Aristoteles als wissenschaftlicher Autor: Eine Analyse seines ›epistemischen Schreibens‹ in der biologischen Schrift »De generatione animalium« 9783110774863, 9783110774054

In De generatione animalium, Aristotle (4th century BCE) provides a complex theory of generation and heredity. This mono

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German Pages 420 [478] Year 2022

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III Analyse von Buch I–II 3: Aristoteles’ generelle Fortpflanzungstheorie
Kapitel IV Analyse von Buch II 4–8
Kapitel V Analyse von Buch III
Kapitel VI Analyse von Buch IV
Kapitel VII Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens
Bibliographie
Stellenindex
Personen- und Sachindex
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Aristoteles als wissenschaftlicher Autor: Eine Analyse seines ›epistemischen Schreibens‹ in der biologischen Schrift »De generatione animalium«
 9783110774863, 9783110774054

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Sabine Föllinger, Thomas Busch Aristoteles als wissenschaftlicher Autor

Sabine Föllinger, Thomas Busch

Aristoteles als wissen­ schaftlicher Autor

Eine Analyse seines »epistemischen Schreibens« in der biologischen Schrift De generatione animalium

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) — Projektnummer FO 349/5-1.

ISBN 978-3-11-077405-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-077486-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-077488-7 Library of Congress Control Number: 2022936730 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Bearbeiteter Ausschnitt von „Biblioteca Riccardiana, Firenze, Ricc.13 c.125v.“ (http://teca.riccardiana.firenze.sbn.it/index.php/it/?option=com_tecaviewer&view= showimg&myId=d4212068-b4bd-4951-9dde-454c901a9f20&search=Aristoteles). Mit freundlicher Genehmigung des Ministero della Cultura/Biblioteca Riccardiana, Firenze. Jegliche Reproduktion oder Vervielfältigung ist untersagt. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Inhalt Vorwort

XI

Kapitel I Einleitung 3 3  Zielsetzung  De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘ – der status quaestionis 4  Die Stellung von De generatione animalium in Aristotelesʼ bio15 logischem Werk  Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung 17

Kapitel II Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA 23  Die Makrostruktur von GA 23 . Die Planung des Werks im Ganzen 23 . Zeichen von Prozessualität auf den Mikroebenen und ‚epistemisches 25 Schreiben‘  Metatextliche Bemerkungen und Aussagen zur Methodik 31 31 . Metatextliche Bemerkungen zur Disposition . Bemerkungen zur Methodik 33 34  Argumentationsmuster . Das Ziel: eine ‚einheitliche‘ Theorie 34 . Beweisstrukturen: Definitionen, Axiome, Prämissen, Syllogismen 34 .. Definitionen 36 .. Axiome 37 .. Status von Prämissen 37 .. Rückwärtsgewandte Begründungen und vorwärtsgewandte Argumentationen 38 .. Reductiones ad absurdum 38 39 .. Vollständige Fallunterscheidungen . Die Bedeutung und das Problem der Empirie 39 . Die Verwendung von Aporien 41

VI

. . . . . . . . . . .  . . . . . . . . .  

Inhalt

Das Ausgehen von anderen Meinungen 45 46 Unpersönliche und überpersönliche Ausdrucksweise Die Rolle von Diskursivität 46 Das Anknüpfen an allgemein Akzeptiertes 53 ‚Latentes Verschieben‘ von Begriffsbedeutungen und ‚latente Einfüh54 rung‘ von Begriffen Die Betonung wissenschaftlicher Genauigkeit 54 Die Funktion tentativer Formulierungen im Rahmen der 55 Theoriebildung Der Gebrauch von Analogien/Vergleichen 56 64 Die ‚notwendige Metapher‘ und Fachterminologie Die Rolle von ‚Zeichen‘ (tekmēria, sēmeia) 65 Beispiele/Exempla 66 67 GA als kommunikativer Text Die Einbindung des Rezipienten durch die 1. Person Plural 68 Ausdrücke mit Appellcharakter 70 72 Die Funktion von Fragen Emotionalisierung 72 Literarische Strategien zur Plausibilisierung der eigenen Theorie 74 76 Dichterzitate Verwendung gnomenhafter Sätze 77 Ironie 78 78 Polemik Charakteristika auf der Ebene der Semantik, der Syntax und der stilistischen Figuren 80 Das Problem der ‚intendierten Adressaten‘ 81

Kapitel III Analyse von Buch I–II 3: Aristoteles’ generelle Fortpflanzungstheorie Einleitung Buch I

85

85 Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

87 1. 715a1 – 716a2 2. 716a2‒716b12 95 3 – 13 101 3. 716b13 – 717a12 101 4 – 5. 717a12 – 717b33 104

Inhalt

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

4. 717a12 – 717b14 104 108 5. 717b14 – 717b33 6 – 7. 717b33 – 718a34 110 6. 717b33 – 718a17 111 7. 718a17 – 718a34 112 112 8 – 11. 718a35 – 719a30 8. 718a35 – 718b27 113 118 9 – 11. 718b27 – 719a30 12 – 13. 719a30 – 720b1 121 12. 719a30 – 719b28 121 123 13. 719b29 – 720b1 14 – 16. 720b2 – 721a30 125 14. 720b2 – 720b15 127 128 15. 720b15 – 721a2 16. 721a2 – 721a30 129 17 – 23. 721a30 – 731b14 131 136 17. 721a30 – 722a1 18. 722a1 – 724a13 141 18. 724a14 – 726a28 157 19. 726a28 – 726b30 163 167 19. 726b30 – 727a30 19. 727a30 – 727b33 170 20. 727b33 – 729a33 172 178 21. – 22. 729a34 – 730b32 23. 730b33 – 731b14 182

Buch II 1-3 184 Kapitel 1. 731b18 – 735a29 Kapitel 2. 735a29 – 736a23 Kapitel 3. 736a24 – 737b7

184 201 205

Kapitel IV Analyse von Buch II 4 – 8 Einleitung

215

Buch II 4 – 8 Kapitel Kapitel Kapitel

217 4. 737b8 – 741a5 5. 741a6 – 741b24 6. 741b25 – 745b22

217 232 236

VII

VIII

Inhalt

Kapitel 7. 745b22 – 747a22 Kapitel 8. 747a23 – 749a6

252 258

Kapitel V Analyse von Buch III Einleitung Buch III

269

270 Kapitel 1. 749a10 – 752a10 270 279 Kapitel 2. 752a10 – 754a20 Kapitel 3. 754a21 – 755a5 285 Kapitel 4. 755a6–755b1 290 292 Kapitel 5. 755b1 – 756b12 Kapitel 6. 756b13 – 757a13 298 Kapitel 7. 757a14 – 757b30 300 Kapitel 8. 757b31 – 758a25 304 306 Kapitel 9. 758a26 – 759a7 Kapitel 10. 759a8 – 761a13 309 Kapitel 11. 761a13 – 763b16 323

Kapitel VI Analyse von Buch IV Einleitung Buch IV

335

336 Kapitel 1. 763b20 – 766b28 Kapitel 2. 766b28 – 767a35 Kapitel 3. 767a36 – 769b30 Kapitel 4. 769b30 – 773a32 Kapitel 5. 773a32 – 774b4 Kapitel 6. 774b5 – 775b24 Kapitel 7. 775b25 – 776a14 Kapitel 8. 776a15 – 777a27 Kapitel 9. 777a28 – 777a31 Kapitel 10. 777a32 – 778a12

336 348 351 365 373 376 381 383 389 390

IX

Inhalt

Kapitel VII Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens A

Metatextliche Elemente

B

Elemente der Argumentation und ihre sprachliche Gestaltung

C

Merkmale epistemischen Schreibens

D

Merkmale eines kommunikativen Textes

E

Stilmittel

436

Bibliographie

440

Stellenindex

397

450

Personen- und Sachindex

459

418 424

404

Vorwort In dieser Monographie legen wir unsere Analyse von Aristotelesʼ biologischer Schrift De generatione animalium vor. Sie ist das Resultat eines Projekts „Aristoteles als Autor. Eine Analyse seines ,epistemischen Schreibens‘ in der biologischen Schrift De generatione animalium“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft von März 2017 bis Februar 2020 finanziert wurde (als Einzelprojekt unter dem Geschäftszeichen FO 349/5 – 1). Für diese Förderung sind wir sehr dankbar, ebenso wie für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Bei der Fertigstellung des Bandes haben uns Herr Eike Quast und Herr Daniel Höflich durch sorgfältige Korrekturarbeiten und technische Unterstützung entscheidende Hilfe geleistet. Für ihr großes Engagement bedanken wir uns herzlich. Ebenso bedanken wir uns bei Frau Dr. Brigitte Kappl, Frau Henrike Arnold und Herrn Benedikt Löhlein für umsichtige Korrekturen. Herrn Daniel Höflich danken wir auch für die Erstellung der Indices. Dem Verlag De Gruyter sei für seine professionelle Betreuung gedankt. Marburg, im März 2022 Sabine Föllinger und Thomas Busch

https://doi.org/10.1515/9783110774863-001

Kapitel I

Einleitung 1 Zielsetzung Diese Untersuchung stellt den Versuch dar, Aristotelesʼ Argumentations- und Darstellungsweise in seinem biologischen Werk De generatione animalium zu analysieren. Der Ausgangspunkt ist der ‚naive‘ und ‚subjektive‘, bei einer Erstlektüre sich einstellende Eindruck, einen Forscher bei der Entwicklung seiner Theorie erleben zu können: Vieles wirkt ‚spontan‘, als ob die Argumentation gerade entwickelt wird, etwa wenn Fragenkataloge nicht einfach abgearbeitet, sondern spontan erweitert werden, wenn Argumente durch ad hoc-Prämissen oder -Axiome ‚gestützt‘ werden, wenn die zuerst gegebene Theorie plötzlich um Zusatzelemente bereichert wird, die der Ausgangstheorie zu widersprechen scheinen, wenn eine traktatartige Abhandlung plötzlich in lebhafte Frage und Antwort umschlägt. Der Eindruck der Spontaneität drängt sich also sowohl unter der inhaltlichen Perspektive der Argumentation als auch unter der Perspektive der Darstellung auf. Gleichzeitig aber ist dem Werk anzumerken, dass es eine Großplanung aufweist. Davon zeugen zahlreiche Verweise auf früher Erörtertes und später noch zu Erklärendes, auch Hinweise auf in anderen Schriften Abgehandeltes, aber auch immer wieder Bemerkungen, die auf eine der Schrift unterliegende Disposition hinweisen. Eine zweite Lektüre macht dann das Vorliegen einer solchen Makrostruktur als Substruktur klarer. Gleichzeitig wird deutlich, dass Aristotelesʼ Begründungen in der Darstellung vielfach über das, was der jeweilige Begründungszusammenhang erfordert, hinausgehen und mit didaktischen Mitteln, Redundanz, rhetorischer Polemik und teilweise mit einer auch Emotionalität erzeugenden Bewertung arbeiten. Auch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hin und wieder Ausdrücke der ‚Notwendigkeit‘ fallen, wo die Argumentation – nach den Regeln aristotelischer Logik und Wissenschaftstheorie selbst – nicht zwingend erscheint. Gleichzeitig vertieft sich der Eindruck, dass sich eine Planung im Großen mit einem prozessualen Vorgehen im Kleinen verbindet. Um diese Heterogenität und den ‚schillernden Charakter‘ der Schrift im Ganzen zu untersuchen, war es nötig, das ganze Werk einer detaillierten Lektüre und Analyse zu unterziehen. Unser Ziel dabei war es, sowohl die Argumentationsgänge im Einzelnen nachzuvollziehen als auch zu untersuchen, welcher Darstellung sich Aristoteles jeweils bedient und in welchem Verhältnis beides zueinander steht. Diese Verbindung von argumentativer und literarischer Analyse soll also zum Verständnis von Aristotelesʼ Vorgehen in dieser faszinierenden Spätschrift und damit ihres Charakters als ‚wissenschaftlicher Literatur‘ beitrahttps://doi.org/10.1515/9783110774863-002

4

2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘

gen. Darüber hinaus aber können, wie wir glauben, die Ergebnisse eine Hilfe sein für die Untersuchung weiterer Schriften des aristotelischen Corpus unter methodischen und literarischen Gesichtspunkten. Denn die Forschung zu der Frage, welchen Charakter die Schriften des Corpus Aristotelicum als ‚Wissenschaftsliteratur‘ aufweisen, steht noch am Anfang, wäre aber besonders wichtig, damit durch Detailuntersuchungen die individuellen Eigenarten des jeweiligen Werks herauspräpariert werden könnten und so die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Pragmatien stärker deutlich würden. Auf diese Weise würden die Spezifika der Schriften des Aristoteles als ‚wissenschaftlicher Literatur‘, entsprechend ihrer philosophischen und philosophiegeschichtlichen Bedeutung, hervortreten. Dass ein solcher systematischer Zugriff bisher ausblieb bzw. nur erste Ansätze literarischer Analysen des Corpus Aristotelicum vorhanden sind, mag unterschiedliche Gründe haben: Zum einen ist durch die Vielfältigkeit der in ihm vertretenen ‚Disziplinen‘ und Themen die Gruppe der mit Aristoteles befassten Forscher_innen heterogen. Eine entsprechende Untersuchung müsste aber durch die jeweiligen Spezialist_innen erfolgen, da man formale und inhaltliche Analyse selbstverständlich nicht trennen kann. Zum anderen ist eine Untersuchung nach ‚formalen Kriterien‘ literaturwissenschaftlicher Art eher ein Interessensgebiet von Forscher_innen auf dem Gebiet der Klassischen Philologie. Für diese wiederum spielen traditionell zwar die Poetik und die Rhetorik und ggf. die Nikomachische Ethik eine Rolle, aber weniger in ihrer literarischen Gestaltung, und die Beschäftigung mit anderen aristotelischen Schriften gehört nicht zum ‚main stream‘ der Klassischen Philologie, sondern ist eher ein Betätigungsfeld der Philosophie. Da es sich also insgesamt um ein Forschungsfeld handelt, dessen Etablierung noch am Beginn steht, ist es ratsam, erst einmal mit einem Blick auf den ‚status quaestionis‘ zu beginnen.

2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘ – der status quaestionis Ein wichtiger Grund für die überraschend zurückhaltende Beschäftigung mit dem literarischen Charakter der aristotelischen Schriften dürfte in der verbreiteten Ansicht zu sehen sein, dass Züge, die unverständlich wirken, mit ihrem Charakter als ‚Vorlesungsschriften‘ erklärt wurden.¹ Denn damit konnte man Eigenheiten, die den Eindruck von Heterogenität vermitteln, begründen, wie etwa fehlende

 Zum Forschungsstand vgl. auch Föllinger (2019) 67– 71.

2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘

5

Verknüpfungen, ad hoc-Argumentationen, das Arbeiten mit unausgesprochenen Voraussetzungen und Widersprüchlichkeiten. Dies waren Züge, die man allgemein bei der Lektüre von Aristoteles’ wissenschaftlichen Schriften, den sog. Pragmatien,² als Ärgernis empfand³ und die Arthur Schopenhauer in seinen 1851 erschienenen Kleinen philosophischen Schriften in Form eines Tadels zum Ausdruck brachte: Aristoteles schreibe planlos und gehe die Dinge so durch, „wie sie ihm einfallen, ohne sie vorher durchdacht und sich ein deutliches Schema entworfen zu haben: er denkt mit der Feder in der Hand, was zwar eine große Erleichterung für den Schriftsteller, aber eine große Beschwerde für den Leser ist.“⁴ Mit der Vorlesung als ‚Sitz im Leben‘ der aristotelischen Pragmatien begründete man, warum der Duktus teilweise schwer verständlich ist, wenn etwa Voraussetzungen nicht expliziert oder neue Gedankengänge unangekündigt eingeschoben werden.⁵ Gleichzeitig verbanden sich mit der Einordnung der Pragmatien als Produkte des Schulbetriebs⁶ auch Urteile über ihren ‚unliterarischen‘ Charakter. Einen für die Folgezeit einflussreichen Beitrag leistete Werner Jaeger 1912 in seiner Untersuchung der Metaphysik. Er hat bereits grundlegende Beobachtungen zu der Mischung von Stilebenen bei Aristoteles angestellt. Gleichzeitig ist seine Erklärung des Charakters aristotelischer Pragmatien symptomatisch für die Probleme, die der Versuch einer Einordnung der Schriften mit sich bringt. So vermisst er zwar eine „künstlerische Gliederung dieser heterogenen Schriften und Schriftenkomplexe“ und denkt deshalb an „Vorlesungsschriften“,⁷ stellt aber fest, dass die Lehrschriften „im Durchschnitt“ doch „minutiös ausgearbeitet“ und auf einen je „einheitliche[n] σκοπός“ ausgerichtet seien.⁸ Damit entsprächen sie den Anforderungen, die die antike Literaturkritik an syntagmatische Schriften, d. h. an ausgearbeitete Werke, gestellt habe.⁹ Letztendlich wies Jaeger den Schriften eine Sonderstellung zu: Sie seien „weder Kolleghefte noch Literatur“.¹⁰ Dies führte zu seiner Schlussfolgerung, man müsse als das

 Zum Begriff der Pragmatie vgl. Düring (1966) 41.  … und heute noch als Problem empfinden kann, vgl. Flashar (2006) 116 f.  Schopenhauer (1851) 55.  Zur umfangreichen Literatur, die mündliche Erläuterungen als zum Verständnis der Pragmatien notwendig ansieht, vgl. Lengen (2002) 106 mit Anm. 196.  Dass diese Meinung sich durchgesetzt hat, konstatiert Flashar (2004) 180.  Jaeger (1912) 129 f.  Jaeger (1912) 135 f.  So hielten Simplikios und Olympiodor die meisten Pragmatien für syntagmata, also ausgearbeitete Schriften. Zu den syntagmata zählten sie die exotērikoi logoi, also die Dialoge, und die autoprosōpa – die auch als akroamatika bezeichnet wurden –, das heißt: Schriften, in denen Aristoteles in eigener Person spricht. Vgl. hierzu Schütrumpf (1989) 187– 189.  Jaeger (1912) 137.

6

2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘

Spezifische der aristotelischen Schriften ihre Publikationsweise sehen. Denn sie schienen trotz ihres unliterarischen Charakters „wie literarische Werke … zu einer gewissen Verbreitung bestimmt gewesen zu sein.“¹¹ Aus diesem Grund lehnt Jaeger die von Zeller aufgemachte Opposition, dass Aristoteles seine Lehrschriften im Unterschied zu den Dialogen nicht publiziert habe, ab und nimmt eine „Publikation nach altjonischer Weise durch Vorlesung“ innerhalb der Schule an.¹² Dem Urteil Jaegers, sie seien „überhaupt nicht Literatur“,¹³ und seiner Gegenüberstellung dieser „Sachprosa“ vs. einer „Kunstprosa“¹⁴ schloss sich Ingemar Düring an und nannte die Wissenschaftsschriften „unliterarische Prosa“¹⁵. Holger Thesleff sah in ihnen den Prototyp des schmucklosen, abstrakten und emotionslosen Wissenschaftsstils.¹⁶ Eine Erklärungsmöglichkeit für die Heterogenität eines aristotelischen Werks war bzw. ist die Annahme, dass Aristoteles seine Werke weiter überarbeitete.¹⁷ Der mit dem als ‚unliterarisch‘ erscheinenden Charakter der aristotelischen Pragmatien zusammenhängenden These der „Vorlesungsmanuskripte“ ¹⁸ konnte auch die Tatsache nichts anhaben, dass vereinzelt – und mitunter sogar von denjenigen, die Aristoteles’ Schriften im Allgemeinen einen literarischen Charakter absprachen – darauf hingewiesen wurde, einzelne Bücher bzw. Werke oder zumindest Passagen wiesen einen durchaus ausgefeilten Charakter auf. So notierte Düring, Physik I habe eine wirkungsvolle Darstellung und einen gepflegten Stil.¹⁹ Auf diese Widersprüchlichkeit wies Schütrumpf in einer wegweisenden Studie von 1989 hin.²⁰ In dieser demonstrierte er am Beispiel von Politik III, dass

 Jaeger (1912) 135.  Jaeger (1912) 147.  Jaeger (1912) 133.  Jaeger (1912) 137.  Düring (1966) 555. Vgl. Moraux (1973) 7: Die Pragmatien seien von einem „fast absolute[n] Mangel an literarischen Ansprüchen“ geprägt.  Thesleff (1966).  Vgl. etwa Jaeger (1912) 136 f.; Düring (1966) 32– 35, der sogar die These vertrat, die Heterogenität verdanke sich der Tätigkeit eines Redaktors, der alle Texte incl. Notizen des aristotelischen ‚work in progress‘ genau abgeschrieben habe: „Dieser Redaktor ist also für die heutige äußere Form der Schriften verantwortlich“ (ebd., 35). Mit Blick auf De partibus animalium lehnt Kullmann (2007) 137 die Annahme nachträglicher Überarbeitungen ab.  Man bezeichnete die Pragmatien als „Vorlesungsschriften“, „Materialsammlungen“ oder „lecture notes“, so Jackson (1920); Moraux (1968a) VIII; Düring (1966) 9, 19, 33. Vgl. auch die Literaturangaben bei Lengen (2002) 14. Van der Eijk (1997) 79 weist darauf hin, dass man unter „lecture notes“ etwas anderes zu verstehen hat als „Notizenstil“.  Zitiert bei Schütrumpf (1989) 180.  Schütrumpf (1989). Er vermutete, dass die These vom Vorlesungsmanuskript stark von antiken Nachrichten beeinflusst sei, denen zufolge „herausgegebene Schriften auf Vorlesungsmate-

2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘

7

entgegen den genannten Verdikten, die aristotelischen Schriften seien keine ‚Literatur‘, der Einsatz rhetorischer Stilmittel der Verwendung in zeitgenössischer Kunstprosa entspreche. Er zog daraus die Schlussfolgerung, dass eine generelle Etikettierung der Pragmatien als Vorlesungsschriften der Problematik nicht gerecht werde. Denn es bleibe letztendlich unklar, „welche formale Qualität dies [sc. das Vorlesungsmanuskript] hat, wie sehr es stilistisch ausgearbeitet war oder nicht war.“²¹ Mit der Beurteilung des ‚literarischen‘ Charakters wurde auch die Frage verknüpft, ob bzw. inwieweit auch die Pragmatien, wie die uns nur noch in Fragmenten und Zeugnissen zu fassenden Dialoge des Aristoteles,²² zur Veröffentlichung gedacht gewesen seien. Als Argument für eine Unterteilung in Werke, die für eine Publikation gedacht, und solche, die nur für einen engeren Kreis, etwa in der Schule, bestimmt waren, konnte man anführen, dass Aristoteles selbst auf „exoterische“ Werke in seinen Pragmatien verweist und teilweise deren Kenntnis voraussetzt, aber auch von Schriften, die „herausgegeben“ sind, spricht.²³ Zudem wies man bereits früh darauf hin, dass ‚Herausgeben‘ im antiken Sinn nicht mit ‚Publizieren‘ im heutigen Verständnis gleichzusetzen ist. So war bereits das Vorlesen eines ausgearbeiteten Textes eine „Herausgabe“.²⁴ An die Problematik des von der älteren Forschung zugrundegelegten Literaturbegriffs knüpfte die klassisch-philologische Forschung zur antiken Fachliteratur, die in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts einen Aufschwung erfuhr, an. So stellte Philip van der Eijk 1997 in einer wegweisenden Studie fest, dass eine Unterscheidung in Kunstprosa und Sachprosa keine geeignete Kategorie für die Untersuchung von wissensvermittelnden Schriften bilde, und plädierte für eine neutrale, d. h. nicht wertende Feinuntersuchung solcher Schriften nach Aufbau, strukturellen und sprachlichen Eigenheiten, literarischen Strategien und sprachpragmatischen Gesichtspunkten. In diesem Zusammenhang wandte er sich gegen eine generelle Etikettierung der Pragmatien als ‚Vorlesungsmanu-

rialien, akroatikoi logoi, beruhen“ (180). Er verweist dafür auf einen bei Plut. Alex. 7 überlieferten Brief Alexanders an Aristoteles („ouk orthōs epoiēsas ekdous tous akroatikous tōn logōn“ – „Du hast nicht recht daran getan, die akroamatischen Deiner Schriften herauszugeben“) und dessen Antwort; die beide nach der communis opinio der Forschung aber unecht sind (186 f. mit Anm. 50). Vgl. auch van der Eijk (1997) 81, Anm. 14.  Schütrumpf (1989) 180.  Zu den aristotelischen Dialogen vgl. Flashar (2006) 112– 125, insbes. auch zum Verhältnis von Dialogen und Lehrschriften 116 – 118. Zur bemerkenswerten Überlieferungsgeschichte der Pragmatien vgl. Flashar (2004) 180 – 182; Primavesi (2021).  Vgl. Flashar (2004) 179; Flashar (2006) 117 f.  Vgl. Birt (1882) 437, Anm. 2, zitiert bei Schütrumpf (1989) 180, Anm. 27.

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2 De generatione animalium als ‚wissenschaftliche Literatur‘

skripte‘, da eine solche nicht durchgängig dem Charakter der aristotelischen Schriften gerecht werde.²⁵ Der Untersuchung von Feinstrukturen ist der 1993 erschienene Beitrag von Föllinger zur Diskursivität in den aristotelischen Schriften gewidmet. Anknüpfend an Dirlmeiers Beobachtung,²⁶ dass Aristoteles vielfach in einem Dialog mit sich selbst begriffen zu sein scheine, stellt Föllinger an exemplarisch ausgewählten Passagen verschiedener Schriften (Metaph. Λ 9, GA I 17, EE VII 12, EN IX 12, APo I 6) den diskursiven Duktus dar und arbeitet Kategorien zur Beschreibung dieses ‚mündlich‘ erscheinenden Stils heraus.²⁷ Anders als Dirlmeier wertet sie diese Elemente aber nicht als ‚Residuum einer ursprünglichen Mündlichkeit‘, sondern begründet sie damit, dass die diskursiven Strukturen bestimmte Argumentationsweisen literarisch umsetzen, die zum einen den Weg der Erkenntnis, etwa Elenktik und Ausschlussverfahren, wiedergeben und zum anderen damit gleichzeitig dem Rezipienten ermöglichen, den Weg des Erkenntnisgewinns nachzuverfolgen. Es handelt sich, so die These des Aufsatzes, um „die Folge einer neuartigen Form wissenschaftlichen Schreibens, das die Umsetzung eines dialektisch verlaufenden Denkens im Medium der Schrift darstellt“²⁸ und gleichzeitig den Rezipienten in den Gedankengang des Autors mit hineinzieht.²⁹ Diese Überlegungen führt ein 2012 erschienener Beitrag von Föllinger weiter.³⁰ In ihm werden diese Charakteristika, indem Kategorien der ‚Schreibforschung‘ angewandt werden, mit einem ebenfalls aus der ‚Schreibforschung‘ stammenden Begriff als „epistemisches Schreiben“³¹ bezeichnet. Diese Art von Schreiben dient dazu, das eigene Wissen weiterzuverarbeiten und zu präzisieren. Damit kann man die Funktion vergleichen, die aus moderner Perspektive Holmes³² dem Prozess des Schreibens für das Verfassen naturwissenschaftlicher Texte und Heintz³³ für mathematisches Beweisen zugewiesen haben.³⁴ Für die Parva Naturalia hat Philip van der Eijk gezeigt, dass Aristoteles in De divinatione per somnum „polemischer“ und „dialektischer“ verfährt³⁵ als in der

 Van der Eijk (1997) 79 f. Vgl. dazu auch Erler (2014) 368 f.  Dirlmeier (1962) 12 f.  Vgl. hierzu unten, S. 46 ‒ 53.  Föllinger (1993) 280.  Dieser von Föllinger vertretene Ansatz ist rezipiert in dem 2014 erschienenen Beitrag zu Aristoteles’ Philosophie im Handbuch der griechischen Literatur der Antike (Erler 2014, 368 f.).  Föllinger (2012).  Eigler u. a. (1990) 18.  Holmes (1987) 226 f.  Heintz (2000) 169.  Vgl. Asper (2007) 121.  Van der Eijk (1994) 66.

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Schrift De insomniis, die mehr „theoretisch und deduktiv“³⁶ gehalten ist. Ralf Lengen unterschied in seiner Untersuchung, die der Darstellungsweise in der Nikomachischen Ethik, der Rhetorik und den biologischen Schriften De partibus animalium und Historia animalium galt, eine problemorientierte Darstellung, wie sie die Nikomachische Ethik und De partibus animalium aufwiesen, und eine ergebnisorientierte Darstellung, wie sie die Rhetorik biete.³⁷ Das Ergebnis seiner Arbeit bestätigt die oben³⁸ bereits erwähnte Notwendigkeit, dass man die Pragmatien jeweils für sich untersuchen muss, um ihre Eigenheiten zu bestimmen. Bis zu einer systematisch-vergleichenden Untersuchung unterschiedlicher aristotelischer Pragmatien ist es noch ein weiter Schritt. Aber insgesamt lässt sich ein steigendes Interesse daran feststellen, Aristotelesʼ Vorgehensweise durch Detailuntersuchungen zu erhellen. Die Ansätze sind unterschiedlicher Art, je nachdem ob eher ein Interesse an der inneren Logik der Argumentation oder der sprachlichen und stilistischen Gestaltung vorliegt. Philosophisch basierte Studien verfolgen eher den ersten Ansatz. Ihm widmeten sich im Zuge des seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts entstehenden intensiveren Interesses an der aristotelischen Biologie und ihrem epistemologischen Status Arbeiten aus philosophischer Perspektive. Sie untersuchten die Logik der aristotelischen Argumentationsstrukturen und ihren Zusammenhang mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie. Dabei spielt naturgemäß das Verhältnis zu den Zweiten Analytiken eine zentrale Rolle. Sie verfolgen als Ziel (APo I 2) eine Theorie für Wissenschaft von dem, was sich notwendig so verhält, wie es sich verhält, und was sich daher auch nicht anders verhalten kann. Im ersten Buch bezieht Aristoteles seine Beispiele vornehmlich aus dem Bereich der Mathematik.³⁹ Aber, anders als die Mathematik, ist die von der Empirie ausgehende Biologie von Aristoteles überhaupt erst als Wissenschaft zu begründen, als eine neue Disziplin innerhalb der ,Zweiten Philosophie‘, die von bewegten bzw. veränderlichen, aber separaten, d. h. für sich bestehenden Substanzen handelt, wie sie nach Aristoteles’ Auffassung lebendige Organismen par excellence darstellen.⁴⁰ Dementsprechend versucht Aristoteles, in einer methodischen Einleitung in die Biologie in De partibus animalium I seine Wissenschaftstheorie zu ergänzen, indem er „auf die besonderen Bedingungen einer die Hyle [Materie] einbeziehenden Wissen-

 Van der Eijk (1994) 46.  Lengen (2002). Allerdings ist die Rhetorik komplexer, als Lengen es darstellt. Vgl. unten S. 14 mit Anm. 67.  S. 13‒15.  Vgl. Detel (1993) Erster Halbband, 190; Zweiter Halbband, 547.  Vgl. etwa Buchheim/Flashar/King (2003) XIVf.

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schaft Rücksicht nimmt“⁴¹, um so die Wissenschaftlichkeit im Sinne der Zweiten Analytiken für die Biologie zu sichern. Vor dem Hintergrund der Zweiten Analytiken fand man es erstaunlich, dass Aristoteles’ Darlegungen in den biologischen Fachschriften prima facie gerade nicht dem Muster eines apodeiktischen Verfahrens entsprechen.⁴² Diese auf den ersten Blick als solche erscheinende Diskrepanz zwischen Wissenschaftstheorie und -praxis bei Aristoteles hat verschiedentlich Anlass zu Erklärungsversuchen gegeben: Bolton (1987) sah darin, dass der heuristische Anspruch⁴³ und Wert der aristotelischen Wissenschaftstheorie nicht hinreichend gesehen wurde, den Grund für die Tendenz, die Pragmatien gemäß der Alternative ,deduktiv-beweisend im Sinne der Zweiten Analytiken‘ vs. ,dialektisch argumentierend nach den Regeln der Topik‘⁴⁴ zu charakterisieren. Dass dies aber eine ‚falsche‘ Alternative ist, konnte er in einer exemplarischen Analyse einschlägiger Passagen aus GA zum Begriff des sperma zeigen. Dabei unterschied er von einer primären, den Forderungen der aristotelischen Wissenschaftstheorie entsprechenden Argumentationslinie⁴⁵ dialektisch argumentierende Einschübe⁴⁶. Die Verbindung eines an der Wissenschaftstheorie orientierten Vorgehens mit einzelnen dialektischen Argumentationen hält Bolton für ein Charakteristikum der biologischen Schriften, wobei er darauf hinweist, dass eine komplette syllogistische Analyse noch ausstehe. Auch Gotthelf (1987) entlarvte den Gegensatz zwischen einer explizit syllogistisch verfahrenden und explizit axiomatisch strukturierten Darlegung von Wissenschaft einerseits und einem ,research in progress‘ oder „sharing of tentative … explorations“⁴⁷ andererseits als einen nur vermeintlichen Widerspruch. Er

 Kullmann (1997) 55.  Vgl. hierzu den Forschungsüberblick bei Detel (1993) Erster Halbband, 287– 289.  Für diesen ist die Eingangspassage von APo II signifikant.  Vgl. etwa Wieland (1962) 216 f.: „Die Denkstruktur der aristotelischen Forschung entspricht also der der Frühform seiner Logik [sc. der Topik] … Diese … zieht bekanntlich nicht aus gegebenen Prämissen eine Conclusio, sondern sie fragt nach den Prämissen, aus denen ein gegebener Satz bewiesen werden kann. … Eine dem Spätstadium seiner Logik und den Regeln der zweiten Analytiken methodisch korrespondierende Wissenschaft hat Aristoteles niemals ausgearbeitet.“  Bolton (1987) 162 beobachtet, „how the main line of argument continues to conform to the requirements of the Analytics“, und stellt ebd. 164 fest, „that Aristotle follows a general pattern of inquiry leading to discovery which is laid out in the Posterior Analytics but neither recommended nor required by the canons of dialectic.“  Hierzu gehören etwa die Zurückweisung der Pangenesis-Lehre als „received doctrine“ durch Konfrontation mit anderen endoxa (Bolton 1987, 154 f.) oder in rhetorischer Absicht präsentierte dialektische Zusatzargumente für eine nicht dialektisch gewonnene Erkenntnis (162).  Barnes (1975), zitiert nach Gotthelf (1987) 167.

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konnte exemplarisch in PA II–IV eine implizite Axiomatik aufdecken, die – auch wenn sie einen informellen Charakter hat – der Theorie der Zweiten Analytiken genügt. Dieser Ansatz wird gestützt durch PA I und GA II 6, wo Aristoteles der Ursachenerkenntnis im Bereich der Biologie nachdrücklich epistemischen und apodeiktischen Charakter zuspricht.⁴⁸ Wolfgang Detel (1997) hat in grundsätzlicher Übereinstimmung mit Gotthelfs These von einer aufweisbaren impliziten Axiomatik durch minutiöse Analyse und explizite syllogistische Rekonstruktion der Anfangspartie von PA III 14 die ,Kompatibilität‘ mit APo II (8 u. 11) nachgewiesen und nach Offenlegung der theoretisch-impliziten Voraussetzungen jener Passage, in einer Zusammenschau und in logischer Präzisierung des Gotthelfschen Ansatzes, den Begriff ,aristotelische Axiomatisierung‘ bzw. ,aristotelischaxiomatisch‘ geprägt.⁴⁹ In seinem grundlegenden Ansatz hatte Wolfgang Kullmann (1974)⁵⁰ gezeigt, „daß Aristoteles klar unterscheidet zwischen ,phänomenologischen‘ … und ,ätiologischen‘ Analysen und Schriften“⁵¹, entsprechend der parallelen Unterscheidung von περὶ ὅ (d. i. der Gegenstand, über den man Betrachtungen anstellt) und ἐξ ὧν (d. s. die Ursachen, von denen aus Begründungen gegeben werden) in APo I 10. 76b21 f. einerseits und in HA I 6. 491a7– 14, bes. 13 f. andererseits. Dieser prinzipiellen Unterscheidung folgt die Organisation der biologischen Schriften in Faktensammlung (ὅτι, das ‚Dass‘) und Ursachenforschung (διότι, das ‚Warum‘).⁵² Darüber hinaus trifft Kullmann (1998) die Unterscheidung „zwischen den Regeln für die schriftliche Fixierung und den (knapper formulierten) Regeln für die Forschung“,⁵³ um so „bereits das Grundschema der biologischen apodeiktischen Schriften, insbesondere von De part. an., als mit Anal. post. konform“⁵⁴ erweisen zu können. Einen anderen Zugang zur Erklärung der mitunter – in jedem Fall auf den ersten Blick – vorliegenden Uneinheitlichkeiten aristotelischer Pragmatien wählte Reviel Netz (2001). Er vertritt die These, Aristoteles habe sich bei der Textproduktion einer Ordnung in ‚Paragraphen‘ bedient, die durch explizite und implizite Marker als solche abgegrenzt seien und Argumentationseinheiten

 Gotthelf (1987) 170 – 172.  Detel (1997).  Kullmann (1974) passim, fortgeführt in Kullmann (1998) 97– 115.  Detel (1993) Erster Halbband, 287.  Vgl. dazu auch Kullmann (1998) 62– 70.  Kullmann (1998) 98.  Kullmann (1998) 101; vgl. die von James Lennox vorgetragene Ansicht, „that the entire biological project is organized in accordance with the theory of inquiry developed in APo. II“ (Lennox 2011, unter 4.).

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(„discourse units“⁵⁵) bildeten.⁵⁶ Diese Marker seien Formulierungen, die die jeweilige Einheit nach vorne wie nach hinten hin abschlössen und somit Übergänge bildeten, sogenannte „binary transitions“, sowie Elemente, die die Einheiten einrahmten („framing“)⁵⁷. Durch solche Markierungen werde die Abgeschlossenheit und Einheitlichkeit auf logischer oder diskursiver Ebene formal deutlich. Netz zufolge liegt die Ebene maximaler Abgeschlossenheit und Einheitlichkeit bei Aristoteles auf dem Niveau der Paragraphen, innerhalb deren die Begründungsstruktur typischerweise „backward-looking“⁵⁸ und ,flach‘ oder ‚horizontal‘ (im Gegensatz etwa zu Euklids ,vorwärts-blickenden‘ und ,tiefen‘ oder vertikalen Argumentationsstrukturen) sei.⁵⁹ Diese Analyse lässt Netz schlussfolgern, dass es sich bei Aristoteles um einen unsystematischen Naturforscher handele. Auch wenn sich die Gesamtthese des unsystematischen Forschers angesichts des systematischen Vorgehens, das Aristoteles insgesamt in seinem biologischen Vorgehen und der Anlage seiner biologischen Werke zeigt, nicht halten lässt,⁶⁰ so liefern die von Netz gemachten Beobachtungen zum Ordnungsprinzip ‚Paragraph‘ ein hilfreiches Instrumentarium zur Analyse seines Werks. Einen dritten Weg, den man als ‚pädagogisch-didaktischen‘ Ansatz bezeichnen kann, beschreitet der Sammelband von Wians und Polansky (2017). Die beiden Herausgeber lehnen die weit verbreitete Anschauung, die aristotelischen Pragmatien seien Vorlesungsmanuskripte, ab und sehen gerade in ihrer Kommentierbedürftigkeit den Beweis dafür, dass es sich um einen schriftlich verbreiteten Text gehandelt habe, der unter den Aristotelesschülern in Umlauf gewesen und diskutiert worden sei.⁶¹ Der heterogene Duktus sei damit zu erklären, dass Aristoteles seine Werke nach pädagogischen Gesichtspunkten geschrieben habe. Denn er habe seine Texte jeweils als eine weitgespannte Entfaltung einer von einem Resultat oder von einer einheitlichen Position ausgehenden Argu-

 Netz (2001) 211.  Ähnlich geht Quarantotto (2017) davon aus, dass Aristoteles ‚Problemata-Stücke‘ übernommen und den Text der Pragmatien auf Basis dieser Einheiten konstruiert habe.  Den Begriff ’framing’ gebrauchen wir im folgenden als terminus technicus und setzen ihn deshalb nicht in Anführungszeichen.  Netz (2011) 221.  Netz (2011) 221 f.  Vgl. hierzu unten, S. 15‒17.  Wians/Polansky (2017) 4: „Contrary to the old saw that the corpus consists of lecture notes, the treatises as we encounter them are so compressed and requiring of commentary that it appears unlikely that they were meant for oral presentation. Rather it seems more plausible that they were school materials, which would be copied, read, and discussed.“

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mentation, die auch mehrere Bücher umfassen könne, verfasst.⁶² Dabei stellen die Herausgeber einem Forschungsansatz, der den aristotelischen Duktus als „exploratory“ begreife, ihre eigene Unterscheidung in „explanatory“ und „expository“ gegenüber.⁶³ Während die explanatorischen Prinzipien, wie etwa die VierUrsachen-Lehre und die Unterscheidung von Aktualität und Potentialität, offensichtlich seien, seien die expositorischen Prinzipien weniger offensichtlich, aber dennoch gegenwärtig. Das ‚pädagogische Prinzip‘ („pedagogical principle“) sehen sie dabei vor allem in Aristotelesʼ Grundsatz, von dem, was für uns besser zu erkennen ist, fortzuschreiten zu dem, was von Natur aus besser zu erkennen ist, sowie in seiner Auffassung von der Mehrdeutigkeit zentraler Begrifflichkeiten und des Verbots einer metabasis eis allo genos. ⁶⁴ Mit dieser Voraussetzung werden dann etwa Stellen, an denen Aristoteles auf der Grundlage von ihm noch nicht eingeführter Voraussetzungen argumentiert, damit erklärt, dass Aristoteles diese Voraussetzungen absichtlich erst später einführe.⁶⁵ Dem grundsätzlichen Anliegen, das Wians/Polansky verfolgen, ist einerseits recht zu geben: Sorgfältige Untersuchungen, die die Argumentation und ihre Darstellung zusammen in den Blick nehmen, sind nötig, um die Ordnungsstrukturen zu erkennen, nach denen Aristoteles seine Texte aufgebaut hat. Dabei ist der Kommunikationszusammenhang zu beachten, insofern Aristoteles seine Werke wohl nicht (nur) für sich selbst, sondern für eine – wie auch immer geartete – Rezeption schrieb und deswegen bestimmte Adressaten ansprechen wollte. Die einzelnen Argumentationseinheiten sind also stärker im Gesamtzusammenhang der ganzen Schrift zu betrachten, um so die inhaltliche und ggf. pädagogische und didaktische Systematik zu erkennen. Andererseits ist allerdings gegen den generalisierenden Zugriff von Wians/Polansky der Einwand zu erheben, dass die These vom insgesamt pädagogischen Zuschnitt der Pragmatien verwegen erscheint. Denn wenn sie so pädagogisch durchkomponiert sind: Warum hat ihre Durchdringung Rezipient_innen aller Zeiten seit der Antike so viel Kopfzerbrechen bereitet?⁶⁶ Außerdem wäre es für ein Urteil über ihre Durchkomponiertheit  Wians/Polansky (2017) 1: „Growing numbers of scholars have in recent years begun to approach an Aristotelian treatise not as a disconnected compilation of often tentative and exploratory arguments, but as a progressive unfolding of a unified position that may extend over one of its books, the entire treatise, or even across several works.“  Vgl. Wians/Polansky (2017) 1.  Wians/Polansky (2017) 1: „ … from Aristotle’s convictions about such matters as proper sequence and pedagogical method, the equivocity of key explanatory terms, and the need scrupulously to observe distinctions between the different sciences.“  Vgl. etwa GA I 2. 716a7 f.  Vgl. Wians/Polansky (2017) 4 selbst: „Therefore … the treatises seem designed to be challenging.“

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wichtig, die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung der Pragmatien in Beziehung zu setzen zu anderen Wissenschaftsliteraturen, wie den hippokratischen Schriften, aber auch ‚technischen‘ Werken und Handbüchern aus der Klassischen Zeit und dem frühen Hellenismus.⁶⁷ Darüber hinaus aber ist es vielfach durchaus schwierig, zu beurteilen, ob eine bestimmte Verfahrensweise das Ergebnis eines didaktischen Plans, den Aristoteles verfolgte, darstellt oder aber ob sie ein Merkmal einer wissenschaftlichen Schrift ist, in der der Forscher den Vollzug seines Erkenntnisprozesses anderen vermittelt. Ein Beispiel für die Möglichkeit einer solch unterschiedlichen Bewertung bestimmter Elemente stellt die Verwendung von Aporien dar. So stellt Buddensiek⁶⁸ die Frage, ob Aristoteles ,pädagogischʻ geschrieben habe, im Blick auf seinen Gebrauch von Aporien in Metaphysik B. Er verneint einen rein didaktischen Gebrauch der Aporien in diesem Zusammenhang und lässt die Möglichkeit offen, dass sie hier „Aristotleʼs own state of mind (while he was writing B)“⁶⁹ repräsentieren. Dass Aristoteles Aporien auf unterschiedliche, sowohl heuristische als auch didaktische, Weise verwenden kann, stellt Jessica Gelber in einem jüngst erschienenen Beitrag (2018) dar.⁷⁰ Für die Politik hat bereits Eckart Schütrumpf darauf hingewiesen, dass Aristoteles Ergebnisse „entwickelt“, aber nicht Ergebnisse vorstellt. Er spricht unter Anwendung eines von Mansion geprägten Begriffes von einer „Methode der ‚approximations successives‘“ ⁷¹ und weist auf der Basis anderer Untersuchungen darauf hin, dass Aristoteles so auch in anderen Werken vorgeht. Auf Aristoteles’ ‚prozessuale‘ Vorgehensweise wird im nächsten Kapitel „Charakteristika“ näher eingegangen.⁷² Dass Aristoteles immer wieder Voraussetzungen, die seinen Argumentationen unterliegen, nicht expliziert, ist nicht zwingend als Zeichen einer didaktischen Vorgehensweise, bei der er gewisse Dinge bewusst für später aufspart, zu deuten, sondern kann – unseres Erachtens plausibler – mit einer prozessualen Verfahrensweise, die Ergebnisse entwickelt, erklärt werden. Insbesondere das häufige Phänomen, dass Dispositionen in Form von Fragenkatalogen nicht eingehalten werden, spricht gegen eine durchgehende didaktische Planung. Das heißt

 So ist die aristotelische Rhetorik eben nicht ein Handbuch wie etwa das Handbuch des Anaximenes, sondern es bietet reflektierende Passagen. In dieser Hinsicht ist Lengens These zu korrigeren (Lengen 2002).  Buddensiek (2018).  Buddensiek (2018) 140 mit Anm. 7.  Gelber (2018). Siehe dazu unten, S. 42‒44.  Schütrumpf (1991) 110. Siehe die ausführlicheren Erläuterungen hierzu in Kapitel II, unten, S. 30.  Vgl. unten, S. 25‒31.

3 Die Stellung von De generatione animalium in Aristotelesʼ biologischem Werk

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selbstverständlich nicht, dass Aristoteles nicht mit Blick auf seine Adressaten schriebe, aber man kann seine Vorgehensweise eben nicht unter einen einheitlichen Erklärungsansatz fassen. So lässt sich sogar, über den Ansatz von Wians/ Polansky hinaus, feststellen, dass Aristoteles immer wieder ausgesprochen rhetorisch vorgeht. Dazu gehört nicht nur eine nach den Regeln der Kunst arbeitende rhetorische Polemik gegen andere Meinungen, wie sie GA etwa in der Auseinandersetzung mit den Hippokratikern und Vorsokratikern bietet,⁷³ sondern auch das Arbeiten mit Dichterzitaten, mit Anekdoten und mit Ausdrücken der Emotionalisierung. Hierzu gibt es erst Pilotstudien.⁷⁴ Insgesamt also muss man wohl angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands⁷⁵ eher vorsichtig sein damit, die Darstellungsweisen aristotelischer Pragmatien mit einer einheitlichen Theorie erklären zu wollen, bevor nicht mehr umfassende Untersuchungen vorliegen, die sowohl einzelne Pragmatien als ganze im Detail untersuchen als auch auf der Grundlage solcher Analysen Vergleiche der Pragmatien anstellen.⁷⁶

3 Die Stellung von De generatione animalium in Aristotelesʼ biologischem Werk Die biologischen Fachschriften sind Teil einer Gesamtkonzeption, die Aristoteles’ naturwissenschaftlichen Schriften zugrundeliegt:⁷⁷ Nach der Physik, die eine Einleitung in Grundbegriffe und Grundkonzeptionen darstellt, folgen De caelo, das den supralunaren Bereich und die sublunaren Elemente behandelt, De generatione et corruptione, das den nur im sublunaren Bereich anzutreffenden Phänomenen von Werden und Vergehen gewidmet ist, und die Meteorologica. An diese in der Einleitung der Meteorologica gegebene Reihenfolge schließt Aristo-

 Vgl. dazu unten, S. 18, 27.  Föllinger (2016).  Vgl. Flashar (2013) 63: „Die aristotelischen Schriften als ‚Literatur‘ zu lesen und zu analysieren, ist eine erst ansatzweise in Angriff genommene Aufgabe.“  Vgl. oben, S. 12‒14. Auf die Variationsbreite der aristotelischen Pragmatien wies Markus Asper hin. In seiner 2007 erschienenen Monographie, die einen Zugang zur Klassifikation antiker Wissenschaftstexte versucht, klammert er eine eigene Untersuchung der aristotelischen Lehrschriften zwar aus, vermerkt aber summarisch deren Bandbreite im Rahmen des von ihm zugrundegelegten Klassifikationsrasters von Mündlichkeit–Schriftlichkeit, Konsens–Konkurrenz und Persönlichkeit–Unpersönlichkeit. So stellt er die ausgeprägte Technik einer „immanente(n) Dialogisierung“ einem „Streben nach Un- oder besser Überpersönlichkeit“ gegenüber (245 ff., mit Bezug zu den aristotelischen Pragmatien ebd. 261).  Kullmann (2007) 141; vgl. auch Falcon (2017) 216 f.

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teles die Beschäftigung mit den Tieren und Pflanzen an (Mete. I 1. 339a5 – 9), wobei De partibus animalium I als ‚Programm der Biologie‘ am Anfang gestanden haben muss.⁷⁸ Für das Verhältnis der biologischen Schriften untereinander hat Wolfgang Kullmann, indem er zwischen systematischer und chronologischer Reihenfolge unterscheidet, „mit einigen Vorbehalten“⁷⁹ folgende „intendierte Abfolge“ des „biologischen Kurs[es]“ vorgeschlagen:⁸⁰ De partibus animalium I, Historia animalium, De anima, Parva naturalia, De motu animalium, De incessu animalium, De partibus animalium II–IV, De generatione animalium. ⁸¹ Als textlichen Beleg für die von ihm vorgeschlagene Systematik führt Kullmann (außer für die Abfolge PA – GA) allerdings einzig PA I 5. 645b14 ff., bes. b20 ff. an, indessen hält er „diese Ausführungen [für] nicht absolut eindeutig“.⁸² Darüber hinaus ist es fraglich, ob die Ankündigung τούτων γὰρ διορισθέντων τέλος ἂν ἡ περὶ τῶν ζῴων ἔχοι μέθοδος am Ende von Long. (467b8 – 9), die sich auf den hier noch bevorstehenden Abschluss von De iuventute und De vita et morte bezieht, rein chronologisch zu verstehen ist. So stellte Werner Jaeger den zweiten Teil der Parva Naturalia, bestehend aus diesen drei kurzen Abhandlungen, an den Schluss von Aristotelesʼ umfassenderen biologischen Kurs. Jaeger setzte, wie schon für die Metaphysik und für die Politik, auch für die Biologie einen „doppelten Vorlesungsturnus“ an,⁸³ um etwa dem Umstand zu begegnen, dass sowohl am Ausgang von PA (697b29 f.) als auch am Ende von MA (704b2 f.) die Behandlung der Genesis als nun anschließend (ἐφεξῆς ἐστὶ) bzw. nun noch ausstehend (λοιπόν) angekündigt wird.⁸⁴ Die „binary transition“⁸⁵ am Ausgang von MA, die im zweiten Teil direkt zu GA überleitet und in ihrem ersten Teil auf die Schriften PA (mit IA), De anima, De sensu, De somno, De memoria und De motu selbst zurückverweist (unter Vertauschung der Abfolge von De memoria und De somno und unter Auslassung der an De somno anschließenden Abhandlungen De insomniis und De divinatione per

 Lennox (2001) 119; Kullmann (2007) 142. Allerdings ist eine Schrift „Über die Pflanzen“ nicht erhalten.  Kullmann (2007) 146.  Kullmann (2007) 144– 146.  Im Folgenden werden die im Liddell-Scott-Jones gegebenen Abkürzungen verwendet.  Kullmann (2007) 145. In der Tat führt Aristoteles an dieser Stelle ja unter den praxeis, die er vorab (i. e. vor den moria) behandeln möchte (λεκτέον ἄρα πρῶτον τὰς πράξεις …, 645b20 – 22), auch, und sogar an erster Stelle, die genesis, an dritter Stelle die ocheia an, wohingegen GA in Kullmanns Systematik an letzter Stelle steht.  Jaeger (1913) 38 f. mit Anm. 1.  Diese Diskrepanz hatte bereits Francesco Cavalli am Ende des 15. Jhdts. zur Athetese des letzten Satzes von PA geführt, vgl. Falcon (2017) 221, Anm. 16.  Der Ausdruck stammt von Reviel Netz (Netz 2001). Siehe hierzu Kapitel II, S. 32.

4 Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung

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somnum), ist nach Corcilius,⁸⁶ im Anschluss an Morel,⁸⁷ ebenfalls nicht chronologisch, sondern systematisch aufzufassen: De motu setzt, im Anschluss an den ‚psychophysischen‘ ersten Teil der Parva Naturalia, die in De anima III 10. 433b19 – 21 angekündigten und mit De sensu begonnenen Befassungen mit τοῖς κοινοῖς σώματος καὶ ψυχῆς ἔργοις (433b20; vgl. De sensu 436a6– 11) fort und schließt sie, vor dem Übergang zu GA, auch ab.⁸⁸ Zwar sind „Fortpflanzung und Zeugung … selbstverständlich auch Körper und Seele gemeinsam und außerdem auch eine praxis vieler … Lebewesen“, die fünf Bücher De generatione animalium „spreng(en) aber offenbar den Rahmen der Parva naturalia.“⁸⁹ Andererseits führt GA erklärtermaßen zwei Stränge der Untersuchung zusammen (ὁ λόγος εἰς ἓν συνήγαγε, 715a15 f.) und schließt so auch an die Behandlung der Teile in PA (und IA) an, um die Sexualorgane als letzte der ,Teile‘ (τελευταῖα ταῦτα, 715a16 f.) abzuhandeln. Aber wie auch immer man die Argumentationen im Einzelnen bewerten möchte: Es lässt sich festhalten, dass GA eines der letzten Werke, wenn nicht sogar das letzte Werk des biologischen Zyklus war. In PA finden sich mehrere Vorausverweise auf eine Theorie der Ernährung, die zum Teil auf die verlorene (oder nur geplante⁹⁰) Schrift Περὶ τροφῆς (oder Περὶ αὐξήσεως καὶ τροφῆς), wie sie in GA selbst angekündigt wird (V 4. 784b2 f.), verweisen, mindestens einmal jedoch explizit auf GA bezogen sind (PA III 5. 668a8 f.; ebenso De sensu 442a3): Ernährung und Fortpflanzung führt Aristoteles auf ein und dasselbe Seelenvermögen, τὸ θρεπτικόν, zurück (GA II 1. 735a15– 20).⁹¹

4 Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung Die Schrift De generatione animalium hat für Aristotelesʼ Biologie eine zentrale Bedeutung, weil er in ihr das groß angelegte Projekt verwirklicht, eine Zeugungstheorie zu entwickeln, die empirische Fakten in Begründungszusammenhänge integriert und das Phänomen der Geschlechtlichkeit begründet. Die aristotelische Zeugungstheorie ist aber nicht nur als Produkt eines wissenschaftlichen Zugriffs auf

 Corcilius (2018) 179.  Morel (2013) 123 f.  An die Jaegersche Systematik für den umfassenderen biologischen Kursus (s. o.): HA, PA, IA, de An., PN I, MA, GA, PN II schließt sich „in vielen Teilen“ etwa auch Primavesi (2018) CLXXf. (mit Anm. 30) an.  King (2021) 116.  In den überlieferten Schriftenverzeichnissen ist ein solcher Titel nicht aufgeführt.  Vgl. hierzu Pellegrin (2018) 79 – 88.

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mit den damaligen empirischen Mitteln schwer zu greifende Sachverhalte (die Eizelle wurde erst im 19. Jh. entdeckt) von Bedeutung, sondern spielte auch rezeptionsgeschichtlich eine wichtige Rolle, etwa wenn Thomas von Aquin über Zwischenstufen die aristotelische Konzeption der Geschlechterdifferenz rezipiert.⁹² Für die Begründungen dieser aitiologischen Schrift rekurriert Aristoteles auf Konzeptionen, die er in seinen Werken Metaphysik, Physik und De generatione et corruptione dargelegt hat. Denn mit dem Ziel, eine einheitliche Theorie für alle Phänomene der Fortpflanzung inclusive solcher, die die heutige Biologie als ‚Vererbung‘ bezeichnet, zu entwickeln, erklärt Aristoteles sie ausgehend von seinem Philosophem der Vier-Ursachen-Lehre und weist der kinēsis eine zentrale Rolle zu. In der Argumentation und Präsentation der Theorie selbst spielt die Auseinandersetzung mit Gegenmeinungen, wie etwa der hippokratischen ZweiSamen-Lehre, eine wichtige, von der Forschung erst in Ansätzen untersuchte Rolle. All dies sorgt dafür, dass GA einen hohen Komplexitätsgrad aufweist. Dies wird auch darin deutlich, dass Aristoteles immer wieder mit Voraussetzungen arbeitet, die er entweder explizit benennt, wie in GA I 1, oder implizit zugrundelegt.⁹³ Angesichts der Bedeutung und des Anspruchs dieser Schrift ist es umso bedauerlicher, dass sich die Forschung ihrer erst in Ansätzen angenommen hat, auch wenn ein gerade in den letzten Jahren erstarkendes Interesse an ihr festgestellt werden kann. So fehlt nicht nur eine moderne deutsche Gesamtübersetzung, sondern GA ist auch noch nicht durch durchgängige und umfassende Kommentare erschlossen,⁹⁴ so dass wir im Rahmen unserer Analyse auch immer wieder erst einmal grundlegende Verständnisprobleme klären mussten. Die Ergebnisse unserer sukzessiven Detailanalyse legen wir in drei unterschiedlichen Zugriffen vor: Das sich anschließende Kapitel II bringt einen systematischen Überblick über die wichtigsten Ergebnisse der Detailanalysen, indem wir sie in zentrale Kategorien gliedern. Die dann folgenden Kapitel III-VI bieten die textnahen Analysen der Bücher I–IV, die die Argumentation und die sprachlich-stilistische Gestaltung Schritt für

 Siehe Föllinger (2010c). Vgl. dazu unten, S. 56.  Vgl. unsere Analyse, passim. Zur Problematik, wie man die Tatsache, dass Aristoteles immer wieder bestimmte Voraussetzungen, die er für Argumentationen benutzt, erst an späterer Stelle einführt, vgl. S. 45.  Übersetzungen (mit Anm.): Aubert und Wimmer (1860); Peck (1943; korr. Nachdr. 1953; 1963); Lanza (1971); Balme (1972; Nachdr. 1985; erw. Nachdr. 1992) (Buch I und Passagen aus II 1– 3, mit Komm.); Lefebvre (2014); Reeve (2019); Monographie: Connell (2016); Sammelbände: Falcon/ Lefebvre (2018); Föllinger (2022).

4 Der Aufbau der vorliegenden Untersuchung

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Schritt nachvollziehen und einordnen. Die detaillierte Untersuchung soll allen, die sich näher mit GA befassen, eine Hilfe für das Verständnis dieses schwierigen und in seiner Komplexität gerade faszinierenden Textes bieten. Bei Buch V haben wir auf eine Analyse verzichtet. Dies liegt zum einen daran, dass es eine gewisse Sonderstellung innehat, zum anderen, dass aufgrund seines Duktus eine Analyse allzu schematisch ausfallen würde. Was die Darstellungsweise angeht, so haben wir bei der Analyse von Buch I die verschiedenen Perspektiven der Untersuchung miteinander verflochten. Dadurch ist dieses Unterkapitel umfangreicher ausgefallen, aber auch die Komplexität der aristotelischen Darstellung wird besonders deutlich. Bei den Analysen der Bücher II–IV haben wir die Untersuchungsergebnisse jeweils untergliedert in ‚Inhalt‘, ‚Abgeschlossenheit des Kapitels‘, ‚Struktur‘, ‚Argumentation und sprachliche Gestaltung‘ und ‚Vernetzung‘, wobei die Analyse der Kapitel II 1– 3 aufgrund ihrer engen Zugehörigkeit zu Buch I etwas anders strukturiert ist. Auf diese Weise sollten unterschiedliche Möglichkeiten ausprobiert werden, wie man die Analyseergebnisse gut vermitteln kann. Ein Katalog zentraler Begriffe, Iunkturen und Formulierungen schließt die Untersuchung ab (Kapitel VII). Die Ergebnisse, die in Form des systematischen Überblicks über die Charakteristika des aristotelischen Schreibens in GA (Kapitel II) und des Katalogs (Kapitel VII) dargeboten werden, sind über den Erkenntniswert für GA selbst hinaus als ‚Repertoire‘ für alle Aristotelesforscher_innen gedacht. Sie sollen ein Ausgangspunkt sein für weitere Untersuchungen, die die Besonderheiten der aristotelischen Pragmatien als ‚Wissenschaftsliteratur‘ erschließen wollen. Bei der Einordnung von Argumentationen und Stellungnahmen zu der Frage, in welchem Verhältnis die sprachliche Präsentation zur Argumentation steht, können Bewertungen nicht ausbleiben. Diese sind etwa dergestalt, dass wir Beweisgänge unter logischen Gesichtspunkten als nicht zwingend bezeichnen oder darauf hinweisen, dass mitunter diese Defizienz durch eine bestimmte Ausdrucksweise, die logische Stringenz suggeriert, verschleiert wird. Auch arbeiten wir heraus, wo Aristoteles offensichtlich bemüht ist, seine Theorie als die überlegene darzustellen, und zu diesem Zweck auch eine durchaus polemische Auseinandersetzung mit anderen Meinungen betreiben kann oder wo er durch emotionalisierende Ausdrücke Sachverhalte in ein bestimmtes Licht rücken will. Bei all diesen Urteilen ist unser Ziel nicht, dadurch ein Psychogramm der historischen Person ‚Aristoteles‘ zu erstellen, sondern zu verstehen, mit welchen Mitteln der Text Erkenntnis generiert und vermittelt.

Kapitel II

Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA 1 Die Makrostruktur von GA 1.1 Die Planung des Werks im Ganzen Dass GA ein einheitlich konzipiertes Werk darstellt, wurde bereits von verschiedener Seite überzeugend dargelegt.¹ Vor allem der Beitrag von Gotthelf und Falcon² hat den ‚Roten Faden‘, der durch das gesamte Werk führt, deutlich gemacht: Dem Aufbau von GA liege, so die Autoren, Aristoteles’ These zugrunde, dass im Rahmen geschlechtlicher Fortpflanzung ein Prozess stattfinde, innerhalb dessen ,Form‘ aktiv übertragen werde, um auf die weibliche Materie zu wirken, was je nach Tierart auf unterschiedliche Weise geschehe. Auch Lefebvre (2018) weist auf die einheitliche Konzeption hin, sieht aber im Unterschied zu dem Beitrag von Gotthelf und Falcon in demselben Band das Ziel von GA nicht in einer Behandlung der der Zeugung dienenden Teile, so dass GA die Schrift De partibus animalium fortführen würde, sondern in der engen Verbindung der Behandlung der der Zeugung dienenden Teile, wozu ja auch die homogenen Teile gehören, mit der Behandlung der Bewegungsursache. Dieses Programm kann Lefebvre plausibel aus dem Proömium in I 1 gewinnen und in der Struktur von GA I 1 und seiner Fortsetzung im übrigen Werk wiedererkennen. Leunissen³ folgend kann man GA in vier große Abschnitte einteilen: I 1–II 3 behandelt die Prinzipien der Fortpflanzung, die Geschlechtsorgane und die Zeugungsbeiträge ‚Samen‘ und ‚Katamenien‘ und verschiedene Fortpflanzungsarten. In II 4 bis III 11 behandelt Aristoteles die Entwicklung des Embryos vom ersten Beginn bis zur Reife. Thema von Buch IV sind die Geschlechtsdifferenzierung, ‚Vererbungsphänomene‘ und verschiedene Besonderheiten. Buch Vgeht auf Merkmale ein, die sich nach der Geburt entwickeln. Da Buch V die Entwicklung körperlicher Merkmale nach der Geburt behandelt, wurde die Vermutung geäußert, es habe eigentlich nicht zu GA gehört. Insbesondere Liatsi⁴ führt Argumente dafür an, dass es ursprünglich ein eigenständiges Werk ge-

 Für PA hat Wolfgang Kullmann auf die Quer- und Rückverweise hingewiesen, die deutlich machten, dass diese Schrift „sehr sorgfältig aufgebaut“ sei. Außerdem spreche eine „partielle ,Ringkomposition‘ des Inhalts“ für eine nicht nachträglich überarbeitete „,Erstfassung‘“. Vgl. Kullmann (2007) 137. Siehe auch Flashar (2004) 256.  Gotthelf/Falcon (2018).  Leunissen (2018).  Liatsi (2000). https://doi.org/10.1515/9783110774863-003

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

wesen sei, und sieht eine engere Verknüpfung von GA V mit PA II–IV, den Parva naturalia (besonders De sensu), De anima und Mete. IV. Gotthelf und Falcon⁵ wiederum wiesen darauf hin, dass für Aristoteles die Entwicklung eines Menschen erst dann zur Reife gelangt ist, wenn alles, was zu ihm gehört, vollendet ist. Deshalb sei die Entstehung eines ‚form-identischen‘ Nachwuchses nicht bereits mit der Geburt beendet, sondern dann, wenn alle Merkmale voll entwickelt seien, was die nachgeburtliche Entwicklung mit einschließe.⁶ Eine Ausweitung des Arguments für die Zugehörigkeit von Buch V zu GA bringt Corcilius in einem rezenten Beitrag.⁷ Auf der formalen Ebene wird die Einheitlichkeit des ganzen Werkes dadurch hergestellt, dass immer wieder der Begriff logos im Sinne ‚einer großen Argumentationslinie‘ gebraucht wird, wie Gotthelf und Falcon zeigen konnten.⁸ Diese beginnt in I 1. 715a15 f. Hier erscheint der λόγος personalisiert (ὁ λόγος εἰς ἓν συνήγαγε), als ob die Darlegung sich selbst disponiere, und erweckt so den Eindruck einer Eigendynamik. Im Folgenden leitet dieser ‚Rote Faden‘ weiter durch das Werk, etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, wenn mit ihm in II 1 der Bogen geschlagen wird zum Beginn von Buch I. Hinweise auf eine Disposition auf der Makroebene im Sinne einer bestimmten intendierten Reihenfolge sind die Formulierung περὶ ὧν καιρός ἐστιν εἰπεῖν in I 16. 720a28 f., die auf den Anfang des zweiten Kapitels zurückgreift, wo von κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα λόγον (716a2 f.) die Rede war. Dies ist eine Formulierung, die sich ähnlich auch am Beginn der Eudemischen Ethik findet (I 1. 1214a13 f.: κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα καιρόν), wo ein solches Vorgehen zur Methode erklärt wird. Auf der inhaltlichen Ebene wird eine Einheit vor allem dadurch erreicht, dass Aristoteles immer wieder betont, das Ziel sei, eine einzige Theorie zu bieten, die alles erklären könne, und seine eigene Theorie sei dazu imstande. Auch dieses Element zieht sich wie ein Leitfaden durch das Werk.⁹ Vor diesem Hintergrund, eine einheitliche Theorie bieten zu wollen, muss wohl überhaupt die Argumentation in GA gesehen werden.¹⁰

 Gotthelf/Falcon (2018).  Gotthelf/Falcon (2018) 33 f.  Corcilius (2022).  Das haben Gotthelf und Falcon (2018) 21 überzeugend gezeigt. Die beiden Autoren übersetzen λόγος mit „argument“ und sehen die Berechtigung dafür in der Kohärenz der Darlegung („logical narrative in which subsequent components build on previous components, [which] together … form a unity leading up to a single complicated thesis“).  GA I 5. 717b28, III 1. 749a26: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν δι’ ἥνπερ καί; III 1. 750b18: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν δι’ ἥνπερ οὐδέ; III 8. 758a11 f.: καὶ ταῦτα πάντα διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν; IV 2. 767a3: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν; 767a29: διὰ τὰς αὐτὰς αἰτίας; IV 4. 770a24: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν; 771b12 f.: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν; V 1. 780b4: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν δι’ ἥνπερ; V 6. 786a16: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν.  Vgl. dazu unten, S. 34.

1 Die Makrostruktur von GA

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Dass Aristoteles die von ihm vertretene Theorie im Großen und Ganzen bereits vor Augen steht, also der Rahmen für die Großplanung schon gegeben ist, wird gerade dort deutlich, wo Voraussetzungen gemacht werden, die eigentlich erst später eingeführt werden. So setzt Aristoteles in GA I 1 schon voraus, dass die Bewegungsursache durch den männlichen Geschlechtspartner vermittelt wird, führt aber erst später diese These explizit ein und beweist sie umfangreich (I 2 bzw. I 21). GA I 2 geht davon aus, dass der männliche Partner den Bewegungsursprung vermittelt, der weibliche die Hyle; aber diese Anschauung ist ja eigentlich der ‚Clou‘ der aristotelischen Fortpflanzungstheorie und wird von ihm später sozusagen triumphal ein- und ausgeführt und bewiesen (I 21– 22). GA I 18. 723a23–b5 setzt eine bestimmte Proportion von männlichem Beitrag und weiblichem Beitrag voraus. In IV 2. 767a15 ff. erklärt Aristoteles, was er hier unter symmetria verstehen möchte.

1.2 Zeichen von Prozessualität auf den Mikroebenen und ‚epistemisches Schreiben‘ Aber auch wenn GA ein Werk ist, das eine Großplanung aufweist – die etwa durch innere Verweise auf schon Ausgeführtes oder noch Auszuführendes sichtbar wird –, gibt es innerhalb dieses Werkes durchaus Anzeichen dessen, was man ein ‚prozessuales‘ Vorgehen nennen kann. Dieses ist daran zu erkennen, dass Aristoteles keine systematische Arbeit vorlegt, die eine Fragestellung hierarchisch strukturiert und die Punkte folgerichtig bis in das letzte Detail abarbeitet. Vielmehr gleitet die Behandlung von Fragestellungen immer wieder von der eigentlichen Hauptlinie ab, so dass sich Teilfragen verselbständigen. Ein Zeichen davon ist das recht häufige Phänomen, dass Aristoteles einen Fragenkatalog, der am Anfang einer Untersuchung ein zu behandelndes Problem in Teilfragen gliedert, nicht systematisch abarbeitet oder des öfteren bei der Diskussion von Einzelproblemen von der eigentlichen Fragestellung, zumindest vorübergehend, abkommt oder aber Probleme mit aufnimmt, die eigentlich schon erledigt oder nicht genannt waren. So wird in GA I 1. 715a18 ff. die Klassifikation der Tiere nicht so, wie erwartet, fortgeführt. Ein ähnlicher Fall ist I 3, wo ein Perspektivenwechsel stattfindet.¹¹ Ein weiteres Zeichen der Prozessualität ist der – auch in anderen aristotelischen Werken anzutreffende – Umstand, dass Aristoteles bei Schwierigkeiten, die sich auftun, mit ad hoc-Prämissen arbeitet, die bisher nicht eingeführt waren

 Vgl. hierzu unten, S. 102.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

und/oder mitunter auch nicht unbedingt valent sind. Ein Beispiel hierfür ist II 1. 732a3 – 9. Hier operiert er mit der ad hoc zugrundegelegten Prämisse, es sei besser, wenn der höherwertige Teil und der minderwertige Teil getrennt seien, um zu begründen, warum es eine Trennung in zwei Geschlechter gibt.¹² Auch die Tatsache, dass Aristoteles immer wieder Modifikationen an seiner Theorie anbringt, die sogar bis zu Widersprüchlichkeiten führen können, kann man unseres Erachtens mit seinem prozessualen Vorgehen begründen. Ein eklatanter Fall ist der von der Forschung beobachtete und diskutierte Widerspruch zwischen Aristoteles’ genereller Zeugungstheorie, wie er sie in GA I 17– 23 und GA II entwickelt, und seiner Erklärung der Weitergabe individueller Merkmale der mütterlichen Linie in IV 3.¹³ Die Prozessualität aristotelischen Schreibens lässt sich auf der Basis des von Föllinger in früheren Publikationen¹⁴ entwickelten Ansatzes am besten damit erklären, dass der aristotelische Text das Produkt eines Schreibens ist, in dem das Schreiben selbst zur Theoriebildung beiträgt, insofern es das Material in einen logischen Zusammenhang ordnet. Dass Schreiben im wissenschaftlichen Kontext eine solche Funktion haben kann, ist das Ergebnis der modernen ‚Schreibforschung‘. Sie untersucht den Zusammenhang zwischen Wissen und Schreiben und fragt danach, welche Wirkung das Schreiben auf das Denken hat. Eine Art von Schreiben, bei dem das Schreiben selbst als Mittel im Denkprozess eingesetzt wird und „zu einer Form des Weiterverarbeitens des Wissens“¹⁵ genutzt wird, „sei es klärend-präzisierender Art, sei es umstrukturierender Art“¹⁶, wird ‚epistemisches Schreiben‘¹⁷ genannt. Der Schreibende bedient sich des Schreibens, um mit ihm, Schritt für Schritt voranschreitend, Probleme zu lösen. Die Autoren, die auf diese Weise den Schreibprozess selbst nützen, haben „ein Verhalten, das als Problemlösen beschrieben werden kann, schrittweises Vorgehen, Zwischenzielbildungen auf sachlicher Ebene, aber eben eingebettet in zunächst globale, dann mit Fortschreiten des Klärungsprozesses im Zuge des Arbeitens am Text spezifischere“¹⁸ Prozesse. Mit diesem Ansatz, dass das Schreiben selbst einen Prozess wissenschaftlicher Theoriebildung steuert, lassen sich Widersprüchlichkeiten erklären, die man

 Vgl. dazu unten, S. 189.  Vgl. hierzu Föllinger (1996a) 178 f.; Connell (2016) 81– 84 mit Diskussion der Forschungsliteratur.  Föllinger (1993); Föllinger (2012).  Eigler u. a. (1990) 18, vgl. 53 und 57.  Eigler u. a. (1990) 18  Eigler u. a. (1990) 18.  Eigler u. a. (1990) 53. Siehe auch Föllinger (2012) 243.

1 Die Makrostruktur von GA

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in GA immer wieder findet. Dies gilt auch für den oben erwähnten Widerspruch von IV 3 zu Aristoteles’ allgemeiner Zeugungstheorie: In seiner generellen Zeugungstheorie stellt Aristoteles dem weiblichen Zeugungsbeitrag, der in der Materialursache besteht, den männlichen Zeugungsbeitrag als Form, Wirk- und Finalursache gegenüber und betrachtet die Entstehung eines weiblichen Nachkommen als erste Deviation von der Form.¹⁹ Der ganze Prozess erscheint als etwas Asymmetrisches, bei dem das aktive Prinzip auf das passive einwirkt. Dann aber, in IV 3, rechnet Aristoteles ‚auf einmal‘ mit der Möglichkeit, dass der weibliche Zeugungsbeitrag aktiv Merkmale weitergibt.²⁰ Dabei sind seine Ausführungen in IV 3 insofern überraschend, als er, statt des bisher eher singularisch gebrauchten Begriffs dynamis,²¹ plötzlich von dynameis im Plural spricht und nun auch den bisher singularisch für den männlichen Zeugungsbeitrag gebrauchen Begriff kinēsis im Plural (kinēseis) verwendet und damit die Überträger bestimmter Eigenschaften der Eltern meint. Hier handelt es sich um eine bei Aristoteles des öfteren zu beobachtende latente Bedeutungsveränderung eines Begriffs.²² Solche eigenständig wirkenden kinēseis haben nun, ohne dass Aristoteles dieses weiter begründen würde, auch die weiblichen Katamenien, so dass sie eigenständig Merkmale weitergeben können. Bei der Frage, wie es im Einzelnen zu ‚Vererbungsphänomenen‘ kommen kann, benützt Aristoteles dann dieselbe Metaphorik des kratein ²³, derer sich die von einer Symmetrie der Zeugungsbeiträge ausgehenden pangenetischen Anschauungen der Hippokratiker bedienten, die Aristoteles ja eigentlich vehement bekämpft. Hinzu kommt, dass Aristoteles auf einmal mit vorher nicht genannten Erklärungen, die er terminologisch als lyesthai und existasthai fasst, arbeitet, so dass man den Eindruck gewinnt, dass er hier ad hoc ein Problem durch einen ersten Zugriff zu lösen sucht.²⁴ Die Modifikation der Ausgangstheorie, die bis zu dem (jedenfalls partiellen) Widerspruch seiner Ausgangstheorie reicht, geschieht ‚unter der Hand‘; denn Aristoteles bringt seine Modifikation und seine Ergänzungen an, ohne sie eigens

 Vgl. Föllinger (1996a) 138 – 169.  Vgl. zum Folgenden Föllinger (1996a) 173 – 179.  In I 2. 716a24 wird δυνάμεσι für die bestimmten Vermögen eines Lebewesens ganz allgemein gebraucht, in I 18. 725b14 steht der Ausdruck δυνάμεις in etwas unspezifischem Sinne, nämlich bezogen auf Residuenanteile, die in manchen Fällen zusammen mit dem Sperma sezerniert werden und pathologische (725b14 f.) ‚Potenzen‘ transportieren. In I 20. 729a27 bezeichnet δυνάμεις ‚männlich‘ und ‚weiblich‘, also die beiden Geschlechter, ebenso in I 23. 731a1 und in IV 1. 763b23.  Vgl. hierzu S. 54.  Zur Metaphorik vgl. unten, S. 64‒65.  So spricht selbst Wians davon, dass Aristoteles’ Darlegung „admittedly sketchy“ sei (Wians 2017, 254).

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

zu begründen. Eine solche Diskrepanz lässt sich am besten damit erklären, dass Aristoteles Problemlösungen prozessual entwickelt, da im Verlauf des strukturierenden und präzisierenden Schreibens spezielle Probleme, wie das der Ähnlichkeiten der Nachkommen mit der matrilinearen Line auftauchen, die der Lösung bedürfen. Dieser Ansatz scheint tragfähiger zu sein als die von Wians/ Polansky vertretene These,²⁵ Widersprüchlichkeiten seien scheinbarer Natur und das Resultat eines bewussten und aus didaktischer Absicht erfolgenden Vorgehens des Aristoteles, der erst nach und nach den ganzen Wissenskomplex „entfalte“²⁶, um den Rezipienten nicht zu überfordern. Für den genannten speziellen Fall stimmt es zwar, wie Wians in einem Beitrag zu GA hervorhebt, dass Aristoteles an verschiedenen Stellen in GA auf später verweist,²⁷ was von einer Planung auf der Makroebene zeugt. Auch könnte man sagen, dass Elemente, die Aristoteles’ Vererbungslehre in Buch IV überraschend erscheinen lassen, vorher implizit angelegt sind. So kann man sagen, dass die Formulierung, das Menstruationsblut sei nicht bis zum Ende verkochter Samen (I 19. 726b30 – 727a2; I 20. 728a26 f.; II 3. 737a287– 29; sowie mit explizitem Rückverweis IV 5. 774a2 f.)²⁸ implizit darauf vorverweist, dass das Menstruationsblut latent ‚Erbinformationen‘ enthält.²⁹ Aber dies ist eine logische Verbindung, die der moderne, das Werk mehrmals durchgehende Leser zieht. Aristoteles selbst tut dies nicht. Vielmehr spricht er in Buch IV plötzlich von dynameis und von kinēseis (im Plural), und er bindet nicht die Ausführungen in Buch IV, wie er dies sonst mitunter tut, durch Rückverweise an die früheren Ausführungen an. Dass Aristoteles also ‚mit Absicht‘³⁰ diese Erklärungen, und zwar genau diese Erklärungen, jetzt erst – in Buch IV – einführt, erscheint gerade unter didaktischen Gesichtspunkten nicht plausibel bzw. nur dann, wenn man als Prinzip voraussetzt, dass er aus didaktischen Gründen Erklärungen erst nach und nach gibt, was aber eine petitio principii wäre.³¹

 Zu dem von Wians/Polansky vertretenen Ansatz vgl. die Einleitung, oben, S. 12‒14.  Wians (2017) 248: „unfolding“.  Wians (2017).  Vgl. hierzu Föllinger (1996a) 143 – 146.  Außerdem ist der hyle-Begriff bei Aristoteles komplexer und umfasst nicht nur die Eigenschaft eines ‚unbearbeiteten‘ Stoffes. Vgl. dazu Föllinger (1996a) 142 f.  Wians spricht von „intentionally“ (Wians 2017, 239).  Die Gefahr der petitio principii scheint ein Grundproblem des von Wians und Polansky vertretenen Ansatzes zu sein, auch wenn ihnen prinzipiell zuzustimmen ist, dass man die aristotelischen Werke auch unter didaktischer Perspektive betrachten muss (vgl. oben, Einleitung, S. 12‒ 14). Vgl. auch die Erklärung von Connell, die den Widerspruch dadurch abzumildern versucht, dass sie im Anschluss an Henry (2006) und Gelber (2010) zwischen „explanations involving principles so general as to cover all existent things“ (Connell 2016, 83) und der Anwendung von „more specific principles“ (ebd.) unterscheidet.

1 Die Makrostruktur von GA

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Überzeugender scheint also in diesem Fall die Ansicht, dass diese Modifikation unter dem Gesichtspunkt der Textproduktion ein Teil eines ‚Prozesses‘ ist, innerhalb dessen der Autor versucht, durch die Entwicklung einer Theorie Ordnung in das ‚Material‘ zu bringen.³² Das ‚Material‘ sind hier die unterschiedlichen Phänomene, die zum Bereich von Zeugung und Vererbung dazugehören. Um diese zu erklären, arbeitet Aristoteles mit Modifikationen und neuen ad hoc-Annahmen. Diese konzentrieren sich jetzt – in Buch IV – stärker auf die Materialursache.³³ Denn während für die Geschlechtsentstehung Aristoteles’ asymmetrisches Modell noch funktioniert (wenngleich er hier in den ‚Begründungsdruck‘ gerät, warum das weibliche Geschlecht als ‚Devianz‘ nicht widernatürlich ist³⁴), ist dies für weitere Phänomene, die es ‚auch noch‘ zu klären gilt, nicht der Fall. Er muss also seine Ausgangstheorie ergänzen, um weitere Phänomene zu integrieren, und dies tut er im Verlauf der Entwicklung der Theorie. Ein Fall, in dem man sozusagen an dem Prozess teilnehmen kann, mit dem Aristoteles seine Aitiologien entwickelt, ist I 8: Der Ausgangspunkt ist die Vielfalt der Phänomene, das Ziel die Erklärung durch eine einheitliche Theorie.³⁵ Ein weiteres Indiz für Aristoteles’ prozessuales Vorgehen kann man in einem zentralen Beispiel einer nicht folgerichtig durchgehaltenen Strukturierung finden: Am Schluss von I 16 wird im Zusammenhang mit der metatextlichen Bemerkung zum weiteren Vorgehen auf ‚gonē‘ und ‚Milch‘ als noch zu behandelnde Themen verwiesen. Aber die Milch wird erst in Buch IV und dann nur relativ kurz behandelt; auch spielt sie für die Zeugungstheorie keine so wichtige Rolle. Gerade deshalb scheint diese Merkwürdigkeit eher ein Zeichen für prozessuales Vorgehen zu sein als für ein im Sinne von Wians und Polansky³⁶ didaktisches Vorgehen, das den Inhalt erst nach und nach entfaltet. Das prozessuale Vorgehen wird vor allem bei der oben genannten Gestaltung von Fragenkatalogen und deren ‚Abarbeiten‘ deutlich. So werden immer wieder die in einem Fragenkatalog gestellten Fragen nicht alle oder nicht alle explizit beantwortet, sondern Aristoteles ‚gleitet‘ zu einem verwandten Thema über, wie in II 3, oder ein Fragenkatalog wird nicht komplett durchgeführt wie in IV 1. In I 17 wird der Fragenkatalog nicht wie angegeben behandelt, sondern er wird erweitert und dabei auch um Fragen, die keine problēma-Fragen sind, ergänzt. Gerade diese Stelle zeigt die Gleichzeitigkeit einer Planung im Großen und einer Prozessualität auf den Mikroebenen gut, weil im Rahmen der Erweiterung des Fragenkatalogs     

Vgl. hierzu unten, zum epistemischen Schreiben, S. 25‒31. Vgl. unsere Analyse von Buch IV. Vgl. unsere Analyse zur Stelle, unten, S. 355‒357. Vgl. dazu unten, S. 113‒118. Vgl. hierzu S. 12‒14.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

die Frage nach der Natur der Katamenien gestellt wird, die sich im Namen dieses Katalogs aber nicht von selbst versteht. Auch Aporien können Teil des prozessualen Vorgehens sein, insofern sie zu der Entwicklung eines Gedankenganges beitragen, da sie ein Problem von verschiedenen Seiten beleuchten. Dies haben Jessica Gelber für GA und schon früher Eckart Schütrumpf für die Politik herausgestellt.³⁷ Dieser sieht Aristoteles’ Vorgehen in der Politik insgesamt als ein Verfahren an, das Ergebnisse „entwickelt“, aber nicht Ergebnisse ‚vorstellt‘, und bezeichnet dieses mit einem von Mansion geprägten Begriff als „Methode der ‚approximations successives‘“³⁸. Auch Edward Halper betont als Resultat seiner Analyse der Physik Aristoteles’ prozessuales Vorgehen, mit dem dieser den Leser in die philosophische Suche einbindet: „To read Aristotle is to do philosophy with him.“³⁹ Er vertritt die Ansicht, dass man Aristoteles’ Pragmatien weder als systematische Darstellung und Verteidigung von Thesen noch als Entfaltung seiner eigenen ungelösten Fragestellungen betrachten könne, sondern einen dritten Weg beschreiten müsse, indem man die Pragmatien als den Leser einbindende, gezielt vorgehende philosophische Suche verstehen müsse. Diese Ansicht berührt sich mit der hier vertretenen insofern, als unserer Auffassung zufolge Aristoteles’ epistemisches Schreiben den Weg seiner Erkenntnisgewinnung nachvollziehbar macht.⁴⁰ Allerdings scheint Halpers Anschauung zu generalisierend. Denn zum einen müsste sie für jede einzelne Pragmatie geprüft werden.⁴¹ Zum anderen veranschlagt er den Grad der Planung doch zu hoch – so stellt er selbst fest: „Often Aristotle tells us little about the steps or the progress of an inquiry“.⁴² Für GA lässt sich sagen, dass trotz der Planung auf der Makroebene eine bestimmte Spontaneität auf der Mikroebene vorhanden ist, wie die bereits genannten Punkte zeigen. Mit dieser hängt auch der teilweise auffallend diskursive Charakter der Pragmatie zusammen, auf den unten noch einzugehen sein wird.⁴³

 Gelber (2018). Schütrumpf (1991).  Schütrumpf (1991) 110. Den Begriff „approximations successives“ übernimmt Düring (1961) 17, 18 f. u. 37 von Mansion (allerdings ohne genaue Quellenangabe). Siehe auch den in dem Sammelband von Wians/Polansky veröffentlichten Beitrag von van der Eijk, der nicht die von den Herausgebern vorgeschlagenen Kategorien „explanatory“ und „expository“ benützt, sondern in Rückgriff auf Kinneavys „exploratory discourse“ den Begriff „exploratory“ verwendet, wobei er dieses Verfahren eher als eine didaktische Methode im pragmatischen Kontext ansieht (van der Ejik 2017, 188 mit Anm. 15).  Halper (2017) 96.  Vgl. Halper (2017) 96: „We can follow his moves by thinking through what is at issue.“  Vgl. etwa das andere Ergebnis, das Zingano im demselben Sammelband für die Metaphysik erzielt (Zingano 2017, 8 f.).  Halper (2017) 96.  Vgl. dazu unten, S. 46‒53.

2 Metatextliche Bemerkungen und Aussagen zur Methodik

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Einen interessanten Seitenaspekt bietet auch die Überlegung, ob für die Frage, wie man sich Aristoteles’ Vorgehensweise vorstellen solle, die Materialität des Schreibprozesses eine Rolle spielen konnte. So dürfte es sehr viel schwerer gewesen sein, beim Beschreiben von Papyri eine Systematik zu bewahren⁴⁴ als bei der Arbeit mit Codizes, etwa was Querverweise angeht. Allerdings muss auch hier die Unterschiedlichkeit der unterschiedlichen Schriften beachtet werden.⁴⁵

2 Metatextliche Bemerkungen und Aussagen zur Methodik Hierunter sind sowohl Charakteristika auf der Ebene des argumentativen Vorgehens, also der „,gedankliche[n] Ordnung‘“⁴⁶, als auch linguistische Eigenschaften in den Bereichen von Semantik, Syntax und Pragmatik zu fassen.

2.1 Metatextliche Bemerkungen zur Disposition Metatextliche Bemerkungen gibt es zahlreiche in GA. Sie zeugen von der Vernetzung der Ausführungen untereinander in GA selbst und bringen immer wieder die Autorpersona ins Spiel. Signifikante Beispiele für Bemerkungen zur Disposition sind in Buch I etwa der Beginn von Kapitel 1, der Beginn von Kapitel 2 und das Ende von Kapitel 16. Die wichtigsten Bemerkungen solcher Art sind: 2.1.1 Auf die Personalisierung des logos, der eine Eigendynamik der Disposition ausdrückt, wurde oben⁴⁷ bereits hingewiesen. Mitunter fällt auch der Begriff καιρός, der auf die Notwendigkeit der ‚richtigen‘ Disposition hindeutet, insofern er den Punkt des Argumentationsganges bezeichnet, an dem eine bestimmte Erörterung am Platze ist (z. B. κατὰ τοὺς οἰκείους τῶν λόγων καιρούς in II 4. 740b12).⁴⁸

 Vgl. hierzu Lang (2017) 127– 133 mit weiterer Literatur.  So ist das von Lang (2017) für die Physik angewandte Verfahren nicht auf Schriften wie GA übertragbar, das auf jeden Fall eine Hauptlinie erkennen lässt. Ihr zufolge sind die Bücher der Physik nach „topics“ (S. 134) strukturiert. Vgl. auch Quarantotto (2017), die eine Verbindung sieht zwischen der Organisation einiger Pragmatien und den ‚problēmata‘.  Rapp (2013) 300.  Vgl. oben, S. 24.  Zu den Abschlussbemerkungen und den einleitenden Bemerkungen siehe auch den Katalog.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

2.1.2 Aristoteles arbeitet mit zahlreichen Abschlussbemerkungen, die konstatierend zum Ausdruck bringen, dass im Vorhergehenden ein bestimmtes Thema behandelt worden sei. Dazu gehören etwa folgende Ausdrücke: … τοῦτον ἔχει τὸν τρόπον (I 3. 717a11 f.; I 16. 721a27; III 4. 755a7) δι’ ἣν μὲν οὖν αἰτίαν … εἴρηται (I 5. 717b31 f.; I 7. 718a25 – 27; I 11. 719a28 – 30; II 4. 739a4 – 6) Διότι μὲν οὖν … εἴρηται (I 19. 727a30 f.; III 1. 752a9 f.) Περὶ μὲν οὖν … εἴρηται (III 1. 749a10; III 8. 758a26; IV 1. 763b20; IV 4. 773a30 – 32; IV 10. 778a10 – 11) καὶ περὶ μὲν τούτων διωρίσθω τὸν τρόπον τοῦτον (I 19. 726b29 f.; I 21. 729a34; IV 4. 772b12) 2.1.3 Das Pendant zu Abschlussbemerkungen sind Formulierungen, die den Beginn eines neuen Gedankenganges einleiten, wie etwa: περὶ δὲ … λεκτέον (I 2. 716a2; III 10. 761a12 f.; III 9. 758a27 f.) Περὶ δὲ … θεωρητέον νῦν (V 1. 778a16 f.) Περὶ δὲ … ἀπορήσειεν ἄν τις (II 2. 735a29 f.; II 6. 745a18; III 7. 757a14; IV 4. 770b28 – 30) ᾿Aπορήσειε δ’ ἄν τις … (II 4. 740b2; III 2. 752a24) 2.1.4 Die unter 2.1.2 und 2.1.3 genannten Formulierungen können in Form einer „binary transition“⁴⁹ verknüpft sein, d. h. einer Verknüpfung, die im ersten Teil die vorhergehende argumentative Einheit abschließt und im zweiten die nächste argumentative Einheit ankündigt bzw. einleitet. Die typische Formulierung ist μὲν οὖν … δέ. Ein gutes Beispiel bietet der Übergang zwischen den ersten beiden Kapiteln (716a1– 4). Beim Übergang vom dritten zum vierten Kapitel etwa enthält der erste, mit μὲν οὖν eingeleitete Teil der binary transition einen typischen metatextlichen Rückbezug auf das gerade Behandelte, der zweite weist disponierend auf das im unmittelbaren Anschluss zu betrachtende Problem voraus (717a11– 15).⁵⁰ Auffällig viele binary transitions gliedern die Ausführungen in der Passage I 17– 22. Dies ist wohl kein Zufall; denn sie bildet ein ‚Herzstück‘ im Rahmen der Theoriebildung von GA. 2.1.5 Durch Formulierungen, dass etwas noch ‚übrig‘ bleibt (ausgedrückt durch eine Formulierung mit λοιπόν o. ä.), wird die Vollständigkeit einer Untersuchung suggeriert, markant etwa am Beginn von GA I 1 (715a11). Dem hier gebrauchten

 Diesen Ausdruck übernehmen wir von Reviel Netz (Netz 2001) und gebrauchen ihn im folgenden als terminus technicus ohne Anführungszeichen.  Vgl. die Stellen im Katalog.

2 Metatextliche Bemerkungen und Aussagen zur Methodik

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λοιπόν entspricht ἀπολειφθῆναι am Ende von I 16. Es steht im Rahmen einer metatextlichen Bemerkung, die auch auf die Art des Vorgehens anspielt und damit auf die methodische Bemerkung am Beginn von Kapitel 2 (716a2– 4) zurückgreift, dass man über jedes Ding an der passenden Stelle des Untersuchungsganges sprechen müsse.

2.2 Bemerkungen zur Methodik Oft finden sich Formulierungen, die auf die methodische Notwendigkeit eines bestimmten Vorgehens hinweisen, etwa dass etwas behandelt werden „müsse“.⁵¹ Diese Bemerkungen können etwa derart sein, dass die Notwendigkeit einer bestimmten Untersuchung festgestellt wird oder dass konkreter benannt wird, was im Folgenden zu tun sei. Die Notwendigkeit kann mit ‚δεῖ + Infinitiv‘ ausgedrückt werden oder sie kann in Form eines Verbaladjektivs wie ἐπισκεπτέον, ληπτέον u. a.⁵² erscheinen. Gerade in diesem zweiten Fall wird immer wieder nicht nur eine logische Notwendigkeit in Worte gefasst, sondern auch – zumindest implizit – ein Appell vermittelt, der den Rezipienten mit einbindet.⁵³ Aussagekräftig für die Methode, die Aristoteles anwenden will, sind metatextliche Hinweise zum eigenen Verfahren. In II 6. 742a16–b17, wo Aristoteles einen Baustein seiner eigenen Theorie auf typische Weise in Absetzung von anderen Meinungen entwickelt, indem er deren Unkorrektheit erläutert, macht er gleichzeitig die Problematik des Gegenstandes deutlich. Denn er erklärt, es sei nicht leicht, Unterscheidungen, wie sie hier nötig seien (es geht um die Entstehung der Organe), zu treffen (οὐ ῥᾴδιον, 742b6 u. b10). Aber dennoch müsse man die im Vorhergehenden vorgestellte Methode, trotz aller grundsätzlicher Schwierigkeiten, verfolgen (742b10 f.). Dieses Herausstellen des eigenen methodischen Vorgehens als das unter den gegebenen schwierigen Umständen beste erinnert daran, wie Thukydides (I 21) die Vorzüge der eigenen Methode im Blick auf die Schilderung der ‚Vorzeit‘ (modern: die so genannte ‚Archäologie‘) herausstellt, wenn er formuliert, prinzipiell sei es schwierig, Erkenntnisse über diese Zeit zu gewinnen, aber wenn man sich auf seine Methode einlasse, fahre man am besten (ἐκ δὲ τῶν εἰρημένων τεκμηρίων ὅμως τοιαῦτα ἄν τις νομίζων μάλιστα ἃ διῆλθον οὐχ ἁμαρτάνοι).

 Zu Formulierungen methodologischer Art bei Aristoteles vgl. auch Lengen (2000) 19 – 21.  Siehe Katalog, S. 418‒419.  Vgl. hierzu auch unten, S. 70‒72.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Aristoteles’ Ausdrucksweise in II 6 zeugt von Methodenbewusstsein. Gleichzeitig weist sie auf raffinierte Art den Autor als überlegen und anspruchsvoll in der Durchführung seiner Theorie einerseits und gleichzeitig als selbstkritisch andererseits aus. Die Demonstration eines solchen Reflexionsgrades hat das Ziel, zur Überzeugung beizutragen, dass die Theorie glaubwürdig ist. Dabei wird die Intensität, mit der Aristoteles seine methodischen Überlegungen vermitteln will, an dieser Stelle auch in der sprachlich-stilistischen Gestaltung deutlich: Er arbeitet mit Ausdrücken der Notwendigkeit (ἀναγκαῖον in 742a33/37 und 742b2, δεῖ in 742b5), die Teil seines Beweisverfahrens sind, gleichzeitig aber auch den Rezipienten einbinden, indem sie die Notwendigkeit einer bestimmten Vorgehensweise verdeutlichen. Recht explizit wird diese Einbindung in dem Appell, man müsse nach der vorgeschlagenen Methode untersuchen, was nach was entsteht (742b10 f.: κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν).

3 Argumentationsmuster 3.1 Das Ziel: eine ‚einheitliche‘ Theorie Wie bereits erwähnt ist Aristoteles’ Ziel, eine einheitliche Theorie für alle mit Zeugung, ‚Vererbung‘ und Embryonalentwicklung zusammenhängende Prozesse zu geben. So ist es auch zu erklären, dass manche Argumentationen gezwungen erscheinen oder stillschweigend plötzlich zusätzliche Voraussetzungen gemacht werden. Dies gilt vor allem für IV 3, wo man gut mitverfolgen kann, wie Aristoteles damit ‚kämpft‘, alle Phänomene innerhalb der einheitlichen Theorie erklären zu können. Immer wieder weist er dabei auf dieses Ziel hin und hält auch aus diesem Grund seine Theorie für den anderen überlegen (IV 3. 769a35–b10).

3.2 Beweisstrukturen: Definitionen, Axiome, Prämissen, Syllogismen In den Analytica Posteriora bietet Aristoteles eine allgemeine Grundlegung seiner Wissenschaftstheorie.⁵⁴ Ihr zufolge legt jede Wissenschaft zwei Arten erster Prinzipien (archai) zugrunde:⁵⁵ Axiome (axiōmata), die für alle (oder doch für viele) Wissenschaften dieselben sind, und Thesen (theseis), die spezifisch für die

 Vgl. Detel (1993), (2011); Bronstein (2016); mit Bezug zur Naturwissenschaft, insbes. zur Biologie vgl. Kullmann (1974), (1998) 55 – 160, (2007) 156 – 181; Lennox (1987); Bolton (1987).  APo. I 2. 72a14– 24 und I 10. 76a31–b11; siehe Leunissen (2017) 166.

3 Argumentationsmuster

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jeweilige Wissenschaft gelten. Diese sind entweder Definitionen (horismoi) oder Hypothesen (hypotheseis), d. s. auf die grundlegenden Gegenstände einer Wissenschaft bezogene Existenzannahmen, die konstatieren, dass diese durch die Definitionen bestimmten Objekte existieren.⁵⁶ Diese ,unvermittelten‘, d. h. nicht durch Mittelbegriffe analysierbaren, Prinzipien selbst sind wenigstens im Rahmen einer spezifischen Einzelwissenschaft nicht zu beweisen; andernfalls wäre ein regressus ad infinitum gegeben, den es aber zu vermeiden gilt.⁵⁷ Zu diesen Prinzipien gelangt man also auf andere Weise, wobei Erfahrung und die menschliche Vernunft eine Rolle spielen,⁵⁸ es aber unklar bleibt, wie genau Aristoteles sich den Weg dorthin vorstellt.⁵⁹ Zusätzlich zu diesen Prinzipien verwendet Aristoteles aber in seinen eigenen wissenschaftlichen Schriften noch eine weitere Art von Voraussetzungen, wie Mariska Leunissen für De caelo gezeigt hat.⁶⁰ Diese Prinzipien werden ad hoc eingeführt, und ihre Anerkennung wird regelmäßig durch eine passivische Form des Imperativs gefordert. In De caelo verweist Aristoteles darauf, dass er sie später, an geeigneter Stelle, beweisen werde. Der Grund für die Verschiebung des Beweises liegt Leunissen zufolge darin, dass der sofortige Beweis den Verlauf der Erklärung unterbrechen würde; dabei liegt ihr zufolge weniger eine didaktische Intention zugrunde als Aristoteles’ Ziel, die Ordnung der Darlegung nach der der Natur entsprechenden hierarchischen Ordnung zu gestalten.⁶¹ Auch in GA verwendet Aristoteles, wie oben geschildert,⁶² ad hoc-Voraussetzungen, aber dort geschieht es meistens eher ‚unter der Hand‘, ohne die explizite Einforderung mittels eines Imperativs und vielfach ohne Verweis auf einen späteren Beweis. Über den Status der aristotelischen Biologie gibt es eine rege Forschungsdiskussion. Allgemein lässt sich sagen, dass es nach Aristoteles in Bereichen, in denen noch nicht genügend Erfahrung vorliegt, ausreichen kann bzw. muss, mit Argumenten zu arbeiten, die auf Glaubwürdigkeit zielen.

 Hypotheseis sind nach Detel (1993) Zweiter Halbband, 71 (zu APo I 1. 72a14 ff.) „nicht notwendig allgemein unbegründbar“.  APo. I 2. 72a15 f., I 3. 72b18 – 22; I 9. 76a17– 25; I 10. 76a31 f.  APo. II 19 (Leunissen verweist auch auf APr. I 30. 46a17– 27; Cael. III 7. 306a5 – 17; GC I 2. 316a5 – 10 (Leunissen 2017, 166, Anm. 3).  Vgl. Leunissen (2017) 166, Anm. 3: „Aristotle’s account of how humans come to know the first principles is tantalizingly obscure“.  Leunissen (2017). Sie nennt diese Prinzipien „surrogate principles“ (167).  Dass Aristoteles seine Erklärung nach der hierarchischen Ordnung der Natur ausrichte, zeigt Leunissen an De caelo 11 (Leunissen 2017) und am zweiten Buch von De generatione animalium (Leunissen 2018), vgl. dazu unten, S. 215.  Siehe S. 25 f.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Unsere Untersuchung, deren Leitfrage das Verhältnis zwischen der argumentativen Ordnung und der sprachlichen Gestaltung ist, folgt der durch die Forschung gut begründeten⁶³ Arbeitshypothese, dass die biologischen Schriften des Aristoteles durchaus in Orientierung an seiner Wissenschaftstheorie – wenn auch mit Rücksicht auf den empirisch-materiellen Charakter der Ausgangsbasis – geschrieben sind: – Es gibt ein main line of argument im Sinne Boltons. Gleichzeitig lassen sich dialektisch argumentierende Passagen ausmachen.⁶⁴ – Durch eine eng am Text vorgehende Analyse lassen sich – in Analogie zu den syllogistischen Analysen von PA III 14 bzw. PA II 1 bei Gotthelf bzw. Detel⁶⁵ – der sprachlich-literarischen Ebene der Argumentation unterliegende heuristische Verfahren bzw. implizite axiomatische Strukturen, jeweils im Sinne der Zweiten Analytiken, aufdecken. Bei der Untersuchung spielten folgende Kriterien eine Rolle: die Verwendung von Axiomen (unterschieden in allgemeine, in APo genannte, und fachspezifische); die Verwendung von Definitionen; die Rolle des Mittelbegriffs (z. B. als ergon eines Organs); explizite bzw. hinsichtlich einer axiomatischen (Teil‐)Struktur zu ergänzende Syllogismen; die Bedeutung des Begriffs der anankē (‚schlechthinnige Notwendigkeit‘ vs. ‚hypothetische Notwendigkeit‘).⁶⁶ Im Unterschied zu Untersuchungen, die allein auf die Logik der Argumentation abzielen, geht es in unserer Studie um die Relation der beiden Untersuchungsebenen⁶⁷, der ‚beweislogischen‘ Ebene und der ‚Darstellungsebene‘.

3.2.1 Definitionen Als ein typischer Ausgangspunkt aristotelischer Ursachenforschung sind hier, als eine Form der Definition, Nominaldefinitionen zu nennen, die auf einem common

 Vgl. oben, S. 9‒11.  Vgl. oben, S. 10 mit Anm. 44.  Vgl. oben, S. 9‒11.  In PA I 1 unterscheidet Aristoteles verschiedene Weisen, in denen der Begriff des ,Notwendigen‘ ausgesagt wird (ποσαχῶς λέγεται τὸ ἀναγκαῖον, 639b23): eine schlechthinnige (ἁπλῶς, 639b24) oder ‚absolute‘, die den ewigen Dingen zukommt, und eine hypothetische (ἐξ ὑποθέσεως, 639b24), oft auch ‚relative‘ genannte, die den dem Werden und der Veränderung unterworfenen Dingen zukommt. In einer typischen technē-Analogie erschließt Aristoteles, dass auch im Bereich der natürlicherweise entstehenden Dinge zur Erreichung eines bestimmten Ziels (εἰ ἔσται οἰκία ἢ ἄλλο τι τέλος, 639b27 – hiermit benennt Aristoteles die Voraussetzung/Hypothese) eine Materie von bestimmter Beschaffenheit und eine bestimmte Abfolge von Genesen und Veränderungen notwendig ist. Vgl. hierzu Kullmann (2007) 283 – 295 und Kullmann (1998) 73 – 75.  Vgl. oben, S. 3‒4.

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sense-Verständnis des jeweiligen Begriffs beruhen und insofern ein ‚proteron hēmin‘ sind. Typischerweise werden sie im weiteren Gang der Analyse in geeigneter Weise reformuliert. Ein prominentes Beispiel ist I 2.

3.2.2 Axiome Besonders effektvoll wirkt die Verwendung eines Axioms, wenn es den Schlusspunkt eines indirekten Beweises⁶⁸ bildet und ein absurdum herstellt.

3.2.3 Status von Prämissen Ein weiteres Untersuchungskriterium ist der Status der Prämissen, weil Aristoteles sowohl allgemeine theoretische Prämissen als auch empirisch gestützte Prämissen verwendet.⁶⁹ Diese empirische Stütze erfolgt in Form von Induktionen, die empirische Beispiele anführen (oftmals viele). Hierbei verarbeitet Aristoteles immer wieder Material, das in der Historia animalium gesammelt ist,⁷⁰ so dass man beobachten kann, wie er bei der Erstellung seiner Theorie vorgegangen ist. So lässt sich anhand seiner Theorie zur Fortpflanzung der Bienen zeigen,⁷¹ dass Beobachtungen in der Historia animalium – die aus moderner Perspektive durchaus ‚richtig‘ sind – in De generatione animalium nicht mehr erwähnt werden bzw. auf der Grundlage der von Aristoteles geltend gemachten Prämissen verworfen werden. Durch einen solchen ‚Abgleich‘ mit HA lassen sich die den textlich-sprachlichen Strukturen zugrundeliegenden Beweisstrukturen noch besser fassen. Ein solcher Vergleich mit HA konnte im Rahmen dieser Untersuchung nur punktuell vorgenommen werden. Aber auch diese vereinzelten Vergleiche sind schon aufschlussreich. Es würde sich lohnen, den Vergleich der Darbietung des Materials in HA mit der Integration des Materials in GA (und auch PA) systematisch durchzuführen. Wie wichtig Aristoteles auf der theoretischen Ebene das Ausgehen von empirischen Beobachtungen und der Beweis der Übereinstimmung der Theorie mit den empirischen Beobachtungen sind, wird in seiner Diskussion über die Geschlechtsentstehung bei den Bienen (GA III 10. 759a8 – 760b33) deutlich. Diese

 Siehe unten, S. 237, 319.  Vgl. Vegetti (1993).  U. a. bezieht sich GA I 1– 3 auf HA IV 11, GA I 4– 12 auf HA III 1 und der Hauptteil von GA auf HA V–VII; vgl. Kullmann (2007) 194. Zum ‚dokumentarischen‘ Charakter der HA, der „statisch und deskriptiv“ ist, vgl. Lengen (2002), v. a. 220 f.  Vgl. Föllinger (2012) 242 f.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

schließt er mit der berühmten Bemerkung ab, diese Theorie müsse revidiert werden, falls es neue empirische Beobachtungen gebe (760b30 – 33).

3.2.4 Rückwärtsgewandte Begründungen und vorwärtsgewandte Argumentationen Rückwärtsgewandte, typischerweise mit gar angeschlossene, Begründungen überwiegen bei weitem. Sie entsprechen auch eher dem aitiologischen Charakter der Schrift als einer Suche nach Gründen, die von dem zu Begründenden ausgeht und im Prozess des Schreibens zur Angabe von Gründen gelangt. Dies ist besonders deutlich bei aufeinander folgenden, immer wieder mit gar angeschlossenen Begründungen. Nach Netz (2001) bietet diese Anordnung in Hinblick auf die Rezeptionssteuerung den Vorteil, dass zunächst die – hier meist im weitesten Sinn empirisch gegebene – Glaubwürdigkeit des zu begründenden Faktums im Vordergrund steht und diese auf die Beurteilung der Stringenz des kausalen Zusammenhangs mit dem Folgenden sozusagen abfärbt. Vorwärtsgewandte Begründungen heben sich dagegen prominent ab, und das typische einleitende epei erscheint als prononciertes Signalwort. Hier ist der Rezipient (nach Netz) in stärkerem Maße eingeladen, den Schluss von den Prämissen auf die Folgerung, oft mit anankē oder anankaion abgesetzt, direkt mit- und nachzuvollziehen – daher wird eine eventuell mangelnde Stringenz auch eher auffallen. In diesem Begründungsmuster reiht Aristoteles oft auch mehrere Prämissen aneinander, so dass der Überblick erschwert und die Markierung der Folgerung durch anankaion o. ä. fast schon notwendig wird. Typische Beispiele hierfür sind I 2. 716a23 – 27 (epei/anankaion); I 19. 726b5 – 11 (epei/phaneron); II 1. 731b24– 31 (epei/dia tautas tas aitias). Umgekehrt kann anankē–epei aber auch im Zusammenhang einer rückwärtsgewandten Argumentation verwendet sein, so z. B. in I 11. 719a17– 20.

3.2.5 Reductiones ad absurdum Im Schlussverfahren der reductio ad absurdum wird aus einer zu widerlegenden These ein Widerspruch (zu ihr selbst oder zu einer anerkannten These) gefolgert; dieses Schema des indirekten Beweises kann Aristoteles in der zeitgenössischen Diskurskultur als geläufig voraussetzen und es daher mitunter auch extrem verknappt nur andeuten. Andererseits kostet er gelegentlich die explizite Herstellung des Widerspruchs in für den intelligenten Rezipienten redundanter, fast penetranter Weise, geradezu aus, um die Absurdität einer gegnerischen Position eindringlich vor Augen zu führen.

3 Argumentationsmuster

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3.2.6 Vollständige Fallunterscheidungen In der Dialektik ist dieses Beweismuster im Rahmen des sog. Ausschlussverfahrens geläufig, es kann aber auch als i. e. S. wissenschaftliche Methode aufgefasst und verwendet werden. Hierbei liegt die Vollständigkeit der unterschiedenen Fälle manchmal auf der Hand, in anderen Fällen ist sie nicht, oder wenigstens nicht ohne weiteres, klar. Von ihr hängt aber die Gültigkeit des auf der Fallunterscheidung beruhenden Beweises ab.

3.3 Die Bedeutung und das Problem der Empirie Aristoteles’ Wissenschaftstheorie zufolge ist in der ‚Naturwissenschaft‘ die Empirie das Kriterium dafür, ob Aussagen wahr oder falsch sind.⁷² Das heißt: die Beobachtung ist das grundlegende Vorgehen. Allerdings macht Aristoteles auch hier Einschränkungen, wie seine kritischen Bemerkungen gegenüber bestimmten Beobachtungen von Fischern bzw. deren Deutungen (GA I 15) zeigen. Der Grund für solche falschen Beobachtungen wie bei Fischern liege darin, dass diese nicht um der Erkenntnis willen angestellt würden (GA III 5). Das bedeutet: Es kommt auch darauf an, wer die Beobachtungen anstellt und aus welchem Grund. Auch weist Aristoteles immer wieder darauf hin, dass künftige empirische Untersuchungen an der erarbeiteten Theorie etwas verändern könnten, wie bekanntlich in III 10 im Fall der Bienen, oder eine These bzw. Theorie unter dem Vorbehalt noch unzureichender empirischer Beobachtung stehe, wie dies bei der Frage nach der Funktion der Tentakel bei der Fortpflanzung der Polypen der Fall sei (I 15. 721a1 f.). Das wissenschaftstheoretisch wichtige Kriterium der Empiriegestütztheit macht sich Aristoteles bei der Entwicklung seiner eigenen Theorie auf verschiedene Weise zunutze: – Zusammen mit dem auf logischer Ebene geführten Beweis dient ihm der Verweis auf die Empirie als Beweis seiner eigenen Theorie. Feststellungen der Art, etwas sei sowohl ‚auf der Ebene des logischen Beweises‘ (κατὰ τὸν λόγον) als auch auf der der Empirie (κατὰ τὴν αἴσθησιν) bewiesen, durchziehen das ganze Werk GA (z. B. I 2. 716a17– 19 mit a20/31; II 4. 740a4 f.). Dabei kann die Empirie den theoretisch hergestellten Zusammenhang stützen, aber Aristoteles kann auch umgekehrt theoretisch hergestellte Zusammenhänge nützen, um zu zeigen, dass bestimmte Phänomene eulogon seien.⁷³

 In GC I 2. 316a5 – 12 betont Aristoteles die methodische Bedeutung der Empirire. Vgl. Lynch (1972) 86.  Vgl. Leunissen (2022) im Blick auf GA I 20. 729a23 f.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Dass Aristoteles immer wieder etwas als eulogon bezeichnet, verwandte Bolton als Indiz dafür, dass man in GA eine dialektische Vorgehensweise von einer wissenschaftlichen Vorgehensweise unterscheiden könne. Demgegenüber konnten Falcon und Leunissen⁷⁴ zeigen, dass Aristoteles diesen Begriff innerhalb seiner naturwissenschaftlichen Schriften gerne dann verwendet, wenn man auf der Grundlage von bestimmten valenten Voraussetzungen, etwa auf der Grundlage von schon – in der Regel empirisch – bewiesenen Hypothesen oder Prinzipien, mit gutem Grund eine bestimmte These behaupten kann. Dies ist vorzugsweise dann der Fall, wenn sich für bestimmte Erklärungen nicht ausreichend empirische Beobachtungen machen lassen. So liegt der Untersuchung von Falcon und Leunissen De caelo II 12 zugrunde und damit ein Gegenstandsbereich, in dem PA I 5 zufolge empirische Beobachtungen schwerer zu machen sind als in der Biologie. Aber auch in der Biologie gibt es solche Bereiche, etwa wenn es um innere Organe geht, aber auch wenn Thesen über nicht gut beobachtbare Prozesse wie die Entstehung und die Funktion der Menstruation⁷⁵ und die Embryogenese aufgestellt werden. Hier geht es um Erklärungen, die nicht im streng wissenschaftlichen Sinne beweisbar, die aber plausibel sind. Damit ist also keinesfalls zwangsweise gegeben, dass der Kontext der einer dialektischen Vorgehensweise ist. Hinzuzufügen ist, dass in Kontexten, wo Aristoteles auch dialektische Elemente hat, wie bei der groß angelegten Widerlegung der Pangenetiker in I 17– 19, er in seinen Gegenargumenten eben durchaus nicht nur mit dialektischen Argumenten operiert, sondern auch gerne mit solchen, die außerdem die Empirie einbeziehen. Insgesamt lassen sich so mit Falcon und Leunissen drei Verwendungsweisen von eulogon feststellen: 1) in der Auseinandersetzung mit Meinungen anderer, 2) in Kontexten, in denen er logikōs bzw. dialektisch argumentiert, 3) in Zusammenhängen, in denen er darauf hinweisen will, dass etwas in Anbetracht der verfügbaren Beobachtungen plausibel ist.⁷⁶ – Der Verweis auf Beobachtungen hilft dabei, andere Theorien zu entkräften: Im Rahmen seiner Theorie zur Geschlechtsentstehung in GA IV 1 benutzt Aristoteles als Argument gegen die empedokleische Wärmetheorie den Verweis auf ein Phänomen, nämlich dass in ein und derselben Gebärmutter Zwillinge unterschiedlichen Geschlechts entstehen können. In GA II 7. 746a8 – 22 rekurriert er auf Sichtbares (in diesem Fall die Nabelschnur, durch die der Embryo ernährt wird), nicht nur, um seine eigene Theorie zu unterstützen, sondern auch um die gegnerische zu widerlegen.⁷⁷    

Falcon/Leunissen (2015). Vgl. dazu Leunissen (2022). Falcon/Leunissen (2015) 218. Vgl. Lennox (2018) 266.

3 Argumentationsmuster



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Umgekehrt verweist Aristoteles, bevor er seine eigene Kausalerklärung zu einem bestimmten Problem entwickelt, auf empirische Beobachtungen, um zunächst gegnerische Theorien ad absurdum zu führen, etwa in IV 4. 771b27– 33: Dass aus einer einzigen Begattung mehrere Embryonen entstehen können, kann nicht durch die Vielzahl von Gebärmutterkammern, die jeweils eine Spermaportion an sich zögen, erklärt werden. Denn die anatomai – nach Lennox muss es sich hier um Sektionen handeln – zeigten, dass an ein und demselben Ort, d. h. Kammer, der Gebärmutter zwei Embryonen entstehen können.⁷⁸

Die Frage, wie Aristoteles zu den ‚Fakten‘ kommt, die er zugrundelegt, ist kein triviales Problem. So bezieht er sich neben der eigenen Autopsie auch auf die Beobachtungen anderer, die er aber, wie im Falle der oben erwähnten Fischer, kritisch hinterfragen kann. Hinzu kommt die Verwendung von ‚Indizien‘,⁷⁹ um auf die Existenz bestimmter Dinge schließen zu können.⁸⁰ An verschiedenen Stellen fügt Aristoteles eine Art von empirischer Beobachtung ein, die man geradezu als ‚experimentell‘ bezeichnen kann, insofern man den Eindruck gewinnt, hier seien bestimmte Beobachtungen gezielt wiederholt worden. Ein berühmtes Beispiel ist der Verweis auf die unterschiedlichen Entwicklungsstadien von Hühnereiern (HA VI 2– 3), aber auch der Vergleich der inneren Entwicklung eines Vogeleis mit einem experimentellen Vorgehen (III 1. 752a4 f.) oder das an jungen Schwalben durchgeführte Experiment (IV 6. 774b36 – 775a4) sowie der Hinweis auf offensichtlich unter bestimmten, gezielt herbeigeführten Bedingungen gemachte Beobachtungen sind hier zu nennen (II 2. 735a35 f.). Die Schilderung männlicher bzw. weiblicher Fertilitätstests beim Menschen (II 7. 747a3 – 10) enthält sogar termini technici für ‚jdn. testen‘ (βασανίζειν; 747a3, a7) bzw. für ‚experimentelle Testungen‘ (πεῖραι, 747a3).

3.4 Die Verwendung von Aporien Ein – nicht nur in GA – häufig vorkommendes Element der aristotelischen Argumentation sind Aporien. Für Metaphysik Β sieht Friedemann Buddensiek einen einheitlichen Sachgrund für das Aufwerfen, die Diskussion und das Lösen der

 Lennox (2018) 267 f.  Zur Unterscheidung von tekmēria, sēmeia und martyria siehen unten, S. 65 f.  Für den Bereich der Meterologie hat dies Owen (1961) untersucht. Leunissen (2022) hat dieses Problem für GA behandelt.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Aporien darin, dass sie für jedermann notwendige (aber nicht hinreichende) Schritte auf dem Weg zu ‚der gesuchten Wissenschaft‘ seien.⁸¹ Jessica Gelber unterscheidet in der Schrift GA, die sie stellvertretend für die biologischen Schriften untersucht, unterschiedliche Gebrauchsweisen von Aporien. Diese klassifiziert sie nach den Kriterien ‚Zweck‘ („purpose“), ‚Struktur‘ („structure“) und „Quellen“ (‚sources‘) und stellt fest, dass es unter all diesen Gesichtspunkten keinen einheitlichen Befund gebe.⁸² Im Hinblick auf den Zweck von Aporien könne man drei Typen des Aporiengebrauchs feststellen: 1. Aporien können ‚refutativ‘ verwendet werden, um die Überlegenheit der eigenen gegenüber einander widerstreitenden Positionen zu erweisen, wie dies etwa bei der Diskussion über die Fortpflanzung der Bienen in GA III 10 der Fall ist. 2. Aporien haben eine ‚zetetische‘ Funktion, indem durch die klare Formulierung offener Problemfragen der Gang der Untersuchung befördert wird, wobei es – nach Gelber – folgende ‚Spielarten‘ gibt: 2.1 Eine Entität, für die eine direkte Beobachtung nicht möglich ist, wird eingeführt, z. B. das pneuma, das im Sperma enthalten ist (II 2). 2.2 Aporien können dazu dienen, Korrekturen anzubringen oder Ansichten, vor allem geläufige und scheinbar sichere empirische Beobachtungen, zu widerlegen, wie die des Eiwachstums in III 2. 2.3 Aporien bereiten notwendige Modifikationen bisheriger Erklärungen vor, wie etwa in folgendem Fall (II 4. 740b2– 5): Einerseits ist Blut die Nahrung für den Embryo, die von außen zugeführt wird (indem das Herz als zuerst entstehendes Organ Gefäße Richtung Uterus ausbildet), andererseits ist das Herz von Anfang an blutgefüllt: Woher stammt dann diese erste blutige Nahrung, wenn alle Nahrung für den Embryo von außen (thyrathen) kommt? 2.4 durch eine Aporie kann ein radikaler Perspektivenwechsel motiviert werden, wie in folgendem Beispiel: In II 1. 733b23 – 26 wirft Aristoteles als ein besonders triftiges Problem (ἀπορία πλείων) die Frage auf, wie aus dem Keimling ein Tier bzw. eine Pflanze entstehen kann. Bereits seine unmittelbar folgende Unterscheidung des ‚woraus‘ (ἐξ οὗ, 733b25) von dem ‚unter wessen Einwirkung‘ (ὑφ‘ οὗ, 733b25) bereitet darauf vor, ein immaterielles Agens als Ursache der Organentstehung im Keimling  Buddensiek (2018) 152 f.  Mit diesem Ergebnis wendet sich Gelber gegen Boylans These (Boylan 1982), dass in der Abfolge von Aporien/Problemen und deren Lösungen ein methodisches Prinzip für die Organisation der biologischen Abhandlungen gesehen werden müsse (Gelber 2018, 155, Anm. 1).

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3.

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in Betracht zu ziehen – im Unterschied zu einer rein materiell orientierten Ursachensuche. Aporien können eine überleitende Funktion haben.

Gelbers Unterscheidung bietet eine wichtige heuristische Hilfe für die Analyse von GA, wobei man sich freilich fragen kann, ob der refutative und der zetetische Gebrauch sich zwingend ausschließen oder nicht ein und dieselbe Aporie beiden Zielen dienen kann. Unter dem Aspekt der Struktur einer Aporie lassen sich Gelber zufolge drei Varianten in GA ausmachen: 1. Eine vollständige Klassifikation von (gleichermaßen problematisch erscheinenden) Möglichkeiten bietet ein Dilemma. 2. Eine andere Form der Aporie ist ein scheinbares Dilemma, jedoch ohne dass das Für und Wider der enthaltenen Möglichkeiten angesprochen würde. 3. Eine Aporie kann als einfache Frage erscheinen, ohne dass ein Dilemma zwischen verschiedenen Möglichkeiten aufgemacht würde. Eine solche Frage kann sich auf eine zu erklärende Differenz innerhalb einer gewissen Obermenge von Tierarten (etwa der Oviparen) beziehen, etwa im Blick auf den Unterschied zwischen Vögeln und Fischen in III 3. 754b20 f.: Warum lösen sich bei den einen die Eier bereits ‚unvollendet‘ vom Uterus, bei den anderen nicht? Oder die Frage zielt auf: ,was geschieht?‘ oder ,warum geschieht etwas?‘. Schließlich lässt sich für die Aporien in GA nach Gelber auch keine einheitliche Ursprungsart (source) angeben; vielmehr unterscheidet sie drei verschiedene Typen: 1. eine bestehende Spannung zwischen dem Stand der Theorieentwicklung und gegenläufigen empirischen Daten; 2. ein bestehender Konflikt zwischen Details der biologischen Theorie und Aristoteles’ allgemeineren Überzeugungen; in den so begründeten Aporien offenbart sich nach Gelber „a natural scientist working within the constraints of a grand metaphysical framework, self-consciously applying the concepts and principles he argues for elsewhere, thought at a fairly abstract level“⁸³. 3. eine Spannung zwischen bestimmten allgemeinen Grundsätzen und der empirischen Faktenlage.

 Gelber (2018) 167.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Gelber gibt mit ihren auf Einzelanalysen beruhenden Klassifikationen ein Beispiel dafür, wie heterogen eine bestimmte Vorgehensweise, hier das Arbeiten mit Aporien, erfolgen kann, so dass man mit vorschnellen Verallgemeinerungen bei der Einordnung bestimmter Elemente vorsichtig sein muss. Gelbers Ergebnisse waren für unsere Untersuchung eine wichtige Grundlage. Im Rahmen unseres Ansatzes, Elemente der aristotelischen Vorgehensweise als charakteristisch für ein ‚epistemisches Schreiben‘ zu verstehen, war vor allem ihre Beobachtung, dass ein Konflikt zwischen Details der biologischen Theorie und Aristoteles’ wissenschaftlichen Ausgangsüberzeugungen Ursprung einer Aporie sein kann, weiterführend. Im Übrigen ist das Vorgehen mit Aporien eine Methode, deren Aristoteles sich auch in der Politik bedient, wie Braun⁸⁴ und Schütrumpf herausgearbeitet haben. Für den heterogenen Charakter von Politik III 4 konnte Schütrumpf zeigen, dass er nicht – so die etwa von von Arnim stark gemachte frühere Anschauung – mit einer Überarbeitung zu erklären ist, sondern mit der aporetischen Methode, so dass „im Verlauf der Gedankenentwicklung das erreichte Ergebnis jeweils modifiziert wird“⁸⁵. Indem er Aristoteles’ Vorgehen durch dieses Verfahren der ‚schrittweisen Annäherung‘ charakterisiert,⁸⁶ gelingt es Schütrumpf, die Eigenart verschiedener Kapitel in der Politik besser einzuordnen, als die Ansicht, Aristoteles habe diese Kapitel immer wieder überarbeitet.⁸⁷ Auch wenn GA insofern einen anderen Fall als die Politik darstellt, als in GA ein Plan und eine Organisation auf der Makroebene deutlicher sichtbar sind, so ist doch, jedenfalls für bestimmte Passagen, die auch für die Politik beobachtete Vorgehensweise der prozessualen Annäherung deutlich.

 Braun (1965) 137 f.  Schütrumpf (1991) 412 f.  Vgl. dazu S. 14. Dass man aus heuristischen Gründen erst einmal davon ausgehen solle, dass ein Text das Produkt der Autorenintention darstellt, so dass man Verständnisprobleme nicht mit der Überlieferung, Interpolationen o. ä. begründen dürfe, hebt van der Eijk (2017) 184 f. zu Recht hervor.  Vgl. Schütrumpfs Erläuterungen zu Politik III 4 (1991, 412 f.) – hier vor allem gegen von Arnims „Hypothese der Überarbeitung“ (412) –, III 8 (1991, 470), III 10 (1991, 490) und III 15 (1991, 545).

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3.5 Das Ausgehen von anderen Meinungen Aristoteles’ doxographische Methode, die dazu dient, im Ausgang von den bisherigen Forschungsmeinungen seine eigene Theorie zu entwickeln, ist bekannt.⁸⁸ In GA kann man feststellen, dass Aristoteles sich auf zwei verschiedene Weisen auf andere Meinungen beziehen kann: 1. Andere Meinungen werden zuerst widerlegt, um dann, darauf aufbauend, die eigene Theorie in kritischer Auseinandersetzung mit diesen anderen Meinungen zu entwickeln; dieses Vorgehen ist der Regelfall und findet sich etwa bei der groß angelegten Auseinandersetzung mit den Vertretern der Pangenesislehre in I 17– 22. 2. Aristoteles entwickelt zuerst seine Theorie und legt im Anschluss die Überlegungen anderer dar. Dieses Verfahren kommt weniger häufig vor. In III 5 (756a2– 5) etwa verfolgt Aristoteles mit diesem Vorgehen offensichtlich die Absicht, das Zustandekommen der gegnerischen Meinungen zu erklären und, bei aller explizit negativen Wertung, bis zu einem gewissen Grade verständlich zu machen. Indem er so das gegnerische Denken in differenzierter Weise mit einbezieht, statt es nur auszugrenzen, unterstreicht er die Qualität und Überlegenheit der eigenen Theorie, der es sogar gelingt, die Gründe für die falschen Erklärungen der Gegner anzugeben. Ähnliches lässt sich für IV 1– 3 feststellen: In IV 2 werden Indizien genannt, die den eigenen, in IV 1 entwickelten Ansatz belegen sollen. Die Auseinandersetzung mit einem anderen Ansatz in IV 3 dient Aristoteles dann dazu, zu demonstrieren, wie schwierig es ist, eine einheitliche Erklärung für die verschiedenen Phänomene zu finden (769b3 – 10). Damit ordnet er sich in den Forschungsdiskurs ein und erweckt vordergründig Verständnis für die Mängel der gegnerischen Theorien. Andererseits wird so, mindestens indirekt, die eigene Leistung herausgestellt.  Siehe den instruktiven Beitrag von Althoff (1999) und vgl. Mansfeld (2016) unter 3.: „Aristotle, in his treatises, as a rule lists and discusses the opinions (doxai) of men in general and of the experts (who often are philosophers) in particular, concerning an issue in metaphysics, or physics, or psychology, and sometimes ethics, before embarking on his own investigations. These opinions are ordered according to the method of diaeresis, or division: a classification according to sets, sub-sets and sub-sub-sets with specific differences. Aristotle checks to what extent these opinions are in agreement among themselves or contradict each other, and then tries to establish to what extent one of the available options may prove acceptable, at least as the starting-point for further inquiry, or whether some option may be available which others have failed to consider.We call these exegetical and evaluative overviews ‘dialectical’, in the Aristotelian sense of the word, of course.“

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

3.6 Unpersönliche und überpersönliche Ausdrucksweise Aristoteles’ Duktus in GA ist vielfältig: Er stellt zum einen Fakten vor und verwendet einen unpersönlichen Stil⁸⁹ (etwa bei der Präsentation des Materials zur Insektenkopulation in GA I 16). Davon zu unterscheiden ist eine ‚überpersönliche‘⁹⁰ Ausdrucksweise, die in der Verwendung der 1. Person Plural⁹¹ zum Ausdruck kommt. Diese kann ebenso wie die 1. Person Singular zur Begriffsbestimmung verwandt werden.⁹² Aber vielfach ist die 1. Person Plural als ein ‚integratives Wir‘⁹³ aufzufassen; dieses „beschwört den Geist einer Gruppe und wirkt als ‚Konsensappell‘“⁹⁴.

3.7 Die Rolle von Diskursivität Es ist auffällig, dass Aristoteles des öfteren über größere Strecken hinweg diskursiv vorgeht. Diese diskursiven Strukturen fassen wir auf der Grundlage von Föllinger 1993 und Föllinger 2012 als literarische Umsetzung bestimmter, in der Dialektik des mündlichen Akademischen Gesprächs beheimateter Argumentationsweisen auf, die zum einen den Weg der Erkenntnis, etwa Elenktik und Ausschlussverfahren, wiedergeben und zum anderen dem Rezipienten damit gleichzeitig ermöglichen, den Weg des Erkenntnisgewinns nachzuverfolgen. Denn diese Vorgehensweise⁹⁵ muss man in Verbindung sehen mit der dialekti-

 Es ist verschiedentlich festgestellt worden, dass Aristoteles’ Wissenschaftsprosa einen eher unpersönlichen Stil habe. So findet sich kaum eine direkt erfolgende Ansprache des Gegenübers und Aristoteles verwendet selten die 2. Pers. Sg., außer in der Rhetorik (vgl. hierzu van der Eijk (1997) 118; Lengen (2002) 166). Genauere Untersuchungen, die alle Schriften mit einbeziehen würden, stehen noch aus.  Vgl. Asper (2007) 131: „Streben nach Un- oder besser Überpersönlichkeit“.  Otto Regenbogen (1961) setzte diese aristotelische Eigenheit ab von dem in früher wissenschaftlicher Prosa gebräuchlichen ‚ich‘-Stil und bezeichnete sie mit einem unglücklichen Ausdruck als Form eines „objektiven“ Stils.  Zur „standardisiert(en)“ Verwendung der 1. Pers. Sg. und gelegentlich auch 1. Pers. Pl. für Begriffsbestimmungen u. ä. vgl. Asper (2007) 132 mit Anm. 270, der auf die Stellensammlung bei Brink (1933) 56 f. verweist.  Der Ausdruck stammt von Asper (2007) 128.Von dem ‚integrativen Wir‘ sind zu unterscheiden ein „generalisierende[s] Wir (= man)“ und ein „anthropologische[s] Wir“ (= die Gattung Mensch) (Asper 2007, 128, Anm. 242 mit Verweis auf Brink 1933, 57).  Asper (2007) 128, Anm. 242 mit Verweis auf Usener (1994) 135, von der der Ausdruck „Konsensappell“ stammt.  Die folgende Passage bis „τὸ ψεῦδος“ ist entnommen aus Föllinger (1993) 263 – 265, unter Anpassung der Fußnoten.

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schen Methode, die bei Aristoteles eine große Rolle spielt. So sind Teile der aristotelischen Pragmatien vom Aporien-Stil geprägt. D. h. es werden vielfach nicht Ergebnisse präsentiert, sondern Ausgangspunkt ist eine bestimmte Frage, deren verschiedene Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden. Die Art und Weise der Diskussion entspricht dabei der dialektischen Methode, wie sie Aristoteles in seiner Topik vorstellt.⁹⁶ In dieser schrieb er, wie er selbst hervorhebt,⁹⁷ als erster systematisch über die Fähigkeit der dialektischen Gesprächsführung. Der Begriff διαλέγεσθαι wird von ihm nicht definiert. Er bedeutet im weiteren Sinne das Sprechen von zwei Personen, also den Gedankenaustausch im Gespräch. Im engeren Sinn ist es das einem bestimmten Problem angemessene Reden.⁹⁸ Das dialektische Gespräch geht nach folgendem Muster vor sich: Es gibt zwei Gesprächsrollen, einen Fragenden und einen Antwortenden. Der Ausgangspunkt ist ein πρόβλημα, d. h. eine Fragestellung mit zwei Seiten, für deren eine man sich entscheiden muss. Formuliert wird dieses Problem folglich gern in Form einer Doppelfrage mit πότερον – ἢ. Der Fragende schlägt das Problem vor, der Antwortende wählt eine der beiden Seiten als seine Position. Der Fragende übernimmt die andere und hat nun die Aufgabe, die Position des Antwortenden zu widerlegen. Zu diesem Zweck stellt er Fragen, προτάσεις.⁹⁹ Diese Fragen muss er so geschickt wählen, dass als Folgerung der Antworten das gewünschte Ergebnis, nämlich die vom Fragenden von Anfang an vertretene Seite des Problems, herauskommt.¹⁰⁰ Dieses Vorgehen ist nun nicht nur intellektuelle Spielerei, sondern der Nutzen der Dialektik liegt auch auf anderem Gebiet.¹⁰¹ Aristoteles stellt den dreifachen Nutzen dieser Disziplin in Top. I 2. 101a26 – 36 dar. Neben der geistigen Übung (γυμνασία) und der Argumentation gegenüber Leuten aus der Menge (ἐντεύξεις) wird die Hilfe bei wissenschaftlicher Erkenntnis

 Beriger (1989) stellt das dialektische Verfahren im Einzelnen dar und wendet die Ergebnisse zur Untersuchung von Metaph. M 1– 3 an. Zum dialektischen Verfahren siehe auch Moraux (1968b) 277– 311; Kapp (1965) 19 – 21; Krämer (1971) 24– 27.  SE 34. 183b15 – 184b8.  Vgl. Beriger (1989) 23.  Wie Kapp (1965) 19 f., 86 f. treffend darlegt, hat der Fragende zuerst die Schlussfolgerung im Kopf, zu der er die passenden Prämissen überlegt.  Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: die Methode des ἀνασκευάζειν, d. h. der Fragende greift eine These an, um eine negative These zu behaupten, oder die des κατασκευάζειν, d. h. der Fragende verteidigt eine These, um eine positive These zu behaupten.  Ein Forschungsüberblick über die Auseinandersetzung mit der Rolle der Dialektik in der aristotelischen Wissenschaft und deren unterschiedliche Bewertungen findet sich bei Berti (1970) 51 ff. S. auch Krämer (1971) 22 mit Anm. 95. Zur „Aufwertung“ der Dialektik s. die bei Beriger (1989) 63 mit Anm. 2 genannten Autoren sowie die Ausführungen bei Berti (ebd.) und Beriger (1989) 63 – 80. Berti (1996) zufolge hat Aristoteles’ Auffassung von Dialektik sich nicht verändert.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

(πρὸς τὰς κατὰ φιλοσοφίαν ἐπιστήμας) genannt. Denn die Dialektik verhilft zur Wahrheitsfindung, indem sie fähig macht, bei einem Problem die Argumente nach beiden Seiten durchzugehen und so leichter aufzudecken, was wahr und was falsch ist (δυνάμενοι πρὸς ἀμφότερα διαπορῆσαι ῥᾷον ἐν ἑκάστοις κατοψόμεθα τἀληθές τε καὶ τὸ ψεῦδος).¹⁰² Das Procedere des diaporēsai besteht also darin, die zu einem Thema gehörenden Aporien/Problemfragen erschöpfend durchzugehen, und stellt das Ziel eines Streitgesprächs dar. Im wissenschaftlichen Bereich führt es, in der Formulierung von Christof Rapp, zu einem „epistemic state“¹⁰³, der einen das Für und Wider der widerstreitenden Positionen überschauen und dadurch leichter wahr und falsch unterscheiden lässt (Top. I 2. 101a34– 36), ohne so bereits zu einem wissenschaftlich abgesicherten Resultat zu gelangen.¹⁰⁴ An¹⁰⁵ diesem Punkt ist sozusagen der Übergang zu einer Verinnerlichung des dialektischen Verfahrens gemacht.Während der Nutzen der γυμνασία stark auf die Übungen der Akademischen Schulgespräche zurückweist,¹⁰⁶ wird bei dem dritten Nutzen das, was sich eigentlich zwischen Gesprächspartnern abspielt, zur Methode des für sich forschenden Wissenschaftlers.¹⁰⁷ Dieser diskutiert nicht mehr nur im Hinblick auf Gegner. Vielmehr macht er, wie Aristoteles es in De caelo II 13 mit aus der Dialektik stammender Begrifflichkeit ausdrückt,¹⁰⁸ sich selbst solange

 Die verschiedenen Funktionen der Dialektik für die wissenschaftliche Philosophie fasst Krämer (1971) 22 unter Angabe der betreffenden Stellen aus der Topik so zusammen: „Organon der Denkschulung, der Bedeutungsunterscheidung oder Hypothesenprüfung, sei es der heuristischen Problemexposition – wozu weitgehend auch die kritische Doxographie zählt –, sei es der Prinzipienfindung.“  Rapp (2018) 118.  Vgl. S. 51.  Die folgende Passage bis „gewährleistet“ ist übernommen aus Föllinger (1993) 265 – 267.  Vgl. Kapp (1965) 23, 74. Zum Verhältnis von platonischer und aristotelischer Dialektik s. Krämer (1971) 14– 58.  Top. VIII 14. 163a36–b12 präzisiert den in der Elimination falscher Anschauungen liegenden, „privativen“ Nutzen der Dialektik für den Erkenntnisgewinn folgendermaßen: Die Übung, für eine jede These das Für und Wider zu kennen, die sowohl der Fähigkeit des Fragens als auch der des Antwortens dienlich ist, ist auch für die Erkenntnis (γνῶσις) und die philosophische Klugheit (ἡ κατὰ φιλοσοφίαν φρόνησις) von Bedeutung. Denn indem man die Folgerungen zweier konträrer Annahmen überblicken kann und sie überblickt hat (συνορᾶν καὶ συνεωρακέναι), muss man nur noch die richtige von beiden Alternativen wählen: λοιπὸν γὰρ τούτων ὀρθῶς ἑλέσθαι θάτερον.  Cael. II 13. 294b6 – 13: ᾿Aλλ’ ἐοίκασι μέχρι τινὸς ζητεῖν, ἀλλ’ οὐ μέχρι περ οὗ δυνατὸν τῆς ἀπορίας. Πᾶσι γὰρ ἡμῖν τοῦτο σύνηθες, μὴ πρὸς τὸ πρᾶγμα ποιεῖσθαι τὴν ζήτησιν ἀλλὰ πρὸς τὸν τἀναντία λέγοντα· καὶ γὰρ αὐτὸς ἐν αὑτῷ ζητεῖ μέχρι περ ἂν οὗ μηκέτι ἔχῃ ἀντιλέγειν αὐτὸς αὑτῷ. Διὸ δεῖ τὸν μέλλοντα καλῶς ζητήσειν ἐνστατικὸν εἶναι διὰ τῶν οἰκείων ἐνστάσεων τῷ γένει, τοῦτο δ’ ἐστὶν ἐκ τοῦ πάσας τεθεωρηκέναι τὰς διαφοράς.

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gattungsimmanente Einwände (ἐνστάσεις),¹⁰⁹ bis er sich nicht mehr widersprechen (ἀντιλέγειν) kann.¹¹⁰ Die dialektische Methode ist also ein Mittel auf dem Weg des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns¹¹¹ und wird dementsprechend von Aristoteles angewendet. So bedient sich ihrer die ganze πρώτη φιλοσοφία, die Metaphysik.¹¹² Bei Aristoteles wird, um das bisher Gesagte zusammenzufassen, das zwischen zwei Personen sich abspielende dialektische Verfahren in das Innere einer Person verlegt. So lassen sich die Elemente eines mündlichen Stils, die wir in den Pragmatien finden, als Ergebnis einer Entwicklung erklären, die von der im Gespräch beheimateten Dialektik über das dialektische Vorgehen bei der eigenen Forschung zu deren schriftlicher Niederlegung führt.¹¹³ Nun dient es nicht nur der Erleichterung des Erkenntnisprozesses, dass Aristoteles in den Pragmatien gegen imaginäre Gesprächspartner argumentiert, sondern es gibt noch einen anderen Grund dafür. Er führt ihn in De caelo I 10¹¹⁴ als Begründung dafür an, dass er die Frage nach der Ewigkeit der Welt mit einer Diskussion anderer Meinungen beginnt:¹¹⁵

 Dirlmeier (1962) 13 verkennt die Sachlage, da er von einer „Übertragung der innerseelischen Debatte mit dem innerseelischen Gegner auf die Debatte mit äußeren Gegnern“ spricht. Das Umgekehrte ist der Fall.  Zur Unterscheidung von Dialektiker und Philosoph s. Top. VIII 1. 155b2– 16. Das richtige Antworten, das darin besteht, einen Argumentationsgang zu entkräften (πῶς χρὴ λύειν καὶ τί) ist nach SE 16. 175a1– 12 auch für die Philosophie bedeutsam, da es zum einen der Begriffsunterscheidung dient und zum zweiten bei der „einsamen Forschung“ (καθ’ αὑτὸν ζητήσεις) hilft, den eigenen Paralogismen zu entgehen. SE 7. 169a36–b1 unterscheidet die Täuschung, der man bei der Untersuchung mit einem anderen unterliegen kann, von der, die einem im Alleingang (καθ’ αὑτούς) unterlaufen kann: ἡ μὲν γὰρ μετ’ ἄλλου σκέψις διὰ λόγων, ἡ δὲ καθ’ αὑτὸν οὐχ ἧττον δι’ αὐτοῦ τοῦ πράγματος. In Metaph. Γ 2. 1004b17– 26 wird der Philosoph vom Dialektiker und vom Sophisten abgegrenzt. Von der Dialektik unterscheidet sich die Philosophie durch die Art und Weise, wie sie die dialektische Methode anwendet, von der Sophistik durch die Ehrlichkeit des Strebens nach positiver Erkenntnis.  Vgl. Kullmann (1974) 180: Dialektik dient (im Unterschied zur apodeixis) dem Erkenntnisgewinn, bezeichnet „modern ausgedrückt, den Weg der ‚Forschung‘, research“ (171). Zur Betonung der Funktion der Empirie für den „Ersten Teil“ der Wissenschaft in APo. I 13, I 18, I 27, II 13 ebd. 170; 220. Vgl. auch Kullmann (1990) 335 – 347, v. a. 336.  Zu Aristoteles’ Nachweis, dass der Satz des Widerspruchs selbst nicht anders als dialektisch „bewiesen“ werden kann, s. Berti (1970) 69 – 75.  Bei Aristoteles ist es möglich, so Dirlmeiers treffende Formulierung, einem „Vorgang des Forschens beizuwohnen“ (Dirlmeier 1962, 12).  Cael. I 10. 279b7– 9.  Die Übersetzung stammt von Föllinger.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

… das, was gesagt werden wird, wird eher glaubhaft sein, wenn man (vorher) die Rechtfertigungen (dikaiōmata) der streitenden Meinungen (logoi) gehört hat (προακηκοόσι). Denn dann fiele wohl weniger der Schein auf uns, wir würden in Abwesenheit des Gegners das Urteil fällen. Denn es sollen ja Schiedsrichter, aber nicht Prozessgegner sein diejenigen, die die Wahrheit hinreichend beurteilen wollen.¹¹⁶

Hier ist also die Autor-Rezipienten¹¹⁷-Situation angesprochen. In einer Situation, die sich nicht zwischen Gesprächspartnern abspielt, sondern zwischen einem Sprechenden bzw. Schreibenden und seinen Rezipienten, müssen aus Gründen der Lauterkeit vom Autor die Argumente der Gegner mit aufgezählt werden. Mit dem „wir“ des letzten Satzes, das die Beurteilungsinstanz bezeichnet, bezieht der Autor seine Rezipienten mit ein. Im Grunde ist zwar er es, der die Entscheidung fällt, doch durch die von ihm erstrebte Transparenz der Argumentation soll das Gegenüber seine Entscheidung teilen können.¹¹⁸ Damit ist ‚Objektivität‘, analog zu einem Gerichtsprozess,¹¹⁹ gewährleistet. Diese neuartige Form wissenschaftlichen Schreibens, das die literarische Form als Weg der Erkenntniserschließung nützt, kann mit einem Begriff aus der Schreibforschung als ‚epistemisches Schreiben‘¹²⁰ bezeichnet werden.¹²¹ Das Besondere dieses aristotelischen Schreibens besteht darin, dass der Vollzug des eigenen Theorieentwurfs vielfach offensichtlich gleich mit einem Blick auf den kommunikativen Zusammenhang geschieht. Dabei sind die avisierten Adressaten als Schiedsrichter über die vorgelegte Argumentation gedacht, so wie es die zitierte Stelle aus De caelo I 10 zum Ausdruck bringt. Viele Passagen in GA sind von den genannten diskursiven Elementen geprägt, die auf der formalen Ebene Vorgehensweisen des dialektischen Gesprächs präsentieren. Auf der inhaltlichen Ebene sind diese Elemente aber nicht unbedingt im Sinne aristotelischer Wissenschaftstheorie dialektisch, indem sie Endoxa zu ἅμα δὲ καὶ μᾶλλον ἂν εἴη πιστὰ τὰ μέλλοντα λεχθήσεσθαι προακηκοόσι τὰ τῶν ἀμφισβητούντων λόγων δικαιώματα· τὸ γὰρ ἐρήμην καταδικάζεσθαι δοκεῖν ἧττον ἂν ἡμῖν ὑπάρχοι· καὶ γὰρ δεῖ διαιτητὰς ἀλλ’ οὐκ ἀντιδίκους εἶναι τοὺς μέλλοντας τἀληθὲς κρίνειν ἱκανῶς.  Hier ist der neutrale Ausdruck ‚Rezipient‘ gebraucht, da die Pragmatien sowohl für ein Hörals auch für ein Lesepublikum gedacht sein können.  Vgl. Prantls (1978, 284) Urteil: „Wie sich von selbst versteht, ist hier der Leser als Schiedsrichter gedacht.“  Die Figur des Schiedsrichters bei einer wissenschaftlichen Diskussion begegnet auch in Ph. III 6. 206a12– 14. Denn hier wird für den Fall, dass sich die Argumente für und wider die Unendlichkeit die Waage halten, ein Schiedsrichter zur Entscheidung gefordert: ὅταν δὲ διωρισμένων οὕτως μηδετέρως φαίνηται ἐνδέχεσθαι, διαιτητοῦ δεῖ, καὶ δῆλον ὄτι πῶς μὲν ἔστι πῶς δ’ οὔ.  Eigler u. a. (1990) 18 f.  Föllinger (2012).

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grundelegen würden.Vielmehr sind innerhalb des formal-dialektischen Diskurses die Prämissen oft empiriebasierte, durch Induktion hergeleitete Prämissen, die aber Teil eines ins Schriftliche umgesetzten dialektischen Verfahrens sind. Es sind also sprachlich-stilistische Charakteristika, die an die für die Gespräche in der Akademie typischen Strukturen erinnern.¹²² Deswegen spricht man im Blick auf diese immanente Dialogizität am besten von „formal dialektischen“¹²³ Elementen. Darüber hinaus ist aber zu prüfen, inwiefern solche ‚formal dialektischen‘ Strukturen auch tatsächlich endoxische Prämissen beinhalten. Die Diskursivität auf der strukturellen Ebene, die man als Charakteristikum von ’Mündlichkeit’ betrachten könnte, ist zu trennen von ‚Mündlichkeit als Medium‘.¹²⁴ D. h. dieses Vorgehen, das Aristoteles in GA verfolgt, muss nicht zwingend heißen, dass der ‚Sitz im Leben‘ mündlich, also etwa eine Vorlesungssituation war. Vielmehr kann auch ein Text, der für eine dekontextualisierte Eigenlektüre gedacht ist, solche strukturellen Merkmale aufweisen. Formal-dialektische Elemente von Diskursivität sind:¹²⁵ 1. Der Autor fordert dazu auf, ein bestimmtes Problem zu prüfen, entweder in Form eines Verbaladjektivs oder in der 1. Pers. Pl. 2. Durch die häufig gebrauchte Formel ἀπορήσειεν ἄν τις („es könnte einer die Frage aufwerfen“) wird ein imaginärer Gesprächspartner ins Spiel gebracht. Dieses (in der rhetorischen Theorie als ‚occupatio’ bekannte) Element dient dazu, eine neue Fragestellung anzuschneiden oder eine neue Perspektive in eine bereits laufende Diskussion einzubringen. Außerdem wird die Darstellung verlebendigt. Dieses Phänomen ist häufig anzutreffen, aber ‚naturgemäß’ besonders in polemischen Passagen wie etwa I 17 (vgl. etwa 721b11 ff.). 3. Dass der Wissenschaftler einen ‚inneren Dialog‘ führt, bei dem er gemäß Topik VIII 14. 163b9 – 12 sich selbst die Argumente für und wider eine Position anführt, hat zur Folge, dass er als Autor verschiedene Rollen spielen muss. Dies führt zu einem (mitunter abrupten) Perspektivenwechsel, sei es, dass in Form von Konditionalsätzen die Prämissen verschiedener Positionen angeführt werden, sei es, dass innerhalb eines direkten Hin und Her der Blick-

 Düring (1961) 19 spricht im Blick auf Aristoteles’ Methode der „‘successive approximations’“ (vgl. dazu S. 30) von „a typically Aristotelian systematization of the Socratic method used in Plato’s dialogues“.  Der Ausdruck stammt von Lengen (2002) 31 u. ö.  Zu der Unterscheidung von Mündlichkeit als Medium und ‚konzeptioneller Mündlichkeit‘ vgl. Koch/Oesterreicher (1985).  Zu den ‚formal dialektischen‘ Elementen im Einzelnen, die im Folgenden aufgeführt sind, vgl. Föllinger (1993) 267– 269 und Föllinger (2012) 240.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

winkel geändert wird. Gerade dieser nicht explizit gekennzeichnete ‚Sprecherwechsel‘ erfordert ein reges Mitdenken des Rezipienten. 4. Ebenfalls ist ein Kennzeichen eine direkte oder indirekte Frage-und-AntwortStruktur, dementsprechend direkte und indirekte Rede, mitunter auch ein abrupter Wechsel von indirekter in direkte Rede. Den Einheiten eines im Gespräch verlaufenden Widerlegungsverfahrens entsprechen in der schriftlichen Repräsentation die syntaktischen Einheiten eines Konditionalgefüges: Die Protasis bringt die Prämisse, die sich aus der Position des Gesprächspartners ergibt, die Apodosis die Widerlegung. Die Apodosis kann eine Reductio ad absurdum anführen oder, was im biologischen Kontext eine wichtige Rolle spielt, ein Gegenargument aus der Empirie. Sie kann als Aussagesatz formuliert sein oder aber als rhetorische Frage.¹²⁶ Gerade Fragen finden sich in diskursiven Passagen, die, im Unterschied zur ‚unpersönlichen Darstellungsweise‘, den Rezipienten in den Prozess der Untersuchung mit einbeziehen.¹²⁷ 5. Oft findet sich nicht nur ein Gegenargument, sondern Aristoteles führt gleich mehrere an, um seine Widerlegung einer bestimmten Position stärker zu machen. Diese Vorgehensweise innerhalb eines dialektischen Gesprächs empfiehlt die Topik (VIII 14. 163b4– 9). Die Verwendung von – in der Regel mit ἔτι oder πρὸς τούτοις – eingeleiteten Parallelargumenten beobachtet man in GA vielfach, signifikanterweise in diskursiven Partien, so bei der Widerlegung der Pangenesislehre in I 17– 23 und IV 1. In I 9 dient das Anführen von Parallelargumenten offensichtlich dazu, Schwächen der Argumentation auszugleichen. 6. Die Behandlung einer Fragestellung unterliegt mitunter nicht einer strengen Planung, auch wenn ihre Einführung, zum Beispiel in Form eines ausgearbeiteten Fragenkatalogs, dies suggeriert. Vielmehr wird plötzlich ein Neuansatz von einer anderen Perspektive her unternommen, es wird eine mit dem Thema zusammenhängende Frage angeknüpft, oder es werden, nachdem eine Frage abgehandelt scheint, noch Bestätigungen oder Begründungen nachgeschoben. 7. Voraussetzungen werden nicht ausführlich offengelegt.¹²⁸ 8. Syllogismen werden nicht ausgeführt, vielmehr arbeitet Aristoteles mit Enthymemen, bei denen der Rezipient – unausgesprochen – einen Teil des Syllogismus ergänzen muss.

 Natürlich können Protasis und Apodosis auch andere Funktionen haben.  Vgl. Dirlmeier (1962) 12.  Dazu vgl. oben.

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Neben den strukturellen Merkmalen weist die Semantik auf den Bereich dialektischen Argumentierens hin. Hierher gehören Begriffe wie λόγον λαβεῖν, λόγον ὑπέχειν, τιθέναι, λύειν.¹²⁹

3.8 Das Anknüpfen an allgemein Akzeptiertes Mitunter knüpft Aristoteles im Rahmen seiner Argumentation an allgemein Akzeptiertes an, um seine Theorie zu entwickeln. Ein auffälliges Beispiel ist GA I 2. Hier leitet er die Entwicklung seiner eigenen Theorie mit einer common senseDefinition ein:¹³⁰ Das Männchen zeugt in ein Anderes, das Weibchen in sich selbst. Diese entspricht aber gar nicht seiner eigenen Definition, die vielmehr den Unterschied in der Wärme als eigentliches Definiens ansetzt, aber erst im Folgenden entwickelt wird. Zusätzlich führt er in diesem Kapitel die volkstümliche Meinung an, dass man der Erde allgemein weibliche und mütterliche, dem Himmel männliche und väterliche Züge zuschreibe.¹³¹ Diese Anbindung an Bekanntes und Akzeptiertes dient dazu, die Prinzipienhaftigkeit der Geschlechter, auf die die Argumentation hinauslaufen soll, didaktisch geschickt einzuleiten. Mitunter bindet Aristoteles seine eigene Theorie sogar an Mythen an, um zu zeigen, dass in diesen eine Art vorwissenschaftlicher Erkenntnis liegt. Auch dies lässt sich als eine Plausibilisierungsstrategie betrachten. Ein Beispiel ist II 2. 736a18 – 21. Hier schließt Aristoteles seine für die eigene Samentheorie ganz zentralen Ausführungen ab mit dem Verweis darauf, dass auch den Vorfahren (archaioi) die schaumartige Beschaffenheit des Samens nicht verborgen geblieben sei und sie deshalb die „Göttin des Beischlafs“ dementsprechend – hier leitet Aristoteles ‚Aphrodite‘ von ‚aphros‘ (= Schaum) ab – benannt hätten. Den Mythos von der Erdgeborenheit der Menschen verwendet Aristoteles in III 11 sogar als hypothetische Prämisse (εἴπερ, …, 762b29 f.) im Zusammenhang einer Argumentation (762b28 – 30), die zu einer universell-hypothetischen (εἴπερ ἦν τις ἀρχή …, 763a3) zoologischen Perspektive voranschreitet.¹³² Sogar ein Sprichwort kann einmal dazu dienen, eine Theorie an etwas Bekanntes anzubinden, wenngleich nur als weniger valente Evidenz (II 7. 746b7 f.).

 Vgl. Krämer (1971) 19 f.  Zu Aristoteles’ Verfahren, eine common sense-Definition zugrundezulegen, die dann nach und nach modifiziert wird, vgl. für die Politik Newman (1887) 214– 219.  Vgl. die ausführliche Analyse von I 2 in Föllinger/Busch (2022).  S. 330.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

3.9 ‚Latentes Verschieben‘ von Begriffsbedeutungen und ‚latente Einführung‘ von Begriffen Dass Aristoteles Begriffe in unterschiedlicher Bedeutung verwenden kann, ist eine häufig gemachte Beobachtung und sollte umfassender untersucht werden. Im Rahmen dieser Arbeit ist erst einmal das Resultat festzuhalten, dass Aristoteles’ Argumentation auch darauf beruhen kann, dass er Bedeutungen latent verschiebt. Beispiele bieten der Gebrauch von δύνασθαι in I 2¹³³ sowie IV 3, wo man eine schleichende Erweiterung des ‚Impuls‘-Begriffs auf den Impuls des weiblichen Zeugungspartners beobachten kann.¹³⁴ Immer wieder führt Aristoteles ‚unter der Hand‘ Begriffe ein, die noch nicht erklärt wurden, aber für seine Theorie durchaus zentrale Bedeutung besitzen können. So verwendet er ‚plötzlich‘ den Begriff hyle für den weiblichen Zeugungsbeitrag in I 2 (716a6 f.) und in I 9 (73,1027b31 f.), obwohl erst an späterer Stelle argumentiert wird, dass der weibliche Zeugungsbeitrag in hyle bestehe (II 19, zusammengefasst am Kapitelende, 727b31– 33). Mit dem in dem Band von Wians und Polansky verfolgten Erklärungsansatz könnte man hier vermuten, dass Aristoteles aus didaktischen Gründen noch keine näheren Informationen dazu gibt, sondern erst ‚nach und nach‘ seine Theorie voll entfaltet. Man könnte dies aber auch als Zeichen eines prozessualen Schreibens sehen, das dem ‚Ordnen‘ dient; in dessen Verlauf kann es durchaus geschehen, dass der Begriff bereits Anwendung findet, bevor er erläutert wird (unter der oben genannten Voraussetzung, dass Aristoteles eine Makrostruktur hat, die er verfolgt). Wenn man das Ergebnis der Untersuchung von Falcon/Leunissen¹³⁵ für De caelo vergleicht, wo Aristoteles – im Unterschied zu GA – regelmäßig auf eine später erfolgende Klärung verweist, ist die Annahme, die latente Einführung noch nicht geklärter Begriffe hänge mit dem prozessualen Vorgehen in GA zusammen, wahrscheinlicher.

3.10 Die Betonung wissenschaftlicher Genauigkeit Entsprechend seiner Wissenschaftstheorie, die möglichst große Genauigkeit verlangt, weist Aristoteles immer wieder darauf hin, dass es Ausnahmen gibt. Seiner

 Die Bedeutung von δύνασθαι verschiebt sich insofern, als es zuerst das Vermögen, in ein anderes Tier bzw. in sich selbst zu zeugen (716a20 – 22), bezeichnet und dann ein mit dem je spezifischen ergon verbundenes Vermögen (716a23), das die Notwendigkeit eines kongenialen Körperorgans begründet (716a23 – 27), meint.  Vgl. unten, S. 353 f.  Falcon/Leunissen (2015).

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eigenen Theorie kann er dadurch eine besondere Wertigkeit verleihen, dass sie nicht nur die Regel begründen kann, sondern sogar, warum Ausnahmen von der Regel vorkommen. Ein Beispiel hierfür ist seine Erklärung, warum der Uterus der Oktopoden unpaarig zu sein scheint (I 3. 717a5 – 7). Auch weist Aristoteles immer wieder darauf hin, dass etwas noch nicht genügend beobachtet wurde, wie etwa im Fall der Kopulationen von Insekten, auf die er in I 16 eingeht. In II 5. 741a32–b7 hebt er hervor, dass es möglicherweise auch andere Formen der Zeugung gibt. So lägen bei bestimmten Fischen noch nicht genügend Beobachtungen zu einer möglicherweise parthenogenetisch verlaufenden Fortpflanzung vor, bei anderen gebe es keine Geschlechtertrennung.¹³⁶ In den Bereich ‚wissenschaftliche Genauigkeit‘ gehört auch eine Ausdrucksweise, die man als eine typisch aristotelische Kautele ansehen kann. Darunter verstehen wir die Formulierung eines gewissen Vorbehalts wie in III 5. 755b1– 6, wo Aristoteles seiner Aussage, die notwendige Bedingung für die Reifung der Eier sei die Besamung durch die männlichen Tiere, hinzufügt: „jedenfalls bei zweigeschlechtlichen Arten“ (ὅσων ἐστί τὸ μὲν θῆλυ τὸ δ’ ἄρρεν, 755b5 f.).¹³⁷

3.11 Die Funktion tentativer Formulierungen im Rahmen der Theoriebildung Im Zusammenhang mit Aristoteles’ Bemühen um Wissenschaftlichkeit, die auch in der sprachlichen Präsentation ihren Ausdruck findet, ist der Gebrauch von „vorsichtigen Formulierungen“¹³⁸ bedeutsam, also etwa die Formulierung mit φαίνεσθαι ἴσως und der Einsatz von potentialem Optativ. Gerade diese Ausdrucksweisen können Marker für ein prozessuales Vorge¹³⁹ hen sein und Aufschluss darüber geben, auf welche Weise in einem Werk wie De generatione animalium, das das Projekt der Aitiologie der Zeugung verfolgt, das Verhältnis von Empirie und Theorie gestaltet ist und wie bestimmte Feststellungen zu werten sind. So formuliert Aristoteles in der bereits erwähnten Passage, die seine Untersuchung der Geschlechtsentstehung bei den Bienen abschließt: „Von der Argumentation her scheinen sich also die auf die Fortpflanzung der Bienen bezogenen Dinge in dieser Weise zu verhalten – und von dem her, was bei ihnen vor sich zu gehen scheint; sicherlich sind die Vorgänge nicht hinreichend erfaßt – wenn sie aber einmal erfaßt werden, dann ist der Wahrnehmung eher als den

   

Vgl. Föllinger (1996a) 160 – 182. Vgl. auch IV 8. 777a18 f. Lengen (2002) 76. Zu Aristoteles’ Tentativität in der Politik siehe Newman (1887) 246 mit Anm. 1.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Argumenten zu trauen, und den Argumenten dann, wenn sie mit den Phänomenen Übereinstimmendes erweisen“ (GA III 10. 760b27– 33).¹⁴⁰ Ein anderes wichtiges Beispiel dafür, dass Aristoteles’ tentative Ausdrucksweise von inhaltlicher Relevanz ist, stellt seine berühmte Aussage zu dem Verhältnis von männlichem und weiblichem Geschlecht in der Biologie dar. Denn er formuliert, dass das weibliche Mitglied einer Spezies „wie/gleichsam“ (ὥσπερ) ein verstümmeltes Männchen sei (II 3. 737a27 f.). Die Partikel ὥσπερ verdeutlicht die Bildlichkeit, in die Aristoteles seine Anschauung, das Weibchen könne aufgrund seiner größeren Kälte das Blut nicht bis zum Samen verkochen, kleidet – eine Bildlichkeit, für die er sich durch die Veränderungen des männlichen Phänotyps bei Kastration bestätigt sah (I 2. 716b5 ff. und V 7. 788a3 ff.). Die Metaphorik macht das Tentative der wissenschaftlichen Aussage deutlich, das im übrigen bei der Rezeption durch Thomas von Aquin wegfiel.¹⁴¹ Signifikant ist es – angesichts der Komplexität des Themas –, dass auch die Darstellung der Entwicklung des νοῦς in II 3 einen tentativen Charakter aufweist. Von dieser Tentativität, die Ausdruck wissenschaftlicher Genauigkeit und des Bewusstseins von der Prozesshaftigkeit sowie – zumindest partiellen – Vorläufigkeit wissenschaftlicher Ergebnisse ist, ist eine tentative Ausdrucksweise zu unterscheiden, die in dezidierte Formulierungen übergeht und damit eher eine Strategie darstellt, um die Überzeugungskraft der eigenen Theorie zu erhöhen.¹⁴²

3.12 Der Gebrauch von Analogien/Vergleichen Bei einer durchgängigen Lektüre von GA springt ins Auge, dass Aristoteles vielfach mit Analogien bzw. Vergleichen arbeitet. Diese können unterschiedliche Funktionen haben. Allgemein erläutert Aristoteles in den Analytica Posteriora Analogien damit, dass es in den beweisenden Wissenschaften Prinzipien gebe, die spezifisch für den jeweiligen Wissensbereich, und solche, die gemeinsam seien.¹⁴³ Die ge-

 Ἐκ μὲν οὖν τοῦ λόγου τὰ περὶ τὴν γένεσιν τῶν μελιττῶν τοῦτον ἔχειν φαίνεται τὸν τρόπον καὶ ἐκ τῶν συμβαίνειν δοκούντων περὶ αὐτάς· οὐ μὴν εἴληπταί γε τὰ συμβαίνοντα ἱκανῶς, ἀλλ’ ἐάν ποτε ληφθῇ τότε τῇ αἰσθήσει μᾶλλον τῶν λόγων πιστευτέον, καὶ τοῖς λόγοις ἐὰν ὁμολογούμενα δεικνύωσι τοῖς φαινομένοις.  Dies führte zu weitreichenden Konsequenzen. Vgl. Föllinger (2010c).  Vgl. dazu unten, S. 174.  Aristoteles bietet keine systematischen Überlegungen zu Analogien, obwohl sie eine wichtige Rolle in seiner Praxis spielen. Darum hat Fiedler (1978) „seine gelegentlichen theoretischen Äußerungen in den verschiedenen Schriften, … kommentierende Bemerkungen zu einzelnen

3 Argumentationsmuster

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meinsamen, so Aristoteles, seien unter dem Gesichtspunkt der Analogie (κατ’ ἀναλογίαν) gemeinsam. Darunter versteht er, wie seine weiteren Ausführungen hier und seine Äußerung zur Analogie in Metaphysik Δ 6. 1016b31 ff. verdeutlichen, eine Gemeinsamkeit, die die Gattungsgrenzen überschreitet.¹⁴⁴ Diese Gemeinsamkeit beruht auf einer „Gleichheit von Verhältnissen“ (EN 1131a31 ff. und Top. 136b34 ff., vgl. Top. I 17. 108a8): A verhält sich zu B wie C zu D.¹⁴⁵ Analogien spielen in Form von Schlüssen, die man modern Analogieschlüsse nennt, bei Aristoteles immer wieder eine Rolle.¹⁴⁶ Diese können gemäß seiner Wissenschaftstheorie nicht als wissenschaftliche Beweise gelten, weil sie darauf beruhen, dass man bei ihrer Anwendung genosüberschreitend vorgeht. Dies widerspricht aber der wissenschaftstheoretischen Auffassung, dass die Prinzipien immer aus dem Bereich desselben Genos kommen müssen. In der Biologie müssen also die Grenzen, die durch die Spezies gegeben sind, beachtet werden. Aber nach Aristoteles können Analogien helfen, Probleme zu entwickeln, Hypothesen aufzustellen oder Thesen dann zu untermauern (APo. II 14. 98a20), wenn „die spezifischen Beweismittel und Methoden der Einzelwissenschaften nicht auszureichen scheinen oder noch fehlen“¹⁴⁷. Damit bilden Analogieschlüsse eine Art des heuristischen Zugangs, der insofern seine Berechtigung hat, als die allgemeinen Prinzipien der Analogie nach dieselben sind.¹⁴⁸ Solche Schlüsse sind vor allem dann wichtig, wenn Dinge, die der Beobachtung nicht oder schlecht zugänglich sind, dargestellt werden sollen, wie dies etwa bei der Herleitung der

Analogievergleichen und … sein praktisches Vorgehen“ (21) untersucht, um Aristoteles’ Auffassung von Analogie und seine Verwendung von mit Analogien arbeitenden Schlussverfahren zu erhellen. Aristoteles spricht in De generatione animalium etwa häufig von analogon, um einen entsprechenden Stoff bei weiblichen Tieren, die keine Menstruation haben, zu bezeichnen. Aber auch bei anderen Körperteilen wie Herz, Gehirn, Lunge u. a. ist die Rede von analoga (vgl. die Stellen bei Fiedler, 1973, 27, Anm. 3). Fiedler sieht den Grund darin, dass Aristoteles sich durch den Verweis auf analoga des Problems entledigen konnte, einen terminus technicus neu zu kreieren. Aber die Art, wie Aristoteles, in den genannten Fällen von analogon spricht, geht mitunter darüber hinaus. Denn indem er einfach von einem analogon zum Menstruationsblut ausgeht, kann er seiner Theorie den Allgemeinheitscharakter verleihen, den er ihr geben möchte, ohne dass er tatsächlich einen entsprechenden Körperteil bzw. -bestandteil bei anderen Tieren nachweisen müsste. Vgl. oben, S. 34.  Vgl. hierzu Fiedler (1978) 22 f. und Sier (2022). Von analogon spricht Aristoteles im biologischen Bereich dann, wenn bei verschiedenen Arten bzw. Gattungen eine Funktionsgleichheit von Organen besteht, ohne dass Form und Struktur gleich sind (HA II 1. 497b32 ff.), vgl. Fiedler (1978) 26 f.  Vgl. Fiedler (1978) 25 und Sier (2022).  Kullmann (1974) 245 ff.; Kullmann (1998) 116 – 133.  Fiedler (1978) 36.  Vgl. hierzu Fiedler (1978) 37– 46 und zum Problem auch Sier (2022).

