Aristoteles, ›Parva naturalia‹: Akten der 18. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 30. September bis 2. Oktober 2015 in Mainz 9783110701760, 3110701766

Die sog. Parva naturalia ("Kleine naturwissenschaftliche Schriften") des Aristoteles sind eine erst nach dem T

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Die Parva naturalia innerhalb der aristotelischen Philosophie
Zur Einheit der Parva naturalia des Aristoteles
Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie
II. Einzelprobleme
Aristoteles über die Natur des Lichts
Alexander’s De Sensu – and Aristotle’s
Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles
Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes
Sache und Grund Zur Atmung bei Aristoteles im Ausgang von De respiratione
III. Rezeption
„Der Seele und dem Körper gemeinsam“: Das Forschungsprogramm der Parva naturalia und die Begründung der scientia de animalibus in den praefationes zu den italienischen Kommentaren des 16. Jahrhunderts
Index locorum
Index rerum
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Aristoteles, ›Parva naturalia‹: Akten der 18. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 30. September bis 2. Oktober 2015 in Mainz
 9783110701760, 3110701766

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Jochen Althoff (Hg.) Aristoteles, Parva naturalia

Philosophie der Antike Veröffentlichungen der Karl und Gertrud Abel-Stiftung Herausgegeben von Wolfgang Kullmann in Verbindung mit Jochen Althoff und Georg Wöhrle Band 39

De Gruyter

Jochen Althoff (Hg.)

Aristoteles, Parva naturalia Akten der 18. Tagung der Karl und Gertrud Abel-Stiftung vom 30. September bis 2. Oktober 2015 in Mainz

De Gruyter

ISBN 978-3-11-070086-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-070163-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-070176-0 ISSN 0943-5921 Library of Congress Control Number: 2020937612 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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JOCHEN ALTHOFF

I. Die Parva naturalia innerhalb der aristotelischen Philosophie Zur Einheit der Parva naturalia des Aristoteles . . . . . . . . . . . .

9

WOLFRAM BRINKER 1. Wissen und seine Dokumentation . . . . . 2. Naturwissenschaftliches Erkennen . . . . . 3. Der Gegenstand der Parva naturalia . . . 4. Die Dokumentation der Parva naturalia . 5. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie . .

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MARTIN F. MEYER 1. 2.

Querverweise und relative Chronologie . . . . . . . . Die Lebensfunktionen als Leitfaden zur Verortung der Parv. nat. I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aitiologische Erklärungen in Parv. nat. I und II . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 82 . 93 . 102 . 108

II. Einzelprobleme Aristoteles über die Natur des Lichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 STEPHAN HERZBERG 1. 2.

Licht und Farbwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Kinetische Auffassungen über das Licht: φορά oder ἀλλοίωσις? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Inhaltsverzeichnis

VI

3.

Nicht-kinetische Auffassungen: κατὰ σχέσιν oder vollkommene ἐνέργεια? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Licht als aktual gehaltene ἕξις des Transparenten . . . . . . . . . 129 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Alexander’s De Sensu – and Aristotle’s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 R. A. H. KING 1. 2.

Before the Parva naturalia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sensation is common to body and soul . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander’s commentary on De sensu . . . . . . . . . . . . . . 3. Alexander’s Parva naturalia is (almost) our Parva naturalia . . 4. Anathymiasis: Heat and nutrition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Some texts in Aristotle’s Meteorology on anathymiasis . . Anathymiasis in Parv. nat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alexander’s use of anathymiasis in On de sensu . . . . . . . References . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles . . . . . . . . 155 DAE-HO CHO 1. 2. 3.

Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Psychologie und Physiologie der ἀνάμνησις . . . . . . . De mem. 2.453 a 4–14: In welchem Sinne gilt die Erinnerung als συλλογισμός τις bzw. als ζήτησίς τις? . . . . 4. Andere Formen der ἀνάμνησις: die unwillentliche und die tierische Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 155 . . . 157 . . . 158 . . . 167 . . . 170 . . . 171

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes (De long. vit., De iuv., De vit. et mort., De resp.) . . . . . . . 173 MARIA LIATSI Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Sache und Grund. Zur Atmung bei Aristoteles im Ausgang von De respiratione . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 SERGIuSZ KAZMIERSKI Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Inhaltsverzeichnis 1. 2.

Zum Vorgehen und Horizont von De resp. . . . . . . . . . . . . . Zur Atmung bei Aristoteles im Ausgang von De resp. . . . . . 2.1 Die Bestimmung des Sachverhaltes Atmung als solchen und seine vorläufige Lokalisierung im Leib . . . . . . . . . . . 2.2 Die Kühlung als Zielursache der Atmung, der Grund ihrer Bewegung, ihre organischen Bedingungen und ihr Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Gegebensein von Atmung sowie des organischen Zusammenhangs von Herz und Lunge . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Weitere Zielursachen der Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Atmungsphänomene im Zusammenhang und das Lebewesen in seiner Gänze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

189 199 200

206 218 224 230 236

III. Rezeption „Der Seele und dem Körper gemeinsam“: Das Forschungsprogramm der Parva naturalia und die Begründung der scientia de animalibus in den praefationes zu den italienischen Kommentaren des 16. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 ROBERTO LO PRESTI Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

Index locorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Index rerum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Einleitung Jochen Althoff Die Sammlung der sog. Parva naturalia (Parv. nat., „Kleine Schriften zur Naturwissenschaft“) des Aristoteles besteht unter diesem Titel sicher erst seit dem 13. Jh., ist aber wahrscheinlich bereits sehr viel älter (vgl. den Beitrag von R. A. H. King).1 Sie umfasst die folgenden neun Titel (wobei gegen Ende der Reihe die genaue Abgrenzung der Einzelschriften schwierig ist): De sensu2 (De sens.), „Über die Wahrnehmung“, De memoria (De mem.), „Über die Erinnerung“, De somno (De somn.), „Über den Schlaf“, De insomniis (De insomn.), „Über Träume“, De divinatione (De divin.), „Über die Traumdeutung“, De longitudine vitae (De long. vit.), „Über die Länge des Lebens“, De iuventute (De iuv.), „Über die Jugend“, De vita et morte (De vit. et mort.), „Über das Leben und den Tod“ sowie schließlich De respiratione (De resp.), „Über die Atmung“. Es geht also um die Erklärung zentraler Funktionen bzw. Zustände von Lebewesen, und das heißt für Aristoteles immer: Seelenfunktionen, mit einer deutlichen Konzentration auf die Tiere und speziell den Menschen (nur in De long. vit. und De iuv. ist von Pflanzen die Rede). Die allein dem Menschen vorbehaltene und weitgehend oder ganz körperunabhängige Denkfunktion wird in den Parv. nat. nicht berücksichtigt. Mit dieser Thematik schließen sich die Parv. nat. eng an De anima (De an.) an, wobei etwas intensiver als dort die körperlich-materielle Seite („Physiologie“ im modernen Sinn) im Vordergrund steht und die in De an. allgemein beschriebenen Seelenvermögen stärker ausdifferenziert werden (so sind etwa die Erinnerung, der Schlaf und die Träume Ausdifferenzierungen der wahrnehmenden Seele; die Denkseele fehlt, wie gesagt, in den Parv. nat.). Aristoteles kennt einen vergleichbaren Sammeltitel für diese Schriftengruppe nicht, er verweist normalerweise in anderen Werken auf die einzelnen Schriften mit ihrem Spezialtitel. In De an. III 10.433 b 19–21 verweist er einmal im Zusammenhang mit den Organen, die für das Strebevermögen (ὄρεξις) zuständig sind, auf τὰ κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς ἔργα („Die dem Kör-

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Vgl. insgesamt auch den Überblick von R. A. H. King, „Parva naturalia“ in: C. Rapp/ K. Corcilius (Hrsg.), Aristoteles-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart/Weimar 2011, 97–105. Das Handbuch wird gerade für die 2. Auflage überarbeitet. Die lateinischen und deutschen Titel werden hier nur in ihrer Kurzform zitiert.

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per und der Seele gemeinsamen Werke/Funktionen“) als einen Buchtitel. Dies scheint sich konkret auf die Schrift De motu animalium (De mot. an., „Über die Bewegung der Lebewesen“ 3) zu beziehen, könnte aber in einem weiteren Verständnis durchaus auch die hier interessierenden Parv. nat. meinen und kommt somit einem vergleichbaren Sammeltitel so nah wie möglich. Am Rande ist damit die umstrittene Frage berührt, wie sich die Schrift De mot. an. zu den Parv. nat. verhält. Diese enge Verbindung zwischen seelischen und körperlichen Phänomenen und Funktionen macht den besonderen Reiz und das besondere Interesse der Parv. nat. aus. Dennoch sind die Parv. nat. in den letzten Jahren in der Forschung relativ wenig beachtet worden. Ein Sammelband der Zeitschrift „Revue de Philosophie Ancienne“ hat sich 2002 in mehreren Beiträgen mit dieser Sammlung befasst.4 R. A. H. King hat den Sammeltitel aus De an. III 10 über seinen Sammelband „Common to Body and Soul. Philosophical Approaches to Explaining Living Behaviour in Greco-Roman Antiquity“, Berlin/New York 2006, gestellt. Die Anlage dieses Bandes ist aber umfassender und nicht allein auf Aristoteles beschränkt (nur die Beiträge von P.-M. Morel und Th. K. Johansen beziehen sich ausschließlich auf die Parv. nat., daneben werden auch die Vorsokratiker und die hellenistischen Philosophenschulen sowie Galen berücksichtigt). Erfreulicherweise sind die auf die Parv. nat. entfallenden Bände der deutschen kommentierten Aristotelesausgabe (hrsg. v. H. Flashar und jetzt von Chr. Rapp) überwiegend bereits erschienen bzw. im Erscheinen begriffen, die eine sehr wertvolle Text- und Verständnisgrundlage liefern: Den Anfang hat schon 1994 Ph. J. van der Eijk mit De insomn. und De divin. gemacht, R. A. H. King folgte 2004 mit De mem., alle anderen Schriften sind für einen dritten, in Vorbereitung befindlichen Band vorgesehen, den wohl maßgeblich St. Herzberg bearbeiten wird.5 Es war eine glückliche Fügung, dass zwei der Herausgeber auch auf dieser Tagung mitwirken konnten und Beiträge geliefert haben. Ausgehend von dieser etwas dürftigen Forschungslage habe ich mich entschlossen, im Oktober 2015 in Mainz eine internationale Tagung über die 3

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Vgl. jetzt Aristoteles, De motu animalium. Über die Bewegung der Lebewesen, hist.-krit. Edition des griech. Textes und philolog. Einleitung von O. Primavesi, dt. Übers., philos. Einl. und erklärende Anmerkungen von K. Corcilius, Hamburg 2018. Revue de Philosophie Ancienne 20, Nr. 1, 2002, mit Beiträgen von D. Lefebvre, M. Rashed, P.-M. Morel, J.-L. Labarrière, S. Byl. Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, begründet v. E. Grumach, hrsg. v. H. Flashar, Bd. 14, Teil I (noch nicht erschienen); Bd. 14, Teil II: Arist., De memoria et reminiscentia, übers. und erläutert v. R. A. H. King, Berlin 2004; Bd. 14, Teil III: Arist., De insomniis/ De divinatione per somnum, übers. und erläutert v. Ph. J. van der Eijk, Berlin 1994. Einige neuere Literatur, die während der Drucklegung dieses Bandes erschienen ist, wurde von den Autoren in ihren Beiträgen eingearbeitet, vgl. bes. Herzberg und Liatsi.

Einleitung

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Parv. nat. zu veranstalten. Bis auf zwei Beiträge, die aus verschiedenen Gründen nicht rechtzeitig druckfertig gemacht werden konnten, haben alle Referenten gern der Bitte entsprochen, ihren Beitrag für diesen Band zu überarbeiten. Ihnen gilt mein besonderer Dank, denn ohne sie wäre weder die Tagung so erfolgreich gewesen noch hätte dieser Band erscheinen können. Die hier abgedruckten Beiträge lassen sich in drei unterschiedlich große Gruppen einteilen. Zunächst (I.) befassen sich zwei Beiträge mit Fragen der systematischen Einordnung der Parv. nat. in die aristotelische Philosophie bzw. Naturwissenschaft. Wolfram Brinker (Mainz) fragt in einer philosophisch sehr tiefdringenden Analyse nach der Einheit der in den Parv. nat. versammelten Schriften. Zunächst stellt er fest, dass nicht die sprachliche Gestalt, sondern eine konkrete Sachbezogenheit diese Einheit stiftet. Indem er dann von den allgemeinsten Aussagen des Aristoteles über den Charakter naturwissenschaftlicher Forschung in der Metaphysik ausgeht, kommt er zu dem Ergebnis, dass das übergeordnete allgemeine Wahrnehmungsvermögen und seine zahlreichen Funktionen die thematische Mitte dieser Schriften darstellen. Von ihm aus lassen sich die „niedrigeren“ Seelenfunktionen genauso verstehen wie die höchste Funktion des Denkens, die allerdings in den Parv. nat. nicht direkt behandelt wird. Auf diese Weise binden sich die Forschungen in den einzelnen Schriften dieser Sammlung in das einheitliche Wissenschaftsverständnis des Aristoteles ein. Auch Martin F. Meyer (Koblenz/Münster) untersucht, ähnlich wie W. Brinker, die Frage nach dem systematischen Ort der Parv. nat. Sein Rahmen ist aber nicht die Naturwissenschaft als Ganze, sondern die spezielle Naturwissenschaftsdisziplin der Biologie bzw. Zoologie. Er geht dabei in drei Schritten voran: Erstens untersucht er die konkreten oder impliziten Querverweise, die sich in den verschiedenen biologischen Schriften finden und die eine systematische Abfolge der Werke verdeutlichen. Hist. an. und De part. an. II–IV lassen sich dabei als früher erweisen, die (verlorene) Schrift De plantis und De gen. an. sind zur Zeit der Parv. nat. erst in Planung. Die meisten Rückverweise beziehen sich auf De an. II und III. Querverweise auf ethische, politische, logische oder metaphysische Schriften finden sich so gut wie gar nicht. Zweitens arbeitet er die verschiedenen Funktionen (δυνάμεις) der Seele als das entscheidende Thema nicht nur der Parv. nat., sondern der biologischen Schriften überhaupt heraus. Die erste Gruppe der Parv. nat. (De sens., De mem., De somn., De insomn. und De divin.) können insgesamt als Folgeuntersuchungen zum Aisthesis-Komplex in De an. verstanden werden. Die zweite Gruppe (De long. vit., De iuv., De vit. et mort. und De resp.) untersucht nicht einzelne Funktionen der Seele, sondern die Grundbedingungen des Lebens überhaupt. Drittens fragt Meyer, in welchem Sinn Aristoteles in den Parv. nat. von der Seele als „Ursache“ spricht. Sie stellt das allgemeine

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Lebensprinzip aller Lebewesen dar und ihre speziellen Fähigkeiten werden im Einzelnen untersucht. Die erste Schriftengruppe wird von aitiologischen Werken zum Thema „Sinnesphysiologie“ gebildet. In der zweiten geht es um die Seele mit ihrem Sitz im Herzen als Verursacherin des Lebens insgesamt. Danach (II.) folgen fünf Beiträge, die sich mit spezifischen Problemen einzelner Schriften auseinandersetzen. Stephan Herzberg (Frankfurt) behandelt die Natur des Lichts, wie sie von Aristoteles besonders in De sens. und De an. verstanden wird. Es verwundert nicht, wenn dieses auch aus heutiger Sicht schwierige Phänomen auch bei Aristoteles nicht ganz einfach zu verstehen ist. In De an. II 7.418 b 14–17 definiert er Licht als „die Anwesenheit von Feuer oder etwas Derartigem im Transparenten“ und macht damit deutlich, dass Licht etwas Unkörperliches, Immaterielles in der Art eines Zustandes (hexis) des Transparenten ist. Herzberg fragt nun genauer danach, wie das potentiell Transparente in den Zustand der Aktualität überführt wird: Ist das Feuer nur anwesend oder übt es eine Wirkung aus? Die Antwort lautet, dass das Licht eine aktual gehaltene hexis des Transparenten ist, in der die Farbe eines Körpers wirksam werden kann. Licht ist in Anlehnung an De an. II 5.417 b 14–16 ein „Wechsel (alloio¯sis) zu den Haltungen der Natur“. Es gibt also eine Abfolge von Ereignissen: Zunächst wird durch die Einwirkung des Feuers das potentiell Transparente zum aktuell Transparenten verwandelt. Das aktuell Transparente wiederum stellt hinsichtlich der Sichtbarkeit der Farbe eine Potentialität dar, die durch die Präsenz eines farbigen Körpers aktualisiert wird. Richard King (Bern, Schweiz) untersucht die Kommentierung von De sens. durch Alexander von Aphrodisias. Zwei wichtige Ergebnisse stechen dabei heraus: Erstens besitzen die Parv. nat. offenbar schon zur Zeit Alexanders (um 200 n. Chr.) im Wesentlichen dieselbe Struktur, in der wir die Sammlung auch heute noch lesen. Zweitens legt Alexander in seiner Kommentierung großes Gewicht auf den Terminus anathymiasis (ἀναθυμίασις), der hauptsächlich in den Meteorologica verwendet wird, sich aber auch in den Parv. nat. findet. Dort taucht er stets im Zusammenhang mit der Nahrungsverdauung auf. Alexander verbindet den Geruchssinn auf diese Weise eng mit dem ernährenden Seelenteil und den Darlegungen in De an. Zugleich vergleicht Alexander die physiologischen Prozesse der Ernährung und Wahrnehmung mit Vorgängen in der anorganischen Welt, wie sie in den Meteor. dargestellt werden. Dae-Ho Cho (Seoul, Südkorea) untersucht das Verhältnis von menschlicher und tierischer Erinnerung in De mem. 2. Aristoteles unterscheidet zwei Arten von phantasia, deren eine auf der Wahrnehmung beruht und die alleinige phantasia der Tiere (außer den Menschen) darstellt. Der Mensch besitzt demgegenüber als einziges Lebewesen eine mit Überlegung und Verstand verbundene phantasia. Diese befähigt ihn, in der Zukunft liegende Ziele zu er-

Einleitung

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reichen, indem er zwischen verschiedenen Mitteln abwägen kann, um diese Ziele zu erreichen. Die Erinnerung ist dagegen eine auf die Vergangenheit gerichtete Überlegung, die wie eine Art Syllogismus funktioniert. Sie benötigt einen bewussten Willensimpuls und eine schlussfolgernde Betrachtung verschiedener phantasmata („Vorstellungsbilder“) und kommt allein dem Menschen zu. Daneben gibt es unwillkürliche (assoziative) Formen der Erinnerung, die die einzige Form der Erinnerung darstellen, die den anderen Tieren zugänglich ist. Aristoteles nimmt mit diesen Überlegungen moderne Ansichten zum sog. episodischen Gedächtnis vorweg und stellt eine enge Verbindung zu seiner eigenen Handlungstheorie her, wie sie in seinen Ethiken entwickelt wird. Maria Liatsi (Ioannina/Thessaloniki, Griechenland) befasst sich mit den physiologischen Prozessen, die Aristoteles in den Parv. nat. für das Altern und den Tod der Lebewesen verantwortlich macht. Dabei konzentriert sie sich auf die Schriften De iuv., De vit. et mort. und De resp. Sie zeigt, dass der Lebenswärme die zentrale Rolle zukommt, die im Alter nachlässt und im Tode ganz verschwindet. Sie wird durch die eingenommene Nahrung aufrechterhalten, wobei der Prozess der Verdauung und der Nahrungsversorgung der einzelnen Organe im Alter immer schlechter funktioniert. Besonders die Lunge (verstanden als ein Kühlorgan) wird in ihrer altersbedingten Dysfunktion beschrieben. In einer weiteren Perspektive weist Frau Liatsi darauf hin, dass Aristoteles über den Tod nicht nur rein physiologisch („naturwissenschaftlich“) nachdenkt, sondern auch als Philosoph. Gerade als Philosoph hängt er bisweilen noch traditionellen Positionen an (etwa dass der Tod die Trennung der Seele vom Körper sei), die nicht immer völlig mit seinen naturwissenschaftlichen Überzeugungen übereinstimmen. Sergiusz Kazmierski (Regensburg) widmet sich einer sehr grundsätzlichen Untersuchung der Atmung, besonders in De resp. Er arbeitet heraus, dass Aristoteles drei Zwecke (Finalursachen) dieser Funktion unterscheidet: Die erste und wichtigste ist die Erhaltung der Körperwärme durch Kühlung, die das Überleben des Individuums sichert. Die zweite und dritte Finalursache sind gemessen daran nur „Neben-Funktionen“ (πάρεργα). Da gibt es zunächst (2.) die Hilfsfunktion der Atmung für den Geruchssinn, der besonders beim Menschen auch nicht-lebensnotwendige Gerüche wahrnimmt. Drittens dient die Atmung zur Lauterzeugung generell und – wiederum speziell beim Menschen – zur Erzeugung der Sprache, die eine ganz wesentliche menschliche Fähigkeit ist. Im Einzelnen wird sehr detailliert die Rolle des äußeren und inneren („angeborenen“) Pneumas herausgestellt, die bei diesen Funktionen jeweils unterschiedlich ist. Die Atmung als eine nicht-willkürliche Bewegung der Tiere und des Menschen (De mot. an.) wird durch ihre drei Funktionen zu einem zentralen Phänomen, das über eine ausführliche Analyse von Ziel-

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Jochen Althoff

ursachen, organischen Grundlagen und seelischen Bedingungen als Sachgegenstand biologischer Forschung von Aristoteles umfassend erschlossen wird. Abschließend (III.) befasst sich der Beitrag von Roberto Lo Presti (Berlin) mit der Rezeption der Parv. nat. in der Renaissance. Auch in den praefationes der lateinischen Kommentare des 16. Jh.s versuchen die Renaissance-Gelehrten (u. a. Javelli, Boccadiferro, Crippa, Simoni), die Einheit und interne Ordnung der Parv. nat. deutlich zu machen. Darüber hinaus interessiert sie immer auch die Stellung der Parv. nat. innerhalb der philosophia naturalis des Aristoteles sowie innerhalb seiner zoologischen Schriften (genau wie dies in den Beiträgen von Brinker und Meyer behandelt wird). Man kann dabei eine Entwicklung von einer mehr metaphysisch und theologisch bestimmten Seelenlehre zu einem stärker naturwissenschaftlich geprägten Verständnis feststellen. Die späteren Kommentatoren (Boccadiferro, Crippa, Simoni) orientieren sich stark an der Aufteilung der Naturwissenschaft in eine Faktensammlung (die Sammlung des „Dass“) und einen aitiologisch-erklärenden Teil (das „Warum“), wie sie bei Aristoteles in verschiedenen Schriften vorgenommen wurde. Diesen Impuls nehmen die Anatomen Fabricius d’Acquapendente (1537–1619) und dessen Schüler William Harvey (1578–1657) auf und übertragen ihn in die medizinische Forschung. Harvey verwirft zwar Einzelergebnisse des Aristoteles in De gen. an., bleibt aber ausdrücklich dem methodischen Rahmen der aristotelischen Naturwissenschaft verhaftet, den er aus der Physik, der 2. Analytik und der Metaphysik gewinnt. Damit erhält die medizinische Forschung der Frühen Neuzeit entscheidende Anstöße aus der Auseinandersetzung mit der aristotelischen Biologie. Die Tagung, die diesem Band zugrunde liegt, wurde mit Mitteln der Karl und Gertrud Abel-Stiftung großzügig finanziert. Auch für die Drucklegung des Bandes hat die Abel-Stiftung einen weiteren namhaften Betrag bereitgestellt und sich bereit erklärt, diesen Band in ihrer renommierten Reihe erscheinen zu lassen. Dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Stiftung und Nestor der deutschen Aristotelesforschung (sowie meinem verehrten Lehrer) Wolfgang Kullmann gilt ein großer Dank für seine Unterstützung und sein Wohlwollen in all diesen Phasen. Bei der Herstellung des Bandes, die sich hauptsächlich wegen der ständigen Überlastung aller Beiträger und des Herausgebers etwas verzögert hat, hat meine Hilfskraft Frau Clara Brügner akribisch und umsichtig mitgeholfen. Sie hat sich auch in großartiger Weise um die Indizes gekümmert. Auch ihr gilt mein herzlicher Dank. Meinem Assistenten Dr. Bastian Reitze danke ich für seine Hilfe bei den Indices und den Korrekturen. Mainz, im Juli 2020

Jochen Althoff

I. Die Parva naturalia innerhalb der aristotelischen Philosophie

Zur Einheit der Parva naturalia des Aristoteles Wolfram Brinker Die folgenden Überlegungen versuchen, den Gesichtspunkt philologisch zu ermitteln und zu begründen, unter dem die unter dem Titel Parva naturalia versammelten Schriften des Corpus Aristotelicum als eine Einheit betrachtet werden können. Sie nehmen zu ihrem Ausgangspunkt die Auseinandersetzung mit dem literarischen Charakter der aristotelischen Schriften. Die Aristotelesphilologie hat durch diese Auseinandersetzung auf Bedingungen und Konsequenzen möglicher Auslegungsverfahren hinlänglich aufmerksam gemacht (1.). Vor dem Hintergrund dieser Klarstellung erläutern die folgenden Abschnitte den Gegenstand naturwissenschaftlichen Erkennens nach Aristoteles anhand aussagekräftiger Passagen seiner Abhandlungen (2.), dokumentieren diesen Gegenstand im besonderen für die biologischen Abhandlungen der Parv. nat. und suchen schließlich, das wissenschaftliche Prinzip herauszustellen, mit dem Aristoteles in diesen Abhandlungen als einem wissenschaftlichen Kriterium arbeitet. Dieses Prinzip und wissenschaftliche Erkenntniskriterium läßt, so meine These, daher die einzelnen Themen der Sammlung auch als unter einem einheitlichen Gesichtspunkt betrachtet verständlich werden (3.–4.).

1. Wissen und seine Dokumentation Am Beginn der Abhandlung De sens., die die Sammlung der sogenannten Parv. nat. anführt, grenzt Aristoteles ihr Thema gegenüber den Ergebnissen seiner Untersuchungen, die uns in De an. vorliegen, ab.1 Solche nicht seltenen 1

Arist. De sens. 1.436 a 1–5. Über die Parv. nat. im Rahmen der aristotelischen Naturwissenschaft siehe D. Ross, in: Parva naturalia. A revised text with introduction and commentary by Sir David Ross, Oxford 1955, 1 ff.; I. Düring, Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg 1966, 506 ff.; P. J. van der Eijk, in: Aristoteles, De insomniis, De divinatione per somnum. Übersetzt und erläutert von Philip J. van der Eijk, Berlin 1994, 68 ff.; H. Flashar, Aristoteles, in: ders. (Hrsg.), Die Philosophie der Antike 3. Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage, herausgegeben von H. Flashar, Basel 2004, 245 ff., 259–261 und 345 ff., 359–379; W. Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von Wolfgang Kullmann, Berlin 2007, 133 ff. Zu De sens. siehe auch V. Cessi, Anmerkungen zu Aristoteles’ Schrift De sensu, in:

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Wolfram Brinker

Verweisungen in seinen überlieferten Schriften wurden gebraucht, nicht nur um deren relative Chronologie wahrscheinlich zu machen.2 Sie wurden mehr noch gebraucht, um Aristoteles’ Schriften als Teile eines systematisch konzipierten, wissenschaftlichen Gesamtcurriculums zu erweisen, in das als Glied eines biologischen Kurses sich auch die Sammlung der Parv. nat. an der ihnen zugewiesenen Stelle einfüge.3 Untersuchungen des literarischen Charakters dieser Fach- oder Sachschriften (Pragmatien) und der Nachweis ihrer in diesem literarischen Charakter zu begründenden, unterschiedlichen Intentionen haben den Blick für die wissenschaftliche Einheit des aristotelischen Schriftencorpus in der Folge noch weiter geschärft. Fruchtbar sind die Ergebnisse dieser Untersuchungen ja deswegen, weil sie über die Maßstäbe der Beurteilung aufklären, die in der Auslegung dieses Schriftencorpus (wie auch anderer Schriftcorpora) angelegt werden, um in zuverlässiger Weise literarische Form, Inhalt, Autorabsicht und gegebenenfalls je methodisches wie wissenschaftstheoretisches Fundament kritisch zu unterscheiden und dabei nicht zu konfundieren: so also zum Beispiel zu konfundieren, daß literarische Stilkriterien zu Beurteilungs- und Bewertungskriterien für ein wissenschaftliches System, seine Sachgemäßheit und methodische Vorgehensweise gemacht werden, ohne die genannten Maßstäbe in ein angemessenes Verhältnis zu setzen.4

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W. Kullmann/S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse, Stuttgart 1997, 325–331. Siehe Düring (wie Anm. 1) 48–52; Kullmann (wie Anm. 1) 147 ff., in kritischer Auseinandersetzung vor allem mit D. M. Balme, The place of biology in Aristotle’s philosophy, in: A. Gotthelf/J. G. Lennox (Hrsg.), Philosophical issues in Aristotle’s biology, Cambridge 1987, 9–20, und in Fortführung der Untersuchungen von P. Thielscher, Die relative Chronologie der erhaltenen Schriften des Aristoteles nach den bestimmten Selbstzitaten. Mit einer Zeittafel, Philologus 97, 1948, 229–266; vgl. freilich auch P. J. van der Eijk (wie Anm. 1) 70, Anm. 69. Der Kursus werde repräsentiert durch die Schriften Hist. an., De an., Parv. nat., De mot. an., De inc. an., De part. an. II–IV, De gen. an., und eingeleitet durch das Buch De part. an. I, so I. Düring, Aristotle’s De partibus animalium. Critical and literary commentaries by Ingemar Düring, Göteborg 1943, 31; ders. (wie Anm. 1) 25 ff., bes. 32–48; R. Lengen, Form und Funktion der aristotelischen Pragmatie. Die Kommunikation mit dem Rezipienten, Stuttgart 2002, 191 ff.; Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 1) 139, 144 ff., hier: 154: „Es gibt einen Rückverweis auf dieses Einleitungsbuch in De gen. an. V 1.778 b 1 f.: ὥσπερ γὰρ ἐλέχθη κατ’ ἀρχὰς ἐν τοῖς πρώτοις λόγοις. Dies bezieht sich auf De part. an. I 1.640 a 10 ff. Durch diesen unanfechtbaren Verweis ist zugleich De part. an. I als Einleitung in die ganze Biologie, d. h. als systematisch vorausgehend, bestätigt.“ Siehe z. B. den Fall des ‚dunklen‘, ‚unfertigen‘ versus systematischen Denkers Heraklit, dazu U. Hölscher, Heraklit zwischen Tradition und Aufklärung, in: ders. Das nächste Fremde. Von Texten der griechischen Frühzeit und ihrem Reflex in der Moderne, hrsg. von Joachim Latacz und Manfred Kraus, München 1994, 149–174, 151 ff. Ein besonders prägnantes Beispiel aber für ein modernes Unverständnis hier nun des Schriftcharakters des überlieferten Corpus Aristotelicum und, damit einhergehend, für ein paradoxes Mißverständnis des

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Historisch-philologische Kritik und Analyse wird demgemäß mit ihrer Unterscheidung von Literatursorten, deren Verwendung und Gestaltung, oder auch etwa deren thematisch differenzierten Beschränkung der besonderen Sachpräsentation gerade in den Schriften des Aristoteles gerecht.5 Sie zeigt nämlich, warum und inwiefern die „in der Schule für die Schule“ 6 verfaßten Dokumente aristotelischer Wissenschaft als Zeugnisse zu gelten haben für methodische Reflexion und darstellende Umsicht.7 Sie entdeckt an den Schriften einen für Lehr- und Lernschriften einzufordernden Authentizitätsgrad.8 Ihre verschriftlichte Form weise Aristoteles’ Pragmatien als objektiv didaktische, wissenschaftliche Texte aus.9 Und in dieser Authentizität und charakte-

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aristotelischen Denkens bietet etwa Schopenhauer in seinen ‚Fragmenten zur Geschichte der Philosophie‘, in: A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften I. Erster Teilband (Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden, Band VII), Zürich 1977, 59–62; im ‚radikalen Gegensatz‘ zu Platon und seinen Dialogen nämlich neige, meint Schopenhauer, Aristoteles in seinen Schriften aufgrund seiner grundsätzlich empirischen Denkweise dazu, „stets in die Breite zu gehen“ und hieraus erkläre es sich, „daß, obwohl Aristoteles ein höchst systematischer Kopf war, da von ihm die Sonderung und Klassifikation der Wissenschaften ausgegangen ist, es dennoch seinem Vortrage durchgängig an systematischer Anordnung fehlt und wir den methodischen Fortschritt, ja die Trennung des Ungleichartigen und Zusammenstellung des Gleichartigen darin vermissen. Er handelt die Dinge ab, wie sie ihm einfallen, ohne sie vorher durchdacht und sich ein deutliches Schema entworfen zu haben: er denkt mit der Feder in der Hand, was zwar eine große Erleichterung für den Schriftsteller, aber eine große Beschwerde für den Leser ist.“ Siehe Düring (wie Anm. 1) 53 ff.; vgl. etwa 560 f., 561: Aristoteles behandle „die Seele von mehreren Gesichtspunkten her: als ethisches, erkenntnistheoretisches, philosophisches und biologisches Problem“. W. Jaeger, Studien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles, Berlin 1912, 187. Siehe dagegen oben, Anm. 4. Die Analyse weist die Pragmatien systematisch als dokumentierende Materialsammlungen (Hist. an., Ath. Pol.), Vorlesungsskripte (E. N., De part. an. II–IV, De an., Met.), Hand- oder Lehrbuch (Rhet.) aus, so Lengen (wie Anm. 3); vgl. ferner Flashar, Aristoteles (wie Anm. 1) 179–182; E. Schütrumpf, Form und Stil aristotelischer Pragmatien, Philologus 133, 1989, 177–191; auch S. Usener, Isokrates, Platon und ihr Publikum. Hörer und Leser von Literatur im 4. Jahrhundert v. Chr., Tübingen 1994; M. Asper, Griechische Wissenschaftstexte. Formen, Funktionen, Differenzierungsgeschichten, Stuttgart 2007. Vgl. einführend Flashar, Aristoteles (wie Anm. 1) 170–173, 263 f., 371 f.; ferner Kullmann (wie Anm. 1) 155 und dens., Aristoteles als Naturwissenschaftler, Boston/Berlin/München 2014, 21, bei Aristoteles dürften, anders als bei Platon, Aussagen eines Dialogs, wie zum Beispiel dem Eudemos über die Seele, aus methodischen Gründen nicht auf eine Stufe mit den Thesen einer Lehrschrift gestellt werden, in Dialogäußerungen könne „die eigene Auffassung des Aristoteles“ nicht gefunden werden, denn, ebd. 11, zu beachten sei, „daß die platonischen Dialoge nur ein Spiegelbild seiner mündlichen Philosophie sind, während Aristoteles’ authentische Philosophie seine philosophischen Schriften repräsentieren“ (Auszeichnung Kullmanns). Kontrastierend Lengen (wie Anm. 3) 223–231, 226 f.: „Bei den Dialogen Platons handelt es sich um Mimesis“, „bei den Pragmatien des Aristoteles um Sachliteratur“ (mit Jaeger

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ristischen Individualität bedeuten sie schließlich gegenüber den sonst tradierten Formen der Wissensvermittlung wegen ihres dialektisch-dialogischen Stils einen Fortschritt fachwissenschaftlicher Prosa.10 Die Unterscheidung von Literatursorten und ihren Gebrauchsweisen kann nach all dem zu der nicht unwesentlichen Einsicht verhelfen, daß die Formen schriftlich dokumentierten Wissens und deren Geschichte einen nicht unbedeutenden Einfluß auf die Erschließung des in ihnen mitgeteilten Wissens ausüben können. Des weiteren wird deutlich, daß die Unterscheidung von Textsorten beziehungsweise zwischen Text und Wissen der Erschließung des zu vermittelnden Wissens deswegen dient, weil diese Unterscheidung erkennen läßt, daß weder Form oder Text noch das in ihnen vermittelte Wissen den Gegenstand dieses Wissens für den Rezipienten selbst bereits unvermittelt enthalten. Das wissenschaftliche Erschließen eines Sachgebiets kann daher sogar nachweislich auch in sogenannten Wissenschaftstexten von der Form der Wissensvermittlung, das heißt aus sachfremden Gründen, verstellt sein.11

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[wie Anm. 6] 137), um „schlichte wissenschaftliche Darlegung“ gegenüber ‚literarischer Konstruktion‘; weiter, ebd. 230 f.: für den Stil der Hist. an. etwa könne eine „Parallelität zu den hippokratischen Schriften“ konstatiert werden, da beide, so Lengen (mit G. Meyer, Die stilistische Verwendung der Nominalkomposition im Griechischen. Ein Beitrag zur Geschichte der ΔΙΠΛΑ ΟΝΟΜΑΤΑ, Leipzig 1923, 3), der „Gattung der gelehrt-wissenschaftlichen Ausdrucksweise“ angehörten, was „man nicht nur für HA, sondern für die überlieferten aristotelischen Schriften überhaupt sagen“ könne, „da sie wohl in der Tradition der ionischen Wissenschaftsprosa stehen“; M. F. Meyer, Aristoteles und die Geburt der biologischen Wissenschaft, Wiesbaden 2016, 236 ff., 240 (sprachliche Exaktheit), 261: „Abwendung vom Dialogischen hin zum nüchternen Stil des wissenschaftlichen Traktats“. Dazu aber die folgende Anmerkung. S. Föllinger, Mündlichkeit in der Schriftlichkeit als Ausdruck wissenschaftlicher Methode bei Aristoteles, in: W. Kullmann/J. Althoff (Hrsg.), Vermittlung und Tradierung von Wissen in der griechischen Kultur, Tübingen 1993, 263–280, 279 f., macht an Pragmatien unterschiedlicher Thematik (Met. Λ 9, De gen. an. I 17, E. E. VII 12, E. N. IX 12 und Anal. post. I 6) die Beobachtung, daß die „Elemente von ‚Mündlichkeit‘“ in den aristotelischen Pragmatien „Ausdruck einer dialektischen Vorgehensweise“ seien, „deren Ziel Erkenntnisgewinn und Legitimation der Ergebnisse gegenüber dem Rezipienten ist“, sie seien „Folge einer neuartigen Form wissenschaftlichen Schreibens, das die Umsetzung eines dialektisch verlaufenden Denkens im Medium der Schrift darstellt“; ein platonischer Befund also, der Schopenhauers ästhetisch-rhetorischer Lesart, siehe Anm. 4, verborgen geblieben ist. Asper (wie Anm. 7) 371 kommt, unter der Voraussetzung, daß die „Form, d. h. eine Selektion von sprachlichen und strukturellen Ausdrucksmöglichkeiten“ eines Wissenschaftstextes, „teils inhaltlichen Gegebenheiten, teils der Funktion der jeweiligen Schrift“ folge, bemerkenswerter Weise zu dem Ergebnis (mit Aspers Auszeichnung): „Wenn man dazu eine handliche Regel aufstellen wollte, so könnte sie lauten: Je weniger ein Text auf primäre Wissensvermittlung zielt, desto ‚schriftlicher‘ werden seine Merkmale“. So gehörten etwa bestimmte bei Aristoteles verwendete mathematische Argumentationsformen in E. N. und Rhet., mit Lengen (wie Anm. 3) 27 ff., 121 ff., zu „Beeinflussungen durch andere Gattungen“, die allerdings „vor allem durch Reputationserwägungen beeinflußt zu werden“ schienen.

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Aristoteles weist, in nur scheinbar anderem Zusammenhang, selbst auf solche hermeneutischen Probleme hin, wenn er in seiner Poetik einleitend den Unterschied zwischen eigentümlich dichterischem und naturwissenschaftlichem Erkennen am Gebrauch eines Kriteriums hervorhebt, das diesen Unterschied nicht hinreichend berücksichtigt. Zu einer Dichtung werde eine sprachliche Äußerung nämlich nicht durch die metrische, rhythmische Gestaltung des Mediums der Sprache: πλὴν οἱ ἄνθρωποί γε συνάπτοντες τῷ μέτρῳ τὸ ποιεῖν ἐλεγειοποιούς, τοὺς δὲ ἐποποιοὺς ὀνομάζουσιν, οὐχ ὡς κατὰ τὴν μίμησιν ποιητάς, ἀλλὰ κοινῇ κατὰ τὸ μέτρον προσαγορεύοντες· καὶ γὰρ ἂν ἰατρικὸν ἢ φυσικόν τι διὰ τῶν μέτρων ἐκφέρωσιν, οὕτω καλεῖν εἰώθασιν· οὐδὲν δὲ κοινόν ἐστιν Ὁμήρῳ καὶ Ἐμπεδοκλεῖ πλὴν τὸ μέτρον, διὸ τὸν μὲν ποιητὴν δίκαιον καλεῖν, τὸν δὲ φυσιολόγον μᾶλλον ἢ ποιητήν. Indes benennen die Leute, indem sie mit dem Versmaß deren Tun zusammenfassen (die einen) Elegiendichter, die anderen Ependichter, nicht weil sie sie anhand der Nachahmung, sondern weil sie sie anhand des Versmaßes allgemein als Dichter ansprechen: auch nämlich wenn man ein medizinisches oder naturkundliches Thema mittels Versen darstellt, pflegen (die Leute) so zu benennen. Es ist aber Homer und Empedokles nichts gemeinsam außer das Versmaß, weswegen es recht ist, den einen einen Dichter, den anderen einen Naturwissenschaftler zu nennen eher als einen Dichter.12 Hinsichtlich der Wissensvermittlung würde man also anhand dieses Kriteriums, wenn man es einmal versuchsweise anlegte, Homer kaum gerecht, stellte man ihn aufgrund des Versmaßes mit Empedokles gleich. Denn sein Werk besteht, als dichterisches Werk, und das will Aristoteles in der Poetik ja zeigen, in der Darstellung (Nachahmung) menschlichen Denkens und Handelns, von dem der Dichter ein Wissen erworben hat, nicht aber etwa darin, einen Beleg für die Kenntnis zu liefern, wie hexametrische Verse zu bauen sind. Aus demselben Grunde würde man aber auch Empedokles nicht gerecht, wenn man sein Werk mit dem Homers nach diesem Kriterium gleichstellte und ihn damit, wie die Leute, deren Auffassung Aristoteles in der angeführten Stelle vor Augen hat, zu einem Dichter machte. Denn das Wissen, das Empedokles zu vermitteln sucht, soll natürlich ebensowenig wie bei Homer ein Wissen von den Möglichkeiten rhythmisierten Sprechens vorführen, die das

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Arist. Poet. 1.1447 a 8–b 29, hier: b 13–20. Auch die kommenden Übersetzungen folgen bisweilen einer Zeichensetzung, die von der Zeichensetzung der verwendeten Editionen abweicht. Die Übersetzungen stammen, wenn nicht anders angegeben, vom Verfasser, Verständnishilfen und sprachlich begründete Ergänzungen sind in Klammern hinzugefügt.

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Versmaß bietet. Vielmehr sucht Empedokles ein Wissen von der Natur darzulegen und zu begründen, das ihn daher eben nicht mit einem Autor wie Homer, sondern etwa einem wie Demokrit, der keine Verse gebraucht, gleichstellt und die Auseinandersetzung mit ihm angesichts des von ihm behandelten Sachgebiets wertvoll und notwendig macht.13 Jede Wissensvermittlung kann sich demnach zwar der Leistungsfähigkeit einer Literatursorte und deren Gestaltung bedienen oder solche auch neu finden und entwickeln; es läßt sich aber an Literatur- beziehungsweise Sprachsorten nicht schon selbst erkennen, was für ein Wissen vermittelt wird, ob und weshalb es sich um ein Wissen handelt und schließlich, über welche Sachverhalte dieses Wissen erworben wurde. Aristoteles meint also offenbar, daß, wie eine Dichtung ihre Einheit von der Einheit der in ihr dargestellten menschlichen Handlungen oder ein naturkundliches Werk von der Einheit der in ihm untersuchten und begründeten Naturphänomene her erhält, so überhaupt die Leistungsfähigkeit der Wissensvermittlung sich an der Sachbezogenheit des Wissens, das vermittelt werden will, messen lassen muß. Denn erst von einem erkennbaren und erkannten Sachverhalt erhält ein Wissen seine Einheit und Verständlichkeit und erhält sie entsprechend dem Maß, in dem diesem Sachverhalt selbst Einheit und Begreifbarkeit eigen ist.14 Aristoteles folgt hier in der Poetik von ihm selbst ausdrücklich getroffenen und in seinen Abhandlungen auch sonst immer wieder beachteten Unter13

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Siehe z. B. Arist. De sens. 2.437 b 10 ff.; De resp. 7.473 a 15 ff. Dasselbe gilt umgekehrt auch für Aristoteles’ Umgang mit Platons Dialogen, etwa dem Timaios, obwohl er die Σωκρατικοὶ λόγοι (Poet. 1.1447 b 11) zur Dichtung rechnet, zu der er seine selbst verfaßten Dialoge wohl auch gerechnet haben dürfte. Vgl. etwa Arist. Phys. I 1.184 a 26–b 3. Dazu, daß Aristoteles der Meinung ist, „dass es nicht möglich ist, das, was Literatur oder eine bestimmte Literaturart ist, aufgrund des Mediums ‚Sprache‘ zu definieren“, siehe A. Schmitt, Aristoteles, Poetik. Übersetzt und erläutert von Arbogast Schmitt, Berlin 2008, 215–229, 215: denn dabei sei es für Aristoteles „gleichgültig, ob die verwendete Sprache reine, ungebundene Prosa sei, oder eine metrisch gebundene, d. h. rhythmisierte Form habe“. Zum wissenschaftlichen Hintergrund dieser Meinung des Aristoteles siehe ebd. 608 ff., zu Poet. 20. Zu Sprache und Sache bei Platon und Aristoteles vgl. ferner die Auseinandersetzungen bei K. Gaiser, Platonische Dialektik – damals und heute, in: Gesammelte Schriften. Herausgegeben von T. A. Szlezák unter Mitwirkung von K.-H. Stanzel, Sankt Augustin 2004, 177–203 (zuerst 1988); C. Pietsch, Prinzipienfindung bei Aristoteles. Methoden und erkenntnistheoretische Grundlagen, Stuttgart 1992, 45–52, 152–160, 280 f., 289–301; R. Thiel, Aristoteles’ Kategorienschrift in ihrer antiken Kommentierung, Tübingen 2004, dessen Untersuchung diejenige zur Biologie des Aristoteles durch D.-H. Cho (Ousia und Eidos in der Metaphysik und Biologie des Aristoteles, Stuttgart 2003) intensiviert; ferner M. Schmitz, Analysis – Eine Heuristik wissenschaftlicher Erkenntnis. Platonisch-aristotelische Methodologie vor dem Hintergrund ihres rhetorisch-technisch beeinflussten Wandels in Mathematik und Philosophie der Neuzeit und Moderne. Herausgegeben von Wolfgang Bernard und Steffen Kammler, Freiburg/München 2010.

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scheidungen und doxographischen wie semasiologischen Vorgehensweisen, anhand derer er auch wissenschaftliche Sachgebiete nach ihren sachbezogenen Ausgangspunkten untereinander abgrenzt. Aus der literarischen Uneinheitlichkeit,15 oder besser aus der literarischen Unterschiedlichkeit des aristotelischen Schriftencorpus – das können die genannten Untersuchungen, die dessen Formen und vermutliche Funktionen im Einzelnen überprüft haben, deutlich machen – läßt sich jedenfalls kaum mit gutem Grund und ohne Weiteres zugleich auf eine sachliche Uneinheitlichkeit und Oberflächlichkeit wissenschaftlichen Denkens oder deren Gegenteile schließen. Obschon man durch die Beobachtung der gelegentlichen ‚Dunkelheit‘ des sprachlichen Ausdrucks bei Aristoteles zu einem anders lautenden Urteil genötigt werden mag, es handelt sich dabei jedenfalls um eine Eigentümlichkeit, die, als Gütesiegel verstanden, den Vorzug hat, die Aufmerksamkeit auf den Sachbetreff und das Sachgemäße selbst zu lenken, auf das Aristoteles’ Aussagen nicht von vorneherein und immer mit uns vertrauter sprachlicher Präzision, formaler Gestaltung oder erwartungsgemäßen terminologischen Standards deuten.16

2. Naturwissenschaftliches Erkennen Der hier vorgelegte Versuch, zum Verständnis der Einheit der Parv. nat. beizutragen, erhebt nicht den Anspruch, auf die im ersten Abschnitt referierten historisch-kritischen Probleme der Redaktion, Form und Systematik des Corpus Aristotelicum andere oder gar bessere Antworten geben zu können. Die Schriften sollen vielmehr auf dem Gesagten fußend nach dem Standpunkt befragt und von einem Standpunkt aus gelesen werden, von dem her Aristoteles die in ihnen aufgeworfenen Probleme aufzugreifen und einem einheitlichen Sachgrund gemäß jedesmal nachweislich darzustellen und zu lösen scheint. Diesen Standpunkt will ich daher im Folgenden zunächst etwas ausführlicher zu begründen und so plausibel zu machen versuchen. Wenn sich Wissenschaften durch den „Grad der Exaktheit (ἀκρίβεια) in der Darstellung einer Disziplin“ unterscheiden und dieser Grad sich „nach

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Vgl. etwa die knappe Bemerkung Thielschers (wie Anm. 2) 229, Anm. 2: „Für Aristoteles selbst ist die Metaphysik ebensowenig eine einheitliche Schrift wie das Organon oder die parva naturalia.“ Vgl. Simp. in Cat. 6, 19–7, 22 Kalbfleisch; dazu Arist. Met. Ζ 4.1030 a 27 f.: „Man muß zwar auch beachten, wie man über eine jede Sache reden muß, allerdings doch nicht mehr als wie sie sich verhält (δεῖ μὲν οὖν σκοπεῖν καὶ τὸ πῶς δεῖ λέγειν περὶ ἕκαστον, οὐ μὴν μᾶλλόν γε ἢ τὸ πῶς ἔχει).“ Zu solchem Vorgehen z. B. auch noch S. Thomae Aquinatis in Aristotelis librum De anima commentarium, Turin 1959, Nr. 107.

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dem Grad der Abstraktion ihrer Gegenstände“ richtet, dann gehören, im Blickwinkel von „Weltbild und Wissenschaftsverständnis“, einer „analog dem Stufenbau des Kosmos“ und gemäß der „Methode der Darstellung“ aus ihm entwickelten Einteilung der Wissenschaft, auch die Parv. nat. zu den Zeugnissen „der Entdeckung der Möglichkeit einer methodisch fundierten empirischen Wissenschaft“.17 Für den hier verfolgten Zusammenhang verdienen somit als gewissermaßen Grundlegendes18 für das Verständnis des wissenschaftlichen Kursus des Aristoteles folgende Gesichtspunkte betrachtet zu werden. ἐπεὶ δὲ καὶ ἡ φυσικὴ ἐπιστήμη τυγχάνει οὖσα περὶ γένος τι τοῦ ὄντος, περὶ γὰρ τὴν τοιαύτην ἐστὶν οὐσίαν, ἐν ᾗ ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως καὶ στάσεως ἐν αὐτῇ, δῆλον ὅτι οὔτε πρακτική ἐστιν οὔτε ποιητική· τῶν μὲν γὰρ ποιητῶν ἐν τῷ ποιοῦντι ἡ ἀρχή, ἢ νοῦς ἢ τέχνη ἢ δύναμίς τις, τῶν δὲ πρακτῶν ἐν τῷ πράττοντι, ἡ προαίρεσις· τὸ αὐτὸ γὰρ τὸ πρακτὸν καὶ προαιρετόν. Weil aber nun auch die Naturwissenschaft über eine bestimmte Art des Seienden19 handelt, handelt sie ja von einem derartigen bestimmten Sein 17

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So Flashar (wie Anm. 1) 380–385, 382 f. Dazu siehe, jeweils mit Sichtung der zugrundegelegten Forschungsliteratur, nach Jaeger (wie Anm. 6) und dems., Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung, Berlin 1955 (zuerst 1923): Düring 1966 (wie Anm. 1) 21 ff.; W. Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft, Stuttgart 1998, 55 ff.; zum „Stand der Forschung“ Flashar (wie Anm. 1) 169–177. Vgl. H. Happ, Hyle. Studien zum aristotelischen Materiebegriff, Berlin/New York 1971, 565, Anm. 25, und ff.; Kullmann (wie Anm. 17) 16 ff.; dens. (wie Anm. 1) 138 ff.; dens., Aristoteles als Naturwissenschaftler (wie Anm. 8) 3 ff., zudem Flashar (wie Anm. 1) 380, 383, mit weiteren Belegstellen aus dem Corpus Aristotelicum. Die in Aristoteles’ Verwendungsweise begründeten Übersetzungen der griechischen Wörter „sein“ (εἶναι), „seiend“ (ὄν), „Seinsheit, Seiendes“ (οὐσία) versuchen, deren philologisch und philosophisch nachgewiesenen Grundsinn zumindest sprachlich zu kennzeichnen, auch wenn damit eine gewisse Umständlichkeit in Kauf genommen wird. Zu diesem Grundsinn: „etwas Bestimmtes sein“, „etwas bestimmtes Seiendes“, „bestimmte(s) Sein(sheit)“, siehe J. Owens, The doctrine of being in the Aristotelian ‚Metaphysics‘. A study in the greek background of mediaeval thought, Toronto 31978 (rev. 1951), 283–286; C. H. Kahn, The Verb ‚Be‘ in Ancient Greek, Dordrecht 1973, 385–390; dens., Why Existence does not Emerge as a Distinct Concept in Greek Philosophy, Archiv für Geschichte der Philosophie 58, 1976, 323–334; U. Hölscher, Der Sinn von Sein in der ältesten griechischen Philosophie, Heidelberg 1976, bes. 47 f.; ferner A. Graeser, Aristoteles und das Problem von Substantialität und Sein, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 25, 1978, 120–141; dens., Über den Sinn von Sein bei Platon, Museum Helveticum 39, 1982, 29–42; G. E. L. Owen, Aristotle on the Snares of Ontology, in: ders., Logic, Science and Dialectic. Collected Papers in Greek philosophy. Edited by M. Nussbaum, London 1986, 259–278; A. Schmitt, Neuzeitliches Selbstverständnis und Deutung der Antike, in: H. H. Krummacher (Hrsg.), Geisteswissenschaften – wozu?, Stuttgart 1988, 187–210; J. H. Königshausen, Ursprung und Thema von Erster Wissenschaft. Die aristotelische Entwicklung des Problems, Amsterdam 1989, 249–251.

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(Substanz), bei der der Ausgangspunkt der Bewegung und des Stillstands in ihm (selbst) ist, ist klar, daß sie weder ein Wissen vom Handeln noch eines vom Herstellen ist: denn der Ausgangspunkt des Hergestellten liegt im Hersteller, als Verstand, handwerkliches Kunstverständnis oder eine bestimmte Fähigkeit (der Umsetzung), der (Ausgangspunkt) des Getanen dagegen ist im Handelnden die Wahl, denn das Getane und das Gewählte ist dasselbe.20 Die Naturwissenschaft sucht demgemäß ein Wissen über ein Seiendes zu erlangen, das einen bestimmten Ausgangspunkt (ein Prinzip) besitzt und das bewegt werden und unbewegt sein kann. Dieses Etwas unterscheidet sich von dem, was durch Handeln oder Fertigung verwirklicht wird, nicht, insofern es die Möglichkeit des Bewegt- oder Unbewegtseins enthält, sondern insofern der Ausgangspunkt seines Bewegt- oder Unbewegtseins in ihm selbst zu suchen ist. Da es daher notwendig sei anzunehmen,21 daß, wie die Erfahrung zeige, alles oder doch manches Physische in bestimmtem Sinne bewegt wird, Wissen und Verstehen aber durch Erkennen der je ersten Ausgangspunkte, Elemente und Ursachen eines jeden Erkennbaren erfolge, und zwar methodisch fortschreitend erfolge von dem, was für denjenigen, der es zu erkennen sucht, zuerst bekannt ist, zu dem hin, was der erkennbaren Sache nach zuerst bekannt sei,22 setzt die Naturwissenschaft unter dem Gesichtspunkt von Bewegung und Stillstand für alles oder doch manches Physische ein Werden voraus. Anhand dieses Begriffs des Werdens lasse sich nun aber, so Aristoteles, allgemein erkennen,23 daß man, wenn man sagt: „Eines wird aus einem anderen und ein Verschiedenes wird aus einem Verschiedenen“, zum Beispiel meint: ein „Mensch wird gebildet“, oder: „das nicht Gebildete wird gebildet“, oder: „der nicht gebildete Mensch wird ein gebildeter Mensch“. Indem darin entweder von einem Einfachen (‚Mensch‘, ‚nicht gebildet‘, ‚gebildet‘) oder einem Zusammengesetzten (‚nicht gebildeter Mensch‘, ‚gebildeter Mensch‘) als von jeweils dem die Rede ist, was wird, beziehungsweise von dem, was es wird, kann demgemäß mit den Beispielen gesagt werden einerseits: ‚eines wird aus einem anderen‘, im Sinne von: etwas wird ‚aus nicht gebildet gebildet‘, oder etwas wird ‚aus nicht gebildetem Mensch gebildeter Mensch‘; andererseits ‚ein Verschiedenes werde aus einem Verschie-

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Arist. Met. Ε 1.1025 b 18–24. Siehe Arist. Phys. I 7.189 b 30 ff. Arist. Phys. I 2.185 a 12–14; ebd. I 1; Anal. post. I 1 ff.; Met. Ζ 3.1029 b 3–12; dazu Thiel (wie Anm. 14) 30–50. Arist. Phys. I 7.189 b 30–190 a 31; vgl. De gen. et corr. I 3, ferner Phys. III 1–3.

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denen‘, im Sinne von: aus ‚nicht gebildet‘ wird ‚gebildet‘, jedoch nicht: ‚aus Mensch wird gebildet‘. Aus solchen Redeweisen wird ersichtlich, daß nicht jedem Subjekt ohne Unterschied ein Werden beigelegt werden kann: entweder nämlich verharrt es beim Werden, etwa wenn ein Mensch gebildet wird, ohne dabei jedoch etwas Verschiedenes von dem zu werden, was er ist; oder es verharrt nicht, wie das Nicht-Gebildete und Ungebildete oder ein nicht gebildeter und ungebildeter Mensch. Wenn von daher gesagt werden muß, daß das, was wird, immer als ein Bestimmtes, dem ein Werden zugesprochen wird, zugrundeliegt, ist das Subjekt seinem Sein und seiner Begreifbarkeit nach mit Hinblick auf das Werden nicht immer ein und dasselbe, wie bei ‚nicht gebildeter oder ungebildeter Mensch‘ das Begreifbare ‚Mensch‘ und ‚nicht gebildet‘. Das wird daran verständlich, daß man nicht sagt: „aus Mensch wird gebildet“, sondern „aus nicht gebildet wird gebildet“ beziehungsweise „ein Mensch wird gebildet“, wobei das eine verharrt, das andere nicht. Auch aus der Weise, auf welche etwas und aus etwas werde, kann der Erfahrung gemäß klar werden, daß allem Werdenden etwas Bestimmtes zugrundeliegt.24 Dem Werden eines Einzelnen, dessen Sein von sich her nicht an einem Zugrundeliegenden besteht, so daß es von diesem ausgesagt würde,25 liegt etwas zugrunde, das dieses Einzelne nicht ist, sondern aus dem dieses wird: ein Mensch oder eine Pflanze aus einem Samen durch Wandlung, eine Plastik aus Erz oder Stein durch Umformung beziehungsweise Abschlagen, ein Haus aus Ziegeln und Balken durch Zusammensetzung. Dem Werden desjenigen hingegen, dessen Sein an einem Zugrundeliegenden besteht, so daß es von diesem ausgesagt wird, liegt etwas zugrunde, von dem es zwar ausgesagt wird und von dem es insofern auch verschieden ist; dessen Sein aber wird, weil es weder aus einem Zugrundeliegenden wird noch ein Zugrundeliegendes wird, stets mit einem Zugrundeliegenden erkannt und begriffen, wie ‚gebildet‘, ‚groß‘, ‚bezüglich‘, ‚dann‘, ‚dort‘. Von diesen wird ja nicht gesagt, daß sie etwa ‚Mensch‘, ‚Pflanze‘, ‚Plastik‘, ‚Haus‘ wären oder würden.26 ‚Werden‘ enthält demzufolge mannigfache, wissenschaftlicher Erschließung aufgegebene Unterschiede. Alles Werdende ist einerseits selbst etwas Bestimmtes, das wird, andererseits etwas, was dieses wird; ihm wird ein Werden beigelegt als einem Zugrundeliegenden (‚Mensch‘, ‚Erz‘, ‚Ziegel und Balken‘) oder als dem, das dem, was wird (‚gebildet‘, ‚Plastik‘, ‚Haus‘), entge-

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Arist. Phys. I 7.190 a 31–191 a 22. Vgl. Arist. Cat. 2. 1 a 24–25, dazu Thiel (wie Anm. 14) 79–95. Vgl. Arist. Met. Ζ 6, bes. 1031 b 22–28.

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gengesetzt, dieses Bestimmte nicht ist.27 Ausgangspunkte und Ursachen physischen Werdens, die diesem zuerst (πρώτως) zukommen, so kann in dem von Aristoteles hier intendierten allgemeinen Sinne gesagt werden, sind daher ein Zugrundeliegendes, das etwas wird, und eine Form (μορφή, εἶδος), die oder zu der jenes wird, und zwar: das Zugrundeliegende als Bewegbares (Materie des Werdens) bis zu einer bestimmten Form, die es annimmt, sowie die bestimmte Form als das, wodurch einerseits der Endpunkt eines Werdens, andererseits außerdem das erkannt wird, was dieser Form entgegengesetzt ist und daher dem Zugrundeliegenden nur beiläufig zukommt (ἡ στέρησις).28 Wenn nun an allem Werden als einem in der behaupteten Weise Zusammengesetzten die genannten Hinsichten beobachtet werden, und da der Ausgangspunkt der Bewegung und Ruhe des von Natur Seienden in ihm selbst gesucht wird, unterscheidet sich von Natur Seiendes nach Aristoteles’ Darstellung in Met. Ε 1 von Hergestelltem und Getanem, sofern diese ihren Ausgangspunkt nicht in ihnen als sie selbst haben. In der Schafs- oder Baumwolle als in ihnen selbst, um ein Beispiel zu geben, ist nicht schon der Ausgangspunkt für eine Bewegung zu einem Kleidungsstück, und von diesem Kleidungsstück wiederum nicht der zur Wolle erkannt; und an einer vorgestellten Handlungsoption als in ihr selbst ist nicht bereits der Ausgangspunkt einer Entscheidung zu etwas und eines Strebens auf etwas hin erkannt. Technisches Wissen wohnt als Ausgangspunkt einem von Natur Zugrundeliegenden oder einem Hergestellten, etwa Wolle, Ziegeln und Balken, und ethisches Wissen wohnt einer Handlung, etwa einer Heirat, je als ihnen selbst nicht inne, sondern ist ihnen als jeweils bewegendes Moment äußerlich: im einen Falle als ein Wissen über ‚Haus‘, im andern etwa als eine Vorstellung von ‚Glück‘ oder ‚Gut‘. Das Handeln hat, kann man daher sagen, ein Wissen vom Guten oder Glück als bewegenden und dabei nicht selbst bewegten Ausgangspunkt des Strebens, nicht aber dieses Streben, sondern das Glück oder Gute zum Endpunkt. Das Bauen hat ein Ingenieurswissen als bewegenden und dabei nicht bewegten Ausgangspunkt, aber nicht dieses Bauen, sondern das Gebäude zum Endpunkt. Und es hat auch das Verabreichen von Medikamenten ein Wissen von der Gesundheit zu einem solchen Ausgangspunkt, aber nicht dieses Verabreichen, vielmehr die Heilung und Gesundheit zum Endpunkt. Physisches Werden hingegen hat offenbar

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Arist. Phys. I 7.190 b 10–17; vgl. Ioannis Philoponi in Aristotelis Physicorum libros tres priores commentaria 159, 1–11 Vitelli; Simplicii in Aristotelis Physicorum libros quattuor priores commentaria 214, 29–215, 21 Diels. Siehe etwa Arist. Phys. I 7.190 b 17–191 a 22. Vgl. Arist. Phys. I 9.192 a 13–34, bes. 31 f.; dazu (mit Platon und Alexander von Aphrodisias) Simp. (wie Anm. 27) in Ph. 248, 23– 257, 4 Diels.

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etwas zum bewegenden Ausgangs- und Endpunkt, was in ihm als ihm selbst angelegt und in einem bestimmten Sinne veränderlich ist.29 Diese Abgrenzung ihres ihren Objekten (beziehungsweise Subjekten, das heißt Zugrundeliegenden) nach umgrenzten Sachgebiets macht die Naturwissenschaft im Unterschied zur Technik und Ethik laut Aristoteles zu einer theoretischen Wissenschaft und unterscheidet sie deshalb etwa auch, wie Alexander von Aphrodisias erklärt, von der Medizin: κατὰ γὰρ τὸ εἶδος ἑκάστῳ ἡ τῆς κατὰ φύσιν κινήσεως ἀρχὴ τῶν φύσει συνεστώτων καὶ αἴτιον τοῦτο τῆς κατὰ φύσιν ἑκάστῳ τῶν φυσικῶν σωμάτων κινήσεως, εἴ γε κατὰ τὸ εἶδός ἐστιν ἥ τε γῆ γῆ καὶ τὸ πῦρ πῦρ καὶ ὁ ἄνθρωπος ἄνθρωπος, ὁμοίως καὶ τῶν ἄλλων ζῴων ἕκαστον, εἶδος δὲ τούτων μὲν ἡ ψυχή, ἐκείνων δὲ ἡ ῥοπή· καθὸ γὰρ ὕδωρ ἐστὶ καὶ καθὸ γῆ τε καὶ πῦρ, ἀρχὴν ἐν αὑτοῖς ἔχει τῆς κατὰ φύσιν κινήσεως. τὸ δὲ ᾗ αὐτὸ προσέθηκεν, ἐπεὶ δύναταί τι καὶ κατὰ τέχνην κινούμενον, ἥτις οὐκ ἔστι φύσις, ἐν αὑτῷ τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως ἔχειν, ὡς ὁ αὑτὸν ἰώμενος, ἀλλ’ οὐχ ᾗ νοσῶν τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως ἐν ἑαυτῷ ἔχει, ἀλλὰ κατὰ συμβεβηκός, ἀλλ’ οὐδὲ ᾗ ἄνθρωπος· οὐ γὰρ ᾗ ἄνθρωπος ἐκεῖνός ἐστιν, εἰς ὑγίειαν μεταβάλλει, ἐπεὶ τάς γε κινήσεις, ἃς ᾗ ἄνθρωπος κινεῖται, κατὰ τὸ εἶδος καὶ τὴν ἐν αὑτῷ κινεῖται φύσιν, ἥτις ἐστὶν ἡ τοιάδε ψυχή. Gemäß nämlich seinem bestimmten Sein hat ein jedes der natürlich entstandenen (zusammengetretenen) Dinge den Ausgangspunkt seiner natürlichen Bewegung, und dieses ist ursächlich für die einem jeden der physischen Körper naturgemäße Bewegung, da ja gemäß ihrem bestimmten Sein die Erde Erde, das Feuer Feuer und der Mensch Mensch ist, auf gleiche Weise ein jedes der übrigen Lebewesen, das bestimmte Sein dieser aber ist deren Seele, jener deren Neigung: denn wonach es Wasser ist und wonach Erde und Feuer, hat es (je) an sich selbst den Ausgangspunkt seiner naturgemäßen Bewegung. Das ‚als es selbst‘ aber setzte er (Aristoteles) hinzu, da auch etwas, was gemäß einer Kunstfertigkeit, die nicht Natur ist, bewegt wird, in sich selbst den Ausgangspunkt seiner Bewegung haben kann, wie zum Beispiel der, der sich selbst heilt, den Ausgangspunkt seiner Bewegung in sich selbst hat, aber nicht insofern er krank ist, sondern nur beiläufig, und auch nicht, insofern er Mensch ist: nicht nämlich insofern jener ein Mensch ist, wechselt er in den Zustand der Gesundheit, da er doch die Bewegungen, die er als Mensch vollzieht,

29

Vgl. etwa Arist. Met. Ζ 7.1032 a 12–32; ebd. Λ 2–5; Phys. II 1; 2.194 a 33–194 b 8; De gen. et corr. I 7; E. N. VI 4.1140 a 1 ff.; Alex. Aphr. in Metaph. 442, 27 ff. Hayduck; Philopon. (wie Anm. 27) in Ph. 196, 6–12 Vitelli; Simp. (wie Anm. 27) in Ph. 261, 7–23 Diels.

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gemäß seinem (Mensch-)Sein und seiner Wesensnatur in sich selbst vollzieht, die seine so und so beschaffene Seele ist.30 Das Sachgebiet der Naturwissenschaft und ihr darauf unter verschiedenen Hinsichten vollzogenes Denken und Erkennen verbindet diese also mit anderen theoretischen Wissenschaften, allerdings nur insofern, als sie keine reine Prinzipienwissenschaft, keine Wissenschaft ist, die „Seiendes schlechthin“ und „insofern es Seiendes ist“ betrachtet: Αἱ ἀρχαὶ καὶ τὰ αἴτια ζητεῖται τῶν ὄντων, δῆλον δὲ ὅτι ᾗ ὄντα· ἔστι γάρ τι αἴτιον ὑγιείας καὶ εὐεξίας καὶ τῶν μαθηματικῶν εἰσὶν ἀρχαὶ καὶ στοιχεῖα καὶ αἴτια, καὶ ὅλως δὲ πᾶσα ἐπιστήμη διανοητικὴ ἢ μετέχουσά τι διανοίας περὶ αἰτίας καὶ ἀρχάς ἐστιν ἢ ἀκριβεστέρας ἢ ἁπλουστέρας· ἀλλὰ πᾶσαι αὗται περὶ ὄν τι καὶ γένος τι περιγραψάμεναι περὶ τούτου πραγματεύονται, ἀλλ’ οὐχὶ περὶ ὄντος ἁπλῶς οὐδὲ ᾗ ὄν. Die Ausgangspunkte (Prinzipien) und das Ursächliche für das Seiende werden gesucht, jedoch, das ist klar, insofern es Seiendes ist. Es gibt nämlich bestimmtes Ursächliches für Gesundheit und Wohlergehen, auch für Mathematisches gibt es Ausgangspunkte und Elemente und Ursächliches, und überhaupt handelt von Ursachen und Ausgangspunkten, genaueren oder einfacheren, jedes denkend begründende oder an solchem Denken irgend teilhabende Wissensgebiet: aber alle diese (Wissensgebiete) umschreiben ein bestimmtes Seiendes und eine bestimmte Art (des Seienden) und handeln darüber, doch nicht etwa über Seiendes schlechthin und nicht, insofern es Seiendes ist.31 Da die Wissenschaften also in Sachgebiete auseinandertreten, und indem sie zwar je Seiendes zum Ausgangspunkt nehmen und Erkenntnisse über ihre Sachgebiete diesem Seienden gemäß gewinnen, erörtern und beweisen sie selbst ihre Unterschiede untereinander, den Grad ihrer Genauigkeit und ihre begründbare Einheit als Wissenschaften damit aber nicht: οὐδὲ τοῦ τί ἐστιν οὐθένα λόγον ποιοῦνται, ἀλλ’ ἐκ τούτου, αἱ μὲν αἰσθήσει ποιήσασαι αὐτὸ δῆλον, αἱ δ’ ὑπόθεσιν λαβοῦσαι τὸ τί ἐστιν, οὕτω τὰ καθ’ αὑτὰ ὑπάρχοντα τῷ γένει, περὶ ὅ εἰσιν, ἀποδεικνύουσιν ἢ ἀναγκαιότερον ἢ μαλακώτερον· διόπερ φανερὸν ὅτι οὐκ ἔστιν ἀπόδειξις οὐσίας οὐδὲ τοῦ τί ἐστιν ἐκ τῆς τοιαύτης ἐπαγωγῆς, ἀλλά τις ἄλλος τρόπος τῆς δηλώσεως.

30

31

Alex. Aphr. in Metaph. 357, 22–358, 14 Hayduck, hier: 357, 25–358, 3, zu Arist. Met. Δ 4.1014 b 16 ff., hier: 17–20: Natur nenne man „ferner das, woher die erste Bewegung an einem jeden der von Natur Seienden als es selbst (ἐν αὐτῷ ᾗ αὐτό) gründet.“ Alexander blickt auf Arist. Phys. II 1.192 b 8 ff.; 23–27. Arist. Met. Ε 1.1025 b 3–10.

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Wolfram Brinker ὁμοίως δὲ οὐδ’ εἰ ἔστιν ἢ μὴ ἔστι τὸ γένος, περὶ ὃ πραγματεύονται, οὐδὲν λέγουσι, διὰ τὸ τῆς αὐτῆς εἶναι διανοίας τό τε τί ἐστι δῆλον ποιεῖν καὶ εἰ ἔστιν. Auch das Was-etwas-Bestimmtes-Ist erörtern sie nicht, vielmehr weisen sie, indem sie von diesem aus es einerseits durch Wahrnehmung klar machen, andererseits das Was-etwas-Bestimmtes-Ist zur Voraussetzung nehmen, das auf, was gemäß ihm selbst der Art (des Seienden), um die es sich handelt, zukommt, zwingender oder weniger zwingend; deswegen ist offensichtlich, daß aus derartiger Hinführung ein Beweis der Seinsheit (Substanz) und des Was-etwas-Bestimmtes-Ist nicht erfolgt, sondern eine andere Weise der Aufklärung. Genauso wenig aber sagen sie (die Sachgebiete hier) etwas (darüber), ob die Art (des Seienden), über die sie handeln, etwas Bestimmtes ist oder nicht, weil sowohl die Aufklärung des Was-etwas-Bestimmtes-Ist als auch die des Ob-etwas-etwas-BestimmtesIst Aufgabe desselben begründenden Denkens ist.32

Unterschied und Einheit der Wissenschaften prinzipiell zu untersuchen und zuletzt zu begründen ist daher der Ersten Philosophie oder Theologie vorbehalten.33 Ihr ist zu unterscheiden möglich, von welchen Begriffen auch die Naturwissenschaft im Hinblick auf welche Sachverhalte bei der Erforschung ihrer Gegenstände genau Gebrauch macht, ferner welchen unter den Begriffen und Sachverhalten und aus welchem Grunde sachliche und erkenntnisbegründende Priorität zukommt.34

32 33

34

Arist. Met. Ε 1.1025 b 10–18. Siehe auch Arist. Met. Κ 3–7. Dazu Alex. Aphr. in Metaph. 239, 16 ff. Hayduck, bes. 22– 30, hier: 22–25: „Die (Wissenschaft) aber, die sich nicht mit einem bestimmten Sein (περὶ ὄν τι) befaßt und auch nicht mit einem Teil des Seienden (μηδὲ περὶ μέρος τοῦ ὄντος), sondern schlechthin mit dem Seienden, wonach es Seiendes ist, aufgrund dessen auch die bestimmten Seienden Seiende (sind), und die dieses zu ihrem Gegenstand hat, dürfte eine andere als jene (Wissenschaften) sein (ἁπλῶς περὶ τὸ ὂν καθὸ ὄν ἐστι, δι’ ὃ καὶ τά τινα ὄντα ὄντα, καὶ τοῦτο ὑποκείμενον ἔχουσα, ἄλλη ἂν ἐκείνων εἴη)“; ebd. 239, 30 ff.; 240, 3–7: „Solche Prinzipien“, d. h. die für Seiendes, insofern es Seiendes ist, „sind für keinen der einzeln wissenschaftlich erschlossenen Sachverhalte (τῶν … καθ’ ἕκαστα ἐπιστητῶν) Prinzipien, denn die Prinzipien von keinem dieser (Sachverhalte) sind erste Prinzipien (πρῶταί εἰσιν ἀρχαί), für einen jeden dieser (Sachverhalte) nämlich sind die Prinzipien andere. Zeichen dafür ist, daß die Wissenschaften über sie (die einzelnen Sachverhalte) zwar deren Prinzipien, jedoch je andere und nicht dieselben besitzen. Also sind die ersten und höchsten Prinzipien (αἱ πρῶται ἀρχαὶ καὶ ἀκρόταται) Prinzipien für etwas Anderes.“ Auch ebd. 440, 21–441, 14; ebenso Ascl. in Metaph. 224, 27–225, 4; 359, 10–22 Hayduck, oder S. Thomae Aquinatis in duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis expositio, Turin 1950, Nr. 532–533. Vgl. Pietsch (wie Anm. 14), bes. 264–319; A. Schmitt, Wie aufgeklärt ist die Vernunft der Aufklärung? Eine Kritik aus aristotelischer Sicht, Heidelberg 2016, 215 ff.; trotzdem anders Kullmann, Aristoteles als Naturwissenschaftler (wie Anm. 8) 232 ff., 255–264.

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Geleitet und garantiert wird die Wissenschaftlichkeit derartig begründenden Denkens, Erkennens und Darlegens verschiedener Sachgebiete dabei methodisch durch die Einsicht in das ‚voraussetzungslose und sicherste, erkennbarste Prinzip unter allen, über das sich zu täuschen unmöglich ist und das bei jeder wissenschaftlichen Erkenntnis erkannt worden sein muß‘: daß es nämlich „unmöglich ist“, zugleich zu meinen, „daß dasselbe zugleich und zugleich nicht demselben und in derselben Hinsicht zukommt“.35 Dieses Axiom enthält freilich keine Erkenntnis über ein wissenschaftliches Sachgebiet, es ist vielmehr bei allem Forschen, Unterscheiden, Erkennen und Aussagen mitgeliefert und vorausgegangen, es wird bei alledem immer und unhintergehbar angewendet und führt dementsprechend zur Erfassung jener Unterschiede, die Aristoteles auch unter den Wissenschaftsdisziplinen und ihren Sachgebieten, sofern sie Seiendes sind, erkennt: πανταχοῦ δὲ κυρίως τοῦ πρώτου ἡ ἐπιστήμη, καὶ ἐξ οὗ τὰ ἄλλα ἤρτηται, καὶ δι’ ὃ λέγονται. εἰ οὖν τοῦτ’ ἐστὶν ἡ οὐσία, τῶν οὐσιῶν ἂν δέοι τὰς ἀρχὰς καὶ τὰς αἰτίας ἔχειν τὸν φιλόσοφον. – ἅπαντος δὲ γένους καὶ αἴσθησις μία ἑνὸς καὶ ἐπιστήμη, οἷον ἡ γραμματικὴ μία οὖσα πάσας θεωρεῖ τὰς φωνάς· διὸ καὶ τοῦ ὄντος ᾗ ὂν ὅσα εἴδη θεωρῆσαι μιᾶς ἐστὶν ἐπιστήμης τῷ γένει, τά τε εἴδη τῶν εἰδῶν. εἰ δὴ τὸ ὂν καὶ τὸ ἓν ταὐτὸν καὶ μία φύσις τῷ ἀκολουθεῖν ἀλλήλοις ὥσπερ ἀρχὴ καὶ αἴτιον, […]· ταὐτὸ γὰρ εἷς ἄνθρωπος καὶ ἄνθρωπος καὶ ὢν ἄνθρωπος καὶ ἄνθρωπος, καὶ οὐχ ἕτερόν τι δηλοῖ κατὰ τὴν λέξιν ἐπαναδιπλούμενον τὸ εἷς ἐστὶν ἄνθρωπος καὶ ἔστιν εἷς ὢν ἄνθρωπος· […] ὥστε φανερὸν ὅτι ἡ πρόσθεσις ἐν τούτοις ταὐτὸ δηλοῖ καὶ οὐδὲν ἕτερον τὸ ἓν παρὰ τὸ ὄν· ἔτι δ’ ἡ ἑκάστου οὐσία ἕν ἐστιν οὐ κατὰ συμβεβηκός, ὁμοίως δὲ καὶ ὅπερ ὄν τι· ὥσθ’ ὅσαπερ τοῦ ἑνὸς εἴδη, τοσαῦτα καὶ τοῦ ὄντος· περὶ ὧν τὸ τί ἐστι τῆς αὐτῆς ἐπιστήμης τῷ γένει θεωρῆσαι […]. καὶ τοσαῦτα μέρη φιλοσοφίας ἔστιν ὅσαιπερ αἱ οὐσίαι. (Denn) überall (geht) im wesentlichen Sinne die Wissenschaft auf das für sie Erste, und auf das, von dem das Übrige abhängt und wonach man es benennt. Wenn das nun das Sein ist, muß wohl der Philosoph die Prinzipien und Ursachen der Seinsheiten besitzen. Nun gibt es aber von jeder Art (des Seienden) sowohl eine Wahrnehmung als auch ein Wissen eines Einen, wie zum Beispiel die Grammatik, da sie eine ist, alle Laute betrachtet. Deswegen ist auch Sache einer Wissenschaft gattungsmäßig, alle Arten des Seienden, insofern es Seiendes ist, zu betrachten und deren Arten (zu betrachten Sache der Wissenschaft über deren) Arten. Wenn

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Über die βεβαιοτάτη δ’ ἀρχὴ πασῶν περὶ ἣν διαψευσθῆναι ἀδύνατον, nämlich τὸ γὰρ αὐτὸ ἅμα ὑπάρχειν τε καὶ μὴ ὑπάρχειν ἀδύνατον τῷ αὐτῷ καὶ κατὰ τὸ αὐτό, siehe Arist. Met. Γ 3.1005 b 8–34; vgl. Pl. Resp. IV 436 B 5–C 1; 436 E 8–437 A 2.

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Wolfram Brinker also das Seiende und das Eine dasselbe sind und eine Natur dadurch, daß sie sich je gegenseitig mitfolgen wie Prinzip und Bedingung […], denn dasselbe ist ein Mensch und Mensch und seiender Mensch und Mensch, und die Erweiterung des sprachlichen Ausdrucks ‚einer ist Mensch‘ und ‚ist einer seiender Mensch‘ macht nichts Verschiedenes klar, […] wird daher klar, daß die Hinzufügung in diesen (Ausdrücken) auf dasselbe weist und nichts Verschiedenes ist neben dem Seienden das Eine; ferner ist das Sein eines Jeden nicht beiläufiger Weise Eines und ist, was ein bestimmtes Seiendes ist: daher sind die Arten des Einen ebenso viele wie die des Seienden, deren Was-Sein zu betrachten derselben Wissenschaft gattungsgemäß zukommt […]; und es gibt ebenso viele Teile der Philosophie wie es Wesenheiten gibt.36

Die Erste Philosophie erkennt darum als einen ihrer Teile das Sachgebiet der Naturwissenschaft als eine Art des Seienden (οὐσία), deren Erforschung und Verständnis – denn auch die Naturwissenschaft ist nicht der ihr eigene Gegenstand, sondern ihr Wissen von diesem ihr eigenen Gegenstand –, eine Verständigung über die bei ihrer Forschungstätigkeit gebrauchten Begriffe und erkannten Unterschiede ihres Sachgebiets verlangt. Dieselbe Verständigung ist erforderlich, wenn von ‚der Natur‘ die Rede ist: ἐκ δὴ τῶν εἰρημένων ἡ πρώτη φύσις καὶ κυρίως λεγομένη ἐστὶν ἡ οὐσία ἡ τῶν ἐχόντων ἀρχὴν κινήσεως ἐν αὑτοῖς ᾗ αὐτά· ἡ γὰρ ὕλη τῷ ταύτης δεκτικὴ εἶναι λέγεται φύσις, καὶ αἱ γενέσεις καὶ τὸ φύεσθαι τῷ ἀπὸ ταύτης εἶναι κινήσεις. καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως τῶν φύσει ὄντων αὕτη ἐστίν, ἐνυπάρχουσά πως ἢ δυνάμει ἢ ἐντελεχείᾳ. Infolge des Gesagten ist die erste Natur und die im eigentlichen Sinne so bezeichnete das Sein (die Substanz) dessen, was den Ausgangspunkt der Bewegung an sich als es selbst enthält: Denn seine Materie nennt man Natur, weil sie dieses (Sein) aufzunehmen fähig ist, und die Entstehungsprozesse und das Entstehen (nennt man Natur), weil sie von diesem (Sein als ihrem Ausgangspunkt) her Bewegungen sind. Und dies ist der Ausgangspunkt der Bewegung des von Natur Seienden, insofern er (an ihnen) auf bestimmte Weise, (nämlich) der Möglichkeit oder der vollendeten Wirklichkeit nach, enthalten ist.37 Die weiter oben skizzierte, besondere Werde- und Seinsweise des Physischen macht so eine Auseinandersetzung darüber erforderlich, was an ihm als in

36 37

Arist. Met. Γ 2.1003 b 16–1004 a 3; 1003 b 26–29 mit Änderungen nach Ab und Alp. Arist. Met. Δ 4.1014 b 16 ff., hier: 1015 a 13–19; vgl. ebd. Ζ 7, bes. 1032 a 12–27.

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Wörtern, Sätzen und Begriffen oder Literatursorten mehr oder weniger klar bezeichnet und aufgeklärt 38 voneinander unterschieden werden kann. Und diese Unterscheidung ist notwendig, wenn ein begründendes Wissen über die ersten Ausgangspunkte und Ursachen von etwas erlangt werden soll, das zwar als ein tatsächlich Eines, aber als stets mit etwas Zusammengesetztes, Werdendes (und Vergehendes) und somit auch als ein mögliches, nicht unbewegtes Eines erscheint:39 ὥστε εἰ πᾶσα διάνοια ἢ πρακτικὴ ἢ ποιητικὴ ἢ θεωρητική, ἡ φυσικὴ θεωρητική τις ἂν εἴη, ἀλλὰ θεωρητικὴ περὶ τοιοῦτον ὄν, ὅ ἐστι δυνατὸν κινεῖσθαι, καὶ περὶ οὐσίαν τὴν κατὰ τὸν λόγον ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, οὐ χωριστὴν μόνον. Wenn daher alles begründende Denken entweder dem Handeln oder dem Herstellen oder der Betrachtung gilt, dürfte die Naturwissenschaft ein der Betrachtung gewidmetes Denken sein, doch der Betrachtung eines derartig bestimmten Seienden, das bewegt werden kann, und meistenteils (der Betrachtung) des seiner begreifbaren Bestimmtheit nach so bestimmten Seins (Substanz), nur (eben) nicht eines (für sich von Materie) geschiedenen.40 38

39 40

Vgl. etwa Arist. Phys. I 1.184 a 26–b 3, und oben, Anm. 14, ferner Pietsch (wie Anm. 14) 294 (zu Arist. Met. Γ 4.1006 a 31–b 11 und De int. 1.16 a 3–18): Es gehe Aristoteles „um die Identität des begrifflich-gedanklichen Inhaltes mit sich selbst, um das also, was im Bereich des primär auf die erste Kategorie bezogenen Identitätskriteriums (ταὐτόν-ἕτερον) liegt, um die Einheit der noch vor jedem prädikativen Bezug liegenden Sache mit sich selbst, die die Gewähr und die Ursache dafür bietet, daß auch der sprachliche Ausdruck etwas bestimmtes Eines bezeichnen kann, daß er in seiner Bedeutung festgelegt und unmißverständlich ist“; siehe auch Thiel (wie Anm. 14) 40–46. Vgl. Arist. Phys. I 2.184 b 25–185 a 1; II 2.194 b 14 f. Arist. Met. Ε 1.1025 b 25–28; siehe die syntaktische Erläuterung zu 1025 b 27 f. in Alex. Aphr. in Metaph. 444, 13–15 Hayduck: „Nicht das meint er (Aristoteles), daß (die Naturwissenschaft) sowohl über (von Materie) Geschiedenes (περὶ χωριστόν) als auch über (von Materie) Ungeschiedenes (περὶ ἀχώριστον) handelt, vielmehr sagte er ‚nicht geschieden nur‘ anstatt ‚nur nicht geschieden‘, oder eben: über ein nur ungeschiedenes bestimmtes Sein und (ein Sein), das nicht von der Materie abgeschieden werden kann (ἤτοι περὶ οὐσίαν μόνον ἀχώριστον καὶ μὴ δυναμένην χωρίζεσθαι τῆς ὕλης).“ Siehe Happ (wie Anm. 17) 559–677, hier bes.: 615–630. Vgl. Anm. 39; ferner Phys. II 2.193 b 22 ff.; Met. Ε 1.1026 a 13 f.: ἡ μὲν γὰρ φυσικὴ περὶ χωριστὰ [Schwegler] μέν, ἀλλ’ οὐκ ἀκίνητα. Dazu, daß die Emendation Schweglers gegen die Überlieferung ἀχώριστα jedenfalls nicht notwendig ist, siehe V. Décarie, La physique porte-t-elle sur des non-separées?, Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques 38, 1954, 466–468; J. P. Anton, Aristotle’s theory of contrariety, London 1957, 21; P. Aubenque, Le problème de l’être chez Aristote. Essai sur la problématique aristotélicienne, Paris 1962, 36, Anm. 2; Pietsch (wie Anm. 14) 276 f., Anm. 93 und 94, ferner 278. Vgl. auch die Erläuterung in Alex. Aphr. in Metaph. 444, 1–15; 445, 19–32 Hayduck. Zum Unterschied zwischen Mathematik und Physik bei Aristoteles G. Radke, Die Theorie der Zahl im Platonismus. Ein systematisches Lehrbuch, Tübingen/Basel 2003, 310–313 (zu De an. III 7.431 b 15–17).

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Aristoteles meine also, so Alexander von Aphrodisias in seinem Kommentar zur oben angeführten Stelle aus Arist. Met. Δ 4:41 ὥσπερ εἶπε καὶ ἐν τῇ Φυσικῇ ἀκροάσει, φύσιν κυρίως εἶναι τὸ ἔνυλον εἶδος, ἀφ’ οὗ ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως τῷ συναμφοτέρῳ, τὴν δὲ ὕλην καὶ τὰ ἄλλα, καθ’ ὧν καὶ αὐτῶν ἡ φύσις λέγεται, ἀπὸ ταύτης λέγεσθαι φύσιν, τὴν μὲν ὕλην, ὅτι δεκτικὴ αὐτοῦ ἐστι, τὰς δὲ γενέσεις τε καὶ φύσεις τῷ ἀπὸ ταύτης κινήσεις εἶναι· διὰ γὰρ τὸ εἶδός τε καὶ τὴν δύναμιν τὴν ἐν αὐτοῖς φύεται τὰ φυόμενα. προστίθησι δὲ ὅτι καὶ ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως τῶν φύσει ὄντων αὕτη ἐστὶν ἐνυπάρχουσά πως. ἐξηγούμενος δὲ τὸ πῶς προσέθηκε τὸ δυνάμει ἢ ἐνεργείᾳ, δυνάμει μέν, ὡς ἐν τῷ σπέρματι τῷ καταβληθέντι ἡ ψυχή, ἐνεργείᾳ δέ, ὅταν ἤδη ζῷον ᾖ. γένεσις δὲ ἀρχὴ τῆς κινήσεως πᾶσι τοῖς φυσικοῖς τὸ ἔνυλον εἶδος. εἰκότως οὖν τοῦτο κυρίως φύσις· ἦν γὰρ φύσις ἡ τῆς κινήσεως ἀρχή. σημειωτέον δὲ ὅτι ὧν ἕκαστον διαιρεῖ ὡς λεγόμενον πολλαχῶς, οὐχ ὡς ὁμώνυμον, ἀλλ’ ὡς τὸ ἀφ’ ἑνὸς καὶ πρὸς ἓν ἔχον. Wie er auch in der Physik-Vorlesung sagte, sei Natur im eigentlichen Sinne das bestimmte Sein an Materie, von dem her dem Ganzen, der Einheit aus Materie und Sein (ebd. 359, 12–14), der Ausgangspunkt seiner Bewegung (zukommt), die Materie jedoch und das übrige, von dem man auch als deren Natur spricht, werde von diesem (Ausgangspunkt) her Natur genannt: die Materie, weil sie es (das bestimmte Sein) aufnehmen kann, die Entstehungen und die Entfaltungen, weil sie von diesem (Ausgangspunkt) her Bewegungen sind: Wegen des bestimmten Seins nämlich und dem Vermögen in ihnen entfaltet sich, was sich natürlich entfaltet. Und er setzt hinzu: ‚Und dieses ist der Ausgangspunkt der Bewegung des von Natur Seienden, insofern er (in ihnen) auf gewisse Weise enthalten ist‘: zur Erklärung des ‚auf gewisse Weise‘ setzte er das ‚der Möglichkeit oder der vollendeten Wirklichkeit nach‘ hinzu, der Möglichkeit nach, wie beim ausgestreuten Samen (Ausgangspunkt der Bewegung des von Natur Seienden) die Seele ist, der vollendeten Wirklichkeit nach, wenn schließlich ein Lebewesen (entstanden) ist. Ausgangspunkt ihrer Bewegung ist aber für alle natürlich Entstehenden ihre Entstehung im Hinblick auf das Sein an Materie: einsichtiger Weise also ist dieses im eigentlichen Sinne Natur, denn Natur war der Ausgangspunkt der Bewegung. Man muß aber kenntlich machen, daß er ein jedes von dem, was er als ein in mehrfachem Sinne Gesagtes unterscheidet, nicht als ein Homonym, sondern als etwas (versteht), was sich von Einem her und mit Blick auf Eines so verhält.42 41 42

Arist. Met. Δ 4.1015 a 13–19. Alex. Aphr. in Metaph. 359, 11 ff. Hayduck, hier: 360, 4–16, zu Arist. Met. Δ 4.1014 b 16 ff., 1015 a 13–19. ‚Nicht als ein Homonym‘, siehe ebd. 240, 33–242, 3, hier: 241, 15–

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Als zu einem zusammengesetzten Ganzen aus Teilen fordert der erkennende Zugang zu Physischem, zu seinen Prinzipien und deren Bestimmung nach bestimmten Hinsichten folglich besondere Aufmerksamkeit, auf die Alexanders Bemerkung am Ende deswegen eigens hinweist. Denn es scheint zwar ausgemacht zu sein, daß das „bestimmte Sein an Materie“ (τὸ ἔνυλον εἶδος) Erkenntnis und Sein begründendes Prinzip physischer Objekte ist, weil es dem physischen, zu diesem zusammengesetzten Ganzen (συναμφότερον) Gewordenen Vollendung und Einheit verleiht. Da aber mit Werden Vergehen einhergeht, hingegen mit dem εἶδος nicht, sind physische Gegenstände, insofern sie als wahrnehmbare Einzelne dem Werden und Vergehen unterworfen sind, in gewisser Hinsicht nicht Gegenstände wissenschaftlicher Beweisführung, also einer Wesensdefinition und des Wissens. Sofern sie vielmehr etwas enthalten, dessen Natur (φύσις) darin besteht, „daß sie etwas sein und nicht sein können“, sind sie Gegenstände der Meinung. Deswegen dürfe man, „wenn man auf eine Bestimmung abzielt und etwas von den (wahrnehmbaren) Einzeldingen bestimmt, nicht verkennen, daß stets möglich ist, das aufzuheben (ἀναιρεῖν).“ 43 In Hinsicht auf diesen Gesichtspunkt und diesen Teil des Ganzen eines physischen, wahrnehmbaren Gegenstandes kann also immerhin gesagt werden, daß ihm keine Notwendigkeit und unveränderliche Bestimmtheit zukommt, außer prinzipiell die, der Möglichkeit nach etwas zu sein. Ferner kann gesagt werden, daß von ihm selbst her gesehen für diesen Gegenstand zwar keine notwendige Verbindung zu einer eidetischen Sachbestimmtheit besteht; er kann aber in dem einzelnen physischen Ganzen dadurch, daß er eine Sachbestimmtheit erhält, als Teil dieses Ganzen begrifflich ausgemacht und erkannt werden. Er kann nämlich (und auch nicht nur solange das physische einzelne Ganze in Zeit und Raum existiert) zum Beispiel als von anderem derselben Art unterscheidbar sein und als unterschieden begrif-

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27, verstehe Aristoteles, was er unterscheide, insofern „die Dinge, die von Einem her und mit Blick auf Eines angesprochen werden, hinsichtlich des Ausgesagten weder die Gleichwertigkeit der Synonyme gegeneinander bewahren noch wiederum die vollkommen unvereinbare Verschiedenheit der Homonyme an sich haben, sie vielmehr eine bestimmte Gemeinsamkeit haben gemäß dem, daß sie die sind, als die sie angesprochen werden, weil es ein bestimmter Wesenszug jener (gemeinten) Sache ist, und dieser an ihnen allen in gewisser Weise erkannt wird, von der her sie sind oder mit Blick auf die sie einen Inbegriff haben und deswegen auch deren Bezeichnung gemein haben. […] Nicht nur nämlich haben solche (in Rede stehenden) und sich so gegeneinander verhaltenden Dinge eine Bezeichnung gemeinsam, wie die im strengen Sinne Homonyme genannten, das heißt zufällig, sondern sie enthalten auch einen Grund, auf einander gleiche Weise bezeichnet zu werden.“ Siehe auch etwa Simp. in Cat. 32, 3–19 Kalbfleisch, bes. 12–19. Arist. Met. Ζ 8 und 15.1039 b 20–1040 a 7, hier: 1039 b 29–30 und 1040 a 5–7; ferner ebd. Λ 10.

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fen werden.44 Dieser Sachbestimmtheit kommt es daher zu, eine solche Unterscheidbarkeit zu ermöglichen und die Erkennbarkeit physischer Einzeldinge auszumachen. Ähnlich wie mit dem eben genannten Gesichtspunkt verhält es sich aber auch mit dem physischen „bestimmten Sein an Materie“ selbst, der Sachbestimmtheit rein als solcher. Als Teil nämlich eines einzelnen physischen Ganzen ist sie ‚teilhaft‘, abgetrennt und unterscheidbar von ihrer wesentlichen, reinen Bestimmtheit, von dem, was sie an ihr selbst ist. In dieser Hinsicht ist auch sie einerseits der Möglichkeit nach alles das, was sie als diese Sachbestimmtheit von ihr selbst her immer und nur ist, aber in einem physischen, einzelnen Ganzen ihrer Vollendung nach nicht ist, noch sein kann: kein Mensch ist ‚Mensch‘, das heißt ‚der Mensch‘, kein Dreieckiges oder Dreieck ist ‚Dreieck‘, das heißt ‚das Dreieck‘; andererseits ist jede Sachbestimmtheit der Möglichkeit nach für den, der sich um ihre Erkenntnis bemüht, das, was von ihr, das heißt von ihrem vollendeten Sein als Erkenntnisgrund her, wissenschaftlich erfaßt und hergeleitet werden kann. Mit Blick auf die Bestimmung physischer Gegenstände ergeben sich somit weiter differenzierte Beobachtungen: δεῖ δὲ τὸ τί ἦν εἶναι καὶ τὸν λόγον πῶς ἐστὶ μὴ λανθάνειν, ὡς ἄνευ γε τούτου τὸ ζητεῖν μηδέν ἐστι ποιεῖν. ἔστι δὲ τῶν ὁριζομένων καὶ τῶν τί ἐστι τὰ μὲν ὡς τὸ σιμόν, τὰ δ’ ὡς τὸ κοῖλον. διαφέρει δὲ ταῦτα, ὅτι τὸ μὲν σιμὸν συνειλημμένον ἐστὶ μετὰ τῆς ὕλης, ἔστι γὰρ τὸ σιμὸν κοίλη ῥίς, ἡ δὲ κοιλότης ἄνευ ὕλης αἰσθητῆς. εἰ δὴ πάντα τὰ φυσικὰ ὁμοίως τῷ σιμῷ λέγονται, οἷον ῥὶς ὀφθαλμὸς πρόσωπον σὰρξ ὀστοῦν· ὅλως ζῷον, φύλλον ῥίζα φλοιός· ὅλως φυτόν, οὐθενὸς γὰρ ἄνευ κινήσεως ὁ λόγος αὐτῶν, ἀλλ’ ἀεὶ ἔχει ὕλην· δῆλον πῶς δεῖ ἐν τοῖς φυσικοῖς τὸ τί ἐστι ζητεῖν καὶ ὁρίζεσθαι, καὶ διότι καὶ περὶ ψυχῆς ἐνίας θεωρῆσαι τοῦ φυσικοῦ, ὅση μὴ ἄνευ τῆς ὕλης ἐστίν. Wie es sich jedoch mit dem Was-das-bestimmte-Sein-War und der begrifflichen Bestimmtheit verhält, darf nicht verborgen bleiben, weil ja ohne dies das Suchen ergebnislos ist: Von dem (definitorisch) Bestimmten und von dem Was-(bestimmte Seiende)-Sind verhalten sich die einen wie das Krummnasig, die anderen wie das Krumm: und sie unterscheiden sich, weil das Krummnasig ein zusammen mit der Materie Begriffenes ist, denn das Krummnasig ist eine krumme Nase, die Krummheit jedoch ist ohne wahrnehmbare Materie. Wenn also alles Physische auf gleiche Weise wie das Krummnasig angesprochen wird, wie zum Beispiel Nase, Auge, Gesicht, Fleisch, Knochen, im Ganzen: Lebewesen; Blatt, Wurzel, Rinde, im

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Er ist ja deshalb nicht Nichtseiendes, siehe Anm. 42; vgl. etwa auch Arist. Met. Ζ 7.1032 a 20–24.

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Ganzen: Pflanze, denn die begriffliche Bestimmung keines von ihnen enthält nicht Bewegung, sondern immer Materie: dann ist klar, wie man beim Physischen das Was-etwas-Bestimmtes-Ist suchen und wie es definiert werden muß, und warum es Aufgabe des Naturwissenschaftlers ist, auch einiges (Wissen)45 über die Seele in seine Betrachtung einzubeziehen, soweit sie nicht ohne die Materie ist.46 Physische Sachbestimmtheit, über die der Naturwissenschaftler – angesichts des Werdens und Vergehens physischer Einzeldinge in Zeit und Raum – ein annähernd begründetes Wissen erwerben will, wird nicht ohne Materie bestimmt. Denn physische Sachbestimmtheit wird nicht ohne ein ihr Zugrundeliegendes als ihre Materie verstanden, wie zum Beispiel das ‚Krummnasig‘ (τὸ σιμόν) nicht ohne ‚Nase‘, diese aber auch nicht ohne dieses ‚Krumm‘; ‚Nase, Auge, Gesicht, Fleisch, Knochen‘ nicht ohne ‚Lebewesen‘, aber auch (endliches) ‚Lebewesen‘ nicht ohne seine Organe; ‚Blatt, Wurzel, Rinde‘ nicht ohne ‚Pflanze‘, und auch ‚Pflanze‘ nicht ohne ihre Organe. Physische Sachbestimmtheit unterscheidet sich demnach hier von mathematischer Sachbestimmtheit insofern, als physischer Sachbestimmtheit jeweils etwas als ihre Materie zugrundeliegt, mathematischer Sachbestimmtheit hingegen, also etwa hier dem Krummen, nicht, jedenfalls nicht in derselben Weise. Das scheint aber doch zu bedeuten: mathematischer Bestimmtheit liegt insofern nicht etwas Bestimmtes zugrunde (und muß für das Erkennen insofern nicht etwas zugrundeliegen), als sie ja weder nur und allein noch zuerst (πρώτως) als physische Sachbestimmtheit, an etwas Physischem, begriffen wird und immer als eine solche Form eines physischen Einzelnen vorkommt. Das ‚Krumm‘ ist nicht nur als eine solche Formbestimmtheit, an der Gestalt der Erde, eines Zahnrades oder einer Töpferscheibe zusammen mit der Wahrnehmung begreifbar. Es ist auch, wie Krummheit überhaupt, etwas, was von einem von ihr bestimmten, wahrnehmbaren physischen Einzelnen getrennt vorgestellt und gedacht wird, etwa als an einer Verbindung zweier Punkte (Linie), bei der Abstand und Länge nicht gleich sind. Aus der Betrachtung dieser Formbestimmtheit als solcher wird also über das, was die Erde, ein Zahnrad, eine Töpferscheibe oder auch das ‚Krummnasig‘ sind, nicht aufgeklärt, und es wird dadurch auch nicht auseinandergesetzt und dargestellt werden können.47 Die Formbestimmtheit wird aber wohl dargestellt, wenn 45

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Der Aristoteles-Text hat 1026 a 5: ἐνίας, womit sich Aristoteles hier wohl auf ein hinzugedachtes ἐπιστήμας bezieht, wie übersetzt. W. Jaeger stellt im Apparat seiner Edition, Oxford 1957, ad loc. anheim: „an ἔνια? cf. Part. an. 641b9–10“. Arist. Met. Ε 1.1025 b 28–1026 a 6; vgl. ebd. Κ 7.1063 b 36–1064 b 14; Top. 6.145 a 15 f.; ferner Phys. II 2. Siehe Alexander von Aphrodisias in Anm. 33. Etwas wird krumm genannt, da es in dieser Hinsicht formbestimmt ist, man kann an dieser Formbestimmtheit also Bestimmendes und

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sie als wahrnehmbarer Teil eines Ganzen begriffen zusammen mit dem ihr Zugrundeliegenden in dessen Bestimmung aufgenommen und wenn nach dessen wesentlicher, erkenntnisbegründender Bestimmung, dem „Was-dasbestimmte-Sein-War und der begrifflichen Bestimmtheit“ gefragt und gesucht wird.48 Angesichts dieser Schwierigkeiten ist daher verständlich, wenn Aristoteles in der Darstellung seines Verständnisses von Wissen etwa ‚Grade der Exaktheit in der Darstellung einer Disziplin‘ unterscheidet und eine ‚Distinktion‘ etwa der Phänomenologie als des ‚Daß von etwas‘ (ὅτι beziehungsweise φαινόμενα) und der Aitiologie als des ‚Warum von etwas‘ (διότι beziehungsweise αἴτια)49 vornimmt, wonach an den biologischen Schriften der verschiedentlich beschriebene Unterschied der Faktensammlung und Faktendeutung beziehungsweise Faktenerklärung ausgewiesen wird.50 Nach Met. Ε 1 jedenfalls gilt für alles wissenschaftliche Denken, daß es erste Prinzipien und Ursachen von etwas aufsucht, und seine Darstellung richtet sich dabei nach ‚Graden der Abstraktion‘, genauer: nach den spezifischen Unterschieden ihrer Gegenstände. Der Wissenschaftler, der sein Erkennen am genauesten an dem ausrichtet, was einem, das als etwas Bestimmtes erkannt wird, den Erkenntnis- und Sachgründen gemäß jeweils zuerst (πρώτως) zukommt, das heißt nach dem, was dem Erkennenden bekannt und der Natur der Sache nach bekannt werden kann, liefert auch ‚genauere und einfachere Prinzipien‘. Er liefert ‚genauere und einfachere Prinzipien‘, durch die das Erkennen beziehungsweise sein Sachgegenstand jeweils bestimmt wird und durch die dieser bestimmte Gegenstand methodisch durchsichtig auch allgemein dargestellt werden kann.51

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Bestimmtes unterscheiden; beim ‚Krummnasig‘ liegt eine Formbestimmtheit vor, an der das Bestimmende und Bestimmte nicht getrennt werden kann, ohne daß dieses bestimmte Seiende seine hier in dieser Weise vorliegende Erkennbarkeit verliert. Siehe oben, Arist. Met. Ε 1.1025 b 28–1026 a 6, hier: 1025 b 28 f. Vgl. etwa Simp. (wie Anm. 27) in Ph. 3, 5–10 Diels. Vgl. etwa Flashar (wie Anm. 1), 383 f.: „Dabei wird die Darstellung des Faktischen als ein Anstieg zu den Prinzipien und zur Ebene des Begrifflichen, die Aitiologie aber als ein Abstieg von den Prinzipien (der jeweiligen Wissenschaft) angesehen“, „die Frage nach den Fakten geht der Frage nach der Ursache voraus“, mit Verweis auf Arist. Anal. post. II 1.89 b 29 (ὅταν δὲ εἰδῶμεν τὸ ὅτι, τὸ διότι ζητοῦμεν, siehe ergänzend ebd. b 34: γνόντες δὲ ὅτι ἔστι, τί ἐστι ζητοῦμεν), und mit G. E. L. Owen, τιθέναι τὰ φαινόμενα, in: S. Mansion (Hrsg.), Aristote et les problèmes de méthode. Communications présentées au Symposium Aristotelicum tenu à Louvain du 24 août au 1 septembre 1960, Louvain/Paris 1961, 83–103; siehe auch W. Kullmann, Wissenschaft und Methode. Interpretationen zur aristotelischen Theorie der Naturwissenschaft, Berlin/New York 1974, 122 ff., 163 ff., 204 ff.; vgl. dens. (wie Anm. 17) 55 ff., 213 ff.; dens., Aristoteles als Naturwissenschaftler (wie Anm. 8) 236 ff.; danach Meyer (wie Anm. 9) 268 ff. Siehe Arist. Anal. post. I 27.87 a 31–37: „Ein genaueres aber und früheres Wissen als ein (anderes) Wissen ist das, das als dasselbe das Daß (etwas etwas Bestimmtes ist) und das

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Führte man nun die Naturwissenschaften mit Aristoteles’ Standardbeispiel des ‚Krummnasig‘ (τὸ σιμόν) im hier dargebotenen Zusammenhang unter der allgemeinen und ungenauen Hinsicht zusammen, daß sie wesentliche Bestimmungen sogenannter physischer ‚Phänomene‘ oder ‚Fakten‘ nicht ohne eine ihnen je zugrundeliegende Materie vornehmen, ergibt sich der Umstand, daß für deren Wesensbestimmung nicht zutrifft, was für eine Wesensbestimmung, wenn sie Wesenserkenntnis ausmachen soll, gefordert ist. Gefordert ist nämlich, daß definienda als sie selbst und schlechthin bestimmt und nicht nur nach etwas Anderem benannt oder dargestellt werden, das ihre Sachbestimmtheit nicht ausmacht und etwas Anderes ist, als sie selbst sind. Das hieße also, daß definienda nicht als Gattungs- und Artunterschiede bestimmt werden können, wenn sie in ihrer Wesensbestimmung als sie selbst enthalten sind.52 Wenn es daher Wesensbestimmungen schlechthin (als von ihnen selbst) von Gattungs- und Artunterschieden in bestimmtem Sinne gibt und in abgeleitetem Sinne auch von dem, was ihnen beigelegt werden kann (‚gebildet‘, ‚weiß‘, ‚krumm‘),53 gibt es jedenfalls in gewisser Weise keine von physischer Sachbestimmtheit, wenn in ihr das ihr Zugrundeliegende mit bestimmter Hinsicht aufgenommen ist:54 Denn ‚krummnasig‘ kommt als es selbst der

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Weshalb (etwas etwas Bestimmtes ist) enthält, aber nicht das Daß getrennt von dem (Wissen) des Weshalb, und das (Wissen), das nicht von einem Zugrundeliegenden ist, (ist genauer und früher) als das, was von einem Zugrundeliegenden ist, wie zum Beispiel die Arithmetik (genauer und früher ist) als die Harmonik; und es ist (genauer und früher) das (Wissen) aus Wenigerem als das aus Zusetzung, wie zum Beispiel die Arithmetik (genauer und früher ist) als die Geometrie. Ich verstehe aber unter ‚aus Zusetzung‘ zum Beispiel: (arithmetische) Einheit (ist) ungesetzte, hingegen Punkt gesetzte Seinsheit (Substanz), dieses (Wissen verstehe ich unter) ‚aus Zusetzung‘.“ Vgl. auch Alex. Aphr. in Metaph. 441, 6–10 Bruns und Ascl. in Metaph. 359, 15–20 Hayduck. Wenn Asklepios 359, 17 auch die Logik (λογική) nennt, dann, im Zusammenhang mit der Aristotelesstelle, vielleicht deswegen, weil die Syllogistik sich unterschiedlichster Inhalte bedient, diese aber nicht selbst jeweils für sich darstellt oder beweist, vgl. über die Dialektik in diesem Sinne Pietsch (wie Anm. 14) 145–147. Zu Arist. Anal. post. II 1.89 b 29, siehe Anm. 50, ferner Pietsch (wie Anm. 14) 99. Nach Thomas von Aquino (wie Anm. 33) Nr. 1146, erlaubt die oben zitierte Passage aus Arist. Met. Ε 1.1025 b 3–7 von hierher eine wie folgt differenzierte Auslegung: Quae quidem principia aut sunt certiora quo ad nos sicut in naturalibus, quia sunt propinquiora sensibilibus, aut simpliciora et priora secundum naturam, sicut est in mathematicis. Cognitiones autem, quae sunt sensitivae tantum, non sunt per principia et causas, sed per hoc, quod ipsum sensibile obiicitur sensui. Discurrere enim a causis in causata vel e contrario, non est sensus, sed solum intellectus. Vel certiora principia dicit ea, quae sunt magis nota et exquisita. Simplicia autem ea, quae magis superficialiter exquiruntur, sicut est in scientiis moralibus, quorum principia sumuntur ex his, quae sunt ut in pluribus. Siehe Arist. Met. Ζ 3–6, hier: 3.1029 a 33 ff.; 4.1029 b 13–22; 1030 a 3–17. Siehe Arist. Met. Ζ 4.1030 a 17-b 13, ebd. 6.1031 b 22–28; siehe ferner ebd. Ζ 12; Η 2.1042 b 31–1043 a 1; vgl. auch oben Anm. 42. Siehe Arist. Met. Ζ 5.1030 b 28–1031 a 14.

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Nase zu, wie ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ dem Lebewesen, ‚gleich‘ der Menge oder ‚gerade‘ und ‚ungerade‘ der Zahl: alle nehmen das ihnen Zugrundeliegende (‚Nase‘, ‚Lebewesen‘, ‚Menge‘, ‚Zahl‘) in ihre Bestimmungen auf, indem es als in ihnen schon Enthaltenes in der Bestimmung hinzugesetzt wird.55 Sie erhalten also weder eine Wesensbestimmung schlechthin durch sie selbst noch eine in abgeleitetem Sinne, insofern bei dem Versuch ihrer Bestimmung durch die Wiederaufnahme des in ihnen schon enthaltenen Zugrundeliegenden ein infiniter Regress entsteht, etwa ‚krummnasige Nase ist krummnasige Nase oder Krümmung der Nase an der Nase‘.56 Die Meinung, solche Phänomene oder Fakten, wie sie hier anhand Met. Ε 1 umschrieben wurden, durch eine Wesensbestimmung begreifen zu können, birgt offenbar Schwierigkeiten und entsteht offenkundig deswegen, weil man in etwas an einem physischen Einzelnen, das bei seiner Untersuchung zuerst bekannt wird, eine substanzielle Wesenheit erkennt. Indessen ist aber nur eine wahrnehmbare Qualität von einem physischen Einzelnen abstrahiert worden, und zwar von einem Teil eines Lebewesens (Nase), der diese Qualität nicht einmal insofern besitzt, als er dieser bestimmte Teil, nämlich Riechorgan, ist, sondern insofern er eine körperliche Ausprägung besitzt. Daher gehören auch nicht alle Teile oder teilhaften Momente an einem physischen Objekt (einem subiectum, Zugrundeliegenden) in gleicher Hinsicht in die Wesensbestimmung, die der Naturwissenschaftler von ihm zu liefern hat, sondern von dem dieser Wesensbestimmung Zugrundeliegenden nur die, die eine physische Sachbestimmtheit nach ihren Gattungs- und Artunterschieden als diese eine, einheitlich bestimmte begreifbar machen. Wenn im Gebiet des Unbelebt-Anorganischen zum Beispiel nach einem solchen Unterschied an mineralischen Verbindungen gesucht wird, nennt man Chrysoberyll 57 ein Mineral (BeAl2O4) von einer bestimmten Gestalt, die dann entsteht, wenn seine Elemente Beryllium, Aluminium und Sauerstoff in bestimmter Gesteinslage mit ihren atomaren Eigenschaften zu einer orthorhombisch-dipyramidalen Anordnung kristallisieren. Dieses Mineral kennt Varietäten (das sogenannte Alexandrit), orthorhombisch-dipyramidal angeordnete Kristalle weisen ansonsten auch etwa die Minerale Topas oder Anhydrit auf, schließlich treten Beryllium, Aluminium und Sauerstoff auch noch in anderen Verbindungen auf. Man wird deshalb das Chrysoberyll zwar allgemein bestimmen, indem man es in der angeführten Weise als Mineral unter Einbeziehung der ihm zugrundeliegenden Elemente, als ein Ganzes aus Teilen bestimmt; man wird

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Siehe Arist. Met. Ζ 5.1030 b 14–28; vgl. Anal. post. I 4.73 a 34–b 24. Siehe Arist. Met. Ζ 5.1030 b 28–1031 a 1; vgl. Soph. el. 31.181 b 35–182 a 6. Nach H. Strunz; E. H. Nickel, Strunz Mineralogical Tables, Stuttgart 92001.

