin
494,1
(0,8)
0,23
L-Thyrox HEXAL
Levothyroxin
360,4
(C4,3)
0,22
Euthyrox
Levothyroxin
209,1
(0,2)
0,22
L-Thyroxin-1 A Pharma
Levothyroxin
81,9
(C12,0)
0,23
Eferox
Levothyroxin
63,8
(4,0)
0,24
L-Thyroxin Winthrop
Levothyroxin
53,4
(11,6)
0,22
L-Thyroxin Aristo
Levothyroxin
49,9
(C1,7)
0,25
L-Thyroxin beta
Levothyroxin
43,0
(1,9)
0,21
L-Thyroxin Aventis
Levothyroxin
23,6
(C174,3)
0,26
L-Thyroxin AL
Levothyroxin
12,2
(6,7)
0,27
L-Thyroxin-Na-ratiopharm
Levothyroxin
11,1
(C5,1)
0,22
Berlthyrox
Levothyroxin
4,9
(4,6)
0,22
L-Thyroxin-Na AbZ
Levothyroxin
2,5
(C11,0)
0,22
1.410,0
(C1,7)
0,23
Liothyroninpräparate Novothyral
Liothyronin Levothyroxin
26,4
(2,6)
0,21
Prothyrid
Liothyronin Levothyroxin
9,9
(0,8)
0,26
Thybon
Liothyronin
2,0
(C5,2)
0,74
38,3
(1,8)
0,25
Schilddrüsenhormone plus Iodid Thyronajod
Levothyroxin Kaliumiodid
206,1
(1,1)
0,15
L-Thyrox Jod HEXAL
Levothyroxin Kaliumiodid
51,1
(7,8)
0,14
Eferox Jod
Levothyroxin Kaliumiodid
28,6
(C40,2)
0,15
L-Thyroxin Iod Aristo
Levothyroxin Kaliumiodid
18,8
(C7,9)
0,15
L-Thyroxin Henning plus
Levothyroxin Kaliumiodid
17,3
(C1,4)
0,14
828
Kapitel 40 Schilddrüsentherapeutika
. Tabelle 40.1 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Jodthyrox
Levothyroxin Kaliumiodid
10,0
(54,6)
0,14
L-Thyroxin Iod Winthrop
Levothyroxin Kaliumiodid
3,5
(C1,3)
0,15
335,3
(2,5)
0,15
Kaliumiodid Jodid-ratiopharm
Kaliumiodid
13,0
(C14,9)
0,04
Jodid HEXAL
Kaliumiodid
12,5
(C25,9)
0,04
Jodetten
Kaliumiodid
12,1
(4,6)
0,02
Jodinat Lindopharm
Kaliumiodid
11,8
(C30,1)
0,04
Jodid Tabletten
Kaliumiodid
5,1
(59,6)
0,04
54,4
(2,0)
0,03
1.838,0
(C0,7)
0,21
Summe
40
Empfehlungen wird dem Monopräparat Levothyroxin eindeutig der Vorzug gegeben. Bei der Langzeittherapie ist ein gleichmäßiger Hormonspiegel im Serum durch das pharmakologisch langlebige Levothyroxin (Halbwertszeit 5 bis 8 Tage) wesentlich besser zu erreichen als durch das kurzlebige Liothyronin (Halbwertszeit 1 bis 2 Tage). Bei der Verwendung von Kombinationspräparaten beider Schilddrüsenhormone entstehen unerwünschte Spitzen des Triiodthyroninspiegels im Serum (Saravanan et al. 2007) mit entsprechend unerwünschten Nebenwirkungen bei höherer Dosierung. Beim „Härtetest“ der Schilddrüsenhormontherapie, der Substitution der Hypothyreose, bestätigt die Metaanalyse von 11 Studien, dass die Zugabe von Liothyronin keine Vorteile erkennen lässt (Grozinsky-Glasberg et al. 2006). Auch nach Thyreoidektomie wurden mit alleiniger Gabe von Levothyroxin normale Triiodthyroninspiegel erreicht (Jonklaas et al. 2008). Zu beachten ist bei der Einstellung von Frauen mit Hypothyreose, dass eine Schwangerschaft den Substitutionsbedarf für Levothyroxin erhöht
(Alexander et al. 2004). Magensäuremangel kann die Levothyroxinresorption vermindern (Centanni et al. 2006). Auch in anderen Ländern (z. B. in den USA) wird immer wieder auf die Notwendigkeit hingewiesen, auf die Bioverfügbarkeit der Hormonpräparate zu achten (Burman et al. 2008).
40.1.2
Iodidhaltige Präparate
Iodidhaltige Präparate haben sich nach dem bemerkenswerten Einbruch im Jahre 2004 (siehe Arzneiverordnungs-Report 2005, Abb. 45.1) auf dem neuen Niveau zunächst stabilisiert, waren aber seit 2010 erneut leicht rückläufig (. Abb. 40.1). Auch die reinen Iodidsalze zeigen 2019 einen weiteren Rückgang (. Tab. 40.1). Hauptgrund dürfte der Ausschluss rezeptfreier Präparate aus der vertragsärztlichen Versorgung durch das GKVModernisierungs-Gesetz seit Januar 2004 sein. Allerdings gehören Iodidpräparate zur Be-
829 40.1 Verordnungsspektrum
handlung von Schilddrüsenkrankheiten zu den Arzneimitteln der Ausnahmeliste gemäß § 34 Abs. 1 SGB V und sind damit weiterhin verordnungsfähig. Eine besondere Bedeutung hat die optimale Versorgung mit Iodid bei Schwangeren und Stillenden (American Academy of Pediatrics 2014). Iodid wird vor allem zur Substitution bei Patienten mit Iodmangelstruma empfohlen, da die Behandlung mit Levothyroxin in TSHsuppressiver Dosierung den Iodmangel in der Schilddrüse verstärkt und eine Knotenbildung nicht verhindert (Gärtner und Reincke 2008). Für ein Jahr kann eine Kombination mit Levothyroxin in nicht TSH-suppressiver Dosierung eingesetzt werden. Die unterschiedlichen Angriffspunkte der beiden Prinzipien rechtfertigen ihre Kombination (Schumm-Dräger und Grünwald 2003). Dementsprechend erwies sich die Kombination von Levothyroxin plus Iodid in einer größeren Studie an Patienten mit Struma nodosa den anderen Therapiearmen überlegen (Grussendorf et al. 2011). Die Verordnungen der Kombinationspräparate aus Levothyroxin und Kaliumiodid waren leicht rückläufig (. Tab. 40.1).
40.1.3
40
Thyreostatika
Die langsame Abnahme der Verschreibungen von Thyreostatika gegenüber dem Maximum von 1996 mit 84 Mio. definierten Tagesdosen (DDD) (siehe Arzneiverordnungs-Report 2005, Abb. 45.1) ist noch nicht zum Stillstand gekommen und hat 2019 insgesamt 54 % erreicht (. Abb. 40.1). Hier scheint das Maximum der Demaskierung der Autonomien durch Iodexposition bleibend unterschritten zu sein. In berechtigter Interpretation dürfte das Überschreiten des Gipfels der Thyreostatikaverschreibungen bedeuten, dass die Demaskierung von Autonomien durch Iodidexposition abnimmt, wie es in Dänemark nach Erreichen einer verbesserten Iodversorgung gesehen wurde (Cerqueira et al. 2009). Für die medikamentöse Therapie der Schilddrüsenüberfunktion werden fast ausschließlich Carbimazol und Thiamazol eingesetzt (. Tab. 40.2). Insgesamt haben Thyreostatika etwas abgenommen. Carbimazol wird im Organismus in seinen aktiven Metaboliten Thiamazol umgewandelt. Da es Carbimazol-refraktäre Fälle gibt, die auf Thiamazol ansprechen, kann auch direkt mit dem aktiven Metaboliten behandelt werden. Außerdem ist Thiamazol (10 mg) in äquimolaren Mengen billiger als das Prodrug Carbimazol (15 mg). Eine untergeordnete Rolle spielt Propylthiouracil (Propycil), das wegen seiner kurzen Halbwertszeit mehrmals täglich gegeben werden muss, ggf. aber bei der Behandlung von Schwangeren Vorteile hat.
830
Kapitel 40 Schilddrüsentherapeutika
. Tabelle 40.2 Verordnungen von Thyreostatika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Carbimazol Carbimazol Aristo
Carbimazol
10,7
(11,3)
0,34
Carbimazol-1 A Pharma
Carbimazol
2,1
(C342,5)
0,33
Carbimazol Henning
Carbimazol
0,90
(51,0)
0,32
13,7
(4,8)
0,34
Thiamazol Thiamazol Aristo
Thiamazol
16,7
(C13,9)
0,20
Thiamazol HEXAL
Thiamazol
3,7
(37,3)
0,21
Methizol
Thiamazol
1,3
(20,6)
0,28
21,7
(2,3)
0,20
Propylthiouracil
1,0
(C0,6)
0,54
Natriumperchlorat
1,2
(2,3)
0,55
37,6
(3,1)
0,27
Propylthiouracil Propycil Perchlorat Irenat Summe
40.2
40
Wirtschaftliche Aspekte der Kropfbehandlung
Unter den Schilddrüsenpräparaten haben sich die Verordnungen der Hormonpräparate erfreulicherweise weiter erholt, Iodide haben jedoch leicht abgenommen. Es ist anzunehmen, dass der größte Teil der Patienten diese Behandlung als Strumaprophylaxe gegen den Iodmangelkropf benötigt hat. Angesichts der hohen Kropfhäufigkeit in Deutschland kann man davon ausgehen, dass sogar 40 Mio. Menschen potentiell behandlungsbedürftig sind. Damit ist es möglich, dass die Therapie mit Schilddrüsenpräparaten in den kommenden Jahren immer noch nicht optimal ist. Sehr genau sind die Iodidverordnungen mit ihrem Abnahmetrend zu beobachten, um einer ungünstigen „Iodidmüdigkeit“ durch Aufklärung
entgegenzusteuern (Scriba et al. 2007). Wichtig sind immer wieder aufklärende Appelle auch an die Ärzte, dass die Iodprophylaxe kein Risiko darstellt. Angesichts des endemischen Iodmangels in Deutschland hatten Endokrinologen seit langem gefordert, eine wirksame Iodprophylaxe bei der Bevölkerung durchzuführen. In unseren Nachbarländern wie Österreich, Schweiz, der ehemaligen Tschechoslowakei und der ehemaligen DDR wurde die Iodsalzprophylaxe mit großem Erfolg eingeführt. In Schweden ist der Kropf seit Einführung der Iodsalzprophylaxe weitgehend beseitigt. Bei uns hat sich die Jodversorgung in den letzten 25 Jahren zwar verbessert, ist aber immer noch nicht optimal, da in einer neueren Untersuchung über 30 % der untersuchten Population unterhalb des mittleren Bedarfs lagen (Johner et al. 2016). Allerdings ist anzumerken, dass
831
40
Literatur
die Iodsalzprophylaxe oder auch Iodidgabe bei der seltenen Strumaform der Iodfehlverwertung nicht wirksam ist. Interessant ist, dass die Verbesserung der Iodversorgung die Demaskierung anderer Risikofaktoren für die Struma wie z. B. das Rauchen erlaubt: Die Umsetzung in eine gesündere Lebensweise (Nichtrauchen) würde Ausgaben für Medikamente einsparen helfen (Völzke et al. 2005). Auch wenn aus dem Absinken der Thyreostatika-Verschreibungskurve eine „Morgenröte“ der Verbesserung der Iodversorgung abgelesen werden könnte, sollte dies nicht als Signal missverstanden werden, in den Bemühungen um eine weitere Optimierung nachzulassen.
Literatur Alexander EK, Marquesee E, Lawrence J, Jarolim P, Fischer GA, Larsen PR (2004) Timing and magnitude of increases in levothyroxine requirements during pregnancy in women with hypothyroidism. N Engl J Med 351:241–249 American Academy of Pediatrics (2014) Iodine deficiency, pollutant chemicals, and the thyroid: new information on an old problem. Pediatr Electron Pages 133:1163– 1166 Burman K, Hennessey J, McDermott M, Wartofsky L, Emerson C (2008) The FDA revises requirements for levothyroxine products. Thyroid 18:487–490 Centanni M, Garganol L, Canettieri G, Viceconti N, Franchi A, Delle Fave G, Annibale B (2006) Thyroxine in goiter, helicobacter pylori infection, and chronic gastritis. N Engl J Med 354:1787–1795 Cerqueira C, Knudsen N, Ovesen L, Perrild H, Rasmussen LB, Laurberg P, Jørgensen T (2009) Association of iodine fortification with incident use of antithyroid medication – a Danish Nationwide Study. J Clin Endocrinol Metab 94:2400–2405 Gärtner R, Reincke M (2008) Substitution von Schilddrüsenhormonen. Internist 49:538–544 Grozinsky-Glasberg S, Fraser A, Nashoni E, Weizman A, Leibovici L (2006) Thyroxine-triiodothyronine combination therapy versus thyroxine monotherapy for clinical hypothyroidism: Meta-analysis of randomized
controlled trials. J Clin Endocrinol Metab 91:2692– 2699 Grussendorf M, Reiners C, Paschke R, Wegscheider K, LISA Investigators (2011) Reduction of thyroid nodule volume by levothyroxine and iodine alone and in combination: a randomized, placebo-controlled trial. J Clin Endocrinol Metab 96:2786–2795 Johner SA, Thamm M, Nöthlings U, Remer T (2013) Iodine status in preschool children and evaluation of major dietary iodine sources: a German experience. Eur J Nutr 52:1711–1719 Johner SA, Thamm M, Schmitz R, Remer T (2016) Examination of iodine status in the German population: an example for methodological pitfalls of the current approach of iodine status assessment. Eur J Nutr 55:1275–1282 Jonklaas J, Davidson B, Bhagat S, Soldin SJ (2008) Triiodothyronine levels in athyreotic individuals during levothyroxine therapy. JAMA 299:769–777 Saam T, Hess T, Kasperk C, Kauffmann GW, Düx M (2005) Prävalenz der latenten und manifesten Hyperthyreose in einem Jodmangelgebiet: Erhebung an einem nichtselektionierten Patientenkollektiv vor Durchführung einer Computertomographie mit jodhaltigem Kontrastmittel. Rofo 177:1250–1254 Saravanan P, Siddique H, Simmons DJ, Greenwood R, Dayan CM (2007) Twenty-four hour hormone profiles of TSH, free T3 and free T4 in hypothyroid patients on combined T3/T4 therapy. Exp Clin Endocrinol Diabetes 115:261–267 Schumm-Dräger PM, Feldkamp J (2007) Schilddrüsenkrankheiten in Deutschland – Ausmaß, Entwicklung, Auswirkungen auf das Gesundheitswesen und Präventionsfolge. Präv Gesundheitsf 2:153–158 Schumm-Dräger PM, Grünwald F (2003) Aspekte der Kombinationstherapie. Dtsch Arztebl 100:C427– C428 Scriba PC, Heseker H, Fischer A (2007) Jodmangel und Jodversorgung in Deutschland – Erfolgreiche Verbraucherbildung und Prävention am Beispiel von jodiertem Speisesalz. Präv Gesundheitsf 2:143–148 Thamm M, Ellert U, Thierfelder W, Liesenkötter KP, Völzke H (2007) Jodversorgung in Deutschland – Ergebnisse des Jodmonitorings im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 50:744–749 Völzke H, Schwahn C, Kohlmann T, Kramer A, Robinson DM, John U, Meng W (2005) Risk factors for goiter in a previously iodine-deficient region. Exp Clin Endocrinol Diabetes 113:507–515
833
41
Sexualhormone Thomas Strowitzki
Auf einen Blick
Verordnungsprofil Die wichtigsten Gruppen der Sexualhormone sind Östrogenpräparate und Kontrazeptiva. Danach folgen mit weitem Abstand Gestagene. Die Verordnungen aller Östrogenpräparate zur Hormontherapie in der Postmenopause (systemische und topische Präparate) sind seit 1999 stark zurückgegangen. Seit 2018 ist erstmals ein leichter Anstieg zu verzeichnen insbesondere bei Östrogenmonopräparaten. Damit wird auch 2019 der Effekt der Leitlinienempfehlungen zur postmenopausalen Hormontherapie mit weiterhin stabilen Verordnungszahlen sichtbar. Nach langjähriger Abnahme zeigten auch die Verordnungen der hormonalen Kontrazeptiva 2019 wieder eine deutliche Zunahme, insbesondere bei den Gestagenmonopräparaten und den vaginalen Kontrazeptiva. Testosteronverordnungen nehmen dagegen wie schon in den letzten Jahren weiter gering zu. Bewertung Die Verordnungen zur postmenopausalen Hormontherapie reflektieren eine gute Beachtung der Indikationsstellung basierend auf einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Bewertung, die leitlinienbasiert erfolgt. Hormonersatztherapie soll in erster Linie bei klimakterischen Ausfallerscheinungen (z. B. vasomotorische und urogenitale Symptome) eingesetzt werden. Die überarbeitete deutsche S3-Leitlinie wurde 2020 veröffentlicht.
Sexualhormone werden zur Behandlung von Störungen der Sexualfunktion bei Mann und Frau eingesetzt. Sie dienen in erster Linie zur Substitution einer ungenügenden körpereigenen Hormonproduktion, aber auch zur Hemmung der Hormonproduktion durch Änderung der zentralen Regulationsvorgänge im Zwischenhirn und der Hypophyse. Neben vielen anderen Anwendungen sind Sexualhormone bei der Therapie von Sexualhormon-abhängigen Tumoren von Bedeutung wie z. B. in der Therapie mit Antiöstrogenen. Im Einzelnen lassen sich Sexualhormone in Androgene, Anabolika, Antiandrogene, Östrogene, Gestagene und Antiöstrogene einteilen. Antiöstrogene, wie z. B. Letrozol, werden zwar häufig in der ovariellen Stimulation bei unerfülltem Kinderwunsch eingesetzt, sind aber bis auf das zur hormonellen Stimulation verwendete Clomifen ausschließlich in der Onkologie, z. B. zur Behandlung des Mammakarzinoms zugelassen und werden daher bei den Onkologika (7 Kap. 34) dargestellt. Östrogen-Gestagen-Kombinationen vor allem in Form von ethinylestradiolhaltigen Präparaten werden in großem Umfang für die hormonale Kontrazeption eingesetzt. Kontrazeptiva sind seit 1992 in dieser Indikationsgruppe vertreten, weil sie seitdem bei Frauen bis zum vollendeten 20. Lebensjahr und seit April 2019 bis zum vollendeten 22. Lebensjahr auf Kassenrezept verordnet werden können. Das Verordnungsspektrum der Sexualhormone zeigt bei den östrogenhaltigen Substitutionen zur postmenopausalen Hormontherapie nach dem jahrelangen Rückgang einen minimalen Anstieg, wobei die systemisch und topisch (vaginal) applizierten Östrogenpräparate
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_41
Kapitel 41 Sexualhormone
834
700
41 611 600
Östrogene Kontrazeptiva Gestagene
587 557 535
535
520 501
(Mio. DDD)
500
495
508
511
400 318
351 300
292 323
315
310
317
315
23
23
24
28
30
2011
2012
2013
2014
2015
269
260
32
36
42
2016
2017
2018
200
100 26 0 2010
47
2019
. Abb. 41.1 Verordnungen von Sexualhormonen 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
gemeinsam dargestellt werden (. Abb. 41.1). Östrogenhaltige Präparate für die Hormonersatztherapie machen mit 492 Mio. DDD einen Anteil von 46 % am Gesamtverordnungsvolumen der Sexualhormone von 914 Mio. DDD aus (siehe . Tab. 1.2). Die seit 1999 eingetretene Abnahme hat sich 2019 nicht weiter fortgesetzt. Gegenüber dem damaligen Spitzenwert von 1.367 Mio. DDD für alle Östrogenpräparate ohne Ethinylestradiol bleibt die Abnahme der Verordnungen konstant bei knapp über 60 % (vgl. Arzneiverordnungs-Report 2000). Im Gegensatz zu 2018 zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Verordnung der hormonalen Kontrazeptiva von 22 % auf das Niveau von 2014 (. Abb. 41.1). Alle übrigen Sexualhormonpräparate (Androgene, Antiandrogene, Gestagene) spielen nur eine untergeordnete Rolle.
41.1
Androgene
Androgene werden zur Substitutionstherapie bei männlichem Hypogonadismus eingesetzt. Beim primären Hypogonadismus ist eine Dauertherapie mit lang wirksamen Testosteronpräparaten erforderlich. Beim sekundären Hypogonadismus, der durch Gonadotropinmangel infolge von hypothalamischen oder hypophysären Störungen bedingt ist, werden Behandlungspausen eingelegt, um eine reaktive Stimulation des zentralen Steuerungssystems der Hormonsekretion zu induzieren. Bei psychisch bedingten Potenzstörungen ist die Zufuhr von Androgenen unwirksam. Bei älteren Männern erhöht Testosteron die Muskelkraft, aber auch das Risiko kardiovaskulärer unerwünschter Ereignisse (Basaria et al. 2010), worauf auch die Food and Drug Administration (2018) in einer aktualisierten Sicherheitsinformation hingewiesen hat. Eine aktuelle Leitlinie zeigt, dass eine Testosteronsubstitution bei älteren Männern nur einen geringen verbessernden Einfluss auf die Sexualfunktion hat, aber keine sicher belegte Verbesserung
41
835 41.2 Antiandrogene
. Tabelle 41.1 Verordnungen von Androgenen und Antiandrogenen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Androgene Nebido
Testosteronundecanoat
14,2
(C3,7)
1,58
Testogel
Testosteron
7,3
(C9,0)
1,78
Testotop
Testosteron
2,1
(C0,1)
0,94
Testosteron-Depot GALEN
Testosteronenantat
0,97
(34,7)
0,53
(C2,5)
1,54
24,5 Cyproteronacetat Androcur
Cyproteron
0,75
(C2,7)
2,54
Attempta-ratiopharm
Cyproteronacetat Ethinylestradiol
3,4
(C19,7)
0,22
Bella HEXAL
Cyproteronacetat Ethinylestradiol
2,2
(C44,7)
0,23
Climen
Cyproteronacetat Estradiolvalerat
1,9
(11,2)
0,37
7,5
(C15,1)
0,26
32,7
(C5,1)
1,27
Cyproteronkombinationen
Summe
der Physis, einer depressiven Stimmungslage oder der kognitiven Funktionen (Qaseem et al. 2020). Die Qualität der Studien ist allerdings niedrig. Vor diesem Hintergrund ist die weitere Zunahme der Testosteronverordnungen um fast 60 % im Vergleich zu 2015 bedenklich, zumal das Verordnungsvolumen seit 2004 von 6,0 Mio. DDD (Arzneiverordnungs-Report 2005, Kap. 46) mehr als vierfach auf 24,5 Mio. DDD angestiegen ist. Mit Abstand führendes Präparat ist weiterhin Testosteronundecanoat (Nebido) (. Tab. 41.1) zur Langzeittherapie (1mal 1.000 mg i. m. alle 12 Wochen), das den Testosteronspiegel über einen Zeitraum von 27 Monaten im Normbereich hält (Schubert et al. 2004). Danach folgt mit einem erneuten Anstieg das transdermale Testosteronpräparat
(Testogel), das einmal pro Tag mit einer Dosis von 25–50 mg auf die Haut von Schulter, Armen oder Bauch aufgetragen wird und in dieser Form eine Resorptionsquote von 9–14 % hat und Testotop Gel, das praktisch unverändert zum Vorjahr verordnet wurdet. Testosteronenantat (Testosteron-Depot GALEN) ist ein Testosteronester zur intramuskulären Injektion alle 2–3 Wochen.
41.2
Antiandrogene
Antiandrogene verdrängen männliche Hormone von ihrem Rezeptor und heben dadurch ihre Wirkung auf. Sie werden eingesetzt um androgenbedingte Krankheitszustände zu be-
836
41
Kapitel 41 Sexualhormone
handeln. Dazu gehören beim Mann das Prostatakarzinom und die Sexualdeviation. Cyproteron (Androcur) wird wenig verordnet mit geringer Zunahme im Vergleich zu 2018 (. Tab. 41.1). Wesentlich häufiger werden Cyproteronkombinationen mit Ethinylestradiol bei Frauen zur Behandlung von Hirsutismus, Akne vulgaris und androgenetischem Haarausfall eingesetzt, die gleichzeitig auch eine Indikation als Kontrazeptivum haben. Daneben gibt es eine Cyproteron-Estradiol-Kombination (Climen), die für die postmenopausale Hormonsubstitution zugelassen ist. Weitere Kombinationen mit antiandrogen wirksamen Gestagenen wie Chlormadinonacetat, Dienogest oder Drospirenon finden sich in verschiedenen hormonalen oralen Kontrazeptiva, Dienogest und Drospirenon auch in Präparaten zur postmenopausalen Hormonsubstitution. Die Verordnung der beiden Cyproteronkombinationen mit einer Zulassung als Kontrazeptiva hat 2019 wieder stark zugenommen (. Tab. 41.1). Vor dem Hintergrund der aktuellen Anwendungsbeschränkungen aufgrund des Meningeomrisikos durch Cyproteron bei Langzeittherapie (European Medicines Agengy 2020) sollte 2020 ein Rückgang zu erwarten sein.
41.3
Östrogene
Östrogene regeln zusammen mit den Gestagenen die Reproduktionsvorgänge bei der Frau, induzieren die Pubertätsveränderungen und erhalten die Funktion der Sexualorgane. Zu den therapeutisch wichtigen Wirkungen der Östrogene gehört die Proliferation der Schleimhaut in Uterus und Vagina sowie die Förderung der Knochenmineralisation. Hauptindikation für die Verordnung natürlicher Östrogene in verschiedensten Kombinationen ist die postmenopausale Hormontherapie und damit die Therapie des klimakterischen Syndroms. Für die Behandlung klimakterischer Ausfallerscheinungen werden Östrogene (Estradiol, Estradiolester und selten equine Ös-
trogene) mit einem 10–14tägigen Gestagenzusatz (Sequenztherapie) oder als kontinuierliche Kombinationstherapie (Östrogen/Gestagen) oral oder als Pflaster, Gel oder Spray transdermal angewendet. Bei hysterektomierten Patientinnen ist eine Östrogentherapie ohne Gestagenzusatz indiziert. Randomisierte Studien haben Langzeitnebenwirkungen einer postmenopausalen Hormontherapie gezeigt. In der Women’s Health Initiative (WHI) an 16.608 Frauen waren die gesundheitlichen Risiken insgesamt höher als der Nutzen einer kombinierten Östrogen-Gestagen-Substitution (Writing Group for the Women’s Health Initiative Investigators 2002), auch wenn die Altersverteilung der Patientinnen bei Studieneinschluss und das Risikoprofil die Studienbewertung einschränken. Wegen der erhöhten Risiken wurde diese placebokontrollierte Studie nach 5,2 Jahren vorzeitig abgebrochen. Die WHI-Studie fand bei postmenopausalen Frauen zwischen 50 und 59 Jahren und einer durchschnittlichen Behandlungsdauer von 3,2 Jahren mit Östrogenen und Gestagenen ein absolutes zusätzliches Risiko für Brustkrebs von 8 auf 1.000 Frauen im Vergleich zu Frauen ohne Hormontherapie. Insgesamt lag das Risiko für eine koronare Herzkrankheit 29 %, Brustkrebs 26 %, Schlaganfall 41 % und Lungenembolie 133 % höher. Niedriger lag dagegen das Risiko für kolorektales Karzinom (37 %), Korpuskarzinom (17 %) und Oberschenkelfrakturen (33 %). Der absolute Risikoüberschuss ist mit einem Ereignis pro 100 Frauen in 5 Jahren gering. Eine erste Nachuntersuchung der WHI-Studie hat drei Jahre nach der Beendigung der Hormonzufuhr eine unterschiedliche Entwicklung der gesundheitlichen Risiken gezeigt. In der Nachbeobachtungszeit war das kardiovaskuläre Risiko in der ursprünglichen Hormongruppe nicht mehr erhöht und mit der Kontrollgruppe vergleichbar, das Krebsrisiko lag jedoch in der ursprünglichen Hormongruppe weiterhin um 24 % höher (Heiss et al. 2008). In einer weiteren Nachauswertung der WHI-Studie nach 11 Jahren war die Inzidenz des Brustkrebses und die dadurch bedingte Mortalität
837 41.3 Östrogene
auch noch lange nach Abbruch der kombinierten Hormontherapie um 78 bzw. 96 % erhöht (Chlebowski et al. 2010). In einem aktuellen Review zeigt sich bei ansonsten gesunden Frauen, die die Hormontherapie zur Zeit der Menopause begonnen haben, ein Trend, dass die Vorteile einer Hormontherapie die Nachteile überwiegen (Chester et al. 2018). Auch der Studienarm der Östrogenmonotherapie wurde in der WHI-Studie wegen fehlenden Nutzens vorzeitig nach 7,1 Jahren vor dem geplanten Studienende durch die National Institutes of Health (NIH) abgebrochen. Konjugierte equine Östrogene (0,625 mg/Tag) erhöhten das Schlaganfallsrisiko bei 10.739 postmenopausalen hysterektomierten Frauen in 6,8 Jahren signifikant um 39 % (276 Fälle) und das Lungenembolierisiko um 34 % (85 Fälle) (Womens Health Initiative Steering Committee 2004). Unklar ist aber in dieser Studie, ob diese Beobachtung auf andere Präparate oder auf eine transdermale Applikation übertragen werden kann. Bei transdermaler Applikation fanden sich keine vermehrten thromboembolischen Erkrankungen (Canonico et al. 2007). Das Risiko für Hüftfrakturen wurde in der WHI-Studie um 39 % (102 Fälle) reduziert. Die Risikoreduktionen für koronare Herzkrankheit (9 %) und Brustkrebs (23 %) waren eben noch nicht signifikant. Eine Nachuntersuchung der Östrogenmonotherapie nach insgesamt 10,7 Jahren hat keine erhöhten gesundheitlichen Risiken mehr gezeigt (LaCroix et al. 2011). Nach 13 Jahren hat eine post-hoc Auswertung der Östrogenmonotherapie bei jüngeren Frauen (50–59 Jahre) sogar günstigere Ergebnisse für Gesamtmortalität und Myokardinfarkte gezeigt, die jedoch nur als hypothesegenerierend angesehen werden (Manson et al. 2013). Die Empfehlungen in den Leitlinien zur Verordnung einer postmenopausalen Hormontherapie hatten sich dadurch nicht geändert (Keaney und Solomon 2016). Die Risikobewertung der Hormontherapie hatte bereits in der ersten NICE-Guideline zur Behandlung der Menopause eine gewisse Neubewertung erfahren (National Institute
41
for Health and Care Excellence 2015). Bei der Auswertung der Langzeitrisiken wurde festgestellt, dass das thromboembolische Risiko durch orale Präparate signifikant erhöht wird, nicht aber durch transdermale Präparate. Auch das kardiovaskuläre Risiko wird bei Frauen unter 60 Jahren durch die Hormontherapie nicht erhöht. Das koronare Risiko und das Brustkrebsrisiko werden nur durch ÖstrogenGestagenkombinationen erhöht, jedoch kaum oder gar nicht durch die Östrogenmonotherapie. Den NICE Empfehlungen vergleichbare Empfehlungen finden sich auch in der aktualisierten deutsche Leitlinie „Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen“, die 2020 publiziert wurde (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 2020). Frauen mit vasomotorischen Symptomen soll nach Nutzen-Risiko-Aufklärung eine Hormonersatztherapie angeboten werden. Eine Hormonsubstitution erhöht das kardiovaskuläre Risiko wenn überhaupt, dann nur gering. Zur Prophylaxe kardiovaskulärer Ereignisse ist die Hormonersatztherapie ungeeignet. Vor Beginn der Hormontherapie sollen kardiovaskuläres Risiko und Brustkrebsrisiko der Patientinnen abgeklärt werden.
41.3.1
Östrogenmonopräparate
Die Verordnungen der Östrogenmonopräparate sind 2019 im Vergleich zu 2018 weiter mäßig angestiegen (. Tab. 41.2). Östrogenpflaster ermöglichen eine transdermale Resorption von Estradiol in Dosierungen von täglich 25–100 g bei zweimaliger bzw. einmaliger Gabe pro Woche, Gele werden in der Regel täglich appliziert. Die Estradiolapplikation als transdermaler Spray hat den stärksten Zuwachs im Vergleich zu 2018 zu verzeichnen. Transdermal werden infolge der Umgehung der Leber 40fach kleinere Estradioldosen benötigt. In die Leber gelangen auf diesem Wege erheblich geringere Hormonmengen, so dass die östrogenabhängige Synthese von Angiotensi-
838
41
Kapitel 41 Sexualhormone
. Tabelle 41.2 Verordnungen von Östrogenen 2019 (Monopräparate). Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Estradiol (transdermal) Lenzetto
Estradiol
18,1
(C25,7)
0,22
Estramon
Estradiol
12,0
(8,6)
0,31
Estreva
Estradiol
11,5
(C2,2)
0,20
Femoston mono
Estradiol
1,6
(C18,8)
0,26
Sisare Gel
Estradiol
1,3
(4,0)
0,36
44,3
(C7,3)
0,25
71,0
(C6,4)
0,23
Estradiol (oral) Gynokadin
Estradiol/-valerat
Estrifam
Estradiol
4,5
(10,0)
0,31
Estradiol fem JENAPHARM
Estradiolvalerat
3,5
(6,9)
0,21
Estradiol-1 A Pharma
Estradiol
2,2
(C0,5)
0,25
Progynova
Estradiolvalerat
0,99
(11,7)
0,32
82,2
(C4,3)
0,24
Weitere Östrogene (oral) Presomen
Konjugierte Estrogene
4,3
(11,1)
0,37
Oekolp
Estriol
2,2
(8,3)
0,29
Ovestin Tabl.