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Kugelgestalt des Mondes in APo. I 13. 78b4 ff. der Fall ist.¹⁴⁹ Überhaupt sind sie in De caelo wichtig, um etwas über die Beschaffenheit der untersuchten Dinge zu erfahren.¹⁵⁰ Dieses Verfahren, der Beobachtung besser zugängliche Sachverhalte auf weniger zugängliche anzuwenden, empfiehlt Aristoteles in EN II 2. 1104a11– 14 als methodisches Vorgehen.¹⁵¹ Wo Aristoteles mit dem Verfahren der Analogieschlüsse arbeitet, betont er gerne den ‚hypothetischen‘ Charakter.¹⁵² PA I 5 zufolge sind die Gegenstände der Biologie besser zu beobachten als die der Astronomie. Aber dennoch gibt es in GA Analogieschlüsse¹⁵³. Dies hat seinen Grund darin, dass in dieser Schrift Prozesse erklärt werden, die man nicht beobachten kann bzw. konnte, wie etwa die Entstehung des Samens, die Entstehung des Menstruationsblutes und die ‚Informationsweitergabe‘ bei der Fortpflanzung, und der spekulative Charakter der Schrift deswegen recht hoch ist.¹⁵⁴ Aus diesem Grund zieht Aristoteles Analogien auch gerne als Verstärkung für Indizien heran, mit denen er Evidenz für das Vorhandensein bestimmter Dinge, die man nicht beobachten kann, herstellen will. Dies ist in I 20 der Fall, wo Aristoteles als Evidenz für seine These, dass ein einziger Samen mehrere Nachkommen hervorbringen könne, das Phänomen der aus einer einzigen Kopulation entstehenden Mehrlingsgeburten anführt und dieses dann mit der berühmten Lab-Analogie erläutert. Analogien haben aber auch eine didaktische Funktion, weil sie etwas illustrieren. Diese Funktion ist immer wieder in GA deutlich und erklärt sich insbesondere, wenn man bedenkt, dass GA auch für einen kommunikativen Kontext geschrieben ist. Dabei ist allerdings Fiedlers auf Aristoteles’ Schriften im allgemeinen gemünztes Urteil, der Analogiengebrauch sei deshalb wichtig, weil die didaktische Funktion „gerade in den Schriften des Aristoteles, die ja der Vermittlung bereits gewonnener Erkenntnisse dienen, eine bedeutende Rolle spielt“¹⁵⁵, dahingehend zu modifizieren, dass die Frage, welche Intention jede Schrift hatte, für jede einzelne untersucht werden muss. Im Blick auf GA lässt sich sagen, dass man hier den Eindruck gewinnt, dass Analogien auch ein Mittel für die eigene Klärung bilden, was nicht ausschließt, dass sie gleichzeitig der Erklärung für den Adressaten dienen: Aristoteles lässt den Adressaten am eigenen

 Vgl. dazu Fiedler (1978) 30 f.  Vgl. Kullmann (1998) 117– 119 zur Notwendigkeit, für diesen Bereich etwas auf „indirektem Wege“ (118) über die Beschaffenheit der untersuchten Dinge zu erfahren.  Vgl. dazu auch Falcon/Leunissen (2015).  Dies hat Kullmann (1998) 130 f. für De caelo beobachtet.  Zum Begriff vgl. Kullmann 1998, 119 mit Anm. 189.  Siehe Sier (2022).  Fiedler (1978) 11.

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Weg der Erkenntnis, der auch Analogie- und Modellbildung beinhaltet, teilnehmen. Denn indem er eine Analogie benutzt, kann er eine Klärung im eigenen Erkenntnisprozess durchführen und diesen Weg der Klärung (per Analogiebildung) auch zur Vermittlung an die Adressaten benutzen. Ein deutlicher Fall ist der Vergleich der Wirkung der – wie wir modern sagen würden – ‚epigenetischen‘ Wirkung des Samens mit der Funktionsweise von automata (II 1. 734b4– 19).¹⁵⁶ Hier dient die Analogie bzw. der Vergleich offensichtlich als ein Modell, anhand dessen Aristoteles überhaupt erklärbar machen kann, wie man sich die Wirkung des Samens vorzustellen habe.¹⁵⁷ Gleichzeitig bietet in diesem Fall die Analogie aber auch überhaupt erst die Möglichkeit der Verbalisierung der Wirkweise, da Aristoteles ja noch keine Fachterminologie dafür vorfinden konnte. Ähnlich verhält es sich mit dem Axt- und Schwert-Vergleich in GA II 1. 734b19 ff. Um zu erläutern, wie die einzelnen Körperteile gebildet werden, analogisiert Aristoteles diesen Prozess mit der künstlichen Herstellung: In beiden, Natur und künstlicher Produktion, entstehe etwas durch den Anstoß eines Seienden, das aktual sei, aus etwas, das potentiell sei. Diese abstrakte Erklärung, für die Aristoteles seine Konzeption von Akt und Potenz und die von ihm für diese bereits eingeführte Fachterminologie von ἐνέργεια und δύναμις¹⁵⁸ zur Verfügung steht, illustriert er mit den Vergleichen von Axt und Schwert: Nicht durch Wärme und Kälte werde das Instrument hergestellt, sondern durch den λόγος, den die Bewegung vermittele. Es ist schwierig, den Begriff ‚λόγος‘ (735a2) zu übersetzen, auch wenn sachlich klar ist, was er meint.¹⁵⁹ Die dahinterliegende Vorstellung würden wir modern wohl als ‚Information‘ bezeichnen. An dieser Stelle sieht man gut, wie Aristoteles einen Vergleich benutzt, um durch die Analogie einem semantisch vielfältigen Begriff in einem bestimmten Kontext eine bestimmte Bedeutung zu verleihen, für die er kein Wort hat. Analogien können also heuristisch oder didaktisch oder in beiden Funktionen zugleich verwandt werden. Sie können als Modelle dienen. Und sie können eine fehlende Fachterminologie ersetzen.  Vgl. dazu unten, S. 98‒200.  Eine vergleichbar heuristische Funktion hat die Analogisierung der Blutgefäße mit einem System von Bewässerungskanälen in PA IV 10. 688a11 ff. und 24 ff. Diese Analogie hat, so Fiedler, keinen „Beweiszwang“; sie illustriert aber auch nicht nur, weil Aristoteles das, was er mit dem Bewässerungskanalsystem erklärt, nicht aus Autopsie kennt: „Das Bewässerungssystem bietet ein Modell, aus dem für Aristoteles alle im Zusammenhang feststellbaren Erscheinungsformen verständlich, d. h. begründbar werden“ (Fiedler 1978, 32).  Siehe GA I 19. 726b17 f.; II 1. 734b10 – 13; 734b19 – 22; II 3. 736b8 – 12; 736b13 – 15; 737a16 – 18; 737a23 f.; II 4. 740a1– 4; 740b18 – 20; II 5. 741a10 – 12; 741b14 f.; II 6. 742a12 f.; 743a23 – 26; 744a7 f.; IV 3. 768a11– 14; 768b4 f.; 768b7; 769b1 f.  Vgl. zur Stelle.

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Eine Analogie kann auch ein zusätzlicher Beleg (τεκμήριον) sein für eine These, die innerhalb des eigentlichen Objektbereichs gewonnen wurde. Theoretisch erklärt Aristoteles dieses didaktische Verfahren in EN II 2. 1104a11– 14. Er führt hier eine Analogie aus dem medizinischen Bereich, nämlich die Erklärung der allgemein zerstörerischen Wirkung von Zuviel und Zuwenig anhand der Gesundheit, an und konstatiert allgemein, man müsse Dinge, die weniger offensichtlich seien, durch Offensichtliches verdeutlichen (1104a13 f.: δεῖ γὰρ ὑπὲρ τῶν ἀφανῶν τοῖς φανεροῖς μαρτυρίοις χρῆσθαι). Die Tatsache, dass Aristoteles in GA mit sehr vielen Analogien arbeitet, ist somit ein deutlicher Hinweis darauf, dass es ihm um die Erklärung seiner Theoreme geht, wobei man aber immer wieder den Eindruck gewinnt, diese diene auch der eigenen Klärung im Sinne einer heuristischen Funktion, auch wenn sie nicht die Grundlage eines wissenschaftlichen Beweises sein können. Eng verwandt mit der Analogie ist der Vergleich. Ihn behandelt Aristoteles in der Rhetorik. Hier führt er aus, dass man zwar die Form der Metapher als einen verkürzten Vergleich auffassen kann, dass im Grunde aber der Vergleich eigentlich eine Unterform der Metapher ist. Metapher und Vergleich hängen also (Rh. III 10 – 11) eng zusammen.¹⁶⁰ Eine Metapher kann auf einen Vergleich ausgeweitet und ein Vergleich kann auf eine Metapher verkürzt werden. In diesem Zusammenhang der Rhetorik behandelt Aristoteles beide unter der Rubrik, wie man geistreich reden kann. Dabei sind aber Metapher und Vergleich nicht einfach nur Schmuck, sondern sie bewirken einen Lerneffekt, haben also eine didaktische Funktion. Diese entsteht durch die Lust, die beim Leser/Hörer durch die Metapherndechiffrierung entsteht. Der Vergleich unterscheidet sich von der Metapher Aristoteles zufolge durch die Form (Rh. III 10. 1410b10 – 19). Denn der Vergleich führt die Ebene, mit der verglichen wird, durch ein Vergleichswort („wie“ o. ä.) ein. Dies hat zur Folge, dass die Reflexion und Übertragung des Rezipienten schon in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Diese Differenzierung, die Aristoteles trifft, ist gut nachvollziehbar: Es macht einen Unterschied, ob man sagt: „Achill kämpft wie ein Löwe vor Troja“ oder „Ein Löwe kämpft vor Troja“. Unter rhetorisch-poetischen Gesichtspunkten ist deswegen der Vergleich, so Aristoteles,

 Vgl. Rapp (2002) Zweiter Halbband, 922: „Der Unterschied zwischen Metaphern und Gleichnissen wird auf zwei unterschiedliche Weisen bestimmt; nach der einen Bestimmung unterscheidet sich das Gleichnis von der Metapher nur durch das Wort ‚wie‘ oder ein ähnliches Vergleichswort … Nach der zweiten Bestimmung fehlt der Metapher im Vergleich zum Gleichnis ein ‚λόγος‘ (1407a13 f.), was man wohl am besten als ‚Erklärung‘ … und dies wiederum am besten im Sinne des tertium comparationis versteht: das Gleichnis nennt eine Gemeinsamkeit ausdrücklich, die die Metapher nur voraussetzt oder den Rezipienten erschließen lässt.“

3 Argumentationsmuster

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„weniger angenehm, weil länger; auch behauptet er¹⁶¹ nicht, dass dieses jenes sei; folglich sucht auch die Seele nicht danach“¹⁶² (Rh. III 10. 1410b18 f.¹⁶³). Insgesamt unterscheidet Aristoteles vier Formen von Metaphern, von denen diejenigen, denen eine Analogie zugrundeliegt (κατ’ ἀναλογίαν), die wichtigsten sind. Aus diesem Grund ist der Vergleich eng verwandt mit der Analogie bzw. kann er eine Form von Analogie sein. Während im Bereich der Poetik und Rhetorik eine Metapher gerade wegen der mit ihrem Erkenntnisgewinn verbundenen Lust verwendet werden soll und Aristoteles in der Rhetorik auch Vorschläge für Eigenschaften einer gelungenen Metapher gibt, eignet sie sich für die Wissenschaften dagegen nicht. So kann der Topik zufolge eine Metapher nicht für eine Definition genügen, weil sie undeutlich (ἀσαφές) ist (VI 2. 139b34 f.). Aus diesem Grund kritisiert Aristoteles im naturwissenschaftlichen Bereich immer wieder Empedokles, da dieser in seinem Gedicht Peri physeōs in metaphorischer Sprache formulierte (Mete. II 3. 357a24– 28)¹⁶⁴: „Ähnlich lächerlich¹⁶⁵ ist die Annahme, man hätte etwas erklärt, indem man das Meer ‚den Schweiß der Erde‘ nennt, wie das Empedokles tut. Metaphern sind poetisch, weswegen die entsprechende Ausdrucksweise den Anforderungen eines Gedichts genügen mag, für die wissenschaftliche Erkenntnis der Natur aber ungenügend sind.“ Für die Wissenschaft sind Klarheit und Explizitheit zentrale Kategorien, deshalb sind hier Begriffsklärungen, Definitionen erforderlich. Der Charme von Metaphern und Vergleichen dagegen liegt nun gerade darin, dass sie nicht explizit sind, sondern man Übertragungen vornehmen muss. Um so mehr mag es auf den ersten Blick verwundern, dass sich in GA ausgesprochen viele Vergleiche finden. Aber: Nach der aristotelischen Theorie sind Vergleiche nicht so mehrdeutig wie Metaphern. Denn der Vergleich „nennt eine Gemeinsamkeit ausdrücklich, die die Metapher nur voraussetzt oder den Rezipienten erschließen lässt.“¹⁶⁶ Vergleiche erzeugen also mehr Eindeutigkeit, indem Hinweise auf das tertium comparationis gegeben werden. Dass sich nun gerade in GA so viele und unterschiedliche Vergleiche (und Analogien) finden, hat drei Gründe, die oben im Zusammenhang mit den Analogien schon anklangen:

 Bei Rapp (2002) Erster Halbband, 144:“es“, da er mit „Gleichnis“ statt „Vergleich“ übersetzt.  ἔστιν γὰρ ἡ εἰκών, καθάπερ εἴρηται πρότερον, μεταφορὰ διαφέρουσα προθέσει· διὸ ἧττον ἡδύ, ὅτι μακροτέρως· καὶ οὐ λέγει ὡς τοῦτο ἐκεῖνο· οὐκοῦν οὐδὲ ζητεῖ τοῦτο ἡ ψυχή.  Übersetzung: Rapp (2002) Erster Halbband, 144.  Übersetzung: Rapp (2013) 301, Anm. 30  Rapp: „abwegig“.  Rapp (2002) Zweiter Halbband, 922.

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1.

2.

3.

      

Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Der eine liegt im kommunikativen Zusammenhang: GA ist eine Schrift, in der Aristoteles offensichtlich einem mehr oder minder breiten Rezipientenkreis seine Theorie vorführen will. Diese ist nun sehr abstrakt. Mit Vergleichen kann er Zusammenhänge, die auf der theoretischen Ebene abstrakt und schwierig sind und mit dem philosophischen Vier-Ursachen-Modell operieren, verständlich machen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Vergleich der Webgewichte, mit dem Aristoteles illustriert, welche Funktion Hoden seiner Theorie nach haben (I 4. 717a34–b2).¹⁶⁷ Dieser Vergleich dient didaktischen Zwecken. Denn Aristoteles ersetzt mit ihm nicht eine wissenschaftliche Erklärung, sondern fügt ihn der Erklärung an, um den Sachverhalt zu verdeutlichen. Analogien, die in den Vergleichen benutzt werden, können etwas erklären, ja begründen, was Aristoteles nicht mit einer auf der Ebene des eigentlichen Objektsbereichs angesiedelten Konzeption begründen kann. Ein eindrückliches Beispiel ist die bereits genannte Analogisierung der Wirkweise des Samens mit den automata. ¹⁶⁸ Ohne diesen Vergleich könnte er gar nicht – wohl auch nicht sich selbst – verständlich machen, was gemeint ist. Aber auch der von Aristoteles gerne bemühte Vergleich der Embryonalentstehung mit der Milchfermentierung ist hier zu nennen,¹⁶⁹ der immer wieder auftaucht (GA II 4. 739b20 – 33 u. ö.) und bei der Einbettung von Mehrlingsgeburten in die hylemorphistische Theorie sogar die Begründung ersetzt (GA I 20. 728b32– 729a20).¹⁷⁰ Und in III 4 wird als Aition ein nicht bloß illustrierender, sondern das eigentliche Argument bildender Vergleich (παραπλήσιον ὅπερ ἐπὶ …, 755a17) mit dem schnellen Wachstum des Hefe- (oder Sauer‐)Teigs gezogen.¹⁷¹ Auch die Art und Weise, wie Aristoteles den von ihm gerne verwandten Vergleich der Wirkung des männlichen Samens auf den weiblichen Zeugungsbeitrag mit der Arbeit eines Tischlers in GA III 2 gebraucht, fällt in diese Gruppe der Vergleiche mit Beweiskraft.¹⁷² Mit 2. hängt zusammen, dass der Vergleich dazu verhilft, etwas in Worte zu fassen, wofür eine Fachterminologie fehlt. Daher kommt es, dass an manchen Stellen Aristoteles die Analogisierung geradezu als Ersatz verwendet für eine spezifischere Terminologie.¹⁷³

Vgl. hierzu unten, S. 107. Vgl. dazu oben, S. 59 und unten, S. 198 f. Vgl. hierzu unten, S. 176 und S. 226 f. Vgl. hierzu unten, S. 74 f. Vgl. hierzu unten, S. 291 f. Vgl. dazu z. B. S. 180 f. Zum Zusammenhang von Vergleich und Fachterminologie vgl. Föllinger (in Vorbereitung).

3 Argumentationsmuster

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Allerdings weist Aristoteles in II 1 auch auf die Beschränktheit von Vergleichen hin: Die Analogisierung von technē und physis habe eine gewisse Einschränkung (II 1. 735a2– 4). Denn ἀρχή und εἶδος befänden sich bei einem Prozess der künstlichen Herstellung in einem Anderen, im natürlichen Prozess sei die κίνησις im Entstehenden selbst, stamme aber von einer anderen φύσις, die das εἶδος aktual habe. Die Bereiche, aus denen Aristoteles die Vergleiche bezieht, sind vielfältig. Zum einen ist es das Gebiet der ‚Technik‘. Dies liegt insofern nahe, als Aristoteles die Herstellung ‚durch die Natur‘ und die Herstellung ‚durch die technē‘ immer wieder parallelisiert (GA I 22. 730b19 – 23; II 1. 734b31– 735a4; II 4. 740b25 – 34; III 11. 762a15 – 18; IV 6. 775a20 – 22). Aber es gibt auch Vergleiche mit Verhaltensweisen aus anderen Bereichen der menschlichen Lebenswelt. Dazu zählt der Vergleich mit einem Flötenspieler, mit dem Aristoteles erklären will, dass das Bewirkende früher vorliegt als das Bewirkte (II 6. 742a24– 28). Ins Auge springt der Vergleich in II 4. 740a3 – 9: Hier vergleicht Aristoteles den Prozess des Selbständigwerdens des Embryos, bei dem zuerst die eigenständige Existenz des Herzens realisiert wird, mit einem Sohn, der aus dem Haus seines Vaters auszieht und selbständig wohnt. Bei der genauen Lektüre von GA fallen die zahlreichen Vergleiche mit der Botanik auf. Hier ist der Sprung über das Genos hinaus nicht so groß; aber die botanischen Vergleiche sind deshalb geeignet, weil Aristoteles mit ihnen an das Erfahrungswissen seiner Rezipienten appellieren und damit Prozesse, die bei der Entwicklung tierischer Nachkommen nicht beobachtet werden können, sichtbar machen kann.¹⁷⁴ Eine besondere Rolle spielen einige sogenannte ‚angenommene Vergleiche‘¹⁷⁵, die im Griechischen durch ὥς mit Partizip formuliert sind. Ein signifikantes Beispiel ist die Veranschaulichung des natürlichen Prozesses von Werden und Vergehen in der Natur. Der Kontext ist Aristoteles’ Beweisführung dafür, dass das Herz als erstes entsteht (II 5. 741b15 – 24). Dass das Herz den Beginn der Embryonalentwicklung bildet, schließt Aristoteles aus der Beobachtung; er beweist dies aber auch durch den Rekurs auf allgemeine Naturprozesse (συμβαίνει, 741b19): Generell (ἐπὶ πάντων, 741b19) versage das zuletzt in der Entwicklung Entstandene zuerst und umgekehrt, gleichsam als folge die Natur einer doppelspurigen Rennbahn mit Wendepunkt und ,spule‘ die Entwicklung in umgekehrter

 Eine Passage mit einer besonders hohen Dichte an Vergleichen ist I 22– 23.  Zum Terminus ‚angenommener Vergleich‘ vgl. Kühner/Gerth II 2, 90 f.: „Ob diese [durch das Partizip ausgedrückte] Eigenschaft in der Wirklichkeit bestehe oder eine bloss angenommene, scheinbare sei, kann nur aus dem Zusammenhange der Rede erkannt werden. … Denn jede Vergleichung ist etwas Subjektives, Vorgestelltes, gleichviel, ob sie etwas Wirkliches oder etwas bloss Angenommenes ausdrückt.“

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Reihenfolge wieder ,ab‘. Mit diesem ‚angenommenen Vergleich‘ (ὥσπερ mit Partizip, 741b21) führt Aristoteles verkürzt seine Auffassung von Werden und Vergehen an, die ebenfalls eine Umkehrung (πάλιν 741b23) der Ausgangs- und Endpunkte des Umschlags beinhaltet. Aber er gibt damit nicht, jedenfalls im strengen Sinne nicht, eine Begründung für das als allgemeingültig behauptete rückläufige Verhalten der Natur, sondern stellt nur eine formal-begriffliche Analogie zu einem Alltagsgeschehen her.¹⁷⁶

3.13 Die ‚notwendige Metapher‘ und Fachterminologie Man kann sehen, dass eine fehlende bzw. (noch) nicht genug ausgeprägte Fachterminologie Aristoteles vor ein Problem gestellt hat und dass er dieses auf verschiedene Weise zu lösen suchte:¹⁷⁷ 1. durch die Verwendung einer eigenen Fachterminlogie wie dynamis und energeia. 2. durch die flexible Zuweisung von Bedeutungen an semantisch vielfältige Begriffe wie logos, die je nach Kontextualisierung eine bestimmte Bedeutung erhalten, welche durch abstrakte und/oder konkrete Erläuterungen erhellt wird. 3. durch metaphorische Ausdrucksweise. Es ist die Art der Metapher, die Aristoteles in Rh. III 2. 1405a35 – 37 erläutert und die man später als ‚notwendige Metapher‘ bzw. ‚Katachrese‘ bezeichnete: Bezeichnungen werden aus anderen Bereichen übertragen, um etwas zu benennen, das noch keine eingeführte Benennung hat.¹⁷⁸ Eine solche Metapher ist in GA das Wort kratein, das aus dem militärisch-politischen Bereich kommt und in GA die Dominanz des väterlichen oder mütterlichen ‚Erbanteils‘ bezeichnet. Diese ‚notwendige‘ Metapher wird auch in den hippokratischen Schriften gebraucht, dort allerdings im Kontext einer ‚symmetrischen‘ Zeugungslehre, wohingegen Aristoteles sie im Rahmen seiner ‚asymmetrischen‘ Zeugungslehre benutzt.¹⁷⁹

 Siehe auch den ‚angenommenen Vergleich‘ in II 6. 743b22 f.  Zur Problematik der Fachterminologie in GA ist ein eigener Beitrag in Vorbereitung.  Vgl. Rapp (2002) Zweiter Halbband, 843.  Zeichen einer fehlenden Fachterminologie ist es wohl auch, dass Aristoteles in I 9 mit dem Begriff der „Teilhabe“ sich einer platonischen Ausdrucksweise bedient. Die Ausdrücke λύεσθαι und ἐξίστασθαι, die er in IV 3 verwendet, scheint er neu als Fachtermini für die sie bezeichnenden Prozesse der ‚Vererbung‘ einzuführen.

3 Argumentationsmuster

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3.14 Die Rolle von ‚Zeichen‘ (tekmēria, sēmeia) Immer wieder verweist Aristoteles auf empirische Zeichen bzw. ‚Indizien‘ – gewöhnlich, um seine theoretischen Modelle zu stützen. Diese fügt er gerne an den auf logischer Ebene erfolgten Beweisgang an und führt so die Erklärungspotenz seiner theoretischen Erkenntnisse vor. Er legt großen Wert auf eine Harmonisierung von Theorie und Empirie (vielleicht auch in betonter Abgrenzung zur Akademie): Die Theorie muss sich im Konkreten bewähren und mit den Fakten in Einklang zu bringen sein. Leunissen spricht von „inferential signs“¹⁸⁰; eine zwingende ‚inference‘ vom Indiz auf die zu stützende theoretische These ist jedoch eher die Ausnahme. In APr. II 27 und Rh. I 2 unternimmt Aristoteles jeweils eine klassifizierende Unterscheidung des (zunächst in allgemeinem Sinne gebrauchten) Begriffs ‚sēmeion‘; hierbei erscheint ‚tekmērion‘ als das (nicht nur graduell) stärkere Indiz, im Deutschen oft mit ‚zwingendes Indiz‘ wiedergegeben. In GA gebraucht Aristoteles drei verschiedene termini technici, die man mit ‚Indiz‘ wiedergeben könnte, außer den genannten beiden gibt es noch den des martyrion. Martyrion ist der in GA am wenigsten oft, nämlich nur viermal gebrauchte Begriff: In I 18. 721b28 u. 725b4 tritt er nach der Nennung von mehreren bzw. einem tekmērion auf und hat die Funktion einer zusätzlichen, aber schwächeren Abstützung einer These, worauf nicht verzichtet werden soll, da es sowohl den Vertretern der Pangenesislehre als auch Aristoteles selbst offenbar um eine umfassende Harmonisierung des jeweiligen theoretischen Modells mit möglichst vielfältigen empirischen Fakten geht. Am zweithäufigsten tritt der Begriff tekmērion auf. Bei diesem handelt es sich um ein tendenziell – insbesondere wenn schwächere martyria folgen – starkes Indiz; einmal wird es verstärkt zu einem megiston tekmērion (I 18. 723b19). Allerdings wird genau dieses Indiz explizit parallelisiert mit einem megiston sēmeion in I 21. 729b33, so dass keine konsequente begriffliche Unterscheidung festzustellen ist (was für Aristoteles ja nicht untypisch ist). Aufschlussreich ist, dass ein tekmērion, das in I 17 als eines von vier aus gegnerischer Sicht starken Indizien aufgeführt wurde, im folgenden – gleich nachdem Aristoteles diese gegnerischen Argumente pauschal als lyta charakterisiert hat (λύειν οὐ χαλεπόν, I 18. 722a2) – nurmehr (722a4) als sēmeion erscheint. Der Begriff sēmeion tritt mit Abstand am häufigsten auf und dürfte auch als der allgemeinste gelten, es gibt jedoch auch ‚blasse‘ Verwendungsweisen der

 Leunissen (2022).

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

beiden anderen termini technici (tekmērion: III 11. 763a34; IV 2. 766b28; V 5. 785a13; martyrion: IV 4. 771b8). Alle drei Begriffe treten, jeweils einleitend, auch in Verbindung mit der Wendung τὰ συμβαίνοντα (περί/ἐπί) auf, die eine explizite Anbindung an die Ebene der Empirie formuliert (tekmēria: IV 2. 766b28; sēmeia: I 19. 727a4 f., 783a19 f. [im Sg.]; martyria: I 18. 725b4; I 19. 727a32). Bestimmte belastbare empirische Beobachtungen sollen eben als Indizien Verwendung finden und werden als solche angekündigt.

3.15 Beispiele/Exempla Für unsere Untersuchung ist es hilfreich, eine Differenzierung des Begriffs ‚Beispiel‘ vorzunehmen.¹⁸¹ Denn während ‚Beispiele‘ im Sinne zoologischer Einzelbeobachtungen ganz zentral sind und einen wichtigen Bestandteil in Aristoteles’ Beweisverfahren spielen, etwa in der Funktion einer Induktion¹⁸² oder als Gegenargument für Thesen, die widerlegt werden sollen, kommen Beispiele im Sinne anekdotisch/narrativer Elemente, die wir hier zum Zweck der Unterscheidung ‚Exempla‘ nennen wollen, nicht so häufig vor – im Unterschied zu Vergleichen und Analogien. Den Grund hierfür kann man wohl in der aristotelischen Wissenschaftstheorie sehen. Dieser zufolge kommt naturwissenschaftlicher Theorie ein höherer Exaktheitsgrad zu als der Ethik.¹⁸³ Deshalb haben singuläre, also ‚anekdotische‘ Beispiele im naturwissenschaftlichen Bereich noch weniger Beweiskraft als Analogieschlüsse. Die Ausführungen, die Aristoteles selbst in seiner Rhetorik macht, können für den Zusammenhang in GA nur bedingt angewandt werden, weil sie für den Bereich der gesprochenen Rede gedacht sind (Rh. II 20. 1394a9 – 16). Für diese empfiehlt Aristoteles in dem Fall, dass kein Enthymem zur Verfügung stehe, Beispiele (παραδείγματα) wie einen Beweis zu verwenden. Für den Fall, dass man ein Enthymem verwenden könne, könnten Beispiele anschließend angeführt werden; diese hätten dann die Funktion eines „Zeugen“ (μαρτύριον). Dann reiche eines aus, weil ein einziger zuverlässiger Zeuge schon nützlich sei. Wenn man die

 Eine ausführlichere Untersuchung von Exempla ist in Vorbereitung: S. Föllinger, Narrative elements in Aristotle’s Generation of Animals.  Vgl. oben, S. 37.  Vgl. APo. I 27. 87a31– 35: „Genauer ist eine Wissenschaft gegenüber einer anderen …, die von weniger Dingen abhängt, gegenüber der von einem Zusatz abhängenden“ (Detel 1993, Erster Halbband, 54). Zur Ethik vgl. EN I 1. 1094b11– 27.

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Beispiele voranstelle, so Aristoteles, dann ergebe sich eine Induktion, die sich aber für Reden bis auf Ausnahmen nicht eigne.¹⁸⁴ Diese Ausführungen sind wichtig, insofern der wissenschaftliche Kontext von GA eine andere Argumentation erfordert als der Kontext einer politischen Rede. Aufschlussreich für Aristoteles’ eigenes wissenschaftliches Vorgehen ist dabei, dass er in Pragmatien, die die philosophia ēthikē betreffen, gerne exempla in narrativer Form verwendet, wie die berühmte Erzählung von Thales’ ökonomischer Fähigkeit in Politik I. In GA hingegen führt er exempla – in Unterschied zu Beispielen – selten an. Wenn er sie benützt, werden sie in der Regel dem Beweis seiner Theorie auf empirischer und logischer Ebene nachgestellt oder sie sind ein Teil eines umfassenderen Beweises. Sie haben also die Funktion eines zusätzlichen Zeugen, der die bewiesene Theorie noch bestätigt.¹⁸⁵ So argumentiert Aristoteles gegen die Pangenesislehre (I 18. 722a3 – 16), dass sie nicht die Ähnlichkeiten zu weiter zurückliegenden Generationen erklären könne, und führt dann als ein – in diesem Zusammenhang durchaus eindrückliches und auch zwingendes – Argument unter anderen anekdotisch das Exemplum (722a9: οἷον) einer weißhäutigen Frau an, aus deren Verbindung mit einem dunkelhäutigen Mann eine weiße Tochter hervorging, deren Sohn wiederum dunkelhäutig war.¹⁸⁶ In I 12 ersetzen Beispiele Begründungen.

4 GA als kommunikativer Text Es wurde bereits darauf hingewiesen,¹⁸⁷ dass GA sowohl unpersönlich gehaltene Passagen als auch eine immanente Dialogizität aufweist. Die immanente Dialogizität spiegelt einen inneren Dialog wider und bindet so den Rezipienten in die Gedankenführung mit ein. Gerade dieses zweite Charakteristikum, das die Verbindung zwischen Autor und Rezipient herstellt und so eine kommunikative Funktion hat, verstärkt Aristoteles mitunter durch bestimmte Mittel. Dass diese Strategien einer bestimmten Vermittlungsintention folgen und offensichtlich im Hinblick auf bestimmte Adressaten angewandt werden, wird daraus ersichtlich, dass Aristoteles selbst sich der Bedeutung dessen, was wir ‚Adressatenorientiertheit‘ nennen, bewusst ist. Dies gilt nicht nur für seine Ausführungen in der Rhetorik, die auf die Adressaten öffentlicher Rede zielen, sondern auch für die  Vgl. Rapp (2002) Zweiter Halbband, 734.  Hingegen arbeitet Aristoteles in GA mit Beispielen, wenn eine Reihe von empirischen Phänomenen eine Prämisse begründet, also eine Induktion darstellt.  Vgl. dazu unten, S. 142.  Vgl. oben, S. 46.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Adressaten im Rahmen des Unterrichts (ἀκροάσεις), mit deren Zuschnitt er sich in Metaphysik α 3 beschäftigt. Hier hält er fest, dass Unterrichtsteilnehmer, je nach Typ, entweder mathematische Genauigkeit bevorzugen oder das Vorgehen anhand von Beispielen präferieren oder ein Dichterzitat als Beglaubigung (995a8: μάρτυρα ἀξιοῦσιν ἐπάγεσθαι ποιητήν) wollen.

4.1 Die Einbindung des Rezipienten durch die 1. Person Plural Die Verwendung der 1. Person Plural, die vielfach ein ‚integratives Wir‘ darstellt,¹⁸⁸ kann der Betonung der eigenen Position dienen, die durch den Einschluss einer imaginären Mehrzahl mehr Anspruch auf Verbindlichkeit erhebt als der Singular. Dies wird daran deutlich, dass Aristoteles die 1. Person Plural gerne dort verwendet, wo es um die Polemik gegen andere und die Betonung der eigenen Meinung geht. Dabei kann sich der Rezipient mit eingeschlossen fühlen, so dass man die 1. Person Plural als „Konsensappell“¹⁸⁹ auffassen kann.¹⁹⁰ Auf diese Weise bringt die 1. Person Plural das Verhältnis von Autor und Adressat ins Spiel. Dieses Vorgehen ist aber auch in einem nicht-polemischen Zusammenhang in I 2. 716a2 – 17 zu erkennen: Kapitel 2 dient insgesamt dazu, eine Hinführung zur Entwicklung der eigenen Theorie zu geben, die Akzeptanz bei den Rezipienten finden soll. Darum ist dieses Kapitel 2 besonders sorgfältig und schön gestaltet, und Aristoteles benutzt verschiedene Möglichkeiten, an allgemein Bekanntes und Akzeptiertes anzuknüpfen.¹⁹¹ In diesem Zusammenhang verwendet er die 1. Pers. Pl. λέγομεν als Form eines ‚integrativen Wir‘ (716a14) und formuliert, wenn auch in verknappter technisch-formaler Sprache, eine am Augenschein orientierte (im Sinne des proteron hēmin) und common sense-bezogene Definition, der wohl alle zustimmen können, nämlich dass das Männchen in ein anderes Tier zeuge, das Weibchen in sich selbst. Diese ist aber nicht seine eigentliche Definition, wie später deutlich wird, wo als eigentliches definiens der Geschlechter die unterschiedliche thermische Potenz erscheint (I 20. 728a17– 21; nur im Kontext der Maultiere: II 8. 748b31– 33; wieder allgemein: IV 1. 765b8 – 17 und 766a30 – 33). Es handelt sich hier also um eine Formulierung, die eine Annäherung an die allgemeine Meinung geben und die eigene Theorie geschickt einführen soll. Insofern ist der Gebrauch der 1. Person Plural hier besonders geeignet.

   

Vgl. oben, S. 46 mit Anm. 93. Zum Ausdruck vgl. oben, S. 46. Asper (2007) 128, Anm. 242. Zur Analyse dieses Kapitels vgl. Föllinger/Busch (2022).

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Dass Aristoteles die 1. Person Plural in GA I 2 gezielt als Möglichkeit der Kommunikation einsetzt, wird insbesondere deutlich durch den Vergleich mit HA I 3. 489a8 – 12. Dort wird mit dem unpersönlichen καλεῖται (HA 489a11) ebenfalls beiden Geschlechtern ein ἀφιέναι von Sperma zugesprochen, und die vorläufige Definition der Geschlechter wird fast wortgleich vorweggenommen.¹⁹² Wenn Aristoteles nun in GA I (2. 716a14) persönlich formuliert (λέγομεν), passt er also gezielt ‚Material‘ einem kommunikativen Kontext an, indem er durch das ‚integrative Wir‘ der 1. Person Plural eine Art Forschungsgemeinschaft von Autor und Adressaten imaginiert. Mit eingeschlossen werden die Adressaten auch in IV 1, wo mit dem ‚integrativen Wir‘ die eigenen Beobachtungen der mangelnden empirischen Forschung des Empedokles gegenübergestellt werden und so eine Art von ‚imaginärer Forschergemeinschaft‘ konstruiert wird, von der Empedokles aufgrund seines Ungenügens ausgeschlossen ist. Eine Art von Forschergemeinschaft wird ebenfalls impliziert, wenn Aristoteles den Dativ eines Partizips verwendet, um eine Mehrzahl von Personen auszudrücken, für die sich bei näherer Prüfung, unter einer gewissen Relation oder von einer neuen Ebene der Betrachtung aus irgendetwas ergibt, das es nun zu erkennen gilt (I 18. 722a1 f.: Φαίνεται δ’ ἐξετάζουσι τὸν λόγον τοὐναντίον μᾶλλον; I 23. 731a34 f.: πολὺ διαφέρει σκοποῦσι πρὸς φρόνησιν καὶ πρὸς τὸ τῶν ἀψύχων γένος; I 20. 729a23 f.: δῆλον καὶ κατὰ τὸν λόγον καθόλου σκοπουμένοις). Allgemein lädt ein Dativ des Standpunkts bei Verben geistiger Aktivität den Rezipienten dazu ein, eben diesen Standpunkt, typischerweise von einer anderen Bezugs- oder Reflexionsebene aus, aktiv einzunehmen.¹⁹³ Gleichzeitig wird dadurch Objektivität impliziert, weil es der Standpunkt ‚eines Dritten‘ ist, der der Formulierung von De caelo gemäß die Position eines Schiedsrichters einnimmt.¹⁹⁴ Eine Einbindung des Rezipienten wird implizit auch dort erreicht, wo eine Tentativität vermittelnde Ausdrucksweise¹⁹⁵ im Potentialis, durch die eine Position gewissermaßen ‚angeboten‘ wird, den Adressaten indirekt dazu animieren soll, mitzudenken und Position zu beziehen, ganz gemäß dem in De caelo III 10 formulierten methodischen Appell, Positionen müssten so dargelegt werden, dass

 Τῶν δὲ λοιπῶν πολλοῖς ὑπάρχει ταῦτά τε τὰ μόρια καὶ ἔτι ᾗ τὸ σπέρμα ἀφιᾶσιν· καὶ τούτων ἐν οἷς μὲν ὑπάρχει γένεσις ζῴων τὸ μὲν εἰς αὑτὸ ἀφιέν, τὸ δ᾿ εἰς ἕτερον. καλεῖται δὲ τὸ μὲν εἰς αὑτὸ ἀφιὲν θῆλυ, τὸ δ᾿ εἰς τοῦτο ἄρρεν.  Vgl. die von Lennox (2018) 255 f. angeführte Stelle Mete. III 5. 375b16 – 377a12 mit der Formulierung θεωροῦσι δῆλον.  Vgl. dazu oben, S. 49 f.  Zu dieser vgl. oben, S. 55 f.

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der Rezipient wie ein ‚Schiedsrichter‘ die Entscheidung treffen könne.¹⁹⁶ Ein Beispiel bietet II 4. 739a6–b20: Hier werden die gegnerische Meinung und das sie widerlegende empirische Indiz durch die Formlierung μάλιστα δ᾿ ἂν δόξειεν ὅτι … ἀλλὰ τοῦτο σημεῖον οὐθέν (739a22 f.) kontrastiert. Auf diese Weise wird eine Spannung aufgebaut, die das nachgeschobene empirische Argument (739a24: γάρ) löst. Gleichzeitig wird durch die zuerst Tentativität vermittelnde Ausdrucksweise im Potentialis und das damit verbundene Anbieten einer Position der Rezipient mit in die Kontroverse hineingezogen. Vielfach sind bei indirekten Beweisen die Folgerungen implizit, der Rezipient muss sie also selbst ziehen, wie etwa in I 8 und IV 1.

4.2 Ausdrücke mit Appellcharakter Ausdrücken der Notwendigkeit kommt eine besondere Stellung zu. Diese können einerseits eine logische Notwendigkeit im argumentationstechnischen Sinn bedeuten. Sie können aber auch, je nach Zusammenhang und im Blick auf einen kommunikativen Kontext, als Appelle dienen. Beispielsweise arbeitet Aristoteles in II 4 gerne mit Ausdrücken der ‚Notwendigkeit‘ (738b6: ἀνάγκη, b23: ἀναγκαῖον, b24: ἀναγκαῖον), womit schon suggeriert wird, dass die von ihm vertretene Meinung die richtige ist, zumal im Zentrum eine markante These steht (738b9 f.).¹⁹⁷ In II 5 wird durch den Begriff ἀνάγκη (741a24) die ‚Lösung‘, dass die Windeier an der ‚untersten‘ Form des Lebens teilhaben, als zwingend suggeriert, obwohl die logische Argumentation nicht zwingend ist. Dieselbe ‚Zwitterstellung‘ kommt dem Verbaladjektiv zu, das Aristoteles häufig gebraucht. Zuerst einmal drückt es einfach eine Notwendigkeit aus, dass etwas gesehen, gesagt, geschlussfolgert werden muss. Aber in bestimmten Zusammenhängen kann es auch Appellcharakter haben. In dieser Hinsicht sind die Beobachtungen, die James Lennox gemacht hat, weiterführend.¹⁹⁸ Er hat die Verweise auf anatomai, die sich in GA finden, untersucht und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass Aristoteles den Rezipienten (Lennox spricht von „reader“) immer wieder anspricht mit dem Verweis darauf, dass für den Erkenntnisgewinn die Inspektion von anatomai – wobei es sich, so Lennox, an manchen Stellen um Sektionen, an anderen um das Werk Anatomai handeln kann – nötig sei. Ein Ergebnis von Lennox ist, dass Aristoteles seinen Adressaten durch verschiedene

 Vgl. dazu oben, S. 46 f.  Vgl. dazu unten, S. 222.  Lennox (2018).

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Wendungen die Notwendigkeit, Sektionen zu studieren, vor Augen stellt. Dies können wir einen Appell an den Leser nennen; Lennox nennt es „norm-governed recommendation“¹⁹⁹ und spricht verschiedentlich von „directing“ in Bezug auf den Adressaten.²⁰⁰ Zu Ausdrücken der Notwendigkeit gehören: 1. die Verwendung des Verbs θεωρεῖν im Imperativ oder als Infinitiv mit δεῖ. Dies ist eine Verwendungsweise, die, wie Lennox aufzeigt, Parallelen in der Meteorologie hat und die verdeutlicht, dass für Aristoteles die Einsichtnahme in Anatomai oder Sektionen eine echte Erkenntnisnotwendigkeit für den Leser bedeutet.²⁰¹ 2. Auch der Gebrauch von Verbaladjektiven gehört dazu, wobei Lennox den Gebrauch des Verbs θεωρεῖν untersucht. Die Verwendung des Verbaladjektivs im Sinne eines Appells ist im Fall der von Lennox angestellten Untersuchung deutlich und nachvollziehbar, weil es sich um die Aufforderung handelt, ganz konkret etwas zu tun, nämlich Einsicht in die Anatomai zu nehmen. Aber auch in anderen Zusammenhängen kann das Verbaladjektiv eine appellative Funktion haben. Der appellative Charakter zeigt sich v. a. in der Häufung seiner Verwendung in I 17. Ein weiteres Beispiel ist II 4: Wie vielfach, operiert Aristoteles hier mit mehreren Verbaladjektiven: Während das erste Verbaladjektiv λεκτέον in der Verbindung mit ὕστερον die Notwendigkeit einer bestimmten Disposition ausdrückt (737b24 f.), hat das folgende ἀρκτέον, vor allem in der Verbindung mit νῦν und dem scheinbar pleonastischen ἀπὸ τῶν πρώτων … πρῶτον, Appellcharakter. Dieser wird dadurch verstärkt, dass Aristoteles durch die Verwendung der 1. Person Plural (ὕστερον ἐροῦμεν in 737b15) auf integrative Weise den Rezipienten mit einbindet. Mit unseren Beobachtungen deckt sich das von Lennox erzielte Ergebnis, dass Aristoteles die Adjektive φανερόν und δῆλον einsetzt, um auch dort, wo er keine explizite Notwendigkeit formuliert, die Notwendigkeit, Erkenntnisse aus den Anatomai zu gewinnen, zu vermitteln: „Even when he is not explicit that there is a need to study something by means of the dissections, he claims that something will be clearer, more apparent, or understood with more precision by doing so.“²⁰² Da es sich in solchen Fällen nicht um einen direkten Appell – eine Notwendigkeit,

 Lennox (2018) 257.  Lennox (2018) 255 f.  Lennox (2018) 253: „… that Aristotle thinks there is a real cognitive need, in establishing certain conclusions or making certain points, to study these visual aids.“  Lennox (2018) 257.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

etwas zu erkennen – handelt, kann man mit Lennox die Verwendung solcher Ausdrücke eine ‚implizite Anweisung‘ („an implicit norm“ ²⁰³) nennen.

4.3 Die Funktion von Fragen Fragen verweisen in besonderer Weise auf den kommunikativen Kontext. Für die Differenzierung in verschiedene Fragetypen kann man auf die Typologie von Lengen (2002)²⁰⁴ zurückgreifen, der nicht nur direkte und indirekte Fragen unterscheidet, sondern die direkten Fragen in „geschlossene Fragen“, „offene Fragen“ und „rhetorische Fragen“ differenziert, wobei die rhetorischen Fragen wiederum unterschiedliche Funktionen haben können: Sie können im Vorhergehenden gestellte Fragen beantworten, einer Reductio ad absurdum dienen oder methodologische Hinweise geben. Dabei erfordern die „geschlossenen Fragen … ein ,ja‘ oder ein ‚nein‘ als Antwort – wobei im Gegensatz zur rhetorischen Frage nicht (aus dem Zusammenhang oder durch die Form der Frage) vorhersehbar ist, ob eine positive oder negative Antwort folgt.“²⁰⁵ Lengen stellt zu Recht fest, dass die rhetorische Frage die „größte appellative Wirkung“ hat: „Sie fordert vom Adressaten Zustimmung zur Meinung des Aristoteles (nicht notwendigerweise zur rhetorischen Frage … ) und bindet ihn in den Gedankengang ein.“²⁰⁶ Darüber hinaus stellt Lengen fest, dass in der EN die rhetorischen Fragen immer im Kontext einer Diskussion stünden, indem sie „die Überzeugungskraft der Argumentation verstärken“.²⁰⁷ Diese Kraft der rhetorischen Frage ist beispielsweise gut in I 18. 722a21 ff. zu erkennen.

4.4 Emotionalisierung Wie bereits erwähnt, galten Aristoteles’ Pragmatien nicht nur als unliterarisch, sondern Holger Thesleff (1966) sah sie als den Prototyp eines emotionslosen Wissenschaftsstils an.²⁰⁸ Dies lässt sich so nicht halten. Vielmehr erscheint in GA der Autor sehr wohl als emotional an seinem Gegenstand Beteiligter, der auch

     

Lennox (2018) 268. Lengen (2002) 32– 66. Lengen (2002) 33. Lengen (2002) 35. Lengen (2002) 36. Thesleff (1966) 89 – 113.

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beim Adressaten Emotionen erzeugen will.²⁰⁹ Die sprachlichen Mittel, die hierfür zum Einsatz kommen, kann man in lexikalische, syntaktische und stilistische Mittel unterteilen.²¹⁰ Auf der lexikalischen Ebene sind es wertende Adjektive wie „gut“ und „hervorragend“ sowie Ausdrücke, die das Interesse des Rezipienten wecken sollen. Zu diesen zählt die Bezeichnung einer Sache als „spannend“, „wichtig“, „großartig“. Diese lenken die Aufmerksamkeit des Rezipienten auf die positive Qualität einer Sache. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Aristoteles’ Plädoyer für die Schönheit und die Bedeutung biologischer Forschung in PA I 5. In GA dienen insbesondere Bemerkungen, dass die Natur etwas auf bestimmte (positive) Weise mache, einer Bewertung und positiven Emotionalisierung. Dazu gehört der wiederkehrende Hinweis, dass die Natur etwas schön/wohlgeordnet tue (z. B. in GA I 23).²¹¹ In GA II 1 besticht das wertende und durch die folgenden Ausführungen begründete Urteil (733a32–b16): Man müsse erkennen (δεῖ δὲ νοῆσαι), dass das Wirken der Natur „gut“ und „geordnet“ (ἐφεξῆς) sei. Damit wird die positive Einstimmung des Beginns von II 1 wiederaufgenommen, wo Aristoteles das individuelle Zeugungsgeschehen als sinnhaften Bestandteil des Gesamtkosmos einordnet und dabei nicht nur stilistisch ausgefeilt formuliert, sondern auch mit sprachlichen Reminiszenzen das platonische Symposion aufruft. Überhaupt ist die Personifizierung der Natur nicht nur eine Ausdrucksweise für ein sonst nicht zu benennendes Agens teleonomischer²¹² Strukturen, sondern vermittelt immer wieder die Ordnung und ‚Gesetzmäßigkeit‘ des Geschehens und unterstützt so die in Form einer ‚einheitlichen‘ Theorie von Aristoteles auf der Theorieebene erarbeitete Ordnung.²¹³ Dem entspricht in III 4 die Vorstellung einer gegen den Untergang ankämpfenden Natur (755a31 f.), die in einem kurzen, prägnanten Satz anschaulich gemacht wird und die Vorstellung des Axioms ‚Sein ist besser als Nichtsein‘ aufruft.²¹⁴ Ja, die Natur selbst kann in der Weise in Anspruch genommen werden, dass sie im Gegensatz zu – gegnerischen – Meinungen handelt (III 2. 752b24– 26).  Vgl. die Kategorie „Presence of the Author and the Audience in the Text“, in: van der Eijk (1997) 115 – 119.  Diese Einteilung basiert auf der Arbeit von Jahr (2000) 80 – 100. Sie untersucht zwar moderne Wissenschaftsliteratur, aber ihre Differenzierung von Mitteln, die Emotionen erzeugen, eignen sich auch für die Untersuchung antiker Texte. Siehe auch Föllinger (2016) 138 – 141. Vgl. den Katalog, S. 436.  Vgl. auch καλῶς in IV 8. 777a21.  Zur Anwendung des Begriffs ‚Teleonomie‘ auf die aristotelische Vorstellung vgl. Kullmann (1998) 301– 312.  Vgl. dazu oben, S. 34.  Vgl. auch GA IV 8. 776a16 ff. und IV 8. 777a5 f.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

Im Bereich der Syntax sind Ausrufesätze sowie Fragen und Satzverkürzungen wie die Aposiopese oder Imperative affekterregend. Hinzu kommen Stilfiguren, darunter insbesondere Ironie und die bereits genannte ‚rhetorische Frage‘. Die beiden letzten können auch im Kontext von Polemik eingesetzt werden, und eine solche findet sich in GA recht oft, wo Aristoteles das Ungenügen anderer Meinungen, insbesondere der Vorsokratiker und Hippokratiker, herausstellen will.²¹⁵

4.5 Literarische Strategien zur Plausibilisierung der eigenen Theorie Die Plausibilisierung der eigenen Theorie auf der argumentativen Ebene²¹⁶ kann Aristoteles auch durch literarische Verfahrensweisen unterstützen. So fällt immer wieder auf, dass ein Duktus der Tentativität in eine dezidierte Ausdrucksweise umschlagen kann. Ein Beispiel bietet I 8: Nachdem Aristoteles die Aitiologie der Lage der weiblichen Fortpflanzungsorgane tentativ eingeführt hat, wechselt er mit der stark betonenden Formulierung „οὐ μὴν ἀλλά“ (718b4) in einen dezidiert-konstatierenden Ton und stellt mit der Aussage, die Dinge verhielten sich κατὰ λόγον (718b5), eine Bewertung des folgenden Beweisganges voran, womit dessen ‚Logik‘ im Vorhinein suggeriert wird. Ein weiteres aussagekräftiges Beispiel ist die Passage I 20. 728b32– 729a20. Dieser Abschnitt kommt etwas überraschend, weil Aristoteles nach dem im Vorhergehenden ausgebreiteten Material nun plötzlich einen theoretischen Zugriff bietet. Dabei präsentiert er ohne nähere Einführung und nur mit der Ankündigung „sondern es geschieht, wie es vernunftgemäß (729a9: εὔλογον) ist“ die eigene Position, dass das Männliche die Form bietet und den Anfang bzw. das Prinzip der Veränderung, das Weibliche den Körper und die Materie. Zwar ist die Formulierung der eigenen These in dieser Form an dieser Stelle darin begründet, dass seine Theorie die Mehrlingsgeburten erklären kann, die Pangenesislehre hingegen nicht. Aber in ihrer expliziten Dezidiertheit ist die These dennoch überraschend, weil die Anwendung der Vier-Ursachen-Lehre, auch wenn sie am Beginn von I 1 schon genannt war, bisher nicht weiter thematisiert worden war. Es findet nun auch keine weitere Erklärung bzw. Begründung statt.Vielmehr arbeitet Aristoteles nur mit einem expliziten und anschaulich-suggestiven Vergleich (οἷον ‒ οὕτω),

 Vgl. dazu die Untersuchung von Vegetti (1993).  Hierzu vgl. auch oben, S. 54.

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der die abstrakte Erklärung mit dem Gerinnen von Milch parallelisiert (729a11 ff.).²¹⁷ Aristoteles arbeitet auch gerne mit dem Mittel der Ringkompositionen (‚framing‘), da dadurch bestimmte Passagen einen geschlossenen und abgerundeten Charakter erhalten und so den Eindruck vermitteln, eine abgeschlossene Fragestellung ‚rund’ zu beantworten. Ein Beispiel hierfür ist I 8 – 11. Am Beginn von Kapitel 8 (718a35 f.) wird das Thema angegeben: die Aitiologie der Unterschiede in der Gebärmutterlage bei verschiedenen Tierklassen. Mit einer Abschlussbemerkung am Ende von Kapitel 11 (719a28 – 30) wiederum wird die Bearbeitung als beendet erklärt. Dieser stilistischen Komposition entspricht die Einteilung gemäß den Netz’schen Paragraphen: Am Beginn von Kapitel 8 wird die Einleitung des gegenüber I 6 – 7 neuen Themas mit δέ (718a35) markiert, im letzten Satz von Kapitel 11 erscheint die typische Wendung μὲν οὖν, und der Neueinsatz in Kapitel 12 ist mit δέ bezeichnet. Ein weiteres Beispiel ist das stilistisch auffällig gut gearbeitete Kapitel I 2.²¹⁸ Bestandteil einer Ringkomposition können stilistisch besonders schön gestaltete Schlusssätze sein, die eine Diskussion abschließen (z. B. in III 2). Sie können aber auch, ohne dass sie Teil einer Ringkomposition sind, vorkommen. Auffällige Schlusssätze können markant eine Argumentation zum Abschluss bringen (z. B. in I 8) oder nach logischen Gesichtspunkten nicht ganz befriedigende Argumentationen ‚rund‘ abschließen (z. B. in I 8²¹⁹). In IV 3 überspielt eine einfache Schlussformulierung die Problematik der Argumentation, vor allem was das Verhältnis der Vererbung von Arteigenschaften und Individualeigenschaften betrifft.²²⁰ Auch didaktische Redundanzen sind Teil einer literarischen Plausibilisierung. Zum Beispiel wiederholt Aristoteles in I 11. 719a12 in redundanter Weise den platonischen Begriff der Teilhabe (an zweierlei Formen) und überspielt damit, dass nach seiner eigenen Ursachenlehre damit eigentlich keine Form von Verursachung gegeben ist. In I 19. 727a28 – 30 gibt er für eine gerade klar hergeleitete Schlussfolgerung gleich noch eine zusätzliche Begründung (γάρ, 727a28) und erzeugt so einen formal schlagend wirkenden Abschluss. Mitunter können Ungenauigkeiten in der Beweisführung durch markante Formulierungen ausgeglichen bzw. überdeckt werden. In I 8 etwa kaschiert ein markanter, stilistisch durch einen Parallelismus auffälliger Abschlusssatz

   

Zum Ersatz von Begründungen durch Vergleiche siehe S. 62. Vgl. unten, S. 95‒101. Vgl. unten, S. 118. Vgl. unten, S. 362 f.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

(718b27) eine fehlende Stringenz der Argumentation.²²¹ In III 2. 752b15 – 753a27 wird die Oberflächlichkeit der bekämpften (vorsokratischen) Position syntaktisch durch die Ellipse des Infinitivs und des Prädikatsnomens suggestiv unterstrichen.²²² An anderen Stellen greift Aristoteles zu einer bestimmten Semantik, um eine Zwangsläufigkeit der Argumentation zu suggerieren, die auf der Sachebene so nicht gegeben ist. Hierzu gehören neben den bereits genannten Formulierungen²²³ Ausdrücke, die Selbstverständlichkeit vermitteln, wie δῆλον, ὁμολογεῖται, ὁρῶμεν.²²⁴ Weil mit diesen (zu) allgemeine (oder aber unbegründete) Prämissen eingeführt werden können,²²⁵ sieht man an dieser Stelle besonders gut, wie argumentative Vorgehensweise und sprachliche Darbietung ineinandergreifen.

4.6 Dichterzitate Dichterzitate stellen ein bisher noch wenig untersuchtes Element der aristotelischen Argumentation und Darstellungsweise dar. Dabei spielen sie keine ganz unwesentliche Rolle.²²⁶ Ihre Verwendung könnte einen Grund darin haben, dass Aristoteles damit der in Metaph. α 3 thematisierten Erwartung der Adressaten entgegenkommen will. In jedem Fall lassen sich verschiedene Funktionen bei der Verwendung von Dichterzitaten unterscheiden. Sie haben einen ästhetischen Aspekt und können in den politisch-ethischen Schriften eine Argumentation, etwa wenn es sich um ein Homerzitat handelt, autoritativ verstärken und gleichzeitig die eigene Argumentation an einen mit den Adressaten gemeinsamen Bildungshorizont anbinden oder einen bereits auf der logisch-argumentativen Ebene dargestellten Sachverhalt didaktisch illustrieren.²²⁷ In GA ist die Lage anders. Dies lässt sich mit Aristoteles’ Wissenschaftstheorie erklären: Während in der Ethik die Prämissen Endoxa sind, die autoritative Bezeugung durch die als allgemeines Bildungsgut geltenden Dichter also einen argumentativen Wert hat, gilt dies nicht für die Naturwissenschaft, deren Prämissen auf empirischen Beobachtungen beruhen oder Aristoteles’ allgemeinen Prinzi-

 Vgl. unten, S. 114 f.  Vgl. dazu unten, S. 282.  Siehe oben, S. 70‒72.  Vgl. dazu van der Eijk (1997) 119.  Vgl. Vegetti (1993).  Dies konstatierte bereits Jaeger (1912) 137 im Rahmen seiner etwas ambivalenten Beurteilung der aristotelischen Schriften (vgl. oben, S. 5 f).  Vgl. Föllinger (2016).

4 GA als kommunikativer Text

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pien entsprechen. In GA dienen wörtliche Zitate, die Aristoteles gerne aus Empedokles’ Lehrgedicht anführt, der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ihm und der Kritik an dessen Theorien. Dabei kann man folgende vier Funktionen unterscheiden:²²⁸ 1. Das Zitat belegt die Paraphrase oder die Interpretation, die Aristoteles von der Anschauung des ‚Gegners‘ gibt. 2. Aristoteles verwendet das Zitat anstelle einer Paraphrase oder Interpretation. Er lässt also den Vorsokratiker sozusagen selbst sprechen. 3. Zitate sollen etwas illustrieren, haben also eine didaktische Funktion. 4. Aristoteles verwendet ein Zitat, um dadurch den zitierten Autor selbst zu widerlegen, indem er vor Augen führt, dass ein von Empedokles gebrauchter Begriff oder das damit verbundene Konzept unzulänglich sind. Dabei greift Aristoteles auch durchaus zum Mittel der Ironisierung. Dies kann mit einer impliziten oder expliziten Kritik an Empedokles’ Metapherngebrauch verbunden sein, den Aristoteles ja auch ausdrücklich in Mete. II 3. 357a24– 28 angreift, weil er sich für Naturwisssenschaften nicht eigne.²²⁹ Selten finden sich andere Dichterzitate. Eines verwendet Aristoteles in II 1. Hier eröffnet eine Alternativfrage die Diskussion, ob alle Körperteile gleichzeitig oder nacheinander entstehen. Dies wird zuerst offengelassen, doch dass Aristoteles die zweite Möglichkeit vertritt, suggeriert die Hinleitung durch das Zitat eines Wortes aus einem orphischen Text, in dem die Rede von „nacheinander“ ist (734a18).²³⁰ Hier ersetzt also eine Dichterparaphrase eine theoretische Formulierung.

4.7 Verwendung gnomenhafter Sätze Mitunter formuliert Aristoteles Sätze, die in ihrer Einprägsamkeit geradezu wie Merksätze erscheinen, so in IV 3. 767b18 – 20 und 8. 777a5 f. Diese gnomenartigen Sätze können allgemeine Grundlagen formulieren oder abrundende Formulierungen sein, wie der Satz „Die Natur macht nichts umsonst.“

 Vgl. Föllinger (2022a).  Vgl. oben, S. 150.  Vgl. hierzu unten, S. 197.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

4.8 Ironie Hin und wieder verwendet Aristoteles auch Ironie, vorzugsweise wenn es um die kritische Auseinandersetzung mit gegnerischen Positionen bzw. um deren Abwehr geht. So ironisiert er zu verschiedenen Gelegenheiten Empedokles und seine Ansichten (I 17– 18; I 18. 723a21 f.). In diesem Zusammenhang fällt die ironische Bemerkung, dass eine von dem Vorsokratiker vertretene Meinung „zu hoch für uns“ (ὑπὲρ ἡμᾶς, II 8. 747b8) sei. Einen Fall hochgradiger Ironie bietet Aristoteles’ Bemerkung, wenn man die pangenetische Anschauung ernstnehme, müsse man sie auch zur Begründung dafür heranziehen, dass die Sandalen von Vater und Sohn gleich seien (18. 723b30 ff.).²³¹ In II 1 vergleicht Aristoteles die Existenz bestimmter Abstufungen von dynamis mit dem Unterschied zwischen einem schlafenden und einem wachenden und beobachtenden Geometer (735a10 f.); möglicherweise spielt dieser Vergleich auf einen uns nicht mehr verständlichen Sachverhalt an und hat eine ironische Konnotation.

4.9 Polemik Polemik ist, wie bereits vermerkt, ein durchaus häufig anzutreffendes Element. Es findet sich vorzugsweise in diskursiven Zusammenhängen, wo Aristoteles ‚formaldialektische‘²³² Elemente mit rhetorischen Elementen verbindet. Hierzu gehört auch die Strategie, bekämpfte Meinungen lächerlich zu machen, indem man deren theoretische Begriffe konkretisiert und damit abwegige Vorstellungen oder Schlussfolgerungen evoziert. Diese Strategie wendet Aristoteles an, wenn er die ganz konkreten Folgen von Empedokles’ Wärmetheorie ausmalt, die dann absurd erscheinen (GA IV 1. 764a17 ff).²³³ Eine andere Möglichkeit ist, die gegnerische Theorie über das von den Gegnern selbst hinaus Angenommene zu radikalisieren, so dass man Schwachpunkte für den Angriff gewinnen bzw. ihre Positionen lächerlich machen kann. Dieses Vorgehen finden wir in Aristoteles’ Argumentation gegen die Pangenetiker in I 17– 18. Polemik kennzeichnet ebenfalls die mit harscher Semantik arbeitende Abwertung anderer Positionen. Auch hier ist Empedokles ein bevorzugtes Opfer: Beispielsweise prangert Aristoteles in II 1. 734a33 dessen Meinung, dass ein Teil

 Vgl. hierzu unten, S. 156.  Vgl. zu diesen oben, S. 51‒53.  Siehe dazu unten, S. 340. Vgl. dazu Föllinger (2022a).

4 GA als kommunikativer Text

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aus einem anderen entstehe, harsch als ἄτοπος und πλασματίας an (734a33) und attackiert an anderer Stelle scharf Empedokles’ Reflexionsfähigkeit, wenn er urteilt, dass dieser in keiner Weise vernünftig urteile (μηθὲν φροντίσαντα in IV 1. 764b21 f.). Polemik in Verbindung mit einem ‚integrativen Wir‘ findet sich in IV 1: Hier führt Aristoteles gegen Empedokles die Empirie an. Diese zeige, dass – entgegen Empedokles’ Ansicht – in ein und derselben Gebärmutterseite Zwillinge verschiedenen Geschlechts entstünden (764a33–b3). Aristoteles belegt dies mit einem Verweis auf Sektionen, die ‚Wir‘ gesehen hätten (764a34 f.: τεθεωρήκαμεν ἐκ τῶν ἀνατομῶν²³⁴). Mit diesem Plural stellt er eine imaginäre Gemeinschaft der empirisch beobachtenden Wissenschaftler her, aus denen Empedokles ausgegrenzt wird.²³⁵ Dieser wird von Aristoteles heftig kritisiert: Wenn er nicht die empirische Beobachtung gemacht habe (764a36 f.: συνεωράκει), könne man seinen Fehler ja verstehen; aber wenn er dies beobachtet habe, sei seine Wärmeaitiologie unsinnig (ἄτοπον, 764b1). Da nun aber Aristoteles vorher (764a12– 15) Empedokles Mängel in der empirischen Beobachtung attestiert hat, soll hier dem Adressaten suggeriert werden, dass Empedokles keine richtigen Beobachtungen anstellte, obwohl es ihm möglich gewesen wäre. Ein Fall von Polemik ist auch der Vorwurf eines nachlässigen Umgangs mit Beobachtungen. Einen solchen prangert Aristoteles bei Anaxagoras und anderen Naturphilosophen in III 5 an, da sie die Anschauung vertreten hätten, dass bei den Raben und beim Ibis die Kopulation mit den Schnäbeln erfolge und das Wiesel seine Jungen durch das Maul zur Welt bringe (III 6. 756b13 – 757a2). Ihnen wird Vereinfachung (λίαν ἁπλῶς, 756b17) und nachlässiger, unreflektierter Umgang mit der Faktenlage (ἀσκέπτως, 756b17) vorgeworfen. Denn die Behauptung, dass die Raben mit den Schnäbeln kopulierten, beruhe, so Aristoteles, darauf, dass sich Rabenvögel oft mit den Schnäbeln berührten, sie aber selten bei der Kopulation zu beobachten seien. Sich nicht zu fragen, wie das Sperma nach der Aufnahme im Schnabel in den Uterus gelangen kann, entbehre jedes sachgemäßen Denkens (ἄτοπον, 756b29). Kapitel 6 setzt die Angriffe gegen Empirieignoranz fort.²³⁶

 Bei den anatomai in 764a35 muss es sich um Sektionen handeln, vgl. Lennox (2018) 266 f.  Vgl. hierzu oben, S. 69.  Vgl. auch Aristoteles’ harsche Kritik an einer bestimmten Testikeltheorie als „Mantik“ (III 1. 765a26 – 29).

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

5 Charakteristika auf der Ebene der Semantik, der Syntax und der stilistischen Figuren Bestimmte sprachliche Phänomene sind aufschlussreich für eine gezielte Gestaltung bestimmter Passagen:²³⁷ Aristoteles verwendet gerne Ausdrücke wie δόξα, πιθανά und πιστεύειν für Meinungen, die nicht die seinen sind bzw. die er widerlegt (so in I 17). Wo er auf Ansichten eingeht, die er ablehnt, können sich Ausdrücke des Behauptens (φάναι, λέγειν) häufen. Auf geschickte, da implizite Weise vermittelt eine Häufung von Verben des Meinens, Glaubens, Behauptens z. B. in I 18. 722b30 – 723a23 eine Bewertung, weil das Unsichere der wiedergegebenen Meinung in den Vordergrund tritt. Die Wiederholung bestimmter Ausdrücke oder Iunkturen kann zu einer Art ‚Motiv‘ werden, entweder weil sie immer wieder über das ganze Werk verteilt repetiert werden oder aber weil sie Sätze sind, die in einem bestimmten Abschnitt wiederholt auftauchen. So gewinnt der Rezipient etwa die Vorstellung der Ordnung und Strukturiertheit der Natur durch den wiederholten Hinweis auf das ‚schöne‘ oder ‚geplante‘ Vorgehen der Natur. Ein suggestives Vorgehen durch Wortwiederholung bietet beispielsweise IV 1. Hier stammt ein entscheidendes Argument im diskursiven Kontext aus der Empirie, auf das Aristoteles besonders abhebt. Das Wortfeld ‚sehen‘ ist in diesem Kapitel eine Art von Leitmotiv. Auffällig sind auch Polyptota, die zur Suggestivkraft von Argumentationen oder Thesen beitragen. Gerne greift Aristoteles zu einer Häufung von Negativbegriffen, wenn es um die Abwehr anderer Meinungen geht, so in II 1: In 733b23 – 734a16 haben wir, entsprechend dem dialektischen Zugriff, die Häufung von ἄλογον, ἄτοπον und ἀδύνατον. Durch eine Häufung von Verneinungen wird Emphase erreicht, wie z. B. in I 18. 722b22 f. Ausdrücke wie δῆλον wiederum können der markanten Markierung der eigenen Position dienen, wie dies auffällig etwa in I 18. 723b16 – 19 der Fall ist. Eine Bewertung findet durch die Verwendung von Quantitätsvokabular statt, so in einem der Gegenargumente gegen die Pangenesislehre, I 18. 723b19 – 32. Eine Frage ist es, wie man syntaktische Anomalien erklären kann. Hier bedarf sicher jede Stelle einer eigenen Analyse und Einordnung. Die Erklärung, die van der Eijk für eine auf den ersten Blick als Anakoluth aufzufassende Konstruktion bei Aristoteles bietet, ist beispielhaft dafür, dass dieses Phänomen ein Merkmal

 Vgl. auch den Katalog, S. 423‒439.

6 Das Problem der ‚intendierten Adressaten‘

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einer bestimmten Ordnung des Textes sein kann, so dass man es nicht unbedingt als „a sign of carelessness“ vonseiten des Autors betrachten muss.²³⁸ In GA sind Anakoluthe signifikanterweise in diskursiven Zusammenhängen zu beobachten. Zwei Beispiele liefert die Auseinandersetzung mit der Pangenesislehre in GA I: In I 18. 723a23 – 26 beginnt ein Einwand, den Aristoteles anführt, anakoluthisch mit einer Protasis, die die Apodosis offen lässt. Dies ist eine Form der Aposiopese, die der ‚Sprache der Nähe‘ zuzuordnen ist und somit eine gewisse Direktheit und Unvermitteltheit zum Ausdruck bringt.²³⁹ Man kann darin entweder das Resultat einer stilistisch-didaktischen Gestaltung des Autors oder ein Zeichen seines prozessualen Schreibens sehen. Unter dem Gesichtspunkt der ‚Textproduktion‘ ist es nicht unmöglich, dass beides ineinanderfließt. In jedem Fall wird auf diese Weise der Rezipient unmittelbar in die Auseinandersetzung und den Gedankenprozess mit hineingenommen. In I 21. 729b4– 6 wiederum gelingt es Aristoteles durch den Anakoluth geschickt, auf seine eigene Theorie hinzulenken. Denn von der Präsentation unterschiedlicher Möglichkeiten, die im Kontext genannt werden, wird die vorhergehende gar nicht diskutiert, und die anakoluthisch präsentierte Möglichkeit, die Aristoteles’ eigener Theorie entspricht und durch den Anakoluth unvermittelt präsentiert wird, wird im Folgenden nicht näher begründet oder irgendwie anders theoretisch hergeleitet, wie dies in anderen Zusammenhängen, etwa durch Eliminationsverfahren, Widerspruchsbeweise o. ä. der Fall ist. Vielmehr wird sogleich die Lösung präsentiert (729b6 – 8).²⁴⁰

6 Das Problem der ‚intendierten Adressaten‘ Zu guter Letzt stellt sich die Frage, ob man etwas über die intendierten Adressaten von GA sagen kann. Aufgrund des besonderen Charakters der Schrift GA, die Organisation auf der Makroebene und Prozessualität und Diskursivität auf der Mikroebene verbindet, z.T. stärker rhetorisierte Partien und Wissenserschließung

 Van der Eijk (1997) 110. Typische Anakoluthe, bei denen einem vorausgehenden mit ἐπεί oder ἐπειδή eingeleiteten Nebensatz kein folgender Hauptsatz entspricht (Pol. 1259a37–b10; Po. 1452a1– 11), erklärt van der Eijk vielmehr als Konstruktionen, in denen ἐπεί bzw. ἐπειδή als Marker („indicators“) dafür zu sehen sind, „that what follows is to be understood as ,given‘ on the basis of which the inquiry can proceed“ (ebd.). In dieser Weise lässt sich etwa auch der mit ἐπεί eingeleitete anakoluthische Satz im Proömium verstehen ( I 1. 715a1/a7).  Zur Stelle vgl. unten, S. 144 f.; zur ‚Sprache der Nähe‘ und zu den Elementen ‚konzeptioneller Mündlichkeit‘ vgl. Koch/Oesterreicher (1985).  Vgl. die näheren Erläuterungen dazu unten, S. 179.

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Charakteristika aristotelischen Schreibens in GA

mit Wissensvermittlung verschmilzt, lässt sich vermuten, dass diese Schrift für einen Adressatenkreis gedacht war, der durchaus nicht nur der der eigenen Schule war und dem Aristoteles seine wissenschaftliche Theorie näherbringen wollte. Ob der ‚Sitz im Leben‘ die Vorlesung war, lässt sich nicht sicher sagen und erscheint aufgrund des hochkomplexen Charakters eher unwahrscheinlich. GA könnte vielmehr durchaus für ein weiteres Publikum bestimmt und auch als eine Art Vermächtnis des eigenen wissenschaftlichen Anspruchs gedacht gewesen sein.²⁴¹

 Aufgrund des von Aristoteles geäußerten Stolzes auf die eigene Innovativität in der Topik und wegen der Art und Weise, wie Aristoteles De partibus animalium I als ‚Programmschrift‘ gestaltet, vermutet Kullmann, dass der ‚Sitz im Leben‘ der zoologischen Schriften die Vorlesung gewesen sei, dass sie aber darüber hinaus durchaus auch „für ein weiteres abstraktes Publikum und für die Nachwelt bestimmt“ (Kullmann 2007, 137) gewesen sein können. Dass Aristoteles allgemein ein Lesepublikum als Sekundäradressaten im Blick hatte, vermutete auch Verdenius (1985) 18. Offensichtlich unterrichtete Aristoteles nicht nur seinen engeren Kreis, sondern hielt auch öffentliche Veranstaltungen (vgl. Lynch 1972, 91).

Kapitel III Analyse von Buch I–II 3: Aristoteles’ generelle Fortpflanzungstheorie

Einleitung Buch I und Buch II 1– 3 stellen eine Argumentationseinheit dar, in der Aristoteles seine generelle Fortpflanzungstheorie entwickelt, um dann ab II 4 die Fortpflanzungsformen Art für Art anzuschließen.¹ In Buch I geht Aristoteles vor allem bei der Diskussion der Pangenesislehre ab Kapitel 17 dialektisch vor, bis Kapitel 16 dagegen überwiegen deskriptive mit angeschlossenen aitiologischen Passagen.

Buch I Was die Grobgliederung von Buch I angeht, lassen sich folgende Schritte ausmachen: In Kapitel 1 und 2 führt Aristoteles in die Problematik ein und gibt eine Art von provisorischer Ausgangsbestimmung von ‚männlich‘ und ,weiblich‘. Dann geht er in einem ersten Teil, der von Kapitel 3 – 16 reicht, auf die Geschlechtsorgane ein, wobei er die verschiedenen Tierarten behandelt. Im zweiten Teil, Kapitel 17– 23, entwickelt er seine allgemeine Zeugungstheorie von den je unterschiedlichen Zeugungsbeiträgen der beiden Geschlechter (die dann in II 1– 3 weitergeführt wird).² Die inhaltliche Gliederung von Peck³ trifft im Wesentlichen das Richtige. Wir legen sie in der folgenden Übersicht zugrunde und modifizieren sie anhand der Kriterien, die Reviel Netz zur Gliederung aristotelischer Pragmatien in Paragraphen entwickelt hat. Dabei lässt sich feststellen, dass die Paragraphen vielfach mehrere der traditionellen Kapitel⁴ abdecken und so Aufschlüsse über den Argumentationszusammenhang ergeben:

 Vgl. auch Gotthelf/Falcon (2018) 29 f.  Vgl. auch Gotthelf/Falcon (2018) 17 ff., 23, 29.  Peck (1990) lxxi–lxxii.  Die traditionelle Kapiteleinteilung des Corpus Aristotelicum (nach Bekker 1831, der sich wohl auf die Einteilung der 3. Basler Ausgabe von 1550 stützte; vgl. Beullens/Gotthelf (2007) 477 f. mit Anm. 23) dürfte (früh‐)neuzeitlich, am ehesten humanistisch sein: Zum Teil, etwa im Falle der EN, konkurrierende Einteilungen finden sich in den Druckausgaben des späten 15. und des 16. Jh. und gehen im Falle der EN und der Metaph. auf Ausgaben humanistischer Übersetzungen zurück, vgl. Reis (2008) 269 f., 274 bzw. Alexandru (2014) 75 mit Anm. 29. GA wurde zusammen mit HA und PA im 15 Jh. von Theodore Gaza unter dem Titel De animalibus neu ins Lateinische übersetzt. Die editio princeps aus dem Jahr 1476 enthält eine nur durch Initialen markierte Einteilung, die nach Beullens und Gotthelf (2007) 483 auf Ludovicus Podocatharus zurückgeht, den Rektor der Universität von Padua und einen Freund Gazas, der für ihn die Druckvorlage durchsah (ebd. 481). Auf Basis dieser Einteilung hat wohl ein gewisser Sebastianus Manilius Romanus eine modifizierte Einteilung in Ziffernform in die folgenden Auflagen 1492/95/98 eingeführt, die in die Ausgaben der Übersetzung Gazas bei Aldus (1504; 1513) und von dort in die 2. und 3. Basler Ausgabe des Corpus https://doi.org/10.1515/9783110774863-004

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Buch I

Kapitel 1 = § 1⁵ 1. Teil: Einleitung 2. Teil: Grundlegendes zur Geschlechtsdifferenzierung Kapitel 2 = § 2 1. Teil: Grundlegendes zur Geschlechtsdifferenzierung 2. Teil: Grundlegendes zu den Geschlechtsorganen Kapitel 3 = § 3: Grundlegendes zu den Geschlechtsorganen Kapitel 4– 13: Die Geschlechtsorgane bei den Bluttieren Kapitel 4– 5 = § 4: Aitiologie der männlichen Geschlechtsorgane Kapitel 6 – 7 = § 5: Männliche Geschlechtsorgane Kapitel 8 – 11 = § 6: Weibliche Geschlechtsorgane Kapitel 12– 13 = § 7: Lage der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane Kapitel 14– 16 = § 8: Die Kopulation bei den blutlosen Tieren Kapitel 17– 23: Die Theorie der geschlechtlichen Fortpflanzung Kapitel 17 = § 9 1. Teil: Formulierung der neuen Themenstellung: Frage nach Herkunft und Natur des Spermas und nach den Zeugungsbeiträgen der beiden Geschlechter überhaupt 2. Teil: Überleitung zur Diskussion der Pangenesislehre 3. Teil: Vier Hauptargumente für eine pangenetische Entstehung des Spermas Kapitel 18 bis 724a13 = § 10: Widerlegung der Pangenesislehre Kapitel 18 ab 724a14 = § 11: Entfaltung der eigenen Theorie zur Natur des Spermas Kapitel 19 bis 726b30 = § 12: Nahrung, aus der das (männliche) Sperma resultiert Kapitel 19 ab 726b30 bis 727a30 = § 13: Natur der Katamenien Kapitel 19 ab 727a30 = § 14: Zusätzliche ‚martyria‘ zur Katamenien-ResiduumsThese Kapitel 20 = § 15: Wiederaufnahme der Diskussion der Pangenesislehre (Abwehr des ‚Lustarguments‘), Festigung der eigenen Position Kapitel 21 u. 22 = § 16: Wie leistet der männliche Partner seinen Zeugungsbeitrag? Kapitel 23 = § 17: Beschluss des ersten Buches mit Blick auf das gesamte Tierreich

Aristotelicum (1539; 1550) praktisch unverändert übernommen wurde (vgl. Beullens/Gotthelf 2007, 477– 483).  Hier und im Folgenden haben wir den aristotelischen Text auf der Grundlage der von Netz (2001) erarbeiteten Kriterien in Paragraphen eingeteilt. Sie stimmen nicht immer mit der Kapiteleinteilung überein.

Kapitel 1. 715a1 – 716a2

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Kapitel 1. 715a1 – 716a2 = § 1: Deskription und Aitologie Kapitel 1 hat grundlegenden und einführenden Charakter, weil es die ganze Abhandlung GA an das übrige zoologische Werk anbindet, die Fragestellung von GA vorführt und generelle Ausführungen zu Fortpflanzungsweisen bietet. Dabei differenziert Aristoteles in unterschiedliche Fortpflanzungsarten, doch es wird deutlich, dass die geschlechtliche Fortpflanzung, bei der die Geschlechter durch unterschiedliche Tierindividuen repräsentiert sind, die wichtigste ist. Im Großen und Ganzen ist die geschlechtliche Fortpflanzung mit der Lokomotorik verbunden – ein Gedanke, den Aristoteles an späterer Stelle in GA fortführt. Kapitel 1 vereint verschiedene Vorgehensweisen: Nach einer mit metatextlichen Elementen arbeitenden Einführung bietet es eine Deskription, die gleichzeitig reflektierenden Charakter hat, und eine Aitiologie und schließt mit einer Analogie zum Pflanzenreich ab.

715a1 – 18: Einführung: metatextlich und disponierend Diese Passage kann man als eine Art von Proömium bezeichnen. Sie ist insgesamt metatextlich, zugleich rückblickend⁶ wie disponierend. Aristoteles nennt das zweifache Thema der ganzen Abhandlung: die Behandlung der Geschlechtsorgane und der Bewegungsursache. Er beginnt mit einer metatextlichen Bemerkung, die durch ἐπεί eingeleitet wird und durch die er GA an andere aitiologische Abhandlungen (PA und IA) anschließt. Diese ist verknüpft mit einem methodischen Hinweis. Denn die Formulierung, dass etwas ‚sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen‘ (715a2) untersucht werde, ist ein aristotelischer und in Mete. I 1. 339a6 – 8 als Bestandteil des hyphēgēmenos tropos der Naturforschung vorgestellter Topos. Für die Zoologie ist er methodisch fundiert in PA I 5 (dort v. a. 645b21 f. u. 646a2 f.), aber er stellt auch sonst einen übergeordneten Aspekt der Untersuchung dar (siehe z. B. Po. 1. 1447a1 f.). Hier am Beginn von GA schließt sich eine indirekte Frage an,⁷ die die bereits erfolgte Kausalerklärung von Teilen der Lebewesen als eine solche qualifiziert. Gleichzeitig ruft Aristoteles auf geschickte Weise bestimmte Voraussetzungen in Erinnerung. Denn die Themenangabe wird in ihrem zweiten Teil durch eine mit ὑπόκεινται γάρ eingeleitete Parenthese vorbereitet. Die Voraussetzungen werden

 Zur Position von GA innerhalb von Aristoteles’ biologischem bzw. naturwissenschaftlichem Werk vgl. oben, S. 23.  Vgl. etwa wiederum Po. 1. 1447a3.

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Buch I

hier nicht eingeführt, sondern in Erinnerung gerufen. Aristoteles setzt ihre Kenntnis also voraus.⁸ Die Themenangabe selbst bildet den Abschluss (715a11– 14) eines längeren Satzes, der parenthetisch und anakoluthisch gebildet ist, da bereits λέγω … ἕνεκά του eine selbständige Erläuterung zu τὴν τοιαύτην αἰτίαν bildet. Mit dem Neueinsatz περὶ μὲν οὖν τῶν ἄλλων εἴρηται fängt Aristoteles den Anakoluth auf.⁹ Die in dem Neueinsatz enthaltenen Partikeln μὲν οὖν (715a7) bereiten in der für eine binary transition nach Netz typischen Weise¹⁰ ein korrespondierendes δέ vor, das in 715a11 erscheint und den Gegenstand der Abhandlung als ein loipon einführt. Diese Einführung des eigentlichen Themas durch die (hier elliptische) Wendung λοιπόν (715a11) verwendet Aristoteles des öfteren. Man kann sie als fest etablierten Topos des Disponierens bezeichnen.¹¹ Sie ist insofern geschickt, als sie suggeriert, dass auf einem bestimmten Gebiet eine Vollständigkeit der methodischen Untersuchung erreicht werden könne und es sich lohne, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen.¹² Strukturiert wird das doppelte Erkenntnisziel hier im Proömium von GA durch μέν (τῶν μὲν μορίων, 715a12) und δέ (περὶ αἰτίας δέ, 715a13). Das Erkenntnisziel der Untersuchung in GA ist also die Kenntnis der Geschlechtsorgane und die Kenntnis der Bewegungsursache. Diese wird gleichgesetzt mit der Erkenntnis, wie Fortpflanzung im Einzelnen, d. h. je nach Spezies, funktioniert (715a14 f.), auch wenn Aristoteles diese Gleichsetzung mit der für seine wissenschaftliche Sorgfalt typischen Wendung τρόπον τινά abmildert. Im Vergleich mit HA V 1, wo auch die Fortpflanzung der Lebewesen als noch ausstehendes Thema bezeichnet wird (περὶ δὲ τῶν γενέσεων αὐτῶν λοιπὸν διελθεῖν, 539a1 f.), liegt hier die besondere Pointe darin, dass das Thema der Schrift simultan auf zwei Ebenen das jeweils noch zur Behandlung Ausstehende abdeckt. Diese Zweigleisigkeit ist, wie gesehen, aus dem metatextlichen Anschluss an PA und IA heraus entwickelt. Dass die beiden Themen eng zusammengehören und nicht ‚nebeneinanderlaufen‘, wird

 Vgl. Peck (zur Stelle), der γάρ mit der interpretierenden Übersetzung „as we know“ wiedergibt.  Hierzu vgl. van der Eijk (1997) 108 f. mit dem Verweis auf Pol. I 12. 1259a37–b10 als Parallele zu dem ‚anakoluthischen‘ Einsatz von GA.  Vgl. Einleitung, S. 15‒17.  Vgl. etwa das methodisch für die Wissenschaft von der Natur wichtige erste Kapitel der Meteorologie (λοιπὸν δ᾿ ἐστὶ μέρος τῆς μεθόδου ταύτης ἔτι θεωρητέον, 338a25 f.) und, komplementär zur Ankündigung der Untersuchung der belebten Natur (339a6 – 8), vgl. auch PA I 5 (λοιπὸν περὶ τῆς ζωικῆς φύσεως εἰπεῖν, 645a5 f.) sowie die Nennung der zum Abschluss der zoologischen methodos noch ausstehenden Themengebiete am Schluss von De longaevitate (λοιπὸν δ’ ἡμῖν θεωρῆσαι περὶ …, 467b6 – 8).  Entsprechend heißt es in Mete. I 1. 339a8 f.: σχεδὸν γὰρ τούτων ῥηθέντων τέλος ἂν εἴη γεγονὸς τῆς ἐξ ἀρχῆς ἡμῖν προαιρέσεως πάσης.

Kapitel 1. 715a1 – 716a2

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dann im Durchgang durch das erste Buch ersichtlich werden. Denn dass die Bewegungsursache durch den männlichen Geschlechtspartner beigesteuert wird, ist in der Geschlechtsspezifität der Zeugungsbeiträge begründet, aus welcher wiederum die Spezifität der Geschlechtsorgane herrührt, da sie dem jeweiligen ergon angemessen sind. Dies alles wird sich aber erst im Durchgang der Erkenntnisgewinnung und -niederlegung zeigen. Aristoteles erwähnt dieses Ergebnis hier nicht, setzt es aber voraus, was ein Indiz dafür ist, dass die Makroplanung von GA hier bereits feststeht. Dadurch, dass das Ergebnis an dieser Stelle nicht erwähnt ist, wird eine Spannung aufgebaut. Sie drückt sich auch aus in dem mit διόπερ eingeleiteten Satz (715a15 – 18); denn er bringt zwar zum Ausdruck, dass die Untersuchung der Geschlechtsorgane und die Frage nach der genesis zusammengehören, bietet aber keinen inhaltlichen Aufschluss, warum. Die mit diesem Spannungsmoment verbundene personifizierte (Selbst‐)Disposition des vorliegenden λόγος erscheint als in besonderer Weise geglückt. Denn die Personifizierung suggeriert eine sinnreiche Eigendynamik der methodisch voranschreitenden Untersuchung, an der teilzuhaben der Rezipient eingeladen ist. Dass dieser logos im Sinne ‚einer großen Argumentationslinie‘¹³ das ganze Werk GA bestimmt, haben Gotthelf und Falcon aufgezeigt.¹⁴

715a18 – 716a2: Generelle Unterscheidung von Fortpflanzungsarten: deskriptiv – aitiologisch – Analogie Den zweiten Teil nach der Einleitung schließt Aristoteles mit δή an, was man als durchaus typisch für den Übergang von einem Proömium einer Pragmatie zum folgenden Teil betrachten kann.¹⁵ Dieser zweite Teil des ersten Kapitels dient dazu, analog zur Grundlegung der Wissenschaft von der Natur insgesamt (in Ph. I 1, insbes. 184a14– 16) an erster Stelle die Prinzipien des vorgenommenen Teilbereiches der Zoologie zu bestimmen.

 Vgl. auch oben, S. 23.  Vgl. Gotthelf/Falcon (2018). Die beiden Autoren übersetzen λόγος mit „argument“ und sehen die Berechtigung dafür in der Kohärenz der Darlegung („logical narrative in which subsequent components build on previous components, [which] together … form a unity leading up to a single complicated thesis“, ebd. 21).  Vgl. etwa Top. I 1. 100a25, SE 2. 165a38, Ph. I 2. 184b15 (δή coni. Torstrik), GC I 2. 315a26, Long. 2. 465a13, Metaph. Α 2. 982a6/a8, EE I 2. 1214b6, Pol. I 2. 1252a24, Rh. I 2. 1355b26, Po. 1. 1447a13. Mit Denniston (1954) 236 ff. wäre dieser im 4. Jh. rasch an Boden gewinnende Gebrauch (vgl. ebd. 237) als „connective“ zu bezeichnen, der oft „something intermediate between temporal and logical connexion“ zum Ausdruck bringt (ebd. 239).

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715a18–b2: Deskription der Empirie – Prozessuales Schreiben Die Zugrundelegung nimmt Aristoteles zunächst auf deskriptive Weise (715a18– b2) vor, indem er die empirische Basis für die im folgenden Kapitel zu gebende explizite Einführung des Männlichen und des Weiblichen als Prinzipien der Zeugung darlegt und auf die große Verbreitung der Zweigeschlechtlichkeit innerhalb des Tierreiches hinweist. Allerdings leidet die Klarheit der Passage dadurch, dass Aristoteles’ Disposition nicht ganz transparent ist. Denn obwohl der erste Satz mit dem auf den einleitenden partitiven Genetiv folgenden μέν eine Dihairese suggeriert, innerhalb derer den zweigeschlechtlich zeugenden Tieren eine andere Gruppe gegenübergestellt wird, bleibt das zweite Glied zunächst offen, das logischerweise die Gruppe der ungeschlechtlich zeugenden Tiere wäre. Diese Unklarheit liegt daran, dass Aristoteles sofort, eingeleitet durch das Relativum ἐν ὅσοις (715a19), eine Einschränkung bringt, insofern die geschlechtliche Fortpflanzung nicht bei allen Tieren, sondern vor allem bei den Bluttieren vorkomme, die in der Regel – aber eben nicht immer (715a20 f.: ἔξω ὀλίγων) – beide Geschlechter voll ausgebildet hätten (715a21). Mit dem Beginn des Relativsatzes wird vor allem aber auch fast signalwortartig an die etablierte Klassifikation des Tierreichs erinnert, die im Falle eines Lehrvortrags wohl in Form von Schaubildern präsent gehalten wurde¹⁶ und die nun, in einem ersten Ansatz, ‚von oben‘ durchgegangen wird. Dabei wird die unterscheidende μὲν–δέ Korrespondenz jetzt aus der Perspektive der Klassifikation betrachtet und nicht mehr aus derjenigen der ursprünglich eröffneten Dihairese: Bei den blutlosen Tieren gebe es solche mit Geschlechtsdifferenzierung und artgleichen Nachkommen auf der einen Seite und auf der anderen Seite durch eine auf Fäulnisprozessen beruhende Spontanzeugung¹⁷ entstehende Tiere,¹⁸ die zwar Nachkommen hervorbrächten, aber keine

 Siehe hierzu Hellmann (2004) und die Untersuchung von Lennox (2018).  Vgl. HA V 1. 539a21– 27.  Ob die hier gemeinten spontan entstehenden Tiere zweigeschlechtlich sind oder nicht, wird hier (715a23 – 25) zunächst nicht ausdrücklich gesagt. Gleich im folgenden (715b4– 7) wird diese Gruppe wieder aufgenommen, diesmal nicht nur als zu den Blutlosen, sondern genauer als zu den Insekten gehörende, aber auch dort heißt es erst einmal nur, dass diese Tiere ‚zeugen‘. Kurz darauf aber, in 715b8 f., ist ihre Zweigeschlechtlichkeit durch συνδυαζομένων impliziert. Michael von Ephesos erklärt richtig auf S. 4,9 – 11 Hayduck: πότερον δυνάμενα συνδυάζεσθαι (τοῦτο δὲ ταὐτόν ἐστι τῷ πότερον ἔχουσι τὸ ἄρρεν καὶ τὸ θῆλυ), zum Beweisgang 715b7– 16 siehe Michael von Ephesos S. 3,32– 4,20 Hayduck. In c. 16 (721a2– 10) werden die drei Weisen der Entstehung von Insekten angegeben. Erst hier (und noch deutlicher in II 1. 732b11– 14) wird diese Gruppe von Tieren explizit als zweigeschlechtlich bezeichnet. Die dritte Art der Insektengenese (spontan und ohne Nachkommen) wird in c. 1 nicht berücksichtigt; es scheint aber, dass die in c. 16 getroffene dreiteilige Unterscheidung schon hier präsent ist.

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artgleichen. Die eingangs eingeführte Gruppe der geschlechtlich sich fortpflanzenden Tiere (715a18 f.) bleibt weiterhin ohne Gegenpart. Stattdessen führt Aristoteles nun mit der allgemeinen Floskel ὡς δὲ κατὰ παντὸς εἰπεῖν (715a25 f.) etwas unvermittelt aus einer umfassenden Perspektive heraus die Lokomotion¹⁹ als ein einheitliches Merkmal ein, wobei er eine übliche abstrakt-technische Ausdrucksweise verwendet (κατὰ τόπον μεταβλητικά in 715a26),²⁰ um auch diese Eigenschaft sogleich wieder, diesmal aber bzgl. der Blutlosen um eine Ebene differenzierter, mit der etablierten Klassifikation abzugleichen. Über die hier an letzter Stelle genannte große Gattung der Insekten wird die obige Unterscheidung ‚Gleichartige/Ungleichartige Zeugende‘ wieder aufgenommen und die Folgegeneration spontan entstehender Insekten als geschlechtslos charakterisiert (715b6). So erweckt diese Passage im Mikrobereich durch die schleichende Modifikation der Kriterien den Eindruck des prozessualen Schreibens, indem Aristoteles plötzlich Einschränkungen der Opposition ‚geschlechtlich zeugend – nicht geschlechtlich zeugend‘ mit aufnimmt. Wollte man dieses Verfahren charakterisieren, könnte man formulieren, dass Aristoteles beim Ordnen des Materials und ‚seiner Gedanken‘, das das Aufstellen von Gesetzmäßigkeiten im Bereich der Zeugung zum Ziel hat, immer wieder aufgrund seiner wissenschaftlichen Genauigkeit und einer globalen, alle Tierklassen umfassenden Perspektive von der ursprünglichen Disposition abgleitet. Dass es Aristoteles auf wissenschaftliche Genauigkeit ankommt, machen die Wendungen klar, die verdeutlichen, dass es ‚meistens‘ so ist, wie ἐν ὅσοις … οὐ γὰρ ἐν πᾶσιν (715a19 f.), ἔξω ὀλίγων (715a20 f.), ὡς δὲ κατὰ παντὸς εἰπεῖν (715a25 f.), ἐνίοις (715a30) – καθ᾿ ὅλον τὸ γένος – τὰ πλεῖστα (715a30–b2). Damit schließt dieses Eingangskapitel implizit an Aristoteles’ wissenschaftstheoretische Überlegungen an, dass im Bereich der Naturforschung keine Genauigkeit wie in der Mathematik zu erreichen ist, sondern nur eine Genauigkeit ‚ὡς ἐπὶ τὸ πολύ‘.²¹

715b2 – 716a2: Aitiologie Ab 715b2 folgt eine aitiologische Passage, auf die sich Aristoteles im zweiten Buch (II 1. 732b11– 14) bezieht. Denn Aristoteles begründet, warum Tiere, die durch Spontanzeugung entstehen, keine artgleichen Nachkommen hervorbringen,

 Vgl. HA I 1. 487b6 ff.  Vgl. etwa IA 1. 704a4 f. u. 19. 714b21 f. und die grundlegende Unterscheidung in Ph. III 1. 200b33 f.  Vgl. die Ausführungen mit Forschungsliteratur oben, S. 9.

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sondern solche, die wiederum keine Geschlechtsdifferenzierung aufweisen. Dieses Phänomen bezeichnet er mit εὐλόγως (715b10) und begründet im Folgenden, warum dies mit ‚gutem Grund‘ geschehe. Indem er in den Beweis den Begriff εὐλόγως ein zweites Mal integriert und dieses mit der Empirie begründet (715b11: φαίνεται γὰρ συμβαῖνον), wird die Vernünftigkeit des Geschehens, die sich durch Empirie und Logik ergibt, auch sprachlich eindringlich gemacht.²² Bei dem Beweis handelt es sich um einen indirekten Beweis. Ihm liegt die Prämisse zugrunde, dass die Natur das Unbegrenzte fliehe. Zu dieser Prämisse, für die in 715b15 f. eine knappe zweistufige Begründung nachgeschoben wird, wird ein den indirekten Beweisgang abschließender Widerspruch explizit erzeugt. Aristoteles arbeitet zweimal – entsprechend einer disjunkten Unterscheidung zweier Fälle – mit einer reductio ad absurdum: 1) Wären die Produkte gleichartig mit ihren Eltern (und damit auch zweigeschlechtlich), so hätten auch diese bereits aus geschlechtlicher Zeugung entstehen müssen.²³ Die Berechtigung dieser Folgerung liege in einer allgemeinen Beobachtung (φαίνεται … συμβαῖνον), die hier als (empiriegestütztes) Axiom gekennzeichnet ist (τοῦτο δ᾿ εὐλόγως ἀξιοῦμεν, 715b10 f.) ‒ dessen Inhalt jedoch nur implizit klar ist: Artgleichheit impliziert Gleichheit des Entstehungsmodus. 2) Wären die Produkte aber nicht ihren Eltern gleich (ἀνόμοια, 715b12), aber (wie diese) zweigeschlechtlich, so entstünde – das gerade angesprochene Axiom wird implizit wiederholt in Anschlag gebracht ‒ ein regressus ad infinitum in Gestalt einer nicht endenden Generationenfolge, in der jedes Glied von allen vorigen Art-verschieden sein muss, und das widerspricht der Prämisse, dass die Natur stets ein telos anstrebt und nicht ins Unendliche geht. Diese Folgerung bedarf allerdings der Zusatzvoraussetzung, dass nach der ersten Folgegeneration auch alle weiteren jeweils wieder zweigeschlechtlich sind. Diese Zusatzvoraussetzung ist aber eigentlich nicht durch die Ausgangshypothese gedeckt. Aristoteles lässt, etwa in Kapitel 16, durchaus zu, dass spontan entstehende Arten ohne Folgegeneration bleiben oder dass sie genau eine (geschlechtslose) Folgegeneration haben (so auch hier); aus seiner Sicht wäre aber auch jede andere endliche Folge paarweise verschiedener zweigeschlechtlicher Folgegenerationen, die durch eine letzte geschlechtslose abgebrochen wird, durchaus eulogon. ²⁴

 Zum Begriff εὔλογος vgl. Falcon/Leunissen (2010).  Der Widerspruch zur vorausgesetzten Spontangenese der Elterngeneration wird hier (nur) mit dem irreal aufzufassenden ἔδει angedeutet, s. u. im Text.  Die Möglichkeit zyklischer Generationenfolgen, die ebenfalls nicht von vornherein aristotelischen Grundvoraussetzungen widerspräche, wird bereits oben 715a22 f. mit der nicht näher begründeten Festlegung auf artgleiche Tochtergeneration bei geschlechtlich entstehenden Tieren ausgeschlossen.

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Diese Schwäche des Beweisgangs²⁵ wird verdeckt durch einen bündig und ‚schlagend‘ wirkenden Abschluss, der den Widerspruch zu dem hergestellten regressus ad infinitum explizit herstellt: In drei kurzen, markanten Sätzen, die auf die mehrgliedrige und durch eine Parenthese unterbrochene kondizionale Periode (715b7– 14) unmittelbar folgen, wird eine bereits axiomatisch klingende Prämisse durch einen analytischen Satz („das Unendliche ist nicht vollendet“) und ein tiefer liegendes Axiom („die Natur strebt stets nach Vollendung“) auf engstem Raum bewiesen. Unausgesprochen bleibt die dem gesamten Beweisgang zugrundeliegende – stillschweigend als vollständig vorausgesetzte – Fallunterscheidung, nämlich in die beiden zum Widerspruch geführten Fälle (die beide wiederum unter den einen Fall zu subsumieren wären, dass die Tochtergeneration zweigeschlechtlich ist) und in den zu beweisenden Fall, i. e. dass die Tochtergeneration spontan entstehender Insekten ungeschlechtlich (und implizit: ohne Nachkommen) ist. In diesem Abschnitt entsprechen die Konditionalsätze den Prämissen und die Hauptsätze den Schlussfolgerungen.²⁶ Dass diese den Ausgangsprämissen widersprechen, wird im ersten Fall nicht gesagt, sondern nur durch ἔδει impliziert. Im zweiten Fall wird der Widerspruch durch die irreale Wendung (καὶ τοῦτ’ ἐπορεύετ’ ἂν εἰς ἄπειρον) vorbereitet und durch die Einführung eines ‚Naturaxioms‘ (ἡ δὲ φύσις …) explizit gemacht. In einer μὲν-δέ-Korrespondenz auf 715a26 f. zurückgreifend, führt Aristoteles nun als Gegenstück zu den lokomotorischen Tieren eine neue Gruppe ein: Tiere, die keine Ortsbewegung haben, wie die Ostrakoderma, und die Tiere, die festgewachsen sind. Sie weisen ein Fortpflanzungsverhalten wie die Pflanzen auf. Damit wird das Motiv der Zwischenstellung der Testacea zwischen Tier und Pflanze, das am Ende des ersten Buches und in III 11 erscheint, vorbereitet.²⁷ Diese ungeschlechtliche Fortpflanzung, die durch ‚Knospung bzw. Austrieb‘ wie bei den Pflanzen vonstattengeht und bei den Ostrakoderma vorkommt, wird nicht ausführlich dargestellt und begründet.Vielmehr steht anstelle einer solchen Ausführung ihr Vergleich mit den Pflanzen (715b18: παραπλησίαν … τοῖς φυτοῖς). Dieser ersetzt die wissenschaftliche Erläuterung. Die Berechtigung dafür sieht Aristoteles darin, dass man bei Pflanzen analog von Zweigeschlechtlichkeit sprechen könne; dabei aber wird das Kriterium der Zweigeschlechtlichkeit inso-

 Balme (1992) 129 geht kurz auf diesen Beweisgang ein und thematisiert die Möglichkeit einer zyklischen Generationenfolge, die Aristoteles an dieser Stelle unterdrückt.  Vgl. hierzu Föllinger (1993).  Vgl. auch bereits HA IV 11. 537b30 – 538a1.

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fern modifiziert dargestellt, als es, so Aristoteles, bei Pflanzen nur eine gering ausgeprägte Geschlechtsdifferenzierung gebe.²⁸ Die empirische Grundlage schließt er sogleich mit γάρ (715b21) an und sieht ‚weibliche‘ Pflanzen charakterisiert durch das Fruchttragen, ‚männliche‘ hingegen durch ihren Verkochungsbeitrag (715b24: πέττειν). Genau genommen ist dieses letzte Charakteristikum bereits Teil seiner Zeugungstheorie, derzufolge Zeugung ein durch den männlichen Beitrag induzierter Verkochungsprozess ist und die er erst im Folgenden genauer entwickelt, hier also stillschweigend voraussetzt. Aber er lässt es als empirisches Charakteristikum erscheinen, indem er auf das verweist, was bei Ficus carica und Caprificus „geschieht“ (συμβαίνει, 715b24 f.). Abschließend²⁹ führt Aristoteles die Analogie zu den Pflanzen weiter aus. Denn er unterscheidet bei ihnen eine Fortpflanzung durch sperma und eine ‚Spontanzeugung‘, die durch faulende Stoffe vonstattengeht. Diese Analogie ist nur erhellend, wenn man voraussetzt, dass, wie Aristoteles später³⁰ ausführt, im sperma männlicher und weiblicher Beitrag vereint sind. Insgesamt hat sich so die tierische Fortpflanzung, wenn auch in gradueller Abstufung, als geschlechtlich erwiesen (da ja die geschlechtslose Folgegeneration spontan entstehender Insekten ohne Fortpflanzung bleibt). Als mögliche – nicht genannte – Kandidaten für eine eventuelle ungeschlechtliche Fortpflanzung bleiben nur die nicht weiter spezifizierten wenigen Ausnahmen unter den Bluttieren sowie (kleine) Teile der nicht explizit vollständig zugeordneten Gattung der Insekten. Damit wird die nun folgende Eingangsthese von Kapitel 2 plausibel. Mit einer Formulierung (716a1 f.), die zusammen mit 716a2 – 4 einen Paragraphenübergang in Netz’ Sinn bildet, schließt Aristoteles das Kapitel ab, indem er auf die Notwendigkeit einer gesonderten Behandlung der Pflanzen hinweist.

 Dies korrespondiert zu der kurz vorher von Aristoteles verwandten Vorgehensweise, mit der die Behauptung von der Existenz zweier unterschiedener Geschlechter sozusagen ‚schleichend‘ durch den Begriff der vollendeten Ausprägung der Geschlechtlichkeit (τελειωθέν, 715a21) ersetzt wurde.  „Abschließend“ für den Fall, dass der kurze Passus 715b25 – 30 nicht umzustellen ist (nach 715a25), wie Peck (1943) 9, Anm. c, vorgeschlagen und Louis (1961) 2 es übernommen hat.Vgl. auch Lefebvre (2014) 1579, Anm. 1; offen abwägend Lanza (1971) 832, Anm. 5.  GA I 23. 731a21– 29.

Kapitel 2. 716a2‒716b12

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Kapitel 2. 716a2‒716b12 = § 2: Schön komponiertes Kapitel, das bei aller Theorieorientiertheit didaktisch vorgeht Dem Abschlusssatz von Kapitel 1 korrespondiert die Kapitel 2 einleitende, metatextliche Bemerkung, dass man über die Fortpflanzung der anderen Lebewesen, d. h. der Tiere,³¹ am jeweiligen Ort der folgenden Darlegung sprechen müsse. Der grundlegenden Bedeutung von Kapitel 2 entspricht seine ausgefeilte Gestaltung.³² So werden in einem ersten Teil in einem ringkompositorisch abgeschlossenen Passus das Weibliche und das Männliche als Prinzipien der Zeugung etabliert. In einem weiteren ringkompositorisch geschlossenen kleinen Abschnitt wird aus einer ‚dynamischen‘ Auffassung der gerade gegebenen Definitionen heraus die Existenz von geschlechtsspezifischen Organen zwingend hergeleitet, um diesen dann im Nachhinein die geläufigen Bezeichnungen zuzuordnen. Ein dritter ringförmig geschlossener Passus, der ein allgemeines Charakteristikum von Prinzipien für die Geschlechtsorgane empirisch belegt, beschließt den Paragraphen auch insgesamt im Sinne eines framing.³³ Die drei argumentativen Mittel, die Aristoteles in diesem Kapitel benutzt, sind: der abstrakte Beweis, die Evidenz durch die Empirie und die Bestätigung durch bzw. Anbindung seiner Anschauung an die allgemeine und das Wesentliche nur umrisshaft fassende allgemeine Meinung. Er geht dabei so vor, dass er von der allgemeinen (und plausiblen) Anschauung, dass das Männchen in etwas anderes zeugt, das Weibchen in sich, durch eine Verschiebung von dieser ‚faktischen‘ hin zu einer ,dynamischen‘ Auffassung der Geschlechterdifferenz seinen eigenen Vermögens-orientierten Erklärungsansatz entwickelt bzw. vorbereitet. Dabei wechselt er in einer für seine Darstellung typischen Weise von tentativer Sprache in eine Sprache der Notwendigkeit.

 Wir verstehen auch hier ζῷα im engeren Sinne (wohingegen ζῶντα ,Lebewesen‘ im weiteren Sinne meint). Damit scheint zunächst eine logische Inkonsistenz zu entstehen: In Verbindung mit τῶν ἄλλων würden wir den übergreifenden, auch die gerade genannten Pflanzen mit einbeziehenden Terminus ζώντων erwarten. Mit dem (etwa bei Platon) nicht unüblichen „scheinbar pleon(astischen) Gebr(auch)“ von ἄλλος (Passow I 1 1841, 109, sub voce, 5) lässt sich diese Schwierigkeit jedoch beheben, im Sinne von: Über die anderen Tiere (vgl. Passow, a. a. O.).  Vgl. hierzu auch Föllinger/Busch (2022).  Zu diesem Ausdruck siehe oben, S. 12.

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716a2 – 17: Didaktische Einführung der Prinzipienhaftigkeit der Geschlechter Der Passus beginnt mit einer metatextlichen Bemerkung methodischen Inhalts, dass jedes einzelne Untersuchungsobjekt an der für es passenden Stelle kommen müsse. Mit dem Verbaladjektiv wird grammatisch eine ‚objektive‘ Notwendigkeit formuliert, die aber gleichzeitig den Rezipienten einbindet.³⁴ Dieser Einbindung entsprechend bringt Aristoteles im Folgenden mit dem Verweis in der 1. Pers. Pl. weiter das Verhältnis von Autor und Rezipient ins Spiel.³⁵ Auf der argumentativen Ebene beginnt nun die erste Verschiebung. Denn der Verweis καθάπερ γὰρ εἴπομεν (716a4) bezieht sich wohl auf die vorausgegangene Passage des ersten Kapitels ab 715a18 insgesamt,³⁶ aber Aristoteles verwendet hier (716a4 f.) den Begriff der ἀρχαί, der dort nicht fiel (aber an den für das Proömium zentralen Begriff der αἰτίαι anknüpft). Der Grund hierfür dürfte sein, dass er mit diesem Begriff gewissermaßen seine Position sofort markieren kann. Denn ziemlich unvermittelt nennt er hier sofort wesentliche Bestandteile seiner Zeugungstheorie, die er doch in den folgenden Kapiteln erst lange und mühsam entwickelt: das Männchen als Ursprung der Bewegung, das Weibchen als den der Hyle. Aristoteles führt also die für die gesamte Pragmatie zentrale Aussage hier quasi unter der Hand schon einmal ein. Dabei ist aber die sprachliche Gestaltung signifikant, die ihr den Duktus einer Annahme verleiht. Denn die schlichte Form einer ‚angehängten‘ doppelgliedrigen Apposition kontrastiert mit der inhaltlichen Bedeutung: Aristoteles drückt sich tentativ aus, indem er seine These (716a4– 7) aus der objektivierenden Warte eines Dritten und im potentialen Optativ formuliert und das prädikative Partizip durch ὡς modifiziert.³⁷ Außerdem tritt die von ihm in GA als große Innovation eingeführte These von dem weiblichen Zeugungsbeitrag als Hyle in elliptisch verknappter Form (τὸ δὲ θῆλυ ὠς ὑλῆς ) auf, die den weiblichen Beitrag als nachrangig erscheinen lässt. Gleichzeitig aber lenkt die Litotes οὐχ ἥκιστα den Rezipienten darauf hin, dass diese These sich als ‚stark‘ und plausibel erweisen wird. Durch die Verbin Vgl. hierzu oben, S. 68‒70.  Zur Verwendung der 1. Pers. Pl. vgl. oben, S. 71.  Explizit bejaht wird die Existenz der beiden Geschlechter (und implizit ihre Bedeutung für die genesis der Tiere) 715a19 f., a20 f., a22, a28 f. bzw. in abgeschwächter Form b19 f.  ὡς beim Partizip „drückt wie auch sonst eine Vergleichung aus“. Ob die durch das Partizip bezeichnete Eigenschaft „in der Wirklichkeit bestehe oder eine bloss angenommene, scheinbare sei“, bleibt offen und ist kontextabhängig (Kühner/Gerth, Satzlehre 2. Teil, S. 90 f.). Nach Wentzel 1857 (zitiert nach Kühner/Gerth a. a. O., Anm. 1) „zeigt [ὡς vor dem Partizip] nur an, dass die Handlung des Hauptsatzes angemessen oder gemäss ist den im Partizipe angegebenen Umständen.“ Gerade diese letzere, bei Kühner und Gerth zitierte Lesart scheint uns auf die typische Verwendungsweise bei Aristoteles gut zu passen.

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dung von tentativem Duktus und Plausibilitätsdruck gewinnt die Darlegung einen suggestiven Charakter. Die Plausibilitätserwartung erhöht das wiederum aus der Warte eines Dritten formulierte πιστεύειν im folgenden Satz (716a7: τοῦτο δὲ μάλιστ᾿ ἄν τις πιστεύσειε θεωρῶν), mit dem die Frage nach der Rolle des sperma in den Mittelpunkt gerückt wird. Dabei wird durch die auffällige Wiederholung der Formulierung mit τις in Verbindung mit Verben geistiger Aktivität dem Rezipienten ,angeboten‘, diese unabhängige Position selbst als Forschender einzunehmen und an ihr teilzuhaben, und die indirekten Frageformen in 716a8 f.: πῶς, πόθεν deuten schon an, dass das aufgeworfene Problem nicht trivial ist; gleichzeitig wird durch diese eindringliche Dopplung eine Spannung, geradezu ein ,Erkenntnisdruck‘ erzeugt, unterstützt durch die Notwendigkeit unterstellende Formulierung δεῖ μὴ λανθάνειν. Denn mit dem Polyptoton ἐκ τούτου μὲν … τοῦτο δὲ πῶς schlägt die tentative in eine ausgesprochen dezidierte Ausdrucksweise um, und die Häufung kausaler Anschlüsse (γάρ, 716a8 u. a10; διὰ τοῦτο, a12 f.) verstärkt den Eindruck eines zwingenden Begründungszusammenhangs, der im Folgenden entwickelt wird. Merkwürdig ist hier, dass Aristoteles auch dem weiblichen Zeugungspartner einen Samen zuzuweisen scheint. Dass dies nicht seiner Zeugungstheorie entspricht, fängt er dadurch auf, dass er hier nicht den Terminus σπέρμα, sondern ἀπόκρισις³⁸ verwendet und vage von τὸ τοιοῦτον μόριον spricht, das zwar auf das erwähnte σπέρμα verweist, aber doch allgemeiner ist. Dies ist wichtig; denn später³⁹ wird Aristoteles ausführen, dass das Menstruationsblut nicht voll verkochtes Blut sei, also eben kein Samen, wie das Männchen ihn beiträgt. Aristoteles fährt nun mit einem ‚integrativen Wir‘ (716a14: λέγομεν) fort und formuliert eine im Sinne von Ph. I 1 von dem uns Näheren ausgehende, äußerlich-formale (d. h. nicht essentielle) und common sense-bezogene Definition, dass das Männchen in ein anderes Tier zeuge, das Weibchen in sich selbst. Dass dieses nicht seine eigentliche Definition ist, wird an späterer Stelle⁴⁰ deutlich, wo als eigentliches definiens der Geschlechter die unterschiedliche Wärme erscheint. Es handelt sich hier also um eine Formulierung, die eine Annäherung an die allgemeine Meinung geben und die eigene Theorie didaktisch geschickt einführen soll.⁴¹ Dass

 So verwendet er den Terminus ἀπόκρισις auch für das Menstruationsblut (etwa in ΙΙ 4. 738a27, b4, 739a15 und b20).  GA I 19. 726b30 – 727a2.  GA IV 1. 765b8 – 17, 766a30-b7.  Vgl. auch Wians (2017). Obwohl Aristoteles dezidiert die Meinung, dass das Weibchen Samen zur Zeugung beitrage, ablehnt und im Menstruationsblut den weiblichen Zeugungsbeitrag sieht, spricht er im Verlauf von GA immer wieder davon, dass das Menstruationsblut Samen oder sa-

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es sich hier um einen ersten Zugriff handelt, der die eigene, im Folgenden ausgearbeitete These an bereits Bekanntes annähern soll, macht auch ein Vergleich mit dem entsprechenden Material in HA deutlich. Denn dort (HA I 3. 489a8 – 12) wird ebenfalls beiden Geschlechtern ein ἀφιέναι von Sperma zugesprochen, und die vorläufige Definition der Geschlechter wird fast wortgleich vorweggenommen.⁴² Aber Aristoteles unternimmt in GA I 2 eine signifikante Änderung: Aus dem unpersönlichen καλεῖται in HA (489a11) wird das persönliche λέγομεν (716a14). Aristoteles passt hier also gezielt ‚Material‘ einem kommunikativen Kontext an,⁴³ indem er durch das ‚integrative Wir‘ eine konsensfähige Gemeinschaft, die auch die Adressaten mit umfasst, imaginiert. Aber Aristoteles versucht nicht nur, durch die Anbindung an die communis opinio sozusagen einen Grundstein für die Akzeptanz seiner Theorie zu legen. Er führt sogar die volkstümliche Meinung an, dass man der Erde allgemein (716a16: νομίζουσιν) weibliche und mütterliche Züge und dem Himmel männliche und väterliche Züge zuschreibe (716a15 – 17). Dieser Rückgriff auf volkstümliche bildliche Vorstellungen erfüllt unterschiedliche Funktionen: Zum einen kann Aristoteles zeigen, dass auch die vorwissenschaftliche Auffassung etwas Richtiges erkannt hat – auf diese Weise hat er größere Chancen für die Zustimmung der Rezipienten. Gleichzeitig klingt etwas von der ‚Materialität‘ der ‚weiblichen‘ Erde und der (ohne eine materielle Beteiligung) bewegenden Kraft der ‚männlichen‘ Sonne an. Damit hätte dieser Rekurs auf verbreitete mythisch gefärbte Vorstellungen⁴⁴ auch die Funktion, die ‚unter der Hand‘ vorgenommene Zuordnung der beiden Geschlechter zu Bewegungs- bzw. Materialursache der Zeugung zu stützen.

menartig sei. Diese Ausdrucksweise lässt sich aus seiner Theorie insofern rechtfertigen, als das Menstruationsblut, wie der Samen des Männchens, aus dem Blut entstanden ist. Aus diesem Grund meint Connell sogar, man könne von einer ‚Zwei-Samen-Theorie‘ bei Aristoteles sprechen (Connell 2016, 101– 107), was aber überzogen ist.  Τῶν δὲ λοιπῶν πολλοῖς ὑπάρχει ταῦτά τε τὰ μόρια καὶ ἔτι ᾗ τὸ σπέρμα ἀφιᾶσιν· καὶ τούτων ἐν οἷς μὲν ὑπάρχει γένεσις ζῴων τὸ μὲν εἰς αὑτὸ ἀφιέν, τὸ δ᾿ εἰς ἕτερον. καλεῖται δὲ τὸ μὲν εἰς αὑτὸ ἀφιὲν θῆλυ, τὸ δ᾿ εἰς τοῦτο ἄρρεν.  Wir gehen davon aus, dass Aristoteles GA nach HA verfasst und das dort gesammelte Material in seine Theorie eingepasst hat. Balme vertrat die These, HA sei nach GA entstanden (Balme 1987, 17 f.; zur Diskussion vgl. Lennox 1996, 232). Dies erscheint aber nicht glaubwürdig, wie etwa ein Vergleich von GA III 10 mit den entsprechenden Stellen in HA zeigt (Föllinger 1996b).  Vgl. Wians (2017) 246: „made plausible … by appealing to a mythological endoxon“.

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716a17–b3: Logischer Beweis und empirischer Beleg für die Existenz differenzierter, den spezifischen Geschlechtsfunktionen entsprechender Sexualorgane Denn das ist das Ziel, auf das Aristoteles mit dem folgenden Argumentationsteil (716a17–b12) hinsteuert. Am Beginn steht die apodiktische Aussage, dass der Unterschied der Geschlechter sich sowohl im theoretischen Zugriff als auch phänomenal fassen lasse (716a18 f.: κατὰ μὲν τὸν λόγον … κατὰ δὲ τὴν αἴσθησιν), insofern der theoretisch zu erschließenden unterschiedlichen Funktion ein spezieller Körperteil entspricht.⁴⁵ Dabei ,dynamisiert‘ und expandiert Aristoteles die zuvor gegebene ,faktische‘ Definition der beiden Geschlechter über das Vermögen, in ein anderes Tier bzw. in sich selbst zu zeugen (716a20 – 23), zu einem mit diesem jeweils verbundenen spezifischen ergon (716a23), das die Notwendigkeit der Existenz eines jeweils kongenialen Körperorgans begründet (716a23 – 27).⁴⁶ Den entsprechenden Existenzbeweis formuliert er als typischen Vorwärts-Schluss (ἐπεὶ … ἀναγκαῖον), hier mit drei Prämissen, wobei im Zentrum eine nicht näher begründete allgemeine Aussage von axiomatischem Charakter steht, die den Schluss auf die Existenz bestimmter Organe erst ermöglicht. Mit einer Folgerung, die Aristoteles wieder einfach als unselbständigen Satzteil mit epexegetischem καί ,anhängt‘, nämlich dass diese Organe sich nach Maßgabe des (‚begrifflich-dynamischen‘) Unterschieds zwischen den beiden Geschlechtern unterscheiden müssen, setzt er erneut eine Prämisse – stillschweigend – voraus: die eineindeutige Entsprechung zwischen Morphologie und Funktion von Organen. Tatsächlich lehnt Aristoteles die natürliche Existenz von ‚Multifunktionsorganen‘ nach dem Vorbild des ‚Delphischen Messers‘ (unser ‚Schweizermesser‘) an anderer Stelle⁴⁷ ab. Hier aber begründet er diese weitere Folgerung (γάρ, 716a27) mit einem Verweis auf die Empirie: Auch wenn nämlich die – unterschiedlichen – Prädikate ‚weiblich‘ bzw. ‚männlich‘ jeweils von einem Lebewesen als ganzem ausgesagt werden (λέγεται, 716a28), ist dieses nicht ‚durch und durch‘ (κατὰ πᾶν, 716a29), sondern nur nach Maßgabe eines bestimmten

 Zur Entsprechung von begrifflicher und phänomenaler Ebene vgl. MA 1. 698a11– 14.  Für diesen Beweis wird das erste Glied der These noch einmal aufgenommen (κατὰ μὲν τὸν λόγον, 716a18 u. a20), um die gerade eben erst gegebene Definition unter dem Zusatz ‚δυνάμενον‘ und mit einer Erweiterung der Bestimmung des Weiblichen wiederaufzunehmen. Diese Erweiterung des Begriffs des Weiblichen („aus dem heraus das , das hervorgebracht wird, entsteht, indem es in dem hervorbringenden vorliegt“) ist in diesem Kontext insofern relevant, als der Uterus nicht nur Ort der Zeugung, sondern auch Ort des ersten Wachstums ist und über einen Geburtskanal verfügen muss.  Pol. I 2. 1252b1– 5, vgl. besonders die Formulierung ἓν πρὸς ἕν (b3).

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Vermögens und eines bestimmten Körperteils männlich bzw. weiblich – analog zu der Weise, in der Tieren die Prädikate ‚über das Seh-‘ bzw. ‚über das Gehvermögen verfügend‘ zukommen. Nach diesem dichten Übergang von einer begrifflichen Ableitung zu einem empirischen Argument gelingt Aristoteles mit der summarisch abschließenden Bestätigung durch die Empirie (ὅπερ καὶ φαίνεται κατὰ τὴν αἴσθησιν, 716a31) eine ringkompositorische Rückbindung an die am Beginn dieses Abschnitts getroffene Unterscheidung von Begrifflichkeit und sinnlicher Wahrnehmung. Aristoteles nennt nun die geläufigen Namen der Sexualorgane mit der Formulierung τοιαῦτα τυγχάνει ὄντα („es trifft sich, dass derart sind“). Sie bildet einen wie ein glücklicher Zufall wirkenden Übergang von einer theoretisch-begrifflichen Ableitung zu einer aus der Empirie heraus bereits etablierten Nomenklatur, der die – logisch nicht in allen Teilen zwingende – Herleitung geschickt abrundet: Das ‚Gelingen‘ des Aufweises einer notwendigen und damit nicht kontingenten Existenz von Geschlechtsorganen (in geschlechtlicher Differenzierung) ist insofern von großer Bedeutung, als Wissenschaft im Sinne der Zweiten Analytiken nur von notwendigen Wahrheiten handelt.

716b3 – 12: Ein Kriterium für die Prinzipienhaftigkeit der beiden Geschlechter Der letzte Teilabschnitt von Kapitel 2 gibt dann noch einmal eine Rechtfertigung dafür, ‚das Weibliche‘ und ‚das Männliche‘ als Prinzipien zu betrachten, wobei am Ende wiederum ringkompositorisch Bezug auf die Eröffnung des Kapitels (716a2 f.) genommen wird. Dieser Teilabschnitt (716b3 ff.) ist selbst (auf engem Raum) ringkompositorisch angelegt (um den Preis deutlicher Redundanz, vgl. 716b10 – 12 u. b3 f.). Dabei wird durch die Lexik wiederum Notwendigkeit ausgedrückt (δεῖ δὲ νοεῖν, 716b3) und zunächst auf eine Art Prinzip, das ‚gewöhnlich‘ (εἴωθε, 716b4) gelte, verwiesen: Die Veränderung eines quantitativ kleinen, aber prinzipienhaften Teilbereichs zieht große Veränderungen in von ihm abhängigen Bereichen (τῶν μετὰ τὴν ἀρχήν, 716b4 f.) nach sich. Stillschweigend ist vorausgesetzt, dass dies eine charakterisierende Eigenschaft von Prinzipien ist – sonst wäre die abschließende und intendierte Folgerung (φανερὸν οὖν, 716b9 f.) nicht zulässig. Da diese Folgerung explizit für ‚das Weibliche‘ und für ‚das Männliche‘ gezogen wird, als empirisches Faktum aber nur die Veränderungen nach Kastration männlicher Tiere (bzw. Menschen) dargestellt werden, handelt es sich um eine stillschweigende Extrapolation von der Prinzipienhaftigkeit der männlichen Sexualorgane auf die der Organe beiderlei Geschlechts. Sprachlich wird die Plausibilität unterstrichen durch die Wiederholung des ‚Offensichtlichen‘ (716b5: δῆλον, 716b9: φανερόν, 716b10: φαίνεται) und die Wiederholung des

Kapitel 3. 716b13 – 717a12

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Präfixes μετά (716b4 zweimal, 716b7) sowie vor allem durch die summarisch abschließende Formulierung in 716b10 – 12, die die Pointe in einem verknappt ,angehängten‘, mit ὡς eingeleiteten absoluten Partizipialausdruck bringt: πολλὰ γοῦν συμμεταβάλλει μεταβαλλόντων ᾗ θῆλυ καὶ ἄρρεν, ὡς ἀρχῆς μεταπιπτούσης („Vieles verändert sich ja doch mit, wenn sich Tiere, insofern sie weiblich oder männlich sind, verändern ‒ wie wenn ein Prinzip sich verändert“). Alle wesentlichen Teilabschnitte sind also stilistisch jeweils als eine Einheit komponiert und finden einen harmonischen Abschluss (Harmonie mit allgemeinen Auffassungen; Bestätigung durch etablierte Nomenklatur; erfolgreiche Bestätigung der Eingangsthese). In typischer Weise bricht ein zu Beginn des Paragraphen zunächst vorsichtig-tentatives Einnehmen des Rezipienten in eine Sprache der Notwendigkeit um. Trotz einer gewissen ‚Theorielastigkeit‘ (Aufstellen von Hypothesen, technische Definitionen, Existenzbeweis aus allgemeinen Prämissen, Anwendung eines allgemeinen Charakteristikums von Prinzipien) verliert das Kapitel nicht den Bezug zur empirischen Basis bzw. zum common sense. Aristoteles vermeidet ein allzu ‚abgehoben‘ wirkendes Argumentieren.

Kapitel 3 – 13: Geschlechtsorgane und Kopulation bei den Bluttieren In den Kapiteln 3 – 13 behandelt Aristoteles die Geschlechtsorgane und die Kopulation der Bluttiere. Dabei ist der Duktus der Darstellungs- bzw. Argumentationsformen durchaus unterschiedlich und reicht von einer ‚Deskription‘ über diskursive Passagen bis hin zu Aitiologien. Manche Kapitel hängen stärker zusammen als andere.

Kapitel 3. 716b13 – 717a12 = § 3: Deskription der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane mit Verweis auf HA Kapitel 3 ist ein deskriptives Kapitel, in dem Aristoteles auf die Geschlechtsorgane, die Testes (Teil A) und den Uterus (einschließlich Ovidukte) (Teil B) eingeht. Den Beginn des Kapitels bildet der zweite Teil (δέ, 716b13) der binären Überleitung (716b13 – 15), mit der die an § 2 anknüpfende Themenstellung⁴⁸ erfolgt. Damit ist auch die Disposition gegeben: A) Hoden, B) Uterus. Bei der Beschreibung hält Aristoteles sich an die Unterscheidungskriterien, die er in HA I 6.

 Netz nennt die Themenstellung „head“, vgl. die Ausführungen in der Einleitung: oben, S. 11 f.

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491a15 – 19 angegeben hat. Diese sind: ἔχειν/μὴ ἔχειν, θέσις und τάξις („ zu haben/nicht zu haben“, „ Lage“, „ Anordnung“).

716b13 – 32: Hoden und Samengänge Die erste Unterscheidung ist die des ἔχειν: Nachdem Aristoteles festgestellt hat, dass Fische und Schlangen nicht über Hoden, sondern nur über zwei Samengänge verfügen, behandelt er θέσις bzw. τάξις bei den Tieren mit Hoden nach den Unterscheidungen ,innen-/außenliegend‘, ,in der Nierengegend/vorn befindlich‘, ,hängend/fest am Hinterteil‘ anhand von Zuweisungen zu Tierarten bzw. -gattungen. Dabei nennt er für jede Gruppe ein Beispiel. Dies untermauert seine Methode, stets die Empirie mit einzubringen. Wie auch sonst immer wieder hält Aristoteles keine ganz festen Strukturprinzipien ein. So geht er zuerst auf innen („in der Nierengegend“) liegende und mit zwei Samengängen verbundene Hoden unter Nennung von beispielhaften Tierklassen ein (716b17– 22) und wiederholt dann etwas redundant diese Eigenschaft, um konkretere Beispiele zu geben (716b22– 25). Dann wird aber nicht eine weitere Möglichkeit der Hodenlokalisation genannt, sondern es wird die Tierklasse der Viviparen eingeführt (716b25 f.), welche alle ventral liegende Hoden besitzen. Dieser Perspektivenwechsel erinnert an Kapitel 1,⁴⁹ wo gleich nach der ersten Alternative ‚zweigeschlechtlich‘ erst einmal die beiden Haupttierklassen ‚blutführend‘ und ‚blutlos‘ in den Vordergrund traten. Offenbar will Aristoteles rein abstrakte Unterscheidungen vermeiden und begrifflich mögliche Differenzierungen stets sofort auf der Folie der empirischen Basis, v. a. in Gestalt der bereits etablierten Klassifikationen des Tierreichs, betrachten und sie mit dieser Basis abgleichen.⁵⁰ Hierzu erlaubt er sich ein relativ freies und souveränes Wechseln der Perspektive. An dieser Stelle in Kapitel 3 wird die Klasse der Viviparen dann so unterschieden, dass sich doch eine konsistente Fortsetzung des ursprünglichen, an θέσις und τάξις orientierten Ansatzes ergibt: vivipare Tiere mit innenliegenden Hoden, von denen aus aber nicht zwei Samengänge, sondern ein solitärer Sexualtrakt (αἰδοῖον, 716b28) nach außen führt, und solche mit außenliegenden Hoden.⁵¹ Die Deskription der Hoden und Samengänge (Teil A) endet mit einem metatextlichen Verweis auf HA (716b30 – 32).  Vgl. oben, S. 91.  Vgl. hierzu Kullmann (2007) 196‒210.  Beispiele sind jeweils der Delphin und der „ox-fish“ (vgl. HA 540b17) bzw. der Mensch mit hängenden und das Schwein mit am Hinterteil fixierten Hoden.

Kapitel 3. 716b13 – 717a12

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716b32 – 717a12: Uterus Teil B ist durch δέ (716b32) deutlich als eigener Teil abgesetzt. Methodisch wichtig ist hier das Analogieprinzip. Denn gleich am Beginn weist Aristoteles implizit auf eine Analogie von Hoden und Gebärmutter hin: Die Zweiteiligkeit⁵² der Gebärmutter entspricht der Doppelung der Hoden. Auf der sprachlichen Ebene unterstreicht er dies durch die Hervorhebung mit πᾶσιν, das einmal prominent in den ersten Worten und dann wieder als Beschluss des Satzes erscheint. Damit wird die Gesetzmäßigkeit im Bereich der Biologie und speziell der Zeugungstheorie hervorgehoben. Diese Zweiteiligkeit gilt, auch wenn die Lage bei einzelnen Tierarten unterschiedlich sein kann. Hiermit ist die zweite in HA gegebene Kategorie der θέσις angeschlossen: Die Gebärmutter kann, wie beim Menschen und überhaupt bei allen Viviparen sowie bei den oviparen Fischen, die ihre Eier nach außen ablegen, in der Umgebung der Scham (716b33 – 717a1) oder, wie bei den Vögeln und den viviparen Fischen (717a1– 3), in der Umgebung des Zwerchfells liegen. Es folgt ein Sprung in die Hauptklasse der Blutlosen (717a3), ohne dass Aristoteles diese selbst nennen würde: Auch die Gattungen der Crustacea und der kephalopoden Mollusken weisen einen paarigen Uterus auf. Doch verschweigt Aristoteles nicht, dass – seiner Ansicht nach – am undifferenziertesten der Uterus bei den Oktopoden, die zur Gattung der kephalopoden Mollusken gehören, ist. Dieser stellt also eine (wohl nur) scheinbare (δοκεῖν mit Inf. 717a6⁵³) Ausnahme dar. Aristoteles versucht aber dennoch, diesen Anschein zu begründen (717a7: αἴτιον): Ursache hierfür sei die Isotropie⁵⁴ der Körpermasse (gemeint ist wohl nur der Rumpf) des Kraken. Zu supplementieren wäre hier leicht ein indirekter Beweisschritt: Bei paarigem Vorliegen des Uterus wäre die Richtung der Verbindungslinie der beiden Teilorgane (genauer: etwa von deren Zentren) ausgezeichnet vor anderen Körperrichtungen ‒ im Widerspruch zur vorausgesetzten Isotropie, d. h. zur Richtungsunabhängigkeit aller Eigenschaft des Tierkörpers. Aristoteles bemüht sich also, alle empirischen Erkenntnisse zu integrieren – auch dort, wo sie von dem, was er als ‚gesetzmäßig‘ ansieht, abweichen. Indem er diese Abweichung begründet, kann er doch wieder seine Regel bestätigen. Dies entspricht seinem übergeordneten Anliegen, eine einheitliche, für alle Erschei-

 Da der Terminus ὑστέρα, wie Peck (1943) 17, Anm. e, bemerkt, auch die Eileiter mit einschließt, wird Aristoteles’ Aussage von der Zweigeteiltheit der Gebärmutter nachvollziehbar.  Vgl. ἡ γὰρ σχίσις ἄδηλος, III 8. 758a9 f.  717a7: πάντῃ ὅμοιος: „in jeder Richtung gleich“.

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nungen geltende Theorie zu entwickeln,⁵⁵ wobei er aber auch auf Fälle mangelnder empirischer Zugänglichkeit hinweist.⁵⁶ Eine Abschlussformel als erster Teil einer binary transition schließt Kapitel 3 ab.

Kapitel 4 – 5. 717a12 – 717b33 = § 4: Aitiologie des Vorliegens und der Lage bzw. Anordnung (θέσις/τάξις) der Testes Kapitel 4– 5 gehören zusammen, weil sie eine Aitiologie der männlichen Geschlechtsorgane insgesamt zu geben versuchen. Denn sie behandeln nun Unterschiede, die die Hoden und die Samengänge sowie den Penis betreffen, bevor Aristoteles in Kapitel 6 auf die Tiere, die diese Organe nicht haben, eingeht. Die Zusammengehörigkeit der beiden traditionell als Kapitel eingeteilten Einheiten wird auch dadurch deutlich, dass sie die Struktur eines ‚Netz’schen Paragraphen‘ aufweisen: Der erste Satz in Kapitel 4 setzt mit περὶ δέ die folgenden Ausführungen ab von den Ausführungen in Kapitel 3, die Aristoteles mit der rückbezüglichen Abschlussformulierung τὰ μὲν οὖν … τοῦτον ἔχει τὸν τρόπον beendet hatte.

Kapitel 4. 717a12 – 717b14: Aitiologisches und mit zahlreichen Analogien arbeitendes Kapitel Kapitel 4 ist begründend und benutzt im zweiten Teil eine ‚ethische‘, auf der Hierarchie der scala naturae beruhende Wertung als Beweisgrundlage. Anders als andere aitiologische Kapitel arbeitet es mit auffällig vielen Analogien. Dies kann zweierlei bedeuten:⁵⁷ Aristoteles verwendet die Veranschaulichung zur Klärung der eigenen Gedanken, gewissermaßen als Ersatz für eine nicht bereits vorliegende feste Terminologie o. ä., oder er möchte seine schon feststehende These von der Funktion der Hoden auch einem Publikum verständlich machen, für die diese ganz neu ist. Für die zweite Lösung spricht die Tatsache, dass er mit dem Verweis auf die Anatomai an andere in Form eines ‚cognitive need‘⁵⁸ appelliert. In jedem

 Vgl. hierzu oben, S. 34.  Ein solcher Fall sind die Insekten, bei denen man nur bei den größeren die Zweiteiligkeit der Gebärmutter erkennen könne, wohingegen sie bei kleinen Insekten aufgrund ihrer mangelnden Größe der Beobachtung nicht zugänglich sei (717a9: ἄδηλοι).  Zu den unterschiedlichen Funktionen von Analogien und Vergleichen siehe oben, S. 56 – 64.  Vgl. Lennox (2018) 264 f.

Kapitel 4. 717a12 – 717b14

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Fall erkennt man aus der Sorgfalt, mit der Aristoteles von verschiedenen Seiten her seine Theorie der Hodenfunktion zu erläutern versucht, dass sie für ihn große Bedeutung hat. Er scheint so sorgfältig zu argumentieren, weil er, vergleichbar mit seinen Argumentationen gegen die Pangenesislehre und für einen spezifisch weiblichen Zeugungsbeitrag, seine eigene Ansicht von der Funktion der Hoden gegen andere, nicht namentlich zitierte, Anschauungen absetzt. Dabei ist er offensichtlich ‚stolz‘ auf seine neue, eine Wissenslücke schließende Theorie. Denn bei den Hippokratikern galten die Hoden schlicht als Durchgangswege für den Samen (Gen. 7,470,19 f. Littré)⁵⁹, und ihre eigentliche Funktion wurde erst in der hellenistischen Medizin entdeckt. Für die vorliegende Passage scheint ihm HA III 1. 509a27– 510b6 vor Augen gestanden zu haben, wo er freilich nur die Anatomie beschreibt und nicht auf die Funktion eingeht.⁶⁰ Dass das Kapitel aitiologisch ist, signalisiert der erste Satz: Wer die Gründe für die Unterschiedlichkeit in den männlichen Zeugungsorganen verstehen wolle (717a13: θεωρήσειν τὰς αἰτίας), müsse sich mit dem Zweck der Hoden beschäftigen. Wie am Beginn von Kapitel 2 wird der hypothetische Standpunkt eines unabhängigen Dritten eingenommen, und auch hier verbindet Aristoteles eine eher vorsichtige Ausdrucksweise (717a13: εἴ τις μέλλει) in der Protasis mit dem Ausdruck der Notwendigkeit einer bestimmten Methode in der Apodosis (ἀνάγκη λαβεῖν πρῶτον). Denn ἀνάγκη (717a14) gibt einerseits eine logische Notwendigkeit an, da der Zweck auch zum Grund führt, aber es bindet damit gleichzeitig den Rezipienten mit ein, der kurz darauf (717a34 f.) auf die Anatomai verwiesen wird, die man anschauen müsse (717a34: δεῖ θεωρεῖν).⁶¹ Der logische Aufbau der Argumentation besteht darin, dass sie von einer axiomatischen Grundannahme über die hervorbringende Natur ausgeht und über Ausschlussverfahren in Kombination mit einem indirekten Beweis schlussfolgert, dass es diese Organe nur um eines Besseren willen geben könne. Die Präsentation der Argumentation ist allerdings verschlungen. Denn sie schiebt Prämissen nach und ist in einer für Aristoteles typischen Weise ‚rückwärtsgerichtet‘⁶². Zuerst einmal verläuft sie in Form eines aus der Dialektik bekannten Eliminationsver-

 Vgl. Lesky (1950) 13.  Für die viviparen Fußtiere (ab 510a13) schildert er ausführlich das Umbiegen der πόροι (510a21 f.: οἱ δ᾿ ἐπανακάμπτοντες πόροι), die eher blutähnliche Beschaffenheit der Flüssigkeit im ersten Teil und die weiße Beschaffenheit im zweiten Teil (510a23 – 27). Es war offenbar ein Diagramm in den Text integriert (510a29 – 35). Dass bei Kastration die πόροι nach oben gezogen werden, sagt er 510a35-b1; abschließend wird der Fall des frisch kastrierten, aber gerade noch zeugungsfähigen Stieres berichtet (510b3 f.).  Zu ‚cognitive need‘ vgl. Lennox (2018).  Vgl. Netz (2001).

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fahrens:⁶³ Die Prämisse lautet, dass die Natur etwas tue, entweder „weil es notwendig ist“ oder „weil es besser ist“. Diese Prämisse wird nicht weiter begründet, sondern als bekannt und anerkannt vorausgesetzt. Zusammen mit der nicht eigens genannten (trivialen) Prämisse, dass die Hoden etwas von der Natur Hervorgebrachtes sind, ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die Natur auch die Hoden aus einem der beiden Gründe hervorbringt. Der erste Grund wird auf der Grundlage der Empirie durch einen indirekten Beweis ausgeschlossen (717a17: φανερόν und a19: ὠμμένοι), weil er keine Allgemeingültigkeit hat; denn Schlangen und Fische können ohne Hoden zeugen.⁶⁴ So bleibt nur der zweite Grund übrig (717a20: λείπεται): Die Hoden sind „um des Besseren willen“ (βελτίονός τινος χάριν, 717a20 f.) vorhanden. Dieses Bessere wird im Darauffolgenden aber nicht direkt genannt, sondern Aristoteles illustriert das Gemeinte durch die Analogie der Pflanzen: Die Funktion (ergon) der meisten Tiere bestehe wie (717a22: ὥσπερ) bei den Pflanzen (fast)⁶⁵ nur in der Reproduktion (717a21 f.). Um das ergon erläutern zu können, verwendet er dann die Analogie zum Fressen (erneut ὥσπερ in 717a23): So, wie Tiere mit geradem Darm fressbegieriger seien, so seien Tiere ohne Hoden oder mit innenliegendem Hoden begieriger auf Geschlechtsverkehr. Jetzt erst folgt die Angabe des βέλτιον: Beide organische Einrichtungen, der in Schlingen verlaufende Darm und die Existenz der Hoden, sind besser für diejenigen Tiere, die σωφρονέστερα sind (717a26 f.). Dass Aristoteles hier diese Eigenschaft ins Spiel bringt, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass er in besonderer Weise vom Menschen ausgeht. Mit γάρ angeschlossen folgt die eigentliche Begründung, die bisher nicht ganz klar wurde (717a30 f). Dabei wird diese erst theoretisch gegeben: Die Hoden sorgen dafür, dass die Bewegung des σπερματικὸν περίττωμα (Sperma-Residuum) ruhiger wird. Mit dieser Funktionsangabe erklärt Aristoteles ein empirisches Phänomen: die Existenz der epanadiplōsis ⁶⁶ bei den Lebendgebärenden, deren Kenntnis man – so der metatextliche Verweis – aus den Anatomai gewinnen müsse (717a33 f.: … δεῖ θεωρεῖν). Den eigentlichen Grund aber, dass außenlie-

 Vgl. Föllinger (1993).  Dies ist eigentlich ein Fehlschluss der folgenden Art: Global gesehen, sind Hoden im Allgemeinen nicht notwendig zur Zeugung; ergo: Auch bei Tieren, die Hoden haben, sind sie – für diese Tiere! – nicht notwendig zur Zeugung. Ein analoger, aber offensichtlicherer Fehlschluss wäre: i. Allg. sind Beine/Füße nicht notwendig zur Fortbewegung (da es Tiere gibt, die das auch mit anderen Mitteln bewerkstelligen), also auch bei Tieren, die Füße haben, sind diese – für diese Tiere – nicht notwendig zur Fortbewegung.  Offensichtlich erscheint Aristoteles dies aber doch zu generalisierend, denn er mildert diese allgemeine Aussage durch ein „fast“ (717a21: σχεδόν) ab.  vas deferens, vgl. Peck (1943) z. St.

Kapitel 4. 717a12 – 717b14

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gende Hoden kein Teil der samenproduzierenden poroi seien, sondern der Verzögerung des Geschlechtsaktes dienen, illustriert Aristoteles nur durch einen Vergleich mit den Webgewichten (717a35 f.: καθάπερ). Der Vergleichspunkt ist, dass die Hoden nicht zu den Samengängen gehören, genausowenig wie die Gewichte, die vielmehr ‚darangehängt‘ werden. Die Erklärungspotenz dieses rein mechanistischen Modells sucht Aristoteles anhand der empirischen Vorgänge bei und nach einer Kastration zu erweisen: Bei aufgehobener Umlenkfunktion der als Gewichte dienenden Hoden werden, auf Modellebene, die Samengänge nach oben und ins Körperinnere gezogen – eben hieraus folge die zu erklärende Sterilität nach Kastration (ὥστ’ οὐ δύνανται γεννᾶν τὰ ἐκτεμνόμενα, 717b1 f.). Über die Art dieses Kausalzusammenhangs macht Aristoteles keine Aussage. Er scheint aber diese Erklärungslücke zu sehen und fügt gleich eine Begründung (ἐπεί, 717b2) in Form eines knappen indirekten Beweises an, die dem Inhalt nach aber zirkulär ist. Eine Anekdote von „jenem Stier“ (ταῦρός τις, 717b3), der direkt nach der Kastration noch zeugen konnte, rundet als Indiz die Illustration der Hodenfunktion ab (das Hoch- bzw. Zurückziehen der Samengänge benötigt Zeit). Dann folgt ein Indiz für den zweiten Retardierungsmechanismus (ab τοῖς δέ, 717b4): Bei dieser zweiten Gruppe von hodentragenden Tieren nehmen innenliegende Hoden das Sperma auf und halten es so – eine Zeitlang – zurück. Wir finden also insgesamt folgende Argumentationsformen: 1. einen Eliminationsbeweis ausgehend sowohl von der theoretischen Prämisse, dass etwas entweder aus Notwendigkeit oder um des Besseren willen geschaffen wird, sowie von der empiriebasierten Prämisse, dass nicht alle Tiere Hoden haben. 2. einen Beweis, dass Hoden bei den Tieren mit mehr Selbstbeherrschung vorhanden sind, um den Zeugungsakt zu verlangsamen, basierend auf einer Analogie mit dem Darm. 3. zusätzliche Bestätigungen von 2. durch 3a. den Verweis auf die in den Anatomai ersichtliche Empirie der Anatomie, 3b. die Illustration mithilfe eines Vergleichs aus der Webkunst, 3c. die Anekdote eines kastrierten Stiers, 3d. das empirisch beobachtbare Verhalten von Vögeln in der Paarungszeit. Ein Problem bietet die Aussage, Tiere hätten meistens kein anderes ergon als Pflanzen (717a21 f.). Denn diese widerspricht u. a. der späteren Stelle GA I 23. 731a24–b8, wo den ζῷα allgemein im Unterschied zu den Pflanzen, deren ergon die bloße Fortpflanzung ist, die aisthēsis als eine bestimmte Form der gnōsis zugeordnet wird. Diese Widersprüchlichkeit kann man auf verschiedene Weise begründen: 1. Aristoteles kommt es nicht auf stringente Argumentation an, sondern auf eine Art ‚fortlaufender Erklärung‘ (Netz).

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2.

3.

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Aristoteles nützt das Schreiben zum ‚Ordnen der Gedanken‘, deswegen entwickelt er Argumentationen, in deren Verlauf er zu immer weiteren Verfeinerungen kommt (Föllinger). Aristoteles hat von Anfang an eine Disposition, bei der er – sozusagen didaktisch vorsätzlich – Komplexitätsgrade zuerst einmal reduziert (Ansatz von Wians/Polansky).⁶⁷

Netz’ Erklärung befriedigt nicht, da Aristoteles, wie dargelegt, in GA auf der Makroebene eine Gesamtdisposition hat. Deswegen halten wir die beiden anderen Gründe für gewichtiger und neigen zum zweiten Grund.

Kapitel 5. 717b14 – 717b33: Aitiologie, teilweise zirkuläre Argumentation, sprachlich nicht besonders ausgefeilt Kapitel 5 beginnt zwar mit dem zweiten Teil einer binary transition, schließt aber an das Vorherige mit dem dafür typischen ἔτι⁶⁸ nur ein Parallelargument an. Es ist ebenfalls aitiologisch, insofern es den Grund angibt, warum Tiere mit Hoden auch die zur Kopulation geeigneten Organe (Penis) haben. Insgesamt erscheint das Kapitel ‚kleinteilig‘; die Argumentation ist nicht unbedingt stringent und die Beweisstruktur partiell zirkulär, und alle drei Teile weisen recht spezielle Bezüge zur Empirie auf. Der Grund dafür, dass Vierfüßer ein Kopulationsorgan aufweisen, besteht schlicht darin, dass die Anlage des Kopulationsorgans möglich ist. Dies kann als hinreichender Grund gelten, wenn folgende Prämissen, analog zu den Überlegungen in Kapitel 4, ergänzt werden, die Aristoteles aber nicht nennt: – die Natur bringt ein jegliches entweder aus Notwendigkeit oder um eines Besseren willen hervor – das Kopulationsorgan ist von Natur aus angelegt – ein Kopulationsorgan ist zur geschlechtlichen Fortpflanzung nicht notwendig, da z. B. die Fische ohne ein solches auskommen

 Wians/Polansky (2017). Vgl. auch van der Eijk (1997) 85 f., der Ch. Kahn (1966) zitiert: „‘progessive character of the exposition‘ [Kahn, 1966, 56], whereby the reader is psychagogically led to a number of new insights, which may be refinements or indeed modifications of views put forward in an earlier stage of the treatise“.  Vgl. Föllinger (1993) und die Ausführungen oben, S. 52.

Kapitel 5. 717b14 – 717b33

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Somit ist das Kopulationsorgan (bei denjenigen Tieren, die ein solches besitzen) um eines Besseren willen angelegt. Dieses Bessere wird hier allerdings nicht, wie zuvor im Falle der Hoden, angegeben. Als weitere axiomatische Prämisse könnte man ergänzen: – Die Natur strebt stets nach Vollendung (s. o. 715b15 f.) und nutzt daher jede Möglichkeit zur Optimierung. Damit gilt: Ist die Anlage eines Kopulationsorgans möglich, wird sie von der Natur auch realisiert. Das Möglich-Sein bildet so einen hinreichenden Grund. Allerdings ist diese Erklärung doch eher abstrakt-allgemein; außerdem erscheint sie zirkulär: Wenn etwas, etwa ein Organ, faktisch realisiert ist, folgt trivialerweise, dass diese Realisation auch möglich war und ist; diese Möglichkeit wiederum als hinreichenden Grund für die Realisation zu betrachten, erscheint zirkulär. Ebenso zirkulär erscheint – mindestens zunächst – die Art und Weise, wie Aristoteles die Unmöglichkeit der Anlage eines Kopulationsorgans bei den Vögeln und den ‚Fußlosen‘ begründet, die ihrerseits das Fehlen eines Organs erklären soll. Denn er unterstellt eine ‚Natur‘ des Schamteils, die darin bestehe, dass es „von dort her aufgehängt“⁶⁹ und der Position nach (θέσει, 717b18) ebendort liege.⁷⁰ Aber Aristoteles sieht offenbar die Gefahr des Zirkelschlusses und gibt ein empirisches Indiz für die behauptete ‚Natur‘ des Kopulationsorgans: Es gleiche in Hinsicht auf die vorherrschende Gewebsart den Beinen (beide Körperteile sind ‚sehnenartig‘ und verhalten sich während des Kopulationsaktes ähnlich). Außer Betracht bleibt die Möglichkeit, dass ein Kopulationsorgan auch ganz anders geartet sein könnte, da dies ja durch die behauptete ‚Natur‘ des Organs ohne Begründung ausgeschlossen wird. Nun schließt Aristoteles von der Unmöglichkeit der Anlage eines Kopulationsorgans – unter Verwendung der Prämisse [*] (γάρ, 717b22), dass die Lokalisation von Kopulationsorgan und Hoden bei den Tieren, die beides aufweisen, stets die gleiche ist – darauf, dass in solchen Fällen Hoden entweder ganz fehlen oder zwar vorhanden sind, aber nicht an der grundsätzlich möglichen Lokalisation des Kopulationsorgans (i. e. zwischen den Beinen).⁷¹

 Damit ist die Kategorie der τάξις (vgl. HA I 6) abgedeckt.  Dabei bleibt aber unverständlich, warum die Vögel kein Kopulationsorgan haben; denn sie haben ja zwei Beine (allerdings mitten unter dem Bauch).  Dieser Schluss ist an einer Stelle etwas lax formuliert: Denn aus den beiden Prämissen · ein bestimmtes Tier x hat (da für es die Möglichkeit dazu nicht gegeben ist) kein Kopulationsorgan · besitzt ein Tier sowohl Kopulationsorgan als auch Hoden, befinden sich diese Organe an gleicher Stelle [*] (die Prämisse [*] ist in dieser Form bei Peck wiedergegeben und enthält ein

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Insgesamt erreicht Aristoteles über den ‚Umweg‘ über das Kopulationsorgan eine kausale Erklärung dafür, dass bei gewissen Tieren Hoden fehlen bzw. nicht (außen) zwischen den Beinen liegen, so dass dieser Exkurs im Kontext sehr wohl motiviert erscheint. Bei der folgenden Nebenbemerkung, die eine Ursache für die Art der Ejakulation bei außenliegenden Hoden angibt (bei außenliegenden Hoden wird, anders als bei den Fischen, das Sperma nach der Erwärmung des Schamgliedes ‚gesammelt‘ ejakuliert), ist stillschweigend vorausgesetzt, dass Tiere mit außenliegenden Hoden stets auch ein Kopulationsorgan besitzen. Das Kapitel und damit der Paragraph schließen mit einem ringkompositorischen Rückbezug auf die Eröffnung des 4. Kapitels und damit des 4. Paragraphen (framing).

Kapitel 6 – 7. 717b33 – 718a34 = § 5: Aitiologische, argumentativ und sprachlich nicht besonders ausgefeilte Kapitel Kapitel 6 und 7 gehören zusammen, weil sie sich mit der Aitiologie der hodenlosen Tiere befassen, die bereits im ersten Teilabschnitt von Kapitel 5 zur Sprache gekommen waren: Fische und Schlangen. Der gesamte Paragraph 5 gehört eng zusammen mit § 4 (Kapitel 4 und 5), insofern beide eine Aitiologie der männlichen Geschlechtsorgane insgesamt zu geben versuchen.

ergänztes Objekt zu τοῖς ἔχουσιν [Peck 1943, 23: „both penis and testes“]) lässt sich kein gültiger Schluss formulieren. Ein gültiger Schluss ergibt sich dagegen, wenn man analog zu dem unmittelbar vorausgehenden ὄρχεις … μὴ ἐνταῦθ᾿ ἔχειν (717b22) auch hier (vor ἔχουσιν, 717b22) (ὄρχεις) ἐνταῦθ᾿ supplementiert: · ein bestimmtes Tier x hat (da für es die Möglichkeit dazu nicht gegeben ist) kein Kopulationsorgan · besitzt ein Tier Hoden an der für das Kopulationsorgan einzig möglichen Körperlokalisation (ἐνταῦθα), dann hat es Hoden und Kopulationsorgan an gleicher Stelle (insbesondere hat es dann auch ein Kopulationsorgan) [**] conclusio: Tier x hat keine Hoden an der für das Kopulationsorgan einzig möglichen Körperlokalisation (andernfalls hätte es nach [**] doch ein Kopulationsorgan). Somit hat es entweder gar keine Hoden, oder es hat Hoden, aber an anderer Stelle, was zu beweisen war.

Kapitel 6. 717b33 – 718a17

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Kapitel 6. 717b33 – 718a17 Der Anfang von Kapitel 6 greift mit der wertenden Dihärese von ‚notwendig‘ und ‚besser‘ bzw. ‚gut‘ zurück auf den Beginn von Kapitel 4, was durch den metatextlichen Verweis καθάπερ εἴρηται (717b33) explizit gemacht wird: Bei den Hodenlosen ist die Natur nicht um eines Besseren willen tätig geworden, sondern bleibt allein der Notwendigkeit unterworfen. Dem entspricht ein spontan-unkontrolliertes Paarungsverhalten: Dass dies⁷² ein empirisches Phänomen sei, begründet der mit γάρ eingeleitete Satz in 718a1 f. Was der dann folgende, wiederum mit γάρ eingeleitete Satz begründen soll, ist unklar und wird erst deutlich in dem mit διό einsetzenden Satz in 718a9 ff. In dieser Passage wird eine Aitiologie dafür gegeben, dass Fische keine Hoden, sondern Samengänge haben. Die αἰτία liegt in der in 717b35 eingeführten Notwendigkeit (ἀναγκαῖον). Die Logik der Argumentation verläuft folgendermaßen: Fische müssen schnell kopulieren, weil sie für die Ejakulation, wie die Menschen, den Atem anhalten müssen, d. h. sie dürfen währenddessen kein Wasser in ihre Kiemen einströmen lassen. Der ganze Vorgang muss sich sehr schnell abspielen, da sie sonst sterben würden. Die Schnelligkeit ist wiederum die Begründung dafür, dass der Samen, wenn er ejakuliert wird, schon „gekocht“ sein muss und nicht erst mit der Kopulation verkocht werden kann. Für diesen Beweis setzt Aristoteles wiederum seine Verkochungstheorie voraus, die er bisher eigentlich noch nicht erklärt hat.⁷³ Der Grund für das Fehlen der Hoden bei den Fischen liegt also in der aufgrund ihres Habitats notwendigen Schnelligkeit der Begattung, und die Beweiskette verläuft folgendermaßen: Habitat = Wasser —> Fische können nur kurz den Atem anhalten. Das Anhalten des Atems ist notwendig für die Ejakulation —> Die Ejakulation muss schnell sein —> Der Samen muss bereits verkocht sein. Dieser Schluss setzt eigentlich voraus, dass sonst der Samen bei der Kopulation verkocht wird und für diesen ganzen Vorgang der Atem angehalten werden muss. Aber diesen Umstand, dass die Fische für die Ejakulation ihre Kiemenatmung anhalten müssen, beweist Aristoteles nicht empirisch, sondern er wird einfach vorausgesetzt und nur durch die Analogie mit dem Menschen plausibilisiert (718a2). Auch in 718a11– 17 findet eine Plausibilisierung dadurch statt, dass die Samengänge der Fische zu dem

 Vgl. 717a21 ff.  Vgl. oben, S. 28, 56, zur Verwendung des Begriffs πέττειν.

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zweiten Teil der bei den Vierfüßern vorzufindenden ‚Faltung‘ in funktionelle Analogie gesetzt werden.⁷⁴

Kapitel 7. 718a17 – 718a34 Kapitel 7 setzt die Aitiologie mit der Gattung der Schlangen fort. Dass auch sie kein Kopulationsorgan besitzen, ist zuvor, wie Aristoteles per metatextuellen Rückverweis feststellt, implizit gesagt worden (718a18: ὥσπερ εἴρηται πρότερον), weil die Schlangen offensichtlich unter die ἄποδα (717b16) fallen. Aber weil das Fehlen eines Kopulationsorgans noch nicht das Fehlen von Hoden impliziert, bedarf dieser Umstand einer für die Schlangen spezifischen Begründung. Diese sieht Aristoteles in ihrer schieren Größe gegeben: Die Länge würde eine zu starke Abkühlung mit sich bringen, so wie auch bei anderen Tieren eine durchschnittliche Größe des Glieds im Vergleich zu einer überdurchschnittlichen Größe der Fertilität eher zuträglich sei. Dieser Teil des 7. Kapitels schließt mit der kurzen metatextlichen Bemerkung, dass die Aitiologie der Existenz bzw. des Fehlens der Hoden bei bestimmten Arten nun abgeschlossen ist. Mit δέ angeschlossen wird eine kurze Ausführung zur Kopulationsweise von Schlangen, die mit der der Fische verglichen wird. Diese Passage muss nicht unbedingt fehl am Platz sein,⁷⁵ auch wenn die binary transition zu § 6 (μὲν οὖν, 718a25 f. – δέ, a35) unterbrochen wird.

Kapitel 8 – 11. 718a35 – 719a30 = § 6: Aitiologie der Charakteristika der weiblichen Fortpflanzungsorgane bei verschiedenen Gattungen Die Kapitel 8 – 11 gehören zusammen. Dies wird auch in einer ringkompositorischen Anlage deutlich: Der Beginn von Kapitel 8 (718a35 – 36) gibt das Thema an:

 Aristoteles unterscheidet bei höheren Tieren zwei Anteile in der durch die Hoden (als ‚Umlenkgewichte‘) verursachten Dopplung oder Faltung der Samenwege: Der zweite Teil, also derjenige ‚nach‘ der Umlenkung, ist blutlos und den πόροι der Fische u. a. ähnlich. Daher vollzieht sich die Ejakulation, wenn das Sperma erst einmal in diesen Anteil der Samenwege gelangt ist, auch beim Menschen u. a. höheren Tieren „schnell“ (ταχεῖα, 718a14). Es wird also nicht die gesamte Faltung/Dopplung der Samenwege bei höheren Tieren zu den πόροι der Fische in Analogie gesetzt, aber die Analogisierung des Anteils ‚nach den Hoden‘ erklärt, warum es ab einem gewissen Punkt auch beim Menschen u. a. ‚schnell‘ und nicht mehr besonnen zugeht.  Peck (1943) 26, Anm. 1 hält diesen Teil für „non proprio loco posita“.

Kapitel 8. 718a35 – 718b27

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die Aitiologie der Unterschiede in der Gebärmutterlage bei verschiedenen Tierklassen. Mit einer Abschlussbemerkung am Ende von Kapitel 11 (719a28 – 30) wiederum wird die Bearbeitung als beendet erklärt. Dieser stilistischen Komposition entspricht die Einteilung gemäß den Netz’schen Paragraphen: Am Beginn von Kapitel 8 wird die Einleitung des gegenüber 6 – 7 neuen Themas mit δέ (718a35) markiert, im letzten Satz von Kapitel 11 erscheint die typische Wendung μὲν οὖν, und den Neueinsatz in Kapitel 12 markiert die Partikel δέ. Darüber hinaus wird mit dem am Beginn von Kapitel 8 stehenden Τοῖς δὲ θήλεσι eine Korrespondenz zum Anfang des Doppelparagraphen 5/6 hergestellt (717a12: Περὶ δὲ τῆς ἐν τοῖς ἄρρεσι …).

Kapitel 8. 718a35 – 718b27: Empirisch basierter Überblick über die ‚gegensätzlichen‘ Lagen der weiblichen Fortpflanzungsorgane im Allgemeinen und Aitiologie für die Oviparen Kapitel 8 gibt einen empirisch fundierten Überblick über die gegensätzlichen Verhältnisse bei den weiblichen Fortpflanzungsorganen insgesamt und entwickelt eine Aitiologie für die Oviparen. In diesem Kapitel kann man sozusagen an dem Prozess teilnehmen, in dem Aristoteles, ausgehend von dem Ziel, die phänomenale Vielfalt durch eine einheitliche ‚Gesetzmäßigkeit‘ zu erklären,⁷⁶ Aitologien entwickelt. Das ‚prozessuale Vorgehen‘ ist u. a. daran zu erkennen, dass Prämissen nicht vollständig genannt werden, also vom Rezipienten ergänzt werden müssen, oder nachgeschoben werden. Auch bedient sich Aristoteles mit dem Ausdruck anankaion einer Begrifflichkeit, die die logische Notwendigkeit auch dort ausdrückt, wo sie nicht unbedingt gegeben ist, sowie eines stilistisch auffälligen Abschlusssatzes, um auch sprachlich das Zwingende seiner Argumentation zu unterstreichen. Die Behandlung der Aitiologie wird mit der typischen Wendung ἀπορήσειεν ἄν τις (718a35) eingeleitet, mit der die Perspektive einer dritten Person eingenommen⁷⁷ und in tentativer Weise (Potentialis) formuliert wird. Die Berechtigung dieser Frage sieht Aristoteles, mit der Partikel γάρ anknüpfend, im Folgenden in dem Phänomen der Unterschiede. Diese bezeichnet er als „Gegensätze“ (718a36:

 Vgl. hierzu oben, S. 34.  Vgl. dazu oben, S. 69.

