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German Pages [499] Year 2019
Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte Siegel- und Wappenkunde Herausgegeben von
IRMGARD FEES und ANDREA STIELDORF
64. Band · 2018
BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR
Archiv für Diplomatik 64
Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte Siegel- und Wappenkunde Begründet durch
EDMUND E. STENGEL Herausgegeben von
IRMGARD FEES und ANDREA STIELDORF
64. Band · 2018
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte Siegel- und Wappenkunde begründet von Edmund E. Stengel Herausgeber: Prof. Dr. Irmgard Fees Prof. Dr. Andrea Stieldorf eMail: eMail: [email protected] [email protected] Anschrift: Historicum Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München
Universität Bonn Institut für Geschichtswissenschaft, Konviktstr. 11 53113 Bonn Telefon 0228 / 735167
Redaktion: Prof. Dr. Andrea Stieldorf, Dr. Tobias Weller Aufgabenkreis: Das »Archiv für Diplomatik« veröffentlicht Untersuchungen und Darstellungen aus dem Bereich der historischen Hilfswissenschaften. Manuskripte sind, möglichst nach vorheriger Anfrage und nur in druckfertigem Zustand, an die Redaktion einzusenden (CD-ROM mit Angabe des benutzten Programms sowie ein Ausdruck oder per E-Mail-Anhang). Ein Merkblatt über die technische Einrichtung von Manuskripten findet sich unter (http://www.hgw.geschichte.uni-muenchen.de/ forschung/forsch_projekte/afd/index.html). Die Verfasser tragen für ihre Beiträge die Verantwortung; die Herausgeber sind nicht verpflichtet, Entgegnungen zu drucken. Autorenkorrekturen gehen im üblichen Ausmaß zu Lasten der Verfasser. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Punkt für Punkt · Mediendesign, Düsseldorf Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN: 978-3-412-51299-6 Erscheinungsweise: jährlich Preis: auf Anfrage Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn die Kündigung nicht zum 1. Dezember erfolgt ist. Zuschriften, die Anzeigen und Vertrieb betreffen, werden an den Verlag erbeten.
Inhalt Abkürzungs- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Theo Kölzer Ein „überforderter Erbe“? Kaiser Ludwig der Fromme (814–840) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Beate Schilling Ein unbekanntes Deperditum der Königin Irmingard von Burgund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Andrea Stieldorf Die Rückkehr des Königs. Zur Funktion des Herrscherbildes auf Münzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Stefan Petersen Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz Das Privileg Eugens III. für das Stift Rot an der Rot (JL † 9618) und seine Vorlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Christoph Egger Die Schreiber der päpstlichen Kanzlei unter Papst Innocenz III. Versuch eines ersten Überblicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Hubert Houben Ein bisher unbekanntes Generalprivileg Friedrichs II. für den Deutschen Orden (Juni 1219) . . . . . . . . . . . 161 Roman Zehetmayer Auf dem Weg zur Fürstenkanzlei. Das Beispiel der Herzogtümer Österreich und Steiermark . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Otfried Krafft Die päpstlichen Siegel des Hoch- und Spätmittelalters zwischen Beharrung und Wandel. Innovationen, Modifikationen, Fälschungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Michele Spadaccini Libellus in fabula? Anmerkungen zu einer Formelsammlung des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
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Inhalt
Doris Bulach Neuerungen im Kanzleiwesen zur Zeit Kaiser Ludwigs IV. (1314–1347). Der Beginn der Registerführung im Reich, in Oberbayern sowie den Marken Brandenburg und Meißen . . . 279 Tomáš Velička und Mlada Holá Die Urkunden und die Kanzlei des Herzogs Johann von Görlitz (1370–1396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Stefan G. Holz Die Fürstenerhebung Graf Hessos zu Leiningen 1452. Ein Graf zwischen König und Kurfürst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Walter Koch Die Rotunda in der Epigraphik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Franz-Albrecht Bornschlegel Die Gotische Minuskel nördlich der Alpen und ihre Rezeption im Süden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Diána Diera Collectio Diplomatica Hungarica. Online-Datenbank mittelalterlicher Schriftquellen aus Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 Tobias P. Jansen Das „Netzwerk Historische Grundwissenschaften“. Impulsgeber für die Peer Group? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 Anschriften der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . 485
Abkürzungs- und Siglenverzeichnis Abb. Abbildung(en) AA SS Acta Sanctorum Abh. Abhandlung(en) Abh. München Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Die Abhandlungen anderer Akademien werden in entsprechender Abkürzung zitiert. Gemeint ist stets die philosophisch-historische oder entsprechende Klasse)
ADB AfD
Allgemeine Deutsche Biographie Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde AHP Archivum Historiae Pontificiae AHR American Historical Review AKG Archiv für Kulturgeschichte Anm. Anmerkung(en) Archiv Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde AUF Archiv für Urkundenforschung Aufl. Auflage(n) AZ Archivalische Zeitschrift Bd., Bde. Band, Bände BDLG Blätter für deutsche Landesgeschichte BECh Bibliothèque de l’École des Chartes Bibl. Bibliothek, Bibliothèque, Biblioteca BMCL Bulletin of Medieval Canon Law N.F. Bouquet Recueil des Historiens des Gaules et de la France, hg. von Martin Bouquet u. a. ChLA Chartae Latinae Antiquiores CLA Codices Latini Antiquiores CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum D – DD Diploma – Diplomata ergänzt um die abgekürzten Herrschernamen. Beispiele: zu Otto III: D O.III. 28 zu Friedrich II: D F.II. 55
DA
Deutsches Archiv für Erforschung (bis 1944: Geschichte) des Mittelalters Diss. Dissertation EHR English Historical Review FmSt Frühmittelalterliche Studien FSGA Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe FSI Fonti per la storia d’Italia Germ. Pont. Germania Pontificia Hg., hg. Herausgeber(in), herausgegeben HJb Historisches Jahrbuch HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
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Abkürzungs- und Siglenverzeichnis
Hs., Hss. Handschrift(en) hsl. handschriftlich HV Historische Vierteljahrsschrift HZ Historische Zeitschrift It. Pont. Italia Pontificia Jg. Jahrgang Jh. Jahrhundert JK Jaffé/Kaltenbrunner ⎫ JE Jaffé/Ewald ⎬ Regesta Pontificum Romanorum JL Jaffé/Löwenfeld ⎭ LexMA Lexikon des Mittelalters LG Landesgeschichte LThK Lexikon für Theologie und Kirche MGH Monumenta Germaniae Historica Auct. ant. Auctores antiquissimi Briefe d. dt. Kaiserzeit Die Briefe der deutschen Kaiserzeit Capit. Capitularia regum Francorum Capit. episc. Capitula episcoporum Conc. Concilia Const. Constitutiones Dt. Chron. Deutsche Chroniken Dt. MA Deutsches Mittelalter. Kritische Studientexte DD Diplomata Epp. Epistolae (in Quart) Epp. saec. XIII Epistolae saeculi XIII Epp. sel. Epistolae selectae Fontes iuris Fontes iuris Germanici antiqui in usum scholarum separatim editi Fontes iuris NS Fontes iuris Germanici antiqui, Nova series Ldl Libelli de lite imperatorum et pontificum Libri mem. Libri memoriales Libri mem. NS Libri memoriales et Necrologia, Nova series LL Leges (in Folio) LL nat. Germ. Leges nationum Germanicarum Necr. Necrologia Germaniae Poetae Poetae Latini medii aevi QQ zur Geistesgesch. Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters SS Scriptores (in Folio) SS rer. Germ. Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separati mediti SS rer. Germ. NS Scriptores rerum Germanicarum, Nova series SS rer. Lang. Scriptores rerum Langobardicarum SS rer. Merov. Scriptores rerum Merovingicarum Staatsschriften Staatsschriften des späteren Mittelalters Mschr. Maschinenschrift Migne PL J.-P. Migne, Patrologia Latina MIÖG Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung (1923–1942: MÖIG) MLW Mittellateinisches Wörterbuch
Abkürzungs- und Siglenverzeichnis
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NA
Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde Nachdr. Nachdruck Nachrichten Göttingen Nachrichten von der Akademie (bis 1940: Gesellschaft) der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse NDB Neue Deutsche Biographie NF, NS Neue Folge; Nova Series, Nuova Serie u. dgl. Nr. Nummer Potthast Potthast, Regesta Pontificum Romanorum QE Quellen und Erörterungen zur bayerischen (und deutschen) Geschichte QFIAB Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken RI Regesta Imperii Rep. font. Repertorium fontium historiae medii aevi (1962 ff.) Rev. Bén. Revue Bénédictine RH Revue historique RHE Revue d’Histoire Ecclésiastique Rerum Italicarum Scriptores, alte Ausgabe (1723 ff.), RIS1 hg. von Muratori Rerum Italicarum Scriptores, neue Ausgabe (1900 ff.) RIS2 RTA Deutsche Reichstagsakten SB München Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Die Sitzungsberichte anderer Akademien werden in entsprechender Abkürzung zitiert. Gemeint ist stets die philosophisch-historische oder entsprechende Klasse)
SZG Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Stegmüller Friedrich Stegmüller, Repertorium biblicum medii aevi StM Studi Medievali StMGBO Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner Ordens und seiner Zweige Stumpf Stumpf/Brentano, Die Reichskanzler 2 Tab. Tabelle(n) Taf. Tafel(n) ThLL Thesaurus Linguae Latinae UB Urkundenbuch Univ. Universität Vf. Verfasser(in) vgl. vergleiche VL Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VuF Vorträge und Forschungen ZBLG Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZGO Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins ZHF Zeitschrift für historische Forschung ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte ZRG Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, GA Germanistische Abteilung
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Abkürzungs- und Siglenverzeichnis
KA Kanonistische Abteilung RA Romanistische Abteilung Zs. Zeitschrift(en) ZSG Zeitschrift für Schweizerische Geschichte
Ein „überforderter Erbe“? Kaiser Ludwig der Fromme (814–840) von THEO KÖLZER
Am Mittag des 5. Mai 840, am Tag vor Christi Himmelfahrt, trat eine Sonnenfinsternis ein, was als böses Vorzeichen gedeutet wurde – und Kaiser Ludwig der Fromme fing an dahinzusiechen1. Es war ein langes Sterben, das sein Biograph in aller Ausführlichkeit schildert, und am 20. Juni „erreichte er das Ende des irdischen Lebens und ging – wie wir glauben – glücklich zur Ruhe ein; denn wahr hat gesprochen der wahrhaftige Lehrer: ‚Es kann nicht schlecht sterben, wer gut gelebt hat‘“2. Diese positive Lebensbilanz des sogenannten Astronomus zogen nicht alle. Ludwig teilt das Schicksal der Söhne bedeutender Väter, aus deren Schatten herauszutreten zumeist schwerfällt, obwohl ihn sein anderer Biograph Thegan als den besten der Söhne Karls bezeichnet3. In der Bewertung Späterer, erst recht in der nach vielen Katastrophen europa-seligen Nachkriegszeit, folgte Albert Hauck zufolge nach dem ,großen‘ Karl „des großen Kaisers kleiner Sohn“ und damit der Anfang vom Ende des karolingischen Großreiches4! War Ludwig also ein „überforderter Erbe“?, Unveränderter Text des Festvortrags anlässlich der Feier des 70. Geburtstages von Rudolf Schieffer (Bonn, 3.2.2017), der am 14. September 2018 unerwartet verstarb. Für diese essayhafte Skizze wurden nur die wörtlichen Zitate und direkten Bezugnahmen belegt; für eine umfangreiche Bibliographie vgl. die in Anm. 20 zitierte Edition. Die grundlegende Gesamtdarstellung ist Egon Boshof, Ludwig der Fromme (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), Darmstadt 1996. Zu dem Zitat im Titel vgl. Anm. 5. 2 Astronomus, Vita Hludowici imperatoris, c. 64, ed. Ernst Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64 (1995) S. 552 f. mit Bezug auf Augustinus. 3 Thegan, Gesta Hludowici imperatoris, c. 3, ed. Tremp, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 64 (1995) S. 178 f. 4 Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 2, Berlin/Leipzig 61952, S. 180; Nikolaus Staubach, „Des großen Kaisers kleiner Sohn“, in: Charlemagne’s Heir. New Perspecti 1
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Theo Kölzer
fragte vor einigen Jahren Egon Boshof, fand aber zu einer differenzierten Antwort in der Tradition seines Lehrers Theodor Schieffer und François Louis Ganshofs5. Ludwig habe „nicht über die zupackende Energie, den langen Atem und die glückliche Hand [verfügt], die den ersten karolingischen Kaiser auszeichneten“, urteilt Rudolf Schieffer6, jedoch nicht ohne gerechterweise die gänzlich veränderte Ausgangslage beider herauszustellen, was allzu oft vernachlässigt wird. * 778 in der Pfalz Chasseneuil bei Poitiers geboren, war Ludwig bereits mit drei Jahren als Unterkönig in das erst zehn Jahre zuvor unterworfene Aquitanien geschickt worden – und verblieb dort 33 Jahre, ein ganzes Menschenleben. Südlich der Loire war römisches Erbe erst durch Karl Martell gewaltsam ‚gleichgeschaltet‘ worden. Dort also wurde Ludwig sozialisiert und geriet in den Bannkreis des Mönchsreformers Benedikt von Aniane, der ihn nicht wenig geprägt hat, sodass der Astronomus sogar vermutete, Ludwig habe selbst Mönch werden wollen. Der Einspruch des Vaters und der Heilsplan Gottes hätten dies verhindert7. Schon der erste Aufenthalt des Neunjährigen bei seinem Vater in Aachen ist bezeichnend, denn Ludwig „trug wie seine Altersgenossen baskische Kleidung, nämlich ein rundgeschnittenes Mäntelchen, gebauschte Hemdsärmel, gepuffte Beinkleider, Stiefel mit Sporen und einen Wurfspieß in der Hand“8. So hatte es der Vater angeordnet. Soziologen würden indes wohl von „Selbststigmatisierung“ sprechen: Dieser Ludwig war anders – und er konnte es sein, denn seinerzeit setzte Karl der Große noch auf seinen gleichnamigen Erstgeborenen als Nachfolger. Schon der Name Ludwig ist merowingisch, denn die karolingischen Herrscher-Namen waren seinerzeit bereits vergeben. ves on the Reign of Louis the Pious (814–840), hg. von Peter Godman/Roger Collins, Oxford 1990, S. 701–721; so auch die Kapitelüberschrift bei Boshof, Ludwig der Fromme (wie Anm. 1), S. 255. 5 Egon Boshof, Kaiser Ludwig der Fromme: Überforderter Erbe des großen Karl?, in: Zs. des Aachener Geschichtsvereins 103 (2001 [2002]) S. 7–28; Theodor Schieffer, Die Krise des karolingischen Imperiums, in: Aus Mittelalter und Neuzeit. Festschrift zum 70. Geburtstag von Gerhard Kallen, hg. von Josef Engel/Hans Martin Klinkenberg, Bonn 1957, S. 1–15; François Louis Ganshof, Louis the Pious reconsidered, in: History 42 (1957) S. 171–180. 6 Rudolf Schieffer, Die Karolinger, Stuttgart 52014, S. 113. 7 Astronomus, Vita c. 19, ed. Tremp (wie Anm. 2), S. 336 f. 8 Ebd. c. 4, ed. Tremp (wie Anm. 2), S. 296 f.
Ein „überforderter Erbe“?
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Den Unterschied zum Vater macht Thegans Charakterisierung überdeutlich, wenn man sie mit Einhards Vita Karoli vergleicht9: Ludwig war von mittlerer Statur, sprach fließend Latein und verstand Griechisch, kannte religiös-theologische Schriften, liebte das Psalmensingen und die Lesungen, verachtete aber die heidnischen Lieder; er war „schwer zum Zorn und leicht zum Mitleid bereit“, nachsichtig mit seinen Gegnern, ging täglich zur Kirche „und betete lange demütig, manchmal unter Tränen“, und „nie erhob er seine Stimme zu lautem Lachen“. Empfänglich für Übernatürliches, suchte er ängstliche Besorgnis mit Fasten und Beten zu bekämpfen. Er war freigebig, im Essen und Trinken mäßig, in der Kleidung bescheiden, kurz: ein gebildeter Asket, der – wie sein Biograph feststellt – „alles mit Klugheit und Umsicht tat, nichts unüberlegt“, der allerdings auch gerne der herrscherlichen Jagd frönte. Aber was die Biographen aus nächster Nähe übereinstimmend als Tugenden werteten, verkehrte die Nachwelt ins Gegenteil: „Friedfertigkeit und Milde wurden zur Schwäche, monastisch geprägte Tugenden zu törichter Selbstdemütigung, Frömmigkeit [wurde] zur Bigotterie, Freigebigkeit mit Verschleuderung von Reichsgut gleichgesetzt“, konstatiert der moderne Biograph10. Rudolf Schieffer hat zudem gezeigt, wie sich aus dem Herrscherepitheton pius erst mit großem zeitlichen Abstand und zunächst sehr zögerlich ein individueller Beiname entwickelte, der Späteren der verengende und negativ besetzte Parameter für das historische Urteil wurde11. Allerdings bemerkt schon der Alkuin-Biograph, dass Ludwig vielen um seiner Demut willen verächtlich erscheine12; der neue Kaiser entsprach in Habitus und Handeln offenkundig nicht dem zeitgenössischen Herrscher- und Kriegerideal! Auch einen anderen Makel streicht der Biograph heraus: Er habe seinen Ratgebern mehr als nötig vertraut13. Das ist kaum nur ein Topos, wie er oft verwendet wird, um einen Herrscher bei Fehlentwicklungen in Schutz zu nehmen. Denn mit für ihn entscheidenden Ratgebern war der Kindkönig aufgewachsen, und in seinem monastischen Umfeld war z. B. dem Abt die Einholung des Rates der Brüder in allen wichtigen Dingen vorgeschrie Thegan, Vita c. 19, ed. Tremp (wie Anm. 3), S. 200–204; Einhard, Vita Karoli Magni c. 21 ff., ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 25, (1911, Nachdr. 1965) S. 26 ff. 10 Boshof, Ludwig der Fromme (wie Anm. 1) S. 4 f. 11 Rudolf Schieffer, Ludwig „der Fromme“. Zur Entstehung eines karolingischen Herrscherbeinamens, in: FmSt 16 (1982) S. 58–73. 12 Vita Alcuini c. 15, ed. Wilhelm Arndt, MGH SS 15/1 (1887) S. 193 Z. 4. 13 Thegan, Gesta c. 20, ed. Tremp (wie Anm. 3), S. 204 f. 9
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Theo Kölzer
ben14. Ludwigs Ratgebern oblag – wenn auch unter der Kontrolle Karls des Großen – die Integration des neuen Unterkönigreichs ins Fränkische Reich, an dessen Geschick Ludwig kaum Anteil nahm. Als einzig überlebender legitimer Spross der karolingischen Dynastie wurde Ludwig jedoch 813 in Aachen zum Mitkaiser erhoben, nicht ohne Bedenken, wie es scheint; von einem engen Vertrauensverhältnis zwischen Vater und Sohn wird man jedenfalls nicht sprechen können. * Der Herrschaftswechsel vollzog sich entgegen manchen Befürchtungen reibungslos, aber Ludwigs Entrée in Aachen begann bezeichnenderweise mit einem ‚Kassensturz‘ und mit einem Paukenschlag. Thegan zufolge habe sich Ludwig nicht nur „umgehend alle Schätze des Vaters ... vorzeigen“, sondern auch unter seinem Vater durch Beamte verübtes Unrecht ermitteln und heilen lassen15. Als eine der ersten Maßnahmen, so der Astronomus, habe Ludwig die „überaus zahlreiche weibliche Gesellschaft vom Hof entfernen lassen“, außer jenen, „die er für den königlichen Dienst geeignet fand“16. Es traf auch Ludwigs Schwestern, deren „Treiben ... in der väterlichen Wohngemeinschaft“ ihn schon lange gestört hatte17. Unbegründet war dies wohl nicht, denn auch Alkuin warnte einen Schüler vor den „gekrönten Tauben, die in den Räumen des Palastes herumfliegen“18. Es ging freilich bei dieser ‚Säuberungsaktion‘ nicht nur um moralisch Verwerfliches, denn es traf auch einflussreiche Persönlichkeiten am Hof wie Abt Adalhard von Corbie oder dessen Bruder Wala; sie wurden durch die aquitanische Entourage Ludwigs ersetzt: Der aquitanische Kanzler Helisachar, jetzt inter priores primus palatii19, sowie Benedikt von Aniane und Ludwigs Jugendgefährte Ebo, der spätere Erzbischof von Reims, stehen für diesen Wechsel, aber auch die Grafen Matfrid von Orléans und Hugo von Tours, der künftige Schwiegervater Kaiser Lothars: Die programmatisch auf den kaiserlichen Bullen propagierte renovatio regni Fran corum20 begann demnach mit einem durchgreifenden personellen Revire Regula Benedicti c. 3. Thegan, Gesta c. 8 und 13, ed. Tremp (wie Anm. 3), S. 188 f., 192–194. 16 Astronomus, Vita c. 23, ed. Tremp (wie Anm. 2), S. 352 f. 17 Ebd. c. 21, ed. Tremp (wie Anm. 2), S. 348 f. 18 Alcuini ep. 244, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 4 (1895) S. 392 f. 19 Amalarii opera liturgica omnia 1, ed. Jean Michel Hanssens, Studi et testi 138 (1948) S. 362. 20 Die Urkunden Ludwigs des Frommen, MGH DD Kar. 2, unter Mitwirkung von Jens Peter Clausen/Daniel Eichler/Britta Mischke/Sarah Patt/Susanne Zwierlein u. a. 14 15
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ment, so wie es zeitlosem Herrschaftswissen entspricht, was aber die bislang der herrscherlichen Nähe Teilhaftigen zu potentiellen Opponenten machte. * Mit der gewaltsamen Eingliederung des Sachsenreiches nach drei Jahrzehnten Krieg schien das fränkische Großreich saturiert, war die expansive Phase vorbei. Aber was den Architekten dieses Reiches in den Augen Späterer „groß“ machte, werden Langobarden, Awaren, Sachsen und andere Betroffene gewiss ganz anders beurteilt haben. Jetzt, nachdem 812 auch ein Ausgleich mit Byzanz erreicht worden war, galt die Hauptsorge der Sicherung des Erreichten und des Zusammenhalts, wofür ein Schulterschluss der bisherigen Kriegergesellschaft erfahrungsgemäß sehr viel schwieriger zu bewerkstelligen war, zumal es dabei stets nur um relativen Erfolg gehen konnte. Entscheidende Rahmenbedingungen künftiger Politik waren demnach durch Karl den Großen vorgegeben. Das galt auch für die stationäre Regierungsweise von der Aachener Pfalz aus. Ludwig der Fromme führte diese Praxis, unbehindert durch eine Herrschaftsteilung, zunächst fort und weilte bis 822 vorwiegend in Aachen21. Dort bezeugte Unterkünfte geistlicher und weltlicher Großer unterstreichen den Residenzcharakter. Aachen war somit ein fest kalkulierbarer Zielpunkt für Hofbesucher und zugleich bevorzugter Beratungs- und Versammlungsort. Und da sich der Aktionsradius Ludwigs auf das ‚Pentagon‘ Nimwegen – Paris – Metz – Worms – Frankfurt beschränkte, war Aachen nur auf das Gesamtreich bezogen exzentrisch gelegen, faktisch aber Mittelpunkt des fränkischen Großreiches. Solche Ansätze zur Residenzbildung und Herrschaftskonzentration sind wir aus moderner Sicht positiv zu bewerten geneigt. Aber sie entsprachen nicht altem Herkommen, dem zufolge der König seine Herrschaft gleichsam von Angesicht zu Angesicht ausüben, periodische Präsenz in möglichst vielen Reichsteilen zeigen musste. Wie Karl der Große versuchte auch Ludwig, mittels der Königsboten und der Kapitularien in die Peripherie zu wirken. Das war angesichts fehlender administrativer Infrastruktur ein Behelf und in dieser Intensität neu, konnte aber auf Dauer die herrscherliche Nähe nicht ersetzen. Nach dem Bußakt von Atbearb. von Theo Kölzer, Bd. 1, Wiesbaden 2016, S. LIV f. 21 Theo Kölzer, Ludwig der Fromme und Aachen, in: Zs. des Aachener Geschichtsvereins 113/114 (2011/2012) S. 61–95.
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Theo Kölzer
tigny 822 war Ludwig denn auch wieder auf eine ambulantere Herrschaftsausübung verwiesen, während sein Itinerar im letzten Jahrzehnt krisenhaft verformt ist. * Die Grenzen des Karls-Reiches erwiesen sich im Ganzen als relativ stabil, wenngleich immer wieder Übergriffe zurückgeschlagen werden mussten, wobei Ludwig nur ausnahmsweise in eigener Person beteiligt war. Dass allerdings in den späten 820er Jahren Rückschläge in Spanien, Pannonien und bei den Dänen zu verzeichnen waren, verstärkte ein keimendes Klima von Unzufriedenheit mit der Herrschaftsführung Ludwigs. Die für solche Niederlagen Verantwortlichen, Markgraf Balderich von Friaul sowie die Grafen Hugo und Matfrid, wurden abgesetzt. Aber solche Maßnahmen beschädigten zugleich das Verhältnis des Kaisers zu führenden Adelskreisen: Hugo war immerhin der Schwiegervater Kaiser Lothars, und Matfrid wurde ausgerechnet durch einen Vetter von Judiths Günstling Bernhard von Barcelona ersetzt, was einmal mehr als Zeichen für den verderblichen Einfluss der Kaiserin gewertet wurde; Agobard von Lyon galt sie als „Ursache allen Übels“ (tocius mali causa)22. Unbestritten ist, dass ihr Einfluss im Laufe der Jahre kontinuierlich stieg, kaum zum Vorteil der Reichspolitik. * Wenn Ludwig der Fromme auch keine Expansionspolitik im Stile seines Vaters mehr betrieb, so galt das nicht bezüglich der Ausbreitung des christlichen Glaubens, der er sich verpflichtet fühlte. Bezeichnenderweise stellt ihn das berühmte Figurengedicht des Hrabanus Maurus als miles Christi dar23: mit einem Kreuzstab statt einer Lanze in der Rechten und bewehrt mit dem Schild des Glaubens. Das ist nicht nur Fremdaussage, sondern so verstand er sich wohl selbst. Der Unterschied etwa zu dem imposanten Herrscherbild der bekannten Metzer Reiterstatuette, die wechselweise für Karl den Großen oder Karl den Kahlen in Anspruch ge-
Liber apologeticus 2 c. 2, ed. Lieven van Acker, Agobardi Lugdunensis Opera omnia, CCCM 52 (1981) S. 316. 23 Hrabanus Maurus, In honorem sancte crucis, ed. Michel Perrin, CCCM 100 (1997); Abb.: Percy Ernst Schramm, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit 751– 1190, unter Mitarbeit von Peter Berghaus/Nikolaus Gussone/Florentine Mütherich, hg. von Florentine Mütherich, München 1983, S. 46 f. mit Abb. 16. 22
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nommen wird24, ist evident! Seit 823 missionierte Erzbischof Ebo von Reims im Auftrag Ludwigs bei den Dänen, abgelöst von seinem Neffen Gauzbert, dem späteren Bischof von Osnabrück, und dem aus dem Klos ter Corbie stammenden Ansgar, dem „Apostel des Nordens“. Aber trotz der Taufe des dänischen Kronprätendenten Harald 826 in Mainz war der Mission des Nordens kein bleibender Erfolg beschieden: Religion war in dieser Zeit nicht die Sache des Einzelnen, und so scheiterte die Mission schon daran, dass sich Harald in den Thronkämpfen nicht durchsetzen konnte und bereits ein Jahr später Zuflucht im fränkischen Reich suchen musste. Für das Missionsgeschehen im Sächsischen wird man im Gefolge unserer Urkundenedition keinen bestimmenden Anteil mehr für Ludwig den Frommen reklamieren wollen, denn diözesane Strukturen dürften sich – Paderborn ausgenommen – erst unter Ludwig dem Deutschen entwickelt haben25. * Im Innern hatte das gewaltsam zusammengeschmiedete fränkische Großreich die landsmannschaftlichen Identitäten natürlich nicht beseitigt: Man fühlte sich in erster Linie als Aquitanier, Langobarde, Burgunder, Alemanne, Friese oder Sachse, sprach die lingua Theotiska, die „Volkssprache“, und war dem je eigenen Recht unterworfen, während fränkisch vor allem die monarchische Spitze und die nivellierende Bezeichnung des Reiches war. Dem stand entgegen die von geistlichen Intellektuellen propagierte „christozentrische“ Reichsidee, wie sie im Umkreis Ludwigs als Integrationsziel vor allem von Agobard von Lyon vertreten wurde: Nicht mehr Völkerschaften sollte es hinfort im Reich geben, sed omnia et in om nibus Christus26. Zugleich vermittelte die jetzt aufkommende und von kirchlichem Amtsdenken geprägte Fürstenspiegel-Literatur die Vorstellung vom Königtum als eines von Gott verliehenen Amtes, über dessen ethischer Fundierung und Ausübung Männer der Kirche als Sachwalter Gottes zu wachen beanspruchten. Im Dienst der Karolinger kamen überdies potente Adelsfamilien zu Ämtern sowie regionalem und überregionalem Einfluss, formierten sich Schramm/Mütherich, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit (wie Anm. 23) S. 58 f. mit Abb. 43. 25 Theo Kölzer, Die Anfänge der sächsischen Diözesen in der Karolingerzeit, in: AfD 61 (2015) S. 11–37. 26 Agobardi Lugdunensis archiepiscopi epistolae, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 5 (1899) Nr. 3, S. 159 Z. 12. 24
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zur sogen. „Reichsaristokratie“27 und gewannen zunehmend Teilhabe an der Königsherrschaft. In diesen Kreisen stand freilich adliges Eigeninteresse weit vor einem Denken zugunsten eines gemeinsamen Ganzen, was bei Zwist im Herrscherhaus immer wieder Optionen eröffnete und negative Erinnerungen an die Merowingerzeit weckt. Die unter Ludwig dem Frommen verstärkt verliehenen Immunitätsprivilegien für kirchliche Institute schränkten überdies die Zugriffsmöglichkeiten königlicher Amtsträger drastisch ein, durchlöcherten das fränkische Großreich wie einen Schweizer Käse, und stärkten gleichwohl, zumindest im militärischen Bereich, die Königsgewalt28. Die entstandenen Lücken, etwa im jurisdiktionellen Bereich, füllten Kirchen- und Kloster-Vögte, und dieses später hochadlige Institut wird sich als eine tragende Säule des hoch- und spätmittelalterlichen Territorialisierungsprozesses erweisen. In Kombination mit dem von Ludwig stets gleichzeitig verliehenen Königsschutz bildete sich nun eine attraktive Gruppe rechtlich homogener Königsklöster heraus, die in unterschiedlichem Maße das servitium regis zu leisten verpflichtet waren und von Ludwig reich privilegiert wurden. So hat die Kanzlei Ludwigs des Frommen maßgeblich zur Fortbildung zentraler Rechtsfiguren der Verfassung des fränkischen Reiches beigetragen. * Die Urkundenausstellung verdeutlicht auch den atemberaubenden Schwung der ersten Jahre: Für die gesamte Kaiserzeit Karls des Großen verzeichnet die Monumenta-Edition 22 echte Urkunden, was Ludwig der Fromme allein in seinem ersten Jahr bei weitem übertraf. Ludwig erntete überdies erste konkrete Erfolge der unter seinem Vater grundgelegten Reformbemühungen, der sogen. „Karolingischen Renaissance“. Man kann es wiederum an dem sprachlichen Niveau der Urkunden ablesen, die inhaltlich und stilistisch einen Quantensprung markieren, und neuerdings wird in einigen Fällen sogar eine Beteiligung des Kaisers selbst am Diktat für möglich gehalten29. Zudem waren nach unseren Beobachtungen jetzt of Karl Ferdinand Werner, Bedeutende Adelsfamilien im Reich Karls des Großen, in: Karl der Grosse. Lebenswerk und Nachleben, hg. von Wolfgang Braunfels, Bd. 1: Persönlichkeit und Geschichte, hg. von Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 83–142 = ders., Vom Frankenreich zur Entfaltung Deutschlands und Frankreichs, Sigmaringen 1984, S. 22– 81. 28 David Bacharach, Immunities as Tools of Royal Military Policy under the Carolingian and Ottonian Kings, in: ZRG GA 130 (2013) S. 1–36. 29 Susanne Zwierlein, Studien zu den Arengen in den Urkunden Kaiser Ludwigs des Frommen (814–840) (MGH Studien und Texte 60), Wiesbaden 2016; Karl Ubl, Die Stimme 27
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fenbar viele in der Lage, eine Kaiserurkunde lege artis auszufertigen. Dies steht in krassem Widerspruch zum bisherigen Verständnismodell der karolingischen Kanzlei, dürfte aber einmal mehr ein Indiz dafür sein, dass die kulturelle Bedeutung des Hofes jetzt hinter die Wirkung vornehmlich klösterlicher Bildungszentren wie etwa St. Martin in Tours, Fulda, St. Gallen oder Reichenau zurücktrat, die ihrerseits Nutznießer der Reformbemühungen Karls des Großen waren. Fulda erlebte z. B. unter Abt Hrabanus Maurus, dessen Abbatiat sich weitgehend mit der Regierungszeit Ludwigs deckt, sein „goldenes Zeitalter“. Annalistik, weltliche und kirchliche Gesetzgebung, Dichtung und Briefkultur, theologische Traktate und politische Manifeste spiegeln das gehobene Bildungsniveau der Elite, und Mitte der 830er Jahre entstanden in der Fälscherwerkstatt von Corbie die wohl wirkmächtigsten Fälschungen des Mittelalters, die sogen. „Pseudo isidorischen Dekretalen“, ein Mosaik von Abertausenden von Zitaten aus der kirchlichen Überlieferung. Die Fälschungen zielten vor allem auf den Schutz von Bischöfen und sind, wie Klaus Zechiel-Eckes gezeigt hat30, die Reaktion auf die Strafmaßnahmen Ludwigs des Frommen gegen die bischöflichen Verschwörer des Jahres 833; sie können daher mit Johannes Fried auch als ein herrschaftskritisches Dokument gelesen werden31. Kurz zuvor wurde wohl auch Einhards berühmte Vita Karoli geschrieben, die man gleichfalls als paränetischen Gegenentwurf zur Regierung Ludwigs des Frommen lesen kann32. Dass der intellektuelle ‚Take-off‘ im Gefolge der Karolingischen Renaissance sich einmal massiv gegen deren Förderer richten könnte, hätten sich diese vermutlich nicht träumen lassen. * des Kaisers. Persönlichkeit und Persona in Dokumenten Ludwigs des Frommen, in: AfD 63 (2017) S. 47–69. 30 Zum Stand der Forschung vgl. Karl Ubl/Daniel Ziemann (Hg.), Fälschung als Mittel der Politik? Pseudoisidor im Licht der neuen Forschung. Gedenkschrift für Klaus ZechielEckes (MGH Studien und Texte 57), Wiesbaden 2015. 31 Johannes Fried, Donation of Constantine and Constitutum Constantini. The Misinterpretation of a Fiction and its Original Meaning. With a contribution by Wolfram Brandes: „The Satraps of Constantine“ (Millennium-Studien 3), Berlin/New York 2007, S. 88 ff.; Ders., Der lange Schatten eines schwachen Herrschers. Ludwig der Fromme, die Kaiserin Judith, Pseudoisidor und andere Personen in der Perspektive neuer Fragen, Methoden und Erkenntnisse, in: HZ 284 (2007) S. 103–136, bes. S. 104 f. 32 Siehe oben Anm. 9. Die Entstehungszeit ist freilich umstritten: Matthias M. Tischler, Einharts Vita Karoli. Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption (Schriften der MGH 48), Hannover 2001, S. 151–183, bes. 165 ff. plädierte für 828–830, Steffen Patzold, Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard, Stuttgart 2013, S. 193, 295 für die erste Hälfte des Jahres 829.
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Von dem reformerischen Schwung des Regierungsbeginns, von dem wir ausgingen, zeugen nicht zuletzt die Aachener Beschlüsse von 816, ergänzt durch weitere Synodaldekrete und Kapitularien der drei folgenden Jahre33: Sie galten der schärferen Trennung von mönchischer und kanonischer Lebensweise und damit der Beseitigung von mancherlei Wildwuchs. Hier, im kirchlichen Bereich, sowie in den Kapitularien findet man denn auch ein ganz bewusstes Streben nach Vereinheitlichung, während es ansonsten keine Anzeichen für eine homogenisierende Integrationspolitik für das Vielvölkerreich gibt. Richtschnur für die Mönche sollte fortan allein die Regel Benedikts sein, was nicht ohne Widerstand abging, selbst in den bedeutendsten Abteien, wie etwa St. Denis, denn Neues galt bis weit ins Mittelalter hinein als suspekt. Ein normierter kanonischer Ordo entstand jetzt überhaupt erstmals. Aber bei solchen Normierungen blieben der Kaiser und seine Berater nicht stehen, zumal sich durchaus ein Bogen zur Einheits-Idee der Ordinatio imperii schlagen ließe34. Häufiger betont Ludwig der Fromme, dass ihm das von Gott verliehene Amt eine erhöhte Verantwortung für den cultus divinus im weitesten Sinn auferlege, was zugleich eine moralische Erneuerung von Kirche und Gesellschaft einschloss35. Folglich ist auch die Fortsetzung von Karls des Großen Kapitulariengesetzgebung Teil und Spiegelbild von Ludwigs Reformen, mit denen er Rechtssicherheit für alle, dem fränkischen Reich Bestand und Dauer und den minus potentes Schutz zu verleihen suchte. Peter Landau stellt Ludwig den Frommen denn auch in die europäische „Ahnenreihe der Gesetzgeber“36, wenngleich diese Aktivität im Krisenjahr 829 abrupt endete und obwohl nur Abt Ansegis von Fontenelle eine private, aber wirkmächtige Sammlung der Kapitularien zustande brachte. * Eigenen Erfahrungen und zeitlosem Herrschaftswissen entsprechend, setzte Ludwig für die Verwaltung des Großreiches auf die Delegation von Herrschaft innerhalb der Familie: Seine Söhne Ludwig und Pippin wur 33 MGH Conc. 2, S. 307–468; MGH Capit. 1, S. 275–280; ed. Petrus Becker OSB, in: Corpus consuetudinum monasticarum 1, Siegburg 1963, S. 483–499. 34 MGH Capit. 1, S. 270–273. 35 Zwierlein, Studien zu den Arengen (wie Anm. 29) S. 74 ff. 36 Peter Landau, Ludwig der Fromme als Gesetzgeber. Das Gesetzgebungsprogramm des Kaisers am Beispiel von Verwandtenerbrecht und Verfügungsmacht, in: Festschrift für Gerd Kleinheyer zum 70. Geburtstag, hg. von Franz Dorn/Jan Schröder, Heidelberg 2001, S. 371–386.
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den Unterkönige von Bayern und Aquitanien, der Schwiegersohn Bego Graf von Paris, der illegitime Sohn Arnulf Graf von Sens, und in Italien erkannte Ludwig zunächst die Königsherrschaft seines Neffen Bernhard an. Dessen Nichtberücksichtigung in der Ordinatio von 817 führte zur ersten Krise: Bernhard wurde als Empörer geblendet und starb an den Folgen, was dem Kaiser eine schwere moralische Hypothek eintrug, obwohl er das zunächst gefällte Todesurteil abgemildert hatte. Ludwigs Halbbrüder Drogo, Hugo und Theuderich wurden in Klöster verwiesen und damit als potentielle Konkurrenten ausgeschaltet, ein Kritiker wie Theodulf von Orléans seines Bischofsamtes enthoben. An die Stelle der Berater Karls des Großen waren, wie wir schon hörten, zunächst Ludwigs aquitanische Vertraute getreten. Dazu knüpfte Ludwig über die Heirat mit der Welfin Judith und seiner Söhne und Töchter Beziehungen zu führenden Adelsfamilien. Ein erneutes Revirement wurde durch die Todesfälle wichtiger Berater 819–821 erforderlich, weshalb der Kaiser jetzt die überlebenden Parteigänger Bernhards begnadigte und neue Männer in den Vordergrund traten, etwa der Graf Matfrid von Orléans sowie die Bischöfe Jonas von Orléans, Agobard von Lyon und Ebo von Reims. * Ungelöst blieb ein Problem mit Sprengkraft: Karl der Große hatte 806 sein Reich in merowingisch-fränkischer Tradition unter seinen legitimen Söhnen geteilt, ohne jedoch Regelungen bezüglich der neu erworbenen Kaiserwürde zu treffen; dieser Quadratur des Kreises war er wohlweislich ausgewichen. Der vorzeitige Tod zweier Söhne machte Karls Nachfolgeordnung zwar hinfällig, aber die Regelung von 806 bezeugt die Mächtigkeit des Teilungsprinzips. Schon zu Beginn seiner Alleinherrschaft suchte nun auch Ludwig das Nachfolgeproblem unter dem Einfluss seiner geistlichen Ratgeber und durch Gottes Willen inspiriert zu lösen, jetzt freilich durch eine Verbindung des Herkommens mit dem neu erworbenen Kaisertum: Lothar sollte allein Kaiser sein, während die beiden anderen Söhne auf Teilreiche beschränkt und ihrem kaiserlichen Bruder untergeordnet sein sollten; der Neffe Bernhard, dessen Königsherrschaft Ludwig zunächst anerkannt hatte, blieb, wie schon erwähnt, unberücksichtigt. Es ist fraglich, ob diese Abschichtung legitimer Ansprüche, in der Forschung vielgelobt, wirklich zukunftsfähig war. Nicht von ungefähr war nach Durchsetzung der Individualsukzession durch die sogen. „Hausordnung“ Heinrichs I. (929) auch das erste Drittel der Regierungszeit Ottos
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d. Gr. von innerfamiliären Konflikten überschattet, in denen subjektiv empfundenes Recht zu verteidigen versucht wurde. Rudolf Schieffer hat denn auch sehr zu Recht konstatiert, „daß es auf die Dauer an einer breiten Akzeptanz des Plans bei den Großen und an der Bereitschaft der jüngeren Kaisersöhne zu lebenslanger Bescheidenheit mangelte“37, und schon Thegan bemerkte zur Bevorzugung Lothars einsilbig: „Darüber entrüsteten sich die anderen Söhne“38. Die Situation verkomplizierte sich, als nach der Geburt Karls des Kahlen 823 die Kaiserin Judith auf eine Beteiligung ihres leiblichen Sohnes drang. Und so berechtigt auch ihr Ansinnen war, trug es ihr doch eine bleibende Rufschädigung durch Zeitgenossen und Historiker ein, die in dem verhängnisvollen Einfluss der Kaiserin den Anfang vom Ende des Karolingerreiches sahen. Unstrittig ist, dass die Ausstattungsfrage zunehmend die politische Agenda bestimmte, eine wachsende Unzufriedenheit im Reich schürte und wechselnde Interessenkoalitionen zusammenfinden ließ, die sich zweimal gegen den Kaiser empörten. 833 oktroyierten ihm die Bischöfe in Soissons in Wahrnehmung der von ihnen beanspruchten Wächterfunktion einen demütigenden Bußakt: Ludwig musste ein Sündenverzeichnis verlesen, das ihm bescheinigte, das von Gott verliehene Amt nachlässig geführt zu haben, weshalb er sein Herrschaftsrecht verwirkt habe. Das wurde vielfach als kaltblütige Skrupellosigkeit gegenüber einem nachgiebigen und frömmelnden Kaiser ausgelegt. Dagegen hat Mayke de Jong das Vorgehen in einem radikalen Perspektivenwechsel als unausweichliche pastorale Verpflichtung zur correctio innerhalb eines „Penitential State“ (eines ‚BußStaates‘) mit hohen moralischen Standards gedeutet39, einer Gesellschaft als Heilsgemeinschaft, die von dem Bewusstsein dominiert gewesen sei, sündig zu sein, und ständig nach Wegen der correctio und emendatio gesucht habe, was offenbar bei Ludwig dem Frommen auf eine entsprechende Prädisposition traf. 822 hatten sich Kaiser und Bischöfe in Attigny noch gemeinsam einem spektakulären öffentlichen Bußritual unterzogen. Aber schon auf der Pariser Synode des Jahres 829 reklamierten die fränkischen Bischöfe aus ihrem Hirtenamt grundsätzlich ihre Verantwortung für und ein Aufsichtsrecht über öffentliche Angelegenheiten und insbe Rudolf Schieffer, Christianisierung und Reichsbildungen: Europa 700–1200 (C. H. Beck Geschichte Europas), München 2013, S. 105; vgl. Ders., Der Platz Ludwigs des Frommen in der fränkischen Geschichte (in Druckvorbereitung). 38 Thegan, Gesta c. 21, ed. Tremp (wie Anm. 3), S. 210 f. 39 Mayke de Jong, The Penitential State. Authority and Atonement in the Age of Louis the Pious, 814–840, Cambridge 2009. 37
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sondere das herrscherliche Handeln, was die irdische Herrschaft im Kern traf40: Das Jahr 829 markiert denn auch die Peripetie von Ludwigs Regierungszeit! Offenbar verkannte er aber die Lage, und es war von ihm zumindest unklug, jetzt mit einem ersten Plan zur Ausstattung seines nachgeborenen Sohnes Karl hervorzutreten und damit eine zusätzliche Flanke zu eröffnen; denn jetzt fürchteten die Söhne um die Sicherheit des früher vereinbarten Herrschaftsanteils! Lothar wurde zudem nach Italien abgeschoben und verlor seinen Status als Mitregent – eine eklatante Minderung seines honor, was das Verhältnis beider dauerhaft zerrüttete. Abt Wala wurde in sein Kloster Corbie verwiesen, und eine prominente Rolle als Ratgeber am Hof fiel nun ausgerechnet Judiths Günstling Bernhard von Barcelona zu, was zu allerlei Gerüchten Anlass gab. Ein unbedacht in der Karwoche angeordneter Kriegszug gegen die Bretonen entzündete 830 ein lange aufgestautes, explosives Gemisch von Enttäuschungen, Zurücksetzungen und Verlust politischen Einflusses. An die Spitze der Opposition setzte sich der aus Italien herbeigeeilte Lothar. Ziel dieser „loyalen Palastrebellion“41 war nicht etwa die Entthronung des Kaisers, sondern eine radikale Kurskorrektur: die Rücknahme der getroffenen Entscheidungen und die Ausschaltung der am Hof bestimmenden Ratgeber. Die Empörung zerfiel jedoch während des Sommers in die Verfolgung von Einzelinteressen, was schon hier das Scheitern der 817 vereinbarten Lösung signalisierte. Kaiser und Reich waren zum Spielball von Parteiinteressen geworden: Nach dieser „loyalen Palastrebellion“ ging es nur noch um die Befriedigung individueller Machtansprüche, was der Reichsteilung von Verdun vorarbeitete. In seinen Konsequenzen deutlich geworden war zudem das spannungsvolle Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, das als Erbe der Karolingerzeit überdauerte. * Die erbarmungslose Behandlung des abgesetzten Kaisers durch Lothar, aber auch das misstrauische Belauern der auf ihren Vorteil bedachten Brü Steffen Patzold, Episcopus. Wissen über Bischöfe im Frankenreich des späten 8. bis frühen 10. Jahrhunderts (Mittelalter-Forschungen 25), Ostfildern 2008, S. 149 ff., 258 ff., 482 ff. 41 Theodor Schieffer, Die Krise des karolingischen Imperiums, in: Aus Mittelalter und Neuzeit. Festschrift Gerhard Kallen, hg. von Josef Engel/Hans Martin Klinkenberg, Bonn 1957, S. 1–15. Kritik zuletzt bei Steffen Patzold, Eine „loyale Palastrebellion“ der „Reichseinheitspartei“? Zur „Divisio imperii“ von 817 und zu den Ursachen des Aufstands gegen Ludwig den Frommen im Jahre 830, in: FmSt 40 (2006), S. 43–77. 40
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der untereinander bewirkten in kurzer Zeit einen erneuten Umschwung, weil sich Pippin und Ludwig der Deutsche gegen ihren Bruder wandten, während sich Männer wie Hrabanus Maurus für eine Aussöhnung in diesem Familiendrama einsetzten. Vielleicht ist es kein Zufall, dass wohl um diese Zeit in Fulda das „Hildebrandslied“ niedergeschrieben wurde, das bekanntlich einen Vater-Sohn-Konflikt zum Inhalt hat. Am 1. März 834 wurde Ludwig der Fromme in St. Denis wieder feierlich als Kaiser anerkannt und änderte nun bezeichnenderweise die Legitimationsformel innerhalb seiner Intitulatio: Aus divina ordinante providentia wurde nach der Wiedereinsetzung divina repropitiante clementia, aus der göttlichen Vorsehung also die „wiederversöhnende göttliche Huld“, und dieses Memento begleitete den Kaiser bis zum Tod. Lothar unterwarf sich und wurde erneut nach Italien verwiesen; eine Reichsversammlung hob Anfang 835 die Verurteilung Ludwigs des Frommen auf und erklärte die ihm oktroyierte Kirchenbuße für nichtig. Das Problem der Herrschaftsnachfolge war freilich einstweilen nur negativ entschieden in dem Sinne, dass die mit der Ordinatio imperii intendierte Reichseinheit keine Aussicht auf Realisierung mehr hatte; die sprunghafte, auf die Ausstattungsfrage fokussierte Politik des Kaisers erstickte nun vollends allen reformerischen Schwung des ersten Regierungsjahrzehnts und führte zu einem Schulterschluss der Betroffenen. Ende 837 startete Ludwig einen erneuten Versuch, Karl den Kahlen auszustatten, und wies ihm das neustrische Gebiet zwischen Nordseeküste, Rhein und Seine bis nach Burgund zu, den „besten Teil des Frankenreiches“, wie die Annales Fuldenses betonen42. Der Tod Pippins von Aquitanien im folgenden Jahr eröffnete dann sogar die Möglichkeit, Karl den Kahlen an dessen Stelle treten zu lassen, wenn auch gegen die Ansprüche und den erbitterten Widerstand von Pippins gleichnamigem Sohn, während sich Ludwig der Deutsche mit dem ihm verbliebenen Bayern nicht zufriedengeben wollte und das von ihm beanspruchte ostfränkische Gebiet besetzte. Auf der Rückkehr von einem Feldzug gegen seinen rebellischen Sohn starb am 20. Juni 840 auf einer Rheininsel bei Ingelheim dem Astronomus zufolge „das größte Licht unter den Sterblichen, das im Hause Gottes auf einen Leuchter gestellt ist und allen leuchtet“43. Die nun folgenden Bru Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis, ed. Friedrich Kurze, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 7 (1891) S. 28. 43 Astronomus, Vita c. 62, ed. Tremp (wie Anm. 2), S. 544f. 42
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derkriege beendete 843 die Reichsteilung von Verdun, die unmittelbare Auswirkungen auf eine nunmehr kleinräumigere Herrschaftspraxis hatte. Aber was sich im Rückblick als irreversible Entscheidung auf dem Weg zu einer noch fernen deutschen und französischen Geschichte erweist, war für die Zeitgenossen kaum mehr als eine Reichsteilung unter anderen, zumal die labile fraternitas der regierenden Karolinger weiterhin nur um den je eigenen Vorteil bemüht war. Zudem leistete das schon bald erkennbare Siechtum der Dynastie der Instabilität der politischen Ordnung Vorschub und stärkte den Selbstbehauptungswillen der Großen, die sich zunehmend auf ihre Eigeninteressen fokussierten. * War der Zerfall des fränkischen Großreichs also die Schuld eines „überforderten Erben“? Das in der Ordinatio von 817 grundgelegte neue Prinzip der Herrschaftsteilung unter kaiserlicher Führung hätte vielleicht tatsächlich eine Möglichkeit zur Beherrschung großer Räume unter mittelalterlichen Bedingungen geboten, aber dieses System war und blieb abhängig vom friedlichen Zusammenspiel der Kräfte, von der Hintanstellung individueller Interessen zugunsten eines übergeordneten Ganzen. Diese Option war – wenn überhaupt jemals realistisch – spätestens 830/33 verbaut und wurde 843 endgültig begraben. Denn eine „Reichsverantwortung“ der Großen als Movens politischen Handelns, die man neuerdings auch für das ausgehende 11. Jahrhundert postuliert44, mag für einige geistliche Intellektuelle der Zeit Ludwigs des Frommen in Anschlag gebracht werden können, aber stärker und zugleich dem Herkommen verhaftet war hier wie dort adliges Verhalten, das keine Abstriche an dem je eigenen honor duldet. Die Alleinherrschaften Karls des Großen und Ludwigs des Frommen waren historische Zufälle, die Vater und Sohn als unterschiedlich geprägte Persönlichkeiten zu gestalten versuchten. Aber diese Alleinherrschaften waren ebenso untypisch wie jene des Merowingers Chlodwig, der dem Zufall gewaltsam nachhelfen musste und bei dessen Tod doch die Teilungs praxis als politischer Kompromiss etabliert wurde, offenbar aus Sorge der
Jutta Schlick, König, Fürsten und Reich (1056–1159). Herrschaftsverständnis im Wandel (Mittelalter-Forschungen 7), Stuttgart 2001, S. 183 ff.; kritisch etwa Michaela Muylkens, Reges geminati – Die „Gegenkönige“ in der Zeit Heinrichs IV. (Historische Studien 501), Husum 2012, S. 116 f., 310 ff., 340, 343. 44
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Witwe um das Schicksal ihres nachgeborenen leiblichen Sohnes45. Die Pa rallele zu Judith und Karl dem Kahlen ist evident; in beiden Fällen wurde allzu Menschliches geschichtsmächtig! Die Reichsteilung von Verdun war daher eher das Normale, auch wenn sie nicht dem Erbe des pater Euro pae46 entsprach, der als Eroberer jenseits von Byzanz fast den ganzen orbis Christianus beherrscht hatte! Hätte dieser „verklärte Karl“47 die „Dekomposition“48 des Reiches verhindern, den gewandelten Rahmenbedingungen besser trotzen können, wie manche suggerieren? Mit solchen Urteilen aus hoher Warte sind His toriker schnell bei der Hand, weil sie Art, Gewicht und Interdependenz handlungsleitender Faktoren meist nur unvollkommen erfassen können. Ohne den Konflikt zwischen Ordinatio imperii und den Ansprüchen Bernhards und Karls des Kahlen, ohne den Durchsetzungswillen der Kaiserin Judith, ohne die dominierende Ausprägung eines „Penitential State“ und der Wächter-Rolle der Bischöfe, ohne die sich formierende und eigene Interessen verfolgende ‚Reichsaristokratie‘ usw. wäre die Geschichte des Frankenreiches vermutlich ganz anders verlaufen. Plausible Alternativen für das jeweilige Handeln Ludwigs des Frommen unter sich verändernden Bedingungen habe ich noch bei keinem seiner Kritiker gefunden! Und auch der Widerstreit zwischen gesamtgesellschaftlichen und individuellen Interessen ist keineswegs ein Spezifikum der Zeit Ludwigs des Frommen, wie wir seit der Urkirche wissen und tagtäglich erleben! Wer also könnte die Schuld am Zerfall des Karolingerreiches gerecht verteilen, dem objektive Gegebenheiten, unglückliche Zufälle und mancherlei persönliches Fehlverhalten gleichermaßen vorarbeiteten?
45 Ian Wood, Kings, Kingdom and Consent, in: Peter H. Sawyer/Ian N. Wood, Early Medieval Kingship, Leeds 1977, S. 6–29. 46 (Paderborner Epos:) De Karolo rege et Leone papa, hg. und übersetzt von Franz Brunhölzl (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 36 = unveränd. Nachdr. aus Quellen und Studien zur westfälischen Geschichte 8), Paderborn 1999, S. 16 Z. 93: Europae venerandus apex, pater optimus. 47 Max Kerner, Karl der Große. Entschleierung eines Mythos, Köln/Weimar/Wien 2 2001. 48 François Louis Ganshof, La fin du règne de Charlemagne. Une decomposition, in: ZSG 28 (1948) S. 433–452; engl. Fassung in: Ders., The Carolingians and the Frankish Monarchy. Studies in Carolingian History, Ithaca–New York 1971, S. 240–255 Nr. XII.
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Abstract While former historians tended to condemn Louis the Pious as a weak ruler incapable of living up to his father’s legacy, modern historical research is going to adopt a more balanced view. This study outlines the preconditions of Louis’ rule, besides his disputed personality. It comes to the conclusion that the dissolution of the Frankish Empire resulted from conditions at least partly originating in the times of Charlemagne, from unfortunate coincidences, and from not a few instances of individual misconduct.
Ein unbekanntes Deperditum der Königin Irmingard von Burgund von BEATE SCHILLING
Das Königreich Burgund hat in den letzten Jahren in der Forschung wieder stärkeres Interesse gefunden. Auf deutscher Seite ist 2013 der dem niederburgundischen regnum gewidmete Band der Regesta Imperii von Herbert Zielinski erschienen1; das hochburgundische Pendant ist in Bearbeitung. Von französischer Seite wurden Sammelbände und große thèses vorgelegt, von denen stellvertretend die René Poupardins „Royaume de Bourgogne“ (1907)2 ersetzende Monographie von François Demotz (2008)3 genannt sei. Von dieser Rundumerneuerung der Forschungssituation haben auch
Vgl. J.F. Böhmer, Regesta Imperii 1: Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918 (987/1032) 3: Die Regesten des Regnum Italiae und der Burgundischen Regna 4: Die burgundischen Regna 855–1032 1: Niederburgund bis zur Vereinigung mit Hochburgund (855–940er Jahre), bearb. von Herbert Zielinski, Köln/Weimar/Wien 2013. 2 René Poupardin, Le royaume de Bourgogne (888–1038). Étude sur les origines du royaume d’Arles (Bibliothèque de l’École des Hautes Études 183), Paris 1907. 3 François Demotz, La Bourgogne, dernier des royaumes carolingiens (855–1056). Roi, pouvoirs et élites autour du Léman (Mémoires et documents publiés par la Société d’histoire de la Suisse romande 4/9), Lausanne 2008. Zum niederburgundischen Raum vgl. jüngst auch Nathanaël Nimmegeers, Évêques entre Bourgogne et Provence. La province ecclésiastique de Vienne au Haut Moyen Âge (Ve–XIe siècle), Rennes 2014. Nicht publiziert scheint weiter hin die thèse (Nizza 1999) von Laurent Ripart, Les fondements idéologiques du pouvoir des comtes de la maison de Savoie (de la fin du Xe au début du XIIIe siècle). An Tagungsund Sammelbänden seien (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) herausgegriffen: Des Burgondes au royaume de Bourgogne (Ve–Xe siècle), hg. von Pierrette Paravy u. a., Grenoble 2002; Le royaume de Bourgogne autour de l’an Mil, hg. von Laurent Ripart u. a., Chambéry 2008; Pouvoirs, Église et société dans les royaumes de France, de Bourgogne et de Germanie, de 888 aux premières années du XIIe siècle, hg. von Geneviève Bührer-Thierry/Thomas Deswarthe, Paris 2008; Les royaumes de Bourgogne jusque 1032 à travers la culture et la religion, hg. von Anne Wagner (im Druck). 1
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Beate Schilling
die Klöster der Region profitiert, wobei die Neubewertung ihrer Urkundenbestände oft Hand in Hand ging mit archäologischen Kampagnen. Auch bei dem Nonnenkloster Saint-André-le-Haut in Vienne haben sowohl diplomatische als auch archäologische Untersuchungen zu neuen Erkenntnissen geführt. Ein erstes, dem hl. Andreas geweihtes Nonnen kloster4 war um die Wende zum sechsten Jahrhundert gegründet worden, es war, wie alle Klöster der Region, spätestens im achten Jahrhundert untergegangen. Eine angebliche Gründungsurkunde des burgundischen Großen Ansemund und seiner Gemahlin Ansleubama „aus dem neunten Regierungsjahr Chlothars“5, lange als Fälschung verdächtigt, muß in ihrer heute erhaltenen Fassung als Fiktion aus der Feder Ados von Vienne (860– 875) gelten6. Sie beruht aber auf einer zeitgenössischen Urkunde, deren letzte Spur, damals schon verunechtet und auf ein zweites Andreaskloster, Saint-André-le-Bas, umgewidmet, in einem Diplom Ludwigs des Frommen von 831 zu finden ist7. Mittlerweile muß auch ein angeblicher Beleg für die Existenz von Saint-André-le-Haut von 815 gestrichen werden8, nachdem der Editor der Urkunden Ludwigs des Frommen die entsprechende Passage als Interpolation entlarvt hat9. Danach bezieht sich auch die Erwähnung von 815 auf das von Erzbischof Barnard (810–842) restituierte bzw. neu gegründete Männerkloster Saint-André-le-Bas10. Dennoch scheint auch Saint-André-le-Haut in der zweiten Hälfte des neunten Jahr-
Vgl. Nimmegeers, Évêques (wie Anm. 3) S. 240–242, 254–256, und aus der Perspektive der Papsturkunden: Gallia pontificia 3: Province ecclésiastique de Vienne 1: Diocèse de Vienne, bearb. von Beate Schilling, Göttingen 2006, S. 228–232. 5 Gedruckt zuletzt bei Beate Schilling, Ansemundus dux, das Ende des Burgunderreichs und der Senat von Vienne. Zur gefälschten Gründungsurkunde des Andreasklosters (Vienne), in: AfD 46 (2000) S. 1–47, hier S. 8 f. 6 Vgl. Schilling, Ansemundus dux (wie Anm. 5) S. 14–41. 7 Vgl. Die Urkunden Ludwigs des Frommen, ed. Theo Kölzer unter Mitwirkung von Jens Peter Clausen/Daniel Eichler/Britta Mischke/Sarah Patt/Susanne Zwierlein u. a. (MGH Urkunden der Karolinger 2), Wiesbaden 2016, S. 734–736 Nr. 295, hier S. 735 Z. 14–17 (im Folgenden zitiert als D LdFr.). 8 Gall. Pont. 3/1 (wie Anm. 4) S. 229 Z. 32–37 (und S. 213 Z. 12–13) wäre dementsprechend zu berichtigen. 9 Vgl. D LdFr. 31 S. 134 Z. 7–10, und dazu Beate Schilling, Zu einem interpolierten Diplom Ludwigs des Frommen für die Kirche von Vienne (BM² 570), in: AfD 57 (2011) S. 63–104. 10 Zu diesem vgl. Nimmegeers, Évêques (wie Anm. 3) S. 240–243, 254–256.; Gall. Pont. 3/1 (wie Anm. 4) S. 211–225. 4
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hunderts ein erstes Mal restauriert worden zu sein; denn wie das untere Andreaskloster ist es später im Besitz Bosos nachweisbar11. Die eigentliche Wiederherstellung von Saint-André-le-Haut, die wohl eher einer Neugründung gleichkam, wird König Rudolf III. (993–1032) und seiner Gemahlin Irmingard verdankt, die es, auf den Rat des Bischofs Mallen von Grenoble und des Abtes Odilo von Cluny, am 25. August 1031 dotierten12 und mit Nonnen aus Saint-Césaire (Arles) besiedelten13. Die Gründung hatte Erfolg und bestand als exklusives adliges Damenstift bis zur Französischen Revolution. Die im 19. Jahrhundert in ein Wohnhaus verbauten Reste der mittelalterlichen Kirche wurden seit 2002 von Grabungsteams der Universität Lyon 2 untersucht, die eine Krypta unter der Kirche des 11. Jahrhunderts entdeckten und Neubauten um 1200 und im 14. Jahrhundert sichern konnten14. Hier soll ein kleiner Fund zur Geschichte dieses zweiten, des hochmittelalterlichen, Klosters vorgestellt werden. Für die Überlieferung von Institutionen der Region sind im allgemeinen die Abschriften der Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts wichtiger als die Reste, die dann nach der Revolution in die öffentlichen Archive gelangten. Im Falle von Saint-André-le-Haut ist hier Claude Charvet (1715–1772), Verfasser einer Vienner Vgl. Georges Tessier, Recueil des actes de Charles II le Chauve, roi de France (Chartes et diplômes relatifs à l’histoire de France) 2, Paris 1943, S. 365 f. Z. 29 Nr. 386, und René Poupardin, Recueil des actes des rois de Provence (855–928) (Chartes et diplômes relatifs à l’histoire de France), Paris 1920, S. 39–41 Nr. 20, und dazu Schilling, Diplom (wie Anm. 9) S. 81–83, und seither Böhmer-Zielinski (wie Anm. 1) S. 85 f. Nr. 2643 und S. 144–146 Nr. 2779. 12 Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger, ed. Theodor Schieffer unter Mitwirkung von Hans Eberhard Mayer, Hannover 1977, S. 298–300 Nr. 125 (im Folgenden zitiert als D Burg.). Vgl. dazu auch den Eintrag für Irmingard und Rudolf im Nekrolog der Kathedralkirche Saint-Maurice (gedruckt in: René Poupardin, Le royaume de Provence sous les Carolingiens (855–933?) [Bibliothèque de l’École des Hautes Études 131], Paris 1901, S. 365 Nr. 6) und die Wahlurkunden von 1084 und 1091 (vgl. Anm. 13 und 20). 13 Vgl. dazu die Wahlurkunde der Äbtissin Aldegard von 1084, in: Claude Charvet, Mémoires pour servir à l’histoire de l’abbaye royale de Saint-André-le-Haut de Vienne, publiées par Paul Allut, Lyon 1868, pièces justificatives S. 204 f. Nr. 4, hier S. 205. Danach waren die Nonnen aus Arles schon zur Zeit des Erzbischofs Burchard († 1030) gekommen, das Diplom Rudolfs bestätigte also eine bereits bestehende Einrichtung. 14 Die archäologischen Ergebnisse bis 2014 sind bei Nimmegeers, Évêques (wie Anm. 3) berücksichtigt. Vgl. seither Anne Baud, L’abbaye Saint-André-le-Haut à Vienne (Isère): un chantier médiéval dans la ville antique, in: Construire la ville. Histoire urbaine de la pierre à bâtir, hg. von Jacqueline Lorenz u. a., Lassay-les-Châteaux 2014, S. 113–120; Anne Baud, Découverte d’une crypte dans l’ancienne abbatiale des moniales de Saint-André-le-Haut à Vienne, in: La mémoire des pierres. Mélanges d’archéologie, d’art et d’histoire en l’honneur de Christian Sapin, hg. von Sylvie Balcon-Berry (Bibliothèque de l’Antiquité tardive 29, Turnhout 2016, S. 301–310. 11
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Kirchengeschichte, zu nennen, der die ältesten Dokumente, darunter zwei Wahlprotokolle von Äbtissinnen des 11. Jahrhunderts und ein Privileg Alexanders III., kopiert hat15. Charvet entgangen ist ein Inventar von 1565, das Jacques de Candas auf Befehl der Äbtissin Claude d’Apchon (1548–1594) angefertigt hat16 und mit dem sich ausnahmsweise doch einmal etwas auf archivalischem Weg beisteuern läßt. Das Inventar befindet sich heute im Departementalarchiv von Grenoble, jedoch nicht in dem kleinen Fonds von Saint-André-le-Bas (11 H 101–142)17, sondern in der Sektion der Inventare und trägt die Signatur INV 38/28418. Es enthält in grob chronologischer Folge französische Regesten („analyses“) von 61 Urkunden des Klosters, die von dem erwähnten Diplom Rudolfs III. vom 25. August 1031 (D Burg. 125) bis zur Abfassungszeit reichen. Danach besaß man im Jahr 1565 nicht nur noch immer das Original des Rudolfdiploms sowie ein Vidimus desselben19, das Kloster verfügte auch über eine Urkunde über eine Schenkung, die die Königin Irmingard wohl kurz vor ihrem Tod getätigt hat20.