Estriol
1,4
(0,7)
0,59
7,9
(8,7)
0,38
Östrogene (vaginal) Oekolp Vaginal
Estriol
185,6
(C3,7)
0,11
Estriol Wolff
Estriol
30,3
(C10,7)
0,07
Ovestin Creme/Ovula
Estriol
23,5
(13,3)
0,09
Oestro-Gynaedron/M
Estriol
16,3
(C10,4)
0,09
Linoladiol-H N Creme
Estradiol Prednisolon
4,7
(2,9)
0,48
Linoladiol N Creme
Estradiol
3,8
(14,8)
0,15
Gynoflor
Estriol L. acidophilus
3,6
(C15,2)
1,51
267,8
(C2,7)
0,13
402,2
(C3,3)
0,17
Summe
41
839 41.3 Östrogene
nogen, Lipoproteinen und Gerinnungsfaktoren nicht übermäßig stimuliert wird. In einer Fallkontrollstudie wurden bereits vor 10 Jahren erste Daten erhoben, dass nur die orale, aber nicht die transdermale Hormontherapie mit einem erhöhten Thromboembolierisiko (4,2-fach versus 0,9-fach) einhergeht (Canonico et al. 2007, ESTHER). Daher werden transdermale Präparate für die Hormontherapie empfohlen (American College of Obstetricians and Gynecologists 2013; National Institute for Health and Care Excellence 2015). Gleiches stellt aktuell die deutsche Leitlinie fest (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 2020). Die Verordnungen der oralen Östrogenmonopräparate mit konjugierten equinen Östrogenen haben erneut abgenommen und spielen praktisch kaum noch eine Rolle (. Tab. 41.2). Sie werden aus dem Harn trächtiger Stuten extrahiert und liegen hauptsächlich als Estron und Equilin in Form konjugierter Sulfate vor. Eine systematische Übersicht über 32 Studien zeigte für konjugierte equine Östrogene und Estradiol vergleichbare Kurzzeiteffekte auf menopausale Hitzewallungen (Nelson 2004). Nur geringe Verordnungsmengen entfallen auf orales Estriol, das nur eine schwache östrogene Wirkung hat. Es stimuliert das En-
dometrium nur noch schwach und löst kaum Blutungen aus. Postmenopausale Dysphorien und lokale Befunde im Genitalbereich werden gemindert. Vaginale Östrogenpräparate hatten 2019 ein weiter leicht steigendes Verordnungsvolumen (. Tab. 41.2), machen jedoch zwei Drittel der DDD aller Östrogenmonopräparate aus (. Abb. 41.1). Vaginale Sexualhormonpräparate enthalten überwiegend Estriol, den schwächer wirksamen Metaboliten von Estradiol. Die beiden Östrogene werden erfolgreich im Rahmen der postmenopausalen Östrogentherapie als Lokaltherapeutika bei Genitalatrophien, postmenopausalen Dysurien und zur Prophylaxe bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen eingesetzt. Östrogene werden nach vaginaler und kutaner Applikation schnell resorbiert und haben im Vergleich zur systemischen Therapie eine bessere symptomatische Wirkung (Long et al. 2006).
41.3.2
Östrogenkombinationen
Östrogen-Gestagen-Kombinationen haben 2019 gering abgenommen (. Tab. 41.3). Die rückläufige Verordnungsentwicklung der
. Tabelle 41.3 Verordnungen von Östrogen-Gestagen-Kombinationen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Estradiol und Norethisteron Estramon comp
Estradiol Norethisteronacetat
12,9
(C34,4)
0,52
Cliovelle
Estradiolvalerat Norethisteronacetat
5,7
(13,7)
0,40
Activelle
Estradiol Norethisteronacetat
3,2
(28,4)
0,42
Clionara
Estradiol Norethisteronacetat
1,2
(35,4)
0,40
22,9
(C2,1)
0,47
840
41
Kapitel 41 Sexualhormone
. Tabelle 41.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Estradiol und Levonorgestrel Cyclo Progynova N
Estradiolvalerat Levonorgestrel
5,0
(C4,4)
0,36
Wellnara
Estradiol Levonorgestrel
3,2
(4,8)
0,42
8,2
(C0,6)
0,39
Estradiol und Dienogest Lafamme
Dienogest Estradiolvalerat
22,3
(3,1)
0,42
Velbienne
Dienogest Estradiolvalerat
3,5
(4,0)
0,37
Ladivella
Dienogest Estradiolvalerat
2,2
(5,1)
0,37
Ariora
Dienogest Estradiolvalerat
1,5
(C26,4)
0,33
29,5
(2,2)
0,41
Östrogene und andere Gestagene Femoston Conti/-mini
Estradiol Dydrogesteron
13,4
(C4,7)
0,42
Femoston
Estradiol Dydrogesteron
6,5
(4,8)
0,42
Presomen compositum/Presomen conti
Konjugierte Östrogene Medrogeston
6,0
(12,1)
0,42
Angeliq
Estradiol Drospirenon
3,1
(11,9)
0,42
29,0
(3,2)
0,42
89,5
(1,2)
0,43
Summe
Östrogenpräparate für die postmenopausale 41.4 Gestagene und Hormonsubstitution entspricht den derzeitigen Progesteronantagonisten Empfehlungen zur Hormontherapie, die von mehreren Fachgesellschaften und ArzneimitGestagene haben im Gegensatz zu den Östelbehörden publiziert wurden (siehe oben). trogenen ein sehr viel kleineres Verordnungsvolumen, das bis 2011 ebenfalls rückläufig war, seitdem aber kontinuierlich auf zuletzt 47,3 Mio. DDD im Jahre 2019 weiter zuge-
41
841 41.4 Gestagene und Progesteronantagonisten
. Tabelle 41.4 Verordnungen von Gestagenen und Progesteronantagonisten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Progesteron Famenita
Progesteron
11,3
(11,5)
0,93
Utrogest
Progesteron
10,0
(C107,0)
1,12
Progestan
Progesteron
3,3
(C7,3)
0,88
Progestogel
Progesteron
2,5
(5,6)
0,63
Prolutex
Progesteron
0,13
(0,9)
7,78
27,4
(C16,1)
1,00
Weitere Gestagene Chlormadinon JENAPHARM
Chlormadinon
7,5
(C5,5)
0,43
Visanne
Dienogest
7,4
(C12,0)
1,82
Duphaston
Dydrogesteron
4,1
(C7,4)
0,42
MPA Gyn HEXAL
Medroxyprogesteronacetat
0,95
(C4,7)
0,39
19,9
(C8,2)
0,94
47,3
(C12,6)
0,97
Summe
nommen hat (. Abb. 41.1). Gestagene wirken zusammen mit Östrogenen auf nahezu alle weiblichen Reproduktionsvorgänge. Sie hemmen die Östrogen-induzierte Proliferation des Endometriums und induzieren die Sekretionsphase. Alle Gestagene unterdrücken dosisabhängig die Ovulation und hemmen die Tubenmotilität. In der Schwangerschaft führen Progesteron und 17’-Hydroxyprogesteron zu einer Ruhigstellung des Uterus. Gestagene werden entweder als natürliches Progesteron oder als synthetische Gestagene eingesetzt, die sich von dem natürlichen Gestagen Progesteron oder von Testosteron ableiten. Die meisten Derivate haben unterschiedliche Zusatzeffekte auf androgene und östrogene Hormonwirkungen. Indikation der oralen Progesteronpräparate (z. B. Famenita, Utrogest, Progestan) und von Dydrogesteron (Duphaston) ist neben der Verwendung in der Reproduktionsmedizin die Endometriumpro-
tektion für die postmenopausale Hormontherapie mit Östrogenen bei nicht hysterektomierten Frauen. Das relativ teure, täglich subkutan zu applizierende Progesteron Prolutex wird überwiegend in der assistierten Reproduktion eingesetzt, spielt aber mit einem kleinen Verordnungsvolumen nur eine sehr untergeordnete Rolle (. Tab. 41.4). Außerdem gibt es ein Progesterongel (Progestogel), das bei hormonbedingten prämenstruellen Brustschmerzen zur lokalen Applikation auf der Brust angewendet werden soll. Progesteron wird nur zu 10 % durch die Haut resorbiert und schnell zu unwirksamen Metaboliten abgebaut. Tatsächlich wirkte eine 1 % Progesteroncreme gegen zyklusbedingte Brustschmerzen nicht besser als Placebo (McFadyen et al. 1989). Auch nach einem Cochrane-Review gibt es keine gute Evidenz für die Behandlung des prämenstruellen Syndroms mit Progesteron (Ford et al. 2012).
842
41
Kapitel 41 Sexualhormone
Chlormadinon ist zusätzlich noch für Gestagenmangelzustände bei sekundärer Amenorrhö, dysfunktionellen Blutungen und unregelmäßigen Zyklen zugelassen. Dienogest (Visanne) ist ausschließlich zur Behandlung der Endometriose zugelassen. Seine Verordnung hat 2019 abermals zugenommen und ist damit nach Progesteron und Chlormadinon weiterhin das dritthäufigste verordnete Gestagen (. Tab. 41.4). Mittlerweile sind mehrere Generika für Dienogest zugelassen.
41.5
Hormonale Kontrazeptiva
Kontrazeptiva gehören bis auf wenige Ausnahmen zur Gruppe der Östrogen-GestagenKombinationen. Als Ovulationshemmer supprimieren sie in erster Linie die Ausschüttung des hypothalamischen Gonadotropin-Releasinghormons und der hypophysären Gonadotropine. Dadurch hemmen sie Follikelwachstum, Ovulation und Gelbkörperbildung. Die Gestagenkomponente vermindert zusätzlich die Proliferation des Endometriums (Nidationshemmung) und steigert die Viskosität des Zervixschleims (Hemmung der Spermienaszension). Orale Kontrazeptiva sind seit ihrer Einführung vor fast 60 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt worden, um das Nebenwirkungsrisiko zu reduzieren. Nach der Beobachtung von seltenen, aber gefährlichen kardiovaskulären Komplikationen in Form von Schlaganfällen, Herzinfarkten und Thromboembolien (Royal College of General Practitioners 1981) wurde zunächst Ethinylestradiol als wichtigste Östrogenkomponente von 50 auf 20–35 g pro Tag reduziert. Mit diesen Präparaten gingen die thromboembolischen Zwischenfälle zurück. In einer dänischen Kohortenstudie an 1,6 Mio. Frauen war das absolute Risiko thromboembolischer Komplikationen (Schlaganfälle, Herzinfarkte) gering, wurde aber durch höher dosiertes Ethinylestradiol (30–40 g/Tag) stärker als durch niedrig dosierte Präparate (20 g Tag) erhöht (Lidegaard et al. 2012). Nach
der Einführung niedrig dosierter Gestagene aus der Gruppe der Gonangestagene (Desogestrel 1981, Gestoden 1987) wurden im Oktober 1995 drei große Studien bekannt, die ein erhöhtes thromboembolisches Risiko für die beiden niedrig dosierten Gestagene zeigten (World Health Organization Collaborative Study 1995; Jick et al. 1995; Spitzer et al. 1996). Eine Metaanalyse von 12 Studien bestätigte, dass orale Kontrazeptiva der dritten Generation (Desogestrel, Gestoden) ein 1,7fach erhöhtes Thromboserisiko im Vergleich zu Kontrazeptiva der zweiten Generation hatten (Kemmeren et al. 2001). Auch für Drospirenon wurde ein erhöhtes thromboembolisches Risiko beschrieben (Wu et al. 2013). Nach einer industriegesponserten Fallkontrollstudie soll das Thromboserisiko durch Dienogestund Drospirenonkombinationen gegenüber Levonorgestrelkombinationen aber nicht erhöht sein (Dinger et al. 2010). Ein Cochrane-Review von 26 Studien zeigte jedoch weiterhin ein um 50–100 % erhöhtes Thromboserisiko von Kontrazeptivakombinationen mit Gestoden, Desogestrel, Cyproteronacetat oder Drospirenon im Vergleich zu Levonorgestrelkombinationen (de Bastos et al. 2014). Das niedrigste Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall wird einer Ethinylestradioldosis von max. 30 g/Tag und Levonorgestrel zugeschrieben (Roach et al. 2015). In dieser Cochrane-Analyse über 24 Studien lag das relative Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle bei 1,6 (95 % CI 1,3–1,9). Eindeutige Unterschiede je nach Gestagentyp zeigten sich nicht (Roach et al. 2015). Ein weiteres seit langem diskutiertes Nebenwirkungsrisiko ist die Karzinogenität. Nach Anwendung hormonaler Kontrazeptiva ist das Risiko für Mamma- und Zervixkarzinome sowie für das Leberkarzinom in Populationen mit niedriger Inzidenz chronischer Leberkrankheiten erhöht, während das Risiko für Endometrium- und Ovarialkarzinome vermindert ist (Beral et al. 2008). Aus diesem Grunde hat eine Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation die kombinierte Behandlung mit Östrogen-Gestagenkombinationen zur Kontra-
41
843 41.5 Hormonale Kontrazeptiva
zeption und postmenopausalen Hormonsubsti- lungen zur Kostenerstattung (. Abb. 41.1). tution als karzinogen klassifiziert (Cogliano Hauptsächlich Levonorgestrelkombinationen et al. 2005). und Kombinationen mit Chlormadinon sind stark angestiegen (. Tab. 41.5). Bzgl. der absoluten Verordnungszahlen haben Levonorgestrelkombinationen Kontrazeptiva mit 41.5.1 Einphasen- und Dienogest wieder deutlich überholt. DienoSequenzialpräparate gest ist ein gestagenes Nortestosteronderivat mit antiandrogenen Eigenschaften, das 1995 Die Verordnungen der hormonalen Kontrazep- in Deutschland zur hormonalen Kontrazeption tiva waren seit 2010 überwiegend rückläufig und zur Behandlung von Frauen mit Akne einund sind 2019 wieder deutlich zunehmend geführt wurde. Laut aktueller Fachinformation infolge der geänderten gesetzlichen Rege- ist das relative Thromboserisiko von Dieno-
. Tabelle 41.5 Verordnungen von Kontrazeptiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Mit Levonorgestrel Evaluna
Ethinylestradiol Levonorgestrel
41,9
(C207,3)
0,22
Swingo
Ethinylestradiol Levonorgestrel
35,9
(C97,9)
0,20
Asumate
Ethinylestradiol Levonorgestrel
18,1
(41,3)
0,25
Minisiston/-fem
Ethinylestradiol Levonorgestrel
8,8
(C4,2)
0,28
Microgynon
Ethinylestradiol Levonorgestrel
5,3
(C10,4)
0,23
Monostep
Ethinylestradiol Levonorgestrel
4,7
(C81,4)
0,25
Femikadin
Ethinylestradiol Levonorgestrel
4,6
(29,7)
0,22
Kleodina
Ethinylestradiol Levonorgestrel
4,3
(C6,9)
0,21
Leona HEXAL
Ethinylestradiol Levonorgestrel
2,3
(60,1)
0,26
Levomin
Ethinylestradiol Levonorgestrel
1,9
(56,3)
0,17
Leios
Ethinylestradiol Levonorgestrel
1,8
(C3,1)
0,31
129,6
(C28,5)
0,22
844
41
Kapitel 41 Sexualhormone
. Tabelle 41.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Mit Desogestrel Desofemine
Ethinylestradiol Desogestrel
2,9
(C3,0)
0,21
Lamuna
Ethinylestradiol Desogestrel
2,7
(C19,1)
0,23
Cedia
Ethinylestradiol Desogestrel
1,9
(C22,0)
0,21
7,5
(C13,0)
0,22
Mit Chlormadinonacetat Belara
Ethinylestradiol Chlormadinonacetat
14,6
(C19,9)
0,39
Angiletta
Ethinylestradiol Chlormadinonacetat
7,8
(C94,6)
0,26
Chariva
Ethinylestradiol Chlormadinonacetat
1,8
(3,9)
0,30
Bellissima
Ethinylestradiol Chlormadinonacetat
1,5
(C36,0)
0,31
25,7
(C34,2)
0,34
Mit Dienogest Maxim
Ethinylestradiol Dienogest
61,1
(C23,5)
0,27
Dienovel
Ethinylestradiol Dienogest
13,5
(C20,2)
0,21
Sibilla
Ethinylestradiol Dienogest
10,5
(9,9)
0,21
Aristelle
Ethinylestradiol Dienogest
6,1
(C81,8)
0,20
Velafee
Ethinylestradiol Dienogest
5,6
(C2,6)
0,24
Starletta HEXAL
Ethinylestradiol Dienogest
2,3
(C242,3)
0,20
99,1
(C21,1)
0,24
1,7
(51,7)
0,40
Mit Nomegestrol Zoely
Estradiol Nomegestrol
41
845 41.5 Hormonale Kontrazeptiva
. Tabelle 41.5 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
1,4
(C182,9)
0,35
264,9
(C24,7)
0,24
Mit Drospirenon Sidretella
Ethinylestradiol Drospirenon
Summe
gest um Faktor 1,6 erhöht und somit höher im Vergleich zu Levonorgestrel, Norgestimat oder Norethisteron. Desogestrelkombinationen haben 2019 bei insgesamt niedrigen Verordnungszahlen deutlich zugenommen (. Tab. 41.5). Für Desogestrel ist schon seit 20 Jahren ein erhöhtes thromboembolisches Risiko bekannt (Kemmeren et al. 2001). Auch für Drospirenon-haltige Kontrazeptiva haben zwei Kohortenstudien aus Israel und Dänemark gezeigt, dass die Anwendung mit einem erhöhten Thromboembolierisiko verbunden ist (Lidegaard et al. 2009; Gronich et al. 2011). Drospirenonhaltige Präparate spielen in absoluten Verordnungszahlen kaum eine Rolle. Die 2012 eingeführte Nomegestrolkombination Zoely zeigt 2019 bei äußerst geringen Verordnungszahlen einen massiven Verordnungsrückgang (. Tab. 41.5), der vermutlich durch Lieferverzögerungen des Herstellers bedingt war (Deutsche Apothekerzeitung 2019). Das Präparat enthält ein seit 30 Jahren bekanntes Gestagen in fixer Kombination mit natürlichem Estradiol. Im direkten Vergleich mit einer Drospirenonkombination hatte Zoely einen sicheren Konzeptionsschutz, verursachte aber häufiger Nebenwirkungen wie Veränderungen der monatlichen Abbruchblutung, Akne und Gewichtszunahme (Übersicht bei Yang und Plosker 2012). Sequenzialpräparate sind nur mit einem Präparat vertreten (. Tab. 41.6), das 2019 massiv mehr verordnet wurde, weil es von Frauenärzten als Estradiol-haltige Alternative für das zeitweise nicht lieferbare Zoely an-
gesehen wurde. Bei Qlaira handelt es sich um ein Dreiphasenpräparat, das wie Zoely natürliches Estradiol, aber in größerer Menge, enthält. Es gibt bisher keine zuverlässigen Kriterien für die Entscheidung, ob eine Patientin eher Einphasen- oder Sequenzialpräparate einnehmen sollte.
41.5.2
Gestagenmonopräparate
Eine deutliche Steigerung findet sich bei Gestagenmonopräparaten um 45 %. Gestagenmonopräparate sind 2019 in der Liste der topverordneten Präparate mit einem Depotpräparat und 5 Desogestrelpräparaten oral vertreten (. Tab. 41.6). Depo-Clinovir ist ein Depotpräparat, das alle 12 Wochen i. m. injiziert wird. Danach folgen orale niedrig dosierte Desogestrelpräparate mit einem erneut kräftig gestiegenen Verordnungsvolumen. Sie enthalten eine halb so hoch dosierte Gestagenmenge (75 g/Tag) wie die Desogestrelkombinationen aus der Gruppe der Einphasenpräparate (z. B. Lamuna), weisen aber einen genauso sicheren Konzeptionsschutz wie Einphasenpräparate auf.
41.5.3
Vaginale hormonale Kontrazeptiva
Die vaginal anwendbare Östrogen-GestagenKombination NuvaRing enthält ein vaginales
846
41
Kapitel 41 Sexualhormone
. Tabelle 41.6 Verordnungen von weiteren Kontrazeptiva 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Sequenzialpräparate Qlaira
Estradiolvalerat Dienogest
3,6
(C132,2)
0,48
Medroxyprogesteron
3,2
(C18,2)
0,30
Solgest
Desogestrel
5,5
(C77,0)
0,21
Desirett
Desogestrel
3,8
(C13,3)
0,25
Desogestrel Aristo
Desogestrel
2,1
(C21,7)
0,19
Feanolla
Desogestrel
1,7
(C381,3)
0,19
Jubrele
Desogestrel
1,3
(4,4)
0,26
14,5
(C45,2)
0,22
Depotgestagene Depo-Clinovir Gestagenpräparate
Vaginale Kontrazeptiva Ginoring
Ethinylestradiol Etonogestrel
3,7
(C263,3)
0,38
NuvaRing
Ethinylestradiol Etonogestrel
2,7
(29,9)
0,53
Circlet
Ethinylestradiol Etonogestrel
1,9
(C122,0)
0,44
Setlona
Ethinylestradiol Etonogestrel
1,9
(C428,6)
0,38
10,2
(C67,9)
0,43
31,5
(C54,9)
0,33
Summe
Freisetzungssystem, das pro Tag 15 g Ethinylestradiol und 120 g Etonogestrel abgibt. Mittlerweile sind mehrere Ringsysteme auf dem Markt. Diese Generika haben einen starken Zuwachs erlebt, während die Verordnung von NuvaRing rückläufig war. Vorteile sind die einmal monatliche Anwendung sowie die Möglichkeit, Östrogene und Gestagene in niedrigeren Dosen anzuwenden als bei kombinierten oralen Kon-
trazeptiva. Daraus resultieren konstante Serumhormonspiegel, gute Zyklusstabilität und sichere Kontrazeption bei Magen-Darm-Störungen. In einer offenen Einjahresstudie an 1.030 Frauen wurde eine vergleichbare Wirksamkeit und Verträglichkeit wie mit einem oralen Kontrazeptivum festgestellt (Oddsson et al. 2005). Im Gegensatz zu 2018 hat die Verordnung wieder sehr deutlich angezogen.
847
41
Literatur
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Kapitel 41 Sexualhormone
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42
849
Urologika Bernd Mühlbauer und Hartmut Oßwald
Auf einen Blick
des benignen Prostatasyndroms eher stagnierten. Die Verordnungen anticholinerg wirkender Spasmolytika zur Behandlung der Harninkontinenz verzeichnen nach jahrelanger Plateauphase wieder einen leichten Anstieg; an der kontroversen Diskussion zum Ausmaß des therapeutischen Nutzens dieser Substanzen hat sich jedoch nichts geändert.
Verordnungsprofil Mit 73 % der Verordnungen bleiben Prostatamittel die überwiegende Gruppe der Urologika. Urologische Spasmolytika repräsentieren weiterhin 27 % des Verordnungsvolumens, während Urolithiasis- und Kathetermittel nur sehr geringe Verordnungszahlen erreichen. Trend Die langjährige Zunahme des Verordnungsvolumens von Alpha1 -Rezeptorenblockern zur Behandlung von Miktionsstörungen hat sich 2019 fortgesetzt, während die 5’-Reduktasehemmer zur Behandlung
Urologika werden zur Behandlung von Miktionsstörungen im weitesten Sinne angewandt, denen Störungen der Blase und – bei Männern – der Prostata sowie verschiedene andere uro-
500 Alpha-1-Rezeptorenblocker Urologische Spasmolytika 5-Alpha-Reduktasehemmer
450
437 421
400
350
328
335
345
393
399
187
186
186
193
371
380
185
356
(Mio. DDD)
300
250
200
150
151
168
173
88
93
75
83
58
69
79
64
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
160
100 51
200
94
50
0 2010
2019
. Abb. 42.1 Verordnungen von Urologika 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_42
850
42
Kapitel 42 Urologika
logische Erkrankungen zugrunde liegen. Die beiden wichtigsten Arzneimittelgruppen sind Prostatamittel (Alpha1 -Rezeptorenblocker, 5’Reduktasehemmer) und urologische Spasmolytika (. Abb. 42.1). Das Verordnungsvolumen der gesamten Indikationsgruppe hat 2019 gegenüber dem Vorjahr wieder leicht zugenommen (siehe . Tab. 1.2).
42.1
Prostatamittel
Die benigne Prostatahyperplasie tritt bei Männern ab einem Alter von ca. 50 Jahren auf und führt zu einer zunehmenden, individuell unterschiedlichen Größenzunahme der Prostata. Ohne subjektive Beschwerden oder klinisch relevante Obstruktion bedarf sie keiner Therapie. Bei der Hälfte der betroffenen Patienten kommt es allerdings im weiteren Verlauf zu einer behandlungsbedürftigen Blasenentleerungsstörung mit Nykturie, zu Restharnbildung und Überlaufblase bis hin zur Harninkontinenz. Das klinische Bild wird als LUTS (lower urinary tract symptoms) zusammengefasst. Symptome, Pathophysiologie, objektiv quantifizierbare somatische Befunde, subjektive Symptomatik sowie Progredienz dieser Erkrankung weisen eine große interindividuelle Varianz auf, was die vergleichende Beurteilung klinischer Studien erschwert. Die Bezeichnung benignes Prostata-Syndrom ist der Überbegriff für die symptomatischen Störungen und wird je nach pathophysiologischem Hintergrund in Prostatavergrößerung, Prostataobstruktion oder Blasenauslassobstruktion unterschieden. Die therapeutische Vorgehensweise ist in der aktuellen Leitlinie der European Association of Urology zusammengefasst (Gravas et al. 2019). Bei milder Symptomatik ist beobachtendes Zuwarten („watchful waiting“) gerechtfertigt. Als Standardverfahren bei vergrößerter Prostata und deutlicher Symptomatik (zunehmendes Restharnvolumen und rezidivierende Harnverhaltungen) gilt die transurethrale Resektion der Prostata. Alternativen
sind zahlreiche andere Behandlungsverfahren (z. B. Laserkoagulation, Laserresektion, transurethrale Mikrowellentherapie). Mit selektiven Inhibitoren adrenerger Alpha1 -Rezeptoren sowie des Enzyms 5’-Reduktase (bei Überwiegen der Prostatavergrößerung) stehen medikamentöse Therapieoptionen zur Verfügung, die bei leichter bis mäßiger Symptomatik, zumindest in der Zeit bis zur Operation, eine wirksame Behandlung möglich machen. Da die medikamentösen Strategien in der Regel nur zu symptomatischen Verbesserungen führen, muss vor Behandlungsbeginn eine differenzierte urologische Beurteilung erfolgen, da sonst eine bisher asymptomatische, aber ausgeprägte Obstruktion außer Kontrolle geraten kann.
42.1.1
Adrenerge Alpha1 Rezeptorenblocker
Adrenerge Alpha1 -Rezeptorenblocker werden aufgrund ihrer vasodilatierenden Wirkungen seit langem als Antihypertensiva eingesetzt (7 Kap. 15). Daneben blockieren sie die Alpha1 -Rezeptoren in der glatten Muskulatur der Prostata und des Blasenhalses, so dass der Urinfluss ansteigt und das Restharnvolumen sinkt. Aufgrund der besseren kardiovaskulären Verträglichkeit werden bei LUTS ausschließlich selektive Alpha1 -Rezeptorenblocker wie Tamsulosin eingesetzt. Ausreichend lange Eliminationshalbwertszeiten oder galenische Retardierung erlauben bei allen verfügbaren Substanzen eine tägliche Einmaldosierung. Trotz der hohen Zahl klinischer Untersuchungen zu den Alpha1 -Rezeptorenblockern ist aufgrund der Heterogenität in Design und methodischer Qualität die Datenlage unübersichtlich. Im Wesentlichen sind Steigerungen der Urinflussrate um 20–35 % nachgewiesen worden, wobei vergleichende Studien oder Übersichten einmal weniger (Chapple 1996), einmal mehr (Djavan und Marberger 1999; Tsujii 2000) Unterschiede zwischen den einzelnen Substanzen berichten. In der Mehrzahl der Studien zeigen sich
42
851 42.1 Prostatamittel
. Tabelle 42.1 Verordnungen von Alpharezeptorenblockern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tamsulosin Tamsulosin BASICS
Tamsulosin
102,5
(33,7)
0,22
Tamsulosin Zentiva
Tamsulosin
73,6
(> 1.000)
0,19
Tamsulosin-1 A Pharma
Tamsulosin
56,1
(24,4)
0,21
Tamsulosin AbZ
Tamsulosin
44,3
(C38,0)
0,18
Tamsulosin Heumann
Tamsulosin
30,6
(16,5)
0,23
Tamsublock
Tamsulosin
29,4
(C32,5)
0,21
Tamsulosin AL
Tamsulosin
28,9
(C1,5)
0,23
Tamsulosin Aristo
Tamsulosin
4,2
(C7,6)
0,21
Tamsunar
Tamsulosin
2,8
(12,7)
0,21
Tadin
Tamsulosin
2,6
(14,6)
0,26
Tamsulosin Uropharm
Tamsulosin
2,4
(C5,4)
0,21
Tamsulosin Esparma
Tamsulosin
1,8
(9,3)
0,21
Tamsulosin STADA
Tamsulosin
1,4
(20,8)
0,21
380,5
(C4,5)
0,21
Terazosin Tera TAD
Terazosin
2,3
(C27,6)
0,30
Terablock
Terazosin
1,3
(C13,1)
0,38
Terazosin Aristo
Terazosin
1,2
(44,4)
0,36
4,9
(6,4)
0,34
Alfuzosin Alfuzosin Zentiva
Alfuzosin
20,1
(C14,9)
0,20
Alfuzosin Winthrop
Alfuzosin
7,1
(C7,0)
0,28
Alfuzosin Aurobindo
Alfuzosin
2,6
(48,6)
0,20
Alfuzosin-1 A Pharma
Alfuzosin
2,6
(C460,5)
0,21
32,4
(C9,2)
0,22
6,2
(C10,7)
0,32
424,0
(C4,8)
0,21
Weitere Alpharezeptorenblocker Urorec Summe
Silodosin
852
42
Kapitel 42 Urologika
auch in den Placeboarmen erhebliche Responderraten, so dass die absoluten Unterschiede eher gering sind. Die selektiven Alpha1 -Rezeptorenblocker haben auch 2019 den seit über einem Jahrzehnt zu beobachtenden Verordnungszuwachs fortgesetzt (. Abb. 42.1) und stellen einen Anteil von fast 60 % am DDD-Volumen der gesamten Indikationsgruppe der Urologika dar. Tamsulosin hat seine führende Position mit knapp 90 % der Verordnungen dieser Wirkstoffgruppe behauptet. Das ähnlich preisgünstige Alfuzosin verzeichnete einen deutlichen Verordnungsanstieg, die etwas teureren Terazosinpräparate einen Rückgang (. Tab. 42.1). Das zuletzt eingeführte Silodosin (Urorec) zeigt im Vergleich zu Tamsulosin keine höhere Wirksamkeit, dafür aber häufiger (14 % vs. 2 %) die für diese Wirkstoffgruppe typische Nebenwirkung Erektionsstörung (Chapple et al. 2011), die früher als „retrograde Ejakulation“ beschrieben wurde. Nach mehrfachen Preissenkungen hat Urorec seinen Verordnungsanteil steigern können, es spielt aber beim Verordnungsvolumen eine vernachlässigbare Rolle (. Tab. 42.1). Nach einem systematischen Review haben alle Alpha1 -Rezeptorenblocker eine vergleichbare Wirksamkeit bei der symptomatischen Behandlung des benignen Prostatasyndroms (Milani und Djavan 2005). In Kurzzeitstudien über 2–3 Monate verbesserten sie den Gesamtsymptomenscore um 30–45 % und die maximale Urinflussrate um 15–30 % gegenüber den Ausgangswerten. Dabei hatten Alfuzosin (10 mg/Tag) und Tamsulosin (0,4 mg/Tag) eine etwas bessere kardiovaskuläre Verträglichkeit als Doxazosin und Terazosin, während Tamsulosin häufiger Ejakulationsstörungen (s. o.) auslöste. Kontrollierte Langzeitstudien zu Alpharezeptorenblockern bei der benignen Prostatahyperplasie liegen nur für Doxazosin vor (Kirby et al. 2003), das schon seit Jahren nicht mehr unter den 3.000 am häufigsten verordneten Arzneimitteln auftaucht.
42.1.2
5’-Reduktasehemmer
Hemmstoffe des in zwei Isoformen (Typ 1 und 2) vorkommenden Enzyms 5’-Reduktase verringern die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron, welches das primäre Androgen der Prostata ist und für die Zunahme des Prostatavolumens verantwortlich gemacht wird. Die Reduktion der Prostatavolumina, der LUTS Symptomatik sowie die Senkung des PSA-Wertes mit Hemmstoffen der 5’-Reduktase zeigten sich in einer Metaanalyse sechs relevanter klinischer Studien (Boyle et al. 1996). Gemäß den oben erwähnten Therapieempfehlungen ist ein Erfolg der Therapie mit 5’-Reduktasehemmern vor allem bei Prostatavolumina über 40 ml zu erwarten. Finasterid hat nach stetiger Verordnungszunahme in den Vorjahren in 2019 kaum noch zugelegt (. Tab. 42.2). Zum ersten Mal unter den 3.000 am häufigsten verordneten Arzneimitteln vertreten ist das als Monopräparat spät eingeführte Dutasterid, das im Gegensatz zu Finasterid zusätzlich auch den Typ 1 der 5’-Reduktase hemmt. Eine einjährige direkte Vergleichsstudie zeigte allerdings keine Unterschiede im Wirkungs- oder Nebenwirkungsprofil (Nickel et al. 2011). Dutasterid besitzt bisher keinen relevanten Verordnungsanteil (. Tab. 42.2). Während früher lediglich die 5’Reduktase-vermittelte Aktivierung von Testosteron zu Dihydrotestosteron betrachtet wurde, ist in den letzten Jahren die ebenfalls durch sie bedingte Umwandlung von Progesteron, Desoxycorticosteron, Aldosteron und Corticosteron in deren entsprechende 5’-Dihydroderivate in den Fokus gerückt. Diese sind Substrate der 3’-HydroxysteroidDehydrogenase, die wiederum die Bildung von neuroaktiven Steroidhormonen katalysiert. Dies lässt einige bekannte, aber in ihrem Mechanismus bisher nicht vollständig verstandenen Nebeneffekte in neuem Licht erscheinen (Traish et al. 2015). Zwei große klinische Studien zur Prävention des Prostatakarzinoms mit den beiden 5’-Reduktasehemmern wa-
42
853 42.1 Prostatamittel
. Tabelle 42.2 Verordnungen von 5’-Reduktasehemmern 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Finasterid Finasterid Winthrop
Finasterid
20,1
(C379,4)
0,56
Finasterid Aurobindo
Finasterid
16,1
(42,8)
0,52
Finasterid Heumann
Finasterid
13,9
(17,3)
0,52
Finural
Finasterid
4,6
(11,5)
0,55
Finasterid Bluefish
Finasterid
2,6
(C24,8)
0,51
57,3
(C1,6)
0,53
Dutasterid Duodart
Tamsulosin Dutasterid
29,2
(C2,8)
1,10
Dutascar
Dutasterid
1,4
(C57,6)
0,57
30,6
(C4,4)
1,08
87,9
(C2,6)
0,72
Summe
ren allerdings enttäuschend, da die Inzidenz des höhergradigen Prostatakarzinoms (Gleason Score 7–10) gegenüber den jeweiligen Placebogruppen erhöht und nicht etwa erniedrigt war (Thompson et al. 2003; Andriole et al. 2010). Deshalb sollen Patienten hinsichtlich des Risikos eines Prostatakarzinoms regelmäßig überprüft werden. Darüber hinaus wurde in einem Rote-Hand-Brief auf mögliche Nebenwirkungen finasteridhaltiger Arzneimitteln (sexuelle Dysfunktionen, psychische Symptome bzw. Störungen) hingewiesen (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2018).