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ὑπεναντιώσεις)⁷⁸, was auf den ersten Blick verblüfft, aber durch das Folgende verständlich wird.⁷⁹ Denn Aristoteles geht im folgenden dihairetisch vor, wobei die Opposition von ‚oben‘ und ‚unten‘ bei der Gebärmutterlage im Zentrum steht und die jeweilige Lage mit dem unterschiedlichen Vollendungsgrad des Embryos bzw. Eis begründet wird. Die Lage gehört zu den Kriterien, die Aristoteles an früherer Stelle (in HA I 6. 491a15 – 19) unterschieden hat,⁸⁰ und der dort gegebene Kriterienkatalog scheint in selbstverständlicher Weise stets vor Augen zu stehen – ähnlich wie die etablierte Klassifikation des Tierreichs. Zudem stellen unter einem bestimmten Aspekt gegensätzlich erscheinende Phänomene besonders eindringliche Beispiele für die – Aristoteles stets als erklärungsbedürftig geltenden – διαφοραί innerhalb des Tierreichs dar. Mit dem emphatischen οὐ μὴν ἀλλά (718b4) wechselt der Ton in einer für GA typischen Diktion⁸¹ von einer tentativen Ausdrucksweise, die eine bestimmte Richtung der Untersuchung einem unpersönlichen Dritten vorsichtig als Möglichkeit unterstellt, zum Dezidiert-Apodiktischen⁸². Dass sich die Dinge κατὰ λόγον (718b5)⁸³, also ‚mit den Regeln der Vernunft übereinstimmend/stimmig‘, verhalten, ist ein Topos. Aristoteles stellt diese Bewertung hier schon vor seinen Beweisgang, womit dessen ‚Logik‘ von vornherein suggeriert wird. Der weitere Verlauf von Kapitel 8 ist nun (ab 718b5) dem Nachweis dieser behaupteten ‚Stimmigkeit‘ für die Oviparen gewidmet. Der gerade auch in seiner Kürze schlagend klingende Schlusssatz in 718b27⁸⁴ (ὅπου δὲ τὸ πέρας καὶ τὸ ἔργον – αὕτη δ’ οὗ τὸ ἔργον. „Wo aber das Ende ist, da ist auch die Funktion ‒ und diese ist , wo ihre Funktion ist“) steht dann durchaus in

 Die in dieser Passage festgestellten ὑπεναντιώσεις klingen wörtlich zwar an den letzten Punkt im oben genannten Kriterienkatalog in HA I 6 (hier: 491a19) an. Dort geht es aber um Gegensätze τῶν παθημάτων – ein Kriterium, das in HA I 1. 486b5 ff. eingeführt und erläutert wird. In GA I 8 beziehen sich die ‚Gegensätzlichkeiten‘ auf die Lage des Organs. Die Lage (θέσις) ist das zweite Kriterium, das Aristoteles in HA I 6. 491a15 – 19 geltend gemacht hat.Vgl. auch den Beginn von HA I 2.  Zu den maximal sechs möglichen Orientierungen der räumlichen Lage vgl. etwa HA I 13. 493a17 f.  Vgl. die metatextliche Bemerkung am Ende von Kapitel 13, die die Lage (θέσις) als das entscheidende Kriterium nennt (720a36 f.). Grundsätzlich hierzu vgl. HA I 6. 491a15 – 19.  Vgl. auch oben, S. 74‒76.  Mit „apodiktisch“ ist hier nicht ‚apodeiktisch‘ im terminologischen Sinne gemeint, sondern im allgemeinen umgangssprachlichen Sinn eine mit Entschiedenheit vorgetragene, aber momentan nicht näher begründete Aussage.  Zur möglichen Provenienz dieses Begriffs wie des entsprechenden Terminus ‚εὐλόγως‘ vgl. Föllinger (1993).  Vgl. hierzu unten, S. 117.

Kapitel 8. 718a35 – 718b27

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Kontrast zur fehlenden Stringenz und zur Supplementierungsbedürftigkeit der Argumentation, die folgendermaßen verläuft: Aristoteles unterscheidet die Tiere zunächst nach Viviparen⁸⁵ und Oviparen und konkretisiert, dann auch mit belegenden Beispielen, die vorab konstatierten vielfältigen, konträren Unterschiede: Weder innerhalb der einen noch der anderen Klasse ist die Lage des Uterus einheitlich (718a37 – b1: οὔτε γὰρ … ὁμοίως ἔχει πάντα, … οὔτε), das Organ kann jeweils sowohl „unten (κάτω)“ als auch „oben (ἄνω)“ liegen.⁸⁶ In diesem Kapitel gibt er nun zunächst (πρῶτον μὲν γάρ, 718b5) für die Oviparen eine dem Anspruch nach ,vernunftgemäße‘ Erklärung dieser konträren Lageverhältnisse, die er darauf zurückführt, dass diese Tiere auf unterschiedliche Weise ovipar sind (διαφερόντως, 718b6, betont am Satzende). a) Denn (γάρ) die einen (τὰ μέν, 718b6) legen, wie die Fische, ihre Eier als unvollendete ab. Mit γάρ wird eine empirische Begründung der Unvollendetheit der abgelegten Fischeier gegeben: Sie wachsen bis zu ihrer Vollendung noch außerhalb des Körpers. Die Ursache (αἴτιον, 718b8) hierfür sieht Aristoteles in der Fertilität dieser Tiere, in der ihr ἔργον liegt, das er mit dem der Pflanzen vergleicht (718b9: ὥσπερ τῶν φυτῶν).⁸⁷ Es folgt nun ein Argument dafür, warum diese große Fertilität das Ablegen unvollendeter Eier begründen kann. Dieses Argument hat die Form eines indirekten Beweises, der zum einen mit dem Widerspruch zu der Prämisse der behaupteten großen Fertilität und zum anderen mit dem empirischen Wissen über sehr kleine Fische arbeitet: Der Beweis bringt eine Protasis im Irrealis: „Wenn die Eier intrakorporal vollendet würden“ und die daraus sich ergebende, mit ἀναγκαῖον (718b10) formulierte Schlussfolgerung in der Apodosis: „Dann wären es notwendigerweise wenige der Anzahl nach“. Diese Schlussfolgerung stellt aber einen Widerspruch zur Ausgangsprämisse, der großen Fertilität, dar, was bedeutet, dass die Eier nicht intrakorporal vollendet werden. Diese Folgerung wird nun aber nicht explizit gemacht. Vielmehr wird mit der folgenden, für den Abschluß eines indirekten Beweises typischen Wendung νῦν δέ (718b10 f.) einerseits ein Widerspruch signalisiert; andererseits wird nun die empirische Erklärung für die Prämisse der großen Fertililtät überhaupt erst gegeben, sie wird also ‚nachgeliefert‘, allerdings nur für den Extremfall der ganz kleinen Fische. Damit wird stillschweigend vor-

 Im Folgenden wird klar, dass hier auch die ovoviviparen Selachier mit inbegriffen sind.  Diese Bezeichnungen implizieren, dass den betreffenden Lebewesen die Orientierungen ‚oben/unten‘ überhaupt in eindeutiger Weise zuzuordnen sind.  Siehe auch den Kommentar zu 4. 717a21 f.

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ausgesetzt, dass der Rezipient auf eine ebenfalls noch große Fertilität der anderen Fische extrapolieren kann. Mit einem weiteren γάρ (718b12) wird nun wiederum durch ein erneutes Analogie-Argument (ὥσπερ) aus der Botanik begründet, warum innerhalb der Gattung der Fische gerade die ganz kleinen am fertilsten sind. Schließlich wird – durch ein letztes γάρ (718b14) angeschlossen – allgemein und eigentlich begründet, warum die jeweils besonders kleinen Arten innerhalb einer Gattung am fertilsten sind: Das Wachstum wendet sich von dem der Größe (des Individuums) hin zu dem des Samens. Bei dieser Argumentation setzt Aristoteles eine Gesetzmäßigkeit voraus, die man aus moderner Perspektive als ‚Kompensationsgesetz‘ bezeichnen kann.⁸⁸ Es fehlt in dieser Argumentation eine explizite Legitimation, warum von der großen Fertilität ganz kleiner Fische auf eine immer noch überdurchschnittliche Fertilität der anderen Fische extrapoliert werden darf. Offenbar setzt Aristoteles hier auf eine Geläufigkeit der entsprechenden Phänomene auch beim Rezipienten. Schließlich war ja selbst die ganze Gattung der Fische nur ein Beispiel für all diejenigen Oviparen, die unvollendete Eier ablegen – stillschweigend wird also sogar vorausgesetzt, dass das angegebene αἴτιον überdurchschnittlicher Fertilität nicht nur für die Gattung der Fische, sondern für alle solchen Oviparen gilt. Der Rezipient hat so gewissermaßen eine zweistufige Extrapolation zu vollziehen. Das indirekte Beweisverfahren erscheint – nicht nur hier – so geläufig bzw. Aristoteles setzt es bei seinen Rezipienten als so geläufig voraus, dass die jeweilige Folgerung nicht explizit gezogen werden muss, sondern mit dem Herstellen des Widerspruchs ‚automatisch‘ klar ist, dass die Negation der Ausgangsprämisse gelten muss. Die Hauptfrage allerdings bleibt vorläufig noch offen. Denn die Behauptung war ja, die gegensätzlichen Positionen des Uterus verhielten sich ‚in Übereinstimmung mit den Regeln der Vernunft‘. Es stellt sich also die Frage, warum die große Fertilität der unvollendete Eier ablegenden Oviparen die kaudale UterusPosition bedingt. Hierauf geht Aristoteles erst nach Vorstellung der zweiten Gruppe der Oviparen ein: b) 718b15: Die Vögel (δέ in 718b15 korrespondiert zu μέν in 718b6) und die vierfüßigen Oviparen legen vollendete Eier; diese müssen, um erhalten zu bleiben bzw. nicht zugrunde zu gehen, hartschalig sein. Die hier ausgedrückte Notwendigkeit (δεῖ, 718b17) der Ei-Erhaltung liegt offenbar nicht in der Gruppe (a) der Oviparen vor (denn deren Eier sind nicht hartschalig); letztere war ja auch ‚hyperfertil‘, so dass der Bewahrung eines einzelnen Eis

 Vgl. auch Leroi (2010).

Kapitel 8. 718a35 – 718b27

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nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie bei weniger fertilen Tieren. Der Rezipient kann hier also bereits schließen, dass Gruppe (b) eben weniger fertil (und insofern weniger pflanzenähnlich) sein muss. Als weitere Prämisse zu dem dann folgenden Schluss (ἀναγκαῖον, 718b19) wird nun angeführt, dass die harte Schale unter austrocknender Wärmeeinwirkung entsteht. Damit ist gemeint, eine harte Schale entstehe nur unter einer solchen Einwirkung; sonst ergäbe sich die Folgerung, dass der Ort der Entstehung des vollendeten Eis warm sein muss, nicht zwingend. Ein solcher Ort ist die Umgebung des Zwerchfells, denn dieser Ort verkocht auch die Nahrung. Diese Argumentation setzt stillschweigend die (analytische) Prämisse voraus, dass Verkochung nur unter Wärmeeinwirkung stattfinden kann. Da die Zwerchfellumgebung ein solcher Ort ist, kann also die Eientstehung dort statthaben, sie muss es aber nicht – genau dies folgert Aristoteles aber nun, und zwar mit dem Anspruch logischen Zwangs. Auch könnte man sich fragen, warum unter allen warmen Körperorten nur die Zwerchfellumgebung infrage kommen soll. Hierzu wiederum genügte die – plausible – Annahme, dass die Lage des Uterus grundsätzlich nur zwischen ‚oben/direkt unterhalb des Zwerchfells‘ und ‚unten/in unmittelbarer Umgebung der Kopulationsorgane (πρὸς τοῖς ἄρθροις, 718a38) entlang der Mittellinie‘ des Körpers variieren kann – so etwas ist wohl bereits mit 718a38/b1 angedeutet. In jedem Fall verschleiert die nun angeführte ‚triviale‘ Prämisse, dass die Eier sich notwendig im Uterus befinden, dass die Folgerung aus dem explizierten Zusammenhang nicht so zwingend ist, wie sie dargestellt wird. Mit τοῖς δ᾿ ἀτελῆ κάτω (718b23 f.) wird der Satz fortgeführt (dem δέ geht hier kein entsprechendes μέν voraus) und damit der behauptete logische Zwang auch auf die entsprechende Behauptung für die Gruppe (a) der Oviparen ausgedehnt – der sich aber noch viel weniger aus dem direkten Zusammenhang ergibt. Daher verwundert es nicht, dass für dieses letzte Glied der Behauptung eine allgemein teleologische Begründung noch nachgeliefert wird: „denn so wird es zweckmäßig (πρὸ ὅδου) sein“.⁸⁹ Diese wird ihrerseits plausibel gemacht durch die These, der natürliche Ort des Uterus sei eher „unten“ als „oben“, sofern nicht eine andere natürliche Funktion dagegenstehe. Diese These wird wiederum damit begründet (γάρ in 718b26), dass das Ende des Uterus „unten“ liege. Mit diesem „Ende“ meint Aristoteles ein ‚Ende‘ in funktioneller Hinsicht, was er mit der Bemerkung unterstreicht, wo das Ende sei, sei auch die Funktion (718b27). Diese Begründung wird verständlich auf der Grundlage eines – unausgesprochenen – Axioms ‚Die Natur trennt nicht ohne besonderen Grund den Ort eines Organs vom Ort seiner

 Dies ist die Übersetzung von Aubert/Wimmer (1860) 57.

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letztendlichen Funktionsausübung‘, das wiederum auf den allgemeinen Grundsatz ‚Die Natur macht überhaupt nichts ohne einen Grund‘ zurückzuführen wäre. Insgesamt lässt sich zu dieser Art des Argumentationsgangs sagen: Die Erklärung der unterschiedlichen Lage des Uterus bei den Oviparen reduziert sich darauf, dass Arten von überdurchschnittlicher Fertilität unvollendete Eier ohne eine harte Schale hervorbringen und bei ihnen kein Grund zur Abweichung der von Natur aus bestehenden primären Lage des Uterus besteht. Dagegen sind bei Arten, die weniger fertil sind, ihre jeweils geringerzahligen Eier durch eine harte Schale geschützt, und zu ihrer Erzeugung ist ein besonders warmer Körperort nötig, der auf der Linie ‚unten/Kopulationsorgane–oben/Zwerchfellbereich‘ nur ‚oben‘ gegeben ist. Diese Aitiologie wird aber nicht einfach in dieser Kürze gegeben, sondern gleichsam zusammen mit dem Rezipienten entwickelt. Logische Stringenz wird dabei gelegentlich nur behauptet und ist nur unter Ergänzung von immerhin aus dem weiteren Zusammenhang heraus plausiblen Zusatzannahmen vom Rezipienten herzustellen. Mit dem markanten, stilistisch durch den Parallelismus hervorgehobenen Abschlusssatz (718b27) wird die fehlende Stringenz der Argumentation geschickt aus dem Blickfeld gerückt.⁹⁰

Kapitel 9 – 11. 718b27 – 719a30: Aitiologie der Viviparen (incl. Ovoviviparen): weniger sorgfältig verfasste Ausführungen Diese Kapitel wirken weniger ausgefeilt und ‚liebloser‘ geschrieben, die Aitiologie macht einen etwas mechanischen Eindruck. Sie beginnen, in Entsprechung zu 8. 718b5 f., nach der Behandlung der Oviparen nun mit der Aitiologie (in Kapitel 9) der Viviparen (i. w. S.) einschließlich der Menschen, deren Embryonen sich im Mutterleib entwickeln und dann geboren werden. Die Aitiologie selbst setzt in 10. 718b35 (διὰ τὸ …) ein, wo die Tatsache, dass die Ovoviviparen nicht „nach außen“ gebären, mit ihrer kalten Natur begründet wird. Diese thermische Eigenschaft hebt Aristoteles als richtige Meinung von der von anderen vertretenen Ansicht ab (718b35 f.: οὐχ ὥς τινές φασι), ohne sie näher zu begründen. Gegen wen sich Aristoteles hier richtet, ist nicht ganz klar.⁹¹ Jedenfalls sind diese Eier weichschalig, und dies hat seinen Grund in der geringen inneren Wärme dieser Tiere, die nicht zur hochgradigen Trocknung der Schale

 Vgl. oben.  Peck (1943) 32, Anm. a sieht in den τινές Empedokles unter Verweis auf De respiratione 477b1 ff.

Kapitel 9 – 11. 718b27 – 719a30

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ausreicht. Hier fasst Aristoteles die Argumentation noch einmal zusammen und bringt sie in eine Form, die man mit der Terminologie von Netz vorwärtsgewandt⁹² nennen kann: Weil diese Tiere kalt sind, bringen sie weichschalige Eier hervor, und sie legen diese aufgrund eben der Weichschaligkeit nicht nach außen ab; denn sonst – nur dies wird nachgeschoben – gingen sie zugrunde; hier ist stillschweigend wieder ein eher geringer Fertilitätsgrad vorausgesetzt. Denn sonst wäre das Zugrundegehen einzelner Eier durch die große Menge an Eiern zu kompensieren. Mit der ‚Doppelnatur‘ der Ovoviviparen hängt die besondere Lage der Gebärmutter zusammen, die sowohl nach oben als auch nach unten gelagert ist (719a5 – 8). Mit der Ausdrucksweise, die Ovoviviparen „hätten an beiden Formen (den lebendgebärenden wie den eierlegenden) teil“ (719a6 f.: διὰ τὸ ἀμφοτέρων μετέχειν τῶν εἰδῶν), verwendet Aristoteles eine platonische Ausdrucksweise, obwohl er diese ja ablehnt.⁹³ Offensichtlich stehen ihm hier keine anderen terminologischen Möglichkeiten zur Verfügung, um zum Ausdruck zu bringen, dass Tiere Eigenschaften verschiedener Gattungen vereinen. Deshalb wohl ist auch die Ausdrucksweise so unscharf, und nicht umsonst verweist Aristoteles gerade hier auf die Notwendigkeit, weitere Erkenntnis aus den Anatomai und der Historia animalium zu beziehen (719a8 – 10: δεῖ … τεθεωρηκέναι καὶ τῶν ἱστοριῶν).⁹⁴ Suggestiv wiederholt dann der Abschlusssatz dieser Ausführungen die Doppelnatur, indem er auch den Begriff der „Teilhabe“ wiederholt (719a11 f.). Die Redundanz mag als Indiz dafür gelten, dass Aristoteles’ Begründung hier relativ abstrakt ausgefallen ist und er durch die Wiederholung die Abstraktheit gleichsam aufzuwiegen versucht. Den dritten und letzten Teil des Paragraphen 6 bzw. der Kapitel 8 – 11 bildet (ab 719a12) die Aitiologie für die i. e. S. Viviparen: Als Aition für die „unten“ befindliche Lage der Gebärmutter der Viviparen ist die Abwesenheit eines besonderen Hinderungsgrundes hinreichend, und genau diese gibt Aristoteles hier zunächst als Grund (719a13: γάρ) an. Es fragt sich jedoch, ob diese Begründung letztendlich nicht tautologisch ist: Natürlich kann aus dem Vorliegen der von der Natur grundsätzlich präferierten Lage auf die Abwesenheit jeglichen Hinderungsgrundes geschlossen werden; unabhängig davon aber jeglichen denkbaren Hinderungsgrund auszuschließen, dürfte schwer fallen. Die Abwesenheit eines

 Vgl. hierzu oben, S. 38.  Aus Sicht der aristotelischen Ursachenlehre ist es besonders auffällig, dass die Teilhabe hier nicht nur als Begriff übernommen, sondern als Ursache explizit benannt wird: διὰ τὸ … μετέχειν.  Vgl. hierzu Lennox (2018) 260.

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bestimmten ἔργον immerhin ist gegeben: die der zweistufigen Erzeugung des Nachwuchses (719a14: οὐδὲ διττογονεῖ). Wiederum als Indiz für diese Schwäche des ersten Arguments mag gelten, dass sogleich vier weitere ‚Parallelargumente‘ (719a14: πρὸς δὲ τούτοις; a17: ἔτι)⁹⁵ angeführt werden: 1. Dass ein Lebewesen in der Nähe des Zwerchfells entstehe, sei unmöglich. Denn dieses würde zu starke Bewegungsimpulse auf die empfindliche, weil vitale (ἐπίκαιρος … τοῦ ζῆν, 719a16 f.)⁹⁶ Region ausüben. 2. Es käme aufgrund der Länge des Transports zu Komplikationen der Geburt (dies ist eigentlich nur eine Begründungsvariante für die bereits angegebene ‚natürlich bevorzugte‘ Lage des Uterus), wie es auch bei Frauen – hier führt Aristoteles ein empirisches Indiz aus der Gynäkologie an – geschieht, die unter der Geburt den Uterus nach oben ziehen, indem sie gähnen oder Ähnliches tun. 3. (ähnlich 1.) Sogar in nicht schwangerem Zustand (καὶ κεναὶ δ᾿ οὖσαι, 719a20 f.) führt ein nach oben tretender (gemeint ist wohl ein menschlicher) Uterus zu Beklemmungsgefühlen. Denn (719a21: γάρ) da er ein Lebewesen in sich halten soll, muss er muskulös und damit massig sein – und diese Masse wirkt dann ungünstig auf das vitale Zentrum ein. Dagegen sind die in der Zwerchfellgegend liegenden Uteri alle membranös. 4. Die bei Ovoviviparen beobachtbaren Vorgänge können herangezogen werden. Denn sie haben die Eier oben und seitlich, d. h. im Bereich ‚oben‘, doch möglichst weit vom vitalen Zentrum entfernt, daher seitlich, und die geschlüpften Jungtiere im unteren Teil des Uterus, also in maximaler Entfernung vom vitalen Zentrum. Das Kapitel schließt mit einer metatextlichen Bemerkung, die den erfolgreichen Verlauf der Aitiologie konstatiert (Δι᾿ ἣν … αἰτίαν …, καὶ ὅλως διὰ τί …, εἴρηται.) und in ringkompositorischer Weise an den Beginn des 6. Paragraphen anknüpft. Die zweigliedrige Unterscheidung in 719a29 f. unterdrückt hierbei allerdings das an beiden εἴδη teilhabende εἶδος der Ovoviviparen.

 Zur Funktion von Parallelargumenten gemäß der Topik vgl. Föllinger (1993) 268.  Vgl. Liddell-Scott-Jones, sub voce ‚ἐπίκαιρος‘, „3. of parts of the body, vital“.

Kapitel 12. 719a30 – 719b28

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Kapitel 12 – 13. 719a30 – 720b1 = § 7: Aitiologischer Abschnitt, der sprachlich nicht ausgefeilt und nicht besonders didaktisch gestaltet ist Dieser Abschnitt ist der Aitiologie der Lage (θέσις) von Testes und Gebärmutter gewidmet. Bereits in § 4 (Kapitel 4– 5) war Aristoteles auf die Testes eingegangen und hatte die Behandlung mit einer Abschlussbemerkung beendet.⁹⁷ Dennoch ist der Paragraph 7 keine Wiederholung, sondern eine Erweiterung⁹⁸, insofern begründet wird, warum zwar die Hoden bei denjenigen Tieren, die sie haben, innen oder außen liegen können, die Gebärmutter dagegen immer innen liegt. Dementsprechend ist der Abschnitt 719b18 – 28 (Ende von Kapitel 12) zu halten.⁹⁹ Denn er bringt eine Ergänzung zu der in Paragraph 6 behandelten Lage des Uterus, da dort das Thema die Unterscheidung ‚oben–unten‘ war, wohingegen es nun um die Differenzierung von ‚ventral–dorsal‘ geht. Der Anschluss an den Paragraphen 6 mit δέ (719a30) und die Abschlussbemerkung (720a36 f.), dass die Aitiologie der θέσις der Geschlechtsorgane nun abgeschlossen sei, macht die Abrundung der Ausführungen deutlich.

Kapitel 12. 719a30 – 719b28 719a30–b17: Der Grund für die unterschiedlichen Lagegebenheiten bei Testes und Uterus ist nach Aristoteles der Umstand, dass der Uterus den Embryo schützen muss, so dass bei allen Tierarten der Uterus innen liegt. Bei den Hoden jedoch hängt es von der Gattung ab, auch wenn prinzipiell die gleiche Notwendigkeit wie beim Uterus vorliegt: Es muss eine schützende Umhüllung und die Wärme, die zur Verkochung nötig ist, vorhanden sein. Dies allein begründet jedoch nicht die Lage der Testes, so dass man nun eigentlich eine weitere Differenzierung erwartet. Aber im Folgenden wird mit ‚διόπερ‘ 719b4 keine Begründung für die extrakorporale Lage der Testes bei bestimmten Tieren gegeben. Vielmehr wird umgekehrt bei Vorliegen dieses ‚extrakorporalen Falls‘ das Vorhandensein eines scrotums als schützender Hülle begründet.

 Vgl. oben, zur Stelle.  Balmes Ansicht, der Abschnitt 719a30–b17 unterbreche die Erörterung und sei ein späterer Einschub (Balme 1992, 137), teilen wir nicht.  Mit Drossaart Lulofs und gegen Platt.

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Anders ist es im zweiten, ‚intrakorporalen‘ Fall (719b5 ff.). Hier lässt die natürliche, artspezifische Beschaffenheit der Haut, etwa weil sie fischartig oder auf irgendeine andere Weise schuppig ist, aufgrund ihrer mangelnden Flexibilität keine die Testes umhüllende ‚Ausstülpung‘ zu. Deshalb müssen diese notwendig innen liegen.¹⁰⁰ Insgesamt ergibt sich der Eindruck folgender Begründung, die so aber nicht explizit ausgesprochen wird: Wenn die Hautbeschaffenheit keinen Hinderungsgrund darstellt, so liegen die Testes außen in einem schützenden scrotum, anderenfalls innen. Zu welchem Zweck dies so ist, wird nicht erklärt. Stattdessen folgen – gewissermaßen als Ersatz für eine Erklärung – Beispiele für Tiere mit innenliegenden Hoden, für die die gegebene Begründung valide ist (διόπερ, 719b9). Eigentlich hätte man erwartet, dass Aristoteles hier seine Darstellung des Zweckes, die er in Kapitel 4 gegeben hat, wiederholt. Diese lautete folgendermaßen: Der Grund dafür, dass manche Tiere Hoden haben, ist die Moderation der Lust, wie sie für die besonneneren (sōphronestera) Tiere nötig ist.¹⁰¹ Übergeordnet ist das telos, das hier in einer möglichst großen Mäßigung des Sexualtriebs der männlichen Tiere liegt. Untergeordnet ist die Ebene der ,Notwendigkeit‘, hier v. a. die des Materiellen als Voraussetzung der Realisation des übergeordneten telos, die ebendies eben auch verhindern kann. Damit wäre die Aitiologie in diesem Kapitel vollständig. Dabei muss sich der Rezipient aber einen Teil der Begründung selbst in Erinnerung rufen.

719b17 – 28: Mit dieser Passage beginnt die Behandlung der Lage ‚ventral–dorsal‘, in folgerichtiger Ergänzung zu Kapitel 8 – 11,¹⁰² wo die Uteruslage (dort allerdings nicht als thesis, wie hier, sondern als tropos bezeichnet) nur unter dem Aspekt ‚oben-

 Zu den unterschiedlichen Arten von Notwendigkeit vgl. oben, S. 36.  Man könnte folgendes supplementieren: Das ergon der Hoden kann offenbar deutlich besser erfüllt werden, wenn die Hoden außen liegen; das ist also die Lage, die eingenommen wird, ‚wenn nichts hindert‘. D. h. für die Außenlage bräuchte man kein zusätzliches telos.  Die Passage 719b17– 28 wurde von Platt athetiert, auch Peck (1943) 7, Anm. 6 hält sie für „simply a hash-up of parts of the preceeding chapters“ (skeptisch gegenüber einer Athetese Drossaart Lulofs im App.). Michael von Ephesos (S. 17,20 ff. Hayduck) dagegen lässt hier die Behandlung der Uteruslage unter dem Aspekt ‚ventral–dorsal‘ beginnen. Michael orientiert sich hierbei an dem abstrakt-geometrisch aufgefassten Schlüsselbegriff der ‚thesis‘ (719b18; vgl. 720a36).

Kapitel 13. 719b29 – 720b1

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unten‘ diskutiert wurde.¹⁰³ Zunächst scheint Aristoteles die oben bereits eingeführten drei (τε … καί [719b18 f.] … καί [b22]) Klassen der Vivi-, Ovi- und Ovoviviparen einfach zu rekapitulieren; dies mag zunächst sehr redundant wirken. Die Pointe ist aber gerade, dass bzgl. aller drei Klassen, bei den Oviparen sogar bzgl. der beiden (τε … καί, 719b20) Unterklassen der Tiere mit kaudal liegendem bzw. derjenigen mit kranial gelegenem Uterus, gegensätzliche (ὑπεναντίως, 719b18) Lagen des Uterus auftreten und nun versucht werden soll, die ventrale bzw. dorsale Lage diesen Klassen zuzuordnen. Mit γάρ (719b24) beginnt die zunächst durch konkrete Zuordnung der ventralen Uteruslage zu den Viviparen erfolgende Begründung der am Beginn der Passage behaupteten vorliegenden Gegensätzlichkeit. Mit einem zweiten γάρ (719b26) wird hierfür ein αἴτιον angegeben: Der Erhaltung und dem Wachstum des Embryos zuträglich ist fehlender Druck auf die Gebärmutter.

Kapitel 13. 719b29 – 720b1 Durch καί (719b29) eingeleitet wird nun ein zweites αἴτιον¹⁰⁴ für die ventrale Uteruslage bei Viviparen. Es besteht in der Anlage zweier getrennter ‚poroi‘, wobei derjenige Ausführungsgang, über den flüssige Nahrungsreste und Sperma bzw. die Leibesfrucht abgegeben werden, ventral im Verhältnis zu dem anderen, für feste Reste zuständigen, liegt. Damit diese Begründung gültig ist, muss man ergänzen, dass die Lage des Uterus nicht ohne Not wesentlich von der Lage des Geburtskanals abweicht (hierfür könnte der Rezipient ein zu c. 8. 718b24– 27 vollkommen analoges Argument bilden, d. h. in diesem Fall ist die Fähigkeit zum Transfer gefragt). In 719b34 nimmt ὅσα δέ das τὰ μὲν γάρ aus 719b24 wieder auf. Dies ist durch das dazwischengeschobene zweite αἴτιον nicht gleich zu erkennen, aber durch die weitere (und redundante) Entsprechung von οὐχ ὑπὸ τῇ γαστρί (720a1) zu oben ἐπὶ τῆς γαστρός (719b24 f.) deutlich.¹⁰⁵ Die dorsale (πρὸς τῇ ὀσφύι, 720a1) Uteruslage wird hier der Klasse der ‚unvollendet Oviparen‘ zugeordnet, die genau der im vorhergehenden rekapitulierten Unterklasse der Oviparen mit kaudal gelegenem Uterus entspricht. Das Aition (γάρ, 720a2) ist, dass das im Inneren nicht bis zur Vollendung stattfindende Eiwachstum keine weichere Umgebungskonstitu Vgl. I 6. 717b26 – 31 die analoge Diskussion der Lage der Testes bzgl. der Richtungen ventral– dorsal.  Vgl. Michael von Ephesos S. 18,10 Hayduck.  Aus diesem Grund übernehmen wir nicht die von Louis vorgenommene Umstellung von 719b34– 720a3 (von Platt sogar athetiert) nach b28.

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Buch I

tion erfordert als die relativ straffe (oder, nach Michael von Ephesos: ‚harte‘) des Rückens. Wiederum als ein zweites, hier negatives, αἴτιον (τε, 720a3) folgt: Bei Tieren ohne geburtsdienliche Scham (also insbes. auch bei ‚unvollendet Oviparen‘) liegen keine getrennten Ausführungsgänge vor, und damit fällt ein Grund, nämlich die ventrale Lage des Geburtskanals, für eine ventrale Uteruslage weg. Dabei ist stillschweigend vorausgesetzt, dass, wenn nichts hindert, der Uterus vorzugsweise dorsal angelegt ist.¹⁰⁶ Eine solche singuläre Kloake haben alle Oviparen.¹⁰⁷ Es folgt ein kleiner Exkurs (720a5 – 11), warum sogar (καί, 720a5) bei Oviparen mit einer Harnblase, wie etwa bei Schildkröten, nur ein solitärer Ausführungsgang vorliegt. Bisher sind also folgende Uteruslagen differenziert: Vivipare: kaudal und ventral Ovipare, unvollendete Eier legend = Ovipare mit kaudaler Uterus-Lage: dorsal nicht explizit, aber durch 720a3 – 5 nahegelegt: auch die anderen Oviparen, i. e. Ovipare mit kranialer Uterus-Lage: dorsal

Die Kombination kranial/ventral ist nicht belegt. Man könnte allerdings in dem bis zur Vollendung anhaltenden Wachstum des Eis im Körperinneren einen ‚Hinderungsgrund‘ für die dorsale Lage sehen, wenn man 720a2 f. entsprechend auf ‚vollendet Ovipare‘ bezieht. Zunächst aber wird, mit οὖν (720a11) eingeleitet, ein neues αἴτιον eingeführt: die Notwendigkeit, dass sowohl der Uterus als auch die Samengänge fixiert sein müssen. Der Hintergrund für diese Formulierung könnte die – bei den Hippokratikern verbreitete¹⁰⁸ – Meinung sein, dass die Gebärmutter frei im Körper beweglich ist. Hierfür kommt aber notwendig nur die Umgebung der vorderen oder die der hinteren Rumpfwand infrage, wohingegen die seitliche Rumpfwand außer Betracht bleibt. Indem Aristoteles stillschweigend einen aus 720a2 f. abzuleitenden Hinderungsgrund (s. o.) übergeht, macht er nur für den Embryo der Viviparen eine als Hinderungsgrund ausreichende ‚Raumforderung‘ geltend und ordnet ohne weiteres allen Oviparen die dorsale Uteruslage zu.¹⁰⁹

 Vgl. hierzu unten.  Das von Wimmer athetierte und in der arabischen Übersetzung nicht wiedergegebene καί in 720a4 ist wohl am besten epexegetisch zu verstehen: „Auch ist der Gang identisch – und zwar/ nämlich bei den Tieren ohne geburtsdienliche Scham – mit demjenigen für die trockne Nahrung“.  Vgl. Föllinger (1996b).  Am Beginn der Passage (719b19 – 22) war eigens hervorgehoben worden (καὶ τούτων τοῖς τε … καὶ τοῖς …, 719b19 f.), dass auch die beiden Unterklassen der Oviparen im Verhältnis zueinander (πρός, 719b21) gegensätzliche Uteruslagen aufweisen. Daher ist θέσις hier wohl doch nicht (gegen

Kapitel 14 – 16. 720b2 – 721a30

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Zuletzt wiederholt Aristoteles die Teilhabe der Ovoviviparen an beiden Klassen¹¹⁰ und betont ihre Zugehörigkeit zu beiden auch sprachlich (ζῳοτόκα καὶ ᾠοτόκα, 720a19). Für die ventrale Lage des kaudalen Uterusanteils ( κάτω ci. Susemihl 720a21) kann nun allerdings nicht als ein zweites αἴτιον die getrennte Anlage zweier πόροι dienen; entsprechend wird die Behandlung des solitären Ausführungsgangs dieser Tierklasse auch mit δέ und nicht wie oben mit καί oder τε angeschlossen. Als αἴτιον wiederum hierfür (γάρ, 720a23) gilt, dass diese Tiere kein ‚aufgehängtes‘ (720a24) Schamglied haben. Dafür verweist Aristoteles mit einer metatextlichen Bemerkung (720a24: καθάπερ εἴρηται πρότερον) auf Kapitel 5 (717b14– 33): Einen Penis haben nur Vierbeiner, und die Gruppe der Ovoviviparen wird nach Kapitel 10 von Knorpelfischen (σελάχια) und Vipern gebildet, also von fußlosen Tieren. Zu ergänzen ist: Hätten die Ovoviviparen getrennte Ausführungsgänge, so hätten die männlichen Tiere auch einen Penis, was aber nicht der Fall ist. Zum Abschluss der Passage geht Aristoteles auf die Lage der Samengänge, ohne dass dieser Punkt eingangs thematisiert worden wäre, und auf die Fixierung der Hoden ein. Das Kapitel schließt mit einer metatextlichen Bemerkung und formal mit dem ersten Teil (μὲν οὖν) einer binary transition.

Kapitel 14 – 16. 720b2 – 721a30 = § 8: Vorwiegend deskriptiver Paragraph, der Beobachtungen aus der Empirie anführt und gleichzeitig auf die Problematik empirischer Beobachtung hinweist In dieser Passage geht es um die Fortpflanzungsorgane bei den blutlosen Tieren, geordnet nach den megista genē: A) Crustacea (Kapitel 14, 2. Teil), B) Mollusca (= Kephalopoden) (Kapitel 15), C) Insekten (Kapitel 16). Die Behandlung der D) Testacea als (mindestens) vorwiegend nicht getrenntgeschlechtlicher Tiere wird verschoben. Die Einheit dieses Paragraphen ist dadurch gegeben, dass die Unterschiede der Geschlechtsorgane der blutlosen Tiere Thema sind. Dieses Thema wird gleich am Beginn ex negativo mit οὐχ ὁ αὐτὸς τρόπος … οὔτε … οὔθ᾿ (720b2– 4) formu-

Balme 1992, 138) auf die Bedeutung ‚Lage bzgl. der ventral-dorsalen Orientierung‘ einzuschränken, sondern die Zuordnungen ‚ventral/dorsal‘ treten zu den bereits vorgenommenen ‚kaudal/ kranial‘ hinzu. Stillschweigend bleibt eine mögliche Orientierung ‚rechts/links‘ (erst damit wären die sechs räumlichen Orientierungen bzw. die drei Raumdimensionen komplett) außer Betracht, wie auch die seitlichen Rumpfwände.  720a18 mit 719a12 und a7.

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liert. Dabei wird nach der bereits bekannten und vorausgesetzten Klassifikation gegliedert. Formal ist der Paragraph an die Abschlussformulierung Πῶς μὲν οὖν ἔχουσι τῇ θέσει (720a36) von Paragraph 7 durch Τῶν δ᾿ ἄλλων ζῴων (720b2) angeschlossen. Abgeschlossen wird er durch eine mustergültige binary transition am Ende von Kapitel 16 (721a26 – 30). Deren erster Teil schließt nicht nur diesen Paragraphen, sondern GA I 3 – 16 insgesamt ab. Der zweite Teil kündigt als Folgeuntersuchung die Frage nach den Homoiomeren Samen und Milch an (721a27– 30). Dabei entspricht ἀπελείφθη dem sonst oft gebrauchten λοιπόν, und die Wendung περὶ ὧν καιρός ἐστιν εἰπεῖν spielt wohl auf die Methode des Vorgehens an, wie sie auch bereits am Anfang von Kapitel 2 angeklungen war.¹¹¹ Gleichzeitig greift der Verweis implizit zurück auf Kapitel 1: zum einen durch die Rekapitulation, nun seien die früher – also in PA (und IA) – nicht behandelten μόρια besprochen (721a26 f.)¹¹², zum anderen greift γονή – wie sich im Folgenden herausstellen wird – implizit die in I 1 gegebene methodische Bemerkung auf. Denn mit γονή ist das Thema vorgegeben, das die weitere Darlegung nach der überblicksartigen Darstellung der Geschlechtsorgane bei den blutlosen Tieren ab Kapitel 17 behandeln wird: das Problem der spezifischen Zeugungsbeiträge, das grundlegend von der Frage geprägt ist, ob das Weibchen Samen beisteuert bzw. was sein Beitrag zur Zeugung ist. Merkwürdig erscheint hier, dass Aristoteles neben γονή auch die ‚Milch‘ erwähnt, deren Entstehung und Aitiologie erst in Buch IV und dort relativ kurz erfolgt (IV 8. 776a15 – 777a27). Aus diesem Grund, und weil die Milch in Aristoteles’ Zeugungstheorie – im Unterschied zum Menstruationsblut – keine prominente Rolle spielt, hält Balme die Passage 721a26 – 30 für eine Interpolation. Er vertritt die Meinung, der Satz habe eine ursprüngliche Überleitung, die auf die folgenden Überlegungen zum Samen hinwies, ersetzt.¹¹³ Tatsächlich ist der Hinweis auf die Milch merkwürdig, und ein Verweis auf das für Aristoteles’ Zeugungstheorie eine zentrale Rolle spielende Menstruationsblut wäre im Sinne einer folgerichtigen Disposition wichtiger gewesen. Dass das Weibchen nach Aristoteles’ Theorie keinen Samen hat, dass vielmehr das Menstruationsblut der eigentliche weibliche Zeugungsbeitrag ist, aber aus derselben Quelle wie der Samen entsteht und deshalb gewisse Eigenschaften teilt – dies alles entwickelt Aristoteles erst im Folgenden. Dann hätte die hier gegebene Einteilung einen ‚didaktischen‘ Sinn, da nicht ein in Form eines Prozesses noch zu erarbeitendes Ergebnis vorweggenommen werden soll. Möglich ist aber auch – und wahrscheinlicher –,

 Siehe oben, S. 96.  Vgl. GA I 1. 715a11– 13.  Balme (1992) 140.

Kapitel 14. 720b2 – 720b15

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dass Aristoteles die hier gegebene Disposition im Folgenden nicht bzw. nur über eine große Strecke (die Milch ist, wie gesagt, erst in Buch IV Thema) einhält, weil er aufgrund seines prozessualen Schreibens im Erkenntnis- und Schreibprozess ausführlich auf weiterführende Problematiken eingeht, so dass er nach langer Zeit erst wieder auf den zweiten Teil der Disposition zurückkommt. Dass Aristoteles von ihm gegebene Dispositionen nicht oder nur mit vielen ‚Unterbrechungen‘ einhält, ist ein durchaus gängiges Phänomen.¹¹⁴ Der Paragraph ist vorwiegend deskriptiv, mit einigen wenigen Aitiologien: Aristoteles möchte hier offensichtlich der Vollständigkeit halber auch die Verhältnisse bei den anderen Tieren vorstellen, um zu zeigen, dass seine Theorie in der ganzen Tierwelt gilt. Dabei legt er viel Wert auf die Empirie, wobei er auch auf noch nicht ausreichend getätigte Beobachtungen bzw. überhaupt auf die Grenzen der empirischen Beobachtung hinweist (14. 720b7; 15. 721a1f.; 16. 721a16 f.; 721a23 – 25).

Kapitel 14. 720b2 – 720b15 Der erste Teil von Kapitel 14 (720b2– 9) ist methodischer und metatextlicher Art: Das Thema wird angegeben, die bereits bekannte Klasseneinteilung in die vier Klassen neben den Bluttieren wiederholt (Malakostraka, Malakia, Entoma und Ostrakoderma) und eine empirische Begründung gegeben, warum man über die Ostrakoderma an späterer Stelle¹¹⁵ sprechen müsse: Die meisten pflanzen sich nicht durch Paarung fort. Mit den Begriffen ἄδηλον (720b7) und φανερόν (720b8) wird die Semantik des Phänomenalen aufgerufen. Zugrunde liegen offensichtlich in der HA gesammelte Beobachtungen, wo Aristoteles über die Entstehung der Ostrakoderma als zuerst zu behandelnde Gattung der nicht kopulierenden Tiere spricht (in HA V 15). Diese Gattung sei nämlich als einzige „sozusagen als ganze“ nicht kopulierend (τοῦτο γάρ ἐστιν ἀνόχευτον μόνον ὡς εἰπεῖν ὅλον τὸ γένος, 546b17 f.) Der in HA mit ὡς εἰπεῖν vorgebrachte Empirievorbehalt wird hier in GA (720b6 f.) expliziter formuliert: τούτων δὲ περὶ μὲν πάντων ἄδηλον. Der zweite Teil von Kapitel 14 ist ein kurzer Abschnitt über die Crustacea (A). Er ist im Wesentlichen deskriptiv, da er die Fakten beschreibt. Für die mechanischen Vorgänge bei der Paarung wird als αἴτιον wiederum ein Hinderungsgrund (für die sonst im Tierreich übliche Paarungsstellung) angegeben (ἐμποδίζει, 720b11 f.).

 Siehe oben, S. 14 f. Vgl. grundsätzlich Föllinger (1993) 275 und 279 f.  Dies geschieht in III 11.

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Kapitel 15. 720b15 – 721a2 Ausführlicher geht Aristoteles auf die – ihn stets faszinierenden – Kephalopoden ein (B).¹¹⁶ Bei diesen wird eine für die ‚Mechanik‘ des Paarungsverhaltens notwendige Ursache gegeben (ἐξ ἀνάγκης, 720b18). Diese liegt in der Formung durch die Natur. Das bedeutet, dass hier offenbar das ergon nicht der Form vorgängig ist, wie etwa für die Lage des Uterus (je nachdem oben oder unten) die Weise der Nachwuchserzeugung/des Gebärens ursächlich ist (8. 718b4 ff.) und nicht umgekehrt. Aber eventuell ist hier die Form durch andere, nicht genannte, aber zu verwirklichende erga bedingt. Für die durch die Natur gegebene relative Lage von Mundöffnung und Kloake verweist Aristoteles auf zuvor Gesagtes.¹¹⁷ Auch dieser Teil ist im Wesentlichen (anatomisch) beschreibend; die Erkenntnis der Fakten (hier das Vorliegen eines Uterus oder Uterus-ähnlichen Organs: ὑστερικὸν μόριον, 720b21) wird ihrerseits begründet (γάρ, 720b22) durch Beobachtungen, die eben auf das Vorliegen eines solchen Organs schließen lassen.¹¹⁸ Wieder ist die Morphologie ursächlich für die Art der Ausführung des ergon der Paarung: διὸ ὁ συνδυασμός (720b28 f.). Dieser Kausalzusammenhang wird seinerseits begründet durch die nachgeschobene (720b30 ff.), eigentlich selbstverständliche, hier aber explizierte Notwendigkeit, dass sich das etwas Bestimmtes ejakulierende Männchen dem Gebärmutterausgang nähern muss. Mit der offen gelassenen dreigliedrigen Alternative (720b30 f.: εἴπερ ἀφίησί τι ὁ ἄρρεν εἴτε σπέρμα εἴτε μόριον εἴτε ἄλλην τινὰ δύναμιν) für dasjenige Bestimmte (τι), was das Männchen absondert, greift Aristoteles anspielungsweise bereits vor auf das, was überhaupt erst entwickelt werden muss, nämlich die Möglichkeit, dass der eigentliche Zeugungsbeitrag des männlichen Partners in einer dynamis besteht. Das Kapitel schließt mit einer Kritik an der gängigen Auffassung der Fischer von einem Begattungstentakel (720b33). Seine Kritik begründet Aristoteles (γάρ, 720b35) mit der Anatomie dieser Tentakel, die nicht mit der eigentlichen Funktion eines Fortpflanzungsorgans zu vereinbaren sei. Abschließend geht er darauf ein, dass Polypen sich auch ‚rückwärtig‘ paarten, lässt aber offen, ob dies der Fortpflanzung diene, da es empirisch noch nicht geklärt sei (721a1 f.: οὐθὲν ὦπταί πω).

 Zu Aristoteles’ Kephalopoden-Forschungen vgl. ausführlich Scharfenberg (2001).  Der konkrete Verweis auf PA ist bei Drossaart Lulofs als Glosse athetiert. Gemeint sind PA IV 9. 684b14 f. (Druckfehler bei Peck (1943): Spalte a statt b) und 685a1.  Vgl. Leunissen (2022).

Kapitel 16. 721a2 – 721a30

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Dieser auf der Unvollständigkeit empirischer Beobachtung beruhende Vorbehalt¹¹⁹ bestimmt augenscheinlich den gesamten Paragraphen 8.¹²⁰ Wenn man die Ausführungen in GA mit der entsprechenden Passage in HA V 6 vergleicht, zeigt sich, dass Aristoteles gleich zu Beginn (GA I 15. 720b15 – 17) Formulierungen wörtlich übernimmt (HA V 6. 541b1– 4). Aber in GA setzt dann gleich mit einer μέν–δέ-Korrespondenz die für diese Schrift typische kausale Erklärung ein (συμπλέκεται μὲν … δὲ … ἐξ ἀνάγκης, 720b16 f.). Auch gibt Aristoteles in HA eine Ansicht ohne Nennung von deren Urheber und ohne Wertung wieder (φασὶ δέ τινες, 541b8), wohingegen er hier in GA Fischer als die Urheber einer Meinung, die er mit einer Begründung ablehnt, angibt (720b33 – 36: φασιν … οἱ ἁλιεῖς, … ἀλλ᾿ οὐχ … γάρ …). Auf die genauere Schilderung der Paarungsweisen in HA V 6 verzichtet er hier, da sie für die Aitiologie nicht von Interesse sind. Bezeichnenderweise erwähnt er hier aber auch eine in HA genannte weitere Ansicht Dritter, die sich auf mögliche Kopulationsorgane der Weibchen bezieht (ἔνιοι … φασιν, HA 541b17 f.), nicht. Vergleichbar mit seiner Theorie zur Fortpflanzung der Bienen reduziert Aristoteles hier also die Informationen in HA so, dass er eine kohärente Theorie bilden kann.¹²¹

Kapitel 16. 721a2 – 721a30 Für die Insekten (C) unterscheidet Aristoteles drei Arten der Entstehung und nimmt damit einen Gedanken aus 1. 715a18 ff. wieder auf. Für jede Art nennt er Beispiele. Damit demonstriert er, dass die Unterscheidung nicht abstrakt ist, sondern durch die Empirie belegbar bzw. dass die Empirie der Ausgangspunkt ist. a) Es gibt, wie bei den blutführenden Tieren, eine geschlechtliche Fortpflanzung aus artgleichen Tieren, die Aristoteles hier als synonym bezeichnet. b) Es gibt eine geschlechtliche Fortpflanzung, bei der nicht ‚artgleiche‘ (hier wie in Kapitel 1: ὁμογενῆ) Tiere, sondern Larven entstehen. Aus diesen entwickeln sich, wie man erst in II 1. 732a29 – 32 erfährt, jeweils als ganzen, im Unterschied zum Ei, die neuen Lebewesen. Die Eltern selbst entstehen spontan aus Fäulnisprodukten. c) Es gibt eine Entstehung, die nicht aus Tieren erfolgt und deren Produkte selbst keine geschlechtliche Fortpflanzung haben.  Vgl. auch Aristoteles’ Vorbehalte, die er in GA III 10 im Rahmen seiner Überlegungen zu den Bienen gegenüber den Beobachtungen macht. Vgl. Föllinger (1997).  Vgl. auch oben, 720b8 f.  Zur Reduktion bzw. Auswahl von Informationen aus HA zum Zweck einer Theoriebildung für die Fortpflanzung der Bienen in GA vgl. Föllinger (1993).

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In den Fällen b) und c) handelt es sich also um eine Spontangenese. Auf diese geht Aristoteles hier nicht näher ein.¹²² Ab 721a13 folgt eine Deskription einer empirischen Gegebenheit, die für Aristoteles’ Zeugungstheorie, dass der männliche Beitrag nicht materieller Natur sei, sehr wichtig sein wird:¹²³ Bei den meisten Insekten (721a13: ὡς ἐπὶ τὸ πλεῖστον) würden die Weibchen etwas in die Männchen absondern (721a13: ἀφίησι).¹²⁴ Durch den Verweis darauf, dass dies bei den meisten Insekten der Fall sei, betont Aristoteles die Regelhaftigkeit, andererseits hebt er hervor, dass es auch einige wenige gebe, bei denen dies anders sei, und dass nicht genug Beobachtungen vorlägen, um einen Vergleich für eine Klassifikation anzustellen (721a16 f.: ὥστε δὲ γένει διελεῖν οὔπω συνεώραται¹²⁵). Dies leitet ihn zu Überlegungen zu den generellen Größenunterschieden von Weibchen und Männchen bei verschiedenen Tierklassen und deren Ursache und zu der abschließenden Bemerkung, dass Insekten zu klein seien, um sichere Aussagen machen zu können. Das Kapitel und damit der ganze Paragraph enden mit einer metatextlichen Bemerkung in Gestalt der typischen binary transition μὲν οὖν … δέ. Diese schließt allerdings nicht nur einen (kleinen) Paragraphen ab, sondern bildet den ersten großen Einschnitt in GA: Die Behandlung der Fortpflanzungsorgane ist nun abgeschlossen, die Beschäftigung mit homoiomeren, der Fortpflanzung dienenden Teile steht an. Die Formulierung περὶ ὧν καιρός ἐστιν εἰπεῖν (721a28 f.) erinnert an die Wendung κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα λόγον am Beginn des zweiten Kapitels (716a2).

 In Fall b) erzeugt die erste spontan entstandene Generation durch Kopulation eine zweite, geschlechtslose Generation (vgl. c. 1), die stillschweigend als ohne weitere Nachkommenschaft unterstellt ist, in Fall c) ist bereits die erste spontan entstehende Generation von der Art der Folgegeneration in Fall b). Aristoteles unterschlägt hier wie auch bereits in c. 1 die Möglichkeit einer endlichen Zahl n paarweise verschiedener Folgegenerationen nach einer ersten spontan entstandenen Generation; er zieht von vornherein nur die Möglichkeiten n = 0 und n = 1 in Betracht. Der Fall ,n > 1‘ stünde aber nicht im Widerspruch zu den axiomatischen Grundannahmen in 1. 715b10 – 12 bzw. b14– 16.  Vgl. unten, S. 222 ff.  Es handelt sich hier um eine Fehlinterpretation der Vorgänge bei den Libellen, vgl. Föllinger (1996a) 161 mit Anm. 231.  Zum Begriff συνθεωρεῖν vgl. unten.

Kapitel 17 – 23. 721a30 – 731b14

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Kapitel 17 – 23. 721a30 – 731b14 = § 9 – 17: Vorwiegend diskursive Passage mit teilweise stark rhetorischen und polemischen Zügen 1 Inhalt von 17 – 23 Die Kapitel 17– 23 bilden einen einzigen großen gedanklichen Zusammenhang und weisen eine zielgerichtete Struktur auf.¹²⁶ Mit knapp 28 von 46 Seiten der Oxfordausgabe machen sie mehr als die Hälfe des ersten Buches aus. In ihnen entwickelt Aristoteles nun seine eigene Zeugungstheorie,¹²⁷ so dass man geradezu sagen kann: Diese Kapitel sind der Höhe- und Kulminationspunkt seiner Ausführungen im ersten Buch. Hier zeigt sich, wie sehr Aristoteles seine Theorie in diskursiver Auseinandersetzung mit anderen Meinungen entwickelt. Dabei ist es, wie auch im Vorhergehenden, sein Ziel, zu demonstrieren, dass seine Theorie unter ‚logischen‘ Gesichtspunkten, d. h. gemessen an der Schlüssigkeit der Argumente, den anderen Ansichten überlegen ist, dass man mit ihr aber auch die empirischen Fakten besser erklären kann. Das Hauptargumentationsziel ist, zu beweisen, dass die weiblichen Zeugungspartner keinen Samen beisteuern.¹²⁸ Dass auch die Weibchen einen Samen haben, der zur Zeugung beiträgt, war eine zu Aristoteles’ Zeit weit verbreitete Meinung. So finden wir diese in hippokratischen Schriften, und manche Argumente, die Aristoteles vorbringt, lassen vermuten, dass er sich konkret gegen diese richtet. Dabei spielt vor allem die Schrift De genitura eine Rolle, deren Argumenten Aristoteles fast direkt begegnet.¹²⁹ Der Zeugungsbeitrag besteht im Menstruationsblut bzw. bei Tieren, die nicht darüber verfügen, in einem entsprechenden Stoff, wobei aber konkret unklar bleibt, welches dieser sein soll. Das Menstruationsblut bzw. der entsprechende Stoff bilden  Darauf weist auch Bolton (1987) hin. Er verwendet Aristoteles’ Diskussion über den Beitrag des Samens als exemplarisches Studienobjekt, um seine Suche nach Definitionen zu untersuchen, und kommt zu dem Ergebnis, dass trotz des ‚dialektischen Charakters‘ der Auseinandersetzung mit der Pangenesislehre Aristoteles eine Untersuchungsmethode verfolge, die in den Analytica posteriora dargelegt werde (ebd. 164: „… that Aristotle follows a general pattern of inquiry leading to discovery which is laid out in the Posterior Analytics but neither recommended nor required by the canons of dialectic“).  Vgl. Peck (1943), lxxi, der die Kapitel unter der Bezeichnung „Theory of Sexual Generation“ zusammenfasst.  Dies schließt nicht aus, dass Aristoteles in einem weiteren Gebrauch des Begriffs auch die Katamenien als σπέρμα bezeichnet (vgl. De Ribera-Martín 2019). Dies kann man damit erklären, dass seiner Theorie zufolge beide denselben Ursprung (im Blut) haben (vgl. das Folgende).  Siehe hierzu Föllinger (1996a) 144 mit Anm. 159. Zu Aristoteles’ Auseinandersetzung mit den Hippokratikern in GA siehe auch Hammann (2022).

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Buch I

die Hyle des neu entstehenden Lebewesens. Dem gegenüber ist der eigentliche Beitrag des Männchens nicht materieller Art, vielmehr ist der Samen nur Träger eines Vermögens, das den Anstoß zum Leben gibt. Beide Beiträge aber, Menstruationsblut wie Samen, haben den gleichen Entstehungsursprung, weil beides Produkte der zu Blut verkochten Nahrung darstellen – und daher kann Aristoteles auch beide als ‚sperma‘ im weiteren Sinne bezeichnen.

2 Disposition von 17 – 23 Dispositionell sind die Ausführungen zum Samen, die in Kapitel 17 beginnen, am Ende des vorherigen Abschnittes durch die Ankündigung, im folgenden περὶ γονῆς handeln zu wollen, eingeführt.¹³⁰ Wie der folgende Aufriss zeigt, werden zuerst ausführlich Argumente der Pangenesislehre angeführt und dann widerlegt, bevor die eigene Theorie zur Natur des Samens und der Katamenien entwickelt wird. Entsprechend der Zweigleisigkeit der Argumentation ‚logos–Empirie‘ werden Indizien für die Richtigkeit der Katamenientheorie in einer typisch aristotelischen Manier ‚angehängt‘. Dann schiebt Aristoteles Argumente gegen die Pangenesistheorie ‚nach‘, bevor er endlich seine Hauptthese zum eigentlichen Zeugungsbeitrag des Männchens entwickelt. Indem er am Schluss die Geltung seiner Theorie auf alle Tierarten ausweitet, hat er einen passenden Übergang zum zweiten Buch geschaffen, das mit einer kosmologischen Begründung der geschlechtlichen Fortpflanzung beginnt. Im Einzelnen sieht die Disposition aus wie folgt: Kapitel 17 = § 9 1. Teil: Formulierung der neuen Themenstellung: Frage nach Herkunft und Natur des Spermas und nach den Zeugungsbeiträgen der beiden Geschlechter überhaupt 2. Teil: Überleitung zur Diskussion der Pangenesislehre 3. Teil: Vier Hauptargumente für eine pangenetische Entstehung des Spermas Kapitel 18. 722a1– 724a13 = § 10: Widerlegung der Pangenesislehre Kapitel 18. 724a14– 726a18 = § 11: Entfaltung der eigenen Theorie zur Natur des Spermas Kapitel 19. 726a28 – 726b30 = § 12: Nahrung, aus der das (männliche) Sperma resultiert

 Zum Bruch der am Ende von Kapitel 16 gegebenen Disposition siehe oben, zur Stelle.

Kapitel 17 – 23. 721a30 – 731b14

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Kapitel 19.726b30 – 727a30 = § 13: Natur der Katamenien Kapitel 19.727a30 – 727b33 = §14: zusätzliche ‚martyria‘ zur Katamenien-Residuum-These Kapitel 20 = § 15: Wiederaufnahme der Diskussion der Pangenesislehre (Abwehr des ‚Lustarguments‘), Festigung der eigenen Position Kapitel 21 u. 22 = § 16: Wie leistet der männliche Partner seinen Zeugungsbeitrag? Kapitel 23 = § 17: Beschluss des ersten Buches mit Blick auf das gesamte Tierreich

3 Gliederungsmerkmale von 17 – 23 Die Großpassage 17– 23 ist gut gegliedert, wie die Struktur zeigt. Dem entsprechen eine Fülle von sprachlichen Markern, die als Gliederungsmerkmale dienen: Kapitel 17.–18. 724a13: Widerlegung der Pangenesislehre Abschlussbemerkung in 16 und Gliederung des folgenden Vorgehens am Beginn von 17: Die binary transition am Ende von Kapitel 16 fasst in ihrem ersten Teil alles Bisherige, abgesehen von der Einleitung, zusammen und bildet die erste große Zäsur der Abhandlung. Kapitel 18. 724a14– 18 Ende: Der männliche Samen ist ein perittoma (Antwort auf die Frage: τί ἐστιν) Die binary transition am Ende von Kapitel 17 und Beginn von Kapitel 18 (721b34– 722a3) trennt die Darstellung der Pangenesislehre von der Kritik an ihr. Aristoteles setzt seine der Widerlegung dienenden Argumente ab durch: πρῶτον μὲν οὖν (722a3 f.), dann mehrfach ἔτι (beginnend 722a16), Πρὸς δὲ τούτοις (723a23), Μέγιστον … τεκμήριον (723b19); gegen das erste Argument der Pangenetiker: Ὅτι δέ (723b32), gegen das zweite Argument der Pangenetiker: Τοῦ δέ (subst. Inf. 724a3).

Es gibt eine Abschlussbemerkung und einen Verweis auf das Folgende als Zäsur in 18. 724a7– 13. Mit der Fomulierung εὐθεώρητον (724a17) gibt Aristoteles dann eine Art von ‚Horizonteröffnung‘: Ist erst einmal die Frage des ‚τί ἐστιν‘ geklärt, lassen sich auch leichter Betrachtungen zu Leistung und Erscheinungsformen des Spermas anstellen.

Eine binary transition bildet den Übergang zu Kapitel 19.

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Kapitel 19 Das Menstruationsblut als Pendant zum männlichen Samen Binary transition am Übergang von Kapitel 18 und 19: Abschlussbemerkung am Ende von Kapitel 18 (726a26 – 28) und Nennung des Themas am Beginn von Kapitel 19 (726a28 f.): Von welcher ‚Nahrung‘ kommt das περίττωμα, was ist mit den Katamenien? Anschließend Entfaltung des Themas in Alternativfragen. Binary transition 727a2– 5: kündigt „Indizien“ (σημεῖα, 727a4 f.) an für die Katamenien-Residuum-These. Binary transition 727a30 – 32: kündigt zusätzliche martyria an für die Sperma- bzw. Katamenien-Residuum-These.

Binary transition c. 19/20. 727b31– 36: hält fest, dass der weibliche Zeugungsbeitrag im Bereitstellen der Materie besteht, und wiederholt die Katamenien-Residuums-These. Kapitel 20 Mit dem zweiten Teil der binary transition (727b33 – 36) wird die Auseinandersetzung mit der Pangenesislehre fortgesetzt. Der wie eine binary transition gebildete Beginn in 729a20 – 24, mit metatextlichem Rückverweis, der den weiblichen Zeugungsbeitrag betrifft, kündigt zusätzliche Bestätigung aus einer ‚allgemeinen Vernunftperspektive‘ heraus an. Kapitel 21 und 22 Binary transition (729a34–b2): Übergang zum Modus des männlichen Zeugungsbeitrags. 729b21 f.: Mit wörtlichem Anklang an die doppelte Ankündigung in 729b8 f. wird nach der ‚logischen‘ Ebene nun auch die Übereinstimmung mit den Tatsachen angekündigt. 729b33: Markant zu Satzbeginn wird mit Μέγιστον δὲ σημεῖον ein ‚stärkstes Indiz‘ aus einem anderen Bereich der Tierwelt angekündigt, das zugleich die These vom rein immateriell wirkenden männlichen Sperma belegt und die Pangenesislehre widerlegt. 730a24– 28: Beginn wie eine binary transition dient der doppelten ‚Resultatssicherung‘: Es wird sowohl die Pangenesislehre widerlegt als auch gezeigt, dass die Funktion des weiblichen Zeugungsbeitrags verschieden von der des männlichen ist. Die Formulierung hier ist zunächst auffallend abstrakt-allgemein und negativ gefasst, um dann, mit ἀλλά (730a28) eingeleitet, positiv die eigene Theorie und Ursachenzuordnung dagegenzustellen. Aus der so gesicherten eigenen Theorie wird nun eine weitere Kausalerklärung abgeleitet (διὰ γὰρ τοῦτο, 730a28).

Kapitel 17 – 23. 721a30 – 731b14

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730b23 – 26: Eine ‚kleine‘ binary transition verdeutlicht den Übergang der Darlegung von Sperma ejakulierenden zu nicht Sperma ejakulierenden Tieren. Kapitel 23 binary transition (730b33 – 731a2): Übergang von den getrenntgeschlechtlichen Tieren zu den Pflanzen 731b13 f.: Abschluss des 1. Buches mit einem metatextlichen Vorausverweis (als 1. Teil einer binary transition).

4 Argumentationsduktus und sprachliche Gestaltung von 17 – 23 Die Großpassage Kapitel 17– 23 weist eine gewisse Heterogenität im Duktus auf. Einerseits erscheint sie sorgfältig gegliedert, und die Gliederung ist durch Übergänge verdeutlicht. Dies zeugt von dem Bemühen, didaktisch ansprechend und verständlich zu sein. Dafür spricht auch, dass Aristoteles des öfteren redundant ist und mit vielen Beispielen arbeitet. Andererseits arbeitet er immer wieder mit Voraussetzungen, die nicht näher erläutert werden. Auch kommt hinzu, dass die in Fragekatalogen gegebenen Dispositionen nicht unbedingt eingehalten werden. Über weite Strecken ist der Charakter diskursiv, v. a. in Kapitel 17– 18, wo Aristoteles die Pangenesislehre widerlegt, und hat formale Züge, die mit der Provenienz des Verfahrens aus der Dialektik erklärt werden können.¹³¹ Diese Passage wirkt außerordentlich lebhaft und arbeitet mit sprachlich-stilistischen Strategien, die den Rezipienten intensiv mit einbeziehen. Die Diskursivität macht auch deutlich, dass Aristoteles sich mit der Frage nach dem weiblichen Zeugungsbeitrag in einen rezenten Diskurs einklinkt. Dabei erwähnt er Empedokles und Anaxagoras namentlich, wohingegen er auf hippokratische Anschauungen eingeht, ohne bestimmte Autoren oder Schriften anzuführen. Dabei erscheint in manchen Zügen seine Argumentation geradezu gegen eine Anschauung gerichtet, wie sie die hippokratische Schrift De genitura vertritt.¹³² Streckenweise hat Aristoteles’ Widerlegung rhetorische Züge, etwa wenn er mit direkten Fragen arbeitet und kurze, prägnante Sätze formuliert. Auch ist seine Darstellung nicht frei von Polemik, wenn er durch Übertreibung die Absurdität der gegnerischen These aufzeigt oder sie ironisiert.

 Vgl. oben, S. 46‒53, und Föllinger (1993) sowie Föllinger (2012).  Vgl. hierzu Föllinger (1993) 48 f.; 144 mit Anm. 159. Siehe auch Hammann (2022).

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Buch I

Kapitel 17. 721a30 – 722a1 = § 9: Themenstellung und die Argumente der Gegner (Pangenetiker): Diskursiver Duktus: Gegenposition wird deskribiert incl. der von der Gegenposition angeführten Indizien Kapitel 17 führt in die Problematik ein und nennt die Argumente der Gegenseite. Es beginnt folgendermaßen: Τὰ μὲν γὰρ προΐεται φανερῶς σπέρμα τῶν ζῴων οἷον ὅσα αὐτῶν ἔναιμα τὴν φύσιν ἐστί, τὰ δ’ἔντομα καὶ τὰ μαλάκια ποτέρως ἄδηλον. ὥστε τοῦτο θεωρητέον πότερον πάντα προΐεται σπέρμα τὰ ἄρρενα ἢ οὐ πάντα, καὶ εἰ μὴ πάντα, διὰ τίν’ αἰτίαν τὰ μὲν τὰ δ’ οὔ· καὶ τὰ θήλεα δὲ πότερον συμβάλλεται σπέρμα τι ἢ οὔ, καὶ εἰ μὴ σπέρμα, πότερον οὐδ’ ἄλλο οὐθέν, ἢ συμβάλλεται μέν τι, οὐ σπέρμα δέ. ἔτι δὲ καὶ τὰ προϊέμενα σπέρμα τί συμβάλλεται διὰ τοῦ σπέρματος πρὸς τὴν γένεσιν σκεπτέον καὶ ὅλως τίς ἐστιν ἡ τοῦ σπέρματος φύσις καὶ ἡ τῶν καλουμένων καταμηνίων, ὅσα ταύτην τὴν ὑγρότητα προΐεται τῶν ζῴων. Einige Tiere sezernieren augenscheinlich Samen, wie die, die ihrer Natur nach Blut führen, bei den Insekten aber und den Weichtieren ist es unklar, ob sie es tun. Deshalb muss man dies untersuchen: ob alle Männchen Samen sezernieren oder nicht alle, und wenn nicht alle, weswegen die einen und die anderen nicht. Und bei den Weibchen, ob sie irgendeinen Samen beitragen oder nicht, und wenn nicht Samen, ob sie auch nichts anderes, oder ob sie zwar etwas beitragen, aber nicht Samen. Ferner aber auch bezüglich der Samen Sezernierenden, was sie durch den Samen zur Zeugung beitragen, muss man untersuchen und im Allgemeinen, was die Natur des Samens ist und was die der sogenannten Katamenien bei den Lebewesen, die diese Flüssigkeit entleeren.

Aristoteles beginnt also mit einem Verweis auf die Empirie (721a30: φανερῶς): Blutführende Tiere verfügen über ein Sperma, das man sehen kann, im Unterschied zu den Insekten und Kephalopoden, der Gegenbegriff ist hier ἄδηλον. Diese Aussage steht im Widerspruch zu der früheren Behauptung (I 13. 720a9 f.), dass alle Tiere Sperma hervorbringen und also keine solche Differenz bestehe. Dieser Widerspruch ist vielleicht dadurch aufzulösen, dass sich Kapitel 13 nur auf die Bluttiere bezieht und die Behandlung der Blutlosen erst mit Kapitel 14 beginnt. Mit πάντα … τὰ ζῷα (720a10) wären dann, kontextbedingt, eben nur alle blutführenden Tiere gemeint.

Kapitel 17. 721a30 – 722a1

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Die einleitende Partikel γάρ (hier am besten mit „nämlich“ zu übersetzen) begründet die Themenstellung damit, dass es für manche Tiere eine Beobachtungslücke (721a32: ποτέρως ἄδηλον) gebe. Dies ist wiederum Anlass zu der Frage, ob es bei allen getrenntgeschlechtlichen Gattungen eine Samenproduktion gebe oder ob zu differenzieren sei. Diesem Vorgehen unterliegt das allgegenwärtige Prinzip des Untersuchungsgangs, stets nach dem Bestehen oder Nichtbestehen von Unterschieden und dann jeweils nach den Gründen zu fragen.¹³³ Auch entspricht es dem auch sonst typischen Ausgangspunkt eines Paragraphen, dass die methodische Forderung θεωρητέον (721a32 f.) gebraucht wird, um den Untersuchungsgegenstand zu formulieren. Dies geschieht in Form eines ausdifferenzierten Fragenkatalogs, und Aristoteles stellt, trotz des folgenden ‚logischen‘ Anschlusses (721a32: ὥστε), mehr Fragen, als die logisch erwartbare Alternativfrage, ob alle Tiere Samen haben oder nicht, erwarten lässt. Dabei sind ‚problematische‘, d. h. mit „ja“ oder „nein“ zu beantwortende Fragen, die auf das dialektische Verfahren zurückweisen,¹³⁴ mit solchen verbunden, die nach dem Grund für eine eventuelle Nichtexistenz fragen, und solche, die nach der Natur des Samens fragen (721a30–b13). Diese Fragen schließen zwar sinnvoll aneinander an und entsprechen dem aitiologischen Charakter der Schrift,¹³⁵ stellen aber eben eine Erweiterung der eigentlichen Ausgangsfrage dar. Da auch die Behandlung der Frage, was die Natur der Katamenien sei, in Aussicht gestellt wird, wird

 Im Eingangssatz tritt wieder die Großklassifikation des Tierreichs hervor, wobei man im zweiten Teil die Unterklasse ‚Crustacea/Malakostraka‘ der blutlosen Tiere vermissen könnte (während die Testacea/Ostrakoderma als nach I 1 nicht im eigentlichen Sinne getrenntgeschlechtliche Tiere für die Produktion von Sperma i. e. S. nicht in frage kommen) – der Status der Crustacea bzgl. der Beobachtbarkeit einer Samenproduktion bleibt offen.  Vgl. oben, S. 46‒53.  In 721a32 f. erfolgt ein zwangloser Übergang von spermaproduzierenden Tieren i. Allg. zunächst zu nur den männlichen Tieren – bereits im ersten Satz sind offenbar nur männliche Tiere gemeint. Dennoch bleibt die Frage, wie sich die weiblichen Tiere bzgl. der Frage der Samenproduktion verhalten – und diese wird direkt angeschlossen, und zwar in Form einer doppelten Dihärese, die den Fall ‚kein Sperma beitragend‘ weiter unterscheidet in ‚gar nichts positiv beitragend‘ und ‚etwas bestimmtes (τι, 721b2) Fortpflanzungsbezogenes beitragend, aber – dies ist klar (und redundant) – eben kein Sperma‘. Mit ‚ἔτι‘ angeschlossen ist die – naheliegende – Frage nach der hier als ‚Beitrag‘ bezeichneten allgemeinen Funktion des Spermas (wörtlich: was tragen die spermaproduzierenden Tiere durch das Sperma zur Fortpflanzung bei), welche maßgeblich ist für die Natur des Spermas; die Frage nach der Natur der Katamenien wird zwanglos und erweiternd angeschlossen. Die Frage nach dem Beitrag, der durch das Sperma für die Fortpflanzung geleistet wird, ist zugleich auch die nach der Ursache für das Hervorbringen von Sperma überhaupt und komplementiert so die oben gestellte Frage nach der Ursache für eine eventuell vorliegende Differenz (im beschriebenen Sinne).

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Buch I

deutlich, dass Aristoteles das Ziel des Beweisganges schon im Auge hat.¹³⁶ Die hierarchische Gestaltung des Fragenkataloges sowie das organisierte Durchgehen der aufgestellten Fragen zeigt eine übergeordnete und strukturierende Planung, die man als Frucht der Überführung mündlich-dialektischer Ansätze in schriftliche Form bezeichnen kann.¹³⁷ Allerdings wird dieser Katalog im Folgenden nicht streng durchgehalten werden, was man als Zeichen eines prozessualen und spontanen Vorgehens werten kann.¹³⁸ Die Notwendigkeit und implizite Aufforderung ausdrückenden Verbaladjektive θεωρητέον (721a32 f.) und σκεπτέον (721b3) weisen schon auf das Prozessuale der folgenden Ausführungen hin, wobei gemäß De caelo I 10 der (imaginäre) Rezipient mit eingebunden wird. Dieser Duktus wird weitergeführt mit ἐπισκεπτέον (721b11), das die Frage nach der Berechtigung der Pangenesislehre einführt. Die Diskussion der Pangenesislehre leitet Aristoteles mit Hinweis auf eine communis opinio (Δοκεῖ, 721b6) ein.¹³⁹ Dabei, so lässt sich vermuten, bezieht er sich nicht nur auf die im Folgenden genannten Vorsokratiker, sondern auch auf die nicht namentlich genannten ‚medizinischen‘ Autoren.¹⁴⁰ Daraufhin spricht er von ἐπειδή φασί τινες (721b11). Mit dem Signalwort Δοκεῖ (721b6), das aus methodischer Perspektive eine dialektische Prämisse einleiten würde, beginnt Aristoteles die Diskussion: Es sei eine anerkannte Meinung, dass alles aus Samen entstehe, dieser aber wieder aus den Erzeugern.¹⁴¹ Damit kann er die Verbindung zur Pangenesislehre herstellen. Denn die Frage, ob Männchen und Weibchen oder nur eines von beiden Samen beitragen, gehöre demselben Argumentationsgang (λόγος) an wie die Frage, ob der Samen vom ganzen Körper komme oder nicht: Der Grund liegt in der durch Konsens gut begründeten (der hier gebrauchte Begriff εὔλογον stammt auch aus der dialektischen Methode¹⁴²), d. h. der vom imaginären Gesprächspartner bzw.

 Dass es Aristoteles auch darauf ankommt zu beweisen, dass der weibliche Beitrag nicht im Samen besteht, wird deutlich in der doppelten Dihärese in 721a33 – 36, in der „kein Sperma“ wiederholt wird.  Vgl. hierzu oben, S. 46‒53.  Zum Folgenden vgl. Föllinger (1993) 272– 276 und Föllinger (2012) 241 f.  Vgl. auch Peck (1943) 49: „It is generally held“.  Peck (1943) 51 Anm. a denkt an De genitura (Kapitel 3 und 8) und weist auf Demokrit (DK 68 A 141 und 68 B 32) und die hippokratische Schrift Peri aerōn hydatōn topōn 16 hin.  Möglicherweise steht Aristoteles hier der Anfang der hippokratischen Schrift De genitura vor Augen: Νόμος μὲν πάντα κρατύνει· ἡ δὲ γονὴ τοῦ ἀνδρὸς ἔρχεται ἀπὸ παντὸς τοῦ ὑγροῦ τοῦ ἐν τῷ σώματι ἐόντος τὸ ἰσχυρότατον ἀποκριθέν· τούτου δὲ ἱστόριον τόδε, ὅτι ἀποκρίνεται τὸ ἰσχυρότατον, ὅτι ἐπὴν λαγνεύσωμεν σμικρὸν οὕτω μεθέντες, ἀσθενέες γινόμεθα.  Vgl. oben, S. 46‒53 und Föllinger (1993) 279.

Kapitel 17. 721a30 – 722a1

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Rezipienten als zugestanden gedachten Voraussetzung, dass der Samen, wenn er nicht vom ganzen Körper komme, auch nicht von beiden Elternteilen kommen könne (721b10 f.). Diese Prämisse erscheint auf den ersten Blick eigentlich nicht εὔλογον zu sein. Denn man könnte sich ja vorstellen, dass der Samen von beiden Partnern, aber nur von je bestimmten Körperteilen kommt. Erst nach Aristoteles’ folgendem Gedankengang versteht man (vielleicht), warum die beiden Fragen zusammengehören. So kommt er in 724a9 f. darauf zurück, allerdings nicht in Form einer ordnungsgemäßen Schlussfolgerung. Vielmehr folgert er hier, wenn das Weibchen keinen Samen beitrage, dann bedeute dies genauso, dass nicht der ganze Körper beitrage. Damit dreht er die Implikationsrichtung dann (724a9 f.) einfach herum. Dies ist eigentlich unter dem Gesichtspunkt einer ‚ordentlich verlaufenden‘ Logik kein ordnungsgemäßes Verfahren, wird aber von ihm als οὐθὲν ἄλογον bezeichnet. In jedem Fall hat Aristoteles am Beginn von Kapitel 17 die Verbindung von seinen Ausgangsfragen zur Widerlegung der Pangenesislehre hergestellt. Gegen diese geht er im Folgenden auf dialektische Art und Weise vor. Dabei bringt er vier mögliche Beweise¹⁴³ von Seiten der Vertreter der Pangenesislehre an, die er als τεκμήρια bezeichnet (721b13). Τεκμήρια sind, nach der Klassifizierung der Rhetorik und der Analytica priora ¹⁴⁴ ‚zwingende Indizien‘, also solche, aus denen sich eine gültige Deduktion herstellen lässt. Aber wie Aristoteles’ eigene Kritik an den gegnerischen Argumenten zeigt, sieht er selbst sie nicht unbedingt als ‚wirkliche‘ tekmēria an. Auffällig ist die sprachliche Gestaltung. Denn durch die mit τις erfolgende Formulierung (wiederaufgenommen in: φασί τινες, 721b11; φασίν, b19; πιστεύουσί τινες, 722a1) verlebendigt Aristoteles die Ausführungen. In der Verwendung der Ausdrücke τινές, πιστεύειν, δόξα schwingt bereits eine gewisse Distanzierung von den in der 3. Ps. Pl. nur unbestimmt genannten Vertretern dieser Theorien mit. Dagegen wird in 721b11 der mögliche Vertreter der Gegenthese, wenn auch anonym, auf neutrale Weise personalisiert (721b11– 722a1). Insgesamt ermöglicht die Vorgehensweise dem Rezipienten, an der Diskussion tatsächlich wie ein Prozessteilnehmer, der sich seine eigene Meinung bilden soll, teilzunehmen.¹⁴⁵ Auffällig ist, dass Aristoteles die gegnerischen Argumente ausführlich referiert, ohne sie gleich lächerlich zu machen. Damit verleiht er der dann folgenden Widerlegung um so mehr Gewicht.

 Vgl. ‚πρῶτον‘ (721b14), ‚ἔτι‘ (721b17), ‚πρὸς δὲ τούτοις‘ (721b20) und ‚ἔτι δέ‘ (721b24).  Rh. I 2. 1357b1– 25; s. a. APr. II 27.  Vgl. dazu oben, S. 49 f.

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Buch I

Als erstes Indiz der ‚Gegner‘ wird die Heftigkeit der Lust genannt: Wenn ein und dieselbe Affektion in größerem Umfang entstehe, so sei sie auch in höherem Maße lustvoll. In größerem Umfang aber entstehe diejenige Affektion, die sich durch alle Teile ergibt, als die, die sich nur durch einen oder wenige Teile ergibt. Aristoteles referiert hier offenbar die Schlussweise gewisser Vertreter der Pangenesislehre. Der Schluss auf alle Teile statt nur auf eine Mehrzahl von Teilen setzt hierbei eine nicht steigerungsfähige Intensität der Lust voraus. Auch das zweite Argument der Gegner wird zunächst schlagwortartig angeführt, um dann wieder die entsprechende schlussfolgernde Argumentation mit γάρ anzuschließen: Aus verstümmelten Tieren entstünden auf die gleiche Weise verstümmelte Tiere, was mit der pangenetischen Entstehungsweise des Spermas zu erklären sei. Hier wird unter der Hand die Pangenesislehre dahingehend näher spezifiziert, dass das Sperma nicht einfach nur von allen Körperteilen herrührt, sondern dass derjenige Anteil des Spermas, der von einem bestimmten Teil herrührt, auch wiederum verantwortlich ist für die Ausbildung des entsprechenden Teils in den Nachkommen (721b19 f.). Nur mit dieser näheren Bestimmung der Lehre hat sie auch Erklärungskraft für das als Indiz angeführte Phänomen. Ein weiteres gegnerisches Argument ist die Ähnlichkeit mit den Eltern. Hier verwendet Aristoteles zunächst den Indikativ, formuliert aber dann den Analogieschluss in Form eines unpersönlichen Potentialis (721b22– 24). Die in 2. vorgenommene Spezifizierung der Pangenesie wird auch hier weiter vorausgesetzt. Bei der Formulierung des vierten gegnerischen, eine Analogie verwendenden Argumentes¹⁴⁶ lässt Aristoteles wiederum durch den Gebrauch des Potentialis schon eine gewisse Distanzierung erkennen. Als einziges der vier Indizien wird es nicht mit einem prägnanten Schlagwort eingeführt.

Aristoteles’ Distanzierung wird weiter darin deutlich, dass er die vier Argumentationen im Folgenden als δόξαι (721b28) bezeichnet und die Haltung gegenüber den (aus moderner Sicht etwas unglaubwürdigen¹⁴⁷) tekmēria durch πιθανά (721b28) und πιστεύουσί τινες (722a1) qualifiziert.

 Genau genommen aber ist dieser vierte Beweis kein eigener Beweis, sondern ein Syllogismus, der das dritte Argument als Prämisse voraussetzt: Kinder ähneln ihren Eltern in einzelnen Zügen wie im Ganzen; es gibt Samen, der die Ähnlichkeit mit dem Ganzen vermittelt; also muss auch Samen für die Ähnlichkeit im Einzelnen verantwortlich sein.  So sehen die Gegner offensichtlich die Vererbung erworbener Eigenschaften wie Narben als Indiz für die Richtigkeit ihrer Theorie an.

Kapitel 18. 722a1 – 724a13

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Kapitel 18. 722a1 – 724a13 = § 10: Widerlegung der Pangenesislehre Die Widerlegung setzt pointiert mit der Behauptung ein, das Gegenteil sei eher der Fall. Aristoteles formuliert in geschickter Weise (722a1) mit den eine Distanzierung vermittelnden Worten: Φαίνεται δ᾿ ἐξετάζουσι τὸν λόγον. Damit wird Objektivität suggeriert, die den ‚von einem Standpunkt Dritter aus Urteilenden‘ zukommt. Dies sind aber die Rezipienten, die den Worten von De caelo gemäß die Position von ‚Richtern‘ einnehmen.¹⁴⁸ In der nachgeschobenen Begründung (722a2: γάρ) tritt Aristoteles mit einem souveränen doppelten Anspruch der Widerlegbarkeit der Pangenesislehre auf: Es sei nicht schwierig, die logische Argumentation der Gegenseite zu widerlegen und darüber hinaus zu zeigen, dass sie absurde Konsequenzen nach sich ziehe. Der Terminus λύειν, der hier (722a2) im Sinne von ‚Argumente widerlegen‘ gebraucht wird, kommt aus der Dialektik, wo er für den Fragenden verwandt wird. Außerdem bedient Aristoteles sich weiterer aus der Topik stammender¹⁴⁹, also ‚technischer‘ Begriffe: ἐξετάζειν, συμβαίνειν, ἀδύνατα (im Zusammenhang mit einer reductio ad absurdum). Sie untermauern den souveränen Anspruch, der insbesondere in der wertenden Wendung οὐ χαλεπόν (722a2) zum Ausdruck kommt. Dieser den Autor als überlegenen Wissenschaftler darstellenden Ausdrucksweise entspricht es im Folgenden, dass trotz des Objektivität suggerierenden Beginns die Argumentation in ihrem Verlauf streckenweise einen sehr direkten Charakter gewinnt, der Aristoteles’ eigene Stellungnahme verdeutlicht. Sie endet mit 724a13. In ihr spielt der Verweis auf empirische Fakten, die den Meinungen der Gegner widersprechen, eine zentrale Rolle. Sie beweisen, dass das ‚Vertrauen‘ (721b28: πιθανά; 722a1: πιστεύουσι) der Gegner auf ihre ‚Indizien‘ wissenschaftlicher Überprüfung nicht standhält. Dabei wird der in der Topik ¹⁵⁰ gegebene Ratschlag, gleich mehrere parallele Argumente zu gebrauchen, um möglichst alle etwaigen Einwände von vornherein auszuschalten, befolgt. Die Partikel ἔτι („außerdem“) ist der Indikator für ein paralleles Argument. Die Gegenargumente richten sich in der Reihenfolge nun nicht nach der Reihung, die Aristoteles für die Argumente der Pangenesislehre vorgenommen hat, sondern verlaufen folgendermaßen:

 Vgl. oben, S. 50.  S. z. B. Top. VIII 8. 160b7 f. (πολλοὺς γὰρ λόγους ἔχομεν ἐναντίους ταῖς δόξαις, οὓς χαλεπὸν λύειν); I 2. 101b3 (ἐξεταστικὴ γὰρ οὖσα); II 7. 113a22 f. (ἀδύνατον γὰρ τὰ ἐναντία ἅμα τῷ αὐτῷ ὑπάρχειν); συμβαίνειν passim.  Top. VIII 14. 163 b4– 9.

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Erstes Gegenargument (722a3 – 16) Das erste Gegenargument richtet sich gegen das dritte und vierte Argument der Pangenesislehre: Ähnlichkeit ist kein Indiz für die Pangenesis, weil sie auch dort besteht, woher kein Samen kommen kann, wie den Nägeln, den Haaren oder dem Habitus. Mit dem Begriff σημεῖον (722a4) verwendet Aristoteles einen weiter gefassten Begriff als τεκμήριον.¹⁵¹ Darüber hinaus gibt es Charakteristika, die die Eltern erst später bekommen, wie z. B. graue Haare. Diese beiden ersten Gegenargumente zielen auf eine extreme Form der Pangenesislehre, indem sie sie stillschweigend voraussetzen. Der Grund dafür ist wohl darin zu suchen, dass sie in dieser Form leichter angreifbar ist. Es bestehen Ähnlichkeiten zu weiter zurückliegenden Generationen. Als einziges, allerdings besonders eindrückliches Beispiel (722a9: οἷον) hierfür wird anekdotisch der Fall einer weißhäutigen Frau genannt, aus deren Verbindung mit einem schwarzhäutigen Mann eine weiße Tochter hervorging, deren Sohn wiederum schwarze Haut hatte. Dieses Argument erscheint schlagend: Von der schwarzen Haut des Großvaters kann kein Sperma bei der Zeugung des Enkels gekommen sein, und die Mutter bzw. deren nicht genannter, aber stillschweigend als weiß angenommener Partner hatte keine dunkle Haut, von der die dunkle Hautfarbe des Sohnes induzierendes Sperma hätte kommen können. Mit καὶ … δέ angeschlossen folgen zwei weitere Gegenargumente, die die Pangenesislehre auf die Flora ausdehnen und auf eine zu den ersten beiden Gegenargumenten analoge Weise (722a11: ὁ αὐτὸς λόγος) gebildet sind. Der Vergleich mit der Botanik besagt, dass Aristoteles nach einer Begründung sucht, die für alle Lebewesen, die sich geschlechtlich fortpflanzen, gilt. Damit hat er einen weiteren Fokus als die medizinischen Autoren, deren Thema der Mensch war.

Zweites Gegenargument (722a16–b3) Im nächsten Gegenargument erweist Aristoteles die Unmöglichkeit, dass der Samen von einem der beiden körperkonstituierenden Teile, nämlich Anhomoiomeren und Homoiomeren, kommen könne (722a16 ff.). Dabei spielt er alle drei Möglichkeiten durch: Der Samen kommt jeweils nur von den Anhomoiomeren oder er kommt von den Homoimeren, oder er kommt von beidem. Homoiomere

 Vgl. APr. II 27, v. a. 70b1 ff., wo das τεκμήριον als eine von drei Formen des σημεῖον erscheint. Vgl. auch oben, S. 65 f.

Kapitel 18. 722a1 – 724a13

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sind nach Aristoteles Körperbestandteile, bei denen jeder Teil aus der gleichen Substanz besteht, etwa Fett, Blut, Fleisch und Sehnen. Anhomoiomere, wie Kopf, Hände und Augen, bestehen aus verschiedenartigen Bestandteilen. Dass es diese beiden Bestandteile sind, die die Körper ausmachen, und dass die Homoiomere aus den Elementen bestehen, setzt Aristoteles offenbar als bekannt voraus.¹⁵² Die Darstellungsweise dieser Passage ist in besonderer Weise lebendig und vermittelt intensiv den Eindruck, der Rezipient solle in den Reflexionsprozess einbezogen werden. Nach dem einleitenden ἔτι (722a16) erfolgt die Fragestellung in der Form einer problēma- Frage (a16 – 18), der eine Erweiterung angeschlossen wird:¹⁵³ Ἔτι πότερον ἀπὸ τῶν ὁμοιομερῶν μόνον ἀπέρχεται ἀφ᾿ ἑκάστου, οἷον ἀπὸ σαρκὸς καὶ ὀστοῦ καὶ νεύρου, ἢ καὶ ἀπὸ τῶν ἀνομοιομερῶν, οἷον προσώπου καὶ χειρός; Ferner ob (der Samen) nur von den Homoiomeren kommt – von jedem, wie von Fleisch, Knochen, Sehne – oder auch von den Anhomoiomeren wie Gesicht und Hand?

Nun werden die einzelnen Möglichkeiten als unhaltbar erwiesen (a18 ff.): εἰ μὲν γὰρ ἀπ᾿ ἐκείνων μόνον – ἐοίκασι δὲ μᾶλλον ταῦτα τοῖς γονεῦσι [τὰ ἀνομοιομερῆ οἷον πρόσωπον καὶ χεῖρας καὶ πόδας]· εἴπερ οὖν μηδὲ ταῦτα τῷ ἀπὸ παντὸς ἀπελθεῖν, τί κωλύει μηδ᾿ ἐκεῖνα τῷ ἀπὸ παντὸς ἀπελθεῖν ὅμοια εἶναι, ἀλλὰ δι᾿ ἄλλην αἰτίαν; εἰ δ᾿ ἀπὸ τῶν ἀνομοιομερῶν μόνον – οὔκουν ἀπὸ πάντων. προσήκει δὲ μᾶλλον ἀπ᾿ ἐκείνων· πρότερα γὰρ ἐκεῖνα καὶ σύγκειται τὰ ἀνομοιομερῆ ἐξ ἐκείνων, καὶ ὥσπερ πρόσωπον καὶ χεῖρας γίγνονται ἐοικότες οὕτω καὶ σάρκας καὶ ὄνυχας. εἰ δ᾿ ἀπ᾿ ἀμφοτέρων, τίς ὁ τρόπος ἂν εἴη τῆς γενέσεως; σύγκειται γὰρ ἐκ τῶν ὁμοιομερῶν τὰ ἀνομοιομερῆ ὥστε τὸ ἀπὸ τούτων ἀπιέναι τὸ ἀπ᾿ ἐκείνων ἂν εἴη ἀπιέναι καὶ τῆς συνθέσεως· Wenn nämlich nur von jenen ‒ sie ähneln aber eher in diesen den Eltern (in den Anhomoiomeren wie Gesicht, Händen und Füßen). Wenn wirklich also in diesen nicht deshalb, weil er vom ganzen (Körper) herkommt, was hindert es, dass sie auch in jenen nicht deshalb ähnlich sind, weil er vom ganzen Körper kommt, sondern aus einem anderen Grund? Wenn aber nur von den Anhomoiomeren ‒ also nicht von allen. Es ist aber passender von jenen. Früher nämlich sind jene, und die Anhomoiomere sind aus ihnen zusammengesetzt, und wie sie an Gesicht und Händen

 Vgl. GA I 1. Aristoteles wendet den Begriff ‚homoiomer‘ auch auf die – von den vier Elementen des Empedokles zu unterscheidenden – Grundstoffe des Anaxagoras an (Ph. I 4), der aber diesen Begriff selbst nicht kannte, vgl. Hafemann (1998) 293.  Zum Folgenden vgl. Föllinger (1993) 274 f. und Föllinger (2012) 241 f.

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ähnlich werden, so auch bezüglich des Fleisches und der Nägel. Wenn aber von beiden ‒ wie sollte die Art und Weise der Entstehung sein? Denn die Anhomoiomere sind aus den Homoiomeren zusammengesetzt, so dass die Tatsache, dass er von diesen herstammt, wohl aufs Gleiche hinauskommt, dass er von jenen herstammt und von der Zusammensetzung.

Die erste mögliche Position der problēma-Frage wird durch die Empirie widerlegt: Wenn der Samen nur von den Homoiomeren käme, müssten die Kinder den Eltern vor allem in Bezug auf diese ähnlich sehen, also etwa in Bezug auf Fett und Sehnen. Doch die Empirie zeigt, dass sie sich eher in Bezug auf die Anhomoiomere, also Gesicht u. a., ähneln. Aristoteles lässt es aber nicht damit bewenden, sondern erweist die Pangenesislehre in einem weiteren Schritt als unzureichend: Wenn gewisse Ähnlichkeiten bezüglich der anhomoiomeren Teile nicht auf der pangenetischen Entstehung des Spermas beruhen, dann ‚hindert nichts‘, dass auch Ähnlichkeiten von Teilen, von denen Sperma herrührt, nicht eben hierauf beruhen und damit nicht mit der pangenetischen Herkunft des Samens, sondern anders zu erklären sind. Dieser zusätzliche Schritt wirkt, vor allem durch die Formulierung als rhetorische Frage (722a21 f.: τί κωλύει) und in seiner Radikalisierung, suggestiver als eine bloße reductio ad absurdum. Diese Widerlegungsstrategie ist geschickt. Denn in dieser Weise lässt sich jedes theoretische Modell denunzieren, das einen einheitlichen Bereich der Phänomene – in diesem Fall die Ähnlichkeitsphänomene zwischen Nachkommen und Eltern –, den es zu erklären beansprucht, nicht vollständig zu erklären vermag.¹⁵⁴ Auf jeden Fall reicht es hier nicht aus, mit einer einfachen reductio ad absurdum zu arbeiten, weil die homoiomeren Teile bereits den ganzen Körper ausmachen. Die zweite Widerlegung lautet: Käme das Sperma nur von den Anhomoiomeren, dann käme es nicht von allen Körperteilen, was wiederum ein Widerspruch zur Grundvoraussetzung der Pangenesislehre ist. Diese zweite Widerlegung erfolgt also ebenfalls durch eine reductio ad absurdum. Aber auch hier belässt es Aristoteles nicht bei einem schlichten Aufweis eines Widerspruchs, sondern er betont, dass eher (μᾶλλον, 722a24, vgl. a19) als der zweite der erste Fall gelten müsste – der ja aber bereits als unmöglich erwiesen ist. Es ist nun interessant zu beobachten,¹⁵⁵ wie Kennzeichen schriftlicher Ausformung – auf der einen Seite höherer Planungsaufwand in Form ausgeführter

 Vgl. Vegetti (1993), der aufzeigt, dass Aristoteles immer wieder rhetorisch vorgeht.  Diese Einordnung basiert auf Föllinger (1993) 279 f. ‚Sprache der Nähe‘ bedeutet dabei nicht, dass der ‚Sitz im Leben‘ unbedingt mündlich gewesen sein muss, sondern umfasst verschiedene Charakteristika, die strukturell ‚mündlich‘ sind, unabhängig davon, ob der Kontext der Vermittlung tatsächlich mündlich oder schriftlich ist. Vgl. hierzu oben, S. 51.

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Disjunktionen, auf der anderen Seite syntaktische Ellipse durch Weglassen des Verbs in allen drei Protaseis – Hand in Hand gehen mit Elementen, die typisch für eine ‚Sprache der Nähe‘ sind.¹⁵⁶ So ist für die unmittelbare Gedankenführung die Aposiopese bei der ersten Widerlegung bezeichnend. Hier ist sprachlich nicht expliziert, dass die Kinder bei der Annahme, der Samen komme nur von den Homoiomeren, den Eltern vor allem in diesen ähnlich sehen müssten.Vielmehr ist unter Weglassung dieses Gedankens nur das empirische Phänomen sprachlich expliziert, dass die Kinder den Eltern eher bezüglich der Anhomoiomere ähnlich sehen.¹⁵⁷ Dies aber entspricht, wie ebenfalls nicht weiter ausgeführt wird, der Voraussetzung. Bei beiden Widerlegungen wird noch eine weitere, logisch eigentlich nicht notwendige Bestätigung für das Ergebnis angehängt (εἴπερ, 722a21 bzw. προσήκει, 722a24). Diese Parallelargumentation soll die Schlagkraft der Widerlegung erhöhen. Demselben Ziel dient auch die Erörterung einer dritten Annahme, die nun folgt. Eine solche ist eigentlich bei einer problēma-Frage unzulässig, und sie war auch nicht im vorherigen Fragenkatalog aufgeführt. Aber sie geht auf die letzte aller Möglichkeiten ein, die sozusagen nachträglich eingeschoben wird. Während der erste Fall mit einfachem Verweis auf die Empirie und der zweite mehr oder weniger (begriffs‐)analytisch als unmöglich erwiesen wurden, wird nun durch die Frage, wie die Annahme des 3. Falles konkret zu denken sei, ein nichttriviales – und von den Vertretern der Pangenesislehre gar nicht oder wenigstens nicht befriedigend beantwortetes – Problem aufgeworfen. Dies zeigt auch die stilistische Gestaltung an: Nach der – wie in den beiden vorhergehenden Fällen – elliptischen Protasis folgt unmittelbar eine (wieder) aporetisch wirkende Frage im Potentialis (722a27 f.): τίς ὁ τρόπος ἂν εἴη τῆς γενέσεως. Dadurch wird suggeriert, dass es unmöglich ist, eine einfache Antwort zu geben. Dem Wortlaut nach ist die Frage offen gestellt und zieht den Rezipienten weiter in einen Überlegungsprozess hinein. Zunächst wird das Problem präzisiert: Da die anhomoiomeren Teile aus den homoiomeren zusammengesetzt sind, bedeutet die Annahme des 3. Falls, dass das Sperma von den homoiomeren Teilen und von deren Art und Weise der Zusammensetzung, also von etwas nicht Materiellem, herrührt. Aristoteles verwendet nun einen expliziten und leicht fasslichen Vergleich mit der Dreistufigkeit ‚geschriebenes Wort – Silbe – Buchstabe‘. Dass der Begriff

 Vgl. Föllinger (1993).  Das veranlasste Peck wohl zu der Ergänzung (s. den kritischen Apparat der Ausgabe von H. J. Drossaart Lulofs, Oxford 1972 [11965]).

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für Buchstabe ‚στοιχεῖον‘ derselbe ist, der auch ein körperliches Element bezeichnet, dürfte ein Grund für die Wahl dieses Vergleiches gewesen sein. Der Abschlusssatz des dritten Falls (722b1– 3) und damit dieses Gegenarguments insgesamt klingt wie eine vage Vorahnung der Genexpression: Ein unbekanntes Etwas, das möglicherweise die Zusammensetzung, die ‚Synthese‘, der Elemente zu Geweben und Organen im Nachhinein bewerkstelligt, wäre dann wohl die eigentliche Ursache für die Ähnlichkeiten – nicht aber die Pangenese. Die Formulierung im Potentialis suggeriert hier eine Art von Gedankenexperiment, an dem der Rezipient teilnimmt, in dem Sinne: ‚Wenn aber irgendetwas diese bestimmte Zusammensetzung im Nachhinein bewerkstelligt, so wäre ja wohl dieses kausal für die Ähnlichkeit‘. Er bekommt damit auch eine erste Vorahnung, dass dieser Punkt Aristoteles für seine eigene Theorie wichtig sein wird.

Drittes Gegenargument (722b3 – 30) Das nächste Gegenargument kommt etwas unvermittelt und bringt eine neue Perspektive: Es möchte die Absurdität der Vorstellung aufzeigen, dass bei der Annahme, beide Geschlechter hätten Samen, die einzelnen Glieder im Samen getrennt vorliegen. Hier ist allerdings die Alternativfrage, die – der Rezipient ahnt es schon – für jeden Fall der Antwort wiederum auf eine Aporie bzw. Unmöglichkeit hinauslaufen wird, gar nicht explizit gestellt.¹⁵⁸ Vielmehr werden die beiden Alternativen sogleich und in aller Kürze abgehandelt und jeweils ad absurdum geführt, im ersten Fall in Form einer rhetorischen Frage (722b3 – 6): Ἔτι εἰ μὲν διεσπασμένα τὰ μέρη ἐν τῷ σπέρματι πῶς ζῇ; εἰ δὲ συνεχῆ ζῷον ἂν εἴη μικρόν. καὶ τὰ τῶν αἰδοίων πῶς; οὐ γὰρ ὅμοιον τὸ ἀπιὸν ἀπὸ τοῦ ἄρρενος καὶ τοῦ θήλεος. Ferner wenn die Glieder im Samen getrennt vorliegen, wie leben sie? Wenn aber miteinander verbunden, wäre es wohl ein kleines Lebewesen. Und wie ist es mit den Geschlechtsorganen? Freilich ist das, was vom Männchen herkommt, nicht gleich dem, was vom Weibchen kommt.

 Sie würde in etwa lauten: πότερον διεσπασμένα τὰ μέρη ἐν τῷ σπέρματι ὑπάρχει ἢ συνεχῆ; und beruht auf der Grundunterscheidung der antiken Mathematik zwischen diskreter und kontinuierlicher Quantität.

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Die Sätze werden, wie man sieht, kürzer, es geht ‚Schlag auf Schlag‘. So wird die erste Widerlegung als Frage formuliert, die die Unhaltbarkeit der Annahme schon beinhaltet: „Ferner wenn die Glieder im Samen getrennt vorliegen, wie leben sie“? Diese Passage suggeriert die Spontaneität einer Diskussion, die den Rezipienten geradezu in einen ‚Gerichtsprozess‘ über die verschiedenen Positionen hineinzieht und die dazu dient, Klarheit zu bekommen über den Weg, auf dem Aristoteles seine eigene Anschauung herleitet. Dabei wird die Antwort den Rezipienten selbst überlassen, etwa für die Frage, wie man sich auf der Grundlage der Pangenesislehre die Entstehung der Geschlechtsorgane vorstellen solle. Wenn man diese kurz gehaltene, mit Enthymemen arbeitende Passage entfalten würde, um sich den logischen Duktus klar zu machen, könnte dieser wohl folgendermaßen aussehen: Die Pangenesistheorie wird in Hinblick auf eine bestimmte Frage, die Art und Weise der Pangenese betreffend, konkretisiert und ähnelt strukturell darum dem vorigen Gegenargument (722a16–b3): Liegen die ‚Teile‘ im Sperma diskret verteilt (wörtlich: „auseinandergerissen“) vor, wie können sie dann noch ‚leben‘? Hier liegt wohl der Gedanke zugrunde, dass, da ‚im Großen‘ einzelne Körperteile, vom Gesamtorganismus getrennt, nicht überlebensfähig wären, dies hier, ,im Kleinen‘, analog auch nicht möglich ist. Vor allem aber ist stillschweigend unterstellt, dass überhaupt etwas in vollem Sinne Lebendiges im Sperma vorliegen muss (aus dem sich dann das neue Lebewesen weiter entwickeln kann). Der 1. Fall ist so bereits ausgeschlossen, nur der 2. wird, zunächst, weiter verfolgt: Bei kontinuierlicher Verbindung der Körperteile miteinander ergäbe sich (wieder zurückhaltend im Potentialis formuliert), dass bereits ein kleines Lebewesen im Samen vorläge. Dies wird zwar nicht als vollkommen ausgeschlossen dargestellt; aber die sogleich gestellte Anschlussfrage, die die Art und Weise der Bestimmung der Geschlechtsteile aufwirft, erscheint als im Rahmen der Pangenesislehre ungelöstes Problem. Dies wird angedeutet durch die verknappte Formulierung der Frage mit einem durch die Nachstellung betonten Interrogativum. Mit γάρ (722b5) nachgeschoben wird die Begründung, warum hier ein echtes Problem besteht: Das vom männlichen und das vom weiblichen Partner ausgehende Sperma sind nicht gleich (im Blick auf die Repräsentation der Geschlechtsteile). Hierbei ignoriert Aristoteles die Epikratietheorie der Hippokratiker. Er setzt stillschweigend voraus, die Pangenesislehre impliziere, dass Sperma von beiden Geschlechtspartnern ausgeht.¹⁵⁹ Mit ἀμφότερα sind die beiden Geschlechter gemeint. Denn diese Passage dient dem Nachweis, dass die Annahme, Männchen und Weibchen trügen beide

 Vgl. oben zu Kapitel 17.

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auf dieselbe Weise zur Zeugung bei, unsinnig ist. Dabei wird als mögliche Spezifizierung der Pangenesis hypothetisch angesetzt, dass das Sperma, von beiden Geschlechtspartnern kommend, jeweils in gleicher Weise (die Emphase liegt auf ὁμοίως, 722b6) von allen Körperteilen herrührt. Denn dann müssten zwei Lebewesen im Sperma vorliegen. Dies hat aber als absurd zu gelten, da es ja um die Entstehung eines neuen Lebewesens geht. Es bleibt also übrig – unter der Grundannahme (εἴπερ οὕτω λεκτέον bzw. ὁμολογούμενα τούτῳ τῷ λόγῳ, 722b8 f.) der Pangenesislehre, dass Sperma von beiden Partnern ausgehe –, dass es von beiden jeweils nicht in gleicher Weise von allen Teilen ausgeht. Diese verbleibende Alternative wird nun mit Rekurs auf Empedokles eingeführt, der zwar Beiträge beider Partner, aber eben unterschiedliche Beiträge annahm. Dass diese, nach Empedokles, wie die σύμβολα (722b11)¹⁶⁰ zweier Gastfreunde komplementär einander ergänzen, wird auch im weiteren nicht zum Anlass genommen, die Repräsentation der Teile im Sperma auch einmal anders zu denken als in Form jeweils entsprechend verkleinerter Teile. Das wörtliche Empedokles-Zitat (722b12) nimmt ‚διεσπασμένα‘ (722b3) vom Beginn des engeren Argumentationszusammenhangs wieder auf (διέσπασται, 722b12), ja, es ist sogar eher anzunehmen, dass 722b3 bereits mit Blick auf das kommende Zitat formuliert wurde.¹⁶¹ Empedokles zufolge tragen männlicher und weiblicher Zeugungspartner einen je unterschiedlichen Anteil bei. Dieser Ansicht liegt Aristoteles zufolge immerhin eine Teilerkenntnis zugrunde, die darin besteht, dass männlicher und weiblicher Zeugungsbeitrag sich ergänzen. Dass aber auch Empedokles’ Erklärungsansatz, trotz dieser Teilerkenntnis, nicht zu halten ist, verdeutlicht Aristoteles im Folgenden (722b17 ff.): Mit ὥσπερ (722b17) wird ein Vergleich eröffnet. Er wird aber zunächst nicht abgeschlossen, sondern der empedokleische Entwurf wird mit einem kurzen wörtlichen Zitat wiedergegeben. Aristoteles lässt Empedokles also sozusagen für sich selbst sprechen. Dabei führt er folgendermaßen das Zitat ein (722b19 f.): „so wie Empedokles in der Zeit der Liebe zeugt, wenn er sagt: ‚Ihr (sc. der Erde) entsprossen viele Häupter ohne Hälse‘“ (καθάπερ Ἐμπεδοκλῆς γεννᾷ ἐπὶ τῆς Φιλότητος λέγων· ᾗ πολλαὶ μὲν κόρσαι ἀναύχενες ἐβλάστησαν, …). Die Zitateinführung ironisiert durch ein Wortspiel¹⁶² die empedokleische Ausdrucksweise, indem Aristoteles hier Empedokles selbst als unter dem Einfluss der Liebe Stehenden zu einem ‚Zeugenden‘ macht. Damit de-

 Der Ausdruck σύμβολον scheint nicht von Empedokles zu stammen, sondern Aristoteles führt ihn hier wohl in Anlehnung an Platons Symposion ein.  Zu Aristoteles’ Auseinandersetzung mit Empedokles in GA siehe Föllinger (2022b).  Das Wortspiel basiert darauf, dass Aristoteles hier die konkrete Bedeutung von γεννάω und die von ihr abgeleitete Bedeutung des ideellen ‚Erzeugens‘, wie sie zu Aristoteles’ Zeit auch schon gebräuchlich war (vgl. Liddell-Scott-Jones, sub voce), vermischt.

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savouiert er dessen Meinung schon indirekt, um im Folgenden die offensichtliche Unmöglichkeit (722b21: φανερὸν … ἀδύνατον)¹⁶³ damit zu begründen, dass Empedokles nicht erklären könne, wie in der Kosmologie aus verstreuten Körperteilen funktionierende Lebewesen würden. Die Begründung hierfür bringt nichts Neues, sondern nimmt in einer durch die starke Verneinung (722b22 f.: οὔτε γὰρ μὴ … οὔτε μὴ … οὔτε) emphatischen Form das Problem des Lebendigseins¹⁶⁴ bzw. des Beseeltseins¹⁶⁵ disparater Teile als Bedingung für ihr Fortbestehen¹⁶⁶ nochmals auf. Indessen begründet Aristoteles nicht genauer, warum für die Bewahrung der Teile deren Lebendig- und Beseeltsein jeweils in vollem Sinne notwendig sein soll. Stillschweigend liegt weiterhin die Vorstellung zugrunde, dass die Teile im Sperma nur wiederum als jeweils entsprechende Teile in verkleinerter Form repräsentiert sein können. Der auf die oben genannte Weiterung bezogene Teil der Begründung gibt auch keinen tieferen Grund dafür an, dass mehrere Lebewesen nicht zu einem zusammenwachsen können, sondern betont nur sprachlich gerade diesen Gegensatz (ὄντα πλείω … εἶναι πάλιν ἕν, 722b23 f.). Im Folgenden erweitert Aristoteles seinen Angriff auf eine Gruppe von Gegnern, denen bei der Erklärung der Ontogenese derselbe Fehler unterlaufe wie Empedokles in der Kosmologie. Denn auch sie könnten nicht erklären, wie die auf Männchen und Weibchen verteilten Beiträge zu einem neuen funktionierenden Ganzen würden. Dabei wird eine Analogie zwischen großem und kleinem Maßstab explizit hergestellt (ὥσπερ … οὕτω, 722b25 f.), eingeleitet durch das betonte ἀλλὰ μήν (722b24), und zunächst allgemein auf die vergleichbare Argumentationsweise (λέγειν, 722b24 f.) der Vertreter der Pangenesislehre bezogen. Hier schwingt mit, dass eine fehlerhafte Argumentation unterläuft und Aristoteles dies aufdeckt. Die Aussage wirkt so stärker als die bloße Behauptung, diese Gruppe argumentiere gerade so wie Empedokles. Kurz deutet Aristoteles ein weiteres offenes Problem an, das mit den im Sperma disparat vorliegenden Teilen einhergeht. Die direkte Frage πῶς καὶ διέσπασται, die das diskriminierte Wort wiederholt (722b28), zielt wiederum auf die mangelnde konkrete Ausführung der Theorie, die hier eben das Problem übergehe, wie Lagebeziehungen zwischen den Teilen in ihrer Disparatheit kodiert seien. Denn diese räumlichen Relationen müssen beim Zusammentreten der Teile wieder hergestellt werden. Die Frage wird, ähnlich wie zu Beginn dieser Passage (722b4 und b5), nur kurz angerissen, es werden aber alle sechs Raumorientie Vgl. die ähnlichen Wendungen in GA I 18. 722b34 f.: δῆλον τοίνυν ὅτι ἀδύνατον, und II 3. 736b23: δῆλον ὅτι … ἀδύνατον.  S.o. I 18. 722b4.  S.o. I 18. 722b18 f.  S.o. I 18. 722b18.

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rungen vollständig aufgezählt. Dass auch dieses Problem im Rahmen der Pangenesislehre nicht befriedigend zu lösen ist, sagt Aristoteles mit dem noch knapperen und pauschal abwertenden Schlusssatz dieser Passage (ab 722b3), dies alles sei nicht schlüssig (ἄλογα, 722b30). Warum rekurriert Aristoteles auf Empedokles, der etwas Ähnliches vertreten habe, auf auffallende Weise mit wörtlichen Zitaten? Abgesehen davon, dass das in die Prosa eingeschobene Versmaß eine Auflockerung und Direktheit vermittelt, die der Diskursivität der Passage entspricht, kann er seine Paraphrase der empedokleischen Meinung belegen. Es handelt sich also sozusagen um eine ‚philologische‘ Weise des Zitierens. Darüber hinaus aber kann er mit den Zitaten zeigen, dass dichterisch-metaphorische Sprache sich für wissenschaftliche Erklärung nicht eignet.¹⁶⁷

Viertes Gegenargument (722b30 – 723a23) Die nächste, recht lange Passage bringt einen anderen Einwand des Aristoteles, den er wiederum diskursiv und unter Verwendung von Fragen entfaltet. Diese wirken besonders in ihrer Aufeinanderfolge sehr eindringlich und sprechen für die Gegner im Rahmen ihrer Theorie kaum lösbare Probleme an. Dabei hat Aristoteles vor allem das Problem im Blick, woraus eigentlich Bestandteile des werdenden Embryos entstehen. Die Gesamttendenz ist, dass die Vertreter der Pangenesislehre das Wachstum nicht erklären können, falls sie nicht, wie Anaxagoras es universal für das Wachstum annahm, davon ausgehen wollen, dass von jedem etwas im Samen enthalten sei. Mit ἔτι eingeleitet, beginnt dieses weitere Argument mit einem Neuansatz, der auf die aristotelische Bestimmung der Teile rekurriert: Ihr Wesen ist gegeben durch eine aktive Potenz (dynamis) zur Leistung eines jeweils wohlbestimmten ergon (722b31 f.: τι ποιεῖν) oder durch eine ganz bestimmte und nicht beliebige (722b33 f.: οὐ πάντως) passive Qualität. Ersteres gilt für die anhomoiomeren, letzteres für die homoiomeren Teile; als Beispiele nennt Aristoteles Blut und Fleisch. Ausgangspunkt ist also auch hier eine dihairetische Unterscheidung. Eine Rolle spielt im Weiteren allerdings nur das zweite Glied der Dihärese. Aristoteles postuliert, es sei „klar“ (722b34), dass (im Rahmen der Pangenesislehre) das von den Teilen (der Eltern) Ausgehende jeweils nicht den gleichen Bestimmungen entsprechen kann wie dasjenige, wovon es ausgeht; die beiden Beispiele beziehen sich wieder auf die homoiomeren Teile Blut und Fleisch. Warum dies klar sei,

 Vgl. hierzu Föllinger (2022b).

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führt er aber nicht aus.¹⁶⁸ Vielmehr folgert er nun hieraus einen neuen Angriffspunkt, hervorgehoben mit ἀλλὰ μήν (723a1): Wenn Blut (im neuen Lebewesen) aus etwas, das verschieden hiervon ist, entsteht, dann leistet die Pangenese des Spermas keine ursächliche Erklärung der Ähnlichkeit (des Blutes der Nachkommen mit dem der Eltern), was diese Lehre aber, dem dritten gegnerischen Hauptargument zufolge,¹⁶⁹ für sich beansprucht.¹⁷⁰ Dieser Angriffspunkt setzt voraus, dass die kausale Erklärung von Ähnlichkeit auf der Ebene der Körperteile eben nur dann gegeben sein kann, wenn von den entsprechenden Teilen der Eltern Samenbestandteile ausgehen, die sich zu den ‚Ausgangsteilen‘ synonym (722b35) verhalten, d. h. in Bezeichnung und Wesensbestimmung mit ihnen übereinstimmen:¹⁷¹ Die – von den Pangenetikern allerdings wohl nicht konkretisierte – Möglichkeit, dass jeweils nicht synonyme Teile abgehen, die aber doch ihre ‚Ausgangsteile‘ in anderer Form spezifisch repräsentieren, wird unterdrückt zugunsten der undifferenzierten Antithese ‚mit dem Ausgangsmaterial synonym vs. vom Ausgangsmaterial (schlechthin) verschieden (ἑτέρου τινὸς ὄντος, 723a1 f.)‘. Dem folgt eine Radikalisierung der zweiten Alternative, dass es nach dem Ökonomieprinzip (723a4: ἱκανόν) ausreichend sei, dann bereits ein einziges Ausgangsmaterial anzusetzen, aus dem heraus sich alles entwickle. Diese Radikalisierung erfolgt in zwei Stufen, jeweils mit γάρ angeschlossen, zunächst als Aussage in Gestalt einer kondizionalen Periode, dann suggestiv abschließend in Form einer rhetorischen Frage. Dieses Vorgehen entspricht der aristotelischen Radikalisierung der pangenetischen Position in seinen ersten vier Gegenargumenten.¹⁷² So gewinnt man den Eindruck, Aristoteles mache sich fehlende Konkretisierungen der Pangenesislehre und deren mangelnde Ausarbeitung im Einzelnen in dieser radikalisierenden Weise zunutze, so dass er jeweils angreifbare Schwachpunkte gewinnt. Ein vergleichbares Vorgehen kann man bei seinem Angriff auf Empedokles’ Wärmetheorie in

 Aber möglicherweise liegt folgender Gedanke zugrunde: Sperma gehört selbst zu den homoiomeren Strukturen (s. o. c. 16 Ende) und ist nicht etwa identisch mit Blut oder Fleisch; daher ist es durch eine andere Kombination passiver Qualitäten charakterisiert, und Blut oder Fleisch können nicht in ihm vorliegen. Denn Teile eines homoiomeren Teils sind per definitionem von derselben Art und Beschaffenheit. Eine solche Voraussetzung müsste der Rezipient also stillschweigend ergänzen, was keine geringe Anforderung ist.  Siehe oben zu Kapitel 17.  Vgl. oben die beiden ersten Angriffe gegen diesen kausalen Erklärungsanspruch der Pangenetiker 722a21– 23 und 722b1– 3, die die Formulierung in c. 3 αἴτιον τῆς ὁμοιότητος mehr oder weniger wörtlich aufgreifen. Auch hier (723a2) geschieht dies bis auf die Wortstellung wörtlich.  Vgl. Cat. 1.  Vgl. oben, S. 78 f.

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GA IV beobachten¹⁷³ wie auch bei seinen Attacken gegen die akademische methexis-Lehre in der Metaphysik. ¹⁷⁴ In seiner Auseinandersetzung mit anderen Meinungen lässt Aristoteles nun Anaxagoras folgen, dessen Theorie er mit wörtlichen Anklängen aufruft (723a4 f.: μὴ ἐξ αἵματος αἷμα γίγνεται¹⁷⁵). Ihn betrifft auch das mit ἔπειτα angeschlossene Problem, das als direkte Frage formuliert wird und durch die Formulierung im Futur als ungelöste Herausforderung der Pangenesislehre erscheint: Es ist die Frage nach der Art und Weise des Wachstums der jeweiligen Teile (gedacht ist primär an die homoiomeren Teile). Hier besteht eine Differenz der Pangenetiker zu der – hier positiv konnotierten (εὐλόγως, 723a10) – anaxagoreischen Theorie, die von der Assimilation gleichartiger Teile aus der Nahrung ausgeht. Diese lehnen die Pangenetiker ab, weshalb sie eine Veränderung des hinzutretenden Stoffes annehmen müssen. Die sprachliche Gestaltung macht die Argumentation lebhaft und sogar emotionalisierend, indem sie mit rhetorischen Fragen arbeitet (723a13 f. und a15 – 17) und durch markierte Emphase (723a14: ἀλλὰ μήν) die Inkonsistenz der gegnerischen Meinung hervorhebt. Die Argumentationsstrategie wiederum basiert auf einem radikalen Extrapolieren: Wenn die Erklärung von Wachstum auf einem stofflichen Wandel beruht: warum besitzt dann das Sperma von vornherein nicht auch diese Potenz, dass aus ihm etwa Blut und Fleisch werde, ohne dass es selbst dies bereits ist? Mit weiterer Emphase (723a17: οὐ γὰρ δὴ οὐδέ) wird eine mögliche Entgegnung abgewiesen, wobei Aristoteles als Vergleich die Verdünnung von Wein mit Wasser bemüht. Die Abweisung hat die (verknappte) Form eines indirekten Beweises.¹⁷⁶ Der Abschnitt endet mit der ironischen und polemischen Bemerkung (723a21 ff.), falls man annehmen solle, der Samen sei irgendwie Sehne und Knochen, so übersteige dies das Auffassungsvermögen: τοῦ δὲ σπέρματος … ὑπὲρ ἡμᾶς τὸ λεγόμενον. Aristoteles verwendet hier die Form der integrativen 1. Person Pl., so dass er die Rezipienten mit einbezieht. In diesem Passus fallen, gerade auch am Schluss, die gehäuften Begriffe des Argumentierens und Behauptens (φάναι, λέγειν) auf, mit denen Aristoteles auch semantisch die Diskursivität seiner Argumentation hervorhebt.

 Vgl. unten, S. 340.  Metaph. Α 6, insbes. 987b13 f.; A 9, insbes. 992a28 f.: τὸ γὰρ μετέχειν … οὐθέν ἐστιν.  Vgl. DK 59B10: ἐξ μὴ αἵματος αἷμα.  Der Beweis lautet: Angenommen, dies sei wahr. Dann wäre (Irrealis: ἂν … ἦν) das Sperma selbst, als Ausgangspunkt (πρῶτον, 723a19) der Verdünnung, ein jedes Gewebe in Reinstform. Mit ‚νῦν δέ‘ (723b20) wird der Widerspruch zu den Phänomenen eingeleitet: Die spätere Entwicklungsstufe stellt in höherem Maße das jeweilige Gewebe dar.

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Fünftes Gegenargument (723a23–b3) Dieser Einwand beginnt anakoluthisch mit einer Protasis, die die Apodosis offen lässt – naheliegend wäre etwa eine Frage der Art ‚was dann‘? – und greift, mit einem wörtlichen Zitat, wieder auf Empedokles zurück. Wir haben mit der Auslassung der Apodosis eine Form der Aposiopese, die der ‚Sprache der Nähe‘ zuzuordnen ist und somit eine gewisse Direktheit und Unvermitteltheit zum Ausdruck bringt.¹⁷⁷ Es ist auffällig, dass Aristoteles Empedokles wörtlich zitiert, Anaxagoras dagegen nicht. Der Grund dürfte, wie bei der ersten Stelle, ein ästhetischer und didaktischer sein. Denn eigentlich ist das wörtliche Zitat nicht nötig für die Beweisführung, da Aristoteles im Unterschied zu seinem Eingehen auf Anaxagoras sich inhaltlich nicht mit Empedokles direkt auseinandersetzt. Vielmehr nimmt er ihn als poetische Illustration des argumentativ Gesagten.¹⁷⁸ Denn dessen Theorie, wonach die Geschlechtsdifferenzierung bei der Konzeption (ἐν τῇ κυήσει, 723a23 f.) stattfindet, wird mit den Phänomenen konfrontiert (φαίνονται δέ, 723a26). Der Argumentationsgang stützt sich darauf, dass die Pangenesislehre nicht die Geschlechtsdifferenz erklären könne. So wird das empirische Faktum (723a26: φαίνονται mit Partizip), dass ein und dieselben Personen sowohl weibliche als auch männliche Nachkommen hervorbringen können, als Argument dafür ins Feld geführt, dass nicht der vom Geschlechtsorgan kommende Samen für die Geschlechtsentstehung des Kindes verantwortlich sei. An diesem Punkt schlägt Aristoteles schon tentativ eine Lösung vor: Der Grund sei vielmehr das symmetrische bzw. asymmetrische Verhältnis des männlichen Beitrags zum weiblichen Beitrag. Zwar fügt er noch hinzu „oder ein ähnlicher Grund“, aber er nimmt auch an dieser Stelle etwas vorweg, was an späterer Stelle eine entscheidende Rolle in seiner Zeugungs- und Vererbungstheorie spielen wird (767a16; 772a17).¹⁷⁹ In einem zweiten Schritt wird die gegnerische Position hypothetisch zum gemeinsamen Untersuchungsgegenstand, indem Aristoteles die 1. Pers. Pl. θήσομεν verwendet (723a31). Aristoteles arbeitet im Folgenden mit Redundanzen und mit einem argumentum a maiore (723b1: εἰ γὰρ μηδέ), das vom Uterus als einem sehr wichtigen Organ auf die übrigen schließt. Eine Apodosis im Potentialis (723b2 f.), die im Rahmen des hypothetisch erfolgenden Argumentierens innerhalb der Pangenesislehre zu werten ist, hat gleichzeitig die typische Funktion der

 Vgl. oben, S. 81.  Zu dieser unterschiedlichen Anwendung von Dichterzitaten vgl. Föllinger (2016) 131– 134.  Vgl. Peck (1943) 65, Anm. b.

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zurückhaltend formulierten, den Rezipienten vorsichtig in die Überlegung miteinbeziehenden, aber dadurch um so stärker wirkenden Aussage.

Sechstes Gegenargument (723b3 – 9) Anhand der aus Fliegen, also nicht artverwandten Tieren, entstehenden Larven wird deutlich gemacht, dass die Pangenesislehre nicht auf diese anwendbar ist. Dabei wird die Begründung, wiederum in Form eines verknappten indirekten Beweises nachgeschoben (723b7: γάρ). Damit, dass Aristoteles dieses Argument gegen die Pangenesislehre einsetzt, macht er deutlich, dass er stillschweigend unterstellt, die Pangenesislehr beanspruche universelle Geltung, und daran ihre Valenz überprüft. Hieran sieht man wieder, dass Aristoteles mit seinem Projekt über den Reproduktionsdiskurs seiner Zeit hinausgeht: Er strebt nach einer Theorie, die auf den gesamten belebten Bereich anwendbar ist. Dies gilt auch für das nächste Argument.

Siebtes Gegenargument (723b9 – 16) Dieses mit ἔτι angeschlossene und wiederum im lebhaften Fragestil präsentierte Parallelargument geht aus von dem empirischen Faktum, dass auf einen einzelnen Coitus bei manchen Tieren mehrfacher Nachwuchs folgen kann, und fragt, wie dies unter den Bedingungen der Pangenese möglich sein könne. Dass diese Frage wiederum rhetorisch gemeint ist, zeigt das folgende γάρ (723b12). Diese Begründung schließt von der Einzahl des Coitus auf die Einzahl der jeweils von den Körperteilen abgehenden Teile, die den Samen bilden. Die Berechtigung dieses Schlusses wird nicht gegeben, aber durch das redundante καὶ μιᾶς διακρίσεως (723b13 f.) und der damit verbundenen dreifachen Wiederholung der Einzahl ‚nahegelegt‘. Zum Abschluss wird wieder einem möglichen ad hoc-Argument begegnet: Erst im Uterus kann eine Teilung nicht erfolgen; denn diese wäre dann bereits die Teilung eines Lebewesens in mindestens zwei – und dies darf, analog der Unmöglichkeit des Zusammenwachsens mehrerer Lebewesen zu einem (vgl. o. 722b20 – 24), als ausgeschlossen gelten.

Achtes Gegenargument (723b16 – 19) Diese sehr kurze Passage bezieht sich nur auf die Flora und zwar auf eine empirische Beobachtung wohl vorwiegend innerhalb der kultivierten Flora: Ein

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Ableger trägt von sich selbst aus Frucht, also hat er dies auch vor der Ablösung aus der eigenen Masse heraus und nicht von der ganzen (Mutter‐)Pflanze aus getan. Ob dieser Schluss so zwingend ist, wie das vorangestellte δῆλον οὖν ὅτι (723b17) suggeriert, sei dahingestellt. Überhaupt fällt bei den letzten Argumenten auf, dass auf die mit ἔτι bzw. mit πρὸς δὲ τούτοις eingeleitete Exposition des jeweils neuen Aspekts recht bald eine Verbindung mit δῆλον folgt, die die Darstellung der eigenen Position markiert (722b34, 723a31, 723b6, 723b10, 723b17).

Neuntes Gegenargument (723b19 – 32) Suggestiv und die Häufung von δῆλον noch übersteigend wird mit μέγιστον (723b19) das nächste Argument rhetorisch als besonders schwerwiegend eingeführt. Es handelt sich um das schon im vorhergehenden erwähnte¹⁸⁰ Phänomen, dass bei den Insekten die Weibchen ihr Geschlechtsorgan in das des Männchens einführen. Der Betonung der Bedeutung entspricht der Stolz auf die eigene Forscherleistung suggerierende Verweis auf diesen hinreichend durch eigene Forschung gegebenen empirischen Beleg (τεθεωρήκαμεν ἱκανῶς, 723b19). Diese Beobachtung wird im fünften Buch der HA mitgeteilt, in dem Aristoteles die Fortpflanzungsweisen der Tiere abhandelt (HA V 8. 541b34– 542a12).¹⁸¹ Der dann vorgetragene ‚gewichtigste‘ Schluss setzt stillschweigend voraus, dass in diesen beobachteten Fällen kein männlicher Same abgegeben wird. Hier muss, unter dieser Voraussetzung, also etwas Anderes, später zu Betrachtendes, Ursache der Fortpflanzung sein als die Pangenese des männlichen Spermas. Aristoteles schließt nun von dieser offenbar anders gelagerten Fortpflanzungsursache (bei den meisten der beobachteten Insekten) auf deren Vorliegen auch bei solchen Männchen, die Sperma ejakulieren. Dies setzt weiterhin (und wiederum stillschweigend) voraus, dass die Fortpflanzungsursache im Tierreich einheitlich ist. Der zweite Teil dieses Arguments, der sich insbesondere auch gegen das vierte Argument der Pangenetiker richtet und dieses aufgreift, ist mit γάρ (723b27) eingeleitet, aber es besteht kaum ein an dieser Stelle offensichtlicher begründender Zusammenhang: Auch wenn es im Sinne der Pangenetiker der Fall wäre, dass das Sperma vom ganzen Körper herrühre, dürfe man deshalb nicht fordern

 Siehe oben, S. 130.  Dass dies nicht durchgängig bei allen Insekten, wohl aber bei den meisten so sei, betont Aristoteles zweimal (723b20 f., b23 f.). Warum dies ein Argument gegen die Pangenesislehre sein soll, wird hier nicht ganz deutlich, vielmehr ist es besser verständlich als Argument gegen die Auffassung, dass das Männchen einen materiellen Zeugungsbeitrag liefert, wie Aristoteles es etwas später (729b18 ff.) verwendet.

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(terminus technicus ἀξιοῦν, 723b29), es müsse von allen Teilen stammen, sondern nur, dass es von dem es bildenden Teil komme. Diese Behauptung wird nicht begründet, sondern nur durch die Tischler-Analogie veranschaulicht. Damit hat Aristoteles nun eine seiner Lieblingsanalogien eingeführt, aber die genaue Theorie bleibt noch undeutlich. Dies überspielt die abschließende ironische Bemerkung: Dann müsse man auch gleich sagen, dass der Samen von den Sandalen komme, weil der Sohn Sandalen, die denen des Vaters ähnelten, trage (723b30 f.). Dafür verweist Aristoteles auf seine spätere (723b27: ὕστερον) Darlegung, und dies macht erneut deutlich, dass GA einer – jedenfalls groben – Planung unterliegt. Wiederum wird durch die Verwendung des Verbaladjektivs σκεπτέον der Rezipient mit einbezogen.

Zehntes Gegenargument (723b32 – 724a3) Mit diesem und dem folgenden Argument geht Aristoteles nun (endlich) auf die beiden anderen bereits genannten Argumente der Gegenseite ein, zuerst auf das Lustargument: Für die intensive Lustempfindung beim Verkehr gibt Aristoteles eine zur Pangenesislehre alternative Ursache an: die starke Stimulation. Diese betrachtet er auch hinreichend als Erklärung für das empirische Faktum, dass bei häufigerem Verkehr der Effekt der Stimulation und damit das Lustempfinden nachlässt. Dies beweist die postulierte Ursache nicht, ist aber ein Indiz für sie. Mit einer weiteren (ἔτι, 724a1) empirischen Beobachtung ist die Pangenesislehre nicht in Einklang zu bringen: Die Lust steigert sich gegen Ende des Verkehrs, sie müsste aber nach der gegnerischen Theorie in allen Körperteilen und in diesen nicht gleichzeitig statthaben.

Elftes Gegenargument (724a3 – 7) Dieses Gegenargument richtet sich gegen die pangenetische Erklärung für die sich auf Verstümmelungen beziehende Ähnlichkeit von Kindern mit ihren Eltern. Diese handelt Aristoteles recht kurz ab, indem er sie der Vererbung von Ähnlichkeit überhaupt, also dem dritten pangenetischen Argument unterordnet und ihr so die Eigenständigkeit nimmt. Zusätzlich führt er an, dass mitunter auch nicht Verstümmelte von Verstümmelten stammten – was aber nach der Pangenesislehre nicht möglich sein kann. Für die (richtige) Aitiologie verweist Aristoteles auf später (724a6).

Kapitel 18. 724a14 – 726a28

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Überleitung (724a7 – 13) 724a7– 13 bringt eine Überleitung zum nächsten Gedankengang: Hierfür greift Aristoteles die Behauptung auf, dass die Frage nach einem weiblichen Geschlechtsbeitrag und die pangenetische Auffassung sich entsprächen. Da nun die Unhaltbarkeit der pangenetischen Samenlehre nachgewiesen ist, ist auch nachgewiesen, dass das Weibchen keinen Samen beiträgt. Allerdings formuliert Aristoteles dies alles recht vorsichtig, indem er die indefinite Prämisse verwendet und die Schlussfolgerung durch eine Litotes (οὐθὲν ἄλογον, 724a9) und einen Potentialis zum Ausdruck bringt. Mit einer kurzen metatextlichen Bemerkung wird die ausgedehnte Widerlegung der Pangenesislehre abgeschlossen.

Kapitel 18. 724a14 – 726a28 = § 11: Entfaltung der eigenen Theorie zur Natur des Spermas: didaktisch-erklärende Passage: ‚logische‘ Aitiologien, aber auch viele Beispiele/Analogien, τεκμήρια und μαρτύρια Diese Passage, in der Aristoteles seine eigene Auffassung zur Beschaffenheit des Samens darlegt, ist klarer strukturiert und ‚geschlossener‘ als die vorhergehende, aber ebenfalls nicht ganz stringent in der Durchführung. Aristoteles arbeitet hier eher nicht diskursiv, sondern begründend. Auffällig ist, dass er nicht nur mit logischen Aitiologien arbeitet, sondern auch zahlreiche Beispiele verwendet, sich – auf eine etwas weit hergeholt wirkende Weise – auf Epicharm beruft und sich von Meinungen der ‚Alten‘ absetzt.

724a14–b12: In einem ersten Bogen (724a14–b12) beschäftigt sich Aristoteles mit der Frage, welcher Art der Bewegungsursache der Samen zuzuordnen ist. Dafür differenziert er vier Arten des Werdens. Mit dem Auftakt ἀρχή signalisiert er einen gewichtigen Neueinsatz. Dieser Satz ist eine Art metatextliches Statement, denn er kündigt das Thema der folgenden Untersuchung an: was (τί) der Samen eigentlich ist. Damit wird das Problem als eine sowohl für die aktuelle Untersuchung als auch für das darauf Folgende grundsätzliche Frage herausgestellt (᾿Aρχὴ … καὶ … καί, 724a14). Der motivierende Grund (γάρ, 724a15) hierfür wird wiederum in einer Dopplung (καὶ … καί, 724a15 f.) gegeben: Sowohl über Funktionen als auch über Begleit-

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phänomene des Spermas wird man „so“, d. h. wenn dessen Natur geklärt ist, besser Betrachtungen anstellen können. Mit einem Verbaladjektiv, εὐθεώρητον (724a17), begreift Aristoteles die Rezipienten wieder mit ein, indem er durch die Appellform geschickt eine Art dritter Person suggeriert. Darauf setzt Aristoteles etwas unvermittelt, mit βούλεται (724a17), ein. Der Samen wird ‚personalisiert‘. Diese Personalisierung von ‚Dingen‘ ist eine bei Aristoteles durchaus nicht ungewöhnliche Ausdrucksweise.¹⁸² Was seine Natur betrifft, „will“ ‚Sperma‘ dasjenige sein, aus welchem erstinstanzlich die gemäß der Natur sich konstituierenden Wesen entstehen.¹⁸³ Als sofort klärungsbedürftig erscheint der Gebrauch des Begriffs ‚entstehen aus‘. Darum schließt sich eine differenzierende Sprachanalyse an, die anakoluthisch eingeleitet wird. Dies geschieht durch einen nicht fortgesetzten Nebensatz, der in typischer Weise zunächst die Vieldeutigkeit (πολλαχῶς, 724a20 f.) der Wendung ‚etwas entsteht aus etwas anderem‘ festhält und dann in die Aufzählung von Beispielen mündet. Durch diese werden die Kategorien des Entstehens demonstriert: a. Tag–Nacht; Kind–Mann (zeitliches Nacheinander) b. Erz–Statue; Holz–Bett (Formung ungeformter Materie) c. musisch–unmusisch; gesund–krank (Umschlag von Eigenschaften in ihr Gegenteil) d. διαβολή–λοιδορία–μάχη Zur Demonstration der letztgenannten Entstehungsursache greift Aristoteles auf den Komödiendichter Epicharm zurück, allerdings ohne ihn wörtlich zu zitieren.¹⁸⁴ Seine Schilderung der Entstehung eines Kampfes ist nach Aristoteles ein Beispiel für eine ἀρχὴ κινήσεως, die nicht extern ist, sondern in dem betreffenden Ding selbst liegt. Es scheint etwas gesucht, dass Aristoteles hier Epicharm anführt, um einen so trivialen Sachverhalt, den man sehr gut nur hätte schildern können, zu vermitteln. Dies lässt sich auf den ersten Blick als rhetorisch-didaktische Gestaltung verstehen, die der Auflockerung dient.¹⁸⁵ Aber darüber hinaus stellt dieser Verweis die vierte Kategorie auf gewisse Weise in den Vordergrund und bereitet den Rezipienten dadurch darauf vor, dass dies die Kategorie sein

 So werden etwa in 738a23 die Katamenien personalisiert. Bekannter und häufiger ist die aristotelische Personalisierung der φύσις (731a12; 757a25; 761a28; 778b4).  Im Folgenden folgen wir der Athetese Pecks (1943) 724a19 f. bis zur Interpunktion; vgl. seine Begründung (Peck 1943, 72, Anm. a).  Peck (1943) 73, Anm. c zitiert einen bei Athenaios überlieferten Text, der Ähnlichkeiten mit dem hat, der Aristoteles vor Augen gestanden haben könnte.  Vgl. die exemplarische Untersuchung von Dichterzitaten in Föllinger (2016) 131– 134.

Kapitel 18. 724a14 – 726a28

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wird, unter die der aristotelischen Zeugungstheorie zufolge die Wirkung des Samens fällt. Der folgende Abschnitt (724a35–b12) beginnt mit der Formulierung, es sei „offensichtlich“ (724a35: φανερόν), dass der Samen in eine von zwei der genannten Kategorien falle, nämlich in die der Materie (Kategorie b) oder in die des ersten Bewegenden (Kategorie d). Durch die Bewertung „offensichtlich“ steuert Aristoteles schon sprachlich den Erkenntnisprozess des Rezipienten, auch wenn er im Folgenden begründet, warum nur diese beiden infrage kommen. Die Begründung folgt durch den Ausschluss der Kategorien (a) und (c), wobei Aristoteles für Kategorie (a) wieder einmal die Begründung durch ein Beispiel ersetzt – Panathenäen und Schiff –, für Kategorie (c) einen Sachgrund angibt: Wenn etwas als etwas zu dem, aus dem es entsteht, sich gegensätzlich Verhaltendes entsteht, so geht dasjenige, aus dem jenes entsteht, dabei zugrunde – dies ist aber beim Sperma nicht der Fall. Der einhellig überlieferte Zusatz καὶ ἕτερόν τι δεῖ ὑποκεῖσθαι ἐξ οὗ ἔσται πρώτου ἐνυπάρχοντος (724b3 f.) scheint unpassend, wenn er denn auf die Instanzen von Kategorie (c) zu beziehen ist. Denn wenn aus einem Gebildeten ein Ungebildeter entsteht oder aus einem Gesunden ein Kranker, bedarf es eben keines weiteren primär zugrundeliegenden Substrats; vielmehr bleibt dieses in diesen Fällen identisch (nämlich als ein und derselbe Mensch). Aber vielleicht ist hier eher ein etwas abrupter Perspektivenwechsel anzusetzen:¹⁸⁶ Im Falle der Entstehung aus Sperma ist als drittes ein weiteres primär zugrundeliegendes Substrat anzusetzen (nämlich, in der aristotelischen Theorie, die weibliche Materie), was aber in Kategorie (c) gerade regelmäßig fehlt, und deshalb muss Kategorie (c) ausscheiden. Nach diesem Eliminationsverfahren gibt Aristoteles das weitere Verfahren durch die Formulierung von Notwendigkeit ausdrückenden Verbaladjektiven und aus der akademischen Dialektik stammenden Termini (724b5: ληπτέον … θετέον) vor: Man müsse erfassen, unter welche der beiden Kategorien (b) und (d) das Sperma im Sinne der gegebenen Bestimmungen falle oder – und hiermit wird eine dritte, eingangs (in 724a35–b1) nicht genannte Möglichkeit ergänzt – ob es unter beide falle. Aristoteles gibt hier also noch keine endgültige Lösung; vielmehr kündigt er an, diese werde auch dazu beitragen, zu verstehen, warum es sich bei der Zeugung um eine Entstehung aus Gegensätzen handelt. Indem Aristoteles hier die beiden Seiten der Alternative jeweils durch abstrakte Begriffe ergänzt, ὡς ὕλην καὶ πάσχον (724b5 f.) für Kategorie (b) und ὡς εἶδός τι καὶ ποιοῦν (724b6) für Kategorie (d), bereitet er den Rezipienten schon auf das später erarbeitete Er-

 Zu Perspektivenwechsel bei Aristoteles siehe Föllinger (1993).

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gebnis vor, dass vom männlichen Samen als Bewirkendem kein Teil in das Produkt eingeht und die weibliche Materie das zu Formende ist. Allerdings bleibt er an dieser Stelle noch unkonkret. Außerdem bleibt offen, welche Art von Gegensätzlichkeit bei der Zeugung aus zwei Geschlechtern anzutreffen ist. Mit einer metatextlichen futurischen Formulierung (724b7: ἴσως δῆλον ἔσται) macht Aristoteles aber darauf aufmerksam, dass dieses Ergebnis zu erwarten sei.

724b23 – 726a28: Der nächste große Abschnitt bis zum Ende von Kapitel 18 und damit des Paragraphen ist dem Beweis gewidmet, dass der Samen ein περίττωμα ist.¹⁸⁷ Das Wort, das am Beginn steht, ist ἀνάγκη. Es suggeriert die logische Notwendigkeit der folgenden Ausführungen und damit auch schon die Richtigkeit des Resultats, auch wenn es hier erst einmal eine speziellere ‚logische‘ Notwendigkeit ausdrückt, nämlich die im Folgenden gegebene Differenzierung von Körperbestandteilen. Die Notwendigkeit suggerierende Formulierung nötigt den Rezipienten dazu, die Differenzierungen nachzuvollziehen, auch wenn sie unvermittelt erfolgen:¹⁸⁸ Es handelt sich um eine fünfgliedrige Klassifikation aller in einem belebten Körper anzutreffenden Strukturen: 1. naturgemäße Teile, wiederum unterschieden in anhomoiomere und homoiomere Teile, 2. naturwidrige Teile wie etwa Neubildungen, 3. Residuen, 4. Einschmelzungsprodukte, 5. Nahrung. Die Begriffe 3. und 4. werden definiert: Residuen sind Überreste der Nahrung. Die Definition der ‚Einschmelzungsprodukte‘ erscheint besonders ‚technisch‘ und nicht ohne weiteres verständlich, etwa: ‚was von Wachstumsförderlichem aus unter dem Einfluss widernatürlicher Auflösung abgesondert wird‘. Wie in diese Klassifizierungen nun der Samen einzuordnen sein muss, klärt Aristoteles in einem für seine Vorgehensweise typischen, aus der Dialektik herrührenden Eliminationsverfahren, bei dem er aus der Empirie stammende Argu Die Passage 724b12– 22 kann möglicherweise athetiert werden (vgl. Peck, 1943, 76 mit Anm. a), aber dies ist nicht zwingend. Denn die metatextliche Bemerkung in 21 f. weist darauf hin, dass der Autor sich seiner Digression bewusst ist.  In PA oder HA kommt der Begriff σύντηγμα nicht vor. Im gesamten Corpus außerhalb von GA erscheint er (nach TLG-Suche) nur in De somno et vigilia und in den Problemata. Bei Bonitz ist unter σύντηγμα unsere Stelle als erste angegeben. Aristoteles scheint hier also keine bereits etablierte Klassifikation aller Körperstrukturen vorauszusetzen, abgesehen von seiner Unterscheidung in Anhomoiomere und Homoiomere, die er jetzt derjenigen in naturgemäß/widernatürlich unterordnet. Seltsam erscheint, dass Nahrung und deren Residuum unter Widernatürliches fallen; wirklich pathologisch sind (von den angeführten Dingen) ja nur Neubildungen und Einschmelzungen.

Kapitel 18. 724a14 – 726a28

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mente mit einflicht: Offensichtlich sei, dass das Sperma kein ‚Teil‘ sei. Denn es weise zwar eine homoiomere Struktur auf, sei aber nicht konstitutiv für irgendein zusammengesetztes Körperteil, wie dies bei homoiomeren ‚Teilen‘ der Fall ist (1.). Zweitens sei es aber auch nicht widernatürlich (2.) oder eine Defizienzerscheinung (πήρωμα, 724b32), da es (in der Regel) alle (männlichen) Tiere aufweisen und aus ihm natürlicherweise etwas entsteht. ‚Nahrung‘ scheidet aus, da diese zugeführt wird (das Sperma dagegen nicht). Damit ergibt sich nach dem Ausschlussverfahren zwingend (ἀνάγκη, 724b34) die Zuordnung zu 3. oder 4.. Bevor die Einordnung ‚Einschmelzungsprodukt‘ (4.) mit demselben Argument wie 2. ausgeschieden wird, wird diese Zuordnung als die bei den Alten wohl übliche dargestellt: Denn zu behaupten, das Sperma gehe vom ganzen Körper aus durch die von der heftigen Bewegung verursachte Wärme, laufe darauf hinaus (ἔχει δύναμιν, 725a1), dass es als Einschmelzungsprodukt entstehe. Die angesprochenen Vorgänger werden damit (auch) als Vertreter einer Pangenesislehre vorgestellt. Es bleibt somit die zwingende Einordnung des Spermas als ‚Residuum‘. Der Begriff des Residuums wird nun noch dihairetisch unterschieden in ‚Residuum aus unnützer Nahrung‘ und solches ‚aus nützlicher Nahrung‘. Diese beiden Qualifizierungen von ‚Nahrung‘ werden definiert (in derselben technischen Weise wie oben), und die Zuordnung des Spermas zu der Klasse ‚Residuum aus nützlicher Nahrung‘ wird wiederum durch ein mit Verweisen auf die Empirie arbeitendes Ausschlussverfahren getroffen; das Ergebnis wird festgehalten (725a11 f.). Es folgt eine graduelle Abstufung innerhalb des ‚nützlichen Residuums‘ – eine verkürzte Ausdrucksweise für ‚Residuum aus nützlicher Nahrung‘ –, die vom Phlegma als basaler Form bis zum konzentriertesten Nahrungsresiduum reicht, aus dem die Körperteile direkt ihr Wachstum beziehen. Aus dem Folgenden wird klar, dass hiermit impliziert sein soll, dass das Sperma zu dieser ‚höchsten‘ Form des Residuums aus nützlicher Nahrung gehört. Seine eigene Auffassung zum Samen als περίττωμα nützt Aristoteles zu einer Auseinandersetzung mit Meinungen „Früherer“, die er einfach als ἀρχαῖοι (725a21) zitiert. Er schiebt diese Auseinandersetzung in seinen Gedankengang ein. Die Doxographie ist also hier nicht der Ausgangspunkt zur Entfaltung seiner Theorie, sondern sie bietet ihm die Möglichkeit zur eigenen Absetzung und damit Distinktion. Die beiden ersten Sätze (725a21– 24) sind auffallend stilisiert durch das Polyptoton ἔλεγον λεκτέον (725a21), eine klangliche Ausarbeitung (a und lLaute) und einen mit Antithese verbundenen Parallelismus (725a21 f.: οἱ μὲν γὰρ τὸ ἀπὸ παντὸς ἀπιόν, ἡμεῖς δὲ τὸ πρὸς ἅπαντ᾿ ἰέναι πεφυκὸς σπέρμα ἐροῦμεν). Dass seine eigene Meinung vorzuziehen sei, begründet Aristoteles damit, dass sie εὐλογώτερον (725b24) sei. Er bringt dann aber keine wirklich ‚logische‘

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Begründung, sondern ersetzt diese durch einen Vergleich mit Malern. Überdies wird die Absurdität der Gegenposition aufgezeigt, da συντήγματα zugrundegingen. Im Folgenden schiebt Aristoteles durch ἔτι als ‚Parallelargumente‘ gekennzeichnete τεκμήρια sowie μαρτύρια¹⁸⁹ aus der Empirie nach (725a28–b25). Dabei handelt es sich bei den beiden unter 1. und 2. aufgeführten τεκμήρια um Gegenargumente, die implizit die gegnerische These jeweils ad absurdum führen und als nicht mit akzeptierten Fakten vereinbar erweisen. Dagegen bieten die beiden martyria empirische Fakten, die sich aus Aristoteles’ Position heraus gut erklären lassen. 1. Große Tiere haben nicht so viel Nachkommenschaft; in größeren Körpern entsteht aber mehr an Einschmelzungsprodukten und weniger an Residuen. 2. Dadurch, dass für Einschmelzungsprodukte generell kein natürlicher Ort gegeben ist, fluktuieren sie frei im Körper, während für Residuen der verschiedenen Arten jeweils ein natürlicher Ort der Sammlung besteht. Vier (umfassende) Beispiele werden genannt. 3. ‚μαρτύρια‘ in Gestalt von Phänomenen, die mit der Natur eines solchen Residuums, wie es das Sperma ist, einhergehen (συμβαίνοντα, 725b4): a. die offensichtliche Entkräftung nach der Ejakulation eines relativ geringen Volumens b. In der Kindheit, im Alter und bei Schwächezuständen wird kein Sperma gebildet. c. In einem letzten Abschnitt des 18. Kapitels werden Unterschiede bei der Samenproduktion innerhalb derselben – tierischen oder auch pflanzlichen – Art festgehalten. Es begegnet also wiederum das Motiv, Differenzen möglichst erschöpfend zu beschreiben¹⁹⁰ und zu erklären. Die Abschlussbemerkung am Ende von Kapitel 18 (726a26 – 28)¹⁹¹ in Form einer binary transition, die das Ergebnis der Untersuchung ab 724b23 zusammenfasst, macht den Einschnitt deutlich. Ihr entspricht die Einführungsbemerkung in Kapitel 19.

 Vgl. oben Kapitel 17 (721b13/b28), wo auch auf die ‚starken‘ Hauptargumente (τεκμήρια) zusätzlich stützende ‚μαρτύρια‘ folgen.  So werden auch für den Fall 3a. (Entkräftung nach der Ejakulation) Ausnahmen von der Regel genannt, also Fälle, in denen eine Ejakulation nicht Entkräftung, sondern Erleichterung schafft: überschießende jugendliche Spermaproduktion; beiläufige Mitausscheidung anderer, krankmachender Residuen.  Wir folgen der Athetese Drossaart Lulofs (1965) von 726a11– 25.

Kapitel 19. 726a28 – 726b30

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Kapitel 19. 726a28 – 726b30 = § 12: Nahrung, aus der das (männliche) Sperma resultiert: Disposition entwickelnde und erklärende Passage Dieser kurze Paragraph dient dazu, die dann folgenden Erläuterungen zu den Katamenien an die Erklärung der Samenbeschaffenheit anzubinden. Diese Passage ist aber keine rein formale Verknüpfung, sondern sie bildet einen sehr wichtigen Bestandteil für Aristoteles’ Entfaltung seiner Zeugungstheorie, weil zum einen in ihr die Frage nach dem eigentlichen Beitrag des Samens klar geäußert und zum anderen eine gewisse Gemeinsamkeit von männlichem Samen und weiblichem Menstruationsblut implizit deutlich wird. Vor deren Hintergrund kann man besser Aristoteles’ Vererbungstheorie in Buch IV verstehen, die die Forschung als Widerspruch zu seiner Ausgangstheorie in Buch I ansah.¹⁹² Die Gemeinsamkeit von männlichem Samen und weiblichem Menstruationsblut besteht darin, dass beide ein Verkochungsprodukt des Blutes sind, aber das Menstruationsblut einen weniger verkochten, ‚unreineren‘ Zustand darstellt. Das bedeutet: Auch wenn Aristoteles die Ansicht, das Weibchen habe Sperma wie das Männchen, vehement ablehnt, seinen Beitrag in der Materie sieht und eine asymmetrische Zeugungstheorie vertritt, so lassen sich aus diesem Grundansatz Züge der Zeugungstheorie erklären, wie sie in Buch IV erscheint. Diese Züge sind die dort gegebene Erklärung für die Ähnlichkeit von weiblichen Nachkommen mit ihren Müttern und ihren Vorfahren mütterlicherseits, in der ‚auf einmal‘ das sonst als πάσχον dargestellte Menstruationsblut reagieren und sogar κινήσεις beitragen kann. Diese Ansicht ist nun hier in Kapitel 19 im Keim angelegt.¹⁹³ Die Einführungsformulierung von Kapitel 19 ist der zweite Teil der am Ende von Kapitel 18 begonnenen binary transition. Sie leitet einen ersten Absatz (bis 726b1) ein, der die Disposition vorstellt. In einer üblichen Weise wird die Notwendigkeit der Verfahrensweise mit einem Verbaladjektiv (726a28 f.: διοριστέον) zum Ausdruck gebracht. Aristoteles gibt zwei Untersuchungsgegenstände an: die Frage, welche Nahrung dem Sperma als Residuum zugrundeliegt, und die Katamenien. Der Begriff der ‚Katamenien‘ wurde zu Beginn des 17. Kapitels (721b4– 6) eingeführt und wird hier wieder aufgenommen, zusammen mit der Begründung, dass das Phänomen der Menstruation bei manchen Viviparen vorkommt – was die Formulierung „in Bezug auf all diejenigen unter den Tieren, die diese Flüssigkeit hervorbringen“ (721b5 f.) näher präzisiert. Weiter wird die Thematisierung der

 Vgl. auch die Ausführungen zu IV 3, oben. Dort findet sich weitere Literatur zur Forschungsdiskussion.  Vgl. im Folgenden die Ausführungen zu 726b14– 24.

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Katamenien damit begründet (γάρ, 721a30), dass durch deren Untersuchung auch die Frage eines möglichen weiblichen Samenbeitrags geklärt werden werde. Dies geschieht unter deutlichem Rückbezug auf den Anfang des 17. Kapitels: einerseits unter wörtlichen Anklängen (πότερον προΐεται σπέρμα in 726a31, das auf 721a35 verweist, und πότερον οὐδὲ ἄλλο οὐθὲν συμβάλλεται in 726a34, das auf 721b1 verweist), andererseits aber auch unter erweiternder und erklärender Variation (καὶ ἔστιν μίγμα τὸ γιγνόμενον ἐκ δυοῖν σπερμάτοιν in 726a32 f. und ἀλλὰ μόνον παρέχει τόπον in 726a35). Die formale Struktur einer dihairetischen Unterscheidung, bei der die zweite (negative) Alternative wiederum dihairetisch unterteilt wird, entspricht genau derjenigen in 17. 721a35–b2. Die alternativen Möglichkeiten sind: 1. Das Weibchen trägt Samen bei wie das Männchen oder 2. Das Weibchen trägt keinen Samen bei, dann: 2a. Es trägt gar nichts zur Zeugung bei, sondern bietet nur den Ort¹⁹⁴ oder 2b. Es trägt etwas bei, dann ist die Frage: „wie“ und „auf welche Weise“. Zunächst trifft Aristoteles die näheren Bestimmungen zur Art der Nahrung, aus der das (männliche) Sperma resultiert (726b1– 24). Er beginnt diese mit einem Verweis auf De partibus animalium (726b2 f.: εἴρηται πρότερον),¹⁹⁵ wo entwickelt wurde, dass das Blut bzw. dessen Analogon bei den blutlosen Tieren eine Nahrung letzter Stufe ist. Da nun aber das am Ende von Kapitel 18 festgehaltene Ergebnis gilt – es wird hier bis auf die Unterdrückung des Wortes χρησίμου (726a26) wörtlich wiederholt –, dass auch die Samenflüssigkeit ein Residuum von Nahrung letzter Stufe ist, gilt die Schlussfolgerung: Die Samenflüssigkeit ist entweder Blut bzw. dessen Analogon oder sie ist „etwas hieraus Gebildetes“. Sie gilt allerdings nur unter folgenden weiteren, stillschweigenden Voraussetzungen: 1. Es gibt nur eine Form von Nahrung letzter Stufe (nämlich das Blut bzw. dessen Analogon), und 2. Ist etwas Residuum von etwas anderem, so ist es entweder dieses andere selbst oder etwas aus diesem anderen Gebildetes.

 Diese Auffassung soll Anaxagoras vertreten haben. Sie wird auch in Aischylos’ Eumeniden (657– 659) von Apollon als Argument dafür angeführt, dass Orestes gar nicht mit seiner Mutter verwandt sei und es sich deshalb nicht um Muttermord handele.  Sinnvoller wäre dieser Hinweis bereits an einer früheren Stelle gewesen, denn bereits Kapitel 18 setzt dies voraus, worauf auch Peck (1943) 88, Anm. a, hinweist.

Kapitel 19. 726a28 – 726b30

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Das Folgende entwickelt Aristoteles durch Schlussfolgerungen: Die beiden Prämissen lauten: 1. Aus dem Blut, wenn es ‚verkocht‘ und auf bestimmte Weise verteilt wird, entsteht ein jedes der Körperteile. 2. Das Sperma wird in ‚verkochtem‘ Zustand einerseits als etwas vom Blut ziemlich Verschiedenartiges abgesondert; in nicht verkochtem Zustand dagegen, und bei allzu häufiger Ejakulation, tritt es – so wurde in einigen Fällen bereits beobachtet – blutig hervor. Diese zweite Prämisse ist selbst Antwort auf die in der vorherigen Schlussfolgerung gestellte Alternative: Da vollständig ‚verkochtes‘‚ ‚reifes‘ Sperma offensichtlich verschieden von Blut ist, muss es, gemäß der 2. Alternative, etwas aus dem Blut (bzw. dessen Analogon) Gebildetes sein. Dafür ist Beleg, dass das Sperma in ‚unreifem‘ Zustand noch blutig ist. Die Schlussfolgerung lautet: das Sperma ist Residuum derjenigen blutförmigen Nahrung, die, als in der letzten Stufe befindlich, an die Teile des Körpers weitergegeben wird. Es fragt sich nun, inwiefern bei dieser Folgerung die 2. Prämisse überhaupt eingeht. Gegenüber dem Ergebnis von 18. 726a26 f. ist hier nur ergänzt: ‚Residuum von blutartiger Nahrung‘ – dies ist aber bereits aus dem vorherigen Schluss klar – und ‚von an die Körperteile weitergegebener Nahrung‘ – hierfür ist nur die 1. Prämisse relevant. Soll die 2. Prämisse einen Niederschlag in der Schlussfolgerung finden, so wäre dieser somit nur darin zu sehen, dass der Begriff ‚Residuum blutartiger Nahrung‘ hier in engerem Sinne zu verstehen ist und die Identität mit ‚blutartiger Nahrung‘, d. h. mit dem Blut selbst, ausschließt (was oben [726b3 f.] nicht der Fall war!). Im Folgenden weist Aristoteles die Erklärungskraft seiner These durch Indizien aus der Empirie auf, wobei er das empirische Faktum mit der sonst für ‚logische‘ Gedankengänge benutzten Wertung εὔλογον (726b14) bezeichnet. Seine These, die im Kern dem ‚ἀπελθεῖν ἀπὸ παντὸς τοῦ σώματος‘ der Pangenesislehre das ‚προσελθὸν πρὸς τὰ μέρη‘ gegenüberstellt, beruht auf der großen ‚Potenz‘ des Spermas. Als ‚Beweis‘ hierfür schiebt Aristoteles zwei empirische Indizien nach: 1. die schwächende Wirkung eines ‚Verlustes‘ von Sperma, die er schon im vorherigen Kapitel als Indiz aufgeführt hat, 2. die Ähnlichkeit von Kindern mit ihren Eltern, die man auf der Grundlage seiner These ‚vernünftig‘ (εὔλογον, 726b14) erklären kann. In den folgenden Ausführungen, die die Stichhaltigkeit von Aristoteles’ These an dem Phänomen der ‚Vererbung‘ von Eigenschaften erläutern soll, ist im Keim die Vererbungstheorie in Buch IV angelegt, die auf den ersten Blick einen Wi-

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derspruch zu Buch I zu bilden scheint¹⁹⁶ (726b14– 24): Was zu den Teilen des Körpers gelange (also das Blut), sei gleich dem, was übrig bleibe (also dem zu Samen verkochten Blut¹⁹⁷). Während im Körper die Merkmale aktual (ἐνεργείᾳ) vorlägen, lägen sie im Samen potentiell (δυνάμει) vor. Auf welche Weise aber die körperlichen Merkmale potentiell im Samen vorliegen, ob körperlich (726b18 f.: κατὰ τὸν ὄγκον) oder durch ein Vermögen (δύναμις), das er in sich habe (726b20 f.), das sei „noch nicht“ (726a19 f.) deutlich. Die Formulierung „noch nicht“ deutete auf das Prozessuale des Erkenntnis- bzw. Erkenntnisvermittlungsprozesses hin. Gleichzeitig aber modifiziert Aristoteles die Alternative zur Körperlichkeit des Samenbeitrags, die er in 726b18 f. mit ἔχει τινὰ δύναμιν ἐν ἑαυτῷ angibt, in 726b21 durch ἔχει τινὰ ἕξιν καὶ ἀρχὴν κινήσεως γεννητικήν, und fügt als begründenden Zusatz hinzu, dass ein Körperteil ohne Belebung (726b22– 24) nicht im vollen Sinne, sondern nur homonym so genannt werden könne. Dass dies eine Begründung (726b22: γάρ) sein soll, leuchtet an dieser Stelle nicht unvermittelt ein, sondern nur von Aristoteles’ später formuliertem Gesamtergebnis her: dass der Beitrag des männlichen Samens nicht-körperlich ist, sondern in der Anregung des Entwicklungsprozesses des neuen Keimes und der Weitergabe von ‚Informationen‘ besteht. All dies aber bedeutet, dass Aristoteles das Endziel seiner Darlegung der Funktion beider Zeugungsbeiträge im Blick hat und sie nun stufenweise entwickelt. Gleichzeitig wird hier auch deutlich, dass Aristoteles keine Fachterminologie zur Verfügung steht, sondern er seinen komplexen Ansatz etwa durch die Verwendung allgemeiner und damit abstrahierender Ausdrücke formuliert. Eine gewisse Ironie liegt darin, dass Aristoteles ja die pangenetische Samentheorie zwar vehement ablehnt, aber sein neues, mit Potentialität und Epigenese arbeitendes Modell doch insofern an das pangenetische anlehnt, als er die Meinung vertritt, die Ähnlichkeit liege darin, dass das, was das Blut zu den Gliedern transportiere, gleich sei dem, was im Residuum vorliege (726b15). Er berührt sich also mit den Pangenetikern darin, dass er eine ‚räumliche‘ Verbindung des jeweiligen Stoffes mit den Körperteilen ansetzt: Die Pangenetiker sind der Meinung, der Samen komme von den Körperteilen, Aristoteles vertritt die Auffassung, das Blut, das in der verkochten Form von Samen – nicht körperliche – ‚Informationen‘ weitergibt, komme zu den Körperteilen. Der Unterschied besteht aber darin, dass Aristoteles nicht davon ausgeht, dass die Merkmale konkret als ‚Samenstoff‘, sondern ‚potentiell‘ vorliegen (wir würden von ‚Informationen‘ sprechen) und dass das Blut das ‚eigentliche Bindeglied‘ ist. Dieser letzte Punkt

 Vgl. oben, S. 26.  Vgl. Peck (1942) 90, Anm. d: „And concocted into semen“.

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aber ist es, der es ermöglicht, dass auch das weibliche Menstruationsblut über irgendeine Form von ‚Informationen‘ verfügen kann. Dies aber sagt Aristoteles hier nicht explizit, und auch in Buch IV stellt er keinen expliziten Bezug dazu her, so dass unklar ist, ob er diese Möglichkeit hier tatsächlich schon im Sinn hat. Den Schlusssatz dieses Abschnitts, der der Verbindung der Erklärung des Samens mit der des Menstruationsblutes dient, bildet der erste – metatextliche und standardmäßig formulierte – Teil einer binary transition, der ringkompositorisch mit διωρίσθω (726b30) das Verbaladjektiv διοριστέον vom Anfang des Kapitels wieder aufnimmt.

Kapitel 19. 726b30 – 727a30 = § 13: Natur der Katamenien: aitiologische Passage, die auch mit einer Vielzahl von empirischen Indizien arbeitet Die kurze Anfangspassage 726b30 – 727a5 hat zum Beweisziel, die Natur der Katamenien in einem ersten Ansatz zu bestimmen. Dies geschieht in syllogistischer Form. Dabei sind allerdings nicht alle Prämissen auf den ersten Blick einleuchtend. Dies wird gewissermaßen auf der sprachlichen Ebene kompensiert durch die gehäufte Konstatierung des Notwendigen (ἀναγκαῖον in 726b30, b32, b35) und die Betonung der Offensichtlichkeit (φανερόν) und Korrektheit (ὀρθῶς) dieser Theorie in 727a4. Die vier Prämissen sind: a. Das schwächere Lebewesen (sc. derselben Art) produziert notwendigerweise (a.a) auch Residuum. Vom ‚stärkeren‘ männlichen Tier war ja gerade gezeigt worden, dass es Residuum in Gestalt von Sperma hervorbringt. Von ihm wird nun auf ein schwächeres artgleiches Tier extrapoliert. Allerdings (a.b) produziert es Residuum in größerer Menge und weniger stark verkocht. b. Ein solches Residuum muss notwendig eine Menge blutiger Flüssigkeit sein – hier wird von der begrifflichen Bestimmung des Spermas ausgegangen und extrapoliert, denn dieses war ja Residuum blutiger Nahrung. c. Schwächer ist dasjenige Lebewesen, das von Natur aus weniger an Wärme partizipiert.¹⁹⁸ Diese Prämisse erscheint, zumindest an dieser Stelle, als Axiom (oder auch einfach als Definition von ‚schwächer‘). d. Das weibliche Tier ist von dieser Art, d. h. es hat weniger an Wärme Anteil. Der Verweis, dies sei schon früher gesagt worden (εἴρηται πρότερον, 726b34), klingt nach einem Rückverweis innerhalb von GA oder des Corpus Aristote ‚κοινωνοῦν‘ klingt fast wie das akademische μετέχειν.