Vgl. Charvet, Mémoires (wie Anm. 13) S. 204 f. und 209 Nr. 4 und 6, das Alexanderprivileg S. 211–215 Nr. 8; zu diesem vgl. Gall. Pont. 3/1 (wie Anm. 4) S. 232 Nr. 7. 16 Vgl. INV 38/284, fol. 3r (alt: 1r): „Designation des tiltres et instrumens, terriers et documens faysants au prouffict et utilité de l’abbaye et monastere sainct André les Nonnains de Vienne inventoriés et coctés par ordre par commandement de R(évérende) dame Claude Dapchon mediene (?) abbayesse de la dicte abbaye par moy Jacques de Candas, habitant de Vienne, ce lundy XVe octobre MilVc(ent) soixante cincq“. 17 Vgl. Robert Avezou, Répertoire numérique de la série H, Grenoble 1951; Gall. Pont 3/1 (wie Anm. 4) S. 230 f. 18 Vgl. Auguste Prudhomme, Répertoire numérique de la sous-série INV 38. Inventaires d’archives anciens (1277–1838), Grenoble 1899, introduit et mis à jour par E. Syssau sous la direction d’H. Viallet, 2015. 19 INV 38/284, fol. 3r (alt: 1r), das Vidimus fol. 3v (alt: 1v). 20 INV 38/284, fol. 4r (alt: 2r). Vgl. unten S. 24. Voran geht (fol 3v [alt: 1v]) ein ausführliches Regest der Wahlurkunde Alindradas von 1091, die Charvet (Anm. 15) nur noch im Fragment bekannt war und der ebenfalls Details zur Wiederherstellung des Klosters zu ent nehmen waren: „Restauration du monastere Sainct André les Nonnains de Vienne aprés la ruyne dicelluy faict(e) par les vandalles lequel monastere fut reedifié a fundamentis par Rodolfe Roy second a la requeste et priere de dame Hermengarde Royne et femme dudict Roy Rodolfe et a ses despens lequel monastere avoit esté premierement fondé par sainct Leonian abbé du monastere sainct Pierre hors porte Vienne comme appert (?) par la lettre de restauration dattee de l’annee 1091 Indictione XIIII estant Guydo LXIIIe archevesque de Vienne cotté(e) par n(u)m(ér)o 3“. Zur Überlieferung dieser Urkunde vgl. auch Beate Schilling, Guido von Vienne – Papst Calixt II. (Schriften der MGH 45), Hannover 1998, S. 646 Nr. 13, wo das Inventar nachzutragen wäre. 15
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Irmingard von Burgund, die zweite Gemahlin Rudolfs III., ist der Forschung vor allem aus den Urkunden des Königs bekannt21. Sie begegnet erstmals am 24. April 1011, als sie als sponsa des Königs umfangreiche Schenkungen an Gütern und Hoheitsrechten entgegennimmt22. Ihre familiäre Herkunft war schon in der älteren Forschung umstritten23. Laurent Ripart hält sie zuletzt für eine Schwester des Grafen Humbert, des Stammvaters der Savoyer24, während François Demotz sie dem im Viennois begüterten Geschlecht der Sigibodonen zuordnen möchte25. Nur wenig sichereren Boden betritt man mit ihrer ersten Ehe mit einem Sproß der Grafen von Provence, aus der sie zwei Söhne, Wilhelm und Hugo, mitbrachte26. Auffällig ist, daß Irmingard sehr viel öfter in den Urkunden ihres Gemahls interveniert als ihre Vorgängerin Agiltrud († 1011)27 und auch Urkunden im eigenen Namen ausgestellt hat28. Neun solcher Urkunden waren bisher bekannt, darunter ein Konsensakt für Erzbischof Leodegar von Vienne29, zu diesen tritt nun als zehnte Urkunde das Deperditum für Saint-André-le-Haut. Die beiden ersten Urkunden wurden noch zu Lebzeiten Rudolfs III. ausgestellt: Das D 136 betrifft Güter in der Provence, die Irmingard offenbar aus ihrer ersten Ehe besaß, während D 137 das von ihr gegründete Kloster Talloires (Diözese Genf) dotiert. Es folgen vier Seelgerätstiftungen für Rudolf III., die teils kurz nach dem Tod des Königs († 6. September 1032), teils mit einem gewissen Abstand anzusetzen sind. Begünstigt wurden das Kloster Saint-André-le-Bas in Vienne30 und die Abtei Cluny31, zu der das Königshaus enge Beziehungen unterhielt. Vgl. die Einleitung des Hg. Theodor Schieffer, Die Urkunden der burgundischen Rudolfinger (wie Anm. 12) S. 20–22. 22 Vgl. DD Burg. 98 und 99. Weitere große Schenkungen zu ihrer Ausstattung folgten 1016 im Kontext des Straßburger Vertrags mit Heinrich II. Vgl. DD Burg. 108–109, und dazu Demotz, Bourgogne (wie Anm. 3) S. 481. 23 Vgl. Schieffer, Urkunden (wie Anm. 12) S. 20. 24 Vgl. Ripart, Fondements (wie Anm. 3), zitiert nach Demotz, Bourgogne (wie Anm. 3) S. 484 f. Anm. 128. 25 Vgl. Demotz, Bourgogne (wie Anm. 3) S. 484. 26 Vgl. D Burg. 136 mit der Vorbemerkung des Hg. und Demotz, Bourgogne (wie Anm. 3) S. 485 mit Anm. 129. 27 Zu ihr vgl. Schieffer, Urkunden (wie Anm. 12) S. 20; Demotz, Bourgogne (wie Anm. 3) S. 477 f. 28 Ebd. S. 478 ff. 29 Vgl. DD Burg. 136–143, der Konsensakt D Burg. 173. 30 Vgl. DD Burg. 138–141. 31 Vgl. D Burg. 141. 21
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Danach wird es für zwei Jahrzehnte still um die Königin, die ihren Witwensitz allem Anschein nach in Vienne nahm und dort auch begraben wurde32. Am 23. August 1057 erhielt dann die Bischofskirche von Grenoble eine Schenkung der Königin nur zu deren eigenen Seelenheil33. Es folgte, am 20. September des gleichen Jahres, eine Urkunde zugunsten des Klosters Saint-Pierre in Vienne, der Irmingard zu ihrem und Rudolfs Seelenheil mehrere Weinberge in Vienne übereignete34. Da die Schenkungsurkunde für Saint-André-le-Haut „non signee et sans aulcune datte“ war, ist anzunehmen, daß der Tod der Königin († 26. August 1058 [?])35 ihren Vollzug verhindert hat. Es dürfte sich also um die letzte Urkunde Irmingards handeln. 143a (Dep.) Irmingard schenkt dem Kloster Saint-André-le-Haut in Vienne zu ihrem Seelenheil ein Stück eines Weinbergs und mehrere mansiones in Vienne. (Vienne, kurz vor dem 26. August 1058 [?]) Im Inventar des Klosters vom 16. Oktober 1565 (Grenoble, Archives départementales de l’Isère, INV 38/284, fol. 4r [alt: 2r]) heißt es dazu: „Donation faicte audict monastère sainct André par la Royne Hermengarde pour la redemption de son ame de certaine piece de vigne q(ue) tenoyt Vualbert et aprés luy Vital et de certaines maysons dans la cité de Vienne deppuys la mayson Albert qu’est situee vers sainct Pierre (?) entre juifs (?) usque (?) ad domini Johannis galdesn (?). La dicte donation non signee et sans aulcune datte cottee par n(u)m(ér)o 5“.
32 Vgl. ihre Grabinschrift, in: Corpus des inscriptions de la France médiévale, 15: la ville de Vienne en Dauphiné, textes établis et présentés par Robert Favreau/Jean Michaud/Bernadette Mora, Paris 1990, S. 6 Nr. 3. 33 Vgl. D Burg. 142. 34 Vgl. D Burg. 143. 35 Zum Tag vgl. ihren Nekrologeintrag (wie Anm. 12), von dem die Grabinschrift (Anm. 32) abhängt. Das Nekrolog von Savigny nennt abweichend den 25. August (vgl. D Burg. 137 [S. 315]). Das Ausstellungsjahr von D 143 liefert den terminus post quem.
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Abb. 1: Archives départementales de l’Isère, cote INV 38/284, f. 4r
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Abstract Little is known about the nunnery of Saint-André-le-Haut (Vienne), founded around 500, and restored by Rodolphe III (993–1032), the last king of Burgundy, and his second spouse Irmingard. However, an inventory at the Archives Départementales de l’Isère (Grenoble) (INV 38/284), made for the abbess Claude d’Apchon (1548–1594), contains 61 summaries of charters preserved in the abbey’s archives at that time. Aside from Rodolphe’s dotation charter of 1031, it also analyses another donation charter, which was apparently granted by the queen shortly before her death († 26 August 1058) and has since been lost.
Die Rückkehr des Königs Zur Funktion des Herrscherbildes auf Münzen1 von ANDREA STIELDORF
Als die Pharisäer Jesus fragten, ob es seiner Ansicht nach rechtens sei, dem Kaiser Steuern zu zahlen, ließ er sich eine der Münzen zeigen, mit denen diese Steuern bezahlt werden sollten, möglicherweise also eine Münze des Kaisers Tiberius, vielleicht aber auch eine Münze des Augustus, dessen Denare in Palästina um 30 n. Chr. noch in Umlauf waren2. Als die Pharisäer Jesus den Denar3 zeigten, fragte er, wessen Bild und Umschrift dies sei. Als sie antworteten: „des Kaisers“, sagte Jesus: „So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“. Für die vorliegende Fragestellung ist wichtig, dass diese Perikope, die sich nahezu gleichlau Der Text meiner Bonner Antrittsvorlesung vom 22. April 2016 wurde für den Druck um die bibliographischen Nachweise ergänzt; die Vortragsform wurde beibehalten. 2 Ostendite mihi nomisma census/at illi obtulerunt ei denarium/et ait illis Iesus/cuius est imago haec et superscriptio/dicunt ei Caesaris/tunc ait illis/reddite ergo quae sunt Caesaris Caesari/et quae sunt Dei Deo. Mt 22,19–21 (Biblia sacra iuxta vulgatam versionem, rec. Robert Weber, Stuttgart 21975, Bd. 2, S. 1561); im Wortlaut ganz ähnlich Mk 12,16–17 und Lk 20,24–25 (ebd. S. 1596 bzw. 1648). Zur Identifizierung der genannten Münze mit einem in Lyon geprägten Denar des Tiberius mit Profilbild des Kaisers und der Umschrift TI CAESAR DIVI – AVG F AVGVSTVS vgl. Stefan Alkier, Erlesenes Sehen mit offenen Augen und allen Sinnen. Zum Verhältnis von Intratextualität, Intertextualität, Intermedialität und Visualisierung, in: Religiöse Blicke – Blicke auf das Religiöse. Visualität und Religion, hg. von Bärbel Beinhauer-Köhler/Daria Pezzoli-Olgiati/Joachim Valentin, Zürich 2010, S. 83–107, hier S. 98–104. Zum Bildprogramm des Augustus-Denars vgl. Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München ²1990, S. 42–65. Zur Wundertätigkeit der Kaisermünzen nach Lukas 15,8 vgl. Ildar H. Garipzanov, Symbolic Language of Authority in the Carolingian World (c. 751–877) (Brill’s series on the early Middle Ages 16), Leiden 2008, S. 204–205, S. 215. 3 Weil im griechischen Bibeltext von δηνάριον die Rede ist, geht man davon aus, dass es sich bei der fraglichen Münze um eine Silbermünze, einen Denar, gehandelt habe; vgl. Alkier, Erlesenes Sehen (wie Anm. 2) S. 100–102. 1
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tend im Matthäus-, im Markus- und im Lukasevangelium findet, in der Verbindung von Kaisernamen und Kaiserbild eine typische Visualisierung römischer Herrschaftsansprüche sieht – was dem Programm der Münzen selbst entspricht4. Mittelalterliche Auslegungen der zitierten Bibelstelle belegen, dass man die Einheit von Herrschernamen und Herrscherbild auf den Münzen weiterhin als visuelle Manifestation monarchischer Herrschaft begriff, der im Übrigen mit entsprechendem Respekt zu begegnen war. So forderte Walahfrid Strabo, Abt des Klosters Reichenau, zu Beginn der 840er Jahre, dass ein jeder, der dem Bildnis des Kaisers der Gläubigen keinen Respekt erweise, und sei es auch nur auf einer Münze, sich im Gericht des Kaisers für seine Unverschämtheit und Störung verantworten solle. Denn die Mächtigen dieser Welt hielten es nicht für ein leichtes Unrecht, das ihnen geschähe, wenn sie erführen, dass ihr Bild oder Name, auf was für einer Münze auch immer, von ihren Untertanen verächtlich behandelt oder darauf herumgetrampelt werde5. Diese Aussage Walahfrids zeigt, dass das Herrscherbild auf Münzen weiterhin als Verkörperung königlicher oder kaiserlicher Macht begriffen wurde. Folglich wurde der Umgang mit Münzen als Spiegelbild der Akzeptanz oder eben Ablehnung der herrscherlichen Autorität verstanden. Letztlich prägt dies noch die heutige Vorstellung von Münzen monarchischer Herrschaftsformen, die uns durch die Sammlungstätigkeit seit dem Humanismus vermittelt wurde, welche einen Fokus auf auratische
Vgl. z. B. Peter Franz Mittag/Claudia Sode, Münzbilder und Münzlegenden – ein Kommunikationssystem der spätantiken und frühbyzantinischen Kaiser, in: Kosmos der Zeichen. Schriftbild und Bildformel in Antike und Mittelalter, hg. von Dietrich Boschung/ Hansgerd Hellenkemper (Schriften des Lehr- und Forschungszentrums für die antiken Kulturen des Mittelmeerraumes 5), Wiesbaden 2007, S. 235–253; vor allem aber Pierre Bastien, Le buste monétaire des empereurs romains, 3 Bde. (Numismatique Romaine 19), Wetteren 1992–1994, bes. Bd. 2, S. 695–691. 5 Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis et incrementis quarundam observationibus in ecclesiasticis rerum, in: Capitularia regum Francorum, Bd. 2, ed. Alfred Boretius/Victor Krause (MGH Capit. 2), Hannover 1897, S. 474–516, hier c. 8, S. 483: et fortasse, qui impe ratoris fidelium veluti in nummo contempsit imaginem, ante tribunal ipsius protervitatis suae pariter et inquietudinis poenas exsolvit. Non enim levem iniuriam seculi potentes sibi puta bant inlatam, si imaginem suam vel nomen in quolibet nomismate a subiectis despici cogno verint et calcari. Vgl. hierzu Alice L. Harting-Correa, Walahfrid Strabo’s Libellus de exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesiasticis rerum. A translation and liturgical commentary (Mittellateinische Studien und Texte 19), Leiden u. a. 1996, S. 76. 4
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Bildnisse berühmter Männer setzte6. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass sich die Verwendung des Herrscherbildes auf Münzen in der Neuzeit fortsetzte und sogar bis heute unter ganz anderen konstitutionellen Voraussetzungen fortwirkt, und zwar bis in den Euroraum hinein, wie die Euromünzen mit den Bildern der derzeitigen Könige in Belgien, den Niederlanden und Spanien, des luxemburgischen Großherzogs oder aber, jenseits des Euroraumes, die Pfundmünzen mit dem Bild der englischen Königin Elisabeth II. belegen. Ganz anders verhielt es sich in islamischen Ländern, wo aufgrund des Bilderverbotes Münzen in der Regel nicht mit figürlichen Darstellungen versehen werden durften, und folglich kein Herrscherbild verwendet wurde7. Das Herrscherbild war trotz seiner Dominanz im römischen Münzwesen keineswegs eine Selbstverständlichkeit im europäischen Mittelalter, obwohl der Rekurs auf antik-römische Usancen im Mittelalter oft zu beobachten ist8. Karl der Kahle legte als König des westfränkischen Reichs in den Münzbestimmungen des Ediktes von Pîtres 864 fest, dass die Münzen in seinem Reich fortan auf der Vorderseite seinen Namen in der Umschrift tragen und im Feld sein Monogramm zeigen sollten, die Rückseite sollte ein Kreuz zeigen und in der Umschrift die Münzstätte benennen9. Solche Vgl. Johannes Helmrath, Die Aura der Kaisermünze. Bild-Text-Studien zur Historiographie der Renaissance und zur Entstehung der Numismatik als Wissenschaft, in: Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung, hg. von Dems./Albert Schirrmeister/ Stefan Schlelein (Transformationen der Antike 11), Berlin 2009, S. 99–138, hier S. 105–108 sowie zu den mit Münzbildnissen illustrierten Kaiserbüchern ebd. S. 117–126. Letztlich ist dies auch der Ansatz von Kurt Lange, Charakterköpfe der Weltgeschichte. Münzbildnisse aus 2 Jahrtausenden, München 1949, der Münzbildnisse der Antike und des Mittelalters zeigt. 7 Vgl. Gerald Schwedler, Das Angesicht des Herrschers. Frühmittelalterliche Beispiele von Fehlen und Vorhandensein bildlicher Repräsentation im Vergleich, in: Transkulturelle Komparatistik. Beiträge zu einer Globalgeschichte der Vormoderne, hg. von Wolfram Drews/Jenny Rahel Oesterle (Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung 3/4,18), Leipzig 2008, S. 108–118 sowie Michael Broome, A Handbook of Islamic Coins, London 1985, bes. S. 1–75. 8 Vgl. zur Entwicklung in den einzelnen europäischen Ländern jeweils knapp, aber mit Literatur und Abbildungen den magistralen Überblick Bernd Kluge, Numismatik des Mittelalters, Bd. 1: Handbuch und Thesaurus Nummorum Medii Aevi (Veröffentlichungen der Numismatischen Kommission 45 = Akademie der Wissenschaften in Wien. Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte 769), Berlin u. a. 2007. 9 Edictum Pistense, in: MGH Capitularia 2 (wie Anm. 5) S. 310–328, hier c. 11, S. 315: Ut in denarii novae nostrae monetae ex una parte nomen nostrum habeatur in gyro et in medio nostri nominis monogramma, ex altera vero parte nomen civitatis et in medio crux habeatur. Vgl. Philip Grierson, The ‘Gratia Dei Rex’ Coinage of Charles the Bald, in: Charles the Bald. Court and Kingdom, ed. Margret T. Gibson/Janet L. Nelson, Aldershot ²1990, S. 52– 6
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Münzen wurden tatsächlich geprägt: die Vorderseiten zeigen mit dem Monogramm die graphische Umsetzung des Königsnamens Karl und nennen in der Umschrift mit gratia dei rex den Titel des Königs. Durch die Nennung Gottes als Legitimationsstifter der königlichen Herrschaft wurde zugleich eine ideelle Einheit zwischen der Vorderseite und der Rückseite mit dem Kreuz hergestellt10. Mit Karl dem Kahlen legte ein Herrscher das Erscheinungsbild seiner Münzen fest, bevorzugte aber statt seines Bildnisses eine graphische Umsetzung seines Namens. Das Münzbild stellte eine Verbindung zur Person des Herrschers her, aber diese funktionierte nicht über sein Bildnis, sondern über seinen Namen. Als etwa 400 Jahre später König Ludwig IX. von Frankreich in den 1260er Jahren mit dem Gros tournois eine Silbermünze prägen ließ, die deutlich schwerer war als die bis dahin üblichen Denare, ließ er diese nicht mit seinem Bildnis prägen, sondern mit einem Kreuz und einem stilisierten Gebäude. Für die von ihm kurzzeitig eingeführte, freilich nicht sehr erfolgreichen Goldmünze Écu d’or wählte er ebenso wenig sein Bild, sondern mit seinem Wappen ein auf ihn bezogenes Zeichen11. Natürlich kann dies hier nicht im Detail analysiert werden, aber es ist eben doch festzuhalten, dass die Verwendung des Herrscherbildes auch im mittelalterlichen
64, hier S. 55–58; Nicholas Mayhew, Coinage in France from the Dark Ages to Napoleon, London 1988, S. 13–14. Diese Bestimmung bekräftigte Karl, als er 864 dem Bischof von Châlons-sur-Marne eine Münzstätte zugestand, aber anordnete, dass auch diese Münzen mit seinem Namensmonogramm geprägt werden (monograma nominis nostri illi jussimus insig niri); auch hier ist dies verbunden mit der Verfügung, dass in Karls Reich keine anderen Pfennige bei An- oder Verkäufen verwendet werden dürfen. Vgl. Receuil des actes de Charles II le Chauve, ed. Georges Tessier (Chartes et diplomes relatifs à l’histoire de France), Bd. 2, Paris 1952, Nr. 277, S. 121; s. a. Grierson, ‘Gratia Dei Rex’ Coinage, S. 54– 55; Mayhew, Coinage in France, S. 14. Ildar H. Garipzanov, Coins as symbols of early medieval ‚Staatlichkeit‘, in: Der frühmittelalterliche Staat – europäische Perspektiven, hg. von Walter Pohl/Veronika Wieser (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, S. 411–421, hier S. 415–416 betont, dass man hier die zentrale Lenkung der Münze durch die Karolinger sehen kann, die sie gezielt auch zur Herrschaftspropaganda nutzten. 10 Simon Coupland, L’article XI de l’Édit de Pîtres du 25 juin 864, in: Bulletin de la Société française de numismatique 40 (1985) S. 713–714 darauf hin, dass der Königstitel Karls des Großen als sein nomen verstanden wurde, der Titel folglich als Namensbestandteil begriffen wurde. Die Münzen wurden in weit mehr als den zehn Münzstätten geprägt, die in c. 12 des Edikts von Pîtres vorgesehen waren; vgl. Grierson, ‚Gratia Dei Rex‘ Coinage (wie Anm. 9) S. 53–54 mit einer Tabelle der Münzstätten. Grierson führt dies auf die Tributzahlungen an die Normannen zurück (S. 60–64). 11 Vgl. Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 73–74, der auf eine fragmentarisch erhaltene Ordonnance des Königs von 1266 hinweist.
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Europa keine Selbstverständlichkeit war, dass Herrscher folglich andere Motive wählen konnten und dies offenbar auch gezielt taten. Die Dominanz des Herrscherbildes wie auf den römischen Kaisermünzen ist im Mittelalter so nicht zu beobachten, und darum gilt die Frage nun der Rückkehr des Königs (oder ggf. des Kaisers) auf dem Münzbild. Wann wurde nach Zeiten des Fehlens oder auch der Marginalisierung zugunsten anderer Münzbilder das Herrscherbild wieder verwendet?12 Diese Zeiten starker Veränderungen im Münzbild sind der Ausschnitt, der eine erste Annäherung an die Stellung des Herrscherbildes im Rahmen monarchischer Repräsentation in Lateineuropa ermöglichen soll13. Dazu werden mit dem fränkischen Reich und seinen Nachfolgestaaten Deutschland und Frankreich sowie England die damaligen “global player” in den Blick genommen14, wobei chronologisch in drei Schritten vorzugehen ist, von den karolingischen und angelsächsischen Herrschern des ausgehenden 8. und
Das Herrscherbild auf (deutschen) Münzen des Mittelalters ist bislang nicht systematisch untersucht worden. Abhandlungen über das Herrscherbild generell gehen eher am Rande auf die Münzen ein wie beispielsweise Percy Ernst Schramm, Das Herrscherbild in der Kunst des frühen Mittelalters, in: Vorträge der Bibliothek Warburg, II. Vorträge 1922– 1923/I. Teil, hg. von Fritz Saxl, Wiesbaden 1924, S. 145–223. Peter Berghaus veröffentlichte eine kurze Abhandlung zum Herrscherbild auf Münzen Peter Berghaus, Die Darstellung der deutschen Könige und Kaiser im Münzbild. 800–1190, in: Percy Ernst Schramm/Florentine Mütherich, Die deutschen Kaiser und Könige in Bildern ihrer Zeit 751–1190, München 1983, S. 133–144. In dem Band selbst werden auch Münzen abgebildet und beschrieben. Ein knapper Abriss findet sich bei Peter Berghaus, Das Münzporträt Heinrichs IV., in: Herrscherporträts in der Numismatik. Festschrift zum Deutschen Numismatiker-Tag (Schriftenreihe der Numismatischen Gesellschaft Speyer 25), Speyer 1985, S. 33–53, hier S. 38–39. Eine Auswahl von Münzen mit Herrscherbildern aus den unterschiedlichen Ländern findet sich in vorzüglichen Abbildungen und mit Beschreibungen sowie Literaturnachweisen im interaktiven Katalog des Berliner Münzkabinetts: http://ww2.smb.museum/ ikmk/. 13 Umfänglicher erforscht wird dies von Mareikje Mariak und Maximilian Stimpert unter der Leitung von Andrea Stieldorf im Teilprojekt 22 „Bilder vom König. Macht und Herrschaft der ostfränkisch-deutschen Könige im Siegel- und Münzbild (936–1250)“ im SFB 1167 „Macht und Herrschaft. Vormoderne Konfigurationen in transkultureller Perspektive“ an der Universität Bonn, wobei sich Mareikje Mariak den Herrschersiegeln und Maximilian Stimpert den Münzen mit dem Herrscherbild widmen wird. 14 Der Frage der symbolischen Aussagekraft von Münzbildern und Umschriften wird nach zögerlichen Ansätzen von Grierson und Arslan erst in letzter Zeit verstärkt nachgegangen, wie die verschiedenen Studien von Ildar Garipzanov und Rory Naismith, Money and Power in Anglo-Saxon England. The Southern English Kingdoms, 757–865 (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, 4th series, 80), Cambridge 2013, bes. S. 47–86 belegen. Zu erwähnen ist hier zudem die Arbeit von Anna Gannon, The Iconography of Early Anglo-Saxon Coinage. Sixth to Eighth Centuries, Oxford 2003. 12
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des 9. Jahrhunderts über die Angelsachsen und Ottonen im 10. Jahrhundert schließlich zum Frankreich des 13. Jahrhunderts.
I. Zu den bekanntesten Münzen mit dem Bildnis mittelalterlicher Herrscher zählen sicher die Bildnisdenare Karls des Großen15. Die Verwendung des Herrscherbildes war jedoch für einen fränkischen Herrscher keine Selbstverständlichkeit mehr. Zwar hatten die merowingischen Könige auf ihren Goldmünzen im 6. und 7. Jahrhundert in enger Anlehnung an römische Kaisermünzen ihr eigenes Bildnis prägen lassen. Mit dem Rückgang der Goldwährung seit dem zweiten Drittel des 7. Jahrhunderts und der bald ausschließlichen Verwendung von Silbermünzen verschwand das Herrscherbild jedoch von den Münzen im Frankenreich, was der vielfach beklagten „Marginalisierung des Königtums“ im merowingischen Münzwesen entspricht16. Als Karls Vater Pippin das Königtum erlangte, griff er erfolgreich in das Münzwesen ein17, ließ aber nicht sein Bildnis prägen. In großer Einheit Vgl. grundlegend Jean Lafaurie, Les monnaies impériales de Charlemagne, in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 122 (1978) S. 154–176 mit einer Übersicht über die Münzen am Ende des Beitrages S. 169–171; hier findet sich auch die Forschung bis 1978 zusammengestellt. Vgl. auch Bernd Kluge, Am Beginn des Mittelalters. Die Münzen des karolingischen Reiches 751 bis 814 – Pippin, Karlmann, Karl der Große (Das Kabinett 15), Berlin 2014, S. 15–30; Garipzanov, Symbolic Language (wie Anm. 2) S. 208–216. Abbildungen u.a: Karl der Große. Orte der Macht. Katalog, hg. von Frank Pohle, Dresden 2014, S. 150–151 Nr. 177 = Georges Depeyrot, Le numeraire carolingien. Corpus des monnaies (Collection Moneta 77), Wetteren 32008, Nr. 1167 (Avers mit dem Buchstaben C, Rückseite XPICTIANA RELIGIO), dort auch der Hinweis, dass dieses C sowohl für Köln (Colonia), Koblenz (Confluentia) oder Mantua (Cenomania) stehen könne. 16 Vgl. Kluge, Numismatik des Mittelalters (wie Anm. 8) S. 83 sowie Rory Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms in the Mid-Eighth Century, in: Early Medieval Europe 20 (2012) S. 291–332, hier S. 293–295. Zum Rückgang der Goldwährung in der Zeit des Hausmeiers Ebroin (ca. 662–673) vgl. Gareth Williams, Kingship, Christianity and Coi nage. Monetary and Political Perspectives On Silver Economy in the Viking Age, in: Silver Economy in the Viking Age, hg. von James Graham-Campbell/Gareth Williams, Walnut Creek 2007, S. 177–214, hier S. 180–185. 17 Vgl. Simon Coupland, Charlemagne’s Coinage: Ideology and Economy, in: Ders., Carolingian Coinage and the Vikings. Studies on Power and Trade in the 9th Century (Variorum Collected Studies 847), Ashgate 2007, I, S. 211–229, hier S. 211 und S. 213–217 zur Einheitlichkeit bzw. den Varianten. Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms (wie Anm. 16) S. 291–301 ordnet dies in einen weiteren Zusammenhang von Münzreformen bei den Nordseeanrainern um die Mitte des 8. Jahrhunderts ein, die auch ein verändertes Ver 15
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lichkeit zeigen seine Münzen die Buchstaben RP, also die Initialen seines Titels Rex Pippinus, später dann RF für Rex Francorum18. Diese Münzen sollten ihre Geltung über die Autorität der Person des Königs gewinnen, konkret aus der Verbindung von Königstitel und Königsnamen, die hier zeichenhaft verkürzt wurden. Karl übernahm bei seinem Regierungsantritt diese Gestaltung und änderte sie erst in Zusammenhang mit seiner großen Münzreform 793/794, bei der er schwerere Münzen durchsetzte, deren Gestaltung er wahrscheinlich selbst festlegte. Wiederum war es der Königsname, der die Münze garantieren sollte, diesmal aber als Monogramm gestaltet und zwar in der Form, wie sie auch für die Authentifizierung der Herrscherurkunden verwendet wurde. Allerdings war der Königsname nun doppelt auf der Münze vertreten, denn die Umschrift der Rückseite lautete CAROLVS REX FRANCORVM19. Nur gegen massive Widerstände in der Bevölkerung waren diese Münzen durchzusetzen gewesen, worin vermutlich ein wesentlicher Grund liegt, warum diese in den 790er Jahren eingeführten Münzen nach Karls Kaiserkrönung im Jahr 800 weiterprägt wurden, obwohl sie keinerlei Bezug auf das Kaisertum Karls nahmen, sondern ihn weiterhin als König bezeichneten20. ständnis des Königtums spiegelten. Vgl. als übersichtliche, den aktuellen Forschungsstand einbeziehende Darstellung der merowingischen und karolingischen Münzgeschichte Kluge, Am Beginn des Mittelalters (wie Anm. 15) S. 15–55. 18 Jean Lafaurie, Numismatique: Des Mérovingiens aux Carolingiens. Les monnaies de Pépin le Bref, in: Francia 2 (1974) S. 26–48, hier S. 35–37 vermutete, dieser Wechsel sei wegen der zahlreichen Fälschungen vorgenommen worden. Vgl. auch Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms (wie Anm. 16) S. 311–324. 19 Zu den Phasen der Münzprägung unter Karl dem Großen vgl. Philip Grierson, Money and Coinage, in: Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, Bd. 1: Persönlichkeit und Geschichte, hg. von Helmut Beumann, Düsseldorf 1965, S. 501–536, hier S. 506–511, referiert bei Lafaurie, Les monnaies impériales (wie Anm. 15) S. 157; zur Münzreform 793/94 vgl. u. a. Philip Grierson, Münzen des Mittelalters, München 1976, S. 48; Harald Witthöft, Münze, Maß und Gewicht im Frankfurter Kapitular, in: 794 – Karl der Große in Frankfurt am Main. Ein König bei der Arbeit. Ausstellung zum 1200-Jahre-Jubiläum der Stadt Frankfurt am Main, hg. von Johannes Fried/Lieselotte Saurma-Jeltsch, Sigmaringen 1994, S. 124–131; Coupland, Charlemagne’s Coinage (wie Anm. 17) S. 218–223; Garipzanov, Coins as symbols (wie Anm. 9) S. 417. 20 So die überzeugende Überlegung von Bernd Kluge, Nomen imperatoris und Christiana Religio. Das Kaisertum Karls des Großen und Ludwigs des Frommen im Licht der numismatischen Quellen, in: 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn. Beiträge zum Katalog der Ausstellung Paderborn 1999, hg. von Christoph Stiegemann/Matthias Wemhoff, Mainz 1999, S. 82–90.
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Von den Bildnisdenaren Karls gibt es nur wenig erhaltene Exemplare, etwa 30 sind derzeit bekannt21. Diese Münzen sind mit einer Ausnahme nicht über Schatzfunde, sondern als Einzelstücke erhalten, die wie Zimelien behandelt wurden. Dies alles sind Indizien dafür, dass diese Denare, die sich in Gewicht und Feingehalt nicht von den Denaren mit dem Monogramm Karls unterscheiden, nicht für den normalen Geldumlauf gedacht waren, sondern dass es sich um Sonderemissionen handelte, die man vielleicht als Schaumünzen bezeichnen könnte, die z. B. als Ehrengeschenke vergeben wurden22. Als Betrachterkreis dieser Münzen wird vorneherein eine eher kleine Gruppe anzunehmen sein, in der man Mitglieder der weltlichen und geistlichen Führungsschicht des Karolingerreiches sehen darf, vielleicht auch auswärtige Gesandte – wobei dies letztlich Spekulation bleiben muss. Das Bildnis zeigt den Kaiser im Profil mit einem Lorbeerkranz; das pa ludamentum, ein Mantel militärischer Anführer, wird über der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengehalten. Die Umschrift23 macht deutlich, dass es sich um Karl, den erhabenen Kaiser, handelt. Mittlerweile gilt als sicher, dass es für diese Münze keine konkrete Vorlage gab, dass sich aber der Stempelschneider an verschiedenen römischen Münzen orientierte, u. a. solchen des vierten nachchristlichen Jahrhunderts, darunter besonders natürlich Konstantins des Großen. Darüber hinaus gab er der Münze aber auch ein eigenes, gleichsam fränkisches Gepräge, worauf beispielsweise der üppige Schnauzbart Karls hindeutet. Eine vergleichbare Mischung aus Tradition und Innovation findet sich auf der Rückseite der Münze, die ein Tempelmotiv spätantiker Münzen aufgreift, nämlich vier Säulen mit einem Giebel, jetzt von einem Kreuz überhöht, wodurch der Tempel zur Kirche wird. Durch die Umschrift XPISTIANA RELIGIO – eingeleitet mit dem Christogramm aus den griechischen Buchstaben X und P – wird die Münze im Zusammenhang Lafaurie, Les monnaies impériales (wie Anm. 15) S. 161 nennt 29 Exemplare. So Kluge, Nomen imperatoris (wie Anm. 20) S. 87; dies ist plausibler als die lange akzeptierte Überlegung von Lafaurie, Les monnaies impériales (wie Anm. 15) S. 163–169, die Münzen seien erst nach der Einigung mit Byzanz 812 geprägt worden; vgl. zudem noch Kluge, Am Beginn des Mittelalters (wie Anm. 15) S. 30–31 (mit Abbildungen) S. 38–40 sowie S. 154–157 (mit Abbildungen). 23 Es gibt drei verschiedene Fassungen der Umschrift: DN KARLVS IMP AVG REX F ET L, KAROLVS IMP AVG, KARLVS IMP AVG; vgl. Lafaurie, Les monnaies impériales (wie Anm. 15) S. 160–161: in allen drei Fällen gibt es sowohl XPICTIANA RELIGIO-Reverse als auch solche mit Münzstättennamen. Hiernach sind die Bildnisdenare Karls in elf verschiedenen Münzstätten geprägt worden. 21 22
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der christlich fundierten karolingischen Kaiserherrschaft auf römischer Grundlage verortet24. Hinter diesem Münzbild steht die Konzeption eines christlichen Kaisertums, das die Anlehnung besonders an Konstantin den Großen suchte, so wie beispielsweise Karl selbst als novus Constantinus bezeichnet wurde25. Dennoch bezog sich diese Referenz nicht nur auf Konstantins Christentum und seine politische Einbindung der Kirche, sondern auch auf seine militärischen Erfolge26. Dieser Neuentwurf war insofern ein Erfolg, als es eine zweite Serie von Bildnismünzen Karls gab, die mit anderen Rückseiten geprägt wurden27. Auch Karls Sohn Ludwig der Fromme gab Bildnisdenare aus, bei denen es sich ebenfalls aller Wahrscheinlichkeit nach um Sondermünzen gehandelt hat28. Unter seinen Söhnen jedoch wurden Bildnisdenare immer seltener geprägt29, so dass wir im Frankenreich des späten 9. Jahrhunderts und seinen Nachfolgestaaten, und das heißt sowohl im Westfrankenreich als auch im Ostfrankenreich, bis etwa in die Mitte des 10. Jahrhunderts keine Münzen mit einem Herrscherbildnis überliefert haben. Karl der Große kehrte also mehr als 150 Jahre nach den merowingischen Goldmünzen zum römischen Münzkonzept, das Bildnis und Namen eines Herrschers vereint, zurück, um seinem Kaisertum eine ange Vgl. Kluge, Nomen imperatoris (wie Anm. 20) S. 83. Vgl. Eugen Ewig, Das Bild Constantins des Großen in den ersten Jahrhunderten des abendländischen Mittelalters, in: Ders., Spätantikes und fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952–1973), hg. von Hartmut Atsma, Bd. 1 (Beihefte der Francia 3/1), München 1976, S. 72–113, hier S. 101–104; Ernst Günther Grimme, Novus Constantinus. Die Gestalt Konstantins des Großen in der imperialen Kunst der mittelalterlichen Kaiserzeit, in: Aachener Kunstblätter 22 (1961), S. 7–20; Thomas Grünewald, „Constantinus novus“. Zum Constantin-Bild des Mittelalters, in: Costantino il Grande. Dall’Antichià all’Umanesimo. Colloquio sul Cristianesimo nel mondo antico, hg. von Giorgio Bonamente/Franca Fusco, Bd. 1, Macerata 1992, S. 461–485. 26 Vgl. z. B. Ildar H. Garipzanov, The image of authority in Carolingian coinage: the image of a ruler and Roman imperial tradition, in: Ealry Medieval Europe 8 (1999) S. 197– 218, hier S. 210–213. 27 Vgl. Kluge, Am Beginn des Mittelalters (wie Anm. 15) S. 30–31. 28 Vgl. Karl Frederick Morrison/Henry Grunthal, Carolingian Coinage (Numismatic notes and monographs 158), New York 1967, S. 10; Kluge, Nomen imperatoris (wie Anm. 20) S. 88; Garipzanov, Image of Authority (wie Anm. 26) S. 209. 29 Ausnahmen kommen unter anderem aus Bourges: Pippin I. oder II.; vgl. Morrison/ Grunthal, Carolingian Coinage (wie Anm. 28), S. 175 Nr. 609; vgl. Garipzanov, Symbolic Language (wie Anm. 2) S. 206–207, der die Münzen auf Pippin I. von Aquitanien mit Simon Coupland, The coinages of Pippin I and II of Aquitaine, in: Ders., Carolingian Coinage and the Vikings (wie Anm. 17) VIII, S. 194–222, hier S. 197–199 als Gedächtnisprägungen ansieht. 24 25
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messene visuelle Umsetzung zu geben. Diese stellte seine neue Würde einerseits in die Tradition der römischen Kaiser, anderseits stellte sie die christlichen Bezüge als einigendes Band des sehr heterogenen Karolingischen Reiches heraus und hob mit dem Rekurs auf das fränkische Umfeld zugleich einen weiteren Bezugspunkt hervor. Allerdings waren die Münzen mit dem Bild des Kaisers wahrscheinlich nur einem begrenzten Kreis zugänglich, wohingegen auf den im Reich weit verbreiteten Denaren weiterhin der als Monogramm gestaltete Königsname als Rechtszeichen zu sehen war. Karl der Große ist jedoch innerhalb unseres Untersuchungszeitraumes keineswegs der erste Herrscher, welcher sein Bildnis auf Münzen prägen ließ. Ihm voran ging der angelsächsische König Offa von Mercia30. Seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts hatten angelsächsische Könige in ihren jeweiligen Reichen eigene Münzen geprägt, doch das Königsbild spielte dabei keine Rolle, wenngleich gelegentlich über symbolische Darstellungen versucht wurde, einen Bezug zum Königtum herzustellen31. König Offa war es nach seinem Herrschaftsantritt in Mercia 757 schrittweise gelungen, eine hegemoniale Stellung einzunehmen, indem er andere angel-
Einen sehr schönen Überblick über die Entwicklung des englischen Münzwesens, der auch die wichtigste weitere Literatur anführt, bietet Gareth Williams, Coins and Kingship, in: Royal Authority in Anglo-Saxon England, hg. von Gale R. Owen-Crocker/Brian W. Schneider (BAR British series 584), Oxford 2013, S. 37–62. – Offa ist natürlich nicht der erste angelsächsische König, der sein Bildnis auf Münzen prägen ließ. Bereits Eadbald von Kent (616–610) hatte dies getan. Dabei handelte es sich aber um eine Trymsa, eine den Trienten nachempfundene Goldmünze, die das Bild des Königs noch ganz in der Form der pseudoimperialen Prägungen zeigt; einige erkennen darauf auch ein Perlendiadem. Dabei ist eine enge Verwandtschaft zu den Goldmünzen der Merowinger festzustellen. Neben allgemein feststellbaren fränkischen Einflüssen auf das angelsächsische Münzwesen kommt im konkreten Fall hinzu, dass Eadbald über seine Mutter Bertha ein Enkel König Chariberts I. war, der gleichfalls Goldmünzen prägen ließ; vgl. Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 46 mit Abb. 2.32; Williams, Coins and Kingship, S. 39–40, der die Rolle Londons betont; zu Eadbald vgl. David Peter Kirby, The Earliest English Kings, London/New York 2000, S. 30–35 sowie zu den Münzen Chariberts Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 32–33 mit Abb. 21–22; Kluge, Numismatik des Mittelalters (wie Anm. 8) Nr. 147. Williams, Coins and Kingship, S. 40–41 sieht für Kent einen Zusammenhang zwischen Münzprägung und ersten schriftlichen Rechtskodifikationen und erkennt hierein ein Modell der christlich-römischen Königsherrschaft, wie es die Franken hatten und die Missionare Augustins bewarben. 31 Vgl. Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 23–62, die vor allem die Anlehnung an Rom betont, da die angelsächsischen Könige sich in der Nachfolge der Römer gesehen hätten, sowie mit teilweise anderer Interpretation Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms (wie Anm. 16) S. 303–304. 30
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sächsische Herrscher südlich des Humber in seine Abhängigkeit brachte32; in dieser Zeit werden auch seine ersten Versuche greifbar, stärkeren Einfluss auf das Münzwesen zu nehmen33. Offa führte Pennymünzen ein, die breiter und dünner waren als die Münzen seiner Vorgänger und die in den Königreichen Mercia, Kent und East Anglia geprägt wurden und dort auch umliefen34. In einer ersten Reformphase ließ er neben der weiterhin bestehenden Vielfalt der Münzbilder nun auch wie der fränkische König Pippin seine Initialen auf die Münzen prägen, auch im Gewicht wurden Offas Münzen durch den Karolinger beeinflusst.35 Neu auf den angelsächsischen Münzen ist, dass nun neben dem Namen des Münzmeisters auf dem Revers auf dem Avers der Königsname konsequent angeführt wird36. 32 Zur Idee der “Mercian Supremacy” vgl. u. a. Simon Keynes, England, 700–900, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 2, ed. Rosamund McKitterick, Cambridge 1995, S. 18–42, hier S. 27–31, der dies für ein Konzept der Historiographie hält, wohingegen die Zeitgenossen weniger Vorstellungen einer konzeptionellen Einheit gehabt hätten, sondern die einzelnen Könige je nach Möglichkeit ihre Macht immer weiter ausgedehnt hätten. Zum Titel Offas siehe unten Anm. 36. Peter Hayes Sawyer, From Roman Britain to Norman England, London ²1998, S. 99–115 vollzieht die Wechselfälle von Offas Herrschaft gut nach. 33 Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms (wie Anm. 16) S. 324–328. 34 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 49, 56 (auch zur Problematik der fehlenden Münzstätten in Mercia, sofern man London nicht dazu rechnet) sowie Rory Naismith, Coinage (wie Anm. 38) S. 78–84, der das Fehlen von Münzstätten in Mercia darauf zurückführt, dass es nur an der Südostküste Häfen gab, in denen das Bullion ankam, aus dem das Silber für die Münzen gewonnen wurde. 35 Vgl. Joanna Story, Carolingian Connections. Anglo-Saxon England and Carolingian Francia, c. 750–870 (Studies in Early Medieval Britain 2), Aldershot 2003, S. 23–26, die vor allem die Rolle des Königsnamens als Zeichen der königlichen Kontrolle über die Münze betont, welche schon Eadberth ebenso wie Pippin angestrebt habe. S. 191–195 hebt sie den Einfluss der karolingischen Münzreformen auf Offas Münzen, vor allem die in Canterbury und London geprägten, hervor, wobei sie auch die Konkurrenz der angelsächsischen Könige betont, vor allem den Wunsch der kentischen Könige nach Unabhängigkeit. Zum Einfluss Pippins auf die Münzen unter Offa vgl. auch Naismith, Kings, Crisis and Coinage Reforms (wie Anm. 16) S. 324–326. 36 Vgl. Naismith, Coinage (wie Anm. 34) S. 77, S. 89–90 auch zu den frühen Münzen mit Herrscherinitialen sowie mit einer kritischen Durchsicht zu Datierungsfragen Gareth Williams, Mercian Coinage and Authority, in: Mercia. An Anglo-Saxon Kingdom in Europe, hg. von Michelle P. Brown/Carol A. Farr, London u. a. 2001, S. 211–228, hier S. 211–217. Offa bezeichnete sich hier als OFFA REX oder seltener als OFFA REX MERCIORVM; vgl. den Katalog von Derek Chick, The Coinage of Offa and his Contemporaries, hg. von Mark Blackburn/Rory Naismith (British Numismatic Society. Special publication 6), London 2010 sowie ebd. S. 7 mit der Zuordnung zu den Münzmeistern Ealhmund, Eadhun und Lulla sowie Simon Keynes, The Kingdom of the Mercians in the Eighth Century, in: Ӕthelbald and Offa. Two Eighth-Century Kings of Mercia. Papers from a Conference held in Manchester in 2000, hg. von David Hill/Margaret Worthington (BAR British series 383), Oxford 2005, S. 1–26, hier S. 13 Anm. 120. Der in den Urkunden verwendete Titel rex
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Erst in Offas zweiter Reformphase, etwa zwischen 785 und 792, tritt das königliche Bild hinzu, als Kopfbildnis im Profil, mal barhäuptig, mal mit dem Diadem als sichtbarem Zeichen der Königsherrschaft37, wobei die anderen Münzbilder weiter geprägt wurden38. Im Unterschied zu Karl dem Großen handelt es sich nicht um einen einheitlichen Bildtyp, sondern um verschiedene Typen, die sich zudem aus unterschiedlichen Quellen speisen. So finden sich neben antikisierenden Bildnissen, die römischen Kaisermünzen folgen, auch solche, die einen König-David-Typus spiegeln. Letztere erkennt man an der üppigen Lockenpracht, wie sie in der angelsächsischen Buchmalerei und anderen Bildwerken für David üblich war39. Stilistisch freilich sind die Bildnisse ebenso wie die Umschriften einAnglorum oder auch rex totius Anglie ist auf den Münzen nicht zu finden – anders allerdings Derek Chick, The Coinage of Offa in the Light of Recent Discoveries, in: Hill/Wor thington (Hgg.), Ӕthelbald and Offa (wie oben) S. 111–122, hier S. 119–120, der einige Umschriften zu OFFA REX ANGLORUM auflöst; vgl. zum Urkundentitel Offas mit der älteren Literatur Keynes, Kingdom of the Mercians, S. 3, S. 6, S. 10, der rex Anglorum für Sprachgebrauch erst des 10. Jahrhunderts hält. 37 Vgl. zu diesen Stücken knapp Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 51 sowie S. 54 mit der Bemerkung, dass sich für Offa keine Münze findet, die ihn mit einem Helm zeigt; vgl. Naismith, Money and Power (wie Anm. 14) S. 54–64. S. a. Gannon, Iconography, S. 31–33 mit der einschlägigen Literatur und zur Ikonographie Davids gerade im Umfeld des Königtums Ildar H. Garipzanov, David, imperator augustus, gratia die rex: Communication and Propaganda in Carolingian Royal Iconography, in: Monotheistic Kingship. The Medieval Variants, hg. von Aziz Al-Azmeh/János M. Bak (CEU Medievalia 7), Budapest 2004, S. 89–117. Der Lockenkopf weist aber auch Ähnlichkeit zu einer Münze des Lucius Verrus auf; vgl. Naismith, Money and Power, S. 57–58 mit Abb. 3.2.b. 38 Diese Chronologie bedeutet auch, dass das Bild des Königs nur für die „Secondary Light Coinage“ verwendet wurde, aber nicht für die 792/93 eingeführte „Heavy Coinage“, welche auf dem Avers meist eine dreizeilige Aufschrift trägt. Die Datierung hat Christopher Blunt, The Coinage of Offa, in: Anglo-Saxon Coins. Studies presented to F.M. Stenton on the Occasion of his 80th Birthday 17 May 1960, ed. Reginald Hugh Michael Dolley, London 1961, S. 39–62, hier S. 53–54 sichern können. Auch die „Light Coinage“ der ersten Münzphase Offas, mit einem Gewicht von ca. 1,3 gr, haben das Königsbild nicht; vgl. Nai smith, Coinage (wie Anm. 34) S. 77–78, S. 88–99. Das neueste Standardwerk zu Offas Münzen ist Chick, Coinage of Offa (wie Anm. 36) mit einem umfangreichen Katalog S. 53–166 und dazu Rory Naismith, The Coinage of Offa revisited, in: British Numismatic Journal 80 (2010) S. 76–106; vgl. u. a. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 55 Nr. 74/75 (Abb. S. 53). Die Vielfalt der Münzen ist vor allem deswegen ein Problem, weil nicht mehr exakt festzustellen ist, welche Motive auf eine chronologische Entwicklung zurückzuführen sind und welche auf die Organisation der Stempelschneider und Münzstätten; vgl. Naismith, Coinage (wie Anm. 34) S. 84–85. 39 Zur Bildlichkeit der Offamünzen vgl. Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 31–35, S. 59–61; John Michael Wallace-Hadrill, Charlemagne and England, in: Ders., Early Medieval History. Collected Essays (Oxford 1975), IX, S. 155–180, hier S. 160 hatte angenommen, die Münzbilder Offas seien von den Siegeln der Karolinger beeinflusst – diese aber
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ander so ähnlich, dass die Münzstempel wahrscheinlich alle aus derselben Werkstatt stammten, die in London vermutet wird40. Der Verweis auf König David sowie der auf einigen Münzen zu erkennende Blick Offas Richtung Himmel zielten auf die Präeminenz seines Königtums – worin man einen weiteren Hinweis auf seine Oberherrschaft erkennen kann, die zudem noch sakral aufgeladen wurde, weil sie mit der Legitimation durch Gott verbunden wurde41. Bei anderen Münzen wiederum ist die Anlehnung an römische Kaisermünzen, darunter natürlich wieder Konstantins I., gut erkennbar, der vor allem für die Unterstützung der Kirche stand42. Das Aufkommen der Porträtmünzen Offas steht zeitlich in Zusammenhang mit seinem erneuten Ausgreifen nach Kent seit 785, wie man an seinem verstärkten Auftreten in dortigen Urkunden erkennen kann; damit hatte er wieder Zugriff auf London und Canterbury, wo die meisten Porträtmünzen geprägt wurden43. Die von Offa erstmals auf angelsächsischen Münzen konsequent hergestellte Verbindung von Königsbild, Königsnamen und Königstitel44 spiegelte seinen verstärkten Zugriff auf die ihm un-
zeigen zu diesem Zeitpunkt noch antike Bildnisse! Story, Carolingian Connections (wie Anm. 35) S. 195 nimmt eher römische Vorbilder, vermittelt durch päpstliche Münzen, an. 40 Vgl. Naismith, Coinage (wie Anm. 34) S. 84–86. 41 Vgl. Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 33. 42 Vgl. Naismith, Money and Power (wie Anm. 14) S. 61–82 43 Vgl. Ian W. Walker, Mercia and the Making of England, Stroud 2000, S. 11–14, der den verstärkten Handel mit dem Frankenreich als einen Grund für Offas zunehmende Münzprägung ansieht, aber vor allem Offas Bestreben, seine Übermacht über die anderen angelsächsischen Könige neben der Titelführung als rex Anglorum auch visuell zu repräsentieren. Hinzu kommt seine Politik, die Kirche stärker unter seine Kontrolle zu bringen, insbesondere den Erzbischof von Canterbury, u. a. indem er Synoden abhielt. Eine kritische Durchsicht von Quellen und Literatur zur Frage der Suprematie Offas bietet Keynes, Kingdom of the Mercians (wie Anm. 36) S. 8–14. Vgl. Naismith, Coinage (wie Anm. 34), S. 94–95 nach Frank M. Stenton, Anglo-Saxon England, Oxford ³1971, S. 222–224; anders hingegen Handbook of British Chronology, hg. von Edmund Boleslav Fryde u. a. (Royal Historical Society. Guides and Handbooks 2), Cambridge 31986, ND 1996, S. 587–588. In East Anglia hingegen wurden Offas Porträtmünzen kaum ausgeprägt. 44 Vgl. Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 192–193, die darin geradezu einen Bruch mit den bis dahin üblichen Traditionen sieht. Die „Heavy Coinage“ seit 792/93 verzichtet auf das Königsbild, etabliert aber für alle Münzen ein gemeinsames Aversbild mit einer einheitlichen Form des Königstitels; vgl. Naismith, Money and Power (wie Anm. 14) S. 100– 102. Nun stehen also wieder Name und Titel des Königs, die dreizeilig angeordnet werden, im Vordergrund vor der Verwendung des Bildes. Die immer wieder geäußerte Vermutung, u. a. bei Williams, Coins and Kingship (wie Anm. 30) S. 46–47, dies spiegele einen höheren Grad von Schriftlichkeit, scheint mir zu kurz zu greifen. Hinzu kommt, dass andere Typen karolingischer Münzen direkt nachgeahmt werden; vgl. ebd. S. 47.
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terstehenden Gebiete. Zwar gab es in Kent und East Anglia subreguli, die eigene Münzen prägten, aber eben nicht mit ihrem Bildnis45. Doch es ging Offa nicht nur um die Hegemonie über anderen Könige, sondern auch um eine verstärkte Einbindung der Kirche in sein Herrschaftssystem – wie bei Karl dem Großen ist der Rekurs auf König David und Münzen Kaiser Konstantins I. auch in diesem Zusammenhang zu sehen. Dies zeigt sich ebenfalls deutlich daran, dass in der Zeit, als die ers ten Bildnismünzen geprägt wurden, die Synode des Jahres 786 in Chelsea unter Offas führender Beteiligung abgehalten wurde. Auf dieser erfolgte u. a. die Salbung seines Sohnes Ecgfrith, dessen Nachfolge auf diese Weise gesichert werden sollte. Mit der erstmals im angelsächsischen England nachweisbaren Herrschersalbung und den zugehörigen Gebeten, die die Stellung des Königs als von Gott eingesetzt bezeichneten und ihm damit einen Legitimationsvorsprung verschafften, schließt sich der Kreis zu Offas Porträtmünzen46. Im Unterschied zu Karl dem Großen boten Offas Bildnismünzen eine Vielzahl von Herrscherbildern. Die gezielte Propagierung eines bestimmten Typus wie im Falle Karls ist hier nicht zu beobachten. Im Unterschied zu den Münzen Karls handelt es sich bei Offas Bildnismünzen nicht um Sonderemissionen, sondern um verbreitete Münzsorten, die tatsächlich in Umlauf und damit auch in der Bevölkerung bekannt waren, die so das Bild des hegemonialen Königs sah. Auch nach Offa wurden in England weiter Münzen mit dem Bild des Königs geprägt. Nach Alfred dem Großen, also seit dem Ende des 9. Jahrhunderts, spielte das Königsbild auf den angelsächsischen Münzen jedoch keine Rolle mehr47. Dies ist am Rande bemerkt auch deswegen interessant, weil Alfred in Anlehnung an Karl den Kahlen nach 886 in London Münzen mit seinem Monogramm prägen ließ, also der zeichenhaften Gestal-
Vgl. Williams, Coins and Kingship (wie Anm. 30) S. 46. Vgl. Blunt, Coinage of Offa (wie Anm. 38) S. 54. Zur umstrittenen Salbung Ecgfriths, die auf angelsächische Chroniken (Two of the Saxon Chronicles parallel, ed. Charles Plummer, Bd. 1, Oxford 1892, S. 52–55) zurückgeführt wurde, vgl. Hanna Vollrath, Die Sy noden Englands bis 1066 (Konziliengeschichte, Reihe A: Darstellungen), Paderborn u. a. 1985, S. 162 Anm. 115. 47 Alfreds Münzen mit dem Königsbild, die vor allem bis in die Mitte der 880er Jahre geprägt wurden, zeigen den König nach römischem Vorbild stilisiert; vgl. Richard Abels, Alfred the Great. War, Kingship and Culture in Anglo-Saxon England, London/New York 1998, S. 212. 45 46
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tung des Königsnamens eine gewisse Bedeutung einräumte48. Weiter verbreitet waren jedoch seit Alfred Münzen, die ein kleines Kreuz auf dem Avers aufwiesen und den Königsnamen in der umlaufenden Umschrift nannten (sog. Circumscription-Type oder Cross-Type) bzw. der TwoLine-Type oder Horizontal-Type, der den Namen des Münzmeisters horizontal in zwei Zeilen nannte49. Der Blick auf Angelsachsen und Franken im 8. und 9. Jahrhundert zeigt deutlich, dass der Name des Königs für dessen Repräsentation eine große Bedeutung hat. Er ist einerseits konkret auf den einzelnen König bezogen, anderseits aber verweist er auf die Herrscherfamilie. Das liegt auch daran, dass Fürstennamen bis etwa 900 exklusiv waren50, was dazu beitrug, dass sie als Rechtszeichen dienen konnten. So stand der Name gewissermaßen in Konkurrenz zum Bild des Herrschers, das nicht als individuelles Porträt gedacht und darum nicht aus sich heraus auf den einzelnen König bezogen ist, sondern auf das Königtum als solches und dessen ideelle Grundlagen verweist.
II. In England kehrte König Ӕthelstan, als Enkel Alfreds des Großen aus dem Haus Wessex stammend, zum Bildnistyp zurück. Er tat dies, nach 48 Vgl. Williams, Coins and Kingship (wie Anm. 30) S. 46–47. Zu Alfreds Münzen vgl. Mark Blackburn, Alfred´s coinage reforms in context, in: Alfred the Great. Papers from the Eleventh-Centenary Conferences, hg. von Timothy Reuter (Studies in Early Medieval Bri tain 3), Aldershot 2003, S. 199–217; Abels, Alfred the Great (wie Anm, 47) S. 209–212; Mark Blackburn, The London Mint in the Reign of Alfred, in: Kings, Currency and Alliances. History and Coinage of Southern England in the Ninth Century, hg. von Dems./David N. Dumville (Studies in Anglo-Saxon History 9), Woodbridge 1998, S. 105–123, hier S. 106; Simon Keynes, King Alfred and the Mercians, ebd. S. 1–45, hier S. 30; Rory Naismith, Prelude to Reform: Tenth Century English Coinage in Perspective, in: Early Medieval Monetary History. Studies in Memory of Mark Blackburn, hg. von Dems./Martin Allen/Elina Screen (Studies in Early Medieval Britain and Ireland), Ashgate 2014, S. 39–83, hier S. 43– 45. 49 Vgl. Christopher Blunt/Bernard Harold I.H. Stewart/Colin St. S. Lyon, Coinage in Tenth-century England. From Edward the Elder to Edgar’s reform, Oxford 1989, S. 10; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 47. 50 Vgl. Michael Mitterauer, Ahnen und Heilige. Namengebung in der europäischen Geschichte, München 1993, S. 293; Hans-Werner Goetz, „Nomen“. Zur Bedeutung von Personennamen in der frühmittelalterlichen Gesellschaft, in: Onomastik. Akten des 18. Inter nationalen Kongresses für Namenforschung Trier, 12.–17. April 1993, Bd. 6, hg. von Dieter Kremer u. a., Tübingen 2002, S. 49–60, hier S. 50–55.
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dem er 927 mit der Einnahme Yorks die Rückeroberung Northumbrias weitgehend abgeschlossen und an der Eamont Bridge ein Bündnis mit den Herrschern von Schottland, Wales, Strathclyde und Bernicia geschlossen hatte51. In der Folge nannte er sich Rex totius Britanniae52, was zwar nicht völlig korrekt war, aber seinen Herrschaftsanspruch deutlich macht, den er auch auf den Bildnismünzen zum Ausdruck brachte. Diese zeigen Ӕthelstan nicht mehr mit einem Diadem, sondern – erstmals bei einem angelsächsischen König – mit einer Krone, was Ӕthelstans gesteigerte Auffassung seiner Herrschaft in räumlicher wie in qualitativer Hinsicht spiegelt. Diese kam auch darin zum Ausdruck, dass er forderte, im gesamten Reich solle es nur eine, nämlich eine königliche Münze geben. Auch die Königssalbung, die Ӕthelstan 925 als erster angelsächsischer König nach Offas eben erwähntem Sohn Ecgfrith erhielt, deutet auf ein besonderes Bedürfnis hin, die Grundlagen der herrscherlichen Legitimation zu kommunizieren53. Der von ihm eingeführte sog. Bust-CrownedType blieb freilich ein Münztyp neben anderen54. Wie Offa kehrte Ӕthelstan auf Münzen zu seinem Bildnis zurück, als er eine hegemoniale
51 Zu Ӕthelstan vgl. Paul Hill, The Age of Athelstan. Britain’s Forgotten History, Stroud 2004; Sarah Foot, Ӕthelstan. The First King of England (English Monarchs), New Haven 2012, S. 18–23. 52 Zum Titel Ӕthelstans vgl. Hill, Age of Athelstan (wie Anm. 51) S. 161–163; Simon Keynes, King Athelstan’s books, in: Learning and Literature in Anglo-Saxon England. Studies presented to Peter Clemoes on the Occasion of his Sixty-Fifth Birthday, ed. by Michael Lapidge/Helmut Gneuss, Cambridge 1985, S. 143–201. Einschlägig zu Ӕthelstans Münzen ist Christopher E. Blunt, The Coinage of Athelstan, 924–939. A Survey, in: British Numismatic Journal 42 (1974) S. 35–158. Ӕthelstans Vater hatte nur gelegentlich den BustDiademed-Type verwendet, der sich in der Frühphase auch bei Æthelstan findet; vgl. Blunt/Stewart/Lyon, Coinage in Tenth-Century England (wie Anm. 49) S. 11, S. 108. 53 Vgl. Sawyer, From Roman Britain (wie Anm. 32) S. 187–188; Foot, Ӕthelstan (wie Anm. 51) S. 17–18. 54 Vgl. Blunt/Stewart/Lyon, Coinage in Tenth-Century England (wie Anm. 49) S. 11– 12, S. 106, S. 191 auch Taf. 23 Nr. 251; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 51; Foot, Ӕthelstan (wie Anm. 51) S. 151–157, die die Bildnismünzen ebenfalls als Ausdruck der Oberherrschaft ansieht. Vgl. allgemein zu Kronen und Diademen auf angelsächsischen Münzen Gannon, Iconography (wie Anm. 14) S. 42–51. Die verhältnismäßig einheitliche Gestaltung bereits der Bildnisse Ӕthelstans, als dessen Botschaft sie die Propagierung eines imperialen Königtums ansieht, hebt Catherine E. Karkov, The Ruler Portraits of AngloSaxon England (Anglo-Saxon Studies 3), Woodbrigde 2004, S. 53–83 hervor. Zur „Imperialisierung“ des Königsbildes unter Ӕthelstan vgl. Michael Wood, The Making of King Aethelstan’s Empire. An English Charlemagne?, in: Ideal and Reality in Frankish and Anglo-Saxon Society. Studies presented to J.M. Wallace-Hadrill, ed. by Patrick Wormald/ Donald Bullough/Roger Collins, Oxford 1983, S. 250–272, bes. S. 250–252, S. 268–271.