42.1.3
Kombinationstherapie
Aufgrund der unterschiedlichen pharmakodynamischen Mechanismen kann in ausgewählten Fällen die Kombination von Alpha1 -Rezeptorblockern und 5’-Reduktaseinhibitoren
eine komplementäre Wirkung entfalten. Für zwei solcher Kombinationen liegen mehrjährige Vergleichsstudien vor. Durch eine Kombinationstherapie mit Doxazosin und Finasterid wurde die klinische Progression bei Patienten mit symptomatischer benigner Prostatahyperplasie nach 4,5 Jahren im Vergleich zu Placebo deutlich stärker (66 %) gesenkt als durch die jeweiligen Einzelkomponenten (39 % bzw. 34 %) (McConnell et al. 2003, MTOPS). Nahezu identische Ergebnisse lieferten Dutasterid und Tamsulosin sowie deren Kombination über einen Zeitraum von 4 Jahren (Roehrborn et al. 2010, CombAT). Nur Dutasterid ist bisher als Fixkombination mit Tamsulosin verfügbar (Duodart). Es legte in 2019 noch einmal geringfügig zu und stellt nun über ein Drittel der Verordnungen von Präparaten mit 5’-Reduktaseinhibitoren (. Tab. 42.2) dar. Seine DDD-Nettokosten (1,10 C) liegen höher als die freie Kombination der preisgünstigsten Generika von Finasterid und Tamsulosin (0,70 C), was einem jährli-
854
42
Kapitel 42 Urologika
chen Einsparvolumen von fast 12 Mio. C ent- dem durch die relativ hohen Ansprechraten in den Placeboarmen. Dies betont den Wert einer spricht. intensiven therapeutischen Betreuung dieser Patienten, z. B. durch spezielles Verhaltenstraining (Physiotherapie). In Übersichtsarbeiten 42.2 Urologische Spasmolytika sind die verschiedenen therapeutischen Situationen sowie die zur Inkontinenzbehandlung Urologische Spasmolytika werden zur Be- verfügbaren Substanzen ausführlich beschriehandlung der Harninkontinenz eingesetzt. Die ben (Thüroff et al. 1998; Grünewald 2005). Die Einschätzung eines begrenzten theraanticholinerge Wirkung dieser Medikamente soll in der Blase hauptsächlich den Detrusorto- peutischen Nutzens der spasmolytischen Annus senken. Bei der Beurteilung der therapeuti- ticholinergika wird durch systematische Reschen Wirksamkeit urologischer Spasmolytika views unterstrichen. Sie kommen zwar zu dem muss die heterogene Ätiologie der Blasenfunk- Schluss, dass die Reduktion der Symptomatik tionsstörung beachtet werden, da sich daraus durch diese Präparate im Vergleich zu Placebo unterschiedliche Effizienzraten ableiten. So ist statistisch signifikant ist, dass aber das Effektbei erhöhter Detrusoraktivität infolge neuro- ausmaß insgesamt gering ist und die Lebenslogischer Erkrankungen, die mit Drang- oder qualität nur unerheblich beeinflusst wird. In Reflexinkontinenz einhergeht (Hyperreflexie), dem letzten Cochrane-Review zu diesem Theeine höhere Wirksamkeit von Anticholinergika ma (23 Studien, 3.685 Teilnehmer mit nichtzu erwarten als bei instabiler Blase, die bei- neurogener überaktiver Blase) wurde mit Anspielsweise der weit verbreiteten Inkontinenz ticholinergika häufiger eine symptomatische geriatrischer Pflegepatienten zugrunde liegt. Besserung im Vergleich zu Blasentraining erBei Überlaufinkontinenz (z. B. durch Prostata- reicht (58 % versus 43 %) (Rai et al. 2012). hyperplasie) oder Belastungsinkontinenz (z. B. Gleichzeitig trat als häufigste Nebenwirkung durch Sphinkterinsuffizienz) sollten Behand- Mundtrockenheit bei einem ein Drittel der mit lungen mit kausalem Therapieziel immer dif- Anticholinergika behandelten Patienten auf. ferentialtherapeutische Priorität erhalten. Bei Ein neuerer Review warnt vor dem Einsatz der häufigen Dranginkontinenz können Harn- dieser Wirkstoffe bei gebrechlichen älteren Pawegsentzündungen vorliegen, die einen kausa- tienten insbesondere wegen Beeinträchtigung len Behandlungsansatz ermöglichen. In jedem kognitiver Funktionen (Woodford 2018). DenFall sollte die Entscheidung zur Behandlung noch hat das Verordnungsvolumen der uroder Harninkontinenz auf gründlicher Anamne- logischen Spasmolytika seit 2010 um 32 % se und suffizienter Differentialdiagnostik ein- zugenommen (. Abb. 42.1). Über ein Drittel der Verordnungen entfällt schließlich des Ausschlusses eines Blasentumors beruhen, im Idealfall auf einer Untersu- auf Trospiumchlorid, das als parasympatholytisches Spasmolytikum bei vegetativ bedingten chung der Urodynamik. Die Heterogenität der Symptomatik, die Blasenfunktionsstörungen sowie bei gastroinVielfalt der pathophysiologischen Faktoren so- testinalen Spasmen der glatten Muskulatur einwie ein Mangel an differentialdiagnostischen gesetzt wird. Deutlich geringere VerordnungsErwägungen bei der Definition von Ein- und volumina haben zwei weitere ältere AntichoAusschlusskriterien sind vermutlich die Ursa- linergika. Oxybutynin ist aufgrund seiner breiche dafür, dass sich trotz einer wachsenden ten Datenbasis nach wie vor als therapeutischer Zahl von klinischen Studien kein eindeutiges Standard dieser Gruppe anzusehen. 2019 war Bild des therapeutischen Stellenwertes von an- die Verordnungshäufigkeit stabil (. Tab. 42.3). ticholinergen Spasmolytika in der Behandlung Das transdermale Oxybutininpräparat Kentera der Harninkontinenz ergibt. Erschwert wird weist mehr als doppelt so hohe DDD-Kosten die Quantifizierung von Therapieeffekten zu- auf, obwohl belastbare Überlegenheitsbeweise
42
855 42.2 Urologische Spasmolytika
. Tabelle 42.3 Verordnungen von urologischen Spasmolytika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Trospiumchlorid Spasmex
Trospiumchlorid
49,8
(C3,0)
0,86
Spasmolyt
Trospiumchlorid
8,5
(10,4)
0,91
Urivesc
Trospiumchlorid
6,8
(6,1)
0,43
65,1
(C0,0)
0,82
Oxybutynin Oxybugamma
Oxybutynin
3,0
(C30,5)
0,65
Kentera
Oxybutynin
2,9
(1,0)
1,59
Oxybutynin HCL Aristo
Oxybutynin
0,87
(43,4)
0,64
Oxybutynin-ratiopharm
Oxybutynin
0,41
(C27,6)
0,79
7,1
(C1,2)
1,03
Propiverin Mictonorm/Mictonetten
Propiverin
18,6
(2,9)
0,79
Propiverin Aristo
Propiverin
2,2
(C73,8)
1,16
Propiverin AL
Propiverin
1,8
(32,2)
1,10
22,6
(1,9)
0,86
Tolterodin Tolterodin/-tartrat Aristo
Tolterodin
2,4
(C127,9)
0,91
Tolterodin-PUREN
Tolterodin
1,8
(41,3)
0,90
Tolterodin-1 A Pharma
Tolterodin
1,6
(10,8)
0,90
Tolterodin AbZ
Tolterodin
1,4
(C11,4)
0,76
7,2
(C0,8)
0,87
(19,3)
0,57
Solifenacin Vesikur
Solifenacin
50,0
Solifemin TAD
Solifenacin
4,1
(Neu)
0,29
Solifenacin Succinat Zentiva
Solifenacin
1,7
(Neu)
0,31
55,8
(9,9)
0,54
Andere Spasmolytika Betmiga
Mirabegron
11,2
(C38,3)
1,00
Emselex
Darifenacin
9,6
(8,5)
0,56
856
Kapitel 42 Urologika
. Tabelle 42.3 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
42
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Tovedeso
Desfesoterodin
7,0
(C234,8)
0,47
Duloxetin Glenmark uro
Duloxetin
1,6
(8,3)
2,17
29,4
(C31,2)
0,80
187,2
(C0,3)
0,75
Summe
fehlen. Propiverin hat neben seiner anticholinergen Wirkung einen zusätzlichen muskulotropen Effekt und zeigte in einer Vergleichsstudie mit Oxybutynin weniger anticholinerge Nebenwirkungen (Madersbacher et al. 1999). Von den Präparaten mit dem Wirkstoff Tolterodin erreichen die Liste der 3.000 am häufigsten verordneten Arzneimittel nur noch Generika (. Tab. 42.3). Im Vergleich zu Oxybutynin hat Tolterodin etwas geringere anticholinerge Nebenwirkungen, was aber nach den Daten einer Metaanalyse zumindest bei Dranginkontinenz mit einer signifikant geringeren therapeutischen Wirksamkeit einherging. Dies deutet auf nicht äquieffektive Dosierungen in den Vergleichsstudien hin (Harvey et al. 2003). Mit dem Anspruch einer geringeren Rate anticholinerger Nebenwirkungen sind die beiden vorzugsweise an den M3 -Acetylcholinrezeptor der Blase bindenden Antagonisten Solifenacin und Darifenacin zur symptomatischen Therapie von Dranginkontinenz, Pollakisurie und imperativem Harndrang bei überaktiver Blase vor 10 Jahren eingeführt worden. Für beide Substanzen wurde in kurzen Phase IIIStudien eine im Vergleich zu Placebo höhere Wirksamkeit bei ähnlicher Nebenwirkungsrate wie unter Tolterodin beschrieben (Chapple et al. 2004; Haab et al. 2004). Ein CochraneReview über 86 Studien an 31.249 Patienten mit überaktiver Blase zeigte eine Überlegenheit von Solifenacin gegenüber Tolterodin bezüglich Inkontinenzperioden, Drangepisoden und Lebensqualität (Madhuvrata et al. 2012). Solifenacin hat sich seitdem zum führenden Wirkstoff der neueren Anticholinergika entwi-
ckelt. Nach deutlicher Verordnungssteigerung in den Vorjahren aufgrund deutlicher Preisreduktion im Zuge der Festbetragsgruppenbildung für urologische Spasmolytika (Bundesministerium für Gesundheit 2015) nahm es in 2019 trotz der ersten preisgünstigen Generika erneut im Verordnungsvolumen ab (. Tab. 42.3). Die Kosten der Solifenacingenerika liegen größtenteils 50 % unter dem Festbetrag und bergen damit ein Einsparpotential von 86 Mio. C für das Gesamtvolumen der urologischen Spasmolytika. In Anbetracht der limitierten Wirksamkeit der urologischen Spasmolytika plädieren wir sehr für die Nutzung dieser Wirtschaftlichkeitsreserven. Als Nachfolger von Fesoterodin wurde 2018 der aktive Metabolit Desfesoterodin (Tovedeso) von einem Generikahersteller auf den Markt gebracht (siehe auch Arzneiverordnungs-Report 2019, Kap. 3, Neue Arzneimittel 2018, Abschn. 3.1.10), der mit dem Preis unter dem Festbetrag liegt und auch 2019 weiter kräftig zulegte (. Tab. 42.3). Das bereits 1990 als Antidepressivum patentierte Duloxetin, ein selektiver SerotoninNoradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitor (SNRI) wurde 2004 auch zur Inkontinenzbehandlung der Frau zugelassen. Eine Zulassungsstudie (Millard et al. 2004) zeigte bei Patientinnen mit Stressinkontinenz lediglich eine Überlegenheit gegenüber Placebo. Übelkeit war die häufigste Nebenwirkung und hauptsächlich für den Studienabbruch von ca. 20 % der Patientinnen im Duloxetin-Arm verantwortlich. Diese schlechte Verträglichkeit zeigt sich offensichtlich auch im Praxisalltag: Im Vergleich zu den
42
857 42.3 Urolithiasis- und Kathetermittel
anderen Wirkstoffen bleibt das Verordnungsvolumen dieser auch als Generikum (Duloxetin Glenmark uro) teuersten Substanz der Indikationsgruppe vernachlässigbar (. Tab. 42.3). Das aufgrund gescheiterter Preisverhandlungen zunächst vom Markt genommene Mirabegron (Betmiga), der erste Vertreter der Beta-3-Adrenozeptoragonisten, ist wieder verfügbar – zu deutlich günstigerem Preis. Nach Fehlen signifikanter Vorteile gegenüber Tolterodin (Chapple et al. 2013; TAURUS) hatte der G-BA keinen Zusatznutzen für Mirabegron gesehen (Gemeinsamer Bundesausschuss 2014). Im Verordnungsvolumen hat es 2019 auf niedrigem Niveau einen hohen Verordnungszuwachs erreicht (. Tab. 42.3).
42.3
Urolithiasis- und Kathetermittel
Wie in den Vorjahren sind in dieser Arzneimittelgruppe auch 2019 nur wenige Präparate unter den 3.000 meistverordneten Arzneimitteln zu finden: Das lokalanästhesierende und oberflächendesinfizierende Kathetermittel Instillagel sowie drei Urolithiasismittel, eines mit Hydrogenphosphat (Reducto-Spezial) und zwei citrathaltige (Blemaren N, Blanel Brause) (. Tab. 42.4). Citrathaltige Präparate erhöhen die renale Bikarbonatausscheidung und bewirken dadurch eine Harnalkalisierung. Sie werden zur Prophylaxe von Cystin- und Harnsäuresteinen eingesetzt. Zusätzlich kann durch sie eine Hypocitraturie, die mit einem erhöhten Risiko für calciumhaltige Nierensteine einhergeht, korrigiert werden.
. Tabelle 42.4 Verordnungen von Urolithiasismitteln und Kathetermitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Urolithiasismittel Blemaren N
Citronensäure Kaliumhydrogencarbonat Natriumcitrat
1,1
(0,1)
1,29
Blanel Brause
Kalium-Natriumhydrogencitrat
0,73
(2,4)
1,10
Reducto-Spezial
Kaliumhydrogenphosphat Natriumhydrogenphosphat
0,22
(C1,1)
1,64
2,1
(0,8)
1,27
0,61
(1,3)
1,46
2,7
(0,9)
1,31
Kathetermittel Instillagel Summe
Lidocain Chlorhexidindigluconat
858
Kapitel 42 Urologika
Literatur
42
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861
43
Vitamine und Mineralstoffpräparate Katja Niepraschk-von Dollen
Auf einen Blick
Trend Nach dem 2004 erfolgten Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der vertragsärztlichen Versorgung werden in der Gruppe der Vitamine nahezu nur noch Vitamin-D-Präparate und Vitamin B12 (Cyanocobalamin) verordnet. Die Vitamin-D-Verordnungen haben seit 2012 wieder deutlich zugenommen und liegen jetzt sogar seit mehreren Jahren bereits höher als vor dem Verordnungsausschluss. Der Einsatz von Vitamin B12 -Präparaten nahm ebenfalls wieder langsam zu und hat den Stand von 2003 mittlerweile übertroffen. Auch die Verordnungen der verschreibungsfreien Mineralstoffpräparate nahmen 2004 erheblich ab. Während die Verordnungen von Kaliumpräparaten seitdem aber wieder angestiegen sind, bewegen sich die Magnesiumverordnungen nach dem massiven Einbruch von 2004 seit mehreren Jahren auf konstant niedrigem Niveau. Bewertung Colecalciferol wird zur Rachitisprophylaxe und zur Behandlung der Osteoporose eingesetzt, während die Metaboliten Alfacalcidol und Calcitriol insbesondere bei Dialysepatienten indiziert sind. Vitamin B12 wird vorwiegend für die parenterale Therapie schwerwiegender Vitaminmangelzustände wie der perniziösen Anämie benötigt. Kaliumpräparate dienen der Korrektur eines höhergradigen Kaliummangels. Magnesiumpräparate sind bei Magne-
siummangel indiziert, der aber bei der weiten Verbreitung von Magnesium in der Nahrung bei üblicher Kost selten ist.
Vitamine sind lebensnotwendige organische Verbindungen, die unter normalen Bedingungen in ausreichenden Mengen in der Nahrung enthalten sind, ausgenommen Vitamin D und Folat (Jungert et al. 2020). Eine zusätzliche Gabe von Vitaminen, insbesondere von Vitamin D, Folsäure und Vitamin B12 , ist nur bei ungenügender Zufuhr (z. B. Reduktionskost, Veganer, strikte Vegetarier), erhöhtem Bedarf (z. B. Säuglinge, Schwangere, Dialysepatienten) oder bei Resorptionsstörungen (z. B. perniziöse Anämie) indiziert. Der weitaus größte Anteil der verordneten Tagesdosen entfällt auf Vitamin-D-Präparate (. Abb. 43.1). Nennenswerte Verordnungen erreichen außerdem Vitamin-B12 -Präparate. Weitere Vitamine werden in den Kapiteln Antianämika (Folsäure 7 Kap. 9) und Antithrombotika und Antihämorrhagika (Vitamin K 7 Kap. 16) dargestellt. Hauptvertreter bei den Mineralstoffverordnungen sind Kalium- und Magnesiumpräparate. Calciumsalze sind eine weitere bedeutsame Gruppe, die schwerpunktmäßig als Basistherapeutika bei der Osteoporose eingesetzt werden und daher bei den Osteoporosemitteln besprochen werden (7 Kap. 36).
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_43
Kapitel 43 Vitamine und Mineralstoffpräparate
862
700 Vitamin D-Präparate Vitamin B12 587
600
578
552 516 476
500
43 (Mio. DDD)
425 388
400
360 305
306
300
200
100
108
0 2010
115
2011
127
131
2012
2013
149
2014
168
2015
182
188
2016
2017
199
2018
196
2019
. Abb. 43.1 Verordnungen von Vitamin D und Vitamin B12 2010 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
43.1
Vitamine
Nach dem Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus der vertragsärztlichen Versorgung durch das GKV-Modernisierungsgesetz im Jahre 2004 sind die Verordnungen der Vitaminpräparate zunächst drastisch gesunken. Allein Vitamin-D- und VitaminB12 -Präparate werden seitdem in nennenswerten Größen verordnet (. Abb. 43.1).
43.1.1
Vitamin D
Die Verordnungen von Vitamin-D-Präparaten sind nach dem 2004 eingetretenen Einbruch wieder deutlich angestiegen und haben das frühere Verordnungsvolumen (2003: 409 Mio. DDD) im Jahre 2014 mit 425 Mio. DDD sogar übertroffen (. Abb. 43.1). Seitdem stiegen die Verordnungen bis zum Jahr 2018 kontinuierlich an. Grund könnte eine Klarstellung in den zugelassenen Ausnahmen zum gesetzli-
chen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V (OTC-Übersicht) in der Arzneimittel-Richtlinie sein, die auch Vitamin-DMonopräparate als verordnungsfähig aufführt. Im Jahr 2019 sind die verordneten Tagesdosen erstmals wieder mit 578 Mio. DDD um 9 Mio. DDD im Vergleich zum Vorjahreswert gefallen. Die verordnungsstärksten ColecalciferolPräparate sind Vigantol/Vigantoletten und Dekristol. Neben Tabletten mit 400 IE, 500 IE und 1.000 IE wird Dekristol auch mit hochdosiertem Colecalciferol (20.000 IE/Kapsel) zur einmaligen Anfangsbehandlung von VitaminD-Mangelzuständen angeboten und weist deshalb höhere DDD-Kosten auf (. Tab. 43.1). Colecalciferol Aristo, das ausschließlich in hoher Dosierung von 20.000 IE pro Woche im Markt ist, hat die höchsten DDD-Kosten. Es ist erst im November 2018 in den Handel gekommen und zeigt deshalb noch eine hohe Änderungsrate zum Vorjahr. Vitamin D3 (Colecalciferol) wird zur Prävention von Rachitis, Osteomalazie und Vitamin-D-Mangelerkrankungen sowie als adjuvante Behandlung der Osteoporose eingesetzt.
43
863 43.1 Vitamine
. Tabelle 43.1 Verordnungen von Vitamin-D-Präparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Colecalciferol Vigantol/Vigantoletten
Colecalciferol
339,5
(1,0)
0,04
Dekristol
Colecalciferol
104,3
(8,7)
0,24
Vitagamma Vitamin D3
Colecalciferol
16,4
(C60,3)
0,04
Vitamin D3 Hevert
Colecalciferol
8,7
(11,6)
0,04
Devit
Colecalciferol
7,5
(C91,1)
0,14
Colecalciferol Aristo
Colecalciferol
5,8
(C388,2)
0,55
482,3
(0,0)
0,09
Dihydrotachysterol
3,0
(5,5)
1,59
Alfacalcidol Aristo
Alfacalcidol
6,4
(C57,1)
1,02
Tevacidol
Alfacalcidol
1,2
(18,1)
1,24
Einsalpha
Alfacalcidol
0,69
(25,5)
2,66
8,2
(C28,4)
1,19
Dihydrotachysterol A.T. 10 Alfacalcidol
Calcitriol Osteotriol
Calcitriol
3,8
(8,3)
1,96
Decostriol
Calcitriol
3,6
(C30,4)
2,05
Rocaltrol
Calcitriol
1,0
(C9,4)
2,15
8,4
(C7,4)
2,02
Paricalcitol Paricalcitol HEXAL
Paricalcitol
0,37
(34,7)
8,21
Paricalcitol Accord
Paricalcitol
0,31
(> 1.000)
8,13
Paricalcitol sun
Paricalcitol
0,25
(C177,2)
8,51
Zemplar
Paricalcitol
0,25
(35,5)
9,44
1,2
(C12,0)
8,51
Kombinationen Zymafluor D
Colecalciferol Natriumfluorid
41,8
(C9,6)
0,06
D-Fluoretten
Colecalciferol Natriumfluorid
22,4
(33,8)
0,06
864
Kapitel 43 Vitamine und Mineralstoffpräparate
. Tabelle 43.1 (Fortsetzung) Präparat
43
Fluor Vigantol/Fluor Vigantoletten
Bestandteile
Colecalciferol Natriumfluorid
Summe
Der Referenzwert für Vitamin D für gesunde Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurde vor einigen Jahren auf 20 g (800 I.E.) pro Tag angehoben (Institute of Medicine 2011; Deutsche Gesellschaft für Ernährung 2012). Eine Versorgung kann über Sonnenlicht in der Haut oder durch eine tägliche Vitamin-DAufnahme erreicht werden. Neugeborene sollten pro Tag 10 g (400 I.E.) oral bekommen. Für ältere Menschen wird eine Vitamin-DZufuhr von 10–25 g/Tag (400 bis 1.000 I.E.) empfohlen, sofern keine maßvolle Sonnenlichtexposition durch körperliche Aktivität im Freien möglich ist. Seit längerer Zeit ist bekannt, dass geriatrische Patienten häufig zu niedrige Serumspiegel des aktiven Metaboliten von Vitamin D (25-Hydroxycolecalciferol) als Zeichen eines Vitamin-D-Mangels aufweisen (Schilling 2012). Es wird jedoch weiterhin kontrovers diskutiert, welche Blutspiegel von 25-Hydroxycolecalciferol als ausreichend angesehen werden. Das Ziel sollte ein Blutspiegel von mindestens 30 ng/ml sein. Dies kann durch eine ausreichende Vitamin-D-Zufuhr und eine adäquate Sonnenexposition erreicht werden. Eine routinemäßige Messung von 25-Hydroxycolecalciferol bei asymptomatischen Patienten ist keinesfalls erforderlich. Weitaus kostengünstiger sind die Anreicherung von Nahrungsmitteln mit Vitamin D, eine Supplementierung mit Vitamin D und eine ausreichende Sonnenexposition (Übersicht bei Holick 2017). Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2017) warnt vor einer unkontrollierten Einnahme hochdosierter Vitamin-D-Präparate, da
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
8,3
(C5,5)
0,06
72,6
(9,2)
0,06
575,7
(0,9)
0,15
Patienten eine ausgeprägte Hypercalcämie mit akutem Nierenversagen nach täglicher Einnahme solcher Präparate entwickelten, die sie sich ohne Rezept aus dem Internet besorgt hatten. Die beiden Vitamin-D3 -Metaboliten Alfacalcidol und Calcitriol haben eine andere therapeutische Anwendung als Colecalciferol. Calcitriol (1,25-Dihydroxycolecalciferol) ist die finale biologisch aktive Form des Vitamin D3 , das bei ungenügender renaler Synthese infolge fortschreitender Niereninsuffizienz mit renaler Osteopathie indiziert ist. Alternativ kann Alfacalcidol (1’-Hydroxycalciferol) eingesetzt werden, das in der Leber zu Calcitriol hydroxyliert wird. Beide Präparate sind im Vergleich zu Colecalciferol wesentlich teurer (. Tab. 43.1). Paricalcitol ist ein Derivat von Vitamin D2; das ähnliche Indikationen wie Calcitriol hat, wenngleich die Betonung auf Seiten der Nebenschilddrüsenhemmung bei sekundärem Hyperparathyreoidismus liegt. Eine scheinbare Überlegenheit von Paricalcitol stützte sich auf retrospektive und unkontrollierte Untersuchungen, während eine prospektive Vergleichsuntersuchung mit Calcitriol keinen signifikanten Unterschied im primären Endpunkt zeigte (Sprague et al. 2003). Auch bei Hämodialysepatienten waren Alfacalcidol und Paricalcitol bezüglich der Suppression des sekundären Hyperparathyreoidismus gleich wirksam, wobei auch Calcium- und Phosphatwerte im angestrebten Bereich blieben (Hansen et al. 2011). Ein weiterer Vergleich von Calcitriol und Paricalcitol zeigte bei 90 Patienten mit chronischer
865 43.1 Vitamine
Niereninsuffizienz über 24 Wochen ebenfalls keine unterschiedlichen Wirkungen auf Parathormon, alkalische Phosphatase und Calciumplasmawerte (Coyne et al. 2014). Seit 2015 sind Paricalcitolgenerika verfügbar, die jedoch immer noch erheblich teurer als Calcitriolpräparate sind (. Tab. 43.1). Dihydrotachysterol (A.T. 10) ist ein Vitamin-D-Derivat, das schon 1933 auf den Markt kam und bei idiopathischem und postoperativem Hypoparathyreoidismus mit mangelnder Calciummobilisierung und Tetanieneigung eingesetzt wird. Ziel ist die Steigerung der Calciumkonzentration im Blut durch erhöhte enterale Calciumaufnahme und Calciummobilisation aus dem Knochen. Das DDDVolumen nimmt seit Jahren kontinuierlich ab (. Tab. 43.1). Seit langem spielt Fluorid in der Kariesprophylaxe bei Kleinkindern eine herausragende Rolle. Die Wirkung von systemisch zugeführtem Fluorid im Trinkwasser und Speisesalz sowie als Tabletten ist in zahlreichen Studien dokumentiert. In Deutschland ist das Trinkwasser nicht fluoriert, Speisesalz mit geringem Fluoridzusatz hingegen ist sehr verbreitet. Die topische Einwirkung von Fluorid auf den Zahnschmelz ist wichtiger als der systemische Effekt (Bowen 2002). Eine Fluoridsupplementierung mit Fluoridtabletten wird empfohlen, wenn die Zahnpflege nicht mit fluoridhaltiger Zahnpaste durchgeführt und auch kein fluoridhaltiges Speisesalz verwendet wird (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde 2016; Pieper und Momeni 2006). Die Natriumfluorid-Lutschtabletten (je nach Alter 0,25 bzw. 0,5 mg) gelten neben einer fluoridfreien Zahnpasta im Kleinkindalter demnach als vorteilhaft. Die Verordnungen der Kombinationspräparate aber (Vitamin D3 und Natriumfluorid) sind trotz geringfügiger DDDZunahme von Zymafluor D und Fluor-Vigantoletten auch 2019 insgesamt weiter gesunken (. Tab. 43.1). Damit ist die früher propagierte systemische Fluoridprophylaxe im Laufe der letzten 20 Jahre kontinuierlich durch topische Fluoridpräparate ersetzt worden, die fast ausschließlich von Zahnärzten verordnet werden
43
(siehe 7 Kap. 44, Zahnärztliche Arzneiverordnungen, . Abb. 44.1).
43.1.2
Vitamin B12
Vitamin B12 (Cyanocobalamin) wird vorwiegend für die parenterale Behandlung der perniziösen Anämie benötigt, bei der infolge des Mangels an Intrinsic Factor eine orale Resorption nicht möglich ist. Gelegentlich können die damit verbundenen vielfältigen neurologischen Störungen (bis hin zu funikulärer Myelose) auch isoliert auftreten oder den hämatologischen Symptomen vorausgehen (Herrmann und Obeid 2008). Auch die langjährige Anwendung von Protonenpumpenhemmern ist mit einem Vitamin-B12 -Mangel assoziiert (Lam et al. 2013). Da Vitamin B12 in nennenswerten Mengen nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt, müssen es strikte Vegetarier und Veganer jeder Altersgruppe supplementieren (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin 2018). Eine therapeutische Wirkung von Cyanocobalamin ist nur bei Vitamin-B12 -Mangel, aber nicht bei anderen Indikationen belegt (American Medical Association 1986; Alpers 2005). Auch der Einsatz bei Hyperhomocysteinämie in Kombination mit Folsäure und Vitamin B6 ist bezüglich therapeutischer Ziele (z. B. Überlebenschance) nicht gesichert, da ein Cochrane-Review über 12 kontrollierte Studien mit 47.429 Patienten keinen Beleg für die Senkung des Homocysteinspiegels durch Vitaminsupplemente mit Cyanocobalamin (B12 ), Folsäure (B9 ) und Pyridoxin (B6 ) für die Prävention kardiovaskulärer Ereignisse ergab (Martí-Carvajal et al. 2015). Cyanocobalamin ist nicht rezeptpflichtig und daher generell nicht mehr zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähig. Ausgenommen ist schwerwiegender Vitaminmangel, der durch eine entsprechende Ernährung nicht behoben werden kann. Die parenterale Behandlung der perniziösen Anämie und anderer schwerwiegender Mangelzustände ist also wei-
866
43
Kapitel 43 Vitamine und Mineralstoffpräparate
terhin erstattungsfähig. Die Verordnungszahlen haben sich nach dem 2004 erfolgten massiven Einbruch auf 80 Mio. DDD in den vergangenen Jahren wieder erholt (. Abb. 43.1) und liegen seit 2016 sogar über dem DDDVolumen von 2003 (171 Mio. DDD). Auch hier kam es im Jahr 2019 allerdings im Vergleich zum Vorjahr zum ersten Mal seit langem wieder zu einer wenn auch geringen DDD-Abnahme.
43.1.3
Vitaminkombinationen
Bei den Vitaminkombinationen entfallen mit Abstand die meisten ambulant verordneten Tagesdosen auf Dreisavit N (. Tab. 43.2), das zur oralen Vorbeugung eines kombinierten Mangels an B-Vitaminen und Vitamin C zugelassen ist. Eine vorbeugende Gabe wasserlöslicher Vitamine bei Erwachsenen ist nach
. Tabelle 43.2 Verordnungen weiterer Vitaminpräparate 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Vitamin B12 Vitamin B12 Lichtenstein
Cyanocobalamin
60,1
(C8,4)
0,01
Vitamin B12 JENAPHARM
Cyanocobalamin
48,4
(C0,8)
0,01
B12 Ankermann
Cyanocobalamin
18,8
(15,4)
0,18
Vitamin B 12 Wiedemann
Cyanocobalamin
8,1
(15,2)
0,01
B12-Rotexmedica
Cyanocobalamin
7,2
(C69,9)
0,01
Vitamin B12 AAA Pharma
Cyanocobalamin
5,7
(36,9)
0,01
Vitamin-B12-ratiopharm
Cyanocobalamin
1,9
(4,5)
0,11
150,2
(0,2)
0,04
Vitamin-Kombinationen Dreisavit N
Folsäure Biotin Ascorbinsäure Thiamin Riboflavin Pyridoxin Nicotinamid Calciumpantothenat
4,6
(36,8)
0,28
Freka Vit wasserlöslich
Thiamin Riboflavin Nicotinamid Pyridoxin Natriumpantothenat Ascorbinsäure Biotin Folsäure Cyanocobalamin
0,63
(14,1)
16,04
43
867 43.1 Vitamine
. Tabelle 43.2 (Fortsetzung) Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Freka Vit fettlöslich
Retinol Ergocalciferol Phytomenadion Tocopherol
0,47
(22,0)
13,29
Cernevit + Addel Trace
Retinolpalmitat Colecalciferol alpha-Tocopherol Ascorbinsäure Cocarboxylase Riboflavin Pyridoxin Cyanocobalamin Folsäure Dexpanthenol Biotin Nicotinamid plus Spurenelemente
0,41
(C31,7)
16,38
Cernevit
Retinolpalmitat Colecalciferol alpha-Tocopherol Ascorbinsäure Cocarboxylase Riboflavin Pyridoxin Cyanocobalamin Folsäure Dexpanthenol Biotin Nicotinamid
0,28
(18,3)
24,66
Vitalipid
Retinol Ergocalciferol Phytomenadion Tocopherol
0,25
(C0,9)
14,86
Soluvit N/-neu
Thiamin Riboflavin Nicotinamid Pyridoxin Natriumpantothenat Ascorbinsäure Biotin Folsäure Cyanocobalamin
0,21
(11,4)
16,08
868
Kapitel 43 Vitamine und Mineralstoffpräparate
. Tabelle 43.2 (Fortsetzung) Präparat
43
Viant
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
0,08
(Neu)
22,14
6,9
(28,8)
5,84
157,1
(1,9)
0,29
Retinol Colecalciferol alpha-Tocopherol Phytomenadion Ascorbinsäure Thiamin Riboflavin Pyridoxin Cyanocobalamin Folsäure Pantothensäure Biotin Nicotinamid
Summe
den Arzneimittel-Richtlinien nur für Dialysepatienten erstattungsfähig. Die anderen Multivitaminpräparate (Freka Vit wasserlöslich/fettlöslich, Cernevit, Soluvit N, Vitaliquid) werden zunehmend zur Vitaminsubstitution im Rahmen einer parenteralen Ernährung eingesetzt. Cernevit + Addel Trace ist eine Kombipackung aus dem Multivitaminpräparat Cernevit und Addel Trace, das mehrere Spurenelemente (Kupfer, Zink, Mangan, Iod, Fluor, Selen, Molybdän, Chrom, Eisen) enthält und für den erhöhten Bedarf an Spurenelementen während der parenteralen Ernährung zugelassen ist. Insgesamt stiegen die verordneten Tagesdosen von Vitaminkombinationen nicht weiter an. Viele Menschen nehmen Vitaminkombinationen als Antioxidantien ein, um ihre Gesundheit zu stärken oder Krankheiten zu verhindern. Nach einer Metaanalyse hatte die Supplementation mit B-Vitaminen allerdings keine signifikanten Effekte auf kardiovaskuläre Ereignisse, Mortalität oder Krebs (Clarke et al. 2011). In einer kontrollierten Studie an Patienten mit diabetischer Nephropathie verschlechterten hochdosierte B-Vitamine sogar die Nierenfunktion (House et al. 2010). Zwar sinkt mit steigendem Obst- und Gemüsekon-
sum das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Aune et al. 2017). Aber auch zwei neuere systematische Reviews konnten für die Einnahme von Multivitamin-Präparaten ohne nachgewiesenem Vitamin-Mangel keine signifikanten Effekte für die Prävention oder das Mortalitätsrisiko bei kardiovaskulären Erkrankungen finden (Jenkins et al. 2018; Khan et al. 2019).