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licum überhaupt.¹⁹⁹ Aber es findet sich keine entsprechende Stelle. Wahrscheinlich übernimmt Aristoteles diese Ansicht unausgesprochen aus der Tradition.²⁰⁰ Hierzu ist zu bemerken: In (a.a) ist stillschweigend vorausgesetzt: ‚Wenn ein stärkeres Lebewesen [derselben Art] Residuum produziert, dann auch ein schwächeres‘. In (a.b) ist 1. bereits c. vorausgesetzt, 2. vorausgesetzt, dass das Verkochen durch Wärme bewirkt wird (vgl. GA IV 765b15 f.), 3. vorausgesetzt, dass eine geringere Verkochung zu größerem Volumen führt: das Verkochen ist also auch als ein Konzentrationsprozess gedacht. Die Schlusskette würde also lauten: Weibliche Tiere haben – nach der communis opinio – weniger an Wärme teil, also sind sie – nach c. – schwächer; schwächere Tiere produzieren – wie die stärkeren – Residuum, aber mehr und weniger konzentriertes; dieses Residuum muss – wie bei den stärkeren bei unvollständiger Verkochung (s. 726b7– 9) – blutig sein. Der ‚Umweg‘ über den Begriff des ‚Schwächeren‘ ist für diesen Schluss logisch nicht nötig und macht die Schlusskette nicht gerade übersichtlicher. Es wird aber so die Zuordnung ‚männlich–stärker/weiblich–schwächer‘ mit vermittelt. Nach diesem kurzen Beweis folgen Indizien (σημεῖα, 727a4 f.) für die Richtigkeit der These, dass auch die Katamenien ein Residuum sind, in Form von empirischen Beobachtungen (τὰ συμβαίνοντα περὶ αὐτά, 727a5). Wiederum zeigt die Partikel ἔτι an, dass es sich um Parallel‚belege‘ handelt. Auffällig ist eine gewisse Redundanz der eine innere Dopplung aufweisenden Indizien, mit der vielleicht die Schwäche in der ‚logischen‘ Argumentation aufgewogen werden soll: 1. a) altersgleiches Einsetzen von männlicher Spermaproduktion einerseits und weiblichen Katamenien andererseits (hier mit den Zusatzphänomenen der Stimmveränderung und der Brustentwicklung aufgeführt) und b) altersgleiches Aufhören der männlichen Zeugungsfähigkeit und der weiblichen Katamenien. 2. a) Meistens (ὡς ἐπὶ τὸ πολύ, 727a11 f.) – das Indiz scheint also etwas schwächer als etwa das erstgenannte – treten Blutungen aller Art nur auf,  Vgl. GA IV 1. 765b15 f.: ‚Männlich‘ und ‚weiblich‘ werden in Termini einer Verkochungspotenz bestimmt; PA II 2. 648a12: das Männliche verhält sich zum Weiblichen gemäß dieser Differenz, sc. dass sein Blut wärmer, dünner und reiner ist; Long. 5. 466b14– 16: Ursache für die (i. Allg.) größere Langlebigkeit der Männchen ist, dass sie wärmer sind als die Weibchen.  Vgl. Föllinger (1996a) 134 f.

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3.

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wenn die Katamenien sistiert haben. b) Und wenn doch einmal beides koinzidiert, ist die Reinigung durch die Monatsblutung schwächer. a) Das Phänomen, dass die weiblichen Lebewesen weniger stark ausgebildete und sichtbare Adern haben und glatter und ebenmäßiger sind als die männlichen, ist ebenfalls durch die ‚Katamenien-Residuen-These‘ ursächlich erklärbar (διὰ τὸ …, 727a17), und b) in demselben Ansatz „muss man“ (δεῖ, 727a18) auch die Ursache dafür sehen, dass bei den Viviparen die Körpermasse bei den weiblichen Tieren geringer ausfällt als bei den männlichen. Dies ist eine eigentlich unzulässige Verschärfung; denn es mag ein Indiz für die Richtigkeit der These sein, dass sie bestimmte Phänomene erklären kann, diese könnten aber durch abweichende Ansätze eventuell auch oder sogar besser erklärbar sein.

Die Passage endet mit einer kurzen Rückkehr ins Grundsätzliche, nämlich mit einer aus der behaupteten Natur der Katamenien gefolgerten Antwort auf die – eingangs des 19. Kapitels wiederholte – Frage des weiblichen Zeugungsbeitrags. Die Folgerung geschieht aus zwei Prämissen: 1. Was bei den weiblichen Tieren dem Samen der männlichen entspricht, ist das gerade Beschriebene, d. h. die Katamenien. Dies ist einfach ein Rückgriff auf den Beginn des Paragraphen (727a2 – 4). 2. Es können nicht zugleich – sc. bei ein und derselben Art – zweierlei Samenexkretionen statthaben. Dies ist ein hier nicht weiter begründetes Axiom, das etwas ‚vom Himmel fällt‘. Gewissermaßen als Ausgleich formuliert Aristoteles aber die Schlussfolgerung, dass weibliche Tiere kein Sperma zur Zeugung beitrügen, mit dem suggestiven „offensichtlich“ (φανερόν, 727a27). Diese Folgerung ergibt sich dann zwingend aus den beiden Prämissen, wenn man als naheliegende weitere Voraussetzung noch ergänzt: Für einen eventuell anzusetzenden weiblichen Samen kommt einzig das weibliche Analogon zum männlichen Sperma infrage. Die Schlussfolgerung wird nun noch einmal begründet (γάρ, 727a28) in Form eines indirekten Beweises (mit dem typischen, den Widerspruch herstellenden νῦν δέ), der fast wie eine bloße Übung in Beweistechnik wirkt: Angenommen, es gäbe doch weibliches Sperma. Dann könnte es aber nicht auch noch die weiblichen Katamenien geben. Nun gibt es diese aber. Redundant ist der Zusatz: Deshalb gibt es jenes, das weibliche Sperma, eben nicht. Will man dies nun nicht als eine abstrakte Spielerei, die einfach den Paragraphen wirkungsvoll, sozusagen ‚schlagend‘, abrundet, auffassen, könnte man

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folgendes mitverstehen: Die Ausbildung und Exkretion von Sperma bzw. Katamenien beruht, in dieser Theorie, auf einem Unterschied in Wärme- und Verkochungsvermögen von männlichen und weiblichen Tieren, und die beiden Exkretionsformen finden, ausgehend von (ein und demselben) Blut, auf verschiedenen Verkochungsstufen statt. Wenn nun, nach der Annahme im indirekten Beweis, erst auf der letzten/höchsten Verkochungsstufe sezerniert wird, kann nicht schon auf einer früheren sezerniert worden sein (sonst wäre nichts mehr zur weiteren Verkochung da). Und da tatsächlich, bei weiblichen Tieren, eben doch auf dieser früheren Stufe ausgeschieden wird, kann es danach nicht mehr zu einer Sekretion ‚auf höherer Stufe‘ kommen. Inhaltlich bleibt aber eine gewisse Tautologie und Redundanz, es scheint der formal schlagend wirkende Abschluss im Vordergrund der Autorintention zu stehen. Dieses Verfahren, eine eigentlich gerade klar hergeleitete Schlussfolgerung gleich noch einmal und redundant zu begründen, scheint uns ein aristotelisches Muster zu sein. Der erste Teil der folgenden binary transition variiert nun den Beginn des Paragraphen, indem er v. a. ὅτι (727a2) durch διότι (727a30) ersetzt, beide Konjunktionen stehen jeweils am Satzanfang.²⁰¹

Kapitel 19. 727a30 – 727b33 = § 14: Zusätzliche ‚martyria‘ zur Katamenien-Residuum-These Ab 727a30 werden noch weniger starke, zusätzliche ‚μαρτύρια‘ und stärkere σημεῖα aus dem Bereich der Empirie angeführt,²⁰² die etwas den Anschein einer ‚Materialsammlung‘ erwecken und auf HA zurückverweisen.²⁰³ Durch die Formulierung in der 3. Ps. Sg. des Potentialis wird eine Art objektivierende Distanzierung eingenommen. Unter den Indizien ist ein stärkeres σημεῖον (727b5 – 33), dass weibliche Tiere kein Sperma produzieren und dass das neue Lebewesen nicht aus einer Mischung beider geschlechtlicher Spermata entsteht. Dabei rekurriert Aristoteles auf das ‚Lustargument‘, indem er gegen die Pangenetiker hervorhebt, dass oft eine Empfängnis ohne weiblichen Orgasmus stattfindet. Für

 Aristoteles folgt hier streng der Unterscheidung ‚bloßes ὅτι‘ (HA) vs. ‚ὅτι und διότι‘ (PA und GA). Quarantotto nennt dies „constructing progessively complex pragmateiai from basic initial questions“, „proceed[ing] from hoti-questions to dioti-questions“ (Quarantotto 2017, 105 f.) gemäß APo. II 1.  Vgl. I 17. 721b28, wo auch stärkeren τεκμήρια (721b13) noch μαρτύρια nachgestellt werden.  HA III 18. 520b6 f.: ἔστι δ᾿ ἀγονώτερα τὰ πιμελώδη; PA II 5. 651b13 – 15: καὶ ἀγονώτερα δὴ τὰ πίονά ἐστι διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν.

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das Verständnis dieses Arguments muss man ergänzen, dass nach der gegnerischen Auffassung der Pangenesislehre die Lust dadurch entsteht, dass bei beiden Partnern beim Verkehr das Sperma im ganzen Körper erst produziert wird und dies zwingend mit der heftigen Lust verbunden ist. Eine Konzeption ohne diese Lust auch seitens der Frau wäre also unmöglich. Und umgekehrt, so Aristoteles, kommt auch dann, wenn die weibliche Lust nicht geringer als die männliche ist und beide Partner gleichzeitig zum Höhepunkt kommen – das wären nach der Pangenesislehre optimale Konzeptionsbedingungen –, keine Zeugung zustande, wenn nicht die Menstruationsflüssigkeit in ‚angemessenem Maß‘ vorliegt: diese ist also notwendig, aber eben kein Sperma. Die Voraussetzungen und Implikationen der Pangenesislehre setzt Aristoteles offensichtlich als bekannt voraus. Das ‚angemessene Maß‘ wird nun erklärt: Wenn die Katamenien ganz ausbleiben a), kommt es nicht zu Zeugung und b) meistens auch dann nicht, wenn die Menstruation zwar nicht grundsätzlich fehlt, aber die Blutung gerade im Gange ist. c) Eine Empfängnis kann vielmehr erst nach der ‚Reinigung‘ (s. o.) stattfinden. Die Befunde bei a) – c) werden wiederum begründet (γάρ, 727b14): a) Die dem Samen innewohnende Potenz hat keine Nahrung oder Materie, aus der sie das neue Lebewesen konstituieren könnte. Diese Begründung ist voraussetzungsreich. Denn die Auffassung des Monatsbluts als Materie für die Entstehung des neuen Lebewesens wird hier quasi unter der Hand und ohne weitere Begründung ins Spiel gebracht. Außerdem wird hier ohne weiteres die Gültigkeit der Alternative δύναμις – κατὰ τὸν ὄγκον (s. o. 726b18 f.) unterstellt. Im anderen Fall b) würde es mit der Masse der Menstruationsflüssigkeit mit herausgespült. Wenn aber c) die Masse mit Ablauf der Menstruation abgegangen ist, kann sich der verbliebene Rest konstituieren. Die explizite Zuordnung der drei Fälle zu a) – c) bleibt dem Rezipienten überlassen, wird aber allein schon durch die Reihenfolge der Aufzählung erleichtert. Schließlich wird das (sc. ausnahmsweise) Eintreten von Gegenbeispielen zu a) bzw. b) und c) erklärt, wobei auch hier die (einfache) Zuordnung dem Rezipienten überlassen wird. Im einen Fall, nämlich bei einer Konzeption trotz Fehlen der Menstruation, produzieren die Frauen ohne sichtbare Menstruation gerade soviel Residualblut, wie Menstruierende es nach der ‚Reinigung‘ noch übrig haben, mehr aber nicht; dieser Teil (727b21 f.) ist wieder etwas redundant. In den anderen Fällen, also wenn eine Konzeption während und nicht nach der Menstruation stattfindet, schließt sich der Muttermund unmittelbar nach der Reinigung. Die Frauen können empfangen, wenn der größte Teil des Menstruationsbluts abgegangen ist, die Reinigung aber nur in einem solchen Maße fort-

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besteht, dass das Sperma nicht wieder mit hinausgespült wird.²⁰⁴ Schließlich wird noch der (seltene) Fall behandelt, dass die Menstruation nach der Empfängnis fortdauert, eingeleitet mit οὐδὲν δὲ ἄτοπον – ohne dass dies im Folgenden, trotz des Begründungsanspruchs (γάρ, 727b26), wirklich näher erklärt würde. Stattdessen wird dieses Phänomen als krankhaft bezeichnet, weshalb es auch selten sei – und redundanterweise bildet den Schluss die Umkehrung: was meistens geschieht, entspricht auch am ehesten der Natur. Kapitel 19 endet mit dem 1. Teil einer binary transition, welcher die Offensichtlichkeit (727b33: δῆλον) festhält, dass der weibliche Zeugungsbeitrag im Bereitstellen der Materie (ὕλη) besteht. Dabei wird dieser Begriff ‚unter der Hand‘ eingebracht. Die latente Einführung neuer und durchaus wichtiger Begriffe konnten wir schon im Vorhergehenden beobachten.²⁰⁵

Kapitel 20. 727b33 – 729a33 = § 15: Wiederaufnahme der Diskussion der Pangenesislehre (Abwehr des ‚Lustarguments‘) und Festigung der eigenen Position durch Parallelargumente: v. a. mit empirischen Indizien, auch aus dem gynäkologischen Bereich, arbeitende Passage In diesem Kapitel untermauert Aristoteles seine These, dass das Weibchen keinen Samen, sondern Menstruationsblut beitrage, nochmals. Dabei bedient er sich erneut der Abwehr der Pangenesislehre, u. a. indem er wieder gegen das Lustargument vorgeht. Auffällig sind die vielen Indizien aus der Empirie, die Aristoteles hier mit seiner Theorie abgleicht. Nochmals gewinnt man den Eindruck, dass er auf ausführliches gynäkologisches Material zurückgreifen konnte. Ebenso vermittelt auch diese Passage den Eindruck, Aristoteles habe gewissermaßen eine Materialsammlung benutzt, um zu zeigen, dass seine Theorie mit allen Beobachtungen stimmig sei. Gleichzeitig schärft er seine Theorie aber auch nach und macht sie auf didaktische Weise verständlich, etwa in 728a25 – 27, wo er einen Vergleich mit der Botanik anstellt, oder in 729a9 – 14, wo er den Vergleich der Wirkung von Lab auf Milch anführt, um die Interaktion von männlichem Beitrag und weiblichem Beitrag zu veranschaulichen. Auch formuliert er auf eine etwas

 Hier fragt man sich, inwieweit diese Theorie von dem sich unmittelbar nach der Menstruation schließenden Muttermund empirisch gesichert oder eher spekulativ war. Man hat im Übrigen den Eindruck, dass Aristoteles auf eine relativ breite gynäkologische Erfahrung zurückgreift. Studien hierzu, die Vergleiche mit dem Corpus Hippocraticum anstellen, wären nötig.  Etwa derjenige der σύστασις (727b15, b17 f.).

Kapitel 20. 727b33 – 729a33

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überraschende Weise den Kern seiner Zeugungstheorie schon explizit, ohne ihn näher zu begründen (729a9 – 14).

727b33 – 728a9: Gleich zu Beginn verweist Aristoteles mit dem anonymen τινές auf die gegnerische Position. Dann aber holt er nicht zu einer größeren logischen Widerlegung aus, sondern er behauptet einfach apodiktisch, dass es sich bei der abgesonderten Feuchtigkeit nicht um Samen, sondern um eine regionale Flüssigkeit aus der Gebärmutter handelt. Damit ist implizit klar, dass er sich erneut gegen die Pangenesislehre richtet, die eine bloß regionale Herkunft des Spermas ja ausschließt. Aristoteles kann also offensichtlich voraussetzen, dass die Grundzüge der gegnerischen Theorie dem Rezipienten präsent sind und dieser solche nur impliziten Bezugnahmen erkennt. Es folgt nun aber kein Beweis. Vielmehr werden, jeweils mit γάρ (728a1u.2), zwei empirische Belege angeschlossen, die nicht weiter begründet werden, sondern für die die empirische Autorität des Autors genug sein muss: 1. Es gibt eine Flüssigkeitsabsonderung des Uterus – ein Phänomen, dessen Auftreten Aristoteles emphatisch durch ἔστι γάρ (728a1) betont. 2. Es gibt sie bei manchen Frauen, in Korrelation dazu, ob sie hellere oder dunklere Hautfarbe haben. Vom Rezipienten erwartet wird offenbar ein Akzeptieren der empirischen Autorität des Autors, die einzig durch diese – und die folgenden – Spezifizierungen legitimiert wird: – Die Quantität des weiblichen Ejakulats entspricht nicht der des (männlichen) Spermas, sondern ist deutlich größer. – Die Ernährung hat erheblichen Einfluss auf diese Quantität. – Auch die männliche Lustempfindung wird von der Spermaejakulation getrennt. Auf diese Weise wird allen Lustargumenten der Boden entzogen. Grundlage ist die These, dass die Lustempfindung beim männlichen Orgasmus auf einer Kompression des Pneuma beruht. Wieder wird dies nicht stringent begründet, sondern es werden Indizien aus der Empirie gebracht, die die These stärken, weil man mit ihr diese Indizien erklären kann. Diese Indizien werden nicht besonders markiert. – Es wird noch eine Beobachtung angeschlossen, die nur assoziativ mit dem Motiv der nicht mehr fertilen Männer verbunden ist, aber nicht zur Stützung der obigen Pneuma-Lust-These dienen kann, nämlich, dass Männer mit zerstörtem Sexualapparat mitunter an Darmschlaffheit leiden, da dann eine

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überschüssige Menge an Residuum da ist, das nicht zu Sperma verkocht werden kann. Ausgehend von den noch nicht fertilen Jungen (wörtliche Wiederaufnahme mit παῖς, 728a17) stellt Aristoteles nun die Assoziation zum knabenhaften Erscheinungsbild der Frau her und formuliert mit einem auf eine für ihn typische Weise Annäherung und Tentativität ausdrückenden ὥσπερ (728a18), die Frau sei wie ein nicht zeugungsfähiges Männchen, womit er sprachlich den Bogen schlägt zu 728a13. Die Begründung expliziert Aristoteles’ Theorie auf eine zugespitzte Weise (728b18 – 21): Das Weibliche sei durch ein ‚bestimmtes‘ Unvermögen charakterisiert. Es habe aufgrund der Kälte seiner Natur nicht das Vermögen, aus der letzten Nahrung Samen zu verkochen. Dabei ruft eine Parenthese die These in Erinnerung, dass diese Nahrung das Blut bzw. ein Pendant bei den blutlosen Tieren sei.

Wie oben bereits bemerkt, wird die relative Kälte der weiblichen Natur nirgends bewiesen. Im Grunde kann aufgrund bestimmter Indizien (Blut statt Samen) nur auf sie zurückgeschlossen werden. Aber die Tatsache, dass sie eine Art von communis opinio darstellte,²⁰⁶ dürfte sie zu einer Art endoxischen Prämisse gemacht haben. Abschließend wird in Assoziation zu der vorhin beschriebenen Schlaffheit des Darms bei Männern mit geschädigtem Sexualapparat eine Analogie hergestellt zu dem Zusammenhang von Menstruation und Diarrhöe.

728a25 – 30: Dieser Abschnitt hebt ab auf die Schlüssigkeit (εὐλόγως, 728a25) der aristotelischen Theorie insgesamt, die sich aus dem Vorhergehenden ergebe: Diese sei „daher offenkundig“ (Ὥστε φανερόν). Aber diese Wohlbegründetheit wird sogleich weiter begründet (γάρ, 728a26). Hierzu wird der Gedanke, dass die Katamenien bei der Verkochung eine Vorstufe des Spermas sind, dahingehend variiert, dass auf dieser noch zu verarbeitenden Vorstufe noch kein reines Sperma vorliege. Der kurze, die Theorie in einem grundsätzlichen Aspekt, der nur durch Assoziation eingeführt wird, neu nuancierende Abschnitt schließt mit einer auffallend prägnant formulierten zweifachen μέν–δέ-Korrespondenz. Aristoteles hat hier also eine Art von Zwischenschritt erreicht.

 Vgl. S. 56, 118.

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728a31–b32: Auf diese theoretische Zwischenbilanz folgen σημεῖα aus der Empirie, wobei die zu stützende Theorie auf alle Tiere mit Geschlechtertrennung ausgeweitet wird. Das typische ἔτι (728a34, a36, b18) erscheint als Indikator für die Parallelität der σημεῖα. Offenbar soll die Fülle der σημεῖα hier sozusagen eine ‚erdrückende Beweislast‘ bilden, und signifikanterweise verweist Aristoteles für die Vielfalt auf die Historia animalium (728b13 f.). Die perspektivische Rückkehr allein zum Menschen geschieht über dessen Sonderstellung, was die Quantität von Katamenien und Spermaproduktion betrifft, letztere ausdrücklich relativ zur Körpergröße.²⁰⁷ Der Nachsatz ἀναγκαῖον γάρ (728b17 f.) erweckt den Eindruck notwendiger Zusammenhänge und verdeckt, dass es sich um einen Rückschluss aufgrund eines Indizes handelt, der aber als definitive Ursache ausgegeben wird. Dennoch ist es plausibel (wenn auch vielleicht nicht ‚zwingend‘), dass im Rahmen der Vier-Qualitätenlehre bei dieser Kombination aus großem Flüssigkeitsreservoir (feucht) und hoher Stoffwechselaktivität (warm) die relativ (zu anderen Kombinationen) meisten Residuen entstehen. Mit ἔτι angeschlossen wird ein Zusatzargument, das Denkmuster des ‚Kompensationsgesetzes‘²⁰⁸ zugrundelegt. Der dann folgende Abschnitt (728b21– 32) greift (auch explizit) 727a5 – 8 mit wörtlichen Anklängen (vgl. 728b29 f. mit 727a8) wieder auf und weitet die dortige Argumentation etwas aus.

728b32 – 729a20: Der nächste Abschnitt ist überraschend, weil er mit seinem theoretischen Zugriff einen Bruch bietet zu der vorherigen ‚Materialsammlung‘ und weil er, was den ‚logischen‘ Aufbau angeht, irritierend ist. Man kann unseres Erachtens hier gut sehen, wie Aristoteles versucht, Ordnung und Kohärenz in den logischen Duktus seiner Darstellung zu bringen: Mit 728b32 weitet Aristoteles seine Theorie nun sogar auf Lebewesen ohne Geschlechtstrennung (Tiere und Pflanzen) aus, insofern er den Samen dieser

 Es wäre noch zu untersuchen, inwieweit solche Rückschlüsse auf das Vorherrschen bestimmter Elementarqualitäten in der Körperkonstitution bereits im Corpus Hippocraticum etabliert sind – und inwieweit diese so erschlossene Konstitution, auch im Corpus Hippocaticum, dann wiederum umgekehrt als Ursache für die Phänomene betrachtet wird, aus denen sie erschlossen wurde.  Vgl. oben, S. 116.

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Lebewesen mit einem ‚Keim/Embryo‘ (κύημα, 728b33) vergleicht. Dass dort ‚aus einem eines‘ entstehe, ist für ihn der Ansatzpunkt für das andersartige Geschehen bei den getrenntgeschlechtlichen Tieren, bei denen aus einem Zeugungsakt mehrere Nachkommen entstehen können. Hieraus ergibt sich für Aristoteles eine klare Widerlegung der Pangenesislehre. Diese ist also weiterhin präsent und offenbar keineswegs nach Kapitel 18 erledigt: Denn weder würde, so Aristoteles, das Sperma von ein und demselben Körperteil gleich in separater Mehrfach-Form abgesondert noch würde es sich bei oder nach Eintritt in den Uterus separieren. Warum beides undenkbar ist, wird nicht gesagt. Stattdessen wird nun mit der Ankündigung „sondern es geschieht, wie es vernunftgemäß (729a9: εὔλογον) ist“ die eigene Position dagegengestellt und im Blick auf das männliche Sperma in dieser Klarheit hier erst eingeführt. Denn in 19. 726b19 – 21 war explizit noch offen, ob das Sperma durch seine Masse oder kraft eines ihm innewohnenden Veränderungsprinzips fertil sei; dagegen war die materielle Natur des weiblichen Beitrags bereits geklärt (19. 727b31– 33). Die These ist: Das Männliche bietet die Form und den Anfang/das Prinzip der Veränderung, das Weibliche den Körper und die Materie. Begründet ist für Aristoteles die Formulierung der eigenen These an dieser Stelle damit, dass seine Theorie Mehrlingsgeburten erklären kann, die Pangenesislehre hingegen nicht. Aber in dieser expliziten Dezidiertheit ist die These dennoch überraschend. Denn auch wenn die Anwendung der Vier-Ursachen-Lehre am Beginn von Kapitel 1 schon genannt war, so ist sie doch (bis auf I 2) bisher nicht weiter thematisiert worden. Es findet nun auch keine weitere Erklärung bzw. Begründung statt. Vielmehr arbeitet Aristoteles nur mit einem expliziten und anschaulich-suggestiven Vergleich (οἷον–οὕτω, 729a11– 14), der seine abstrakte Erklärung mit dem Gerinnen von Milch parallelisiert: Der materielle Körper ist die Milch, das koagulierende Prinzip ist der Feigenbaumsaft oder das Lab. Jede Rechtfertigung, warum dieser Vergleich angebracht oder ‚vernünftig‘ sei, fehlt, vielmehr wird der Vergleich als gewissermaßen selbsterklärend angenommen, weil er gleich auf den Vorgang des μερίζεσθαι des männlichen Beitrags im weiblichen Beitrag angewandt wird (729a13 f.). Unseres Erachtens kann man hier besonders gut sehen, wie das Verfassen des Textes dazu dient, eine Gedankenordnung herzustellen: Aristoteles sucht nach den vielen Indizien, die für seine Theorie der Beschaffenheit von Menstruationsblut und Samen sprechen, einen Übergang, um seine These des Zusammenwirkens von Samen und Menstruationsblut zu formulieren. Diese wiederum braucht er, um im Folgenden (Kapitel 21) genauer auf die Art und Weise, wie der männliche Samen zur Zeugung beiträgt, einzugehen. Aber auch wenn auf dieser Mikroebene eine gewisse Prozesshaftigkeit festzustellen ist, wird doch ganz deutlich, dass er eine übergeordnete Disposition hat, ohne vielleicht noch genau

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den Ort, wo die exakte Erklärung folgen wird, im Sinn zu haben. Denn er bringt einen vagen Vorverweis, dass er auf die Aitologie der Mehrfachzeugung später eingehen werde (729a15 f.).²⁰⁹ Auch die hier noch etwas rätselhaft erscheinende Begründung, dass ausschlaggebend das quantitative Verhältnis von Samen und Menstruationsblut sei (772a19 – 21), weist voraus auf die spätere Erklärung. Ähnlich arbeiten auch wir heutzutage, wenn wir versuchen, Material und Ideen ‚logisch‘ zu verbinden und in einen konzisen Duktus zu bringen, und trotz Computer u. a. gelingt uns nicht immer eine reibungsfreie Konzinnität, auch wenn es uns aufgrund unserer Hilfsmittel möglich ist, präzisere Verweise anzubringen. Wie jeder, der eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, weiß, bietet gerade die systematische Einordnung einer großen Menge von Material in eine komplexe Theorie große Schwierigkeiten bei der Durchdringung dieses Materials und der logischen Darbietung.

729a20 – 33: Eine ausführlichere Passage bildet einen weiter ausholenden Abschluss der Behandlung der Zeugungsbeiträge. Hier betont Aristoteles, dass nicht nur aus der vorherigen Darlegung die Sache klar (729a23: δῆλον) sei, sondern auch, wenn man die Sache ‚abstrakt‘ betrachte (729a23 f.): κατὰ τὸν λόγον καθόλου σκοπουμένοις. Mit dem Dativ σκοπουμένοις, der sonst in GA nicht vorkommt, wird die Gruppe der Rezipienten und sozusagen Mitforschenden mit eingeschlossen. In eindringlichem Duktus wird dann die Notwendigkeit expliziert (ἀνάγκη, 729a24), dass die Beiträge von männlich und weiblich prinzipiell unterschieden sind, auch dort, wo beide Geschlechter in einem Lebewesen vorliegen. Sprachlich typisch und suggestiv ist der Abschluss, wenn Aristoteles seine eigene Theorie vom Männchen als dem Bewegenden und Aktiven und vom Weibchen als dem Erleidenden als indefinite Protasis und die Schlussfolgerung – das Weibchen trägt nicht γονή, sondern Materie bei – als potentiale Apodosis formuliert. Denn dies erlaubt ja, die Schlussfolgerung als eine ‚Möglichkeit‘ zu betrachten. Aber dann folgt unverzüglich und in kurzen Sätzen, dass genau das, was gerade als Möglichkeit genannt war, empirische Realität ist (729a31 f.: φαίνεται συμβαῖνον): Die Katamenien gehören in die Kategorie der ‚ersten Materie‘.

 Das Thema wird eingehend behandelt in IV 4. 771b14 ff.

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Kapitel 21. – 22. 729a34 – 730b32 = § 16: Die Art des männlichen Zeugungsbeitrags: erklärende, aitiologische, stark mit empirischen Indizien (v. a. im ersten Teil) und didaktischen Analogien arbeitende Darlegung Damit ist die eigentliche Zeugungstheorie vorbereitet, die in den folgenden beiden Kapiteln des ersten Buches (21– 22) entwickelt wird. Dass diese Kapitel zusammengehören, macht auf der formalen Seite die Paragrapheneinteilung deutlich, auf der inhaltlichen Seite die enge Zusammengehörigkeit der einzelnen Gedankenschritte und Aristoteles’ Bemühen, durch Analogien seine theoretische Anschauung zu illustrieren. In auffälliger Weise ersetzen in diesem Kapitel Vergleiche und Analogien die eigentliche theoretische Argumentation. Kapitel 21 beginnt mit einer metatextlichen binary transition, deren erster Teil mit einer kurzen Bemerkung Kapitel 20 beschließt, wobei die Formulierung im Imperativ Passiv der 3. Person, die an Gesetzessprache erinnert, auffällt: „es sollen … die Differenzierungen getroffen sein“ (man könnte fast formulieren: „als getroffen gelten“, 729a34: διωρίσθω).²¹⁰ Damit ist, wenn man diese ganze große Passage Kapitel 17– 23 im Rahmen der Kommunikation mit dem Rezipienten betrachtet, gewissermaßen die bisher erarbeitete Theorie als Prämisse der folgenden Ausführungen zugrundegelegt – vergleichbar mit dem dialektischen und auf die sokratische Diskursmethode des ὁμολογεῖν zurückgreifenden Verfahren, explizit das festzuhalten, was man gemeinsam anerkennt. Der zweite Teil kündigt an, welche Überlegungen sich nun anschließen müssten, nämlich solche zur Art und Weise des männlichen Zeugungsbeitrags. Damit greift Aristoteles die Ausgangsfrage in 17. 721b2 f. auf, wo nach dem ‚was‘ des männlichen Beitrags gefragt wurde. Nun geht es allerdings konkreter noch um das ‚wie‘. Dieses entfaltet Aristoteles in einer für ihn typischen Manier in Form eines Fragenkatalogs: 1. Auf welche Weise trägt das Männchen zur Zeugung bei? 2. Auf welche Weise ist der Samen des Männchens die Ursache für das Zeugungsprodukt: a. Ist er etwas, das im Zeugungsprodukt vorliegt und von Anfang an ein Teil von ihm ist, indem es sich mit dem Beitrag des Weibchens mischt? b. Oder hat der entstehende Körper keinen Anteil am Samen, sondern es sind die dynamis und kinēsis des Samens?

 Vgl. διωρίσθω τὸν τρόπον τοῦτον: 726b30, 729a34, 772b12, 786b5; θεωρείσθω 763b16; εἰρήσθω 788b2.

Kapitel 21 – 22. 729a34 – 730b32

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Sprachlich ist auffällig, dass Aristoteles hier anakoluthisch formuliert, also Merkmale einer ‚konzeptionell mündlichen‘ Sprache²¹¹ verwendet. Das hat den Vorteil der Unvermitteltheit, die den Rezipienten in den Gedankenprozess mit hineinzieht, aber Aristoteles gelingt damit auch die Wendung zu seiner eigenen Theorie. Denn die Möglichkeit 2a. wird gar nicht diskutiert. Die seiner Theorie entsprechende und durch den Anakoluth so unvermittelt präsentierte zweite Möglichkeit wird aber jetzt nicht näher begründet oder irgendwie anders theoretisch hergeleitet, wie dies in anderen Zusammenhängen etwa durch Eliminationsverfahren, Widerspruchsbeweise o. ä. der Fall war. Vielmehr wird sogleich die Lösung präsentiert (729b6 – 8.): Die unkörperliche Kinēsis und Dynamis des männlichen Zeugungspartners ist das, was Wirkung ausübt, das Menstruationsblut des Weibchens hingegen das, was sich konstituiert und die Form annimmt.²¹² Diese Theorie wird im Folgenden in der bekannten Weise auf doppelte Art begründet: Sie wird einer theoretischen Begründung (λόγος) unterzogen und durch Indizien aus der Empirie (ἔργα), die man mit der Theorie begründen kann, untermauert. Dadurch wird die Erklärungspotenz der eigenen Theorie demonstriert. Am Beginn der theoretischen Begründung wird mit dem Dativ ἐπισκοποῦσιν (729b9) auf eine objektivierende Weise der Adressat mit einbezogen. Dadurch, dass dieser Dativ des Standpunkts allgemein formuliert ist („für die, die generell (also theoretisch) die Sache betrachten, ist offensichtlich nicht …“), wird eine Regelhaftigkeit deutlich. Dies entspricht dem folgenden Vorgehen, bei dem Aristoteles in seine philosophische ‚Werkzeugkiste‘ greift und allgemein formuliert, dass aus dem, auf das eingewirkt wird (παθητικόν, 729b10), und dem, was wirkt (ποιοῦν, 729b11), keine Einheit entsteht, in dem das Wirkende Bestandteil wäre.²¹³ Diese Unterscheidung wird auf die beiden Geschlechter übertragen und das weibliche, ‚insofern es weiblich‘ sei, als παθητικόν bezeichnet. Die Unterschei-

 Vgl. oben, S. 51 mit Anm. 124.  Die Zusammenstellung συνίστασθαι … μορφὴν λαμβάνειν kommt ebenso vor in 733b20 f., 762a12 f.  In Ph. III 1– 3 behandelt Aristoteles die kinēsis. Im Vergleich mit der vorliegenden GA-Stelle fällt die parallele Erweiterung von ποιητικόν/παθητικόν auf ὅλως κινητικόν τε καὶ κινητόν in III 1. 200b30 f. auf. Bewegendes und Bewegtes stehen hier in einer Relation (τοῦ δὲ πρός τι … λέγεται, III 1. 200b28 f.), sind also wohlunterschieden. In III 2. 202a6 – 9 heißt es, das Bewegende wirke durch Berührung auf das zu Bewegende ein (θίξει, 202a7, a8). Dies dürfte den Fall ausschließen, dass es in dem durch die Bewegung Entstehenden enthalten ist, wie dies auch in GA an unserer Stelle ausgeschlossen wird. Ausführlicher geht Aristoteles auf den Kontakt (ἁφή) als notwendige Voraussetzung für Wirken und Leiden in GC I 6 ein, s. insbes. 322b21– 24. Eine Definition des Kontakts gibt er (bzw. wiederholt er) in 323a3 – 6.

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dung von πάσχον und παθητικόν und die Anwendung auf die Geschlechter wird hier als etwas Selbstverständliches formuliert, wurde vorher aber noch nicht so eingeführt. Als etwas ebenso Selbstverständliches formuliert Aristoteles, dass das Produkt beider keine Einheit sei. Er begründet diese Aussage nicht, sondern illustriert sie gleich mit zwei Vergleichen, dem Bett als ‚Produkt‘ aus Tischler und Holz und der Kugel als ‚Produkt‘ aus Wachs und Form. Auch die als ‚offensichtliche Schlussfolgerung‘ (729b18: δῆλον ἄρα) bezeichnete Aussage, vom Männchen werde nichts abgegeben bzw., wo es etwas absondere (diese Unterscheidung zielt auf Beobachtungen wie bei den Insekten), gehe es nicht in den werdenden Keim mit ein, wird hier nicht ganz verständlich oder besser gesagt: nur Rezipienten, die mit Aristoteles’ Philosophie schon sehr vertraut sind. Der Prozess wird ebenfalls nicht weiter erklärt, sondern Aristoteles bemüht einen dritten Vergleich, den von Heilkunst und Geheiltem. Gemeint ist hier wohl, dass zwar vom aktiven Teil etwas Materielles – die ärztlichen Instrumente – ausgehen kann, diese aber nicht ‚inkorporiert‘ werden. Es folgen nun die Indizien aus der Empirie, die Aristoteles’ Theorie insofern bestätigen, als diese sie erklärbar macht (729b22: διὰ τοῦτο). Diese sind: – die Insektenkopulation. Diese war schon im Vorhergehenden (I 18. 723b19‒ 24) als ein empirisches Indiz genannt. Sie bestätigt Aristoteles’ Theorie; denn da nach seiner Auffassung Insekten nicht über Samen verfügen, müssen bei ihnen – so Aristoteles – die wirkenden Kräfte Wärme und dynamis sein. Wir wollen an diesem Punkt kurz innehalten und uns vorzustellen versuchen, wie man sich den Prozess der Theoriebildung ausmalen kann: Natürlich müssen die Beobachtungen an den Insekten vorausgegangen sein und Aristoteles zu der Frage veranlasst haben, wie es hier zu einem Zeugungsprozess gekommen sein kann, wenn doch kein Samen vorliegt. Bei der Darstellung geht er dann umgekehrt vor: Er präsentiert die ‚Theorie‘ und nennt die empirischen Fakten als bestätigende Indizien. So führt er als weitere empirische Beobachtung an, dass bei diesen Tieren die Kopulation lange dauere, aber das Zeugungsprodukt, die Larven, schnell vorhanden sei. – die als „stärkstes Indiz“ bezeichnete Doppelbefruchtung von Windeiern (729b33 – 730a17). Wie der Argumentationsgang klar macht und am Anfang explizit gesagt wird (Μέγιστον σημεῖον … τοῦ μήτε ἀπὸ πάντων ἰέναι τὸ σπέρμα), ist hier auch immer noch die Pangenesislehre das Angriffsziel. Der ‚Clou‘ bei diesem etwas schwer nachzuvollziehenden Indiz ist wohl, dass das Küken nach der Pangenesislehre eigentlich von beiden befruchtenden Hähnen Charakteristika haben müsste, was aber nicht der Fall ist. – die Befruchtung bei den Fischen (730a18 – 23): Ein bloßes Berühren der Fischeier durch die männliche Milch führt bereits zur Befruchtung. Dies passt

Kapitel 21 – 22. 729a34 – 730b32

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nach Aristoteles dazu, dass das Männchen nicht zur Quantität, sondern ausschließlich zur Qualität beiträgt, d. h. dass es keinen materiellen Beitrag zum Fötus leistet. Mit 730a24 setzt Aristoteles zu einer Art von Resümee an: Der Samen kommt nicht vom ganzen Körper bei denjenigen Tieren, die Samen produzieren. Das Weibchen trägt auf andere Weise als das Männchen zur Zeugung bei: das Männchen die ἀρχὴ κινήσεως, das Weibchen die ὕλη. Dabei vertieft er manche Punkte des vorher Dargelegten. So zieht er in einem ersten Schwung (730a28–b8) seine Theorie allgemein zur Begründung heran, warum Weibchen allein nicht zeugen können (wobei er in seiner wissenschaftlichen Genauigkeit aber durchaus auf die Windeier hinweist, bei denen es immerhin bis zu einem bestimmten Grad gelingt²¹⁴), um dann dazu überzuleiten, dass beide ihren Zeugungsbeitrag im Weibchen platzieren, weil dort der Stoff ist.Wiederum folgen Vergleiche: Ein Tischler und ein Töpfer seien stets bei ihrem Stoff, wie der Hausbau bei den Häusern, die gebaut werden. Mit diesen Vergleichen will Aristoteles verdeutlichen, dass der Zeugungsbeitrag des Männchens immateriell ist. So vergleicht er die Seele des Tischlers, die seine Hände bewegt, die wiederum die Instrumente gebrauchen, mit der ‚Natur‘ des Männchens, die den Samen als Instrument gebraucht. Es ist eine Fülle von Vergleichen, mit denen Aristoteles so starke bildliche Vermittlungen gibt, dass die abstrakte Theorie fast dahinter zurücktritt. Dass diese Analogien als didaktische Hilfen gemeint sind, wird deutlich in der Formulierung, dass sie vielleicht fasslicher machen würden (730b8 f.: λάβοι δ᾿ ἄν τις ἐκ τούτων), auf welche Weise die aristotelische Theorie den Beitrag des Männchens erklären kann. Bekanntlich gehört der Vergleich mit dem Tischler zu Aristoteles’ Lieblingsvergleichen innerhalb von GA. Bei Tieren, die keinen Samen emittieren, hält Aristoteles allerdings eher den Vergleich mit einem Töpfer für angebracht, der ‚direkt‘, ohne Werkzeug, mit der Materie arbeitet (730b24– 32). Mit ihrer Repetition und Redundanz hat diese letzte Passage des Kapitels 22 eine gewisse didaktische Wirkung. Gleichzeitig gewinnt man den Eindruck, dass Aristoteles selbst mit den zahlreichen, schon im Vorhergehenden in den Kapiteln 21– 22 gebrachten Analogien, die zum Teil die theoretische Erklärung ersetzen, aber auch mit der Wiederholung und Modifikation²¹⁵ hier am Abschluss selbst auf der Suche danach ist, wie er seine Theorie am besten darlegen könnte. Man ist sozusagen Zeuge des Prozesses, wie der eigene Weg der Erkenntnisgewinnung in  Vgl. dazu Föllinger (2010b).  Balme (1992) 153 spricht davon, dass Aristoteles‘ „language … imprecise“ sei, weil er bei den Entsprechungen der Analogien wechselt. Aber unseres Erachtens ist dies ein Resultat des Prozessualen, das hier den Weg der Erkenntnisvermittlung betrifft.

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Erkenntnisvermittlung umgesetzt werden soll. Gleichzeitig gibt der von Aristoteles verwendete Vergleich einen Hinweis darauf, dass Vergleiche nicht nur der Darstellung für ein Gegenüber dienen, sondern auch für den Forscher selbst eine Hilfestellung zur Theoriegewinnung sein können, insofern sie einen Prozess in Worte fassen, für den weder ein konzeptioneller Zugriff noch eine Fachsprache, ja nicht einmal ‚notwendige Metaphern‘²¹⁶ existieren.

Kapitel 23. 730b33 – 731b14 = § 17: Beschluss des ersten Buches mit Blick auf das gesamte Tierreich und Ausblick auf die Pflanzen: resümierend mit Aitiologie für die Zweigeschlechtlichkeit, stilistisch schön gearbeitet Das 23. Kapitel nimmt Gedanken des ganzen 1. Buches auf und weitet den Blick über das Tierreich hinaus auf die Pflanzen, indem es die Fortpflanzung von Tieren und Pflanzen vergleicht. Damit gewinnt Aristoteles’ Theorie etwas Geschlossenes und Abgerundetes, vermag sie doch die ganze belebte Welt zu integrieren, auch wenn, wie es explizit heißt, die Pflanzen Gegenstand einer anderen Abhandlung sind (731a29 f.). Es ist ein schön gearbeitetes Kapitel, das auch ein Dichterzitat integriert, mit Wertungen arbeitet und in emotionalisierender Sprache für die ‚Wohlüberlegtheit‘ der Natur und die Wertigkeit jedes lebenden Wesens einnimmt. Indem Aristoteles hier eine Aitiologie für die Zweigeschlechtlichkeit bringt, bereitet dieses Kapitel gleichzeitig auf den Beginn des zweiten Buches vor, der die Aitiologie für Zweigeschlechtlichkeit kosmologisch einbindet. Am Beginn (730b33 – 731a2) steht die Gegenüberstellung der Tiere mit Fortbewegung, bei denen die Geschlechter unterschiedlich sind, auch wenn diese Tiere der ‚Form‘ nach identisch sind²¹⁷, und der Pflanzen, bei denen die Vermögen gemischt vorlägen. Aus dieser Mischung resultiert ein κύημα (Keim), das Aristoteles hier von der γονή der getrenntgeschlechtlich Zeugenden absetzt. Das gibt ihm Anlass, Empedokles – ausnahmsweise affirmierend²¹⁸ – wörtlich zu zitieren, dessen Ausdrucksweise, die Bäume würden Eier gebären, zutreffe, weil das Ei ein Keim sei, aus dessen einem Teil ein Lebewesen entstehe, wohingegen der andere als Nahrung gebraucht werde. Das Empedokleszitat dient eindeutig der Ästhetisierung, ebenso die poetische, an Platons Symposion (191c‒d) angelehnte und in

 Vgl. hierzu oben, S. 64.  Vgl. auch Metaph. Α 9 und Föllinger (1996a) 128 f.  Vgl. Föllinger (2022b). .

Kapitel 23. 730b33 – 731b14

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GA II 1. 732a10‒12 wiederaufgenommene Ausdrucksweise, dass bei den Tieren mit Geschlechtertrennung bei der Zeugung ihre Natur eins werden wolle (731a12 f.: καὶ βούλεται ἡ φύσις αὐτῶν ἓν γίγνεσθαι). In Umkehrung dazu heißt es kurz darauf (731a21 f.), Tiere seien wie entzweigeschnittene Pflanzen. In dem wertenden Resümee wird die Natur erneut personalisiert: „Und all dies bringt die Natur wohlüberlegt zustande“ (731a24: Καὶ ταῦτα πάντα εὐλόγως ἡ φύσις δημιουργεῖ) und ihr wohlüberlegtes Vorgehen folgendermaßen begründet (731a25: γάρ): Die Funktion (ἔργον) und Tätigkeit (πρᾶξις) der Pflanzen bestehe allein in der der Reproduktion (σπέρματος γένεσις), so dass die Natur²¹⁹ sie als Mischung strukturiert habe und Männchen und Weibchen nicht getrennt seien. Aufgabe der Tiere aber sei die γνῶσις, insofern die αἴσθησις γνῶσις sei (731a33 f.).Warum dies ein Grund für die Geschlechtertrennung ist, wird hier nicht gesagt. Dies mag damit zusammenhängen, dass Aristoteles in einer für ihn typischen Weise von der Aitiologie abgleitet, weil er die Bemerkung zur γνῶσις nutzt, um eine Art von Plädoyer einzuschieben, das für die Wertschätzung jeder Art von Lebensform wirbt und so auf gewisse Weise an PA I 5 erinnert. Dabei integriert er mit dem Dativ σκοποῦσιν (731a34 f.), wie bereits des öfteren, auf objektivierende Art einen größeren Adressatenkreis, der zur Teilnahme an der Reflexion bzw. der Beobachtung der verschiedenen Grade von αἴσθησις eingeladen wird. Dass es sich dabei um Wertigkeiten handelt, drücken die Begriffe τίμιον bzw. ἄτιμον (731a34) aus. Durch die viermalige Wiederholung von πρός (allerdings haben die ersten beiden und die zweiten beiden je unterschiedliche Bedeutung) ist die Passage gut stilisiert. Denn es kommt auf den Standpunkt an, wie man eine ‚niederere‘ Form der Aisthesis in Form von Tast- und Geschmackssinn bewertet: In Relation zum Vorhandensein von φρόνησις „scheint sie sozusagen nichts zu sein“, aber in Relation zu Pflanzen oder Steinen „bewundernswert“ (θαυμάσιον, 731b2). Und Aristoteles fügt wertend und mit emotionalisierender Ausdrucksweise hinzu: „Denn allgemein schätzt man es wohl, wenigstens über diese Art von Erkenntnisvermögen zu verfügen und nicht tot und nicht seiend dazuliegen“ (731b2– 4: ἀγαπητὸν γὰρ ἂν δόξειε καὶ ταύτης τυχεῖν τῆς γνώσεως ἀλλὰ μὴ κεῖσθαι τεθνεὸς καὶ μὴ ὄν.). Während sich also die Tiere mit getrennten Geschlechtern von den anderen durch die αἴσθησις unterscheiden, teilen sie mit ihnen das ἔργον des Lebens. Darum findet bei ihnen eine Vermischung in Form von Kopulation statt. Aristoteles unterscheidet hier ζῷα von ζῶντα (731b4 f.), womit wohl die Pflanzen gemeint sein müssen, vielleicht aber auch deshalb, weil er am Abschluss auch die ὀστρακόδερμα nicht unerwähnt lassen möchte (731b8 – 14), die eine

 Die Natur muss hier noch Subjekt sein; denn es heißt μίξασα in 731a27.

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Buch II 1-3

Zwischenstellung zwischen Pflanze und Tier einnehmen.²²⁰ Mit dem metatextlichen Vorverweis, dass man über diese später sprechen müsse,²²¹ schließt das Buch I ab. Das 23. Kapitel darf insgesamt sicher als eine bewusste Abrundung der bisherigen Darstellung gelten, indem es eine ästhetisch geformte und sachlich begründete Globalsicht auf das Tier- und Pflanzenreich entwickelt. Die hierin eben als Sachgründe mit einbezogenen, zuvor – argumentativ nicht immer ganz stringent – entwickelten Thesen gewinnen so, da sie in eine solch große ‚Natur-Vernunft-Harmonie‘ münden bzw. zu integrieren sind, im Nachhinein erheblich an Überzeugungskraft.

Buch II 1-3 Die ersten drei Kapitel von Buch II schließen direkt an Buch I an, insofern Aristoteles in ihnen weiter seine allgemeine Zeugungstheorie ausführt. Mit Kapitel 4 beginnen die Ausführungen über die speziellen Arten von Zeugung, die bis zum Ende des 3. Buches reichen. Sie werden nach Tierklassen unterschieden, wobei Buch II aus der Gruppe der Bluttiere die Lebendgebärenden behandelt. Im Einzelnen entsprechen den Kapiteln folgende Paragraphen: Kapitel 1 = § 1 (731b18 – 732a25): Finalursache der Zweigeschlechtlichkeit § 2 (732a25 – 733b16): Verschiedene Modi der Fortpflanzung § 3 (733b16 – 735a29): Problem der Embryogenese Kapitel 2 = § 4 Die Natur des Spermas Kapitel 3 = § 5 Samen und Beseelung

Kapitel 1. 731b18 – 735a29 Das erste Kapitel lässt sich in drei Abschnitte gliedern, die der Paragraphengliederung entsprechen. Der erste Abschnitt (731b18 – 732a25) ordnet die Finalursache der Zeugung kosmologisch ein und verbindet damit den Prinzipiencharakter der Geschlechter. Der zweite Abschnitt (732a25 – 733b16) behandelt die verschiedenen Modi der Fortpflanzung. Der dritte Abschnitt (733b16 – 735a29) ist dem Problem der Embryonalgenese gewidmet.

 In 731a31, b6, 741a3 bezeichnet ζῶντα Lebewesen im Allgemeinen, also Pflanzen und Tiere.  GA III 11.

Kapitel 1. 731b18-732a25

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Kapitel 1. 731b18 – 732a25 = § 1: Finalursache der Zweigeschlechtlichkeit: deduktive, stilistisch schön gearbeitete Passage 1 Inhalt Bei diesem Abschnitt handelt es sich um eine inhaltlich und stilistisch gut ausgearbeitete Passage. Sie ist insofern singulär, als Aristoteles hier eine Finalursache der Zweigeschlechtlichkeit benennt, sie auf diese Weise in den kosmischen Zusammenhang einordnet und damit eine teleologische Erklärung gibt, die die sonst für Naturprozesse übliche Teleologie²²² bzw. Teleonomie²²³ überschreitet. Der Zweck der Zweigeschlechtlichkeit ist es, Einzelwesen aus dem Bereich des Werdens zu der einzigen Form von Ewigkeit zu verhelfen, die ihnen möglich ist: Sie können nicht ‚numerisch‘, aber der Art nach ewig sein. Das bewegende Prinzip, das die Bewegungsprozesse in der Fortpflanzung verursacht und außerhalb des Erzeugers liegt, nennt Aristoteles hier das Göttliche und Schöne (τὸ δὲ καλὸν καὶ τὸ θεῖον, 731b25 f.). Mit diesen Gedanken und auch terminologisch (metechein, metalambanein) referiert Aristoteles auf das platonische Symposion, wo Eros als Streben nach dem Schönen die Zeugung verursacht und deren Zweck in der ‚Ewigkeit der Art‘ gesehen wird.²²⁴ Damit knüpft das zweite Buch an das Ende des ersten Buches an, und ein ‚erster Durchgang‘ durch die Zeugungstheorie wird inhaltlich durch den Verweis auf eine die Werdensprozesse übersteigende Finalität und auf ästhetisch ansprechende Weise nochmals abgerundet. Die globale Ausweitung der Perspektive auf eine übergeordnete kosmisch-theologische Ebene, die mit einer den eigentlichen Bereich der Zeugung übersteigenden Finalität der Zeugung operiert, ist ungewöhnlich.

2 Abgeschlossenheit der Passage Die Passage wird eröffnet durch eine zweifache metatextliche Bemerkung. Diese weist zum einen zurück auf die vorhergehenden Ausführungen (731b19: εἴρηται πρότερον). Damit bezieht sich Aristoteles einerseits auf die Ausgangsthese des

 Vgl. Leunissen (2010).  Zur Anwendung dieses (von Pittendrigh 1958 geprägten) Begriffes auf Aristoteles’ Vorstellung von der Zweckgerichtetheit natürlicher Prozesse vgl. Kullmann (2007) 283.  Platon, Smp. 206b–209e, insbes. 206e7– 207a4 (Mensch) u. 207c9–d23 (Tiere allgemein).

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Buch II 1-3

ersten Buches (I 2. 716a4 f., a12 f., b9 f.), dass das Weibliche und Männliche Prinzipien der Zeugung seien, auf die vorläufige Definition des Männlichen als das, was in ein anderes zeugt, und des Weiblichen als das, das in sich selbst zeugt, sowie auf seine ‚dynamische‘ Interpretation dieser Begriffsbestimmung (716a17– 23),²²⁵ andererseits aber, insbesondere durch den terminus technicus ὁ λόγος τῆς οὐσίας (731b19 f.), auf die Zuordnung der beiden Geschlechter zu bestimmten Verursachungsformen, wie er sie in I 2. 716a5 – 7 thesenhaft vorweggenommen, in I 20. 729a9 – 11 eingeführt²²⁶ und schließlich in I 21. 730a27 f. als geklärt betrachtet hatte. Zum anderen deutet die metatextliche Bemerkung voraus auf das, was folgt: a) auf den Grund der Geschlechtsentstehung, für den Aristoteles auf das Zusammenspiel von Materialursache und Bewegungsursache verweist, und damit zusammenhängend die Frage, um welche Materie es sich handelt, und b) auf die Überlegung, dass hier die Unterscheidung von „besser“ und „schlechter“ anzusetzen sei. Die Durchführung des ersten Aspektes wird auf später verschoben, wobei die betreffende Formulierung (731b22: προϊόντα πειρᾶσθαι δεῖ φράζειν τὸν λόγον) zum Ausdruck bringt, dass Aristoteles die später folgenden Ausführungen als etwas noch zu Entwickelndes verstehen möchte. Eine metatextliche Bemerkung, dass über die (finale) aitia nun gesprochen sei, schließt die Passage ab, und das μέν in 732a24 wird aufgenommen im δέ des nächsten Paragraphen (732a25). Wieder ist der logos als Gang der Argumentation, der den ‚roten Faden‘ bildet, personalisiert (731b22), so dass auch auf metatextlich-disponierender Ebene hier der Bogen geschlagen ist zum Beginn von Buch I (715a15 – 18).²²⁷

3 Argumentation Diese Passage ist über große Strecken beweisend, deduktiv: Die Begründung für die These operiert mit der Überlegenheit des Lebens, das an die psychē gebunden ist. Zuerst wird diese Überlegenheit festgestellt, dann wird plakativ formuliert, dass es deswegen die Fortpflanzung gebe (731b29 – 31), und darauf folgt eine tiefergehende Argumentation. Dieses Vorgehen ist didaktisch einprägsam und gut durchdacht.

 Vgl. oben, zu den jeweiligen Stellen.  Die Zuordnung der Materie zum weiblichen Zeugungsbeitrag war bereits I 19. 727b31 f. geklärt.  Vgl. dazu oben, S. 23.

Kapitel 1. 731b18-732a25

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Die Argumentation kann man folgendermaßen umreißen: Die Zeugung sorgt für diejenige Form von Ewigkeit, die dem einzelnen Lebewesen möglich ist: die der Art, die wiederum nur durch die Zeugung besteht. Das Kapitel beginnt mit einem Resümee der vorangegangenen Darstellung, dass das Weibliche und das Männliche Prinzipien der Zeugung seien und was ihr Vermögen und ihre ‚Wesensbestimmung‘ ausmache (731b18 – 20). Dann folgt eine Art metatextlicher Bemerkung, die wieder den logos personalisiert (προϊόντα πειρᾶσθαι δεῖ φράζειν τὸν λόγον, 731b22) und durch die Verwendung von πειρᾶσθαι das Prozessuale des später fortzusetzenden Unternehmens betont. Dieses werde auf der Ebene von Bewegungs- und Materialursache zeigen, warum die Geschlechter entstünden und existieren. Davon abgesetzt wird knapp und Spannung erzeugend die folgende These: Dass die Entstehung und Existenz der Geschlechter besser und durch eine Finalursache bedingt sei, leite sich aus einem höheren Prinzip ab. Ἄνωθεν (731b23) ist hier wohl nicht räumlich als Verweis auf den kosmischen Himmel zu verstehen, wie Peck vermutet,²²⁸ sondern im übertragenen Sinn²²⁹. Aristoteles kann so erweisen, dass das zentrale biologische Phänomen der Fortpflanzung einen direkten – nicht von den Gegenständen der Astronomie vermittelten – kausalen Bezug zum „Schönen und Göttlichen“ (731b25 f.) hat und so die Biologie es in einer über PA I 5 noch hinausgehenden Weise wert ist, dass man sich mit ihr befasst, gerade auch im Vergleich mit der Astronomie. Die These wird sogleich begründet. Ein erster Begründungsschritt ist mit 731b35 – 732a1 abgeschlossen, und jetzt formuliert Aristoteles im Potentialis und mit leichter Verschiebung: Da die Geschlechter Prinzip der Fortpflanzung sind, liegt ihre Finalursache in der Zeugung (die ja wiederum für die Ewigkeit der Art nach sorgt).Wieder beginnt ein Beweisgang eher tentativ, der dann, mehr oder weniger abrupt, ins Bestimmte umschlägt, wie wir es vergleichbar auffällig auch schon in I 2 beobachten konnten.²³⁰ Die Aussage verwundert zunächst inhaltlich, gerade im Vergleich mit I 2 (716a4 f.). Dort nämlich, wie auch eingangs des II. Buchs, wurden das Männliche und das Weibliche als die Prinzipien der Fortpflanzung bezeichnet. Hier hingegen wird ihre Existenz mit der Finalursache der Fortpflanzung der Arten begründet. Aber vielleicht muss man wieder die Erklärungsebenen unterscheiden, die Aristoteles zu Beginn (731b21– 24) differenziert hatte: Auf sozusagen Biologie-immanenter Ebene, d. h. vor allem unter dem Aspekt der (auch die Form ,in sich tragenden‘) Bewegungs- und der materiellen Ursache, sind das Weibliche und das Männliche Prinzipien der Zeugung (so ex Peck (1943) 129 mit Anm. e.  Vgl. Balme (1992) 155. Siehe auch die Parallele in GA V 7. 788a13 – 16 und Bonitz, Index aristotelicus 69a20 f.: „a loco transfertur ad seriem quamlibet“.  Vgl. oben, S. 95.

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Buch II 1-3

plizit auch in I 2. 716a5 – 7, 20. 729a9 – 11, 21. 730a27), von höherer Warte aus (ἄνωθεν, 731b23) dagegen sind sie selbst final verursacht durch das Ziel der die Ewigkeit der Spezies sichernden Zeugung und Reproduktion. Ab 732a3 wird dann in einem zweiten Schritt die noch ausstehende Begründung der Geschlechtlichkeit in Angriff genommen: Warum gibt es eine Trennung von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘? Denn diese Begründung fehlt ja noch, zumal Aristoteles auch mit Phänomenen ungeschlechtlicher Fortpflanzung rechnet. Im Einzelnen wird die knappe Aussage, hinsichtlich der Finalursache habe die Zweigeschlechtlichkeit ihren Ursprung „von oben her“, wie folgt in zwei Schritten begründet: Im ersten Schritt werden, mit ἐπεὶ γάρ (731b24) eingeleitet, zwei – hier nicht weiter begründete – Prämissen genannt: 1. Von den bestehenden Dingen sind die einen ewig und göttlich,²³¹ die anderen bestehen nur auf kontingente Weise. 2. ,Das Schöne‘ und ,das Göttliche‘ sind Ursache für das Bessere, sofern es in den nicht ewig bestehenden Dingen vorliegt, und diese Dinge ,partizipieren‘ auf kontingente Weise am Besseren (und am Schlechteren). Dazu werden einschlägige Besser-Schlechter-Relationen wie Seele–Körper u. a. konkret benannt; dass das erste Glied der Relation jeweils ‚besser‘ ist, erscheint hier als axiomatische Voraussetzung. Auffällig sind die Anklänge an akademische Philosopheme, wie ja die ganze Passage durch das platonische Symposion inspiriert erscheint. Aus diesen Gründen (διὰ ταύτας τὰς αἰτίας, 731b31), so Aristoteles, gebe es tierische Zeugung/Fortpflanzung. Dies ergibt sich aus 1. und 2. aber nicht bzw. nicht ohne weiteres als gültiger Schluss; so wundert es nicht, dass er zur näheren Begründung (γάρ, 731b31) doch noch eine Argumentation nachschiebt: Weil die Natur dieses Genos von Tieren unfähig ist, ewig zu bestehen, ist das Werdende auf diejenige Weise ewig, die ihm möglich ist: der Art nach (731b35: εἴδει). Hierzu werden in einer pointiert-knappen, parallel konstruierten Antithese (mit μὲν οὖν-δέKorrespondenz zweier Dativi modi) zwei Weisen, ewig zu sein, unterschieden, parenthetisch unterbrochen durch eine Begründung (γάρ, 731b34) der Unmöglichkeit des ersten Falls.²³²

 Dies ist eine Qualifizierung, die sich auch im Rahmen der gleichen dihairetischen Einteilung alles von Natur aus Bestehenden in PA I 5. 644b22– 25 findet.  Diese Begründung geht aus von einer axiomatischen (und antiplatonischen) Grundannahme, an die sich – ohne explizite logische Verbindung – eine im Irrealis formulierte reductio ad absurdum anschließt; in dieser sehr verknappten reductio ist das Subjekt vom Rezipienten zu supplementieren, ebenso die Bedeutung von τοιοῦτον (731b34) mit Peck 1943, 130, Anm. a: ἀριθμῷ ἀΐδιον; ἀΐδιον (731b35) ist wieder in einem schlechthinnigen Sinne zu verstehen (wie oben in

Kapitel 1. 731b18-732a25

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Parallel zu διὰ ταύτας τὰς αἰτίας γένεσις ζῴων ἐστίν (731b31) erscheint nunmehr das Fortbestehen jeweiliger Arten als ausreichend begründet (διὸ γένος ἀεὶ … ἐστί, 731b35 f.). Der zweite Schritt stellt den Zusammenhang her zwischen der γένεσις der einzelnen Arten und den beiden Geschlechtern als dem Ursprung dieser γένη und damit den Zusammenhang zur Ausgangsfrage des Paragraphen. Dieser Teil beginnt wiederum damit, dass durch ἐπεί ein Grund für die folgende Aussage (,Vorwärts-Schluss‘), die im Potentialis formuliert ist, vorangestellt wird: Die beiden Geschlechter dürften wohl um der genesis willen (in diesem Fall besteht also das (Doppel‐)Prinzip um des Prinzipiierten willen) und damit (nach Schritt 1) letztlich um des Besseren willen – das darin liegt, wenigstens in einem gewissen Modus ewig zu sein – bestehen. Der elliptisch verkürzte Zusatz ,ἐν τοῖς ουσιν‘ (732a3, coni. D. L.) ist einerseits eine – für Aristoteles typische – einschränkende Präzisierung, betont aber zugleich auch, dass die herausgestellte Finalursache tatsächlich bis in die Ebene der konkreten Realisation der beiden Geschlechter hineinwirkt. Das abschließende Argument dieses Abschnitts ist unabhängig von dem im ersten Schritt ausgeführten und stützt sich, in der 2. Prämisse, erneut auch auf eine axiomatische, nicht weiter begründete Annahme: 1. Prämisse: Der Anteil, den der männliche Partner beisteuert – Bewegungsursache und damit λόγος und εἶδος – ist höher zu bewerten als die ὕλη als Beitrag des weiblichen Partners. 2. Prämisse: Es ist besser, wenn „Stärkeres“ und „Geringeres“ getrennt sind. Deshalb sei – soweit möglich – das Männliche vom Weiblichen getrennt. Dies wird gleich aber noch einmal begründet (γάρ, 732a7), wobei die in Buch I getroffene Zuordnung der beiden Geschlechter zu den Formen von Verursachung wiederholt wird. Diese Begründung (732a7– 9) nimmt ringkompositorisch den das zweite Argument einleitenden Genetivus absolutus (732a3 – 5) wieder auf. Insofern sie dessen Konkretisierung darstellt, ist die Begründung nicht redundant. Dem schlechthinnigen Getrenntsein der beiden Geschlechter wird nun die temporäre Vereinigung zur Zeugung kontrastierend gegenübergestellt (vgl. auch I 23. 731b5 – 8). Der kurz begründende Schlusssatz rundet – in typischer Weise – die Passage ab mit einer kaum zu bestreitenden Feststellung (732a11 f.), deren Selbstverständlichkeit der Argumentation insgesamt und tendenziell, sozusagen rückwirkend, eine hohe Plausibilität verleiht.

731b24–b32) – so ergibt sich der Widerspruch zu den Grundunterscheidungen zu Beginn des Kapitels: ein einzelnes Lebewesen wäre eine ewige Substanz.

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Den Abschnitt 732a11– 23 setzt Peck²³³ unnötigerweise in Klammern. Dieser Abschnitt gehört nämlich eigentlich noch zum Gedankengang hinzu. Denn Aristoteles geht hier noch einmal darauf ein, dass bei den ‚Tieren‘ (ζῷα) die Geschlechter in der Regel getrennt sind. Ausschlaggebend dafür ist die αἴσθησις. Damit nimmt Aristoteles einen Gedanken aus I 23 wieder auf und verbindet diesen Gesichtspunkt, wie dort, mit der Fortbewegung. Man sieht hier also schön die Vernetzung der Gedankengänge. Auch verweist Aristoteles nochmals auf die Ausführungen in Buch I zur Unterscheidung in Samen produzierende Tiere und Tiere ohne Samen. Dabei fügt er eine an früherer Stelle nicht gegebene, mit Wertungen arbeitende Erklärung an: Unter den lokomotorischen Tieren sind die höheren zugleich auch autarker (732a17) und deshalb in der Regel größer. Da es sich dabei um blutführende Tiere handelt, ist die größere Wärme und die Größe auch ausschlaggebend für die Samenproduktion. Genau besehen, ist der Schluss von ‚größer‘ auf ,wärmer (im Sinne von innerer, ,psychischer‘ Wärme)‘ nicht ‚zwingend‘ (732a18 – 20); er lautet: Notwendig werde das größere Lebewesen von einer größeren Kraft bewegt, das Warme aber habe die Kraft zu bewegen; daraus folgt das Vorliegen größerer innerer Wärme, wenn – und dies ist stillschweigend vorausgesetzt – nur diese innere Wärme als ,bewegende‘ dynamis in Frage kommt. Die Schwäche auf der argumentativen Ebene wird aber kompensiert durch eine Dichte von Begriffen der Notwendigkeit, die mit (notwendig) kausaler oder konsekutiver Bedeutung einen zwingenden Zusammenhang zum Ausdruck bringen: αἴτιον, ὥστε, οὐκ ἄνευ, ἀνάνγκη γάρ (732a17– 19). Der folgende Satz zieht, aus der Perspektive ,aufs Ganze gesehen‘ (732a20 f.), eine Folgerung (διόπερ, 732a20), die so streng genommen nur dann gilt, wenn ,innere Wärme‘ nicht nur, wie eben behauptet, notwendig, sondern auch hinreichend ist für eine erhebliche Körpergröße; zugleich werden die blutführenden Tiere (hier) stillschweigend als solche von höherem Wärmegrad angesetzt. Schließlich ist der Bezug des Pronomens ἅπερ (732a22), das den die Passage bündig abschließenden Relativsatz einleitet, über das zuletzt genannte kongruente Substantiv (τὰ πορευτικά) hinweg herzustellen auf τὰ ἔναιμα – denn alle Bluttiere ejakulieren Sperma (vgl. I 17. 721a30 f.), aber nicht alle lokomotorischen. Ferner fällt auf, dass am Schluss innere Wärme und Körpergröße summarisch auf eine Stufe der Verursachung gestellt werden (διὰ τὴν … καὶ τὸ …, 732a22 f.), während für die Spermaproduktion nur die höhere Wärmepotenz direkt kausal ist.

 Vgl. Peck (1943) 132, Anm. 4 und d.

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Andererseits ‚passt‘ diese Gleichstellung zu der gerade eben stillschweigend unterstellten logischen Äquivalenz von innerer Wärme und Größe des Körpers.²³⁴

4 Struktur und sprachlich-stilistische Gestaltung Bei diesem ersten Teil des ersten Kapitels handelt es sich um eine sprachlichstilistisch ansprechend und gut ausgefeilte Passage: 1. Stilistisch lässt sich vermerken, dass die beiden Geschlechter den ‚Kopf‘ des ersten Satzes bilden, so dass Gewicht auf ihnen liegt. 2. Es wird am Beginn mehrfach durch μέν und δέ gegliedert, so dass die Struktur deutlich wird. 3. Aristoteles schließt geschickt, jeweils als indirekte Frage, an eine bereits abgehandelte Problemfrage unmittelbar eine noch zu lösende an (mit Polyptoton τίς – διὰ τί der Interrogativpronomina). 4. Zuerst wird eine These aufgestellt: Die ἀρχή des Umstandes, dass die Prozesse sich, wie sie sich abspielen, um des Besseren und der Finalursache willen abspielen, liegt auf einer höheren Ebene. Dann wird mit γάρ (731b24) eine Begründungs‚kette‘ angehängt. 5. Begriffe, die für die Argumentation wichtig sind, häufen sich und bilden eine Art von Klangmuster: ἀΐδιος (fünfmal), was, natürlich, in der Tendenz der ganzen Passage begründet ist, aber auch die Häufung wertender Begriffe ist auffällig: βέλτιον, das siebenmal vorkommt, und θεῖον bzw. θειότερον, das viermal vorkommt.

5 Vernetzung mit dem weiteren Kontext von GA 731b19: εἴρηται πρότερον Vor dem metatextlichen Abschluss des ersten Paragraphen (732a24 f.) greift die kurze Passage 732a11– 25 zweifach auf das erste Buch zurück, im zweiten Fall metatextlich explizit (732a15). Zunächst steht die auch die Pflanzen umfassende, globale Perspektive von I 23 insgesamt, die bereits in I 1 angeklungen war, vor Augen. Außerdem fällt die  Auch nach Aristoteles’ eigenen Zuordnungen gilt diese Äquivalenz nicht streng: Es gibt (im Verhältnis kältere) ovovivipare Selachier, die deutlich größer sind als viele (wärmere) Vivipare. Aber hier kommt es nur auf die grobe Unterscheidung zwischen Sperma produzierenden und nicht Sperma produzierenden Tieren an, entsprechend setzt er großzügig die Perspektive ἐπὶ τὸ πᾶν βλέψαντας (732a20 f.) an.

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Wiederaufnahme des akademischen μετέχειν aus I 23 (731a32) in 732a11 f. auf, ebenso die zweimalige Wiederholung von μεταλαμβάνειν (731b28, 732a18). Zudem wird nun im Rückgriff auf die eingangs I 17 getroffene Unterscheidung zwischen Sperma ejakulierenden Arten und solchen, die kein Sperma produzieren, die in I 17. 721a34 aufgeworfene Frage nach der Ursache für diesen Unterschied erst hier beantwortet.

6 Einbindung des Rezipienten Ausdruck der Notwendigkeit bei gleichzeitigem Verweis auf Prozessualität des weiteren Forschungsunternehmens: 731b22 Einführung der Perspektive unabhängiger Dritter: 732a20 f. (βλέψαντας)

Kapitel 1. 732a25 – 733b16 = § 2: Verschiedene Modi der Fortpflanzung: vorwiegend deskriptive Passage 1 Inhalt Aristoteles führt verschiedene Zeugungsarten vor: 1. lebendgebärend, wobei das Produkt vollendet ist (außer an Größe): Mensch, Pferd, Rind, Delphin 2. Tiere, die zunächst intern Eier erzeugen, dann lebendgebärend sind: Selachier 3. vollendete Eier gebärende Tiere: Vögel, Eidechsen, Schildkröten, die meisten Schlangen 4. nicht vollendete (d. h. erst außerhalb zur Vollendung gelangende) Eier gebärende Tiere: Schuppenfische, Crustazeen (Malakostraka), Kephalopoden 5. larvengebärende Tiere, bei denen aus der Larve zuerst etwas Eiartiges entsteht, aus dem sich dann das Tier entwickelt: Insekten 6. Aristoteles hält eine mit dem Kriterium der ‚Füßigkeit‘ arbeitende Klassifikation in diesem Fall für ungeeignet,²³⁵ weil die Zeugungsart davon unabhängig ist, wie er mit verschiedenen Beispielen zeigt. Der Grund ist nicht in der ‚Füßigkeit‘ zu suchen, sondern vielmehr in der Frage, wie vollkommen das Tier ist, was wiederum von seiner Wärme abhängt. Deshalb korrelieren eine Lunge, vor allem – insofern die Lungenatmung der Abkühlung eines relativ hohen Niveaus innerer

 Eine solche Klassifikationsmethode findet man etwa in Platons Politikos (261c–266d).

Kapitel 1. 732a25 – 733b16

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Wärme dient – eine gut durchblutete, weiche Lunge, und der Wärmegrad direkt mit dem Vollkommenheitsgrad eines Tieres.

2 Abgeschlossenheit der Passage Es gibt keine Einleitungsformel, aber durch die Abschlussformel des vorhergehenden Abschnittes und durch die Partikel δέ (732a25) wird der Einschnitt klar. Anders als Peck lassen wir diesen Paragraphen bis 733b16 reichen. Denn Aristoteles resümiert am Schluss die unterschiedlichen Zeugungsweisen. Mit dem Satz Τὰ μὲν οὖν οὐ γίγνεται τῶν ζῴων beginnt dagegen eine neue Perspektive: die Entstehung des Embryos. Dazu führt Aristoteles nochmals die von ihm im ersten Buch erarbeitete Dichotomie an. In 733b23 findet sich ein relativischer Satzanschluss, der den folgenden Paragraphen eng anbindet. Auch das Resümee (733a32–b16) macht die Geschlossenheit der Passage deutlich.

3 Argumentation Es handelt sich um die Verbindung einer Präsentation von Material bzw. von Ergebnissen der Materialuntersuchung mit Beweisen dafür, dass die verschiedenen Fortpflanzungsmodi mit den unterschiedlich hohen Vollkommenheitsgraden korrelieren.

732a25–b7: Am Beginn steht die dihairetische Unterscheidung: 1. vollkommene Nachkommen 2. unvollkommene Produkte 2a. Eier (Bluttiere) 2b. Larven (Insekten) 1a. von Beginn in sich lebendgebärend 1b. am Beginn in sich eiergebärend, dann nach außen lebendgebärend 2a1. vollendete Eier gebärend 2a2. unvollendete Eier gebärend

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732b8 – 14: Nun sucht Aristoteles systematisch nach mit den verschiedenen Fortpflanzungsmodi möglichst ko-extensionalen Eigenschaften, zunächst geht er dazu von der übergeordeneten Einteilung in blutführende und blutlose Tiere aus: Alle Lebendgebärenden oder Eierlegenden sind Bluttiere, mit Ausnahme vollkommen steriler Tiere gilt auch die Umkehrung: man sieht, wie er systematisch nach 1– 1-Entsprechungen sucht. Unter den Blutlosen sind die Insekten larvipar, ob sie geschlechtlich oder ob sie spontan entstehen. Hier verdrängt vielleicht die explizite Erinnerung an diese letztere Differenzierung die systematische Frage, ob auch die Umkehrung der Zuordnung gilt. Das negative Ergebnis eines zweiten Abgleichs, mit anderen Klassifikationsmerkmalen, nimmt Aristoteles mit dem terminus technicus der epallaxis (732b15) vorweg: hier ergeben sich viele Überschneidungen. Dies zeigt er systematisch a) für die Merkmale ,zwei-/vierfüßig‘ anhand konkreter Gegenbeispiele zu hypothetischen Zuordnungen, die er chiastisch gruppiert: zweifüßig – vivipar, zweifüßig – ovipar, vierfüßig – ovipar, vierfüßig – vivipar, und b) (ab 732b20) für das Kriterium ,Tiere ohne/mit Füßen‘ durch positiven Nachweis, dass es in beiden Klassen sowohl vivi- wie ovipare Tiere gibt, ebenfalls in chiastischer Anordnung. Vor dieser Negativfolie eines explizit erfolglosen (732b26 – 28) Abgleichs folgt 732b28 ff. die aristotelische Aitiologie: Die Fortpflanzungsart hängt vom Vollkommenheitsgrad des Lebewesens ab. Diese Passage ist begründend (gut sichtbar an der Häufung von γάρ) und klar: Lebendgebärende bringen vollendetere Nachkommen hervor. Die Existenz einer Lunge ist ein Zeichen für ein höherstehendes Tier, weil sie für das Atmen da ist, was wiederum ein Zeichen größerer Wärme darstellt. Die folgenden Ausführungen bringen weitere Begründungen für diese These: Die Eier von Vögeln und Fischen sind die Produkte von ‚Wärme und Trockenheit‘, die Selachier wiederum sind weniger warm als Vögel und Fische, aber feuchter. Deshalb bieten sie eine Kombination: Sie produzieren Eier wegen der ‚Kühle‘, sind aber lebendgebärend wegen der Feuchtigkeit. Eine Begründung bietet eine hier nicht weiter begründete, aber aus der Empirie evidente Prämisse, die wie ein ‚Merksatz‘ eingeschoben wird (733a11 f.: ζωτικὸν γὰρ τὸ ὑγρόν, πορρωτάτω δὲ τοῦ ἐμψύχου τὸ ξηρόν). Dem folgen zusätzliche Begründungen anderer Art: 1. Finalursache: weiche Eier werden nach innen produziert um des Schutzes willen; die nach außen produzierten Eier wie die von Schuppentieren sind härter; 2. ‚mechanische‘ Ursache: die körperliche Beschaffenheit der Tiere erzeugt eine ebensolche Beschaffenheit der Eihülle. Für die Insekten, die Larven produzieren, verweist Aristoteles auf später (733a32: ἐν τοῖς ὕστερον).

Kapitel 1. 732a25 – 733b16

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Eine wertende Abschlusspassage (733a32–b16) bringt ein Resümee, das mit dem Hinweis auf die Wohlgeordnetheit, die die Natur verfolge, beginnt (733a32 f.).

4 Struktur und sprachlich-stilistische Gestaltung Der Passus wirkt übersichtlich und gut gegliedert. Die Darstellungsweise ist zum einen deskriptiv im Rahmen der Suche nach mit den Fortpflanzungsmodi ko-extensionalen Eigenschaften. Auffällig sind hier die chiastisch gruppierten Gegenbeispiele bzw. Zuordnungen in der Verbindung mit οὔτε/οὐδέ und dann mit καί (732b15 – 26). Da die Begründungen mit der „Vollkommenheit“ als Argument arbeiten, häufen sich die Ausdrücke „vollkommen“ (τέλειος) und „warm“ (τελεώτερα 732b28, b31; τέλειον 733a1, a2, a2, a5; θερμότερα 732b31, 733a3; θερμότης (φυσική) 732b32, 733a7). Seinen eigenen Ansatz, der die Fortpflanzungsart mit dem Grad der Vollkommenheit begründet, bringt Aristoteles mit einschneidendem ἀλλά (732b28), nachdem er im Vorhergehenden die Aussichtslosigkeit der Unterscheidung nach ‚Füßigkeit‘ durch Doppelung der Ablehnung dieses Ansatzes unter verstärkter Negation der zweiten Ablehnung (732b26 – 28: οὐκ ἔστι …, οὐδ’ … οὐθὲν …) betont hat. Der letzte Abschnitt (733a32–b16) ist in sich geschlossen und ‚rund‘, da die fünf Arten der Zeugung rekapituliert werden. Hier verwendet Aristoteles eine Junktur, die eine Norm beinhaltet: Man muss erkennen (Δεῖ … νοῆσαι, 733a32), dass das Wirken der Natur „gut“ und „geordnet“ (ἐφεξῆς) ist. Die folgende ‚Scala‘, die in Form einer Antiklimax voranschreitet, begründet diese Aussage (γάρ, a33).

5 Vernetzung 733b12: ὥσπερ εἴρηται: Verweis auf das Vorhergehende (733a24– 32, insbes. a31) 732b14: Verweis auf frühere Ausführungen (auf I 1): ἡ δ’ αἰτία εἴρηται πρότερον ἐν ἑτέροις: 733a32: Verweis auf später: ἐν τοῖς ὕστερον διοριοῦμεν (auf III 9)

6 Einbindung des Rezipienten Verweis auf eine allgemeine Norm in 733a32: Δεῖ … νοῆσαι

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Buch II 1-3

Kapitel 1. 733b16 – 735a29 = § 3: Problem der Embryogenese: stark diskursive Passage 1 Inhalt Aristoteles entwickelt hier eine, modern gesprochen, epigenetische Sicht der Dinge, die er von einer Präformationstheorie absetzt. Dabei erläutert er seine Vorstellung an den ‚automatischen Puppen‘: Die Embryonalgenese wird von einem ersten Bewegenden in Gang gesetzt. Dann läuft die Entwicklung wie eine Kette ab, indem eines nach dem anderen entsteht, was aber nicht heißt, dass eines ‚aus‘ dem anderen entsteht.

2 Abgeschlossenheit der Passage Es gibt keine richtige Einleitungsformel, aber durch die Absetzung mit δέ (733b18) wird deutlich, dass hier ein Einschnitt ist. Dagegen beendet eine Abschlussformel (735a27– 29) die Passage, wobei betont wird, dass es sich um eine ‚Aitiologie‘ handelt.

3 Argumentation Die Passage ist ab 733b23 diskursiv. Man hat den deutlichen Eindruck, dass Aristoteles etwas ‚entwickelt‘ und dabei mit der Argumentation ‚kämpft‘. Dabei bezeichnet er die Ausgangfrage als ἀπορία. Aber das ist sie streng genommen nicht, weil es sich nicht um eine mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ zu beantwortende Alternativfrage handelt, sondern Aristoteles nach dem ἐξ οὗ, dem ὑπὸ τίνος und dem τί fragt. Die Frage nach dem ἐξ οὗ ist schnell abgehandelt, denn die Antwort lautet: πρώτη ὕλη, die bei den Spezies, je nachdem etwa ob sie eierlegend oder lebendgebärend sind, unterschiedlich zum Einsatz kommt. Aristoteles schließt diese Frage mit einer kurzen Abschlussbemerkung in 733b30 f. ab und kommt mit einer neuen Einleitungsfloskel ζητεῖται νῦν zu der eigentlich interessierenden Frage, was das Movens der Embryonalgenese ist, ausgedrückt mit ὑπὸ τίνος bzw. ὑφ’ οὗ. Im Folgenden wird ein Katalog von Möglichkeiten entwickelt, der ein wenig die Begrifflichkeit aporia zu rechtfertigen scheint. Die Dreiteilung des Katalogs ist auffällig und scheint darauf hinzudeuten, dass es die dritte Möglichkeit ist, auf die Aristoteles hinauswill. In der Tat werden die Möglichkeiten b1 und b2 weiter unten (734a14 f.) mit einer – an dieser Stelle axiomatisch eingeführten – Prämisse ausgeschlossen; sie erscheinen so als aus aristotelischer Sicht eher abwegige, ja fast

Kapitel 1. 733b16 – 735a29

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‚künstlich‘ eingeführte Möglichkeiten, um überhaupt erst einmal eine Mehrzahl alternativer Möglichkeiten zu haben und die formale Gestalt des zetetischen Problems zu wahren (bzw. von 733b32 f. her fortzuführen).²³⁶ Die Möglichkeiten sind: a) Entweder wirkt ein movens von außen oder b) ein movens im Sperma und dann b1) als Teil der Seele oder b2) als Seele oder b3) als etwas, das Seele hat. Im Folgenden wendet Aristoteles die aus der Dialektik stammende Methode des Eliminationsverfahrens an²³⁷ und arbeitet mit Widerspruchsargumenten, wobei er zuerst konstatiert, dass etwas ἄλογον ist und dann mit γάρ die Begründung anführt: Die erste Möglichkeit a), dass die Bewegung von außen kommt, wird ausgeschlossen, weil für das Wirken einer κίνησις Berührung nötig ist, die aber nicht vorliegt. Hier liegt eine – aus der Physik und aus GC kommende – unausgesprochene Prämisse zugrunde. Also bleibt b) mit seinen drei Möglichkeiten. Aber Aristoteles wechselt jetzt unausgesprochen zu einer anderen Unterteilung als der im Vorhergehenden gegebenen Dreiteilung unterschiedlicher ‚Teilhabe‘ an der Seele. Jetzt ist die Unterscheidung folgende: das Bewegende, das im Keim sein muss, ist entweder als Teil von ihm darin oder getrennt. Die zweite Möglichkeit wird im Folgenden widerlegt, wobei auch die Empirie angeführt wird: Etwas vom Keim Getrenntes müsste entweder noch vorhanden sein nach der Hervorbringung des Keimes. Dem aber widerspricht die Beobachtung (734a8: φαίνεται mit Partizip). Die Alternativauffassung, dass dieses extern Wirkende verschwindet, widerlegen verschiedene Argumente, so dass Aristoteles abschließend feststellen kann, dass das Bewegende im Keim ist und von Anfang an darin ist (734a13 f.). Eine weitere Schlussfolgerung schließt sich an: Falls die Prämisse gilt, dass kein Körperteil ohne Seele ist, muss auch dieses μόριον von Anfang an beseelt sein (734a14– 16). Dies dürfte wohl mit der dritten Möglichkeit von vorher: ‚etwas hat Seele‘ identisch sein. Im Folgenden (ab 734a16) wendet sich Aristoteles der Entstehung der weiteren Organe zu. Hier kommt er nun offensichtlich zu einer ganz zentralen Darlegung. Dies merkt man daran, dass er außergewöhnlich viele Beispiele benutzt und damit den Rezipienten besonders einbindet. Er eröffnet wieder mit einer Alternativfrage die Diskussion: Entstehen alle Körperteile gleichzeitig oder nacheinander? Dass er sich für die zweite Möglichkeit entscheiden wird, darauf scheint schon seine Hinleitung durch ein Dichterzitat hinzudeuten („nacheinander“, wie es im orphischen Text heiße, 734a18 f.), das eine theoretische Formulierung ersetzt bzw. als Auftakt steht für die folgenden

 Zu diesem Gebrauch von aporia vgl. Gelber (2018) 157– 162.  Vgl. hierzu Föllinger (1993) 269 – 272.

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Begründungen: Sie stammen aus der empirischen Beobachtung, deren Richtigkeit noch unterstrichen wird durch die Widerlegung eines möglichen Einwandes, man könne nur aufgrund der Kleinheit nicht erkennen, dass alles schon da sei. Die Empirie wird flankiert durch ein logisches Argument (734a29 – 33): Wenn ein Organ das nächste hervorbringen würde, müsste die Form schon in diesem vorhanden sein (wie etwa die der Leber im Herzen), was Aristoteles mit der typischen, abschließende Praeteritio καὶ ἄλλως δ’ ἄτοπος καὶ πλασματίας ὁ λόγος kommentiert. Bei dieser Argumentation legt Aristoteles seine Differenzierung von ἐνέργεια und δύναμις als Prämisse zugrunde. Dass Aristoteles breit auf eine Theorie, derzufolge die Organe auseinander entstehen, eingeht, zeigt, dass es einen breiteren Diskurs darüber gegeben haben muss. In der folgenden Passage (734a33–b4) wird ein Argument ausgebreitet, das sich wohl gegen die präformistische Anschauung der pangenetischen Samenlehre wendet. Dieses Argument ist nicht zwingend. Es scheint vielmehr, als ob Aristoteles hier ein Dilemma konstruieren wolle, um dann einen Lösungsversuch starten zu können (Πειρατέον δὴ ταῦτα λύειν, 734b4).²³⁸ Hierzu zieht er als Prämisse den allgemein geläufigen Satz πᾶν ἐκ σπέρματος … γίγνεται heran (vgl. I 17. 721b6 f.: Δοκεῖ …). Er tritt hier gleichsam nochmals einen Schritt zurück und stellt etwa auch das zuvor bereits Erreichte (nämlich dass das Agens ein ἐνυπάρχον τι ἐν τῇ γονῇ … ἔχον … ψυχήν sei, 733b33 – 734a1) noch einmal radikal in Frage. In 734b4 setzt Aristoteles neu ein. Mit dem am Beginn stehenden πειρατέον wird der Rezipient zum Mitwirken in einem diskursiv-reflexiven Prozess aufgefordert. Aus der Sprache der Dialektik stammen der Begriff ἀπορία in 733b23 und die Bezeichnung des Vorgehens als eines ζητεῖσθαι in 733b31, ebenso der Umstand, dass in 734b4 von λύειν die Rede ist.²³⁹ Es handelt sich aber im Folgenden nicht um ein formal-logisches Vorgehen. Vielmehr kann man förmlich beobachten, wie Aristoteles mit der Erklärung ‚ringt‘ und sie gleichzeitig durch Vergleiche zu verdeutlichen sucht. Es ist auffällig, wie viele Vergleiche er hier verwendet. So greift er unverzüglich, um seine theoretische Erläuterung des durch den Samen initiierten Bewegungsprozesses zu verdeutlichen, auf das Beispiel der αὐτόματα τῶν θαυμάτων zurück. Der Vergleichspunkt ist offensichtlich, dass beiden Prozessen sukzessive Wirkursachen zugrundeliegen, die der Betrachter nicht sehen kann. Der Grund für die Verwendung des Vergleichs an dieser Stelle scheint zu sein, dass Aristoteles noch keine Fachbegrifflichkeit hat, um die Beschreibung des

 Zu Aristoteles’ Konstruktion von Aporien in refutativer Funktion vgl. Gelber (2018) 156 f.  Zu dieser Terminologie vgl. oben, S. 53.

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Prozesses abstrakt zu formulieren²⁴⁰ (vgl. seine Formulierung in 734b7– 10: τὸ μὲν οὖν τὸ σπέρμα λέγειν ἢ ἀφ’ οὗ τὸ σπέρμα οὐθὲν διαφέρει ᾗ ἔχει τὴν κίνησιν ἐν ἑαυτῷ ἣν ἐκεῖνο ἐκίνει. ἐνδέχεται δὲ τόδε μὲν τόδε κινῆσαι, τόδε δὲ τόδε, καὶ εἶναι οἷον τὰ αὐτόματα τῶν θαυμάτων. „Einerseits macht nun von Sperma zu sprechen oder von demjenigen, von dem das Sperma kommt, keinen Unterschied, insofern es den Impuls in sich hat, den jenes in Bewegung gesetzt hat. Andererseits ist es aber möglich, dass dieses jenes bewegt, und jenes ein weiteres, und dass es so ist wie die Automatentheater“); gleichzeitig kann der Rezipient durch das mentale Bild der Automata sehr gut ‚begreifen‘, wie man sich den Prozess vorzustellen hat. Wie bei diesen geht vom ersten Glied, dem Samen, eine Bewegung aus, die sukzessive etwas in Bewegung setzt, so dass die Bewegung alle Folgeglieder erreicht, auch wenn sie nicht selbst mit dem Ausgangsbeweger Kontakt haben. Ein weiterer bereits eingeführter Vergleich, der Vorgang des Hausbauens und das fertige Haus, dient der Illustration, dass die vom Samen ausgehende Bewegung nichts Äußerliches ist. Dieser Vergleich ersetzt hier eine wissenschaftliche Argumentation bzw. einen Beweis, und Aristoteles schließt mit dem Hinweis auf die Offensichtlichkeit dessen ab (734b17– 19), dass das, was die Bewegung anstößt, nichts Individuelles ist und auch nichts, was als etwas Fertiges im Keim vorliegt. Für die Lösung des folgenden Problems (ab 734b19), wie die einzelnen Körperteile gebildet werden, greift Aristoteles auf die Analogisierung mit der künstlichen Herstellung zurück: In beiden, Natur und künstlicher Produktion, entstehe etwas durch den Anstoß eines Seienden, das aktual sei, aus etwas, das potentiell sei. Diese abstrakte Erklärung, für die Aristoteles seine Konzeption von Akt und Potenz und die von ihm für diese eingeführte Fachterminologie von energeia und dynamis zur Verfügung steht, illustriert er mit den Vergleichen von Axt und Schwert: Es sind nicht Wärme und Kälte, die das Instrument herstellen, sondern der λόγος, der durch die Bewegung vermittelt wird. Es ist schwierig, den Begriff λόγος (735a2) zu übersetzen, auch wenn sachlich klar ist, was er meint.²⁴¹ Auch hier ist wieder ersichtlich, dass Aristoteles keine Fachterminologie hat, weswegen er semantisch vielfältige Begriffe benutzt. Wärme und Kälte haben also einen Einfluss auf das Material, aber nicht darauf, dass aus diesem das spezielle organon Axt wird. Auf den ersten Blick erscheint es merkwürdig, dass Aristoteles gerade ein Werkzeug als Beispiel wählt, aber dies ist deshalb sinnvoll, weil für ihn die Körperteile auch ‚Instrumente‘ sind. Die Analogisierung von technē und physis  Vgl. S. Föllinger, Narrative elements in Aristotle’s On Generation of Animals (in Vorbereitung).  Peck (1943) 155 übersetzt λόγον τὸν τῆς τέχνης mit „the logos of the Art“, Lefebvre (2014) 1619 gibt logos mit „la raison“ wieder.

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hat allerdings eine gewisse Einschränkung, auf die Aristoteles unter der Hand hinweist (735a2– 4): ἀρχή und εἶδος sind bei der Kunst in einem Anderen, im natürlichen Prozess ist die κίνησις im Entstehenden selbst, stammt aber von einer anderen physis, die das eidos aktual hat. Nachdem so die erste Aporie gelöst ist, kommt Aristoteles im abschließenden Abschnitt (735a4– 26) auf die Frage nach dem Verhältnis von Samen und Seele zurück, reduziert das Problem aber nun auf eine reine Alternativfrage: Hat der Samen psychē oder nicht? Die folgende Darlegung ist dicht gedrängt und didaktisch gestaltet durch die Vergleiche: Es gibt bestimmte Abstufungen von dynamis, was Aristoteles mit dem Unterschied zwischen einem schlafenden und einem wachenden und beobachtenden Geometer vergleicht (735a11 f.). Dies führt ihn zu der Feststellung, dass Ernährungs- und Zeugungsseele ein und dieselbe sind und dass, wenn das Herz als erstes im Embryo entsteht (darauf war er ja schon in Buch I eingegangen), dieses der Beginn der übrigen Bildung ist. Eine Abschlussformulierung (735a27– 29) betont, dass die Diskussion der eingangs (733b23) entfalteten Problematik nun beendet sei.

4 Struktur und sprachlich-stilistische Gestaltung Die Möglichkeiten, wie das movens des männlichen Partners wirkt, werden im potentialen Optativ formuliert (733b33 f.), also tentativ. Diese Ausdrucksweise scheint uns typisch zu sein, und sie stellt auch eine Form der Rezipienteneinbindung dar, insofern es diesen anregt, diese Positionen hypothetisch zu erwägen. Die Passage 733b23 – 734a16 bietet, entsprechend dem dialektischen Zugriff, eine Häufung von ἄλογον, ἄτοπον und ἀδύνατον. Die Meinung, dass ein Teil aus einem anderen entstehe, tut Aristoteles harsch (und durch eine Praeteritio vestärkt) als ἄτοπος und πλασματίας ab (734a33). Mit dem Begriff πλασματώδης wird eine mit Blick auf ein vorgefasstes Beweisziel ,hingebogene‘ Argumentation abgewertet.²⁴²

 Vgl. Metaph. Μ 7. 1082b1– 4: ὅλως δὲ τὸ ποιεῖν τὰς μονάδας διαφόρους ὁπωσοῦν ἄτοπον καὶ πλασματῶδες (λέγω δὲ πλασματῶδες τὸ πρὸς ὑπόθεσιν βεβιασμένον).

Kapitel 2. 735a29 – 736a23

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Kapitel 2. 735a29 – 736a23 = § 4: Die Natur des Samens: auffallend didaktisch gestaltetes Kapitel 1 Inhalt Der Samen besteht aus Wasser und pneuma, das als ‚warme Luft‘ definiert wird.

2 Abgeschlossenheit des Kapitels Aristoteles leitet das Kapitel ein mit der typisch und häufig anzutreffenden Formulierung, dass es sich um eine aporia handele. Abgeschlossen wird es mit einer, wiederum typischen, ‚Abschlussformel‘ (Ἡ μὲν … αἰτία τῆς λεχθείσης ἀπορίας εἴρηται, 736a22), diesmal noch verstärkt durch einen Hinweis auf die Empirie und durch die kurze und bündige Formulierung des Ergebnisses. Dass mit Kapitel 2 ein Abschluss erreicht ist, wird auch deutlich durch die ‚Eingangsformulierung‘, mit der Kapitel 3 beginnt: Τούτου δ’ ἐχόμενόν ἐστιν (736a24), und durch diese binary transition insgesamt.

3 Argumentation Die Argumentation ist zuerst diskursiv. Aristoteles gestaltet diese Passage geradezu spannend und bindet den Rezipienten mit ein. Die Ausgangsproblematik wird wiederum mit der gängigen ἀπορήσειεν ἄν τις-Formulierung (735a29 f.) eingeleitet: Allerdings wird keine echte ‚Aporie‘ formuliert, sondern nach der ‚Natur‘ des Samens gefragt. Aristoteles bedient sich dann eines Widerlegungsverfahrens: Mögliche Annahmen zur Natur des Samens (gemeint ist die Samenflüssigkeit, wofür Aristoteles sonst speziell auch den Begriff gonē verwendet, der in diesem Paragraphen nur zweimal am Ende fällt: 736a11 u. a14), die mit wässerigen oder erdigen Substanzen operieren, werden als nicht mit der Empirie übereinstimmend verworfen.²⁴³ Als Lösung wird eine dritte Annahme formuliert: Samen besteht aus Wasser und Pneuma. Dann lassen sich die Phänomene erklären. Mit dieser Annahme setzt eine eher didaktische Vorgehensweise ein (735b7), bei der Aristoteles viele Beispiele benutzt. Die Passage endet mit einem Verweis auf die falschen Samentheorien der Geschichtsschreiber Ktesias und Herodot.

 Zum männlichen Samen vgl. Lefebvre (2022).

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Gleich im Anschluss an die Formulierung der Ausgangsaporie wird die Natur des Samens beschrieben. Sie besteht darin, dass der Samen kompakt und weiß den Körper verlässt und dann wässerig wird. Dies könnte, so Aristoteles, unsinnig erscheinen. Wieder treffen wir auf den typischen Potentialis, der den Rezipienten zum Mitdenken anregt. Die ἀτοπία – die nicht ‚im echten Sinn‘ eine Aporie ist²⁴⁴ – liegt darin, dass der Samen ja eigentlich bei Wärme dünnflüssig sein müsste und unter Kälteeinwirkung fester. Mit emphatischem καίτοι … γε (735a34) wird umgekehrt das Gefrieren (als Gegenstück zu ‚dickflüssig werden‘) wässriger Substanzen als gegenläufig zum Verhalten des Spermas bei Abkühlung durch Eis angeführt. Hier deutet die Formulierung τιθέμενον ἐν τοῖς πάγοις ὑπαίθριον (735a35 f.) auf ein experimentelles Vorgehen geradezu im Sinne neuzeitlicher Naturwissenschaft. Die Beobachtung der Verflüssigung des Spermas unter einer solchen experimentellen Abkühlung wird erklärt (ὡς mit Partizip, 735a36) durch ein als vollständig gegenläufig unterstelltes Verhalten der Samenflüssigkeit, die eben durch Erwärmung dicker werde (ὑπὸ τοῦ ἐναντίου παχυνθέν, 735a36). Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass eine Verfestigung einer bestimmten flüssigen Substanz, gleich ob als ein Dickflüssigerwerden oder als Gefrieren, nur entweder durch Erwärmen oder durch Abkühlen geschehen kann. Dass das Gegenteil – dass der Samen nicht unter Wärme fest wird – einleuchtend wäre, wird durch den Terminus εὔλογον formuliert (735a37). Dies begründet Aristoteles durch Beispiele: Substanzen mit hohem erdigen Gehalt, wie Milch, werden beim Kochen fester, was durch Koagulation und einem Dickflüssigerwerden bei Kochung geschehe. Die Folgerung (οὖν, 735b2) ist stark elliptisch formuliert: Sowohl das Subjekt (wieder das Sperma) als auch eine weitere (hypothetische) Prämisse, die erst im Folgenden explizit gemacht wird (wenn Sperma wesentlich aus dem Element ‚Erde‘ bestünde), sind ausgelassen. Nur durch den Irrealis ἔδει (b2) wird angedeutet, dass eine hypothetische Voraussetzung eingeht, die sogleich mit dem für die Ausformulierung eines indirekten Beweises bei Aristoteles typischen νῦν δέ zum Widerspruch geführt und widerlegt wird. Unter direktem Rückbezug auf die Ankündigung einer Aporie eingangs des Paragraphen wird diese nun (fast überdeutlich) expliziert: Sie besteht darin (ἡ μὲν οὖν ἀπορία αὕτη ἐστίν, 735b3 f.), dass beide – als einzige zunächst als naheliegend angesetzte – Möglichkeiten der Alternative (εἰ μὲν γάρ/εἰ δέ, 735b4/6) im Widerspruch zu den Phänomenen stehen – und damit ausscheiden, i. e. Wasser bzw. Erde oder Erde und Wasser als wesentliche Konstituentien des Spermas.

 Gelber ordnet diese Stelle unter die zetetischen Aporien (ii) als Subtyp iia (Gelber 2018, 157 f.): Aristoteles motiviere hier durch die Aporie die Einführung von etwas nicht direkt Beobachtbarem, dem pneuma (als Schaumbestandteil).

Kapitel 2. 735a29 – 736a23

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Es ist klar, dass – wenn jeweils kein Fehler in den Folgerungen vorliegt – es mindestens eine weitere Möglichkeit geben muss, die auf die Lösung der Aporie führen wird. Aristoteles’ eigene These ist somit wieder in typischer Weise negativ vorbereitet durch den Ausschluss zweier (naheliegender) Möglichkeiten. Die ‚Lösung‘ ist die Annahme einer dritten möglichen Zusammensetzung, die Aristoteles mit einer den Rezipienten mit einbegreifenden Frage gleich einführt, indem er die integrative 1. Person Plural benutzt (735b7 f.: οὐ πάντα τὰ συμβαίνοντα διῃρήκαμεν): Der Samen besteht aus Wasser und Pneuma (735b8 – 10). Dass Pneuma warme Luft ist, nennt Aristoteles erst später (736a1) explizit. Hier, ab 735b10 ff., arbeitet er erst einmal wieder mit vielen Beispielen: Schaum (ἀφρός), Öl, Bleierz, Schnee.²⁴⁵ ,Schaum‘ bildet auch heute in der Chemie eine der Unterarten heterogener Gemische, und die im Text direkt (mit epexegetischem καί, 735b11) angeschlossene Komparation (ὅσῳ/τοσούτῳ) hin zu mikroskopischerem Schaum mutet wiederum sehr modern an und greift neben der Konsistenz auch wieder die Farbe als Kriterium auf. Zugleich wird deutlich, warum diese Alternative weniger naheliegt: Die Schaumblasen sind (bei Mikroschaum) weniger offensichtlich (ἀδηλότεραι, 735b11). Aristoteles unternimmt also eine Modellbildung, die von Wahrnehmbarem her (Schaum mit großen, sichtbaren Blasen) durch Komparation hin zum Mikroskopischen, d. h. zur Autorzeit nicht durch (direkte oder indirekte) Wahrnehmung Verifizierbaren, extrapoliert.²⁴⁶ Dieses Modell des Mikroschaums wird nun aber nicht sofort auf die Samenflüssigkeit angewendet, sondern, jeweils mit dem Anspruch hinreichender Erklärungskraft (διό, 735b14; αἴτιον δέ, b19; γάρ, b21 etc.) illustriert durch die Beispiele des Öls (735b13 – 16), des Bleiglanzes (Galenit), der offenbar zum Zwecke der Metallgewinnung mit Wasser und Öl vermischt wurde (735b16 – 20), ganz kurz des Schnees (735b20 f.) und schließlich, etwas ausführlicher, fast exkursartig, der Wasser-Öl-Mischung (735b21– 31): Hierbei kann durch mechanische Einwirkung (ὑπὸ τῆς τρίψεως, 735b23) pneuma eingeschlossen werden; außerdem bestehe Öl selbst (wie alles Fett) aus pneuma – was es auch auf Wasser aufschwimmen lässt und Ursache für seine Leichtigkeit sei. Diese Beispiele ersetzen erst einmal eine theoretische Erläuterung, die Aristoteles erst danach, gewissermaßen als Quintessenz aus den Beispielen, anschließt (735b32: διὰ ταύτας τὰς αἰτίας καὶ τὸ σπέρμα), wobei er als ein weiteres Beispiel das Phlegma einbaut.

 Vgl. grundlegend zu Aristoteles’ Pneuma-Konzeption Althoff (1992) und Althoff (2022).  Die Komparation ist im Ansatz aber durchaus makroskopisch nachvollziehbar, man denke nur an das Aufschäumen von Milch: ein Barista versucht tatsächlich, grobblasige Schaumbildung zu vermeiden und durch feinporigen Schaum eine cremigere und stabilere Konsistenz zu erzielen.

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Erst in 735b37– 736a1 wird die Lösung ausformuliert. Aus moderner Perspektive hätte man sie am Beginn des Kapitels erwartet und im Anschluss dann deduktiv die Begründungen und ggf. Beispiele. Den Schluss bilden narrative Passagen. Denn hier verteilt Aristoteles in Form von Anekdoten Seitenhiebe gegen Ktesias und Herodot, die Falsches gesagt hätten. Damit kann er die Richtigkeit seiner eigenen Position unterstreichen. Außerdem schließt er seine Theorie an kollektive mythische Vorstellungen an, indem er am Schluss ausführt, den archaioi sei die schaumartige Beschaffenheit des Sperma nicht verborgen geblieben und sie hätten danach die Göttin des Beischlafs – gemeint ist Aphrodite, deren Namen Aristoteles hier nicht nennt – bezeichnet. Damit ist die ganze Ausführung auf das Schönste – vergleichbar mit I 2 – abgerundet, bevor Aristoteles mit einer technischen Abschlussformulierung die so zentralen Ausführungen über die Wirkweise des Spermas abschließt.²⁴⁷

4 Struktur und sprachlich-stilistische Gestaltung Der Rezipient wird von Anfang an mit eingebunden, indem ein Frager imaginiert wird: 1. ἀπορήσειεν ἄν τις (735a29 f.) und ἀπορία αὕτη ἐστίν (b3 f.): ‚third-party-perspective‘ 2. Der Rezipient kann einer Widerspruchsargumentation beiwohnen, bei dem die Gegenmeinung durch die Empirie widerlegt wird. 3. Die Terminologie stammt aus der Dialektik: ἀπορεῖν, ἄτοπος, εὔλογος. 4. Bei der Einführung der dritten Annahme zur physis des Spermas, die dann auch die Lösung darstellt, formuliert Aristoteles mit ‚integrativem Wir‘ (735b8: διῃρήκαμεν). 5. Nun wird mit zahlreichen Ausdrücken der Begründung gearbeitet (achtmal γάρ, zweimal διό, dreimal διά, αἴτιον/αἴτια). 6. Aristoteles verwendet viele Beispiele, so dass die theoretische Erläuterung, die ab 735b32 gegeben wird, schon vorher illustriert ist und damit leichter fassbar wird: ein didaktisches Vorgehen. 7. Am Schluss werden Ktesisas und Herodot getadelt: Ktesias, der ‚offensichtlich‘ – d. h. die Empirie macht es deutlich – Falsches gesagt hat (736a3 f.: φανερός … ἐψευσμένος), und Herodot (οὐκ ἀληθῆ λέγει, 736a10), der es durch Autopsie besser hätte wissen müssen (736a12: ὁρῶν).

 Vgl. oben, S. 100 f.

Kapitel 3. 736a24 – 737b7

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8. Stilistisch schön schließt Aristoteles ab mit einem Verweis auf die ἀρχαῖοι, die immerhin schon eine Vorahnung hatten (οὐδὲ … λανθάνειν, 736a18 f.), dass die Natur des Samens schaumartig ist, denn sie benannten die Göttin, die für die geschlechtliche Liebe zuständig ist, danach, also Aphrodite.

Kapitel 3. 736a24 – 737b7 = § 5: Samen und Beseelung: ‚prozessuales Vorgehen‘, Verbindung von Diskursivität und Darstellung 1 Inhalt Dieses Kapitel behandelt den Beitrag des männlichen Samens. Er ist immaterieller Natur und besteht 1. in der psychē aisthētikē. 2. Die psychē threptikē liegt im weiblichen Anteil schon vor und wird durch den Beitrag des Samens aktiviert. 3. Der nous ist nicht an den Körper gebunden. Er kommt von außen hinein (ob gemeint ist ‚in den Keimling‘, bleibt offen). 4. kinēsis-Konzeption: Der Kinesis, durch die der Körper aufgrund der Nahrungszerteilung (μερίζεσθαι) wächst, entspricht die Bewegung des Samens, wenn er in die Gebärmutter des Weibchens gelangt. Deswegen bewegt der Samen gemäß seiner eigenen Bewegung das Menstruationsblut, das ja seinerseits ein perittōma ist. Auch das Menstruationsblut verfügt also über die moria, ebenfalls die Geschlechtsorgane, aber nur dynamei. 5. Aristoteles geht im Vorgriff auf später (Buch IV) auf die Geschlechtsentstehung ein: Weibchen können einmal Weibchen, dann wieder Männchen hervorbringen, so wie Verstümmelte einmal Verstümmelte, dann wieder Gesunde zeugen. Denn das Weibchen ist wie ein verstümmeltes Männchen, die Katamenien sind ‚nicht reiner‘ Samen.

2 Abgeschlossenheit Eine Einleitungsformulierung in 736a24 (Τούτου δ’ ἐχόμενόν ἐστιν ἀπορῆσαι καὶ εἰπεῖν) bildet den zweiten Teil einer binary transition und formuliert auf typische Weise eine neue Problematik (ἀπορῆσαι, 736a24), die es zu beantworten gilt (καὶ εἰπεῖν). Eine Abschlussformulierung bietet eigentlich schon 737a16 – 18, dann

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folgt aber noch der Vorgriff auf die ‚Vererbungslehre‘ und eine Passage, die Wimmer ausschließen wollte, die wir aber hier belassen.

3 Argumentation Dieses Kapitel erweckt zuerst den Anschein, als ob es diskursiv sei, also etwas im Hin und Her ‚dialektischer‘ Argumentation durchgegangen werden soll, was dann aber nicht durchgehalten wird. Gegenüber dem vorhergehenden Kapitel ist dieses Kapitel eher ,zerfasert‘, und die Argumentation ist weniger stringent. Man gewinnt hier, trotz des elaborierteren Beginns, den Eindruck, dem Autor ‚bei der Arbeit‘ zuzuschauen. Die Erörterung wird mit der Formulierung einer Fragestellung eröffnet (736a24: Τούτου δ’ ἐχόμενόν ἐστιν ἀπορῆσαι καὶ εἰπεῖν); sie erscheint in Gestalt von drei indirekten Fragen: 1. Was geschieht mit dem körperlichen Anteil des Samens bei den Tieren, die solchen ejakulieren? Diese Frage ist eingerahmt durch zwei kausal konnotierte Konditionalsätze, die bereits etablierte Voraussetzungen angeben, nämlich 1., dass nichts Körperliches in den werdenden Keim gelangt – dies war in II 2 bewiesen worden –, und 2., dass der Beitrag des Männchens in einer Dynamis besteht. Dann verläuft die Argumentation im einzelnen folgendermaßen: a. Nimmt das sich im Weiblichen Konstituierende (oder: das dort Stockende) etwas von dem hereinkommenden Sperma auf oder b. nicht? 2. Mit der folgenden Frage steuert Aristoteles den Erkenntnisprozess in eine bestimmte Richtung: die Verbindung von Zeugungslehre und ‚Psychologie‘. Dies ist daran erkennbar, dass περὶ ψυχῆς gleich am Beginn des Satzes steht (736a29). Denn Aristoteles kommt schon gleich auf das zu sprechen, was für seine Theorie wesentlich und wohl auch originär aristotelisch ist: die Seelenkonzeption, die er vor allem in De anima entwickelt hat. Auch hier formuliert er mit einer Alternativfrage, fügt aber eine Zusatzfrage an: Wohnt dem Sperma und dem Keim das für Tiere spezifische Seelenvermögen, nämlich das Wahrnehmungsvermögen, inne oder nicht? Und wenn ja (diese Bedingung wird unterdrückt): Von woher kommt es hinein? Im Folgenden wird zunächst diese 2. Frage behandelt und dabei ihre Berechtigung begründet (γάρ, 736a32), die darin liegt, dass der Keim schon beseelt ist. Die Formulierung mit ὡς deutet auf eine gewisse Tentativität hin, ebenso der Potentialis der unpersönlichen 3. Pers. Sg., mit der sich der Rezipient wieder (ver-

Kapitel 3. 736a24 – 737b7

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suchsweise) identifizieren mag. Die Abwegigkeit der Annahme, der Keimling sei unbeseelt und in jeder Beziehung leblos, wird herausgestellt und kontrastiert damit, dass Sperma und Keime von Tieren mindestens so lebendig sind wie die Pflanzen. Ein Indiz für Aristoteles’ Auffassung, die dann noch folgen wird (Buch III: Windeier), ist die Bemerkung, dass Keime γόνιμα μέχρι τινός (736a35) sind. Die Folgerung lautet, es sei klar, dass sie die Nährseele hätten. Dies wird aber nicht weiter begründet, sondern Aristoteles verweist auf De anima, wo er dargelegt habe, dass die Annahme, die Nährseele entstehe als erste, zwingend sei. Dann stellt Aristoteles seine Vorstellung dar, die man später Sukzessivbeseelung nannte: es entwickeln sich im Folgenden zuerst das Wahrnehmungsvermögen und dann der Nous. Dass die seelischen Vermögen erst sukzessive angenommen werden, wird dadurch erklärt (γάρ, 736b2), dass mit einem neuen Tier nicht sofort und zugleich auch bereits ein Mensch bzw. ein Pferd entsteht, sondern die vollendete Form in ihrer spezifischen Ausbildung sich jeweils zuletzt herausbildet. Auch hier wird kontrastierend der ‚richtigen‘ Vorstellung eine abwegige vorangestellt. Mit dieser Darstellung greift Aristoteles seinen Darlegungen in Buch IV vor. Aus den genannten zwei Fragen ergibt sich dann eine 3., die 2. fortsetzende Fragestellung, die als besonders triftig herausgestellt wird (736b5 – 8), ebenfalls wieder²⁴⁸ unter Voranstellung des Bezugspunktes (περὶ νοῦ, 736b5): Wann und wie erlangen diejenigen Lebewesen, die (grundsätzlich) Anteil haben an diesem prinzipiellen Vermögen, das Denkvermögen? Auch hier ist wieder Aristoteles’ tentative Ausdrucksweise hervorzuheben: „man muss darüber nachdenken, soweit es möglich ist“. Nach dieser Klärung und Ausweitung der 3. Frage beginnt die Beantwortung (von 2. und 3.), durch μὲν οὖν (736b8) eingeleitet, mit dem basalen Vermögen, dem der Ernährung. Dieses war gar nicht Teil der Fragen 2. oder 3., wird aber jetzt, im Anschluss an die dargelegte Sukzession bei der Embryogenese, mit in die Beantwortung aufgenommen: In von den Elternteilen noch ungetrenntem Samen bzw. Keim liege dieses Vermögen offensichtlich nur potentiell vor, aktual erst dann, wenn das neue Wesen das ergon dieses Seelenvermögens ausübe (736b11 f.). Etwas redundant (im Vergleich mit 736a36 f.) schließt Aristoteles diesen Entwicklungsschritt ab, um die folgenden Erörterungen zu Wahrnehmungs- und Denkvermögen metatextlich eigens anzukündigen, obwohl nach der früheren Ankündigung (736b1– 8) schon klar ist, dass diese nun zu behandeln sind. Diese redundante Ankündigung erleichtert aber, nach der Extrapolation des Übergangs ‚potentiell/aktual‘ von dem Vorherigen aus, den Übergang zu insgesamt drei

 Wie oben περὶ ψυχῆς.

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‚harten‘ Fallunterscheidungen. Wir wollen die Argumentation im Einzelnen hier wiedergeben: A) Entweder A1: Die beiden höheren Vermögen gelangen erst nachträglich hinein oder A2: Beide liegen schon von vornherein vor oder A3: Teils – teils. B) Entweder B1: Sie entstehen in der (weiblichen) Materie, ohne zuvor in das männliche Sperma Eingang gefunden zu haben oder B2: Sie entstehen in der Materie, nachdem sie zuvor dort, in das Sperma, Eingang gefunden hatten. C) (gilt für Fall B2) Entweder C1: Sie finden beide ‚von außerhalb‘ Eingang in das männliche Sperma oder C2: Beide nicht von außerhalb oder C3: Teils – teils. Zunächst wird der Fall A2 als unmöglich (οὐχ οἷόν τε, 736b21) mit folgenden Gründen ausgeschlossen:Vermögen, deren ergon körpergebunden ist (wie z. B. die Sinneswahrnehmung oder die hier genannte aktive Fortbewegung), können ohne einen (sc. entsprechend ausgestatteten) Körper nicht vorliegen. Also (ὥστε, 736b24) ist für diese körpergebundenen Vermögen auch ausgeschlossen, dass sie ‚von außerhalb‘ Eingang in das Sperma finden; C2 ist also ausgeschlossen: Sie sind nicht abtrennbar von einem Körper (da eben körpergebunden), können aber auch nicht mit einem Körper als Träger ihrer selbst hereinkommen. Denn (γάρ, 736b26) das Sperma war ja ein Residuum (das Nahrung letzter Stufe enthält, aber eben keine ausgebildeten Organe enthalten kann). Unausgesprochen bleibt für das Wahrnehmungsvermögen so nur die Möglichkeit, dass es ‚erst nachträglich hineingelangt‘, und zwar nicht von außerhalb. Nicht gesagt wird dabei auch, dass dies im Sinne von B2 geschieht. Ausgesprochen wird dagegen die Möglichkeit, die nun allein für das Denkvermögen bleibt: ‚nachträglich‘ und ,von außerhalb‘. Dass diese Möglichkeit aber auch wirklich zutrifft, ist nicht erwiesen – sie wurde nur nicht ausgeschlossen (wie für die körpergebundenen Vermögen). Aber sie erscheint in der Darstellung als gültig. So wird also mithilfe eines für die Dialektik typischen Eliminationsverfahren die Nicht-Körperlichkeit (736b27: λείπεται) des Nous bewiesen. Mit dem folgenden erläuternden Abschnitt beantwortet Aristoteles keine der anfangs gestellten Fragen direkt, sondern gleitet in einer unseres Erachtens für ihn typischen Arbeitsweise zu einem Aspekt über, der die Ausführungen in II 2 über das Wesen des Samens betrifft. Denn Aristoteles stellt dar, dass das wesentliche Charakteristikum des Samens seine Wärme ist, die aber nicht die des Feuers, sondern ein Analogon zum Element der Sterne darstelle. Damit ist die

Kapitel 3. 736a24 – 737b7

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Erklärung gegeben, was im Samen ‚Leben initiierend‘ wirkt: Es ist diese Lebenswärme im Pneuma.²⁴⁹ Diese Erläuterung wird mit φανερόν (737a7) abgeschlossen und so eine Offensichtlichkeit suggeriert, die so ja nicht gegeben ist – etwa im Unterschied zu der auf empirische Phänomene bezogenen Offensichtlichkeit. Der kurze Abschnitt 737a7– 16 geht nun auf Frage 1, was mit dem Samen geschieht, ein: Das Körperliche löst sich auf, in den Embryo geht nichts Körperliches ein. Dies illustriert Aristoteles, wie des Öfteren (z. B. I 20. 729a12 f.), mit dem Vergleich, wie Feigensaft auf Milch einwirkt. Die folgende metatextliche Zusammenfassung (737a16 – 18) in Gestalt des ersten Teils einer binary transition bezieht sich deutlich wieder auf die Beantwortung der Zusatzfrage zu Frage 2, mit dem Zusatz καὶ πῶς οὐκ ἔχει, implizit aber auch auf das zuletzt (zu Frage 1) Gesagte. Der Paragraph endet wiederum mit einer knappen und redundanten Wiederaufnahme, nämlich des Gegensatzpaares ‚potentiell/aktual‘ als einer (für Aristoteles) unstrittigen Grundunterscheidung. Der nächste Abschnitt (737a18 – 34) ist schon eine kleine Vorwegnahme der Vererbungstheorie. Er wird ohne besondere Überleitung angeschlossen. Dieser Abschnitt ist (auch rezeptionsgeschichtlich) wichtig aufgrund der Formulierung, dass das Weibliche sozusagen ein verstümmeltes Männchen sei.²⁵⁰ Dieser Abschnitt (737a18 – 34) des Kapitels steht zwar noch in Bezug zu Frage 2, wird aber eingeleitet durch den zweiten Teil einer binary transition und gehört damit zu einem neuen Paragraphen innerhalb von Kapitel 3. Der Bezug zu Frage 2 wird auch durch den Wortlaut in 737a20 f. hergestellt: ὅταν ἔλθῃ εἰς τὴν ὑστέραν nimmt ἀπὸ τοῦ εἰσελθόντος aus 736a28 f. wieder auf. Der Beginn des neuen Paragraphen wird auch durch einen wie ein kleiner Neueinsatz wirkenden Rückgriff auf I 19 markiert (vgl. insbes. 726b3 – 6 u. b9 – 11). Andererseits führt Aristoteles hier den Begriff des vom männlichen Sperma der weiblichen Materie vermittelten ,Impulses‘ (κίνησις, 737a19 u. 22) ein. Wie nebenbei ergibt sich ihm so (in 737a29 f.) auch eine Antwort auf eine nicht im Fragenkatalog des vorangegangenen Paragraphen enthaltene, aber zu der Zusatzfrage zu Frage 2 analoge Frage nach der Beseeltheit der Katamenien. Die in IV 3 differenziert entwickelte Vererbungstheorie arbeitet dann ebenfalls mit dem Begriff der kinēsis, verändert ihn aber, ohne dies eigens zu explizieren, zu einem Plural von kinēseis. ²⁵¹ In I 19 hatten sich sowohl Sperma als auch Katamenien jeweils als ein bestimmtes perittōma erwiesen; Aristoteles rekurriert hier insbesondere auch auf seine dort etablierte Theorie, die die durch das Sperma vermittelten Ähnlichkeiten

 Hierzu vgl. Althoff (2022).  Vgl. Föllinger (2010c).  Vgl. dazu S. 357 f.

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zwischen Nachkommen und Vater erklärt: Sperma ist das Residuum der zur Verteilung an die Körperteile unmittelbar anstehenden Nahrung letzter Stufe; dieses Residuum wird nun 737a19 f. als Träger eines Impulses aufgefasst (stilistisch als figura etymologica, die in 737a21 wiederholt wird), gemäß welchem das Körperwachstum (beim Vater) erfolgt. Implizit ist also unterstellt, dass 1. bereits die Nahrung letzter Stufe ebenfalls einen solchen Impuls enthält und 2. bei der Residuenbildung aus dieser Nahrungsstufe dieser Impuls erhalten bleibt. Allein der Umstand, dass auch die Katamenien ein Residuum – welches potentiell alle Körperteile, auch die Sexualorgane beiderlei Geschlechts, enthält – darstellen, wird als Grund (καὶ γὰρ, 737a22 f.) dafür angeführt, dass das Sperma den ihm innewohnenden Impuls auf die Katamenien übertragen kann, simultan mit dem ‚Stockenlassen‘ (συνίστησι, 737a21) des Monatsbluts. Ein empirisches Indiz für die These, dass die Katamenien die Potenz zu männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen enthalten, wird erst 737a30 f., nach einer grundsätzlichen Analogisierung des Weiblichen mit ‚verstümmelten‘ Lebewesen, nachgeschoben (καὶ διὰ τοῦτο, a30 f.). Dieses Indiz erscheint hier also nicht als solches, i. e. als Begründung obiger These, sondern als deren Konsequenz. Explizit als Begründung angeführt wird eben jene Analogisierung (ὥσπερ … ὁτὲ μὲν … ὁτὲ δ’ οὔ, οὕτω καὶ … ὁτὲ μὲν … ὁτὲ δ’ οὔ, …, 737a25 ff.); insgesamt fällt die Kette nachgeschobener Begründungen auf (fünfmal γάρ in 737a22– 29). Am Ende des Abschnitts (ab 737a29) wird der Zusammenhang mit dem vorherigen Paragraphen klar: Die Argumentation läuft auf die negative Antwort zu einer analog zu 737a16 f. zu formulierenden Frage Περὶ μὲν οὖν ψυχῆς πῶς ἔχει τὰ καταμήνια hinaus, die explizit aber nicht gestellt wird. Hier wird wiederum ein empirisches Indiz für die Behauptung, den Katamenien fehle ein Ursprung der Beseeltheit, als Konsequenz ebendieser Behauptung angegeben (διὸ οὐ γίγνεται ἔμψυχον, 737a32). In der zusätzlich noch nachgeschobenen Begründung (γάρ, 737a32) ist implizit unterstellt, dass nur über den Beitrag eines der beiden Geschlechter das Lebensprinzip auf den Keimling übertragen werden kann – sonst bildet dieser Nachsatz keine Begründung. Der Abschnitt endet in typischer Weise mit einer etwas redundanten, aber kurz und bündig (und positiv) formulierten Zusammenfassung der eigenen Theorie zur Übertragung des Lebensprinzips.²⁵²

 737a34–b7 wurde von Aubert und Wimmer (1860) 152 Anm. 2 athetiert (als „alieno loco posita“, bei Drossaart Lulofs (1965) 62 f. steht es in doppelten eckigen Klammern; Louis (1961) 62 f. lässt die Passage stehen und erwähnt Aubert und Wimmers Athetese nicht einmal im Apparat; Lefebvre (2014) folgt Louis in seiner Übersetzung. Ebenso hält Lanza (1971) 896 Anm. 40 die Passage und erklärt: „In realtà può trattarsi di una nota marginale aristotelica e ciò che è detto è importante perché si stablilisce un’analogia tra la viscosità della pellicola che si forma intorno

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4 Struktur und sprachlich-stilistische Gestaltung Auffällig ist die Verbindung von ἀπορῆσαι καὶ εἰπεῖν (736a24). Denn hier weist Aristoteles schon darauf hin, dass er nicht im Aporienstatus verbleibt. Dem entspricht der Duktus des Kapitels, der Erörterung und Darstellung verbindet. Zuerst einmal beginnt Aristoteles mit Fragen, wobei er auch vorauszusetzende Prämissen in Form kausaler Konditionalsätze klarstellt. Dementsprechend finden sich zwei Fragenkataloge. Das Vokabular stammt aus der Dialektik: ἀπορῆσαι (736a24), διορίσαι (736a27), ἂν θείη τις (736a32), ἔχει τ’ ἀπορίαν πλείστην (736b6 f.), θετέον (736b10), ἀναγκαῖον ἢτοι … ἢ … ἢ … (Fallunterscheidung, 736b15 – 20), ἀδύνατον (736b23, b25), λείπεται (736b27), ζητεῖν (737a12), διώρισται (737a17). Der Ausdruck ἔοικε (736a18, b12) unterstellt allgemeine Verbindlichkeit, die durch das folgende δῆλον ὅτι auch für die aisthētikē und noētikē psychē geltend gemacht wird. Dies wird durch zweimalige Wiederholung von ἀναγκαῖον unterstützt, wobei das zweite die im Folgenden aufgezählten Alternativmöglichkeiten, wie die Seelenformen entstehen, als zwingend suggeriert. Die ganze Passage arbeitet recht stark mit suggestiven Formulierungen. Wichtig ist auch, zu unterstreichen, dass durch die Formulierung, man müsse, soweit möglich, über die Sache reflektieren (736b7 f.), Tentativität ausgedrückt wird sowie durch die Verwendung von ὡς, die deutlich macht, dass Aristoteles hier keine Definition des Weiblichen vorlegt, sondern versucht, sich einer Erklärung anzunähern.²⁵³

5 Vernetzung von Kapitel 3 Aristoteles entwickelt hier, unter dem Rückgriff auf in I 17 und II 2 entwickelte Gedanken, Überlegungen, die man in gewisser Weise als Vorbereitung seiner Ausführungen über die ‚Vererbung‘ von Merkmalen in Buch IV begreifen kann. Allerdings ist die in IV vorgestellte Theorie im Einzelnen dann doch zu unterschiedlich, um sagen zu können, Aristoteles verschweige hier in Buch II Dinge mit Absicht und aus didaktischen Gründen,²⁵⁴ um sie dann erst später zu entfalten.

all’embrione e quella propria dei tessuti ritenuti connettivi dell’animale sviluppato.“ Wenn man Lanza folgt, dient der kurze Einschub also als Erklärung der Einheitlichkeit der sich formierenden Fötation, ausgehend von einer Analogie zur anorganischen Natur.  Vgl. Föllinger (1996a) 137 f. und Föllinger (2010c).  So Wians (2017). Vgl. oben, S. 12‒14.

Kapitel IV Analyse von Buch II 4 – 8

Einleitung Nachdem Aristoteles in I 1–II 3 seine generelle Theorie der Fortpflanzung entwickelt hat, geht er von II 4 bis zum Ende des dritten Buches die Fortpflanzungsformen der einzelnen Tierarten durch, indem er von den höheren zu den niederen Formen voranschreitet. Das Ordnungsprinzip der beiden Bücher entspricht also der ‚Ordnung der Natur‘¹: 1. II 4– 8: Bluttiere, Vivipara 2. III 1– 2: Bluttiere: Ovovivipara (vollständige Eier hervorbringende Tiere) 3. III 3 – 7: Bluttiere: Ovipara (unvollständige Eier hervorbringende Tiere) 4. III 8: Blutlose Tiere: Kephalopoden und Crustazeen 5. III 9 – 10: Blutlose Tiere: Insekten 6. III 11: Blutlose Tiere: Testaceen Kapitel 4– 8 des zweiten Buches behandeln die lebendgebärenden Bluttiere, zu denen der Mensch zählt. Er ist Aristoteles’ eigentlicher Ausgangspunkt. Dies wird, wie bereits gesehen, vor allem daran deutlich, dass sein grundlegendes und durch das Eidos-Hyle-Modell erklärte Schema das der Interaktion von Samen und Menstruationsblut ist. Davon ausgehend, erklärt er die anderen Prozesse geschlechtlicher Fortpflanzung, indem er statt von Menstruationsblut vage von einem ‚analogen Stoff‘ spricht (GA I 20. 729a20 – 23). Der Aufbau der Kapitel 4– 8 ist wohlüberlegt: Kapitel 4: In Kapitel 4 wiederholt Aristoteles die wichtigsten Grundlagen, zuerst die Einteilung der Tiere – indem er aber dabei eine Verschiebung und eine andere Schwerpunktsetzung vornimmt –, dann die Beiträge von Samen und Menstruationsblut, um schließlich mit der Entstehung des Herzens als erstem Organ im epigenetischen Entstehungsprozess etwas Neues zu beginnen. Kapitel 5: Kapitel 5 bringt mit der Begründung, warum das Weibchen nicht allein zeugen kann,² eine Vertiefung und verbindet diskursive mit deduktiven Strukturen.

 Dass Aristoteles’ Struktur von Buch II der Ordnung der Natur, wie er sie sieht, entspricht, hat Leunissen (2018) überzeugend herausgearbeitet.  Vgl. das Ende von Buch I. https://doi.org/10.1515/9783110774863-005

216

Einleitung

Kapitel 6: Kapitel 6 widmet sich der Entwicklung der anderen Organe (im aristotelischen Sinne) des Embryos, die durch das Zusammenwirken von ‚Notwendigkeit‘ und Finalursache bedingt sind – im Unterschied zu Buch V, das die nur durch ‚Notwendigkeit‘ entstehenden Körperteile behandelt. Kapitel 7: In dem heterogen gestalteten Kapitel 7 werden die Funktion der Nabelschnur erläutert und die Fortpflanzung von Hybriden behandelt. Kapitel 8: Kapitel 8 diskutiert die Ursache für die genos-weite Sterilität der Maultiere, zunächst durch Widerlegung der Erklärungsansätze Demokrits bzw. Empedokles’, sodann durch eine abstrakt-leere logikōs-Argmentation – erst vor dieser mehrfachen Negativfolie entfaltet Aristoteles seine eigene Position. Der Duktus der Kapitel ist heterogen: Während Kapitel 4 eher deduktiv und Kapitel 5 aitiologisch vorgeht, fällt in den übrigen Kapiteln die stark didaktisch arbeitende Vorgehensweise auf, die etwa ausgeprägt mit Vergleichen arbeitet.

Buch II 4 – 8 Kapitel 4. 737b8 – 741a5 1 Inhalt Kapitel 4 ist der Erläuterung des epigenetischen Prozesses gewidmet.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 4 Kapitel 4 hat weder eine Einleitungsformulierung noch eine Abschlussformulierung, sondern wird schlicht mit δέ angeschlossen, das freilich einen bestimmten Einschnitt bedeutet. Dies wird inhaltlich daran deutlich, dass Aristoteles am Beginn seine Einteilung in ‚vollendete‘ und ‚unvollendete‘ Tiere mit einer Verschiebung (es geht jetzt um die Einteilung der Tiere nach dem Zeitpunkt der Ablösung vom mütterlichen Organismus) wiederholt. Als eine Form von Abschlussformulierung kann man den Satz betrachten ἐν δὲ τοῖς ζῴοις … τοῦ ἄρρενος. (741a4 f.), der aber eigentlich nur die letzten Ausführungen abschließt. Einen gewissen neuen Auftakt zu Kapitel 5 könnte man in der Formulierung Καίτοι τις ἀπορήσειεν ἂν διὰ τίν᾿ αἰτίαν (741a6) sehen, die aber auch keine markante Übergangsformulierung bildet. Außerdem beginnt, genau genommen, die neue gedankliche Einheit schon bei Ἐν μὲν οὖν τοῖς φυτοῖς in 741a3, so dass bereits hier Kapitel 5 beginnen müsste, da der kurze καίτοι-Satz die Gedankenführung weiterleitet. Insgesamt erscheint es sinnvoller, einen einzigen großen Zusammenhang anzusetzen, der von 3. 737a18 bis zum Ende des sechsten Kapitels (745b22) reicht. Denn in 3. 737a16 – 18 werden die vorausgehenden Erläuterungen mit einer ausführlicheren Abschlussformel abgeschlossen. Demgegenüber bezeichnet der neue Abschnitt, auch wenn der Neueinsatz nur durch die erwähnte Partikel δέ (737a18) markiert ist, ein weiteres, auf dem Vorhergehenden aufbauendes Thema: die Entwicklung des Embryos. Aristoteles entwickelt nun seine epigenetische Theorie, derzufolge potentiell die einzelnen Teile des Embryos zwar vorhanden sind, materiell sich aber nach und nach entwickeln.³ Durch die ausführlichen Debatten im ersten Buch, mit denen er präformatistische Theorien aushebelte, hat er dafür den Grundstein gelegt. Mit der Abschlussbemerkung am

 Vgl. Kullmann (1974) 44 ff.; Föllinger (1996a) 163 mit Anm. 242. Zur Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Epigenese‘ siehe Henry (2018).

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Buch II 4 – 8

Ende von Kapitel 6 wird resümiert, dass nun sowohl die Frage, wie ein jedes Glied entstehe, sowie die Frage, was der Grund der Entstehung sei, abgeschlossen seien.

3 Struktur von Kapitel 4 1. 2. 3. 4.

737b8 – 25: Wiederholung der Einteilung der Tiere nach Grad der Vollendung 737b25 – 739a6: Perittomata: a) Samen, b) Katamenien 739a6 – b20: Die Konzeption 739b20 – 741a5: Epigenetische Entstehung des Embryos, die beim Herzen beginnt

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Die Darstellungsweise mischt deskriptive und deduktiv-aitiologische Elemente. Es finden sich nur wenig diskursive Elemente. Aristoteles wiederholt vieles, was er schon ausgeführt hat, zum Teil mit spezifischen Modifikationen und Schwerpunktsetzungen.

4.1 737b8 – 25: Wiederholung der Einteilung der Tiere nach Grad der Vollendung Diese Passage ist deskriptiv-apodiktisch, was nicht zuletzt daran festzustellen ist, dass es nur zwei Kausalverbindungen gibt (737b12 f., 737b22 f.). Sie beginnt mit einem ,globalen‘ partitiven Genetiv, der einen gewissen Neueinsatz markiert und Ausgangspunkt einer dreifachen Unterscheidung in dem Abschnitt ist: Aristoteles wiederholt seine Einteilung in mehr und in weniger vollendete Tiere, die er früher begründet hat (Atmung, Lunge).⁴ ‚Marker‘ dieser Einteilung sind τὰ μέν (737b8) und τὰ δέ (737b15) sowie ὅσα δέ (737b18). Gleichzeitig gibt er eine ‚technische Definition‘ von κύημα τέλειον: „Vollendet“ ist ein Embryo dann, wenn er, bei zweigeschlechtlichen Arten, einem der beiden Geschlechter zugeordnet werden kann. Signifikant für die Planung im Hinblick auf das, was kommt, ist Aristoteles’ Verschiebung in der Einteilung der Tiere: Zuletzt (733a32–b16) hatte er ja fünf Gruppen unterschieden, jetzt fehlen die Larviparen, und die Unterscheidung

 Letztendlich geht es um die Gegensätze ,wärmer/kälter‘ und (untergeordnet) ,feucht/trocken‘ als Kriterien für den Grad der Vollendung.

Kapitel 4. 737b8 – 741a5

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,vollendete/unvollendete Eier legend‘ wird nicht (zumindest nicht explizit) wiederholt. Andererseits werden nun die Ovoviviparen, in II 1. 733b4– 6 eigentlich die zweite Gruppe, in zwei Gruppen ἐνίων μὲν … ἐνίων δέ unterschieden (737b19 – 23). Daher handelt es sich um eine Variation der in II 1. 732b28 – 733b16 bereits getroffenen Einteilung; auch die Reihenfolge ist variiert.Vor allem aber steht jetzt als leitender Aspekt die Dauer der Verbundenheit von Mutter und Fötus im Vordergrund bzw. der Zeitpunkt der Ablösung – insofern ist dieser Abschnitt 1 nicht bloße (verkürzte) Wiederholung oder Variation.⁵ Daher könnte man sagen, dass leitend nun die Einteilung der Tiere nach dem Zeitpunkt der Ablösung vom mütterlichen Organismus ist. Dies passt zu dem Kriterium der ‚Vollendetheit‘. Wie vielfach, operiert Aristoteles hier mit Verbaladjektiven: Während das erste Verbaladjektiv λεκτέον in der Verbindung mit ὕστερον die Notwendigkeit einer bestimmten Disposition ausdrückt (737b24 f.), hat das folgende ἀρκτέον, vor allem in der Verbindung mit νῦν und dem scheinbar pleonastischen ἀπὸ τῶν πρώτων … πρῶτον, Appellcharakter. Die Verwendung der 1. Person Plural (ὕστερον ἐροῦμεν in 737b15) bezieht auf integrative Weise den Rezipienten mit ein.

4.2 737b25 – 739a6: Perittomata: Samen, Katamenien 737b27 – 738a9: Samen Der Duktus dieser Passage ist argumentierend-diskursiv, auch polemisch, und bedient sich eines Vergleiches mit dem botanischen Bereich. Aristoteles polemisiert gegen die Meinung von nicht namentlich genannten Wissenschaftlern. Er setzt sich also nach einem für GA üblichen Muster am Beginn von einer anderen Meinung ab, um so seine eigene These herausarbeiten zu können. Denn er hebt darauf ab, dass die ‚Absonderung‘ von Samen nicht unter Einwirkung von Gewalt geschieht und man den Vorgang nicht mit dem von „Schröpfgläsern“ vergleichen könne. Es erscheint merkwürdig, warum ihm das Vorgehen gegen diese Ansicht so wichtig ist.⁶ Indem er ihre Vertreter mit τινές φασιν … φάσκοντες (737b31) zitiert, macht er das Vage dieser gegnerischen Auffassung, die ganz in die Schranken der ‚Meinung‘ zu verweisen ist, deutlich. Auch unterstreicht er die Verfehltheit dieser Meinung mit der Einführung einer fiktiven Behauptung (εἴ τις φαίη, 738a3 f.). Sein Gegenargument ist geradezu polemisch, da es, formal als Vergleich, eine offensichtlich absurde Vorstellung als Konse Im Einzelnen heißt es: ὅταν … θύραζε προΐεται (737b9 f.), μέχρι ἂν … θύραζε ἐκπέμψῃ, ἔχει συμφυὲς ἐν αὑτῷ (737b16 f.), ἀπολύεται … ὥσπερ/ὅταν (737b19 f./b21), οὐκ ἀπολύεται τὸ ᾠὸν ἀπὸ τῆς ὑστέρας (737b23).  Peck (1943) 178, Anm. a, vermutet hier einen Bezug auf die hippokratische Schrift Περὶ ἀρχαίας ἰατρικῆς 22.

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Buch II 4 – 8

quenz jener Modellbildung darstellt: ‚als sei es möglich, dass dieses Residuum oder ein anderes Nahrungsresiduum, wenn solche Zwangskräfte fehlten, irgendwo anders hin (sc. als an den je spezifischen Ort) wandere!‘ (737b32– 34). Sodann wird gegen die Notwendigkeit des Anhaltens des Atems⁷ angeführt, dass dieses allgemein eine Methode zur Kraftsteigerung, also nicht spezifisch für die Sekretion von Sperma sei und überdies die Spermasekretion mitunter auch ohne eine solche Zwangskraft (ἄνευ ταύτης τῆς βίας, 738a1) vorkomme: Die Notwendigkeitsannahme ist damit empirisch widerlegt. Besonders absurd soll ein abschließender Vergleich wirken (ὅμοιον δὲ κἂν εἴ τις φαίη, 738a3 f.), der das gegnerische Modell der Zwangswirkung des Pneumas auf den botanischen Bereich überträgt: Es wäre, wie wenn (nur) unter dem Druck von Pneuma die Pflanzensamen an den Orten, an denenE die Pflanze ihre Frucht trägt, hervorsprössen. Damit bedient Aristoteles sich der Widerlegung eines Erklärungsmodells durch analoge Extrapolation auf einen anderen, aber vergleichbaren Bereich und bietet ein Zusatzargument, das die bereits widerlegte gegnerische These als im Grundsatz abwegig erweisen möchte.

738a9 – 738b4: Entstehung der Katamenien Der nächste Abschnitt fährt in einem begründenden Duktus (διά in 738a13 u. a15, διό in 738a25, εὐλόγως in 738a18) fort. Es geht um die Entstehung der Katamenien, die hier Aristoteles, auf schon erklärte Zusammenhänge zurückgreifend, wiederholend vorstellt: Das im Vorhergehenden Ausgeführte wird nun noch einmal zusammengefasst und als Kausalerklärung ex anankēs (738a33; vgl. II 1. 731b21 f.)⁸ der Finalursache (738a37 f.) gegenübergestellt (μὲν οὖν – δέ, 738a33/b1). Dabei wird 738a13 ringkompositorisch in 738a34 f. (fast wörtlich) wiederaufgenommen, ebenso die Theorie der relativen Überfüllung der den Uterus versorgenden Gefäße (738a37, vgl. o. 738a11 ff.). Die Angabe der Finalursache greift II 1. 731b22 ff. wieder auf (im Einzelnen vgl. etwa 738b2 [τῆς γενέσεως χάριν] mit 732a2); die ‚Natur‘ erscheint wiederum personifiziert als Subjekt zielgerichteten Handelns. Die folgende Erklärung (ab 738a9) schreitet folgendermaßen voran: Empirischer Ausgangspunkt – Aitiologie – Indiz:

 In Buch I bei den Fischen hingegen hatte er mit dieser Notwendigkeit argumentiert (als Grund für die Schnelligkeit der Kopulation).  Diese Form der Erklärung, Bewegungs- und Materialursache umfassend, wurde zu Beginn von Buch II für den weiteren Fortgang der Untersuchung angekündigt.

Kapitel 4. 737b8 – 741a5

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Aristoteles erläutert, dass die Katamenien durch das Übermaß an Blut entstehen, das zur Gebärmutter gelangt und dort nicht ganz aufgenommen werden kann. Dabei dienen anatomische Kenntnisse von der Bifurkation der Vena cava bzw. der Aorta oberhalb der Gebärmutterregion (σχιζομένων ἄνωθεν τῶν δύο φλεβῶν τῆς τε μεγάλης καὶ τῆς ἀορτῆς, 738a10 f.) und der guten Gefäßversorgung des Uterus (738a11 f.) als empirischer Ausgangspunkt für die Theorie der relativen Überfüllung, die, verbunden mit der relativen Kälte des weiblichen Organismus, die Menses als Blutung erklärt. Ursache ist der bereits eingeführte Umstand, dass die Frau aufgrund ihrer Kälte das Blut nicht genug verkochen kann (738a13). In der Kälte sieht Aristoteles auch den Grund (εὐλόγως, 738a18), dass die Katamenien hauptsächlich, wenn auch nicht immer, vor allem bei abnehmendem Mond auftreten, weil es dann kälter sei. Der folgende Beweisgang⁹ setzt die Annahme voraus, dass erst in der Neumondphase die ohnehin kalte Natur des Weibchens so verstärkt wird, dass es mangels hinreichender Verkochung zur Blutung kommt. Als Indiz für seine These (738a25: διό) greift Aristoteles auf medizinisches Wissen zurück: Sie erklärt das Phänomen, dass Mädchen weißlichen Ausfluss haben. Während so der Grund für die Menstruation in der anankē zu sehen ist, liegt die Finalursache in der Arterhaltung (ἕνεκα τοῦ βελτίονος καὶ τοῦ τέλους, 738a37 f.), da die Natur diesen Ort für die Zeugung verwendet. Dabei weist die Formulierung ὅπως οἷον ἔμελλε τοιοῦτον γένηται ἕτερον (738b2 f.) auf das in II 1 ausführlicher dargestellte Ziel der Arterhaltung zurück. Diesen – letztendlich aus dem platonischen Symposion stammenden¹⁰ – Gedanken kann Aristoteles dann mit seiner eigenen Zeugungstheorie verbinden, indem er diese als Begründung (738b3 f.) für den Finalitätsgedanken anführt: Es ist die δύναμις, die für die ‚Ewigkeit‘ sorgt, indem sie die ‚Informationen‘ weitergibt bzw., wie Aristoteles es ausdrückt: Das Menstruationsblut ist potentiell ein solches wie der Körper, dessen ἀπόκρισις es ist. Warum dies so ist, bleibt hier allerdings noch unklar.

 Die Körper der Tiere sind kälter, wenn auch die Umgebung kälter wird (eine unstrittige und recht allgemeine Aussage wird vorangestellt); die Zeit des Neumonds ist kalt aufgrund des Ausbleibens des Mondes (der also implizit als Wärmequelle unterstellt wird); ein empirisches Indiz hierfür wird wieder als Konsequenz angegeben: deshalb (διόπερ, 738a21) ist die Zeit des Neumonds auch eher stürmisch-kalt als die Monatsmitte.  Vgl. hierzu oben, S. 188.

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Buch II 4 – 8

738b4 – 739a6: Alle Weibchen steuern Stoff bei, aber der männliche Beitrag ist immateriell (psychē) Aristoteles beschäftigt sich jetzt mit der Frage, warum nicht alle Männchen Samen produzieren, wohingegen alle Weibchen Menstruationsblut oder einen betreffenden Stoff hervorbringen. Der Grund (738b18: αἴτιον) liegt darin, dass der eigentliche Beitrag des Männchens nicht materiell ist, sondern in der psychē besteht. Dies hat Aristoteles ja vorher schon erläutert (738b26 f.): die psychē ist die ousia des Körpers. Darin liegt auch der Grund, warum bei der Zeugung von artverschiedenen Tieren im Lauf der Generationen die Nachkommen immer mehr den mütterlichen Vorfahren gleichen. Aristoteles arbeitet in dieser Passage gerne mit Ausdrücken der ‚Notwendigkeit‘ (738b6: ἀνάγκη, b23: ἀναγκαῖον, b24: ἀναγκαῖον), womit schon suggeriert wird, dass die von ihm vertretene Meinung die richtige ist. Denn im Zentrum steht die besagte markante These (738b9 f.), wonach Aristoteles zu einer Erläuterung in Form einer Parenthese ansetzt. In einem expliziten Vergleich (ὥσπερ – οὕτω 738b11/13) wird die Weise, in der spermaproduzierende Männchen ihren Bewegungsimpuls auf die weibliche Materie übertragen, mit derjenigen in Analogie gesetzt, in der nicht spermaproduzierende dies tun.¹¹ Gegen Ende nimmt die Parenthese starken Exkurscharakter an. Dann wird abhängig von αἴτιον δή in 738b18 der Einsatz vor der Parenthese wieder aufgenommen und wiederholt, wobei jetzt die beiden Glieder des substantivierten Infinitivs in umgekehrter Reihenfolge angeordnet sind – im Anschluss an die in der Parenthese besprochenen Männchen. Die Ursache selbst gibt Aristoteles zunächst in verknappt zugespitzter Form und als vollkommen unstrittige Aussage (ὅτι τὸ ζῷον σῶμα ἔμψυχόν ἐστιν, 738b19 f.), um im Anschluss nochmals die Grundlage der eigenen Zeugungstheorie, das heißt: die eindeutige Zuordnung der beiden Geschlechter zu den aristotelischen Formen der Verursachung, anzugeben, verbunden mit einer technischen Neudefinition (im Vergleich zu 716a13 – 17) der dynamis der beiden Geschlechter. Als Konsequenz (ὥστε, 738b23) ergibt sich, dass das Weibchen notwendig Körpermasse bereitstellt, nicht aber, dass das Männchen dies notwendig tut. Als Begründung (γάρ, 738b24) für diese fehlende Notwendigkeit auf Seiten des Männchens wird angegeben, dass weder Organe noch das Bewirkende im werdenden Lebewesen vorliegen müssen. Dieser Mittelteil endet in engem Rückbezug auf die knappe These und löst die ursprüngliche Verknappung durch die explizite Zuordnung ‚Körper – vom Weib-

 Hierzu vgl. GA I 21. 729b22 f. Insbesondere ist analog formuliert: τῇ ἐν αὑτοῖς κινήσει (738b13) und ἡ ἐν τῷ ζῴῳ αὐτῷ θερμότης καὶ δύναμις (729b26 f.).

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chen‘ und ‚Seele – vom Männchen‘ auf. Als Begründung (γάρ, 738b26) wird, wiederum in knapper Form, die etablierte aristotelische Auffassung der Seele eines Lebewesens (vgl. De an. II 1) angeführt – die jene eindeutige Zuordnung aber gerade nicht bzw. nicht ohne weiteres begründen kann. Abschließend wird ein empirisches Indiz (καὶ διὰ τοῦτο, 738b27) für die behauptete Notwendigkeit des weiblichen Residualbeitrages gegeben: Bei Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten setzt sich – zwar nicht zunächst, aber im Laufe der Zeit (738b30/32 f.) – die Gestalt der Mutter (κατὰ τὸ θῆλυ τὴν μορφήν, 738b34) durch. Diese Auffassung widerspricht eigentlich der aristotelischen Theorie, dass der Vater Bewegungs- und Formursache bei der Zeugung ist. Aber ein erneuter Vergleich mit der Botanik (738b34 – 36) soll sie stützen. Damit ist wiederum der Grund dafür gegeben (καὶ διὰ τοῦτο, 738b36), dass der Uterus als aufnehmendes weibliches Organ voluminös ist, wohingegen die spermaproduzierenden Männchen nur über blutleere, enge Samengänge verfügen. Als Abschlussnotiz erscheint, dass beide Sexual-Residuen erst an ihrem je spezifischen Ort als solche entstehen. Dies schließt noch einmal ringkompositorisch an den Beginn des Paragraphen an (vgl. 737b27– 30), der dann mit einer typischen metatextlichen Bemerkung und als erster Teil einer binary transition abgeschlossen wird (739a4– 6).

4.3 739a6–b20: Die Konzeption Mit einer Abschlussformel endete die Aitologie der zeugungsbezogenen perittōmata in 739a6, und die nun folgenden Ausführungen werden angeschlossen durch den zweiten Teil einer binary transition (739a6: δέ). Diese Passage behandelt in aitiologischer Form die Frage, auf welche Weise aus den der Zeugung dienenden Residuen die Konzeption erfolgt; dabei sind auch empirische Indizien wichtig. Dabei lässt sich Aristoteles’ Vorgehen in mehrere Schritte unterteilen, wobei er reichlich empirisches Material aus dem gynäkologischen und sexualmedizinischen Bereich verwendet: 1. (ab 739a6) Das Sperma lässt den reinsten Anteil der Menses stocken – denn der größte Anteil ist flüssig und unbrauchbar, wie auch bei der Samenflüssigkeit der flüssigste Anteil es ist. Eine empirische Detailbeobachtung wird angeschlossen und kausal erklärt: Die erste Spermafraktion ist unfruchtbarer als die spätere, die einen höheren Verkochungsgrad aufweist und daher dickflüssiger ist. Dieses empirische Indiz zeigt, dass das theoretische Modell auch subtile Details zu erklären vermag. 2. (ab 739a13) Im nächsten Schritt klärt Aristoteles, was bei weiblichen Tieren bzw. Frauen, die nicht menstruieren, geschieht. Dieser Schritt ist wichtig, weil Aristoteles für seine Zeugungstheorie Generalität beansprucht, er also dem

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offensichtlichen empirischen Umstand gerecht werden muss, dass man nicht bei allen weiblichen Tieren Menstruation beobachten kann: Bei diesen – so seine Begründung – ist das im Inneren entstehende Residuum ebenso umfangreich wie bei den nach außen menstruierenden Tieren. Dieses Volumen wird dann entweder von der mit dem Sperma übertragenen Potenz zum Stocken gebracht oder, bei bestimmten Insekten, durch Einführen eines Uterus-analogen Organs in das Männchen. Dieser abschließende Empiriebezug ist deutlich markiert durch φαίνεται συμβαῖνον (739a19 f.). Diese Ausführungen nützt Aristoteles, um nochmals gegen die eigentlich schon an früherer Stelle¹² ausführlich widerlegte Meinung vorzugehen (ab 739a20), dass das weibliche Ejakulat Sperma sei. Die Vertreter dieser Meinung führten offensichtlich als Beweis den Umstand an, dass auch diese Ejakulation in Form einer nächtlichen Pollution vorkomme. Dagegen verwendet Aristoteles ein Argument aus der Empirie, nämlich dass Pollutionen auch bei noch nicht zeugungsfähigen Jungen und bei nicht mehr zeugungsfähigen Männern vorkämen, dies also kein Argument für einen weiblichen Samen sei. Sprachlich gestaltet Aristoteles die Gegenüberstellung der gegnerischen Meinung und des sie widerlegenden empirischen Indizes so (μάλιστα δ᾿ ἂν δόξειεν ὅτι …. ἀλλὰ τοῦτο σημεῖον οὐθέν, 739a22 f.), dass eine Spannung aufgebaut wird, die das nachgeschobene empirische Argument (739a24: γάρ) löst. Gleichzeitig wird durch die zuerst Tentativität vermittelnde Ausdrucksweise im Potentialis und das damit verbundene Anbieten einer Position der Rezipient mit hineingezogen in die Kontroverse. 1. (ab 739a26) Diese Überlegungen führen zu den notwendigen und nicht notwendigen Bedingungen der Konzeption: Für eine Konzeption ist es notwendig (Ἄνευ … ἀδύνατον, 739a26 f.), dass Sperma während des Coitus ejakuliert wird. Nicht notwendig zur Konzeption ist indessen die weibliche Lust beim Orgasmus, sondern das Entscheidende ist, dass die Sexualregion erregt und der Uterus ,herabgestiegen‘ ist. 2. (ab 739a35) Eine These zum genaueren Ort der männlichen Ejakulation beim Coitus schließt die Überlegungen ab. Gegen nicht namentlich genannte Personen (τινές, 739a36), denen zufolge die Ejakulation innerhalb des Uterus stattfindet, führt Aristoteles die Enge des Muttermundes an; der Ejakulationsort des Spermas ist derselbe wie der der weiblichen Ejakulation. 3. Nachdem der Prozess und der Ort der Ejakulation dargestellt ist, geht Aristoteles auf den weiteren Verlauf der Zeugung ein: Nach der Ejakulation

 GA I 20. 727b33 – 728a9.

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verbleibt das Sperma entweder vor dem Muttermund oder wird, bei entsprechendem und nach der Reinigung (i. e. Menstruation) warmem Zustand des Uterus, von diesem hineingezogen. Für diese Begründung werden Parallelargumente eingeführt, wobei auch die für Parallelargumente typische Partikel ἔτι (739b6) verwandt wird. – Das erste ist ein (explizit als solches bezeichnetes) Indiz (σημεῖον δέ, 739b4 f.): Pessare, die feucht eingesetzt würden, seien bei Entfernung trocken. – Bei Tieren mit ‚oben‘ (vgl. I 8. 718b1) in der Zwerchfellregion liegendem Uterus, wie bei Vögeln und lebendgebärenden Fischen,¹³ sei es unmöglich, dass das Sperma nicht eingesogen würde (sondern nach der Ejakulation direkt in den Uterus gelange). Der nicht ausdrücklich genannte Grund für diese Unmöglichkeit ist einfach in der größeren Entfernung zwischen Ejakulationsort und Uterus bei diesen Tieren zu sehen. – Auch die lokale Wärme im Uterus, die durch die Ausscheidung der Menses entsteht, wird für die Sogwirkung verantwortlich gemacht. Diese wird mit einer bestimmten Sogwirkung im Bereich der Artefakte verglichen (καθάπερ, 739b11¹⁴), die sich ebenfalls nach Erwärmung einstellt. Dieser auffällige Vergleich knüpft mit seinem technē-Modell an die Erfahrungswelt der Rezipienten an. – Es folgt eine weitere, eigentlich redundante Bemerkung, nämlich dass sich so eine Zugwirkung ergebe. Damit kann Aristoteles die eigene thermische Theorie der Cervixpassage abgrenzen gegen die anderer, wiederum nicht namentlich zitierter Forscher (μὲν … δέ τινες, 739b13 f.), die hierfür die Begattungsorgane verantwortlich machen. Die stilistische Gestaltung des Passus (chiastische Stellung: τοῦτον μὲν τὸν τρόπον γίγνεται …, ὡς δὲ … οὐ γίγνεται κατ᾿ οὐθένα τρόπον, 739b13 – 15) lässt erkennen, wie sehr Aristoteles daran gelegen ist, seine eigene Theorie scharf abzugrenzen. – Zuguterletzt verwendet Aristoteles ein Argument, das mit der Absurdität der gegnerischen These, die der Pangenesislehre zuzuordnen ist, arbeitet: Wenn man die abgelehnte Anschauung, dass auch die Frau Samen ejakuliere, zugrundelege, so ergebe sich, dass der Uterus zunächst nach außen, also in die Vagina, ejakuliere (739b17 f.), um die männlich-weibliche Samenmischung dann wieder in sich hineinzuziehen. Dieses Argument unterstellt stillschweigend, dass eine eventuelle weibliche Sa-

 Gegenüber I 8. 718b1– 5 fehlen hier die oviparen Vierfüßler.  Zu ὥστε unmittelbar davor s. bei Drosaart Lulofs (1965) 69 im App.

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menejakulation aus dem Uterus heraus stattfinden müsste. In einem typischerweise bündigen Abschluss der Passage wird diese Annahme eines ‚überflüssigen Hin und Her‘ in Widerspruch zu dem etablierten Axiom ‘die Natur tut nichts Überflüssiges‘ gesetzt.

4.4 739b20 – 741a5: Epigenetische Entstehung des Embryos, die beim Herzen beginnt Mit 739b20 beginnen nähere Ausführungen zur Embryonalgenese, genauer gesagt entfaltet Aristoteles hier seine vorher aufgestellte These, dass sich die Entwicklung sukzessive vollzieht. Dabei ist das Herz das erste, was sich bildet. Insgesamt hat die Passage aitiologischen Charakter: Sie benennt und begründet die Entstehungsprozesse, dementsprechend findet sich eine Häufung von γάρ. Die Ausführungen enden eigentlich schon mit 741a3, weil hier ein neuer Gedankengang eingeschoben ist: Das Weibchen kann nicht allein zeugen. Und dieser eingeschobene Gedankengang beginnt mit der Formulierung Ἔν μὲν οὖν τοῖς φυτοῖς in 741a3; hier müsste das Kapitel 5 beginnen, weil der kurze καίτοι-Satz die Gedankenführung dann weiterleitet. Man kann sagen, dass es sich hier um ein Herzstück der aristotelischen Zeugungstheorie handelt. Denn Aristoteles begründet neu einen epigenetischen Ansatz. Daraus erklärt sich auch die Vielfalt der heuristischen und didaktischen Mittel, derer er sich bedient, wie Vergleiche, vor allem aus dem botanischen Bereich, aber auch aus der Alltagswelt, ebenso die Absetzung von anderen Meinungen, in diesem Fall des Demokrit. Ab 739b20 erklärt Aristoteles den an die Konzeption anschließenden Prozess, den man auch als letzte Phase der Konzeption bezeichnen könnte, mit einem ersten Stocken. Hierzu greift er zu einer Analogie, die die Wirkung des Spermas auf die Katamenien mit der fermentierenden Wirkung von Lab auf Milch in Bezug setzt. Damit ändert er den bereits in I 20. 729a12– 14 gebrauchten Vergleich ab, wo anstelle des Labs der Saft des Feigenbaums genannt war. Hier wird diese Wirkung nun allerdings noch näher erklärt: Lab ist selbst Milch, es enthält allerdings eine vitale Wärme, die die ‚normale‘ Milch integriert (τὸ ὅμοιον εἰς ἓν ἄγει, 739b23 f.) und stocken lässt. Die stocken machende Wirkung wird auf eine Art Assimilationsfähigkeit (also auf ein allgemeineres Konzept) der dem Lab innewohnenden Wärme zurückgeführt. Im selben Verhältnis wie Lab zu Milch steht die Samenflüssigkeit zu den Katamenien, da Milch und Katamenien von derselben ,Natur‘ sind. Warum dies aber der Fall ist, muss der Rezipient ergänzen. Jene Eigenschaften beruhen auf zwei Formen der Verursachung: 1. auf ‚Notwendigkeit‘ und 2. auf einem bestimmten Zweck. Dabei wird die 1. Art der Kausalität auf einen allgemeineren physiko-chemischen Prozess zurückgeführt. Der Passus

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schließt ab mit einem Verweis auf eine etablierte Terminologie der ,Membran‘ bzw. des ,Chorion‘, unterschieden durch ein quantitatives Kriterium (739b31 f.), und auf das Vorkommen beider Varianten sowohl bei Oviparen wie bei Viviparen und erreicht so einen unstrittigen ‚Ruhepunkt‘. Ab 739b33 führt Aristoteles aus, dass das Herz, das über die Adern Nahrung und Wachstum gewährleistet, das Organ ist, das sich zuerst ausdifferenziert. Wie man sich diesen Vorgang denken soll, erläutert er mithilfe eines botanischen Vergleichs (παραπλήσιον, 739b34/b21): Auch in den Pflanzensamen ist das erste Prinzip, gemeint ist: der Veränderung, insbesondere des weiteren Wachstums, enthalten, und wenn dieses (es wird nicht gesagt, um welchen konkreten Teil der neuen Pflanze es sich handelt) sich ausdifferenziert hat, gehen von ihm Spross und Wurzel aus, durch die die Pflanze Nahrung aufnimmt zum Zwecke des Wachstums. Mit οὕτω καί (740a1) wird der Vergleich explizit gezogen: Während im Embryo alle Körperteile in gewisser Weise potentiell enthalten sind, liegt doch der Ursprung (des Wachstums) ganz zuvörderst darin vor – deshalb differenziere sich zuerst das Herz aus. In der für ihn typischen Weise¹⁵ begründet Aristoteles seine These sowohl ‚logisch‘ als auch empirisch (ἐπὶ τῆς αἰσθήσεως/ἐπὶ τοῦ λόγου, 740a4 f.). Dabei fasst er die faktisch-empirische Begründung nur in einer Parenthese (740a5: συμβαίνει); warum es aus Vernunftgründen so geschehe, begründet er mit einem in diesem Kontext durchaus ausgefallenen Vergleich aus der Alltagswelt: Das neu entstehende Lebewesen müsse sich selbst nach der Abtrennung von den Eltern organisieren – wie ein Sohn, der vom Elternhaus weg einen eigenen Haushalt gründe. Im Folgenden wendet sich Aristoteles gegen die Annahme, dass es eine archē von außen sein könnte: Dazu führt er einen anonymen Dritten ein (740a10: διαπορήσειεν ἄν τις) – der imaginäre Sprecherwechsel ist so geläufig, dass die Ellipse in ἀλλ’ ὅτι (740a10) nicht stört –, der danach fragen könnte, wann die Entwicklung erfolgt, aber auch andere Problematisierungen aufwerfen könnte. Es ist signifikant, dass Aristoteles hier einen imaginären τις ins Spiel bringt, weil er im Folgenden Demokrit namentlich als Vertreter der gegenteiligen und falschen Auffassung anführt. Denn so imaginiert er eine Situation, dass sich ein unabhängiger Dritter und mit ihm der Rezipient zwischen den unterschiedlichen Meinungen entscheiden muss, so wie es in der bereits mehrfach zitierten Passage in De caelo entwickelt wird. Auf inhaltlicher Ebene erscheint Aristoteles’ Gegenargument zirkulär, wenn er ausführt, dass im Falle eines von außen eindringenden Prinzips die Frage nach dem genauen ‚Wann‘ problematisch bzw. unlösbar

 Vgl. I 2. 716a18 f.