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es aber erst dann als Chrysoberyll, insofern es Chrysoberyll ist, erkennen, wenn man seinen wesentlichen Unterschied zu von ihm verschiedenen mineralischen Ausprägungen und anderen Elementverbindungen seiner Teile methodisch erfaßt. Das heißt, erkennen wird man es nicht, wenn man sich dabei nur an einem Begriff vom Chrysoberyll orientiert hat, der auf das blickt, was es mit anderen gemein hat, also ein Mineral zu sein, ein Oxid und Hydroxid zu sein, eine bestimmte raumgeometrische Ausprägung zu sein, kein Lebewesen zu sein u. ä.58 Man wird es vielmehr erst erkennen, wenn man erfaßt, was von einem Ausgangspunkt einer Entstehung durch verschieden mitwirkende Ursachen59 aus den beteiligten zugrundeliegenden Elementen mit dieser raumgeometrischen Ausprägung an dem Endpunkt, da die Bewegung zum Stehen kommt, zugleich und spezifisch unterscheidbar auftritt. Damit wird man das, mit Aristoteles’ Ausdruck, „was etwas war, etwas Bestimmtes zu sein“, das Chrysoberyll (εἶδος), seiner begreifbaren Wirklichkeit (ἐντελέχεια, ἐνέργεια) nach erkannt haben. Simplikios kann daher in seinem Kommentar zur aristotelischen Physik den von Aristoteles ausgearbeiteten, schwierigen Inbegriff physischer Sachbestimmtheit und der Existenzweise der Natur, wie folgt, erläutern und zusammenfassen: […] τὸ γινόμενον πᾶν ἐξ ὑποκειμένου τε γίνεται τινὸς δυνάμει ὄντος τοῦτο, ὅπερ μέλλει γίνεσθαι καὶ ὑπὸ τοῦ ποιοῦντος ἐνεργείᾳ ὄντος, καὶ χρεία ἀμφοῖν πρὸς τὸ ἀποτέλεσμα. καὶ διὰ τοῦτο ἡ φύσις, κἂν ἐπιτηδειότης ἐστὶ τοῦ ὑποκειμένου, λέγεται ποιεῖν ὡς συντελοῦσα πρὸς τὸ ἀποτέλεσμα· καὶ ὅταν λέγῃ αὐτὴν ἕνεκά του ποιεῖν, ὡς τῆς τῶν φυσικῶν γενέσεως εἰς τέλος ὡρισμένον ὁρώσης λέγει καὶ μὴ ἀπὸ τύχης ἢ ἐκ ταὐτομάτου γινομένων, ἀλλ’ ὡς πεφυκότων οὕτω γίνεσθαι ὡς γίνονται. λέγει γοῦν ἐν τούτῳ τῷ βιβλίῳ, ὅτι ἐν οἷς τέλος τί ἐστι, τούτου ἕνεκα πράττεται τὸ ἕτερον καὶ τὸ ἐφεξῆς. οὐκοῦν ὡς πράττεται, οὕτως πέφυκε, καὶ ὡς πέφυκεν οὕτω πράττεται ἕκαστον, ἐὰν μή τι ἐμποδίσῃ. ὁρᾷς οὖν, ὅτι τὸ πεφυκὸς τοῦτο λέγει εἶναι τὸ φυσικόν. […]. ἀλλ’ ὁ μὲν Ἀριστοτέλης οὕτως ἐκ τῆς διαφορᾶς τῶν φύσει πρὸς τὰ μὴ φύσει τὴν τῆς φύσεως εὗρεν ὑπόστασιν. […]. ἀλλ’ ὁ Ἀριστοτέλης οὔτε τὴν ὕλην καθ’ ἑαυτὴν ἠξίωσε λέγειν φύσιν, ὑποκείμενον γὰρ ἀδρανὲς καθ’ αὑτήν ἐστιν ἡ ὕλη, οὔτε τὸ εἶδος, φυσικὸν γὰρ τοῦτό ἐστι καὶ οὐ φύσις· ἀλλὰ τὴν ἐπιτηδειότητα τὴν πρὸς τὴν οἰκείαν κίνησιν καὶ μεταβολὴν τῆς ὕλης, ὅταν ἐκ τοῦδε τοῦ εἴδους εἰς τόδε μεταβάλλῃ, φύσιν εἶπε. καὶ γὰρ καὶ ἡ ἀποβολὴ καὶ ἡ μετάληψις τοῦ εἴδους κατὰ τὴν φυσικὴν ἐπιτηδειότητα γίνεται τῇ ὕλῃ. καὶ τὸ εἶδος δὲ κατὰ τὴν ἑαυτοῦ φύσιν καὶ γίνεται ἐκ τοῦ ἀντικειμένου καὶ γενόμε-

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Vgl. Arist. Met. Ζ 13, dazu Thiel (wie Anm. 14) 58–66; ferner oben, Anm. 28. Siehe Arist. Phys. II 2–3.

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Wolfram Brinker νον σῴζεται καὶ κινεῖται πάσχον τε καὶ ποιοῦν, μᾶλλον δὲ παθητικῶς ἐνεργοῦν. ὥστε καὶ ἡ ὕλη καὶ τὸ εἶδος φυσικὰ μέν ἐστι, φύσις δὲ οὐδέτερον, ὁμοίως δὲ οὐδὲ τὸ σύνθετον. μᾶλλον δὲ τῆς ὕλης εἴη ἂν τὸ εἶδος φύσις διὰ τὸν χαρακτῆρα καὶ τὴν δύναμιν, καὶ τὸ σύνθετον δὲ μᾶλλον τῆς ὕλης διὰ τὸ εἶδος, ἐπειδὴ φυσικὸν ὅλως τότε γίνεται τόδε ἢ τόδε, ὅταν ἀπολάβῃ τὸ εἶδος. ἡ γὰρ ὕλη καθ’ αὑτὴν ἀδιόριστός ἐστιν, ἐπιτηδειότης δὲ οὖσα πρὸς τὴν τοῦ εἴδους ὑπόστασιν ἡ φύσις προϋπάρχει μέν πως τοῦ εἴδους εἰκότως δυνάμει οὖσα ἐν τῇ ὕλῃ, προϋποφαίνει δὲ ἐν ἑαυτῇ τὸ εἶδος φύσις οὖσα αὐτοῦ καὶ οἷον ἔκφυσις καὶ ἀναβλάστησις ἀπὸ τῆς ὕλης. […] Alles Entstehende entsteht aus einem Zugrundeliegenden, das der Möglichkeit nach das ist, was entstehen wird, und zwar durch das, was (es dazu) macht, insofern es der Wirklichkeit nach (dieses) ist. Für das Vollendete ist beides nötig. Und deswegen sagt man, die Natur, selbst wenn sie die Geeignetheit des Zugrundeliegenden ist, bringe hervor, weil sie auf das Vollendete hin vollendet, und wenn er (Aristoteles) sagt, sie bringe um eines Bestimmten willen hervor, meint er, daß das Physische, insofern seine Entstehung gleichsam auf ein bestimmt umgrenztes Ende hinsieht und es nicht zufällig oder von selbst entsteht, sondern insofern es geworden ist, so (auch) entstehe, wie es entsteht. Folglich sagt er in diesem Buch (Phys. II 8.199 a 8–11): ‚Worin ein bestimmtes Ende ist, wird um dieses willen das eine und folgende ausgeführt. Wie es also ausgeführt wird, so ist es geworden, und wie es geworden ist, so wird ein jedes ausgeführt, wenn nicht etwas daran hindert.‘ Man sieht also, daß er mit diesem Gewordenen das Physische meint. […] So hat Aristoteles aus dem Unterschied des von Natur (Seienden) zum nicht von Natur (Seienden) die Existenzweise der Natur gefunden. […] Aristoteles hielt es aber für richtig, weder die Materie an sich Natur zu nennen, die Materie ist ja an sich selbst ein Zugrundeliegendes ohne Formkraft, noch das bestimmte Sein, denn dies ist naturfähig und nicht Natur, vielmehr nannte er Natur die Geeignetheit zu der eigentümlichen Bewegung und Veränderung der Materie dann, wenn sie aus diesem so bestimmten Sein zu jenem so bestimmten wechselt. Denn auch das Verlieren und die Aufnahme des bestimmten Seins erfolgt an der Materie gemäß ihrer physischen Geeignetheit. Und das bestimmte Sein entsteht seiner Natur gemäß aus dem Entgegengesetzten und wird, wenn entstanden, erhalten und bewegt, indem es Einwirkungen ausgesetzt wird und bewirkt, mehr aber auf passive Weise dabei tätig ist. Daher sind die Materie und das bestimmte Sein zwar naturfähig, keines von beiden aber Natur, genauso wie das Zusammengesetzte nicht. In höherem Maße aber als die Materie dürfte das bestimmte Sein Natur sein wegen seiner prägenden Formkraft; und das Zusammengesetzte in höherem Maße als die Materie wegen des be-

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stimmten Seins, da ein Naturfähiges überhaupt nur dann dieses oder jenes so Bestimmte wird, wenn es das bestimmte Sein aufgreift. Denn die Materie an sich selbst ist (in dieser Hinsicht) ununterschieden, da sie aber eine Geeignetheit ist zur physischen Existenz des bestimmten Seins, ist die Natur in gewissem Sinne vor dem bestimmten Sein, insofern sie angemessener Weise der Möglichkeit nach an der Materie ist, läßt andererseits jedoch an sich selbst das bestimmte Sein vorläufig erkennen, insofern sie seine Natur ist und gleichsam ein Emporwachsen und Aufblühen aus der Materie.60 Das bestimmte Sein (εἶδος) des Chrysoberylls also ist das, dessentwegen die Entstehung dieses physischen Einzelnen, da es das Chrysoberyll wurde, sich aus der Möglichkeit einer orthorhombisch-dipyramidalen Anordnung von Beryllium, Aluminium und Sauerstoff zu einer physisch vollendeten Wirklichkeit vollzog. Unter diesem Gesichtspunkt sind hier im zusammengesetzten physischen Ganzen die geometrische Anordnung und die Elemente, insofern sie als solche materielle Teile, Zugrundeliegendes (aufnahmefähiges Substrat, Verwirklichungsbedingung) als solches sind, nicht Teile des Ganzen, an denen man also etwa durch deren Aufzählung und Beschreibung das Chrysoberyll empirisch unmittelbar ablesen könnte. Ebensowenig sind auch zum Beispiel, im Bereich des Belebt-Organischen, unter diesem Gesichtspunkt, die Füße Teile des Menschen, insofern er ein ‚zu Fuß gehendes, zweifüßiges Lebewesen‘ ist. Denn nicht weil ein Mensch zwei Füße besitzt oder etwa spreizfüßig ist, ist er ein zu Fuß gehendes Zweifüßiges, sondern insofern und weil er der Wirklichkeit nach besitzt, was der Möglichkeit nach an seiner körperlichen Ausprägung, wenn keine Versehrtheit hindert, als ein Akt auftreten und erkennbar werden kann, nämlich sich gerade und aufrecht zu Fuß örtlich fortzubewegen, zu gehen (oder auch aufrecht zu stehen). Dieser Teil der Bestimmung aber kann nicht von seiner Bestimmung fortgenommen werden, wenn verstanden werden soll, was der oder ein Mensch in dieser genannten Hinsicht genau ist:61

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Simp. (wie Anm. 27) in Ph. 271, 23 ff. Diels (zu Arist. Phys. II 1.192 b 8 ff., bes. 193 a 3– 193 b 18), zusammenfassend 285, 30–289, 35, hier: 288, 17–289, 25. Siehe die Auseinandersetzung Arist. Met. Z 10–12. Anders gesagt: Ein ab der Halswirbelsäule gelähmtes Individuum besitzt Füße nur dem Namen nach (siehe Anm. 42, 65, 67), was erst gesagt werden kann, wenn erkannt ist, was Füße sind. Erkannt wird, was Füße sind, aber nicht an der körperlichen Ausprägung, nach der man ja von dem Gelähmten sagen müßte, es hätte keine Füße, da es nicht gehen kann, sondern erkannt wird das, was Füße sind, am Gehen und das Gehen ist, der Möglichkeit oder dem Vermögen beziehungsweise dem Akt nach, Teil des fortbewegungsfähigen Lebewesens, sei es Mensch, Huhn oder Echse. Das bedeutet freilich ferner, daß ‚Mensch‘, insofern er Mensch ist, weder an dieser körperlichen Ausprägung noch an diesem Teil eines fortbewegungsfähigen Lebewesens er-

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Wolfram Brinker Δεῖ δὲ μὴ ἀγνοεῖν, ὅτι ἐνίοτε λανθάνει πότερον σημαίνει τὸ ὄνομα τὴν σύνθετον οὐσίαν ἢ τὴν ἐνέργειαν καὶ τὴν μορφήν, οἷον ἡ οἰκία πότερον σημεῖον τοῦ κοινοῦ, ὅτι σκέπασμα ἐκ πλίνθων καὶ λίθων ὡδὶ κειμένων ἢ τῆς ἐνεργείας καὶ τοῦ εἴδους, ὅτι σκέπασμα, καὶ γραμμὴ πότερον δυὰς ἐν μήκει ἢ [ὅτι] δυάς, καὶ ζῷον πότερον ψυχὴ ἐν σώματι ἢ ψυχή, αὕτη γὰρ οὐσία καὶ ἐνέργεια σώματός τινος· εἴη δ’ ἂν καὶ ἐπ’ ἀμφοτέροις τὸ ζῷον, οὐχ ὡς ἑνὶ λόγῳ λεγόμενον, ἀλλ’ ὡς πρὸς ἕν. ἀλλὰ ταῦτα πρὸς μέν τι ἄλλο διαφέρει, πρὸς δὲ τὴν ζήτησιν τῆς οὐσίας τῆς αἰσθητῆς οὐδέν· τὸ γὰρ τί ἦν εἶναι τῷ εἴδει καὶ τῇ ἐνεργείᾳ ὑπάρχει. ψυχὴ μὲν γὰρ καὶ ψυχῇ εἶναι ταὐτόν, ἀνθρώπῳ δὲ καὶ ἄνθρωπος οὐ ταὐτόν, εἰ μὴ καὶ ἡ ψυχὴ ἄνθρωπος λεχθήσεται· οὕτω δὲ τινὶ μέν, τινὶ δ’ οὔ. Man darf nicht verkennen, daß bisweilen unkenntlich bleibt, ob die Bezeichnung das zusammengesetzte Sein (von etwas) meint oder die Wirklichkeit und Gestalt, etwa ob ‚das Haus‘ Kennzeichen des Gemeinsamen, nämlich ‚Schutzvorrichtung aus Planken und Steinen, die auf diese Weise liegen‘ oder (Zeichen nur) für seinen Akt und sein bestimmtes Sein, nämlich Schutzvorrichtung, ist; und ob ‚Linie‘ (meint) ‚Zweiheit an kontinuierlicher Größe‘ oder ‚Zweiheit‘; und ob ‚Lebewesen‘ (meint) ‚Seele an einem Körper‘ oder ‚Seele‘, diese nämlich ist Sein und Akt eines bestimmten Körpers. Für beides mag die (Bezeichnung) ‚Lebewesen‘ treffen, wobei sie aber nicht als mit einem (nicht weiter differenzierbaren) Begriff, sondern in Hinsicht auf ein Eines hin gesagt wird. In anderer Hinsicht ist dies freilich von Bedeutung, in Hinsicht aber auf die Untersuchung des wahrnehmbaren Seins keineswegs: denn das ‚Was etwas war, etwas Bestimmtes zu sein‘ kommt der Bestimmtheit und der entfalteten Wirklichkeit zu. ‚Seele‘ und das ‚der Seele eigene Sein‘ ist zwar (in dieser Hinsicht) dasselbe, ‚dem Menschen eigenes Sein‘ jedoch und ‚Mensch‘ ist (in dieser Hinsicht) nicht dasselbe, es sei denn, als ‚Mensch‘ wird auch die Seele angesprochen; so ist (‚Mensch‘ und ‚dem Menschen eigenes Sein‘) einerseits dasselbe, andererseits nicht.62

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kannt wird, weswegen ein Kriegsversehrter ohne Beine demnach auch nach seiner Verwundung ein Mensch bleibt. Arist. Met. Η 3.1043 a 29–b 4; siehe oben, Anm. 42. Dazu Alex. Aphr. in Metaph. 551, 11–552, 9 Hayduck; Philopon. in de An. 528, 34–529, 3 Hayduck; Simp. in de An. 231, 29–232, 10 Hayduck; hier: 261, 8–12: „Klar aber ist, daß das ‚Was (etwas) ist‘ (τὸ τί ἐστι) für Aristoteles das Sein (τὴν οὐσίαν, die Einzelsubstanz) zu bezeichnen pflegt, jedoch das ‚Was etwas war, etwas Bestimmtes zu sein‘ (τὸ δὲ τί ἦν εἶναι) das bestimmte Sein (τὸ εἶδος), da er bei dem, was sich an Materie vorfindet (ἐπὶ τῶν ἐνύλων) einen Unterschied (machen) will zwischen diesem (dem an Materie Vorfindlichen) und seinem bestimmten Sein, von denen das eine über das Sein selbst des an Materie Vorfindlichen (τὴν οὐσίαν δηλοῖ τοῦ ἐνύλου), das bestimmte Sein (τὸ δὲ εἶναι) aber über das bestimmte Sein selbst aufklärt, wohingegen jedenfalls beim Materiefreien beide auf dasselbe hinauslaufen.“ Vgl. auch Plot.

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Das bestimmte Sein (εἶδος), die vollendete Wirklichkeit oder den Akt von etwas (ἐνέργεια) nennt Aristoteles daher auch gerne das ‚Werk‘ (ἔργον) des Verwirklichten, das, was „am meisten Prinzip“ 63 und dasjenige ist, das z. B. auch das Chrysoberyll von allem, was es nicht ist, trennt und unterscheidet und demgemäß, in Simplikios’ Worten, in vorläufiger Weise und früher ist als das von ihm je bestimmte Einzelne, das dies zunächst nur der Möglichkeit nach sein mag:64 Ἐπειδὴ γὰρ οὐσίας ἐκεῖνά φαμεν, ὅσα καθ’ αὑτὰ ὄντα δύναται τὸ οἰκεῖον ἔργον ἀποτελεῖν, οὐσία γὰρ οὐδὲν ἄλλο ἐστὶν ἢ τὸ ἀφ’ οὗ τὸ ἑκάστου ἔργον ἐκπληροῦται, οὐσία γὰρ καὶ εἶδος Σωκράτους ἡ τοῦ Σωκράτους ψυχή, ἀφ’ ἧς αὐτῷ τὸ τοῦ ἀνθρώπου ᾗ ἄνθρωπος ἔργον ἐκπληροῦν· λέγει, ὅτι καὶ τὰ μέρη τῶν ζῴων, χεῖρες καὶ πόδες, ἅπερ μάλιστα δοκοῦσιν εἶναι οὐσίαι, φανερόν ἐστιν ἐκ τούτων, ὡς οὔκ εἰσιν οὐσίαι, ἀλλὰ δυνάμεις· οὐσίας γάρ ἐστι τὸ καθ’ αὑτὴν οὖσαν τὸ καθό ἐστιν αὐτῆς ἔργον ἐκπληροῦν, ἡ δὲ χεὶρ τοῦ ὅλου χωρισθεῖσα τὸ ἔργον αὐτῆς ᾗ χεὶρ οὐκ ἐκπληροῖ, καίτοι καθ’ αὑτὴν οὖσα. οὐ γὰρ ἐν τῷ τοιονδὶ σχῆμα ἔχειν χείρ ἐστιν, ἀλλ’ ἐν τῷ ἐκπληροῦν τὸ ἑπόμενον τῷ τοιονδὶ σχῆμα ἔχοντι ἔργον· ἐπεὶ εἴ γε κατὰ τὸ τοιονδὶ σχῆμα ἕκαστον οὐσίωτο, ἦν ἂν καὶ ἡ τοῦ ἀνδριάντος χεὶρ χείρ, οὐκ ἔστι δέ, καὶ ὁ ἀνδριὰς ἄνθρωπος. Da wir ja als Substanzen alles bezeichnen, was an sich selbst vermag, sein ihm eigenes Werk zu vollenden, – denn Substanz ist nichts anderes

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VI 5 [23] 6; VI 7 [38], hier: 4–6; VI 3 [44] 9, und ergänzend F. Bassenge, Der Fall τὸ τί ἦν εἶναι, Helikon 3, 1963, 505–518; dens., Das τὸ ἑνὶ εἶναι, τὸ ἀγαθῷ εἶναι etc. und das τὸ τί ἦν εἶναι bei Aristoteles, Philologus 104, 1969, 14–47, 201–222; W. Bernard Rezeptivität und Spontaneität der Wahrnehmung bei Aristoteles. Versuch einer Bestimmung der spontanen Erkenntnisleistung der Wahrnehmung bei Aristoteles in Abgrenzung gegen die rezeptive Auslegung der Sinnlichkeit bei Descartes und Kant, Baden-Baden 1988, 14 f.; P. Kalligas, The Enneads of Plotinus. A Commentary. Volume 1. Translated by E. K. Fowden and N. Pilavachi, Princeton/Oxford 2014, 108 f. (zu Plot. I 1 [53] 1, 8; 2, 6–7). Arist. Met. Λ 10.1075 b 37; Phys. II 3, bes. 194 b 32–195 a 3 mit 195 a 15 ff.; 195 a 23– 26. Siehe Arist. Meteor. IV 12.389 b 23 ff., etwa 389 b 26–31; 390 a 10–13; vgl. Pl. Resp. I 335 B 2–E 6; 340 D 1 ff., bes. 352 D 2–353 D 2; ferner Arist. Met. Ζ 13.1039 a 3–7; 15.1039 b 20–1040 a 7; 17, bes. 1041 b 7–33; Η 2–6. Dazu, inwiefern das ‚Werk‘ eines jeden, in diesem Sinne eidetisch zu begreifenden, Unterschieds unter den Gesichtspunkten von Möglicheit und Vermögen (δύναμις) und Wirklichkeit (ἐντελέχεια, ἐνέργεια) der Begreifbarkeit, der Zeit und dem Sein nach ‚früher‘ ist als das, was dies der Möglichkeit und dem Vermögen nach ist und von daher auch als das ‚göttlichste‘ unter den Phänomenen ‚besser‘ und wahr ist, siehe ebd. Θ 1 ff., bes. 8–10 sowie Λ, passim, hier: 9.1074 b 15f; ferner S. Föllinger (Hrsg.), Was ist ‚Leben‘? Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von Leben, Stuttgart 2010, darin A. Schmitt, Leben ist Denken (Metaphysik XII 7.1072 b 27). Versuch der Erklärung einer Aristotelischen Lehrmeinung, 189–224.

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Wolfram Brinker als das, von dem eines jeden Werk erfüllt wird, (so ist) ja die Seele des Sokrates Substanz und Sein des Sokrates, von der her er (das Vermögen) hat, das Werk des Menschen, insofern er Mensch ist, zu erfüllen: (da das so ist,) sagt er (Aristoteles), auch die Teile der Lebewesen, Hände und Füße, (gehören zu dem), was am meisten Substanz zu sein scheint, (und) offensichtlich sei daher, daß sie nicht Substanzen, sondern Möglichkeiten seien. Zu einer Substanz nämlich gehört, an ihr selbst ihr Werk dem Werk gemäß auszufüllen, die vom Ganzen getrennte Hand jedoch füllt ihr Werk als Hand nicht aus, obwohl sie an und für sich selbst etwas ist. Denn Hand ist sie nicht dadurch, daß sie eine so und so bestimmte Gestalt hat, sondern dadurch, daß sie das Werk ausfüllt, das mit dieser so und so bestimmten Gestalt einhergeht. Denn wenn ein jedes nach seiner so und so bestimmten Gestalt bestimmt wäre, wäre eine Hand auch die Hand der Statue, sie ist aber keine, und die Statue wäre ein Mensch.65

Von der Durcharbeitung dieser komplexen Unterscheidungen an Seiendem und solcher Analysen sprachlicher wie begrifflicher Sachbestimmungen aus betrachtet Aristoteles daher die belebte Natur gemäß den Unterschieden zwischen Zugrundeliegendem, Form und zusammengesetztem Ganzen wie in den Met. auch in seiner Studie De an.: λέγομεν δὴ γένος ἕν τι τῶν ὄντων τὴν οὐσίαν, ταύτης δὲ τὸ μὲν ὡς ὕλην, ὃ καθ’ αὑτὸ οὐκ ἔστι τόδε τι, ἕτερον δὲ μορφὴν καὶ εἶδος, καθ’ ἣν ἤδη λέγεται τόδε τι, καὶ τρίτον τὸ ἐκ τούτων. ἔστι δ’ ἡ μὲν ὕλη δύναμις, τὸ δ’ εἶδος ἐντελέχεια, καὶ τοῦτο διχῶς, τὸ μὲν ὡς ἐπιστήμη, τὸ δ’ ὡς τὸ θεωρεῖν. Wir bezeichnen ja als eine bestimmte Art des Seienden die Substanz, von dieser (Substanz) aber das eine als Materie, was an sich selbst nicht ein bestimmtes Dieses ist, das andere als Gestalt und bestimmtes Sein, gemäß der man schließlich von einem bestimmten Diesen spricht, und als drittes reden wir von dem aus diesen (Zusammengesetzten). Die Materie ist Möglichkeit, das bestimmte Sein Verwirklichung, und zwar dies einerseits wie ein Wissen, andererseits wie das Betrachten.66 65

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Alex. Aphr. in Metaph. 507, 21 ff., hier: 534, 23–35 Hayduck, zu Arist. Met. Ζ 16.1040 b 5 ff.; 5–10: „Offensichtlich ist aber, daß die meisten der Substanzen, die (Substanzen) zu sein scheinen, Möglichkeiten (δυνάμεις) sind, auch die Teile der Lebewesen, keiner von ihnen nämlich ist (, was er ist), abgetrennt, wenn sie jedoch abgetrennt werden, dann sind sie sämtlich wie eine Materie (zu etwas), auch Erde, Feuer, Luft: nichts von ihnen nämlich ist Eines, sondern wie eine Ansammlung (von Dingen), bevor sie verarbeitet wurden und etwas aus ihnen entstand.“ Alexander von Aphrodisias kann daher davon sprechen, daß der Mensch durch die Erforschung der Seele gewissermaßen erst ganz zu sich selbst kommt, weil der Mensch wesentlich Seele sei, siehe De an. 1, 1–2, 4 Bruns. Arist. De an. II 1.412 a 6–11. Vgl. Arist. Met. Η 3.1043 b 4–14; oben Anm. 25. Zu Arist. Met. Ζ, Phys. I 7.190 b 17–22, II 1 und De an. II 5.417 a 21 ff., III 4.429 b 10 ff. in diesem

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ἐπεὶ δὲ ἡ τῶν ζῴων ψυχή, τοῦτο γὰρ οὐσία τοῦ ἐμψύχου, ἡ κατὰ τὸν λόγον οὐσία καὶ τὸ εἶδος καὶ τὸ τί ἦν εἶναι τῷ τοιῷδε σώματι, ἕκαστον γοῦν [τὸ μέρος] ἐὰν ὁρίζηται καλῶς, οὐκ ἄνευ τοῦ ἔργου ὁριεῖται, ὃ οὐχ ὑπάρξει ἄνευ αἰσθήσεως, ὥστε τὰ ταύτης μέρη πρότερα ἢ πάντα ἢ ἔνια τοῦ συνόλου ζῴου, καὶ καθ’ ἕκαστον δὴ ὁμοίως, τὸ δὲ σῶμα καὶ τὰ τούτου μόρια ὕστερα ταύτης τῆς οὐσίας, καὶ διαιρεῖται εἰς ταῦτα ὡς εἰς ὕλην οὐχ ἡ οὐσία, ἀλλὰ τὸ σύνολον. Da die Seele der Lebewesen, dies nämlich ist Wesenheit des Belebten, (das) ist, was Begreifbares und Wesentliches und das Sein ist, was etwas war, etwas Bestimmtes zu sein für den so und so bestimmten Körper, wird füglich ein jedes Einzelne, wenn es treffend bestimmt wird, nicht ohne sein Werk bestimmt werden, das (ihm beim Lebewesen) nicht ohne Wahrnehmung zukommen wird.67 Daher sind ihre (der Seele) Teile alle oder manche früher als das zusammengenommen ganze Lebewesen,68 und auf gleiche Weise (gilt das) bei (jedem einzelnen Etwas): der Körper jedoch und seine Teile sind später als diese Wesenheit (der Seele) und geteilt wird in diese (Teile des Lebewesens) wie in (ihre zugrundeliegende) Materie nicht die Wesenheit, sondern das zusammengenommen Ganze.69 Wie der Rückverweis auf De an. eingangs der Parv. nat. anzeigt, befasst sich Aristoteles also in diesen kleineren, sogenannten aitiologischen Abhandlungen70 mit Fragen, die sich aus der Einsicht ergeben, daß bestimmte Vermögen

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Zusammenhang siehe Pietsch (wie Anm. 14) 16–44 und 204–224. Vgl. auch Pl. Tim. 48 E 2–53 C 3 und dazu A. Schmitt, Die Moderne und Platon. Zwei Grundformen europäischer Rationalität, Stuttgart/Weimar 2008, 472 ff.; dens., Denken und Sein bei Platon und Descartes. Kritische Anmerkungen zur ‚Überwindung‘ der antiken Seinsphilosophie durch die moderne Philosophie des Subjekts, Heidelberg 2011, passim, bes. etwa 23–29, 132–151. Siehe Anm. 65: Das Werk der Hand ist nicht ohne Wahrnehmung, insofern sie ohne das nur dem Lebewesen eigene seelische Vermögen der Wahrnehmung kein Organ ist und, zum Beispiel, nicht greift. Das Ernährungs- und Strebevermögen also gehört zum zusammengenommenen Ganzen, das Betrachten und Denken aber nicht, vgl. Arist. De an. II 2; oder man versteht das hinzugesetzte ‚manche (Teile)‘ (ἔνια) koextensiv, insofern manche Teile unvermittelt mit anderen einhergehen, vgl. Alex. Aphr. in Metaph. 507, 36–508, 20 Hayduck, hier: 508, 4–8: „Denn das ‚rational‘ und ‚sterblich‘ ist klarerweise früher als der Mensch […], das ‚fähig zur Aufnahme von Verständnis und Wissen‘ nicht mehr, sondern es geht damit einher und ist deshalb nicht früher: Wenn nämlich etwas Mensch ist, ist es fähig zur Aufnahme von Verständnis und Wissen, und wenn etwas fähig zur Aufnahme von Verständnis und Wissen ist, ist dies Mensch“, mithin rationales und sterbliches Lebewesen. Arist. Met. Ζ 10.1035 b 14–22. Siehe dazu Alex. Aphr. in Metaph. 507, 21–510, 7 Hayduck. Siehe oben, Anm. 1; ferner S. Zierlein, in: Aristoteles, Historia animalium, Buch I und II. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Stephan Zierlein, Berlin 2013, 62 f., 63: „Während es sich bei De part. an., De gen. an., De inc. an. und den zu den Parv. nat. gehörenden

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des Prinzips alles Lebendigen in dem Sinn, wie er hier darzustellen unternommen wurde, nicht ohne materielle, genauer organische Seinsweisen (mit beiläufigen materiellen Ausprägungen) zur Entfaltung kommen, diesem Prinzip und seinen Seinsweisen (mit beiläufigen materiellen Ausprägungen) gemeinsam sind und daher bestimmter Weisen der Aufklärung bedürfen.

3. Der Gegenstand der Parva naturalia Ἐπεὶ δὲ περὶ ψυχῆς καθ’ αὑτὴν διώρισται πρότερον καὶ περὶ τῶν δυνάμεων ἑκάστης κατὰ μόριον αὐτῆς, ἐχόμενόν ἐστι ποιήσασθαι τὴν ἐπίσκεψιν περὶ τῶν ζῴων καὶ τῶν ζωὴν ἐχόντων ἁπάντων, τίνες εἰσὶν ἴδιαι καὶ τίνες κοιναὶ πράξεις αὐτῶν. τὰ μὲν οὖν εἰρημένα περὶ ψυχῆς ὑποκείσθω, περὶ δὲ τῶν λοιπῶν λέγωμεν, καὶ πρῶτον περὶ τῶν πρώτων. φαίνεται δὲ τὰ μέγιστα, καὶ τὰ κοινὰ καὶ τὰ ἴδια τῶν ζῴων, κοινὰ τῆς τε ψυχῆς ὄντα καὶ τοῦ σώματος, οἷον αἴσθησις καὶ μνήμη καὶ θυμὸς καὶ ἐπιθυμία καὶ ὅλως ὄρεξις καὶ πρὸς τούτοις ἡδονὴ καὶ λύπη· καὶ γὰρ ταῦτα σχεδὸν ὑπάρχει πᾶσι τοῖς ζῴοις. πρὸς δὲ τούτοις τὰ μὲν πάντων ἐστὶ τῶν μετεχόντων ζωῆς κοινά, τὰ δὲ τῶν ζῴων ἐνίοις. τυγχάνουσι δὲ τούτων τὰ μέγιστα τέτταρες οὖσαι συζυγίαι τὸν ἀριθμόν, οἷον ἐγρήγορσις καὶ ὕπνος καὶ νεότης καὶ γῆρας καὶ ἀναπνοὴ καὶ ἐκπνοὴ καὶ ζωὴ καὶ θάνατος· περὶ ὧν θεωρητέον, τί τε ἕκαστον αὐτῶν, καὶ διὰ τίνας αἰτίας συμβαίνει. φυσικοῦ δὲ καὶ περὶ ὑγιείας καὶ νόσου τὰς πρώτας ἰδεῖν ἀρχάς· οὔτε γὰρ ὑγίειαν οὔτε νόσον οἷόν τε γίγνεσθαι τοῖς ἐστερημένοις ζωῆς· διὸ σχεδὸν τῶν περὶ φύσεως οἱ πλεῖστοι καὶ τῶν ἰατρῶν οἱ φιλοσοφωτέρως τὴν τέχνην μετιόντες, οἱ μὲν τελευτῶσιν εἰς τὰ περὶ ἰατρικῆς, οἱ δ’ ἐκ τῶν περὶ φύσεως ἄρχονται. Da aber über die Seele für sich selbst zuvor ihrer Bestimmung gemäß gesprochen ist und Teil für Teil über ein jedes ihrer Vermögen, läßt sich bezüglich der Lebewesen und allem, was Leben besitzt, die zusätzliche Betrachtung darüber anschließen, was deren eigentümliche und was deren gemeinsame Lebensvollzüge sind. Das über die Seele Gesagte nun soll zugrundegelegt sein, über das Übrige wollen wir sprechen, und zwar zuerst über das Erste. Der wichtigste Punkt aber scheint, daß offenbar sowohl das den Lebewesen Gemeinsame als ihnen auch Eigentümliche der Seele und dem Körper gemein ist, etwa Wahrnehmung, Erinnerung, Eifer, Begehren, überhaupt Streben, und zudem Lust und Schmerz; denn auch diese kommen nahezu allen Lebewesen zu. Überdies aber gibt es allem, Abhandlungen um ätiologische, die Ursachen des jeweiligen Gegenstandes erklärende Schriften handelt, stellt die Hist. an. eine dem Faktenteil einer Wissenschaft zugehörige Faktensammlung dar.“

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was Leben besitzt, Gemeinsames, andererseits aber, was (nur) einigen der Lebewesen (zukommt). Und das Wichtigste davon gerade sind vier Paare an der Zahl, wie Wachen und Schlaf, Jugend und Alter, Einatmen und Ausatmen, Leben und Tod. Hierüber muß betrachtet werden, was ein jedes von ihnen ist und aus welchen Gründen sie eintreten. Aufgabe eines Naturforschers ist aber auch, Gesundheit und Krankheit betreffend die ersten Gründe einzusehen; unmöglich nämlich treten Gesundheit und Krankheit bei dem auf, was ohne Leben ist. Deshalb gelangen nahezu die meisten der Naturforscher am Ende (ihrer Forschungen) zu dem Gebiet der Heilkunst und beginnen von den Ärzten die, die ihr Fachgebiet philosophischer angehen, auf dem der Naturforschung.71 Als Teil einer Schriften- oder Vorlesungsreihe bilden die Parv. nat., das sollte im Abschnitt 2. an einigen grundsätzlichen Erwägungen glaubhaft gemacht werden, einen Abschnitt eines wissenschaftlichen Ganzen und dokumentieren ein insgesamt konkretes Erkenntnisinteresse.72 Das zeigt sich daran, wie Aristoteles selbst ihren Gegenstand mit wünschenswerter Deutlichkeit am Beginn der Abhandlung De sens. umschreibt. Im sachlich unmittelbaren Anschluß an die zugrundegelegte Abhandlung über die Seele nach ihr selbst und ihren Potenzen solle jetzt eine Nachbetrachtung über die Lebewesen und alles Lebendige angestellt werden, und zwar mit Blick darauf, welche deren eigentümliche und gemeinsame Betätigungen (πράξεις) seien. Die bedeutendsten dieser πράξεις seien der Seele und dem Körper gemeinsam,73 zum Beispiel Wahrnehmung, Gedächtnis und Erinnerung, Streben, Lust und Schmerz. Aber nicht alle der Seele und dem Körper gemeinsamen πράξεις des Lebendigen bestimmen alles Belebte ohne Unterschied. Vielmehr sind manche, wie das Ernährungsvermögen, allen, manche nur einigen von ihnen gemeinsam, wie am Unterschied der πράξεις der bloß belebten, zu Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung fähigen Pflanzen von den lebenden, zu aktiven Wahrnehmungsleistungen und wiederum teils zur örtlichen Fortbewegung nicht fähigen, teils zu ihr fähigen Lebewesen zu erkennen ist. Und an diesen wiederum finden sich durch eine Unterscheidung ihrer πράξεις Unterschiede zwischen Tieren und Menschen, insofern sie zwar alle 71

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Arist. De sens. 1.436 a 1–22. – Der Ausdruck „Lebewesen“ wird im Folgenden zur Bezeichnung der wahrnehmungsfähigen belebten Substanz (ζῷον), d. h. zur Bezeichnung von Tieren bzw. Menschen, im Unterschied zu Pflanzen als nach Aristoteles nicht wahrnehmungsfähigen belebten Substanzen verwendet. Zur Sache vgl. Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 1) 133 f. Siehe oben, Anm. 1; vgl. auch I. Düring, Der Protreptikos des Aristoteles. Einleitung, Text, Übersetzung und Kommentar von Ingemar Düring, Frankfurt 1993, 7–20. Dazu etwa die Sammlung R. A. H. King (Hrsg.), Common to Body and Soul: Philosophical Approaches to Explaining Living Behaviour in Greco-Roman Antiquity, Berlin 2006.

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allgemein das Wahrnehmungsvermögen besitzen, doch nur Menschen rationale Denkfähigkeit und den sich vollkommen nicht organisch betätigenden Intellekt.74 Insofern also alles Belebte organisches Leben besitzt, sind die in den Parv. nat. untersuchten Sachfragen des Belebten Jugend und Alter, Länge und Kürze des Lebens und der Tod, daher auch bei einigen Ein- und Ausatmen (beziehungsweise diesem Analoges), das heißt die Ermöglichung der Ausbildung und Aufrechterhaltung organischer Prozesse an materiellen Substraten unterschiedlicher Qualität.75 Insofern Belebtes darüber hinaus zur Wahrnehmung fähiges Belebtes werden und sein kann, sind die organisch verwirklichten beziehungsweise verwirklichbaren πράξεις der Wahrnehmung als solche zusammen mit dem ihr entsprechenden, an Zugrundeliegendem auftretenden Wahrnehmbaren, die auf die Wahrnehmung hingeordneten Medien und Organe selbst zu untersuchen.76 Dieses Gebiet der Wahrnehmung betrifft auch das auf Wahrnehmungen hingeordnete Gedächtnis, die Erinnerung sowie schließlich den Schlaf, sofern der Schlaf als eine gewisse Gebrauchsunfähigkeit des Wahrnehmungsvermögen erklärt werden kann, und das Wachen, in deren Zusammenhang zuletzt auch Träume (und deren Begründung) gehören. Alle von Aristoteles in den Parv. nat. untersuchten Gegenstände enthalten also in ihrer Bestimmung und ursächlichen Erklärung ihnen Zugrundeliegendes als ihre Materie, und dahingehend sind die Untersuchungen auch medizinisch von Belang. Da nämlich der Naturwissenschaftler die πράξεις lebender Wesen untersucht, vermittelt er der Medizin wissenschaftliche Ergebnisse, deren Kenntnis dem Arzt, wenn er methodisch gemäß den πράξεις des Menschen und nicht nach Versuch und Scheitern experimentell verfährt, dazu dient, die von der Natur hervorgebrachten Lebensformen hinsichtlich dieser πράξεις nach gesund und nicht gesund beziehungsweise krank zu unterscheiden. Aristoteles berührt am Ende der überlieferten Sammlung der Parv. nat., in der Studie über die Atmung, diesen Zusammenhang erneut;77 nicht zuletzt von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet erhält die Sammlung als Sammlung von Studien über πράξεις zumal höherer belebter Substanzen einen angemessenen, zusammenfassenden Abschluß. Denn die Natur, heißt es in der Abhandlung über Schlaf und Wachen, schaffe um eines bestimmten Zieles, eines bestimmten Guten willen, und insofern Ruhe für jedes Lebewesen, das von Natur sich zu bewegen geschaffen ist, sich jedoch nicht immer und

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Siehe Arist. De an. II 2–4 und III 4–8; dazu Bernard (wie Anm. 62) 23–48 und 181 ff. Vgl. Arist. De long. vit., bes. 5–6, etwa 6.467 a 18–30. Siehe Arist. De sens. 1.436 b 1 ff. Vgl. Alex. Aphr. in Sens. 1, 3–2, 24 Wendland. Arist. De resp. 21.480 b 21 ff.; auch De long. vit. 1.464 b 30–33; De iuv. 3.469 a 8–10.

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ununterbrochen mit Lust bewegen kann, notwendig und nützlich sei, so folge daraus, daß der Schlaf zwar eine gewisse ‚Gebrauchsunfähigkeit‘ (ἡ ἀδυναμία τῆς χρήσεως) der primären Wahrnehmungsinstanz (ἐν τῷ πρώτῳ ᾧ αἰσθάνεται πάντων) sei, diese zeitweise auftretende Unfähigkeit aber der Bewahrung des Lebewesens diene. Und weil für das Lebewesen Ziel seines Lebensvollzugs das Wachen sei, muß der Schlaf als um dieses Guten, dieser lustvollen πρᾶξις willen und für diese eintretend betrachtet, verstanden und erklärt werden. Wahrnehmen nämlich (und Denken) sei für alle Lebewesen Ziel, die das eine von den beiden Vermögen besitzen, da sie Wertvollstes sind, das Ziel aber, dessentwegen (und in der Folge wofür) etwas jeweils ist, was es ist, sei das Wertvollste.78 Daß also die Fähigkeit der Unterscheidung des Schlafens vom Wachen im Sinne des Wahrnehmens (und Denkens), sowie die Unterscheidung des Schlafens von Ohnmacht, Bewußtlosigkeit oder Empfindungslosigkeit aufgrund zusammengepresster Nackenadern oder eingeklemmter Nerven79 für einen Mediziner wesentlich ist, liegt auf der Hand, daher erinnert Aristoteles hier zu Recht an den Prinzipiencharakter seiner Untersuchungen über die πράξεις der Lebewesen, die der Seele und organischen Körpern gemeinsam sind. Hierin darf gewiss ein nicht unwichtiger Gesichtspunkt, der seine Intention bei den durch die Parv. nat. dokumentierten Untersuchungen geleitet haben dürfte, erkannt werden. Es wird ja eine begründete Verbindung aufgezeigt zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und menschlichem Handeln, in diesem Falle dem Handeln des Arztes, insofern dessen Aufgabe darin besteht, zeitweise erkrankten oder etwa von Geburt an versehrten Lebewesen, deren Organe ihr jeweiliges Prinzip, ihr ‚Werk‘ (ἔργον), nicht oder nur eingeschränkt zur Entfaltung kommen lassen, zu deren, soweit möglich, lustvollsten und besten Lebensvollzug zu verhelfen. Zur Bestimmtheit der Fragestellung der Parv. nat. fügt sich nun weniger beiläufig als der medizinische Gesichtspunkt durchaus präzise, daß Aristoteles in den Parv. nat. die Gegenstände seiner Untersuchungen nach mehreren Seiten hin abgrenzt. Er grenzt sie einmal gleichsam nach innen ab, von der Seele als solcher, die in De an. von drei Gesichtspunkten her bestimmt wurde:80 (1) als eine nicht wahrnehmbare, unkörperliche „Substanz, insofern sie bestimmtes Sein eines physischen Körpers, der der Möglichkeit nach Leben besitzt, ist“ (ἀναγ-

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Arist. De somn. 2.455 b 2–28; 23–25: τὸ γὰρ αἰσθάνεσθαι καὶ τὸ φρονεῖν πᾶσι τέλος, οἷς ὑπάρχει θάτερον αὐτῶν, βέλτιστα γὰρ ταῦτα, τὸ δὲ τέλος βέλτιστον. Vgl. oben Abschnitt 2., bes. Anm. 64. Siehe Arist. De somn. 2.455 b 2–13. Arist. De an. II 1.412 a 19-b 6; vgl. De iuv. 1.467 b 13–18.

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καῖον ἄρα τὴν ψυχὴν οὐσίαν εἶναι ὡς εἶδος σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος); weil diese Substanz Vollendung eines bestimmten Körpers ist (ἡ δ’ οὐσία ἐντελέχεια· τοιούτου ἄρα σώματος ἐντελέχεια), (2) als „die erste Vollendung eines physischen Körpers, der der Fähigkeit nach Leben besitzt“ (διὸ ἡ ψυχή ἐστιν ἐντελέχεια ἡ πρώτη σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος); schließlich (3) als „die erste Vollendung eines physischen, organisch gegliederten Körpers“ (εἴη ἂν ἐντελέχεια ἡ πρώτη σώματος φυσικοῦ ὀργανικοῦ). Von der Seele als der, die einem Körper, insofern er organisch ist, als erstes zukommt, werden in den Parv. nat. am Lebendigen unter bestimmten Hinsichten die Tätigkeiten des Ernährungsvermögens, des Vermögens der Wahrnehmung sowie derjenigen Vermögen, die auf der Wahrnehmung gründen und Wahrnehmungserkenntnisse enthalten (Phantasia, Gedächtnis, Wiedererinnerung), ins Auge gefaßt. Gleichsam nach außen hin ist das Themengebiet der Parv. nat. andererseits abgegrenzt dadurch, daß die eingangs der Sammlung erwähnten Strebevermögen (ὀρέξεις) und damit das Thema ‚Lust und Schmerz‘, jedenfalls insofern sie mit rationalen Strebungen im Zusammenhang stehen, keine selbständige und genauere Untersuchung erfahren. Somit sind die πράξεις der Lebewesen wie Ortsbewegung, Handeln, Denken und rein noetisches Erkennen beziehungsweise rein noetisch Erkennbares im eigentlichen und wesentlichen Sinne ausgespart, werden in anderen Werken besprochen und nach ihren je ersten Prinzipien und Ursachen untersucht und begründet.81 Eine solche sachorientierte Beschränkung in der Darbietung und Durcharbeitung der Fragen und mit ihnen verbundener Probleme kann durchsichtig machen, was Aristoteles im ersten Buch von De part. an., dem Einleitungsbuch „in die ganze Biologie“,82 sucht. Bei jeder wissenschaftlichen Betrachtung und in jedem methodisch erforschbaren Sachgebiet sind zwei Zugangsweisen denkbar, einerseits die Sachkenntnis auf einem abgegrenzten Gebiet und andererseits eine gewisse Bildung. Diese Bildung zeige sich darin, daß jemand treffsicher unterscheiden könne, ob ein Forscher in seinen Darlegungen richtig oder nicht richtig verfahre.83 Solche kritischen Zugangsweisen setzen voraus, daß wissenschaftlichen Sachgebieten, und so auch der Naturforschung, bestimmte grenzziehende Bestimmungen zugrundeliegen müssen, auf die hin sich das, was erforscht und dargelegt werden soll, betrachten läßt. Nicht zuletzt dient diese von Aristoteles hier empfohlene Propädeutik zur 81

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So eben in den Ethiken und politischen Abhandlungen, ferner in De mund., De cael., De gen. et corr., Meteor., Hist. an., De part. an., De gen. an., De mot. an., De inc. an., De an., Phys. und Met. So Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 1), siehe oben, Abschnitt 1., Anm. 3. Vgl. oben Abschnitt 2., bes. Anm. 64.

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Vermeidung der Gefahr einer Verwischung sachwissenschaftlicher Grenzen zu einem abstrakt-allgemeinen Konglomerat oder der Gefahr der Verwischung verschiedener Hinsichten innerhalb eines wissenschaftlichen Fachgebietes, wie etwa einer unzureichenden Unterscheidung von Genera und Spezies der Lebewesen oder einer unzureichenden Unterscheidung an zusammengesetzten physischen Einzeldingen. Sie dient damit nebenbei zugleich auch der Ökonomie sicherer und durchsichtiger Argumentation, also etwa derjenigen in der aristotelischen Hist. an. im Unterschied zu den Studien in De part. an. Der Unterschied solcher Darstellungen gründet ja für Aristoteles in einer Unterscheidung innerhalb des Gebietes natürlichen Entstehens und Vergehens zwischen einem der Erkenntnis nach früheren, der Sache nach jedoch späteren Daß und dem der Erkenntnis nach späteren, hingegen der Sache nach früheren Was und Worum-willen, also sozusagen dem Woher und dem Wohin einer bestimmten Bewegung von etwas, das als komplexes Ganzes nach seinen unterscheidbaren Momenten befragt wird. Dabei ist von den unterscheidbaren Entstehungsbedingungen von etwas vor allem die des Worum-willen (sachlich nachgeordnet des möglichen Wofür) stets die sachlichmethodisch erste und leitende, wie das Aristoteles ja öfters am Beispiel der Bau- oder Heilkunst klar zu machen sucht.84 Da das sogenannte bestimmte Sein des Hauses oder der Gesundheit so und so bestimmt ist, wird der Architekt dieses oder jenes Material und der Arzt diese oder jene organischen Konstituentien als zugrundeliegende Ausgangspunkte in dieser oder jener Weise gebrauchen: der eine, um ein Haus (die vor schädlichen Einflüssen schützende Bergung von Hab und Gut und Lebewesen) herzustellen, der andere, um Gesundheit (die vollendete Leistungsfähigkeit eines Organismus) herbeizuführen. Jede je bereits geformte Materie wird in dieser Hinsicht um eines bestimmten Seins willen ein Substrat genannt. Sie läßt sich benutzen und kann dann auch für etwas dienen: wie zum Beispiel aus Granitquader, Glas und Holz durch Zusammensetzung ein Gebäude hergestellt werden und dann, dieser Sache nachgeordnet, zum Wohnen, Feiern oder zum Ruhm des Architekten benutzt werden kann; oder wie an einem sklerotisch vermehrten Bindegewebe durch einen chirurgischen Eingriff die Behinderung der Leistungsfähigkeit des blutführenden Organs behoben werden und, dieser Sache nachgeordnet, das Wohlbefinden einer Person wiederhergestellt oder eine medizinische Klinik unterhalten werden kann. Darum wird, so Aristoteles, im analogen Sinn und Maß auf dem Sachgebiet der Darlegung und Aufklärung über alles Lebendige der Physiologe ein Psychologe sein müssen, da er die πράξεις der Seele, insofern sie Prinzip und

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Vgl. oben Abschnitt 2., bes. die Anm. 63–66; ferner etwa Arist. Phys. II 8 oder De iuv. 4.469 a 27–28; De resp. 3.471 b 23–29; 5.472 b 24–29.

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bestimmtes Sein eines organischen Körpers ist, untersucht. Der Physiologe wird eine Kenntnis von diesem Prinzip im ganzen vorauszusetzen haben, um über seine Teile mit richtiger Hinsicht Auskunft zu geben. Er wird demnach in dieser Hinsicht auf die πράξεις des Prinzips des Belebten, die es mit dem organischen Körper gemeinsam leistet, von der Kenntnis seiner Leistungsfähigkeit insgesamt ausgehen, um über ihre an Organen auseinandertretenden einzelnen Leistungen Rechenschaft geben zu können. In den πράξεις oder ἔργα nicht wahrnehmbarer seelischer Vermögen jedenfalls, gemäß denen ein Lebewesen vielfältige, aber je bestimmte Lebensprozesse auszubilden und zu vollziehen fähig ist, erkennt Aristoteles das am meisten bewegende Moment einer lebendigen organischen Lebensform. Der Naturforscher muß „wohl um soviel mehr von der Seele als von der Materie sprechen, um wieviel mehr die Materie wegen jener (der Seele und für sie) eine Natur (φύσις) ist als umgekehrt; auch eine Liege nämlich und ein Dreifuß ist das Holz, weil es der Möglichkeit nach dieses ist“.85 Wie anhand dieser Passagen aus dem ersten Buch von De part. an. erhellt, besitzt nach Aristoteles der Naturwissenschaftler also eine Bildung, die ihn dem Metaphysiker gleichstellt. Denn der Naturwissenschaftler begründet seine Wissenschaft als Wissenschaftler durch Untersuchungen über den Intellekt und das Intelligible als erste Ursachen, wenn er freilich auch als Physiologe beziehungsweise Biologe nicht die Seele als ganze betrachtet. Er betrachtet sich physisch entfaltende Teilvermögen von ihr als die ersten Prinzipien bestimmter Lebensvollzüge, die Organbildung, Ernährung, Wachstum, sinnliche Wahrnehmung ausmachen, weil nicht die ganze Seele eine Natur, das heißt in diesem Sinne Prinzip organisch entfalteter φύσις, ist.86 Trotzdem aber zeichnet sich der aristotelische Biologe als Metaphysiker aus deswegen, weil er seine Arbeitsgebiete sachlich wie methodisch voneinander abzugrenzen versteht, weil er überhaupt Wissenschaften und ihre Sachgebiete zu unterscheiden vermag und nicht miteinander vermengt, denn sie umgreifen alle Seiendes, aber verschieden Seiendes. Für Aristoteles wird die Wissenschaftlichkeit methodischen Erkennens und Darlegens verschiedener Wissensgebiete daher, wie gesagt, durch die Einsicht in das voraussetzungslose und sicherste, erkennbarste Prinzip unter allen, über das sich zu täuschen unmöglich ist, geleitet, daß „unmöglich ist“, zugleich zu meinen, „daß dasselbe zugleich und zugleich nicht demselben und in derselben Hinsicht zukommt“.87 So

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Arist. De part. an. I 1.640 b 20 ff., hier: 641 a 29–32: Ὥστε καὶ οὕτως ἂν λεκτέον εἴη τῷ περὶ φύσεως θεωρητικῷ περὶ ψυχῆς μᾶλλον ἢ περὶ τῆς ὕλης, ὅσῳ μᾶλλον ἡ ὕλη δι’ ἐκείνην φύσις ἐστὶν ἤ περ ἀνάπαλιν· καὶ γὰρ κλίνη καὶ τρίπους τὸ ξύλον ἐστίν, ὅτι δυνάμει ταῦτά ἐστιν. Arist. De part. an. I 1.641 a 27–b 10; dazu auch unten, Abschnitt 4. Siehe oben Anm. 35.

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kann er am Ende des ersten Buchs von De part. an., dieser Einsicht folgend, angeben, welche Sachgegenstände er durcharbeitet: die Prinzipien unterster Formen des Lebendigen, sofern sie beseelte organische Wesenheiten (Substanzen, οὐσίαι) sind, die an Werden und Vergehen teilhaben88 und deren Seinsweise uns als an materiellen Substraten ausgebildete, an Organen aktive und insofern geteilte89 bereits sinnlicher Erfahrung zugänglich ist, anders als die der ganz unorganischen Substanz des Intellekts oder göttlicher Substanzen. Solche wahrnehmbare Substanzen aber sind, wie Aristoteles in De part. an. betont und in De an. des Näheren aufzeigt, um der Betätigung seelischer Prinzipien willen, was sie sind. Damit bedeutet die Untersuchung von Organismen zuvörderst eine Untersuchung und Unterscheidung der πράξεις und ἔργα ihres Prinzips, der Seele, eben zuvörderst nicht die Untersuchung des „Blutes, Fleisches, der Knochen, Adern oder der Organe“.90 Sie bedeutet also, genauer, in dieser Hinsicht nicht die Untersuchung von Organkörpern mit Blick darauf, daß diese Substanzen sein mögen, die, wie deren (heute instrumentell unterstützte molekularbiologische) Analyse zeigt, ihrerseits und nur als solche genommen von dem ihnen Zugrundeliegenden als ihrer Materie begrifflich abstrahiert werden können. Das nämlich hieße, sie nicht, insofern sie Organe, sondern insofern sie entstehende und vergehende unbelebte Körper sind, zu untersuchen.91 Vielmehr bedeutet die Untersuchung, im Sinne des Inbegriffs physischer Sachbestimmtheit, wie ihn etwa Simplikios in seinem Physik-Kommentar erläutert, eine Untersuchung von Organkörpern beziehungsweise Organismen unter Einbeziehung der an ihren materiell ausgeprägten Substraten auftretenden Qualitäten allein in Hinsicht auf ihre „Ge-

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Siehe Arist. De part. an. I 4.644 a 23–5; I 5.644 b 22–24 (mit Auslassungen): Ἐπεὶ δ’ οὐσίαι μέν εἰσι τὰ ἔσχατα εἴδη, ταῦτα δὲ κατὰ τὸ εἶδος ἀδιάφορα, οἷον Σωκράτης, Κορίσκος […] ᾗ μὲν γὰρ οὐσία τὸ τῷ εἴδει ἄτομον […], (dann 644 b 22 ff.:) τῶν οὐσιῶν ὅσαι φύσει συνεστᾶσι, τὰς μὲν ἀγενήτους καὶ ἀφθάρτους εἶναι τὸν ἅπαντα αἰῶνα, τὰς δὲ μετέχειν γενέσεως καὶ φθορᾶς. Siehe zur Sachbestimmtheit selbst oben, Abschnitt 2. Arist. De part. an. I 5.644 b 24 ff.; 645 a 30–36; vgl. zu diesen unterschiedenen Skopoi etwa Arist. De gen. an. I 1.715 a 1–18, und dazu Philopon. in de gen. An. 1, 3–3, 11 Hayduck, bes. 2, 19–3, 10 oder dens. in de Gen. et Corr. 1, 5–7, 4 Vitelli, bes. 1, 21–2, 18; 3, 35–4, 26, u. a. Zu Arist. De an. siehe Anm. 74; ferner oben, Abschnitt 2. Vgl. die vorige Anm. Allein etwa der, vielleicht bisweilen sorglos zu nennende (vgl. aber Abschnitt 1., Anm. 16), Gebrauch der Wörter αἴσθησις und αἰσθητήριον, deren Bedeutungen gleichwohl „meistens“ voneinander „unterschieden werden“, sollte die Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen Organkörper, Wahrnehmungsorgan und Ergon bzw. Akt der Wahrnehmung wach erhalten. Siehe dazu oben, Abschnitt 1., bes. Anm. 16. Zum Gebrauch dieser Wörter, quamquam plerumque … distinguuntur, siehe H. Bonitz, Aristotelis opera ex recensione Immanuelis Bekkeri edidit Academia Regia Borussica. Editio altera quam curavit Olof Gigon. Volumen quintum. Index Aristotelicus. Edidit Hermannus Bonitz, Berlin 1961, 19, 42–21, 4, s. v., bes. 21, 15–26. Siehe etwa auch Simp. in de An. 104, 37–105, 6 Hayduck.

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eignetheit“ hin, unterschiedliche und daher unterscheidbare seelische Lebensaktivität aufzunehmen, zu erhalten beziehungsweise zu verlieren.92 Auch wenn demnach diejenigen πράξεις und ἔργα, die der Seele und organischen Körpern beziehungsweise Seelenorganen des Belebten gemeinsam sind, betrachtet werden sollen, wie Aristoteles es sich in den Parv. nat. gemäß seinen oben angeführten Eingangsworten vornimmt, intendiert er eine Begriffs- und Prinzipienfindung über Sachbestimmtheiten, denen eine grenzziehende Erkennbarkeit eignet, durch welche das, was im je umgrenzten Zusammenhang dargelegt werden soll, erklärbar wird beziehungsweise werden kann.93 Wenn das richtig ist, dann kann für die Beobachtungen und Schlußfolgerungen, die Aristoteles in den Parv. nat. über die πράξεις und ἔργα des Belebten im einzelnen zieht, ein einheitlicher Bezugspunkt angegeben werden, auf den die behandelten physisch verwirklichten πράξεις und ἔργα des Belebten hingeordnet sind. Das gilt zumal unter dem von ihm verfolgten Gesichtspunkt, daß das Prinzip des Lebendigen seine Akte an materiellen, physischen Substraten verwirklicht, und das wieder unter bestimmten Bedingungen, durch die diese Substrate als konstituiert erkannt werden. Dieser Bezugspunkt und seine Bedeutung für das in den Parv. nat. über die πράξεις und ἔργα des Belebten in seinen Lebensbereichen von Aristoteles Ausgearbeitete, sei im Folgenden vor dem Hintergrund des bisher Gesagten in gebotener Kürze belegt.

4. Die Dokumentation der Parva naturalia An mehreren Stellen der Parv. nat. wird von einer (Organismus-) Mitte gehandelt, gleichsam als von einem Ort, der als Ausgangspunkt organisierender Lebensbewegung ausgegeben wird und an dem sich in der Dimension des Lebendigen auch Lebewesen von Nicht-Lebewesen unterscheiden; und wodurch sich im Bereich des Lebendigen Lebewesen als solche (Tiere und Menschen) und Nicht-Lebewesen (Pflanzen) unterscheiden, heißt es zu Beginn der Parv. nat. gemäß De an., ist das Vermögen zur Wahrnehmung.94 92 93

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Zu Simplikios siehe hier Abschnitt 2., Anm. 60; vgl. dens. in de An. 51, 8–52, 2 Hayduck, oder auch Philopon. in de An. 139, 19–140, 23 Hayduck. Siehe in diesem Zusammenhang etwa Arist. De resp., bes. 14.477 b 14–478 a 7 oder ebd. 17–18. Zur Begriffsfindung bzw. der grenzziehenden Erkennbarkeit siehe etwa De sens. 3.440 b 23–25 und darauf 6; ferner Abschnitt 2., bes. Anm. 43; Abschnitt 4., bes. Anm. 111. Arist. De sens. 1.436 b 1–12, hier: 10–12: τοῖς δὲ ζῴοις, ᾗ μὲν ζῷον ἕκαστον, ἀνάγκη ὑπάρχειν αἴσθησιν· τούτῳ γὰρ τὸ ζῷον εἶναι καὶ μὴ ζῷον διορίζομεν; De an. II 2.413 b 1–2. Zur Organismusmitte siehe das Folgende und De sens. 7.449 a 2–20, vgl. ebd. 447 b 1 ff. (dazu De an. III 1.426 b 8–427 a 16; III 7, bes. 431 a 20–432 b 1, dazu Bernard (wie Anm. 62) 113– 132, 160–180); weiter De mem. 1.449 b 30 ff.; 450 a 11–25; 451 a 14–17; De somn. 2–3,

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Dieser Teil (beziehungsweise dieses Vermögen) der selbst nicht körperlichen Seele gehört zu den Teilen (Vermögen) der Seele, die ihr Ergon, ihren Akt mit dem Körper gemeinsam vollziehen. Er ist, heißt es daher in De iuv., für alles Belebte derselbe und einheitlich, wenn auch dem Sein nach vielheitlich. Denn nach De an. sei klar, daß die Substanz der Seele unmöglich ein Körper sei, in Belebtem aber, wie aus ihrer Bestimmung in De an. erhellt, dessen Akt:95 ἐπεὶ δὲ περὶ ψυχῆς ἐν ἑτέροις διώρισται καὶ δῆλον ὅτι οὐχ οἷόν τ’ εἶναι σῶμα τὴν οὐσίαν αὐτῆς, ἀλλ’ ὅμως ὅτι γ’ ἔν τινι τοῦ σώματος ὑπάρχει μορίῳ φανερόν, καὶ ἐν τούτῳ τινὶ τῶν ἐχόντων δύναμιν ἐν τοῖς μορίοις· τὰ μὲν οὖν ἄλλα τῆς ψυχῆς ἢ μόρια ἢ δυνάμεις, ὁποτέρως ποτὲ δεῖ καλεῖν, ἀφείσθω τὰ νῦν· ὅσα δὲ ζῷα λέγεται καὶ ζῆν, ἐν μὲν τοῖς ἀμφοτέρων τούτων τετυχηκόσι, λέγω δ’ ἀμφοτέρων τοῦ τε ζῷον εἶναι καὶ τοῦ ζῆν, ἀνάγκη ταὐτὸν εἶναι καὶ ἓν μόριον, καθ’ ὅ τε ζῇ καὶ καθ’ ὃ προσαγορεύομεν αὐτὸ ζῷον· τὸ μὲν γὰρ ζῷον ᾗ ζῷον ἀδύνατον μὴ ζῆν· ᾗ δὲ ζῇ, ταύτῃ ζῷον ὑπάρχειν οὐκ ἀναγκαῖον· τὰ γὰρ φυτὰ ζῇ μέν, οὐκ ἔχει δ’ αἴσθησιν, τῷ δ’ αἰσθάνεσθαι τὸ ζῷον πρὸς τὸ μὴ ζῷον διορίζομεν. ἀριθμῷ μὲν οὖν ἀναγκαῖον ἓν εἶναι καὶ τὸ αὐτὸ τοῦτο τὸ μόριον, τῷ δ’ εἶναι πλείω καὶ ἕτερα· οὐ γὰρ ταὐτὸ τὸ ζῴῳ εἶναι καὶ τὸ ζῆν. Da über die Seele unterscheidende Bestimmungen in anderen (Abhandlungen) getroffen sind und klar ist, daß ihre Substanz unmöglich ein Körper sein kann, ist trotzdem doch offensichtlich, daß sie an einem Teil des Körpers auftritt, und zwar an diesem (Körper) durch einen bestimmten von denjenigen (ihrer Teile), die ihr Vermögen an den Teilen (des Körpers) haben: die anderen Teile oder Vermögen, wie immer man sie nun nennen soll, der Seele sollen für jetzt beiseite gesetzt sein; doch wovon man sagt, es sei Lebewesen und lebe, da muß bei dem, was an beidem, ich meine mit ‚beidem‘ Lebewesen zu sein und zu leben, Anteil erlangt hat, derselbe sein und einheitlich sein der Teil, gemäß dem es sowohl lebt als auch gemäß dem wir es als Lebewesen ansprechen. Das Lebewesen nämlich, insofern es Lebewesen ist, lebt unmöglich nicht, insofern es jedoch lebt, insofern ist es nicht notwendig Lebewesen. Denn Pflanzen leben zwar, haben jedoch nicht Wahrnehmung, mit Blick aber auf das (Vermögen des) Wahrnehmens bestimmen wir das Lebewesen gegenüber dem Nicht-Lebewesen als verschieden. Der Zahl nach also ist einheitlich und

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etwa 2.455 a 5 ff.; a 12–b 13; De long. vit. 6.467 a 18–30; De iuv. 1.467 b 18–4.469 b 6; De resp. 8. 474 a 30–b 3; 16.478 b 8–9; 17.478 b 31–479 a 3 (dazu 18.479 a 29–30; 21.480 a 16–19). Siehe Arist. De an. II 2.414 a 19–28.

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Wolfram Brinker derselbe dieser Teil (der Seele), dem Sein nach jedoch mehrere und andere, denn nicht ist dasselbe das Lebewesen-Sein und das Leben.96

Im übrigen, sei angemerkt, bezeichnet Aristoteles deswegen in De an. die hier weiter oben bereits in Abschnitt 3. angeführte Definition der Seele auch als allgemein,97 als etwas, was „allgemein jeder Seele an einem Sterblichen zukommt“.98 Er scheint damit sagen zu wollen, daß er hier einen Abstraktionsgrad, einen „Begriff der Seele“ „erreicht“ zu haben glaube, „der sich so weit an einen allgemeinen Begriff annähert, wie dies nur möglich ist“ und daß daher „[s]chon bei körperlichen Lebewesen“ „die Art der Seele jeweils von der Art des Körpers abhängig“ sei.99 Gegenüber einem solchen Verständnis läßt sich freilich eine ganze Reihe von Autoritäten aus der Tradition der Aristoteles-Erklärung anführen, die, außer Aristoteles selbst,100 diesem Verständnis mit subtilen Argumenten begegnet sind. In dieser Tradition ist eingewandt und aufgewiesen worden, daß es sich bei diesem Begriff um einen „‚kleinsten gemeinsamen Nenner‘ handelt“, aus dem der reiche Inbegriff der Seele nicht erkannt werden kann und die Seele, insofern sie Prinzip nicht nur jedes wachsenden und wahrnehmenden Lebendigen ist, auch nicht erschlossen werden könnte.101 Die Seele würde als Prinzip vielmehr aufgehoben, würde sie in dieser Weise als Prinzip verstanden. Nicht nur bildet die Seele ja selbst, wo in der Natur gemäß den Lebensformen (εἴδη) möglich, körperliche Organe, vollendet Körperliches auf ihre Akte hin, kann also weder von diesem abhängig sein, es sei denn in beiläufigem Sinn, noch kann sie so ohne Widerspruch gedacht werden. Sondern es ließe sich sogar dieses erste Prinzip in seiner ganzen Seins- beziehungsweise Aktfülle naturwissenschaftlich gar nicht aufschließen und vermitteln, wenn man es in der angenommenen Weise

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Arist. De iuv. 1.467 b 13–27. Anders als Ross (wie Anm. 1) 295 zu 467 a 16 (ἐν τούτῳ) beziehe ich τούτῳ auf τοῦ σώματος in a 15 und verstehe außerdem τινὶ als auf den von Aristoteles hier ins Auge gefaßten Seelenteil bezogen, wie übersetzt. 97 Siehe Arist. De an. II 1.412 a 1 ff.; a 5; 412 b 4; b 10, dazu II 3.414 b 20–33. 98 So z. B. Simp. in de An. 86, 15–19 Hayduck, hier: 17. 99 So U. Voigt, Von Seelen, Figuren und Seeleuten. Zur Einheit und Vielheit des Begriffs des Lebens (ζωή) bei Aristoteles, in: Föllinger (wie Anm. 64) 17–33, hier: 27. 100 Siehe hier neben Abschnitt 3., bes. Anm. 85: Arist. De an. II 1.412 b 10–413 a 10 und darauf der erneute Ansatz der Untersuchung durch eine Erläuterung ihrer Methode in II 2.413 a 11 ff., bes. a 11–16. 101 Siehe etwa Alex. Aphr. De an. 15, 26–17, 8 Bruns; Philopon. in de An. 205, 18–207, 10 Hayduck; Simp. in de An. 91, 16–25 Hayduck; Thomas von Aquino (wie Anm. 16), Nr. 244. Siehe dazu Bernard (wie Anm. 62) mit gründlicher Auseinandersetzung auch mit der modernen Auslegung, 9–22, hier 9, und 37–42. Siehe dazu auch oben die Anm. 14, 42, 62, 86. Vgl. Arist. De long. vit. 2.465 a 19–32; ferner P.-M. Morel, „Common to Soul and Body“ in the Parva Naturalia (Aristotle, Sens. 1 436b1–12), in: King (wie Anm. 73) 121– 139.

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von Arten des Körperlichen abhängig, als Organ, insofern dieses ein Körper ist, zu erkennen suchte: denn schon eine Unterscheidung zum Beispiel zwischen Haut, Ohr, Zunge und Auge als Organen mit ihren je von- und untereinander verschiedenen Organkörpern, sowie die Unterscheidung ihrer veränderlichen physischen Ausprägungen an Individuen, von denen her jede naturwissenschaftliche Untersuchung ihren empirischen Anfang nimmt, wäre vollkommen unmöglich. Sie ist unmöglich ohne eine begriffliche Durchdringung möglicher Homonymien aufgrund einer physiologischen, das heißt aber nach Aristoteles’ Erörterung im ersten Buch von De part. an. aufgrund der psychologischen Unterscheidung zwischen den ἔργα oder εἴδη dieser Organe, hier also zwischen Tasten, Hören, Schmecken und Sehen.102 Daher kann überhaupt auch nur ein rationales Lebewesen solche Untersuchungen anstellen, weil es über die genannten Wahrnehmungsfähigkeiten und -vollzüge hinaus ein begriffliches Sachverständnis von ihnen in sich selbst bilden kann, dessen Quelle jedoch weder die körperlichen Wahrnehmungsorgane als sie selbst noch deren Wahrnehmungsaktivitäten als solche, es sei denn im beiläufigen Sinne, sind.103 So enthält denn die oben angeführte Definition des Aristoteles in De an. zwar Angaben, die auf alles Belebte (Pflanzen, Tiere, Menschen) passen, aber noch nicht, was die je bestimmten, für sich je einheitlichen πράξεις und ἔργα der Seele in ihm ausmacht. Die Definition macht also bezogen etwa auf das Ernährungsvermögen oder die Wahrnehmungfähigkeit keine Unterscheidung zwischen deren unterschiedlichen Leistungen, die Aristoteles in De an. untersucht und in den Parv. nat. als bekannt voraussetzt. Die Wahrnehmung als ganze wird ja erst durch die Unterscheidung der ‚Wahrnehmung des Eigentümlichen‘ und des ‚Gemeinsamen‘ sowie der ‚beiläufigen‘ Wahrnehmung, die zudem auch ein rationales Moment enthalten kann,104 umfänglich und als solche vermittelbar, auf die die Phantasia und nicht zuletzt die in den Parv. nat. unter besonderen Gesichtspunkten behandelten seelischen Vermögen und Akte Gedächtnis, Erinnerung oder Träume hingeordnet sind. Und auch das Ernährungsvermögen ist zwar als Seelenteil dem Akt nach einer, dem Vermögen nach jedoch vielheitlich, wie es ja schon bei Pflanzen und Lebewesen verschieden ist.105 ‚Seele‘ also demnach als Ursache und Ausgangspunkt, als ein Prinzip zu verstehen und zu untersuchen bedeutet, sie als

102 Siehe Arist. De an. II 4.415 a 14–22; vgl. auch Abschnitt 2., bes. Anm. 42. 103 Siehe Alexander Aphrodisias in Abschnitt 2., Anm. 65. 104 Siehe Arist. De an. II 5.416 b 32 ff., zur sogenannten akzidentellen Wahrnehmung ebd. 6.418 a 7–25; III 1.425 a 14–b 11. 105 Siehe oben im Haupttext das übersetzte Zitat aus Arist. De iuv. 1.467 b 13–27 und ebd. 2.468 a 28–31; vgl. auch De an. II 4.415 a 22 ff.

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die Ursache der Bewegung und Veränderung, gemäß einem Worum-willen und Wofür, schließlich als die wesentliche Substanz eines lebenden (werdenden und vergehenden) Körpers zu verstehen und zu untersuchen.106 Da also, um auf die oben angeführte Stelle der Parv. nat. in De iuv. zurückzukommen, die erste Vollendung eines Belebten Akte seiner an Organen sozusagen ausgegliederten Seele, erste Verwirklichung einer Potenz ist, Belebtes oder darüber hinaus (wahrnehmungsfähiges) Lebewesen zu sein, wird diese Substanz durch die Unterscheidung bestimmter und aufeinander bezogener Akte (πράξεις und ἔργα) ihrer Organe untersucht, die ihren Ausgangspunkt wiederum von der Mitte eines jeden Organismus nehmen, sei es der der Pflanzen oder der der Lebewesen.107 Diese Mitte ist erster Ausgangspunkt der Bewegung des Belebten, seines Wachstums und, entlang den sowie auf die aktualen Unterschiede (εἴδη) innerhalb des Belebten hin, bewegender Ausgangspunkt der Ausbildung seines Organismus (Organkörper). Dieser Organismus dient bei jedem Belebten dieser selben und einheitlichen Mitte und zuerst dem wiederum aktual einheitlichen, aber dem Vermögen nach (organisch) mehrheitlichen Ernährungsvermögen; und bei wahrnehmungsfähigem Belebten (Tieren, Menschen) überdies dem aktual einheitlichen und dem Vermögen nach (organisch) mehrheitlichen Wahrnehmungsvermögen.108 Die seelische, energetisch entlang dem Eidos der jeweiligen Lebensform (Pflanze oder Tier beziehungsweise Mensch) bewegende Mitte bildet und gebraucht von ihrem physischen Aktualisationszentrum in der Organismusmitte aus als Ernährungs- bezie-

106 Arist. De an. II 4.415 a 22–b 28 (mit Phys. II 7.198 a 22–27) und ebd., 415 b 8–416 a 18, die Bestreitung der entgegengesetzten These; siehe auch Abschnitt 3. 107 Arist. De iuv. 3.468 b 16–469 a 2, bei den Pflanzen entstehen, nach der Darstellung des Aristoteles, der Stamm und die Wurzel von der Organismusmitte zweischaliger Samen aus dort, wo die Schalen zusammengewachsen sind, und bei Pfropfreisern oder Ablegern leistet diese Mitte das Wachstum am Ausgangspunkt der Augen der Zweige, ebd. 468 b 18–28; bei den Lebewesen entwickelt sich aus ihrer Organismusmitte zuerst das Herz bzw. bei den blutlosen das diesem analoge Organ, ebd. 468 b 28–469 a 1, vgl. Ross (wie Anm. 1) zur Stelle; ferner De resp. 8. 108 Siehe Arist. De iuv. 1.467 b 28–2.468 b 15, bes. 2.468 a 28–31; 468 b 2–5; ferner 3.469 a 1–23, bes. a 7–10; schließlich 4.469 a 23–469 b 6; weiter De sens. 7.448 b 17–449 a 20; De somn. 2.455 a 12–22 und b 34–456 a 6; De long. vit. 6.467 a 10–30; De resp. 8.474 a 28–474 b 9; bei den Lebewesen, die atmen, dienen die Organkörper ebenso dieser seelischen Organismusmitte, De somn. 2.456 a 6–21. Siehe auch De part. an. II 1.646 a 24–647 a 12 und ff., ferner III 3.665 a 10–15. Für seinen Standpunkt führt Aristoteles an mehreren der hier angegebenen Stellen der Parv. nat. Argumente aus naturwissenschaftlichen Experimenten (Zerteilung von Organismen) an, die nach ihm belegen, daß die Einheit der Aktivität eines Organismus mit der Hinsicht auf die Organkörper nicht dieselbe ist wie die Einheit der diesen Organismus bildenden, aktiven seelischen Potenz; vgl. dazu De an. I 4.408 b 18– 24.

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hungsweise Wahrnehmungsvermögen die auf die Akte dieser Vermögen hingeordneten Körper. Diese erhielten ihre jeweilige Bestimmtheit als Organe am Ausgangspunkt der Entwicklung des Belebten von den Vermögen: κατὰ μὲν οὖν τὰ φαινόμενα δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι ἐν τούτῳ τε καὶ ἐν τῷ μέσῳ τοῦ σώματος τῶν τριῶν μορίων ἥ τε τῆς αἰσθητικῆς ψυχῆς ἀρχή ἐστι καὶ ἡ τῆς αὐξητικῆς καὶ θρεπτικῆς, κατὰ δὲ τὸν λόγον, ὅτι τὴν φύσιν ὁρῶμεν ἐν πᾶσιν ἐκ τῶν δυνατῶν ποιοῦσαν τὸ κάλλιστον· ἐν τῷ μέσῳ δὲ τῆς οὐσίας τῆς ἀρχῆς οὔσης ἑκατέρας μάλιστα ἂν ἀποτελοῖ τῶν μορίων ἑκάτερον τὸ αὑτοῦ ἔργον, τό τε κατεργαζόμενον τὴν ἐσχάτην τροφὴν καὶ τὸ δεκτικόν, πρὸς ἑκατέρῳ γὰρ αὐτῶν οὕτως ἔσται, καὶ ἔστιν ἡ τοῦ τοιούτου μέσου χώρα ἄρχοντος χώρα. ἔτι τὸ χρώμενον καὶ ᾧ χρῆται τὸ χρώμενον δεῖ διαφέρειν, ὥσπερ δὲ τὴν δύναμιν, οὕτως, ἂν ἐνδέχηται, καὶ τὸν τόπον, ὥσπερ οἵ τ’ αὐλοὶ καὶ τὸ κινοῦν τοὺς αὐλούς, ἡ χείρ. Nach dem, wie es sich unserer Beobachtung zeigt, ist aus dem Gesagten klar, daß an diesem (Teil) und zwar in der Mitte der drei Teile des Körpers sowohl der Ausgangspunkt der wahrnehmungsbegabten als auch der Wachstum und Ernährung bewirkenden Seele ist, aber der maßhaften Bestimmtheit gemäß: denn wir sehen die Natur in allem aus dem Möglichen das Schönste bewirken. Da nun beider Ausgangspunkt in der Mitte der (belebten) Substanz ist, vollendet wohl am wirkungsvollsten ein jeder der (Seelen-) Teile sein eigenes Werk, der, der die letzte Nahrung verarbeitet, und der, der sie aufnimmt, bei einem jeden der beiden (Teile) nämlich wird (der Ausgangspunkt) sein und der Ort der derartigen Mitte ist Ort einer anleitenden (Mitte). Ferner muß das Gebrauchende und das, was das Gebrauchende gebraucht, verschieden sein, wie das Vermögen, so auch, wenn möglich, der Ort (seines organischen Werks verschieden sein muß), so, wie (verschieden sind) die Flöten und das, was die Flöten bewegt, die (Finger der) Hand.109 Nicht also, wie oben bereits, im Zusammenhang mit der Bestimmung des Eidos an Unbelebt- beziehungsweise Belebt-Organischem, erläutert (Abschnitt 2.), weil ein Körper Teile oder ein Organismus Organe hat, sondern weil an ihnen bestimmtes Sein beziehungsweise Lebensaktivität aktual wird, wird ein Körper als ein bestimmter Körper oder als ein lebender Organismus begreifbar.110 109 Arist. De iuv. 4.469 a 23–469 b 3. Die Übersetzung und den Sinn des Wortes λόγος in κατὰ δὲ τὸν λόγον (469 a 28) übernehme ich der in der Forschung kaum die gebührende Beachtung gezollten Arbeit von Bernard (wie Anm. 62), siehe die Erläuterungen ebd. 14, Anm. 19, 92–107, 152–159, 228 ff. 110 Siehe hier Abschnitt 2., mit Anm. 61, und oben, Anm. 108; daher finden sich an manchen Organen mancher Lebewesen, auch wenn sie ihnen gemeinsam sind, auch verschiedener

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Der so begründete Unterschied zwischen, um die Eingangsworte der Parv. nat. zu gebrauchen, Seele und Körper bildet in der Sammlung der Parv. nat. das wesentliche Kriterium, wonach auch die Untersuchungen der Bedingungen für Werden, Erhaltung, Einschränkung und Vergehen organischen Lebens, also der Lebensvollzüge, die Seele und Körper gemeinsam vollziehen, vorgenommen und, womöglich, nach ihren Ursachen erkannt und erklärt werden.111 Aus der Einheitlichkeit der Betrachtung dieser Lebensvollzüge

Gebrauch, verschiedene Lebensaktivitäten verwirklicht, Arist. De part. an. III 1.662 a 16– 22 und z. B. (mit Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen [wie Anm. 1] 496 zur Stelle) II 16.658 b 33–659 a 2; 659 b 30–660 a 10, ferner den bekannten Abschnitt IV 10.687 a 2–23, hier: a 8–19: „Anaxagoras nun zwar behauptet, der Mensch sei deswegen, weil er Hände habe, das verständigste der Lebewesen, vernünftig aber ist (zu sagen), er nehme Hände deswegen, weil er das verständigste (Lebewesen) ist. Die Hände nämlich sind ein Organ und die Natur teilt jeweils, vergleichbar einem verständigen Menschen, ein jedes dem zu, was es zu gebrauchen vermag. Fügt es sich doch eher, dem wirklich fähigen Flötisten Flöten zur Verfügung zu stellen als dem, der Flöten besitzt, die Kunst des Flötenspiels hinzuzugeben. Dem nämlich, was über eine umfänglichere Potenz verfügt (τῷ γὰρ μείζονι καὶ κυριωτέρῳ), gab (die Natur auch) Geringeres, aber nicht dem weniger (Vermögenden) das Wertvollere und Umfänglichere. Wenn es also so besser ist und die Natur aus dem, was (es) seiner Möglichkeit nach zuläßt (ἐκ τῶν ἐνδεχομένων), das Beste macht, ist der Mensch nicht wegen seiner Hände der verständigste, sondern hat Hände, weil er das verständigste der Lebewesen ist. Der verständigste (Mensch) nämlich würde ja (auch) die meisten Werkzeuge richtig gebrauchen und die Hand scheint nicht ein Werkzeug, sondern viele zu sein.“ Dazu, mit einer umfangreichen Belegsammlung, H. Happ, Die Scala naturae und die Schichtung des Seelischen bei Aristoteles, in: R. Stiehl/H. E. Stier (Hrsg.), Beiträge zur Alten Geschichte und deren Nachleben. Festschrift für Franz Altheim zum 6. 10. 1968, I, 220–244, bes. 223, Anm. 10, 232 ff. 111 Aristoteles stellt dabei stets in Rechnung, siehe De somn. 3.457 b 26–27, daß im einen oder anderen Fall mögliche Erklärungen vorliegen, die also ihrem vermittelten Kenntnisstand nach nicht vollständig zu befriedigen und präzisionsbedürftig sein mögen. Diese Bemerkung kann auf spätere Schriften verweisen, sie erinnert freilich v. a. an den besonderen Gegenstandsbereich der Naturwissenschaft, ohne jedoch die begründete und methodisch grundsätzliche Unterscheidung der Ursachen ebensowenig wie die Unterscheidung von Möglichkeit, Vermögen und Akt, die ja das naturwissenschaftliche Erkennen zumal auch in De an. oder De part. an. leitet, zu berühren. Des Näheren kann hier auf alle Einzelheiten nicht eingegangen werden, für De part. an. sei immerhin auf die Quellenbelege, darunter die Parv. nat., im Kommentar von Kullmann, Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 1) 273 ff. verwiesen. Festzuhalten bleibt, daß, wie gesagt, auch die Naturwissenschaft nicht ihr Gegenstand, sondern ein erkennender Zugang zu physischer Sachbestimmtheit ist (siehe die Dokumente oben, Abschnitt 2., passim, bes. die Anm. 43, 64, Abschnitt 3., bes. Anm. 93): denn methodisch durchsichtig erkennt man nach den oben genannten Unterschieden z. B. von der Grundlegung ‚sterbliches Lebewesen‘, also ‚ernährungs-, wachstums-, wahrnehmungsfähig‘ her, mithin unter sachnotwendiger Zugrundelegung erkannter πράξεις und ἔργα an sich selbst bewegter Substanzen, daß und warum sie als lebende Substanzen angesprochen werden dürfen und welche Lebensaktivität sie wessentwegen erkennbar entfalten (oder nicht), „weil“, siehe De somn. 3.455 b 13–28, hier: 26–28, „wenn (etwas) ein Lebewesen sein wird, das seine ihm eigene Natur besitzt, ihm Bestimmtes zukommen muß

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werden demnach auch die besonderen Hinsichten verständlich, unter denen die Erklärungen der Parv. nat. vorgenommen werden und in die die Abhandlungen selbst untereinander und in sich gegliedert sind.112 In De iuv. schließt Aristoteles die oben angeführten Bemerkungen zum Aktualisationszentrum des Belebten mit der Beobachtung ab,113 daß mit der Aktivität des Ernährungsvermögens physische Wärme verbunden ist, die im Aktualisationszentrum ihren Ursprung hat. In dieser Hinsicht müsse gesagt werden, daß das Vorhandensein dieser Wärme im Aktualisationszentrum eine Bedingung dafür abgibt, daß die Organkörper des Organismus ausgebildet werden und ihr Werk verrichten, das heißt ihre jeweilige Lebensaktivität aufnehmen und erhalten können, wohingegen das Schwinden dieser Bedingung Sterben und zuletzt den Tod bedeutet.114 Die Erläuterung des Schwindens des Warmen durch die Erklärung des Schwindens des Feuers dient dem Nachweis, daß, wie Aristoteles in De an. ausführt, das Feuer nicht schlechthin Ursache, sondern mitwirkende Nebenursache der Ernährung und des Wachstums ist. Für die Erhaltung der Wärme der Organkörper ist also eine je bestimmte Wärme Bedingung, zu deren spezifischer, erhaltender Begrenzung und Bestimmtheit des Wärmehaushalts in allem Belebten einerseits Nahrung und umgebendes Klima (die Wärmeträger Luft beziehungsweise Wasser) beitragen, andererseits im Lebewesen das Prinzip des Lebendigen selbst durch den Gebrauch des spezifisch Warmen (Kalten) zur Kühlung sorge.115 Hier fügt sich folgerecht eine Abhandlung über die Aufrechterhaltung des spezifischen Wärmehaushalts der Lebewesen an. De resp. gliedert sich in eine Einleitung, in einen ersten, doxographischen Teil und einen zweiten, der dann sachlich unmittelbar an De iuv. anschließt. Es folgt eine abschließende Bemerkung.116 In De resp. 1 führt Aristoteles neben dem eigentlichen Sachgrund seiner Abhandlung, nämlich das Worum-willen der Atmung zu erweisen, die Un-

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und, wenn (ihm) dieses (Bestimmte) zukommt, (ihm) notwendig (wieder) anderes zukommt.“ Bzw. sich unter von Aristoteles beachteten Hinsichten gliedern lassen; zur Überlieferung der Sammlung siehe Abschnitt 1., Anm. 1. Hinführend Arist. De iuv. 1.467 b 10–4.469 b 6, darauf 4.469 b 6–6.470 b 5. Arist. De iuv. 4.469 b 6–20; vgl. De resp. 17–18. Arist. De iuv. 5, bes. 470 a 5–7 (mit De resp. 4.472 a 2–4; 472 b 1–5; 6.473 a 3–12; 9.474 b 25–31; 12.476 b 30–477 a 1 und De an. II 4.416 a 9–18) und ebd. 6. Die Gliederung im Großen und Ganzen wäre demnach De resp. 1 (Einleitung); 2–7 (Doxographie); 8–21.480 b 20 (Durchführung); 21.480 b 21–30 (Epilog). Die folgende Gliederung von Einheiten versucht dem Befund Rechnung zu tragen, daß in 8 ff. auch Wiederholungen von bereits Erläutertem ohne merkliche Einführung einer verschiedenen Hinsicht auszumachen sind.

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sachgemäßheit früherer Darlegungen an. Daß die Abhandlung der Begründung des Worum-willen der Aufrechterhaltung der spezifischen Wärme des Organismus dient, was nach Auffassung des Aristoteles nicht nur die Atmung leistet, sagt er schlicht und prägnant gleich zu Beginn mit seiner Feststellung, daß nicht alle Lebewesen atmen.117 Die Einwände, die im ersten Teil gegenüber früheren Darstellungen des Sachverhalts (Demokrit, Anaxagoras, Diogenes von Apollonia, Platons Timaios und Empedokles) vorgebracht und in den folgenden Abschnitten beachtet werden, sind, zusammengefaßt: Ein unrichtiges Verständnis der Atmung, unter der Aristoteles Ein- und Ausatmen von Luft versteht; daher atmen auch nicht alle Lebewesen, worüber die Ermittlung der Aufgabe der Lunge, im Unterschied zu anderen Organen mit derselben Aufgabe, belehrt;118 die Verkennung der im Innern des Organismus wirkursächlich, aktiv tätigen und zielgerichteten, nicht rein mechanisch von außerhalb des Organismus erzeugten Betätigung des Ausgangspunkts des Atmens sowie die Verkennung der beteiligten Werkzeuge;119 schließlich die Verkennung, daß das Einatmen zuerst erfolge.120 In De resp. 8 rekapituliert Aristoteles zunächst im Anschluß an De iuv. das dort Gesagte, unterstreicht die prinzipienmäßige Bedeutung des Ernährungsvermögens für Wachstum, Ernährung, Organbildung und betont abschließend die Notwendigkeit des spezifischen Wärmehaushalts für den Organismus.121 Die Abschnitte De resp. 9–12 dokumentieren die Versorgung der Lebewesen mit spezifischer Wärme und erklären die Akte ihrer Organe an zahlreichen Spezies, ein aus hierfür einschlägigen Schriften des Aristoteles bekanntes, dokumentierendes Beweisverfahren.122 Auf die Zielsetzung der Abhandlung kommt De resp. 14 mit einer grundsätzlichen Bemerkung zurück. Im Zusammenhang nämlich mit der Begründung der Ausbildung der Organe,123 mit denen die Herstellung und Aufrechterhaltung der Lebensaktivität durch maßbestimmte, je spezifische Wärmeregulierung geleistet wird, macht Aristoteles klar, daß Leben, Tod und

117 Arist. De resp. 1.470 b 7–9; 470 b 26–27. 118 Arist. De resp. 2.470 b 28–3.471 b 29; 5.472 b 6–12, vgl. 9.474 b 31–475 a 20. 119 Arist. De resp. 4.471 b 30–472 b 5; 472 a 20–24 und a 31–472 b 3; 5. 472 b 24–473 a 2; 7.473 a 17–473 b 8; 474 a 7–23; vgl. 8.475 a 9–15; 14.477 a 32–477 b 9; 21.480 a 25–480 b 1. 120 Arist. De resp. 5.472 b 12–24. 121 Arist. De resp. 8, vgl. De an. II 3. 122 Siehe Abschnitt 1., Anm. 1 und 7, Abschnitt 2., Anm. 70, die Parv. nat. enthalten daher auch Faktenbelege, im Sinne der Klassifizierung der aristotelischen Schriften sind sie in dieser Hinsicht als Sammlung sozusagen ein Mischtyp. 123 Die Begründungen werden durch anatomische Erklärungen und unter dem Gesichtspunkt von Leben und Tod auch hinsichtlich der Aufnahmefähigkeit der Organkörper für die notwendigen Lebensaktivitäten betrachtet, siehe Arist. De resp. 13–21.480 b 20.

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Vergehen im Bereich des Zusammenwirkens physischer Sach- und seelischer Aktbestimmtheit begründet ist. Das umfasst demnach die Möglichkeit, das Vermögen und die Vollendung des Lebendigen sowohl im Vorliegen der spezifischen Lebenswärme124 als auch in der die Lebensaktivität mitbedingenden Konstitution eines Organismus, insofern er Körper ist, zu bestimmen. Hierbei nämlich sei für das Verständnis dieses Zusammenwirkens wichtig, zwischen der physischen Umwelt, in der ein Organismus seine Lebensaktivität entfaltet, und seiner ihm eigenen physischen Beschaffenheit zu unterscheiden. Daher kommt die Lebensaktivität eines Lebendigen dort am besten zur Entfaltung, wo die physische Sachbestimmtheit des Organismus möglichst wenige seiner eigenen Beschaffenheit qualitativ entgegengesetzte Umweltbedingungen vorfindet, wo er also gleichsam selbst seiner Zusammensetzung nach solchen Bedingungen eher entspricht. Aussicht auf die Aufrechterhaltung der Lebensaktivität hat der Organismus im entgegengesetzten Fall da am ehesten, wo der Möglichkeit nach einander entgegengesetzte Eigenschaften an ihm auftreten und daher ausgeglichen werden können, wenn solche Eigenschaften ihm also akzidentell sind.125 Diese Unterscheidung macht möglich, Lebensaktivitäten des leitenden Lebensprinzips auch in Hinsicht auf ihre Dauer der Zeit nach zu klassifizieren, wie Aristoteles das in De long. vit. versucht. So wären die Abhandlungen De long. vit., De iuv. und De resp. einheitlich als Abhandlungen über die Lebensaktivität des Ernährungs- und Wachstumsvermögens unter der Hinsicht auf die Konstituentien sowie die Konstitution des Organismus, insofern er Organismuskörper ist, begriffen. Die Abhandlungen befassen sich mit physischer Sachbestimmtheit von Belebtem, insofern sich bei organischem Werden im Ernährungsvermögen die – naturwissenschaftlichem Erkennen nach – erste sich vollendende Umsetzung eines seelischen Ergons jedes Belebten nachweisen läßt. Diese seelische Leistung ist in eben dieser Hinsicht erste Ursache der Bewegung und Veränderung, erstes Worum-willen und Wofür einer werdenden und vergehenden Substanz, die diese Ursache an sich selbst besitzt.126 Dieser Leistungsfähigkeit kommt auf der Stufe des Werdens der von ihrer Mitte aus bewegten lebendigen Substanz, insofern sie nicht nur Belebtes, sondern Lebewesen (Tier oder Mensch) ist, der Tast- und Geschmackssinn (und der diesem zuordnungsbare Geruchssinn) zu, und zwar wiederum als die dem naturwissenschaftlichem Erkennen nach erste Betätigungsform des jedem Le-

124 Arist. De resp. 15–19. 125 Arist. De resp. 14. 126 Vgl. Arist. De an. II 2.414 a 4–28; 4.415 a 23–25; 416 a 19–b 29; siehe De sens. 4.442 a 4–8; De long. vit., bes. 2–3 und 5.

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bewesen eigenen Unterscheidungsvermögens der Wahrnehmung.127 Die Abhandlungen De sens., De mem., De somn., De insomn., De divin. bilden unter dieser Hinsicht folglich innerhalb der Sammlung der Parv. nat. eine zweite große Einheit. Da gilt,128 daß die hier besprochenen Sachverhalte allen Lebewesen als Lebewesen zukommen und Sachverhalte untersucht werden, die Seele und Körper gemeinsam sind, handelt es sich um Sachverhalte, die Lebewesen gemeinsam sind, weil sie ihren Ursprung im seelischen Wahrnehmungsprinzip haben, also von Wahrnehmung begleitet oder ihr Ergebnis sind.129 Beide Bewegungen durch das Lebensprinzip, die Bewegungen des Ernährungs- und des Wahrnehmungsvermögens, haben ihren Ausgangspunkt in der Organismusmitte. Als Ausgangspunkt einerseits für das Ernährungsvermögen, das Verdauungsorgane bildet und leitet, ist die seelische Organismusmitte Ausgangspunkt der Lebensbewegung des wachsenden Belebten und daher auch für Lebewesen von existentieller Bedeutung; das zeigt sich etwa daran, daß dessen Verdauungs- und Wachstumsprozesse besonders im Schlaf erfolgen, wo keine aktual getätigten Wahrnehmungen, so Aristoteles, stattfinden.130 Daß Tast- und Geschmackssinn dem Ernährungsvermögen zugeordnet sind, bestätigt die oben bereits in Abschnitt 3. erwähnte Behauptung, daß das Ziel des Lebensvollzugs eines Lebewesens, insofern es Lebewesen ist, nicht der Schlaf, sondern das Wachen ist, das heißt das Wahrnehmen und Denken. Daher liefert die primäre Wahrnehmungsinstanz dem Naturwissenschaftler das erste Worum-willen (und Wofür) der Lebewesen, als ein, dem Lebensvollzug nach, dem Prinzip des Ernährungsvermögens übergeordnetes Prinzip der Lebewesen als Lebewesen. Die primäre Wahrnehmungsinstanz ist in der Reihe der seelischen Vermögen der Lebewesen, vor allem schließlich des Menschen, als ein und dieselbe diejenige Instanz, in der vollzählig und sachimmanent alle Einzelwahrnehmungen eines Lebewesens getätigt werden, und in

127 Vgl. herleitend Arist. De an. II 1–2 und hier die Anm. 68, 74; ferner De an. II 3.414 b 6– 16; De sens. 1.436 b 12–437 a 1; 4.440 b 28 ff., bes. 441 b 19–442 a 2, hier auch über das Eidos bzw. Ergon des Riechbaren, insofern es wie das Schmeckbare der Ernährung zugeordnet werden kann und dessen Wahrnehmung (beinahe) allen Lebewesen gemein ist, wenn ihnen auch nicht derselbe Organkörper gemein ist (De resp. 7.473 a 21–27; De part. an. II 16): 5.442 b 27 ff.; 443 b 17–444 a 9; 444 b 7–15; über die Zuordnung des Geruchssinns hier ferner 445 a 4–16; De somn. 2.455 a 20–26. 128 Siehe Arist. De sens. 1.436 a 1 ff. und hier Abschnitt 3. 129 Siehe Arist. De sens. 1.436 b 1–12; das Entstehen des Lebens ist die ‚erste Teilhabe‘ des Ernährungs- und Wachstumsvermögens des Samens oder Keims am Warmen, siehe De resp. 18.479 a 29–30, beim Lebewesen, zu dessen Lebensaktivität Wahrnehmung gehört, bilden sich durch die vegetativen Vermögen über deren Organkörper hinaus, Organkörper aus, die die Wahrnehmung des Warmen ermöglichen, siehe Anm. 127. 130 Siehe Arist. De somn. 3.

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dem Umfang, wie eine untersuchte Spezies wahrnehmbare Unterschiede mittels ihrer dafür ausgebildeten Organkörper nachweislich erkennen kann. Sie ist in diesem Verständnis hernach schließlich auch diejenige Instanz, in der Vorstellungen der Phantasia, Gedächtnis und Träume ihren Sitz als ihrem Prinzip haben. Dieses Verständnis des der ersten Wahrnehmungsinstanz eigentümlichen Prinzipiencharakters innerhalb der Potenz der Seele, einer nach Aristoteles, wie gesehen, selbst nicht wahrnehmbaren, sondern intelligiblen, das heißt an ihrem Werk, ihren Akten erkenn- und erforschbaren Substanz, kann sich auf die Ergebnisse der Aufarbeitung platonischer und aristotelischer Wissenschaft, ihrer Axiomatik und kritischen Methode bereits durch antike Philologen und Naturwissenschaftler berufen. Von diesen sei wenigstens noch Alexander von Aphrodisias in einem Auszug angeführt zu der Frage, wie dieser Prinzipiencharakter der ersten Wahrnehmungsinstanz zu verstehen ist und beschrieben werden muß. Alexanders Erklärung der primären Wahrnehmungsinstanz nach Aristoteles kann nämlich, nach der hier vorgelegten Deutung, als paradigmatisch gelten nicht nur für die Darlegung der Einheit des Wahrnehmungsvermögens, sondern eines Seelenvermögens mit seinen spezifischen Leistungen überhaupt und im selben Zug auch der Einheit der Seele im Ganzen, sofern sie eine intelligible, unteilbare Substanz ist: ἢ δυνήσεται οὕτως ἡ κοινὴ αἴσθησις ἅμα τὰς διαφορὰς γνωρίζειν τῶν διαφόρων αἰσθητῶν, εἰ πῇ μὲν ἓν εἴη τὸ αἰσθητικόν, πῇ δὲ πλείω τε καὶ διαιρούμενον. ὡς γὰρ ἐπὶ κύκλου αἱ ἀπὸ τῆς περιφερείας αὐτοῦ ἐπὶ τὸ κέντρον ἐπιζευγνύμεναι οὖσαι πολλαὶ πᾶσαι κατὰ τὸ πέρας εἰσὶν αἱ αὐταὶ τῷ τά τε πέρατα αὐτῶν ἐφαρμόζειν τῷ τοῦ κύκλου κέντρῳ καὶ ἔστι τὸ πέρας τοῦτο ἕν τε καὶ πολλά, καθόσον μὲν πολλῶν ἐστι καὶ διαφερόντων πέρας, πολλά, καθόσον δὲ πάντα ἀλλήλοις ἐφήρμοσεν, ἕν, οὕτως ἔχειν ὑποληπτέον καὶ τὴν κοινὴν αἴσθησιν τὸ ἕν τε καὶ πολλά. τῷ μὲν γὰρ ἑκάστης τῶν διὰ τῶν αἰσθητηρίων γινομένων κινήσεων ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν ἐν τῷ ἐσχάτῳ αἰσθητηρίῳ πέρας εἶναι τὴν αἰσθητικὴν δύναμιν, μέχρι γὰρ ἐκείνου καὶ ἐπ’ ἐκεῖνο ἡ ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν διὰ τῶν αἰσθητηρίων διάδοσις, πολλὰ ἔσται, πολλῶν καὶ διαφόρων κινήσεων γινομένη πέρας, τῷ δὲ δύναμις ἀσώματος εἶναι ὁμοίως ἡ αὐτὴ παντός τε οὖσα τοῦ ἐσχάτου αἰσθητηρίου καὶ ἑκάστου μέρους αὐτοῦ, ἀδιαίρετός τε ἔσται καὶ μία. ἓν δὴ καὶ οὐχ ἓν ἡ δύναμις ἡ αἰσθητική. […] ἡ δύναμις ἡ αὐτὴ καὶ μία οὖσα ἐκ παντός τε τοῦ αἰσθητηρίου καὶ ἑκάστου τῶν μερῶν αὐτοῦ ἅμα αἰσθάνεταί τε καὶ κρίνει τὰ ἐναντία. οὐ γὰρ ὥσπερ ἐπὶ τοῦ πάσχειν ἀδύνατον συνυπάρξαι τῷ αὐτῷ τὰ ἐναντία, οὕτως δὲ ἔχει καὶ ἐπὶ τῆς κρίσεως αὐτῶν. οὐ γὰρ ἐναντία κρίσις ἡ περὶ τῶν ἐναντίων κρίνουσα τὰ ἐναντία, ἦν δὲ ἀδύνατον τὰ ἐναντία ἅμα περὶ τῷ αὐτῷ γενέσθαι. ἐν κρίσει γὰρ ἐναντία οὐ τὸ τὰ ἐναντία ἐναντία λέγειν, ἀλλὰ τὸ τὸ αὐτὸ ἅμα εἶναι τἀναντία. διὸ τοῦτο μὲν ἀδύνατον συνυπάρξαι τῷ κρίνοντι ὡς ἅμα ταὐτὸν

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Wolfram Brinker εἰπεῖν λευκόν τε καὶ μέλαν, τὸ δὲ τὰ ἐναντία κρῖναι ὅτι ἐναντία οὐκ ἀδύνατον. κρίνει δὴ ἡ δύναμις ἡ αἰσθητικὴ ἅμα τὰ ἐναντία ὅτι ἐναντία, τοῦ ἐσχάτου αἰσθητηρίου, οὗ δύναμίς ἐστιν, αὐτὴ κατὰ διαφέροντα μόρια πάσχοντός τε καὶ τὰ εἴδη τῶν ἐναντίων αἰσθητῶν διαγγέλλοντος αὐτῇ.131 ἡ δὲ δύναμις ἡ αἰσθητικὴ οὐκέτι κεκώλυται ἅμα τὴν κρίσιν αὐτῶν ποιεῖσθαι, ὅτι μὴ ταὐτόν ἐστι τὸ κρίνειν τῷ παθεῖν. παθεῖν μὲν γάρ τι τὸ αὐτὸ ἅμα τὰ ἐναντία ἀδύνατον, ὅτι ἀδύνατον ἅμα τι δέχεσθαι τὰ ἐναντία, ἀσυνύπαρκτα δὲ τὰ ἐναντία, κρῖναι δὲ ἅμα τὰ ἐναντία οὐδὲν ἀδυνατεῖ, ὅτι μὴ ἔστιν ἐν κρίσει ἐναντία τὸ τὸ λευκὸν λευκὸν κρῖναι καὶ τὸ μέλαν μέλαν. ὡς γὰρ ἐν τῷ πάσχειν ἐναντίον τὸ τὰ ἐναντία [τὸ] παθεῖν τὸ αὐτὸ μέρος καὶ ἐν ταὐτῷ χρόνῳ, καὶ διὰ τοῦτο ἐν τῷ πάσχειν τοῦτο ἀδύνατον, οὕτως ἐν κρίσει πάλιν ἀδύνατον τὸ τὸ λευκὸν ὁμοῦ μὲν λευκόν, ὁμοῦ δὲ μέλαν ὑπολαμβάνειν εἶναι. διὸ πάλιν ἐν κρίσει τὸ οὕτως ἔχον ἀσυνύπαρκτον. τὸ μὲν μέλαν μέλαν, τὸ δὲ λευκὸν λευκὸν εἰπεῖν οὐκ ἀδύνατον, ὅτι μηδ’ ἐναντίον.132 Nun wird so der Gemeinsinn zugleich die Unterschiede des verschieden Wahrnehmbaren erkennen, wenn in einer Hinsicht Eines ist das Wahrnehmungsfähige, in anderer Hinsicht Mehreres und sich Aufteilendes. Wie nämlich bei einem Kreis die von seiner Peripherie auf sein Zentrum hin gezogenen (Radien), obwohl viele, alle gemäß ihrer Grenze dieselben sind dadurch, daß ihre Grenzen auf das Zentrum des Kreises bezogen sind und diese Grenze Eines und Vieles ist, soweit sie Vieler sich unterscheidender Grenze ist, Vieles, soweit sie alle aufeinander bezog, Eines: so, muß man annehmen, enthält auch der Gemeinsinn das Eine und Viele. Weil das Wahrnehmungsvermögen nämlich Grenze einer jeden der durch die Wahrnehmungsorgane hindurch vom Wahrnehmbaren her am letzten Wahrnehmungsorgan entstehenden Bewegungen ist, bis zu diesem nämlich und auf dieses hin (erfolgt) das Durchreichen vom Wahrnehmbaren her durch die Wahrnehmungsorgane hindurch, wird es Vieles sein, da es vieler verschiedener Bewegungen Grenze wird; weil es aber ein unkörperliches Vermögen ist, auf gleiche Weise dasselbe (Vermögen) des letzten Wahrnehmungsorgans im ganzen und eines jeden Teils von ihm, wird es unteilbar sein und eines. Eines folglich und nicht Eines ist das Wahrnehmungsvermögen. […] Da es dasselbe und eines ist, nimmt das Vermögen wahr und unterscheidet aus jedem Wahrnehmungsorgan und einem jeden seiner Teile zugleich Gegensätzliches: nicht nämlich so wie beim Erleiden unmöglich ist, daß demselben Gegensätzliches zugleich zuteil wird, verhält es sich auch bei deren Unterscheidung, denn eine Unter-

131 Alex. Aphr. De an. 60, 19−65, 2 Bruns, hier: 63, 6–20 und 64, 9–20. 132 Alex. Aphr. Quaest. 96, 31–97, 35 Bruns, hier: 97, 25–35.

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scheidung, die bei Gegensätzlichem das Gegensätzliche unterscheidet, ist nicht gegensätzlich, unmöglich aber war, daß Gegensätze zugleich an demselben auftreten: in einer Unterscheidung nämlich ist gegensätzlich nicht zu sagen, das Gegensätzliche sei gegensätzlich, sondern, dasselbe sei zugleich Gegensätzliches. Deshalb kommt zwar dem, der etwas unterscheidet, unmöglich zu, zugleich zu sagen, weiß und schwarz sei dasselbe, nicht unmöglich aber ist , am Gegensätzlichen zu unterscheiden, daß es gegensätzlich ist. Das Wahrnehmungsvermögen unterscheidet also zugleich am Gegensätzlichen, daß dieses gegensätzlich ist, während das letzte Wahrnehmungsorgan, dessen Vermögen es selbst ist, an verschiedenen Teilen (Bewegung) erleidet und die Bestimmtheit des gegensätzlich Wahrnehmbaren an sie übermittelt. Das Wahrnehmungsvermögen jedoch ist nicht mehr (wie ein Körper) daran gehindert, (das verschieden Wahrnehmbare) zugleich zu unterscheiden, weil nicht dasselbe ist das Unterscheiden und das Erleiden: dasselbe Etwas zugleich als sein Gegensätzliches zu erleiden nämlich ist unmöglich, weil unmöglich ist, zugleich etwas als sein Gegensätzliches aufzunehmen, Gegensätzliches tritt (hier) nicht zugleich auf; doch Gegensätzliches zugleich zu unterscheiden ist keineswegs unmöglich, weil in einer Unterscheidung nicht gegensätzlich ist, zu unterscheiden, daß das Weiß weiß und das Schwarz schwarz ist. Wie nämlich beim Erleiden gegensätzlich ist, daß derselbe Teil (eines Körpers) Gegensätzliches erleidet und zum selben Zeitpunkt, und dies deswegen beim Erleiden unmöglich ist, so wiederum ist bei einer Unterscheidung unmöglich, anzunehmen, das Weiß sei zugleich weiß und zugleich schwarz. […] Zu sagen (unterscheidend wahrzunehmen, s. o.), das Schwarz sei schwarz und das Weiß sei weiß, ist nicht unmöglich, da es ja auch kein Gegensatz ist.133 Legt man diese Analyse der Einheit des Wahrnehmungsvermögens des Alexander von Aphrodisias als hermeneutisches Kriterium zugrunde, wird er-

133 Vgl. auch Alex. Aphr. in Sens. 162, 14–168, 10 Wendland; Thomas von Aquino (wie Anm. 16) Nr. 599–614, zu Arist. De an. III 2.426 b 8–427 a 16. Wie Alexander in De an. 63, 6–20 an der Wahrnehmung exemplifiziert nicht viel später z. B. auch Plotin die Leistung seelischer Potenz überhaupt, in der Vieles zu einer Einheit verbunden ist, an der Vielheit der den Umkreis bestimmenden Radien, deren nach Selbigkeit und Verschiedenheit einheitliche Vielheit als vom gänzlich und auch begrifflich (δι’ ἐπινοίας) in ihm selbst von sich ungeschiedenen, unteilbaren und unaufhebbaren Mittelpunkt wieder verschiedene, von ihm bestimmte vielheitliche Einheit begriffen wird, siehe etwa Plot. IV 2 [4] 1–2, hier: 1, 12–29. Die Deutung dieses Kreisexempels hat sich nachweislich bis zu Thomas von Aquino, siehe S. Thomae Aquinatis in Aristotelis libros De sensu et sensato, De memoria et reminiscentia commentarium, Turin 1949, Nr. 288, und darüber hinaus, vgl. etwa Bernard (wie Anm. 62) 169, Anm. 29, einhellig gehalten.

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sichtlich, daß Aristoteles auf seiner Lehre über die Wahrnehmung, die er in De an. bietet, die Abhandlungen De sens., De mem., De somn., De insomn., De divin. aufbaut. Der Zielsetzung der Parv. nat. gemäß behandeln diese Schriften die primäre Wahrnehmungsinstanz beziehungsweise deren ausgegliederte Wahrnehmungsleistungen nicht ihren Erkenntnisakten selbst für sich nach. Sie behandeln vielmehr unter der Voraussetzung der Einheit des Wahrnehmungsvermögens der Lebewesen und seiner Erkenntnisleistungen deren Organkörper, das jeweilige Wesen wahrnehmbarer physischer Sachbestimmtheit und weitere auf die Wahrnehmungsakte als solche hin mitwirkende Bedingungen.134 Sie behandeln dann das Erfassen von Wahrnehmungsinhalten, ohne dabei aktual wahrnehmend tätig zu sein, das heißt das Gedächtnis, mit Blick auf mitwirkende Ursachen aus der physischen Konstitution der Lebewesen.135 Ferner gehen sie mit derselben Berücksichtigung seiner Bedingungen ein auf den aktiven und gezielten Gebrauch von Gedächtnisinhalten bei der Erinnerung.136 Weiter befassen sie sich mit der Unterscheidung von Wachen und Schlaf, von dem im Abschnitt 3. bereits als einer zeitweisen Unfähigkeit zu aktualer Wahrnehmungserkenntnis die Rede war und für die die Einbeziehung der Akte des Ernährungsvermögens aus der Organismusmitte heraus eine bedeutende Rolle als mitwirkende Ursache spielen.137 Schließlich liefern sie mit der Abhandlung über das Träumen eine Ergänzung zum Thema des Schlafes, die das Träumen als eine bestimmte Bewegung der Instanz der Organismusmitte erläutert, durch die Vorstellungen beim Schlafen, also unter den Bedingungen erzeugt werden, die Aristoteles in De somn. untersucht.138

5. Schluss Der ersten Wahrnehmungsinstanz kommt folglich, um zusammenzufassen, bei der Erforschung belebter Substanzen für die in den Parv. nat. beantworteten Fragen eine nicht unwesentliche, sondern eine maßgebende Bedeutung zu. Sie ist, nach Aristoteles, für die Erforschung belebter Substanzen nicht

134 Siehe Arist. De sens. 2 und 3–7; siehe oben, Abschnitt 3., Anm. 101. 135 Siehe Arist. De mem. 1; das Gedächtnis enthält auch Wissensinhalte, siehe ebd. 136 Siehe Arist. De mem. 2; bei der Erinnerung werden, schon deswegen, weil dabei die Erfassung der Zeit notwendig wird, schlußfolgernde Vermögen der (menschlichen) Ratio gebraucht. 137 Siehe Arist. De somn. 138 Siehe Arist. De insomn., bes. 3; von der Bestimmung des Traumes in De insomn. aus nimmt Aristoteles in De divin. eine Beurteilung und Bewertung der Traumdeutung vor.

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allein Kriterium für die Unterscheidung der Pflanzen von Lebewesen (Tieren, Menschen), sondern innerhalb der Lebensaktivität der Lebewesen überdies Kriterium der Unterscheidung nicht-rationaler und rationaler Lebewesen. Die erste Wahrnehmungsinstanz ist Kriterium der Unterscheidung derjenigen Lebensaktivitäten, die das Prinzip des Lebendigen (Seele) an einem anderen, als es selbst ist, nämlich an Organkörpern, vollzieht, von denjenigen Lebensaktivitäten, die dieses Prinzip selbst als es selbst, zumal im Menschen, vollzieht. Weil die primäre Wahrnehmungsinstanz nämlich auch die Instanz ist, durch die Lebewesen, nach Aristoteles’ Auffassung in De somn., wahrnehmen, daß sie wahrnehmen,139 zeigt dieses den Lebewesen, im Unterschied zu Pflanzen, angeborne Vermögen im Menschen ein weiteres Worum-willen und Wofür: Denn insofern das menschliche Denken in bestimmtem Sinne nicht ohne das Wahrnehmungsvermögen und die Phantasia tätig werden kann und insofern das menschliche, rationale Denken erst durch das Erkennen der Unterschiede in den Wahrnehmungen als Wahrnehmungen sich selbst betätigen und methodisch von sich selbst Rechenschaft ablegen kann, zeichnet sich erst der Mensch als ein der Möglichkeit nach wissenschaftlich tätiges Lebewesen aus. So wäre zuletzt auch die Physiologie und Biologie nach Aristoteles eine Art analytischer Selbsterkenntnis im Gesamt einer einheitlichen, menschlichen Wissenschaft.140 Alle Lebensäußerungen jedenfalls und deren fördernde oder einschränkende physische Lebensbedingungen, die in den Parv. nat. von Aristoteles dokumentiert werden, sind einheitlich auf einen seelischen Mittelpunkt bezogen, von dem her und gleichsam von dessen begrifflicher Mitte aus die Entstehung und nachweisbare Verwirklichung organischer Substanzen, da sie Belebtes sind, durch seelische πράξεις und ἔργα wissenschaftlich unterschieden, erkannt und verständlich werden. Und hierin dürfte denn auch ein Argument für die Einheit der Sammlung dieser Abhandlungen über Sachverhalte, die dem Körper und der Seele gemeinsam sind, gesehen sein. Denn die Orientierung am bestimmten Sein, das sich im Unbelebten an den Teilen der Körper 139 Arist. De somn. 2.455 a 12–22: „Denn einer jeden Wahrnehmung ist einerseits etwas eigentümlich, andererseits etwas gemeinsam, so ist etwa dem Sehvermögen eigentümlich das Sehen, dem Hörvermögen das Hören und genauso jeweils den anderen, es gibt aber auch ein gemeinsames Vermögen, das allen folgt (ἀκολουθοῦσα πάσαις), mit dem (das Lebewesen) wahrnimmt, daß (ὅτι) es sieht und hört, denn durch das Sehvermögen jedenfalls sieht es nicht, daß es sieht, und tatsächlich unterscheidet es und vermag es zu unterscheiden, daß das Süße vom Weißen verschieden ist, weder durch den Geschmackssinn noch durch den Sehsinn noch durch beide, sondern durch einen allen Wahrnehmungszentren gemeinsamen Teil: Die Wahrnehmung nämlich ist eine (μία) und das eigentliche Wahrnehmungszentrum eines (τὸ κύριον αἰσθητήριον ἕν), hingegen das bestimmte Sein jeder einzelnen Wahrnehmung, wie zum Beispiel eines Tons und einer Farbe, ein anderes.“ 140 Siehe Abschnitt 2., Anm. 65.