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Stellung in England erreicht hatte, die er neben dem Münzbild zugleich auch in der Titelführung zum Ausdruck brachte. Für unsere Fragestellung ist zudem wichtig, dass der Bust-Crowned Type überwiegend in Südengland zu finden ist, also in Ӕthelstans angestammten Herrschaftsgebieten, vor allem aber, dass er in Mercia überhaupt nicht geprägt wurde, obwohl dort andere Münzen dieses Königs durchaus geschlagen wurden55. Dem Bildnis des Herrschers wohnte offensichtlich eine besondere politische Aussage inne, eine explizite Anerkennung der Herrschaft dieses Königs, die man in Mercia, wo es Widerstände gegen die Könige aus Wessex gab, lieber mied. Vor diesem Hintergrund ist es von besonderem Interesse, dass Ӕthelstans Enkel Edgar, der nach dem Tode seines Bruders Eadwig 959 König von England wurde, gegen Ende seines Lebens, vermutlich um 97356, eine Münzreform durchführte, in deren Zuge das königliche Bildnis als das einzige Aversbild durchgesetzt wurde; der bisherigen Vielfalt der angelsächsischen Münzbilder war somit ein Ende bereitet. Dieses neue, einheitliche Münzbild mit der Königsdarstellung überstand die normannische Eroberung Englands 1066 und wurde mit leichten Modifikationen bis 1306 ausgeprägt; verändert wurden im Wesentlichen nur die Rückseiten der Münzen, auf den Vorderseiten kam gelegentlich noch das Zepter hinzu57. Edgars Münzreform betraf in erster Linie natürlich Feingehalt und Gewicht, die verbessert wurden; auch regelmäßige Münzverrufungen wurden nun eingeführt58. Diesen einheitlichen Maßen, die in etwa 44 Münzstätten gleichermaßen geprägt wurde – man geht von einer entsprechenden Anordnung Edgars aus, die allerdings nicht mehr erhalten ist, sofern sie
Vgl. Blunt/Stewart/Lyon, Coinage in Tenth-Century England (wie Anm. 49), S. 108–109, S. 191; Williams, Coins and Kingship (wie Anm. 30) S. 56. 56 Zur Datierung nach Roger of Wendover, Flores Historiarum, ed. Henry O. Coxe, Bd. 1, London 1841, S. 415–416 zu 975, der die Einführung einer neue Münze in ganz England durch Edgar in das Jahr der Unterwerfung des Königs Kenneth von Schottland setzt, vgl. Michael Dolley, Roger of Wendover’s Date for Eadgars Coinage Reform, in: British Numismatic Journal 49 (1979) S. 1–11; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 40. 57 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 85, S. 103. 58 Vgl. Reginald Hugh Michael Dolley/David Michael Metcalf, The Reform of the English coinage under Eadgar, in: Dolley (Hg.), Anglo-Saxon Coins (wie Anm. 38) S. 135– 168 als eine der klassischen Studien; H. Bertil A. Petersson, Anglo-Saxon Currency. King Edgar’s Reform to the Norman Conquest (Bibliotheca historica Lundensis 22), Lund 1969, S. 101–104 zu den Maßen der Münzen; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 52. 55
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jemals schriftlich niedergelegt wurde59 –, entspricht die Einheitlichkeit des Münzbildes. Für das neue Münzbild wurde gezielt auf den Bust-Crowned-Type Ӕthelstans zurückgegriffen60. Die Vorderseiten der Münzen zeigen den bekrönten Kopf des Herrschers im Profil und nennen Münzmeister und Münzstätte auf der Rückseite61. Edgar setzte das Münzbild mit dem bekrönten Königskopf ein, um seine neue Dominanz im Süden und Norden Englands auf dem weit verbreiteten Medium Münze zu visualisieren. Wir wissen, dass die englischen Münzen nicht nur über den Handel nach Skandinavien und Osteuropa exportiert wurden, sondern auch im Lande verblieben; das neue, einheitliche Bild des Königs wurde so in seinem gesamten Herrschaftsbereich verbreitet. Während seiner Herrschaftszeit war es Edgar gelungen, seine Herrschaft zu konsolidieren und weiter auszudehnen; sinnfällig wurde dies bei einem Zusammentreffen mit walisischen und schottischen Fürsten in Chester 973, die sich ihm bei dieser Zusammenkunft unterwarfen oder doch jedenfalls zu weitreichenden Zugeständnissen bereit waren. 973 gab es zudem möglicherweise eine zweite Krönung Edgars oder doch einen vergleichbaren symbolischen Akt, der seinen Machtanspruch und das Bestreben, diesen durch repräsentativ-legitimierende Akte abzusichern, belegt62. Der Export der englischen Münzen nach Osteuropa sorgte dafür, dass die böhmischen Herzöge, nachdem sie englische Münzen in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts zunächst nachgeprägt hatten, zu Beginn des 11. Jahrhunderts mit dem eigenen Bildnis zu prägen begannen63. Ähnliches Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19), S. 84; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 41–46. 60 Vgl. Blunt/Stewart/Lyon, Coinage in Tenth-Century England (wie Anm. 49) S. 195; Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 52. Edgar gelang es also, Æthelstans Anweisung, es solle im ganzen Reich nur eine Münze geben, wie sie sich im Grately Code findet, auch umzusetzen; vgl. Naismith, Prelude to Reform (wie Anm. 48) S. 56; Foot, Ӕthelstan (wie Anm. 51) S. 152–152. 61 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 85 mit Abb. 121, 122. 62 Vgl. Simon Keynes, Edgar, rex admirabilis, in: Edgar. King of the English, 959–979. New Interpretations, hg. von Donald Scragg (Publications of the Manchester Centre for Anglo-Saxon Studies 8), Cambridge 2008, S. 3–59, hier S. 49. 63 Vgl. Jarmila Hásková, Die Geschichte der böhmischen Münze, in: Dies., Česká Mince V Době románské. Příspěvek k ikonografii českých denárů 10.–12. Stoleti. Chebské Muzeum v Chebu, Cheb 1975, S. 27–28; Jirí Sejbal, The Denarius Currency, in: Money in the Czech Lands before 1919, Pacov 1996, S. 31–49, bes. S. 31–40. Da Böhmen und Mähren aber auch durch byzantinische und russische Münzen beeinflusst wurden, entstand hier während des 11. Jahrhunderts eine breite Vielfalt an Münzmotiven, auch hinsichtlich der Herrscherbilder. 59
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ist auch in Skandinavien zu beobachten, wo seit den 990er Jahren englische Münzen des Crux-Type Ethelreds II. nachgeprägt werden, wie durch Olaf Schoßkönig von Schweden (995–1022), Sven Gabelbart in Dänemark (985–1014) und Olav Tryggvason von Norwegen, die aber ihre eigenen Namen auf die Münzen setzten und damit ihre Unabhängigkeit vom englischen König bekundeten64. Besonders deutlich ist natürlich der Einfluss auf das dänische Münzwesen bis zur Mitte 11. Jahrhunderts, danach wirken auch byzantinische Münzen auf die Münzdarstellungen der dänischen Könige ein65. Kehren wir nun auf den Kontinent des 10. Jahrhunderts zurück, konkret in das Reich der Ottonen, das vielfältige Beziehungen nach England aufwies, allerdings nicht hinsichtlich der Münzen. So war u. a. Eadgith, Ottos I. erste Frau, eine Halbschwester des König Ӕthelstans gewesen, der den Bust-Crowned-Type eingeführt hatte66. Trotz der erwähnten Rezeption angelsächsischer Münzbilder im Norden und Osten Europas: Einflüsse Englands auf das Münzwesen der Ottonen lassen sich nicht erkennen67. 64 Philip Grierson, The Coins of Medieval Europe, London 1991, S. 73–75; Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 82, S. 108; Kluge, Numismatik des Mittelalters (wie Anm. 8) S. 159. In Schweden werden danach bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts keine Münzen mehr geprägt; vgl. ebd. S. 161; in Norwegen werden zwar seit Harald Hardråde (1047–1066) wieder mehr Münzen geprägt, bei denen auch häufig der Königsname erkennbar ist, das Bild des Königs aber keine Rolle spielt; vgl. ebd. S. 162. 65 Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 108–109; Kluge, Numismatik des Mittelalters (wie Anm. 8) S. 160. 66 Vgl. zu Kontakten der Ottonen nach England Andreas Bihrer, Begegnungen zwischen dem ostrfränkisch-deutschen Reich und England (850–1100). Kontakte – Konstellationen – Funktionalisierungen – Wirkungen (Mittelalter-Forschungen 39), Ostfildern 2012, S. 341–348. 67 Vgl. allgemein zur Münzprägung im Europa des 10. Jahrhunderts Françoise Dumas, La monnaie au Xe siècle, in: Il secolo di ferro: Mito e realtà del secolo X (Settimane di studio 38), Bd. 2, Spoleto 1991, S. 565–609 sowie zum Münzwesen unter den Ottonen Norbert Kamp, Moneta Regis. Königliche Münzstätten und königliche Münzpolitik in der Stauferzeit (MGH Schriften 55), Hannover 2006, S. 2–12; Bernd Kluge, Umrisse der deutschen Münzgeschichte in ottonischer und salischer Zeit, in: Ders., Fernhandel und Geldwirtschaft. Beiträge zum deutschen Münzwesen in sächsischer und salischer Zeit. Ergebnisse des Dannenberg-Kolloquiums 1990 (Römisch-Germanisches Zentralmuseum. Monographien 31), Sigmaringen 1993, S. 1–16; zum Problem der Quellenkritik bei ottonischen Münzen vgl. Bernd Kluge, OTTO REX/OTTO IMP. Zur Bestandsaufnahme der ottonischen Münzprägung, in: Ottonische Neuanfänge. Symposion zur Ausstellung „Otto der Große, Magdeburg und Europa“, hg. von Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter, Mainz 2001, S. 85– 112, hier S. 85–86. Man muss natürlich auch eingestehen, dass für die wenigsten „deutschen“ Münzen bereits stempelkritische Untersuchungen vorliegen; vgl. hierzu Ders., Stempelvergleichende Untersuchungen deutscher Münzserien des 10. und 11. Jahrhunderts. Fragen, Ergebnisse und Perspektiven einer Methode, in: Frühmittelalterliche Studien 23 (1991) S. 344–361. Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert.
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Die ottonischen Münzen folgten in ihrem Erscheinungsbild im Wesentlichen dem Muster, das sich unter den späten Karolingern herausgebildet hatte: Sie zeigen auf dem Avers ein Kreuz; in der Umschrift wurde der Name des jeweiligen Königs angeführt. Auf dem Revers findet sich ein sog. Holzkirchengepräge, das sich aus den karolingischen Tempeldarstellungen ableiten lässt; in der Umschrift wird der Name der Münzstätte genannt, die manchmal als Schriftbild auch den ganzen Revers ausmachte68. In Sachsen, wo überhaupt erst unter Otto I. Münzstätten errichtet wurden, gibt es zudem nach ähnlichem Muster Münzen ohne Schriftzeichen, die sogenannten Sachsenpfennige, auf denen später immerhin der Name Otto erschien69. War also der Name des Königs als Münzherr auf den Münzen vertreten, wenngleich nicht im Zentrum, sein Bild war es nicht. Für die ottonische Münzprägung ist freilich auf eine Eigenart hinzuweisen, die uns bei den Karolingern und den Angelsachsen nicht begegnet ist: Einige Münzstätten befanden sich nicht mehr in der Hand des Herrschers, sondern unterstanden Herzögen bzw. vor allem geistlichen Fürsten; gegen Ende des 10. Jahrhunderts sollte dies freilich noch deutlich zunehmen. Von einem in der Hand des Königs zentral organisierten Münzwesen, wie es bei den Angelsachsen spätestens seit Edgar anzutreffen ist, war das ottonische Reich also weit entfernt. Abgesehen von Bayern, wo in den herzoglichen Münzstätten der sog. Letternkirchentyp ausgeprägt wurde70, hatte dies jedoch zunächst kaum Einfluss auf die Münzbilder. Dennoch ist dies ein für die vorliegende Fragestellung wichtiger Punkt: Die ersten Münzen mit Bildnissen ottonischer Herrscher, im konkreten Fall Ottos I., wurden nur an zwei Münzstätten geprägt, nämlich in Breisach und in Straßburg71. War an der Breisacher Münze der jeweilige Herzog von Schwaben beteiligt, so war es in Straßburg der Bischof72. Die Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 73, S. 79 mit Abb. 103, 105. Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 74, S. 79 mit Abb. 102. 70 Zu den bayerischen Münzen vgl. Wolfgang Hahn, Symbol- und Formelhaftigkeit in der bayerischen Münztypologie des 10. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 35 (1985) S. 73–76 sowie Bernd Kluge, Pferde für 100 Pfund Silber. Münze, Geld und Reichtum zur Zeit Ottos des Großen (Magdeburger Museumshefte 20), Magdeburg 2005, S. 15 mit Abb. 15 auf S. 18. 71 Vgl. Schramm/Mütherich, Kaiser und Könige (wie Anm.12) S. 73, S. 188 und Tafel S. 334; Kluge, Pferde (wie Anm. 70) S. 15–17 mit Abb. 11–13. 72 Vgl. zu den Münzen in Breisach seit 939 unter Hermann I. († 949), die teilweise auch das Bildnis von Herzog und König bzw. Kaiser zeigen: Hermann Dannenberg, Die deutschen Münzen der fränkischen und sächsischen Kaiserzeit, 4 Bde., Berlin 1876–1905 (immer zitiert als Dbg. mit Nummer): Dbg. 890 (mit Abb. S. 315 Nr. 10) sowie noch Dbg. 891, 892, 893; Dbg. 894 nennt nur den Herzog, nicht den König. Auch unter Burchard III. wurden 68 69
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Beobachtung, dass die Bildnismünzen Ottos I. an keiner weiteren Münzstätte geprägt wurden, lässt vermuten, dass es sich bei den ersten Bildnissen des ottonischen Königs auf Münzen nicht um eine Initiative des Herrschers handelte, die doch aller Wahrscheinlichkeit nach eine reichsweite Resonanz gefunden hätte. Doch warum gingen der Herzog von Schwaben und der Bischof von Straßburg diesen Schritt? Die Münzen aus Straßburg zeigen das bekrönte Kopfbildnis des Herrschers im Profil, auf einigen Exemplaren ist der Schulteransatz mit einem Paludamentum zu erkennen73. Die ersten Münzen, die in das Pontifikat Bischof Udos IV. (950–965) gehören, nennen den König nicht wie auf den Münzumschriften üblich einfach otto rex, sondern ergänzen Königsnamen und -titel um das Epitheton pacificvs – der Friedensbringer74. Interessant ist, dass es eine wahrscheinlich etwas ältere Münze mit dieser Umschrift gibt, die noch nicht das Bild des Königs, sondern ein Kreuz zeigt75. Die Aufschrift der Rückseite dieser älteren Münze nennt nicht nur argentina, also Straßburg, als Ort der Münzstätte, sondern mit voto auch den Namen des Bischofs, so dass dessen Beteiligung an der Münze eindeutig erwähnt wird. Erst in einem zweiten Schritt wurde das Kreuz also durch das Bildnis des Königs ersetzt, die Umschrift mit pacificvs blieb und auch hier wurde auf der Rückseite der Name des Bischofs genannt. Dem Bischof ging es offenbar darum, seine Beteiligung an der solche Münzen geprägt: Dbg. 898, 898a, 898b, 899; vgl. Helmut Maurer, Der Herzog von Schwaben. Grundlagen, Wesen und Wirkungen seiner Herrschaft in ottonisch-salischer und staufischer Zeit, Sigmaringen 1978, S. 75–82, 315–316, 341–342; Ulrich Klein, Die Münzprägung im südwestlichen Schwaben. Stand und Aufgaben der Forschung, in: Kluge (Hg.), Fernhandel und Geldwirtschaft (wie Anm. 67) S. 89–109, hier S. 89–90, S. 93, S. 99–101 zu Abb. 1–2 (zeigt den bekrönten Herrscher, auf der Rückseite ein Kreuz und den Herzogsnamen, ohne Münzstättenangabe), zu Abb. 3 (Dbg. 998: beide Seiten zeigen ein Kreuz), zu Abb. 5 und 6 (Dbg. 900: beide Seiten zeigen ein Kreuz; auch der entsprechende Obol), zu Abb. 7 (Obol zu Dbg. 895: beide Seiten zeigen ein Kreuz), zu Abb. 20 (Dbg. 2118: Avers mit zwei gegenüberstehenden Hüftbildern und der Umschrift mit dem Kaisernamen; Revers mit einem Gebäude und dem Herzogsnamen in der Umschrift). 73 Hierbei handelt es sich um Dbg. 906; vgl. Alain Baron, Die Münzprägung der Bischöfe, Kaiser und Könige in Straßburg (751–1123), phil. Diss. masch. Wien 1987, S. 208– 209 Nr. 15; Kluge, OTTO REX/OTTO IMP (wie Anm. 67) S. 96–97 Nr. 20. 74 Dbg. 906 = Baron, Münzprägung (wie Anm. 73), S. 208–209 Nr. 15 sowie S. 210 Nr. 16 (Obol), Dbg. 929 = Baron, S. 298 Nr. 43 und S. 299 Nr. 3 (Obol mit einer Datierung zu 952–965); vgl. auch Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19), S. 74. Udo wird gelegentlich auch als der dritte Bischof dieses Namens auf dem Straßburger Bischofsstuhl gezählt. 75 Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 297 Nr. 42 mit einem Datierungsvorschlag zu 950–952; diese Münze ist nicht bei Dannenberg verzeichnet.
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Straßburger Münze deutlich zu machen, möglicherweise prägte er wie seine Nachfolger auch schon gänzlich ohne den König. In beiden Fällen sollte das Herrscherbild das königliche Einverständnis mit dem bischöflichen Vorgehen suggerieren76 Auch die ungewöhnliche Ergänzung des Epithetons pacificus deutet darauf hin, dass Udo um das Wohlwollen des Herrschers warb, den er 952 gegen den aufständischen Grafen Guntram unterstützt hatte77. Nach der Verurteilung des Grafen auf einem Augsburger Hoftag 952 strukturierte Otto I. die Machtverhältnisse am Oberrhein neu und hielt im Februar 953 in der Pfalz Erstein etwa 20 km südlich von Straßburg erstmals eine ottonische Reichsversammlung im Elsaß ab78. Allerdings förderte er in diesem Zusammenhang nicht den Straßburger Bischof, sondern das Kloster Einsiedeln und den Bischof von Chur79. Ohne dass wir die Münzen sicher datieren können, ist zumindest denkbar, dass Udo in dem Zusammenhang der Jahre 952/53 versuchte, das Wohlwollen des Königs zu erlangen. Diesen unter Bischof Udo aufgekommenen Brauch setzte sein Nachfolger Bischof Erkanbald in der Kaiserzeit Ottos I. und unter Otto II. fort, wie Bildnismünzen mit dem Titel otto imp(erator) avg(vstvs) belegen80. 76 Vgl. Kluge, Pferde (wie Anm. 70) S. 17, S. 19 Abb. 19, 20. Eine Engführung auf die Zeit nach der Schlacht bei Andernach 939, wie sie Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 210 vornimmt, scheint mir bei der Quellenlage und dem derzeitigen Forschungsstand zu den Münzen nicht möglich. Dennoch ist das Vorgehen des Straßburger Bischofs ungewöhnlich, auch wenn einige Bischöfe wie Ulrich von Augsburg und Bruno von Köln nachweislich im eigenen Namen prägten, wobei Brun allerdings nicht das Bildnis des Herrschers, sondern nur dessen Namen verwendete, und Ulrich gar nicht mehr auf den Herrscher verwies; vgl. Kluge, Pferde (wie Anm. 70) S. 17, S. 20 mit Abb. 22–23. 77 Vgl. Heinrich Büttner, Geschichte des Elsaß I, und Ausgewählte Beiträge zur Geschichte des Elsaß im Früh- und Hochmittelalter, hg. von Traute Endemann, Sigmaringen 1991, S. 159 ff.; Thomas Zotz, Die Ottonen und das Elsaß, in: Kaiserin Adelheid und ihre Klostergründung in Selz. Referate der wissenschaftlichen Tagung in Landau und Selz vom 15. bis 17. Oktober 1999, hg. von Franz Staab/Thorsten Unger (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 99), Speyer 2005, S. 51–68, hier S. 57–58. 78 Zum Hoftag vgl. Die Regesten des Kaiserreichs unter Heinrich I. und Otto I. 919–973, bearb. von Emil von Ottenthal (Regesta Imperii II,1), Innsbruck 1893, Nr. 225b, 226, 227. Vgl. auch Zotz, Die Ottonen und das Elsaß (wie Anm. 77) S. 57–58. 79 Vgl. Thomas Zotz, Der Breisgau und das alemannische Herzogtum. Zur Verfassungsund Besitzgeschichte im 10. und beginnenden 11. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 15), Sigmaringen 1974, S. 26–38. 80 Dbg. 930 = Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 301 Nr. 44 (hier gibt es eine Variante, die otto imp avg zu otto magnvs abändert: Dbg. 908 = Baron, S. 211–212 Nr. 16: Datierung zu 962 – mindestens 966; sowie S. 213 Nr. 16*) sowie Baron, S. 302 Nr. 44 Obol; Dbg. 932 = Baron, S. 304–306 Nr. 46 zu Otto II. aufgrund der Datierung der Funde sowie
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Die Rückseite zeigt wieder die Kirchturmspitze, die Legende führt nun den Bischof mit Namen und Titel an: erkambald ep(iscopv)s. Dass diese Münzen tatsächlich für den Geldumlauf gedacht waren, belegt die Tatsache, dass sie in mehreren Varianten überliefert sind, die auch jeweils von verschiedenen Stempeln stammen; zudem wurden fast alle dieser Münzen auch als Obole, also als Halbpfennige, ausgeprägt81. Dass es hier um die allmähliche Herauslösung der eigenen Münzstätte aus den herrscherlichen Zusammenhängen geht, erkennt man daran, dass Udos Nachfolger Erkanbald der erste Straßburger Bischof war, der Münzen gänzlich ohne Verweis auf den Herrscher prägte, wobei unklar ist, ob dies bereits vor der Übertragung des Münzrechtes 974 erfolgte82; das erste bischöfliche Bildnis findet sich schließlich auf den Münzen seines Nachfolgers Widerold83. Ähnlich gelagert ist der Fall bei den Breisacher Münzen mit dem Bildnis Ottos I. und den Herzögen von Schwaben84. In beiS. 307 Nr. 46 Obol; Dbg. 1669 = Baron, S. 303 Nr. 45 mit Datierung zu 971–973. Zu Erkanbald vgl. Walter Berschin, Erkanbald von Straßburg (965–991), in: Ders., Mittellateinische Studien, Heidelberg 2005, S. 267–284, hier S. 269–270. 81 Vgl. Schramm/Mütherich, Kaiser und Könige (wie Anm. 12) S. 188; einzelne der Varianten sind auch auf Taf. 334 gut zu erkennen. Die abgebildeten Münzen sind Dbg. 929 (hier Nr. 1 a und b), Dbg. 906 (hier Nr. 2a–c), Dbg. 930 (hier Nr. 3 a und b sowie 4), Dbg. 932 (hier Nr. 5a–c). Die Nachweise für die Obole finden sich jeweils bei Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 210 Nr. 15 (Obol). Vgl. zum meist regionalen Umlauf der Münzen in der Umgebung der Münzstätten in ottonischer und salischer Zeit David Michael Metcalf, Some Speculations on the Volume of the German Coinage in the Tenth and Eleventh Centuries, in: Lagom. Festschrift für Peter Berghaus zum 60. Geburtstag am 20. November 1979, hg. von Thomas Fischer/Peter Ilisch, Münster 1981, S. 185–193; Ders., Some Further Reflections on the Volume of the German Coinage in the Salian Period (1024–1125), in: Kluge (Hg.), Fernhandel und Geldwirtschaft (wie Anm. 67) S. 55–72. 82 Vgl. Dbg. 933 = Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 309 Nr. 47. Vgl. zu D O.II. 72, das u. U. auf ein Deperditum Ottos I. zurückgeht, Die Regesten des Kaiserreiches unter Otto II. 955 (973)–983, neubearb. von Hanns Leo Mikoletzky (Regesta Imperii II,2), Graz 1950, Nr. 652; Büttner, Geschichte des Elsaß I (wie Anm. 77) S. 176–177; Zotz, Breisgau (wie Anm. 79) S. 44–45; Zotz, Die Ottonen und das Elsaß (wie Anm. 77) S. 61–63. 83 Vgl. Baron, Münzprägung (wie Anm. 73) S. 311–312 Nr. 48: Bild des Bischofs auf der Rückseite, aber nochmals Bild des Herrschers auf dem Avers. Diese Münze gibt es auch als Obol S. 313 Nr. 48 (Obol); vgl. Baron, S. 314–323 Nr. 50–54: jeweils mit dem Bild des Herrschers auf dem Avers, aber der Kirche auf dem Revers. 84 Kluge, Pferde (wie Anm. 70) S. 15–17 mit Abb. 13 (und Titelbild). Als nach Hermanns Tod dessen Schwiegersohn Liudolf, zugleich Sohn Ottos, Münzen prägte, zeigt der Avers ein Kreuz und die Umschrift otto livtolf, die Rückseite ein Kreuz und den Münzstättennamen (S. 18 Abb. 16). Dessen Nachfolger Burchard II. prägt gemeinsam mit Otto, aber ohne Bildnis (S. 17 und S. 18 Abb. 18). Burchard III. von Schwaben (954–973) prägt in Breisach eine Münze mit dem thronenden Christus sowie einer Art Turm und der Umschrift bvrchardvs [d]vx: Dbg. 901; Maurer, Herzog von Schwaben (wie Anm. 72) S. S. 316
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den Fällen nutzte ein Großer des Reiches das Bild des Herrschers, um seine eigene Münzprägung, die sich immer mehr aus der königlichen löste, zu legitimieren; das Königsbild diente in diesen Fällen als Ausweis herrscherlicher Zustimmung. Etwas Vergleichbares ist in England in der Zeit der Anarchie zwischen 1135 und 1154 zu beobachten, also dem Bürgerkrieg zwischen Kaiserin Mathilde und ihrem Cousin Stephen um die Nachfolge König Heinrichs I. In dieser Zeit begannen einige Barone, auf eigene Rechnung Münzen zu prägen. Sie behielten das Königsbild auf ihren Münzen bei, nannten aber in der Umschrift ihren eigenen Namen85. Kann man die Verwendung des Herrscherbildes in diesen Fällen historisch erklären, so bedeutet sie doch zugleich, dass eine Münze mit dem Bild des Königs nicht zwangsläufig auch eine Münze des Königs sein muss, auch wenn man davon bei den Karolingern und den angelsächsischen Königen ausgehen darf. Die hier anhand der Münzen mit dem Bildnis Ottos I. erläuterte Tendenz nahm um das Jahr 1000 in der Herrschaftszeit Ottos III. zu, als immer mehr nichtkönigliche Münzherren auf den Plan traten und die von ihnen geprägten Münzen als ihre eigenen auswiesen, dabei aber zunächst gelegentlich das herrscherliche Bildnis als ersten Schritt zum Ausstieg nutzten – das Königsbild sollte ihrer eigenen, fürstlichen Prägung Legitimität verleihen86. Im ottonischen Reich wurde seit dem Ende des 10. Jahrhunderts aber auch in den herrscherlichen Münzstätten mehr geprägt, darunter zunehmend Münzen mit dem Bild des Herrschers, ohne dass sich etwas zum Einfluss des Kaisers sagen lässt. Dabei ist es nicht das Kaisertum als solches, welches etwa Otto I. nach 962 oder auch seinen Enkel Otto III. nach 996 in Analogie zu Karl dem Großen veranlasst hätte, nach Erlangung des Kaisertums das eigene Bild zu prägen. Dies ist auch deswegen von Interesse, weil es auf den Siegeln durchaus eine bildliche Reaktion auf die Kaiserkrönung gibt, da Otto I. von den einer Profildarstellung als Krieger, wie er sie auf seinem Königssiegel in der Tradition der späten karolingiAbb. 16. Zotz, Breisgau (wie Anm. 79) S. 111–115 verweist auf eine Münze bereits Hermanns I., die Herzog und König gemeinsam nennt, und welche er in den Zusammenhang der Schlacht von Andernach und der Einnahme Breisachs stellt. Vgl. auch den Art. „Breisach“, in: Die deutschen Königspfalzen, Bd. 3.1, bearb. von Helmut Maurer, Göttingen 2004, S. 46–62, hier S. 47–48. 85 Vgl. George C. Boon, Coins of the Anarchy 1135-54, Cardiff 1988, S. 10, S. 21 Nr. 10, 11 mit Abb. S. 19, S. 28–29 Nr. 22, 23 mit Abb. S. 26–27. 86 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 87–88; Kluge, Umrisse (wie Anm. 67) S. 6–7.
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schen Siegel verwendet hatte, als Kaiser abwich, und sich nun frontal, dem Betrachter zugewandt und neben der Krone mit weiteren Insignien ausgestattet abbilden ließ. Und auch Otto III. experimentierte in seiner Kaiserzeit geradezu mit seinem Siegelbild, bis schließlich erstmals die thronende Darstellung verwendet wurde, die dann auf den Siegeln für Jahrhunderte der charakteristische Bildnistyp für Herrschersiegel bleiben sollte87. Zeigt dies also ein Bewusstsein für die Bedeutung angemessener Repräsentation auf Bildmedien, so dienten die Münzen der Ottonen lange nicht als Träger des Herrscherbildes, sondern verwendeten die Zeichenhaftigkeit der späten karolingischen Münzen mit leichten Modifikationen weiter. Für einen Münztyp allerdings scheint eine Lenkung erkennbar zu sein, dabei handelt es sich um den Typ Hatz I der Otto-Adelheid-Pfennige, einer sehr verbreiteten Münzsorte, die eigentlich ohne Abbildung von Personen auskam und in der Regel auf dem Avers ein Kirchengebäude und auf dem Revers ein Kreuz zeigt. Ihren Namen haben diese Münzen von der Nennung der Namen Otto und Adelheid, weswegen man sie meist in die Zeit Ottos III. datiert88. Eine etwas jüngere Gruppe dieser Pfennige, die mittlerweile aufgrund der Funde, in denen diese Pfennige nachgewiesen werden konnten, auf die Zeit zwischen 995 und 1020 datiert wird, ersetzte das Kirchenbild durch einen bekrönten Kopf im Profil. Stempelkritische Untersuchungen Bernd Kluges ergaben, dass es 23 Vorder- und 23 Rückseitenstempel gab, die meist gekoppelt waren, also in festen Ver-
Vgl. zu den Siegeln der Ottonen Hagen Keller, Ottonische Herrschersiegel. Beobachtungen und Fragen zu Gestalt und Aussage und zur Funktion im historischen Kontext, in: Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift für Hansmartin Schwarzmaier zum 65. Geburtstag, hg. von Konrad Krimm/Herwig John, Sigmaringen 1997, S. 3–51; Ders., Das neue Bild des Herrschers. Zum Wandel der „Herrschaftsrepräsentation“ unter Otto dem Großen, in: Schneidmüller/Weinfurter (Hgg.), Ottonische Neuanfänge (wie Anm. 67) S. 189–211. 88 Vgl. allgemein zu den Otto-Adelheid-Pfennigen Vera Hatz, Zur Frage der Otto-Adelheid-Pfennige. Versuch einer Systematisierung auf Grund schwedischen Fundmaterials, in: Commentationes de nummis saeculorum IX–XI in Suecia repertis 1, Stockholm 1961, S. 107–144; Gert Hatz u. a., Otto-Adelheid-Pfennige. Untersuchungen zu Münzen des 10./11. Jahrhunderts (Commentationes de nummis saeculorum IX–XI in Suecia repertis, NS 7), Stockholm 1991; Bernd Kluge, athalhet, ateahlht und adeldeida. Das Rätsel der Otto-Adelheid-Pfennige, in: Staab/Unger (Hgg.), Kaiserin Adelheid und ihre Klostergründung in Selz (wie Anm. 77) S. 91–114, hier S. 92–93; Ders., Sachsenpfennige und OttoAdelheid-Pfennige, in: Otto der Große, Magdeburg und Europa, hg. von Matthias Puhle, Bd. 1: Essays, Mainz 2001, S. 417–426. 87
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bindungen benutzt wurden, was auf eine isolierte Prägung in unterschiedlichen Münzstätten, die dafür ausgewählt wurden, hindeutet89. Sicheren Boden hinsichtlich einer gezielten Nutzung des Herrscherbildes betreten wir in der Herrschaftszeit König Heinrichs II., was sich besonders gut am Beispiel Bayerns zeigen lässt. Heinrich hatte in seiner Zeit als Herzog von Bayern Münzen des bereits erwähnten bayerischen Letternkirchentyps geprägt. Als König und Kaiser jedoch prägte er wie in den anderen Teilen des Reichs in Bayern Münzen, die einen bekrönten Königskopf im Profil zeigen. In Regensburg und in Augsburg setzte der Wechsel zur Bildmünze 1009 ein, nachdem Heinrich II. seinen Schwager Heinrich von Luxemburg zum ersten Mal als Herzog von Bayern abgesetzt hatte90. Wie schon unter den Ottonen spielte auch in seinem Fall die 1014 erlangte Kaiserkrönung keine Rolle für das Münzwesen91. Die nun geradezu massiert einsetzende Verwendung des herrscherlichen Münzbil Vgl. Bernd Kluge, Hatz I/Dbg. 1164. Eine Stempeluntersuchung zu den Otto-Adelheid-Pfennigen vom Kopftyp, in: Commentationes numismaticae 1988. Festgabe für Vera und Gerd Hatz, zum 4. Januar 1988 dargebracht, hg. von Peter Berghaus u. a., Hamburg 1988, S. 103–124. 90 Vgl. Wolfgang Hahn, Fund- und mengenstatistische Erwägungen zur Chronologie der bayerischen Münzen König Heinrichs II. (1002–1024), in: Sigtuna Papers. Proceedings of the Sigtuna Symposium on Viking–Age Coinage, 1.–4. June 1989, hg. von Kenneth Jonsson/Brita Malmer (Commentationes de nummis saeculorum IX–XI in Suecia repertis, NS 6), Stockholm 1990, S. 83–86. 91 Vgl. Wolfgang Hahn, Moneta Radasponensis. Bayerns Münzprägung im 9., 10. und 11. Jahrhunderts, Braunschweig 1976, S. 118–121 mit Abb. 34 sowie öfter, der von einem Umbau des bayerischen Münzwesens unter Heinrich II. ausgeht. Heinrich II. griff vor allem ab 1010 in das bayerische Münzwesen ein, so dass es nun an einigen bayerischen Bischofssitzen eine Hälftigkeit er Münze gab; vgl. Wolfgang Hahn, Das Herzogtum Bayern in der Münzpolitik der salischen Könige, in: Kluge, Fernhandel und Geldwirtschaft (wie Anm. 67) S. 73–87, hier S. 74 sowie Ders., Fund- und mengenstatistische Erwägungen (wie Anm. 90). Auch bei Konrad II. kann man beobachten, wie er nach dem Tod Herzog Heinrichs V. von Bayern in das bayerische Münzwesen eingreift; vgl. Hahn, Herzogtum, S. 75–77, wozu ebenfalls neue Typen eingeführt werden. – In Italien sind Münzen, die Otto I. eindeutig zugewiesen werden können, erst seit seiner Kaiserkrönung belegt. Sie nennen den Kaisertitel, bedienen sich aber keiner speziellen, kaiserlichen Ikonographie. Für die sog. Ottolini wurde sogar wieder auf das Monogramm des Herrschers zurückgegriffen; vgl. Michael Matzke, Vom Ottolinus zum Grossus. Münzprägung in der Toskana vom 10. bis zum 13. Jahrhundert, in: Schweizerische Numismatische Rundschau 72 (1993) S. 135–199, hier S. 138–140 sowie Abb. 2, 3, 4 mit der Literatur. Zudem gab es Münzen, die nach byzantinischer Art neben Otto I. bereits Otto II. als seinen Nachfolger nannten; vgl. Kluge, Pferde (wie Anm. 70) S. 22–24 mit Abb. 28, 29 sowie allgemein Arthur Suhle, Der byzantinische Einfluß auf die Münzen Mitteleuropas vom 10. bis 12. Jahrhundert, in: Aus der byzantinischen Arbeit der Deutschen Demokratischen Republik II, hg. von Johannes Irmscher (Berliner Byzantinische Arbeiten 6), Berlin 1957, S. 282–292. 89
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des, das zunehmend an Qualität gewann, anstelle der herzoglichen Letternkirche macht gleichwohl deutlich, dass Heinrich II. das Herzogtum Bayern nun zentral auf den König hin ausrichtete92. Das Herrscherbild kehrte auf die Münzen des ottonischen Reiches quasi in Raten zurück und wurde dann auch hier zu einem Mittel der politischen Kommunikation, welches unter den Saliern und Staufern weiter an Bedeutung gewinnen sollte. Konrad II. beispielsweise setzte sich von seinem Vorgänger ab, indem er anstelle des Profilbildes die frontale Darstellung auf den Münzen einführen ließ. Von diesen Münzen, die an verschiedenen Münzstätten geprägt wurden, können wir auch sagen, dass sie in großen Stückzahlen ausgeprägt wurden. Anders als die karolingischen Bildnisdenare sind die Münzen mit dem Bild des Herrschers wie in England nun auch in Deutschland zu einer Massenware geworden, die nicht nur über den Handel nach Skandinavien und Osteuropa gelangte, sondern ausweislich der Schatzfunde auch im Lande verblieb93. Entscheidend ist eigentlich Anderes: Die komplexe Organisation des Münzwesens im Reich, das in der Hand ganz unterschiedlicher Münzherren mit divergierenden Interessen auch hinsichtlich ihrer Repräsentation lag, führte zu einer großen Vielfalt an Münzbildern94. Und so ist auch bei der Darstellung der Kaiser und Könige auf Münzen eine große Vielzahl an Bildern besonders seit der Zeit um 1100 zu beobachten, deren Funktion es war, über das Bild des Königs dessen über den anderen Herrschaftsträgern stehende Macht, weil auf einer höheren Legitimation beruhend, deutlich zu machen, wie man an den unterschiedlichen Insignien erkennen kann, die alle auf die Einsetzung des Herrschers durch Gott verweisen, aber dennoch auf unterschiedliche Facetten königlicher Herrschaft anspielen: Zepter, Hl. Lanze, Palmzweig oder auch der thronenden Darstellung mit dem Richtschwert bzw. der reitende Herrscher95.
Vgl. zu Heinrich II. insbesondere in Bayern Stefan Weinfurter, Heinrich II. Herrscher am Ende der Zeiten, Darmstadt ²2000, S. 59–76 sowie Ders., Die Zentralisierung der Herrschaftsgewalt unter Heinrich II., in: Historisches Jahrbuch 106 (1986) S. 241–297. 93 Vgl. Berghaus, Duisburger Münzen, in: Duisburg im Mittelalter. 1100 Jahre Duisburg 883–1983. Begleitband zur Ausstellung 4. September bis 27. November 1983, bearb. von Joseph Milz/Günter Krause, Duisburg 1983, S. 89–113, hier S. 91, der für Dbg. 311–314, eine Münze Konrads II. aus Duisburg, von 69 Vorderseitenstempeln und 109 Rückseitenstempeln ermittelt hat, die man aufgrund der 355 ihm bekannten Exemplare der Münze erschließen könne. 94 Vgl. z. B. Grierson, Coins of Medieval Europe (wie Anm. 64) S. 64–68. 95 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 94. 92
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III. War die Verwendung des königlichen Münzbildes in England und Deutschland seit dem 10. Jahrhundert üblich, in England in großer Einheitlichkeit und in Deutschland in großer Vielfalt, so fehlt das Herrscherbild auf den französischen Münzen weitgehend, bis auf wenige Ausnahmen bei der Münzprägung der Bischöfe von Laon und Reims. Dieses Fehlen des Herrscherbildes in Frankreich kann man nicht einfach durch die im Vergleich zu Deutschland und England räumlich wie faktisch eingeschränkte Macht der späten westfränkisch-karolingischen bzw. der kapetingischen Könige im 10. und 11. Jahrhundert erklären. Immerhin fällt in unseren Untersuchungszeitraum auch das 12. und 13. Jahrhundert, in dem sich eine deutliche Ausweitung und Steigerung der französischen Königsmacht beobachten lässt, die sich u. a. an den zunehmenden Eingriffen der Kapetinger ins Münzwesen ablesen lässt, darunter auch die Einführung neuer Münztypen96. Eine bemerkenswerte Veränderung mit Blick auf die Selbstdarstellung des Herrschers auf Münzen ist die Erweiterung des Königstitels von rex zu rex francorvm unter Ludwig VII.97 Ludwig IX. (1226–1270) setzte sogar durch, dass nur Münzen des Königs in ganz Frankreich akzeptiert werden durften. Dazu befahl er, dass die Münzen anderer Münzherren den königlichen Münzen nicht ähneln durften, und verbat deren Nachahmung sogar seinem eigenen Bruder Alfons. Die Verbindung zum König wird auf diesen Münzen nur über den Namen des Königs, gelegentlich bereits über sein Wappen hergestellt. Das Bild des Königs spielt hier jedoch keine Rolle98. Diese Tradition ist sogar noch auf 96 Vgl. etwa zur Einführung des denier Parisien Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 68–69; Françoise Dumas, La monnaie dans le royaume au temps de Philippe-Auguste, in: La France de Philippe Auguste. Le temps des mutations. Actes du Colloque internationale organisé par le C.N.R.S. (Paris, 29 septembre – 4 octobre 1980), hg. von Robert-Henri Bautier (Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 602), Paris 1982, S. 541–574. 97 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 117. 98 Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 102 stellte fest, dass offenbar der König auf eine Darstellung des Königtums verzichtete; auch dann, wenn er fremde Münzstätten übernahm, behielt er die etablierten Münzbildnisse. Zur Münzprägung in Laon, die auch das Bildnis Ludwigs VII. und Philipps II. kennt, s. oben S. 54. Neu sind jedoch Prägungen für Ludwig VI. und seinen Sohn Ludwig VII., die das frontale, bekrönte Kopfbildnis des Herrschers zeigen, wobei die Prägungen Ludwigs VII. durch das X bouleté von denen des Vaters zu unterscheiden sind; vgl. zu Ludwig VI. Jean Duplessy, Les monnaies françaises royales. De Hugues Capet à Louis XVI (987–1793), Bd. 1, Paris 1988, S. 46 Nr. 87 = Jean Lafaurie, Les monnaies des rois de France. Hugues Capet à Louis XII, Bd. 1, Paris 1951, Nr. 98; Duplessy, Les monnaies françaises,
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dem Gros tournois zu erkennen, der ersten schweren Silbermünze nördlich der Alpen, die Ludwig IX. Mitte der 1260er Jahre einführte99. Auf den von ihm ebenfalls eingeführten, wenngleich gescheiterten Écu d’or, nach Jahrhunderten die erste Goldmünze nördlich der Alpen, ließ Ludwig mit dem französischen Königswappen zwar ein auf das Königtum bezogenes Zeichen prägen und die Rückseite wies als Umschrift um das Kreuz mit christvs vincit, christvs regnat, christvs imperat einen Vers aus den Herrscherlaudes auf, aber eben nicht das Bild des Herrschers100. Dies freilich änderte sich unter Philipp IV. (1285–1314), der mit seinen münzpolitischen Maßnahmen auf die seit Ludwig IX. anhaltende, unter Philipp III. zunehmend spürbare Konjunkturschwäche reagierte101. Er ließ die Münzen verschlechtern, und um dieses Phänomen zu kaschieren, führte er immer wieder neue Münztypen ein, die er mit großem Druck durchzusetzen wusste102. Philipp sah sich wegen der beständigen MünzS. 46 Nr. 88 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 99; Duplessy, Les monnaies françaises, S. 47 Nr. 89 mit dem Hinweis, dass C. 121 diese Münze Ludwig VII. zuweist; zu Ludwig VII. Duplessy, Les monnaies françaises, S. 60 Nr. 134 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 145; Duplessy, Les monnaies françaises, S. 61 Nr. 135 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 146; zu Philipp II. Duplessy, Les monnaies françaises, S. 69 Nr. 160 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 166; Duplessy, Les monnaies françaises, S. 69 Nr. 161 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 167; Duplessy, Les monnaies françaises, S. 70 Nr. 162 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 162 sowie Dumas, La monnaie au temps de Philippe Auguste (wie Anm. 96) S. 548, die eine Verwandtschaft zu englischen Münzen vermutet. Vgl. auch die Abbildungen bei Grierson, Münzen des Mittelalters, S. 134–135 Abb. 212/213; Jean Belaubre/Bruno Collin, Les Monnaies de France. Histoire d´un peuple, Paris 1992, S. 41. Vgl. zur Münze in Bourges, die bereits unter Philipp I. an das Königtum gelangte, wo aber erst seit der Mitte des 12. Jahrhunderts königliche Münzen nachweislich geprägt wurden, Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 134. 99 Vgl. Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 73–75. 100 Zum Écu vgl. Duplessy, Les Monnaies françaises (wie Anm. 98) S. 87 Nr. 207 und Nr. 207A = Lafaurie, Les monnaies des rois (wie Anm. 98) Nr. 211; Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 77. 101 Elizabeth Carpentier/Michel Le Mené, La France du XIe au XVe siècle. Population, société, économie, Paris 1996, S. 313–359; Jean Favier, Philippe le Bel, Paris 1978, S. 137– 169; Joseph R. Strayer, The Reign of Philip the Fair, Princeton 1980, S. 142–191 mit einem guten Überblick zur Wirtschaftspolitik Philipps und insbesondere zur Frage der Inflation zwischen 1296 und 1303, S. 152–153; Elizabeth M. Hallam, Capetian France (987–1328), London/New York 1980, S. 278–283; Jacques Krynen, L´Empire du roi. Idées et croyances politiques en France, XIIIe –XVe siècle (Bibliothèque des Histoires), Paris 1993, S. 384–414. 102 Vgl. Yves Coativy, Les monnaies de Philippe le Bel et leurs avatars, in: Monnaie, fisca lité et finance au temps de Philippe le Bel, hg. von Philippe Contamine/Jean Kerhervé/ Albert Rigaudière, Paris 2007, S. 141–156, hier S. 141–142. Nicolas Oresme, Traité de monnaies, ed. Claude Dupuys, übers. von Frédéric Chartrain, Lyon 1989, S. 57–58. Zum Widerstand gegen Philipps Münzen vor allem gegen Ende seiner Herrschaftszeit vgl. Strayer, Reign of Philipp the Fair (wie Anm. 101) S. 153–156.
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verschlechterungen massiver Kritik ausgesetzt, er wurde geradezu als Falschmünzerkönig bezeichnet103. Zu den von Philipp neu eingeführten Münzsorten zählten Goldmünzen, die neben die Silberwährung traten. Die erste war 1290 der Petit Royal Assis, welcher den in herrscherliche Gewänder gekleideten und bekrönten König, mit dem Lilienzepter in der rechten Hand auf dem Dago bertthron sitzend zeigt, also der Herrschaftsinsignie, die Ludwig VII. auf seinen Siegeln eingeführt hatte, um die Kontinuität seit den Merowingern als der »rois de France de la première race« zu betonen104. Der Petit Royal Assis entsprach mit einem Gewicht von 3,55 g etwa dem Florin105. Die Einführung der Goldmünze stand im Zeichen des erhöhten Geldbedarfs des Königs, nicht nur wegen der Wirtschaftskrise, sondern auch wegen der in der Mitte der 1290er Jahre bevorstehenden Auseinandersetzungen mit König Edward von England und Graf Guido von Flandern; auch die Auseinandersetzung mit Papst Bonifaz VIII. um die Besteuerung des Klerus zeigen die Finanznöte des Königs. Immerhin konnte Philipp IV. durch Zahlungen in Gold den deutschen König Adolf von Nassau aus dem antifranzösischen Bündnis lösen. Umso interessanter ist also, dass Philipp gerade in der Krise die Einführung einer Goldmünze mit einem die königliche Erhabenheit betonenden Herrscherbild visuell abzusichern suchte. Dies blieb zudem kein Einzelfall, denn auf weiteren Goldmünzen unterschiedlichen Gewichts, der Masse d’or, der Chaise d’or, dem Mantelet d’or findet sich ebenfalls das thronende bzw. auch das stehende Bildnis des Königs106. Vgl. zu Philipp IV. als Falschmünzerkönig (rois faux-monnayeur) z. B. Arthur Engel/ Raymond Serrure, Traité de numismatique du moyen âge, Bd. 3, Paris 1905, S. 950. 104 Der Petit Royal Assis wurde im August 1290 eingeführt; vgl. zum Petit Assis Royale Duplessy, Les monnaies françaises (wie Anm. 98), S. 22–23 Nr. 9 = Lafaurie, Les monnaies des rois (wie Anm. 98) Nr. 18. Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 80 und Abb. 155. Zum Thron Dagoberts: Olivier Guillot/Albert Rigaudière/Yves Sassier, Pouvoirs et institutions dans la France médiévale, Bd. 2: Des temps féodaux aux temps de l’Etat, Paris ³2003, S. 49. Auf Silbermünzen hingegen findet sich das Bildnis des französischen Königs erst seit der Renaissance; vgl. James N. Robert, The Silver Coins of Medieval France (476–1610 AD), New York 1996, S. 169. Vgl. eine Übersicht der Münzen Philipps bei Engel/Serrure, Traité de numismatique du moyen âge (wie Anm. 103) Bd. 3, Paris 1905, S. 949–954. 105 Vgl. Grierson, Münzen des Mittelalters (wie Anm. 19) S. 173. 106 Vgl. zur Masse d’or mit 7,9g Duplessy, Les monnaies françaises (wie Anm. 98) S. 87-88 Nr. 208 = Lafaurie, Les monnaies des rois (wie Anm. 98), Nr. 212; Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 81 mit Abb. 161; L’Art au temps de rois maudits Philippe le Bel et ses fils 1285-1328. Paris, Galeries nationales du Grand Palais 17 mars – 29 juin 1998, S. 360 Nr. 273: der Mantelet d’or (3,8g) zeigt auf dem Avers den stehenden bekrönten König: Du 103
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In deutlicher Abgrenzung zu den etablierten französischen Münzbildern kehrte Philipp IV. zum Königsbild im Kontext der erfolgreichen Einführung von Goldmünzen in einer Zeit wirtschaftlicher Probleme und Finanznöte zurück107. Gerade die Verwendung des Herrscherbildes in Verbindung mit dem als kaiserliches Metall angesehenen Gold macht den Macht- und Ranganspruch Philipps deutlich, der Frankreich stärker als seine Vorgänger auf das Königtum hin zentralisierte und dauerhafte Institutionen aufbaute108. Dieses Vorgehen wurde abgesichert durch eine Herrschaftstheorie, die in Verbindung mit den Auseinandersetzungen mit Papst Bonifaz VIII., aber auch darüber hinaus starken Aufwind erlebte. So propagierten französische Juristen die Auffassung, der französische König sei Kaiser in seinem Reich109 – die Verwendung des Königsbildes gerade auf Goldmünzen gewinnt dadurch weitere Bedeutung und sollte der Krise entgegenwirken, was auch die von Philipp IV. eingeführten Goldbullen belegen. Die strenge, geradezu hieratische Darstellung des Königs passt zu den Bestrebungen, den König als außerhalb der Welt der gemeinen Sterblichen stehend zu interpretieren – und so wurde der König offenbar auch empfunden, denn Bernard Saisset, Bischof von Pamiers und einer der entschiedensten Gegner Philipps, meinte, dieser sei weder Mensch, noch Tier, sondern eine Statue110. plessy, Les Monnaies françaises, S. 89 Nr. 211 = Lafaurie, Les Monnaies des rois, Nr. 215. Die zweite Emission von Philipps IV. Masse d’or (7 g; S. 363 Nr. 282) zeigt auf dem Avers den thronenden König; zur Chaise d’or Duplessy, Les monnaies françaises, S. 88 Nr. 209 = Lafaurie, Les Monnaies des rois, Nr. 213; vgl. Mayhew, Coinage in France (wie Anm. 9) S. 83; Coativy, Monnaies (wie Anm. 102) S. 143; Duplessy, Les Monnaies françaises, S. 88 Nr. 210 = Lafaurie, Les monnaies des rois, Nr. 214. Am Ende seiner Regierungszeit führt er eine Goldmünze mit dem Bild des Lamm Gottes ein, den Agnel d’or mit 4,01g bzw. 4,12g: Duplessy, Les Monnaies françaises, S. 363 Nr. 283 und S. 364 Nr. 287; vgl. Coativy, Monnaies, S. 145: diese Münzen wurden gegen Ende der Herrschaftszeit Philippes 1311 eingeführt, um einen Bruch mit den älteren Serien herbeizuführen. 107 Auch darüber hinaus lassen sich zahlreiche Bildwerke, u. a. Statuen feststellen, die Philips Königsbild gleichfalls propagierten; vgl. Elizabeth Brown, The Case of Philip the Fair, in: Dies., The Monarchy of Capetian France and Royal Ceremonial (Variorum Collected Studies 345), V, S. 219–246, hier S. 222–228 mit Abbildungen am Ende des Beitrags. 108 Vgl. Jean Kerhervé, Histoire de la France. La naissance de l’État moderne 1180–1492, Paris 1998, S. 98–100; Coativy, Monnaies (wie Anm. 102) S. 142–143 betont, dass hier erstmals ein französischer König im Münzbild dargestellt wird. Er sieht darin einen Versuch, den König aus der Welt der gemeinen Sterblichen herauszuheben. 109 Vgl. zur politischen Theorie unter Philipp dem Schönen Jürgen Miethke, Politik theorie im Mittelalter. Von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham, Tübingen 22008, S. 78–82, S. 109–126; Guillot/Rigaudière/Sassier, Pouvoirs et institutions 2 (wie Anm. 104) S. 95–102. 110 Vgl. Favier, Philippe le Bel (wie Anm. 101) S. 1–12; Jean Kerhervé, La naissance de l’État moderne (wie Anm. 108) S. 99.
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Zusammenfassung Das Bild des Königs war im Mittelalter zwar eine prominente, aber keineswegs eine selbstverständliche Repräsentation königlicher Herrschaft. Neben symbolischen Verweisen auf die Königsherrschaft, wie sie auf den frühmittelalterlichen Münzen der angelsächsischen Herrscher eine Rolle spielten, war es vor allem der Königsname, der dem Herrscherbild als Münzbildnis etwa bis ins 12. Jahrhundert Konkurrenz machte, wie beispielsweise bei den hier nicht näher besprochenen französischen Königen des 11. und 12. Jahrhunderts. Karl der Großen, Karl der Kahlen und Alfred der Große entschieden sich für ein Namenmonogramm, Offa ersetzte in der dritten Phase seiner Münzreform das Herrscherbild durch die Anordnung seines Namens und Titels in zwei Zeilen. Und auch die ersten Ottonen griffen auf ihren Namen zurück, indem sie dessen vier Buchstaben in die Quadranten des auf ihren Münzen häufig aufgeprägten Kreuzes setzen ließen; auf den hier nicht weiter zu besprechenden italienischen Ottolini ist es dann noch einmal das Herrschermonogramm, welches als Münzbild diente. Seit dem 11. Jahrhundert spielen Monogramme oder andere zeichenhafte Anordnungen des Königsnamens keine Rolle als Münzbild mehr. Im Spätmittelalter gibt es auf den Münzen andere Zeichen, die auf den König verwiesen, allen voran natürlich Wappen, wie beim Beispiel des Écu d’or. Diese emblematischen Zeichen verwiesen als „code social“ auf den Rang des Königs innerhalb der Gesellschaft. Mit diesen Hinweisen auf mögliche Alternativen zum Herrscherbild soll noch einmal deutlich gemacht werden, dass dieses keineswegs die einzige visuelle Repräsentation für den Herrscher war. Doch wann und unter welchen Umständen kehrten mittelalterliche Herrscher zu diesem in der römischen Antike vorgebildeten Muster zurück? Es war zu beobachten, dass unter den Ottonen und Saliern weltliche und geistliche Große das Herrscherbild auf ihren Münzen nutzten, um ihre sich zunehmend verselbständigende Münzprägung zu legitimieren, indem sie durch die Verwendung des Bildes des Herrschers dessen Einverständnis suggerierten; und für eine kurze Zeit gab es dies auch in England. Bei den meisten Münzen mit dem Bild des Herrschers handelt es sich jedoch um solche, die in seinen Münzstätten und damit wahrscheinlich mit seinem Wissen und Wollen geprägt wurden. Im Unterschied zu anderen auf den König bezogenen Repräsentationen, wie beispielsweise Königsname oder Wappen, bezog das Bild des Kö-
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nigs durch die konkrete Gestaltung der Herrscherfigur sowie die Verwendung von Insignien wie Krone, Zepter und/oder Reichsapfel sich nicht nur auf die einzelne Herrscherpersönlichkeit, sondern verortete diese im Königtum als solchem, dessen Herrschaftsgrundlagen durch die Insignien gewissermaßen mit ins Bild geholt wurden. Damit wurde zugleich der beanspruchte Legitimationsvorsprung vor anderen Herrschaftsträgern betont, was das Herrscherbild besonders geeignet machte in strukturellen Krisen mit massiver Kritik am König wie im Falle Philipps des Schönen, in Konkurrenzsituationen mit den Magnaten wie im Falle der Ottonen, Salier und Staufer, oder nach Erlangung einer hegemonialen Stellung über vormals gleichrangige Könige – wie mehrfach bei angelsächsischen Königen zu beobachten war. Das Herrscherbild bot offenbar ein spezifisches „Mehr“ gegenüber anderen Münzbildern, und es scheint, als habe man es gerade deswegen wohl dosiert und gezielt zum Einsatz gebracht. Hier bietet sich ein Forschungsfeld, das weitere Untersuchungen lohnt.
Abstract This paper analyses some of the reasons why medieval European kings (and emperors) chose their image on their coins. Even though the imperial portrait was predominant on roman coins, medieval rulers usually chose their name or their monogram, especially in the Early Middle Ages. While Charlemagne minted only a few coins with his image, in order to represent romanitas, Frankish traditions and Christianity all at once, the Ang lo-Saxon King Offa used his image to claim supremacy over all the other Anglo-Saxon Rulers. When Edgar reformed the English coins in 973, the now exclusive use of his image not only expressed his claim to overlordship, but to being the only king in England now – and one anointed by God. The Ottonian and Salian Kings wanted to legitimise their kingship in order to counteract the pursuit of the ecclesiastical and secular princes of the realm to gain more power. And, finally, Philip the Fair minted his image on the newly introduced gold coins in times of economic and political crisis, styling himself as a/the numinous ruler. The king’s image offered the chance to convey specific messages far more precisely than using the king’s name, monogram or other royal symbols.
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz Das Privileg Eugens III. für das Stift Rot an der Rot (JL † 9618) und seine Vorlagen von STEFAN PETERSEN Andreas Meyer (1955−2017) zum Gedächtnis
1. Die äußeren Merkmale der Fälschung JL † 9618 Die älteste erhaltene Urkunde des Prämonstratenserstifts Rot an der Rot (westl. Memmingen)1 stellt ein auf den 15. Dezember 1152 datiertes feierliches Privileg Papst Eugens III. dar2. In der überlieferten Form handelt es Für vielfältige Hinweise zu den Subskriptionen der Kardinäle gebührt Rudolf Hiestand mein aufrichtiger Dank. In der Göttinger Forschungsstelle „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ konnte ich dank der Genehmigung durch Klaus Herbers Einsicht in die umfangreichen Materialsammlungen nehmen; von den dortigen Mitarbeitern Daniel Berger und Waldemar Könighaus erhielt ich jede erdenkliche Unterstützung bei meinen Recherchen. 1 Zur Geschichte des Stifts Rot vgl. Carolos Ludovicus Hugo, Sacri et canonici ordinis Praemonstratensis annales 2, Nancy 1734, Nachdr. Averbode 1999, Sp. 697−712; Benedikt Stadelhofer, Historia imperialis et exemti collegii Rothensis in Suevia ex monumentis domesticis et externis potissimam partem ineditis I, Augsburg 1787; Winfried Nuber, Studien zur Besitz- und Rechtsgeschichte des Klosters Rot von seinen Anfängen bis 1618, Phil. Diss. Tübingen 1960 (Mschr.); August Willburger/Walter Stemmer, Rot an der Rot. Seine Geschichte und seine beiden Kirchen, Ottobeuren 21965; Hermann Tüchle, Rot im Auf und Ab der Geschichte, in: 850 Jahre Rot an der Rot. Geschichte und Gestalt. Neue Beiträge zur Kirchen- und Kunstgeschichte der Prämonstratenser-Reichsabtei, hg. von Hermann Tüchle/Adolf Schahl, Sigmaringen 1976, S. 9−43; Norbert Backmund, Monasticon Praemonstratense 1,1, Berlin 21983, S. 69−72; Stefan Petersen, Prämonstratensische Wege nach Rom. Die Papsturkunden der fränkischen und schwäbischen Stifte bis 1378 (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 10), Köln/Weimar/Wien 2015, S. 156−185. 2 Hauptstaatsarchiv Stuttgart (im Folgenden: HStA Stuttgart), B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II: 1138−1212, Stuttgart 1858, S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]. *
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sich allerdings eindeutig um eine nichtkuriale Abschrift des 12. Jahrhunderts. Dies zeigt schon der zeitgenössische Rückvermerk, der die Urkunde als ‚Kopie‘ (Copia bulle Eugenii pape) ausweist3. Auch die von der anlegenden Hand und nicht eigenhändig von den Kardinälen geschriebenen Subskriptionen4 deuten auf die Herstellung außerhalb der Kurie im Stift Rot hin. Die Kardinalsunterschriften sind zudem nicht im kurialen Stil nach den Kardinalsrängen der Bischöfe, Priester und Diakone in drei Kolumnen angeordnet, sondern zeilenweise niedergeschrieben. Hinzu kommen die nichtkurialen Schriftmerkmale: Die in recht plumper Elongata geschriebene erste Zeile, in der die Vertikale zu wenig betont wird, reicht nicht bis zum die Inscriptio beschließenden in perpetuum; außerdem wird diese Schlusswendung nicht in der üblichen Form gekürzt. Auffällig ist schließlich, dass der Schreiber vor allem bei den Ortsnamen Längenzeichen und Akzente über die Vokale setzte, was den kurialen Gepflogenheiten widerspricht. Insgesamt kann die an sich geübte und durchaus elegante Schrift ihren nordalpinen Duktus nicht verleugnen, so dass die Urkunde im Schriftbild eher einem Königsdiplom ähnelt als einer Papsturkunde. Dieser Befund zeigt eindeutig, dass man die vorliegende Urkunde nicht als Original einer Papsturkunde ausgeben wollte, sondern lediglich als deren Abschrift. Die Frage ist aber, ob es sich bei der ‚Kopie‘ tatsächlich nur um die wortgetreue Abschrift eines Privilegs Eugens III. handelt oder ob Interpolationen nachweisbar sind, die eine Fälschungsabsicht von Seiten des Stifts Rot belegen. Unstrittig ist einzig, dass als Vorlage für die überlieferte Kopie augenscheinlich ein echtes feierliches Privileg Eugens III. für das Stift Rot diente. Für die Echtheit dieser Vorlage sprechen einerseits die exakte Nachzeichnung der Rota Eugens III. mit dessen Devise † Fac
Vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12. Zur Eigenhändigkeit der Kardinalsunterschriften vgl. Bruno Katterbach/Wilhelm Maria Peitz, Die Unterschriften der Päpste und Kardinäle in den Bullae maiores vom 11. bis 14. Jahrhundert, in: Miscellanea Franz Ehrle. Scritti di storia e paleografia 4 (Studi e testi 40), Rom 1924, S. 177−274; Werner Maleczek, Die eigenhändigen Unterschriften der Kardinäle – ein Spiegelbild ihrer Persönlichkeit? Mit einem Überblick über eigenhändige Unterschriften auf Urkunden vom Frühmittelalter bis ins 13. Jahrhundert, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, hg. von Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen 38), Ostfildern 2011, S. 239−299; Ders., Die rechte Hand des Papstes. Die Authentizität der Kardinalsunterschriften auf päpstlichen Privilegien des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Automatische Handschriftenerkennung und historische Dokumentenanalyse, hg. von Klaus Herbers/Viktoria Trenkle (work in progress; URL: http://rep.adwgoe.de/handle/11858/00-001S-0000-0023-9A15-6). 3 4
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mecum domine signum in bonum5 und andererseits der in der Datierungszeile richtig als sanctę Romanę ęcclesię scriptor betitelte Datar Boso6; beides hätte man in Rot ohne Originalvorlage nicht wissen können.
2. Die Kardinalsunterschriften – Grundlage für die zeitliche Einordnung der 1. Vorlage Schwierigkeiten ergeben sich jedoch hinsichtlich der vorgeblichen Ausstellung des Privilegs am 15. Dezember 1152, da sich einige der in den Subskriptionen aufgeführten Kardinäle zu diesem Zeitpunkt nachweislich nicht an der Kurie aufhielten und andere im Jahr 1152 bereits im Kardinalskollegium aufgestiegen oder gar nicht mehr am Leben waren. Als Subskribenten genannt werden nämlich die Kardinalbischöfe Corrado de Suburra von Sabina (Chŏnradus Sabinensis episcopus)7, Alberich von Ostia (Albericus Ho stiensis episcopus)8 und Imar von Tusculum (Ymarus Tusculanus episcopus)9, die Kardinalpriester Gilbert von S. Marco (Gilbertus indignus sacerdos sancte Romanę ecclesię)10, Hubaldus Allucingoli von S. Prassede (Hŏbaldus presbiter cardinalis tituli sancte Praxedis virginis)11, Gregor von S. Maria in Trastevere (Gregorius presbiter cardinalis tituli sancti Calisti)12, Guido von Zur Rota und zu den Devisen der Päpste bis 1198 vgl. Heinz Hartmann, Über die Entwicklung der Rota, in: AUF 16 (1939) S. 385−412, bes. S. 402 ff.; Joachim Dahlhaus, Aufkommen und Bedeutung der Rota in den Urkunden des Papstes Leo IX., in: AHP 27 (1989) S. 7−84. Eine Abbildung der Rota Eugens III. findet sich z. B. bei monasterium.net auf dem Privileg vom 16. März 1146 für St. Peter in Salzburg (http://monasterium.net/mom/ AT-StiASP/Urkunden/Urk_Nr_13−1146_III_16/charter). 6 Zu Boso vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 538 f. Nr. 16 (mit weiterer Literatur). Zu Boso vgl. auch bei Anm. 26 und Anm. 67. 7 Zu KB Konrad [Corrado de Suburra] von Sabina vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 565 f. Nr. 70 (mit weiterer Literatur). Zu Corrado de Suburra vgl. auch bei Anm. 41. 8 Zu KB Alberich von Ostia vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 533 Nr. 3 (mit weiterer Literatur). Zu Alberich vgl. auch bei Anm. 30 und Anm. 54. 9 Zu KB Imar (Haimerus, Hicmarus) von Tusculum vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 556 f. Nr. 52 (mit weiterer Literatur). Zu Imar vgl. auch bei Anm. 42 und Anm. 54. 10 Zu KP Gilbertus von S. Marco vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 544 Nr. 26 (mit weiterer Literatur). Zu Gilbertus vgl. auch bei Anm. 22 und Anm. 63. 11 Zu KP Hubaldus Allucingoli von S. Prassede vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 552 f. Nr. 44 (mit weiterer Literatur). Zu Hubaldus Allucingoli vgl. auch bei Anm. 43 und Anm. 53. 12 Zu KP Gregorius von S. Maria in Trastevere vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 546 Nr. 30 (mit weiterer Literatur). Zu Gregor von S. Maria in Trastevere 5
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S. Grisogono (Gwido presbiter cardinalis tituli sancti Crisogoni)13 und Jordanus von S. Susanna (Iordanis presbiter cardinalis tituli sancte Susannę)14 sowie die Kardinaldiakone Octavian von Monticelli von S. Nicola in Carcere Tulliano (Octauianus diaconus cardinalis sancti Nicolai in carcere Tulliano)15, Guido de Vico von SS. Cosma e Damiano (Gwido diaconus car dinalis tituli sanctorum Cosme et Damiani)16, Oddo Bonecase von S. Giorgio in Velabro (Odo diaconus cardinalis sancti Georgii ad velum aureum)17, Berardus (Berardus diaconus sanctę Romanę ęcclesię)18, Johannes von S. Maria Nuova (Iohannes diaconus sanctę Marię novę)19 und Petrus von S. Maria in Via Lata (Petrus diaconus [sanctę] Marię in via lata)20. Zum vorgeblichen Zeitpunkt der Ausstellung des Roter Privilegs (15. Dezember 1152) waren sechs dieser 14 Kardinäle nicht mehr am Leben; für drei weitere ist eine Subskription aufgrund einer zeitgleichen Legation bzw. der zuvor erfolgten Promotion ausgeschlossen. Johannes von S. Maria Nuova unterschrieb letztmalig am 24. Januar 115221; er dürfte Ende desselben Jahres wohl nicht mehr am Leben gewesen sein. Gilbert vgl. auch bei Anm. 44 und Anm. 60. 13 Zu KP Guido (Bellagi?) von S. Grisogono vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 548 Nr. 35 (mit weiterer Literatur). Zu Guido (Bellagi?) vgl. auch bei Anm. 37. 14 Zu KP Jordanus von S. Susanna vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 565 Nr. 68 (mit weiterer Literatur). Zu Jordanus vgl. auch bei Anm. 36, Anm. 50 und Anm. 51. 15 Zu KD Octavian von Monticelli [Ottoviano Monticello] von S. Nicola in Carcere Tulliano vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 574 Nr. 87 (mit weiterer Literatur). Zu Octavian von Monticelli vgl. auch bei Anm. 39. 16 Zu KD Guido de Vico (da Caprona) von SS. Cosma e Damiano vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 550 f. Nr. 40 (mit weiterer Literatur). Zu Guido de Vico vgl. auch bei Anm. 24 und Anm. 27−29. 17 Zu KD Oddo Bonecase [Odone Fattiboni] von S. Giorgio in Velabro vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 575 Nr. 89 (mit weiterer Literatur). Zu Oddo Bonecase vgl. auch bei Anm. 45. 18 Zu KD Berardus vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 537 f. Nr. 13 (mit weiterer Literatur). Zu Berardus vgl. auch bei Anm. 35 und Anm. 47. 19 Zu KD Johannes von S. Maria Nuova vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 558 Nr. 55 (mit weiterer Literatur). Zu Johannes von S. Maria Nuova vgl. auch bei Anm. 21, Anm. 56 und Anm. 57. 20 Zu KD Petrus von S. Maria in Via Lata vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 578 Nr. 96 (mit weiterer Literatur). Zu Petrus von S. Maria in Via Lata vgl. auch bei Anm. 33 und Anm. 48. 21 JL 9539 [= Thurgauisches UB II, ed. Johannes Meyer, Frauenfeld 1917, S. 110 Nr. 33; vgl. Albert Brackmann, Germania Pontificia II: Provincia Maguntinensis II: Helvetia Pontificia, Berlin 1927, S. 31 Nr. 1 (zu Januar 27)]. Zu Johannes von S. Maria Nuova vgl. auch bei Anm. 19, Anm. 56 und Anm. 57.