43.2 43.2.1
Mineralstoffpräparate Kaliumpräparate
Kaliumpräparate dienen zur Korrektur eines Kaliummangels, der in ausgeprägten Fällen auch als Hypokaliämie in Erscheinung tritt. Ursachen sind meist renale oder gastrointestinale Kaliumverluste. Am häufigsten ist die durch Diuretika induzierte Hypokaliämie. Auch an einen Diuretika- oder Laxantienabusus muss gedacht werden. Bei einer Hypokaliämie ist auch auf einen eventuellen Magnesiummangel zu achten. Vorerkrankungen wie chronische Niereninsuffizienz, Diabe-
869 43.2 Mineralstoffpräparate
tes und Herzinsuffizienz verbunden mit Polymedikation begünstigen allerdings auch in nicht unerheblichem Maße eine Hyperkaliämie (Zieschang 2019). Kalium sollte grundsätzlich oral substituiert werden. Die intravenöse Gabe ist nur dann notwendig, wenn der Patient oral kein Kalium einnehmen kann oder bei schweren Rhythmusstörungen. Bei leichterem Kaliummangel ohne zusätzliche Risiken (z. B. Digitalistherapie, EKG-Veränderungen) und einem Kaliumserumspiegel über 3,5 mmol/l ist keine medikamentöse Therapie erforderlich (American Medical Association 1986). Hier reicht eine Korrektur durch kaliumreiche Nahrungsmittel aus (z. B. Obst, Gemüse, Kartoffeln, Fruchtsäfte). Die normale tägliche Kost enthält ohnehin 2 bis 4 g Kalium (50–100 mmol). Erst bei einem Kaliumserumspiegel unter 3,5 mmol/l ist die Verordnung von Kaliumpräparaten sinnvoll. Als Tagesdosis werden 40 mmol Kalium unter Laborkontrolle empfohlen. Da ein Kaliummangel fast immer mit einer hypochlorämischen Alkalose einhergeht, ist Kaliumchlorid das Mittel der Wahl, das in Kalinor retard enthalten ist. Das Kombinationspräparat aus Kaliumcitrat und Kaliumhydrogencarbonat (Kalinor Brausetbl.) wirkt Alkalose fördernd und ist daher für die Korrektur der häufig vorkommenden hypochlorämischen Hypokaliämie wenig geeignet. Nach der fast 50%igen Abnahme im Jahre 2004 (von 29 auf 15 Mio. DDD, Arzneiverordnungs-Report 2005) als Folge des GKV-Modernisierungsgesetzes liegen die Verschreibungen der Kaliumpräparate seit 2010 bei 19–20 Mio. DDD (. Tab. 43.3).
43.2.2
Magnesiumpräparate
Die Verordnungen von Magnesiumpräparaten liegen nach dem scharfen Einbruch von 152 Mio. DDD im Jahr 2003 auf 14 Mio. DDD im Jahr 2004 seit vielen Jahren auf extrem niedrigem Niveau (. Tab. 43.3). Sie sind zur Korrektur von Magnesiummangelzuständen indiziert. Typisches Symptom ei-
43
ner Hypomagnesiämie ist eine Tetanie infolge gesteigerter neuromuskulärer Erregbarkeit. Ursachen können langdauernde Elektrolytverluste bei Malabsorptionszuständen, Diarrhö, Nierenerkrankungen oder eine Diuretikatherapie sein, aber auch mangelnde Zufuhr bei chronischem Alkoholismus oder parenteraler Ernährung. Daher sollte eine ausreichende Magnesiumaufnahme generell Teil einer gesunden Ernährung sein. Die tägliche Magnesiumaufnahme des Erwachsenen beträgt 240–480 mg (10–20 mmol). Wegen der weiten Verbreitung dieses Kations in der Nahrung ist ein alimentär bedingter Magnesiummangel bei üblicher Kost selten (Kuhlmann et al. 1987). Magnesium wird häufig bei nächtlichen Wadenkrämpfen eingesetzt, die Belege dazu sind widersprüchlich (z. B. Garrison et al. 2012). Weiterhin wird Magnesium für die Prävention und Behandlung von Herzrhythmusstörungen empfohlen, für weitere kardiovaskuläre Indikationen fehlt jedoch eine ausreichende Evidenz (Kolte et al. 2015).
43.2.3
Selenpräparate
Unter den meistverordneten Arzneimitteln sind zwei Selenpräparate gelistet (. Tab. 43.3). Selen ist in Form von Selenocystein struktureller Bestandteil zahlreicher Enzyme, insbesondere von Glutathionperoxidasen und Deiodasen. Dadurch hat Selen Einfluss auf die antioxidative Kapazität einerseits und andererseits auf die Regulation des Schilddrüsenhormon-Stoffwechsels. Selen ist bei Selenmangel indiziert, der ernährungsmäßig nicht behoben werden kann. Auch bei langdauernder parenteraler Ernährung können Mangelzustände auftreten. Insgesamt gibt es nur wenige Patienten, die eine Verordnung von Selen benötigen. Insbesondere gibt es keine Belege für den Nutzen einer Selensupplementation bei geriatrischen Patienten (Lacour et al. 2004). Auch die Anwendung von Selen zur Behandlung der Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto) ist nach einem Cochrane-
870
Kapitel 43 Vitamine und Mineralstoffpräparate
. Tabelle 43.3 Verordnungen von Mineralstoffpräparaten 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen, die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren Kosten je DDD 2019 Präparat
43
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
12,5
(C2,4)
0,69
Kaliumpräparate Kalinor retard P
Kaliumchlorid
Kalinor Brausetabletten
Kaliumcitrat Kaliumhydrogencarbonat Citronensäure
5,7
(6,8)
0,93
Kalium Verla
Kaliumcitrat
1,6
(1,8)
0,34
19,8
(0,8)
0,73
Magnesiumpräparate Magnetrans forte/extra
Magnesiumoxid
1,6
(C7,5)
0,31
Magnesium Verla N Drag.
Magnesiumhydrogenglutamat Magnesiumcitrat
1,2
(1,2)
0,33
2,9
(C3,6)
0,32
Selenpräparate Cefasel
Natriumselenit
2,0
(2,6)
0,44
Selenase
Natriumselenit
1,6
(8,5)
0,52
3,6
(5,3)
0,48
26,3
(1,0)
0,65
Summe
Review ohne ausreichende Evidenz (van Zuuren et al. 2013).
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871
43
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873
44
Zahnärztliche Arzneiverordnungen Frank Halling
tokosten mit 149,9 Mio. C wiederum nur 0,2 % des Gesamtmarktes betrugen (. Tab. 44.1). Untersuchungen zu zahnärztlichen VerordnunZahnärztliche Arzneiverordnungen haben gen in anderen Ländern zeigen ähnlich geringe nur einen Anteil von 1,2 % am gesamVerordnungsvolumina. Aus der letztpublizierten Verordnungsvolumen des Arzneimittelten Übersicht über die Verschreibungen von marktes nach definierten Tagesdosen. ÜberZahnärzten mit den Daten des National Health wiegend handelt es sich dabei um AntiService geht hervor, dass in Großbritannien biotika/Antiinfektiva, Antiphlogistika, Ander zahnärztliche Anteil am gesamten Verordalgetika und Fluoridpräparate. Mit weitem nungsvolumen 2016 bei 0,5 % lag (National Abstand größte Gruppe sind die FluoridHealth Service 2017). In Deutschland erhöhpräparate (Anteil 85 %), bei denen die toten sich allerdings die Gesamtkosten 2019 pisch wirksamen, fluoridhaltigen Gele abso(149,9 Mio. C) im Vergleich zum Vorjahr um lut im Vordergrund stehen, während die sysmehr als 25 %, was vermutlich durch die ersttemische Fluoridprophylaxe fast keine Rolmalige Einbeziehung von Krankenhausarzneile mehr spielt. Danach folgen die Verordmitteln bedingt ist (. Tab. 44.1). nungen von Antibiotika/Antiinfektiva (AnIn Deutschland stehen zahnärztliche Verteil 6,1 %), darunter vor allem Amoxicilordnungsdaten bisher nur in begrenzter Form linpräparate und Oralpenicilline. Obwohl für einzelne Indikationen zur Verfügung. So die Clindamycinverordnungen in den letzten sind zu Beginn des Jahrzehntes StrukturanalyJahren deutlich abgenommen haben, liegt sen der zahnärztlichen Antibiotikaverordnunihr Anteil an den Antibiotikaverordnungen gen auf der Basis von IMS-Daten publiziert (28 %) in Deutschland im Vergleich zu inworden, die erste wichtige Einblicke geliefert ternationalen Daten immer noch sehr hoch. haben (Halling 2010). Aktuelle Publikationen Bei den Antiphlogistika ist Ibuprofen mit eiuntersuchen die zahnärztlichen Antibiotikavernem Anteil von fast 98 % der dominierende ordnungen der Jahre 2012 bis 2015 (Halling Wirkstoff. Der Anteil der Analgetikaverordet al. 2017) bzw. die zahnärztlichen Analgenungen (0,4 %) ist sehr gering, allerdings tikaverordnungen der Jahre 2012 bis 2016 entfallen 2/3 der Verordnungen auf den Me(Halling et al. 2018) im Vergleich zu internatamizol. tionalen Daten. Um einen möglichst vollständigen Überblick über die zahnärztlichen ArzneiverordDer Anteil zahnärztlicher Arzneiverordnungen nungen zu gewinnen, wurden die im GKVam gesamten Arzneimittelmarkt ist relativ geArzneimittelindex verfügbaren Verordnungsring und war gegenüber 2018 mit einem Andaten analysiert. In Deutschland gibt es Mitte teil von 1,2 % an den definierten Tagesdosen 2019 63.360 Vertragszahnärzte und angestell(DDD) nahezu unverändert, während die NetAuf einen Blick
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4_44
874
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
. Tabelle 44.1 Die verordnungsstärksten Arzneimittelgruppen der zahnärztlichen Arzneiverordnungen 2019. Angegeben sind die Gesamtmengen der 2019 verordneten Tagesdosen, Verordnungen und Nettokosten Arzneimittelgruppe
44
Verordnungen
Nettokosten
DDD
Mio.
Mio.
Mio.
Analgetika und orale Lokalanästhetika
0,39
4,61
1,89
Antibiotika und Antinfektiva
3,61
62,83
31,71
Antiphlogistika
2,53
27,69
29,28
Fluoridpräparate
0,79
10,59
443,83
Summe
7,33
105,72
506,72
Anteil
93,2 %
Gesamtzahl zahnärztlicher Verordnungen
7,87
Anteil am Gesamtmarkt
1,1 %
te Zahnärzte, die damit als größte Arztgruppe noch vor den 39.029 Hausärzten stehen (WIdO 2020). Allein deshalb erreichen sie auch eine relativ hohe Zahl von Arzneiverordnungen. So haben Zahnärzte 2019 insgesamt knapp 7,9 Mio. Arzneiverordnungen (C5,5 % gegenüber 2018) rezeptiert und damit etwa ähnlich viel wie Urologen (8,2 Mio.), Neurologen (9,0 Mio.) oder HNO-Ärzte (7,4 Mio.) und weitere Arztgruppen, die seit vielen Jahren in der Analyse der Arzneiverordnungen vertreten sind. Bezogen auf den einzelnen Zahnarzt wurden allerdings im Durchschnitt nur 124 Verordnungen pro Jahr vorgenommen. Dies ist die geringste Anzahl im Vergleich zu allen anderen Arztgruppen. Außerdem ist der Arzneimittelumsatz pro Zahnarzt mit 2.300 C minimal im Vergleich zu allen anderen Ärzten, die im Durchschnitt Arzneimittel für 180.400 C pro Jahr verordnen (WIdO 2020). In die Analyse wurden alle Arzneimittel mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen im Jahre 2019 einbezogen. Die Summenangaben bei den einzelnen Wirkstoffgruppen sind aufgrund von Änderungen des Präparateprofils (z. B. Wegfall selten verordneter Präparate) für die einzelnen Jahre nicht direkt vergleichbar.
70,5 % 149,90 0,2 %
97,5 % 519,47 1,2 %
Das fachspezifische Verordnungsprofil der Zahnärzte wird zum größten Teil durch Antibiotika und Antiinfektiva, entzündungshemmende Antiphlogistika sowie mit deutlichem Abstand durch Fluoridpräparate zur Kariesprophylaxe und Arzneimittel zur systemischen und lokalen Schmerzbehandlung abgedeckt. Diese vier Arzneimittelgruppen werden im Folgenden auf der Ebene der pharmakologischen Wirkstoffgruppen und der verordneten Präparate analysiert. Mit dem Verordnungssegment der vier genannten Arzneimittelgruppen werden 93,2 % aller zahnärztlichen Verordnungen, 70,5 % der gesamten Nettokosten und 97,5 % der zahnärztlichen DDD erfasst. Hier ergaben sich außer bei dem Anteil der Nettokosten (13,6 %) keine wesentlichen Änderungen zum Jahr 2018 (. Tab. 44.1).
44.1
Antibiotika und Antiinfektiva
Auf die Gruppe der Antibiotika und Antiinfektiva entfällt fast die Hälfte aller zahnärztlichen Arzneiverordnungen (. Tab. 44.1). Der hohe Verordnungsanteil ist auch im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich, denn
44
875 44.1 Antibiotika und Antiinfektiva
in England haben die zahnärztlichen Antibiotikaverordnungen sogar einen Anteil von fast 64 % (Bunce und Hellyer 2018). Knapp 9 % aller Antibiotikaverordnungen werden in Deutschland von Zahnärzten vorgenommen (Halling et al. 2017). Ähnliche Daten liefern Untersuchungen aus der Tschechischen Republik (Pipalova et al. 2014), Kanada (Marra et al. 2016) und England (Bunce und Hellyer 2018). Die hier im Detail analysierten Daten (. Tab. 44.2 und 44.3) entsprechen 95,6 % aller von Zahnärzten verordneten Tagesdosen im Bereich Antibiotika und Antiinfektiva.
Anteil (73 %) an den Penicillinverordnungen haben die Amoxicillinmonopräparate, die gegenüber den Oralpenicillinen ein erweitertes Wirkungsspektrum im gramnegativen Bereich aufweist. An zweiter Stelle steht die Kombination Amoxicillin mit dem Betalactamasehemmer Clavulansäure, während das Oralpenicillin Phenoxymethylpenicillin mit überwiegender Wirkung auf grampositive Erreger eine geringere Rolle spielt. Gegenüber 2018 war die Anzahl der Phenoxymethylpenicillin-Verordnungen leicht rückläufig, während Aminopenicilline und Amoxicillinkombinationen etwas häufiger verordnet wurden (. Tab. 44.2). Die DDD-Werte für Amoxicillin wurden geändert (bisher 1,0 g, jetzt 1,5 g), so dass die Verordnungsdaten nicht direkt mit den vor 2017 pu44.1.1 Penicilline blizierten Werten verglichen werden können. Auch in anderen Ländern sind AminopeniDer Hauptanteil der hier untersuchten Ver- cilline die am häufigsten in der Zahnmedizin ordnungen von Antibiotika und Antiinfektiva verordneten Arzneimittel (Pipalova et al. 2014; entfällt mit 65,7 % des DDD-Volumens auf die Marra et al. 2016; Ford et al. 2017; Bunce und Penicilline (. Tab. 44.2). Den weitaus größten Hellyer 2018).
. Tabelle 44.2 Zahnärztliche Verordnungen von Penicillinen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen (DDD), die Änderung gegenüber 2018 und die mittleren DDD-Nettokosten von Arzneimitteln mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Oralpencilline Penicillin V STADA
Phenoxymethylpenicillin
1,1
(8,5)
1,43
Penicillin V-ratiopharm
Phenoxymethylpenicillin
0,31
(13,0)
1,48
Penicillin V AL
Phenoxymethylpenicillin
0,30
(7,3)
1,46
Isocillin
Phenoxymethylpenicillin
0,24
(C4,4)
1,69
Pen Mega-1 A Pharma
Phenoxymethylpenicillin
0,18
(C20,5)
1,44
PenHEXAL
Phenoxymethylpenicillin
0,13
(C2,3)
1,47
Infectocillin
Phenoxymethylpenicillin
0,10
(C4,6)
2,32
2,3
(4,9)
1,51
Aminopencilline Amoxi-1 A Pharma
Amoxicillin
6,6
(C20,8)
1,32
Amoxicillin AL
Amoxicillin
4,0
(C7,9)
1,25
876
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
. Tabelle 44.2 (Fortsetzung) Präparat
44
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Amoxicillin-ratiopharm
Amoxicillin
2,1
(29,3)
1,31
Amoxicillin Micro Labs
Amoxicillin
1,3
(> 1.000)
1,30
AmoxiHEXAL
Amoxicillin
0,30
(40,5)
1,45
Unacid PD
Sultamicillin
0,12
(23,5)
9,22
14,5
(C12,1)
1,36
Amoxicillinkombinationen Amoxi Clavulan Aurobindo
Amoxicillin Clavulansäure
1,7
(C26,7)
4,50
Amoxiclav BASICS
Amoxicillin Clavulansäure
0,69
(C5,9)
4,71
Amoxiclav-1 A Pharma
Amoxicillin Clavulansäure
0,31
(C1,0)
4,84
Amoxi Clavulan STADA
Amoxicillin Clavulansäure
0,22
(C35,3)
3,75
Amoxicillin-ratiopharm comp
Amoxicillin Clavulansäure
0,10
(39,0)
4,92
Amoxi-Clavulan AL
Amoxicillin Clavulansäure
0,10
(C458,8)
3,77
3,1
(C18,0)
4,52
19,9
(C10,7)
1,87
Summe
44.1.2
Clindamycin
Clindamycin ist mit 8,4 Mio. DDD (entspricht 27,7 % aller zahnärztlich verordneten Antibiotika-DDD) nach den Aminopenicillinen das von Zahnärzten am zweithäufigsten verordnete Antibiotikum (. Tab. 44.3). Das Verordnungsvolumen reduzierte sich 2019 um 2 % gegenüber dem Vorjahr. Allerdings ist der Verordnungsanteil allein für die Zahnmedizin immer noch ungewöhnlich hoch, da 2019 insgesamt nur 15,7 Mio. Tagesdosen Clindamycin in Deutschland verordnet wurden (vgl. . Tab. 10.5). Das bedeutet, dass immer noch 53,5 % aller Clindamycinverordnungen von Zahnärzten stammen. Clindamycin ist aber
keineswegs ein spezifisch zahnmedizinisches Antibiotikum, sondern ist für die Behandlung zahlreicher akuter und chronischer bakterieller Infektionen durch Clindamycin-empfindliche Erreger zugelassen. Auch im internationalen Umfeld ist die hohe deutsche Verordnungsrate von Clindamycin in der Zahnmedizin sehr auffällig. So lag der Anteil der Clindamycinverordnungen an allen zahnärztlichen Antibiotikaverordnungen in England 2016 unter 1 % (Bunce und Hellyer 2018). In British Columbia/Kanada bzw. Australien lag der Verordnungsanteil von Clindamycin mit 7,8 bzw. 6,1 % zwar höher als in England, aber immer noch weitaus niedriger als in Deutschland (Marra et al. 2016; Ford et al. 2017). Ähnlich hoch wie in Deutschland ist der Anteil der
44
877 44.1 Antibiotika und Antiinfektiva
. Tabelle 44.3 Zahnärztliche Verordnungen von weiteren Antibiotika und antiinfektiven Mitteln 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen (DDD), die Änderung gegenüber 2018 und die mittleren DDDNettokosten von Arzneimitteln mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Oralcephalosporine Cefurox BASICS
Cefuroximaxetil
0,26
(36,5)
1,29
Doxycyclin AL
Doxycyclin
0,51
(9,3)
0,69
Doxycyclin-1 A Pharma
Doxycyclin
0,25
(C3,0)
0,70
0,76
(5,5)
0,69
Doxycyclin
Clindamycin Clindasol
Clindamycin
3,1
(C39,5)
2,37
Clinda-saar
Clindamycin
1,9
(36,8)
2,21
Clindamycin-1 A Pharma
Clindamycin
1,2
(C6,4)
2,21
Clindamycin Aristo
Clindamycin
1,2
(C31,7)
2,17
ClindaHEXAL
Clindamycin
0,64
(13,8)
2,36
Clindamycin-ratiopharm
Clindamycin
0,29
(46,5)
2,24
Clindamycin AL
Clindamycin
0,10
(C50,2)
2,51
Sobelin
Clindamycin
0,05
(15,3)
5,86
8,4
(2,3)
2,30
Metronidazol Metronidazol Aristo
Metronidazol
0,25
(C32,3)
3,45
Metronidazol AL
Metronidazol
0,11
(26,6)
3,55
0,35
(C6,1)
3,48
Weitere Mittel Chlorhexamed
Chlorhexidin
0,43
(C5,7)
0,79
Ampho-Moronal Lutschtabl
Amphotericin B
0,19
(C11,7)
2,01
0,61
(C7,5)
1,16
(3,1)
2,13
Summe
Clindamycin-Verordnungen lediglich in der Tschechischen Republik (Pipalova et al. 2014). Diese Daten stehen im Widerspruch zu den Informationen über zahnärztliche Arzneimittel, die bei den meisten in der Zahn-
10,4
arztpraxis vorkommenden Infektionen durch grampositive Bakterien in erster Linie bakterizide Oralpenicilline und nur als Alternative das eher bakteriostatische Clindamycin empfehlen (Bundeszahnärztekammer 2017a).
878
44
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
Außerdem besteht bei Clindamycin im Vergleich zu Penicillinen ein erhöhtes Risiko für die Entstehung einer pseudomembranösen Enterokolitis mit blutigschleimigen Durchfällen und unter Umständen lebensbedrohlichem Verlauf (Brown et al. 2013). Weiterhin zeigte Clindamycin bei odontogenen Infektionen mit anaerob-aeroben Erregern deutlich höhere Resistenzquoten als Phenoxymethylpenicillin, Ampicillin oder Amoxicillin und kommt somit lediglich als Reserveantibiotikum bei Penicillinallergie in Frage (Eckert und Kolk 2014; Zirk et al. 2017). Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass die Nettokosten pro DDD beim Clindamycin fast doppelt so hoch sind wie bei Amoxicillin (. Tab. 44.2 und 44.3).
44.1.3
Doxycyclin und Metronidazol
Aus der Gruppe der Tetracycline spielt im zahnärztlichen Bereich nur noch Doxycyclin eine nennenswerte Rolle (. Tab. 44.3). Noch niedriger als in Deutschland (2,5 %) sind die zahnärztlichen Verordnungsraten von Doxycyclin in Kanada (Marra et al. 2016) und in England (Bunce und Hellyer 2018). Für Doxycyclin wurde allerdings eine außerordentlich hohe Resistenzquote von mehr als 40 % bei odontogenen Infektionen nachgewiesen (Eckert und Kolk 2014). Metronidazol wurde 2019 etwa gleich häufig verordnet wie 2018, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau der zahnärztlichen Antibiotikaverordnungen. Der Anteil an allen Metronidazolverordnungen in Deutschland beträgt 12,1 % (. Tab. 10.8 und 44.3). Obwohl Metronidazol als Mittel der ersten Wahl bei fortgeschrittener oder refraktärer Parodontitis empfohlen wird, verdichten sich die Hinweise, dass mittlerweile auch bei den gramnegativen Anaerobiern als Leitkeime der Parodontitis ein hoher Anteil Metronidazol-resistenter Keime nachgewiesen werden kann (Rams et al. 2013).
44.2
Antiphlogistika
An zweiter Stelle der zahnärztlichen Arzneiverordnungen stehen die Antiphlogistika mit 2,5 Mio. Verordnungen und 29,3 Mio. DDD (. Tab. 44.1). Mehr als 80 % der verordneten Tagesdosen entfallen auf systemisch angewendete nichtsteroidale Antiphlogistika, ein kleinerer Teil auf topisch in der Mundhöhle angewendete Glucocorticoide (. Tab. 44.4).
44.2.1
Nichtsteroidale Antiphlogistika
Dominierender Wirkstoff der systemisch wirksamen nichtsteroidalen Antiphlogistika ist Ibuprofen, auf das knapp 98 % der verordneten Tagesdosen in dieser Indikation entfallen, während Diclofenac und Dexketoprofen praktisch keine Rolle spielen (. Tab. 44.4). Im internationalen Vergleich ist die Präferenz für Ibuprofen in Deutschland einzigartig. Lediglich im Kosovo und in England hat Ibuprofen mit einem Anteil von 65 % (Haliti et al. 2015) und 53 % (Health & Social Care Information Centre 2015) bei den zahnärztlichen Antiphlogistika/Analgetikaverordnungen einen ähnlich hohen Stellenwert wie in Deutschland. Alle nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAR) haben mit der Hemmung der Cyclooxygenase (COX) den gleichen Wirkungsmechanismus, unterscheiden sich jedoch in ihrer Pharmakokinetik, in der Selektivität ihrer Hemmung der konstitutiven COX-1 und der durch Entzündungen induzierbaren COX-2 sowie in ihrem Nebenwirkungsprofil (vgl. auch Antirheumatika und Antiphlogistika, 7 Kap. 17). Eine aktuelle Übersicht der wichtigsten systematischen Reviews zur Analgetikamedikation in der Zahnmedizin belegt, dass nichtsteroidale Antiphlogistika die beste Ausgewogenheit zwischen therapeutischem Nutzen und potentiellen Risiken aufweisen (Moore et al. 2018). So ist seit langem bekannt, dass die unerwünschten gastrointesti-
44
879 44.2 Antiphlogistika
. Tabelle 44.4 Zahnärztliche Verordnungen von Antiphlogistika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen (DDD), die Änderung gegenüber 2018 und die mittleren DDD-Nettokosten von Arzneimitteln mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
20,9
(C21,8)
0,99
Ibuprofen Ibuflam/-Lysin
Ibuprofen
Ibuprofen AbZ
Ibuprofen
0,69
(38,6)
0,99
Ibu/Ibu Lysin-ratiopharm
Ibuprofen
0,38
(36,4)
0,60
Ibu-1 A Pharma
Ibuprofen
0,35
(54,9)
0,89
Ibuprofen AL
Ibuprofen
0,23
(76,7)
1,03
Ibuprofen-PUREN
Ibuprofen
0,21
(6,4)
1,00
Nurofen
Ibuprofen
0,20
(26,1)
0,51
(C8,6)
0,98
22,9 Diclofenac Voltaren
Diclofenac
0,22
(9,4)
0,56
Diclo/Diclofenac-ratiopharm
Diclofenac
0,19
(20,0)
0,59
0,41
(14,7)
0,58
Dexketoprofen
0,16
(2,3)
2,99
Dontisolon D
Prednisolon
4,9
(C8,9)
0,69
Volon A Haftsalbe
Triamcinolonacetonid
0,34
(C19,4)
1,91
5,3
(C9,5)
0,77
28,8
(C8,3)
0,95
Weitere Antiphlogistika Sympal Topische Antiphlogistika
Summe
nalen Effekte von Ibuprofen geringer sind als von anderen nichtsteroidalen Antiphlogistika (Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft 2013). Allerdings muss an mögliche Komplikationen bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion bzw. gastrointestinalen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen gedacht werden (Ouanounou und Haas 2015; Halling et al. 2018). Studienergebnisse deuten darauf hin, dass alle nichtsteroidalen Antiphlogistika bereits bei kurzzeitiger Anwendung, wie in der Zahn-
medizin üblich, ein um 20 bis 50 % erhöhtes Herzinfarktrisiko hervorrufen und somit bei kardial vorgeschädigten Patienten mit Vorsicht eingesetzt werden sollten (Bally et al. 2017). Ibuprofen oder andere NSAR (v. a. auch Naproxen) in hoher Dosis als Schmerzmittel eingesetzt, können bei längerer Einnahme die kardioprotektive Wirkung von Acetylsalicylsäure (z. B. 100 mg/d) beeinträchtigen, wenn beide Medikamente gleichzeitig eingenommen werden (Bundeszahnärztekammer 2017b; Shibata et al. 2017).
880
44
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
Aufgrund der besseren Verträglichkeit wird Ibuprofen in der Zahnmedizin vielfach nicht nur als Antiphlogistikum, sondern auch als Analgetikum empfohlen (Bundeszahnärztekammer 2017b). Es ist anzunehmen, dass Ibuprofen in einem nicht unwesentlichen Teil der Verordnungen für die Behandlung von Schmerzen eingesetzt wird, was aber aus den vorliegenden Daten nicht zu entnehmen ist, da keine Diagnosen für die ausgewerteten Arzneiverordnungen verfügbar sind. Für die analgetische Wirkung von Ibuprofen gibt es zahlreiche Belege aus kontrollierten Studien. Ein CochraneReview über 72 Studien mit 9.681 Patienten mit postoperativen Schmerzen (überwiegend nach Extraktion von Weisheitszähnen) hat gezeigt, dass Ibuprofen in Einzeldosen von 200 und 400 mg bei über der Hälfte der Patienten eine gute analgetische Wirkung hatte und nicht mehr Nebenwirkungen als Placebo verursachte (Derry et al. 2012).
44.2.2
Topische Antiphlogistika
Auf die topisch in der Mundhöhle applizierten Antiphlogistika entfallen etwa 18 % des DDD-Volumens der zahnärztlichen Antiphlogistikaverordnungen (. Tab. 44.4). Hauptsächlich wird Prednisolon (Dontisolon D) aus der Gruppe der Glucocorticoide angewendet. Es ist zur vorübergehenden Anwendung bei akuter Gingivitis, Stomatitis und Perikoronitis (entzündliche Veränderungen des Zahnfleischs beim Zahndurchbruch) zugelassen und wird fast ausschließlich von Zahnärzten verordnet, da die Gesamtverordnungen dieses Präparates nur 5,5 Mio. DDD betrugen (vgl. . Tab. 22.1). Durch Anwendung der stark antiphlogistisch wirkenden Glucocorticoide können vorübergehend akute Entzündungen (z. B. Dentitio difficilis) unterdrückt werden. Allerdings ersetzt dieser Effekt keine kausale Therapie (Bundeszahnärztekammer 2017b). Aussagekräftige wissenschaftliche Studien existieren zu diesen Anwendungen nicht.
44.3
Arzneimittel zur Schmerzbehandlung (Analgetika und topische Lokalanästhetika)
Arzneimittel zur Behandlung von Schmerzen werden von Zahnärzten mit einem Verordnungsvolumen von 1,9 Mio. DDD nur in geringem Umfang (Anteil 0,4 %) auf GKVRezepten verordnet (. Tab. 44.1). Gegenüber 2018 ist das Verordnungsvolumen von rezeptpflichtigen Analgetika und topischen Lokalanästhetika 2019 geringfügig angestiegen (. Tab. 44.5). Die Aufgliederung in die Einzelpräparate zeigt, dass 73 % des DDD-Volumens auf Metamizol entfällt (. Tab. 44.5). Die von Zahnärzten zunehmend verordneten Metamizolpräparate entsprechen damit aber nur 0,5 % aller Verordnungen von Metamizol mit 246,5 Mio. DDD (. Tab. 7.5). Lediglich ein Kombinationspräparat mit Codein erreicht neben Metamizol noch mehr als 10.000 zahnärztliche Verordnungen. Knapp 27 % der Analgetikaverordnungen entfallen auf dieses Präparat. Der Verordnungsanteil der Zahnärzte liegt bei allen Codeinkombinationen bei 10,8 %, da insgesamt 3,9 Mio. DDD verordnet wurden (. Tab. 7.4). Trotz des sehr niedrigen Verordnungsvolumens gibt es auch im Sektor der zahnärztlichen Analgetikaverordnungen Besonderheiten.