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und in belebten Substanzen an Organkörpern beziehungsweise Seelenorganen jeweils am Werk zeigt, um dessentwillen die Teile eines Organismus zudem für etwas tätig sind, schließt nicht nur die erforsch- und begreifbare Einheitlichkeit lebendiger Organismen in ihrer jeweiligen physischen Lebensdimension auf. Sie macht deren Erforschung und die Detailfülle der schriftlichen Ausarbeitung durch Aristoteles, die den dem wissenschaftlichen Eidos zugrundeliegenden Sachverhalten, indem sie diese nicht ausspart, gewidmet ist, überhaupt erst zu einer wissenschaftlichen Einheit. Dieser Standpunkt, scheint es, macht es darüber hinaus auch möglich und sinnreich, nicht nur sachwissenschaftliche von nicht sachwissenschaftlicher Literatur zu unterscheiden, sondern auch Literaturformen und Literatursorten daraufhin zu befragen, was sie vermitteln und in welcher Weise, und schließlich ob sie das im Einzelfall vollendet ausgearbeitet leisten oder auch (noch) nicht.141

Bibliographie Alexandri Aphrodisiensis in Aristotelis Metaphysica commentaria. Consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae edidit Michael Hayduck, Berlin 1891. Alexandri Aphrodisiensis praeter commentaria scripta minora. De anima liber cum Mantissa. Consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae edidit Ivo Bruns (Supplementum Aristotelicum II 1), Berlin 1887. Alexandri Aphrodisiensis praeter commentaria scripta minora. Quaestiones. De fato. De mixtione. Consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae edidit Ivo Bruns (Supplementum Aristotelicum II 2), Berlin 1892. Alexandri in librum De sensu commentarium. Consilio et auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae edidit Paulus Wendland (CAG III 1), Berlin 1901. Aristote, Le parties des animaux. Texte établi et traduit par Pierre Louis, Paris 1956. Aristoteles, Historia animalium, Buch I und II. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Stephan Zierlein, Berlin 2013. Aristoteles, De insomniis, De divinatione per somnum. Übersetzt und erläutert von Philip J. van der Eijk, Berlin 1994.

141 Siehe Abschnitt 1., Anm. 16; Abschnitt 4., Anm. 111.

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Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie Martin F. Meyer Als Parv. nat. wird seit dem späten 13. Jahrhundert eine Gruppe von kleinen naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles bezeichnet.1 Das Textcorpus dieser Schriften umfaßt in der heute weltweit maßgeblichen Ausgabe von August Immanuel Bekker 44 Seiten und entspricht vom Umfang der durchschnittlichen Länge von vier aristotelischen Büchern. Die mit Abstand längsten Pragmatien gelten dem Thema der Wahrnehmung und dem Problem der Atmung. In Bekkers Edition sind diese Schriften in der folgenden Reihenfolge angeordnet: DE DE DE DE DE

SENSU ET SENSIBILIBUS

DE DE DE

LONGITUDINE ET BREVITATE VITAE 2 VITA ET MORTE (DE IUVENTUTE)

1

2

MEMORIA ET REMINISCENTIA SOMNO ET VIGILIA INSOMNIIS DIVINATIONE PER SOMNUM

RESPIRATIONE

S. 436–449 S. 449–453 S. 453–458 S. 458–462 S. 462–464

13 4 5 4 2

(PN I)

S. 464–467 S. 467–470 S. 470–480

3 4 10

(PN II)

Vgl. J. Freudenthal, Zur Kritik und Exegese von Aristoteles’ περὶ τῶν κοινῶν σώματος καὶ ψυχῆς ἔργων (parva naturalia), Teil I, Rheinisches Museum für Philologie 24, 1869, 6, Anm. 1. Demgemäß findet sich der Titel Parva naturalia bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin noch nicht. Die Bezeichnung Parva naturalia begegnet erstmals bei Aegidius Romanus (Gilles de Rome); vgl. zur Textüberlieferung: P. Siwek, Les manuscrits grecs des Parva Naturalia d’Aristote. Rom 1961; G. F. Vescovini, La tradizione dei ‚Parva naturalia‘ nell’insegnamento universitario medievale (secoli XIII e XIV), in: Ch. Crisciani/R. Lambertini /R. M. Vico (Hrsg.), Parva Naturalia. Saperi medievali, natura e vita. Pisa 2004, 125– 141; Ph. J. van der Eijk, Aristoteles. Parva naturalia III: De insomniis. De divinatione per somnum (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Hrsg. von Hellmut Flashar. Band 14/3), Berlin 1994, 94–99 zur mittelalterlichen Textüberlieferung. Wie schon der Titel andeutet, begreift Freudenthal (zumindest den ersten „sinnesphysiologischen“ Teil dieser Gruppe) als Traktat „Über die dem Leib und der Seele gemeinsamen Werke“. (Diese auf De sens. 1. gestützte Deutung trägt für unsere Fragestellung aber nur wenig bei, da ja gerade zu klären ist, welche Rolle den in De sens. 1. genannten vier Begriffspaaren (Wachen – Schlafen, Jugend – Alter, Einatmen – Ausatmen, Leben – Tod) in der aristotelischen Biologie zukommt. Die Schrift De vit. et mort. wird in manchen Ausgaben unterteilt in die zwei Abhandlungen De iuventute et senectute und De vit. et mort. Diese Einteilung ist sachlich nicht gerechtfer-

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Martin F. Meyer

Die Siglen PN I bzw. PN II für Parv. nat. I bzw. Parv. nat. II deuten an, daß sich die Parv. nat. in zwei Teilgruppen gliedern lassen. Für die Einheit beider Gruppen spricht der in De an. III 9.432 b 11–12 angekündigte Plan, „Einund Ausatmen und Schlaf und Wachen später noch zu untersuchen“ und der Vorverweis in De an. III 10.433 b 19–21 auf eine geplante Pragmatie über „die dem Leib und der Psyche gemeinsamen Werke“.3 Nachstehend wird erörtert, welche Rolle den Parv. nat. in der aristotelischen Biologie zugedacht ist. Die These des Beitrags lautet, daß der systematische Ort der Parv. nat. in der aristotelischen Biologie v. a. von den Bestimmungen her zu begreifen ist, die Aristoteles in der biologischen Prinzipienforschung in De an. zur Psyche und den Lebensfunktionen gibt. Der Gedankengang gliedert sich wie folgt: (1) Im Rekurs auf die innere Verweisstruktur der Texte wird gezeigt, daß die Parv. nat. programmatischen Zielen folgen. Bekkers Anordnung spiegelt die Chronologie daher treffend wider. Dies erlaubt Aussagen zur Stellung der Parv. nat. im biologischen Curriculum des Aristoteles. (2) Zweitens wird gezeigt, daß die „Lebensfunktionen“ (δυνάμεις τῆς ψυχῆς) das Explanandum der aristotelischen Biologie darstellen. Aristoteles will erklären, (a) welchen Lebewesen welche δυνάμεις zukommen und (b) wie die Lebewesen diese Lebensfunktionen artspezifisch realisieren. Zunächst untersucht er, welche Tiere z. B. schwimmen, fliegen oder sich erinnern – dann, wie diese Funktionen realisiert werden. Im Rahmen seiner biologischen Prinzipienforschung4 in De an. II. entwickelt Aristoteles den Gedanken, daß die „Lebensfunktionen“ die eigentlichen Explananda der biologischen Wissenschaft sind. Die in De an. festgesetzten Bestimmungen zur „Psyche“ präformieren das System der aristotelischen Biologie. In allen vier Hauptdisziplinen (Anatomie, Physiologie, Ethologie, Genetik) läßt sich die Erforschung der Tatsachen von ihrer aitiologischen Erklärung unterscheiden. Das ist für die vorliegende Fragestellung maßgeblich: Gleich im ersten Satz der Parv. nat.

3

4

tigt: Aristoteles kündigt zwar an zwei Stellen eine Abhandlung über Jugend und Alter an, führt diese Absicht aber nicht aus; so schon Freudenthal (wie Anm. 1) 82: „die Abhandlung über Jugend und Alter ist nicht ausgeführt“; vgl. E. Rolfes, Aristoteles. Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia). Übersetzt und mit einer Einleitung und erklärenden Anmerkungen versehen von dems. Leipzig 1924; [Einleitung] VI: „Die siebente Abhandlung [der Parv. nat., MM], von Jugend und Alter, Leben und Tod, und die achte, vom Atmen, gehören zusammen.“ Ich folge in diesem Beitrag jedoch der üblichen Konvention, die Schrift De vit. et mort. mit dem Kürzel De iuv. abzukürzen. Vgl. R. A. H. King, Aristoteles. De memoria et reminiscentia. Übersetzt und erläutert von R. A. H. King (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach. Hrsg. von Hellmut Flashar. Band 14/2), Berlin 2004, 27, Anm. 13. Vgl. M. F. Meyer, Aristoteles und die Geburt der biologischen Wissenschaft, Wiesbaden 2015, 372–417 zum Begriff der „biologischen Prinzipienforschung“ bei Aristoteles. Der Begriff wird unter Punkt 2 näher erläutert.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

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(in De sens. 1) heißt es, die Bestimmungen zum „Wesen der Psyche und jedem ihrer Vermögen“ seien schon in De an. getroffen. Aristoteles erklärt die Prinzipienforschung hier für abgeschlossen. Auch in De iuv. 1 erhellt, daß er dieses Thema für erledigt hält.5 De an. II gebraucht den Term „Psyche“ in einem zweifachen Sinne: Aristoteles begreift die Psyche (a) als „Prinzip“ (ἀρχή) eines jeden Lebewesens; (b) spricht er von der Psyche als „Ursache“ (αἰτία). Dies ist für die Parv. nat. von zentraler Bedeutung. (3) In den Parv. nat. verwendet Aristoteles den Begriff „Psyche“ im Sinne der αἰτία. Somit ist zu klären, in welcher Hinsicht die Psyche als αἰτία biologische Sachverhalte kausal erklärt bzw. welche Konsequenzen sich daraus für die Parv. nat. ergeben. Es wird sich zeigen, daß die Parv. nat. als aitiologische Schriften zu deuten sind. Diese Deutung erfordert hinsichtlich der Schriftengruppe Parv. nat. II weitere Präzisierungen.

1. Querverweise und relative Chronologie Die Parv. nat. enthalten mehr als fünfzig sog. Querverweise (vgl. Anhang I). Querverweise sind Bemerkungen, mit denen Aristoteles sich auf eigene Schriften bezieht. Die Verweise liefern wichtige Informationen zum inneren Zusammenhang der Parv. nat. Paul Thielscher hat schon 1948 die Bedeutung dieser „Selbstzitate“ für die relative Chronologie des ganzen Corpus Aristotelicum erörtert.6 Thielscher diskutierte aber nur die sog. direkten Verweise (Bemerkungen, mit denen Aristoteles explizit auf eigene Schriften verweist). Davon zu unterscheiden sind sog. indirekte Verweise, bei denen er ohne explizite Nennung eines Titels auf eigene Gedanken anspielt. Diese ‚Anspielungen‘ waren offenbar an ein eingeweihtes Publikum adressiert. Ihre Zielrichtung läßt sich nicht in allen Fällen bestimmen. In den Parv. nat. hält sich das Verhältnis von direkten und indirekten Verweisen in etwa die Waage. Es gab aber auch kritische Stimmen, die den Rekurs auf die Querverweise eher skeptisch beurteilten. So monierte etwa Sir David Balme, sämtlich Querverweise könnten Einschübe späterer Redakteure sein.7 Dem hat Wolfgang 5

6

7

Vgl. Arist. De iuv. 1.467 b 13–18: Die Stelle ist auch deswegen wichtig, weil Aristoteles hier in wenigen Zeilen die wichtigsten Ergebnisse der biologischen Prinzipienforschung aus De an. referiert und diese in einen direkten Zusammenhang mit zoologischen Fragen stellt. Vgl. P. Thielscher, Die relative Chronologie der erhaltenen Schriften des Aristoteles nach den bestimmten Selbstzitaten, Philologus 97, 1948, 229–265. Insgesamt gibt es im Corpus Aristotelicum ca. 150 solcher Verweisstellen, ein Großteil davon in den naturwissenschaftlichen Schriften. Allein auf den voluminösen, mit reichhaltigen Graphiken ausgestatten, verlorenen Anatomischen Atlas verweist Aristoteles in den biologischen Schriften an 26 Stellen. Vgl. D. M. Balme, The Place of Biology in Aristotle’s Philosophy, in: A. Gotthelf/J. G. Lennox (Hrsg.), Philosophical Issues in Aristotle’s Biology, Cambridge 1987, 9–29: Balme

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Kullmann in seinen Arbeiten zu De part. an widersprochen.8 Gegen Balme lassen sich insbes. drei Argumente anführen: Erstens müßte man (wollte man nicht sämtliche Verweise diskreditieren) echte und unechte Querverweise klar unterscheiden. Es müßte eindeutige Kriterien geben, die diese Grenzziehung rechtfertigten. Zweitens wäre zu fragen: Welches Interesse sollte ein antiker Redaktor gehabt haben, mit der Einfügung von Verweisen eine chronologische Ordnung in die aristotelischen Schriften zu bringen – eine chronologische Ordnung, an der die antike Philologie gar nicht interessiert war? Für die Analyse der Verweise spricht drittens, daß die Resultate dieser Analyse im Großen und Ganzen den Ergebnissen entsprechen, die man auch auf anderen Wegen gewinnt. Kurz: Die Querverweise liefern wichtige Anhaltspunkte zur Chronologie der aristotelischen Texte. Die Vor- und Rückverweise sind zumindest als Indizien zu werten. Daraus folgt nicht, daß sämtliche Verweise echt sind. Vorsicht ist bei sog. ‚Brückenverweisen‘ angebracht, die ganz am Anfang oder ganz am Ende einer Schrift stehen; ihnen ist kaum echte Beweiskraft zuzuerkennen. Elf der 26 direkten Querverweise in den Parv. nat. erinnern an De an. Aristoteles verweist jedesmal auf allgemeine Bestimmungen zum Leben und den Lebensfunktionen in De an. II 1–4 bzw. auf Gedanken zur Aisthesis in De an. II 5–III 13. Kein einziger Verweis gilt der Psyche-Doxographie in De an. I.9 Die Mehrzahl der Verweise auf De an. begegnet in De sens., De mem.,

8

9

stützt seine These auf eine Notiz des Stobaios, der gemäß Andronikos von Rhodos die Texte nachediert („arranged them by subjects“) haben soll. Gemäß Balme könnten fast alle Verweise aus den Texten entfernt werden, ohne daß sich eine Änderung der Syntax oder des argumentativen Gehalts ergebe: „It is quite possible therefore, that they [the references] are all additions to the original texts.“ Der Einwand ist originell, überzeugt aber nicht: Es ist typisch für Querverweise, daß man sie aus dem Text entfernen kann, ohne daß dies die argumentative Struktur tangiert. Vgl. W. Kullmann, Wissenschaft und Methode. Interpretationen zur aristotelischen Theorie der Naturwissenschaft, Berlin/New York 1974, 4 ff.; ders., Aristoteles. Über die Teile der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von W. Kullmann (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von E. Grumach. Herausgegeben von H. Flashar. Band 17 [Zoologische Schriften] / Teil 1), Berlin 2007, 146 f., insbes. zu Balmes These von den „reziproken Verweisen“ und (in Anm. 57) mit Hinweisen auf die Forschungen von W. Theiler, Aristoteles. Über die Seele (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung), Berlin 1959, 73 ff. Kullmann, 144 schreibt, schon Jacobus Zabarella (1533–1589) habe in seinem Werk De rebus naturalibus libri XXX. Quibus quaestiones, quae ab Aristotelis interpretibus hodie tractari solent, accurate discutiuntur (Köln 1590 [ND Frankfurt 1966]) über die „Binnenstruktur der biologischen Abhandlungen“ des Aristoteles diskutiert. Mindestens drei Gründe sprechen dafür, daß die Doxographie in De an. I im Kontext der Parv. nat. entstanden sein könnte: Aristoteles referiert hier (a) verschiedentlich ausführlich Überlegungen der Vorgänger (vgl. nur das Empedokles-Zitat De sens. 2.437 b 24–438 a 5); (b) legt er in De resp. 2–7 eine umfassende Doxographie zum Thema Atmung vor, die u. a. dem Aufweis dient, daß die früheren Denker „keine Ahnung von Anatomie“ hätten

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De somn., De insomn. und De divin. Dagegen finden sich in De long. vit., De iuv., De vit. et mort. und De resp. nur zwei direkte Verweise auf De an. Das muß nicht heißen, daß beide Schriftengruppen disparate Pragmatien sind. (Es wundert nicht, daß die sinnesphysiologischen Traktate auf De an. II 5–III 13 rückverweisen. Beide Schriftengruppen sind aber von differenten Zielen bestimmt.) Die Befunde ergeben Folgendes: (a) De an. wurde vor den Parv. nat. verfaßt; (b) De an. bestand aus mehreren ‚Büchern‘ (ἐν τοῖς Περὶ ψυχῆς); (c) Aristoteles setzt De an. II und III bei den Hörern als bekannt voraus; (d) die Verweise zu Beginn von De sens. 1 belegen, daß De sens. direkt an De an. III anschließt. Der enge Zusammenhang von De an. und (zumindest der ersten Teilgruppe) der Parv. nat. ist in der AristotelesForschung herrschende Meinung. Die indirekten Verweise in den Parv. nat. unterstreichen das: Verweise auf De an. sind in der ersten Gruppe weit häufiger. Wie selbstverständlich stützt sich Aristoteles auf die Kenntnis von De an. II und III. (Auch die indirekten Verweise zeigen nie auf die Doxographie in De an. I oder die Nous-Abhandlung in De an. III 4–7.) Die zweite Gruppe der Querverweise in den Parv. nat. ergibt folgendes Bild: (a) Alle Verweise gelten den eigenen naturwissenschaftlichen Schriften. Es gibt in den Parv. nat. keinen einzigen direkten oder indirekten Verweis auf logische, ethisch-politische oder metaphysische Pragmatien. (b) Fast alle Querverweise gelten den biologischen Schriften. Ausnahmen: Ein direkter Verweis auf Meteor. IV (ἐν τοῖς περὶ στοιχείων), ein indirekter Verweis auf De gen. et corr. (in De sens. 3), zwei explizite Verweise in De somn. 2 und De iuv. 5 auf die (verlorenen)10 Problemata und ein Verweis auf Phys. VII (in

10

(De resp. 3.471 b 23–29), (c) wiederholt er zu Beginn von De iuv. 1 (mit Verweis auf die Abgeschlossenheit der Prinzipienforschung in De an. II) einen Kerngedanken dieser Pragmatie: So könne die Substanz der Psyche nicht somatisch sein, sei aber gleichwohl „in irgendeinem Teil des Körpers befindlich“. Der erläuternde Nachsatz „und zwar innerhalb des Körpers unter dessen Gliedern in einem von denjenigen, denen eine besondere Dynamis zukommt“ (467 b 16–17) ist so zu lesen, daß Aristoteles in den Parv. nat. II den Gedanken entwickelt, die Psyche (hier i. S. v. „Leben“) habe ihren „Sitz“ in jenem „mittleren“ Körperteil, der zwischen den Organen der Nahrungsaufnahme und Exkretion liegt (De iuv. 2). Dem liegt folgende anatomische Beobachtung zugrunde: „Schneidet man [was sich bei vielen Tierarten beobachten lasse, MM] einen der beiden äußeren Körperteile (also den Kopf oder Teil, der die Nahrung verdaut) ab, so lebt das betreffende Individuum mit demjenigen Teil weiter, der mit dem Mittelteil des Körpers verbunden bleibt.“ (De iuv. 2.468 a 23–24). Ich verdanke den Reihenherausgebern des vorliegenden Bandes den Hinweis, daß es sich bei dieser Schrift nicht um die unechten (erhaltenen) Problemata, sondern um die verlorenen Problemata [Physica] des Aristoteles handelt; weiterführend: H. Flashar, Aristoteles, Problemata Physica. Übersetzt von dems., (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Band 19), zweite durchgesehene Auflage Berlin 1975 (zuerst 1962), Einleitung: „Die (verlorenen) Problemata des Aristoteles“, 303–316 mit weiterer Literatur (I. Düring, Aristoteles, De Partibus Animalium, Göteborg 1943 [der Verweis sei ein Zusatz des Alexander v. Aphrodisias], insbes. 305 f. zu den Querverweisen in De iuv. 470 a 15–18, De somn. 456 a 27–29

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De sens. 6). Dies zeigt: Aristoteles hatte seine Naturwissenschaft als Gesamtprogramm konzipiert.11 Er rechnete beim Publikum mit der Kenntnis seiner naturwissenschaftlichen Forschungen. Hinsichtlich von De gen. et corr., Meteor. IV, Phys. VII und den verlorenen Probl. ist (übereinstimmend mit Thielscher)12 zu folgern, daß diese Schriften den Parv. nat. chronologisch vorhergehen. (c) Signifikant sind die Querverweise in den Parv. nat. auf seine biologischen Schriften. Die Parv. nat. I enthalten drei direkte Verweise auf biologische Themen: so in De sens. 4.442 a 3 auf die geplante Schrift De gen. an. und in De somn. 3.457 b 29 auf bereits vorgeführte Gedanken in De part. an. II 7. Aristoteles war zur Zeit der Ausarbeitung der Parv. nat. I in einer Planungsphase. Brisant ist der direkte Rückverweis in De somn. 3.456 b 6 auf die (verlorene oder nicht ausgeführte) Schrift Über die Nahrung.13 Auf De part. an. spielt De somn. zweimal indirekt an (De somn. 2.456 a 1; 3.458 a 20 f.). De somn. 3.458 a 20 f. enthält eine Anspielung auf Hist. an. I 17 bzw. III 2–4. In den Parv. nat. I begegnet eine indirekte Anspielung auf die geplante botanische Schrift De plantis. Erstmals in der griechischen Literatur begegnet hier der Ausdruck φυσιολογία: Aristoteles qualifiziert die geplante botanische Abhandlung als σκέψις ἐν τῇ φυσιολογίᾳ τῇ περὶ τῶν φυτῶν.14 In den Parv. nat. II gibt es mehr direkte Querverweise auf biologische Schriften: Auf die Hist. an. und die Zeichnungen aus dem verlorenen Anato-

11

12 13

14

[keine sachliche Entsprechung in den erhaltenen Problemata Physica] und dem [schon von Michael v. Ephesos diskutierten] Verweis in De mem. 451 a 18–20). Die These, daß es bei Aristoteles ein solches Programm gibt, hatte zuerst (der in Padua lehrende Professor für die Historia Naturalis) Jacopo Zabarella (1533–1589) formuliert (vgl. H. Mikkeli, An Aristotelian Response to Renaissance Humanism. Jacopo Zabarella on the Nature of Arts and Sciences, [The Finnish Historical Society] Helsinki 1992). Sie wurde in neuerer Zeit durch Forschungen von I. Düring und W. Kullmann erhärtet. Düring (Aristotle’s De Partibus Animalium, Critical and Literary Commentary [reprinted New York 1980], Göteborg 1943, 5) vertrat die Ansicht, Aristoteles habe seine gesamte Philosophie in einem „course of lectures“ vorgetragen (I. Düring,). Kullmann (2007, 140) ist etwas vorsichtiger. In seinem Kommentar zu De part. an. heißt es, Aristoteles habe schon früh die Idee eines „Gesamtplans“ seiner naturwissenschaftlichen Forschung verfolgt, und er habe dieses Programm auch konsequent ausgeführt. Demnach war dieser Plan also beschränkt auf die Naturwissenschaften. Vgl. P. Thielscher (wie Anm. 6). Vgl. P. Louis, Le traité d’Aristote sur la nutrition, Revue de Philologie 3, ser. 26, 1952, 29– 35; vgl. dazu kritisch: J. Althoff, Aristoteles’ Vorstellung von der Ernährung der Lebewesen, in: W. Kullmann/S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse (Akten des Symposions über Aristoteles’ Biologie vom 24. bis 28. Juli 1995 in der Werner-Reimers-Stiftung in Bad Homburg), Stuttgart 1997, 351–364 (insbes. Anm. 2). Vgl. Arist. De sens. 4.442 b 24–26: τὰ γὰρ ἄλλα πάθη τῶν χυμῶν οἰκείαν ἔχει τὴν σκέψιν ἐν τῇ φυσιολογίᾳ τῇ περὶ τῶν φυτῶν.

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mischen Atlas verweist De resp. 16 zweimal explizit. In beiden Fällen nennt Aristoteles beide Werke in einem Atemzug. Auch De resp. 8.474 b 9 verweist auf den Anatomischen Atlas. Dem Auditorium standen die Schriften der Hist. an. also mitsamt den korrespondierenden Zeichnungen zur Verfügung. So ist es wahrscheinlich, daß der Hörerkreis des naturwissenschaftlichen Curriculums eher begrenzt war und nicht der von Diogenes Laertius genannten Zahl der 2.000 Hörer des Theophrast entsprach.15 In einem direkten Vorverweis in De long. 467 b 4–5 weist Aristoteles auf die noch geplante Schrift De plantis hin. Zwei weitere indirekte Verweise in De resp. 7.473 a 27–b 1 bzw. De resp. 14.477 b 11–12 setzen die Kenntnis von De part. an. voraus. Auf De part. an. verweist De iuv. 3.468 b 32 f. einmal direkt, De iuv. 3.469 a 22 f. einmal indirekt. Die Verweise der Parv. nat. auf die biologischen Schriften lassen folgende Schlüsse zu: (a) Die Hist. an., der Anatomische Atlas und De part. an. II–IV sind als fertige Schriften schon vorausgesetzt; sie sind früher zu datieren als die Parv. nat. Dies gilt auch für die einmal erwähnte (vielleicht verlorene, vermutlich nicht ausgeführte) Schrift Über die Nahrung. (b) Nach den Parv. nat. hatte Aristoteles noch die botanische Pragmatie De plantis geplant und ebenfalls die Schrift De gen. an. Beide Werke sind folglich nach den Parv. nat. anzusetzen. Abschließend ein Blick auf die internen Querverweise in den Parv. nat., d. h. auf Stellen, wo Aristoteles in den Parv. nat. auf Schriften dieser Gruppe verweist. Die Verweise liefern nur vage Indizien für die innere Chronologie der Parv. nat. Hier ist aber Vorsicht geboten: Die häufigen ‚Brückenverweise‘ (am Anfang oder am Ende einer Schrift) könnten am ehesten interpoliert sein. Ein Brückenverweis kündigt am Schluß von De sens. die anstehende Pragmatie De mem. an. Das ist ein (schwaches) Indiz für die bewährte Abfolge. De somn. 2.456 a 10 f. spielt indirekt an auf noch folgende Überlegungen zur Atmung: ein Indiz für die Stellung von De resp. nach De somn. Nicht überraschend ist der indirekte Vorverweis auf das Thema der Träume in De somn. 2.456 a 26–27 und in De div. 2.464 b 9–10 ein Rückverweis auf De insomn. Daß beide Schriften eng zusammengehören, ist ohnehin nicht zweifelhaft. Abgesehen von der genannten Anspielung auf De resp. findet sich in der Parv. nat. I kein Hinweis auf die Schriften der Parv. nat. II. Das muß nichts heißen. Es ist aber zu vermuten, daß die Parv. nat. II (etwas) später entstanden

15

Vgl. Diog. Laert. V 37. Zur (seit Eduard Zeller kritischen) Diskussion um diese (vermutlich eher übertriebene) Angabe vgl. ausführlich: A. Kamp, Philosophiehistorie als Rezeptionsgeschichte: Die Reaktion auf Aristoteles’ De anima-Noetik. Der frühe Hellenismus, Amsterdam/Philadelphia 2001, 87 f.

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sein könnten als die Parv. nat. I. Umgekehrt findet sich in den Parv. nat. II nur ein einziger direkter Rückverweis auf die Parv. nat. I: De long. vit. 1.464 b 30–32 verweist auf De somn. Die Stelle ist ein sog. Brückenverweis. Falls er echt ist, unterstreicht er die etablierte Ordnung der Schriften. Komplexer ist die interne Struktur der Parv. nat. II. In De long. vit. gibt es drei Vorverweise: (a) auf das Thema von Leben und Tod, (b) auf dieses Thema zusammen mit Überlegungen zu Jugend und Alter, (c) auf das Thema der Atmung. Umgekehrt verweist Aristoteles in De resp. dreimal indirekt zurück auf De iuv. und einmal auf De long. vit. Die Verweise liefern Indizien für Bekkers Anordnung der Parv. nat. Zudem bieten sie einen weiteren Anhalt dafür, daß die Parv. nat. I früher sind als die Parv. nat. II. Merkwürdig ist, daß einige Verweise dem Thema von Jugend und Alter gelten, obwohl Aristoteles zur Jugend nichts sagt und dem Alter nur wenig Aufmerksamkeit widmet (im Kontext der Behandlung der Todesursachen).16 Endlich sei bemerkt, daß es in den Parv. nat. weder direkte noch indirekte Vor- oder Rückverweise auf die kleinen Schriften De inc. an. bzw. De mot. an. gibt. (Am Ende von De mot. an. 11.704 b 1–3 heißt es, die Behandlung von Aisthesis, Schlaf und Gedächtnis sei nun beendigt; es sei jetzt nur noch „über die Entstehung“ zu sprechen. Zweifellos ist De mot. an. nach den Parv. nat. I und vor De gen. an. verfaßt.) Die relative Chronologie der biologischen Schriften des Aristoteles läßt sich nach Auswertung der Querverweise in den Parv. nat. wie folgt skizzieren:17

16

17

Vgl. E. Rolfes (wie Anm. 2) 149–150 (Anm. 1): „Aristoteles betrachtet die drei letzten Abhandlungen der Parva naturalia als eine Einheit. Er hat möglicherweise keine längeren Ausführungen über Jugend und Alter geschrieben und es vielleicht auch nicht beabsichtigt; abweichend urteilen hierüber Zeller, Bonitz und Heitz, Zeller Phil. d. Griech. II, II, 95, Anm. 1. […]. Wenn Aristoteles sagt, er wolle auch von Jugend und Alter reden, kann er an die einschlägigen Bestimmungen in der Abhandlung vom Atmen denken. In den zwei vorausgehenden Abhandlungen findet sich über Jugend und Alter nichts, abgesehen von der freilich grundlegenden Bestimmung zu Anfang des 5. Kapitels, daß das Alter auf Verzehrung der natürlichen Wärme beruht. Wenn er hier […], am Ende der Abhandlung, Jugend und Alter vor Leben und Tod setzt, so hat er darum nicht vorgehabt, von Jugend und Alter auch zuerst zu handeln. Denn sie sind Inhärenzien von Leben und Tod, jene die Blüte des Lebens, dieses der Vorbote des Todes; was aber einem Dinge inhäriert, kommt erst nach diesem selbst zur Besprechung.“ Die Anordnung der Titel in der linken bzw. rechten Spalte folgt nicht aus den Querverweisen. Lediglich die enge Bindung der Parv. nat. an De sens. folgt (die Echtheit vorausgesetzt) aus De sens. 1. Auch über die Chronologie von De gen. an. und De plantis sagen die Verweise nichts.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

VORHER

Phys. VII De gen. et corr. Meteor. Hist. an. Anatomischer Atlas De part. an. De an. I & II

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NACHHER

Parv. nat. I Parv. nat. II De mot. an. De gen. an. De plantis

Auf dieser Basis lassen sich nun erste Rückschlüsse auf die Parv. nat. gewinnen. In den Parv. nat. konnte Aristoteles auf den Großteil seiner zoologischen Forschungen zurückgreifen. In den Schriften, die den Parv. nat. vorausgehen, hatte er ca. 580 differente Tierspezies untersucht.18 Ebenfalls zu ca. 60 Pflanzenspezies finden sich Notizen.19 Wolfgang Kullmann hat genügend Belege dafür erbracht, daß Aristoteles in den 13 Jahren nach seiner Akademie-Zeit weite Forschungsreisen unternommen und Sektionen an ca. 60 Tierspezies durchgeführt hat.20 Die Ergebnisse der Sektionen fanden ihren Niederschlag in dem voluminösen Anatomischen Atlas. Auf diesen Atlas verweist der Stagirit im biologischen Œuvre an 26 Stellen;21 dreimal übrigens in den Parv. nat. (einmal mit der Notiz, ein Sachverhalt lasse sich nicht nur κατὰ λόγον, sondern überdies auch aus der Anschauung erschließen).

18 19 20 21

Vgl. Meyer (wie Anm. 4) 496: Liste der zoologischen Spezies. Vgl. Meyer (wie Anm. 4) 499–508: Liste der botanischen Spezies außerhalb von De plantis. Vgl. W. Kullmann, Aristoteles als Naturwissenschaftler, Boston/Berlin/München 2014, insbes. 78–112. Vgl. A. Stückelberger, Vom anatomischen Atlas des Aristoteles zum geographischen Atlas des Ptolemaios. Beobachtungen zu wissenschaftlichen Bilddokumentationen, in: W. Kullmann/J. Althoff/M. Asper (Hrsg.), Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, Tübingen 1998, 287–307: Stückelberger gibt eine Liste der Verweise auf einzelne Abbildungen. Der Anatomische Atlas enthielt Abbildungen zu Herz- und Blutgefäßen, zur Blutzirkulation, zu Herz und Kiemen bei den Fischen, zur Beziehung zwischen Herz und Lunge, zu Geschlechtsorganen, Blase, Fortpflanzung der Knorpel- und Tintenfische, den Eingeweiden der Schnecken und Muscheln, zur Entwicklung des Embryos, zu Zwillings- und Mehrfachgeburten, zur Genese der Eier bei Fischen und Vögeln, zur Nahrungsaufnahme, den Mägen der Wiederkäuer, zur Gallenblase, zur Struktur der Malakostraka und den Scheren der Krebse.

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Die Hist. an. war ein so nie zuvor dagewesenes zoologisches Nachschlagewerk. Nie vorher in der griechischen Literatur hat ein einzelner Autor eine so große Zahl von Tieren beschrieben. In Hist. an. I entfaltet Aristoteles den Plan zu seiner Zoologie. Die Unterschiede der Tiere ließen sich von differenten Aspekten her begreifen: von ihren Lebensweisen, Verhaltensweisen, Charakteren und Teilen. Aristoteles begründet, warum die vergleichende Anatomie die Basisdisziplin der Zoologie ist: Die Teile – so der Kern des Arguments – kommen bei allen Tieren vor. Die Teile sind der verläßlichste Maßstab, an dem sich die Zoologie orientieren kann.22 Die anatomischen Forschungen waren zur Entstehungszeit der Parv. nat. abgeschlossen (Ausnahme: die in De gen. an. behandelte Anatomie der Geschlechtsorgane). In den Parv. nat. zieht Aristoteles die Anatomie (De part. an. II–IV) oft zur Erklärung relevanter Probleme heran: Dies gilt für die Überlegungen zum „Sitz des Lebens“ in De iuv. ebenso wie bei der Erklärung zur Atmung in De resp., wo er sich auf das anatomische Faktum stützt, daß nur Tiere atmen, die eine Lunge besitzen. Umgekehrt tadelt er frühere Physiologen wegen ihrer anatomischen Unkenntnis.23 Auch auf dem Feld der Sinnesphysiologie bilden die anatomischen Forschungen das Fundament für die in den Parv. nat. I relevanten Erklärungen. Die betreffende Pragmatie Hist. an. IV 8–10 ist relativ kurz und liest sich wie ein Exkurs. Sie behandelt die zoologischen Unterschiede hinsichtlich der Sinnesorgane und Stimmwerkzeuge. Aristoteles erörtert, welche Tiere wachen, schlafen und träumen. Zu all diesen Themen geben die Parv. nat. ausführliche Erklärungen. Hist. an. IV 8 untersucht das Vorhandensein der fünf Sinne.24 Aristoteles konstatiert: Fast alle Tiere haben fast alle Sinne. Hist. an. IV 9 erörtert das Vorhandensein von Ton, Stimme

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23

24

Vgl. Arist. Hist. an. I 1.487 a 11–12. Demgemäß beruhen die Unterschiede der Tiere auf den Lebensweisen, den Verhaltensweisen, den Charakteren und den Teilen. Hist. an. I 1 dient dem Erweis, daß alle nicht-anatomischen Betrachtungen keine durchgreifenden Resultate ergeben. Es gibt Tiere, die zwischen verschiedenen Lebensweisen schwanken, und Tiere (wie der Mensch) mit Alleinstellungsmerkmalen. Hist. an. I 1.488 b 29 („Allen Tieren ist es gemein, Teile zu haben.“) begründet den Vorrang der vergleichenden Anatomie. Vgl. M. F. Meyer, Aristoteles’ Theorie der Atmung in De Respiratione, in: J. Althoff/S. Föllinger/G. Wöhrle (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Band 23, Trier 2013, 31–59. Demgemäß besitzen alle Tiere den Tastsinn. Alle fünf Sinne haben der Mensch, alle viviparen Tetrapoden und alle oviparen Bluttiere. Auch die anderen Bluttiere haben alle Sinne (aber nicht alle Sinnesorgane befinden sich außen, Vögel haben z. B. nur zwei Riechöffnungen). Nach Aristoteles können Fische und Cetacea riechen und hören. Cephalopoden, Crustacea und Insekten besitzen alle Sinne. Einzig die Schaltiere haben nur Geruch und Geschmack; Gesicht und Gehör sind zweifelhaft. Aristoteles schließt aus Beobachtungen, daß einige Muscheln sehen bzw. hören.

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und Sprache. 25 Hist. an. IV 10 handelt vom Wachen, Schlafen und Träumen.26 Daß die vergleichende Anatomie die Basis der aristotelischen Zoologie bildet, heißt nicht, daß andere in Hist. an. I genannte Merkmale wie Lebensweisen, Verhaltensweisen oder Fortpflanzungsmodi irrelevant wären. Es spricht für die Geschlossenheit der Hist. an., daß Aristoteles das zu Beginn von Hist. an. I angekündigte Programm tatsächlich durchhält. Kurz: Aristoteles gliedert die biologische Wissenschaft in vier Hauptgebiete: Vergleichende Anatomie, Physiologie,27 Genetik und Ethologie. Folgt man Kullmanns wegweisender These, die aristotelische Wissenschaft verfahre prinzipiell zweigleisig und erkläre überall erst die Fakten (das Daß: τὸ ὅτι) und dann die Ursachen (das Warum: τὸ διότι),28 so verteilen sich die vier zoologischen Disziplinen wie folgt auf die entsprechenden Schriften bzw. Schriftengruppen:

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Vgl. M. F. Meyer, Aristoteles über die anatomischen Bedingungen des Sprechens, in: J. Althoff/S. Föllinger/G. Wöhrle (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Band 21, Trier 2011, 37–54. Alle Tetrapoden schlafen und träumen. Alle Tiere mit Augenlidern schließen diese beim Schlaf. Alle blutführenden Wassertiere schlafen (allerdings nur kurz). Auch Insekten schlafen (Arist. folgert dies aus dem Aufhören des Summens bei Bienen). Der Mensch träumt am meisten. Säuglinge und Kinder haben keine Träume; ihre Träume entstehen erst im Alter von vier bis fünf Jahren. Vgl. G. Toepfer, Artikel „Physiologie“, in: ders. (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Grundbegriffe. Band 3: Parasitismus-Zweckmäßigkeit, Stuttgart 2011, 88–105. Der lat. Terminus Physiologia begegnet erst im 16. Jahrhundert. Ph. J. van der Eijk, Hippokratische Beiträge zur antiken Biologie, in: G. Wöhrle (Hrsg.), Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike. Band 1: Biologie, Stuttgart 1999, 50–53, hat gezeigt, daß der griechische Ausdruck φυσιολογία weniger in der antiken (Natur-)Philosophie als in der antiken Medizin Bedeutung erlangt. (Vgl. aber oben Anm. 14 zur ersten Verwendung des Ausdrucks in Bezug auf die Pflanzen bei Aristoteles.) Es erstaunt daher nicht, daß die Rezeption des Begriffs in der Spätrenaissance von den Ärzten in den neuen medizinischen Fakultäten (insbes. auch in Norditalien) ausgeht. Gemäß Toepfer greift der französische Arzt Jean F. Fernel in seiner Schrift De naturali parte medicinae (1542) das griechische Wort φυσιολογία wieder auf. Bei Fernel ist die Physiologie einer der fünf Teile der Medizin: „derjenige, der von der Natur des gesunden Menschen, allen seinen Fähigkeiten und Funktionen handelt“ (88). Als Teil der Physiologie behandele Fernel Aspekte der Anatomie, die Lehre von den Elementen, Qualitäten und Säften, die Organfunktionen, integrierte Vermögen wie Zeugung und Entwicklung und eine Seelenlehre. Fernel betone die Opposition von Physiologie und Pathologie. Nach Toepfer verbreitet sich der Terminus Physiologia gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Er begegnet als Titel der späteren Disziplin bei G. H. Behr, dessen Physiologica medicina (1736) in deutscher Sprache eine „Beschreibung des menschlichen Leibes“ ankündigt. Vgl. Kullmann (wie Anm. 8); ders., Die Voraussetzungen für das Studium der Biologie nach Aristoteles, in: W. Kullmann/S. Föllinger (Hrsg.), Aristotelische Biologie. Intentionen, Methoden, Ergebnisse, Stuttgart 1997, 43–62; ders., Aristoteles und die moderne Wissenschaft, Stuttgart 1998.

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ANATOMIE PHYSIOLOGIE GENETIK ETHOLOGIE

TATSACHENKLÄRuNG

URSACHENKLÄRuNG

Hist. Hist. Hist. Hist.

De De De De

an. an. an. an.

I 7–Hist. an. IV 7 IV 8–11 V–VII (HA X) VIII–IX

part. an. II–IV & De inc. an. an. II 5–III & Parv. nat. I gen. an. I–V mot. an.

2. Die Lebensfunktionen als Leitfaden zur Verortung der Parv. nat. I Jeder Leser der anatomischen Pragmatien kann bemerken, daß in der Hist. an.29 und De part. an. II–IV (anders als in Buch I)30 auffallend selten von der „Psyche“ die Rede ist. Spätestens nach Abschluß der umfangreichen Forschungen auf dem Feld der vergleichenden Anatomie (gegen Ende der Exiljahre und/oder zu Beginn der Athener Lehrtätigkeit) faßte Aristoteles den Plan, die Zoologie in sein naturwissenschaftliches Curriculum einzupassen. Um Anliegen und Struktur dieser Wissenschaft zu erklären und den Plan des Curriculums zu skizzieren, bedurfte es erstens einer protreptischen Einführung, um das Forschungsinteresse, die Eckpfeiler der naturwissenschaftlichen Bildung und die Grenzen zur medizinischen Wissenschaft zu verdeutlichen. Diese Zielsetzungen finden ihren Niederschlag in De part. an. I. In De part. an. I 5 zeigt der Stagirit mit großem rhetorischem Gestus, die bisher eher mißachtete Erforschung der Lebewesen sei nicht von geringerer Dignität als die traditionell (insbes. in der Akademie) hochgeschätzte Astronomie. Die Lebewesen seien uns vertrauter als die astronomischen Entitäten; auch verspreche ihre Erforschung gravierende Einsichten hinsichtlich der wichtigen anthropologischen Fragen. Wie in den Parv. nat. tangiert er hier das Verhältnis von Biologie und Medizin. Zweitens bedurfte es zur Integration der Biolo-

29

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In den zehn Büchern der Hist. an. begegnet das Wort ψυχή nur neunmal; vgl. Hist. an. 519 a 4; 588 a 19; 588 b 1; 596 b 2; 599 b 31; 608 a 14; 630 b 25; 633 a 16 (fast jedesmal ethologisch die ‚psychischen Verhaltensweisen‘ der Tiere betreffend). In De part. an. kommt ψυχή an 25 Stellen vor. Die Hälfte dieser Stellen begegnet im Prinzipien- und Methodenbuch I (insbes. in De part. an. I 1.641 a 17 ff.), wo Aristoteles die Bedeutung einer explizit naturwissenschaftlichen Deutung der Psyche (gegen Demokrits atomistisches Verständnis von Leben) in Anschlag bringt. Im Rückblick dürfte klar sein, daß Aristoteles an diesem Punkt eine ausführlichere Untersuchung über die Psyche geplant haben dürfte; vgl. dazu ausführlich W. Kullmann, Aristoteles. Über die Teile der Lebewesen. Übersetzt und erläutert von W. Kullmann (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von E. Grumach. Hrsg. von H. Flashar. Band 17 [Zoologische Schriften] / Teil 1), Berlin 2007, 306.

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gie in das naturwissenschaftliche Curriculum einer Klärung der Frage, was Leben überhaupt ist. Auch hier hat Aristoteles Entscheidendes geleistet.31 Die Antwort auf diese Frage ist die mehrmals redigierte Schrift De an. Aristoteles qualifiziert die Überlegungen in De an. als biologische Prinzipienforschung. Er spricht von der Psyche als „Prinzip des Lebens“ und nennt die Untersuchung ἱστορία τῆς ψυχῆς. Wie in anderen Wissenschaften schaltet er in der Biologie den Erklärungen eine allgemeine Prinzipienforschung vor. Die Prinzipienforschung ist nicht im selben Sinne „erklärend“ („apodeiktisch erklärend“) wie die Forschung selbst.32 Sie bezweckt die grundsätzliche Klärung der in einer Episteme intendierten Erklärungen, mithin die Explikation methodischer Grundlinien und Forschungsziele. Methodologisch verfährt Aristoteles’ Biologie auf drei Ebenen: – – –

Prinzipienforschung Erklärung der Tatsachen Erklärung der Ursachen

Aristoteles läßt keinen Zweifel daran, daß die Parv. nat. zu den aitiologischen Schriften gehören. Die fundamentale Klärung des Lebensbegriffs und dessen epistemische Anwendung bilden den Kern von De an. II. Aristoteles spricht hier von der „Psyche“ als „Prinzip“. Darauf aufbauend entfaltet er das Konzept der „Lebensfunktionen“. Dies ist wichtig für die (gleichsam horizontale) systematische Verortung der Parv. nat. Aristoteles begreift die Psyche zugleich als „Ursache“ des Lebens. Dieser Sinn von „Psyche“ ist relevant für die methodische (gleichsam vertikale) Verortung der Parv. nat. (für die Frage, welcher Typ von Erklärung die Parv. nat. dominiert).33 Zentrale Gedanken der biologischen Prinzipienforschung werden nachstehend kurz skizziert: Im ersten Schritt (in De an. II 1) klärt Aristoteles, was die Psyche ihrem „allgemeinsten Begriff“ nach ist. Im zweiten Schritt (in De an. II 2) wird geklärt, inwiefern die Psyche als „Prinzip“ der belebten Wesen aufzufassen ist. Im

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Vgl. Meyer (wie Anm. 4) 372–378, insbes. Abschnitt „Ein neues Level der Erklärung“. Knapp zusammengefaßt läßt sich sagen, daß „Leben“ vor Aristoteles stets in Opposition zu Tot-Sein (als dessen Negation) begriffen wurde – und erst Aristoteles mit der Unterscheidung von unbelebten natürlichen Körpern und lebenden natürlichen Körpern die Basis für eine echte wissenschaftliche Betrachtung der Welt des Lebendigen legt. Vgl. Arist. Anal. post. I 3.72 b 18–25: „Wir aber sagen, daß nicht jedes Wissen apodeiktisch demonstriert werden kann, sondern die unmittelbaren [Prämissen] unbeweisbar sind. […] Dies stellen wir nun so fest und sagen, daß es nicht allein [apodeiktische] Wissenschaft, sondern auch ein Prinzip des Wissens gibt, durch das wir die Definitionen erkennen.“ Vgl. M. F. Meyer, Aristoteles über die Psyche als Prinzip und Ursache des Lebens, Peitho. Examina Antiqua [International Journal devoted to the investigation of Ancient Greek, Roman and Byzantine Thought], Adam Mickiewcz University in Poland 1 (3), 2012, 115– 142.

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dritten Schritt (in De an. II 4) erläutert er, inwiefern die Psyche, als Ursache begriffen, zur Erklärung biologischer Sachverhalte beiträgt. (Der dritte Punkt wird in Abschnitt 3 dieses Beitrags entfaltet.) De an. II 1 erörtert, wie sich Leben wissenschaftlich erklären läßt und was die Psyche ihrem „allgemeinsten Begriff“ nach ist. Ronald Polansky hat die zentrale Bedeutung des Ausdrucks κοινότατος λόγος akzentuiert: Aristoteles gehe es zu Beginn von De an. II um die allgemeinste Erklärung („the most common account“), d. h. weder um die einzelne individuelle Psyche noch um die Psyche einer bestimmten Spezies (2007, 146 f.). Diesen „allgemeinsten Begriff“ der Psyche bestimmt Aristoteles so: „Notwendig also muß die Psyche Wesen (ousia) sein so wie die Form (das eidos) eines natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben besitzt. Das Wesen (die ousia) aber ist Vollendung (Aktualität).“ 34 Vier Punkte sind wichtig: (a) Die Psyche ist eine ousia. Sie ist ousia aber nicht in demselben Sinne wie natürliche Körper ousiai (zählbare Substanzen) sind.35 (b) Die Psyche ist „so wie eine Form“ (ὡς εἶδος). Sie ist nicht im eigentlichen Sinne Form, da der Term „Form“ in seinem engeren biologischen Sinn auf das je artspezifische eidos (z. B. Panthera leo) gemünzt ist. (c) Die Psyche ist die ἐντελέχεια eines potentiell belebten Körpers. Diesen Aspekt spitzt 412 b 5 mit der Qualifizierung der Psyche als „erster Entelechie“ (πρώτη ἐντελέχεια) noch zu. Der oft mißverstandene Begriff „Entelechie“ will darauf hinaus, daß ein lebendes Individuum weder jederzeit alle Möglichkeiten seines Daseins realisiert (kein Tier kann gleichzeitig wachen und schlafen) noch in allen Lebensphasen dieselben Lebensfunktionen realisiert. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in De resp. 17.478 b 31–32: „Unter dem, was noch nicht seine Vollendung erreicht hat, verstehe ich etwa die Eier oder bei den Pflanzen die Samen, die noch nicht Wurzeln gefaßt haben.“ (d) Zur Präzisierung der Formel „natürlicher Körper, der seiner Möglichkeit nach Leben besitzt“ fügt Aristoteles den Zusatz an „ein solcher Körper, wie es der organische ist“.36 Er begreift die einzelnen Körperteile 34 35 36

Vgl. Arist. De an. II 1.412 a 19–21: ἀναγκαῖον ἄρα τὴν ψυχὴν οὐσίαν εἶναι ὡς εἶδος σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος. ἡ δ’ οὐσία ἐντελέχεια. Vgl. Arist. De iuv. 1.467 b 14. Hier wiederholt Aristoteles dies explizit mit explizitem Verweis auf De an. Daß Aristoteles ὀργανικόν von Naturdingen prädiziert, verstand sich für die Hörer nicht von selbst. Vielmehr lag hier eine gewichtige sprachliche Innovation vor. Im traditionellen Sprachgebrauch meinte ὀργανικόν so viel wie „werkzeugartig“ oder „instrumentell“. Das Adjektiv wurde hauptsächlich von Artefakten ausgesagt. Aristoteles mußte seinen neuen Sprachgebrauch also erst einmal genauer erläutern. De an. II 1.412 b 1 ff. erklärt, wie die Rede von den „Werkzeugen“ („Instrumenten“) in der Biologie zu verstehen ist: „Organe sind auch die Teile der Pflanzen, aber ganz einfache, wie das Blatt eine Bedeckung für das Perikarp [die Fruchthülle], das Perikarp aber eine Bedeckung für die Frucht ist; die Wurzeln sind indes analog zum Mund, denn beide nehmen Nahrung auf“; vgl. G. Heinemann, „Soma organikon“. Zum ontologischen Sinn des Werkzeugvergleichs bei Aristoteles, in:

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einerseits als Organe des lebenden Individuums, anderseits die Individuen als Organe der Spezies. Mit großem Weitblick begreift er die Natur des Lebendigen als organische Natur. Methodisch öffnet dies die Tür zu einer funktionalteleonomischen Erforschung des Lebens.37 Aristoteles sah aber auch, daß der „allgemeinste Begriff“ der Psyche zur konkreten Erklärung biologischer Sachverhalte nicht hinreicht. So wie ein Jurist zwar über einen Begriff des Rechts verfügt, dieser Begriff aber nicht viel zur Klärung der konkreten Frage beiträgt, was ein „Diebstahl“ oder eine „Normenkontrollklage“ ist, verfügt ein Biologe zwar auch über einen Begriff von Leben, doch dieser Begriff erklärt nicht konkret, warum Fische schwimmen können oder warum einige Vögel Zugvögel sind usw. Aristoteles wagt in De an. II 2 „nun einen neuen Anfang der Untersuchung“ (413 a 20). Der Psychebegriff wird nun für die Biologie fruchtbar. Er gewinnt an explanatorischer Kraft. Aristoteles spricht nicht mehr vom „allgemeinsten Begriff“ der Psyche. Er fragt nun, wie sich Leben ‚klassentypisch‘ realisiert. Der Neubeginn liegt darin, daß Aristoteles die physischen Entitäten in belebte natürliche und unbelebte natürliche Körper unterscheidet. Dies begrenzt den Kreis der Biologie im Reich der Naturwissenschaft. Sofort nennt Aristoteles das Kriterium zur Unterscheidung von Belebtem von Unbelebtem (De an. II 2.413 a 22–25): πλεοναχῶς δὲ τοῦ ζῆν λεγομένου, κἂν ἕν τι τούτων ἐνυπάρχῃ μόνον, ζῆν αὐτό φαμεν, οἷον νοῦς, αἴσθησις, κίνησις καὶ στάσις ἡ κατὰ τόπον, ἔτι κίνησις ἡ κατὰ τροφὴν καὶ φθίσις τε καὶ αὔξησις. Da aber das Leben [einer belebten Entität] in mehrfacher Bedeutung verstanden wird, sagen wir, [diese Entität] lebe, wenn Leben auch nur in einer [sc. einzigen] dieser Bedeutungen vorliegt: als Geist, als Wahrnehmung, als Bewegung und Ruhe dem Orte nach, ferner als Bewegung gemäß der Ernährung, als Vergehen und als Wachstum. Traditionell rede man von „Leben“ (ζῆν), wenn an einem Ding Geist, Wahrnehmung, Ortsbewegung, Ernährungsbewegung, Vergehen oder Wachstum beobachtet werde. Wie aber kommt man von diesem alltäglichen Sprachgebrauch zu szientifisch brauchbaren Bestimmungen von „Leben“? Aristoteles

37

G. Toepfer/F. Michelini (Hrsg.), Organismus. Die Erklärung der Lebendigkeit, Freiburg/ München 2016, 62–80. Vgl. M. F. Meyer, Die Natur des Organischen. Zur wissenschaftlichen Bedeutung der aristotelischen Biologie, Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike und Mittelalter 13, 2008, 32–52; ders., Organ und Organismus in der aristotelischen Biologie, in: G. Toepfer/F. Michelini (wie Anm. 36) 37–61.

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sagt, sofern nur ein einziges dieser Merkmale vorliege, sei klar, daß dieses Ding ein Lebewesen sei.38 Als Merkmale von Leben nennt er: – – – – – –

Geist (νοῦς); Sinneswahrnehmung (αἴσθησις); Bewegung und Ruhe dem Orte nach (κίνησις καὶ στάσις ἡ κατὰ τόπον); Bewegung gemäß der Ernährung (κίνησις ἡ κατὰ τροφὴν); Vergehen (φθίσις); Wachstum (αὔξησις).39

Minimalerfordernis („minimal requirement“)40 für Leben im biologischen Sinn ist Ernährung. Mit dieser Liste gibt Aristoteles (a) Kriterien zur Unterscheidung von belebten und unbelebten Entitäten an und umgrenzt den Objektbereich der Biologie in der Naturwissenschaft. Die Merkmale strukturieren (b) interne Differenzen der Lebewesen: Sie markieren eine Grenze von Zoologie und Botanik41 und lassen das Konzept einer scala naturae erkennen. In De an. II 2.413 b 1 bzw. 413 b 11–13 spricht Aristoteles von der Psyche als „Prinzip“ (ἀρχή). Dies meint, daß den Lebewesen das Leben qua Psyche zukommt. Um zu klären, warum die Physis eines Adlers so ist, wie sie ist (und sich von der Physis eines Aals unterscheidet), reicht es nicht, auf

38

39

40 41

Vgl. G. B. Matthews, De Anima 2.2–4 and the Meaning of Life, in: M. C. Nussbaum/ A. O. Rorty (Hrsg.), Aristotle’s De Anima, Oxford 1992, 185–194, hier: 185: „Aristotle seems to have been the first thinker to try to understand what it is to be a living thing by reference to a list of characteristic ‘life functions’ (or, as he called them, ‘psychic powers’ or ‘soul-powers’ – dunameis te¯s psuche¯s).“ Vgl. Matthews (wie Anm. 38), der diesen Merkmalskatalog mit einer modernen Liste (The World Book Encyclopedia) vergleicht, sie auf ihren definitorischen Gehalt hin prüft und anschließend einem empirischen Test unterzieht. Vgl. R. Polansky, Aristotle’s De anima, Cambridge 2007, 151. Die begriffliche Scheidelinie ist die Aisthesis: Tiere sind Lebewesen, die Sinneswahrnehmung haben. Genau darin unterscheiden sie sich von den Pflanzen, die Aristoteles (zu seiner Zeit nicht selbstverständlich) als „Lebewesen“ begreift. Diese interne Strukturierung ist das weitere Hauptanliegen von De an. II 2–4. Nirgends im Corpus Aristotelicum außerhalb von De plantis finden sich grundsätzlichere und umfängliche Bestimmungen zum pflanzlichen Leben. Pflanzliches Leben ist nach Aristoteles allein durch das θρεπτικόν bestimmt. Aristoteles mußte die Psyche in der Botanik daher anders bestimmen als in der Zoologie. Dazu formuliert er zwei wichtige Gedanken: (a) Bei den Pflanzen liegt die Ernährungsfunktion getrennt von den übrigen Funktionen vor (vgl. 413 a 30 f.). In der Botanik muß geklärt werden, warum, wie und wodurch sich die Pflanzen ernähren. Darauf zielt hier die „spezifische Erklärung“. (b) Bei den Tieren kommen die anderen Funktionen nie getrennt vom Ernährungsvermögen vor (vgl. 413 a 31 f.). In der Botanik ist es nicht sinnvoll, Erklärungen über die Aisthesis oder den Geist zu fordern. Für Aristoteles ist es „lächerlich“, hier nach einem „gemeinsamen Begriff“ zu fragen. Im weiteren Verlauf der Untersuchung geht es dann um den ἴδιος λόγος (vgl. 414 b 25–27).

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das Leben in seiner allgemeinsten Bedeutung zu verweisen. Die Ausführungen zum allgemeinsten Begriff der Psyche verhalten sich zu denen zur Psyche als Prinzip wie eine Untersuchung des Daß zu einer Untersuchung des Warum. Um zu klären, warum bestimmten Wesen bestimmte Eigenschaften zukommen, führt er den Term „Lebensfunktionen“ (δυνάμεις τῆς ψυχῆς) ein.42 De an. II 3 nennt Ernährung, Wachstum und Vergehen, Wahrnehmung, Ortsbewegung und Geist als „Vermögen der Psyche“ (De an. II 3.414 a 29–32): τῶν δὲ δυνάμεων τῆς ψυχῆς αἱ λεχθεῖσαι τοῖς μὲν ὑπάρχουσι πᾶσαι, καθάπερ εἴπομεν, τοῖς δὲ τινὲς αὐτῶν, ἐνίοις δὲ μία μόνη. δυνάμεις δ’ εἴπομεν θρεπτικόν, αἰσθητικόν, ὀρεκτικόν, κινητικὸν κατὰ τόπον, διανοητικόν. Von den Dynameis der Psyche kommen die [oben] genannten aber bei den einen [Lebewesen] sämtlich vor, wie wir gesagt haben, bei den anderen einige von ihnen, bei einigen nur ein einziges. Vermögen aber nannten wir das nährende (θρεπτικόν), das wahrnehmende (αἰσθητικόν), das strebende (ὀρεκτικόν), das örtlich bewegende (κινητικὸν κατὰ τόπον) und das denkende (διανοητικόν). Diese Dynameis sind elementare Lebensfunktionen. Konkrete biologische Erklärungen fordern Rekurse auf die spezifischen Lebensfunktionen. Die Psyche als Lebensprinzip befähigt ein Wesen dazu, sich zu ernähren, zu wachsen, wahrzunehmen, zu streben, sich fortzubewegen oder zu denken. Aristoteles erklärt diese Eigenschaften, Zustände und Praktiken, indem er fragt, was es macht, daß dieses Wesen sich artspezifisch ernährt, wächst oder wahrnimmt. Lebewesen haben diese Fähigkeiten qua Psyche. Sie haben sie, um bestimmte „Werke“ oder „Praktiken“ aktiv zu verrichten bzw. um etwas passiv zu erleiden (z. B. Gerüche wahrzunehmen). Die Lebensfunktionen bestimmen ein Lebewesen zu dem, was es seiner artspezifischen Natur nach ist. In De an. II 2–4 wird der Term δυνάμεις τῆς ψυχῆς genauer erläutert. Grundsätzlich heißt es (De an. II 4.415 a 14–16): ἀναγκαῖον δὲ τὸν μέλλοντα περὶ τούτων σκέψιν ποιεῖσθαι λαβεῖν ἕκαστον αὐτῶν τί ἐστιν, εἶθ’ οὕτως περὶ τῶν ἐχομένων καὶ περὶ τῶν ἄλλων ἐπιζητεῖν. Notwendig muß der, der es unternimmt, eine Untersuchung über diese [Vermögen] anzustellen, ein jedes von ihnen darin erfassen, was es ist, und dann das, was daraus hervorgeht, und das übrige dann weiter untersuchen.

42

Vgl. Meyer (wie Anm. 4) 394 und 398–9: Den Ausdruck δυνάμεις τῆς ψυχῆς hat Platon geprägt. Δυνάμεις läßt sich mit „Vermögen“, „Fähigkeiten“ (engl. capacities) wiedergeben. Treffend wäre der indes etwas altertümlich klingende Ausdruck „Fakultäten“.

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Die Formel skizziert das explanatorische Programm der aristotelischen Biologie – und ist daher auch maßgeblich für die Parv. nat. Der Term δυνάμεις τῆς ψυχῆς bestimmt, was die Biologie erklären soll. De an. II 2–4 gibt wichtige Erläuterungen zu den Lebensfunktionen. Sie betreffen einerseits einzelne Dynameis, anderseits das Verhältnis der Funktionen zueinander. Der Schwerpunkt liegt auf dem θρεπτικόν, sofern dieses (wie bei Pflanzen) getrennt vorkommt. Aristoteles unterscheidet klar zwischen Pflanzen und Tieren: Ein Lebewesen ist ein Tier, wenn ihm Aisthesis zukommt. Die Parv. nat. bekräftigen dies oft.43 Im Zentrum von De an. II 3 steht die vorläufige Bestimmung der perzeptiven Dynameis. Alle Tiere haben mindestens den Tastsinn. Das Perzeptionsvermögen gliedert sich (a) in die bei jedem Tier notwendigen Sinne Tasten und Geschmack und (b) in die (mit Lust und Schmerz verbundenen) Distanzsinne Riechen, Hören und Sehen. Mit den höheren Sinnen einher geht die phantasia. Aristoteles differenziert sie in eine aisthetische (‚indefinite Phantasie‘) und eine kalkulativ-vernünftige Funktion. Das Strebevermögen begreift er als Subfakultät des Perzeptionsvermögens. Streben (die Voraussetzung animalischer Ortsbewegung) bedarf der medial vermittelten Distanzsinne. Aristoteles gliedert die orexis in drei Unterformen: (a) Begehren (differenziert in Hunger und Durst), (b) thymos und (c) Wille. De an. II 4 geht es um die Unterteilung des θρεπτικόν: Ernährung bewirkt (a) hinsichtlich der Größe und Ausdehnung eines Lebewesens Wachstum, (b) hinsichtlich der individuellen ousia Selbsterhaltung, (c) die Reifung der Lebewesen zur Entelechie. Dies meint die Befähigung zu ihrer „natürlichsten“ Leistung, der artspezifischen Reproduktion.44 Anders als andere Funktionen ist diese Dynamis nicht bloß auf das Individuum bezogen. Aristoteles versteht das einzelne Individuum gar als Organ des artspezifischen Lebenskontinuums. (Vgl. Anhang II: System der Lebensfunktionen). Was bedeuten die Ausführungen zu den elementaren Lebensfunktionen für die Parv. nat.? Die Parv. nat. I sind von der in De an. explizierten Systematik her zu deuten. Wie gesagt: In De an. II 2 finden sich erste Bestimmungen zum θρεπτικόν. Das Perzeptionsvermögen ist das (in De an. III 4–7 kurz unterbrochene) Thema von De an. II 5-III 13. De sens. führt das Thema fort. De an. II 5–III 13 und De sens. sind als eigenständige Aisthesis-Pragmatien konzipiert. De sens. folgt der ab De an. II 5 entwickelten Devise, die Aisthesis

43 44

Vgl. Arist. De sens. 1.436 b 10–12; De iuv. 1.467 b 23–25. Vgl. Arist. De an. II 4.415 a 26–b 2: „Diese Leistungen sind ja die natürlichsten (φυσικώτατον) für jedes Lebewesen, insofern es vollendet ist (und nicht verstümmelt oder spontan erzeugt wird), nämlich ein anderes, sich gleiches Wesen zu erzeugen (τὸ ποιῆσαι ἕτερον οἷον αὐτό), das Tier ein Tier, die Pflanze eine Pflanze, damit sie am Ewigen und Göttlichen nach Kräften teilhaben; denn alles strebt nach jenem, und um jenes Zweckes willen wirkt alles, was naturgemäß (κατὰ φύσιν) wirkt.“

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von den Wahrnehmungsobjekten her zu analysieren.45 Objekte der Aisthesis sind nicht die realen Entitäten selbst. Die Einzelsinne erfassen nur je spezifische Gegenstände (das Sehen die Farben; das Hören die Töne) bzw. der Gemeinsinn gemeinsame Qualitäten wie Größe, Bewegung oder Schema. Nach dieser Maßgabe fokussiert De sens. 2 zunächst den visuellen Sinn. Der erste Teil des Kapitels widerlegt frühere Theoreme des Empedokles und Demokrit. Der zweite Teil behandelt das Licht als „Medium“ des Sehens. In De sens. 3 zieht Aristoteles eine Zwischenbilanz. Mehrfach erinnert er an die analoge Pragmatie in De an. III und kündigt Erörterungen zur Farbe (dem Objekt des Sehens) bzw. zu Objekten des Tastsinns an. Der Geschmackssinn ist eine (auf spezifische Qualitäten wie Feuchtes und Süßes bezogene) Subfunktion des Tastens.46 Aristoteles behandelt beide Themen in De sens. 4. Die weiteren Kapitel behandeln die olfaktorischen Objekte und das Thema der Zeitwahrnehmung: Nur solche Tiere haben einen ‚Zeitsinn‘, denen der sensus communis zukommt. Die Untersuchung über die „Wahrnehmungsorgane und die Gegenstände der Wahrnehmung, wie es sich damit im Ganzen und bezüglich jedes einzelnen Sinnes verhält“, ist gemäß De sens. 7.449 b 1–3 abgeschlossen. De mem.47 schließt direkt an De sens. an: Sowohl das „Im-GedächtnisHaben“ (μνήμη) als auch das „Sich-Wiedererinnern“ (ἀνάμνησις) setzen voraus, daß ein Lebewesen φαντασία hat. Die phantasia ist eine Subfakultät der Perzeption. Methodisch bezeichnend ist, daß Aristoteles die Untersuchung mit den Gedächtnisinhalten beginnt. Jedes Im-Gedächtnis-Haben bezieht sich auf ein konkretes „Etwas“: Erinnerung ist stets intentional. Erinnerung ist stets Erinnerung von etwas. Aristoteles notiert, daß wir uns beim Gedächtnis oft täuschen (es geht hier wie in Pl. Tht. 191–196 um Möglichkeiten der falschen Meinung). Diese Thematik gehört nicht in das Gebiet der Biologie. Wie in den Aisthesis-Pragmatien in De an. und De sens. wird in De mem. das Im-Gedächtnis-Haben von den je korrespondierenden Relata (den Gedächtnisinhalten) her begriffen. Das folgende Schema veranschaulicht, daß der Gedankengang vom (‚inner-psychisch‘) Beobachtbaren (C) über die beobachtbaren Praktiken (B) zu den nicht-offenkundigen Dynameis (A) verläuft (Aspekt (D) ist biologisch irrelevant):

45 46 47

Vgl. (dazu grundlegend) W. Welsch, Aisthesis. Grundzüge und Perspektiven der Aristotelischen Sinneslehre (Habil.-Schrift), Stuttgart 1987. Vgl. Arist. De an. III 12.434 b 18: διὸ καὶ ἡ γεῦσίς ἐστιν ὥσπερ ἁφή τις. Vgl. King (wie Anm. 3) 45–47. Demnach ist die begriffliche Unterscheidung von μνήμη und ἀνάμνησις erstmals in Philebos 34 A–B greifbar. In Menon und Theaitetos fehlt sie noch.

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A

B

C

D

Psychische Dynameis/ life-functions

Realisierung der Dynameis (Leistung/Ergon/Praxis)

Objekte der Dynameis

Täuschungsoption

aisthe¯tikon

aisthe¯sis

aisthe¯ta



Sehfähigkeit

Sehen

Farbe



Hörvermögen

Hören

Töne



Zentralsensorium (sensus communis)

konkrete Wahrnehmung der nur diesem Zentralsensorium zugänglichen Relata

Größe, Figur, Bewegung, + Ruhe, Einheit, Anzahl und Nacheinander [Zeit].

phantasia

Haben von phantasmai

phantasmai

+

mne¯me¯ (Erinnerungsvermögen)

Haben von Erinnerungsgehalten

mne¯moneuta/Erinnertes (a) phantasmai (b) Gedanken

+

anamne¯sis (WiederErinnerungsvermögen)

anamimne¯skesthai

anamne¯seis Wiedererinnertes (a) phantasmai (b) Gedanken

Ein zentrales Ergebnis von De mem. 1 lautet: Erinnertes kann sich anders als Wahrgenommenes nicht auf Gegenwärtiges beziehen. Erinnertes kann sich auch nicht (wie die Meinung) auf Zukünftiges beziehen. Die mne¯me¯ hat stets Vergangenes zum Inhalt. Sie kommt nur Tieren zu, die „Zeit wahrnehmen“ (449 b 29); und zwar mittels jener Dynamis, „mit der sie wahrnehmen“. Diese Dynamis ist (wie sich später zeigt) der sensus communis, das „Zentralsensorium“. Die mne¯me¯ gehört zum Wahrnehmungsvermögen. De mem. ist eine biologische Schrift, die insbes. der (u. a. in Met. Α 1 tangierten) Frage nachgeht, welchen Tieren Erinnerung zukommt. De mem. zählt also zum Aisthesis-Komplex des naturwissenschaftlichen Curriculums. Dem widerspricht nicht, daß De mem. 2 die einzig dem Menschen vorbehaltene Fähigkeit thematisiert, sich Vorstellungen bewußt ins Gedächtnis zurückzurufen. Auch in Hist. an. I hieß es, das anamimne¯skesthai komme allein dem Menschen zu.48 De mem. 2 entwickelt den wichtigen Gedanken, daß das bewußte Erinnern „gleichsam eine Art Schlußfolgerung“ ist 49 und Assoziationsregeln wie Ähnlichkeit, Gegensätzlichkeit und Nachbarschaft folgt. Der Kontext 48 49

Arist. Hist. an. I 1.488 b 24–27: βουλευτικὸν δὲ μόνον ἄνθρωπός ἐστι τῶν ζῴων. Καὶ μνήμης μὲν καὶ διδαχῆς πολλὰ κοινωνεῖ, ἀναμιμνήσκεσθαι δ’ οὐδὲν ἄλλο δύναται πλὴν ἄνθρωπος. Vgl. King (wie Anm. 3) 142 f.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

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zeigt (ähnlich wie der nous-Exkurs in De an. III 4–7), daß der Stagirit in den biologischen Schriften auch Themen der Geist-Philosophie diskutiert, die er als solche (obzwar somatisch bedingt) weder als rein biologische Phänomene begreift noch bloß biologisch reduktionistisch erklärt.50 Auch De somn. verweist auf die Bestimmungen zu den Lebensfunktionen (die hier auch „Teile der Psyche“ heißen).51 Wachen und Schlafen (ein schon vor Aristoteles diskutiertes Thema)52 fallen für Aristoteles ins Feld der Aisthesis: Wachen ist Bekräftigung der Aisthesis, Schlafen ihre Lähmung und Fesselung: „Denn ohne Wahrnehmung gibt es weder Schlafen noch Wachen.“ 53 Auch hier meint Aristoteles das „Zentralsensorium“. Der wichtigste zoologische Befund lautet: Alle Tiere schlafen bzw. wachen. Die entsprechende Aitiologie in De somn. 2–3 rekurriert häufiger auf anatomische Sachverhalte (den Zusammenhang von Blut und Atmung) bzw. auf medizinische For-

50

51

52

53

Vgl. J. G. Lennox, The Place of Mankind in Aristotle’s Zoology, Philosophical Topics 27, 1999, 1–16. Zutreffend sieht Lennox, daß der nous kein Thema der aristotelischen Biologie ist. Aristoteles hat die praktische Philosophie als Fortsetzung der Biologie konzipiert: Die Biologie untersucht, was Leben ist, die praktische Philosophie, was das gute Leben ist; vgl. Meyer (wie Anm. 4) 259–267; ders., Aristoteles über die Natur des Menschen, in: M. Fuchs/ A. Wienmeister (Hrsg.), Funktion und Normativität bei Darwin und Aristoteles, Bamberg 2016, 79–116. Vgl. Arist. De somn. 1.454 a 11–20: διωρισμένων δὲ πρότερον ἐν ἑτέροις περὶ τῶν λεγομένων ὡς μορίων τῆς ψυχῆς, καὶ τοῦ μὲν θρεπτικοῦ χωριζομένου τῶν ἄλλων ἐν τοῖς ἔχουσι σώμασι ζωήν, τῶν δ’ ἄλλων οὐδενὸς ἄνευ τούτου, δῆλον ὡς ὅσα μὲν αὐξήσεως καὶ φθίσεως μετέχει μόνον τῶν ζώντων, [ὅτι] τούτοις οὐχ ὑπάρχει ὕπνος οὐδὲ ἐγρήγορσις, οἷον τοῖς φυτοῖς (οὐ γὰρ ἔχουσι τὸ αἰσθητικὸν μόριον, οὔτε εἰ χωριστόν ἐστιν οὔτε εἰ μὴ χωριστόν. τῇ γὰρ δυνάμει καὶ τῷ εἶναι χωριστόν ἐστιν). Vgl. G. Wöhrle, Hypnos, der Allbezwinger. Eine Studie zum literarischen Bild des Schlafes in der griechischen Antike (Palingenesia 53), Stuttgart 1995. Wachen und Schlafen werden seit dem Ende des 6. Jahrhunderts häufig als Lebensattribute genannt. Wöhrle sieht den Ursprung der naturwissenschaftlichen Thematisierung des Schlafes darin, daß der Schlaf nicht mehr (wie bei Homer) als etwas von außen Kommendes, sondern als „Produkt körperlicher bzw. körperlich-seelischer Vorgänge“ aufgefaßt werde (63). Heraklit hatte Wachen und Schlafen als diskrete Zustände analog zu den ebenfalls diskreten Zuständen von Leben und Tot-Sein vorgestellt. Empedokles stilisiert Wachen und Schlafen metaphorisch zu personifizierten Gestalten der Erholung und werkschaffenden Aktivität (Εὐναίη καὶ ῎Εγερσις, 31 B 123 D.-K.). In seiner Elementenlehre führt er den Schlaf auf die Abkühlung des Blutes zurück (Wöhrle, 63). Die erste (überlieferte) medizinische Erklärung führt Alkmaion an: Schlaf ist die Folge des Blut-Rückzuges in die tiefer liegenden Blutgefäße; Erwachen Wiedereinströmen des Bluts (vgl. dazu: Arist. Hist. an. III 19.521 a 15 f.). Anders als Heraklit, der das Begriffspaar v. a. zur Illustration epistemischer Gegensätze gebraucht (‚Wachen‘ analog zu allgemeiner Einsicht; ‚Schlafen‘ analog zur bloß privaten Meinung, vgl. 22 B 89) und es also exklusiv von Menschen prädiziert, spricht Empedokles auch von „schlafenden Löwen“ (31 B 127). Von Pflanzen werden die Prädikate „Wachen“ und „Schlafen“ nicht ausgesagt. Vgl. Arist. De somn. 1.454 b 28–29: ἄνευ μὲν γὰρ αἰσθήσεως οὐχ ὑπάρχει οὔτε ὕπνος οὔτε ἐγρήγορσις.

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schungen (z. B. zu Ohnmachtsanfällen, Fieber, Lethargie, Epilepsie), als dies in De an., De sens. oder De mem. der Fall ist. In De somn. nimmt die Frage nach dem „Sitz des Lebens“ Gestalt an. Schon De an. und De sens. ließen erkennen, daß Aristoteles den „Sitz des Lebens“ im „Zentralsensorium“ lokalisiert. In De somn. ist dies nun anatomisch begriffen: Bei den Tieren befinde sich der „Ursprung der Sinneswahrnehmung“ in jenem Teil, in dem die animalische Lokomotion ihre ἀρχή habe: „Wenn man drei Fixpunkte am Körper herausgreift, in der Mitte zwischen Kopf und Unterleib.“ Bei den blutführenden Tieren sei dies das Herz, bei den Blutlosen eine analoge Region.54 Wichtige Theoreme, die Aristoteles in De iuv. und De resp. ausführlicher diskutiert, liegen also hier schon vor. (Erinnert sei, daß De somn. 2.456 a 10 f. auf De resp. vorverweist.) Es ist klar, daß De insomn. bzw. De divin. in den Kontext der Aisthesis-Untersuchung fallen. Bereits in De somn. hieß es: „Denn der Traum ist in gewisser Weise ein Produkt der Aisthesis – doch davon später.“ 55 Deutlich wird dies auch in De insomn. 1.459 a 14–15. Aristoteles sagt, er habe die phantasia ἐν τοῖς Περὶ ψυχῆς behandelt. Auch in die Traum-Abhandlungen fließt gegenüber den früheren Schriften der Parv. nat. mehr anatomisches Sachwissen ein. Fazit: Die Schriften der Parv. nat. I sind aufzufassen als Erweiterung des Aisthesis-Komplexes.56 Die systematische Verortung der Parv. nat. II ist schwieriger. Das System der Lebensfunktionen läßt sich hier nicht ohne weiteres zur Ordnung der Schriften verwenden. Mit gutem Grund: In De long. vit., De iuv. und De vit. et mort. und De resp. geht es nicht um einzelne Lebensfunktionen. Diese Schriften sind als einheitliche Pragmatie aufzufassen, in der Aristoteles generelle Fragen von Leben und Tod erörtert. In den Parv. nat. II dominiert eine anatomische Aitiologie. Von den δυνάμεις τῆς ψυχῆς ist nur ausnahmsweise die Rede. Wo dies der Fall ist (De resp. 8.474 b 10), ist am ehesten ein Zusammenhang zur Ernährungsfunktion zu erkennen. De an. II 2.413 a 31 hatte das θρεπτικόν für jene Fälle behandelt, wo es „getrennt“ (χωρίζεσθαι) von anderen Dynameis vorkommt. (Dies betrifft einzig die Pflanzen: nur bei ihnen kommt das θρεπτικόν isoliert vor. Bei allen anderen Wesen ist ein getrenntes Vorkommen der Lebensfunktionen ausgeschlossen; vgl. De an. II 2.413 a 31–32.) Demnach sind die Schriften der Parv. nat. II gleichsam als Abzweig der in De an. II 2 propädeutisch begonnenen Pragmatie zu lesen. Sie behandeln das θρεπτικόν für jene Fälle, wo es von anderen Funktionen 54

55 56

Vgl. Arist. De somn. 2.456 a 2–4: διώρισται πρότερον ἐν ἑτέροις. αὕτη δέ ἐστι τριῶν διωρισμένων τόπων ὁ μέσος κεφαλῆς καὶ τῆς κάτω κοιλίας. τοῖς μὲν οὖν ἐναίμοις τοῦτ’ ἐστὶ τὸ περὶ τὴν καρδίαν μέρος. Vgl. Arist. De somn. 2.456 a 26–27: τὸ γὰρ ἐνύπνιόν ἐστιν αἴσθημα τρόπον τινά· λεκτέον δὲ περὶ αὐτῶν ὕστερον. Vgl. Ph. J. van der Eijk (wie Anm. 1) 46–51 und 68–86.

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nicht getrennt vorkommt: in der Zoologie. (Das erklärt auch, weshalb in den Parv. nat. II so oft von Pflanzen und Tieren die Rede ist.) Diese Deutung stützt sich auch auf De mot. an. 11. Hier unterscheidet Aristoteles „nicht-willkürliche“ (οὐχ ἑκουσίους) Körperbewegungen von „unwillkürlichen“ (ἀκουσίους) Bewegungen. Atmung, Schlaf und Erwachen sind nicht-willkürliche Bewegungen, sie werden „ohne phantasia und Strebung“ ausgeführt. Die in De resp. diskutierten Automatismen wie Herzbewegung, Puls und Atmung zählen zu den nicht-willkürlichen Bewegungen. Da Atmung ohne phantasia und Streben abläuft (und offenkundig auch keine Aisthesis ist), wäre sie den nutritiven Funktionen zuzurechnen. Dies indes widerspricht einigen Aussagen, die in den Parv. nat. II über den Sitz des Lebens der Tiere getroffen werden (siehe unten). Dennoch scheint der Versuch einer auf das System der Lebensfunktionen gegründeten Verortung der Parv. nat. II nur künstlich. Die Schwierigkeit löst sich auf, wenn man die Parv. nat. II nicht vom Objektbereich her begreift, sondern sie unter methodologischen Gesichtspunkten betrachtet.

3. Aitiologische Erklärungen in Parv. nat. I und II Bisher wurde die systematische Stellung der Parv. nat. mit Blick auf die thematischen Gegenstandsbereiche (gleichsam auf der horizontalen Ebene) diskutiert. Abschließend geht es um die methodologische Verortung der Parv. nat. im biologischen Œuvre (gleichsam um die vertikale Ebene). Vorab sei nochmals an Kullmanns wichtige These erinnert, wonach die epistemische Erklärung zweigleisig verfährt. Aristoteles untersucht erst die Tatsachen; dann bemüht er sich um kausale Erklärungen. In der Anatomie ist diese Zweiteiligkeit offenkundiger als in den anderen biologischen Disziplinen: Hier verteilt Aristoteles beide Erklärungsmodi auf separate Schriften: Die Erforschung der Fakten erfolgt in Hist. an. I–IV, die korrespondierende Aitiologie in De part. an. II–IV. In den anderen Disziplinen fallen Historie und Aitiologie oft in einer Schrift (oder gar in einem Buch) zusammen. So klärt De resp. erst, welche Tiere eine Lunge besitzen, und dann, wieso diese Tiere Kühlung benötigen. Auch hier stützt sich Aristoteles auf seine anatomischen Forschungen. Um die Ziele der biologischen Aitiologie zu verstehen, ist es sinnvoll, an den dritten Kerngedanken von De an. II zu erinnern. Was meint Aristoteles, wenn er von der Psyche als Ursache spricht? De an. II 4 expliziert, was die „Lebensfunktionen“ zur biologischen Kausalerklärung beitragen: Lebewesen haben Fähigkeiten wie Ernährung, Wahrnehmung oder Ortsbewegung qua Psyche. Sie haben diese Dynameis, um bestimmte „Werke“ oder „Praktiken“ zu verrichten. Die Lebensfunktionen determinieren die „Physis“ der Lebewesen. Die Physis eines Lebewesens ist das, was es aus-

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macht, ein Wesen dieser Spezies zu sein. Die Lebensfunktionen bestimmen ein Lebewesen zu dem, was es seiner Natur nach ist. So gesehen ist die Psyche ursächlich für die physische Formbestimmtheit der Lebewesen: Gemäß De an. II 4.415 b 9–15 ist die Psyche in „dreifacher Hinsicht“ Ursache: Die Psyche ist ursächlich (a) als Ausgangspunkt der Bewegung im Sinne der causa efficiens, (b) für die artspezifische Formbestimmung eines Lebewesens im Sinne der causa formalis, (c) für die Erfüllung des οὗ ἕνεκα, des Zweckes im Sinne der causa finalis. Die Psyche ist ursächlich dafür (a), daß ein Lebewesen wächst, sich entwickelt, wahrnimmt oder sich in einer bestimmten Weise fortbewegt. Sie ist (b) ursächlich dafür, daß Lebewesen sich ihrem eidos gemäß artspezifisch reproduzieren. Die Psyche bestimmt (c) ein Lebewesen seiner Form nach teleonomisch dazu, ein Löwe zu sein, Hände oder Flügel zu haben, Farben wahrzunehmen usw. Das meint nicht, daß Aristoteles die Psyche als selbständiges Subjekt begreift. Wie Richard King formuliert, ist es vielmehr „das Lebewesen, das mit der Seele oder durch sie handelt“.57 De sens. 1.436 b 3–6 demonstriert, daß diese Handlungen „Seele und Körper gemeinsam angehören“. Die „gemeinsamen Aktivitäten“ sind explizites Thema der Parv. nat. Paradigmatisch für diese „gemeinsamen Aktivitäten“ nennt De sens. 1 vier Begriffspaare: – – – –

Wachen – Schlafen; Jugend – Alter; Einatmen – Ausatmen; Leben – Tod.

Der Vorverweis in De an. III 10.433 b 19–21 unterstreicht ebenfalls, daß es den Parv. nat. um „die dem Leib und der Psyche gemeinsamen Werke“ geht. Merkwürdig ist, daß ausgerechnet De sens. dem hier anvisierten Plan nicht folgt. Gerade in De sens. spielt die „Psyche als Ursache“ keine Rolle. Die Erklärungen bewegen sich fast überall auf der Ebene der causa materialis. Eine Ausnahme ist der Passus über die Zeitempfindung. Ebenfalls merkwürdig ist, daß Aristoteles Jugend und Alter nur fragmentarisch behandelt: Von der Jugend ist in De iuv. keine Rede. Das Alter spielt in De resp., im Kontext der Erklärungen zum „natürlichen Tod“, eine nur randständige Rolle. Merkwürdig ist ferner, daß Erinnerung und Wiedererinnerung nicht zu den vier Begriffspaaren gehören, die in De sens. 1 wie eine Programmankündigung der Parv. nat. klingen. All das zeigt: Die vier Begriffspaare sind nur Paradig57

Vgl. R. A. H. King (wie Anm. 3) 27.

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men der „gemeinsamen Werke“. Sie helfen also kaum zur systematischen Deutung dieser Schriften. Den Leitfaden zur Verortung der Parv. nat liefert die kausale Analyse der „gemeinsamen Werke“ (i. S. v. De an. II 4.415 b 9– 15). In De mem. läßt sich diese Aitiologie mustergültig fassen. Gleich der erste Satz bestimmt das Thema: „Vom Gedächtnis und Im-Gedächtnis-Haben ist zu reden, was es ist, aufgrund welcher Ursache es entsteht, und zu welchem Teil der Psyche diese Affektion gehört; und über die Wiedererinnerung.“ 58 Aristoteles bestimmt so den Weg der Untersuchung. Es soll untersucht werden, (a) was es ist; (b) warum es entsteht; (c) zu welchem Seelenteil es gehört. In De mem. 449 b 9 fügt er noch an: Hinsichtlich von μνημονεύειν bzw. ἀναμιμνήσκεσθαι solle untersucht werden, (d) von welcher Beschaffenheit (ποῖα) das Erinnerte (τὰ μνημονευτά) ist. Obzwar er kurz darauf eine präliminarische Bestimmung der mne¯me¯ vorlegt, läßt sich zeigen, daß er quasi rückwärts von (d) nach (a) vorgeht, um am Schluß von De mem. 1 eine gültige Definition der mne¯me¯ vorzulegen.59 Dies zeigt, wie Aristoteles eine biologische τί-ἐστιν-Frage methodisch angeht: Nach Maßgabe der epistemologischen Maxime in An. post. 1 geht er voran vom Bekannten zum Unbekannten, um die fragliche Lebensfunktion via αἰτία wissenschaftlich zu bestimmen. Auch De somn. folgt diesem Weg. Wieder informiert sofort der erste Satz über Forschungsziel und Methode: „Über Schlafen und Wachen ist nun nachzuforschen, was sie sind, ob sie Eigenschaften der Psyche oder des Körpers sind, oder ob sie beiden gemeinsam zukommen; und wenn dies der Fall ist, welchem Teil der Psyche oder des Körpers, und durch welche Ursache sie den Tieren zukommen.“ 60 Ähnlich fragt Aristoteles einige Zeilen später hinsichtlich der Träume. (Daß er hier von den „Teilen der Psyche“ und nicht von den Dynameis spricht, ist eine von Platon ererbte façon de parler. An 58 59

60

Vgl. Arist. De mem. 1.449 b 4–5: περὶ μνήμης καὶ τοῦ μνημονεύειν λεκτέον τί ἐστι καὶ διὰ τίν’ αἰτίαν γίγνεται καὶ τίνι τῶν τῆς ψυχῆς μορίων συμβαίνει τοῦτο τὸ πάθος καὶ τὸ ἀναμιμνήσκεσθαι. Vgl. Arist. De mem. 1.451 a 14–16: τί μὲν οὖν ἐστι μνήμη καὶ τὸ μνημονεύειν, εἴρηται, ὅτι φαντάσματος, ὡς εἰκόνος οὗ φάντασμα, ἕξις. („[…] Gedächtnis und Erinnerung-Haben sind der Besitz (das Haben) eines Phantasmas, das (zugleich) als Abbild [eines (früheren) Sinneseindrucks] aufgefaßt wird.“) Vgl. Arist. De somn. 1.453 b 11–14: περὶ δὲ ὕπνου καὶ ἐγρηγόρσεως ἐπισκεπτέον τίνα τε τυγχάνει ὄντα, καὶ πότερον ἴδια τῆς ψυχῆς ἢ τοῦ σώματος ἢ κοινά, καὶ εἰ κοινά, τίνος μορίου τῆς ψυχῆς ἢ τοῦ σώματος, καὶ διὰ τίν’ αἰτίαν ὑπάρχει τοῖς ζῴοις.

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dieser Stelle paßt μορίου τῆς ψυχῆς besser, weil sich dies weniger umständlich auf τοῦ σώματος bezieht.) Auch De somn. geht es also um die Kausalanalyse der Lebensfunktionen mit dem Ziel einer definitorischen Bestimmung. Erinnerung, Wiedererinnerung, Wachen, Schlafen und Träumen sind Subfakultäten der basalen Lebensfunktion Aisthesis. Aristoteles mußte diese Subordination in den Parv. nat. genauer klären, da er dazu zuvor (anders als bei Ernährungs-, Wahrnehmungs- oder Strebevermögen) keine detaillierten Überlegungen vorgelegt hatte. Ebenfalls für De somn. und De insomn. ließe sich zeigen, wie er vom Bekannten zum Unbekannten fortschreitet. Kurz: Die Schriften der Parv. nat. I sind aitiologische Werke zum Thema der Sinnesphysiologie. Dasselbe methodische Verfahren ist typisch für die Parv. nat. II. Es läßt sich nicht abschließend klären, ob De long. vit., De iuv. und De vit. et mort. ursprünglich (auch mit De resp.) zusammenhingen. Sachlich gehören die Texte zweifellos zusammen. Aristoteles diskutiert Ursachen für Leben und Tod. Er verbindet dies mit der Frage, welche Ursachen ein langes Leben begünstigen. Dies ist das explizite Thema von De long. vit. Auch hier kündigt Aristoteles gleich zu Beginn aitiologische Analysen an: Es gehe um die „Untersuchung der Ursachen“ (ἐπισκεπτέον τὰς αἰτίας) für Länge und Kürze des Lebens.61 Einige Zeilen später bekräftigt er die aitiologische Zielsetzung erneut.62 Anders als in den Parv. nat. I behandelt De long. vit. keine spezifische Lebensfunktion, sondern ein übergreifendes Thema. Zudem geht es De long. vit. nicht um eine einzige, sondern um mehrere Ursachen. Die spannende Frage, wie Aristoteles diese Ursachen miteinander korreliert, kann hier nicht vertieft werden.63 Es sei nur bemerkt, daß De long. vit. (a) medizinische Themen berührt und (b), was die Fakten zur Lebensdauer angeht, auf die Hist. an. zurückgreift. De long. vit. konzentriert sich auf die Ordnung und Kombination der Fakten. In einem Ausschlußverfahren widerlegt Aristoteles falsche Thesen zur Lang- und Kurzlebigkeit.64 Die Ordnung der Fakten ist dreiglied61

62 63

64

Vgl. Arist. De long. vit. 1.464 b 19–22: περὶ δὲ τοῦ τὰ μὲν εἶναι μακρόβια τῶν ζῴων τὰ δὲ βραχύβια, καὶ περὶ ζωῆς ὅλως μήκους καὶ βραχύτητος, ἐπισκεπτέον τὰς αἰτίας, ἀρχὴ δὲ τῆς σκέψεως ἀναγκαία πρῶτον ἐκ τοῦ διαπορῆσαι περὶ αὐτῶν. Vgl. Arist. De long. vit. 1.464 b 33–465 a 2: νῦν δὲ περὶ τὰς αἰτίας τοῦ τὰ μὲν εἶναι μακρόβια τὰ δὲ βραχύβια, καθάπερ εἴρηται πρότερον, θεωρητέον. Vgl. Martin F. Meyer, Aristoteles über die Lebensdauer der Tiere und Pflanzen, in: J. Althoff/ S. Föllinger/G. Wöhrle (Hrsg.), Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption, Band 25, Trier 2015, 55–78. Vgl. Arist. De long. vit. 4.466 a 1–9. Demnach ist es falsch, daß (a) die größten Lebewesen am längsten leben, (b) die kleinen Lebewesen am längsten leben, (c) Pflanzen insgesamt länger leben als Tiere, (d) blutführende Tiere insgesamt am längsten leben, (e) blutlose Tiere insgesamt länger leben als blutführende Tiere, (f) terrestrische Lebewesen insgesamt länger leben als aquatische Lebewesen, (g) aquatische Lebewesen länger leben als terrestrische Lebewesen. Falsifizierung: (a) ist falsch, weil Pferde kürzer leben als Menschen, (b) ist

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

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rig.65 Es folgt die Aitiologie: Aristoteles diskutiert (a) interne anatomische Ursachen (Feuchtigkeit, Trockenheit, Wärme, Kälte),66 (b) externe Ursachen (klimatisch-geographische Bedingungen, terrestrische und aquatische Habitate). Die Explanation ist das Musterbeispiel einer vollständigen Erklärung: Sämtliche Phänomene werden je für sich erklärt und auf je spezifische Ursachen zurückgeführt. Obwohl De long. vit. explizit als zoologische Vorlesung konzipiert ist, klärt Aristoteles hier auch botanische Fragen. Zwei Vorbemerkungen zu den folgenden Schriften: (a) Der Titel De iuv. ist irreführend. Aristoteles kündigt im ersten Satz an, es sei nun über „Jugend, Alter, Tod und Leben“ zu reden. Auch sei nötig, die „Ursachen der Atmung“ zu behandeln (467 b 10–12). Jugend und Alter kommen in De iuv. aber gar nicht zur Sprache. Erst De resp. 17–21 thematisiert die Frage von Lebenserhaltung und Tod. Der Titel De vita et morte wäre daher also passender. (b) In meiner Deutung von De resp. habe ich gezeigt, daß De resp. keine eigenständige Pragmatie ist, sondern ein in De iuventute et senectute et de vita et morte eingebundener Exkurs. Daß De resp. seit dem Mittelalter (teils als: De respiratione et inspiratione)67 und auch von Bekker als eigene Schrift gedeutet wurde, ist darauf zurückzuführen, daß De resp. eine umfängliche Doxographie enthält. So entstand der Eindruck, De resp. sei ein gesondertes Werk. Zudem bot sich das Incipit (470 b 6–7: περὶ γὰρ ἀναπνοῆς …) für die Titelgebung geradezu an. Wie gesagt: De iuv. und De resp. sind in einem Zuge konzipiert. Sie bilden eine thematische Einheit. Betrachten wir erst De iuventute et senectute et de vita et morte gesondert. Im Eingangssatz heißt es, nachstehend seien „die Ursachen der Atmung“ zu untersuchen.68 Dies zeigt wieder die aitiologische Zielsetzung. Die-

65

66

67 68

falsch, weil die meisten Insekten nur ein Jahr leben, (c) ist falsch, weil manche Pflanzen nur ein Jahr leben, (d) ist falsch, weil Bienen länger leben als manche Bluttiere, (e) ist falsch, weil Weichtiere nur ein Jahr leben, (f) ist falsch, weil manche terrestrischen Tiere und Pflanzen nur ein Jahr leben, (g) ist falsch, weil die aquatischen Schal- und Weichtiere nur sehr kurz leben. (a) Reduktion via Abstraktion: Aristoteles reduziert die Merkmalsgruppen auf eine kleinere Anzahl, deren Prädikate eine größere Bedeutungsextension haben. (b) Exklusion via Falsifikation: Ein Selektionsverfahren, das zur Eliminierung falscher Behauptungen führt. (c) Fokussierung via Häufigkeit: Aristoteles überführt die als wahr festgestellten allgemeinen Aussagen in ein Ensemble von ‚statistischen‘ Regeln. Im Ergebnis fokussiert er jene Merkmale, die bei den langlebigen Lebewesen am häufigsten vorkommen: pflanzenhaft, blutführend, terrestrisch. Vgl. Arist. De long vit. 5.466 a 18–20: δεῖ γὰρ λαβεῖν ὅτι τὸ ζῷόν ἐστι φύσει ὑγρὸν καὶ θερμόν, καὶ τὸ ζῆν τοιοῦτον, τὸ δὲ γῆρας ξηρὸν καὶ ψυχρόν, καὶ τὸ τεθνηκός. φαίνεται γὰρ οὕτως. Vgl. zur Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte der Parv. nat.: Siwek (wie Anm. 1), Vescovini (wie Anm. 1), King (wie Anm. 3) 97–98. Vgl. Arist. De iuv. 1.467 b 12–13: ἅμα δὲ καὶ περὶ ἀναπνοῆς ἀναγκαῖον ἴσως τὰς αἰτίας εἰπεῖν.

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ses Ziel ist aber exklusiv auf De resp. gemünzt. Die vier Seiten De iuventute et senectute et de vita et morte enthalten fundamentale Bestimmungen zu den anatomischen Bedingungen von Leben. Aristoteles geht es hier gerade nicht um die Erklärung einzelner Lebensfunktionen, sondern darum, wo die Psyche im Körper lokalisiert ist. Dies scheint prima facie verwunderlich. So hatte Aristoteles in De an. ausdrücklich bestimmt, die ousia der Psyche sei nicht als somatische Entität, sondern eher „wie eine Form“ vorzustellen. Genau auf diese (in De an. II 1 angeführte) Bestimmung verweist De iuv. 1.467 b 14–16: „Es ist klar, daß ihre (der Psyche) Substanz nicht körperlich sein kann, gleichwohl aber in irgendeinem Teil des Körpers ansässig ist – und zwar innerhalb des Körpers unter dessen Gliedern in einem von denjenigen, denen eine besondere Dynamis zukommt.“ 69 Obzwar die Psyche ihrem Wesen nach nicht körperlich ist, wirkt sie im lebenden Körper. Sie ist gleichsam der Ursprung der Lebendigkeit der belebten Körper. Aristoteles fragt, wie das möglich ist – und in welchem Körperteil die Psyche zu verorten ist. Er betont, die Lebensfunktionen blieben (gleich ob man sie nun „Teile“ oder „Dynameis“ der Psyche nenne) in der folgenden Untersuchung „außer Betracht“. Wie gesagt: De iuv. geht es nicht um einzelne Lebensfunktionen. Nach Aristoteles ist der „Sitz der Psyche“ bei den Tieren in einem anderen Körperteil zu verorten als bei den Pflanzen. Begründung: Der locus animi hängt jeweils von jener Dynamis ab, die für das Leben des Individuums maßgeblich ist. Der Problematisierung der locus-animi-Frage liegen zwei Beobachtungen zugrunde: (a) Die erste Beobachtung gilt dem Faktum, daß bei manchen Tieren, wenn man sie zerteilt, ein Körperteil länger überlebt als der andere. Aristoteles folgert, daß jener Teil länger lebt, der enger mit dem „Sitz der Psyche“ verbunden und diesem näher ist. Bei den blutführenden Tieren ist dieser Teil das Herz; bei den Blutlosen das entsprechende Analogon. Bei allen Tieren ist das Herz bzw. das entsprechende Analogon zugleich der Sitz der aisthetischen Dynamis.70 (b) Die zweite Beobachtung betrifft die Tatsache, daß (manche) Pflanzen, wenn man sie teilt, „getrennt weiterleben“. Beispielsweise entstehen „aus einem ursprünglichen Anfang viele Bäume“.71 Aristoteles folgert, das Er69

70

71

Vgl. Arist. De iuv. 1.467 b 14–16: καὶ δῆλον ὅτι οὐχ οἷόν τ’ εἶναι σῶμα τὴν οὐσίαν αὐτῆς, ἀλλ’ ὅμως ὅτι γ’ ἔν τινι τοῦ σώματος ὑπάρχει μορίῳ φανερόν, καὶ ἐν τούτῳ τινὶ τῶν ἐχόντων δύναμιν ἐν τοῖς μορίοις. Vgl. Arist. De iuv. 4.469 a 23–27: κατὰ μὲν οὖν τὰ φαινόμενα δῆλον ἐκ τῶν εἰρημένων ὅτι ἐν τούτῳ τε καὶ ἐν τῷ μέσῳ τοῦ σώματος τῶν τριῶν μορίων ἥ τε τῆς αἰσθητικῆς ψυχῆς ἀρχή ἐστι καὶ ἡ τῆς αὐξητικῆς καὶ θρεπτικῆς. Aristoteles bemerkt in 469 a 27–28, daß sich die offenbar anhand von gezielten Sektionen gewonnen Folgerungen auch aus „theoretischen Überlegungen“ (κατὰ τὸν λόγον) gewinnen ließen. Vgl. Arist. De iuv. 2.468 a 30–31: καὶ γὰρ τὰ φυτὰ διαιρούμενα ζῇ χωρίς, καὶ γίνεται πολλὰ ἀπὸ μιᾶς ἀρχῆς δένδρα.

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nährungsvermögen der Pflanzen müsse aktuell ein einziges sein. In einem Individuum müßten aber potentiell mehrere Ernährungsvermögen existieren.72 Dieser Gedanke erhellt zugleich die Rede von Psyche als „erster Entelechie“ in De an. II 1. All das zeigt: De iuventute et senectute et de vita et morte ist als Untersuchung zu der Frage gedacht, wie die Psyche für das Leben eines Lebewesens ursächlich ist. Erbringen die zentralen Organe ihre Leistungen nicht, kann ein Wesen nicht (weiter)leben. Folglich werden auch andere Lebensfunktionen nicht mehr realisiert. Die Funktionsfähigkeit des „Zentralorgans“ ist daher die wichtigste Bedingung für jedes Leben. Aristoteles vertagt das Thema der pflanzlichen „Zentralorgane“ auf die geplante Schrift De plantis. Das zeigt (a), welche Fragen in De plantis geklärt werden sollten; (b), daß De iuventute et senectute et de vita et morte im zoologischen Curriculum vorgetragen wurde. Die Kapitel De iuv. 3–4 rekurrieren auf die anatomischen Forschungen zum Verlauf der Adern und der Herzfunktion, die Aristoteles (wie er hier sagt) in De part. an. erörtert hatte. De iuv. 4 unterstreicht die Bedeutung der Lebenswärme als wichtigste physiologische Lebensbedingung: „Alle Teile und der ganze Körper der Tiere verfügen über eine angeborene natürliche Wärme.“ 73 In De iuv. 5 heißt es: „Nun ist klar: Wenn die Wärme erhalten bleiben soll (und das muß sie, wenn Leben bestehen soll), muß sie im Zentralorgan eine Abkühlung erfahren.“ 74 Für das Leben eines jeden Wesens ist ein bestimmtes (je artspezifisches) Quantum an Lebenswärme notwendig. Ein Zuviel oder Zuwenig führt zum Tod bzw. bei den Pflanzen zum Absterben. Aristoteles sagt überdies, die Psyche [selbst] könne nicht ohne Wärme bestehen.75 Da für die lebenswichtige Wärme der Pflanzen gemäß De iuv. 6.470 72 73

74 75

Vgl. Arist. De iuv. 2.468 b 2–4: ἀνάγκη δὲ καὶ τὴν θρεπτικὴν ψυχὴν ἐνεργείᾳ μὲν ἐν τοῖς ἔχουσιν εἶναι μίαν, δυνάμει δὲ πλείους, ὁμοίως δὲ καὶ τὴν αἰσθητικήν. Vgl. Arist. De iuv. 4.469 b 6–8: πάντα δὲ τὰ μόρια καὶ πᾶν τὸ σῶμα τῶν ζῴων ἔχει τινὰ σύμφυτον θερμότητα φυσικήν; vgl. ausführlich J. Althoff, Warm, kalt, flüssig und fest bei Aristoteles. Die Elementarqualitäten in den zoologischen Schriften (Hermes Einzelschriften 57), Stuttgart 1992; ders., Das Konzept der generativen Wärme bei Aristoteles, Hermes 120, 1992, 181–193. Demnach unterscheidet Aristoteles zwei (von der anorganischen, äußeren Wärme differente) Typen von Eigenwärme: (a) die bei der Verdauung entstehende organische Wärme, (b) die für die Fortpflanzungsvorgänge notwendige, im spermatischen Pneuma vorhandene (dem Sternelement analoge) generative Wärme; vgl. Arist. De gen. an. II 3.736 b 33–737 a 1: „Im Samen aller Tiere ist das sogenannte Warme enthalten, das die Samen zeugungsfähig macht. Dies ist aber weder Feuer noch eine solche Wirkkraft, sondern das im Samen und dessen Schaumbestandteilen eingeschlossene Pneuma – oder vielmehr die im Pneuma enthaltene Natur, die dem Sternelement analog ist.“ (Übers. Althoff 1992). Vgl. Arist. De iuv. 5.470 a 5–7: δῆλον τοίνυν ὡς εἴπερ δεῖ σῴζεσθαι τὸ θερμόν (τοῦτο δ’ ἀναγκαῖον, εἴπερ μέλλει ζῆν), δεῖ γίνεσθαί τινα τοῦ θερμοῦ τοῦ ἐν τῇ ἀρχῇ κατάψυξιν. Vgl. Arist. De iuv. 6.470 a 19–20: ἐπεὶ δὲ πᾶν ζῶν ἔχει ψυχήν, αὕτη δ’ οὐκ ἄνευ φυσικῆς ὑπάρχει θερμότητος.

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a 20–22 „durch die Nahrung und die umgebende Luft hinlänglich gesorgt ist“, sei mit Blick auf die Tiere zu analysieren, wie und bei welchen Tieren die lebensnötige Kühlung zustande komme. Dieser Frage geht De resp. nach. De resp. ist also direkt in die zoologische Problematik des lebensnötigen Wärmequantums eingebunden. Da die Pflanzen, wie gesehen, von dieser Frage nicht betroffen sind, handelt es sich bei De resp. um eine rein zoologische Abhandlung. Aristoteles hatte zu Beginn von De iuv. 1 bemerkt, es handle sich hier um eine aitiologische Pragmatie. Die Kernthese von De resp. lautet, die Atmung diene bei allen Tieren mit einer Lunge dem Zweck der lebensnotwenigen Kühlung. Im Rekurs auf seine anatomischen Forschungen zeigt Aristoteles, daß nicht alle Tiere einer Kühlung bedürfen.76 Dies hatten (wie die Doxographie in De resp. 2–7 ergibt) einige frühere Forscher nicht erkannt. Aristoteles kritisiert, sie hätten keine Ahnung von Anatomie und hätten den Zweck der Atmung deshalb nicht begriffen. In De resp. 13–14 fragt Aristoteles, wie Wärme und Kühlung bei differenten Tiergruppen zusammenhängen. Er erinnert an das Resultat von De long. vit., wonach sich alle Tiere in einem artspezifischen Wärmespektrum bewegen. Dann diskutiert er externe Faktoren (Klima, Habitate) und interne Bedingungen. Etwas vereinfacht läßt sich sagen, daß er die internen ‚Kühlmechanismen‘ (a) in einen Modus der ‚Luftkühlung‘ und (b) einen Modus der ‚Wasserkühlung‘ differenziert. Nur die der ‚Luftkühlung‘ dienenden Vorgänge gelten ihm als Atmung im eigentlichen Sinne. Das in De resp. 19 aufgeworfene Problem, warum Fische „an der Luft ersticken“, löst er, indem er das „Ersticken“ als Folge einer Überhitzung begreift. Überhitzung entsteht, wenn die Kühlung des umgebenden Wassers entfällt. De resp. 17–21 führt die Resultate der Atmungstheorie mit den in De iuv. verhandelten Fragen zusammen. Der Kontext ergibt, daß De iuventute et senectute et de vita et morte und De resp. eine geschlossene Pragmatie bilden. Bereits De long. vit. thematisiert essentielle Bedingungen der Lebenserhaltung. De resp. 17 weist zurück auf den in De iuv. explizierten Gedanken, allen Tieren seien zwar Geburt und Tod gemein, die Modi von Geburt und Tod aber unterschieden sich. Zum Tod heißt es (De resp. 17.478 b 24– 29): θάνατος δ’ ἐστὶν ὁ μὲν βίαιος ὁ δὲ κατὰ φύσιν, βίαιος μὲν ὅταν ἡ ἀρχὴ ἔξωθεν ᾖ, κατὰ φύσιν δ’ ὅταν ἐν αὐτῷ, καὶ ἡ τοῦ μορίου σύστασις ἐξ ἀρχῆς τοιαύτη, ἀλλὰ μὴ ἐπίκτητόν τι πάθος. τοῖς μὲν οὖν φυτοῖς αὔανσις, ἐν δὲ τοῖς ζῴοις καλεῖται τοῦτο γῆρας. 76

Vgl. Arist. De resp. 9–12: Demnach atmen ganz kleine blutlose Tiere (Bienen, Wespen, Maikäfer, Zikaden, Fliegen, Cephalopoden, Crustacea und Fische) nicht; vgl. Meyer (wie Anm. 23) zu den differenten Ursachen.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

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Der Tod ist entweder gewaltsam oder naturgemäß. Gewaltsam ist er, wenn seine Ursache außerhalb, naturgemäß, wenn sie im Lebewesen selbst liegt und der Zustand des betroffenen Körperteils derselbe wie von Anfang an und nicht ein krankhafter Zustand ist. Bei den Pflanzen nennt man den natürlichen Tod Verdorren, bei den Tieren Alter. Der Naturwissenschaftler kann nur den Tod κατὰ φύσιν erklären. Zu den natürlichen Todesarten zählt das Ausbleiben der durch die Atmung bewirkten Kühlung. Dies erklärt also den Tod der atmenden Tiere. De resp. 17 wiederholt die These aus De iuv. 3, der „Sitz des Lebens“ liege im Zentrum des jeweiligen Organismus. (Bei den Pflanzen sei dies die Mitte zwischen Wurzel und Trieb, bei den blutführenden Tieren sei dies das Herz und bei den blutlosen Tieren das analoge Organ). De resp. verbindet die locus-animiThese mit der Kühlfunktion: „Das Lebensprinzip verläßt seinen Besitzer, wenn die Wärme, die mit diesem Prinzip verbunden ist, nicht gekühlt wird.“ (ebd.). Das Kühlorgan müsse anatomisch mit dem „Sitz des Lebens“ verbunden sein. Bevor Aristoteles darauf zurückkommt, tangiert er das in De iuv. 1 angekündigte (dort aber nicht behandelte) Thema von Jugend und Alter (De resp. 18.479 a 29–33): γένεσις μὲν οὖν ἐστιν ἡ πρώτη μέθεξις ἐν τῷ θερμῷ τῆς θρεπτικῆς ψυχῆς, ζωὴ δ’ ἡ μονὴ ταύτης. νεότης δ’ ἐστὶν ἡ τοῦ πρώτου καταψυκτικοῦ μορίου αὔξησις, γῆρας δ’ ἡ τούτου φθίσις, ἀκμὴ δὲ τὸ τούτων μέσον. Die Bildung des Keims eines Lebewesens ist der Beginn der Teilhabe des Ernährungsvermögens an Wärme. Leben ist die Fortdauer der Teilhabe daran. Jugend ist das Wachstum des primären kühlenden Organs, Alter dessen Rückbildung, Blütezeit des Lebens ist der dazwischenliegende Zeitraum. Diese Formel könnte den Titel De iuventute et senectute et de vita et morte rechtfertigen. In De resp. 17 hieß es, während der langen Dauer des Lebens entschwinde der größte Teil der Lebenswärme, im Alter sei nur noch ein geringes Wärmequantum übrig. Das Leben im Alter erlösche schon bei der kleinsten Irritation. Der optimale natürliche Tod trete so ein, daß man es gar nicht merke, da im Alter die Wahrnehmung allmählich nachlasse. Überspitzt läßt sich sagen: Der naturgemäße Tod tritt ein, wenn alle wesentlichen Lebensfunktionen gleichzeitig ermüden. In De resp. 18.479 b 5–7 heißt es, Geburt, Leben und Tod seien nun abgehandelt. Aristoteles kommt in den letzten Kapiteln zurück auf den anatomischen Konnex von Herz und Lunge. Er begründet die These von der Kühlfunktion der Atmung nun anatomisch.77 Er 77

Vgl. Arist. De resp. 20–21: In Kap. 20 unterscheidet Aristoteles drei Funktionen des Herzens (Herzschlag, Pulsschlag, Atmung), um in Kap. 21 zu begründen, warum die Atmung

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betont die Synchronizität von Herz- und Atembewegung. Gerade die Permanenz dieses Wechselspiels sei lebenswichtig: „Dies [Herz- und Atembewegung] geht offensichtlich immer und ununterbrochen vor sich, solange man lebt und dieser Körperteil [das Herz] die Bewegung ununterbrochen hervorruft. Und deshalb ist das Leben vom Ein- und Ausatmen abhängig.“ 78 Sowenig wie sich Herz- und Atembewegung voneinander isolieren lassen, lassen sich also auch die Schriften De long. vit., De iuv. und De resp. voneinander trennen.

4. Fazit Im ersten Teil des Beitrags wurde versucht, aus den zahlreichen Querverweisen in den Parv. nat. Anhaltspunkte für die relative Chronologie dieser Schriften und ihre Stellung im biologischen Œuvre des Aristoteles zu gewinnen. Die Auswertung ergab, daß Hist. an. und De part. an. früher entstanden sind als die Parv. nat. und De an. II–III. Die Parv. nat. I folgen den in De an. II 5–III gegebenen Bestimmungen zur Aisthesis und dem Strebevermögen. Es zeigte sich, daß die Schriften der Parv. nat. I den Schriften der Parv. nat. II vorangehen. Bekkers Anordnung der Texte ist daher sachlich gerechtfertigt. Es konnte ebenfalls gezeigt werden, daß die Parv. nat. als aitiologische Schriften konzipiert sind. Die Parv. nat. I (Ausnahme: De sens.) erforschen die Ursachen der jeweiligen Lebensfunktionen. Aristoteles verfolgt hier das Ziel einer definitorischen Bestimmung dieser Funktionen. Maßgeblich für die Deutung der Parv. nat. I war der Rekurs auf das in De an. explizierte System der Lebensfunktionen: Dieses System erlaubte es, die Parv. nat. I von ihren Gegenstandsbereichen her zu verorten. Auf die Parv. nat. II ließ sich dieses Verfahren nicht anwenden. Anders als in den Parv. nat. I steht in den Parv.

78

von der Herzbewegung weder topologisch noch prozessual isoliert werden kann. Was die Topologie von Herz und Lunge betrifft, so heißt es, daß diese beiden Organe (a) in unmittelbarer Nähe zueinander liegen, (b) sich gegenseitig berühren, (c) jedes dieser Organe den Blasebälgen in den Schmiedewerkstätten ähnelt und (d), daß beide Organe zusammen die äußere Form eines „Doppelblasebalgs“ haben. Das in De resp. 21 beschriebene Zusammenwirken von Herz- und Atembewegung läßt sich als Sechs-Phasen-Modell darstellen: (1) Ausdehnung des Herzens infolge der (bei der Verbrennung entstehenden) Wärme; (2) Ausdehnung des Thorax inkl. der Lungen; (3) Ansaugbewegung der kühlenden Luft (Vorgang des Einatmens); (4) Kühlungseffekt: die kalte Atemluft führt zur Kontraktion des Herzens; (5) Kontraktion des Brustkorbes inkl. der Lungen; (6) Austritt von heißer Luft (Vorgang des Ausatmens). Vgl. Arist. De resp. 21.480 b 10–12: καὶ ἀεὶ δὴ τοῦτο γίνεται συνεχῶς, ἕως περ ἂν ζῇ καὶ κινῇ τοῦτο τὸ μόριον συνεχῶς· καὶ διὰ τοῦτο ἐν τῷ ἀναπνεῖν καὶ ἐκπνεῖν ἐστι τὸ ζῆν.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

103

nat. II die Erklärung einzelner Lebensfunktionen nicht im Vordergrund. Hier fragt Aristoteles vielmehr nach den Grundbedingungen von Leben. De long. vit. diskutiert das Verhältnis externer und interner Faktoren in Hinsicht auf Kurz- und Langlebigkeit. De iuventute et senectute et de vita et morte akzentuiert die Bedeutung der Lebenswärme für alle Lebewesen. De resp. geht es zunächst um die Ursachen der Kühlung (Funktion der Atmung) bei Tieren, die eine Lunge haben. Im Schlußteil kommt Aristoteles auf die allgemeinen Lebensbedingungen bzw. die locus-animi-Frage zurück: Das Leben eines Individuums entsteht durch Teilhabe des Ernährungsvermögens an Wärme. Das Leben selbst ist Fortdauer dieser Teilhabe. Jugend ist Wachstum des primären kühlenden Organs und Alter dessen Rückbildung. Die Parv. nat. II enthalten Hinweise, daß Aristoteles im Anschluß noch eine Pragmatie zur Lebensentstehung geplant hatte. Das Produkt dieser Zielsetzung ist die Schrift De gen. an. Die Gedanken zur Lebenswärme in den Parv. nat. II belegen, daß Aristoteles noch eine eher grundsätzlich angelegte botanische Untersuchung geplant hatte. Sie sollte Fragen der Lebenswärme, der pflanzlichen Zentralorgane und der Pflanzengenese behandeln. Aus den Parv. nat. lassen sich keine Informationen zu der Schrift De inc. an. gewinnen. Dies gilt ebenfalls für De mot. an. Umkehrt belegt der letzte Satz von De mot. an., daß die Parv. nat. dieser Schrift zeitlich vorangehen.