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wäre und man überdies entgegnen würde, dass dieses Prinzip zuerst vorliegen müsse, da sich nur aus ihm heraus Wachstum und Veränderung der anderen Teile ergebe. Dieses Argument erscheint deshalb zirkulär, da diese Aussage ja gerade gestützt werden soll. Aber es gibt Aristoteles Gelegenheit, sich von Demokrit abzugrenzen. Auf ihn verweist er für die Meinung, zuerst differenziere sich das Äußere der Lebewesen – als seien sie aus Holz oder aus Stein, später das Innere. Aristoteles’ Gegenargument erscheint wiederum zirkulär. Denn wenn er darauf erwidert, Holz oder Stein besäßen gar kein Prinzip, die wirklichen Tiere aber schon, und zwar in ihrem Innern, so wird die gegnerische Theorie zwar durch einen Vergleich ins Absurde gezogen, aber nicht, außer durch die Kontrastierung mit der eigenen Position, streng widerlegt. Ein solches Verfahren lässt sich auch andernorts¹⁶ beobachten und stellt eine rhetorische Strategie dar. Noch einmal (vgl. o. 740a3 f.) wird gefolgert (διό, 740a17), dass sich das Herz – diesmal mit der Einschränkung: bei allen Bluttieren – zuerst ausdifferenziert, und es wird 740a18 f., anders als am Beginn der gesamten Ausführung zur Entwicklung des Herzens, explizit gesagt, dass das Herz der Ursprung aller Körperteile sei. Mit einer kurzen Kausalkette (die Nahrung letzter Stufe ist das Blut bzw. dessen Analogon bei Blutlosen, und deren Gefäß sind die Adern, daher ist das Herz auch Ursprung von diesen) leitet Aristoteles abschließend noch einmal her, warum man das Herz archē nennen könne, und betont die Korrektheit seiner These mit der Formulierung ἄξιον ἀκοῦσαι (740a19 f.). Der Passus schließt mit einem kurzen Verweis als pauschalem empirischen Beleg hierfür auf HA und die Anatomai und gelangt so, nach einem kurzen dialektischen Zwischenstück (740a9 – 17), zu einem wiederum bündig formulierten und unstrittigen Abschluss (740a23: δῆλον). Mit δέ eingeleitet (740a24), folgt eine weitere Begründung: Die Nahrung, derer das unvollendete Lebewesen bedarf, muss irgendwoher kommen, und es bekommt sie in der Gebärmutter, die wiederum Blut mittels Adern aus dem Herzen bezieht. Um die Nahrungsaufnahme in der Gebärmutter zu veranschaulichen, verwendet Aristoteles einen botanischen Vergleich: die Ernährung der Pflanze in der Erde. Als das Ziel dieser Nahrungsaufnahme wird in Erweiterung der Eingangsformel δυνάμει … ζῷον (740a24/a27) eine relative Vollendungsstufe genannt: die des potentiell lokomotorischen Lebewesens – was wohl bedeutet, dass es seine äußeren Extremitäten entwickelt hat. Die aisthēsis allein macht also das Tier noch nicht zum Tier, sondern die Anlage zur Lokomotorik. Dies ist erst einmal überraschend, weil Aristoteles hier das Kriterium der Aisthesis durch das der

 Vgl. die Auseinandersetzung mit Empedokles in Buch IV (siehe unten, S. 339‒342).

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Lokomotorik ersetzt zu haben scheint.¹⁷ Dementsprechend werden die nicht-lokomotorischen Tierarten hier unterdrückt, und, da im Folgenden ohne Einschränkung vom Herzen die Rede ist, auch die blutlosen. Hier geht Aristoteles deduktiv vor (Ἐπεὶ … ἀναγκαῖον, 740a24 f.), kommt aber zu einem Schluss, zu dessen Gültigkeit noch Prämissen zu ergänzen wären, wie ‚das werdende, noch unvollkommene Lebewesen strebt zur Vollendung‘ oder allgemeiner als ein Axiom, wie es bereits in I 1. 715b15 f. formuliert war: ‚die Natur strebt stets nach Vollendung‘. Die folgende Konsequenz (διό, 740a25) ergibt sich als solche, wenn notwendig die nächstliegende Nahrungsquelle genutzt wird, hier also die mütterliche Umgebung. Und wieder illustriert Aristoteles das Gemeinte durch einen kurzen Vergleich aus dem botanischen Bereich (740a34– 36), indem er die Adern mit Wurzeln vergleicht. Diese Analogie ist insofern geglückt, als damit implizit auf das Pflanzen und Tieren gemeinsame Ernährungsvermögen verwiesen wird. Als Konsequenz (διό, 740a27) dargestellt wird die primäre Genese genau zweier vom Herzen ausgehender Gefäße (Aorta und Vena cava, s. o.) – der Zusammenhang ist aber nicht zwingend, es werden anatomische Fakten in die Argumentation einfach integriert. Es schließt sich denn auch eine vorwiegend deskriptive Passage an, die die etablierte Nomenklatur in typischer Weise explizit aufgreift (ὁ καλούμενος, 740a29 f.). Die Nabelschnur besteht, je nach Tierart, aus einem oder mehreren Gefäßen, die von einer häutigen Hülle geschützt werden, da die Gefäße selbst nicht robust genug seien. Ringkompositorisch wird nun der Pflanzenvergleich (740a25 ff.) wieder aufgenommen (οἷον ῥίζαι, 740a34). Den Abschluss dieses Passus bildet wiederum (vgl. o. 740a13 f.) eine betonte (ἀλλ’ οὐχ, 740a36) Abgrenzung gegen Demokrits Auffassung, nach der der Embryo im Uterus bleibt, damit sich die Körperteile nach denen der Mutter ausbilden können. Als abschließendes und schlagendes Argument gegen dessen Auffassung wird wiederum ein unstrittiges empirisches Faktum (der Embryonalentwicklung im Ei) angeführt. Eine problematisierende Passage aus der Perspektive eines imaginierten Fragers wird 740b1– 8 angeschlossen: Woher kommt die erste Nahrung? Die Lösung (ἀλλά, 740b5) wird wiederum durch einen Vergleich mit der Flora illustriert (ὥσπερ/οὕτω, 740b6 – 8), obwohl auch das περίττωμα τῆς συστάσεως allein eine befriedigende Antwort auf die Frage nach der ersten Nahrung darstellen würde: Das Nahrungsresiduum, das unter dem Einfluss des männlichen Spermas stockt,

 Vgl. das Ergebnis der von Zierlein (2010) vorgelegten Untersuchung: Wenn Aristoteles die theoretisch zur Abgrenzung der Tiere erarbeiteten Kriterien auf die Empirie anwendet, tritt das Kriterium der Wahrnehmung zugunsten desjenigen der Lokomotorik in den Hintergrund.

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ist selbst auch Nahrung. Durch die Analogisierung von Flora und Fauna gewinnt diese Antwort aber an Überzeugungskraft, die Analogie ist hier also didaktisch motiviert. Die folgende Passage ist durch eine binary transition angeschlossen: In Form des ersten Teils (μὲν οὖν, 740b8) wird noch einmal das zur Ernährung des Embryos Gesagte unter dem Stichwort auxēsis zusammengefasst, wobei der Pflanzenvergleich aus 740a26 u. a34 wiederaufgenommen wird. In typischer Weise endet dieser erste Teil mit einem metatextlichen Vorverweis; die Formulierung des abschließenden Präpositionalausdrucks κατὰ τοὺς οἰκείους τῶν λόγων καιρούς (740b12) erinnert an die Wendung κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα καιρόν, die ähnlich in I 2. 716a2 f. vorkommt. Im Folgenden (740b8 – 741a3) widmet sich Aristoteles der Frage der Ausdifferenzierung, nachdem er für die Behandlung des Wachstums auf später verwiesen hat. Wieder ist die didaktische Gestaltung der Passage auffällig. Denn Aristoteles beginnt mit einem Vergleich: Beim Tierembryo ist es wie beim Pflanzensamen (740b9 f.: τὸν αὐτὸν τρόπον ὅνπερ): Die Pflanzen beziehen ihre Nahrung durch die Wurzeln, die Embryos durch den Nabel. Im Anschluss wendet Aristoteles wieder einmal das Verfahren ‚Negierung einer bzw. kritische Auseinandersetzung mit einer anderen Theorie – Gegenüberstellung der eigenen Theorie‘ an. Dabei behauptet er die vielfache Problematik der unbestimmten τινές zugewiesenen Theorie und stellt dem die eigene Position, mit betont vorangestelltem ἀλλά (740b18), gegenüber: Wie bereits mehrfach festgestellt (vgl. II 3. 737a22– 25 u. II 4. 738b3 f.), enthalte das weibliche Residuum potentiell, nicht aber aktual die Körperteile. Dieser Aussage geht die etwas allgemeinere Feststellung voraus, dass es potentiell so beschaffen ist, wie es das jeweilige Lebewesen von Natur aus ist. Dass eben darin die Ursache der Gewebe- und Organdifferenzierung zu sehen ist, wird eigens noch einmal konstatiert unter Wiederholung des Ausdrucks ταύτην τὴν αἰτίαν (740b21, vgl. o. 740b18). Diese These wird nun mit weiteren Argumenten gestützt: – Der erste Grund (740b21) wird zunächst in ganz allgemeinen (und sehr technisch formulierten) Termini eingeführt: Wenn ein aktives und ein passives Moment (vgl. die bereits in I 20. 729a24– 31 getroffene Unterscheidung und Zuordnung) in der Weise (Modus, Ort und Zeit betreffend) in Kontakt kommen, in welcher sie eben aktiv bzw. passiv sind (Kontakt als notwendige Bedingung für eine Einwirkung eines aktiven auf ein passives Element s. GC I 6. 322b22– 25), dann wird das eine sogleich tatsächlich aktiv, das andere tatsächlich passiv. Die Zuordnung von weiblich/männlich zu diesen beiden Momenten geschieht nun implizit: Es wird nur noch einmal die bereits etablierte Zuordnung der beiden Geschlechter zu den Formen von Verursachung, ,Materie‘ bzw. ,Ursprung der Veränderung‘, wiederholt.

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Es folgt eine ausführliche Analogie (ὥσπερ/οὕτως, 740b25/b29) zum Bereich der Technik (ähnlich bereits II 1. 734b36 – 735a3), wobei Aristoteles seine grundsätzliche Auffassung von dem, was Technik ist, wiederholt: In diesem Bereich entstehen die Dinge durch Instrumente, besser gesagt: durch deren Bewegung (vgl. 735a1: ἡ κίνησις ἡ τῶν ὀργάνων), und darin besteht die aktuale Ausübung von Technik; Technik ist Gestalt (μορφή; vgl. 735a2: ἀρχὴ καὶ εἶδος) des in einem anderen (ἐν ἄλλῳ, vgl. 735a3: ἐν ἑτέρῳ) Entstehenden.

Analog (οὕτως, 740b29) lässt das Vermögen der Nährseele, wie¹⁸ es auch später in den Lebewesen selbst das Wachstum aus der Nahrung heraus bewirkt, indem es Wärme und Kälte als Instrumente benützt und diese jeweils in ein bestimmtes Verhältnis setzt, so auch (οὕτω, 740b33) zu Beginn das natürlicherweise Werdende sich konstituieren. Dieser letzte Vergleich erfährt nun noch eine Begründung (γάρ, 740b34) darin, dass (nicht nur auf der Ebene der dynameis, sondern auch) auf der Ebene der Materie eine Identität besteht zwischen derjenigen Materie, auf deren Grundlage Wachstum, und derjenigen, aus der sich zuerst der neue Organismus konstituiert. Die im vorigen Vergleich eigentlich schon implizierte Identität der Vermögen wird (redundanterweise) nochmals gefolgert (ὥστε, 740b35). Und noch deutlicher wird von der Identität der Vermögen auf die der ‚Seelen‘ geschlossen (οὖν, 740b36): die Nährseele ist zugleich auch die zeugende Seele. Der Passus schließt so mit prägnanten, wiederum bündig formulierten Aussagen, die ein stimmiges Bild in globaler Perspektive ergeben: Genau diese ,Natur‘, also die Nähr-/Zeugungsseele ist es, die in jedem einzelnen Wesen sowohl der Pflanzen- wie der Tierwelt vorliegt, während die anderen Seelenteile den einen Lebewesen (i. w. S.) zukommen, den anderen nicht – eine Aussage, die einen impliziten Verweis auf die aristotelische scala naturae darstellt. Eine binary transition (μὲν οὖν – δέ, 741a3 f.) formuliert diese globale Perspektive unter Weglassung der nichtgeschlechtlichen Tiere und schließt so Kapitel 4 passend ab: Bei den Pflanzen sind die beiden Geschlechter nicht getrennt, bei den getrenntgeschlechtlichen Tieren bedarf das Weibliche zur Zeugung des Männlichen.

 ὥσπερ, 740b29 f.: ein ‚geschachtelter Vergleich‘.

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5 Vernetzung von Kapitel 4 εἴρηται πρότερον (737b10) ὕστερον ἐροῦμεν (737b15) ὕστερον … λεκτέον (737b24 f.) ὥσπερ εἴρηται (738a6) εἴρηται πρότερον (739a21) περὶ ὧν ὕστερον λεκτέον κατὰ τοὺς οἰκείους τῶν λόγων καιρούς (740b11 f.)

Kapitel 5. 741a6 – 741b24 1 Inhalt Dieses Kapitel ist dem Beweis gewidmet, dass bei den Tieren, bei denen es eine Geschlechtertrennung gibt, die Weibchen nicht bzw. nur bis zu einem gewissen Grad, nämlich dem von pflanzlichem Leben, zeugen können, weil das Männchen die aisthēsis beisteuert, die das Charakteristikum tierischen Lebens ist.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 5 Das Kapitel beginnt eigentlich schon in 741a3 – 5 mit einer Einleitungsformulierung, da der kurze καίτοι-Satz in 741a6 den Gedanken weiterführt.¹⁹

3 Struktur von Kapitel 5 1. 2. 3. 4.

741a6 – 32: Aporie: Weibliche Zeugungsfähigkeit, aber nur bis zu einem gewissen Grad 741a32– 741b7: Empirie: Parthenogenese und ungeschlechtliche Zeugung 741b7– 15: Vergleich der epigenetischen Entwicklung mit automata 741b15 – 24: Am Beginn der Entwicklung wie am Ende des Lebens steht das Herz

 Vgl. oben zu Kapitel 4, Abgeschlossenheit.

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Dieses Kapitel verbindet diskursive mit deduktiven Strukturen, insbesondere im ersten Abschnitt.

4.1 741a6 – 32: Aporie: Weibliche Zeugungsfähigkeit, aber nur bis zu einem gewissen Grad Nachdem die These kurz und bündig vorangestellt worden ist: ‚Bei Tieren mit getrennten Geschlechtern ist das Weibchen auf das Männchen angewiesen‘, wird eine Aporie aus der Perspektive eines Dritten formuliert (741a6): Καίτοι τις ἀπορήσειεν ἂν διὰ τίν’ αἰτίαν. Damit wird der Rezipient in den Frageprozess mit hineingenommen, zumal im Folgenden Aristoteles direkte Fragen formuliert: Wenn Männchen und Weibchen die gleiche Psyche haben und das Weibchen Stoff beisteuert, warum kann es nicht alleine zeugen? Indem Aristoteles die Begründung als knappe Antwort formuliert (der Grund liegt darin, dass Tiere sich durch die Wahrnehmung von den Pflanzen unterscheiden), bleibt der diskursive Modus erhalten. Nun folgen die Argumente, zuerst ein logisches Argument, dann ein Indiz aus der Empirie: Wenn das Männchen die aisthēsis beiträgt, kann das Weibchen nicht allein zeugen. Dieses Argument ist zirkulär, denn es formuliert als Protasis (741a13 f.), setzt also voraus, was eigentlich noch zu zeigen ist, nämlich dass das Männchen die Aisthesis beiträgt. Als nächstes folgt eine Rechtfertigung dafür, dass die anfängliche Aporie aufgeworfen wurde, aus der Empirie. Denn diese zeigt, dass weibliche Vögel Eier legen, die sich auch ohne Befruchtung bis zu einem gewissen Grad entwickeln können: die sog. Windeier. Dieses Phänomen führt zu der nächsten Aporie, auf welche Weise man in diesem Fall von Leben sprechen könne. Aristoteles benutzt hier eine Aporie, die man mit Gelber unter die Form zetetischer Aporien einreihen könnte.²⁰ Diese zweite Aporie wird im Folgenden entfaltet und dahingehend gelöst, dass diese Windeier an der ‚untersten‘ Stufe des Lebens (ἐσχάτη) teilhaben, der θρεπτική.²¹ Indessen gelangt Aristoteles nicht deduktiv zu diesem Ergebnis, sondern indem er gewissermaßen vorangleitet: a) Logisches Argument: Es sind keine fruchtbaren (γόνιμα) Eier, da kein ἐνεργείᾳ ἔμψυχον (741a21) aus ihnen erwächst, aber sie sind auch nicht wie Stein und Holz, da ein Vergehen (φθορά) möglich ist. Dieses, so muss man still-

 Vgl. oben, S. 42.  Zur inhaltlichen Deutung dieser Passage vgl. Föllinger (2010b).

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schweigend hinzufügen, wäre bei ‚toter‘ Materie nicht möglich. Also, so die Schlussfolgerung, müssen diese Eier „auf irgendeine Weise“ leben. Es folgt ein Wechsel von Frage und Antwort, der den Rezipienten in den Reflexionsprozess, dem sich der Autor selbst unterzieht, mit hineinnimmt. Die Antwort in 741a24 wird, wie in 741a9, unmittelbar angeschlossen, vergleichbar einem direkten Dialog zwischen zwei Disputanten. Die Antwort lautet: „Notwendig die letzte (i. e. unterste) Form von Seele“ (741a24) und ist ebenso knapp formuliert, wie in einer Art ‚Schlagabtausch‘. Dabei wird durch den Begriff ἀνάγκη (741a24) die ‚Lösung‘, dass diese Windeier an der ‚untersten‘ Form des Lebens teilhaben, als zwingend suggeriert, obwohl die logische Argumentation nicht zwingend ist. Auch in der Antwort ergeht wieder eine Erläuterung des knappen ‚Eingangsstatements‘: Es handelt sich um die Nährseele, denn (γάρ, 741a25) diese kommt Tieren wie Pflanzen gleichermaßen zu. Dieser etwas redundante Nachsatz begründet allerdings nur, dass die Nährseele die unterste Form von Seele darstellt, nicht aber die Antwort in ihrer Aussage. Eine dritte (und in diesem Passus letzte) Frage schließt sich direkt an (741a26), es findet also ein impliziter Sprecherwechsel statt: Warum nun vollendet das Windei dann nicht die Körperteile und das Lebewesen insgesamt? Die Antwort auf diese Frage liegt nach dem in 741a9 – 13 Gesagten auf der Hand, insofern erscheint sie redundant; sie führt immerhin auf einen glatten Abschluss des Passus. Die unmittelbar anschließende Antwort beginnt wieder mit dem typischen ὅτι (740a26) und nimmt die Aussage von 741a9 – 13 auf. Dabei wird die doppelte Negation ἀδύνατον … μὴ … positiv gewendet: δεῖ … ἔχειν (741a27); οὐ γάρ ἐστιν ὥσπερ (741a27) entspricht διαφέρει in 741a9. b) Empirisches Argument: Aristoteles hat einen ‚Trumpf auf der Hand‘: Seine Theorie entspricht der Empirie (ὅπερ καὶ συμβαίνει, 741a29): Bei einer Befruchtung zum richtigen Zeitpunkt können diese Eier entwicklungsfähig werden. Für die dialektische Passage zeigt sich insgesamt folgendes Muster: – Einsatz mit einer Formel im Optativ eines unpersönlichen Dritten o. ä. (regelmäßig erscheint das Indefinitpronomen τις) – knappe Formulierung (‚auf den Punkt gebracht‘) der Problemfrage – Erläuterung des Problems und Neuformulierung – unmittelbar anschließende Antwort, ebenfalls zunächst ‚auf den Punkt gebracht‘, – dann eine ausführlichere Antwort unter engem Bezug auf die Problemstellung, meist als wörtliche Wiederaufnahmen.

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4.2 741a32–b7: Empirie: Parthenogenese und ungeschlechtliche Zeugung Der zweite Abschnitt zeigt Aristoteles als empirisch forschenden Wissenschaftler, der es nicht versäumt, darauf hinzuweisen, dass es möglicherweise auch andere Formen der Zeugung gibt. So lägen bei bestimmten Fischen noch nicht genügend Beobachtungen zu einer möglicherweise parthenogenetisch verlaufenden Fortpflanzung vor (741a34: ἀξιοπίστως … συνῶπται und 741a37 f.: οὔπω πεῖραν … ἀξιόπιστον über die Erythrai), bei anderen gebe es keine Geschlechtertrennung.²² Es folgt abschließend die Einschränkung seiner Theorie auf die Tiere mit Geschlechtertrennung und die Unterstützung durch einen Widerspruchsbeweis: Wenn das Weibchen allein zeugen könnte, wäre das Männchen überflüssig, aber die Natur macht nichts umsonst. Deswegen vollendet das Männchen die Zeugung, indem es die ψυχὴ αἰσθητική beiträgt. Mit zwei kurzen und prägnanten Sätzen (741b5 – 7) wird der Gedankengang abgeschlossen. Insgesamt ist ringkompositorisch ein Bogen zurück zum Beginn geschlagen und die Lösung der Aporie, die erarbeitet wurde, sprachlich einprägsam wiederholt.

4.3 741b7 – 15: Vergleich mit automata und 4.4 741b15 – 24: Herz als Beginn der Embryonalentwicklung Die Abschnitte 3. und 4. gehören eng zusammen. In 3. greift Aristoteles den schon eingeführten Vergleich der Epigenese mit den automata (734b10/13) wieder auf.²³ Damit kann er an Bekanntes anknüpfen, um dann die Reflexion auf den detaillierteren Verlauf der Embryonalentwicklung auszuweiten. Dies tut er, indem er das Entwicklungsprinzip ‚Gleiches zu Gleichem‘ der Hippokratiker aufnimmt (hier wieder anonym zitiert als τινὲς τῶν φυσικῶν, 741b10), aber um es zu unterlaufen, indem er sein Unterscheidungskonzept von Potenz und Aktualität anwendet. Die Teile des Embryos bleiben alle am Platz, aber die Homoiomere erfahren Veränderungen in der Farbe etc., weil das potentiell Angelegte nun verwirklicht wird. Da diese Anwendung bereits als gesichert gelten kann, endet auch dieser Passus in einem gewissen ,Punkt der gesicherten Ruhe‘, aber auch der Wiederholung. 4. Der Beginn von allem ist das Herz. Hier knüpft Aristoteles an das an, was er in Kapitel 4 entwickelt hat, so dass er im folgenden Kapitel 6 nun differenzierter mit dem Verlauf der Epigenese fortfahren kann. Er führt aber auch die Empirie an (συμβαίνει, 741b19), die zeige: Generell (ἐπὶ πάντων, 741b19) versagt das zuletzt in der Entwicklung Entstandene zuerst und umgekehrt, gleichsam als folge die Natur einer doppelspurigen Rennbahn mit Wendepunkt und ,spule‘ die Ent-

 Vgl. hierzu Föllinger (1996a) 160 mit Anm. 229; Connell (2016) 99.  Vgl. oben, S. 198 f.

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wicklung in umgekehrter Reihenfolge wieder ,ab‘. Mit diesem ‚angenommenen Vergleich‘ (ὥσπερ mit Partizip, 741b21) bedient sich Aristoteles eines aus der Alltagswelt entstammenden Bildes. Als Begründung (γάρ, 741b22) führt er verkürzt seine Auffassung von Werden und Vergehen an, die ebenfalls eine Umkehrung (πάλιν, 741b23) der Ausgangs- und Endpunkte des Umschlags beinhaltet (ἔστι γὰρ ἡ μὲν γένεσις ἐκ τοῦ μὴ ὄντος εἰς τὸ ὄν, ἡ δὲ φθορὰ ἐκ τοῦ ὄντος πάλιν εἰς τὸ μὴ ὄν, 741b22– 24: „Es hat nämlich das Entstehen statt vom Nicht-Seienden zum Seienden, das Vergehen dagegen umgekehrt vom Seienden zum Nicht-Seienden“). Aber er gibt damit nicht, jedenfalls nicht im strengen Sinne, eine Begründung für das als allgemeingültig behauptete rückläufige Verhalten der Natur, sondern stellt nur eine formal-begriffliche und verkürzende Analogie zu einem universellen Phänomen her. Nichtsdestotrotz endigt so der Passus wiederum in einem unstrittigen, universell gültigen Ruhepunkt.

5 Vernetzung von Kapitel 5 Verweis auf spätere Ausführungen über die Windeier (741a31 f.). Verweis auf frühere Ausführungen über das Herz als Beginn der Entwicklung (741b16 f.).

Kapitel 6. 741b25 – 745b22 1 Inhalt Dieses Kapitel stellt die weitere Embryonalentwicklung dar, wobei die Rolle des pneuma sowie diejenige von Wärme und Kälte erklärt wird.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 6 Die traditionelle Kapiteleinteilung ist unseres Erachtens nicht glücklich gewählt,²⁴ da im vorhergehenden kleinen Absatz von der Entstehung des Herzes als erstem Entwicklungsschritt die Rede war, woran die nun folgende Entwicklung anschließt. Dies ist daran zu sehen, dass der mit δέ eingeleitete Eröffnungssatz

 Vgl. oben, S. 208 f.

Kapitel 6. 741b25 – 745b22

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(741b25) eng an den thesenhaft-knappen Beginn des vorhergehenden Absatzes anklingt. Der Kapitelbeginn wäre also sinnvoller bei 741b15: Γίγνεται δὲ πρῶτον anzusetzen. Die Formulierung in 745b21 f. bringt einen Schlusspunkt dieses großen Kapitels (und würde gut zu dem Beginn mit 741b15 passen), das teilweise etwas heterogen erscheint.

3 Struktur von Kapitel 6 1. 2. 3.

741b25 – 37: Kriterien der Reihenfolge in der embryonalen Organentwicklung 741b37– 742a16: Die Rolle des pneuma 742a16 – b17: Entwicklung der eigenen Theorie in Absetzung von anderen Meinungen (Methodik) 4. 742b17– 743a1: Weitere methodische Überlegungen 5. 743a1– 36: Erste Behandlung der homoiomeren Körperteile; innere Wärmewirkung und Abkühlung 6. 743a36 – b18: Entstehung der Haut 7. 743b18 – 744b11: Augen und Gehirn 8. 744b11– 745b22: Entstehung der homoiomeren Teile aus je spezifischen Anteilen der Nahrung

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Der Duktus dieses langen Kapitels ist vielfältig, da es sowohl beschreibend als auch begründend vorgeht und mit den inhaltlichen Ausführungen methodische Überlegungen verbindet. Die Argumente rekurrieren teilweise stark auf die Empirie, um zu zeigen, dass das Eidos-Hyle-Modell der richtige Ansatz zur Erklärung ist. Das Kapitel ist aber auch durch die Auseinandersetzung mit den Hippokratikern gekennzeichnet, wobei sich Aristoteles offensichtlich vor allem auf De natura pueri bezieht. Auffällig sind die vielen – teilweise ausgefallenen – Vergleiche, die Aristoteles in heuristischer und didaktischer Funktion verwendet.

4.1 741b25 – 37: Kriterien der Reihenfolge in der embryonalen Organentwicklung Diese Passage beschreibt die Entwicklung der Organe. Ein wichtiges Kriterium ist die Empirie, aber gleichzeitig ist ein kritischer Umgang mit der Empirie erkennbar,

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denn Aristoteles vermerkt, dass der makroskopische empirische Befund nicht immer den den Erscheinungen zugrundeliegenden realen Prozessen entspricht. a) Die inneren Organe entstehen vor den äußeren. b) Die größeren Organe werden vor den kleineren Organen sichtbar – mit der Einschränkung, dass dieser makroskopische empirische Befund nicht immer der wahren Reihenfolge, in der die Organe entstehen, entspricht, jedoch ohne dass diese Einschränkung begründet würde. c) Die oberen Organe entstehen – wenngleich nicht bei allen Tieren – vor den unteren. ,Oben‘ und ,unten‘ bezeichnen aber nicht die Lage bzgl. Erde und Himmel, sondern sind funktionell gemeint, im Sinne von IA 4. 705a31–b2; dort wird ausnahmslos allen tierischen und pflanzlichen Lebewesen ein Oben und Unten zugeschrieben (705a28 f.). Diese Definition der axialen Orientierung wird auf technische Weise in IA 4. 705a32–b1 gegeben und wird hier stillschweigend und ohne expliziten Verweis auf IA vorausgesetzt. Am Schluss der Passage bezieht Aristoteles den Bereich der Flora mit ein, so dass seine Theorie den gesamten Kosmos des Lebendigen umgreift.

4.2 741b37 – 742a16: Die Rolle des pneuma Im nächsten Satz führt Aristoteles überraschenderweise das pneuma als den für die Ausdifferenzierung der Körperteile verantwortlichen Stoff ein – überraschend deshalb, weil Aristoteles mit pneuma bisher eigentlich den Atem eines Tieres oder das Element Luft bezeichnet hatte.²⁵ Die Aussage des Eingangssatzes wird ohne Begründung behauptet. Sie erscheint wie eine selbstverständliche Übernahme aus der hippokratischen Schrift Nat. puer. XVII 1– 3. Diese Vermutung wird dadurch bestätigt, dass auch der Ausdruck διαρθροῦσθαι, der in dem Sinne von ,sich ausdifferenzieren‘ erst ab II 6. 741b28 verwendet wird, wohl eine wörtliche Übernahme aus derselben Schrift (s. etwa ebd. 59,10; 59,17; 59,25; 60,6 Joly) darstellt. Die dort entwickelte Theorie wird nun aber differenziert angegriffen (οὐ μέντοι οὔτε … οὔτε … καθάπερ τινὲς τῶν φυσικῶν φασιν, 741b37– 742a1): Weder durch den Atem der Mutter noch durch den des Embryos selbst erfolgt die Ausdifferenzierung der Körperteile. Es folgen empirische Gegenbeweise, eingeführt mit φανερὸν δὲ τοῦτο ἐπὶ, und ein mit ἔτι (742a8) eingeleitetes weiteres Gegenargument, das die Ursächlichkeit für die Ausdifferenzierung von der qualititativen auch auf die quantitativnumerische Entwicklung bezieht und die universelle Gültigkeit der eigenen Theorie des Übergangs vom Potentiellem zum Aktualen unterstreicht. So wird in

 Zu den Bedeutungen und den Konzeptionen von pneuma bei Aristoteles siehe Althoff (2022).

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typischer Weise eine eigene Position wiederum erst nach negativer Vorbereitung herausgestellt. Der Absatz schließt ringkompositorisch (742a14– 16) mit dem Rekurs auf den Begriff pneuma und gibt nachträglich eine nicht explizit als solche gekennzeichnete Begründung der Eingangsthese in einer knappen, bündigen Formulierung: Im Embryo müsse pneuma vorhanden sein, da auf Seiten des aktiven wie des passiven Anteils Wärme und Feuchte vorhanden seien. Gemeint ist wohl, dass sie nicht von außen zugeführt werden müssen,²⁶ wie es die gegnerischen Thesen implizieren. Damit ist die Rolle des pneuma symphyton angesprochen, die hier allerdings unscharf bleibt. Warum die Ausdifferenzierung der Körperteile durch pneuma (s. o. 741b37) erfolgt, bleibt nach wie vor offen.

4.3 742a16–b17: Entwicklung der eigenen Theorie in Absetzung von anderen Meinungen (Methodik) Bevor Aristoteles mit der Erklärung des konkreten Ausdifferenzierungsprozesses fortfährt, holt er hier und im nächsten Abschnitt theoretisch aus und erklärt seine Methode, indem er die Verfehltheit anderer Meinungen als Ausgangspunkt seiner eigenen Theorie nimmt. Gleichzeitig macht er die Problematik des Gegenstandes deutlich, für den aber dennoch, trotz aller Schwierigkeiten, das eigene Vorgehen das adäquate sei (καίτοι κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν τί γίγνεται μετὰ τί: „Und doch muss man gemäß dieser Methode erforschen, was wonach entsteht“, 742b10 f.). Der Duktus dieses Kapitels stellt eine Parallele zu Thukydides’ Vorgehen dar. Denn dieser weist auf die methodische Schwierigkeit hin, sichere Erkenntnisse über frühere Zeiten zu gewinnen, und bemerkt in diesem Kontext, dass vor dem Hintergrund der Beweisproblematik sein eigener Zugang für die Rezipienten der beste sei (I 21,1).²⁷ Auch für Thukydides spielen tekmēria eine methodisch wichtige Rolle, um Fakten, für die man sonst keine Kenntnisse hat, zu erschließen, vergleichbar zu dem Gebrauch von tekmēria, den Mariska Leunissen für Aristoteles’ Vorgehen in der Biologie herausgearbeitet hat.²⁸ Die verkehrten Meinungen zitiert Aristoteles mit ἀρχαίων τινὲς φυσιολόγων (742a16), ohne dass hier klar wäre, wen er meint. Ihr Defizit besteht darin, dass

 Vgl. Peck (1943) 211, Anm. f.  ἐκ δὲ τῶν εἰρημένων τεκμηρίων ὅμως τοιαῦτα ἄν τις νομίζων μάλιστα ἃ διῆλθον οὐχ ἁμαρτάνοι, καὶ οὔτε ὡς ποιηταὶ ὑμνήκασι περὶ αὐτῶν ἐπὶ τὸ μεῖζον κοσμοῦντες μᾶλλον πιστεύων, οὔτε ὡς λογογράφοι ξυνέθεσαν ἐπὶ τὸ προσαγωγότερον τῇ ἀκροάσει ἢ ἀληθέστερον, ὄντα ἀνεξέλεγκτα καὶ τὰ πολλὰ ὑπὸ χρόνου αὐτῶν ἀπίστως ἐπὶ τὸ μυθῶδες ἐκνενικηκότα, ηὑρῆσθαι δὲ ἡγησάμενος ἐκ τῶν ἐπιφανεστάτων σημείων ὡς παλαιὰ εἶναι ἀποχρώντως.  Leunissen (2022).

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ihre Anschauung von der Abfolge der Entstehung nicht auf einer genügend empirischen Grundlage beruhte (οὐ λίαν ἐμπειρικῶς ἔχοντες τῶν συμβαινόντων, 742a17 f.). Diese pauschale Eingangsthese nimmt Aristoteles zum Anlass für eine grundsätzliche Klärung der anzuwendenden Methodik in einer typischen Begrifflichkeit und mit Rückgriffen auf seine eigenen Erklärungsmuster: die Differenzierung der pollachōs (742a20) legomena – mit implizitem Vorwurf mangelnder begrifflicher Differenzierung – und vor allem die Vierursachenlehre. Diese methodische Klärung beginnt mit einem Schritt zurück hin zu einer allgemeineren Perspektive (ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων, 742a18 f.), aus der heraus sich bereits ein Unterschied zwischen genetischer und ontologischer Priorität ergibt, unter Voraussetzung einer ,finalen Hierarchie‘ zwischen demjenigen, um dessentwillen etwas anderes (zweites) ist, und dem, das um dieses (ersten) anderen willen ist. Diese finale Struktur wird nun auf der Seite des final Verursachten weiter differenziert (δύο δὲ διαφορὰς ἔχει, 742a22) in die Ursache der Veränderung (sc. die zu der Finalursache führt) und dem, dessen sich die ausgebildete Finalursache dann bedient (sc. zur Ausübung ihrer Funktionen). Bezogen auf den Embryo, sind dies ,das Zeugende‘ und ,das Organische‘. Um zu illustrieren, dass das Bewirkende früher vorliegt, verwendet Aristoteles den Vergleich mit Flötenschüler und Flöte: Der Lehrende (als das Bewirkende) ist früher als der (das Flötenspiel) Lernende, die Flöte (als das Instrument) ist später als der Lernende; denn dass Instrumente vorhanden sind, ist überflüssig und nutzlos für die, die sich nicht auf das Flötenspiel verstehen. Auf diese Weise kann allerdings nur die ontologische Priorität des telos, hier: des ausgebildeten Flötenspielers, vor dem Instrument aufgewiesen werden, im aktuellen Zusammenhang geht es aber um die genetische Abfolge. Die dreiteilige Finalstruktur wird dann im Folgenden weiter ausgeführt, wobei klar ist, dass diese theoretischen Erläuterungen im Hinblick auf die Entstehung des Herzens formuliert sind. Die so etablierte allgemeingültige Dreigliedrigkeit finaler Strukturen wird nun, als Folgerung (ὥστε, 742a37), auf die Embryologie übertragen. In einem mit εἰ eingeleiteten Konditionalsatz wird die Aussage des letzten Abschnitts von Kapitel 5 präsent gehalten bzw. als präsent vorausgesetzt, dass das Herz als zuerst entstehendes Organ auch als letztes wieder versagt (s. o. 741b17– 22). Dass dieses Organ als erstes entsteht, erscheint nun als eine aus allgemeineren Gründen abgeleitete Notwendigkeit (ἀναγκαῖον, 742b2); mit der Differenzierung ᾗ μέν – ᾗ δέ wird noch einmal die allgemeine zweigliedrige Unterscheidung dessen, was ,um eines anderen willen‘ ist, aufgenommen. Hierbei wird das hysteron, die Nachgeordnetheit des Organischen gegenüber dem telos, unter der Hand in ein ,zusammen mit‘ (μετά mit Gen., 742b3) verwandelt.

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Eine weitere Folgerung (ὥστε, 742b3) bezieht sich nun auf eine Mehrzahl von Organen, von denen diejenigen mit auf andere wirkendem Veränderungspotential früher entstehen, diejenigen ohne ein solches später. Außergewöhnlich ist die im Folgenden geäußerte metatextliche Bemerkung, dass es nicht leicht sei, solche Unterscheidungen zu treffen (οὐ ῥᾴδιον, 742b6 u. b10), da sich die erste Gruppe von Organen durch ihre frühere Entstehung sozusagen in den Vordergrund drängt (παρεμπίπτει, 742b8). Dies erklärt nachträglich auch die im Eingangssatz angedeutete problematische Ausgangslage der Vorsokratiker. Demgegenüber wird die Notwendigkeit herausgestellt, die im Vorhergehenden vorgestellte Methode, trotz aller grundsätzlicher Schwierigkeiten, zu verfolgen (742b10 f.), und der empirische Befund, der dem letzten Abschnitt des 5. Kapitels (das Herz als erstes) und dem 3. Kriterium des ersten Abschnitts dieses Kapitels (die oberen Teile vor den unteren) mit wörtlichen Wiederaufnahmen (τὸ ἄνω κύτος 742b13 f./741b35) entspricht, erscheint nun als kausal erklärt (γάρ, 742b16). Durch diese Verbindung, die Konstatierung der Komplexität des Problems und die Konstatierung der Überlegenheit des eigenen Vorgehens, kann Aristoteles die eigene Methodik als zugleich überlegen und anspruchsvoll in der Durchführung und sich selbst als selbstkritisch erscheinen lassen. Die Intensität, mit der Aristoteles seine methodischen Überlegungen vermitteln will, wird auch in der sprachlich-stilistischen Gestaltung deutlich: Er arbeitet mit Ausdrücken der Notwendigkeit (ἀναγκαῖον in 742a33/a37 u. 742b2, δεῖ in 742b5). Recht explizit wird dies in dem Appell, man müsse nach der vorgeschlagenen Methode untersuchen, was nach was entsteht (742b10 f.: κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν).

4.4 742b17 – 743a1: Weitere methodische Überlegungen Dieser Abschnitt wendet nun noch einen sehr grundsätzlichen Einwand gegen die Möglichkeit der Kausalerklärung (in der Naturwissenschaft) ab. Zunächst werden anonym Autoren, die die bloße konstante Regelhaftigkeit eines Geschehens als Erklärungsprinzip ansetzen, angegriffen (742b17– 20), um dann die – ausführlichere – Argumentation Demokrits zu referieren:²⁹ 1. von ,immer/stets‘ gibt es keinen Ursprung; 2. die Ursache ist aber ein Ursprung; 3. das ,immer/stets‘ ist unendlich;

 Wir athetieren hier mit Drossaart Lulofs (1965) 77 καὶ ἀπείρου in 742b21.

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4.

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daher ist nach der Ursache zu fragen bei einem der Dinge, die in stets gleicher Weise immer wieder entstehen, gleichbedeutend mit der Suche nach dem Ursprung des Unendlichen.

1. u. 2. ergäben bereits ein entsprechendes Argument; die Unterordnung des Ewigen unter das Unendliche verschärft die Absurdität nur noch durch Verallgemeinerung. Mit καίτοι (742b23) beginnt die Widerlegung durch Extrapolation: Gemäß dieser Argumentation wäre nichts im Bereich des Ewigen beweisbar – offenbar ist aber vieles in diesem Bereich beweisbar. Als Beleg werden zwei Beispiele aus der Mathematik (also aus dem Bereich des ewig Gültigen im Unterschied zum immer wieder Werdenden, 742b25 f.) gegeben: die Innenwinkelsumme im (sc. ebenen) Dreieck und die Inkommensurabilität von Diagonale und Seite (sc. im Quadrat – dass dies nicht ausgesprochen wird, zeigt die Geläufigkeit dieses Theorems). Der Widerspruch (ἀλλ’ ὅμως, 742b28) wird (etwas redundant) für die Beispiele explizit hergestellt: sie gelten ewig, haben aber jeweils eine bestimmte Ursache und einen Beweis. Es folgt eine differenzierte Bewertung und Relativierung des gegnerischen Einwands, die diesem etwas Richtiges abgewinnt. Es ist nicht von schlechthin allem ein Ursprung zu suchen; das heißt aber nicht, dass man bei jedem der immer seienden oder werdenden Dinge nicht nach einem Ursprung suchen dürfe. Nur bei den Ursprüngen der ewigen Dinge gilt dies, denn hierfür gibt es eine andere Art der Erkenntnis (als die ursächliche Erklärung) und keine Beweise. Der Abschnitt schließt mit einer Rückkehr zum konkreten Thema und Anbindung der eigenen Position, wie sie im letzten Absatz von Kapitel 5 zum Ausdruck gekommen war. Dies geschieht durch einen – gelungen erscheinenden – Übergang aus globaler Perspektive: Im Bereich des Unbewegten ist das Was-Sein Prinzip, im Bereich des Werdens gibt es bereits mehrere und unterschiedliche Prinzipien, von denen eines der Ursprung der Veränderung ist. Mit διό (742b35) angeschlossen erscheint die Position bzgl. des Herzens bzw. dessen Analogon als zuerst sich ausdifferenzierendem Organ des Embryos als nochmals begründet.

4.5 743a1 – 36: Erste Behandlung der homoiomeren Körperteile; innere Wärmewirkung und Abkühlung Nachdem der vorherige Absatz diskursiv war und grundsätzliche Erwägungen angeführt hat, folgt nun ein erklärender und um didaktische Anschaulichkeit bemühter Abschnitt, der die weitere Sukzession der Organentstehung erläutert. Als Erklärungsmodell legt Aristoteles die Vierelementenlehre (mit metatextlichem

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Verweis in 743a6 – 8 auf Mete. IV 7– 10) sowie seine Potenz-Akt-Theorie zugrunde. Er ist bemüht, seine darauf beruhende Theorie durch eine Vielzahl von Vergleichen aus dem technischen Bereich zu veranschaulichen: Fünfmal(!) zieht er in diesem kurzen Abschnitt Vergleiche heran und erläutert am Schluss sogar, worin der Unterschied zwischen den zum Vergleich herangezogenen Modellen und dem Prozess, der durch sie erklärt wird, besteht: 1. Die Adern, deren Entstehung aus dem Herzen Aristoteles an früherer Stelle erläutert hat, werden mit kanaboi verglichen, die jemand auf Mauern malt, da sie ein Grundgerüst bilden für die Teile (μέρη), die darum herum liegen. Die genaue Bedeutung von κάναβος ist nicht geklärt; ursprünglich handelt es sich um ein Holzgerüst, um das Ton oder Wachs modelliert wurde (vgl. HA III 5. 515a34 f.). Da hier aber davon die Rede ist, dass die κάναβοι auf Mauern gemalt bzw. eingeritzt werden, muss es sich um etwas anderes handeln. Aristoteles scheint den Vergleich aus HA (III 5. 515a34 f.) übernommen zu haben; dort liegt der Akzent darauf, dass die Adern, im Unterschied zu den Sehnen, ein zusammenhängendes System bilden.³⁰ Sprachlich ist der Vergleich hier in GA eher nur angerissen, da die Syntax elliptisch ist und die Adern selbst mit den Personen, die modellieren, verglichen werden (743a1 f.: αἱ φλέβες … καθάπερ οἱ τοὺς κανάβους γράφοντες). Dieser Vergleich ist ja problematisch, denn mit den modellierenden Personen müsste eigentlich die physis o. ä. verglichen werden. In diesem Unterschied bei dem ‚Agens‘ liegt überdies ein inhaltliches Problem. Auf dieses Problem, das alle Vergleiche aus dem technischen Bereich betrifft, weist Aristoteles implizit am Schluss der Passage mit Blick auf Kochprozesse bei der Essensbereitung auch hin (743a31– 34), indem er sogar ‚integratives Wir‘ verwendet. Damit klingt an, dass Vergleiche aus dem technischen Bereich etwas ‚hinken‘: Zwar wird der Vergleichspunkt deutlich, dass der im Samen enthaltene Beitrag des männlichen Zeugungspartners ‚von außen‘ wirkt wie der Technite, der von außen auf das Material einwirkt, aber die Art und Weise, wie die Bewegung im Techniten selbst entsteht, ist eine andere als die durch die physis im Erzeuger entstehende. An anderer Stelle³¹ weist Aristoteles auf diese Problematik hin, dass im ‚technischen‘ Bereich die Bewegungsursache von außen kommt, im organischen Bereich hingegen ‚von innen‘. Freilich muss ein Vergleich nicht alles erklären, und Aristoteles kommt es vor allem darauf an, das Zusammenwirken von männlichem und weiblichem Zeugungsbeitrag zu erklären und zu erläutern, warum es beider be In GA IV 1. 764b30 dient eine ὑπογραφή als Vergleich für das Adernsystem (vgl. Peck 1953, 291, Anm. d).  GA II 1. 735a2– 4: ἡ γὰρ τέχνη ἀρχὴ καὶ εἶδος τοῦ γιγνομένου, ἀλλ’ ἐν ἑτέρῳ· ἡ δὲ τῆς φύσεως κίνησις ἐν αὐτῷ ἀφ’ ἑτέρας οὖσα φύσεως τῆς ἐχούσης τὸ εἶδος ἐνεργείᾳ. .

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darf und das Weibchen in der Regel nicht allein zeugen kann. Diese Intention wird sehr deutlich in Aristoteles’ Formulierung, dass ein Zimmermann einen bestimmten und keinen beliebigen Stoff brauche, nämlich Holz, und das Holz wiederum des Zimmermanns bedürfe, um zu einer Kiste zu werden (743a25 f.). 2. und 3. Der nächste Vergleich erfolgt bei der Erklärung der Entstehung der Homoimere. Dieser liegen die Prinzipien von Entstehung zugrunde: Dinge entstehen durch Verfestigung, deren Ursache Wärme oder Kälte sein kann. Die Erklärung, durch μὲν οὖν (743a8) angeschlossen, vergleicht das Verhalten der Nahrung, die durch die Adern fließt, mit Wasser in einem ungebrannten Tongefäß: Sie sickert durch, und durch die Erkaltung entsteht das Fleisch bzw. sein Analogon. Auf andere Weise entsteht Horngewebe durch Erkaltung. Sehnen und Knochen entstehen unter dem Einfluss der inneren Wärme, wobei die Feuchtigkeit trocknet. Hier wird der empirische Befund (nur zu den Knochen) wiederum mit διό (743a18) angeschlossen und mithilfe eines weiteren, dritten Vergleichs aus dem handwerklichen Bereich illustriert: Knochen sind wie im Ofen gebrannter Ton unbrennbar (743a19 f.). Mit seinen Erklärungen kann Aristoteles Materialeigenschaften begründen. Auch werden empirische Daten, die geradezu aus Experimenten erschlossen zu sein scheinen, zum Verhalten von Gewebe unter Feuer- bzw. Hitzeeinwirkung integriert (mit διό angeschlossen, 743a11 u. a15). Allerdings begründen diese Daten eher die vorherige Behauptung über die relative Zusammensetzung von Fleisch bzw. Horngewebe u. ä. aus Elementen bzw. Elementarqualitäten als umgekehrt. 4. Ein vierter Vergleich verdeutlicht, dass die Entstehungsprozesse eine innere Zielgerichtetheit haben. Die Bedeutung dieser These unterstreicht Aristoteles durch die sorgfältige sprachliche Gestaltung (743a21– 23): Die dreifach bestimmte Wirkungsweise der inneren Wärme wird zunächst negativ formuliert (οὔτε … οὔτε … οὔτε, 743a21 f.), dann folgt eine dreifache Entsprechung. Hier korrespondiert das Perfekt πεφυκέναι dem Aorist τυχεῖν und drückt aus, dass Objekt, Ort und Zeit der Einwirkung naturgemäß und nicht zufällig sind. Zusätzlich wird die Zielgerichtetheit des natürlichen Prozesses durch das dreifache Polyptoton πεφυκός – πέφυκε – πέφυκεν (743a22 f.) unterstrichen. Nun folgt die allgemeiner gültige Begründung (γάρ, 743a23): 1. Das potentiell Seiende wird nicht (sc. aktual) werden unter der Einwirkung eines Bewegenden, wenn dieses nicht aktuale Wirksamkeit besitzt. 2. Dasjenige, das aktuale Wirksamkeit besitzt, wird nicht aus beliebiger Materie etwas produzieren. Dieser Umstand wird durch (den vierten) Vergleich mit Zimmermann und Holz verdeutlicht: Der Zimmermann bedarf eines bestimmten Materials, des Holzes, das Holz bedarf des Zimmermanns, um zu einer Truhe zu werden. Hier ist 2. offensichtlich auf das nicht beliebige Objekt der inneren

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Wärmewirkung zu beziehen. Weniger offensichtlich ist der Bezug von 1.; denn es bleiben, wenn man von der soeben gegebenen dreifachen Bestimmtheit der Wärmewirkung ausgeht, nur naturgemäßer Ort und naturgemäße Zeit (sc. an dem bzw. zu der die innere Wärme aktual wirksam sein kann). Punkt 1. bildet allerdings auch einen Übergang zum dem, was ab 743a26 folgt. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass Aristoteles die Schwierigkeit sieht, mit der doch stark reduktionistischen Modellbildung auf Ebene der Elemente und Elementarqualitäten ein faktisch äußerst komplexes Ausdifferenzieren der verschiedenen Gewebe und Organe zu erklären; dieser Diskrepanz zwischen der Einfachheit des Modells und der Komplexität des durch das Modell zu Erklärenden begegnet er mit einer dreifachen Spezifizierung auf Modellebene. 5. Die soeben schon als innere bezeichnete Wärme (743a17 u. a21 f.) liegt im Sperma vor in einer – quantitativ und qualitativ – symmetrischen Entsprechung zu jedem der Körperteile, bezogen auf die aktuale Veränderungskraft der inneren Wärme. Abweichungen von dieser genauen Entsprechung nach oben oder unten erklären defiziente oder ganz fehlende Bildungen. Mit dieser Erklärung greift Aristoteles, ohne dies explizit zu machen, auf seine ‚Vererbungslehre‘ (IV 3. 767a36 – 769a6) vor. Das Symmetrieprinzip verdeutlicht er nun durch einen weiteren (den fünften) Vergleich (παραπλησίως mit Dativ, 743a31), diesmal mit der Alltagswelt: Auch beim Kochen versucht man durch ein bestimmtes Verhältnis von Wärmezufuhr und Stoff eine bestimmte Konsistenz zu erzielen. Diese Analogie führt Aristoteles aus, indem er die Analogisierung explizit macht: ἀλλ᾿ ἐνταῦθα μὲν ἡμεῖς … ἐκεῖ δὲ … ἡ φύσις ἡ τοῦ γεννῶντος, 743a32– 34). Die Verwendung des ‚integrativen Wir‘ verstärkt die Anbindung an die Erfahrungswelt des Rezipienten. Der Abschnitt schließt mit einem Verweis auf die Verbindung von ἀνάγκη und Finalursache bei der Entstehung der Organe.

4.6 743a36–b18: Entstehung der Haut An den Vergleich aus der Alltagswelt knüpft Aristoteles seine Erklärung von der Entstehung der Haut an. Denn einleitend steht der Vergleich mit der Bildung einer Haut, die beim Abkochen auf Milch entsteht. Als theoretische Erklärung folgt, dass das Klebrige/,Visköse‘ (τὸ γλίσχρον, 743b9) nicht verdampfen kann. Diesem offenbar als grundlegendem materiellen Anteil vorausgesetzten ,Viskösen‘ werden nun, differenziert nach Tierklassen, unterschiedliche zusätzliche Eigenschaften (trocken bzw. fettiger) zugesprochen, die dann die unterschiedlichen Ausprägungen der Körperoberfläche erklären (hart- und weichschalig bzw. hautartig i. e. S.). Dass sich bei bestimmten Tieren Unterhautfett sammelt, wird damit in Zusammenhang gebracht, dass die Haut (nach der eigenen Theorie) aus

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,dem Viskösen‘, zu dem das Fett zählt, entsteht. Hier wird wieder ein empirisches Indiz als durch eine Theorie erklärbar dargestellt, die aber zuvor nicht tiefer begründet wurde. Abschließend wird, unter metatextlichem Verweis (καθάπερ εἴπομεν, 743b16) auf das vorhin Gesagte, noch einmal die Doppelgleisigkeit der Verursachung auch bei der Hautentstehung betont – so wird zum Ende eines Abschnitts wieder ein gewisser, wenn auch redundanter Ruhepunkt erreicht.

4.7 743b18 – 744b11: Augen und Gehirn Dieser Abschnitt greift den vorher bereits angeführten, wenngleich etwas anders formulierten Vergleich mit einer Umrissskizze auf. Der Vergleich wird recht ausführlich gebracht, insofern Aristoteles erst von der Natur als einer Malerin spricht und dabei explizit macht, dass es sich hierbei um einen ‚angenommenen Vergleich‘ handelt (743b22 f.: ἀτεχνῶς ὥσπερ ἂν ὑπὸ ζωγράφου τῆς φύσεως δημιουργούμενα), und anschließend das Vorgehen der Maler erläutert, erst einen Umriss zu zeichnen und diesen dann mit Farben aufzufüllen (743b18 – 25). Für die Entstehung des Gehirns wird ein recht abstrakter Erklärungsansatz geltend gemacht: Der Grund liegt in der Kälte, die als ,entgegengesetzte Entsprechung‘ (ἀντίστροφον, 743b28) zu der Wärme der Herzgegend entsteht und bewirkt, dass die Kopfregion unmittelbar nach dem Herzen entsteht und das Gehirn gleich groß und feucht ist. Ein weiterer ,Spezialisierungsschritt‘ (nach demjenigen von ,oberer Körperregion‘ zur Kopfregion) führt zu den Augen, mit denen sich Aristoteles ausführlich beschäftigt. Bei seiner Erklärung kann man folgende Schritte unterscheiden: 1. Formulierung einer Aporie (Ἔχει δ’ ἀπορίαν, 743b32) (743a32– 35) Ein erklärungsbedürftiges Phänomen (τὸ … συμβαῖνον, 743b32 f.) ist, dass die Augen bei allen lokomotorischen Arten anfangs sehr groß sind, als letzte aber voll ausgebildet werden und zwischenzeitlich schrumpfen. 2. Begründung (αἴτιον δέ, 743b35) (743b35 – 744a11) Die Antwort folgt erst einmal kurz und schlagwortartig: αἴτιον δ’ ὅτι (743b35 f.): Die Augen sind, wie alle anderen Sinnesorgane, Passagen-basiert. In dieser Kürze bietet dies noch keine offensichtliche Lösung. Diese wird erst durch die Erklärung geboten, dass im Unterschied zu anderen Organen nur die Augen einen für sie spezifischen Körper haben. Dieser Körper ist feucht-kalt und liegt nicht von vornherein an dem für das Auge endgültigen Ort vor, wie es die anderen Körperteile jeweils potentiell tun. Vielmehr entwickeln sich die Augen aus dem Ge-

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hirn. Dies erklärt Aristoteles näher, um seine Erklärung dann durch ein tekmērion zu unterstützen. 3. τεκμήριον (744a11– 13) Als Indiz wird angegeben (und in typisch knapper, technischer Sprache angekündigt), dass es im Kopfbereich außer dem Gehirn kein anderes feucht-kaltes Organ gibt und die Augen eben auch feucht-kalt sind. Dies ergibt bei genauerem Hinsehen kein zwingendes Argument; vielmehr wären etwa noch folgende Zusatzprämissen zu supplementieren: – das Auge entwickelt sich aus einem anderen im Kopfbereich befindlichen Organ, – entwickelt sich ein Organ von einem anderen aus, bleibt die Beschaffenheit bzgl. der Elementarqualitäten erhalten. 4. ἀνάγκη (744a13 – 24) Nun erst beginnt die Erklärung des gestellten Problems, das in einem kurzen Satz in Teilen wiederaufgenommen wird in der These, die anfängliche Größe und das spätere Schrumpfen der Augen geschehe „also aus Notwendigkeit“ (ἐξ ἀνάγκης οὖν, 744a13). Dies folgt aus der soeben gezeigten Herkunft der Augen aus dem Gehirn und dem analogen Wachstumsverhalten des Gehirns, das als Begründung (καὶ γάρ, 744a15) nachgeschoben wird. Dieses analoge Verhalten wird zunächst als empirischer Befund mit dem Schlüsselbegriff συμβαίνει (744a15) angeführt, dann auf Elementar-Ebene begründet (γάρ, 744a16): Durch Verdampfen und Verkochen wird die anfänglich reichliche Flüssigkeitsmenge des Gehirns bzw. der Augen und damit ihre Größe reduziert. Die anfängliche augenscheinliche Größe, die sich vom Gehirn auf den gesamten Kopf überträgt, wird eigens nochmals herausgestellt und, im Falle der Augen, redundanterweise nochmals auch auf ,das Feuchte‘ zurückgeführt. Dabei gibt es wörtliche Anklänge an die Problemstellung (ἐξ ἀρχῆς … μεγάλοι φαίνονται/μέγιστοι ἐξ ἀρχῆς φαίνονται, 744a18 – 21/743b33). Damit kann Aristoteles zeigen, dass ihm die Beantwortung der Aporie gelungen ist. Auch hier werden wieder Beobachtbares (μεγάλοι φαίνονται, 744a20 f.) und Theoriebildung (διὰ δὲ τὸ ὑγρόν, 744a19 f.) zusammengebracht. Nun wird noch der restliche Teil der Problemstellung aufgegriffen (τελευταῖοι δὲ λαμβάνουσι τέλος διὰ τὸ … συνίστασθαι/τελευταῖοι δὲ συνίστανται, 744a21 f./ 743b34) und beantwortet, auch hier wieder durch das analoge Verhalten des Gehirns. Diese – beobachtbare – späte Ausdifferenzierung des Gehirns wird wiederum begründet (γάρ, 744a22) durch Theoriebildung auf der Ebene der Elementarqualitäten.

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5. Der Mensch (744a24–b11) Der Zusatz, dies verhalte sich so bei allen Tieren mit Gehirn, in höchstem Maße aber beim Menschen, ist an den Satz, der die begründende Modellbildung bringt, angeschlossen – und dient dann als Begründung (διὰ γὰρ τοῦτο, 744a24) für die Aussage, dass sich der vordere Teil des Schädels von allen Knochen als letzter ausbildet. Diese wiederum wird belegt (γάρ, 744a25) durch den empirischen Befund beim Menschen: hier ist dieser Knochen nach der Geburt noch weich. Für die Extremstellung des Menschen wird nun in zwei Stufen eine tieferliegende Erklärung gegeben: Zunächst wird der Superlativ μάλιστα auf Phänomen-Ebene auf die Elementarqualität ,hygron‘ übertragen (und auch auf den Positiv ,polys‘ (744a16/a28), dann als der tieferliegende Grund der höchste Reinheitsgrad der Herz-Wärme des Menschen angegeben. Hier ist vom Rezipienten das vorher 743b27– 29 Ausgeführte präsent zu halten, dass die Kälte, die das Gehirn sich konstituieren lässt, in entgegengesetzter Entsprechung zur Wärme des Herzens steht. Als Indiz (δηλοῖ, 744a30) für diesen, jetzt mit dem terminus technicus eukrasia bezeichneten, höchsten Reinheitsgrad der Herzwärme (der zwar die qualitativ und quantitativ extreme Stellung des menschlichen Gehirns bedingt, das nach Aristoteles aber nicht Denkorgan ist) wird das Denkvermögen des Menschen als des intelligentesten Lebewesens angeführt. Die Besonderheit des menschlichen Gehirns kann auch die fehlende Kontrolle der Kopfbewegung bei Säuglingen erklären (durch die Schwere der Hirnregion) und wird durch ein allgemeineres Erklärungsprinzip flankiert. Diese allgemeinere Betrachtung leitet über zur abschließenden Behandlung der Augenlider (744a35 f.). Deren Erklärung umfasst das etablierte Axiom, die Natur tue nichts überflüssigerweise oder umsonst, einen darauf basierenden indirekten Beweis, den Verweis auf die ἀνάγκη (744a36 f.) und ein Indiz (δηλοῖ δέ, 744b5). Der Paragraph schließt mit einem metatextlichen Rückbezug auf sich selbst und in Form des ersten Teils einer binary transition.

4.8 744b11 – 745b22: Entstehung der homoiomeren Teile aus je spezifischen Anteilen der Nahrung Dieser Paragraph behandelt nach einer prinzipiellen theoretischen Einführung (744b11– 27) die Entstehung der Knochen, Sehnen und Hautanhangsgebilde (744b27– 745a18) und der Zähne (745a18–b15) und endet mit einer Begründung, warum der Mensch am wenigsten Behaarung hat. Eine Abschlussformulierung, die den ersten Teil einer binary transition bildet, schließt den Paragraphen und gleichzeitig das ganze Kapitel 6 ab.

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Der Duktus ist deskriptiv und bietet auch Begründungen. Aber für ausführlichere Aitiologien wird auf später verwiesen. In der theoretischen Einführung (744b11– 27) knüpft Aristoteles an den vorletzten Paragraphen an und unterscheidet nun zwei Klassen von perittōmata, die einer Hierarchie der Teile entsprechen: Den wertvolleren Teilen, die mehr mit der archē zusammenhängen, ist eine Nahrung zugeordnet, die ‚verkocht‘, ‚am reinsten‘ und primär ist, denjenigen Teilen, die ‚notwendig‘ sind und um der ersteren willen existieren, wird die schlechtere Nahrung (Überreste und Residuen) zugeordnet. Diese Einteilung der Nahrung ist eine Konkretisierung der im vorletzten Paragraphen betonten jeweiligen Bestimmtheit des Objekts (hier im Folgenden nun auch ausdrücklich als ‚Materie‘ bezeichnet: 744b23) der thermischen Einwirkung (οὔτε ὅ τι ἔτυχε/ἀλλὰ τὸ πεφυκός, 743a21 f.). Um dieses Geschehen zu illustrieren, bedient Aristoteles sich wieder eines ungewöhnlichen Vergleichs mit der Alltagswelt, der recht lang ausgeführt ist: Die Natur, die als handelnde Person vorgestellt wird, wird mit dem guten Hausherrn verglichen, der eine ökonomische Ressourcenverwertung betreibt: Den besten Teil der Nahrung bekommen die Freien, den schlechteren die Sklaven und den schlechtesten die Tiere. Weiter führt Aristoteles aus, dass dem von außen agierenden nous im Alltagsbereich in der Ontogenese die Natur entspreche. Damit markiert er aber implizit auch eine Differenz, die, wie geschildert, seine Vergleiche, die mit äußeren Agenten arbeiten, etwas problematisch erscheinen lassen. Zum Abschluss dieses Passus wird ein empirischer Befund wieder als eine Folge (διό, 744b26) aus dem vorgestellten Erklärungsmodell dargestellt: Erst wenn Residuen anfallen, kann die residuenbasierte Bildung von Geweben einsetzen. In der folgenden Passage (744b27– 745a18) wird zuerst eine Begründung für die Bildung von Knochen gegeben. Die Knochen nehmen insofern eine Zwischenstellung ein, als sie, obwohl ihre Bildung residuenbasiert ist, bereits bei der ersten Stockung/Konstituierung von Körperteilen entstehen. Die materielle Grundlage ist direkt das Sperma-Residuum.³² Erst das weitere Knochenwachstum beruht dann auf dem Residualanteil der natürlichen Nahrung des Embryos. Als Begründung (γάρ, 744b32) für dieses differenzierte zweistufige Modell der Knochenentstehung wird eine Verallgemeinerung angegeben: Es gebe ,bei allem‘ (ἐν παντί, 744b32) zwei Nahrungsstufen, eine erste nutritive und eine zweite augmentierende: Beide Begriffe werden technisch definiert in abstrakter Terminologie (τὸ εἶναι παρέχεται/τὸ εἰς μέγεθος ποιοῦν τὴν ἐπίδοσιν, 744b34– 36); der Ausdruck θρεπτικός erfährt so eine gewisse Bedeutungsverengung. Diese Verallgemeinerung endet mit einem kurzen metatextlichen Vorverweis (744b36). Die

 Sperma ist ja nach I 18 – 19 ein bestimmtes Residuum.

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ganze Begründung setzt Aristoteles’ Unterteilung in ein ernährendes und ein wachstumförderndes Vermögen in De anima voraus.³³ Nachdem Aristoteles die auf dieselbe Weise wie bei den Knochen verlaufende Entstehung der Sehnen und die aus Nahrung von seiten der Mutter oder von außen gespeiste Entstehung der Hautanhangsgebilde abgehandelt hat, stellt er das Wachstumsverhalten der Knochen dem der Hautanhangsgebilde (vor allem der Haare) gegenüber und begründet die Differenz ihres Wachstumsverhaltens. Dies geschieht im Fall der Knochen mit einem indirekten Beweis, im Fall der Hautanhangsgebilde auf der Grundlage seiner Residuentheorie: Die Differenz beruht auf den unterschiedlichen Nahrungsgrundlagen dieser beiden Gewebsarten. Die Entstehung der Zähne (745a18–b15) wird im Unterschied zum Vorhergehenden in Form einer Aporie abgehandelt: Die Passage setzt ein mit der typischen Formulierung ἀπορήσειεν ἄν τις (745a18). Problematisiert wird erstens der empirische Befund, dass die aus den Knochen heraus gebildeten Zähne nicht, wie die Hautanhangsgebilde, jeweils die Farbe des Gewebes, dem sie entstammen, mit annehmen. Der Grund dafür (γάρ, 745a24) ist eben der eingangs (745a20) schon besagte, dass sie aus Knochen (und nicht aus je verschiedenfarbiger Haut) entstehen. Zweitens erscheint erklärungsbedürftig, warum die Zähne, anders als die sonstigen Knochen (hier also i. w. S., die Zähne mit umfassend), als einzige lebenslang weiterwachsen. Als empirischer Beleg (τοῦτο δὲ δῆλον ἐπὶ …, 745a25 f.) werden Zähne angeführt, die durch Neigung dem Kontakt mit dem Antagonisten ausweichen. Mit αἴτιον δέ (745a27) wird die Erklärung dieser zweiten Problemfrage eingeleitet, zunächst die Finalursache betreffend (ὡς μὲν ἕνεκά του, 745a27). Die Antwort wird auch hier zuerst schlagwortartig komprimiert gegeben: διὰ τὸ ἔργον (745a27). Dies wird dann erklärt (γάρ, 745a28): Durch mechanische Belastung wären Zähne bei fehlender Kompensation rasch erodiert. Wiederum wird als empirischer Beleg (ἐπεὶ καὶ νῦν, 745a29) angegeben, dass bei manchen langlebigen und gefräßigen Arten mit kleinen Zähnen diese vollständig erodiert werden. Dabei wird wiederum etwas redundant als Begründung (γάρ, 745a30) angeführt, dass sie in einem größeren Verhältnis reduziert werden als es dem Wachstum entspräche: dies wäre eher eine Folgerung aus dem Befund. Dieses Verfahren, dass Folgerungen aus empirischen Fakten als deren Ursachen angegeben werden, ist bei Aristoteles regelmäßig anzutreffen. Es handelt sich um Folgerungen ‚in die Ursachen-Modellebene hinein‘.

 Vgl. Peck (1943) 232 f., Anm. a.

Kapitel 6. 741b25 – 745b22

251

Die gute Korrelation zwischen – durch Zahnwachstum gewährleistete – Haltbarkeit der Zähne und der Länge des Lebens wird als eine geschickte Gegenmaßnahme der Natur dargestellt, wobei durch den Begriff μηχανᾶσθαι implizit ein Bezug zum Bereich der technē hergestellt wird (εὖ μεμηχάνηται πρὸς τὸ συμβαῖνον, 745a31 f.). Dabei scheint auch die Länge des Lebens als von der Natur der maximalen Zahnhaltbarkeit entsprechend eingerichtet zu sein: Wäre das Leben 10.000 oder 1000 Jahre lang, würde auch kontinuierliches Wachstum den Verschleiß nicht kompensieren können – die Zähne müssten mehrfach neu wachsen. Ein reflexiver metatextlicher Abschluss beendet diesen Teilabschnitt in 745b2, der sich auf die zweite Fragestellung zurückbezieht (οὗ μὲν οὖν ἕνεκα/ὡς μὲν ἕνεκά του, 745b2/a27). Nicht untypisch wird nun eine Aussage einerseits durch das eben Gesagte begründet (διό, 745b5), andererseits sogleich weiter begründet (γάρ, 745b6): Einerseits können nach Zahnausfall Zähne wieder nachwachsen, weil sie eben eine andere Genese als Knochen haben, andererseits können sie überhaupt ausfallen, weil sie nur mit dem Knochen in direktem Kontakt stehen, aber nicht mit ihm verwachsen sind. Dass der Mensch ohne Zähne auf die Welt kommt, also unvollkommen ist, gibt Aristoteles die Gelegenheit, am Schluss zu begründen (Διότι … διὰ τοῦτο, 745b15 f.), warum der Mensch auch das nackteste Tier ist und die relativ kleinsten Nägel hat: der Mensch besitzt am wenigsten erdhaftes Residuum. Der Abschnitt endet mit zwei kurzen, auf Positiv und Superlativ desselben Adjektivs endenden Sätzen, die – wenn man präsent hält, dass der Mensch das Tier mit dem höchsten Grad an innerer Wärme ist – die zuletzt getroffene Aussage begründen, ohne dass dies durch eine Partikel kenntlich gemacht wäre. Der Paragraph endet ringkompositorisch (vgl. 744b11) und metatextlichselbstreferentiell als erster Teil einer binary transition (745b21 f.).

5 Vernetzung von Kapitel 6 – – –

Metatextl. Verweis in 741b25: ὥσπερ ἐλέχθη, verweist auf 740a13 – 17 καθάπερ εἴπομεν (743b16), verweist, als quasi explizite Ringkomposition, auf 743a36–b5. περὶ ὧν ὕστερον διοριστέον μᾶλλον (744b36) – mit unklarem Bezug (vgl. Reeve 2019, 287, Anm. 555); Peck 1943, 232 f., Anm. a, zieht Stellen aus De an. II 4 heran. De an. dürfte im zoologischen Kursus jedoch vorausgegangen sein, vgl. unsere Einleitung.

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Buch II 4 – 8

λεκτέον ὕστερον (745a10) – ebenfalls mit unklarem Bezug, hier zieht Reeve (2019) 287, Anm. 557 zum Vergleich eine inhaltlich passende Stelle aus De an. II 4 heran.

Kapitel 7. 745b22 – 747a22 1 Inhalt Dieses Kapitel behandelt die Ernährung des Embryos und schließt dann Ausführungen zu Hybriden und zur Sterilität an.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 7 Im Grunde entspricht die Kapitelaufteilung nicht der Aufteilung des Inhalts. Denn nachdem Aristoteles bis 746a28a die Ernährung des Embryos bei den Viviparen behandelt hat, geht er zur Erklärung der Hybriden über. Hier wäre also ein starker Sinneinschnitt anzusetzen ähnlich einer Kapitelgrenze.

3 Struktur von Kapitel 7 Das Kapitel ist heterogen und führt verschiedene, noch zur Zeugungstheorie gehörende Gesichtspunkte mehr oder weniger lose zusammen. Dabei greift Aristoteles zum einen auf die Historia animalium zurück und verweist auf die Anatomai, zum anderen verwendet er bei den Ausführungen zur Sterilität sexualmedizinisches Material. 1. 745b22– 746a28: Ernährung des Embryos bei Viviparen: 2. 746a29–b11: Hybriden im Allgemeinen 3. 746b12– 747a22: Unterteilung der Arthybriden nach Fertilität bzw. Sterilität und allgemeine Ursache der Sterilität

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 745b22 – 746a28: Ernährung des Embryos bei Viviparen Dieser Paragraph ist im ersten Teil beschreibend mit eingeflochtenen Kausalerklärungen, erst in einem kurzen letzten Abschnitt greift Aristoteles eine gegnerische Position auf, wohingegen er sonst gerne die eigene Theorie kontrastierend

Kapitel 7. 745b22 – 747a22

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gegen die zuvor widerlegte gegnerische abhebt. Der Eingangssatz in Form des zweiten Teils einer binary transition nennt das Thema des Paragraphen: die bei Viviparen das Wachstum des Embryos ermöglichende Ernährung durch die Nabelschnur. Dabei fügt Aristoteles einen metatextlichen Rückverweis auf den Abschnitt II 4. 740a24–b2 über die Nabelschnur ein. Diese wird hier als eine Form der πρόσφυσις angesehen.³⁴ In einer erneuten Analogie aus dem botanischen Bereich vergleicht Aristoteles mit einer Wurzel (745b25). Im Folgenden (bis 745b30) finden sich enge Anlehnungen an den Abschnitt II 4. 740a24–b2, indem nach der Anzahl der Gefäße der Nabelschnur unterschieden wird. Die vom Embryo ausgehende Aktivität, sich selbst Nahrung zuzuführen, wird erklärt durch das in ihm vorliegende Ernährungsvermögen der Seele (745b24 f.). In der referenzierten Passage des Kapitels II 4 kam diese Aktivität am stärksten in der Formulierung χρῆται τῇ ὑστέρᾳ … ὥσπερ γῇ φυτόν (740a25 f.) zum Ausdruck – da die Ernährungsseele Pflanzen und Tieren gemeinsam ist, ist auch hier eine Parallele zu sehen. Insgesamt besteht der Passus 745b24– 30 im Wesentlichen nur aus (leicht variierten) Parallelen zu II 4. 740a24– 35. Im Folgenden (745b30 – 746a8)³⁵ werden der Aufbau der Plazenta und die Verhältnisse bei plazentalosen Tieren (746a8 – 19) beschrieben. Am Anfang beider Abschnitte stehen die jeweiligen Tierklassen (mit der Korrespondenz τὰ μὲν … τὰ δέ, 745b30/746a8 f.) Allerdings kennt Aristoteles hier keinen Ausdruck für die Plazenta, dagegen für den mütterlichen und für den embryonalen Anteil der Plazenta (Kotyledonen bzw. Chorion mit den sich verzweigenden Nabelgefäßen). Außerdem gibt es eine Besonderheit bei der Klassifizierung. Denn das Klassifizierungsmerkmal ,ambident‘ erscheint in GA nur hier und meint das Vorliegen unterer und oberer Schneidezähne.³⁶ Die Unterklasse A der Plazentatiere (innerhalb der Klasse der Viviparen, s. o. 745b22) besteht aus allen nicht ambidenten Tieren und denjenigen ambidenten, deren Uterus nicht ein singuläres Gefäß durchzieht, sondern viele dicht liegende aufweist (745b30 – 32). Die Klasse der plazentalosen Tiere besteht aus der Mehrzahl der kleinwüchsigen³⁷ und der ambidenten Arten: Hier ist zu supplementieren ,mit Ausnahme der unter Klasse A

 Vgl. hierzu Metaph. Δ 4. 1014b20 f.  Die Zeilen (745b33 – 33c) fehlen u. a. in der ältesten Handschrift Z. Sie sind aber bei Drossaart Lulofs (1965) 86 und bei Peck (1943) 238 mit aufgenommen; ihr Ausfall lässt sich durch einen ‚saut du même au même‘ erklären.  Nicht ambident sind unter den Säugetieren etwa die Wiederkäuer.  Diese ,blasse‘ Bedeutung ist nicht im entsprechenden Eintrag in Metaph. Δ 27. 1024a11– 28 aufgeführt.

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Buch II 4 – 8

fallenden ambidenten Tiere‘. Es bleiben dann diejenigen ambidenten, deren Uterus von einem einzigen großen Gefäß durchzogen wird, an das die Nabelschnur andockt (746a8 – 11). Klasse A besitzt die sogenannten (καλουμένας, 745b33; Verweis auf etablierte Nomenklatur³⁸) ‚Kotyledonen‘³⁹. Diese sind die Andockstellen der Nabelgefäße (745b33 f.). Als Begründung wird die Verzweigung der Nabelschnurgefäße bis in die terminalen Zotten genannt, um die herum die Kotyledonen entstehen, deren Peripherie zum Uterus und deren konkave Öffnung zum Embryo hin orientiert ist. Hier bedient sich Aristoteles einer technischen Ausdrucksweise aus dem mathematischen Bereich (τὸ μὲν περιφερὲς ἔχουσαι πρὸς τὴν ὑστέραν τὸ δὲ κοῖλον πρὸς τὸ ἔμβρυον: „mit der konvexen Seite zum Uterus, mit der konkaven zum Embryo hin“, 745b33 – 34), um das von ihm Gemeinte ausdrücken zu können. Schließlich (746a1– 18) werden noch empirische Befunde zum Größenverhalten der Kotyledonen im Laufe der Schwangerschaft dargelegt. Sie werden auch kausal erklärt (γάρ, 746a3), wobei wiederum die Natur als handelndes Subjekt erscheint: Sie stellt die ,hämatische Nahrung‘ bereit.⁴⁰ Dieser kleine Abschnitt 746a1– 8 ist in sich ringkompositorisch angelegt (746a1 f./a7 f.). Eingerahmt wird so die Kausalerklärung, die auch zwei Vergleiche enthält: Wie in Brüste (746a4) werden die hämatischen Nährstoffe in die Kotyledonen hinein bereitgestellt, deren innere Oberfläche, wie Aristoteles mit medizinscher Fachsprache erklärt, an ein Exanthem oder eine Entzündung (746a5 f.) erinnert. In der Klasse der Plazentalosen gibt es die Unterscheidung monotoka/polytoka (746a12). Hierzu verweist Aristoteles metatextlich auf exemplarische Diagramme in den Anatomai und in HA (746a14 f.). Mit γάρ (746a16) wird offenbar angeschlossen, was diesen Diagrammen in etwa zu entnehmen wäre: Die Nabelschnüre sind bei Mehrlingen einer nach dem anderen an das eine große, den Uterus durchziehende Gefäß angeschlossen wie – so der Vergleich aus der Alltagswelt – an eine Wasserleitung (746a17).

 Vgl. Hp. Aph. 5.45. Auch nach heutiger Auffassung sind die Kotyledonen die zur embryonalen Seite der Plazenta hin offenen, mit mütterlichem Blut gefüllten, durch Plazentasepten voneinander getrennten ,Kompartimente‘, in die hinein die Chorionzotten (jeweils ein Zottenbaum) des Embryos wachsen.  Falsch erklärt in Liddell-Scott-Jones sub voce, 2. als „foetal and uterine vascular connexions“.  Aus moderner Sicht ist interessant, dass Aristoteles nicht von einem Blutaustausch zwischen Mutter und Embryo spricht. Tatsächlich findet regulär kein solcher statt, sondern durch die Plazentaschranke hindurch nehmen die terminalen Zottengefäße nur bestimmte Stoffe aus dem mütterlichen Blut auf (und geben andere an es ab; aber dieser Aspekt ist bei Aristoteles nicht ausgedrückt).

Kapitel 7. 745b22 – 747a22

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Dieser Abschnitt (746a8 – 19) hatte parallel zu dem vorigen begonnen (s. o.) und schließt ähnlich wie die erste Hälfte des vorigen, nämlich mit dem Befund der Fetalmembranen (745b35/746a18 f.). Der letzte Abschnitt des Paragraphen (746a19 – 28a) ist insofern sehr bemerkenswert, als dass er folgendes zentrales Argument gegen die These (Οἱ δὲ λέγοντες, 746a19), der Embryo sauge an einer kleinen Fleischportion, formuliert (746a19 – 28a): Würde man die Gültigkeit dieser These voraussetzen, so würden sich auch „bei den anderen Lebewesen“ dieselben Verhältnisse finden (Irrealis). Mit νῦν δέ (746a21) wird in typischer Formulierung der Widerspruch am Ende eines indirekten Beweises (hier mit unterdrückter Prämisse/Annahme) explizit hergestellt; als Beleg für den behaupteten empirischen Befund wird auf die Anatomai verwiesen. Der zweite Gegenbeweis argumentiert mit der Empirie: Aristoteles verweist auf die bei allen Embryonen (wiederum mit der globalen Dreifachunterscheidung der lokomotorischen Tiere) vorliegenden Fetalmembranen: In diesen sei nichts Derartiges (gemeint ist: ein kleines Stück Fleisch⁴¹) zu finden noch ließe sich durch diese hindurch eine Nutznießung an irgendetwas Derartigem bewerkstelligen. Auf diese Weise suggeriert Aristoteles, dass die gegnerische Vorstellung geradezu absurd, wenn nicht lächerlich ist, wobei aber seine Sprache sachlich erscheint. Vollends unvereinbar ist das gegnerische Modell mit sämtlichen oviparen, sich also getrennt von der Mutter ernährenden Embryonen. Strukturell besitzt der kurze Abschnitt wiederum ein eigenes framing (wenn Drossaart Lulofs’ Text gilt): Οἱ δὲ λέγοντες … οὐκ ὀρθῶς λέγουσιν/λέγουσιν οὐκ ὀρθῶς οἱ λέγοντες (746a19 f./a28 f.). Hier endet die in II 5. 741b7 ff. angekündigte sukzessive (συνείρεται τὸ ἐφεξῆς, 741b9) detaillierte Darstellung der Embryonalentwicklung. Der Verweis auf die Plazenta bzw. auf die entsprechenden Verhältnisse bei Plazentalosen bildet hierbei als diejenige Struktur, die die Zufuhr der für das – nach erfolgter Anlage der verschiedenen Körperteile – weitere Wachstum des Embryos nötigen Nährstoffe ermöglicht, einen sachlich sinnvollen Abschluss.

4.2 746a29–b11: Hybriden im allgemeinen Die nächste Ausführung setzt ohne binary transition ein; nur mit einfachem δέ (746a29) abgesetzt, wird ein neues Thema begonnen, nämlich die Behandlung von Hybriden und Sterilität.

 σαρκίδιόν τι (746a20) ist als kleine mütterliche Fleischportion vorausgesetzt.

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Buch II 4 – 8

Am Beginn werden allgemein die Kriterien, die Vorbedingungen für eine spezies-überschreitende Paarung sind, formuliert: Es handelt sich um recht ähnliche Wesen, die aber doch eine gewisse Differenz in der Spezies aufweisen (746a30 f.). Dann wird es etwas konkreter: Sie haben eine vergleichbare Körpergröße und gleichlange Trächtigkeitsphasen. In typischer Weise erfolgt ein sofortiger Abgleich mit der Empirie, und zwar über (mehr oder weniger) das ganze Tierreich hinweg. Auf die empirischen Daten wird zum einen mit passiven Formen des ‚Sehens‘ verwiesen (746b1: ὦπται, 746b5: ἑώραται), zum anderen auf die Informationen von anderen (746b7: λέγεται, 746b9: λεχθῆναι). Das Ergebnis dieses Abgleichs wird nach absteigendem Evidenzgrad angegeben, wobei Aristoteles seine wissenschaftliche Genauigkeit demonstriert: a) positiver empirischer Befund (γίγνεται ἐπί m. Gen. [746a33]; ὦπται … συμβαῖνον [746b1]) bei: – vier verschiedenen, aber (in diesem Sinne) ähnlichen Spezies; – zur häufigen Begattung neigenden Vögeln; Aristoteles gibt drei konkrete Beispiele, das dritte mit Unsicherheitsvorbehalt (δοκοῦσιν mit Inf., 746b3); b) im Allgemeinen fehlende empirische Evidenz bei den Meerestieren, positiv am ehesten (δοκοῦσι δὲ μάλιστα, 746b5 f.) bei dem sog. Rhinobates (vgl. HA VI 11. 566a27 ff.); c) eine Evidenz niedrigerer Stufe, die nur auf einer gängigen – allerdings auch eine Erklärung beinhaltenden (διὰ γάρ, 746b9 f.) – Interpretation des Sprichworts ,Afrika lässt stets etwas Neues wachsen‘ beruht und so den Beweis an eine allgemeine Meinung anbindet.

4.3 746b12 – 747a22: Unterteilung der Arthybriden nach Fertilität bzw. Sterilität und allgemeine Ursachen der Sterilität Nach einem Übergang nach Art einer binary transition (μὲν οὖν … δέ, 746b12/b14) wird konstatiert, dass aus solchen Paarungen entstehende Tiere wiederum selbst paarungs- und zeugungsfähig sind außer den Maultieren, die infertil sind.⁴² Der dies begründende (γάρ, 746b15) empirische Befund wird umfassend angegeben: Weder untereinander noch bei Paarung mit einer anderen Art sind sie fertil. Diese Beobachtung gibt Aristoteles die Gelegenheit, die Ursachen von Sterilität allgemein zu betrachten. So stellt er die naheliegende Frage nach der Ursache für diese (nach Aristoteles einzige) sterile Ausnahme unter den Arthybriden zunächst als ein verallgemeinertes (καθόλου μέν, 746b16) Problem dar: Aufgrund

 Nach heutiger Auffassung sind dagegen viele Arthybriden steril oder nur eingeschränkt fertil.

Kapitel 7. 745b22 – 747a22

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welcher Ursache ist ein – entweder männliches oder weibliches – Individuum unfruchtbar? Die empirisch gegebene Berechtigung dieser Fragestellung wird, wie es typisch ist, sofort angeschlossen (εἰσὶ γὰρ … ἄγονοι, 746b17 f.): Sterilität kommt beim Menschen und auch in anderen Gattungen vor (mit zwei Beispielen). Im Fall der Maultiere ist allerdings die ganze Art (τὸ γένος ὅλον, 746b19) infertil. Zunächst (746b21– 33) werden aber mögliche Ursachen der Sterilität im eben aufgeworfenen allgemein-individuellen Problemfall, allerdings jetzt nur noch auf den Menschen bezogen, gesucht. Empirisch (συμβαίνει, 746b21) sind dies mehrere: a) angeborene (ἐκ γενετῆς, 746b21) Schädigungen der Sexualregion, die bei Mann und Frau zum Ausbleiben der Pubertät führen; b) erworbene (προϊούσης τῆς ἡλικίας, 746b25) Infertilität: einerseits (ὁτὲ μέν, 746b25) aufgrund durch Überernährung entstehender Adipositas; auf Theorieebene liegt der Grund (γάρ, 746b26) der Sterilität dann darin, dass das zur Verfügung stehende Residuum vollständig zur Bildung des Körperfettes konsumiert wird und so keine Katamenien bzw. kein Sperma mehr gebildet werden; andererseits (ὁτὲ δέ, 746b29) durch krankheitsbedingt verminderte Qualität von Sperma (wässrig-kalt) bzw. Menses (wenig und morbide). Diese defizienten Qualitäten treten oft auch in Fall a) auf. Nach der Diskussion der Ursachen menschlicher Sterilität schließt das Kapitel mit einer kurzen Unterscheidung nach Therapierbarkeit (746b33 – 747a3). Die These, dass tendenziell (μάλιστα, 746b34) angeborene Ursachen unheilbar sind, wird empirisch gestützt, wobei das Indiz durch ein Polyptoton an der Satzgrenze angeschlossen ist (γενόμενα· γίγνονται γάρ, 746b35–a1), und einem Referat offenbar zeitgenössisch etablierter Fertilitätstests (εὐλόγως βασανίζεται ταῖς πείραις/βασανίζουσι, 747a3/a7) für Männer bzw. für Frauen. Hierbei fungiert εὐλόγως in typischer Weise als Signalwort dafür, dass das aristotelische Modell das Funktionieren der Tests wird erklären können: Die Testung hat eine ,vernünftige‘ Grundlage. In Bezug auf den ,Wasser-Test‘ für männliches Sperma besteht sie, gemäß Verkochungstheorie, in der dünn-kalten Qualität (747a2 f./a5) des infertilen (da unzureichend verkochten) bzw. in der dicht-warmen des fertilen, da verkochten Spermas. Für die gynäkologische Fertilitätsdiagnostik werden zwei Testvarianten referiert (747a7– 13), und bei der Interpretation des negativen Testergebnisses bringt Aristoteles seine Residuen-Theorie in Ansatz. Abschließend wird, in chiastischem Rückbezug, sogar begründet, warum die für die beiden Tests jeweils gewählten Körperregionen eine besondere Nähe zur Sexualfunktion aufweisen. So demonstriert Aristoteles auch im Hinblick auf etablierte humanmedizinische Praxis die überlegene Erklärungspotenz seiner Residuen-Verkochungs-Theorie und integriert an passender Stelle medizinisches Wissen.

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Buch II 4 – 8

5 Vernetzung von Kapitel 7 745b23: ὥσπερ ἐλέχθη πρότερον – Kapitel 4

Kapitel 8. 747a23 – 749a6 1 Inhalt Dieses Kapitel behandelt die Aitiologie der Sterilität der Maultiere und verbindet die Argumentation gegen Demokrits und Empedokles’ Anschauung mit einer Methodendiskussion.⁴³

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 8 Das 8. Kapitel (747a23 – 25) beginnt mit einer binary transition (Ἐν μὲν οὖν τοῖς ἀνθρώποις καὶ τοῖς ἄλλοις γένεσιν, ὥσπερ εἴρηται πρότερον, κατὰ μέρος ἡ τοιαύτη συμβαίνει πήρωσις, τὸ δὲ τῶν ἡμιόνων γένος ὅλον ἄγονόν ἐστιν.) und knüpft wörtlich an 7. 746b19 f. an, greift also über die Ausführungen zur Sterilität zurück und verweist 747a23 f. metatextlich auf das Vorhergehende. Der Abschluss der Diskussion in Form eines ersten Teils einer binary transition bildet nach der herkömmlichen Gliederung den Beginn des dritten Buches (749a10 f.). Im Vergleich zu analogen Fällen wäre dieser Schlusssatz eher dem vorigen Kapitel zuzuordnen.

3 Struktur von Kapitel 8 1. 2.

747a23–b27: Widerlegung zweier gegnerischer Erklärungsansätze 747b27– 749a6: Eine versuchsweise veranstaltete abstrakt-allgemeine Argumentation und die aristotelische Gegenargumentation

 Vgl. hierzu grundlegend Connell (2022).

Kapitel 8. 747a23 – 749a6

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Dieses Kapitel ist stark durch ein aitiologisches Vorgehen und einen argumentativen Duktus geprägt und verbindet mit einem fiktiven ‚logischen‘ Argument, das man für Empedokles’ Anschauung fruchtbar machen könnte, eine Methodendiskussion, in der Aristoteles auf seine Wissenschaftstheorie zurückgreift. Man sieht, wie Aristoteles sich an der Erklärung des Zeugungsverhaltens der Hybriden ‚abarbeitet‘.

4.1 747a23–b27: Widerlegung zweier gegnerischer Erklärungsansätze Der Eingangssatz hat wieder die Form einer binary transition (μὲν οὖν … δέ, 747a23 f.), verbindet also Kapitel 7 mit 8. Das Thema ‚Aitiologie der Sterilität‘ wird betont an den Anfang gestellt (περὶ δὲ τῆς αἰτίας, 747a25). Aristoteles entwickelt dann in einer nun schon mehrfach beobachteten Weise seine Meinung in Absetzung von anderen Meinungen, die er namentlich zitiert. Es sind Empedokles und Demokrit, deren Auffassungen er mit οὐ καλῶς (747a27) ablehnt, wobei er, wie verschiedentlich zu beobachten, Demokrit mehr Erkenntnis zugesteht (747a26 f.: ὁ μὲν οὐ σαφῶς Δημόκριτος δὲ γνωρίμως μᾶλλον).⁴⁴ Denn sie beziehen ihren Beweis jeweils gleichermaßen auf alle sich über (sc. Art‐)Verwandtschaft hinweg paarenden Lebewesen: Bewertung und eine Begründung (γάρ, 747a28) ,auf Metaebene‘ werden also einer jeweils eingehenden Diskussion vorausgeschickt. Die erste Auseinandersetzung gilt Demokrit (747a29 – 34). Seine These (φησί, 747a29) ist, dass die Kanäle der Halbesel verdorben seien aufgrund des Ursprungs dieser Tiere aus nicht artgleichen Tieren. Stillschweigend ist dabei der Zusammenhang zwischen blockierten Kanälen und Infertilität vorausgesetzt, wie er aber gerade eben erst, am Ende des Exkurses, thematisiert wurde. Damit ist nach der Vorbemerkung eigentlich schon klar, dass das Argument zu allgemein ist. Es wird aber dennoch explizit der Widerspruch zu den empirischen Fakten hergestellt: Empirisch (συμβαίνει, 747a31) kommt es bei anderen Tieren aber vor – es war ja schon gesagt, dass die Maultiere sogar die einzige sterile Ausnahme unter den Arthybriden sind –, dass ebendies der Fall ist, nämlich dass ihr Ursprung aus nicht artgleichen Tieren stammt, sie aber nichtsdestoweniger zeugen. Doch Aristoteles lässt es nicht bei diesem Gegenargument bewenden, sondern fügt an, dass doch auch diese anderen Arthybriden unfruchtbar sein müssten, wenn denn

 Vgl. die Formulierungen bei der letzten Abwehr einer demokritischen Position in 746a19 f. und a28 f.

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Buch II 4 – 8

ihr Ursprung aus nicht artgleichen Tieren die Ursache für ihre Sterilität wäre. Diese Ausführlichkeit und Explizitheit unterstreicht in ihrer Redundanz die Verkehrtheit von Demokrits Meinung. Die nächste Argumentation richtet sich gegen Empedokles (747a34–b27): Er macht für die Unfruchtbarkeit der Maultiere verantwortlich (αἰτιᾶται, 747a34 f.), dass die Mischung aus dem Sperma der beiden Elterntiere (also von Pferdestute und Eselhengst), das jeweils weich ist, kompakt werde. Dies begründet Empedokles auf seiner atomistischen Modellebene und drückt sich dabei, in Aristoteles’ Wiedergabe, sehr knapp aus: Nach Empedokles passen die Leerstellen (τὰ κοῖλα, 747b1) mit den massiven Teilchen (τοῖς πυκνοῖς, 747b2/τὰ στερεά, 747b6 f.) wechselseitig zusammen. Eine plausible stereometrische Interpretation wäre folgende: Wie in einer bestimmten Form von Mischkristallen passen die Atome des einen Stoffes in die ,Lücken‘ des anderen und umgekehrt; so entsteht eine Packung, die dichter ist als bei jedem der beiden Ausgangsstoffe. Der stereometrisch dichteren Packung entspricht dabei eine größere physikalische Dichte bzw. Härte (πυκνόν, 747a35/σκληρόν, 747b3). Als vergleichbares – und empirisch belegtes – Mischungsverhalten gibt Empedokles dasjenige von Zinn und Kupfer an (747b3).⁴⁵ Aristoteles’ Kritik bezieht sich, in einem metatextlichen Verweis, zunächst kurz auf dieses Metallbeispiel: Dass die empedokleische Kausalerklärung (ebenfalls durch ein stereometrisches Modell der ,Teilchen-Packung‘) der höheren Festigkeit der Legierung nicht korrekt sei, sei in den Problemata besprochen.⁴⁶ Zweitens und überhaupt aber finde Empedokles nicht von Einsehbarem her zu seinen Prinzipien. Dieses Vorgehen des Vorsokratikers widerspricht Aristoteles’ wissenschaftlichen Ansprüchen. Denn nach APo. II 19. 100b9 f. müssen die jeweiligen Prinzipien sogar einsichtiger als die von ihnen ausgehenden Beweise sein. Zur Begründung (γάρ, 747b6) dieser Kritik folgt eine direkte – rhetorische – Frage, die als im Rahmen der empedokleischen Theorie nicht beantwortbar erscheinen soll, und anstelle der beiden bei der Befruchtung zu mischenden Samenflüssigkeiten von Vater und Mutter wählt Aristoteles nun exemplarisch als Flüssigkeiten Wein und Wasser: Wie sollen die wechselseitig ineinander passenden Lücken bzw. kompakten Teilchen die Mischung etwa von Wein und Wasser bewirken? Aristoteles konstatiert, dies sei „zu hoch für uns“ (ὑπὲρ ἡμᾶς, 747b8). Denn: Wie die Lücken des Weins bzw. des Wassers aufzufassen sind, ist

 Die entstehende Zinnbronze ist, bei geeignetem Mischungsverhältnis, tatsächlich härter als die beiden Bestandteile je für sich.  Nach Peck (1943) 251, Anm. a lässt sich aber keine passende Referenzstelle finden.

Kapitel 8. 747a23 – 749a6

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wider unsere sinnliche Wahrnehmung (747b8 – 10). Aristoteles appelliert hier also an das Vertrauen in die eigene Wahrnehmung, die an oder in Flüssigkeiten keine Lücken wahrnehmen kann, und an die Skepsis gegenüber spekulativ-abgehobenen, abstrakt-geometrisch orientierten Modellbildungen. Der ironische Ausdruck ὑπὲρ ἡμᾶς begegnet auch an anderen Stellen in ähnlichen Zusammenhängen (z. B. in GA I 18. 723a22). Mit ἔτι δέ (747b10) wird ein weiteres Gegenargument (747b10 – 23) eingeleitet. Es beginnt wiederum mit einer direkten Frage: Wenn nun faktisch (συμβαίνει, 747b10) aus Pferden Pferde, aus Eseln Esel, aus Pferd und Esel aber Maulesel bzw. -tiere entstehen, warum entsteht dann im letzteren Fall eine kompakte, infertile Mischung, in jenen Fällen aber nicht? Diese Fragestellung entspricht dem eingangs erhobenen Vorwurf allzu pauschaler Argumentation: Bei Empedokles fehlt nach Aristoteles der spezifische Grund, warum in zwei Fällen (Maulesel- und Maultierzeugung) eine kompakte Mischung entsteht bzw. auf Modellebene Lücken und feste Teilchen ineinander passen, sonst aber nicht. Auch hier, wie bei Demokrit, ist das Gegenargument eigentlich schon klar. Aber dennoch setzt Aristoteles noch einmal ausführlicher an (747b15), um auch hier explizit einen Widerspruch herzustellen. Dadurch wirkt das Folgende (bis 747b23) redundant und vermittelt den Eindruck, es werde geradezu ,ausgeschlachtet‘, dass Empedokles seine ,Passungs-Theorie‘ mit dem Fall der Maultierzeugung in keinen spezifischen Zusammenhang bringen kann. Ein ähnliches Vorgehen, Defizienzen anderer Theorien ‚auszuschlachten‘, findet sich auch an anderen Stellen. Aristoteles’ Gegenargumentation verläuft folgendermaßen: Pferdestute und -hengst haben weiches Sperma; beide paaren sich mit einem Esel des jeweils anderen Geschlechts. Nach Empedokles (ὥς φησιν, 747b18) entstehen deswegen aus beiden Paarungen infertile Nachkommen (Maultier bzw. Maulesel), weil in beiden Fällen eine einheitliche feste Mischung entsteht, während das Sperma jeweils weich ist. Dann müßte (Irrealis, 747b19) auch die aus Pferdehengst und Pferdestute (denn beider Samen ist weich) entstehende Mischung so sein, nämlich fest und damit infertil. Das ist aber ein Widerspruch. Schließlich⁴⁷ wird noch kurz ein theoretischer Fall erwogen, nämlich dass nur das eine der beiden Pferdegeschlechter, z. B. der Pferdehengst, sich mit dem gegengeschlechtlichen Esel paare: Dann könnte man sagen, dieses eine Pferdegeschlecht, der Hengst, ist für die Sterilität der Nachkommen verantwortlich, da sein Sperma dem des (weiblichen) Esels nicht ähnlich ist. Diese Möglichkeit wird jedoch ebenfalls und in typischer Weise zum Widerspruch geführt (νῦν δέ, 747b22): Wie beschaffen das Sperma der Eselstute ist, mit der das Sperma des Pferdehengstes sich mischt, so beschaffen ist auch das

 Der Anschluss mit γάρ in 747b20 ist nicht klar.

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Buch II 4 – 8

des Artgenossen, der Pferdestute, mit der es sich mischt. Hier wird der Widerspruch nicht mehr explizit hergestellt: Es ergäbe sich bei der Paarung zwischen Pferdehengst und -stute die gleiche Unähnlichkeit der beiden Samenanteile und damit die Unfruchtbarkeit des Fohlens. Ein letztes Gegenargument (ἔτι δέ, 747b23) bringt einen Widerspruch zur Empirie (aus zweiter Hand: ὥς φασιν, 747b25): Empedokles’ „Beweis“ (ἀπόδειξις, 747b23) bezieht sich gleichermaßen auf weibliche wie männliche Maultiere (oder auch Maulesel). Wie man sagt, sind aber siebenjährige männliche Tiere fertil (dann wäre die Voraussetzung, dass das ganze genos steril ist, falsch), die weiblichen Tiere dagegen vollständig steril.⁴⁸

4.2 747b27 – 749a6: Eine versuchsweise veranstaltete abstrakte-allgemeine Argumentation und die aristotelische Gegenargumentation In typisch tentativer Weise, die ἴσως mit einem Potentialis verbindet (747b27), schlägt Aristoteles nun eine logisch-abstrakte Argumentation als eine möglicherweise überzeugendere vor. Wiederum verwendet er den Begriff ἀπόδειξις (747b28). Dabei begründet er gleich die Bezeichnung ,logisch‘, die in technischer Sprache der eigenen Wissenschaftstheorie gegeben wird: Umso allgemeiner ein Aufweis ist, desto weiter entfernt er sich von den je spezifischen Prinzipien. Damit dürfte einem Kenner schon klar sein, dass sich so kein gültiger Aufweis ergeben wird. Das Argument verläuft dann folgendermaßen (747b30): Es gilt: Aa1 aus artgleichen Männchen und Weibchen entstehen artgleiche Junge (männlich oder weiblich, dafür erfolgen Beispiele) und Aa2 aus artverschiedenen entstehen artverschiedene (mit arthybriden Beispielen) Es folgt: b1 Da männliche und weibliche Maultiere entstehen, die untereinander (natürlich) artgleich sind und b2 da das Maultier aus Pferd und Esel entsteht, diese (beiden) aber und die Maultiere artverschieden sind, c ist es unmöglich, dass aus Maultieren Nachkommen entstehen. Denn (γάρ, 748a4)

 Nach heutigem Wissen ist es umgekehrt: Männliche Maultiere und männliche Maulesel sind stets unfruchtbar, die Stuten aber nicht.

Kapitel 8. 747a23 – 749a6

c1

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eine andere Art kann nicht aus ihnen entstehen, da aus artgleichen (b1) Männchen und Weibchen Artidentisches entsteht (a1), c2 und auch ein Maultier kann nicht aus ihnen entstehen, da Maultiere aus Pferd und Esel entstehen, die artverschieden sind, und aus Artverschiedenen Artverschiedenes entsteht (nach der Setzung in 748a7: ἐτέθη) Offensichtlich muss c2. einen Fehlschluss enthalten, der darin besteht, dass der Bezug des relationalen Ausdrucks ἕτερον (748a7) unterdrückt wird. Hier bedient sich Aristoteles einer sophistischen Argumentationsweise. Eine mögliche echte logische Fehlerhaftigkeit dieser Argumentation wird hier aber nicht thematisiert, sondern ihre allzu große Allgemeinheit und Leere (καθόλου λίαν καὶ κενός, 748a8). Der Grund ist (γάρ, 748a8), dass ihre nicht auf den je spezifischen Prinzipien beruhenden Argumente leer sind. Leere Argumente scheinen sich auf die jeweilige Sache zu beziehen und etwas Bestimmtes zu sein, tun bzw. sind es aber nicht (vgl. die Dopplung 748a9/a11; eingeschoben ist das Beispiel der Geometrie). Das Argument ist also „leer“; es ist auch „nicht wahr“ (748a12), weil viele Arthybriden fruchtbar sind (mit metatextlichem Verweis, vgl. 746b12– 14). Damit ist für die Präsentation der eigenen Erklärung der Sterilität der Maultiere ein doppelter Negativkontrast vorbereitet, durch die Widerlegung der allzu pauschalen Argumente von Demokrit und Empedokles und nun durch ein eigens konstruiertes abstrakt-leeres und offensichtlich auch falsches Argument. In einer binary transition wird die eigene Suche nach tragfähigen Erklärungsansätzen nun eröffnet (748a13 – 16): τοῦτον μὲν οὖν τὸν τρόπον οὔτε περὶ τῶν ἄλλων δεῖ ζητεῖν οὔτε περὶ τῶν φυσικῶν· ἐκ δὲ τῶν ὑπαρχόντων τῷ γένει τῷ τῶν ἵππων καὶ τῷ τῶν ὄνων θεωρῶν ἄν τις μᾶλλον λάβοι τὴν αἰτίαν. „Auf diese Weise darf man nun zwar weder auf anderen Gebieten noch in der Naturwissenschaft forschen, wenn man aber von den Fakten ausgehend, die der Spezies der Pferde und der der Esel wirklich zukommen, Betrachtungen anstellt, dürfte man wohl eher die Ursache erfassen.“ Für Pferd und Esel zugleich gelten: 1. Beide Arten haben je für sich stets nur ein einzelnes Junges. 2. Die weiblichen Tiere beider Arten konzipieren nicht leicht, deshalb lassen die Züchter sie nach einem gewissen Zeitintervall nochmals decken. Hier wird ein empirisches Indiz wiederum als Folge einer theoretisch-allgemeinen Aussage gegeben. Für das Pferd gilt: Die Stute hat das geringste Volumen an Menses unter allen Vierfüßlern. Für den Esel gilt: Die Eselstute erträgt die Begattung nicht und uriniert den männlichen Samen mit heraus; ferner (ἔτι δέ, 748a22) ist der Esel ein kaltes Tier. Deshalb pflanzt er sich

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Buch II 4 – 8

nicht gern in kalten Regionen (mit zwei Beispielen) fort, und aus diesem Grund richten die Züchter die Begattung zeitlich so ein, dass die Fohlen in der warmen Jahreszeit zur Welt kommen. Von der kalten Natur des Esels (748a31; mit kurzem metatextlichem Verweis auf 748a23) schließt Aristoteles „notwendig“ (ἀναγκαῖον, 748a32), dass auch sein Sperma kalt ist. Zusätzlich wird ein empirisches Indiz (σημεῖον δὲ τούτου, 748a32) angegeben, das hier explizit von eben jener Aussage her, für die es ein Indiz darstellen soll, begründet (διὰ τοῦτο γάρ, 748a33; redundant wieder aufgenommen in 748a35) und so als mit ihr in Einklang stehend erwiesen wird. Zur ausführlichen Begründung schließt sich eine kleine Theorie auf Elementarqualitäten-Niveau an (748b1– 7): Bei einer Kreuzung zwischen Pferd und Esel erhält die relative Wärme eines der beiden Partner, nämlich des Pferds, die Frucht (748b1 f. und nochmals 748b5 f.). Die Mischung aus warmem und kaltem Samen bzw. weiblicher Materie führt so zu Nachkommen, die selbst aber nicht mehr fruchtbar sind (748b6 f.). Dieses Erklärungsmodell wäre leicht anzugreifen: Wenn der kalte Eselsamen in Verbindung mit dem wärmeren Pferdesamen geradeso noch fruchtbar ist (und wenn er durch seine Kälte sogar eine bereits stockende Frucht zerstören kann, wie das zuletzt angeführte Indiz insinuiert), wie können dann Esel untereinander fruchtbar sein, und zwar sogar so, dass die Nachkommen selbst wieder fruchtbar sind, im Gegensatz zu der ja wärmeren Mischung bei Maultierzeugung? Vor weiteren Einzel-Indizien wird nun die gemeinsame Zielrichtung aller bisher angeführten Punkte (ὅλως, 748b7 f.) auf den Begriff gebracht: Beide Arten haben von Natur aus eine starke Tendenz zur Unfruchtbarkeit. Für den Esel, der, wenn nicht bald nach dem ersten Zahnwechsel, überhaupt nicht mehr zeugt, wird dies in eindringlicher Weise formuliert: So nah (οὕτως ἐπὶ μικροῦ ἔχεται, 748b10 f.) ist der Organismus des Esels an der Sterilität, und ähnlich für das Pferd: Ihm fehlt gerade soviel (τοσοῦτον λείπει, 748b12 f.) zum Unfruchtbarsein, dass dies (sc. bei den Nachkommen) sogleich eintritt, wenn die Frucht etwas kälter wird, wie es bei der Kreuzung mit einem Esel geschieht. Im Folgenden wird nochmals auf den Esel eingegangen, und es wird der Fall, der nicht so recht in diese Theorie passt (s. o.), doch auch ausdrücklich angeführt: Es fehlt nicht viel (μικροῦ δεῖν, 748b15), und der Esel würde bei artgleicher Zeugung nur sterile Nachkommen zeugen; kommt noch ein unnatürliches Moment bei der Zeugung hinzu, geschieht dies bereits ‚aus Notwendigkeit‘ (748b19). Der letzte kleine Abschnitt des Buchs erklärt nun noch die Unfähigkeit der Maultiere selbst, voll ausgebildete Nachkommen hervorzubringen (748b31 f.; vgl. o. 748b6 f.), im Falle der weiblichen Maultiere im Sinne einer kompetitiven Ressourcenallokation (τρέπεσθαι εἰς τὴν αὔξησιν, 748b21 f., 748b28 redundant wieder

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aufgenommen). So kann das weibliche Maultier – wie es empirisch auch belegt ist (ὅπερ ἤδη φαίνεται γεγονός, 748b29 f.) – zwar mitunter konzipieren, aber nie austragen. Das männliche Tier als das wärmere Geschlecht kann gelegentlich durchaus zeugen; die Nachkommen heißen γίννοι (748b34), die als mangelhaft ausgebildete Maultiere gewissen fehlgebildeten Schweinen oder menschlichen Kleinwüchsigen ähneln. (Es wird nicht gesagt, mit wem das männliche Maultier eventuell zeugen kann: Da das weibliche Tier nicht austragen kann, kommen als Partner wohl nur Pferde- oder Eselstute infrage.) Das Kapitel mündet so in eine Analogisierung von Defizienz-Phänomenen über Artgrenzen hinweg.

5 Vernetzung von Kapitel 8 747a23 f.: ὥσπερ εἴρηται πρότερον – 746b17– 19

Kapitel V Analyse von Buch III

Einleitung Buch III setzt die in II 4 begonnene Behandlung der Fortpflanzungsweisen nach Tierklassen, ,der Natur nach‘ geordnet, fort.¹ Immer wieder nimmt Aristoteles eine die Klassengrenzen überschreitende vergleichende Perspektive ein. Mit Ausnahme der dialektischen Kapitel 5 und 6 – die sich thematisch in chiastischer Anordnung auf die ersten Kapitel zurückbeziehen –, einem dialektischen Einschub in Kapitel 8 und dem diskursiv-dialektischen Anfangsteil des Kapitels zu den Bienen (10) wechseln deskriptive und aitiologische Passagen einander ab. Nach der Behandlung der Viviparen in Buch II sind nun die ersten sieben Kapitel weiteren Klassen der blutführenden Tiere gewidmet: Kapitel 1 und 2 behandeln die Fortpflanzung bei (extern vollendete Eier legenden) Vögeln und oviparen Quadrupeden; insbesondere geht Aristoteles auf Unterschiede im Fertilitätsgrad bei den Vögeln, auf die Entstehung von Windeiern und auf den Unterschied zwischen (im Inneren) ein- und zweifarbigen Eiern ein, im 2. Kapitel begründet er die ovale Form der zweifarbigen Eier, erklärt die ,äußere‘ Entwicklung des Eis, die Bebrütung und die Embryonalentwicklung innerhalb des Eis. Thema der Kapitel 3 und 4 ist die Fortpflanzung bei ovoviviparen bzw. bei oviparen Fischen; insbesondere beschäftigt sich Aristoteles mit dem oviparen Ausnahmefall unter den sonst ovoviviparen (und intern vollendete Eier erzeugenden) Selachiern, erklärt die Embryonalentwicklung der Selachier und vergleicht sie mit derjenigen der Vögel. Das 4. Kapitel ist der Embryonalentwicklung der oviparen (und extern unvollendete Eier hervorbringenden) Fische gewidmet und erklärt das rasche Wachstum der Fischeier. Die beiden dialektischen Kapitel 5 und 6 beziehen sich in umgekehrter Reihenfolge auf die Kapitel 1 und 2 bzw. 3 und 4, indem sie abweichende Meinungen und Irrtümer mit Blick auf die Fortpflanzung bei den Fischen bzw. Vögeln angreifen. Kapitel 6 geht darüber hinaus gegen verfehlte Ansichten über zwei vivipare Arten vor und bezieht sich so auch auf Buch II zurück. In Kapitel 7 herrscht eine übergeordnet-vergleichende Perspektive vor: Zunächst wird die Differenz zwischen ovoviviparer und oviparer Fortpflanzungsweise bei den Fischen problematisiert, in einem zweiten Abschnitt vergleicht Aristoteles (nochmals) Vögel und Fische, nun unter dem Aspekt der Zeitspanne, in der eine Befruchtung der Eier möglich ist. Mit Kapitel 8 geht Aristoteles zu den blutlosen Tieren über und erklärt die Fortpflanzung bei (unvollendete Eier produzierenden) Mollusken und Crustacea;  Vgl. die Übersicht in der Einleitung zu Buch II, S. 215 f. https://doi.org/10.1515/9783110774863-006

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Buch III

ein dialektischer Einschub wendet sich allerdings nochmals gegen die Vertreter der Eingeschlechtlichkeit bei den oviparen Fischen. Während Kapitel 9 nur recht kurz die Entstehung der Insekten im Allgemeinen, d. i. die Larviparie in drei Entwicklungsstadien, abhandelt, ist das gut ausgearbeitete Kapitel 10 den Bienen (und eng verwandten Arten) vorbehalten. Nach diskursiv-dialektischer Widerlegung fremder Ansichten entwickelt Aristoteles ein anspruchsvolles Modell der Bienenfortpflanzung, das er jedoch gleich im Anschluss unter einen grundsätzlichen Vorbehalt stellt. Das letzte Kapitel des Buchs gilt der noch fehlenden Behandlung der Testacea in ihrer Zwischenstellung zwischen Tieren und Pflanzen; in seinem zweiten Teil geht Aristoteles insbesondere auf das Phänomen der Spontanzeugung ein.

Buch III Kapitel 1. 749a10 – 752a10 1 Inhalt Die ersten beiden Kapitel des dritten Buchs sind der Fortpflanzung bei den Oviparen i. e. S. gewidmet. Kapitel 1 bringt zunächst Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus übergeordneter Perspektive. Insbesondere behandelt es, ausgehend von dem Phänomen der Windeientstehung, ausführlich den Unterschied zwischen hoher und geringer Fertilität bei den Vögeln. Anschließend erklärt Aristoteles die Entstehung von Windeiern und den Unterschied zwischen (in ihrem Inneren) ein- und zweifarbigen Eiern.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 1 Kapitel 1 leitet eingangs, in Form einer typischen binary transition 749a10 – 12, von der Behandlung der Viviparen (i. e. S.) zu der der Oviparen (i. w. S., d. h. die Ovoviviparen mit umfassend) über, die bis Kapitel 7 reicht. Mit dem ersten Teil einer binary transition in 752a9 f. endet auch das erste Kapitel unter metatextlichem Rückbezug auf die letzte Passage (ab 751a30 zur Differenz mono- und dichromer Eier).

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3 Struktur von Kapitel 1 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 1: 1. Übergang zu den Oviparen; erste Gemeinsamkeiten und Differenzen: 749a10 – 34 2. Unterschiedlich hohe Fertilität bei den Vögeln: 749a34 – 750b3 § 2: 3. Erklärung der Entstehung von Windeiern: 750b3 – 751a24 4. Der Unterschied zwischen vollendeter und unvollendeter Eiablage: 751a24– 30 § 3: 5. Erklärung des Unterschieds zwischen ein- und zweifarbigen Eiern: 751a30 – 752a10

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 749a10 – 34: Übergang zu den Oviparen; erste Gemeinsamkeiten und Differenzen Buch III beginnt mit einer binary transition, die in ihrem ersten Teil als zuletzt behandelte Themen die Sterilität der Maulesel und die Viviparen i. e. S. (sc. deren Fortpflanzung und Embryologie) nennt; letztere werden fast überdeutlich mit der Wendung ζῳοτοκοῦντα καὶ θύραζε καὶ ἐν αὑτοῖς bezeichnet.² Aristoteles verkehrt hier die Reihenfolge der beiden Themen, um direkt, auch mit dem nächsten Satz, an die Behandlung der Lebendgebärenden anknüpfen zu können. Der zweite Teil der binary transition (δέ, 749a11) nennt als jetzt anstehendes Thema die Oviparen unter den Bluttieren; im Vergleich zu den ‚Fußtieren‘ – gemeint sind offenbar die vorhin behandelten Viviparen i. e. S.³ – sind in einer Hinsicht die Verhältnisse ähnlich, und man kann etwas bei all diesen Oviparen und Viviparen Identisches erfassen. Dies ist eigentlich eine redundante Bemerkung, die aber motiviert, warum stets auch auf Gemeinsamkeiten zu achten ist.⁴ In anderer Hinsicht gibt es Unterschiede sowohl bei den Oviparen untereinander als auch im Verhältnis zu

 Dies erinnert im Wortlaut an den disponierenden Einsatz des 4. Kapitels des II. Buchs (ζῳοτοκοῦντα ἐν αὑτοῖς, 737b15; Ὅσα δὲ θύραζε μὲν ζῳοτοκεῖ ἐν αὑτοῖς δ’ ᾠοτοκεῖ, 737b18) und nimmt die dortige Einteilung wieder auf; dort wurden die Viviparen i. e. S. auch schlicht mit τὰ ζῳοτοκοῦντα bezeichnet (737b26).  Auch wenn es bekanntlich auch ovipare Landtiere gibt wie etwa die Echsen; vgl. Michael von Ephesos, 130,8 – 11 Hayduck.  Vgl. PA I 1. 639a15 – 29.

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Buch III

den Landtieren: Gemeinsamkeiten und Unterschiede erscheinen als Forschungsmotiv mit Appellcharakter (καὶ ταὐτόν τι λαβεῖν ἔστι περὶ πάντων, 749a13 f.). In paralleler Anordnung wird nun zunächst die allen diesen Tieren zukommende gemeinsame Eigenschaft angeführt, nämlich dass sie alle⁵ aus einer Kopulation hervorgehen, bei der das Männchen Sperma in das Weibchen ejakuliert. Unterschiede liegen: 1. (749a17– 27) in den Eigenschaften der Eier (vollendet/unvollendet, ein-/ zweifarbig [wie sich später im Kapitel zeigt, ist das Innere des Eis gemeint], weich-/hartschalig). Die Vögel produzieren vollendete, hartschalige und stets zweifarbige Eier, wie Aristoteles mit typischer Kautele (‚wenn keine Krankheit hindert‘) formuliert, unter den Fischen sind die Selachier (mit metatextl. Rückverweis 749a20) ovovivipar⁶ mit weichschaligen und einfarbigen Eiern, mit Ausnahme des Frosch-Fisches (749a23 f. mit Vorverweis, incl. Erklärungsanspruch, auf III 3. 754a25);⁷ die anderen oviparen Fische legen einfarbige und unvollendete Eier; hier – als Begründung gekennzeichnet (γάρ) – wird die Definition des Begriffs ‚unvollkommenes Ei‘ wiederholt; der Zusatz ‚aus demselben Grund wie auch die innen vollendeten Eier‘ erscheint redundant, schließt aber diesen Punkt (1.) ab. 2. (749a27– 34) in der Lage des Uterus. Dieser Passus beginnt mit einem metatextlichen Rückverweis. Mit ‚γάρ‘ wird die früher bereits getroffene grundsätzliche Lage-Unterscheidung ‚oben/in Zwerchfellnähe‘ vs. ‚unten/in der Nähe der Kopulationsorgane‘ bei den Viviparen i. w. S. nochmals angeführt, um daran anzuschließen, dass es auch innerhalb der Gruppe der Oviparen diese extremen Unterschiede gibt. Dafür werden Beispiele gegeben.

 πάντα ὅλως, 749a16; ὅλως könnte hier verstärkend gemeint sein, „tous, sans exception“ (Louis, 1961, 95); vgl. περὶ πάντων, 749a14.  Die ovoviviparen Selachier nehmen in der in II 1. 733a32–b16 etablierten linearen Hierarchie den zweiten Rang, zwischen Viviparen i. e. S. und vollendete Eier legenden Oviparen, ein. In III 3. 754a21 werden die Fische insgesamt als ovipar i. w. S. klassifiziert, und die Selachier erscheinen als ovovivpare Unterart der oviparen Fische (τούτων … τὰ δὲ …, 754a21– 25) – dennoch wird mitunter die Qualifizierung θύραζε oder ἔξω unterdrückt, und sie werden als lebendgebährend i. w. S. bezeichnet, etwa hier in III 1. 749a29 – 31. Ihre amphotere Zwischenstellung (μετέχει ἀμφοτέρων, II 1. 733a8 f.) drückt sich so in einer etwas schwankenden Zuordnung aus.  749a23 scheint Drossaart Lulofs Text οὐ ζῳοτοκεῖ … ἐν αὑτῷ zunächst nicht haltbar, denn die Selachier werden i. d. R. nicht als „in sich selbst“ vivipar, sondern nur als ‚nach außen hin‘ vivipar bezeichnet – man ist versucht, ἐν αὑτῷ zu athetieren. Die gleiche Inkonsequenz findet sich allerdings bereits in II 1. 733a9 f.; der Aspekt liegt hier darauf, dass das Junge im Inneren schlüpft, sonst überwiegt dagegen, dass ,im Inneren‘ primär ein Ei produziert wird.

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4.2 749a34 – 750b3: Unterschiedlich hohe Fertilität bei den Vögeln Der dritte Punkt im Rahmen des Motivs ,Gemeinsamkeiten und Unterschiede‘ setzt ebenfalls mit μὲν οὖν (749a35) ein und scheint zunächst in Kontrast zu der eingangs konstatierten für alle Oviparen einheitlich (πάντα ὅλως, 749a16) geltenden zweigeschlechtlichen Fortpflanzung zu stehen: die spontane Keimentstehung bei Vögeln. Allerdings führen diese Keimlinge, wie in III 1. 750b26 – 28 als empirisch gesichert festgehalten wird, ohne Befruchtungspartner nicht zur Entstehung eines neuen Lebewesens, was wohl auch in der üblichen Bezeichung ,Windei‘ mitschwingt (die Aufnahme anderweitig etablierter Nomenklatur erfolgt mit καλοῦσιν … τινες, 749a35 f.). Hierzu setzt die erste eigentliche Kausalerklärung in diesem Kapitel ein (διά + subst. AcI, 749b3 – 7): Verantwortlich ist die reichliche Residuum-Ressource bei den Vögeln, die Windeier hervorbringen; bei anderen, nämlich sehr flugtüchtigen und Greifvögeln wird diese Ressource für den Aufbau des Flugapparates verwendet. Das letzte Erklärungsprinzip ist hier die nicht in zwei verschiedene Richtungen aufteilbare Ressourcenverwendung⁸ (οὐ δύναται ἡ φύσις ἐπ’ ἀμφότερα πολυχοεῖν, 749b8 f.). Der vorausgehende Kausalsatz lässt, da mit ἐπεί eingeleitet, an einen zwingenden Vorwärts-Schluss denken, bietet seinem Inhalt nach aber keinen hinreichenden Grund für die Etablierung des genannten Erklärungsprinzips. Das anschließende διὰ τὴν αὐτὴν δὲ ταύτην αἰτίαν καί (749b9) betont indessen die Erklärungspotenz dieses Prinzips.⁹ Wie zuvor erfolgt die Kausalerklärung kontrastiv: τοῖς μὴ … μηδέ/ἀλλὰ τοῖς (749b1 f.) – τὰ μέν/τὰ δέ (749b10). Als Ursache für hohe Fertilität wird, auf Modellebene, wiederum eine hohe Residuenproduktion angesetzt (749b14), und daraus wird dann das Explanandum abgeleitet (διό, 749b14). Hier erscheinen die Vögel mit jeweils zahlreicher Brut und solche mit hoher Brutfrequenz zunächst parallel, dann wird letzteren in zweigleisiger Ursachenzuschreibung (διὰ μὲν τὸ …/διὰ δὲ τὸ … καὶ διὰ τὸ …, … καὶ διὰ τὸ …, 749b21– 25) eine Mittelstellung zugeordnet, wodurch eine lineare dreistufige Skala etabliert wird als eine reichere, ‚schönere‘ Systematik, als es ein einfacher zweipoliger Gegensatz darstellt, nach dem es zunächst aussah. Weitere phänomenale Unterschiede bezüglich der Fertilität bei den Vögeln werden mit Hilfe desselben Erklärungsmusters (oder sehr ähnlicher Muster) integriert: a kleine Vögel

 Vgl. oben, S. 249 f.  Hierin ist eine – natürlich nicht die einzige – typische Vorgehensweise zu sehen: Erklärungsprinzipien werden nicht ,bewiesen‘, sondern bzgl. ihrer Erklärungspotenz ,getestet‘.

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In einem Vergleich mit der Flora (καθάπερ, 749b27) wird als Begründung (γάρ, 749b27) angeführt, dass Wachstumsressource zu zeugungsbezogenem Residuum wird; damit wird das Prinzip einer kompetitiven „resource allocation“¹⁰ implizit als auch für diesen Bereich gültig unterstellt. Daraus wird die Gültigkeit auch im Bereich bestimmter Tiere abgeleitet (διὸ καὶ, 749b28), dann der bereits (749b27 f.) angegebene Grund noch einmal (und redundanterweise) in variierter Formulierung nachgeschoben (διὰ γάρ, 749b29). Die Rechtfertigung für diese – suggestiv wirkende – Analogisierung von Flora und Fauna liegt im Aufweis der universellen Erklärungspotenz des angesetzten Prinzips. b unedle (ἀγεννεῖς, 749b31) Vögel Die feuchtere und massigere (vgl. o. die schwereren Vögel) Körperbeschaffenheit ist Ursache für ihre hohe Fertilität. Edleren (γενναῖος, 749b33) Vögeln wird, wiederum kontrastiv, tendenziell (μᾶλλον, 749b34) eine schlanke und trocknere – chiastisch gestellte Eigenschaften – Körperkonstitution zugeordnet, die als verantwortlich für die geringere Fertilität anzusehen ist. Über die auch heute durchaus für Tiere, z. B. Pferde, geläufigen Attribute ,unedel/edel‘ hinaus fällt die ethisch anmutende Zuschreibung eines ,Gemüts‘ (θυμός, 749b33) auf. Der Zusammenhang zwischen edlem Gemüt und schlank-trockner Körperkonstituion wird als Begründung (γάρ, 749b33) angeführt und damit als, zumindest der Tendenz nach (μᾶλλον, 749b34), empirisch belegt (γίγνεται, 749b33) unterstellt – mit dem impliziten Rezipientenappell, dies mit seiner Erfahrungswelt abzugleichen. Mit ἔτι (749b34) angeschlossen ist nun als weitere, ’beitragende’ (συμβάλλεται πρὸς …, 749b35) Ursache die Schlankheit und schwache Ausbildung der Beine; unausgesprochen ist hier wohl, wiederum unter Ansetzung der kompetitiven „resource allocation“¹¹, an die räumliche Nähe zu den Geschlechtsorganen gedacht. Im Vergleich mit dem Menschen (750a1 f.) ist stillschweigend vorausgesetzt, dass Menschen (Männer wie Frauen?) mit schwächer ausgebildeter Beinmuskulatur erfahrungsgemäß fruchtbarer sind – besonders hier wird implizit an den Rezipienten appelliert, sich zu fragen, inwieweit er dies bestätigen kann. Diese beitragende Ursache wird ihrerseits wieder mit dem Prinzip der begrenzten Diversifizierung der Ressourcenverwendung begründet, das nun nochmals variiert wird (750a3 f.); Schlüsselbegriff ist das wiederholt motivisch verwendete ‚τρέπεσθαι‘, das schon in Buch II begegnete (748b21; b28; III 1. 749b4; b22; 750a2; a20). Ringkompositorisch kehrt die Darstellung zu den Greifvögeln zurück (750a4; vgl. 749b2) und nimmt eine summarische Ursachenzuschreibung vor (ὥστε διὰ

 Vgl. Leroi (2010) 264: „… the parts of animals compete for those resources in ontogeny“ und 266: „resource allocation trade-off“.  Vgl. oben, S. 264 f.

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πάσας ταύτας τὰς αἰτίας, 750a5 f.); nachgeschoben wird die Erklärung der (mit typischem kleinen Vorbehalt: σχεδόν, 750a7) einzigen Ausnahme des Falken. Es folgen zwei kurz behandelte Spezialfälle; dann wird zur Abrundung der Passage 749a34– 750b3 eine empirische Stütze des behaupteten Prinzips der nur einseitig möglichen Ressourcenverwendung geboten, allerdings nur in Bezug auf den Nahrungsressourcenfluss (τρέπεται, 750a20) in Richtung ,hohe Fertilität‘; dass ein solcher Fluss stets, zumindest vorwiegend, nur in eine Richtung erfolgen kann, wird nicht belegt. Zunächst wird die vorwiegende Nahrungsverwendung für die Samenproduktion anhand eines Phänomens im Pflanzenreich aufgezeigt – wiederum in der Weise, dass das zugrundegelegte Modell des einseitigen Ressourcenflusses auch hier seine Erklärungspotenz erweisen kann: denn es wird als Begründung angeführt und nicht ,bewiesen‘ (τὴν γὰρ τροφὴν ἀναλίσκουσιν εἰς τὸ σπέρμα πᾶσαν, 750a25 f.). Dem Verwelken mancher Pflanzen nach Tragen reicher Frucht analog ist das Sterben von Hühnern nach übermäßiger Fruchtbarkeit; das Flora und Fauna in dieser Hinsicht gemeinsame Aition wird jetzt abstrakt-allgemein und technisch formuliert: ὑπερβολὴ περιττώματος ἐκκρίσεως (750a30 f.). Zur nachträglichen Bekräftigung der Validität der angegebenen Ursache wird sie als „ebenfalls ursächlich“ (αἴτιον … καὶ τῷ, 750a31) für die mit den Lebensjahren sukzessiv abnehmende Fertilität des Löwen in Anspruch genommen; zunächst wird das Phänomen geschildert, der kausale Zusammenhang wird, eher vage andeutend, mit der Partikel ὡς (750a34) gekennzeichnet, die einen abschließenden Genetivus absolutus einleitet. Wiederum erfolgt die Bestätigung also in der Weise, dass nicht etwa die behauptete Ursache zwingend erschlossen würde, sondern indem sie als zur Erklärung geeignet und hinreichend erwiesen wird – was nicht ausschließt, dass die Ursache nicht auch eine andere sein könnte. Die Notwendigkeit der gegebenen Erklärung bleibt offen. Der 1. Paragraph des Buches schließt mit einer binary transition, die in ihrem ersten Teil (750b1– 3) auch den sowohl deskriptiven (τίσι, ποῖοι) als auch aitiologischen (διὰ τίνας αἰτίας) Charakter des Abschnitts ab 749a34 deutlich macht. Wurde eingangs rasch von der spontanen Windeier-Produktion übergegangen zu den Fertilitätsunterschieden – über den Zusammenhang ,Windei-produzierende – polygonoi (749b1‒3) ‒, wird erst jetzt, ab dem zweiten Teil der binary transition und mit § 2, die eigentliche Kausalerklärung der Entstehung von Windeiern in Angriff genommen. Das Motiv der Windeier überspannt so den 1. Paragraphen.

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4.3 750b3 – 751a24: Erklärung der Entstehung von Windeiern Die Passage setzt ein mit der schlagwortartigen Nennung des Themas der Windeigenese, unter explizitem Rückgriff auf 749a34–b3 (καθάπερ εἴρηται καὶ πρότερον, 750b3 f.), womit überhaupt erst das Thema ‚Windeier‘ wieder aufgenommen wird. Das inzwischen behandelte Thema hoher bzw. geringer Fertilität hat nur die Frage beantwortet, bei welchen Vögeln es Windeier gibt. In Parallele zu 749b3 nimmt Aristoteles auch den aitiologischen Anspruch wieder auf (διὰ τό + Inf., 750b4 f.), der nun ausführlicher eingelöst werden soll; entsprechend finden sich, wenngleich nicht mehr ganz so dicht, Ausdrücke der Kausalität. Dem Grunde nach, der jetzt wiederum aus einer global Vögel, Vivipare und Fische vergleichenden Perspektive heraus gewonnen wird, nämlich das Vorhandensein zeugungsbezogener Materie bei gleichzeitigem Fehlen von Menstruation, müssten alle Tiere, auf die dies zutrifft, Windeier oder Analoga, d. h. allgemein: Keime ohne vorherige Begattung (750b10), produzieren. Behauptet wird dies, außer eben für bestimmte Vögel, nur für Fische (διὸ καὶ τούτοις, 750b9), trotz der durch die kühlere ,Natur‘ der Fische bedingten (γάρ, 750b11) relativ schwachen Evidenz (ἧττον δ’ ἐπιδήλως, 750b10 f.). Umgekehrt ist die Wärme im Körper der Vögel, genauer: in der Zwerchfellregion (750b13– 15), dafür verantwortlich (διὰ τό + Inf.), dass deren Windeier in Bezug auf die Größe gut, wenn auch geringer als befruchtete Eier, ausgebildet werden. Die Bemerkung, dass das Windei-analoge Phänomen bei den Fischen weniger offensichtlich sei, wird in 750b26 – 32 ausführlich wieder aufgenommen. Hier wird die empirische Basis bei Vögeln und Fischen differenziert beurteilt. 750b20 f. wird noch ein zusätzlicher Grund für die Armut an weiblichem Sexual-Residuum bei Greifvögeln gegeben: Zuvor wurde die Theorie der kompetitiven Ressourcenallokation hierfür verantwortlich gemacht, nun kommt hinzu, dass es bei den weiblichen Tieren erst bei Kontakt mit männlichen Tieren zur inneren Sekretion von Residuum kommt. Der Abschnitt bis 750b26 endet in typisch bündig-eingängiger Weise, die angeführten Gründe erscheinen jedoch nicht so zwingend, wie die Formulierung es nahelegt (διὰ μίαν αἰτίαν καὶ τὴν αὐτήν, 750b22 f.): Als unvollkommen waren die Windeier nur πρὸς τὴν γένεσιν (750b15) vorausgesetzt, nun erscheinen sie als schlechthin unvollkommen. Dies ist eine Pauschalisierung, aus der sich aber leichter folgern lässt, dass sie es auch bzgl. der Größe sind; auch warum zweitens kleinere Eier (i. w. S.) in größerer Anzahl produziert werden müssen,wie in 750b23 f. unterstellt, ist nicht klar, wird aber eingängig formuliert, wobei die stilistische Gestaltung mit chiastischer Stellung und der direkten Opposition ἐλλάττω – πλείω, wiederum auch mit dem mathematisch-abstrakten Gegensatz zwischen kontinuierlicher und diskreter Quantität (τὸ μέγεθος/τὸν ἀριθμόν, 750b24), die Aussage unterstützt. Die theoretischen Begründungen werden nun (750b26– 32) durch Verweise auf die Phänomene ergänzt (ἱκανῶς ὦπται, 750b27 f.; ἑώραται συμβαῖνον, b30; ἔχοντες … φαίνονται, b30 f.), die wiederum in einen Verweis auf HA münden (750b31 f.). In

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dem nun wieder aitiologischen Abschnitt 750b32– 751a6 wird der in 750b20 f. für die Greifvögel als die Residualsekretion anregend geltend gemachte Kontakt mit männlichen Tieren als αἴτιον (750b34) auf alle Vögel, in anderer Funktionalität, ausgedehnt und mechanistisch-modellhaft erklärt (κατασπᾷ; ἕλκει; οἱ πόροι ἀναστομοῦνται, 750b35– 751a2). Die geläufige (τινὲς εἰώθασι λέγειν, 751a10), aber falsche Ansicht, dass Windeier aus einer vorherigen Begattung stammen, wird einerseits in ihrer Entstehung verständlich gemacht: Einmal befruchtete Eier bleiben klein, wenn die Begattungen nicht fortgesetzt werden, und können daher wie Windeier imponieren. Andererseits wird diese Ansicht durch empirische Belege (ὦπται γὰρ ἱκανῶς, 751a12) eindeutig als falsch erwiesen (751a9 – 13) und stark abgrenzend auch so bezeichnet (τοῦτο δ’ ἐστὶ ψεῦδος, 751a11 f.). Der ‚hormonartig‘ (ὁρμή, 750b20) wirkende Kontakt mit männlichen Partnern wird nun (ἔτι, 751a13 ff.) weiter verfolgt, in Analogie zu Menschen und Quadrupeden erklärt (αἴτιον ταὐτὸν ὅπερ ἐπί, 751a17) und als zweistufig wirkende Ursache (ὥστε, 751a21 u. a22) für das Entstehen von Windeiern bei ‚hyperfertilen‘ Vögeln verantwortlich gemacht.

4.4 751a24 – 30: Der Unterschied zwischen vollendeter und unvollendeter Eiablage In einem kurzen Absatz geht Aristoteles nochmals auf die Ursache (αἴτιον δ’ ὅτι, 751a27) für den Unterschied zwischen vollkommener und unvollkommener Eiablage bei Vögeln bzw. Fischen ein. Zusätzlich erklärt er (γάρ, 751a29) die Schnelligkeit der Eiablage durch die bekannte Uteruslage bei den oviparen Fischen.

4.5 751a30 – 752a10: Erklärung des Unterschieds zwischen ein- und zweifarbigen Eiern Wie der vorige beginnt dieser letzte, mit einem chiastisch gestellten framing (751a30 – 32/752a9 f.) versehene Abschnitt wie mit dem zweiten Teil einer binary transition (δέ, 751a30), deren erster Teil aber fehlt. Er erklärt den Unterschied zwischen zweifarbigen und einfarbigen Eiern aus den δυνάμεις der beiden Bestandteile, Eiklar und Eigelb (751a31– 33) – erst hier wird deutlich, dass das Aussehen des Ei-Inneren gemeint ist. Der aitiologische Anspruch wird zunächst in typisch tentativer Weise durch den Potentialis in Verbindung mit einem indefiniten τις markiert (τὴν αἰτίαν ἴδοι τις ἄν, 751a32). Seine Einlösung (γάρ, 751a33) beginnt mit der Unterscheidung zweier Elementarbestandteile des Blutes als der Materie, aus der die Eier entstehen. An die Geläufigkeit von Grundkenntnissen appelliert hierbei ein unscharfer metatextlicher Bezug (εἴρηται πολλάκις, 751b1). In unscharf-metaphorischer Sprache (ἐγγύτερον/πορρώτερον, 751b2/b4) werden diesen beiden Anteilen eine größere ,Nähe‘ bzw. ,Ferne‘ zur Form des entste-

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henden Lebewesens zugeordnet, davon abgeleitet (διόπερ, 751b4) wird die Zuordnung des beseelten Prinzips zu ,warmem‘ Eiklar bzw. der Nahrung, entsprechend der Materie, zu Eigelb.¹² In typischer Weise wird nun eine hypostasierte wärmere oder weniger warme und feuchte ,Natur‘ (τοῖς μὲν οὖν τὴν φύσιν …/τοῖς δὲ …, 751b7/b10 f.) bestimmter Tiere für eine Trennung innerhalb des Eis und damit für die Zweifarbigkeit verantwortlich gemacht, eine kalte und noch feuchtere Natur (τὰ δ’ ἤδη … τὴν φύσιν, 751b15 f.) für die fehlende Trennung und Einfarbigkeit. So ergibt sich wiederum eine dreifach abgestufte Hierarchie. Für die beiden unteren Stufen werden jeweils hiermit erklärbare empirische Instanzen genannt (ὅπερ συμβαίνει ἐπὶ …, 751b11 f.; διόπερ γίγνεται, 751b19); für die Fische auf unterster Stufe wird abschließend die mittlere Farbgebung des Ei-Inneren in einer knappen, chiastisch gestellten μέν – δέ-Korrespondenz charakterisiert (751b20). Mit dem Übergang zu den Vogeleiern (751b21) werden auch die Windeier wieder aufgenommen, deren Zweifarbigkeit auf dem unvollendeten Vorhandensein der beiden Bestandteile beruht. Damit sind Eiklar bzw. Eigelb nicht ursächlich (αἴτιον, 751b26) den beiden Geschlechtern zuzuordnen, sondern beide nur dem weiblichen. Eine redundante Zusammenfassung mit explizitem Verweis auf das gerade Gesagte gibt Aristoteles in 751b28 – 31. Die Passage schließt mit einem Vergleich (ὥσπερ, 752a1) der inneren Entwicklung des Vogeleis mit einem experimentellen Vorgehen (κἂν … συνεράσας τις … ἕψῃ, 752a4 f.),¹³ das in Einklang steht mit der natürlichen Wärmewirkung auf das Ei-Innere, und mündet ringkompositorisch in eine typische binary transition (s. o.).

5 Vernetzung von Kapitel 1 Περὶ μὲν οὖν … εἴρηται καὶ περί (749a10 f.) (‐-> II 8 bzw. II 4– 7) ὥσπερ εἴρηται πολλάκις (749a20) (unscharfer Verweis) περὶ … ὕστερον λεκτέον (749a23 f.) (‐-> III 3. 754a25 – 31) implizit: διὰ τὴν αὐτὴν αἰτίαν δι’ ἥνπερ (749a26) (‐-> III 4. 755a19 f.) Περὶ μὲν οὖν … εἴρηται πρότερον (749a27 f.) (‐-> I 8 – 11)

 Zu 751b1– 7 vgl. heute, in erstaunlicher Kontinuität, die sog. „animal-vegetative Polarität“ des Eis und bereits der Eizelle, z. B. in Wehner/Gehring (2007) 213.  Auf Vergleichsebene werden statt nur eines Eis mehrere (ohne Schale) in einer Blase vorsichtig erwärmt – mit dem Ergebnis, dass sich dann die Dotter alle im Zentrum der Blase sammeln, umgeben von dem Eiklar aller ursprünglichen Eier. Dies wird in Analogie gesetzt (ὥσπερ–καί, 752a6) zur natürlichen Binnendifferenzierung im dichromen Einzel-Ei in zentrales Eigelb und peripheres Eiklar.

Kapitel 2. 752a10 – 754a20

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Kapitel 2. 752a10 – 754a20 1 Inhalt Das 2. Kapitel führt die Behandlung der i. e. S. Oviparen fort: Im Anschluss an die zuletzt besprochene Differenz zwischen ein- und zweifarbigen Eiern begründet Aristoteles zunächst die bei zweifarbigen Eiern nicht kugelsymmetrische, sondern zweipolig-ovale Form. Der nächste Abschnitt geht auf die ,äußere‘ Entwicklung des Eis, wie das Eiwachstum und die Ausbildung der Schale, ein. Darauf folgt eine Erklärung der Bebrütung bei Vögeln bzw. des Analogons bei den vierfüßigen Oviparen, mit einer global das Tierreich umfassenden Skala der Intensität des Brutpflegeverhaltens. In einem letzten Abschnitt beschreibt Aristoteles die Embryonalentwicklung innerhalb des Eis, ausgehend von Veränderungen von Eiweiß und Dotter.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 2 Kapitel 2 leitet eingangs, mit dem zweiten Teil einer typischen binary transition (752a9 f.), von der Erklärung des Unterschieds zwischen ein- und zweifarbigen Eiern zur Erklärung der bipolaren Form zweifarbiger Eier über. Mit dem ersten Teil einer binary transition 754a15 – 18, unter metatextlichem Rückbezug auf das gesamte Kapitel, wird die Behandlung der nach außen hin vollendete Eier ablegenden Tiere, also der Vögel und der quadrupeden Oviparen, abgeschlossen.

3 Struktur von Kapitel 2 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 4: 1. Erklärung der ovalen Form zweifarbiger Eier: 752a10 – 23 2. Die ,äußere‘ Entwicklung des Eis bis zur Eiablage: 752a24–b15 3. Die Bebrütung der Eier: 752b15 – 753a27 4. Die ,innere‘ Entwicklung des Eis: Veränderungen von Eiweiß und Eigelb, Bildung der Eihäute, Embryonalentwicklung: 753a27– 754a20

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 752a10 – 23: Erklärung der ovalen Form zweifarbiger Eier Das zu erklärende Phänomen der ovalen Eiform wird eingangs in einem Trikolon (752a11– 13) mit sich steigernder Konkretheit beschrieben: ungleichmäßig – nicht vollkommen sphärisch –zu einer Richtung hin spitzer. Der aus Deskription und Aitiologie gemischte Charakter der Passage zeigt sich sodann durch eine Häufung von Kausalpartikeln: διά mit subst. Inf. (752a13) leitet eine zunächst recht abstrakt-allgemein anmutende Begründung ein, die man auch erst einmal nur als heuristisches Prinzip verstehen könnte: Der Anteil des Eiklars, in dem das Zeugungsprinzip enthalten ist, müsse sich auszeichnen; konkretisiert wird dies erst im übernächsten Satz (γάρ, 752a15). Zwischen allgemeiner Formulierung und dieser Konkretisierung steht die zu erklärende (διόπερ, 752a14) relative Härte des spitzeren Pols des Eis. Der finale Bezug von διὰ τοῦτο (752a15 f.) auf die Schutzfunktion dieses Pols leitet über auf die Orientierung des Eis bei der Ablage; logisch vollständig und in Teilen redundant ist die mit γάρ (752a16) anschließende Angabe dreier Prämissen (752a16 – 18), die den ersten Argumentationsteil 752a10 – 18 rückwirkend logisch zwingender erscheinen lassen. Auch die abschließende Paralellisierung mit analogen Verhältnissen in der Flora folgt intern wiederum dem Schema zunehmender Konkretisierung: gleiche Verhältnisse im Allgemeinen – drei mögliche Punkte des Anwachsens des Ursprungs – Spezialfall der Leguminosen. Dieses als letztes angeführte empirisch gesicherte Faktum (δῆλον in 752a21) verleiht dem Passus wiederum rückwirkend einen Ausdruck von ‚Faktizität‘. Der knapp-bündige Schlusssatz 752a23 stellt durch die Wiederholung der Wortstruktur ,ἡ ἀρχή mit Genetiv-Attribut‘ einen Rückbezug auf den Einsatz des Kapitels in 752a10 und damit ein framing der gesamten Passage her.

4.2 752a24–b15: Die ,äußere‘ Entwicklung des Eis bis zur Eiablage Diese Passage setzt ein mit dem typischen ἀπορήσειε δ’ ἄν τις (752a24); die indirekt gestellte Ausgangsfrage wird durch zwei anschließende direkte Fragen eindringlich gemacht und ausführlich gerechtfertigt (752a25 – 31: γάρ, ἐπειδήπερ; hier scheint mit dem Hinweis auf die Vivi- und Larviparen wieder die globalvergleichende Methode auf; zweimal γάρ), abschließend und summarisch durch: τὸ μὲν οὖν εἰρημένον ὀρθῶς ζητεῖται. Mit dem folgenden λανθάνει δέ (752a31) leitet Aristoteles seine Lösung ein und markiert diesen Übergang von der eindringlichen und begründeten Fragestellung zu seinem Lösungsansatz durch eine deutliche μὲν οὖν–δέ-Korrespondenz.

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Der Lösungsansatz wird zunächst mit einer finalen Begründung in Form eines in typischer Weise verkürzten indirekten Beweises¹⁴ im Irrealis gegeben, sodann mit einer theoretischen Begründung auf materieller ‚Elementar‘-Ebene. Die (fälschliche) Interpretation der heute sog. Chalaza bzw. eines ihrer beiden Anteile als Nabelschnur-Analogon kommt zunächst in dem Adjektiv ὀμφαλῶδες zum Ausdruck (752b2; b6); unter der Hand wird dann aber explizit von ,Nabelschnur‘ gesprochen (752b11), um so die Ausgangsfrage zu beantworten. Die eigentliche Argumentation besteht in eben dieser Interpretation und Analogisierung, wird aber in eine rein deskriptiv gestaltete Umgebung eingebettet. Der Verweis auf das Aussehen eines Abortiveis (ἐκβόλιμον, 752b3) bleibt der einzige empirische – und vage – Anhalt (φανερόν in 752b3); die Analogisierung von Chalaza¹⁵ und Omphalos beruht allein auf einer äußerlichen Ähnlichkeit. Der Schluss dieses ersten ‚Aporien-Teils‘ knüpft mit einem Aition (εὐλόγως … γάρ, 752b11) für die Nichtsichtbarkeit der Nabelschnur beim fertigen Ei an das die Lösung des Problems einleitende λανθάνει an. Die Passage erscheint so wieder in typischer Weise abgerundet. Ein kurzer, sich sachlich gut anschließender Abschnitt (752b12– 15) greift die global-vergleichende Perspektive aus 752a25 – 28 wieder auf, unter dem Aspekt der gegensätzlichen Geburtslage bei Oviparen bzw. Viviparen. Schlagwortartig wird mit Ἡ δ’ ἔξοδος (752b12) das neue Thema angeschlossen. Zunächst wird hierzu eine allgemein-abstrakte These formuliert, die dann wieder, mit γάρ angeschlossen, konkretisiert wird. Der Passus klingt ringkompositorisch aus mit einem wörtlichen Anklang an den Beginn des Kapitels (752a10 f.) in den Begriffen προσπέφυκε und ἀρχή. Man könnte also auch den ersten Teilabschnitt von Kapitel 2 bis hierhin reichend ansetzen.

4.3 752b15 – 753a27: Die Bebrütung der Eier Die Passage setzt wiederum (vgl. o. 752b12) ein mit schlagwortartiger Voranstellung des Themas (752b15 f.), die wesentliche Aussage der Inkubation erscheint als Genetivus absolutus. Der argumentative Duktus ist weiterhin eine Mischung aus Deskription und Aitiologie. Hierbei erscheint das Handeln der personifizierten physis als Grund (γάρ, 752b19), der weiter begründet wird (ἐπεὶ γάρ, 752b20 f.; γάρ, b22); schließlich wird die handelnde Natur (752b24) in der Weise in Anspruch genommen, dass sie entgegengesetzt bestimmter fremder Ansichten handelt (τοῦτο ποιεῖ ἡ φύσις  Es fehlt wenigstens ein Äquivalent für ‚andernfalls‘; sachlich ist das Argument insofern schwach, als dass ein starker Geburtsschmerz im Tierreich durchaus vorkommt.  Die Chalaza (Hagelschnur) dient nach heutiger Auffassung der Zentrierung des Dotters innerhalb des Eis.

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ἐν τοῖς ᾠοῖς, τοὐναντίον μέντοι ἢ οἵ τε ἄνθρωποι οἴονται καὶ A ᾿ λκμαίων φησὶν ὁ Κροτωνιάτης, 752b24– 26). In typischer Weise wird die eigene Meinung kontrastiv von der Meinung anderer, insbesondere des Alkmaion von Kroton, abgehoben. Mit zweifachem γάρ (752b26; b27) werden nur tautologische Gründe für die Falschheit der fremden Ansicht angeschlossen, dann allerdings ein Grund, der das Zustandekommen des Irrtums erklärt durch Gleichheit der Farbe, 752b27 f. – dies suggeriert unausgesprochen eine gewisse Oberflächlichkeit des gegnerischen Schließens; die Ellipse des Infinitivs und des Prädikatsnomens (εἶναι γάλα) erhöht die suggestive Kraft. Entscheidend für die Entwicklung des Kükens aus dem Ei ist die Wärme. Diese liefert die Henne durch das Brüten, aber ebenso tragen eine warme Umgebung und warme klimatische Bedingungen bei (ab 753a17). Da diese unter bestimmten Umständen allein genügen und da alle (πάντα, 752b32) oviparen Vierfüßer ihre Eier auf die Erde ablegen, kommt Aristoteles zu der Schlussfolgerung, das Brüten bei oviparen Vierfüßern diene vor allem der Bewachung (752b33 – 35). Dieser Vergleich der Vögel mit den oviparen Quadrupeden wird nun fortgeführt in Hinblick auf die Eigenese: Hier liegen gleiche Verhältnisse vor (752b35– 753a5), so dass alles über die Eigenese und -ablage für die Vögel Gesagte auf die oviparen Vierfüßer übertragen werden kann. Die global-umfassende Doppelung καὶ ἐντὸς καὶ ἐκτός (753a4) korreliert auf der Stilebene mit dem summarischen Abschluss ὥστε ἡ αὐτὴ θεωρία περὶ τῆς αἰτίας ἐστὶ πάντων (753a4 f.). Dem steht aber (ἀλλά, 753a5) eine Differenz gegenüber: Der vorhin beschriebene Unterschied ‚aktive Inkubation notwendig/Ausbrüten durch Erdwärme‘ wird noch ergänzt durch den Aspekt ‚Robustheit vs. Empfindlichkeit und Pflegebedürftigkeit der Eier‘. Der Abschnitt 753a9 – 17 bindet die Dauer der Hennenfürsorge in eine die gesamte Tierwelt umfassende, wertend-hierarchisierende vierstufige Skala ein: Je φρονιμώτερα (753a11) Tiere sind, desto länger kümmern sie sich um ihre Nachkommen. Dass diese Eigenschaft etwas Natürliches ist, wird wiederum durch eine Personifikation der Natur (753a7– 9), die eine αἴσθησις ἐπιμελητική verleihen möchte, verdeutlicht; deshalb verkümmern Hennen, wenn sie sich um die von ihnen gelegten Eier nicht kümmern können, „als ob ihnen eine ihrer eingepflanzten Anlagen weggenommen würde“ (753a15 – 17): Brutpflegeverhalten ist etwas Angeborenes, das in typisch menschlichen Gefühlen der Zuneigung gipfelt (συνήθεια/φιλία, 753a12 f.). Hier wird ein empirisches Indiz wieder in der Weise als Bestätigung einer aitiologischen These angeführt, dass diese als Erklärung für das Indiz hinreicht (διόπερ καί, 753a15), als Aufweis ihrer Erklärungspotenz. Im nachgetragenen, typischerweise mit ὥσ(περ) angeschlossenen Partizipialausdruck wird das Aition noch einmal variiert und abschließend ‚auf den Punkt gebracht‘. Nun wird noch eine weitere empirische Beobachtung gebracht, nämlich dass an warmen Tagen das Ausbrüten beschleunigt ist, und vierstufig erklärt (viermal hintereinander γάρ,

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753a18 – 20). Andererseits (καὶ … δέ, 753a21) entstehen in warmem Klima aber auch eher Windeier: Große Umgebungswärme wirkt also in ambivalenter Weise auf das Ei. Mit εὐλόγως (753a22) werden hier nicht, wie oft, allgemeine Vernunftgründe angekündigt, sondern durch einen Vergleich, im weitesten Sinne aus dem Bereich der technē, wird ein allgemeines Prinzip als Begründung (γάρ, 753a23) nahegelegt, das aber vom Rezipienten zu erschließen ist, etwa: Große Wärme führt zur Aufwirbelung bislang getrennt vorliegender erdartiger Bestandteile in Flüssigkeiten. Dieser Vergleich begründet das εὐλόγως in 753a22 und ist damit ein argumentativer Vergleich, denn er ersetzt eine Begründung für den plötzlichen Schwenk (753a21), dass zu große Hitze verdirbt. Die kurze Passage schließt wieder bündig und etwas redundant ab, die das zweifache (καὶ … καί, 753a26) Erklärungspotential des Aitions bestätigt (διό, 753a26); im letzten Teilsatz wird der Beginn dieser Teilpassage in 753a21 wieder aufgenommen – als framing auf kleinstem Raum.

4.4 753a27 – 754a20: Die ,innere‘ Entwicklung des Eis: Veränderungen von Eiweiß und Eigelb, Bildung der Eihäute, Embryonalentwicklung Diese Passage ist ganz überwiegend deskriptiv und beginnt wie die vorige mit einer empirischen Beobachtung, und zwar in Bezug auf die relativ große Häufigkeit des Auftretens ‚sommerlicher Windeier‘ (οὔρια). Bei Tieren mit großem Gelege ist dies zu erwarten (εὐλόγως, 753a28), wofür der Grund mit γάρ in 753a28 angeschlossen wird, bei Greifvögeln ist es aber trotz kleinen Geleges ebenso; das Aition hierfür liegt in der sehr warmen Natur dieser Vögel, deren Wirkung auf die Eier durch einen modellhaften Vergleich aus dem Bereich der dem Rezipienten vertrauten Alltagswelt beschrieben wird: οἷον ὑπερζεῖν ποιεῖ (753a33 f.). Aristoteles schließt aber noch eine tieferliegende, elementarere Ebene der Kausalität an (γὰρ δή, 753a34). In typischer Weise schickt er abstrakt-allgemein vorweg, dass Dotter und Eiklar von gegensätzlicher Natur sind, was dann konkretisiert wird (τὸ μὲν γὰρ ὠχρόν, 753a35 ff./τὸ δὲ λευκόν, 753b7 ff.). Die gegensätzliche Natur der beiden Eibestandteile begründet schließlich die Ausbildung trennender Membranen (753b12– 14) – hier wird wieder mit διό die Erklärungspotenz der gegebenen Theorie betont und mit typischem ὡς mit Pt. das Aition variiert und knapp ‚auf den Punkt gebracht‘. Für weitere Details hierzu sowie zur Embryonalentwicklung wird mit dem typischen δεῖ θεωρεῖν auf die HA (VI 2– 3) verwiesen (753b14– 18). Die folgende Selbstreferenz auf die vorliegende Untersuchung (753b17 f.) erzeugt eine souverän wirkende Metaebene, wobei folgende methodische Aussage impliziert wird: Auch wenn eine breite Datenbasis vorliegt, ist es mitunter legitim, sich ihrer selektiv zu bedienen. Die funktionelle Interpretation gewisser embryonaler Verbindungsstrukturen als ὀμφαλοί (753b20) erfolgt dann in einem rein deskriptiven Kontext. Die zunehmende Verflüssigung des

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Dotters bei Erwärmung, die auf materialer Elementarebene bereits beschrieben wurde, wird nun auch final erklärt (δεῖ γάρ, 753b25 f.) im Rahmen einer vergleichenden (καθάπερ, 753b26) Analogisierung mit den Verhältnissen bei den Pflanzen. Dies geschieht wieder aus einer globalen, Ovipare wie Vivipare umfassenden Perspektive heraus: Bei beiden ist das Leben anfangs insofern pflanzenähnlich, als dass der Embryo ‚angewachsen‘ ist (753b28). Mit δεῖ γὰρ ὑπολαβεῖν (753b30) wird in typischer Weise ein Perspektivenwechsel eingeleitet, hier zu einer übergeordneten, funktionell-vergleichenden Perspektive. Hierzu wird eine strikte Analogie als Verhältnisgleichheit in technischer Sprache formuliert: πρὸς μὲν … οὕτως ἔχειν ὥσπερ πρὸς …, πρὸς δὲ … ὡς πρὸς … (753b31– 35). Die Auffassung des Dotters zunächst als eines ‚Teils der Mutter‘ (753b34) gleitet dann über zu einer Gleichsetzung mit der Mutter (754a3), die schließlich auf das einprägsame und erstaunliche Bild führt, die Mutter befinde sich, zusammen mit dem Embryo, im Uterus (754a7). Dieser Abschnitt schließt wiederum redundant ab in kurzen, nach dem Gesagten unzweifelhaften Sätzen (754a7– 9), mit Wiederaufnahme von 753b33 f. im letzten Teilsatz als kleines framing. Die nächste kleine Passage (754a9 – 15) knüpft über diese eindringlich-vergleichende Perspektive hinweg wieder an die beiden o. g. ὀμφαλοί an und beschreibt, in welcher Reihenfolge diese ‚kollabieren‘; ein Aition wird angegeben für die abschließend angeführte empirische Beobachtung, dass das Junge sich vor dem Schlüpfen den Restdotter einverleibt; mit διόπερ (754a14) wird wieder die Erklärungspotenz des angegebenen Aition betont. Die Passage endet in einem typischen Abschluss mit summarischer Selbstreferenz auf das gesamte Kapitel (τοῦτον … τὸν τρόπον, 754a16). Eine methodische Bemerkung zur Beschränktheit der Empirie (διάδηλα δὲ ταῦτα μᾶλλον ἐπὶ τῶν μειζόνων· ἐν γὰρ τοῖς ἐλάττοσιν ἀφανῆ διὰ μικρότητα τῶν ὄγκων ἐστίν, 754b18 – 20) bezieht sich ebenfalls auf das ganze Kapitel und wirkt wie ein Moment reflektierter Ruhe.

5 Vernetzung von Kapitel 2 interner Rückverweis: αἴτιον τὸ εἰρημένον (752b15) (‐-> III 2. 752a10 – 23) etablierte Terminologie: τὸ καλούμενον γάλα (752b23) interner Rückbezug auf kurz zuvor bereits Gesagtes: ὥσπερ εἴρηται (752b29) (‐-> III 2. 752b15 – 17) etablierte Terminologie: τὰ καλούμενα οὔρια (753a22) Rückverweis: τὸ δ’ αἴτιον εἴρηται πρότερον (753b8 f.) (‐-> II 2. 735a35 f.) Verweis auf HA: ἐκ τῶν ἐκ ταῖς ἱστορίαις γεγραμμένων (753b16 f.) (‐-> HA VI 3)

Kapitel 3. 754a21 – 755a5

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metatextlicher Rückbezug auf das gesamte Kapitel: τοῦτον γίγνεται τὸν τρόπον (754a16 f.)

Kapitel 3. 754a21 – 755a5 1 Inhalt Das 3. Kapitel geht nun, nach der Behandlung der Vögel und der oviparen Quadrupeden, die nach außen vollendete Eier ablegen, auf die mit einer Ausnahme ovoviviparen Selachier ein, die vor der Lebendgeburt intern ebenfalls ein vollendetes Ei erzeugen. Der erste Abschnitt erklärt, wie bereits angekündigt, den Ausnahmefall des sog. Froschfischs; im zweiten Teil wird die Embryonalentwicklung und in einem dritten werden abschließend Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Vergleich mit den Vögeln diskutiert.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 3 Kapitel 3 beginnt mit einem kurzen Satz, als zweitem Teil einer binary transition, der schlagwortartig zum μέγιστον γένος der Fische überleitet, das pauschal als ovipar, hier offenbar i. w. S. zu verstehen, bezeichnet wird. Durch den ersten Teil einer binary transition mit typischem metatextlichem Rückbezug auf das ganze 3. Kapitel wird es abgeschlossen erst mit dem Einsatz von Kapitel 4 (755a6 f.); hier wird noch einmal betont gegenübergestellt, dass die ovoviviparen Fische ein vollendetes, die anderen ein unvollendetes Ei ablegen, mit der bereits genannten Ausnahme.

3 Struktur von Kapitel 3 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 5: 1. Erklärung des oviparen Ausnahmefalls unter den sonst ovoviviparen Selachiern: 754a21– b1 2. Die Embryonalentwicklung der Selachier; Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber den Vögeln: 754b1– 755a5

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Der aus Beschreibung und Aitiologie gemischte Duktus des gesamten Kapitels ist gekennzeichnet durch mehr oder weniger stereotype Wendungen der Art ‚αἴτιον δ’ ὅτι‘ u. ä.

4.1 754a21 – b1: Erklärung des oviparen Ausnahmefalls unter den sonst ovoviviparen Selachiern Liest man III 2. 754a18 – 20 als empirisch-methodische Bemerkung oder Parenthese zu dem ersten Teil der binary transition (μὲν οὖν, 754a15), so lässt sich erst 754a21 als deren zweiter Teil verstehen, mit dem das neue Thema ins Auge gefasst wird. Die Wendungen τὰ … καλούμενα σελάχη (754a23) und ὃν καλοῦσι βάτραχον (754a25) binden an allgemein übliche Terminologie an. Obwohl beide Ausdrücke bereits verwendet wurden, wird einmal mehr darauf verwiesen, dass die Bezeichnung jeweils üblich ist. Mit den Fischen im Allgemeinen, mit den Selachiern im Besonderen und speziell auch mit dem Ausnahmefall des sog. Froschfisches, auf dessen Erklärung Aristoteles offenbar besonderen Wert legt, wird die erste Einteilung der oviparen Bluttiere in III 1 wieder aufgenommen (insbesondere 749a19 – 27). Dort wurde bereits auf die noch folgende aitiologische Behandlung des Froschfisches verwiesen (749a23 f.).¹⁶ Die Gruppe der unvollendete Eier legenden Fische wird angesprochen als diejenige der Fische mit tiefer Uteruslage – auch hiermit wird III 1 wieder aufgegriffen (vgl. 749a33 f.).¹⁷ Als Ursache (αἰτία δέ, 754a26) für die externale Oviparie des Froschfisches wird in 754a26– 31 dessen anatomische, nicht eine thermische, Körperkonstitution angegeben, gekennzeichnet durch den im Verhältnis übergroßen sowie stacheligen und rauhen Kopf. Aufgrund dieser ‚Widerborstigkeit‘ des Mundraums nehme der Fisch die neugeborenen Jungen nicht schützend in sich auf, und deswegen bringe er sie auch von vornherein nicht lebendig zur Welt. Diese beiden sachlich nicht ohne weiteres zusammenhängenden Aspekte werden hier durch die Dopplung οὐδ’

 Zu der aus heutiger Sicht problematischen Einordnung des Froschfisches unter die Selachier siehe bereits GA III 1. 749a22 f.; vgl. auch HA VI 10. 564b16 – 18.  Dort war (749a27 f.) auf die aitiologische Erklärung in I 8 verwiesen worden; vgl. I 8. 718b21– 27 zur Ursache für die tiefe Uteruslage bei unvollendete Eier legenden Tieren. Der Verweis ,διὰ τὴν προειρημένην αἰτίαν‘ (754a22 f.) bezieht sich allerdings, dem Wortlaut nach, zunächst auf die Ursache für das Legen unvollendeter Eier (anders Peck 1943, 296, Anm. a) und damit ebenfalls auf Kapitel I 8 (718b6 – 15). Dass die Selachier intern ein vollendetes Ei legen (749a24), wurde bereits I 10. 718b33 f. gesagt und begründet.

Kapitel 3. 754a21 – 755a5

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ὕστερον/οὐδ’ ἐξ ἀρχῆς (754a29) parallelisiert und analogisiert.¹⁸ Wie eine Kompensation des fehlenden sachlichen Zusammenhangs mit sprachlichen Mitteln wirkt der redundanterweise angeschlossene explizite Vergleich (ὥσπερ καὶ … οὕτω καί, 754a30 f.); hierbei bleibt in der Schwebe, ob sich ‚ἐξελθεῖν‘ auf ein Wiederaustreten aus der schützenden Mundhöhle des Elterntieres oder auf eine Viviparie ‚nach außen hin‘ bezieht.¹⁹ ‚ἐπεί‘ (754a31) signalisiert sonst typischerweise einen VorwärtsSchluss, hier wird dem Standardfall „das Ei der Selachier sc. i. Allg.“, der im zweiten Teil des Hauptsatzes noch einmal in leicht variierter Form erscheint, nur die eine Ausnahme gegenübergestellt. Die Emphase im Hauptsatz liegt auf μόνον, was wiederum die Bedeutung von Ausnahmen und ihrer Erklärung und Einordnung betont, verbunden mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Lückenlosigkeit. Die Ursache für die Weichschaligkeit der Selachier-Eier im allgemeinen Fall wird zunächst entsprechend der Erklärungsebene ‚ἐξ ἀνάγκης‘ als mangelndes Trockungsvermögen aufgrund der relativ kalten Natur dieser Fische, in einer Parenthese zum ἐπεί-Satz, angegeben und abschließend, in einem knappen erklärenden Zusatz (γάρ, 754b1), noch auf finaler Ebene: Aufgrund fehlender Schutzbedürftigkeit des Eis ist es wässrig und weich; die Produktion einer harten Schale geschähe überflüssigerweise, im Gegensatz zur Schutzbedürftigkeit der eben deshalb harten und festen Froschfisch-Eier (754a34 f.).²⁰ Insgesamt wird mit 754a31–b1 ein etwas redundanter Abschluss erreicht, der den Ausnahmefall ‚Froschfisch‘ noch einmal zum Standardfall der Selachier in Beziehung setzt. Der gesamte Abschnitt 754a21–b1 bringt, was ursächliche Erklärung angeht, als wesentlich Neues somit nur das Aition für die ‚vollendete‘ Oviparie des Froschfisches; für die ‚unvollendet‘ oviparen Fische wird rückverwiesen, für die Selachier wird zuvor Gesagtes ohne expliziten Verweis wieder aufgenommen und leicht variiert.

 Vgl. den zweifachen Gebrauch von οὐδέ in HA VI 10. 565b29 – 31, auch hier wurden die beiden Aspekte bereits in einen kausalen Zusammenhang gebracht (γάρ, 565b31).  Den Hintergrund für diese implizite Zuordnung ‚Ovoviviparie – temporäre Aufnahme der Neugeborenen in die Mundhöhle‘ bildet nach Peck (1943) 298, Anm. a wohl die Beobachtung, dass letzteres bei einigen Selachiern stattfindet, vgl. HA VI 10. 565b24– 26; dies präsent zu haben wird hier in III 3 offenbar vorausgesetzt – nur so erscheint der unterstellte Zusammenhang motiviert. Demnach handelte es sich um eine unzulässige Verallgemeinerung folgender Art: Bei einigen Selachiern koinzidieren Ovoviviparie und Aufnahme der Jungen in die Mundhöhle, also koinzidieren diese beiden Charakteristika grundsätzlich. In GA III 6. 756b16 – 21 greift Aristoteles selbst das ungeprüft pauschalisierende Vorgehen anderer an (λίαν ἁπλῶς καὶ ἀσκέπτως, 756b17).  Die Begründung der Weichschaligkeit der Selachier-Eier wurde bereits in ähnlicher Weise in I 10 – 11. 718b34– 719a2 gegeben, dort erschien allerdings das Kausalitätsverhältnis zwischen Weichschaligkeit und dem ,nicht nach außen hin‘ erfolgenden Ablegen der Eier umgekehrt (719a1 f., vgl. hier 754a35–b1): letzteres folgt dort ‚ἐξ ἀνάγκης‘ aus der Weichschaligkeit.