44.3.1
Analgetika
Bei den Monopräparaten der nichtopioiden Analgetika ist Metamizol als alleiniger Wirkstoff mit einem Volumen von 1,15 Mio. DDD (C15 % gegenüber 2018) vertreten (. Tab. 44.5). Die ärztlichen Verordnungen von Metamizol steigen seit Jahren an (vgl. . Abb. 7.2), obwohl in einer retrospektiven Analyse aus Deutschland mehr als 30 % der Fälle von lebensgefährlichen Agranulozytosen bereits nach einer einwöchigen Einnahme von Metamizol auftraten (Stammschul-
44
881 44.4 Fluoridpräparate
. Tabelle 44.5 Zahnärztliche Verordnungen von Analgetika und topischen Lokalanästhetika 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen (DDD), die Änderung gegenüber 2018 und die mittleren DDDNettokosten von Arzneimitteln mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten
Mio.
%
Euro
Metamizol Novaminsulfon Lichtenstein
Metamizol
0,83
(5,0)
2,67
Novaminsulfon-ratiopharm
Metamizol
0,23
(C92,8)
2,30
Novaminsulfon-1 A Pharma
Metamizol
0,09
(C55,6)
2,38
1,15
(C9,4)
2,58
Acetylsalicylsäure Paracetamol Coffein/Codein
0,42
(4,8)
3,49
Lidocain
0,29
(C15,3)
0,40
1,86
(C6,6)
2,44
Kombinationen Dolomo TN
Topische Lokalanästhetika Dynexan Mundgel Summe
te et al. 2015). Im zahnärztlichen Bereich bleibt Metamizol gegenüber Ibuprofen weiterhin ein Wirkstoff von untergeordneter Bedeutung (Halling et al. 2018). An zweiter Stelle der zahnärztlichen Analgetikaverordnungen steht eine Codeinkombination, die gegenüber 2018 in deutlich geringerer Menge verordnet wurden (. Tab. 44.5). Die Dreifachkombination aus Acetylsalicylsäure und Paracetamol mit Coffein bzw. Codein (Dolomo TN) wird mit 0,42 Mio. DDD fast ausschließlich von Zahnärzten verordnet, da die Gesamtverordnungen dieses Präparates nur 0,46 Mio. DDD betrugen (vgl. . Tab. 7.4). Die Verordnung analgetischer Kombinationspräparate mit Codein und Coffein wird in den Informationen über zahnärztliche Arzneimittel kritisch betrachtet, da diese Präparate immer das Risiko von Mehrfachsensibilisierungen oder von komplexen Nebenwirkungen beinhalten (Bundeszahnärztekammer 2017c). Eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt keine Vorteile für eine Kombination von Acetylsalicylsäure oder Ibuprofen mit Codein bzw. Coffein.
Allerdings steigt das Risiko für Nebenwirkungen an (Moore et al. 2018). Zusätzlich weist die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (2009) auf das Missbrauchspotenzial von Coffeinkombinationen hin.
44.4
Fluoridpräparate
Neben der zahngesunden Ernährung und der effizienten Mundhygiene ist die Anwendung unterschiedlicher fluoridhaltiger Präparate eine der wichtigsten Eckpfeiler der Kariesprophylaxe (Geurtsen et al. 2017). Seit 1980 wurde in mehreren Untersuchungen nachgewiesen, dass die topische Einwirkung von Fluorid auf den Zahnschmelz wichtiger ist als der systemische Effekt (Bowen 2002). Fluorid wirkt lokal kariesprotektiv, indem es bei der Entwicklung des Zahnschmelzes die Bildung größerer und stabilerer Kristalle fördert, die Löslichkeit des Apatits senkt und die Remineralisation verbessert. Weiterhin wird der Stoffwechsel der
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
882
500 461
systemische Fluoride topische fluoridhaltige Gelee
450
458
453 431
421
436
434
9
7
396
44
DefinierteTagesdosen in (Mio.DDD)
400 350
384 360
300 259 250
224
200
184 199 184
150
176
130 108
100
80 90
66
89
50
50 40 –
48 31
38 11
31 11
27
24
22
18
13
11
11
6
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019
. Abb. 44.1 Verordnungen von Fluoriden 2000 bis 2019. Gesamtverordnungen nach definierten Tagesdosen
dentalen Plaque gehemmt und die Morphologie der Zahnkronen positiv beeinflusst (Stößer und Heinrich-Weltzien 2010). Daraus folgt, dass Fluoride intraoral lebenslang möglichst kontinuierlich vorhanden sein sollten (Splieth 2019). Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse haben mittlerweile zu einem eindrucksvollen Wandel der Fluoridzufuhr und die Rolle der an der Kariesprophylaxe beteiligten Ärzte und Zahnärzte geführt. So wurden 2000 vor allem durch Kinderärzte und praktische Ärzte 360 Mio. Tagesdosen Fluoridtabletten für die systemische Zufuhr und 384 Mio. Tagesdosen topisch wirksame, fluoridhaltige Gele verordnet (. Abb. 44.1). Im Laufe der letzten 20 Jahre wurde die systemische Fluoridgabe kontinuierlich durch topische Fluoridpräparate ersetzt, die fast ausschließlich von Zahnärzten verordnet werden, während der sehr kleine Anteil der systemischen Fluoridverordnungen vor allem von Ärzten (insbesondere Kinderärzten) stammt (. Tab. 44.6). Zahnärztliche Arzneiverordnungen wurden in den Auswertungen bis 2011 nicht berücksichtigt. Nach den aktuellen Analysen aller ärztlichen und zahnärztlichen Fluoridverordnungen
liegt der Anteil der zahnärztlichen Verordnungen bei den topischen fluoridhaltigen Zahngelen bei mehr als 97 %, d. h. praktisch alle Fluorpräparate wurden von Zahnärzten verordnet. Die systemischen Fluoride spielen damit keine Rolle mehr (. Tab. 44.6). Dieses Verordnungsmuster entspricht weitgehend der letzten verfügbaren Leitlinie über Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe, die unter Beteiligung mehrerer Fachgesellschaften der Zahnmedizin sowie der Kinder- und Jugendmedizin erstellt wurde (Hellwig et al. 2013). Für die topische Fluoridierung empfehlen die zahnärztlichen Fachgesellschaften ab dem Durchbruch des ersten Zahnes bis zum zweiten Geburtstag die Anwendung einer reiskorngroßen Menge Zahnpasta mit 1.000 ppm Fluorid, vom zweiten bis zum sechsten Geburtstag zweimal täglich einer erbsgroße Menge dieser Zahnpasta. Alternativ kann bis zum zweiten Geburtstag auch die 500 ppm Zahnpasta mit einer erbsgroßen Menge genutzt werden (Splieth 2019). Während nach wie vor neuere randomisierte Studien zur Anwendung von Fluoridtabletten fehlen (Hellwig et al. 2013), ist die kariesprophylaktische Wirksamkeit von fluoridhaltigem Speisesalz und fluoridhaltigen Gelen belegt
883
44
Literatur
. Tabelle 44.6 Verordnungen von Fluoridpräparaten aller Arztgruppen 2019. Angegeben sind die 2019 verordneten Tagesdosen (DDD), die Änderungen gegenüber 2018 und die mittleren DDD-Nettokosten von Arzneimitteln mit mindestens 10.000 zahnärztlichen Verordnungen Präparat
Bestandteile
DDD
Änderung
DDD-Nettokosten Zahnärztliche Verordnungen
Mio.
%
C
%
(C5,4)
0,03
97,7
Topische fluoridhaltige Zahngele Elmex Gelee
Olaflur Dectaflur Natriumfluorid
370
Elmex Fluid
Natriumfluorid
13,5
(2,8)
< 0,01
95,5
Sensodyne
Natriumfluorid
60,5
(0,9)
0,01
97,1
Duraphat
Natriumfluorid
7,2
(C13,2)
0,02
96,5
Dynexaminfluorid
Natriumfluorid
1,3
(C11,3)
0,01
95,4
452,5
(C4,4)
0,02
97,5
Systemische Fluoride Fluoretten
Natriumfluorid
5,7
(9,6)
0,05
38,2
Zymafluor Tabl.
Natriumfluorid
< 0,01
(97,6)
0,03
18,0
5,7
(18,5)
0,05
37,0
(C4)
0,02
96,7
Summe
458,2
(Geurtsen et al. 2017). Da die Gabe von Fluoridtabletten für rund zwei Drittel der Fälle von Dentalfluorosen verantwortlich ist (Pendrys 2000), empfiehlt die neue europäische Richtlinie für die ersten zwei Lebensjahre keine Fluoridtabletten (Toumba et al. 2019). Fluoridgele sind ebenfalls kariesprophylaktisch wirksam, indem sie zur Inaktivierung bzw. Remineralisation von initialen Kariesläsionen führen (Hellwig et al. 2013). Obwohl die Studienergebnisse sehr heterogen sind, empfiehlt die aktuelle Leitlinie insbesondere bei kariesaktiven Patienten die Anwendung fluoridhaltiger Lacke, Gele oder Spüllösungen (Geurtsen et al. 2017). Aufgrund der Gefahr des unkontrollierten Verschluckens ist der Einsatz von Mundspüllösungen oder Fluoridgelen bei Kleinkindern jedoch nicht sinnvoll (Splieth 2019). Die kariesprophylaktische Wirkung von Fluoridlacken ist wissenschaftlich hervorragend unter-
sucht. Allerdings dürfen Lacke nur durch einen Zahnarzt und unter seiner Aufsicht verarbeitet werden. Für die häusliche Anwendung sind sie nicht geeignet, da sie zum Teil hochdosiert sind.
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884
44
Kapitel 44 Zahnärztliche Arzneiverordnungen
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887
Serviceteil Stichwortverzeichnis – 888
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2020 U. Schwabe, W.-D. Ludwig (Hrsg.), Arzneiverordnungs-Report 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-662-62168-4
888
Stichwortverzeichnis
Stichwortverzeichnis A Aarane 460 Abasaglar 351 Abatacept 433 Abilify 803 Abirateron 714 Abnobaviscum 721 Abraxane 686 Abseamed 302 Abstral 265 Acamprosat 806 Acara Trio 766 Acarbose 344 Acarbose Genevida 344 Acarizax 289 Acaroid 289 ACC HEXAL 441 ACE-Hemmer 13, 231, 232, 239, 251, 253, 382 Acemetacin 426 Acemetacin Heumann 426 Acemetacin STADA 426 Acemit 747 Acetazolamid 747 Acetylcystein 440, 441 “-Acetyldigoxin 556 Acetylsalicylsäure 276, 396, 408, 622 Acic 327 Acic Creme 503 Aciclo BASICS 327 Aciclostad 327 Aciclostad Creme 503 Aciclovir 325, 327, 503, 735 Aciclovir AL 327 Aciclovir Aristo 327 Aciclovir Creme/-akut 1 A Pharma 503 Aciclovir Heumann 327 Aciclovir-ratiopharm Creme 503 Aciclovir-1 A Pharma 327 Acicutan 515 Acitretin 517 Acivision 735 Aclasta 766 Aclidiniumbromid 466 Acnatac 507 Actikerall 512 Actilyse 401 Activelle 839 Actonel 5/35/75 766 Actonel plus Calcium D 766 Actraphane 350 Actrapid human 350 Acular 739
Adalat 476 Adalimumab 164, 169, 173, 433, 632 Adapalen 507, 508 Adenuric 552 ADP-Rezeptorantagonisten 406, 407 adrenogenitales Syndrom 481 Adumbran 784 Advagraf 598 Advantan 490 Advate 412 Aerius 282 Aerodur Turbohaler 460 Afatinib 694, 698 Afinitor 694 Aflibercept 751 Agomaval TAD 796 Agomelatin 795, 796 Agomelatin beta 796 Aimovig 647 Airflusal 463 Akineton 778 Aknemittel 508 Aknemycin Lösung/Salbe 507 Aknemycin Plus 507 Aknenormin 507 aktinische Keratosen 511, 512 Akynzeo 361 Albotiva 679 Aldactone Tabletten/Kapseln 544 Aldosteronantagonisten 240 Alecensa 694 Alectinib 694, 699 Alendron Aristo 765 Alendron-1 A Pharma plus 765 Alendronsäure 765, 766 Alendronsäure Aurobindo 765 Alendronsäure BASICS 765 Alendronsäure Bluefish 765 Alendronsäure Heumann 765 Alendronsäure Heumann plus Calciferol Alendronsäure-1 A Pharma 765 Alfacalcidol 863, 864 Alfacalcidol Aristo 863 Alfason 490 Alfuzosin 851 Alfuzosin Aurobindo 851 Alfuzosin Winthrop 851 Alfuzosin Zentiva 851 Alfuzosin-1 A Pharma 851 Alimta 679 Alirocumab 610 Aliskiren 253 Alitretinoin 504, 506
765
889 Stichwortverzeichnis
Alizaprid 360, 362 Alk-depot SQ Birke 290 Alk-depot SQ Frühblühermischung 290 Alk-Depot SQ Gräser/Roggen 286 Alk-depot SQ Milbenmischung 289 Alk-depot/lyophilisiert SQBienengift 292 Alk-depot/lyophilisiert SQWespengift 292 Alkeran 676 Alkoholfolgekrankheiten 806, 808 Alkylanzien 675 Allegro 647 Allergenextrakte 283 Allergenkarenz 283 Allergika Basis 526 Allergodil Nasenspray/Augentropfen 818 Allergospasmin 460 Allergovit Birke 290 Allergovit Birke/Erle/Hasel 290 Allergovit Gräser 286 Allergovit Gräser/Getreide 286 Allergovit Gräser/Roggen 286 Allevyn Ag Gentle Border 522 Allo-CT 552 Allobeta 552 Allopurinol 552 Allopurinol AbZ 552 Allopurinol AL 552 Allopurinol Heumann 552 Allopurinol HEXAL 552 Allopurinol STADA 552 Allopurinol-ratiopharm 552 Allopurinol-ratiopharm comp 552 Allopurinol-1 A Pharma 552 Aloxi 361 Alpha1-Rezeptorenblocker 382, 386, 850, 852 Alpha2-Antagonisten 795 Alpha2-Sympathomimetika 744 Alphagan 745 Alpicort 492 Alprazolam 784 Alprazolam AL 784 Alprazolam-ratiopharm 784 Alprazolam-1 A Pharma 784 Alteplase 401 Alvesco 462 Alzheimer’sche Krankheit 331 Amantadin 778 Amantadin AL 778 Amantadin-neuraxpharm 778 Ambrobeta 441 AmbroHEXAL 441 Ambroxol 440, 441 Ambroxol AbZ 441 Ambroxol AL 441 Ambroxol-ratiopharm 441 Ambroxol-1 A Pharma 441 Amciderm 491
Amcinonid 491 Amgevita 433 Amilorid 541 Amilorid comp-ratiopharm 541 Amineurin 788 Aminopenicilline 309 Amiodaron 560, 562 Amiodaron Aurobindo 560 Amiodaron Heumann 560 Amiodaron Holsten 560 Amiodaron STADA 560 Amiodaron Winthrop 560 Amiodaron-1 A Pharma 560 Amiogamma 560 Amioxid-neuraxpharm 789 Amisulprid 803 Amisulprid AAA Pharma 803 Amisulprid Holsten 803 Amitriptylin 788 Amitriptylin Micro Labs 788 Amitriptylin Sandoz 788 Amitriptylin-CT 788 Amitriptylin-neuraxpharm 788 Amitriptylinoxid 789 Amlo-Valsacor TAD 249 Amlodipin 137, 242, 475, 478 Amlodipin AAA Pharma 476 Amlodipin besilat AbZ 476 Amlodipin Dexcel 476 Amlodipin dura 476 Amlodipin Fair-Med 476 Amlodipin HEXAL 476 Amlodipin HEXAL plus 249 Amlodipin HEXAL plus Valsartan 249 Amlodipin STADA 476 Amlodipin Winthrop 476 Amlodipin-CT N 476 Amlodipin-ratiopharm N 476 Amlodipin/Valsartan AL 249 Amlodipin/-besilat AL 476 Amlodipin-1 A Pharma 476 AMNOG 186 Amoclav/Amoxclav HEXAL 311 Amoxclav Sandoz 312 Amoxi Clavulan Aurobindo 311, 876 Amoxi Clavulan STADA 311, 876 Amoxi-Clavulan AL 311, 876 Amoxi-saar plus 312 Amoxi-1 A Pharma 311, 875 Amoxibeta 311 Amoxicillin 309, 311, 875 Amoxicillin AbZ 311 Amoxicillin AL 311, 875 Amoxicillin axcount 311 Amoxicillin Heumann 311 Amoxicillin Micro Labs 311, 876 Amoxicillin-ratiopharm 311, 876
A
890
Stichwortverzeichnis
Amoxicillin-ratiopharm comp 876 Amoxicillin/Clavulansäure Heumann 312 Amoxiclav Aristo 312 Amoxiclav BASICS 311, 876 Amoxiclav-1 A Pharma 311, 876 AmoxiHEXAL 311, 876 Ampho-Moronal 323 Ampho-Moronal Lutschtabl 323, 877 Amphotericin B 323, 877 Anablock 718 Anaerobierinfektionen 320 Anaesthesulf Lotio 504 Anafranil 789 Anagrelid 688, 689 Anagrelid Beta 689 Anagrelid Heumann 689 Analgetika 11, 261, 880 Anämie 297 AnastroHEXAL 718 Anastrozol 717, 718 Anastrozol Accord 718 Anastrozol AL 718 Anastrozol Aristo 718 Anastrozol beta 718 Anastrozol Denk 718 Anastrozol Devatis 718 Anastrozol Glenmark 718 Anastrozol Heumann 718 Anastrozol Sun 718 Anastrozol-1 A Pharma 718 Andexanet alfa 48 Androcur 835 Androgene 834 Androgenentzugstherapie 51, 712 Androgensynthesehemmer 714 Angeliq 840 Angiletta 844 Angiotensinhemmstoffe 13, 232 Angiotensinrezeptorantagonisten 12, 13, 231, 242, 253, 382 Anionenaustauscher 611 Anoro Ellipta 466 Antelepsin 369 Anthrax Adsorbat-Impfstoff 50 Anthrazykline 683 Anti-D(rh)-Immunglobulin 595 Anti-D-Immunglobulin 594 Antiallergika 279, 467, 817 Antianämika 297 Antiandrogene 52, 712, 835 Antiarrhythmika 559, 561 Antiasthmatika 11 Antibiotika 307, 498, 874 Anticholinergika 465, 854 Antidepressiva 785 Antidiabetika 339 Antiemetika 359
Antiepileptika 365 Antifibrinolytika 412 Antifungol HEXAL Heilpaste 497 Antifungol Vaginal 324 Antihistaminika 279, 578 Antihypertonika 390 Antiinfektiva 874 Antilia 609 Antimetabolite 677 Antimykotika 322, 493 Antimykotikakombinationen 496 Antiphlogistika/Antirheumatika 421, 874 Antipruriginosa 503 Antipsychotika 798 Antiresorptiva 759, 765 Antisympathotonika 387 Antithrombotika 9, 395 Antitussiva 437 Antra 619 Apalutamid 51, 714 Apidra 350 Apixaban 398 Aponal 788 Aprepitant 361, 363 Aprepitant Zentiva 361 Apsomol Inhalat 460 Apydan extent 372 Aquacort Nasenspray 819 Aranesp 302 Arava 430 Arcoxia 429 Arelix 542 Argatra 401 Argatroban 401 Arilin oral 321 Arilin Vaginal 321 Ariora 840 Aripiprazol 803, 805 Aripiprazol AbZ 803 Aripiprazol beta 803 Aripiprazol Glenmark 803 Aripiprazol Heumann 803 Aripiprazol-neuraxpharm 803 Aristelle 844 Arixtra 401 Arlevert 360 Aromatasehemmer 717 Arpoya 803 Arthrose 486 Arzneimittel, biogene 152, 155 Arzneimittelausgaben 3, 185 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) 186 Arzneimittelmarkt 186 Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) 8, 23, 38, 39 Arzneimittelrabattverträge 38
891 Stichwortverzeichnis
Ascotop 646 Aspecton 443 Aspirin N/-protect 408 ASS 100 HEXAL/-protect 408 ASS 100/-protect-1 A Pharma 408 ASS AbZ protect/-TAH 408 ASS AL TAH/-protect 408 ASS Dexcel 100/-protect 408 ASS Fair-Med 276 ASS STADA 100 408 ASS TAD protect 408 ASS-ratiopharm 276 ASS-ratiopharm TAH/-PROTECT 408 Asthma bronchiale 279, 283, 456 Astonin H 485 Asumate 843 A.T. 10 863 AT1-Rezeptorantagonisten 13 Atacand 244 Atarax 283 Atemwegsinfektion 307 Atenolol 449, 451 Atenolol AbZ 451 Atenolol AL 451 Atenolol AL comp 385 Atenolol Heumann 451 Atenolol-ratiopharm 451 Atenolol-1 A Pharma 451 Atezolizumab 96, 704, 711 Atherosklerose 602 Atmadisc 463 ATMP 152, 155 Atomoxetin 806, 807 Atorvastatin 607 Atorvastatin AbZ 607 Atorvastatin Accord 607 Atorvastatin AL 607 Atorvastatin Aristo 607 Atorvastatin Aurobindo 607 Atorvastatin Axiromed 607 Atorvastatin BASICS 607 Atorvastatin Hennig 607 Atorvastatin HEXAL 607 Atorvastatin STADA 607 Atorvastatin-ratiopharm 607 Atorvastatin-1 A Pharma 607 Atosil 800 Atozet 609 Atrauman Ag 522 Atropin 751 Atropin-POS 751 Atrovent 466 Attentin 807 Aubagio 656 Augmentationsstrategie 797 Aureomycin Riemser Salbe 507 Ausschreibungen 207
Austauschbarkeit 167, 170 Autoimmunhepatitis 625 Autoimmunkrankheit 654 Autoimmunthyreoiditis 825 Avamys 819 Avastin 704 Avelumab 103 Avonex 656 Axicabtagen-Ciloleucel 53 Axigran 361 Aza Q 596 Azacitidin 679, 681 Azafalk 596 Azarga 747 Azathioprin 595, 596 Azathioprin AL 596 Azathioprin dura 596 Azathioprin Heumann 596 Azathioprin HEXAL 596 Azathioprin STADA 596 Azathioprin-ratiopharm 596 Azathioprin-1 A Pharma 596 Azelainsäure 507, 508 Azelastin 818, 820 Azi-TEVA 316 Azilect 777 Azithromycin 314, 316, 735 Azithromycin AbZ 316 Azithromycin Aristo 316 Azithromycin HEXAL 316 Azithromycin-Hecpharm 316 Azithromycin-ratiopharm 316 Azithromycin-1 A Pharma 316 Azolantimykotika 495 Azopt 747 Azulfidine 632 Azulfidine RA 430 Azur compositum SC 274 Azyter 735
B B-Zell-Lymphom 54 B12 Ankermann 866 B12-Rotexmedica 866 Babix-Inhalat N 444 Babylax 638 Bacillus Calmette-Guérin (BCG) Baclofen 662, 664 Baclofen dura 662 Baclofen-neuraxpharm 662 Baclofen-ratiopharm 662 Baldrian 580 Baraclude 624 Barbiturate 368, 369 Baricitinib 431 Basispenicilline 309
720
A–B
892
Stichwortverzeichnis
Basistherapeutika 525 Batrafen 494 Baumpollenpräparate 288 Baycuten HC 497 Bayotensin 476 BCG medac 721 BCG-Impfstoff 721 Beclomet Easyhaler 462 Beclometason 462, 819 Beclometason-ratiopharm 462 Beclometason-ratiopharm nasal 819 Beclorhinol 819 Belara 844 Belastungsinkontinenz 854 Belatacept 598, 599 Belimumab 103, 598 Bellissima 844 Bemfola 585 Ben-u-ron 276 Benalapril 234 Benazeplus AL 237 Benazepril 233 Benazepril AL 235 Benazepril-1 A Pharma 235 Benazepril-1 A Pharma comp 237 Bendafolin 678 Bendamustin 676 Bendamustin Accord 676 Benepali 433 Benlysta 598 Benperidol 799 Benperidol-neuraxpharm 799 Benralizumab 468, 469 Benserazid 773 Benzamide 362 Benzbromaron 552 Benzbromaron AL 552 Benzodiazepine 368, 369, 573, 783 Benzodiazepinrezeptoragonisten 573, 576 Benzoylperoxid 508 Bepanthen Antiseptisch 523 Bepanthen Roche Augen- und Nasensalbe 751 Bepanthen Wund- u. Heilsalbe 522 Beriate 412 Berlinsulin H 350 Berlinsulin H Basal 350 Berlinsulin H Normal 350 Berlosin 276 Berlthyrox 827 Berodual 460 Berotec 460 Bestandsmarkt 6 Beta1-Rezeptoren 447 Beta2-Rezeptoren 447 Beta2-Sympathomimetika 456, 458 Betaamyloid 331 Betadermic 492
Betaferon 656 Betagalen 491 Betahistin 360, 362 Betahistin AL 360 Betahistin STADA 360 Betaisodona Salbe etc. 500 Betalactamantibiotika 309 Betamethason 484, 485, 491 Betarezeptorenblocker 382, 447, 643, 649, 743, 745 Betavert 360 Betaxolol 451 Betmiga 855 Bevacizumab 165, 704, 707, 710, 750 Bezafibrat 610 Bezafibrat AL 610 Biatain Silikon Ag 522 Bicadex TAD 713 Bicalutamid 712, 713 Bicalutamid Aristo 713 Bicalutamid Bluefish 713 Bicalutamid Heumann 713 Bicalutamid medac 713 Bicalutamid TEVA 713 Bicalutamid Uropharm 713 Bicalutamid Winthrop 713 Bicalutamid-ratiopharm 713 Bicalutin 713 Bifiteral 636 Biktarvy 326 Bimato-Vision 749 Bimatoprost 749 Binocrit 302 Binosto 765 Bioidenticals 154 Biologika 3, 152 – bioidentische 170 Biopharmazeutika 152 Biosimilars 30, 154, 155, 166, 172, 202 Biosimilarsubstitution 213 Biotechnologie 152 BioThrax 50 Biperiden 778, 779 Biperiden-neuraxpharm 778 Biramlo 385 Bisacodyl 638 Biso Lich 450 Biso-Hennig 450 Bisobeta 450 Bisodipin TAD 385 BisoHEXAL 450 BisoHEXAL plus 385 Bisoprolol 449, 450 Bisoprolol AbZ 450 Bisoprolol AL 450 Bisoprolol comp AbZ 385 Bisoprolol Dexcel 450 Bisoprolol dura 450
893 Stichwortverzeichnis
Bisoprolol dura plus 385 Bisoprolol plus-1 A Pharma 385 Bisoprolol STADA 450 Bisoprolol-CT 450 Bisoprolol-ratiopharm 450 Bisoprolol-ratiopharm comp 385 Bisoprolol-1 A Pharma 450 Bisphosphonate 765 Blanel Brause 857 Blemaren N 857 Blinatumomab 104 Blopress 244 Blutdruck 241, 380 Blutgerinnungsfaktoren 412 Bonviva Fertigspritze 766 Bornaprin 778 Bortezomib 689, 690 Bortezomib STADA 689 Botox 662 Botulinumtoxin 662, 664 Bradyarrhythmien 559 BRAF-Inhibitoren 700 Braltus 466 Braunovidon 500 Brentuximab vedotin 105 Bretaris genuair 466 Brevactid 585 Brigatinib 55 Brilique 408 Brimica Genuair 466 Brimo-vision 745 Brimonidin 520, 745 Brimonidin AL 745 Brinzo-Vision 747 Brinzolamid 747 Brinzolamid Heumann 747 Brinzolamid HEXAL 747 Brinzolamid-ratiopharm 747 Brinzolamid-1 A Pharma 747 Brivaracetam 374 Briviact 374 Brivudin 327 Brivudin Aristo 327 Bromazanil 784 Bromazepam 784 Bromazepam AL 784 Bromazepam-ratiopharm 784 Bromazepam-1 A Pharma 784 Bromocriptin 590 Bromocriptin 2,5-CT 590 Bromocriptin AbZ 590 Bromocriptin-ratiopharm 2,5 590 Bronchicum 443 Bronchicum Mono Codein 439 Bronchipret 443 Bronchodilatator 464 Bronchofit Efeu 443
Bronchoretard 465 Bronchospasmolytika 455 Bronchospray 460 Brotizolam 575 Buccolam 374 Budapp nasal 819 Budenobronch 462 Budenofalk 632 Budes N 462 Budes Nasenspray 819 Budesonid 462, 464, 631, 632, 819 Budesonid Easyhaler 462 Budesonid-1 A Pharma 819 Budiair 462 Bufori Easyhaler 463 Bupensan 267 Buprenaddict 267 Buprenorphin 264 Buprenorphin AL 264 Buprenorphin AWD 264 Buprenorphin Glenmark 264 Buprenorphin Libra-Pharm 264 Buprenorphin-ratiopharm 264 Buprenorphin/Bupre HEXAL 264 Bupropion 793, 795 Bupropion neuraxpharm 795 Bupropionhydrochlorid HEXAL 795 Buscopan 628 Buserelin 713 Busp 785 Buspiron 785 Butylscopolamin 627, 628 Bydureon 346 Byetta 346
C C-reaktives Protein 602 Cabazitaxel 686, 687 Cabergolin 590 Cabergolin TEVA 0,5 mg 590 Cabergolin-ratiopharm 0,5 mg 590 Cabometyx 694 Cabozantinib 694, 700 Caelyx 684 Calcet 764 Calci D3 Denk 762 Calcicare D3 762 Calcigen D 762 Calcilac BT/-KT 762 Calcimagon-D3 762 Calcimed D3 762 Calcineurininhibitoren 504, 595, 597 Calcipotriol 515 Calcipotriol comp. HEXAL 515 Calcipotriol HEXAL 515 Calcitriol 515, 863, 864
B–C
894
Stichwortverzeichnis
Calcium D3 acis 762 Calcium D3 STADA 762 Calcium D3-ratiopharm 762 Calcium dura Vit. D3 762 Calcium HEXAL 761 Calcium Verla 761 Calcium-D3 AL 762 Calcium-ratiopharm 761 Calcium-Sandoz Brausetabl. 761 Calcium-Sandoz D 762 Calciumacetat 764 Calciumacetat-Nefro 764 Calciumantagonisten 382, 383, 473, 559 Calciumcarbonat 760, 761 Calciumfolinat 677, 678 Calciumfolinat Amneal 678 Calciumfolinat HEXAL 678 Calciumfolinat Kabi 678 Calciumfolinat Onkovis 678 Calciumfolinat-GRY 678 Calciumsalze 759 Calcivit D 762 Camlostar 250 Candaxiro 243 Candeamlo HEXAL 250 Candecor 243 Candecor comp 246 Candesartan 243 Candesartan AAA Pharma 244 Candesartan AbZ 244 Candesartan AL 244 Candesartan BASICS 244 Candesartan comp AbZ 246 Candesartan comp PUREN 247 Candesartan Heumann 243 Candesartan HEXAL 244 Candesartan HEXAL comp 247 Candesartan plus-1 A Pharma 246 Candesartan STADA 244 Candesartan Zentiva 243 Candesartan Zentiva comp 246 Candesartan-biomo 244 Candesartan-ratiopharm 244 Candesartan-ratiopharm comp 247 Candesartan/HCT Heumann 246 Candesartan/HCT STADA 247 Candesartan-1 A Pharma 243 Candesartancilexetil comp.-CT 247 Candesartancilexetil Hennig 244 Candesartancilexetil Mylan 243 Candio-Hermal 494 Candio-Hermal Plus 497 Canifug Vaginal 324 Cannabidiol 59 Cannabis sativa 59 Capecitabin 678, 679 Capecitabin Accord 678