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von S. Marco starb mit Sicherheit vor März 115122, da zum 30. März 1151 erstmals Roland Bandinelli, der spätere Papst Alexander III., als Inhaber dieser Titelkirche subskribierte23. Der Kardinaldiakon und Kanzler Guido de Vico von SS. Cosma e Damiano wiederum war bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1149 gestorben24; sein Nachfolger als Kardinal wurde 1150 kurzzeitig der genannte Roland Bandinelli25, in der Funktion als Kanzler folgte ihm Boso26. Die letzte Subskription von Guido de Vico als diaconus cardinalis tituli sanctorum Cosme et Damiani datiert sogar vom 10. Dezember 114627; erstmals am 17. Dezember 1146 unterfertigte er als Kanzler (per manum Guidonis sancte Romane ecclesie diaconi cardinalis et
Letztmalig unterschrieb Gilbertus am 6. Mai 1149; JL 9338 [= Paul Guillaume, Essai historique sur l’abbaye de Cava d’après des documents inédits, Cava de’Tirreni (Salerno) 1877, Appendice S. XXXII Nr. K; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia VIII: Regnum Normannorum − Campania, Berlin 1935, S. 325 Nr. 23]. Zu Gilbertus vgl. auch bei Anm. 10 und Anm. 63. 23 JL 9464 [= Migne PL 180, Sp. 1464 Nr. 439; vgl. Albert Brackmann, Germania Pontificia I: Provincia Salisburgensis et episcopatus Tridentinus, Berlin 1910−11, S. 357 Nr. 5]. Zu Roland (Orlando) Bandinelli vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 588 Nr. 117 (mit weiterer Literatur). Zu Roland Bandinelli vgl. auch bei Anm. 25. 24 Guido de Vico unterfertigte als Kanzler letztmalig am 16. Mai 1149 ein Privileg; Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia IV: Umbria − Picenum − Marsia, Berlin 1909, S. 294 Nr. 4; JL –. Zu Guido de Vico vgl. auch bei Anm. 16 und Anm. 27−29. 25 Roland Bandinelli unterschrieb Privilegien als Kardinaldiakon von SS. Cosma e Damiano vom 23. Oktober 1150 (JL 9406 [= Julius von Pflugk-Harttung, Acta pontificum Romanorum inedita 1−3, Tübingen 1881−88, II, S. 350 Nr. 398; vgl. Albert Brackmann, Germania Pontificia III: Provincia Maguntinensis III: Dioeceses Strassburgensis, Spirensis, Wormatensis, Wirciburgensis, Bambergensis, Berlin 1935, S. 235 Nr. 2]) bis zum 6. Januar 1151 (Torello Gerbi, Cenni storici, militari, civili e religiosi di Santa Maria a Monte, Pontedera 1883, S. 191 Nr. 2; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia III: Etruria, Berlin 1908, S. 476 Nr. 4; JL –). Vgl. dagegen Barbara Zenker, Die Mitglieder des Kardinalkollegiums von 1130 bis 1159, Phil. Diss. Würzburg 1964, S. 148, die den 17. Dezember 1150 (JL 9426 [= Dietrich Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich. NF 8: Diözese Paris I: Urkunden und Briefsammlungen der Abteien Sainte-Geneviève und Saint-Victor (Abh. Göttingen, Dritte Folge 174) Göttingen 1989, S. 208 Nr. 40]) als letzten Subskriptionsbeleg für Roland Bandinelli als Kardinaldiakon von SS. Cosma e Damiano angibt. Zu Roland Bandinelli vgl. auch bei Anm. 23. 26 Boso unterfertigte erstmals am 6. November 1149 ein Privileg; JL 9355 [= Bündner UB I: 390−1199, Chur 1956, S. 232 Nr. 318; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 99 Nr. 1]. Zu Boso vgl. auch bei Anm. 6 und Anm. 67. 27 Walther Holtzmann, Papsturkunden in England III: Oxford, Cambridge, kleinere Bibliotheken und Archive und Nachträge aus London (Abh. Göttingen, Dritte Folge 33), Göttingen 1952, S. 184 Nr. 59; JL –. Vgl. unten Anh. I. Zu Guido de Vico vgl. auch bei Anm. 16 und Anm. 24. 22
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cancellarii) ein Privileg28 und erscheint seither mit kurzen Unterbrechungen aufgrund seiner Abwesenheit von der Kurie29 stets in dieser Funktion auf Papsturkunden. Alberich von Ostia starb Ende Februar bzw. Anfang März 114830; sein Nachfolger Guido de Summa unterschrieb erstmals am 6. November 1149 ein Privileg31 und im Dezember 1152 amtierte der aus Clairvaux stammende Zisterzienser Hugo als Kardinalbischof von Ostia32. Petrus von S. Maria in Via Lata wiederum unterschrieb – abgesehen von dem vorliegenden Privileg – letztmalig am 3. Januar 114733; sein Nachfol JL 8965 [= The Chronicle of Hugh Candidus, a Monk of Peterborough, ed. William Thomas Mellows, London 1949, S. 109−116; Migne PL 180, Sp. 1160 Nr. 132; vgl. Walther Holtzmann, Papsturkunden in England I: Bibliotheken und Archive in London, Berichte und Handschriftenbeschreibungen (Abh. Göttingen, NF 25/1−2), Berlin 1930/31, S. 148, 171]. Vgl. unten Anh. I. 29 So unterfertigte der Kardinalpriester Hugo von S. Lorenzo in Lucina während Guidos Legation nach Deutschland vom 13. April 1147 (JL 9018 [= Johannes Ramackers, Papsturkunden in Frankreich. NF 2: Normandie (Abh. Göttingen. Dritte Folge 21), Göttingen 1937, S. 114 Nr. 45]) bis zum 5. Juni 1147 (JL 9074 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 194 Nr. 211]) die Papsturkunden per manum Hugonis presbiteri cardinalis agen tis vicem Guidonis. 30 Alberich unterschrieb letztmalig am 22. November 1147; JL 9161 [= Migne PL 180, Sp. 1295 Nr. 240]. Unmittelbar darauf brach er zu seiner dritten Frankreichlegation auf, auf der er Ende Februar/Anfang März 1148 starb und in Verdun beigesetzt wurde; Alberici monachi Triumfontium Chronicon, ed. Paul Scheffer-Boichorst, MGH SS 23 (1874), S. 841 Z. 6−8; vgl. Zenker, Kardinalkollegium (wie Anm. 25) S. 20. Zu Alberich vgl. auch bei Anm. 8 und Anm. 54. 31 JL 9355 [= Bündner UB I (wie Anm. 26) S. 232 Nr. 318; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 99 Nr. 1]. Zu KB Guido de Summa [Guido Moricotti] von Ostia vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 550 Nr. 39 (mit weiterer Literatur). 32 Hugo unterschrieb erstmals am 13. Februar 1152; Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 291 Nr. 51; JL –. Vgl. dagegen Zenker, Kardinalkollegium (wie Anm. 25) S. 21, die den 15. April 1152 (JL 9475 [= Migne PL 180, Sp. 1471 Nr. 446; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 32 Nr. 2]) als ersten Subskriptionsbeleg für KB Hugo von Ostia angibt. Weitere Subkriptionen vor dem 15. April 1152 finden sich in bei JL fehlenden Privilegien vom 20. Februar 1152 (Johannes Ramackers, Papsturkunden in Frankreich. NF 4: Picardie [Abh. Göttingen. Dritte Folge 27], Göttingen 1942, S. 162 Nr. 58), 12. April 1152 (Johannes Ramackers, Papsturkunden in Frankreich. NF 5: Touraine, Anjou, Maine und Bretagne [Abh. Göttingen, Dritte Folge 35], Göttingen 1956, S. 158 Nr. 78, S. 160 Nr. 79) und 14. April 1152 (Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 4, S. 163 Nr. 59; Holtzmann, Papsturkunden in England III [wie Anm. 27] S. 211 Nr. 80). Zu KB Hugo von Ostia vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 553 Nr. 46 (fälschlich mit Erstsubskription am 15. April 1152). 33 JL 8991 [= Migne PL 180, Sp. 1183 Nr. 152]. Dass sich Petrus von S. Maria in Via Lata danach als Legat im Reich aufgehalten habe, beruht auf einer irrtümlichen Einordnung von zwei für Klosterneuburg ausgestellten und undatierten Legatenurkunden; Albert Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 249 f. Nrr. 5 und 6; vgl. Albert Brackmann, Die Kurie und die Salzburger Kirchenprovinz (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontifi 28
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ger, der Kardinaldiakon Gerard von S. Maria in Via Lata, subskribierte bereits am 23. Dezember 115234, weshalb es ausgeschlossen ist, dass Petrus noch am 15. Dezember 1152 das Privileg für Rot unterschrieben haben könnte. Der Kardinaldiakon Berardus schließlich ist nur vom 14. September 1144 bis zum 29. Mai 1146 bzw. 23. Dezember 1146 durch seine Unterschrift auf Privilegien fassbar35; auch er dürfte 1152 also nicht mehr am Leben gewesen sein. Mit dem Kardinalpriester Jordanus von S. Susanna befand sich Ende 1152 ein weiterer Subskribent nachweislich auf einer Legationsreise in Deutschland und Frankreich, so dass er am 15. Dezember mit Sicherheit nicht das Roter Privileg in Rom unterschreiben konnte36. Guido (Bellagi?) cia 1) Berlin 1912, S. 218 f.; Johannes Bachmann, Die päpstlichen Legaten in Deutschland und Skandinavien 1125−1159 (Historische Studien 115), Berlin 1913, Nachdr. Vaduz 1965, S. 99 f. Tatsächlich ist der Aussteller dieser beiden Urkunden der Kardinaldiakon Petrus Capuanus, der sich von 1196 bis 1198 als Legat im Reich sowie in Böhmen und Polen aufhielt; vgl. Werner Maleczek, Petrus Capuanus. Kardinal, Legat des 4. Kreuzzugs, Theologe († 1214) (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom I,8), Wien 1988, S. 284 Nr. 3, S. 285 Nr. 4 (zu 1197 März); vgl. Stefan Weiss, Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis zu Coelestin III. (1049−1198) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J.F. Böhmer, Regesta Imperii 13), Köln 1995, S. 319 XXV,11 Nrr. 3 und 4. Zu KD Petrus von S. Maria in Via Lata vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 578 Nr. 96 (mit weiterer Literatur); zu Petrus von Capua dem Älteren (Capuanus; Capito) [Pietro Capuano] vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 580 Nr. 100 (mit weiterer Literatur). Zu Petrus von S. Maria in Via Lata vgl. auch bei Anm. 20 und Anm. 48. 34 Johannes Ramackers, Papsturkunden in Frankreich. NF 3: Artois (Abh. Göttingen. Dritte Folge 23), Göttingen 1940, S. 80 Nr. 31; JL –. Als sancte Romane ecclesie diaconus cardinalis subskribierte Gerardus letztmalig am 19. Dezember 1152; JL 9621 [= Johannes Ramackers, Papsturkunden in Frankreich. NF 6: Orléanais (Abh. Göttingen. Dritte Folge 41), Göttingen 1958, S. 135 Nr. 66]. Vgl. dagegen Zenker, Kardinalkollegium (wie Anm. 25) S. 179, die den 31. Dezember 1152 (JL 9624 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 210 Nr. 226]) als ersten Subskriptionsbeleg für KD Gerard von S. Maria in Via Lata angibt. Zu KD Gerardus von S. Maria in Via Lata vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 541 Nr. 21 (fälschlich mit Erstsubskription am 31. Dezember 1152). 35 JL 8652 [= Rudolf Hiestand, Papsturkunden für Kirchen im heiligen Lande (Vorarbeiten zum Oriens Pontificius III = Abh. Göttingen. Dritte Folge 136), Göttingen 1985, S. 177 Nr. 55]; JL 8929 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 77 Nr. 76; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 325 Nr. 29]. Zum 23. Dezember 1146 ist die Subkription von Bernardus dicaconus cardinalis sancte Romane ecclesie belegt, bei dem es sich wohl ebenfalls um Berardus handelt; JL 8972 [= Migne PL 180, Sp. 1170 Nr. 139]. Zu Berardus vgl. auch bei Anm. 18 und Anm. 47. Vgl. unten Anh. I. 36 Letztmalig vor seiner Legation unterschrieb Jordanus am 31. März 1151 ein Privileg; JL 9469 [= Hiestand, Vorarbeiten Oriens Pontificius III (wie Anm. 35) S. 197 Nr. 65]. Die erste Unterschrift nach seiner Rückkehr datiert vom 7. Juni 1153; JL 9729 [= Migne PL 180, Sp. 1601 Nr. 585]. In der ersten Hälfte des Jahres 1152 urkundete er für das Kloster Belval
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von S. Grisogono wiederum kehrte als Legat des 2. Kreuzzugs erst Anfang 1153 an die Kurie zurück37; vor der Legation unterschrieb er letztmalig am 17. Juli 114738. Und Octavian von Monticelli von S. Nicola in Carcere Tulliano war bereits im März 1151 zum Kardinalpriester von S. Cecilia promoviert worden39; am 1. August 1152 unterschrieb sein Nachfolger Oddo de Cabuano erstmals als Kardinaldiakon von S. Nicola40. Für mehr als die Hälfte der Kardinäle, die auf der Roter Urkunde als Subskribenten genannt sind, können deren Unterschriften also nicht mit den in der Datierungszeile enthaltenen Angaben in Einklang gebracht
(Diöz. Reims); Weiss, Legaten (wie Anm. 33) S. 167 XV,8 Nr. 1. Zur Legation vgl. Bachmann, Legaten (wie Anm. 33) S. 91−99; Wilhelm Janssen, Die päpstlichen Legaten in Frankreich vom Schisma Anaklets II. bis zum Tode Coelestins III. (1130−1198) (Kölner Historische Abhandlungen 6), Köln 1961, S. 54−56; Weiss, Legaten (wie Anm. 33) S. 167. Zu Jordanus vgl. auch bei Anm. 14, Anm. 50 und Anm. 51. 37 Die erste Unterschrift nach seiner Rückkehr datiert vom 3. März 1153; JL 9711 [= Migne PL 180, Sp. 1588 Nr. 576]. Rudolf Hiestand zieht unter Verweis auf die Roter Urkunde in Erwägung, dass Guido von S. Grisogono bereits am 15. Dezember 1152 an die Kurie zurückgekehrt sein könnte; Rudolf Hiestand, Die päpstlichen Legaten auf den Kreuzzügen und in den Kreuzfahrerstaaten vom Konzil von Clermont (1095) bis zum vierten Kreuzzug 2, Habil. Kiel 1972 (Mschr.), S. 202 Anm. 126. Dies ist jedoch nicht möglich; vgl. dazu unten. Zu Guido (Bellagi?) vgl. auch bei Anm. 13. 38 JL 9093a [= Johann Christian Lünig, Des Teutschen Reichs-Archivs XVIII: Spicilegii ecclesiastici Dritter Theil: Von gefürstet- und ungefürsteten Reichs-Prälaten und Äbtißinnen, Leipzig 1716, S. 405 Nr. 1; vgl. Albert Brackmann, Germania Pontificia II: Provincia Maguntinensis I: Dioeceses Eichstetensis, Augustensis, Constantiensis, Berlin 1923, S. 147 Nr. 5]. Rudolf Hiestand, Legaten (wie Anm. 37) S. 218, führt als letzte Subskription Guidos hingegen ein Privileg vom 30. Juni 1147 an; JL 9092 [= Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 3 (wie Anm. 34) S. 75 Nr. 27]. 39 Als Kardinaldiakon von S. Nicola in Carcere Tulliano unterschrieb Octavian von Monticelli letztmalig am 2. März 1151; Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II: Burgund mit Bresse und Bugey, Nachrichten Göttingen 1906, Beiheft S. 83 Nr. 40; JL –. Seine erste Unterschrift als Kardinalpriester von S. Cecilia datiert vom 7. März 1151; JL 9456 [= Dietrich Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich. NF 7: Nördliche Ile-de-France und Vermandois (Abh. Göttingen. Dritte Folge 95), Göttingen 1976, S. 328 Nr. 68]. Vgl. dagegen Zenker, Kardinalkollegium (wie Anm. 25) S. 66, die den 30. März 1151 (JL 9464 [= Migne PL 180, Sp. 1464 Nr. 439; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 357 Nr. 5]) als ersten Subskriptionsbeleg Octavians als KP von S. Cecilia angibt. Zu Octavian von Monticelli vgl. auch bei Anm. 15. 40 JL 9600 [= Migne PL 180, Sp. 1541 Nr. 521; vgl. Hermann Jakobs, Germania Pontificia IV: Provincia Maguntinensis IV: S. Bonifatius, Archidioecesis Maguntinensis, Abbatia Fuldensis, Göttingen 1978, S. 328 Nr. 2 Anm.]. Zu KD Oddo de Cabuano von S. Nicola in Carcere Tulliano vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 575 f. Nr. 90 (mit weiterer Literatur).
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werden. Mit den Kardinalbischöfen Corrado de Suburra von Sabina41 und Imar von Tusculum42, den Kardinalpriestern Hubaldus Allucingoli von S. Prassede43 und Gregor von S. Maria in Trastevere44 sowie dem Kardinaldiakon Oddo Bonecase von S. Giorgio in Velabro45 waren Ende 1152 vielmehr nur fünf der genannten Kardinäle tatsächlich an der Kurie anwesend. Nach Ausweis der Subskriptionen muss als Vorlage für die erhaltene ‚Kopie‘ demnach ein feierliches Privileg gedient haben, das mit Sicherheit vor dem 17. Dezember 1146 (erste Unterfertigung Guidos de Vico als Kanzler) ausgestellt worden war46. Bestätigt wird dieser terminus ante quem zudem dadurch, dass der Kardinaldiakon Berardus am 23. Dezember 114647 und der Kardinaldiakon Petrus von S. Maria in Via Lata am 7. Januar 114748 letztmalig subskribierten. Auch der terminus post quem des als Vorlage dienenden feierlichen Privilegs, das aufgrund der in die ‚Kopie‘ übernommenen Rota samt korrekter Devise mit Sicherheit von Eugen III., also nach dem 15. Februar 1145 ausgestellt wurde49, lässt sich aufgrund der Kardinalskreationen und -pro JL 9622 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 116 Nr. 111; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 298 Nr. 1] (1152 Dezember 20); Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 3 (wie Anm. 34) S. 80 Nr. 31 (1152 Dezember 23); JL 9623 [= UB Hochstift Naumburg I, ed. Felix Rosenfeld, Magdeburg 1925, S. 190 Nr. 212] (1152 Dezember 29). Zu Corrado de Suburra vgl. auch bei Anm. 7. 42 Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 3 (wie Anm. 34) S. 80 Nr. 31 (1152 Dezember 23); JL 9624 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 210 Nr. 226] (1152 Dezember 31). Zu Imar vgl. auch bei Anm. 9 und Anm. 54. 43 JL 9616 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 67 Nr. 341] (1152 November 27); JL 9622 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 116 Nr. 111; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 298 Nr. 1] (1152 Dezember 20). Zu Hubaldus Allucingoli vgl. auch bei Anm. 11 und Anm. 53. 44 JL 9622 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 116 Nr. 111; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 298 Nr. 1] (1152 Dezember 20); Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 3 (wie Anm. 34) S. 80 Nr. 31 (1152 Dezember 23); JL 9624 [= PflugkHarttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 210 Nr. 226] (1152 Dezember 31). Zu Gregor von S. Maria in Trastevere vgl. auch bei Anm. 12 und Anm. 60. 45 JL 9621 [= Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 6 (wie Anm. 34) S. 135 Nr. 66] (1152 Dezember 19); JL 9622 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 116 Nr. 111; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 298 Nr. 1] (1152 Dezember 20); Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 3 (wie Anm. 34) S. 80 Nr. 31 (1152 Dezember 23); JL 9624 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 210 Nr. 226] (1152 Dezember 31). Zu Oddo Bonecase vgl. auch bei Anm. 17. 46 Vgl. oben bei Anm. 27−29. 47 Vgl. oben bei Anm. 35. Zu Berardus vgl. auch bei Anm. 18. 48 Vgl. oben bei Anm. 33. Zu Petrus von S. Maria in Via Lata vgl. auch bei Anm. 20. 49 Vgl. oben bei Anm. 5. 41
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motionen dieses Papstes sowie der Legatentätigkeit einiger Kardinäle näher bestimmen. Erst Weihnachten 114550 wurde Jordanus zum Kardinalpriester von S. Susanna promoviert, als welcher er auf dem Roter Privileg erscheint; erstmals unterschrieb er in dieser Funktion am 30. Dezember 114551. Hubaldus Allucingoli von S. Prassede kehrte zum selben Zeitpunkt von seiner Legation nach Oberitalien und Deutschland an die Kurie zurück52 und subskribierte erstmals wieder am 21. Dezember 114553. Die Kardinalbischöfe Alberich von Ostia und Imar von Tusculum wiederum unterschrieben nach Eugens Besteigung des Stuhls Petri erstmals am 6. und 7. November 1145 Privilegien54, nachdem sie von ihrer Legation
50 Die letzte Unterschrift von Jordanus als Romane ecclesie diaconus cardinalis datiert vom 16. Dezember 1145; JL 8804 [= Migne PL 180, Sp. 1071 Nr. 52]. Als solcher subskribierte er auch am 5. Mai (JL 8749 [= Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Mailand, in: Nachrichten Göttingen 1902, S. 67−129, hier S. 91 Nr. 9]), 16. Juni (Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II [wie Anm. 39] S. 31 Nr. 8; JL –), 18. August (JL 8778 [= PflugkHarttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 70 Nr. 68]), 31. Oktober (JL 8790 [= Migne PL 180, Sp. 1059 Nr. 44]), 7. November (Paul Fridolin Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens VI, Nachrichten Göttingen 1912, S. 343 Nr. 9; JL –), 14. Dezember (JL 8800 [= Migne PL 180, Sp. 1069 Nr. 51]) und 15. Dezember 1145 (JL 8801 [= Auguste van Lokeren, Chartes et documents de l’abbaye de Saint Pierre au Mont Blanchin à Gand I, Gand 1868, S. 141 Nr. 235]). Vgl. unten Anh. I. Zu Jordanus vgl. auch bei Anm. 13, Anm. 36 und Anm. 51. 51 JL 8810 [= Hauptstaatsarchiv München (im Folgenden: HStA München), HL Regensburg G, f. 36; HStA München, HL Regensburg A, f. 1r−1v; Migne PL 180, Sp. 1078 Nr. 57 (nur Hinweis auf 11 Subskriptionen); vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 276 Nr. 2]; JL 8813 (zu Dezember 31) [= Migne PL 180, Sp. 1080 Nr. 58 (zu Dezember 31); vgl. Egon Boshof, Germania Pontificia X: Provincia Treverensis I: Archidioecesis Treverensis, Göttingen 1992, S. 347 Nr. 8 (zu Dezember 30)]. Vgl. unten Anh. I. Zu Jordanus vgl. auch bei Anm. 13, Anm. 36 und Anm. 50. 52 Zur Legation vgl. Weiss, Legaten (wie Anm. 33) S. 146 f. 53 JL 8808 [= Ulysse Chevalier, Notice analytique sur le Cartulaire d‘Aimon de Chissé aux archives de l’évêché de Grenoble, Colmar 1869, S. 56 Nr. 2; vgl. Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich III: Dauphiné, Savoyen, Lyonnais und Vivarais, Nachrichten Göttingen 1907, Beiheft S. 8]; vgl. auch JL 8806 (zu 1145 Dezember) [= Migne PL 180, Sp. 1074 Nr. 54]. Stefan Weiss, Legaten (wie Anm. 33) S. 146 nennt fälschlich den 9. Januar 1146 als Datum der ersten Subskription nach Hubalds Rückkehr. Vgl. unten Anh. I. Zu Hubaldus Allucingoli vgl. auch bei Anm. 11 und Anm. 43. 54 Paul Guillaume, Deux bulles inédites des papes Eugène III et Alexandre III en faveur de l’abbaye de Boscodon et du prieuré de Sainte-Colombe de Gap, in: Annales des Alpes 8 (1904) S. 83−91, hier S. 85; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich III (wie Anm. 53) S. 14 u. Anm. 7; JL –. Kehr, Nachträge Papsturkunden in Italien VI (wie Anm. 50) S. 343 Nr. 9; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia VI,1: Liguria sive provincia Mediolanensis: Lombardia, Berlin 1913, S. 72 Nr. 1; JL –. Vgl. unten Anh. I. Zu Alberich vgl. auch bei Anm. 8 und Anm. 30, zu Imar vgl. auch bei Anm. 9 und Anm. 42.
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nach Frankreich und England zurückgekehrt waren55. Die Unterschrift des Kardinaldiakons Johannes von S. Maria Nuova schließlich fehlt auf sämtlichen Papsturkunden zwischen dem 12. Mai 114556 und dem 5. Februar 114657. Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass das Stift Rot mit Sicherheit nach der Promotion von Jordanus zum Kardinalpriester von S. Susanna (Weihnachten 1145), höchstwahrscheinlich aber sogar erst nach dem 5. Februar 1146 (Subskription Johannes‘ von S. Maria Nuova) und vor der Übernahme des Kanzleramts durch Guido de Vico von SS. Cosma e Damiano (17. Dezember 1146) ein Privileg Eugens III. erwirkte. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Unterschrift des Kardinalpriesters Gregor von S. Maria in Trastevere (S. Calisti) zwischen dem 24. März58 und dem 23. Dezember 114659 auf keiner einzigen Papsturkunde findet60, ist der Zeitpunkt seiner Impetrierung weiter einzugrenzen auf Februar/März 1146. Und da sich die Subskriptionen der in der Roter ‚Kopie‘ aufgeführten Kardinäle besonders im Februar 1146 massieren61, dürfte deren Vorlage sogar in diesem Monat ausgestellt worden sein62. Erhärtet wird diese Vermutung zudem dadurch, dass der Kardinalpriester Gilbert von S. Marco lediglich am 8. Januar sowie am 15. und 23. Februar 1146 Privilegien als indignus sacerdos sancte Romane ecclesie (wie in der Roter Urkunde) unterschrieb, zuvor und danach jedoch stets als presbiter cardinalis tit. sancti Marci63. 55 Zur Legation vgl. Janssen, Legaten (wie Anm. 36) S. 39−51; Weiss, Legaten (wie Anm. 33) S. 133−140, 152−154 (fälschlich mit erster Subskription nach der Rückkehr zum 17. bzw. 5. November 1145). 56 JL 8757 = JL 8758 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 69 Nr. 67; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 35 Nr. 4]. Zu Johannes von S. Maria Nuova vgl. auch bei Anm. 19, Anm. 21 und Anm. 57. 57 JL 8855 [= Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 174 Nr. 51]. Vgl. unten Anh. I. Zu Johannes von S. Maria Nuova vgl. auch bei Anm. 19, Anm. 21 und Anm. 56. 58 Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 182 Nr. 56; Walther Holtzmann, Papsturkunden in England II: Die kirchlichen Archive und Bibliotheken (Abh. Göttingen, Dritte Folge 14/15), Berlin 1935/36, S. 205 Nr. 51; JL –. 59 JL 8969 [= Migne PL 180, Sp. 1165 Nr. 136; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 298 Nr. 8]. 60 Vgl. unten Anh. I. Zu Gregor von S. Maria in Trastevere vgl. auch bei Anm. 12 und Anm. 44. 61 Vgl. unten Anh. I. Am 15. und 23. Februar unterschrieben sogar sämtliche in der Roter ‚Kopie‘ genannten Kardinäle. 62 Vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 372 Nr. *7 (zu 1145 Dezember 31–1146 Mai 29). 63 JL 8839 [= René Poupardin, Receuil des chartes de l’abbaye de Saint-Germain-desPrés des Origines au début du XIIIe siècle I: 558−1182, Paris 1909, S. 159 Nr. 104]; JL 8859
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3. Die Datierung der Fälschung JL † 9618 – Indiz für eine 2. Vorlage Mit diesem Befund lässt sich die angebliche Unterfertigung der ‚Kopie‘ durch Boso jedoch nicht in Einklang bringen. Von der Besteigung des Stuhls Petri durch Eugen III. bis zum 2. bzw. 22. September 1146 unterfertigte nämlich Robert Pullus als Kardinalpriester von SS. Martino e Silvestro und cancellarius ohne Ausnahme alle päpstlichen Privilegien64. Nach dessen Tod datierte der päpstliche subdiaconus Baro vom 17. September bis zum 10. Dezember 114665, um dann dem neuen Kanzler Guido de Vico von SS. Cosma e Damiano Platz zu machen, der vom 17. Dezember 1146 bis zum 16. Mai 1149 in dieser Funktion nachweisbar ist66. Erst nach dem Tod Guidos unterfertigte schließlich der sich in der Datierung der Roter ‚Kopie‘ selbst nennende scriptor Boso seit dem 6. November [= Migne PL 180, Sp. 1105 Nr. 80]; JL 8864 [= Karl Theodor Zingeler, Geschichte des Klosters Beuron im Donauthale, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Alter thumskunde in Hohenzollern 27 (1893/94) S. 129−217, hier S. 174; Migne PL 180, Sp. 1107 Nr. 83; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 225 Nr. 5]. Vgl. unten Anh. I. Zu Gilbertus vgl. auch bei Anm. 10 und Anm. 22. 64 Vgl. unten Anh. I. Am 2. September 1146 unterfertigte Robert Pullus ein Privileg für das Kloster Marchiennes; JL 8945 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 188 Nr. 205]. Letztmalig erscheint er in der Funktion als Kanzler in einem Privileg für das Kloster Staffarda vom 22. September 1146; JL 8948 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 79 Nr. 77; Ferdinando Gabotto/Giuseppe Roberti/Domenico Chiattone, Cartario dell’abazia di Staffarda fino al 1313 I, Pinerolo 1901, S. 18 Nr. 6; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia VI,2: Liguria sive provincia Mediolanensis: Pedemontium − Liguria maritima, Berlin 1914, S. 103 Nr. 2]. Belegt ist Robert Pullus als cancellarius seit dem 31. Januar 1145; JL 8711 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 64 Nr. 63; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia I: Roma, Berlin 1906, S. 27 Nr. 17]. Als Erstbeleg für Roberts Kanzlerschaft führt Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien I, Leipzig 1912, S. 241, demgegüber ein Privileg vom 14. Februar 1145 an (JL 8713 [= Bullarium Lateranense, Rom 1727, S. 27 f.; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 430 Nr. 85]. Zu Robert Pullus vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 587 Nr. 115 (noch mit Erstbeleg als Kanzler zum 14. Februar 1145). 65 JL *8979 (zu 1146) [= Melle Klinkenborg, Papsturkunden in Brescia und Bergamo, Nachrichten Göttingen 1897, S. 279 Nr. 6 (zu September 18); vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 351 Nr. 3 (zu September 17)]; Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 184 Nr. 59 (1146 Dezember 10); vgl. unten Anh. I. Baro hatte bereits zuvor während der Vakanz des Kanzleramtes nach Haimerichs Tod vom 21. Juni bis zum 15. Dezember 1141 (JL 8147−8164) sowie nach der Papstwahl des Kanzlers Gerhardus [Gerardo Caccianemici] vom 14. März 1144 bis zum 23. Januar 1145 (JL 8517−8709) als capellanus et scriptor bzw. ab 20. Mai 1144 als subdiaconus Privilegien datiert. Zu Baro vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 536 f. Nr. 10 (mit weiterer Literatur). 66 Vgl. oben bei Anm. 27−29 und unten Anh. I.
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1149 Papsturkunden67. Die Subskription Guidos de Vico bei gleichzeitiger Datierung durch Boso ist somit ein Ding der Unmöglichkeit. Andererseits muss der Roter ‚Kopist‘ aber auch für die Datierung eine echte Vorlage benutzt haben. Dies ergibt sich schon aus der korrekten Bezeichnung Bosos als sanctę Romanę ęcclesię scriptor. Hinzu kommt, dass alle weiteren Datierungsbestandteile der ‚Kopie‘ in sich stimmig sind. Sowohl das Inkarnationsjahr als auch das 8. Pontifikatsjahr Eugens III. und die 15. Indiktion weisen auf das Jahr 1152. Darüber hinaus passt auch der Ausstellungsort St. Peter in Rom ohne Probleme in das Itinerar des Papstes: Nachdem sich Eugen III. bis zum 4. Dezember 1152 in Alba aufgehalten hatte68, kehrte er nämlich am 9. Dezember nach Rom zurück69, wo er zunächst bei St. Peter am 19. Dezember drei Privilegien ausstellte70, um sich dann am 20. Dezember zum Lateran zu begeben71. All diese Einzelheiten der Datierung hätte der Roter Konventuale, der die ‚Kopie‘ anfertigte, nicht frei erfinden können. Als Vorlage für das als ‚Kopie‘ überlieferte Privileg Eugens III. müssen somit zwei Papsturkunden verwendet worden sein: ein im Februar 1146 ausgestelltes feierliches Privileg, dem die Kardinalsunterschriften entnommen wurden72, und ein weiteres Privileg vom 15. Dezember 1152, dem die Datierung der ‚Kopie‘ entstammt73. Ob es sich bei dieser zweiten Vorlage um ein feierliches oder ein einfaches Privileg handelte, lässt sich hingegen vorerst nicht abschließend klären. Als sicher kann allerdings gelten, dass sämtliche Kardinalsunterschriften aufgrund der den kurialen Gepflogenheiten widersprechenden Anordnung der Subskriptionen in der überlieferten ‚Kopie‘ dem feierlichen Privileg Eugens III. von Februar 1146 entstammen74; dass diese vom Roter Schreiber aus zwei feierlichen Privilegien zusammengestellt wurden, darf wohl ausgeschlossen werden. JL 9355 [= Bündner UB I (wie Anm. 26) S. 232 Nr. 318; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 99 Nr. 1]. Zu Boso vgl. auch bei Anm. 6 und Anm. 26. 68 Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 215 Nr. 84; JL –. In Alba hatte sich Eugen III. seit spätestens 19. Oktober 1152 aufgehalten; vgl. JL 9609. Den 30. November 1152 (JL 9617) als letzten Aufenthaltsbeleg für Alba nennt noch Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 169. 69 Annales Casinenses ad 1152, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 19 (1866) S. 303−320, hier S. 310 Z. 49 f. 70 JL 9619−9621. 71 JL 9622. 72 Vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 372 Nr. *7 (zu 1145 Dezember 31–1146 Mai 29). 73 Vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 377 Nr. *11. 74 Vgl. dazu oben bei Anm. 4. 67
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4. Das Urkundenformular als Nachweis von Interpolationen Für die Herstellung der Fälschung wurden demnach nachweislich zwei Privilegien Eugens III. benutzt und zu einer Urkunde kompiliert75. Welche Passagen des erhaltenen Textes welcher dieser Vorlagen zuzuordnen sind, ist nur mittels eingehender Formularanalyse möglich, die einer gesonderten Abhandlung vorbehalten sein soll76; erste allgemeine Hinweise zu Auffälligkeiten des Urkundenformulars seien im Folgenden jedoch skizziert. Als sicher kann gelten, dass dem verlorenen feierlichen Privileg vom Februar 1146 die in der Fälschung übernommene Arenga Quoniam sine vere cultu religionis entstammt, so dass die Basis für eine Formularanalyse gegeben ist. Während seines Pontifikats stellte Eugen III. nämlich insgesamt nur 43 Privilegien mit dieser Arenga aus: Bis Ende 1145 waren es acht77, in den ersten beiden Monaten des Jahres 1146 waren es ebenfalls acht78 und bis De Die Tatsache der Kompilation der ‚Abschrift‘ aus zwei Originalprivilegien wurde bisher nicht erkannt; vgl. z. B. Nuber, Rot (wie Anm. 1) S. 39 f. Vgl. in Ansätzen aber bereits Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 162−184. 76 Eine eingehende Formularanalyse der Fälschung JL † 9618, die zugleich Aufschluss über die Entstehung und Entwicklung des Urkundenformulars feierlicher Privilegien für geistliche Institutionen im 12. Jahrhundert liefern wird, ist in Vorbereitung. 77 JL 8734 [= Bullarium Lateranense, Rom 1727, S. 29 (zu April 11); vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 430 Nr. 88] (1145 April 13); JL 8755 [= Louis Duval, Cartulaire de l’abbaye royale de Notre-Dame des Châtelliers, Niort 1872, S. 1 Nr. 1; vgl. Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich NF 8 (wie Anm. 25) S. 133] (1145 Mai 9); JL 8779 [= Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 4 (wie Anm. 32) S. 132 Nr. 43; vgl. Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich NF 7 (wie Anm. 39) S. 122 Nr. 4] (1145 April 15 bis August 18); JL 8790 [= Migne PL 180, Sp. 1059 Nr. 44; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia V: Aemilia sive provincia Ravennas, Berlin 1911, S. 424 Nr. † 4] (1145 Oktober 31); JL 8797 [= Karl Meichelbek, Historia Frisingensis I, Augsburg/Graz 1724, S. 548 Nr. 1320; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 341 Nr. 1] (1145 Dezember 7); JL 8798 [= Migne PL 180, Sp. 1067 Nr. 50] (1145 Dezember 13); JL 8801 [= van Lokeren, Saint Pierre au Mont Blanchin I (wie Anm. 50) S. 141 Nr. 235] (1145 Dezember 15); JL 8813 (zu Dezember 31) [= Migne PL 180, Sp. 1080 Nr. 58 (zu Dezember 31); vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 347 Nr. 8] (1145 Dezember 30). 78 JL 8846 = JL 8811 [= Migne PL 180, Sp. 1096 Nr. 73; vgl. Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich V: Berry, Bourbonnais, Nivernais und Auxerrois, Nachrichten Göttingen 1910, Beiheft S. 24] (1146 Januar 19); JL 8847 [= Maximilien Quantin, Cartulaire Général de l’Yonne I, Auxerre 1854, S. 391 Nr. 246] (1146 Januar 19); Jean-Baptiste Champeval, Cartulaire de l’abbaye d’Uzerche, Corrèze du Xe au XIVe siècle, Paris 1901, S. 137 Nr. 104 (1146 Januar 30); JL 8855 [= Thomas Hearne, The Itinerary of John Leland the Antiquary II, Oxford 31769, S. 82−84; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 174 Nr. 51] (1146 Februar 5); Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 178 Nr. 53 (1146 Februar 5); JL 8864 [= Migne PL 180, Sp. 1107 Nr. 83; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 225 Nr. 5] (1146 Februar 23); JL 8868 (zu 75
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zember desselben Jahres folgten weitere sieben79; 1147 ging die Zahl der Privilegien mit dieser Arenga bereits auf insgesamt neun zurück80, in den folgenden Jahren bis Ende 1151 stellte Eugen III. dann nur noch sieben81, 1152 fünf feierliche Privilegien mit dieser Arenga aus82. Die abnehmende Vorliebe Febr. 25) = JL 9631 (zu 1145−1153) [= Migne PL 180, Sp. 1557 Nr. 536; vgl. Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 2 (wie Anm. 29) S. 107 Nr. 40] (1146 Februar 26). 79 JL 8913 [= Migne PL 180, Sp. 1133 Nr. 108; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 163 Nr. 5] (1146 April/Mai); JL 8909 [= Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 146 Nr. 68] (1146 April 24); JL 8948 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 79 Nr. 77; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 103 Nr. 2] (1146 September 22); JL 8949 [= Migne PL 180, Sp. 1156 Nr. 129; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 66 Nr. 3] (1146 September 22); JL 8952 [= Secondo Lancellotti, Historiae Olivetanae II, Venezia 1623, S. 244−246; vgl. Kehr, It. Pont. IV (wie Anm. 24) S. 220 Nr. 2] (1146 Oktober 29); JL 8973 (zu Dezember 24) [= Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden im westlichen Toscana, in: Nachrichten Göttingen 1903, S. 592−641, hier S. 610 Nr. 5; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 446 Nr. 7] (1146 Dezember 4); JL 8970 [= Johann Gruber, Die Urkunden und das älteste Urbar des Stifts Osterhofen (QE NF 33) München 1985, S. 8 Nr. 3; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 183 Nr. 1] (1145 Dezember 23). 80 JL 8993 [= Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Florenz, Nachrichten Göttingen 1901, S. 305−325, hier S. 317 Nr. 13; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 295 Nr. 1] (1147 Januar 21); JL 9001 [= Migne PL 180, Sp. 1190 Nr. 156; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 69 Nr. 2] (1147 Februar 7); JL 9010 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 86 Nr. 85; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 144 Nr. 13] (1147 März 22); Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich I: Franche-Comté, in: Nachrichten Göttingen 1906, Beiheft, S. 1−145, hier S. 69 Nr. 32 [= René Locatelli/Gérard Moyse/Bernard de Vregille, Gallia Pontificia I,1: Le diocèse de Besançon, Göttingen 1998, S. 255 Nr. 6; JL –] (1147 April 16); Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich NF 8 (wie Anm. 25) S. 313 Nr. 59 (1147 Mai 2); JL 9081 [= Migne PL 180, Sp. 1244 Nr. 196; vgl. Theodor Schieffer, Germania Pontificia VII: Provincia Coloniensis I: Archidioecesis Coloniensis, Göttingen 1986, S. 244 Nr. 5] (1147 Juni 17); JL 9106 [= Migne PL 180, Sp. 1259 Nr. 211] (1147 Juli 29); JL 9125 [= Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 196 Nr. 214; vgl. Hermann Jakobs, Germania Pontificia V,2: Provincia Maguntinensis VI: Dioeceses Hildesheimensis et Halberstadensis, Appendix Saxonia, Göttingen 2005, S. 461 Nr. 1] (1147 August 25); JL 9130 [= R. P. Rigaudie, Privilège d‘Eugène III pour l’abbaye de Solignac, in: Bulletin de la société archéologique du Limousin 39 (1890) S. 647−649] (1147 September 6). 81 Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 279 Nr. 43 (1148 April 25); JL 9278 [= Migne PL 180, Sp. 1356 Nr. 309; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 529 Nr. 2] (1148 Juli 7); JL 9304 [= Migne PL 180, Sp. 1373 Nr. 327; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 82 Nr. 4] (1148 November 15); Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI: Auvergne, Poitou, Périgord, Angoumois, Saintonge, Marche und Limousin, Nachrichten Göttingen 1911, Beiheft S. 45 Nr. 17 (1149 April 16); JL 9461 [= Migne PL 180, Sp. 1460 Nr. 436 (zu März 11)] (1151 März 15); JL 9468 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 101 Nr. 100; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 193 Nr. 1] (1151 März 30); JL 9493 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 107 Nr. 104; vgl. Kehr, It. Pont. VIII (wie Anm. 22) S. 292 Nr. 13] (1151 September 6). 82 JL 9567 [= Chronicon monasterii de Abingdon II, ed. Joseph Stevenson, London 1858, S. 196−199] (1152 April 7); JL 9583a [= Julius Pflugk-Harttung, Drei rheinische
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für die Arenga Quoniam sine vere cultu religionis korrespondiert dabei mit dem Aufkommen der seit 1148 von der päpstlichen Kanzlei verwendeten Arenga Religiosam vitam eligentibus83, die sich schnell durchsetzen und Grundlage für das Standardformular feierlicher Privilegien werden sollte84: Bis Ende 1151 sind acht Privilegien mit dieser Arenga überliefert85, 1152 und
Papsturkunden 1147−1152, in: NA 24 (1899) S. 358−366, hier S. 364−366; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 173 Nr. 3] (1152 Mai 27); JL 9586 [= Heinrich Beyer, Mittelrheinisches UB I, Koblenz 1860, S. 626 Nr. 566; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 366 Nr. 4] (1152 Mai 27); JL 9588 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 115 Nr. 110; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 480 Nr. 7] (1152 Juni 4); JL 9615 [= Maurus Feyerabend, Des ehemaligen Reichsstifts Ottenbeuren Benediktiner Ordens in Schwaben sämmtliche Jahrbücher II, Ottenbeuren 1814, S. 823−826(822) Nr. 1; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 81 Nr. 2] (1152 November 26). 83 Religiosam vitam eligentibus apostolicum convenit adesse presidium, ne forte cuiuslibet temeritatis incursus aut eos a proposito revocet aut robur, quod absit, sacre religionis infrin gat. Vor 1148 ist diese Arenga zwar bereits in einem Privileg Calixts II. vom 13. Februar 1120 überliefert (JL 6814 [= Migne PL 163, Sp. 1159 Nr. 74; vgl. Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Spanien. Vorarbeiten zur Hispania pontificia I: Katalanien (Abh. Göttingen, NF 18/2), Berlin 1926, S. 62]), es handelt sich dabei aber wohl um eine Fälschung. Sicher gefälscht ist ein Privileg Leos IX. für das Kloster Northeim; vgl. Albert Brackmann, Papsturkunden des Nordens, Nord- und Mittel-Deutschlands, Nachrichten Göttingen 1904, S. 121 Nr. † 2; vgl. Jakobs, Germ. Pont. IV (wie Anm. 40) S. 333 Nr. † 1; Schieffer, Germ. Pont. VII (wie Anm. 80) S. 56 Nr. 144; RI III,5,2, S. 610 Nr. † 1134. Bei JL 8278 (zu 1130−43) wiederum handelt es sich um ein Privileg Innozenz’ III.; vgl. Hermann Meinert, Papsturkunden in Frankreich, NF 1: Champagne und Lothringen (Abh. Göttingen, Dritte Folge 3/4), Göttingen 1932−1933, S. 46. Das Privileg Innozenz’ II. für das Stift Frankenthal vom 23. Januar 1134 schließlich hat die Arenga Religiosam vitam eligentibus congrua nos oportet consideratione prospicere; JL 7645 [= Migne PL 179, Sp. 197 Nr. 152; vgl. Brackmann, Germ. Pont. III,3 (wie Anm. 25) S. 160 Nr. 1]. 84 Vgl. Michael Tangl, Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200−1500, 1894, S. 229 Nr. 1 (für Zisterzienser), S. 232 Nr. 2 (für Zisterzienserinnen), S. 233 Nr. 3 (für Prämonstratenser), S. 239 Nr. 5 (für Kartäuser), S. 241 Nr. 6 (für Klarissen), S. 304 Nr. 103 (für Benediktiner), S. 305 Nr. 104 (für Augustinerinnen). 85 JL 9233 [= Pièces justificatives, in: Mémorial de Fribourg. Recueil périodique 2 (1855), S. 236−242, hier S. 241 Nr. 3; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 183 Nr. 1] (1148 April 9); JL 9248a [= Pflugk-Harttung, Papsturkunden (wie Anm. 82) S. 362−364; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 173 Nr. 2] (1148 April 20); JL 9262 [= Migne PL 180, Sp. 1352 Nr. 302; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 250 Nr. 2] (1148 Mai 17); JL 9290 [= Migne PL 180, Sp. 1361 Nr. 315; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 145 Nr. 2] (1148 August 20); JL 9397 [= Andrea Gloria, Codice diplomatico Padovano I, Venedig 1879, S. 390 Nr. 536; vgl. Paul Fridolin Kehr, Italia Pontificia VII,1: Venetiae et Histria: Provincia Aquileiensis, Berlin 1923, S. 194 Nr. 1] (1150 Juni 15); JL 9504 [= Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 288 Nr. 48] (1151 Juni 13); JL 9489 [= Migne PL 180, Sp. 1476 Nr. 451; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 217 Nr. 1] (1151 Juni 22).
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1153 folgten acht weitere86. Dieser Befund erhärtet somit die aus der Analyse der Subskriptionen gewonnene Datierung des als erste Vorlage für die Fälschung dienenden feierlichen Privilegs auf Februar 1146 und legt zudem nahe, dass der Text der Fälschung sich vornehmlich an diesem Privileg orientierte. Gleichzeitig ist damit aber auch die Möglichkeit gegeben, mittels Formularvergleichs interpolierte Passagen in der Fälschung zu ermitteln87. Mit Sicherheit interpoliert ist die Inscriptio, in der der Vorsteher des Prämonstratenserstifts Rot als Abt und Prälat (Otinoni abbati et prelato ecclesię sanctę dei genitricis Marię et beatę Verenę virginis Rote) betitelt wird. Einerseits ist in Papsturkunden des 12. Jahrhunderts die Bezeichnung eines Abtes als Prälat nämlich völlig unüblich88; konsequenterweise wird der noch 1182 amtierende Abt Oteno von Rot im Privileg Lucius’ III. daher auch nur als abbas angesprochen89. Andererseits widerspricht diese Anrede aber auch der in der Fälschung selbst enthaltenen Bestätigung der freien Propstwahl (Obeunte autem in domino eiusdem loci quilibet prepo sito)90; wohl aus Unachtsamkeit hatte der Kompilator den Wahlpassus nicht der Insciptio angepasst. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass das Stift Rot im Februar 1146 (dem Zeitpunkt der Ausstellung der ersten Vorlage der Fälschung) und wohl auch noch Ende 1152 (dem Zeitpunkt der Ausstellung der zweiten Vorlage der Fälschung) von einem Propst geleitet 86 JL 9514 [= Johannes Ramackers, Niederrheinische Urkunden und Briefe des 12. und 13. Jahrhunderts aus französischen und belgischen Archiven und Bibliotheken, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein 121 (1932), S. 61–78, hier S. 62 Nr. 1; vgl. Schieffer, Germ. Pont. VII (wie Anm. 80) S. 295 Nr. 5] (1152 Januar 8); Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 295 Nr. 53 (1152 April 22); JL 9585 [= Migne PL 180, Sp. 1529 Nr. 510; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 385 Nr. 1] (1152 Mai 27); JL 9676 [= Migne PL 180, Sp. 1568 Nr. 553; vgl. Theodor Schieffer, Germania Pontificia IX: Provincia Coloniensis III: Dioeceses Traiectensis, Monasteriensis, Osnabrugensis, Mindensis, Göttingen 2003, S. 92 Nr. 5] (1153 Januar 2); JL 9679 [= Joseph von Aschbach, Geschichte der Grafen von Wertheim II, Frankfurt/M. 1843, S. 4 Nr. 3; vgl. Brackmann, Germ. Pont. III,3 (wie Anm. 25) S. 200 Nr. 1] (1153 Januar 11); JL 9680 [= Karl Friedrich Stumpf-Brentano, Urkunden zur Geschichte des Erzbistums Mainz im 12. Jahrhundert, Innsbruck 1863, S. 56 Nr. 52; vgl. Jakobs, Germ. Pont. IV (wie Anm. 40) S. 312 Nr. 2] (1153 Januar 11); Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 4 (wie Anm. 32) S. 166 Nr. 60 (1153 März 14); JL 9715 [= Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 164 Nr. 82] (1153 April 10). 87 Siehe Anm. 76. 88 Vgl. schon Nuber, Rot (wie Anm. 1) S. 39: „Auffallend ist auch die Anrede ‚abbati et praelato‘.“ 89 HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]. 90 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12].
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wurde, zumal der genannte Oteno anderweitig erstmals am 15. November 1164 als Abt bezeichnet wird91. Die Arenga folgt zwar zu Beginn annähernd dem üblichen Formular92, weicht dann aber signifikant von diesem ab93. Da sich in einem Privileg für HStA Stuttgart, B 486, U. 1; HStA Stuttgart, B 486, U. 770 (Abschrift) [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 149 Nr. 384 (Verbesserungen: Wirtembergisches UB XI: 1297−1300, Stuttgart 1913, S. 574); Stadelhofer, Historia imperialis I (wie Anm. 1) S. 48 Nr. 2; Lünig, Reichsarchiv XVIII (wie Anm. 38) S. 452 Nr. 2; vgl. Karin Feldmann, Herzog Welf VI. und sein Sohn. Das Ende des süddeutschen Welfenhauses (mit Regesten), Phil. Diss. Tübingen 1971, Reg. 117; Sigmund Adler, Herzog Welf VI. und sein Sohn, Hannover 1881, S. 151 Nr. 97]. Vgl. Nuber, Rot (wie Anm. 1) S. 40 f. 92 Quoniam sine vere cultu religionis nec caritatis unitas potest subsistere nec deo gratum exhiberi servitium, expedit apostolice auctoritati religiosas personas diligere et earum quieti auxiliante domino providere. Vgl. so JL 8797, 8798, 8813, 8847; Champeval, Cartulaire de l’abbaye d‘Uzerche (wie Anm. 78) S. 137 Nr. 104; JL 8855; Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 178 Nr. 53; JL 8864, 8864, 8909 (letzter Halbsatz: et earum quieti paterna sollicitudine providere), 8913, 8949, 8952, 8973 (letzter Halbsatz: et earum quieti et utilitati auxiliante domino in posterum salubriter providere), 8993 (letzter Halbsatz: et earum quieti auxiliante domino salubriter providere), 9001 (letzter Halbsatz: et earum quieti auxiliante domino salubriter providere), 9010; Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich I (wie Anm. 80) S. 69 Nr. 32; Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich NF 7 (wie Anm. 39) S. 313 Nr. 59 (letzter Halbsatz: et earum quieti auxiliante domino salubriter providere); JL 9081 (letzter Halbsatz: et earum quieti et utilitati auxiliante domino salubriter providere), 9125; Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 279 Nr. 43 (letzter Halbsatz: et earum quieti et utilitati auxiliante domino in posterum providere); JL 9468 (letzter Halbsatz: et earum quieti salubriter auxiliante domino providere), 9567 (letzter Halbsatz: et earum quieti auxiliante domino salubriter providere). Eine geringfügige Variation mit et earum loca pia protectione munire als Arengenschluss bieten JL 8755, 8779, 8801, 8846=8811, 8970, 9615. Größere Abweichungen am Arengenschluss haben JL 8790 (letzter Halbsatz: et loca, in quibus divinis vacant officiis, sedis apostolice munimine confo vere), 9130 (2. Hälfte: expedit nobis religiosa loca cum ipsis personis diligere et apostolice sedis munimine confovere), 9278 (letzter Halbsatz: et religiosa loca, in quibus existunt, sedis apos tolice munimine confovere), 9304 (2. Hälfte: expedit apostolice auctoritati religiosas personas et religiosa loca sedis apostolice munimine confovere); Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 45 Nr. 17 (letzter Halbsatz: et earum loca apostolice sedis munimine confovere). Den Arengaschluss et religiosa loca, maxime que beati Petri iuris exis tunt et ad Romanam specialiter spectant ecclesiam, sedis apostolice munimine confovere haben JL 8734, 8948, 9493, 9588. Eine völlig eigenständige und ausführliche Arenga bietet schließlich das Privileg für das Zisterzienserkloster Michaelstein vom 15. März 1151; JL 9461 [= Migne PL 180, Sp. 1460 Nr. 436 (zu März 11)]: Quoniam sine vere cultu religionis nec caritatis unitas potest subsistere, nec deo gratum exhiberi servitium, oportet nos, viris religiosis propensiori pietati imminere, et ne a sui ordinis observantia quorumlibet presumptionibus disturbentur, res et loca eorum protectionis munimine defensare, quatenus sanctitatis propo sito quod elegerunt, tanto debeant securius inherere, quanto ab eis vigilantius curaverimus omnem fatigationem indebitam submovere. Zu den Einzelnachweisen vgl. oben Anm. 77−82. 93 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]: Quoniam 91
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das belgische Prämonstratenserstift Drongen vom 29. Juli 1147 eine mit der Roter Fälschung fast völlig identische Arenga findet 94, ist an der Kanzleigemäßheit aber wohl nicht zu zweifeln. Eindeutig interpoliert ist hingegen der folgende, die Petitio und die Aufnahme in den päpstlichen Schutz enthaltende Satz; durch Einfügung von Nebensätzen zur Gründung des Stifts auf Eigengut der Stifterfamilie und zur Entrichtung des Rekognitionszinses infolge der Tradierung an den apostolischen Stuhl95 wurde die formelhafte Wendung nämlich so erweisine verę cultu religionis nec ecclesia potest salva subsistere, nec gratum deo exhiberi servi tium, oportet nos, ubicumque possumus, sacrę religionis observantiam instituere et institutam exacta diligentia conservare. 94 JL 9106 [= Migne PL 180, Sp. 1259 Nr. 211]: Quoniam sine vere cultu religionis nec ecclesia potest salva consistere, nec gratum deo exhiberi servitium, oportet nos, ubicumque possumus, sacre religionis observantiam instituere et institutam exacta diligentia conservare. Im ersten Teil identisch ist zudem die Arenga des Privilegs für das Marienstift in Trier-Oeren vom 27. Mai 1152; JL 9583a [= Pflugk-Harttung, Papsturkunden (wie Anm. 82) S. 364−366; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 173 Nr. 3]: Quoniam sine vere cultu religionis nec ecclesia potest salva subsistere, nec deo gratus famulatus impendi, benepla centem deo religionem statuere et stabilitam exacta nos convenit diligentia conservare. Gleiches gilt für das Privileg zugunsten des Marienstifts in Andernach vom gleichen Tag; JL 9586 [= Beyer, Mittelrheinisches UB I (wie Anm. 82) S. 626 Nr. 566; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 366 Nr. 4]: Quoniam sine vere cultu religionis nec ecclesia potest salva consistere, nec gratus deo famulatus impendi, oportet nos, loca religiosa et contra pravorum incursus auctoritatis nostre munimine confovere. 95 Zum infolge der traditio Romana und der daraus resultierenden libertas ecclesie zu entrichtenden Rekognitionszins vgl. Alfred Blumenstok, Der päpstliche Schutz im Mittelalter, Innsbruck 1890, S. 89−91, 133−136; August Hüfner, Das Rechtsinstitut der klösterlichen Exemtion in der abendländischen Kirche, Mainz 1907, S. 43 f.; Georg Schreiber, Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert 1 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 67), Stuttgart 1910, S. 32−47; Albert Brackmann, Rezension zu Georg Schreiber, Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 175 (1913) S. 275−290; Hans Hirsch, Die Klosterimmunität seit dem Investiturstreit. Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches und der deutschen Kirche, Darmstadt 1967, S. 26−35, 63−65; Brigitte Szabó-Bechstein, Libertas ecclesie. Ein Schlüsselbegriff des Investiturstreits und seine Vorgeschichte, 4.−11. Jahrhundert (Studia Gregoriana 12), Rom 1985, S. 206 f.; Volkert Pfaff, Die päpstlichen Klosterexemtionen in Italien bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts, in: ZRG KA 72 (1986) S. 76−114, hier S. 80 f.; Brigitte Szabó-Bechstein, ‚Libertas ecclesie‘ vom 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Verbreitung und Wandel des Begriffs seit seiner Prägung durch Gregor VII., in: Die abendländische Freiheit vom 10. bis zum 14. Jahrhundert. Die Wirkungszusammenhänge von Idee und Wirklichkeit im europäischen Vergleich, hg. von Johannes Fried (VuF 39), Sigmaringen 1991, S. 147−175, hier S. 150 f., 172 f. Zum Zusammenhang von päpstlichem Schutz, Rekognitionszins und Exemtion vor dem Investiturstreit vgl. zudem Karl Friedrich Weiss, Die kirchlichen Exemtionen der Klöster von ihrer Entstehung bis zur gregorianischcluniazensischen Zeit, Basel 1893, S. 56−63; Edmund E. Stengel, Die Immunität in Deutschland bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. Forschungen zur Diplomatik und Verfassungsgeschichte I: Diplomatik der deutschen Immunitäts-Privilegien vom 9. bis zum Ende des
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tert, dass die lateinische Syntax Schaden nahm96. Eingefügt wurde nämlich einerseits der Hinweis, das Stift Rot sei von Cuno und dessen Mutter Emma auf Eigengut (in proprio allodio) gegründet worden, und andererseits die Nachricht, diese Gründer hätten das Stift dem apostolischen Stuhl förmlich übertragen, wofür jährlich ein Byzantius zu entrichten sei97. Die Kombination beider Ergänzungen kommt in Privilegien anderer Päpste des 12. Jahrhunderts ansonsten zwar gelegentlich durchaus vor, wie das unzweifelhaft echte Privileg Lucius’ III. für das Stift Rot vom 22. November 1182 zeigt, in dem derselbe Passus – allerdings dem cursus und stilus curiae entsprechend verändert – enthalten ist98. Weitere Beispiele hierfür 11. Jahrhunderts, Innsbruck 1910, S. 368−390; Hans Hirsch, Untersuchungen zur Geschichte des päpstlichen Schutzes, in: MIÖG 54 (1942) S. 363−433; Willy Szaivert, Die Entstehung und Entwicklung der Klosterexemtion bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts, in: MIÖG 59 (1951) S. 265−298; Heinrich Appelt, Die Anfänge des päpstlichen Schutzes, in: MIÖG 62 (1954) S. 101−111; Josef Semmler, Traditio und Königsschutz. Studien zur Geschichte der königlichen monasteria, in: ZRG KA 45 (1959) S. 1−33, hier S. 23−25; Egon Boshof, Traditio Romana und Papstschutz im 9. Jahrhundert, in: Rechtsgeschichtlich-diplomatische Studien zu frühmittelalterlichen Papsturkunden, hg. von Egon Boshof/Heinz Wolter (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 6) Köln/Wien 1976, S. 1−100; Odilo Engels, Königsschutz und Papstschutz in Katalonien (10.−11. Jahrhundert), in: L’église de France et la Papauté (Xe−XIIIe siècle). Die französische Kirche und das Papsttum (10.−13. Jahrhundert), hg. von Rolf Grosse (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 1) Bonn 1993, S. 392−407, hier S. 400−407; Jochen Johrendt, Papsttum und Landeskirchen im Spiegel der päpstlichen Urkunden (846−1046) (MGH Studien und Texte 33), Hannover 2004, S. 116−167. 96 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]: Eaprop ter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam sanctę dei genitricis Marię et beatę Verenę virginis de Rotha, quę a nobilis memorię matrone et viduę nomine Hemmun et filio eius Chůnone liberis hominibus in proprio allodio suo con structa est et sub unius bizantii censu sacrosanctę Romanę ęcclesię annis singulis persolvendo beato Petro principi apostolorDuGhum oblata, et [!] in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. 97 Vgl. die entsprechenden Einträge im Liber Censuum; Le Liber Censuum de l’Église Romaine I, ed. Paul Fabre/Louis Duchesne (Bibliothèque des Écoles françaises d’Athènes et de Rome II 6) Paris 1910, S. 156b: Ecclesia in Rota I marabutinum; vgl. ebd. S. 246b; Liber Censuum II, ed. Fabre/Duchesne, S. 120a. 98 HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]: Eaprop ter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis recorda tionis Innocentii pape predecessoris nostri vestigiis inherentes prefatam ecclesiam sancte Marie Rothensis, ab bone memorie nobili viro Cunone et Emma genitrice eius in proprio allodio fundatam et per Henricum militem et consanguineum suum pro animarum suarum remedio sub pensione unius bizantii annualiter persolvendo beato Petro oblatam, in qua divino man cipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privile gio communimus.