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4.2 754b1 – 755a5: Die Embryonalentwicklung der Selachier; Unterschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber den Vögeln Das Thema beginnt, methodisch in typischer Weise, aus übergreifend-vergleichender Perspektive heraus unter dem Aspekt ‚Ähnlichkeiten vs. Unterschiede‘. Dies geschieht in zwei Schritten: a) Froschfisch vs. Ovovivipare, d. s. die Selachier: bei diesen ist die genesis identisch, damit gilt das im Folgenden zu b) Gesagte auch für den Froschfisch, und daher wird a) nicht eigens verfolgt; b) Selachier vs. Vögel: hier ist die genesis ,aus dem Ei heraus‘ in einer Hinsicht gleich, in anderer unterschiedlich (τῇ μὲν … τῇ δέ, 754b3 f.). Zunächst (bis 754b35) werden die Unterschiede zu b) in klarer Gliederung aufgeführt: 1. πρῶτον μὲν γάρ (754b4): Die eine der beiden Nabelschnüre, die es bei den Vögeln gibt (vgl. zuletzt 754a10 – 12), fehlt, nämlich die zu dem unter der Eierschale liegenden Chorion führende Nabelschnur. Das angegebene Aition (754b6) ist mehr oder weniger banal: es fehlt ja die Eierschale. Dieses Fehlen wird redundanterweise und zweistufig seinerseits begründet (γάρ, 754b7 [zweimal]): Eine Schale wäre nutzlos, da der Mutterleib bereits Schutz bietet. Diese letztere Aussage nimmt 754b1 wieder auf unter Verwendung des gleichen Verbs. 2. ἔπειθα (754b9): Die genesis geht zwar ebenfalls, wie bei den Vögeln (mit γάρ 754b11 angeschlossen) von einem Pol des Eis aus, aber nicht von demjenigen, mit dem das Ei an den Uterus angewachsen ist. Aition ist, dass bei den meisten Selachiern²¹ das Ei auch als vollendetes noch an den Uterus angewachsen ist, anders als bei den Vögeln. Dieser Vorgang wird, wiederum redundanterweise, noch etwas näher ausgeführt (754b14– 17). Bei den anderen Selachiern, nämlich (γάρ, 754b19) bei denjenigen, die das vollendete Ei von der Uteruswand ablösen, verhält es sich ähnlich – gemeint ist: im Hinblick auf den Umstand, dass die genesis von dem Pol des Eis ausgeht, an dem das Ei nicht an den Uterus angewachsen war, was der Rezipient zu ergänzen hat. In typischer Eröffnung einer neuen Fragerichtung im ‚Aporienstil‘ (im Potentialis der 3. Ps. Sg., 754b20) erscheint eine relativ kurz gehaltene neue Problemfrage, die hier einmal nicht, etwa durch folgende direkte Fragen, intensiviert wird. Es ist die Frage nach dem διά τι für die besagten Unterschiede – obwohl ja bereits αἴτια jeweils für 1. und 2. gegeben wurden. Es ist also keine Aporienfrage

 Das Verständnis ist hier erleichtert, wenn der innerhalb der Gruppe der Selachier bestehende Unterschied nach II 4. 737b18 – 25 präsent gehalten wird: Bei einigen löst sich das vollendete Ei intern ab und das neue Lebewesen entwickelt sich aus dem Ei noch innerhalb des Uterus, bei anderen bleibt eine Verbindung mit dem Uterus bestehen; bei allen ovoviviparen Selachiern macht das Ei vorgeburtlich einen Ortswechsel, sc. nach unten hin, innerhalb des Uterus durch, s. III 1. 749a20 f. Zu den beiden Selachier-Gruppen vgl. auch II 4.

Kapitel 3. 754a21 – 755a5

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im Sinne eines Dilemmas,²² und sie dient eher der Überleitung als einem Ausdruck echter Diskursivität. Denn wie die Antwort zeigt, ist nur 2. gemeint, und es wird nun ein Grund auf eher materieller Ebene angegeben, der ‚nicht hindert‘ (754b24) – allein würde dieser, i. e. die Einfarbigkeit der Eier, keine hinreichende Erklärung bieten. Als die Theorie bestätigendes empirisches Faktum (δῆλον, 754b27) wird auf die Gruppe der Selachier verwiesen, bei denen sich das Ei nach Vollendung nicht von der Uteruswand ablöst. Wie der folgende Schluss zeigt, soll das angegebene Indiz das zuvor (754b26 f.) formulierte ,Porenmodell‘ stützen: Mit ‚φανερὸν οὖν‘ wird 754b31 die Folgerung angeschlossen, dass nämlich auch zuvor, d. h. im Ei-Stadium, gewisse Kanäle (πόροι) zum Uterus zogen.²³ Es folgt eine typische binary transition mit metatextlichem Rückverweis: Unterschiede bestehen wie besprochen und wie ursächlich erklärt (καὶ διὰ τὰς εἰρημένας αἰτίας, 754b35). Hier fällt auf, dass das eben Gesagte sich ja nur auf die Selachier bezieht; es ist jetzt aber allgemein von ‚den Fischen‘ die Rede, wie bereits in 754b21. Eine Ähnlichkeit besteht in Hinsicht auf sonstige Aspekte. Die in 754b3 f. zuerst angeführte Ähnlichkeit (τῇ μὲν ὁμοία) wird nun abschließend konkretisiert, wobei stilistisch eine chiastische Anordnung und ein framing zu beobachten sind: Die andere der bei den Vögeln vorliegenden beiden Nabelschnüre besitzen die Selachier (gegenüber 754b4 f.), mit unterschiedlicher Anbindung an Dotter bzw. ganzes Ei. Dies ist als formale Proportion formuliert (ἀναλογία): ὥσπερ … πρὸς … οὕτως … πρὸς … (755a2 f.). Die eingeschobene Parenthese 755a3 f. wirkt redundant, und das Kapitel schließt mit einer Ähnlichkeit (ὁμοίως, 755a5, betont am Satzende), die knapp, aber sehr anschaulich angegeben wird: Das konsumierte Rest-Ei wird vom Embryo in gleicher Weise wie bei den Vögeln ‚umwachsen‘.

5 Vernetzung von Kapitel 3 διὰ τὴν προειρημένην αἰτίαν (754a22 f.) (‐-> I 8. 718b21– 27) τὰ δὲ καλούμενα (754a23): Verweis auf etablierte Nomenklatur ὃν καλοῦσι … (754a25): Verweis auf etablierte Nomenklatur καθάπερ εἴπομεν (754b33) (‐-> HA VI 10. 565b1– 17) κατὰ ταῦτα … καὶ διὰ τὰς εἰρημένας αἰτίας (754b34 f.) (‐-> III 3. 754b1– 33)

 Es handelt sich also um die Strukturvariante III in Gelbers Einteilung (Gelber 2018, 165).  Hierzu ein metatextlicher Verweis (754b33) auf die Empirie beim glatten Hai, vgl. HA VI 565b1– 17 mit einer genauen Beschreibung der intrauterinen Verhältnisse.

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Kapitel 4. 755a6–755b1 1 Inhalt Das 4. Kapitel geht nun, nach der Behandlung der Selachier in Kapitel 3, auf die i. e. S. oviparen Fische ein. Nach einem knappen Einführungsabschnitt, der auf bereits besprochene Ursachen für den hier einmal mehr angeführten Ausnahmefall des Froschfischs und für die Produktion unvollendeter Eier verweisen kann, wird in einem längeren Abschnitt die Embryonalentwicklung ‚aus dem Ei‘ zunächst und im Allgemeinen mit der der Selachier gleichgesetzt, dann aber das für die externen Fischeier spezifische schnelle Wachstum aus kleinen Anfangsstadien ausführlich begründet.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 4 Kapitel 4 beginnt mit einer binary transition (755a6 – 9), die von den ovoviviparen zu den i. e. S. oviparen Fischen überleitet; es endet mit dem ersten Teil einer binary transition (755a36–b1), der sich auf den inhaltlichen Schwerpunkt des Kapitels, die Erklärung des rasanten Eiwachstums, zurückbezieht.

3 Struktur von Kapitel 4 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 6: 1. Überleitung von den ovoviviparen zu den oviparen Fischen: 755a6 – 11 2. Die Embryonalentwicklung der oviparen Fische; Erklärung des schnellen Eiwachstums: 755a11– b1

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 755a6 – 11: Überleitung von den ovoviviparen zu den oviparen Fischen Dieser kurze Passus ruft den übergeordneten Gliederungszusammenhang auf der Ebene des megiston genos der Fische auf und verweist für die Aitiologie des Fortpflanzungsmodus des Froschfisches, der hier wiederum als Ausnahmefall, nun allerdings unter den nach außen hin oviparen Fischen, erscheint, und der noch zu behandelnden ‚unvollendet‘ oviparen Fische explizit auf zuvor Gesagtes.

Kapitel 4. 755a6–755b1

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4.2 755a11–b1: Die Embryonalentwicklung der oviparen Fische; Erklärung des schnellen Eiwachstums Die Häufung von Ausdrücken eines Kausalverhältnisses unterstreicht den aitiologischen Anspruch dieses Abschnitts; signalwortartig wird eingangs das Thema ‚Wachstum aus dem Ei heraus‘, d. i. ab dem Eistadium, genannt, wie oben II 2. 752b15 f. u. 3. 754b1 f. Formal nach Art einer binary transition (755a21– 24), ist der Abschnitt, anders als im vorigen Kapitel, explizit unterteilt in zwei Ebenen der Kausalbetrachtung: ἐξ ἀνάγκης μέν (material-effizient) vs. χάριν δὲ τοῦ βελτίονος (final). Auf der ersten Ebene bedient sich Aristoteles eines modellbildenden Vergleichs, ohne dessen Berechtigung zu erweisen, auf beiden Ebenen des Mittels der Personifikation ‚der‘ bzw. einer bestimmten ,Natur‘. Gleich zu Beginn tritt wieder der komparative Aspekt ‚Gleichheit vs. Verschiedenheit‘ hervor, bezogen auf die soeben behandelten Selachier: Im Allgemeinen gilt Gleichheit, nur (πλήν, 755a13) das Wachstum ist schneller, es geht jeweils von einem kleineren Anfang aus, und die Hülle ist fester. Die vergleichende Perspektive weitet sich noch einmal ins Globale – auch Larven haben einen relativ kleinen Ausgangspunkt und wachsen dann autark – mit der betonten Verneinung οὐ … οὐδεμίαν (755a16 f.). Als Aition wird ein nicht bloß illustrierender, sondern das eigentliche Argument bildender Vergleich (παραπλήσιον ὅπερ ἐπὶ …, 755a17) zu dem schnellen Wachstum des Hefe- (oder Sauer‐)Teigs gezogen; in Form eines doppelgliedrigen Genetivus absolutus wird eine aitiologische Erklärung des Teigwachstums auf materialer Elementarebene (vgl. I 1. 715a9 – 11) gegeben (755a18 f.), die dann auf das Eiwachstum übertragen wird durch eine Parallelisierung der personifizierten ,Natur‘ der Lebenswärme und der Wärme des mit dem Hefeteig vermischten Saftes als wirkende Agentien (δημιουργεῖ, 755a19 f., gibt die Wirkursache an). Die in III 1. 749a26 etwas kryptisch anmutende Andeutung einer identischen Ursache für externes und internes Eiwachstum scheint hier (755a19 f.) angegeben zu sein. Aristoteles scheint sie in III 1 bereits vor Augen zu haben. Im Nachhinein wird diese Erklärung ausdrücklich als eine material-effiziente klassifiziert (ἐξ ἀνάγκης μέν, 755a22). Die parenthetische Begründung (γάρ, 755a23) ist zirkulär (ζυμῶδες!). Eine finale Ursache (χάριν δὲ τοῦ βελτίονος, 755a23 f.) wird angeschlossen, die im Wesentlichen das in I 8. 718b8 – 15 Gesagte expliziert und insofern auch redundant ist, worauf bereits verwiesen wurde (755a10 f.). Sie ist aber differenzierter, indem sie Kleinheit (μικρὰ μέν, 755a27) des Ausgangsstadiums und Schnelligkeit des Wachstums separat begründet (Finalursache in Form eines Finalsatzes, 755a28 f.); quasi als Nebenprodukt fällt eine finale Begründung der hohen Fertilität der oviparen Fische ab, mit hoher empirischer Evidenz: ἐπεὶ καὶ νῦν, 755a29 f. Besonders anschaulich hierbei ist die Personifizierung der gegen den Untergang ankämpfenden Natur (755a31 f.) in einem kurzen, prägnanten Satz – im Hintergrund steht das Axiom

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‚Sein ist besser als Nicht-Sein‘ (GA II 1. 731b28 – 30; vgl. GC II 10. 336b27– 29). Das Kapitel endet mit der sogenannten βελόνη (755a33) als einem Extremfall von Fertilität ,der Größe nach‘ – hierbei stehen wieder μέγεθος und πλῆθος als termini technici für kontinuierliche bzw. diskrete Quantität einander gegenüber.²⁴ Wiederum in einem prägnanten, chiastisch gebauten Schlusssatz mit kontrastiv aneinanderstoßenden Verbformen, die zugleich auch mathematische termini technici sind (ἀφελοῦσα προσέθηκε, 755a35), im Zentrum, tauscht die handelnde Natur die eine Form der Quantität gegen die andere ein (755a34 f.). Dieser Schluss ist zugleich letztes Glied einer dreistufigen Begründungskette (διὰ τό mit Inf.; γάρ; γάρ). Der erste Teil einer binary transition zu Kapitel 5 (755a36–b1) ist typisch metatextlich-selbstreferentiell und unterstreicht den doppelten, deskriptiven wie aitiologischen Anspruch des Gesagten (ὅτι/δι’ ἣν αἰτίαν, 755a36).

5 Vernetzung von Kapitel 4 Rückbezug auf c. 3: τούτου ἔχει τὸν τρόπον (755a7) Rückverweis auf III 3. 754a26 – 31: τὸ αἴτιον εἴρηται πρότερον (755a9 f.) Rückverweis auf I 8. 718b8 – 15: εἴρηται … τὸ αἴτιον (755a10 f.) Einbeziehung üblicher Terminologie: ἡ καλουμένη βελόνη (755a33) Rückbezug auf das Kapitel: Ὅτι μὲν οὖν … καὶ δι’ ἣν αἰτίαν … εἴρηται (755a36–b1)

Kapitel 5. 755b1 – 756b12 1 Inhalt Dieses Kapitel stützt und verteidigt die These der im Regelfall zweigeschlechtlichen Fortpflanzung oviparer Fische, die so vonstatten geht, dass die männlichen Fische ihren Samen auf die von den Weibchen abgelegten Eier verteilen. Aristoteles geht entschieden gegen zwei eingefahrene, hiervon abweichende Meinungen vor: zunächst gegen die Ansicht, dass es bei oviparen Fischen keine Geschlechtertrennung gebe, sondern nur Weibchen existierten (755b7 ff.), zweitens gegen die auch von Herodot vertretene Meinung, die weiblichen Fische nähmen den Samen des Männchens durch das Maul auf (756a5 ff.).

 Vgl. Metaph. Ε 2. 1027a7– 12. Diese grundlegende Unterscheidung mag Aristoteles sogar den Anlass zu dem Anschluss dieses konkreten Extrembeispiels anderer Art gegeben haben.

Kapitel 5. 755b1 – 756b12

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Sprache und Stil sind ‚dialektisch‘, aber die Argumente stammen nicht aus dem logisch-theoretischen Bereich, sondern vorwiegend aus der Empirie, die immer wieder gegen das, was andere sagen, ins Feld geführt wird.²⁵

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 5 Kapitel 5 beginnt mit dem zweiten Teil einer binary transition (755b1– 3), die zu einem Indiz für die bisher als unzweifelhaft dargestellte Oviparie der i. e. S. oviparen Fische überleitet. Die folgende Diskussion abweichender Ansichten schließt am Ende des Kapitels etwas abrupt mit einer verknappt-markanten, rhetorisch gemeinten direkten Frage (756b12), die die Absurdität der gegnerischen Theorie für sich sprechen und nachklingen lässt.

3 Struktur von Kapitel 5 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 7: 1. Ein Indiz für die Oviparie i. e. S.; These von der Notwendigkeit der externen Befruchtung bei zweigeschlechtlichen oviparen Fischen: 755b1– 6 2. Die fremde These von der Eingeschlechtlichkeit aller nicht-selachischen Fische: 755b7– 756a5 3. Die fremde These von der Befruchtung durch Verschlucken: 756a5 – 30

 Hierzu eine kleine Sprachstatistik: Empiriebezug: σημεῖον (755b2), δῆλον (755b3), ὡσαύτως … διάκεινται (755b13), φαίνεται + Pt. (755b15), ἐν ἅπασιν … αὕτη ἐστὶν ἡ διαφορά (755b20 f.), τὸ συμβαῖνον (755b23), φασί (755b24), λέγοντες ὀρθῶς (755b24), ἐπί + Gen. (755b32 f., b33, 756a18), ὁρᾶται + Pt. (755b34), φανερόν (755b35), μὴ δήλας εἶναι (756a3), συμβαίνει (756a13, a15, a18), συμβῆναι (756a22), πολλοὺς λανθάνειν (756a32), οὐθεὶς … οὐθὲν τηρεῖ … τοῦ γνῶναι χάριν (756a33), ὠμμένος (756a34), οὐχ ὁρῶντες (756b4). Ausdrücke des Sagens, Meinens: Εἰσὶ δέ τινες οἵ φασι (755b7), οὐκ ὀρθῶς λέγοντες (755b8), οἴονται (755b8), νομιζομένων (755b9), ὑπολαμβάνουσιν (755b23), λέγουσι (756a2), οἴεσθαι (756a5), λέγοντες (756a6), λέγουσιν οὕτως (756a7), λέγουσι (756b5 f.). Sprache der Topik/Dialektik: οὐκ ἀμφισβητοῦσιν (755b12), ἔδει δ’ … εἴπερ ἦν … νῦν δέ (755b16 – 22), ἀπορία (755b22), εὔλυτος (755b23), τοῦτο οὐχὶ συνεωράκεσαν (755b27), ἄτοπον (755b36), αἴτιον … τῆς ἀγνοίας (756a2), οὐ κατανενοηκότες ἔνια (756a7), κατὰ λόγον (756a15) [wie εὐλόγως], ἀπάτη (756a31), τὸν εὐήθη … λόγον καὶ τεθρυλημένον (756b5 f.), οὐ συνορῶντες (756b8), ἀδύνατον (756b8).

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4. Gründe für das Zustandekommen dieser zweiten verfehlten Meinung: 756a30–b12

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 755b1 – 6: Ein Indiz für die Oviparie i. e. S.; These von der Notwendigkeit der externen Befruchtung bei zweigeschlechtlichen oviparen Fischen Das Kapitel beginnt mit einem Indiz (σημεῖον, 755b2) dafür, dass die zuletzt besprochenen (οὗτοι, 755b1) Fische tatsächlich ovipar sind. Der Kern des Arguments ist allerdings nicht empirischen, sondern axiomatischen Charakters mit der Forderung, dass der Fortpflanzungsmodus (ovipar i. w. S.) über das gesamte μέγιστον γένος der Fische hinweg einheitlich sei (755b3 f.). Die notwendige Bedingung (οὐθὲν … ἐὰν μή, 755b4/b6; vgl. 756a29 f.: ἄνευ … οὐ … οὐθέν) für die Reifung der Eier ist die Besamung durch männliche Tiere – jedenfalls, wie es mit der typisch aristotelischen Kautele heißt, bei zweigeschlechtlichen, kopulierenden Arten (ὅσων ἐστί, 755b5 f.). Diese Vorbemerkung wirkt zunächst wie eine zusätzlich nachgelieferte empirische Bestätigung für die formulierte Theorie der Fischfortpflanzung (Oviparie, Zweigeschlechtlichkeit²⁶), sie bildet aber die Überleitung zur Darstellung und Widerlegung zweier gegnerischer Ansichten – die hier, anders als i. d. R. sonst, nicht der eigenen Position als Negativkontrast vorangestellt werden.

4.2 755b7 – 756a5: Die fremde These von der Eingeschlechtlichkeit aller nicht-selachischen Fische Die erste, sogleich als unrichtig (οὐκ ὀρθῶς, 755b8) disqualifizierte Ansicht lautet: Alle Fische, abgesehen von den Selachiern, sind weiblich. Zunächst erklärt Aristoteles das so durchaus nachvollziehbare Zustandekommen der falschen Meinung durch Analogie zur Flora: wie (ὥσπερ/ὁμοίως, 755b9/b11) bei bestimmten Pflanzenarten gebe es nur weibliche Exemplare, die fruchtbar oder steril sein können. Dies machen die anonymen Vertreter dieser Ansicht allerdings nicht für die Selachier geltend (οὐκ ἀμφισβητοῦσιν, 755b12). Die Partikel καίτοι (755b13) leitet die Gegenargumentation ein: 1. a) Samengänge gibt es sowohl bei den Selachiern als auch bei den anderen Fischen; b) empirisch belegt (φαίνεται mit Pt.,

 Vgl. oben III 1. 749a15 f. die Fortpflanzung durch Kopulation, mit Übertragung von Sperma in das Weibchen (vgl. I 2. 716a13 – 15), als erste gemeinsame Eigenschaft aller Oviparen. Dies passt nicht auf die i. e. S. oviparen Fische, daher ist ὅλως (749a16) eher als einschränkender Vorbehalt zu lesen (‚im ganzen gesehen‘).

Kapitel 5. 755b1 – 756b12

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755b15) ist bei beiden Gruppen auch das Abgehen von Sperma. Das 2. Gegenargument tritt in Form eines indirekten Beweises im Irrealis auf (755b15 – 22); hierbei wird die hypothetische Annahme der gegnerischen These zunächst unterdrückt, dann aber nachgeliefert (εἴπερ ἦν, 755b19). Unter dieser Annahme müssten (ἔδει, 755b16) alle Fische, da nach Voraussetzung weiblich, einen Uterus haben, und zwar in verschiedener, sc. fertiler bzw. steriler Ausprägung. Mit typischem νῦν δέ (755b20) wird der Widerspruch zur Empirie hergestellt, mit vollständiger Berücksichtigung der Ausnahmen (ἔξω δυοῖν, 755b20 f.). Nun wird 3. das Zustandekommen der irrigen Ansicht nochmals und ausführlicher erklärt und die damit verbundene Aporie aufgelöst (755b22– 32), beginnend mit der These, dass das Ausgangsproblem, das zur falschen Ansicht führen kann, sich auflösen (εὔλυτος, 755b23) lasse, wenn man ,auf die Fakten höre‘ (τὸ συμβαῖνον ἀκούσασιν, 755b23). Die durchaus zutreffende (ὀρθῶς, 755b24) gegnerische Ausgangsbeobachtung und -these ist, dass keine sich paarende Art jeweils eine solche Vielzahl an Nachkommen hervorbringt. Die unausgesprochene Schlussweise der Gegner aber ist: Die nicht-selachischen Fische tun gerade dies, also sind sie nicht-paarend, d. h. nicht zweigeschlechtlich. Aristoteles löst die Aporie auf, indem er über die mangelhafte gegnerische Einsicht (ἀλλὰ τοῦτο οὐχὶ συνεωράκεσαν, 755b27)²⁷ in die Verschiedenartigkeit der Eier bei Vögeln (und oviparen Vierfüßern) vs. bei oviparen Fischen aufklärt, und er wiederholt noch einmal, redundanterweise, die entsprechende Differenz von vollkommenen und unvollkommenen Eiern (755b30 – 32). Eingeleitet durch ἔτι (755b32– 36) erscheint 4. ein neues Parallelargument als (implizites) argumentum a minore: Weiter unten in der aristotelischen Hierarchie stehende Gattungen, nämlich Kephalopoden und Crustacea, sind empirisch offensichtlich (ὁρᾶται, 755b34; φανερόν, 755b35) zweigeschlechtlich, also erst recht die Fische. Dieser Schluss wird gar nicht mehr ausgesprochen. 5. greift Aristoteles (755b36 – 756a2), mit δὲ καί (755b36) einsetzend, implizit auf die 755b12 angesprochene Uneinheitlichkeit der gegnerischen Position als ein ἄτοπον (755b36) zurück und nimmt für seine Position einmal mehr das Prinzip der Gattungseinheitlichkeit in Anspruch (vgl. o. 755b3 f.). 6. wird 756a2– 5 noch einmal das Zustandekommen der gegnerischen Auffassung summarisch erklärt (αἴτιον δέ, 756a2). Dabei werden als Ursachen für die gegnerische Ignoranz angeführt: Es liegen zwar mannigfaltige, aber empirisch nicht unmittelbar zugängliche Unterschiede vor. Die Gegner hingegen stellen unzulässige Verallgemeinerungen von nur wenigen Einzelfällen aus an. Diese Kritik wird sprachlich unterstützt durch eine chiastische Wortstellung, mit den prägnanten Gegensätzen betont in Außenstellung. Die insgesamt drei Rekonstruktionsversuche des Zustandekommens

 Vgl. Top. VIII 14. 163a36 ff.; der Ausdruck leitet hier die Antwort des Dialogpartners ein.

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Buch III

der gegnerischen Ansicht machen diese, bei aller explizit negativen Wertung, bis zu einem gewissen Grade verständlich und integrieren so das gegnerische Denken in differenzierter Weise, statt es nur auszugrenzen. Gleichzeitig wird damit die eigene Theoriefähigkeit betont, da es sogar gelingt, die Gründe für die falschen Erklärungen der Gegner anzugeben.

4.3 756a5 – 30: Die fremde These von der Befruchtung durch Verschlucken Ignoranz zusammen mit unzulässiger Verallgemeinerung ist auch (διὸ καί, 756a5) die Ursache für die zweite, offenbar zur ersten inkompatible, gegnerische Ansicht: Die Befruchtung bei oviparen Fischen findet statt, indem die Weibchen Sperma verschlucken. Das Motiv der gegnerischen Ignoranz wird fortgeführt durch den Partizipialausdruck οὐ κατανενοηκότες ἔνια (756a7), der eingerahmt ist durch das Polyptoton οἱ λέγοντες … λέγουσιν οὕτως, was den Zusammenhang von gegnerischer Theoriebildung und Ignoranz unterstreicht. Der nicht zur Kenntnis genommene empirische Befund²⁸ besteht in der feinen zeitlichen Abstimmung von Milch- und Laichbildung wie -abgabe; dieser Zusammenhang wird sprachlich verstärkend dargestellt durch die Wendung ὑπὸ τὸν αὐτὸν … καιρὸν οἵ τ’ … καὶ αἱ … (756a8), die quantitative Korrelation ὅσῳ mit Komparativ/τότε mit Komparativ (756a9 f.) und einen Vergleich (ὥσπερ/οὕτω, 756a11 f.) sowie schließlich durch die negative Entsprechung οὔτε … οὔτε (756a13 f.). Mit der Wendung καὶ ταῦτα πάντα συμβαίνει κατὰ λόγον (756a14 f.) tritt Aristoteles nun gleichsam einen Schritt zurück, indem er in der üblichen Weise die Herstellung von ,vernunftgemäßer‘ Kohärenz ankündigt: Wie bei den Vögeln gibt es auch bei den Fischen (ὥσπερ/τοῦτ’ αὐτό, 756a15/a17) Eier ohne Keimling, aber in geringerem Ausmaß. Diese bleiben bei beiden Gattungen infertil, wenn sie nicht im Nachhinein noch durch männliches Sperma befruchtet werden, sofern – so die typische Kautel – die Gattungen getrenntgeschlechtlich sind. Damit ist implizit erwiesen, dass das Auftreten von infertilen Eiern nicht bereits für eine ungeschlechtliche Fortpflanzung spricht. Diese Verbindung zur Hauptzielrichtung der Argumentation muss zunächst der Rezipient leisten, sie wird aber nachträglich auch ab 756a27 deutlich. Etwas redundant wird 756a20 – 27 noch der Unterschied ,innere vs. äußere Befruchtung‘ erklärt. Die Schlussfolgerung (ὥστε, 756a27) bezieht sich mindestens auf die Punkte ab 756a8, wenn nicht auch auf die Argumente gegen Ansicht 1, die zuvor geäußert wurden, und negiert die Ansicht 1, mit typischer Kautel (εἰ μὴ ἔν τινι γένει,

 Dies ist ein Befund, der der Sache nach, obwohl mit γάρ (756a8) angeschlossen, noch eher gegen Ansicht 1 gerichtet ist, wohingegen Ansicht 2 erst wieder 756b3 – 12 aufgegriffen wird.

Kapitel 5. 755b1 – 756b12

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756a28 f.) und typischer Formulierung einer notwendigen Bedingung (ἄνευ … οὐ, 756a29 f.), nämlich der Beteiligung männlichen Spermas (vgl. o. 755b6).

4.4 756a30–b12: Gründe für das Zustandekommen dieser zweiten verfehlten Meinung In einer letzten Passage des 5. Kapitels wird einerseits der geläufige Irrtum wiederum verständlich gemacht, andererseits die zugrundeliegende Erkenntnishaltung überdeutlich desavouiert: Zu der Täuschung (ἀπάτη, 756a31) trägt auch bei, dass die Paarung vielen, insbes. auch Fischern, verborgen bleibt aufgrund ihrer Schnelligkeit. Grund für diese mangelnde Genauigkeit in der Beobachtung und für die resultierende Ignoranz wiederum aber ist eine Grundhaltung ‚nicht um der Erkenntnis willen‘ (756a33, mit doppelter Negation).²⁹ Dennoch (ἀλλ’ ὅμως, 756a33 f., in starker Gegenüberstellung) ist die Kopulation (sc. bei oviparen Fischen) zu beobachten. Als Beleg (γάρ, 756a34) wird der Modus der Kopulation konkret beschrieben: Die Fische legen sich nebeneinander, wie es die Delphine tun, nur kommen sie schneller als die Delphine zur Ejakulation des Spermas. Die konkrete Genauigkeit der Beschreibung bürgt hier gleichsam für die Faktizität der Kopulation bei den oviparen Fischen. Das Übersehen der Ejakulation (ταύτην, 756b4) bei oviparen Fischen, andererseits aber das positive Wahrnehmen der oralen Aufnahme von Milch und Eiern lässt sogar professionelle Fischer der Tendenz anheimfallen, einmal von einer Autorität wie Herodot in die Welt gesetzte und dann oft wiederholte Argumentationen naiv zu übernehmen (τὸν εὐήθη λέγουσι λόγον καὶ τεθρυλημένον, 756b5 f.: figura etymologica), unter Versagen der eigenen Kritikfähigkeit: οὐ συνορῶντες ὅτι τοῦτ’ ἔστιν ἀδύνατον (756b8): Verdauungs- und Sexualtrakt sind getrennt, und man kann sehen (φαίνονται, 756b11), dass der Uterus (bei oviparen Fischen) voller Eier ist. Die kurze direkte Frage, die sich die naiven Vertreter der ‚Schluck-Theorie‘ selbst hätten stellen sollen, beschließt das Kapitel.

5 Vernetzung von Kapitel 5 fremde anonyme Meinung: Εἰσὶ δέ τινες οἵ φασι (755b7) weitere fremde anonyme Ansicht: καὶ οἱ λέγοντες (756a5 f.) innerhalb einer bestimmten Berufsgruppe geläufige Ansicht: πολλοὺς … τῶν ἁλιέων (756a32)

 Vgl. Leunissen (2022).

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namhafter Vertreter derselben naiv-fälschlichen Ansicht: Ἡρόδοτος ὁ μυθολόγος (756b6 f.)

Kapitel 6. 756b13 – 757a13 1 Inhalt In Kapitel 6 geht Aristoteles in chiastischer Themenanordnung, über die Behandlung der Fische zurückgreifend, auf vergleichbare Irrtümer bezüglich der Fortpflanzung bei den Vögeln ein, im zweiten Teil des Kapitels aber auch, nun über das 3. Kapitel hinaus auf die Viviparen zurückgreifend, auf diesbezügliche verfehlte Ansichten. Sprache und Stil sind wie im vorigen Kapitel ‚dialektisch³⁰; die Argumentation besteht wiederum aus dem Nachweis unzureichender Beobachtung und unzulässiger Schlussfolgerung.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 6 Kapitel 6 beginnt, der Form nach, mit dem zweiten Teil einer binary transition (756b13), zu der es aber keinen ersten Teil gibt. Betont am Satzanfang steht allerdings ein impliziter metatextlicher Rückbezug auf die zweite der soeben diskutierten irrigen Ansichten zu den oviparen Fischen (ὁμοίως δέ, 756b13). Die dialektische Diskussion irriger Ansichten in diesem und dem vorigen Kapitel wird mit dem ersten Teil einer binary transition (757a12 f.) beschlossen, mit typischem metatextlichem Rückbezug.

3 Struktur von Kapitel 6 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern:

 Hierzu wieder eine kleine Sprachstatistik: – stark wertende Ausdrücke aus der Sprache der Dialektik: λίαν ἁπλῶς καὶ ἀσκέπτως (756b17 f.); ἐκ συλλογισμοῦ διαψευδόμενοι (756b18 f.) – der Fehler der Gegner: τὸ … μὴ συλλογίζεσθαι (756b27); ἄτοπον (756b29) wie in Kapitel 5; φήμη (756b24); δόξα (757a2 u. 757a12); Εὐηθικῶς … καὶ λίαν διεψευσμένοι (757a2 f.); ἐκ παρόδου θεωροῦσι (757a11 f.) – dagegen die Empiriebezüge: δῆλον … ἐπί (756b21 f.), φαίνεσθαι (756b24), ὦπταί γ’ ἤδη (756b26), φαίνεται (756b30), ὦπται (757a7).

Kapitel 6. 756b13 – 757a13

§7 [Forts.]:

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1. Die fremde These von einer oralen Kopulation bei den Vögeln: 756b13 – 757a2 2. Fremde Thesen vom Hermaphroditismus des trochos bzw. der Hyäne: 757a2– 13

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 756b13 – 757a2: Die fremde These von einer oralen Kopulation bei den Vögeln Die gegnerische Ansicht 2 wird von manchen (τινές, 756b14) in gleicher Weise auch auf bestimmte Vögel bezogen. Ähnlich wie im vorigen Kapitel wird auch diese Anschauung einerseits in ihrem Zustandekommen verständlich gemacht, andererseits aber auch stark wertend auf eine unkritische Haltung zurückgeführt. Dabei bezieht Aristoteles sich explizit auf Anaxagoras und andere Naturphilosophen: Allzu pauschal (λίαν ἁπλῶς, 756b17) und unreflektiert (ἀσκέπτως, 756b17) kommen sie zu ihren Behauptungen (λέγουσι … λέγοντες, 756b17 f.), indem sie einfach von den leicht beobachtbaren Häufigkeiten (ὀλιγάκις/πολλάκις, 756b19 – 21) aus unzulässig extrapolierend weiterschließen (ἐκ συλλογισμοῦ διαψευδόμενοι, 756b18 f.). Der Fall der Tauben zeigt die Abhängigkeit dieser Ansicht von oberflächlicher Empirie. Die Wertung wird dann noch gesteigert: Sich nicht zu fragen, wie das Sperma, durch den Schnabel aufgenommen, in den bei all diesen Tieren vorhandenen Uterus gelangt, ist schon seltsam (ἄτοπον, 756b29). Diese urbane Formulierung disqualifiziert den gegnerischen Denkstil tief, indem sie dem Rezipienten nahelegt, sich zu fragen, wie weit diese Leute wohl überhaupt denken, wenn sie sich nicht einmal eine derart auf der Hand liegende Frage stellen. Eine analog beim Wiesel unterlassene Frage wird direkt und eindringlich gestellt (756b32 f.), mit anschließendem Vorverweis 756b34/757a1. Die Passage wird beschlossen mit dem Hinweis darauf, dass das Wiesel seine Jungen oft im Maul herumträgt: so ist die falsche Ansicht entstanden. Dies wirkt implizit geradezu lächerlich.

4.2 757a2 – 13: Fremde Thesen vom Hermaphroditismus des trochos bzw. der Hyäne Mit dem Übergang zum Wiesel wurde bereits das Thema ‚Fortpflanzung der Vögel und der Fische‘ verlassen, die dialektisch-polemische Tendenz scheint sich zu verselbständigen, und dies scheint Aristoteles am Ende selbst so zu empfinden: ἅλις τὰ εἰρημένα (757a13). Es folgt in diesem zweiten Passus eine Attacke gegen

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Buch III

falsche Ansichten über den trochos bzw. die Hyäne, die wiederum auf Naivität und allzu großen Irrtum zurückgehen (Εὐηθικῶς … καὶ λίαν διεψευσμένοι, 757a2 f.), obwohl an Gelegenheit zu genauer Beobachtung mancherorten kein Mangel bestehe (757a7 f.). Auch hier wird in gewisser Weise die Entstehung der falschen Meinung (ταύτην ἐποίησε τὴν δόξαν, 757a12)³¹ verständlich gemacht: Auch die männlichen Hyänen haben unterhalb des Schwanzes eine Linie, die dem weiblichen Genital ähnelt. Aber Aristoteles’ Vorwurf besteht darin, dass eine nur „nebenbei“ angestellte Beobachtung (ἐκ παρόδου θεωροῦσι, 757a11 f.) zu dieser Meinung geführt habe. Es kommt also nicht nur darauf an, überhaupt Beobachtungen anzustellen, sondern dies in einem bestimmten Modus zu tun.³²

5 Vernetzung von Kapitel 6 fremde anonyme Meinung: εἰσὶ γάρ τινες οἳ λέγουσι (756b14) namhafter Vertreter derselben fälschlichen Ansicht, als Teil einer bestimmten Gruppe: καὶ ᾿Aναξαγόρας καὶ τῶν ἄλλων τινὲς φυσικῶν (756b16 f.) Vorverweis: περὶ ὧν ὕστερον ἐροῦμεν (756b34– 757a1) (‐-> IV 4. 771a17–b18) weitere fremde anonyme Ansicht: οἱ περὶ … λέγοντες (757a3) namhafter Vertreter dieser Ansicht: Ἡρόδωρος ὁ Ἡρακλεώτης (757a4 f.) metatextlicher Rückbezug: περὶ μὲν τούτων ἅλις τὰ εἰρημένα (757a12 f.) (‐->757a2 – 12)

Kapitel 7. 757a14 – 757b30 1 Inhalt Dieses nun wieder aitiologische, im zweiten Teil auch Deskription und Aitiologie verbindende Kapitel kehrt zunächst zu den Fischen zurück, vergleicht dann aber die Fortpflanzung von Fischen und Vögeln. Im typischen Stil problematisiert wird eingangs die Frage nach der Ursache für die phänomenale Differenz innerhalb der Gattung der Fische: Warum sieht man Selachier weder ablaichen noch ‚abmilchen‘, andere Fische aber schon? Dies erscheint zunächst etwas merkwürdig, da die Selachier ja bereits als ‚nach außen hin‘ vivipar bekannt sind. Offenbar soll diese gattungsinterne Differenz hier noch einmal aus einer anderen, unvorein-

 Vgl. oben ταύτην πεποίηκε τὴν δόξαν (757a2) zum Abschluss des ersten Abschnitts.  Vgl. hierzu oben, S. 297.

Kapitel 7. 757a14 – 757b30

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genommen-phänomenologischen Warte erklärt werden. Dieser erste Abschnitt mündet in eine globale, auch die Larviparen mit umfassende Vergleichsskala, mit redundanter Wiederholung des Unterschieds zwischen vollendeter und unvollendeter Eiablage. In einem zweiten Abschnitt behandelt Aristoteles die Unterschiedlichkeit der Fortpflanzung bei Vögeln und bei Fischen unter dem besonderen Aspekt der Zeitspanne, innerhalb derer Eier, insbesondere die Windeier bei den Vögeln, befruchtet werden können; dieser Teil mündet in einen Vergleich mit den Pflanzen als Trägern eines rein vegetativen Seelenvermögens, der wiederum auf einen differenzierten Begriff der Vollendet- bzw. Unvollendetheit des Eis führt.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 7 Kapitel 7 beginnt, mit dem zweiten Teil einer binary transition (757a14), im typischen Aporienstil mit einer eindringlich formulierten Problemfrage. Es endet in einem bündig abrundenden knappen Begründungssatz; den Übergang zu einem neuen Thema leistet dann der Eingangssatz von Kapitel 8, ähnlich wie eingangs Kapitel 6 (Ὁμοίως δέ, 756b13) mit implizitem vergleichenden Rückbezug auf das vorige Kapitel nur in den ersten Worten (Τὸν αὐτὸν δὲ τρόπον, 757b31).

3 Struktur von Kapitel 7 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 8: 1. Aitiologie der Differenz ‚ovovivipar–ovipar‘ bei den Fischen: 757a14– b1 2. Die Befruchtungsspanne von Windeiern: 757b1– 30

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 757a14–b1: Aitiologie der Differenz ‚ovovivipar―ovipar‘ bei den Fischen Die Antwort des aus unabhängiger Warte eindringlich gestellten Eingangsproblems (ἀπορήσειεν ἄν τις διὰ τίνα ποτὲ αἰτίαν, 757a14 f.) wird sogleich gegeben (αἴτιον δ’ ὅτι, 757a18): Selachier haben wenig Sperma, und zweitens (ἔτι, 757a19) liegt der Uterus bei ihnen in der Zwerchfellregion. Vergleichend wird, eingeleitet durch ein doppeltes Polyptoton (757a20 f.), die aufeinander abgestimmte Reichlichkeit von Laich und Sperma bei den oviparen Fischen in leicht redundanter Weise dargestellt. Für den hohen Aufwand an Sperma, der das weitere Wachstum

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Buch III

der Eier garantieren soll, nimmt Aristoteles wiederum die personifizierte, intentional handelnde Natur (757a25 – 27) in Anspruch. Nach einem expliziten doppelten Rückverweis (757a27 f.) auf die Zuordnungen ‚Vögel – innere Vollendung der Eier‘ bzw. ,Fische – äußere Vollendung der Eier‘ nimmt er den Vergleich mit den Larviparen wieder auf (s. o. III 4. 755a14 ff.) und ordnet die oviparen Fische in eine wertende Hierarchie, mit den Larviparen auf unterer Stufe (ἔτι … ἀτελέστερον, 757a30), ein. Der Abschnitt schließt wiederum mit einer Gemeinsamkeit zwischen Vögeln und oviparen Fischen: Die Vollendung der Eier geschieht durch männliche Einwirkung, zwar innerlich bzw. äußerlich, es läuft aber doch auf dasselbe hinaus (συμβαίνει γε ἐπ’ ἀμφοτέρων ταὐτόν, 757a35 f.). Mit dieser knappen, eine harmonische Einheitlichkeit herstellenden Aussage wird wieder ein bündiger Abschluss erreicht.

4.2 757b1 – 30: Die Befruchtungsspanne von Windeiern Diese Passage setzt ein mit relativ genauen Beobachtungen, wohl v. a. bei den Hühnern: a) Windeier werden fertil, vom Rezipienten zu supplementieren ist: wenn sie durch einen Hahn befruchtet werden; b) wird ein bereits befruchtetes Ei durch einen anderen Hahn nochmals befruchtet, bestimmt dieser letztere die Natur des Embryos; c) ein und derselbe Hahn (nur angedeutet durch ‚οἰκεία‘, 757b3) kann ein von ihm befruchtetes Ei, nach Wachstumsstillstand, durch erneute Befruchtung wieder zu schnellerem Wachsen bringen. Diese drei Fälle³³ sind allerdings (οὐ μέντοι … ἀλλ’ …, 757b5 f.) nur in einem bestimmten Zeitfenster möglich, nämlich solange sich das Weiße des Eis noch nicht abgrenzt. Bei den Fischen dagegen gibt es kein solch begrenztes Zeitfenster, Ursache ist die fehlende Zweifarbigkeit des Eis (αἴτιον δ’ ὅτι, 757b9).³⁴ In der Wendung τοῦτο δὲ συμβέβηκεν εὐλόγως (757b11) kündigt Aristoteles in typischer Weise (vgl. zuletzt 756a14 f.) eine nachträgliche Harmonisierung mit Vernunftgründen an: Sobald Eiklar und Dotter sich ausdifferenzieren, hat das Ei bereits das Prinzip des Männchens, womit Aristoteles ausdrücken möchte, dass es dann nicht mehr modifiziert werden kann. Ein neuer, globaler Blickwinkel wird

 Die einschränkende Bedingung 757b5 – 7 muss wohl auf alle drei Fälle, die durch τε … καὶ … καί verbunden sind, bezogen werden, so dass keine starke Interpunktion in b3 gesetzt werden sollte.  Diese Ursachenzuschreibung mutet allzu trivial an, da bei fehlender Zweifarbigkeit die angegebene Bedingung gar nicht formuliert werden kann – es könnte ja eine andersartige zeitliche Beschränkung geben. Der dieses Argument beschließende Satz behauptet streng genommen auch nur, dass es kein derartiges Limit gibt wie bei den Vögeln (757b10 f.). Im Kontext wirkt die Aussage aber in einem schlechthinnigen Sinn.

Kapitel 7. 757a14 – 757b30

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mit μὲν οὖν (757b14) markiert: Windeier entwickeln sich, soweit es ihnen möglich ist, was bedeutet, dass sie nicht bis zu dem Stadium eines Lebewesens mit Sinneswahrnehmung gelangen. Die nährende Potenz (ἡ θρεπτικὴ δύναμις τῆς ψυχῆς, 757b16 f.) ist dagegen ubiquitär unter allen Lebewesen.³⁵ Daher ist ein solches Ei als Pflanzenkeimling vollendet, als der eines Tieres nicht (vgl. die kurz-prägnante Opposition ὡς μὲν … ὡς δέ, 757b19). Ein letzter Vergleichspunkt zwischen Vögeln und Fischen erscheint zunächst wie ein typischer indirekter Beweis im Irrealis (757b19 f.): Angenommen, bei den Vögeln gäbe es keine Männchen, dann wäre es so wie bei gewissen, sc. parthenogenetischen Fischen; hier ist allerdings die empirische Basis nicht ausreichend, wie Aristoteles mit metatextlichem Rückverweis betont (757b22 f.). Mit sonst die Herstellung des Widerspruchs markierendem νῦν δέ (757b23) wird an dieser Stelle nicht die Negation der Folgerung, sondern die der Prämisse angegeben. Als Folgerung (ὥστε, 757b24) erscheint nun die redundante Wiederholung von 757b19, die in eine Betonung der Fruchtlosigkeit des Windeis mündet: Aufgrund sowohl seiner fehlenden ‚einfachen‘ Entstehung nach Pflanzenart als auch seiner fehlenden ‚kopulativen‘ Entstehung nach Art der Tiere entsteht aus dem Windei auch gar nichts anderes (οὐδ’ ἀποβαίνει … οὐθέν … οὔτε γὰρ … οὐτε, 757b26 f.). Der Schlusssatz kehrt wieder zu dem ‚Normalfall‘ befruchteter Eier zurück. Diese entwickeln sich nach Maßgabe des zuerst Befruchtenden, wenn sie sich, vor einem eventuellen anderen Befruchtungsversuch, in Eiklar und Eigelb differenzieren. Denn sie besitzen bereits beide Prinzipien: das Nähr- und das Wahrnehmungsvermögen, entsprechend der weiblichen Materie und dem männlichen Beitrag. Dieser knappe Nachsatz rundet den Passus bündig ab.

5 Vernetzung von Kapitel 7 καθάπερ γὰρ ἔν τε τοῖς ἄνω καὶ τοῖς ὑπογύοις εἴρηται λόγοις (757a27 f.) (‐-> zuletzt III 5. 756a20 – 23) καθάπερ εἴρηται πολλάκις (757b18): unscharfer Verweis (auch auf De an.) εἴρηται δὲ περὶ αὐτῶν καὶ πρότερον (757b22) (‐-> II 5. 741a32–b7)

 Vgl. zu dieser Frage Föllinger (2010).

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Buch III

Kapitel 8. 757b31 – 758a25 1 Inhalt Dieses deskriptiv-aitiologische Kapitel geht nun über zu den blutlosen Tieren, der Begriff fällt aber erst 758a5; es behandelt die Fortpflanzung bei Mollusken und Crustacea und enthält einen dialektischen Einschub, der sich nochmals gegen die Vertreter der Eingeschlechtlichkeit bei den oviparen Fischen wendet (757b35 – 758a3; vgl. III 5. 755b7 ff.).

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 8 Kapitel 8 beginnt, ähnlich wie Kapitel 6, der Form nach wie mit dem zweiten Teil einer binary transition (757b31), zu der es keinen ersten Teil gibt. Betont am Satzanfang steht wieder ein impliziter metatextlicher Rückbezug, hier etwas weiter gefasst, auf, wie das folgende γάρ (757b33) zeigt, zunächst die zweigeschlechtliche Fortpflanzung bei den bisher in Buch III besprochenen Bluttieren. Dass die in diesem Kapitel behandelten blutlosen Tiere unvollendete Eier ablegen, wird erst 758a11 erwähnt. Das Kapitel endet mit dem ersten Teil einer binary transition 758a26 f., die sich auf die Behandlung aller bisher in Buch III besprochenen Tiere bezieht und durch die ‚globale‘ Formulierung (Περὶ … τῶν ἄλλων ζῴων … καὶ πεζῶν καὶ πλωτῶν καὶ πτηνῶν, 758a26 f.)³⁶ darauf vorbereitet, dass mit den ab Kapitel 9 folgenden Gattungen Vollständigkeit erreicht sein wird.

3 Struktur von Kapitel 8 Das kurze Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 9: 1. Überleitung zu den Mollusken und Crustacea: 757b31– 758a6 2. Paarigkeit des Uterus und Eiablage bei Mollusken und Crustacea: 758a6 – 25

 Zu den drei Bewegungsarten vgl. I 1. 715a27 f.

Kapitel 8. 757b31 – 758a25

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 757b31 – 758a6: Überleitung zu den Mollusken und Crustacea Auch die Behandlung der Weichtiere und der Weichschaligen setzt unter dem Aspekt ,Ähnlichkeit vs. Verschiedenheit‘ mit Blick auf die bereits besprochenen Tiergruppen, die blutführenden Oviparen, ein. Die durch die Stellung am Satzanfang betonte Identität des Fortpflanzungsmodus, die so bereits III 5. 755b32– 36 festgestellt wurde, besteht insofern, als dass auch diese Tiere zweigeschlechtlich sind und kopulieren – was empirisch gesichert ist (πολλάκις ὦπται, 757b34 f.). Mit wörtlichem Anschluss an III 5. 755b7 (758a1) beginnt ein dialektischer Einschub (757b35 – 758a3). In Fortsetzung der massiven Wertungen in den Kapiteln 5 u. 6 ergeht nun gegen die bereits in 755b7 ff. attackierten Autoren der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit (οὐδ’ ἱστορικῶς, 757b35). Entweder ist ihre These, dass die Weich- und Schalentiere kopulieren, die Fische, also höherstehende Tiere, aber nicht, nicht nachvollziehbar (θαυμαστόν, 758a3, vgl. ἄτοπον, 755b36). Oder aber: Sollte verborgen geblieben sein, dass jene kopulieren, wäre dies ein Indiz für einen schlechthinnigen Mangel an Empirie (σημεῖον ἀπειρίας, 758a3; vgl. 756a2). Die Gegner sind also vor die Alternative ,nichtnachvollziehbare Denkweise vs. Ignoranz leicht zugänglicher Faktenlage‘ gestellt. Diese offen bleibende ‚zwickmühlenartige‘ Alternative wirkt stärker als ein einzelner definitiver Vorwurf. Das Ausmaß eventueller Ignoranz gegenüber den empirischen Fakten wird gesteigert durch die vergleichsweise längste Zeitdauer der Kopulation (758a3 – 6); diese hat ihren in typischer Weise nachträglich angeführten ,guten Grund‘ (εὐλόγως/γάρ/διόπερ, 758a5) darin, dass diese Tiere blutlos und deshalb von kalter Natur sind³⁷ – wiederum ein in knapper Formulierung erreichter bündiger Abschluss.

4.2 758a6 – 25: Paarigkeit des Uterus und Eiablage bei Mollusken und Crustacea Stellvertretend für die Weichtiere werden hier σηπίαι, τευθίδες und Polypen angeführt.³⁸ Wie 717a5 – 7 tritt auch hier die Isotropie des Polypenkörpers (758a8 f.) als Ursache für die scheinbare Eineiigkeit auf (σχίσις ἄδηλος, 758a9 f.; vgl. 717a6: ὥστε δοκεῖν μίαν εἶναι). Die in I 3 verwendete Bedeutung des Begriffs ‚Ei‘ ist hier  Vgl. hierzu die Tierskala nach Wärmegrad in II 1, insbesondere in 733b7– 10 die Einordnung der Weichtiere und der Crustacea in die 4. Gruppe, allerdings gemeinsam mit den oviparen Fischen: diese sind also ähnlich kalt, kopulieren aber schnell. Insofern erscheint der unterstellte Zusammenhang zwischen Kältegrad und Dauer der Kopulation hier willkürlich.  Zur Paarigkeit des Uterus vgl. I 3. 717a3 – 5.

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Buch III

wieder vorausgesetzt. Stellvertretend für die Crustacea, und insofern stillschweigend verallgemeinernd, werden die κάραβοι als Tiere mit paarigem Uterus angeführt. ,Dieselbe Ursache‘ führe bei all diesen Tieren zum Hervorbringen eines unvollendeten Keimlings – als Aition hat der Rezipient die gegen den Untergang gerichtete mengenmäßig hohe Fertilität zu supplementieren (vgl. 755a31 f.). Das Kapitel schließt 758a21– 25 mit Beschreibung und Aitiologie des speziellen Lageverhältnisses bei der entstehenden Sepia relativ zum Ei. Diese letzte kurze Passage mündet in einen typisch formulierten Verweis auf HA V 18. 550a10 ff. (δεῖ θεωρεῖν ἐκ …, 758a24 f.); die technisch klingende Wendung ‚σχῆμα τῆς θέσεως‘ 758a24 deutet auf eine eher abstrakte Darstellung.

5 Vernetzung von Kapitel 8 fremde anonyme Ansicht: οἱ φάσκοντες … (757b35 – 758a1) Verweis auf HA: δεῖ θεωρεῖν ἐκ τῶν ἱστοριῶν (758a24 f.) (‐-> HA V 18. 550a10 ff.)

Kapitel 9. 758a26 – 759a7 1 Inhalt Dieses Deskription und Aitiologie verbindende Kapitel behandelt recht kurz die Entstehung der Insekten. Aristoteles kennt drei Stadien der Entwicklung. Aber nur zur Verpuppung der Larve gibt er eine Aitiologie (758b19 – 21, b24– 27 u. b34– 36). Denn während die Larve seiner Theorie zufolge ein universelles Anfangsstadium der Tiere ist, also keiner besonderen Erklärung bedarf, ist die Verpuppung etwas Besonderes, muss also erklärt werden. Die Imago wiederum bedarf keiner Erklärung.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 9 Das Kapitel benennt eingangs in dem zweiten Teil einer binary transition (758a27– 29) die noch zur Abhandlung ausstehenden Gattungen der Insekten und der Testacea, es schließt im ersten Teil einer binary transition (759a3 – 7) mit metatextlichem Rückbezug unter Betonung des aitiologischen Anspruchs und mit einem kurz angeschlossenen globalen, auch die Flora mit umfassenden Vergleich bzgl. der zweigeschlechtlichen und der spontanen Zeugungsweise. An diese zwei

Kapitel 9. 758a26 – 759a7

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verschiedenen Entstehungsmodi der Insekten war bereits eingangs erinnert worden (758a29 – 31), das Kapitel ist so auch ringkompositorisch geschlossen.

3 Struktur von Kapitel 9 Das kurze Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 10: 1. Die Larve als universelles Anfangsstadium der Tierentstehung: 758a27–b6 2. Larviparie der Insekten mit drei Entwicklungsstadien: 758b6 – 28 3. Erklärung des besonderen Falls nahrungsaufnehmender Larven: 758b28 – 759a7

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 758a27 – b6: Die Larve als universelles Anfangsstadium der Tierentstehung Nach einem methodisch-disponierenden Einstieg (λεκτέον κατὰ τὴν ὑφηγημένην μέθοδον, 758a28 f.) wird, in einer etwas spekulativen Passage, die Larve oder das Larvoid tentativ (σχεδὸν γὰρ ἔοικε πάντα τρόπον τινά, 758a32) als universelle basale Erst-Form auch aller anderen Fortpflanzungsmodi etabliert. Wie zuletzt in Buch III öfter geschehen, appelliert ein unscharfer Rückverweis (καθάπερ … εἴρηται πολλάκις, 758b1 f.) implizit an das Gedächtnis des Rezipienten: Das erwähnte Faktum sollte nun geläufig sein. Der tentative Stil wird fortgeführt (τρόπον τινά, 758b2), mündet aber in eine drastisch-konkrete Ausdrucksweise (καθάπερ ἂν εἴ τις ἀφέλοι, 758b4), die an das Vorstellungsvermögen des Rezipienten appelliert. Der Anschluss an eine übliche Bezeichnung, nämlich eines Abortes in dieser Phase als „Abfluss“, rundet diese kleine spekulative Passage ab mit der Herstellung von Kohärenz (διὸ καί, 758b5).

4.2 758b6 – 28: Larviparie der Insekten mit drei Entwicklungsstadien Mit der Wiederaufnahme der zweifachen Unterscheidung der Insektengenese (vgl. o. 758a29 – 31) kehrt Aristoteles in 758b6 – 8 zu den Insekten zurück. Mit dem auf die Sprache der Dialektik verweisenden Ausdruck δεῖ … τιθέναι (758b8 f.) schlägt die tentativ-spekulative Diktion dabei in eine Sprache der Bestimmtheit um: Sowohl kopulierende als auch spontan entstehende Insekten entwickeln sich anfangs aus einem solchen larvenähnlichen Stadium, denn als eine Form von Larven sind jeweils die Raupen und die ersten Fortpflanzungsprodukte der Spinnen anzusetzen. Für diese Zuschreibung darf man sich nicht am sinnlichen Schein

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Buch III

orientieren, sondern muss auf die Definition (s. II 1. 732a31 f.) zurückgehen, die in 758b14 wieder aufgenommen wird; wiederum bezieht ein typischer Umschlag in dezidierte Sprechweise, hier auf kleinstem Raum (δόξειεν ἂν … ἐοικέναι … ἀλλ’ οὐ … λεκτέον, 758b10 – 12), den Rezipienten mit ein. Im Folgenden wird, während in 4.1 das Ausgangsstadium bei Oviparen als undifferenziert-larvenähnlich dargestellt wurde, nun eine echte Larve schließlich „wie zu einem Ei“ (οἷον ᾠόν, 758b16) – gemeint ist das unbewegliche (758b17) Puppenstadium, zu dem drei empirisch belegte Beispielarten angegeben werden (758b18 f.). Für die Verpuppung wird ein wiederum eher spekulativ erscheinendes (ὡσπερανεί/ὡς mit Genetivus absolutus, 758b19 – 21) Aition angegeben (τούτου δ’ αἴτιον ὅτι, 758b19): die personifizierte Natur, sc. in Gestalt larviparer Tiere, bringt ‚gleichsam wie vor der Zeit‘ Eier hervor, als wäre die Larve, noch im Wachstum, ein weiches Ei. Hierfür wird eine Ursache ‚zweiter Stufe‘ unterstellt: die eigene Unvollkommenheit der quasi unreife Eier hervorbringenden Natur. Dies mag dann nicht tautologisch erscheinen, wenn man die Skala nach Vollkommenheit/innerer Wärme aus II 1 heranzieht; dort erschienen die larviparen Insekten auf fünfter und unterster Stufe (733b10 – 16) mit Vorwegnahme der Eiähnlichkeit des Puppenstadiums (ᾠώδης γίγνεται/δύναμιν ᾠοῦ ἔχει, 733b13 – 15) und der Dreizahl der Entwicklungsstadien (ἐν τῇ τρίτῃ μεταβολῇ, 733b15 f.), ferner auch der üblichen Bezeichnung ‚χρυσαλλίς‘ (733b14; vgl. 758b31). Das Phänomen der Verpuppung gilt gleichermaßen auch für ohne Kopulation, d. h. spontan entstehende Insekten; wie als Beleg werden konkrete Milieus des Vorkommens (in Wolle, in Gewässer; 758b23 f.) benannt, was den Eindruck von Authentizität erzeugt. Nach diesem bewegungslosen Stadium mit verhärteter Hülle (ἀκινητίσαντα/τοῦ κελύφους περιξηρανθέντος [758b25] nimmt chiastisch 758b16 f. wieder auf) bricht die getrocknete Hülle, und ein vollendetes Lebewesen kommt, bei seiner dritten Genese (758b27), wie aus einem Ei (καθάπερ ἐξ ᾠοῦ, 758b26).

4.3 758b28 – 759a7: Erklärung des besonderen Falls nahrungsaufnehmender Larven In einem letzten Passus wird die rationale (κατὰ λόγον, 758b28) Erklärung dem Staunen der Vielen über den Nahrungsaufnahmestopp der (Seiden‐)Raupen gegenübergestellt, die dann regungslos und zu Puppen werden. Im Folgenden (καὶ γάρ, 758b34) wird allerdings die oben vorgenommene Parallelisierung mit ,der Natur‘ eines Eis als berechtigt vorausgesetzt, das, sobald es zur Vollendung kommt, auch nicht mehr wächst. In einer dihairetischen Nachbemerkung zur Nahrungsquelle der Larven wird dieser Fall eingeordnet: Manche Larven haben ihre Nahrung in sich, manche beziehen sie von außen. Dafür werden jeweils konkrete Beispiele genannt: Für die erste Gruppe sind es die bereits in 758b32

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angeführten Arten, für die zweite wieder die (Seiden‐)Raupen, von denen Aristoteles bereits gesagt hatte, dass sie bis zur Verpuppung Nahrung aufnehmen. Das Kapitel schließt mit typischem metatextlichem Rückbezug auf die dreifache Genese (τριγενῆ γίγνεται, 759a3, vgl. o. 758b27) und auf die Bewegungsstarre bei der Verpuppung, mit explizitem aitiologischem Anspruch (διότι/δι’ ἣν αἰτίαν, 759a3 f.). Es folgt eine recht redundante Gegenüberstellung der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung und der Spontangenese; diese wird abschließend mit der Flora parallelisiert (759a6), was das Kapitel in typisch global-übergreifender Perspektive ausklingen lässt.

5 Vernetzung von Kapitel 9 disponierend: περὶ δὲ … λεκτέον κατὰ τὴν ὑφηγημένην μέθοδον. εἴπωμεν δὴ πρῶτον περὶ … (758a27– 29) Rückverweis auf I 1. 715b2 – 7 und I 16. 721a2– 10 bzgl. Kopulation/Spontangenese und bzgl. der Larviparie auf II 1. 733a24 f. und bzgl. des zugehörigen Aitions, 733b10 – 16: ὅτι μὲν οὖν … πρότερον ἐλέχθη (758a29 – 31) unscharfer Rückverweis: καθάπερ ἐπὶ … εἴρηται πολλάκις (758b1 f.) allgemein übliche Terminologie: καλοῦσι … ἐκρύσεις (758b5 f.) impliziter Rückgriff auf eine früher (II 1. 732a31 f.) gegebene Definition: τῷ ὅλον μεταβάλλειν καὶ μὴ ἐκ μορίου τινός (758b13 f.) anderweitig geläufige Terminologie: αἱ καλούμεναι ὑπό τινων χρυσαλλίδες (758b31), αἱ καλούμεναι νύμφαι (758b33) metatextlicher Rückbezug: Διότι μὲν οὖν … καὶ δι’ ἣν αἰτίαν … εἴρηται (759a3 – 5)

Kapitel 10. 759a8 – 761a13 1 Inhalt Dieses zunächst diskursiv-dialektisch gegen verschiedene gegnerische Modelle³⁹ vorgehende, im weiteren Verlauf aitiologische Kapitel erschließt und erklärt Aristoteles’ eigene Theorie zur Fortpflanzung der Bienen, deren Besonderheit er

 Fremde Positionen werden bereits in den den Bienen gewidmeten Kapiteln V 21 und IX 40 der HA z. T. angeführt, aber, dem deskriptiven Charakter dieser Schrift entsprechend, dort nicht diskutiert oder bewertet.

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Buch III

eindringlich herausstellt.⁴⁰ In einem berühmten abschließenden Passus stellt er das eigene Modell im Nachhinein unter den Vorbehalt bislang unzureichend erfasster Phänomene.⁴¹

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 10 Das Kapitel benennt eingangs, in dem zweiten Teil einer binary transition (759a8), mit einem kurzen Satz schlagwortartig das innerhalb der Behandlung der Insektenentstehung spezielle Thema der Bienen als ein großes Forschungsproblem; es endet mit einer binary transition (761a12 f.) mit metatextlichem Rückverweis auf die Kapitel 9 und 10 und Ankündigung der Besprechung der Testacea.

3 Struktur von Kapitel 10 Das Bienen-Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 11: 1. Eine fremde Ansichten integrierende Fallunterscheidung zur Bienenfortpflanzung:759a8 – 24 2. Widerlegung fremder Ansichten und Erschließung des eigenen Modells: 759a24– 760a4 3. Aitiologische Erklärung des eigenen Ansatzes: 760a4– b27 4. Zum richtigen Verhältnis von empirischer Basis und Theoriebildung: 760b27– 33 5. Ein Indiz für die begattungslose Zeugung bei den (Arbeiter‐)Bienen: 760b33 – 761a2 6. Die Fortpflanzung bei den Bienen verwandten Arten: 761a2– 13

 Ὅντος δὴ περιττοῦ τοῦ γένους καὶ ἰδίου (760a4 f.); ἴδιον (760a8); περιττόν (761a4); θεῖον (761a5).  Zur Analyse dieses Kapitels vgl. auch die Argumentationsanalyse in dem Beitrag von Föllinger (1997), der auch einen Vergleich mit den Ergebnissen der modernen Bienenforschung anstellt.

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Kennzeichnend für dieses gut ausgearbeitete Kapitel ist eine Verbindung von formal-dialektischem Vorgehen mit Integration von Argumenten, die nicht dialektisch sind, sondern Phänomene aus der Empirie darstellen.⁴²

4.1 759a8 – 24: Eine fremde Ansichten integrierende Fallunterscheidung zur Bienenfortpflanzung Das Kapitel setzt im Problemata-Stil ein, nicht aber mit einem typisch tentativen ἀπορήσειεν ἄν τις. Das demgegenüber verknappte Statement, die Bienenfortpflanzung sei ein großes Problem, erzeugt eine umso höhere Spannung. Der folgende Satz (759a8 – 11) nimmt die eigene Lösung vorweg, allerdings nur in dem wesentlichen Aspekt der kopulationslosen Zeugung, wie sie ja auch innerhalb einer anderen Gattung, der der Fische, zu finden sei. Insofern nimmt Aristoteles zu Beginn der Passage wieder in typischer Weise eine übergreifend-vergleichende Perspektive ein: Die grundsätzliche Möglichkeit kopulationsloser Zeugung wird aus deren Vorliegen bei einer Gattung abgeleitet. Die vorweggenommene These wird verbunden mit dem Anspruch, aus den Phänomenen herleitbar (συμβαίνειν

 Vgl. dazu Föllinger (1997). Aufschlussreich ist folgende kleine Sprachstatistik: Empirie-Bezüge: συμβαίνειν ἔοικε … ἐκ τῶν φαινομένων (759a10 f.), ἐκ τῶν συμβαινόντων ἰδίᾳ/ἐκ τῶν κοινοτέρων (759a25 f.; Unterscheidung artspezifischer und universellerer empirisch belegter Eigenschaften), φαίνεται + Pt. (759b8 – 10), δῆλον (759b11; Folgerung aus direkt Beobachtbarem), φαίνεται + Pt. (759b18 f.; b25; b28; b33; b36 [irreal]), ὦφθαι + Pt. (759b22), ἂν … συνέβαινεν (759b23; Irrealis, Folgerung im indirekten Beweis), συμβαῖνον (760a7), συμβαίνει (760a27; bezieht sich hier aber auf aus den Phänomenen Erschlossenes, nämlich auf das eigene Modell), φαίνεται συμβαῖνον (760a33), συμβαίνειν (760b2; b22; b29), τὰ συμβαίνοντα (760b30), τοῖς φαινομένοις (760b32 f.), σημεῖον (760b33), φαίνεσθαι (760b34), ὦπται (761a8). Bezug auf fremde Positionen: s. u. unter 5). Sprache der Topik/Dialektik: ἀπορία (759a8), ἀνάγκη ἤτοι … ἢ … ἤ (759a11– 14; vollständige Fallunterscheidung), ἀδύνατα (759a24 f.), συλλογιζομένοις (759a25), ἔδει (759a27 u. a32; Irrealis, Folgerung im indirekten Beweis), ἔτι δέ (759a33; Parallelargument), εὔλογον/ἄτοπον (759a34/35), οὐδὲ … εὔλογον/οὐδὲ τοὐναντίον εὔλογον (759b1 f./b5), νῦν δέ (759b7; formelhafte Herstellung eines Widerspruchs), ἀδύνατον (759b14), οὐκ εὔλογον (759b14), κἂν ἐγέννων (759b18; Irrealis, Folgerung im indirekten Beweis), νῦν δέ (759b18; s. o.), λείπεται (759b24; b27; 760a3; Ausschlussverfahren), τὸν αὐτὸν ἀναγκαῖον εἶναι λόγον (759b35), κἂν … ἀναγκαῖον ἦν (760a1; irreale Folgerung), νῦν δέ (760a2; hier Herstellung eines Widerspruchs zur Prämisse der vorausgehenden irrealen Periode), ἔχει ἀνάλογόν πως (760a12), ἀδύνατον (760a17; mit anschließendem indirekten Beweis der Unmöglichkeit), εὔλογον (760b2), εὖ δὲ καί (760b7), ὁμολογούμενον (760b15), εἶχε λόγον (760b17; Irrealis [ohne ἄν], Folgerung im indirekten Beweis), Ἐκ μὲν οὖν τοῦ λόγου/μᾶλλον τῶν λόγων πιστευτέον/τοῖς λόγοις ἐὰν ὁμολογούμενα δεικνύωσι (760b27– 32), εὐλόγως (761a4).

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ἔοικε … ἐκ τῶν φαινομένων, 759a10 f.) zu sein; mit ἔοικε kommt ein gewisser Vorbehalt zum Ausdruck, wie er ausführlicher in der berühmten Schlusspassage 760b27– 33 erscheint, formuliert in parallelen Präpositionalausdrücken mit ἐκ (760b29/759a11). Auf bienenspezifischer und allgemein-zoologischer Ebene wird die empirische Basis zu Beginn der Widerlegung fremder Modelle angesprochen (759a25 – 27); dem Partizip συλλογιζομένοις (759a25) entspricht in der Schlusspassage der Präpositionalausdruck ἐκ μὲν οὖν τοῦ λόγου (760b27 f.). Diese methodischen Bemerkungen bilden ein gewisses framing des gesamten den Bienen gewidmeten Hauptteils des Kapitels. Dem noch tentativ formulierten Anspruch (ἔοικε, s. o.) folgt in typischer Weise ein Umschlag in einen dezidierten Aussagemodus: Ausgangspunkt ist nun eine mit Notwendigkeit (ἀνάγκη, 759a11) geltende Fallunterscheidung, die die vorangestellte These letztlich begründen (γάρ, 759a11) soll; hiermit wird implizit die Vollständigkeit der Fallunterscheidung behauptet, wie sie auf erster Ebene (ἤτοι … ἢ … ἢ …, 759a11– 14) auch gewahrt ist: Nur auf eine vollständige Fallunterscheidung kann das Eliminationsverfahren angewendet werden – dass dieses zum Einsatz kommen wird, ist für den erfahrenen Rezipienten nun bereits zu erwarten. Die Fallunterscheidung integriert verschiedene fremde Ansichten; durch diese Einordnung in ein vollständiges Unterscheidungssystem wird die distanzierte Beurteilung erleichtert (s. u.). Diese vollständige, ,geschachtelte‘ Fallunterscheidung, die in ihren ‚Unterfällen‘ allerdings nicht mehr in jedem Fall vollständig ist, lässt sich wie folgt darstellen (759a11– 24): 1. Die Brut holen die Bienen von woanders her, was von manchen vertreten wird a) wo sie spontan entsteht oder b) wo ein anderes Lebewesen sie erzeugt⁴³ 2. oder sie erzeugen die Brut selbst a) via Kopulation⁴⁴ aa) indem entweder jedes Bienen-Genos unter sich ab) oder indem ein einziges Bienengenos die Brut für alle erzeugt z.B.: aba) die Königinnen tun dies

 Hier einen fehlenden Fall c) ,teils, teils‘ zu vermissen wäre wohl etwas pedantisch – und verstieße auch gegen das Prinzip eines gattungseinheitlichen Fortpflanzungsmodus; auf der obersten Unterscheidungsebene allerdings findet sich der analoge Fall 3.  Die drei Unterfälle aa–ac sind nicht disjunkt: es könnte etwa ein Genos unter sich kopulieren, die beiden anderen wechselseitig miteinander. Die Fälle aa–ac werden mit konkreten Beispielfällen, für aa vollständig, ‚aufgefüllt‘ und erklärt (λέγω δ’ οἷον, 759a18), Fall ac zusätzlich mit Referenz zu zwei Varianten fremder, einander entgegengesetzter Positionen (φασὶ γάρ τινες/οἱ δέ, 759a22 f., entsprechend acaa und acab).

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ac) oder indem ein Genos mit einem anderen kopuliert z. B.: aca) die Drohnen kopulieren mit den Arbeiterinnen, dabei sind: acaa) die Drohnen männlich, die Arbeiterinnen weiblich acab) oder die Arbeiterinnen männlich, die Drohnen weiblich b) ohne Kopulation⁴⁵ 3.⁴⁶ oder teils, teils, was auch von manchen vertreten wird, in Form von: a) nur die Drohnen-Brut wird von woanders her herbeigeholt. Diese Fallunterscheidung vermeidet durch die Konkretisierungen auf dritter bis fünfter Ebene und durch die eingefügten Bezüge auf fremde Positionen, die zunächst neutral dargestellt werden, den Eindruck abstrakter ‚Abgehobenheit‘ und bindet den zeitgenössischen Diskurs ein. Durch die Einordnung fremder Positionen in eine systematisch-einheitliche Fallunterscheidung wird indessen bereits implizit eine überlegene Perspektive erzeugt.

4.2 759a24 – 760a4: Widerlegung fremder Ansichten und Erschließung des eigenen Modells In einem ersten Schritt (759a24– b27) werden alle unterschiedenen Möglichkeiten bis auf die eigene Lösung, entsprechend Fall 2b, ausgeschlossen. So entsteht in typischer Weise eine Negativfolie, vor der dann positiv der eigene Ansatz herausstechen kann. Ähnlich wie zu Beginn von I 18 schlägt die neutrale Darstellung fremder Positionen abrupt um in eine pauschal-vernichtende Abwertung, typischerweise mit einem aktiven Partizip Plural im Dativ des Standpunkts (759a25; vgl. I 18. 722a1), das dem Rezipienten anbietet, diese Perspektive zu teilen. Behauptet wird die Unvereinbarkeit mit der empirischen Faktenlage (ἀδύνατα/ἐκ τῶν συμβαινόντων in 759a24 f. Ταῦτα … πάντα in 759a24 muss sich hierbei ausschließlich auf die angeführten fremden Ansichten beziehen und selbstredend nicht auf alle Fälle der in oberster Ebene vollständigen Fallunterscheidung). Die Argumentation (γάρ, 759a27) beginnt mit hypothetischer Annahme von Fall 1 in wörtlicher Anlehnung an 759a11 f., gefolgt von einer Konsequenz (ἔδει, 759a27),

 Dass hier der Fall c ,teils, teils‘ fehlt, ist aus moderner Sicht eine entscheidende Unterschlagung.  Die Fälle 2a, 2b gelten entsprechend jeweils für diejenigen Genera, deren Brut in den nicht näher ausgeführten Fällen von 3 nicht von woanders her herbeigeholt wird.

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deren Absurdität nicht explizit gemacht wird,⁴⁷ deren logische Notwendigkeit aber durch die 759a29 f. anschließende rhetorische Frage eindringlich unterstrichen und nochmals festgehalten wird (προσήκει γὰρ οὐδὲν ἧττον, 759a30), mit Bezug auf beide Unterfälle 1a u. b in wiederum wörtlicher Anlehnung an 759a13. Obwohl damit Fall 1 als erledigt gelten kann, wird nun speziell noch einmal Fall 1b, gleich zweifach, widerlegt; das zweite Argument ist mit ἔτι (759a33) angeschlossen: Erstens müsste das bestimmte andere Tier aus der fremden Brut desjenigen entstehen, von dem sie stammt (dieses Argument hat wiederum die Form einer kondizionalen Periode, in der die Apodosis mit ‚ἔδει‘ eingeleitet wird, den Widerspruch zur Faktenlage herzustellen bleibt aber dem Rezipienten überlassen). Zweitens wird die Abwegigkeit der Vorstellung, es werde fremde Brut herbeigeschafft, durch einen Negativkontrast mit der Nahrungsbeschaffung betont (εὔλογον/ἄτοπον, 759a34 f.) und auch wie vorhin 759a29 f. nach dem Muster ‚rhetorische Frage mit der durch ‚γάρ‘ angeschlossenen Antwort‘ verstärkt (759a35–b1). Abschließend macht Aristoteles als allgemein-zoologische Tatsache geltend, dass Tiere, die Brutpflege betreiben, sich stets nur um Nachkommenschaft bemühen, die ihnen als die eigene erscheint. Mit einem emphatischen ᾿Aλλὰ μὴν οὐδὲ … εὔλογον wird die Widerlegung von Fall 2a in der 759b1 f. zuerst angeführten Variante 2acaa angekündigt. Die Durchführung beginnt mit einer als für das Tierreich allgemein gültig unterstellten Aussage: Kein weibliches Tier stattet die Natur mit einem Defensivorgan aus. Dass Aristoteles auch die Stachellosigkeit der nach Annahme männlichen Drohnen (759b3 f.) anführt, setzt implizit auch umkehrt voraus: Männchen werden von der Natur stets mit waffenartigen Organen ausgestattet. Durch die Korrespondenz οἱ μὲν … αἱ δέ (759b3 f.) wird der Eindruck der Absurdität der angenommenen Geschlechterverteilung verstärkt. Die entgegengesetzte Annahme (Fall 2acab) wird 759b5 f. formal sehr ähnlich widerlegt: οὐδὲ … εὔλογον; οὐδὲν γὰρ, wiederum durch eine als allgemeingültig auftretende Aussage: Kein Männchen betreibt Brutpflege.⁴⁸ Damit ist, wenn man beide allgemeinen Prämissen akzeptiert, Möglichkeit 2aca ausgeschlossen. Mit ὅλως (759b7) wird nun ein Perspektivenwechsel hin zu einem übergeordneten Standpunkt eingeleitet und nach Art eines typischen Vorwärts-Schlusses (ἐπειδὴ, δῆλον; 759b8/b11) aus recht subtilen empirischen Beobachtungen, wohl von erfahrenen Imkern, gefolgert,

 Aristoteles hätte etwa darauf verweisen können, dass die Entstehung von Bienen außerhalb des Stockes noch nie beobachtet wurde. Eine negative Evidenz hält er in anderen Fällen explizit fest, s. z. B. GA II 5. 741a35 f.; III 8. 758a17 f.  An mehreren Stellen in HA beschreibt Aristoteles allerdings sehr wohl Fälle männlicherseits betriebener Brutpflege, vgl. Föllinger (1997) 380. Diese Fälle werden hier, zum Zwecke einer erleichterten Modellbildung, unterdrückt.

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dass diese beiden Bienengenera, Arbeiterinnen und Drohnen, nicht durch Kopulation entstehen: Sie entstehen weder auf die Weise, dass jedes dieser beiden Genera sich mit sich selbst paart, noch so, dass sie sich wechselseitig paaren, d. h. neben 2aca sind nun auch 2aa und, bezogen auf Arbeiterinnen und Drohnen, 2ab ausgeschlossen. Hierbei ist die empirische (φαίνεται mit Partizip, 759b8) Beobachtung, dass die Drohnenbrut auch dann entstehe, wenn kein Drohn im Stock ist, für die gezogene Folgerung allerdings nur relevant unter der stillschweigenden Voraussetzung, dass nur Stock-eigene Tiere, und nur zeitnah, für die Erzeugung des Nachwuchses infrage kommen. So wird nachträglich klar, dass bereits mit den Fallunterscheidungen auf erster Ebene in 2 unterstellt ist, dass für die Kopulation eben nur Tiere des eigenen Bienenstaates infrage kommen und die Möglichkeit einer staatenübergreifenden Paarung von vornherein unterdrückt wird. In Parenthese (759b10 f.) wird kurz die fremde und irrige Ansicht aufgenommen, dass genau und nur die Drohnenbrut herbeigeholt werde, und in ihrem Zustandekommen erklärt (διό, 759b10) – eine Vorgehensweise, die für Aristoteles typisch ist. Diese Möglichkeit wird 759b13 f. nochmals aufgegriffen und mit Verweis auf 759a27–b1 widerlegt. Als Zusatzargument wird der Grundsatz eines für die Bienen insgesamt einheitlichen Fortpflanzungsmodus aufgestellt. Dies würde allerdings von vornherein Fall 3 ausschließen. Dass eines der beiden Genera ‚Arbeiterin‘, ‚Drohn‘ sich mit sich selbst paart, war oben 759b12 bereits ausgeschlossen worden. Dies wird nun aber nochmals, allerdings nur in Bezug auf die Arbeiterinnen, diskutiert. Gleichbedeutend (vgl. I 1. 718a18 – 20) wäre das Vorliegen beider Geschlechter innerhalb dieser Bienenart. Erster Gegengrund (γάρ, 759b17) ist, dass der Phänotyp weiblicher und männlicher Tiere stets verschieden ist; die Herstellung des Widerspruchs zum empirischen Befund ist wieder dem Rezipienten überlassen. Die zweite, mit κἄν 759b18 angeschlossene reductio ad absurdum erfolgt explizit und typisch im Irrealis mit folgendem νῦν δέ (759b18), wobei das entgegenstehende, von anderen bezeugte (ὥς φασιν, 759b19 f.) empirische Faktum bereits oben 759b9 f. genannt wurde; insofern ist dieses zweite Argument redundant. Nun wird abschließend ein ganz allgemeines (κοινόν, 759b20; vgl. o. ὅλως, 759b7)⁴⁹ Argument angeführt, mit dem man die Fälle 2aa und 2aca eigentlich gleich hätte ausschließen können. Aristoteles hebt es sich aber offenbar für diesen Abschluss auf. Hier wird einmal zuerst der empirische Gegengrund, die absolut fehlende Evidenz einer Kopulation bei Arbeiterinnen und Drohnen, angegeben, erst dann in irrealer kondizionaler Periode der eigentliche

 Gegenüber dem überlieferten Wortlaut der zweifachen Dopplung καὶ … καί (759b20 f.) wäre unseres Erachtens schlüssiger: καὶ πρὸς τὴν ἐκ μελίττων/ἐξ ἐργατίδων καὶ πρὸς τὴν ἐκ τῶν κηφήνων, καὶ χωρὶς καὶ μετ’ ἀλλήλων.

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indirekte Beweis. Per Ausschlussverfahren bleibt nun nur noch der Fall 2aba – wenn Fall 2a gelten soll (λείπεται δ’, εἴπερ, 759b24). Für diesen Schluss wird stillschweigend die oben erfolgte Widerlegung von 2aca auf den gesamten Fall 2ac extrapoliert.⁵⁰ Gegen die innerhalb des Falles 2a verbliebene Möglichkeit wird nun wieder eine empirische Beobachtung des Typs ‚ist stets ein bestimmtes BienenGenos im Stock anwesend (οὐκ … ἄνευ, 759b9 f./οὐ … ἐὰν μή, 759b18 f.) bzw. auch mitunter nicht anwesend (759b8 f. und jetzt 759b25 f.), wenn die Brut eines gegebenen Genos entsteht?‘ angeführt. Wenn man von 759b19 f. (ὥς φασιν) aus verallgemeinern darf, übernimmt Aristoteles diese Beobachtungen, dass Drohnen auch ohne Anwesenheit der Königinnen entstehen, von anderen (vgl. auch u. explizit 760a2 f.)⁵¹. Damit ist für ihn auch der einzige verbliebene Unterfall von 2a widerlegt. Fall 1 war als erster ausgeschlossen worden, Fall 3 eher beiläufig aus grundsätzlicher Erwägung heraus (759b14 f.). In einem zweiten Schritt (759b27– 760a4) entwickelt Aristoteles sein eigenes Modell der Bienenfortpflanzung als positiven Gegenentwurf, indem er das Eliminationsverfahren, jetzt auf einer Ebene höher, nochmals anwendet. Hierbei wird die von vornherein nicht angeführte Möglichkeit 2c unterdrückt, sie widerspricht auch dem Einheitlichkeitsprinzip (759b14 f.).⁵² Der Rezipient läuft Gefahr, die auf oberster Ebene streng durchgeführte Vollständigkeit der Fallunterscheidung ungerechtfertigterweise auf die unteren Ebenen zu übertragen: die anfängliche Strenge erzeugt einen Eindruck von Unbezweifelbarkeit. Mit dem zweiten λείπεται (759b27) wird nun aber nicht einfach auf die Gültigkeit von Fall 2b geschlossen, i. e. die Bienen (i. w. S.) erzeugen die Brut selbst und ohne Kopulation, sondern gleich sehr viel konkreter: die Arbeiterinnen erzeugen die Drohnen ohne Kopulation. Aristoteles fragt also zunächst nur: Wer erzeugt die Drohnen? und baut so sein eigenes Modell ‚von unten‘ auf. Hierbei erfolgt der nicht ausgesprochene und tatsächlich verfehlte Ausschluss der Möglichkeit, dass die Königinnen dies tun, aufgrund der gerade angegebenen falschen Beobachtung anderer; dafür, dass die Drohnen sich nicht selbst reprodu Genau hier liegt aus heutiger Sicht ein entscheidender Fehler: tatsächlich kopulieren Königinnen mit Drohnen. Aristoteles zieht aber von den insgesamt drei Paarungen, die theoretisch unter 2ac fallen, nur die Kombination ‚Arbeiterinnen–Drohnen‘ in Betracht; außerdem unterdrückt Aristoteles stillschweigend die Möglichkeit bienenstaatenübergreifender Paarung, s. o.  In HA IX 40. 624b13 ff. beschreibt Aristoteles zwei unterschiedliche Entstehungsvarianten der Drohnen, je nachdem ob die Königin anwesend ist (vgl. Föllinger 1997, 380); nach dem Prinzip ‚gleiches Genos – gleiche Art der Entstehung‘ wird an dieser Stelle nach den notwendigen Bedingungen gefragt.  Hierin liegt aus heutiger Sicht ein zweiter Fehler, die Königinnen erzeugen sowohl geschlechtlich wie auch ungeschlechtlich Nachwuchs. Erst die moderne Genetik ermöglichte eine Erklärung für die komplexen Vorgänge bei der Bienenfortpflanzung, vgl. Föllinger (1997).

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zieren, ist die analoge in 759b8 f. angeführte Beobachtung hinreichend: Drohnenbrut entsteht auch in Abwesenheit erwachsener Drohnen. Der Rezipient hat also noch zweierlei präsent zu halten und die Übersicht über die Fallunterscheidung insgesamt zu wahren, um das Ausschlussverfahren nachvollziehen zu können. Als Partizipialausdruck ohne explizite logische Verbindung angeschlossen, folgt eine Charakterisierung der Arbeiterbienen als hermaphroditisch; im Nachhinein kann dann auch die ‚Bewaffnung‘ der Arbeiterinnen begründet werden (διό, 759b31). Zusätzlich wird ein ganz allgemeiner Grund (γάρ, 759b32) für diesen Hermaphroditismus der Arbeiterinnen gegeben, die, da gebärfähig, als weiblich gelten können: Man kann nicht von ,weiblich‘ sprechen, wenn es, innerhalb derselben Art, nicht auch ein davon distinktes ,männlich‘ gibt. Hierbei behandelt Aristoteles die Arbeiterinnen stillschweigend als eine eigene Art. Aber dies widerspricht gerade dem Umstand, dass die Arbeiterinnen nach diesem Ansatz eben ein anderes Genos hervorbringen, was dann nicht artfremd sein kann und so etwa auch als konträres Geschlecht infrage kommt. Andererseits gelingt Aristoteles so die harmonisierende Integration auch des Einzelfaktums ‚das Abwehrorgan ,Stachel‘ tragend‘.⁵³ Nur in angedeuteter Referenzierung (εἰ δ’ ἐπὶ … ἤδη καὶ … τὸν αὐτὸν … λόγον, 759b32– 35) greift Aristoteles nun auf den für ihn wichtigen Grundsatz der Einheitlichkeit des Fortpflanzungsmodus (759b14 f.) zurück und extrapoliert den kopulationslosen Modus sogleich auf alle drei Bienen-Genera; hierbei wird aus οὐκ εὔλογον μή (759b14) unter der Hand das stärkere ἀναγκαῖον (759b35). Den letzten Schritt in der Entwicklung seines eigenen Modells bereitet Aristoteles vor durch eine hypothetische Faktenlage, die in irrealer Periode notwendig (ἀναγκαῖον, 760a1) darauf führt, dass die Arbeiterinnen sich selbst, und wiederum ohne Kopulation, reproduzierten. Hierbei ist die Möglichkeit unterdrückt, dass umgekehrt die Arbeiterinnen aus den Drohnen (ohne Kopulation) entstehen.⁵⁴ Als stillschweigend vorausgesetzter Grundsatz kommt in Betracht: Es gibt generell keine zyklischen Fortpflanzungsmodi, sondern nur endliche lineare Ketten, wie sie bereits in I 1 für bestimmte Insekten angesetzt wurden. Mit dem typischen νῦν δέ (760a2) wird der Widerspruch zur Empirie der Imker hergestellt. Geläufiger wäre eine umgekehrt formulierte hypothetische Periode: Falls die Arbeiterinnen sich selbst kopulationslos reproduzierten, so müsste ihre Brut auch ohne Anwesenheit der Königinnen entstehen. Nun aber entsteht sie gerade nicht, ohne dass die Königinnen im Stock sind. Also gilt die Negation der Protasis. Diese

 Zu diesem Phänomen aus moderner Sicht vgl. Föllinger (1997) 383 f.  Jedenfalls führt Aristoteles, um diese Möglichkeit auszuschließen, nicht als empirisches Faktum an, dass die Arbeiterinnenbrut auch ohne Anwesenheit von Drohnen im Stock entstehe.

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Version würde auch folgende Schwierigkeit vermeiden: aus der Negation der Prämisse 759b36 – 760a1 folgt gerade nicht die Negation der Folgerung 760a1 f.⁵⁵ Es bleibt als Antwort auf die (nicht gestellte) Frage, wie die Arbeiterinnen entstehen, somit nur, wenn man den stillschweigenden Ausschluss eines Zyklus zwischen Arbeiterinnen und Drohnen akzeptiert, dass die Königinnen die Arbeiterinnen, wiederum kopulationslos, erzeugen. In einem Zug wird nun aber auch behauptet, dass die Königinnen sich selbst reproduzieren.⁵⁶ Über empirisch gesicherte Bedingungen der Art ,An-/Abwesenheit der anderen beiden Genera‘ bei der Entstehung von Königinnenbrut war ja keine Aussage getroffen worden, als Grund für die Zusatzbehauptung kommt also wiederum die stillschweigend unterstellte lineare Hierarchie infrage.

4.3 760a4 – b27: Aitiologische Erklärung des eigenen Ansatzes Am Beginn dieses Abschnitts stellt Aristoteles eine Harmonie des Charakters dieses Ergebnisses mit dem außerordentlichen und eigentümlichen Charakter der Bienen überhaupt her, in enger Anlehnung an den Kapitelanfang 759a8; das Spezifische zeigt sich wiederum in einer vergleichenden Perspektive: Kopulationslose Fortpflanzung dürfte es auch sonst geben, nicht aber in der Weise, dass ein anderes Genos hervorgebracht wird. So wurden zwar in I 1 bereits spontan entstehende larvipare Insekten angeführt (und die Larven werden 715b5 ebenfalls als ἕτερον γένος aufgefasst),⁵⁷ es war bisher aber noch von keinem Fall die Rede,

 Aristoteles denkt in diesem Fall vielleicht eher an eine logische Äquivalenz zwischen Protasis und Apodosis.  Vgl. hierzu 760a23 – 25.  In I 1. 715b9 f. hatte Aristoteles sich folgenden Arguments bedient: Angenommen, die Folgegeneration spontan entstehender, kopulierender Insekten wäre wiederum kopulierend und außerdem artgleich. Dann müssten bereits die Elterntiere ebenso entstehen, i. e. durch Kopulation und nicht spontan. Hierbei lag stillschweigend das Axiom zugrunde: gleiche Art impliziert gleiche Art der Entstehung. Jetzt ist das Modell: K –> K, A; A –> D, wobei jedes der drei genera auf genau eine Art entsteht und alle Zeugungen ohne Kopulation erfolgen – dieses Modell steht offenbar nicht im Widerspruch zu obigem Axiom, insofern besteht keine Inkonsistenz. Allerdings könnte man umgekehrt eine Inkonsistenz darin sehen, dass bei den Bienen von der kopulationslosen Entstehung der Drohnen auf eine ebensolche auch der beiden anderen Bienengenera geschlossen wird gemäß dem Grundsatz der Ähnlichkeit der Verhältnisse über das gesamte Bienengenos i. w. S. hinweg (759b14 f.), bei den spontan entstehenden Insekten in I 1 (und I 16. 721a5 – 9) aber eine grundsätzlich verschiedene Art der Zeugung bei auseinander hervorgehenden Arten zugelassen wird. Dieser Aspekt einer Inkonsistenz wird dadurch entschärft, dass in I 1 die Larven, die per Kopulation aus spontan entstehenden Insekten hervorgehen, als nicht zu diesen ‚ὁμογενῆ‘ eingestuft werden, während in III 10 die drei Bienengenera zwar als verschieden, aber dennoch verwandt (συγγενῆ, 760a11) erscheinen.

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in dem nicht spontan entstehende Tiere ein anderes Genos hervorbringen. Aristoteles hält es für eine bemerkenswerte Ausnahme, dass Tiere ohne Kopulation eine andere Art hervorbringen. Als Aition dafür, dass die Arbeiterinnen ein anderes Genos zeugen, wird nun angegeben, dass sie selbst „zwar von einem anderen, aber doch verwandten Genos, nämlich den Königinnen, gezeugt werden“. Dieses Argument entspricht dem in I 1 implizit zugrundegelegten Axiom ,gleiche Art (hier: gleiches BienenGenos) –> gleiche Art der Entstehung‘. Brächten die von den Königinnen gezeugten Arbeiterinnen im nächsten Generationsschritt ihr eigenes Genos hervor, wäre dieses Axiom verletzt. Das folgende διό (760a12) bezieht sich nun auf den Doppelaspekt ‚Verschiedenheit und Verwandtschaft‘ (760a11): Die Entstehung der Bienen genüge einer gewissen Entsprechung (ἔχει ἀνάλογόν πως, 760a12). Diese wird, im überlieferten Text, insgesamt gleich viermal ausformuliert mit entsprechender Redundanz, bezogen auf die unterschiedlich realisierte Ähnlichkeit zu den Königinnen: 760a12– 14: Größe/Drohnen = Stachel/Arbeiterinnen 760a14 f.: Arbeiterinnen/Stachel = Drohnen/Größe 760a18 – 20: Arbeiterinnen/ihre Dynamis sc. sich zu verteidigen u. das Gebären = Drohnen/Größe 760a20 – 23: Stachel/Arbeiterinnen = Größe/Drohnen Die Bemerkung: ,Hätten die Drohnen auch einen Stachel, so wären sie Königinnen‘ (760a20 f.) unterstellt, dass sich die Königinnen von den beiden anderen Genera nur durch die genannte Eigenschaft unterscheiden – was aber nirgends gezeigt wurde. Angedeutet wurde es bereits in der Aussage, dass sich beim Hervorbringen eines anderen Genos etwas Bestimmtes (τι, 760a16) ändern müsse, damit nicht immer dasselbe Genos entstehe. Der 760a17 f. hinzugefügte indirekte Beweis ist in seiner Aussage redundant, erzeugt aber einen Eindruck der Unbezweifelbarkeit.⁵⁸ Die nun folgende Wendung νῦν δέ (760a20), die sonst regelmäßig die explizite Herstellung eines Widerspruchs zum Abschluss eines indirekten Beweises ankündigt, betont hier den Gegensatz zu der bereits geklärten Erzeugung von Arbeiterinnen und Drohnen: Die Königinnen, die tatsächlich verschieden von den Drohnen sind, ähneln den beiden anderen Genera in jeweils einer Hinsicht und müssen selbst auch aus einem bestimmten Genos entstehen. Die

 Außerdem scheint es Aristoteles zu lieben, in dieser Art indirekte Beweise, fast wie um ihrer selbst willen, gelegentlich bis zu einem solchen definitiven Schlusspunkt durchzuführen.

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Frage, aus welchem Genos, ist der ‚Rest‘ des Ausgangsproblems der Bienenentstehung (τοῦτο λείπεται τῆς ἀπορίας, 760a21; vgl. 759a8). In 760a23 ff. wird, obwohl dies ja bereits 760a3 f. gefolgert wurde (λείπεται τοὺς βασιλεῖς καὶ αὑτοὺς γεννᾶν …),⁵⁹ nun mit dem Anspruch logischen Zwangs (ἀναγκαῖον, 760a25) gezeigt, dass die Königinnen sich selbst hervorbringen, und zwar in Zellen, die zuletzt und in geringer Anzahl entstehen. Hier (760a24 f.) wird als Prämisse verwendet, dass die Königinnen weder aus Arbeiterinnen noch aus Drohnen entstehen. Aber ein Indiz der Art ‚Königinnenbrut entsteht, auch ohne dass Arbeiterinnen oder Drohnen im Stock sind‘ wurde nicht angeführt. Eine hinreichende Voraussetzung für die Folgerung, dass die Königinnen auch sich selbst hervorbringen, wäre: Es gibt keine zirkuläre Generationenfolge. Mit ὥστε (760a27) wird eine nochmalige Zusammenfassung des Modells eingeleitet, die den Aspekt der stufenweisen Reduktion von dynameis herausstellt: Auf 2. Stufe, der der Arbeiterinnen, ist den Tieren die Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren, genommen, auf 3. Stufe, der der Drohnen, schließlich auch diejenige, ein anderes Genos hervorzubringen. Dieser Mangel der Drohnen wird als notwendige Konsequenz aus dem Axiom ‚das Natürliche weist stets eine Ordnung auf‘ (760a31)⁶⁰ gefolgert. Dieser Grundsatz ist jedoch zu allgemein formuliert, um daraus zwingend jene bestimmte Art der Abfolge zunehmender Defizienz folgern zu können. Mit ὅπερ καὶ φαίνεται συμβαῖνον (760a33) wird die Unfruchtbarkeit der Drohnen nochmals bestätigt, wobei Aristoteles eine Begrifflichkeit anwendet, die sonst empirischen Bezügen vorbehalten ist, hier aber auf das eigene theoretische Modell bezogen wird, dem so bereits Faktizität zugemessen wird: Im dritten Glied (ἐν τῷ τρίτῳ ἀριθμῷ, 760a34) hört die Zeugung einer anderen Art auf, da in jedem Schritt genau eine Defizienz hinzukommt. Diese Rekapitulation und ,ordnende‘ Synopse des theoretischen Modells wird, mit einem deutlichen Anklang an II 1. 731b19 ff., durch die Feststellung abgerundet, so sei es gewährleistet, dass alle Bienengenera überdauerten, auch wenn nicht alle Genera zeugen. Dies ist eine triviale Folge dessen, dass im Modell jedes Genos,von seinesgleichen oder von einem anderen Genos, hervorgebracht wird, es erscheint in der Darstellung aber als eine besonders ,gute‘ Eigenschaft des Modells (συνέστηκε … καλῶς, 760a35–b1).

 Das empirische Indiz, das zu der Folgerung in 760a3 f. geführt hatte, war: Die Bienenhalter sagen, die Arbeiterinnenbrut entsteht nicht ohne die Königinnen im Stock. Dieses Indiz berechtigt aber nicht zu einer Folgerung bzgl. der Entstehung der Königinnen. Insofern ist es nicht überraschend, dass dieser Punkt nun nochmals problematisiert wird.  Dieses Prinzip formuliert Aristoteles auch an anderer Stelle, vgl. etwa Cael. II 12. 293a2; Ph.VIII 1. 252a12; GC II 10. 336b9 ff. Vgl. Föllinger (1997) 382.

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Im Folgenden (760b2 ff.) wird die Potenz des Modells dadurch erwiesen, dass es weitere (καὶ τοῦτο, 760b2) empirische Fakten zu erklären vermag: 1. Im Rahmen des nun vorausgesetzten Modells ist es εὔλογον, dass bestimmte saisonale Unterschiede auftreten, diese werden in einem ersten Begründungsschritt auf eine unterschiedlich starke Residualproduktion in Königinnen und Arbeiterinnen zurückgeführt (γάρ, 760b4). Diese Unterschiede werden wiederum in einem zweiten Schritt (760b6 f.) auf einen, hier einfach postulierten, Zusammenhang zwischen Körpervolumen und Wärmebedürftigkeit zurückgeführt.⁶¹ 2. Nur knapp mit εὖ eingeleitet (760b7) ist die Beschreibung der der Arbeit enthobenen Lebensweise und der Größe der Königinnen als mit dem Modell in Einklang stehend (ὥσπερ πεποιημένους ἐπὶ τέκνωσιν/ἐπὶ τεκνοποιίαν συστάντος τοῦ σώματος αὐτῶν, 760b8/b10); die Trägheit der Drohnen wird durch den fehlenden Stachel und die Schwerfälligkeit ihres Körpers erklärt (und steht, unter finalem Gesichtspunkt, insofern mit dem Modell in Einklang, als sie keine Brutpflege zu betreiben haben). Schließlich gelingt es Aristoteles, auch die (als empirisch gegeben vorausgesetzte) Arbeitsamkeit der Bienen (i. e. S.) zu integrieren: Diese Tüchtigkeit entspricht ihrer Zwischenstellung im Modell (μέσαι εἰσιν ἀμφοῖν, 760b13)⁶², nach der sie genau eine Art von Nachkommen erzeugen, für die (und zusätzlich für ihre Königin) sie auch sorgen können – während die Königinnen durch zweifachen Nachwuchs sozusagen überfordert, die sterilen Drohnen unterfordert sind; die Arbeiterinnen nehmen in dieser Hinsicht eine ,optimale Mitte‘ ein. 3. Wieder betont vorangestellt ist ein Ausdruck der Kohärenz (ὁμολογούμενον δ’ ἐστί, 760b15), der hier in Bezug auf die faktischen Rangverhältnisse im Verhalten der drei Genera zueinander verwendet wird. Diese werden in ausdrücklichen Vergleichen (ὡς γονεῖς, 760b19; ὡς τέκνα, b20) stark anthropomorph dargestellt und ethisch positiv gewertet (κάλλιον, 760b20). 4. Ein letzter Punkt in diesem auf die Empirie bezogenen Abschnitt beginnt nicht mit einem ,Ausdruck der Kohärenz‘, sondern greift einen eher problematischen Aspekt des Modells auf: Das zahlenmäßig mit Abstand kleinste Genos ist am produktivsten, was die Fortpflanzung angeht – hierzu findet sich aber eine Parallele bei den Löwen; so wird ein möglicher Angriffspunkt entschärft.

 Dies erinnert wiederum an GA II 1, wo 732a18 – 20 bereits eine Korrelation von Größe des Körpers und innerer Lebenswärme behauptet wurde. Setzt man diese Beziehung voraus, folgt eine höhere Abhängigkeit kleinerer Tiere von äußeren Wärmequellen, wie jetzt behauptet.  Wir folgen mit Drossaart Lulofs (1965) 126 Susemihls Athetese von τὸ μέγεθος (760b13), nicht aber der des gesamten Satzes 760b13 – 15, wie sie Peck (1943) 342– 345 nahelegt.

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4.4 760b27 – 33: Zum richtigen Verhältnis von empirischer Basis und Theoriebildung Dieser berühmte, methodisch reflektierende Absatz mit dem Vorbehalt einer künftig zuverlässigeren empirischen Basis wird durch ein deutliches μὲν οὖν (760b27) abgesetzt. Mit emphatischem οὐ μὴν (760b30) wird die Basis, auf die sich das entwickelte Modell stützt, als ‚unzureichend erfasst‘ dargestellt, da sie nur allgemeiner Auffassung entspricht, also ein endoxon ist (δοκούντων, 760b29); damit erscheint das entworfene Modell im Nachhinein als hypothetisch (φαίνεται mit Inf., b28 f.). Auf die Gegenüberstellung von hinreichend gesicherter empirischer Evidenz und theoretischer Argumentation folgt dasjenige Kriterium für die Glaubwürdigkeit theoretischer Modellierung, dem Aristoteles im letzten Abschnitt gerade nachging: Das Modell muss mit den Phänomenen in Einklang stehen (mit wörtlichem Anklang von ὁμολογούμενα 760b32 an ὁμολογούμενον in b15).

4.5 760b33 – 761a2: Ein Indiz für die begattungslose Zeugung bei den (Arbeiter‐)Bienen Im überlieferten Text 760b33 – 761a2 erscheint etwas ‚nachklappernd‘ ein empirisches Indiz (σημεῖον, 760b33) für die kopulationslose Fortpflanzung der Bienen: Die Kleinheit der Brut in den Wachszellen kontrastiert mit der Größe der larvenartigen Geburt bei den kopulierenden Insekten.

4.6 761a2 – 13: Die Fortpflanzung bei den Bienen verwandten Arten Die in Kapitel 9 begonnene Behandlung der Insekten wird noch abgeschlossen durch die den Bienen verwandten Arten wie Wespen und Hornissen. Aristoteles beginnt wieder in vergleichender Perspektive mit allgemein gehaltener Feststellung von Gemeinsamkeiten, hier: untereinander, und Differenzen, hier: im Vergleich zu den Bienen. Den verwandten Arten fehle das Außerordentliche (περιττόν 761a4, wiederaufgenommen von 760a4) – mit gutem Grund (εὐλόγως, 761a4), denn sie haben nichts Göttliches an sich, wie die Bienen es haben – diese Begründung (γάρ, 761a5) erscheint zirkulär. Als Bestätigung (γάρ, 761a6) für das Fehlen einer göttlichen Natur wird die Fortpflanzung durch Kopulation angegeben, diese ist empirisch hinreichend belegt (ὦπται γὰρ πολλάκις, 761a8). Für die Unterschiede zwischen diesen den Bienen verwandten Arten und die Unterschiede zu den Bienen im Einzelnen wird abschließend auf HA verwiesen, in der typischen auffordernden Wendung ἐκ τῶν … δεῖ θεωρεῖν (761a10 f.).

Kapitel 11. 761a13 – 763b16

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5 Vernetzung von Kapitel 10 anonyme fremde Meinung: ὥσπερ τινές φασιν (759a12); λέγουσί τινες (759a14 f.); φασὶ γάρ τινες, οἱ δὲ … (759a22 f.); καί φασί τινες (759b10) Erfahrungswissen der Imker: (implizit) ὥς φασιν (759b19 f.); τοῦτ’ οὔ φασιν οἱ περὶ τὴν θεραπείαν … ὄντες (760a2 f.) etablierte Nomenklatur: αἱ μῆτραι καλούμεναι (761a6) Verweis auf HA: ἐκ τῶν περὶ τὰς ἱστορίας ἀναγεγραμμένων δεῖ θεωρεῖν (761a10 f.) (‐-> HA IX 41 u. 42) Rückbezug auf Kapitel 9 u. 10, disponierend in Bezug auf das folgende Kapitel: περὶ μὲν … εἴρηται, περὶ δὲ … λεκτέον (761a12 f.)

Kapitel 11. 761a13 – 763b16 1 Inhalt Das letzte, an Rückbezügen reiche Kapitel des 3. Buchs gilt der noch ausstehenden Behandlung der Testacea (vgl. die Disposition in III 9. 758a27– 29). Es ist durch eine interne binary transition in zwei Teile gegliedert: Zunächst (761a13–b23) gibt Aristoteles, ausgehend von der Zwischenstellung der Testacea zwischen Tieren und Pflanzen, eine prinzipielle Zuordnung der Lebewesen zu den Elementen und den jeweils einem Element entsprechenden Lebensräumen. Hierbei bleibt ein viertes Tier-Genos, das dem Feuer entspräche, im terrestrischen Bereich aber nicht vorkommt, sondern auf der Mondoberfläche zu suchen ist, hypothetisch. Der zweite Teil (761b23 – 763b16) ist der Spontangenese gewidmet; mit einem ‚Indizienteil‘ hierzu klingt das 3. Buch aus.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 11 Kapitel 10 endet mit einer binary transition (761a12 f.) und kündigt die noch ausstehende Besprechung der Testacea an, Kapitel 11 setzt dann ein in typisch global-vergleichender Perspektive. Das Kapitel endet mit einem zum Abschluss einer Passage oft gebrauchten Verweis auf HA; den metatextlichen Abschluss der Behandlung der Tierentstehung ab II 4 bringt dann der erste Teil der binary transition, mit der Buch IV einsetzt (763b20 f.).

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Buch III

3 Struktur von Kapitel 11 Das Kapitel lässt sich wie folgt gliedern: § 12: 1. Zwischenstellung der Testacea, Zuordnung der Lebewesen zu den Elementen und den entsprechenden Örtern: 761a13–b23 2. Fortpflanzung der Testacea und der Pflanzen im Vergleich: 761b23 – 762a8 3. Spontanzeugung: 762a8 – 35 4. Aitiologie der Spontanzeugung im Vergleich: 762a35 – 763a25 5. Indizien für die Spontanzeugung bei den Testacea: 763a25–b16

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 761a13 – b23: Zwischenstellung der Testacea, Zuordnung der Lebewesen zu den Elementen und den entsprechenden Örtern Nach einem typischen Einstieg aus global-vergleichender Perspektive heraus stellt Aristoteles, in wiederum typischer Weise, nachträglich eine großmaßstäbliche Kohärenz her (καὶ τοῦτ’ εὐλόγως συμβαίνει, 761a15): Das differenzierte Ergebnis (τῇ μὲν … τῇ δ’ οὐχ, 761a14) des globalen Vergleichs der Testacea mit der sonstigen Tierwelt passt zu ihrer Zwischenstellung zwischen Fauna und Flora (vgl. Buch I). Die dreifache μέν – δέ-Differenzierung betont diese Zwischenstellung. Aus der Perspektive der Flora erscheinen die Testacea wie ein komplementäres Gegenstück (ἀντίστροφον, 761a20); dies wird zunächst als These vorausgesetzt. Dann werden von ihr reale Erscheinungen kausal abgeleitet (διὰ τό mit Inf. – διὰ τοῦτο, 761a19 f.), so dass die These als empirisch bestätigt erscheint: In der Erde gibt es keine oder kaum Testacea, als konkretes Beispiel werden die Schnecken genannt, mit einem typischen Vorbehalt der Existenz einer weiteren, ähnlichen und seltenen Gattung (761a21 f.); im Meer und ähnlichen Gewässern sind sie dagegen zahlreich und mannigfaltig vertreten. Bei den Pflanzen ist es umgekehrt. Diese komplementäre Stellung wird abschließend durch Analogien noch gefestigt: zunächst als formal-quantitative Analogie: ὅσῳ – τοσοῦτον (761a27 f.) mit Bezug sowohl auf Elementarqualitäten (feucht/trocken) als auch auf Elemente selbst (Erde/Wasser; chiastisch gestellt), sodann auch als technisch formulierte Proportionalität ,ὡς … πρὸς … οὕτως ἔχειν … πρός‘ (761a29 f.) mit Personifizierung der Testacea bzw. der Pflanzen (βούλεται … ἔχειν, 761a29 f.). Es folgt ein typischer lockerer Anschluss eines Partizipialausdrucks mit ὡς, der einen doppelten Vergleich (‚bedingter Vergleich‘ mit ὡσπερανεί, 761a31 f., zweimal) ausdrückt, in dem die Austern als pars pro toto verwendet werden und der den Abschnitt in eine griffige Pointe münden lässt.

Kapitel 11. 761a13 – 763b16

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Zweite Konsequenz einer solchen Ursache, i. e. der Affinität zum feuchten Element, ist die größere Mannigfaltigkeit der Arten. Der kausale Zusammenhang wird näher erläutert (γάρ, 761a33) durch eine größere Plastizität des Feuchten, bei nur wenig verringerter körperlicher Substantialität. Dieser betonte Doppelaspekt ist besonders im Meerwasser gewahrt, im Trink-/Süßwasser dagegen nicht. Denn dies ist zwar nahrhaft, aber wenig substantiell und kalt. Dies ist wiederum ohne Begründung thesenartig vorangestellt. Daraus wird gefolgert (διόπερ, 761b2), was empirisch evident ist und die These so bestätigen kann, nämlich bezüglich des Vorkommens bzw. der Prädilektionsorte blutloser und weniger warmer Tiere in Meeresnähe. Als Begründung (γάρ, 761b8) wird diesen Tieren ein Suchen nach Wärme und Nahrung unterstellt. Dem Meerwasser wird nun (761b9 f.) im Vergleich zum Süßwasser, zusätzlich zur größeren körperlichen Substantialität, auch Wärme zugesprochen. Vorher war umgekehrt nur das Süßwasser als kalt charakterisiert worden (761b2). Weiterhin habe das Meerwasser, anders als Süßwasser, Anteil an allen konstitutiven Elementen (761b10 f.), wobei hier zunächst das Feuer unberücksichtigt bleibt. Mit ὥστε wird eine in akademischen Termini (μετέχειν, 761b12) formulierte Folgerung angeschlossen, die eher vag-allgemein zu verstehen ist: Das Meer hat Anteil an allen an den jeweiligen sc. für die genannten drei Elemente je spezifischen Örtern, entstehenden Lebewesen.⁶³ Der vag-spekulative Aussagemodus wird fortgeführt durch den Potentialis und durch die Semantik des hypothetischen Ansetzens (θείη τις ἄν, 761b13) – und bietet dem Rezipienten aus einer neutralen third party perspective heraus an, diesen Ansatz für sich zu übernehmen. Man könnte nämlich folgende Zuordnungen ansetzen: Pflanzen – Erde,Wassertiere – Wasser, Landtiere – Luft. Der präzisierende Zusatz, dass das Mehr und Weniger und das Näher und Ferner eine große und erstaunliche Varianz hervorbringt, ist nach Platt und Peck⁶⁴ unverständlich, aber wohl folgendermaßen gemeint: Die obigen Zuordnungen sind offenbar pauschal-vereinfachend/reduktionistisch, kein Tier ist schlechthin nur einem Element zuzuordnen; entsprechend gibt es auch fließende Übergänge bei den Prädilektionsorten zwischen den zentralen element-spezifischen Schichten, gemeint ist: innerhalb der aristotelischen natürlichen Schichtung der Elemente. In Extrapolation dieser hypothetisch-abstrakten Zuordnung wird nun doch die Vierzahl der (sublunaren) Elemente vervollständigt, indem eine vierte Gattung von Lebewesen postuliert wird, die aber nicht an den drei unteren Schichtungs-Orten zu suchen sei (οὐκ … δεῖ ζητεῖν, 761b16): Der Beginn mit einer Negativ-Aussage impliziert die Frage, wo es denn positiv zu suchen wäre. In der Personifizierung βούλεταί γέ τι …

 ζῷα 761b12 umfasst hier auch die Pflanzen, sonst ist τὰ ζῶντα der umfassendere Begriff.  Peck (1943) 350 f. Anm. 2 u. e.

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εἶναι (761b17) wird zugleich ein übergeordnetes Wollen der Natur, die natürlichen Ordnungen sich vollständig einander entsprechen zu lassen, unterstellt. Als Grund dafür, dass ein solches viertes Tier-Genos terrestrisch-empirisch nicht nachweisbar ist, wird die fehlende eigene Formgebung des Elements Feuer angegeben; für das Element Wasser soll dies offenbar nicht gelten. Abschließend wird das vierte, feueraffine Genos als ein auf dem Mond zu suchendes dargestellt, da dieser am ‚vierten Abstand‘ vom Erdzentrum teilhabe. Der abschließende Verweis auf eine eventuelle spezielle Abhandlung hierzu bildet den ersten Teil einer binary transition (761b23 f.) zum nächsten Abschnitt.

4.2 761b23 – 762a8: Fortpflanzung der Testacea und der Pflanzen im Vergleich Die Untersuchung kehrt nach diesem etwas spekulativen Exkurs zurück zu den Testacea mit der thesenhaften Unterscheidung zweier Entstehungsarten, der spontanen und derjenigen vermittels der Exkretion einer bestimmten dynamis, wobei bei der zweiten Gruppe zusätzlich auch Spontanzeugung möglich sei. Etwas unvermittelt, aber als neuer Ausgangspunkt für die folgenden Zuordnungen angeschlossen wird die knappe Aufforderung (δεῖ δὴ λαβεῖν), die Entstehungsweisen der Pflanzen zu erfassen (761b26 f.), deren es drei gebe: Entstehung a) aus Samen, b) aus Ablegern, c) durch Sprossung oder Knospung ‒ nur hierfür wird ein Beispiel gegeben: die Zwiebelgewächse. Folgende Testacea werden zugeordnet: – zu Modus c): Miesmuscheln; mit empirischer Begründung (γάρ, 761b29 f.) – zu Modus a)⁶⁵: Wellhorn- u. Purpurschnecken sowie die sog. Honigwabenproduzenten Sehr deutlich wird nun die Auffassung des von diesen Schnecken und den ,honigwabenproduzierenden‘ Testacea abgesonderten Schleims als tierisches Sperma i. e. S. negiert (οὐθὲν … δεῖ νομίζειν, 761b33).Vielmehr haben diese Tiere teil an der besagten Ähnlichkeit mit den Pflanzen, ihr Sekret wäre also ein Analogon zum Pflanzensamen. Dies erscheint als eine bloße These, die vag-akademisch mit dem platonisierenden Ausdruck μετέχειν (761b34) begründet wird. Sie wird wieder nur in der Weise begründet, dass von ihr empirisch belegbare Folgerungen (διὸ καὶ, 761b35 – 762a1) abgeleitet werden⁶⁶. Als weitere Begründung (γάρ, 762a1)

 Zu b) werden keine Tiere zugeordnet; mit b) ist also wohl nur das artifizielle Auspflanzen von Pflanzenablegern gemeint. Dass b) für die Fauna/für die Testacea gar nicht relevant ist, steht etwas in Kontrast zu der Forderung δεῖ δὴ λαβεῖν (761b26).  Diese Art der Begründung weist die prinzipielle Schwäche auf, dass die aus der These gefolgerten empirischen Phänomene auch andere Gründe haben könnten und insofern die These so nicht zwingend belegt werden kann.

Kapitel 11. 761a13 – 763b16

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für das Phänomen ,ist erst einmal eines entstanden, entsteht gleich eine ganze Menge von ihnen‘ gilt, dass all diese Tiere zusätzlich auch spontan entstehen.⁶⁷ Diese spontane Vermehrung findet statt in quantitativ-verhältnismäßiger Relation (κατὰ λόγον, 762a2) zu den bereits vorhandenen Tieren. Dies klingt wie eine antike Formulierung exponentiellen Wachstums: Die Wachstumsrate ist dem vorliegenden Bestand proportional. Abschließend werden noch auf materieller Ebene wahrscheinliche Gründe angegeben (γὰρ … εὔλογον; ἐπεὶ … εἰκός; διόπερ εὔλογον, 762a3 – 8), warum bei den Modi c) und a) jeweils zusätzlich auch eine Spontangenese möglich ist. Der Passus mündet in typischer Weise in ein kurz und bündig formuliertes Resultat.

4.3 762a8 – 35:Spontanzeugung Dieser Abschnitt zur Spontanzeugung⁶⁸ beginnt mit einer These zur vollständigen Klassifikation der Vermehrungsmodi bei den Testacea: Alle außer den soeben besprochenen Vertretern von Fall c) und von Fall a) – stellvertretend hierfür sind nur die Honigwabenproduzenten genannt – entstehen spontan. Die These wird nicht weiter begründet, stattdessen werden empirisch evidente (φαίνεται mit Pt., 762a11) konstante Begleitumstände aller Spontanzeugung in Erde und in Wasser angegeben: Fäulnis und Beimischung von Regenwasser. Auf materieller Ebene erfolgt nun eine Modellbildung: Das Süße, wohl aus dem Regenwasser stammend, wird abgesondert in den sich formierenden Ursprung; was übrigbleibt, nimmt eine Form der Fäulnis an. Dieser Trennungsprozess wird von zwei hier axiomatisch erscheinenden Grundsätzen her begründet: ‚Nichts entsteht, wenn etwas der Fäulnis unterliegt, sondern wenn [etwas] verkocht wird, [entsteht etwas]‘ (762a13 f.) und ,Nichts entsteht aus der Ganzheit dessen, sc. wovon seine Entstehung ausgeht‘. Dieser Grundsatz wird durch einen Vergleich (καθάπερ, 762a16) mit jeglicher Handwerkskunst gerechtfertigt, die andernfalls nichts zu tun hätte. Hierbei ist stillschweigend vorausgesetzt, dass solche Technik wesentlich mit dem Entfernen von nicht zum Endprodukt Gehörigem, von Überflüssigem zu tun hat. Die technische Formulierung des indirekten Beweises mündet in typischer Weise in die Herstellung eines Widerspruchs mit νῦν δέ und abschließender, knappbündiger Parallelisierung von τέχνη und φύσις (762a17 f.).

 Vgl. oben eingangs dieser Passage (761b25 f.) die Spezifizierung des 2. Falls, dem also der pflanzenanaloge Modus a) entspricht, während der vegetative Modus c) unter keine der beiden eingangs unterschiedenen Entstehungsweisen der Testacea fällt. Die anfängliche nur dihairetische Unterscheidung wird also nachträglich erweitert.  Zur Spontanzeugung vgl. u. a. die Untersuchung von Wilberding (2022).

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Buch III

Die Dopplung ‚sowohl in Erde wie in Wasser‘ (762a18; vgl. o. 762a10) wird nun noch einmal aufgenommen, und es wird auf Elementarebene begründet, warum alles Leben ‚in Erde und in Wasser‘ entsteht. Bezüglich der Relation ‚enthält‘ gilt die Sequenz ,Erde – Wasser – Luft – Lebenswärme‘. Dies wird allerdings nicht begründet, insbesondere nicht der letzte Schritt, auf den es aber entscheidend ankommt für die griffige, durch ‚τρόπον τινά‘ etwas abgemilderte Folgerung ‚alles ist voll von Seele‘ (762a21). Voraussetzung für die Entstehung eines Lebewesens auf dieser Ebene ist der Einschluss in eine Schaumblase, wie Aristoteles dies in II 2 und 3 ausgeführt hatte. Wörtliche Anklänge etwa bzgl. der Erklärung hierarchischer Unterschiede mit den wertenden Komparativen τιμιώτερον/ἀτιμότερον (762a24 f.; vgl. II 3. 736b31 f.) oder die Wiederaufnahme des Verbs ἐμπεριλαμβάνεσθαι (762a22; vgl. 736b36) rufen v. a. die Passage 736b29 – 737a6 in Erinnerung. Für die Art des Einschlusses wiederum sind ursächlich die Umgebung (τόποι, 762a26) und der eingeschlossene Körper. Daher (διόπερ, 762a28) kommt es, dass das Meerwasser viel Erdartiges (modern vielleicht: viele Mineralien) enthalte, und so entstehe auch die ,Natur‘ der Testacea so, wie sie ist: mit einer äußeren harten Schale und einem inneren lebendigen Körper. Dieser Aufbau erscheint so schlüssig aus dem Modell des „frothy bubble“⁶⁹ abgeleitet (οἷον ἀφρώδης πομφόλυξ, 762a23 f.). Eine kurze auf die Empirie verweisende Bemerkung zu den Schnecken, die bereits 761a22 als Vertreter der seltenen landlebenden Testacea genannt waren, beschließt diesen Abschnitt: Einzig bei ihnen ist Kopulationsverhalten beobachtet worden, ob dieses aber mit ihrer Fortpflanzung in Zusammenhang steht oder nicht – für diese Frage besteht keine ausreichende empirische Basis. Dieser typische Vorbehalt noch zu erweiternder (οὔπω, 762a34) Empirie wirkt wie ein Desiderat der Forschung.

4.4 762a35 – 763a25: Aitiologie der Spontanzeugung im Vergleich In einem deutlicheren Neueinsatz im Problemata-Stil (Ζητήσειε ἄν τις, 762a35) und unter Unterstellung einer ‚korrekten Vorgehensweise‘, die einen verdeckten Rezipienten-Appell enthält (βουλόμενος ὀρθῶς ζητεῖν, 762a35), wird nun zunächst die Frage nach dem materiellen Prinzip bei diesen Tieren gestellt. Diese Frage liegt insofern nahe, als dass die Testacea blutlos sind und bisher primär das Monatsblut als materielles Prinzip aufgetreten war. Die Problemstellung wird dann aber, nach einer Rekapitulation der Rolle der beiden Geschlechter bei der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung, ausgeweitet auch auf die direkt gestellte und

 Vgl. Rashed (2018).

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eindringlich mit drei Interrogativpronomina formulierte Frage (762b4– 6) nach der Entsprechung zum männlichen Form- und Bewegungsprinzip. Hierbei schlägt die Sprache, nach dem tentativen Einstieg, wieder in typischer Weise um in einen Ton der Bestimmtheit mit Erzeugung eines gewissen ,Drucks‘ (δεῖ λέγειν, 762b4). Das wiederum stereotypische δεῖ δὴ λαβεῖν (762b6) bildet im direkten Anschluss den Ausgangspunkt für einen Lösungsansatz, der wieder global und vergleichend Fauna und Flora umfasst (καὶ ἐν τοῖς ζῴοις τοῖς γεννῶσιν/καὶ ἐν τοῖς φυτοῖς, 762b6/b9): Die Pflanzen produzieren ihr Residuum grundsätzlich auf ähnliche Weise wie die sich aktiv fortpflanzenden Tiere, bedürfen aber nicht (πλήν, 762b9) zusätzlich des männlichen Prinzips, da (γάρ, 762b11) dieses in diesen Lebewesen selbst bereits in einer Mischung (mit dem Weiblichen) enthalten sei. Redundanterweise wird der Gegensatz noch einmal, sprachlich durch eine Ellipse (762b12), hervorgehoben: Das Residuum der meisten Tiere bedarf des männlichen Prinzips. Nach dieser Vorbereitung beginnt die eigentliche Kausalerklärung der Spontanzeugung ab 762b12 mit der ohne Begründung konstatierten Unterscheidung: Für die einen Tiere sind Wasser und Erde Nahrung, für die anderen aus diesen Elementen Zusammengesetztes; dies führt auf eine Parallele zwischen der Verkochung der Nahrung in Tieren, insbesondere solchen der ersten Gruppe, die nur elementare Nahrung aufnehmen, und der Verkochung nur durch Umgebungswärme; in beiden Fällen ist nur Meerwasser der Ausgangsstoff. Was vom beseelten Ursprung⁷⁰ bei einer Spontanzeugung in Pneuma eingeschlossen wird, sc. in Form eines frothy bubble⁷¹, ergibt dann einen Keimling mit Bewegungsimpuls. Diese Modellbildung geschieht durch Analogisierung (ὅπερ – τοῦτο, 762b13 f.). Das Modell für die Spontanzeugung wird sprachlich als Konsequenz (ὥστε, 762b13) markiert, folgt aber sachlich nicht zwingend aus dem vorher Gesagten. Die Vorbemerkung 762b12 f. bereitet insofern die Analogiebildung vor, als sie die Vergleichsbasis, d. s. die möglichen, z. T. eben auch nur elementaren Ausgangsstoffe der Verkochung bei den Tieren, verbreitert. Mit μὲν οὖν (762b18) markiert ist nun ein neuer Ausgangspunkt, nämlich für die Frage nach der Uniformität spontaner Entstehung. Ob eine solche auch für die Tiere anzunehmen ist, wird ausdrücklich erst in 763a3 gefragt. Auf einheitliche Weise (ὁμοειδής, 762b19) gehe Spontanzeugung bei Pflanzen vonstatten, nämlich aus einem gewissen fauligen pflanzlichen ,Teil‘ heraus (vgl. I 1. 715b26 – 30), der teils Ursprung, teils Nahrung des Epiphyten wird. Es beginnt nun die Suche nach einem Kandidaten für einen uniformen Modus der Spontangenese bei den Tieren. Eine  Vgl. 762a21; dort (762a19 – 21) werden gewissermaßen insgeheim die Voraussetzungen für Aristoteles’ theoretisches Modell der Spontangenese gelegt: Das Lebensprinzip, ohne das ein neuer Organismus nicht entstehen kann, muss irgendwoher kommen.  Vgl. Rashed (2018).

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Buch III

Grundbedingung hierfür, nämlich in beiden Klassen der primären Unterscheidung des Tierreichs vorzukommen, erfüllt die larvenähnliche Entstehung: So liegt die Betonung eingangs darauf, dass es larvipare Tiere sowohl unter den blutlosen wie unter den Bluttieren gibt.⁷² Unter Einbindung des Mythos setzt Aristoteles voraus, dass die angebliche Erdgeborenheit der Menschen (ὥσπερ φασί τινες, 762b30) und der Vierfüßer einmal hypothetisch ernst genommen werden kann (εἴπερ, 762b29 f.). In diesem Fall könnte man hierfür (ὑπολάβοι τις ἄν, 762b29) alternativ genau zwei Entstehungsweisen annehmen, die larvipare und die ovipare (762b30 f.).⁷³ Beide Modi kommen dann offensichtlich (ὅτι μὲν οὖν … φανερόν, 763a3 f.) als einzige auch als universelle Fortpflanzungsart spontan entstehender Tiere infrage. Damit geht Aristoteles über von einer ‚Integration des Mythos‘ zu einer universell-hypothetischen (εἴπερ ἦν τις ἀρχή, 763a3) zoologischen Perspektive. Der Mythos bietet einen den Menschen direkt einbeziehenden Anknüpfungspunkt für diese universelle Perspektive. Der ovipare Modus hat hierbei das „schwächere Argument“ für sich,wie es in der Sprache der Rhetorik bzw. Dialektik heißt (ἧττον δ’ ἔχει λόγον, 763a4 f.). Denn es fehlt jegliche empirische Evidenz (οὐθενὸς … ὁρῶμεν, 763a5) unter den spontan entstehenden Arten. Für den larviparen als universellen Modus sprechen dagegen die oben genannten (ῥηθέντων, 763a6) Beispiele unter den Bluttieren, wie unter den Blutlosen manche Insekten und die Testacea, um die es gerade geht (περὶ ὧν ὁ λόγος, 763a8). Redundanterweise wird noch einmal wiederholt, was bei ihnen Oviparie per definitionem ausschließt; als Zusatzargument für ihre Larven-Ähnlichkeit (ὁμοίως τοῖς σκώληξιν, 763a10) wird nun die Wachstumsrichtung ,nach oben hin‘ angeführt, welche auch für die Oviparen gilt (763a12– 16), unbenommen der definitionsgemäßen Unterschiede (πλήν, 763a12). Als Grund (αἴτιον δ’ ὅτι, 763a16)

 Unter den Blutlosen zählen hierzu die nicht aus Tieren, also spontan entstehenden Tiere und unter den Bluttieren etwa die Gattung der Meeräschen (κεστρεύς, 762b23; in II 5. 741b1 war er ein Beispiel für geschlechtslose Tiere, ebenso die Aale) u. a. Flussfische und die der Aale. Die sorgfältige Rechtfertigung der Einordnung als Bluttiere, obwohl blutarm, erzeugt den Eindruck von Wissenschaftlichkeit. Als empirisches Indiz gilt das Herz als Prinzip der blutführenden Teile. 763a6 f. wird die Dopplung ,sowohl bei den Blut- wie bei den blutlosen Tieren‘ wieder aufgegriffen mit explizitem Verweis auf die in 762b22 – 26 genannten Bluttiere.  Dass nur diese beiden Modi in Frage kommen, wird 762b31– 763a2 hergeleitet, nämlich aus einer notwendig erscheinenden und als solche deklarierten Dihärese (ἀναγκαῖον … ἢ … ἤ, 762b31 f.). Es wird aber der ‚Mischfall‘ unterdrückt, in dem der Keimling die Nahrung teils in sich selbst hätte, entsprechend einer Larve, und teils von woanders her beziehe. Vgl. dagegen 10. 759a14 oder 11. 761a19, wo jeweils auch ein dritter ,Mischfall‘ unterschieden wird. Der zweite Fall ,von woandersher‘ wird wiederum dihairetisch unterschieden, der erste ‚Unterfall‘ wird als unmöglich (762b35) ausgeschieden, per Ausschluss (ἀναγκαῖον, 763a1) bleibt also der zweite Unterfall, der der Definition eines Eis entspricht (λέγομεν,763a2; vgl. die Definitionen in II 1. 732a29 – 32).

Kapitel 11. 761a13 – 763b16

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für die nun als universell unterstellte embryonale Wachstumsrichtung wird angegeben, dass bei allen Tieren, wenigstens bei solchen, die ein Zwerchfell besitzen, „auch später“ die Nahrung unterhalb des Zwerchfells entsteht. Dieses Aition fällt wohl unter die Rubrik der Final-/Formursache. Es folgt noch die Angabe empirischer Evidenz für die behauptete Wachstumsrichtung larvenartiger Tiere, nämlich bei den Bienen (δῆλον ἐπὶ …, 763a18); Evidenz dafür, dass das Wachstum bei den Testacea hiermit übereinstimmt, bieten die Trompeten-Muscheln (φανερὸν … ἐπὶ …, 763a21 f.; mit Einbeziehung etablierter Terminologie: καλουμένην, 763a23). Damit ist die Zuordnung zum universell-larviparen Entstehungsmodus spontan entstehender Tiere abgeschlossen, markiert durch den ersten Teil einer binary transition (763a24 f.) mit floskelhaft-vag formuliertem (σχεδόν, 763a25) metatextlichem Rückbezug.

4.5 763a25–b16: Indizien für die Spontanzeugung bei den Testacea Etwas überraschend im Vergleich mit der vorläufigen Unterscheidung in 761b23 – 26 erscheint zunächst die pauschale Eingangsthese (ὅτι δὲ, 763a25), sämtliche Testacea entstünden spontan. Denn für die zweite Gruppe (ἐνίων, 761b24) wurde zwar gleich hinzugefügt, dass diese Tiere oftmals auch spontan entstehen, schon 762a1 war dann aber von all diesen, d. h. vegetativ-sprossend oder Pflanzensamen-analog sich vermehrenden Tieren die Rede. Daher ist πολλάκις (761b25) wohl auf jede einzelne Art zu beziehen. Thema dieses Schlussabschnitts sind nun noch, in typischer Weise, nachgelieferte empirische Belege (φανερόν, 763a26), zunächst eben für die Spontanzeugung der Testacea: 1. sie entstehen außen an Schiffskörpern aus dem schaumigen Schmutz, und 2. an Orten, wo sie zuvor nicht präsent waren;⁷⁴ so entstehen im Trocknungsschlamm die sogenannten Lagunenaustern. Hierfür bezieht sich Aristoteles anekdotisch auf ein Ereignis im Rahmen einer bestimmten Flottenfahrt nach Rhodos. Dies erzeugt, fast wie eine gerichtliche Bezeugung oder Beglaubigung, einen Eindruck von Faktizität. Wiederum mit ὅτι δέ (763a33) eingeleitet wird ein starkes Indiz (τεκμήριον, 763a34) dafür, dass diese Testacea⁷⁵ keinen zeugungsbezogenen Stoff

 Hierbei unterdrückt Aristoteles implizit die Möglichkeit, dass Keimlinge von Tieren an Orte gelangen können, die zuvor nicht von ihnen besiedelt waren. Denn folgender Schluss wird nahegelegt: wenn Tiere plötzlich an Orten entstehen, an denen sie zuvor nicht siedelten, müssen sie spontan entstanden sein.  Es können, jedenfalls nach 761b23 ff., nicht alle Testacea gemeint sein, da dort die Tiere der zweiten Gruppe (ἐνίων δέ, 761b24), die im Folgenden den Pflanzensamen-analogen Testacea entsprachen, als eine gewisse δύναμις sezernierende definiert wurden.

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Buch III

ausscheiden.⁷⁶ Auch hier wieder gibt Aristoteles eine regelrechte ,Beglaubigung‘, die durch drei Eigennamen konkretisiert wird (763b1– 4). Am Schluss der Passage wehrt Aristoteles die geläufige Bezeichnung eines Sekrets dieser Tiere als ‚Eier‘ ab. Diese Bezeichnung, wäre sie gerechtfertigt, widerspräche ja der gerade empirisch beglaubigten These. Thesenartig wird einerseits abgelehnt, dass dieses Sekret der Fortpflanzung dient, andererseits eine positive Erklärung angeboten: das Sekret sei ein Zeichen (σημεῖον, 763b6) guter Ernährung. Empirisches Indiz (σημεῖον, 763b8) hierfür ist, dass manche der infrage stehenden Tiere diese sog. Eier immer haben, andere nicht immer, bei wiederum anderen sind sie gar nicht nachweisbar – was mit einer Fortpflanzungsbezogenheit der sog. ‚Eier‘ nicht vereinbar wäre, wie der Rezipient zu ergänzen hat. Das III. Buch schließt mit einem Verweis auf HA. ⁷⁷

5 Vernetzung von Kapitel 11 Themenankündigung für Kapitel 11 am Ende von Kapitel 10: περὶ δὲ … λεκτέον (761a13) Verweis auf eine eventuelle und spätere eigene Abhandlung: περὶ μὲν … ἄλλος ἂν εἴη λόγος (761b23) übliche Bezeichnung: τὰ λεγόμενα κηριάζειν (761b31 f.) fremde anonyme Ansicht: ὥσπερ φασί τινες (762b30) impliziter Rückverweis auf die Definition der oviparen Tierentstehung: ἐξ ᾠοῦ λέγομεν εἶναι γένεσιν (763a2) Selbstreferenz auf die aktuelle Thematik: περὶ ὧν ὁ λόγος (763a8) übliche Bezeichnung: τὴν καλουμένην κεφαλήν (763a23 f.) übliche Bezeichnung: τὰ καλούμενα λιμνόστερα (763a30; b12 f.) Verweis auf HA: ἐκ τῆς ἱστορίας θεωρεῖσθω (763b15 f.) (‐-> HA V 15)

 Für eine spontane Entstehung, wenngleich nicht zwingend, spricht nach Aristoteles auch, dass es zweigeschlechtliche Insekten gibt, bei denen das Weibchen etwas in das Männchen inseriert und das Männchen kein Sperma ejakuliert.  Vgl. HA IV 4 zu den Testacea i. Allg.; V 15 zur Fortpflanzung; VIII 2. 590a18–b3 zur Ernährung.

Kapitel VI Analyse von Buch IV

Einleitung Kapitel 1– 4 von Buch IV bilden eine Einheit. Denn Aristoteles legt zuerst seine generelle Theorie der Fortpflanzung und Vererbung dar und erläutert dann die Entstehung des Geschlechts sowie verschiedene Phänomene der Ähnlichkeit. Auch die Erklärung von Devianzen (terata) gehört dazu, zumal die Entstehung eines weiblichen Nachkommen nach der aristotelischen Theorie bereits eine Abweichung darstellt. In Kapitel 1 setzt sich Aristoteles zunächst diskursiv mit etablierten Theorien der Geschlechtsentstehung auseinander, um in typischer Weise vor dieser Negativfolie seine eigene, thermische Theorie zu präsentieren, die er mit logischen wie mit empirischen Beweisgründen stützt. In dem eher deskriptiven und materialreichen 2. Kapitel schließt er als tekmēria für sein Modell bestimmte empirische Beobachtungen an, die den thermischen Einfluss auf die Geschlechtsentstehung belegen; Aristoteles greift hier auch auf hippokratisches Gedankengut zurück und integriert bereits etablierte Erklärungsmuster in seinen Ansatz. In Kapitel 3 geht es um die – im Verhältnis zu den ersten Kapiteln betont einheitliche – Kausalerklärung von Ähnlichkeitsphänomenen zwischen Vorfahren und Nachkommen; hier entfaltet Aristoteles, anders als sonst, zunächst sein eigenes, mit seinen allgemeinen Philosophemen begründetes Theoriemodell, um sich erst im Anschluss daran diskursiv mit anderen Theorien auseinanderzusetzen. Am Ende des Kapitels beginnt er mit der Erklärung der Entstehung von terata, die im 4. Kapitel fortgeführt und mit derjenigen von Mehrlingsgeburten bzw. Multiparie verbunden wird. Mit Kapitel 5 beginnt die – wiederum grundsätzlich mit dem Anspruch einer einheitlichen, erklärungskräftigen Theorie verbundene – Behandlung verschiedener, z.T. besonders auffälliger Phänomene: Kapitel 5 ist vor allem der aitiologischen Erklärung der Superfetation gewidmet; Kapitel 6 stellt eine Verbindung zwischen Zehenzahl und Mono- bzw. Multiparie und Vollendetheit der Nachkommen her und geht auf Besonderheiten beim Menschen ein, hier wiederum mit engem Bezug zu hippokratischen Schriften; Kapitel 7 gibt eine – mit hippokratischen Ansätzen konkurrierende – Kausalerklärung der mola uteri. Das gut ausgearbeitete deskriptiv-aitiologische Kapitel 8 bringt nun die bereits in I 16 in Aussicht gestellte Behandlung der Laktation, Kapitel 9 und 10 schließen thematisch, sozusagen rückläufig, die Geburtslage bzw. die Gestationsdauer an.

https://doi.org/10.1515/9783110774863-007

Buch IV Kapitel 1. 763b20 – 766b28 1 Inhalt Thema dieses langen Kapitels ist die Geschlechtsentstehung bzw. -differenzierung, die genesis der Geschlechter (763b25). Es startet diskursiv, indem Aristoteles ausführlich auf bereits bestehende Theorien zur Geschlechtsentstehung eingeht und sich kritisch mit ihnen auseinandersetzt. Er lehnt sie ab, auch wenn er ihnen (manchen mehr, wie der Demokrits) eine Teilerkenntnis zugesteht. Seine eigene Theorie geht aus von der auf der thermischen Differenz basierenden unterschiedlichen Verkochungspotenz der Geschlechter,¹ die er dann zu dem Theorem der in unterschiedlichen Verursachungsformen bestehenden geschlechtsspezifischen Zeugungsbeiträge ausbaut. Dies alles wird sehr breit ausgeführt, die eigene Theorie zur Entstehung der Geschlechter in der Ontogenese hingegen sozusagen ‚zwischendrin‘ eingefügt. Das zweite Kapitel schließt eng an das erste an, weil es bestimmte Beobachtungen als Bestätigungen (tekmēria) für die eigene thermische Theorie anführt. Dieses Kapitel ist ein schönes Beispiel dafür, wie Aristoteles diskursive und beweisende Argumentation vermischt und wie er bei seiner beweisenden Theoriebildung logische Beweise mit Beweisen aus der Empirie verbindet. Dabei entwickelt er in typischer Weise die eigene Theorie in Absetzung von den gegnerischen Meinungen. Durch die Verwendung des ‚integrativen Wir‘ wird der Rezipient in die Diskussion mit hineingezogen (763b23: φαμέν; 764a34 f.: τεθεωρήκαμεν). Eine auffällige Häufung von Ausdrücken des ‚Sagens‘ und ‚Meinens‘ verstärkt den Eindruck einer geradezu verbal ausgetragenen Diskursivität (763b25: λεκτέον; 764a24 f.: Polpytoton: λεκτέον … λέγουσιν … λέγειν), wie überhaupt das gehäufte Verweisen auf die Meinungen der anderen mit Formen der 3. Pers. Pl. der Verben φάναι (763b30, 764a3 und a7) und λέγειν (764a20). Hinzu kommen auffällig viele explizite Bewertungen der Gegenmeinungen, die zum Teil auch harsch ausfallen können. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Argument der Empirie, das insbesondere gegen Empedokles ins Feld geführt wird, so dass sich das Wortfeld ‚se-

 Siehe Föllinger (1996a) 133 – 138.

Kapitel 1. 763b20 – 766b28

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hen‘ geradezu leitmotivisch durch dieses Kapitel zieht (z. B. 764a13 und a14), und durch den Verweis auf die Erkenntnis anhand von ‚Sektionen‘ verschärft wird.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 1 Das Kapitel beginnt mit einer binary transition. Eine Abschlussbemerkung weist auf das bisher Behandelte zurück: die Entwicklung eines neuen Lebewesens, sowohl was die allgemeine Theorie als auch was die spezielle Ausprägung angeht. Ebenso wie die gesamte Pragmatie wird dann das neue Thema mit ἐπεὶ δέ (763b21) motivierend eingeleitet und in der metatextlich vorausweisenden und disponierenden Wendung λεκτέον περὶ … πρῶτον (763b25 f.) schlagwortartig bezeichnet. Aus der Prinzipienhaftigkeit der Geschlechter ergibt sich, dass man zuerst über deren Entstehung sprechen müsse (763b25 f.). Das Verbaladjektiv λεκτέον ist ein metatextlicher Verweis zur Strukturierung. Das Kapitel endet mit einem Resümee (vgl. unten). Dessen letzte Passage schließt mit einer typischen Redundanz (766b26 f.) und mit dem ersten, metatextlich rückbezüglichen Teil einer binary transition (766b27 f.). Das zweite Kapitel ist eng mit dem ersten verbunden, weil es bestimmte Beobachtungen als Bestätigungen (τεκμήρια) für die eigene thermische Theorie anführt. Da Kapitel 3 unvermittelt an Kapitel 4 anschließt und erst das Ende von Kapitel 4 eine Abschlussformulierung bringt, wird die enge Zusammengehörigkeit dieser Kapitel deutlich.

3 Struktur von Kapitel 1 §1 1: 763b20 – 765b6: Kritik an Wärme- und Ortstheorien der Vorsokratiker (Anaxagoras, Demokrit, Empedokles) 2: 765b6 – 766b7: Die eigene Theorie 3: 766b7–b28: Resümee

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Buch IV

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 763b20 – 765b6: Kritik an Wärme- und Ortstheorien der Vorsokratiker (Anaxagoras, Demokrit, Empedokles) 763b20 – 764a11: Die Positionen der Vorsokratiker Diese Passage führt die Positionen des Anaxagoras und anderer physiologoi vor, nach deren Auffassung der männliche Partner den Samen beiträgt, der weibliche den Ort. Männliche Nachkommen entstehen aus Samen vom rechten Hoden, weibliche aus Samen vom linken Hoden. Aristoteles zitiert hier ebenfalls eine Auffassung, dass männliche Nachkommen im rechten Teil der Gebärmutter entstünden, weibliche im linken (763b33 – 764a1).² Die neue Themenstellung, die mit einer metatextlichen Bemerkung appellativen Charakters eingeleitet wird (λεκτέον, 763b25), wird zweifach motiviert. Denn durch den Verweis auf die Getrenntgeschlechtlichkeit bei den höheren Tieren und den Prinzipienrang der beiden Geschlechter wird deren grundsätzliche Bedeutung herausgestellt. Diese liefert selbstredend keinen zwingenden Grund, nun (und als erstes, 763b26) die Genese des individuellen Geschlechts zu thematisieren, aber die Formulierung ἐπεὶ, λεκτέον suggeriert dies. Nachgeschoben (ἔτι γάρ, 763b26) wird die empirisch gesicherte frühe Ausdifferenzierung des Geschlechts in der Ontogenese. Damit leitet Aristoteles zugleich über zu einer Darstellung des zeitgenössischen Diskurses, den er mit der den Rezipienten in den Entscheidungsprozess mit hineinziehenden Formulierung πότερον … ἀμφισβητεῖται (763b27– 29) beginnt. Es handelt sich um die Frage, 1. ob auch vor einer empirisch nachweisbaren Geschlechtsdifferenzierung bereits das Geschlecht festliege, und 2., wenn ja, ob dieses in der Gebärmutter gebildet werde oder bereits früher. Durch diesen doppelt-dihairetischen Fragehorizont ist vorab ein übergeordneter Rahmen, als ein überlegener Standpunkt, gegeben, in den sich die drei im Folgenden referierten fremden Positionen einordnen lassen. Alle Positionen fallen unter ‚ja‘. Position 1 fällt unter ‚früher‘, die Positionen 2 und 3 unter ‚in der Gebärmutter‘. Eine gewisse Diskrepanz besteht zwischen der Aussage, (auch) die erste Frage sei umstritten, und dem Umstand, dass für die Position ,nein‘ dann keine Instanz angeführt wird. Dies ist wieder typisch für eine nicht komplette Durchführung eines eigentlich eingangs (dihairetisch) aufgestellten Fragenkatalogs.³

 Nach Peck (1943) 373 Anm. c liegt hier eine Interpolation vor. Möglicherweise bringt an dieser Stelle Aristoteles aber auch in nachklappernder und unvollkommener Form einen Verweis auf eine alternative Theorie von physiologoi, derzufolge doch der vom Weibchen beigesteuerte topos eine Rolle spielt.  Vgl. S. 14 f.

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Für die unterschiedlichen Positionen werden Namen genannt, deren Meinungen Aristoteles referiert: Für die erste, von mehreren Autoren vertretene (φασὶ γὰρ οἱ μέν, 763b30) Position ,früher‘ wird Anaxagoras, für die ebenfalls mehrfach vertretene (οἱ δέ, 764a1) Position ,erst in der Gebärmutter‘ werden die – in ihrer Aitiologie aber unterschiedlichen – Autoren Empedokles (φησί, 764a3) und Demokrit angeführt (φησί, 764a6 f.). Durch die Häufung der Konstruktionen φάναι mit AcI und dadurch, dass sich die drei geschilderten Positionen offensichtlich gegenseitig ausschließen, wird der hypothetisch-spekulative Charakter der gegnerischen Ansichten hervorgehoben. Die erste Position wird explizit der (asymmetrischen) Einsamen-, die dritte implizit der Zweisamentheorie zugeordnet. Die Darstellung der zweiten, empedokleischen Ansicht wäre durchaus mit beiden Ansätzen zu vereinbaren. Schematisiert sehen die Positionen also folgendermaßen aus: 1. Die Geschlechtsdifferenzierung geschieht, bevor sie für uns sichtbar ist. 2. Die Geschlechtsdifferenzierung geschieht nicht, bevor sie für uns sichtbar ist. Diese Möglichkeit spricht Aristoteles im Weiteren aber gar nicht an. 1a. Die Geschlechtsdifferenzierung geschieht in der Gebärmutter. 1b. Die Geschlechtsdifferenzierung geschieht früher.

Die Positionen sind von folgenden Denkern vertreten worden: 1b. Anaxagoras: Das Geschlecht ist abhängig von der Hodenseite (rechts–links). 1a1. Empedokles: Die von der Frische und damit der Wärme des Menstruationsbluts abhängige Wärme der Gebärmutter ist ausschlaggebend. 1a2. Demokrit: Die Quantität des jeweiligen Samens ist auschlaggebend (Epikratieprinzip). Dass Aristoteles dieser Position mehr Teilerkenntnis zuweist, wird auf feine Weise schon dadurch deutlich, wie er Demokrits Position von der des Empedokles absetzt (μὲν, οὐ μέντοι … γε, 764a7– 9). Für Demokrits Theorie ist vorausgesetzt, dass Sperma 1. von beiden Geschlechtspartnern und 2. jeweils auch von den Geschlechtsorganen ausgeht.⁴ Welche Eigenschaften des Spermas für die Dominanz (κρατήσῃ, 764a10) entscheidend sind bzw. was hierfür überhaupt ursächlich ist, ist hier nicht gesagt; grundsätzlich muss es nicht unbedingt die Quantität sein. 764a12 – 765a3: Argumentation gegen Empedokles und Demokrit  764a10 f. – implizit ist die demokritische Theorie also als eine pangenetische vorgestellt; vgl. explizit u. 764b18 – 20).

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Empedokles hat, so Aristoteles, eine Theorie entwickelt, dass die Wärme in der Gebärmutter ausschlaggebend sei für die Geschlechtsentwicklung. Diese widerlegt Aristoteles, indem er Empedokles’ Aussage, die Temperatur sei ausschlaggebend für das Geschlecht, ganz konkret interpretiert und ihm die Vorstellung – vielleicht zu Unrecht – zuschreibt, dass der Embryo schon mit angelegten Organen in die Gebärmutter komme, so dass es dann etwa weibliche Nachkommen ohne Gebärmutter und männliche Nachkommen mit Gebärmutter geben könne. Diese Widerlegung zielt auf das Problem, dass die Geschlechtsentwicklung nicht nur die inneren, sondern auch die äußeren Geschlechtsorgane betrifft. Man könnte hinzufügen: auch das ganze Aussehen und den ganzen Habitus, weshalb Aristoteles an einer früheren Stelle sagen konnte, dass das Geschlecht eine archē sei, weil mit einer Änderung des Geschlechts sich sehr viel verändere (GA I 2. 716b9 – 12). Demokrits Theorie wird von Aristoteles besser (βέλτιον, 764a20) bewertet, weil er nach „dem Unterschied der Entstehung“ (764a21 f.) suche, also den Faktor im Prozess sieht. Denn Demokrit nahm, nach Aristoteles, an, dass die Geschlechtsdifferenzierung sich in der Gebärmutter bilde und dass das Kriterium sei, ob mehr Samen von dem Geschlechtsorgan der Mutter oder dem des Vaters kommt. Jede Position wird von Aristoteles widerlegt, wobei er mit Empedokles beginnt, auf typische Weise Parallelargumente anführt und den Widerspruch zur Empirie ins Zentrum stellt: – Empedokles’ Theorie kann nicht erklären, warum das neue Lebewesen komplett männlich oder weiblich aussieht (764a12– 20). Sie ist, so Aristoteles, Demokrits Theorie unterlegen. Denn dessen (auf einem Epikratieprinzip beruhender) Ansatz hat noch Erklärungspotential, wohingegen Empedokles’ Theorie der Empirie widerspricht – und zwar eklatant. Denn dass sich die Geschlechter durch mehr als durch die thermische Differenz unterscheiden, kann man ‚sehen‘: In dem konzessiven ὁρῶν (764a14) formuliert Aristoteles den methodischen Tadel, und er belegt das Ungenügen des Vorsokratikers mit dem Prädikat der „Leichtfertigkeit“ (ῥᾳθυμότερον, 764a14). Aber Aristoteles lässt es nicht dabei bewenden: Um zu demonstrieren, dass Empedokles’ Ansatz zu primitiv sei, weil er die Verbindung von Geschlecht und jeweiligen Geschlechtsorganen nicht erklären könne, malt er anschaulich die konkrete Konsequenz von dessen Erklärung aus (764a15 – 20), indem er Empedokles’ Erklärungsansatz mit einem Koch- bzw. Backprozess in einem Ofen vergleicht (764a17 f.). So macht er diese Modellbildung lächerlich.⁵

 Vgl. Föllinger (2022b).

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Es fehlt grundsätzlich eine ursächliche Erklärung (sogar jeglicher ernsthafte Erklärungsversuch) der Geschlechtsentstehung (764a20 – 32). Ein für sich allein genommen bereits schlagendes empirisches Indiz widerlegt Empedokles: Die Empirie zeigt nämlich, dass in ein und derselben Gebärmutterseite Zwillinge verschiedenen Geschlechts entstehen (764a33–b3). Indem Aristoteles hier einen Verweis auf Sektionen einfügt, die „wir“ gesehen hätten (764a34 f.: τεθεωρήκαμεν ἐκ τῶν ἀνατομῶν⁶), stellt er eine imaginäre Gemeinschaft der empirisch beobachtenden Wissenschaftler her, gegenüber denen Empedokles dann besonders abfällt. Denn diesen tadelt Aristoteles heftig: Wenn er nicht die empirische Beobachtung machte (764a36 f.: συνεωράκει), ist sein Fehler εὔλογος, wenn er dies aber sah, ist die Wärmeaitiologie ἄτοπον (764b1). Mit dieser offen bleibenden, für Empedokles unvorteilhaften Alternative scheint Aristoteles den einfachen Vorwurf empirischer Ignoranz abschließend noch steigern zu wollen.⁷ Empedokles’ Theorie hat innere Widersprüche (764b3 – 20): Die Ablehnung der diskutierten Positionen markiert Aristoteles scharf. So führt er die Meinung der Vorsokratiker mit distanzierendem λέγειν (764b3) und φάναι (764b5 und 17) an. Empedokles’ Position überführt er mit einer reductio ad absurdum als in sich widersprüchlich: Denn die Annahme, dass in der Embryonalentstehung die Körperteile jedes Geschlechts getrennt vorliegen, müsste auch für die Geschlechtsorgane gelten. Das aber widerspricht Empedokles’ Auffassung, dass die ausschlaggebenden Faktoren für die Geschlechtsdifferenzierung Kälte und Wärme (sc. im Uterus) sind. Schließlich desavouiert Aristoteles Empedokles’ Art der Kausalerklärung grundsätzlich. Denn er bezeichnet sie mit dem Begriff πλασματώδης (764b8 – 10), der nach seiner Terminologie eine künstlich hingebogene und damit eine nicht der Methode des untersuchten Gegenstandes entsprechende Argumentation bezeichnet.⁸ Indem Aristoteles seine eigene Spermatheorie als Prämisse setzt (764b10 f.: εἰ δ’ ἐστὶ περὶ σπέρματος οὕτως ἔχον ὥσπερ τυγχάνομεν εἰρηκότες), kann er von der Warte dieser eigenen, als gültig vorausgesetzten Theorie aus Gegengründe entwickeln, die nun auch auf Demokrits Ansatz angewendet werden (764b10 – 20).

Dieses folgende gegen beide Vorsokratiker gerichtete Argument bildet den Übergang zu zwei (wohl auch im zweiten Fall) nur gegen Demokrit gerichteten An-

 Bei den anatomai in 764a35 muss es sich um Sektionen handeln, vgl. Lennox (2018) 266 f.  Vgl. auch GA III 8. 758a2 f.  Vgl. Metaph. M 7. 1082b2– 4.

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griffspunkten, im Folgenden eingeleitet durch eine nochmalige Abwägung der beiden fremden Theorien zugunsten Demokrits, dessen Meinung wiederum als βέλτιον im Vergleich mit der empedokleischen Auffassung qualifiziert wird (764b21). Das Verdikt gegen Empedokles ist äußerst scharf, indem Aristoteles seinen Ansatz als Resultat mangelnder Reflexion betrachtet (764b21 f.: μηθὲν φροντίσαντα τὸ θερμὸν αἰτιᾶσθαι μόνον). Es fehlt eine ursächliche Erklärung der (regelhaften) Koinzidenz von inneren und äußeren Sexualorganen desselben Geschlechts (764b20 – 27), nämlich dass mit der Geschlechtsdifferenzierung auch die Veränderung des ganzen Körpers zu tun habe, so auch die Art der Adernentstehung, womit die Entstehung der Gebärmutter zusammenhänge (dies hat Aristoteles in Buch I erläutert). – Mit ἔτι folgt ein Parallelargument (764b27– 765a3). Mit ihm desavouiert Aristoteles klar (764b27: ἄτοπον) die Auffassung, dass sich nur die primären Geschlechtsorgane ändern. Nach der demokritischen Theorie (die eine Form pangenetischer Auffassung ist) treten männliches und weibliches Sperma, das von dem gleichen Körperteil kommt (bzw. im Falle der Geschlechtsorgane: von einander entsprechenden Teilen), bei der Vereinigung in Konkurrenz zueinander, und die resultierende Epikratie ist dabei unabhängig von der bezüglich anderer Körperteile resultierenden Dominanz. Jedenfalls unterstellt dies Aristoteles stillschweigend, nachdem er soeben eine mögliche Form der Abhängigkeit ad absurdum geführt hat. Daher kann – so die Ausweitung des vorigen Arguments – Demokrit nicht erklären, warum mit der Ausprägung eines bestimmten Geschlechts bestimmte weitere Änderungen des Phänotyps am ganzen Körper einhergehen. Damit greift Aristoteles eine Beobachtung auf, die Grund für seine Behauptung in Buch I war, dass die Geschlechter ‚Prinzipien‘ seien (vgl. I 2. 716b3 – 12). 765a3 – 21: Argumentation gegen Anaxagoras Aristoteles beginnt mit einem Neueinansatz gegen eine Theorie, wie sie Anaxagoras vertrat (DK 59A107) und die er hier mehreren (765a4: πρὸς τοὺς λέγοντας) zuschreibt. Dieser Neueinsatz betont, gegen diese sei ebenso zu argumentieren wie gegen die beiden anderen Vorsokratiker (Ὁ δ’ αὐτὸς λόγος καὶ πρὸς …, 765a3), und hebt so die Kraft des eigenen Arguments hervor. Die Widerlegung startet mit einer Alternative (εἴτε … εἴτε, 765a6/a8), in deren erstem Teil Aristoteles sein eigenes Theorem, dass das Männchen keine Materie beiträgt, unter hypothetischen Vorbehalt stellt: In diesem Fall jedoch ist die gegnerische Aussage ‚leer‘, wie Aristoteles es pointiert, wenn auch in urbanem Potentialis, ausdrückt (765a7): οὐθὲν ἄν λέγοιεν. Denn nach Anaxagoras trägt das Weibchen ausschließlich den Ort bei, also muss sämtliche Materie des Keimlings vom Männchen stammen, was der Prämisse widerspricht. Um Anaxagoras aber auch unabhängig von seinem

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eigenen Theoriestandpunkt zu widerlegen, nimmt Aristoteles das erste Gegenargument gegen Empedokles aus 764a14 ff. mit wörtlichen Parallelen wieder auf. Er hebt auf die Unzulänglichkeit der empirischen Beobachtung ab, die sich die Gegner zuschulden kommen lassen (765a12: ὁρῶντες als konzessives Partizip). Die Vertreter der Rechts-Links-Theorie begehen nach Aristoteles grundsätzlich denselben Fehler wie Empedokles, nur treten bei ihnen ‚rechts‘ und ‚links‘ an die Stelle von Wärme und Kälte. Dies widerspricht aber der Empirie. Denn sie vertreten diese Auffassung, obwohl sie wie er vor Augen haben (ὁρῶντες, 765a12), dass sich die beiden Geschlechter durch ganze Organe unterscheiden. Eine mit relativischem Anschluss folgende direkte Frage weist auf eine durch die Konkretisierung τὸ σῶμα τὸ τῆς ὑστέρας (765a14 f.) in ihrer Triftigkeit gesteigerte Erklärungslücke hin: auf den fehlenden Grund dafür, dass bei den aus der linken Körperhälfte stammenden Keimen ein Uterus tatsächlich vorliegt, bei den aus der rechten stammenden aber nicht. Aristoteles greift so die Grundannahme der Rechts-Links-Theorie an, weil sie unbegründet sei. Das mit γάρ in 765a15 angeschlossene, stark elliptische Kondizionalgefüge ist in der Apodosis eine fast wörtliche Übernahme von 763b19 f. und hat inhaltlich zur unausgesprochenen (!) Voraussetzung, dass man – wenn eben ein hinreichender Gegengrund fehlt – annehmen darf, dass aus der linken Körperhälfte (des Männchens) auch ein Keim ohne Uterus stammen kann, der dann zu einem Weibchen ohne Uterus führen würde. Aristoteles unterdrückt hier aber die explizite Feststellung der Unmöglichkeit (vgl. o. 764a20) und überlässt sie dem Rezipienten. Im Zentrum steht hier also die These, die Rechts-Links-Theorie sei im Kern grundlos; die vorausgehende Parallelisierung mit Empedokles übergeht, dass, wie eingangs 763b30 f. dargestellt, Anaxagoras den Geschlechtsunterschied schon im Samen ansetzt, Empedokles erst in der Gebärmutter. Die nachgeschobene reductio ad absurdum erscheint geradezu ‚mechanisch‘ zu erfolgen und bringt nichts Neues – sie übergeht ebenfalls, dass nach Anaxagoras das Geschlecht progam bestimmt ist. Auch das zweite Gegenargument (765a16 ff.) arbeitet mit der Empirie: Dieses ist in typischer Weise mit ἔτι angeschlossen und wiederholt mit metatextlichem Rückverweis (ὅπερ εἴρηται καὶ πρότερον, 765a17) auf 764a33–b3 ein eigentlich für sich allein schon zwingendes empirisches (ὦπται, 765a17) Gegenindiz, zumindest gegen den zweiten Teil der Rechts-Links-Theorie, der besagt, dass sich die weiblichen Keime in der linken, die männlichen in der rechten Uterushälfte entwickeln. Abschließend betont Aristoteles, dass es sich nicht nur um einen Einzelfall handelt. 765a21 – 34: Argumentation gegen Leophanes und andere Eine weitere Ansicht, die auf dem Rechts-Links-Gegensatz beruht und als Praxis der einseitigen Hodenabbindung formuliert ist, wird angeführt. Die Subjektivität

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dieser Anschauung wird durch die Formulierung παραπλησίως δέ τινες πεπεισμένοι τούτοις εἰσί (765a21 f.) suggestiv unterstrichen. Vertretern der analogen Ansicht, einseitig Kastrierte zeugten jeweils nur männliche bzw. weibliche Nachkommen, wird über die Unrichtigkeit (765a26) hinaus in polemischer Weise eine geradezu ,Mantik-artige‘ Extrapolation von bloß Wahrscheinlichem (μαντεύομενοι … ἐκ τῶν εἰκότων, 765a27 f.) vorgeworfen sowie vorschnelle, i. e. vor hinreichender empirischer Forschung erfolgende Meinungsbildung (765a28 f.), schließlich auch Ignoranz (765a29 ff.) des Umstands, dass die Hoden nichts zur Entstehung von männlichem bzw. weiblichem Nachwuchs beitragen. Zu dieser These wird – analog zu I 4 – ein empirisches Indiz vorgetragen: Bei vielen getrenntgeschlechtlichen Tieren wird weiblicher bzw. männlicher Nachwuchs gezeugt, ohne dass diese Tiere Hoden hätten. Aus dem Umstand, dass bei Hodenlosen (zu den Beispielen ,Fische und Schlangen‘ vgl. o. I 3. 716b16 f. u. I 4. 717a18 f.) die Hoden für die Bestimmung des Geschlechts des Nachwuchses trivialerweise keine Rolle spielen, folgt aber nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres –, dass dies bei hodentragenden Tieren auch so ist, sondern nur (und trivialerweise), dass die Hoden zur Geschlechtsdetermination des Nachwuchses nicht in einem schlechthinnigen Sinn notwendig sind. Analog wurde in I 4. 717a17– 20 geschlossen: Angenommen, die Hoden wären (sc. schlechthin) notwendig für die Fortpflanzung. Dann gäbe es sie bei allen sich fortpflanzenden Arten – was nicht der Fall ist. Stillschweigend wird nun aber die berechtigte (und triviale) Folgerung, ‚die Hoden sind nicht in einem schlechthinnigen Sinn notwendig zur Fortpflanzung‘ extrapoliert zu ,die Hoden sind bei keiner Art, insbesondere nicht bei hodentragenden Arten, notwendig zur Fortpflanzung‘. Für diese Argumentationsweise kann man SE 4. 166b21 ff., insbesondere b22 f., und SE 5. 166b37 ff. heranziehen. Dort geht es um ‚Trugschlüsse‘, die mit der Differenz ‚schlechthin‘/ ‚nicht schlechthin (= nur in gewisser Hinsicht)‘ arbeiten. 765a34–b6: Überleitung zur Entwicklung des eigenen Ansatzes Die Überleitung zur Entwicklung des eigenen Ansatzes erfolgt in einer differenzierten Beurteilung der besprochenen fremden Ansichten, zunächst unter Einräumung einer gewissen Berechtigung (ἔχει τινὰ λόγον, 765b1), um dann die Unzulänglichkeit wieder umso deutlicher herauszustreichen (λίαν … πόρρωθέν ἐστιν ἅπτεσθαι τῆς αἰτίας, 765b4 f.) und den ,Erkenntnisdruck‘ (δεῖ δέ, 765b5) zu motivieren, sich den ersten Ursachen möglichst und mit allen Mitteln anzunähern. Diese Formulierung erinnert an Physik I 1. 184a10 ff., wobei sogar wörtliche Anklänge zu vermerken sind. So wird die Entwicklung des eigenen – als eines im Blick auf eine Kausalerklärung ambitionierteren Ansatzes – angekündigt und eine Spannung erzeugt, die im Folgenden noch gesteigert wird durch ein weiteres Ausholen.