Capecitabin AL 679 Capecitabin HEXAL 679 Capecitabin medac 678 Capros/-akut 264 CaptoHEXAL 234 CaptoHEXAL comp 236 Captopril 233, 234 Captopril AbZ 234 Captopril comp AbZ 236 Capval 439 CAR-T-Zellen 54 Caramlo 250 Carbadura 368 Carbamazepin 367, 368 Carbamazepin AL 368 Carbamazepin Aristo 368 Carbamazepin HEXAL 368 Carbamazepin-neuraxpharm 368 Carbamazepin-ratiopharm 368 Carbidopa 774 Carbimazol 829, 830 Carbimazol Aristo 830 Carbimazol Henning 830 Carbimazol-1 A Pharma 830 CARBO-cell 682 Carboanhydrasehemmstoff 746 Carbomedac 682 Carboplatin 682, 683 Carboplatin Accord 682 Carboplatin Kabi 682 Carboplatin-Actavis 682 Carboplatin-GRY 682 Cardiodoron 566 Cardiodoron RH 566 Carenoxal 265 Carfilzomib 689, 691 Cariprazin 803 Carmen 477 Carmen ACE 238 Carminativa 629 Carum Carvi Baby-Kümmelzäpfchen Carum Carvi Wala 628 Carve TAD 452 Carvedilol 449, 452 Carvedilol AL 452 Carvedilol Atid 452 Carvedilol Aurobindo 452 Carvedilol HEXAL 452 Carvedilol STADA 452 Carvedilol-TEVA 452 Carvedilol-1 A Pharma 452 Catapresan 388 CEC 313 Cecenu 676 Cedia 844 Cedur 610 Cefaclor 313
629
C
895 Stichwortverzeichnis
Cefaclor AL 313 Cefaclor Aristo 313 Cefaclor BASICS 313 Cefaclor-1 A Pharma 313 Cefadroxil 313 Cefadroxil HEXAL 314 Cefalexin 313 Cefasel 870 Cefixim 313 Cefpo BASICS 313 Cefpodoxim 313 Cefpodoxim AL 313 Cefpodoxim HEXAL 313 Cefpodoxim STADA 313 Cefpodoxim-ratiopharm 313 Cefpodoxim-1 A Pharma 313 Ceftolozan/Tazobactam 106 Cefurax 313 Cefurox BASICS 313, 877 Cefuroxim AL 313 Cefuroxim Heumann 313 Cefuroxim-PUREN 313 Cefuroxim-1 A Pharma 313 Cefuroximaxetil 312, 313, 877 Celecoxib 428 Celecoxib Actavis 428 Celecoxib beta 428 Celecoxib Heumann 428 Celecoxib Micro Labs 428 Celecoxib Zentiva 428 Celestan/Celestamine N 485 Celipro Lich 452 Celiprolol 449, 452 CellCept 596 Cemiplimab 61 Cephalex-CT 313 Cephalexin-ratiopharm 313 Cernevit 867 Cernevit + Addel Trace 867 Certican 598 Certolizumab pegol 433 Certoparin 401 Cetidex 281 Cetirizin AbZ 281 Cetirizin AL 281 Cetirizin HEXAL 281 Cetirizin-ADGC 281 Cetirizin-ratiopharm 281 Cetirizin-1 A Pharma 281 Cetrorelix 584, 585 Cetrotide 585 Cetuximab 704, 709 CGRP-Rezeptorantagonisten 649 Chariva 844 Chininsulfat 666 Chloraldurat 579 Chloralhydrat 573, 579
Chlorambucil 676, 677 Chlorhexamed 877 Chlorhexidin 877 Chlormadinon 841 Chlormadinon JENAPHARM 841 Chlormadinonacetat 844 Chlormethin 61 Chlorprothixen 800 Chlorprothixen Holsten 800 Chlorprothixen-neuraxpharm 800 Chlortalidon 539 Chlortetracyclin 507 8-Chlortheophyllin 359 Cholesterinresorptionshemmer 605 Cholinergika 744 Cholinesterasehemmer 332, 335 Choriongonadotropin 584, 585 Choriongonadotropin alfa 587 chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD) chronische lymphatische Leukämie 696 chronische myeloische Leukämie 695 Ciatyl-Z 799 Ciclesonid 462 Ciclopirox 324, 494 Ciclopirox HEXAL 494 Ciclopirox-ratiopharm 494 Ciclopoli 494 Ciclosporin 597, 598, 751 Cil 610 Cilodex 823 Ciloxan 735 Ciloxan Ohren 822 Cimetidin 621 Cimetidin acis 621 Cimzia 433 Cinacalcet 763, 764 Cinna/Dimen-neuraxpharm 360 Cinnarizin Dimenhydrinat Henning 360 Cipro BASICS 319 Cipro-1 A Pharma 319 Ciprofloxacin 318, 319, 735, 822 Ciprofloxacin AbZ 319 Ciprofloxacin AL 319 Ciprofloxacin Aristo 319 Ciprofloxacin HEC Pharm 319 CiproHEXAL 319 Circadin 579 Circlet 846 Cisplatin 682 Cisplatin Accord 682 Cisplatin Neocorp 682 Cisplatin TEVA 682 Citalopram 791 Citalopram AbZ 791 Citalopram AL 791 Citalopram Aristo 791 Citalopram BASICS 791
455
896
Stichwortverzeichnis
Citalopram dura 791 Citalopram HEXAL 791 Citalopram-biomo 791 Citalopram-neuraxpharm 791 Citalopram-ratiopharm 791 Citalopram-1 A Pharma 791 Citrafleet 638 Clabin N/plus 511 Cladribin 656 Clarilind 316 Clarithromycin 314, 316 Clarithromycin BASICS 316 Clarithromycin HEC Pharm 316 Clarithromycin HEXAL 316 Clarithromycin Micro Labs 316 Clarithromycin-1 A Pharma 316 Clarium 775 Claversal 632 Clavulansäure 311, 876 Clemastin 283 Clexane 401 Climen 835 Clinda-saar 317, 877 ClindaHEXAL 317, 877 Clindamycin 316, 507, 508, 876, 877 Clindamycin AL 317, 877 Clindamycin Aristo 316, 877 Clindamycin-ratiopharm 317, 877 Clindamycin-1 A Pharma 317, 877 Clindasol 316, 877 Clionara 839 Cliovelle 839 Clivarin 401 Clobazam 785 Clobegalen 491 Clobetasol 488, 491 Clobetasol acis 491 Clobex 491 Clomethiazol 806, 807 Clomifen 586, 587 Clomifen GALEN 586 Clomifen-ratiopharm 586 Clomipramin 789 Clomipramin-neuraxpharm 789 Clonazepam 368, 369 Cloni STADA 388 Clonid-Ophtal 745 Clonidin 388, 745 Clonidin-ratiopharm 388 Clopidogrel 396, 406, 408 Clopidogrel Heumann 408 Clopidogrel TAD 408 Clopidogrel Zentiva 408 Clostridiopeptidase 523, 524 Clostridium difficile 312, 320 Clotrimazol 324, 494 Clotrimazol AL 494
Clotrimazol-1 A Pharma 494 Clozapin 801, 802 Clozapin AbZ 802 Clozapin HEXAL 802 Clozapin-neuraxpharm 802 Clozapin-1 A Pharma 802 Clustoid Milben 289 Clustoid Pollen 292 Co-trimoxazol 317 Coaprovel 247 Codein 272, 274, 437, 439 Codeinkombinationen 881 Codeintropfen HEXAL 439 Codeintropfen-CT 439 Codeinum phosphoricum BC 439 Codeinum phosphoricum Compren 439 Codicaps 439 Codicompren 439 Colchicin 552 Colchicin Tiofarma 552 Colchicum-Dispert 552 Colchysat Bürger 552 Colecalciferol 862, 863 Colecalciferol Aristo 863 Colestyramin 610, 611 Colestyramin- 1 A Pharma 610 Colestyramin-ratiopharm 610 Colitis ulcerosa 631 Combigan 746 Combiprasal 460 COMT-Inhibitoren 776 Concerta 807 Concor 450 Condylox 503 Contramutan 444 Controller 456 Copaxone 656 Corifeo 477 Corticosteroide 481 Cortiment 632 Corvaton 566 Corvo 234 Cosduo 748 Cosentyx 515 Cosopt 747 Cotrim HEXAL 318 Cotrim-CT 318 Cotrim-ratiopharm 318 Cotrim-1 A Pharma 318 Cotrimoxazol AL 318 Coumadin 398 COX-2-Hemmer 623 Crinohermal fem 526 Crizotinib 699 Cromo-ratiopharm Nasenspray/Augentropfen Cromoglicinsäure 459, 818 Crusia 401
818
897 Stichwortverzeichnis
Curatoderm 515 Cyanocobalamin 865, 866 Cyclo Progynova N 840 Cyclocaps Budesonid 462 Cyclooxygenase-2-Inhibitoren 623 Cyclopentolat 751 Cyclopentolat Alcon 751 Cyclophosphamid 675, 676 Cyclophosphamid HEXAL 676 Cyklokapron 412 Cymbalta 794 Cyproteronacetat 835 Cyramza 704
D D-Fluoretten 863 Dabigatran etexilat 398 Dabrafenib 694, 700 Dacogen 679 Dacomitinib 63 Dafiro 249 Dafiro HCT 249 Daivobet 515 Daivonex 515 Dalteparin 401 Damoctocog alfa pegol 64 Dantrolen 662 Dapagliflozin 106, 345, 346 Dapson 321 Dapson-Fatol 321 Daratumumab 692, 705 Darbepoetin alfa 301, 302 Darifenacin 855, 856 Darvadstrocel 65 Darzalex 705 Dasatinib 693, 695 Dasselta 282 Daxas 465 Decapeptyl Gyn/-N/-IVF 585 Decarboxylaseinhibitoren 773 Decitabin 679, 681 Decoderm 490 Decoderm comp 499 Decoderm tri 497 Decortin 483 Decortin H 483 Decostriol 863 Deferasirox 299, 301 Deferoxamin 301 definierte Tagesdosen (DDD) 48 Degarelix 713 Degranulationshemmer 817 Dehydro Sanol tri/-mite 541 Dekristol 863 Dekubitus 499 Delix plus 236
Delix/-protect 235 Delmuno 238 Demenz 331, 335 Denosumab 767 Depigoid Gräser/Bäume-Mix 292 Depigoid Milbenmix 289 Depigoid/-XT Bäume-Mix 290 Depigoid/-XT Birke 290 Depigoid/-XT Gräser-Mix 286 Depigoid/-XT Gräser-Mix/Roggen 286 Depo-Clinovir 846 Depotcorticosteroide 484 Dermatika 9, 487 Dermatin 495 Dermatomykosen 493 Dermatop 490 Dermatosen 501 Dermoxin/Dermoxinale 491 Descovy 326 Desfesoterodin 856 Desirett 846 Deslora Denk 282 Desloratadin 282 Desloratadin AbZ 282 Desloratadin Aristo 282 Desloratadin Glenmark 282 Desloratadin-Actavis 282 Desloratadin/Deslora-1 A Pharma 282 Desmogalen 588 Desmopressin 588, 589 Desmopressin TEVA 588 Desmospray/-tabs 588 Desofemine 844 Desogestrel 844–846 Desogestrel Aristo 846 Desoximetason 491 Devit 863 Dexa EDO/Dexagel 739 Dexa ophtal 739 Dexa Rhinospray Mono 819 Dexa-Gentamicin 736 Dexa-sine 739 Dexafluid 739 Dexagent Ophtal 736 DexaHEXAL 485 Dexamethason 484–486, 489, 739, 751, 819, 820 Dexamethason AbZ 485 Dexamethason AS JENAPHARM 739 Dexamethason GALEN Tabl. 485 Dexamethason JENAPHARM 485 Dexamethason LAW 489 Dexamethason-ratiopharm 485 Dexamfetamin 807 Dexamytrex 736 Dexapos 739 Dexketoprofen 426, 879 Dexpanthenol 521, 522, 751
C–D
898
Stichwortverzeichnis
Diabetes insipidus 589 Diabetes mellitus 339 Diarrhoesan 634 Diazepam 784 Diazepam AbZ 784 Diazepam Desitin 784 Diazepam STADA 784 Diazepam-ratiopharm 784 Diclac 425 Diclo Dispers 425 Diclo KD 425 Diclo Vision 740 Diclo-Divido 425 Diclo/Diclofenac-ratiopharm 425, 879 Diclo-1 A Pharma 425 Diclofenac 133, 425, 511, 512, 739, 879 Diclofenac AbZ 425 Diclofenac Acis Gel 512 Diclofenac AL 425 Diclofenac Heumann 425 Diclofenac Natrium Micro Labs 425 Diclofenac STADA 425 Diclofenac-ratiopharm Gel 512 Dienogest 840, 841, 844 Dienovel 844 Difen UD 740 Differin 507 Diflucortolon 491 Digimerck 556 Digitalisglykoside 555 Digitoxin 555–557 Digitoxin AWD 556 Digoxin 556, 557 Dihydralazin 386, 387 Dihydrocodein 437, 439 Dihydropyridine 473, 478 Dihydrotachysterol 863, 865 Dikaliumclorazepat 785 Diltiazem 475 Diltiazem AbZ 475 Diltiazem AL 475 Diltiazem Ethypharm 475 Dilzem 475 Dimenhydrinat 359, 360 Dimethylfumarat 515, 519, 656 Dimeticon 629 Dimetinden 283 Diovan 243 Dipalen 507 Diphenhydramin 136, 359 Dipidolor 267 Dipiperon 800 Diprogenta 499 Diprosalic 492 Diprosis 491 Diprosone Creme etc. 491 Dispadex comp 736
Distraneurin 807 Diuretika 235, 382, 537 Docetaxel 686, 687 Docetaxel Accord 686 Docetaxel Amneal 686 Docetaxel NC 686 Dociton 452 Dolomo TN 275, 881 Dolormin/-extra/-Migräne 425 Dolovisano Methocarbamol 666 Dolutegravir 133, 326 Dominal 800 Domperidon 627, 628 Domperidon AbZ 628 Domperidon AL 628 Domperidon HEXAL 628 Donepezil 333, 334 Donepezil HCL BASICS 334 Donepezil HCL Zentiva 334 Donepezil/-hydrochl. AL 334 Donepezilhydrochlorid Bluefish 334 Doneurin 788 Dontisolon D 483, 879 Dopadura C 774 Dopamin 771 Dopaminrezeptoragonisten 590, 774 Dopegyt 388 Doping 589 Doravirin 66 Doravirin + Lamivudin + Tenofovirdisoproxil Dornase alfa 441, 442 Dorzocomp vision 747 Dorzolamid 747 Dorzolamid AL 747 Dorzolamid AL comp 747 Dorzolamid Heumann 747 Dorzolamid/Timolol Micro Labs 747 Dostinex 590 Doxagamma 387 Doxakne 315 Doxazosin 387 Doxazosin AL 387 Doxazosin Aurobindo 387 Doxazosin Heumann 387 Doxazosin STADA 387 Doxazosin-ratiopharm 387 Doxazosin/-Cor-1 A Pharma 387 Doxepin 788 Doxepin AL 788 Doxepin dura 788 Doxepin Holsten 788 Doxepin-neuraxpharm 788 Doxepin-ratiopharm 788 Doxepin-1 A Pharma 788 DOXO-cell 684 Doxorubicin 683 Doxorubicin Accord 684
70
899 Stichwortverzeichnis
Doxorubicin HCL TEVA 684 Doxycyclin 309, 315, 877, 878 Doxycyclin AL 315, 877 Doxycyclin-ratiopharm/Doxy M 315 Doxycyclin-1 A Pharma 315, 877 Doxyderma 315 DoxyHEXAL 315 Doxylamin 134 DPP-4-Hemmer 348 Dracofoam 522 Dravet-Syndrom 59 Dreiphasenpräparat 845 Dreisafer 299 Dreisavit N 866 Dronedaron 560, 563 Drospirenon 845 Duac/-Akne 507 Duaklir Genuair 466 Dulcolax 638 Duloxalta 794 Duloxetin 794, 856 Duloxetin beta 794 Duloxetin Glenmark 794 Duloxetin Glenmark uro 856 Duloxetin Lilly 794 Duloxetin Zentiva 794 Duloxetin-neuraxpharm 794 Duodart 853 Duodopa Gel 774 Duofilm 511 Duogalen 500 Duokopt 747 Duoresp Spiromax 463 DuoTrav 749 Duphaston 841 Dupilumab 107, 504 Dupixent 504 Duplikatzulassung 164 Duraphat 883 Durogesic 265 Durvalumab 704 Duspatal/-retard 628 Dutascar 853 Dutasterid 853 Dydrogesteron 841 Dymista 819 Dynexaminfluorid 883 Dynexan Mundgel 881 Dysport 662 Dytide H 541
E Ebastel 281 Ebastin 281 Ebastin Aristo Ebrantil 387
281
Eculizumab 108, 598, 599 Ecural 491 Edoxaban 398 Eferox 827 Eferox Jod 827 Efeublätter 442 Efeublätterextrakt 443 Effentora 265 Efflumidex 739 Efient 408 Efmoroctocog alfa 412 Efudix 512 EGFR-Antikörper 709 Einsalpha 863 Einsparpotenzial 30, 173, 215 Eisen 297 Eisen(II)-glycinsulfat 297 Eisenmangelanämie 297 Eisenpräparate 297 Eisensulfat 299 Eisentabletten AbZ 299 Eisentabletten-ratiopharm 299 Eklira genuair 466 Ekzem 504 Elebrato Ellipta 467 Elidel 504 Eligard 713 Eliquis 398 Elmex Fluid 883 Elmex Gelee 883 Elocta 412 Elontril 795 Elotuzumab 109, 692, 705 Eltrombopag 412 Elvanse 807 Elvanse adult 807 Emend 361 Emerade 283 Emicizumab 110 Empagliflozin 135, 346 Empliciti 705 Emselex 855 Emser Inhalation 444 Emser Salz Nase 821 Enacanpin TAD 238 EnaHEXAL 234 EnaHEXAL comp 236 Enalapril 234 Enalapril AbZ 234 Enalapril AL 234 Enalapril comp AbZ 236 Enalapril plus-1 A Pharma 236 Enalapril STADA 234 Enalapril-ratiopharm 234 Enalapril/Lercanidipin AbZ 238 Enalapril-1 A Pharma 234 Enantone 713
D–E
900
Stichwortverzeichnis
Enantone-Gyn 585 Enaplus AL 236 Enbrel 433 Endometriose 584 Endoxan 676 Eneas 238 Enoxaparin 165, 170, 401 Enoxaparin Becat 401 Enstilar 515 Entacapon 776 Entecavir 624 Entecavir Cipla 624 Entocort 632 Entresto 556 Entyvio 632 Enzalutamid 714 Epclusa 624 Epi TEVA 684 EPI-cell 684 Epiduo 507 Epidyolex 59 Epilepsie 365 Epimedac 684 Epinephrin 282, 283 Epipevisone 497 Epirubicin 683 Epirubicin HEXAL 684 Eplerenon 544, 545 Eplerenon AbZ 544 Eplerenon beta 544 Eplerenon Heumann 544 Eplerenon-PUREN 544 Epoetin alfa 301, 302 Epoetin alfa HEXAL 302 Epoetine 163 Eprosartan 245 Eprosartan-ratiopharm 245 Eprosartan-ratiopharm comp 248 Equasym 807 Erbitux 704 Erbrechen 359, 362 Erelzi 433 Eremfat 321 Erenumab 647 Ergenyl 368 Eribulin 686, 687 Erleada 51, 714 Erlotinib 699 Erregerspektrum 308 Erstanbieterpräparate, biosimilarfähige Ertugliflozin 346 Erypo 302 Erythromycin 314, 316, 507, 508 Erythropoetin 301 Esbriet 598 Escherichia coli 634 Escitalopram 792
171
Escitalopram AbZ 792 Escitalopram AL 792 Escitalopram BASICS 792 Escitalopram beta 792 Escitalopram Glenmark 792 Escitalopram Heumann 792 Escitalopram HEXAL 792 Escitalopram Lundbeck 792 Escitalopram Micro Labs 792 Escitalopram neuraxpharm 792 Escitalopram-ratiopharm 792 Escitalopram-1 A Pharma 792 Eslicarbazepin 374 Esomep 620 Esomeprazol AbZ 620 Esomeprazol Aristo 620 Esomeprazol BASICS 620 Esomeprazol Ethypharm 620 Esomeprazol TAD 620 Esomeprazol-PUREN 620 Esomeprazol-ratiopharm 620 Espumisan 629 Estradiol 838 Estradiol fem JENAPHARM 838 Estradiol-1 A Pharma 838 Estramon 838 Estramon comp 839 Estreva 838 Estrifam 838 Estriol 838 Estriol Wolff 838 Etanercept 169, 433 Etelcalcetid 764 Ethacridinlactat 500, 501 Ethosuximid 369 Eto-GRY 684 Etoposid 685 Etoposid HEXAL 684 Etoriax TAD 428 Etorican 429 Etoricox AbZ 429 Etoricox HEXAL 429 Etoricoxib 428 Etoricoxib AL 428 Etoricoxib beta 428 Etoricoxib Glenmark 429 Etoricoxib Heumann 428 Etoricoxib Libra-Pharm 429 Etoricoxib Micro Labs 428 Etoricoxib Mylan 429 Etoricoxib STADA 429 Etoricoxib Zentiva 429 Etoricoxib-PUREN 429 Etoricoxib-ratiopharm 429 Eucabal Balsam S 444 Euphorbium comp SN Spray 821 Euphrasia Augentropfen Wala 751
901 Stichwortverzeichnis
Euphrasia Augentropfen Weleda 751 europäischer Vergleich 202 European Medicines Agency 47 Euthyrox 827 Evaluna 843 Everolimus 597, 598, 694, 700 Evolocumab 610 Exemestan 719 Exemestan Accord 719 Exemestan AL 719 Exemestan Aristo 719 Exemestan beta 719 Exemestan Devatis 719 Exemestan Heumann 719 Exemestan Pfizer 719 Exemestan STADA 719 Exemestan-PUREN 719 Exemestan-1 A Pharma 719 Exenatid 346 Exforge 249 Exforge HCT 249 Exjade 299, 301 Expektorantien 439 Extrapolation 158 Eylea 751 Ezesimin TAD 609 Ezesimvahexal 609 Ezetad TAD 608 Ezetimib 605, 608 Ezetimib AbZ 608 Ezetimib AL 608 Ezetimib Axiromed 608 Ezetimib beta 608 Ezetimib Denk 608 Ezetimib HEXAL 608 Ezetimib Mylan 608 Ezetimib Simvastatin Zentiva 609 Ezetimib Zentiva 608 Ezetimib-PUREN 608 Ezetimib-ratiopharm 608 Ezetimib/Simva AbZ 609 Ezetimib/Simvastatin AL 609 Ezetimib/Simvastatin beta 609 Ezetimib/Simvastatin Mylan 609 Ezetimib/Simvastatin-ratiopharm 609 Ezetimib/Simvastatin-1 A Pharma 609 Ezetimib-1 A Pharma 608 Ezetrol 608 Eziclen 637
F Faktor-VIII-Präparate 411 Falithrom 398 Famenita 841 Famotidin 621 Famotidin STADA 621
Famotidin-ratiopharm 621 Fampridin 662 Fampyra 662 Fasenra 468 Faslodex 716 Fastjekt 283 Feanolla 846 Febuxodor TAD 552 Febuxostat beta 552 Febuxostat Zentiva 552 Febuxostat-ratiopharm 552 Felocor 477 Felodipin 476, 478 Felodipin AbZ 476 Felodipin AL 477 Felodipin Heumann 477 Felodipin-ratiopharm 476 Femikadin 843 Femoston 840 Femoston Conti/-mini 840 Femoston mono 838 Fenihydrocort 489 Fenistil 283 Fenistil Gel 283 Fenofibrat 610 Fenofibrat Ethypharm 610 Fenofibrat Heumann 610 Fenoterol 460 Fentanyl 264, 270 Fentanyl AbZ 265 Fentanyl AL 264 Fentanyl Aristo 265 Fentanyl Hennig 265 Fentanyl STADA 265 Fentanyl Winthrop 265 Fentanyl-Actavis 265 Fentanyl-ratiopharm TTS 265 Fentanyl-/Fentamat Sandoz 265 Fentanyl-1 A Pharma 264 Feraccru 299 Ferinject 299, 300 Fermed 300 Ferrlecit 299 Ferro sanol 299 Ferro sanol comp 299 Ferro sanol duodenal 299 Ferrum Hausmann 299 Fertigarzneimittelmarkt 5 Festbeträge 37, 179, 208 Fexofenadin 281 Fexofenadin Winthrop 281 Fexofenadinhydrochlorid 281 Fiasp 350 Fibrate 610 Ficortril 739 Filgrastim 164, 720, 721 Filgrastim HEXAL 721
E–F
902
Stichwortverzeichnis
Finasterid 853 Finasterid Aurobindo 853 Finasterid Bluefish 853 Finasterid Heumann 853 Finasterid Winthrop 853 Fingolimod 110, 656, 659, 661 Finural 853 Firmagon 713 Fixaprost 749 Flammazine 523 Flecadura 560 Flecainid AAA Pharma 560 Flecainid/Flecainidacetat PUREN 560 Flecainid-1 A Pharma 560 Flecainidacetat Aurobindo 560 Flixabi 433 Floxal 735 Fluanxol 799 Flucloxacillin 310 Flucloxacillin Altamedics 310 Fluconazol 323 Fluconazol Aristo 323 Fluconazol BASICS 323 Fluconazol-PUREN 323 Fludrocortison 485, 486 Fluimucil 441 Flunarizin 360 Flunarizin acis 360 Flunisolid 819 Flunitrazepam 575 Fluocinolonacetonid 491, 589, 823 Fluor Vigantol/Viganteletten 864 Fluorchinolone 317, 318, 822 Fluoretten 883 Fluoridpräparate 874 Fluoridprophylaxe 865 Fluorometholon 739 Fluoropos 739 5-Fluorouracil 510–512, 677, 678 Fluorouracil Accord 678 Fluorouracil HEXAL 678 Fluoxetin 791 Fluoxetin AL 791 Fluoxetin beta 791 Fluoxetin HEXAL 791 Fluoxetin STADA 791 Fluoxetin-neuraxpharm 791 Fluoxetin-ratiopharm 791 Fluoxetin-1 A Pharma 791 Flupentixol 799 Flupentixol-neuraxpharm 799 Fluphenazin 799 Fluphenazin-neuraxpharm 799 Flupredniden 490 Flurazepam 575 Flurazepam real 575 Fluspirilen 799
Flutamid 714 Flutamid AL 714 Flutica TEVA 819 Fluticason 462, 819 Fluticason Cipla 462 Flutide 462 Flutide Nasal 819 Flutiform 463 Fluvastatin 606 Fluvastatin AbZ 606 Fluvastatin HEXAL 606 Fluvastatin-PUREN 606 Fluvastatin-ratiopharm 606 Fluvoxamin 792 Fluvoxamin-neuraxpharm 792 FOLI-cell 678 Folinsäure Aurobindo 678 Folinsäure Tillomed 678 Follitropin 584 Follitropin alfa 585 Follitropinpräparate 584 Folsan 302 Folsäure 301, 302 Folsäure AbZ 302 Folsäure Lomapharm 302 Folsäure-ratiopharm 302 Folsäureantagonisten 680 Fondaparinux 401, 402 Foradil 461 Forair 461 Formo-Aristo 461 FormoLich 461 Formoterol 459, 461 Formoterol AL 461 Formoterol Easyhaler 461 Formoterol-CT 461 Formoterolfumarat 136 Forsteo 767 Fortecortin 485 Forxiga 346 Fosaprepitant 361 Fosfomycin 321, 322 Fosfomycin AL 321 Fosfomycin Aristo 321 Fosfomycin Eberth 321 Fosfuro 321 Fosino-TEVA 235 Fosinopril 233 Fosrenol 764 Foster 462 Fotil 746 Fragmin 401 Framycetin 498 Fraxiparin 401 Freka Clyss 638 Freka Vit fettlöslich 867 Freka Vit wasserlöslich 866
903 Stichwortverzeichnis
Fremanezumab 70 Frisium 785 Frovatriptan 647 5 Fu Cellpharm 678 5-FU medac 678 Fucicort 499 Fucidine 498 Fucidine-H 499 Fucithalmic 735 Fulvestrant 716 Fulvestrant beta 716 Fulvestrant Ever Pharma 716 Fulvestrant HEXAL 716 Fulvestrant-ratiopharm 716 Fumaderm 515 Fumarsäure 518 Furacin Sol 500 Furadantin 321 Furobeta 542 Furorese 542 Furosemid 540, 542 Furosemid AbZ 542 Furosemid AL 542 Furosemid-ratiopharm 542 Furosemid-1 A Pharma 542 Fusicutan 498 Fusicutan plus Betamethason 499 Fusidinsäure 498, 735 Fusidinsäure-ratiopharm 498 Fusidinsäure/Betamethason Mylan 499 Fycompa 374 Fyremadel 585
G Gabapentin 366, 371, 372 Gabapentin AAA Pharma 372 Gabapentin AbZ 372 Gabapentin AL 372 Gabapentin Aristo 372 Gabapentin Aurobindo 372 Gabapentin Glenmark 372 Gabapentin HEXAL 372 Gabapentin Holsten 372 Gabapentin Micro Labs 372 Gabapentin TEVA 372 Gabapentin-ratiopharm 372 Gabapentin-1 A Pharma 372 Gabrilen 426 Galantamin 333, 334 Galantamin Heumann 334 Galantamin-ratiopharm 334 Galcanezumab 72 Gallensäure 627 Gamunex 595 Ganciclovir 735 Ganfort 749
Ganirelix 584, 585 Gastrozepin 621 Gazyvaro 704 Gefäßkrankheiten 395 Gemcitabin 678, 679 Gemcitabin Accord 678 Gemcitabin HEXAL 678 Gemedac 678 Generika 5, 7, 28, 29 Genotropin 588 Gent-Ophtal 735 Gentamicin 498, 735 Gentamicin-POS 735 Gentechnisch hergestellte Arzneimittel 153 Genvoya 326 Gerbstoff 504, 505 Gerinnungsfaktor VIII 412 Gestagene 840, 841 Gestagenmonopräparat 845 Gichtmittel 549 Gilenya 656 Gilteritinib 73 Ginkgoblätterextrakt 336 Ginoring 846 Giotrif 694 Glatirameracetat 656, 657 Glaukom 741 Glaupax 747 Glecaprevir/Pibrentasvir 111 Glepark 775 Glib-ratiopharm 344 Glibenclamid 343, 344 Glibenclamid AbZ 344 Glibenclamid AL 344 Glimepirid 343, 344 Glimepirid -1 A Pharma 344 Glimepirid Aristo 344 Glimepirid Heumann 344 Glimepirid Winthrop 344 Glinide 345 Gliptine 348 Glivec 693 GLP-1-Rezeptoragonisten 349 Glucocorticoide 481, 488, 738, 818 Glucophage 343 ’-Glucosidasehemmer 345 Glycerolphenylbutyrat 111 Glyceroltrinitrat 565 Glycilax 638 Glycopyrroniumbromid 136, 466, 467 Godamed 408 Golimumab 433 Gonadorelinanaloga 584, 712 Gonadorelinantagonisten 584, 712 Gonadotropin-Releasinghormon 584 Gonal 585 Goserelin 584, 585, 712, 713
F–G
904
Stichwortverzeichnis
Granisetron 361 Granisetron B.Braun 361 Granisetron beta 361 Granisetron HEXAL 361 Granisetron Kabi 361 Granisetron-ratiopharm 361 Granisetron/Grani Denk 361 Gräserpollenextrakte 285 Grazax 286 Grepid 408 Grippemittel 444 Grüncef 313 Grüner Tee 503 Guanfacin 807 Guselkumab 515 Guttaplast 511 Gyno Mykotral 324 Gyno-Pevaryl 324 Gynoflor 838 Gynokadin 838
H H2-Rezeptorantagonisten 623 Halaven 686 Halcion 575 Haldol 799 Haloperidol 799 Haloperidol-neuraxpharm 799 Haloperidol-ratiopharm 799 Hamamelisextrakt 523, 525 Hametum Salbe etc. 523 Hämophilie 412, 589 Handekzem 506 Harnwegsinfektionen 308, 312 Hausstaubmilben 288, 291 Hautinfektionen 501 HCT beta 539 HCT Dexcel 539 HCT HEXAL 539 HCT-1 A Pharma 539 Hedelix 443 Helicobacter pylori 617 Helixor 721 Hemangiol 452 Hepa-Merz Granulat/Infusion 624 Heparin 401 – niedermolekulares 165 Heparin-ratiopharm 401 Heparine 400 Hepatitis B 625 Hepaxane 401 Herbstzeitlosensamenextrakt 552 Herceptin 704 Herpes labialis 502 Herzglykoside 555, 559 Herzinfarkt 448
Herzinsuffizienz 240, 242, 251, 448, 537, 555, 557 Herzuma 704 Histakut Dimetindenmaleat 283 HIV-Infektion 70, 325 Hochdrucktherapie 390 Hopfen 580 Hormonantagonisten 711 Hormonersatztherapie 833 Hulio 433 Humalog 350 Humalog Mix 350 Humane allogene mesenchymale Stromazellen 75 Humaninsulin 350 Humatrope 588 Huminsulin Basal 350 Huminsulin Normal 350 Huminsulin Profil 350 Humira 433 Hydro/-cortison Heumann 489 Hydrochlorothiazid 242, 539 Hydrocort-1 A Pharma 489 Hydrocortison 483, 488, 489, 739 Hydrocortison acis 484 Hydrocortison GALEN 483 Hydrocortison Hoechst 484 Hydrocortison JENAPHARM 483 Hydrocortison-POS N 739 Hydrocortisonbutyrat 490 Hydrocutan 489 Hydrodexan 492 Hydrogalen 489 Hydromorphon 266, 271 Hydromorphon AL 266 Hydromorphon Aristo 266 Hydromorphon dura 267 Hydromorphon HEXAL 267 Hydromorphon Winthrop 266 Hydromorphon-HCL Heumann 266 Hydromorphon-HCL PUREN 267 Hydromorphon-ratiopharm 267 Hydromorphon/-hydrochlorid beta 266 Hydroxycarbamid 688, 689 Hydroxycarbamid Ribosepharm 689 Hydroxycarbamid-1 A Pharma 689 Hydroxychloroquin 430 Hydroxychloroquin Aristo 430 Hydroxychloroquinsulfat Dr. Eberth 430 Hydroxyzin 283 Hydroxyzin Bluefish 283 Hygroton 539 Hylo Gel 751 Hyperaldosteronismus 543 Hyperphosphatämie 763 Hypersomnien 572 Hypertonie 232, 239, 242, 248, 379, 448, 477, 537 Hypnorex 796 Hypnotika 572, 573
905 Stichwortverzeichnis
Hypogonadismus 834 Hypokaliämie 868 Hypoparathyreoidismus 760 Hypophysen-/Hypothalamushormone Hyposensibilisierungsmittel 292 Hypothyreose 826 Hyrimoz 433