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sind zudem das Privileg Coelestins II. für das von Pfalzgraf Otto von Wittelsbach gegründete Stift Indersdorf vom 18. Februar 114499 oder das Privileg Alexanders III. für das Stift Quedlinburg vom 30. März 1179100, die jedoch beide im Gegensatz zur Roter Fälschung dem in der päpstlichen Kanzlei gepflegten Sprachstil und den vorgeschriebenen Regeln der Satzmelodie entsprechen. Üblicherweise findet im Zusammenhang mit der Schutzgewährung aber nur die Tradierung an den apostolischen Stuhl ohne Bezugnahme auf den dafür zu entrichtenden Rekognitionszins Erwähnung101. JL 8495 [= Migne PL 179, Sp. 803 Nr. 37; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 350 Nr. 5]: Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et prefatam ecclesiam, que a nobili viro Ottone comite palatino in proprio allodio fundata est et sub censu unius bysantii nobis nostrisque successoribus annualiter persolvendo beato Petro oblata, presentis scripti patrocinio communimus. 100 JL 13352 [= Lünig, Reichsarchiv XVIII (wie Anm. 38) S. 197 Nr. 34; vgl. Jakobs, Germ. Pont. V,2 (wie Anm. 80) S. 318 Nr. 15] (1179 März 30): Quapropter, dilecte in Christo filie, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis memorie Innocentii pape vestigiis inherentes prescriptam ecclesiam, que ab illustris memorie Henrico rege fundata et sub annuo censu unius libre argenti beato Petro oblata, eius specialiter iuris exstit, sub eius dem beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. 101 JL 7456 [= Migne PL 179, Sp. 80 Nr. 33; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 349 Nr. 2] (1131 März 28): Quamobrem, dilecte in domino fili Rudperte preposite, illustris viri Ottonis comitis Palatini precibus inclinati, tuis postulationibus clementer annuimus et beati Petri ecclesiam, cui deo auctore preesse dignosceris, ab eodem filio nostro Ottone comite Palatino constructam et beato Petro oblatam, apostolice sedis patrocinio communimus. JL 7533 [= Migne PL 179, Sp. 119 Nr. 80; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 61 Nr. 1] (1132 Februar 6): Proinde, dilecte in domino fili Hartwice preposite, tuis iustis et rationabilibus postulationibus clementer annuimus et venerabilium fratrum nostrorum Chunradi Saltzburgensis archiepiscopi et Hermanni Augustensis episcopi precibus inclinati ecclesiam sancti Stephani, a Berchtulfo et Ottone comitibus et Sophia et Laurita eorum uxo ribus et filiis per manum illustris viri Degenhardi beato Petro oblatam, cui deo auctore preesse dinosceris, sub beati Petri tutelam et apostolice sedis protectionem suscipimus et presentis scripti patrocinio communimus. JL 7861 [= Migne PL 179, Sp. 339 Nr. 293; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 248 Nr. 2] (1137 November 30): Ideoque, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam sancte dei genitricis Marie beato Petro apostolo oblatam, in qua divino vacatis officio, sub eiusdem apostolorum principis tutelam protectionemque suscipimus et apostolice sedis privilegio communimus. JL 8974 [= Migne PL 180, Sp. 1172 Nr. 140; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 249 Nr. 4] (1146 Dezember 27): Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam beate dei genitricis semperque virginis Marie beato Petro oblatam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub eiusdem apostolorum principis tutelam protectionemque suscipimus et apostolice sedis privilegio communimus. Ludwig SchmitzKallenberg, Ein unbekanntes Privileg des (Gegen-)Papstes Viktor IV., in: Aus Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe Friedrich Philippi zum 14. Juli 1923 gewidmet von seinen Schülern, Amtsgenossen und Freunden, Münster 1923, S. 139–145, hier S. 140; vgl. Jakobs, Germ. Pont. IV (wie Anm. 40) S. 255 Nr. 1 (1162 November–1163 Januar): Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et ecclesiam sancte Marie de 99
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Auffällig ist an der Roter ‚Kopie‘ zudem, dass der Passus über die jährliche Zahlungspflicht des Rekognitionszinses ein zweites Mal im direkten Anschluss an die Sanctio enthalten ist102. Wie einem Schreiben Welfs VI. zu entnehmen ist, welches dieser 1182 im Vorfeld der Erlangung eines Privilegs Lucius’ III.103 verfasste, soll das Stift Rot infolge der Tradierung an den apostolischen Stuhl als päpstliches Eigenstift (Romane dignitatis locum) sowohl durch Innozenz II. als auch durch Eugen III. unter Zahlung des Rekognitionszinses von der Vogtei und jeglicher laikaler Einflussnahme befreit und unter kaiserlichen Schutz gestellt worden sein104. Und auch in dem feierlichen Privileg, das das Stift Rot daraufhin am 22. November 1182 von Lucius III. erhielt, wird ausdrücklich auf ein Innozenzprivileg (und nicht auf die Urkunde Eugens III.) hinsichtlich der Tradierung an den apostolischen Stuhl und der daraus folgenden Verpflichtung zur Zahlung des Rekognistionszinses Bezug genommen105. In der auf den Flanhem per egregii viri Emmichonis comitis liberalitatem et industriam suis sumptibus re edificatam et beato Petro oblatam, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti patrocinio communimus. 102 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]: Ad indi cium autem, quod eadem ęcclesia beati Petri et sanctę Romanę ęcclesię iuris existat, unum bizantium nobis nostrisque successoribus annis singulis persolvetis. Zu den entsprechenden Einträgen im Liber Censuum vgl. oben Anm. 97. 103 Vgl. HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]. 104 HStA Stuttgart, H 14, Bd. 206, f. Cr [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 219 Nr. 430 (zu 1182); Stadelhofer, Historia imperialis I (wie Anm. 1) S. 41 f.; vgl. Feldmann, Welf VI. (wie Anm. 91) Reg. 169 (zu 1181 Mitte September–1182 vor November 22)]: Locum igitur predictorum fratrum, videlicet Rotha, ab antecessoribus vestris episcopis pie memorie Innocencio et Eugenio ab omni advocacia, ab omni denique seculari potestate, excepta sola regali et imperiali Romane dignitatis persona, que sicut Romane dignitatis locum, non alio set simili modo predictum locum Rothe iudicare et in omnibus et contra omnes adversitates fir mare, defendere, eorum subscriptionibus, eorum privilegiis, ymo apostolica auctoritate firma verunt et liberum esse decreverunt, ita dumtaxat, ut singulis annis singulos bizancios predicti fratres a predicto loco persolverent. Dass sowohl Innozenz II. als auch Eugen III. dem Stift die Vogtfreiheit bestätigt hatten, lässt sich aus diesem Schreiben nicht einwandfrei schlussfolgern, da es unter dem Eindruck der Usurpation der Vogteirechte durch Heinrich den Löwen und seine Anhänger auf Betreiben des Stifts Rot entstand und dem Erhalt des feierlichen Privilegs Lucius’ III. vom 22. November 1182 diente; vgl. dazu unten bei Anm. 113−117. 105 HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]: Eaprop ter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis recorda tionis Innocentii pape predecessoris nostri vestigiis inherentes prefatam ecclesiam sancte Marie Rothensis, ab bone memorie nobili viro Cunone et Emma genitrice eius in proprio allodio
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15. Dezember 1152 datierten Fälschung findet eine etwaige Vorurkunde Innozenz’ II. hingegen keinerlei Erwähnung, obwohl dies gerade in Bezug auf die dem apostolischen Stuhl tradierten päpstlichen Eigenstifte auch in Privilegien Eugens III. üblich war106. Zu vermuten ist daher, dass der fundatam et per Henricum militem et consanguineum suum pro animarum suarum remedio sub pensione unius bizantii annualiter persolvendo beato Petro oblatam, in qua divino man cipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privi legio communimus. 106 JL 8791 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 72 Nr. 69; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 266 Nr. 3] (1145 November 17): Huius rei gratia, dilecti in domino filii, predecessorum nostrorum felicis memorię Celestini et Lucii Romanorum pontificum vestigiis inherentes, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et prefatum beati Lau rentii monasterium, in quo divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protec tione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Turin. Bericht über die Forschungen von L. Schiaparelli, in: Nachrichten Göttingen 1901, S. 57−115, hier S. 94 Nr. 10; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 237 Nr. 5; JL – (1145 Dezember 31): Hoc profecto intuitu rationis, dilecti in domino filii, predecessorum no strorum felicis memorie Alexandri, Gregorii et Innocentii Romanorum pontificum vestigiis inhęrentes, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et pręfatam beatę dei genetricis semperque virginis Marie ecclesiam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. JL 8864 [= Migne PL 180, Sp. 1107 Nr. 83; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 225 Nr. 5] (1146 Februar 23): Eapropter, dilecti in domino filii, predecessoris nostri felicis memorie pape Innocentii vestigiis inherentes, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et prefatam beati Martini ecclesiam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra pro tectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. JL 8869 [= Migne PL 180, Sp. 1111 Nr. 85; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 421 Nr. 4] (1146 Februar 25): Eapropter, dilecti in domino filii, predecessoris nostri felicis memorie pape Innocentii vestigiis inherentes, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et prefatam ecclesiam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. JL 8911 [= Pierre Théodore Grasilier, Cartulaire de l’abbaye royale de Notre-Dame de Saintes de l’ordre de Saint-Benoît, Niort 1871, S. 14 Nr. 8; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 20] (1146 April 24): Eapropter, dilecte in domino filie, predecessoris nostri felicis memorie pape Inno centii vestigiis inherentes, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et beate dei geni tricis semperque virginis Marie monasterium, in quo divino mancipate estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presentis scripti privilegio communimus. Vgl. so auch JL 8743 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 66 Nr. 65; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 371 Nr. 2] (1145 April 29); JL 8747 [= Migne PL 180, Sp. 1034 Nr. 20; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 346 Nr. 5] (1145 April 30); Johannes Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (Belgien, Luxemburg, Holland und Französisch-Flandern) (Abh. Göttingen, Dritte Folge Nr. 8/9), Berlin 1933−34, S. 164 Nr. 52 [vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 328 Nr. 6; JL –] (1145 Mai 3); JL 8757 = JL 8758 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 69 Nr. 67; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 35 Nr. 4] (1145 Mai 12); JL 8785 [= Migne PL 180, Sp. 1057 Nr. 41; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 62 Nr. 9] (1145 Oktober 9); JL 9087 [= Migne PL 180, Sp. 1247 Nr. 198; vgl. Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie
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Kompilator vor Ausfertigung des Schreibens Welfs VI. tätig wurde; wohlmöglich fertigte man im Stift Rot die Fälschung sogar an, um vom Welfen die benötigte Unterstützung zu erhalten. In dieselbe Zeit weist die Tatsache, dass die gesamte, 68 Besitztitel umfassende Pertinenzliste eine Kompilation des Fälschers darstellt107 und auch die Bestätigung des Schutzes vor Eingriffen eines Vogtes interpoliert wurde108. Völlig frei stilisiert ist zudem der sich an die abermalige Bestimmung zur Entrichtung des Byzantius für die Gewährung des besonderen päpstlichen Schutzes anschließende Passus, in dem Bischöfen, Priestern und allen anderen mit geistlichen Waffen Ausgestatteten befohlen wird, das Stift Rot und dessen Konvent vor Bösewichten, die vom Feuer der Missgunst und des Hasses gegen das Stift Rot entbrannt seien und diesem Gewalt zufügen würden, mittels kirchlicher Strafmaßnahmen und – sofern dies nichts bewirke – durch Klage beim apostolischen Stuhl zu helfen109. Schon die Verwendung des Verbs mandare in Verbindung mit der Anm. 32) S. 357 Nr. 253] (1147 Juni 24); JL 9143a [= Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 197 Nr. 68) (1147 August 2); Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 47 Nr. 18] (1150 März 12); JL 9375 [= Paul Fridolin Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens VII, in: Nachrichten Göttingen 1912, 415−480, hier S. 429 Nr. 8; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 209 Nr. 1] (1150 März 15); JL 9442 [= Migne PL 180, Sp. 1444 Nr. 420; vgl. Kehr, It. Pont. IV (wie Anm. 24) S. 273 Nr. 3] (1151 Januar 24); Paul Fridolin Kehr, Über die Papsturkunden für S. Maria de Valle Josaphat, in: Nachrichten Göttingen 1899, S. 283−368, hier S. 365 Nr. 5 [= Hiestand, Vorarbeiten Oriens Pontificius III (wie Anm. 35) S. 199 Nr. 66; JL −] (1151 März 31); JL 9474 [= Kehr, Nachträge Papsturkunden in Italien VI (wie Anm. 50) S. 346 Nr. 11; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 152 Nr. 2] (1151 April 21); JL 9476 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 102 Nr. 101; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 24 Nr. 11] (1151 Mai 2); JL 9488 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 105 Nr. 103; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 340 Nr. 44] (1151 Juni 13); JL 9572 [= Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 112 Nr. 108; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 228 Nr. 4] (1152 Mai 13). 107 Vgl. dazu Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 175−179. 108 Vgl. dazu Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 179−182. 109 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]: Deinde omnibus apostolicis viris iugum nostrum in vice Christi nobiscum portantibus, videlicet epi scopis, presbiteris, membris Christi et spiritualibus armis accinctis apostolicam benedictionem mandamus et in vera Christi caritate rogamus et precipimus, ut, ubicumque predicta ecclesia, predicti fratres Rothenses ad sanctam Romanam ęcclesiam pertinentes vestrę indiguerint sub ventioni, spiritualibus armis vestris perversos homines invidię et odii fomite adversus eos in flammatos et vim arcioris potestatis sibi inferentes in vice nostra immo omnipotentis dei du rius increpando, excommunicando, anathemathizando sicut vobismet ipsis subveniatis et ad sedem apostolicam, nisi forte communi consensu et rogatu fratrum, si ita expedit, subveniatur, severissime compellantur.
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
85
Erteilung des apostolischen Segens (apostolicam benedictionem manda mus) ist in Papstprivilegien nicht üblich. Hinzu kommt der für die normalerweise hohe Stilkunst in päpstlichen Urkunden höchst ungewöhnliche und unschöne Subjektwechsel. Diese Eigenschöpfungen des Fälschers setzen sich in der Comminatio fort, in der in das korrekte und feststehende Formular für feierliche Privilegien110 zwei Zusätze eingefügt wurden. Unter Strafe gestellt werden ausdrücklich Hinterlist und Gewalt sowie die Anmaßung vogteilicher Rechte, die ausschließlich einer vom König eingesetzten Person (excepta sola regali persona) zustünden; ganz konkret wird dabei auf die Entfremdung von Gütern, das Zufügen von Gewaltverbrechen gegen das Stift selbst oder dessen Besitzungen, Ortschaften und Landgüter sowie die Abgabenforderung von zur stiftischen familia gehörenden Personen hingewiesen. Sollte sich einer der Übeltäter tatsächlich verstockt zeigen, ziehe dies unweigerlich den Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gläubigen bis zum Lebensende, ein Eselsbegräbnis111 und die Vergeltung im Jüngsten Gericht nach sich112. 110 Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen (wie Anm. 84) S. 232 Nr. 3 Abs. 24: Si qua igitur in fu turum ecclesiastica secularisve persona hanc nostre constitutionis paginam sciens contra eam temere venire temptaverit, secundo tertiove commonita, nisi reatum suum congrua satis factione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se iudicio divino exis tere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine dei et domini redemptoris nostri Iesu Christi aliena fiat. 111 Vgl. Jeremias 22,19: Sepultura asini sepelietur putrefactus et proiectus extra portas Hie rusalem (Er soll wie ein Esel begraben werden, fortgeschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems). Vgl. dazu Nikolaus Kyll, Die Bestattung der Toten mit dem Gesicht nach unten, in: Trierer Zeitschrift für Kunst und Geschichte des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete 27 (1964) S. 168−183. 112 HStA Stuttgart, B 486, U. 769 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 69 Nr. 342; vgl. JL † 9618; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 378 Nr. † 12]: Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisve persona hanc nostrę constitutionis paginam sciens contra eam temere venire temptaverit, secundo terciove commonita, nisi reatum suum congrua satisfactione correxerit, potestatis honorisque sui dignitate careat reamque se iudicio divino existere de perpetrata iniquitate cognoscat et a sacratissimo corpore ac sanguine dei et domini redemptoris nostri Iesu Christi aliena fiat.
86
Stefan Petersen
5. Der Anlass der Fälschung JL † 9618 Aufgrund dieser Interpolationen lassen sich die Hintergründe erahnen, die das Stift Rot 1181/82 zur Anfertigung der Fälschung veranlassten. Anfang 1179, unmittelbar bevor Friedrich Barbarossa das Stift Rot in Schutz nahm113, hatte Welf VI. dem Kaiser seine Eigengüter überlassen, welche er zuvor seinem Neffen Heinrich dem Löwen zugesagt hatte114; nach Bur chard von Ursberg soll sich Heinrich der Löwe daraufhin mit den Grafen von Veringen und den Zollern gegen Barbarossa verschworen haben115. Dass gerade diese beiden schwäbischen Grafen in der Folgezeit für Aufruhr sorgten, zeigt eine Urkunde des Kaisers, in der dieser dem Grafen Manegold von Veringen befahl, das Kloster Schaffhausen nicht weiter zu beeinträchtigen116. Von dieser conspiratio wurde – so zeigt die Fälschung – auch das Stift Rot heimgesucht; die Verbündeten Heinrichs des Löwen unternahmen dabei nicht nur den Versuch, die Vogteirechte an sich zu reißen, sondern zerstörten das Stift und dessen Besitzungen117. Diesen Angriffen auf die stiftische Freiheit entgegenzuwirken, galt das zentrale Interesse der Fälschung, deshalb wurden sämtliche Besitzungen aufgelistet und deshalb wurde auch überdeutlich die unberechtigte Anmaßung von Vogteirechten angeprangert. Tatsächlich wurde die Fälschung kurz nach ihrer Anfertigung an der Kurie als Rechtsbeweis vorgelegt, um ein Privileg Lucius’ III. zu erwirken118. Flankierend stellte Welf VI. dem Stift ein Begleitschreiben aus, in dem dessen äußerst schwierige Lage infolge von Brand und Verwüstung MGH D F.I. 772. Vgl. Feldmann, Welf VI. (wie Anm. 91) S. 86−88. 115 Burchard von Ursberg, Chronicon, ed. Oswald Holder-Egger/Bernhard von Simson, MGH SS rer. Germ. in us. schol. 16 (1916), S. 54 (zu 1178): Tandem veniens in Alaman niam prefatum ducem de traditione et crimine lese maiestatis impetivit. Dux siquidem ipsum preveniens in Suevia fecerat conspirationem contra imperatorem, precipue cum Zolrensibus et Veringensibus et quibusdam aliis comitibus. Vgl. dazu Carl Erdmann, Der Prozeß Heinrichs des Löwen, in: Kaisertum und Herzogsgewalt im Zeitalter Friedrichs I. Studien zur politischen und Verfassungsgeschichte des hohen Mittelalters, hg. von Theodor Mayer/ Konrad Heilig/Carl Erdmann (MGH Schriften 9), Leipzig 1944, S. 273−364, hier S. 317 f.; Joseph Kerkhoff, Die Grafen von Altshausen-Veringen. Die Ausbildung der Familie zum Adelsgeschlecht und der Aufbau ihrer Herrschaft im 11. und 12. Jahrhundert, Phil. Diss. Freiburg/Br. 1964, S. 98 f. 116 MGH D F.I. 783. 117 Vgl. oben bei Anm. 115. 118 Dass die Fälschung als Rechtsbeweis diente, ergibt sich zwingend aus der identischen Pertinenzliste; vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 175−178. 113 114
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
87
ausdrücklich hervorgehoben wird; da er aufgrund seiner Gebrechlichkeit nicht selbst mit an die Kurie reisen könne, bat der Welfe schriftlich um Erneuerung der Privilegien119. Unter Vorlage der Fälschung und mit Hilfe des Begleitschreibens erhielt Rot daraufhin am 22. November 1182 das gewünschte Privileg120. Anders als die Fälschung orientiert sich dieses echte Privileg jedoch – mit Ausnahme des erweiterten Passus über die Aufnahme in den päpstlichen Schutz121 – strikt an dem zu dieser Zeit fast vollständig ausgebildeten Formular für feierliche Privilegien122. Dementsprechend wird die Augustinerregel mit den prämonstratensischen Gewohnheiten, die Befreiung von Neubruchzehnten und Zehnten für Tierfutter, das Aufnahmerecht von Konversen, das Gebot der stabilitas loci für die Kanoniker, die Vogtfreiheit, das Sepulturrecht vorbehaltlich konkurrierender Pfarrrechte, die freie Abtswahl und die Zahlungspflicht des Byzantius als Rekognitionszins für die Aufnahme in den besonderen päpstlichen Schutz bestätigt. Sämtliche in der Fälschung enthaltenen Interpolationen wurden also außer Acht gelassen. Die päpstliche Kanzlei hielt sich demnach für die bereits Ende des 12. Jahrhunderts weitgehend standardisierten Rechtsbestätigungen nicht an die vom Empfänger vorgelegte Urkunde, sondern an kanzleiinterne Formularbehelfe. Im Gegensatz dazu wurde die HStA Stuttgart, H 14, Bd. 206, f. Cr [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 219 Nr. 430 (zu 1182); Stadelhofer, Historia imperialis I (wie Anm. 1) S. 41 f.; vgl. Feldmann, Welf VI. (wie Anm. 91) Reg. 169 (zu 1181 Mitte September – 1182 vor November 22)]: Ecce veritatem rerum et eventuum paternitati vestre patefecimus eo et ut nobis est possibile fidu cialius dei et vestram clemenciam humiliter imploramus, ut, sicut in hac mortali nostra pere grinatione prima principalis immo eminentissima in vice domini estis persona, ita et in vice ipsius hec omnia reintegrare, renovare et apostolica auctoritate, ut vestre dignitati congruit, firmare curetis, et ut vere in Christo nati et educati filii vestri veram etiam in Christo pater nam compassionem comprobantes miserie et inopie eorum, sicut inspirante deo peroportune potestis, in omnibus ubique subveniatis et specialiter etiam regali et Romane dignitatis per sone et ceteris dignitatibus in spiritualibus, secularibus, insuper omnibus deum colentibus commendatitiis literis vestris attencius, ut commendetis, rogamus. 120 HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]. 121 HStA Stuttgart, B 486, U. 772 [= Wirtembergisches UB II (wie Anm. 2) S. 224 Nr. 434; vgl. JL 14701; Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 390 f. Nr. 16]: [...] Eapropter, dilecti in domino filii, vestris iustis postulationibus clementer annuimus et felicis recordationis Innocentii pape predecessoris nostri vestigiis inherentes prefatam ecclesiam sancte Marie Rothensis, ab bone memorie nobili viro Cunone et Emma genitrice eius in pro prio allodio fundatam et per Henricum militem et consanguineum suum pro animarum suarum remedio sub pensione unius bizantii annualiter persolvendo beato Petro oblatam, in qua divino mancipati estis obsequio, sub beati Petri et nostra protectione suscipimus et presen tis scripti privilegio communimus. 122 Vgl. Tangl, Kanzleiordnungen (wie Anm. 84) S. 233 f. Nr. 3. 119
88
Stefan Petersen
Fälschung aber für die Pertinenzen, also für den empfängerspezifischen Teil des Privilegs, durchaus als direkte Vorlage verwandt; es lassen sich zwar auch hier stilistische Straffungen durch die kuriale Kanzlei feststellen, im Umfang und in der Reihenfolge der einzelnen Besitzungen wurden jedoch keinerlei Änderungen vorgenommen123. Die Anfertigung der als ‚Kopie‘ getarnten Fälschung hatte damit zum erwünschten Ziel geführt: Nach der Vernichtung des stiftischen Urkundenbestandes im Zuge der Auseinandersetzungen der Jahre 1179/81 besaß Rot nun wieder eine echte Papsturkunde, in der die zentralen Rechte des Stifts und dessen gesamten Besitzungen bestätigt wurden und die man zukünftig als Rechtsbeweis verwenden konnte. Die Krise des Stifts Rot war damit zumindest im Hinblick auf den Verlust der älteren Urkunden überwunden.
Anh. I: Die Kardinalsunterschriften für das Jahr 1146 In der folgenden Zusammenstellung wurden alle Privilegien mit Subskriptionen von Kardinälen zwischen dem 6. November 1145 (erste Unterschrift der Kardinalbischöfe Alberich von Ostia und Imar von Tusculum nach der Besteigung des Stuhls Petri durch Eugen III.) und dem 17. Dezember 1146 (erste Unterfertigung eines Privilegs durch Guido de Vico als Kanzler) bzw. 23. Dezember 1146 (erste Subskription von KP Gregor von S. Maria in Trastevere nach seiner Abwesenheit von der Kurie seit 24. März 1146) aufgenommen; die das Roter Privileg subskribierenden Kardinäle sowie die Kanzler sind fett markiert, im Anschluss daran folgen die übrigen, zwischen November 1145 und Dezember 1146 subskribierenden Kardinäle. Für vielfältige Hinweise danke ich Prof. Dr. Rudolf Hiestand und Dr. Daniel Berger (Forschungsstelle „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“, Göttingen).
Vgl. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 1) S. 175−179, 185.
123
1145 Dez. 13 (2)
1145 Dez. 13 (1)
1145 Dez. 7
1145 Dez. 5
1145 Dez.
1145 Nov. 18 (2)
1145 Nov. 18 (1)
1145 Nov. 17
1145 Nov. 12
1145 Nov. 7
1145 Nov. 6
1145 Dez. 14
89
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
KB Conradus von Sabina
X X X
KB Alberich von Ostia
X X X X X X X X
X X X
KB Imar von Tusculum
X X
X X X
KP Gilbert von S. Marco
X X X X
X
KP Hubaldus von S. Prassede
X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere
X X X
KP Guido von S. Grisogono
X X X
KP Jordanus von S. Susanna KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X X X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
X X
X
X X X
X X
X
X
KD Johannes von S. Maria Nuova KD Petrus von S. Maria in Via Lata Robert Pullus (Kanzler)
X
X
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) KP Aribert von S. Anastasia
X
X
KP Bernard von S. Clemente KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X X X
X X X X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme KP Julius von S. Marcello
X X
X X X
X X
X X X X X X
X X
X
KP Manfred von S. Sabina
X X
1145 Dez. 14
1145 Dez. 13 (2)
X
X X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio
X
X X X
X X X X
X
X X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco X X
X
X
X
X
X X
X X
KD Guido (s. Romane ecclesie)
X
KD Guido von S. Maria in Porticu KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
1145 Dez. 13 (1)
X X X X
KP Rainer von S. Prisca
KD Gregor von S. Angelo
1145 Dez. 7
1145 Dez. 5
X
KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
KD Astaldus von S. Eustachio
1145 Dez.
1145 Nov. 18 (2)
1145 Nov. 18 (1)
1145 Nov. 17
1145 Nov. 12
1145 Nov. 7
Stefan Petersen
1145 Nov. 6
90
X X
X
X X X X X
KD Johannes Paparo von S. Adriano X
KD Jordanus (s. Romane ecclesie)
X X X
X
X
KB Conradus von Sabina
X X
KB Alberich von Ostia
X X X X X X X X
KB Imar von Tusculum
X X
1146 Januar 3
1145 Dez. 31
1145 Dez. 30 (2)
X X
X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere
X
X X X X
KP Hubaldus von S. Prassede
X X X
X X X X X X X
X
X
KP Jordanus von S. Susanna KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X
X X X
KP Gilbert von S. Marco
KP Guido von S. Grisogono
1145 Dez. 30 (1)
1145 (Dez. 24) (2)
1145 Dez. 24 (1)
1145 Dez. 21
1145 Dez. 16–18
1145 Dez. 16 (3)
1145 Dez. 16 (2)
1145 Dez. 16 (1)
1146 Dez. 15
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X X X X X
X
X X
X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X
X
X X X X
1145 Dez. 31
1145 Dez. 30 (2)
1145 Dez. 30 (1)
1145 (Dez. 24) (2)
1145 Dez. 24 (1)
1145 Dez. 21
1145 Dez. 16–18
1145 Dez. 16 (3)
1145 Dez. 16 (2)
1145 Dez. 16 (1)
1146 Dez. 15 KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X X
1146 Januar 3
91
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X
X X X X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X X
KD Johannes von S. Maria Nuova KD Petrus von S. Maria in Via Lata Robert Pullus (Kanzler)
X X
X
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) KP Aribert von S. Anastasia
X X
X X X X X X
KP Bernard von S. Clemente KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X X
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris
X X X X X
X X X X X
KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X
KP Julius von S. Marcello
X
X
X X X
X X X
X X
KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
X
KP Rainer von S. Prisca
X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio
X
X X
X X X X X X X X X
KD Astaldus von S. Eustachio KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco
X
X
X
X
KD Gregor von S. Angelo
X X X
KD Guido (s. Romane ecclesie) X X X
KD Guido von S. Maria in Porticu KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
X
KD Johannes Paparo von S. Adriano
X X
KD Jordanus (s. Romane ecclesie)
X
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X
X X X X
X
X X X X X
X
X X
KB Conradus von Sabina
X X X
KB Imar von Tusculum
X
KP Gilbert von S. Marco
X
KP Hubaldus von S. Prassede
X X X X X X X X X X X X X
X X X X X X X X X X X X X
X X X
X
X X
X X
X X X
X X
X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X X X X X X X X
X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X
X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
1146 Januar 28
1146 Januar 21
1146 Januar 20
1146 Januar 19 (2)
1146 Januar 19 (1)
1146 Januar 24
X
X X X X
KP Guido von S. Grisogono
KP Jordanus von S. Susanna
1146 Januar 17
X X X X X X X X X X
KB Alberich von Ostia
KP Gregor von S. Maria in Trastevere
1146 Januar 15
1146 Januar 9 (2)
1146 Januar 9 (1)
1146 Januar 8
Stefan Petersen
1146 Januar 4
92
X X X X
X X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
X
X
X
X
X
X
KD Johannes von S. Maria Nuova KD Petrus von S. Maria in Via Lata Robert Pullus (Kanzler)
X X X
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) KP Aribert von S. Anastasia KP Bernard von S. Clemente
X
X
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X
X
X
X
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X
X X
KP Julius von S. Marcello KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme KP Rainer von S. Prisca
X X
X
X X X X X
X
X
X
KD Astaldus von S. Eustachio
X X X
X X X
1146 Januar 24
1146 Januar 21
1146 Januar 20
1146 Januar 19 (2)
1146 Januar 19 (1)
1146 Januar 17
1146 Januar 15
1146 Januar 9 (2)
1146 Januar 9 (1)
1146 Januar 8
1146 Januar 4 KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio
1146 Januar 28
93
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X X
X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco X X X X X
KD Gregor von S. Angelo
X
X
X
X
X X X
KD Guido (s. Romane ecclesie) KD Guido von S. Maria in Porticu
X X X
KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
X X X X X
KD Johannes Paparo von S. Adriano
X X
KB Conradus von Sabina
X
1146 Febr. 23
1146 Febr. 20 (2)
1146 Febr. 20 (1)
1146 Febr. 15
1146 Febr. 9
1146 Febr. 7
1146 Febr. 5 (3)
1146 Febr. 5 (2)
1146 Febr. 5 (1)
X X X X X X X X X X
KB Alberich von Ostia KB Imar von Tusculum
1146 Febr. 1
1146 Januar 30
1146 Januar 29
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X X X X X X X X X X X
X X X X X X X X
KP Gilbert von S. Marco KP Hubaldus von S. Prassede
X
X X X
X
X
X
X X X
X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere
X X
X X X X X X X
X
KP Guido von S. Grisogono
X
X X X X X X X
X
KP Jordanus von S. Susanna
X
X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano KD Guido von SS. Cosma e Damiano KD Oddo von S. Giorgio in Velabro KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
X X
X
X X X
X
X X X X X X X
X X
X X X X X X X X X X X X X
X X X
X
KD Johannes von S. Maria Nuova
X X
1146 Febr. 23
1146 Febr. 20 (2)
1146 Febr. 20 (1)
1146 Febr. 15
1146 Febr. 9
1146 Febr. 7
1146 Febr. 5 (3)
1146 Febr. 5 (2)
1146 Febr. 5 (1)
1146 Febr. 1
1146 Januar 30
Stefan Petersen
1146 Januar 29
94
X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata
X
X X X X
Robert Pullus (Kanzler)
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) X
KP Aribert von S. Anastasia KP Bernard von S. Clemente
X
X X
X X X X
X
X X X X X X X X
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X X
X
X X X
X X
KP Julius von S. Marcello KP Manfred von S. Sabina
X
KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
X
KP Rainer von S. Prisca
X X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio
X X X X
KD Astaldus von S. Eustachio
X X X X X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco KD Gregor von S. Angelo
X
X X
X X X
X
X
X
KD Guido (s. Romane ecclesie) X
KD Guido von S. Maria in Porticu KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin KD Johannes Paparo von S. Adriano KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X
X
X X
X X
X X X X X X X X
KB Alberich von Ostia
X
X X X
KB Imar von Tusculum
X X
X
1146 März 16
1146 März 15 (2)
1146 März 15 (1)
1146 März 11
1146 März 8
1146 Febr. 28
1146 Febr. 26 (2)
1146 Febr. 26 (1)
1146 Febr. 25 (2)
1146 Febr. 25 (1)
1146 Febr. 24 KB Conradus von Sabina
1146 März 24
95
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X X X
X X
X
X
KP Gilbert von S. Marco KP Hubaldus von S. Prassede KP Gregor von S. Maria in Trastevere
X X X
KP Guido von S. Grisogono KP Jordanus von S. Susanna
X
X
X X X X X X X X X
X X
X
X
X
X X
X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X
X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X
X X
X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X X
X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
X
X
X
X X X
KD Johannes von S. Maria Nuova
X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata Robert Pullus (Kanzler)
X
X
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) X X
KP Aribert von S. Anastasia KP Bernard von S. Clemente
X
X X X X
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X
X X
X
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris X
KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X X
X X
KP Julius von S. Marcello X
KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
X
X
X X X
X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio X
1146 März 24
1146 März 16
1146 März 15 (2)
X X
X X
X
X X X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco KD Gregor von S. Angelo
1146 März 15 (1)
X X X X
KP Rainer von S. Prisca
KD Astaldus von S. Eustachio
1146 März 11
1146 März 8
1146 Febr. 28
1146 Febr. 26 (2)
1146 Febr. 26 (1)
1146 Febr. 25 (2)
1146 Febr. 25 (1)
Stefan Petersen
1146 Febr. 24
96
X X
X
X X X
X
KD Guido (s. Romane ecclesie) X
KD Guido von S. Maria in Porticu
X
X
KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
X
KD Johannes Paparo von S. Adriano
KB Conradus von Sabina
X
X
KB Alberich von Ostia
1146 April 28
1146 April 24 (3)
1146 April 24 (2)
1146 April 24 (1)
1146 April 17
1146 April 16
1146 April 15 (2)
1146 April 15 (1)
1146 April 13
1146 April 11
1146 März 29
1146 März 26
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X X
X
X X X
KB Imar von Tusculum
X
X
KP Gilbert von S. Marco
X
X X X
KP Hubaldus von S. Prassede
X X X X X X X
X X X X X
X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere KP Guido von S. Grisogono KP Jordanus von S. Susanna
X X
X X X
X
X X X X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X X
X X X X X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X X X X X X
X
X X X X X X
X
X X X X X X X
1146 April 24 (3)
1146 April 24 (2)
1146 April 24 (1)
1146 April 17
1146 April 16
1146 April 15 (2)
1146 April 15 (1)
1146 April 13
1146 April 11
1146 März 29
1146 März 26 KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
1146 April 28
97
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X X
KD Johannes von S. Maria Nuova
X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata
X
Robert Pullus (Kanzler)
X X X X X X X X X X X X
X X
X
X
X X
X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) KP Aribert von S. Anastasia
X X
X
X X X
KP Bernard von S. Clemente KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X
X X X X
X X X
X X X X X X X X
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X
X
X
X
KP Julius von S. Marcello X X X X X X X
KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
X X X
KP Rainer von S. Prisca
X
X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio KD Astaldus von S. Eustachio X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco KD Gregor von S. Angelo KD Guido (s. Romane ecclesie) KD Guido von S. Maria in Porticu KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin KD Johannes Paparo von S. Adriano KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X
X X
X
X
X X X X
X X
X
X
KB Conradus von Sabina
X
X
1146 Mai 27 (3)
1146 Mai 27 (2)
1146 Mai 27 (1)
1146 Mai 25
1146 Mai 23
1146 Mai 15
1146 Mai 7
1146 Mai 5
1146 Mai 4 (2)
1146 Mai 4 (1)
1146 Mai 1
Stefan Petersen
1146 April/Mai
98
X X X X X X
KB Alberich von Ostia
X X X X X X
X X X
KB Imar von Tusculum
X
X X X
X
X X
KP Gilbert von S. Marco KP Hubaldus von S. Prassede
X X
X
X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere KP Guido von S. Grisogono KP Jordanus von S. Susanna
X
X
X
X X X X X X X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X
X X X X X X X X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X X X
X
X X X
X X X X
X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie) KD Johannes von S. Maria Nuova
X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata Robert Pullus (Kanzler)
X X X X X
X X
X X X X X X X X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida) KP Aribert von S. Anastasia
X
X
X
X
KP Bernard von S. Clemente X
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X
X X X
X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X
X X X
X X X X
X X X
KP Julius von S. Marcello KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme
X X
X
X X X
KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio
1146 Mai 27 (2)
1146 Mai 27 (1)
1146 Mai 25
1146 Mai 23
1146 Mai 15
1146 Mai 7
1146 Mai 5
1146 Mai 4 (2)
1146 Mai 4 (1)
1146 Mai 1
1146 April/Mai
X X X
KP Rainer von S. Prisca
1146 Mai 27 (3)
99
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X
X X
X X X X
KD Astaldus von S. Eustachio KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco
X X
KD Gregor von S. Angelo
X
X X
X
KD Guido (s. Romane ecclesie) X
KD Guido von S. Maria in Porticu
X
KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin KD Johannes Paparo von S. Adriano
X X X X
KB Alberich von Ostia
X X X X
KB Imar von Tusculum
X
KP Gilbert von S. Marco KP Hubaldus von S. Prassede
1146 Okt. 25 (1)
1146 Sept. 22 (2)
1146 Sept. 22 (1)
1146 Sept. 18
1146 Sept. 2
1146 Juli 24 (2)
1146 Juli 24 (1)
1146 Juli 13
1146 Juli 2
1146 Juni 6
1146 Mai 29 KB Conradus von Sabina
1146 Sept. 17
X
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X X
X
X X X
X X X X X X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere KP Guido von S. Grisogono
X X X X X X X X X X X X
KP Jordanus von S. Susanna
X X X X X X X X X X X X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X X X X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X X
X
X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X X
X
X X X X X X
X
X X X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
KD Johannes von S. Maria Nuova
X
X
X X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata
X X X X
X X X X
Robert Pullus (Kanzler)
X X X X
X X
Baro (Kanzler)
X X
X X X X X X X
KP Aribert von S. Anastasia
X X
X
X
KP Bernard von S. Clemente
X
X
X
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X X
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris
X X
KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo
X X
KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme
X X
X
X X X
X X X X
X
X X
X X
KP Julius von S. Marcello X X
KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme KP Rainer von S. Prisca KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio KD Astaldus von S. Eustachio
X
KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco
X X X X X
KD Gregor von S. Angelo
X X
X
KD Guido (s. Romane ecclesie) X X
X
KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
X X
X
KD Johannes Paparo von S. Adriano
X
X
KD Guido von S. Maria in Porticu
KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
1146 Okt. 25 (1)
1146 Sept. 22 (2)
X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida)
KP Manfred von S. Sabina
1146 Sept. 22 (1)
1146 Sept. 18
1146 Sept. 17
1146 Sept. 2
1146 Juli 24 (2)
1146 Juli 24 (1)
1146 Juli 13
1146 Juli 2
1146 Juni 6
Stefan Petersen
1146 Mai 29
100
X
X
X X
X
X X
1146 Dez. 23 (3)
1146 Dez. 23 (2)
1146 Dez. 23 (1)
1146 Dez. 17
1146 Dez. 10
1146 Dez. 9
1146 Dez. 7
1146 Dez. 4
1146 Nov. 17
1146 Nov. 13
1146 Nov. 11
1146 Okt. 25 (2) KB Conradus von Sabina
X
KB Alberich von Ostia
1146 Dez. 23 (4)
101
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
X
X X X X X X X X
KB Imar von Tusculum
X X X X X X X X X
KP Gilbert von S. Marco KP Hubaldus von S. Prassede
X X X X
KP Gregor von S. Maria in Trastevere
X X X X
KP Guido von S. Grisogono
X X X X X X X X X X X X X
KP Jordanus von S. Susanna
X
KD Octavian von S. Nicola in Carcere Tulliano
X X X
X
X X X X X X
KD Guido von SS. Cosma e Damiano
X X X X
KD Oddo von S. Giorgio in Velabro
X X X
X X X X
X X
KD Berardus (s. Romane ecclesie)
X
KD Johannes von S. Maria Nuova
X
KD Petrus von S. Maria in Via Lata Baro (Kanzler)
X
X X
X X X X X
KB Dietwin von Porto und S. Rufina (Silva Candida)
X X X X X
KP Aribert von S. Anastasia
X
KP Bernard von S. Clemente
KP Guido von S. Pudenziana tit. Pastoris
X
X X X X X X X X
Kanzler KD Guido von SS. Cosma e Damiano
KP Guido von S. Lorenzo in Damaso
X X
X
X X X
X X X X X X X X X
X X X
X
X X X
X X
X
X X
KP Hubaldus von SS. Giovanni e Paolo
X
1146 Dez. 23 (4)
1146 Dez. 23 (3)
1146 Dez. 23 (2)
1146 Dez. 23 (1)
1146 Dez. 17
1146 Dez. 10
1146 Dez. 9
1146 Dez. 7
1146 Dez. 4
X
KP Hubald von S. Croce in Gerusalemme KP Julius von S. Marcello
1146 Nov. 17
1146 Nov. 13
1146 Nov. 11
Stefan Petersen
1146 Okt. 25 (2)
102
X
X
X
X
X X X X
KP Manfred von S. Sabina KP Nicolaus von S. Ciriaco alle Terme KP Rainer von S. Prisca KP Villanus von S. Stefano al Monte Celio X
KD Astaldus von S. Eustachio KD Cinthius von SS. Sergio e Bacco KD Gregor von S. Angelo
X X
X
X
X X X X
KD Guido (s. Romane ecclesie) KD Guido von S. Maria in Porticu
X
KD Iacinthius von S. Maria in Cosmedin
X
KD Johannes Paparo von S. Adriano KD Rodulfus von S. Lucia in Septasolio
X
X X
X
X
X
X
X
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
103
Anh. II: Belege zu den Privilegien mit Subskriptionen zwischen 1145 November 6 und 1146 Dezember 23 1145 November 6: Guillaume, Deux bulles inédites (wie Anm. 54) S. 85; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich III (wie Anm. 53) S. 14 u. Anm. 7; JL – 1145 November 7: Kehr, Nachträge Papsturkunden in Italien VI (wie Anm. 50) S. 343 Nr. 9; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 72 Nr. 1; JL – 1145 November 12: Henri Lacaille, Bulles des Papes Innocent II et Eugène III pour l’abbaye de Savigny (1140−1145), in: BECh 57 (1896), S. 219 Nr. 2 [zu Nov. 14]; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich III (wie Anm. 53) S. 13 Nr. 5; JL – 1145 November 17: Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 72 Nr. 69; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 266 Nr. 3; JL 8791 1145 November 18 (1): Quantin, Cartulaire Général de l’Yonne I (wie Anm. 78) S. 397 Nr. 248 [zu 1145]; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 7 und Anm. 3; Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 78) S. 24 mit Anm. 6; JL – 1145 November 18 (2): Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 177 Nr. 198 [KP Villelmus v. S. Stefano al Monte Celio statt Villanus]; Raymond Dubois, Prieuré de Lucheux et Prévôté de Gros-Tison. Cartulaire factice, Paris 1936, S. 173 Nr. 6; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 181 Nr. 11 [Fälschung]; JL 8792 1145 Dezember: Migne PL 180, Sp. 1074 Nr. 54 [KB Ismarus v. Tusculum statt Imarus; KP Willelmus v. S. Stefano al Monte Celio statt Villanus]; vgl. Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 4 (wie Anm. 32) S. 44, 51; JL 8806 1145 Dezember 5: Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 4 (wie Anm. 32) S. 135 Nr. 44; JL 8796a 1145 Dezember 7: Meichelbek, Historia Frisingensis I (wie Anm. 77) S. 548 Nr. 1320; Migne PL 180, Sp. 1066 Nr. 49 [nur Subskription von KP Hubald v. SS Giovanni e Paolo]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 341 Nr. 1; JL 8797 1145 Dezember 13 (1): Migne PL 180, Sp. 1067 Nr. 50; vgl. Lohrmann, Papsturkunden in Frankreich NF 7 (wie Anm. 39) S. 195; JL 8798 1145 Dezember 13 (2): Paris, Bibliothèque nationale de France, Collection Moreau 61, f. 145 [mit Subskriptionen]; Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 180 Nr. 199 [ohne Subskriptionen]; JL 8799
104
Stefan Petersen
1145 Dezember 14: Migne PL 180, Sp. 1069 Nr. 51; vgl. Meinert, Papsturkunden in Frankreich NF 1 (wie Anm. 83) S. 16; JL 8800 1145 Dezember 15: van Lokeren, Saint Pierre au Mont Blanchin I (wie Anm. 50) S. 141 Nr. 235 [KP Waldus v. S. Croce in Gerusalemme statt Hubaldus]; Migne PL 180, Sp. 1087 Nr. 67 [zu 1146 Januar 1]; vgl. Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 37, 39, 41, 42; JL 8801 1145 Dezember 16 (1): Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 181 Nr. 200; vgl. Meinert, Papsturkunden in Frankreich NF 1 (wie Anm. 83) S. 50, 51; JL 8802 1145 Dezember 16 (2): Migne PL 180, Sp. 1071 Nr. 52 [KD Jordinus Ro mane ecclesie cardinalis statt Jordanus]; vgl. Meinert, Papsturkunden in Frankreich NF 1 (wie Anm. 83) S. 9, 10; JL 8804 1145 Dezember 16 (3): Vincente de la Fuente, España Sagrada 50: La santa iglesias de Tarazona y Tudela, Madrid 1866, S. 399 Nr. 14 [KB Innocentius v. Tusculum statt Imar]; vgl. Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Spanien. Vorarbeiten zur Hispania pontificia II: Navarra und Aragon (Abh. Göttingen, NF 22/1), Berlin 1928, S. 113, 199, 201, 204; Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 2 (wie Anm. 29) S. 44; JL 8803 1145 Dezember 16−18: Migne PL 180, Sp. 1072 Nr. 53 [KP Guido v. S. Prisca statt KP Guido v. S. Prudenziana tit. Pastoris?]; JL 8805 1145 Dezember 21: Chevalier, Cartulaire d‘Aimon de Chissé (wie Anm. 53) S. 56 Nr. 2; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich III (wie Anm. 53) S. 8; JL 8808 1145 Dezember 24 (1): Migne PL 180, Sp. 1077 Nr. 56; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 82 Nr. 1; JL 8809 1145 (Dezember 24) (2): Migne PL 180, Sp. 1085 Nr. 66 [KB Albix v. Ostia statt Alberich, KP Heribaldus v. SS. Giovanni e Paolo statt Hubaldus, KP Julianus v. S. Stefano al Monte Celio statt Villanus]; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 169 Nr. 2; JL 8834 [zu 1146 in.] = JL 8978 [zu 1146] 1145 Dezember 30 (1): HStA München, HL Regensburg G, f. 36; HStA München, HL Regensburg A, f. 1r−1v; Migne PL 180, Sp. 1078 Nr. 57 [nur Hinweis auf 11 Subskriptionen]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 276 Nr. 2; JL 8810 1145 Dezember 30 (2): Beyer, Mittelrheinisches UB I (wie Anm. 82) S. 596 Nr. 538 [zu Dezember 31] [KP Aubertus v. S. Anastasia statt Aribertus]; Migne PL 180, Sp. 1080 Nr. 58 [zu Dezember 31]; vgl. Boshof, Germ. Pont. X (wie Anm. 51) S. 347 Nr. 8 [zu Dezember 30]; JL 8813 [zu Dezember 31]
Kardinalsunterschriften als Fälschungsindiz
105
1145 Dezember 31: Kehr, Papsturkunden in Turin (wie Anm. 106) S. 94 Nr. 10; Vincenzo Legè/Ferdinando Gabotto, Documenti degli archivi tortonensi alla storia di Voghera, Pinerolo 1908, S. 24 Nr. 12; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 237 Nr. 5; JL – 1146 Januar 3: Migne PL 180, Sp. 1089 Nr. 68; Gallia Christiana 8, Paris 1744, S. 550 Nr. 5 [KP B. tit. Calixti (v. S. Maria in Trastevere) statt Gregor; KP Aubertus v. S. Anastasia statt Aribertus]; JL 8836 1146 Januar 4: Brackmann, Salzburger Kirchenprovinz (wie Anm. 33) S. 204 Nr. 8; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 188 Nr. 1; JL 8837 1146 Januar 8: Poupardin, Receuil des chartes de l’abbaye de Saint-Germain-des-Prés (wie Anm. 63) S. 159 Nr. 104 [Gislebert indignus sacer dos sancte Romane ecclesie]; JL 8839 1146 Januar 9 (1): Migne PL 180, Sp. 1093 Nr. 71; vgl. Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 30 Anm. 3, 136, 137 Anm. f u. h, 138 Anm. p; JL 8840 1146 (Januar 9) (2): Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 136 Nr. 63; JL – 1146 Januar 15: Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VII: Gascogne, Guienne und Languedoc, Nachrichten Göttingen 1913, Beiheft S. 72 Nr. 31 [KP Guido v. S. Prassede statt Hubaldus; KP Hu baldus v. S. Grisogono statt Guido]; JL 8843 1146 Januar 17: Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 138 Nr. 64; JL 8845 1146 Januar 19 (1): Migne PL 180, Sp. 1096 Nr. 73; Quantin, Cartulaire Général de l’Yonne I (wie Anm. 78) S. 390 Nr. 245 [ohne Subskriptio nen]; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 78) S. 24; JL 8846 = JL 8811 1146 Januar 19 (2): Quantin, Cartulaire Général de l’Yonne I (wie Anm. 78) S. 391 Nr. 246 [KP Guillelmus tit. Calisti (v. S. Maria in Trastevere) statt Gregor]; Migne PL 180, Sp. 1097 Nr. 74 [KB Albe rich v. Ostia und KB Imar v. Tuskulum fehlen]; JL 8847 1146 Januar 20: Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 78) S. 49 Nr. 21; JL – 1146 Januar 21: Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 172 Nr. 58; JL 8848 1146 Januar 24: Marie-Claude Guigue, Cartulaire Lyonnais I: Documents antérieurs à l’année 1255, Lyon 1885, S. 39 Nr. 27; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 19; JL 8849
106
Stefan Petersen
1146 Januar 28: Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 74 Nr. 72 [nur Subskriptionen]; Migne PL 180, Sp. 1099 Nr. 75 [ohne Subskriptio nen]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 66 Nr. 2; JL 8850 1146 Januar 29: John Richard Walbran, Memorials of the Abbey of S. Mary of Fountains 2,1, Durham 1878, S. 68 Nr. 2; William Farrer, Early Yorkshire Charters being a collection of documents anterior to the thirteenth century made from the public Records, monastic Chartularies, Roger Dudworth’s Manuscripts and other available sources I, Edinburgh 1914, S. 75 Nr. 79; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 39, 330; JL 8851 1146 Januar 30: Champeval, Cartulaire de l’abbaye d’Uzerche (wie Anm. 78) S. 137 Nr. 104; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 9 u. Anm. 6; JL – 1146 Februar 1: Migne PL 180, Sp. 1102 Nr. 77 [KP Gregor von S. Lo renzo in Damaso statt Guido]; Louis Antoine Clément Chaix de Lavarène, Monumenta pontificia Arverniae decurrentibus Ixo, Xo, Xio, XIIo saeculis, Clermont-Ferrant 1880, S. 207 Nr. 130; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 6; JL 8853 1146 Februar 5 (1): Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 174 Nr. 51; JL 8855 1146 Februar 5 (2): Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 175 Nr. 52; JL – 1146 Februar 5 (3): Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 178 Nr. 53; JL – 1146 Februar 7: David W. Blake, An Original Bull of Pope Eugenius III, 7th February 1146, in: Devon and Cornwall notes and queries 34,8 (1981), S. 207−211 Nr. 135; JL – 1146 Februar 9: Alexandre Bruel/Auguste Bernard, Recueil des Chartes de l’abbaye de Cluny V, Paris 1894, S. 457 Nr. 4112; Migne PL 180, Sp. 1104 Nr. 70 [ohne Subskriptionen]; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 18; JL 8856 1146 Februar 15: Migne PL 180, Sp. 1105 Nr. 80 [Gilbertus indignus sacerdos sancte Romane ecclesie]; JL 8859 1146 Februar 20 (1): Friedrich Weech, Codex diplomaticus Salemitanus. UB der Cisterzienserabtei Salem I: 1134−1266, Karlsruhe 1883, S. 7 Nr. 4; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 161 Nr. 2; JL 8862 1146 Februar 20 (2): Paul Fridolin Kehr, Nachträge zu den Papsturkunden Italiens IV, Nachrichten Göttingen 1910, S. 243 Nr. † 7 [zu Febr.
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21] [KP Joannes v. S. Marcello statt Julius; KP Sinibaluds v. SS. Gio vanni e Paolo statt Hubaldus]; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 169 Nr. † 3 [zu Febr. 21]; JL – 1146 Februar 23: Zingeler, Geschichte des Klosters Beuron (wie Anm. 63) S. 174 [KP Garido v. S. Lorenzo in Damaso statt Guido; KD Oestaldus v. S. Eustachii statt Astaldus; KD Gerardus diaconus cardi nalis S. Romane ecclesie statt Beradus]; Migne PL 180, Sp. 1107 Nr. 83 [KP Gubernator tit. Calixti (v. S. Maria in Trastevere) statt Gregor; KP Guido von S. Grisogono fehlt; Gilbertus indignus sacerdos sancte Romane ecclesie; KP Barido v. S. Lorenzo in Damaso statt Guido; Gerardus diaconus cardinalis S. Romane ecclesie statt Berardus]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,1 (wie Anm. 38) S. 225 Nr. 5; JL 8864 1146 Februar 24: Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 2 (wie Anm. 29) S. 106 Nr. 39; JL 8867 1146 Februar 25 (1): Migne PL 180, Sp. 1111 Nr. 85; vgl. Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 421 Nr. 4; JL 8869 1146 Februar 25 (2): William Dugdale, Monasticon Anglicanum I, London 1817, S. 173 Nr. 40 [Subskriptionen: KB Konrad v. Sabina etc.]; Henry Wharton, Anglia Sacra I, London 1691, S. 344 [ohne Subskriptionen]; Migne PL 180, Sp. 1113 Nr. 86 [ohne Subskriptionen]; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 97, 155, 209; JL 8870 1146 Februar 26 (1): Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 2 (wie Anm. 29) S. 107 Nr. 40; Migne PL 180, Sp. 1557 Nr. 536 [ohne Escha tokoll]; JL 8868 [zu Febr. 25] = JL 9631 [zu 1145−1153] 1146 Februar 26 (2): Migne PL 180, Sp. 1114 Nr. 88; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 11; JL 8872 1146 Februar 28: Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 184 Nr. 202; vgl. Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 70; JL 8873 1146 März 8: Migne PL 180, Sp. 1115 Nr. 90; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 74, 115, 185, 186, 229, 286; JL 8878 1146 März 11: Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich II (wie Anm. 39) S. 37 Nr. 13; JL 8881 1146 März 15 (1): Migne PL 180, Sp. 1120 Nr. 95 [diac. card. Scribens tit.?]; vgl. Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 55; JL 8885 1146 März 15 (2): Archives départementales du Cher, 7 G 302 [Girardus diaconus cardinalis S. Romane ecclesie statt Berardus]; vgl. Wieder-
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hold, Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 78) S. 8 u. Anm. 1; JL – 1146 März 16: Migne PL 180, Sp. 1125 Nr. 99 [zu März 25]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 53 Nr. 1; JL 8894 1146 März 24: Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 182 Nr. 56; Holtzmann, Papsturkunden in England II (wie Anm. 58) S. 205 Nr. 51 [Subskriptionen nur von KB Konrad v. Sabina, KP Gregor tit. Calixti (v. S. Maria in Trastevere) und KD Octavian v. S. Nicola in Carcere Tulliano]; JL – 1146 März 26: Jacques Soyer, Les actes des souverains antérieurs aux XVe S. conservés dans les arch. dép. du Cher. I. Fonds de l’abbaye de SaintSatur-sous-Sancerre (ordre de Saint Augustin, diocèse de Bourges), Bourges 1903, S. 17 Nr. 7; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich V (wie Anm. 78) S. 10; JL – 1146 März 29: Toribio Minguella y Arnedo, Historia de la Diócesis de Sigüenza y de sus Obispos I, Madrid 1910, S. 378 Nr. 24; JL – 1146 April 11: Jean Grémaud, Notice historique sur Saint Amédée de Clermont-Hauterive, évêque de Lausanne, Romont 1865, S. 59 Nr. 2 [KB Gerardus v. Sabina statt Conradus]; Anselme Dimier, Amédée de Lausanne, Saint-Wandrille 1949, S. 285 Nr. 10 [KB Gerardus v. Sabina statt Conradus]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 172 Nr. 12; JL 8899 [zu April 13] 1146 April 13: Ernst Tremp, Liber donationum Altaeripae. Cartulaire de l’Abbaye Cistercienne d’Hauterive, Lausanne 1984, S. 345 Nr. 5; Chartæ altæripæ, in: Mémorial de Fribourg. Recueil périodique 3 (1856) S. 63−73, S. 63 Nr. 7; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 185 Nr. 2; JL 8900 1146 April 15 (1): Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 141 Nr. 66; JL 8901 1146 April 15 (2): Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 6 (wie Anm. 34) S. 116 Nr. 57 [verfälscht]; JL 8902 1146 April 16: Charles Hardwick, Historia monaterii S. Augustini Cantuariensis, London 1858, S. 392 Nr. 24; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 70; JL 8903 1146 April 17: Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 75 Nr. 74; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 19 Nr. 7; JL 8906 = JL 8905 [zu April 16] 1146 April 24 (1): Pierre Hyacinthe Morice, Mémoires pour servir de preuves à l’histoire ecclésiastique et civile de Bretagne I, Paris 1742,
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Sp. 597 [Subskription von KB Konrad v. Sabina]; Migne PL 180, Sp. 1130 Nr. 106 [ohne Subskriptionen]; Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 5 (wie Anm. 32) S. 146 Nr. 68 [ohne Subskriptionen]; JL 8909 1146 April 24 (2): Migne PL 180, Sp. 1132 Nr. 107; vgl. Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VII: Gascogne, Guienne und Languedoc, Nachrichten Göttingen 1913, Beiheft S. 29; JL 8910 1146 April 24 (3): Pierre Théodore Grasilier, Cartulaire de l’abbaye royale de Notre-Dame (wie Anm. 106) S. 14 Nr. 8; vgl. Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 20; JL 8911 1146 April 28: Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Spanien. Vorarbeiten zur Hispania pontificia II: Navarra und Aragon (Abh. Göttingen, NF 22/1), Berlin 1928, S. 353 Nr. 51; JL – 1146 April/Mai: Migne PL 180, Sp. 1133 Nr. 108; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 163 Nr. 5; JL 8913 1146 Mai 1: Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VI (wie Anm. 81) S. 42 Nr. 16; JL – 1146 Mai 4 (1): Migne PL 180, Sp. 1134 Nr. 109; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 194 Nr. 16; JL 8914 1146 Mai 4 (2): Hiestand, Vorarbeiten Oriens Pontificius III (wie Anm. 35) S. 187 Nr. 61 [KP Gillelmus v. S. Stephano al Monte Celio statt Villanus]; JL 8915 1146 Mai 5: Cosmo Nelson Innes, Liber cartarum Sancte Crucis, munimenta ecclesie Sancte Crucis de Edwinesburg, Edinburgh 1840, S. 167 Nr. 1 [KB Joravus v. Tusculum statt Imarus]; vgl. Robert Somerville, Scotia Pontificia. Papal Letters to Scotland before the Pontificate of Innocent III, Oxford 1982, S. 35 Nr. 26; JL 8917 1146 Mai 7: Heinrich Finke, Die Papsturkunden Westfalens bis zum Jahre 1378 (Westfälisches UB 5), Münster 1888, S. 19 Nr. 54; Migne PL 180, Sp. 1137 Nr. 110; vgl. Hermann Jakobs, Germania Pontificia V,1: Provincia Maguntinensis V: Dioeceses Patherbrunnensis et Verdensis, Göttingen 2003, S. 56 Nr. 2; JL 8918 1146 Mai 15: Joseph Trouillat, Monuments de l’histoire de l’ancien évêché de Bâle I, Porrentruy 1852, S. 295 Nr. 194; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 225 Nr. 16; JL 8921 1146 Mai 23: Heinrich Finke, Die Papsturkunden Westfalens bis zum Jahre 1378 (Westfälisches UB 5), Münster 1888, S. 21 Nr. 55; Migne PL 180, Sp. 1139 Nr. 112 [ohne Subskriptionen]; vgl. Schieffer, Germ. Pont. IX (wie Anm. 86) S. 140 Nr. 2; JL 8923
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1146 Mai 25: Alfred Bruns, Zwei westfälische Papsturkunden von 1142 und 1146, in: Aus Geschichte und ihren Hilfswissenschaften. Festschrift für Walter Heinemeyer zum 65. Geburtstag, hg. von Hermann Bannasch/Hans-Peter Lachmann, Marburg 1979, S. 196−208, hier S. 203−205 [nur jeweils eine Subskription der verschiedenen Kardinals ränge]; vgl. Schieffer, Germ. Pont. IX (wie Anm. 86) S. 98 Nr. 5; JL 8926 1146 Mai 27 (1): Paul Fridolin Kehr, Papsturkunden in Spanien. Vorarbeiten zur Hispania pontificia II: Navarra und Aragon (Abh. Göttingen, NF 22/1), Berlin 1928, S. 356 Nr. 53; JL – 1146 Mai 27 (2): Kehr, Papsturkunden in Katalanien (wie Anm. 83) S. 322 Nr. 54; JL *8928 1146 Mai 27 (3): Paul Fridolin Kehr, Diplomatische Miszellen IV. Die Scheden des Panvinius, in: Nachrichten Göttingen 1901, S. 1–26, hier S. 13 Nr. 10; JL – 1146 Mai 29: Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 77 Nr. 76; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 325 Nr. 29; JL 8929 1146 Juni 6: Migne PL 180, Sp. 1144 Nr. 120 [KP Albertus v. S. Anastasia statt Aribertus]; vgl. Schieffer, Germ. Pont. VII (wie Anm. 80) S. 92 Nr. 272; JL 8932 1146 Juli 2: Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 6 (wie Anm. 34) S. 121 Nr. 58; JL 8938 1146 Juli 13: Hiestand, Vorarbeiten Oriens Pontificius III (wie Anm. 35) S. 190 Nr. 62; JL 8939 1146 Juli 24 (1): Migne PL 180, Sp. 1151 n. 126; vgl. Meinert, Papsturkunden in Frankreich NF 1 (wie Anm. 83) S. 10; JL 8943 1146 Juli 24 (2): Thurgauisches UB II (wie Anm. 21) S. 65 Nr. 26 [KP Eri bertus v. S. Anastasia statt Aribert]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. II,2 (wie Anm. 21) S. 29 Nr. 4; JL 8944 1146 September 2: Pflugk-Harttung, Acta I (wie Anm. 25) S. 188 Nr. 205; vgl. Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 71, 275; JL 8945 1146 September 17: Klinkenborg, Papsturkunden in Brescia und Bergamo (wie Anm. 65) S. 279 Nr. 6 [zu Sept. 18] [KP Eribertus v. S. Anas tasia statt Aribertus]; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 351 Nr. 3; JL *8979 [zu 1146] 1146 September 18: Migne PL 180, Sp. 1154 Nr. 128; vgl. Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VII: Gascogne, Guienne und Languedoc, Nachrichten Göttingen 1913, Beiheft S. 8, 106; JL 8947
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1146 September 22 (1): Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 79 Nr. 77; Gabotto/Roberti/Chiattone, Cartario dell’abazia di Staffarda (wie Anm. 64) 18 Nr. 6; vgl. Kehr, It. Pont. VI,2 (wie Anm. 64) S. 103 Nr. 2; JL 8948 1146 September 22 (2): Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 80 Nr. 78; Migne PL 180, Sp. 1156 Nr. 129 [ohne Subskriptionen]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 66 Nr. 3; JL 8949 1146 Oktober 25 (1): Raffaelo Volpini, Additiones Kehrianae I, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 22 (1968) S. 313−424, hier S. 354 Nr. 6; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 346 Nr. 10; JL 8950 1146 Oktober 25 (2): Migne PL 180, Sp. 1158 Nr. 130; vgl. Ramackers, Papsturkunden in den Niederlanden (wie Anm. 106) S. 46, 48, 49; JL 8951 1146 November 11: Léon Cassan/Edmond Meynial, Cartulaires des abbayes d‘Aniane et de Gellone I, Montpellier 1900, S. 98 Nr. 11; vgl. Wilhelm Wiederhold, Papsturkunden in Frankreich VII: Gascogne, Guienne und Languedoc, Nachrichten Göttingen 1913, Beiheft S. 7; JL 8953 1146 November 13: Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 80 Nr. 79; vgl. Samuel Löwenfeld, Papsturkunden in Italien, in: SB Wien 97 (1881) S. 55−68, hier S. 55, 62; Kehr, It. Pont. V (wie Anm. 77) S. 517 Nr. 1; JL 8956 = JL 8957 1146 November 17: August von Jaksch, Monumenta historica ducatus Carinthiae III: Die Kärtner Geschichtsquellen 811−1202, Klagenfurt 1904, S. 316 Nr. 816; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 110 Nr. 1; JL 8958 1146 Dezember 4: Kehr, Papsturkunden im westlichen Toscana (wie Anm. 79) S. 610 Nr. 5; vgl. Kehr, It. Pont. III (wie Anm. 25) S. 446 Nr. 7; JL 8973 [zu Dez. 24] 1146 Dezember 7: Ramackers, Papsturkunden in Frankreich NF 2 (wie Anm. 29) S. 111 Nr. 44; JL 8964 1146 Dezember 9: Paul Fridolin Kehr, Ältere Papsturkunden in den päpstlichen Registern von Innocenz III. bis Paul III., Nachrichten Göttingen 1902, S. 518 Nr. 6; vgl. Kehr, It. Pont. VI,1 (wie Anm. 54) S. 317 Nr. 4; JL – 1146 Dezember 10: Holtzmann, Papsturkunden in England III (wie Anm. 27) S. 184 Nr. 59; JL – 1146 Dezember 17: Hugh Candidus, ed. Mellows (wie Anm. 28) S. 109−116 [KP Guido von Cristogoni, KP Hubald v. S. Anastasia statt Aribert;
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KP Bernard ohne Titelkirche; KD Oddo ohne Titelkirche; KD Dami anus und Nicolaus in Carcere Tulliano statt KD Octavian v. S. Nicola in Carcere Tulliano]; Migne PL 180, Sp. 1160 Nr. 132 [KP Guido ohne Titelkirche, KP Hubald v. S. Anastasia statt Aribert; KP Bernard ohne Titelkirche; KD Oddo ohne Titelkirche; KD Damianus und ... v. S. Ni cola in Carcere Tulliano statt KD Octavian v. S. Nicola in Carcere Tul liano]; vgl. Holtzmann, Papsturkunden in England I (wie Anm. 28) S. 148, 171; JL 8965 1146 Dezember 23 (1): Migne PL 180, Sp. 1165 Nr. 136; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 298 Nr. 8; JL 8969 1146 Dezember 23 (2): Gruber, Osterhofen (wie Anm. 79) S. 8 Nr. 3; Migne PL 180, Sp. 1167 Nr. 137 [ohne Subskriptionen]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 183 Nr. 1; JL 8970 1146 Dezember 23 (3): Pflugk-Harttung, Acta III (wie Anm. 25) S. 82 Nr. 81; Migne PL 180, Sp. 1168 Nr. 138 [ohne Subskriptionen]; vgl. Brackmann, Germ. Pont. I (wie Anm. 23) S. 326 Nr. 1; JL 8971 1146 Dezember 23 (4): Migne PL 180, Sp. 1170 Nr. 139 [Bernardus diaco nus cardinalis S. Romane ecclesie statt Berardus]; JL 8972
Abstract The oldest surviving charter of the Premonstratensian monastery Rot is a privilege of Pope Eugene III, dated 1152 December 15 (JL † 9618). Because of the dorsal note (Copia bulle Eugenii pape), the external characteristics and the subscriptions of the cardinals, this is clearly a contemporary copy of an alleged solemn privilege. As the analysis of the subscriptions of the cardinals shows, this privilege is the result of a compilation of two papal privileges, namely a solemn privilege of Eugene III, most likely issued in February 1146, and a second (solemn or simple) privilege of Eugene III from 1152 December 15. Due to several interpolations – in particular the list of pertinences – this compilation can be clearly identified as a forgery, which was created at around 1181/1182 for the purpose of obtaining a solemn privilege of Lucius III, dated 1182 November 22.