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Aber indem am Schluss Aristoteles beiden Theorien ein Körnchen Wahrheit zugesteht, weil beide die höhere Wärme verantwortlich machen (die Rechts-LinksTheorie indirekt, weil die rechte Seite wärmer sei), damit aber die bessere Verkochung zusammenhängt, die den Samen fruchtbarer macht, kann Aristoteles auf seine eigene Theorie überleiten, die er ab 765b6 entwickelt und die darauf hinausläuft, dass ausschlaggebend für die Entstehung eines männlichen Embryos die größere Wärme ist.

4.2 765b6 – 766b7: Die eigene Theorie An die ausführliche Widerlegung schließt Aristoteles nun seine eigene Anschauung an. Dabei referiert er seine Ergebnisse aus Buch I, indem er die Begründungszusammenhänge wiederholt: Da das Weibchen nicht so gut verkochen kann, produziert es mehr Blut. Grund ist die fehlende Wärme. Es verhält sich also, so Aristoteles, gerade gegensätzlich zu dem, was einige annehmen: Das Menstruationsblut ist nicht Zeichen größerer Wärme, sondern von weniger Wärme.⁹ Insgesamt geht Aristoteles hier sehr breit auf seine eigentlich schon früher entfaltete Theorie ein, dass die Weibchen aus Mangel an Wärme Blut produzierten und sich daher die Existenz einer Gebärmutter erkläre, die Männchen hingegen für ihren Samen den Hoden hätten. Im Vergleich zu dieser Ausführlichkeit führt er ‚wie nebenbei‘ die eigene Theorie zur Geschlechtsentstehung ein (766a16 – 22): Wenn der Samen aufgrund eines Mangels an Wärme den Verkochungsprozess nicht zu Ende führen kann, entsteht ein Weibchen. Diese Theorie wird gewissermaßen eingeschoben in die breiten Ausführungen zu dynamis und adynamia und den zugehörigen Geschlechtsorganen. An den Beginn der Entwicklung seiner eigenen Theorie stellt Aristoteles einen metatextlichen Verweis (765b6 – 8) auf andere Bücher, gemeint sind wohl PA II–IV, IA und GA I (bis c. 16). In Absetzung (ἀλλά, 765b8) von den dort behandelten anatomisch-funktionellen Aspekten des Körpers und seiner Teile führt Aristoteles nun erstmals seine dynamische Fassung der Geschlechterdifferenz ‒ wie sie zunächst in einer vorläufigen, am Augenschein orientierten Version in I 2 auftrat, dann in Termini der Verkochungspotenz in den letzten Kapiteln von Buch I entwickelt wurde – mit der begrifflichen Zuordnung der aristotelischen Verursachungsformen zu den beiden Geschlechtern ‒ wie sie in I 2. 716a5– 7 knapp vorweggenommen, dann wiederum in den letzten Kapiteln des 1. Buchs begründet und (am explizitesten I 20. 729a9 – 11) festgehalten wurde ‒ zusammen, ganz explizit in Bezug auf das männ-

 Die übliche Ansicht war, dass Frauen kälter sind. Ausnahmen waren Parmenides und der Autor der hippokratischen Schrift Mul. I. Vgl. dazu Föllinger (1996a) 21 f., 30 – 33, 135.

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liche Geschlecht (765b10 f.).¹⁰ Dabei arbeitet er mit wörtlichen Anklängen.¹¹ Waren in I 2 die positiv gefassten dynameis der Geschlechter komplementär zueinander, stehen nun, wie bereits in I 20, Potenz und Impotenz (765b9, b17 f.: adynamia; b15: adynatoun) asymmetrisch einander gegenüber¹². Und auch im Weiteren steht die Differenz der ‚intrinsischen‘ thermischen Potenz als grundlegendes Aition der Geschlechterdifferenz im Vordergrund. Zusammen mit der weiteren, allgemeinen Prämisse (765b15 f.), dass jede Verkochung durch Wärme bewerkstelligt wird, wird nun ,vorwärts‘ und notwendig (ἐπεὶ … ἔτι εἰ … ἀνάγκη, 765b8 – 16) auf den höheren Wärmegrad der männlichen Tiere geschlossen. Daran schließt sich gleich ein bestätigendes empirisches Indiz (σημεῖον, 765b19), nämlich der Blutreichtum der weiblichen Tiere in bestimmten Körperregionen, an, das mit dem eigenen Modell erklärt werden kann (διὰ γὰρ ψυχρότητα καὶ ἀδυναμίαν, 765b17 f.). In einer für Aristoteles typischen Vorgehensweise des ‚sich verselbständigenden Argumentierens‘ kommt nun ein diskursiver Einschub (765b18 – 28). In ihm geht Aristoteles gegen eine Interpretation vor, die den lokalen Blutreichtum der weiblichen Tiere durch deren höheren Wärmegrad erklärt. Aristoteles vollzieht hier in typischer Weise zunächst die fremde Argumentation nach (765b21 f.), um deren Vertreter dann aber sogleich in der Art ihrer Theoriebildung (ὑπολαμβάνουσι, 765b22) durch zwei naiv-absurde Vergleiche (ὥσπερ, 765b23, b26) zu desavouieren. Der eine lautet: „als könne alles gleichermaßen schon Blut sein, wenn es nur flüssig und blutfarben ist“ (765b23 – 25). Der andere unterstellt, sie verbänden wie bei Verdauungsausscheidungen eine größere Quantität mit höherer innerer Wärme. Damit wirft Aristoteles seinen Opponenten implizit eine naiv-unreflektierte Parallelisierung von Verdauung und Blutbildung vor. Abschließend stellt er dem noch einmal die eigene, entgegengesetzte Interpretation emphatisch gegenüber (765b28: καίτοι τοὐναντίον ἐστίν) und stützt sie durch einen Vergleich mit der Flora (765b28 – 35: ὥσπερ γὰρ καὶ … οὕτω πάλιν καὶ …), der den Vergleich in I 20. 728a27 f. (ὥσπερ ἐν τῇ περὶ τοὺς καρποὺς γενέσει … δεῖται δ’

 Angedeutet wurde diese Zusammenführung von dynamischer und begrifflicher Auffassung der beiden Geschlechter bereits eingangs des 2. Buchs: Τὸ δὲ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν … εἴρηται πρότερον, καὶ τίς ἡ δύναμις καὶ ὁ λόγος τῆς οὐσίας αὐτῶν (731b18 – 20).  Vgl. 765b8 – 11 (ἀλλ’ ἐπεὶ τὸ ἄρρεν καὶ τὸ θῆλυ διώρισται δυνάμει τινὶ καὶ ἀδυναμίᾳ· τὸ μὲν γὰρ δυνάμενον πέττειν καὶ συνιστάναι τε καὶ ἐκκρίνειν σπέρμα ἔχον τὴν ἀρχὴν τοῦ εἴδους ἄρρεν) mit I 2. 716a23 (ἐπεὶ δὲ δυνάμει διώρισται καὶ ἔργῳ τινί) und I 20. 728a18 (ἀδυναμίᾳ γάρ τινι τὸ θῆλύ ἐστι τῷ μὴ δύνασθαι πέττειν ἐκ τῆς τροφῆς σπέρμα τῆς ὑστάτης) sowie I 20. 729a9 – 11 (ἐπειδὴ τὸ μὲν ἄρρεν παρέχεται τό τε εἶδος καὶ τὴν ἀρχὴν τῆς κινήσεως τὸ δὲ θῆλυ τὸ σῶμα καὶ τὴν ὕλην).  Der äußerlich-komplementäre Aspekt bleibt jedoch in den Begriffen ἐκκρίνειν σπέρμα/ δεχόμενον (765b10 f./b14) erhalten.

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ἐργασίας) aufruft. Das Gemeinsame ist hierbei in einem Konzentrationsprozess gesehen, dessen Endprodukt quantitativ in keinem rationalen Verhältnis zum Ausgangsstoff mehr stehe (765b30 f.: οὐθὲν μέρος). Nach dieser Abwehr gegenläufiger Auffassungen kann Aristoteles wieder an das Konzept von dynamis und adynamia (s. o. 765b8 ff.) anknüpfen. Ähnlich wie in I 2. 716a23 – 27 schließt er nochmals auf die notwendige Existenz der der Potenz bzw. Impotenz ‚eins zu eins‘ entsprechenden Organe. Denn es geht ja um die konkrete Entstehung von Geschlechtsorganen in der Ontogenese, für die es entsprechende Örter gebe. Und da diejenige Nahrung, aus der ein bestimmtes Organ entsteht, mit derjenigen identisch ist, durch die es wächst, entstehen die Hohlorgane aus der Materie und dem Residuum, das sie jeweils aufnehmen. Diese beiden Voraussetzungen ermöglichen die Erklärung der Entstehung von Samengängen bzw. Uterus: Vorausgesetzt, Blut ist bereits vorhanden, so entsteht mit der männlichen Dynamis, die Nahrung letzter Stufe weiter zu verkochen, Sperma. Aus diesem Residuum entstehen dann die Samengänge, die es aufnehmen. Mit der weiblichen Impotenz zur weiteren Verkochung fällt eine entsprechend große Menge an Katamenien an, aus denen sich entsprechend der Uterus bildet und die dieser aufnimmt. Als letzte Vorbereitung wird die Lehre vom Umschlag ins Gegenteil angeführt (vgl. GC I 7). Dann wird in tentativer Formulierung (ἴσως mit Potentialis) nun die eigene Kausaltheorie angekündigt (766a16– 18): Unterliegt das männliche Prinzip, schlägt es notwendig ins Gegenteil um, das heißt: ins Weibliche. Dessen Andersheit in der Potenz entspricht eine solche in den Organen, so dass auch auf Organebene ein Umschlag erfolgt. Als empirisches Indiz für die (relative) Prinzipienhaftigkeit wird das Phänomen der Eunuchie angeführt, das bereits in I 2 vorkam. In einem letzten Schritt der Entwicklung des Modells (766a30–b5) wird in einem typischen Vorwärts-Schluss daraus, dass das männliche Prinzip wesentlich durch seinen Wärmegrad bestimmt ist, gefolgert, dass es sich (bei den Bluttieren) zuerst als das Prinzip der inneren Wärme, d. h. als das Herz, manifestieren muss. Der Embryo (als ganzer) ist allerdings erst bei Ausbildung der Geschlechtsorgane als weiblich oder männlich anzusprechen. Der Abschluss der Passage wirkt in typischer Weise redundant (766b6 f.).

4.3 766b7 – 28: Resümee Diese Passage stellt ein Resümee dar und wird durch die einleitenden Worte auch so benannt. Mit dem letzten Satz wird das ganze Kapitel 1 abgeschlossen, das der Entstehung der Geschlechter gewidmet war. Durch die ringkompositorische Struktur und die Wiederholung zentraler Punkte seiner Theorie zum Geschlechtsunterschied suggeriert Aristoteles, alles behandelt zu haben. Genau

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besehen aber war viel Raum der Widerlegung der gegnerischen Theorien und der Wiederholung der schon in Buch I entwickelten eigenen Anschauungen gewidmet. Die Frage, wie man sich den Prozess der Geschlechtsdifferenzierung in der Ontogenese selbst vorzustellen habe, wird dagegen recht kurz abgehandelt, und auch das Ergebnis (das Herz als Anfang) ist recht knapp dargestellt.¹³

5 Vernetzung von Kapitel 1 Die für Aristoteles typische Dopplung καὶ κοινῇ καὶ χωρὶς περὶ πάντων erinnert an den Anfang des Werks (715a2; vgl. auch 715a17 f.); der erste Teil einer binary transition (μὲν οὖν, 763b20) erklärt somit das zweite Hauptthema der Untersuchung, περὶ γενέσεως (715a17), für abgehandelt.¹⁴ Es folgen 763b21– 24 weitere deutliche Anklänge an zentrale Passagen der Abhandlung: τοῖς τελειοτάτοις 763b21 f. greift die in II 1 entwickelte Rangskala der Tiere auf (vgl. auch II 4), κεχωρισμένον 763b22 weist auf die Begründung der Zweigeschlechtlichkeit, ἀρχάς φαμεν εἶναι 763b23 auf die Etablierung der beiden Geschlechter als Prinzipien der Fortpflanzung bereits in I 2, wieder aufgenommen ebenfalls in II 1.

Kapitel 2. 766b28 – 767a35 1 Inhalt Das zweite Kapitel schließt ganz eng an das erste an, weil Aristoteles in ihm bestimmte Beobachtungen als Bestätigungen (τεκμήρια) für die eigene Theorie anführt. Es sind Beobachtungen, die ein Indiz dafür sind, dass Wärme bzw. Kälte die Geschlechtsentstehung beeinflussen. Aristoteles greift hier hippokratisches Gedankengut auf,¹⁵ so dass er implizit zeigen kann, dass seine Theorie damit kongruiert bzw. bestimmte Beobachtungen

 Vgl. Rapp (2022).  Die entsprechende Groß-Gliederung (nach den grundlegenden Kapiteln I 1– 2) bis hierhin wäre: – Fortpflanzungsorgane (I 3 – 16) – Homoiomere fortpflanzungsbezogene Teile (ohne ‚Milch‘) und Allgemeine Zeugungstheorie (I 17–II 3) – Fortpflanzung nach Tierklassen (II 4–III 11).  Vgl. Föllinger (1996a) 133 – 137.

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erklären kann, so wie er in IV 1 sagen konnte, dass seine Theorie auch erklären kann, warum bei bestimmter Samenbeschaffenheit eher männliche Nachkommen entstehen: Der ‚dichtere‘ Samen ist seiner höheren Wärme zu verdanken. Hier sieht man besonders gut, dass Aristoteles, auch wenn er mit seinem Eidos-HyleModell neue Wege der Erklärung beschreitet, bereits eingeführte Erklärungsmuster aufgreift und sie in seinen Erklärungsansatz integriert: Wärme bzw. Kälte als Mangel an Wärme sind der entscheidende Faktor für die Konsistenz des Samens, aber auch, wie Aristoteles im weiteren Verlauf von Buch IV erklären wird, für die Entstehung des Geschlechts.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 2 Das Kapitel beginnt mit dem zweiten Teil einer binary transition, der Übergang zu Kapitel 3 ist jedoch weniger scharf markiert: Der Anschluss der aristotelischen ,Vererbungstheorie‘ erfolgt betont eng mit einem Verweis auf identische Verursachung (767a36).

3 Struktur von Kapitel 2 § 2: 1. 766b28 – 767a13: Indizien für den Zusammenhang von Kälte bzw. Wärme mit der Geschlechtsentstehung 2. 767a13 – 35: Formulierung des Symmetrieprinzips und seine Anwendung auf die Zeugung

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Insgesamt wirkt die Darstellung dieses Kapitels deskriptiv, auch wenn Aristoteles durch kausale Formulierungen suggeriert, dass die Indizien seine Theorie begründen können. Entsprechend diesem Skopos hat Aristoteles hier viel ‚Material‘ verarbeitet. So integriert er Beobachtungen, die er in HA gesammelt hat, nimmt auf die Informationen von Hirten Bezug und verweist (unseres Erachtens deutlich) auf hippokratisches Gedankengut, sogar mit Rekurs auf bestimmte hippokratische Schriften.¹⁶

 Vgl. auch die Hinweise von Peck (1943) 398 f., Anm. c.

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4.1 766b28 – 767a13: Indizien für den Zusammenhang von Kälte bzw. Wärme mit der Geschlechtsentstehung Das zweite Kapitel beginnt mit dem zweiten Teil einer binary transition. Der kurze an den Beginn gestellte Satz betont die Bedeutung der empirischen Indizien und die Übereinstimmung dieser mit der eigenen Theorie (766b28): Τεκμήρια … τὰ συμβαίνοντα τοῖς εἰρημένοις. Auf typische Weise verbindet diese binary transition einen Rückbezug mit einem Vorausbezug. Denn im Folgenden kann Aristoteles die Indizien insofern als Bestätigung für seine Theorie angeben, weil er mit seiner Theorie diese Phänomene erklären kann. Entsprechend schließt er das Folgende mit γάρ (766b29) an. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die geschilderten Phänomene zwangsläufig mit der von Aristoteles vertretenen Theorie erklärt werden müssen; vielmehr wären auch andere Erklärungen denkbar. Aber durch die Art des Vorgehens suggeriert Aristoteles die Notwendigkeit. Die Indizien sind: Höhere Feuchtigkeit bzw. Flüssigkeit des männlichen Samens bzw. des weiblichen Menstruationsbluts führt zu weiblichen Nachkommen. Darum gebären ältere oder jüngere Weibchen eher weibliche Nachkommen, da bei beiden kein idealer Wärmegrad vorhanden ist. Dabei verbindet Aristoteles den aus HA (VI 19. 573b34 f.) übernommenen Hinweis, dass es auch witterungsbedingt (unter dem Einfluss von Nordwinden) mehr zur Zeugung von Männchen kommt, mit Auskünften hippokratischer Schriften über den Einfluss von Umweltfaktoren.¹⁷ Dabei führt die für den Einfluss der Witterung angegebene Ursachenkette darauf zurück, dass die Residuen aufgrund der im Verhältnis mangelnden Wärme weniger verkocht werden, etwa bei Südwinden. Als weiteres Indiz wird der Einfluss des Mondes (aufgrund der mit den Mondphasen verbundenen Kälte) auf die Menstruation angeführt. Die Phase, in der der Mond schwindet, ist kälter, so dass es hier eher zur Mensesbildung kommt. Es folgt ein Verweis auf die Information der Hirten (767a8 – 13), dass Nordwind oder der Blick nach Norden während der Kopulation eher männliche Nachkommen hervorbringt. (Dieser Verweis wäre passender direkt im Anschluss an 767a1.)

4.2 767a13 – 35: Formulierung des Symmetrieprinzips und seine Anwendung auf die Zeugung Nachdem Aristoteles so seine Theorie mit den Phänomenen verbunden hat, kann er gut sein Symmetrieprinzip einführen. Die Notwendigkeit der Symmetrie für die Entstehung im Allgemeinen, und zwar sowohl von allem künstlich als auch von

 Vgl. Peck (1943) 396 mit Anm. b, auch zu anderen Bezügen dieses Kapitels zu hippokratischen Schriften.

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allem natürlich Werdenden, wird als allgemeines Prinzip genannt (767a15 – 20), das an Aristoteles’ grundlegende Ausführungen in GC II 6. 333b9 – 11 anschließt. Die Relation, die das Verhältnis der Geschlechter entsprechend dem allgemeinen Prinzip bestimmt, ist die Proportion der Mitte, die durch den Vergleich mit Kochvorgängen illustriert wird. Indem Aristoteles anschließend (767a22 f.) die Formulierung aus 767a16 (δεῖ συμμετρίας) übernimmt und so den Abschnitt rahmt, hat er der Formulierung des Symmetrieprinzips stilistisch eine herausgehobene Stellung zugewiesen. Damit bereitet er die Position vor, die diesem Prinzip in seinen späteren Ausführungen zukommt. Als Bestätigung seiner Annahme führt Aristoteles das Phänomen an, dass bei bestimmten Paarverbindungen keine Nachkommenschaft entstehe, aber dann, wenn die jeweiligen Zeugungspartner mit anderen Partnern zeugen. Den ‚Beweis‘oder ‚Zeugnis‘-Charakter dieses Phänomens expliziert Aristoteles nicht eigens, sondern deutet ihn nur durch die Formulierung καὶ διὰ τοῦτο … συμβαίνει (767a23 f.) an. Die Erklärungskraft des eigenen kausalen Modells wird wiederum betont durch die stereotype Wendung διὰ τὰς αὐτὰς αἰτίας in 767a29, mit der als weiteres Indiz der Einfluss der Umwelt, besonders der Trinkwasserqualität, aufgeführt wird. Insgesamt führt Aristoteles also auf vielfältige Weise die Erklärungspotenz des eigenen einheitlichen Modells vor, ohne dass er einen zwingenden Beleg anführen könnte.

5 Vernetzung von Kapitel 2 Durch den ersten Satz (766b28) besteht enge Verbindung mit dem Vorhergehenden.

Kapitel 3. 767a36 – 769b30 1 Inhalt Nachdem in IV 1– 2 geklärt wurde, wie bei der Ontogenese die Geschlechter entstehen, erläutert dieses Kapitel, wie es dazu kommt, dass Kinder ihren Eltern ähneln. Entscheidend ist der Einsatz mit dem Hinweis, dass für die folgenden Vererbungsphänomene dieselben Gründe wie für die Geschlechtsentstehung gelten: Αἱ δ’ αὐταὶ αἰτίαι (767a36). Denn dass er eine einheitliche Theorie für die unterschiedlichen Fortpflanzungsphänomene bieten kann, bildet für Aristoteles den entscheidenden Vorsprung vor anderen Theorien. Darum betont er dies im-

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mer wieder. Er erläutert dann die Ähnlichkeit mit Vater und Mutter im Ganzen, die sich nur auf bestimmte Körperteile erstreckende Ähnlichkeit, die Ähnlichkeit mit Großeltern und weiteren Vorfahren sowie die Entstehung von terata, also ‚Devianzen‘. Das Kapitel 4 schließt eng an Kapitel 3 an, da es mit der Erklärung, wie es zur Bildung von terata kommen kann, fortfährt und andere ‚speziellere‘ Vorgänge wie Mehrlingsgeburten erklärt.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 3 Kapitel 3 schließt unvermittelt an Kapitel 2 an. Dieser direkte Anschluss ist bewusst so gestaltet. Denn Aristoteles kommt es darauf an, zu zeigen, dass er einen umfassenden Erklärungsansatz für die unterschiedlichen Phänomene hat. Dies macht die Formulierung Αἱ δ’ αὐταὶ αἰτίαι (767a36) deutlich, die auch sprachlich Kapitel 3 eng mit Kapitel 2 verbindet. Dem entspricht es, dass es keine Abschlussformulierung von Kapitel 3 oder eine Übergangsformulierung zu Kapitel 4 gibt, was wiederum die enge Verbindung deutlich macht: Aristoteles’ Erklärungsansatz gilt für alle Fortpflanzungs- incl. Vererbungsphänomene.

3 Struktur von Kapitel 3 Zwei Auffälligkeiten kennzeichnen die Struktur dieses Kapitels. Die eine betrifft den Aufbau von Aristoteles’ Argumentation. Denn er entfaltet zuerst seine Theorie und geht erst dann auf diskursive Art und Weise auf andere Theorien ein: § 2 [Forts.]: 1. 767a36 – 769a6: Die eigene Theorie § 3: 2. 769a6–b3: Diskursive Auseinandersetzung mit anderen Theorien¹⁸ § 4: 3. 769b3 – 30: Erklärung der terata Dieses Verfahren ist dem sonst üblichen entgegengesetzt, das zuerst die gegnerischen Theorien bringt, um dann die eigene Theorie in Absetzung von diesen zu entfalten. Den Grund sehen wir darin, dass Aristoteles’ eigene Theorie hier wenig mit Empirischem arbeiten kann, vielmehr geht sie stark von Prinzipien aus, die er in der Physik dargestellt hat. Dem entspricht die zweite Auffälligkeit, die die Argumentation betrifft.

 Man könnte auch bei 769b10 den Einschnitt ansetzen: 769b3 – 10 ist eine allgemeine Reflexion der Kausalerklärung.

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Aristoteles legt hier seine Theorie erst einmal ‚deskriptiv‘ dar, dann folgen Beweise, die mit seinen philosophischen ‚Bausteinen‘ arbeiten. Sie stammen aus der Kategorienlehre, der Metaphysik, der Physik und vor allem seiner allgemeinen Entstehungslehre. Dabei führt Aristoteles hier nicht, wie sonst, Indizien aus dem phänomenalen Bereich an. Er nennt zwar als Vorteil seiner eigenen Theorie, damit etwas erklären zu können, was die gegnerischen Theorien nicht erklären könnten. Dies betrifft zum einen die ‚gemischtgeschlechtliche Vererbung‘ (auf diese geht aber die Schrift De genitura ein, und auf diese bezieht sich Aristoteles unseres Erachtens in 769a28–b3). Zum anderen betrifft dies die Ähnlichkeit mit den Vorfahren der Eltern, die wohl tatsächlich kein uns bekannter Ansatz aus der Zeit vor Aristoteles oder zeitgleich mit Aristoteles erklärt hat. Aber in seiner Darstellung spielt die Empirie keine Rolle, so dass das spekulative Moment überwiegt. Aristoteles’ Theorie basiert darauf, dass die einzelnen Merkmale von κινήσεις übertragen werden, die aktual und latent vorliegen können. Während die des Vaters aktual vorliegen, sind die der Mutter und der Vorfahren latent vorhanden. Diese kommen dann zum Zug, wenn die des Vaters sich nicht durchsetzen können. Damit baut Aristoteles in seine Theorie ein ‚Epikratieprinzip‘ ein, das er allerdings mit seiner physikalischen Theorie von ‚Bewegung und Gegenbewegung‘ begründen kann. Zwar ist der Umstand, dass auch das weibliche Menstruationsblut Träger von Merkmalen sein kann, durch die vorhergehenden Bücher inhaltlich insofern vorbereitet, als erklärt wurde, dass es ein Verkochungsprodukt des Blutes ist, also prinzipiell dieselben Fähigkeiten aufweisen kann wie der Samen (vgl. etwa GA I 19). Dennoch ist der Rezipient nun über die ‚Eigenständigkeit‘ des weiblichen Anteils überrascht, und die moderne Forschung hat dementsprechend auf die Widersprüchlichkeit der aristotelischen Theorie hingewiesen.¹⁹ Für uns ist diese ein Zeichen eines gewissen prozessualen, entwickelnden Vorgehens, das die Probleme immer mehr einengt und dann ad hoc auch Modifikationen einführt.²⁰ Aristoteles unterscheidet zwei Prozesse mit jeweils einem hier eingeführten terminus technicus: den des ἐξίστασθαι für die Entstehung des Geschlechts und die Ähnlichkeit mit Mutter und Vater und den des λύεσθαι für die Ähnlichkeit mit den weiteren Vorfahren. Beide Wörter sind gemeinsprachlich geläufig, werden aber hier als termini technici geprägt. Dabei fällt auf, dass Aristoteles erst im

 Vgl. dazu Föllinger (1996a) 173 – 179. Zur neueren Forschungsdiskussion und Vorschlägen zur Lösung des Problems siehe Connell (2016) 292– 324. Vgl. auch Wians (2017).  Zu dem anders gearteten Erklärungsansatz von Wians vgl. oben, S. 12 f.

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Nachhinein erklärt, was er hier speziell mit ihnen bezeichnet (768b15 ff. bzw. b25 ff.). Aristoteles’ Ziel ist ja, eine einheitliche Erklärung für die in der Ontogenese ablaufenden unterschiedlichen Phänomene zu bieten. Wie schwer es ist, eine einzige Form der Begründung für die unterschiedlichen Vererbungsphänomene zu geben, formuliert er selbst in 769b3 f. Damit hängt eine dritte Auffälligkeit, die ebenfalls die Argumentation betrifft, zusammen: Ein wichtiges Argument gegen andere Theorien ist weder deren innere Widersprüchlichkeit noch ihre Widerlegung durch die Empirie, sondern der Umstand, dass sie nicht alle ‚Vererbungsphänomene‘ erklären können. Sie sind unzulänglich, anders als Aristoteles’ Theorie, der es gelingt, mit einem einzigen Erklärungsansatz alle auftretenden Erscheinungen zu erklären. Dieser basiert auf den latent und aktual vorliegenden κινήσεις. Diese übermitteln δυνάμεις und bewirken durch die auf der Grundlage der Physik erklärbaren Prozesse des ἐξίστασθαι und des λύεσθαι Veränderungen, deren Resultat die Merkmale der Nachkommen sind. In der sprachlich-stilistischen Gestaltung zeigt sich diese Auffälligkeit in 1. didaktischer Redundanz, 2. der Plausibilisierung von Hypothesen (weil sie als Basis von Erklärungen funktionieren), bevor sie eigens als ὑποθέσεις bezeichnet werden, 3. dem wiederholten Verweis darauf, wie wichtig es ist, ein für alle Phänomene gültiges Erklärungsmuster zu finden, 4. der Betonung, wie schwierig dies sei. Dadurch kann Aristoteles den eigenen Ansatz hervorheben. Gleichzeitig weist er damit aber auch implizit auf die Prozesshaftigkeit von Erkenntnisgewinnung und die Vorläufigkeit eines ‚epistemischen Schreibens‘ hin. Insgesamt wird so der Eindruck erweckt, dass sich Aristoteles hier auf dem Höhepunkt seines theoretischen Zugriffs befindet, gleichzeitig aber der Grad des Spekulativen relativ hoch ist. Die Besonderheiten von Struktur und Argumentation lassen sich vielleicht damit erklären, dass Aristoteles darum bemüht ist, eine kohärente Theorie zu entwickeln, er aber insgesamt mit seinem Modell nun an Grenzen stößt. So ist im Kapitel die Wiederholung seiner Absicht, dass er eine einheitliche Theorie bieten wolle, ganz auffällig.

4.1 767a36 – 769a6: Die eigene Theorie 767a36–b7: 1. Schritt: linear hierarchisierende Ordnung der Phänomene unter Einbezug von Extremformen Kapitel 3 schließt wieder mit dem Verweis auf eine einheitliche Theorie an (Αἱ δ’ αὐταὶ αἰτίαι καὶ τοῦ, 767a36), der den vom Ende des Kapitels 2 (767a29) aufnimmt. Der Bezug zur Empirie wird hier nur durch γίγνεσθαι (767a36) signalisiert.

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Die im Folgenden entwickelte Theorie der Vererbung lässt die entsprechenden Ähnlichkeitsphänomene in Fortsetzung von Kapitel 2 auch als ein weiteres Indiz (τεκμήριον) für den eigenen, in IV 1 entwickelten Ansatz erscheinen. Damit kann man wohl erklären, dass Aristoteles entgegen seiner sonstigen Gewohnheit hier zuerst das eigene theoretische Modell weiterentwickelt und erst dann auf konkurrierende Positionen eingeht. Insgesamt stellt er den Umstand, dass er eine einheitliche Erklärung für die verschiedenen Phänomene zu geben vermag, in den Mittelpunkt. Dies ist seine Leistung, die die der anderen Theorien übertrifft. Deshalb wiederholt er die empirisch beobachtbaren Ähnlichkeitsphänomene, von denen er hier ausgeht, auf ringkompositorische Weise und erklärt, dass ihre Gründe geklärt seien. Strukturell unterstreichen den Inhalt der erste Teil einer binary transition (769a1– 6) mit typischem metatextlichen Rückbezug (διώρισται, 769a6) und das Resümee in 769b3 – 10.Wiederum ist die Betonung der besonderen Schwierigkeit einer einheitlichen Kausalerklärung der Geschlechtsentstehung und (τε … καὶ … καὶ πάλιν … ἔτι δέ, 769b4 ff.) aller auftretenden Vererbungsphänomene (Οὐ ῥᾴδιον δὲ οὐδὲ τρόπον ἕνα τῆς αἰτίας ἀποδιδόντας τὰς αἰτίας εἰπεῖν περὶ πάντων, 769b3 f.) auffällig. Gleichzeitig drückt der Hinweis, es sei „nicht leicht“, einerseits ein gewisses Verständnis für die geschilderten verfehlten Ansätze aus, andererseits und indirekt streicht er (in Rückbezug auf IV 1– 3 insgesamt, so auch schon 769a1) die eigene Leistung heraus, eben doch ein einheitliches Modell gefunden zu haben, dessen Gültigkeit ja bereits ohne Vorbehalt konstatiert wurde (766b27 f. und 769a1– 6). Aristoteles beginnt mit einer auf typische Weise strukturierten Aufzählung der Möglichkeiten: 1. Ähnlichkeit mit den Eltern 1a. mit Vater oder Mutter 1a1. im Ganzen oder in Teilen 2. mehr Ähnlichkeit mit den Eltern als mit den Vorfahren 3. mehr Ähnlichkeiten mit den Vorfahren als mit x-Beliebigen 4. mehr Ähnlichkeit der Söhne mit den Vätern und der Töchter mit den Müttern 5. Ähnlichkeit nur mit der Gattung Mensch 6. Bildung von terata Mit dieser Differenzierung gibt Aristoteles eine Skala, deren Abstufungen der Ähnlichkeit bereits die später erfolgende Einführung verschiedener aktual bzw. potentiell im Sperma bzw. in den Katamenien vorliegender Bewegungsimpulse vorstrukturiert: die Impulse des individuellen Vaters, die aktual vorliegen, die Impulse der Vorfahren, die bei Mutter und Vater latent vorliegen, und die Impulse der Art ,Mensch‘, die aktual im Vater vorliegen, sowie die Impulse des ‚Lebewe-

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sens‘, die aktual vorliegen. Insbesondere ist die Einbindung des teras in diese Ordnung von entscheidender Bedeutung für das weitere Vorgehen. Mit γάρ in 767b5 wird an das teras angeknüpft. Dass ein den Erzeugern nicht gleichender Nachkomme als teras bezeichnet wird und dies dann zurückgeführt wird auf die Entstehung eines weiblichen Nachkommen, ist Konsequenz der aristotelischen Zeugungstheorie. Dieser Zusammenhang hier wie auch die Bemerkung in 769b3 f. machen deutlich, dass Aristoteles’ Ambition auch darin besteht, die Entstehung von Nachkommen, die nicht den Eltern gleichen, zu erklären, was die anderen Theorien nicht oder nur eingeschränkt, wie in der hippokratischen Schrift De genitura, tun.²¹ Sein Ziel ist die ‚eine aitia‘. Tatsächlich kann er mit seiner Theorie alles mit einer aitia erklären, wenngleich manches gezwungen erscheint. Das Ordnungskriterium der von Aristoteles gegebenen Skala der Ähnlichkeiten ist die ‚ansteigende Tendenz zum Monströsen‘ (ἤδη τρόπον τινὰ τέρας ἐστίν·, 767b6) oder, äquivalent, als ‚Devianzgrad‘, (παρεκβέβηκε γὰρ ἡ φύσις … τρόπον τινά, 767b6 f.), wobei in τρόπον τινά eine Tentativität zum Ausdruck kommt. Auch hierdurch wird die spätere Modellbildung, die von dem Idealfall der Dominanz aller väterlichen Bewegungsimpulse ausgeht und für die möglichen Abweichungen hiervon zwei verschiedene Mechanismen ansetzt, strukturell vorbereitet. 767b8 – 15: 2. Schritt: Extrapolation des Ordnungskriteriums in 1 auf die Geschlechtsdifferenzierung Der Beginn der teras-Bildung ist die Entstehung von weiblichen Nachkommen. Aber diese sind „von Natur aus notwendig“ (767b8 f.), um der ‚Arterhaltung‘ willen (vgl. II 1).Von hier aus wird wiederum extrapoliert auf die – wenn auch nur akzidentelle – Notwendigkeit des eigentlich Monströsen, das ohne einen Ausdruck von Tentativität, wie ihn Aristoteles in Bezug auf weibliche Nachkommen benutzt hat, als teras bezeichnet wird (767b13 – 15).²² 767b15 – 35: 3. Schritt: Einführung ,der‘ männlichen kinēsis (zunächst im Sg.), die sich jeweils nach Maßgabe bestimmter dynameis möglicherweise nicht durchsetzt Die materielle Begründung für diese nicht finale, sondern nur κατὰ συμβεβηκός (767b14) bestehende Notwendigkeit wird nun in einem ἐπεί-Satz angekündigt (767b15) und ihr Ausgangspunkt gleich mit γάρ angeschlossen: Der Verko Zur Frage nach dem Verhältnis von GA und der hippokratischen Schrift De genitura vgl. die Beobachtungen bei Föllinger (1996a) 46 – 49. Dieses müsste noch systematisch und umfassend untersucht werden.  Vgl. Michael von Ephesos, In GA 179,26: τὰ δ’ ἀληθῶς τέρατα.

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chungsgrad des ‚zeugungsbezogenen Residuums‘ der Katamenien bestimmt, ob bzw. inwieweit die männliche kinēsis formbestimmend werden kann – hier wird die kinēsis (Sg.) des Männchens (767b17 f.) als terminus technicus eingeführt. Im Folgenden aber unterscheidet Aristoteles ‚plötzlich‘ unterschiedliche dynameis, womit er die später (in 767b35 f.) erfolgende Einführung einer Mehrzahl von kinēseis vorbereitet. Die Verwendung des Begriffs ,Potenz‘ in diesem Zusammenhang wird erklärt, wobei Aristoteles mit λέγω seine technische Definition ankündigt (λέγω … τόνδε τὸν τρόπον, 767b23 f.). Folgende dynameis kann die männliche kinēsis, wenn der männliche Zeugungsanteil dominiert, übertragen: Geschlecht, individuelle Merkmale, generische Merkmale (ἄνθρωπος). Das eigentliche, die ousia, ist das Individuelle (767b29 – 35). Mit γάρ (767b30) wiederum eher locker angeschlossen wird eine bloße Erläuterung und keine eigentliche Begründung, die erst im Anschluss (767b32– 35) gegeben wird: auch hier ist γάρ, falls überhaupt kausal aufzufassen, also auf den weiteren folgenden Kontext zu beziehen. Der Grund für die behauptete Priorität des Einzelwesens wird 767b33 f. (u. b35) auf den Begriff der Substanz zurückgeführt. Dabei wird die Unterscheidung von ersten und zweiten Substanzen in Cat. 5 hier unterdrückt und der Substanzbegriff stillschweigend – und in Hinblick auf die Beweisabsicht – auf den der ersten Substanz eingeschränkt. Auffällig ist, dass Aristoteles, trotz seiner dezidierten Absetzung von anderen Zeugungstheorien, in deren ‚epikratischer‘ Terminologie verbleibt, die sich der aus dem politisch-militärischen Bereich stammenden Metaphern von ‚siegen/ stärker sein‘ und ‚unterliegen/schwächer sein‘ bedient.²³ 767b35 – 768a2: 4. Schritt: Übergang zu einer Mehrzahl von kinēseis, die aktual oder potentiell im Sperma vorliegen Ab 767b35 f. spricht Aristoteles ‚plötzlich‘ im Plural von kinēseis, die ‚aus den dynameis‘ resultieren, und unterscheidet nun auch kinēseis, die latent vorliegen (von den Vorfahren), von denen, die aktual vorliegen (Vater, Mensch, Lebewesen). Die kausale Verknüpfung zum Vorhergehenden (διόπερ, 767b35) ist wohl nicht in dem zeugungsbezogenen Vorrang des Individuellen zu sehen, sondern nur in der (zuletzt getroffenen) Feststellung, dass das neu entstehende Lebewesen sowohl als eines von bestimmter Qualität als auch als Individuum entsteht – so wird auf das Vorliegen von Individual- wie Art- und Lebewesen-Impulsen geschlossen.

 Zur ‚notwendigen Metapher‘ im aristotelischen Sinn vgl. oben, S. 64. Siehe dazu S. Föllinger, The Problem of Biological Terminology in Aristotle’s De generatione animalium (On Generation of Animals) (in Vorbereitung).

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768a2 – 9: 5. Schritt: Einführung des terminus technicus ‚existasthai‘ als des ersten von zwei Mechanismen der Vererbung Dieser erste Mechanismus ist noch von der allgemeinen aristotelischen Theorie von Werden und Entstehen aus zu erklären. Eigentlich führt er nur das μεταβάλλειν εἰς τοὐναντίον aus IV 1 (erstmals 766a16 f. u. a20 f.) fort. Aber Aristoteles prägt jetzt mit der Formulierung ἐξίστασθαι … εἰς τὸ ἀντικείμενον (768a2 f.) eine andere Bezeichnung für diesen Vorgang. Dabei werden beim Übergang zu dem zweiten Mechanismus in 768a14– 16 beide Verben miteinander kombiniert: μεταβάλλει μὲν οὖν ἐξιστάμενον.²⁴ Freilich scheint im Unterschied zu μεταβάλλειν mit dem Verb ἐξίστασθαι allein schon eher eine Bewegung hin zum Gegenteil konnotiert, und dieser Terminus klingt etwas spezifischer, so dass man dies als den Versuch einer Fachterminologie ansehen kann. Dieser erste Mechanismus wird nun für zwei Gegensatzpaare in Anspruch genommen. Das eine ist der Gegensatz der beiden Geschlechter, was eine Fortführung von IV 1 darstellt. Aber dann extrapoliert Aristoteles sozusagen stillschweigend und bezieht diesen Mechanismus auch auf die jeweiligen IndividualImpulse von Vater und Mutter. Dass diese in ihren Individual-Eigenschaften überhaupt einen Gegensatz bilden, ist nicht von vornherein klar und wird von Aristoteles erst nachträglich begründet (γάρ, 768a7– 9), indem er eine Analogie zwischen der allgemein-begrifflichen und der konkret-individuellen Ebene (ὥσπερ … καί, 768a8) herstellt. Allerdings erscheint diese Begründung etwas ‚abstrakt-schwammig‘ und erweckt den Eindruck, dass Aristoteles die Dinge nicht ganz zwanglos dem postulierten Mechanismus des ἐξίστασθαι εἰς τὸ ἀντικείμενον zuordnet, so dass insgesamt der Eindruck eines aristotelischen ‚work in progress‘ entsteht. 768a9 – 21: 6. Schritt: Einführung eines zweiten Vererbungsmechanismus (des ‚lyesthai‘) Der Prozess des lyesthai beschreibt das Aktivwerden der latent vorliegenden kinēseis, die die dynameis der an die väterlich ‚angrenzenden‘ übertragen, wenn die väterlichen kinēseis (die hier als demiourgousai – 768a16 – bezeichnet werden) „gelöst werden“ (lyesthai). Auch hier scheint Aristoteles einen neuen fachterminologischen Begriff einführen zu wollen. Der Übergang mit ὁμοίως (768a9) ist überraschend und eigentlich nicht korrekt. Denn die Erklärung, die Aristoteles für die folgenden Formen der Ähn-

 Vgl. auch den wörtlichen Anklang καὶ τὸ … μὴ κρατούμενον ἀναγκαῖον ἐξίστασθαι καὶ γίγνεσθαι τὸ ἀντικείμενον (768a3 f.) an καὶ τὸ μὴ κρατούμενον … ἀνάγκη μεταβάλλειν εἰς τοὐναντίον (766a15 f.).

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lichkeit gibt, hat kaum etwas mit dem ersten Mechanismus gemeinsam. Die einzige Ähnlichkeit mit dem ersten besteht nur darin, dass auch ein ‚Übergang‘ (μεταβαίνει, 768a17) erfolgt, nun allerdings nicht zum Gegenteil, sondern ,zum Anschließenden/Benachbarten‘ (εἰς τὸν ἐχόμενον μεταβαίνει, 768a10). Dieser zweite Mechanismus soll die Ähnlichkeit zu den Vorfahren erklären, wobei allerdings nur die zur männlichen Linie väterlicherseits und zur weiblichen mütterlicherseits erklärt wird. Hier (768a11) werden erstmals implizit auch auf weiblicher Seite dynameis angesetzt; damit wird die Einführung entsprechender Impulse ‚schleichend‘ vorbereitet. Der Einstieg in diesen Abschnitt (768a9 – 11) wirkt wie ein Konzept, das im Folgenden ausgeführt wird, zunächst (768a11– 14) durch redundanten²⁵, etwas ausholenden Rückgriff auf die Unterscheidung aktual bzw. potentiell vorliegender Impulse. Diese Unterscheidung wird hier allerdings wiederum ‚schleichend‘ erweitert: um einen Impuls des weiblichen Zeugungspartners (768a14). Außerdem wird nicht mehr, wie dies im Vorhergehenden (767b36) der Fall war, explizit gesagt, worin die Impulse vorliegen, sondern es ist nur von ἔνεισι (768a11) die Rede; gemeint ist wohl ,im Keimling‘. Der neue terminus technicus λύεσθαι wird dann schlicht in einer μέν–δέKorrespondenz zu dem bereits etablierten ersten Mechanismus eingeführt.Vorerst wird die Existenz dieser Prozesse einfach postuliert und in ihren Effekten beschrieben; eine je verschiedene kausale Erklärung beider Mechanismen folgt erst ab 768b15. Die Formulierung εἰς τὰς ἐγγύς (768a16) nimmt μᾶλλον δὲ τοῦ ἐγγύτερον ἀεί aus 767b37 wieder auf: Bereits mit der Einführung nur potentiell im Sperma vorliegender dynameis der Vorfahren war die Postulierung dieses zweiten Mechanismus vorgezeichnet. Zum ersten Mal ist hier auch ausdrücklich von kinēseis auf weiblicher Seite die Rede, zunächst 768a14 als potentiell vorliegend (αἱ τοῦ θήλεος), dann im Einzelnen: ἡ τῆς γεννώσης 768a19, εἰς τὴν τῆς μητρός 768a19 f., εἰς τὴν τῆς τήθης 768a20. Damit durchbricht Aristoteles seine grundsätzliche asymmetrische Zuordnung der beiden Geschlechter zu bestimmten Formen der Verursachung und verleiht seinem Vererbungsmodell nun einen symmetrischen Aspekt. Denn eigentlich kommt, wie später (768b15 ff.) deutlich wird, ein lyesthai nur für ein Wirkendes infrage, das einem Leidenden gegenübersteht (von dem es dann wiederum mehr erleidet, als dass es selbst auf es einwirken kann). Dieses inkonsistente Moment wird jedoch in einer wie selbstverständlich klingenden Weise eingeführt (καὶ τοῦτον δὴ τὸν τρόπον [καὶ ἐπὶ τῶν ἀρρένων], 768a18 f.), die ge-

 Vgl. oben, 767b35 – 768a1.

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eignet ist, die Inkonsistenz zu überspielen. Insgesamt erscheint die Einführung eines – wenn auch nur potentiell vorliegenden (vgl. 768a14) – mütterlichen Individual-Impulses als mit dem bisherigen Modellaufbau eigentlich kaum zu vereinbarendes Moment, das aber nun als Basis für die Reihe der Impulse der weiblichen Ahnenreihe ad hoc benötigt wird. Betrachtet man allerdings die aristotelische Konzeption des Menstruationsblutes insgesamt, scheint die Rolle dieser Impulse nicht ganz unplausibel und latent an früherer Stelle vorliegend.²⁶ Insgesamt bleiben viele Fragen offen,²⁷ so dass sich insgesamt der Eindruck, die von Aristoteles entworfene Fortpflanzungstheorie sei ‚work in progress‘, verdichtet. 768a21-b15: Wiederholung und Vertiefung der Erläuterung Aristoteles postuliert, dass die Individualeigenschaften eng an die Weitergabe des Geschlechts geknüpft seien: Söhne sehen in der Regel ihren Vätern ähnlich, Töchter ihren Müttern. Seine Begründung besteht in dem Verweis auf den geringen Unterschied zwischen beiden Eigenschaften. Dies ist eigentlich nicht einsichtig und wird von Aristoteles auch kaum begründet bzw. er konstruiert umgekehrt eine Aitiologie für dieses Faktum (768a24: διὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ), für die er eben jenes Prinzip der kleinsten Differenz postuliert. Durch die Formulierung οὐκ ἔργον (768a23) wird diese Problematik aber verwischt. Auch die Ähnlichkeit von Töchtern mit ihren Müttern wird auf diese Weise erklärt. Aristoteles tut dies in Termini der ekstasis eis ta antikeimena (768a27 f.), die nach dem ersten Modell dann eintritt, wenn die väterlichen Impulse nicht dominieren. Im Folgenden (ab 768a28) werden nun die verschiedenen möglichen Fälle von Ähnlichkeiten durchgespielt. Dabei tritt als Gegenbegriff zu λύεσθαι auf einmal μένειν auf (768a32). Anschließend wird das Modell auf die einzelnen Körperteile

 Vgl. oben, S. 28.  Aristoteles äußert sich nicht dazu, wie und wann der Individual-Impuls des neuen Lebewesens entsteht, der natürlich erst relevant wird, wenn es selbst Nachkommen zeugt. Ist er identisch mit demjenigen Individual-Impuls, der das neue Lebewesen bestimmt hat? Ebenso ist offen gelassen, wieweit die Folge der potentiell vorliegenden Impulse der männlichen bzw. der weiblichen Linie reicht. Bei generell vorausgesetzter ,Konstanz der Arten‘ ginge (bei nicht spontan entstehenden Arten) diese Folge potentiell bis ins Unendliche zurück; aktual ginge sie, nach Modellannahme, nur so weit zurück, wie jeweils ein lyesthai auf der nächst niedrigeren Stufe eintritt. Es ist aber nicht gesagt, dass ebendies nicht immer wieder eintritt. Außerdem bleibt das Verhältnis der elterlichen bzw. rein väterlichen bzw. rein mütterlichen Ahnenreihe gehörigen IndividualImpulse zu der Gesamtheit der Impulse auf Ebene der Körperteile (s.u. 768b1 ff.) offen; jedenfalls setzt Aristoteles zusätzlich zu allen jeweils auf bestimmte Körperteile bezogenen Impulsen einen ‚Gesamtimpuls‘ für jedes Individuum an.

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analog übertragen, wobei auch die Formulierung wiederholt wird: ἔνεισι in 768b4 f. weist auf ἔνεισι δέ in 768a11 f. zurück, und der Zusatz καί verdeutlicht, dass die zu den Körperteilen gehörenden Impulse (aktual bzw. potentiell) zusätzlich zu den ,Gesamtimpulsen‘ vorliegen. Dies war am Beginn von Kapitel 3 durch die Formulierung κατά τε ὅλον τὸ σῶμα καὶ κατὰ μόριον ἕκαστον (767b1) bereits vorgegeben worden. Die – typische – logische Unschärfe, in der ein eigentlich induktiv zu erschließendes theoretisches Postulat, nämlich das Vorliegen von zu Körperteilen gehörenden Impulsen, als Grund (γάρ, 768b4) ausgegeben wird, überdeckt Aristoteles mit dem ebenfalls unscharfen metatextlichen Verweis καθάπερ εἴρηται πολλάκις (768b5), der sich wohl auf die Unterscheidung ‚aktual/potentiell‘ bezieht. 768b5 – 15 bringt eine zusammenfassende, aber – typischerweise – auch leicht modifizierende Zurückführung des Modells auf drei Grundannahmen und einen – wiederum – typischen, redundant-bündigen Abschluss: Auf die Ankündigung καθόλου δὲ δεῖ λαβεῖν ὑποθέσεις (768b5 f.) folgen: 1. Die (Erb‐)Impulse liegen teils aktual, teils potentiell vor. 2. Ein Dominiert-Werden führt zum Umschlag ins Gegenteil. Hier bevorzugt Aristoteles also die symmetrische Variante, wobei das genaue Subjekt (kein Fem.) offen bleibt, wohingegen nach der früheren Formulierung (vgl. 768a3 f.) gerade ein Nicht-Dominiert-Werden der weiblichen Materie zum Umschlag ins Gegenteil führte (mē kratoumenon). 3. Ein Aufheben führt zum Umschlag. Hier ist ἐξίστασθαι als Prädikat zu ergänzen, die beiden Mechanismen des existasthai und des lyesthai werden so syntaktisch vermischt – in die anschließende kinēsis. In einem (mit epexegetischem καί eingeleiteten) Nachsatz werden nun, etwas überraschend, Grade des lyesthai eingeführt (ἧττον μὲν λυόμενον/μᾶλλον δέ, 768b9 f.), während zuvor nur von einem schlechthinnigen Auflösen eines Impulses die Rede war. Auch geht es vorher um ein sukzessives lyesthai von Vorfahr zu Vorfahr, während nun der Grad des ursprünglichen lyesthai darüber entscheidet, wie weit zurück in der Ahnenreihe der Prozess führt. Nach wie vor wird hierfür keine Grenze in der Ahnenreihe angegeben. Im nächsten Satz wird allerdings als unbestimmte Extrapolation eines stärker werdenden Grades des lyesthai ein schlussendliches (τέλος, 768b10) „Vermischen“ im Sinne von ‚auflösen, aufheben, außer Kraft setzen‘²⁸ als Ursache für (ὥστε, 768b11) die fehlende Ähnlichkeit zu irgendeinem der Verwandten ange-

 Vgl. Liddell-Scott-Jones, sub voce, II. „make of none effect“. Subjekt sind also wohl die verschiedenen Individual-Impulse.

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geben. So bleibe nur das Menschliche als das Gemeinsame. Dieser Fall läuft eigentlich dem oben 767b34 f. formulierten allgemeinen Gesetz zuwider, dass in Bezug auf die Fortpflanzung stets eher das Individuelle durchsetzungsstark ist. Aber diese Diskrepanz wird nicht thematisiert. Stattdessen wird noch einmal als Ursache beansprucht (τούτου δ’ αἴτιον, 768b12), dass mit allen Individuen auch folgendes einhergeht: Sie sind Vertreter einer Art als nächstem Allgemeinen, die Eltern sind aber Individuen. Zu supplementieren wäre: ‚Und wenn deren Individual-Impulse außer Kraft gesetzt werden, bleiben eben nur die allgemeinen Arteigenschaften‘. Aber es bleibt folgende Frage: Auch so ist das Kind/das Junge ja wiederum ein Individuum mit individuellen Eigenschaften; es kann ja nicht bloß die Art in ihrer Allgemeinheit repräsentieren; woher kommen also diese Eigenschaften? Dieses Problem wird überspielt durch die Einfachheit der den Passus abschließenden Feststellung in 768b13 – 15. 768b15 – 769a6: 768b15 – 25 bringt die Begründung, die Aristoteles aus seiner allgemeinen Bewegungslehre nimmt, wobei er sogar explizit auf seine Schrift De generatione et corruptione verweist.²⁹ Es fällt das dichte Abwechseln von allgemeiner Fassung und Beispielen aus der Alltagswelt auf. Auch der Grund dafür, dass „das Passive“, also die Materie, den Prozess des ἐξίστασθαι durchläuft (768b25 – 27), formuliert Aristoteles abstrakt: Er liegt entweder im Mangel an dynamis des Verkochenden und Bewegenden oder in der Menge und der Kälte desjenigen, das verkocht wird. Aristoteles formuliert hier ganz allgemein und abstrakt, so dass unklar bleibt, wie eigentlich ein immaterieller Beitrag, nämlich die dynamis des männlichen Samens, etwas Materielles bewirken kann. Stattdessen vergleicht er den sehr abstrakt bleibenden Prozess der Verkochung mit der Veränderung eines Athleten, der zuviel Nahrung zu sich nimmt: Die Proportionen werden nicht gewahrt (ἀνάλογον, 768b31). Auch die Satyriasis (768b34) führt Aristoteles als Beispiel für einen solchen Prozess der Unproportioniertheit auf. Die Terminologie, derer sich Aristoteles hier bedient, ist die des κρατεῖν. Und wenn er erklärt, dass der „motive agent“, wie Peck ergänzt, „hier die Oberhand gewinnt“ und dort „nicht die Oberhand gewinnt“, so erinnert letztendlich seine Art der Formulierung an die epikratischen Konzeptionen der Hippokratiker.³⁰ Eine typische metatextliche Formulierung schließt die Ausführungen ab, wobei im Vergleich zum Eingang des 3. Kapitels noch die letzte Stufe, die des teras, fehlt. Gleich- und kreuzgeschlechtliche Ähnlichkeit zwischen

 Nach Peck (1943) 410, Anm. b: GC 324a31 ff.  Zu dieser Metapher vgl. oben, S. 65.

Kapitel 3. 767a36 – 769b30

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Nachkommen und Eltern werden eigens in Form von Polyptota einander gegenüberstellt; fast wörtlich wird die Ähnlichkeit, die den ganzen Körper und die die Teile betrifft, wieder aufgenommen (769a5, hier mit der Dopplung καί – καί, vgl. 767b1 τέ – καί). Auch hier wird wieder sprachlich deutlich, dass die Einheitlichkeit seiner Theorie für Aristoteles im Zentrum steht. Denn er spricht von aitia im Singular (769a1: Διὰ τίνα … αἰτίαν), führt dann aber eine Vielzahl der erklärten Phänomene auf.

4.2 769a6–b3: Diskursive Auseinandersetzung mit anderen Theorien Durch die Abschlussformulierung in 769a1– 6 wird ja eigentlich zum Ausdruck gebracht, dass alles bewiesen ist. Dadurch wird der unzulängliche Charakter der im Folgenden zitierten Meinungen noch deutlicher, da sie gewissermaßen ‚nachklappern‘. Diese Passage ist in einem diskursiven Duktus verfasst. Denn Aristoteles referiert die anderen Theorien und führt dann seine Gegenargumente dafür an, dass die gegnerischen Theorien nicht imstande sind, alle Fakten erklären zu können. Denn sie vermögen weder die ‚gekreuztgeschlechtliche‘ Vererbung noch die Vererbung von Merkmalen der Großeltern und Vorfahren zu erklären. 769a6 – 9: Zwei gegnerische Thesen Einige physiologoi und andere vertraten eine Kausalität der Vererbungsvorgänge. Dabei gibt es zwei Formen der Aitologie. 769a9 – 26: Die Pangenetiker Die Quantität des Samens ist bestimmend, und je nachdem von welchem Elternteil mehr Samen kommt, entstehen die Ähnlichkeiten sowohl, was das ganze Lebewesen betrifft, als auch in Bezug auf einzelne Teile. Diese Meinung widerlegt Aristoteles zweifach: 1. Falls die Pangenesislehre falsch sei und nicht vom ganzen Körper Samen komme, sei diese Theorie nicht haltbar. Dass aber nicht vom ganzen Körper Samen kommt, hat Aristoteles in Buch I bewiesen. Daher ist der Konditionalsatz (769a13 f.), auch wenn er indefinit formuliert ist, eine Begründung. 2. Die zweite Widerlegung wird mit ἔτι in 769a15 angeschlossen: Diese Theorie kann die gekreuztgeschlechtliche Vererbung nicht erklären, denn 2a. Demokrit und Empedokles irren in Bezug auf die Kausalität der Geschlechtsentstehung (wie Aristoteles in IV 1 gezeigt hat), und 2b. die ‚Quantitätstheoretiker‘ können die gekreuztgeschlechtliche Entstehung nicht erklären, weil nicht von beiden ‚mehr‘ Samen abgehen kann. Dieses zweite Argument stellt eine Art von ‚logischem

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Gegenbeweis‘ dar. Außerdem kann die Ähnlichkeit mit Vorfahren nicht erklärt werden, da von diesen kein Samen in das Zeugungsprodukt abgesondert wird. 769a26–b3: Die Vertreter einer Panspermie Den Vertretern einer ‚Panspermie‘ gesteht Aristoteles eine überlegene Theorie zu (βέλτιον … λέγουσιν, 769a26 – 28) und zitiert im Folgenden einen Vergleich, den diese Theoretiker offenbar selbst anwenden. Dieser vergleicht die Panspermie mit einer Person, die aus vielen verschiedenen Säften eine Mischung herstellt. Aristoteles sieht bei dieser Theorie ein gewisses Verständnis von Potentialität, das aber noch nicht wissenschaftlich ausgeführt ist. So jedenfalls kann man seine Formulierung βούλεται δὲ βέλτιον λέγειν (769b1) auffassen. Ohne diese Theorie richtig zu widerlegen, disqualifiziert er ihre Modellbildung als οὐ σαφής und πλασματίας³¹, gebraucht also denselben Begriff wie für Empedokles’ Theorie. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Aristoteles hier nur vage auf sie eingeht; denn diese Theorie, die wir in der Schrift De genitura finden, kann eigentlich die gekreuztgeschlechtliche Vererbung erklären.³² Ebenso dürfte es kompositorisch kein Zufall sein, dass Aristoteles mit dieser Theorie, die ja schon recht weit in der Erklärung kommt, ausführlich die Schwierigkeit, eine einheitliche Erklärung für die verschiedenen Phänomene zu entwickeln, kontrastiert (769b3 – 10). Denn diese Bemerkung erweckt vordergründig Verständnis für die Mängel der gegnerischen Theorien, andererseits wird so mindestens indirekt die eigene Leistung herausgestellt.

4.3 769b3-30: Erklärung der terata Schließlich erfolgt die Erklärung der terata (769b3–b30). Auch diese sind durch den Prozess des lyesthai zu erklären: In einem fortgeschrittenem Stadium des lyesthai, bei dem die Materie überhaupt nicht bewältigt werde, bleibe das katholou, nämlich das ζῷον, übrig. Im Folgenden zeigt Aristoteles auf, dass die scheinbaren Mischwesen eigentlich keine solchen sind, sondern Produkte unvollkommen verlaufener Werdensprozesse. Als Indiz (διό, 769b18) für das auch im Menschen angelegte ‚tierisch-Allgemeine‘ und dafür, dass – auch ohne tatsächliches Vorliegen eines τέρας (καὶ μὴ πεπηρωμένων, 769b18) – doch stets gewisse artübergreifende Ähnichkeiten bestehen, führt Aristoteles an, dass die spottende Verähnlichung mit bestimmten Tieren oder die physiognomische Reduktion auf wenige Tiertypen bei den Men-

 Zu πλασματῶδες vgl. oben, S. 79, 341.  Vgl. dazu Föllinger (1996a) 46 – 49.

Kapitel 4. 769b30 – 773a32

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schen auf positive Resonanz stößt. Dieses Indiz erscheint aus moderner Perspektive merkwürdig. Doch offensichtlich möchte Aristoteles mit dem common sense-Argument, dass die Leute eine gewisse Ähnlichkeit mit Tieren leicht akzeptieren, seine Theorie der Entstehung von Missbildungen plausibilisieren.

5 Vernetzung von Kapitel 3 Διὰ τίνα μὲν οὖν αἰτίαν … διώρισται περὶ πάντων, 769a1– 6: metatextlicher Rückbezug auf den vorangegangenen Teil des Kapitels ἐχόμενον τῶν εἰρημένων ἐστίν εἰπεῖν περὶ …, 769b10 f.: metatextlich-disponierend

Kapitel 4. 769b30 – 773a32 1 Inhalt Indem Kapitel 4 mit der Erklärung der Entstehung von terata fortfährt, schließt es unvermittelt an Kapitel 3 an. Desweiteren wird der Grund für Mehrlingsgeburten angegeben.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 4 Da Kapitel 4 die unmittelbare Fortführung von Kapitel 3 darstellt, findet sich keine Form von Eingangs- oder Übergangsformulierung. Dagegen macht die Abschlussformulierung (773a30 – 32), die das Ausgeführte referiert und die typische Ausdrucksweise benutzt, deutlich, dass mit Kapitel 5 die Durchführung eines anderen Themas einsetzt.

3 Struktur von Kapitel 4 § 4 [Forts.]: 1. 769b30 – 770b27: Die Gründe für die Entstehung von terata 2. 770b27– 772b12: Die Gründe für Poly-, Mono- bzw. Oligoparie 3. 772b13 – 773a32: Gründe für Missbildungen

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 769b30 – 770b27: Die Gründe für die Entstehung von terata Diese Passage ist beweisend und gibt die Ursache für die Bildung von terata an. Aristoteles geht von Demokrit aus, der die Ursache im männlichen Samen sah, nämlich wenn zwei Samen in die Gebärmutter gelangten und dort zusammenwüchsen. Dagegen sprechen aber, so Aristoteles, die Fakten: Offensichtlich entstünden auch aus einem Samen und einer Kopulation mehrere Nachkommen. Deshalb sei eine andere Art von Schlussfolgerung, die weniger umständlich sei, nötig. Interessant ist hier, dass Aristoteles auch für die von ihm nicht vertretene Voraussetzung (Prämisse), nämlich dass im Samen die aitia liege, eine Erklärung bietet. Das zeigt seine Souveränität, selbst für die gegnerischen Prämissen noch die bessere Schlussfolgerung zu liefern. Seine eigene Theorie folgt. Wir finden hier also das übliche Verfahren, die eigene Meinung gegen die fremde zu entwickeln. Aber hier entwickelt Aristoteles seine Meinung nicht wirklich, sondern er stellt sie schlicht gegen die andere, indem er formuliert: Wenn man die Ursache im männlichen Zeugungsbeitrag sehen müsse, dann müsse man wohl so sprechen (770a5 f): τοῦτον ἂν τὸν τρόπον εἴη λεκτέον. Aber: „Im Ganzen muss man eher im Stoff und im Prozess der Keimbildung die Ursache sehen“ (770a6 f.: ὅλως δὲ μᾶλλον τὴν αἰτίαν οἰητέον ἐν τῇ ὕλῃ καὶ τοῖς συνισταμένοις κυήμασιν εἶναι). Aristoteles formuliert hier also einen Appell in Form eines Verbaladjektivs, bringt aber keine eigentliche Begründung. Vielmehr verweist er im Folgenden umfangreich auf Phänomene, eingeleitet durch διό (770a7), die seine These bestätigen sollen. Die Fakten organisiert er in drei Stufen, wobei das bereits von Demokrit Berücksichtigte in der Mitte steht und so in eine Skala (μᾶλλον, 770a9 – μάλιστα, a9 – μάλιστα, in a10 nochmals zu supplementieren) eingeordnet erscheint: πολυτόκα – Vögel – Hühner. Ein Indiz für seine These sieht Aristoteles in dem Umstand, dass das Phänomen der terata vor allem bei vielgebärenden Tieren vorkomme. Dies belegt er gleich mit Zeugnissen aus der Empirie, wobei vor allem das Huhn eine wichtige Rolle spielt. Er erklärt die Devianz hier mit dem Fehlen einer Membran; dies führe dazu, dass dicht aneinander liegende Eier zusammenwüchsen. Unter Zugrundelegung seiner Annahme von ‚ernährender‘ und ‚wachstumsfördernder‘ Nahrung (siehe hierzu II 6. 744b32 ff. und III 1. 751b1 ff.) kann er dann erklären, dass Hühnchen mit einem Kopf und einem Körper und vier Extremitäten und Flügeln entstehen. Weitere Beispiele aus dem phänomenalen Bereich (ὦπται) folgen (770a23 ff.) Sie alle bezeichnet Aristoteles als ‚zwingendes Indiz‘ dafür, dass die Ursache im Stoff liegen müsse (770a30 f.): ᾗ καὶ δῆλον ὡς ἐν τῇ ὕλῃ τὴν αἰτίαν δεῖ νομίζειν τῶν

Kapitel 4. 769b30 – 773a32

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τοιούτων. Da nun wieder zahlreiche Beispiele folgen, ist dieser Satz so eingebettet in ‚Beweise‘ aus der Empirie, dass verborgen bleibt, dass ein theoretischer Beweis eigentlich fehlt. Dass dieser auch nicht notwendig ist, wird durch δῆλον suggeriert. Eingeleitet mit ἔτι (770a36) folgt als weiteres Parallelargument, dass bei Tieren, die unvollendete und deswegen den Eltern nicht ähnliche Nachkommen zeugen, öfter terata auftreten. Mit 770b3 holt Aristoteles dann weiter aus: Die Entstehung von terata ist von der Natur ,vorgebahnt‘ durch das Hervorbringen von Nachkommen, die aufgrund ihrer Unvollendetheit ihren Eltern nicht ähnlich sind. Hiermit knüpft Aristoteles an das zuletzt Gesagte (770b1, 770a33; vgl. aber auch IV 3. 767b5 f.) an. Er gibt die Begründung zuerst ganz allgemein, indem er das bei der Geschlechtsgenese Gesagte weiter ausführt, wie man nämlich überhaupt erklären kann, dass es zu diesen Devianzen kommt: Ein teras ist zwar gegen die Natur, aber nicht gegen die gesamte, sondern nur gegen das, was ‚Normalfall‘ ist (ὡς ἐπὶ τὸ πολύ) – im Unterschied zu der Natur, die ex anankēs ist. Aristoteles formuliert hier eingängig in Form eines (allerdings durch τρόπον τινά abgemilderten) Oxymoron (770b15 f.): τὸ καὶ τὸ παρὰ φύσιν εἶναι τρόπον τινὰ κατὰ φύσιν. Durch diese rhetorische Wendung kann er von der Inkonzinnität seiner These ablenken. Dies wird noch verstärkt, indem er durch einen iterativen Konditionalsatz folgende Gesetzmäßigkeit anführt: Etwas, was wider die Natur ist, kann „auf gewisse Weise“ naturgemäß sein, wenn die auf das eidos zielende physis die materiale physis nicht „besiegt“ (770b16 f.). Damit ist also endlich eine theoretische Begründung gegeben, die tatsächlich dieselbe wie die für die Entstehung des Geschlechts ist, wenn auch nicht sehr differenziert. Insgesamt lässt sich hier gut beobachten, wie Aristoteles mit der Erklärung ‚kämpft‘, was etwa durch seine Tentativität ausdrückende Formulierung τρόπον τινά deutlich wird. Diese abstrakte Darlegung wird zum Abschluss durch die Alltagserfahrung bestärkt (770b17 ff.), indem Aristoteles Bezug nimmt auf einen allgemein üblichen Gebrauch des Begriffs teras in schwächerem Sinne (ἧττον εἶναι δοκεῖ τέρας, 770b15): Man nenne bestimmte Phänomene, die recht oft vorkommen, auch wenn sie nicht dem ‚normalen‘ Prozess entsprechen, nicht terata. Das konkretisiert Aristoteles am Beispiel einer bestimmten Traubensorte.³³

 Auch in 770a15 diente bereits ein botanisches Beispiel der Illustration.

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4.2 770b27 – 772b12: Die Gründe für Poly-, Mono- bzw. Oligoparie 770b27 – 771a17: Ausgangsproblem, Phänomene und Forschungsfrage Die Ausgangsproblematik wird aus einer third party perspective (ἀπορήσειεν ἄν τις, 770b30) formuliert. Wenn man Gelbers Unterscheidung³⁴ folgt, stellt diese aporia aber nur einen Ausgangspunkt dar, es handelt sich nicht um eine Aporie im terminologischen Sinn. Denn es folgt jetzt eine Aufzählung verschiedener Phänomene von Missbildung, was zur Forschungsfrage überleitet. Die Phänomene sind: Viel- und Weniggebürtigkeit; fehlende Körperteile; zu viele Körperteile. Dann wird die Frage formuliert, die typischerweise das Problem aufwirft, ob man annehmen müsse, dass ein- und derselbe Grund all diesen Phänomenen zugrundeliegt. 771a17–b14: Grund für Viel- und Weniggebürtigkeit Die Passage ist auf rhetorische Weise als ‚Spannungsbogen‘ aufgebaut, da der Grund, warum manche wenige, manche viele Nachkommen zeugen, als Objekt des θαυμάζειν bezeichnet wird. Dieses θαυμάζειν habe guten Grund (771a18 und a24 f.), weil große Tiere doch eigentlich mehr Nachkommen haben könnten (771a24– 26). Dann kommt wie in Form eines Spannungsbogens die rätselhafte und (mittels Polyptoton, Oxymoron und Paradoxon) rhetorisch gestaltete Aussage (771a26 f.): αἴτιον δ’ αὐτὸ τὸ θαυμαζόμενον τοῦ μὴ θαυμάζειν, die erst einmal mit dem Paradoxon begründet wird, gerade wegen ihrer Größe könnten diese Tiere nicht viele Nachkommen haben (771a26). Die Begründung (mit γάρ in 771a27 angeschlossen) arbeitet mit dem ‚Kompensationsgesetz‘³⁵: Die Nahrung wird für die Größe des Körpers gebraucht, deshalb nimmt die Natur von dem περίττωμα weg. Mit 771b5 – 7 wird das αἴτιον resümiert und durch ein μαρτύριον im Folgenden noch phänomenal gestützt. Es ist ἡ αὐτὴ αἰτία, wie ringkompositorisch in 771b12 f. wiederholt wird, bevor mit ὁμοίως (771b13) ein Vergleich mit der Pflanzenwelt angestellt wird. 771b14 – 772b11: Gründe für Mehrlingsgeburten In dieser Passage wiederholt³⁶ Aristoteles zur Erklärung von Mehrlingsgeburten seine grundlegende Fortpflanzungstheorie. Dabei verwendet er auch wieder den vom ihm präferierten Vergleich des Zeugungsvorganges mit der Milchgerinnung

 Gelber (2018).  Vgl. hierzu Leroi (2010) und oben, S. 116.  Siehe Peck (1943) 433, Anm. a u. b, 453, Anm. b, 436, Anm. b-d, 442, Anm. a mit Verweisen auf einzelne frühere Stellen in GA.

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und modifiziert ihn. Dass er dies tut, ist auffallend und zeigt eine Reflektiertheit über die Anwendungsmöglichkeiten von Vergleichen. Der Grund für die Mehrgebürtigkeit liegt in a. der prinzipiellen Begrenztheit für Größe b. dem Symmetrieprinzip In Form einer binary transition mit Rück- und Vorausbezug wird einerseits die Frage nach dem Grund für den Unterschied zwischen Poly-, Oligo- und Monoparie in der Tierwelt als abgehandelt erklärt, andererseits wiederum im Problematastil (ἄν τις εὐλόγως θαυμάσειεν, 771b16; vgl. fast wörtlich 771a18) von dem aktuell in Frage stehenden Problem die Seite der Polytokie als die erstaunlichere dargestellt mit der empirischen Begründung (ἐπειδὴ φαίνεται mit Pt., 771b17), dass polypare Tiere oft durch eine einzige Begattung mehrere Nachkommen zeugen können. Dieses erstaunliche Phänomen formuliert Aristoteles nun noch präziser und konkreter als direkte Frage, die durch die Partikel ποτέ (771b24) einen dringlichen Charakter erhält. Erstaunlich ist hier, dass Aristoteles die Berechtigung dieser Frage nicht davon abhängig macht, ob man seine Theorie für die richtige hält. Vielmehr wird freigestellt, ob man bezüglich der Funktion des männlichen Samens (771b19 – 23: εἴτε … εἴτε) die in Buch I dargelegte und widerlegte gegnerische Pangenesislehre oder seine eigene Position (ὥσπερ φαμέν, 771b21) akzeptiert, die er wiederum mithilfe des Vergleichs mit dem auf Milch enzymatisch wirkenden Feigensaft illustriert.³⁷ Es wirkt geradezu hypothetisch-distanzierend, wie Aristoteles hier eine Kernaussage seiner Theorie auf eine Stufe mit einem gegnerischen Modell stellt. Dass einander ausschließende Modelle im Diskurs konkurrierend nebeneinander bestehen können, gewinnt so etwas Selbstverständliches. Dabei aber stellt er seinen eigenen Vergleich auch infrage: Warum entsteht denn nicht, wie bei der Wirkung von Feigensaft auf Milch, ein neues Lebewesen von einer Größe, die sich zur Größe dessen, worauf das Sperma trifft, und zu seiner eigenen Quantität proportional verhält (ὅσῳπερ … τοσούτῳ, 771b26)?³⁸ Ein wohl gängiger fremder Erklärungsansatz wird als substantivierter Infinitiv (τὸ … φάναι, 771b27) angeführt – und für nichtig erklärt (οὐθέν ἐστιν, 771b29 f.). Das gegnerische Modell postuliert eine diskrete Anzahl (πλῆθος, 771b29) voneinander verschiedener Örter innerhalb des Uterus; demgegenüber ist empirisch nachgewiesen (γίγνονται, 771b30), dass an ein und demselben Ort innerhalb des Uterus oft zwei Keimlinge entstehen und dass bei Polyparen die Embryonen kontinuierlichen Kontakt miteinander haben (ἐφεξῆς κείμενα, 771b32; vgl. o.

 Vgl. I 20. 729a11– 14, II 3. 737a13 – 16.  Vgl. Kullmann (1998) 299: „Mehr Hefe macht aus einem Berliner Pfannkuchen nicht zwei.“

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Buch IV

770a14 f.). Die aristotelische Position ist also gekennzeichnet durch das Kontinuierliche, die gegnerische durch das Diskrete, wobei Aristoteles die übliche mathematische Terminologie verwendet. Der Bezug zur Empirie wird fundiert und abgeschlossen durch einen typischen Verweis auf die anatomai (771b32 f.). Mit dem deutlich absetzenden ἀλλά (771b33) wird diesem ,nichtigen‘ Modell der eigene Ansatz in typischer Weise positiv gegenübergestellt – und aus einem Vergleich heraus entwickelt (ὥσπερ καὶ … οὕτω καὶ …, 771b33 – 772a4). Etwas breit und redundant (771b33 – 772a2) wird zunächst der eigentlich einfache Vergleichspunkt ausgeführt: Für ein ausgewachsenes Exemplar einer jeden Tierart gibt es ein festes Größenintervall mit Minimum und Maximum. Durch die Breite und Anschaulichkeit der Darstellung erscheint dieser Vergleichspunkt besonders präsent, so dass die bloß analoge Übertragung auf die bestimmte Quantität einer zu einem Keimling führenden Portion zeugungsbezogener Materie erleichtert wird. Die Litotes οὐκ ἔστιν ἀόριστος (772a3) suggeriert etwa die Überlegung: ‚Es wäre doch gegenüber der Wohlbestimmtheit des Vergleichspunkts eigenartig, wenn hier vollkommene Unbestimmtheit herrschte‘. Diese absolute Unbestimmtheit klingt nochmals an in ὁποσησοῦν (772a4). Es wird also ein Extremgedanke abgewehrt. Aus der Negation völliger Unbestimmtheit wird dann aber implizit, in einer Art kontrastiver Übertreibung, auf eine relativ enge Bestimmtheit geschlossen. Durch die negierte Wiederaufnahme der Doppelung καὶ ἐπὶ τὸ μεῖζον καὶ ἐπὶ τὸ ἔλαττον (771b34) in 772a3 f. wird der Eindruck der Übertragbarkeit verstärkt. Akzeptiert man diesen Analogieschluss, ist die Folgerung (γοῦν, 772a4) leicht zu ziehen: Liegt mehr weibliches Residuum vor als für ein neues Lebewesen artspezifisch erforderlich, entstehen so viele, wie durch das jeweilige Maß bestimmt ist, d. h.: so oft, wie die Gesamtmenge durch diese artspezifische Größe teilbar ist. Und auf seiten des männlichen Spermas bzw. Vermögens kann dieses auch nicht mehr oder weniger als diese naturgegebene artspezifische Anzahl von Keimlingen stocken lassen. Mit ὁμοίως (772a10) wird nun der entsprechende (vgl. o. 772a4– 6) Fall eines Überschusses an männlichem Sperma behandelt: Dieser kann nicht zu einem größeren Keimling führen, sondern im Gegenteil nur zu einem Austrocknen (vgl. zuletzt IV 2. 767a17 f.). Ein Vergleich (οὐδὲ γὰρ, 772a12– 17) aus dem Bereich des Anorganischen stützt dieses Modell: Gesteigertes Feuer kann Wasser nicht über den Siedepunkt erhitzen, sondern führt nur zum Verdampfen und schließlich zum Verschwinden des Wassers und zur Eintrocknung. Hier erscheint besonders deutlich, dass das gesamte Modell der Verkochung der weiblichen Materie durch das männliche Vermögen eine – nicht unproblematische – Übertragung aus dem anorganischen

Kapitel 4. 769b30 – 773a32

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Bereich darstellt: Hier gibt es in der Vergleichsebene keinen zum ‚Stocken‘ analogen Prozess. Wiederum in Wiederaufnahme von IV 2 (hier: des Symmetriegedankens aus 767a16 in der Form von φαίνεται mit Inf.: kein direkter Empiriebezug) wird nun, etwas redundant, explizit begründet, dass bei den Polyparen Männchen und Weibchen jeweils so viel Residuum abgeben, dass dies jeweils zur Konstitution von mehreren Keimlingen hinreicht. Es folgt, als Nebenbemerkung und Nachtrag, eine differenzierte Bewertung des Milch-Vergleichs (zuletzt o. 771a23 – 27): Dieser sei nicht von gleicher Art, da der Feigensaft nur eine bestimmte Quantität (vgl. schon o. 771b25) stocken lässt, die Wärme des Spermas dagegen eine bestimmte Quantität, die aber auch mit einer bestimmten Qualität einhergeht. Der Abschluss dieses Passus beginnt mit einer summarischen Darstellung der Aitiologie der Polyparie, wie sie sich aus dem gerade Gesagten ergibt (eingeleitet durch μὲν οὖν, 772a25) und unter Wiederaufnahme des Motivs der Abwehr völliger Unbestimmtheit (οὐκ ἐξ ὁποσουοῦν, 772a27), der dann wieder eine Wohlbestimmtheit gegenübersteht (ὥρισται, 772a28). In ähnlicher Weise (ὁμοίως, 772a30) wird nun auch die Monoparie erklärt, wobei der eben angeführte Hauptgrund (τοῦτ’ αὐτὸ αἴτιον, 772a27) nicht hinreicht, sondern ergänzt wird durch die These, dass die Monoparen in der Regel genau so viel Residuum absondern, wie für einen Embryo nötig ist. Durch diese ad hoc-Zusatzforderung (entsprechend bei den Polyparen, vgl. 772a19 – 22) wird die Kausalerklärung in Teilen zirkulär. Der Schlusssatz schließt, über die gegen die Regel mögliche Zwillingsgeburt bei Monoparen, an das (immer noch) übergeordnete teras-Motiv an und endet mit einer redundanten Wiederholung (a36 f., vgl. o. 770b9 – 13). 772b1 – 12: Sonderstellung des Menschen Was die Kategorie der Mono-/Oligo-/Polyparie angeht, verhält sich der Mensch ambivalent, ist aber seiner Natur nach tendenziell monopar. Zwei gegenläufige Ursachen werden angeführt: Eine feucht-warme Körperkonstitution führt eher zu Polyparie, wobei nach dem eben Gesagten die Relation der absoluten Spermamenge zu derjenigen (in Intervallgrenzen) wohlbestimmten Sperma-Quantität, die zur Befruchtung einer ebenfalls wohlbestimmten Materie-Portion nötig ist, ausschlaggebend wäre, die Größe des Menschen begründet dagegen eine Tendenz zu Mono- oder Oligoparie. Dagegen steht die gleichsinnige Verknüpfung von Größe und innerem Wärmegrad nach II 1. 732a16 – 20. Als ‚Alleinstellungsmerkmal‘ des Menschen (μόνῳ τῶν ζῴων, 772b6 f.) erscheint die Uneinheitlichkeit in der Zeitdauer der Gravidität. Diese bestehe διὰ δὲ τοῦτο (772b6) – also aufgrund

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Buch IV

der amphoteren Stellung des Menschen bzgl. Mono-/Oligo-/Polyparie. Warum diese aber jene begründen kann, bleibt offen. Der Absatz schließt mit einer ‚Übungsaufgabe‘: Die Ursache könne man sich aus dem Gesagten erschließen, einem (nicht mehr nachvollziehbaren) Verweis auf die Problemata und einer typischen universellen Schlussformel (772b12).

4.3 772b13 – 773a32: Gründe für Missbildungen Aristoteles gibt nun eine klare Antwort auf die konkrete Problemfrage in 771a16 f.: Für widernatürlich (= teratologisch) überschüssige Körperteile ist dieselbe Ursache verantwortlich wie für Zwillingsgeburten. Denn ein Überschuss an Materie ist bereits im Keimling Ursache für ein übergroßes Körperteil bzw. eine Überzahl. Für letzteren Fall ist eine vorherige Spaltung des Keimlings Voraussetzung. Aristoteles zieht hierzu wiederum einen Vergleich aus dem Anorganischen heran (772b17– 21), der in besonderer Weise ‚dynamisch‘ wirkt: Strudel in einem Fluss können, wenn sie auf ein Hindernis stoßen, in zwei Strudel derselben Bewegungs geteilt werden. Eventuell hat man hier einen Hinweis, wie sich Aristoteles die immaterielle kinēsis, die durch das männliche Sperma übertragen wird, in etwa denkt. Die Passage schließt mit einer speziellen Modellierung des Falls, in dem ein überzähliges Körperteil nicht, wie es üblicherweise (μάλιστα, 772b22) geschieht, in unmittelbarer Nähe zu den nicht überzähligen Teilen derselben Art anwächst, sondern davon entfernt. Man denkt an das Beispiel einer Ziege, der ein Horn an einem Bein angewachsen ist (s. o. 770b36 f.), das Aristoteles nun auch erklären kann. Um Hermaphroditismus im Rahmen seiner Theorie zu erklären, wählt Aristoteles die ‚symmetrische Variante‘ seines Modells: Bei vollständiger Dominanz bzw. vollständigem Dominiert-Werden entstehen zwei gleichartige Geschlechtsorgane (gedacht ist wohl an die paarigen Hoden bzw. den paarigen Uterus), bei nur partieller Dominanz entsteht der in Rede stehende Fall. Diese Möglichkeit partieller Dominanz besteht sowohl bezüglich bestimmter Teile als auch bezüglich des ganzen Lebewesens (s. o. IV 3). Schließlich gibt Aristoteles auch eine Erklärung für die Defizienz von Teilen in komplementärer Entsprechung zur Erklärung eines Überschusses (772b13 ff.).³⁹ Nachdem er noch auf einige kleinere Punkte und weniger offensichtliche Irregularitäten eingegangen ist, schließt das Kapitel mit dem ersten Teil einer binary

 Die Passage 772b35 – 773a2 scheint an die Erklärung des Hermaphroditismus angehängt.

Kapitel 5. 773a32 – 774b4

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transition, indem ein metatextlicher Rückbezug bis über den Beginn des Kapitels hinaus (Thematisierung der terata 769b10 ff.) gegeben wird.

5 Vernetzung von Kapitel 4 Verweis darauf, dass Gründe der Vielgebürtigkeit gleich noch ausgeführt werden (770b2 f.). Verweis mit ὥσπερ εἴρηται (771a10) auf etwas gerade kurz zuvor Gesagtes (771a5 f.), vgl. auch 771a36.

Kapitel 5. 773a32 – 774b4 1 Inhalt Dieses Kapitel ist der Ursache für Überbefruchtung gewidmet. Nach Aristoteles kommt sie vor allem bei vielgebärenden Tieren vor, weniger bei Tieren mit nur einem Nachkommen. Der Grund dafür ist (773a32–b29), dass bei monotoka (wie dies etwa Einhufer sind) die Körper größer und dementsprechend auch die Embryonen größer sind, so dass mehr perittōma für diesen einzelnen Nachkommen verbraucht wird. Entsprechend ist bei Tieren, die mehrere Nachkommen haben können, aber groß sind, wie es beim Menschen der Fall ist, eine Ausreifung nur dann möglich, wenn die Kopulationen dicht aufeinander folgen, anderenfalls kommt es zu abortähnlichen Geschehen. An die Begründung der Überbefruchtung schließt sich die Begründung für ‚Lüsternheit‘ an (773b29 – 774a17). Sie kommt dann vor, wenn es überschüssiges perittōma gibt, das nicht abgesondert werden kann. Dementsprechend verändern libidinöse Frauen ihr Verhalten, wenn sie Kinder bekommen, da dann die große Menge an perittōma für die Bildung des Embryos verbraucht wurde. Ein weiterer Abschnitt (774a17–b4) erläutert die Gründe, warum manche Tiere auch dann ihre aus Überbefruchtung entstehenden Embryonen zur Reife bringen, wenn zwischen den Kopulationen viel Zeit liegt. Dafür benennt Aristoteles drei Gründe, wobei wieder das ‚Kompensationsprinzip‘ eine Rolle spielt: Es sind Arten, die a) viel Samen haben (γένος σπερματικόν), b) nicht groß sind, c) vielgebürtig sind. Aus diesem Grund ist ihr Uterus groß (weil sie vielgebürtig sind: c), scheiden sie viel perittōma aus (weil sie σπερματικόν sind: a), haben sie noch genügend Stoff für die Ernährung des durch Überbefruchtung entstandenen Embryos (weil sie nicht groß sind: b).

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2 Abgeschlossenheit von Kapitel 5 Nach der Abschlussformulierung von Kapitel 4, die den ersten Teil einer binary transition darstellt, setzt Kapitel 5 mit dem durch δέ signalisierten zweiten Teil der binary transition ein und bringt mit der Superfetation ein neues Thema. Inhaltlich schließt dieses Kapitel insofern an das vorhergehende an, weil Aristoteles auch hier mit dem Prinzip der ‚Kompensation‘ als Begründung arbeitet. Ein kurzer Satz zu sowohl unvollendetem als vollendetem Nachwuchs des Hasen, der auch zum nächsten Kapitel überleitet, schließt das Kapitel ab in Form des ersten Teils einer typischen binary transition (μὲν οὖν, 774b3).

3 Struktur von Kapitel 5 § 5: 1. 773a32–b29: Grund für Superfetation 2. 773b29 – 774a17: Ausführungen über Lüsternheit 3. 774a17–b4: Gründe dafür, dass Tiere die durch Überbefruchtung entstehenden Embryonen zur Reife bringen können

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 773a32–b29: Grund für Superfetation Der Einsatz mit dem zweiten Teil einer binary transition gibt das Thema an, indem es einen empirisch feststellbaren Unterschied über das ganze Tierreich hinweg (Verwendung des typischen globalen Genetivus partitivus zu Beginn, 773a32) benennt. Der Unterschied besteht darin, ob eine Superfetation möglich ist oder nicht. Auffällig ist, dass Aristoteles den Begriff der ‚Superfetation‘ (ἐπικυΐσκεσθαι bzw. ἐπικύημα) hier nicht erklärt. Er integriert so ein bereits von konkurrierenden Schulen thematisiertes Phänomen (vgl. die hippokratische Schrift De superfoetatione) in seinen eigenen Theorierahmen: 1. Tiere ohne Superfetation 2. Tiere mit Superfetation2a. 2a. Superfetationen, die zur Reifung gebracht werden 2b. Superfetationen, die nur unter bestimmen Bedingungen ganz ausgetragen werden können Dem Charakter der Schrift entsprechend folgt eine Erklärung dieses Unterschieds: 1. Das angegebene Aition der μονοτοκία (772a25 – 773b1) stellt zugleich die Verbindung zum vorhergehenden Kapitel her (in IV 4. 771a17– 772b13 Kausalerklä-

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rung von mono-/polytokia); der kausale Zusammenhang wird durch das Prinzip der kompetitiven Ressourcen-Allokation in Verbindung mit der überproportionalen Größe der Embryonen großer Tiere hergestellt. Zu 2. wird zunächst festgestellt, dass multipare Tiere prinzipiell Superfetation zulassen, da in einem Wurf ein Fötus Superfötus des anderen ist; nähere Erklärungen werden dann für die Gruppe 2b. gegeben, die aus multiparen Tieren mit einer gewissen Größe besteht. Hier hängt die Möglichkeit der Superfetation davon ab, ob die Kopulationen eng aufeinanderfolgen (773b8 – 12) oder nicht (773b13 – 16), in letzterem Fall ist eine Superfetation zwar immer noch möglich, tritt aber selten ein und kann dann nicht ganz ausgetragen werden; die Begründung erfolgt in betont einheitlicher Weise (ὥσπερ γὰρ ἐπὶ τῶν μονοτόκων, 773b18 f.). In diesem Zusammenhang verweist Aristoteles darauf, dass Superfetationen auch beim Menschen beobachtet wurden. Der Grund, den er angibt, basiert auf seiner Theorie, dass der Samen auf verschiedene Materieteile einwirken kann. Ab 773b23 wird als Grund die Größe der Gebärmutter, die Aristoteles etwas später als Aition verwendet, ‚nachgeschoben‘.

4.2 773b29 – 774a17: Ausführung über Lüsternheit Eigentlich ist diese Passage hier nicht nötig, und das Thema war auch im ‚Katalog‘ der Punkte (s. o.) nicht vorhanden. Man erkennt Aristoteles’ Vorgehensweise des ‚work in progress‘, immer wieder Problemdurchführungen, Gedanken und Begründungen einzufügen, die ‚ihm einfallen‘. Hier ist der Anknüpfungspunkt wohl, dass eine erneute Begattung eine erhöhte Paarungsbereitschaft voraussetzt. Nichtsdestotrotz verleiht die Abschlussformel (774a13 – 17), in die die ‚Lüsternheit‘ als behandelter Punkt mit aufgenommen wird, obwohl sie kein solcher im Ausgangskatalog war, dem Ganzen den Eindruck der Wohlgeordnetheit.

4.3 774a17–b4: Gründe dafür, dass Tiere die durch Überbefruchtung entstehenden Embryonen zur Reife bringen können (Erklärung für Gruppe 2b) Diese Passage ist recht gut durchkomponiert: Auch bei großem zeitlichen Abstand kann diese Gruppe der grundsätzlich zur Superfetation kommenden Tiere die Embryonen austragen. Dies sind Tiere, die reich an zeugungsbezogenem Residuum sind und nicht eine gewisse Körpergröße aufweisen; redundant ist der Zusatz τῶν πολυτόκων ἐστίν (774a20), da es sich natürlich um die Gruppe 2 handelt. Im Vergleich mit Tieren der Gruppe 2b, die nach 773b7 f. eine gewisse Größe aufweisen, bleiben somit ohne Zuordnung Tiere, die nicht reich an zeugungsbe-

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zogenem Residuum sind und nicht eine gewisse Körpergröße aufweisen; diese Lücke wird nicht thematisiert. Als erstes Aition (γάρ, 774a20) wird ein dreifacher Grund angegeben (διὰ μέν … διὰ δέ … διὰ δέ, 744a20 – 22): – ein weiträumiger Uterus aufgrund der Polytokia, – reichliches Vorhandensein von Monatsblut, – aufgrund der geringen Größe gibt es einen Überschuss des Monatsblutes in Relation zu dem für die Ernährung eines Embryos nötigen. – Als Zusatzgrund (ἔτι, 774a25) wird das fehlende Zusammenziehen des Uterus angegeben, wofür wiederum ein Überschuss des Monatsblutes verantwortlich ist. Am Beispiel der Superfetation des Hasen (774a30 – 34) zeigt Aristoteles, dass sich seine Theorie bewährt: er ist nicht groß, er ist vielgebürtig, und er ist spermatikon. Dem folgt die Erklärung (774a34–b4), dass dichte Behaarung allgemein ein Zeichen (σημεῖον) dafür sei, dass ein Tier reichlich über Residuum verfüge und damit sehr fertil sei. Ein kurzer Satz zu sowohl unvollendetem als auch vollendetem Nachwuchs des Hasen, der auch zum nächsten Kapitel überleitet, schließt das Kapitel 5 in Form des ersten Teils einer typischen binary transition (μὲν οὖν, 774b3) ab.

5 Vernetzung von Kapitel 5 αἴτιον δὲ τὸ εἰρημένον (773b10 f.): Verweis auf kurz vorher Gesagtes Verweis auf das direkt vorher Ausgeführte mit διὰ τὴν εἰρημένην αἰτίαν in 773b26

Kapitel 6. 774b5 – 775b24 1 Inhalt Dieses Kapitel setzt an früheren Überlegungen (I 8. 718b8 – 15; III 4. 755a21– 32; IV 4. 771a17–b14) zum Zusammenhang von ‚Gattung‘ und Zahl sowie Reifegrad der Nachkommen an. Es macht in besonderer Weise den Eindruck, verschiedene Überlegungen etwas lockerer aneinandergeknüpft zu haben, da es nun nicht mehr um die Entwicklung und Darlegung einer Theorie geht, sondern darum, auf dieser aufbauend, Phänomene zu begründen. Zuerst (774b5 – 26) stellt Aristoteles eine Verbindung her zwischen der Anzahl der ‚Zehen‘ und den Nachkommen. Denn darauf aufbauend kann er begründen,

Kapitel 6. 774b5 – 775b24

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dass Einhufer eingebärend sind, Paarhufer ein- oder zweigebärend, Vielzehige vielgebärend. Bei Tieren, die vielgebürtig sind, sind die Nachkommen eher nicht vollendet. Anders als bei dem früheren Erklärungsversuch (771b5 ff.) steht bei der expliziten Erklärung nicht die Größe im Vordergrund, wogegen bei dem früheren Erklärungsversuch (771b5 – 8) betont wurde, dass der eigentliche Grund die Größe eines Tieres sei (dahinter steht das ‚Kompensationsprinzip‘). Indirekt deutlich wird das Kriterium aber bei den besonderen Ausführungen zum Schwein, weil dieses nach Aristoteles für ein vielzehiges Tier nicht groß ist (774b21 f.). Prinzipiell unterscheidet Aristoteles in mōnycha, dichēla und polyschidē (einhufige, paarhufige und vielzehige Arten). Nachdem Aristoteles im Folgenden (774b26 – 775a4) seine Theorie sehr kurz auf Vögel angewandt hat, geht er auf den Menschen und seine Besonderheiten über (775a4–b24). Diese bestehen darin, dass männliche Embryonen schneller verletzt sind und weibliche im Mutterleib schneller zur Vollendung gelangen, außerhalb aber schneller altern. Außerdem sterben beim Menschen Zwillingsembryonen gemischten Geschlechts schneller ab. Grund für all dies ist die größere Kälte und Schwäche des weiblichen Geschlechts. Der Geschlechtsunterschied ist beim Menschen besonders ausgeprägt, weil die Menstruation bei der Frau besonders stark ist. Dies ist auch der Grund dafür, dass sie besonders viele Beschwerden hat. Diesen letzten Begründungen liegen Vorstellungen aus der Gynäkologie zugrunde, so dass hier der Bezug zu den hippokratischen Schriften recht eng ist.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 6 Kapitel 6 beginnt mit dem zweiten Teil einer binary transition, endet aber unspezifisch. Da Kapitel 7 die Erklärung der Mola bringt, verstärkt dies den Eindruck, dass Aristoteles, beginnend mit Kapitel 5, verschiedene Phänomene aufführt, um zeigen zu können, dass seine Theorie diese erklären kann, also einen einheitlichen und richtigen Erklärungsansatz vertritt.

3 Struktur von Kapitel 6 § 6: 1. 774b5 – 26: Verbindung von Anzahl der Zehen, Anzahl der Nachkommen und ‚Vollendetheit‘ der Nachkommen 2. 774b26 – 775a4: Anwendung der Theorie auf die Vögel 3. 775a4–b24: Besonderheiten beim Menschen

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 774b5 – 26: Verbindung von Anzahl der Zehen, Anzahl der Nackommen und ‚Vollendetheit‘ der Nachkommen Diese Passage macht durch die Formulierungen den aitiologischen Zuschnitt deutlich und hat insgesamt einen ruhigen Duktus, weil Aristoteles auf bereits Begründetes aufbauen kann. Nach der Konstatierung des Faktums (774b5 – 7) bringt Aristoteles eine Zuordnung der ‚Zehigkeit/Hufigkeit‘ zur Anzahl der Nachkommen und begründet, warum vielgebürtige Tiere ihre Nachkommen als unvollkommene gebären. Die Erklärung, die Aristoteles zum Schwein bringt (774b17– 26), zeigt gut die Prozesshaftigkeit seiner Darstellung. Denn es durchbricht die von ihm gegebenen Zuordnungen, da es als einziges multipares Tier vollendete Junge hervorbringt und, je nach Unterart, ein- oder zweihufig ist; so ‚transzendiert‘ es als einziges Tier die vorher genannten Klassen (ἐπαλλάττει … μόνον, 774b17 f.).⁴⁰ Bei seiner Erklärung dieses Sonderfalls muss er stets ‚nachkarten‘: Beim Schwein kommt es zu verschiedenen ‚Ausprägungen‘ der Zehenanzahl. Für einen Einhufer ist es relativ klein. Es kann auch viele Nachkommen haben, und diese kann es bis zum telos ernähren. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu Aristoteles’ Beobachtung und Begründung, dass vielgebärende Tiere Embryonen hervorbringen, die nicht vollendet sind. Aber dieses beim Schwein zu beobachtende Phänomen wird nun mit seiner Zwischenstellung zwischen Einhufer und Mehrhufer begründet, wobei in 774b19 – 22 das ‚Kompensationsprinzip‘ durchscheint. Schließlich führt Aristoteles als Grund noch die eubosia des Schweins an, was zwar mit dem ‚Kompensationsprinzip‘, aber nicht mit dem Kriterium ‚μέγεθος‘ übereinstimmt (das Schwein ist ja relativ klein, vgl. 774b21 f.). Dafür bindet Aristoteles am Schluss seine Ausführungen durch einen Vergleich aus der Botanik an die Erfahrungswelt des Rezipienten an: Der eubosia des Schweins als Grund für die Vollendung auch vieler Nachkommen entspricht fette Erde, die genug Nahrung bietet. Dies ist ein illustrierender Vergleich, der die Passage, in der Aristoteles im Bezug auf das Schwein sich etwas zu verhaspeln scheint, rund und schlüssig abschließt.

 Zum formalen Motiv der ἐπάλλαξις vgl. etwa o. II 1. 732b15.

Kapitel 6. 774b5 – 775b24

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4.2 774b26 – 775a4: Anwendung der Theorie auf die Vögel Aristoteles wendet nun seine Theorie auf die Vögel an, geht allerdings nur recht kurz und unausgeführt auf sie ein, wobei er jetzt vor allem die frühe Geburt begründet, womit er wiederum zum Menschen überleiten kann. Zu den unvollendeten und blinde Junge hervorbringenden Tieren werden zwei Gruppen der Vögel gezählt: polytoke und eher kleine Vögel, wofür Aristoteles vier Beispiele nennt, sowie oligotoke, die mit dem Ei den Jungen nicht reichliche Nahrung bereitstellen (mit drei Taubenarten als Beispielen). Deshalb gelingt folgendes (brutal anmutendes) Experiment bei den Schwalben, die eines der Beispiele der ersten Gruppe darstellen: Sticht man den noch jungen Tieren die Augen aus, regenerieren diese sich wieder, da sie im Zustand des Werdens und nicht als bereits fertige, gewordene Organe zerstört werden – sie entstehen wieder neu (βλαστάνουσιν ἐξ ἀρχῆς, 774b34).⁴¹

4.3 775a4–b24: Besonderheiten beim Menschen Aristoteles schließt nun Besonderheiten bei der menschlichen Ontogenese an, wobei er durch δεῖ (775a15) wieder einmal den Rezipienten einbindet, indem er an dessen Auffassungsvermögen appelliert (hier: δεῖ ὑπολαμβάνειν). 1. Männliche Embryonen sind verletzungsanfälliger als weibliche.⁴² Der Grund (αἴτιον in 775a5) besteht darin, dass der ‚thermische‘ Unterschied zwischen Mann und Frau besonders groß ist; deshalb (διό in 775a7) bewegen sich männliche Embryonen mehr⁴³ und verletzen sich so (775a8) öfter. Derselbe Grund (gemeint ist die größere Kälte der Frau, 775a4 f.) ist auch Aition für folgende Phänomene: 2. Weibliche Embryonen reifen langsamer 3. Nach der Geburt altern Mädchen bzw. Frauen schneller Mit einem allgemeinen Satz in 775a14– 16 schließt Aristoteles an den von ihm früher als prinzipiell herausgearbeiteten Grund an, wobei er jetzt die größere

 Modern würde man dies etwa folgendermaßen erklären: Die embryonale Potenz zur Ausdifferenzierung (heute: von Zellen) ist noch erhalten, da solche Tiere nicht voll ausdifferenziert zur Welt kommen.  Zur Erklärung dieses Phänomens aus moderner Sicht vgl. Föllinger (1996a) 179, Anm. 319.  Zum Zusammenhang von Wärme und Bewegung siehe GA II 1. 732a20: τὸ δὲ θερμὸν κινητικόν; PA VIII 4. 681a6 f.: Καὶ παρασκευάζει κινητικωτέρους ἡ τῆς φύσεως θερμότης; 13. 697a27 f.: ὅτι τὰ μεγάλα τῶν ζῴων πλείονος δεῖται θερμότητος, ἵνα κινῆται; Ph. V 1. 255a21– 23: τὰ μὲν γὰρ παρὰ φύσιν αὐτῶν κινητικά ἐστιν, οἷον ὁ μοχλὸς οὐ φύσει τοῦ βάρους κινητικός, τὰ δὲ φύσει, οἷον τὸ ἐνεργείᾳ θερμὸν κινητικὸν τοῦ δυνάμει θερμοῦ. Umgekehrt: Pr. V 37. 884b29 f.: ἡ δὲ κίνησις θερμότητα ποιεῖ.; Pr. IX 5. 908a23: τὸ δὲ θερμὸν κινητικόν (s.o. GA II 1).

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Buch IV

Schwäche des Weibchens, die im Beweisgang am Beginn von Buch II als (nicht begründete) Prämisse formuliert war, in einem Zug mit der fehlenden Wärme des Weibchens nennt (775a14– 16): ἀσθενέστερα … καὶ ψυχρότερα. Auch greift er seine bereits früher verwendete Ausdrucksweise auf, dass Weiblichkeit ‚wie‘ eine naturgegebene Devianz sei. Wiederum verdeutlich Aristoteles so das Tentative durch die Verwendung von ὥσπερ, die das Metaphorische seiner Ausdrucksweise deutlich macht. Ab 775a16 folgt die Ausführung der Begründung (οὖν): Größere Kälte führt zu langsamerer Entwicklung im Mutterleib, größere Schwäche führt zur schnelleren Vollendung und Alterung außerhalb des Mutterleibs. Zu diesem Beweisziel wird die Prämisse nachgeschoben, dass alles, was schwächer/minderwertiger (775a20: ἐλάττω) sei, schneller zur Vollendung gelange. Diese Prämisse macht hier den Eindruck, ad hoc eingeschoben zu sein, und sie ist auch nicht plausibel. Wohl aus diesem Grund, d. h. zur Plausibilisierung eines theoretisch nicht begründeten Sachverhalts, vergleicht Aristoteles den Vorgang mit Prozessen aus dem Bereich der technē, bei denen ebenfalls das Schwächere schneller zur Vollendung gelange. Allerdings ist dieser Vergleich auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Derselbe Grund ist nach Aristoteles dafür verantwortlich, dass menschliche Zwillinge verschiedenen Geschlechts keine guten Überlebenschancen haben (775a22– 27). Wieder steht am Anfang eines neuen ‚Unterpunktes‘ betont die Einheitlichkeit der Kausalerklärung: διὰ τὸ εἰρημένον δ’ αἴτιον (775a22), womit der ‚thermische‘ Unterschied zwischen den Geschlechtern gemeint ist. Die gerade besprochene unterschiedlich lange Embryonalzeit der Geschlechter beim Menschen ist aber die vermittelnde Ursache für die verringerte Überlebenswahrscheinlichkeit gemischtgeschlechtlicher Zwillinge und wird auch noch einmal als Grund wiederholt (775a24– 26), mit dem starken ἀνάνγκη (775a26), das den notwendigen Zusammenhang zwischen letztlich zugrundeliegendem Aition und der vermittelnden Ursache betont. Es folgt eine Passage (775a27–b24), die auf gynäkologische Phänomene beim Menschen eingeht. Sie hat viel Ähnlichkeit mit Ausführungen in den hippokratischen Schriften,⁴⁴ insbesondere in der Verbindung von πόνος und Quantität von perittōma bzw. Körperfeuchtigkeit (775a27–b8), wobei aber Aristoteles mit seinem perittōma-Modell arbeitet: Je weniger perittōma aufgebraucht wird, desto mehr Beschwerden hat die Frau. Πόνος verbraucht das perittōma, damit hat die Lebensweise (bios) Einfluss auf die physis. ⁴⁵

 Vgl. Föllinger (1996a) 179 f.  Vgl. auch Lennox (2010).

Kapitel 7. 775b25 – 776a14

381

In 775b1 f. erscheint allerdings plötzlich ein anderer Grund: πόνος stärkt das pneuma, was Frauen für die Geburt im Atemanhalten übt. Abschließend geht Aristoteles darauf ein, dass der Unterschied zwischen Frauen und weiblichen Tieren auf der besonders starken Katharsis bei Frauen beruht.

5 Vernetzung von Kapitel 6 775a22: διὰ τὸ εἰρημένον – verweist auf das kurz zuvor Gesagte (ab 775a9) 775b3: ὥσπερ εἴρηται – verweist auf das kurz zuvor Gesagte (ab 775a31) Verarbeitung von gynäkologischem Material

Kapitel 7. 775b25 – 776a14 1 Inhalt Dieses Kapitel behandelt die mola uteri. Es befasst sich also mit einem pathologischen gynäkologischen Phänomen, aber es passt insofern hierher, als Aristoteles für diese Erscheinung wieder seine Erklärung der fehlenden Wärme fruchtbar machen kann.Weil die Wärme fehlt, kann die Verkochung nicht zu Ende geführt werden, der Embryo also nicht zur Vollendung gelangen, und es bildet sich das genannte Phänomen aus. Aristoteles nützt diese Gelegenheit auch, um zu demonstrieren, dass die gegnerische Theorie, die den Grund in zu viel Wärme sieht, falsch ist. Dies spricht für eine gewisse Agonalität im Verhältnis zu hippokratischen Erklärungen.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 7 Nach vorne schließt das Kapitel mit δέ an, und es hat auch keine Abschlussformulierung o. ä. Dies entspricht dem ‚Abhandeln‘ von Phänomenen, das Aristoteles hier betreibt.

3 Struktur von Kapitel 7 In einem kurzen Satz (775b27) wird auf engstem Raum mit der Wiederholung des Themenbegriffs ein framing hergestellt und so die Themenstellung abgeschlossen. Das Kapitel ist im Weiteren dreigeteilt:

382

1. 2. 3.

Buch IV

775b27– 36: Darstellung der empirischen Faktenlage 775b36 – 776a8: Kausalerklärung des Phänomens 776a8 – 14: Als eigenes Problem wird formuliert, warum das Phänomen nicht auch bei anderen Tieren vorkommt, und eine Erklärung geboten.

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Den Anschluss an das vorhergehende Kapitel bildet einfach das Verbaladjektiv ῥητέον (775b25). Aber da das thematische Bindeglied die fehlende Wärme ist, die die Mola verursacht, kann Aristoteles zeigen, dass seine Theorie auch dieses pathologische Phänomen erklären kann. Indem es als (nur) beim Menschen vorkommend eingeführt wird, wird der Anschluss zum Vorhergehenden hergestellt. Denn der zweite Teil von Kapitel 6 handelte von der Sonderstellung des Menschen, und die dort zuletzt angeführte (Haupt‐)Ursache, das relativ größte Katamenienvolumen, wird auch jetzt, am Ende des kurzen Kapitels, wieder für den Ausnahmetatbestand der Mola, die es innerhalb des Tierreichs nur beim Menschen gibt, verantwortlich gemacht. Wie in hippokratischen Fallabhandlungen integriert Aristoteles hier ein anekdotisches Element (775b27) in Form einer Erzählung über die Pathologie einer bestimmten Frau. Mit der Wiederholung von καλεῖν (775b25, b27, b33, 776a13) bindet er seine Theorie deutlich an medizinisch bekannte Phänomene an und beweist damit die Erklärungskraft seiner Theorie. Die eigentliche aitia erfolgt erst nach der Anekdote und unter Verweis auf die Problemata mit γάρ in 775b37. Diese Erklärung bringt aber zuerst einen Vergleich mit Verkochungsprozessen,⁴⁶ um dann, unter Absetzung von der anderen Meinung (ὥσπερ τινές φασιν, 776a2) die eigene, mit ‚Wärmemangel‘ arbeitende Theorie fruchtbar zu machen. Als aporia (776a8) wird dann das Problem angeschlossen, warum dieses Phänomen nur bei Frauen auftritt. Der vorsichtigen Formulierung εἰ μή τι πάμπαν λέληθεν (776a9) begegnet eine Notwendigkeit ausdrückende und appellierende Formulierung des Grundes: αἴτιον δὲ δεῖ νομίζειν (776a9 f.). Die begründende Antwort kombiniert ein hippokratisches Konzept, nämlich die geschlechtsspezifische Kondition der Frau, hysterikon zu sein,⁴⁷ mit dem aristoteli-

 Was μωλυνόμενα bedeutet, ist unklar, vgl. auch Peck (1943) 465 und Liddell-Scott-Jones sub voce μωλύω/μωλύνω. Der technische Fachbegriff wird als framing des Passus verwendet. Er bezeichnet wohl entweder ein Rösten, bei dem das Innere des Röstguts halbroh bleibt, oder eine (andere) Art des Niedrigtemperaturgarens. Der Vergleichspunkt liegt jedenfalls in einem Mangel an Wärme zur Verkochung.  Vgl. Föllinger (1996b).

Kapitel 8. 776a15 – 777a27

383

schen Verkochungskonzept. Der Terminus hysterikon verweist darauf, dass die Gebärmutter einen geschlechtsspezifischen Grund für pathologische Phänomene darstellt. Aber wie bei den Hippokratikern nicht nur die Gebärmutterlage, sondern auch die mit ihr verbundenen Qualitäten des Menstruationsblutes Grund für pathologische Erscheinungen sind,⁴⁸ verbindet auch Aristoteles das Geschlechtsorgan mit den Katamenien, aber indem er seine spezielle Pepsisvorstellung darauf anwendet.

5 Vernetzung von Kapitel 7 Verweis auf die Problemata (775b36 f.), wo sich aber nichts Entsprechendes findet.⁴⁹

Kapitel 8. 776a15 – 777a27 1 Inhalt Dieses Kapitel ist der Entstehung der Milch gewidmet. Damit kommt Aristoteles endlich zu einem Punkt, der in Buch I als Punkt im Katalog der zu behandelnden Fragestellungen aufgenommen war (I 16. 721a26 – 30). Aristoteles erklärt zuerst die Genese der Milch mit seiner perittōma-Theorie (776a15–b3): Aus dem perittōma, das nicht zur Ernährung des Embryos verbraucht wird, entsteht die Milch. Diese Theorie erklärt, warum ihre Qualität am Beginn der Embryonalgenese nicht gut ist, aber mit dem siebten Monat, wenn der Embryo eine gewisse Reife erreicht hat, tauglich wird. Dass die Milch in den Brüsten entsteht (776b3 – 777a3), hat seinen Grund in der Ordnung (τάξις), die vom Anfang der Entstehung an herrscht (776b4 f.): Sie besteht in einer Trennung zwischen einem Bereich oberhalb und unterhalb des Zwerchfells, wobei der obere Bereich der beherrschende Teil ist (hier sind Anklänge an platonische Konzeptionen zu erkennen⁵⁰), der untere Teil ist für die Nahrung und die Residuenbildung zuständig, damit aber auch für die σπερματικὴ περίττωσις, d. h. den Samen beim männlichen Zeugungspartner, die Menstruation beim weiblichen Zeugungspartner. Der Beginn aber ist das Herz, das zum oberen Bereich gehört, so dass von daher auch die Veränderungen kommen

 Vgl. Föllinger (1996a) 36 – 39.  Vgl. Peck (1943) 465 mit Anm. b.  Vgl. Tim. 69e–71a.

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Buch IV

müssen, wie dies bei der Stimmveränderung der Fall ist. Aristoteles kann hier auf seinen Ausführungen aufbauen, dass das Herz archē aller Veränderungen ist, die mit dem Geschlecht zu tun haben, was er an früherer Stelle (IV 1. 766a30–b4)⁵¹ bewiesen hat. In 777a3 – 21 vertieft Aristoteles seine Anschauung vom perittōma-Charakter der Milch (auch sie ist eine αἱματικὴ ὑγρότης, 777a7) und grenzt sie von der von ihm als falsch beurteilten Meinung des Empedokles ab, dass die Milch ein Produkt eines Verwesungsprozesses sei. Mit dieser Abgrenzung von einer anderen Meinung kann er einen guten ‚Schlusspunkt‘ setzen, an den er noch als Zeugnis (seiner Theorie) aus der Empirie die Tatsache anhängt, dass Menstruation und Milch normalerweise nicht gleichzeitig entstehen. Mit der in diesem Kapitel im Hintergrund stehenden Beobachtung, dass nicht immer der geschilderte Prozess der Fall ist (tatsächlich kann ja in Einzelfällen auch bei stillenden Müttern Menstruation vorkommen), schließt Aristoteles mit einem allgemeinen, aus seiner Physik (z. B. II 5. 196b10 f.) stammenden Prinzip der Regelmäßigkeit von Naturprozessen (ὡς ἐπὶ τὸ πολύ), so dass Geschehnisse, die gegen das ὡς ἐπὶ τὸ πολύ verstoßen, als naturwidrig gelten.⁵² Mit der letzten kleinen Passage (777a21– 27) folgt abschließend die Begründung, warum die Milch dann entsteht, wenn die Nahrung, die der Embryo mittels des Nabels empfängt, nicht mehr ausreicht.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 8 Wie in den folgenden Kapiteln zeigt die einfache Anbindung mit δέ die Aneinanderreihung der zur Fortpflanzung gehörenden Phänomene. Da am Schluss die Zeit der Milchproduktion als gut eingerichtete Koinzidenz dargestellt wird (777a21– 27), wird thematisch ein framing des Kapitels hergestellt, das durch seinen engen Bezug zur Geburt zu Kapitel 9 überleitet.

3 Struktur von Kapitel 8 1. 2.

776a15–b3: Die Zeit der Milchproduktion 776b3 – 777a21: Der Ort der Milchentstehung und die physis der Milch

 Vgl. den Stellenverweis bei Peck (1943).  Zu diesem Prinzip, das für Aristoteles die Wissenschaftlichkeit der Naturwissenschaft begründet, vgl. oben, S. 9 f.

Kapitel 8. 776a15 – 777a27

3.

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777a21– 27: Die Zeit der Milchproduktion als gut eingerichtete Koinzidenz

4 Argumentation und sprachliche Gestaltung Insgesamt ist dieses Kapitel in sich abgeschlossen und gut strukturiert. Es ist stilistisch und sprachlich schön gearbeitet und vermittelt so auch im Formalen den von Aristoteles betonten Eindruck der Wohlgeordnetheit und der Notwendigkeit der Naturvorgänge. Der Beginn ist deskriptiv-konstatierend (776a15 f). Dann folgt, mit γάρ eingeleitet (776a16 f.), die Begründung. Die physis ist personalisiert. Ihre Tätigkeit wird als positiv gezeichnet. Mit Fachtermini, die gleichzeitig wertend sind, wird der geschilderte Prozess als gut beschrieben, weil die Produktion tauglicher Milch, die aus materialer Notwendigkeit entsteht, zum richtigen Zeitpunkt einsetzt.

4.1 776a15–b3: Die Zeit der Milchproduktion Milch entsteht bei den Weibchen der Viviparen i. e. S., die hier, statt der sonst üblichen Dopplung καὶ ἐν αὑτοῖς καὶ θύραζε, nur als intern vivipar vorgestellt werden (776a15 f.), zur Zeit der Geburt. Die Milchentstehung wird zunächst unter finalem Aspekt betrachtet (χρήσιμον μέν, 776a16); das korrespondierende δέ folgt (776a25) und leitet zum material-effizienten Aspekt über. a) 776a15 – 25: finale Ursache Der Zweck der Milchproduktion ist die extrakorporale Nahrungsbereitstellung (τῆς γὰρ τροφῆς χάριν … τῆς θύραζε, 776a16 f.), indem zur Zeit der Geburt weder irgendein Mangel noch ein Überschuss eintritt, so dass also die Milch bedarfsgerecht produziert wird. Dies sei auch empirisch zu bestätigen (φαίνεται συμπῖπτον, 776a19), wenn man von als widernatürlich einzustufenden, i. e. pathologischen Fällen absehe. Dies scheint insgesamt eine zirkuläre Argumentation, da ja die personifizierte Natur (776a17) die Milchproduktion in dieser Weise zweckmäßig eingerichtet haben soll. In Anschluss an IV 4. 772b6 – 10 (7 bis 10 Monate der Gravidität beim Menschen) wird nun wiederum der Mensch den anderen i. e. S. viviparen Tieren gegenübergestellt, die alle eine feste Dauer der Trächtigkeit aufweisen, mit deren Ende die Kochung der Milch koinzidiert. Beim Menschen muss die Milch dagegen notwendigerweise (776a23 f.) schon zum frühestmöglichen Ende der Schwangerschaft bereitstehen. Zusammen mit der Information aus Kapitel 4 bedeutet dies: Vor dem siebten Monat ist die Milch nutzlos, dann aber ist sie bereits (potentiell)

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von Nutzen. Dies wird, redundanterweise, so ausführlich als Folgerung (διό) festgehalten (776a23 – 25). b) 776a25–b3: Verursachung ‚aus Notwendigkeit‘ Auch aus material-effizienter Sicht ergibt sich, dass die Milch gegen Ende der Gravidität ‚fertig gekocht‘ ist (πεπεμμένον, 776a26) – und diese Übereinstimmung mit der finalen Verursachung hat „vernünftigerweise“ statt (εὐλόγως, 776a25). Zur Erklärung auf dieser Ebene werden zwei Stadien der Gravidität unterschieden, eine frühere (τὸ μὲν γὰρ πρῶτον, 776a26 f.) und eine spätere (τελεουμένων δὲ τῶν κυημάτων, 776a31): I. In der Phase der Entstehung der Embryonen wird der süßeste und verkochte Teil des Nahrungsresiduums eben hierauf verwendet, das Übrige ist salzig und übelschmeckend (sc. und also nicht zur Milchbildung zu gebrauchen).⁵³ II. In der Phase, in der die Embryonen nur wenig wachsen (aber in allen Teilen bereits ausgebildet sind), ja fast als ‚stationär‘ anzusehen sind (ὥσπερ ἑστηκός, 776a35), ergibt sich ein Überschuss an freiem, relativ süßem Residuum, das so zur Milchbildung bereitsteht, während der eine gewisse Vollendung (τις … τελείωσις, 776b1) erreicht habende Embryo nun aus dem mütterlichen Körper heraustritt.⁵⁴ Zu diesem Zeitpunkt ist die Milch gerade von Nutzen (χρήσιμον, 776b3; vgl. o. 776a16 [u. a25]). Die Rückbindung an den finalen Aspekt stellt ein framing dar.

4.2 776b3 – 777a21: Der Ort der Milchentstehung und die physis der Milch Schlagwortartig wird wieder der neue Punkt gleich zu Beginn genannt, zunächst in einer eher abstrakten Version (Εἰς δὲ τὸν ἄνω τόπον, 776b3 f.), dann konkret (καὶ τοὺς μαστούς). Das Aition wird in demselben Satz, mit διά (776b4) markiert, angegeben: es besteht in der ursprünglichen (zeitlichen) Ordnung der Konstitution des neuen Lebewesens. Dies ist eine knapp formulierte These, die der Begründung bedarf (γάρ, 776b5): Der oberhalb des Zwerchfells gelegene Teil des Rumpfes (d. i. der Thorax) ist das vitale Zentrum, der darunter liegende (d. i. der Bauchraum) ist Nahrungs- und Residuenzentrum (vgl. II 4. 738b15 – 18). Diese Grobstruktur des Körpers erklärt Aristoteles mit dem Zweck (ὅπως, 776b7), dass ortsbewegliche Tiere sich (bis zu einem gewissen Grade) nahrungsautark fortbewegen können. Damit vollzieht er einen Perspektivenwechsel hin zum ganz

 Vgl. hierzu III 1. 750b25 f.: Bei allen Tieren ist das Verkochte relativ süß.  Dies geschieht, weil der Embryo alles, was zu ihm gehört, bereits hat und nichts Fremdes mehr aufnimmt.

Kapitel 8. 776a15 – 777a27

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Allgemeinen. Von dem Vitalitätszentrum (ἐντεῦθεν, 776b9, bezieht sich, über den ‚Unterleib‘ hinweg, zurück auf den Thorax, 776b5 f.) aus wird auch das zeugungsbezogene Residuum sezerniert. Für die Ursache wird zwar auf frühere Bücher verwiesen (vgl. II 7. 747a19 – 22), aber sie wird auch gleich noch einmal ausgeführt: Sowohl das zeugungsbezogene Residuum der Männchen als auch die Katamenien der Weibchen sind von ‚blutiger‘ Natur. Der Ursprung des Blutes und der Gefäße aber ist das Herz, und dieses liegt in der oberen Region. Von diesen Modellannahmen aus werden nun empirische Phänomene wie Stimmbruch und Brustentwicklung in der Pubertät erklärt (776b13 – 22), wobei Aristoteles die empirische Zugänglichkeit der Stimmveränderung und der Brustentwicklung durch wiederholtes ἐπίδηλος (776b14, b19, b22) betont und gleichzeitig hervorhebt, dass diese Veränderungen bei jeder Tierart nur für diejenigen, die diese beobachten (τοῖς ἐμπείροις περὶ ἕκαστον γένος, 776b23 f.), empirisch zugänglich sind. Dies ist ein impliziter Verweis auf die Überlegenheit seiner eigenen Theorie. Da die zeugungsbezogenen Residuen im Thorax ihren Ursprung haben, wird notwendig auch zuerst dort jegliche Veränderung dieser Residuen deutlich; deshalb verändert sich auch die Stimme, wenn die erste Pollution bzw. Monatsblutung eintritt, da die Stimme ebenfalls dort, im Brustkorb, ihren Ursprung hat. Dies geschieht nach dem allgemeinen Grundsatz: Etwas wird anders, wenn das es Bewegende anders wird. Ebenso entwickeln sich die Brüste, v. a. bei den weiblichen Tieren: denn da bei ihnen die Ausscheidung unten reichlich statthat (i. e. die Katamenien), wird die Brustregion leer und schwammig-porös. Auch in dieser Beziehung genießt der Mensch eine Sonderstellung (776b22– 28): Sowohl Stimmbruch als auch Brustentwicklung in der Pubertät sind beim Menschen am ausgeprägtesten. Das Aition liegt im relativ größten Volumen des zeugungsbezogenen Residuums (Katamenien bzw. Samen) beim Menschen (s. o.). Auf dieser Grundlage lautet nun die material-effiziente Erklärung der Milchsammlung in den Brüsten: Wenn der Embryo die Residualproduktion nicht mehr konsumiert, andererseits aber deren Ausscheidung (als Monatsblut) blockiert, muss all dieses überschüssige Residuum sich notwendig in den leeren Örtern sammeln, die von denselben Kanälen abhängen.⁵⁵ Diese mechanistische Kausalerklärung wird abgeschlossen mit der Bemerkung, dass erstens die weiblichen Brüste aus beiden Formen der Verursachung (776b32) heraus so sind, wie sie sind – die ausdrückliche Zweigleisigkeit der Kausalerklärung aus dem ersten

 Die Brust hängt von denselben Kanälen ab wie der Uterus (vgl. Peck (1943) 472: Hp. Nat. Puer. 21).

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Teil wird so fortgeführt –, und zweitens wird nun, etwas überraschend, die im ersten Teil gegebene material-effiziente Erklärung der Milchentstehung (nämlich dass der Embryo gegen Ende der Schwangerschaft weniger Residuum beansprucht) relativiert: Statt dieser Kausalität ist es durchaus εὔλογον (777a1), auch die dieser entgegengesetzte Kausalität anzunehmen, nämlich: Der größer gewordene Embryo verbraucht mehr Nahrung, so dass weniger übrigbleibt, die aber schneller zu Milch verkocht werden kann. Auf diese Weise wird wieder der hypothetische Grundcharakter der Modellannahmen deutlich, wie er auch schon früher, etwa in IV 4. 771b19 – 23, in Erscheinung trat. Aus dem eben Gesagten ist bereits klar (μὲν οὖν … δῆλον, 777a3 ff.), dass die Milch aus dem Residuum gebildet wird, aus dem auch die Embryonalentwicklung (und später -ernährung) gespeist wird. Dass ihre Natur dieselbe ist wie die desjenigen Sekrets, aus dem ein jedes Lebewesen entsteht, wurde aber auch an früherer Stelle schon gesagt, wie Aristoteles mit metatextlichem Verweis (auf II 4. 739b25 f.) formuliert. Dies wird noch auf einen allgemeineren Grundsatz zurückgeführt (γάρ, 777a5): Die der Ernährung des (neuen) Lebewesens dienende Materie ist identisch mit derjenigen, aus der es zuallererst formiert wird. Dieser kurze Satz (777a5 f.), in der die personifizierte Natur Subjekt ist, hat durch seine Kürze und Allgemeinheit besonderes Gewicht und ähnelt geradezu einer Gnome. Eine analoge Aussage mit Blick auf den männlichen Samen bzw. die männliche kinēsis hatte Aristoteles im dritten Kapitel (IV 3. 767b18 – 20) formuliert. Der Grundsatz gilt also sogar noch allgemeiner, nämlich sowohl für die Materie als auch für die immateriellen Impulse, welche jeweils identisch sowohl der Bildung embryonaler Strukturen als auch deren anschließendem Wachstum zugeordnet sind. Der Vertiefung dieser Theorie dient die sich anschließende Absetzung von Empedokles’ Ansicht (777a6 – 12), dass Milch ein Verwesungsprodukt sei. Hierbei setzt Aristoteles das wörtliche Zitat ein und kritisiert nicht nur den Gehalt von Empedokles’ Konzept, sondern auch dessen Metapherngebrauch.⁵⁶ Zusätzlich dient ein empirisches Indiz der Bekräftigung der eigenen These: Stillende Frauen haben keine Menstruation und können auch nicht empfangen. Falls sie doch einmal empfangen, erlischt die Milchproduktion „aufgrund“ (διὰ τό mit substantiviertem Inf., 777a14 f.) der identischen Natur von Milch und Katamenien, gemäß der eigenen These. Dieser kausale Zusammenhang wird abschließend, vergleichbar mit 777a5 f., noch weiter auf allgemeine Prinzipien zurückgeführt, wobei die Natur wiederum personifiziert wird: Die Natur kann nicht so reichlich produzieren, dass die Sekretion auf zwei Weisen gleichzeitig fließt. Notwendig sistiert die Sekretion in dem einen Kanal, wenn sie auf dem anderen

 Vgl. hierzu Föllinger (2022b).

Kapitel 9. 777a28 – 777a31

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einsetzt. Dies formuliert Aristoteles suggestiv durch die parallele Formulierung ἐπὶ θάτερα – ἐπὶ θάτερα (777a17 f.). Dabei setzt die behauptete Notwendigkeit die (nicht ohne weiteres klare) strikte Gültigkeit des behaupteten allgemeinen Grundsatzes voraus (der aber doch als ad hoc herangezogen erscheint). Indem die in typischer Weise hinzugesetzte einschränkende Kautele in 777a18 f. in eine Gleichsetzung von ‚regelhaft‘ und ‚naturgemäß‘ im Bereich der contingentia mündet, wird ein prägnanter Schlusspunkt auf ganz allgemein-methodischer Ebene erreicht (777a18 – 21) und durch die formale Gestaltung mit chiastischer Wortgruppenstellung (παρὰ τὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ – παρὰ φύσιν/τὸ κατὰ φύσιν – τὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ) unterstrichen.

4.3 777a21 – 27: Die Zeit der Milchproduktion als gut eingerichtete Koinzidenz Programmatisch beginnt der letzte Abschnitt mit dem wertenden καλῶς (777a21). Nochmals wird gesagt, dass die Zeit der Milchproduktion eine gut eingerichtete Koinzidenz darstellt. Dadurch bekommt das Kapitel 8 ein thematisches framing, das durch wörtliche Anklänge (auch durch solche der Begriffe χρόνος, τροφή, χρήσιμον, θύραζε) unterstützt wird.

5 Vernetzung von Kapitel 8 Für die Identität der Natur von Milch und der apokrisis, aus der sie entsteht, wird auf frühere Ausführungen verwiesen (εἴρηται δὲ καὶ πρότερον, 777a5). Damit bezieht sich Aristoteles auf den Anfang von GA. Vom Vitalitätszentrum (ἐντεῦθεν, 776b9, bezieht sich, über den ‚Unterleib‘ hinweg, zurück auf den Thorax, 776b5 f.) aus wird auch das zeugungsbezogene Residuum sezerniert – für die Ursache wird auf frühere Bücher verwiesen (vgl. II 7. 747a19 – 22).

Kapitel 9. 777a28 – 777a31 Kapitel 9 schließt sich, wie bereits erwähnt, insofern passend an, als das Thema der Geburt durch die Erklärung des Zeitpunkts der Milchentstehung schon vorbereitet ist. Begründet wird die natürliche Geburtslage, mit dem Kopf voran, durch das Größenverhältnis der embryonalen Körperanteile ober- und unterhalb des Nabels. Der erläuternde technē-Vergleich mit einer aufgehängten Balkenwaage lässt den Embryo als an der Nabelschnur hängend erscheinen, so dass der größere und damit schwerere Anteil nach unten sinkt. Den Schlusspunkt bildet

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wieder eine kurze allgemeine und stark konsensfähige Aussage, die die logische Verknüpfung der beiden vorangegangenen Sätze durch die Aufnahme der Begriffe μείζω (777a29) und βάρος (777a31) explizit herstellt: Das jeweils Größere hat auch mehr Gewicht (was so, natürlich, nur bei etwa gleichem spezifischem Gewicht gilt).

Kapitel 10. 777a32 – 778a12 1 Inhalt Dieses Kapitel begründet zuerst die unterschiedliche Gestationsdauer (777a32–b16). Sie hängt nicht, wie man vermuten könne, so Aristoteles, von der Lebensdauer der jeweiligen Art ab, sondern von der Größe der Embryonen. Deshalb haben Menschen, v. a. aber Elefanten, eine relativ lange Gestationsdauer. Dann (777b16– 778a9) wird die Gestationsdauer in Zusammenhang gebracht mit Aristoteles’ Theorie des Universums.⁵⁷ Mit einer Abschlussformulierung werden die Ausführungen über τροφή und Geburt (dies sind die Kapitel 8 – 10) als abgeschlossen bezeichnet. Dieses Kapitel, hier v. a. in seinem ersten Teil, ist nicht gut strukturiert, da es gewisse ‚gleitende‘ Übergänge aufweist.

2 Abgeschlossenheit von Kapitel 10 Das Kapitel wird, wie auch die vorherigen Kapitel, einfach mit δέ eingeführt. Es schließt mit dem ersten Teil einer binary transition unter typischem metatextlichem Rückbezug (auf die Kapitel 8– 10). Den Schlusspunkt bildet die in solchen Zusammenhängen stereotype Dopplung καὶ χωρὶς περὶ ἑκάστου καὶ κοινῇ περὶ πάντων (778a11 f.).

3 Struktur von Kapitel 10 1. 2. 3.

777a32–b16: Länge der Gestation 777b16 – 778a9: Messung der Gravidität nach astronomischen Perioden 778a10 – 11: Abschlussformulierung

 Vgl. dazu Peck (1943) 478, Anm. a.

Kapitel 10. 777a32 – 778a12

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4 Argumentation und sprachliche Gestaltung 4.1 777a32 – b16: Länge der Gestation Thesenartig wird ein regelhafter (ὡς μὲν ἐπὶ τὸ πολύ, 777a33), aber rein statistischer empirischer (ὡρισμένοι τυγχάνουσιν, 777a32 f.) Zusammenhang konstatiert zwischen der Dauer der Gravidität und der Lebensspanne einer Tierart. Zur Begründung (γάρ, 777a33) wird angeführt, dass es auch vernünftig (εὔλογον, 777a34) sei, dass zu den längeren Lebensspannen längere Entstehungszeiten gehörten. Unter stilistischer Perspektive wird das Polyptoton (777a34) suggestiv bestätigend eingesetzt. Es folgt jedoch betont abrupt (οὐ μήν, 777a34 f.) eine streng-methodische Unterscheidung zwischen einem kausalen und einem rein statistischen Zusammenhang. Hier liegt nur dieser statistische Zusammenhang vor. Nimmt man dies zusammen mit der Bemerkung in Kapitel 8 (777a19 – 21), so folgt: Statistische Zusammenhänge deuten auf einen naturgemäßen, aber eben nicht unbedingt kausalen Zusammenhang hin. Daran anschließend diskutiert Aristoteles – den Zusammenhang zwischen Größe und Lebensspanne, der nicht strikt besteht, wie das Beispiel des Menschen beweist (777b1– 6), – die Ursache der Langlebigkeit von Tieren (777b6 – 8), – die Größe einer Tierart als Ursache für die Graviditätsdauer (777b8 – 12). Die Darstellung der wahren Ursache wird so vorbereitet durch einen oberflächlich-plausiblen Negativ-Kontrast, die wissenschaftliche Erkenntnis wird abgehoben gegen eine bloße (und falsche) Meinung, die für den naiven Beobachter, vielleicht aber auch für den Anfänger in der Biologie, näher liegen mag. Der Passus schließt mit empirischen Belegen, die sich von dem Ergebnis der theoretischen Diskussion her erklären lassen (διόπερ, 777b12; διὰ τὴν αὐτὴν δ’ αἰτίαν, b14) und dieses so bestätigen.

4.2 777b16 – 778a9: Messung der Gravidität nach astronomischen Perioden Auch dieser Abschnitt beginnt wieder mit einer als vernunftgemäß eingeführten (εὐλόγως, 777b16) These; die (personifizierten) Zeiten der Gravidität und des Lebens wollen naturgemäß gemessen werden durch Perioden. Dieser Begriff wird erklärt (λέγω mit dopp. Akk., 777b18– 20), bevor Aristoteles die Mondphasen als Perioden anführt (777b21), die eigens erklärt werden. Der Mond ist, gleichsam als ‚kleinere Sonne‘ (777b26), aufgrund seines Anteils am Sonnenlicht, auch ein Ursprung⁵⁸ von

 Zur Abhängigkeit der Katamenien von den Mondphasen vgl. IV 2. 767a1– 8 und II 4. 738a16 – 22.

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Werden und Vergehen. Diese Prozesse werden durch Erwärmung und Abkühlung hervorgerufen, und deren Anfang und Ende wiederum werden durch die Bewegungen von Sonne und Mond bestimmt. Die Kette der Wirkungen der beiden Wärme abgebenden Himmelskörper wird noch genauer veranschaulicht (im integrativen Plural der 1. Pers. ὁρῶμεν, 777b31) und abgestuft: Wie das Meer und überhaupt alle Gewässer gemäß der Winde bewegt werden, diese aber gemäß der Sonnen- und Mondperioden, so folgen auch die in Wasser und Luft lebenden Wesen den übergeordneten Rhythmen. Daraus macht Aristoteles wieder einen allgemeinen Grundsatz (Extrapolation durch analogen Vergleich: ὥσπερ … οὕτω καί, 777b30 f./b34). Die Kette der Ursprünge kann allerdings über Sonne und Mond hinaus noch fortgesetzt werden. Dies ist ein impliziter Verweis etwa auf De caelo: die Bewegung der Mond- bzw. Sonnensphäre durch weiter außen liegende Sphären, zuletzt durch den unbewegten Beweger. Damit wird als Abschluss die Biosphäre kausal in kosmische Zusammenhänge integriert. Dieser inhaltlichen Integration entspricht, dass dieser ganze Abschnitt ringkompositorisch geschlossen ist durch Wiederaufnahme des personifizierenden βούλεσθαι (778a4, vgl. o. 777b18), diesmal mit der ,Natur‘ als Subjekt, die Werden und Vergehen mit den Zahlen dieser Himmelskörper messen will, gemeint sind die περίοδοι. So ergibt sich die Figur ἀριθμοῖς ἀριθμεῖν (778a5). Aber einer exakten Bestimmung nach Perioden steht die Unbestimmtheit (und im strikten Sinne: Unbestimmbarkeit) der Materie sowie der Einfluss vieler anderer Ursprünge gegenüber, die naturgemäße Prozesse behindern und Ursache für das Eintreten von Widernatürlichem sind, wie Aristoteles antithetisch (κατὰ φύσιν – παρὰ φύσιν, 778a8 f.) formuliert. Die gerade dargestellten Ursachenketten werden so abschließend durch den Hinweis auf Materialität und Komplexität der Zusammenhänge wieder etwas relativiert.

4.3 778a10 – 12: Abschlussformulierung Das Kapitel schließt mit dem ersten Teil einer binary transition unter typischem metatextlichem Rückbezug (auf die Kapitel 8 – 10), den Schlusspunkt bildet die in solchen Zusammenhängen stereotype Dopplung καὶ χωρὶς περὶ ἑκάστου καὶ κοινῇ περὶ πάντων (778a11 f.).

Kapitel 10. 777a32 – 778a12

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5 Vernetzung von Kapitel 10 Verweis auf spätere Ausführungen (περὶ ὧν ὕστερον ἐροῦμεν in 777b8), womit nach Peck⁵⁹ Long. 5. 466a15 ff. (vgl. PA IV 2. 677a35 ff.) gemeint ist.

 Peck (1943) 476 f. Anm. c.

Kapitel VII Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens Die im Katalog aufgeführten Textstellen bieten Beispiele charakteristischer Elemente, aber keine vollständigen Aufzählungen. Nähere Erläuterungen zu den einzelnen Elementen finden sich in Kapitel II („Charakteristika“).

A Metatextliche Elemente 1 Disponierende Bemerkungen 1.1 Formulierungen der Art, etwas sei noch (zur Betrachtung) übrig, stellen eine nun zu erreichende Vollständigkeit in Aussicht λοιπὸν δὲ [sc. σκοπεῖν] τῶν μὲν μορίων …, περὶ αἰτίας δὲ … (I 1. 715a11– 14) τῶν δ’ ὁμοιομερῶν ἀπελείφθη περὶ … (I 16. 721a28)

1.2 Disponieren unter Personifizierung der aktuellen Abhandlung ὁ λόγος εἰς ἓν συνήγαγε, τῶν μὲν περὶ τὰ μόρια τελευταῖα ταῦτα, τῶν δὲ περὶ γενέσεως τὴν ἀρχὴν ἐχομένην τούτων τάξας (I 1. 715a15 – 18) Περὶ δὲ τῶν ἄλλων ζῴων τῆς γενέσεως λεκτέον κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα λόγον καθ’ ἕκαστον αὐτῶν (I 2. 716a2 f.) προϊόντα πειρᾶσθαι δεῖ φράζειν τὸν λόγον (II 1. 731b22)

1.3 Disposition des nun zuerst zu Behandelnden καὶ πρῶτόν γε τὰ περὶ τοὺς ὄρχεις τοῖς ἄρρεσιν (I 3. 716b14 f.) ἀνάγκη λαβεῖν πρῶτον τίνος ἕνεκεν … (I 4. 717a14) ἐπισκεπτέον … περὶ τούτου πῶς ἔχει πρῶτον (I 17. 721b11– 13) πρῶτον μὲν οὖν ὅτι οὐθὲν σημεῖον … (I 18. 722a3 f.) ᾿Aρχὴ δὲ καὶ ταύτης τῆς σκέψεως καὶ τῶν ἑπομένων πρῶτον λαβεῖν περὶ σπέρματος τί ἐστιν (I 18. 724a14 f.)

https://doi.org/10.1515/9783110774863-008

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

Πῶς δέ ποτε ἕκαστον γίγνεται ἐντεῦθεν δεῖ λαβεῖν, ἀρχὴν ποιησαμένους πρῶτον μὲν ὅτι … (II 1. 734b19 – 22) Νῦν δ’ ἀπὸ τῶν πρώτων ἀρκτέον πρῶτον (II 4. 737b25) (diese scheinbar pleonastische Wendung erscheint ähnlich auch PA I 5. 646a3 f.; 655b28 f.; EE I 7. 1217a18 f.; Poet. 1. 1447a12 f.) εἴπωμεν δὴ πρῶτον περὶ … (III 9. 758a29) λεκτέον περὶ … πρῶτον (IV 1. 763b25 f.) Πρῶτον μὲν οὖν διὰ τί …, τοῦτ’ ἄν τις δόξειεν εὐλόγως θαυμάζειν. (IV 4. 771a17 f.)

1.4 Disponieren eines sachlich passenden Anschlusses mit Formen des Partizips ,ἐχόμενος‘ τῶν δὲ περὶ γενέσεως τὴν ἀρχὴν ἐχομένην τούτων τάξας (I 1. 715a17 f.) περὶ δὲ γάλακτος ἐν τοῖς ἐχομένοις (I 16. 721a29 f.) περὶ οὗ ἐχόμενόν ἐστιν ἐπισκέψασθαι (I 18. 724a11) περὶ ὧν ἐχόμενόν ἐστιν ἐπισκέψασθαι (I 21. 729a35) Τούτου δ’ ἐχόμενόν ἐστιν ἀπορῆσαι καὶ εἰπεῖν (II 3. 736a24) ἐχόμενον τῶν εἰρημένων ἐστὶν εἰπεῖν περὶ … (IV 3. 769b10 f.)

1.5 Disponieren mit Bezug zu einer Abfolge des Vorgehens, in der jedes Thema an passender Stelle ,an die Reihe kommt‘ λεκτέον κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα λόγον καθ’ ἕκαστον αὐτῶν, ἀπὸ τῶν εἰρημένων συνείροντας. (I 2. 716a2– 4) περὶ ὧν καιρός ἐστιν εἰπεῖν, περὶ μὲν γονῆς ἤδη περὶ δὲ γάλακτος ἐν τοῖς ἐχομένοις. (I 16. 721a28 – 30) περὶ ὧν ὕστερον λεκτέον κατὰ τοὺς οἰκείους τῶν λόγων καιρούς. (II 4. 740b11 f.)

1.6 Disponieren mit methodologischem Bezug κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν (II 6. 742b10 f.) τοῦτον μὲν οὖν τὸν τρόπον οὔτε περὶ τῶν ἄλλων δεῖ ζητεῖν οὔτε περὶ τῶν φυσικῶν· ἐκ δὲ τῶν ὑπαρχόντων τῷ γένει τῷ τῶν ἵππων καὶ τῷ τῶν ὄνων θεωρῶν ἄν τις μᾶλλον λάβοι τὴν αἰτίαν (II 7. 748a13 – 16)

Metatextliche Elemente

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λεκτέον κατὰ τὴν ὑφηγημένην μέθοδον. εἴπωμεν δὴ πρῶτον περὶ … (III 9. 758a28 f.) ἀλλὰ λίαν τὸ λέγειν οὕτω πόρρωθέν ἐστιν ἅπτεσθαι τῆς αἰτίας, δεῖ δ’ ὅτι μάλιστα προσάγειν ἐκ τῶν ἐνδεχομένων ἐγγὺς τῶν πρώτων αἰτίων. (IV 1. 765b4– 6) καθόλου δὲ δεῖ λαβεῖν ὑποθέσεις, μίαν μὲν τὴν εἰρημένην …, ἄλλας δὲ δύο … (IV 3. 768b5 – 10) οὔτε δ’ ἐπ’ ἐνίων πρὸς τὸν λόγον συντείνει τὸν τῆς οὐσίας, ἀλλ’ ὡς ἐξ ἀνάγκης γιγνομένων εἰς τὴν ὕλην καὶ τὴν κινήσασαν ἀρχὴν ἀνακτέον τὰς αἰτίας. (V 1. 778a34-b1) τίνων δ’ ὑπαρχόντων καὶ διὰ τίνας ἀνάγκας συμβαίνει τούτων ἕκαστον δηλῶσαι τῆς μεθόδου τῆς νῦν ἐστιν. (V 3. 782a22– 24) τοῦτο μὲν οὖν ἥμαρτε καθόλου λέγων οὐ σκεψάμενος τὸ συμβαῖνον ἐπὶ πάντων. δεῖ δὲ τοῦτο ποιεῖν· ἀνάγκη γὰρ τὸν λέγοντα καθόλου τι λέγειν περὶ πάντων. ἐπεὶ δὲ τὴν φύσιν ὑποτιθέμεθα, ἐξ ὧν ὁρῶμεν ὑποτιθέμενοι, οὔτ’ ἐλλείπουσαν οὔτε μάταιον οὐθὲν ποιοῦσαν τῶν ἐνδεχομένων περὶ ἕκαστον, ἀνάγκη δὲ … (V 8. 788b19 – 22) ‒ mit Betonung des Anspruchsvollen durch die Wendung ,οὐ ῥᾴδιον‘ διὸ οὐ ῥᾴδιον διελεῖν πότερα πρότερα τῶν μορίων … τὰ δὲ κινητικὰ πρὸς τὰ ὀργανικὰ διελεῖν οὐ ῥᾴδιον. καίτοι κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν τί γίγνεται μετὰ τί (II 6. 742b6 – 11; vgl. IV 3. 769b3 – 10: Οὐ ῥᾴδιον δὲ οὐδὲ τρόπον ἕνα τῆς αἰτίας ἀποδιδόντας τὰς αἰτίας εἰπεῖν περὶ πάντων· τοῦ τε …, καὶ διὰ τί …, καὶ πάλιν τῆς …, ἔτι δὲ διὰ τίν’ αἰτίαν …)

2 Abschluss- und Übergangsformulierungen 2.1 ,bündige‘ Abschlussformulierungen, oft auch mit kleinen Redundanzen, die die jeweils abzuschließende Passage abgerundet und insgesamt plausibel erscheinen lassen ‒ in eine axiomatisch-allgemeine Aussage mündend ἡ δὲ φύσις φεύγει τὸ ἄπειρον· τὸ μὲν γὰρ ἄπειρον ἀτελές, ἡ δὲ φύσις ἀεὶ ζητεῖ τέλος. (I 1. 715b14– 16) (Abschluss des Begründungszusammenhangs ab 715b7) ὅπου δὲ τὸ πέρας καὶ τὸ ἔργον—αὕτη δ’ οὗ τὸ ἔργον. (I 8. 718b27) (Abschluss des Kapitels) τὸ δ’ οὕτω γίγνεσθαι περίεργον, ἡ δὲ φύσις οὐδὲν ποιεῖ περίεργον. (II 4. 739b19 f.) ‒ mit einem abschließenden, sich in dieselbe Aitiologie einfügenden Beispiel διὰ τὴν αὐτὴν δ’ αἰτίαν καὶ ὁ ἐλέφας καὶ ὁ ἐχῖνος ἔχουσιν ἐντὸς τοὺς ὄρχεις· οὐδὲ γὰρ τούτοις εὐφυὲς τὸ δέρμα πρὸς τὸ χωριστὸν ἔχειν τὸ σκεπαστικὸν μόριον. (I 12. 719b15 – 17) (Ende des Abschnitts zur Außen-/Innen-Lage der Hoden)

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‒ mit einer abschließenden, zusätzlichen Harmonisierung mit der Empirie Ἡ μὲν οὖν αἰτία τῆς λεχθείσης ἀπορίας εἴρηται, φανερὸν δὲ ὅτι διὰ τοῦτ’ οὐδὲ πήγνυται· ὁ γὰρ ἀὴρ ἄπηκτος. (II 2. 736a22 f.) ‒ mit einer offenen, empirisch noch ungeklärten Frage πότερον δὲ γενέσεως χάριν ἢ δι’ ἄλλην αἰτίαν οὐθὲν ὦπταί πω. (I 15. 720b36 – 721a2) (Abschluss des Kapitels) ‒ ebenfalls mit einer ‚empirischen Offenheit‘ τὰ γὰρ πλεῖστα μικρὰ λίαν τῶν ἐντόμων ἐστίν. (I 16. 721a25) (Ende des Abschnitts über die Insekten) ‒ mit einem knappen Schlusssatz als ,Ruhepunkt‘, der kaum in Zweifel zu ziehen ist συνέρχεται δὲ καὶ μίγνυται πρὸς τὴν ἐργασίαν τῆς γενέσεως τῷ θήλει τὸ ἄρρεν· αὕτη γὰρ κοινὴ ἀμφοτέροις. (II 1. 732a9 – 11) ‒ in Form einer prägnant-verknappten ,Ergebnissicherung‘ Περὶ μὲν οὖν ψυχῆς πῶς ἔχει τὰ κυήματα καὶ ἡ γονὴ καὶ πῶς οὐκ ἔχει διώρισται· δυνάμει μὲν γὰρ ἔχει, ἐνεργείᾳ δ’ οὐκ ἔχει. (III 3. 737a16 – 18)

2.2 Ringkompositionen (als formales Mittel metatextlicher Selbstreferenzierung) passim ‒ Ringkomposition zur Rahmung einer Begründung φανερὸν οὖν ὅτι ἀρχή τις οὖσα φαίνεται τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν· πολλὰ γοῦν συμμεταβάλλει μεταβαλλόντων ᾗ θῆλυ καὶ ἄρρεν, ὡς ἀρχῆς μεταπιπτούσης. (I 2. 716b10 – 12) (Abschluss des Begründungszusammenhangs ab 716b3 und des ganzen Kapitels, mit ringkompositorischen Rückbezügen) ὥστε διὰ μὲν τὸ ᾠοτόκα εἶναι τελείων ᾠῶν ἄνω ἔχει, διὰ δὲ τὸ ζῳοτοκεῖν κάτω, καὶ ἀμφοτέρων μετειλήφασιν. (I 11. 719a11 f.) (Ende des Abschnitts über die ovoviviparen Selachier, mit redundanter Zusammenfassung der Ursache der UterusAusdehnung bei diesen Tieren, unter Rückbezug auf 719a5 – 7)

2.3 standardisiert-,formelhafter‘ Abschluss einer Passage (unter metatextlichem Rückbezug auf dieselbe) Περὶ μὲν οὖν … εἴρηται (III 1. 749a10; III 8. 758a26; IV 1. 763b20; IV 4. 773a30 – 32; IV 10. 778a10 – 11; V 8. 789b16 – 18)

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Περὶ μὲν οὖν φωνῆς … εἰρήσθω (V 7. 788a34-b2) δι’ ἣν μὲν οὖν αἰτίαν … εἴρηται (I 5. 717b31– 33; I 7. 718a25 – 27; I 11. 719a28 – 30; II 4. 739a4– 6) Δι’ ἣν μὲν οὖν αἰτίαν …, καὶ διὰ τίν’ αἰτίαν …, εἴρηται. (IV 5. 774a13 – 17) περὶ μὲν … δι’ ἣν αἰτίαν … εἴρηται (II 1. 732a24 f.) Διὰ τίνα μὲν οὖν αἰτίαν … εἴρηται (IV 1. 766b27 f.) … καὶ διὰ τίνας αἰτίας εἲρηται (I 13. 720a36-b1; III 1. 750b2 f.) Ἡ μὲν οὖν αἰτία τῆς λεχθείσης ἀπορίας εἴρηται (II 2. 736a22 f.) Διὰ τίνα μὲν οὖν αἰτίαν … διώρισται (IV 3. 769a1– 6) περὶ μὲν οὖν … διώρισται. (II 3. 737a16 – 18) καὶ περὶ μὲν τούτων διωρίσθω τὸν τρόπον τοῦτον (I 19. 726b29 f.; I 21. 729a34; IV 4. 772b12) Καὶ περὶ μὲν … διωρίσθω τὸν τρόπον τοῦτον (V 6. 786b5 f.) … τοῦτον ἔχει τὸν τρόπον (I 3. 717a11 f.; I 16. 721a27; III 4. 755a7) … τοῦτον γίγνεται τὸν τρόπον (III 2. 754a16 f.) … τοῦτον ἔχειν φαίνεται τὸν τρόπον (III 10. 760b29) ὅτι μὲν οὖν … σχεδὸν ἐκ τούτων μάλιστα πιστεύουσί τινες (I 17. 721b34– 36)

2.4 ‚binary transitions‘ nach Netz (gliedernd, im zweiten Teil auch disponierend) passim; hier nur die erste Instanz: Περὶ μὲν οὖν φυτῶν αὐτὰ καθ’ αὑτὰ χωρὶς ἐπισκεπτέον. Περὶ δὲ τῶν ἄλλων ζῴων τῆς γενέσεως λεκτέον κατὰ τὸν ἐπιβάλλοντα λόγον καθ’ ἕκαστον αὐτῶν, ἀπὸ τῶν εἰρημένων συνείροντας. (I 1– 2. 716a1– 4)

3 Verweise (als explizite Form der Vernetzung) 3.1 Verweise innerhalb der Schrift GA ‒ Rückverweise καθάπερ (γὰρ) εἴπομεν (I 2. 716a4; I 18. 723b22; I 23. 731b7; II 6. 743b16; III 3. 754b33) καθάπερ ἐλέχθη πρότερον (I 2. 716a21; II 2. 736a18; II 8. 748a13) καθάπερ εἴρηται (I 6. 717b33; III 1. 751b30) καθάπερ εἴρηται (καὶ) πρότερον (I 13. 720a24; III 1. 750b3 f.; III 1. 751a26 f.; IV 1. 764a32)

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καθάπερ … εἴρηται πολλάκις (III 7. 757b18; III 9. 758b1; IV 3. 768b5) καθάπερ γὰρ ἔν τε τοῖς ἄνω καὶ τοῖς ὑπογύοις εἴρηται λόγοις (III 7. 757a27) ὥσπερ εἴρηται (I 18. 726a9; II 1. 733b12; II 4. 738a6; II 8. 748a31; III 2. 752b29; IV 4. 771a10; IV 6. 775b3) ὥσπερ εἴρηται (καὶ) πρότερον (I 7. 718a18; I 19. 727a33 f.; I 20. 728b22 f.; II 8. 747a23 f.; III 1. 750b3; III 1. 751a26; IV 5. 774a2 f.) ὥσπερ εἴρηται πολλάκις (II 5. 741b16; II 8. 749a20) ὥσπερ ἐλέχθη πρότερον (II 7. 745b22) ὥσπερ ἐλέχθη κατ’ ἀρχάς (II 6. 742b36) ὥσπερ γὰρ ἐλέχθη κατ’ ἀρχὰς ἐν τοῖς πρώτοις λόγοις (V 1. 778b2) εἴρηται πρότερον (II 1. 731b18 f.; II 4. 737b10; II 4. 738b9; II 4. 739a22; III 1. 749a28; III 1. 750b17; III 2. 753b8 f.; III 4. 755a9 f.) εἴρηται δὲ καὶ περὶ … (III 4. 755a10) πρὸς ταῖς εἰρημέναις πρότερον [sc. αἰτίαις] (I 12. 719b13 f.) διὰ τὴν εἰρημένην αἰτίαν ἐν τοῖς κατ’ ἀρχὰς λόγοις (IV 8. 776b9 f.) αἴτιον δὲ τὸ εἰρημένον πρότερον, ὅτι … (V 6. 786a23) ‒ Vorverweise (auch als eine Form des Disponierens, mit Verbaladjektiv oder Futur) ὕστερον … λεκτέον (I 14. 720b8 f.; I 23. 731b14; II 4. 737b24; II 4. 740b12; II 6. 745a10; III 1. 749a24; IV 4. 770b3) περὶ οὗ σκεπτέον ὕστερον (I 18. 723b27) περὶ ὧν ὕστερον τὴν αἰτίαν θεωρητέον (I 18. 724a6) περὶ ὧν ὕστερον λεκτέον κατὰ τοὺς οἰκείους τῶν λόγων καιρούς (II 4. 740b11 f.) ὕστερον διορισθήσεται (II 4. 741a31) ὕστερον διοριστέον μᾶλλον (II 6. 744b36) ὕστερον λεχθήσεται (II 6. 745b15) ‒ in der 1. Pers. Pl. (,integratives Wir‘) περὶ ὧν ὕστερον ἐροῦμεν (III 6. 757a1; IV 10. 777b8) ἐν τοῖς ὕστερον διοριοῦμεν (II 1. 733a32) ὕστερον ἐροῦμεν (II 4. 737b15)

3.2 Verweise innerhalb des Corpus, oft verbunden mit der Aufforderung zur Betrachtung ‒ Rückverweise περί … εἴρηται (I 1. 715a1; 715a7 f.) (PA, IA) διώρισται δὲ περὶ αὐτῶν ἀκριβέστερον ἐν ταῖς ἱστορίαις ταῖς περὶ τῶν ζῴων. (I 3. 716b30 – 32) (HA)

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ἐκ τῶν ἱστοριῶν τῶν περὶ τὰ ζῷα δεῖ θεωρεῖν (I 4. 717a33 f.) (HA) δεῖ … ἔκ τε τῶν ἀνατομῶν τεθεωρηκέναι καὶ τῶν ἱστοριῶν (I 11. 719a8 – 10) (Anatomai, HA) καθάπερ εἴρηται πρότερον [ἐν τοῖς περὶ τῶν μορίων λόγοις] (I 15. 720b19 f.) (PA) εἴρηται πρότερον (I 19. 726b2 f.; 726b34) (PA) γέγραπται ἐν ταῖς περὶ τὰ ζῷα ἱστορίαις. (I 20. 728b13 f.) (HA) περὶ μὲν τούτων ἐν ἑτέροις ἐπέσκεπται (I 23. 731a29 f.) (De plantis?) ἡ δ’ αἰτία εἴρηται πρότερον ἐν ἑτέροις (II 1. 732b14) (HA?) ἐκ τῶν περὶ ψυχῆς διωρισμένων ἐν ἄλλοις φανερόν (II 3. 736a37-b1) (de An.) δῆλον δὲ τοῦτο ἐκ τῶν ἱστοριῶν καὶ τῶν ἀνατομῶν (II 4. 740a23 f.) (HA, Anatomai) εἴρηται πρότερον ἐν ἑτέροις (II 6. 743a6) (Mete.) δεῖ δὲ ταῦτα θεωρεῖν ἔκ τε τῶν παραδειγμάτων τῶν ἐν ταῖς ἀνατομαῖς καὶ τῶν ἐν ταῖς ἱστορίαις γεγραμμένων. (II 7. 746a14 f.) (Anatomai, HA) εἴρηται δ’ ἐν τοῖς Προβλήμασι (II 8. 747b5) (Pr.) καθάπερ ἐν ταῖς ἱστορίαις γέγραπται περὶ αὐτῶν (III 1. 750b31 f.) (HA) περί … ἐκ τῶν ἐν ταῖς ἱστορίαις γεγραμμένων δεῖ θεωρεῖν (III 2. 753b16 f.) (HA) δεῖ θεωρεῖν ἐκ τῶν ἱστοριῶν. (III 8. 758a24 f.) (HA) ἐκ τῶν περὶ τὰς ἱστορίας ἀναγεγραμμένων δεῖ θεωρεῖν. (III 10. 761a10 f.) (HA) ἐκ τῆς ἱστορίας θεωρείσθω (III 11. 763b16) (HA) εἴρηται πρότερον ἐν ἑτέροις (IV 1. 765b8) (PA) εἴρηται δὲ περὶ αὐτῶν ἐν τοῖς περὶ τοῦ ποιεῖν καὶ πάσχειν διωρισμένοις (IV 3. 768b23 f.) (nicht erhaltene Schrift / GC?) τοῦ μὲν οὖν … πρότερον εἰρήκαμεν τὴν αἰτίαν (IV 4. 771a35 f.) εἴρηται δὲ περὶ αὐτῶν ἐν τοῖς Προβλήμασιν (IV 4. 772b11 f.) (Pr.) περὶ … εἴρηται ἐν τοῖς Προβλήμασιν (IV 7. 775b36 f.) (Pr.) εἰρήκαμεν δὲ τὴν αἰτίαν τοῦ καθεύδειν τοιαύτην οὖσαν ἐν ἑτέροις (V 1. 779a6 f.) (Somn.Vig.) ὥσπερ ἐλέχθη πρότερον ἐν τοῖς περὶ τὰς αἰσθήσεις καὶ τούτων ἔτι πρότερον ἐν τοῖς περὶ ψυχῆς διωρισμένοις (V 1. 779b22 f.) (Sens., de An.) ὥσπερ εἴρηται ἐν τοῖς περὶ αἰσθήσεως (V 2. 781a21) (Sens.) εἴρηται πρότερον ἐν ταῖς αἰτίαις ταῖς περὶ τὰ μέρη τῶν ζῴων (V 3. 782a21 f.) (PA) ὥσπερ εἴρηται ἐν ἑτέροις (V 4. 784b7) (Mete.) τὰ μὲν ἐν τοῖς περὶ αἰσθήσεως εἴρηται τὰ δ’ ἐν τοῖς περὶ ψυχῆς. (V 7. 786b24 f.) (Sens., de An.) Περὶ μὲν οὖν φωνῆς ὅσα μὴ πρότερον ἐν τοῖς περὶ αἰσθήσεως διώρισται καὶ ἐν τοῖς περὶ ψυχῆς τοσαῦτ’ εἰρήσθω. (V 7. 788a34-b2) (Sens., de An.) εἴρηται πρότερον (V 8. 788b6) (HA, PA) ‒ negativ, im Sinne fehlender vorheriger Behandlung περί … οὐθὲν διώρισται (I 1. 715a13)

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περὶ ὧν οὐκ ἐλέχθη πρότερον (I 16. 721a26 f.) ‒ Vorverweise Περὶ μὲν οὖν φυτῶν αὐτὰ καθ’ αὑτὰ χωρὶς ἐπισκεπτέον. (I 1. 716a1 f.) (De plantis) περὶ μὲν τούτων ἐν ἄλλοις τὸ αἴτιον λεκτέον (V 3. 783b20 f.) (De plantis) ὕστερον λεκτέον ἐν τοῖς περὶ αὐξήσεως καὶ τροφῆς (V 4. 784b2 f.) (nicht erhaltene Schrift)

B Elemente der Argumentation und ihre sprachliche Gestaltung 1 Ausgangspunkte der Begründung 1.1 Definitionen ‒ als einfache Identitätsaussage ᾠὸν μὲν γάρ ἐστιν ἐξ οὗ γίγνεται τὸ γιγνόμενον ἐκ μέρους (τὸ δὲ λοιπόν ἐστι τροφὴ τῷ γιγνομένῳ), σκώληξ δ’ ἐξ οὗ τὸ γιγνόμενον ὅλου ὅλον γίγνεται. (II 1. 732a29 – 32; vgl. III 11. 763a1 f.) τὸ δὲ πνεῦμά ἐστι θερμὸς ἀήρ (II 2. 736a1) [κύημα] τέλειον δ’ ἤδη τότ’ ἐστὶν ὅταν τὸ μὲν ἄρρεν ᾖ τὸ δὲ θῆλυ τῶν κυημάτων (II 4. 737b10 f.) θρεπτικὸν μὲν ὃ τὸ εἶναι παρέχεται τῷ τε ὅλῳ καὶ τοῖς μορίοις, αὐξητικὸν δὲ τὸ εἰς μέγεθος ποιοῦν τὴν ἐπίδοσιν (II 6. 744b34– 36) ‒ λέγω mit doppeltem Akk. λέγω δὲ περίττωμα μὲν τὸ τῆς τροφῆς ὑπόλειμμα, σύντηγμα δὲ τὸ ἀποκριθὲν ἐκ τοῦ αὐξήματος ὑπὸ τῆς παρὰ φύσιν ἀναλύσεως (I 18. 724b26 – 28) ἄχρηστον [sc. τροφὴν] μὲν οὖν λέγω ἀφ’ ἧς μηθὲν ἔτι συντελεῖται εἰς τὴν φύσιν ἀλλ’ ἀναλισκομένου πλέονος μάλιστα κακοῦται, τὴν δὲ χρησίμην τὴν ἐναντίαν (I 18. 725a4– 7) λέγω δὲ κύημα τὸ πρῶτον μίγμα ἐκ θήλεος καὶ ἄρρενος (I 20. 728b34) τὸν δὲ τρόπον λέγω τὸ ὣς καὶ οὗ καὶ ὅτε (II 4. 740b23 f.) λέγω δ’ ἀρχὴν οὐ τὴν τοιαύτην ἐξ ἧς ὥσπερ ὕλης γίγνεται τοιοῦτον οἷον τὸ γεννῶν, ἀλλὰ τὴν κινοῦσαν πρώτην, ἐάν τ’ ἐν αὐτῷ ἐάν τ’ ἐν ἄλλῳ τοῦτο δύνηται ποιεῖν (IV 1. 765b11– 14) [eher eine Erläuterung] ἔσχατον [sc. τροφῆς] δὲ λέγω τὸ πρὸς ἕκαστον [sc. τῶν μορίων] φερόμενον (IV 1. 766b8 f.) λέγω δ’ ἑκάστην δύναμιν τόνδε τὸν τρόπον· (IV 3. 767b23 f.) [nachgeschobene Erläuterung folgt]

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λέγω δὲ καθ’ ἕκαστον τὸν Κορίσκον καὶ τὸν Σωκράτην (IV 3. 768a1 f.) λέγω δὲ περίοδον ἡμέραν καὶ νύκτα καὶ μῆνα καὶ ἐνιαυτὸν καὶ τοὺς χρόνους τοὺς μετρουμένους τούτοις, ἔτι δὲ τὰς τῆς σελήνης περιόδους (IV 10. 777b18 – 20) λέγω δὲ μονόχροα ὧν τὸ γένος ὅλον ἓν χρῶμα ἔχει (V 6. 785b16 f.) ὁλόχροα δέ (λέγω δὲ ὧν τὸ σῶμα ὅλον τὴν αὐτὴν ἔχει χρόαν …) (V 6. 785b20) ‒ in der 1. Pers. Pl. (common sense-Definition im ,integrativen Wir‘) ἄρρεν μὲν γὰρ λέγομεν ζῷον τὸ εἰς ἄλλο γεννῶν, θῆλυ δὲ τὸ εἰς αὑτό λέγομεν (I 2. 716a13 – 15)

1.2 Beweisgründe von axiomatischem Rang 1.2.1 expliziter Rückgriff auf Beweisgründe von (wenigstens an dieser Stelle) axiomatischem Rang τοῦτο δ’ εὐλόγως ἀξιοῦμεν (I 1. 715b10 f.): artgleiche Tiere entstehen auch auf gleiche Weise; wird direkt im Anschluss empirisch gestützt. ἡ δὲ φύσις φεύγει τὸ ἄπειρον (I 1. 715b14 f.), wird hier weiter zurückgeführt auf: ἡ δὲ φύσις ἀεὶ ζητεῖ τέλος (I 1. 715b15 f.) δεῖται δὲ πρὸς πᾶσαν ἐργασίαν ὀργάνων (I 2. 716a23 f.) πᾶν ἡ φύσις ἢ διὰ τὸ ἀναγκαῖον ποιεῖ ἢ διὰ τὸ βέλτιον (I 4. 717a15 f.) ἀσθενέστερον δὲ τὸ ἐλάττονος θερμότητος κοινωνοῦν κατὰ φύσιν (I 19. 726b33 f.) δύο δ’ οὐκ ἐνδέχεται σπερματικὰς ἅμα γίγνεσθαι ἀποκρίσεις (I 19. 727a26 f.) βέλτιον δὲ ψυχὴ μὲν σώματος, τὸ δ’ ἔμψυχον τοῦ ἀψύχου … καὶ τὸ εἶναι τοῦ μὴ εἶναι καὶ τὸ ζῆν τοῦ μὴ ζῆν (II 1. 731b28 – 30) βελτίονος δὲ καὶ θειοτέρας τὴν φύσιν οὔσης τῆς αἰτίας τῆς κινούσης πρώτης—ᾗ ὁ λόγος ὑπάρχει καὶ τὸ εἶδος—τῆς ὕλης (II 1. 732a3 – 5) βέλτιον καὶ τὸ κεχώρισθαι τὸ κρεῖττον τοῦ χείρονος (II 1. 732a5 f.) ἡ δὲ φύσις οὐδὲν ποιεῖ περίεργον (II 4. 739b19 f.) ἐπεὶ δ’ οὐθὲν ποιεῖ περίεργον οὐδὲ μάτην ἡ φύσις (II 6. 744a36 f.) ἐπεὶ δ’ ἀεὶ τὸ κατὰ φύσιν ἔχει τάξιν (III 10. 760a31) ἐπεὶ δὲ τὴν φύσιν ὑποτιθέμεθα, ἐξ ὧν ὁρῶμεν ὑποτιθέμενοι, οὔτ’ ἐλλείπουσαν οὔτε μάταιον οὐθὲν ποιοῦσαν τῶν ἐνδεχομένων περὶ ἕκαστον (V 8. 788b20 – 22) [vgl. IA 2. 704b15 – 18]

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1.2.2 stillschweigend vorausgesetzte Prämissen von axiomatischem Rang εἰ μὲν ὁμογενῆ, καὶ τὴν ἐξ ἀρχῆς τοιαύτην ἔδει τῶν τεκνωσάντων εἶναι γένεσιν (τοῦτο δ’ εὐλόγως ἀξιοῦμεν· φαίνεται γὰρ συμβαῖνον οὕτως ἐπὶ τῶν ἄλλων ζῴων) (I 1. 715b9 f.) ‒ setzt voraus: gleiche Art impliziert gleiche Art der Entstehung; wird direkt im Anschluss (in Parenthese) empirisch gestützt ἐνδέχεται γὰρ αὐτοῖς ἔχειν (I 5. 717b15) ‒ soll dies nicht tautologisch aufzufassen sein, ist als Axiom vorauszusetzen etwa: ‚die Natur bildet, wenn nichts hindert, ein Organ, das ein ‚Besseres‘ realisiert, tatsächlich auch aus‘; vgl. o. V 8. 788b20 – 22 πρὸ ὁδοῦ γὰρ οὕτως ἔσται (I 8. 718b24) ‒ setzt, wenn es eine Begründung bieten soll, voraus, dass die Natur die Dinge zweckmäßig einrichtet ὅπου μή τι ἐμποδίζει ἕτερον ἔργον τῆς φύσεως (I 8. 718b25 f.) ‒ setzt etwa voraus, dass die Natur nicht ohne Grund (sc. in Gestalt eines anderen zu realisierenden ergons) von der ökonomischsten Realisierung eines ergons abweicht; vgl. die Wiederaufnahme in I 11. 719a13 f.