I Ib-u-ron 425 Ibandronic Accord 766 Ibandronsäure 766 Ibandronsäure AL 150mg oral 766 Ibandronsäure AL Fertigspritze 766 Ibandronsäure beta Fertigspritze 766 Ibandronsäure Chemi Bendalis 766 Iberogast 628 Ibrance 694 Ibrutinib 112, 693 Ibu/Ibu Lysin-ratiopharm 425, 879 Ibu-1 A Pharma 425, 879 Ibuflam/-Lysin 425, 879 IbuHEXAL/Ibu Lysin HEXAL 425 Ibuprofen 425, 878, 879 Ibuprofen AbZ 425, 879 Ibuprofen AL 425, 879 Ibuprofen STADA 425 Ibuprofen-PUREN 425, 879 Ibuprofen/Ibu Atid 425 Icandra 346 Ichthyosis 510 Ideos 762 Ikervis 751 Iltria 607 Imap 799 Imatinib 693, 695, 696 Imatinib Accord 693 Imatinib beta 693 Imatinib Denk 693 Imatinib Devatis 693 Imazol comp 497 Imazol Paste 494 Imbruvica 693 Imbun Ibu-Lysinat 425 Imfinzi 704 Imidin 818 Imigran 646 Imipramin 789 Imipramin-neuraxpharm 789 Imiquimod 511 Immunglobuline 593–595 Immunogenität 157 Immunstimulanzien 12, 593 Immunsuppressiva 9, 594 Immuntherapie 283, 284 Imnovid 689
583
Imodium 634 Impetigo 499 Imraldi 433 Imurek 596 Incobotulinumtoxin 113 Incruse 466 Indapamid 539 Indapamid AL 539 Indapamid Heumann 539 Inderm 507 Individualrezepturen 292 Indomet-ratiopharm 426 Indometacin 426 Indometacin AL 426 Inegy 609 Infectoazit 735 Infectobicillin 310 Infectocef 313 Infectocillin 310, 875 Infectocipro Ohrentropfen 822 Infectociprocort 823 Infectocortikrupp 483 Infectocortisept 500 Infectodexakrupp 485 Infectodiarrstop LGG 634 Infectogenta 498 Infectogenta Augen 735 Infectomox 311 Infectomycin 316 Infectoopticef 313 Infectopyoderm 498 Infectosoor Mundgel 324 Infectosoor Zinksalbe 497 Infectospectran HC 823 Infectosupramox 312 Infectotrimet 318 Infertilität 584 Inflanefran 739 Inflectra 433 Infliximab 168, 174, 433, 632 Influenza 325 Ingenolmebutat 512, 513 inhalative Glucocorticoide 463 Inhixa 401 Inkretinmimetika 348 Innohep 401 Inovelon 374 Insektengiftallergien 283, 291 Insektengifte 292 Insidon 789 Insomnien 571 Instillagel 857 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 191 Insulin aspart 350 Insulin degludec 351 Insulin detemir 351, 353
G–I
906
Stichwortverzeichnis
Insulin glargin 351, 353 Insulin glulisin 350 Insulin lispro 350 Insulin Lispro Sanofi 350 Insulinanaloga 352 Insuline 352 Insuman Basal 350 Insuman Comb 350 Insuman Rapid/-Infusat 350 Interessenkonflikte 197 Interferon beta-1a 656 Interferon beta-1b 656 internationale Preisvergleiche 23 Intratect 595 intrinsische sympathomimetische Aktivität (ISA) Intuniv 807 Inuvair 463 Iodidsalze 828 Iodmangel 830 Iodmangelkropf 825 Iodmangelstruma 829 Iodsalzprophylaxe 830 Ipilimumab 114 Iprabronch 466 Ipramol TEVA 460 Ipratropium TEVA 466 Ipratropiumbromid 466 Irbecor comp 247 Irbesartan 244 Irbesartan AbZ 244 Irbesartan AL 244 Irbesartan comp AbZ 247 Irbesartan comp BASICS 247 Irbesartan comp HEXAL 247 Irbesartan HEXAL 244 Irbesartan Hydrochlorothiazid Micro Labs 247 Irbesartan Micro Labs 244 Irbesartan STADA 244 Irbesartan-ratiopharm 244 Irbesartan/HCT STADA 247 Irbesartan-1 A Pharma 244 Irenat 830 Irinomedac 684 Irinotecan 685 Irinotecan Accord 684 Irinotecan Amneal 684 Irinotecan Aurobindo 684 Irinotecan Fresenius 684 Iruxol N 523 IS 5 mono-ratiopharm 565 Iscador 721 ISDN AL 565 ISDN STADA 565 ISDN-ratiopharm 565 Isentress 326 Isicom 774 ISMN AbZ 565
447
ISMN AL 565 Isocillin 310, 875 Isogalen 507 Isoket 565 Isoniazid 321 Isoptin 475 Isopto-Max 736 Isosorbiddinitrat 565 Isosorbidmononitrat 565 Isotonische Kochsalzlösung Eifelfango Isotretinoin 509 Isotretinoin BASICS 507 Isozid comp N 321 Itraconazol 323 Itraconazol Aristo 323 Itraconazol Heumann 323 Itraisdin 323 Itulazax 291 Ivabalan TAD 566 Ivabradin 566, 567 Ivabradin beta 566 Ivabradin Heumann 566 Ivabradin-PUREN 566 Ivabradin-ratiopharm 566 Ivabradin-1 A Pharma 566 Ivabradine Anpharm 566 Ivacaftor 115 Ivemend 361 Ivermectin 520 Ixekizumab 598
J Jakavi 693 Jalra 346 Janumet 346 Januskinaseinhibitoren 431, 697 Januvia 346 Jardiance 346 Jatrosom 796 Jellin 491 Jellin-Neomycin 499 Jevtana 686 Jext 283 Jodetten 828 Jodid HEXAL 828 Jodid Tabletten 828 Jodid-ratiopharm 828 Jodinat Lindopharm 828 Jodthyrox 828 Johanniskraut 807 Jubrele 846 Juformin 343 Junik 462 Juniorlax 637
441
907
I–L
Stichwortverzeichnis
K
L
Kadcyla 704 Kalinor Brausetabletten 870 Kalinor retard P 870 Kalium Verla 870 Kaliumchlorid 870 Kaliumiodid 828 Kamillenblütenextrakt 523, 525 Kamillin-Extern Robugen 523 Kanamycin 735 Kanamycin-POS 735 Kanjinti 704 Kaposi-Sarkom 506 Kariesprophylaxe 865, 882 Karison 491 Kentera 855 Keppra 373 Keratitis 737 Keratoplastika 510 Kerlone 451 Ketoprofen 426 Ketorolac 739 Ketotifen 467, 468, 741 Ketotifen STADA 468 Ketovision 739 Keytruda 704 Kinderlax elektrolytfrei 636 Kinderlax Pulver 637 Kinecteen 807 Kiovig 595 Kisqali 694 Kleodina 843 Klismacort Rektal 483 Klistier Fresenius 638 Klysma-Salinisch 638 Kollagenase 524 Koloniestimulierende Faktoren (CSF) 720 Kolorektalkarzinom 679, 709 Komboglyze 346 Konakion 412 Konjugierte Estrogene 838 Konjunktivitis 279, 734 Kontrazeptiva 834, 842 koronare Herzkrankheit 251, 479, 564, 601 Koronarmittel 564 Kortikoid-ratiopharm 490 Kovaltry 412 Krebstherapie 671 Kreon 631 Kryptorchismus 587 künstliche Befruchtung 583 KV-Regionen 175 Kyprolis 689
L-Poladdict 267 L-Polamidon 267 L-Polamidon zur Substitution 267 L-Thyrox HEXAL 827 L-Thyrox Jod HEXAL 827 L-Thyroxin AL 827 L-Thyroxin Aristo 827 L-Thyroxin Aventis 827 L-Thyroxin beta 827 L-Thyroxin Henning 827 L-Thyroxin Henning plus 827 L-Thyroxin Iod Aristo 827 L-Thyroxin Iod Winthrop 828 L-Thyroxin Winthrop 827 L-Thyroxin-Na AbZ 827 L-Thyroxin-Na-ratiopharm 827 L-Thyroxin-1 A Pharma 827 Lacosamid 374, 375 Lacteol 634 Lactulose 636 Lactulose AbZ 636 Lactulose AL 636 Ladivella 840 Lafamme 840 Laif 807 Lais Gräser 286 Lais Milbe 289 Laktazidose 342 Lamictal 372 Lamivudin 133 Lamotrigin 366, 371, 372 Lamotrigin acis 372 Lamotrigin Aristo 372 Lamotrigin Aurobindo 372 Lamotrigin Desitin 372 Lamotrigin dura 372 Lamotrigin Heumann 372 Lamotrigin TEVA 372 Lamotrigin-neuraxpharm 372 Lamotrigin-ratiopharm 372 Lamotrigin-1 A Pharma 372 Lamuna 844 Lanadelumab 76 langwirkende Beta2 -Rezeptoragonisten (LABA) Lanicor 556 Lanitop 556 Lanreotid 588 Lansoprazol 620 Lansoprazol AbZ 620 Lansoprazol AL 620 Lansoprazol Aurobindo 620 Lantarel 430 Lantus 351 Larbex 462 Larotrectinib 77
459
908
Stichwortverzeichnis
Lasix 542 Latanelb 749 Latano Q 749 Latano Vision 749 Latanoprost 749 Latanoprost AL 749 Latanoprost Pfizer 749 Latanoprost-ratiopharm comp 750 Latanotim Vision 749 Laticort 490 Laventair Ellipta 467 Laxans AL 638 Laxans-ratiopharm 638 Laxans-ratiopharm Pico 638 Laxanzien 635 Laxbene/-junior 636 Laxoberal 638 Laxofalk 637 Lecicarbon CO2-Laxans 638 Lefax 629 Leflon Heumann 430 Leflunomid 430 Leflunomid AL 430 Leflunomid Bluefish 430 Leflunomid Heumann 430 Leflunomid medac 430 Leflunomid STADA 430 Leflunomid Winthrop 430 Leflunomid-ratiopharm 430 Leganto 775 Leioderm P 500 Leios 843 Leitlinienempfehlungen 194 Lektinol 721 Lenalidomid 689, 691 Lendormin 575 Lennox-Gastaut-Syndrom 59 Lenograstim 720 Lenvatinib 694 Lenvima 694 Lenzetto 838 Leona HEXAL 843 Leponex 802 Lercanidipin 477, 478 Lercanidipin Omniapharm 477 Lercanidipin STADA 477 Letroblock 718 LetroHEXAL 718 Letrozol 718 Letrozol AbZ 718 Letrozol Accord 718 Letrozol Aristo 718 Letrozol beta 718 Letrozol Bluefish 718 Letrozol Denk 718 Letrozol Devatis 718 Letrozol Glenmark 718
Letrozol Heumann 718 Letrozol STADA 718 Letrozol Sun 718 Letrozol Winthrop 718 Letrozol-PUREN 719 Letrozol-ratiopharm 719 Letrozol-1 A Pharma 718 Leukase N Puder/Salbe 498 Leukeran 676 Leukotrienantagonisten 467 Leupro Sandoz 713 Leuprolin-ratiopharm 713 Leuprone HEXAL 713 Leuprorelin 584, 585, 712, 713 Levemir 351 Levetiracetam 366, 373, 375 Levetiracetam Accord 373 Levetiracetam AL 373 Levetiracetam Aristo 373 Levetiracetam Aurobindo 373 Levetiracetam BASICS 373 Levetiracetam beta 373 Levetiracetam Desitin 373 Levetiracetam Heumann 373 Levetiracetam HEXAL 373 Levetiracetam Hormosan 373 Levetiracetam UCB 373 Levetiracetam Zentiva 373 Levetiracetam-neuraxpharm 373 Levetiracetam-PUREN 373 Levetiracetam-ratiopharm 373 Levetiracetam-1 A Pharma 373 Levobeta/-retard 774 Levobunolol 746 Levocabastin 741, 818 Levocarb-1 A Pharma 774 Levocetirizin 281 Levocetirizin Bluefish 281 Levocetirizin Glenmark 281 Levocetirizin Micro Labs 281 Levocetirizin TAD 281 Levocetirizin-1 A Pharma 281 Levocomp/-retard 774 Levodop-neuraxpharm 774 Levodopa 772, 773 Levodopa Benserazid beta 773 Levodopa Benserazid neuraxpharm 773 Levodopa Benserazid-CT 773 Levodopa plus Benserazid AL 773 Levodopa/Benserazid-ratiopharm 773 Levodopa/Carbidopa/Enatacapon PUREN 777 Levodopa/Carbidopa/Entacapon AbZ 777 Levodopa/Carbidopa/Entacapon beta 777 Levodopa/Carbidopa/Entacapon neurax 777 Levodopa/Carbidopa/Entacapone Orion 777 Levodropropizin 439 Levofloxacin 318, 319, 735
909 Stichwortverzeichnis
Levofloxacin Aristo 319 Levofloxacin Aurobindo 319 Levofloxacin HEC Pharm 319 Levofloxacin Heumann 319 Levofloxacin HEXAL 319 Levofloxacin STADA 319 Levofloxacin-1 A Pharma 319 Levomepromazin 800 Levomepromazin-neuraxpharm 800 Levomin 843 Levonorgestrel 840, 843 Levopar 773 Levothyroxin 826, 827 Lidocain 881 Limptar N 666 Linagliptin 135 Linola Fett-N Ölbad 526 Linola H N/-H fett N 489 Linola/-Fett 526 Linolacort Hydro/Linola akut 489 Linoladiol N Creme 838 Linoladiol-H N Creme 838 Lioresal 662 Liothyronin 827, 828 Lipegfilgrastim 720, 721 Lipidil 610 Lipidsenker 12 Lipocol 610 Lipotalon 485 Liprolog 350 Liprolog Mix 350 Liraglutid 349 Lisdexamfetamin 116, 806, 807 Liserdol 590 Lisi Lich 234 Lisi Lich comp 237 LisiHEXAL 234 LisiHEXAL comp 237 Lisinopril 233, 234 Lisinopril AbZ 234 Lisinopril AL 234 Lisinopril comp AbZ 237 Lisinopril STADA 234 Lisinopril-comp-PUREN 237 Lisinopril-ratiopharm 234 Lisinopril-TEVA 234 Lisinopril-1 A Pharma 234 Lisinopril-1 A Pharma plus 237 Liskantin 369 Litalir 689 Lithium 796 Livocab Augentropfen 741 Livocab Nasenspray/Augentropfen 818 Lixiana 398 Lixisenatid 351 Locacorten-Vioform 500 Locol 606
Lodotra 483 Lokalanästhetika 880 Lokalantimykotika 493 Lokalantiseptika 501 Lokaltherapeutika 500 Lomustin 676, 677 Lonolox 387 Lonquex 721 Lonsurf 679 Lopedium 634 Loperamid 633 Loperamid AL 634 Loperamid Heumann 634 Loperamid STADA 634 Loperamid-ratiopharm 634 Loperamid/-akut Aristo 634 Loperamid-1 A Pharma 634 Lora ADGC 282 Lorazepam 784 Lorazepam dura 784 Lorazepam-ratiopharm 784 Lorlatinib 79 Lormetazepam 575 Lormetazepam AL 575 Lormetazepam-ratiopharm 575 Losar Denk 243 Losar TEVA 243 Losarplus AL 246 Losartan 243 Losartan AbZ 243 Losartan Aristo 243 Losartan Atid 243 Losartan Axiromed 243 Losartan comp AbZ 246 Losartan comp Heumann 246 Losartan HCT Aristo 246 Losartan HCT Dexcel 246 Losartan Heumann 243 Losartan HEXAL 243 Losartan-Kalium HCTad 246 Losartan-Kalium TAD 243 Losartan-ratiopharm 243 Losartan-1 A Pharma 243 Lotemax 739 Loteprednol 739 Lotricomb 497 Lovabeta 608 Lovastatin 608 Lovastatin-ratiopharm 608 Lucentis 751 Lumigan 749 Luminal/Luminaletten 369 Lupus erythematodes 598 Lutetium (177 Lu)-Oxodotreotid 80 Lutrate depot 713 Lutropin 584 Lygal Kopftinktur N 489
L
910
Stichwortverzeichnis
Lynparza 694 Lyrica 374
M M-STADA 264 Mabthera 704 Macitentan 389 Macrogol 636 Macrogol AbZ 636 Macrogol AL 636 Macrogol beta plus Elektrolyte 636 Macrogol dura 636 Macrogol STADA 636 Macrogol-neuraxpharm 637 Macrogol-ratiopharm Balance 636 Macrogol-1 A Pharma 636 Madopar 773 Magen-Darm-Mittel 616 Magnesium Verla N Drag. 870 Magnesiumoxid 870 Magnesiumpräparate 869 Magnetrans forte/extra 870 Makrolidantibiotika 314 Makuladegeneration 750 Makulaödem 752 Mammakarzinom 706, 715, 717 Maninil 344 Maprotilin 789 Maprotilin-neuraxpharm 789 Marcumar 398 Marcuphen AbZ 398 Markt, biosimilarfähiger 172, 179 Marktrücknahme 195 Marktsteuerungsmaßnahmen 203 Mavenclad 656 Maviret 624 Maxalt 646 Maxim 844 MCP AbZ 628 MCP AL 628 MCP HEXAL 628 MCP STADA 628 MCP-ratiopharm 628 Mebeverin 627, 628 Mebeverin-PUREN 628 Medazepam 785 Medikinet 807 Medikinet adult 807 mediterrane Kost 603 Meditonsin 444 Medoxa 682 Medroxyprogesteron 846 Medroxyprogesteronacetat 841 MEK-Inhibitoren 701 Mekinist 694 Melanom 710
Melatonin 116, 578, 579 Melisse 580 Melneurin 800 Meloxicam 426 Meloxicam AL 426 Meloxicam-1 A Pharma 426 Melperon 800 Melperon AL 800 Melperon Aristo 800 Melperon STADA 800 Melperon-neuraxpharm 800 Melperon-ratiopharm 800 Melperon-1 A Pharma 800 Melphalan 675, 676 Melrosum Hustensirup 443 Memantin 334, 335 Memantin Abdi 334 Memantin Aurobindo 334 Memantin BASICS 334 Memantin Winthrop 334 Menogon 585 Menotropin 585 Mepilex Ag 522 Mepolizumab 469 Meprolol succinat TAD 450 Mercaptopurin 679, 680 Mesalazin 631, 632 Mesna 676 Metamizol 880, 881 Metamizol Aristo 276 Metamizol HEXAL 276 Metamizol-1 A Pharma 276 Metergolin 590 Metex/Metex FS 430 Metformin 342, 343 Metformin AbZ 343 Metformin AL 343 Metformin Atid 343 Metformin axcount 343 Metformin HEXAL 343 Metformin Lich 343 Metformin STADA 343 Metformin-CT 343 Metformin-ratiopharm 343 Metformin-1 A Pharma 343 Methaddict 267 Methadon 267 Methanthelinium 526 Methizol 830 Methocarbamol 665, 666 Methocarbamol AL 666 Methocarbamol-neuraxpharm 666 Methotrexat 430, 679, 680 Methotrexat Lederle 679 Methoxy-Polyethylenglycol-Epoetin beta Methyldopa 388 Methyldopa STADA 388
302
911 Stichwortverzeichnis
Methylpheni TAD 807 Methylphenidat 805, 807 Methylphenidat-ratiopharm 807 Methylphenidathydrochlorid neuraxpharm 807 Methylprednisolon 483, 484 Methylprednisolon JENAPHARM 483 Methylprednisolon-aceponat 490 Metildigoxin 556 Meto-Succinat Sandoz 450 Metoclopramid 627, 628 Metodura comp 385 Metodura/Metoprololsuccinat dura 450 MetoHEXAL 450 MetoHEXAL comp 385 MetoHEXAL succ comp 385 Metoprolol 449, 450, 649 Metoprolol comp AbZ 385 Metoprolol plus HCT-1 A Pharma 385 Metoprolol/Metoprololsuccinat Heumann 450 Metoprolol/Metoprololsuccinat-ratiopharm 450 Metoprolol/Metoprololsuccinat/Zot STADA 450 Metoprolol/Metoprololsuccinat/-Z AL 450 Metoprolol/Metoprololsuccinat-1.A Pharma 450 Metoprololsuccinat AbZ 450 Metoprololsuccinat plus-1 A Pharma 385 Metrogalen 520 Metrogel/-creme/-lotion 520 Metronidazol 320, 321, 520, 877 Metronidazol AL 321, 877 Metronidazol Aristo 321, 877 Metronidazol Heumann 321 Metypred GALEN 483 Mexiletin 117 Mezavant 632 Miconazol 324, 494 Miconazol acis 494 Miconazol KSK 494 Micotar Creme etc. 494 Micotar Mundgel 324 Microgynon 843 Microlax 638 Mictonorm/Mictonetten 855 Midazolam 374, 575 Midazolam-ratiopharm 575 Miflonide 462 Migräne 71 Migräneprophylaxe 648 Mikrovariabilität 153, 157 Milnacipran 794 Milnaneurax 794 Mimpara 764 Mineralocorticoide 481 Minirin 588 Minisiston/-fem 843 Minocyclin 314, 315 Minocyclin-ratiopharm 315 Minoxidil 386, 387
Mirabegron 855 Mircera 302 Mirfulan 522 Mirta Lich 796 Mirta TAD 796 Mirtazapin 795, 796 Mirtazapin AbZ 796 Mirtazapin AL 796 Mirtazapin Aurobindo 796 Mirtazapin Heumann 796 Mirtazapin Hormosan 796 Mirtazapin STADA 796 Mirtazapin-neuraxpharm 796 Mirtazapin-ratiopharm 796 Mirtazapin-1 A Pharma 796 Mirvaso 520 Misoprostol 118 Mistelkrautextrakt 721 Mitomycin 675, 676 Mitomycin medac/Mito medac Mitosehemmstoffe 687 Mitosyl 522 Mizollen 282 Mobloc 385 Moclobemid-ratiopharm 796 Modafinil 807 Modafinil Glenmark 807 Modigraf 598 Molsidomin 566 Molsidomin Heumann 566 Molsidomin STADA 566 Momeallerg/Momegalen Nase Momecutan 491 Momegalen 491 MometaHEXAL 819 Mometason 491, 818, 819 Mometason/-furoat Glenmark Mometason/-furoat ratiopharm Mometasonfuroat Abz 819 Mometasonfuroat AL 819 Mono-Embolex 401 Monodex 739 Monofer 299 Monoprost 749 Monostep 843 Monovo 491 Montelukast 467, 468 Montelukast AbZ 468 Montelukast Aurobindo 468 Montelukast dura 468 Montelukast Heumann 468 Montelukast-PUREN 468 Montelukast-ratiopharm 468 Montelukast-1 A Pharma 468 Monuril 321, 322 Morbus Addison 481 Morbus Crohn 631
676
819
491 819
L–M
912
Stichwortverzeichnis
Morbus Parkinson 771 Moronal Filmtabletten/Suspension 324 Morphin 264 Morphin AL 264 Morphin Aristo 264 Morphin Hameln 264 Morphin HEXAL 264 Morphin Merck 264 Morphin-ratiopharm 264 Morphinsulfat AbZ 264 Morphinsulfat-GRY 264 Motilium 628 Movicol 636 Moviprep 637 Mowel 596 Moxifloxacin 318, 319, 735 Moxifloxacin AL 320 Moxifloxacin Aurobindo 319 Moxifloxacin HEC Pharm 319 Moxifloxacin-PUREN 320 Moxifloxacin-1 A Pharma 319 Moxonidin 388 Moxonidin AAA Pharma 388 Moxonidin AbZ 388 Moxonidin AL 388 Moxonidin Heumann 388 Moxonidin HEXAL 388 Moxonidin STADA 388 Moxonidin-1 A Pharma 388 Moxonodin 387 MPA Gyn HEXAL 841 MST/MSR/MSI Mundipharma 264 mTOR-Inhibitoren 595, 597 MTX HEXAL 430 Mucoclear 441 Mucofalk 638 Mucosolvan 441 Mukolytikum 440 Mukoviszidose 442 Multaq 560 multifokale Leukenzephalopathie 519 Multilind Heilpaste 497 multiple Sklerose 653 multiples Myelom 689 Mupirocin 498, 501 Muscarinrezeptorantagonisten 362, 456, 465, 778 Muskelrelaxanzien 665 Mutaflor Kapseln 634 Mutaflor Suspension 634 Mycophenolat mofetil Accord 596 Mycophenolat-1 A Pharma 596 Mycophenolatmofetil 596 Mycophenolatmofetil Heumann 596 Mycophenolatmofetil-biomo 596 Mycophenolsäure 596 Mycophenolsäure HEXAL 596 Myditin 666
Mydriatika 753 Myelofibrose 697 Myfenax 596 Myfortic 596 Mykoderm Heilsalbe 497 Mykoderm Miconazolcreme Mykoderm Mundgel 324 Mykosen 493 Mykundex Heilsalbe 497 Mylepsinum 369 Myopridin 666 Myotonolytikum 665
494
N Nabiximols 662 NAC AL 441 NAC-ratiopharm 441 NAC-1 A Pharma 441 Nacom 774 Nadifloxacin 507, 509 Nadixa 507 Nadroparin 401 Nafarelin 584, 585 Naloxegol 638 Naltrexon 807 Naltrexonhydrochlorid Accord 807 Naproxen 426 Naproxen AL 426 Naproxen Aristo 426 Naproxen HEXAL 426 Naproxen STADA 426 Naproxen-1 A Pharma 426 Naratriptan 646 Naratriptan AL 646 Naratriptan STADA 646 Naratriptan-1 A Pharma 646 Nasenduo 818 Nasengel/Spray/Tropfen AL 818 Nasenspray Zentiva 818 Nasenspray/-tropfen/-gel-ratiopharm 818 Nasic 818 Nasivin 818 Nasonex 819 Natalizumab 656, 658 Natrilix 539 Natriumfluorid 883 Natriumperchlorat 830 Natriumpicosulfat 638 Natriumselenit 870 Navirel 686 Nebido 835 Nebilet 451 Nebivolol 449, 451 Nebivolol- Actavis 451 Nebivolol AL 451 Nebivolol Glenmark 451
913 Stichwortverzeichnis
Nebivolol STADA 451 Nene-Lax 638 Neocarbo 682 Neorecormon 302 NeoTaxan 686 Neotigason 515 Nepafenac 739 Nephral 541 Nephropathie 241, 242, 252 Nepresol 387 Neprilysin-Inhibitor 558 Neratinib 81 Nerisona 491 neue Wirkstoffe 47 Neulasta 721 Neupogen 721 Neupro 775 Neuritis vestibularis 360 Neurocil 801 Neuroderm akut 490 Neuroderm Mandelölbad 526 Neurofibrillenbündel 332 Neurokinin-1-Antagonist 363 Neuroleptika 782, 798 Neuroplant 807 Nevanac 739 Nexavar 694 Nexium 620 Nicergolin 336 Nicergolin-neuraxpharm 336 Nichtnukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI) 326 nichtselektive Monoamin-RückaufnahmeInhibitoren 787 nichtsteroidale Antiphlogistika 622, 878 Niedermolekulare Heparine 401 Nierenzellkarzinom 698, 699 Nifedipin 476 Nifedipin AbZ 476 Nifedipin acis 476 Nifedipin AL 476 Nifedipin STADA 476 Nifedipin-ratiopharm 476 Nifurantin B6 321 Nifurantin/Nifuretten 321 Nilotinib 693, 696 Nintedanib 694, 699 Niraparib 694, 702 Nitrangin 565 Nitrate 566 Nitrazepam 575 Nitrazepam AL 575 Nitrazepam-neuraxpharm 575 Nitrendipin 476 Nitrendipin AL 476 Nitrendipin Aristo 476 Nitrendipin-ratiopharm 476
Nitrofural 500, 502 Nitrofurantoin 320, 321 Nitroimidazole 320, 321 Nitrolingual 565 Nitronal 565 Nitroxolin 321 Nitroxolin MIP Pharma 321 Nivolumab 119, 704 Nocdurna 588 Nocebo-Effekte 170 Noctamid 575 Nocutil 588 Nomegestrol 844 Non-Hodgkin-Lymphom 703 Norditropin 588 Norethisteron 839 Norflex 666 NorfloHEXAL 319 Norfloxacin 319 Norfloxacin AL 319 Norprolac 590 Norspan 264 Norvir 326 Noscapin 437–439 Novalgin 276 Novaminsulfon AbZ 276 Novaminsulfon Lichtenstein 276, 881 Novaminsulfon-ratiopharm 276, 881 Novaminsulfon-1 A Pharma 276, 881 Novodigal 556 Novomix 350 Novopulmon 462 Novorapid 350 Novothyral 827 Nplate 412 Nucala 468 Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) 326 Nulojix 598 Nurofen 425, 879 Nutropinaq 588 NuvaRing 846 Nystaderm 494 Nystaderm comp 497 Nystaderm Mundgel 494 Nystaderm/-S 324 Nystalocal 497 Nystatin 324, 494 Nystatin acis 324 Nystatin Holsten 324
O Obinutuzumab 704 Obsidan 452 Ocrelizumab 656 Ocrevus 656
M–O
914
Stichwortverzeichnis
Octagam 595 Octenidin 502 Octenisept 500 Octocog alfa 412 Octreotid 588, 589 Odefsey 326 Ödeme 537 Oekolp 838 Oekolp Vaginal 838 Oestro-Gynaedron/M 838 Ofev 694 Oflox BASICS 319 Ofloxa-Vision 735 Ofloxacin 318, 319, 735 Ofloxacin Stulln 735 Ofloxacin-ophtal 735 Ofloxacin-ratiopharm 319 Ofloxacin-ratiopharm AT 735 Oftaquix 735 Olanzapin 802, 804 Olanzapin Aurobindo 802 Olanzapin axcount 802 Olanzapin BASICS 802 Olanzapin Glenmark 802 Olanzapin Heumann 802 Olanzapin-neuraxpharm 802 Olanzapin-1 A Pharma 802 Olaparib 120, 694, 701 Olmeamlo TAD 250 Olmecor HCT TAD 248 Olmecor TAD 244 Olmesartan 244 Olmesartan AbZ 244 Olmesartan AbZ comp. 248 Olmesartan AL 244 Olmesartan Glenmark 244 Olmesartan Heumann 245 Olmesartan HEXAL 244 Olmesartan-ratiopharm 244 Olmesartan/Amlodipin AL 250 Olmesartan/Hydrochlorothiazid AL 248 Olmesartan-1 A Pharma 244 Olmesartanmedoxomil/Amlodipin beta 250 Olmesartanmedoxomil/Amlodipin Mylan 250 Olopatadin 741 Olumiant 431 Olynth 818 Omacor 610 Omalizumab 468, 469 Omega Glenmark 610 Omega-3-ethylsäureester 610 Omep 619 Omeprazol 133, 619 Omeprazol AL 619 Omeprazol Dexcel/Omepradex 619 Omeprazol Heumann 619 Omeprazol Mylan 619
Omeprazol STADA 619 Omeprazol-ratiopharm 619 Omeprazol-1 A Pharma 619 Omnitrope 588 Oncofolic 678 Ondansetron 361 Ondansetron Aristo 361 Ondansetron Bluefish 361 Ondansetron STADA 361 Ongentys 777 Onglyza 346 Onkologika 9, 186, 671 Onsetron Denk 361 Ontruzant 704 Onychomykosen 323, 495 Opatanol 741 Opdivo 704 Ophthalmika 12, 733 Opicapon 776, 777 Opioidanalgetika 261 Opipram 788 Opipramol 788, 789 Opipramol AL 788 Opipramol Heumann 789 Opipramol STADA 789 Opipramol-neuraxpharm 788 Opipramol-1 A Pharma 789 Oprymea 775 Optiderm 504 Oralair 286 Oralcephalosporine 312 Oralpädon 240 634 Oralvac Bäume 291 Oralvac Gräser/Roggen 287 Oralvac Milben 289 Oramorph 264 Oraycea 315 Orencia 433 Orfiril 368 Orgalutran 585 Organmykosen 493 Ornithinaspartat 624 Orphan-Arzneimittel 186, 190 Orphenadrin 666 Ortoton/-forte 666 Oseltamivir 327 Osimertinib 694, 698 Ospolot 369 Ossofortin forte 762 Osteoanabolika 759 Osteomalazie 760 Osteoporosemittel 759 Osteotriol 863 Östrogene 836 Östrogenpflaster 837 Osvaren 764 Otalgan 823
915 Stichwortverzeichnis
Otezla 515 Otitis externa 822 Otobacid N 823 Otoflamm 823 Otologika 821 Otriven 818 Ovarialinsuffizienz 584 Ovestin Creme/Ovula 838 Ovestin Tabl. 838 Ovitrelle 585 Ovulationshemmer 842 Ovulationsinduktion 587 Oxa-CT 784 Oxaliplatin 682, 683 Oxaliplatin Accord 682 Oxaliplatin HEXAL 682 Oxaliplatin sun 682 Oxaliplatin-GRY 682 Oxazepam 784 Oxazepam AL 784 Oxazepam-ratiopharm 784 Oxcarbazepin 372, 375 Oxcarbazepin AL 372 Oxcarbazepin dura 372 Oxcarbazepin-neuraxpharm 373 Oxcarbazepin-1 A Pharma 373 Oxybugamma 855 Oxybutynin 855 Oxybutynin HCL Aristo 855 Oxybutynin-ratiopharm 855 Oxycaloxon TAD 266 Oxycocomp-ratiopharm 266 Oxycodon 265 Oxycodon comp AbZ 266 Oxycodon comp Amneal 266 Oxycodon comp HEXAL 266 Oxycodon comp-1 A Pharma 266 Oxycodon HCL Aristo 265 Oxycodon HCL Hormosan 265 Oxycodon HCL Zentiva 265 Oxycodon-HCL AbZ 265 Oxycodon-HCL AL 265 Oxycodon-HCL HEXAL 265 Oxycodon-HCL ratiopharm 265 Oxycodon-HCL Winthrop 265 Oxycodon-HCL/Naloxon-HCl AL 266 Oxycodon-HCL/Naloxon-HCl beta 266 Oxycodon-HCl/Naloxon-HCl Mylan 266 Oxycodon-HCL-1 A Pharma 265 Oxycodon/Naloxon Aristo 266 Oxycodon/Naloxon Hormosan 266 Oxycodon/Naloxon Krugmann 266 Oxycodonhydrochlorid Heumann 265 Oxycodonhydrochlorid-PUREN 265 Oxyconoica 265 Oxygesic 265 Oxymetazolin 818
Oxytetracyclin 498, 735 Oxytetracyclin AS JENAPHARM 735 Oxytetracyclin-Prednisolon JENAPHARM 736 Oyxcodon-HCL/Naloxon-HCl Ethypharm 266 Ozurdex 751 Ozym 631
P Paclitaxel 685, 686 Paclitaxel Accord 686 Paclitaxel Aqvida 686 Paclitaxel Kabi 686 Paclitaxel Onkovis 686 Paediasalin 441 Palbociclib 694, 717 Palexia 267 Paliperidon 803, 805 Palivizumab 594, 595 Palladon 267 Palladon injekt 267 Palonosetron 361 Palonosetron Accord 361 Pamorelin 713 Pangrol 631 Panitumumab 704, 709 Pankreasenzympräparate 630 Pankreaskarzinom 680 Pankreatan 631 Pankreatin 630, 631 Pankreatin STADA 631 Pankreatin-ratiopharm 631 Panotile cipro 822 Panthenol Cr. JENAPHARM 522 Panthenol Heumann 522 Panthenol-ratiopharm 522 Panto/Pantoprazol Aristo 619 Pantopra-Q 619 Pantoprazol 619 Pantoprazol AAA-Pharma 620 Pantoprazol AL 619 Pantoprazol Aurobindo 619 Pantoprazol BASICS 619 Pantoprazol dura 619 Pantoprazol Hennig 619 Pantoprazol Heumann 619 Pantoprazol HEXAL 619 Pantoprazol Micro Labs 619 Pantoprazol Nyc 619 Pantoprazol Pensa 619 Pantoprazol STADA 619 Pantoprazol TAD 619 Pantoprazol Winthrop 619 Pantoprazol-CT 620 Pantoprazol-PUREN protect 619 Pantoprazol-ratiopharm 619 Pantoprazol-1 A Pharma 619