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Anhang I: Querverweise in den Parv. nat. VERWEIS AuF SCHRIFTEN BZW. KONTEXTE 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.

DE SENS. De sens. 1.436 De sens. 1.436 De sens. 1.436 De sens. 2.437 De sens. 2.438 De sens. 3.439 De sens. 3.439 De sens. 3.439 De sens. 3.440 De sens. 3.440 De sens. 4.441 De sens. 4.442 De sens. 4.442 De sens. 4.443 De sens. 6.445 De sens. 7.449 De sens. 7.449

1. 2. 3.

DE MEM. De mem. 1.449 b 31–32 De mem. 1.450 a 20 De mem. 2.451 a 18–20

De an. De an. III (?) De mem. 1

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

DE SOMN. De somn. 1.454 De somn. 2.455 De somn. 2.455 De somn. 2.456 De somn. 2.456 De somn. 2.456 De somn. 2.456 De somn. 3.456 De somn. 3.456 De somn. 3.457 De somn. 3.458

De an. II 2 & 3 De an. III 11 De an. II 2–3 De part. an. III 3–4 De resp. De insomn. (die echten) Probl. Anatomai De nutritione De part. an. II 7 Hist. an. I 17; III 2–4; De part. an. III 4

1.

DE INSOMN. De insom. 1.459 a 14–15

79

a1 b 10 b 14 a 18–19 b 2 f. a8 a 16 a 18 b3 b 12 f. b 12 a3 b 24 b 2579 b 19 a 9–10 b 3–4

a 11–13 a 8–9 a 25 a1 a 10–11 a 26–27 a 29 b2 b6 b 29 a 20–21

De an. De an. De an. De an. III De an. II 7 De an. De an. De an. De gen. et corr. I 10 De gen. et corr. I 10 Meteor. IV De gen. an. IV De plantis De sens. Phys. VII De sens. / De an. De mem.

De an. III 3

(D) (R) (V)

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D

R

Auffällig ist, daß es in De sens. 5 (wo es um die Behandlung der olfaktorischen Sinne geht) keine Verweise auf De resp. gibt, obwohl das Thema der Atmung hier expliziert tangiert wird.

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

105

(fortgesetzt) VERWEIS AuF SCHRIFTEN BZW. KONTEXTE 1.

DE DIVIN. De divin. 2.464 b 9–10

1. 2. 3. 4.

DE LONG. VIT. De long. vit. 1.464 De long. vit. 1.464 De long. vit. 6.467 De long. vit. 6.467

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

DE IUV. De iuv. 1.467 De iuv. 1.467 De iuv. 2.468 De iuv. 3.468 De iuv. 3.469 De iuv. 5.470 De iuv. 6.470

1.

DE RESP. De resp. 7.473 a 27-b 1

2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.

De De De De De De De De De De De De

resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp. resp.

b b b b

30–31 31–32 4–5 6–8

b 11–12 b 13–18 a 31 f. b 32 f. a 22–23 a 18 b 4–5

8.474 a 25–26 8.474 b 7–9 8.474 b 10–12 8.474 b 13–14 9.475 a 30–31 10.475 b 25–27 12.477 a 5–8 13.477 a 13–15 14.477 b 11–12 16.478 a 26–28 16.478 a 34–b2 17.478 b 33–a 1

(D) (R) (V)

De insomn. 3

D

R

De somn. De vit. et mort. De plantis De iuventute et senectute et de vita et morte

D

R

De resp. De an. De plantis De part. an. De part. an. Probl. De resp.

Hist. an. / De an. II 9 / De part. an. II 16 / De sens. 5 De long. vit. 5 / De iuv. 4 Anatomai De an. II 2–4 De iuv. 5 Hist. an. IV 9 / De resp. 3 De resp. [?] / De part. an. III 6 [?] Hist. an. IV 1–2 De resp. 9 De part. an. II 2 & III 6 Anatomai & Hist. an. I 16–17 Anatomai & Hist. an. I 16–17 De iuv. 1–3

V V V

D D

V D

R

D

R R R

V

D

V

R

D D

D

D D

R R R R R R R R R R R R

Martin F. Meyer

106

Anhang II: Die Lebensfunktionen in der aristotelischen Biologie ERNÄHRuNGSFuNKTIONEN 1. Zeugung (primäre Lebensfunktion) / Kontinuum des ewigen Lebens 2. Selbsterhaltung / individuelle ousia 3. Wachstum (Ernährungsbewegung, Bewegung dem Orte nach) / Größe/Ausdehnung PERZEPTIVE FuNKTIONEN

BEWEGuNG

i. Einzelsinne 1. Tastsinn 2. Geschmack

unwillkürlich Herzschlagen Atmen

3. Geruch 4. Gehör 5. Gesicht

ii. Gemeinsinn / Bewegung, Größe, Gestalt, Zeit etc.

indefiSchlafen nite

Wachen GEISTIGE FuNKTIONEN

STREBuNG

PHANTASIA

kalkulative

Vergangenheit

Zukunft

Träume

Weissagung aus Träumen

1. Begehren (Hunger, Durst) / Lust

Gedächtnis

Erwartung

2. thymos / Beute

Erinnerung

Hoffnung

3. Wille / Gutes

FORTBEWEGuNG (poreutische) Fliegen Schwimmen Kriechen Gehen

praktische Vernunft / gutes Leben / herstellende Vernunft / technische Produkte / theoretische Vernunft / Formbestimmung

Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

107

Anhang III: Die Parv. nat. im sog. „Ptolemaios-Schriftenverzeichnis“80

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28.

80

Griech. Titel gemäß Moraux

[Lateinische Titel; MM]

κατηγορίαι περὶ ἑρμηνείας τοπικὰ ἀναλυτικά ἀποδεικτικά σοφιστικοὶ ἔλεγχοι ἠθικὰ μεγάλα ἠθικὰ Εὐδήμια πολιτικά τέχνη ποιητική τέχνη ῥητορική φυσικὴ ἀκρόασις περὶ οὐρανοῦ καὶ κοσμοῦ περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς μετεωρολογικά περὶ ψυχῆς περὶ αἰσθήσεως καὶ αἰσθητῶν περὶ μνήμης καὶ ὕπνου περὶ ζῴων κινήσεως περὶ ζῴων ἀνατομῶν περὶ ζῴων ἱστοριῶν περὶ ζῴων μορίων περὶ ζῴων γενέσεως περὶ ζῴων πορείας περὶ μακροβιότητος καὶ βραχυβιότητος περὶ ζωῆς καὶ θανάτου περὶ φυτῶν περὶ τῶν μετὰ τὰ φυσικά

Categoriae De interpretatione Topica Analytica [Analytica priora] Apodeictica [Analytica posteriora] Sophistici elenchi Magna Moralia Ethica Eudemia Politica Ars poetica Ars rhetorica Physica De caelo De generatione et corruptione Meteorologica De anima De sensu et sensibilibus De memoria et De somno De motu animalium Anatomai Historia animalium De partibus animalium De generatione animalium De incessu animalium De longitudine et brevitate vitae De vita et morte [De resp. MM?] De plantis Metaphysica

Zahl d. Bücher 1 1 8 2 2 1 2 7 8 2 3 7/8 4 2 4 3 1 1 1 6 10 4 5 1 1 1 2 13

Vgl. P. Moraux, Les listes anciennes des ouvrages d’Aristote, Louvain 1951, 297. Der Pinax ist tradiert als Teil des Ptolemaios-al-gharı¯b (Ms. Ayasofya 4833). Die Identität dieses Ptolemaios war in der Forschung lange umstritten. Vermutlich handelt es sich um einen Zeitgenossen des Jamblichos im 4. Jh. n. Chr. (vielleicht der Verfasser einer Aristoteles-Vita). Das Verzeichnis enthält insg. 88 Titel des Aristoteles. Der erste Teil der Liste (Moraux 1951, 295 f.) enthält 28 Titel exoterischer Schriften (u. a. Dialoge, Platon-Epitomen), die fast vollständig verloren sind. Der mittlere Teil der Liste beinhaltet 28 Titel der logischen, ethischpolitischen und naturwissenschaftlichen Schriften (plus 13 Bücher der Metaphysik). Die Anordnung der Titel 12 bis 27 deckt sich erstaunlich genau mit aktuellen Forschungen zum szientifischen Programm des Aristoteles. Dies gilt v. a. für das erkennbare System der (sich an die Abhandlungen über die unbelebte Natur anschließenden) biologischen Schriften, beginnend mit Περὶ ψυχῆς (3 Bücher) und endend bei Περὶ φυτῶν (2 Bücher).

108

Martin F. Meyer

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Die Parva naturalia im Kontext der aristotelischen Biologie

109

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II. Einzelprobleme

Aristoteles über die Natur des Lichts Stephan Herzberg

1. Licht und Farbwahrnehmung Jede Farbe, so lautet Aristoteles’ Definition in De an. II 7, besitzt das Vermögen, das der Aktualität nach transparente Medium in Bewegung zu bringen (418 a 31 f.).1 In dieser ‚kausalen Eigenständigkeit‘2 liegt ihre Natur (418 b 1 f.) oder ihr ‚wesentliches Sein‘ (419 a 9–113).4 Da das der Aktualität nach Transparente nichts anderes ist als das Licht – das Licht wird definiert als die Aktualität des Transparenten, insofern es transparent ist (418 b 9 f.;5 419 a 116) –, folgt, dass die Farbe eines jeden Gegenstands nur im Licht gesehen

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2

3 4

5 6

πᾶν δὲ χρῶμα κινητικόν ἐστι τοῦ κατ’ ἐνέργειαν διαφανοῦς, καὶ τοῦτ’ ἔστιν αὐτοῦ ἡ φύσις. Der Ausdruck κινητικόν ist in einem weiten Sinn zu verstehen, der auch die qualitative Veränderung (ἀλλοίωσις) umfasst. Vgl. De an. III 12.434 b 29–435 a 10. Hierzu R. D. Hicks, Aristoteles. De anima, Cambridge 1907, 367. Zur Natur der Farbe vgl. K. Ierodiakonou, Aristotle and Alexander of Aphrodisias on Colour, in: B. Bydén/F. Radovic (Hrsg.), The Parva naturalia in Greek, Arabic and Latin Aristotelianism. Supplementing the Science of the Soul, Wiesbaden 2018, 77–90. Die kausale Wirksamkeit der wahrnehmbaren Qualitäten als solche, d. h. als das, was sie sind, und nicht aufgrund anderer, ihnen zugrundeliegender Eigenschaften, wird besonders hervorgehoben von S. Broadie, Aristotle’s Perceptual Realism, in: J. Ellis (Hrsg.), Ancient Minds (The Southern Journal of Philosophy, Suppl. 31), Malden 1992, 137–159; M. F. Burnyeat, How Much Happens When Aristotle Sees Red and Hears Middle C? Remarks on De Anima 2. 7–8, in: M. C. Nussbaum/A. Oksenberg Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s De Anima, Oxford 1995, 421–434, hier: 423 f. Zu einer solchen Interpretation vgl. die kritischen Anmerkungen von V. Caston, The Spirit and The Letter: Aristotle on Perception, in: R. Salles (Hrsg.), Metaphysics, Soul, and Ethics in Ancient Thought, Oxford 2005, 245– 320, hier: 269–274. τοῦτο γὰρ ἦν αὐτῷ τὸ χρώματι εἶναι, τὸ κινητικῷ εἶναι τοῦ κατ’ ἐνέργειαν διαφανοῦς. Eine Definition, in der die Farbe nicht durch den Bezug auf ihre kausale Kraft, die sie im Medium entfaltet, definiert wird, sondern in Bezug auf dasjenige in einem Körper, was die Farbe aufzunehmen fähig ist, findet sich in De sens. 3.439 b 11 f.: Hier wird die Farbe definiert als „die Grenze des Transparenten in einem bestimmten Körper“ (ὥστε χρῶμα ἂν εἴη τὸ τοῦ διαφανοῦς ἐν σώματι ὡρισμένῳ πέρας). „Bestimmt“ meint hier, dass ein Körper feste, eigene Grenzen hat. φῶς δέ ἐστιν ἡ τούτου ἐνέργεια, τοῦ διαφανοῦς ᾗ διαφανές. ἡ δ’ ἐντελέχεια τοῦ διαφανοῦς φῶς ἐστίν.

114

Stephan Herzberg

werden kann (418 b 2 f.; 419 a 22).7 Farbwahrnehmung und Licht hängen also notwendig miteinander zusammen,8 sind aber zu unterscheiden. Das möchte ich einleitend anhand zentraler Aussagen kurz skizzieren. (1) Das Licht ist als eine bestimmte Art von Zustand oder Haltung (ἕξις: De an. II 7.418 b 19 f.9) das Ergebnis einer Aktual-Setzung des dem Vermögen nach Transparenten, insofern es transparent ist. Mit „transparent“ (διαφανές) bezeichnet Aristoteles dasjenige, was zwar sichtbar ist, nicht aber, so lautet seine Präzisierung, „an sich“ sichtbar im strengen Sinn – d. h. es hat nicht in sich selbst die Ursache seines Sichtbarseins,10 also eine „eigene Farbe“ (419 a 2) –, sondern durch eine „fremde Farbe“, d. h. durch die Farbe eines anderen Körpers (418 b 4–6).11 Das trifft auf Luft, Wasser und viele Festkörper (z. B. Glas, Kristalle) zu. Luft und Wasser sind aber nicht als das, was sie sind, transparent, sondern nur deshalb, weil in ihnen „eine bestimmte Natur“ (τις φύσις) vorliegt; diese ist in beiden dieselbe wie auch im ewigen oberen Körper, dem Äther (418 b 6–9).12 Nach De sens. 3 wird mit „transparent“ nicht etwas bezeichnet, was der Luft oder dem Wasser oder einem anderen derartigen Körper eigentümlich wäre, sondern „eine bestimmte gemeinsame Natur und Potenzialität, die nicht abtrennbar ist, sondern in diesen (Körpern) ist, und auch in den ande-

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8

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Vgl. R. Polansky, Aristotle’s De anima, Cambridge 2007, 267: „[…] Aristotle takes his account of color as that which moves the medium to explain the obvious fact that color is only seen in light. Aristotle doubts that effluence theories can readily explain the role of light in color vision. Effluences might help with phosphorescence or the visibility of fire in darkness, but the evident fact that color vision needs light gravely threatens the view. Thus that color is seen in light can confirm Aristotle’s definition of color and lead into his whole understanding of sense perception as involving media and the reception of forms.“ Es ist aber nicht der Fall, dass es ohne Farbe und Licht überhaupt kein Sehen geben würde: Unter das „an sich Sichtbare” fällt für Aristoteles nicht nur die Farbe, sondern auch das Phosphoreszierende (De an. II 7.418 a 26–28). Letzteres ist gerade nur im Dunkeln sichtbar: „Aber nicht alles Sichtbare ist im Licht (sichtbar), sondern nur die jedem einzelnen Ding eigene Farbe. Einiges nämlich wird zwar im Licht nicht gesehen, bewirkt jedoch im Dunkeln Wahrnehmung, z. B. das, was feuerartig und leuchtend erscheint und für das es keinen gemeinsamen Namen gibt, wie etwa Pilz und Horn sowie Köpfe, Schuppen und Augen von Fischen, aber von keinem dieser Dinge wird die eigene Farbe gesehen.“ (De an. II 7.419 a 1–6; Übers. Corcilius). Vgl. auch De sens. 2.437 a 31–b 9. Vgl. auch De an. III 5.430 a 15, wo der Intellekt, der dadurch ist, dass er alles wirkt, mit dem Licht verglichen wird (ὁ δὲ τῷ πάντα ποιεῖν, ὡς ἕξις τις, οἷον τὸ φῶς). Vgl. De an. II 7.418 a 30 f.: καθ’ αὑτὸ δὲ οὐ τῷ λόγῳ, ἀλλ’ ὅτι ἐν ἑαυτῷ ἔχει τὸ αἴτιον τοῦ εἶναι ὁρατόν. διαφανὲς δὲ λέγω ὃ ἔστι μὲν ὁρατόν, οὐ καθ’ αὑτὸ δὲ ὁρατὸν ὡς ἁπλῶς εἰπεῖν, ἀλλὰ δι’ ἀλλότριον χρῶμα. τοιοῦτον δέ ἐστιν ἀὴρ καὶ ὕδωρ καὶ πολλὰ τῶν στερεῶν· οὐ γὰρ ᾗ ὕδωρ οὐδ’ ᾗ ἀὴρ διαφανές, ἀλλ’ ὅτι ἔστι τις φύσις ἐνυπάρχουσα ἡ αὐτὴ ἐν τούτοις ἀμφοτέροις καὶ ἐν τῷ ἀϊδίῳ τῷ ἄνω σώματι. Abweichend von Bekker lese ich mit Förster und Ross τις φύσις.

Aristoteles über die Natur des Lichts

115

ren Körpern vorhanden ist, in den einen mehr, in den anderen weniger“ (De sens. 3.439 a 21–25).13 Diese gemeinsame Natur liegt – und hier geht De sensu über De anima hinaus14 – in allen Körpern in einem unterschiedlichen Grad vor;15 in den nicht-durchsichtigen festen Körpern ist diese Natur, indem auch sie in einem bestimmten Maß begrenzt ist (439 a 25 f.), die Bedingung dafür, dass sie Farbe haben: „Also bewirkt das Transparente, in dem Maß, in dem es in den Körpern vorliegt (es liegt aber in allen Körpern mehr oder weniger vor), dass die Körper an der Farbe teilhaben“ (439 b 8–10).16 In den unbestimmten Körpern, d. h. in solchen, die keine festen, eigenen Grenzen haben, sondern ihre Grenze jeweils von einem anderen Körper her gewinnen (Luft, Wasser), erscheint diese Natur als Licht (mit einem wechselnden, fremden Farbschimmer oder hellem Glanz: 439 b 1–5).17 Daher sagt Aristoteles, dass die Natur des Lichts „im Transparenten als einem Unbestimmten“ zu finden ist (439 a 26 f.).18 Es handelt sich beim διαφανές also um eine in allen unbegrenzten Körpern wie auch in allen begrenzten oder festen Körpern in unterschiedlichem Grad vorliegende omnipräsente Natur oder Eigenschaft, die nicht getrennt von jenen existieren kann.19 In die Aktualität gebracht wird das Transparen13

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18 19

ὃ δὲ λέγομεν διαφανές, οὐκ ἔστιν ἴδιον ἀέρος ἢ ὕδατος οὐδ’ ἄλλου τῶν οὕτω λεγομένων σωμάτων͵ ἀλλά τίς ἐστι κοινὴ φύσις καὶ δύναμις, ἣ χωριστὴ μὲν οὐκ ἔστιν, ἐν τούτοις δ’ ἐστί, καὶ τοῖς ἄλλοις σώμασιν ἐνυπάρχει, τοῖς μὲν μᾶλλον τοῖς δ’ ἧττον. Vgl. W. D. Ross, Aristotle. Parva Naturalia, Oxford 1955, 197. Da das διαφανές nach De sens. allen Körpern zukommt, also auch den opaken, sollte man diesen Terminus nach Robert Sharples zumindest hier nicht mit ‚transparent‘ oder ‚durchsichtig‘ (das wäre im Griechischen δίοπτος) übersetzen, sondern eher als das verstehen, was einen Körper im Licht sichtbar macht, also die Fähigkeit, im Licht zu erscheinen. Vgl. R. W. Sharples, Alexander Aphrodisiensis, De anima libri mantissa. A new edition of the Greek text with introduction and commentary, Berlin/New York 2008, 203 f. τὸ ἄρα διαφανὲς καθ’ ὅσον ὑπάρχει ἐν τοῖς σώμασιν (ὑπάρχει δὲ μᾶλλον καὶ ἧττον ἐν πᾶσι) χρώματος ποιεῖ μετέχειν. Im engen Sinn transparent (διαφανές) sind solche Körper, die ‚lichtfähig‘ sind und andere Dinge ‚ans Licht bringen‘ (φαίνειν) können, d. h. sie sind die Bedingung dafür, dass andere Dinge einem Wahrnehmenden erscheinen (φαίνεσθαι). Weil sie keine eigene Grenze besitzen, beziehen sie auch ihre Farbe von einem anderen Gegenstand (Alexander von Aphrodisias, In Sens. 45.11–21; vgl. auch In De an. 44.23–25). In Körpern dagegen, die feste, eigene Grenzen haben, bringt das Transparente die Farbe hervor. Die Farbe wird deshalb definiert als „die Grenze des Transparenten in einem bestimmten Körper“ (De sens. 3.439 b 11 f.: ὥστε χρῶμα ἂν εἴη τὸ τοῦ διαφανοῦς ἐν σώματι ὡρισμένῳ πέρας). ἡ μὲν οὖν τοῦ φωτὸς φύσις ἐν ἀορίστῳ τῷ διαφανεῖ ἐστίν. Vgl. Polansky (wie Anm. 7) 268: „Belonging to such different bodies, transparency cannot be the very nature of any of these but some nature of its own shared by these […]. Since transparency belongs to bodies, it cannot itself be a body, or there are bodies within bodies (see 418b17), but transparency must be a feature or nature of bodies.“ Vgl. auch P. Gregoric, Aristotle’s Transparency: Comments on Ierodiakonou, „Aristotle and Alexander of Aphrodisias on Colour“, in: Bydén/Radovic (wie Anm. 1) 91–98, 95: „To use modern

116

Stephan Herzberg

te, insofern es transparent ist, durch das Feuer (ὑπο` πυρός) oder durch einen Körper von solcher Beschaffenheit wie dem ewigen oberen Körper, dem Äther, dem ebenfalls dieselbe Eigenschaft (oder Fähigkeit) wie dem Feuer, etwas hell machen oder ‚illuminieren‘ zu können,20 zukommt (De an. II 7.418 b 12 f.).21 Dieses mit ὑπο` bezeichnete besondere kausale Verhältnis, auf das noch genauer einzugehen ist, beschreibt Aristoteles auch auf die Weise, dass er sagt, das Licht sei „weder Feuer noch überhaupt ein Körper, noch Ausströmung irgendeines Körpers (denn auch so wäre es eine Art Körper), sondern die Anwesenheit von Feuer oder etwas Derartigem im Transparenten. Denn es ist nicht möglich, dass zwei Körper zugleich denselben Platz einnehmen.“ (De an. II 7.418 b 13–17;22 vgl. auch De sens. 3.439 a 19– 21).23 Mit der Formel von der Anwesenheit (παρουσία) eines feuerartigen Körpers im Transparenten wendet sich Aristoteles gegen materialistische Theorien des Lichts: Das Licht selbst ist nichts Körperliches, das sich auf die Weise einer Ortsbewegung (φορά) durch den Raum bewegt, also von der Sonne in das Medium und dann zur Erde, wie Empedokles und andere meinen (De an. II 7.418 b 20–26; De sens. 2.437 b 23 f.; 6.446 a 20–b 2; 446 b 27 f.). Mit „Anwesenheit“ des Feuers kann also nicht, wie die modernen Kommentatoren zu Recht sagen, die körperliche Gegenwart von Feuer in einem anderen Körper, dem Medium, gemeint sein, sondern eine durch die Präsenz des Feuers hervorgerufene ἕξις, ein positiv ausgezeichneter Zustand,24 des transparenten Mediums,25 insofern es transparent ist: Unter der externen Einwir-

20 21 22

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jargon, we can say that transparency is a necessary macroscopic property of bodies which emerges from their elemental composition.“ Alexander von Aphrodisias spricht hier von τὸ φωτίζειν πεφυκὸς (z. B. Mant. 142.4b-5). Vgl. Hicks (wie Anm. 1) 369: „Perhaps this common attribute may be described as illuminative, τὸ φωτίζον, for aether does not, like terrestrial fire, consume and destroy.“ τί μὲν οὖν τὸ διαφανὲς καὶ τί τὸ φῶς, εἴρηται, ὅτι οὔτε πῦρ οὔθ’ ὅλως σῶμα οὐδ’ ἀπορροὴ σώματος οὐδενός (εἴη γὰρ ἂν σῶμά τι καὶ οὕτως), ἀλλὰ πυρὸς ἢ τοιούτου τινὸς παρουσία ἐν τῷ διαφανεῖ· οὔτε γὰρ δύο σώματα ἅμα δυνατὸν ἐν τῷ αὐτῷ εἶναι […]. Wie Th. K. Johansen, Aristotle on the Sense-Organs, Cambridge 1998, 65 zu Recht hervorhebt, ist das Licht seiner Natur nach zwar nichts Feuerartiges und damit nichts Körperliches, das Feuer spielt aber dennoch eine bestimmte Rolle in der Darlegung dessen, was das Licht ist: Die Präsenz des Feuers ist es, die das Transparente als Transparentes aktualisiert. Zu dieser Bedeutung von ἕξις vgl. Cat. 8.8 b 25–28; 9 a 10–13; Met. Δ 20.1022 b 10–14. Vgl. Hicks (wie Anm. 1) 369: „This cannot mean the local presence of fire as of something material. For A. has just denied that light is a body at all. Nor has the light exactly the relation of form to the transparent regarded as matter or substratum. The fire, which is the source of light, is not immanent in the transparent. It is not the illumining fire but the transmitted influence of the fire which actualizes the medium and converts it from darkness into light.“ Vgl. W. Theiler, Aristoteles. Über die Seele, Berlin 71994, 121. Vgl. auch Polansky (wie Anm. 7) 271. Zur Kritik an der ‚Präsenzformel‘ vgl. R. Sorabji, Aristotle on colour, light and imperceptibles, Bulletin of the Institute of Classical Studies 47, 2004, 129–140.

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kung des Feuers wird das Transparente verwirklicht, realisiert es das, „was in ihm, solange es dunkel war, nur der Möglichkeit nach vorhanden war.“ 26 Licht ist, kurz gesagt, eine bestimmte Art von Zustand (ἕξις), der aus der Aktual-Setzung des potentiell Transparenten unter der Wirkung eines illuminierenden Stoffs, wie etwa von Feuer, in einem bestimmten Medium (Luft, Wasser) resultiert. Licht entsteht zwar durch eine bestimmte Art von (qualitativer) Veränderung (ἀλλοίωσις), besteht aber in einem bestimmten Zustand.27 Hierzu passt auch, dass Aristoteles in De an. II 7.419 a 11 vom Licht als der ἐντελέχεια des Transparenten spricht: Dieser Terminus kann einen Zustand der Vollendung relativ zu einem (anderen) Vermögen (δύναμις) auf einer niedrigeren Stufe bezeichnen.28 Ein solcher Zustand ist aber im Hinblick auf seine Betätigung (ἐνέργεια) ein Vermögen und kann insofern als eine ‚erste Entelechie‘ oder auch ‚zweite Potenz‘ bezeichnet werden (vgl. De an. II 1.412 a 21– 28).29 Licht ist also die Aktualität (im Sinne einer ἕξις) des Transparenten, insofern es transparent ist.30 Dunkelheit ist dagegen „die Privation des so beschaffenen Zustands aus dem Transparenten, so dass klar ist, dass dessen Anwesenheit das Licht ist“ (418 b 18–20).31 Das Licht ist die Bedingung dafür, dass Körper in der ihnen eigenen Farbe gesehen werden können (419 a 1 f.; III 5.430 a 16 f.). (2) Die Farbwahrnehmung ist für Aristoteles eine vom äußeren Gegenstand angestoßene Tätigkeit (ἐνέργεια: De an. II 5.417 b 19–21; De sens. 4.441 b 21 f.). Dabei handelt es sich aber immer um eine Tätigkeit des beseelten Körpers: Nicht die Seele, so Aristoteles, nimmt etwas wahr, sondern der Mensch mit oder besser: aufgrund seiner Seele (De an. I 4.408 b 13–15). Daher ist eine solche Tätigkeit notwendig mit Veränderungen im Wahrnehmungsorgan verflochten, die, und dies ist für die Wahrnehmung spezifisch, vom externen Wahrnehmungsobjekt verursacht sind (De an. II 5.417 b 19–

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A. E. Haas, Antike Lichttheorien, Archiv für Geschichte der Philosophie 20, 1907, 345– 386, hier: 376. Vgl. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Zweiter Teil, zweite Abteilung. Aristoteles und die alten Peripatetiker, Leipzig 41921, 477 Fn. 2. Vgl. auch Haas (wie Anm. 26) 379. Vgl. Th. K. Johansen, The Powers of Aristotle’s Soul, Oxford 2012, 23. Vgl. auch Polansky (wie Anm. 7) 269: „Perhaps this alternation [das Ersetzen von ἐνέργεια durch ἐντελέχεια; Anm. S. H.] supports light’s completeness and lack of involvement with motion.“ Vgl. Johansen (wie Anm. 28) 23: „The claim that the soul is a first entelekheia of the body is therefore consistent with saying that it is also composed of capacities which are in a state of potentiality with respect to their activities.“ Vgl. auch Polansky (wie Anm. 7) 273. ἔστι δὲ τὸ σκότος στέρησις τῆς τοιαύτης ἕξεως ἐκ διαφανοῦς, ὥστε δῆλον ὅτι καὶ ἡ τούτου παρουσία τὸ φῶς ἐστιν.

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26).32 Das Sehen ist das Ergebnis einer von der Farbe eines Gegenstands verursachten und durch das aktual transparente Medium vermittelten qualitativen Veränderung (ἀλλοίωσις) des Wahrnehmungsorgans (De an. II 7.419 a 13–15;33 De sens. 2.438 b 3–534).35 Kurz gesagt: Das externe Wahrnehmungsobjekt ist fähig das Wahrnehmungsvermögen in seine Tätigkeit zu verändern (De sens. 4.441 b 20–22).36 Von dieser durch das Medium vermittelten Veränderung sind das Wahrnehmungsvermögen (αἰσθητικόν) und das Wahrnehmungsorgan (αἰσθητήριον), in dem dieses Vermögen seinen Sitz hat, in einer unterschiedlichen Weise betroffen. Beide beziehen sich auf dasselbe, sind aber, wie Aristoteles sagt, „ihrem Sein nach verschieden“ (De an. II 12.424 a 25 f.37). Das Rätsel der hylemorphen Analyse des Wahrnehmungsvorgangs bzw. des Hylemorphismus überhaupt 38 besteht vor allem in der exakten Bestimmung des Unterschieds zwischen Vermögen und Organ bzw. zwischen Seele und organischem

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Als eine solche von außen verursachte psychophysische Tätigkeit, die durch organische Veränderungen konstituiert ist, lässt sich die Wahrnehmung sowohl unter einem ‚passiven‘ als auch unter einem ‚aktiven‘ Aspekt beschreiben. Vgl. W. Wieland, Die aristotelische Physik, Göttingen 31992, 247: „Denn es ist das Eigentümliche der Wahrnehmung, daß sie eine durch den Wahrnehmungsgegenstand veranlaßte Tätigkeit ist (τὸ αἰσθητὸν ἐνεργεῖν ποιεῖ τὴν αἴσθησιν, 438 b 22 f.).“ Vgl. auch H. Lorenz, The Assimilation of Sense to Sense-Object in Aristotle, Oxford Studies in Ancient Philosophy XXXIII, 2007, 179–220, hier: 192, 194, 197. ἀλλὰ τὸ μὲν χρῶμα κινεῖ τὸ διαφανές, οἷον τὸν ἀέρα, ὑπὸ τούτου δὲ συνεχοῦς ὄντος κινεῖται τὸ αἰσθητήριον. ἀλλ’ εἴτε φῶς εἴτ’ ἀήρ ἐστι τὸ μεταξὺ τοῦ ὁρωμένου καὶ τοῦ ὄμματος, ἡ διὰ τούτου κίνησίς ἐστιν ἡ ποιοῦσα τὸ ὁρᾶν. Zu dieser Passage vgl. Johansen, Aristotle on Sense-Organs (wie Anm. 23) 116–147. Die Funktion des Mediums ist es, so Johansen, einen ‚indirekten Kontakt‘ – legt man etwas direkt auf das Auge, sieht man es nicht (419 a 12 f.) – zwischen Wahrnehmungsgegenstand und Wahrnehmungsorgan herzustellen (119). Das Medium schafft eine physische Kontinuität zwischen Gegenstand und Organ, ohne aber selbst dabei weitere Ursachen und Effekte einzubringen (133). Nicht die Farbe des Mediums wird gesehen, sondern die Farbe des Gegenstands: „Once this continuity has been established we do not need further causes than the sensible quality, for it is the sensible quality that holds the causal agency all the way through the medium. It is the kinêsis of the sense-quality that continues all the way through the medium because the medium is continuous […]. But the medium does not have its own kinêsis just as the transparent does not have its own colour and just as the wax does not have its own seal.“ (134). […] τῆς γεύσεως τῆς κατὰ δύναμιν ἀλλοιωτικὸν )ὂν * εἰς ἐνέργειαν· ἄγει γὰρ τὸ αἰσθητικὸν εἰς τοῦτο δυνάμει προϋπάρχον (Ross). Diese Stelle spielt eine zentrale Rolle in der Interpretation von Lorenz (wie Anm. 32). ἔστι με` ν οὖν ταὐτόν, το` δ’ εἶναι ἕτερον. Hierzu S. Herzberg, Was ist Aristotelischer Hylemorphismus?, in: P. Wallusch/H. Watzka (Hrsg.), Verkörpert existieren. Ein Beitrag zur Metaphysik menschlicher Personen aus dualistischer Perspektive, Münster 2015, 91–107.

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Körper, den Aristoteles mit dieser, auch in anderen Zusammenhängen (z. B. E. N. V 3.1130 a 12) gebrauchten, Formel lediglich andeutet.39 Ohne hier näher auf diese weitverzweigte Debatte eingehen zu können,40 können wir festhalten: Die physiologischen Veränderungen des Organs, das in einem durch das Medium hergestellten kontinuierlichen physischen Zusammenhang mit dem externen Wahrnehmungsobjekt steht (Phys. VII 2.245 a 2– 7),41 bewirken gemeinsam mit der spezifischen Aktivität des Wahrnehmungsvermögens (De an. II 5.417 b 3–9, b 18 f.) das bewusste Wahrnehmen des externen Gegenstands. Das aktuale Sehen setzt also eine bestimmte Art von Einwirkung eines farbigen Gegenstands auf das aktual transparente Medium voraus, das selbst als aktual transparentes eine besondere Art von Einwirkung eines illuminationsfähigen Körpers voraussetzt.42 Der Übergang des potentiell Transparen39

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Hier gibt es ein weites Spektrum an Positionen. Hicks (wie Anm. 1) 417 sieht zwischen Vermögen und Organ eine bloße distinctio rationis vorliegen: „A. wants to say that the sense-faculty and the sense-organ are inseparable: you cannot have one without the other. Without the faculty the dead organ is a mere ὁμώνυμον or ὁμωνύμως λεγόμενον, so called by courtesy […]. But they are essentially different; the one is an organ, the other a faculty, the one has magnitude, the other is unextended […]. The organ and its faculty are one and the same, but we can separate the two in thought. If we look at the organ (τὸ αἰσθανόμενον) as a concrete thing and take account of its matter, it is an extended magnitude: if we abstract from the matter and attend only to the form, it is a power or faculty residing in this extended magnitude, but itself unextended and immaterial. That which each of these two aspects is can be expressed by το` εἶναι: the aspects are different; the act of thinking is different for each of them; as the notion whereby we think each aspect is different, so the definition which expresses this notion in words is different. […] Organ and faculty, like uphill and downhill, are logically distinct.“ Vgl. aber C. Rapp, Interaction of Body and Soul: What the Hellenistic Philosophers Saw and Aristotle Avoided, in: R. A. H. King (Hrsg.), Common to Body and Soul. Philosophical Approaches to Explaining Living Behaviour in Greco-Roman Antiquity, Berlin/New York 2006, 187–208, hier: 207 f.: Am Beispiel der Emotionen, die bei Aristoteles als Paradigma hylemorpher Tätigkeiten fungieren, wendet er sich gegen eine Separierbarkeit im Denken. Wir können gerade nicht von dem spezifischen Typ von Materie bzw. dem spezifischen Typ von materiellem Prozess abstrahieren, wenn wir einen psychischen Zustand definieren wollen: „That emotions are inseparable in thought implies, at least, that they are not composed of two separately identifiable components but are psycho-physical units.“ Lorenz (wie Anm. 32) 189, Fn. 19 geht dagegen in die andere Richtung. Er versteht den Unterschied in einem stärkeren Sinn: „I would only want to add that organ and faculty, for Aristotle, are separate not only in thought, but also in being (424 a 25–6). Standing to each other as matter and form, they are ontologically distinct items, though together they make up the unified object that is the sense-organ in question.“ Noch weiter in Richtung eines Dualismus geht R. Heinaman, Aristotle and the Mind-Body Problem, Phronesis 35, 1990, 83–102. Vgl. V. Caston, Aristotle’s Psychology, in: M. L. Gill/P. Pellegrin (Hrsg.), A Companion to Ancient Philosophy, Malden 2006, 316–346. Hierzu Johansen, Aristotle on Sense-Organs (wie Anm. 23) 133 f. Man könnte hier die folgende Analogie sehen: So wie sich die Farbe zum aktual Transparenten verhält, so verhält sich das Illuminierende zum potentiell Transparenten. Beides, Farbe

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ten in das aktual Transparente ist also zu unterscheiden von der durch die Farbe im aktual Transparenten bewirkten Veränderung.43 Beide Lehrstücke sind in ihrem präzisen Sinn umstritten. Ich werde mich im Folgenden auf Aristoteles’ Lehre vom Licht konzentrieren. Die Fragestellung, die ich im Folgenden behandeln werde, betrifft die Natur des Lichts. Sie lautet: Auf welche Weise gelangt nach Aristoteles das potentiell Transparente in den Zustand des aktual Transparenten, was als Licht bezeichnet wird? Ist es für die Illumination hinreichend, dass der illuminierende Körper lediglich anwesend ist, oder ist der illuminierende Körper darüber hinaus in einer bestimmten Weise ‚aktiv‘ oder ‚wirkend‘, d. h. bringt er eine reale Veränderung im potentiell transparenten Medium hervor? Ich werde im Folgenden die verschiedenen maßgeblichen Auffassungen, die in dieser Frage vorgelegt wurden, darstellen und im Hinblick auf ihre Textnähe kritisch diskutieren.

2. Kinetische Auffassungen über das Licht: φορά oder ἀλλοίωσις? Nach der von Julian Ziaja44 vertretenen Auffassung handelt es sich beim Licht um eine herkömmliche Bewegung: Licht sei eine „Bewegung des Äthers in dem διαφανές, d. h. den lichtfähigen Körpern.“ 45 Der Lichtstrahl bewege sich (geradlinig) von Ort zu Ort (φορά), er nehme eine bestimmte Zeitspanne ein.46 Dass Aristoteles das Licht als eine ἕξις bezeichnet, ist nach Ziaja durchaus damit vereinbar, dass es seiner Natur nach eine Bewegung sei: Das Licht (als eine Bewegung des Leuchtfähigen) sei eben der Zustand des leuchtfähi-

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wie Feuer, bringen das jeweils andere in eine bestimmte Form von Aktualität. Auf der Basis einer solchen Analogie könnte man Aristoteles’ Redeweise erklären, dass das Licht gleichsam die Farbe des Transparenten ist (De an. II 7.418 b 11: τὸ δὲ φῶς οἷον χρῶμά ἐστι τοῦ διαφανοῦς). Alexander von Aphrodisias sieht hier eine noch stärkere Analogie: Das aktual Transparente wird auf dieselbe Weise von der Farbe verändert, wie das potentiell Transparente durch die Anwesenheit eines illuminierenden Körpers illuminiert wird (Mant. 142.2– 4; vgl. auch In De an. 42.19–22). Das wird zu Recht hervorgehoben von Haas (wie Anm. 26) 377, 379. J. Ziaja, Aristoteles, de sensu, Breslau 1887, 14 f.; J. Ziaja, Die Aristotelische Anschauung von dem Wesen und der Bewegung des Lichtes, Breslau 1896; J. Ziaja, Zu Aristoteles’ Lehre vom Lichte. Antikritische Bemerkungen, Leipzig 1901. Ziaja, de sensu (wie Anm. 44) 7, § 6. Ziaja, de sensu (wie Anm. 44) 15, § 12; Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 6; Ziaja, Lehre vom Lichte (wie Anm. 44) 8. Er beruft sich hierfür auf De sens. 6.446 a 24–b 2 und auf [Probl.] XI 49.904 b 17, wo von einer geradlinigen Bewegung die Rede ist. Auf die erstgenannte Stelle werde ich weiter unten noch eingehen.

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gen Körpers, in dem eine Bewegung des Äthers aktuell auftrete.47 Dennoch ist das Licht nichts Körperliches, es ist selbst kein Stoff und auch keine stoffliche Emanation, vielmehr „nur eine Wirkung des Feuers im Lichtfähigen“,48 also „eine Erscheinungsform oder Bewegung des Stoffes“.49 In einem lichtfähigen Körper wie Luft oder Wasser, deren Lichtfähigkeit nach Ziaja in der ihnen innewohnenden Äthernatur begründet liegt (er sieht eine enge Verwandtschaft zwischen dem διαφανές und dem Äther50), wird das Licht außer durch Feuer auch durch den Äther selbst hervorgerufen: Licht entstehe, wenn der in einem Körper befindliche Ätherstoff von Feuer oder Äther eine Veränderung erfährt.51 Licht ist demnach die Eigenbewegung des Äthers in den verschiedenen Körpern.52 (Aufgrund der fälschlichen Identifikation mit dem Äther kann er das διαφανές auch nicht als ein passives Vermögen ansehen, vielmehr fasst er es als „Lichterzeugendes“ auf.53) Aristoteles ist damit Gegner des Empedokles wie des Platon und kann, so Ziaja, ebenfalls als Gegner der Newton’schen Emissionstheorie betrachtet werden.54 In seiner Anschauung vom Wesen des Lichts stehe er vielmehr der Huygens-Foucault’schen Vibrations- oder Wellentheorie nahe, nur mit dem Unterschied, dass er sich den Äther, dessen 47 48 49 50

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Vgl. Ziaja, Lehre vom Lichte (wie Anm. 44) 8 f. Ziaja hätte sich für die Vereinbarkeit der beiden Termini auf Met. Δ 20.1022 b 4–8 berufen können. Ziaja, de sensu (wie Anm. 44) 9, § 9; 14, § 12. Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 1. Vgl. Ziaja, de sensu (wie Anm. 44) 14, § 12: „Die Möglichkeit und Leichtigkeit der Einwirkung, die der Äther auf das διαφανές übt, wird demnach dadurch erklärt, dass auch in dem διαφανές die unbekannte Äthernatur vorhanden ist, dass also das διαφανές als solches und der Äther verwandt sind.“ Vgl. auch Ziaja, Lehre vom Lichte (wie Anm. 44) 4: Die Lichtnatur sei mit der Äthernatur identisch, „[…] der Lichtstoff bildet, mit andern Worten, in den Körpern ein kontinuierliches Ganze, die Ätherteilchen stoßen in ihm überall an einander.“ Das kritisiert schon Haas (wie Anm. 26) 380. Vgl. auch Polansky (wie Anm. 7) 268: „Belonging to such different bodies, transparency cannot be the very nature of any of these but some nature of its own shared by these.“ Vgl. Ziaja, de sensu (wie Anm. 44) 14, § 12: „Licht also entsteht, wenn der in einem Körper, z. B. der Luft, befindliche Ätherstoff, der jenen eben zu einem lichtfähigen macht, von Feuer oder Äther eine Einwirkung oder Veränderung erfährt. Da nun aber jede Veränderung in der Körperwelt, selbst die ἀλλοίωσις, auf Bewegung beruht […], kann auch der Übergang von der Potenzialität des διαφανές zu Aktualität des Lichtes nur auf einer Bewegung beruhn (sic!), die in der dem διαφανές innewohnenden Äthernatur durch Feuer oder Äther hervorgerufen wird; diese Bewegung im διαφανές ist das eigentliche Wesen des Lichtes oder der Farbe.“ Vgl. Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 4 f.: „Der Äther also, der die Körper durchdringt, lässt durch seine Bewegung diese leuchtend erscheinen, Licht ist nach Aristoteles Bewegung des Äthers.“ Vgl. dagegen mit Recht M. E. Kalderon, Form without Matter. Empedocles and Aristotle on Color Perception, Oxford 2015, 43: „A medium is actually transparent not due to its nature, but due rather to the contingent presence of the fiery substance.“ Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 1.

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Wellenbewegung als Licht erscheint, immer an einen Körper gebunden denkt.55 Die für Ziajas Interpretation zentrale Stelle ist De an. II 7.418 b 9 f.: „Licht ist aber die Wirklichkeit von diesem, des Transparenten, insofern es transparent ist.“ 56 Diese Formulierung erinnert an die Definition der Bewegung in Phys. III 1.201 a 10 f.: „Die Wirklichkeit des dem Vermögen nach Seienden, insofern es ein solches ist, ist Bewegung.“ 57 Da Ziaja die Termini ἐνέργεια und ἐντελέχεια mit dem Terminus κίνησις einfachhin gleichsetzt,58 ohne zu bemerken, dass die Bewegung nur eine „bestimmte Art von Wirklichkeit“ ist, nämlich eine unvollendete (De an. II 5.417 a 16 f.;59 Phys. III 2.201 b 31 f.), und ohne in diesem Zusammenhang auf die zweifache Bedeutung des Terminus ἐντελέχεια aufmerksam zu machen (De an. II 1.412 a 10 f.; a 21–28), ist für ihn das Licht seiner Natur nach eine herkömmliche Bewegung in Raum und Zeit. Stellen, an denen Aristoteles vom Licht sagt, dass es gerade keine (örtliche) Bewegung ist und nicht sukzessiv den Raum erfüllt, sondern „zugleich ganz“ da ist (De sens. 6.446 b 27–447 a 6 und 447 a 9–11; auch De an. II 7.418 b 20–26), erklärt er als nicht aristotelisch, als „Einschiebsel eines Interpolators, der nicht begreifen konnte, dass das Licht eine blosse Bewegung sein soll.“ 60 Diese Interpretation hat Eduard Zeller vehement kritisiert: „In den aechten Schriften des Aristoteles wird das Licht nicht blos nicht als eine Bewegung des Aethers, sondern überhaupt nicht als eine räumliche Bewegung beschrieben“; von einer φορά würde Aristoteles schon deshalb nicht gesprochen haben, weil nur materielle Dinge ihren Ort ändern können, das Licht selbst

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Vgl. Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 5: „Aristoteles steht also in seiner Anschauung von dem Wesen des Lichtes der Huygens-Foucault’schen Vibrationstheorie nahe, nach welcher das Licht in einer Wellenbewegung des Äthers, eines elastischen, den Weltraum erfüllenden, alle Körper durchdringenden Stoffes besteht. Nur denkt er sich diesen Äther, dessen Bewegung als Licht erscheint, immer an einen andern Körper, z. B. Luft oder Wasser gebunden, wenigstens ist von einer Bewegung eines den Raum allein füllenden, freien Äthers nirgends die Rede. Tritt die Entelechie oder Energie eines solchen äthererfüllten Körpers, eines διαφανές, als solchen, d. h. Bewegung des Äthers ein, so entsteht in diesem Körper, z. B. der Luft, das Licht.“ Im Unterschied zu Huygens’ Wellentheorie (Träger der Lichtwellen ist ein alle Körper durchdringender Lichtäther) ging Newton von einem mechanischen Modell aus (eine Lichtquelle sendet Teilchen, Korpuskeln, aus, die gradlinig durch den Raum fliegen). Hierzu Th. Walther/H. Walther, Was ist Licht? Von der klassischen Optik zur Quantenoptik, München 32010, 10–14. φῶς δέ ἐστιν ἡ τούτου ἐνέργεια, τοῦ διαφανοῦς ᾗ διαφανές. Vgl. auch De an. II 7.419 a 11. ἡ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια, ᾗ τοιοῦτον, κίνησίς ἐστιν. Hierzu genauer A. Kosman, Aristotle’s definition of motion, Phronesis 14, 1969, 40–62. Vgl. Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 4 Fn. 1; Ziaja, Lehre vom Lichte (wie Anm. 44) 5. καὶ γὰρ ἔστιν ἡ κίνησις ἐνέργειά τις, ἀτελὴς μέντοι, καθάπερ ἐν ἑτέροις εἴρηται. Ziaja, Wesen und Bewegung des Lichtes (wie Anm. 44) 8.

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aber gerade kein Körper oder Ausfluss eines Körpers ist.61 Das Licht sei vielmehr nichts anderes als „derjenige Zustand […] der durchsichtigen Körper […], in dem sie nicht blos der Möglichkeit, sondern auch der Wirklichkeit nach durchsichtig sind.“ 62 In diesen Zustand, so Zeller weiter, werden sie dadurch versetzt, dass Feuer oder etwas Ähnliches auf sie einwirkt, und diese Einwirkung muss als eine ἀλλοίωσις verstanden werden.63 Licht entsteht also in Folge einer qualitativen Veränderung, die aber wie beim Gefrieren in der ganzen Masse zugleich eintritt (vgl. De sens. 6.447 a 1–364), ist aber selbst keine Veränderung, sondern ein bestimmter Zustand (ἕξις).65 Der Übergang von der Dunkelheit zur Helligkeit vollziehe sich in der ganzen zwischen Sonne und Erde liegenden Aether- und Luftmasse gleichzeitig, also nicht durch eine Art Wellenbewegung durch das Medium, wobei für Zeller dieser Übergang nicht notwendig ein „momentaner“ ist.66 Zeller stellt die zentralen Punkte der Aristotelischen Auffassung vom Licht heraus; es bleibt allerdings nach wie vor offen, was für eine Art von ἀλλοίωσις dem Licht als Zustand zugrunde liegt, wie also die Illumination zu denken ist.

3. Nicht-kinetische Auffassungen: κατὰ σχέσιν oder vollkommene ἐνέργεια? Konträr zu Ziaja verhält sich eine Position, die sich schon bei Alexander von Aphrodisias findet und die in jüngerer Zeit von Myles F. Burnyeat im Rahmen seiner spiritualistischen Deutung des Wahrnehmungsvorgangs67 wieder revitalisiert wurde: Demnach handelt es sich bei der Aktualisierung des Transparenten um keine Veränderung im eigentlichen Sinn. Die Bedingung dafür, dass eine Farbe in einem Medium ihre Wirksamkeit entfaltet, ist, wie

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E. Zeller, Rez. Ziaja, Archiv für Geschichte der Philosophie 13, 1900, 605–607, hier: 606. Zeller, Rez. Ziaja (wie Anm. 61) 606. Zeller, Rez. Ziaja (wie Anm. 61) 606. Vgl. auch Haas (wie Anm. 26) 376 und Hicks (wie Anm. 1) 371, 372: „A. of course rejects the spatial motion of light […], because to him light is not a φορά but an ἀλλοίωσις of the transparent medium.“ „Denn es ist möglich, dass sich etwas als Ganzes verändert und nicht zuerst zur Hälfte, wie z. B. das Wasser zugleich ganz gefriert“ (ἐνδέχεται γὰρ ἀθρόον ἀλλοιοῦσθαι, καὶ μὴ τὸ ἥμισυ πρότερον, οἷον τὸ ὕδωρ ἅμα πᾶν πήγνυσθαι). Zeller, Die Philosophie der Griechen (wie Anm. 27) 477. Vgl. auch Haas (wie Anm. 26) 379. Zeller, Rez. Ziaja (wie Anm. 61) 607, Fn. 1. Vgl. M. F. Burnyeat, Is an Aristotelian Philosophy of Mind Still Credible? A Draft, in: M. C. Nussbaum/A. Oksenberg Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s De Anima, Oxford 1992, 15–26.

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Burnyeat im Hinblick auf De an. II 7.418 b 19 f. und III 5.430 a 15 hervorhebt, „not an event or process, but a static condition, a state of affairs.“ 68 Sein Punkt ist, dass die Bedingung dieser Bedingung ebenfalls ‚statisch‘ ist, d. h. das potentiell Transparente erleide nichts vom Feuer oder einem anderen illuminierenden Körper: And the condition for this condition is static too: in order for the medium to be in a state of actual transparency which is light, it suffices (a) that it has a nature or capacity to be transparent […] and (b) that there is fire present […]. It is not necessary for the fire to do anything. It just has to be there and the transparent nature of the medium realizes itself.69 Ebenso wenig, so Burnyeat weiter, handelt es sich um eine wirkliche Veränderung, wenn eine Farbe auf das aktual transparente Medium einwirkt. Der einzige Effekt liegt darin, dass die Farbe durch das Medium hindurch erscheint.70 Eine solche rein statische Auffassung über die Natur des Lichts stützt sich v. a. auf den von Aristoteles im Rahmen seiner Kritik an materialistischen Theorien des Lichts verwendeten Terminus der παρουσία: Das Licht ist weder Feuer noch überhaupt ein Körper noch ein Ausfluss eines Körpers, „sondern die Anwesenheit des Feuers oder etwas von solcher Art im Transparenten“ (De an. II 7.418 b 16 f.). „Anwesenheit“ wird hier so verstanden, dass das Feuer keinerlei Veränderung im Transparenten bewirkt, sondern einfach nur als das, was es ist, nämlich als das, was von Natur aus etwas ‚hell machen‘ kann, präsent ist, und in seiner bloßen Präsenz hinreichend dafür ist, dass das potentiell transparente Medium in den Zustand der Aktualität gelangt. Eine weitere wichtige Referenzstelle in diesem Zusammenhang findet sich in De sensu 6.446 a 20–28: ἀπορήσειε δ’ ἄν τις, ἆρ’ ἀφικνοῦνται ἢ τὰ αἰσθητὰ ἢ αἱ κινήσεις αἱ ἀπὸ τῶν αἰσθητῶν, ὁποτέρως ποτὲ γίνεται ἡ αἴσθησις, ὅταν ἐνεργῶσιν, εἰς τὸ μέσον πρῶτον, οἷον ἥ τε ὀσμὴ φαίνεται ποιοῦσα καὶ ὁ ψόφος· πρότερον γὰρ ὁ ἐγγὺς αἰσθάνεται τῆς ὀσμῆς, καὶ ὁ ψόφος ὕστερον ἀφικνεῖται τῆς πληγῆς. ἆρ’ οὖν οὕτω καὶ τὸ ὁρώμενον καὶ τὸ φῶς; καθάπερ καὶ Ἐμπεδοκλῆς φησίν ἀφικ-

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Burnyeat, How Much Happens (wie Anm. 2) 424. Burnyeat, How Much Happens (wie Anm. 2) 424. Vgl. Burnyeat, How Much Happens (wie Anm. 2) 425 f.: „This non-real alteration – a quasi alteration I shall call it – of the transparent consists in the fact that colours appear through it […]. It is evident, I hope, that this appearance or visibility of the colour through the transparent is a static condition, a state of affairs, not an event or process. Nothing happens. Nothing moves from the coloured object. There is not even a real alteration, only the quasialteration which consists in the fact that the colour is visible through the transparent.“

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νεῖσθαι πρότερον τὸ ἀπὸ τοῦ ἡλίου φῶς εἰς τὸ μεταξὺ πρὶν πρὸς τὴν ὄψιν ἢ ἐπὶ τὴν γῆν. Man könnte aber fragen, ob die wahrnehmbaren Objekte oder die Bewegungen, die von den wahrnehmbaren Objekten ausgehen (auf welche von beiden Weisen auch immer die Wahrnehmung entsteht), wenn sie aktual sind, zuerst in den mittleren Bereich gelangen, wie es beim Geruch und beim Ton offensichtlich der Fall ist; denn der Näherstehende nimmt den Geruch früher wahr und der Ton kommt später an als der Schlag stattgefunden hat. Ist dies der Fall auch beim Gesehenen und beim Licht? So behauptet etwa auch Empedokles, dass das von der Sonne kommende Licht zunächst in den dazwischenliegenden Raum gelangt, bevor es auf den Gesichtssinn oder die Erde trifft. Eine solche Annahme ist wohlbegründet, wenn man annimmt, dass das Licht etwas Körerliches ist und sich als solches fortbewegt: Wo sich etwas von einem Ort zum anderen bewegt, muss eine entsprechende Zeitspanne angenommen werden. Jede Zeit ist aber teilbar. Also müssen wir annehmen, so Aristoteles, dass es eine Zeit gab, in der der Lichtstrahl noch nicht gesehen wurde, sondern sich noch im Dazwischen bewegte. Dass sich jedenfalls Ton und Geruch sukzessiv im Medium fortpflanzen, bevor sie das (äußere) Wahrnehmungsorgan erreichen, was Zeit in Anspruch nimmt, ist für Aristoteles unstrittig: Auch wenn man immer zugleich hört und gehört hat, überhaupt wahrnimmt und wahrgenommen hat und es somit kein Werden der Wahrnehmungen gibt,71 so ist es dennoch nicht weniger der Fall, dass der Ton, wenn der Schlag schon stattgefunden hat, noch nicht beim Gehör angekommen ist (446 b 2–6).72 Ein Indiz hierfür ist die Umformung der Sprachlaute durch Einfluss des Mediums; im Medium, der Luft, findet eine örtliche Bewegung (φορά) statt. Im Fall des Lichts verhält es sich nach Aristoteles nun aber anders: Denn das Licht verdankt sich der Tatsache, dass etwas in etwas anderem präsent ist (446 b 27 f.).73 Mit dem ἐνεῖναι wird die frühere Formulierung in De sens. 3.439 a 19–21 wieder aufgenommen, dass, wenn etwas

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Nach Wieland (wie Anm. 32) 333 handelt es sich hier „um eine immanente phänomenologische Aussage über die Selbsterfahrung der Wahrnehmung: Jede Wahrnehmung ist sich zwar ihrer selbst gewiß […], aber niemals kann sich das Wahrnehmen seines eigenen Anfangens bewußt sein, ebensowenig kann es sein eigenes Aufhören noch wahrnehmen.“ Vgl. Johansen, Aristotle on sense-organs (wie Anm. 23) 142: „We have the interesting situation, then, that whereas perception is an energeia the mediation of the change to the perceiver is a kinêsis.“ τῷ ἐνεῖναι γάρ τι τὸ φῶς ἐστίν, ἀλλ’ οὐ κίνησίς τις.

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Feuerartiges im Transparenten ist, seine Anwesenheit Licht genannt wird, seine Privation aber Dunkelheit.74 Unmittelbar im Anschluss an die Aussage, dass das Licht auf einer Anwesenheit von etwas in etwas anderem beruhe und keine Bewegung (κίνησίς τις) sei, macht Aristoteles auf einen Unterschied zwischen qualitativer Veränderung (ἀλλοίωσις) und Ortsbewegung (φορά) aufmerksam, um auf diese Weise einen besonderen Fall von qualitativer Veränderung hervorzuheben (De sens. 6.446 b 28–447 a 3): ὅλως δὲ οὐδὲ ὁμοίως ἐπί τε ἀλλοιώσεως ἔχει καὶ φορᾶς· αἱ μὲν γὰρ φοραὶ εὐλόγως εἰς τὸ μεταξὺ πρῶτον ἀφικνοῦνται (δοκεῖ δ’ ὁ ψόφος εἶναι φερομένου τινὸς κίνησις), ὅσα δ’ ἀλλοιοῦται, οὐκέτι ὁμοίως· ἐνδέχεται γὰρ ἀθρόον ἀλλοιοῦσθαι, καὶ μὴ τὸ ἥμισυ πρότερον, οἷον τὸ ὕδωρ ἅμα πᾶν πήγνυσθαι. Überhaupt aber verhält es sich nicht auf die gleiche Weise bei der qualitativen Veränderung und der Ortsbewegung: Denn die Ortsbewegungen erreichen natürlich zuerst einen mittleren Bereich (es scheint aber der Ton die Bewegung von etwas sich örtlich Veränderndem zu sein), was sich aber qualitativ verändert, verhält sich nicht auf die gleiche Weise: Denn es ist möglich, dass sich etwas als Ganzes verändert, und nicht erst zur Hälfte, wie z. B. das Wasser zugleich ganz gefriert. Aristoteles weist hier darauf hin, dass es innerhalb der Klasse qualitativer Veränderungen solche Veränderungen gibt, die nicht zuerst in der Hälfte von etwas, sondern „im Ganzen“ (ἀθρόον), d. h. in allen Teilen zugleich oder „zugleich ganz“ (ἅμα πᾶν), stattfinden, wie es etwa beim Gefrieren von Wasser (in einer kleineren Menge75) der Fall ist (vgl. Phys. I 3.186 a 15; VIII 3.253 b 13–26). Hierin liegt ein Unterschied der qualitativen Veränderung zur Ortsbewegung, die immer zuerst einen mittleren Punkt erreicht, bevor sie in ihr Ziel kommt. Jene besondere Weise von qualitativer Veränderung dient Aristoteles dazu, die besondere Natur des Lichts, dessen Aktualität dem Betrachter „auf einmal“ da zu sein scheint, plausibel zu machen. Licht scheint in allen Teilen des Mediums zugleich zu entstehen. Es durchläuft das Medium nicht in einer bestimmten Zeitspanne, wie Empedokles annahm; eine solche 74

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Ross (wie Anm. 14) 224 merkt zu Recht an, dass das ἐνεῖναι von Förster mit Bezug auf Alexander von Aphrodisias, In sens. 131.20; 132.8 eine deutliche Verbesserung gegenüber εἶναι ist, wie es Bekker und Biehl lesen. Hält man dagegen am εἶναι fest, wäre die Verneinung der Bewegung absolut: Das Licht würde allein dadurch sein, dass etwas ist, d. h. aufgrund eines schieren Vorliegens, und wäre daher keine Art von Bewegung. Eine solche eleatischplatonisch anmutende Entgegensetzung ist aber vom Text her weniger naheliegend und verkleinert auch unnötig den interpretatorischen Spielraum. Vgl. aber De sens. 6.447 a 3–6.

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Bewegung würde zumindest bei großen Entfernungen, wie etwa beim Sonnenaufgang, nicht unbemerkt bleiben (vgl. De an. II 7.418 b 24–26). Entscheidend ist, dass es sich beim Gefrieren, mit dem hier die Illumination verglichen wird, nach wie vor um eine reale Veränderung handelt, die zur Gattung der κίνησις gehört;76 als solche nimmt dieser Vorgang Zeit in Anspruch.77 Es geht hier, wie De Groot zu Recht vermutet, nicht um den Unterschied zwischen (örtlichen) Bewegungen, die eine bestimmte Zeitspanne in Anspruch nehmen, und qualitativen Veränderungen, für die das nicht gilt, sondern eher um den Unterschied zwischen ‚sukzessiver Veränderung‘ und einer Veränderung von etwas als Ganzes (ἀθρόον),78 im Sinne von ‚auf einmal‘ im Unterschied zu ‚Stück für Stück‘ bzw. ‚nach und nach‘.79 Ausgehend von dem Phänomen, dass das Licht unmittelbar da ist, sobald ein illuminierender Körper präsent ist,80 verneint Alexander von Aphrodisias, dass es sich bei der Illumination um eine reale Veränderung handelt: Aristoteles verwende das Beispiel des Gefrierens nicht, um zu sagen, dass es sich bei der Illumination um eine (besondere Art von) ἀλλοίωσις handelt, sondern möchte es als allgemein akzeptiert ansehen, dass sich bestimmte Dinge im Ganzen auf einmal ändern können, d. h. es ist nicht in jedem Fall notwendig, dass etwas, was Teile hat, sich sukzessiv oder ‚Stück für Stück‘ ändert. Es liegt daher auch nichts Paradoxes darin zu sagen, dass das, was illuminiert wird, das Licht als Ganzes zugleich aufnimmt.81 Das Transparente erleide 76

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Vgl. auch Johansen, Aristotle on Sense-Organs (wie Anm. 23) 145: „The alteration in the medium is contrasted with locomotion not in terms of being less of a real change than locomotion but in terms of belonging to a different species of change, alteration, that can happen at once.“ Vgl. J. De Groot, Aristotle and Philoponus on Light, New York/London 1991, 36: „Indeed, there is nothing in the passage that makes it certain that Aristotle was talking about light as change without the passage of time.“ Das hebt auch Alexander von Aphrodisias, In Sens. 133.4–6, hervor (χρόνου δεῖται). Vgl. De Groot, Aristotle and Philoponus on Light (wie Anm. 77) 55, n. 3 mit Bezug auf Alexander von Aphrodisias, In Sens. 133.1–6. Dass mit ἀθρόον keine spezielle temporale Bedeutung verbunden ist (im Sinne von ‚instantan‘ etc.) zeigt sich auch bei Bonitz (Index Aristotelicus, 13), der als Gegenbegriff κατὰ μέρος, κατὰ μικρόν, καθ’ ἕκαστον angibt. Auch De Groot, Aristotle and Philoponus on Light (wie Anm. 77) 47 stellt heraus, dass dieser Terminus sich auf eine Masse oder Gesamtheit bezieht und ursprünglich keinen Bezug zur Zeit hat; die basale Bedeutung sei „as a mass“. Instruktiv ist De Groots Verweis auf Pol. V 11.1315 a 13, wo einem graduellen Verlust von Macht ein Verlust ‚auf einmal‘ gegenübergestellt wird. „That the removal of power at some time might also correspond to a period of time, however short, is not a point which is relevant to the contrast Aristotle made in this passage. The relation to time implied by athroon is completely informal and could have been expressed by the word pote, had Aristotle wished to clarify it.“ Vgl. In Sens. 133.23–27; Mant. 143.26–29. Vgl. In Sens. 133.12–19.

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nichts von dem Illuminierenden, es wird nur aktual gesetzt.82 Es liegt hier eher, so Alexanders Interpretation von De an. II 7 (418 b 9 f.; 419 a 11), eine Vervollkommnung (τελειότης) der Natur des Transparenten vor, in der dieses sein Vermögen bewahrt.83 Die klassische Deutung, die Alexander an vielen Stellen immer wieder bringt, ist aber die, dass das Licht auf einer Relation (ἐν σχέσει) und nicht auf einer qualitativen Veränderung (ἐν ἀλλοιώσει) beruhe.84 Luft und Transparentes, so Alexander in In Sens. 132.2–4, werden nicht durch eine Bewegung illuminiert, vielmehr wird augenblicklich (ἀθρόον)85 aus dem potentiell Transparenten das aktual Transparente, das Licht: „Denn durch eine Relation und Anwesenheit des Illuminierenden zu dem, was von Natur aus illuminiert wird, entsteht das Licht.“ (In Sens. 132.5–6).86 Genau dies (und nichts anderes) sei gemeint, wenn Aristoteles das Licht als die Anwesenheit des Feuers oder von etwas Illuminationsfähigen im Transparenten beschreibt, wobei „Anwesenheit“ durch den Terminus ἐνεῖναι angezeigt würde.87 Die schiere Präsenz eines Illuminierenden ist demnach hinreichend für die Aktualsetzung des potentiell transparenten Mediums; im Medium passiert gar nichts, wenn es illuminiert wird. Für das fiat lux genügt die bloße Relation zu einer anwesenden Lichtquelle. Es handelt sich um einen bloßen ‚Cambridge change‘:88 So wie etwas „zur Rechten“ auch dadurch werden kann, dass sich etwas anderes zur Linken von jenem gesellt, d. h. allein aufgrund der Relation, so wird auch das potentiell Transparente zum aktual Transparenten allein aufgrund der Relation des von Natur aus Illuminierenden zum Transparenten.89 In beiden Fällen vollzieht sich die jeweilige Änderung unmittelbar (ἀθρόως) und nicht sukzessiv. Es ist unmittelbar hell, sobald

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Vgl. In Sens. 42.26–27; Mant. 144.31–32. Vgl. In De an. 43.7–8; Mant. 142.8. Weitere Stellenangaben und genauere Erläuterungen finden sich in V. Caston, Alexander of Aphrodisias, On the Soul. Part 1: Soul as Form of the Body, Parts of the Soul, Nourishment, and Perception. Translated with an Introduction and Commentary by Victor Caston, London etc. 2012, 154–158. Vgl. In Sens. 134.11. Aus dem vorangehenden Satz ergibt sich, dass ἀθρόον hier eine zeitliche Bedeutung haben muss. σχέσει γὰρ καὶ παρουσίᾳ τῇ τοῦ φωτίζοντος πρὸς τὸ πεφυκὸς φωτίεσθαι τὸ φῶς. In der Übersetzung orientiere ich mich an A. Towey, Alexander of Aphrodisias, On Aristotle On Sense Perception, London etc. 2000. Vgl. In Sens. 132.6–8. Hierzu Johansen, Aristotle on Sense-Organs (wie Anm. 23) 136 f. Vgl. In Sens. 132.8–12; 42.26–43.1; In De an. 42.22–43.4; Mant. 143.4–18a. Detaillierte Angaben in Caston, Alexander of Aphrodisias, On the Soul (wie Anm. 84) 156–158. Vgl. auch Burnyeat, How much happens (wie Anm. 2) 424, der sich mit seiner Interpretation Alexander anschließt: „The statement ‘When fire comes to be present in the air, the air is illuminated’ is just like the statement ‘When I move to the left of my desk, the desk comes to be on my right’.“

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das Illuminierende präsent ist, verschwindet aber die Lichtquelle, ist es augenblicklich dunkel.90 Mit einer solchen, relationalen Interpretation kann der instantane Charakter der Illumination erklärt werden.91 Der Wechsel in die Aktualität des Transparenten geschieht in allen Teilen des Mediums gleichzeitig, d. h. sie vollzieht sich unabhängig von der jeweiligen Ausdehnung des Mediums zwischen Wahrnehmungsgegenstand und Organ „zugleich ganz“ (ἅμα πᾶν), was Alexander auch mit dem Wort ἀχρόνως (oder mit Formulierungen wie μηδ’ ἐν χρόνῳ) charakterisiert.92 Versteht man den Übergang in die Aktualität als instantan, dann liegt es nahe, auch das Licht als eine ἐνέργεια im vollkommenen Sinn (Met. Θ 6.1048 b 18–36; E. N. X 3.1174 a 14– b 9) aufzufassen, d. h. als eine Tätigkeit, die schon immer, d. h. zu jedem Zeitpunkt ihres Vollzugs, ihr Ziel erreicht hat und daher vollendet ist und die für ihre Aktualisierung keine Zeit beansprucht.93

4. Licht als aktual gehaltene ἕξις des Transparenten Gegen die Annahme, das Licht sei eine ἐνέργεια im vollkommenen Sinn, spricht aber zum ersten der Befund, dass Aristoteles das Licht eindeutig in 90 91

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Vgl. In Sens. 134.11–19; Mant. 143.28–29. Vgl. R. W. Sharples, Alexander of Aphrodisias on the Nature and Location of Vision, in: R. Salles (Hrsg.), Metaphysics, Soul, and Ethics in Ancient Thought, Oxford 2005, 345– 362, hier: 346, Fn. 6. Vgl. In Sens. 135.11–22. Zu ἀχρόνως bemerkt Caston, Alexander of Aphrodisias, On the Soul (wie Anm. 83) 158: „Although it is often translated as ‘atemporally’, the Greek akhronôs does not imply that something occurs timelessly or outside of time, since the events in question can be dated. The word indicates rather that, unlike events which require an extended duration […], these events are without duration and so instantaneous: in fr. 16 Giannakis, Alex. explicitly compares them to the ‘now’ and to points, which begin or cease to exist without any process of generation or destruction.“ Hierzu J. Christensen De Groot, Philoponus on De Anima II.5, Physics III.3, and the Propagation of Light, Phronesis 28, 1983, 177–196, hier: 181 f.: De Groot macht darauf aufmerksam, dass Alexander das Licht in seinem instantanen Charakter mit einer ἐνέργεια im vollkommenen Sinn (wie z. B. der Lust: Mant. 143.34) lediglich vergleicht, während er das Wahrnehmen mit einer solchen ἐνέργεια identifiziert. Philoponus dagegen fasst auch das Licht als einen genuinen Fall einer ἐνέργεια im vollkommenen Sinn auf. Zu Philoponus’ Lehre von der ‚mitgeteilten‘ oder ‚übertragenen Kraft‘ (imparted power), vgl. detailliert De Groot, Aristotle and Philoponus on Light (wie Anm. 77) 79: „The potentially transparent is an example of a capacity possessed by the patient which is exercised due to the influence of an agent, the luminous object. Light is an energeia, because it is the activation of a quality already possessed by the medium. Once the part of the medium nearest the luminous body has received the phôtistikê dynamis, that part of the medium is capable of transferring the same power to its neighbor. This transmission of the power and the production of the effect, namely light, occur all at once and without the passage of time, because each bit of

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die Kategorie der ἕξις einordnet (De an. II 7.418 b 19 f.; III 5.430 a 15). Im Sinne einer ἕξις ist das Licht die ἐντελέχεια des Transparenten (De an. II 7.419 a 11), und zwar relativ zum Transparenten dem Vermögen nach. Im Hinblick auf seine aktuale Sichtbarkeit aber, die es nur durch eine „fremde Farbe“, d. h. durch die Farbe eines anderen Körpers, hat (418 b 5 f.), ist das Transparente etwas dem Vermögen nach und insofern (nur) eine ‚erste Entelechie‘ oder ‚zweite Potenz‘. Da es sich beim Transparenten um eine passive Potenz handelt, die erst unter Einfluss einer externen Lichtquelle in ihre Aktualität gelangt (vgl. De an. II 7.418 b 11–13; De sens. 3.439 a 21–23), ist anzunehmen, dass für diese Form der Aktualität (ἐντελέχεια) über die schiere Präsenz eines feuerartigen Körpers hinaus auch dessen kontinuierliche Aktivität erforderlich ist.94 Auch ein Zustand, wie z. B. der des Gesundseins oder des Wissensbesitzes, bedarf für seine dauerhafte Präsenz einer erhaltenden Tätigkeit. Aristoteles selbst merkt an, dass unter ἕξις auch „eine bestimmte Art von Tätigkeit des Habenden und des Gehabten“ verstanden werden kann, d. h. ein Drittes oder Vermittelndes, wie es zwischen dem, der ein Gewand hat, und dem gehabten Gewand besteht (Met. Δ 20.1022 b 4–8).95 Im Fall des Lichts wird diese ἕξις des Transparenten durch die Aktivität der externen Lichtquelle aktual gehalten. Die Frage ist allerdings, welche Form von Aktivität hier vorliegt, d. h. in welcher Weise der feuerartige Körper auf das potentiell Transparente einwirkt. Ausgeschlossen ist für Aristoteles, dass irgendwelche körperlichen Partikel aus der Lichtquelle ausströmen und sich durch das Medium bewegen oder hier einen Platz einnehmen. Vielmehr stellt der Wechsel aus dem potentiell Transparenten in das aktual Transparente eine bestimmte Art von ἀλλοίωσις dar,96 und zwar eine solche, wie sie beim Gefrieren von Wasser zu beobachten

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the medium possesses the trait of transparency as a state whose actualization is a change from first actuality (or second potentiality) to second actuality. For this reason, the actualization of light produces a true actuality, not a movement, and what is described as a succession of effects in fact takes place simultaneously.“ Vgl. Kalderon (wie Anm. 53) 43: „Not only does the persistence of transparency depend upon the continual presence of the fiery substance, but, arguably at least, it depends as well upon its continual activity […]. That the persistence of transparency depends upon the continual activity of the fiery substance may be taken to be implied by Aristotle’s claim that light is the activity of the transparent qua transparent (De Anima 2.7418 b 9–10). Since transparency just is the presence of the fiery substance, the activity of the transparent qua transparent just is the activity of the present fiery substance.“ ἕξις δὲ λέγεται ἕνα μὲν τρόπον οἷον ἐνέργειά τις τοῦ ἔχοντος καὶ ἐχομένου, ὥσπερ πρᾶξίς τις ἢ κίνησις· ὅταν γὰρ τὸ μὲν ποιῇ τὸ δὲ ποιῆται, ἔστι ποίησις μεταξύ. οὕτω καὶ τοῦ ἔχοντος ἐσθῆτα καὶ τῆς ἐχομένης ἐσθῆτος ἔστι μεταξὺ ἕξις. In der Paraphrase orientiere ich mich an der Übersetzung von Th. A. Szlezák. Vgl. Hicks (wie Anm. 1) 371, 372; Haas (wie Anm. 26) 376; Zeller, Die Philosophie der Griechen (wie Anm. 27) 477, Fn. 2; Polansky (wie Anm. 7) 272.

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ist, wo eine bestimmte Menge „als Ganzes“ (ἀθρόον) gefriert und nicht sukzessiv oder ‚Stück für Stück‘. Genau auf diese Weise wandelt sich das potentiell transparente Medium unter dem Einfluss des illuminierenden Körpers in das aktual Transparente; es wird in jedem Teil zugleich vom Licht erfüllt. Dass sich dieser Wechsel ‚atemporal‘ vollziehe, wird von Aristoteles an keiner Stelle gesagt;97 das Wort ἀθρόον hat hier keine zeitliche Bedeutung.98 Auch das spricht dagegen, das Licht als einen genuinen Fall einer ἐνέργεια im vollkommenen Sinn aufzufassen und jeder Art von κίνησις entgegenzusetzen. Schließlich ist es zweifelhaft, ob die Illumination als ein Wechsel von der ‚ersten Entelechie‘ in die ‚zweite Entelechie‘ verstanden werden sollte.99 Im Unterschied zur ersten Art von Erleiden (πάσχειν), das von Aristoteles als „ein bestimmter Untergang durch das Konträre“ bestimmt wird, wo eine bestimmte Qualität verloren geht und durch eine andere ersetzt wird, stellt der Wechsel in die ‚zweite Entelechie‘ eine „Bewahrung des dem Vermögen nach Seienden durch das, was der Aktualität nach seiend ist“ dar, wie es etwa beim Betrachten (θεωρεῖν) der Fall ist. Letzteres ist eigentlich nicht mehr eine Veränderung, denn es handelt sich, so Aristoteles, um „eine Steigerung zu sich selbst hin und in eine Wirklichkeit“, oder es ist zumindest „eine andere Gattung von Veränderung“ (De an. II 5.417 b 2–7).100 Nun ist es durchaus so, dass im Fall der Illumination die zugrundeliegende Natur oder Potenz des Transparenten bewahrt bleibt. Und es trifft ebenfalls zu, dass der Übergang in das aktual Transparente als eine Vervollkommnung (τελειότης) betrachtet werden kann, hin zu einer positiven Bestimmtheit, deren Privation das Dunkel ist. In dieser Hinsicht gleicht die Illumination dem Wechsel von der ‚ersten Entelechie‘ in die ‚zweite Entelechie‘. Dennoch ist das Licht keine Aktualität im Sinne einer (vollkommenen) Tätigkeit, sondern bloß im Sinne einer Haltung, die selbst wiederum die Bedingung dafür ist, dass eine Farbe wirksam werden kann.101 97 98 99

Vgl. Anm. 77. Vgl. Anm. 79. Für Philoponus ist jede Aktualisierung einer Disposition eine ἐνέργεια im vollkommenen Sinn. Vgl. Christensen De Groot, Philoponus on De Anima II 5 (wie Anm. 93) 185. Gegen eine solche Gleichsetzung vgl. S. Herzberg, De Anima II 5 und Aristoteles’ Wahrnehmungstheorie, Zeitschrift für philosophische Forschung 61, 2007, 98–120. 100 οὐκ ἔστι δ’ ἁπλοῦν οὐδὲ τὸ πάσχειν, ἀλλὰ τὸ μὲν φθορά τις ὑπὸ τοῦ ἐναντίου, τὸ δὲ σωτηρία μᾶλλον τοῦ δυνάμει ὄντος ὑπὸ τοῦ ἐντελεχείᾳ ὄντος καὶ ὁμοίου οὕτως ὡς δύναμις ἔχει πρὸς ἐντελέχειαν· θεωροῦν γὰρ γίνεται τὸ ἔχον τὴν ἐπιστήμην, ὅπερ ἢ οὐκ ἔστιν ἀλλοιοῦσθαι (εἰς αὑτὸ γὰρ ἡ ἐπίδοσις καὶ εἰς ἐντελέχειαν) ἢ ἕτερον γένος ἀλλοιώσεως. 101 Vgl. Polansky (wie Anm. 7) 273: „Becoming illumined is analogous to the transition from developed potentiality to its operation since the transparent according to potentiality is all ready to be illumined. The actuality of the transparent as transparent, however, is actuality as a disposition (hexis), and in this way very unlikely the operation of a developed potentiality. Light is not a motion, and neither is it an activity in contrast with motion. Though

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In diesem Punkt ist es angemessener, innerhalb des Tripel-Schemas von De an. II 5 auf eine andere Klasse von Veränderung zurückzugreifen, um die Natur der Illumination zu kategorisieren. Aristoteles unterscheidet innerhalb der ersten Gattung von Veränderung nochmals zwischen zwei Weisen: dem Wechsel „zu den privativen Zuständen“ und dem Wechsel „zu den Haltungen und der Natur“ (417 b 14–16).102 Auch im letzteren Fall wird das zugrundeliegende Vermögen gebraucht und bewahrt (z. B. das von Natur aus angelegte Vermögen, Wissen zu erwerben).103 Die Bewahrung eines Vermögens innerhalb einer Veränderung kommt also nicht nur beim Übergang in die ‚zweite Entelechie‘ vor. Das Eigentümliche dieses Übergangs ist, dass hier nicht eine bestimme qualitative Bestimmung verlorengeht, indem sie durch eine andere ersetzt wird, sondern jene ihren höchsten Vollzug finden.104 Dagegen wird beim Übergang vom potentiell Transparenten zum aktual Transparenten durch die Einwirkung des Feuers und auf der Grundlage einer bestimmten Natur oder Potenz ein positiv ausgezeichneter Zustand erreicht, der selbst wiederum im Hinblick auf die Sichtbarkeit bzw. das Erscheinen einer Farbe eine Potentialität darstellt.

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called energeia of the transparent as transparent, light is a disposition rather than activity, a disposition enabling animals to enter into the activity of seeing. Activity complete at every moment is restricted to ensouled or thinking beings.“ 102 […] ἢ δύο τρόπους εἶναι ἀλλοιώσεως, τήν τε ἐπὶ τὰς στερητικὰς διαθέσεις μεταβολὴν καὶ τὴν ἐπὶ τὰς ἕξεις καὶ τὴν φύσιν. Zum Letzteren bemerkt Lorenz (wie Anm. 32) 186: „[…] alterations of this particular kind consist not only in the loss of one quality and its replacement with another, but also, and crucially, in the acquisition of a quality that contributes to the altered thing’s completion of its nature.“ 103 Vgl. Lorenz (wie Anm. 32) 186. 104 Vgl. Lorenz (wie Anm. 32) 186 f.

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Alexander’s De Sensu – and Aristotle’s R. A. H. King It is an obvious move to turn to Alexander, specifically to his commentary on De sens.1 for help in understanding the purpose, content and strategy of the Parv. nat. – the Commentator, as he was known, is counted by prominent Aristotelians even today2 as an excellent guide to Aristotle; and the textual and philosophical problems of the Parv. nat. are as thorny as any in the corpus. In this paper, I argue that Alexander, while he knows the Parv. nat. as we know it, has no very good solution to the problems of demarking Parv. nat. from De an., on the contrary, his concern is the integration of Parv. nat. into physikê, and, to boot, a fairly rigid view of the structure of what is happening in Parv. nat., which undersells the flexibility and breadth of the work. However, what Alexander does bring to the table is a consuming interest in anathymiasis, which, while not prominent on the surface of Parv. nat., is certainly to be found there. Given Alexander’s interest in the Meteor., where Aristotle does make extensive use of anathymiasis to explain everything from lightening to the eructations of the earth, this emphasis in his commentary is hardly surprising. This emphasis is Alexander’s own take on the way sensation is treated in the Parv. nat. as opposed to in De an., and puts a process in the centre of his interpretation which is at once material, but also formal. Not only that, it is a process that happens both in living things, and outside, that is to say, both serving the ends of living things, and as a blind natural phenomenon. Anathymiasis achieves two noteworthy aims in terms of its explanatory power: it anchors life in the material world, and, as the change of state of food, is the formation of the living thing itself. This paper concentrates on anathymiasis in Alexander’s reading of De sens., and investigates the extent to which he is being faithful to Aristotle.

1

2

My thanks to Jochen Althoff for organising a very stimulating symposium, and to my fellow symposiasts for a useful discussion. Inna Kupreeva read an earlier version of the paper and made several invaluable suggestions. Text and translation: Alexander Phil., In librum de sensu commentarium, ed. Wendland, Berlin 1901 (CAG 3.1). Transl.: A. Towey, Alexander of Aphrodisias. On Aristotle’s “On Sense-Perception”, London 2000. Abbreviated: Alex. De sens. Aristotle’s works are referred to using the abbreviations of this series. For example, Burnyeat, M. F., De Anima II 5, Phronesis 47, 2002, 28–90.

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R. A. H. King

1. Before the Parva naturalia Parv. nat. is not a stand-alone project. Understanding Parv. nat. means understanding De an., more broadly Aristotle’s project in his physikê, to which De an., and hence Parv. nat., are crucial contributions.3 We do not have Alexander’s commentary on De an., but we do have his own De anima. Here is what he says he will do in that work (Alex. De an. 1.2–4): Ἡ μὲν πρόθεσις ἡμῖν, περὶ ψυχῆς εἰπεῖν τῆς )τοῦ* ἐν γενέσει τε καὶ φθορᾷ σώματος, τίς τέ ἐστιν αὐτῆς ἡ οὐσία καὶ τίνες αἱ δυνάμεις καὶ πόσαι, καὶ τίς αὐτῶν ἡ πρὸς ἀλλήλας διαφορά. Our project is to talk about the soul of body subject to coming to be and perishing, to say what its essence is, what its powers are, and how many there are, and what their difference from one another is. (transl. Caston) However purely systematic this may appear, in fact of course he is being squarely Aristotelian (Alex. De an. 2.4–9): ἐπεὶ δ’ ὥσπερ ἐν τοῖς ἄλλοις τὰ Ἀριστοτέλους πρεσβεύομεν ἀληθεστέρας ἡγούμενοι τὰς ὑπ’ αὐτοῦ παραδεδομένας δόξας τῶν ἄλλοις εἰρημένων, οὕτω δὲ καὶ ἃ ἐν τῷ περὶ ψυχῆς δόγματι φρονοῦμεν, ἔσται τὰ κατὰ τὴν πρόθεσιν ἡμῖν πεπληρωμένα, ἂν τὰ ὑπ' ἐκείνου περὶ ψυχῆς εἰρημένα ὡς ἐνδέχεται σαφῶς ἐκθώμεθα καὶ τοῦ καλῶς ἕκαστον αὐτῶν εἰρῆσθαι τὰς οἰκείας παρασχώμεθα παραμυθίας. Just as I have great reverence for Aristotle’s works on other subjects, since I find more truth in the views passed down from him than in what others have claimed, I regard what he states in his theory of the soul in the same way as well. I will therefore have fulfilled my aim if I can set out his claims about the soul as clearly as possible and offer suitable arguments to show how each of them is well formulated. (transl. Caston) So, what he will do is to set out Aristotle’s claims as clearly as possible and provide them with the persuasive grounds that belong to them. In fact, some of the things Alexander says might surprise the Aristotelian (Alex. De an. 2.18–22): διὸ χρὴ τοὺς βουλομένους μὴ ἀντιπράσσειν τοῖς εὐλόγως περὶ αὐτῆς λεγομένοις πρῶτον ἰδεῖν τὴν κατασκευὴν αὐτοῦ τοῦ σώματος τοῦ τὴν ψυχὴν

3

On Parv. nat.’s structure and status, cf. King, R. A. H., Article: Parva Naturalia, in: C. Rapp/K. Corcilius (Hrsg.), Aristoteles Handbuch, Stuttgart 2011 (2nd ed. 2020), 97– 105.

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ἔχοντος καὶ τήν τε τῶν ἐντὸς μερῶν οἰκονομίαν ἱστορῆσαι καὶ τὴν τῶν ἐκτὸς πάλιν πρὸς ἐκεῖνα μετ’ εὐσχημοσύνης συμφωνίαν. Hence those who do not wish to go against reasonable claims about the soul ought first to look at the construction of the body that has soul and to investigate the regulation of its inner parts and then afterwards the graceful agreement of the external parts with them. (transl. Caston, modified.) First look at the body, in other words. Of course, Aristotle thinks that one should also look at the body (“the primary actuality of a body with the capacity to live”, and cf. De an. I 3.407 b 23), but presumably not first, if that is taken to mean “primarily”. This concentration on the body, understandable in a thinker engaged in extensive polemic with the corporeal Stoics, in fact is a tenet that becomes a little clearer when we look at Alexander’s take on body and soul:4 – –





The body is the substrate, that is, of the soul. This is a view of the body that is orthodox enough. What gives shape and definition is the form (Alex. De an. 3.1). Again, this appears orthodox. This use is taken, to begin with, from the arts, where the artefact only then is what it is when it has its form, then applied to nature since art imitates nature (Alex. De an. 3.15). But, as it turns out, matter in fact contributes to what something is: Form and matter cannot be without one another, except the matter of artefacts which is on its own. This seems to give more weight to matter than expected – for it is a reciprocal dependence. The power of fire lies in its lightness. This is the power that moves the transformation of the simple bodies into one another: this is the form i.e. nature of fire (Alex. De an. 5.5–18). The importance of fire will be become apparent shortly.

So how close is Alexander to Aristotle? In my view, he does emphasise body more than Aristotle, in the way he explains the way diversity comes about, namely through mixture:5 –

Plants differ from one another in form because they differ in matter (Alex. De an. 9.5–8). So too with the proportional difference between

4

For an extensive discussion of Alexander’s notion of form, see Rashed, Marwan, Essentialisme. Alexandre d’Aphrodise entre logique, physique et cosmologie (CAG 2), Berlin 2007, and the discussion in Kupreeva, Inna, Alexander of Aphrodisias on Form. A discussion of Marwan Rashed, Essentialisme, Oxford Studies in Ancient Philosophy 38, 2010, 211–249. On mixture in Alexander, see Kupreeva, Inna, Alexander on Mixture and Growth, Oxford Studies in Ancient Philosophy 27, 2004, 297–334.

5

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R. A. H. King plants and animals: the blend, mixture and formation of the bodies is responsible for the differences in perception (Alex. De an. 10.15–19).

Another argument that soul is (merely) the form of body is crucial for the understanding of perception, as a kind of change: No psychic activity is without bodily change (Alex. De an. 12.8–15): ὅτι δὲ εἶδος ἡ ψυχὴ τοῦ σώματος καὶ οὐκ οὐσία τις αὐτὴ καθ’ αὑτήν, μάθοι τις ἂν καὶ ἀπὸ τῶν ἐνεργειῶν αὐτῆς. οὐ γὰρ οἷόν τε ἐνέργειάν τινα ψυχικὴν γενέσθαι χωρὶς σωματικῆς κινήσεως, ὥσπερ οὐδὲ κατὰ τὰς φυσικὰς ῥοπὰς φοράν, ὡς τοῦ σώματος ἐνεργοῦντος αὐτὰς κατὰ τὴν δύναμιν τὴν ἐν αὐτῷ. τό τε γὰρ τρέφεσθαί τε καὶ αὔξεσθαι καὶ γεννᾶν οἷον αὐτὸ γίνεται μὲν κατὰ δύναμιν ψυχικήν, αἱ δὲ κινήσεις τοῦ σώματος. ἀλλὰ καὶ αἰσθάνεται τὸ ζῷον διὰ τῶν αἰσθητηρίων σωμάτων ὄντων, αἵ τε ὀρέξεις αὐταὶ φανερῶς κινουμένου τινὸς γίνονται σώματος. One might also learn that the soul is a form of the body, and not a substance itself just on its own (autê kath’ autên), from its activities. For no soul activity can occur without a bodily change, just as there could not be motion from natural tendencies either, since the body engages in these activities in virtue of the power within it. For being nourished, growing and generating another like oneself occur in virtue of a soul power, but the changes belong to the body. Moreover, an animal perceives through the perceptual organs, which are bodies, and desires themselves plainly occur when a certain body undergoes change. (transl. Caston) This is an important statement also for the question of how Alexander stands to the status of things common to body and soul, to which we will turn presently.6 The argument is also puzzling. In part, this is because one might think that for Aristotle at least (active) intellect can exist without body (De an. II 2.413 b 24–7). In part, the lack of clarity arises because it is not clear what the connection is between the two claims: 1. all psychic activities require (bodily) change and 2. form is not a(n individual) substance which exists on its own. Perhaps we need something along the lines of 3. substance must be active – only then is there a logical connection between 1 and 2. Furthermore: 4. The kind of activity a substance performs depends on the kind of substance it is. This view of the relation between psychic activity and the body would tend to increase the importance of De sens., and Parv. nat. in general. For

6

And also, of course, to the hoary question of whether perception requires or accompanies change in the body, or is simply a sui generis change.

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then the soubriquet “common to body and soul” would appear to follow straight from what soul and body are – applying to all activities. This then integrates De an. and Parv. nat. thoroughly, while leaving open the possibility that the soul as such is being discussed in De an. This can count as a clarification of Aristotle’s position, rather than a substantial change of perspective on the part of the Commentator.

2. Sensation is common to body and soul After this preliminary look back at De an., as Alexander sees it, we turn to the phrase used by Aristotle to characterise the subject of Parv. nat.: common to body and soul. This is the usual place to start a reading of Parv. nat.,7 but here Alexander offers us no great help (Alex. De sens. 2.12–20): τοῦ δὲ περὶ τῶν τῆς ψυχῆς ἐνεργειῶν λέγοντα εὐλόγως λέγειν περὶ τῶν ἐνεργειῶν τῶν τε ζῴων καὶ τῶν ζωὴν ἐχόντων αἰτίαν ἀποδέδωκε τὴν ὅτι αἱ ἐνέργειαι αὐτῶν αἵ τε κοιναὶ καὶ αἱ καθ’ ἕκαστον ἴδιοι σχεδὸν πᾶσαι κοιναὶ τῆς τε ψυχῆς καὶ (2.15) τοῦ σώματος· δι’ οὗ καὶ αὐτοῦ βεβαιοῦται τὸ ἐντελέχειαν εἶναι τὴν ψυχὴν σώματος φυσικοῦ ὀργανικοῦ. πίστιν δὲ παραθέμενος τοῦ τὰς τῶν ἐμψύχων ἐνεργείας κοινὰς εἶναι ψυχῆς τε καὶ σώματος τὸ πάσας ἢ δι’ αἰσθήσεως ἢ μετ’ αἰσθήσεως γίνεσθαι, ὅτι ἡ αἴσθησις καὶ ἡ κατ’ αὐτὴν ἐνέργεια κοινὴ ψυχῆς τε καὶ σώματος ὡς ἐναργὲς λαβὼν εὐλόγως τοῦ περὶ τῶν (2.20) αἰσθητηρίων ἄρχεται λόγου, ἐπειδὴ φθάνει μὲν εἰρῆσθαι αὐτῷ ὁ περὶ τῆς αἰσθητικῆς ψυχῆς λόγος, κοινὴ δὲ ἥ τε αἴσθησις καὶ ἡ κατ’ αὐτὴν ἐνέργεια ψυχῆς τε καὶ σώματος, ἔδει δὲ τὸν περὶ τῶν κοινῶν λέγοντα πρῶτον περὶ αἰσθήσεως λέγειν· κοινοτάτη γὰρ αὕτη πᾶσι τοῖς ζῴοις καὶ φανερωτάτη τῶν κατὰ ψυχὴν ἐνεργειῶν. He (i.e. Aristotle) has explained that it is reasonable for a person discussing the activities of the soul to discuss the activities of animals and things possessing life by saying that their activities, both those that are common and those that are peculiar to each , are almost all common to the soul and the body. It is by means of this very point that he confirms that the soul is actuality of a natural body which has organs. He offers as proof of the statement that the activities of animate things are common to body and soul the point that these come about either by means of perception or in conjunction with perception. It is

7

Cf. Morel, Pierre-Marie, Common to Soul and Body in Aristotle’s Parva naturalia, in: R. A. H. King (Hrsg.), Common to Body and Soul, Berlin 2006, 121–139.

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R. A. H. King reasonable that, having taken it as obvious that perception and the activity in respect of it is common to soul and body, he begins to discuss the sense-organs. For he has already discussed the perceptive soul, and perception and the activity in respect of it are common to soul and body, and it was necessary for the person discussing the common to discuss perception first. For this is commonest to all animals and most evident of the activities in respect of soul. (transl. Towey, cf. Alex. Sens. 2.5–6)

The first point that Alexander makes here is that Parv. nat. is meant to confirm claims made by Aristotle in De an., specifically, that soul itself is the actuality of an organic body (the most general account of soul in De an. II 1.412 b 5–6); but surely, even if we accept them as hypotheses, as Alexander suggests, they have already been confirmed e.g. by consideration of higher generalities, like the “categories”, i.e. the highest genera of beings, in De an. II 1.412 a 6–7. So, they are hypotheses in the strong sense of having good arguments in their favour. Of course, that does not prevent them from also being confirmed by their success in delivering explanations in concrete cases. What it of course precludes is a deductive structure, on a strict reading of deduction, to the investigation in De an. and Parv. nat. Everything does not follow necessarily from a few principles. That is all to the good insofar much investigation and many endoxa are added to the mix in the course of the investigation. In fact, this also corresponds to an attractive way of reading Aristotle’s course in physics.8 We do not begin Phys. I with a few axioms, from which all else can be deduced. Rather we are introduced to explanations using arguments, which only need to be strong enough to motivate the use of such explanations, e.g. teleology in Phys. II 8. As we progress, say to the account of explaining animals in De part. an. I, we learn to use the different kinds of explanation in specifically varying cases: we see how specific cases fall under the generalisations and make them more precise.9 Alexander, in the last quotation, suggests that De sens. will deal with organs. Clearly organs – in all their variety – cannot be deduced e.g. from the definition of perception in De an. In fact, Alexander does not restrict himself to organs in his treatment of De sens. Activities, which Aristotle calls praxeis (πράξεις) in the introduction to De sens., also play a crucial role in his account. Let us turn to the content of what Alexander says here. He uses a definition of life that Aristotle offers as the preliminary definition in De an. II 1.412 a 14–15 (Alex. De an. 9.11–14): 8 9

See Brinker this vol. Cf. Phys. II 3.194 b 16–23, cf. 198 a 14: Aristotle explicitly mentions the need to specify explanations, having given the more general case.

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καὶ ἔστι τὸ τοιοῦτον εἶδος ἤδη καὶ ἡ τοιαύτη τελειότης ἡ πρώτη δύναμις ψυχῆς. εἰ γὰρ πᾶν τὸ ζῶν ζῇ κατὰ ψυχήν, τὰ δὲ φυτὰ ζῇ, εἴ γε ζῆν ἐστι τὸ δι’ αὑτοῦ τρέφεσθαι καὶ αὔξεσθαι, τὰ φυτὰ ἂν ψυχὴν ἔχοι, καὶ εἴη ἂν ψυχὴ τὸ εἶδος αὐτῶν. This sort of form and this sort of completion (teleiotês) is already the first power of the soul. For if every living thing is alive in virtue of a soul, and plants are alive – since to nourish oneself and to grow is to be alive- then plants will have a soul and their form will be a soul. (transl. Caston, altered) This indicates the close relation between nourishment and the definition of the soul – the primary actuality of a living body.10 This actuality – Alexander’s teleiotês, “culmination” in Caston’s version, which I have altered to “completion” – is present in plants, but of course also in all other living things. This is very important because understanding how sensation – also life – fits into a self-nourishing body requires that we understand how it fits with the process of nutrition, not just in the superficial sense that organs are formed by nutrition, the reason that trophê is prominent in De gen. an., but also how sensation depends on the tempered heat provided by nutrition.11 Alexander’s commentary on De sensu Alexander’s De sens. comprises seven “chapters”, divided into two “books”. The seven chapters fit well with the content of the Aristotelian work:12 (1.) Introduction (2.) Sense organs: eyesight (3.) Perceptibles: colours (4.) Flavour Book 2 (88.1) (5.) Smell (6.) Infinite divisibility of perceptibles (7.) Perception of two things in an indivisible time 10

11

12

See King, R. A. H., Nutrition and Hylomorphism in Aristotle, in: R. Lo Presti/G. Korobili (Hrsg.), Nutrition in Aristotle and Aristotelianism, Berlin 2020, on the importance of this definition of life for hylomorphism in living things. On this connection, see King, R. A. H., The concept of life and the life cycle in De Iuventute, in: S. Föllinger (Hrsg.), “Was ist ‚Leben‘?” Aristoteles’ Anschauungen zur Entstehung und Funktionsweise von Leben, Stuttgart 2010. On nutrition in Aristotle and the tradition, see Lo Presti/Korobili (as n. 10). Cf. Di Martino, Carla, Le Commentaire du De sensu par Alexandre d’Aphrodise, in: Les Parva naturalia d’Aristote. Fortune antique et médiévale, sous la direction de Christophe Grellard et Pierre-Marie Morel, Paris 2010, 77–100.

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Firstly, De sens. follows on from De an. (Alex. De sens. 4.18–25): Ὅσα, φησίν, ἡμῖν περὶ ψυχῆς εἴρηται, ταῦτα κείσθω ὡς ἀρχαὶ τῶν μελλόντων λέγεσθαι. ὑποθέσεις γὰρ ἔθος τοῖς ἀνδράσι τὰς ἀρχὰς λέγειν τὰς ἀναποδείκτους, ἃς καὶ ἀξιώματα λέγουσιν. ὑποθέσεις δὲ λέγουσι καὶ ἃ ἔχοντα ἀπόδειξιν χωρὶς τῆς οἰκείας ἀποδείξεως λαμβάνουσί τε καὶ ὑποτίθενται, ὡς δείξοντες αὐτὰ ὕστερον, χρησόμενοι δὲ αὐτοῖς νῦν πρὸς ἄλλα ὡς ἀρχαῖς. )τὰ περὶ ψυχῆς* οὖν, φησίν, εἰρημένα τε καὶ δεδειγμένα νῦν ὡς ὑποθέσεις καὶ ἀρχαὶ τῶν μελλόντων λέγεσθαι κείσθω. φθάνει γὰρ δεδεῖχθαι, καὶ οὐκέτι περὶ ἐκείνων νῦν ποιήσεται τὸν λόγον. He is saying: let all the things which we have said concerning soul be laid down as principles of what is about to be said. For men are in the habit of describing as suppositions the principles which are indemonstrable, which they also call axioms. But they also describe as suppositions things which are demonstrables, but which they take as agreed and suppose without the demonstration that is proper because they will demonstrate them later but will use them now as principles for other purposes. ‘And so’, he says, ‘let what has been said about soul’ and what has been demonstrated be now laid down as suppositions and principles of what is about to be said. For they have already been demonstrated and he will not now discuss them any longer. (transl. Towey) Alexander phrases this in such a way that it is unclear if he thinks that the theses of De an. are presupposed as proven, or that they are presupposed as agreed on, or that they are presupposed to be proven at a later date.13 Attractive as it is, nothings speaks for the first view. The second alternative is not very attractive, in that mere agreement is not as such a guarantee of truth. That, after all is the distinction between dialectic and episteme. The third view, although weak, allows us to ascribe to Aristotle the methodology that claims to become more and more entrenched the more you explain with them. Above, we have seen that Alexander in De sens. 2.12–20, refers back to the account of perception in De an., as being presupposed by a treatment of the organs, and indeed of the activities common to body and soul in animals. He does not make clear what he thinks the status of the account is.

3. Alexander’s Parva naturalia is (almost) our Parva naturalia Alexander subscribes to a view of the Parv. nat., if we take De sens. by synekdochê to represent Parv. nat., that is very reasonable: it is (Alex. De 13

Cf. Meyer this vol.

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sens. 5.4–19) part of the same pragmateia as the writings on animals: of course, it is all part of physikê. And that will include plants, going beyond De sens. (De long. vit. 5; De iuv. 1–3 and 6). It is clear that Alexander’s Parv. nat. has not only the same contents as ours, with the exception of De long. vit., but also the same order.14 De long. vit. may remain unmentioned simply because the preface to Parv. nat. in De sens. does not mention it; longevity is hardly a praxis. Thus, if we suppose that the treatises, small and closely dependent on De an. as they are, ever had independent lives, the recension that put our Parv. nat. together predates Alexander.15 The contents of Parv. nat. are sketched by Alexander 6.16–19: As to the four pairs (436 a 12–13) which he (Aristotle) has mentioned in advance, books have come down to us belonging to his treatise on physics, in which he dealt with them, and I mean On waking and sleep, On youth and old age, On respiration, and On life and death. This list is unsatisfactory in that the last three works in fact are one work. It is unclear why Alexander distinguishes them like this. After De sens. we have De mem., but, actually coupled with De somn., and perhaps also De insomn. and De divin.: “After this book On memory and sleep is the next in order.” (Alex. De sens. 173.12). Also: “for he will discuss memory in the next treatise since he has not yet discussed it” (Alex. De sens. 5.28). The only two works not mentioned by name are those on dreams. And it seems quite reasonable that they fall under sleep.

4. Anathymiasis: Heat and nutrition As has already been suggested, anathymiasis is Alexander’s most important contribution to the understanding of Parv. nat. Aristotle uses this word at a number of junctures himself, and nearly all of Alexander’s uses have some connection with Aristotle’s. Alexander’s understanding of it as of fundamental importance in Aristotle is well documented by his commentary on Meteor. I think it can be argued that anathymiasis in fact also acquires dialectical importance through Alexander’s battles with the Stoics. For they are Heracli-

14 15

For an assessment of the coherence of Parv. nat. as we have it, see King, Art. Parv. nat. (as n. 3). The testimony of Alexander’s commentary on Sens. is not mentioned by Rashed (as n. 4), see especially pp. 19, 25, in his discussion of the ordering of the treatises, especially the biological ones. He comes to the conclusion that no independent Greek tradition testifies to “our” Parv. nat. If my reading is right, this is precisely what Alex. De sens. does.

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teans, of course, and the term is Heraclitean,16 and also Stoic,17 and furthermore it allows a formal, i.e. not material aspect, while remaining enmattered, for it serves nutrition in living things, and in turn nutrition serves other living capacities. Nothing living is more corporeal than nutrition; and yet it goes with the form. For growth and nutrition are of the form (De gen. et corr. I 5, esp. 321 b 22–31).18 Let us have a look at the functions and the structure of anathymiasis. Some texts in Aristotle’s Meteorology on anathymiasis Let us look very briefly at the uses of anathymiasis in Meteor. The way that Aristotle speaks of anathymiasis indicates that it is the same process in living things and outside them. This approach allows him to draw conclusions about living things from meteorological phenomena as well as vice versa. However, it is unclear what exactly the relation is: are the processes inside and outside living things identical or analogical or specifically different? Clearly one and the same individual process cannot happen both inside and outside a living thing. So types are meant, as one would expect in Aristotelian science. The importance of this observation is that living things are then not living in virtue of processes peculiar to living things, but in virtue of the ends these processes serve when organised in living things. Nutrition is specific to living things, and is a process of assimilation, but the process of separation by heat is something that occurs outside living things as well. The first point is that anathymiasis produces residue. This is illustrated both by living processes and meteorological ones. Thus, it provides the answer to the question, why is the sea salty? Aristotle writes that in living bodies least concocted matter is salty and bitter, like the residues of the body, e.g. urine and sweat. Heat within the animal works the same way as fire in combustion: what the heat fails to master becomes waste or residue in living bodies, in fire, it becomes ash (Meteor. II 8.358 a 5–14). Thus, here concoction is the mastering of matter by fire, leaving a residue which the fire does not master. Aristotle considers earthquakes to be comparable to wind in the gut of living things (Meteor. II 8.368 a 6–13). The wind arises from anathymiasis, and does not abate immediately or fast, namely until the material is

16 17 18

See Buchheim, Thomas, Feuer und Flüsse: Überlegungen zum Prinzip des Lebens nach Heraklit, in: Frühgriechisches Denken, hrsg. von G. Rechenauer, Göttingen 2005, 174–202. Heraclitus 22 B 12 D.-K., cf. also Betegh, Gabor, On the Physical Aspect of Heraclitus’ Psychology, Phronesis 52, 2007, 3–32. Kupreeva, Inna, Aristotle on Growth: A Study of the Argument in GC 1.5, Apeiron, 38/3, 2005, 103–159.

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used up from which the wind arises. And it is the wind that is called the quake. Thus, anathymiasis consumes material, transforming it into wind. There are two kinds of anathymiasis, depending on whether it arises from air and earth: vapour (καπνός), or from air and water: steam (ἀτμίς). One is wet: atmis and the other nameless, but we can call it as part for a whole: smoke (kapnós). Each is called according to what exceeds in it, since there is no wet without dry nor dry without wet.19 The process of evaporation under the influence of heat is necessary, and is quantitatively variable: the sun warms the earth, and necessarily anathymiasis arises (Meteor. I 4.341 b 6–12). This may make it look as though anathymiasis is the stuff, rather than the process: more and more anathymiasis arises necessarily because of heat (Meteor. II 6.364 a 12). All uniform bodies, both living, plants and animals, and non-living ones, are made out of water and earth, constituted by hot and cold (Meteor. IV 8.384 b 25–385 a 9 and on metals cf. III 6.378 a 15), and there is anathymiasis shut up in them. This is how the different active and passive powers are in bodies, such as sinews and flesh, and arise, including those powers affecting our senses. Anathymiasis in Parv. nat. Nutrition, trophê (τροφή), underlies all processes in the body, they are supported by it, and they support it. And anathymiasis appears to be, if not identical with soul, for it is a widespread phenomenon, especially between heaven and earth, then very closely associated with it. This is one of the unclarities of Aristotle’s reference to Heraclitus in De an. I 2.405 a 25–26: “Heraclitus says that soul is the principle, since he says that anathymiasis is that from which other things are put together.”20 Here Aristotle is claiming that Heraclitus thinks that soul is anathymiasis. But he also himself uses it, notably in connection with nutrition, but not of course making it identical with soul. When Aristotle is explaining why the exhaustion (maransis) of the heat natural to a living thing, kills, he refers to the way anathymiasis can be interrupted (De iuv. 5.469 b 27–31): ὁτὲ δὲ μαραίνεσθαι συμβαίνει, πλείονος ἀθροιζομένου θερμοῦ διὰ τὸ μὴ ἀναπνεῖν μηδὲ καταψύχεσθαι· ταχὺ γὰρ καὶ οὕτω καταναλίσκει τὴν τροφὴν πολὺ

19

20

Meteor. II 4.359 b 28–31. On the extended use of anathymiasis in Meteor. see Buchheim (as n. 16). Cf. also II 4.360 b 16; II 8.365 b 21; III 6.378 a 18 as an explanation for earth producing fossils and metals. καὶ Ἡράκλειτος δὲ τὴν ἀρχὴν εἶναί φησι ψυχήν, εἴπερ τὴν ἀναθυμίασιν, ἐξ ἧς τἆλλα συνίστησιν· On this text, see Buchheim (as n. 16).

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R. A. H. King συναθροιζόμενον τὸ θερμόν, καὶ φθάνει καταναλίσκον πρὶν ἐπιστῆναι τὴν ἀναθυμίασιν. And sometimes it occurs that (natural heat) is exhausted, because too much heat accumulates on account of there being no breathing or no cooling; for also in this case much heat accumulating consumes the nutrition before the anathymiasis is established.21

In this piece, a change in the hot-cold balance affects the “establishment” of anathymiasis, thus halting nutrition. It is not said, nor is it obvious, how they relate to one another. Clearly, anathymiasis is a keystone to nutrition, rather than the whole of it. For nutrition surely affects, and is affected by, and effected by the whole body. Yet anathymiasis is not a process peculiar to living things. It is found also outside living things, in unanimated nature. As already noted, the question remains what the difference between these two ‘versions’ is, what distinguishes it, when in living things? This is tricky, since neither Alexander, nor indeed Aristotle defines anathymiasis. A schematic answer can be given: in living things, it serves the soul, using heat, to transform stuff. It occurs in such a way that living functions are performed; that means, it is an organised and organising process and not an undirected one. To get a little clearer about how this might work, admittedly speculatively, let us look briefly at heat. What does heat do? It heats, firstly, but it also makes things rise: this property is the one that Alexander banks on as the decisive one. It separates things from one another: this may well go together with making some things rise – since they then leave others behind: It separates things by making them rise. Heat cooks things: Alexander devotes much space in his commentary on Meteor. IV to cooking, pepsis (πέψις), often translated “concoction”.22 Of course, cooking, in the usual sense of the term, is a directed process. It would seem that rising is important to Alexander in his reading of De sens., where cooking is actually more important. Anathymiasis, evaporation (not merely vapour) is a kind of change, akin to substantial coming to be and passing away, requiring heat, and constant feeding, if it is to persist. Thus, my approach to Parv. nat. and to Alexander’s take on it is a variant of the interpretation seeing in Parv. nat. change play a central role within a teleological framework.23 21 22

23

For discussion, see King, R. A. H., Aristotle on Life and Death, London 2001, 98–101. On cooking in Aristotle, see Lloyd, Geoffrey E. R., Aristotelian Explorations, Cambridge 1996, 83–103. Inna Kupreeva pointed out to me the importance of pepsis in Alexander’s commentary on Meteor. IV. Cf. Morel (as n. 7).

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How does Aristotle himself appeal to anathymiasis in Parv. nat.? In the course of the explanation of smell, he refers to Heraclitus, and uses anathymiasis (De sens. 2.438 b 24; 5.444 a 21; 26; 27; 30). Smelling is pneumatodes anathymiasis (πνευματώδης ἀναθυμίασις), a breathy evaporation (445 a 26). While the point of smell is that it is precisely not connected to nourishment, anathymiasis is: the anathymiasis from nourishment explains sickly rheums (5.444 a 13). Most importantly, in the explanation of sleep, Aristotle refers to a work On nutrition (De somn. 3.456 b 6: περὶ τροφῆς), and uses anathymiasis from nutrition in the explanation of sleep (b 19; 34). It is also used to explain catarrh (De somn. 3.458 a 2). If there was an On nutrition, Alexander says he did not know it. It is not mentioned in the course in physics at the beginning of Meteor.; and as an additional problem, it is unclear where it would fit in the course of lectures described in that text. Parv. nat. would be an obvious place (nutrition is a praxis of living things, common to body and soul), but the reference here would make even less sense. To continue: Anathymiasis explains the lack of dreams in the young (De insomn. 3.462 b 6). This is presumably because the young have so much anathymiasis, as we will see, and this disturbs the emergence of the changes, deriving from perception, needed for dreams (cf. De mem. 2.453 b 4–6). In the course of the explanation of the central processes in nutrition and hence growth in De iuv. 26.480 a 10, we read that there is more anathymiasis in the young. In other words, their growth is to be explained in terms of the anathymiasis happening in them. This uses the quantitative aspect of anathymiasis noticed already in the Meteor. None of this would appear to touch the main subject of De sens. – sensation. The only real connection on the surface of the text is smelling, “a breathy anathymiasis”, and this is not concerned with the anathymiasis in the living thing, but rather the kind of things that produce smell outside the animal. Anathymiasis is called on to explain specific phenomena, not as a fundamental or general principle underlying or supporting all further activity. One could well see in it a useful cure-all for awkward problems rather than a foundation of living activity. If we wish to find a connection between anathymiasis and sensation, which would emphasize the central function of anathymiasis for vital activities, we will have to go beyond the text, and take into account some points made first in De an. Sensation requires heat (De an. III 1.425 a 6): Fire is either not of any sense modality or belongs to all modalities “for nothing can perceive without heat”. And, of course, all concoction requires heat (De an. II 4.416 b 29), and this heat is preserved by breathing (De an. II 8.420 b 20). Furthermore, we can turn to De iuv. 1 to understand the unity of the principle of life.24 There, Aristotle argues for a single principle (ἀρχή) of life, 24

For discussion, see King, Life and Death (as n. 21), 64–73.