1.2.3 Unterstellung einer bestimmten ,Natur‘, eines bestimmten ,Wesens‘ oder eines spezifischen ergons τὴν δὲ τοῦ αἰδοίου φύσιν … (I 5. 717b18; ähnlich b20 f.) ἡ φύσις τῶν σκελῶν νευρώδης (I 5. 717b20) ἡ τῶν ἰχθύων φύσις καὶ ἡ τῶν ὄφεων (I 6. 717b36) διὰ γὰρ τὸ εἶναι αὐτῶν προμήκη τὴν φύσιν (I 7. 718a21) διὰ τὸ ψυχρὰ τὴν φύσιν εἶναι (I 10. 718b35) οὐ ξηραίνει αὐτῶν ἡ φύσις τὸ ἔσχατον (I 11. 718b37) ἡ τοῦ δέρματος φύσις (I 12. 719b5 – 7) (hier allerdings plausibel veranschaulicht) διὰ δὲ τὸ ὑγρὰν εἶναι τὴν φύσιν τοῦ σπέρματος (I 13. 720a7 f.) ὅσα αὐτῶν ἔναιμα τὴν φύσιν ἐστί (I 17. 721a31) βούλεται δὲ τοιοῦτον τὴν φύσιν εἶναι τὸ σπέρμα (I 18. 724a17) διὰ τὸ τὴν φύσιν εἶναι τοῦ περιττώματος τοιαύτην (I 18. 725b5 f.) διὰ ψυχρότητα τῆς φύσεως (I 20. 728a21) κατὰ γὰρ τὴν πρώτην ὕλην ἐστὶν ἡ τῶν καταμηνίων φύσις (I 20. 729a33) ἡ φύσις ἡ ἐν τῷ ἄρρενι τῶν σπέρμα προϊεμένων χρῆται τῷ σπέρματι ὡς ὀργάνῳ (I 22. 730b19 f.) καὶ βούλεται ἡ φύσις αὐτῶν ἓν γίγνεσθαι (I 23. 731a12 f.) ἐπεὶ γὰρ ἀδύνατος ἡ φύσις τοῦ τοιούτου γένους ἀΐδιος εἶναι (II 1. 731b31 f.)

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βελτίονος δὲ καὶ θειοτέρας τὴν φύσιν οὔσης τῆς αἰτίας τῆς κινούσης πρώτης (II 1. 732a3 f.) τούτου δ’ αἴτιον ὅτι τὰ τιμιώτερα καὶ αὐταρκέστερα τὴν φύσιν ἐστίν (II 1. 732a16 f.) τὰ τελεώτερα τὴν φύσιν τῶν ζῴων (II 1. 732b28 f.) τελεώτερα δὲ τὰ θερμότερα τὴν φύσιν καὶ ὑγρότερα καὶ μὴ γεώδη (II 1. 732b31) γλίσχρα τὴν τοῦ σώματός ἐστι φύσιν (II 1. 733a22 f.) ψυχροτέραν ἔχοντα τὴν φύσιν (II 1. 733b8) φύσιν ἔχον ὑγρὰν καὶ ὑδατώδη (II 3. 737a12) ἀτελεστέραν ἔχοντα τὴν φύσιν (II 4. 737b8) τῆς φύσεως διὰ ψυχρότητα πέττειν οὐ δυναμένης (II 4. 738a13) μὴ δυναμένης τε γὰρ πέττειν τῆς φύσεως (II 4. 738a34 f.) ἡ γὰρ αὐτὴ φύσις ἐστὶ γάλακτος καὶ καταμηνίων (II 4. 739b25 f.) διὰ τὸ παραπλησίαν αὐτῶν εἶναι τὴν οὐσίαν τοῖς φυτοῖς (I 1. 715b18) αἴτιον δ’ ὅτι πολύγονα ταῦτα καὶ τοῦτ’ ἔργον αὐτῶν [sc. τῶν ἰχθύων] ὥσπερ τῶν φυτῶν (I 8. 718b8 f.) τῆς μὲν γὰρ τῶν φυτῶν οὐσίας οὐθέν ἐστιν ἄλλο ἔργον οὐδὲ πρᾶξις οὐδεμία πλὴν ἡ τοῦ σπέρματος γένεσις (I 23. 731a24– 26)

1.3 Bezüge zur Empirie (als Ausgangspunkte und Explananda, aber auch als Kontrollinstanz für die Theoriebildung) 1.3.1 empirische Evidenz ‒ Formen von φανερός ‒ unpersönlich: φανερόν (sc. ἐστιν bzw. εἶναι), zumeist mit Subjektsatz (ὅτι …) und/oder einem Demonstrativum ὅτι … φανερόν (I 14. 720b7 f.; II 7. 746a27 f.) Ὅτι δὲ … φανερὸν ἐκ τῶν συμβαινόντων (III 1. 750a20 f.) (mit explizitem Verweis auf die Faktenlage) καὶ τοῦτο φανερὸν οὐ μόνον κατὰ τὴν αἴσθησιν ὅτι … ἀλλὰ καὶ περὶ τὴν τελευτήν (empirische Evidenz in doppelter Hinsicht) (II 5. 741b17 f.) πρὸς δὲ τὴν παροῦσαν σκέψιν ἱκανὸν φανερὸν εἶναι τοσοῦτον, ὅτι … (III 2. 753b17 f.) (mit Selbstreferenz der laufenden Untersuchung) ‒ direkte Folgerungen aus der Empirie bezeichnend ὅτι μὲν τοίνυν … φανερόν (I 4. 717a17) ὥστε φανερὸν ἂν εἴη ὅτι … (I 18. 723b25) ὅτι μὲν οὖν οὐκ ἂν εἴη … φανερόν (I 18. 724b28 f.) ὅτι μὲν δὴ … οὐκ ἂν εἴη φανερόν (I 18. 725a7 f.)

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ἐπεὶ δ’ …, φανερὸν ὅτι τῆς αἱματικῆς ἂν εἴη περίττωμα τροφῆς τὸ σπέρμα τῆς εἰς τὰ μέρη διαδιδομένης τελευταίας. (I 19. 726b5 – 11) (typischer Vorwärtsschluss) ἐπεὶ δέ …, φανερὸν ὅτι … (I 19. 727a27) (typischer Vorwärtsschluss aus einer empirischen und einer theoretischen Prämisse) ὅτι μὲν οὖν … καὶ τῇ αἰσθήσει ἐστὶ φανερόν (II 1. 734a20 f.) φανερὸν δὲ ὅτι διὰ τοῦτ’ οὐδὲ … (II 2. 736a22 f.) ὅτι μὲν οὖν … φανερόν (II 3. 736a36) ὅτι δὲ … φανερόν (III 1. 750a13 f.) Ὅτι δὲ … φανερὸν ἐκ τῶν συμβαινόντων. (III 1. 750a20 f.) (mit explizitem Verweis auf die begründenden Phänomene, die mit γάρ angeschlossen werden) φανερὸν δ’ ἐστὶν ἐν τοῖς … (III 1. 752b3 f.) φανερὸν οὖν ὅτι … (III 3. 754b31) Ὅτι δὲ … φανερὸν ἐκ τῶν τοιούτων ὅτι … (III 11. 763a25 – 27) (die begründenden empirischen Fakten werden explizit angekündigt) ὅτι μὲν οὖν τοῦτ’ οὐκ ἀληθὲς φανερὸν ἐκ τούτων καὶ τοιούτων ἄλλων (V 8. 788b28 f.) (verbunden mit einer Praeteritio) ‒ abschließende Beurteilung einer These als evident, auch als Folgerung aus empirischen Befunden φανερὸν οὖν ὅτι ἀρχή τις οὖσα φαίνεται τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν (I 2. 716b9 f.) ἐπειδὴ φανερὸν ὅτι οὐκ ἀπὸ πάντων ἀποκρίνεται τὸ σπέρμα τῶν μορίων. (I 18. 724a12 f.) Ὅτι μὲν οὖν περίττωμά ἐστι τὸ σπέρμα χρησίμου τροφῆς καὶ τῆς ἐσχάτης, …, ἐν τοῖς προειρημένοις φανερόν. (I 18. 726a26 – 28) Ὅτι μὲν τοίνυν ἐστὶ τὰ καταμήνια περίττωμα καὶ ὅτι … φανερόν (I 19. 727a2 – 4) (empirische Indizien folgen) ὅτι μὲν οὖν ἡ ἐν τοῖς ζῴοις θερμότης οὔτε πῦρ οὔτε ἀπὸ πυρὸς ἔχει τὴν ἀρχὴν ἐκ τῶν τοιούτων ἐστὶ φανερόν (II 3. 737a5 – 7) ‒ empirische Evidenz bei einer bestimmten Klasse von Tieren φανερόν … ἐπὶ τῶν … (I 4. 717b7; II 4. 740a37-b1; II 5. 741a17; II 6. 742a1 f.; III 11. 763a21) καὶ ἐπ’ αὐτῶν δὲ τῶν διγονίαν ποιουμένων ζῴων φανερὸν τοῦτο συμβαῖνον (I 11.719a24 f.) ‒ Qualifizierung einer Aussage (als empirisch evident) mit dem Adverb φανερῶς (I 15. 720b21; I 17. 721a30; I 18. 724b33; II 7. 747a17; IV 1. 764a26) ‒ persönliche Konstruktion φανερός ἐστιν ἐψευσμένος (II 2. 736a3 f.) φανερόν ἐστι τὸ μὲν ἄρρεν ὄν, τὸ δ’ ἔχον ὑστέραν (III 5. 755b35) τὴν ἔλλειψιν πρὸς τοὺς ἄρρενας ἔχει τοῦ σώματος φανεράν (I 19. 727a24 f.) (prädikativ)

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‒ Formen von δῆλος ‒ unpersönlich: δῆλον (sc. ἐστιν, selten mit γίγνεται), oft mit Demonstrativum (τοῦτο) oder mit Subjektsatz (ὅτι …); gibt eine Folgerung aus empirischen Phänomenen an δῆλον δὲ τοῦτο ἐκ τοῦ … (I 13. 720a9 – 11) δῆλον οὖν ὅτι … (I 18. 723b6; 723b17) ᾗ καὶ δῆλον ὅτι … (I 20. 729a6) ὥστε δῆλον ὅτι … (II 6. 742a10) δῆλον γὰρ ὅτι … (III 5. 755b3) ὅλως δ’ ἐπειδὴ φαίνεται …, δῆλον ὡς οὐκ ἐξ ὀχείας γίγνονται, … (III 10. 759b8 – 13) ᾗ καὶ δῆλον ὡς … (IV 4. 770a30) δῆλον δ’ ὅταν … (V 7. 788a26) (gibt eine Bedingung an, unter der etwas empirisch evident wird) ‒ empirische Evidenz bei einer bestimmten Klasse von Tieren δῆλον … ἐπὶ τῶν … (I 2. 716b5; I 16. 721a23; I 20. 728a11; II 6. 745a25 f.; III 2. 752a21; III 3. 754b27; III 6. 756b21 f.; III 11. 763a17– 19 [mit ὅτι]; IV 6. 774b36; V 7. 788a20) δῆλον δὲ τοῦτο ἐπί τε τῶν … καὶ ὅσα (I 16. 721a23 f.) δῆλον δὲ τοῦτο ἐν τοῖς σκώληξι τοῖς τῶν … (III 9. 758b18 f.) ‒ mit Verweis auf Sektionen τοῦτο δὲ δῆλον ἐκ τῶν ἀνατομῶν ἐστιν. (IV 4. 771b32 f.) δῆλον δὲ γίγνεται τοῦτο ἐν ταῖς ἀνατομαῖς (V 1. 779a8) ‒ mit Verweis auf andere eigene Schriften (mittelbarer Empiriebezug) δῆλον ἐκ τῶν ἱστοριῶν καὶ τῶν ἀνατομῶν (II 4. 740a23 f.) ‒ persönliche Konstruktion τὸ τὰς διαφορὰς μὴ δήλας εἶναι παντοδαπὰς οὔσας περί … (III 3. 756a2 f.) καὶ πρὶν δήλην τὴν διαφορὰν εἶναι πρὸς τὴν αἴσθησιν ἡμῶν (IV 1. 763b27 f.) τὰ δὲ προϊούσης τῆς ἡλικίας γίνεται δῆλα καὶ γηρασκόντων. (V 1. 778a28) ‒ Formen von ἐπίδηλος ‒ als Adjektiv, oft persönlich konstruiert I 18. 725b7; I 20. 728a8; III 11. 763b14; IV 6. 775a34; 775b6; IV 8. 776b14; 776b22; V 1. 779b7; V 3. 782a13 ‒ mit Bezug auf den Menschen ἐπίδηλον ἐπὶ τῶν ἀνθρώπων (V3. 782a7; V 7. 786b19) ‒ als Adverb, öfter mit Negation oder Einschränkung (μόνος, ἧττον) ἐπιδήλως (II 7. 747a15; III 1. 750b11; IV 8. 776b19; V 1. 778a26; 779a29; 779b5; 780b5; V 3. 783b8; V 5. 785a8) ‒ in Steigerungsstufen ἐπιδηλότατα (I 19. 727a22) ἐπιδηλοτάτως (Ι 19. 727α23)

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ἐπιδηλότερον (I 20. 728b29) ‒ Formen von διάδηλος διάδηλα δὲ ταῦτα μᾶλλον ἐπὶ τῶν μειζόνων (III 2. 754a18 f.) (mit Ggs. ἀφανής) ‒ Formen von φαίνομαι ὅπερ καὶ φαίνεται κατὰ τὴν αἴσθησιν (I 2. 716a31) ‒ mit Pt. οὐ φαίνονται ἔχοντα (I 16. 721a12) φαίνονται δ’ οὖν μεταβάλλουσαι (I 18. 723a26) φαίνονται φέροντες (II 6. 744a10) ὅπερ ἤδη φαίνεται γεγονός (II 7. 748b29 f.) εὐθὺς ἔχοντες ᾠὰ φαίνονται (III 1. 750b31) φαίνονται γιγνόμενοι (III 10. 759b25) ‒ mit dem Pt. συμβαῖνον φαίνεται … συμβαῖνον … ἐπί τῶν … (I 1. 715b11) ὅπερ καὶ φαίνεται συμβαῖνον (I 20. 729a31 f.; III 10. 760a33) ὅπερ ἔν τισι τῶν … φαίνεται συμβαῖνον (II 4. 739a19 f.) καθάπερ φαίνεται συμβαῖνον (759b28) τοῦτο φαίνεται συμβαῖνον (759b33) ‒ Formen von συμβαίνω οἷον συμβαίνει περί τὴν συκῆν καὶ τὸν ἐρινεόν. (I 1. 715b24 f.) τοῦτο δὲ πῶς … συμβαίνει γίγνεσθαι (I 2. 716a9) ὅπερ συμβαίνει καὶ ἐπὶ τῶν … (I 7. 718a22 f.) τὰ δ’ αἴτια … ἐπὶ μὲν τῶν ἄλλων πλείω συμβαίνει (II 7. 746b20 f.) τοῖς δὲ … ταὐτὸν συμβαίνει πάσχειν (II 7. 746b24 f.) πολλοῖς δὲ καὶ πολλαῖς … τοῦτο συμβαίνει τὸ πάθος (II 7. 746b31 f.) τοῦτο συμβαίνειν ἔοικε καὶ περὶ τὰς μελίττας ἐκ τῶν φαινομένων (III 10. 759a10 f.) ‒ oft im Perfekt συμβέβηκεν (I 1. 715b7; III 7. 757b11; IV 4. 770a30; 772b7; IV 5. 774a27; IV 10. 777b1; 778a22; V 1. 779a1; 779a34) ‒ als Partizip (s. auch o. unter ,φαίνομαι mit Pt.‘) ἐκ τῶν περὶ τὰς ὀχείας συμβαινόντων ἀναγκαίων (I 12. 719b14 f.) φανερὸν ἐκ τῶν συμβαινόντων (III 1. 750a21)

1.3.2 direkte (Einzel‐)Fallbeobachtung ‒ perfektische Formen von ὁράω, oft mit Pt., mitunter in Kombination mit ἤδη (s.u.)

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ὠμμένοι γάρ εἰσι συνδυαζόμενοι καὶ πλήρεις ἔχοντες θοροῦ τοὺς πόρους. (I 4. 717a19 f.) καὶ ἐπὶ τῶν … ὦπται τοῦτο συμβαῖνον (II 7. 746a35-b1) Ὅτι μὲν οὖν … ἱκανῶς ὦπται (III 1. 750b26 – 28) ὦπται γὰρ ἱκανῶς καὶ ἐπὶ … γιγνόμενα ὑπηνέμια ἄνευ ὀχείας (III 1. 751a12 f.) ὠμμένος ὁ συνδυασμός ἐστιν (III 5. 756a34) ἐπεὶ ὦπταί γ’ ἤδη καὶ τοῦτο ὀχευόμενον. (III 6. 756b26) ὦπται γὰρ ἡ ὕαινα ἓν ἔχουσα αἰδοῖον (III 6. 757a7) καὶ συνδυαζόμενον τὸ ἄρρεν τῷ θήλει πολλάκις ὦπται (III 8. 757b34 f.) ὦπται γὰρ πολλάκις ὁ συνδυασμὸς αὐτῶν. (III 10. 761a8) ὦπται καὶ θῆλυ ἐν τῷ δεξιῷ μέρει τῆς ὑστέρας καὶ … (IV 1. 765a17 f.) Ἤδη δὲ καὶ ὄφις ὦπται δικέφαλος (IV 4. 770a23 f.) καὶ ταῦτα μὲν ἔν γε τετελεσμένοις ὦπται τοῖς ζῴοις (IV 4. 771a9 f.) ἤδη γὰρ ὦπται τὸ τοιοῦτον συμβεβηκός (IV 5. 773b10) ἤδη γὰρ ὦπται καὶ πέρδιξ λευκὴ καὶ … (V 6. 785b34 f.) ἑώραται συμβαῖνον (III 1. 750b30) ἑώραται (III 11. 762a33) ‒ perfektische Formen von θεωρέω τεθεώρηται δὲ τοῦτο ἐπὶ πολλῶν, τοὐναντίον δ’ ἐπ’ ὀλίγων (I 16. 721a14– 16) ‒ ἤδη, ἐνίοτε, νῦν als Signalwörter καὶ ἤδη ταῦρός τις μετὰ τὴν ἐκτομὴν εὐθέως ὀχεύσας ἐπλήρωσε (I 4. 717b3 f.) ἤδη τινὲς ἔσχον … (I 17. 721b31) ἤδη γὰρ καὶ τοῦτ’ ἀσθένημα συνέβη τισίν. (18. 726a15) ἐνίοις αἱματῶδες ἤδη προελήλυθεν (I 19. 726b9) ὅπερ ἤδη φαίνεται γεγονός (II 8. 748b29 f.) ἤδη δὲ καὶ κέρας αἲξ ἔχουσα ἐγένετο πρὸς τῷ σκέλει (IV 4. 770b36 f.) ἤδη δ’ ἐγένετο καὶ μεθεστηκότα κατὰ τόπον (IV 4. 771a7 f.) καὶ γὰρ θήλεσί τισιν ἤδη … (IV 4. 773a15 f.) ἤδη δὲ καὶ … ἐπί τινων ζῴων γέγονε (IV 4. 773a24– 26) καὶ γὰρ τοῦτ’ ἤδη γέγονεν (IV 5. 773b16) τοῦτο δὲ καὶ ἐπὶ γυναικῶν ἤδη συμβέβηκεν (IV 5. 774a27) ἤδη γὰρ συνέβη τινὶ γυναικὶ (IV 7. 775b27 f.) ἐνίοτε δὲ συνδυάζονται καὶ ἐπὶ τὰ πρανῆ (I 15. 720b36) διὰ τὸ γίγνεσθαι παραπλησίαν τε χαρὰν ἐνίοτε αὐταῖς … καὶ ἅμα ὑγρὰν ἀπόκρισιν (I 20. 727b34 – 36) καὶ οὗτος ἐνίοτε διτοκεῖ (III 1. 750a17) καθάπερ ἐνίοτε πολλὰ τῶν περικαρπίων (IV 4. 770a15) γίγνεται γὰρ ἐνίοτε τὰ μὲν πλείους ἔχοντα δακτύλους τὰ δ’ ἕνα μόνον (IV 4. 770b30 f.)

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προσφύεται δὲ μάλιστα μὲν πλησίον ἀλλήλων, ἐνίοτε δὲ καὶ πόρρω (IV 4. 772b22 f.) ἐπεὶ καὶ νῦν ἐπὶ τῶν γυναικῶν … (I 11. 719a18 – 20) ἐπεὶ καὶ νῦν ἐνίοις γηράσκουσι τοῖς βρωτικοῖς μὲν μὴ μεγάλους δ’ ἔχουσι κατατρίβονται πάμπαν (II 6. 745a29 f.) ἐπεὶ καὶ νῦν τὰ πολλὰ φθείρεται τῶν ἐκτικτομένων κυημάτων (III 4. 755a29 f.)

1.3.3 regelhaft vorherrschende Erfahrungstatsache (im Sinne von ,ὡς ἐπὶ τὸ πολύ‘) ‒ mit der Wendung ,ὡς ἐπὶ τὸ πολύ‘¹ I 18. 725b17; I 19. 727b13; I 20. 728a3; II 4. 739a32; III 1. 750b33; IV 3. 768a24; 769a24; IV 4. 770b11; 771b4; IV 6. 774b9; ‒ Formen von εἴωθα² mit Inf. εἴωθε(ν) (I 2. 716b4; II 4. 738a5; 739a33; II 6. 744b17; III 1. 750a16; III 10. 759b6; IV 4. 770b19; 771a12; V 1. 778b22) εἰωθέναι (IV 4. 770b21)

1.3.4 experimentelles Vorgehen τιθέμενον ἐν τοῖς πάγοις ὑπαίθριον (II 2. 735a35 f.) (experimentelle Abkühlung) εἴρηται πρότερον ἐν ἑτέροις, ποῖα λυτὰ ὑγρῷ καὶ πυρὶ καὶ ποῖα ἄλυτα ὑγρῷ καὶ ἄτηκτα πυρί (II 6. 743a6 – 8) διόπερ εὐλόγως βασανίζεται ταῖς πείραις τό γε τῶν ἀνδρῶν, εἰ ἄγονον, ἐν τῷ ὕδατι· ταχὺ γὰρ διαχεῖται τὸ λεπτὸν καὶ ψυχρὸν ἐπιπολῆς, τὸ δὲ γόνιμον εἰς βυθὸν χωρεῖ· θερμὸν μὲν γὰρ τὸ πεπεμμένον ἐστί, πέπεπται δὲ τὸ συνεστηκὸς καὶ πάχος ἔχον. τὰς δὲ γυναῖκας βασανίζουσι τοῖς τε προσθέτοις, ἐὰν διικνῶνται αἱ ὀσμαὶ πρὸς τὸ πνεῦμα τὸ θύραζε κάτωθεν ἄνω, καὶ τοῖς ἐγχρίστοις εἰς τοὺς ὀφθαλμοὺς χρώμασιν ἂν χρωματίζωσι τὸ ἐν τῷ στόματι πτύελον (II 7. 747a3 – 10) (Fertilitätstests bei Männern bzw. Frauen) κἂν πολλὰ συνεράσας τις ᾠὰ εἰς κύστιν ἤ τι τοιοῦτον ἕψῃ πυρὶ μὴ θάττονα ποιοῦντι τὴν τοῦ θερμοῦ κίνησιν ἢ τὴν ἐν τοῖς ᾠοῖς διάκρισιν, ὥσπερ ἐν ἑνὶ ᾠῷ καὶ  Vgl. hierzu I 19. 727b29 f.: τὰ δ’ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ γιγνόμενα μάλιστα κατὰ φύσιν ἐστίν; IV 8. 777a19 – 21: ἐν γὰρ τοῖς μὴ ἀδυνάτοις ἄλλως ἔχειν ἀλλ’ ἐνδεχομένοις τὸ κατὰ φύσιν ἐστὶ τὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολύ; IV 4. 770b12 f.: οὐθὲν γίγνεται παρὰ φύσιν, ἀλλ’ ἐν τοῖς ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ μὲν οὕτω γιγνομένοις ἐνδεχομένοις δὲ καὶ ἄλλως.  Vgl. IV 4. 772a36 f.: ὅτι γίγνεται παρὰ τὸ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ καὶ τὸ εἰωθός.

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τὸ ἐκ πάντων τῶν ᾠῶν σύστημα τὸ μὲν ὠχρὸν ἐν μέσῳ γίγνεται, κύκλῳ δὲ λευκόν. (III 1. 752a4– 8) καὶ διὰ τοῦτο τῶν χελιδόνων ἐάν τις ἔτι νέων ὄντων ἐκκεντήσῃ τὰ ὄμματα πάλιν ὑγιάζονται· γιγνομένων γὰρ ἀλλ’ οὐ γεγενημένων φθείρονται, διόπερ φύονται καὶ βλαστάνουσιν ἐξ ἀρχῆς. (IV 6. 774b31– 34)

1.3.5 Bestätigung und Absicherung durch verschiedene Formen von Indizien ‒ tekmērion ³ τεκμήριον (I 18. 721b13; 723b19 [μέγιστον ~ ]; 725a28; II 6. 744a11; III 11. 763a34; IV 2. 766b28; V 5. 785a13) ‒ sēmeion σημεῖον (I 18. 722a4; 723b8; 725a16; I 19. 727a4 f.; a10; b5 f.; I 20. 728a31; b21; 729a4; I 21. 729b33 [μέγιστον ~]; II 1. 733a13; II 4. 739a24; 739b4; II 8. 748a32; III 5. 755b2; III 8. 758a3; III 10. 760b33; III 11. 763b6; 763b8; IV 1. 765a31; 765b19; 765b27; IV 5. 774a36; V 3. 782b29; 783a19; V 4. 784b23; V 5. 785a26; 785a34; V 8. 789a6; 789a16) ‒ martyrion μαρτύριον (I 18. 721b28; 725b4; I 19. 727a32; IV 4. 771b8)

1.3.6 fehlende oder mangelnde empirische Evidenz ‒ fehlende Fallbeobachtung οὐθὲν ὦπταί πω (I 15. 721a1 f.) οὔπω συνεώραται (I 16. 721a16 f.) οὐθεὶς ὦπταί πω (II 5. 741a36) οὔτ’ ὦπται τοιοῦτον οὔτ’ εὔλογον (III 8. 758a18) οὐθενὸς γὰρ τοιαύτην ὁρῶμεν ζῴου γένεσιν (III 11. 763a5) ‒ keine vollständige oder fehlende zuverlässige bzw. hinreichende Beobachtungsbasis περὶ μὲν πάντων ἄδηλον (I 14. 720b7) ποτέρως ἄδηλον (I 17. 721a32) ὅπερ ἀξιοπίστως μὲν οὐ συνῶπται μέχρι γε τοῦ νῦν (II 5. 741a34) ἐπὶ δὲ τῶν θαλαττίων οὐθὲν ἀξιόλογον ἑώραται (II 7. 746b4 f.) οὐχ ὁμοίως [sc. ὦπται] (III 1. 750b28 f.)

 Hierzu vgl. APr. II 27 und Rh. I 2, 1357b1– 25.

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οὔπω πεῖραν ἔχομεν ἀξιόπιστον (ΙΙ 5. 741a37 f.) οὔ πω ὦπται ἱκανῶς (ΙΙΙ 7. 757b23) οὐ μὴν εἴληπταί γε τὰ συμβαίνοντα ἱκανῶς (ΙΙΙ 10. 760b30) οὔπω συνῶπται ἱκανῶς (III 11. 762a34) ‒ aufgrund mangelnder Erkennbarkeit mit dem bloßen Auge ἄδηλοι διὰ μικρότητα τοῦ σώματος (I 3. 717a9 f.) οὕτω μικροὺς ἔχουσιν ὥστε σχεδὸν ἀδήλους εἶναι (I 4. 717b9 f.) μικρὰ λίαν … ἐστίν (I 16. 721a25) ἐν γὰρ τοῖς ἐλάττοσιν ἀφανῆ διὰ μικρότητα τῶν ὄγκων ἐστίν. (III 2. 754a19 f.) ‒ mangelnde Sichtbarkeit der paarigen inneren Geschlechtsorgane bei den weiblichen Polypen Μάλιστα δὲ ἀδιόριστον ἐπὶ τῶν πολυπόδων ἐστίν, ὥστε δοκεῖν μίαν εἶναι (I 3. 717a5 f.) ἡ γὰρ σχίσις ἄδηλος πληρωθείσης ἐστίν. (III 8. 758a9 f.)

2 Formen des Begründens 2.1 Schlussfolgerungen ,vorwärts‘ ‒ eingeleitet mit ἐπεὶ ἐπεὶ δὲ … δὲ … δὲ …, ἀναγκαῖον (I 2. 716a23 – 27) (drei Prämissen) ὥστ’ ἐπεὶ … ἀνάγκη (I 5. 717b21– 23) (eine wesentliche Prämisse wird nachgeschoben) ἐπεὶ οὖν οὐκ ἔχουσι …, ἀντὶ τούτου … χρῶνται (I 7. 718a29 – 31) (nur eine Prämisse) ἐπεὶ οὖν δεῖ …, τοῦτο δ’ ἀναγκαῖον ἢ … ἢ …, … (I 13. 720a11– 17) (zwei Prämissen) ἐπεὶ δὲ …, ἤτοι αἷμα ἂν εἴη ἢ τὸ ἀνάλογον ἢ ἐκ τούτων τι (726b3 – 5) (Folgerung im Potentialis) ἐπεὶ δ’ …, φανερὸν ὅτι … (I 19. 726b5 – 11) (zwei, z.T. empirische Prämissen) Ἐπεὶ δ’ ἀναγκαῖον …, τοιοῦτον δ’ ὂν ἀναγκαῖον …, … δὲ …, τὸ δὲ θῆλυ ὅτι τοιοῦτον εἴρηται πρότερον, ἀναγκαῖον καὶ … (I 19. 726b30 – 727a1) (vier Prämissen) Ἐπεὶ δὲ …, … δ’ …, φανερὸν ὅτι … (I 19. 727a25 – 28) (zwei Prämissen) ‒ eingeleitet mit εἰ εἰ δή …, κἂν τοῦτο … εἴη (I 4. 717a15 f.) (axiomatische Prämisse im Ind. Präs., Apodosis im Potentialis) εἰ οὖν … ἀνάγκη, καὶ … ἀνάγκη (I 8. 718b21– 24) (triviale Prämisse; eine nichttriviale Prämisse ist aus dem unmittelbar zuvor Gesagten zu ergänzen)

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2.2 nachgeschobene Begründungen (typischerweise mit γάρ angeschlossen) passim

2.3 eine Unmöglichkeit als Grund ἀδύνατον ζῷα γίγνεσθαι πρὸς τῷ ὑποζώματι (I 11. 719a14 f.) ἀδύνατον γὰρ ἐψυγμένους καὶ πεπηγότας ἀνασπᾶσθαι καὶ προΐεσθαι τὴν γονήν (I 12. 719b2– 4) ἀδύνατον γὰρ συνεχῆ τὰ μόρια γίγνεσθαι καὶ ἀπιέναι εἰς ἕνα τόπον συνιόντα. (I 18. 722b26 – 28) ἐπεὶ γὰρ ἀδύνατος ἡ φύσις τοῦ τοιούτου γένους ἀΐδιος εἶναι, καθ’ ὃν ἐνδέχεται τρόπον, κατὰ τοῦτόν ἐστιν ἀΐδιον τὸ γιγνόμενον. ἀριθμῷ μὲν οὖν ἀδύνατον—ἡ γὰρ οὐσία τῶν ὄντων ἐν τῷ καθ’ ἕκαστον· τοιοῦτον δ’ εἴπερ ἦν ἀΐδιον ἂν ἦν—εἴδει δ’ ἐνδέχεται. διὸ γένος ἀεὶ ἀνθρώπων καὶ ζῴων ἐστὶ καὶ φυτῶν. (II 1. 731b31– 732a1) κινεῖν τε γὰρ μὴ ἁπτόμενον ἀδύνατον καὶ μὴ κινοῦντος πάσχειν τι ὑπὸ τούτου (II 1. 734a3 f.) ὅσων γάρ ἐστιν ἀρχῶν ἡ ἐνέργεια σωματική, δῆλον ὅτι ταύτας ἄνευ σώματος ἀδύνατον ὑπάρχειν, οἷον βαδίζειν ἄνευ ποδῶν· ὥστε καὶ θύραθεν εἰσιέναι ἀδύνατον· οὔτε γὰρ αὐτὰς καθ’ αὑτὰς εἰσιέναι οἷόν τε ἀχωρίστους οὔσας οὔτ’ ἐν σώματι εἰσιέναι· τὸ γὰρ σπέρμα περίττωμα μεταβαλλούσης τῆς τροφῆς ἐστιν. λείπεται δὴ τὸν νοῦν μόνον θύραθεν ἐπεισιέναι καὶ θεῖον εἶναι μόνον (II 3. 736b22– 28) ἀδύνατον οὖν ἔσω πολλὰ λαμβάνειν τέλος, διόπερ ἀποτίκτουσιν ἔξω (III 1. 751a28 f.) ἐν ταῖς ὑστέραις γὰρ ἀδύνατον αὐτοῖς λαμβάνειν ὅλην τὴν αὔξησιν διὰ τὴν τῶν ζῴων πολυτοκίαν τούτων (III 4. 755a24 f.) τελεωθῆναι μὲν γὰρ εἰς ζῷον ἀδύνατον (III 7. 757b15) ὥστ’ εἰ θάτερον ἀδύνατον, ἐπιρρεῖν ἐκ τῆς γῆς ὥσπερ ἐν τοῖς ἄλλοις ζῴοις ἐκ τῆς μητρός, ἀναγκαῖον ἐκ μορίου λαμβάνειν τοῦ κυήματος· τὴν δὲ τοιαύτην ἐξ ᾠοῦ λέγομεν εἶναι γένεσιν (III 11. 762b34– 763a2)

2.4 indirekter Beweis (i. d. R. im Irrealis; Herstellung des Widerspruchs typischerweise mit νῦν δέ) εἰ mit Impf.; Apodosis: ἀναγκαῖον [sc. ἦν]; Widerspruch mit νῦν δέ eingeleitet (I 8. 718b9 – 12)

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

‒ in verkürzter Form die zum Widerspruch führende Annahme wird nicht explizit gemacht und ist vom Rezipienten (als Negation der unmittelbar zuvor genannten Behauptung) zu ergänzen; der Beweis setzt also ein mit der Folgerung im Irrealis (Impf. mit ἄν); der Widerspruch (hier: zur Empirie) wird explizit hergestellt mit typischem νῦν δ’ (I 4. 717a17– 19) ‒ kombiniert mit einer vollständigen Fallunterscheidung εἰ γάρ mit Impf.; Fall I) εἰ μέν – ἔδει: Widerspruch zur Voraussetzung (ἐξ ἀρχῆς, 715b9); Fall II) εἰ δ’ – Impf. mit ἄν: Regressus ad infinitum, abschließender Widerspruch zu einem Natur-Axiom (I 1. 715b7– 16)

2.5 Ausschlussverfahren (setzt eine vollständige Fallunterscheidung voraus) εἰ δὴ πᾶν ἡ φύσις ἢ διὰ τὸ ἀναγκαῖον ποιεῖ ἢ διὰ τὸ βέλτιον, κἂν τοῦτο τὸ μόριον εἴη διὰ τούτων θάτερον. … . λείπεται τοίνυν βελτίονός τινος χάριν. (I 4. 717a15 – 21) ᾿Aνάγκη δὴ πᾶν ὃ ἂν λαμβάνωμεν ἐν τῷ σώματι ἢ μέρος εἶναι τῶν κατὰ φύσιν, καὶ τοῦτο ἢ τῶν ἀνομοιομερῶν ἢ τῶν ὁμοιομερῶν, —ἢ τῶν παρὰ φύσιν οἷον φῦμα, ἢ περίττωμα ἢ σύντηγμα ἢ τροφήν. … ἀνάγκη ἄρα περίττωμα εἶναι. (I 18. 724b22– 725a3) ἀλλὰ μὴν περίττωμά γε πᾶν ἢ ἀχρήστου τροφῆς ἐστιν ἢ χρησίμης. … . Χρησίμου ἄρα περιττώματος μέρος τί ἐστι τὸ σπέρμα. (I 18. 725a3 – 12) ζητεῖται δὲ νῦν οὐκ ἐξ οὗ ἀλλ’ ὑφ’ οὗ γίγνεται τὰ μόρια· ἤτοι γὰρ τῶν ἔξωθέν τι ποιεῖ ἢ ἐνυπάρχον τι ἐν τῇ γονῇ καὶ σπέρματι, καὶ τοῦτ’ ἔστιν ἢ μέρος τι ψυχῆς ἢ ψυχή, ἢ ἔχον ἂν εἴη ψυχήν. … αὐτοῦ ἄρα μόριόν ἐστιν ὃ εὐθὺς ἐνυπάρχει ἐν τῷ σπέρματι. εἰ δὲ δὴ μὴ ἔστι τῆς ψυχῆς μηθὲν ὃ μὴ τοῦ σώματός ἐστιν ἔν τινι μορίῳ, καὶ ἔμψυχον ἄν τι εἴη μόριον εὐθύς. (II 1. 733b31– 734a14) ἀναγκαῖον δὲ ἤτοι μὴ … ἢ … ἢ τὰς μὲν τὰς δὲ μή, καὶ … ἢ … ἢ …, ἐν δὲ τῷ ἄρρενι ἢ θύραθεν ἐγγιγνομένας ἁπάσας ἢ μηδεμίαν ἢ τὰς μὲν τὰς δὲ μή. … . λείπεται δὴ τὸν νοῦν μόνον θύραθεν ἐπεισιέναι καὶ θεῖον εἶναι μόνον (II 3. 736b15 – 28) λείπεται δ’, εἴπερ ἐξ ὀχείας γίγνεται, τοὺς βασιλεῖς γεννᾶν συνδυαζομένους (III 10. 759b24 f.) λείπεται δή […] τὰς μελίττας ἄνευ ὀχείας γεννᾶν τοὺς κηφῆνας (III 10. 759b27– 29) λείπεται τοὺς βασιλεῖς καὶ αὑτοὺς γεννᾶν καὶ τὰς μελίττας. (III 10. 760a3 f.) ὥστ’ εἰ θάτερον ἀδύνατον, …, ἀναγκαῖον ἐκ μορίου λαμβάνειν τοῦ κυήματος (III 11. 762b34– 763a2)

Elemente der Argumentation und ihre sprachliche Gestaltung

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2.6 Beweis einer Unmöglichkeit I 11. 719a14– 17 I 18. 722b17/21 I 18. 722b34 f. I 18. 723b14 II 1. 731b33 – 35 II 3. 736b25 f. II 5. 741b2– 5 II 8. 748a3

2.7 Einleitung eines Parallelarguments durch ἔτι (stets am Satzanfang; fast 100 Instanzen in GA, hier bis I 18) zweites bzw. viertes τεκμήριον (für die PGL) (I 17. 721b17; 721b24) Parallelargumente (gegen die PGL) (I 18. 722a7; 722a14; 722a16; 722b3; 722b6; 722b30; 723b3; 723b9; 723b16; 724a1; 724a7) zweiter Grund dafür, dass das Sperma kein μέρος ist (I 18. 724b30) zweiter Grund dafür, dass das Sperma kein σύντηγμα ist (I 18. 725a33) weitere μαρτύρια für die Einordnung des Spermas als Residuum (I 18. 725b12; 725b19; 726a16; 726a21)

C Merkmale epistemischen Schreibens 1 unpersönliche Ausdrücke der Notwendigkeit (zur Betrachtung, Untersuchung etc.), die den Prozess der Erkenntnisgewinnung unterstreichen und Appellcharakter haben können ‒ mit dem Verbaladjektiv auf -τέον σκεπτέον (I 17. 721b3) ἐπισκεπτέον (I 1. 716a1 f.; I 17. 721b11; V 7. 786b11) σκεπτέον ὕστερον (I 18. 723b27) λεκτέον (I 2. 716a2; II 3. 736b14; III 9. 758a28; III 10. 761a13; IV 1. 763b25; V 3. 783b21) ὕστερον … λεκτέον (I 14. 720b8 f.; I 23. 731b14; II 4. 737b25; 740b12; III 1. 749a24; IV 4. 770b3; V 4. 784b2) λεκτέον ὕστερον (II 6. 745a10) θεωρητέον πότερον … (I 17. 721a32 f.) θεωρητέον νῦν (V 1. 778a17) ὕστερον τὴν αἰτίαν θεωρητέον (I 18. 724a6) διοριστέον (I 19. 726a29) ὕστερον διοριστέον μᾶλλον (II 6. 744b36) ῥητέον (IV 7. 775b25) Πειρατέον δὴ ταῦτα λύειν (II 1. 734b4) ληπτέον (I 18. 724b5) ἀνακτέον τὰς αἰτίας (V 1. 778b1) ἀπὸ τῶν πρώτων ἀρκτέον πρῶτον (II 4. 737b25) ‒ δεῖ mit Infinitiv ὑπολαβεῖν δεῖ (I 1. 715a5 f.) δεῖ μὴ λανθάνειν (I 2. 716a10) δεῖ δὲ νοεῖν (I 2.716b3) δεῖ θεωρεῖν (I 4. 717a33 f.) δεῖ … τεθεωρηκέναι (I 11. 719a8 – 10) δεῖ λαβεῖν (II 1. 734b20) διορίσαι δὲ δεῖ (II 3. 736a27 f.) ἔχει τ’ ἀπορίαν πλείστην καὶ δεῖ προθυμεῖσθαι κατὰ δύναμιν λαβεῖν καὶ καθ’ ὅσον ἐνδέχεται. (II 3. 736b6 – 8) κατὰ ταύτην τὴν μέθοδον δεῖ ζητεῖν (II 6. 742b10 f.) δεῖ δὲ ταῦτα θεωρεῖν (II 7. 746a14) δεῖ θεωρεῖν (III 2. 753b17)

Merkmale epistemischen Schreibens

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δεῖ γὰρ ὑπολαβεῖν (III 2. 753b30) δεῖ θεωρεῖν (III 8. 758a24) δεῖ θεωρεῖν (III 10. 761a11) δεῖ … ζητεῖν (III 11. 761b21) δεῖ δὴ λαβεῖν (III 11. 761b26) δεῖ νομίζειν (III 11. 761b33) δεῖ δὴ λαβεῖν (III 11. 762b6) δεῖ δ’ ὅτι μάλιστα προσάγειν ἐκ τῶν ἐνδεχομένων ἐγγὺς τῶν πρώτων αἰτίων. (IV 1. 765b5 f.) τήν γ’ ἀρχὴν ἐντεῦθεν δεῖ λαμβάνειν (IV 3. 767b15) καθόλου δὲ δεῖ λαβεῖν ὑποθέσεις (IV 3. 768b5 f.) αἰτιάσασθαι δεῖ (IV 4. 770a5) ἐν τῇ ὕλῃ τὴν αἰτίαν δεῖ νομίζειν (IV 4. 770a30 f.) τὴν αὐτὴν δεῖ νομίζειν αἰτίαν ἥνπερ καὶ … (IV 4. 772b36 f.) δεῖ νομίζειν (IV 4. 773a9) δεῖ ὑπολαμβάνειν (IV 6. 775a15) αἴτιον δὲ δεῖ νομίζειν (776a10) Περὶ … οὐκέτι τὸν αὐτὸν τρόπον δεῖ νομίζειν εἶναι τῆς αἰτίας. (V 1. 778a29 f.) τὸ αἴτιον ἐν τῇ κινήσει δεῖ καὶ τῇ γενέσει ζητεῖν (V 1. 778b14 f.) δεῖ νομίζειν (V 1. 778b35) Δεῖ δὲ λαβεῖν καθόλου περὶ … διὰ τίν’ αἰτίαν (V 1. 779b12 f.) δεῖ δὲ νοῆσαι (V 4. 784a34) δεῖ ὑπολαβεῖν (V 6. 786a26) τοῖς περὶ γενέσεως λόγοις τὴν αἰτίαν συγγενῆ δεῖ νομίζειν (V 8. 788b8 f.) δεῖ δὲ τοῦτο ποιεῖν· ἀνάγκη γὰρ τὸν λέγοντα καθόλου τι λέγειν περὶ πάντων. (V 8. 788b19 f.)

2 Vorbereitung/Strukturierung der empirischen Faktenlage 2.1 Konstatieren des Bestehens von (erklärungsbedürftigen) Unterschieden (διαφοραί; speziell: ὑπεναντιώσεις), regelmäßig als Ausgangspunkt und Motivation für die Suche nach den Gründen οὐ γὰρ ἐν πᾶσίν ἐστιν, ἀλλά … (I 1. 715a20) οὐχ ὁμοίως πᾶσι τοῖς ἐναίμοις ζῴοις (I 3. 716b14) πολλαὶ γὰρ ὑπεναντιώσεις ὑπάρχουσιν αὐτοῖς. οὔτε γὰρ τὰ ζῳοτοκοῦντα ὁμοίως ἔχει πάντα panta … οὔτε τὰ ᾠοτοκοῦντα (I 8. 718a36-b2) πρῶτον μὲν γὰρ τὰ ᾠοτοκοῦντα ᾠοτοκεῖ διαφερόντως (I 8. 718b5 f.) ἔχει δὲ καὶ τὰ ζῳοτοκοῦντα πρὸς ἄλληλα διαφοράν (I 9. 718b27)

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τῶν δ’ ἄλλων ζῴων τῶν ἀναίμων οὐχ ὁ αὐτὸς τρόπος … οὔτε τοῖς ἐναίμοις οὔθ’ ἑαυτοῖς (I 14. 720b2– 4) οὐ πᾶσι … ἀλλὰ τοῖς αἱματικοῖς, καὶ οὐδὲ τούτοις πᾶσιν ἀλλ’ ὅσων … (I 20. 728a34– 36)

2.2 dihairetische Unterscheidungen τὰ μὲν ἔχει τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν ὥστε τὰ ὁμογενῆ γεννᾶν, τὰ δὲ γεννᾷ μέν, οὐ μέντοι τά γε ὁμογενῆ (I 1. 715a22– 24) ‒ mit zunächst fehlendem zweiten Glied Τῶν δὴ ζῴων τὰ μὲν ἐκ συνδυασμοῦ γίγνεται (I 1. 715a18); dieses erste Glied wird wieder aufgenommen mit: ὡς δὲ κατὰ παντὸς εἰπεῖν, ὅσα μὲν κατὰ τόπον μεταβλητικὰ τῶν ζῴων (I 1. 715a25 – 27), schließlich mit der Entsprechung (als zweites Glied): ὅσα δὲ μὴ πορευτικὰ (I 1. 715b16)

2.3 Abgleich mit etablierten klassifikatorischen Unterscheidungen; Suche nach ko-extensionalen Eigenschaften, als heuristisches Mittel zur induktiven Erschließung von Ursachen ὡς δὲ κατὰ παντὸς εἰπεῖν, ὅσα μὲν κατὰ τόπον μεταβλητικὰ τῶν ζῴων …, ἐν πᾶσι τούτοις ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν (I 1. 715a25 – 30), zusammen mit: ὅσα δὲ μὴ πορευτικὰ … οὐδ’ ἐν τούτοις ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν (I 1. 715b16 – 20) ergibt sich eine 1‒1-Beziehung zwischen ,lokomotorisch‘ und ,zweigeschlechtlich‘ Πάντα δὲ τὰ ζῳοτοκοῦντα ἢ ᾠοτοκοῦντα ἔναιμά ἐστιν, καὶ τὰ ἔναιμα ἢ ζῳοτοκεῖ ἢ ᾠοτοκεῖ, ὅσα μὴ ὅλως ἄγονά ἐστιν. (II 1. 732b8 f.) (explizit hergestellte 1‒1-Beziehung zwischen ,vivi- oder ovipar‘ und ,blutführend (und nicht infertil)‘) ‒ terminus technicus ,ἐπάλλαξις‘ für ‚Überschneidung‘, die eine 1‒1-Beziehung verhindert Συμβαίνει δὲ πολλὴ ἐπάλλαξις τοῖς γένεσιν· οὔτε γὰρ τὰ δίποδα πάντα ζῳοτοκεῖ (οἱ γὰρ ὄρνιθες ᾠοτοκοῦσιν) οὔτ’ ᾠοτοκεῖ πάντα (ὁ γὰρ ἄνθρωπος ζῳοτοκεῖ) οὔτε τὰ τετράποδα πάντα ᾠοτοκεῖ (ἵππος γὰρ καὶ βοῦς καὶ ἄλλα μυρία ζῳοτοκεῖ) οὔτε ζῳοτοκεῖ πάντα (σαῦροι γὰρ καὶ κροκόδειλοι καὶ ἄλλα πολλὰ ᾠοτοκοῦσιν). … (II 1. 732b15 ff.) ‒ mit dem Ergebnis: ταύτῃ μὲν οὖν οὐκ ἔστι διελεῖν (732b26 f.)

Merkmale epistemischen Schreibens

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τὰ δ’ ἄναιμα οὐ πάντα σκωληκοτοκεῖ ἁπλῶς· ἐπαλλάττουσι γὰρ ἀλλήλοις τά τ’ ἔντομα [καὶ] τὰ σκωληκοτοκοῦντα καὶ τὰ ἀτελῆ τίκτοντα τὰ ᾠά (II 1. 733a26 – 28) μόνον δὲ πολυτόκον ὂν ἡ ὗς τελειοτοκεῖ, καὶ ἐπαλλάττει τοῦτο μόνον· πολυτοκεῖ μὲν γὰρ ὡς τὰ πολυσχιδῆ, δίχηλον δ’ ἐστὶ καὶ μώνυχον (IV 6. 774b17– 19)

2.4 lineare Hierarchisierung τὰ τιμιώτερα καὶ αὐταρκέστερα τὴν φύσιν (II 1. 732a17) τὰ τελεώτερα τὴν φύσιν τῶν ζῴων καὶ μετέχοντα καθαρωτέρας ἀρχῆς (II 1. 732b28 f.) τελεώτερα δὲ τὰ θερμότερα τὴν φύσιν καὶ ὑγρότερα (II 1. 732b31) τελεώτερα καὶ θερμότερα τῶν ζῴων (II 1. 733b1) ‒ hierbei wird die Hierarchie als eine natürliche Wohlordnung unterstellt: Δεῖ δὲ νοῆσαι ὡς εὖ καὶ ἐφεξῆς τὴν γένεσιν ἀποδίδωσιν ἡ φύσις. (II 1. 733a32 f.)

2.5 Gegenüberstellung der ,logisch‘-begrifflichen und der empirisch-phänomenologischen Ebene κατὰ μὲν τὸν λόγον … κατὰ δὲ τὴν αἴσθησιν (I 2. 716a18 f.) κατὰ μὲν τὸν λόγον …, —ὅπερ καὶ φαίνεται κατὰ τὴν αἴσθησιν. (I 2. 716a20/a31) κατά τε δὴ τὸν λόγον οὕτω φαίνεται καὶ ἐπὶ τῶν ἔργων (I 21. 729b8 f.)

3 Ausdrücke der Tentativität 3.1 Gebrauch des Potentialis passim s. auch o. unter B 2.1 und u. unter D 1.

3.2 Gebrauch von ὡς mit Partizip ὡς οὐ κατὰ τὸ τυχὸν μόριον οὐδὲ κατὰ τὴν τυχοῦσαν δύναμιν θῆλυ ὂν καὶ ἄρρεν τὸ ζῷον (I 2. 716b8 f.) (suggestiv in Verbindung mit wiederholter Litotes)

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ὡς ἀρχῆς μεταπιπτούσης (I 2. 716b12) (hier eher nicht mehr tentativ, da abschließend gefolgert und festgehalten) ὡς οὐκ ὄντος τοῦ μορίου ἐν τῷ σπέρματι (I 18. 723a34 f.) ὡς στερισκόμενα τὰ σώματα τοῦ ἐκ τῆς τροφῆς γιγνομένου τέλους (I 18. 725b7 f.) ὡς μεθισταμένης εἰς ταῦτα τῆς ἀποκρίσεως (I 19. 727a15) ὡς καὶ ἅμα διισταμένων τῶν τόπων τῶν δεκτικῶν ἑκατέρου τοῦ περιττώματος (I 20. 728b25 f.) ὡς διαφέροντος τῇ φύσει τοῦ σπέρματος ἐν τοῖς φυτοῖς τε καὶ ζῴοις (I 20. 729a3 f.) ὡς οὐκ εἰς τὸ ποσὸν συμβαλλομένου … τοῦ ἄρρενος ἀλλ’ εἰς τὸ ποιόν. (I 21. 730a21– 23) ὡς ὑπὸ τοῦ ἐναντίου παχυνθέν (II 2. 735a36) ὡς μετεχόντων τρόπον τινὰ ζωῆς πρότερον (II 5. 741a22 f.) ὡς τοῦ δέρματος γιγνομένου ἐκ τῆς τοιαύτης γλισχρότητος (II 6. 743b14 f.) ὡς ἐξαναλισκομένου τοῦ περιττώματος καὶ ἅμα … (III 1. 750a34-b1)

3.3 Ausdrücke eines kleinen Vorbehalts bzw. der Vagheit σχεδόν (I 1. 715a6; I 2. 716b6; I 4. 717a21; I 16. 721a17; I 17. 721b13; 721b35; II 1. 732a13; III 1. 750a7; 751a9; III 9. 758a32; III 11. 763a25; IV 6. 774b16; V 1. 780b14; V 3. 781b33) τρόπον τινὰ (I 1. 715a15; II 4. 740a2; II 5. 741a22; III 9. 758a32; 758b2; III 11. 762a21; IV 3. 767b6; 767b7; 769b28; IV 4. 770b16) ἴσως (I 18. 724b7; II 1. 734b5; II 7. 747b27; IV 1. 766a16) ὡς εἰπεῖν (III 2. 753a33; III 11. 761a25; IV 1. 764a25; IV 10. 777b11; V 2. 781b17 f.; V 3. 782a13; V 6. 786a16; V 8. 788b13)

3.4 Ausdrücke der Art ,im großen und ganzen/in der Regel gilt‘ ὡς δὲ κατὰ παντὸς εἰπεῖν (I 1. 715a25 f.) ὡς ἐπὶ τὸ πλεῖστον εἰπεῖν (I 16. 721a13) ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ εἰπεῖν (I 18. 725b17) ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ εἰπεῖν (I 20. 728a3) ὡς ἐπὶ τὸ πᾶν βλέψαντας εἰπεῖν (II 1. 732a20 f.) ὡς ἐπὶ τὸ πλεῖστον εἰπεῖν (V 6. 786a35)

Merkmale epistemischen Schreibens

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3.5 einschränkende Präzisierungen (nachgeschoben, oft redundant – wenn nicht etwa konkrete Ausnahmen angeführt werden) erzeugen den Eindruck wissenschaftlicher Sorgfalt und implizieren, wenn Ausnahmefälle als jeweils einzige angegeben werden, den Anspruch auf Vollständigkeit ἐν ὅσοις γένεσι τῶν ζῴων ἐστὶ τὸ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν (I 1. 715a19 f.) ἔξω ὀλίγων (I 1. 715a20 f.) ὅσα αὐτῶν ἔχει ταύτην τὴν ἐναντίωσιν (I 2. 716b1) πλὴν ἐχίνου (I 5. 717b27) ὅσα ταύτην τὴν ὑγρότητα προΐεται τῶν ζῴων (I 17. 721b5 f.) ἐν ὅσοις μή ἐστι διωρισμένον τὸ ἄρρεν καὶ τὸ θῆλυ χωρίς (I 18. 724b11) ὅσα συνδυάζεσθαι πέφυκε (I 18. 724b13) πλὴν εἴ τι πεπήρωται ἐν τῇ γενέσει οἷον ὀρεύς (I 20. 728b10) ἐν τοῖς ἔχουσιν (II 1. 732a3) ἐν ὅσοις ἐνδέχεται καὶ καθ’ ὅσον ἐνδέχεται (II 1. 732a6 f.) ὅσα μὴ ὅλως ἄγονά ἐστιν (II 1. 732b9) ὅσα ἐκ συνδυασμοῦ γίγνεται (II 1. 733b18 f.) ἐν ὅσοις ἐστὶν αὕτη ἡ διαφορὰ τῶν γιγνομένων (II 4. 737b12) πᾶσι τοῖς ἔχουσιν (II 4. 738b16) πλὴν ἐν τοῖς ἐντόμοις (II 6. 741b30) ὅσα γε τῶν ζῴων ἔχει ὀδόντας καὶ ὀστᾶ (II 6. 745a24) πλὴν ὁ κόκκυξ (III 1. 750a17) πλὴν ἑνὸς ὃν καλοῦσι βάτραχον (III 3. 754a25) πλὴν βατράχου (III 4. 755a9) ὅσων ἐστὶ τὸ μὲν θῆλυ τὸ δ’ ἄρρεν καὶ γίγνονται ἐξ ὀχείας (III 5. 755b5) ἔξω τῶν σελαχῶν (III 5. 755b7) (im Rahmen des Referats einer fremden Ansicht) πλὴν τῶν σελαχῶν (III 5. 755b12) (im Rahmen des Referats einer fremden Ansicht) ἐν ἅπασιν ἔξω δυοῖν, ἐρυθρίνου καὶ χάννης (III 5. 755b20) ἐν ὅσοις γένεσιν αὐτῶν καὶ τὸ ἄρρεν ἐστίν (III 5. 756a20) πλὴν ὑός (IV 4. 771a24) ὅσα προΐεται σπέρμα τῶν ἀρρένων (IV 4. 772a19) ὅσα ζῳοτοκεῖ ἐν αὑτοῖς (IV 8. 776a15) πλὴν ἐλέφαντος (IV 9. 777b3 f.) ὅσων ἀξιόπιστον ἔχομεν τὴν πεῖραν (IV 9. b4 f.) ὅσαπερ ἔχει τρίχας αὐτῶν (V 3. 781b32) ὅσοις συμβαίνει φαλακροῦσθαι (V 3. 783b13) τοῖς ἔχουσιν (V 3. 783b15)

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

3.6 Fehlende Offenlegung wesentlicher Voraussetzungen vgl. o. B 1.2.2

D Merkmale eines kommunikativen Textes 1 Formulierungen aus der Warte eines unabhängigen Dritten (die der Rezipient einnehmen mag) ‒ im Potentialis ἄν τις οὐχ ἥκιστα θείη (I 2. 716a5) τοῦτο δὲ μάλιστ’ ἄν τις πιστεύσειε θεωρῶν (I 2. 716a7) εἴ τις μέλλει θεωρήσειν …, ἀνάγκη λαβεῖν πρῶτον (I 4. 717a13 f.) ἀπορήσειεν ἄν τις (I 6. 718a35) οἷς ἄν τις χρήσαιτο τεκμηρίοις (I 17. 721b13) λάβοι δ’ ἄν τις εἰς τοῦτο μαρτύρια (I 19. 727a31) λάβοι δ’ ἄν τις ἐκ τούτων (I 22. 730b8) ἀπορήσειεν ἄν τις (II 2. 735a29 f.) ἀπορήσειεν ἄν τις (II 2. 735b3 f.) ἂν θείη τις (II 3. 736a32) διαπορήσειεν ἄν τις (II 4. 740a10) ἀπορήσειεν ἄν τις (II 4. 740b2) τις ἀπορήσειεν ἂν (II 5. 741a6 f.) ἀπορήσειεν ἄν τις (II 6. 745a18) ἄν τις μᾶλλον λάβοι τὴν αἰτίαν (II 8. 748a16) τὴν αἰτίαν ἴδοι τις ἂν (III 1. 751a32) ἀπορήσειεν ἄν τις (III 2. 752a24) ᾿Aπορήσειαν ἂν οὖν τις (III 3. 754b20) ἀπορήσειεν ἄν τις (III 7. 757a14) θείη τις ἂν (III 11. 761b13) Ζητήσειε δ’ ἄν τις βουλόμενος ὀρθῶς ζητεῖν (III 11. 762a35) ὑπολάβοι τις ἄν (III 11. 762b29) ἀπορήσειεν ἄν τις (IV 4. 770b30) τοῦτ’ ἄν τις δόξειεν εὐλόγως θαυμάζειν (IV 4. 771a18) τῆς δὲ νῦν ῥηθείσης ἀπορίας μᾶλλον ἄν τις εὐλόγως θαυμάσειεν (IV 4. 771b15 f.) τὸ δ’ αἴτιον ἐκ τῶν νῦν λεχθέντων συνίδοι τις ἄν (IV 4. 772b10 f.) ἄν τις … διορίσειεν (V 7. 787a6)

Merkmale eines kommunikativen Textes

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‒ im Dativ Pl. des Standpunkts bei Verben geistiger Aktivität, der eine Gemeinschaft Forschender suggeriert (der sich der Rezipient anschließen mag) ἐξετάζουσι τὸν λόγον (I 18. 722a1 f.) καθόλου σκοπουμένοις (I 20. 729a23 f.) καθόλου τε γὰρ ἐπισκοποῦσιν (I 21. 729b9) πολὺ διαφέρει σκοποῦσι πρὸς φρόνησιν καὶ πρὸς τὸ τῶν ἀψύχων γένος (I 23. 731a34 f.) συλλογιζομένοις τὰ μὲν ἐκ …, τὰ δ’ ἐκ … (III 10. 759a25 f.) ‒ negativ: τοῖς ἐκ παρόδου θεωροῦσι (III 6. 757a11 f.)

2 Ausdrücke mit Appellcharakter 2.1 Ausdrücke der Notwendigkeit, die zugleich disponierend sein können vgl. o. A 1.

2.2 Ausdrücke der Notwendigkeit, die zugleich auf den Prozess der Erkenntnisgewinnung hinweisen vgl. o. C 1.

3 Verwendung eines ‚integrativen Wir‘ φαμέν (I 18. 724a22; II 4. 738b21; IV 1. 763b23; 766a13; IV 4. 771b21) λέγομεν (I 2. 716a14; I 18. 724a25; II 6. 742a29; III 11. 763a2; IV 1. 766b7) ὁρῶμεν (III 11. 763a5; IV 1. 764b3; IV 10. 777b31; V 8. 788b21) οὔπω πεῖραν ἔχομεν (II 5. 741a37); ὅσων ἀξιόπιστον ἔχομεν τὴν πεῖραν (IV 10. 777b4) ἐνταῦθα μὲν ἡμεῖς τὴν … συμμετρίαν … παρασκευάζομεν (II 6. 743a34) ὑποτιθέμεθα, ἐξ ὧν ὁρῶμεν ὑποτιθέμενοι (V 8. 788b20 f.) εἰ τοῦτο θήσομεν οὕτως ὅτι … (I 18. 723a31 f.) ἡμεῖς δὲ τὸ πρὸς ἅπαντ’ ἰέναι πεφυκὸς σπέρμα ἐροῦμεν (I 18. 725a22 f.) (in Absetzung von οἱ ἀρχαῖοι, a21 f.) ὕστερον ἐροῦμεν (II 4. 737b15; III 6. 756b34 – 757a1; IV 10. 777b8)

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εἴπωμεν (III 9. 758a29) λέγωμεν (V 1. 778b20) πᾶν ὃ ἂν λαμβάνωμεν ἐν τῷ σώματι (I 18. 724b23) τεθεωρήκαμεν (I 18. 723b19; IV 1. 764a35) εἰρήκαμεν τὴν αἰτίαν (IV 4. 771a36; V 1. 779a6) διῃρήκαμεν (II 2. 735b8) (in direkter (rhetorischer) Frage) εἴπομεν (I 2. 716a4; I 18. 723b22; I 22. 730a3; I 23. 731b8; II 6. 743b16; III 3. 754b33) τοῦτο γὰρ οὔπω δῆλον ἡμῖν (I 19. 726b19) πρὸς τὴν αἴσθησιν ἡμῶν (IV 1. 763b28) λίαν ἐστὶν ὑπὲρ ἡμᾶς τὸ λεγόμενον (I 18. 723a22 f.) τοῦτο γὰρ ὑπὲρ ἡμᾶς ἐστι τὸ λεγόμενον (II 8. 747b8)

4 ‚formal-dialektische‘ Elemente 4.1 Häufung von Begriffen aus der Dialektik ‒ exemplarisch für drei ,dialektische‘ Kapitel III 5: οὐκ ἀμφισβητοῦσιν (755b12), ἔδει δ’ … εἴπερ ἦν … νῦν δέ (755b16 – 22), ἀπορία (755b22), εὔλυτος (755b23), τοῦτο οὐχὶ συνεωράκεσαν (755b27), ἄτοπον (755b36), αἴτιον … τῆς ἀγνοίας (756a2), οὐ κατανενοηκότες ἔνια (756a7), κατὰ λόγον (756a15) [wie εὐλόγως], ἀπάτη (756a31), τὸν εὐήθη … λόγον καὶ τεθρυλημένον (756b5 f.), οὐ συνορῶντες (756b8), ἀδύνατον (756b8). III 6: λίαν ἁπλῶς καὶ ἀσκέπτως (756b17 f.); ἐκ συλλογισμοῦ διαψευδόμενοι (756b18 f.) – der Fehler der Gegner: τὸ … μὴ συλλογίζεσθαι (756b27); ἄτοπον (756b29) wie in III 5; φήμη (756b24); δόξα (757a2 u. 757a12); Εὐηθικῶς … καὶ λίαν διεψευσμένοι (757a2 f.); τοῖς ἐκ παρόδου θεωροῦσι (757a11 f.) III 10: ἀπορία (759a8), ἀνάγκη ἤτοι … ἢ … ἤ (759a11– 14; vollständige Fallunterscheidung), ἀδύνατα (759a24 f.), συλλογιζομένοις (759a25), ἔδει (759a27 u. a32; Irrealis, Folgerung im indirekten Beweis), ἔτι δέ (759a33; Parallelargument), εὔλογον/ἄτοπον (759a34/35), οὐδὲ … εὔλογον/οὐδὲ τοὐναντίον εὔλογον (759b1 f./ b5), νῦν δέ (759b7; formelhafte Herstellung eines Widerspruchs), ἀδύνατον (759b14), οὐκ εὔλογον (759b14), κἂν ἐγέννων (759b18; Irrealis, Folgerung im indirekten Beweis), νῦν δέ (759b18; s.o.), λείπεται (759b24; b27; 760a3; Ausschlussverfahren), τὸν αὐτὸν ἀναγκαῖον εἶναι λόγον (759b35), κἂν … ἀναγκαῖον ἦν (760a1; irreale Folgerung), νῦν δέ (760a2; hier Herstellung eines Widerspruchs zur Prämisse der vorausgehenden irrealen Periode), ἔχει ἀνάλογόν πως (760a12), ἀδύνατον (760a17; mit anschließendem indirekten Beweis der Unmöglichkeit), εὔλογον (760b2), εὖ δὲ καί (760b7), ὁμολογούμενον (760b15), εἶχε λόγον (760b17; Irrealis [ohne ἄν], Folgerung im indirekten Beweis), Ἐκ μὲν οὖν τοῦ λόγου/μᾶλλον

Merkmale eines kommunikativen Textes

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τῶν λόγων πιστευτέον/τοῖς λόγοις ἐὰν ὁμολογούμενα δεικνύωσι (760b27– 32), εὐλόγως (761a4).

4.2 εὔλογον: Harmonisierung mit allgemeinen Vernunftgründen εὐλόγως (I 1. 715b7) (es folgt ein Beweis) εὐλόγως (I 1. 715b10) (es folgt ein allgemeines Phänomen als Begründung) εὔλογον (I 17. 721b10) (logischer Zusammenhang bleibt unklar) εὔλογον (I 17. 721b7) (Begründung bleibt unklar) εὔλογον (I 17. 721b25) (viertes gegnerisches Argument) εὐλόγως (I 18. 723a10) (genaue Begründung bleibt offen) εὐλογώτερον (I 18. 725a24) (genaue Begründung bleibt offen) εὔλογον (I 19. 726b14) (Begründung folgt) ὥστ’ εὐλόγως (I 19. 727a36) (qualifizierte Folgerung) Ὥστε φανερὸν ὅτι εὐλόγως (I 20. 728a25) (es folgt noch eine Begründung) ἀλλὰ συμβαίνει ὥσπερ εὔλογον (I 20. 729a9) (stellt eine Übereinstimmung von phänomenaler und theoretischer Ebene heraus); ähnlich: Καὶ ταῦτα πάντα εὐλόγως ἡ φύσις δημιουργεῖ (I 23. 731a24) εὔλογον (II 2. 735a37) (Begründung folgt) οὔτ’ ὦπται τοιοῦτον οὔτ’ εὔλογον (III 8. 758a18) (Übereinstimmung von phänomaler und theoretischer Ebene im Negativen) εὔλογον (III 10. 759a34) (knappe Begründung folgt; Ggs.: ἄτοπον) ᾿Aλλὰ μὴν οὐδὲ … εὔλογον (III 10. 759b2) (Ausscheiden einer weiteren Möglichkeit als nicht ,vernünftig‘, Begründung folgt); ebenso: οὐδὲ τοὐναντίον εὔλογον (III 10. 759b5) καὶ οὐκ εὔλογον μὴ περὶ πᾶν τὸ γένος αὐτῶν ὅμοιόν τι συμβαίνειν πάθος (III 10. 759b14) (bleibt ohne Begründung, wirkt axiomatisch) εὔλογον δὲ καὶ τοῦτο συμβαίνειν (III 10. 760b2) (Übereinstimmung von phänomaler und theoretischer Ebene wird betont, Begründung folgt) εὔλογον (III 11. 762a4) (die Vernünftigkeit der Annahme wird einfach unterstellt) διόπερ εὔλογον (III 11. 762a7) (qualifizierte Folgerung) εὔλογον (III 11. 763a4) – Ggs.: ἧττον δ’ ἔχει λόγον (763a4) (beides wird begründet) εὐλόγως ἡμάρτανε (IV 1. 764a37) (über Empedokles; Ggs.: ἄτοπον) εὔλογον (IV 1. 764b31) (Begründung folgt; εὔλογον wirkt redundant) τοῦτ’ ἄν τις δόξειεν εὐλόγως θαυμάζειν (IV 4. 771a18) (Begründung für die ‚Berechtigung‘ des Erstaunens folgt); ähnlich: μᾶλλον ἄν τις εὐλόγως θαυμάσειεν (IV 4. 771b16) εὔλογον (IV 4. 771a25) (das Argument scheint nur auf den ersten Blick ‚vernünf-

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tig‘, es klingt plausibel) εὔλογον γὰρ (IV 4. 771a25) (εὔλογον wirkt redundant; es hat etwas ‚Heuristisches‘) εὔλογον (IV 10. 777a34) (das Argument klingt plausibel und suggestiv, auch durch das Polyptoton χρονιωτέρων … χρονιωτέρας) Εὐλόγως (IV 10. 777b16) (Aussage wirkt axiomatisch, ihre Suggestivität wird gesteigert durch eine Personifizierung) εὔλογον (V 1. 778b26) (plausible, aber nicht zwingende Annahme – hat wieder etwas Heuristisches) ὥστ’ ἄν τις ἀναλογίσηται ὅτι …, εὐλόγως ἂν δόξειε (V 3. 783b35) (wirkt ausgesprochen heuristisch) εὐλόγως (V 6. 786a35) (Begründung folgt, mit redundant wiederholtem εὐλόγως, 786b2) εὐλόγως (V 6. 786b2) (εὐλόγως wirkt redundant, appelliert an den Rezipienten, den hergestellten logischen Zusammenhang als berechtigt zu empfinden) ‒ ähnlich: κατὰ λόγον (I 8. 718b5; III 5. 756a15; III 9. 758b28; III 11. 762a2)

4.3 Einführung eines imaginären Gesprächspartners vgl. o. D 1.

4.4 Anführen von Parallelargumenten vgl. o. B 2.7

5 Übernahme allgemein bzw. in Fachkreisen etablierter (i. d. R. empiriebasierter) Terminologie ‒ in der Biologie, explizit mit Formen des Pt. καλούμενos τὰ καλούμενα στοιχεῖα τῶν σωμάτων) (I 1. 715a11) αἱ καλούμεναι ὑστέραι (I 2. 716a32 f.) τὰ καλούμενα τούτων ᾠά (I 3. 717a4 f.) τὴν καλουμένην ὀσχέαν (I 12. 719b5) τῶν καλουμένων καταμηνίων (I 17. 721b4 f.) τῶν καλουμένων ψυλλῶν (I 18. 723b4)

Merkmale eines kommunikativen Textes

τῶν καλουμένων καταμηνίων (I 19. 727a1) τῶν καλουμένων καταμηνίων (I 19. 727b11) τὰ καλούμενα ὑπηνέμια ᾠά (I 21. 730a32) τὰ καλούμενα σπέρματα (I 23. 731a4) τὰ σελάχη καλούμενα (I 23. 732b1) τὰ μαλάκια καλούμενα (I 23. 732b7) ἡ γὰρ χρυσαλλὶς καλουμένη (II 1. 733b14) ὥσπερ ἐν τοῖς καλουμένοις Ὀρφέως ἔπεσιν (II 1. 734a19) τῶν καλουμένων στοιχείων (II 3. 736b31) τὸ καλούμενον θερμόν (II 3. 736b34) ὁ καλούμενος νοῦς (II 3. 737a10) τὰς καλουμένας φλέβας (II 4. 738a9) ὁ καλούμενος ὀμφαλός (II 4. 740a30) ὁ καλούμενος ὀμφαλὸς (II 4. 740a32) [secl. Bekker] τῶν γὰρ καλουμένων ἐρυθρίνων (II 5. 741a35) ἡ καλουμένη γραῦς (II 6. 743b7) τὰς καλουμένας κοτυληδόνας (II 7. 745b33) οἱ ῥινοβάται καλούμενοι (II 7. 746b6) ὁ καλούμενος βάτραχος (III 1. 749a23) τὴν καλουμένην λέκιθον (III 1. 751b14) τὸ καλούμενον γάλα (III 2. 752b23) τὰ καλούμενα οὔρια (III 2. 753a22) τὰ δὲ καλούμενα σελάχη (III 3. 754a23) ἡ καλουμένη βελόνη (III 4. 755a33) αἱ καλούμεναι ὑπό τινων χρυσαλλίδες (III 9. 758b31) αἱ καλούμεναι νύμφαι (III 9. 758b33) τῶν καλουμένων βασιλέων καὶ ἡγεμόνων (III 10. 759a21) αἱ μῆτραι καλούμεναι (III 10. 761a6) τὰ δὲ καλούμενα γῆς ἔντερα (III 11. 762b26) τὴν καλουμένην κεφαλήν (III 11.763a23) τὰ καλούμενα λιμνόστρεα τῶν ὀστρακηρῶν (III 11. 763a30) τὰ καλούμενα λιμνόστρεα (III 11. 763b12) τὸ νόσημα τὸ καλούμενον σατυριᾶν (IV 3. 768b34) τὰ μετάχοιρα καλούμενα (IV 4. 770b8) παραπλήσια τοῖς καλουμένοις ἐκτρώμασιν (IV 5. 773b18) τῆς καλουμένης μύλης (IV 7. 775b25) ἡ καλουμένη μύλη (IV 7. 776a13) ὁ καλούμενος ὀμφαλός (IV 8. 777a26) τὰ καλούμενα ἐνύπνια (V 1. 779a14)

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οἱ δὲ νυκτάλωπες καλούμενοι (V 1. 780a16) ἐπὶ τῇ κόρῃ καλουμένῃ (V 1. 780a27) ἐν γὰρ τῇ καλουμένῃ λεύκῃ (V 4. 784a26) ἡ καλουμένη πολιά (V 4. 784b12) αἱ καλούμεναι θρᾷτται (V 6. 785b23) τὰς καλουμένας λαιάς (V 7. 787b25) ‒ technische Ausdrücke aus Physik und Mathematik κατὰ τόπον μεταβλητικὰ (I 1. 715a26) (vgl. Metaph. XII 2. 1069b9 – 14: vier Formen der μεταβολή), Metaph. XII 12, 1068a8 – 10: drei Formen der κίνησις, u. Ph. VIII 7. 260a26 – 29: drei Formen der ἀλλοίωσις) μεθεστηκότα κατὰ τόπον (IV 4. 771a8) τῇ θέσει κεῖσθαι (I 5. 717b18) κεῖνται δὲ καὶ τῇ θέσει ὑπεναντίως (I 12. 719b17 f.) τοῦ γὰρ πλήθους ἡ φύσις ἀφελοῦσα προσέθηκε πρὸς τὸ μέγεθος (III 4. 755a34 f.) (diskrete vs. kontinuierliche Quantität) αὐτῶν δ’ ἐπεὶ τοῦ πλήθους ἀφεῖλε, τὸ μέγεθος αὐτοῖς ἀπέδωκεν ἡ φύσις. (III 10. 760b26 f.) (diskrete vs. kontinuierliche Quantität) εἰ μὲν διεσπασμένα τὰ μέρη ἐν τῷ σπέρματι πῶς ζῇ; εἰ δὲ συνεχῆ (I 18. 722b3 f.) (Gegensatz ,diskret‒kontinuierlich‘, ,diskret‘ in Empedokleischer Begrifflichkeit) τὸ μὲν περιφερὲς ἔχουσαι πρὸς τὴν ὑστέραν τὸ δὲ κοῖλον πρὸς τὸ ἔμβρυον (II 7. 745b33f.) (Gegensatz ,konvex‒konkav’) ‒ Ausdrucksweise der platonischen Akademie διὰ τὸ ἀμφοτέρων μετέχειν τῶν εἰδῶν (I 11. 719a6 f.) ἀμφοτέρων μετειλήφασιν (I 11. 719a12) διὰ τὸ μετειληφέναι ἀμφοτέρων (I 13. 720a18) τὸ δὲ μὴ ἀΐδιον ἐνδεχόμενόν ἐστι καὶ εἶναι καὶ μεταλαμβάνειν καὶ τοῦ χείρονος καὶ τοῦ βελτίονος (II 1. 731b27 f.) Κατὰ μὲν οὖν τὸ μετέχειν τοῦ θήλεος καὶ τοῦ ἄρρενος ζῇ (διὸ καὶ τὰ φυτὰ μετέχει ζωῆς) (II 1. 732a11 f.) ζῳοτοκεῖ μὲν τὰ τελεώτερα τὴν φύσιν τῶν ζῴων καὶ μετέχοντα καθαρωτέρας ἀρχῆς (II 1. 732b28 f.) περὶ νοῦ, πότε καὶ πῶς μεταλαμβάνει καὶ πόθεν τὰ μετέχοντα ταύτης τῆς ἀρχῆς (II 3. 736b5 f.) κατὰ τὸν εἰρημένον τρόπον μετέχειν τῆς ὁμοιότητος τοῖς φυτοῖς (III 11. 761b34 f.)

Merkmale eines kommunikativen Textes

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6 Bezugnahmen auf fremde Ansichten 6.1 ‒ nicht namentlich genannter Personen nicht näher spezifizierter Zugehörigkeit νομίζουσιν/προσαγορεύουσιν (I 2. 716a16 f.) δοκεῖ δὲ + AcI (I 17. 721b6) λέγουσιν/νομίζουσιν (II 6. 742b19) ὥς τινές φασι (I 10. 718b35 f.) ὡς λέγουσιν οἱ φάσκοντες οὕτω (I 18. 723a3) τοῖς δὲ ταῦτα μὲν μὴ λέγουσιν ἀπὸ παντὸς δ’ ἀπιέναι φάσκουσι (I 18. 723a12) ὡς δέ τινες λέγουσι (II 4. 739b14) καθάπερ οἴονταί τινες (II 4. 739b11) τοῖς λέγουσι (II 4. 739b16) ὅσοι λέγουσιν (II 4. 740a13) ὥς τινες λαμβάνουσιν (II 4. 740b13) Οἱ δὲ λέγοντες … οὐκ ὀρθῶς λέγουσιν (II 7. 746a19 f.) τοῖς ἐκείνως λέγουσι (III 5. 756a2) οἱ λέγοντες (III 5. 756a6) εἰσὶ γάρ τινες οἳ λέγουσι (III 6. 756b14) καὶ γὰρ τοῦτο λέγουσί τινες (III 10. 759a15) τοῖς ἐκείνως λέγουσιν (IV 1. 764a24 f.) τινες … λέγουσιν (IV 1. 765a22) οἱ τὸν λειπόμενον τρόπον λέγοντες … λέγουσιν (IV 3. 769a26 – 28) δοκεῖν (I 17. 721b6; II 4. 739a22) φασί [τινες] (I 10. 718b36; I 17. 721b11; 721b19; 723b28; I 19. 727b7; II 4. 737b31; II 6. 742a1; II 8. 747b25; III 5. 755b7; 755b23; III 6. 757a3; III 10. 759a12; 759a22; 759b10; 759b20; 760a2; III 11. 762b30; IV 1. 763b30; 765a8; 765a26; 769b14; IV 7. 776a2; V 1. 781a3; V 7. 786b28) ἔνιοι μὲν γάρ φασιν (IV 3. 769a9) εἰσὶ γάρ τινες οἵ φασι (IV 3. 769a28) Formen von πιστεύειν (I 17. 722a1) Formen von φάσκειν (I 18. 722b25; 723a3; 723a12; III 8. 758a1) Formen von ὑπολαμβάνειν (II 4. 740b13; III 5. 755b23; IV 1. 765b22; V 7. 788a10)

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6.2 ‒ nicht namentlich genannter Personen, die einer bestimmten Gruppe angehören οἱ ἀρχαῖοι (I 18. 724b34 f.; 725a21; II 2. 736a18 ff.) οἱ δ’ ἀρχαῖοι φυσιολόγοι (V 1. 778b7) Τῶν δ’ ἀρχαίων τινὲς φυσιολόγων (II 6. 742a16) Εἰρήκασι δέ τινες τῶν φυσιολόγων καὶ ἕτεροι (IV 3. 769a6 f.) τινες τῶν φυσικῶν (II 5. 741b10) καθάπερ τινὲς τῶν φυσικῶν φασιν (II 6. 741b38 – 742b1) ᾗ φασιν … οἱ ἁλιεῖς (I 15. 720b33 f.) φασὶ δὲ καὶ οἱ νομεῖς (IV 2. 767a8)

6.3 ‒ nicht namentlich genannter Personen in Verbindung mit namentlich genannten ὅσοι λέγουσιν, ὥσπερ Δημόκριτος, (II 4. 740a13 f.) οἱ λέγοντες οὕτως ὥσπερ Δημόκριτος (II 7. 746a28) καὶ ᾿Aναξαγόρας καὶ τῶν ἄλλων τινὲς φυσικῶν λέγουσι (III 6. 756b16 f.) οἷον ᾿Aναξαγόρας καὶ ἕτεροι τῶν φυσιολόγων (IV 1. 763b31) οἱ μὲν γὰρ ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς λέγοντες ἢ Δημόκριτος (IV 3. 769a17 f.) καὶ οἱ ἁλιεῖς περὶ τῆς κυήσεως τῶν ἰχθύων τὸν εὐήθη λέγουσι λόγον καὶ τεθρυλημένον ὅνπερ καὶ Ἡρόδοτος ὁ μυθολόγος (III 5. 756b5 – 7)

6.4 ‒ namentlich genannter Personen ᾿Aναξαγόρας I 17. 723a7; 723a10; III 6. 756b16; III 11. 763b31 (Anaxagoras) Ἐμπεδοκλῆς I 18. 722b8; 722b19; 723a24; I 23. 731a4; II 8. 747a26; 747a34; IV 1. (Empedokles) 764a2; 764a12; 764b17; 765a6; 765a9; IV 3. 769a17; IV 8. 777a8; V 1. 779b16 Ἐπίχαρμος I 18. 724a28 (Epicharm) Κτησίας II 2. 736a2– 5 (Ktesias) Ἡρόδοτος II 2. 736a10 – 13; III 5. 756b6 (Herodot)

Merkmale eines kommunikativen Textes

Δημόκριτος (Demokrit) Orpheus

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II 4. 740a13; 740a36; II 6. 742b20; II 7. 746a28; II 8. 747a26; 747a27; 747a29; IV 1. 764a6; 764a21; 764b14; 765a6; IV 3. 769a18; IV 4. 769b30; V 8. 788b10; 789b2 II 1. 734a19 (Dichterzitat ersetzt theoretische Erklärung)

6.5 Integration mythischer Sichtweisen διὸ καὶ ἐν τῷ ὅλῳ τὴν τῆς γῆς φύσιν ὡς θῆλυ καὶ μητέρα νομίζουσιν, οὐρανὸν δὲ καὶ ἥλιον ἤ τι τῶν ἄλλων τῶν τοιούτων ὡς γεννῶντας καὶ πατέρας προσαγορεύουσιν (I 2. 716a15 – 17) Ἔοικε δὲ οὐδὲ τοὺς ἀρχαίους λανθάνειν ἀφρώδης ἡ τοῦ σπέρματος οὖσα φύσις· τὴν γοῦν κυρίαν θεὸν τῆς μίξεως ἀπὸ τῆς δυνάμεως ταύτης προσηγόρευσαν. (II 2. 736a18 – 21) διὸ καὶ περὶ τῆς τῶν ἀνθρώπων καὶ τετραπόδων γενέσεως ὑπολάβοι τις ἄν, εἴπερ ἐγίγνοντό ποτε γηγενεῖς ὥσπερ φασί τινες, … (III 11. 762b28 – 30)

7 Vergleiche und Analogien (zu Vergleichen als heuristischen Mitteln vgl. C) ‒ Vergleiche ⁴ πᾶσι … διμερεῖς καθάπερ … δύο πᾶσιν (I 3. 716b32 f.) ὥσπερ τῶν φυτῶν (I 4. 717a22) ὥσπερ γὰρ ἐπὶ τῶν ἀνθρώπων καὶ …, τοῦτο δ’ ἐκείνοις [sc. τοῖς ἰχθύσι] συμβαίνει (I 6. 718a2 – 5) τοῖς δ’ ἰχθύσι τοιοῦτος ὁ πόρος πᾶς …, οἷος ἐπὶ τῶν ἀνθρώπων … (I 6. 718a14– 17) ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν ἄλλων τῶν ἀνάλογον τούτοις ἐχόντων τὴν φύσιν, καὶ ἐν φυτοῖς καὶ ἐν ζῴοις (I 8. 718b13 f.) (ohne konkreten Bezugspunkt zu den kleinen Fischen) τὸν αὐτὸν τρόπον … ὅνπερ ἐν τοῖς ὀρνιθίοις (I 11. 719a2 f.) καθάπερ καὶ ἐν τοῖς ἐξ ἀρχῆς εὐθὺς ζῳοτοκοῦσιν (I 11. 719a4 f.) καθάπερ καὶ οἱ ᾠοτοκοῦντες τῶν… (I 15. 720b24) καθάπερ ἐπὶ τῶν ἐναίμων (I 16. 721a3 f.) οἷον τοῖς γραφεῦσι τοῦ ἀνδρεικέλου πολλάκις περιγίγνεται ὅμοιον τῷ ἀναλωθέντι. (I 19. 725a25 – 27) ὅμοιον δὲ καὶ τὸ περὶ τὰς τραγώσας ἀμπέλους πάθος αἳ … (I 19. 725b34 f.)

 Eine genaue Analyse der Vergleiche und Analogien und ihrer Funktionen in GA müsste im Rahmen einer eigenen Untersuchung erfolgen.

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

ὡς καὶ ἀπὸ τῆς ἰατρικῆς ὁ ὑγιασθείς (I 21. 729b21 f.) ‒ tentativer Vergleich ὥσπερ ἄρρεν ἄγονον (I 20. 728a18) ὥσπερ ἄρρεν ἐστὶ πεπηρωμένον (II 3. 737a28) ‒ modellbildender Vergleich καθάπερ τὰς λαιὰς … (I 4. 717a35 f.) (Webgewichte ‒ Hodenfunktion) οἷον ἐν τῇ τοῦ γάλακτος πήξει τὸ μὲν σῶμα τὸ γάλα ἐστίν, ὁ δὲ ὀπὸς ἢ ἡ πυετία τὸ τὴν ἀρχὴν ἔχον τὴν συνιστᾶσαν, οὕτω … (I 20. 729a11– 14) ὥσπερ οὐδὲ τὸν ὀπὸν τὸν τὸ γάλα συνιστάντα (II 3. 737a14) παραπλήσιον ποιούσης ὥσπερ ἐπὶ τοῦ γάλακτος τῆς πυετίας (II 4. 739b21– 24) Begrenztheit dieses Vergleichs: τὸ δ’ ἐπὶ τοῦ γάλακτος παράδειγμα λεχθὲν οὐχ ὅμοιόν ἐστιν· ἡ μὲν γὰρ τοῦ σπέρματος θερμότης οὐ μόνον συνίστησι ποσὸν ἀλλὰ καὶ ποιόν τι, ἡ δ’ ἐν τῷ ὀπῷ καὶ τῇ πυετίᾳ τὸ ποσὸν μόνον, IV 4. 772a22 – 25) ἀλλ’ ἢ οὕτως ὡς ἐκ τοῦ τέκτονος καὶ ξύλου ἡ κλίνη ἢ ὡς ἐκ τοῦ κηροῦ καὶ τοῦ εἴδους ἡ σφαῖρα. (I 21. 729b16 – 18) καὶ γὰρ πρὸς τῷ ξύλῳ ὁ τέκτων καὶ πρὸς τῷ πηλῷ ὁ κεραμεύς, καὶ ὅλως πᾶσα ἡ ἐργασία καὶ ἡ κίνησις ἡ ἐσχάτη πρὸς τῇ ὕλῃ οἷον ἡ οἰκοδόμησις ἐν τοῖς οἰκοδομουμένοις (I 22. 730b5 – 8) (explizite Anregung zur Modellbildung: λάβοι δ’ ἄν τις ἐκ τούτων καὶ τὸ ἄρρεν πῶς συμβάλλεται πρὸς τὴν γένεσιν, 730b8 f.) οἷον τὰ αὐτόματα τῶν θαυμάτων (II 1. 734b10) ὥσπερ ἡ οἰκοδόμησις τὴν οἰκίαν (II 1. 734b16 f.) καὶ ὥσπερ οὐδ’ ἂν πέλεκυν οὐδ’ ἄλλο ὄργανον φήσαιμεν ἂν ποιῆσα τὸ πῦρ μόνον οὕτως οὐδὲ … (II 1. 734b28 – 30) ὥσπερ καὶ ἐπὶ τῶν γιγνομένων κατὰ τέχνην· σκληρὸν μὲν γὰρ καὶ μαλακὸν τὸν σίδηρον ποιεῖ τὸ θερμὸν καὶ τὸ ψυχρόν, ἀλλὰ ξίφος ἡ κίνησις ἡ τῶν ὀργάνων ἔχουσα λόγον [τὸν] τῆς τέχνης. (II 1. 734b36 – 735a2) (mit Erklärung der Differenz technē/physis: ἡ γὰρ τέχνη ἀρχὴ καὶ εἶδος τοῦ γιγνομένου, ἀλλ’ ἐν ἑτέρῳ· ἡ δὲ τῆς φύσεως κίνησις ἐν αὐτῷ ἀφ’ ἑτέρας οὖσα φύσεως τῆς ἐχούσης τὸ εἶδος ἐνεργείᾳ, 735a2– 4) οἷον καὶ ὁ ἀφρὸς γίγνεται παχύτερος καὶ λευκός (II 2. 735b10 f.) (Sperma als Schaum) ὥσπερ ἐν τῷ ἀφρῷ καὶ τῇ χιόνι· καὶ γὰρ ἡ χιών ἐστιν ἀφρός. (II 2. 735b20 f.) ὥσπερ ὁ καθεύδων γεωμέτρης τοῦ ἐγρηγορότος πορρωτέρω καὶ οὗτος τοῦ θεωροῦντος (II 1. 735a10 f.) (vgl. De an. II 5. 417a22 ff.) καθάπερ τὰ κωνικὰ τῶν ἀγγείων (II 4. 739b11 f.)

Merkmale eines kommunikativen Textes

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ὥσπερ δὲ τὰ ὑπὸ τῆς τέχνης γιγνόμενα γίγνεται διὰ τῶν ὀργάνων—ἔστι δ’ ἀληθέστερον εἰπεῖν διὰ τῆς κινήσεως αὐτῶν· αὕτη δ’ ἐστὶν ἡ ἐνέργεια τῆς τέχνης, ἡ δὲ τέχνη μορφὴ τῶν γιγνομένων ἐν ἄλλῳ—οὕτως … (II 4. 740b25 – 34) ὡσπερανεὶ παρ’ ὀχετὸν τὴν φλέβα ῥέουσαν (II 7. 746a17) ‒ Analogieschlüsse ὥσπερ οὐδ’ ἐν ἐκείνοις οὐδ’ ἐν τούτοις (I 1. 715b18 – 21) (Pflanzen ‒ nicht-lokomotorische Tiere) ὥσπερ … οὕτω καὶ / ὥσπερ ἐκεῖ … καὶ ἐνταῦθ’ ] (I 4. 717a23 – 26 bzw. a27 f.) (Tiere mit geradem Darmrohr ‒ Tiere ohne Hoden, nur mit (geraden) Samengängen, bzw. solche mit innenliegenden Hoden)

8 Beispiele und Exempla ‒ Beispiele ⁵ οἷον συμβαίνει περί τὴν συκῆν καὶ τὸν ἐρινεόν. (I 1. 715b24 f.) ταῦτα συνίσταται καὶ παχύνεται ἑψόμενα οἷον καὶ τὸ γάλα. (II 2. 735b1 f.) λέγω δ’ οἷον οὐχ ἡ καρδία γενομένη ποιεῖ τὸ ἧπαρ, τοῦτο δ’ ἕτερόν τι, ἀλλὰ τόδε μετὰ τόδε, ὥσπερ μετὰ τὸ παῖς ἀνὴρ γίγνεται ἀλλ’ οὐχ ὑπ’ ἐκείνου. (II 1. 734a27– 29) οἷον ἐπὶ περδίκων καὶ ἀλεκτορίδων (II 7. 746b1 f.) οἷον τοῖς τηθύοις (III 11. 763b14) ‒ Exempla καὶ ἤδη ταῦρός τις μετὰ τὴν ἐκτομὴν εὐθέως ὀχεύσας ἐπλήρωσε διὰ τὸ μήπω τοὺς πόρους ἀνεσπάσθαι. (I 4. 717b3 f.) οἷον καὶ ἐν Ἤλιδι ἡ τῷ Αἰθίοπι συγγενομένη· οὐ γὰρ ἡ θυγάτηρ ἐγένετο ἀλλ’ ὁ ἐκ ταύτης Αἰθίοψ. (I 20. 729a9 – 11) οἷον περὶ Ῥόδον παραβαλόντος ναυτικοῦ στόλου καὶ ἐκβληθέντων κεραμίων εἰς τὴν θάλατταν, χρόνου γενομένου καὶ βορβόρου περὶ αὐτὰ συναλισθέντος ὄστρεα εὑρίσκοντ’ ἐν αὐτοῖς (III 11. 763a30 – 33) ἤδη γὰρ συνέβη τινὶ γυναικὶ συγγενομένῃ τῷ ἀνδρὶ καὶ δοξάσῃ συλλαβεῖν, τὸ μὲν πρῶτον … (IV 7. 775b27– 33)

 Als „Beispiele“ bezeichnen wir hier Verweise auf spezielle empirisch beobachtbare Fälle, als „Exempla“ narrative Elemente, die singuläre Geschehnisse wiedergeben.

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

9 Emotion ausdrückende und emotionalisierende Ausdrücke 9.1 explizite negative Wertungen ἄτοπος (I 19. 727b26; II 2. 735a32; III 5. 755b36; III 6. 756b29; III 10. 759a35; IV 1. 764b1; 764b27) καὶ ἄλλως δ’ ἄτοπος καὶ πλασματίας ὁ λόγος (II 1. 734a33) (verbunden mit einer Praeteritio)

9.2 Polemik gegen Anaxagoras gegen Demokrit gegen Empedokles gegen Herodotos gegen Hippokratiker gegen Ktesias gegen Orpheus

III 6. 756b16 ff.: λίαν ἁπλῶς καὶ ἀσκέπτως, 756b27– 29: ἄτοπον II 4. 740a13 – 15 IV 1. 764a17– 20; 764a36 f-b3 II 2. 736a10 ff.: Ἡρόδοτος γὰρ οὐκ ἀληθῆ λέγει … καὶ ταῦτ’ ὁρῶν II 4. 737b30 (nach Peck: Peri archaiēs iētrikēs); II 4. 740b8 II 2. 736a4 f.: φανερός ἐστιν ἐψευσμένος II 1. 734a33

9.3 Ironie καθάπερ Ἐμπεδοκλῆς γεννᾷ ἐπὶ τῆς Φιλότητος λέγων· ᾗ πολλαὶ μὲν κόρσαι ἀναύχενες ἐβλάστησαν (I 18. 722b19 f.) λίαν ἐστὶν ὑπὲρ ἡμᾶς τὸ λεγόμενον (I 18. 723a21– 23) τοῦτο γὰρ ὑπὲρ ἡμᾶς ἐστι τὸ λεγόμενον (II 8. 747b8)

E Stilmittel 1 schlagwortartiger Satzanfang (und Beginn eines Abschnitts) Τῶν δὴ ζῴων (I 1. 715a18) (globale, das gesamte Tierreich umfassende Perspektive) Τὸ δ’ ἄρρεν καὶ τὸ θῆλυ (I 2. 716a17 f.) Τῶν δ’ ἄλλων ζῴων τῶν ἀναίμων (I 14. 720b2) Τὰ δὲ μαλακόστρακα (I 14. 720b9)

Stilmittel

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Τὰ δὲ μαλάκια (I 15. 720b15) Τῶν δ’ ἐντόμων (I 16. 721a2) Τὸ δὲ θῆλυ καὶ τὸ ἄρρεν (II 1. 731b18) (die beiden Geschlechter als ἀρχαὶ γενέσεως, unter Rückbezug auf I 2)

2 Dopplung mit umfassend-globalem Aspekt ‒ methodisch umfassend, unter metatextlichem Rückbezug καὶ κοινῇ καὶ καθ’ ἕκαστον γένος περὶ τῶν ἰδίων χωρίς (I 1. 715a2) καὶ κοινῇ καὶ χωρὶς περὶ πάντων (IV 1. 763b20) καὶ χωρὶς περὶ ἑκάστου καὶ κοινῇ περὶ πάντων (IV 10. 778a11 f.) ‒ den gesamten Bereich des Lebendigen umfassend καὶ ἐν φυτοῖς καὶ ἐν ζῴοις (I 8. 718b14) τὰ ζῷα καὶ τὰ φυτὰ (I 18. 725a19) καὶ ζῴοις καὶ φυτοῖς (I 18. 725b26) ἐν τοῖς φυτοῖς τε καὶ ζῴοις (I 20. 729a4) καὶ ἐν αὐτοῖς τοῖς ζῴοις καὶ τοῖς φυτοῖς (II 4. 740b30) καὶ ἐν φυτοῖς καὶ ἐν ζῴοις πᾶσιν (II 4. 741a1 f.) πᾶσιν ὁμοίως ζῴοις τε καὶ φυτοῖς (II 5. 741a25 f.) τὰ ζῷα καὶ τὰ φυτὰ (III 11. 762a19) καὶ ζῴων καὶ φυτῶν (IV 1. 763b23 f.) ‒ dreigliedrig: ἀνθρώπων καὶ ζῴων … καὶ φυτῶν (II 1. 732a1)

3 Häufung bestimmter Begriffe ‒ Häufung (positiv und negativ) wertender Begriffe βέλτιον (7 mal)/ἀΐδιον (4 mal)/θεῖον, θειότερον (4 mal)/καλὸν/κρεῖττον vs. μὴ ἀΐδιον/χεῖρον (II 1. 731b22– 732a11) ‒ Häufung von Negativbegriffen ἄλογον/ἄτοπον/ἀδύνατον (II 1. 734a3 – 10) ‒ Häufung von Verneinungen οὔτε γὰρ μὴ … οὔτε μὴ …, οὔτε (I 18. 722b22 f.) ‒ Häufung von Verben des Sagens und Meinens

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Katalog charakteristischer Elemente aristotelischen Schreibens

I 18. 723a1– 23 (8 Formen von λέγω oder φημί) IV 1. 763b30 – 764a8 (3 Formen von φημί) IV 1. 764a20 – 26 (5 Formen von λέγω)

4 Litotes οὐχ ἥκιστα (I 2. 716a5) οὐ κατὰ τὸ τυχὸν … οὐδὲ κατὰ τὴν τυχοῦσαν … (I 2. 716b8 f.) οὐθὲν ἄλογον (I 18. 724a9) οὐκ ἔστιν ἀόριστος (IV 4. 772a3)

5 Polyptoton (i. w. S.) ἐκ τούτου μὲν …, τοῦτο δὲ πῶς … (I 2. 716a8 f.) ἔλεγον λεκτέον (I 18. 725a21) τίς …· διὰ τί δέ … (II 1. 731b19 f.) πεφυκός … πέφυκε … πέφυκεν (II 6. 743a22 f.) γενόμενα· γίγνονται γάρ, (II 7. 746b35 – 747a1) οἱ λέγοντες … λέγουσιν οὕτως (III 4. 756a5 – 7) τὰ γὰρ ἄρρενα τῶν ἀρρένων καὶ τὰ θήλεα τῶν θηλειῶν (III 7. 757a20 f.) λεκτέον … λέγουσιν … λέγειν (IV 1. 764a24 f.) θήλεά τε θήλεσι καὶ ἄρρενα ἄρρεσι (IV 3. 769a2 f.) αἴτιον δ’ αὐτὸ τὸ θαυμαζόμενον τοῦ μὴ θαυμάζειν (IV 4. 771a26 f.) τῶν γὰρ χρονιωτέρων … χρονιωτέρας (IV 10. 777a33 f.)

6 Praeteritio καὶ ἄλλως δ’ ἄτοπος καὶ πλασματίας ὁ λόγος (II 1. 734a33) πρὸς γὰρ πολλαῖς ἄλλαις αἷς ὁ λόγος οὗτος ἔχει δυσχερείαις (II 4. 740b15) ἄλλος ἂν εἴη λόγος (III 11. 761b23) εἰ δὲ καλῶς ἢ μὴ καλῶς ἕτερος λόγος (IV 1. 764a23) οὗτος δὲ ὁ λόγος οὐ σαφὴς μὲν καὶ πλασματίας ἐστὶ πολλαχῇ (IV 3. 769a36) ὅτι μὲν οὖν τοῦτ’ οὐκ ἀληθὲς φανερὸν ἐκ τούτων καὶ τοιούτων ἄλλων (V 8. 788b29)

Stilmittel

7 Metapher διοικεῖν (für das ‚sich selbst um sich kümmern‘ des Embryos) ἄνωθεν (II 1. 731b23) ἐγγύτερον/πορρώτερον (III 1. 751b2/b4) κρατῆσαν μὲν οὖν …, κρατηθὲν δ’ … (IV 1. 766b15) κρατεῖν καὶ κρατεῖσθαι (IV 3. 768a22) τῇ μὲν κρατήσῃ τῇ δὲ κρατηθῇ (IV 4. 772b32 f.)

8 Anakoluth I 1. 715a7 I 18. 723a23–b3 I 18. 724a21

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Bibliographie Ausgaben, Kommentare, Übersetzungen Aristoteles Analytica posteriora Detel, W.: Aristoteles, Analytica posteriora. Übers. und erl. von W. D. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hrsg. von H. Flashar, Bd. 3, Teil II), 2 Halbbde., Berlin 1993. Detel, W.: Aristoteles, Zweite Analytik / Analytica Posteriora. Griechisch – Deutsch. Griechischer Text nach W. D. Ross. Übers., mit einer Einleitung und Anmerkungen hrsg. von W. D. (Philosophische Bibliothek 633), Hamburg 2011. De caelo Moraux, P.: Aristote, Du ciel. Texte établi et trad. par P. M., Paris 1965. De generatione animalium Aubert, H./Wimmer, F.: Aristoteles’ Fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung der Thiere. Übers. und erl. von H. A. und F. W. (Aristoteles’ Werke. Griechisch und Deutsch mit sacherklärenden Anmerkungen, Bd. 3), Leipzig 1860 (Nachdr.). Drossaart Lulofs, H. J.: Aristotelis De generatione animalium, recognovit brevique adnotatione critica instruxit H. J. D. L., Oxford 1965 (Nachdr. 1972). Lanza, D.: La riproduzione degli animali / De generatione animalium, a cura di D. L., in: D. Lanza/M. Vegetti (Hrsgg.), Opere biologiche di Aristotele, Turin 1971, 775‒1042. Lefebvre, D.: La Génération des animaux, in: P. Pellegrin (Hrsg.), Aristote, Œuvres complètes, Paris 2014, 1575 – 1730. Louis, P.: Aristote, De la Génération des Animaux. Texte établi et trad. par P. L., Paris 1961. Peck, A. L.: Aristotle, Generation of Animals. With an Engl. transl. by A. L. P., London/ Cambridge (Mass.) 1943 (korr. Nachdr. 1953, 1963). Reeve, C. D. C.: Aristotle, Generation of Animals & History of Animals I, Parts of Animals I. Transl., With an Introd. and Notes by C. D. C. R., Indianapolis/Cambridge (Mass.) 2019. De insomiis, De divinatione per somnum Eijk, Ph. J. van der: Aristoteles, De insomniis, De divinatione per somnum. Übers. und erl. von Ph. J. v. d. E. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hrsg. von H. Flashar, Bd. 14: Parva Naturalia, Teil III), Berlin 1994. De partibus animalium Balme, D. M.: Aristotle, De Partibus Animalium I and De Generatione Animalium I (with passages from II. 1 – 3). Transl. with Notes by D. M. B, with a Report on Recent Work and an Additional Bibliography by A. Gotthelf, Oxford 1992 (erw. Nachdr.; zuerst: 1972). Kullmann, W.: Aristoteles, Über die Teile der Lebewesen. Übers. und erl. von W. K. (Aristoteles. Werke in deutscher Übersetzung, begr. von E. Grumach, hrsg. von H. Flashar, Bd. 17: Zoologische Schriften II, Teil I), Berlin 2007. Lennox, J. G.: Aristotle. On the Parts of Animals. Transl. with a Commentary by J. G. L., Oxford 2001 (Nachdr. 2004). Louis, P.: Aristote, Les Parties des animaux. Texte établi et trad. par P. L., Paris 1956. https://doi.org/10.1515/9783110774863-009

Ausgaben, Kommentare, Übersetzungen

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164 Anm. 194

Anaxagoras DK 59 A107

342

DK 59B10

152 Anm. 175

Aristoteles De An. II 4 II 5. 417a22 ff. III 10. 433b19 – 21 APo I 1. 72a14 ff. I2 I 2. 72a14 – 24 I 2. 72a15 f. I 3. 72b18 – 22 I6 I 9. 76a17 – 25 I 10. 76a31 f. I 10. 76a31–b11 f. I 10. 76b21 f. I 13 I 13. 78b4 ff. I 18 I 27 I 27. 87a31 – 35 II II 1 II 8 II 11 II 13 II 14. 98a20 II 19 II 19. 100b9 f.

251, 252 434 17 35 Anm. 56 9 34 Anm. 55 35 Anm. 57 35 Anm. 57 8 35 Anm. 57 35 Anm. 57 34 Anm. 55 11 49 Anm. 111 58 49 Anm. 111 49 Anm. 111 66 Anm. 183 10 Anm. 34, 11 Anm. 54 170 Anm. 201 11 11 49 Anm. 111 57 35 Anm. 58 260

https://doi.org/10.1515/9783110774863-010

Apr I 30. 46a17 – 27 II 27 II 27. 70b1 ff. Cael. I 10 I 10. 279b7 – 9 II 12 II 12. 293a2 II 13 II 13. 294b6 – 13 III 7. 306a5 – 17 III 10 EE I 1. 1214a13 f. I 2. 1214b6 VII 12 EN I 1. 1094b11 – 27 II 2. 1104a11 – 14 V 6. 1131a31 ff. IX 12 GA I1

35 Anm. 58 65, 139 Anm. 144, 142 Anm. 151, 413 Anm. 3 142 Anm. 151 49, 50, 138 49 Anm. 114 40 320 Anm. 60 48 48 Anm. 108 35 Anm. 58 69 24 89 Anm. 15 8 66 Anm. 183 58, 60 57 8

18, 23, 25, 32, 143 Anm. 152, I 1–3 37 Anm. 70 I 1. 715a1 – 716a2 87 I 1. 715a2 437

Stellenindex

I 1. 715a9 – 11 I 1. 715a11 I 1. 715a11 – 13 I 1. 715a15 – 18 I 1. 715a15 f. I 1. 715a16 f. I 1. 715a17 f. I 1. 715a18 ff. I 1. 715a19 f. I 1. 715a20 f. I 1. 715a27 f. I 1. 715b2 – 7 I 1. 715b5 I 1. 715b9 f. I 1. 715b10 – 12 I 1. 715b14 – 16 I 1. 715b15 f. I 1. 715b26 – 30 I2

291 428 126 Anm. 112 397 17, 24 17 348, 398 25, 129 423 419, 423 304 Anm. 36 309 318 318, 406, 416 130 Anm. 122 399 109, 229, 405, 329 25, 37, 53, 54, 69, 75, 98, 114 Anm. 78, 176, 187, 204, 345, 346, 348 I 2. 716a2‒716b12 95 I 2. 716a1 – 4 32, 401 I 2. 716a2 – 4 33, 94, 398 I 2. 716a2 – 17 68, 96 I 2. 716a2 87, 89, 130 I 2. 716a2 f. 24, 100, 230, 397, 418 I 2. 716a4 f. 186, 187 I 2. 716a5 – 7 186, 188, 345 I 2. 716a6 f. 54 I 2. 716a7 f. 13 Anm. 65 I 2. 716a13 – 17 222 I 2. 716a13 – 15 294 Anm. 26, 405 I 2. 716a14 68, 69, 425 I 2. 716a17 – 19 39 I 2. 716a18 f. 227 Anm. 15 I 2. 716a20 421 I 2. 716a20 – 22 54 Anm. 133 I 2. 716a23 – 27 38, 54 Anm. 133, 347, 414 I 2. 716a23 54 Anm. 133, 346 Anm. 11, 405 I 2. 716a24 27 Anm. 21 I 2. 716a31 410 I 2. 716b3 – 12 342 I 2. 716b5 ff. 56 I 2. 716b9 – 12 340

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I3 25, 305 I 3. 716b13 – 717a12 101 I 3. 716b16 f. 344 I 3. 717a3 – 5 305 Anm. 38 I 3. 717a5 – 7 55, 305 I 3. 717a6 103, 305 I 3. 717a11 f. 32, 401 I 3. 717a11 – 15 32 I 3. 717a12 113 I 4 – 5. 717a12 – 717b33 104 I 4 – 12 37 Anm. 70 I 4. 717a17 – 20 344 I 4. 717a18 f. 344 I 4. 717a21 ff. 111 Anm. 72 I 4. 717a34–b2 62 I 5. 717b14 – 33 125 I 5. 717b28 24 Anm. 9 I 5. 717b31 f. 32 I 6 – 7. 717b33 – 718a34 110 I 7. 718a18 – 20 315 I 7. 718a25 – 27 32, 401 I 7. 718a35 75, 424 I 7. 718a35 f. 75 I 8 – 11. 718a35 – 719a30 112 I8 29, 70, 74, 75, 114 Anm. 78, 286 Anm. 17 I 8. 718b1 225 I 8. 718b4 74 I 8. 718b4 ff. 128 I 8. 718b5 74, 428 I 8. 718b5 f. 118, 419 I 8. 718b6 – 15 286 Anm. 17 I 8. 718b8 – 15 291, 292, 376 I 8. 718b21 – 27 286 Anm. 17, 289 I 8. 718b27 76, 399, 419 I9 52, 54, 64 Anm. 179 I 9 – 11. 718b27 – 719a30 118 I 10. 718b33 f. 286 Anm. 17 I 10 – 11. 718b34 – 719a2 287 Anm. 20 I 11. 719a12 75, 125 Anm. 110, 430 I 11. 719a17 – 20 38 I 11. 719a28 – 30 32, 75, 113, 401 I 12 – 13. 719a30 – 720b1 121 I 13. 720a9 f. 136 I 14 – 16. 720b2 – 721a30 125 I 15 39 I 15. 721a1 f. 127

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I 16 55, 335 I 16. 720a28 f. 24 I 16. 721a2 – 721a30 129 I 16. 721a2 – 10 90 Anm. 18, 309 I 16. 721a5 – 9 318 Anm. 57 I 16. 721a26 – 30 383 I 16. 721a27 401 I 16. 721a30 f. 190 I 17 – 23. 721a30 – 731b14 131 I 17 8, 29, 51, 65, 71, 80, 192, 211 I 17 – 18 78 I 17 – 19 40 I 17 – 22 32, 45 I 17 – 23 52 I 17–II 3 348 Anm. 14 I 17. 721a34 192 I 17. 721b6 f. 198 I 17. 721b11 ff. 51 I 17. 721b13 162, 170, 413, 422, 424 I 17. 721b28 65, 140, 141, 170, 413 I 18 313 I 18 – 19 249 Anm. 32 I 18. 722a1 313 I 18. 722a1 f. 69, 425, 431 I 18. 722a2 65 I 18. 722a4 65, 413 I 18. 722a9 67 I 18. 722a21 ff. 72 I 18. 722b4 149 I 18. 722b30 – 723a23 150 I 18. 722b34 f. 417 I 18. 723a22 261 I 18. 723a23–b5 25 I 18. 723a23 – 26 81 I 18. 723b16 – 19 80 I 18. 723b19 65, 133, 413, 426 I 18. 723b19 – 24 180 I 18. 723b30 ff. 78 I 18. 725b4 65, 66, 413 I 18. 725b14 27, Anm. 21 I 18. 725b14 f. 27, Anm. 21 I 19 209, 353 I 19. 726b3 – 6 209 I 19. 726b5 – 11 38 I 19. 726b17 f. 59 Anm. 158 I 19. 726b29 f. 32, 401

I 19. 726b30 – 727a2 97 Anm. 39 I 19. 727a4 f. 66, 134, 413 I 19. 727a28 75 I 19. 727a28 – 30 75 I 19. 727a30 f. 32 I 19. 727a32 66, 413 I 19. 727b31 f. 188 Anm. 226 I 19. 727b31 – 33 54, 176 I 20 58 I 20. 728a17 – 21 68 I 20. 728a18 346 Anm. 11, 434 I 20. 728a26 f. 28 I 20. 728a27 f. 346 I 20. 728b32 – 729a20 62, 74 I 20. 729a9 427 I 20. 729a9 – 11 186, 188, 345, 346 Anm. 11 I 20. 729a11 – 14 369 Anm. 37, 434 I 20. 729a11 ff. 75 I 20. 729a20 – 23 215 I 20. 729a23 f. 39 Anm. 73, 69, 425 I 20. 729a24 – 31 230 I 20. 729a27 27 Anm. 21 I 21 25, 33, 239 I 21 – 22. 729a34 – 730b32 178 I 21. 729a9 – 11 186, 188, 345, 346 Anm. 11, 435 I 21. 729a12 f. 209 I 21. 729a32–b1 238 I 21. 729a34 32, 401 I 21. 729b4 – 6 81 I 21. 729b6 – 8 81 I 21. 729b22 f. 222 Anm. 11 I 21. 729b33 65, 413 I 21. 730a27 f. 186, 188 I 22. 730b19 – 23 63 I 23 73, 107, 190, 191, 192 I 23. 731a1 27 Anm. 21 I 23. 731a12 158 Anm. 182 I 23. 731a21 – 29 94 Anm. 30 I 23. 731a24–b8 107 I 23. 731a32 192 I 23. 731a34 f. 69 I 23. 731b5 – 8 189 II 1 24, 63, 73, 78, 305 Anm. 37, 308, 321

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Anm. 61, 348, 356, 379 Anm. 43 II 1 – 3 18 Anm. 94, 19, 85 II 1. 731b18 – 735a29 184 II 1. 731b18 – 20 346 Anm. 10 II 1. 731b21 f. 220 II 1. 731b22 ff. 220 II 1. 731b24 – 31 38 II 1. 731b28 – 30 292, 405 II 1. 732a3 – 9 26 II 1. 732a10‒12 183 II 1. 732a16 – 20 371 II 1. 732a20 379 Anm. 43 II 1. 732a29 – 32 330 Anm. 73, 404, 129 II 1. 732a31 f. 308, 309 II 1. 732b11 – 14 90 Anm. 18, 91 II 1. 732b15 378 Anm. 40 II 1. 732b28 – 733b16 219 II 1. 733a8 f. 272 Anm. 6 II 1. 733a9 f. 272 Anm. 7 II 1. 733a24 f. 309 II 1. 733a32 – b16 73, 193, 195, 218, 272 II 1. 733b4 – 6 219 II 1. 733b7 – 10 305 Anm. 37 II 1. 733b10 – 16 308 II 1. 733b13 – 15 308 II 1. 733b23 – 26 42 II 1. 733b23 – 734a16 80 II 1. 734a18 77 II 1. 734a33 78, 79 II 1. 734b4 – 19 59 II 1. 734b10 – 13 59 Anm. 158 II 1. 734b19 ff. 59 II 1. 734b19 – 22 59 Anm. 158, 398 II 1. 734b31 – 735a4 63 II 1. 735a2 231 II 1. 735a2 – 4 63, 243 Anm. 31, 434 II 1. 735a10 f. 78, 434 II 1. 735a15 – 20 17 II 2 42, 206, 208, 211, 328 II 2. 735a29 – 736a23 201 II 2. 735a29 f. 32, 424 II 2. 735a35 f. 41, 284, 412 II 2. 736a18 – 21 53, 433 II 3 29, 56 II 3. 736a24 – 737b7 205 II 3. 736b8 – 12 59 Anm. 158

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II 3. 736b23 149 Anm. 163 II 3. 736b29 – 737a6 328 II 3. 736b31 f. 328, 429 II 3. 736b36 328 II 3. 736b13 – 15 59 Anm. 158 II 3. 737a13 – 16 369 Anm. 37 II 3. 737a16 – 18 59 Anm. 158, 217, 400, 401 II 3. 737a22 – 25 230 II 3. 737a23 f. 59 Anm. 158 II 3. 737a27 f. 56 II 4 23, 70, 71, 85, 288 Anm. 21, 323, 348 II 4 – 7 278 II 4. 737b8 – 741a5 217 II 4. 737b15 71, 271 Anm. 2, 402, 425 II 4. 737b18 271 Anm. 2 II 4. 737b18 – 25 288 Anm. 21 II 4. 737b24 f. 71 II 4. 737b26 271 Anm. 2 II 4. 738a16 – 22 391 Anm. 58 ΙΙ 4. 738a27 97 Anm. 38 II 4. 738b6 70 II 4. 738b9 f. 70 II 4. 738b15 – 18 386 II 4. 739a4 – 6 32, 401 II 4. 739a6–b20 70 II 4. 739a15 97 Anm. 38 II 4. 739a22 f. 70 II 4. 739a24 70 II 4. 739b20 – 33 62 II 4. 739b25 f. 388, 407 II 4. 740a1 – 4 59 Anm. 158 II 4. 740a3 – 9 63 II 4. 740a4 f. 39 II 4. 740a24–b2 253 II 4. 740b2 32 II 4. 740b2 – 5 42 II 4. 740b12 31 II 4. 740b18 – 20 59 Anm. 158 II 4. 740b25 – 34 63, 435 II5 70 II 5. 741a6 – 741b24 232 II 5. 741a10 – 12 59 Anm. 158 II 5. 741a24 70 II 5. 741a32–b7 55, 303 II 5. 741a35 f. 314 Anm. 47

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II 5. 741b1 330 Anm. 72 II 5. 741b7 ff. 255 II 5. 741b9 255 II 5. 741b14 59 Anm. 158 II 5. 741b15 – 24 63 II 5. 741b19 63 II 5. 741b21 64 II 5. 741b23 64 II 6 11, 34 II 6. 741b25 – 745b22 236 II 6. 742a12 f. 59 Anm. 158 II 6. 742a16–b17 33 II 6. 742a24 – 28 63 II 6. 742a33 34 II 6. 742a37 34 II 6. 742b2 34 II 6. 742b5 34 II 6. 742b6 33 II 6. 742b10 33 II 6. 742b10 f. 33, 34, 398 II 6. 743a23 – 26 59 Anm. 158 II 6. 743b22 f. 64 Anm. 176 II 6. 744a7 f. 59 Anm. 158 II 6. 744b32 ff. 366 II 6. 745a18 32 II 7. 745b22 – 747a22 252 II 7. 746a8 – 22 40 II 7. 746b7 f. 53 II 7. 746b19 f. 258 II 7. 747a3 – 10 41 II 7. 747a3 41 II 7. 747a7 41 II 7. 747a19 – 22 387 II 8 278 II 8. 747a23 – 749a6 258 II 8. 747b8 78, 426, 436 II 8. 748b31 – 33 68 III 1 179 Anm. 213, 291 III 1. 749a10 – 752a10 270 III 1. 749a10 32, 400 III 1. 749a10 f. 258 III 1. 749a15 f. 294 Anm. 26 III 1. 749a19 – 27 286 III 1. 749a20 f. 288 Anm. 21 III 1. 749a22 f. 286 Anm. 16 III 1. 749a24 286 Anm. 17 III 1. 749a26 24 Anm. 9, 291

III 1. 749a27 f. 286 Anm. 17 III 1. 749a33 f. 286 III 1. 750b18 24 Anm. 9 III 1. 750b25 f. 386 Anm. 53 III 1. 751b1 ff. 366 III 1. 752a4 f. 41 III 1. 752a9 f. 279 III 2 42, 62, 75 III 2. 752a10 – 754a20 279 III 2. 752a10 – 23 280 III 2. 752a24 32, 424 III 2. 752b15 – 753a27 76 III 2. 752b15 – 17 284 III 2. 752b15 f. 291 III 2. 752b24 – 26 73 III 3 43, 287 Anm. 19 III 3. 754a21 – 755a5 285 III 3. 754a21 272 Anm. 6 III 3. 754a25 – 31 278 III 3. 754a25 272 III 3. 754a26 – 31 292 III 3. 754b1 f. 291 III 3. 754b18 – 20 284 III 3. 754b20 f. 43 III 4. 755a6 – 755b1 290 III 4. 755a6 f. 285 III 4. 755a7 32, 401 III 4. 755a14 ff. 302 III 4. 755a19 f. 278 III 4. 755a21 – 32 376 III 4. 755a17 62 III 5 39, 45, 79, 426 III 5. 755b1 – 756b12 292 III 5. 755b1 – 6 55 III 5. 755b5 f. 55 III 5. 755b7 305, 423, 431 III 5. 755b7 ff. 304, 305 III 5. 755b32 – 36 305 III 5. 755b36 305, 426, 436 III 5. 756a2 – 5 45 III 5. 756a2 305, 426, 431 III 5. 756a20 – 23 303 III 6 426 III 6. 756b13 – 757a2 79 III 6. 756b13 – 757a13 298 III 6. 756b16 – 21 287 Anm. 19 III 6. 756b17 79, 287 Anm. 19, 426

Stellenindex

III 6. 756b29 79, 426, 436 III 7. 757a14 – 757b30 300 III 7. 757a14 32, 424 III 8. 757b31 – 758a25 304 III 8. 758a2 f. 341 Anm. 7 III 8. 758a9 f. 103 Anm. 53 III 8. 758a11 f. 24 Anm. 9 III 8. 758a17 f. 314 Anm. 47 III 8. 758a26 32 III 8. 758a26 f. 304, 400 III 9. 758a26 – 759a7 306 III 9. 758a27 f. 32 III 9. 758a27 – 29 309, 323 III 10 39, 42, 44 Anm. 87, 98 Anm. 43, 129 Anm. 119, 426 III 10. 759a8 – 760b33 37 III 10. 759a8 – 761a13 309 III 10. 759a14 330 Anm. 73 III 10. 759a14 f. 323 III 10. 760b27 – 33 56 III 10. 760b30 – 33 38 III 10. 761a12 f. 32, 323 III 11 23, 53, 93, 127 Anm. 115, 184 Anm. 221, 215 III 11. 761a13 – 763b16 323 III 11. 761a19 331 Anm. 73 III 11. 762a15 – 18 63 III 11. 762b28 – 30 53, 433 III 11. 762b29 f. 53 III 11. 763a3 53 III 11. 763a34 66, 413 IV 1 40, 45, 52, 69, 70, 79, 80, 351, 355, 358, 363 IV 1. 763b20 – 766b28 336 IV 1. 763b20 32 IV 1. 763b20 f. 323 IV 1. 763b23 27 Anm. 21, 425, IV 1. 764a12 – 15 79 IV 1. 764a17 ff. 78 IV 1. 764a33–b3 79 IV 1. 764a34 f. 79 IV 1. 764a36 f. 79 IV 1. 764b1 79 IV 1. 764b21 f. 79 IV 1. 764b30 243 Anm. 30 IV 1. 765b8 – 17 68, 97 Anm. 40

455

IV 1. 765b15 f. 168 IV 1. 766a30 – 33 68 IV 1. 766a30–b4 384 IV 1. 766a30–b7 97 Anm. 40 IV 1. 766b27 f. 355 IV 2 25, 45, 371 IV 2. 766b28 – 767a35 348 IV 2. 766b28 66, 413 IV 2. 767a1 – 8 391 Anm. 58 IV 2. 767a3 24 Anm. 9 IV 2. 767a15 ff. 25 IV 2. 767a16 153, 371 IV 2. 767a17 f. 370 IV 2. 767a29 24 Anm. 9, 354 IV 3 26, 27, 34, 45, 54, 64, 75, 209, 372 IV 3. 767a36 – 769b30 351 IV 3. 767a36 – 769a6 245 IV 3. 767b5 f. 367 IV 3. 767b18 – 20 77, 388 IV 3. 768a11 – 14 59 Anm. 158 IV 3. 768b4 f. 59 Anm. 158 IV 3. 768b7 59 Anm. 158 IV 3. 769a35–b10 34 IV 3. 769b1 f. 59 Anm. 158 IV 3. 769b3 – 10 45, 364, 399 IV 3. 769b10 ff. 373 IV 4. 769b30 – 773a32 365 IV 4. 770a24 24 Anm. 9 IV 4. 770b28 – 30 32 IV 4. 771a17 – 772b13 374 IV 4. 771a17–b14 376 IV 4. 771a17–b18 300 IV 4. 771b5 ff. 377 IV 4. 771b5 – 8 377 IV 4. 771b8 66 IV 4. 771b12 f. 24 Anm. 9 IV 4. 771b19 – 23 388 IV 4. 771b27 – 33 41 IV 4. 772b6 – 10 386 IV 4. 772b12 32 IV 4. 773a30 – 32 32, 399 IV 5. 773a32 – 774b4 373 IV 5. 774a2 f. 28 IV 6. 774b5 – 775b24 376 IV 6. 774b36 – 775a4 41 IV 6. 775a20 – 22 63

456

Stellenindex

IV 7. 775b25 – 776a14 381 IV 8. 776a15 – 777a27 126, 383 IV 8. 776a16 ff. 73 Anm. 214 IV 8. 777a5 f. 73 Anm. 214, 77 IV 9. 777a28 – 777a31 389 IV 10. 777a32 – 778a12 390 IV 10. 778a10 – 11 32, 400 V 1. 778a16 f. 32 V 1. 780b4 24 Anm. 9 V 3. 783a19 f. 66 V 4. 784b2 f. 17, 404 V 5. 785a13 66, 413 V 6. 786a16 24 Anm. 9, 422 V 7. 788a3 ff. 56 V 7. 788a13 – 16 187 Anm. 229 GC I 2. 315a26 89 Anm. 15 I 2. 316a5 – 10 35 Anm. 58 I 2. 316a5 – 12 39 Anm. 72 I 6. 322b21 – 24 179 Anm. 213 I 6. 322b22 – 25 230 I 6. 323a3 – 6 179 Anm. 213 I7 347 I 7. 324a31 ff. 362 Anm. 29 II 6. 333b9 – 11 351 II 10. 336b9 ff. 320 Anm. 60 II 10. 336b27 – 29 392 HA I 1. 486b5 ff. 114 Anm. 78 I 1. 487b6 ff. 91 Anm. 19 I2 114 Anm. 78 I 3. 489a8 – 12 69, 98 I 3. 489a11 69, 98 I 6. 491a7 – 14 11 I 6. 491a15 – 19 102, 114 I 6. 491a19 114 Anm. 78 I 13. 493a17 f. 114 Anm. 79 II 1. 497b32 ff. 57 Anm. 144 III 1 37 Anm. 70 III 1. 509a27 – 510b6 105 III 1. 510a13 105 Anm. 60 III 1. 510a21 f. 105 Anm. 60 III 1. 510a23 – 27 105 Anm. 60 III 1. 510a29 – 35 105 Anm. 60 III 1. 510a35-b1 105 Anm. 60 III 1. 510b3 f. 105 Anm. 60 III 5. 515a34 f. 243

III 18. 520b6 f. 170 Anm. 203 IV 4 332 Anm. 77 IV 11. 537b30 – 538a1 93 Anm. 27 V 1. 539a1 f. 88 V 1. 539a21 – 27 90 Anm. 17 V 6. 540b17 102 Anm. 51 V 6. 541b1 – 4 129 V 6. 541b8 129 V 6. 541b17 f. 129 V 8. 541b34 – 542a12 155 V 15 332 V 15. 546b17 f. 127 V 18. 550a10 ff. 306 V 21 309 Anm. 39 VI 2 – 3 41, 283 VI 10. 564b16 – 18 286 Anm. 16 VI 10. 565b1 – 17 289 VI 10. 565b24 – 26 287 Anm. 19 VI 10. 565b29 – 31 287 Anm. 18 VI 11. 566a27 ff. 256 VI 19. 573b34 f. 350 VIII 2. 590a18–b3 332 Anm. 77 IX 40 309 Anm. 39 IX 40. 624b13 ff. 316 Anm. 51 IX 41 323 IX 42 323 IA. 1. 704a4 f. 91 Anm. 20 1. 704b2 f. 16 4. 705a28 f. 238 4. 705a31–b2 238 19. 714b21 f. 91 Anm. 20 Long. 2. 465a13 89 Anm. 15 4. 466a15 ff. 393 5. 466b14 – 16 168 Anm. 199 6. 467b6 – 8 88 Anm. 11 6. 467b8 – 9 16 MA 1. 698a11 – 14 99 Anm. 45 Metaph. Α 2. 982a6 89 Anm. 15 Α 2. 982a a8 89 Anm. 15 Α 6. 987b13 f. 152 Anm. 174 Α 9. 992a28 f. 152 Anm. 174 α 3. 995a8 68 Γ 2. 1004b17 – 26 49 Anm. 110

Stellenindex

Δ 4. 1014b20 f. 253 Anm. 34 Δ 6. 1016b31 ff. 57 Δ 27. 1024a11 – 28 253 Anm. 37 Ε 2. 1027a7 – 12 292 Anm. 24 Λ9 8 M 1–3 47 Anm. 96 Μ 7. 1082b1 – 4 200 Anm. 242 Mete. I 1. 338a25 f. 88 Anm. 11 I 1. 339a5 – 9 16 I 1. 339a6 – 8 87, 88 Anm. 11 I 1. 339a8 f. 88 Anm. 12 II 3. 357a24 – 28 61, 77 III 5. 375b16 – 377a12 69 Anm. 193 IV 7 – 10 243 PA I I 1. 639a15 – 29 271 Anm. 4 I 1. 639b23 36 Anm. 66 I 1. 639b24 36 Anm. 66 I 1. 639b27 36 Anm. 66 I5 40, 58, 73, 87, 88 Anm. 11, 183, 187, 188 Anm. 231 I 5. 644b22 – 25 188 Anm. 231 I 5. 645a5 f. 88 Anm. 11 I 5. 645b14 ff. 16 I 5. 645b20 – 22 16 Anm. 82 I 5. 645b21 f. 87 I 5. 646a2 f. 87 II-IV 11, 23, 345 II 2. 648a12 168 Anm. 199 II 5. 651b13 – 15 170 Anm. 203 III 5. 668a8 f. 17 IV 2. 677a35 ff. 393 IV 5. 681a6 f. 379 Anm. 43 IV 9. 684b14 f. 128 Anm. 117 IV 9. 685a1 128 Anm. 117 IV 10. 688a11 ff. 59 Anm. 159 IV 13. 697a27 f. 379 Anm. 43 IV 14. 697b29 f. 16 Ph. I 1. 184a10 ff. 344 I 1. 184a14 – 16 89 I 2. 184b15 89 Anm. 15 I4 143 Anm. 152 II 5. 196b10 f. 384

457

III 1. 200b28 f. 179 Anm. 213 III 1. 200b30 f. 179 Anm. 213 III 1. 200b33 f. 91 Anm. 20 III 2. 202a6 – 9 179 Anm. 213 III 6. 206a12 – 14 50 Anm. 119 VIII 1. 252a12 320 Anm. 60 VIII 4. 255a21 – 23 379 Anm. 43 Po. 1. 1447a1 f. 87 1. 1447a3 87 Anm. 7 1. 1447a13 89 Anm. 15 9. 1452a1 – 11 81 Anm. 238 Pol. I 2. 1252a24 89 Anm. 15 I 12. 1259a37–b10 81 Anm. 238, 88 Anm. 9 III 4 44 III 8 44 Anm. 87 III 10 44 Anm. 87 III 15 44 Anm. 87 Rh. I2 65, 89 Anm. 15 I 2. 1355b26 89 Anm. 15 I 2. 1357b1 – 25 139 Anm. 144, 412 Anm. 3 II 20. 1394a9 – 16 66 III 2. 1405a35 – 37 64 III 4. 1407a13 f. 60 Anm. 160 III 10 – 11 60 III 10. 1410b10 – 19 60 III 10. 1410b18 f. 61 De sensu 1. 436a6 – 11 17 4. 442a3 17 SE 2. 165a38 89 Anm. 15 4. 166b21 ff. 344 4. 166b22 f. 344 5. 166b37 ff. 344 7. 169a36–b1 49 Anm. 110 16. 175a1 – 12 49 Anm. 110 34. 183b15 – 184b8 47 Anm. 97 Top. I 1. 100a25 89 Anm. 15 I 2. 101a26 – 36 47 I 2. 101a34 – 36 48 I 2. 101b3 141 Anm. 149 I 17. 108a8 57

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Stellenindex

II 7. 113a22 f. V 7. 136b34 ff. VI 2. 139b34 f. VIII 1. 155b2 – 16 VIII 8. 160b7 f.

141 Anm. 149 57 61 49 Anm. 110 141 Anm. 149

VIII 14. 163a36–b12 48 Anm. 107 VIII 14. 163a36 ff. 295 Anm. 27 VIII 14. 163b4 – 9 52 VIII 14. 163b9 – 12 51

Ps.-Aristoteles Pr. V 37. 884b29 f.

IX 5. 908a23

379 Anm. 43

DK 68B32

138 Anm. 140

379 Anm. 43

Demokrit DK 68 A141

138 Anm. 140

Corpus Hippocraticum Aer. 16 Aph. 5.45 Genit. 7,470,19 f. Littré Mul. I

138 Anm. 140 254 Anm. 38 105

Nat. Puer XVII 1 – 3 59,17 Joly 59,25 Joly 60,6 Joly VM 22

238 238 238 238 219 Anm. 6

345 Anm. 9

Michael von Ephesos In GA 179,26 356 Anm. 22 3,32 – 4,20 Hayduck 90 Anm. 18 4,9 – 11 Hayduck 90 Anm. 18

18,10 Hayduck 123 Anm. 104 130,8 – 11 Hayduck 271 Anm. 3

Platon Smp. 191c‒d 206b–209e 206e7 – 207a4 207c9–d23

182 185 Anm. 224 185 Anm. 224 185 Anm. 224

Plt. 261c–266d Ti. 69e–71a

192 Anm. 253 383 Anm. 50

Personen- und Sachindex Abschlussformel 104, 193, 196, 201, 217, 223, 375 ad hoc-Prämissen 3, 25 Adressaten 13, 15, 50, 58, 59, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 76, 79, 81, 82, 98, 183 adynamia 345, 346, 347 Aitiologie 29, 55, 74, 75, 79, 86, 87, 91, 101, 104, 108, 110, 111, 112, 113, 118, 119, 120, 121, 122, 126, 127, 129, 156, 157, 182, 183, 194, 196, 220, 249, 258, 259, 280, 281, 286, 290, 300, 301, 306, 324, 328, 339, 341, 360, 371, 399 Anakoluth/anakoluthisch 80, 81, 88, 153, 158, 179, 439 Analogie 36, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64, 66, 87, 89, 94, 103, 104, 106, 107, 111, 112, 116, 140, 149, 156, 157, 174, 178, 181, 211, 222, 226, 229, 230, 231, 236, 245, 253, 277, 278 Anm. 13, 284, 294, 324, 329, 358, 370, 433, 435 Analogisierung von technē und physis 63, 199 anankē 36, 38, 220, 221, 367 anatomai 41, 70, 71, 79 Anm. 234, 104, 105, 106, 107, 119, 228, 252, 254, 255, 341 Anm. 6, 370, 403 Anaxagoras 79, 135, 143, 150, 152, 153, 164 Anm. 194, 299, 337, 338, 339, 342, 343, 432, 436 Anekdoten/anekdotisch 15, 66, 67, 107, 142, 204, 331, 382 Aphrodite 53, 204, 205 Apodosis 52, 81, 105, 115, 153, 177, 314, 318 Anm. 55, 343, 414, 415 Aporie 14, 30, 41, 42, 43, 44, 47, 48, 146, 200, 201, 202, 203, 211, 232, 233, 235, 246, 247, 250, 281, 288, 295, 301, 368 – refutative Aporien 42, 198 Anm. 238 – überleitende Aporien 43 – zetetische Aporien 42, 202 Anm. 244, 233 Aposiopese 74, 81, 145, 153

https://doi.org/10.1515/9783110774863-011

Appell/appellieren 33, 34, 46, 63, 68, 69, 70, 71, 72, 104, 158, 219, 241, 261, 272, 274, 277, 307, 328, 366, 379, 418, 425, 428 archē 227, 228, 249, 340, 384 Argumentation 3, 4, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 17, 18, 19, 24, 31, 34, 36, 38, 41, 46, 47, 49 Anm. 110, 50, 52, 53, 54, 55, 67, 70, 72, 75, 76, 78, 80, 85, 89, 99, 101, 105, 107, 108, 111, 113, 115, 116, 117, 118, 119, 131, 132, 135, 138, 140, 141, 145, 148, 149, 152, 153, 168, 175, 178, 180, 186, 187, 188, 189, 191, 193, 196, 198, 199, 200, 201, 204, 206, 208, 210, 218, 229, 233, 234, 237, 241, 242, 252, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 271, 280, 281, 286, 290, 294, 296, 297, 298, 299, 301, 305, 307, 311, 313, 322, 324, 336, 338, 339, 341, 342, 343, 344, 346, 349, 352, 353, 354, 366, 374, 378, 382, 385, 391, 404 – rückwärtsgewandte Argumentation 38, 119 – vorwärtsgewandte Argumentation 38, 119 Asymmetrie/asymmetrisch 27, 29, 64, 153, 163, 339, 346, 359; siehe auch Symmetrie/symmetrisch Ausrufesätze 74 Aussagen 31, 39, 130, 231 Automatentheater/automata 59, 62, 196, 199, 232, 235 Autorpersona 31 Axiom/axiomatisch 3, 10, 11, 34, 36, 37, 73, 92, 93, 99, 105, 109, 117, 130 Anm. 122, 167, 169, 188, 189, 196, 226, 229, 248, 291, 294, 318 Anm. 57, 319, 320, 327, 399, 405, 406, 414, 416, 427, 428 – implizite axiomatische Strukturen 36 Beispiel 6, 9, 14, 24, 26, 29, 31, 32, 37, 38, 41, 42, 44, 52, 53, 54, 55, 56, 62, 63, 66, 67, 68, 70, 71, 73, 74, 75, 81, 102, 114, 115, 116, 122, 129, 135, 142, 150, 157, 158, 159, 162, 171, 192, 194, 195,

460

Personen- und Sachindex

197, 198, 199, 201, 202, 203, 204, 242, 256, 257, 260, 262, 263, 264, 272, 292 Anm. 24, 308, 312 Anm. 44, 324, 326, 330, 336, 344, 362, 366, 367, 372, 376, 379, 391, 397, 399, 435 Beweis/beweisen 8, 12, 19, 25, 34, 35, 37, 38, 39, 56, 57, 60, 62, 63, 65, 66, 67, 70, 74, 75, 92, 93, 95, 99, 101, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 110, 111, 114, 115, 116, 131, 138, 139, 140 Anm. 146, 141, 152, 153, 154, 156, 160, 165, 167, 168, 169, 170, 173, 175, 179, 186, 187, 193, 199, 200, 202, 221, 224, 232, 235, 238, 139, 242, 248, 250, 255, 256, 259, 260, 262, 281, 295, 303, 335, 336, 351, 353, 357, 364, 367, 380, 382, 391, 405, 416, 417 – abstrakter Beweis 95 – indirekter Beweis 103, 303, 311 Anm. 42, 316, 319, 327, 415, 426, 427 Bewegungsursache/Bewegungsursprung 23, 25, 87, 88, 89, 157, 186, 189, 243 Bienen 37, 39, 42, 55, 129, 269, 270, 309, 310, 311, 312, 314 Anm. 47, 315, 316, 317, 318, 319, 320, 321, 322, 331 binary transition 12, 16, 32, 88, 104, 108, 112, 125, 126, 130, 133, 134, 134, 162, 163, 167, 170, 172, 178, 201, 205, 209, 223, 230, 231, 248, 251, 253, 255, 256, 258, 259, 263, 270, 271, 275, 277, 278, 279, 285, 286, 289, 290, 291, 292, 293, 298, 301, 304, 306, 310, 323, 326, 331, 337, 348, 349, 350, 355, 369, 374, 376, 377, 390, 392, 401 Bluttiere 86, 90, 94, 101, 127, 136, 184, 190, 193, 194, 215, 228, 271, 286, 304, 330, 347 Botanik 63, 116, 142, 172, 223, 378 Codizes 31 common sense 53, 68, 97, 101, 365, 405 Crustacea 103, 125, 127, 137 Anm. 133, 269, 295, 304, 305, 306 Dativ des Standpunkts 69, 179, 313 Deduktion/deduktiv 9, 10, 139, 185, 186, 204, 215, 216, 218, 229, 233

Definition 34, 35, 36, 53, 61, 68, 69, 95, 97, 98, 99, 101, 131, 151 Anm. 168, 160, 167, 179 Anm. 213, 186, 211, 218, 222, 238, 272, 308, 309, 330, 332, 357, 404, 405 Demokrit 138 Anm. 140, 216, 226, 227, 228, 229, 241, 258, 259, 260, 261, 263, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342, 363, 366, 433, 436 Deskription 87, 90, 101, 102, 130, 280, 281, 300, 306 dezidierte Ausdrucksweise 74, 97 Dialektik/dialektisch 8, 10, 36, 39, 40, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 78, 80, 85, 105, 131, 135, 137, 138, 139, 141, 159, 160, 178, 197, 198, 200, 204, 206, 208, 211, 228, 234, 269, 270, 293, 298, 299, 304, 305, 307, 309, 311, 330, 426 – formal-dialektische Elemente 51 – 53, 426 Dichterzitat 15, 68, 76, 77, 153 Anm. 178, 158 Anm. 185, 182, 197 didaktisch 3, 12, 13, 14, 28, 29, 30 Anm. 38, 35, 53, 54, 58, 59, 60, 62, 75, 76, 77, 81, 95, 96, 97, 108, 121, 126, 135, 157, 158, 172, 178, 181, 186, 200, 201, 204, 211, 216, 226, 230, 237, 242, 354 Dihärese/dihairetische Unterscheidung 111, 137 Anm. 135, 138 Anm. 136, 150, 193, 327 Anm. 67, 330 Anm. 73 420 Dilemma 43, 198, 289 Diskursivität/diskursiv 8, 12, 30, 46, 50, 51, 52, 78, 80, 81, 101, 131, 135, 136, 150, 152, 157, 196, 198, 201, 205, 206, 215, 218, 219, 233, 242, 269, 270, 289, 309, 335, 336, 346, 352, 363 Disposition 3, 14, 24, 31, 71, 89, 90, 91, 101, 108, 126, 127, 132, 135, 163, 176, 219, 323, 397 Dynamis/dynamis 27, 64, 78, 128, 150, 178, 179, 180, 190, 199, 200, 206, 222, 319, 326, 347, 362 dynameis 27, 28, 231, 320, 346, 356, 357, 358, 359 Eidos-Hyle-Modell 215, 237, 349 Ei/Eier 43, 55, 103, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 124, 129, 182, 192, 193, 194, 215, 219, 229, 233, 234, 269, 270, 272, 276,

Personen- und Sachindex

277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 294, 295, 296, 297, 301, 302, 303, 304, 305, 306, 308, 332, 366, 379 Einheitlichkeit der Theorie 15, 18, 24, 29, 34, 73, 335, 351, 354, 363 Eingangsformulierung 201, 238, 288 Einzelwissenschaft 35, 57 Elementarqualitäten 157 Anm. 207, 244, 245, 247, 264, 324 Elenktik 8, 46 Eliminationsbeweis 107 Ellipse 76, 145, 227, 282, 329 Emotionalisierung 15, 72, 73 Empedokles 61, 69, 77, 78, 79, 118, 135, 143, 148, 149, 150, 151, 153, 182, 216, 228 Anm. 16, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 336, 337, 338, 339, 340, 341, 342, 343, 363, 364, 384, 388, 427, 432, 436 Emphase 80, 148, 152, 287 Empirie/empirisch passim energeia 64, 199 Enthymem 52, 66, 147 Epicharm 157, 158, 432 Epigenese/epigenetisch 59, 166, 196, 215, 217, 218, 226, 232, 235 Epikratie/epikratisch 147, 339, 340, 342, 353, 357, 362 epistemisches Schreiben 8, 25, 26, 30, 44, 50; siehe auch ‚Prozessualität der aristotelischen Vorgehensweise‘ ergon 36, 54 Anm. 133, 89, 99, 106, 107, 122 Anm. 101, 128, 150, 207, 208, 406 Ernährung 17, 173, 200, 207, 228, 229, 230, 252, 253, 257, 332, 373, 376, 383, 388 Eros 185 eulogos 39, 40, 92 Evidenz 53, 58, 95, 256, 276, 291, 314 Anm. 47, 315, 322, 330, 331, 407, 408, 409, 413 existasthai 27, 358, 361 Experiment/experimentell 41, 146, 202, 244, 278, 379, 412 Fachsprache/Fachterminologie 166, 182, 199, 254, 358

59, 62, 64,

461

Fauna 230, 274, 275, 324, 326 Anm. 65, 329 figura etymologica 210, 297 Finalursache 27, 184, 185, 187, 188, 189, 191, 194, 216, 220, 221, 240, 245, 250, 291 Fische 102, 106, 108, 110, 112, 115, 116, 194, 269, 272, 276, 278, 285, 286, 287, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 297, 298, 299, 300, 302, 305, 311, 344 Fischer als Informanten 39, 41, 297 Flora 142, 154, 229, 230, 238, 274, 275, 280, 294, 306, 309, 324, 329, 346 Fragenkatalog 3, 14, 25, 29, 52, 137, 138, 145, 178, 209, 211, 338 framing 12, 75, 95, 110, 255, 277, 280, 283, 284, 289, 312, 381, 382 Anm. 46, 384, 386, 389 Genetivus absolutus 189, 275, 281, 291, 308 Genetivus partitivus 90, 218, 374 Gesamtkosmos 73 Geschlechtsdifferenzierung 23, 86, 90, 92, 94, 153, 338, 339, 340, 341, 342, 348, 356 Gnomen 77, 388 Hermaphroditismus 299, 317, 372 Herodot 201, 204, 292, 297, 432, 436 Herz 32, 42, 57 Anm. 143, 63, 198, 200, 215, 218, 226, 227, 228, 229, 232, 235, 236, 240, 241, 242, 243, 246, 248, 330 Anm. 72, 347, 348, 384, 387 Heuristik/heuristisch 10, 14, 36, 43, 44 Anm. 86, 48, 57, 59, 60, 226, 237, 280, 420, 420, 433 Hippokratiker/hippokratisch 14, 15, 18, 27, 64, 74, 105, 124, 131, 135, 138 Anm. 140, 147, 235, 237, 238, 335, 345 Anm. 9, 348, 349, 350, 356, 362, 374, 377, 380, 381, 382, 383, 436 Hirten als Informanten 349, 350 Huhn/Henne 275, 282, 302, 366 Hybriden 216, 252, 255, 256, 259, 262, 263 Hyle/hyle 9, 25, 28 Anm. 29, 54, 62, 96, 132, 215, 237, 349

462

Personen- und Sachindex

Hypothese/hypothetisch 35, 36, 40, 44 Anm. 87, 48 Anm. 102, 53, 57, 58, 92, 101, 105, 148, 153, 194, 200, 202, 295, 313, 317, 322, 323, 325, 330, 339, 342, 354, 369, 388 imaginärer Gesprächspartner 49, 51, 138, 428 Imker als Informanten 314, 317, 323 immanente Dialogizität 51, 67 Imperativ 35, 71, 74, 178 Impuls 54, 120, 199, 209, 210, 222, 329, 355, 356, 357, 358, 359, 360, 361, 362, 388 Indiz 29, 40, 41, 45, 58, 65, 66, 70, 89, 107, 109, 119, 120, 132, 134, 136, 139, 140, 141, 142, 156, 165, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 174, 175, 176, 178, 179, 180, 207, 210, 220, 221, 223, 225, 233, 246, 247, 248, 257, 263, 264, 282, 289, 293, 294, 305, 310, 320, 322, 323, 324, 330 Anm. 72, 331, 332, 341, 343, 344, 346, 347, 348, 349, 350, 351, 353, 355, 364, 365, 366, 388, 408, 413 Induktion/induktiv 37, 51, 66, 67, 361, 420 Insekten 46, 55, 90 Anm. 18, 91, 93, 94, 104 Anm. 56, 125, 129, 130, 136, 155, 180, 192, 193, 194, 215, 224, 270, 306, 307, 308, 310, 317, 318, 322, 330, 332 Anm. 76, 400 integratives Wir 46, 68, 243, 402 Ironie 74, 78, 166, 436 Irrealis 115, 152 Anm. 176, 188 Anm. 232, 202, 255, 261, 281, 295, 303, 311 Anm. 42, 315, 415, 416, 426 Kephalopoden 103, 125, 128, 136, 192, 215, 295 kinēsis 18, 27, 178, 179, 205, 209, 356, 357, 361, 372, 388 kinēseis 27, 28, 209, 357, 358, 359 kommunikativer Kontext 58, 69, 70, 72, 98 Konditionalgefüge 52, 93, 206, 211, 240, 363, 367 Konsens 15 Anm. 76, 46, 68, 98, 138 kratein 27, 64 Ktesias 201, 204, 432, 436

latente Bedeutungsveränderung 27 Lexik 100 literarische Plausibilisierung 74, 75 Litotes 96, 157, 370, 421, 438 logische Fehlerhaftigkeit 263 Logos/logos 24, 31, 64, 89, 132, 186, 187, 199 Anm. 241 – logos im Sinne ‚einer großen Argumentationslinie‘ 24, 89 – ‚logos–Empirie‘ 132 personalisierter logos 31, 186, 187 Lokomotorik 87, 228, 229 Lustargument 86, 133, 156, 170, 172, 173 lyesthai 27, 358, 359, 360 Anm. 27, 361, 364 Makrostruktur 3, 23, 54 malakia 127 malakostraka 127, 137 Anm. 133, 192 martyrion 65, 66, 413 Materialsammlung 6 Anm. 18, 170, 172, 175 Materialursache 27, 29, 98, 186, 187, 220 Anm. 8 Mathematik 9, 91, 146 Anm. 158, 242, 430 Metapher 60, 61, 64, 77, 182, 357, 362 Anm. 30, 388, 439 – ‚notwendige Metapher‘ 64, 182 metatextlich 29, 31, 32, 33, 87, 88, 95, 96, 102, 106, 111, 112, 114 Anm. 80, 120, 125, 127, 130, 134, 135, 157, 160, 167, 178, 184, 185, 186, 187, 191, 207, 209, 223, 230, 241, 242, 246, 248, 249, 251, 253, 254, 258, 260, 263, 264, 270, 272, 277, 279, 285, 289, 292, 298, 300, 303, 304, 306, 309, 310, 323, 331, 337, 338, 343, 345, 355, 361, 362, 365, 373, 388, 390, 392, 397, 400, 437 methexis-Lehre 152 Methode 14, 24, 30, 33, 34, 39, 44, 45, 47, 48, 49, 51 Anm. 122, 57, 102, 105, 126, 131 Anm. 126, 138, 178, 192 Anm. 235, 197, 220, 239, 241, 258, 259, 280, 341 Michael von Ephesos 90 Anm. 18, 122 Anm. 102, 123 Anm. 104, 124, 271 Anm. 3, 356 Anm. 22 Milch 29, 62, 75, 126, 127, 172, 176, 180, 202, 203 Anm. 246, 209, 226, 245, 296,

Personen- und Sachindex

297, 348 Anm. 14, 368, 369, 371, 383, 384, 385, 386, 387, 388, 389 Mittelbegriff 35, 36 Modell 29, 59, 62, 65, 107, 144, 166, 203, 215, 220, 223, 225, 237, 242, 243, 245, 248, 249, 250, 255, 257, 260, 261, 264, 270. 273, 275, 283, 289, 291, 309, 310, 311 Anm. 42, 312, 313, 314 Anm. 48, 316, 317, 318 Anm. 57, 320, 321, 322, 327, 328, 329, 335, 340, 346, 347, 349, 351, 354, 355, 356, 359, 360, 361, 364, 369, 370, 372, 380, 387, 388, 434 Mollusken 103, 269, 304, 305 Mündlichkeit – Schriftlichkeit 8, 15 Anm. 76, 46 – 53, 81 Anm. 239, 138, 144 f., 179 Narrativität/narrativ 66 f., 204, 435 Natur 9, 12, 13, 28, 29, 30, 34 Anm. 54, 35, 36 Anm. 66, 51, 59, 61, 63, 64, 73, 77, 79, 80, 86, 87, 88 Anm. 11, 89, 91, 92, 93, 105, 106, 108, 109, 111, 117, 118, 119, 128, 130, 132, 133, 136, 137, 157, 158, 162, 167, 169, 172, 174, 176, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 188, 195, 199, 201, 202, 205, 211 Anm. 252, 215, 220, 221, 226, 229, 230, 231, 235, 236, 244, 245, 246, 248, 249, 251, 254, 264, 269, 276, 278, 281, 282, 283, 287, 291, 292, 299, 302, 305, 308, 314, 320, 322, 326, 328, 356, 367, 368, 371, 384, 385, 385, 387, 388, 389, 391, 392, 406, 416 – Personifikation der Natur 282 Nomenklatur 100, 101, 229, 254, 273, 289, 323 occupatio 51 Oktopoden 55, 103 Ontogenese 149, 249, 336, 338, 347, 348, 351, 354, 379 Ostrakoderma 93, 127, 137 Anm. 133 Paarungsweisen 129 Panathenäen 159 Pangenesislehre/Pangenetiker 40, 45, 52, 65, 67, 74, 78, 80, 81, 85, 86, 105, 131 Anm. 126, 132, 133, 134, 135, 136, 138,

463

139, 140, 141, 142, 144, 145, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 161, 165, 166, 170, 171, 172, 173, 176, 180, 225, 363, 369 Panspermie 364 Papyri 31 Paragrapheneinteilung 178 Parallelargument 52, 108, 120, 145, 154, 162, 172, 225, 296, 311 Anm. 42, 340, 342, 367, 417, 426, 428 Parallelismus 75, 118, 161 Parthenogenese/parthenogenetisch 55, 232, 235, 303 Partikel 56, 88, 113, 113, 137, 141, 168, 193, 217, 225, 251, 275, 280, 294, 369 perittōma 133, 205, 209, 218, 219, 223, 249, 373, 380, 383, 384 Perspektivenwechsel 25, 42, 51, 102, 159, 284, 314, 386 Pflanze 16, 42, 87, 93, 94, 95 Anm. 31, 106, 107, 115, 117, 135, 155, 175, 182, 183, 184, 191, 207, 220, 227, 228, 229, 230, 231, 233, 234, 253, 270, 275, 284, 294, 301, 303, 323, 324, 325, 326, 327 Anm. 37, 329, 331, 368, 435 Phänomen/phänomenal 11, 14, 15, 17, 18, 23, 25, 27, 29, 34, 39, 40, 45, 51, 56, 58, 67 Anm. 185, 80, 92, 99, 106, 111, 113, 114, 116, 127, 140, 144, 145, 152 Anm. 176, 153, 155, 158, 162, 163, 165, 168, 169, 172, 173, 175 Anm. 207, 187, 188, 201, 202, 209, 221, 233, 236, 246, 248, 265, 270, 273, 275, 276, 280, 300, 308, 310, 311, 317 Anm. 53, 322, 326 Anm. 66, 327, 335, 347, 350, 351, 352, 353, 354, 355, 363, 364, 366, 368, 369, 374, 376, 378, 379, 380, 381, 382, 383, 384, 387, 408, 409, 427 Platon/platonisch 48 Anm. 106, 64 Anm. 179, 73, 75, 95 Anm. 31, 119, 148 Anm. 160, 182, 185, 188, 192 Anm. 235, 221, 326, 383, 430 Plausibilität/plausibel 23, 28, 40, 94, 96, 97, 100, 117, 175, 189, 360, 380, 399, 406, 428 Plural 27, 28, 46, 68, 69, 71, 79, 203, 209, 219, 313, 357, 392

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Personen- und Sachindex

– 1. Person Plural 46, 68, 69, 71, 203, 219 Polemik/polemisch 3, 8, 15, 19, 51, 68, 74, 78, 79, 131, 135, 152, 219, 299, 344, 436 Polyptoton 97, 161, 191, 244, 257, 296, 301, 368, 391, 428, 438 Potentialis 69, 70, 113, 140, 145, 146, 147, 153, 157, 170, 187, 189, 202, 206, 224, 262, 277, 288, 325, 342, 347, 414, 421, 424 Praeteritio 198, 200, 408, 436, 438 Präformationstheorie 196 Prämisse 3, 10 Anm. 44, 25, 26, 34, 37, 38, 47, 51, 52, 53, 67 Anm. 185, 76, 92, 93, 99, 101, 105, 106, 107, 108, 109, 113, 115, 116, 117, 138, 139, 140 Anm. 146, 157, 165, 167, 169, 174, 178, 188, 189, 194, 196, 197, 198, 202, 211, 229, 247, 255, 280, 303, 311 nm. 42, 314, 318, 320, 341, 342, 346, 366, 380, 406, 408, 414, 426 Prinzipien 13, 23, 34, 35, 40, 48 Anm. 102, 53, 56, 57, 89, 90, 95, 96, 100, 101, 102, 184, 186, 187, 242, 244, 260, 262, 263, 273 Anm. 9, 303, 337, 338, 342, 347, 348, 352, 388 problēma-Frage 29, 143, 144, 145 Protasis 52, 81, 105, 115, 145, 153, 177, 233, 317, 318 Anm. 55 – indefinite Protasis 177 proteron hēmin 37, 68 Prozessualität der aristotelischen Vorgehensweise 3, 14 f., 25 – 31, 44, 54 f., 81, 90 f., 113, 127, 138, 166, 181 Anm. 215, 187, 192, 205, 35; siehe auch ‚epistemisches Schreiben‘ psychē 186, 200, 205, 211, 222, 233 reductio ad absurdum 38, 52, 72, 92, 141, 144, 188 Anm. 232, 315, 341, 343 Redundanz 3, 75, 100, 119, 153, 168, 170, 181, 260, 319, 337, 354, 399 regressus ad infinitum 35,92, 93, 416 Residuum 8, 86, 106, 133, 134, 160 Anm. 188, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 170, 174, 208, 210, 220, 224, 229, 230, 249, 251, 257, 273, 274, 276,

329, 347, 357, 370, 371, 375, 376, 386, 387, 388, 389, 417 Rezeptionssteuerung 38 Rezipient 8, 13, 28, 33, 34, 38, 46, 50, 52, 60, 61, 62, 63, 67, 68, 69, 70, 71, 73, 80, 81, 89, 96, 97, 98, 101, 105, 113, 116, 117, 118, 122, 123, 135, 138, 139, 141, 143, 145, 146, 147, 151, 152, 154, 156, 158, 159, 160, 171, 173, 177, 178, 179, 180, 188, 192, 195, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 206, 219, 224, 225, 226, 227, 233, 234, 239, 245, 248, 274, 283, 288, 296, 299, 302, 306, 307, 308, 312, 313, 314, 315, 316, 317, 325, 328, 332, 336, 338, 343, 353, 378, 379, 416, 424, 425, 428 – Einbezug des Rezipienten 69 Rezipient als Schiedsrichter 50 Anm. 118, 70 Rhetorik/rhetorisch 3, 4, 7, 9, 10, 14 Anm. 67, 15, 46, 51, 52, 60, 61, 66, 67, 72, 74, 78, 81, 131, 135, 139, 144, 146,151, 152, 154, 155, 158, 228, 260, 293, 314, 330, 367, 368, 426 Ringkomposition/ringkompositorisch 23 Anm. 1, 75, 95, 100, 110, 112, 120, 167, 189, 220, 223, 229, 235, 239, 251, 254, 274, 278, 281, 307, 347, 355, 368, 392, 400 Rückverweis 23 Anm. 1, 28, 112, 134, 167, 253, 272, 284, 289, 292, 302, 303, 307, 309, 310, 332, 343, 401 scala naturae 104, 231 Schaubilder 90 Schreiben 8, 19, 25, 26, 28, 29 Anm. 32, 30, 31, 38, 44, 50, 54, 90, 91, 108, 127, 128, 162, 237, 252, 354 Schreiben als ‚Ordnen der Gedanken‘ 108 Schriftlichkeit siehe ‚Mündlichkeit – Schriftlichkeit‘ Schwein 102 Anm. 51, 265, 377, 378 Sektionen 41, 70, 71, 79, 337, 341, 409; siehe auch ‚anatomai‘ Selachier 115 Anm. 85, 191 Anm. 234, 192, 194, 269, 272, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 294, 300, 301, 400

Personen- und Sachindex

Semantik 31, 53, 76, 78, 80, 127, 325 sēmeion 65, 413 Singular 27, 46, 68, 363 – 1. Person Singular 46 Spontaneität 3, 30, 147 Spontanzeugung 23, 90, 91, 94, 270, 324, 326, 327, 328, 329, 331 Stil/Stilfiguren/stilistisch 5, 6, 7, 8, 9, 19, 34, 46, 47, 49, 51, 72, 73, 74, 75, 80, 81, 101, 113, 118, 135, 142, 145, 154, 161, 182, 183, 185, 191, 195, 200, 204, 205, 210, 211, 225, 241, 276, 282, 288, 289, 293, 298, 299, 300, 301, 307, 311, 328, 351, 354, 369, 385, 391, 436 Suggestion/suggestiv 74, 76, 80, 97, 119, 144, 151, 155, 169, 176, 177, 211, 274, 282, 344, 389, 391, 421, 428 Syllogismus/syllogistisch 10, 11, 34, 36, 52, 140 Anm. 146, 167, 446 – Fehlschluss 106 Anm. 64, 263 Symmetrie/ symmetrisch 25, 27, 64, 153, 245, 279, 349, 350, 351, 359, 361, 369, 371, 372; siehe auch Asymmetrie/asymmetrisch Syntax 31, 74, 80, 243 Tautologie/tautologisch 120, 170, 282, 308, 406 technē 36 Anm. 66, 63, 199, 225, 251, 283, 380, 389, 434 tekmērion 65, 66, 247, 413 Teleonomie/teleonomisch 73, 185 telos 92, 122, 240, 378 tentative Ausdrucksweise 56, 69, 70, 74, 95, 96, 97, 113, 114, 174, 200, 207, 211, 224, 262, 277, 307, 311, 312, 347, 356, 367 terminus technicus 12 Anm. 57, 32 Anm. 49, 41, 57 Anm. 143, 65, 66, 156, 186, 194, 248, 292, 353, 357, 358, 359, 420

465

Testacea 93, 125, 137 Anm. 133, 270, 306, 310, 323, 324, 326, 327, 328, 330, 331, 332 Anm. 77 Thales 67 Tierklassen 75, 91, 102, 113, 130, 184, 245, 253, 269, 348 Anm. 14 unpersönliche Ausdrucksweise 140, 206, 234, 407, 409

46, 69, 98,

Verbaladjektiv 33, 51, 70, 71, 96, 138, 156, 158, 159, 163, 167, 219, 337, 366, 382, 402, 418 Vererbung 18, 23, 27, 28, 29, 34, 34 Anm. 179, 75, 140 Anm. 147, 153, 156, 163, 165, 206, 209, 211, 245, 336, 349, 351, 352, 353, 354, 355, 358, 359, 363, 364 Verkochung 94, 111, 117, 121, 163, 168, 170, 174, 221, 223, 257, 329, 336, 345, 346, 347, 353, 362, 370, 381, 382, 383 Vögel 41, 43, 79, 103, 107, 109, 116, 192, 194, 225, 233, 256, 269, 270, 271, 272, 273, 274, 276, 277, 278, 279, 282, 283, 285, 288, 289, 295, 296, 298, 299, 300, 301, 302, 366, 377, 379 Widerlegungsstrategie 144 Widersprüchlichkeiten 4, 6, 26, 28, 107, 353, 354 Windeier 70, 180, 181, 207, 233, 234, 236, 269, 270, 271, 273, 275, 276, 277, 278, 283, 301, 302, 303 Wirken-Leiden 179 Anm. 213 Wissenschaftliche Genauigkeit 55, 91, 256 Wissenschaftstheorie 3, 9, 10, 34, 36, 39, 50, 54, 57, 66, 76, 259, 262 work in progress 6 Anm. 17, 358, 360, 375