O–P
916
Stichwortverzeichnis
Pantozol 620 Panzytrat 631 Paracetamol 136, 276, 880 Paracetamol AbZ 276 Paracetamol AL 276 Paracetamol AL comp 274 Paracetamol BC 276 Paracetamol comp STADA 274 Paracetamol Sanavita 276 Paracetamol STADA 276 Paracetamol-ratiopharm 276 Paracetamol-1 A Pharma 276 Paracodin/-N 439 Parallelimport 170 Pari NaCl Inhalationslösung 441 Paricalcitol 863, 864 Paricalcitol Accord 863 Paricalcitol HEXAL 863 Paricalcitol sun 863 Parkinsonmittel 771 Parkopan 778 Paroxat 791 Paroxedura 791 Paroxetin 791 Paroxetin beta 791 Paroxetin-neuraxpharm 791 Paroxetin-1 A Pharma 791 Parsabiv 764 Patentarzneimittel 3, 18 Paul-Ehrlich-Institut 47, 155, 168 Pazopanib 694, 700 PD-1-Rezeptor 710 Pegfilgrastim 720, 721 Peginterferon beta-1a 656 Pegvaliase 83 Pegvisomant 589 Pelargoniumwurzelextrakt 443 Pelgraz 721 Pembrolizumab 121, 704, 710 Pemetrexed 679, 680 Pemetrexed HEXAL 679 Pen Mega-1 A Pharma 310, 875 PenHEXAL 310, 875 Penicillin Sandoz 310 Penicillin V acis 310 Penicillin V AL 310, 875 Penicillin V STADA 310, 875 Penicillin V-ratiopharm 310 Penicillin V-ratiopharm 875 Penicilline 875 Pentaerythrityltetranitrat 564, 565 Pentalong 565 Pentasa 632 Pentoxyverin 439 Perampanel 374 Perazin 799 Perazin-neuraxpharm 799
Perenterol 634 Pergoveris 585 Perindopril Indapamid-ratipharm 237 Perjeta 704 perniziöse Anämie 865 Perphenazin 799 Perphenazin-neuraxpharm 799 Pertuzumab 704, 706 Petnidan 369 Pharmakovigilanz 171 pharmazeutische Unternehmer 187 Phasenprophylaxe 797 Phenhydan 369 Phenobarbital 368 Phenoxymethylpenicillin 310, 875 Phenpro-ratiopharm 398 Phenprocoumon 397, 398 Phenprocoumon acis 398 Phenprogamma 398 Phenytoin 367, 369 Phenytoin AWD 369 Phosphatbinder 763 Phosphonorm 764 Phytomenadion 412 Picato 512 Picoprep 638 Pilocarpin 745 Pilomann 745 Pilzinfektionen 493 Pimecrolimus 504 Pipamperon 800 Pipamperon HEXAL 800 Pipamperon-neuraxpharm 800 Pipamperon-1 A Pharma 800 Piracetam 336 Piracetam AL 336 Piracetam-neuraxpharm 336 Pirenzepin 621 Piretanid 540, 542 Piretanid AL 542 Piretanid HEXAL 542 Piretanid-1 A Pharma 542 Pirfenidon 598, 599 Piribedil 775 Piritramid Hameln 267 Piroxicam 426 Piroxicam AbZ 426 Piroxicam AL 426 Piroxicam HEXAL 426 Pivmecillinam 310 Pivmelam Apogepha 310 Plaque-Psoriasis 86 Platinverbindungen 681 Plegridy 656 Plenvu 637 Pleon 430 Pneumonie 312
P
917 Stichwortverzeichnis
Podophyllotoxin 503 Polidocanol 504, 505 Polihexanid 500, 524 Pollinex Quattro Birke 290 Pollinex Quattro Birke/Erle/Hasel 290 Pollinex Quattro Gräser/Roggen 286 Pollinex Quattro Gräser/Roggen/ Birke/Erle/Hasel Polycythaemia vera 698 Polydimethylsiloxan 629 Polysept Lösung/Salbe 500 Polyspectran 735 Pomalidomid 123, 689, 691 postmenopausale Hormonsubstitution 836 Povidon-Iod 500, 501 Pradaxa 398 Prähypertonie 252 Praluent 610 Pramipexol 774 Pramipexol AL 775 Pramipexol Aurobindo 775 Pramipexol biomo 775 Pramipexol Heumann 775 Pramipexol TAD 775 Pramipexol Winthrop 775 Pramipexol-neuraxpharm 775 Pramipexol-ratiopharm 775 Prasteron 123 Prasugrel 396, 408, 410 Prasugrel beta 408 Prava TEVA 606 PravaLich 606 Pravastatin Heumann 606 Pravastatin HEXAL 606 Pravastatin-ratiopharm 606 Pravastatin-1 A Pharma 606 Pravidel Tabl. 590 Praxiten 784 Predalon 585 Predni H Injekt/-Lichtenstein N 483 Predni H Tablinen 483 Predni-Ophtal 739 Predni-POS 739 Prednicarbat 490 Prednicarbat acis 490 Prednifluid 739 PredniHEXAL oral 483 Prednisolon 482, 483, 489, 739, 879 Prednisolon acis 483 Prednisolon AL 483 Prednisolon AS JENAPHARM 739 Prednisolon Galen 483 Prednisolon JENAPHARM 483 Prednisolon LAW 489 Prednisolut/-L 483 Prednison 483, 484 Prednison GALEN 483 Prednitop 490
292
Pregabador TAD 374 PregabaHEXAL 374 Pregabalin 374, 376 Pregabalin AbZ 374 Pregabalin Accord 374 Pregabalin AL 374 Pregabalin Aristo 374 Pregabalin BASICS 374 Pregabalin beta 374 Pregabalin Glenmark 374 Pregabalin Pfizer 374 Pregabalin ratiopharm 374 Pregabalin-neuraxpharm 374 Pregabalin-1 A Pharma 374 Pregabin 374 Pregatab 374 Preis-Link 203 Preismoratorium 8 Presinol 388 Presomen compositum/conti 840 Preterax/Bipreterax 237 Pridinol 666 primär biliäre Zirrhose 627 Primidon 368 Primidon Holsten 369 Privigen 595 Procoralan 566 Profact 713 Progestan 841 Progesteron 841 Progestogel 841 Prograf 598 progressive multifokale Leukenzephalopathie Progynova 838 Prolia 767 Prolutex 841 Promethazin 800 Promethazin-neuraxpharm 800 Propafenon 560 Propafenon AL 560 Propafenon Heumann 560 Propafenon-ratiopharm 560 Propiverin 855 Propiverin AL 855 Propiverin Aristo 855 Propra-ratiopharm 452 Propranolol 449, 452, 649 Propranolol AL 452 Propycil 830 Propylthiouracil 830 Prospan 443 Prostaglandinderivate 748 Prostatahyperplasie 850 Prostatakarzinom 51, 584, 712 Prostatamittel 850 Protaphane 350 Proteasominhibitor 690
28, 658
918
Stichwortverzeichnis
Proteinkinaseinhibitoren 693 Prothazin UCB 800 Prothipendyl 800 Prothyrid 827 Protopic 504 Prucaloprid 628, 629 Pseudoephedrin 136 Psoriasis 86, 514, 516, 518 Psychopharmaka 11, 781 Pulmicort 462 Pulmozyme 441 Purethal Birke 290 Purethal Gräser 286 Purethal Gräser+Bäume 292 Purethal Gräser+Birke 292 Purethal Gräser+Getreide 286 Puri-Nethol 679 PVP Jod AL 500 Pylera 621 Pyridoxin 134
Q Qlaira 846 Quensyl 430 Quetiapin 802, 804 Quetiapin AbZ 803 Quetiapin Accord 802 Quetiapin AL 803 Quetiapin Devatis 803 Quetiapin Heumann 803 Quetiapin HEXAL 803 Quetiapin Hormosan 803 Quetiapin TAD 803 Quetiapin-neuraxpharm 803 Quetiapin-ratiopharm 802 Quetiapin-1 A Pharma 803 Quilonum 796 Quimbo 439 Quinagolid 590 Quinaplus AL 237 Quinapril 233 Quinapril/HCT Aurobindo 237
R Rabattverträge 179 Rabeprazol 620 Rabeprazol-PUREN 620 Rabeprazol-ratiopharm 620 Rachitis 760 Ralnea TAD 775 Raloxifen 767 Raloxifen AL 767 Raltegravir 326 Ramiclair 235 Ramidipin 238
RamiLich 234 RamiLich comp 236 Ramiplus AL 236 Ramiplus STADA 236 Ramipril 233, 234 Ramipril AbZ 234 Ramipril AL 235 Ramipril Aristo plus Amlodipin 238 Ramipril beta 235 Ramipril comp AbZ 236 Ramipril HEXAL 235 Ramipril HEXAL comp 236 Ramipril HEXAL plus Amlodipin 238 Ramipril Piretanid Winthrop 236 Ramipril STADA 235 Ramipril-comp PUREN 236 Ramipril-CT 235 Ramipril-ISIS 234 Ramipril-PUREN 235 Ramipril-ratiopharm 235 Ramipril-ratiopharm comp 236 Ramipril/Amlodipin AbZ 238 Ramipril/Amlodipin-ratioph 238 Ramipril-1 A Pharma 234 Ramipril-1 A Pharma plus 236 Ramucirumab 124, 704, 708 Ranexa 566 Ranibizumab 125, 750, 751 Ranidura 621 Ranitic 621 Ranitidin 621, 623 Ranitidin AbZ 621 Ranitidin AL 621 Ranitidin BASICS 621 Ranitidin-ratiopharm 621 Ranitidin-1 A Pharma 621 Ranolazin 566, 567 Rantudil 426 Rapamune 598 Rasagilin 777 Rasagilin Glenmark 777 Rasilez 253 Rasilez HCT Aliskiren 253 Ravulizumab 84 Reagila 803 Rebif 656 Rectodelt 483 Reducto-Spezial 857 Referenzarzneimittel 155, 156, 158, 163, 167, 172 Refluxkrankheit 618, 622 Refobacin 498 Regadenoson 126 Reisediarrhö 633 Reisekrankheiten 359 Reizschwindel 360 Reliever 456 Relvar Ellipta 462
919 Stichwortverzeichnis
Remestan 575 Remicade 433 Remsima 433 Renagel 764 Renin-Angiotensin-System 231 Renininhibitoren 12, 231, 252, 253 Repaglinid 344 Repaglinid AL 344 Repatha 610 Requip 775 Resistenzentwicklung 307 Resolor 628 Restless-Legs-Syndrom 773 Retacrit 302 Revinty Ellipta 463 Reviparin 401 Revlimid 689 Revolade 412 Rezepturarzneimittel 5 Rhinisan 819 Rhinitis 279, 816 Rhinokonjunktivitis 283 Rhinologika 816 Rhophylac 595 Ribocarbo L 682 Ribociclib 127, 694, 719 Ribofluor 678 Ribofolin 678 Ribosofol 678 Rifampicin 321 Rifamycin 128 Rifaximin 633, 634 Risankizumab 86 Risedronat AL 766 Risedronat Aurobindo 766 Risedronat Bluefish 766 Risedronat Heumann 766 Risedronsäure 766 Risedronsäure-1 A Pharma 766 Risikomanagementplan 158 Risperdal 802 Risperidon 802, 804 Risperidon Aristo 802 Risperidon Atid 802 Risperidon Heumann 802 Risperidon Mylan 802 Risperidon-ratiopharm 802 Risperidon-1 A Pharma 802 Ritalin adult 807 Ritalin/-LA 807 Rituximab 128, 164, 703, 704 Rivanol 500 Rivaroxaban 398 Rivastigmin 333, 334 Rivastigmin Aurobindo 334 Rivastigmin Glenmark 334 Rivastigmin Heumann 334
Rivastigmin Zentiva 334 Rivastigmin-1 A Pharma 334 Rivotril 369 Rixathon 704 Rizatriptan 646 Rizatriptan AL 646 Rizatriptan Aurobindo 646 Rizatriptan Glenmark 646 Rizatriptan Heumann 646 Rizatriptan-neuraxpharm 646 Roactemra 433 Rocaltrol 863 Rocornal 566 Roflumilast 464, 465 Rohypnol 575 Rolufta Ellipta 466 Romiplostim 412 Ropeginterferon alfa 2b 88 Ropinirol AL 775 Ropinirol Heumann 775 Ropinirol-neuraxpharm 775 Rosiced 520 Rosu-1 A Pharma 607 RosuHEXAL 607 Rosuvador TAD 607 Rosuvastatin 137, 607 Rosuvastatin Aristo 607 Rosuvastatin Aurobindo 607 Rosuvastatin Axiromed 607 Rosuvastatin Denk 607 Rosuvastatin Elpen 607 Rosuvastatin-ratiopharm 607 Rosuzet 609 Rotigotin 775, 776 Roxi Aristo 316 Roxi-1 A Pharma 316 RoxiHEXAL 316 Roxithromycin 316 Roxithromycin AbZ 316 Roxithromycin AL 316 Roxithromycin Heumann 316 Rucaparib 89 Rudotel 785 Rufinamid 374 Rupatadin 281 Rupatadin AL 281 Rupatadin Bluefish 282 Ruxolitinib 693, 697 Rytmonorm 560
S Sab simplex 629 Sabril 374 Saccharomyces boulard. 634 Sacubitril 556 Sacubitril/Valsartan 558
P–S
920
Stichwortverzeichnis
Safinamid 777 Saizen 588 Salbu Easyhaler 460 Salbubronch 461 SalbuHEXAL 460 Salbutamol 460 Salbutamol AL 460 Salbutamol STADA 460 Salbutamol-ratiopharm 460 Salbutamol-1 A Pharma 460 Salicylsäure 510, 511 Salmeterol 459, 461 Salofalk 632 Samsca 588 Sanacutan Basiscreme/-salbe 526 Sanasthmax 462 Sandimmun 598 Sandostatin 588 Sartane 13, 242, 251, 254 Sativex 662 Saxagliptin 346 Schilddrüsenhormone 826 Schilddrüsentherapeutika 825 Schilddrüsenüberfunktion 825 Schlafapnoe 572 Schlafstörungen 571, 572 Schlaganfallrisiko 241 Schleifendiuretika 540, 546 Schwindel 359 Scopoderm TTS 360 Scopolamin 360, 362 Secukinumab 515 Sedativa 574 Sedotussin 439 Seebri Breezhaler 466 Sekalealkaloide 590 selektiver Östrogenrezeptormodulator Selenase 870 Sensodyne 883 Sequenzialpräparate 845 Serasept 500 Serevent 461 Serkep 463 Serotoninrezeptoragonisten 644 Serroflo 463 Sertralin 791 Sertralin Accord 791 Sertralin AL 792 Sertralin Aurobindo 792 Sertralin BASICS 791 Sertralin Bluefish 792 Sertralin dura 792 Sertralin Heumann 792 Sertralin STADA 792 Sertralin-neuraxpharm 792 Sertralin-1 A Pharma 792 Setlona 846
768
Sevelamer 763, 764 Sevelamercarbonat AL 764 Sevelamercarbonat Zentiva 764 Sevikar 250 Sevikar HCT 249 Sevredol 264 Sexualhormone 833 SGLT2-Inhibitoren 345, 538 Sibilla 844 Sidretella 845 Sifrol 775 Silapo 302 Silkis 515 Silodosin 851 Silomat gegen Reizhusten 439 Simbrinza 747 Simeticon 629 Simponi 433 Simva Aristo 606 Simva BASICS 606 Simva-Hennig 606 Simvabeta 606 SimvaHEXAL 606 Simvastatin 606 Simvastatin AbZ 606 Simvastatin AL 606 Simvastatin Bluefish 606 Simvastatin STADA 606 Simvastatin-ratiopharm 606 Simvastatin/Simva dura 606 Simvastatin-1 A Pharma 606 Singulair 468 Sinuc 443 Sinupret 821 Sinusitis Hevert SL 821 Siofor 343 Sirdalud 662 Sirolimus 597, 598 Sisare Gel 838 Sitagliptin 346 Sixantone 713 Skid 315 Skilarence 515 Skinoren 507 Slenyto 579 Slitone Frühblühermischung 291 Slitone Gräser+Roggen 287 Slitone Milbenmischung 289 Sobelin 317, 877 Sobelin Vaginal 317 Soderm 491 Soderm plus 492 Softacort 739 Solacutan 512 Solaraze 512 Soledum Hustensaft/-tropfen 443 Solgest 846
921 Stichwortverzeichnis
Solifemin TAD 855 Solifenacin 855, 856 Solifenacin Succinat Zentiva 855 Soliris 598 Solosin 465 Solu-Decortin H 483 Soluvit N/-neu 867 Somatostatin 589 Somatropin 163, 588 Somatuline 588 Somavert 588 Soolantra 520 Sorafenib 694, 699 Sormodren 778 SotaHEXAL 561 Sotalol 560, 561 Sotalol AbZ 560 Sotalol-ratiopharm 560 Sotalol-1 A Pharma 561 Spasmex 855 Spasmo-Mucosolvan 461 Spasmolyt 855 Spasmolytika 627 Spastizität 664 Spätdyskinesien 779 Spermiogenese 584 Spersacarpin 745 Sphingosin-1-Phosphat 659 Spiolto Respimat 466 Spirapril 233 Spiriva 466 Spiro comp-ratiopharm 544 Spirobeta 544 Spironolacton 542, 544 Spironolacton AL 544 Spironolacton Aristo 544 Spironolacton comp Heumann 544 Spironolacton HEXAL 544 Spironolacton-ratiopharm 544 Spironolacton-1 A Pharma 544 Sprycel 693 Srivasso 466 Stalevo 777 Staloral Birke 290 Staloral Birke/Erle/Hasel 290 Stangyl 788 Starletta HEXAL 844 Statine 605 Steinkohlenteer 504 Stelara 515 Strattera 807 sublinguale Immuntherapie (SLIT) 284 Sublivac fix Birke 291 Sublivac fix Gräser 287 Sublivac fix Gräser/Roggen 287 Sublivac fix Milbenmischung 289 Sublivac/-fix Bäume 290
Suboxone 267 Substitol 267 Substitution, automatische 167, 168 Subutex 267 Sucrabest 621 Sucralfat 621 Suizidrisiko 793, 798 Sulfadiazin-Silber 523 Sulfamethoxazol 318 Sulfasalazin 430, 632 Sulfasalazin medac 430 Sulfasalazin-Heyl 430 Sulfonamide 317 Sulgen Spray Milben 289 Sulgen Spray Pollen 291 Sulmycin mit Celestan-V 499 Sulpirid 800 Sulpirid AL 800 Sulpirid-neuraxpharm 800 Sulpirid-1 A Pharma 800 Sultamicillin 311, 876 Sultamicillin-ratiopharm 311 Sultanol 460 Sultiam 369 Sumatriptan 645, 646 Sumatriptan Aurobindo 646 Sumatriptan beta 646 Sumatriptan Bluefish 646 Sumatriptan dura 646 Sumatriptan Hormosan 646 Sumatriptan STADA 646 Sumatriptan-1 A Pharma 646 Sunitinib 694, 699 Supertendin 485 Sutent 694 Swingo 843 Switch-Studien 167, 168, 170, 213 Symbicort 462 Sympal 426, 879 Symtuza 326 Synacthen 588 Synagis 595 Synarela 585 Syneudon 788 Syntaris 819 ’-Synuclein 771 Syrea 689
T TA Bäume 290 TA Gräser top 286 Tacalcitol 515 Tacrolimus 503, 504, 597, 598 Tadin 851 Tafil 784 Tafinlar 694
S–T
922
Stichwortverzeichnis
Taflotan 749 Tafluprost 749 Tagrisso 694 Taltz 598 Talvosilen 274 Tambocor 560 Tamox-1 A Pharma 716 Tamoxifen 716 Tamoxifen AbZ 716 Tamoxifen AL 716 Tamoxifen Aristo 716 Tamoxifen Heumann 716 Tamoxifen HEXAL 716 Tamoxifen-ratiopharm 716 Tamsublock 851 Tamsulosin 851, 852 Tamsulosin AbZ 851 Tamsulosin AL 851 Tamsulosin Aristo 851 Tamsulosin BASICS 851 Tamsulosin Esparma 851 Tamsulosin Heumann 851 Tamsulosin STADA 851 Tamsulosin Uropharm 851 Tamsulosin Zentiva 851 Tamsulosin-1 A Pharma 851 Tamsunar 851 Tannolact 504 Tannosynt 504 Tapentadol 267 Tardocillin 310 Tardyferon 299 Targin 266 Tarka 239 Tarmed 504 Tasigna 693 Tau-Aggregate 332 Tavegil 283 Tavor 784 Tavu 749 Taxane 685 Taxceus 686 Taxomedac 686 Tebonin 336 Tecentriq 704 Tecfidera 656 Tegretal 368 Telmisartan 245 Telmisartan AbZ 245 Telmisartan comp AbZ 248 Telmisartan comp ratiopharm 248 Telmisartan Glenmark 245 Telmisartan Heumann 245 Telmisartan HEXAL 245 Telmisartan HEXAL comp 248 Telmisartan Micro Labs 245 Telmisartan Zentiva 245
Telmisartan-ratiopharm 245 Telmisartan/HCT Glenmark 248 Telmisartan/HCT Zentiva 247 Telmisartan/Hydrochlorothiazid Arixomed Telmisartan-1 A Pharma 245 Temazep-CT 575 Temazepam 575 Temgesic 264 Temomedac 676 Temozolomid 675, 676 Temozolomid Accord 676 Tenofoviralafenamid 624 Tenofovirdisoproxil 624 Tenofovirdisoproxil Cipla 624 Tensoflux 541 Tera TAD 851 Terablock 851 Terazosin 851 Terazosin Aristo 851 Terbigalen 494 Terbinafin 324, 494, 495 Terbinafin Aurobindo 494 Terbinafin beta 495 Terbinafin Heumann 494 Terbinafin-PUREN 494 Terbinafin-1 A Pharma 494 Terbutalin 460 Terbutalin AL 461 Teriflunomid 656 Teriparatid 174, 179, 767 Testogel 835 Testosteron 835 Testosteron-Depot GALEN 835 Testosteronenantat 835 Testosteronundecanoat 835 Testotop 835 Tetrabenazin 779 Tetracosactid 588 Tetracyclin-Wolff 315 Tetracycline 314, 315 Tevacidol 863 Thalidomid 691 Theophyllin 464, 465 Theophyllin AL 465 Theophyllin STADA 465 Theophyllin-ratiopharm 465 Therapieallergene 292 Thiamazol 829, 830 Thiamazol Aristo 830 Thiamazol HEXAL 830 Thiaziddiuretika 539, 546 Thioridazin 801 Thioridazin-neuraxpharm 801 Thromboembolieprophylaxe 396 Thrombopoetin-Rezeptoragonisten 412 Thrombosen 395 Thromboseprophylaxe 402
247
923 Stichwortverzeichnis
Thrombozytenaggregationshemmer 396 Thrombozythämie 688 Thybon 827 Thymianextrakt 443 Thymianöl 443 Thyreostatika 829 Thyronajod 827 Tianeptin 789 Tianeurax 789 Tiaprid 778, 779 Tiaprid AL 778 Ticagrelor 396, 408, 410 Tilidin 274 Tilidin AbZ 274 Tilidin AL comp 274 Tilidin comp HEXAL 274 Tilidin comp STADA 274 Tilidin-ratiopharm plus 274 Tilidin-1 A Pharma 274 Tim-Ophtal 746 Timo-Comod 746 Timo-Stulln 746 TimoHEXAL 746 Timolol 746 Timolol-1 A Pharma 746 Timomann/Timo EDO 746 Timonil 368 Timox/-extent 373 Tinzaparin 401 Tioblis 609 Tiotropiumbromid 465, 466 Tipiracil 130, 681 Titretta 274 Tivicay 326 Tizanidin 662, 664 Tizanidin TEVA 662 TNF-Inhibitoren 13, 632 Tobradex 736 Tocilizumab 433 Toctino 504 Tofacitinib 431 Tolperison 666 Tolperison HCL AL 666 Tolperison HCL dura 666 Tolperison HCL neuraxpharm 666 Tolterodin 855 Tolterodin AbZ 855 Tolterodin-PUREN 855 Tolterodin/-tartrat Aristo 855 Tolterodin-1 A Pharma 855 Tolura TAD 245 Tolvaptan 588, 589 Tonotec 238 Topamax 373 Topiramat 371, 373 Topiramat Aurobindo 373 Topiramat Glenmark 373
Topiramat Heumann 373 Topiramat-1 A Pharma 373 Topisolon 491 Topoisomerasehemmstoffe 685 Torasemid 540, 542 Torasemid AAA Pharma 542 Torasemid AbZ 542 Torasemid AL 542 Torasemid HEXAL 542 Torasemid-ratiopharm 542 Torasemid-1 A Pharma 542 Torem 542 Toujeo 351 Tovedeso 856 Tramabeta 273 Tramabian 273 Tramadol 273 Tramadol AbZ 273 Tramadol axcount 273 Tramadol Librapharm 273 Tramadol STADA 273 Tramadol-ratiopharm 273 Tramadol/Paracetamol Aristo 273 Tramadol-1 A Pharma 273 Tramadolor 273 Tramagit 273 Tramal 273 Trametinib 694, 701 Tranexamsäure 412 Tranquillantien 783 Transplantationsmedizin 594 Transtec 264 Tranxilium 785 Tranylcypromin 796 Trapidil 565–567 Trastuzumab 159, 173, 704, 706 Trastuzumab Emtansin 704, 707 Traumeel S Salbe 434 Travatan 749 Travocort 497 Travoprost 749 Travoprost AL 749 Travoprost HEXAL 749 Travoprost-ratiopharm 749 Travoprost-1 A Pharma 749 Travotim-Vision 750 Trazodon 789 Trazodon Glenmark 789 Trazodon HEXAL 789 Trazodon-neuraxpharm 789 Trelegy Ellipta 466 Tremfya 515 Trenantone 713 Trenantone-Gyn 585 Treosulfan 129 Tresiba 351 Tretinoin 507
T
924
Stichwortverzeichnis
Trevicta 803 Trexject 430 Tri-Normin 385 Triam Injekt Lichtenstein 485 Triamcinolon 820 Triamcinolon AbZ 490 Triamcinolonacetonid 485, 490, 819, 879 Triamgalen 490 TriamHEXAL 485 Triampur comp/forte 541 Triamteren 541 Triamteren comp-ratiopharm 541 Triamteren HCT AL 541 Triazolam 575 Trifluridin 130, 681 Trihexyphenidyl 778 Trileptal 373 Trimbow 466 Trimethoprim 317, 318 Trimineurin 788 Trimipramin 788 Trimipramin AL 788 Trimipramin Aristo 788 Trimipramin-neuraxpharm 788 Trimipramin-1 A Pharma 788 Triptane 644 Triptofem 585 Triptorelin 585, 713 Triumeq 326 Trospiumchlorid 854, 855 Trulicity 346 Trusopt/-S 747 Truxima 704 Tryasol Codein 439 Tubulin 687 Tumortherapie 671 Turfa/gamma 541 Turixin 498 Turoctocog alfa pegol 91 Tussamag Hustensaft/-tropfen 443 Tussoret 439 Twynsta 250 Typ-2-Diabetes 339 Tyro Milbe/Tyro-Mite 289 Tyrosur 498 Tyrothricin 498, 501 Tysabri 656
U Überlaufinkontinenz 854 UDC AL 624 Ultibro Breezhaler 466 Ultracortenol 739 Ulunar 467 Umeclidiniumbromid 466 Unacid PD 311, 876
Unguentum oxytetracyclini 498 Unterschenkelekzeme 501 Urapidil 387 Urapidil Stragen 387 Urbason/-solubile 483 Ureotop + VAS 511 Urgotül S AG 522 Urgotül Silver 522 Urgotül/-comfort 522 Urivesc 855 Uro-Tablinen 321 Urocin Apogepha 676 Urologika 849 urologische Spasmolytika 850, 854 Uromitexan 676 Urorec 851 Urso Heumann 624 Urso-1A Pharma 624 Ursodesoxycholsäure 624, 627 Ursofalk 624 Urtikaria 279 Urtimed 281 Ustekinumab 131, 515 Utrogest 841
V Vagantin 526 Vagi Metro 321 Valaciclovir 327 Valaciclovir Aurobindo 327 Valdoxan 796 Valocordin-Diazepam 784 Valoron N 274 Valpro AL 369 Valpro beta 368 Valproat AbZ 368 Valproat Chrono Glenmark 369 Valproat chrono Winthrop 368 Valproat HEXAL 369 Valproat STADA 369 Valproat-biomo 369 Valproat-neuraxpharm 368 Valproat-1 A Pharma 369 Valproinsäure 366, 368 Valproinsäure-ratiopharm 369 Valsacor 243 Valsacor comp 246 Valsamtrio 249 Valsartan 243, 556 Valsartan AbZ 243 Valsartan AL 243 Valsartan BASICS 243 Valsartan dura 243 Valsartan HCT STADA 246 Valsartan STADA 243 Valsartan-ratiopharm 243
925 Stichwortverzeichnis
Valsartan/HCT Mylan 246 Valsimia 249 Vancomycin 321 Vancomycin Enterocaps 321 Vargatef 694 Vasomotal 360 Vasopressinrezeptorantagonist 589 Vectibix 704 Vedolizumab 632 Velafee 844 Velbienne 840 Velcade 689 Velmetia 346 Vemlidy 624 Venclyxto 694 Venetoclax 694 Venlafaxin 794 Venlafaxin AAA Pharma 794 Venlafaxin AbZ 794 Venlafaxin AL 794 Venlafaxin Aristo 794 Venlafaxin Atid 794 Venlafaxin beta 794 Venlafaxin Bluefish 794 Venlafaxin fair-med 794 Venlafaxin Hennig 794 Venlafaxin Heumann 794 Venlafaxin HEXAL 794 Venlafaxin TAD 794 Venlafaxin Winthrop 794 Venlafaxin-neuraxpharm 794 Venlafaxin-PUREN 794 Venlafaxin-ratiopharm 794 Venlafaxin-1 A Pharma 794 Venomil Wespe 292 Ventilastin Novolizer 460 Ventolair 462 VeraHEXAL 475 Veramex 475 Verapamil 475 Verapamil AbZ 475 Verapamil AL 475 Verapamil Hennig 475 Verapamil-ratiopharm 475 Verapamil-1 A Pharma 475 Veregen 503 Vergentan 360 Verordnungsquoten 180, 212 Verrucid 511 Verrucutan 511 Verrumal 511 Vertigo Vomex plus Cinnarizin 360 Vesikur 855 Viacoram 238 Viacorind 238 Viani 462 Viant 868
Viburcol N 579 Victoza 346 Vidaza 679 Vigabatrin 132, 374 Vigamox 735 Vigantol/Vigantoletten 863 Vildagliptin 346 Vimovo 427 Vimpat 374 Vincaalkaloide 687 Vincristin 687 Vinorelbin 686, 687 Virgan 735 Virostatika 12, 325, 502, 738 Vistagan 746 Vitagamma Vitamin D3 863 Vitalipid 867 Vitamin B 12 Wiedemann 866 Vitamin B12 865, 866 Vitamin B12 AAA Pharma 866 Vitamin B12 JENAPHARM 866 Vitamin B12 Lichtenstein 866 Vitamin D3 862 Vitamin D3 Hevert 863 Vitamin-B12-ratiopharm 866 Vitamin-D3-Analoga 516 Vitamine 861 Vobaderm 497 Vocado 249 Vocado HCT 249 Volanesorsen 92 Volon A Haftsalbe 879 Volon A Tinktur N 492 Volon A/Volonimat/-N 490 Volon A/-Kristallsusp. 485 Voltaren 425, 879 Voltaren ophtha 739 Voltaren plus 275 Voltaren topisch 434 Vomacur 360 Vomex A/N 360 Vonicog alfa 93 Voretigen Neparvovec 94 Vorhofflimmern 563 Vosevi 624 Votrient 694 Votubia 694 Votum 244
W Wachstumshormon 587 Wachstumshormonantagonist 589 Warfarin 397 Warzenmittel 510 Wellnara 840 Wirtschaftlichkeitsreserven 37
T–W
926
Stichwortverzeichnis
Wundauflagen 523 Wundbehandlungsmittel 521 Wunddesinfektion 501
X X-Systo 310 Xadago 777 Xagrid 689 Xalacom 750 Xalatan 749 Xarelto 398 Xelevia 346 Xeljanz 431 Xeomin 662 Xeplion 803 Xgeva 767 Xifaxan 634 Xipamid 539, 540 Xipamid AAA Pharma 539 Xipamid-ratiopharm 539 Xipamid-1 A Pharma 539 Xolair 468 Xtandi 714 Xusal/-akut 281 Xylometazolin 818
Y Yescarta Yomogi
53 634
Z Zacpac 620 Zaditen ophtha 741 Zahnärzte 873 Zalasta 802 Zaleplon 576, 578 Zanipress 238 Zebinix 374 Zejula 694 Zemplar 863 Zindaclin 507 Zineryt 507 Zinkoxid 522 Zinkoxid/Zinkpaste LAW
522
Zinksalbe etc. Bombastus 522 Ziprasidon 803 Ziprasidon-PUREN 803 Zofran 361 Zoladex 713 Zoladex-GYN 585 Zoledro-Denk 766 Zoledronsäure 766, 767 Zoledronsäure Mylan 766 Zolmitriptan 646, 647 Zolmitriptan AL 646 Zolmitriptan Glenmark 646 Zolmitriptan-neuraxpharm 646 Zolmitriptan-1 A Pharma 646 Zolpi-Lich 577 Zolpidem 576, 577 Zolpidem AbZ 577 Zolpidem AL 577 Zolpidem-ratiopharm 577 Zolpidem-1 A Pharma 577 Zomacton 588 Zonegran 374 Zonisamid 374 Zonisamid Glenmark 374 Zopiclodura 577 Zopiclon 576, 577 Zopiclon AbZ 577 Zopiclon AL 577 Zopiclon Aristo 577 Zopiclon axcount 577 Zopiclon HEXAL 577 Zopiclon-CT 577 Zopiclon-neuraxpharm 577 Zopiclon-ratiopharm 577 Zopiclon-1 A Pharma 577 Zostex 327 Zovirax 327 Zuclopenthixol 799 Zulassung 156, 159 Zulassungsverfahren 188 Zusatznutzen 47, 186 Zymafluor D 863 Zymafluor Tabl. 883 Zypadhera 802 Zytiga 714 Zytostatika 671