Die Schreiber der päpstlichen Kanzlei unter Papst Innocenz III. Versuch eines ersten Überblicks von CHRISTOPH EGGER
Unter den vielen großen Leistungen, die Innocenz III. als einen der bedeutendsten Päpste zumindest des Mittelalters erscheinen lassen, gehören seine Bemühungen um die Organisation und Reform der päpstlichen Kanzlei vielleicht zu den am wenigsten spektakulären, aber doch wirkungsvollsten und nachhaltigsten1. Im durch eine durchgreifende Rationalisierung und Verrechtlichung aller Lebensbereiche gekennzeichneten 12. Jahrhundert aufgewachsen, muß dem Papst die Bedeutung einer funktionierenden Verwaltung als einer wesentlichen Voraussetzung für jegliches Handeln in Politik, kurialer Rechtsprechung und auch Seelsorge bewußt gewesen sein. Im 12. Jahrhundert hatte die päpstliche Kanzlei einen durch die sich wandelnde Rolle des Papsttums angetriebenen Professionalisierungsprozeß durchgemacht, der auch im frühen 13. Jahrhundert noch lange nicht zum Abschluß gekommen war2. So wie die Menge der an die Kurie herangetragenen Anliegen und damit der auszustellenden Doku Patrick N. R. Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery, in: Innocenzo III. Urbs et Orbis. Atti del Congresso Internazionale Roma, 9–15 settembre 1998, hg. von Andrea Sommerlechner (Nuovi studi storici 55 = Miscellanea della Società Romana di storia patria 44), Roma 2003, 1, S. 84–101. Einen Überblick über die Entwicklung der päpstlichen Kurie insgesamt gibt Brigide Schwarz, The Roman Curia (until about 1300), in: The History of Courts and Procedures in Medieval Canon Law, hg. von Wilfried Hartmann/ Kenneth Pennington (History of Medieval Canon Law), Washington 2016, S. 160–228. 2 Vgl. den ausgezeichneten Überblick von Patrick Zutshi, Petitioners, popes, proctors: the development of curial institutions, c. 1150–1250, in: Pensiero e sperimentazioni istituzionali nella “Societas Christiana” (1046–1250). Atti della sedicesima Settimana internazionale di studio, Mendola, 26–31 agosto 2004, hg. von Giancarlo Andenna, Milano 2007, S. 265– 293. 1
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mente wuchs, so nahm auch die Zahl der damit befaßten Personen zu; es wird eine Differenzierung der Aufgabenverteilung und ein Geschäftsgang erkennbar3. Einen wesentlichen und auf den ersten Blick sichtbaren Anteil an der Ausstellung der Urkunden haben natürlich die Schreiber. In diesem Beitrag soll ein Überblick über die gegenwärtig bekannten Schreiber während Innocenz’ Pontifikat gegeben und zugleich Überlegungen zu ihrer weiteren Erforschung angestellt werden. Im 12. Jahrhundert werden päpstliche Schreiber nur gelegentlich namentlich erwähnt – meist, wenn sie in Stellvertretung anderer Personen als Datare feierlicher Privilegien auftreten4. Als Intervenient für den Adressaten wird in einem feierlichen Privileg Papst Anastasius’ IV. der spätere päpstliche Kämmerer und Kardinal Boso als scriptor noster genannt5. Cölestin III. weist gegen Ende seines Pontifikats den Erzbischof von Vienne und Abt des unmittelbar dem apostolischen Stuhl unterstehenden Kanonikerstifts Saint-Barnard in Romans-sur-Isère an, dem päpstlichen Skriptor Guillermus de Rocha ein Kanonikat zu verleihen6. Besonders interes 3 Rudolf von Heckel, Beiträge zur Kenntnis des Geschäftsganges der päpstlichen Kanzlei im 13. Jahrhundert, in: Festschrift Albert Brackmann, hg. von Leo Santifaller, Weimar 1931, S. 434–456. 4 Frank M. Bischoff, Urkundenformate im Mittelalter. Größe, Format und Proportionen von Papsturkunden in Zeiten expandierender Schriftlichkeit (11.–13. Jahrhundert) (elementa diplomatica 5), Marburg 1996, S. 33–44, mit einer nützlichen Übersichtstabelle (hier S. 39); Stefan Hirschmann, Die päpstliche Kanzlei und ihre Urkundenproduktion (1141–1159) (Europäische Hochschulschriften III/913), Frankfurt/M. u. a. 2001, S. 91–96; Ders., Gab es um die Mitte des 12. Jahrhunderts den päpstlichen Kanzleischreiber Hugo? Mit einer Neuedition von JL 9595, in: Francia 27/1 (2000) S. 237–241. Eine Zusammenstellung der als Datare auftretenden Schreiber bietet Thorsten Schlauwitz, Verzeichnis der Schreiber an der päpstlichen Kurie im 12. Jahrhundert (1099–1108), Erlangen 2017. Online-Publikation: http://www.papsturkunden. de/EditMOM/userfiles/pdf/Verzeichnis_Schreiber_12Jhd.pdf (eingesehen 28.4.2018). 5 Anastasius IV. für S. Reparata in Lucca, 1153 X 7: Regesta pontificum Romanorum 2, ed. Philipp Jaffé, Leipzig 1888, hier JL 9747, auch It. Pont. III, cong. Paul Fridolin Kehr, Berlin 1908, 408 Nr. 3. Gedruckt in Julius von Pflugk-Harttung, Acta Pontificum Romanorum inedita 3, Stuttgart 1886, S. 120 f. Nr. 115: ... predecessoris nostri, sancte memorie pape Eugenii ve stigiis inherentes, dilecti filii Bosonis scriptoris nostri precibus inclinati ... Seine Tätigkeit als Datar ab Jänner 1150 bis April 1153 dokumentiert Schlauwitz, Verzeichnis (wie Anm. 4) S. 84–92. 6 1197 V 5 dankt Cölestin dem Erzbischof für die Ausführung seines Mandates und kündigt an, daß Guillermus demnächst zur Übernahme des Kanonikats und anderer Geschäfte wegen bei ihm erscheinen werde; die Formulierung des Briefes läßt vermuten, daß er an die Kurie zurückkehren sollte. Gedruckt in Paul-Emile Giraud, Essai historique sur l’abbaye de S. Barnard et sur la ville de Romans, première partie, preuves: Cartulaire de Romans et autres pièces justificatives inédites servant de preuves à la première partie de l’essai historique sur l’abbaye de Saint-Barnard et sur la ville de Romans 1 (Lyon 1856) S. 245 f. Nr. 354; JL 17530; Gallia Pontificia III: Province ecclésiastique de Vienne 1: Diocèse de Vienne, bearb. von Beate Schilling, Göttingen 2006, S. 293 Nr. 68.
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sant ist die Erwähnung eines cancellarie domini pape scriptor W. Rofio als Schreiber des Liber censuum im Jahr 11927. Cölestin III. hatte den aus dem Poitou stammenden W. nicht nur zum Subdiakon geweiht, sondern ihn außerdem zusammen mit einem weiteren Kurialen auf ein Kanonikat im Domkapitel von Saintes providiert; den hartnäckigen Widerstand der Kanoniker konnte erst Innocenz III. brechen – allerdings war W. Rofio zu diesem Zeitpunkt (Anfang 1202) bereits verstorben. Aus den in diesem Zusammenhang ergangenen Briefen8 erfährt man, daß W. ein Kleriker des päpstlichen Kämmeres und Kardinaldiakons Cencius von S. Lucia in Or thea war. Cencius war zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Kämmerer ab spätestens Ende 1194 auch in die Arbeit der Kanzlei eingebunden, wie aus seinem Auftreten als Datar der bis zum Tod Cölestins III. ausgestellten feierlichen Privilegien erkennbar ist9. Die in dieser Doppelrolle ebenso wie durch die Beschäftigung des Kanzleischreibers W. Rofio mit einer Arbeit aus dem Aufgabenbereich der Kammer aufscheinende enge Verbindung von Kanzlei und Kammer zeigt, wie wenig man für die Zeit um 1200 von einer feststehenden kurialen Organisationsstruktur mit entsprechender Personalverteilung ausgehen darf10.
Liber censuum de l’Église Romaine 1, ed. Paul Fabre/Louis Duchesne, Paris 1910, S. 4 (Prolog des Cencius camerarius): ... per dilectissimum meum W[illelmum] Rofio Sancti Jo hannis Angeliacensis de Pictavia, clericum ejusdem camere, ac cancellarie domini pape scrip torem, feci conscribi. Vgl. Reinhard Elze, Der Liber Censuum des Cencius (Cod. Vat. lat. 8486) von 1192 bis 1228. Zur Überlieferung des Kaiserkrönungsordo Cencius II, in: Ders., Päpste – Kaiser – Könige und die mittelalterliche Herrschaftssymbolik. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Bernhard Schimmelpfennig/Ludwig Schmugge (Collected Studies Series 152), London 1982, n. III (zuerst in: Bullettino dell’Archivio paleografico italiano, Ser. NS 2/3 [1956/57] S. 251–270), hier S. 256 f. 8 Innocenz III., Reg. I, 477 (1198 XII 19) = Die Register Innocenz’ III., 1. Pontifikatsjahr (1198/1199), ed. Othmar Hageneder/Anton Haidacher, Graz/Köln 1964 (im Folgenden: Innocenz III., Reg. I), S. 697–700; 1201 Okt./Nov., bekannt nur aus den Rubrizellen zum verlorenen Kanzleiregister des 4. Pontifikatsjahres: Po 1516, Augustin Theiner, Vetera monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia 1, Rom 1863, S. 61 Nr. 189; Innocenz III., Reg. V, 145 (146), 1203 I 25 = Die Register Innocenz’ III., 5. Pontifikatsjahr (1202/1203), ed. Othmar Hageneder unter Mitarbeit von Christoph Egger/Karl Rudolf/ Andrea Sommerlechner, Wien 1993 (im Folgenden: Innocenz III, Reg. V), S. 285–288, in diesem Brief wird W. Rofio als bone memorie bezeichnet. 9 Christopher R. Cheney, The Office and Title of the Papal Chancellor, 1187–1216, in: Archivum Historiae Pontificiae 22 (1984) S. 369–376; Schlauwitz, Verzeichnis (wie Anm. 4) S. 220–225. Zum Lebenslauf des Cencius vor seinem Pontifikat als Honorius III. vgl. jetzt Viola Skiba, Honorius III. (1216–1227). Seelsorger und Pragmatiker (Päpste und Papsttum 45), Stuttgart 2016, S. 43–94. 10 Elze, Der Liber Censuum (wie Anm. 7) S. 258. 7
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Vereinzelt werden päpstliche Schreiber auch in außerkurialen Quellen genannt, so etwa in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Johannes, Wilhelm und Robert von Orléans in der Briefsammlung des Stephan von Tournai11. Aber erst mit dem Aufkommen der Schreibersiglen unter Innocenz III. werden die Schreiber wirklich faßbar. Bereits in seinem ersten Pontifikatsjahr war Innocenz mit einer Fälschungsaffäre konfrontiert, die nicht nur entsprechende Anweisungen im konkreten Fall bewirkte12, sondern wahrscheinlich auch Anlaß zum Erlaß von Verhaltensregeln für die mit der Erwirkung von Gnadenerweisen befaßten Personen war13. Die Personen werden benannt – neben den Notaren sind es die Bullatoren, die Abbreviatoren und die Schreiber – und es wird ihnen untersagt, Petitionen für andere zu betreiben. Einzig eigene Petitionen oder die von Verwandten oder „besonderen Freunden“ dürfen unterstützt werden – diese Ausnahme ließ natürlich weiten Spielraum für Interpretationen zu14. Vielleicht in diesen Zusammenhang gehört der Bericht der anonymen Gesta Innocentii III papae, daß der Papst, abgestoßen von der an der Kurie herrschenden Käuflichkeit und Bestechlichkeit, schon bald nach Beginn seines Pontifikats angeordnet habe, daß keiner ihrer Angehörigen etwas von Bittstellern fordern dürfe – ausgenommen die Schreiber und die Bullatoren; diesen aber hätte er einen certus modus Papsturkunden in Frankreich N.F. 8: Diözese Paris I. Urkunden und Briefsammlungen der Abteien Sainte-Geneviève und Saint-Victor, bearb. von Dietrich Lohrmann unter Mitarbeit von Gunnar Teske (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologisch-historische Klasse, 3. Folge, 174), Göttingen 1989, S. 116 Nr. 23, S. 117 Nr. 80, S. 119 Nr. 107, S. 120 Nr. 127, S. 123 Nr. 210, S. 124 f. Nr. B 10; außerdem Jules Desilve, Lettres d’Étienne de Tournai, Valenciennes 1893, S. 116 f. Nr. 99. 12 Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery (wie Anm. 1) S. 86–90. 13 Die päpstlichen Kanzleiordnungen von 1200–1500, ed. Michael Tangl, Innsbruck 1894, Nachdr. Aalen 1959, S. 53 f. Nr. II, 1–2 u. 7. Tangls Edition von Innocenz’ „Kanzleiordnung“ ist durch die Forschungen von Rudolph von Heckel, Studien über die Kanzleiordnung Innozenz’ III., in: HJb 57 (1937) S. 258–289 und Winfried Stelzer, Die Anfänge der Petentenvertretung an der päpstlichen Kurie unter Innocenz III., in: Atti del III Congresso internazionale di Diplomatica, Roma 1971. Relazioni e comunicazioni (Annali della Scuola speciale per Archivisti e Bibliotecari dell’Università di Roma 12 [1972, ersch. 1973]), S. 130–139 überholt; sie läßt in keiner Weise die komplizierte Entstehung des Textes und die daraus folgende verwickelte Überlieferungslage erkennen. Vgl. auch Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery (wie Anm. 1) S. 91 (gegen Stelzers Frühdatierung in den Pontifikat Cölestins III.). 14 Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13) S. 54 II, 2: Item nullus omnino nota rius bullator breviator aut scriptor petitiones aliquas promovendas assumat, nisi proprias aut consanguineorum suorum vel specialium amicorum, quas tamen non alii quam domino pape offerat admittendas; sed officio suo sit unusquisque contentus. 11
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vorgeschrieben, dem sie hinsichtlich der Vergütung ihrer Leistung zu folgen hätten15. In den Gesta finden sich leider keine weiteren Angaben zu dieser Regelung und auch aus anderen Quellen lassen sich keine sicheren Anhaltspunkte gewinnen16. Vermutlich hängt mit dem Bemühen um eine Regelung der Entlohnung der Schreiber eine weitere Neuerung zusammen, die ab dem Jahr 1204 zu beobachten ist. In zunehmender Häufigkeit vermerken nun die Schreiber in der Regel stark abgekürzt17 ihren Namen auf den von ihnen geschriebenen Urkunden. Diese Schreibervermerke gehören zu den Kanzleivermerken, deren Entwicklung ebenfalls in Innocenz’ Pontifikat einsetzt und die wohl im Zusammenhang des wachsenden Bemühens um Steuerung und Kontrolle der Kanzleiaktivitäten zu verstehen sind18. Auch wenn über die reinen Namenssiglen hinausgehende Vermerke in Innocenz’ Pontifikat noch weitgehend fehlen19, werden damit nun nicht nur Einblicke in Organisation und Arbeitsweise der Kanzlei möglich, sondern erstmals werden die Schreiber zumindest ansatzweise namentlich greifbar. Eine systematische Untersuchung der Kanzleivermerke und damit auch der Schreibersiglen ist erst durch das von Franco Bartoloni 1953 vorgeschlagene Projekt eines „Index actorum Romanorum pontificum ab Innocentio III ad Martinum V electum“ möglich geworden20. Diesem „Censi Gesta Innocentii c. 41, Migne PL 214, Sp. LXXX B; vgl. Agostino Paravicini Bagliani, Innocenzo III e la venalità della Curia Romana. Per una rilettura dei Gesta Innocentii III, in: Hagiologica. Studi per Réginald Grégoire, hg. von Alessandra Bartolomei Romagnolo/Ugo Paoli/Pierantonio Piatti (Bibliotheca Montisfani 31), Fabriano 2012, 1, S. 61–71. 16 Zum certus modus vgl. etwa Brigide Schwarz, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 37), Tübingen 1972, S. 10 f., 25 f., wo auch auf eine kurze Erwähnung in der Chronik des Klosters S. Maria in Ferraria zu 1207 hingewiesen wird: Insti tuit certum stipendium notariis et scriptoribus curie, quod eisdem transgredi non liceat. Ignoti monachi Cisterciensis S. Mariae de Ferraria Chronica et Ryccardi de sancto Germano chronica priora, ed. Augusto Gaudenzi (Società Napoletana di storia patria. Monumenti storici ser. I: Cronache), Napoli 1888, S. 34. 17 Peter Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen im 13. Jahrhundert (Münchener Historische Studien. Abteilung Geschichtliche Hilfswissenschaften 1), Kallmünz 1961, 21967, S. 27: erst ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts sind die Siglen weniger stark gekürzt und erlauben daher eher eine Identifikation des jeweiligen Schreibers. 18 Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery (wie Anm. 1) S. 92. 19 Solche Vermerke wären etwa Taxvermerke oder der Recipe-Vermerk, vgl. Peter Acht, Der Recipe-Vermerk auf den Urkunden Papst Bonifaz’ VIII., in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 18 (1955) S. 243–255; Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 183. 20 Erste Hinweise auf die Schreibervermerke finden sich bereits in Léopold Delisle, Mémoire sur les actes d’Innocent III, in: BECh 19 (1858) S. 1–73, hier S. 31 f.; Eduard Winkelmann, Beiträge zur Geschichte Kaiser Friedrichs II. 5: Zu den Regesten des Papstes Inno 15
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mento“ aller im Original erhaltener Papsturkunden ab dem Einsetzen der ununterbrochenen Registerüberlieferung unter Innocenz III. (1198) bis zum Ende des Abendländischen Schismas mit dem Pontifikatsbeginn Martins V. (1417) liegt die nach festgelegten Regeln durchzuführende Erfassung und Beschreibung der äußeren Merkmale und ihre Erschließung durch Indices zugrunde21. Die bisher im Rahmen der Reihe erschienenen Bände erfassen die Papsturkunden in den Archives Nationales in Paris22, in Niedersachsen23, England ab 130524, Baden-Württemberg25, Norddeutschland (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, SchleswigHolstein)26, Apulien und Basilicata27. Einige weitere Regionen wurden in außerhalb der Reihe veröffentlichten Bänden bearbeitet: Schweiz28, Öster-
cenz III., in: Forschungen zur deutschen Geschichte 9 (1869) S. 455–470, hier S. 459; Wilhelm Diekamp, Zum päpstlichen Urkundenwesen des XI., XII. und der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts, in: MIÖG 3 (1882) S. 565–627, hier S. 593–596; Louis de Mas Latrie, Les éléments de la diplomatique pontificale, in: Revue des questions historiques 39 (1886) S. 415–451; ebd. 41 (1887) S. 382–435, hier S. 389 Anm. 1. 21 Franco Bartoloni, Per un censimento dei documenti pontifici da Innocenzo III a Martino V (escluso), in: Atti del Convegno di studi delle fonti del medioevo Europeo in occasione del 70o della fondazione dell’Istituto storico Italiano (Roma, 14–18 aprile 1953). Communicazioni, Roma 1957, S. 3–24; Istruzioni per il Censimento dei documenti pontifici dall’elezione di Innocenzo III all’elezione di Martino V (8 Genn. 1198–11 Nov. 1417) (Commissione Pontificia per gli Archivi Ecclesiastici Italiani, 1958). Eine Neubearbeitung der „Norme per i collaboratori“ erfolgte 1978, wurde aber nicht veröffentlicht (ich danke Patrick Zutshi für die Zugänglichmachung eines Exemplars). 22 Bernard Barbiche, Les actes pontificaux originaux des Archives Nationales de Paris 1–3 (Index Actorum Pontificum 1–3), Città del Vaticano 1975–1982. 23 Brigide Schwarz, Die Originale von Papsturkunden in Niedersachsen 1199–1417 (Index Actorum Romanorum Pontificum 4), Città del Vaticano 1988. 24 Patrick N. R. Zutshi, Original Papal Letters in England 1305–1415 (Index Actorum Romanorum Pontificum 5), Città del Vaticano 1990. 25 Tilmann Schmidt, Die Originale der Papsturkunden in Baden-Württemberg 1198– 1417, 1–2 (Index Actorum Romanorum Pontificum 6), Città del Vaticano 1993; dazu Ders., Nachtrag, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 151 (2003) S. 1–12. 26 Tilmann Schmidt, Die Originale der Papsturkunden in Norddeutschland (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) 1199–1415 (Index Actorum Romanorum Pontificum 7), Città del Vaticano 2003. 27 Isabella Aurora, Documenti originali pontifici in Puglia e Basilicata 1199–1415 (Index Actorum Romanorum Pontificum 8), Città del Vaticano 2016. 28 Anton Largiadèr, Die Papsturkunden des Staatsarchivs Zürich von Innozenz III. bis Martin V. Ein Beitrag zum Censimentum Helveticum, Zürich 1963; Ders., Die Papsturkunden der Schweiz von Innozenz III. bis Martin V. ohne Zürich. Ein Beitrag zum Censimentum Helveticum 1–2, Zürich 1968–1970.
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reich bis 130429, England bis 130430, Teile der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik31 und Portugal32. Eine wesentliche Ergänzung erfahren diese Bände durch die photomechanische Wiedergabe der Materialsammlung des Diplomatikers Paul Maria Baumgarten (1860– 1948), die aus jahrzehntelanger Sammeltätigkeit in den Archiven vieler Länder Europas entstanden ist33. Schließlich finden sich Kanzleivermerke auch in einer Reihe von Urkundenpublikationen berücksichtigt – eine Pionierrolle kommt hier dem von Heinrich Finke bearbeiteten Band des Westfälischen Urkundenbuches zu34; besonders hervorzuheben sind die mustergültigen Ausgaben des Urkundenbuchs von Altzelle und der Papsturkunden des Sächsischen Hauptstaatsarchivs in Dresden im Rahmen des Codex diplomaticus Saxoniae35. Wolfgang Hilger, Verzeichnis der Originale spätmittelalterlicher Papsturkunden in Österreich 1198–1304. Ein Beitrag zum Index Actorum Romanorum Pontificum ab Innocentio III ad Martinum V electum (Fontes Rerum Austriacarum, 2. Abt., 83), Wien 1991. 30 Jane Sayers, Original Papal Documents in England and Wales from the Accession of Pope Innocent III to the Death of Pope Benedict XI (1198–1304), Oxford 1999. 31 Walter Zöllner, Die Papsturkunden des Staatsarchivs Magdeburg von Innozenz III. bis zu Martin V. I.: Erzstift Magdeburg (Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Reihe C 3), Halle 1966; Ders., Die jüngeren Papsturkunden des Staatsarchivs Magdeburg. Bestände Halberstadt, Quedlinburg und übrige Gebiete (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 23), Leipzig 1982; Ders., Die jüngeren Papsturkunden des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar (Von Innozenz III. bis zum Konzil von Konstanz) (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte 40), Leipzig 1996. 32 Gerhard Sailler, Papsturkunden in Portugal von 1198–1304. Ein Beitrag zum Censimento. Diss. Univ. Wien, hist.-kulturwiss. Fak. 2008 (online http://othes.univie.ac.at/716/, eingesehen 24.11.2017), jetzt weitgehend überholt durch Peter Linehan, Portugalia Pontificia. Materials for the History of Portugal and the Papacy 1198–1417, 2 Bde., Lisboa 2013. Saillers Dissertation weist eine Reihe von Mängeln auf, die nicht nur in der Mißgunst der portugiesischen Archivverhältnisse begründet liegen. Wenn etwa Werner Maleczek in seiner Rezension von Linehans Buch in MIÖG 125 (2017) S. 411–413 moniert, daß dort Saillers Nr. 43 (angeblich Innocenz III., 1209 IX 1) fehle, so ist dies irrig, da Sailler das Datum falsch aufgelöst hat: die Littera ist tatsächlich 1254 IX 1 ausgestellt und daher Innocenz IV. zuzuweisen. 33 Schedario Baumgarten. Descrizione diplomatica di bolle e brevi originali da Innocenzo III a Pio IX. Riproduzione anastatica con introduzione e indici a cura di Giulio Battelli/ Sergio Pagano, 4 Bde., Città del Vaticano 1965–1986. 34 Die Papsturkunden Westfalens bis zum Jahre 1304, ed. Heinrich Finke (Westfälisches UB V/1), Münster 1888. 35 Urkundenbuch des Zisterzienserklosters Altzelle. Erster Teil: 1162–1249, bearb. von Tom Graber (Codex diplomaticus Saxoniae II/19), Hannover 2006; Die Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden 1: Originale Überlieferung. Teil 1: 1104–1303, bearb. von Tom Graber (Codex diplomaticus Saxoniae III/1), Hannover 2009. Für diesen Beitrag wurden außerdem folgende Publikationen ausgewertet: Codex diplomaticus et epistolarius regni Bo 29
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Der hier unternommene Versuch einer Zusammenschau einer größeren Zahl von Urkunden – es wurden 372 Stücke ausgewertet – mit einer entsprechenden Zahl von Schreibersiglen kann bestimmt nicht den Anspruch erheben, ein repräsentativer Querschnitt durch die gesamte Urkundenproduktion in Innocenz’ Pontifikat zu sein36. Ein zumindest grobes Gesamtbild ergibt sich aber doch, das umso mehr Tiefenschärfe gewinnt, wenn es gelingt, einen Schreiber auch anderweitig nachzuweisen; überdies erlaubt die übergreifende Betrachtungsweise gewisse methodische Überlegungen zur Auswertung, Anlage und Fortführung des Censimento. Eine erste Beobachtung betrifft das Auftreten der Schreibersiglen. In zunehmender Häufigkeit finden sich diese ab dem Jahr 1204, und zwar auf der Rectoseite der Urkunde auf der Plica, meistens rechts, gelegentlich auch links. Vereinzelt finden sich Vermerke, die als Hinweis auf den Schreiber der jeweiligen Urkunde interpretiert werden können, aber auch hemiae 2: 1198–1230, ed. Gustav Friedrich, Prag 1912; Die Urkunden des Klosters Raitenhaslach 1034–1350, ed. Edgar Krausen (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 17/1), München 1959; Alfred A. Strnad, Zehn Urkunden Papst Innocenz’ III. für die Kartause San Bartolomeo zu Trisulti (1208–1215), in: Römische Historische Mitteilungen 11 (1969) S. 23–58; Aachener Urkunden 1101–1250, ed. Erich Meuthen (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 58), Bonn 1972; Codex diplomaticus Ebracensis I: Die Urkunden der Zisterze Ebrach 1127–1306, ed. Elke Goez (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte III/7), Neustadt a.d. Aisch 2001; Le carte dell’Abbazia di S. Croce di Sassovivo 3: 1166–1200, ed. Riccardo Capasso, Firenze 1983; 4: 1201–1214, ed. Attilio Bartoli Langeli, Firenze 1976; 5: 1215–1222, ed. Giovanna Nicolaj-Petronio/Attilio di Luca, Firenze 1979; Carte dell’Archivio di Stato di Siena, Abbazia di Montecelso (1071–1255), ed. Antonella Ghignoli (Fonti di storia senese), Siena 1992; Maria Pia Alberzoni, Innocenzo III e la difesa della libertas ecclesiastica nei comuni dell’Italia settentrionale, in: Innocenzo III. Urbs et Orbis 2 (wie Anm. 1) S. 837–928; Jochen Johrendt, Urkundenregesten zum Kapitel von St. Peter im Vatikan (1198–1304) (Studi e testi 460), Città del Vaticano 2010; Stefan Petersen, Prämonstratensische Wege nach Rom. Die Papsturkunden der fränkischen und schwäbischen Stifte bis 1378 (Studien und Vorarbeiten zur Germania Pontificia 10), Köln/Weimar/Wien 2015. In Einzelfällen konnten außerdem Urkundenabbildungen im Hinblick auf Schreibersiglen konsultiert werden, die über Plattformen wie Monasterium (http://www.monasterium.net/mom/fonds, eingesehen 24.11.2017) oder Diplomata Belgica (http://www.diplomata-belgica.be/colophon_fr.html, eingesehen 24.11.2017) in digitalisierter Form zugänglich gemacht werden. Vgl. zu diesen Ressourcen unten S. 157. 36 Für die Pontifikate der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts fehlt eine solche Zusammenschau bisher. Für das Kanzleipersonal und insbesondere die Schreiber während der Pontifikate Alexanders IV. bis Benedikts XI. siehe die reich dokumentierte Arbeit von Gerd Friedrich Nüske, Untersuchungen über das Personal der päpstlichen Kanzlei 1254–1304, in: AfD 20 (1974) S. 39–240, 21 (1975) S. 249–431. Ein erster und wesentlicher Schritt zu einer Zusammenschau für den Zeitraum von 1198 bis 1862 ist der von Sergio Pagano erstellte Gesamtindex in Schedario Baumgarten 4 (wie Anm. 33).
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schon früher37, andererseits sind keineswegs alle ab 1204 ausgestellten Urkunden mit Schreibervermerken versehen38. Für das Vorkommen von Vermerken nach Urkundenarten läßt sich keine Regel feststellen: sie finden sich gleichermaßen auf feierlichen Privilegien wie auf Briefen, auch – obwohl dies verneint worden ist39 – auf litterae clausae40. Ein grundsätzliches Problem stellt die Lesung und Interpretation der Siglen dar, die wegen der großen Zahl der Bearbeiter des Censimento und des langen Zeitraumes, über den sich die Erfassung der Dokumente hinzieht, mitunter zu Mehrdeutigkeiten führt, die ohne Einsichtnahme der Originale nicht mehr aufklärbar sind. So ist die Unterscheidung der Majuskelbuchstaben C und G manchmal nicht ganz einfach. Während J. C. nur zwei- oder dreimal nachgewiesen ist41, ist J. G. sechzehnmal belegt. Vermutlich ist daher die Lesung J. G. die zutreffende – eine endgültige Entscheidung kann allerdings nur eine nochmalige Kontrolle aller in Frage kommender Stücke bringen. Manchmal stimmen auch die Beobachtungen verschiedener Bearbeiter zum selben Stück nicht überein – so, wenn Das früheste Beispiel im hier untersuchten Bestand ist ein feierliches Privileg, datiert 1199 X 20, Schwarz, Niedersachsen (wie Anm. 23) Nr. 1. 38 Dies ist besonders deutlich an dem großen von Barbiche, Paris (wie Anm. 22) erfaßten Bestand zu erkennen. Insgesamt werden 123 von Innocenz III. ausgestellte Urkunden beschrieben. Die erste mit Schreibervermerk ist Nr. 50 (1204 V 14). Von den 73 danach ausgestellten Urkunden tragen 42 einen Schreibervermerk, 31 keinen. Für diese hohe Zahl wird nicht in jedem Fall ein Verlust des Vermerks durch Beschädigung der Urkunde verantwortlich gemacht werden können. Vgl. auch die Zusammenstellung in: Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden (wie Anm. 35) S. 253. 39 Sayers, England (wie Anm. 30) S. lxxxi, mit dem Hinweis, daß die Anbringung des Schreibervermerks auf eine ursprünglich offen beabsichtigte Expedition hinweisen könnte. Allgemein zu den litterae clausae vgl. Christoph Egger, Littera patens, littera clausa, cedula interclusa. Beobachtungen zu Formen urkundlicher Mitteilungen im 12. und 13. Jahrhundert, in: Wege zur Urkunde – Wege der Urkunde – Wege der Forschung. Beiträge zur europäischen Diplomatik des Mittelalters, hg. von Karel Hruza/Paul Herold (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 24), Wien/Köln/Weimar 2005, S. 41–64; Werner Maleczek, Litterae clausae der Päpste vom 12. bis zum frühen 14. Jahrhundert, in: Kuriale Briefkultur im späten Mittelalter. Gestalt – Überlieferung – Rezeption, hg. von Tanja Broser/Andreas Fischer/Matthias Thumser (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 37), Köln/Weimar/Wien 2015, S. 55–128, mit einer Liste erhaltener litterae clausae, allerdings ohne Berücksichtigung der Kanzleivermerke; auch weist die Liste verwunderliche Lücken auf – so fehlen etwa die in Carte dell’Abbazia di Sassovivo 4 (wie Anm. 35) Nr. 101, 107 und 176 gedruckten litterae clausae. 40 So etwa Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 39 und Nr. 62. 41 Strnad, Trisulti (wie Anm. 35) S. 46 f. Nr. 2; Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 47 (J. C.) und Nr. 58 („J C oder J G“), im Index S. 374 wird für beide Stücke die Alternative „J C oder J G“ angeführt. 37
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Baumgarten auf einer littera cum serico an den Erzbischof von Sens und seine Suffragane einen Schreibervermerk erkennt42, Barbiche hingegen nicht43. Der von Baumgarten auf einer littera clausa im Staatsarchiv Mailand festgestellte Vermerk p. Lauden. ist nur dieses eine Mal nachgewiesen44, was mit gutem Grund zu denken gibt: Tatsächlich handelt es sich nicht um einen Schreibervermerk, sondern um eine im 13. Jahrhundert eingetragene Ergänzung der Adresse 45. Ein schwieriges Problem ist schließlich die Frage, ob derselbe Schreiber seine Sigle auch variiert, ob sich also etwa hinter den Siglen b. F. (neun Nachweise)46 und ben. (ein Nachweis)47 eine oder zwei Personen verbergen – für die erste Variante spricht, daß beide Schreibervermerke konsequent vom Brauch der meisten anderen Schreiber abweichen und auf der Plica links stehen. Auch hier wird eine Entscheidung nur durch eine eingehende Prüfung der Originale und vor allem durch einen Vergleich der Schrift der Briefe zu erreichen sein. Diese Aufzählung ließe sich leicht fortsetzen und zeigt deutlich die Bedeutung einer allgemein zugänglichen und qualitativ hochwertigen Bilddokumentation der Urkunden – eine Aufgabe, die erst seit einigen Jahren durch die Digitalisierung großer Urkundenbestände realisierbar erscheint48. Welche Schreibersiglen finden sich nun auf den Urkunden Innocenz’ III. und welche Schreiber sind auch sonst namentlich bekannt? Insgesamt lassen sich auf den 372 durchgesehenen Urkunden etwa 40 Schreiber feststellen – die Unsicherheit ist durch die aufgezeigte Problematik der zum Teil uneindeutigen Schreibersiglen verursacht. Auch konnten manche Siglen bisher nur ein- oder zweimal festgestellt werden – für sie ist zu fragen, ob es sich wirklich um Schreibersiglen handelt oder ob andere Vermerke vorliegen, die nicht einmal immer aus der Kanzlei selbst stammen müssen49. Aus Platzgründen ist es leider nicht möglich, in diesem Beitrag Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 280. Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 100. 44 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 206; ebd. 4, Index S. 628. Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 27 verweist darauf, daß in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Schreibernamen meist sehr stark gekürzt sind; weniger radikale Kürzungen sind daher für die Frühzeit verdächtig. 45 Alberzoni, Innocenzo III e la difesa (wie Anm. 35) S. 921 (Edition des Briefes). 46 Zum Schreiber b.F. siehe unten. 47 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 261. 48 Vgl. dazu die Bemerkungen unten S. 157. 49 So können gewisse Archivvermerke auf den Urkunden aus dem Archiv des Kapitels von St. Peter in Rom als Schreibersiglen mißverstanden werden. Zu diesen Archivvermerken vgl. Johrendt, Urkundenregesten St. Peter (wie Anm. 35) S. 16 mit Anm. 28. 42 43
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alle Schreiber mit den Belegen ihres Vorkommens aufzulisten – für diese Liste, deren kontinuierliche Weiterführung beabsichtigt ist, erscheint eine webbasierte Veröffentlichung außerdem wesentlich zweckmäßiger50. Stattdessen werden im Folgenden einige Beobachtungen mitgeteilt, die sich aus Informationen ergeben, die erst durch die Zusammenschau der Siglen deutlich erkennbar geworden sind. Dabei wird auch Gelegenheit sein, einige Schreiber, über deren Aktivitäten mehr Informationen gewonnen werden können, vorzustellen.
a) Die Position der Schreibervermerke Vom Anfang ihres Vorkommens an sind die Schreibersiglen in der Regel auf der Plica rechts zu finden. Einige wenige Schreiber weichen von dieser Gewohnheit ab, und zwar bemerkenswerter Weise nicht nur bloß gelegentlich, sondern konsequent. Es handelt sich um folgende Schreiber: and(reas) Erstmals ist er 1209 XI 7 belegt51, letztmals 1222 V 952. Da ein and., der 1245 IV 8 in Lyon eine littera cum filo canapis schreibt, ebenfalls links sig niert, handelt es sich möglicherweise trotz des großen zeitlichen Abstandes um dieselbe Person53. In Innocenz’ Pontifikat ist er gegenwärtig aus sechs Urkunden bekannt. Magister Andreas war eifrig um Pfründen bemüht. Da er während der französischen Legation des Kardinals Guala, also zwischen Juni 1208 und Oktober 1209, von diesem mit einer Pfründe an der Kathedrale von Limoges providiert wurde, befand er sich vermutlich in der Begleitung des Kardinals54. Im September 1216 befiehlt Honorius III. dem Erzbischof, Dekan und Kapitel von Bourges, dem magister Andreas scriptor noster eine Pfründe in ihrer Kirche zu verleihen, wobei er auf die großen Verdienste des Andreas um die Kirche von Bourges ver Einige Überlegungen hierzu finden sich am Ende des Beitrages. Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 20. 52 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 668. 53 Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 324. 54 Innocenz III., Reg. XIII, 199 (201) – 200 (202) = Die Register Innocenz’ III., 13. Pontifikatsjahr (1210/1211), ed. Andrea Sommerlechner/Herwig Weigl u. a., Wien 2015, S. 297–301 von 1211 I 23 und 24. Vgl. Nicholas Vincent, The Letters and Charters of Cardinal Guala Bicchieri, Papal Legate in England 1216–1218 (Canterbury and York Society 83), Woodbridge 1996, S. XXXVI. 50 51
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weist55. Die Adressaten wußten dies allerdings nicht entsprechend zu würdigen, denn im Jänner 1217 setzte Honorius Exekutoren ein, die das Kapitel von Bourges erneut und nun unter Androhung von Kirchenstrafen zwingen sollten, den Prokurator des Andreas in die Pfründe einzusetzen56. b.f. Er tritt unter Innocenz erstmals 1207 I 857 und letztmals 1216 V 31 auf58, bleibt aber bis mindestens 1232 III 16 als Schreiber aktiv59. Baumgarten60 hat vorgeschlagen, ihn mit Benedictus de Fractis zu identifizieren, der 1221 VII 8 auf eine Pfründe in der Kathedrale von S. Severina in Kalabrien providiert wird, auf die zuvor der Kardinaldiakon Rainer von S. Maria in Cosmedin resigniert hatte61. Der aus diesem Vorgang entstehende Eindruck eines Nahverhältnisses zum Kardinal könnte auch ein Hinweis sein, daß er mit dem in einem Brief Rainers an den Kleriker des englischen Königs Ralph de Neville genannten magister Benedictus identisch ist, der sich pro nostris procurandis negotiis am englischen Hof aufgehalten hatte62. Rainer war vor seiner Kardinalserhebung 1216 Notar der päpstlichen Kanzlei. Benedictus de Fractis findet sich bereits damals in seiner Umgebung63. Honorius III. Reg. I, 16 (Archivio Segreto Vaticano, Registra Vaticana [im Folgenden: ASV, RV] 9, f. 4r; Regesta Honorii papae III, ed. Petrus Pressutti, 2 Bde., Roma 1888–1895, hier 1, S. 6 Nr. 29; 1216 IX 7); darin heißt es u. a.: in seruitio ecclesie uestre diutius fideliter insudaret, frequenter pro ipsius negotiis ad sedem apostolicam sub magno discrimine labo rando. War Andreas als Prokurator für Bourges tätig? 56 Honorius III. Reg I, 154 (ASV, RV 9, ff. 36v–37r; Pressutti 1, S. 42 f. Nr. 235; 1217 I 15). 57 Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 (wie Anm. 35) Nr. 62. 58 Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 93. Wahrscheinlich gehört ihm auch die einmalig (aber ebenfalls auf der Plica links) eingetragene Sigle ben.: 1210 X 26, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 261. 59 Sayers, England (wie Anm. 30) Nr. 170. Die Sigle b.F. wird etwas später auch von einem anderen Schreiber verwendet, der aber stets rechts signiert: Nüske, Untersuchungen 1 (wie Anm. 36) S. 173 f. Nr. 39. 60 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 215. 61 Honorius III., Reg. V, 756 (ASV, RV 11, f. 151v; Pressutti 1, 567 f. Nr. 3493); vgl. Norbert Kamp, Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien. I: Prosopographische Grundlegung. Bistümer und Bischöfe des Königreichs 1194–1266 (Münstersche MittelalterSchriften 10/1–4), München 1973–1982, hier 2, S. 886. 62 Diplomatic Documents Preserved in the Public Record Office I: 1101–1272, ed. Pierre Chaplais, London 1964, Nachdr. Nendeln 1976, S. 83 Nr. 117 f. (zwei leider undatierte Ausfertigungen). 63 Zeugenliste eines Notariatsinstruments von 1215 VI 7, Liber Censuum 1 (wie Anm. 7), S. 456 f. Nr. 204. 55
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I (J) Diese Sigle findet sich über einen sehr langen Zeitraum, so daß die Frage angebracht ist, ob es sich wirklich um nur eine Person handelt. Vom ersten Beleg 1204 II 564 an ist diese Sigle unter Innocenz III. bisher zehnmal nachgewiesen; der letzte derzeit bekannte Beleg findet sich im Pontifikat Gregors IX. auf einer 1239 V 29 ausgestellten Urkunde.65 Ab 1207 kommt die Sigle I (J) gelegentlich auch auf der rechten Seite der Plica vor66. Hier können nur paläographische Untersuchungen klären, ob es sich um eine oder mehrere Personen handelt. Ia., Jac. Auch mit diesen Siglen sind Identitätsprobleme verbunden. Es handelt sich vermutlich um zwei Schreiber, von denen einer seine Sigle geringfügig variiert. Ia. schreibt zweimal 1206 und 1207 und signiert auf der linken Seite der Plica67. Dasselbe tut allerdings auch einmal Jac., während die zwei weiteren gleichlautenden Siglen sich jeweils auf der rechten Seite der Plica finden68. Zahlreiche und nicht leicht auseinanderzuhaltende Belege finden sich im Pontifikat Honorius’ III. Der 1206 und 1207 schreibende Ia wurde von Baumgarten mit einem im 4. Pontifikatsjahr Innocenz’ III. mit einer Pfründe in Lille bedachten Iaco bus scriptor pape identifiziert69.
Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 10. Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 423. Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Index S. 374 unterscheidet zwei Schreiber, die von 1208 bis 1216 und von 1230 bis 1236 tätig sind, denen aber die Signatur links gemeinsam ist. 66 Erstmals Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 (wie Anm. 35) Nr. 69 (1207 VII 11), dann Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 393 (1216 XII 13). Ein außerordentlich früher, ganz allein stehender und daher zu überprüfender Beleg ist Schwarz, Niedersachsen (wie Anm. 23) Nr. 1 (1199 X 20). 67 Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 16 (1206 XI 4); Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 69 (1207 XII 9). 68 Jac. auf der Plica links: Schwarz, Niedersachsen (wie Anm. 23) Nr. 5 (1205 V 2); auf der Plica rechts: Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 52 (1206 V 29); Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 26 (1207 III 15). Eine weitere Sigle Jac. findet sich 1205 V 27, doch macht Delisle, Mémoire (wie Anm. 20) S. 32 Anm. 3 leider keine Angaben zur Position. 69 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 178 und 204; Theiner, Vetera monumenta 1 (wie Anm. 8) S. 61 Nr. 208 (1201, c. November; Po 1534). 64 65
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La., Laur. La(urentius) schreibt von 1207 III 6 bis 1210 II 4 acht Urkunden, wobei er seine Sigle konsequent auf die linke Seite der Plica setzt. Deswegen ist zu vermuten, daß der Urheber der sieben Siglen La. und der einen Sigle Laur. dieselbe Person ist70. Weiterer Angaben zu ihm sind derzeit nicht bekannt. o Nur einmal (1210 XII 18) in Innocenz’ Pontifikat ist bisher der auf der Plica links signierende Schreiber o nachgewiesen71. Er wird kaum mit dem seit 1211 nachweisbaren, konsequent rechts signierenden und seinen Namen immer ausschreibenden Otto zu identifizieren sein72. Die Sigle o auf der Plica links findet sich auch noch später73, allerdings parallel zu einem o, der rechts signiert74. Ob es sich um eine oder mehrere Personen handelt, kann hier nicht geklärt werden. Für mindestens fünf Schreiber ist somit eine konsequente Signatur links auf der Plica nachweisbar, und zwar noch weit über die Frühzeit der Schreibersiglen hinaus. Die naheliegende Frage, ob es sich um eine individuelle Eigenheit ohne weitere Bedeutung handelt oder ob dadurch eine bestimmte Eigenschaft des signierenden Schreibers ausgedrückt wird, ist gegenwärtig nicht beantwortbar. In bisher zwei Fällen sind Signaturen nur in der Mitte der Plica im Bereich der Befestigungsschnüre der Bullen feststellbar. Beide Signaturen – .P. V.75 und J VI76 – sind bisher lediglich unikal belegt. Einmal steht neben einem rechts auf der Plica angebrachten eindeutigen Schreibervermerk mittig noch der Buchstabe B77. Es dürfte sich bei diesen in der Mitte der Plica zu Erster Nachweis Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 25 (1207 III 6); letzter Nachweis ebd., Nr. 42 (1210 II 4). 71 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 265. 72 Otto schreibt 1211 IV 11 zwei litterae cum filo canapis (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 44 f.; dazu unten S. 148 f.) und tritt sporadisch bis in den Pontifikat Honorius’ III., vielleicht sogar Gregors IX. (Schmidt, Baden-Württemberg 1 [wie Anm. 25] Nr. 135) auf. 73 Noch im Pontifikat Innocenz’ IV.: 1246 X 9 (Schmidt, Baden-Württemberg 1 [wie Anm. 25] Nr. 231–237); 1248 I 24 (Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 619). 74 Unter Honorius III. und Gregor IX., z. B. Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 121, 159; Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 267. 75 Eine littera cum serico, 1204 V 7, Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr.11; ebd. im Index der Scriptoren fehlt diese Sigle. 76 Eine littera cum filo canapis, 1211 XII 10, Strnad, Trisulti (wie Anm. 35) S. 54 f. Nr. 8. 77 1213 I 23, Carte dell’Abbazia di Sassovivo 4 (wie Anm. 35) Nr. 177. Der Schreibervermerk stammt vom wohlbekannten m.s.c. (siehe unten S. 133 f.); eine Schreibersigle B gibt es 70
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findenden Vermerken nicht um Schreibersiglen handeln – vielleicht wurden die Vermerke von den Bullatoren angebracht78. Ebenfalls keine Schreibersigle ist der auf vielen Urkunden am oberen Rand der Vorderseite zu findende kleine Buchstabe p; seine Bedeutung ist bisher ungeklärt79.
b) Die Frequenz der Schreibervorkommen Aufgrund der noch begrenzten Materialbasis derzeit nicht wirklich beantwortbar ist die Frage nach der Zahl der unter Innocenz III. in der Kanzlei tätigen Schreiber. Schon für das fünfte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts wird eine Zahl von etwa 100 in der Kanzlei tätigen Schreibern genannt80, aber für den Pontifikat Innocenz’ III. sind gegenwärtig nicht annähernd so viele nachweisbar – zumal festzuhalten ist, daß natürlich nicht alle Schreiber gleichzeitig auftreten. Einen ersten Überblick kann die folgende Tabelle vermitteln, die allerdings nur die häufig vorkommenden Siglen berücksichtigt und in der außerdem aus Gründen der besseren Übersicht gewisse Vereinfachungen vorgenommen sind.
ebenfalls, sie findet sich konsequent rechts auf der Plica; siehe unten S. 129 f. 78 Im Index der Scriptoren in Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) fehlt P. V., es bestanden also offensichtlich Zweifel hinsichtlich seiner Schreibereigenschaft. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 35) S. 406 Nr. 25 sieht in P. V. einen Bullator. Zu den Bullatoren, die auch in Innocenz’ Kanzleiordnung genannt sind (vgl. oben Anm. 14), siehe Paul Maria Baumgarten, Aus Kanzlei und Kammer. Erörterungen zur kurialen Hof- und Verwaltungsgeschichte im XIII. XIV. und XV. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 1907, passim; Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 238 f. mit Anm. 486, wo Baumgartens Behauptung, daß die Bullatoren nicht schreiben konnten, mit guten Gründen in Zweifel gezogen wird. Falls die hier erwähnten Siglen tatsächlich von den Bullatoren stammen, wären sie ein weiteres Argument gegen diese Annahme. 79 Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery (wie Anm. 1) S. 95. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 35) S. 609 Nr. 33 ist daher zu streichen. 80 Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 28.
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a (6) AC/AG/AT (18) al./alex. (25)
▶
and(reas) (6)
▶
aston. (2)
▶
*
.b. (4) B (15) b.F./ben.* (Benedictus de Fractis?) (10)
▶
G(entilis?) (20)
▶
Guilh(elmus) (21) ▶
hug(o) (2) Ia/Iac(obus) (3) *
Iac(obus) (2)
▶
Iordanus (15)
▶
I/J (10)
▶
J. C./J. G. (19)
▶
*
J.R. (3) K (5) La/Laur(entius)* (8) m. (4)
▶
m. de are (26) M.S.C. (18) Matheus (1) o b (Obizo?) (5) Otto (5)
▶
p. a. (8) Pe. (15) .r. (2) Ray(mundus) (5) Ric(ardus) (rdSg) ((8)
▶
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Name und Zahl der Belege unter Innocenz III.
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Roff(ridus) (12) Sc/Sca(mbius) (7)
▶
W de Venafro (15) Die Tabelle berücksichtigt nicht die zwei Belege aus den Jahren 1199 und 1200. Die Zahlen nach den Schreibersiglen geben an, auf wievielen Stücken die jeweilige Sigle vorkommt. ▶ auch unter Innocenz’ III. Nachfolgern nachgewiesen signiert links
*
Unter den hier gelisteten Schreibern finden sich einige, die sehr häufig und relativ kontinuierlich auftreten. Bereits 1203 findet sich die Sigle a81, die in Innocenz’ Pontifikat bisher sechsmal nachgewiesen ist und auch danach noch bis mindestens 1219 vorkommt82. Freilich ist für eine aus einem Einzelbuchstaben bestehende Sigle die Eindeutigkeit noch schwieriger zu gewährleisten, so daß weitergehende Aussagen vorerst nicht möglich sind. Das gilt auch für die ab 120683 vorkommende Sigle B., für die sich die Frage der Identität besonders drängend stellt – nicht nur ist viermal auch die Sigle b. nachweisbar84, sondern die Sigle findet sich auch weiterhin im 13. Jahrhundert, so daß ohne eingehende paläographische Untersuchungen eine Unterscheidung der Schreiber kaum machbar ist. Auch die Zuweisung eines Namens ist derzeit nur vermutungsweise möglich. In einem Schreiben, in dem der Erzbischof Anselm von Neapel Innocenz III. über die Aktionen des Markward von Annweiler und den Sieg der vom päpstlichen Legaten Kardinalpriester Cinthius von S. Lorenzo in Lucina und Jakob von Andria geführten päpstlichen Truppen berichtet, ist ein päpstlicher scriptor magister Bartholomaeus erwähnt, der sich in der Begleitung des Legaten befand85. Falls allerdings die von Norbert Kamp geäußerte 1203 VI 26, Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 38. 1219 IX 30, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 542. 83 Zöllner, Magdeburg II (wie Anm. 31) Nr. 5 (1206 IV 11). 84 Erstmals 1204 XI 16 (Sayers, England [wie Anm. 30] Nr. 31), letztmalig in Innocenz’ Pontifikat 1213 I 22 (Carte dell’Abbazia di Sassovivo 4 [wie Anm. 35] Nr. 176). Im Index des Schedario Baumgarten (Schedario 4 [wie Anm. 33] S. 514) wird nicht zwischen B. und b. unterschieden. Vgl. auch den Überblick in: Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden (wie Anm. 35) S. 255. 85 Gesta Innocentii c. 26, Migne PL 214, Sp. XLIX–LII. 81 82
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Vermutung zutrifft, daß dieser Bartolomäus identisch ist mit einem gleichnamigen päpstlichen Subdiakon und Kaplan, der 1203 zum Erzbischof von Trani erhoben wurde, kommt eine Identifizierung mit dem Scriptor B. nicht in Frage86. Das Problem der paläographischen Unklarheit stellt sich auch für die Sigle A C/A T/a G (A. G), denn leider ist eine Unterscheidung der Majuskelformen von C, G und T durchaus nicht immer einfach, so daß es sogar bei erfahrenen Bearbeitern zu widersprüchlichen Lesungen kommen kann87. Unter der Annahme, daß es sich um die Sigle eines Schreibers handelt, zeigt sich ein sehr aktiver Kanzleimitarbeiter, der zwischen 1208 und 1216 achtzehnmal auftritt und anscheinend mit Innocenz’ Tod seine Tätigkeit einstellt88. Falls (wie Baumgarten es annimmt89) die Siglen al. und alex dieselbe Person bezeichnen, handelt es sich bei diesem Schreiber um eine der aktivsten Kräfte in der Kanzlei. al. schreibt zwischen 1206 VI 2290 und 1216 V 2391 18 Urkunden, alex. zwischen 1204 X 3092 und 1216 III 893 sieben. Auch unter Honorius III. und in den ersten Jahren Gregors IX. tritt er noch in Erscheinung94. Im Schedario Baumgarten wird er als Alexander de Montefiascone identifiziert. Ein päpstlicher Skriptor dieses Namens ist Kamp, Kirche und Monarchie 2 (wie Anm. 61) S. 552; Jochen Johrendt, Der vierte Kreuzzug, das lateinische Kaiserreich und die päpstliche Kapelle unter Innocenz III., in: Legati, delegati e l’impresa d’Oltremare (secoli XII–XIII)/Papal Legates, Delegates and the Crusades (12th–13th Century). Atti del convegno internazionale di studi Milano, Università Cattolica del Sacro Cuore, 9–11 marzo 2011, hg. von Maria Pia Alberzoni/Pascal Montaubin (Ecclesia militans 3), Turnhout 2014, S. 51–114, hier S. 80 f. 87 Auf einer littera cum serico von 1212 V 26 liest Baumgarten (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 278) die Schreibersigle a c; Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 98 liest auf derselben Urkunde die Sigle a. G.; dasselbe gilt für eine littera von 1216 VI 10 (Schedario 1, Nr. 348 = Barbiche, Paris 1, Nr. 122). In Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden (wie Anm. 35) S. 254 (Index) wird eine Identität der Siglen ausdrücklich für möglich gehalten. Das analoge Problem für die Sigle JC/JG wurde bereits oben geschildert. 88 Daß der in Schedario 2 (wie Anm. 33) Nr. 2511 für 1256 V 11 notierte ac mit ihm identisch ist, ist kaum anzunehmen. 89 Schedario 4 (wie Anm. 33) S. 503; so auch Jane E. Sayers, Papal Government in England During the Pontificate of Honorius III (1216–1227) (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought, Ser. 3, 21), Cambridge 1984, S. 197. Petersen, Prämonstratensische Wege (wie Anm. 35) S. 597 f. vermutet zwei Personen. 90 Zöllner, Magdeburg II (wie Anm. 31) Nr. 7. 91 Schwarz, Niedersachsen (wie Anm. 23) Nr. 25. 92 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 17. 93 Sayers, England (wie Anm. 30) Nr. 59. 94 Der derzeit letzte Nachweis ist Sayers, England (wie Anm. 30) Nr. 150 (1229 IV 10). 86
Die Schreiber der päpstlichen Kanzlei unter Papst Innocenz III.
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1223 als Prokurator des Bischofs von Bagnoregio erwähnt95. 1226 beauftragt Honorius III. den Erzbischof von Korinth und andere mit der Untersuchung schwerer Vorwürfe gegen den Bischof von Olena (Peloponnes, Erzdiözese Patras). Zu den Anschuldigungen gehört, daß der Bischof den päpstlichen Scriptor Alexander von Montefiascone unter massiver Gewaltanwendung daran gehindert habe, eine durch päpstliche Provision übertragene Pfründe in Besitz zu nehmen96. Auch für die Sigle G., die sich zwischen 1200 und 1215 zwanzigmal findet97 und auch noch unter Honorius III. nachweisbar ist98, bleibt noch zu überprüfen, ob ein oder mehrere Schreiber dahinter stehen99. Als mögliche – aber keineswegs zwingende – Auflösung wurde Gentilis vorgeschlagen. Ein päpstlicher Skriptor dieses Namens erhält 1220 eine Kanonikerpfründe an der Kathedrale von Mileto in Kalabrien, nachdem der vorherigen Inhaber, ein Kaplan des Kardinalpriesters Leo Brancaleone von S. Croce, freiwillig darauf resigniert hatte100. Möglicherweise kann daraus auf eine Zugehörigkeit des Gentilis zur Familia des Kardinals Leo geschlossen werden. Zwischen 1207 und 1213 kommt die Sigle Guill(elmus) insgesamt einundzwanzigmal vor101. Baumgarten hat vorgeschlagen, ihn mit dem aus dem Kanzleiregister bekannten päpstlichen Skriptor Wilhelm de Marcheio Siehe unten S. 147. 1226 V 6, Honorius III., Reg X, 274 (ASV, RV 13, f. 129v; Pressutti 2, S. 419 f. Nr. 5918); gedruckt in Bullarium Hellenicum. Pope Honorius III’s Letters to Frankish Greece and Constantinople (1216–1227), ed. William O. Duba/Christopher D. Schabel (Mediterranean nexus 1100–1700 3), Turnhout 2015, S. 565–568 Nr. 270. 97 Erstmals Papsturkunden Westfalens (wie Anm. 34) Nr. 178 (1200 V 24), dann Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 13 (1204 V 18), letztmals Linhean, Portugal (wie Anm. 32) Nr. 88 (1215 V 9). 98 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) verzeichnet das letzte Vorkommen der Sigle G. zu 1222 II 4 (Nr. 100), unterscheidet davon allerdings eine zweite Sigle G, die er nur einmal, nämlich 1204 XII 7 (Nr. 18), findet. 99 Sayers, England (wie Anm. 30) Index S. 503 Nr. 97 und 100 unterscheidet zwei Schreiber. 100 Honorius III., Reg. V, 257 (ASV, RV 11, f. 51v; Pressutti 1, S. 475 Nr. 2871; 1220 XII 15). Die öfter (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 154; Schmidt, Baden-Württemberg 1 [wie Anm. 25] Index S. 627) zu findende Bezeichnung des Gentilis als „canonicus Reginensis“ geht vermutlich auf eine irrige Lesung des päpstlichen Provisionsmandates zurück, das an den Erzbischof von Reggio Calabria gerichtet ist. 101 Erstmals 1207 VII 12 (Linehan, Portugalia Pontificia [wie Anm. 32] Nr. 57), letztmals 1213 VIII 9 (München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Hochstift Passau, Urkunde 53, online http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/HUPassau/53/charter, eingesehen 24.11.2017). 95 96
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zu identifizieren102. Dieser wird erstmals 1198 IV 4 in Zusammenhang mit einem Prozeß gegen den Abt von Saint-Maixent (Diöz. Poitiers) als der Prokurator des Abtes erwähnt: dilectus filius magister W(illelmus) de Mer cato, scriptor noster, procurator eiusdem abbatis103. Wenige Tage später erhalten einige kirchliche Würdenträger aus Saintes den Auftrag, den magi strum Will(elmu)m de Marcheio, scriptorem nostrum in ein Kanonikat in Poitiers einzuführen, das ihm schon von Cölestin III. verliehen worden war, wogegen aber einige Kanoniker Widerstand geleistet hatten104. Die Angelegenheit war auch mehr als ein Jahr später nicht zur Zufriedenheit erledigt, so daß Innocenz neuerlich und nun in sehr barschem Tonfall den Auftrag erteilte, den Wilhelm in sein Kanonikat einzuführen, nötigenfalls unter Anwendung von Kirchenstrafen gegen die Widerspenstigen105. Dieser Brief enthält ein interessantes neues Detail zur Person des Wilhelm. Die Provision sei zuerst von Cölestin III. und dann wieder von Innocenz selbst ausgesprochen worden pro dilecto filio W(illelm)o camere nostro scriptore. Ausgehend von dieser Stelle wird Wilhelm in der Literatur als „Skriptor der päpstlichen Kammer“ bezeichnet, obwohl dies grammatikalisch gar nicht zutreffend ist, da camere und nostro scriptore nicht zusammengehören. Wäre Wilhelm wirklich Schreiber der Kammer, müßte es statt „nostro“ „nostre“ heißen106. Der Wortlaut der Stelle scheint eher darauf hinzudeuten, daß camere ein Beiname zu „Willelmo“ ist. Leider wird die Sache aber durch die folgenden Briefe nicht klarer. Die widerspenstige Partei im Domkapitel von Poitiers verharrte nämlich in ihrem Widerstand, weswegen Innocenz im April 1200 neuerlich Briefe in der Angelegenheit versandte, durch die einerseits der Widerstand im Kapitel gebrochen werden und andererseits Wilhelm eine Pension aus einer Pfründe in Angers erhalten sollte107. Auch im Jahr 1203 war der Konflikt noch nicht ganz beigelegt, wie eine Anordnung des Papstes auf eine Anzeige des nunmeh-
Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 277. Innocenz III., Reg. I (wie Anm. 8) S. 96–98 Nr. 67. 104 Innocenz III., Reg. I (wie Anm. 8) S. 210 f. Nr. 145, 1198 V 6. 105 Innocenz III., Reg. II, 186 (195) = Die Register Innocenz’ III., 2. Pontifikatsjahr (1199/1200), ed. Othmar Hageneder/Werner Maleczek/Alfred A. Strnad, Rom/Wien 1979, S. 352–355, 1199 IX 22. 106 Ebd. S. 353 Z. 22. Der Text wurde anhand der Handschrift (BAV, RV 4, f. 189v) kontrolliert. 107 Die Briefe waren im verlorenen Teil des 3. Registerjahrganges enthalten und sind nur aus den Rubricellen bekannt: Theiner, Vetera monumenta 1 (wie Anm. 8) S. 48 Nr. 53–56. 102 103
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rigen Kanonikers Wilhelm und eines Mitkanonikers zeigt108. Hier heißt es: Significantibus siquidem dilectis filiis magistro W(illelmo) camere nostre scriptore ... – die Übereinstimmung der wesentlichen Worte rechtfertigt nun tatsächlich die Rede von einem Skriptor der päpstlichen Kammer; allerdings ist in der Eintragung des Briefes im Kanzleiregister ausgerechnet das -e in nostre korrigiert, und zwar entweder aus einem o in ein e oder umgekehrt109. Offenbar herrschte in der Kanzlei eine gewisse Unsicherheit über die zutreffende Bezeichnung des Wilhelm. Das Mißtrauen gegen die Amtsbezeichnung „scriptor camere“ wird auch nicht dadurch verringert, daß es sich bei dieser Stelle um das einzige Vorkommen für lange Zeit handelt110. Auch der 1192 im Prolog des Liber censuum genannte Wilhelm Rofio wird ausdrücklich als clericus camere et cancellarie domini pape scriptor bezeichnet, er ist also Kammerkleriker und gleichzeitig Kanzleischreiber111. Insgesamt wird daher gegenüber der Bezeichnung „Kammerschreiber“ für Wilhelm de Marcheio Skepsis angebracht sein. Unzweifelhaft war er hingegen Kanzleischreiber, und falls er wirklich mit dem Inhaber der Schreibersigle Guilh. identisch ist, gehörte er auch zu den aktiveren seines Standes. Iordanus, der seine Namenssigle manchmal ausschreibt, ist ebenfalls einer der häufiger anzutreffenden Schreiber. Erstmals erscheint er im November 1205 und schreibt bis Juli 1214 fünfzehn Urkunden112. Dann ist er bis zum Ende von Innocenz’ Pontifikat nicht mehr nachgewiesen; unter Honorius III. nimmt er seine Tätigkeit wieder auf und schreibt auch noch unter Gregor IX.113. Besonders häufig anzutreffen ist der mit M. de are(ola) signierende Schreiber: zwischen 1204 und 1216 ist er sechsundzwanzigmal belegt114. Achtzehnmal kommt im selben Zeitraum der Schreiber M(atheus) Innocenz III., Reg. V (wie Anm. 8) S. 294 f. Nr. 151 (152), 1203 I 26. Ebd. S. 295 Z. 6 f. mit Anm. c. 110 Belege für scriptores camere finden sich erst in den frühen 1230erjahren: Paul Maria Baumgarten, Miscellanea diplomatica II, in: Römische Quartalschrift 28 (1914) S. 87*– 129*, S. 169*–198*, hier S. 107* zu möglicherweise mehreren Personen namens Palmerius; auch Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 41; Nüske, Untersuchungen 2 (wie Anm. 36) S. 365. 111 Siehe oben Anm. 7. 112 Erstmals 1205 XI 5 (Prag, Národní archiv, Maltézští rytíři – české velkopřevorství 4, digitalisiert: http://monasterium.net/mom/CZ-NA/RM/4/charter [eingesehen 11.9.2017]); letztmals unter Innocenz 1214 VII 20 (Schmidt, Baden-Württemberg 1 [wie Anm. 25] Nr. 29). 113 Derzeit letzter Beleg: Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 143 (1235 VI 1). 114 Erstmals Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 53 (1204 XII 1), letztmals Schwarz, Niedersachsen (wie Anm. 23), Nr. 24 (1216 II 1). 108 109
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s. C(ecilia) vor115. Unter Honorius III. scheinen beide nicht mehr gearbeitet zu haben. Leider konnten bisher keine Anhaltspunkte für die nähere Identifizierung dieser sehr aktiven Schreiber gefunden werden. Ein Roff(ridus) tritt zwischen 1205 und 1216 zwölfmal in Erscheinung116. Der Vermutung Baumgartens, daß er identisch sei mit einem .R. A., ist allerdings nicht zuzustimmen, denn nicht nur ist eine solche Schreibersigle im frühen 13. Jahrhundert bisher nicht nachgewiesen, sondern der von Baumgarten notierte Vermerk steht auf der Rückseite der Urkunde links oben an einer Stelle, an der zwar häufig Buchstabensiglen zu finden sind, aber keine Schreibervermerke117. Im Pontifikat Honorius’ III. ist Roffridus anscheinend nicht mehr tätig. Allerdings erhält am 10. Dezember 1216 ein magister Roffridus de Anagnia scriptor noster unter dem wohl eher formelhaften Verweis auf seine von vielen bezeugte hohe Bildung und seinen vorbildlichen Lebenswandel eine Dispens vom Makel der unehelichen Geburt, um höhere Weihen erhalten zu können118. Sein weiterer Lebensweg ist aber leider nicht sicher zu bestimmen, da der Name Roffridus in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts im kurialen Umfeld ziemlich häufig ist119. Im August 1217 providierte Honorius III. einen Kleriker des Kardinalbischofs Hugolin von Ostia namens Roffridus mit einem Kano-
Erstmals Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 50 (1204 V 14), letztmals Zöllner, Magdeburg I (wie Anm. 31) Nr. 7 (1216 II 3). Auf einem 1207 III 7 ausgestellten feierlichen Privileg schreibt er seinen Namen weitgehend unabgekürzt als Matheus s. Cecil. (Zöllner, Magdeburg II [wie Anm. 31] Nr. 11). Ob ein einmal vorkommender Math(eu)s mit ihm identisch ist (Largiadèr, Papsturkunden der Schweiz [wie Anm. 28] Nr. 215, 1215 X 15), bleibt noch zu untersuchen. 116 Erster Beleg 1205 IX 26 (Schwarz, Niedersachsen [wie Anm. 23] Nr. 6); letzter Beleg 1216 I 23 – an diesem Tag schrieb Roffridus zwei Urkunden, die Teil einer umfangreicheren Gruppe von Stücken in Zusammenhang mit der Regelung von Angelegenheiten des Königreichs Aragon sind: Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 337 = Butllari de Catalunya. Documents pontificis originals conservats als arxius de Catalunya (1198–1417), 1–3, ed. Tilmann Schmidt/Roser Sabanés i Fernández (Diplomataris 73–75), Barcelona 2016, hier 1, S. 121 Nr. 56; Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 339 = Butllari 1, S. 119 f. Nr. 55. 117 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 175 (1206 VI 10); zu den Vermerken verso oben links und der Diskussion um ihre Interpretation zuletzt Zutshi, Innocent III and the Reform of the Papal Chancery (wie Anm. 1) S. 93 f., wo die ältere Literatur angeführt ist und für eine Interpretation als Sigle des zuständigen Notars argumentiert wird. 118 Honorius III., Reg. I, 105 (ASV, RV 9, f. 26r; Pressutti 1, S. 32 Nr. 169). Wendungen wie in te litterature donum et uite meritum attendentes finden sich auch in anderen vergleichbaren Briefen. 119 Vgl. Paul Maria Baumgarten, Miscellanea diplomatica III, in: Römische Quartalschrift 32 (1924) S. 37–81, hier S. 50. 115
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nikat und einer Pfründe an der Kathedrale von York120. Weder ist eine Tätigkeit als Kanzleischreiber erwähnt, noch eine Herkunft aus Anagni – die aber durch das Nahverhältnis zu Kardinal Hugolin plausibel ist. Einem Kleriker des Hugolin namens „Rumfredus“ hatte der Abt von Evesham zu einem unbekannten Zeitpunkt nach 1214 bereits eine Pension zuerkannt, bis die Kirche von Weston, auf die er eine Expektanz besaß, frei wurde121. Schließlich wird Ende 1218 die Pfründe, die der kürzlich verstorbene Roffridus Scoctus, Kleriker des Hugolin und Kanoniker der Kathedrale von Anagni, „irgendwo“ in England besessen hatte, an einen Kleriker des Kardinalbischofs von Sabina weitergegeben122. Ob der päpstliche Schreiber Roffridus mit einer der genannten Personen zu identifizieren ist, muß vorerst offen bleiben. Im Zeitraum zwischen 1207 II 26123 und 1210 X 30124 ist schließlich der Inhaber der Sigle W. de Venafro fünfzehnmal nachweisbar und zählt damit ebenfalls zu den aktiveren Schreibern. Für eine Auflösung der Initiale W. fehlen bisher Hinweise, aber sein Herkunftsort ist wohl das in der Provinz Isernia (Molise) gelegene Venafro125. Neben den häufig auftretenden Siglen gibt es auch eine große Zahl von bisher selten bis unikal vorkommenden Schreibervermerken. Damit stellt sich die Frage, ob es in der Kanzlei auch „Gelegenheitsschreiber“ gegeben hat. Natürlich kann die Beobachtung der selten vorkommenden Siglen dem begrenzten Erhebungsstand geschuldet sein; für einige Fälle ist auch eine zweifelhafte Lesung durch den Bearbeiter der jeweiligen Urkunde zu Honorius III., Reg. II, 594 (ASV, RV 9, f. 149r; Pressutti 1, S. 125 Nr. 719; 1217 VIII 9). Vgl. Fasti Ecclesiae Anglicanae 1066–1300, 6: York, ed. Diana E. Greenway (London 1999) S. 127. 121 Vincent, Cardinal Guala (wie Anm. 54) S. LXIX Nr. 237, zu der undatierten Urkunde des Abtes im Evesham Cartulary (London, British Library, Cotton MS Vesp. B.XXIV, f. 65r). Es ist zu betonen, daß Rumfredus hier weder den Beinamen Scottus trägt noch mit Anagni in Verbindung gebracht wird. 122 Honorius III., Reg. III, 174 (ASV, RV 10, f. 37v; Pressutti 1, S. 277 Nr. 1667; 1218 XI 3). Der Passus über die Lage der Pfründe ist bemerkenswert: die Einsetzung in die Pfründe soll erfolgen nec obstante, quod certum locum ubi dictum beneficium obtinuit, tibi nequiuimus per nostras litteras assignare. Zu Rofridus Scotus vgl. Pascal Montaubin, Entre gloire curiale et vie commune: Le chapitre cathédrale d’Anagni au XIIIe siècle, in: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen-Age 109 (1997) S. 303–442, hier S. 432 f. Nr. 98, mit Angabe älterer Literatur. 123 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 24. 124 Papsturkunden Westfalens (wie Anm. 34) Nr. 227 und – laut dem Bearbeiter Heinrich Finke – obwohl ohne Schreibersigle, auch die am selben Tag ausgestellten littera Nr. 226. 125 Einen eigenartigen Eintrag eines „P...(?) de Venafro“ notiert Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 30 von der Rückseite einer 1207 V 3 ausgestellten Littera. 120
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vermuten. So verbirgt sich hinter dem einzigen Vorkommen der Sigle MEG vermutlich der wohlbekannte M.S.C.126. Ein unikal nachgewiesener R.F. ist dank der Beschreibung Baumgartens als Phantom zu identifizieren, tatsächlich handelt es sich um den soeben vorgestellten Schreiber Roff(ridus)127. Ein angeblicher Galterus auf einer littera cum serico für Raitenhaslach ist als Guilelmus zu lesen128. Die unikale Sigle eines nd.areola, der angeblich ein feierliches Privileg aus dem Jahr 1206 geschrieben hat, läßt sich unschwer zu m. de areola berichtigen129.
Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 138 (ein feierliches Privileg für Ebrach, 1204 X 13). Druck in Codex diplomaticus Ebracensis I (wie Anm. 35) S. 214–219 Nr. 104, wo das Privileg allerdings falsch als „Litterae cum serico“ beschrieben ist. 127 1216 I 23, eine littera cum filo canapis; nach F. J. Miquel Rosell, Regesta de Letras Pontificias del Archivo de la Corona de Aragon, Madrid 1948, Nr. 68 Schreibersigle R.F., nach Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 337 Roff. 128 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 228 = Urkunden Raitenhaslach (wie Anm. 35) Nr. 68 (1209 IV 18); der in Schedario 4, S. 557 mit diesem pseudo-Galterus gleichgesetzte Gualt. auf einer littera Gregors IX. (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 900 = Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 306) ist kaum ein Schreiber. Für eine Sigle auf einer littera cum serico aus 1208 X 14 bietet Sayers, England (wie Anm. 30) Nr. 40 „G. (or Galt.)“ als Lesung an; im Index ebd. S. 503 f. Nr. 100 wird für diesen Brief die Sigle G. und die Auflösung „Gentilis?“ angeboten, ein Galterus kommt gar nicht vor. 129 Falsche Lesung in Sailler, Portugal (wie Anm. 32) Nr. 40; zutreffend Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 56. Ebenso ist Sailler, ebd. Nr. 39 mit Linehan, ebd. Nr. 54 richtig als al. zu lesen (littera cum filo canapis, 1206 IX 6). Vgl. oben Anm. 32. 126
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Für andere Siglen, die bisher unter Innocenz III. und seinen unmittelbaren Nachfolgern kaum nachgewiesen sind, liegt die Annahme einer Falschlesung aber nicht unmittelbar nahe. Dazu zählen acc oder ace130, ant.131, d.p.132, g.Re.133, J.Ro.134, Jo.135, Joħs/Jos.136, md137, M.P.138, O.139, Pet.140,
130 acc 1204 V 22 (Schmidt, Baden-Württemberg [wie Anm. 25] Nr. 15); ace 1205 V 2 (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 155). Eine in Schedario 4, S. 501 vermutete Identität mit M. de Are(ola) erscheint wenig plausibel, wie Baumgarten selbst in Schedario 1, Nr. 133 erwägt und schließlich auf den Schreiber Azzo verweist, den er Nr. 808 noch einmal nachweist (1227 V 25). Zu ihm siehe unten S. 149. 131 1207 III 22, ein feierliches Privileg: Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 17. Baumgarten liest die Sigle als aue (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 186). Ein solcher Vermerk findet sich auch dreimal auf der Plica eines 1208 IV 11 ausgestellten feierlichen Privilegs (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 34, wo erwogen wird, ob es sich um eine Federprobe handelt) und einmal links auf der Plica eines feierlichen Privilegs von 1213 XI 4 (Sayers, England [wie Anm. 30] Nr. 47: „perhaps a chancery mark“). Auch ein Prokuratorenvermerk aue ist nachgewiesen, vgl. etwa Sayers, England, S. 584; Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden (wie Anm. 35) S. 281. 132 1204 V 11, Schmidt, Nachtrag (wie Anm. 25) S. 5 (ersetzt Schmidt, Baden-Württemberg 1 [wie Anm. 25] Nr. 12). 133 1213 I 22, Zöllner, Magdeburg II (wie Anm. 31) Nr. 18. 134 1207 VII 13, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 196. Es bleibt zu prüfen, ob es sich um eine Variante der Sigle J. R. handelt, die derzeit dreimal nachgewiesen ist: 1206 IV 10 (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 21); 1206 VI 16 (Linehan, Portugalia Pontificia [wie Anm. 32] Nr. 53); 1212 XII 10 (Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 102). 135 1206 IV 19 (Schedario [wie Anm. 33] Nr. 168); 1216 V 27 (Carte dell’Abbazia di Sassovivo 5 [wie Anm. 35] Nr. 39). 136 Joħs 1210 IV 9 (Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 [wie Anm. 35] Nr. 87); Jos. (Barbiche, Paris 1[wie Anm. 22] Nr. 70). Für beide Siglen haben die jeweiligen Bearbeiter angemerkt, daß die Lesung unsicher ist. 137 1208 II 15, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 209. 138 1205 IV 22, Zöllner, Magdeburg II (wie Anm. 31) Nr. 3. 139 Die Sigle ist bisher einmal 1210 XII 18 auf einer littera cum serico auf der Plica links nachgewiesen (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 265). Vielleicht ist ihr Besitzer identisch mit einem ebenfalls links signierenden Schreiber O. bzw. Oedist., der vor allem in den Pontifikaten Gregors IX. und Innocenz’ IV. tätig ist; vgl. Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 41. 140 1214 V 5, Johrendt, Urkundenregesten St. Peter (wie Anm. 35) Nr. 17. Um einiges öfter findet sich zwischen 1207 IV 11 (Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden [wie Anm. 35] Nr. 21) und 1214 VII 12 (Zöllner, Magdeburg II [wie Anm. 31] Nr. 20) die Sigle Pe (insgesamt fünfzehnmal). Das letzte derzeit bekannte Vorkommen ist 1217 IX 16 (Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 168). Es wäre zu prüfen, ob Pet. und Pe. denselben Schreiber bezeichnen.
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P. F.141, p.o.142, R[e]143, Ro.144, s145, Spm oder Spin146, T147, v b148, Viğ. und vigel149 sowie W150. Auch wenn unter diesen Siglen vielleicht einige keine Schreibervermerke sind oder nach noch durchzuführender eingehender paläographischer Prüfung als Varianten anderer, häufiger vorkommender Schreibersiglen identifiziert werden können, fällt damit die große Zahl von Gelegenheitsschreibern auf. Diese kann für einige Fälle vielleicht noch durch die Vermutung relativiert werden, daß die überwiegende Tätigkeit der betreffenden Schreiber in die Zeit vor dem Aufkommen der Siglen fällt; der Umfang ihrer Tätigkeit wäre daher allenfalls durch gründliche paläographische Vergleiche zu ermitteln. Allgemein wird man als methodisches Prinzip formulieren können, daß eine selten vorkommende Schreibersigle mit größerem Misstrauen zu betrachten ist; man wird noch intensiver zu prüfen haben, ob eine Verlesung oder eine Variante einer bekannten Sigle vorliegt, oder ob es sich vielleicht gar nicht um eine Schreibersigle handelt151. 1207 XII 12, Delisle, Mémoire (wie Anm. 20), S. 32 Anm. 11. 1208 III 3, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 213. 143 Dieser Fall ist besonders verwirrend. Sayers, England (wie Anm. 30) Nr. 39 sieht rechts auf der Plica einer littera die offenbar nicht klar erkennbare Sigle R[e?]. Im Index des Bandes S. 27 Nr. 284 ist der Beleg allerdings als fraglich unter der Sigle Ric. eingeordnet – dies wäre ein bekannter Schreiber, vgl. unten S. 150 f. Auch die Sigle R ist in Innocenz’ Pontifikat bisher nur zweimal belegt; davon ist Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 101 (1212 XI 3) aufgrund der Position unter der Plica rechts bemerkenswert; 1215 IV 30 findet sich ein R. auf der Plica rechts in Carte dell’Abbazia di Sassovivo 5 (wie Anm. 35) Nr. 9. Häufiger tritt ein R. erst ab den 1230er Jahren auf – vgl. die Angaben in: Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden (wie Anm. 35) Index S. 268. 144 1206 IV 20, Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 169. Es könnte sich auch um eine Variante der zwischen 1205 und 1216 öfter vorkommenden Sigle Rof(fridus) handeln. 145 1209 VI 9, Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 61 (Sailler, Portugal [wie Anm. 32] Nr. 42 notiert für diese littera cum filo canapis keine Sigle). 146 Bisher nur zweimal (1206 I 11, 1206 I 19) in Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 166 f. notiert, wobei Baumgarten ausdrücklich die unsichere Lesung vermerkt. 147 1211 VII 26, Aachener Urkunden (wie Anm. 35) Nr. 54, und 1211 XI 17 (littera cum serico; Lille, Archives départementales du Nord, 27H 17/246, Digitalisat: http://www.diplomatabelgica.be/charter_details_fr.php?dibe_id=14611 [eingesehen 11.9.2017]). 148 1203 I 30, Largiadèr, Papsturkunden der Schweiz (wie Anm. 28) Nr. 206. Noch einmal, allerdings erst 1220 XII 23, vermerkt Linehan, Portugalia Pontificia (wie Anm. 32) Nr. 129 eine Sigle Vb. 149 Viğ. 1208 XII 6 (Strnad, Trisulti [wie Anm. 35] Nr. 4); vigel 1210 II 17 (Sayers, England [wie Anm. 30] Nr. 43). 150 W. ist bisher zweimal belegt: 1208 V 10 (Zöllner, Magdeburg II [wie Anm. 31] Nr. 12); 1210 I 29 (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 40). 151 Vgl. den bereits angeführten Fall des p. lauden (oben Anm. 44); sehr verdächtig ist auch der J. Mediol. auf einer littera cum serico von 1206 XI 18 (Papsturkunden Westfalens [wie 141 142
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Wie aber hat man sich einen „Gelegenheitsschreiber“ vorzustellen? Zu den Schreibern, die sehr selten vorkommen, jedoch aufgrund ihrer Sigle eindeutig zu identifizieren sind, gehört ein gewisser Hugo. Während des Pontifikats Innocenz’ III. ist er derzeit nur auf zwei litterae cum filo canapis aus den Jahren 1212 und 1213 nachweisbar152. Wieder ist er im August des Jahres 1216153 und dann im Jahr 1222 unter Honorius III. tätig154. Sehr wahrscheinlich ist er mit einem Magister Hugo zu identifizieren, der im September 1223 als Kanoniker von Argos auftritt, dabei aber auch als scriptor noster adressiert wird155. Am 5. Jänner 1224 muß er eine Niederlage in einem Prozeß um das Archidiakonat von Patras hinnehmen156; allerdings brachte er es im Kapitel von Argos schließlich bis zum Dekan157. Es fällt auf, daß in der ersten Hälfte des Jahres 1222, in der Hugo zweimal als Schreiber nachgewiesen ist, zahlreiche Urkunden für Adressaten in Griechenland ausgestellt wurden, darunter am 11. März 1222 eine große Diözesanregulierung im Bereich der Erzdiözese Korinth, von der auch das Bistum Argos profitierte158. Möglicherweise hielt sich Hugo in diesem Zeitraum als Vertreter seiner Kirche an der Kurie auf und wurde dabei auch wieder in seiner alten Beschäftigung als Schreiber aktiv. Er könnte zu jenen Klerikern gehört haben, die nach der Errichtung des Lateinischen Kaiserreiches den drängenden Aufrufen Innocenz’ III. gefolgt und nach Griechenland und Konstantinopel übersiedelt waren159. Anm. 34] Nr. 214), der weder im Indexband des Schedario Baumgarten noch in einer der bisher erschienenen Censimento-Publikationen nachweisbar ist. 152 Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 273 (1212 I 29) und Nr. 292 (1213 IV 13). 153 1216 VIII 24, Narni. Wien, Zentralarchiv des Deutschen Ordens, Urkunde Nr. 29; Die Urkunden des Deutschordens-Zentralarchivs in Wien. Regesten. Nach dem Manuskript von Marian Tumler hg. von Udo Arnold, 1: 1122–Januar 1313 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 60/1), Marburg 2006, S. 12 Nr. 29. Digitalisat: http://monasterium.net/mom/AT-DOZA/Urkunden/29/charter [eingesehen 28.12.2017]. 154 Johrendt, Urkundenregesten St. Peter (wie Anm. 35) Nr. 25 (1222 I 27). 155 Honorius III., Reg. VIII, 38, 1223 IX 9 (ASV, RV 12, f. 98r–v; Pressutti 2, S. 161 Nr. 4489), gedruckt in Bullarium Hellenicum (wie Anm. 96) S. 441 f. Nr. 191. Vgl. Baumgarten, Miscellanea diplomatica III (wie Anm. 119) S. 52. 156 Honorius III., Reg. VIII, 176 f., 1223 IX 9 und 1224 I 5 (ASV, RV 12, f. 136v–137r; Pressutti 2, S. 161 Nr. 4490 und S. 190 Nr. 4654), gedruckt in Bullarium Hellenicum (wie Anm. 96) S. 442 f. Nr. 192, S. 479 f. Nr. 220. 157 Gregor IX., Reg. VII, 459, 1234 I 2 = Les registres de Grégoire IX. Recueil des bulles de ce pape 1: Années I à VIII (1227–1235), ed. Lucien Auvray, Paris 1896, Sp. 940 f. Nr. 1704. 158 Zwischen 17. Februar und 1. April 1222 wurden 21 Briefe für griechische Empfänger ausgestellt, darunter die Diözesanregulierung mit mehreren a-pari-Ausfertigungen. Vgl. Bullarium Hellenicum (wie Anm. 96) S. 300–344 Nr. 116–137. Leider sind alle diese Briefe nicht als Ausfertigungen, sondern nur im Kanzleiregister überliefert. 159 Vgl. Innocenz III., Reg. VIII, 70 (69) – 72 (71) = Die Register Innocenz’ III., 8. Pontifikatsjahr (1205/1206), ed. Othmar Hageneder/Andrea Sommerlechner gemeinsam mit
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Neben den tatsächlich aufgrund ihrer Vermerke nachweisbaren Schreibern sind aus dem Pontifikat Innocenz’ III. auch einige päpstliche Skriptoren nur aus Erwähnungen in anderen Quellen bekannt, ohne daß es bisher gelungen wäre, sie sicher mit einem bestimmten Schreibervermerk zu identifizieren. Dies trifft etwa auf den magister P. scriptor pape zu, der im August oder September 1201 für sich und seine Pfründe in päpstlichen Schutz genommen wird160. Am 10. Jänner 1203 erhält ein päpstlicher Schreiber magister P. zusammen mit dem Bischof von Chiusi und dem Kastellan von Radicófani den Auftrag, einen gewissen Pepo von Campiglia unter genannten Bedingungen von der Exkommunikation zu absolvieren161. 1204 befiehlt Innocenz dem Erzbischof und dem Domkapitel von Embrun, dem päpstlichen Skriptor Magister P. eine Pfründe in ihrer Kirche zu verleihen; im Weigerungsfalle sollen genannte Exekutoren durch Kirchenstrafen die Ausführung des Mandates erzwingen162. Dem Schreiben ging offensichtlich bereits eine längere Auseinandersetzung voraus. Falls dieser P. identisch ist mit dem päpstlichen Subdiakon und Propst des Kapitels von Embrun P., der am 10. Jänner 1212 mit seinem gesamten Besitz von Innocenz in päpstlichen Schutz genommen wird und am selben Tag außerdem eine Rechtsauskunft erhält, hat die Auseinandersetzung um die Pfründe letztlich zum Erfolg geführt163; in diesem Fall wäre der Magister P. mit dem späteren corrector litterarum apostolicarum zu identifizieren, der im Oktober desselben Jahres als päpstlicher Subdiakon, Korrektor und Kanoniker von Embrun dem neuen Erzbischof von Embrun das Pallium überbringt164. Christoph Egger/Rainer Murauer/Herwig Weigl, Wien 2001, S. 125–131, Mai 1205. Diese Briefe sind an die französischen Erzbischöfe und ihre Suffragane sowie an die Magister und Scholaren der Universität Paris gerichtet. 160 Innocenz III., Reg. IV, 142, bekannt nur aus den Rubrizellen zum verlorenen Kanzleiregister des 4. Pontifikatsjahres, ed. Theiner, Vetera monumenta 1 (wie Anm. 8) S. 59 (Po 1465). 161 Innocenz III., Reg. V (wie Anm. 8) S. 272–274 Nr. 137 (138). 162 Innocenz III., Reg. VI, 220 (221) = Die Register Innocenz’ III., 6. Pontifikatsjahr (1203/1204), ed. Othmar Hageneder/John C. Moore/Andrea Sommerlechner gemeinsam mit Christoph Egger/Herwig Weigl, Wien 1995, S. 377–379, 1204 II 2. 163 Innocenz III., Reg. XIV, 139–140, Migne PL 216, Sp. 502–503. 164 Innocenz III., Reg. XV, 177 Migne PL 216, Sp. 694D–695D, hier Sp. 695C: ... Palleum quoque ... per dilectum filium magistrum Petrum Marcum subdiaconum nostrum correctorem literarum nostrarum, Ecclesiæ jam dictæ canonicum, virum utique litteratum, providum et discretum, tuæ fraternitati transmittimus ... Vgl. Brigide Schwarz, Der Corrector litterarum apostolicarum. Entwicklung des Korrektorenamtes in der päpstlichen Kanzlei von Innozenz III. bis Martin V., in: QFIAB 54 (1974) S. 122–191, hier S. 125; und siehe unten S. 154.
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Ob die anderen genannten P. miteinander und mit einem der Inhaber der verschiedenen den Buchstaben P. enthaltenden Schreibersiglen identisch sind, muß vorläufig offen bleiben165. Das gleiche gilt für einen Magister Petrus de Monte scriptor et familiaris pape, der 1204 auf Bitten Innocenz’ ein Kanonikat in Volterra erhalten hatte166. Auch für den im April 1200 mit Kanonikat und Pfründe im Kapitel von Chieti providierten Iohannes reichen die Anhaltspunkte zu einer sicheren Identifizierung mit einer Schreibersigle nicht aus167. Eine naheliegende Frage ist die nach der Leistungsfähigkeit der Kanzlei, vor allem aber der individuellen Leistung der Schreiber – wieviele Urkunden brachten sie pro Tag zu Pergament? Leider erlaubt der gegenwärtige Erhebungsstand auch dazu keine sicheren Aussagen; einige Hinweise sind aber möglich. Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, daß das Datum, das die jeweilige Ausfertigung trägt, nicht das Datum ihrer Niederschrift ist, so daß sich daraus für die Tagesleistung eines Schreibers keine exakten Anhaltspunkte gewinnen lassen168. Auch was die Leistungsfähigkeit der Kanzlei insgesamt betrifft, ist damit ein sehr schwieriges Problem angesprochen, das hier nicht gelöst werden kann: für eine auch nur annähernd repräsentative Statistik sind ja nicht nur die erhaltenen Originalausfertigungen (deren Erfassung noch lange nicht abgeschlossen ist) zu berück Vgl. oben Anm. 140–142. Einzubeziehen wäre auch der Magister Peregrinus, der unter Innocenz III. als päpstlicher Subdiakon und Kaplan genannt wird und im Dezember 1216 Erzbischof von Brindisi wurde. Nach Anton Haidacher, Magister Opizo von Asti, Erzbischof von Cosenza. Biographisch-genealogische Anmerkungen, in: Festschrift Karl Pivec zum 60. Geburtstag, hg. von Dems./Hans Eberhard Mayer (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 12), Innsbruck 1966, S. 141–150, hier S. 141 wäre Peregrinus päpstlicher Skriptor gewesen, doch ist der dort angekündigte ausführliche Aufsatz zu ihm aufgrund des frühen Todes seines Autors nie erschienen. Kamp, Kirche und Monarchie 2 (wie Anm. 61) S. 667–671 und Johrendt, Der vierte Kreuzzug (wie Anm. 86) S. 101 f. erwähnen nichts davon. 166 Regestum Volaterranum. Regesten der Urkunden von Volterra (778–1303), bearb. von Fedor Schneider (Regesta Chartarum Italiae 1), Roma 1907, S. 93 Nr. 269. 167 Innocenz III., Reg. III, 58, April 1200 (Po 1033), vgl. Theiner, Vetera monumenta 1 (wie Anm. 8) S. 48. Es fällt auf, daß in diesem leider verlorenen Teil des Kanzleiregisters des 3. Pontifikatsjahres vier die Pfründenangelegenheiten von Kanzleischreibern betreffende Briefe hintereinander registriert worden sind: außer dem genannten Brief auch noch Nr. 53– 56, betreffend Wilhelm de Marcheio. Vgl. zu ihm oben S. 131 f. 168 Welchen Schritt im Geschäftsgang das Datum bezeichnet, hängt von der jeweiligen Urkundenart ab. Dabei sind die Verhältnisse im frühen 13. Jahrhundert gegenwärtig vorwiegend aufgrund von Rückschlüssen aus Regelungen des frühen 14. Jahrhunderts nur zu vermuten: Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre 2, 2. Abteilung, bearb. von Hans-Walter Klewitz, Berlin 21958, S. 475 f.; Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 190 f. 165
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sichtigen, sondern auch die Stücke, die nur aus den Kanzleiregistern bekannt sind, außerdem aber auch die auf der Empfängerseite kopial überlieferten Urkunden: Eintragungen in Kopialbüchern, Transsumpte, Inserte in andere Urkunden (etwa delegierter Richter), neuzeitliche Abschriften und schließlich auch die nur aufgrund von Erwähnungen erschließbaren Deperdita169. Bemerkenswert ist aber, daß sogar die vorliegende beschränkte Sammlung von Originalen an einer nicht geringen Zahl von Tagen zwei Ausfertigungen vermerkt, an einigen drei und an einem sogar fünf: Am 9. April 1210 datierte die Kanzlei vier litterae cum serico und eine littera cum filo canapis. Näherhin handelt es sich um folgende Stücke: 1. an den Erzbischof von Besançon, seine Suffragane und alle Prälaten des Erzbistums: sie sollen das Zisterzienserkloster St. Urban in Luzern schützen. Schreibervermerk: W. d. Venafro170 2. an den Erzbischof von Mainz, seine Suffragane und alle Prälaten des Erzbistums: sie sollen das Zisterzienserkloster St. Urban in Luzern schützen. Schreibervermerk leider unleserlich171. 3. an den Erzbischof von Mainz, seine Suffragane und alle Prälaten des Erzbistums: sie sollen das Zisterzienserkloster Tennenbach schützen. Schreibervermerk: W. de Venafro172 Die bisher fundiertesten Überlegungen zur Produktion der päpstlichen Kanzlei unter Innocenz III. finden sich in Bischoff, Urkundenformate (wie Anm. 4) S. 29 f. und S. 187 und in Othmar Hageneder, Die Register Innozenz’ III., in: Papst Innozenz III. Weichensteller der Geschichte Europas. Interdisziplinäre Ringvorlesung an der Universität Passau 5.11.1997–26.5.1998, hg. von Thomas Frenz, Stuttgart 2000, S. 91–101, hier S. 91 f. Mit dem Umfang der päpstlichen Urkundenproduktion im 12. Jahrhundert befassen sich auch Rudolf Hiestand, Die Leistungsfähigkeit der päpstlichen Kanzlei im 12. Jahrhundert mit einem Blick auf den lateinischen Osten, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen. Studien zu einer formalen und rechtlichen Kohärenz vom 11. bis 15. Jahrhundert, hg. von Peter Herde/Hermann Jakobs (AfD Beiheft 7), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 1–26; Hirschmann, Die päpstliche Kanzlei (wie Anm. 4) S. 143–154; Ders., Statistische Anmerkungen zu den Papsturkunden Lucius’ III., Urbans III. und Gregors VIII. (1181–1187). Internetpublikation, 9.12.1997: http://www.historik-hirschmann.de/hauptteil_Aufsatz.htm (eingesehen 14.5.2003); Przemysław Nowak, Die Urkundenproduktion der päpstlichen Kanzlei 1181– 1187, in: AfD 49 (2003) S. 91–122. 170 Largiadèr, Papsturkunden der Schweiz (wie Anm. 28) Nr. 210; gedruckt in Anton Largiadèr, Die Inedita der Urkunden von Papst Innozenz III. in den Archiven der Schweiz, in: Römische Historische Mitteilungen 6/7 (1962/64) S. 17–28, hier S. 21 f. Nr. 3. 171 Largiadèr, Papsturkunden der Schweiz (wie Anm. 28) Nr. 211; gedruckt in: Urkunden zur Gründung des Klosters St. Urban, in: Urkundio 2/2 (1895) S. 1–48, hier S. 27 f. Nr. 6. 172 Schmidt, Baden-Württemberg 1 (wie Anm. 25) Nr. 23. 169
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4. an Abt und Konvent des Regularkanonikerstiftes Saint-Victor in Paris: Bestätigung einer Rechtshandlung des verstorbenen Erzbischofs Michael von Sens betreffend das Viktorinerpriorat Saint-Donain bei Montereau. Schreibervermerk: a. G.173 5. an den Bischof von Olmütz: Erlaubnis, während der Kreuzfahrt Personen aus seiner Begleitung, die wegen Tätlichkeiten gegen Kleriker der Exkommunikation verfallen sind, zu absolvieren. Schreibervermerk: Joħs (?)174 Drei der Urkunden sind für Klöster des Zisterzienserordens bestimmt; St. Urban in Luzern und Tennebach liegen geographisch nicht sehr weit voneinander entfernt und gehören außerdem derselben Filiation an, so daß vermutet werden kann, daß die Impetration der Urkunden gemeinsam betrieben wurde. Bei den Briefen handelt es sich um „Routineangelegenheiten“ – zweimal um das Schutzformular für die Zehntfreiheit (Audivimus et audientes mirati sumus) und einmal um das allgemeine Schutzformular für die Zisterzienser (Non absque dolore cordis)175. Beide Audivimus et audientes-Briefe wurden von W. de Venafro geschrieben. Von seiner Hand stammen auch zwei am 6. November 1209 datierte feierliche Privilegien für St. Urban/Luzern und für Tennenbach; auch hier wird das Zusammenwirken der beiden Klöster erkennbar. Daß Klöster sich für die Impetration von Urkunden zusammentun, läßt sich auch an einer massiven Konzentration von Stücken für Zisterzienserklöster im österreichisch-bayerischen Raum im März 1214 erkennen: in diesem Monat werden innerhalb weniger Tage zwei Besitzbestätigungen für Lilienfeld (1214 III 11 und 13) sowie vier litterae nach dem Formular Audivimus et audientes (1214 III 14 für Heiligenkreuz, 1214 III 15 für Lilienfeld [beide von Jordanus geschrieben], 1214 III 18 für Raitenhaslach, 1214 III 19 für Rein) ausgestellt176. Daß die Ausstellung der Urkunden gemeinsam betrieben wurde, ist auch daraus ersichtlich, daß vier der Dokumente auf der Rückseite denselben Prokuratorenvermerk Vl. tragen177. 173 Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 87; vgl. Martin Schoebel, Archiv und Besitz der Abtei St. Viktor in Paris (Pariser historische Studien 31), Bonn 1991, S. 141–146. 174 Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 (wie Anm. 35) Nr. 87. Der Herausgeber merkt an, daß die Lesung des Schreibervermerkes unsicher ist. 175 Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13) S. 262 f. Nr. IV, 29. 176 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 57–61; Urkunden Raitenhaslach (wie Anm. 35) Nr. 75. 177 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 57–59; Urkunden Raitenhaslach (wie Anm. 35) Nr. 75. Vl. scheint sonst bisher nicht nachgewiesen zu sein – falls er nicht mit dem Urheber des Prokuratorenvermerks VLR auf einem 1207 III 6 ausgestellten Delegationsreskript auf
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Auch das niederösterreichische Zisterzienserstift Heiligenkreuz und seine Tochterklöster Zwettl und Marienberg betrieben ihre Angelegenheiten gemeinsam, wie sich aus insgesamt sechs im Februar und März 1207 ausgestellten Urkunden erkennen läßt: 1207 II 13 für Marienberg, Schreibersigle .obi.178 1207 II 13 für Marienberg, Schreibersigle .ob.179 1207 II 13 für Zwettl, Schreibersigle Roff. 1207 II 26 für Heiligenkreuz, Schreibersigle W. de Venafro 1207 II 26 für Marienberg180 1207 III 6 für Marienberg181 Fünf Urkunden erwirkte im April 1213 das Kloster Michaelbeuern. Ein Stück ist auf den 19. April, drei auf den 20. und eines auf den 22. April datiert, und alle tragen die Schreibersigle pe.182. Drei auf den 2. April 1215 datierten litterae cum filo canapis betreffen südfranzösische Angelegenheiten und im speziellen Simon von Montfort, alle sind vom Schreiber G. geschrieben und tragen den selben Prokuratorenvermerk Xps vincit183. Solche Beispiele ließen sich mühelos vermehren. Ebenso ist es naheliegend, daß zusammengehörige Stücke – etwa Gra tialbrief und dazugehörige Exekutorie – vom selben Schreiber geschrieben
eine Klage von Propst und Kapitel von Berchtesgaden gegen Propst und Domkapitel von Salzburg identisch ist (Hilger, Österreich, Nr. 25). Ob sich der Vermerk auch auf der zweiten Ausfertigung dieser littera im Bayerischen Hauptsstaatsarchiv findet, wird in Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 184 nicht erwähnt. 178 UB des Burgenlandes und der angrenzenden Gebiete der Komitate Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg 1: Die Urkunden 808–1279, bearb. von Hans Wagner (Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung VII/1), Graz/Köln 1955, S. 47 Nr. 77; Digitalisat der Urkunde: https://archives.hungaricana.hu/en/charters/823/(eingesehen 10.3.2018) mit falscher Jahresangabe 1206. 179 UB des Burgenlandes 1 (wie Anm. 178) S. 46 f. Nr. 76; Digitalisat der Urkunde https:// archives.hungaricana.hu/en/charters/824/(eingesehen 10.3.2018) mit falscher Jahresangabe 1206. 180 UB des Burgenlandes 1 (wie Anm. 178) S. 48 Nr. 78. Leider steht derzeit keine Abbildung zur Verfügung. 181 UB des Burgenlandes 1 (wie Anm. 178) S. 48 f. Nr. 79. Leider steht derzeit keine Abbildung zur Verfügung. 182 Hilger, Österreich (wie Anm. 29) Nr. 48–52. Es handelt sich um vier litterae cum filo canapis und eine littera cum serico. 183 Barbiche, Paris 1 (wie Anm. 22) Nr. 108–110. Der Prokurator „Christus vincit“ ist auch 1215 II 4 (ebd. Nr. 106) und 1215 XII 14 (ebd. Nr. 112) für Simon von Montfort tätig.
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werden. Aus dem bisher gesammelten Material lassen sich auch einige solche Fälle nachweisen184. Inwieweit eine genauere Untersuchung dieser mit demselben Datum versehenen und vom selben Schreiber signierten Stücke einen Einblick in den Geschäftsgang der Kanzlei erlaubt, muß vorerst offen bleiben. Die vor 1206 in der Kanzleiordnung niedergelegte Regelung, daß cum autem notas correctas acceperit, sine dilatione faciat eas scribi et scriptas bullari185, scheint zu implizieren, daß es die Sache des Petenten war, dem Schreiber das Konzept zur Reinschrift zu überbringen. Die Beobachtung, daß Stücke in derselben Sache oft von demselben Schreiber signiert sind, würde zu dieser Regelung passen. Aber war die Wahl des Schreibers völlig dem Petenten oder seinem Prokurator überlassen? Im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung sowohl der Arbeitslast als auch der Einkünfte erscheint das kaum vorstellbar186. Der sehr knappe Text der Kanzleiordnung, dessen Intention auch nicht die Darstellung des Geschäftsganges, sondern die Verkürzung des Aufenthaltes der Petenten an der Kurie ist, gibt dazu keine Auskunft187. Distributor und Reskribendar, die die Konzepte und neuauszufertigende Reinschriften gerecht auf die Schreiber zu verteilen hatten, sind erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisbar. Könnte es sein, daß die im letzten Paragraph der ursprünglichen Version der Kanzleiordnung genannte data communis, in der die Ordnung in Gegenwart der Notare, Schreiber und Bullatoren zu verlesen war188, nicht nur der Ort der Verteilung der Petitionen auf die Notare, sondern auch der Konzepte auf die Schreiber war? Eine weitere Sammlung und aufmerksame Inter 1208 V 11 zugunsten von Gandersheim, Schreiber b.F. (Schwarz, Niedersachsen [wie Anm. 23] Nr. 11 f.); 1210 II 12 zugunsten des Collège de Saint-Thomas du Louvre in Paris, Schreiber J. (Barbiche, Paris [wie Anm. 22] Nr. 85 f.); 1212 IV 23 zugunsten der Töchter König Sanchos I. von Portugal, Schreiber b.F. (Linehan, Portugalia Pontificia [wie Anm. 32] Nr. 76 f.); 1216 I 12 zugunsten St-Hilaire in Poitiers, Schreiber B. (Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 334 f.). 185 Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13) S. 54, II, 9. Zur Frage der Datierung vgl. oben Anm. 13. Zur Interpretation der Regelung Heckel, Geschäftsgang (wie Anm. 3) S. 436 f. 186 Vgl. auch die kritische Stellungnahme zu einer entsprechenden Vermutung betreffend die Verhältnisse am Ende des 13. Jahrhunderts bei Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 181 f. Anm. 179. 187 Heckel, Geschäftsgang (wie Anm. 3) S. 436 f. 188 Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13), S. 54 f. II,10: Ne quis autem ex igno rantia occasionem accipiat in peccatis, semper in communi (data) legatur hoc scriptum et sint presentes notarii scriptores et bullatores, ut ad deprehendam fraudem diligenter notent perso nas et deprehensas in fraude detegant et ostendant, si proprium volunt periculum evitare. 184
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pretation der Schreibervermerke wird dem spekulativen Charakter dieser Überlegung vielleicht abhelfen können189.
c) Soziale Aspekte: Nebenbeschäftigungen, Pfründen, Karriere Überlegungen zur Aufteilung von Arbeit und Entlohnung führen notwendig zur Frage der Organisation der Schreiber als Gruppe und ihrer Stellung innerhalb der päpstlichen Kanzlei. Leider ist man für Innocenz’ Pontifikat dazu weitgehend auf Vermutungen angewiesen. Wie in vielen anderen Fällen, in denen es um die Regelung und Vertretung gemeinsamer Interessen ging, entwickelten auch die Schreiber eine kollegiale Organisationsform; wie weit diese allerdings im frühen 13. Jahrhundert schon wirksam war, ist nicht klar zu erkennen. Für die Zugehörigkeit zur Gruppe der Schreiber war das Ablegen eines Eides erforderlich, der in seiner ältesten Form wohl noch auf Innocenz’ Pontifikat zurückgeht. Hauptanliegen dieses Eides war die Verhinderung von Fälschungsaktivitäten, die Verschwiegenheit hinsichtlich der in Ausübung der Tätigkeit bekannt gewordenen Geheimnisse und eine durch Zahlungen oder Versprechungen unbeeinflußte Erlangung des Schreiberamtes190. Die Schreiber scheinen von der Kurie nicht entlohnt worden zu sein, sondern dürften auf das von den Parteien zu entrichtende Entgeld für die Ausfertigungen angewiesen gewesen sein. Die skrupellose Habgier der Kurialen war ein Standardthema der satirischen Dichtung des 12. Jahrhunderts; daß entsprechende Klagen nicht ausschließlich böswillige Unterstellungen waren, läßt Innocenz’ bereits erwähnte Festsetzung eines certus modus vermuten, dem die Schreiber und Bullatoren hinsichtlich der Abgeltung ihrer Leistung zu folgen hatten191. Leider ist über die Höhe der geforderten Beträge nichts bekannt. Die Schreibersiglen könnten mit der Abrechnung dieser Einnamen zusammenhängen, spielen aber sicher auch Zur data communis vgl. Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 152 f. Es ist auch zu fragen, ob die hier beschriebene Vorgangsweise alle Urkundenarten betroffen hätte. Über die Verteilung der auf eigene Initiative der Kurie ausgestellten Briefe ist damit jedenfalls nichts gesagt. 190 Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13) S. 37 Nr. V: Juramentum scriptorum litterarum apostolicarum. Zur Geheimhaltung vgl. Christoph Egger, Vertraulichkeit und Geheimhaltung in der hochmittelalterlichen päpstlichen Kanzlei, in: AfD 63 (2017) S. 253– 271, hier S. 261. 191 Siehe oben S. 116 f. 189
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eine Rolle bei der Zuschreibung der jeweiligen Reinschrift an einen bestimmten Schreiber, um diesen gegebenenfalls für Fehler zur Veranwortung ziehen zu können. Die Regelung des § 2 von Innocenz’ Kanzleiordnung, die es neben anderen Funktionären auch ausdrücklich den Schreibern untersagt, als Prokurator tätig zu werden192, läßt vermuten, daß eine solche Gewohnheit zur Schaffung von Zusatzeinkünften bestand. Das strikte Verbot wird allerdings sofort durch Ausnahmen für Verwandte und speciales amicos eingeschränkt. Tatsächlich finden sich verschiedentlich Hinweise, daß Schreiber auch als Parteienvertreter tätig waren – allerdings dürfte es sich zumindest in den im Folgenden genannten Fällen immer um eine Tätigkeit als „procurator ad agendum“ gehandelt haben, während nach Wortlaut und Kontext des Verbots in der Kanzleiordnung eine „procuratio ad impetrandum“ gemeint sein dürfte. So wird der Schreiber Wilhelm de Mercato (de Marcheio) 1198 als Prokurator des Abtes von Saint-Maixent in einem gegen diesen laufenden Verfahren genannt193. Der päpstliche Skriptor Alexander von Montefiascone wird 1223 explizit als Prokurator des Bischofs von Bagnoregio in einem Prozeß gegen ein Kloster in Viterbo erwähnt194. Wenn Honorius III. dem Domkapitel von Bourges die Verleihung einer Kanonikerpfründe an den mag. Andreas scriptor noster mit dem Hinweis schmackhaft zu machen sucht, daß dieser in seruitio ecclesie uestre diutius fideliter insudaret, frequenter pro ipsius negotiis ad sedem apostolicam sub magno discrimine laborando, dann könnte man ebenfalls an eine Prokuratorentätigkeit denken195. Hatte ein Skriptor tatsächlich eine Pfründe an einer auswärtigen Kirche erhalten, war es für diese jedenfalls naheliegend, sich sein Knowhow und seine Insiderkenntnisse zunutze zu machen; so besaß der Schreiber Aston., der in den letzten Monaten von Innocenz’ Pontifikat erstmals nachgewiesen ist und bis mindestens 1230 tätig war196, ein Kanonikat an der Domkirche von Breslau; 1229 agierte er
Die päpstlichen Kanzleiordnungen (wie Anm. 13) S. 54 II, 2; siehe oben S. 116. Innocenz III., Reg. I (wie Anm. 8) S. 96–98 Nr. 67 (1198 IV 4), hier S. 98 Z. 7 f.: ... Verum dilectus filius magister W(illelmus) de Mercato, scriptor noster, procurator eiusdem abbatis ... asserebat ... Zu Wilhelm siehe oben S. 131 f. 194 Honorius III., Reg. VIII, 16 (ASV, RV 12, ff. 90v–91r; Pressutti 2, S. 157 Nr. 4472; 1223 VIII 27). Zu Alexander als Schreiber siehe oben S. 131 f. 195 Honorius III., Reg. I, 16 (ASV, RV 9, f. 4r; Pressutti 1, S. 6 Nr. 29; 1216 IX 7). Zu Andreas siehe oben S. 123 f. 196 Erstmals 1216 III 1 (Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 118), letztmals 1230 V 2 (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 144). 192 193
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als Prokurator seines Bischofs in einem Prozeß gegen den Bischof von Olmütz197. Damit ist zugleich eine weitere Einkunftsquelle für die päpstlichen Schreiber angesprochen. Wie auch zahlreiche andere Angehörige der päpstlichen Kurie waren viele von ihnen um Provisionen mit Pfründen an lokalen Kirchen bemüht; die päpstlichen Schreiben, die die Provisionen mitteilen und oft in weiterer Folge gegen den Widerstand der Ortskirchen durchzusetzen versuchen, sind wesentliche Quellen für die Kenntnis der kurialen Prosopographie198. Vielleicht lassen sich aus den derzeit bekannten Quellen einige Grundzüge ablesen. Die Providierten lassen sich offenbar in zwei Gruppen teilen. Die einen strebten den Besitz einer Pfründe an, beabsichtigten aber, ohne Erfüllung der damit verbundenen Residenzpflicht weiter ihrer kurialen Tätigkeit nachzugehen. Mitunter erscheint der Providierte nicht einmal zur Einführung in seine Pfründe selbst, sondern läßt sich durch einen Prokurator vertreten199; von der Residenzpflicht, auf die die lokalen Kirchen in ihren Versuchen, die Provision zu verhindern, gerne verwiesen, wurde oft schon vorsorglich in der Provision dispensiert. Besonders subtil glaubte das Kapitel von Metz im Falle der Provision des Schreibers Magister Otto200 vorzugehen, indem es ihm zwar das Kanonikat verlieh, die Einkünfte daraus Gregor IX., Reg. III, 20 (ASV, RV 14, f. 117v–118r, Registres de Grégoire IX [wie Anm. 157] Sp. 186 Nr. 305; 1229 VI 7); Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 (wie Anm. 35) S. 332–334 Nr. 327, hier S. 333 Z. 21–24: ... Cum autem impetrate super hiis littere legerentur, magister Aston, scriptor noster, Wratislauiensis canonicus, procurator episcopi Wratislauiensis prefati, eis in communi audientia contradicens ... 198 Ein systematischer Überblick, allerdings mit Hauptaugemerk auf die Päpste ab Honorius III., findet sich bei Hermann Baier, Päpstliche Provisionen für niedere Pfründen bis zum Jahre 1304 (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 7), Münster 1911. Vgl. auch Geoffrey Barraclough, Papal Provisions. Aspects of Church History Constitutional, Legal and Administrative in the Later Middle Ages, Oxford 1935. Herde, Beiträge (wie Anm. 17) S. 49 weist darauf hin, daß das Vorliegen einer Provision nicht automatisch mit dem Besitz der Pfründe gleichzusetzen ist, sondern daß es vielmehr Sache des Providierten war, seinen Anspruch gegen oft hartnäckigen Widerstand zu realisieren. Aus prosopographischer Sicht ist der schriftliche Niederschlag dieser Bemühungen allerdings von großem Wert, unabhängig davon, ob diese letztlich zum Erfolg führten oder nicht. 199 Die entsprechende Formulierung ist in den Provisionsmandaten eine geradezu formelhafte Wendung, z. B. die Provision des Benedictus de Fractis auf ein Kanonikat in S. Severina: scriptori predicto vel procuratori suo assignans libere stallum in choro et locum in ca pitulo in ecclesia memorata (vgl. oben Anm. 61). 200 Otto (Octo) ist unter Innocenz III. seit 1211 IV 11 (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 44 f.) bisher fünfmal nachgewiesen. Er war auch noch unter Honorius III. und Gregor IX. tätig, der derzeit letzte bekannte Nachweis ist 1233 XII 23 (Schmidt, BadenWürttemberg 1 [wie Anm. 25] Nr. 135). 197
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aber vorenthielt, wobei man sich auf eine diesbezügliche Gepflogenheit im Kapitel berief. Am 15. November 1216 wies Honorius III. darauf das Kapitel an, dem Otto, der grata uobis iugiter impendat obsequia et non minus sic absens quam presens eidem ecclesie utilis habeatur, die ihm zustehenden Einkünfte auszuzahlen, und zwar non obstante consuetudine que super hoc contra absentes canonicos inter uos dicitur emanasse. Der Brief führte nicht zum gewünschten Erfolg, weswegen Honorius am 7. März 1217 neuerlich an das Kapitel schrieb, sein Mandat wiederholte und den Abt Michael von Verdun anwies, das Kapitel nötigenfalls zur Ausführung zu zwingen. Interessant ist die Form der Eintragung in das Kanzleiregister. Der Brief von November 1216 ist nämlich zusammen mit dem Brief von März 1217 registriert. Offensichtlich hatte Otto nicht mit dem Widerstand des Kapitels gerechnet und daher nicht die Registrierung des ersten Briefes veranlaßt. Als nun wegen der Nichterfüllung des ersten Mandates ein zweiter Brief notwendig wurde und sich die Möglichkeit einer längeren Auseinandersetzung abzeichnete, ließ er, wohl zur besseren rechtlichen Absicherung, beide Briefe ins Register eintragen201. Manche Schreiber verschafften sich im Laufe der Zeit sogar mehrere Pfründen. 1218 bestätigte Honorius III. dem Skriptor Azzo die Dispens, die der päpstliche Legat Guala ihm hinsichtlich zweier englischer Kirchen erteilt hatte202. Der Schreiber Raimundus besaß ein Kanonikat in Marseille, jedoch leisteten Bischof und Kapitel hartnäckigen Widerstand gegen die Verleihung der dazugehörigen Pfründe, weswegen Innocenz III. zu wie-
Honorius III., Reg I, 528 (1216 XI 15) und 528bis (1217 III 7) (ASV, RV 9, f. 129v–130r; Pressutti 1, S. 18 f. Nr. 106 und S. 72 Nr. 403). Vgl. Charles McCurry, Utilia Metensia: Local Benefices for the Papal Curia, 1212–c.1370, in: Law, Church, and Society. Essays in Honor of Stephan Kuttner, hg. von Kenneth Pennington/Robert Somerville, Philadelphia 1977, S. 311–323, hier S. 312; Sayers, Papal Government (wie Anm. 89) S. 200 mit Überlegungen, ob Otto mit einem Auditor litterarum contradictarum gleichen Namens identisch sein könnte. Ihre Behauptung, daß er auch Kanoniker von St. Peter in Rom gewesen sei, ist bei Jochen Johrendt, Die Diener des Apostelfürsten. Das Kapitel von St. Peter im Vatikan (11.–13. Jahrhundert) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 122), Berlin/New York 2011 nicht zu verifizieren. 202 Honorius III, Reg II, 902 (ASV, RV 9, f. 221v; Pressutti 1, S. 182 Nr. 1080; 1218 II 10); Vincent, Cardinal Guala (wie Anm. 54) S. 5 Nr. 6. Die Bestätigung erfolgte Attendentes angustias et labores quos in Anglia dilecti filii nostri Guale tituli sancti Martini presbiteri cardinalis apostolice sedis legati mancipatus obsequiis pertulisti. Zur vermutlichen Schreibersigle des Azzo siehe oben S. 137. Sayers, Papal Government (wie Anm. 89) S. 187 erwägt eine Identität mit einem Magister Atto, Kanoniker von Lincoln. 201
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derholten Malen entsprechende Mandate an sie ergehen ließ203. Im Jänner 1216 wird ein R. scriptor pape, der sehr wahrscheinlich als Raimundus zu identifizieren ist, in zwei Urkunden mitsamt seinen beneficia in apostolischen Schutz genommen204. Diese Schutzverleihung erneuerte Honorius III. im Dezember 1216, wobei Raimundus nun nicht nur als scriptor, sondern auch als familiaris pape bezeichnet wird. Außerdem wird erkennbar, daß es sich nicht nur um das Kanonikat in Marseille, sondern auch um Einkünfte von Kirchen in der Diözese Maguelonne handelt. Am 7. Jänner 1217 wies der Papst außerdem den Bischof und das Kapitel von Lodève an, dem Raimundus ein Archidiakonat zu verleihen; im Falle des Zuwiderhandelns sollte sie der Kardinalpriester Bertrand von SS. Johannes und Paul dazu zwingen205. Bertand war gerade im Begriff, sich als Legat nach Südfrankreich zu begeben – und in seiner Begleitung befand sich möglicherweise der Schreiber Raimundus, wie eine Erwähnung in der Aufzählung der während einer Rechtshandlung im Juli 1218 anwesenden Personen vermuten läßt206. Neben den aktiven pfründenbesitzenden Schreibern gibt es auch solche, die sich offenbar nach einer erfolgreichen Provision mit einer Pfründe aus der Kanzleitätigkeit zurückziehen. Ein Beispiel für einen solchen Schreiber ist vermutlich Riccardus, der zwischen 1204 und 1211 auf insgesamt acht Aus-
Innocenz III., Reg. XVI, 27 (Migne PL 216, Sp. 816 f.; Po 4867; 1213 c. Dezember); Reg. XVI, 163 (Migne PL 216, Sp. 952 f.; Po 4885; 1214 I 20). Die Sigle Ray. ist derzeit fünfmal bekannt (erstmal 1207 VIII 20, Schedario 1 [wie Anm. 33] Nr. 197; letztmals 1213 IV 17, Papsturkunden Westfalens [wie Anm. 34] Nr. 233). In Sayers, Papal Government (wie Anm. 89) S. 206 werden ihn betreffende Angaben irrig auf die Schreiber Riccardus und Roffredus bezogen. 204 Innocenz III., Reg. XVIII, 54 f. (Po 5164 f.; Theiner, Vetera monumenta 1 [wie Anm. 8] S. 65). Die Identifizierung als Raimundus stützt sich auf die Erwähnung der Schutzverleihung durch Honorius III., siehe nächste Anmerkung. 205 Honorius III., Reg. I, 116–118 (ASV, RV 9, f. 29r; Pressutti 1, S. 30 Nr. 159 [1216 XII 7], S. 31 f. Nr. 167 [1216 XII 9], S. 40 Nr. 216 [1217 I 7]). Auch hier ist die Registrierung der drei unterschiedlich datierten Briefe als zusammenhängender Block auffällig. 206 In einer vom Legaten mitbesiegelten Urkunde (1218 VII 8) ist Raimundo scriptore ca nonico Sancti Stephani Tolose als clericus et socius des Kardinals genannt. Falls es sich wirklich um den päpstlichen Schreiber handelt, hätte dieser also auch noch ein Kanonikat an der Kathedrale von Toulouse besessen. Vgl. Claude de Vic/Joseph Vaissète, Histoire générale de Languedoc 8, Toulouse 1879, Sp. 578. Zur südfranzösischen Legation des Kardinals Bertrand vgl. Werner Maleczek, Papst und Kardinalskolleg von 1191 bis 1216. Die Kardinäle unter Coelestin III. und Innocenz III. (Publikationen des Historischen Institutes beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom I/6), Wien 1984, S. 170 f. (ohne Erwähnung von Kardinalsklerikern). 203
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fertigungen nachweisbar ist207. 1201 bis 1202 ist er als Begleiter des päpstlichen Nuntius nach Deutschland, Kardinalbischof Guido von Palestrina, nachgewiesen. Vor 1204 erhielt er eine Provision auf eine Pfründe des Kapitels von St. Gereon in Köln. Auch Propst und Kapitel dieser Kirche versuchten der Erfüllung des päpstlichen Mandats zu entgehen, wurden von Innocenz III. aber in einem sehr nachdrücklichen Schreiben dazu gedrängt208 und scheinen letztlich eingelenkt zu haben. Nach Juli 1211 ist Riccardus nicht mehr als Schreiber nachweisbar; hingegen gehörte er 1218 als Kanoniker von St. Gereon und päpstlicher Schreiber zu einer Gesandtschaft, die das für den neuen Kölner Erzbischof Engelbert II. bestimmte Pallium in Rom abholte209. Damit ist zugleich ein weiteres Tätigkeitsfeld angesprochen. Es scheint nämlich so zu sein, daß Legaten sehr häufig, vielleicht sogar regelmäßig, von Kanzleischreibern begleitet wurden. Dieses Thema verdiente eine eigene und gründliche Untersuchung, die hier nicht geboten werden kann. In seiner ausgezeichneten Arbeit über die Legatenurkunden vor 1198 hat Stefan Weiß darauf hingewiesen, daß päpstliche Urkundenminuskel bereits im frühen 12. Jahrhundert in Legatenurkunden vorkommt, ohne daß ein direkter personeller Bezug zur Kanzlei hergestellt werden könnte210. 207 Erstmals 1204 IV 5 (Papsturkunden Westfalens [wie Anm. 34] Nr. 194), letztmals 1211 VII 17 (Sayers, England [wie Anm. 30] Nr. 44). Ausführlich zu ihm Christoph Egger, Innocenz III., Philipp von Schwaben und Köln – eine Nachlese, in: Philipp von Schwaben. Beiträge der internationalen Tagung anlässlich seines 800. Todestages, Wien, 29. bis 30. Mai 2008, hg. von Andrea Rzihacek/Renate Spreitzer (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 19 = Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften 399), Wien 2010, S. 263–275, hier S. 265–267 mit Einzelnachweisen. Die dort gegebene Aufzählung der von ihm geschriebenen Stücke ist vielleicht zu ergänzen um eine littera cum serico für Bischof und Kapitel von Lüttich, 1205 IV 15, in schlechter Qualität digitalisiert: http://www.diplomata-belgica.be/charter_details_fr.php?dibe_id=13866 (eingesehen 11.9.2017). 208 Innocenz III., Reg. VII, 71 (70) = Die Register Innocenz’ III., 7. Pontifikatsjahr (1204/05), ed. Othmar Hageneder/Andrea Sommerlechner/Herwig Weigl gemeinsam mit Christoph Egger/Rainer Murauer, Wien 1997, S. 109–112 (1204 V 3). 209 Honorius III., Reg. II, 1046 f. (ASV, RV 9, f. 249r; Pressutti 1, S. 206 f. Nr. 1252 f; 1218 IV 24). Dort über Riccardus: ... et magistrum R. scriptorem nostrum canonicum sancti Gereonis Coloniensis cuius fidelitatem per diutinam familiaritatem experti de ipso indubi tatam fiduciam obtinemus. 210 Stefan Weiss, Die Urkunden der päpstlichen Legaten von Leo IX. bis Coelestin III. (1049–1198) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 13), Köln/Weimar/Wien 1995, S. 323–329. Falko Neininger, Konrad von Urach (†1227). Zähringer, Zisterzienser, Kardinallegat (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte NF 17), Paderborn 1994, S. 572–578 stellt Überlegungen zur Diplomatik der Legatenurkunden und auch zu den Schreibern an; S. 415 f. Nr. 218 erwähnt er den interessanten Fall einer mutmaßlichen Schreibersigle auf einer Legatenurkunde.