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even if nutrition and sensation are distinct. The most important organ for both perception and nutrition is the central organ, the heart or its analogue. And this organ must remain temperately hot, if life is to persist. That is to say, it may not be too hot or lose its heat; either extreme leads to death. Thus, here again heat is required. Heat is needed for the performance of work (ergon), in this case to change, assimilate food. Heat separates the food into sweet and waste. And the process in the heart is, as is clear from the treatment of sleep in De somn., one in which anathymiasis is produced. At this point, we can sum up some evident attributes: – – –

The amount of anathymiasis is invoked. Thus, it provides an explanation in terms of quantity. It requires heat. It is a continuous process requiring nourishment, which is consumed. Alexander’s use of anathymiasis in On de sensu

i)

Anathymiasis and sleep Aristotle’s conception of sleep shows the way the separate capacities of the soul, in action, interact. For here, nutrition makes sensation quiescent. Here is what Alexander says (Alex. De sens. 7.25–8.2): Πάθος δὲ τῆς αἰσθήσεως ὕπνος ἂν εἴη· ταύτης γάρ τι πασχούσης ὁ ὕπνος· ἡ γὰρ ἐκ τῆς τροφῆς ἀναθυμίασις ὅταν ἐπὶ τὴν κεφαλὴν ἀθρόα ἀνενεχθεῖσα καὶ καταψυχθεῖσα ὑπὸ τῶν περὶ τὸν ἐγκέφαλον εἰς τὸ κάτω πάλιν, ὅθεν ἀνηνέχθη, κατενεχθῇ, βαρουμένη ἡ αἴσθησις ὑπὸ τῆς ἐν αὐτῇ ὑγρότητος αὐτή τε ἐμποδίζεται πρὸς τὸ ἐνεργεῖν καὶ ἡσυχάζει καὶ αἰτία τοῖς ζῴοις ὕπνου γίνεται. Sleep would be an affection of perception. For sleep when is affected in some way. For whenever the vapour (anathymiasis) from nourishment, having been carried up all together into the head and cooled by the around the brain, perception being weighed down by the moisture in is itself impeded from being active and is at rest, and comes to be responsible for sleep in animals. (transl. Towey) ii) Nutrition and perception: Pepsis in De sens. 4 If one sticks to the subject of De sens., in isolation, one may be surprised that nutrition is mentioned at all. But there are two ways it plays a role, one is that nutrition is a sensible, namely the sweet, and not smell, for example. And the other is that animals, i.e. things that perceive, nourish themselves. The question is of course, on the one hand, how well sensation and nutrition are integrated, and on the other hand, how well the basic process of life –

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the primary actuality of a body with the capacity to live – is integrated with the sensation of sensibles. Here Alexander refers us to De gen. et corr. and De gen. an., for growth and nutrition respectively (Alex. De sens. 79.11– 22): (On 441 b 29–442 a 2) Εἶναι μὲν οὖν φησι τὸν περὶ τοῦ τίσι καὶ πῶς τρεφόμεθά τε καὶ αὐξόμεθα τοῖς περὶ γενέσεως λόγοις οἰκεῖον. εἴρηκε δὲ περὶ μὲν αὐξήσεως ἰδίως ἐν )τοῖς Περὶ γενέσεως* καὶ φθορᾶς, περὶ δὲ τροφῆς ἐν τοῖς Περὶ ζῴων γενέσεως. διὸ τὸν μὲν ἀκριβῆ περὶ αὐτῶν λόγον εἰς ἐκείνας (79.15) ἀνατίθεται ὡς οἰκειοτέρας τὰς πραγματείας, )νῦν δὲ ὅσον ἀναγκαῖον πρὸς* τὴν τοῦ προκειμένου δεῖξιν ἐπιμνησθῆναί φησι δεῖν αὐτῶν. λέγει δὲ τὸ θερμὸν τῆς τε αὐξήσεως τοῖς σώμασιν αἴτιον διὰ τῆς πέψεως τῆς τροφῆς γίνεσθαι καὶ τῆς δημιουργίας τε καὶ γενέσεως τῆς τροφῆς· ποιητικὸν γὰρ αὐτῆς τοῦτο τῷ φύσιν ἔχειν ἀπὸ τοῦ ὑγροῦ τοῦ χυμὸν ἔχοντος ἤδη )τὸ κοῦφον* (79.20) μὲν καὶ γλυκὺ )ἕλκειν, τὸ δ’ ἁλμυρὸν καὶ πικρὸν καταλείπειν διὰ τὸ βάρος·* τὸ γὰρ κουφότερον αὑτῷ συναναφέρει κινούμενον εἰς τὸν ἄνω )τόπον* κατὰ φύσιν, τὸ δὲ βαρὺ καταλείπει. He says that the concerning what things nourish us and cause growth in us, and how they do so, is proper to the accounts concerning coming to be (442 a 3). He has discussed growth specifically in On coming to be and perishing, and nourishment in On the coming to be of animals. This is why he leaves the accurate account of to those works as being inquiries that are more appropriate, ‘but now’ he says that he must mention them ‘as far as is necessary’ (442 a 2–4) for the demonstration of what is proposed. He says that the hot comes to be responsible for growth in bodies by means of the digestion of nourishment and of the creation and coming to be of nourishment. For the is able to produce because it can naturally ‘draw in what is light’ and sweet from the moist which already has flavour, whilst at the same time ‘leaving behind what is salt and bitter because of its heaviness.’ Alexander (De sens. 79.23) claims that anathymiaseis, evaporations, are used by Aristotle to explain the separation of the sweet from the bitter in nutrition. Evaporation is not mentioned by Aristotle at 441 b 23–442 a 8, esp. 442 a 5–6: external heat does the making in cases when it happens outside bodies, but in animals and plants25 it is the heat in them. Alexander sees here anathymiasis, although Aristotle does not mention it. Its action is quite straightforward, in the sense that it is simply the action of heat on air

25

Plants have their “stomachs” outside themselves.

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and earth. If anything does remain obscure, it is the relation between the light and the sweet. For the light rises, whilst it is particularly the sweet which nourishes. The evidence for this view is largely the sweet rain rising from the salty sea. This does not explain what it means to say that the light is sweet. Are they different powers of the one stuff, sweetness only relating to things being nourished? There are reasons for rejecting this view, because of the generality of nutrition. For we then have a problem with plants, in that sweetness is a perceptible quality, which can presumably only act on perceivers. The question is then also how a perceptible quality can nourish; often Aristotle says that a mixture of tangibles is necessary to nourish – the point being that tangibles (hot, cold, wet, dry) are those (perceptible) bodies which make up (living) body. This is the matter serving nutrition (De an. II 4.416 b 23). This shows that the boundaries between the capacities of the soul co-operate in the living thing. In fact, in action, nutritive soul requires perception. This, of course, leaves plants in a precarious position, in that they do not perceive and so cannot be affected by the sweet, as such. Heat is connected here to the idea of pepsis (cooking or concoction), a process of separation, drawing in the sweet, which is also light, and leaving behind the bitter and heavy. The incorporation of material on nutrition into De gen. an. makes sense, as Alexander suggests, given that nutrition is intimately connected to growth and reproduction, the fundamental topics of the work. Notoriously, in De an. II 4 Aristotle also ascribes reproduction to the faculty for nutrition, a text which is mentioned by neither Aristotle nor Alexander at this juncture. Unfortunately, whilst the treatment of growth and wasting, i.e. change of quantity, in De gen. et corr. is long and detailed if very difficult,26 De gen. an. does not tell us very much about trophê.27 At the end of the explanation of flavour (χυμός, De sens. 4.441 b 15– 442 a 12) Aristotle discusses the way heat in living bodies and outside them works, namely in the same way. Alexander gives a long commentary (De sens. 79.23–80.14) on this passage in which he makes clear that in living things it is trophê that is being discussed here. It is the tastable that nourishes living things, more precisely the sweet. An illustration for the operation of the hot and cold is adduced by Alexander from the production of anathymiasis (Alex. De sens. 79.23–80. 11): Τοῦτο δὲ ὡς γνώριμον ἀπὸ τῶν ἀναθυμιάσεων λαμβάνει· οὕτω γὰρ αἱ ἀναθυμιάσεις γίνονται. τοῦτο δὴ οὖν ὃ ἐν τοῖς ἔξω σώμασι τὸ θερμὸν ὁρᾶται ποιοῦν, ποιεῖν φησιν αὐτὸ καὶ ἐν τῇ φύσει τῶν ζῴων τε καὶ φυτῶν, ἕλκειν 26 27

See Kupreeva, On mixture (as n. 5). See Connell, Sophia M., Aristotle on Female Animals. A Study of the Generation of Animals (Cambridge Classical Studies), Cambridge 2016, for the meagre pickings from De gen. an.

Alexander’s De Sensu – and Aristotle’s

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μὲν τὸ ἔνδον θερμὸν ἀπὸ τῆς τροφῆς τῆς ἐντεθείσης τὸ κοῦφον καὶ γλυκὺ καὶ προσκρίνειν, καταλείπειν δὲ τὸ βαρὺ τῷ εἶναι πικρόν τε καὶ ἁλμυρόν, ὅ ἐστι τὸ περίττωμα. εἰ γὰρ ταῦτα βαρέα ὄντα καὶ πικρὰ ὑπομένει, δῆλον ὡς τὸ κοῦφον καὶ ἐναντίον τούτοις γλυκύ. καὶ εἴη ἂν αἰτία τις καὶ αὕτη τοῦ τοῖς γλυκέσι τρέφεσθαι τὰ τρεφόμενα. ὅτι δὲ γλυκὺ τὸ ἀναφερόμενόν τε καὶ † τρέφον ὑπὸ τοῦ θερμοῦ καὶ οὐχ ἁπλῶς κοῦφον, ἀλλ’ ἔστι τὸ κοῦφον καὶ γλυκύ, δῆλον καὶ αὐτὸ ἐκ τῶν ἀναθυμιάσεων· πᾶν γὰρ τὸ ὄμβριον γλυκύ, καίτοι τοῦ πλείστου ἀπὸ τῆς θαλάσσης ἀτμιζομένου οὔσης ἁλμυρᾶς· εἴρηται δὲ περὶ τούτων ἐν τοῖς Μετεωρολογικοῖς. (Cf. Arist. Meteor. I 9.346 b 23– 347 a 8; De somn. 458 a 2; De part. an. II 7.652 b 6–653 a 8.) He takes this as understood from the case of vapours. For this is how vapours come about. And so he says that what the hot is seen to produce outside bodies it also produces in the nature of animals and plants (442 a 6–7), what is hot inside draws in from the nourishment that has been eaten what is light and sweet and assimilates it, and leaves what is heavy because it is bitter and salt, and this is the excretion. For, if these things which are heavy and bitter remain behind, it is clear that what is light and opposite to them is sweet. This would also be an explanation of the fact that things which are nourished are nourished by sweet things (442 a 8). It is also clear from the case of vapours that what travels upwards and is assimilated (proskrinomenon) by what is hot, is sweet and not simply light, but is that which is light and sweet. For all rain is sweet, even though most of it is vaporised from the sea which is salt. This has been discussed in the Meteorologica.28 (transl. Towey) The crucial point of this passage is that Alexander thinks that Aristotle takes over theses about anathymiasis in the Parv. nat. from the Meteor. Given the examples, this means that Alexander thinks that non-living natures are at work, as such, in living things. It may be true that the bottom line is the nature of the living thing. But living things incorporate non-living natures, hot and cold. The crucial coupling here is between bitter and heavy on the one hand and between sweet and light on the other. For the sweet is food, i.e. relative only to living things, whereas light and heavy, going along with hot and cold, also are non-living. Yet sweetness also belongs to rain, as opposed to the bitter sea.29 28 29

Meteor. II 3, Alex. In Meteor. 81.17–87.23. Further references to anathymiasis by Alexander in his commentary on Sens. include the following: on smell Alex. De sens. 38.5, 6, 8, 9, 39. 13, 40.10, smell consists of smoky vapour; 76.4, 6 flavour; 80.1, 9 he refers to the Meteor. for the process of evaporation producing rain from the sea (the salt is left behind, the sweet rises). Alex. De sens. 92.17, 21, 25, 26, 28 on De sens. 443 a 21: smell is explained as smoky vapour; see also 93.1, 2, 8, 10, 11, 16, 21, 23, 28. At 93.10 there is an argument against smell being anathymiasis

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What we see in Alexander’s De sens. is an integration of De sens. into the physiology of De an. and the materials science of Meteor. This is attractive in that it allows for the integration of sensation into the basic nutritive soul, but also into the wider, non-living cosmos.

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Alexander’s De Sensu – and Aristotle’s

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Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles Dae-Ho Cho

1. Vorbemerkungen Aristoteles’ Traktat De memoria et reminiscentia (im Folgenden: De mem.) bietet eine grundlegende Diskussion zahlreicher Phänomene, die heute noch für die Gedächtnislehre von zentraler Bedeutung sind. Diskutiert werden dort u. a. die Unterscheidung verschiedener Arten des Gedächtnisinhaltes, das Zeitbewusstsein, das das Gedächtnis begleitet, aber vor allem die strenge Unterscheidung zwischen μνήμη und ἀνάμνησις, die etwa derjenigen zwischen dem Gedächtnis als Informationsspeicher und der (Wieder-)Erinnerung als Abruf des gespeicherten Gedächtnisinhaltes entspricht.1 So bestimmt Aristoteles die μνήμη als den Besitz eines Vorstellungsgebildes (φάντασμα), das ein Abbild (εἰκών) einer früheren Erfahrung ist,2 die ἀνάμνησις dagegen als ein Wiedergewinnen des Inhaltes der μνήμη.3 In De mem. kommt es Aristoteles darauf an, für die beiden Phänomene zu klären, „was das jeweilige Phänomen ist, durch welche Ursache es entsteht und welchem Seelenteil es angehört.“ 4 Was die μνήμη bzw. das Gedächtnis betrifft, lässt sich seine Auffassung relativ klar umreißen. Aristoteles versucht die Entstehung des Gedächtnisses – in Anlehnung an Platon’s Analogie der Wachstafel 5 – durch gewisse Spuren zu erklären, die die aktuelle Wahrnehmung oder das Denken im körperlichen Aufnahmeorgan hinterlassen haben.6 Derartige Spuren bilden also

1 2 3 4 5 6

Eine Vorform dieser Unterscheidung findet sich bei Platon an folgenden Stellen: Tht. 191 C ff.; 197 D ff; Phlb. 34 A ff. Vgl. De mem. 1.451 a 14 ff.: τί μὲν οὖν ἐστι μνήμη καὶ τὸ μνημονεύειν, εἴρηται, ὅτι φαντάσματος, ὡς εἰκόνος οὗ φάντασμα, ἕξις […]. Vgl. De mem. 2.451 b 2 ff.: ἀλλ’ ὅταν ἀναλαμβάνῃ ἣν πρότερον εἶχεν ἐπιστήμην ἢ αἴσθησιν ἢ οὗ ποτε τὴν ἕξιν ἐλέγομεν μνήμην, τοῦτ’ ἐστὶ καὶ τότε τὸ ἀναμιμνήσκεσθαι τῶν εἰρημένων τι […]. Vgl. De mem. 1.449 b 4 ff.; 2.453 b 8 ff. Vgl. Pl., Tht. 191 C; 194 C. Vgl. De mem. 1.450 a 28 ff. Mit dem Ausdruck „in dem Körperteil, der die Seele enthält“ (ἐν […] τῷ μορίῳ τοῦ σώματος τῷ ἔχοντι αὐτήν) ist offenbar das Herz gemeint. Siehe z. B. Iuv. 3.469 a 5–12.

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Dae-Ho Cho

für Aristoteles die physische Grundlage für das Bewahren des Gedächtnisinhaltes in Form von Vorstellungsgebilden, die sich auf die Vergangenheit beziehen. So ordnet er das Gedächtnisvermögen dem im Zentralsinn liegenden primären Wahrnehmungsvermögen (πρῶτον αἰσθητικόν) zu, das ihm zufolge sowohl für die Vorstellung als auch für die Zeitwahrnehmung zuständig ist.7 Aristoteles ist der Auffassung, dass alle Tiere, die über dieses Vermögen verfügen, ein Gedächtnis besitzen.8 Nicht so leicht zu rekonstruieren ist dagegen seine Auffassung von der ἀνάμνησις bzw. der Erinnerung. Welchem Seelenteil sie angehört, bleibt offen, wie viele Interpreten bemängeln.9 Auch bezüglich ihrer Wesensbestimmung stellen sich weitere Fragen, und zwar in folgender Hinsicht: In De mem. 2 stellt Aristoteles eine bestimmte Form des Abrufs des Gedächtnisinhaltes in den Vordergrund, nämlich eine willentliche Erinnerung, von der behauptet wird, dass sie „eine Art Schlussfolgerung“ (συλλογισμός τις) oder „eine Art Suche“ (ζήτησίς τις) darstelle und nur dem Menschen eigen sei, da er allein überlegungsfähig (βουλευτικός) sei. Diese Art der Erinnerung habe also mit der zukunftsorientierten Überlegung einen syllogistischen Charakter gemeinsam. Dies sind die zentralen Thesen der Anamnesis-Lehre des Aristoteles, die besonders in De mem. 2.453 a 4 ff. hervorgehoben werden, und daraus wird zum einen deutlich, dass er dort denselben Begriff der ἀνάμνησις im Sinne hat, den er auch in Hist. an. I 1 vertritt, wo ebenfalls Überlegung (βούλευσις) und Erinnerung nur dem Menschen vorbehalten sind.10 Ungeklärt bleibt jedoch zum anderen, worin genau ihr syllogistischer Charakter besteht,11 und

7 8 9 10

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Vgl. De mem. 1.451 a 14 ff. Vgl. De mem. 1.449 b 28 ff. Vgl. D. K. W. Modrak, Aristotle. The Power of Perception, Chicago 1987, 92 f. Zu den verschiedenen Forschungsmeinungen zu dieser Frage siehe unten Anm. 20. So heißt es in Hist. an. I 1.488 b 24 ff.: βουλευτικὸν δὲ μόνον ἄνθρωπός ἐστι τῶν ζῴων. καὶ μνήμης μὲν καὶ διδαχῆς πολλὰ κοινωνεῖ, ἀναμιμνήσκεσθαι δ’ οὐδὲν ἄλλο δύναται πλὴν ἄνθρωπος. In seiner Rezension von Sorabjis Kommentar, Aristotle on Memory, hat R. G. Tanner auf die Wichtigkeit der Frage nach dem syllogistischen Charakter der ἀνάμνησις innerhalb der Aristotelischen Anamnesis-Lehre aufmerksam gemacht: „[…] Sorabji fails to emphasize the significance of the ‘sort of reasoning’ or ‘kind of syllogism’ at 453a10. To me this is the key to the whole treatise. […] I believe his aim in De Memoria was to exhibit recollection as a naturally syllogistic process.“ Vgl. R. G. Tanner, Review of R. Sorabji, Aristotle on Memory, Australasian Journal of Philosophy 51, 1973, 182 f. Aber wie der syllogistische Charakter der Erinnerung aufzufassen ist, ist – soweit ich weiß – von den Kommentatoren bisher nur sehr kursorisch behandelt worden. Vgl. R. Sorabji, Aristotle on Memory, Chicago (11972) 2006, 111 f.; R. A. H. King, Aristoteles. De memoria et reminiscentia, Berlin 2004, 54 f., 142 f.; D. Bloch, Aristotle on Memory and Recollection, Leiden/Boston 2007, 72 f. H. Lorenz geht jedoch etwas genauer auf diese Frage ein. Siehe ders., The Brute Within: Appetitive Desire in Plato and Aristotle, Oxford 2006, 169 f.

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wie der Abruf des Gedächtnisses bei den übrigen Tieren geschieht, wenn sie – wie Aristoteles behauptet – zu einer solchen syllogistischen Erinnerung nicht fähig sind. Im Folgenden soll auf diese miteinander verbundenen Fragen näher eingegangen werden, damit Aristoteles’ Lehre des Wesens der menschlichen Erinnerung und seine Auffassung der Differenz zwischen Mensch und Tier im jeweiligen Verhältnis zur Vergangenheit beleuchtet werden können.

2. Die Psychologie und Physiologie der ἀνάμνησις Aristoteles’ Verständnis der Erinnerung in De mem. 2 geht von einer Annahme aus, die in verschiedenen Kontexten seiner Naturphilosophie zur Geltung kommt: Die Erinnerung stelle sich ein, weil natürlicherweise auf eine Bewegung eine andere folge.12 Was diese Aussage auf der psychologischen Ebene besagt, lässt sich wohl anhand eines alltäglichen Beispiels erläutern: Auf einer Straße begegne ich einer Frau, deren Gesicht mir bekannt vorkommt. Ich weiß sofort, dass sie mir bekannt ist, ohne jedoch gleichzeitig zu wissen, wer sie ist und woher ich sie kenne. Bei der Suche nach der Antwort durchlebe ich eine schnelle Folge wechselnder Vorstellungsgebilde in mir. Ein solches typisches Beispiel für das, was man heute „episodisches Gedächtnis“ nennt, mag auch als Ausgangspunkt für das Verstehen des aristotelischen Gedankens gelten.13 Nach Aristoteles versucht man im eben genannten Fall über eine Reihe von Vorstellungsgebilden ein Vorstellungsgebilde zu finden, das an die gesuchte ursprüngliche Erfahrung wieder erinnert,14 und wenn dieser Versuch erfolgreich verläuft, dann nimmt man das letzte Vorstellungsgebilde nicht als etwas Selbständiges für sich wahr, sondern als etwas, das eine vergangene Erfahrung repräsentiert. Das Vorstellungsgebilde fungiert in diesem Fall – in den Worten des Aristoteles – als ein „Abbild” (εἰκών) für die Vergangenheit bzw. als ein μνημόνευμα.15 Aristoteles will jedoch mit Hilfe der Annahme einer Bewegungskette von Vorstellungsgebilden noch weit mehr ausdrücken. Der eben dargestellte psy12

13 14 15

Vgl. De mem. 2.451 b 10 f.: συμβαίνουσι δ’ αἱ ἀναμνήσεις ἐπειδὴ πέφυκεν ἡ κίνησις ἥδε γενέσθαι μετὰ τήνδε. Siehe auch 451 b 16 ff.; 452 a 10 ff. Vgl. auch Sorabji (wie Anm. 11) 93. C. M. Kelley/L. L. Jacoby, Recollection and Familiarity Process-Dissociation, in: E. Tulving/ F. I. M. Craik (Hrsg.), The Oxford Handbook of Memory, Oxford 2000, 215. Vgl. De mem. 2.451 a 5–8: ὁτὲ δὲ συμβαίνει ἐννοῆσαι καὶ ἀναμνησθῆναι ὅτι ἠκούσαμέν τι πρότερον ἢ εἴδομεν. τοῦτο δὲ συμβαίνει, ὅταν θεωρῶν ὡς αὐτὸ μεταβάλλῃ καὶ θεωρῇ ὡς ἄλλου. Vgl. De mem. 1.450 b 25 ff.: ᾗ μὲν οὖν καθ’ αὑτό, θεώρημα ἢ φάντασμά ἐστιν, ᾗ δ’ ἄλλου, οἷον εἰκὼν καὶ μνημόνευμα.

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chologische Vorgang ist für ihn nur eine Seite der Erinnerung, deren andere Seite im physiologischen Prozess besteht, der den repräsentationalen Bewegungen zugrunde liegt. Das heißt: Die Bewegungen auf der psychologischen Ebene haben ihren materiellen Grund in den physikalischen Bewegungen, die die aus früherer Erfahrung hinterlassenen Sinneseindrücke so reaktivieren, dass wieder eine Reihe von Vorstellungsgebilden ins Bewusstsein treten kann. In diesem Sinne bezeichnet Aristoteles die Erinnerung als „eine Suche nach einem Vorstellungsgebilde in etwas Körperlichem“ und er sagt: „Der Erinnernde und Fahndende bringt etwas Körperliches in Bewegung, in dem die (relevante) Affektion besteht.“ 16 Hieraus wird zunächst ersichtlich, dass die Erinnerung in zwei Hinsichten als eine Bewegungskette aufzufassen ist: psychologisch als Bewegungen der Vorstellungsgebilde, physiologisch als physikalische Bewegungen, die die im körperlichen Wahrnehmungszentrum gespeicherten Affektionen durchlaufen. In dieser Hinsicht gehört auch die Erinnerung, ebenso wie die anderen in den Parv. nat. behandelten seelischen Tätigkeiten, zu den psycho-physischen Phänomenen, die der Seele und dem Körper gemeinsam sind. Doch damit ist ein wichtiger Punkt noch nicht genannt, der im Zusammenhang mit der aristotelischen Anamnesis-Lehre von besonderer Bedeutung ist: der aktive Aspekt der Erinnerung, den Aristoteles dort mit dem Begriff der „Suche“ (ζήτησις) zum Ausdruck bringt. Dies ist für uns umso bemerkenswerter, als die eben dargestellte Bewegungskette, die den Erinnerungsvorgang ausmacht, auch ohne Suche rein assoziativ vor sich gehen kann, wie dies der Fall ist, wenn man z. B. beim Anblick des Simmias an seinen Freund Kebes denkt.17 Verglichen damit erweist sich der suchende Charakter der Erinnerung, oder anders gesagt: die Möglichkeit des Erinnernden zum aktiven Eingreifen in den Erinnerungsvorgang, als ein zusätzlicher Faktor, der nach Aristoteles für die menschliche Erinnerung charakteristisch und somit näher zu erklären ist.

3. De mem. 2.453 a 4–14: In welchem Sinne gilt die Erinnerung als συλλογισμός τις bzw. als ζήτησίς τις? Wenden wir uns nun, nach diesem kurzen einleitenden Überblick, dem für uns entscheidenden Abschnitt, De mem. 2.453 a 4–14, zu:

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Vgl. De mem. 2.453 a 14 ff.: ὅτι δ’ ἐστὶ σωματικόν τι τὸ πάθος, καὶ ἡ ἀνάμνησις ζήτησις ἐν τοιούτῳ φαντάσματος; 453 a 21 ff.: […] οὕτως καὶ ὁ ἀναμιμνησκόμενος καὶ θηρεύων σωματικόν τι κινεῖ, ἐν ᾧ τὸ πάθος. Vgl. Pl., Phd. 73 C ff.

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ὅτι μὲν οὖν οὐχ οἱ αὐτοὶ μνημονικοὶ καὶ ἀναμνηστικοί, ἐν τοῖς πρότερον εἴρηται. διαφέρει δὲ τοῦ μνημονεύειν τὸ ἀναμιμνήσκεσθαι οὐ μόνον κατὰ τὸν χρόνον, ἀλλ’ ὅτι τοῦ μὲν μνημονεύειν καὶ τῶν ἄλλων ζῴων μετέχει πολλά, τοῦ δ’ ἀναμιμνήσκεσθαι οὐδὲν ὡς εἰπεῖν τῶν γνωριζομένων ζῴων, πλὴν ἄνθρωπος. αἴτιον δ’ ὅτι τὸ ἀναμιμνήσκεσθαί ἐστιν οἷον συλλογισμός τις· ὅτι γὰρ πρότερον εἶδεν ἢ ἤκουσεν ἤ τι τοιοῦτον ἔπαθε, συλλογίζεται ὁ ἀναμιμνησκόμενος, καὶ ἔστιν οἷον ζήτησίς τις. τοῦτο δ’ οἷς καὶ τὸ βουλευτικὸν ὑπάρχει, φύσει μόνοις συμβέβηκεν· καὶ γὰρ τὸ βουλεύεσθαι συλλογισμός τίς ἐστιν. Dass nicht dieselben Menschen gutes Gedächtnis und gutes Erinnerungsvermögen besitzen, wurde früher gesagt. Das Sicherinnern unterscheidet sich vom Im-Gedächtnis-Haben nicht nur in Bezug auf die Zeit, sondern auch darin, dass sich das Im-Gedächtnis-Haben auch bei vielen anderen Lebewesen findet, das Sicherinnern hingegen sozusagen bei keinem der bekannten Lebewesen, außer beim Menschen. Der Grund ist, dass das Sicherinnern gleichsam eine Art Schlussfolgerung ist. Denn derjenige, der sich erinnert, kommt zu dem Schluss, dass er etwas früher gesehen, gehört oder sonst etwas Derartiges erfahren hat, und das ist wie eine Art Suche. Dies kommt von Natur aus nur denjenigen Lebewesen zu, die auch die Überlegungsfähigkeit besitzen. Denn das Überlegen ist ebenfalls eine Art Schlussfolgerung. Aristoteles will hier zwischen Gedächtnis und Erinnerung in zwei Hinsichten unterscheiden. Der erste Unterschied lässt sich leicht verstehen. Gemeint ist damit das zeitliche Verhältnis beim Auftreten beider Phänomene, nämlich die Tatsache, dass die Erinnerung, insofern sie ihrer Definition nach eine Wiedergewinnung des Gedächtnisinhaltes darstellt, dem Gedächtnis zeitlich nachgeht.18 Noch komplizierter und erklärungsbedürftig ist dagegen der zweite Unterschied zwischen Gedächtnis und Erinnerung. Zwar stellt Aristoteles klar fest, dass sich beide in ihrer Extensität streng voneinander unterscheiden, und diese anthropologische Differenz im Erinnerungsvermögen führt er darauf zurück, dass Erinnerung sowie Überlegung „eine Art Schlussfolgerung“ bzw. „eine Art Suche“ darstellen. Aber wie lassen sich vergangen-

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Natürlich kann dieses Zeitverhältnis auch umgekehrt sein. Denn „nach der erneuten Reaktivierung des ursprünglichen Vorstellungsbildes durch Erinnerung kann sich in der Folge Gedächtnis einstellen“, wie Wiesner formuliert. So heißt es in De mem. 2.451 b 2 ff.: ἀλλ’ ὅταν ἀναλαμβάνῃ ἣν πρότερον εἶχεν ἐπιστήμην ἢ αἴσθησιν ἢ οὗ ποτε τὴν ἕξιν ἐλέγομεν μνήμην, τοῦτ’ ἐστὶ καὶ τότε τὸ ἀναμιμνήσκεσθαι τῶν εἰρημένων τι, τὸ δὲ μνημονεύειν συμβαίνει καὶ μνήμην ἀκολουθεῖν. Zur Deutung dieses umstrittenen Satzes vgl. J. Wiesner, Aristoteles über das Wesen der Erinnerung. Eine Analyse von De memoria 2, 451a18–b10, in: Holzhausen et al. (Hrsg.), Psyche-Seele-anima. Festschrift für Karin Alt, Stuttgart 1998, 121–131.

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heitsbezogene Erinnerung und zukunftsorientierte Überlegung so vergleichen? Und worin besteht ihr syllogistischer Charakter, der sie exklusiv dem Menschen zu eigen macht? Das Zitat nimmt offenbar, soviel ist deutlich, auf die von Aristoteles in der E. N. entwickelten Gedanken zum Begriff der βούλευσις Bezug. In E. N. VI 2.1139 a 11 ff. u. a. setzt Aristoteles das Überlegen (βουλεύεσθαι) mit dem Schlussfolgern (λογίζεσθαι) gleich und ordnet den dafür zuständigen Seelenteil (τὸ λογιστικόν bzw. τὸ βουλευτικόν) – zusammen mit dem wissenschaftlichen (τὸ ἐπιστημονικόν) – dem vernünftigen Seelenvermögen zu, welches ihm zufolge dem Menschen eigentümlich ist. Liest man die zitierte Passage vor diesem Hintergrund, so erweist sich der Streit um die Frage, welchem Seelenteil die Erinnerung angehöre, als längst erledigt: Es steht außer Frage, dass Aristoteles die dem Menschen eigentümliche Erinnerung dem vernünftigen Seelenteil, bes. dem „abwägenden“ (λογιστικόν) Seelenteil, zugeschrieben wissen will,19 auch wenn sie, wie jede Art Denktätigkeit, auf Vorstellungsgebilde angewiesen ist. Weiterer Klärung bedarf allerdings, worin genau der syllogistische und suchende Charakter der Erinnerung besteht, und ob und inwieweit Aristoteles’ Ansicht zu rechtfertigen ist, wenn er den Tieren derartige Fähigkeiten abspricht. Untersuchen wir zuerst die Frage nach dem syllogistischen Charakter der Erinnerung. Zum Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage kann man wohl die Tatsache nehmen, dass Aristoteles in dem Zitat nicht einfach von συλλογισμός, sondern von συλλογισμός τις spricht. Denn schon dieser Ausdruck weist darauf hin, dass es hier nicht um den συλλογισμός im engen Sinne seiner Analytiken geht.20 Wie King richtig be19

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Diese Auffassung wird etwa auch von Annas und Bloch vertreten, siehe J. Annas, Aristotle on Memory and the Self, in: M. Nussbaum/A. Rorty (Hrsg.), Essays on Aristotle’s de Anima, Oxford 1992, 311 und D. Bloch (wie Anm. 11) 72. Dagegen scheint King im Anschluss an Thomas von Aquin die ἀνάμνησις dem Wahrnehmungsvermögen zuzuschreiben, siehe King (wie Anm. 11) 142 f. und Thomas Aquinas, In Aristotelis libros de sensu et sensato, de memoria et reminiscentia commentarium, hrsg. v. R. M. Spiazzi, Rom 1949, bes. §§ 400 ff. Zu einer ähnlichen Auffassung neigt auch Modrak (wie Anm. 11) 93. Vgl. An. pr. I 25.42 a 30 f. und Met. Δ 3.1014 b 2 f. Traditionell hat man meistens versucht, den syllogistischen Charakter der ἀνάμνησις anhand des Modells des συλλογισμός im engen Sinne der Analytiken zu verstehen. Dazu siehe u. a.: G. R. T. Ross, De sensu and De memoria. Text and Translation with Introduction and Commentary, Cambridge 1906, 270 und 284; J. I. Beare, Greek Theories of Elementary Cognition. From Alcmaeon to Aristotle, Oxford 1906, 323; W. D. Ross, Aristotle: Parva Naturalia. A revised Text with Introduction and Commentary, Oxford (11955) 2001, 252. Das Vorbild für eine solche Interpretation gibt Beare. Zu Recht versteht er unter der als συλλογισμός charakterisierten ἀνάμνησις „an inference from effect to cause – from the phantasma to its origin in past experience“, jedoch kennzeichnet er den syllogistischen Charakter der ἀνάμνησις wie folgt: „The major premiss in such inferences is that every phantasma of a certain sort is to be connected with, and explained by, a past experience. The minor is: this is such a phantasma. Having concluded

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merkt,21 denkt Aristoteles offenbar an eine weitere Bedeutung, wie etwa in Rhet. I 11.1371 b 9 f., wo das Wort συλλογισμός für einen mentalen Übergang von etwas Nachgeahmtem zu dessen Original verwendet wird.22 Aber um was für eine Art des Übergangs geht es genau bei der Erinnerung? Auf den ersten Blick scheint die Richtung zur Beantwortung dieser Frage in De mem. 2.451 b 18 ff. vorgegeben zu sein, wo Aristoteles von den sog. Assoziationsgesetzen spricht.23 Dort sagt er nämlich, wir suchten bei der Erinnerung den Zusammenhang und spürten ihm nach, indem wir im Denken vom gegenwärtigen Augenblick oder einem anderen bestimmten Punkt ausgingen, und zwar von einem Ähnlichen oder Entgegengesetzten oder Benachbarten, und er fügt hinzu: „Dadurch entsteht die Erinnerung.“ (διὰ τοῦτο γίγνεται ἡ ἀνάμνησις).24 Handelt es sich etwa bei der Erinnerung, insofern Aristoteles sie als eine Art Schlussfolgerung bezeichnet, um einen solchen assoziativen Übergang? Eine solche Interpretationsmöglichkeit scheidet als unhaltbar aus, wenn man die darauf folgenden Behauptungen des Aristoteles mit in Betracht zieht. Aus dem Text zu schließen ist nur, dass die eben genannte Assoziation einen wesentlichen Bestandteil der syllogistischen oder suchenden Erinnerung bildet, nicht aber, dass sie mit dieser gleichzusetzen wäre. Denn Aristoteles macht die Assoziationsgesetze auch für die spontane Erinnerung geltend, die ohne bewusste Suche „naturgemäß“ oder „gewohnheitsgemäß“ vollzogen wird, wie man den Bemerkungen in 451 b 22 ff. entnehmen kann: „Auf diese Weise also sucht man, aber auch wenn man eine Suche nicht veranstaltet, kommt man auf diese Weise zur Erinnerung, immer wenn nach einer anderen die betreffende Bewegung geschieht.“ 25 Das heißt, die Erinnerung entsteht,

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thus, he proceeds to seek for the experience from which the phantasma is derived – to trace the history of the phantasma and determine its date, or the circumstances when it first arose. This mental process belongs only to those who are capable of rational deliberation.“ (Unterstreichung von mir). Aber in De mem. 2 wird nicht der Denkvorgang vor der Suche nach einer betreffenden Vergangenheit, sondern die Suche selbst als συλλογισμός τις aufgefasst. Im Kommentar Beares findet man also – trotz seiner ansonsten sehr zutreffenden Interpretation von De mem. 2 – keine befriedigende Erklärung dafür, wie der Suchvorgang selbst als eine Art Schlussfolgerung zu bestimmen ist. Aristoteles’ Äußerungen dazu müssen nicht gewaltsam mit dem Modell des aus drei Termen bestehenden Syllogismos identifiziert werden. Vgl. King (wie Anm. 11) 142. Vgl. Rhet. I 11.1371 b 9 f. Zur Verwendung des Wortes συλλογισμός in einem solchen erweiterten Sinne siehe auch De an. III 11.434 a 11 und E. N. VI 12.1144 a 31. Siehe Sorabji (wie Anm. 11) 42 und King (wie Anm. 11) 142. Vgl. De mem. 2.451 b 18 ff.: διὸ καὶ τὸ ἐφεξῆς θηρεύομεν νοήσαντες ἀπὸ τοῦ νῦν ἢ ἄλλου τινός, καὶ ἀφ’ ὁμοίου ἢ ἐναντίου ἢ τοῦ σύνεγγυς. διὰ τοῦτο γίγνεται ἡ ἀνάμνησις. Vgl. De mem. 2.451 b 22–24: ζητοῦσι μὲν οὖν οὕτω, καὶ μὴ ζητοῦντες δ’ οὕτως ἀναμιμνήσκονται, ὅταν μεθ’ ἑτέραν κίνησιν ἐκείνη γένηται. Die meisten Interpreten ordnen das Wort οὕτως in dem Ausdruck μὴ ζητοῦντες δ’ οὕτως ἀναμιμνήσκονται dem Verb ἀναμιμνήσκονται zu. Aber es

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sei es durch Suche oder nicht, „auf diese Weise“, d. h. nach den Assoziationsgesetzen. So gilt es weiter zu fragen, worin dann die Eigentümlichkeit der syllogistischen und suchenden Erinnerung bestehen soll, die diese von einer solchen rein assoziativen Erinnerung unterscheidet. Diese Frage wird leider in De mem. von Aristoteles nicht ausführlich behandelt. Aber dies bedeutet nicht, dass sie bei ihm offenbleiben müsste. Es ist uns möglich, der Frage nachzugehen, indem wir die βούλευσις bzw. den Überlegungsvorgang zum Vergleich heranziehen, da deren Erläuterung bei Aristoteles viel detaillierter ist. Wie es u. a. in E. N. III 3.1112 b 11 ff. deutlich wird, versteht Aristoteles unter der βούλευσις einen Denkvorgang, bei dem man von einem vorgegebenen Ziel ausgehend ein dazu geeignetes Mittel sucht, und dabei vergleicht er diesen Prozess oft mit dem wissenschaftlichen Suchen, das in den An. post. behandelt wird. Der Vergleichspunkt liegt darin, dass es bei beiden Suchen um einen Übergang von Bekanntem zu Unbekanntem geht. Gesucht wird nämlich beim wissenschaftlichen Suchen die Ursache, die eine schon festgestellte Tatsache erklärt,26 bei der Überlegung dagegen das, was auf das vorgesetzte Ziel hinführt.27 Zu erwägen, wie (πῶς) und wodurch (διὰ τίνων) das vorhandene Ziel zu erreichen ist, bildet also den Ausgangspunkt für die Überlegung, wie Aristoteles am Beispiel des ärztlichen Denkens illustriert, das nicht fragt, ob man einen Kranken heilt oder nicht, sondern das „Wie“ des Heilens zum Inhalt hat. Wenn es zum Erreichen des Zieles nur ein einziges Mittel gäbe, dann wäre natürlich die Überlegung

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ist nicht ausgeschlossen, dass sich οὕτως auf das Partizip ζητοῦντες bezieht. In diesem Fall kann der Satz lauten: „Auf diese Weise also sucht man, aber auch wenn man nicht auf diese Weise sucht, kommt man immer dann zur Erinnerung, wenn nach einer anderen die betreffende Bewegung geschieht.“ Diese Lesart geht auf Michael zurück: οὕτω μὲν οὖν ζητοῦντες ἐκ τῶν ὁμοίων ἢ ἐναντίων ἢ τῶν σύνεγγυς ἀναμιμνῃσκόμεθα, ἀλλὰ καὶ οὕτω μὴ ζητοῦντες, τουτέστι μὴ ἐκ τῶν ὁμοίων μηδὲ ἐκ τῶν ἐναντίων μηδὲ τῶν σύνεγγυς, πολλάκις ἀναμιμνῄσκονται, ὅταν ἄλλην τινὰ κίνησιν κινηθέντες ἐκείνη γένηται. (ders., Commentaria in Aristotelis Parva Naturalia, in: Wendland [Hrsg.], Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. XXII, 1, Berlin 1903, 27, Zeile 9 ff.). Daran schließt sich auch Sorabji an, der den Satz übersetzt: „Sometimes, then, people search in this way. But also when they do not search in this way they recollect, whenever the change in question occurs after another one.“ Siehe Sorabji (wie Anm. 11) 99. Aber wie würde die Erinnerung aussehen, wenn sie nicht nach den Assoziationsgesetzen vor sich ginge? Es ist unwahrscheinlich, dass Aristoteles die Assoziationsgesetze nur für die suchende Erinnerung geltend machen will. Vgl. An. post. II 2.89 b 37 f.: ζητοῦμεν δέ, ὅταν μὲν ζητῶμεν τὸ ὅτι ἢ τὸ εἰ ἔστιν ἁπλῶς, ἆρ’ ἔστι μέσον αὐτοῦ ἢ οὐκ ἔστιν· ὅταν δὲ γνόντες ἢ τὸ ὅτι ἢ εἰ ἔστιν, ἢ τὸ ἐπὶ μέρους ἢ τὸ ἁπλῶς, πάλιν τὸ διὰ τί ζητῶμεν ἢ τὸ τί ἐστι, τότε ζητοῦμεν τί τὸ μέσον. Auf den Streit um die Bedeutung des Ausdrucks τὰ πρὸς τὰ τέλη möchte ich hier nicht näher eingehen. Für eine schöne Paraphrase des relevanten Textstücks verweise ich auf den Aufsatz von D. Frede, Aristoteles und der freie Wille, in: K. Crone et al. (Hrsg.), Über die Seele, Frankfurt a. M. 2010, bes. 40 ff.

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unnötig. Denn in diesem Fall würde es genügen, einfach das Mittel ohne Überlegung anzuwenden. Damit stellt sich ein Faktor für die Überlegung als entscheidend heraus: die Trennung von Ziel und Mittel, oder anders ausgedrückt die „Dissoziation“ von beiden.28 Ausgehend von dieser Trennung bzw. Dissoziation vollzieht sich die Überlegung vermittelst einer Reihe von Vorstellungsgebilden, bis man ein geeignetes Mittel findet, das hier und jetzt anzuwenden ist. Insofern ist die Tätigkeit der φαντασία als Vorstellungsvermögen für die Überlegung unentbehrlich. Denn die Handlungsmöglichkeiten, die bei dem Überlegungsvorgang in Erwägung gezogen werden, müssen in Form von Vorstellungsgebilden betrachtet werden. Bezüglich der Vorstellung aber, die auf diese Weise in die Überlegung mit einbezogen ist, vertritt Aristoteles eine differenzierte Auffassung, indem er sie von einer anderen Art der Vorstellung, nämlich der αἰσθητικὴ φαντασία, die schlicht von der Wahrnehmung herrührt, abgrenzt.29 Die folgende Beschreibung des Überlegungsvorgangs in De an. III 11.434 a 5 ff. basiert auf dieser Auffassung: ἡ μὲν οὖν αἰσθητικὴ φαντασία, ὥσπερ εἴρηται, καὶ ἐν τοῖς ἄλλοις ζῴοις ὑπάρχει, ἡ δὲ βουλευτικὴ ἐν τοῖς λογιστικοῖς (πότερον γὰρ πράξει τόδε ἢ τόδε, λογισμοῦ ἤδη ἐστὶν ἔργον· καὶ ἀνάγκη ἑνὶ μετρεῖν· τὸ μεῖζον γὰρ διώκει· ὥστε δύναται ἓν ἐκ πλειόνων φαντασμάτων ποιεῖν). καὶ αἴτιον τοῦτο τοῦ δόξαν μὴ δοκεῖν ἔχειν, ὅτι τὴν ἐκ συλλογισμοῦ οὐκ ἔχει, αὕτη δὲ ἐκείνην. διὸ τὸ βουλευτικὸν οὐκ ἔχει ἡ ὄρεξις· Die wahrnehmungsgemäße Vorstellung findet sich, wie gesagt, auch bei den anderen Lebewesen, während die überlegende denjenigen, die zur Abwägung fähig sind, zukommt. (Denn ob man dies oder das tun soll, ist schon die Leistung einer Schlussfolgerung, und man muss dabei mit einem einheitlichen Maßstab messen, denn man geht dem Größeren nach. Daher ist man dazu fähig, aus mehreren Vorstellungsgebilden eines zu machen). Und dies ist der Grund dafür, dass (die anderen Lebewesen) keine Meinung zu haben scheinen. Sie haben nämlich die aus einer Schlussfolgerung hervorgehende (Vorstellung) nicht, diese aber hat jene (Meinung). Deswegen hat (bei ihnen) die Strebung mit der Überlegungsfähigkeit nichts zu tun. Bei der Interpretation dieser Stelle konkurrieren viele Forschungsmeinungen miteinander.30 Für uns genügt es jedoch, auf die hier genannten Grundfunk28 29 30

Zutreffend macht Frede auf die Trennung von Ziel und Mittel als wesentlichen Bestandteil der Überlegung aufmerksam, siehe Frede (wie Anm. 27) 40 ff. Vgl. De mot. an. 8.702 a 19: […] φαντασία· αὕτη δὲ γίνεται ἢ διὰ νοήσεως ἢ δι’ αἰσθήσεως. M. Nussbaum, Aristotle’s De Motu Animalium, Princeton (11978) 1985, 263 f. Zur Paraphrase des ganzen Abschnittes vgl. R. Polansky, Aristotle’s De anima, Cambridge 2007, 530 f. und K. Corcilius, Streben und Bewegen, Berlin/New York 2008, 277 ff.

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tionen der Schlussfolgerung (λογισμός) aufmerksam zu machen. Es sind dabei zumindest drei Tätigkeiten als deren wesentliche Bestandteile zu unterscheiden: i) das Repräsentieren mehrerer Handlungsmöglichkeiten, ii) das Vergleichen und „Messen“, d. h. das Abwägen, der Alternativen, und schließlich iii) das Wählen einer davon. Zwar ist dabei die Bedeutung des Ausdrucks „aus mehreren Vorstellungsgebilden eines zu machen“ (ἓν ἐκ πλειόνων φαντασμάτων ποιεῖν) umstritten, aber der Kontext legt die Vermutung nahe, dass damit vor allem die Entscheidung (προαίρεσις) gemeint ist, die laut Aristoteles darin besteht, dass man eines dem anderen vorzieht.31 Diese Vermutung lässt sich jedenfalls mit den darauf folgenden Äußerungen über das Fehlen der Meinung (δόξα) bei den Tieren und über ihre bloße Strebung (ὄρεξις) ohne Überlegung sehr gut vereinbaren. Bekanntlich bezeichnet das Wort δόξα in der aristotelischen Psychologie die Meinung, die eine Überzeugung (πίστις) beinhaltet, die ihrerseits eine Begründung erfordert, warum etwas so und so ist, warum eines besser als anderes ist usw.32 Aristoteles ist der Ansicht, dass es ohne eine derartige Meinung auch keine προαίρεσις, d. h. keine durch die Überlegung getroffene Wahl, gibt, da diese die begründete Meinung voraussetzt, warum man dem einen vor dem anderen den Vorzug gibt. In diesem Sinne sagt er: „Die Entscheidung entsteht aus einer Meinung überlegenden Charakters“,33 und dasselbe besagt auch seine Aussage: „Die Entscheidung geht mit Logos und Denken einher.“ 34 Bei den Tieren aber, insofern sie das abwägende bzw. überlegende Seelenvermögen nicht besitzen, sind all diese kognitiven Tätigkeiten nicht vorhanden. Ihnen fehlt nämlich die aktive Fähigkeit, unter Verwendung von Vorstellungen eine Überlegung anzustellen, oder anders gesagt: Ihnen fehlt die Fähigkeit, mit Hilfe der Vorstellung eine begründete Meinung zu bilden35 und somit zu einer Wahl bzw. Entscheidung als „überlegende Strebung“ (βουλευτικὴ ὄρεξις) zu gelangen.36 Zur Verfügung steht ihnen nur die mit der Wahrnehmung verbundene Vorstellung, aber weder die λογιστικὴ bzw. βουλευτικὴ φαντασία, noch „die aus einer Schlussfolgerung hervorgehende (Vor-

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Vgl. E. E. II 10.1226 b 6ff.: ἡ γὰρ προαίρεσις αἵρεσις μὲν ἐστίν, οὐχ ἁπλῶς δέ, ἀλλ’ ἑτέρου πρὸ ἑτέρου. Zur Bezeichnung eines bei der Wahl bevorzugten Gegenstandes als μεῖζον vgl. E. N. I 7.1097 b 19 und V 3.1131 b 23. Vgl. De an. III 3.428 a 19 ff. Vgl. E. E. II 10.1226 b 9: ἐκ δόξης βουλευτικῆς ἐστιν ἡ προαίρεσις. Vgl. E. N. III 2.1112 a 15 f.: ἡ γὰρ προαίρεσις μετὰ λόγου καὶ διανοίας. In diesem Sinne spricht Aristoteles den Tieren „eine Meinungsbildung durch Schlussfolgerung“ (δοξάσαι διὰ λογισμοῦ) strikt ab. Vgl. E. E. II 10.1226 b 23 ff. In De an. scheint Aristoteles diese Behauptung ausgehend von der Unterscheidung zwischen den beiden Formen der Vorstellung zu begründen. Zu diesem Ausdruck siehe E. N. III 3. 1113 a 11.

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stellung)“. Diese Art Vorstellung und die damit verbundene Schlussfolgerung ist für Aristoteles nur dem Menschen vorbehalten, der allein befähigt ist, durch verschiedene logische Operationen an den Vorstellungsgebilden eine Suche nach den geeigneten Mitteln zu einem bestimmten Ziel durchzuführen. Pointiert formuliert: „Der Überlegende aber sucht etwas und macht eine Schlussfolgerung.“ 37 Der so beschaffene Überlegungsvorgang muss natürlich langsam vorangehen, und in dieser Hinsicht stellt Aristoteles die Überlegung, die „lange Zeit“ braucht, dem Erraten (εὐστοχία) gegenüber, das ohne Logos und schnell geschieht.38 Soweit die Erörterung der Überlegung und ihrer kognitiven Bestandteile. Wie steht es aber mit der Erinnerung als συλλογισμός τις? Und was passiert, wenn wir frühere Erlebnisse aus der Vergessenheit wieder in Erinnerung rufen wollen? Selbstverständlich vollzieht sich die Erinnerung in entgegengesetzter Zeitrichtung zur Überlegung: Während die Überlegung in Hinblick auf ein vorgestelltes Ziel nach dazu geeigneten Mitteln sucht, sucht die Erinnerung, von einem gegebenen Vorstellungsgebilde ausgehend, nach der damit verbundenen vergangenen Erfahrung. Aber trotz dieser entgegengesetzten Zeitrichtung hat die Erinnerung mit der Überlegung wesentliche Züge gemeinsam, die beide gleichermaßen zu einer Art Schlussfolgerung machen. Man denke an die oben genannte „Trennung“ von Ziel und Mittel, die sich zuvor als Ausgangspunkt für die Überlegung herausgestellt hat. Auch die Erinnerung setzt eine ähnliche Trennung voraus, also die Dissoziation von dem jetzt gegebenen Vorstellungsgebilde und der ursprünglichen Erfahrung, die von diesem Vorstellungsgebilde ausgehend gesucht werden soll. Falls man sich z. B. beim Anblick einer Leier direkt an deren Besitzer erinnert, so ist dies zwar eine Assoziation, aber keine willentliche Erinnerung. Die nicht-assoziative Erinnerung setzt nur dann ein, falls eine solche unmittelbare Assoziation nicht mehr möglich ist. Und auf eine derartige Dissoziation folgen bei der Erinnerung Kettenbewegungen an Vorstellungsgebilden entlang, bis sie endlich zu einem Vorstellungsgebilde gelangt, das die gesuchte Erfahrung vergegenwärtigen kann. Wie oben erwähnt, sagt Aristoteles einerseits, dass diese Bewegungen nach den Verhältnissen von Ähnlichkeit, Gegensatz

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E. N. VI 9.1142 b 14 f.: ὁ δὲ βουλευόμενος, ἐάν τε εὖ ἐάν τε καὶ κακῶς βουλεύηται, ζητεῖ τι καὶ λογίζεται. In diesen Zusammenhang fügen sich auch Aristoteles’ Äußerungen über die Melancholiker (μελαγχολικοί), die ihm zufolge bei der Überlegung große Schwierigkeit haben, weil sie der Vorstellung folgen, ohne den Logos abzuwarten. Siehe dazu E. N. VII 7.1150 b 25 ff.; De divin. 464 a 32 ff.; [Probl.] XI 38.903 b 19 ff. Dieser Gedanke kehrt auch in De mem. 2. wieder, was darauf hinweist, dass die Überlegung und die Erinnerung bei Aristoteles wesentlich ein und demselben Vermögen, nämlich dem λογιστικόν, angehören. Siehe unten Anm. 48.

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und Nähe ablaufen, aber andererseits schreibt er, dass sie entweder „naturgemäß“ oder „gewohnheitsgemäß“ verlaufen, ohne jedoch zu verdeutlichen, wie die beiden Aussagen zueinander stehen. Aber der Kontext lässt vermuten, dass er dabei im Sinne hat, dass die Assoziationsregeln, die die phantastischen Bewegungen steuern, sowohl auf dem naturgemäßen als auch auf dem gewohnheitsmäßigen Zusammenhang der Vorstellungsgebilde selbst beruhen. Denkt jemand z. B. beim Anblick des Gesichts des Kebes an seinen Freund Simmias, so geht dies darauf zurück, dass er daran gewöhnt ist, die beiden an demselben Ort zu sehen.39 Stellt man sich aber beim Anblick einer weißen Farbe Milch vor, so liegt diesem Übergang die natürliche Verwandtschaft zwischen der Milch und dem Weiß-Sein zugrunde.40 Wichtig ist jedenfalls, dass diese Bewegungen für die Erinnerung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung bilden. Denn sie geschehen, wie bereits gesagt, nicht nur bei der willentlichen, sondern auch bei einer naturgemäßen oder einer gewohnheitsmäßigen Erinnerung, bei der kein λογιστικόν beteiligt ist. Dies wäre der Fall, um noch ein Beispiel zu nennen, wenn man angeregt durch einen bestimmten Geruch sich an das wohlschmeckende Essen von vorgestern erinnert. In diesem Fall gibt es zwar eine Bewegungskette von Vorstellungsgebilden, aber noch keine bewusste Suche. Anders ist es bei der suchenden Erinnerung. Dabei gehen nämlich die assoziativen Bewegungen nicht derartig „spontan“ vor sich, sondern sie stehen unter Kontrolle der logischen Operationen, wie schon mit Blick auf De an. III 11.434 a 5–11 dargestellt wurde. Stellen wir uns noch einmal die oben erwähnte Situation vor, in der man angesichts einer Person die frühere Begegnung mit ihr in Erinnerung zu bringen versucht. Da fragt man sich zunächst, wer sie ist und wann ich sie getroffen habe, und bei der Suche nach der Erinnerung wird man mit vielen Vorstellungsgebilden konfrontiert, was natürlich auf die Tätigkeit des Vorstellungsvermögens zurückgeht. Zu erwägen jedoch, welches von ihnen tatsächlich zur gesuchten Vergangenheit führt, ist bereits die Funktion des λογιστικόν. Dafür gilt mutatis mutandis gerade das, was von dem Überlegungsvorgang gesagt wurde, nämlich dass, „ob man dies oder das tun soll, schon die Leistung einer Schlussfolgerung ist.“ Diese Art Erwägung wird bei der Erinnerung vor allem deswegen nötig sein, weil nicht jedes Vorstellungsgebilde, das bei dem Erinnerungsvorgang auftaucht, für die gesuchte Vergangenheit relevant ist. Wie Aristoteles in De mem. 2.452 b 4 ff. beobachtet,

39 40

Vgl. R. A. H. King, Aristotle and Plotinus on Memory, Berlin/New York 2009, n. 416. Um es mit einem Beispiel aus De an. III 7.431 b 5 f. zu sagen, wäre es naturgemäß, sich beim Sehen von Rauch an Feuer zu erinnern, aber es geht auf die Gewohnheit zurück, wenn man sich beim Anblick einer Fackel an die Ankunft der Feinde erinnert.

Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles

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könnte es nämlich vorkommen, „dass man, wenn es gilt, sich eines Namens zu entsinnen, einen ähnlichen Namen – wenn man einen kennt – statt jenen fehlerhaft verwendet.“ 41 Um derartige Fehler zu vermeiden und die Suche in die richtige Richtung zu lenken, bedarf man einer bewussten Anstrengung, vorgegebene Vorstellungsgebilde zu vergleichen und daraus das Richtige zu wählen, nämlich eines Denkprozesses, der dem Abwägen bei der Überlegung entspricht. Gelangt man auf diese Weise zu einem Urteil, dass dieses oder jenes Vorstellungsgebilde die gesuchte Vergangenheit repräsentiert, so handelt es sich hierbei nicht mehr um eine einfache Meinung, sondern um eine begründete Meinung,42 insofern man schon vorher eine Antwort darauf kennen muss, warum sich eben dieses oder jenes Vorstellungsgebilde auf die gesuchte Vergangenheit bezieht. Wenn ich so auf einer langen Suche schließlich zu dem Urteil komme, dass die Person, die auf der Straße an mir vorbei gegangen ist, eine alte Schulfreundin von vor 20 Jahren ist, dann geht es dabei um eine Art Schlussfolgerung, die in ihrem Vorgang mit dem Überlegungsvorgang vergleichbar ist. Mir scheint nichts anderes als diese Art Schlussfolgerung gemeint zu sein, wenn Aristoteles in De mem. 2.453 a 10 ff. von dem Erinnernden sagt, „dass er zu dem Schluss kommt, dass er etwas früher gesehen, gehört oder sonst etwas Derartiges erfahren hat.“ 43 Kann man die Überlegung als ein Suchen und Finden durch logische Operationen an Vorstellungsgebilden charakterisieren, so sind die daran beteiligten kognitiven Tätigkeiten, wie Dissoziation, Erwägung, Vergleichung, Begründung, Meinungsbildung usw., auch der suchenden Erinnerung wesentlich, die somit von Aristoteles als συλλογισμός τις bezeichnet wird.44

4. Andere Formen der ἀνάμνησις: die unwillentliche und die tierische Erinnerung Damit kommen wir nun auf die letzte Frage zu sprechen: Was kann man im Rahmen von De mem. zur Gedächtnistätigkeit bei den Tieren sagen? Lässt 41 42 43 44

Vgl. De mem. 2.452 b 4 ff. Aristoteles spricht von verschiedenen Irrtumsmöglichkeiten bei der Erinnerung. Siehe dazu z. B. De mem. 1.451 a 8 ff. und 2.452 b 29 ff. Vgl. E. E. II 10.1226 b 23 ff. Vgl. De mem. 2.453 a 10 ff.: ὅτι γὰρ πρότερον εἶδεν ἢ ἤκουσεν ἤ τι τοιοῦτον ἔπαθε, συλλογίζεται ὁ ἀναμιμνησκόμενος, καὶ ἔστιν οἷον ζήτησίς τις. Ganz in diesem Sinne vergleicht auch W. James die Erinnerung und die Überlegung miteinander. So fasst er das Bemühen, sich an vergessene Dinge zu erinnern, und das Suchen nach den Mitteln zu einem vorgegebenen Zweck gleichermaßen als „the voluntary quest of the unknown“ auf. Der einzige Unterschied liege nur darin, dass die letzteren noch nicht, aber die ersteren schon einen Bestandteil unserer Erfahrung bilden. Darüber hinaus stimmt seine Auffassung auch darin völlig mit der aristotelischen überein, dass er auch die wissen-

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Aristoteles keinen Raum für andere Formen der Erinnerung, die etwa ohne Suche rein assoziativ vor sich gehen? Sorabji denkt in der Tat, dass es in De mem. für eine andere Form der Erinnerung keinen Raum gebe.45 Doch seine Interpretation scheint mir eine unbegründete Verengung der Anamnesis-Lehre in De mem. zu sein. Denn dort finden sich viele Hinweise auf die unwillentliche oder widerwillige Erinnerung und deren verschiedene Merkmale, die man auch für die Gedächtnistätigkeit bei den Tieren geltend machen könnte. Zur Verdeutlichung seien hier kurz nur zwei Fälle genannt. Zuerst lässt sich an die emotionale Erregung denken, die in De mem. 2.453 a 26 ff. zur Sprache kommt. Dort beschreibt Aristoteles, wie die Erinnerung durch „Zorn“ (ὀργή) und „Furcht“ (φόβος) beeinflusst wird. Falls die Erinnerungen einmal in Bewegung seien, kämen sie, auch wenn man ihnen einen Widerstand entgegensetze, nicht sofort zum Stillstand, sondern bewegten sich in ihrer jeweiligen Richtung fort.46 Eine ähnliche Beobachtung begegnet auch in Insomn. 2.460 b 5 ff., wo von dem Feigling und dem Liebenden die Rede ist.47 Der Feigling glaube in der Angst auch bei nur geringer Ähnlichkeit überall die Feinde zu sehen, der Liebende dagegen sehe in der emotionalen Erregung überall den Geliebten. Hier liegen also Fälle vor, in denen die Erinnerung bzw. Assoziation unter dem Einfluss von Emotionen (πάθη) eher spontan zustande kommt, und zwar ohne bewusste Suche.48 Hinzu kommen noch die Gewohnheit (ἔθος) und der Charakter (ἦθος) als entscheidende Faktoren in derartigen unwillentlichen Erinnerungen. Wie gesagt, betont Aristoteles in De mem. immer wieder die Rolle der Gewohnheit in der Erinnerung. Als eine Art zweite Natur führe sie die Erinnerungsbewegung „in eine gewohnte Richtung“.49 Diese Beobachtung wird in der E. N. noch konkreter beschrieben, wo gezeigt wird, wie ethische Charaktere die Erinnerung beeinflussen, wie z. B. bei den Schlechten (μοχθηροί) oder bei den Unmäßigen (ἀκόλαστοι). Demnach suchen die Schlechten andere Menschen, mit denen sie die Tage verbringen können, aber sie fliehen sich selbst.

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schaftliche Bemühung, den Grund für ein intuitiv gefälltes Urteil anzugeben, mit der willentlichen Erinnerung und der Überlegung in eine Linie stellt. W. James, The Principles of Psychology, Vol. 1, New York 1890, bes. 584 f. Vgl. Sorabji (wie Anm. 11) 40. Vgl. De mem. 2.453 a 26 ff. Vgl. De insomn. 2.460 a 32 ff. Eine solche assoziative Erinnerung ist nach Aristoteles typisch für die Melancholiker. Wenn sie zur Erinnerung gelangen, so hänge dies nicht von einer willentlichen Suche ab, sondern von einer heftigen Bewegung der Vorstellung. So heißt es in De mem. 2.453 a 24 ff., wenn bei ihnen einmal diese Bewegung eintrete, dann höre diese nicht leicht auf, bis man auf das Gesuchte komme oder die Bewegung in gerader Richtung verläuft. Vgl. De mem. 2.452 a 26 ff.: ἐὰν οὖν διὰ πολλοῦ κινηθῇ, ἐπὶ τὸ συνηθέστερον κινεῖται· ὥσπερ γὰρ φύσις ἤδη τὸ ἔθος.

Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles

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Denn sie, so Aristoteles, „erinnern sich“ (ἀναμιμνήσκονται) an viele schlimme Dinge, wenn sie alleine für sich sind.50 Andererseits freuen sich die Unmäßigen am Geruch von Parfüm oder von Speisen, weil ihnen dadurch eine „Erinnerung“ (ἀνάμνησις) an die Gegenstände ihrer Begierde entsteht.51 Um es mit den Worten von De an. III 11 zu sagen: Hier liegen Fälle vor, in denen allein die αἰσθητικὴ φαντασία wirkt, die in ihrer eigenen Weise Erinnerungen an die Vergangenheit hervorruft. Im Unterschied zur suchenden Erinnerung werden dort die Gedächtnisspuren durch die Wahrnehmung direkt reaktiviert, ohne Beteiligung des λογιστικόν. Man kann schwerlich behaupten, dass Aristoteles in De mem. die Möglichkeit einer solchen unwillentlichen Erinnerung ausschließe. Wie die tierische Erinnerung im Zusammenhang mit der aristotelischen Anamnesis-Lehre in De mem. zu erklären ist, lässt sich aus dem Gesagten leicht verstehen. Wie jeder moderne Tierverhaltensforscher zögert auch Aristoteles nicht, den Tieren die Fähigkeit zuzuschreiben, vergangene Erfahrungen zu speichern, sie abzurufen und auf ihrer Grundlage etwas Neues zu lernen. Dass diese Fähigkeit auch den Tieren zukommt, ist eine der Grundüberzeugungen des Aristoteles, die in seinen vielen Schriften durchgängig, vor allem aber an der am Anfang erwähnten Stelle aus Hist. an. I 1 zum Ausdruck kommt. Wäre er anderer Meinung, so hätten seine vielfältigen Beobachtungen des klugen Verhaltens von Tieren in der Hist. an. keine psychologische Grundlage. In der Tat aber spricht bei Aristoteles nichts dagegen, die auf der Assoziation beruhende Erinnerung den Tieren zuzuschreiben und ihre Betätigung unter dem Einfluss der oben genannten Faktoren, wie z. B. Emotion, Gewohnheit, erworbener Charakter, zu erklären.52 So steht es völlig außer Frage, dass man im Sinne des Aristoteles annehmen kann, dass beispielsweise einem hungrigen Löwen, der früher einen Stier gefressen hat und nun beim Hören von gewissen Lauten sich an einen Stier erinnert, dasselbe widerfährt, wie dem Unmäßigen, der vom Geruch des Parfüms an die Gegenstände seiner Begierde erinnert wird, und dass derselbe physiologische Prozess den beiden Phänomenen zugrunde liegt. Aber diese Annahme widerspricht bei Aristoteles überhaupt nicht seiner Abgrenzung des Menschen von den anderen Tieren durch seine aktive Erinnerungsfähigkeit, insofern er eine genaue Unterscheidung zwischen der suchenden und der assoziativen Erinnerung vornimmt. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung zeigen die Tiere darin ihre wesentliche Grenze, dass sie den Erinnerungsvorgang weder durch

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Vgl. E. N. IX 4.1166 b 13 ff. Vgl. E. N. III 10.1118 a 10 ff. Zur Assoziation und der daraus resultierenden ἀνάμνησις siehe S. Herzberg, Wahrnehmung und Wissen bei Aristoteles, Berlin/New York 2011, bes. 160 ff.

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eine willentliche Bemühung initiieren, noch durch diejenigen logischen Operationen steuern können, die ausschließlich auf die Überlegungsfähigkeit zurückgehen. Dies rechtfertigt Aristoteles’ Stellungnahme, wenn er in Hist. an. I 1.488 b 24 ff. einerseits sagt, dass viele Tiere an Gedächtnis und Lernen teilhätten, aber andererseits allein dem Menschen die so definierte Erinnerungsfähigkeit zuschreibt.

5. Schluss Fassen wir zusammen. In De mem. 2 stellt Aristoteles die Konzeption der ἀνάμνησις als ζήτησίς τις bzw. συλλογισμός τις in den Vordergrund. Diese Art ἀνάμνησις oder Erinnerung ist nach ihm dem Menschen eigen, so dass er allein dazu befähigt ist, einen willentlichen und suchenden Zugang zur Vergangenheit zu haben. Darin sieht Aristoteles einen wesentlichen Unterschied des Menschen von allen anderen Lebewesen, die sich bestenfalls spontan und assoziativ an die Vergangenheit erinnern können. Es ist interessant, dass Aristoteles mit dieser Einsicht einen Kerngedanke der heutigen Lehre des episodischen Gedächtnisses antizipiert, die annimmt, dass diese Art des Gedächtnisses – als (wahrscheinlich) dem Menschen eigentümliches Vermögen – „mentale Zeitreisen durch die subjektive Zeit – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – erlaubt.“ 53 Doch Aristoteles’ Gedanken in De mem. 2 scheinen mir darüber hinaus auch im Zusammenhang mit seiner praktischen Philosophie große Beachtung zu verdienen, besonders mit seiner Handlungstheorie, wie dies deutlich wird, wenn man die bisher besprochene Verwandtschaft zwischen Überlegung und Erinnerung aus einer anderen Perspektive betrachtet. Grundannahme der aristotelischen Handlungstheorie ist der Gedanke, dass zwar auch die anderen Tiere sich freiwillig und zielgerichtet verhalten, aber allein der Mensch aufgrund der Überlegung zu einer Entscheidung kommen kann,54 wobei Aristoteles unter der Überlegung – wie oben bereits gesagt – einen abwägenden Umgang mit Vorstellungsgebilden versteht, die ihrerseits grundsätzlich auf die Vergangenheit des Überlegenden zurückgehen. Mit anderen Worten: Die Handlungsmöglichkeiten, die bei der Überlegung in Betracht kommen, werden aus der früheren Erfahrung abgerufen, die man im Gedächtnis behält. So behauptet Aristoteles, dass die praktische Weisheit (φρόνησις) als intellektuelle Tugend, „gut zu überlegen“ (τὸ εὖ βουλεύεσθαι),

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E. Tulving, Episodic Memory and Autonoesis. Uniquely Human? in: H. S. Terrace/J. Metcalf (Hrsg.), The Missing Link in Cognition. Origins of Self-Reflective Consciousness, Oxford 2005, 9. Vgl. E. N. III 2.1111 b 8 ff.; E. E. II 10.1226 b 13 ff.

Menschliche und tierische Erinnerung bei Aristoteles

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viel Erfahrung (ἐμπειρία) benötige,55 die ihrerseits in einer Akkumulation von Gedächtnisinhalten besteht.56 Seine Anamnesis-Lehre besagt nun, dass die Erfahrung beim Menschen auf eine andere Weise zur Erinnerung kommt als bei den Tieren, und sie liefert damit eine klare Erklärung dafür, aus welchem Grunde die auf die Zukunft hin planende Überlegung nach Aristoteles allein dem Menschen zugeschrieben wird. Nach Aristoteles’ Theorie ist die Möglichkeit, dass eine derartige Tätigkeit bei den übrigen Tieren geschieht, ausgeschlossen, weil ihnen eine notwendige kognitive Bedingung dafür fehlt, nämlich die Fähigkeit, willentlich und eventuell selektiv aus ihrer Erfahrung bestimmte Handlungsmöglichkeiten zurückzurufen. In diesem Sinne bildet Aristoteles’ Lehre von der ἀνάμνησις in De mem. 2 ein wichtiges Bindeglied zwischen seiner Psychologie und seiner Handlungstheorie und vermittelt zugleich eine wohlbegründete Auffassung eines wesentlichen Unterschieds zwischen Mensch und Tieren in ihrem jeweiligen Zugang zur Vergangenheit und Zukunft. Hier liegt uns eine andere Auffassung vor, als die von Darwin und seinen vielen Nachfolgern, die ohne begriffliche Differenzierung auch den Tieren „deliberation, choice, memory, imagination, the association of ideas, and reason“ 57 zuschreiben möchten.58

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Vgl. E. N. VI 7.1141 b 10 ff.; 8.1142 a 14 ff.; VI 11.1143 b 11 ff.; Rhet. III 16.1417 b 14 ff. Zum Verhältnis zwischen μνήμη und ἐμπειρία siehe An. post. II 19.100 a 3 ff. und Met. A 1.980 b 28 ff. C. Darwin, The Descent of Man (2. ed.) (Penguin Classics), London et al. 2004, 100. Der vorliegende Beitrag ist die erweiterte Fassung meines Vortrags, der am 01. 10. 2015 in Mainz auf der Tagung Aristoteles. Parva naturalia gehalten wurde. Für die Einladung und die großzügige Finanzierung meiner Reise bedanke ich mich herzlich bei dem Tagungsorganisator Herrn Prof. Dr. Jochen Althoff (Mainz) und der Karl und Gertrud Abel-Stiftung. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Christian Spahn (Keimyung/Daegu), der mein Manuskript durchgesehen hat.

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Darwin, C., The Descent of Man (2. ed.) (Penguin Classics), London et al. 2004. van der Eijk, P., Aristoteles über die Melancholie, Mnemosyne 43, 1990, 33–72. Frede, D., Aristoteles und der freie Wille, in: K. Crone et al. (Hrsg.), Über die Seele, Frankfurt a. M. 2010, 35–55. Kelley, C. M./Jacoby, L. L., Recollection and Familiarity. Process-Dissociation, in: E. Tulving/F. I. M. Craik (Hrsg.), The Oxford Handbook of Memory, Oxford 2000, 215–228. Herzberg, S., Wahrnehmung und Wissen bei Aristoteles, Berlin/New York 2011. James, W., The Principles of Psychology, Vol. 1, New York 1890. King, R. A. H., Aristoteles. De memoria et reminiscentia, Berlin 2004. King, R. A. H., Aristotle and Plotinus on Memory, Berlin-New York 2009. Lorenz, H., The Brute Within: Appetitive Desire in Plato and Aristotle, Oxford 2006. Michael Ephesius, Commentaria in Aristotelis Parva Naturalia, in: P. Wendland (Hrsg.), Commentaria in Aristotelem Graeca, Bd. XXII, 1, Berlin 1903. Modrak, D. K. W., Aristotle. The Power of Perception, Chicago 1987. Morel, P.-M., Mémoire et caractère. Aristote et l’histoire personnelle, in: A. Brancacci/G. Gigliotti (Hrsg.), Mémoire et Souvenir, Napoli 2006, 47–88. Nussbaum, M., Aristotle’s De Motu Animalium, Princeton (11978) 1985. Polansky, R., Aristotle’s De anima, Cambridge 2007. Ross, W. D., Aristotle: Parva Naturalia. A revised Text with Introduction and Commentary, Oxford (11955) 2001. Sorabji, R., Aristotle on Memory, Chicago (11972) 2006. Tanner, R. G., Review of R. Sorabji, Aristotle on Memory, Australasian Journal of Philosophy 51, 1973, 182 f. Thomas Aquinas, In Aristotelis libros de sensu et sensato, de memoria et reminiscentia commentarium, hrsg. v. R. M. Spiazzi, Rom 1949. Ross, G. R. T., De sensu and De memoria. Text and Translation with Introduction and Commentary, Cambridge 1906. Tulving, E., Episodic Memory and Autonoesis. Uniquely Human? in: H. S. Terrace/J. Metcalf (Hrsg.), The Missing Link in Cognition. Origins of Self-Reflective Consciousness, Oxford 2005, 3–56. Wiesner, J., Aristoteles über das Wesen der Erinnerung. Eine Analyse von De memoria 2, 451a18-b10, in: J. Holzhausen et al. (Hrsg.), Psyche-Seeleanima. Festschrift für Karin Alt, Stuttgart 1998, 121–131. Yntema, D. B./Trask, F. P., Recall as a Search Process, Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 2, 1963, 65–74.

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes (De long. vit., De iuv., De vit. et mort., De resp.) Maria Liatsi

Schon Homer beschreibt an vielen Stellen das Greisenalter, wenn diesem Tod und Schrecken des Hades drohen, mit den Epitheta der Trauer und Düsternis. Das Alter sei unerbittlich, grausig, hässlich und fürchterlich, heißt es im Hymnus an Aphrodite.1 Bei Hesiod erscheint es zusammen mit dem Tod als zu den Kindern der Nacht gehörend.2 Schlimmer noch als der Tod ist es in der frühen Dichtung im Allgemeinen geblieben,3 selbst dann, wenn – wie bei Solon beispielsweise – das Alter und der Tod gemäß der Physis als notwendige Stufen begriffen werden und der Tod zu der Ordnung des Seins dazugehört.4 Auch da verliert er nur wenig von seinen Schrecken, selbst dann, wenn versucht wird, die Düsternis der Homerischen Altersvorstellung abzumildern, so wenn zum Beispiel Platon den alten Kephalos als einen Mann schildert, der mit seinem Alter ausgesöhnt ist und einen gerechten Richter im Hades erwartet.5 Von solchen poetischen Ausgestaltungen der Altersvorstellung und der Todeserwartung sind die Versuche zu unterscheiden, die schon bald im Umfeld der Medizin, Naturwissenschaft und Naturphilosophie unternommen

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Hymnus Veneris, 218 ff., bes. 244–246: νῦν δέ σε μὲν τάχα γῆρας ὁμοίιον ἀμφικαλύψει / νηλειές, τό τʼ ἔπειτα παρίσταται ἀνθρώποισιν, / οὐλόμενον καματηρόν, ὅ τε στυγέουσι θεοί περ. Vgl. G. Wöhrle, Der alte Mensch im Spiegel der antiken Medizin, in: E. Hermann-Otto (Hrsg.), Die Kultur des Alterns von der Antike bis zur Gegenwart, St. Ingbert 2004, 19– 31. Siehe ferner H. Brandt, Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike, München 2002. Hesiod, Theogonia, 212 f. Siehe z. B. Mimnermos, fr. 4 West: Τιθωνῶι μὲν ἔδωκεν ἔχειν κακὸν ἄφθιτον )…* / γῆρας, ὃ καὶ θανάτου ῥίγιον ἀργαλέου. Vgl. Solon, fr. 27 West, 17–18: τὴν δεκάτην δʼ εἴ τις τελέσας κατὰ μέτρον ἵκοιτο, / οὐκ ἂν ἄωρος ἐὼν μοῖραν ἔχοι θανάτου. Platon, Resp., 330 D ff.

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wurden,6 um den Phänomenen von Alter und Tod kausal erkennend näherzukommen. Eben dazu gehört auch die Phänomenologie von Alter und Tod, wie sie uns in den Parv. nat. des Aristoteles überliefert ist: eine Phänomenbeschreibung von Alter und Tod, die gemäß ihrer Methode recht eigentlich eine Physiologie ist, eine Naturlehre der Alterserscheinungen und des Erscheinungsbildes des Sterbens und des toten Körpers des Gestorbenen. In der Schrift De iuv., De vit. et mort. und De resp.7 sind die wesentlichen Gesichtspunkte: das Herz als Quelle der Lebenswärme; die Atmung; die Nahrungsaufnahme; die abkühlende Funktion der Atmung; die verschiedenen Arten des Todes (Auszehrung und Erschöpfung sowie gewaltsamer Tod) und viele andere Erscheinungsweisen des Organismus. Im vierten Kapitel von De iuv. führt Aristoteles aus, dass zur Erhaltung des Lebens die natürliche Wärme des Körpers gehört, da sonst der Tod unausbleiblich ist.8 Den Faktor der Lebenswärme erwähnt Aristoteles im vierten Kapitel von De iuv. zum ersten Mal innerhalb der Parv. nat., und er bleibt dort ein durchgehendes Thema und Motiv.9 Lebenswärme ist charakteristisch für Lebewesen: sie begleitet sie, während sie leben, und wenn sie sterben,

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Siehe Parmenides, 28 A 46 a D.-K.: γῆρας γίνεσθαι παρὰ τὴν τοῦ θερμοῦ ὑπόλειψιν. Der Gedanke der Verminderung der Wärme durch die Zeit im Alter findet sich auch im Corp. Hipp., z. B. Aphorismi I 14 (IV 466 L.), De morb. sacr. 9 (VI 378 L.), De vict. 1, 34 (VI 512 L.). Bei Heraklit ist der Tod ein Teil des Lebenszyklus, bzw. Lebendes und Totes und auch Junges und Altes (νέον καὶ γηραιόν) ist ein und dasselbe (22 B 88 D.-K.) und die Seele vergeht, wenn sie nicht genug vom Feuchten hat, von dem sie sich ernährt (22 B 77 D.-K.). Vgl. E. Hussey, Heraclitus on Living and Dying, Monist 74, 1991, 517–530. Bei Empedokles gibt es nicht wirklich den Tod, so wie auch nicht die Geburt, sondern nur Mischung und Austausch der Elemente (31 B 8 D.-K.: μίξις τε διάλλαξίς τε μιγέντων). Ob die Schrift De resp. eine selbstständige Abhandlung ist oder ob sie eben einen Teil der Schrift De iuv. darstellt, ist ein immer noch umstrittenes Thema. De iuv. 4.469 b 6 ff., bes. 6–9: πάντα δὲ τὰ μόρια καὶ πᾶν τὸ σῶμα τῶν ζῴων ἔχει τινὰ σύμφυτον θερμότητα φυσικήν· διὸ ζῶντα μὲν φαίνεται θερμά, τελευτῶντα δὲ καὶ στερισκόμενα τοῦ ζῆν τοὐναντίον. Vgl. 5.470 a 5–7: δῆλον τοίνυν ὡς εἴπερ δεῖ σῴζεσθαι τὸ θερμόν (τοῦτο δʼ ἀναγκαῖον, εἴπερ μέλλει ζῆν), δεῖ γίνεσθαί τινα τοῦ θερμοῦ τοῦ ἐν τῇ ἀρχῇ κατάψυξιν. Vgl. auch De resp. 17.478 b 31–479 a 1: πᾶσι μὲν οὖν ἡ φθορὰ γίνεται διὰ θερμοῦ τινος ἔκλειψιν, τοῖς δὲ τελείοις, ἐν ᾧ τῆς οὐσίας ἡ ἀρχή. αὕτη δʼ ἐστὶν, ὥσπερ εἴρηται πρότερον, ἐν ᾧ τό τε ἄνω καὶ τὸ κάτω συνάπτει, τοῖς μὲν φυτοῖς μέσον βλαστοῦ καὶ ῥίζης, τῶν δὲ ζῴων τοῖς μὲν ἐναίμοις ἡ καρδία, τοῖς δʼ ἀναίμοις τὸ ἀνάλογον. Kullmann differenziert treffend bei Aristoteles vier Arten der Erklärung der Rolle der Wärme bei den verschiedenen physiologischen Lebensprozessen, die „alle einander ähnlich, aber nicht gleich“ sind. Die Stellen in den Parv. nat. betrachtet er als sehr viel stärker reduktionistisch, inspiriert von vorgegebenen Theorien bestimmter Mediziner und Vorsokratiker. Siehe hierzu W. Kullmann, Aristoteles als Naturwissenschaftler, Boston/Berlin/München 2014, 212 ff. Vgl. dens., Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen, übersetzt und erläutert, in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. v. H. Flashar, Bd. 17/I, Berlin 2007, 561 ff.

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes 175 werden sie kalt. Sterben (τελευτᾶν) führt zur Privation (στέρησις) des Lebensprozesses und schließlich zu dem Zustand, der das Gegenteil von Wärme ist, nämlich zur Kälte, zum Kaltsein. Der Anfang der Stufe der Kälte im Körper ist der Anfang der Stufe der Privation seines Lebens. Der Tod tritt ein, wenn die Wärme schwindet.10 Der Verfall (φθορά) ist der Wechsel (μεταβολή) einer bestimmten Substanz (οὐσία) in eine andere, der Wechsel von etwas bestimmtem Seienden (ὄν) in ein dieses Bestimmte nicht Seiendes (μὴ ὄν).11 Das bedeutet: das Nichtsein von etwas Bestimmtem ist nicht identisch mit einem Zustand der Nichtexistenz, sondern diese Differenz zwischen Nichtsein und Sein ist eine Differenz in der Substanz, weil aus dem Verfall etwas Anderes entsteht, als es vor dem Verfall gewesen ist. Im fünften Kapitel von De iuv. werden zwei Arten des Todes unterschieden, und zwar in Analogie zu der Vernichtung, wie sie beim Feuer vor sich geht. Die Vernichtung des Feuers kann auf zwei Weisen erfolgen, entweder durch das Erlöschen (μάρανσις), die Vertilgung seiner selbst (φθορὰ ὑφʼ αὑτοῦ), oder durch das Auslöschen (σβέσις), d. h. wenn das Feuer erstickt wird durch Gegenkräfte. In beiden Fällen ist die gemeinsame Ursache für das Ende des Feuers der Mangel an Stoff für die Erzeugung von Wärme, das heißt für die Ernährung des Feuers;12 während der Auslöschung erlangt schließlich früher oder später das Gegenteil der Wärme, die Kälte, die Oberhand.13 Die Auslöschung erfolgt dann, wenn die Eigenschaft der Kälte (ψυχρότης) die Eigenschaft der Wärme beherrscht und besiegt und auslöscht.14 Die Kraft der Kälte charakterisiert die Elemente von Wasser und Erde, so dass diese als die Gegenkräfte zum Feuer fungieren.15 Aristoteles vertritt die Auffassung, dass die Ursache dieser Art von Verfall und Zersetzung (Verwesung) durch die Wirkung des Gegensatzes sich nicht nur auf die Ebene elementarer Kräfte bezieht, sondern auch für jedes Lebewesen gültig ist (De resp. 14.474 b 17–19). Mit dieser Logik der Gegensätze, der Kontrarietät, erklärt Aristoteles auch das Zustandekommen von Krankheiten, die den Organismus affizieren. 10

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De iuv. 4.469 b 18–20: ἀνάγκη τοίνυν ἅμα τό τε ζῆν ὑπάρχειν καὶ τὴν τοῦ θερμοῦ τούτου σωτηρίαν, καὶ τὸν καλούμενον θάνατον εἶναι τὴν τούτου φθοράν. Vgl. De part. an. II 2.648 b 2–6. De gen. an. II 5.741 b 23 f.: ἔστι γὰρ ἡ μὲν γένεσις ἐκ τοῦ μὴ ὄντος εἰς τὸ ὄν, ἡ δὲ φθορὰ ἐκ τοῦ ὄντος πάλιν εἰς τὸ μὴ ὄν. De iuv. 5.469 b 21–26: ἀλλὰ μὴν πυρός γε δύο ὁρῶμεν φθοράς, μάρανσίν τε καὶ σβέσιν. καλοῦμεν δὲ τὴν μὲν ὑφʼ αὑτοῦ μάρανσιν, τὴν δʼ ὑπὸ τῶν ἐναντίων σβέσιν, [τὴν μὲν γήρᾳ, τὴν δὲ βίαιον], συμβαίνει δʼ ἀμφοτέρας διὰ ταὐτὸ γίνεσθαι τὰς φθοράς· ὑπολειπούσης γὰρ τῆς τροφῆς, οὐ δυναμένου λαμβάνειν τοῦ θερμοῦ τὴν τροφήν, φθορὰ γίνεται τοῦ πυρός. Siehe De resp. 14.474 b 13–16: φθορὰ δὲ πυρός, ὥσπερ εἴρηται πρότερον, σβέσις καὶ μάρανσις, σβέσις μὲν ἡ ὑπὸ τῶν ἐναντίων (διόπερ ἀθρόον τε ὑπὸ τῆς τοῦ περιέχοντος ψυχρότητος καὶ θᾶττον σβέννυται διασπώμενον […]). Vgl. Meteor. IV 1.379 a 11 f. Vgl. De gen. et corr. II 3.330 b 30–331 a 6.

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Das erste Anzeichen der Erkrankung des Körpers sei das Aufhören der Ernährungsfunktion.16 Der Körper altert dann vorzeitig und vorschnell, weil er weniger Nahrung in seine Teile (μόρια) transportiert, während er stattdessen mehr Rückstände (περιττώματα) hervorbringt.17 Der Mangel an Nahrung veranlasst die Organe zu Fehlverhalten und Dysfunktion und macht sie verwundbar für die Wirkung von Gegenkräften. Das ist der Grund, warum sich eine Krankheit oft im Alter einstellt und zum Alter dazukommt.18 Als besonders gefährlich werden solche Krankheiten betrachtet, die das wichtigste Organ des Abkühlungsmechanismus affizieren, nämlich die Lunge, deren Überreizung bzw. Überanstrengung schließlich zu ihrem vollständigen Versagen führen kann (De resp. 17.479 a 23–28). Aber man findet bei Aristoteles keine detaillierten Beschreibungen der Symptome, die körperliche Schmerzen und das Leiden vor der Zeit des Eintritts des Todes betreffen. Dieses Fehlen kann vielleicht seine Erklärung darin finden, dass Aristoteles für die Zukunft eine generelle Abhandlung über Gesundheit und Krankheit plante.19 Wir wissen es nicht. Was wir in den überlieferten Texten beobachten können, ist seine Gewohnheit, mit den Begriffen der Symmetrie und des Gleichgewichtes, wie

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Siehe De gen. an. V 4.784 a 34–b 1: δεῖ δὲ νοῆσαι τὴν εἰς ἕκαστον μόριον ἀφικνουμένην τροφὴν ὅτι πέττει μὲν ἡ οἰκεία θερμότης, ἀδυνατούσης δὲ φθείρεται καὶ πήρωσις γίνεται ἢ νόσος (zur Kommentierung der Stelle vgl. M. Liatsi, Aristoteles, De generatione animalium, Buch V. Einleitung und Kommentar, Trier 2000, 159 f.). Zur Bedeutung der Wärme bei Aristoteles siehe J. Althoff, Das Konzept der generativen Wärme bei Aristoteles, Hermes 120, 1992, 181–193. Vgl. ders., Warm, kalt, flüssig und fest bei Aristoteles. Die Elementarqualitäten in den zoologischen Schriften, Stuttgart 1992, passim. Siehe De long. vit. 5.466 b 4–9, wo die Rede davon ist, dass erhöhte sexuelle Aktivität das Alter beschleunigt, da der Samen ein περίττωμα ist, der bei seiner Ausscheidung trocknend wirkt; vgl. De gen. an. II 6.745 a 11–15; vgl. auch De gen. an. V 4.784 b 25–32. Der Samen entsteht aus dem περίττωμα der nützlichen und letzten Nahrung bzw. des Blutes (De part. an. II 1.647 b 5), das Träger der Herzwärme ist (De gen. an. I 18.726 a 26). Der Geschlechtsakt ist eine Ausscheidung reiner und natürlicher Wärme, weil der Samen Träger dieser Wärme ist. Je häufiger man Geschlechtsverkehr hat, umso größer der Mangel an warmer Feuchtigkeit, deren graduelle Verminderung den Vorgang des Alterns hervorruft. Vgl. Liatsi (wie Anm. 16), 152 f. Vgl. De gen. an. V 4.784 b 32 f.: τὴν μὲν νόσον γῆρας ἐπίκτητον, τὸ δὲ γῆρας νόσον φυσικήν· ποιοῦσι γοῦν νόσοι τινὲς ταὐτὰ ἅπερ καὶ τὸ γῆρας. Vgl. G. Strohmaier, Al-Farabi über die verschollene Aristoteles-Schrift Über Gesundheit und Krankheit und über die Stellung der Medizin im System der Wissenschaften, in: J. Irmscher/R. Müller (Hrsg.), Aristoteles als Wissenschaftstheoretiker, Berlin 1983, 186–189. In der Forschung wird immer mehr anerkannt, dass die Wechselbeziehungen zwischen dem aristotelischen Denken und der antiken Medizin sehr groß sind. Siehe hierzu z. B. Ph. J. van der Eijk, Aristoteles, Aristotelismus und antike Medizin, in: C. Brockmann/W. Brunschön/ O. Overwien (Hrsg.), Antike Medizin im Schnittpunkt von Natur- und Geisteswissenschaften, Berlin/New York 2009, 213 ff. mit Hinweisen auf ältere Sekundärliteratur zu diesem Thema.

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes 177 exemplarisch bei dem Gegensatzpaar von warm und kalt, zu operieren. So beschreibt er die Ursache einer Krankheit im Kontext des Gleichgewichtes der Lebenswärme bzw. er sieht die Hauptursache einer Krankheit im Mangel an natürlicher Wärme.20 Schmerz, das Gegenteil von Wohlbefinden, wird verstanden als die Ursache der Privation eines vorhergehenden Zustandes der Gesundheit.21 Er wird untersucht nicht nur in Bezug auf denjenigen Teil, der von dem Schmerz affiziert ist, sondern auch im Zusammenhang mit dem umgebenden Bereich.22 Dabei wird gelegentlich auch ein körperlicher Zustand zunehmender Trockenheit registriert, der dem vorzeitigen Alter eigen ist.23 Eine grundsätzliche Art des Verfalls, der zum Tode führt, wird, wie gesagt, die Erschöpfung (μάρανσις) genannt. Während der Erschöpfung passiert der Wärmeabfall sehr schnell wegen der starken Akkumulation von Hitze in Verbindung mit der mangelhaften Kühlung des Körpers (De iuv. 5.469 b 27–29). Obwohl die tiefere Ursache der Erschöpfung eine Fehlfunktion des Kühlungsmechanismus ist, erfolgt der Verfall dann, wenn sich eine große Quantität von Hitze im Herzen akkumuliert. Die Vermehrung der Hitze setzt voraus, dass die Kraft der Wärme sehr schnell die vorhandene Nahrung verbraucht, und das Ergebnis davon ist, dass die Wärme sich selbst verzehrt (De iuv. 5.469 b 29–470 a 5). Aristoteles’ Begriff der Erschöpfung wird komplettiert, wie bereits erwähnt, durch den Vergleich mit dem Feuer: Die beständige Unterhaltung des Feuers durch Brennstoff, durch Brennmaterial, veranschaulicht die beständige Ernährung des Organismus mit natürlicher Wärme. Das Feuer erlischt dann, wenn das Zentrum der Flamme aufhört, die Quelle der Verbrennung zu sein. Bis zur schließlichen Erschöpfung ist die Gegenwart der Wärme im Körper ununterbrochen. Wenn der Körper gesund ist, beginnt mit der Nahrungsaufnahme jener Mechanismus, der letztlich das mit Nahrung angereicherte Blut in die Adern verteilt. Das Blut wird über den ganzen Körper verteilt, indem es nach oben hin durch das Gehirn abgekühlt wird und gleichzeitig die Organe des Körpers mit Nahrung versorgt, ein Prozess, der der Erschöpfung unterliegt.

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Vgl. De gen. an. V 4.784 a 31–784 b 1, wo Aristoteles ausführt, dass auch das altersbedingte Grauwerden des Haares (πολιότης) durch einen Mangel an Wärme verursacht wird. D. h. die körpereigene Wärme reicht nicht mehr aus, eine vollständige Verkochung (πέψις) der Nahrung zu gewährleisten, so dass diese dem Körper zugeführte Nahrung zugrunde geht. Das Ergebnis davon sei Verstümmelung oder Krankheit. Die graue Haarfarbe wird nun von Aristoteles als eine Krankheit des Haars betrachtet (hierzu vgl. Liatsi [wie Anm. 16] 158 ff.) Siehe ferner E. N. II 2.1104 a 11–19; Rhet. I 4.1361 b 3 ff. Vgl. Phys. II 3.195 a 8–10; Met. Δ 2.1013 b 9 f. Siehe De part. an. IV 10.690 b 4 f.; vgl. De gen. an. V 4.784 b 27 f. Vgl. De long. vit. 5.466 b 12–14.

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Das gilt insonderheit für die Lebenszeit des Alters. Der natürliche Verfall des Organismus im Alter führt zur Erschöpfung.24 Alter ist ein natürlicher Abschnitt des Lebens, eine Lebensstufe, auf der der Organismus verwundbar wird.25 Der Faktor Zeit hat den biologischen Kühlmechanismus abgeschwächt, und die Lebenswärme ist nicht mehr ausreichend im Gleichgewicht. Die Lebenswärme, die vitale Wärme, nimmt ab, da es keine andere Nahrungszufuhr gibt als die beschriebene, und die natürliche Feuchtigkeit des Organismus wird im Laufe der Zeit geringer.26 Dass das Alter mit einer Verminderung der Wärme und folglich auch der Feuchtigkeit zusammenhängt, ist ein durchgängiger Gedanke bei Aristoteles. Das Alter und das Tote seien kalt und trocken, während das Lebewesen und sein Leben von Natur aus feucht und warm sind.27 Dieser Auffassung des Aristoteles, dass beim Alter ein Austrocknungsprozess stattfindet, hat sich später auch der berühmte Arzt der Spätantike Galen angeschlossen, ausdrücklich in seiner Schrift Περὶ μαρασμοῦ.28 Diese Feststellung gilt in gewisser Weise auch noch in der heutigen Medizin, gemäß der ein Großteil der alten Menschen buchstäblich vertrocknet und deshalb stirbt, weil sie zu wenig Flüssigkeit zu sich nehmen. Der Faktor Zeit beeinflusst auf die Dauer alle Funktionen aller Organe und beschädigt sie unvermeidlich und unaufhaltsam.29 Unter diesen Umständen erscheint der Tod natürlich, wenn die Ursache eine innere Ursache ist.30 Allerdings ist anzumerken, dass Aristoteles im Allgemeinen nicht die besonderen Ursachen der Fehlfunktion von Organen behandelt, außer in Bezug auf die Lunge.31 In Bezug auf sie sagt Aristoteles, dass sie sich im Laufe der Zeit verhärtet, hart und trocken wird, und dadurch ihre Funktionsfähigkeit sich im Laufe der Jahre verringert (De resp. 17.479 a 10–14). Mit der Zeit wird dieser Schaden größer und führt schließlich zum Erlöschen des natürlichen

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Siehe De iuv. 5.469 b 23, wo das Alter als Beispiel für die μάρανσις der Wärme angeführt wird. Vgl. [Probl]. XX 1.955 a 9 f.: τὸ μὲν γὰρ γῆρας μαραίνει τὸ θερμόν. Vgl. De gen. an. I 18.725 b 21 ff. Siehe De gen. an. V 3.783 b 6–8: ξηραίνεται γάρ, (sc. τὸ δέρμα) καὶ τὸ γῆράς ἐστι κατὰ τοὔνομα γεηρὸν διὰ τὸ ἀπολείπειν τὸ θερμὸν καὶ μετʼ αὐτοῦ τὸ ὑγρόν. Vgl. V 4.784 a 32–34: καὶ γὰρ ἡλικία πᾶσα ῥέπει ἀποκλίνοντος τοῦ σώματος, καὶ ἐν τῷ γήρᾳ, ἐπὶ ψύξιν· τὸ γὰρ γῆρας ψυχρὸν καὶ ξηρόν ἐστιν. Siehe De long. vit. 5.466 a 18–20: τὸ δὲ γῆρας ξηρὸν καὶ ψυχρόν, καὶ τὸ τεθνηκός; vgl. 466 b 14; De resp. 17.478 b 28; siehe ferner [Probl]. III 26.875 a 15: τὸ δὲ γῆρας ψυχρόν. Siehe auch De long. vit. 5.466 b 21–22: τῆς τε γὰρ αὐξήσεως ἡ θερμὴ ὑγρότης αἰτία καὶ τῆς ζωῆς. Siehe De marcore 1 (VII 666 Kühn). Vgl. De temperamentis 2, 2 (I 581–582 Kühn). Vgl. S. Byl, La gérontologie de Galien, History and Philosophy of the Life Sciences 10, 1988, 73–92. Vgl. auch R. King, Aristotle on Life and Death, London 2001, 84–86. De resp. 17.478 b 24–26: κατὰ φύσιν δʼ ὅταν (ἡ ἀρχή) ἐν αὐτῷ. Vgl. auch King (wie Anm. 29) 132–134.

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes 179 Feuers. Wenn es soweit ist, kann schon, wie Aristoteles bemerkt, eine geringfügige Erkrankung zum Tode führen, nämlich durch Überbelastung der geschwächten Lunge (De resp. 17.479 a 15–18). Auch eine äußere Ursache (ἔξωθεν) wie die Umgebung, die Umwelt, in der ein Lebewesen lebt, kann von Einfluss auf die Lebenskraft sein. An wärmeren Orten leben Lebewesen länger,32 weil die äußere Wärme die innere aufrechterhält, indem sie ein Absinken ausgleicht (De resp. 14.477 b 16 f.). Aber sogar die Lebewesen, die an demselben Ort leben, werden nicht immer in der gleichen Weise von ihrer Umwelt affiziert, weil jeder Organismus sogar derselben Art von Lebewesen eine eigene und von anderen verschiedene Wirkungsweise hat. Auch die Ortsbewegung der Lebewesen von einem Ort zum anderen kann eine negative Auswirkung auf ihre Lebensdauer haben.33 Der Zustand fehlender Widerstandsfähigkeit, der in hohem Alter zum Tod führt, veranlasst Aristoteles zu der beruhigenden Anmerkung, dass der Tod selbst kein heftiges Leiden verursacht.34 In diesem Fall führt der Primat der inneren Kälte über die Körperwärme, die sich erschöpft hat, zum Tod. Sogar wenn dabei eine kleine Krankheit auftritt, ist doch nicht diese die Hauptursache des Todes, sondern bloß der Anlass für den endgültigen Schwund der Körperwärme. Der Tod, der als Folge hohen Alters kommt, sollte nach Aristoteles eigentlich von den Menschen ohne Sorge und ohne Trauer betrachtet werden.35 Denn diese Sorge beruht lediglich auf der Furcht vor dem Verlust des Lebens.36 Nach der Auffassung des Aristoteles kommt der Verfall, der vom Alter herrührt, aus der Vollendung, der Erschöpfung, und unterscheidet sich von jeder Art des gewaltsamen Todes (De resp. 18.479 a 33 ff.). Die natürliche Erschöpfung, die τελειότης, ist das Faktum der völligen Auszehrung aller natürlichen Kräfte durch die Länge der Zeit (διὰ μῆκος χρόνου).37 Die Länge 32

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Siehe De long. vit. 1.465 a 9–12: (τὰ μὲν γὰρ ἐν τοῖς θερμοῖς τῶν ἐθνῶν μακροβιώτερα, τὰ δʼ ἐν τοῖς ψυχροῖς βραχυβιώτερα), καὶ τῶν τὸν αὐτὸν δὲ τόπον οἰκούντων διαφέρουσιν ὁμοίως τινὲς ταύτην τὴν πρὸς ἀλλήλους διαφοράν. Vgl. De long. vit. 3.465 b 27–29. Vgl. auch Platon, der den natürlichen Tod im Alter für völlig schmerzlos hielt und sogar eher mit Lust verbunden (Tim. 81 E 1–5: […] καὶ θάνατος δὴ κατὰ ταὐτὰ ὁ μὲν κατὰ νόσους καὶ ὑπὸ τραυμάτων γιγνόμενος ἀλγεινὸς καὶ βίαιος, ὁ δὲ μετὰ γήρως ἰὼν ἐπὶ τέλος κατὰ φύσιν ἀπονώτατος τῶν θανάτων καὶ μᾶλλον μεθʼ ἡδονῆς γιγνόμενος ἢ λύπης). Siehe De resp. 17.479 a 20–23: διὸ καὶ ἄλυπός ἐστιν ὁ ἐν τῷ γήρᾳ θάνατος. οὐδενὸς γὰρ βιαίου πάθους αὐτοῖς συμβαίνοντος τελευτῶσιν, ἀλλʼ ἀναίσθητος ἡ τῆς ψυχῆς ἀπόλυσις γίνεται παντελῶς. Siehe E. E. III 1.1229 a 33-b 1; E. N. III 12.1117 b 7 ff. De resp. 18.479 b 2. Zum Ausdruck vgl. E. N. X 7.1177 b 24 f. Die Zeit ist φθορᾶς αἴτιος καθʼ ἑαυτὸν (Phys. IV 12.221 a 30-b 2); vgl. W. D. Ross, Aristotle’s Physics, Oxford 1936, 389.

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der Lebenszeit ermöglicht die qualitative Unterscheidung der Lebensstufen, die ein Lebewesen durchläuft und bei Aristoteles vor allem bestimmt wird durch die ernährende Seele und die Körperwärme, die vom Herzen ausgeht.38 Das Herz ist das Zentralorgan aller Sinne und auch Sitz der Gefühle und der die physiologischen Vorgänge bestimmenden Lebenskraft (des Pneuma).39 Vom Augenblick der Entstehung an hat der Fötus Teil an der Lebenswärme und wird deswegen als ein Lebewesen betrachtet. Von diesem Augenblick an beginnt auch die Bildung der Teile des Embryos, deren Formation und Funktion nur unter der Bedingung der Lebenswärme erfolgen können. Das Lebensalter der Jugend ist charakterisiert durch das Wachstum und die vollständige Ausformung der Lunge, während das Alter dadurch gekennzeichnet ist, dass eben dieses Organ anfängt, sich zu verschlechtern und zurückzubilden. Der Übergang zwischen Jugend und Alter, also die Periode, während der die Lunge ihre Funktion optimal erfüllt, d. h. indem sie ihren Zweck erfüllt, indem sie die Lebenswärme ausreichend kühlt, heißt die Zeit der Reife, die Blütezeit (ἀκμή) (De resp. 18.479 a 30–32).40 Diese Entwicklungsphasen entsprechen den Prinzipien der Natur und gehören zum typischen Kreislauf der Natur dazu: also Entstehung, Jugend, Blütezeit, Alter und Tod. Und alles, was diesen Ablauf des Lebens hindert, führt den Organismus zu einem vorzeitigen Tod.41 Der Tod, ob gewaltsam oder natürlich, ist das unvermeidliche Schicksal jedes Lebewesens. Sobald der Tod eintritt, hört das Lebewesen auf zu existieren. Folglich wird der Tod betrachtet als die letzte Etappe des Lebens, wenn es nicht gewaltsam zu Ende kommt. Das Individuum beginnt mit der Entstehung (γένεσις), setzt sich durch Wachstum und Blütezeit fort, und findet schließlich seine Vollendung im Tod. Aber der Begriff des Todes ist weiter, weil gemäß der aristotelischen Anschauung Tod so viel heißt wie Nicht-Leben (μὴ ζωή) und das dem Leben Entgegengesetzte. Als solches kann er so lange dauern, wie das Leben nicht existiert, also unbegrenzt. So stellt sich die Fra-

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Das Herz ist nach Aristoteles der Ursprung der Blutgefäße und des Blutes (De part. an. II 1.647 b 4–7; vgl. III 4.665 b 14–16.). Es sei auch das Hauptorgan des Körpers, da es zentral gelagert sei (Hist. an. I 17.496 a 4–19). Vgl. C. R. S. Harris, The Heart and the Vascular System in Ancient Greek Medicine. From Alcmaeon to Galen, Oxford 1973. Vgl. De somn. 2.455 b 34–456 a 24 und De part. an. II 1.647 a 24–31. Siehe ferner De part. an. III 4.667 b 10–12, wo der Herzstillstand als Ursache des Todes betrachtet wird. Vgl. Ph. J. van der Eijk, The heart, the brain, the blood and the pneuma: Hippocrates, Diocles and Aristotle on the location of cognitive processes, in: ders., Medicine and Philosophy in Classical Antiquity, Cambridge 2005, 119–135. Zur Thematik vgl. R. King, The concept of life and the life-cycle in De iuventute, in: S. Föllinger (Hrsg.), Was ist ‚Leben‘?, Stuttgart 2010, 171–187. Solon fr. 27 West; Aristoteles, Pol. VII 17.1336 b 40–1337 a 1. Vgl. R. Garland, The Greek Way of Life, London 1990; King (wie Anm. 29) 10–16, 130–135.

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes 181 ge, in welcher Weise wir berechtigt sind, den Tod als eine Lebens-Stufe zu behandeln, vorausgesetzt, dass der Tod, als dem Leben entgegengesetzt, die Privation des Lebens ist. Bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage in den Schriften des Aristoteles begegnen uns mehrere begriffliche Aspekte desselben Wortes „Tod“.42 Eine nähere Prüfung der Kontexte lässt erkennen, dass Aristoteles’ Denken in diesem Punkt mit zeitgenössischen Ansichten übereinstimmt. Es lassen sich in diesem Zusammenhang mehrere Beispiele zitieren, die verschiedene Auffassungen des Todes anzeigen: 1) Thanatos als von einem Lebenden befürchteter Zustand (= ante mortem Zustand; z. B. E. E. II 1.1229 b 3 f.; E. N. III 12.1117 b 10–13), 2) Thanatos als Zustand vor dem Tod oder Moment des Todes (= ante mortem oder Moment des Todes; z. B. E. E. III 1.1229 b 32 f.), 3) Thanatos als Moment des Todes (z. B. De resp. 4.472 a 11–14; E. N. III 9.1115 a 9–11; E. N. III 12.1117 b 7 f.; E. N. III 11.1116 b 20–22), 4) Thanatos als der Anfang eines nicht definierten Zustandes (z. B. E. N. III 9.1115 a 26 f.; De part. an. II 2.648 b 2–5), 5) Thanatos in der Bedeutung, die alle diese Einzelbedeutungen (1–4) umfasst (z. B. E. N. III 9.1115 a 33 f.). Der Zustand ante mortem betrifft ein Wesen, das noch lebt, aber aufgrund eines biologischen Ungleichgewichtes mit Sicherheit im Übergang zum Sterben ist. Dieses noch lebende Wesen bewahrt noch seine Form (μορφή, εἶδος) und sein Herz funktioniert noch, wenn auch noch so unvollkommen. Die Herzfunktion beeinflusst die Ernährungsfunktion, auch dann noch, wenn diese nicht mehr alle Teile des Körpers erreicht. Auch die Fähigkeit eines Lebewesens, wahrzunehmen, hängt ab von der Dauer des ante mortem-Zustandes. Solange die Hauptempfindung des Berührens existiert, solange das Wesen also am Leben ist, solange ist es fähig, auch Schmerz zu empfinden, auch dann, wenn es den Tod schon erwartet. Besonders diejenigen Wesen mit der größten Ausstattung mit Gütern des Lebens beklagen den Verlust und die Beraubung derselben am meisten, wenn es zum Tod kommt. Die Art und Weise, wie das menschliche Wesen diese Qualen erträgt, spiegelt seine moralische Verfassung am besten wider. Seine Seele als die Einheit seiner Teile wohnt noch in dem Körper.

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Für anregende Gespräche zu diesem Thema danke ich meiner Schülerin, Frau Dr. Giouli Korobili. Meine Ausführungen zu den verschiedenen Auffassungen des Todes haben sehr davon profitiert. Vgl. jezt G. Korobili, Aristotle. On Youth and Old Age, on Life and Death, and on Respiration. With Translation 1–6, Introduction and Interpretation (Diss. Ioannina), erscheint 2021.

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Wenn der Tod genau den Moment des Todes markiert, also damit identisch ist, verweist er auf die Trennung der Seele vom Körper.43 In diesem Augenblick hören alle Funktionen auf, tätig zu sein. Die Atmung stoppt, und das verursacht das Aufhören des Gleichgewichtes der Kräfte und das Aufhören der natürlichen Wärme. Das Ausbleiben der Nahrung wirkt sich auf alle Teile des Körpers aus, und die Folge davon ist die Inaktivität dieser Teile. Mit der Abkühlung der Lebenswärme löst sich auch die Seele vom Körper. Was an der Stelle des Körpers übrigbleibt, ist die Leiche. Jede Ähnlichkeit zwischen dem Vorhergehenden und dem Übrigbleibenden ist καθʼ ὁμωνυμίαν.44 Der Unterschied zwischen dem lebendigen und dem toten Körper liegt in der Fähigkeit bzw. Unfähigkeit, die biologischen Funktionen auszuüben. Deshalb kann derjenige, der einen Körper beobachtet, nicht deshalb auf dessen Zustand schließen, weil er die Anwesenheit oder Abwesenheit seiner Seele feststellt, sondern nur weil er die klinische Kondition des Körpers beurteilt.45 In diesem Zusammenhang ist es in den Texten immer auch nützlich, den Gebrauch des Wortes σῶμα zu berücksichtigen. Was auf den Tod folgt, ist unbestimmt, weil jede mögliche Erklärung dieses Zustandes nur im Vergleich mit innerweltlichen Vorkommnissen möglich ist, wie zum Beispiel die Eigenschaft des Glücklichseins, der εὐδαιμονία, als eine Eigenschaft des Totseins, oder das Gegenteil davon. Die Anwendung des Begriffs der εὐδαιμονία auf den Toten ist bei Aristoteles schon deswegen problematisch, weil Aristoteles die εὐδαιμονία als eine Aktivität, als ἐνέργεια, im Kontext der Arete definiert (E. N. I 13.1102 a 5 f.), aber im Zustand post mortem eine Aktivität nicht stattfinden kann.46 Der Tod als das, was auf das Leben folgt, ist eine Grenze (πέρας). In diesem Sinne ist der Tod ein Übel, ein κακόν, denn er ist die Privation alles dessen, was im Leben gut ist.47 Offensichtlich ist hier die Bestimmung κακόν eine Qualität, die sich auf den Körper bezieht, nicht auf die Seele. Was mit der Seele passiert nach dem Tod des Körpers, ist unbekannt. Nach Aristoteles vergeht zumindest der höchste Teil der Seele, die Vernunftseele, der nous, nicht, wenn wir den Bezeugungen in De an. folgen.48 Faktum aber ist, dass der Körper im Zustand des Todes 43 44 45 46

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‚Trennung‘ freilich nicht im platonischen Sinne, sondern im Sinne der Loslösung der Seele vom Körper bzw. des Löschens des Lebensprinzips. Zum Prinzip der ὁμωνυμία siehe De gen. et corr. I 5.321 b 29–32; De gen. an. I 19.726 b 22–24, II 1.734 b 24–27, 5.741 a 10–13. Vgl. S. Mansion, Soul and Life in De anima, in: G. E. R. Lloyd/G. E. L. Owen (Hrsg.), Aristotle on Mind and the Senses, Cambridge 1978, 1–20, bes. 2 ff. Vgl. ferner K. Pritzl, Aristotle and Happiness after Death: Nicomachean Ethics 1.10–11, Classical Philology 78.2, 1983, 101–111 und P. W. Gooch, Aristotle and the Happy Dead, Classical Philology 78.2, 1983, 112–116. Vgl. King (wie Anm. 29) 14, 144. Siehe z. B. De an. I 4.408 b 15–25: τοῦτο δὲ μὴ ὡς ἐν ἐκείνῇ (sc. τῇ ψυχῇ) τῆς κινήσεως οὔσης, ἀλλʼ ὁτὲ μὲν μέχρι ἐκείνης, ὁτὲ δʼ ἀπʼ ἐκείνης, οἷον ἡ μὲν αἴσθησις ἀπὸ τωνδί, ἡ δʼ ἀνάμνησις

Elemente der aristotelischen Physiologie des Alters und des Todes 183 nicht mehr das Werk der Seele verrichtet. Andererseits, wenn Erfahrung der Seele und dem Körper gemeinsam ist, dann erhebt sich die Frage, wie die Seele von dem Tod des Körpers affiziert wird bzw. ob sie davon affiziert wird oder ob sie dafür unempfindlich ist. Der höchste Teil der Seele (der nous) jedenfalls – so legt es die Darstellung in De an. nahe – sollte vom Tode unbeeinflusst sein. Unabhängig von dieser Physiologie des Todes gibt es aber in der klassischen griechischen Philosophie Spekulationen über Formen und Arten der Unsterblichkeit der Seele, aber auch der Unsterblichkeit des irdischen menschlichen Lebens in Gestalt der Nachkommen oder in Gestalt des Ruhmes in der Nachwelt. Aber das ist eine andere Geschichte, eine sogar sehr interessante weitere Geschichte, die auch die religiöse Dimension der menschlichen Existenz betrifft, das heißt die Welt des Glaubens und des Mythos. Nach allem, was wir aus den Texten des Aristoteles wissen, hat sich Aristoteles bei der Diskussion über die Transzendenz der Existenz der Seele zurückgehalten und von allen Philosophen der klassischen Zeit sich damit am wenigsten beschäftigt, weil ihm trotz aller Fähigkeit zur Abstraktion und auch zur Spekulation die Welt der Erfahrung und der Beobachtung näherstand. Ganz unabhängig von dem speziellen Thema, über das ich hier referiert habe, erhebt sich in Bezug auf Aristoteles als Denker die übergeordnete Frage, wie das Verhältnis der im engeren Sinne naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise und der im engeren Sinne philosophischen Betrachtungsweise, die seiner ersten Philosophie zugrunde liegt, näherhin und genau zu bestimmen ist. Wir beobachten seit einiger Zeit eine auffällige Zunahme der Anzahl von Forschungsarbeiten über die naturwissenschaftlichen Themen und Schriften des Aristoteles, die die grundsätzliche Frage unabweisbar macht, ob das primäre Erkenntnisinteresse des Aristoteles ein in seinem Sinne naturwissenschaftliches oder ein in seinem Sinne philosophisches ist. War Aristoteles Naturwissenschaftler oder war er Philosoph?49 Auch die Behandlung der Phänomene des Alters und des Todes, wie ich sie in meiner Darstellung der aristotelischen Physiologie von Alter und Tod vorgenommen habe, darf uns nicht vergessen machen, dass wir bei Aristote-

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ἀπʼ ἐκείνης ἐπὶ τὰς ἐν τοῖς αἰσθητηρίοις κινήσεις ἢ μονάς. ὁ δὲ νοῦς ἔοικεν ἐγγίνεσθαι οὐσία τις οὖσα, καὶ οὐ φθείρεσθαι. μάλιστα γὰρ ἐφθείρετʼ ἂν ὑπὸ τῆς ἐν τῷ γήρᾳ ἀμαυρώσεως, νῦν δʼ ἴσως ὅπερ ἐπὶ τῶν αἰσθητηρίων συμβαίνει· εἰ γὰρ λάβοι ὁ πρεσβύτης ὄμμα τοιονδί, βλέποι ἂν ὥσπερ καὶ ὁ νέος. ὥστε τὸ γῆρας οὐ τῷ τὴν ψυχήν τι πεπονθέναι, ἀλλʼ ἐν ᾧ, καθάπερ ἐν μέθαις καὶ νόσοις. καὶ τὸ νοεῖν δὴ καὶ τὸ θεωρεῖν μαραίνεται ἄλλου τινὸς ἔσω φθειρομένου, αὐτὸ δὲ ἀπαθές ἐστιν; vgl. De an. III 5.430 a 10–25. Dazu vgl. R. Polansky, Aristotle’s De anima, Cambridge 2007, 112–117 und 458–472. Vgl. ferner Met. Λ 7.1072 b 22–24. Zu dieser Problematik siehe jetzt sehr gründlich Kullmann, Aristoteles als Naturwissenschaftler (wie Anm. 9).

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les auch Stellen finden, an denen er sich mit seinen Gedanken über den Tod über die physiologische Betrachtung hinaus gewissermaßen anschließt an die traditionellen Spekulationen über Tod und Unsterblichkeit,50 wie sie uns in der Tradition des griechischen Denkens in Dichtung und Philosophie von früh an begegnet, inbesondere bei Platon. Auch dieser Antagonismus von physiologischer und philosophischer Sicht auf die Phänomene Alter und Tod offenbart einen methodischen Dualismus, der nach wie vor in der modernen Aristotelesforschung auf seine Auflösung, seine Erklärung wartet. Nach der intensiven Erforschung der naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles ist es angesichts der heutigen Lage der Forschung nicht mehr damit getan, zu behaupten, Philosophie und Naturwissenschaft seien auch noch zur Zeit des Aristoteles mehr oder weniger identisch gewesen. Das widerspricht allein schon der aristotelischen definitorischen Unterscheidung von Erster und Zweiter Philosophie, wobei die δευτέρα φιλοσοφία die φυσικὴ ἐπιστήμη, also eine Spezialwissenschaft, während die πρώτη φιλοσοφία der Sache nach die allgemeine Ontologie, die allgemeine Lehre vom Sein, ist. Die nacharistotelische Geschichte der Schule des Aristoteles, des Peripatos, ist ganz klar eine Entwicklung hin zu einem naturwissenschaftlichen Positivismus ohne Metaphysik und ohne Theologie. Hatte Aristoteles noch selbst die Weichen in diese Richtung gestellt bzw. war er so verstanden worden? Diese Frage steht für uns heute noch offen.

Bibliographie Althoff, J., Das Konzept der generativen Wärme bei Aristoteles, Hermes 120, 1992, 181–193. Althoff, J., Warm, kalt, flüssig und fest bei Aristoteles. Die Elementarqualitäten in den zoologischen Schriften, Stuttgart 1992. Bos, A. P., ‘Fire Above’: The Relation of Soul to its Instrumental Body in Aristotle’s De longitudine et brevitate vitae 2–3, Ancient Philosophy 22, 2002, 303–317. Brandt, H., Wird auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike, München 2002. 50

Vgl. die Fragmente des Dialogs Eudemus sive De anima, wo traditionelle Motive und Ansichten über die Seele und ihr Schicksal nach dem Tod behandelt werden. Vgl. dazu H. Flashar, Dialoge, Philosophie, Rhetorik, in: H. Flashar/U. Dubielzig/B. Breitenberger (Hrsg.), Aristoteles. Fragmente zu Philosophie, Rhetorik, Poetik, Dichtung, übersetzt und erläutert, in: Aristoteles, Werke in deutscher Übersetzung, hrsg. v. H. Flashar, Bd. 20/I, Berlin 2006, 21 ff. Aber auch die Passage De resp. 17.479 a 20 ff., wo die Rede von τῆς ψυχῆς ἀπόλυσις ist (siehe Anm. 35), ist eine solche traditionell gefärbte Stelle.

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Sache und Grund Zur Atmung bei Aristoteles im Ausgang von De respiratione* Sergiusz Kazmierski

Vorbemerkung Die Untersuchung De resp. stellt unter anderem eine sach- und ursachenorientierte Erörterung der Atmung dar. Sie gehört thematisch und methodisch in den größeren Zusammenhang der aristotelischen Zoologie, welche als eine Betrachtung und Offenlegung der Sachverhalte und Gründe im Bereich der belebten Natur verstanden werden kann. Im Sinne einer den Parv. nat. zuzurechnenden Untersuchung ist das besondere Anliegen von De resp. die Explikation des Zwecks der Atmung unter Berücksichtigung seiner organischen Bedingungen (De resp. 1) und Bewegungsursache (De resp. 21). Insofern der Zweck der Atmung in der Kühlung beruht, jedoch nicht nur die atmenden, sondern alle Lebewesen, einschließlich der Pflanzen, der Kühlung bedürfen (De resp. 8, vgl. De iuv./De vit. et mort. 5), vollzieht sich die Kühlung bei verschiedenen Gattungen auf unterschiedlicher organischer Ebene (De resp. 9 [Übersicht zu den Tieren], vgl. De iuv./De vit. et mort. 6 [Pflanzen]). Allen Lebewesen ist allerdings gemeinsam, dass sich in der jeweiligen Kühlbewegung die Bewahrung der Wärme des Leibes realisiert, welche ihnen die Ernährung und damit das Überleben gewährt. Als die letztliche organische Ursache der Wärme, Ernährung und Kühlung darf dasselbe physische Phänomen, nämlich das Warme des beigeborenen1 Pneumas, angenommen werden. Jede Kühlbewegung im Tier- und Pflanzenreich, auch die sich in der Atmung * 1

Frau Carina Friedel sei für umfassende Korrekturarbeiten herzlich gedankt. Gegenüber der sonst üblichen Übersetzung „angeboren“ (für σύμφυτον) wird hier und im Folgenden der Ausdruck „beigeboren“ verwendet. Diese Übersetzung stellt im vorliegenden Zusammenhang einen Neologismus dar. Durch die Neuprägung soll ein begrifflicher Unterschied gesetzt werden zur modernen biologischen Blickstellung, in der von vererbbaren, angeborenen, rein auf die genetisch-körperliche Disposition rückführbaren Eigenschaften die Rede ist. Vgl. hierzu auch unten, Abschnitt 2.3 am Ende sowie Abschnitt 2.4.2 am Anfang. Zur Verortung des Warmen im beigeborenen Pneuma siehe unten, Abschnitt 2.1, Anm. 31, sowie Abschnitt 2.2, zu Anm. 56 und 58.

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Sergiusz Kazmierski

realisierende, ist demnach überlebensnotwendig; dagegen hängt das Überleben nicht, wie Vorgänger des Aristoteles behaupten, grundsätzlich an der Atmung (vgl. insbes. De resp. 2–7 passim). Der Sinn der Atmung nach Aristoteles erschöpft sich aber nicht in ihrem überlebensnotwendigen Zweck. Vielmehr zeigen weitere zoologische Untersuchungen, dass die Atmung ein Phänomen darstellt, welches auch anderen Zielen dient, so dem Riechen (vgl. De resp. 7.473 a 23–b 1 und De sens. 5.444 a 25–28) und der Lautgebung (vgl. De an. II 8.420 b 16–22). Dadurch vermag die Atmung einen Einblick in den thematischen Reichtum der aristotelischen Zoologie überhaupt und das volle Spektrum der durch sie zu erschließenden Bewegungsphänomene in der belebten Natur (vgl. De an. III 10.433 b 13–21 und De mot. an. 11.703 b 3–11) zu geben. In Anbetracht dessen muss zwischen der Untersuchung De resp., die sich auf den überlebensnotwendigen Zweck der Kühlung konzentriert, dadurch eine Einheit mit De iuv./De vit. et mort. bildet,2 und dem thematischen Sachverhalt der Atmung unterschieden werden. Auf den Sachverhalt und so auf das umfassendere Thema Atmung verweist potenziell der an verschiedenen Stellen von Aristoteles gebrauchte, eigenständige Titel περὶ ἀναπνοῆς, welcher daher zwar auch nicht überlebensnotwendige, dennoch das Wesen der jeweiligen Gattung konstituierende Zielursachen impliziert. Mit Blick auf diese Möglichkeit können die Ausführungen der Schrifteneinheit De iuv./De vit. et mort./De resp. den wesentlichen thematischen Ansatz für eine umfassendere Untersuchung der Atmung im aristotelischen Sinne geben. Mithin scheint der Titel περὶ ἀναπνοῆς bei Aristoteles sowohl eine engere, überlieferte als auch eine aus dem Corpus Zoologicum zu erschließende, weitere Sinnrichtung anzuzeigen.3 2

3

Vgl. hierzu und zum Folgenden insbes.: Aristotle, Parva Naturalia. A revised text with introduction and commentary by Sir D. Ross, Oxford 1955; R. A. H. King, Aristotle on Life and Death, London 2001, passim; J. F. Hannon, Aristotle’s Conception of Science: The Case of On Youth and Old Age, and Life and Death, and Respiration, Dissertation Chicago 2011; M. F. Meyer, Aristoteles’ Theorie der Atmung in De Respiratione, Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 23, 2013, 31–59, hier: 31. Vgl. auch die Nähe der genannten thematischen Bereiche in Pl., Tim. 77 C 5–81 E 6, insbes. ausdrücklich in 78 E 4–79 A 5 (sowie unten, Anm. 27 und Abschnitt 2.1, Anm. 28). Siehe auch die folgenden Anmerkungen. In der Untersuchung De resp. geht es inhaltlich insofern um die Atmung als solche, als dass (1) diese von den Vorgängern des Aristoteles als Ausdruck des Lebens bzw. Überlebens überhaupt angesehen wurde und (2) die Atmung nach Aristoteles faktisch Ausdruck des Überlebens ist, allerdings nur bei manchen Tiergattungen. Leitend in De resp. ist neben der Kühlung der thematische Zusammenhang mit De iuv. und De vit. et mort., d. h. die Erörterung des Gegebenseins und Nicht-Gegebenseins von Kühlung als eines wesentlichen Grundes von Jugend und Alter sowie Leben und Tod. Siehe auch unten, Anm. 4. Vgl. zum Titel περὶ ἀναπνοῆς und zur Einheit der genannten drei Untersuchungen Verf., Der Titel ‚Zoologie‘ und die zoologischen Untersuchungen des Aristoteles, Antike Naturwissen-

Sache und Grund

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1. Zum Vorgehen und Horizont von De resp. Im 3. Kapitel der Untersuchung De resp. weist Aristoteles die Annahme seiner Vorgänger zurück, wonach alle Tiere atmen würden (471 b 19–29): ἔτι δ’ εἰ πάντα ἀναπνεῖ, δῆλον ὅτι καὶ τὰ ἔντομα τῶν ζῴων ἀναπνεῖ· φαίνεται δ’ αὐτῶν πολλὰ διατεμνόμενα ζῆν, οὐ μόνον εἰς δύο μέρη ἀλλὰ καὶ εἰς πλείω, οἷον αἱ καλούμεναι σκολόπενδραι· ἃ πῶς ἢ τίνι ἐνδέχεται ἀναπνεῖν; αἴτιον δὲ μάλιστα τοῦ μὴ λέγεσθαι περὶ αὐτῶν καλῶς τό τε τῶν μορίων ἀπείρους εἶναι τῶν ἐντός, καὶ τὸ μὴ λαμβάνειν ἕνεκά τινος τὴν φύσιν πάντα ποιεῖν· ζητοῦντες γὰρ τίνος ἕνεκα ἡ ἀναπνοὴ τοῖς ζῴοις ὑπάρχει, καὶ ἐπὶ τῶν μορίων τοῦτ’ ἐπισκοποῦντες, οἷον ἐπὶ βραγχίων καὶ πλεύμονος, εὗρον ἂν θᾶττον τὴν αἰτίαν.4 Wenn ferner alle Tiere atmen, atmen klarerweise auch die Insekten (d. h. die Eingeschnittenen) unter ihnen. Nun ist offenkundig, dass viele von ihnen auch dann, wenn sie zerteilt werden, weiterleben können, und zwar nicht nur dann, wenn sie in zwei, sondern sogar, wenn sie in mehrere Teile zerteilt werden, z. B. die sogenannten Tausendfüßler.5 Wie sollen

4

5

schaft und ihre Rezeption 26, 2016, 35–66, hier: 45 mit Anm. 34–39, zum Begriff ‚Corpus Zoologicum‘ ebd., 58 Anm. 99, 59 Anm. 101, 62 f. Im vorliegenden Beitrag wird De resp. separat zitiert, um die über De iuv./De vit. et mort./De resp. hinausweisende Besonderheit des thematischen Sachverhalts der Atmung zu betonen. Diese Stelle nimmt den angenommenen Anfang der Untersuchung De resp. wieder auf, vgl. 1.470 b 6–10: περὶ γὰρ ἀναπνοῆς ὀλίγοι μέν τινες τῶν πρότερον φυσικῶν εἰρήκασιν· τίνος μέντοι χάριν ὑπάρχει τοῖς ζῴοις, οἱ μὲν οὐδὲν ἀπεφήναντο, οἱ δὲ εἰρήκασι μέν, οὐ καλῶς δ’ εἰρήκασιν ἀλλ’ ἀπειροτέρως τῶν συμβαινόντων. ἔτι δὲ πάντα τὰ ζῷά φασιν ἀναπνεῖν· τοῦτο δ’ οὐκ ἔστιν ἀληθές (siehe dazu auch die Kritik an Platon wegen des Fehlens einer Auseinandersetzung mit den verschiedenen Gattungen von Lebewesen in 5.472 b 6–12, vgl. auch unten, Abschnitt 2.1, Anm. 28 und Abschnitt 2.3 am Anfang). Damit markieren beide Passagen die Themenstellung von De resp., die sowohl inhaltlich als auch, wie unter anderem der Anschluss mit γάρ belegt, konzeptionell mit De iuv. und De vit. et mort. eng verbunden ist. Siehe zu dieser Verbindung auch De iuv. 1.467 b 10–13: περὶ δὲ νεότητος καὶ γήρως καὶ περὶ ζωῆς καὶ θανάτου λεκτέον νῦν· ἅμα δὲ καὶ περὶ ἀναπνοῆς ἀναγκαῖον ἴσως τὰς αἰτίας εἰπεῖν· ἐνίοις γὰρ τῶν ζῴων διὰ τοῦτο συμβαίνει τὸ ζῆν καὶ τὸ μὴ ζῆν, sowie zum Ende dieser Schrifteneinheit hin: De resp. 21.480 b 10 ff., 19 f. Ähnliches stellt Aristoteles ausführlicher und genauer in De long. vit. 6.467 a 18–30 und De iuv. 2.468 a 13–b 15 fest (siehe zu weiteren Stellen im Zusammenhang: D. Lefebvre, L’argument du sectionnement des vivants dans les Parva naturalia: le cas des insectes, Revue de Philosophie Ancienne 20, 2002, 5–34). Dort zieht er einen engen Vergleich zwischen Eingeschnittenen (ἔντομα), zu denen nicht nur die modernen Insekten, sondern, bis auf die Krebstiere, alle Arthropoden zu zählen scheinen, und Pflanzen. Bei letzteren kann potenziell jeder Teil weiterleben und nachwachsen, weil bei ihnen in jedem Teil der Anfang der Lebendigkeit, auch was die Organe angeht, gegeben ist. Bei den Eingeschnittenen fehlt dagegen nicht zuletzt das Vermögen, in allen Teilen gleichermaßen Organe auszuprägen, weswegen sie nach der Durchtrennung nicht lange weiterleben (De long. vit. 6.467 a 19–22: διαιρούμενα [sc. τὰ φυτά] γὰρ ζῇ […]· τὰ δ’ ἔντομα μέχρι μὲν τοῦ ζῆν ἦλθεν, πολὺν δ’ οὐ δύναται χρόνον) und dies in vollem Sinne nur für denjenigen

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Sergiusz Kazmierski diese atmen, und mit welchem Organ? Der Hauptgrund für die diesbezüglichen unangemessenen Ausführungen liegt darin, dass die Naturforscher unerfahren sind der inneren

Leibesteil möglich ist, in dem der Sitz der Nährseele ist (De iuv. 2.468 a 20–29). Mit den σκολόπενδραι sind wahrscheinlich Arten der Chilopoda (Hundertfüßler, wörtl. „Lippenfüßer“, vgl. zur aktuellen Systematik: H. Burda/G. Hilken/J. Zrzavý, Systematische Zoologie. 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl., Stuttgart 22016, 221–225), einer Klasse des Unterstamms der Tausendfüßler (Myriapoda), gemeint, siehe ausführlich I. C. Beavis, Insects and other Invertebrates in Classical Antiquity, Exeter 1988, 10–13. Moderne Erklärungen des Weiterlebens – von Arthropoden nach Verletzung oder Amputation, v. a. von Gliedmaßen, und anderen Tieren, wie z. B. Schwämmen – stützen sich weitgehend auf die Regenerations- und Restitutionsfähigkeit. Siehe allg. zur Regeneration: V. Storch/U. Welsch, Kurzes Lehrbuch der Zoologie. 8., neu bearb. Aufl., Heidelberg 82005, 337, dort v. a. zur Organregeneration bei Insekten, sowie zu den physiologischen Abläufen: E. Brechner/B. Dinkelaker/D. Dreesmann (Hrsg.), Kompaktlexikon der Biologie, 3 Bde., Heidelberg 2001, 2. Bd., s. v. Regeneration (abrufbar unter: https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/regeneration/ 9718): „Bei komplexer aufgebauten Tieren […] wird die fehlende Struktur vom Wundrand her wieder aufgebaut (Epimorphose). Vielzeller bilden am Wundrand ein Regenerationsblastem aus reembryonalisierten Zellen unterschiedlicher geweblicher Herkunft; diese teilen sich und differenzieren das Regenerat.“ Vgl. J. G. E. Lewis, The biology of centipedes, Cambridge etc. 1981, 62–66, insbes. 62 und 64 zur Scolopendra morsitans (siehe in A. Fleischmann, Lehrbuch der Zoologie. Nach morphogenetischen Gesichtspunkten, Wiesbaden 1898, 207 Abb. 138), für die bereits M. Brullé, Des animaux articulé (Expédition scientifique de Morée. Section des sciences physiques III 1: Zoologie, 2. sect.), Paris 1832, 62 häufiges Vorkommen auf der Peloponnes bescheinigt (vgl. Aristoteles, Thierkunde. Kritisch-berichtigter Text, m. dt. Übers., sachl. u. sprachl. Erkl. u. vollst. Ind. v. H. Aubert u. F. Wimmer, 2 Bde., Leipzig 1868, 1. Bd., 164 f.; L. Gil Fernández, Nombres de insectos en Griego antiguo [Consejo Superior de Investigaciones Cientificas. Manuales y anejos de “Emérita”, vol. 18], Madrid 1959, 230); W. Dunger, Antennata, in: H.-E. Gruner/M. Moritz/W. Dunger, Arthropoda (ohne Insecta). Lehrbuch der Speziellen Zoologie. Begr. v. A. Kaestner, Bd. I: Wirbellose Tiere. Hrsg. v. H.-E. Gruner. 4. Teil, Jena/Stuttgart/New York 1993, 1031–1160, hier: 1047–1094, insbes. 1076 (v. a. allg. Chilopoda), 1087 (speziell Scutigera, eine Gattung der Chilopoda, welche für ihre besondere Regenerationsfähigkeit bekannt ist); W. Westheide/G. Rieger (Hrsg.), Spezielle Zoologie. Teil 1: Einzeller und Wirbellose Tiere, Berlin/Heidelberg 32013, 95 (zu den Schwämmen). Das Zerteilen (διατέμνειν) bildet zusammen mit dem Aufschneiden (ἀνατέμνειν, secare) die bei Aristoteles wohl grundlegendste zoologische, die Beobachtung unterstützende Versuchsart, vgl. dazu G. Wöhrle, Zu den Experimenten in den biologischen Schriften des Aristoteles, Eos 74, 1986, 61–67, hier: 65. Ihren Anschauungen war daher auch der verlorene anatomische Atlas gewidmet (siehe A. Stückelberger, Vom anatomischen Atlas des Aristoteles zum geographischen Atlas des Ptolemaios: Beobachtungen zu wissenschaftlichen Bilddokumentationen, in: W. Kullmann/J. Althoff/M. Asper [Hrsg.], Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike [ScriptOralia, Bd. 95], Tübingen 1998, 287–307, hier insbes.: 287–293). Die dort dargestellten wie die in der Hist. an. explizierten Beobachtungen zeugten gerade davon, was nach Aristoteles bei seinen Vorgängern fehlte, nämlich die Aufmerksamkeit für und die Erfahrung in der Beobachtung von organischen Gegebenheiten bei der Ausführung prinzipienorientierter Annahmen. Vgl. auch den vorliegenden Abschnitt 1 unten, zu Einsicht 4.

Sache und Grund

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Teile und dass sie nicht begreifen, dass die Natur alles um eines Ziels willen hervorbringt (τὸ μὴ λαμβάνειν ἕνεκά τινος τὴν φύσιν πάντα ποιεῖν). Hätten sie nämlich nach dem Ziel der Atmung bei den Tieren geforscht und dieses an den entsprechenden Organen, also an Kiemen und Lunge, betrachtet, hätten sie den Grund (sc. warum manche Tiere, wie z. B. die Tausendfüßler, offensichtlich ohne Atmung leben können) eher gefunden. (Übers. nach Dönt)6 Das Bemerkenswerte an dieser Kritik ist, dass sie im Kern eine Zusammenfassung der Methodologie der aristotelischen Biologie enthält.7 Demnach führt Aristoteles ins Feld, dass zu einer fundierten zoologischen Forschung folgende Einsichten gehören: (1) Die Einsicht, dass die Natur (φύσις) alles, was sie hervorbringt, um eines Ziels willen (ἕνεκά τινος) hervorbringt, d. h. dass das, was lebendig und so von Natur aus in einer Bewegung begriffen ist, diese Bewegung auf ein Ziel hin bzw. zu einem bestimmten Zweck vollzieht. Dieses Ziel ist aber, wie im vorliegenden Fall, einer solchen Bewegung schon von ihrem Anfang her immanent. Aristoteles fasst die Natur dahingehend als den Anfang der Bewegung (κίνησις), welche er als Umschlag (μεταβολή) versteht.8 Den Umschlag der Bewegung bestimmt er wiederum als das „Realwerden“ (ἐνέργεια) oder 6

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Wenn nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen v. Verf. Auch nur geringfügig geänderte oder ergänzte Übersetzungen anderer Autoren sind, wie hier, mit dem Hinweis „nach“ versehen. Eine parallele methodologische Bemerkung, dort allerdings auf die Atmung als ein Beispiel bezogen, findet sich in De part. an. I 1.642 a 31–b 4: δεικτέον δ’ οὕτως, οἷον ὅτι ἔστι μὲν ἡ ἀναπνοὴ τουδὶ χάριν, τοῦτο δὲ γίγνεται διὰ τάδε ἐξ ἀνάγκης. ἡ δ’ ἀνάγκη ὁτὲ μὲν σημαίνει ὅτι εἰ ἐκεῖνο ἔσται τὸ οὗ ἕνεκα, ταῦτα ἀνάγκη ἐστὶν ἔχειν, ὁτὲ δ’ ὅτι ἔστιν οὕτως ἔχοντα καὶ πεφυκότα. τὸ θερμὸν γὰρ ἀναγκαῖον ἐξιέναι καὶ πάλιν εἰσιέναι ἀντικροῦον, τὸν δ’ ἀέρα εἰσρεῖν. τοῦτο δ’ ἤδη ἀναγκαῖόν ἐστιν. τοῦ ἐντὸς δὲ θερμοῦ ἀντικόπτοντος ἐν τῇ ψύξει τοῦ θύραθεν ἀέρος ἡ εἴσοδος καὶ ἡ ἔξοδος. ὁ μὲν οὖν τρόπος οὗτος ὁ τῆς μεθόδου, καὶ περὶ ὧν δεῖ λαβεῖν τὰς αἰτίας, ταῦτα καὶ τοιαῦτά ἐστιν. Siehe dazu ausführlich: Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen, übers. u. erl. v. W. Kullmann (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 17.1), Berlin 2007, 321 ff. z. St. sowie unten, Abschnitt 2.3 am Ende, Anm. 77; Aristotle, On the LifeBearing Spirit (De Spiritu). A Discussion with Plato and his Predecessors on Pneuma as the Instrumental Body of the Soul. Introduction, Translation, and Commentary by A. P. Bos and R. Ferwerda, Leiden/Boston, MA 2008, 189–196; Hannon, Science (wie Anm. 2) 304 ff.; vgl. auch J. F. Hannon, Aristotle’s Conception of Science: The Case of On Youth and Old Age, and Life and Death, and Respiration, Dissertation Chicago 2011, Abstract (abgerufen am 20. 6. 2020 unter: https://pdfs.semanticscholar.org/12aa/4a3fea287ba502ef db9a8a82795451c361b9.pdf), 2. Diese Parallelstelle belegt zusätzlich, dass es in De resp. 3.471 b 19–29 nur um die Bestimmung des überlebensnotwendigen Zielgrundes der Atmung gehen kann, was nicht bedeutet, dass damit die Erörterung der Zielgründe der Atmung und daher das Thema ἀναπνοή für Aristoteles erschöpft sei. Vgl. z. B. den Anfang von Phys. III 1.200 b 12 ff.: ἐπεὶ δ’ ἡ φύσις μέν ἐστιν ἀρχὴ κινήσεως καὶ μεταβολῆς […].

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Sergiusz Kazmierski

das „Sich-Realisieren“ (ἐντελέχεια) des Möglichen bzw. eines Vermögens.9 Die beiden Ausdrücke ἐνέργεια und ἐντελέχεια sind keine Synonyme, sondern sie zeigen zwei zu unterscheidende Weisen der „Realität“ des vom Umschlagen her begriffenen, bewegten Natürlichen an.10 Die vorliegende Einsicht, „dass die Natur alles um eines Ziels willen hervorbringt“ (ἕνεκά τινος τὴν φύσιν πάντα ποιεῖν),11 ist vor allem im Sinne der ἐντελέχεια, des Sich-Realisierens, zu verstehen, insofern das Sich-Realisieren schon in sich vollendet und von seinem Anfang her fertig ist, dagegen das Realwerden seinem Fertigsein zustrebt, welches damit noch aussteht. Diese Grundeinsicht bringt zunächst zum Ausdruck, dass das Wesen, Gegebensein und Bestehen eines jeden Lebendigkeitsphänomens letztlich der Natur des Lebewesens wie der Natur überhaupt geschuldet ist, welche das Lebewesen unter anderem mit diesem Phänomen begabt und auf das Bestehen desselben hin hervorgebracht hat. Da aber die Natur das Hervorgebrachtsein alles Natürlichen repräsentiert, besteht kein natürliches Phänomen, welches sie ohne das Ziel seines realen Bestehens hervorgebracht hätte. Die genannte Grundeinsicht entdeckt alles Natürliche von seiner Natur her als das τέλος der Natur überhaupt. Die Einsicht verweist insofern auf den teleologischen Sinn des Bestehens, d. h. des realen Seins, des Natürlichen.12 Insofern jedoch das belebte Natürliche (im 9

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Siehe dazu Phys. V 1 sowie III 1–2, z. B. III 1.201 a 9–15: διῃρημένου δὲ καθ’ ἕκαστον γένος τοῦ μὲν ἐντελεχείᾳ τοῦ δὲ δυνάμει, ἡ τοῦ δυνάμει ὄντος ἐντελέχεια, ᾗ τοιοῦτον, κίνησίς ἐστιν, οἷον τοῦ μὲν ἀλλοιωτοῦ, ᾗ ἀλλοιωτόν, ἀλλοίωσις, τοῦ δὲ αὐξητοῦ καὶ τοῦ ἀντικειμένου φθιτοῦ (οὐδὲν γὰρ ὄνομα κοινὸν ἐπ’ ἀμφοῖν) αὔξησις καὶ φθίσις, τοῦ δὲ γενητοῦ καὶ φθαρτοῦ γένεσις καὶ φθορά, τοῦ δὲ φορητοῦ φορά. Vgl. zu dieser Unterscheidung Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug von Ökonomie und Politik bei Aristoteles, in: I. De Gennaro/Verf./R. Lüfter/R. Simon (Hrsg.), Wirtliche Ökonomie. Philosophische und dichterische Quellen. Zweiter Teilband (Elementa Œconomica, Bd. 1.2), Nordhausen 2016, 185–209, hier: 205 ff. mit Met. Θ 3.1047 a 30 ff.: ἐλήλυθε δ’ ἡ ἐνέργεια τοὔνομα, ἡ πρὸς τὴν ἐντελέχειαν συντεινομένη (ci. Diels, Anm. Verf.), καὶ ἐπὶ τὰ ἄλλα ἐκ τῶν κινήσεων μάλιστα· δοκεῖ γὰρ ἡ ἐνέργεια μάλιστα ἡ κίνησις εἶναι […], und 8.1050 a 22 f.: […] διὸ καὶ τοὔνομα ἐνέργεια λέγεται κατὰ τὸ ἔργον καὶ συντείνει πρὸς τὴν ἐντελέχειαν. Diesem Unterschied sollen die beiden hier gegebenen Übersetzungen „Realwerden“ (für die ἐνέργεια) und „Sich-realisieren“ (für die ἐντελέχεια) Rechnung tragen. Dementsprechend werden die ἔργα solchen Sich-Realisierens resp. Realwerdens im Folgenden als „Realisierungen“ begriffen, d. h. als das, was sich beim Sich-Realisieren realisiert, resp. als das, was beim Realwerden real wird. So realisiert sich im Atmungsvorgang u. a. die Kühlung, im Gerechtsein und gerechten Handeln wird mit der Gerechtigkeit die εὐδαιμονία real. Vgl. dazu unten die Besprechung der Stelle De an. III 10.433 b 13–21. Vgl. hierzu auch das e negativo formulierte Diktum: ἡ φύσις οὐθὲν ποιεῖ μάτην (De inc. an. 2.704 b 15) oder οὐθὲν γάρ, ὡς φαμέν, μάτην ἡ φύσις ποιεῖ (Pol. I 2.1253 a 9). Siehe u. a. auch W. Kullmann, Aristoteles und die moderne Wissenschaft (Philosophie der Antike, Bd. 5), Stuttgart 1998, 240, 271 mit weiteren Stellen. In dieser Grundeinsicht ist folglich das entsprechende teleologische Erklärungsmodell fundiert; siehe zu letztgenanntem u. a. W. Kullmann, Die Teleologie in der aristotelischen Biologie. Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker (Sitzungsberichte der Heidelberger

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Unterschied zur Natur selbst) von Natur aus nur als sich-realisierendes oder real-werdendes bestehen kann, verweist der Ausdruck ποιεῖν im besagten Diktum und im zoologischen Kontext zunächst auf das Sich-Realisieren eines konkreten Lebendigkeitsphänomens. Weil nun zu diesem wesensmäßigen, sich-realisierenden Bestehen ein Bestand, d. h. die organische Fundierung dieses Bestehens, gehört, ist in der Aussage auch die Zweckhaftigkeit des Bestehens dieses Bestandes zum Ausdruck gebracht.13 (2) Ferner gehört zu einer fundierten zoologischen Forschung die Einsicht, dass das Sich-Realisieren derjenigen Bewegungen, die, wie bei der Atmung um der Kühlung willen, in sich schon vollendet und fertig sind, von der Natur entfacht bzw. entzündet ist.14 Das heißt zugleich, dass die bewegte Lebendigkeit und Beseeltheit als solche im engeren, zoologischen Sinne ἐντελέχεια15 ist, somit das τέλος dieser Seelentätigkeit als der Atmungsbewegung immanent erwiesen ist. Daher braucht sich das beseelte Lebewesen Mensch z. B. nicht zur πρᾶξις der Atmung zu erziehen; denn es vermag aufgrund seines seelischen Vermögens von Natur aus zu atmen und atmet faktisch schon von selbst, indem es diese Bewegung ohne weiteres Zutun ständig vollzieht; das tugendhafte Handeln, welches ihm seiner Natur nach ebenfalls grundsätzlich möglich ist, d. h. die πρᾶξις im Sinne der ψυχῆς ἐνέργεια κατ’ ἀρετὴν τελείαν, muss der Mensch allerdings, obwohl er ständig schon handelt, erst erlernen.16

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Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Jg. 1979, Abh. 2), Heidelberg 1979, 16 ff.; M. Leunissen, Explanation and Teleology in Aristotle’s Science of Nature, Cambridge 2010, 135 (zur vorliegenden Stelle aus De resp.). So z. B. De resp. 10.476 a 11–15 (wo Aristoteles dadurch begründet, warum kein Tier sowohl Kiemen als auch Lungen besitzt): ἓν δ’ ἐφ’ ἓν χρήσιμον ὄργανον, καὶ μία κατάψυξις ἱκανὴ πᾶσιν, ὥστ’ ἐπεὶ μάτην οὐδὲν ὁρῶμεν ποιοῦσαν τὴν φύσιν, δυοῖν δ’ ὄντοιν θάτερον ἂν ἦν μάτην, διὰ τοῦτο τὰ μὲν ἔχει βράγχια τὰ δὲ πνεύμονα, ἄμφω δ’ οὐδέν. Siehe zu der Problematik insbes. J. G. Lennox, Nature does nothing in vain…, in: H.-C. Günther/A. Rengakos (Hrsg.), Beiträge zur Philosophie. Festschrift für Wolfgang Kullmann, Stuttgart 1997, 199– 214, hier: 213 f. (ND in: J. G. Lennox, Aristotle’s Philosophy of Biology. Studies in the Origins of Life Science, Cambridge 2001, 205–223, hier: 219 ff.). Vgl. zum Unterschied der aristotelischen Wesensteleologie und der Teleologie der neuzeitlichen und modernen Naturwissenschaft und Technik, welche lediglich aus der Zweckhaftigkeit des Bestandes den Sinn seines Bestehens ableitet, und nicht, wie bei Aristoteles, aus dem Sinn des Bestehens die Zweckhaftigkeit des Bestandes, Verf., Der Titel ‚Zoologie‘ (wie Anm. 3) 35 Anm. 1 sowie unten, Anm. 77. Vgl. zum Entzündetsein De resp. 8.474 b 10–13 (siehe dazu unten, u. a. Anm. 46). Siehe dazu insbes. De an. II 1 mit J. Hübner, Die aristotelische Konzeption der Seele als Aktivität in de Anima II 1, Archiv für Geschichte der Philosophie 81, 1999, 1–32. Die Bestimmung der sich von Natur aus realisierenden Vermögen der Lebewesen und die Bestimmung der konkreten Weisen und Umstände dieses Sich-Realisierens sind daher Aufgabe der aristotelischen Zoologie; dagegen die Erörterung von Weisen der bestmöglichen Aneignung bzw. Ausbildung mancher dieser Vermögen, wie desjenigen der πρᾶξις nach

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(3) Ferner gehört zur zoologischen Forschung die Einsicht, dass eine Annahme im Bereich der Erkundung der Natur und der Lebewesen, dergemäß alle Tiere atmen, der Frage Rechnung tragen muss, im Hinblick auf welches konkrete Ziel die Natur die Atmung hervorgebracht habe, d. h. auf welchen ihr immanenten Zweck hin sich die Atmung realisiert. Das Bestehen oder Nicht-Βestehen der Atmung bei einem Lebewesen resultiert aus der spezifischen Realisierung des Zwecks der Atmung. Daher realisieren verschiedene Tiergattungen diesen Zweck unterschiedlich, einmal als Atmungsbewegung, zum anderen aber, wie z. B. die Fische, als Kiemenbewegung. (4) Es bedarf schließlich der Einsicht, dass zur Beantwortung der Frage nach dem Wozu der Atmungsbewegung der Nachvollzug dieses Wozu am Leib des jeweiligen Lebewesens selbst, d. h. an dessen Organen, gehört, insofern die Organe im notwendigen Dienst zielgerichteter, vollendeter Bewegung stehen und daher ihr vorrangiger Sinn ist, diese bestimmten Bewegungen mitzurealisieren. Anders ausgedrückt bilden die Organe den notwendigen Bestand des Bestehens eines Lebendigkeitsphänomens. Damit also bei einem Lebewesen Atmung um der Kühlung willen gegeben sein kann, bedarf es des Bestands der Lunge. Die Bestätigung durch den organischen Bestand ist zugleich Fundament der Gültigkeit wissenschaftlicher Erklärungen zoologischer Vorgänge. Gleichwohl kann diese Gültigkeit auch anders erwiesen werden, nämlich dann, wenn die exakte Beobachtungsgrundlage fehlt und zugleich eine andere, unvollständige Beobachtung den sinnvollen, möglichen Schluss einer bestimmten Erklärung nahelegt.17 Dies scheint gerade bei der für die Kühlluft durchlässigen Verbindung der Bronchien mit den vom Herzen herkommenden Adern der Fall zu sein.18 In der zitierten Stelle verlangt Aristoteles folglich von einem Forscher, das Lebendigkeitsphänomen, die zoologische Tatsache Atmung, als eine von der Natur selbst hervorgebrachte, beseelte Form der vollendeten Selbstbewegung des Lebewesens zu erkennen, dann aber nach den weiteren Gründen für das Gegebensein dieser Selbstbewegung zu fragen, und zwar unter Beachtung der hierbei beteiligten Art der Vollendung und der diese Vollendung

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Maßgabe von Tugend, d. h. des tugendhaften Handelns, ist Aufgabe der aristotelischen Ethik; vgl. zu diesem Zusammenhang Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) 188 f. Siehe zum Unterschied von Seele und Natur im zoologischen Kontext dens., Der Titel ‚Zoologie‘ (wie Anm. 3) 51 f. Vgl. dazu Meteor. I 7.344 a 5–8: ἐπεὶ δὲ περὶ τῶν ἀφανῶν τῇ αἰσθήσει νομίζομεν ἱκανῶς ἀποδεδεῖχθαι κατὰ τὸν λόγον, ἐὰν εἰς τὸ δυνατὸν ἀναγάγωμεν, ἔκ τε τῶν νῦν φαινομένων ὑπολάβοι τις ἂν ὧδε περὶ τούτων μάλιστα συμβαίνειν, mit A. Falcon/M. Leunissen, The scientific role of eulogos in Aristotle’s Cael II 12, in: D. Ebrey (Hrsg.), Theory and Practice in Aristotle’s Natural Science, Cambridge 2015, 217–240, hier: 228 ff. Vgl. unten, Abschnitt 2.3, zu Anm. 74 f.

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mitrealisierenden Leibesorgane. Somit fordert die aristotelische Forschung von einem wissenden Naturbetrachter die zureichende Erfahrung in der sachorientierten Bestimmung und Beschreibung des menschlichen und tierischen Leibes sowie seiner Organe und Teile, deren Im-Dienst-Stehen für bestimmte Ziele und Zwecke feststellbar ist. In Anbetracht dessen ist die Atmung, neben weiteren solchen Lebendigkeitsphänomenen bzw. -vollzugsarten (πράξεις),19 eine Weise des leibgestützten Sich-Realisierens des Zieles der Kühlung. Dabei scheinen die Wahrheiten der ersten und zweiten Einsicht als bereits für das Verständnis dieser Untersuchung der Atmung vorausgesetzt, d. h. die Behandlung der φύσις als der ἀρχὴ κινήσεως (in der Physik) und der ψυχή als der ἐντελέχεια (in De an.). Dies entspricht auch der thematischen Ausrichtung der Parv. nat., als deren Aufgabe Aristoteles die Betrachtung „der gemeinsamen Realisierungen (ἔργα) von Leib und Seele“ formuliert, welche ἔργα in diesem Zusammenhang mit den Zwecken gleichzusetzen sind, die sich in den Bewegungen der Lebewesen selbst zeigen. Diese Aufgabe zeichnet er in De an. III 10.433 b 13–21 für die Untersuchungen der Parv. nat. insgesamt vor, wo er die Bewegtheit des Lebens, aus dem Bezug zum Regungsvermögen der Seele, als nach drei konstitutiven Elementen gegliedert darlegt: ἐπεὶ δ’ ἔστι τρία, ἓν μὲν τὸ κινοῦν, δεύτερον δ’ ᾧ κινεῖ, ἔτι τρίτον τὸ κινούμενον, τὸ δὲ κινοῦν διττόν, τὸ μὲν ἀκίνητον, τὸ δὲ κινοῦν καὶ κινούμενον, ἔστι δὲ20 τὸ μὲν ἀκίνητον τὸ πρακτὸν ἀγαθόν, τὸ δὲ κινοῦν καὶ κινούμενον τὸ 19

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Diese werden in allen zoologischen Schriften ausdrücklich thematisiert oder unausdrücklich mitthematisiert. Hinzu kommen die βίοι („Lebensformen“) und ἤθη („Charaktere“), vgl. Hist. an. I 1.487 a 11–14: αἱ δὲ διαφοραὶ τῶν ζῴων εἰσὶ κατά τε τοὺς βίους καὶ τὰς πράξεις καὶ τὰ ἤθη καὶ τὰ μόρια, περὶ ὧν τύπῳ μὲν εἴπωμεν πρῶτον, ὕστερον δὲ περὶ ἕκαστον γένος ἐπιστήσαντες ἐροῦμεν. Vgl. dazu Verf., Die Laute der Fische aus aristotelischer und moderner Sicht, Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 23, 2013, 61–92, hier: 64 f. Ross (Aristotle, De Anima. Edited, with Introduction and Commentary by Sir D. Ross, Oxford 1961, 316 z. St.) folgt Susemihl, indem er für δὲ (15) δὴ konjiziert, da ansonsten die Apodosis fehle. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn ἓν μὲν τὸ κινοῦν, δεύτερον […] τὸ δὲ κινοῦν καὶ κινούμενον (13–15) zur Protasis gezogen wird. Dieser Teilsatz kann jedoch auch schon als der Beginn einer langen, zweigeteilten Apodosis gelesen werden, deren erster Teil allgemein die Elemente der Bewegtheit nennt und deren zweiter (ab ἔστι) diese genauer expliziert. Die μέν-δέ-Struktur von erstem und zweitem Teil der Apodosis ist dann im Sinne einer konkretisierenden Wiederholung zu lesen. Dass es sich hierbei nicht um Protasis und Apodosis eines streng konditional zu denkenden Gefüges handeln könnte, sondern die drei immer genauer werdenden Darlegungsschritte ggf. als in ihrer Begründungsstruktur lose verbunden zu verstehen wären, zeigt das Beispiel der diese drei Schritte rein explikativ und das ἐπει(δή) am Satzanfang nicht als Unterordnung, sondern als Einleitung eines „beigeordneten Hauptsatzes“ im Sinne eines γάρ (R. Kühner/B. Gerth, Ausführliche Grammatik der griechischen Sprache. Satzlehre, Zweiter Teil, Hannover 41955, 461 Anm. 1) lesenden Variante in Aristotle, De anima. With transl., introd. and notes by R. D. Hicks, Cambridge 1907, 152 f. Entscheidend für das Verständnis dieser Passage ist, dass es sich um bereits mit Phys. VIII 5.256 b 14–27 vorauszusetzendes Wissen von der Dreiheit

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Sergiusz Kazmierski ὀρεκτικόν (κινεῖται γὰρ τὸ κινούμενον ᾗ ὀρέγεται, καὶ ἡ ὄρεξις κίνησίς τίς ἐστιν, ἡ ἐνέργεια), τὸ δὲ κινούμενον τὸ ζῷον· ᾧ δὲ κινεῖ ὀργάνῳ ἡ ὄρεξις, ἤδη τοῦτο σωματικόν ἐστιν – διὸ ἐν τοῖς κοινοῖς σώματος καὶ ψυχῆς ἔργοις θεωρητέον περὶ αὐτοῦ. Sofern es aber drei gibt, ist das eine das Bewegende, das zweite das, womit bewegt, ferner das dritte das Sich-Bewegende, das Bewegende aber zweifach, zum einen das Unbewegte, zum anderen das Bewegende wie Bewegte, und es entspricht dem Unbewegten das vollführbare Gute, dem Bewegenden wie Bewegten das Regungsvermögen (denn es wird das Sich-Bewegende bewegt, sofern es sich regt, und die Regung ist eine wesentliche Bewegung, das Realwerden ), dem Sich-Bewegenden das Lebewesen; mit welchem Organ aber die Regungsseele in Bewegung versetzt, dies ist bereits leiblicher – deshalb ist hierüber in den gemeinsamen Realisierungen von Leib und Seele die Betrachtung zu suchen.21

Obwohl das Regungsvermögen der Seele vom Nährvermögen zu unterscheiden ist, da ersteres willkürliche Bewegungen (zusammen mit dem πρακτικὸς νοῦς) mitbedingt,22 letzteres nicht willkürliche Bewegungen bedingt,23 ist die an dieser Stelle vorgenommene Erklärung natürlicher, belebter Bewegung auch auf die der Atmung übertragbar, sofern das πρακτὸν ἀγαθόν im Fall der Atmung als die sich-realisierende Kühlung (ψῦξις) verstanden werden kann. In diesem Sinne ist das Verbaladjektiv I πρακτόν zum einen auf das „Realwerden“ (die ἐνέργεια) einer willkürlichen Bewegung beziehbar, der ein realisierbares, „vollführbares“ τέλος und ἀγαθόν bereits eignet, das aber gerade als

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der Bewegungselemente handelt, welche Textstelle gerade im Unterschied zur vorliegenden rein beiordnend-explikativen Charakter zeigt: τρία γὰρ ἀνάγκη εἶναι, τό τε κινούμενον καὶ τὸ κινοῦν καὶ τὸ ᾧ κινεῖ. τὸ μὲν οὖν κινούμενον […], was offensichtlich Hicks, 561 f., dazu veranlasst, die Struktur beider Passagen identisch zu lesen. Dort wird die Dreiheit, ausgehend von der argumentativen Herleitung eines unbewegt Bewegenden, gesetzt und nicht aus der Anschauung natürlicher Gegebenheiten unmittelbar abgeleitet (vgl. Met. Λ 7.1072 a 21 ff.). Die Lesart, nach der lediglich ἐπεὶ δ’ ἔστι τρία eine Protasis bildet, möchte den Wiederholungs- und im ursprünglichen Sinne hypothetischen Charakter dieser Feststellung besonders betonen. Vgl. dazu J. Freudenthal, Die Kritik und Exegese von Aristoteles’ περὶ κοινῶν σώματος καὶ ψυχῆς ἔργων (parva naturalia), Rheinisches Museum 24, 1869, 81–93, hier: 82. Siehe auch De sens. 1.436 a 7 f. Vgl. hierzu De an. III 10.433 a 15 f.; 22–26. Demnach könnte die willkürlich zu nennende Bewegung sowohl κατὰ τὸν λογισμόν, im Sinne der βούλησις, erfolgen als auch, im Sinne der ἐπιθυμία, παρὰ τὸν λογισμόν. Vgl. hierzu auch A. Hahmann, Aristoteles’ „Über die Seele“. Ein systematischer Kommentar, Stuttgart 2016, 230 ff. Siehe dazu De mot. an. 11.703 b 3–11, unten, Abschnitt 3.

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eigentliches ἔργον erst real wird; zum anderen kann es das „Sich-Realisieren“ (die ἐντελέχεια) einer nicht willkürlichen Bewegung anzeigen, in deren Vollzug ihr ἔργον realisiert, somit „(bereits) vollführt“, d. h. schon als Ziel (τέλος), nämlich im Sinne eines Zwecks (οὗ ἕνεκα), erwiesen ist. Die vorliegende Stelle lässt sich daher auch als Verweis auf die zoologisch-systematische Zusammengehörigkeit der Untersuchungen der Parv. nat. und De mot. an. sowie De inc. an. lesen. Aristoteles unterscheidet demnach (1) das Bewegende, das, um zu bewegen, zweierlei benötigt: (a) ein unbewegtes sowie (b) ein bewegendes und zugleich bewegtes Element; (b) meint die Seele bzw. jeweils einen bestimmten Teil von ihr, wie (im Fall der Atmung) die Nährseele, dann auch die Wahrnehmungsseele, die Regungsseele oder auch die Denkseele, je nachdem, welchem Zweck bzw. Ziel die Atmung dient; (a), d. h. das Unbewegte, ist aber das Wesen bzw. die Natur im Sinne der Gattung (γένος) oder Spezies (εἶδος), wie z. B. die des Menschen, aus welcher Spezies wiederum – als einem Pol der Realisierungsbewegung der Nährseele – das Ziel bzw. der Zweck (hier: das πρακτὸν ἀγαθόν), d. h. die Ernährung und zugleich damit die Kühlung, resultieren;24 das πρακτὸν ἀγαθόν ist im Sinne seiner Realisierung durch Seele und Leib als ἔργον begriffen, sofern das ἔργον letztlich Ausdruck des jeweiligen γένος bzw. εἶδος ist; (2) das, womit die Bewegung vollzogen wird, d. h. das jeweilige organische Element, also im Fall der Atmung die Lunge, aber auch das Warme des Pneumas;25 (3) das Sich-Bewegende, d. h. das Lebewesen, in dem seelisches Bewegen und das Womit dieses Bewegens von Natur aus zusammenkommen.

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25

Vgl. zur Gleichsetzung des Unbewegten mit der Natur als dem, ὅθεν ἡ ἀρχὴ τῆς κινήσεως, u. a. De gen. et corr. I 7.324 b 9 ff. Dahingehend ist der Zweck (das οὗ ἕνεκα) bzw. das Ziel (das τέλος) der Bewegung nicht das Unbewegte im ursprünglichen Sinne, weil es nicht das eigentlich Hervorbringende (ποιητικόν) ist. Allerdings ist der Zweck, wie Aristoteles dort einräumt, im übertragenen Sinne (κατὰ μεταφοράν) als das Hervorbringende denkbar, da er ja, wie im Fall der Kühlung durch Atmung, der Natur eines betreffenden Lebewesens bzw. einer Gattung entspricht. Wenn Aristoteles somit an der vorliegenden De an.-Stelle vom πρακτὸν ἀγαθόν spricht, scheint er die Möglichkeit der Sinnübertragung einzuräumen, insofern das ἀγαθόν ja gerade das τέλος bzw. οὗ ἕνεκα einer πρᾶξις impliziert. Demnach lässt die Nährseele den Menschen gemäß seiner Natur sich ernähren und atmen, um das natürliche Feuer und so die Verkochungswärme zu kühlen (vgl. unten, Abschnitte 2.2 und 2.3); die Wahrnehmungsseele aber existiert, damit er vermittelst der Atmung riechen (vgl. Abschnitt 2.4.1), die Denkseele, damit er, seiner spezifisch menschlichen Natur entsprechend, mithilfe des Atems einen Gedanken verlautbaren kann (vgl. Abschnitt 2.4.2, mit Anm. 86, und Abschnitt 3, zu Anm. 98). Siehe zur Betonung des Pneumas als ὄργανον W. Theiler, Zur Geschichte der teleologischen Naturbetrachtung bis auf Aristoteles, Berlin 21965, 96 f. Vgl. genauer zum Verhältnis des Warmen des Pneumas zum Pneuma überhaupt unten, Abschnitt 2.2, insbes. Anm. 56 und 58.

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Insofern die Untersuchungen der Parv. nat. gerade die Lebewesen im Sinne der Instanzen dieses natürlichen Zusammenkommens der Seele (als des seelischen Bewegens) und des Leibes (als des leiblich-organischen Womit dieses Bewegens) – und zwar in Ansehung bestimmter Realisierungsvollzüge (πράξεις) und Realisierungen (ἔργα) dieses Zusammenkommens – begreifen, passen, neben τὰ κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς ἔργα, zwei weitere alternative, thematische Benennungen als aristotelische Titel für die Untersuchungen der Parv. nat.: ἐπίσκεψις περὶ τῶν ζῴων καὶ τῶν ζωὴν ἐχόντων ἁπάντων (vgl. De sens. 1.436 a 3 f.) sowie ἡ περὶ τῶν ζῴων μέθοδος (De long. vit. 6.467 b 8 f.). Beide Benennungen entstammen den Parv. nat. selbst.26 Da folglich Aristoteles das prinzipielle Wissen um das natürliche Gemeinsame von Leib und Seele – wie es sich an den Lebewesen zeigt und das die Lebewesen als dessen Repräsentanten bestimmt – für die Parv. nat. im allgemeinen und für De resp. im besonderen vorauszusetzen scheint, soll im Folgenden das Augenmerk vor allem auf die erwähnten Einsichten (2)–(4) gelegt werden, allerdings unter besonderer Berücksichtigung von Zweck und Ziel sowie der Organik, d. h. (3) und (4). Denn erst von diesen Grundbestimmungen des Ziels und des Leibes aus könne, wie Aristoteles zeigt, das, was die Atmung ist, d. h. die Sache Atmung und ihr tatsächliches Gegeben- oder Nicht-Gegebensein, ausgemacht werden, da ja das, was – gemäß den Vorgängertheorien zur Atmung27 – z. B. bei den Insekten und Fischen als Atmung 26

27

Vgl. zu den drei möglichen Titeln der Parv. nat. Verf., Der Titel ‚Zoologie‘ (wie Anm. 3) 42. Die beiden letztgenannten Titel geben durch ihren allgemein gehaltenen Kern (περὶ τῶν ζῴων) gemeinsamen Hinweis auf eine frühe gedankliche Anlage der Untersuchungen im Ausgang von De an., zumindest in deren erster Form, die nicht der überlieferten entsprechen dürfte. Aristoteles könnte jedenfalls bei der Ausarbeitung seiner Zoologie schon früh an die Notwendigkeit solcher Untersuchungen gedacht haben. Der unthematische, bibliographische Name parva naturalia findet sich zuerst bei Aegidius Romanus (ca. 1243–1316), einem Schüler des Thomas von Aquin, u. a. in seinem Kommentar zur aristotelischen Physik, vgl. dazu Freudenthal, Kritik und Exegese (wie Anm. 21) 81 Anm. 1 und darüber hinaus zu der Zeit der Entstehung dieses Titels: G. F. Vescovini, La tradizione dei Parva naturalia nell’insegnamento universitario medievale (secolo XIII e XIV), in: C. Crisciani (Hrsg.), Parva naturalia. Saperi medievali, natura e vita (Atti dell’XI convegno della Società Italiana per lo Studio del Pensiero Medievale, Macerata, 7–9 dicembre 2001), Pisa etc. 2004, 125– 141. Vor der ersten Erwähnung dieser Betitelung wurden die Untersuchungen vorrangig mit dem Titel der ersten Untersuchung De sensu et sensibilibus bedacht, was ebenso als ein unthematischer Name zu sehen ist, siehe ebd., 125 f. Diese werden insbes. in den Kap. 1–7 und 14 von De resp. behandelt, vgl. dazu auch Meyer, Aristoteles’ Theorie der Atmung (wie Anm. 2) 33 und 46–52. Auf die große Bedeutung der platonischen Atmungstheorie im Tim. für De resp. im besonderen sowie des größeren platonisch-naturbetrachtenden Kontextes für die aristotelische Zoologie im allgemeinen kann, da dies dem Umfang nach Thema einer eigenen Untersuchung wäre, im vorliegenden Beitrag nicht näher eingegangen werden (vgl. aber unten, Abschnitt 2.1, Anm. 28, ferner 2.2, Anm. 62; 2.4.2, Anm. 95; 3, Anm. 108 sowie oben, Anm. 2 und 4). In jedem Fall hat

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erscheint, keine Atmung sein kann, insofern bei diesen Tiergattungen die Lungen fehlen.

2. Zur Atmung bei Aristoteles im Ausgang von De resp. Im Folgenden soll – dem skizzierten Horizont von De resp. entsprechend – zunächst in zureichendem Maße der Sachverhalt der Atmung und deren Ort im Leib aufgewiesen werden (Abschnitt 2.1). Anschließend ist zu zeigen, wie Aristoteles selbst dem von ihm geforderten Aufweis der Gründe der Atmung entspricht. Dies soll zunächst bezogen auf den überlebensnotwendigen Zweck der Atmung, d. h. die Kühlung (Abschnitt 2.2), und deren spezifische Organik (Abschnitt 2.3), dann, stark verkürzt, im Hinblick auf die nicht überlebensnotwendigen Zielursachen des Riechens (Abschnitt 2.4.1) sowie der Lautgebung (Abschnitt 2.4.2) geschehen. Die jeweilige Zielursachenbestimmung ermöglicht demnach eine Vervollständigung der Bestimmung des Sachverhaltes der Atmung. Durch diese dreifache Sacherschließung und Grundfreilegung lässt sich das Bewegungsphänomen Atmung, wie es von Aristoteles an vielen verschiedenen Stellen im Corpus Aristotelicum erwähnt oder diskutiert wird, nicht nur im umfassenderen, sondern auch grundsätzlicheren Sinne begreifen, als dies allein durch deren Erörterung in De iuv./ De vit. et mort./De resp. möglich wäre. Gleichwohl zeigt sich, dass die Darlegungen in der genannten Schrifteneinheit den wesentlichen Ansatz und Horizont für die Interpretation der Atmung, wie sie in anderen Zusammenhängen

sich Aristoteles mit den platonischen Gedanken zur Atmung in De iuv./De vit. et mort./ De resp. intensiv auseinandergesetzt, wenn auch, bis auf De resp. 5, v. a. unausdrücklich. Vgl. Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 322 f. Siehe zu den Vorgängertheorien speziell u. a.: F. Solmsen, On Plato’s Account of Respiration (Tim., 79 c ff.), Studi italiani di filologia classica, n.s., 27–28, 1956, 544–548 (ND in: ders., Kleine Schriften I [Collectanea IV/1], Hildesheim 1968, 583–587); N. B. Booth, Empedocles’ Account of Breathing, The Journal of Hellenic Studies 80, 1960, 10–15; G. A. Seeck, Empedokles B 17,9–13 (= 26,8–12), B 8, B 100 bei Aristoteles, Hermes 95, 1967, 28–53, hier: 41 ff.; D. O’Brien, The Effect of A Simile: Empedocles’ Theories of Seeing and Breathing, The Journal of Hellenic Studies 90, 1970, 140–179, hier: 146 ff., 166 ff.; C. R. S. Harris, The Heart and the Vascular System in Ancient Greek Medicine. From Alcmaeon to Galen, Oxford 1973, 15–28 (zu Empedokles); H. Toole, Αἱ ἀναπνευστικαὶ θεωρίαι τῶν ἀρχαίων Ἑλλήνων φιλοσόφων καὶ γιατρῶν (Πρακτικὰ τῆς Ἀκαδημίας Ἀθηνῶν, Τομ. 51), Athen 1977, 48–85, hier: 51–69; P.-M. Morel, Démocrite dans les Parva naturalia d’Aristote, in: A. Laks/ C. Louguet (Hrsg.), Qu’est-ce que la Philosophie Présocratique? What is Presocratic Philosophy? (Cahiers de Philologie, Vol. 20), Villeneuve-d’Ascq 2002, 449–464, hier: 457 ff.; E. Piergiacomi, Chi respira e odora secondo Empedocle? Sul πάντα del fr. 96. 1 Gallavotti, Archai 23, 2018, 135–166.

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erwähnt wird, gewähren. Durch die Offenlegung dieser Zusammenhänge kann wiederum die Tragweite der Untersuchung De resp. und des Themas Atmung für die aristotelische Zoologie ermessen werden (Abschnitt 3). 2.1 Die Bestimmung des Sachverhaltes Atmung als solchen und seine vorläufige Lokalisierung im Leib Aristoteles erkennt die Atmung zunächst, gegen seine Vorgänger, die im eigentlichen Sinne nur das Einatmen im Blick haben, als ein Phänomen, das auch das Ausatmen einschließt (De resp. 2.471 a 6 ff.): πρῶτον μὲν γὰρ τὸ ἥμισυ τοῦ πράγματος ἀφαιροῦσι, διὰ τὸ τὸ κοινὸν ἐπὶ θατέρου λέγεσθαι μόνον. ἀναπνοὴ γὰρ καλεῖται, ταύτης δὲ τὸ μέν ἐστιν εἰσπνοή, τὸ δ’ ἐκπνοή […]. Denn zunächst lassen sie die Hälfte des Sachverhaltes aus, dadurch dass das Gemeinsame aus dem Bezug zu lediglich einem gesagt wird. Denn der Name lautet „Atmung“, davon aber ist der eine die Einatmung, der andere die Ausatmung […]. Insofern der Ausdruck ἀναπνοή doppeldeutig ist, da er zum einen den Atmungsvorgang insgesamt, bestehend aus Ein- und Ausatmung, beschreibt, zum anderen aber auch nur das Einatmen meinen kann, gebraucht Aristoteles ihn auch in beiden Sinnrichtungen. Eine Verwendung von ἀναπνεῖν in der Bedeutung „Einatmen“ findet sich z. B. in Hist. an. I 1, wo Aristoteles die Atmung einführt, um die Landtiere nach denjenigen, die atmen und so auch eine Lunge haben, und denjenigen, die nicht atmen, zu unterscheiden (487 a 28 ff.): τῶν δὲ χερσαίων τὰ μὲν δέχεται τὸν ἀέρα καὶ ἀφίησιν, ὃ καλεῖται ἀναπνεῖν καὶ ἐκπνεῖν, οἷον ἄνθρωπος καὶ πάντα ὅσα πνεύμονα ἔχει τῶν χερσαίων. Von den Landtieren nehmen die einen die Luft auf und geben sie wieder ab, was Einatmen und Ausatmen genannt wird, wie der Mensch und alle, die von den Landtieren eine Lunge haben. Einatmen meint daher Luft Aufnehmen, Ausatmen dagegen Luft von sich Geben. So selbstverständlich diese Bestimmung der Atmung zu sein scheint, so grundlegend und neu dürfte sie, jedenfalls in der von Aristoteles gedachten Form, wie die Stelle aus De resp. andeutet, für die Zeitgenossen des Aristoteles gewesen sein.28 28

Zugleich impliziert diese Erörterung des Sachverhaltes auch diejenige, welche Aristoteles am Ende von De resp. (21.480 b 9 ff.) formuliert, siehe unten, Anm. 64. Vgl. allerdings zu der vielleicht doch nur vermeintlichen Neuheit dieser Theorie, insbes. was den Kühlzweck der Atmung, wie sie

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in De resp. 10 (siehe unten, Abschnitt 2.2 am Anfang) beschrieben wird, angeht, K. Abel, Die Lehre vom Blutkreislauf im Corpus Hippocraticum, Hermes 86, 1958, 192–219, hier: 200 f. Dieser spricht sich jedoch für die Verwerfung eines Galen-Zeugnisses aus (De resp. usu 1 [IV 471 Kühn]: […] ἢ τῆς ἐμφύτου θερμασίας ἀνάψυξίς τις, ὡς Φιλιστίων τε καὶ Διοκλῆς ἔλεγον, siehe hierzu: Fragmentsammlung der Griechischen Ärzte. Hrsg. v. M. Wellmann, Bd. 1, Berlin 1901, 71 ff., 112), wonach Philistion von Lokroi bereits eine ähnliche Theorie aufgestellt haben könnte. D. J. Furley/J. S. Wilkie, Galen on Respiration and the Arteries, Princeton, NJ 1984, 6 weisen dieses Zeugnis, vorsichtiger, als für Philistion „relatively unknown“, zurück. O. Lewis, Praxagoras of Cos on Arteries, Pulse and Pneuma (Studies in Ancient Medicine, Vol. 48), Leiden/Boston, MA 2017, 159 f. erklärt bezüglich der GalenStelle (60/61–62/63) das Fehlen einer Erwähnung des Aristoteles und der in der aristotelischen Doxographie zum Thema in De resp. besprochenen Theorien von Demokrit, Anaxagoras, Diogenes von Apollonia, Platon und Empedokles mit dem „focus on the opinions of physicians rather than philosophers“ (160), wobei die Echtheit der Zuschreibung des Kühlzwecks an Philistion offengelassen wird (159 f., 163 [mit weiterer Literatur]). Dagegen kann mit Galen (und Platon) vermutet (160 Anm. 32, 163 f.) und mit Hippokrates angenommen werden (siehe E. Frixione, Pneuma – Fire Interactions in Hippocratic Physiology, Journal of the History of Medicine and Allied Sciences 68, 2013, 505–528, hier: 514, 519 f.), dass für letztgenannten zumindest das Einatmen der Kühlung gedient haben könnte. Insgesamt ist es wahrscheinlich, dass einzelne, unzusammenhängende Elemente der aristotelischen Theorie der Atmung bereits vor Aristoteles vorlagen, nicht jedoch das Sinngefüge und Fundament der überlieferten aristotelischen Theorie als ganzer. Dies gilt insbes. auch im Hinblick auf die platonische Fassung des Zusammenhangs von Ein- und Ausatmung, welche Platon einen ebenfalls aus Lokroi stammenden Timaios im gleichnamigen Dialog 78 B 7–79 E 9 darlegen lässt (siehe dazu die aristotelische Kritik in De resp. 5, ferner u. a. Solmsen, Respiration [wie Anm. 27]). Die entsprechenden Ausführungen gehören in einen von Karlheinz Hülser „Die Versorgungseinrichtungen des Organismus“ überschriebenen Abschnitt (vgl. Platon, Philebos. Timaios. Kritias. Griechisch und deutsch [Sämtliche Werke, Bd. 8, hrsg. v. K. H.], Frankfurt a. M./Leipzig 1991, 381), in dem nacheinander die Versorgungsorgane, die Platon mit einer Fischreuse vergleicht (77 C 6–79 A 4, insbes. 78 B 2–4: ὁ θεὸς […] πλέγμα ἐξ ἀέρος καὶ πυρὸς οἷον οἱ κύρτοι συνυφηνάμενος, vgl. 79 D 2–3: ὃ […] προσῃκάζομεν τῷ τοῦ κύρτου πλέγματι), das Atmen (79 A 5–E 9), die Zuordnung des Atmens zu anderen natürlichen Bewegungsphänomenen (79 E 10–80 C 8) sowie Blut, Ernährung und Wachstum, Alter und Tod (80 D 1–81 E 5) thematisiert werden. Platon versteht das Ein- und Ausatmen, vom Ausatmen her (vgl. 79 B 2: τὸ δὲ πνεῦμα φέρεται παρ’ ἡμῶν ἔξω, siehe dazu De resp. 5.472 b 20–24 sowie unten, Abschnitt 2.2, Anm. 61), zwar auch als das Abgeben und Aufnehmen von Luft durch Brust, Lunge, Mund und Nase, allerdings bewirkt bei ihm das Ausatmen zugleich das Einströmen von Luft durch das Fleisch, und zwar aufgrund dessen lockerer Beschaffenheit (79 C 3 f.: μανῶν τῶν σαρκῶν, vgl. 78 D 5: ὡς ὄντος τοῦ σώματος μανοῦ); das Einatmen wird dagegen durch deren Entweichen durch das Fleisch hindurch nach außen erzeugt (vgl. 79 C 2–7). Ein- und Ausatmung im Sinne der Lungenatmung bilden daher nur einen Faktor der Luftzirkulation und damit von Einund Ausatmung im platonischen Sinne (vgl. 78 D 1–E 3, insbes. E 2–3: τούτῳ δὲ δὴ τῷ γένει τὸν τὰς ἐπωνυμίας θέμενον ἀναπνοὴν καὶ ἐκπνοὴν λέγομεν θέσθαι τοὔνομα), wobei auch bei Platon solchermaßen die Kühlung des Leibes vollzogen wird. Siehe zum Zusammenhang von Kühlung, Ernährung und Leben 78 E 3–79 A 4, insbes. E 3–5: πᾶν δὲ δὴ τὸ τ’ ἔργον καὶ τὸ πάθος τοῦθ’ ἡμῶν τῷ σώματι γέγονεν ἀρδομένῳ καὶ ἀναψυχομένῳ τρέφεσθαι καὶ ζῆν,

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ferner die erste Etymologie von ψυχή in Crat. 399 D 10–E 3, hier: D 12–E 2: […] αἴτιόν ἐστι (sc. ἡ ψυχή) τοῦ ζῆν αὐτῷ (sc. τῷ σώματι), τὴν ἀναπνεῖν δύναμιν παρέχον καὶ ἀναψῦχον, […] ἐκλείποντος τοῦ ἀναψύχοντος τὸ σῶμα ἀπόλλυταί τε καὶ τελευτᾷ. Vgl. dagegen De resp. 5.472 b 24–29, wo Aristoteles andeutet, dass die platonischen Ausführungen zur Atmung deren ursächliche Bedeutung für Leben und Tod verkennen. Die genannte Zirkulation fasst Platon im Bild eines sich drehenden Rades zusammen (79 B 1–C 1, insbes. B 7–C 1: καὶ τοῦτο ἅμα πᾶν οἷον τροχοῦ περιαγομένου γίγνεται […], vgl. die Duale in D 6 f.: δυοῖν δὲ τοῖν διεξόδοιν οὔσαιν, ferner E 7 f.: κύκλον […] σαλευόμενον, vgl. auch die aristotelische Zusammenfassung De resp. 5.472 b 6: ἡ δ’ ἐν τῷ Τιμαίῳ γεγραμμένη περίωσις sowie 12– 20); dabei bildet aber die Luft selbst den wesentlichen Träger der zirkulierenden Bewegung (79 B 5 f.: περιελαυνόμενον […] τὸ πνεῦμα, C 2–4: τὸ πνεῦμα πάλιν ὑπὸ τοῦ περὶ τὸ σῶμα ἀέρος […] περιελαυνομένου, C 5–6: ὁ ἀὴρ […] εἴσω τὴν ἀναπνοὴν περιωθεῖ, Ε 1–2: ὅταν μὲν ἐπὶ θάτερα ὁρμήσῃ, θάτερα περιωθεῖ, τὸ δὲ περιωσθὲν […], E 6: περιωθεῖ τὸ κατὰ θάτερα). An dieser Zirkulation hat der Leib, gleichsam als deren Fahrzeug (vgl. 69 C 7: […] ὄχημα […] πᾶν τὸ σῶμα ἔδοσαν […]), Anteil. Den Anstoß zum Entweichen der inneren Luft gibt das innere Warme (vgl. Solmsen, Respiration, 545), das aufgrund seiner Natur nach außen drängt; siehe dazu 79 D 5–6: τὸ θερμὸν δὴ κατὰ φύσιν εἰς τὴν αὑτοῦ χώραν ἔξω πρὸς τὸ συγγενὲς ὁμολογητέον ἰέναι, wobei hier sowohl das Warme des πνεῦμα (vgl. unten, Abschnitt 2.2, Anm. 56 und 58) gemeint zu sein scheint, welches nach außen strebt, als auch, mit Blick auf das Folgende, die durch das Warme des πνεῦμα erwärmte Luft, die tatsächlich nach außen tritt. Das Warme in diesem doppelten Sinne bewirkt das Einströmen der äußeren Luft durch das Fleisch hindurch in den Leib und setzt die Zirkulation in Gang. Atmung und Leib erscheinen von vorne herein unmittelbarer in einen umfassenden belebten, kosmischen Naturzusammenhang eingebettet (vgl. auch für das Wachstum 81 A 2–4: […] καθάπερ ἐν τῷ παντὶ παντὸς ἡ φορὰ γέγονεν, ἣν τὸ συγγενὲς πᾶν φέρεται πρὸς ἑαυτό sowie zur weiteren Perspektive 69 B 7–C 3: […] οἷον πῦρ καὶ ὕδωρ καὶ εἴ τι τῶν ἄλλων· ἀλλὰ πάντα ταῦτα πρῶτον διεκόσμησεν, ἔπειτ’ ἐκ τούτων πᾶν τόδε συνεστήσατο, ζῷον ἓν ζῷα ἔχον τὰ πάντα ἐν ἑαυτῷ θνητὰ ἀθάνατά τε) und nicht, wie bei Aristoteles, durch die im Leib angesiedelte Nährseele, welche die Atembewegung realisiert, mehr vermittelt (siehe aber unten, Abschnitt 2.2, Anm. 66). Die Kühlung realisiert sich mithin nicht, wie im aristotelischen Entwurf, durch das Einziehen kühlender Luft in den Leib, sondern wird durch das Abgeben von Wärme und deren auswärtige Abkühlung vollzogen, vgl. 79 D 5–E 3, insbes. E 2–3: τὸ δὲ περιωσθὲν εἰς τὸ πῦρ ἐμπῖπτον θερμαίνεται, τὸ δ’ ἐξιὸν ψύχεται sowie die Kritik in De resp. 5.472 b 33– 473 a 2, insbes. 472 b 33: ἄτοπον […] τοῦ θερμοῦ τὴν ἀναπνοὴν εἴσοδον εἶναι, was im Tim. allerdings an keiner Stelle ausdrücklich behauptet wird (vgl. aber vielleicht 78 E 5–79 A 4, insbes. E 5 ff.: ὁπόταν γὰρ εἴσω καὶ ἔξω τῆς ἀναπνοῆς ἰούσης τὸ πῦρ ἐντὸς συνημμένον ἕπηται […]); siehe ferner De part. an. I 1.642 a 31–b 4, welche Passage, insbes. aber 642 a 35–b 2 (vgl. oben, Abschnitt 1, Anm. 7), eine Auseinandersetzung mit der vermeintlichen Behauptung aus dem Tim. zu sein scheint, wonach zu sagen wäre, dass nicht der Eintritt des Warmen, im Sinne warmer auswärtiger Luft, die Einatmung darstellt, sondern dass das Nach-innen-Gehen des Warmen, im Sinne des Warmen des πνεῦμα, das wieder nach innen zu umschlägt, die kühle Außenluft einströmen lässt, was als Einatmung zu verstehen ist, vgl. dazu Aristotle, On the Life-Bearing Spirit (wie Anm. 7) 194 ff., insbes. 194 und Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 321 ff., hier: 323. Die Luft in der Lunge, welche als weich, blutlos, wie ein Schwamm durchlöchert, folglich aufnahmefähig für Atem und Trank beschrieben wird (70 C 5–D 2: πρῶτον μὲν μαλακὴν καὶ ἄναιμον, εἶτα σήραγγας ἐντὸς ἔχουσαν οἷον σπόγγου κατατετρημένας, ἵνα τό τε πνεῦμα καὶ τὸ πῶμα δεχομένη, ψύχουσα,

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Das Neue scheint Aristoteles auch mit einem geringfügig anders lautenden Namen für die Lunge, d. h. für die organische Voraussetzung der Atmung, bedacht zu haben, indem er sie häufig πνεύμων (zu πνεῦμα, πνέω) statt πλεύμων nennt; letztere ist die ältere Bezeichnung.29 Weiters bestimmt Aristoteles die Atmung in der Physik wie folgt als Bewegung (VII 2.243 b 12–15): ἔτι δ’ ἡ μὲν εἰσπνοὴ ἕλξις, ἡ δ’ ἐκπνοὴ ὦσις. ὁμοίως δὲ καὶ ἡ πτύσις, καὶ ὅσαι ἄλλαι διὰ τοῦ σώματος ἢ ἐκκριτικαὶ ἢ ληπτικαὶ κινήσεις· αἱ μὲν γὰρ ἕλξεις εἰσίν, αἱ δ’ ἀπώσεις. Ferner ist die Einatmung ein Ziehen, die Ausatmung ein Stoßen. In gleicher Weise dem Speien, sowie allen anderen entweder ausscheidenden oder aufnehmenden Bewegungen vermittelst des Leibes: Die einen sind nämlich Zug-, die anderen Ausstoß. Diese Bestimmung der Atmung macht deutlich, was für Aristoteles in De resp. bereits als eingesehen vorliegt, nämlich dass das Atmen in zwei spezifischen Bewegungsformen gründet. Diese Bewegungsformen, denen neben der Atmung weitere Bewegungen, die an der Atmung hängen, zugehören,30 lassen

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ἀναπνοὴν καὶ ῥᾳστώνην […] παρέχοι, vgl. zu κατατετρημένας unten, Abschnitt 2.3, zu De resp. 16.478 a 26–28 und zu Hist. an. I 17.496 a 22–32, wo diese Löchrigkeit der Lunge als Hinweis auf ihre Verbindung mit dem Herzen begriffen wird), ist bereits, durch ihren Anschluß an die Luftröhre, als mit kühlender Außenluft in Berührung stehend zu denken und kann daher in dem beschriebenen Prozess als Kühlung gewährendes Organ im ausgezeichneten Sinne begriffen werden (vgl. insges. 70 C 1–D 6 sowie 78 C 4–10, siehe dagegen zur aristotelischen Beschreibung der Lunge unten, Abschnitt 2.3, zu Anm. 71 und zu De resp. 15.478 a 19–25, wo gerade der Zusammenhang von Atmung und Blutreichtum offengelegt wird). Die Lunge dient demnach bei Platon aber nicht nur der Kühlung im vorliegenden Sinne, sondern auch bei Zuständen seelischer Erregung, vgl. unten, Abschnitt 3, Anm. 108. Siehe zu den Varianten πλεύμων/πνεύμων: A Greek-English Lexicon. Compiled by H. G. Liddell and R. Scott. Revised and augmented throughout by Sir H. S. Jones. With a revised supplement, Oxford 1996, s. v. πλεύμων or πνεύμων am Ende mit Hinweis auf De resp. 10.476 a 9 f.: ἔοικε δὲ καὶ τοὔνομα εἰληφέναι ὁ πνεύμων διὰ τὴν τοῦ πνεύματος ὑποδοχήν, vgl. F. Montanari, The Brill Dictionary of Ancient Greek. Eds. of the Engl. Ed. M. Goh & C. Schroeder, Leiden/Boston, MA 2015, s. v. πλεύμων. Neben dem Speien (ἡ πτύσις, πτύειν), das Aristoteles u. a. auch in De mot. an. 4.700 a 24 f. den Atmern zuschreibt, nennt er als ἐκκριτικαὶ κινήσεις die Phänomene des Hustens (ἡ βήξ, βήττειν: ebd., De an. II 8.420 b 31 ff., De part. an. III 3.664 b 6 und 31) und des Niesens (ὁ πταρμός, πτάρνυσθαι: Hist. an. I 11.492 b 6 ff., wo es als einziges wahrsagerisches und heiliges Zeichen unter den Atmungsarten [σημεῖον οἰωνιστικὸν καὶ ἱερὸν μόνον τῶν πνευμάτων] gekennzeichnet wird, vgl. dazu auch [Probl.] XXXIII 9). Darüber hinaus finden sich Stellen in den Probl., welche belegen (962 a 35 f.), dass auch das Aufstoßen bzw. Eruktieren (ὁ ἐρυγμός) und die Flatulenz (ἡ φῦσα) sowie das Gähnen (ἡ χάσμη, χασμᾶσθαι: z. B. XI 29.902 b 9–15) zu diesen ἐκκριτικαὶ κινήσεις gezählt wurden; ferner, was die ληπτικαὶ κινήσεις angeht, der Schluckauf (ὁ λυγμός, ἡ λύγξ: z. B. [Probl.] XXXIII 5.962 a 10–16, wo er als eine Zugbewegung, σπασμός, erläutert wird): Daher auch wohl rät der Arzt Eryxima-

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sich gleichsam als pneumatische31 fassen. Die Atmung insgesamt, im Sinne der Kühlung, erscheint so als die Instanz des Gemeinsamen zweier spezifischer, gegenläufiger Bewegungen. Im Kapitel 7 von De resp., in welchem sich Aristoteles gegen Empedokles wendet, der der Nasenatmung eine herausragende Rolle zuweist, der aber übersehe, dass die Nasenatmung und Brustatmung zusammenhängen, beschreibt Aristoteles den Vorgang der Atmung insgesamt, an dem, neben der Lunge, insbesondere die Luftröhre, der Mund und die Nase beteiligt sind. Dabei veranschaulicht er diesen Vorgang anhand der Bewegung eines Blasebalgs (7.474 a 7–23): ἀναπνεῖ […] τὰ φανερῶς ἀναπνέοντα διὰ τῆς ἀρτηρίας, διά τε τοῦ στόματος ἅμα καὶ διὰ τῶν μυκτήρων. […] ἄραντες μὲν γὰρ τὸν τόπον, καθάπερ τὰς φύσας ἐν τοῖς χαλκείοις, ἀναπνέουσιν […], συνιζάνοντες δὲ καὶ καταπλήττοντες, ὥσπερ ἐκεῖ τὰς φύσας, ἐκπνέουσιν. […] οὐ γάρ ἐστιν ἀναπνοὴ μυκτήρων ἴδιος, ἀλλὰ παρὰ τὸν αὐλῶνα τὸν περὶ τὸν γαργαρεῶνα, ᾗ τὸ ἔσχατον τοῦ ἐν τῷ στόματι οὐρανοῦ, συντετρημένων τῶν μυκτήρων χωρεῖ τὸ μὲν ταύτῃ τοῦ πνεύματος, τὸ δὲ διὰ τοῦ στόματος, ὁμοίως εἰσιόν τε καὶ ἐξιόν. [D]ie Atmung findet […] bei den Lebewesen, bei denen es keinem Zweifel unterliegt, dass sie atmen, durch die Luftröhre statt und zugleich durch den Mund und die Nasenlöcher. […] Denn indem sie den Brustkorb heben, wie es bei den Blasebälgen in den Schmiedewerkstätten geschieht, atmen sie ein […]; wenn man hingegen den Brustkorb sich senken und

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chos Aristophanes im platonischen Symp. (185 C 4–E 5) bei sehr hartnäckigem (πάνυ ἰσχυρά) Schluckauf, diesen mit dem Niesen zu bekämpfen, um – so würde Aristoteles dies vielleicht begründen – der Kühle und Feuchte aufnehmenden Zugbewegung durch die Wärme und Feuchte ausstoßende Bewegung des Niesens entgegenzuwirken. Zu den aufnehmenden Zugbewegungen zählte Aristoteles das auch in De resp. gut belegte Keuchen, NachLuft-Schnappen bzw. Ersticken (πνιγμός, πνῖξις, πνίγεσθαι: 3.471 a 31, b 13, 9.475 a 28). Diese Zug- und Ausstoßbewegungen wurden nach ihrem Ort im Leib eingeteilt und beurteilt ([Probl.] XXXIII 9.962 a 34 f.: […] ὅτι τριῶν τόπων ὄντων, κεφαλῆς καὶ θώρακος καὶ τῆς κάτω κοιλίας […]). Aristoteles nimmt an (siehe De mot. an. 10), dass im Herzen ein σύμφυτον πνεῦμα (700 a 10 ff.) angesiedelt sei, welches sich ausdehnen (20: αὐξάνεσθαι) und zusammenziehen (21: συστέλλεσθαι) könne, mithilfe dessen das Bewegungsvermögen der Seele das Lebewesen sich bewegen lässt. Die Ausdehnung und Zusammenziehung dieses πνεῦμα bewirke insofern auf organischer Ebene zunächst die stoßenden und ziehenden Bewegungen im Leib (19 f.), weil die anderen Körperteile unmittelbar oder mittelbar mit dem Herzen verbunden seien (34 ff.). Siehe zu der Verbindung von „beigeborenem Atem“ und „dem Warmen“, auf das die Atembewegung zurückgeführt wird, unten, Abschnitt 2.2, zu Anm. 56 und 58. Zum Unterschied der Ausdrücke ‚beigeboren‘ und ‚angeboren‘ im vorliegenden Zusammenhang siehe auch oben, Anm. 1. Vgl. zum Thema S. Flavion, La physiologie d’Aristote, Dissertation Löwen, Louvain-la-Neuve 1949, 18.

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zusammensacken lässt, wie dort die Blasebälge, so atmet man aus. […] Denn das Atmen ist nicht auf die Nasenlöcher beschränkt, sondern ein Teil der Atemluft zieht der dem Zäpfchen angrenzenden Röhre entlang, und zwar dort, wo die durch die Nase führenden Kanäle am äußersten Rand des Rachens durch eine gemeinsame Öffnung miteinander verbunden sind,32 während die Atemluft zum anderen Teil durch den Mund zieht, und zwar sowohl beim Einatmen wie beim Ausatmen.33 (Übers. nach Dönt) Diese detaillierte Beschreibung des Vorgangs der Nasenatmung wird durch eine parallele in der Hist. an. ergänzt, auch was die dort andeutungsweise feststellbare Kritik an Empedokles angeht (I 11.492 b 5–17): ἔτι προσώπου μέρος τὸ μὲν ὂν τῷ πνεύματι πόρος ῥίς· καὶ γὰρ ἀναπνεῖ καὶ ἐκπνεῖ ταύτῃ, καὶ ὁ πταρμὸς διὰ ταύτης γίνεται, πνεύματος ἀθρόου ἔξοδος […]. ἅμα δ’ ἡ ἀνάπνευσις καὶ ἔκπνευσις34 γίνεται εἰς τὸ στῆθος, καὶ ἀδύνατον χωρὶς τοῖς μυκτῆρσιν ἀναπνεῦσαι ἢ ἐκπνεῦσαι διὰ τὸ ἐκ τοῦ στήθους εἶναι τὴν ἀναπνοὴν καὶ ἐκπνοὴν κατὰ τὸν γαργαρεῶνα, καὶ μὴ ἐκ τῆς κεφαλῆς τινι μέρει· ἐνδέχεται δὲ καὶ μὴ χρώμενον ταύτῃ ζῆν. ἡ δ’ ὄσφρησις γίνεται διὰ τούτου τοῦ μέρους· αὕτη δ’ ἐστὶν ἡ αἴσθησις ὀσμῆς. εὐκίνητος δ’ ὁ μυκτήρ, καὶ οὐχ ὥσπερ τὸ οὖς ἀκίνητον κατ’ ἰδίαν. μέρος δ’ αὐτοῦ τὸ μὲν διάφραγμα χόνδρος, τὸ δ’ ὀχέτευμα κενόν· ἔστι γὰρ ὁ μυκτὴρ διχότομος. Außerdem ist dasjenige ein Teil des Gesichts, welches einen Gang für die Atemluft darstellt, die Nase. Denn durch sie atmet man ein und aus, und auch das Niesen, das Austreten gesammelten Atems, geschieht durch sie […]. Zugleich aber gehen Ein- und Ausatmung in die Brust. Auch ist nicht möglich, ausschließlich mit der Nase ein- oder auszuatmen, da von der Brust her die Ein- und Ausatmung am Zäpfchen vorbei erfolgt, und nicht vom Kopf aus mittels irgendeines Körperteils (hier die unausdrückliche Kritik an Empedokles, Anm. Verf.). Es ist möglich, auch ohne Gebrauch der Nase zu leben. Und man riecht durch diesen Körperteil. Das

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Das Wort στόμα in der Formulierung τοῦ ἐν τῷ στόματι οὐρανοῦ meint nicht die Mundhöhle, sondern den Rachen. Diese Umschreibung trifft die heute so bezeichnete pars nasalis pharyngis, auch Nasopharynx oder Epipharynx genannt, welcher obere Rachenraum seiner Erscheinung nach exakt dem entspricht, was hier im Griechischen als τὸ ἔσχατον τοῦ […] οὐρανοῦ bezeichnet wird. Siehe dazu F. Paulsen/J. Waschke (Hrsg.), Sobotta. Atlas der Anatomie des Menschen. Kopf, Hals und Neuroanatomie, München 232010, 176 f., Abb. 11; 17–19. Zur Anschauung vom Blasebalg siehe auch den folgenden Abschnitt zu De resp. 21.480 a 16–b 6 sowie u. a. Anm. 62. Die Ausdrücke ἀνάπνευσις und ἔκπνευσις für die Einatmung und Ausatmung finden sich, bis auf drei Passagen in den Probl., nur hier.

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Sergiusz Kazmierski Riechen ist die Wahrnehmung von Geruch. Die Nase ist leicht zu bewegen, und nicht wie das Ohr, das für sich allein unbeweglich ist. Teil der Nase ist zum einen die Zwischenwand, ein Knorpel, zum anderen der leere Kanal. Die Nase ist nämlich zweigeteilt. (Übers. nach Zierlein)

Die beiden Parallelstellen aus De resp. und Hist. an. machen gemeinsam die faktischen Gegebenheiten angemessen deutlich. Ihr exaktes, wechselweises Sich-Ergänzen mag ein Beleg dafür sein, dass Aristoteles die Texte parallel überarbeitet hat; zum anderen entsteht der Eindruck, als habe die Einsicht aus De resp. bereits vorgelegen, als Aristoteles die Passage aus der Hist. an. in der überlieferten Form abfasste. Zum dritten ist bemerkenswert, dass Aristoteles hier, gleichsam im Vorübergehen, den Wesensbegriff des Niesens und Riechens angibt. Da nun eine detailliertere Beschreibung der Brustatmung unmittelbar mit der Explikation der Zweckursache des Atmens, der Kühlung, zusammenhängt, soll sie an dieser Stelle ausbleiben. Der Vorgang der Atmung allerdings dient, wie sich angedeutet hat, nicht nur der in De resp. genauer vorgestellten, das Überleben garantierenden Zweckursache der Kühlung, sondern auch dem nicht überlebensnotwendigen Riechen; ferner, wie sich noch zeigen soll, der ebensowenig unabdingbaren Lautgebung. Dabei aber ist der Atmungsvorgang jeweils ein etwas anderer. Denn im Fall des Riechens ist das Atmen auf die Einatmung beschränkt, insofern Atmer beim Ausatmen nicht riechen können (was auch der Grund dafür ist, dass atmende und zugleich nicht mit Kiemen ausgestattete Lebewesen im Wasser nicht riechen können);35 im Fall des Sprechens und der Tierstimme kommt das Atmen weitgehend zum Stillstand, da das gewöhnliche Sprechen weder beim Ein- noch beim Ausatmen, lediglich bei angehaltener Atemluft stattfinden kann.36 Von den Zielursachen der Atmung her erweist sich somit auch der Sachverhalt Atmung als vielfältig.37 2.2 Die Kühlung als Zielursache der Atmung, der Grund ihrer Bewegung, ihre organischen Bedingungen und ihr Wesen Wie nun Aristoteles in De resp. zeigt, ist die Vielfalt analoger Kühlvorgänge bei verschiedenen Tiergattungen auch der Grund, warum nicht alle Tiere At35

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Siehe dazu De an. II 9.422 a 3–6: καὶ διὰ τοῦτο τὰ ἀναπνέοντα οὐκ ὀσμᾶται ἐν τῷ ὑγρῷ· ἀναγκαῖον γὰρ ὀσφρανθῆναι ἀναπνεύσαντα, τοῦτο δὲ ποιεῖν ἐν τῷ ὑγρῷ ἀδύνατον. Der Ausdruck ἀναπνεύσαντα bezieht sich hier auf das Einatmen, vgl. zu De resp. 2.471 a 6 ff. den vorliegenden Abschnitt 2.1 am Anfang. Vgl. auch De an. II 9.421 b 18 f. Siehe dazu De an. II 8.421 a 1–3: σημεῖον δὲ τὸ μὴ δύνασθαι φωνεῖν ἀναπνέοντα μηδ’ ἐκπνέοντα, ἀλλὰ κατέχοντα (erg. τὸν ἀέρα). Siehe zum Riechen und zur Lautgebung unten, Abschnitt 2.4.

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mer sein können. Die Atmung ist zunächst nur ein möglicher Kühlvorgang bei denjenigen Lebewesen, welche blutführende sind, ein Herz haben sowie eine Lunge besitzen (De resp. 10.475 b 16–19): τοῖς δ’ ἐναίμοις καὶ τοῖς ἔχουσι καρδίαν, ὅσα μὲν ἔχει πνεύμονα, πάντα δέχεται τὸν ἀέρα καὶ τὴν κατάψυξιν ποιεῖται διὰ τοῦ ἀναπνεῖν καὶ ἐκπνεῖν. Bei den Lebewesen, die Blut führen und ein Herz haben, nehmen all diejenigen, welche mit einer Lunge ausgestattet sind, Luft in sich auf und verschaffen sich Abkühlung mittels Ein- und Ausatmens. (Übers. nach Dönt) Gleichwohl bedürfen alle Tiere der Kühlung, wie z. B. die Fische, die zwar Blut führen und ein Herz haben, dennoch keine Lunge besitzen und deshalb auch keine Atmer sein können (De resp. 10.476 a 1 f.): ὅσα δὲ βράγχια ἔχει, πάντα καταψύχεται δεχόμενα τὸ ὕδωρ. „Alle Tiere, die Kiemen besitzen, verschaffen sich Kühlung durch Wasseraufnahme.“ (Übers. Dönt) Da die Fische und andere mit Kiemen ausgestattete Tiere, weil sie keine Lunge haben, auch keine Luft aufnehmen noch abgeben können, sondern vermittelst der Kiemen Wasser, vollziehen sie die Kühlung durch Wasseraufnahme und -abgabe. Luft ist bei der Kühlung der Atmer in Analogie zum Wasser bei der Kühlung der Fische zu denken. Die Kühlung ist wiederum bei allen Tieren notwendig gegen das Verenden (φθορά), so auch bei den Insekten und sonstigen kleineren blutlosen Tiergattungen, welche die Kühlung über das sie umgebende Element vollziehen (De resp. 9.474 b 25–29): ἐπεὶ δὲ τῶν ζῴων τὰ μὲν ἔνυδρα, τὰ δ’ ἐν τῇ γῇ ποιεῖται τὴν διατριβήν, τούτων τοῖς μὲν μικροῖς πάμπαν καὶ τοῖς ἀναίμοις ἡ γινομένη ἐκ τοῦ περιέχοντος ἢ ὕδατος ἢ ἀέρος ψῦξις ἱκανὴ πρὸς τὴν βοήθειαν τῆς φθορᾶς […]· μικρὸν γὰρ ἔχοντα τὸ θερμὸν μικρᾶς δέονται τῆς βοηθείας. Insofern die einen Lebewesen im Wasser, die anderen zu Lande leben, genügt bei den ganz kleinen und bei den blutlosen unter ihnen die Kühlung, die ihnen aus ihrer Umgebung zuteil wird, entweder aus dem Wasser oder aus der Luft, als Hilfe gegen das Verenden […]; denn da sie in geringem Umfang das Warme haben, bedürfen sie in geringem Umfang der Hilfe . Daher aber haben sie auch ein kürzeres Leben.38 Größere und langlebigere Insekten (ἔντομα) haben hingegen, wie ihr Gattungsname ja sagt, Einschnitte.

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De resp. 9.474 b 30 f.: διὸ καὶ βραχύβια σχεδὸν πάντα τὰ τοιαῦτ’ ἐστίν· ἐπ’ ἀμφότερα γὰρ μικρὰ ὄντα μικρᾶς τυγχάνει ῥοπῆς.

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Diese Einschnitte sind für die Insekten insofern überlebensnotwendig, als dass sie dadurch die Kühlung vollziehen (De resp. 9.474 b 31–475 a 5): ὅσα δὲ μακροβιώτερα τῶν ἐντόμων (ἄναιμα γάρ ἐστι πάντα τὰ ἔντομα), τούτοις ὑπὸ τὸ διάζωμα διέσχισται, ὅπως διὰ λεπτοτέρου ὄντος τοῦ ὑμένος ψύχηται· μᾶλλον γὰρ ὄντα θερμὰ πλείονος δεῖται τῆς καταψύξεως, οἷον αἱ μέλιτται (τῶν γὰρ μελιττῶν ἔνιαι ζῶσι καὶ ἑπτὰ ἔτη) […]. Von den Insekten (sie sind ja alle blutlos) haben alle länger lebenden unterhalb ihres Mittelleibes eine Einkerbung, damit sie aufgrund der dünnen Beschaffenheit der Membran durch diese hindurch die Kühlung vollziehen können. Denn da sie wärmer sind, bedürfen sie größerer Kühlung, wie z. B. die Bienen (manche von ihnen leben ja sieben Jahre) […]. (Übers. nach Dönt) Diese Aufnahme der Kühle kann jedoch im aristotelischen Sinne nicht als Atmung bezeichnet werden.39 Die Kühlung (und damit auch die Atmung) ist wiederum in zweifacher Weise eine Hilfe gegen das Verenden und so überlebensnotwendig: einmal gegen die Auslöschung (σβέσις), zum anderen gegen das Verlöschen (μάρανσις) des natürlichen Feuers.40 Die Auslöschung (des Feuers) meint das Vergehen durch Gegensätze (d. h. durch ein Zuviel an Kälte von Luft oder Wasser); Verlöschen dagegen kommt durch ein Zuviel vom Selben (d. h. an Wärme) zustande. In den Erklärungen dieser Phänomene unterscheidet Aristoteles Feuer und Wärme ebenso voneinander wie Luft und Wasser und die von diesen Elementen herrührende Kühle. Beide, Wärme und Kühle, können sich allerdings grundsätzlich nur in oder an einem Stoff entfalten.41 Die Unter39

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Vgl. oben, Abschnitt 2.1 am Anfang, zu Hist. an. I 1.487 a 28 ff. Siehe ferner De resp. 9.475 a 6–15: καὶ γὰρ τὸν ψόφον ποιοῦσι πνεύματι, οἷον ἀσθμαίνοντα· ἐν αὐτῷ γὰρ τῷ ὑποζώματι, τῷ ἐμφύτῳ πνεύματι αἰρομένῳ καὶ συνίζοντι, συμβαίνει πρὸς τὸν ὑμένα γίνεσθαι τρίψιν· κινοῦσι γὰρ τὸν τόπον τοῦτον, ὥσπερ τὰ ἀναπνέοντα ἔξωθεν τῷ πνεύμονι καὶ οἱ ἰχθύες τοῖς βραγχίοις. παραπλήσιον γὰρ συμβαίνει κἂν εἴ τίς τινα τῶν ἀναπνεόντων πνίγοι, τὸ στόμα κατασχών· καὶ γὰρ ταῦτα ποιήσει τῷ πνεύμονι τὴν ἄρσιν ταύτην. ἀλλὰ τούτοις μὲν οὐχ ἱκανὴν ἡ τοιαύτη ποιεῖ κίνησις κατάψυξιν, ἐκείνοις δ’ ἱκανήν. „[…] Ein ganz ähnlicher Vorgang wie bei den Insekten spielt sich ja ab, wenn man bei einem atmenden Lebewesen die Atmung unterbindet, indem man ihm den Mund zuhält: Denn auch diese werden vermittelst der Lunge auf dieselbe Weise die Hebung vollziehen. Nur verschafft diesen eine solche Bewegung nicht die genügende Kühlung, jenen aber schon.“ (Übers. nach Dönt). Zur Übersetzung von 475 a 6–11 siehe unten, Abschnitt 2.4.2 am Anfang. Vgl. De resp. 8.474 b 10–24 und De iuv./De vit. et mort. 5. Siehe ausführlich unten, zu Anm. 48. Vgl. De gen. et corr. II 3.330 a 30 ff. mit J. Althoff, Warm, kalt, flüssig und fest bei Aristoteles. Die Elementarqualitäten in den zoologischen Schriften (Hermes Einzelschriften, Bd. 57), Stuttgart 1992, 109 f.

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scheidung bedeutet nicht, dass nach Aristoteles Feuer und Wärme, Luft und Kühle getrennte Phänomene darstellen.42 Das Feuer ist Bedingung für das notwendige Gegebensein der Nährseele im Leib der Tiere und des Menschen.43 Die vom Feuer zu unterscheidende natürliche, stoffgebundene Wärme dient der Nährseele als Instrument für die Ernährung durch Verkochung.44 Im eigentlichen Sinne hängt an dieser Verkochung gerade das Überleben und die Entstehung der Lebewesen (De iuv./De vit. et mort. 4.469 b 6–17): πάντα δὲ τὰ μόρια καὶ πᾶν τὸ σῶμα τῶν ζῴων ἔχει τινὰ σύμφυτον θερμότητα φυσικήν· διὸ ζῶντα μὲν φαίνεται θερμά, τελευτῶντα δὲ καὶ στερισκόμενα τοῦ ζῆν τοὐναντίον. ἀναγκαῖον δὴ ταύτης τὴν ἀρχὴν τῆς θερμότητος ἐν τῇ καρδίᾳ τοῖς ἐναίμοις εἶναι, τοῖς δ’ ἀναίμοις ἐν τῷ ἀνάλογον· ἐργάζεται γὰρ καὶ πέττει τῷ φυσικῷ θερμῷ τὴν τροφὴν πάντα, μάλιστα δὲ τὸ κυριώτατον. διὸ τῶν μὲν ἄλλων μορίων ψυχομένων ὑπομένει τὸ ζῆν, τοῦ δ’ ἐν ταύτῃ φθείρεται πάμπαν, διὰ τὸ τὴν ἀρχὴν ἐντεῦθεν τῆς θερμότητος ἠρτῆσθαι πᾶσι, καὶ τῆς ψυχῆς ὥσπερ ἐμπεπυρευμένης ἐν τοῖς μορίοις τούτοις, τῶν μὲν ἀναίμων ἐν τῷ ἀνάλογον, ἐν δὲ τῇ καρδίᾳ τῶν ἐναίμων. Allen Teilen und dem Leib der Lebewesen in seiner Gesamtheit eignet eine wesentliche beigeborene natürliche Wärme; deshalb erweisen sie sich, wenn sie leben, als warm, wenn sie aber sterben und des Lebens beraubt werden, als entgegengesetzt (d. h. kalt). Notwendigerweise also ist der vorherrschende Anfang dieser Wärme bei den blutführenden im Herzen, bei den blutlosen im entsprechenden . Denn es verarbeiten und verkochen alle teile die Nahrung durch das natürliche Warme, vor allem aber das vorherrschende .45 Deshalb bleibt, wenn sich alle anderen Teile abkühlen, das Leben erhalten, wenn aber in diesem (d. h. im Herzen) , erstirbt das Leben gänzlich, weil daher für alle der Ursprung der Wärme abhängig ist, wie auch der der Seele, sofern sie in diesen Teilen entfacht ist (ἐμπεπυρευμένης),46 bei den blutlosen im entsprechenden , bei den blutführenden aber im Herzen.

Mit der ersten Nennung der Wärme (σύμφυτον θερμότητα φυσικήν) ist an dieser Stelle die beigeborene, d. h. die gleichsam gebürtige Wärme gemeint, deren Existenz in jedem Tier und Menschen an der Wärme des Leibes bemerkbar ist. Bei der zweiten Nennung der Wärme (ταύτης τὴν ἀρχὴν τῆς θερμότητος) verweist Aristoteles auf ihren Ursprung wie Ursprungsort im Leib, nämlich das Herz. Bei der dritten Nennung (τῷ φυσικῷ θερμῷ) gibt er, sofern er nicht mehr von der beigeborenen Wärme, sondern wörtlich „vom natürlichen Warmen“ spricht, Hinweis auf den stofflichen Ursprung der beigeborenen Wärme. Demnach verhält sich die natürliche Wärme zu diesem natürlichen Warmen wie die erscheinende Sache zu ihrer Stoffursache. Die vom natürlichen Feuer zu unterscheidende natürliche Wärme meint daher ein Doppeltes. Dass Aristoteles an dieser Stelle sowohl den Ursprung dieser Wärme, d. h. das Warme, im Herzen annimmt als auch den Ursprung der Seele, bedeutet folglich nicht, dass er zugleich damit sagt, dass Seele und natürliche Wärme denselben Ursprung haben; lediglich ist hier gemeint, dass sie im selben Ort, nämlich im Herzen, ihren Anfang nehmen. Für die Verkochung

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Gemeint ist hier nicht das „Herzpneuma“ (siehe W. W. Jaeger, Das Pneuma im Lykeion, Hermes 48, 1913, 29–74, hier: 50: „Dieses κυριώτατον ist das aristotelische ἡγεμονικόν, das im Herzen seinen Sitz hat und mitunter fast zu einem Begriff mit ihm verschmilzt, der spiritus rector, das Herzpneuma.“), sondern das Herz selbst, so auch Althoff, Warm, kalt, flüssig und fest (wie Anm. 41) 153. Anders King, Aristotle on Life and Death (wie Anm. 2) 97, der ὥσπερ im Sinne von „as if“, sowie geringfügig anders W. Kullmann, Aristoteles als Naturwissenschaftler (Philosophie der Antike, Bd. 38), Boston, MA/Berlin/München 2014, 214 ff., der „gewissermaßen“ übersetzt. Vgl. dazu auch De resp. 8.474 b 10–13: τὰς μὲν οὖν ἄλλας δυνάμεις τῆς ψυχῆς ἀδύνατον ὑπάρχειν ἄνευ τῆς θρεπτικῆς […], ταύτην δ’ ἄνευ τοῦ φυσικοῦ πυρός· ἐν τούτῳ γὰρ ἡ φύσις ἐμπεπύρευκεν αὐτήν. „Es können alle anderen Seelenvermögen unmöglich vorherrschen ohne die Nährseele […], diese aber wiederum ohne das natürliche Feuer; in diesem hat ja die Natur sie entfacht.“ Insbesondere diese zweite Stelle zeigt, dass der Ausdruck ὥσπερ nicht im Sinne von „als ob“ verstanden werden kann. Obwohl nach Kühner/Gerth, Ausführliche Grammatik (wie Anm. 20) 97 f. die Bedeutung von ὥσπερ im Sinne „von etwas Tatsächlichem, Selbstverständlichem […] nicht nachzuweisen“ ist, halten sie es dennoch für nötig, vermeintlich in Frage kommende Beispiele zu besprechen. U. a. auch diesem Ausdruck der grammatikalischen Ungewissheit möchte die vorliegende Übersetzung „sofern“ Rechnung tragen.

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der Nahrung ist mithin die vom Warmen im Herzen ihren Ursprung nehmende natürliche Wärme verantwortlich, für den Anfang des Sich-Realisierens (d. h. der Seele) dieser Verkochung vermittelst der genannten Wärme dagegen das natürliche Feuer. Die Seele im Sinne der Nährseele realisiert, vom natürlichen Feuer entfacht, mithilfe der natürlichen Wärme die Verkochung und damit die Ernährung sowie das Entstehen und Wachsen des Leibes. Der organische Ursprung dieser Verkochung liegt aber im Warmen, das Aristoteles, ebenso wie die Seele, im Herzen lokalisiert. Um nun das natürliche Feuer, das in der Ernährung die Realisierung des Überlebens der Tiere, des Menschen wie auch der Pflanzen47 bedingt, am Lodern zu halten, muss sein Ausgelöschtwerden durch Kühle sowie das Verlöschen durch zu viel Wärme vermieden werden; denn beides würde, wie bereits angedeutet, dazu führen, dass der Stoff, d. h. „die Nahrung“, für die Verkochung durch die natürliche Wärme der Wärme „entgeht“.48 Dies geschieht im Fall der Verlöschung (μάρανσις) dadurch, dass die Seele durch ein Übermaß an Feuer die Verkochung vermittelst der natürlichen Wärme zu schnell realisiert, weswegen nichts übrig bleibt, dessen Verkochung realisiert werden könnte, und damit sowohl die Wärme erstirbt als auch das Feuer verlischt; das Feuer kann ja nur dann die Bedingung der Nährseele, d. h. des Sich-Realisierens der Ernährung vermittelst der Wärme, sein, wenn diese Realisierungswärme besteht, somit etwas da ist, das sie verkochen könnte. Dehnt sich diese Wärme zu sehr aus, und zwar durch die Zunahme des natürlichen Feuers, dann zehrt sie das zu Verkochende, die Nahrung, zu schnell auf, wodurch auch das Feuer verlischt. Dadurch erstirbt auch das Seelenvermögen und mit diesem das Lebewesen. Zum anderen, im Fall der Auslöschung (σβέσις), entgeht der Wärme der Stoff seiner Verko-

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Zu den Pflanzen siehe De iuv./De vit. et mort. 6 sowie u. a. auch De resp. 17.478 b 27 ff. Diese vollziehen die Kühlung durch die bei der Nahrungsaufnahme entstehende Bewegung sowie durch die Umgebung. Wenn sie keine Nahrung aufnehmen können, gehen sie ein, indem sie vertrocknen, d. h. letztlich im aristotelischen Sinne überhitzen – eine Form der μάρανσις. Vgl. die folgende Anm. am Ende. De iuv./De vit. et mort. 5.469 b 21–26: ἀλλὰ μὴν πυρός γε δύο ὁρῶμεν φθοράς, μάρανσίν τε καὶ σβέσιν. καλοῦμεν δὲ τὴν μὲν ὑφ’ αὑτοῦ μάρανσιν, τὴν δ’ ὑπὸ τῶν ἐναντίων σβέσιν, τὴν μὲν γήρᾳ, τὴν δὲ βίαιον, συμβαίνει δ’ ἀμφοτέρας διὰ ταὐτὸ γίνεσθαι τὰς φθοράς· ὑπολειπούσης γὰρ τῆς τροφῆς, οὐ δυναμένου λαμβάνειν τοῦ θερμοῦ τὴν τροφήν, φθορὰ γίνεται τοῦ πυρός. Vgl. auch Althoff, Warm, kalt, flüssig und fest (wie Anm. 41) 153 ff. Das „Entgehen“ (ὑπολείπειν) der Nahrung meint hier im Griechischen somit zum einen, dass die Nahrung zu wenig wird wegen Überhitzung, zum anderen dass die Wärme nicht mehr in der Lage ist, sie zu verkochen, weil sie selbst zurückgeht. Dieser Rückgang erfolgt aber entweder durch Gewalteinwirkung von außen oder, gleichsam von innen her, durch Alter. Dem Altern bei den Tieren und beim Menschen entspricht nach Aristoteles bei den Pflanzen das „Verdorren“ (αὔανσις, De resp. 17.478 b 27 f.).

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chung dadurch, dass das Feuer durch zu viel Kühle ausgelöscht wird, wodurch die natürliche Wärme vergeht. Dies hat zur Folge, dass die Seele nicht mehr in der Lage ist, das Sich-Realisieren der Ernährung mithilfe der natürlichen Wärme zu gewährleisten und so die Wärme weiterhin als Instrument der Realisierung der Ernährung zu erhalten. Auch solchermaßen stirbt das Lebewesen, weil letztlich das natürliche Feuer erstirbt. Insofern also die Zuführung des „Brennstoffs“, d. h. der Nahrung, für die Wärme nötig ist, um das Feuer und daher das Entfachtsein der Nährseele lebendig sein zu lassen, muss das Lebewesen – damit das Feuer zugleich im Zaum gehalten werden kann und deswegen die Seele die Verkochung vermittelst der Wärme nicht zu schnell realisiert – über ein Hilfsmittel, die Kühlung, verfügen, welches es ihm erlaubt, dem Verlöschen des Feuers durch Auslöschung des Überschusses dieses Feuers entgegenzuwirken. Die Kühlung, hier durch die Atmung, ist unmittelbar ein Ausgleich des Feuerüberschusses, nur mittelbar ein Ausgleich der Ausdehnung der natürlichen Wärme. Diese wird nur weniger dadurch, dass die Kühlatmung den Überschuss des Feuers auslöscht. Den Gesamtvorgang der Erwärmung (durch Ernährung) und der Abkühlung beschreibt Aristoteles im abschließenden 21. Kapitel von De resp. wie folgt (480 a 16–b 6): ἡ δ’ ἀναπνοὴ γίνεται αὐξανομένου τοῦ θερμοῦ, ἐν ᾧ ἡ ἀρχὴ ἡ θρεπτική. καθάπερ γὰρ καὶ τἆλλα δεῖται τροφῆς, κἀκεῖνο, καὶ τῶν ἄλλων μᾶλλον· καὶ γὰρ τοῖς ἄλλοις ἐκεῖνο τῆς τροφῆς αἴτιόν ἐστιν. ἀνάγκη δὴ πλέον γινόμενον αἴρειν τὸ ὄργανον. δεῖ δ’ ὑπολαβεῖν τὴν σύστασιν τοῦ ὀργάνου παραπλησίαν μὲν εἶναι ταῖς φύσαις ταῖς ἐν τοῖς χαλκείοις – οὐ πόρρω γὰρ οὔθ’ ὁ πνεύμων οὔθ’ ἡ καρδία πρὸς τὸ δέξασθαι σχῆμα τοιοῦτον –, διπλοῦν δ’ εἶναι τὸ τοιοῦτον· δεῖ γὰρ ἐν τῷ μέσῳ τὸ θρεπτικὸν εἶναι τῆς ψυκτικῆς δυνάμεως. αἴρεται μὲν οὖν πλεῖον γενόμενον, αἰρομένου δ’ ἀναγκαῖον αἴρεσθαι καὶ τὸ περιέχον αὐτὸ μόριον. ὅπερ φαίνονται ποιεῖν οἱ ἀναπνέοντες· αἴρουσι γὰρ τὸν θώρακα διὰ τὸ τὴν ἀρχὴν τὴν ἐνοῦσαν αὐτῷ τοῦ τοιούτου μορίου ταὐτὸ τοῦτο ποιεῖν· αἰρομένου δέ, καθάπερ εἰς τὰς φύσας, ἀναγκαῖον εἰσφρεῖν (!) τὸν ἀέρα τὸν θύραθεν, καὶ ψυχρὸν ὄντα καὶ καταψύχοντα σβεννύναι τὴν ὑπεροχὴν τὴν τοῦ πυρός. ὥσπερ δ’ αὐξανομένου ᾔρετο τοῦτο τὸ μόριον, καὶ φθίνοντος ἀναγκαῖον συνίζειν, καὶ συνίζοντος ἐξιέναι τὸν ἀέρα τὸν εἰσελθόντα πάλιν, εἰσιόντα μὲν ψυχρὸν ἐξιόντα δὲ θερμὸν διὰ τὴν ἁφὴν τοῦ θερμοῦ τοῦ ἐνόντος ἐν τῷ μορίῳ τούτῳ, καὶ μάλιστα τοῖς τὸν πνεύμονα ἔναιμον ἔχουσιν. Die Atmung vollzieht sich aufgrund der Zunahme des Warmen (τοῦ θερμοῦ),49 dem das anfängliche Vorherrschen der Nähr 49

Gemeint ist τὸ φυσικὸν θερμόν, „das natürliche Warme“ aus De iuv./De vit. et mort. 4.469 b 12. Siehe dazu auch die oben besprochene Stelle 469 b 6–17 insgesamt.

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(d. h. des Sich-Realisierens der Ernährung) innewohnt. Wie nämlich auch alle anderen der Ernährung bedürfen, so auch, und zwar in höherem Maße als alle anderen, jenes ; jenes ist ja auch für die anderen Grund der Ernährung. Wird es folglich mehr, muss es notwendig sein Organ nach oben hin ausdehnen. Man muss annehmen, dass der Bau des Organs ähnlich der Blasebälge in den Schmiedewerkstätten ist – denn sowohl die Lunge als auch das Herz lassen die Möglichkeit einer solchen Anschauung durchaus zu –, und man muss annehmen, dass das so beschaffene in doppeltem Sinne ist (d. h. aus zwei Organen, nämlich Herz und Lunge, besteht);50 das nährende (sc. natürliche Warme)51 muss nämlich in der Mitte des Vermögens der Kühlung (d. h. des Herzens zusammen mit der Lunge)52 sein. Steigt nun also , indem es mehr wird, nach oben, hebt sich, indem es gehoben wird, notwendigerweise auch der es (d. h. das natürliche Warme) umgebende Teil (d. h. zunächst das Herz und dann mit ihm die Lunge). Gerade das scheinen die atmenden zu vollführen; sie heben ja den Brustkorb, weil der ursprung (d. h. das natürliche Warme) des so beschaffenen Teils (d. h. des Herzens mit der Lunge) ebendies hervorbringt; indem es (d. h. das Herz mit der Lunge) sich aber hebt, lässt es notwendigerweise, gleich wie die Blasebälge, auswärtige Luft hinein, die kühl ist und die durch Kühlung den Überschuss des Feuers auslöscht. Sofern es (d. h. das natürliche Feuer) zunimmt, wird dieser Teil (d. h. das Herz mit der Lunge) nach oben gehoben, und wenn es schwindet, zieht er sich notwendigerweise zusammen, und zieht er sich zusammen, entweicht die eingeströmte Luft wieder, wobei sie, wenn sie einströmt, kalt, wenn sie entweicht, warm ist aufgrund der Berührung mit dem Warmen, das diesem Teil (d. h. dem Herzen mit der Lunge) inne-

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Vgl. auch unten, zu Anm. 52 und 62 sowie Abschnitt 2.3, zu Anm. 73. Dieses Nährende (θρεπτικόν) ist hier streng von der Nährseele (θρεπτική) zu trennen, sofern es gerade auf das Instrument der Nährseele, das natürliche Warme (τὸ θερμόν), welches der Realisierung der Ernährung durch Verkochung dient, nicht auf das Sich-Realisieren der Verkochung als solches verweist. Dass die ψυκτικὴ δύναμις das Organ (des Herzens und der Lunge zusammen) meint, darauf geben die Bestimmungen der Seele in De an. II 1 einen wesentlichen Hinweis, vgl. u. a. 412 a 27 f.: ἡ ψυχή ἐστιν ἐντελέχεια ἡ πρώτη σώματος φυσικοῦ δυνάμει ζωὴν ἔχοντος. Das jeweilige σῶμα φυσικὸν δυνάμει ζωὴν ἔχον hat insofern dasjenige Lebendigkeitsvermögen, welches es im Fall des Herzens unmittelbar, im Fall der Lunge mittelbar von der Seele, als deren Instrument verliehen bekommt. Daher sind sowohl das Herz als auch die Lunge im lebendigen Leib Ausdruck des Vermögens der Kühlung, insofern die Nährseele beide einen kühlenden „doppelten Blasebalg“ sein lässt.

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Sergiusz Kazmierski wohnt; und dies ist vor allem bei denjenigen der Fall, die eine blutreiche Lunge haben.

An dieser Stelle führt Aristoteles mit dem „ Warmen“ eine Bezeichnung erneut ein, welche vom natürlichen Feuer, wie gesehen, zu unterscheiden ist. Sofern aber das natürliche Warme die Hebung des Herzens auf organischer Ebene mitrealisiert, scheint es für die ziehend-stoßende Bewegung der Atmung unmittelbar verantwortlich zu sein. Darin weist es eine Parallele zum σύμφυτον πνεῦμα in De mot. an. 10 auf.53 Diese Parallele wird im vorliegenden Kontext auch dadurch eindeutiger, dass Aristoteles die natürliche Wärme (θερμότης φυσική), die im natürlichen Warmen (φυσικὸν θερμόν) ihren Ursprung hat, ebenfalls als σύμφυτος bezeichnet.54 Ferner wird hier das natürliche Warme als organischer Ursprung der Hebung des Brustkorbs und damit der Kühlbewegung angenommen; es wird ihm demnach eine gleichsam thermisch-pneumatisch-respiratorische Bewegungseigenschaft zugeschrieben.55 Folglich liegt es nahe, nicht nur das natürliche Warme vom natürlichen Feuer zu unterscheiden, sondern auch das natürliche Warme im beigeborenen Atem zu verorten.56 Zudem legt die genannte Unterscheidung selbst wiederum diese Verortung des natürlichen Warmen im beigeborenen Atem nahe. Dürfte nämlich das natürliche Warme von seinem Ursprung her

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Vgl. dazu oben, Anm. 31. Siehe oben in De iuv./De vit. et mort. 4.469 b 7 f. die σύμφυτος θερμότης φυσική. Siehe dazu auch nochmals De resp. 21.480 a 27 f.: […] αἴρουσι γὰρ τὸν θώρακα διὰ τὸ τὴν ἀρχὴν τὴν ἐνοῦσαν αὐτῷ τοῦ τοιούτου μορίου ταὐτὸ τοῦτο ποιεῖν. „[…] sie heben ja den Brustkorb, weil der ursprung (d. h. das natürliche Warme) des so beschaffenen Teils (d. h. des Herzens mit der Lunge) ebendies hervorbringt.“ So die berühmte Stelle De gen. an. II 3.736 b 29–737 a 1, siehe hierzu: F. Solmsen, The Vital Heat, the Inborn Pneuma and the Aether, The Journal of Hellenic Studies 77, 1957, 119–123; Althoff, Konzept der generativen Wärme (wie Anm. 44) 183; A. Gotthelf, Teleology and Embryogenesis in Aristotle’s Generation of Animals 2.6, in: B. Holmes/K.-D. Fischer (Hrsg.), The Frontiers of Ancient Science. Essays in Honor of Heinrich von Staden (Beiträge zur Altertumskunde, Bd. 338), Berlin/New York 2015, 139–174, hier: 147; vorsichtiger dagegen: Flavion, La physiologie d’Aristote (wie Anm. 31) 18. Für die Unterscheidung zum Feuer sprechen auch andere Stellen, z. B. De mot. an. 10.703 a 23 f.: […] καὶ ἔχει καὶ βάρος πρὸς τὰ πυρώδη καὶ κουφότητα πρὸς τὰ ἐναντία, De gen. an. ΙΙ 3.737 a 6 f.: […] ἡ ἐν τοῖς ζῴοις θερμότης οὔτε πῦρ οὔτε ἀπὸ πυρὸς ἔχει τὴν ἀρχήν […]. Dass Aristoteles hier einen allen Lebewesen beigeborenen (vgl. zu dieser Übersetzung oben, Anm. 1), warmen, im Herzen seinen Ursprung nehmenden Atem gemeint haben dürfte, dessen pneumatischen Vermögens sich die Nährseele zur Realisierung der Kühlbewegung bedient, ist auch insofern nicht von der Hand zu weisen, als dass gerade die Luft bzw. der Atem, wegen der Feuchte, schwerer ist als das ebenfalls warme, aber trockene Feuer, dagegen leichter als Wasser (kalt, feucht) und Erde (kalt, trocken). Siehe zu dem Problem der Elementarqualitäten und Elemente insgesamt: Althoff, Warm, kalt, flüssig und fest (wie Anm. 41) passim. Vgl. u. a. auch Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 322.

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weder im Feuer, was, wie gezeigt, nicht sein kann, noch im Atem zu verorten sein, hätte dieses Warme keinen ursprünglichen Stoff, als dessen Qualität es sich entfalten könnte.57 Mögliche Hinweise auf eine solche Interpretation geben auch Stellen, in denen Aristoteles von der Bewahrung des beigeborenen Atems spricht, und damit den Atem ähnlich behandelt wie das natürliche Warme.58 Folglich unterscheidet Aristoteles zwar den beigeborenen Atem und das natürliche Warme, allerdings scheint dieses Warme im beigeborenen Atem lokalisiert zu sein, und zwar ursprünglich als Elementarqualität des beigeborenen Atems. Deswegen aber dürfte das Warme als solches seinen Ursprung im beigeborenen Atem haben und kann sowohl vom beigeborenen Atem als auch vom natürlichen Feuer unterschieden werden, weil seine Zunahme (αὐξανομένου τοῦ θερμοῦ) ihre Herkunft nicht im beigeborenen Atem selbst, sondern letztlich im Überschuss des natürlichen Feuers (τὴν ὑπεροχὴν τὴν τοῦ πυρός) hat. Es ist somit von Bedeutung, wiederum die Herkunft des Warmen (sc. im beigeborenen Atem) und dessen Zunahme bzw. Ausdehnung (sc. aufgrund der Zunahme des natürlichen Feuers) zu unterscheiden. Dabei verweist Aristoteles auf eine quantitative (siehe: αὐξανομένου τοῦ θερμοῦ […] πλέον γινόμενον sowie τὸ θρεπτικὸν […] πλεῖον γενόμενον), nicht qualitative

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Vgl. dazu auch oben, Anm. 42. De mot. an. 10.703 a 10 f.: τίς μὲν οὖν ἡ σωτηρία τοῦ συμφύτου πνεύματος, εἴρηται ἐν ἄλλοις, sowie Aristoph. v. Byz. Epit. 31,25 mit Hinweis auf die Luftröhre: […] ἡ δὲ ἀρτηρία φυλακῆς τοῦ συμφύτου πνεύματος. Siehe zur σωτηρία τοῦ θερμοῦ u. a.: De somn. 2.456 a 9 f., De iuv./ De vit. et mort. 4.469 b 18 f., 6.470 a 22, De resp. 5.472 b 7 f. Wozu aber sollte Aristoteles von einer die Lebenserhaltung nahelegenden, spezifischen Bewahrung des beigeborenen Atems sprechen, wenn damit nicht auch die Bewahrung des natürlichen Warmen gemeint sein sollte? Wäre dem so, dann müsste, sofern auch sonst kein Elementarträger für das Warme bliebe, das Warme im beigeborenen Atem verortet werden. Vgl. gegen die Identifizierung von innerer Wärme und beigeborenem Atem King, Aristotle on Life and Death (wie Anm. 2) 124; wiederum vorsichtiger Flavion, La physiologie d’Aristote (wie Anm. 31) 13– 21. Die vorliegende Interpretation geht weder von einer Identifizierung noch von einer Trennung des Warmen und des beigeborenen Atems aus; vielmehr steht hier die Verortung bzw. Lokalisierung des Warmen im beigeborenen Atem im Blick. Dadurch bleiben beide Phänomene unterscheidbar. Dies ist für Aristoteles insofern von Bedeutung, als dass er auch das seelische Bewegungsvermögen vom Ernährungsvermögen unterscheidet, die Seele dabei aber dennoch immer auch als ganzes Phänomen sieht (vgl. zu diesem Problem: G. Verbeke, Doctrine du pneuma et entéléchisme chez Aristote, in: G. E. R. Lloyd./G. E. L. Owen [Hrsg.], Aristotle on Mind and the Senses. Proceedings of the Seventh Symposium Aristotelicum, Cambridge etc. 1978, 191–214, hier: 207 f.; T. K. Johnson, Parts in Aristotle’s Definition of Soul: De Anima Books I und II, in: K. Corcilius/D. Perler [Hrsg.], Partitioning the Soul. Debates from Plato to Leibniz [Topoi, Bd. 22], Berlin/Boston, MA 2014, 39–61). Gleichwohl ist es das Ernährungsvermögen, welches mithilfe des Warmen des Pneumas die nicht willkürliche Bewegung der Kühlung (siehe dazu unten, Abschnitt 3, zu De mot. an. 11.703 b 3–11) realisiert, deren eine Erscheinung gerade die Atmung ist.

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Zunahme des Warmen und mit ihm der Wärme des Leibes.59 Die Überhitzung und so das Verlöschen des Feuers entsteht dadurch, dass sich das Warme im Leib ausdehnt und mehr wird, nicht dadurch dass das Warme des Pneumas wärmer wird. Demzufolge sind fünf Elemente an der Atmung beteiligt: (1) das natürliche Feuer; (2) die in diesem Feuer durch die Natur entzündete Nährseele, die (3) dem Warmen des Pneumas innewohnt, dessen sie sich zugleich bedient, um die Ernährung, wie auch insgleichen die Kühlung durch die Atembewegung, zu realisieren; (4) das Herz, in dem die Nährseele, der Anfang der Nährseele, d. h. das natürliche Feuer, und der Ursprung der natürlichen Wärme – das Warme des Pneumas – angesiedelt sind, wobei das Herz bei Ausdehnung dieses Warmen gehoben wird und dadurch die Lunge hebt; (5) die Lunge als solche, welche das Herz umgibt und zugleich mit ihm organisch verbunden ist, die somit die Kühlung des natürlichen Feuers mitrealisiert.60 Wenn daher bei der Verkochung der Nahrung das Feuer, welches die Bedingung des Sich-Realisierens der Verkochung ist, weil es zunächst, vor dem ersten Einatmen, ungekühlt ist, mehr wird, dehnt sich auch das Warme des Pneumas aus, wobei es sich hebt.61 Herz und Lunge werden zusammen als doppelter Blasebalg verstanden,62 deren genaue Verbindung an dieser Stelle 59

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Vgl. dazu auch De part. an. II 2.648 b 18 f.: ἔτι ἐὰν ᾖ τὸ μὲν πλέον τὸ δ’ ἔλαττον τὸ αὐτό, τὸ πλέον τοῦ ἐλάττονος θερμότερον sowie Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 386 z. St. Ferner gehören hierher, wie schon gesehen, Luftröhre, Rachen, Mund, Nase sowie bei verschiedenen anderen Atmern weitere analoge Organe: z. B. der Rüssel beim Elefanten (siehe dazu vor allem De part. an. II 16.658 b 33–659 a 36 mit Hist. an. I 11.492 b 5–21 am Ende) oder das Blasloch bei den Meeressäugern (zu dieser Tiergattung siehe: Hist. an. IV 10.537 a 31–b 4, VIII 2.589 a 31–b 22, De part. an. IV 13.697 a 15–b 1). In Anbetracht dessen muss die erste Atembewegung, welche ein Atmer macht, das Einatmen, die letzte im Tod dagegen das Ausatmen sein, vgl. De resp. 5.472 b 22 ff.: τελευτῶντες δὲ ἐκπνέουσιν, ὥστ’ ἀναγκαῖον εἶναι τὴν ἀρχὴν εἰσπνοήν. Platon versteht dagegen als den Anfang das Ausatmen, vgl. oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28. Der tatsächliche Bau der betreffenden Organe, wie Aristoteles ihn beobachtet, beschreibt und versteht, ist auch deswegen einem (doppelten) Blasebalg „ähnlich“ (s. o. σύστασιν τοῦ ὀργάνου παραπλησίαν […] ταῖς φύσαις, De resp. 21.480 a 21 f.), weil die Blasebälge u. a. der Aufrechterhaltung einer stetigen Schmelzhitze dienen, der Herz-Lungen-Blasebalg aber die Verkochungswärme stetig aufrechterhält, und hierzu, in beiden Fällen, ein Übermaß an Feuer nicht förderlich ist; ansonsten wird die stoffliche Grundlage der Schmelzhitze bzw. Verkochungswärme, d. h., modern gesprochen, das Verbrennungsmaterial, zu schnell aufgezehrt. Das Feuer ist zugleich als ein echtes, dynamisches Element (eben wie Wasser, Erde und Luft), das sich von sich her ausdehnt und aufsteigt, verstanden, weswegen es als durch Luftzufuhr abkühlbar, d. h. reduzierbar, beobachtet und begriffen wird; nicht stellt es somit eine Verbrennungserscheinung dar, welche durch Luftzufuhr angefacht würde, insofern es gerade dasjenige ist, in dem das Sich-Realisieren der Verkochung bzw. Schmelzung vermittelst des Warmen des Pneumas bzw. der Gluthitze entfacht ist (vgl. oben, Anm. 46). Siehe zur Ernährung im Sinne eines Schmelzens von Nahrung Pl., Tim. 78 E 3–79 A 4, hier: 78

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der Untersuchung von De resp. schon erörtert wurde.63 Die Zunahme des Feuers und die Ausdehnung des Warmen des Pneumas lassen das Herz sich heben, weswegen sich auch die Lungen weiten und mit ihnen der Brustkorb, so dass Luft durch Nase und Mund sowie die Luftröhre zunächst in die Lungen einströmen kann, gleichsam eingezogen wird.64 Insofern ist in der Tat, wie oben bereits erwähnt, der Ursprung der Atmung in der Brust (στῆθος) bzw. im Brustkorb (θώραξ) zu suchen,65 und genauer im Herzen; denn hier hat die Nährseele ihren Sitz, welche letztlich den Leib die Luft mithilfe des Warmen des Pneumas einziehen (ἕλξις) und wieder ausstoßen (ὦσις) lässt. Die Nährseele lässt dabei als Bewegungsursache der Atmung das Feuer, in dem sie durch die Natur entzündet ist, vermittelst des Warmen des Pneumas, des Herzens und der Lunge nach Maßen aufflammen und verlöschen.66 Diese Passage macht zugleich deutlich, inwiefern im und am Lebewesen selbst Wesens-, Bewegungs-, Ziel- und organischer Grund der Atmung zusammenfallen. Denn das Wesen der Atmung liegt gerade als besonderes einund ausatmendes, einziehend-ausstoßendes, hebend-senkendes Sich-Bewegen des Lebewesens vor und macht solchermaßen die konkrete Gegebenheit der Atmung aus; diese gegebene, wesenhaft-bestehende Atembewegung ist aber

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E 6–79 A 1: τὸ πῦρ ἐντὸς συνημμένον […] τὰ σιτία καὶ ποτὰ λάβῃ, τήκει δή […], was wiederum ein Urbild für die Anschauung vom Blasebalg sein könnte. Vgl. zum Kontext der Passage oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28. Zur Verbindung von Herz und Lunge siehe den folgenden Abschnitt 2.3. Diese Einsicht macht wiederum eine – gegenüber dem zuvor Gesagten (siehe u. a. Hist. an. I 1.487 a 28 ff. oben, Abschnitt 2.1 am Anfang) – etwas andere Bestimmung des Sachverhaltes Atmung notwendig (De resp. 21.480 b 9 ff.): καλεῖται δ’ ἡ μὲν εἴσοδος τοῦ ἀέρος ἀναπνοή, ἡ δ’ ἔξοδος ἐκπνοή. καὶ ἀεὶ δὴ τοῦτο γίνεται συνεχῶς […]. Folglich kann das Lebewesen nur deswegen Luft aufnehmen und wieder abgeben, weil letztlich die Nährseele dieses Einströmen und Ausströmen, wie sich hier deutlich zeigt, mithilfe des Leibes des Lebewesens realisiert. Daher ist unter anderem diese Atembewegung von Aristoteles als eine nicht willkürliche (οὐχ ἑκούσιος) gekennzeichnet, siehe unten, Abschnitt 3, zu De mot. an. 11.703 b 3– 11. Siehe oben, Abschnitt 2.1, zu Hist. an. I 11.492 b 5–17. Der Seele kommt so eine das Lebewesen als solches mittelbar durchwirkende, ordnende Aufgabe zu (vgl. De mot. an. 10.703 a 29–b 2). Sie hat – als das Sich-Realisieren des Lebens – diese Aufgabe, um mit Heraklit zu sprechen (22 B 30 D.-K.: κόσμον τόνδε, τὸν αὐτὸν ἁπάντων, οὔτε τις θεῶν οὔτε ἀνθρώπων ἐποίησεν, ἀλλ’ ἦν ἀεὶ καὶ ἔστιν καὶ ἔσται πῦρ ἀείζωον, ἁπτόμενον μέτρα καὶ ἀποσβεννύμενον μέτρα), vom κόσμος, aristotelisch: von der φύσις – der Bedingung ihres Erscheinens –, entfacht, verliehen bekommen (siehe allerdings oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28); vgl. hierzu: I. De Gennaro, Logos – Heidegger liest Heraklit (Philosophische Schriften, Bd. 42), Berlin 2001, 180 ff. Siehe zum Blick des Heraklit-Fragments auf das beseelte Weltganze D. Bremer/R. Dilcher, Heraklit, in: H. Flashar/D. Bremer/ G. Rechenauer (Hrsg.), Frühgriechische Philosophie (Grundriss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie der Antike, Bd. 1/1–2), Basel 2013, 601–656, hier: 616 f.

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nur realer Ausdruck der bewegt-bewegenden Nährseele, welche mit der Realisierung, dem ἔργον, der Ernährung zugleich das ἔργον der Atmung, d. h. die Kühlung, realisiert und darin der unbewegten Natur des atmenden Lebewesens im Sinne einer Spezies und der Gattung, welcher diese Spezies zugehört, entspricht.67 Die bewegt-bewegende Nährseele vollzieht diese Bewegung im Lebewesen zunächst vermittelst des Warmen des Pneumas sowie des Herzens, das wiederum die Lungen und den Brustkorb in Bewegung versetzt, die dann Luft durch Atemröhre, Mund und Nase, bzw. die diesen analogen Organe, ein- und ausströmen lassen und so das Mehr an Feuer auslöschen helfen. Atmung meint insofern das kühlende Auslöschen des Überschusses an natürlichem Feuer, welches das Sich-Realisieren (ἐντελέχεια) der Verkochung der Nahrung bedingt. Mithin ist die Atmung Ausdruck der ἐντελέχεια, sofern an ihr deutlich wird, wie die Bewegung der Nährseele von ihrem Anfang her schon im Ziel, d. h. in sich vollendet und fertig ist. Denn jede thermischpneumatische Nährbewegung vollzieht die thermisch-respiratorische Kühlbewegung schon mit. Die Überlebensnotwendigkeit der Atmung ist an diejenige der Ernährung gebunden, ohne welche das atmende Lebewesen folglich nicht sein kann.68 2.3 Das Gegebensein von Atmung sowie des organischen Zusammenhangs von Herz und Lunge Insofern Wesens-, Bewegungs- und Zielgrund wie ihr Zusammenhang erschlossen und die organischen Grundlagen weitgehend deutlich sind, fehlt noch zu einer vollständigen Erörterung des Atmungsphänomens im aristotelischen Sinne die Behandlung von drei Fragen, deren Beantwortung eine Begründung geben kann für das Gegebensein von Atmung und Lungen bei manchen Lebewesen und deren Nicht-Gegebensein bei anderen. Denn es wäre durchaus denkbar, dass die Natur alle Tiere mit Atmung und so auch mit einer Lunge ausgestattet hätte, was nicht der Fall ist – wie Aristoteles gerade im Ausgang von der umfassenden Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern insbes. in De resp. 2–7, welche allen Lebewesen Atmung zuschreiben, zeigt. Die besagten Fragen lauten wie folgt: (1) Weswegen besitzen diejenigen Lebewesen, welche Atmung haben, d. h. zu deren Natur der Besitz von Atmung gehört, ein solches Organ wie

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Vgl. oben, Abschnitt 1, Anm. 24. Diese überaus wichtige aristotelische Einsicht genießt auch in Untersuchungen ihre Gültigkeit, welche nicht den zoologischen zugerechnet werden, siehe z. B. Met. Δ 5.1015 a 20– 22: ἀναγκαῖον λέγεται, οὗ ἄνευ οὐκ ἐνδέχεται ζῆν ὡς συναιτίου, οἷον τὸ ἀναπνεῖν καὶ ἡ τροφὴ τῷ ζῴῳ ἀναγκαῖον· ἀδύνατον γὰρ ἄνευ τούτων εἶναι. Vgl. auch oben, zu Anm. 7.

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die Lunge, durch die sie die Kühlung vollziehen? Denn es wäre ja nicht auszuschließen, dass auch sie die Kühlatmung durch andere Organe vollziehen als vermittelst der Lunge. Diese Frage beantwortet Aristoteles in Kap. 13 von De resp. (2) Weswegen haben diejenigen Lebewesen, die eine Lunge besitzen, dann Atmung? D. h.: Wozu brauchen diese Lebewesen, die Atmung und Lungen haben, überhaupt die Atmung? Mit dieser Frage setzt sich Aristoteles in Kap. 15 auseinander. (3) Wenn manche Lebewesen ihrer Natur nach mit Notwendigkeit sowohl Atmung als auch Lungen haben, wie stellt sich diese Notwendigkeit auf organischer Ebene genau dar? Zwar liefert Aristoteles dahingehend schon in Kap. 7 und dann im abschließenden Kap. 21, wie gesehen, die Anschauung vom Herz-Lungen-Blasebalg; diese dient allerdings eher der Veranschaulichung des Zusammenspiels aller vier Ursachen der Atmung und damit der Darstellung des Sachverhaltes Atmung als ganzem sowie, nicht zuletzt, der Versinnbildlichung der organischen Gegebenheiten. Daher muss das Gleichnis vom Herz-Lungen-Blasebalg das faktische, organische Zusammenspiel von Herz und Lunge erklären, das bisher unberücksichtigt geblieben ist. Eine Antwort auf diese Frage gibt Aristoteles in Kap. 16. Warum nun (1) diejenigen Lebewesen, die atmen, eine Lunge haben, führt Aristoteles letztlich auf die Natur dieser Lebewesen zurück, welche edler sei als z. B. die der Fische; denn diejenigen Tiere, die mehr Wärme besitzen, haben auch an einer edleren Seele und demnach einer edleren Natur Anteil (13.477 a 15–18; 23–25): […] αἴτιον τοῦ μὲν ἔχειν, ὅτι τὰ τιμιώτερα τῶν ζῴων πλείονος τετύχηκε θερμότητος· ἅμα γὰρ ἀνάγκη καὶ ψυχῆς τετυχηκέναι τιμιωτέρας· τιμιώτερα γὰρ τὰ τοιαῦτα τῆς φύσεως τῆς τῶν ἰχθύων (ci. Biehl, Anm. Verf.). […] ὥστε τῆς οὐσίας καὶ τούτῳ καὶ τοῖς ἄλλοις θετέον αἴτιον αὐτό, καθάπερ ὁτιοῦν ἄλλο τῶν μορίων. […] [D]er Grund für das Gegebensein , dass die edleren Lebewesen größeren Anteil an Wärme haben; sie haben ja zugleich notwendigerweise Anteil an einer edleren Seele; denn solche sind edler als die Natur der Fische (sc. die Fische ausweist). […] Insofern ist sowohl bei diesem (d. h. dem Menschen) als auch bei allen anderen als der Grund ihres Wesens, wie jedes andere Organ, dieses (d. h. die Lunge) selbst anzusetzen. Die Lunge ist folglich nicht nur ein vorhandener Körperteil, sondern organischer Grund des leiblich-seelischen Wesens eines Lebewesens. Sie ist insofern der für das wesenhafte Bestehen und Gegebensein von Atmung notwendige

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Wesensbestand mancher Arten und Gattungen.69 Ihr Gegebensein bei manchen Lebewesen ist daher zugleich Ausdruck des seelisch-leiblichen Wesens dieser Lebewesen. Da aber die Lunge auf einen höheren Grad an Wärme und damit auf die edlere Natur eines Lebewesens verweist, ist ihr natürliches Gegebensein bei manchen Gattungen Zeichen eines edleren seelisch-leiblichen Wesens dieser Lebewesen. Die Interpretation des Grades an Wärme als eines Ausdrucks des gattungsmäßigen Adels der Natur sowie des seelisch-leiblichen Wesens eines Lebewesens zeigt, dass Aristoteles hier eine Hierarchie der Lebewesen, eine scala naturae, annimmt. Diese meint nicht die Bewertung nach einem Besser oder Schlechter, sondern eine Ordnung und Rangfolge nach dem Grad der Vollkommenheit des Werdens und der Fortpflanzung, der sich von Natur aus im höheren oder niederen Anteil an Wärme niederschlagen dürfte.70 Einer solchen höheren Natur des Lebewesens entspricht sein seelischleibliches Wesen im allgemeinen und dann auch der Wesensbestand der Lunge bei demselben im besonderen. Warum aber (2) diese Lebewesen der Atmung bedürfen, liegt daran, dass die Atmung den größeren Kühlungsbedarf dieser Lebewesen am besten erfüllt, insofern deren Lunge schwammig und voller Röhren ist sowie, bei manchen Lungenatmern, wie dem Menschen, sehr reich an Blut und Wärme.71 Die Luft gelange (πορεύεται) aber, im Unterschied zum Wasser, aufgrund ihrer dünnen Beschaffenheit schnell durch die Lunge zum Herzen (De resp. 15.478 a 19–25): διὰ γὰρ τὸ λεπτὴν ἔχειν τὴν φύσιν διὰ παντός τε καὶ ταχέως διαδυόμενος διαψύχει· τὸ δ’ ὕδωρ τοὐναντίον. καὶ διότι δὴ μάλιστ’ ἀναπνέουσι τὰ ἔχοντα τὸν πνεύμονα ἔναιμον, ἐκ τούτων δῆλον· τό τε γὰρ θερμότερον πλείονος δεῖται τῆς καταψύξεως, ἅμα δὲ καὶ πρὸς τὴν ἀρχὴν τῆς θερμότητος τὴν (ci. Ross, Anm. Verf.) ἐν τῇ καρδίᾳ πορεύεται τὸ πνεῦμα ῥᾳδίως.

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Vgl. dazu oben, Abschnitt 1, Einsicht 1, zu Anm. 13, sowie Einsicht 4. Siehe dazu u. a. Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 177 und ders., Wissenschaft und Methode. Interpretationen zur aristotelischen Theorie der Naturwissenschaft, Berlin/New York 1974, 266 ff. mit Belegstellen. Zur vergleichenden Anatomie der Lunge siehe De part. an. III 6.669 a 13–b 12. Diese Darstellung ergänzt diejenigen aus der Hist. an. (in I 16.495 a 18 ff. mit 17.496 a 5 ff. und III 3.513 b 11 ff.), welche das Organ, seine Lage im Leib sowie seinen Zusammenhang mit umliegenden Leibesteilen im Ausgang vom Menschen beschreiben. Zu den Passagen aus De part. an. III 6 und Hist. an. I 16 f. siehe: Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 551 ff. und Aristoteles, Historia animalium, Buch I und II, übers., eingel. u. komm. v. S. Zierlein (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 16.1/I–II), Berlin 2013, 332 ff. und 350 ff. Siehe auch die Zusammenfassung zur Anatomie der Lunge bei Aristoteles in: C. M. Oser-Grote, Aristoteles und das Corpus Hippocraticum (Philosophie der Antike, Bd. 7), Stuttgart 2004, 202 ff. Vgl. die Beschreibung bei Pl., Tim. 70 C 5–D 2, siehe dazu oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28.

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Denn weil sie (d. h. die Luft) eine dünne Natur besitzt, taucht sie überall schnell durch und durch (sc. Lunge und Herz) mit Kühle, im Gegensatz zum Wasser. Der Grund, warum ganz besonders stark die Lebewesen mit blutreicher Lunge atmen, ist demnach klar: Was wärmer ist, braucht ja mehr Kühlung, zugleich gelangt der Atem auch leicht zum Ursprung der Wärme, der sich im Herzen befindet. (Übers. nach Dönt) Diese nach moderner Vorstellung selbstverständlich irrige Erklärung, wonach die Atemluft zum Herzen gelangt, resultiert daraus, wie Aristoteles (3) die organische Verbindung zwischen Herz und Lunge konkret begreift. Dabei verweist er explizit auf die Angaben in seinem für uns verlorenen anatomischen Atlas sowie in der Hist. an. (De resp. 16.478 a 26–28): ὃν δὲ τρόπον ἡ καρδία τὴν σύντρησιν ἔχει πρὸς τὸν πνεύμονα, δεῖ θεωρεῖν ἔκ τε τῶν ἀνατεμνομένων καὶ τῶν ἱστοριῶν τῶν περὶ τὰ ζῷα γεγραμμένων.72 Auf welche Weise das Herz zur Lunge hin durchdrungen ist (τὴν σύντρησιν ἔχει), ist aus den Sektionen und der Historia animalium zu ersehen. (Übers. nach Dönt) Durch diese Verbindung von Herz und Lunge wird erst deutlich, wie Aristoteles das Doppelte des Blasebalgs genau versteht.73 Die Lunge ist insofern eine respiratorische Verstärkung der thermisch-pneumatischen Bewegung des Herzens, d. h. letztlich der Bewegung des Warmen des Pneumas. Dem entspricht auch die thermisch-pneumatische Bewegung des Analogons zum Herzen, und d. h. letztlich des beigeborenen Atems, bei den Insekten, die allerdings, wegen ihrer geringeren Wärme, keiner respiratorischen Verstärkung, wie der Lunge, bedürfen. Die Erläuterung der σύντρησις – wörtlich: „Durchbohrung“, was nicht eine bestimmte Durchbohrung oder einen spezifischen Gang vom Herzen zur Lunge meint, sondern die grundsätzliche Durchdrungenheit des Herzens zur Lunge hin, welche sich in einer Vielfalt an Gängen äußert – führt Aristoteles in der Hist. an. tatsächlich genauer aus, vor allem in I 17.496 a 22–32: […] καὶ εἰς τὸν πλεύμονα τετρημένας ἁπάσας […]. φέρουσι δὲ καὶ εἰς τὸν πλεύμονα πόροι ἀπὸ τῆς καρδίας, καὶ σχίζονται τὸν αὐτὸν τρόπον ὅνπερ ἡ ἀρτηρία, κατὰ πάντα τὸν πλεύμονα παρακολουθοῦντες τοῖς ἀπὸ τῆς ἀρτηρίας.

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Siehe zu der Stelle im größeren Zusammenhang der Organik der Parv. nat.: G. E. R. Lloyd, The Empirical Basis of the Physiology of the Parva Naturalia, in: ders./Owen, Mind and the senses (wie Anm. 58) 215–239, hier: 216. Ansonsten könnte für De resp. 21 fälschlicherweise angenommen werden, dass das Doppelte auf die beiden Lungenflügel zu beziehen wäre. Siehe auch oben, Abschnitt 2.2, u. a. zu Anm. 52.

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Sergiusz Kazmierski ἐπάνω δ’ εἰσὶν οἱ ἀπὸ τῆς καρδίας· πόρος δ’ οὐδείς ἐστι κοινός, ἀλλὰ διὰ τὴν σύναψιν δέχονται τὸ πνεῦμα καὶ τῇ καρδίᾳ διαπέμπουσιν. […] Alle Höhlungen sind zur Lunge hin durchdrungen. […] Es führen auch Gänge vom Herzen in die Lunge, und sie teilen sich da, wo sich auch die Luftröhre teilt, und zwar verlaufen in der gesamten Lunge die Gänge entlang denen, die sich von der Luftröhre abzweigen. Die vom Herzen kommenden Gänge verlaufen oberhalb. Es gibt keinen gemeinsamen Gang, aber mittels Kontaktes nehmen sie Luft auf und führen diese dem Herzen zu. (Übers. nach Zierlein)

Die oben in der Anschauung vom doppelten Blasebalg noch offenstehende Frage, wie auf organischer Ebene die Kühlung vermittelst der Lunge konkret zustande kommt, ist dahingehend beantwortet, dass Aristoteles die Adern und den Bronchialbaum als für das Einströmen der kühlenden Luft durch Kontakt (διὰ τὴν σύναψιν) verbunden und daher wechselweise durchlässig denkt. Die σύντρησις vom Herzen zur Lunge hin empfängt somit die Luft nicht direkt, sondern durch die Berührung der Verästelungen der Adern und derjenigen der Bronchien, die aneinander entlang verlaufen (vgl. παρακολουθοῦντες).74 Die Formulierung πόρος δ’ οὐδείς ἐστι κοινός, ἀλλὰ διὰ τὴν 74

Vgl. hierzu auch Hist. an. I 16.495 b 8 ff. mit Zierlein, Historia animalium I–II (wie Anm. 71) 339, 355 ff. Dieser Parallelverlauf ist hervorragend zu sehen u. a. in: H. Frick/ B. Kummer/R. Putz, Wolf-Heidegger’s Atlas of Human Anatomy, 4th, completely revised edition, Basel etc. 1990, 205 Abb. 235. In der Formulierung φέρουσι δὲ καὶ εἰς τὸν πλεύμονα πόροι ἀπὸ τῆς καρδίας, καὶ σχίζονται umschreibt Aristoteles den modernen truncus pulmonalis mit den sich daraus verzweigenden arteriae pulmonales, καὶ σχίζονται τὸν αὐτὸν τρόπον ὅνπερ ἡ ἀρτηρία, κατὰ πάντα τὸν πλεύμονα παρακολουθοῦντες τοῖς ἀπὸ τῆς ἀρτηρίας blickt auf die trachea und die arbor bronchialis. Auch lässt sich an der Abbildung gut erkennen, warum Aristoteles, obwohl ja die trachea oberhalb des truncus pulmonalis angesiedelt ist, meint, dass die vom Herzen kommenden Gänge oberhalb verlaufen (ἐπάνω δ’ εἰσὶν οἱ ἀπὸ τῆς καρδίας), insofern dies bei den arteriae pulmonales überwiegend tatsächlich so erscheint. Dagegen findet der vermeintliche Übertritt der Luft nicht durch die Berührung oder das Ineinandergreifen (σύναψις) der arbor bronchialis und der arteriae pulmonales, sondern wie folgt statt (S. Silbernagel/A. Despopoulos, Taschenatlas der Physiologie, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart/New York 1988, 78): „An den Endaufzweigungen des Bronchialbaumes sitzen etwa 300 Millionen dünnwandige Bläschen, die Alveolen (Durchmesser etwa 0,3 mm), die vom dichten Netz der Lungenkapillaren umsponnen sind. Die gemeinsame Oberfläche der Alveolen beträgt rund 100 m2. Diese enorm große Fläche ermöglicht hier den Gasaustausch mittels Diffusion, d. h. CO2 gelangt in die Alveolen und O2 wird aus diesen ins Blut der Lungenkapillaren aufgenommen.“ Dabei wird die Sauerstoffaufnahme gerade nicht über die arteriae pulmonales, sondern die venae pulmonales vollzogen, welche nicht peribronchial, sondern im intersegmentalen Bindegewebe liegen. Die arteriae pulmonales bringen dagegen das sauerstoffarme Blut zu den Alveolen, siehe F. Paulsen/J. Waschke (Hrsg.), Sobotta. Atlas der Anatomie des Menschen. Innere Organe, München 232010, 38 Abb. 5.62; sehr ausführlich zur Atmung insgesamt: Farbatlanten der Medizin. The Ciba Collection of Medical Illustrations, Bd. 4: Atmungsorgane. Konzept und

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σύναψιν δέχονται τὸ πνεῦμα καὶ τῇ καρδίᾳ διαπέμπουσιν meint hier allerdings nicht einfach nur eine falsche anatomische Beobachtung, sondern stellt einen von den anatomischen Beobachtungen ausgehenden, organisch begründenden Erklärungsversuch für die Kühltheorie der Atmung dar, und zwar trotz unvollständiger Beobachtungsgrundlage (πόρος δ’ οὐδείς ἐστι κοινός). Die dünne Beschaffenheit der Luft ist daher auch ideal, um ohne gemeinsame Gänge von Adern und Bronchialbaum diese Theorie zu bestätigen. Dass Aristoteles die vollständige Beobachtung für die Bestätigung seiner Kühltheorie, wonach die Luft über die Arterien zum Herzen vordringe, fehlt, dessen scheint er sich, wenigstens an der vorliegenden Stelle, durchaus bewusst zu sein.75 Aristoteles erfüllt durch diese organische Erklärung der Atmung genau das, was er bei den Naturforschern vor ihm zu Beginn der vorliegenden Untersuchung De resp. bemängelt: eine Angabe des Zwecks der Atmung sowie der anatomisch einsehbaren, organischen Bedingungen der Atmung zur Erfüllung dieses Zwecks. Er belegt insofern durch diese Beschreibung die von ihm geforderte Erfahrenheit in der Auseinandersetzung mit der Organik des menschlichen und tierischen Leibes. Zudem ist das Vorgehen der aristotelischen Zoologie, wie es sich an der Untersuchung der Atmung besonders gut zeigt, insgesamt bemerkenswert; denn es vollzieht zum ersten Mal die Fundierung seelisch bedingter Vorgänge systematisch in und an der Leiblichkeit.76 Ungleich der modernen Sichtweise auf den Leib, der – als Körper begriffen – selbst zur einzig gültigen Begrün-

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Illustrationen v. F. H. Netter. Redigiert von M. B. Divertie u. A. Brass. Übers. v. K. Schmidt. Hrsg. v. P. Endres, Stuttgart/New York 1982, 1–82. Dass dieses Bewusstsein vorliegt, können auch die von der vorliegenden Beschreibung abweichenden Beobachtungen belegen, welche Aristoteles an anderen Stellen gibt. So findet sich unter anderem auch in Hist. an. III 3.513 b 11 ff. eine ähnliche Beschreibung; jedoch ist diese für den vorliegenden Zusammenhang weniger hilfreich, da dort die Gänge, welche hier vom Herzen herkommen, aus der „Großen Ader“ hervorgehen, siehe Zierlein, Historia animalium I–II (wie Anm. 71) 354 ff. Die so zustandekommenden Abweichungen und Widersprüche (siehe v. a. den Abschnitt „Widersprüchlichkeiten der aristotelischen Herzbeschreibungen“, in: S. Zierlein, Aristoteles’ anatomische Vorstellung vom menschlichen Herzen, Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 15, 2005, 43–71, hier: 55, 57 ff.), wenn sie nicht auf Textverderbnisse zurückzuführen sind, scheinen demnach das Resultat des jeweils ausdrücklich oder unausdrücklich zugrundeliegenden Erklärungs- und Begründungsversuches zu sein, dem, wie im vorliegenden Fall, die vollständige Beobachtungsgrundlage fehlt, allerdings eine die Erklärung bestätigende Beobachtung als gegeben gelten darf, vgl. dazu oben, Abschnitt 1, zu Einsicht 4 am Ende. Dieser Vollzug ist gleichbedeutend mit der Geburt der Biologie. Vgl. auch G. Toepfer, Historisches Wörterbuch der Biologie. Geschichte und Theorie der biologischen Begriffe, 3 Bde., Stuttgart 2011, 3. Bd., s. v. Biologie, 254 ff.

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dungsinstanz physiologischer Prozesse geworden ist,77 erscheint der aristotelische Leib, dem Horizont der Parv. nat. entsprechend, insgesamt und in all seinen Teilen als Organ der Seele,78 wie am Bild vom Blasebalg überaus deutlich wird, sowie als Ausdruck der Natur des jeweiligen Lebewesens. 2.4 Weitere Zielursachen der Atmung Neben der Kühlung, welche die Natur bei manchen Tiergattungen durch die Atmung realisiert, vollzieht die Seele in der Atmung zwei weitere Realisierungen. Diese sind die Geruchswahrnehmung und die Lautgebung. Die Atmung dient bei Aristoteles insofern einem insgesamt dreifachen Zielgrund. Dabei stellt er die beiden nicht überlebensnotwendigen Zielursachen – gleichsam die κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς πάρεργα – der Atmung jeweils auch in Verbindung mit dem ἔργον der Kühlung fest,79 um dadurch am selben Phänomen 77

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In diesem Sinne, allerdings mit einer gewissen Vorsicht, was die Interpretation der aristotelischen Atemtheorie angeht, bereits H. E. Droop, Dissertatio inauguralis physiologica de respiratione, Göttingen 1823, § 7, 4: Memoratu dignissimus est Aristoteles […]. Causa spirandi pulmo est, ut verbis ipsius Aristotelis libere latine redditis utar […]. Die Lunge ist nach Aristoteles jedoch lediglich im organischen Sinne Grund der Atmung, da sie das Eindringen von Kühlluft, und nicht von Kühlwasser, erforderlich macht, weil ansonsten die Kühle nicht schnell genug zum Herzen gelangen könnte; zugleich ist die Lunge organischer Beweis des Gegebenseins von Atmung. Mit Aristoteles müssen wir jedoch auch sagen: Der Grund des Gegebenseins der Lunge und damit der Atmung bei manchen Gattungen und Arten ist ihr, von ihrer edleren Natur verliehener, größerer Anteil an Wärme; für die edlere Natur und den größeren Anteil an Wärme liefern dann wiederum Atmung, Lunge und insgesamt das seelisch-leibliche Wesen eines Lebewesens den Beweis. Insgleichen ist aber das Gegebensein von Atmung im Sinne eines Sich-Realisierens von Kühlung Ausdruck der gattungsmäßigen Natur eines Lebewesens, und zwar mehr als das Gegebensein der Lunge Ausdruck seiner Natur ist, da die Lunge die Kühlung nur mitrealisiert (vgl. De part. an. I 1.641 a 29 ff., dazu Verf., Der Titel ‚Zoologie‘ [wie Anm. 3] 50 ff. und Kullmann, Über die Teile der Lebewesen [wie Anm. 7] 309 zu 641 a 30 f.; ferner De part. an. I 1.642 a 31– b 4, dazu oben, Abschnitt 1, Anm. 7). Daher ist, von der Natur des Lebewesens her betrachtet, die Atmungsbewegung zunächst der Grund der Lunge als eines potenziell bewegten und beseelten Organs der Atmungsbewegung. Droop erlaubt sich somit die Freiheit, die aristotelische Zoologie als Physiologie zu interpretieren und letztere, zumindest in diesem Punkt, als von der aristotelischen Natur- und Seelenlehre abgekoppelt auszulegen. Siehe u. a. De an. I 3.407 b 25 f.: δεῖ γὰρ τὴν μὲν τέχνην χρῆσθαι τοῖς ὀργάνοις, τὴν δὲ ψυχὴν τῷ σώματι; ΙΙ 1.412 b 10 ff., 4.415 b 18 ff.: πάντα γὰρ τὰ φυσικὰ σώματα τῆς ψυχῆς ὄργανα, καὶ καθάπερ τὰ τῶν ζῴων, οὕτω καὶ τὰ τῶν φυτῶν, ὡς ἕνεκα τῆς ψυχῆς ὄντα. Siehe zum Ausdruck πάρεργα – als einem möglichen Begriff für die sich beiher vollziehenden Realisierungen der Atmung, wie im Fall der Geruchswahrnehmung, aber auch der Lautgebung – die im folgenden Abschnitt 2.4.1 besprochenen Textstellen De sens. 5.444 a 25–28 (ὡς ἔργῳ μέν […], ὡς παρέργῳ δ’ […], 26 f.) und De resp. 7.473 a 23–b 1 (ἐν παρέργῳ, a 24) sowie unten, Abschnitt 2.4.2, zu De an. II 8.420 b 16–22. Die hier gebrauchte Formulierung κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς πάρεργα spielt auf die von Aristoteles – wohl zur Kennzeich-

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auf den Unterschied zwischen überlebensnotwendigen und nicht überlebensnotwendigen Zielursachen hinzuweisen. Zugleich damit wird deutlich, dass sich ohne die Kühlbewegung der Atmung die Geruchswahrnehmung und Lautgebung in der gegebenen Form nicht realisieren könnten.80 2.4.1 Das Riechen So heißt es zur Atmung mit Blick auf Kühlung und Riechen81 in De sens. 5.444 a 25–28: κατακέχρηται δ’ ἡ φύσις τῇ ἀναπνοῇ ἐπὶ δύο, ὡς ἔργῳ μὲν ἐπὶ τὴν εἰς τὸν θώρακα βοήθειαν, ὡς παρέργῳ δ’ ἐπὶ τὴν ὀσμήν· ἀναπνέοντος γὰρ ὥσπερ ἐκ παρόδου ποιεῖται διὰ τῶν μυκτήρων τὴν κίνησιν. Die Natur hat die Atmung zu zwei in ihrem Gebrauch: einmal im Sinne einer Realisierung (ἔργῳ) im Hinblick auf die Unterstützung für

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nung der Sachausrichtung der Parv. nat. insgesamt – verwandte Titulierung κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς ἔργα in De an. III 10.433 b 20 an und versteht sich als eine potenzielle Ergänzung dieser thematischen Kennzeichnung der Parv. nat. im allgemeinen und von De resp. im besonderen. Vgl. oben, Abschnitt 1, zu De an. III 10.433 b 13–21 sowie zu Anm. 26, ferner Anm. 10 zur Übersetzung von ἔργον mit „Realisierung“. Im zoologischen Kontext gebraucht Aristoteles den Ausdruck πάρεργον nur an den beiden zitierten Stellen. Er vermeidet zwar eine Verwendung im Zusammenhang mit der Lautgebung und sprachlichen Verlautbarung in De an., spricht dort von δύο ἔργα (II 8.420 b 17), allerdings lässt es auch die Lautgebung grundsätzlich zu, in ihr ein πάρεργον der Atmung und Atemluft zu sehen (vgl. unten, Abschnitt 2.4.2 am Ende). Der Gebrauch des Ausdrucks πάρεργα im vorliegenden Beitrag möchte das hier leitende „Beiher, Nebenbei“ (παρά) nicht als den Hinweis auf etwas weniger Wesentliches (vgl. „Bei-werk“), sondern umgekehrt, ähnlich wie in παρά-δειγμα („Bei-spiel“), als Kennzeichnung dessen, was eine Gattung wesentlich ausmacht, weil es für dieselbe beispielhaft und sinntragend ist, lesen (siehe das in 420 b 20 und 22 jeweils genannte εὖ, vgl. oben, Vorbemerkung). So mögen zwar die Wahrnehmung von Düften (vgl. unten, Anm. 81) und die sprachliche Verlautbarung beim Menschen (siehe Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug [wie Anm. 10] passim), da nicht überlebensnotwendig, physiologisch weniger wichtig erscheinen als die überlebensnotwendige Kühlatmung, dennoch könnte das Lebewesen Mensch im zoologischen Sinne nicht Mensch sein, wenn ihm das Gute, weil Wesens- und Sinnbestimmende, in Form von Sprache und Düften von Natur aus entginge. Dieser Tatsache trägt der Titel κοινὰ σώματος καὶ ψυχῆς πάρεργα, vor allem, aber nicht nur mit Blick auf den Menschen, Rechnung. Vgl. De resp. 8.474 b 10–13, siehe oben, Anm. 46. Eine Übersicht mit Literatur gibt H. Baltussen, Ancient Philosophers on the Sense of Smell, in: M. Bradley (Hrsg.), Smell and the Ancient Senses, London/New York 2015, 30–59, zu Aristoteles: 40 ff. Das Riechen ist im Folgenden nur in Umrissen dargestellt; zur genaueren Erläuterung, unter Berücksichtigung organischer Zusammenhänge sowie mit Blick auf medizinische, ethische und ästhetische Implikationen des nur dem Menschen eignenden Vermögens der Wahrnehmung von Düften, siehe Verf., Zur spezifischen Geruchswahrnehmung des Menschen bei Aristoteles, Eudia 14, 2020, 1–42.

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Sergiusz Kazmierski den Brustkorb (d. h. die Kühlung), zum anderen im Sinne einer sich beiher vollziehenden Realisierung (παρέργῳ) zur Geruchswahrnehmung; denn beim Atmen kommt, wie auf einem Nebenweg, durch die Nase diese Bewegung (sc. der Geruchswahrnehmung) zustande.

Das, was hier „im Gebrauch haben“ auf Griechisch meint, bringt letztlich das Sein des regierenden Subjekts als einen stetigen Vollzug zum Ausdruck, d. h. einen tätigen Zustand der Natur, wie er in und an der Atmung deutlich wird. Aristoteles geht es daher nicht um die Erklärung der Herkunft und Genese der Atmung, sondern um die Grundbestimmung ihres Wesens und Geschehens im Hinblick auf die Ursache ihrer Bewegung und ihr Ziel sowie die organischen Bedingungen dieser zielgerichteten Bewegung.82 Und zum Wesen und Geschehen der Atmung gehört gerade das nicht überlebensnotwendige Ziel des Riechens. Solchermaßen ist das Riechen ein sich realisierender Nebenvollzugssinn (πάρεργον) der Atmung, die Kühlung dagegen ihr Hauptvollzugssinn (ἔργον), insofern das Einatmen durch die Nase, folglich primär die Kühlbewegung, nicht ohne das Riechen vollzogen werden kann, und das Riechen zugleich immer die Hälfte der Kühlbewegung mitvollzieht. Die Bestimmung der Atmung mit Blick auf den Nebenvollzugssinn des Riechens führt Aristoteles auch in De resp. selbst kurz ein (7.473 a 23–b 1): καταχρῆται γὰρ ἡ φύσις ἐν παρέργῳ τῇ διὰ τῶν μυκτήρων ἀναπνοῇ πρὸς τὴν ὄσφρησιν ἐν ἐνίοις τῶν ζῴων· διόπερ ὀσφρήσεως μὲν σχεδὸν μετέχει πάντα τὰ ζῷα, ἔστι δ’ οὐ πᾶσι τὸ αὐτὸ αἰσθητήριον. εἴρηται δὲ περὶ αὐτῶν ἐν ἑτέροις σαφέστερον. Denn die Natur hat mit Blick auf die Geruchswahrnehmung die Nasenatmung bei manchen Lebewesen als eine sich beiher vollziehende Realisierung in ihrem Gebrauch; es haben insofern beinahe alle Lebewesen Anteil an der Geruchswahrnehmung, allerdings liegt nicht bei allen dasselbe Wahrnehmungsorgan vor. Darüber ist in anderen deutlicher gesprochen. Die Stelle belegt, dass das Thema der vorliegenden Untersuchung De resp. nicht die Atmung in vollem Umfang ihrer Zielursachen ist, sondern in erster Linie ihr physiologisch zu nennendes Hauptgeschehen: die das Überleben garantierende Kühlung des die Nährseele entzündenden und am Lodern haltenden Feuers. Allerdings zeigt die Passage auch, dass eine umfassendere, über den Zusammenhang mit De iuv./De vit. et mort. hinausgehende Untersu-

82

Siehe zur Erklärung der Ausdrücke κατακέχρηται und καταχρῆται ἡ φύσις im Sinne des SichRealisierens natürlicher Vorgänge durch die Natur Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) 207.

Sache und Grund

227

chung der Atmung durchaus denkbar gewesen wäre.83 Ferner scheint die Abhebung der Erörterung des Kühlungs- von derjenigen des Geruchswahrnehmungsgeschehens der Unterscheidung verschiedener Seelenteile geschuldet zu sein; denn das Riechen geht von der Wahrnehmungsseele aus, wohingegen die Kühlung, wie gesehen, in der Nährseele ihren Ursprung hat. Der hier gegebene Hinweis auf andere Passagen bzw. Untersuchungen, in denen das Riechen und seine organischen Grundlagen behandelt werden, meint, was das Seelenvermögen als solches angeht, De an. II 9 (421 a 7–422 a 7) und De sens. 5 (442 b 27–445 b 2), was aber die unterschiedlichen organischen Grundlagen anbelangt, darüber hinaus Hist. an. I 11.492 b 5–21 (Nase und Rüssel) sowie De part. an. II 16.658 b 27–659 b 19. An letztgenannter Stelle wird in 659 b 13–19 auch kurz über nicht atmende Tiere gesprochen: περὶ δὲ τῶν ἄλλων ζῴων τῶν μὴ ἀναπνεόντων εἴρηται πρότερον δι’ ἣν αἰτίαν οὐκ ἔχουσι μυκτῆρας, ἀλλὰ τὰ μὲν διὰ τῶν βραγχίων […] τὰ δ’ ἔντομα διὰ τοῦ ὑποζώματος αἰσθάνονται τῶν ὀσμῶν, καὶ πάντα τῷ συμφύτῳ πνεύματι τοῦ σώματος ᾧπερ κινεῖται· τοῦτο δ’ ὑπάρχει φύσει πᾶσι καὶ οὐ θύραθεν ἐπείσακτόν ἐστιν. Von den übrigen Tieren, die nicht atmen, ist schon vorher gesagt worden, aus welchem Grunde sie keine Nasen besitzen, sondern teils durch Kiemen […], die Insekten aber durch die Taille die Gerüche wahrnehmen, und zwar riechen alle durch den beigeborenen Atem des Leibes, mit dem sie sich bewegen; dieser herrscht von Natur aus bei allen vor und ist nicht von auswärts hernach eingeführt. (Übers. nach Kullmann) Somit ist nach Aristoteles das eigentliche Geruchsorgan bei Insekten und Fischen der beigeborene Atem, der, wie genauer in De mot. an. 10 gezeigt, bei allen Lebewesen auch die Leibesbewegungen mitrealisiert – so unter anderem, aufgrund des in ihm zu lokalisierenden Warmen, die Kühlbewegungen aller Tiere und des Menschen;84 die Nase realisiert lediglich bei den Atmern, allerdings nicht bei allen,85 die Geruchswahrnehmung mit.

83 84 85

Vgl. oben, Vorbemerkung. Siehe zur Verortung des Warmen im beigeborenen Atem oben, Abschnitt 2.2, Anm. 56 und 58. Zum Ausdruck „beigeboren“ siehe auch oben, Anm. 1. Zu den Vögeln und Schlangen, welche nur die Nasengänge, nicht aber Nasen haben, siehe De part. an. II 16.659 a 36 ff. mit Hist. an. II 12.504 a 21 f. und IV 8.533 a 22 ff. Vgl. auch Kullmann, Über die Teile der Lebewesen (wie Anm. 7) 473 f. In Entsprechung dazu liegen bei diesen Tiergattungen lediglich die Gehörgänge vor, nicht jedoch Ohren. Es ist davon auszugehen, dass nach Aristoteles der beigeborene Atem auch bei den Atmern das eigentliche Geruchsorgan darstellt, vgl. hierzu Verf., Zur spezifischen Geruchswahrnehmung des Menschen bei Aristoteles (wie Anm. 81) Abschnitt 1.2 am Ende.

228

Sergiusz Kazmierski 2.4.2 Die Lautgebung

Der beigeborene bzw. eingeborene Atem ist aber nicht nur an der Mitrealisierung der Kühlung (und anderer Bewegungen) sowie des Riechens, sondern darüber hinaus sowohl bei den Fischen von stimmlich anmutenden Lauten als auch bei den Insekten von Geräuschen86 beteiligt, wie in De resp. 9.475 a 6–11 gezeigt: καὶ γὰρ τὸν ψόφον ποιοῦσι πνεύματι, οἷον ἀσθμαίνοντα· ἐν αὐτῷ γὰρ τῷ ὑποζώματι, τῷ ἐμφύτῳ87 πνεύματι αἰρομένῳ καὶ συνίζοντι, συμβαίνει πρὸς τὸν ὑμένα γίνεσθαι τρῖψιν· κινοῦσι γὰρ τὸν τόπον τοῦτον, ὥσπερ τὰ ἀναπνέοντα ἔξωθεν τῷ πνεύμονι καὶ οἱ ἰχθύες τοῖς βραγχίοις. Auch das Geräusch bringen sie nämlich (i.e. die Insekten) mit dem Atem hervor, wie diejenigen, welche keuchen; denn eben in der Zwerchfelleinschnürung kommt es dadurch, dass der eingeborene Atem sich hebt und zusammensinkt, zu einer Reibung an der Membran; sie bewegen ja diese Stelle , wie diejenigen, welche Atem holen, von außen her (i.e. durch die von außen eingeatmete Luft) mit der Lunge und die Fische mit den Kiemen.88 86

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88

Siehe zu dieser Zielursache der Lautgebung ausführlicher: W. Ax, Laut, Stimme und Sprache. Studien zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie (Hypomnemata, H. 84), Göttingen 1986, 119–138; T. Fögen, Antike Zeugnisse zu Kommunikationsformen von Tieren, Antike und Abendland 53, 2007, 39–75; zur Lautgebung im allgemeinen sowie, im Sinne der sprachlichen Verlautbarung des Denkens, mit Blick auf die ethischen, ökonomischen und politischen Implikationen beim Menschen: Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) passim, insbes. aber 191–198. Dies ist die einzige Stelle in den sicher, auch in der überlieferten Form, von Aristoteles selbst stammenden Schriften des Corpus Aristotelicum, wo nicht vom σύμφυτον, sondern vom ἔμφυτον πνεῦμα die Rede ist. Ansonsten kommt die Begriffsvariante in [De spiritu] 1.481 a 1 vor, einer Stelle, an der das Thema der ganzen Schrift genannt ist. Siehe hierzu: PseudoAristote, Des couleurs, Des sons, Du souffle. Introduits, traduits et commentés par M. Federspiel, mis à jour par J.-Y. Guillaumin. Préface d’A. Cohen-Skalli, Paris 2017, 156. Dagegen verteidigen P. Gohlke, Die aristotelische Prinzipienlehre, Tübingen 1954, 87–91 sowie A. P. Bos/R. Ferwerda, Aristotle’s De spiritu as a Critique of the Doctrine of pneuma in Plato and His Predecessors, Mnemosyne 60, 2007, 565–588 und Aristotle, On the LifeBearing Spirit (wie Anm. 7) passim die Echtheit und Bedeutung der Schrift für die aristotelische Philosophie und Forschung. Am wahrscheinlichsten ist, dass De spiritu (ebenso wie die Problemata) auf einen im Kern von Aristoteles selbst verfassten, thematischen Entwurf zurückgeht, in der überlieferten Form allerdings nicht von Aristoteles stammt. Es liegt insofern nahe, anzunehmen, dass die Begriffsvariante ἔμφυτον πνεῦμα aristotelisch ist, wobei das Präfix ἐμ- stärker die Inwendigkeit des Pneumas, συμ- mehr die Gebürtigkeit desselben betont. Siehe zur Übersetzung von σύμφυτον mit „beigeboren“ oben, Anm. 1. Siehe auch oben, Anm. 39. Zur Interpretation der Stelle vgl. Verf., Die Laute der Fische (wie Anm. 19) 66 Anm. 8 sowie 68 ff. zur Lautgebung der Lebewesen überhaupt. Vgl. hierzu genauer Hist. an. IV 9.535 b 3–11: τὰ μὲν οὖν ἔντομα οὔτε φωνεῖ οὔτε διαλέγεται, ψοφεῖ

Sache und Grund

229

Die auch den Tierstimmen sowie der sprachlichen Verlautbarung des Menschen zugrundeliegenden Geräusche – die dann zum einen im Fall der Tierstimmen durch das Anschlagen der eingeatmeten Luft gegen den in der Luftröhre befindlichen Kehlkopf 89 (nicht jedoch gegen den eingeborenen Atem90) und im Fall der sprachlichen Verlautbarung darüber hinaus durch sinnerfüllte Artikulation vermittelst Zunge und Lippen gebildet sind 91 – kommen bei den Insekten einzig durch den eingeborenen Atem zustande. Den Unterschied zur überlebensnotwendigen Kühlung erörtert Aristoteles – in Parallele zum Unterschied von Kühlung und Geruchswahrnehmung92 – wie folgt (De an. II 8.420 b 16–22): ἤδη γὰρ τῷ ἀναπνεομένῳ καταχρῆται93 ἡ φύσις ἐπὶ δύο ἔργα, καθάπερ τῇ γλώττῃ ἐπί τε τὴν γεῦσιν καὶ τὴν διάλεκτον, ὧν ἡ μὲν γεῦσις ἀναγκαῖον (διὸ καὶ πλείοσιν ὑπάρχει), ἡ δ’ ἑρμηνεία ἕνεκα τοῦ εὖ, οὕτω καὶ τῷ πνεύματι πρός τε τὴν θερμότητα τὴν ἐντὸς ὡς ἀναγκαῖον (τὸ δ’ αἴτιον ἐν ἑτέροις εἰρήσεται94) καὶ πρὸς τὴν φωνήν, ὅπως ὑπάρχῃ τὸ εὖ.

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92 93 94

δὲ τῷ ἔσω πνεύματι, οὐ τῷ θύραζε· οὐθὲν γὰρ ἀναπνεῖ αὐτῶν, ἀλλὰ τὰ μὲν βομβεῖ, οἷον μέλιττα καὶ τὰ πτηνὰ αὐτῶν, τὰ δ’ ᾄδειν λέγεται, οἷον οἱ τέττιγες. πάντα δὲ ταῦτα ψοφεῖ τῷ ὑμένι τῷ ὑπὸ τὸ ὑπόζωμα, ὅσον διῄρηται οἷον τὸ τῶν τεττίγων γένος, τῇ τρίψει τοῦ πνεύματος, καὶ αἱ μυῖαι δὲ καὶ αἱ μέλιτται καὶ τὰ ἄλλα πάντα τῇ τρίψει αἴρονται καὶ συστέλλονται· ὁ γὰρ ψόφος τρῖψίς ἐστι τοῦ ἔσω πνεύματος. Vgl. De an. II 8.420 b 22 f.: ὄργανον δὲ τῇ ἀναπνοῇ ὁ φάρυγξ, 27 ff.: […] ἡ πληγὴ τοῦ ἀναπνεομένου ἀέρος ὑπὸ τῆς ἐν τούτοις τοῖς μορίοις ψυχῆς πρὸς τὴν καλουμένην ἀρτηρίαν φωνή ἐστιν, Hist. an. IV 9.535 a 28 f.: φωνεῖ μὲν οὖν οὐδενὶ τῶν ἄλλων μορίων οὐδὲν πλὴν τῷ φάρυγγι. Die Tatsache, dass Aristoteles hier davon spricht, dass die Atmer den eingeborenen Atem ebenso wie die Insekten bewegen, bedeutet nicht, dass diese Bewegung bei den Atmern direkt der stimmlichen Verlautbarung dient. Lediglich meint es, dass diese Bewegung bei den Atmern der Atmung dient, weswegen überhaupt Atemluft, die dann auch die stimmliche Verlautbarung mitrealisiert, einströmen kann. Diese Bewegung des eingeborenen Atems genügt folglich bei den Insekten sowohl für die Kühlung, als auch für die Geruchswahrnehmung und die Lautgebung. Der Mensch dagegen bedarf zusätzlich der Lunge sowie der Nase und speziell des Kehlkopfes. Siehe dazu Hist. an. IV 9.535 a 30 f.: διάλεκτος δ’ ἡ τῆς φωνῆς ἐστι τῇ γλώττῃ διάρθρωσις. Aristoteles unterscheidet vocalia und consonantia, wobei die Vokale durch den Kehlkopf und die Stimme im eigentlichen Sinne, die Konsonanten durch Zunge und Lippen zustande kommen (31 ff.): τὰ μὲν οὖν φωνήεντα ἡ φωνὴ καὶ ὁ λάρυγξ („Kehlkopf“, vgl. Kullmann, Über die Teile der Lebewesen [wie Anm. 7] 516) ἀφίησιν, ὅσα δ’ ἄφωνα ἡ γλῶττα καὶ τὰ χείλη· ἐξ ὧν ἡ διάλεκτός ἐστιν. Siehe zur Artikulation der Stimme ferner De part. an. II 16.660 a 5 ff. sowie Kullmann, ebd., 479 f. mit zusätzlichen Stellen; zu weiteren von Aristoteles vorgenommenen Differenzierungen: M. F. Meyer, Aristoteles über die anatomischen Voraussetzungen des Sprechens, Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 21, 2011, 37–54, hier: 46 ff. Vgl. oben, Abschnitt 2.4.1, zu De sens. 5.444 a 25–28 und De resp. 7.473 a 23–b 1 sowie Anm. 79. Siehe hierzu oben, zu Anm. 82. Dies ist ein Verweis auf die Untersuchungen De iuv./De vit. et mort./De resp.

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Sergiusz Kazmierski Daher hat nämlich die Natur die eingeatmete für zwei Realisierungen in ihrem Gebrauch, wie sie die Zunge für die Geschmackswahrnehmung und die Rede , wovon die Geschmackswahrnehmung notwendig (weshalb sie bei durchaus vielen vorherrscht), die Sprache aber um des Guten willen (d. h. nicht notwendig) , so auch den Atem im Hinblick auf die innere Wärme als ein Notwendiges (der Grund wird in anderen Untersuchungen genannt werden) und im Hinblick auf die Stimme , damit das Gute vorherrscht.95

Der Verweis auf die Untersuchungen De iuv./De vit. et mort./De resp. an dieser Stelle zeigt, dass Aristoteles die Sprech- bzw. Lautatmung im Zusammenhang mit der und zugleich im Unterschied zur Kühlatmung denkt. Auch bestätigt sich hier, dass für Aristoteles die Sprechatmung und damit die Realisierung der sprachlichen Verlautbarung des Menschen das notwendige Bestehen der Kühlatmung und insofern den organischen Bestand der Lunge voraussetzen. Ebenso wie die Geruchswahrnehmung ist auch die stimmliche und sprachliche Verlautbarung als ein πάρεργον der Atmung zu begreifen.

3. Die Atmungsphänomene im Zusammenhang und das Lebewesen in seiner Gänze An der Unterscheidung der drei Zielursachen der Atmung und der damit einhergehenden Variationen ihrer Sachbestimmung wird deutlich, dass das aristotelische Vorgehen gerade auf diese von einem zureichenden Verständnis der Sache ausgehende Unterscheidung der Sache und ihrer Gründe abzielt. Dabei zeigt der Fall dieser πρᾶξις zugleich, dass die volle Bestimmung der Sache ohne die Bestimmung des jeweiligen Zielgrundes und der organischen Bedingungen unmöglich ist; denn je nachdem, ob es sich um den Zielgrund Kühlung, Geruchswahrnehmung oder Stimme bzw. sprachliche Verlautba-

95

Siehe die Übersetzung und genauere Erläuterung dieser Passage in: Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) 194 ff. Vgl. die verwandte, aber anders konnotierte und weiter gespannte Fassung des Gedankens in Pl., Tim. 76 D 5–E 5: τὴν δὲ δὴ τοῦ στόματος ἡμῶν δύναμιν ὀδοῦσιν καὶ γλώττῃ καὶ χείλεσιν ἕνεκα τῶν ἀναγκαίων καὶ τῶν ἀρίστων διεκόσμησαν οἱ διακοσμοῦντες ᾗ νῦν διατέτακται, τὴν μὲν εἴσοδον τῶν ἀναγκαίων μηχανώμενοι χάριν, τὴν δ’ ἔξοδον τῶν ἀρίστων· ἀναγκαῖον μὲν γὰρ πᾶν ὅσον εἰσέρχεται τροφὴν διδὸν τῷ σώματι, τὸ δὲ λόγων νᾶμα ἔξω ῥέον καὶ ὑπηρετοῦν φρονήσει κάλλιστον καὶ ἄριστον πάντων ναμάτων. Dass mit πᾶν ὅσον εἰσέρχεται τροφὴν διδὸν τῷ σώματι mittelbar auch die nach Platon dem Leib Ernährung gewährende Atmung gemeint ist, belegt 78 E 3–79 A 4, siehe dazu oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28.

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rung handelt, gestaltet sich die Sache etwas anders: Im ersten Fall meint Atmung das Ein- und Ausatmen, im zweiten lediglich das Einatmen, im letztgenannten Fall aber das Anhalten der Atmung zugunsten der Nutzung der eingeatmeten Luft als eines Organs der Stimme.96 Diese Betrachtung des vollen Sinnes der Sache von ihrem Grund her bietet die Möglichkeit, scheinbar nicht zusammengehörige Sachverhalte, wie die Kühlbewegung der Kiemen bei den Fischen und die der Mittelmembran bei den Insekten, mit der Atmung des Menschen als der Natur nach gattungsmäßig analog, und d. h. zusammengehörig, zu begreifen. Dadurch wird das Gemeinsame und die Differenz von Mensch und Tier nicht nur anschaulich nachvollziehbar, sondern auch faktisch begründbar und erklärbar. Zugleich werden die jeweiligen Eigentümlichkeiten und Unterschiede in geordneter Weise darstellbar. Der Atmung kommt innerhalb der aristotelischen Zoologie eine besondere Rolle zu, weil sie sowohl das überlebensnotwendige nährende als auch das zwar nicht überlebensnotwendige, dennoch aber den Menschen als Menschen auszeichnende riechende97 Sich-Realisieren sowie das denkende Realwerden seines Wesens bedingt 98. Damit folglich Leben überhaupt möglich ist, bedarf es der Realisierung der Ernährung und Kühlung zumindest so, wie dies schon bei den Pflanzen der Fall ist; damit es tierisches Leben geben kann, ist darüber hinaus die Realisierung der Wahrnehmung nötig; damit jedoch allererst menschliches Leben bestehen kann, ist die Realisierung der Mitteilung von Sinn, also u. a. des Verstehens und Denkens, unabdingbar. An allen drei Realisierungen ist nach Aristoteles beim Menschen die Atmung wesentlich beteiligt. Die Zusammengehörigkeit dieser drei Realisierungsbereiche ausgehend von der Atmung und damit die Sache der Atmung insgesamt, die am Phänomen dieser πρᾶξις selbst erfahrbar ist, tritt erst durch den Aufweis ihres dreifachen Zielgrundes, der jeweiligen organischen Gegebenheiten sowie der jeweiligen seelischen Bedingungen als ein echtes Wissen im aristotelischen Sinne zu Tage. Diese sach- und ursachenfundierte Zusammengehörigkeit der Atmungsphänomene im Ganzen weist von daher in die volle lebende, wahrnehmende und denkende Natur des Menschen, allerdings auch, analog, in diejenige anderer Tiergattungen, wie u. a. der Insekten und Fische.

96 97

98

Vgl. oben, Abschnitt 2.1 am Ende, mit Anm. 35 f. Gemeint ist das Riechen, sofern es – wie bei der Geruchswahrnehmung des Angenehmen bzw. Lieblichen um seiner selbst und um der Gesundheit willen – lediglich beim Menschen vorliegt, vgl. Verf., Zur spezifischen Geruchswahrnehmung des Menschen bei Aristoteles (wie Anm. 81) Abschnitt 2. Vgl. Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) 194, 197 f. Siehe auch oben, Abschnitt 2.4.2, Anm. 95.

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Als solche versteht Aristoteles diese Natur, wie die Natur überhaupt, von der Bewegung her.99 Darauf verweisen seine Erläuterungen der Kühlung, Wahrnehmung des Riechens und der Lautgebung. Hierin gehören diese drei Bewegungen der Atmung in einen Zusammenhang grundlegender zoologischer Bewegungsarten, den Aristoteles in De mot. an. 11.703 b 3–11 wie folgt beschreibt: πῶς μὲν οὖν κινεῖται τὰς ἑκουσίας κινήσεις τὰ ζῷα, καὶ διὰ τίνας αἰτίας, εἴρηται· κινεῖται δέ τινας καὶ ἀκουσίους ἔνια τῶν μερῶν, τὰς δὲ πλείστας οὐχ ἑκουσίους. λέγω δ’ ἀκουσίους μὲν οἷον τὴν τῆς καρδίας τε καὶ τὴν τοῦ αἰδοίου (πολλάκις γὰρ φανέντος τινός, οὐ μέντοι κελεύσαντος τοῦ νοῦ κινοῦνται), οὐχ ἑκουσίους δ’ οἷον ὕπνον καὶ ἐγρήγορσιν καὶ ἀναπνοήν, καὶ ὅσαι ἄλλαι τοιαῦταί εἰσιν. οὐθενὸς γὰρ τούτων κυρία ἁπλῶς ἐστιν οὔθ’ ἡ φαντασία οὔθ’ ἡ ὄρεξις […].100 Wie denn nun die Lebewesen die willkürlichen Bewegungen vollziehen und aus welchen Gründen, ist gesagt; einige teile vollziehen aber auch gewisse unwillkürliche , als die häufigsten jedoch nicht willkürliche. Unter den unwillkürlichen verstehe ich wie die des Herzens und die des Geschlechts (denn oftmals bewegen sie sich dadurch, dass sich etwas zeigt, und gerade nicht dadurch, dass das Denken anhält), unter den nicht willkürlichen aber wie Schlaf und Wachen und Atmung und auch alle anderen, die es von den so gearteten gibt. Denn für keine von diesen ist verantwortlich die Einbildungskraft oder das Regungsvermögen […]. Aristoteles führt an dieser Stelle die Unterscheidung von drei Grundbewegungsarten ein, die durch den Leib mitrealisiert werden: willkürliche (ἑκούσιαι),101

99 Siehe dazu oben, Abschnitt 1, u. a. zu Einsicht 1. 100 Vgl. zu der Stelle ausführlich K. Corcilius, Streben und Bewegen. Aristoteles’ Theorie der animalischen Ortsbewegung (Quellen und Studien zur Philosophie, Bd. 79), Berlin/New York 2011, 347 ff. Siehe ferner Aristoteles, De motu animalium/Über die Bewegung der Lebewesen. Historisch-kritische Edition von O. Primavesi. Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von K. Corcilius, Hamburg 2018, 43. Die im vorliegenden Beitrag gewählte Übersetzung „Regungsvermögen“ für ὄρεξις verweist auf die Ursächlichkeit und den Veranlassungssinn dieses Vermögens, auch und vor allem für jede Form des Strebens. 101 In der deutschen Übersetzung „willkürlich“ ist der Zufälligkeitscharakter nicht mitzudenken, insofern diese Bewegungen im eigentlichen Sinne spontan, somit, von ihren seelischen Bedingungen her begriffen, sinnerfüllt und daher nicht zufällig sind. Demnach können willkürliche Bewegungen auch willentliche sein, was jedoch nicht unbedingt der Fall ist, da nicht jede willkürlich-spontane Bewegung Ausdruck eines Willens oder Wollens sein muss, wohl aber einer natürlichen Regung (ὄρεξις). Der Wille ist dahingehend eine Äußerung der Regung κατὰ τὸν λογισμόν, vgl. oben, Abschnitt 1, Anm. 22. Die Übersetzung „willkürlich“

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unwillkürliche (ἀκούσιαι)102 und nicht willkürliche (οὐχ ἑκούσιαι).103 Dahingehend ist die sprachliche Verlautbarung beim Menschen, da sie von einer wahrnehmenden oder verstehenden Form der Einbildungskraft ausgeht,104 den willkürlichen Bewegungen der Atmung und beteiligter Organe zuzurechnen. Die Kühlbewegung der Atmung gehört aber – anderen in den Bereich der Parv. nat. fallenden Realisierungen (ἔργα) gleich (vgl. καὶ ὅσαι ἄλλαι τοιαῦταί εἰσιν) – nicht willkürlichen Realisierungen zu, welche, wie Aristoteles in dem Kapitel weiter ausführt 105 und wie bereits oben gesehen, ihre organische Ursache im Wärmehaushalt des jeweiligen Lebewesens haben. Die an der Kühlbewegung der Atmung hängende Geruchswahrnehmung ist insofern gerade ebenfalls als nicht willkürliche Bewegung zu verstehen. Geruchsatmung und Kühlatmung sind somit beide zunächst am Lebewesen real, ohne

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weist, über das aristotelische Verständnis von ἑκούσιος hinaus, in den ontologischen Ursprung der Spontaneität, d. h. in den Bereich der Kür des Willens durch das Wesen des Wollenden und Gewollten – im Unterschied zur Kür des Willens durch das Wollen eines bloß zufällig Gewollten („willkürlich“ im heutigen Sinne). Daher ist hier in „willkürlich“ die „Willkür“ so mitzuhören, wie Hölderlin sie in einem Fragment vom 31. Dezember 1800 nennt (F. Hölderlin, Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zeitlicher Folge, hrsg. v. D. E. Sattler [„Bremer Ausgabe“], 12 Bde., Darmstadt 2004, Bd. 9, 100): „[…] Und darum ist Willkür ihm u. höhere Macht zu fehlen u. zu vollbringen dem Götterähnlichen, der Güter Gefährlichstes, die Sprache dem Menschen gegeben, damit er schaffend, zerstörend, und untergehend, u. wiederkehrend zur ewiglebenden, zur Meisterin und Mutter, damit er zeuge, was er sei geerbt zu haben, gelernt von ihr, ihr Göttlichstes, die allerhaltende Liebe.“ Zunächst kommt Unwillkürliches, wie Aristoteles in E. N. III 3.1111 a 22 festhält (ὄντος δ’ ἀκουσίου τοῦ βίᾳ καὶ δι’ ἄγνοιαν), durch „Gewalt“ und „Unwissenheit“ zustande. Vgl. aber auch das Folgende. Siehe zum ethischen Zusammenhang F. A. Siegler, Voluntary and Involuntary, The Monist 52, 1968, 268–287. Zur Differenzierung dieser drei Bewegungsarten siehe auch: Aristotle’s De Motu Animalium. Text with Translation, Commentary, and Interpretive Essays by M. C. Nussbaum, Princeton, NJ 1978, 382: „(1) The involuntary are motions of single bodily parts (4–5), non-voluntary are systematic (from the examples). (2) The latter are more numerous or more frequent than the former (5). (3) The involuntary are occasioned simply by the appearance of something to the animal, and involve no decision to pursue the object. The nonvoluntary involve neither choice nor any sort of desire, and they do not even involve phantasia.“ Siehe hierzu De mot. an. 11.703 b 18 ff.: ἡ γὰρ νόησις καὶ ἡ φαντασία, ὥσπερ εἴρηται πρότερον, τὰ ποιητικὰ τῶν παθημάτων προσφέρουσιν· τὰ γὰρ εἴδη τῶν ποιητικῶν προσφέρουσιν. „Denn das Denken und die Einbildungskraft gewähren, wie zuvor gesagt wurde, die schaffenden (d. h. die die schaffenden, willkürlichen Bewegungen bedingenden) Widerfahrnisse der Seele; sie gewähren ja unter den hervorbringenden Widerfahrnissen die Sinnvorstellungen.“ Siehe insbes. De mot. an. 11.703 b 14 ff.: αἰτίαι δὲ τῶν κινήσεων θερμότητές τε καὶ ψύξεις, αἵ τε θύραθεν καὶ αἱ ἐντὸς ὑπάρχουσαι φυσικαί.

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dass das Lebewesen, wie bei der Atembewegung des Sprechens, Einfluss darauf nehmen könnte oder auch müsste.106 Darüber hinaus stellt Aristoteles unwillkürliche Bewegungen, wie die der Geschlechtsteile und des Herzens, fest. Hierzu findet sich, was die unwillkürlichen Bewegungen des Herzens betrifft, in De resp. 20 ein Anhalt für das Verständnis solcher Bewegungen. Dort nennt Aristoteles unter den drei Grundbewegungen des Herzens – neben dem sich auf den gesamten Körper übertragenden Pulsschlag (σφυγμός, 479 b 26 ff.) sowie der Atmung (ἀναπνοή), die ja, wie gesehen, von der nicht willkürlichen Bewegung des Herzens ausgeht – auch das klopfen (πήδησις). Dieses stelle sich unter anderem auch beim Erschrecken ein (479 b 22–26): […] οἱ φοβούμενοι καταψύχονται τὰ ἄνω, τὸ δὲ θερμὸν ὑποφεῦγον καὶ συστελλόμενον ποιεῖ τὴν πήδησιν, εἰς μικρὸν συνωθούμενον οὕτως ὥστ’ ἐνίοτ’ ἀποσβέννυσθαι τὰ ζῷα καὶ ἀποθνῄσκειν διὰ φόβον καὶ διὰ πάθος νοσηματικόν. […] Die in Schrecken versetzten kühlen sich in den oberen ab, das Warme entweicht , zieht sich zusammen und verursacht das klopfen, weil es auf einen kleinen zusammengedrängt wird, so dass manchmal Lebewesen vor Schrecken vergehen und sterben, und zwar durch einen krankheitsähnlichen Zustand. Daher ist die πήδησις aber der Gegenstoß gegen die in den oberen Körperregionen solchermaßen entstehende Kälte, welche die Wärme nach innen drängt.107 Allerdings stellt Aristoteles in De part. an. III 6.669 a 19–21 fest, dass die πήδησις einzig beim Menschen vorkommt, weil sie in der Hoffnung und Befürchtung bezüglich der Zukunft entstehe (ἐν ἐλπίδι γίνεσθαι καὶ προσδοκίᾳ τοῦ μέλλοντος); und der Mensch ist das einzige Lebewesen, dem ein Zukunftsbezug eignet.108 Das Vergehen vor Schreck (ἀποσβέννυσθαι διὰ 106 Daher muss der Mensch das Sprechen allererst erlernen, Atmen und Riechen dagegen nicht (vgl. oben, Abschnitt 1, Einsicht 2 am Ende). Gleichwohl sind Riechen (wie alle Sinneswahrnehmungen) und Atmen auch in einem willkürlichen Sinne denkbar, kommen aber zunächst immer, ungleich dem Sprechen, in nicht willkürlichem Sinne zustande. 107 Siehe De resp. 20.480 a 13 f.: ἀναπήδησις μὲν οὖν ἐστιν ἡ γινομένη ἄντωσις πρὸς τὴν τοῦ ψυχροῦ σύνωσιν […]. Diese Beschreibung entspricht der unmittelbaren Wahrnehmung solcher Phänomene. 108 Vgl. u. a. Pol. I 2.1253 a 7–18 sowie Verf., Bemerkungen zum zoologischen Grundzug (wie Anm. 10) 196 ff. Hier in De resp. scheint Aristoteles dagegen davon auszugehen, dass die πήδησις auch bei anderen Lebewesen (vgl. τὰ ζῷα) vorkommen kann. An der vorliegenden Stelle dürfte somit bei dem Auslöser zwar ebenso wie in De part. an. an eine äußere Erscheinung gedacht sein, allerdings ohne dass ein Zukunftsbezug notwendigerweise impliziert sein müsste – lediglich ein Gegenwartsbezug. Beide Erklärungen scheinen plausibel. Bei Platon

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φόβον) meint dahingehend nicht das Verlöschen durch Überhitzung, sondern die Auslöschung des die Realisierung der Ernährung bedingenden Feuers durch zuviel Kühle.109 Insofern sind wenigstens manche der unwillkürlichen Bewegungen auf den Wärmehaushalt zurückzuführen. Dennoch nehmen sie ihren Anfang nicht im Wärmehaushalt, sondern in einer bestimmten Form von Erscheinungen (φανέντος τινός), die, wenigstens beim Menschen, einen hoffenden oder furchtsamen Bezug zur Zukunft auslösen und die zugleich damit nicht, wie im Fall der willkürlichen Bewegungen, schaffende (ποιητικά), sondern krankheitsähnliche leibliche Zustände (νοσηματικὰ παθήματα) hervorrufen. Diese können sogar letal sein, wenn – was Aristoteles hier nicht weiter ausführt – durch die Wärmekonzentration im Herzen und die Zusammendrängung dieser Wärme von oben her nach innen zu durch die Kühle die erhöhte Bewegung des Warmen des Pneumas110 (d. h. die πήδησις im engeren Sinne) ein solches Übermaß an Kühle erzeugt, dass das natürliche Feuer weitgehend getilgt wird. Das natürliche, die Realisierung der Ernährung bedingende Feuer wird so vermittelst eines Überschusses an Kühle – unmittelbar hervorgerufen durch die übermäßige Bewegung des Warmen des Pneumas – ausgelöscht (vgl. ἀποσβέννυσθαι). Sofern für einen solchen Zustand zusätzlich das Stocken des Atems anzunehmen ist – wohl weil das Warme des Pneumas die Kühlbewegung der gewöhnlichen auswärtigen Atmung scheinbar in ausschließlich inwendiger Form übernimmt –, kann die übermäßige Konzentration des Warmen im Herzen nicht nach außen abgeführt werden, wie dies durch die gewöhnliche Kühlbewegung der Atmung geschehen würde. Wäre das Lebewesen aber dennoch in der Lage zu atmen, dann würde es die durch das Warme des Pneumas ohnehin hervorgerufene krankheitsähnliche Kühlbewegung nur verstärken. Im Unterschied zu einer übermäßigen Kühlung durch Atmung, d. h. durch von außen eindringende Atemluft, ist die πήδησις folglich eine Überkühlung durch die Heftigkeit thermisch-pneumatischer Bewegung im Herzen. Das Herzklopfen scheint Aristoteles demnach – im Unterschied zur willkürlichen Atembewegung beim Sprechen und zur nicht willkürlichen bei der Kühlung und beim gewöhnlichen Riechen – als eine

bieten u. a. solche Phänomene, die Aristoteles unwillkürliche nennt, ausgehend von der Verortung des θυμοειδές im Herzen, die Basis dafür, das Gegebensein der Lunge und ihres Kühlungsvermögens zu begründen und zu erklären, vgl. Tim., 70 C 1–D 6: τῇ δὲ δὴ πηδήσει τῆς καρδίας ἐν τῇ δεινῶν προσδοκίᾳ […] διὰ πυρός […] ἐπικουρίαν αὐτῇ μηχανώμενοι τὴν τοῦ πλεύμονος ἰδέαν ἐνεφύτευσαν […]· διὸ δὴ τῆς ἀρτηρίας ὀχετοὺς ἐπὶ τὸν πλεύμονα ἔτεμον […] οἷον μάλαγμα, ἵν[α] […] πηδῶσα εἰς ὑπεῖκον καὶ ἀναψυχομένη […] μᾶλλον τῷ λόγῳ […] δύναιτο ὑπηρετεῖν. Vgl. auch oben, Abschnitt 2.1, Anm. 28 am Ende. 109 Siehe oben zur σβέσις, auch im Kontext von Gewalteinwirkung, zu Anm. 48. 110 Siehe zur Verortung des Warmen im beigeborenen Atem oben, Abschnitt 2.2, Anm. 56 und 58. Vgl. hierzu auch Nussbaum, De Motu Animalium (wie Anm. 103) 376.

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unwillkürliche Bewegung zu verstehen.111 Die unwillkürliche Bewegung des Herzklopfens gleicht im äußersten Fall einem psychosomatischen Krankheitszustand,112 in dem der Leib sich, aufgrund einer durch äußere Umstände hervorgerufenen seelischen Verfassung,113 gleichsam gegen den Grund seiner Lebendigkeit (letztlich das natürliche Feuer) wendet. Die Bestimmung aller sich am Leib realisierender Bewegungen als entweder willkürliche, nicht willkürliche oder unwillkürliche zeigt, inwiefern ein umfassendes Verständnis der Atmung und der mit ihr zusammenhängenden Phänomene auch das Verständnis aller drei Bewegungstypen und damit der Selbstbewegung der Lebewesen insgesamt sowie deren seelischer Ursachen wesentlich fördert. Die Beschäftigung mit der Atmung kann daher ein ausgezeichneter Zugang zur aristotelischen Zoologie im Ganzen und ihrer sachorientierten Anschauungs- und Begründungslehre sein. Die Basis eines solchen Zugangs bilden die Erörterungen in De iuv./De vit. et mort./De resp. Über die darin untersuchten physiologischen Grundlagen des Lebens hinaus weist die Atmung, wie sie in anderen Untersuchungen Erwähnung findet, in die leiblich-seelische Ganzheit von Tier und Mensch.

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111 So auch Nussbaum, De Motu Animalium (wie Anm. 103) 383 und Kollesch (Aristoteles, Über die Bewegung der Lebewesen/Über die Fortbewegung der Lebewesen. Übers. u. erl. v. J. Kollesch [Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 17.2–3], Darmstadt 1985, 62). 112 Vgl. dazu Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch 2013, Berlin/Boston, MA 2642012, s. v. Psychosomatik: „[…] im klin. Sprachgebrauch Bez. für eine Krankheitslehre, die psych. Einflüsse auf somat. Vorgänge u. die Auswirkungen somat. Erkrankungen auf psych. Prozesse berücksichtigt.“ 113 Diese äußeren Umstände können einer möglichen Gewalteinwirkung entsprechen. Ferner sind hier auch innere Umstände, wie Unwissenheit um das, was erscheint oder geschieht, anzunehmen, vgl. E. N. III 3.1111 a 22, oben, Anm. 102.

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III. Rezeption

„Der Seele und dem Körper gemeinsam“: Das Forschungsprogramm der Parva naturalia und die Begründung der scientia de animalibus in den praefationes zu den italienischen Kommentaren des 16. Jahrhunderts Roberto Lo Presti Es ist wohl bekannt, dass die scientia de anima sowohl im Mittelalter als auch in der Frühneuzeit eine ganz umstrittene Stellung innerhalb des aristotelischen Wissenssystems einnahm: Einerseits wurde die scientia de anima als wörtlich gemeinte meta-physische Wissensform dargestellt, insofern man die Seele als unkörperlich und vom Körper völlig unabhängig secundum essentiam konzipieren konnte; anderseits konnte die Psychologie dem Bereich der philosophia naturalis zugeordnet werden, insofern die Seele secundum operationes, und deshalb in ihrer Abhängigkeit von und im Wechselspiel mit dem Körper zu betrachten war.1 Ausgehend von diesen unterschiedlichen und in mehreren Hinsichten entgegengesetzten Betrachtungsweisen entwickelten sich in der Renaissance scharfe Kontroversen, die die jüngere Forschung besonders mit Bezug auf die Kommentartradition zu De an. untersucht hat.2 1

2

Eine solche Unterscheidung stammt hauptsächlich von Thomas von Aquins und Jean de Janduns Seelenlehre. Über Thomas siehe R. Pasnau, Thomas Aquinas on Human Nature, New York 2002, 25–99; N. Kretzmann, The Metaphysics of Creation: Aquinas’s Natural Theology in Summa contra gentiles II, Oxford 2001, 270–368. Über Jean de Jandun siehe J.-B. Brenet, Transferts du sujet. La noétique d’Averroès selon Jean de Jandun, Paris 2003  me intellective, âme cogitative: Jean de Jandun et la duplex forma propria de und ders., A l’homme, in: D. Perler (Hrsg.), Transformations of the soul. Aristotelian Psychology 1250– 1650, Leiden/Boston 2009, 97–119 (318–341). Siehe H. Mikkeli, The Foundation of an Autonomous Natural Philosophy: Zabarella on the Classification of Arts and Sciences, in: D. A. Di Liscia/E. Kessler/Ch. Methuen (Hrsg.), Method and Order in Renaissance Philosophy of Nature. The Aristotle Commentary Tradition, Aldershot 1997, 211–228; P. Lautner, Status and Method of Psychology according to the Late Neoplatonists and their Influence during the Sixteenth Century, in: C. Leijenhorst/ Ch. Lüthy/J. M. M. H. Thijssen (Hrsg.), The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy from Antiquity to the Seventeenth Century, Leiden/Boston/Köln 2002, 81–108; S. Salatowsky, De Anima. Die Rezeption der aristotelischen Psychologie im 16. und 17. Jahrhundert, Amsterdam-Philadelphia 2006; P. J. J. M. Bakker/J. M. M. H. Thijssen, Natural Philosophy, Metaphysics, or Something in Between? Agostino Nifo, Pietro Pomponazzi, and Marcantonio Genua on the Nature and Place of the Science of the Soul, in: dies. (Hrsg.), Mind,

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Roberto Lo Presti

Die Frage nach der Rolle und Wirkung der Parv. nat.-Tradition im Rahmen der frühneuzeitlichen aristotelischen Psychologie ist aber bisher etwas übersehen und unterschätzt geblieben. Wenn man sich aber mit dieser Kommentartradition intensiv auseinandersetzt und vor allem wenn man die praefationes in Betracht zieht, die viele Kommentatoren – in den meisten Fällen in Form von Einführungsbetrachtungen zum Kommentar zu De sens. – schreiben, versteht man sofort, dass ein wichtiger Teil der frühneuzeitlichen Rezeption der Parv. nat. über die Grenzen der scientia de anima programmatisch hinausgeht und dass einige bedeutsame Kommentatoren zu den Parv. nat. auf etwas Anspruchsvolleres abzielen als eine reine Einschätzung der Verhältnisse zwischen der großen theoretischen Abhandlung über die Seele und den kleinen naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles. Denn für diese Kommentatoren geht es einerseits darum, die Frage nach Umfang, Einheit, inhaltlicher Kohärenz und interner Ordnung der unter der Bezeichnung Parv. nat. überlieferten Schriften zu beantworten; andererseits geht es aber vor allem darum, die Stellung der Parv. nat. und der scientia de anima im Ganzen innerhalb der philosophia naturalis und besonders im Verhältnis zu den zoologischen Schriften neu zu bestimmen. Man braucht nicht daran zu erinnern, dass die Parv. nat., wie wir sie heutzutage lesen, das Ergebnis der Überlieferungsgeschichte des aristotelischen Corpus sind. Obwohl man Aristoteles ein „Parv.-nat.-Projekt“, und zwar das am Anfang von De sens. vorgestellte Forschungs- und Lehrprojekt, zuweisen kann, ist die Bezeichnung Parv. nat. als Rahmentitel für eine Reihe Schriften, auf deren Einheit und Kohärenz man hinweisen wollte, eine mittelalterliche Schöpfung.3 Wir wissen auch, dass die Reihenfolge, in der wir heutzutage diese Schriften lesen, der in den Handschriften zu findenden ursprünglichen Reihenfolge nur teilweise entspricht, denn man merkt in der Tradition eine übliche Unterscheidung zwischen, und manchmal eine separate Überlieferungs- und Verbreitungsgeschichte von, den sogenannten Parv. nat. I (diese Gruppe umfasst De sens., De mem., und die Schriften über Schlaf, Traum und Weissagung im Traum) und den Parv. nat. II (die De iuv., De long. vit., De vit. et mort., De resp. enthalten).4 Außerdem sind zwei weitere Werke des Aristoteles, und

3

4

Cognition and Representation. The Tradition of Commentaries on Aristotle’s De anima, Aldershot 2007, 151–177; S. De Angelis, Anthropologien. Genese und Konfiguration einer ‚Wissenschaft vom Menschen‘ in der Frühen Neuzeit, Berlin 2010, bes. 64–157. Der erste, der die Bezeichnung Parva naturalia benutzte, war Aegidius Romanus um das Ende des 13. Jahrhunderts. Vgl. D. Ross, Aristotle, Parva Naturalia. A revised text with introduction and commentary, Oxford 1955, 1. Für diese Unterscheidung siehe P. De Leemans, Secundum viam naturae et doctrinae. Lire le De motu animalium et les Parva naturalia d’Aristote au Moyen Âge, in: Ch. Grellard/

„Der Seele und dem Körper gemeinsam“

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zwar De motu animalium und De incessu animalium, in mehreren Handschriften zwischen Parv. nat. I und Parv. nat. II überliefert.5 Das ganze Bild wird noch schwieriger, wenn man daran denkt, dass die pathe¯ und praxeis, die im ersten Kapitel von De sens. erwähnt werden, nicht die einzigen sind, die Aristoteles als „dem Körper und der Seele gemeinsam“ darstellt und mit denen Aristoteles sich beschäftigt. In diesem Zusammenhang sind einige Bemerkungen von Philip van der Eijk zu zitieren: One may wonder why other major activities and experiences are not explicitly included in the Parv. nat. as we have them: according to the list of pathe kai praxeis in De part. an. I,5, these also comprise growth, generation, sexual activity and progression – and these activities, too, are common to soul and body since they involve the nutritive and in some cases the sensitive soul. These activities are of course discussed elsewhere, in De gen. an. and De inc. an., but these writings are, as said, explicitly zoological and do not consider plants, whereas plants do form part of the Parv. nat. agenda. We do not know why Aristotle chose to arrange his discussions of these functions in the way he did, except that, of course, plants do not progress and their way of reproducing themselves clearly struck Aristoteles as so different from animals that he reserved it for separate treatment. At any rate the close relationship between De gen.

5

P.-M. Morel (Hrsg.), Les Parva naturalia d’Aristote. Fortune antique et médievale, Paris 2010, 199 ff. Die Überlieferungsgeschichte von De mot. an. und De inc. an., die die moderne Forschung ohne Weiteres als Teil des „zoologischen Corpus“ des Aristoteles betrachtet, die aber sehr gut zum „Parv.-nat.-Forschungsprojekt“ passen (besonders was die Rolle von thymos, epithymia und orexis als Ursachen der Bewegung der Tiere betrifft), ist in der Tat sehr umstritten: Pieter De Leemans hat in mehreren Beiträgen gezeigt (siehe P. De Leemans, The vicissitudes of a zoological treatise. Aristotle’s De incessu animalium in the Middle Ages and Renaissance, in: R. Beyers/J. Brams/D. Sacré/K. Verrycken [Hrsg.], Tradition et traduction. Les textes philosophiques et scientifiques grecs au moyen age latin, Leuven 1999, 199–218; ders., La réception du De progressu animalium d’Aristote au Moyen Âge, in: P. Nobel [Hrsg.], Textes et cultures. Réception, modèles, interférences, vol. I: Réception de l’Antiquité. Besançon 2004, 165–185; ders., Secundum viam naturae [wie Anm. 4] 197–220), wie De mot. an. und De inc. an. schon im mittelalterlichen und später im frühneuzeitlichen Aristotelismus einen Doppelstatus hatten, indem sie in manchen Fällen als Teil der Parv. nat., in anderen Fällen aber als zu De animalibus gehörend überliefert und kommentiert wurden. In diesem Zusammenhang hat De Leemans auch gezeigt, wie dieser Doppelstatus weiter zu bestimmen ist, indem man in der Überlieferungsgeschichte sowie auch in der Kommentartradition eine gewisse Tendenz dazu bemerkt, De mot. an. in die Parv. nat., De inc. an. hingegen in De animalibus einzubeziehen.

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Roberto Lo Presti an. and the Parv. nat. is clearly indicated by references in the former to the latter.6

Ich habe diese Bemerkungen wörtlich zitiert, weil sie in zweierlei Hinsicht besonders aufschlussreich sind: Einerseits wird mit gutem Recht betont, wie problematisch es ist, den Forschungsbereich der Parv. nat. von dem der zoologischen Werke thematisch abzugrenzen; anderseits aber taucht eine feste Überzeugung davon auf, ein Kriterium – vielleicht sogar das Grundkriterium – zur Unterscheidung zwischen den zu den Parv. nat. gehörenden Texten und den zoologischen Werken liege darin, dass die Parv. nat. eine Betrachtung der Pflanzenwelt programmatisch einbeziehen, während sich die zoologischen Werke auf die Untersuchung der Tierwelt beschränken. Was ich in dem, was folgt, zu beweisen versuchen werde, ist, dass ein solches Abgrenzungskriterium nicht selbstverständlich und schlechthin anzunehmen, sondern interpretationsgeschichtlich bedingt ist. Denn es geht von der Annahme aus, dass eine Abgrenzung zwischen dem Parv. nat.- und dem De animalibus-Projekt, sei sie auch unklar und schwierig nachzuvollziehen, dem ursprünglichen Vorhaben des Aristoteles tatsächlich entspricht. Wir werden aber sehen, dass genau eine solche Annahme in der frühneuzeitlichen Kommentartradition zu den Parv. nat. – besonders im italienischen Zweig dieser Tradition – oft in Frage gestellt wird, indem einige Kommentatoren auf eine Darstellung der aristotelischen philosophia naturalis zu zielen scheinen, in deren Rahmen die Parv. nat. und De animalibus als Einzelforschungsprojekte destrukturiert werden, um sie innerhalb einer allumfassenden Agenda, zu der auch De an. gehört, auf eine neue, gemeinsame epistemologische Basis zu stellen und so vereinigen zu können. Es ist in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich, dass die frühneuzeitliche Kommentartradition zu De animalibus erst 1521 mit Pomponazzis Kommentar zu De part. an. anfing7 und sich im Jahrzehnt 1520–1530 mit Leonico Tomeos und Nifos Kommentaren weiter entwickelte,8 d. h. genau in derselben Zeitspanne, 6

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8

Ph. van der Eijk und M. Hulskamp, Stages in the reception of Aristotle’s works on sleep and dreams in Hellenistic and Imperial philosophical and medical thought, in: Ch. Grellard/ P.-M. Morel (Hrsg.), Les Parva naturalia (wie Anm. 4) 48–49. Pietro Pomponazzi, Expositio super primo et secundo De partibus animalium (kritische Ausgabe S. Perfetti, Firenze 2004). Über Pomponazzis Kommentar siehe S. Perfetti, Aristotle’s Zoology and its Renaissance Commentators (1521–1601), Leuven 2000, 33–63, und ders., Pietro Pomponazzi, Expositio super primo et secundo De partibus animalium, Firenze 2004, IX–LXXXIV. Nicolai Leonici Thomaei, Conversio atque explanatio primi libri Aristotelis De partibus animalium, Venedig 1540 (über diesen Kommentar siehe Perfetti, Zoology [wie Anm. 7] 65–83); Augustini Niphi, Expositiones in omnes Aristotelis libros: De historia animalium libri IX, De partibus animalium et earum causis libri IIII ac De generatione animalium libri V, Venedig 1546 (über diesen Kommentar siehe Perfetti, Zoology, 85–120).

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die ein beispielloses Aufblühen von Kommentaren zu den Parv. nat. sah.9 Es ist zwar deutlich, dass das steigende Interesse an den Parv. nat. und die durch Theodorus Gazas 1476 erschienene lateinische Neuübersetzung der Bücher De animalibus10 ermöglichte ‚Neuentdeckung‘ der zoologischen Werke parallel liefen und sich gegenseitig beeinflussten. Meine These ist aber, dass dieses Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Bereichen der aristotelischen philosophia naturalis eine grundlegendere Wechselwirkung von philosophischen und medizinischen Denkmustern innerhalb der Kommentarpraxis einiger (italienischer) Aristoteliker voraussetzte. Außerdem – und dies ist vielleicht noch interessanter – möchte ich auch darauf hinweisen, dass die Vereinigung der psychologischen und zoologischen Schriften des Aristoteles und die Neugestaltung einer scientia de animalibus, welche auch die in De an. und Parv. nat. enthaltenen Betrachtungen umfasst, eine wichtige Vorstufe zur Bestimmung der Forschungsagenda von Medizinern wie Hieronymus Fabricius d’Aquapendente (1537–1619) und Fabricius’ Schüler William Harvey (1578– 1657) darstellte,11 dessen anatomische und physiologische Untersuchungen oft als Wendepunkt, wenn nicht als der Kernwendepunkt, von einer „scholastischen“ zu einer „wissenschaftlichen“ und auf experimenteller Physiologie beruhenden Medizin betrachtet werden.12 Zur Erörterung dieser These werde ich erstens einige aus den praefationes zu den Parv. nat.-Kommentaren von Leonico Tomeo (1456–1531), 9

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Siehe Perfetti, Zoology (wie Anm. 7) 4: „We must remember that around 1520, once the red-hot polemics on the immortality of the soul had been exhausted, many Aristotelians were developing a strong interest for the psychophysiological themes of Aristotle’s Parva Naturalia, the short treatises which we can almost say are born of a rib of the De anima and constitute a bridge to the rational philosophy of the great zoological treatises. Suffice it to recall that the years between 1520 and 1530 saw the printing of as many as five different translations of the PN.“ Theodorus Gazas Übersetzung der Libri de animalibus (Hist. an., De part. an., und De gen. an.) ersetzte William von Moerbekes griechisch-lateinische Übersetzung (1260) sowie auch Michael Scotus’ arabisch-lateinische Übersetzung (ca. 1220). Über Gaza als Intellektuellen und Übersetzer siehe unter anderen J. Monfasani, L’insegnamento di Teodoro Gaza a Ferrara, in: M. Bertozzi (Hrsg.), Alla corte degli Estensi. Filosofia, arte e cultura a Ferrara nei secoli XV e XVI, Ferrara 1994, 5–17; über Gazas Übersetzung der Libri de animalibus siehe J. Monfasani, The Pseudo-Aristotelian Problemata and Aristotle’s De animalibus in the Renaissance, in: A. Grafton/N. Siraisi (Hrsg.), Natural Particulars: Nature and the Disciplines in Renaissance Europe, Cambridge (Mass.)/London 1999 und Perfetti, Zoology (wie Anm. 7) 11–28. Über das Verhältnis zwischen Fabricius und Harvey siehe A. Cunningham, Fabrici and Harvey, in: G. Ongaro/M. Rippa Bonati/G. Thiene (Hrsg.), Harvey e Padova. Atti del convegno celebrativo del quarto centenario della laurea di William Harvey, Padova, 21–22 novembre 2002, Padua 2006. Siehe unter anderem R. K. French, William Harvey’s Natural Philosophy, Cambridge 1994, 310–386.

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Chrisostomo Javelli (1470–1538), Ludovico Boccadiferro (1482–1545), Bernardino Crippa (fl. Mitte 16. Jhr.) und Simone Simoni (1532–1602) entnommene Argumente in Betracht ziehen. Diese Kommentare erschienen zwischen 1523 (Leonico Tomeos Kommentar) und 1567 (Crippas Kommentar zu De mem.), ein Zeitraum, welcher besonders aufschlussreich ist, weil Fabricius Aquapendente 1565 auf den Lehrstuhl für Anatomie an der Universität Padua berufen worden war.13 Zweitens und zum Schluss werde ich kurz einen Blick auf die epistemologischen Grundprinzipien werfen, auf denen Fabricius und Harvey ihre Forschungsagenden beruhen ließen. Die praefatio zu Leonico Tomeos Parv. nat.-Kommentar ist der erste Text, auf den ich die Aufmerksamkeit richten möchte.14 Dieser Kommentar ist Teil eines breiteren Deutungsprojekts, in dessen Rahmen Leonico Tomeo, der zu den wichtigsten und originellsten Aristoteles-Exegeten am Ende des 15./Anfang des 16. Jahrhunderts gehört,15 in einer späteren Zeit Kommentare zum ersten Buch von De part. an.16 sowie auch zu De mot. an. und auch De inc. an. schrieb.17 Das muss eigentlich keine Überraschung sein, denn Leonico Tomeo macht in der allgemeinen praefatio zu seinem Parv. nat.Kommentar ganz klar, dass die Parv. nat. in Anbetracht ihrer Inhalte und Ziele der Betrachtung von de animalibus zuzuordnen sind.18 Leonico Tomeo 13

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18

Siehe J. Facciolati, Fasti Gymnasii Patavii, 2 Bände, Padua 1757, 388: MDLXV. in. id. april. Hieronymus Fabricius ab Aquapendente conductus ad Chirurgiam flor. or. addito onere explicando opportuno tempore Anatomiae. Anno MDLXXl. adjecti sunt stipendio ejus floreni centeni, sexennio autem poft. duceni. Anno MDLXXXIV. nonis febr. titulos mutavit. Decrevit enim Senatus, ut Anatomica schola, quae superioribus annis accessio quaedam fuerat Chirurgiae, in posterum inter Ordinarias & principes haberetur; ita videlicet, ut Fabricius, et qui Fabricio succederent, tota hyeme cadavera secarent, et Anatomicam doctrinam traderent; reliquiis mensibus Chirurgicas acroases haberent. es haberetur; auctum Fabricio stipendium eft ad flor. DC. et addita jura omnia Professoris Primarii ex classe Ordinariorum. Nicolai Leonici Thomaei, Parva naturalia omnia in latinum conversa et antiquorum more explicata, Venedig 1523. Neben dem oben erwähnten Perfetti, Zoology (wie in Anm. 7) 65–83, siehe auch D. De Bellis, Niccolò Leonico Tomeo interprete di Aristotele naturalista, Physis XVII, 1975, 71– 93 und ders., La vita e l’ambiente di Niccolò Leonico Tomeo, Quaderni per la storia dell’Università di Padova XIII, 1980, 37–75; D. J. Geanakoplos, The career of the littleknown Renaissance Greek scholar Nicholas Leonicus Tomaeus and the ascendancy of Greco-Byzantine Aristotelianism at Padua University, Byzantina XIII, 1985, 357–371. Vgl. Anm. 8. Nicolai Leonici Thomaei, Opuscula nuper in lucem edita, scilicet: Paraphrasis in commentariolum Aristotelis de Animalium motione; Paraphrasis in ejusdem philosophi libellum de Animalium ingressu …, Paris 1530. Nicolai Leonici Thomaei, Parva naturalia, (ohne Seitenzahlen): De animalium autem genere universo, cum quinquaginta (ut voluere nonnulli) Aristoteles conscripserit libros, de illorum numero triceni vel paulo plures ad nos pervenisse videntur: in quorum quidem novem recensentis more philosophus universam de animalibus plane contexit historiam, in reliquis vero

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ist sich aber auch ganz bewusst, dass die Parv. nat. eine Art Vervollkommnung der in De an. erläuterten Seelenlehre darstellen. Die Frage ist deshalb, in welchem Verhältnis De an., Parv. nat. und die anderen zoologischen Schriften nach der Meinung von Leonico Tomeo stehen, vorausgesetzt, dass er diese Werke als eine Einheit – die scientia de animatis –, und zwar als die letzte Stufe der von Aristoteles in Meteor. I 1 (338 a 20–339 a 10) gebotenen ordo et partitio scientiae naturalis betrachtet.19 Um diese Frage beantworten zu können, muss Leonico Tomeos Seelenauffassung kurz skizziert werden. Denn Leonico Tomeo, dessen Aristotelismus nicht nur von naturphilosophischen Interessen, sondern auch von (neu-)platonischen Beeinflussungen geprägt ist, schließt sich an eine Definition der Seele als media natura an, die in der von Thomas von Aquin und Jean de Jandun stammenden Unterscheidung zwischen forma dans esse und forma dans operari ihre Wurzeln hat:20 secundum esse oder essentialiter sei die Seele an den höchsten Formen des Seins beteiligt, deshalb intelligibel und unvergänglich; secundum operationes habe sie aber an dem Wahrzunehmenden und Vergänglichen Anteil. Secundum

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20

peculiari doctrinae modo diversorum circa animalia operum proprietatumve causas perscrutatur et docet: quo certe in numero illi nimirum censentur commentarii quos Parva Naturalia nostrates inscripsere philosophi. Es ist in diesem Zusammenhang sehr interessant und aufschlussreich, dass Leonico Tomeo sich an eine in seiner Zeit scheinbar verbreitete Meinung anschließt, nach der Aristoteles etwa fünfzig Bücher über Zoologie geschrieben habe, obwohl – wie Leonico Tomeo bemerkt – nur dreißig überliefert seien. Auf jeden Fall handelt es sich hier um ein viel größeres Corpus als das, auf das wir uns heutzutage mit der Bezeichnung „zoologische Werke des Aristoteles“ beziehen und das aus zwanzig Büchern besteht (9 Hist. an., 4 De part. an., 5 De gen. an., 1 De mot. an., 1 De inc. an.). Nicolai Leonici Thomaei, Parva naturalia, o. S.: Ziel der scientia naturalis sei die Betrachtung der principia naturalia qua naturalia (Physicum negocium autem de naturalibus tractat principiis ut naturalia sunt). Zuerst sei Aristoteles’ Physik zu lesen (Primum illud de principiis octo sane de physica auditione libri abunde explicant et docent), danach die Bücher De caelo, die die einfachen (Himmels)Körper betrachten (porro de simplicibus corporibus quatuor de caelo pertractent libri), an der dritten Stelle De generatione et corruptione (posteriores vero duo de corporibus docent simplicibus generationi iam et corruptioni subiectis qualia quatuor esse dicuntur elementa); diesen folgen die Meteorologica (aut supra nos sunt constituta de quibus quatuor certe de sublimibus docent libri quos Meteorologicos vocant). Danach weicht Leonico Tomeo vom Text der Meteor. ab, indem er eine Betrachtung de metallorum lapidumque generibus einführt, die keinem überlieferten Text des Aristoteles entspreche und bei anderen Philosophen zu finden sei (et de anima quidem carentibus in libris de metallorum lapidumque generibus pertractari merito debuit, de quibus cum ab Aristotele [quod sciam] nihil fuerit literis traditum, ab aliis certe philosophis cum antiquis tum recentioribus isthaec nobis notitiae semita est indaganda). Nach der Betrachtung de metallis kommt die scientia de animatis, die Leonico Tomeo genau wie in Aristoteles’ Meteorologica in die Betrachtung de plantis und die Betrachtung de animalibus teilt (Animatorum autem cum alia quidem animalia sint et vocentur, alia vero stirpes et plantae terraque nascentia omnia). Vgl. oben Anm. 1.

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esse sei die Seele Forschungsgegenstand einer scientia, die sich an die Metaphysik (bzw. die Theologie) anknüpft; secundum operationes sei die Seele Gegenstand der philosophia naturalis.21 Aus dieser Perspektive gesehen ist das Verhältnis zwischen De an. und Parv. nat. und im Allgemeinen zwischen De an. und den anderen Teilen der scientia de animatis ganz eindeutig: Vorausgesetzt, dass die scientia de animatis als Ganze aus einer scientia de anima und einer scientia de animalibus bestehe und dass die scientia de anima die Seele per se und deren essentielle Eigenschaften untersuche, sei die scientia de anima der scientia de animalibus, welche die universa ratio der Physiologie auf das Einzelne und das Körperbestimmte anwende, übergeordnet: A libris praterea de anima ad multiiuges de animalibus commentarios descendentibus in quibus universa fere physiologiae explicatur ratio iamiam partialibus se applicans rebus et medicae artis prima tradens rudimenta hic profecto liber expeditum praestat […]. Haec enim lectio tres illos de anima aureos libellos statim consequi videtur. Denjenigen, die von den Büchern über die Seele zu den vielfachen Abhandlungen über die Lebewesen hinabsteigen, in denen beinahe die ganze Lehre der Physiologie ausgeführt wird, bietet dieses Buch, indem es sich schon den einzelnen Gegebenheiten zuwendet und die ersten Prinzipien der Heilkunst vermittelt, schon eine nützliche Einführung an […] Diese Lesung/Vorlesung scheint nämlich jenen drei goldenen [hervorragenden] Büchlein De anima unmittelbar zu folgen.22 Aber Leonico Tomeo geht mit der Bestimmung eines ordo doctrinae weiter und bemerkt, dass die Parva naturalia allen anderen zoologischen Werken voranstehen, weil sich die Parva naturalia mit allgemeinen und dem Körper und der Seele gemeinsamen operationes auseinandersetzen, wobei die anderen zoologischen Schriften Eigenschaften und Wirkungen der Lebewesen nach Art und Gattung unterscheiden und als abhängig von der körperlichen Beschaffenheit untersuchen: Cum enim de anima ipse in superioribus pertractaverit libris communi inque doctrinae modo et veluti in quadam illius abstractione, in iis quae hic aguntur secundum concretionem quandam et illius ad corpus complicationem nos sane docet, necnon secundum operationes actusque illius 21

22

Siehe D. De Bellis, „Autokineton“ e „Entelechia“. Niccolò Leonico Tomeo: l’anima nei Dialoghi intitolati al Bembo, Annali dell’Istituto di filosofia della Facoltà di lettere e filosofia dell’Università di Firenze I, 1979, 47–68; ders., I veicoli dell’anima nell’analisi di Niccolò Leonico Tomeo, Annali dell’Istituto di filosofia dell’Università di Firenze III, 1981, 1–21. Nicolai Leonici Thomaei, Parva naturalia, o. S.

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communiter resultantes. In libris autem de animalibus qui hunc continenter sequuntur libellum de animae investigat operibus philosophus secundum eius applicationem ad singulas iam animalium stirpitumque species. Doctrinae igitur ordine ii merito praecedere videntur libri qui animae contemplantur essentiam a qua nimirum actiones fluunt et opera. Hos autem iure e vestigio subsequi censentur illi qui communes generalesque operationes cum animae tum corpori assignatas pertractare habent, quales Parvorum Naturalium omnes sane sunt commentarii. Postremum vero obtinent locum ii libri qui specialius peculiarique magis modo haec animalium opera ad genera speciesque descendentes perscrutari et ostendere sunt aggressi. Cuiusmodi reliqui de animalibus commentarii merito esse censentur.23 Da er [Aristoteles] nämlich selbst über die Seele in den vorausgegangenen Büchern (= De anima) auf eine allgemeine und theoretische Art und geradezu in einer gewissen Abstraktion von jener [der Seele] gehandelt hat, belehrt er uns in den Büchern, die hier behandelt werden (= Parv. nat.), gemäß einer gewissen Konkretheit und der Verbindung zwischen jener [der Seele] und dem Körper vollständig/ausführlich, und auch gemäß den Tätigkeiten und Handlungen jener [der Seele] als gemeinschaftlich[er] [d. h. mit dem Körper erfolgter] [Gegebenheiten]. In den Büchern De animalibus aber, die diesem Büchlein im Anschluss folgen, stellt der Philosoph Untersuchungen über die Tätigkeiten der Seele gemäß ihrer [der Seele] Zugehörigkeit zu den einzelnen Gattungen von Lebewesen und Pflanzen. Nach Ordnung des Lehrinhalts also scheinen die Bücher mit Recht voranzugehen, die das Wesen der Seele betrachten, von dem ohne Zweifel die Handlungen und Tätigkeiten [der Seele] herrühren. Man nimmt aber mit Recht an, dass diesen jene auf dem Fuß folgen, deren Inhalt es ist, die gemeinsamen und allgemeinen Tätigkeiten, die sowohl der Seele als auch dem Körper zugeschrieben werden, zu behandeln, die im Ganzen die Ausführungen der Parva Naturalia sind. Den letzten Platz nehmen aber die Bücher ein, die es sich vorgenommen haben, spezieller und mehr auf je eigene Weise die Tätigkeiten der Tiere, auf Gattungen und Arten eingehend, zu untersuchen und aufzuzeigen. Für Werke solcher Art werden die übrigen Ausführungen De animalibus mit Recht gehalten. Leonico Tomeos Betrachtungsweise wird von einem anderen Kommentator geteilt. Es geht um Chrisostomo Javelli, dessen Epitome in Parva naturalia

23

Ibid.

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erst posthum 1552 erschien,24 der aber vor allem wegen seiner Auseinandersetzung mit der Frage nach der Unsterblichkeit der Seele und wegen seiner thomistisch geprägten Argumente gegen Pomponazzis Thesen bekannt ist.25 Javelli setzt sich auch mit der internen Ordnung der Parv. nat. auseinander und behauptet, um diese Ordnung feststellen zu können, müsse man sich zuerst dessen bewusst sein, dass die den Lebewesen26 gemeinsamen Eigenschaften (passiones communes animatis), die in den Parv. nat. zur Sprache kommen, auf zwei unterschiedliche Weisen betrachtet werden können – und zwar entweder als Eigenschaften der Seele als ersten Anfanges (primo ut respiciunt animam tamquam principium primum) oder als Eigenschaften des beseelten Körpers, durch den sie sich verwirklichen (secundo ut respiciunt corpus animatum, per quod explentur).27 Wenn man der ersten der oben erwähnten Betrachtungsweisen folgt, dann solle man vom Seelischen zum Körperlichen verfahren und zuerst die Schriften über Wahrnehmung, Gedächtnis und Schlaf lesen, weil diese operationes einen großen Anteil am Seelischen hätten; danach De mot. an., weil die Fortbewegung in den Lebewesen vom Begehren und das Begehren von der Wahrnehmung verursacht würden; zum Schluss die Schriften, welche die passiones vegetativae erörtern.28 Wenn man aber die passiones communes animatis in direktem Bezug auf den beseelten Körper betrachtet, solle man der umgekehrten Ordnung folgen und somit einer Betrachtungsweise, nach der die Eigenschaften, die 24 25

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Crisostomo Javelli, Epitome in Parva naturalia, Venedig 1552. Siehe D. A. Iorio, The Aristotelians of Renaissance Italy: A Philosophical Exposition, Mellen 1991, 141–158. Über das Leben und die Werke Javellis siehe M. Tavuzzi, Chrysostomus, J., O. P. (ca. 1470–1538) – A biobibliographical essay, Angelicum LXVII, 1990, 457–482; LXVIII, 1991, 109–121. Hier und im Folgenden verstehe ich unter dem Begriff „Lebewesen“ alle Wesen, die im aristotelischen Sinne das Leben besitzen (also auch Pflanzen). Der aristotelische Begriff τὸ ζῷον wird in diesem Aufsatz mit „Tier“ übersetzt. Javelli, Epitome (wie Anm. 24) 320: Unde adverte, quod huiusmodi passiones communes animatis, de quibus hic sit mentio, dupliciter possunt considerari. Primo ut respiciunt animam tamquam primum principium. Secundo ut respiciunt corpus animatum, per quod explentur, communes sunt enim corporis et animae. Ibid.: Igitur, si considerentur primo modo, dico, quod primo loco ponendus est liber de sensu et sensato, et hunc sequitur liber de somno et vigilia, et tertio loco liber de memoria et reminiscentia. Nam cum huiusmodi passiones considerentur hic inquantum fundantur in anima et applicantur corpori animato, quae minus applicantur corpori, videntur magis convenire animae. Manifestum est autem, quod sentire et quae ad ipsum consequuntur, ut somnus et vigilia, memoria et reminiscentia, magis conveniunt animae, quam operationes vegetativae, cum magis elevatae sunt, cum sensus recipiat speciem sine materia, et id satis constat. Post hos locandus est liber de motu animalium, cum in animalibus motus localis causatur ab appetitu et appetitus movetur a sensu, sicut voluntas ab intellectu. Et ultimo locandi sunt libri in quibus agitur de passionibus vegetativis ut liber de morte et vita, de inspiratione et expiratione, de iuventute et senectute, de longitudine et brevitate vitae.

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eine engere Verbindung zum Körper haben, an die erste Stelle zu setzen seien.29 In Bezug auf die von Leonico Tomeo und Javelli vorgeschlagene Ordnung kann man drei Bemerkungen machen. Erstens: Es ist aufschlussreich, dass es hier um die Bestimmung eines ordo doctrinae, d. h. eines „order of presentation“, und nicht um die Bestimmung einer methodus, d. h., „method of discovery“, geht.30 Leonico Tomeo setzt sich nicht damit auseinander, wie man einen Bereich der Naturwelt erforschen soll, sondern damit, wie ein bestimmter Teil der aristotelischen philosophia naturalis gelehrt bzw. gelernt werden soll. Genauer gesagt: Der von Leonico Tomeo und Javelli bestimmte ordo doctrinae gilt auch als die richtige methodus, insofern die zu lernende bzw. zu lehrende doctrina das Ganze des Erforschbaren im naturphilosophischen Bereicht umfasst. Zweitens: Der von Leonico Tomeo vorgeschlagene ordo doctrinae ist völlig deduktiv und beruht auf dem Prinzip der compositio, das Jacopo Zabarella (1533–1589) einige Jahrzehnte später als epistemologischmethodologisches Merkmal der theoretischen Wissenschaften auffasste.31 Drittens: Je mehr die scientia de animalibus im Rahmen eines so deduktiv geprägten ordo doctrinae auf ganz konkrete anatomische Betrachtungen und Beobachtungen eingeht, desto niedriger und untergeordneter ist die Stellung, die eine solche scientia im Rahmen der philosophia naturalis einnimmt. Mit Ludovico Boccadiferros, Simone Simonis und Bernardino Crippas Parv. nat.-Kommentaren, die 1533 (die erste Druckausgabe des Kommentars Boccadiferros erschien aber erst 1570), 1566, 1567 zu datieren sind,32 fängt

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Ibid.: Si autem considerentur secundo modo, sic erit ordo contrarius, ut sicut libri, in quibus tractantur passiones magis applicatae corpori, statuantur in primo loco. Um die Unterscheidung zwischen ordo doctrinae und methodus entwickelte sich eine bedeutsame epistemologische Debatte im 16. Jahrhundert, eine Debatte, welche in Zabarellas Opera Logica kulminierte. Siehe N. W. Gilbert, Renaissance Concepts of Method, New York, 1960; J. H. Randall, The School of Padua and the Emergence of Modern Science, Padova 1961; H. Mikkeli, Jacopo Zabarella (1533–1589). Ordnung und Methode der wissenschaftlichen Erkenntnis, in: P. R. Blum (Hrsg.), Philosophen der Renaissance. Darmstadt 1999, 150–160; ders., Jacopo Zabarella (1533–1589): The Structure and Method of Scientific Knowledge, in: P. R. Blum (Hrsg.), Philosophers of the Renaissance. Washington D. C. 2010, 181–191. Über compositio und resolutio als Prinzipien der Erkenntnismethode in Zabarellas Erkenntnislehre siehe unter anderen A. Poppi, La dottrina della scienza in Giacomo Zabarella, Padova 1972; W. Risse, Zabarellas Methodenlehre, in: L. Olivieri (Hrsg.), Aristotelismo veneto e scienza moderna, Padova 1983, 155–172; Mikkeli, Ordnung und Methode (wie Anm. 29). Ludovici Buccaferri lectiones in Aristotelis libros quos vocant parva naturalia, Venetiis apud Hieronymum Scotum 1570; Bernardini Crippae in Aristotelis librum De memoria et reminiscentia, Bononiae apud Alexandrum Benacium 1566; Bernardini Crippae in Aristotelis librum De motu animalium, Venetiis 1567; Simonis Simoni … in librum Aristotelis Περὶ

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eine ganz andere Geschichte an, eine Geschichte, welche nicht nur die Universität Padua, sondern auch die Universität Bologna als institutionellen Rahmen hatte. Denn Ludovico Boccadiferro studierte und lehrte danach Philosophie in Bologna.33 Boccadiferros akademische Laufbahn ist aber auch durch ein enges Verhältnis zu Padua geprägt, nicht nur weil Boccadiferro wahrscheinlich als Student die Möglichkeit hatte, 1512 und 1513 Pomponazzis Vorlesungen über Aristoteles zu hören, als Pomponazzi vor seiner Berufung in Padua noch in Bologna tätig war,34 sondern auch und vor allem, weil einige Studenten des Boccadiferro in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu Hauptfiguren im paduanischen Universitätsmilieu wurden, unter anderen Federico Pendasio und Alessandro Piccolomini, die als Inhaber der zwei Lehrstühle für Philosophie in Konkurrenz miteinander standen in denselben Jahren, in denen Zabarella Logik, Fabrici Aquapendente Anatomie und Chirurgie, und der Galeniker Girolamo Capodivacca praktische Medizin lehrten.35 Durch Piccolomini gelangen wir aber zu Simone Simoni, der Philosophie und Medizin in Padua unter Piccolomini studierte, bevor er eine akademische Laufbahn als Philosophie- und Medizindozent zuerst in Genf, danach in Heidelberg und Leipzig einschlug.36 Was Crippa betrifft, wissen wir ganz wenig von seinem Leben, außer dass er von 1561 bis 1566 Philosophie in Bologna lehrte und danach nach Rom umzog.37 Die Kommentare

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τῶν αἰσθητηρίων καὶ τῶν αἰσθητῶν: hoc est de sensuum instrumentis et de his quae sub sensum cadunt, commentarius unus, Geneva 1566, excudit Joannes Crispinus. Für Angaben über Boccadiferros Leben und Werk siehe unter anderen B. Nardi, Saggi sull’aristotelismo padovano dal sec. XIV al sec. XVI. Firenze 1958, 241, 412, 449, und ders., Studi su P. Pomponazzi, Firenze 1965, 320–322, 326–332, 359–361, 380–381; A. Rotondò, Per la storia dell’eresia a Bologna nel sec. XVI, Rinascimento XIII, 1962, 133–134, und ders., Ludovico Boccadiferro, in: Dizionario Biografico degli Italiani Treccani, vol. 11, 1969. (http://www.treccani.it/enciclopedia/ ludovico-boccadiferro_%28Dizionario_Biografico%29/); U. Pirotti, B. Varchi e l’aristotelismo del Rinascimento, Convivium XXXI, 1963, 280–311. Rotondò, Ludovico Boccadiferro (wie Anm. 33); Ch. Lohr, Latin Aristotle Commentaries, II, Renaissance Authors, Firenze 1998, 57. Siehe De Angelis (wie Anm. 2) 99. Über Piccolominis Leben und Werk siehe Lohr (wie Anm. 34) 331–342; F. Cerreta, A. Piccolomini letterato e filosofo senese del Cinquecento, Siena 1960; M. F. Piéjus/M. Plaisance/M. Residori (Hrsg.), Alessandro Piccolomini (1508– 1579). Un siennois à la croisée des genres et des savoirs. Atti del colloquio internazionale (Parigi, 23–25 settembre 2010), Paris 2011. Über Pendasios Leben und Werk siehe Lohr, 305–311; über Pendasius als Aristoteles-Kommentator siehe De Angelis, 101–122. Siehe Lohr (wie Anm. 34) 424; D. Cantimori, Un italiano contemporaneo di Bruno a Lipsia, Studi Germanici III, 1938, 445–466; C. Madonia, Simone Simoni da Lucca, Rinascimento XX, 1980, 161–197; ders., Il soggiorno di Simone Simoni in Polonia, Studi e ricerche II, 1983, 275–295; M. Verdigi, Simone Simoni, filosofo e medico nel ’500, Lucca 1997. Siehe I. Maclean, White Crows, Graying Hair, and Eyelashes: Problems for Natural Historians in the Reception of Aristotelian Logic and Biology from Pomponazzi to Bacon, in:

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zu De mot. an. und De mem., die er jeweils 1566 in Venedig und 1567 in Bologna veröffentlichte, stellen deshalb das Ergebnis seiner Lehrtätigkeit an der Universität Bologna dar. Außerdem sind Crippas Argumentations- und Deutungsweise offensichtlich abhängig von Boccadiferros, was keinen Zweifel daran lässt, dass Crippa Schüler des Boccadiferro während seines Studiums in Bologna war. Es gibt deshalb gute Gründe anzunehmen, dass Boccadiferros, Crippas und Simonis Kommentare im engen Verhältnis zueinander stehen und Ausdruck einer ganz bestimmten Strömung des italienischen Aristotelismus sind, einer Strömung, welche sich zwischen 1530 und 1570 in Padua sowie auch in Bologna entwickelte. Die praefationes zu diesen Kommentaren teilen unter anderen drei Grundeigenschaften. Erstens: Sie stellen die Frage nach dem Status der Parv. nat. nicht nur in Bezug auf den ordo doctrinae, sondern auch in Bezug auf die methodus investigandi. Um Boccadiferros eigene Worte zu benutzen, „es geht darum, zu untersuchen, quem ordinem habeat iste liber – nämlich, die Parv. nat. – in addiscendo, et quem ordinem habeat inter partes philosophiae.“ 38 Eine gewisse Unterscheidung zwischen den Methoden, wodurch Wissenserwerb und Wissensvermittlung jeweils am besten erfolgen, wird jetzt vorausgesetzt. Zweitens: Es wird darauf abgezielt, die richtige Ordnung und die richtige Methode durch eine auf philologisch-kritischer – in diesem Sinne völlig humanistischer – Vorgehensweise beruhende Betrachtung der Übergangsstellen von Hist. an., De part. an., De inc. an., De an., De sens., De mot. an., in denen Aristoteles die schon behandelten Themen rekapituliert und die, die noch zu behandeln sind, einführt, nachzuvollziehen. Das Zusammenspiel von philosophischem Argumentieren und philologischer Akribie taucht mit besonderer Deutlichkeit bei Boccaferro auf: Erat dubitatio facta in esterna lectione de ordine librorum Aristotelis, id est, quis nam esset ordo doctrinae librorum Aristotelis erat dubitatio, quoniam Aristoteles in fine de partibus animalium, „reliquum est de generatione animalium“, quomodo ergo tanto intervallo seiunximus librum de partibus animalium a libris de generatione animalium. Dixi quod locus erat corruptus, quoniam debet dicere „cum de partibus animalium egimus, reliquum est de incessu animalium“, et iste est ordo Aristotelis, et ideo, in fine de incessu animalium dixit, „postquam egimus de partibus animalium, et de locis, quae spectant ad incessum animalium, reliquum est de anima tractare“, iste ergo liber de incessu animalium

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G. Pomata/N. Siraisi (Hrsg.), Historia. Empiricism and Erudition in Early Modern Europe, Cambridge (Mass.) 2005, 171, Anm. 30. Ludovici Buccaferri lectiones (wie Anm. 32) 1r.

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Roberto Lo Presti continuatur cum libro de partibus animalium, seiungit ergo librum de partibus a libro de generatione animalium, et sic in fine de communi motu animalium, dixit „de partibus singulorum animalium, et in fine de anima, de sensu, cum etiam de memoria et somno, nec non de communi motu animalium causas diximus, reliquum est de generatione pertractare“, sic ergo longo intervallo seiunxit librum de partibus animalium a libro de generatione animalium, ideo ille locus de partibus animalium in codicibus etiam graecis corruptus est.39 Es entstand in der gestrigen Vorlesung ein Zweifel über die Reihenfolge der Bücher des Aristoteles, das meint, der Zweifel bestand [in der Frage], welche in der Lehre zu beachtende Reihenfolge der Bücher des Aristoteles besteht, da ja Aristoteles am Ende von De partibus animalium sagt: „Übrig bleibt, über die Fortpflanzung der Lebewesen (De generatione animalium) [zu sprechen]“, [bestand der Zweifel in der Frage,] warum wir

39

Ludovici Buccaferri lectiones, 2r. Vgl. Simonis Simoni… de sensuum instrumentis (wie Anm. 31) 5: Verba eius in priori capite secundi libri de partibus animalium ita habent, „ex quibusnam et quot numero membris singula animalia constarent, libris historiarum, qui de his a nobis scripti sunt, planius explicavimus. Nunc quas ob causas, quaeque iuxta hunc modum se habent consideremus. Hic intelligere quivis potest librum de historia animalium praecedere librum de partibus, qui post statim sequitur. In fine deinde quarti eiusdem libri ita loquutus est: „sed de partibus animalium quam ob causam, quaeque sint, dictum iam est in omni animalium genere, quibus explicatis, restat ut de partibus animalium incessui servientibus disseramus.“ Quae verba licet in quibusdam exemplaribus aliter habeatur recte tamen a doctissimis viris, ita esse legenda ut nos legimus animadversum est, cum si alteram lectionem sequeremur, non facile appareret qua ratione verba illa quinti libri de generatione animalium, capite septimo explicari possent. Talia autem sunt: „de voce igitur quae non ante disseruimus cum de sensu aut de anima ageremus, hunc habeant modum.“ Manifestum igitur est libellum de incessu animalium, librum de partibus eorumdem sequi: quod verba etiam in illius exordio posita comprobant. Cum enim in libro de partibus, animalium partes communiori modo simpliciterque propositae essent, ad particulariores et contractiores descendendum sibi esse ostendit, quando ita loquitur, „de commodis autem animalium partibus ad motionem, quae per locum sit, perscrutandum est.“ Nec minoris momenti sunt, quae in fine libelli leguntur: „De partibus igitur tum aliis, tum iis quae ad motum animalium faciunt, hoc modo se habet. His autem sic determinatis, proximum est de anima contemplari.“ Quare qui ad distinctionem duplicis ordinis confugiunt, ut hanc difficultatem vitent, aliumque ordinem inter hos libros ponant, non sunt, ut mihi quidem videtur, audiendi. Ex his autem postremo allatis verbis, duo habentur, quorum unum est, libellum de animalium incessu, librum de partibus animalium sequi: alterum vero, libros de anima post illum statim esse ponendos. Sequitur deinde libellus de instrumentis sensuum. […]„nunc de communi animalium motione dicendum.“ Ex quibus verbis patet, librum qui de animalium motione dicitur, illos statim sequi debere. Cui deinceps accedit liber de generatione animalium: id enim colligitur expresse ex verbis postremis libri praecedentis, quae sic habent, „De partibus quidem singulorum animalium, et de anima, de sensu etiam, et memoria, et somno et communi motione diximus, restat ut de generatione agamus.“ Sequitur liber de long. brev. ut apparet ex postremis verbis quinti libri de generatione animalium, et prioribus illius.

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nämlich das Buch De partibus animalium von den Büchern De generatione animalium durch einen so großen Zwischenraum abgetrennt haben. Ich sagte, die Stelle sei korrupt [überliefert], da man sagen muss: „Nachdem wir über die Teile der Lebewesen (De partibus animalium) gehandelt haben, ist übrig, über die Fortbewegung der Lebewesen (De incessu animalium) zu handeln“, und dies ist Aristoteles’ [eigene] Reihenfolge, und deswegen sagte er am Schluss von De incessu animalium: „Nachdem wir über die Teile der Lebewesen (De partibus animalium) und über die [Körper-]Stellen gehandelt haben, die auf die Fortbewegung der Lebewesen zielen, bleibt übrig, über die Seele zu handeln“; dieses Buch also über die Fortbewegung der Lebewesen (De incessu animalium) setzt das Buch über die Teile der Lebewesen (De partibus animalium) fort, er trennt also das Buch über die Teile (De partibus) vom Buch über die Fortpflanzung der Lebewesen (De generatione animalium), und sagte so am Schluss über die allgemeine Bewegung der Lebewesen: „Über die Teile der einzelnen Lebewesen und am Schluss über die Seele, über die Wahrnehmung, auch über die Erinnerung und den Schlaf, und über die allgemeine Bewegung der Lebewesen haben wir die Gründe angegeben; es bleibt übrig, über die Entstehung zu handeln“ [bzw. lat. Titel der Schriften]. So also teilte er durch einen großen Zwischenraum das Buch über die Teile der Lebewesen (De partibus animalium) vom Buch über die Zeugung/Fortpflanzung der Lebewesen (De generatione animalium), deswegen ist jene Stelle über die Teile der Lebewesen sogar in den griechischen Handschriften korrupt überliefert. Das Grundprinzip, das hinter einer solchen Argumentationsweise steckt, ist klar: Es geht hier nicht nur darum, Aristoteles zu interpretieren, sondern vielmehr darum, zu den ipsissima verba des Philosophen zurückzukehren und eine bestimmte Deutungsweise als Neuentdeckung und Wiederbelebung solcher verba, und deshalb als auf Aristoteles’ Autorität direkt beruhend, zu konzipieren. Drittens: Boccadiferro, Crippa und Simoni liefern eine radikale Neubestimmung des Umfangs und der Ziele des letzten Teiles der philosophia naturalis, indem sie diesen Teil nicht mehr als eine scientia de animatis, die sich in drei Zweige – De an., Parv. nat. und De animalibus – teilt, auffassen, sondern als eine scientia de animalibus, der selbstverständlich die zoologischen Werke sowie auch – und das klingt für uns vielleicht überraschend – die Parv. nat. und De an. zuzuordnen sind: Si per libros de animalibus intelligamus omnes illas tractationes quae supra a nobis sunt enumeratae, et quae exordium a libro de hist. anim. sumunt, ad librum vero de san.et aegr. desinunt, vera esse quae obiiciuntur, nihil tamen adversus nos facere. At si appellatione librorum de ani-

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Roberto Lo Presti malibus intelligantur (ut vulgo solet) tantum libri de historia, et de partibus animalium, dicendum est hoc esse falsum, quia in libris illis nonnisi de materia animalium sermo sit. Quod ut verum sit declarandum est. Universa de animalibus disciplina, tribus cognitis absolvitur: horum primum est animalium essentia, cum sibi propriis operationibus. Alterum est eorundem generatio, qua scilicet gignuntur, et successione quadam conservantur. Tertium est vita et mors.40 Wenn wir unter den Büchern über die Lebewesen alle jene Ausführungen verstehen, die oben von uns aufgezählt wurden und die ihren Anfang von De historia animalium nehmen, mit De sanitate et aegritudine aber aufhören, können die Dinge, von denen eingeworfen wird, sie seien wahr, dennoch nichts gegen uns ausrichten. Aber wenn unter der Bezeichnung De animalibus (wie es gewöhnlich üblich ist) nur die Bücher De historia und De partibus animalium verstanden werden, dann muss man sagen, dass das falsch ist, weil in jenen Büchern nur von dem „Stoff“ der Lebewesen die Rede ist. Man muss klar darlegen, wie die Dinge tatsächlich liegen: Die gesamte Lehre von den Lebewesen wird durch die Erkenntnis von drei Sachverhalten abgehandelt. Der erste von diesen ist das „Wesen“ (essentia) der Lebewesen mit den ihm eigenen Tätigkeiten. Das zweite ist die Entstehung derselben, auf welche Weise sie nämlich gezeugt werden und durch welche Abfolge [untereinander] sie bestehen bleiben. Das dritte ist [ihr] Leben und Tod.

Wir haben es hier nicht bloß mit einer neuen Bezeichnung zu tun, sondern vielmehr mit einer neuen Verständnisweise der aristotelischen Auffassung des Lebens an sich, der Lebensprozesse und der Lebewesen, die den Fokus ausdrücklich von den Lebewesen (de animatis) zu den Tieren (de animalibus) –

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Simonis Simoni … de sensuum instrumentis, 9. Vgl. Ludovici Buccaferri lectiones, 1r: ex verbis Aristotelis iam patet propositum esse perscrutandum operationes communes et proprias animalium et haec intentio est omnium librorum, qui a Latinis parva naturalia appellantur, proprias autem operationes appellamus, quae conveniunt solummodo animalibus, ut sensus et motus, communes vero quae conveniunt etiam plantis; Simonis Simoni … de sensuum instrumentis, 3: Quem locum Parva Naturalia in physiologia obtineant, declarat Aristoteles statim in initio huius libri cum ita loquitur, „postquam de anima per seipsam, deque singulis eius potentiis determinatum iam antea est, proximum est ut de animalibus agamus, ac de omnibus quae vitam habent, quae sint propriae et quae communes ipsorum actiones.“ Pertinent igitur ad partem quae est de animalibus; Bernardini Crippae De memoria (wie Anm. 32) 3: Cum autem ob conficiendam affectionum demonstrationem explicatio subiectae naturae nullo pacto in scientia praetermitti possit, sciendum est, summo, divinoque iudicio eam in hoc libro, qui est una scientiae de animalibus pars, minime positam esse, quandoquidem ex superioribus huius ipsius scientiae libris, in quibus et omnium corporis partium, et universae animae doctrina exponitur, plene, ac facile depromitur.

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der Begriff „Tier“ umfasst hier auch die Menschen – verschiebt. Worin besteht nun diese neue Verständnisweise? Boccadiferro, Simoni und Crippa sind der Meinung, dass man, um die aristotelischen Texte nach dem richtigen ordo doctrinae und der richtigen Untersuchungsmethode einordnen zu können, die in Anal. post. I, 13 getroffene Unterscheidung zwischen einer Betrachtung secundum quia (ὅτι) und einer Betrachtung propter quid (διὰ τί) als Grundkriterium anwenden muss. Gemäß diesem epistemologischen Kriterium muss man zuerst auf die Suche nach dem quia und erst danach auf die Suche nach dem propter quid, d. h. nach den Ursachen, gehen.41 Demzufolge lassen unsere drei Kommentatoren die ganze neubestimmte scientia de animalibus mit der Hist. an. anfangen. Sie fahren aber mit einer Unterscheidung innerhalb der Bücher der Hist. an. fort, indem sie bemerken, die ersten vier Bücher der Hist. an. untersuchten die substantia animalium und deren propriae operationes, d. h. Wahrnehmung und Fortbewegung, die Bücher 5–7 enthielten Beobachtungen über die Fortpflanzung der Lebewesen, das achte Buch hingegen sei einer Untersuchung des Lebens und des Todes gewidmet. Diese Reihenfolge von Forschungsgegenständen bietet unseren Kommentatoren auch das Kriterium zur Einordnung der Texte, die eine Betrachtung de animalibus propter quid enthalten. Diese Einordnung, die Boccadiferro, Crippa und Simoni gemeinsam ist, sieht so aus: 1. Untersuchung propter quid der substantia animalis: nach der causa materialis: De part. an., De inc. an.; nach der causa formalis: De an. 2. Untersuchung propter quid der propriae operationes der Lebewesen: Wahrnehmung: De sens., De mem., De somn.; Fortbewegung: De mot. an. 3. Untersuchung propter quid der Fortpflanzung der Lebewesen: De gen. an. 4. Untersuchung propter quid des Lebens und des Todes: De iuv., De long. vit., De vit. et mort., De resp.42 41

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Siehe z. B. Ludovici Buccaferri lectiones, 1v: Et sic sunt quinque principales partes philosophiae… quarta pars, quae est de animalibus, bipartitur, prima pars dicit quia, secunda dicit propter quid. Ludovici Buccaferri lectiones, 3r: Secundo erat quod idem servavit in declaratione istarum operationum, quod servavit in in de hystoria animalium, quoniam isti libri dicunt propter quid eorum, quae ibi dixerit, sed in de hystoria animalium prius egit de substantia animalium, et de sensu et motu, et haec pars sub quatuor primis libris comprehenditur, secunda pars erat de generatione animalium, tertia erat de morte et vita, quarta de moribus, eadem ordine correspondent in ordine theoriae dicentis propter quid eorum, quae ibi diximus, primae parti, quae erat de substantia animalium correspondent tres libri scilicet de partibus et de incessu animalium, et liber de anima, parti vero quae est de sensu correspondent tres libri scilicet de sensu, de memoria et de somno. Secundae parti, quae est de generatione animalium correspondet liber de generatione animalium. Tertiae parti, quae est de morte et vita correspondent quinque libri secndum illas quinque coniugationes, primus est de longitudine et brev. vitae, secundus de iuventute et senectute, tertius de inspiratione et respiratione, quartus de morte et vita; Simonis Simoni … de sensuum instrumentis, 9–10: In

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Dazu möchte ich nun eine Erläuterung geben und einige Bemerkungen machen. Wir haben hier vier Untergruppen: Die erste Untergruppe enthält De part. an., De inc. an. und De an. Nach der Meinung unserer Kommentatoren bieten diese Schriften eine Untersuchung der substantia animalium propter quid an. Interessanterweise stehen De part. an. und De inc. an. den drei Büchern über die Seele voran, insofern die Untersuchung der Formursache der Lebewesen die Kenntnis der Stoffursache voraussetze. Die zweite Untergruppe enthält De sens., De mem., De somn. und De mot. an. In diesen Schriften habe Aristoteles eine Betrachtung der operationes propriae der Tiere – sensus und motus – vorgenommen. Es ist aber auffällig, dass De inc. an. und De mot. an. in zwei separate Untergruppen eingeordnet sind. Der Grund dafür besteht darin, dass De inc. an. eine auf die Stoffursache gezielte Betrachtung propter quid biete, wohingegen De mot. an. das Fortbewegungsvermögen der Tiere nach seiner Formursache untersuche. Zusammengesetzt entsprechen diese zwei Untergruppen den ersten vier Büchern von Hist. an. Auf gleiche Weise entsprechen De gen. an. den Büchern 5–7 und die Schriften, die als die zweite Hälfte der Parv. nat. überliefert sind, dem achten Buch von Hist. an. Aus dieser auf der Unterscheidung von Betrachtung secundum quia und secundum quid beruhenden Einordnung ergibt sich eine epistemologische Wende von großer Bedeutung, eine Wende, welche sich auf unterschiedlichen Ebenen verwirklicht. Es ist zuerst auffällig, dass die scientia de anima radikal naturalisiert wird. Leonico Tomeo und Javelli fassten noch die scientia de anima als halb naturalis und halb divina auf. Demzufolge war die scientia de animalibus der scientia de anima untergeordnet und von ihr begründet. Bei Boccadiferro, Crippa und Simoni verliert die scientia de anima ihren Dop-

libris igitur de hist.anim. a primo usque ad quintum, quid essentia animalium et quae sint eius operationes docemur. Illud satis patet. Hoc patebit etiam acute intuenti caput octavum, nonum, decimum et undecimum quarti libri, ubi de sensibus, de somno, de vigilia et de somniis agitur. In quinto vero eiusdem tractationis, de generatione animalium. In 8 de vita et morte disseruit. At haec quae ibi confuse et quoad to oti tradita sunt, distincte et quoad propter quid in aliis libris subsequentibus proponuntur. Aristoteles igitur post libros de hist. an., posuit libros de partibus animalium, ut tam in genere quam in specie de materia ageret: mox addit libros de anima in quibus de forma, id est, anima ipsa disserit: ex materia autem illa et hac forma, tota animalium essentia eorundemque proprietates habentur, quandoquidem causae essentiales tam compositorum, quam proprietatum composita sequentium, causae dicuntur esse. Hae autem proprietates multae sunt: praecipue vero sensus et motus, his enim primum animatum ab inanimato differt. De hisce igitur proprietatibus Arist. In parvis naturalibus agit, quantum attinet ad eorum quatuor libros priores. Hisce ita constitutis sequitur liber de generatione animalium tanquam quinto libro de historia respondens. Sequuntur postremo loco ii qui respondent octavo, in quibus scilicet de vita et morte, atque aliis annexis disceptatur. Vgl. Bernardini Crippae … De motu animalium (wie Anm. 32) 3–5.

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pelstatus und wird zum wesentlichen Teil einer allumfassenden scientia de animalibus, welche keinen Spielraum für eine metaphysisch oder sogar theologisch geprägte Forschungsagenda einräumt. Außerdem hat der konzeptuelle Übergang von der scientia de animatis zur scientia de animalibus als allgemeinem Bezugsrahmen, zu dem die Parv. nat. gehören, bedeutsame Folgen für die Bestimmung des theoretischen Umfangs der Texte, welche die pathe¯ und praxeis des vegetativen Seelenteils in Betracht ziehen. Denn jetzt wird es verneint, dass die Pflanzen, denen solche pathe¯ und praxeis auch gemeinsam sind, ein zentraler Forschungsgegenstand der Parv. nat. sind. Es wird vielmehr behauptet, dass die Eigenschaften und Wirkungen der Tiere der einzige eigene Gegenstand der Parv. nat. sind und dass die Pflanzen nur akzidentell zur Sprache kommen, d. h. nur insofern die Tiere in Bezug auf die operationes, welche den Pflanzen auch gemeinsam sind, als „pflanzen-artige“ Wesen betrachtet werden können.43 Aus einem logisch-epistemologischen Blickwinkel heraus betrachtet ist zu bemerken, dass das Prinzip der resolutio, auf dem die Untersuchungen secundum quia und deshalb die empirischen Erkenntnisse beruhen, Vorrang vor dem Prinzip der compositio hat. Genauer gesagt werden resolutio und compositio in diesen Kommentaren in ein enges und wechselseitiges Verhältnis zueinander gebracht, indem man zuerst durch resolutio auf die Erkenntnis der substantia animalium, d. h. auf die Feststellung der principia materialia und formalia der Lebewesen zielt, und ausgehend davon durch compositio wieder zur Erkenntnis der mannigfaltigen propriae et communes operationes animalium gelangt. Hier spürt man das Echo der Debatte zwischen Aristotelikern und Galenikern über Grundfragen der Logik und Erkenntnistheorie,44

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Simonis Simoni … de sensuum instrumentis, 8: Nam licet hoc in exordio libri dicere velle videatur, alio tamen respicit: cum praesertim nullum verbum in hisce libris de plantis fecerit, nisi ex accidenti, et quasi aliud agens: tractatioque illa non hanc praecedat sed sequatur: ut authoritate Aristotelis supra probatum est, et multis rationibus ab aliis confirmatum. Atqui fieri potest ut dicamus, hic de accidentibus plantarum agi, cum nondum de ipsis plantis tractatio sit instituta. Subiectum enim genus, esse ponitur in scientia, mox eius accidentia et proprietates declararitur, ut docet Aristoteles in primo analyticorum. Dicamus igitur Aristotelem hic operationes istas vocasse communes animalibus et vitam habentibus, quia de iis operationibus agit, quae animali non tantum qua animal est, id est sensu et motu praeditum conveniunt, sed etiam qua vivit, id est, anima vegetantem habet. Quae anima quia in plantis sola est, ideo plantarum quodammodo propria dicitur, et animal qua vegetans consideratum, simile plantis habetur: atque hac certe sola ratione Aristoteles in his libris affectiones hasce plantis accommodavit. Proptereaque etiam nomine plantae uti noluit, sed ita loquutus est, „et de omnibus vitam habentibus“. Siehe H. Mikkeli, An Aristotelian Response to Renaissance Humanism. Jacopo Zabarella on the Nature of Arts and Sciences, Helsinki 1992; ders., Foundation (wie Anm. 2).

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einer Debatte, welche um die Siebzigerjahre des 16. Jahrhunderts herum zur Regressus-Lehre des Zabarella führte.45 Aber die Einwirkung von erkenntnistheoretischen Stellungnahmen galenischer Herkunft auf Boccadiferros, Crippas und Simonis Kommentare ist auch auf einer rein methodologischen Ebene zu bemerken. Denn in ihrer Auffassung der scientia de animalibus setzt die theoretische Untersuchung der Seele, welche die Bücher De an. bieten, das anatomische Wissen voraus, welches sowohl die Hist. an. in Form einer deskriptiven Anatomie als auch De part. an. und De inc. an. in Form einer funktionellen Anatomie bieten. Es handelt sich hier um eine Einbeziehung der Anatomie in die heftige Debatte, die sich innerhalb des italienischen Aristotelismus des 16. Jahrhunderts um Wesen, Eigenschaften, Vermögen der Seele entwickelte.46 Diese Einbeziehung setzt aber die Aufnahme eines wesentlichen Merkmales der galenischen Untersuchungsmethode voraus, nämlich einer Bottom-up-Betrachtungsweise, die in Werken wie Quod animi mores und De temperamentis, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts eine weite Verbreitung in Bologna und Padua sowie auch in den galenischen Kreisen ganz Europas hatten,47 besonders auffällig ist, und wodurch die Bestimmung der Seeleneigenschaften aus der anatomischen Untersuchung der Beschaffenheit der Körperorgane abgeleitet wird.48 Das Verhältnis zwischen aristotelischer Philosophie und Medizin, auf das die oben geschilderten Thesen über die Struktur der scientia de animalibus hinzuweisen scheinen, ist aber nicht ein-, sondern wechselseitig: Es ist einerseits klar, dass Grundprinzipien der galenischen Erkenntnistheorie und Untersuchungsmethode auf Boccadiferro, Crippa und Simoni einwirkten; andererseits kann man behaupten, dass die Art und Weise, wie die scientia de

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Siehe H. Mikkeli, Art. „Giacomo Zabarella“, in: E. N. Zalta (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2012 Edition), URL = http://plato.stanford.edu/archives/ win2012/entries/zabarella/. Siehe De Angelis (wie Anm. 2) 64–92. Eine lateinische Übersetzung des Quod animi mores wurde 1528 in Paris veröffentlicht (siehe R. J. Durling, A Chronological Census of Renaissance Editions and Translations of Galen, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 24.3/4 [1961] 255). Über die Kommentartradition zu Quod animi mores, die im letzten Viertel des Cinquecento anfängt, siehe Ch. Savino, La ricezione del Quod animi mores di Galeno fra Medioevo e Rinascimento: traduzioni, edizioni, commenti, Bruniana & Campanelliana 17/1 (2011) 57. Eine viel stärkere Rezeption hatte Galens Schrift De temperamentis: Zwischen 1527 und 1565 erschienen sieben unterschiedliche lateinische Übersetzungen und drei Kommentare (von Thriverus, Quercetanus und Caspar Lopez Canario). Siehe darüber Durling (s. o.) 255–276. Siehe Ph. van der Eijk, Galen on the nature of human beings, in: P. Adamson/R. Hansberger/ J. Wilberding (Hrsg.), Philosophical Themes in Galen (Bulletin of the Institute of Classical Studies, Supplement 114), London 2014, 89–134.

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animalibus in solchen Texten wie den hier betrachteten Parv. nat.-Kommentaren aufgefasst wird, stark auf die Medizinlehre an der Universität Padua einwirkte, und besonders auf die Anatomielehre, die sich unter Fabrici Aquapendentes Professur als eine „Wiederbelebung des aristotelischen AnatomieProjektes“ charakterisieren lässt. Andrew Cunningham hat in einigen grundlegenden Beiträgen49 gezeigt, wie sich Fabricis Forschungsagenda vom anatomischen Projekt, z. B. von Andreas Vesalius, unterscheidet: Während Vesalius ausschließlich auf das anatomische Verständnis des menschlichen Körpers50 und eine fast ausschließlich strukturelle Schilderung von dessen Teilen zielt,51 richten sich Fabricis Beobachtungen und Untersuchungen auf die Strukturen, Eigenschaften und Wirkungsweisen der Tierkörper im Allgemeinen. Wir haben deshalb ein „aristotelisierendes“ medizinisches Projekt de animalibus, das sich mit einem entsprechenden philosophischen Projekt de animalibus, welches sich auch innerhalb der Aristoteles-Kommentarpraxis entfaltet, verknüpft und mit ihm übereinstimmt.52 Aus diesem Grund kann Fabrici Ziel und Nutzen einer Schrift, die den Titel Hieronymi Fabrici ab Aquapendente Anatomici Patavini

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A. Cunningham, Fabricius and the ‚Aristotle Project‘ in Anatomical Teaching and Research at Padua, in: A. Wear/R. K. French/I. M. Lonie (Hrsg.), The Medical Renaissance of the Sixteenth Century, Cambridge 1985, 195–222; ders., The Anatomical Renaissance.The Resurrection of the Anatomical Projects of the Ancients, Aldershot 1997, 187. Wie sich schon im Titel des Meisterwerkes des Vesalius, De humani corporis fabrica zeigt. Über Vesalius’ Anatomie-Projekt siehe Cunningham, Anatomical Renaissance (wie Anm. 49) 88–142; A. Carlino, Books of the Body. Anatomical Ritual and Renaissance Learning, Chicago/London 1999, 39–53; R. Lo Presti, Anatomy as epistemology: The Body of Man and the Body of Medicine in Vesalius’ Anatomical Renaissance, in: F. Bourbon/R. Lo Presti (Hrsg.), De Fabrica Artis Medicinae. Les redéfinitions de la médecine à la Renaissance, special issue of ‚Renaissance and Reformation/Réforme et Renaissance‘, vol. 33, no. 3 (2010), 27–60. Gegen die für Vesal typische Beschränkung auf eine strukturelle Betrachtung der Körperteile äußert sich Fabrici in ausdrücklicher Weise in der praefatio zu seiner Schrift De visione (Venedig, 1600): Atque, hic etiam Vesalius quamquam ita exacte luculenterque scripsit, multis ut in rebus etiam Antiquos superarit, habet tamen non pauca et ipse, quae de summa egregii operis laude aliquid detrahant, et clarissimo viro prope tenebras obfundant. Primum enim et latius interdum evagatur, et nimius se in omnes partes fundit, neque tamen omnia, quae ad Anatomicum negotium spectant, complectitur, solam fere prosequens dissectionem, organorum actiones et utilitates vix attingens. Auf eine grundlegende Übereinstimmung zwischen medizinischer und philosophischer Ebene der Untersuchungen, die Fabrici über Teile, Fähigkeiten und Wirkungen der Lebewesen führt, weist auch z. B. das Frontispiz der 1603 in Padua erschienen Abhandlung De locutione et eius instrumentis, in dem Fabrici philosophus et medicus genannt wird. In diesem Zusammenhang ist auch der Titel des ersten Kapitels dieser Schrift sehr aufschlussreich: quo loco in Anatomica scientia de locutione agendum; quis sit locutionis usus, praestantiaque, et quod Anatomicus non Grammatico, sed Philosophico more locutionem explicare debeat.

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de Brutorum Loquela trägt und hauptsächlich an ein Publikum von Medizinern gerichtet ist,53 auf folgende Weise erklären: „Man soll nicht denken, dass ich ein nutzloses Thema vorschlage, wenn ich entscheide, die Redeweise der Tiere zu betrachten. Denn es geht um nichts anders als Philosophie, die das Wesen der Tiere untersucht.“ 54 Hier zielt Fabrici ganz ausdrücklich darauf ab, als Mediziner und Anatomieprofessor zur Naturphilosophie beizutragen – genauer gesagt, zu einem Teil der Naturphilosophie, nämlich der scientia de animalibus, mit der die Naturphilosophie endet: De qua Aristoteles plura scripsit, librosque plures edidit, quam de ulla alia parte naturalis philosophiae sicut igitur libros de physico auditu utilissimum est legere, eorumque Interpretes audire; ita de brutorum loquela agere, infructuosum non est; immo hanc forte magis, et cum hac totam animalium historiam naturamque, ac tandem de ea conscripta volumina, quam reliquae philosophiae naturalis libros evolvere, ac contemplari satius erit. Qui enim de physico auditu scripti sunt itemque de Caelo, et Generatione, prima duntaxat philosophiae naturalis principia et elementa contemplantur, qui vero de animalibus conclusiones finemque consummatum, et optatum, perscrutantur assequunturque: illi universalia, hi particularia complectuntur, illi philosophiam inchoatam, hi consummatam exhibent; illi philosophiae radices tantum, hi ramos quoque commostrant.55 Über sie schrieb Aristoteles mehr und gab mehr Bücher heraus als über irgendeinen anderen Teil der Naturphilosophie; wie es nämlich von größtem Nutzen ist, die Bücher De physico auditu zu lesen und deren Ausleger zu hören, so ist es nicht fruchtlos, über De brutorum loquela zu handeln. Und tatsächlich wird es vielleicht zweckmäßiger sein, diese [Schrift] und mit ihr die gesamte Forschung und Natur der Lebewesen und schließlich die über sie geschriebenen Bände mehr als die Bücher über die restliche Naturphilosophie zu studieren und zu erwägen. Die Bücher De physico auditu und gleichfalls De caelo und De generatione [animalium] betrachten nämlich lediglich die Prinzipien und Grundbau-

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Dass Fabrici mit dieser Abhandlung im medizinischen Bereich zu bleiben und zum anatomischen Wissen beizutragen vorhat, ergibt sich mit voller Deutlichkeit aus der ersten der Fragen, die im ersten Kapitel erörtert werden: quo loco in Anatomica scientia de locutione agendum. Hieronymi Fabrici ab Aquapendente Anatomici Patavini de Brutorum Loquela, Padua 1603, 1: Ne rem inutilem vobis proponi putetis, Lectores candidi et benevoli, cum de brutorum loquela agere constituo. Haec enim non alia est, quam philosophia, quae animalium naturas investigat. Hieronymi Fabrici … de Brutorum Loquela (wie Anm. 54) 1.

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steine der Naturphilosophie, die [Bücher] De animalibus aber untersuchen die Schlussfolgerungen und das vollkommene und erwünschte Ziel und erreichen [es]. Jene betrachten Universalien, diese Einzelphänomene; jene bieten die [Natur-]Philosophie in einem Anfangs-, diese in einem Endstadium; jene zeigen einzig die Wurzeln der [Natur-]Philosophie auf, diese auch die Zweige. Fabrici zielt aber auch auf etwas Anspruchsvolleres ab, und zwar darauf, die scientia de animalibus nicht nur als Schlussteil, sondern vor allem als höchste, auf medizinisch-anatomischen Kenntnissen beruhende Vollendung der Naturphilosophie (illi philosophiam inchoatam, hi consummatam exhibent) darzustellen. Denn, „an Zweigen werden Blätter, Blumen und Früchte hervorgebracht, die nützlicher, schöner und vollendeter als die Wurzel sind; auf gleiche Weise ist der Teil der Philosophie, welcher das Wesen der Tiere erforscht, viel herausragender, mehr mit Blumen und Früchten verschönert und reicher als die anderen Teile der Philosophie“.56 Um die Übereinstimmung zwischen philosophischer und medizinischer Untersuchung der Tiere innerhalb Fabricis Anatomieforschungspraxis am deutlichsten zeigen zu können, sind ein paar Bemerkungen zu zitieren, die Andrew Cunningham der Forschungs- und Lehrmethode des Fabrici Aquapendente gewidmet hat: To produce one of his philosophical anatomical accounts Fabricius went through a particular routine of investigation. We must bear in mind that Fabricius is always investigating some operation of the soul, such as nutrition, generation, sensation, or motion, and then looking at the organs which carry it out. Thus his goal in any particular anatomical investigation was a single, general, universal account of the operation in question in that single, general, universal creature “The Animal”, and the organs or parts which carry it out, for this would capture the essence of that particular faculty and instruments of the soul, and hence explain what it was and why it was as it was. First he had to create the historia. This involved looking at as many instances as possible of the part in question in as many kinds of animal as he could. […] Then Fabricius turned to investigating the particular action of the part in question. An action in this sense is some unique and public role contributing to and indispensable to the effective functioning of the whole animal, such as seeing, hearing, making blood, or whatever. As a good Aristotelian Fabricius

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Ibid.: In ramis autem quemadmodum folia, flores, et fructus producuntur, quae radicibus utiliora, iucundiora, perfectioraque sunt; sic reliquis philosophiae partibus multo praestantior est, floribus et fructibus excultior, et opulentior ea, quae animalium natura indagat.

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Roberto Lo Presti would assume that the capacity or faculty of a particular part to perform a particular action usually resided in the special nature of the material of that part; thus the liver has a blood-making faculty, the heart a pulsatile faculty. […] In the next place Fabricius would try and discover the use or cause of the part in question; the general account of why it exists and why it is as it is in the Animal. […] Finally Fabricius would give a demonstration of the truth of his account. Having ascended from the particulars to the general by induction, such demonstration could be used to descend from the general to the particulars, and thus show how the particulars are comprehended in – are instances or instantiations of – the general.57

Es soll versucht werden, diese vier Momente bzw. Aspekte der anatomischen Forschung und Lehre in Fabricis Schriften nachzuvollziehen und das Verhältnis zwischen Fabricis Methode und der der internen Ordnung der scientia de animalibus zugrundeliegenden Erkenntnistheorie, auf die in den oben betrachteten Parv. nat.-Kommentaren hingewiesen wird, ans Licht zu bringen. Zuerst seien die Inhaltsverzeichnisse einiger Schriften Fabricis, und zwar der Abhandlungen De visione, De voce, und De auditu beispielsweise in Betracht gezogen. Man bemerkt sofort, dass sich die gleiche Struktur und thematische Einordnung regelmäßig wiederholen: Wie auch in der scientia de animalibus besteht der erste Schritt bei Fabrici in einer historia. Als zweiter und dritter Schritt kommt die Untersuchung der Wirkung (actio) sowie auch des Nutzens (usus) der Körperteile, also eine funktionelle Anatomie. Diesen Schritten können die erste Stufe der Betrachtung propter quid in der scientia de animalibus, welche in De part. an. und De inc. an. erledigt werde, und der „general account“, welcher in der scientia de animalibus von der in De anima enthaltenen theoretischen Betrachtung der Seele auch geliefert werde, gut entsprechen. Letztlich kommt Fabrici wieder zur Betrachtung der mannigfaltigen operationes der Tiere, welche als im Körper (und durch die Körperorgane) verwirklichte Wirkungen der Seele untersucht werden.58 Man könnte wohl sagen, dass Umfang und Ziele dieses vierten Schrittes mit denen übereinstimmen, welche die oben betrachteten Kommentare zu den Parv. nat. dem letzten Teil der scientia de animalibus zuweisen. Dass die zeitgenössischen Ansätze zur aristotelischen scientia de animalibus eine direkte Wirkung auf Fabricis Auffassung der Anatomie als einer vollkommenen, auf Beweisvorgängen beruhenden Wissenschaft ausübten und dass Fabrici die Ergebnisse der Debatte, die seine Philosophen-Kollegen 57 58

Cunningham, Anatomical Renaissance (wie Anm. 49) 176–177. Beispielsweise ist dieser Schritt in den letzten Kapiteln des dritten Teils von De voce besonders auffällig.

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in jenen Jahren über Grundprinzipien und innere Ordnung der aristotelischen Naturphilosophie führten, in seine eigenen methodologischen Überlegungen programmatisch und auf wohl bewusste Weise mit einbezog, ist aber interessanterweise nicht nur der Struktur und den Inhalten der Werke Fabricis zu entnehmen, sondern darauf wird auch ausdrücklich durch Fabricis ipsissima verba hingewiesen. Im Widmungsbrief zur Abhandlung De voce beschreibt Fabrici die von A. Cunningham angedeutete Aufeinanderfolge von historia (i.e. dissectio), (Betrachtung der) actio und (Betrachtung der) utilitas eines Körperteils als die beste und angemessenste Methode in rebus anatomicis.59 Wenn es aber darum geht, dieser Methode Autorität zu geben, erwähnt Fabrici Aristoteles und Galen zusammen als diejenigen, die den Weg geöffnet und erleuchtet haben. Diesen Erörterungen folgt eine Art Kanon von Werken des Aristoteles und Galens, ein Kanon, welcher sich durch die Feststellung von Entsprechungen und thematischen Übereinstimmungen zwischen aristotelischen und galenischen Schriften charakterisieren lässt:

historia

actio

usus

Aristoteles

Hist. an.

De an.; De gen. an.

De part. an.

Galen

De anatomicis administrationibus; De dissectione nervorum, venarum, arteriarum, vulvae; De vocalium instrumentorum dissectione

De facultatibus animalibus; De placitis Hippocratis et Platonis; De motu musculorum; De visione; De voce; De motu thoracis et pulmonis; De respiratione

De usu partium; De usu pulsuum; De usu respirationis

Dieser Tabelle60 sind zwei Grundsätze, auf denen Fabricis Forschungs- und Lehragenda beruht, zu entnehmen: 1. Voraussetzung für die Gründung einer 59

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Hieronymi Fabrici ab Aquapendente de visione, de voce, de auditu, Venedig 1600 (der Widmunsgbrief zu De voce ist ohne Seitenzahlen): Diu igitur multumque in hac cogitatione defixus, quam potissimum in hoc negotio methodum sequi oporteret, tandem illam statui esse optimam convenientissimamque, ut uniuscuiusque organi primo prosequantur dissectionem seu historiam, deinde actionem, postremo utilitates: ut ita notitiam organorum totam, hisce tribus veluti membris comprehensam exhibeamus. Hieronymi Fabrici…de voce: Quod enim ad primam partem attinet, quam dissectionem, seu historiam esse volumus, est ea apud Aristotelem in decem libris de Historia Animalium, apud Galenum in novem de Administrationibus Anatomicis, item de Dissectione Nervorum, Venarum, Arteriarum, Vulvae; praeterea de Vocalium Instrumentorum Dissectione. Fuit et in illo opere, quod utinam exstaret, de Dissectione secundum Hippocratem. Secun-

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anatomischen Wissenschaft sei, dass die Untersuchungsmethode der aristotelischen scientia de animalibus aufgenommen und den spezifischen Zielen der Medizin angepasst werde. 2. Ein anatomisches Projekt, welches sich als aristotelisierend und trotzdem auch als völlig medizinisch präsentieren will, müsse auch in der Lehre Galens tief eingewurzelt sein, in der Galen den Übergang, auf den Fabrici auch abzielt, und zwar den Übergang von einer auf anatomischer Beobachtung beruhenden scientia de animalibus zu einer vollkommenen und unabhängigen scientia anatomica, schon einmal geschaffen hat. Wie sich ein solcher Übergang in Fabricis Vorstellung konkretisiert, wird sofort erkennbar, wenn man die schon erwähnte Stelle von De brutorum loquela, in der die scientia de animalibus als Vervollkommnung der philosophia naturalis gelobt wird, mit einer Stelle des Widmungsbriefes zu De voce vergleicht, in der Fabrici das anatomische Wissen selbst (anatomicum negotium) anstelle der scientia de animalibus als Vervollkommnung und letztendliche Vollendung der Naturphilosophie – und Grundlage der Medizin – definiert.61 Die Forschungsmethode, die der Anatomieprofessor Fabrici in völliger Übereinstimmung mit den neuesten Tendenzen der aristotelischen scientia de animalibus (siehe die Parv. nat.-Kommentare) und Logik (siehe Zabarellas Regressus-Lehre) und gleichzeitig mit Rücksicht auf Galens Erkenntnis- und Beweismethode entwickelte, wurde einige Jahre später von William Harvey, dem berühmtesten Schüler von Fabrici, übernommen und z. B. in der praefatio der Exercitationes anatomicae de generatione animalium durch ganz genaue Verweise auf die aristotelische Beweismethode weiter bestimmt. Die praefatio der Exercitationes beginnt mit einer ganz ausdrücklich programmatischen Äußerung über das Ziel und die Methode der embryologischen Untersuchungen Harveys. Harvey zielt auf die „gratiam und utilitatem derjenigen, die die Wahrheit lieben (veritatis studiosorum)“.62 Natürlich stellt der Ver-

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dam vero, quae organi tractat actionem, in Aristotele quidem nobis exhibent libri tres de Anima, et quinque de Generatione Animalium, in Galenum autem tres de Facultatibus Animalibus, septem de Placitis Hippocratis et Platonis, item duo de Musculorum. Erat haec in aliis libris, qui iniuria temporum interciderunt, ut de Visione, de Voce, de Motu Thoracis et Pulmonis, de Respiratione. Tertia porro, quae organi utilitates cum totius, tum etiam partium persequitur, in Aristotele respondent libri quatuor de partibus Animalium, in Galeno magnum illud opus de Usu Partium, decem et septem libris comprehensum, item de Usu Pulsuum et de Usu Respirationis. Hieronymi Fabrici…de voce: totum anatomicum negotium … quod mea sententia nihil aliud est, quam verum ac solidum totius Medicinae fundamentum, et naturalis philosophiae absoluta perfectio et consummatio. William Harvey, Exercitationes de generatione animalium, Amstelodamum 1651, 15: Quod multi a me petierunt, aliqui etiam efflagitarunt; non ingratum fore spero (Lector candide!) si, quae de Generatione animalium ex dissectionibus anatomicis observare licuit, (aliter enim multo, quam ab auctoribus, sive Philosophis, sive Medicis tradita est, rem omnem

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weis auf die Wahrheit an sich keine Innovation dar, denn ein solcher Verweis ist auch bei vielen anderen Autoren zu finden. Was Harvey aber eigen ist, ist zum einen der Weg, durch den diese Wahrheit zu erreichen ist, und zum anderen das Verhältnis zwischen Wahrheit und Tradition, welches diesen neuen Weg kennzeichnet. Denn Harvey macht in ganz emphatischer Weise klar, dass er darauf zielt, alles zu erläutern, was in Bezug auf die Entstehung der Tiere durch anatomische Sektion beobachtet werden kann (ex dissectionibus anatomicis observare licuit). Dieser Begrenzung des Untersuchungsbereiches entspricht jedoch kein epistemologischer Pessimismus – ganz im Gegenteil. Denn Harveys Meinung nach überschneidet sich der Bereich des Beobachtbaren mit dem Bereich dessen, was wissenschaftlich untersucht und überall erkannt werden kann. Aus diesem Grund könne durch eine richtig geführte anatomische Beobachtung eine wissenschaftliche Betrachtung des „Buchs der Natur“,63 anders gesagt: eine contemplatio veritatis, erfolgen. Diese Idee der contemplatio vermittelt Harvey durch den Ausdruck – lucem anatomicam adhibere – was auf Deutsch etwas wie „anatomisch aufklären“ oder ganz wörtlich „das Licht der Anatomie beibringen“ bedeutet.64 Aber es stellt sich die Frage, ob die Wahrheit, auf die Harvey zielt, ein Feld ist, welches die Autoritäten der Vergangenheit und vor allem Aristoteles und Galen schon völlig erforscht haben, oder ob es noch Teile dieser Wahrheit gibt, welche dem menschlichen Verständnis noch verborgen geblieben sind. In diesem Zusammenhang schlägt Harvey vor, die Autoritäten der Vergangenheit nicht mehr als unfehlbare Wissensquellen, sondern als Vorbilder einer neuen oder erneuerten wissenschaftlichen Forschungsmethode zu betrachten. Insofern kann Harveys Strategie als ein Versuch charakterisiert werden, die Autorisierung neuer auf Autopsie beruhender Wissensansprüche mit der Bewahrung von antiker Autorität zu harmonisieren.65

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deprehendi) exercitationibus hisce, in veritatis studiosorum gratiam, et utilitatem, exposuero. Über den rhetorischen Verweis auf die „Natur“ und die Metapher des „Buchs der Natur“ in den frühneuzeitlichen Wissenschaften siehe B. P. Copenhaver/Ch. B. Schmitt, Nature against Authority: Breaking away from the Classics, in: dies. (Hrsg.), Renaissance Philosophy, Oxford 1992, 285–328. Harvey (wie Anm. 62) 15: Verum haec falsa, et temere dicta esse, facile constabit; et veluti tenebrarum phantasmata (adhibita luce anatomica) subito evanescent, nec redargutionem operosam requirent, ubi per autopsiam contraria, eaque rationi consentanea, ipsemet (Lector!) propriis oculis certior factus, deprehenderis; simulque intellexeris, quam sit intutum, imo vero turpe, citra rerum ipsarum examen, ex aliorum commentariis institui; praesertim, cum tam apertus facilisque Naturae liber sit. Ein solcher Versuch, der bei Harvey besonders deutlich bemerkbar ist, ist aber ein Charakteristikum der Untersuchungs- und Beweismethode vieler anderer Mediziner in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Siehe De Angelis (wie Anm. 2) 215–216 und 223–234.

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Dieser Perspektivenwechsel wird am deutlichsten, wenn man sich anschaut, wie Harvey die Zeugungslehre des Aristoteles und deren methodologische Voraussetzungen behandelt. Denn aus einem inhaltlichen Blickwinkel heraus betrachtet zögert Harvey nicht, die theoretischen Grundlagen beider Samenlehren – die des Aristoteles und die Galens – als Ergebnis „falscher“ und „unbedachter“ Äußerungen abzulehnen (verum haec falsa et temere dicta esse, facile constabit).66 Wenn es aber darum geht, die methodologischen Grundlagen seiner „neuen“ Methode vorzustellen und diese Methode als Fundament seiner eigenen embryologischen exercitationes anzubieten, dann bleibt Harvey völlig und ausdrücklich innerhalb eines neuaristotelischen epistemologischen Paradigmas. Denn er lässt seine Betrachtung darüber, wie man von der Wahrnehmung/Kenntnis der particularia zur Kenntnis der universalia und zurück von den universalia wieder zu den particularia übergeht, um einen Forschungsgegenstand wissenschaftlich greifen zu können, auf epistemologischen Grundsätzen beruhen, die Harvey sowohl aus der Physik, der Zweiten Analytik und der Metaphysik des Aristoteles67 als auch aus Fabricis Forschungsmethode entnehmen konnte und worauf sich die logische und epistemologische Debatte schon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts am meisten fokussiert hatte. Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass Harvey am Ende seiner praefatio Aristoteles und seinen Lehrer Fabricius ab Aquapendente jeweils als seinen „General“ (ducem) und als seinen „Leiter“ (praemonstratorem) erwähnt.68 Man sieht deshalb, dass die Parv. nat.-Kommentierungspraxis ein ganz bedeutsames Feld im Rahmen des italienischen Aristotelismus des 16. Jahrhunderts darstellt, insofern als das Vorhaben, sich mit den Parv. nat. auseinanderzusetzen und die Bedeutung der Parv. nat. innerhalb der aristotelischen Naturphilosophie eindeutig zu machen, durch eine Neubestimmung der allgemeinen theoretischen Ziele sowie auch der erkenntnistheoretischen

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Siehe auch folgende Passage der praefatio: Medici omnes, Galenum sequuti, ex maris et foeminae seminibus in coitu mistis, secundum hujus vel illius praedominium, foetum huic, vel illi similem; marem item, vel foeminam procreari docent. Et aliquando maris semen efficientem causam esse, foeminae autem materiae vicem supplere; nonnunquam, contrarium profitentur. Aristoteles autem (naturae diligentissimus investigator) affirmat, principia generationis esse marem, et foeminam: hanc, materiam; illum, formam tribuere: et a coitu protinus ex menstruo sanguine in utero efformari principium vitale, primamque futuri foetus particulam (cor nempe in sanguineis) asserit. Aristoteles, Phys. I 1.184 a 16–25; Anal. post. I 1.71 a 1; Met. Δ 12.1018 b 33 und A 1.980 a 22–981 a 5. Harvey (wie Anm. 62) 35: Prae caeteris autem, Aristotelem ex antiquis; ex recentioribus vero Hieronymum Fabricium ab Aquapendente, sequor; illum, tanquam Ducem; hunc, ut Praemonstratorem. Siehe Berti 2006 und Cunningham, Fabrici and Harvey (wie Anm. 11).

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Voraussetzungen der psychologischen und zoologischen Schriften des Aristoteles gerechtfertigt wird. Einerseits steht diese epistemologische Rechtfertigung in engem Zusammenhang mit der Wiederbelebung der aristotelischen scientia de animalibus; anderseits spiegelt sie die steigenden Ansprüche an die Wissenschaftlichkeit und Grundsätzlichkeit des anatomischen Wissens wider. In solchen Ansprüchen, die sich aus dem beständigen Wechselspiel zwischen epistemologischen und methodologischen Ansätzen aristotelischer und galenischer Abstammung sowie auch aus einer neuen Zuversicht, das Feld der Anatomie verbreiten und vertiefen zu können, ergaben, sind Kerne einer epistemologischen Wende in der Medizin zu finden, einer Wende, für die Fabrici den Weg bereitete und die Harvey zur höchsten Vollendung brachte.

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Index locorum Aegidius Romanus 71 Anm. 1, 198 Anm. 26, 248

in Meteor. 81.17–87.23: 151 Anm. 28

Alexander von Aphrodisias 19 Anm. 28, 123, 132–152

Quaest. 97,25–35: 60 f.

De an. 1–2: 38 Anm. 65 4: 38 Anm. 65 1.2–4: 136 2.4–3.15: 136 f. 5.5–18: 137 9.5–8: 137 9.11–14: 140 f. 10.15–19: 138 12.8–15: 138 15.26–17.8: 50 Anm. 101 63.6–20, 64.9–20: 59–61

in Sens. 135, 141, 152 1,3–2,24: 42 Anm. 76 2.5–6: 140 5.4–19, 28: 143 6.16–19: 143 7.25–8.2: 148 42.26–27: 128 Anm. 82 42.26–43.1: 128 Anm. 89 45.11–21: 115 Anm. 17 76.4–6: 151 Anm. 29 79.11–23: 149 79.23–80.14: 150 f. 80.1, 9: 151 Anm. 29 92–93: 151 Anm. 29 98.20–3: 152 Anm. 30 131.8, 131.20: 126 Anm. 74 132.2–12: 128 133.1–27: 127 134.11: 128 Anm. 84 134.11–19: 129 Anm. 90 135.11–22: 129 Anm. 92 162.14–168.10: 61 Anm. 133

in de An. 42.19–22: 120 Anm. 42 42.22–43.4: 128 Anm. 89 43.7–8: 128 Anm. 83 44.23–25: 115 Anm. 17 Mant. 142.2–4: 120 Anm. 42 142.4b−5: 116 Anm. 20 142.8: 128 Anm. 83 143.4–18a: 128 Anm. 89 143.26–29: 127 Anm. 80, 129 Anm. 90 143.34: 129 Anm. 93 144.31–32: 128 Anm. 82 in Metaph. 239,22–25: 22 Anm. 33 239,30 ff., 240, 3–7: 22 Anm. 33 357,25–358,3: 20 f. 360,4–16: 26 440,21–441,14: 22 Anm. 33 441,6–10: 31 Anm. 51 442,27 ff.: 20 Anm. 29 444,1–15; 445,19–32: 25 Anm. 40 507,21–510,7: 37, 39 Anm. 69 508,4–8: 39 Anm. 68 551,11–552,9: 36 Anm. 62

Anaxagoras 56, 201 Anm. 28 Aristophanes von Byzanz Epit. 31,25: 215 Anm. 58 Aristoteles De an. 9, 47, 54 f., 62, 73, 83 f., 89, 92, 102, 135, 139, 140, 142, 152, 164 Anm. 36, 182 f. Anm. 48, 248, 250 f., 253–255, 259, 261 f., 263, 266, 271 f., 195 f., 198 Anm. 26 I: 74 (mit Anm. 9), 79 I 2.405 a 25–26: 145

282

Index locorum

I 3.407 b 23: 137 I 3.407 b 25 f.: 224 Anm. 78 I 4.408 b 13–15: 117 I 4.408 b 15–25: 183 Anm. 48 I 4.408 b 18–24: 52 Anm. 108 II–III: 102 II–IV: 11 Anm. 7 II 1–2: 58 Anm. 127 II 1–4: 74 II: 72 f., 75 (mit Anm. 9), 79, 83 II 1: 83 f., 98 f., 194 Anm. 17 II 1.412 a 1 ff.: 50 Anm. 97 II 1.412 a 6–7: 140 II 1.412 a 6–11: 38 II 1.412 a 10 f.: 122 II 1.412 a 14–15: 140 f. II 1.412 a 19–21: 84 Anm. 34 II 1.412 a 19−b 6: 43 Anm. 80 II 1.412 a 21–28: 117, 122 II 1.412 a 27 f.: 214 II 1.412 b 1 ff.: 84 Anm. 36 II 1.412 b 4: 50 Anm. 97; II 1.412 b 5: 84 II 1.412 b 5–6: 140 II 1.412 b 10: 50 Anm. 97 II 1.412 b 10–413 a 10: 50 Anm. 100, 224 Anm. 78 II 2: 39 Anm. 68, 83, 92 II 2–4: 42 Anm. 74, 86–88 (mit Anm. 41) II 2.413 a 11–16: 50 Anm. 100 II 2.413 a 20–25: 85 II 2.413 a 30–32: 86 Anm. 41, 92 II 2.413 b 1: 86 II 2.413 b 1–2: 48 Anm. 94 II 2.413 b 11–13: 86 II 2.413 b 24–7: 138 II 2.414 a 19–28: 49 Anm. 94 II 2.414 a 4–28: 57 Anm. 126 II 3: 56 Anm. 121, 88 II 3.414 a 29–32: 87 II 3.414 b 20–33: 50 Anm. 97 II 3.414 b 6–16: 58 Anm. 127 II 4: 84, 88, 93, 150, 209 f. II 4.415 a 14–16: 87 II 4.415 a 14−b 28: 51 f. Anm. 102, 105, 106 II 4.415 a 23–25: 57 Anm. 126 II 4.415 a 26−b 2: 88 Anm. 44 II 4.415 b 8–416 a 18: 52 Anm. 106 II 4.415 b 9–15: 94 f. II 4.415 b 18 ff.: 225 f. II 4.416 a 19−b 29: 57 Anm. 126 II 4.416 a 9–18: 55 Anm. 115 II 4.416 b 23: 150 II 4.416 b 29: 147

II 5−III: 82, 102 II 5−III 13: 74 f., 88 II 5.416 b 32 ff.: 51 Anm. 104 II 5.417 a 16 f.: 122 II 5.417 a 21 ff.: 38 Anm. 66 II 5.417 b 2–7: 131 II 5.417 b 3–9, b 18 f.: 119 II 5.417 b 14–16: 132 II 5.417 b 19–25: 117 f. II 6.418 a 7–25: 51 Anm. 104 II 7.418 a 31 f.: 113 II 7.418 a 26–31: 114 Anm. 8, 10 II 7.418 b 1–3: 113 f. II 7.418 b 4–6: 2, 130 II 7.418 b 6–10: 113 f. II 7.418 b 9 f.: 122, 128 II 7.418 b 11: 120 Anm. 42 II 7.418 b 11–13: 130 II 7.418 b 12 f., 14–17: 116 II 7.418 b 16 f., 19: 115 Anm. 19, 124 II 7.418 b 18–20: 117 II 7.418 b 19 f.: 114, 130 II 7.418 b 20–26: 116, 122, 127 II 7.419 a 1–6: 114 (mit Anm. 8), 117 II 7.419 a 9–11: 113 II 7.419 a 11: 117, 122 Anm. 56, 128, 130 II 7.419 a 12–15: 118 (mit Anm. 45) II 7.419 a 22: 114 II 8.420 b 16–22: 188, 230 II 8.420 b 20: 147; II 8.420 b 22 f., 27 f.: 229 Anm. 89 II 8.420 b 31 ff.: 203 Anm. 30 II 8.421 a 1–3: 207 II 9.421 a 7–422 a 7: 227 II 9.421 b 18 f.−422 a 6: 206 Anm. 35 f. II 12.424 a 25 f.: 118 f. (mit Anm. 39) III: 75, 89 III 1.425 a 6: 147 III 1.425 a 14−b 11: 51 Anm. 104 III 1.426 b 8–427 a 16: 48 Anm. 94 III 3.428 a 19 ff.: 164 Anm. 33 III 4–7: 74 f., 88, 91 III 4–8: 42 Anm. 74 III 4.429 b 10 ff.: 38 Anm. 66 III 5.430 a 10–25: 183 Anm. 48 III 5.430 a 15: 114 Anm. 9, 124, 130 III 5.430 a 16 f.: 117 III 7.431 a 20–432 b 1: 48 Anm. 94 III 7.431 b 15–17: 25 Anm. 40 III 7.431 b 5 f.: 166 III 9.432 b 11–12: 72 III 10.433 a 15 f., 22–26, b 13–21: 196 Anm. 20 III 10.433 b 19–21: 1, 72, 94

Index locorum III III III III III III

10.433 b 13–21: 188 11: 169 11.434 a 5–11: 164 Anm. 131, 166 f. 11.434 a 11; 161 Anm. 22 12.434 b 18: 89 Anm. 46 12.434 b 27–435 a 10: 113 Anm. 1

283

Ath. Pol. 11 Anm. 7

E. N. 11 f. (mit Anm. 7 u. 11) I 7.1097 b 19: 164 Anm. 131 I 13.1102 a 5 f.: 182 II 2.1104 a 11–19: 177 Anm. 20 III 2.1111 b 8 ff.: 170 Anm. 54 III 2.1112 a 15 f.: 164 Anm. 35 III 3. 1113 a 11: 165 Anm. 37 III 3.1111 a 22: 233 Anm. 104 III 3.1112 b 11 ff.: 162 III 9.1115 a 9–11: 181 III 9.1115 a 26 f.: 181 III 9.1115 a 33 f.: 182 Anm. 44 III 10.1118 a 10 ff.: 169 III 11.1116 b 20–22: 181 III 12.1117 b 10–13: 181 III 12.1117 b 7 ff.: 179, 181 V 3.1130 a 12: 119 V 3.1131 b 23: 164 Anm. 32 VI 2.1139 a 11 ff.: 160 Anm. 19 VI 4.1140 a 1 ff.: 20 Anm. 29 VI 7.1141 b 10 ff., 8.1141 a 14 ff.: 171 Anm. 55 VI 9.1142 b 14 f.: 165 Anm. 38 VI 11.1143 b 11 ff.: 171 Anm. 55 VI 12.1144 a 31: 161 Anm. 24 VII 7.1150 b 25 ff.: 165 Anm. 38 IX 4.1166 b 13 ff.: 169 Anm. 51 IX 12: 12 Anm. 10 X 3.1174 a 14−b 9: 129 X 7.1177 b 24 f.: 179 Anm. 37

De cael. 253 Anm. 19; 268

Eudemos 11 Anm. 8, 184 Anm. 50

Cat. 2. 1 a 24–25: 18 Anm. 25 8.8 b 25–28 u. 9 a 10–13: 116 Anm. 24

De gen. an. 39 Anm. 70, 76–80, 103, 141, 149 f., 250, 261, 263, 269 (mit Anm. 5) I–IV: 82 I 1.715 a 1–18: 47 Anm. 90 I 17: 12 Anm. 10 I 18.725 b 21 ff.: 178 Anm. 26 I 18.726 a 26; 176 Anm. 18 I 19.726 b 22–24: 182 Anm. 44 II 1.734 b 24–27: 182 Anm. 44 II 3.736 b 29–737 a 1: 99 Anm. 73, 214 Anm. 56 ΙΙ 3.737 a 6 f.: 215 Anm. 58 II 5.741 a 10–13; 182 II 5.741 b 23 f.: 175 Anm. 12 II 6.745 a 11–15: 176 Anm. 17 V 1.778 b 1 f.: 10 Anm. 3 V 3.783 b 6–8: 178 Anm. 26

Anal. post. 162 Anm. 26 I: 95 I 1 ff.: 17 Anm. 22 I 1.71 a 1: 274 Anm. 67 I 3.72 b 18–25: 83 Anm. 32 I 4.73 a 34−b 24: 32 Anm. 55 I 6: 12 Anm. 10 I 13: 263 Anm. 41 I 27.87 a 31–37: 30 Anm. 51 II 1.89 b 29: 30 f. Anm. 50 II 2.89 b 37 ff.: 163 Anm. 29 II 19.100 a 3 ff.: 171 Anm. 56 Anal. pr. I 25.42 a 30 f.: 160 Anm. 20 Anatom. Atlas 73 Anm. 6; 76 f.; 79 (mit Anm. 21); 190 Anm. 5; 221

De divin. 62 (mit Anm. 138), 92 2.464 a 32 ff.: 165 Anm. 38 2.464 b 9–10: 77 E. E. II 1.1229 b 3 f.: 181 II 10.1226 b 6 ff.: 164 Anm. 31, 34 II 10.1226 b 13 ff.: 171 Anm. 55 II 10.1226 b 23 ff.: 164 Anm. 35, 167 (mit Anm. 43) III 1.1229 b 32 f.: 181 VII 12: 12 Anm. 10

284

Index locorum

V 4.784 a 31–784 b 1: 176–1778 Anm. 17, 20, 27 V 4.784 b 25–33: 176 f. (mit Anm. 17 u. 23) De gen. et corr. 75 f., 149 f., 253 Anm. 19 I 3: 17 Anm. 23 I 5 321 b 22–32: 144, 182 Anm. 44 I 7: 20 Anm. 29; I 7.324 b 18–22: 209 Anm. 43 II 3.330 a 30 ff.: 209 Anm. 42 II 3.330 b 30–331 a 6: 175 Hist. an. 11 f. (mit Anm. 7 u. 9), 40 Anm. 70, 45, 76 f., 79 f., 82 Anm. 29, 96, 102, 191 Anm. 7, 221, 259, 263 f., 266 I: 80 f., 90 I–IV: 93 I 1: 80 Anm. 22, 156, 170 I 1 487 a 28 ff.: 200 Anm. 28 I 1.487 a 11–14: 80 Anm. 22, 195 I 1.487 a 28 ff.: 217 Anm. 64 I 1.488 b 24 ff.: 90 Anm. 48, 156 Anm. 10, 170 Anm. 54 I 1.488 b 29: 80 Anm. 22 I 7−IV 7: 82 I 11.492 b 5–21: 203 Anm. 30, 205, 216 Anm. 60, 227 I 16.495 a 18 ff.: 220 Anm. 71 I 16.495 b 8 ff.: 223 Anm. 75 I 17: 76 I 17.496 a 4–19: 180 Anm. 39, 220 Anm. 71 II 12.504 a 21 f.: 227 Anm. 85 III 2–4: 76 III 3.513 b 11 ff.: 220 f., 224 Anm. 77 III 19.521 a 15 f.: 91 Anm. 52 IV 8–11: 80, 82 IV 8.533 a 22 ff.: 228 IV 9.535 a 28 ff.: 229 Anm. 91 IV 9.535 b 3–11: 228 f. Anm. 88 IV 10: 81 IV 10.537 a 31−b 4: 216 Anm. 60 V–VII: 82 VIII 2.589 a 31−b 22: 216 Anm. 60 VIII–IX: 82 De inc. an. 39 Anm. 70, 78, 82, 103, 198, 247 Anm. 1, 249 Anm. 5, 252 Anm. 17, 259, 261, 263, 266 (mit Anm. 4), 270 2.704 b 15: 192 Anm. 11

De insomn. 62, 77, 92, 96 1.459 a 14–15: 92 2.460 b 5 ff.: 168 Anm. 47 3: 62 Anm. 138 3.462 b 6: 147 De int. 1.16 a 3–18: 25 Anm. 38 De iuv./De vit. et mort. 55–57, 71 Anm. 2, 78, 80, 92, 94, 96, 98, 100, 102 103, 174 Anm. 7, 189 f., 227, 230 Anm. 95, 263 1: 2, 100 f., 147 1–3; 143 1.467 b 10–13: 97 (mit Anm. 68), 189 Anm. 4 1.467 b 10–4.469 b 6: 55 Anm. 113 1.467 b 13–18: 43 Anm. 80, 73 Anm. 5 1.467 b 13–27: 49–51 (mit Anm. 105) 1.467 b 14–17: 52 Anm. 108, 75 Anm. 9, 84 Anm. 35, 98 (mit Anm. 69) 1.467 b 18–4.469 b 6: 49 Anm. 94 1.467 b 23–25: 88 Anm. 43 1.467 b 28–2: 52 Anm. 108 2: 75 Anm. 9 2.468 a 13−b 15: 190 Anm. 5 2.468 a 23–24: 75 Anm. 9 2.468 a 28–31: 51 f. (mit Anm. 105 u. 108) 2.468 a 30−b 4: 98 f. (mit Anm. 71 f.) 2.468 b 2–5: 52 Anm. 108 3: 101 3–4: 99 3.468 b 16–469 a 1: 52 Anm. 107, 77 3.469 a 5–12: 155 Anm. 6 3.469 a 7–10: 42 Anm. 77, 52 Anm. 108 3.469 a 22 f.: 77 4.469 a 23–27: 98 Anm. 70 4.469 a 23–469 b 6: 52 f. (mit Anm. 108) 4.469 a 27–28: 45 Anm. 84, 98 Anm. 70 4.469 b 6–9: 22 f., 174 Anm. 8; 4.469 b 6–17, 21–26: 210 f. Anm. 46, 48 4.469 b 6–470 b 5: 55 (mit Anm. 113 f.) 4.469 b 12: 213 Anm. 52 4.469 b 18–20: 175 Anm. 10, 215 Anm. 58 5: 75, 208 Anm. 41 5–6: 188 5.469 b 21–26: 175 Anm. 13 5.469 b 23: 178 Anm. 24 5.469 b 27–470 a 5: 145 f., 177 f. (mit Anm. 24)

Index locorum 5.470 a 5–7: 55 (mit Anm. 115), 99 Anm. 74, 174 Anm. 8 6: 55 Anm. 115, 143, 211 Anm. 47 6.470 a 19–22: 99 f. (mit Anm. 75), 215 Anm. 58 26.480 a 10 De long. vit. 57, 78, 92, 96 f., 100, 102 f., 263 1.464 b 19–22: 96 Anm. 61 1.464 b 30–465 a 2: 42 Anm. 77; 78; 96 Anm. 62 1.465 a 9–12: 179 2.465 a 19–32: 50 Anm. 101 2–3: 57 Anm. 126 3.465 b 27–29: 179 Anm. 34 4.466 a 1–9: 96 Anm. 64 5: 57 Anm. 126, 143 5–6: 42 Anm. 75 5.466 a 18–20: 97 Anm. 66, 178 Anm. 27 5.466 b 4–22: 176–178 (mit Anm. 17, 27 f.) 6.467 a 10–30: 42 Anm. 75, 49 Anm. 94, 52 Anm. 108, 189 f. Anm. 5 6.467 b 8 f.: 198 Anm. 26 De mem. 62, 77, 89, 92, 95, 252 f. Anm. 14 u. 18, 259, 263 1: 62 Anm. 135, 90 1.449 b 4 ff.: 95 Anm. 58, 155 Anm. 3 1.449 b 9: 95 1.449 b 28 ff.: 48 Anm. 94, 90, 156 Anm. 8 1.450 a 11–25: 48 Anm. 94 1.450 a 28 ff.: 155 Anm. 6 1.450 b 25 ff.: 157 Anm. 15 1.451 a 5–8: 157 Anm. 14 1.451 a 14 ff.: 48 Anm. 94, 95 Anm. 59, 155 f. Anm. 2 u. 7 2.451 b 22 ff.: 161 Anm. 22 2: 62 Anm. 136, 90, 156 f. 2.451 b 2 ff.: 155 Anm. 3, 160 2.451 b 10 ff.: 157 Anm. 12 2.451 b 18 ff.: 161 f. (mit Anm. 25) 2.452 a 10 ff.: 157 Anm. 12 2.452 b 4 ff.: 167 Anm. 41 2.452 b 29 ff.: 167 Anm. 42 2.453 a 10 ff.: 156 Anm. 11, 168 (mit Anm. 49) 2.453 a 4–14: 155–171 2.453 a 14 ff.: 158 Anm. 16 2.453 a 24 ff.: 168 f. (mit Anm. 50) 2.453 b 4–6: 147 2.453 b 8 ff.: 155 Anm. 3

285

Met. Α 1: 90 A 1.980 a−981 a 5: 274 Α 1.980 b 28 ff.: 173 (mit Anm. 1) Γ 2.1003 b 16–1004 a 3, 1003 b 26–29: 23 f. Γ 4.1006 a 31−b 11: 25 Anm. 38 Δ 2.1013 b 9 f.: 177 Anm. 22 Δ 3.1014 b 2 f.: 161 Δ 4. 1014 b 17–20: 21 Anm. 30 Δ 4.1015 a 13–19: 24, 26 Anm. 41 Δ 5.1015 a 20–22: 219 Δ 12.1018 b 33: 274 Anm. 67 Δ 20.1022 b 10–14: 116 Anm. 24 Δ 20.1022 b 4–8: 121 Anm. 47, 130 Ε 1: 19, 30, 32 Ε 1.1025 b 3–10: 21 Anm. 31, 31 Anm. 51 Ε 1.1025 b 10–18: 21 f. Ε 1.1025 b 18–24: 16 f. Ε 1.1025 b 25–28: 25 Ε 1.1025 b 28–1026 a 6: 28 f., 30 Anm. 48 Ε 1.1026 a 13 f.: 25 Anm. 40 Ζ: 38 Anm. 66 Ζ 3.1029 a 33 ff.: 31 Anm. 52 Ζ 3.1029 b 3–12: 17 Anm. 22 Ζ 4.1029 b 13–22: 31 Anm. 52 Ζ 4.1030 a 17−b 13: 31 Anm. 53 Ζ 4.1030 a 27 f.: 15 Anm. 16 Ζ 5.1030 b 14–1031 a 14: 31 f. Anm. 54–56 Ζ 6.1031 b 22–28: 18 Anm. 26, 31 Anm. 53 Ζ 7.1032 a 12–32: 20 Anm. 29, 24 Anm. 37, 28 Anm. 44 Ζ 8: 27 Anm. 43 Z 10–12: 35 Anm. 61 Ζ 10.1035 b 14–22: 39 Ζ 1030 a 3–17: 31 Anm. 52 Ζ 12: 31 Anm. 53 Ζ 13: 33 Anm. 58 Ζ 13.1039 a 3–7: 37 Anm. 64 Ζ 16.1040 b 5–10: 38 Anm. 65 Η 2–6: 37 Anm. 64 Η 2.1042 b 31–1043 a 1: 31 Anm. 53 Η 3.1043 a 29−b 14: 36, 38 Anm. 66 Θ 3.1047 a 30 ff.: 192 Anm. 10 Θ 6.1048 b 18–36: 129 Θ 8–10: 37 Anm. 64 Θ 8.1050 a 22 f.: 192 Anm. 11 Κ 3–7: 12 Anm. 33 Κ 7.1063 b 36–1064 b 14: 29 Anm. 46 Λ 7.1072 b 21 ff.: 184 Anm. 50, 196 Anm. 23 Λ 2–5: 20 Anm. 29 Λ 9: 12 Anm. 10

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Index locorum

Λ 9.1074 b 15 f.: 37 Anm. 64 Λ 10: 27 Anm. 43 Λ 10.1075 b 37: 37 (mit Anm. 63) Meteor. 79, 135, 144, 147, 151, 253 I: 143 I 1.338 a 20–339 a 10: 253 Anm. 19 I 4.341 b 6–12: 145 I 7.344 a 5–8: 195 I 9.346 b 23–347 a 8: 151 II 3: 151 Anm. 28 II 4.359 b 28–31, 360 b 16: 145 Anm. 19 II 6.364 a 12: 145 II 8.358 a 5–14: 144 II 8.365 b 21: 145 Anm. 19 II 8.368 a 6–13: 144 III 6.378 a 15: 145 III 6.378 a 18: 145 Anm. 19 IV: 75 f., 146 (mit Anm. 22) IV 1.379 a 11 f.: 175 Anm. 15 IV 12.389 b 23 ff.: 37 Anm. 64 IV 8.384 b 25–385 a 9: 145 De mot. an. 2, 78 f., 82, 103, 197, 252, 256 Anm. 27 f., 259 f., 263 4.700 a 10 ff.: 204 f. 4.700 a 24 f.: 203 Anm. 30 8.702 a 19: 163 10: 214 Anm. 55, 227 Anm. 85 10.703 a 10 f.: 215 Anm. 58 10.703 a 23 f.: 214 Anm. 56 10.703 a 29−b 2: 217 Anm. 66 11: 93 11.703 b 14 ff.: 234 11.703 b 18 ff.: 233 Anm. 105 11.703 b 3–11: 188, 197, 217 Anm. 66, 233 Anm. 102 11.704 b 1–3: 78 De part. an. 11 Anm. 7, 39 Anm. 70, 44, 47, 54 Anm. 111, 77, 79, 99, 102, 235 Anm. 108, 250, 252, 259, 260, 263, 266, 270 I: 10 Anm. 3, 51, 140 I 1.640 a 10 ff.: 10 Anm. 3 I 1.641 a 17 ff.: 82 Anm. 30 I 1.641 a 27−b 10: 46 Anm. 85 f., 191 Anm. 7, 202 Anm. 28, 224 Anm. 77 f. I 4.644 a 23–5: 47 Anm. 88 I 5: 82, 249 f. I 5.644 b 22–24: 47 Anm. 88

I 5.644 b 24 ff., 645 a 30–36: 47 Anm. 90 II–IV: 2, 90, 93, 77, 82 II 1.646 a 24–647 a 12: 52 Anm. 108, 180 II 1.647 b 4–7: 180 Anm. 38, 176 Anm. 17 II 2.648 b 2–6: 175 Anm. 11, 181 II 2.648 b 18 f.: 216 Anm. 60 II 7: 76 II 7.652 b 6–653 a 8: 151 II 16: 58 Anm. 127 II 16.658 b 27–659 b 19: 54 Anm. 110, 216 Anm. 60, 227 II 16.659 a 36 ff.: 227 Anm. 85 II 16.659 b 13–19: 227 II 16.659 b 30–660 a 10: 54 Anm. 110 II 16.660 a 5 ff.: 229 III 1.662 a 16–22: 54 Anm. 110 III 3.664 b 6, b 31: 203 Anm. 30 III 3.665 a 10–15: 52 Anm. 108 III 4.665 b 14–16: 180 Anm. 38 III 4.667 b 10–12: 180 Anm. 41 III 6.669 a 13−b 12: 220 Anm. 71 III 6.669 a 19–21: 234 Anm. 108 IV 10.687 a 8–19: 54 Anm. 110 IV 10.690 b 4 f.: 177 Anm. 22 IV 13.697 a 15−b 1: 216 Anm. 61 Phys. 195 Anm. 19, 253 Anm. 19 I 1: 17 Anm. 22 I 1.184 a 16–25: 274 Anm. 67 I 1.184 a 26−b 3: 14 Anm. 14, 25 Anm. 38 I 2.184 b 25–185 a 1: 25 Anm. 39 I 2.185 a 12–14: 17 Anm. 22 I 3.186 a 15: 126 I 7.189 b 30–190 a 31: 17 Anm. 21, 23 I 7.190 a 31–191 a 22: 18 Anm. 24 I 7.190 b 10–191 a 22: 19 Anm. 27 f., 38 Anm. 66 I 9.192 a 31 f.: 19 Anm. 28 II 1: 20 Anm. 29, 38 Anm. 66 II 1.192 b 8 ff., 23–27: 21 Anm. 30 II 1.193 a 3−b 18: 35 Anm. 60 II 2: 29 Anm. 46 II 2–3: 33 Anm. 59 II 2.193 b 22 ff.: 25 Anm. 40 II 2.194 a 33–194 b 8: 20 Anm. 29 II 2.194 b 14 f.: 25 Anm. 39 II 3.194 b 32–195 a 3, 195 a 15 ff., 23–26: 37 Anm. 63 II 3.194 b 16–23: 140 Anm. 9 II 3.195 a 8–10: 177 Anm. 21 II 7.198 a 14: 140 Anm. 9 II 7.198 a 22–27: 52 Anm. 106

Index locorum II 8: 45 Anm. 84, 140 III 1–2: 192 Anm. 9 III 1–3: 17 Anm. 23 III 1.200 b 12 ff.: 192 Anm. 9 III 1.201 a 10 f.: 122 III 1.201 a 9–15: 192 Anm. 10 III 2.201 b 31 f.: 122 IV 12.221 a 30−b 2: 180 Anm. 38 V 1: 192 Anm. 9 VII: 75 f., 79 VII 2.243 b 12–15: 203 Anm. 29 VII 2.245 a 2–7: 119 VIII 3.253 b 13–26: 126 VIII 5.256 b 14–27: 196 Anm. 22 De plantis 76–79, 99 Poet. 14 1.1447 b 13–20: 13 1.1447 b 11: 14 Anm. 13 Pol. I 2.1253 a 7–18: 234 Anm. 108 I 2.1253 a 9: 193 Anm. 13 V 11.1315 a 13: 127 Anm. 79 VII 17.1336 b 40–1337 a 1: 181 Probl. 962 a 35 f.: 203 Anm. 30 [Probl.] 75 f., 228 Anm. 88 III 26.875 a 15: 178 Anm. 27 XI 29.902 b 9–15: 203 Anm. 30 XI 38.903 b 19 ff.: 166 Anm. 40 XI 49.904 b 17: 120 Anm. 46 XX 1.955 a 9 f.: 178 Anm. 25 XXXIII 5.962 a 10–16: 204 Anm. 30 XXXIII 9: 203 Anm. 30 XXXIII 9.962 a 34 f.: 204 Anm. 31 De resp. 55, 57, 77 f., 80, 92–94, 96 f., 100, 102 f., 174 Anm. 7 f., 187, 263 Anm. 42 1.470 b 6–10: 56 Anm. 117, 189 Anm. 4 1–7: 198 Anm. 27 2–7: 74 Anm. 9, 100 2.470 b 6–7: 97 2.470 b 26–27: 56 Anm. 117 2.470 b 28–3.471 b 29: 56 Anm. 118

287

2.471 a 6 ff.: 200, 206 Anm. 35 3.471 a 31: 204 Anm. 30 3.471 b 13: 204 Anm. 30 3.471 b 19–29: 189 Anm. 4, 191 Anm. 8 3.471 b 23–29: 45 Anm. 84, 74 f. Anm. 9 4.471 b 30–472 b 5: 56 Anm. 119 4.472 a 2–4: 55 Anm. 115 4.472 a 11–14: 181 4.472 a 20–24: 56 Anm. 119 4.472 a 31–472 b 3: 56 Anm. 119 4.472 b 1–5: 55 Anm. 115 5.472 b 6: 202 Anm. 28 5.472 b 6–12: 56 Anm. 118, 216 Anm. 59 5.472 b 24–473 a 2: 56 Anm. 119 5.472 b 12–24: 56 Anm. 120 5.472 b 2029: 202 Anm. 28 5.472 b 22 ff.: 217 Anm. 62 5.472 b 24–29: 45 Anm. 84 5.472 b 33: 203 6.473 a 3–12: 55 Anm. 115 7: 219 7.473 a 15 ff.: 14 Anm. 13, 56 Anm. 119 7.473 a 21–27: 58 Anm. 127 7.473 a 23−b 1: 188, 226 7.473 a 27−b 1: 77 7.474 a 7–23: 56 Anm. 119, 205 Anm. 33 8: 52 Anm. 107, 56 Anm. 121 8–14: 56 8.474 a 28–474 b 9: 49 Anm. 94, 52 Anm. 108 8.474 b 9: 77 8.474 b 10: 92 8.474 b 10–13: 193 Anm. 15, 211 Anm. 47 8.474 b 10–24: 208 Anm. 40 8.475 a 9–15: 56 Anm. 119 9–12: 100 Anm. 76 9.474 b 25–31: 55 Anm. 115, 207 f. (mit Anm. 38) 9.474 b 31–475 a 20: 56 Anm. 118, 208 Anm. 39 9.475 a 28: 204 Anm. 30 9.475 a 6–15: 208 Anm. 40, 228 Anm. 87 10: 201 Anm. 28 10.475 b 16–19, 476 a 1 f.: 207 10.476 a 9 f.; 203 Anm. 30 10.476 a 11–15: 191 Anm. 14 12.476 b 30–477 a 1: 55 Anm. 115 13–14: 100 13–21: 56 Anm. 123 13.477 a 15–18; 23–25: 220 Anm. 71 14: 198 Anm. 27 14.477 a 32–477 b 9: 56 Anm. 119 14.477 b 11–12: 77 14.474 b 13–19: 175 f. (mit Anm. 14 u. 16)

288

Index locorum

14.477 b 14–478 a 7, 17–18: 48 Anm. 93 14.477 b 16 f.: 179 Anm. 33 15–19: 57 Anm. 124 15.478 a 19–25: 221 16.478 a 26–28: 221 Anm. 73 16.478 b 8–9: 49 Anm. 94 17–18: 55 Anm. 114 17–21: 97, 100 17.478 b 24–26: 178 17.478 b 24–29: 100 f. 17.478 b 27 ff.: 211–213 (mit Anm. 48) 17.478 b 28: 178 Anm. 27 17.478 b 31–32: 84 17.478 b 31–479 a 3: 49 Anm. 94, 175 Anm. 10 17.479 a 10–23: 179 (mit Anm. 32 u. 36), 184 Anm. 50 17.479 a 23–28: 177 Anm. 20 18.479 a 29 ff.: 49 Anm. 94, 58 Anm. 129, 101, 179 f. (mit Anm. 37 u. 39) 18.479 b 2: 179 Anm. 37 18.479 b 5–7: 101 20–21: 101 f. Anm. 77 20.479 b 22–26, a 13 f.: 234 Anm. 107 21.480 a 16−b 6: 49 Anm. 94, 56 Anm. 119, 205 f., 212 Anm. 49, 214 Anm. 56 217 Anm. 64 21.480 b 10 ff.: 102 Anm. 78, 189 Anm. 5 21.480 b 21 ff.: 42 Anm. 77 21.480 b 9 ff.: 201 Anm. 28, 217 Anm. 64 13: 14: 15: 16: 17: 19: 21:

219 57 (mit Anm. 125) 219 77, 219 100 f. 100 219, 221 f.

Rhet. 11 f. (mit Anm. 7 u. 11) I 11.1371 b 9 f.: 161 I 4.1361 b 3 ff.: 177 Anm. 21 III 16.1417 b 14 ff.: 171 Anm. 56 De sens. 62, 77, 88 f., 92, 94, 102, 115 Anm. 15, 135, 138, 140, 146 f., 152, 248 Anm. 3, 249, 259, 263 1: 71 Anm. 1, 73, 75, 78 Anm. 17, 94 1.436 a 1–22: 40 f. 1.436 a 1–5: 9 (mit Anm. 1), 58 Anm. 128, 198

1.436 b 1–12: 42 Anm. 76, 48 (mit Anm. 94), 58 Anm. 129, 88 Anm. 43 1.436 b 3–6: 94 1.436 b 12–437 a 1: 58 Anm. 127 2: 89 2–7: 62 Anm. 134 2.438 b 3–5: 118 2.437 b 10 ff.: 14 Anm. 13. 2.437 b 23 f.: 116 2.437 b 24–438 a 5: 74 Anm. 9 2.438 b 22 ff.: 118 Anm. 32, 147 3: 75, 89, 114 3.439 a 19–21: 116, 125 3.439 a 21–26: 115, 130 3.439 b 1–5, 8–10: 115 3.439 b 11 f.: 113 Anm. 4, 115 Anm. 17 3.440 b 23–25: 48 Anm. 93 4: 89 4.441 b 15–442 a 12: 150 4.441 b 19–442 a 2: 58 Anm. 127, 118 4.441 b 29–442 a 2: 149 4.442 a 3: 76 4.442 a 5–6: 149 4.442 a 4–8: 57 Anm. 126 4.442 a 6–8: 151 4.442 b 24–26: 76 Anm. 14 5: 104 Anm. 79 5.442 b 27–445 b 2: 58 Anm. 127, 227 5.443 a 21: 151 Anm. 29 5.443 b 1–445 a 27: 151 f. Anm. 29, 30 5.444 a 13, 21 ff.: 147 5.444 a 25–28: 188, 226 5.444 b 7–15: 58 Anm. 127 5.445 a 26: 147 6: 76 6.446 a 20–28: 124 f. 6.446 a 20−b 2: 116, 120 Anm. 46 6.446 b 2–6: 125 6.446 b 27–447 a 6: 116, 122 f., 125 f. 447 a 9–11: 122 7.447 b 1 ff.: 48 Anm. 94 7.448 b 17–449 a 20: 52 Anm. 108 7.449 a 2–20: 48 Anm. 94 7.449 b 1–3: 89 De somn. 62, 77, 91, 96, 148, 263 1.453 b 11–14: 95 Anm. 60 1.454 a 11–20: 91 Anm. 51 1.454 b 28–29: 91 Anm. 53 2: 75 2–3: 91, 48 f. Anm. 94

Index locorum 2.455 a 12–22: 63 Anm. 139 2.455 a 12–22: 52 Anm. 108 2.455 a 12−b 13: 48 f. Anm. 94 2.455 a 20–26: 58 Anm. 127 2.455 b 2–28: 43 Anm. 78 f. 3.455 26–28: 54 Anm. 111 2.455 b 34–456 a 24: 52 Anm. 108, 180 Anm. 39 2.456 a 1: 76 2.456 a 6–21: 52 Anm. 108 2.456 a 9 f.: 215 Anm. 58 2.456 a 10 f.: 77, 92 2.456 a 2–4: 92 Anm. 54 2.456 a 26–27: 77, 92 Anm. 55 3: 58 Anm. 130 3.456 b 6: 76, 147 3.456 b 19, 34: 147 3.457 b 26–27: 54 Anm. 111 3.457 b 29: 76 3.458 a 2: 147: 151 3.458 a 20 f.: 76 Soph. el. 31.181 b 35–182 a 6: 32 Anm. 56 [De spiritu] 1.481 a 1: 228 Anm. 87 Top. 6.145 a 15 f.: 29 Anm. 46 Peri trophes (Über die Nahrung) 76 f., 147 De vit. et mort. 71 Anm. 2, 92, 96 f., 174, 263, 189 Anm. 4, siehe ansonsten unter De iuv. (vgl. hierzu 71 f. Anm. 2) Asklepios von Tralleis in Metaph. 224,27–225,4; 359, 10–22: 22 Anm. 33 359,15–20: 31 Anm. 51 Ludovico Boccadiferro Lectiones 252, 257 f., 261, 263, 265 f. 1r: 259, 262 Anm. 40 1v: 263 2r: 260 Anm. 39 3r: 263 f. Anm. 42

289

Girolamo Capodivacca 258 Bernardino Crippa 252, 259, 261, 263, 265 f. In Aristotelis librum De memoria et reminiscentia 258 3–5: 263 f. Demokrit 14, 56, 89, 201 Anm. 28 Diogenes von Apollonia 56, 201–203 Anm. 28 Diogenes Laertios V 37: 77 (mit Anm. 15) Empedokles 13, 56, 74 Anm. 9, 89, 116, 121 31 B 123, B 127: 91 Anm. 52, 125, 201 Anm. 28, 205 Anm. 34 Hieronymus Fabricius ab Aquapendente 251, 267 (mit Anm. 50 f.), 272, 187–236, 258 De auditu 270, 272 f. (mit Anm. 62, 64) De Brutorum Loquela 1: 24, 268 (mit Anm. 54), 270 De visione 267 Anm. 51, 270 (mit Anm. 58), 272 f. (mit Anm. 62, 64) De voce 270 f., 272 f. (mit Anm. 62, 64) Jean François Fernel De naturali parte medicinae 88 De locutione et eius instrumentis 267 f. Galen 272–275

290

Index locorum

De marcore 1 (VII 666 Kühn): 178 Anm. 28 De respir. usu 1 (IV 471 Kühn): 201 Anm. 28

Homerische Hymnen H. Ven. 218 ff.: 173 (mit Anm. 2) Jamblichos 107 Anm. 80

De temp. 267 2, 2 (I 581–582 Kühn): 178 Anm. 30

Giovanni Crisostomo Javelli 252, 265

Quod animi mores 266 (mit Anm. 47)

Epitome in Parva naturalia 256 f.

Theodorus Gaza 251 Anm. 10 William Harvey 251 274 Anm. 67 Exercitationes de generatione animalium 273 Heraklit 10 Anm. 4, 145, 147 22 B 12 D.-K.: 144 Anm. 17 22 B 30 D.-K.: 218 Anm. 68 22 B 77 D.-K.: 174 Anm. 6 22 B 88 D.-K.: 174 Anm. 6 22 B 89 D.-K.: 91 Anm. 52 31 B 8 D.-K.: 174 Hesiod Th. 212 f.: 173 Anm. 3 Hippokrates 201 f. Anm. 28 Corpus Hippocraticum Aphor. I 14 (IV 466 L.): 174 Anm. 6 De diaeta I 1,34 (VI 512 L.): 174 Anm. 6 De morbo sacro 9 (VI 378 L.): 174 Anm. 6 Homer 13

Johann von Jandun 247, 254 Mimnermos fr. 4 West William von Moerbeke 251 Anm. 10 Agostino Nifo Expositiones in omnes Aristotelis libros 251 Parmenides 28 A 46 a D.-K.: 174 Anm. 6 Federico Pendasio 258 Philistion von Lokroi 201 Anm. 28 Johannes Philoponos 131 Anm. 99 in de An. 139,19–140,23: 48 Anm. 92 205,18–207,10: 50 Anm. 101 528,34–529,3: 36 Anm. 62 in GA 1,3–3,11; 2,19–3,10: 47 Anm. 90 in GC 1,5–7,4: 47 Anm. 90 in Ph. 159,1–11: 19 Anm. 27 196,6–12: 20 Anm. 29

Index locorum Alessandro Piccolomini 258 Platon 11 Anm. 4 u. 9, 12 Anm. 10, 14 Anm. 14, 19 Anm. 19, 87 Anm. 42, 95, 107 Anm. 80, 121

Pietro Pomponazzi Expositio super primo et secundo de partibus animalium 250, 256–258 Ptolemaios 107 (mit Anm. 80)

Crat. 399 D 12−E 2: 202 Anm. 28

Michael Scotus 251

Men. 89 Anm. 47

Simon Simonius De sensum instrumentis 252, 257 f., 261, 263, 265 f. 3: 262 Anm. 40 5: 260 8: 266 9–10: 262 Anm. 40, 264 Anm. 42

Phd. 73 C ff.: 158 Anm. 17 Phlb. 34 A ff.: 89 Anm. 47, 155 Anm. 1 Resp. I 330 D ff.: 174 Anm. 6 I 335 B 2−E 6, 340 D 1 ff., bes. 352 D 2–353 D 2: 37 Anm. 64 IV 436 B 5−C 1; 436 E 8–437 A 2: 23 Anm. 35 Symp. 185 C 4−E 5: 204 Anm. 30 Tht. 89 Anm. 47 191–196: 89 191 C ff.: 155 Anm. 1, 5 194 C: 155 Anm. 5 197 D ff.: 155 Anm. 1 Tim. 14 Anm. 13, 56, 200, 236 Anm. 113 48 E 2–53 C 3: 39 Anm. 66 69 f.; 77–81: 201 Anm. 28 76 D 5−e 6: 232 78 E 6–79 A 1: 217 Anm. 62 81 E 1–5: 179 Anm. 35 Plotin IV 2 [4] 1–2: 61 Anm. 133 VI 3 [44] 9, VI 5 [23] 6, VI 7 [38]: 36 Anm. 62

291

Simplikios 37 in de An. 51,8–52,2: 48 Anm. 92 86,17: 50 Anm. 98 91,16–25: 50 Anm. 101 104,37–105,6: 47 Anm. 91 261,8–12: 36 Anm. 62 in Cat. 6,19–7,22: 15 Anm. 16 32,12–19: 27 Anm. 42 in Ph. 47 3,5–10: 30 Anm. 49 214,29–215,21: 19 Anm. 27 248,23–257,4: 19 Anm. 28 261,7–23: 20 Anm. 29 271,23 ff.: 33–35 288,17–289,25: 35 Anm. 60 Solon fr. 27 West: 173 Anm. 5, 180 Anm. 41 Theophrast 77 Thomas von Aquin 198 Anm. 27, 247 Anm. 1, 253

292

Index locorum

In Aristotelis librum De anima commentarium Nr. 107: 15 Anm. 16 Nr. 244: 50 Anm. 101 In duodecim libros Metaphysicorum Aristotelis expositio Nr. 532 f.: 22 Anm. 33 Nr. 1146: 31 Anm. 51 In Aristotelis libros de sensu et sensato, de memoria et reminiscentia commentarium Nr. 288: 61 Anm. 133 Nr. 400 ff.: 160 Anm. 20 Nr. 599–614: 62 Anm. 133 Niccolò Leonico Tomeo 252 f., 257 Anm. 30 f., 264

Conversio atque explanatio primi libri Aristotelis De partibus animalium 250 Parva naturalia omnia in latinum conversa et antiquorum more explicate 252 f., 255 Andreas Vesalius De humani corporis fabrica 267 Anm. 50 f. Jacopo Zabarella 257 f., 266 Opera Logica 257

Index rerum Ader(n) 43; 47; 99; 177; 194; 222 f. Alexander von Aphrodisias 19 ff.; 26 f.; 29; 38; 51; 59; 61; 75; 113; 115 f.; 120; 123; 126 ff.; 135 ff. passim Alkmaion 91 Alter (Greisen-) 41 f.; 71 f.; 78; 81; 94; 97; 101; 103; 173 ff. passim; 188; 201; 211 Anathymiasis/ἀναθυμίασις/evaporation 136; 143 ff. passim Anatomie, anatomisch 56; 72; 74 f.; 77; 79; 80 ff.; 91 f.; 97; 100 f.; 190; 205; 220; 222 f.; 251 f.; 257 f.; 266 f.; 270; 272 f.; 275 Aristotelismus 249; 253; 259; 266; 274 Äther/Aither 114; 116; 120 ff. Atmung/Atmen, Atem 42; 52; 55 f.; 72; 74; 77 f.; 80; 91; 93; 97; 100 ff.; 174; 182; 187 ff. passim Bewegung, Selbst-, Orts- 17; 19 ff.; 24; 26; 29; 33 f.; 44 f.; 52; 57; 61 f.; 85 ff.; 89 f.; 93 f.; 102; 113; 116; 120 ff.; 125 ff.; 157 f.; 161 f.; 168; 179; 191; 193 f.; 196 f.; 202 ff.; 206; 208; 211; 214 f.; 218; 221; 226; 229; 232 ff.; 249; 261 Biologie/biologisch 9 f.; 14; 30; 44; 63; 71 ff. passim; 178; 181 f.; 189 f.; 191 f.; 223 Blut/blutführend 45; 81; 91 f.; 96; 98; 101; 177; 201; 207; 209 f.; 220; 222 Boccadiferro, L. 252 ff. passim Botanik/botanisch 76 f.; 89; 97; 103 Capodivacca, G. 258 Charakter/ἦθος 168 f. Chronologie/chronologisch 10; 72; 73 f.; 77 f.; 102 Corpus Aristotelicum 9 f.; 15 f.; 73; 86; 135; 199; 228; 248 f. Crippa, B. 252; 258 ff. passim Curriculum/Anordnung der arist. Schriften, order 11; 72; 78; 82 f.; 99; 102; 107; 143; 257 Darwin 171 Demokrit 14; 56; 89; 201 Denken 21; 25; 30; 37; 39; 43 f.; 58; 63; 87; 119; 155; 161; 164; 232 f. Doxographie 55; 74 f.; 97; 100; 201

Elemente 17; 21; 32; 35; 174; 195; 214 Empedokles 13 f.; 56; 74; 89; 91; 116; 121; 125 f.; 174; 199; 201; 204 f. Entelechie/ἐντελέχεια 24; 33; 37f; 44; 84; 88; 99; 114; 117; 122; 130 ff.; 139; 192 f.; 195; 197; 213; 218 Entstehung/Entstehen 26; 33 ff.; 58; 63; 78; 98; 155 (Enst. des Gedächtnisses); 180; 209; 211; 261 f.; 273 Erde, earth 20; 29; 38; 116; 123; 125; 135; 145; 150; 175; 214; 216 Erinnerung, s. Gedächtnis Ernährung, Nahrung, Er-/Nähr(ungs)vermögen, nourishment/nutrition, food 41; 44; 46; 51 ff.; 55 ff.; 58; 62; 75 ff.; 84 ff.; 93; 99; 100 f.; 103; 141; 143 ff. passim; 147 ff.; 151 f.; 175 (Ern. des Feuers); 176 f.; 182; 187; 197; 201; 209; 215; 211 ff.; 216; 218; 230 f.; 235; 269 Erste Philosophie/Metaphysik/Theologie 22; 24; 184; 254 Ethik/Handlungstheorie 20; 170 f.; 194 Fabricius, H. 251 f.; 267; 269 f.; 274 Farbe, colour 63; 89 f.; 94; 113 ff. passim; 166 Feucht/Feuchtigkeit, wet 89; 97; 145; 150; 176; 178; 204; 214 Feuer, Feuerartiges, fire 20; 38; 55; 99; 114; 116 f.; 120 ff.; 130; 132; 137; 144; 147 166; 175; 177; 179; 197; 208 ff. passim; 235 f. Fisch(e) 79 f.; 85; 100; 114; 194 f.; 198; 207; 219; 227 f.; 231 Fleisch 28 f.; 47; 201 f. Form (μορφή, εἶδος), form 19 f.; 26 f.; 33 ff.; 44; 47; 84; 94; 98; 119; 137 f.; 141; 144; 181; 194; 197 Foucault 121 f. Funktion, Realisierung, ἔργον, work 37; 43; 53; 72; 86; 88; 90; 92 f.; 101 f.; 106; 166; 174; 178; 180; 182; 192; 194; 197; 201; 211 ff.; 218; 224 ff.; 230 f.; 235 Galen, Galeniker 178; 201; 258; 266; 271 ff. Gaza, Th. 251 Gedächtnis/Erinnerung 40 ff.; 51; 59; 62; 78; 89 f.; 94 ff.; 155 ff. passim; 256; 261

294

Index rerum

Geschlechtsverkehr, reproduction 150; 176 Geschmack/Geschmackssinn/-wahrnehmung, flavour 57 f.; 63; 80; 88f; 106; 141; 149 ff.; 230 Gewohnheit/ἔθος 166; 168 f. Hades 173 Harvey, W. 251 f.; 272 ff. passim Heraklit, Heraclitus/Heracliteans 10; 91; 144 ff.; 174; 217 Herz, -klopfen (πήδησις), Puls, -schlag, 52; 79; 92 f.; 98; 101 f.; 155; 174; 177; 180 f.; 194; 203 f.; 207; 209 ff.; 213; 216 ff. passim; 234 Hesiod 173 heiß/Hitze siehe: „Wärme“ Hölderlin 233 Homer 13 f.; 91; 173 Huygen 121 f. Insekten 80 f.; 97; 189 f.; 198; 207 f.; 221; 227 ff.; 231 Jandun, Jean de 247; 253 Javelli, Chr. 252; 255 ff.; 264 Kälte/kalt, cold 55; 93; 97; 100 ff.; 145 f.; 150f; 175 ff.; 179; 187 ff. passim; 192 ff.; 201 ff.; 206 ff. passim; 211 ff.; 221 f.; 224 ff.; 230 ff.; 234 Kiemen 79; 191; 193; 206 f.; 227 f.; 231 Knochen 28 f.; 47 Krankheit 41; 175 ff; 234 ff. Kühlung siehe: „kalt/Kälte“ Lautgebung 188; 199; 206; 224 f.; 228 ff. passim; Licht 89; 113 ff. passim; Luft, air 38; 55 f.; 100; 102; 114 ff.; 121 f.; 125; 128; 145; 149; 200 ff.; 204; 207 ff.; 213 ff.; 220 ff.; 228 f.; 230 f. Lunge 56; 79 f.; 93; 100 ff.; 176; 178 ff.; 191; 194; 197; 200 ff. passim; 213 ff. passim; 228 ff.; 235 Lust 40 ff.; 44; 88; 106; 129; 177; 179; 181 Materie/materiell, material, matter 19; 24 ff.; 27 ff.; 31; 34 ff.; 38 f.; 42; 45 ff.; 116; 119; 121; 137; 144; 150; 158 Medizin/Arzt 20; 42; 45 81 f.; 173; 176; 178; 251; 258; 266; 272; 275

Meinung(-sbildung)/δόξα 27; 32; 89 ff.; 163 f.; 167 Mensch (v. a. im Unterschied zum Tier) 17 ff.; 24; 28; 35 ff.; 38 f.; 41 f.; 48; 51 f.; 54; 57 f.; 63; 80 f.; 90 f.; 96; 117; 156 ff.; 165; 168 ff.; 170 f.; 178 f.; 193; 197; 200; 205; 209 ff.; 219 f.; 225; 227 ff.; 231; 233 ff.; 236; 248; 263 Mund 84; 201; 204 f.; 208; 216 ff. Nase 28 f.; 32; 201; 204 ff.; 216 ff.; 226 ff. Naturphilosophie, philosophia naturalis, Naturwissenschaft, physikê 16 f.; 20 ff.; 24 f.; 30; 54; 74; 76; 85 f.; 96; 135 f.; 143; 157; 173 f.; 184; 193; 247 f.; 250 ff. passim; 268 f.; 271 f.; 274 Newton 121 f. Nifo 247; 250 Organ(-e), Organismus, organ 29; 39; 42 f.; 45 ff.; 48; 50 ff.; 54 f.; 56 f.; 64; 75; 84 f.; 88; 99; 101 f.; 118 f., 129; 148; 152; 174 ff.; 180; 189 ff.; 194 ff.; 203; 209 f.; 213; 216; 218 ff.; 222; 224; 233 Pendasio, F. 258 Peripatos 184 Pflanzen, -welt, plant(s) 18; 29; 41; 48 f.; 51 f.; 63; 76 ff.; 79; 81; 84; 86; 88; 91 ff.; 96 ff.; 137 f.; 141; 143; 145; 149 ff.; 178; 189; 211; 231; 249 f.; 255 f.; 265 Phantasie, φαντασία, phantasia, Einbildungskraft, φάντασμα 44; 51; 59; 63; 88 ff.; 92 f.; 95; 106; 155 ff.; 163 f.; 169 232 f. Philoponus 19; 129; 131 Physiologie/Physiologe/physiology/physiologisch 45 f.; 51; 63; 71 f.; 75; 81 f.; 99; 119; 152; 157 f.; 169; 174; 180; 183 f.; 190; 224 ff.; 236; 251; 254 Piccolomini, A. 258 Platon 11; 14; 19; 87; 95; 107; 121; 155; 173; 179; 184; 189; 198; 201 ff.; 216; 230; 234 Pneuma/πνεῦμα, pneumatisch 99; 180; 187; 191; 197; 201 ff.; 210; 214; 220 f.; 222 f.; 228 Pomponazzi, P. 247; 258 Potenz 52; 54; 59; 61; 117; 130 ff.; Pragmatie, pragmateia 10; 72; 75; 77; 80; 89; 92; 97; 100; 103; 143 Prinzip, principle 9; 16 f.; 20; 23 f.; 26 f.; 37; 40; 43; 45 f.; 48; 50 f.; 53; 55; 58 f.; 63; 73; 83; 86 f.; 92; 96; 98 ff.; 145; 147; 174; 178;

Index rerum 191; 195; 197; 209 f.; 212; 214; 216; 220; 229 Psychologie/Psychologe 45; 51; 157 f.; 164; 169; 171; 247 f.; 251; 275 Renaissance 247 ff. Riechen, Geruch(-wahrnehmung), smell 80; 88; 106; 125; 141; 147 f.; 151 f.; 166; 169 188; 197; 199; 206; 224 ff.; 229 ff.; 234 f. Samen 18; 26; 52; 84; 99; 176 scala naturae 86; 220 Schlaf/Schlafen, sleep 41 ff.; 58; 62; 71 f.; 78; 80 f.; 84; 91; 93 ff.; 106; 143; 147 f.; 232; 248; 256; 261 Schmerz, siehe: Lust Sehen, eyesight 51; 63; 80; 88 ff.; 114; 118 f.; 141; 166 Sektion 79; 98; 221; 273 Simoni, S. 252; 258; 261; 263 f.; 266 Simplikios 33; 37; 47 f. Solon 173; 180 Sterben/Tod 41 f.; 55 f.; 71 f.; 78; 92; 94; 96 f.; 99 ff.; 173 ff. passim; 188; 201 f.; 209; 216; 234; 256; 262 f. Stoiker, stoisch, Stoic(s) 137; 143 Streben/Strebevermögen/Strebung/ὄρεξις 19; 39 ff.; 44; 87 f.; 93; 96; 102; 106; 163 f.; 196; 232 Substanz/Wesenheit/Seinsheit (οὐσία), substance 16 f.; 22 ff.; 31 f.; 36 ff.; 41 ff.; 47; 49; 52 f.; 54 57; 59; 62 ff.; 75; 84; 98; 121; 130; 136; 138; 175; 183 süß, sweet 63; 89; 148 ff. Syllogismus/syllogistisch/Schlussfolgerung 31; 156 f.; 160 ff. Tastsinn 80; 88 f.; 106 Thomas von Aquin 31; 50; 61; 71; 160; 198; 247; 253 Tierstimmen 229 Tomeo, L. 251 ff. passim Transparenz, transparent 113 ff. passim Traum/träumen, dream 42; 51; 59; 77; 81; 92; 95; 106; 143; 147; 248 Trocken, -heit, dry 97; 145; 150; 177 f.; 214 Überlegen/Überlegung/βούλευσις 156; 159 f.; 162 ff.; 170 f. Ursache 25; 30; 51 f.; 55; 57; 62; 73; 83 f.; 93 ff.; 101; 114; 155; 162; 175; 177 ff.; 187; 226; 233

295

Vergehen/Verenden/Verfall (φθορά), wasting 27; 47; 54; 57; 85 ff.; 131; 136; 149 f.; 174 f.; 177 ff.; 192; 207 f.; 211; 234 Verkochung (πέψις)/Verdauung, concoction/ pepsis 58; 99; 146; 148; 150 177; 209 ff.; 216; 218 Verstand/Vernunft/vernünftiger Seelenteil/λογιστικόν, νοῦς, intellect 16 f.; 85; 88; 106; 160; 165 f.; 169; 183; 196 Verweis, Quer-, Vor-, Brücken- (innerhalb des Corpus Aristotelicum) 10; 72 ff.; 76 ff.; 84; 94; 104 f.; 197; 229 f. Vesalius, A. 267 Wachstum, growth 41; 46; 52 f.; 56; 85 ff.; 101; 103; 106; 144; 147; 149 f.; 180; 201; 211; 249 Wahrnehmung, perception/sensation 22 f.; 39 ff.; 44; 46 ff.; 51; 58; 61 ff.; 71; 85; 87; 89 ff.; 93; 101; 114; 117 f.; 125; 155; 163 f.; 169; 206; 225; 231 f.; 234; 256; 261; 263 Wärme, das Warme, warm, Hitze, heat/ hot 55 f.; 78; 97 ff.; 141; 143 ff. passim; 174 ff. passim; 182; 187; 197; 202; 204; 207 ff. passim; 219 ff.; 224; 230; 234 f. Wasser 20; 55; 114 f.; 117; 121 ff.; 126; 206 ff.; 214; 216; 220 f. Weisheit, praktische/φρόνησις 170 Werden (als Gegenteil von Vergehen), Entstehung 18 f.; 26 f.; 33 ff.; 47; 54; 57 63; 78; 125 (Werden der Wahrnehmungen); 155 (Entstehung des Gedächtnisses); 180; 209; 261 f.; 273 Wissen/Denken (siehe auch: „Verstand“) 9; 12 ff.; 17; 19; 21; 23 ff.; 25; 29 ff.; 38 f.; 43 f.; 58; 63; 83; 87; 119; 132; 155; 161; 164 195; 231 ff.; 266 (anatomisches Wissen); 268; 272 Zabarella, J. 74; 76; 247; 257 f.; 265 f. Zeit/Zeitwahrnehmung 27; 29; 37; 57; 62; 89 f.; 106; 122 f.; 125; 127; 129; 156; 159; 165; 170; 174; 178 ff.; 183 f. Zentralorgan/Zentralsensorium/ Zentralsinn/sensus communis 89 ff.; 99; 103; 156; 180 Zoologie, zoologisch 73; 79 ff.; 86; 93; 99; 187 f.; 190 ff. passim; 198; 200; 218; 223 ff.; 228 ff.; 231; 236; 253