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Im Pontifikat Innocenz’ III. dürfte dies anders sein – doch fehlt bisher eine systematische Erfassung und diplomatische Untersuchung der Legatenurkunden dieser Zeit. Jedenfalls sind immer wieder päpstliche Schreiber als Begleiter von Legaten erwähnt. Der Magister Andreas war von Kardinalpriester Guala von S. Maria in Portico während seiner Frankreichlegation (Juni 1208 bis Februar 1209) mit einer Pfründe in der Kathedrale von Limoges providiert worden, befand sich also wohl in Gualas Begleitung211. Gleiches gilt vermutlich für Azzo, der während Gualas englischer Legation (Mai 1216 bis November 1218) in dessen Umfeld erwähnt ist212. Kardinalbischof Nikolaus von Tusculum wurde während seiner englischen Legation 1213 bis Frühjahr 1215 von einem Schreiber Magister Johannes de Cadomo begleitet213. Besonders interessant sind die Verhältnisse im Fall Pandulfs, der sich ab 1218 als Legat in England aufhielt; in seiner Begleitung befand sich der magister Jacobus scriptor domini pape214, der schon unter Innocenz III. als Schreiber nachweisbar ist215. Möglicherweise ist er der Schreiber dreier Briefe des Legaten, die heute im englischen Nationalarchiv und im Cumbria Record Office in Carlisle liegen216 und die einen Ansatzpunkt für weiterführende Vergleiche bieten könnten. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß – analog zu den Notaren der Kanzlei und Angehörigen der päpstlichen Kapelle – gelegentlich auch Schreiber mit allerdings immer eng umschriebenen Aufgaben außerhalb der Kurie betraut werden. Es wurde bereits der Schreiber Bartholomäus Siehe oben S. 123. Siehe oben S. 149. Vincent, Cardinal Guala (wie Anm. 54) S. LXXXVI weist darauf hin, daß außer Azzo noch mindestens ein weiterer Schreiber in Gualas Begleitung nachweisbar ist. Der päpstliche Schreiber Magister Constantinus kann hier aber übergangen werden, da er unter Innocenz III. als Schreiber bisher nicht nachgewiesen ist; vgl. Sayers, Papal Government (wie Anm. 89) S. 198. 213 Vincent, Cardinal Guala (wie Anm. 54) S. 102 f. Mit welcher Schreibersigle er zu identifizieren ist, kann gegenwärtig nicht gesagt werden. 214 Genannt unter den Zeugen bei der Übertragung des Inselreiches Man durch König Reginald an den Papst, vertreten durch den Legat. Liber censuum 1 (wie Anm. 7) S. 260 f. Nr. XXIX, sowie in Honorius III., Reg. IV, 629 (ASV, RV 10, f. 150v–151r), 1219 IX 21. Vgl. Sayers, Papal Government (wie Anm. 89) S. 164. Zur Sigle Ia. vgl. oben S. 125. 215 Siehe oben S. 125. 216 Nach ersten Vermutungen von Jane Sayers, The Influence of Papal Documents on English Documents before 1305, in: Papsturkunde und europäisches Urkundenwesen, hg. von Peter Herde/Hermann Jakobs (AfD Beiheft 7), Köln 1999, S. 161–199, hier S. 168, 190, nun ausführlich Benedict Wiedemann, Master James, a Papal Scribe in the Household of Pandulf Verracclo, Papal Legate to England, 1218–1221, in: Manuscripta 61/1 (2017) S. 105– 110. Leider hat Wiedemann den naheliegenden Vergleich der Stücke mit Papsturkunden, die laut Schreibersigle von Jacobus geschrieben sind, nicht versucht. 211 212
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erwähnt, der im Sommer 1200 als Begleiter des Erzbischofs Anselm von Neapel die Kämpfe gegen Markward von Annweiler in Süditalien beobachtete217. Ebenso wurde schon auf den Auftrag verwiesen, den der päpstliche Skriptor Magister P. 1203 gemeinsam mit anderen im Kirchenstaat zu erledigen hatte218. Ein weiterer, genau definierter Auftrag erging im Sommer 1208, als der Papst zur Überbringung einer Eidesformel seinen Schreiber W. in das Königreich Sizilien entsandte, mit der die Bewohner ihren Gehorsam gegenüber den von Innocenz eingesetzten Großkapitänen beschwören sollten219. Es läßt sich leider nicht feststellen, ob die Sigle W. den Schreiber Guillelmus de Marcheio bezeichnet, der – was aber natürlich reiner Zufall sein kann – bisher zwischen Juni 1208 und April 1209 mit keiner Schreibersigle nachgewiesen ist220. Gab es für die Schreiber außer der Möglichkeit zum Pfründenerwerb auch Chancen zu einer Karriere? Auch diese Frage ist nicht einfach und mitunter nur spekulativ zu beantworten. Innerhalb der Kanzlei entstand noch unter Innocenz III. das Amt des Korrektors, dem die Aufgabe der Korrektur der Reinschriften zukam221. Offenbar konnte man von der Tätigkeit des Schreibers zur Tätigkeit des Korrektors aufsteigen, wie am Schreiber Sca. zu erkennen ist. Er beginnt seine Tätigkeit als Schreiber in der Spätphase von Innocenz’ Pontifikat – bis Juli 1216 ist er auf sechs oder sieben Ausfertigungen nachgewiesen222. 1220 wird er von Honorius III. mit einem Kanonikat der Kathedrale von Como providiert223, begegnet aber bald auch als Empfänger verantwortungsvoller Aufträge im Kirchen-
Siehe oben S. 129 f. Siehe oben S. 140. 219 Innocenz III., Reg. XI, 128 (133) = Die Register Innocenz’ III., 11. Pontifikatsjahr (1208/1209), ed. Othmar Hageneder/Andrea Sommerlechner gemeinsam mit Christoph Egger/Rainer Murauer/Reinhard Selinger/Herwig Weigl, Wien 2010, S. 203 (1208 ca. Juli 27–August 8). 220 Nach derzeitigem Stand dauert die Unterbrechung von 1208 VI 13 (Hilger, Österreich [wie Anm. 29] Nr. 35) bis 1209 IV 3 (Codex diplomaticus regni Bohemiae 2 [wie Anm. 35] Nr. 83). Zu Guillelmus de Marcheio siehe oben S. 132 f. 221 Schwarz, Corrector (wie Anm. 164) 122–191; Alfred Fickel, Korrektor und Korrekturen der Papstkanzlei in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Geschäftsgang der Papstkanzlei 1198–1241, Landshut/Szeged 1993, geht besonders auf die aus der Tätigkeit des Korrektors erwachsenden Kanzleivermerke ein. 222 1215 X 30 signiert einmal ein Sc. (Barbiche, Paris 1 [wie Anm. 22] Nr. 111); ab 1216 I 4 Sca. (ebd. Nr. 113). Die Sigle findet sich noch bis weit in den Pontifikat Gregors IX. 223 Honorius III., Reg. IV, 719 (ASV, RV 10, f. 176r; Pressutti 1, S. 394 Nr. 2379; 1220 IV 2) und IV, 840 (ASV, RV 10, f. 207v–208r; Pressutti 1, S. 411 Nr. 2487; 1220 VI 6). 217 218
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staat224. Schließlich erhebt ihn Innocenz IV. 1245 zum Bischof von Viterbo. In dem Brief, der dem Kapitel von Viterbo die Erhebung mitteilt, wird Scambius tunc correctorem litterarum nostrarum genannt225. Somit läßt sich in seiner Person tatsächlich der Aufstieg vom Kanzleischreiber über die Stellung eines corrector litterarum apostolicarum zum Bischof verfolgen. Ebenfalls als Schreiber – als solcher ist er 1207 erwähnt – und als zunächst nicht willkommener Inhaber eines Kanonikats in Embrun begann Petrus Marcus seine Laufbahn226. Aber schon 1210 ist er als corrector lit terarum apostolicarum genannt, als der er allerdings Rom verläßt, um in Südfrankreich als Kollektor des Census zu fungieren und die Partei Simons von Montfort zu unterstützen. Offenbar war sein Auftreten und seine administrative Kompetenz so überzeugend, daß Simon ihn von Innocenz als Leiter seiner Kanzlei erbat, was ihm der Papst am 11. September 1212 unter ausführlichem Lob und Betonung, wie wichtig ihm Petrus für die Erledigung verschiedenster Geschäfte sei, zugesteht227. Eine Karriere innerhalb der Kurie dürfte jener Schreiber Magister P. G. gemacht haben, der im Frühjahr 1200 eine Provision auf ein Kanonikat in Limoges erhielt228. Vielleicht ist P. G. der spätere päpstliche Notar Petrus Girau, über dessen Tod im Jahr 1206 wir aus den chronikalischen Notizen des Bernard Itier von Saint-Martial in Limoges unterrichtet sind229. Im Fe Honorius III., Reg. IX, 316 (ASV, RV 13, f. 57v–58v; Pressutti 2, S. 335 f. Nr. 5475; 1225 V 10); Reg. XI, 471 (ASV, RV 13, f. 160v–161r; Pressutti 2, S. 465 Nr. 6161; 1227 I 13). In beiden Briefen wird Scambius als scriptor noster bezeichnet. 225 Innocenz IV., Reg. II, 627 (ASV, RV 21, f. 201r; Les registres d’Innocent IV 1, ed. Élie Berger, Paris 1884, S. 205 Nr. 1346; 1245 VI 15). Kurz zu Scambius Schwarz, Corrector (wie Anm. 164), S. 126. 226 Siehe oben S. 140 und Innocenz III., Reg. X, 140 = Die Register Innocenz’ III., 10. Pontifikatsjahr (1207/1208), ed. Rainer Murauer/Andrea Sommerlechner gemeinsam mit Othmar Hageneder/Christoph Egger/Reinhard Selinger/Herwig Weigl, Wien 2007, S. 234 f., 1207 X 25, eine Pfründen- oder Pensionsangelegenheit. Welche Schreibersigle er verwendet, ist vorläufig ungewiß. 227 Innocenz III., Reg. XV, 167, Migne PL 216, Sp. 690C–691C. Schwarz, Corrector (wie Anm. 164) S. 125; die zahlreichen Briefe, die mit der südfranzösischen Kollektorentätigkeit des Petrus Marcus zusammenhängen, referiert Johrendt, Der vierte Kreuzzug (wie Anm. 86) S. 104 f. 228 Innocenz III., Reg. III, 72, Po 1033, April/Mai 1200 (Theiner, Vetera monumenta 1 [wie Anm. 8] S. 49): Episcopo et Decano ac Capitulo Lemovicensibus super simili provisione [de canonicatu et prebenda] P. G. Scriptori pape facienda. 229 Bernard Itier, Chronique, ed. Jean-Loup Lemaitre (Les classiques de l’histoire de France au moyen age 39), Paris 1998, S. 34 Nr. 126 (7) zu 1206: Tod des P(etrus) G(irau) de Solomnac, clericus in curia domini Innocentii pape; ebd. Nr. 127 (1) wird er als notarius do mini pape Innocencii III. bezeichnet. 224
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bruar 1207 mußte Innocenz seine Mutter und Brüder gegen Zudringlichkeiten des Abtes von Solignac schützen230. Schließlich ist noch der Fall des Magister Opizo von Asti zu erwähnen. Möglicherweise ist er mit dem Urheber der Schreibersigle ob. zu identifizieren, die derzeit zwischen 1207 und 1209 fünfmal nachgewiesen ist231. Im 1213 abgefaßten Testament der Königin Maria von Aragon wird er gemeinsam mit anderen Personen, die ebenfalls zur Kanzlei gehören, mit einem Geldlegat bedacht: magistro Obitoni X. libras, magistro Thome, V. libras; magistro Guillelmo correctori, unam marcham argenti232. Während der Korrektor Magister Wilhelm in der bisherigen einschlägigen Literatur nicht erwähnt ist233, dürfte es sich beim Magister Thomas um den päpstlichen Notar und nachmaligen Kardinal Thomas von Capua handeln. Auch Opizo ist vielleicht noch unter Innocenz, jedenfalls aber früh im Pontifikat Honorius’ III. zum päpstlichen Notar aufgestiegen234. 1227 wurde er zum Erzbischof von Cosenza erhoben, als der er vor Mitte 1243 starb. Noch als Notar und dann auch als Erzbischof scheint er gute Beziehungen zum kaiserlichen Hof unterhalten zu haben235. Ein sehr interessanter und von Überlegungen zu Karriere und Bepfründung nicht zu trennender Aspekt ist schließlich die Frage der Verankerung der Schreiber im sozialen Beziehungsgeflecht, das die Kurie durchzog236. Bereits erwähnt wurde die eindeutige Bezeichnung des Schreibers des Liber censuum Wilhelm Rofio als Kleriker des Kardinals und Kämmerers
Innocenz III., Reg. IX, 265 (267) = Die Register Innocenz’ III., 9. Pontifikatsjahr (1206/1207), ed. Andrea Sommerlechner gemeinsam mit Othmar Hageneder/Christoph Egger/Rainer Murauer/Herwig Weigl, Wien 2004, S. 452 f. (1207 II c. 18). Vgl. Johrendt, Der vierte Kreuzzug (wie Anm. 86) S. 103 f. 231 Erstmals 1207 II 13, wie oben S. 144; letztmals 1209 IV 13 (Salzburger UB 3, ed. Willibald Hauthaler/Franz Martin, Salzburg 1918, S. 124 f. Nr. 625). Die Identifizierung mit Opizo von Asti stammt von Anton Haidacher, der sie Norbert Kamp mitgeteilt hat: Kamp, Kirche und Monarchie 3 (wie Anm. 61) S. 841 Anm. 101. Sie findet sich allerdings nicht in Haidacher, Magister Opizo (wie Anm. 165). 232 Layettes du trésor des chartes 1, ed. Alexandre Teulet, Paris 1863, S. 390 f. Nr. 1044. 233 Schwarz, Corrector (wie Anm. 164). 234 Haidacher, Magister Opizo (wie Anm. 165) S. 150 Anm. 82. 235 Haidacher, Magister Opizo (wie Anm. 165) S. 149; Kamp, Kirche und Monarchie 3 (wie Anm. 61) S. 840–843. 236 Vgl. Bernard Barbiche, Diplomatique et histoire sociale: les „scriptores“ de la chancellerie apostolique au XIIIe siècle, in: Ders., Bulla, legatus, nuntius. Études de diplomatique et de diplomatie pontificales (XIIIe–XVIIe siècles) (Mémoires et documents de l’École des Chartes 85), Paris 2007, S. 43–55 (zuerst in: Atti del III Congresso internazionale di Diplomatica [wie Anm. 13] S. 117–129), der aber kaum auf das frühe 13. Jahrhundert eingeht. 230
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Cencius237 – aber dabei handelt es sich leider um einen Einzelfall, denn für das frühe 13. Jahrhundert lassen sich sonst kaum jemals sichere Aussagen über die Zugehörigkeit eines Schreibers zum Haushalt oder zur familia eines Kardinals oder einer anderen hochgestellten Persönlichkeit machen238. Wenige Fälle, meist in Zusammenhang mit Pfründenvergaben, erlauben allerdings zumindest Vermutungen: Benedictus de Fractis war vielleicht Kleriker des Kardinaldiakon Rainer Capocci von S. Maria in Cosmedin239, Roffridus gehörte möglicherweise zur Umgebung des Kardinals Hugolino240, Gentilis vielleicht zur familia des Kardinalpriesters Leo von S. Croce241, Raimundus war familiaris Honorius’ III. und befand sich vielleicht in einem Nahverhältnis zum Kardinalpriester Bertrand von SS. Johannes und Paul242. Alle genannten Beziehungen betreffen Kardinäle; bisher kaum faßbar sind hingegen Beziehungen zu höheren Kanzleifunktionären, vor allem zu den Notaren. Gerade diese wären aber von besonderem Interesse, da sie von unmittelbarem Einfluß auf den Arbeitsalltag der Schreiber sind. Es ist zu hoffen, daß hier weitere Untersuchungen zu den Kanzleivermerken noch vertiefte Einblicke ermöglichen werden.
d) Zusammenfassende Überlegungen Es mag seltsam erscheinen, daß in einer Arbeit über die Schreiber päpstlicher Urkunden bisher gar nicht von der Schrift selbst die Rede gewesen ist. Zwar ist der früher gelegentlich geäußerten Auffassung, daß die Schrift der päpstlichen Kanzlei zu einheitlich gestaltet sei, als daß man individuelle Eigenheiten erkennen könnte, nicht zuzustimmen – aber die paläographische Differenzierung der Kanzleischreiber ist in Anbetracht der großen Zahl der zu berücksichtigenden Stücke tatsächlich ein ambitioniertes Unterfangen. Der Censimento, der doch besonders an der Erfassung der äußeren Merkmale der Urkunden interessiert ist, schenkt der Schrift und auch manchen Aspekten des Layout keine besondere Beachtung, was als ein Rückschritt hinter die Erfas Siehe oben S. 115. Vorbildlich für einschlägige Untersuchungen ist Agostino Paravicini Bagliani, Cardinali di curia e “familiae” cardinalizie dal 1227 al 1254 (Italia Sacra 18–19), Padova 1972. Für den von ihm untersuchten Zeitraum steht allerdings bereits ein wesentlich umfangreicheres Quellenmaterial zur Verfügung. 239 Siehe oben S. 124. 240 Siehe oben S. 134 f. 241 Siehe oben S. 131. 242 Siehe oben S. 150. 237 238
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sungsstandards Paul Maria Baumgartens anzusehen ist, der Fragen von Schrift und Layout in seinen Notizen durchaus berücksichtigt hat. Dabei haben sehr anregende Untersuchungen der jüngeren Zeit das große Erkenntnispotential, das in einschlägigen Fragestellungen liegt, deutlich aufgezeigt243. Die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung und der Digital Humanities bieten hier die Gelegenheit zu vielversprechenden Neuansätzen und zu einer gewissen Erweiterung der im Rahmen des Censimento erfaßten Daten. Es ist als außerordentlich verwunderlich zu bezeichnen, daß die Bände des „Index actorum Romanorum pontificum“ noch immer ausschließlich als gedruckte Bücher erscheinen. Die Anlage der Bände mit nach festgelegten Regeln erfaßten und dargebotenen Daten, die durch nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnete Indices erschlossen werden, ist hochgradig strukturiert – es handelt sich geradezu um eine ausgedruckte Datenbank; und diese Datenbank schreit nicht nur danach, in elektronische Form übergeführt zu werden, sondern sie fordert auch unbedingt eine Verknüpfung mit dem in immer größerem Umfang digital verfügbaren Bildmaterial. Die Vorteile liegen auf der Hand: die immer wieder angeklungenen mehrdeutigen und uneinheitlichen Lesungen244, die sich durch die oft schwierige Entzifferung der Vermerke, die große Zahl an Bearbeitern und Bearbeiterinnen und die sich nun schon über mehrere Jahrzehnte hinziehende Bearbeitungsdauer ergeben, ließen sich zunächst in ihrer Mehrdeutigkeit fixieren und dann einer Klärung zuführen, die künftigen Bearbeitern die Arbeit erleichtern und der Forschung Sicherheit für weiterführende Überlegungen bieten würde. Kanzleivermerke, insbesondere auch die oft graphisch ausgestalteten Vermerke der Prokuratoren, wären eindeutig und jenseits der jeder auch noch so sorgfältigen Nachzeichnung innenwohnenden Subjektivität erfaßt und suchbar. So erfreulich die stetig wachsende Zahl online zur Verfügung stehender Abbildungen von Urkunden ist, so frustrierend ist manchmal die Qualität der Bilder – sowohl was die Auflösung angeht als auch was die Sichtbarkeit von Details betrifft, die gerade für die Untersuchung von Kanzleivermerken wesentlich sind245. Eine Unterstützung der Erschließung von Bischoff, Urkundenformate (wie Anm. 4); Gudrun Bromm, Die Entwicklung der Großbuchstaben im Kontext hochmittelalterlicher Papsturkunden (elementa diplomatica 3), Marburg 1995; Matthias Kordes, Der Einfluß der Buchseite auf die Gestaltung der hochmittelalterlichen Papsturkunde. Studien zur graphischen Konzeption hoheitlicher Schriftträger im Mittelalter (Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 2), Hamburg 1993. 244 Wie das oben S. 130 dargelegte Problem der Lesung der Sigle AC/AG/AT. 245 Manchmal lassen die zur Verfügung gestellten Bilder den Forscher in geradezu quälender Ungewissheit: so trägt eine littera cum serico für Raitenhaslach, heute im Bayerischen Haupt staatsarchiv in München befindlich, laut Schedario 1 (wie Anm. 33) Nr. 228 einen Schreiber 243
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Papsturkunden nach Kriterien des Censimento durch digitale Abbildungen hat also die Einhaltung gewisser Standards zur Voraussetzung; nicht selten wird es nötig sein, zusätzlich zu den Gesamtansichten der Vorderund Rückseite der jeweiligen Urkunde auch Detailaufnahmen etwa der Bereiche auf und unter der Plica sowie des oberen Randes der Urkunde sowohl recto als auch verso bereitzustellen und vielleicht sogar zur Sichtbarmachung verblaßter oder radierter Vermerke technische Hilfsmittel wie Aufnahmen in UV-Licht oder Multispektralaufnahmen anzuwenden. Liegen standardisierte und qualitätvolle Digitalisate der Urkunden vor, dann ist auch eine Analyse der Schrift und ein paläographischer Vergleich der heute über Archive in ganz Europa verstreuten Stücke möglich. Ein solcher Vergleich könnte durch die Anwendung von Werkzeugen aus dem Bereich der Digital Humanities – wie etwa das am King’s College in London entwickelte Tool DigiPal246 – wesentlich unterstützt werden. Die Verbindung der strukturierten Erfassungsmethode, wie sie für den Censimento betrieben wird, mit dem stetig wachsenden Bestand an Urkundendigitalisaten und der Anwendung der zunehmende Zahl von Werkzeugen der Schriftanalyse, wie sie in der jüngeren Vergangenheit in den Digital Humanities entwickelt worden sind, könnte der Erforschung des hoch- und spätmittelalterlichen päpstlichen (und in weiterem Sinne kirchlichen) Urkundenwesens wesentliche Impulse geben247. vermerk Gualt(eru)s; laut Urkunden Raitenhaslach (wie Anm. 35) Nr. 68 den Schreibervermerk Guill(elmu)s. Auf dem über die so verdienstvolle Plattform Monasterium zugänglich gemachten Digitalisat der Urkunde (http://monasterium.net/mom/DE-BayHStA/KURaitenhaslach/1209_04_18/charter [eingesehen 7.9.2017]) ist die Plica so weggebogen, daß der Schreibervermerk gar nicht erkennbar ist. Dieses Beispiel ist leider keineswegs ein Einzelfall. 246 http://www.digipal.eu/(eingesehen 28.12.2017). 247 Für eine Berücksichtigung in diesem Beitrag zu spät bekannt geworden ist mir folgende Publikation, die sich wesentlich mit der Anwendung von Methoden der Digital Humanities auf die Erforschung des päpstlichen Urkundenwesens vor 1198 befaßt: Papstgeschichte im digitalen Zeitalter. Neue Zugangsweisen zu einer Kulturgeschichte Europas, hg. von Klaus Herbers/Viktoria Trenkle (AKG Beihefte 85), Köln/Weimar/Wien 2018. Im Kontext dieses Beitrages von besonderem Interesse sind in diesem Band die folgenden Aufsätze: Vincent Christlein/Martin Gropp/Andreas Maier, Technical Tools for the Analysis of High Medieval Papal Charters (S. 45–53); Benedikt Hotz/Benjamin Schönfeld, Schriftentwicklung an der päpstlichen Kurie – durch computergestützte Verfahren zu neuen Erkenntnissen der kurialen Schriftgeschichte? (S. 55–67); Torsten Schlauwitz, Das päpstliche Kanzleiwesen im 12. Jahrhundert. Automatische Schreiberidentifizierung in der praktischen Anwendung (S. 69–93). Es ist bedauerlich, daß dieser Band der eher wissenschaftsgeschichtlich und forschungsorganisatorisch begründeten Teilung der Papstdiplomatik in „bis 1198“/„nach 1198“ folgt und so die Möglichkeiten, die sich durch die systematische Erfassung der Originale im Rahmen des Censimento bieten könnten, nicht reflektiert.
Die Schreiber der päpstlichen Kanzlei unter Papst Innocenz III.
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Abstract Die Schreiber der päpstlichen Kanzlei unter Papst Innocenz III. Versuch eines ersten Überblicks/The scribes of the papal chancery during pope Innocent III’s pontificate. A first attempt at a synoptic view. Early in his pontificate Innocent III introduced some fundamental changes concerning the processing and issuing of papal chancery documents. Among these changes is the addition of chancery marks on the documents, above all short marks indicating the name of the scribe who engrossed the respective letter. Although these marks are abbreviated they allow for the first time for a closer look at the chancery and its staff. How many scribes were active, who were they, how were they paid, did they belong to the social networks inside the papal curia, did they follow a certain career path? On the basis of a sample of some 370 documents dating from Innocent III’s pontificate, collected in the „Index Actorum Romanorum Pontificum“, the Schedario Baumgarten and other sources, this paper explores the methodological implications of these questions, tries to give first answers and to suggest perspectives for further research.
Ein bisher unbekanntes Generalprivileg Friedrichs II. für den Deutschen Orden (Juni 1219) von HUBERT HOUBEN Walter Koch zum 75. Geburtstag Im Rahmen des seit 1990 an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten und von Walter Koch geleiteten Projekts der „Herausgabe der Urkunden Kaiser Friedrichs II.“1 sind in den Monumenta Ger maniae Historica bisher bereits fünf Bände erschienen, die den Zeitraum von 1198 bis Juni 1226 abdecken2. Bei den seit 1985 laufenden Vorarbeiten zu diesem Unternehmen konnten auf Archivreisen vor allem in Italien Walter Koch, Das Projekt der Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II., in: Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994, hg. von Arnold Esch/Norbert Kamp (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), Tübingen 1996, S. 87–108; Ders., Die Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II., in: Das Staunen der Welt. Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen 1194–1250, hg. von der Gesellschaft für staufische Geschichte (Schriften zur staufischen Geschichte und Kunst 15), Göppingen 1996, S. 40–71; Ders., Kanzlei- und Urkundenwesen Friedrichs II. Eine Standortbestimmung, in: Mezzogiorno – Federico II – Mezzogiorno. Atti del Convegno internazionale di Studio promosso dall’Istituto Internazionale di Studi Federiciani, Consiglio Nazionale delle Ricerche, Potenza-Avigliano-Castel Lagopesole-Melfi, 18–23 ottobre 1994, hg. von Cosimo Damiano Fonseca, (Comitato Nazionale per le Celebrazioni dell’VIII Centenario della na scita di Federico II 1194–1994, Atti di Convegni 4), Rom 2000, 2, S. 595–619; Ders., Die Ausgabe der Urkunden Kaiser Friedrichs II. – Ein Arbeitsbericht, in: Auxilia Historica. Festschrift für Peter Acht zum neunzigsten Geburtstag, hg. von Dems./Alois Schmid/Wilhelm Volkert (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 132), München 2001, S. 213–222. 2 MGH Diplomata regum et imperatorum Germaniae 14/1–5: Die Urkunden Friedrichs II. 1198–1212, ed. Walter Koch unter Mitwirkung von Klaus Höflinger/Joachim Spiegel unter Verwendung von Vorarbeiten von Charlotte Schroth-Köhler (†), Hannover 2002; Die Urkunden Friedrichs II. 1212–1217, ed. Walter Koch unter Mitwirkung von Klaus Höflinger/Joachim Spiegel/Christian Friedl, Hannover 2007; Die Urkunden Friedrichs II. 1217–1220, ed. Walter Koch unter Mitwirkung von Klaus Höflinger/ Joachim Spiegel/Christian Friedl, Hannover 2010; Die Urkunden Friedrichs II. 1220– 1222, ed. Walter Koch unter Mitwirkung von Klaus Höflinger/Joachim Spiegel/Christian Friedl, Wiesbaden 2014; Die Urkunden Friedrichs II. 1222–1226, ed. Walter Koch 1
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zahlreiche Neufunde von bis dahin unbekannten Urkunden des staufischen Herrschers gemacht werden. Bei einer Bilanz dieser Funde im Jahre 2001 wies Walter Koch darauf hin, dass „die Möglichkeit für Neufunde im italienischen Bereich immer gegeben sei“, vor allem in Süditalien, wo aufgrund der dortigen „vielfach unübersichtlichen Archivverhältnisse die Chance auf Neufunde“ besonders groß sei3. In der Tat konnte ich in der Bibliothek der Società Napoletana di Storia Patria, die sich im von Karl I. von Anjou erbauten Castel Nuovo in Neapel befindet, eine frühneuzeitliche notarielle Abschrift eines bisher unbekannten Generalprivilegs Friedrichs II. für den Deutschen Orden von Juni 1219 finden. Sie ist in einem ‚Band‘ (eigentlich handelt es sich um eine Mappe mit losen Blättern) überliefert, der größtenteils im 17. Jahrhundert angefertigte notarielle Abschriften von Urkunden enthält, die sich im Archiv der ehemaligen Deutschordenskommende San Leonardo di Siponto (bei Manfredonia, Provinz Foggia) befanden. Vor 1616 wurde dieses Archiv in die ehemalige Deutschordenskommende Corneto-Torre Alemanna (zwischen Ascoli Satriano und Cerignola) ausgelagert, vermutlich weil man es vor den Türken in Sicherheit bringen wollte, die dann tatsächlich 1620 Manfredonia verwüsteten. Seine Bestände wurden 1804 auf Anordnung König Ferdinands IV. in das zentrale Archiv des Königreichs Neapel, das „Grande Archivio“, gebracht, dessen älteste Bestände, die im Zweiten Weltkrieg nach San Paolo Belsito bei Nola (Provinz Neapel) ausgelagert worden waren, bekanntlich 1943 durch eine von deutschen Soldaten vorsätzlich begangene Brandstiftung vernichtet wurden4. Der ‚Band‘, um den es sich handelt, stammt aus dem Nachlass des Neapolitaner Archivars und Historikers Giuseppe Del Giudice (1819–1909), der kurz vor seinem Tod das in seinem Besitz befindliche handschriftliche Material in 23 Bände binden bzw. als lose Blätter einfassen ließ, die er eigenhändig durchnumerierte und mit Etiketten versah, auf denen ihr Inhalt unter Mitwirkung von Klaus Höflinger/ Joachim Spiegel/Christian Friedl/Katharina Gutermuth, Wiesbaden 2017. 3 Koch, Ausgabe (wie Anm. 1) S. 218 f. Liste der Neufunde für die Jahre bis einschließlich 1994: Ders., Projekt (wie Anm. 1) S. 107 f., für die Jahre 1995–2000: Ders., Ausgabe, S. 220–222. 4 Vgl. Hubert Houben, Introduzione, in: L’inventario dell’archivio di S. Leonardo di Siponto (ms. Brindisi, Bibl. De Leo B 61): una fonte per la storia dell’Ordine Teutonico in Puglia, hg. von Dems./Valentina Pascazio (Acta Theutonica 6), Galatina 2010, S. 9–23, ebd. S. 19 f. Zu San Leonardo di Siponto: San Leonardo di Siponto. Cella monastica, canonica, domus Theutonicorum. Atti del Convegno internazionale (Manfredonia, 18–19 marzo 2005), hg. von Hubert Houben (Acta Theutonica 3), Galatina 2006.
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angegeben war5. Von diesen Bänden befinden sich zwölf in der Bibliothek der Società Napoletana di Storia Patria, vier im Staatsarchiv Neapel, sieben sind verloren. Die in der Bibliothek befindlichen Bände von Del Giudice wurden lange Zeit als Teil des dort aufbewahrten Nachlasses des süditalienischen Politikers und Historikers Giustino Fortunato (1848–1932)6 angesehen, der ebenfalls in schwarze Einbände eingebunden war, und blieben so unbeachtet. Erst als der Neapolitaner Historiker Stefano Palmieri vor einigen Jahren diese Bände als Teile des Nachlasses von Del Giudice identifizierte und 1997 ein kurzes Inventar publizierte, wurde die Öffentlichkeit auf sie aufmerksam. Die Etikettaufschriften der Bände Del Giudices, die in diesem Inventar wiedergegeben wurden, sind in einigen Fällen so allgemein gehalten, dass man die einzelnen Bände durchsehen muss, um sich ein konkretes Bild von ihrem Inhalt machen zu können. So trägt z. B. der im Staatsarchiv Neapel aufbewahrte Band XX auf dem Buchrücken den Titel „Annotazioni e lavori diversi“ (Verschiedene Bemerkungen und Arbeiten) und auf dem Buchdeckel mit „Documenti, lavori storici. Note etc.“ (Urkunden, historische Arbeiten. Notizen usw.), während der in der Bibliothek aufbewahrte Band XVIII auf dem Einbandrücken mit „Documenti“ und auf dem Buchdeckel „Originali e copie di antichi diplomi ed istrumenti“ etikettiert ist. Wenn man den letzteren Band aufschlägt, findet man auf dem ersten Blatt einen von einer älteren Hand des 18. oder 19. Jahrhunderts geschriebenen genaueren Titel: „Fascicoli quattro di copie autentiche di privilegi ed istrumenti dell’ospedale teutonico di Barletta, S. Maria in Principio, degli Alemanni, di Belvedere e di S. Leonardo delle Matine, n.°58“. Unter den hier aufbewahrten, bisher unbekannten notariellen Abschriften des 17. Jahrhunderts befinden sich eine Urkunde Heinrichs VI. und fünf Friedrichs II.: 1) (fol. 2r) Palermo, 1197 Mai 20. Heinrich VI. schenkt den Brüdern des Hospitals der Deutschen in Jerusalem das von ihnen in Barletta errichtete Hospital des hl. Thomas sowie Ackerland im Gebiet von 5 Stefano Palmieri, I manoscritti di Giuseppe Del Giudice. Una fonte per la ricostruzione dell’Archivio della Cancelleria Angioina, in: Atti della Accademia Pontaniana, n. s. 46, 1997, S. 49–61, Nachdr. in Ders., Degli archivi napoletani. Storia e tradizione, Neapel 2002, S. 149–153, ebd. S. 153 Verzeichnis der Bände. 6 Vgl. Hubert Houben, Der Deutsche Orden in Melfi. Urkunden (1231–1330) aus dem Nachlass Giustino Fortunato, in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, hg. von Theo Kölzer/ Franz-Albrecht Bornschlegel/ Christian Friedl/Georg Vogeler, Wien/Köln/Weimar 2007, S. 113–134, S. 133 f.
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Canne und die Kirche des hl. Nikolaus de Rigula mit Zubehör7. Notar Johannes Vincentius Pinto aus Melfi8, 27. April 1616. 2) (fol. 3r–4r) Wimpfen, 1218 Januar 3. Friedrich II. schenkt dem Deutschen Orden in Wiederholung seiner Verfügung von 1216 (D F.II. 390), jedoch mit dem Hinweis, dass seine Gemahlin und sein Sohn eingewilligt haben, jährlich 150 Goldunzen aus den Einkünften der Stadt Brindisi im Tausch für ein ihm in Deutschland überlassenenes Gut9. Inseriert in der Urkunde Honorius’ III. von 1218 März 23, Notar Joseph de Stasio, 2. Juli 1665. 3) (fol. 4v–5r) Nürnberg, 1219 Juni. Friedrich II. nimmt den Deutschen Orden mit seinem gesamten Besitz im römisch-deutschen Reich und im Königreich Sizilien in seinen besonderen Schutz, befreit ihn von allen Abgaben, gewährt ihm freie Nutzung von Wasser, Gras und Holz auf Domanialgut und gebührenfreie Reise im Mittelmeer, insbesondere über die Meerenge zwischen Sizilien und Kalabrien, und bestätigt ihm
Die Regesten des Kaiserreiches unter Heinrich VI. 1165 (1190)–1197, neubearb. von Gerhard Baaken (RI IV,3), Köln/Wien 1972, Nr. 593. Vorläufige Online-Version der von Bettina Maleczek-Pferschy und Peter Csendes in den Monumenta Germaniae Historica vorbereiteten Edition der Urkunden Heinrichs VI. für das Königreich Sizilien: http://www. mgh.de/fileadmin/Downloads/pdf/Heinrich_VI_Csendes_2013-12-23.pdf (zuletzt eingesehen am 7.3.2018). Zum Inhalt der Urkunde vgl. Hubert Houben, I cavalieri teutonici a Barletta: nuovi documenti e ulteriori considerazioni vent’anni dopo, in: Tra Oriente e Occidente: istituzioni religiose a Barletta nel Medioevo (secoli XI–XV), Convegno internazionale di studi, Barletta, 25–26 novembre 2016, hg. von Luisa Derosa/Francesco Panarelli/Victor Rivera Magos, Bari 2018 (im Druck). 8 Einige von diesem Notar beglaubigte Abschriften von Privaturkunden für den Deutschen Orden sind ediert bei Hubert Houben, Raimondo del Balzo Orsini e l’Ordine Teutonico, in: L’Ordine Teutonico tra Mediterraneo e Baltico. Incontri e scontri tra religioni, popoli e culture. Der Deutsche Orden zwischen Mittelmeerraum und Baltikum. Begegnungen und Konfrontationen zwischen Religionen, Völkern und Kulturen. Atti del Convegno internazionale, Bari-Lecce-Brindisi, 14–16 settembre 2006, hg. von Dems./Kristjan Toomaspoeg (Acta Theutonica 5), Galatina 2008, S. 195–212, ebd. S. 205–212 (fol. 18r–20v, Urkunde vom 20. März 1399), und Hubert Houben, Federico II e i cavalieri teutonici a Belvedere (Apricena) e Foggia: scavi archivistici (con un’appendice documentaria 1220–1417), in: Federico II e i cavalieri teutonici in Capitanata. Recenti ricerche storiche e archeologiche. Atti del Convegno internazionale Foggia-Lucera-Pietramontecorvino, 10–13 giugno 2009, hg. von Pasquale Favia/Hubert Houben/Kristjan Toomaspoeg (Acta Theutonica 7), Galatina 2012, S. 123–181, ebd. S. 145 f. (fol. 5r, Abb. S. 142, Urk. von Januar 1220), S. 148–151 (fol. 13r und 14r, Abb. S. 143, Urk. von Januar 1220), S. 152–155 (fol. 12r–12v und fol. 16r, Urkk. vom 18. April 1226 und 15. Juni 1226). 9 D F.II. 427. 7
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alle von seine Eltern erhaltenen Privilegien10. Notar Joseph de Stasio, 2. Juli 1665. 4) (fol. 7r–7v) Barletta, 1229 August. Friedrich II. gewährt dem Deutschen Orden die freie Nutzung von Wasser, Gras und Holz im Königreich Sizilien auf Domanialgut und auf dem Besitz der Grafen und Barone sowie darüber hinaus seinen Vorstehern, Brüdern und Leuten das Recht, zu ihrer Verteidigung Waffen zu tragen11. Notar Joseph de Stasio, 2. Juli 1665. 5) (fol. 33r–33v) Foggia, 1230 Mai (in Transumpt vom 1. Dezember 1259). Friedrich II. bestätigt auf Bitte Hermanns von Salza dem Deutschen Orden den von Rao von Balbano, Graf von Conza, geschenkten Besitz bei Castiglione (bei Calitri, Provinz Avellino), so wie er in der von diesem ausgestellten Schenkungsurkunde aufgeführt war, Besitz in Belvedere zwischen Apricena und Sannicandro Garganico in der Capitanata, im feudum Montefusculum im Gebiet von Oria und im Gebiet von Nardò in der Terra d’Otranto, so wie er in den Schenkungsurkunden des Grafen Mat thäus von Lesina verzeichnet war, und in Santa Sabina bei Ostuni, so wie er in der Schenkungsurkunde Graf Roberts von Lecce aufgeführt war12. Ungenaue Erwähnung in: Codice diplomatico del regno di Carlo I. e II. d’Angiò (...), ed. Giuseppe Del Giudice, 2, Teil 1, Neapel 1869, S. 57 Anm. 1: „L’Ordine di S. Maria de’ Teutonici di Gerusalemme (…) diplomi, che ho rinvenuti nell’Archivio di Napoli, riguardanti le Case fondate in Puglia, credo opportuno darne qui un cenno, e pubblicarne in parte alcuno più importante. (...) 2. 1219 Giugno Ind. VII. Nuremberg – Diploma di Federico II, che non rinviensi nella Collezione del Brèholles, giacchè quello che leggesi ivi come pure nel Boehmer ed in altri colla data del 1219 3 Novembre, e che comincia allo stesso modo, Inter varia humane sollicitudinis etc. riguarda la conferma a favore de’ Teutonici della cappella di Rödelheim [D F.II. 576]. Con quel diploma Federico conferma i privilegi a favore de’Teutonici conferiti dall’imperatore Arrigo suo padre, ed Imperatrice Costanza sua madre, spezialmente de libertate passagii fari eundo a Sicilia in Calabriam, et a Calabria in Siciliam. (...)“. Danach: Die Regesten des Kaiserreichs unter Philipp, Otto IV, Friedrich II, Heinrich (VII), Conrad IV, Heinrich Raspe, Wilhelm und Richard. 1198–1272, 1. Abt., bearb. von Julius Ficker (RI V,1,1), Innsbruck 1881, Nr. 1021. 11 RI V,1,1 (wie Anm. 10) Nr. 1761. Die Angabe von Hans Grumblat, Über einige Urkunden Friedrichs II. für den Deutschen Orden, in: MIÖG 29 (1908) S. 385–422, ebd. S. 412, die Urkunde sei „interpoliert“, ist unbegründet. Das Recht, die Waffen auch gegen Christen zu führen, war dem Deutschen Orden bereits im Dezember 1223 von Honorius III. gestattet worden, allerdings nur für den Fall, dass die ihm von Friedrich II. im Königreich Sizilien anvertrauten Burgen angegriffen würden: vgl. Hubert Houben, Friedrich II., der Deutsche Orden und die Burgen im Königreich Sizilien. Eine unbekannte Urkunde Honorius’ III. von 1223, in: DA 56 (2000) S. 585–591. 12 RI V,1,1 (wie Anm. 10) Nr. 1786. Die Schenkungsurkunden Graf Raos von Balbano vom 30. Juli 1228 und Graf Roberts von Lecce von Februar 1221: Hubert Houben, Zur Geschichte der Deutschordensballei Apulien. Abschriften und Regesten verlorener Urkun 10
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6) (fol. r) Melfi, 1231 September. Friedrich II. schenkt dem Deutschen Orden im Gebiet von Ascoli Satriano (Provinz Foggia) im Ort Aqua lata bei Corneto (Torre Alemanna) 16 Joch und im Ort Viscilletum ebenfalls bei Corneto 38 Joch Ackerland13. Notar Johannes Vincentius Pinto, 27. April 1616. Nach Del Giudice schien die oben erwähnte Urkunde Friedrichs II. von Juni 1219 nur die Bestätigung des von seinen Eltern dem Orden verliehenen Rechts der freien Fahrt zwischen Sizilien und Kalabrien zu enthalten14. In Wirklichkeit handelt es sich aber um ein für das römisch-deutsche Reich und das Königreich Sizilien geltendes Generalprivileg, mit dem der Herrscher den Deutschen Orden in seinen besonderen Schutz nimmt. Die erste von Friedrich II. während seines Deutschlandaufenthalts (1212–1220) zugunsten der Niederlassungen des Deutschen Ordens in Süditalien ausgestellte Urkunde stammt vom 7. Juli 1214. In ihr wurden die Privilegien des Deutschordenshauses in Brindisi bestätigt, insbesondere eine während der Unmündigkeit Friedrichs, vermutlich zur Zeit der faktischen Regentschaft des Wilhelm Capparone (1202–1206) in Palermo ausgestellte Urkunde, welche die Schenkung des ehemaligen Besitzes des Achilles von Mesagne enthielt. Diese Urkunde soll damals der königlichen Kanzlei durch eigens deshalb nach Deutschland angereiste Gesandte des Deutschordenshauses Brindisi vorgelegt worden sein15. Ein Jahr später, im Juli 1215, als Friedrich II. sich wegen seiner Krönung zum römisch-deutden aus Neapel in Graz und Wien, in: MIÖG 107 (1999) S. 50–110, Anhang Nr. 10 S. 74 f., Nr. 3 S. 67–69. Zum Besitz in Belvedere: Ders., Federico II e i cavalieri teutonici a Belvedere (wie Anm. 8); ebd. S. 127 zu vermutlich vor dem Sommer 1220 erfolgten Schenkungen des Matthäus Gentilis, Graf von Lesina. – Durch den Verlust eines Blattes in der Hs. Del Giu dice XVIII nach fol. 33 fehlen dort die letzten fünf Zeilen des bei Jean-Louis-Alphonse Huillard-Bréholles, Historia diplomatica Friderici secundi … III, Paris 1852, S. 197 gedruckten Eschatokolls des Transsumpts von 1259 (nicht 1260, wie Huillard-Brèholles angab, der nicht berücksichtigte, dass in der Datierung der in Süditalien verbreitete byzantinische Jahresstil mit Jahresbeginn am 1. September benutzt wurde) sowie die darauf folgende notarielle Beglaubigung, so dass der Name des Notars unbekannt ist. Seine Schrift unterscheidet sich deutlich von der der Notare Pinto und de Stasio, die die meisten der in diesem Band überlieferten notariellen Abschriften anfertigten. 13 RI V,1,1 (wie Anm. 10) Nr. 1890. 14 Oben Anm. 10. Das Deperditum Heinrichs VI. in: RI IV,3 (wie Anm. 7) Nr. 709. 15 D F.II. 240 (Speyer, 1214 Juli 7) S. 148: Ad maiorem igitur huius nostre collacionis auto ritatem et firmitudinem obtinendam accedentes ad nos nuncii domus et fratrum hospitalis prelibati, confirmacionem huius privilegii a nostra postularunt eminencia. Ebd. Z. 28 ist ta peta in trapeta zu korrigieren und im Wortregister S. 712 tapetum in trapetum (Ölpresse).
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schen König in Aachen aufhielt, bestätigte er dem Hospital des Deutschen Ordens in Barletta ein Privileg Heinrichs VI., so wie dies bereits im Oktober 1204 in Palermo erfolgt war16. Auf dem im Dezember 1216 in Nürnberg abgehaltenen Hoftag, auf dem der Herrscher mit seiner nun aus Süditalien nach Deutschland nachgekommenen Gemahlin Konstanze von Aragon und seinem Sohn Heinrich (VII.) präsent war und vermutlich zum ersten Mal mit Hermann von Salza, dem Hochmeister des Deutschen Ordens, zusammentraf, der in den folgenden zwanzig Jahren einer seiner engsten Vertrauten werden sollte17, gewährte Friedrich II. dem Deutschen Orden im Tausch gegen ein in Deutschland gelegenes Gut eine Geldrente von jährlich 150 Goldunzen aus Einkünften der Stadt Brindisi18. Wozu dieses Geld verwendet werden sollte, wird in der Urkunde nicht gesagt, anders als bei einer weiteren Geldzuweisung vom Juni 1217, in der dem Orden aus den Einnahmen der Krone in der Stadt Messina jährlich 200 Goldunzen gewährt wurden, die zum Kauf von Wintermänteln und Schafsfellen für Brüder und Arme, die im Hospital des Deutschen Ordens in Akkon lebten, bestimmt waren19. Als die Geldeinkünfte aus Brindisi zwei Jahrzehnte später (1238) auf 350 Unzen jährlich angestiegen waren, heißt es, sie seien zum Kauf weißer Mäntel (für die Ordensbrüder) bestimmt gewesen20. Es gibt jedoch Indizien, die dafür sprechen, dass der Orden diese beträchtlichen Summen auch dazu benutzte, um in Apulien Ackerland, Weinfelder, Olivenbäume und Immobilien zu erwerben, deren Erträge die Versorgung der im Heiligen Land lebenden Brüder mit Nahrungsmitteln gewährleisten sollten21.
D F.II. 320 (Aachen, 1215 Juli). Vgl. dazu jetzt Houben, Cavalieri (wie Anm. 7). Helmuth Kluger, Hochmeister Hermann von Salza und Kaiser Friedrich II. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des Deutschen Ordens (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 37), Marburg 1987, S. 8; Wolfgang Stürner, Friedrich II. Teil 1: Die Königsherrschaft in Sizilien und Deutschland 1194–1220, Darmstadt 1992, S. 220. 18 D F.II. 390. Der Schreiber der Urkunde schrieb zu Beginn der Dispositio (S. 437 Z. 1) versehentlich 50 (quinquaginta) statt 150 (centum quinquaginta) Unzen, obwohl er einige Zeilen darunter (ebd. Z. 6) von den schon erwähnten 150 Unzen (iamdicte centum quinqua ginta uncie) spricht. Die Korrektur erfolgte gut ein Jahr später, am 3. Januar 1218, durch eine neue Urkunde (D F.II. 427). 19 D F.II. 415 S. 480: (…) ad usus hyemales pro mantellis et agninis pennis [wohl statt pel libus] milicie fratribus ceterisque pauperibus transmarinis in domo ipsa deo et sancte sue ge nitrici devote ac iugiter in perpetuum servituris. Erneuerung dieser Urkunde: D F.II. 428. 20 RI V,1,1 (wie Anm. 10) Nr. 2361. 21 In Apulien investierte der Orden zwischen 1220 und 1238 mehr als 650 Unzen: vgl. Houben, Belvedere (wie Anm. 8) S. 134 f. 16 17
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Eine Fälschung des 14. Jahrhunderts ist hingegen eine angeblich im Dezember 1216 in Nürnberg ausgestellte Urkunde, mit der Friedrich dem Deutschen Orden damals den Ort Biscilletum (bei Ascoli Satriano) mit 48 Joch Ackerland geschenkt haben soll22. Während bis dahin die von Friedrich II. dem Deutschen Orden gewährten Urkunden nur einzelne Besitzungen und Einkünfte in Süditalien betrafen, stellte der Herrscher im Laufe des Jahres 1217 auf Wunsch Hermanns von Salza erstmals auch umfassendere Privilegien für den Orden im Königreich Sizilien aus. So bestätigte er im Februar alle von seinen Eltern und von ihm selbst im Regnum Sicilie erhaltenen Schenkungen und Privilegien, insbesondere das Thomashospital in Barletta mit seinen Besitzungen, Domanialgut beim zwischen Salerno und Eboli gelegenen casale Tusciano mit einer dort von einem gewissen Markward – vielleicht dem aus dem bayerischen Nordgau stammenden Markward von Parkstein-Laviano – erbauten Burg und das Haus des Margaritus von Brindisi23. Es ist D F.II. 392, wo Z. 13 stratis in aratris zu korrigieren ist. Zum Fälschungsgrund und -zeitpunkt vgl. Hubert Houben, L’ordine religioso-militare dei Teutonici a Cerignola e Torre Alemanna, in: Il territorio di Cerignola dall’età normanno-sveva all’epoca angioina. Atti del 14° Convegno Cerignola Antica, 29 maggio 1999, Cerignola 2000, S. 27–63, hier S. 38 f., Nachdr. unter dem Titel: L’Ordine religioso-militare dei Teutonici a Cerignola, Corneto e Torre Alemanna, in: Kronos 2 (2001) S. 17–44, hier S. 21. 23 D F.II. 403 (Ulm, 1217 Febr. 17). – Das Haus des Margaritus in Brindisi hatte Friedrich II. am 20. Okt. 1215 (in Hagenau) dem Hospital des Deutschen Ordens in Akkon (und nicht dem Deutschordenshaus in Brindisi) geschenkt: D F.II. 337 S. 330 f.: Moti igitur regio affectu ex innata nobis munificencia ad plenam animadversionem honestatis domus hospitalis Theotonicorum in civitate Acchon terre promissionis ad laudem et honorem dei deorum eius que genitricis perpetue virginis Marie ex donationibus regum et aliorum principum atque nobilium constructe, scientes eciam probitatem milicie et laudabilem conversationem singu lorum ibidem domino deserviencium, ut de regia nostra largicione aliquid eiusdem domus addatur serviciis, (…) offerimus (…), ita quod milicia et singuli de eadem domo et hospitali Theotonicorum habeant et teneant in perpetuum (...). Hier bezieht sich m. E., anders als in D F.II. 380 (Nürnberg, 1216 Sept. 8) (attendentes religionem fratrum hospitalis sancte virgi nis Marie, quod domus Theutonicorum in Acaron [!] nuncupatur, et servicia eorum, que ipsi devote nobis impenderunt) die Nennung Akkons nicht auf den Orden, sondern auf das Hospital in der Stadt Akkon. In der stark verkürzten und nur in einer Abschrift des 15. Jh. überlieferten Erneuerung von D F.II. 337 von [1218] Januar 3 (D F.II. 429) ist nicht mehr vom Hospital der Deutschen in Akkon, sondern in Jerusalem (= Deutscher Orden) die Rede: considerantes religionem et honestatem tuam, frater Hermannus magister sacre domus hospitalis in partibus Iherusolimitanis, et aliorum fratrum tuorum ibidem deo militancium (…). Bemerkenswert ist, dass in D F.II. 337 zum ersten Mal von der milicia der dortigen Brüder gesprochen wird, wenn auch noch nicht im militärischen, sondern nur im religiösen Sinn. Zur Militarisierung des Deutschen Ordens vgl. Udo Arnold, Vom Feldspital zum Ritterorden. Militarisierung und Territorialisierung des Deutschen Ordens (1190–ca. 1240), in: Balticum, ofiarowane Marianowi Biskupowi, Toruń 1992, S. 25–36, Nachdr. in: Ders., 22
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möglich, dass die Handlung dieses auf dem Hoftag zu Ulm im Februar 1217 ausgestellten Diploms bereits im Dezember 1216 in Nürnberg stattfand, wie Helmuth Kluger vermutete24. Weit mehr als Besitzbestätigungen beinhaltete dann ein wenige Monate später, am 24. Juni 1217, ebenfalls auf Wunsch Hermanns von Salza ausgestelltes Privileg, mit dem Friedrich II. dem Deutschen Orden im Königreich Sizilien die gleichen Rechte gewährte, die in der Vergangenheit dort die Templer und Johanniter erhalten hatten25. Dies war ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung des noch relativ jungen Deutschen Ordens mit den beiden großen älteren geistlichen Ritterorden, wie sie dann Anfang Januar 1221 von Honorius III. vollzogen wurde26. Ein sowohl für das römisch-deutsche Imperium als auch für das süditalienische Regnum geltendes Generalprivileg für den Orden stellte der staufische Herrscher, wie aus dem im Nachlass Del Giudice überlieferten, hier zu edierenden Text hervorgeht, erst im Juni 1219 aus, also zu einem Zeitpunkt, an dem seine Rückkehr nach Italien und die Kaiserkrönung in Rom kurz bevorstanden. Wolfgang Stürner hat beobachtet, dass sich „mit dem Jahr 1219 (…) auffallend die Anzeichen für das ständig wachsende Interesse des Staufers an seinem sizilischen Erbe“ mehren27. In der Tat wurden im Februar 1219 in Hagenau drei Urkunden ausgestellt, in denen nicht nur die Rechte und Besitzungen des Deutschordenshauses in Palermo bestätigt, sondern vor allem durch die Schenkung des dortigen St. Johannes-Hospitals (San Giovanni dei Lebbrosi) mit seinem sehr umfangreichen Besitz erheblich erweitert wurden28. Wenig später überquerten hohe Adelige und Geistliche aus dem Regnum Sicilie die Alpen, um sich von Friedrich II. ihre Privilegien erneuern zu lassen. So legten im Mai 1219 in Augsburg Mönche, die aus Kampanien (Montevergine) und den Abruzzen (S. Bartolomeo di Saccione) angereist Deutscher Orden und Preußenland. Ausgewählte Aufsätze anläßlich des 65. Geburtstages, hg. von Bernhart Jähnig/Georg Michels (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung 26), Marburg 2005, S. 133–142. 24 Kluger, Hermann von Salza (wie Anm. 17) S. 8. 25 D F.II. 416 (Augsburg, 1217 Juni 24). 26 Tabulae Ordinis Theutonici ex tabularii regii Berolinensis codice potissimum, ed. Ernst Strehlke, Berlin 1869, Nr. 309 S. 281 f. (9. Januar 1221). 27 Wolfgang Stürner, Friedrich II. Teil 2: Der Kaiser 1220–1250, Darmstadt 2000, S. 5. 28 DD F.II. 477 (Besitzbestätigung und Schenkung des St. Johannes-Hospitals mit seinem Besitz), 478 (Besitzbestätigung und -schenkung), 479 (Bestätigung des Rechts auf ein Fischerboot). Vgl. dazu Kristjan Toomaspoeg, Les Teutoniques en Sicile (1197–1492) (Col lection de l’École Française de Rome 321), Rom 2003, S. 46–50.
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waren, dem Herrscher Urkunden vor, die dieser bestätigte, wobei er im Fall der Abtei Montevergine noch das Recht hinzufügte, im ganzen Königreich Sizilien Holz für den Eigenbedarf zu sammeln29. Einen Monat später, im Juni 1219 in Nürnberg, bestätigte Friedrich II. den Erzbischöfen Tankred von Otranto und Peregrinus von Brindisi, die den weiten Weg vom Salento nach Franken auf sich genommen hatten, ihre Privilegien und fügte weitere Rechte und Besitzungen hinzu30. Es handelt sich um zwei Persönlichkeiten, die das besondere Vertrauen des Herrscher genossen bzw. genießen sollten: Erzbischof Peregrinus von Brindisi (1216–1222) war ein ehemaliger Kaplan und Legat Innocenz’ III. und Honorius’ III., der durch Legationen in Frankreich (1210/11) und der Lombardei (1215) im Auftrag Innocenz’ III. erfolgreich um Unterstützung für Friedrich geworben hatte, während Erzbischof Tankred von Otranto (1219–1235/36) sich in den folgenden Jahren das Vertrauen sowohl des staufischen Herrschers als auch der Päpste Honorius III. und Gregor IX. erwerben sollte31. Während in den beiden erwähnten, im Juni 1219 in Nürnberg ausgestellten Privilegien die persönliche Intervention der beiden Erzbischöfe ausdrücklich erwähnt wird, wird in der ebenfalls dort ausgefertigten Urkunde für den Deutschen Orden kein Petent erwähnt. Der Friedrich II. nahestehende Hochmeister Hermann von Salza kommt für diese Rolle nicht in Frage, da er von 1217 bis 1220 am Kreuzzug gegen Damiette teilnahm32. Denkbar ist, dass der Vorsteher der damals wichtigsten Niederlassung des Deutschen Ordens in Süditalien33, Gunter, der Leiter des Hospi 29 DD F.II. 522, 523. Vgl. Francesco Panarelli, Il mondo monastico e Federico II: il caso di Montevergine, in: Federico II nel Regno di Sicilia. Realtà locali e aspirazioni universali. Atti del Convegno internazionale di studi, Barletta, 19–20 ottobre 2007, hg. von Hubert Houben/Georg Vogeler (Quaderni del Centro di Studi Normanno-Svevi, Università degli Studi di Bari “Aldo Moro“ 2), Bari 2008, S. 189–220, ebd. S. 203 f. 30 DD F.II. 526, 527. 31 Vgl. Norbert Kamp, Kirche und Monarchie im staufischen Königreich Sizilien. I: Prosopographische Grundlegung: Bischöfe und Bistümer des Königreichs 1194–1266, Teil 2: Apulien und Kalabrien (Münstersche Mittelalter-Schriften 10/I, 2), München 1975, S. 667– 671, 717–719. Zu Tankred vgl. Hubert Houben, Comunità cittadina e vescovi in età normanno-sveva, in: Otranto nel Medioevo tra Bisanzio e l’Occidente, hg. von Dems. (Università del Salento, Dipartimento dei Beni delle arti e della storia, Saggi e testi 33), Galatina 2007, S. 61–97, hier S. 90–94, sowie Ders., I vescovi e l’imperatore, in: Federico II nel Regno di Sicilia (wie Anm. 29) S. 173–188, hier S. 177–179. 32 Vgl. Kluger, Hermann von Salza (wie Anm. 17) S. 9–20. 33 Die Niederlassung des Deutschen Ordens in Barletta war damals noch von geringer Bedeutung, was sich erst ab 1224 ändern sollte: vgl. jetzt Houben, Cavalieri (wie Anm. 7).
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tals und des Hauses des Deutschen Ordens in Brindisi34, seinen Bischof, vielleicht auch als Dolmetscher, nach Deutschland begleitete. Für eine solche, zugegeben sehr spekulative Vermutung könnte sprechen, dass das bisher unbekannte erste Generalprivileg für den Deutschen Orden im Reich und in Süditalien nur aus einem apulischen Archiv überliefert ist. Das Archiv der Ballei Apulien, die seit 1225 durch die Erwähnung von Landkomturen bezeugt ist, befand sich in Barletta, bis der Sitz des Landkomturs in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von dort nach San Leonardo di Siponto verlegt wurde35. Obwohl, wie wir sahen, Friedrich II. bereits von Deutschland aus dem Deutschen Orden seine Besitzungen und Rechte in Süditalien zunächst einzeln und dann im Juni 1219 auch allgemein bestätigte, konnte der Orden erst wirklich über diese verfügen, als der Herrscher im Süden Italiens präsent war, d. h. ab Februar 122136. Zusammenfassend können wir festhalten, dass Friedrich II. nach seinem Zusammentreffen mit Hermann von Salza ab 1217 zunehmend den Deutschen Orden auch im Königreich Sizilien mit Besitzungen und finanziellen Einkünften ausstattete und mit den Templern und Johannitern gleichstellte. Als seine Rückkehr nach Italien näher rückte, stellte er im Juni 1219 den Deutschen Orden in seinem ganzen Herrschaftsbereich nördlich und südlich der Alpen unter seinen besonderen Schutz.
34 Gunter ist im August 1218 als frater Gunterius, magister domus hospitalis Theotoni corum Brundusii bezeugt, und dann in Urkunden von September bis Dezember 1222 als preceptor bzw. prior des Deutschordenshauses Brindisi: Tabulae Ordinis Theutonici (wie Anm. 26) Nr. 147 S. 143–145; Hubert Houben, Federico II, l’Ordine Teutonico e il „castrum“ Mesagne: nuove notizie da vecchi documenti, in: Castrum Medianum. Rivista di Storia, Arte, Archeologia e Tradizioni Popolari del Salento 6 (1998) S. 27–69, Nachdr. in: Itinerari di ricerca storica 10 (1997) S. 31–62 (ersch. 1998); ebd. Nr. 7 S. 62 f. (Nachdr. S. 57), wo die Jahresangabe 1223 Sept. (byzantinischen Stils) in 1222 Sept. zu korrigieren ist, Nr. 8 S. 63 f. (Nachdr. S. 58), wo die Jahresangabe 1223 Okt. (byzantinischen Stils) in 1222 Okt. zu korrigieren ist [in der bisher unedierten notariellen Abschrift von 1616 im oben erwähnten Bd. XVIII des Nachlasses von Del Giudice, fol. 17r, steht anstatt des Titels preceptor, den Sauerland in seinem 1901 auf der Grundlage des damals noch existierenden Originals angefertigten lateinischen Regest angibt, der Titel prior], Nr. 11–12 S. 66–68 (Nachdr. S. 59–61), wo die Jahresangaben 1223 Dez. (byzantinischen Stils) in 1222 Dez. zu korrigieren sind. Gunter ist wohl mit dem gleichnamigen von 1239 bis 1244 bezeugten Landkomtur von Apulien identisch: vgl. Ders., Die Landkomture der Deutschordensballei Apulien (1225– 1474), in: Sacra Militia. Rivista di storia degli Ordini militari 2 (2001) S. 115–154, hier S. 121– 131 und 134 f. 35 Ders., Cavalieri (wie Anm. 7). 36 Vgl. ebd.
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Das im Folgenden edierte Generalprivileg verbindet einen von sizilischen Usancen bestimmten Eingang mit dem traditionellen Eschatokoll der staufischen Herrscherurkunden, wie dies während Friedrichs Deutschlandaufenthalt (1212–1220) vor allem bei aus Süditalien stammenden Kanzleikräften häufig vorkommt37. Die Arenga ähnelt stark der einer von Friedrich II. am 3. November 1219 in Nürnberg zugunsten des Deutschen Ordens ausgestellten Urkunde, in der diesem eine Kapelle in Rödelheim (heute ein Vorort von Frankfurt am Main) geschenkt wurde38. Einzelne Passagen der Dispositio stimmen so stark mit einigen dispositiven Teilen von zwei der zwölf im April 1221 in Tarent zugunsten des Deutschen Ordens ausgestellten Urkunden (DD F.II. 816, 822) überein, dass man annehmen darf, der Text der unten edierten Urkunde habe damals der kaiserlichen Kanzlei vorgelegen39.
Vgl. Walter Koch, Sizilisches im deutschen Umfeld. Auf dem Wege zur Urkunde der Kaiserzeit Friedrichs II. (1212–1220), in: AfD 41 (1995) S. 291–309, bes. S. 303 f. sowie Ders., Einleitung, in: Die Urkunden Friedrichs II. 1217–1220 (wie Anm. 2) S. LXVI– LXXXVIII. 38 D F.II. 576, S. 302: Inter varia humane sollicitudinis exercitia ea nobis proficere ac pre valere ad anime salutem confidimus, que christiane religioni de clementia nostra conferimus et ecclesiis ac religiosis personis ad fidem catholicam ampliandam misericorditer elargimur. 39 D F.II. 816 (Generalprivileg für den Deutschen Orden im römisch-deutschen Reich), S. 401: (...) pro remedio animarum progenitorum nostrorum recolende memorie et pro nostre salutis ac glorie incremento ipsorum favori et profectui intendentes eandem sacram domum et ab ipsa quaslibet derivatas, fratres et confratres ipsarum cum omnibus bonis stabilibus et mobilibus, que per totum imperium nostrum rationabiliter possident in presenti et que inan tea dante domino iusto titulo poterunt adipisci, necnon subditos earum eiusdem legationem atque negocia exercentes sub spetiali protectione ac defensione nostra recipimus (…) eximen tes ipsas ab omni data, collecta seu exactione, ab omni angaria et ab omni onere cuiuslibet servitutis. Concedimus etiam eidem sacre domui de munificentia liberali libertatem aqua rum, herbarum [et] lignorum ubique per proprias imperii nostri terras ad suarum domorum usum et utilitatem et ut de ipsis p[er totu]m imperium nichil ratione por[t]atici, plateatici, falangatici, ripatici, tholonei vel ali[cu]ius alterius exactionis et iuris, consuetudinis seu statuti in terra vel mari sive fluminibus vel aliis aquis solvere teneantur, firm[i]ter statuentes, ne quis fratres predictos de tenimentis et possessionibus hospitalis eiusdem sine iudicio et iusticia pre sumat aliquatenus dissasire. D F.II. 822 (Generalprivileg für das Königreich Sizilien mit Hinzufügung weiterer Besitzungen und Rechte, insbesondere der freien Fahrt über die Meerenge von Kalabrien nach Sizilien) S. 415: De habundanciori quoque gracia nostra eidem domui et fratribus suis concedimus et perpetuo confirmamus, ut de proventibus et bonis suis, que ad partes dirigunt transmarinas pro ipsorum utilitatibus et servicio Iesu Christi, nichil ab ipsis racione portatici, plateatici, falangatici, ripatici, thelonei vel alicuius alterius exaccionis et iuris doanarum aut portuum in introytu vel in exitu exigatur. Insuper de passagio Fari eundo in Siciliam de Calabria et in Calabriam de Sicilia eidem sacre domui et fratribus suis et om nibus bonis eorum perpetuam damus et concedimus libertatem (…). 37
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Friedrich II., König der Römer und König von Sizilien, nimmt den Deutschen Orden mit seinem gesamten gegenwärtigen und künftigen Besitz im römischdeutschen Reich und im Königreich Sizilien in seinen besonderen Schutz, be freit ihn von allen Abgaben, gewährt ihm freie Nutzung von Wasser, Gras und Holz auf Domanialgut und gebührenfreie Reise im Mittelmeer, insbeson dere über die Meerenge von Sizilien nach Kalabrien, und bestätigt ihm alle von seinen Eltern (Heinrich VI. und Konstanze) erhaltenen Privilegien. Nürnberg, 1219 Juni Neapel, Biblioteca della Società Napoletana di Storia Patria, ms. Fondo Del Giudice, vol. XVIII („Fascicoli quattro di Copie Autentiche di Privilegi ed Istrumenti dell’Ospedale Teutonico di Barletta, S. Maria in Principio, degli Alemanni, di Belvedere e di S. Leonardo delle Matine“), fol. 4v–5r. Beglaubigte Abschrift vom 2. Juli 1665, angefertigt vom Notar Joseph de Stasio im Auftrag des Kardinals Carlo Barberini, Kommendatarabt von S. Leonardo di Siponto und S. Maria di Banzi: Extracta est presens copia a suo proprio originali sistente in pergameno cum sigillo pendenti impresso in cera rubea mihi exhibito ab abate (oder domino?) reverendo et illustri domino (oder don?) Syro (?) Francisci Magni canonico ordinario ecclesie cathedralis Papien sis et prothonotario apostolico ac agente generali eminentissimi domini cardi nalis Caroli Barberini abbatis et perpetui commendatarii abbatiarum Sancti Leonardi de Matina et Sancte Marie de Banse in Apulea, eidemque exhibito, restituto et facta collatione licet aliena manu concord(are) m(onstravi) (?) etc. et in fidem ego dictus [notarius] Ioseph de Stasio for(te) req(uisitu)s sig(na)vi et for(mavi) (?) supradicto die secundo mensis iulii anni predicti 1665. (Notariatszeichen). Für Hilfe bei der Entzifferung der notariellen Beglaubigungsnotiz danke ich Frau Prof. Angela Frascadore (Università del Salento, Lecce). – Das Original muss zwischen 1665 und 1724 verloren gegangen sein, denn es wird weder im Inventar des Archivs von S. Leonardo di Siponto von ca. 1724 (wie oben Anm. 4) erwähnt noch im 1806 von Nicola Epifania angefertigten, später verloren gegangenen Inventar des Archivs von Neapel, aus dem Heinrich Volbert Sauerland 1901 die den Deutschen Orden betreffenden Regesten abschrieb, welche heute im Zentralarchiv des Deutschen Ordens in Wien (Findbücher 177–178, Apulien I–II) aufbewahrt werden (vgl. Houben, Geschichte, wie oben Anm. 12, S. 53–55 und 109). Erwähnung: Codice diplomatico del regno di Carlo I. e II. d’Angiò (...), ed. Giuseppe Del Giudice, 2, Teil 1, Neapel 1869, S. 57 Anm. 1; danach: RI V, 1, 1 (wie oben Anm. 10) Nr. 1021.
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In Nomine Domini Dei Eterni et Salvatoris Nostri Jesu Christi Amen. Fredericus secundus divina favente clementia Romanorum rex semper augustus et rex Sicilie. Inter varia humane sollicitudinis exercitia ea nobis ad salutem animarum proficere ac prevalere speramus, que christiane religioni de clementia nostra conferimus et ecclesiis ac religiosis personis ad fidem catholicam [ampliandam]a misericorditer elargimur. Attendentes igitur religiosam devotionem et labores assiduos [fratrum] sacre domus hospitalis S. Marie Theutonicorum, quos contra inimicos Christi pugnantes proferunt incessanter, dignum duximus et idoneum satis inspeximus eorum peticionibus assensum facilem impertiri. Eapropter notum esse volumus tam presentibus quam futuris, quod nos pro remedio animarum felicium augustorum patris et matris nostrorum recolende memorie, pro nostra quoque salute omnes possessiones, omnia bona sua tam mobilia quam immobilia eiusdem sacre domus Theutonicorum, que tam in imperio quam regno nostro iuste ac legitime in presentiarum possident et que inantea iusto titulo prestante Domino poterint adipisci, una cum personis et subditis eorum in imperio nostro habitantibus et legationem atque negotia eiusdem sacre domus Theutonicorum exercentibus sub protectione imperatorie defensionis recipimus, indulgentes eis, ut nullam datam vel collectam seu exactionem aut theloneum dare teneantur, ab omni angaria seu proangariab et ab omni onere cuiuslibet publice functionis soluti et liberi existentes. Preterea eidem sacre domui de gratia concedimus libertatem aquarum, herbarum et lignorum siccorum ubique per demanium nostrum ad usum domorum suarum, et ut tam in imperio quam in regno pro plateatico seu alia consuetudine terre vel maris seu alterius aque nullum ius solvere teneantur, et nullus predictos fratres de tenimentis eorum et possessionibus ipsius hospitalis sine iudicio et iustitia dissasire presumat. De abundantiori quoque gratia nostra concedimus et perpetuo confirmamus eidem domui et fratribus domus istius universa, que donatione fidelium sibi fuerint elargita, et proventus, quos de propriis possessionibus habent, potestatem eis liberam adiungentes, ut sine aliqua molestatione seu datione ad ultramarinas partes pro fratribus ipsius domus mittere valeant, et nihil omnino ab eisdem fratribus de propriis rebus et donationibus in introitu vel exitu costarum, platearum, doanarum aut portuum exigatur. Insuper de passagio Fari eundo a Sicilia in Calabriam et a
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Calabria in Siciliam damus eidem sacre domuic libertatem cum concessionibus et libertatibus superius nominatis. Confirmamus etiam predicte sacre domui omnia privilegia, que tam a domino imperatore patre nostro, quam a domina imperatrice matre nostra recolende memorie sibi sunt pia liberalitate concessa. Similiter etiam confirmamus eidem sacre domui casalia, homines et possessiones, quas donatione regum, concessione principum, oblatione fidelium seu quolibet alio iusto titulo in presentiarum possidet et in antea poterit adipisci. Ut hoc autem rata et firma permaneant, presens privilegium inde scribi et maiestatis nostre sigillo iussimus communiri. Huius rei testes sunt: Otto Herbipolensis episcopus, Hentruic Sistendensisd episcopus, Otto dux Meranie, Berardus dux Carinthie, Hermanus marchio de Baden, Conradus burciuse de Nuremberc, Everardus de Aversternf, Berengerius de Stipfag, Conradus frater eius, et alii quam plures. Signum domini Friderici Romanorum regis (M.) semper augusti et regis Sicilie. Ego Conradus Dei gratia Metensis et Spirensis episcopus, imperialis aule cancellarius vice domini Sigfridi [Maguntine sedis]h archiepiscopi et totius Germanie archicancellarii recognovi. Acta sunt hec anno dominice incarnationis millesimo ducentesimo nonodecimo mensis iunii, indictione septima, regnante domino nostro Friderico Dei gratia Romanorum rege semper augusto et rege Sicilie. Anno Romani regni eius in Germania septimo et in Sicilia vigesimoi primo, feliciter Amen. Datum apud Nuremberc anno, mense et indictione prescriptis.
dahinter libertatem cum durchgestrichen, weil doppelt so statt Hartwicus Eistetensis e so statt burgravius f so statt Everstein g so statt Scipfa h Platz für ca. 15 Buchstaben frei gelassen i so statt vicesimo c
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Abstract This article contains the edition of a general privilege granted in June 1219 by Frederick II to the Teutonic Order in the Roman-German Empire and the kingdom of Sicily. The text of this previously unknown document (Regesta Imperii V, 1, nr. 1021) is extant in the form of a copy, authenticated in 1665 by a Southern Italian notary, contained in a collection of copies of medieval documents of the Teutonic bailiwick of Apulia and kept in the scientific estate of the archivist Giuseppe Del Giudice (1819– 1909) (Naples, Biblioteca della Società Napoletana di Storia Patria, Fondo Del Giudice, ms. XVIII).
Auf dem Weg zur Fürstenkanzlei Das Beispiel der Herzogtümer Österreich und Steiermark von ROMAN ZEHETMAYER
Während die Erforschung landesfürstlicher Kanzleien im Spätmittelalter in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte erzielen konnte1, sind die hochmittelalterlichen Anfänge zuletzt weniger im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Dies liegt vielleicht zum Teil auch daran, dass die ältere Diplomatik die Frühzeit der Urkundenkanzleien2 mitunter bereits erschöpfend Siehe beispielhaft Christian Lackner, Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzoge (1365–1406) (MIÖG-Ergänzungsband 41), Wien/München 2002, S. 218–332; Ellen Widder, Kanzler und Kanzleien im Spätmittelalter. Eine Histoire croisée fürstlicher Administration (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B: Forschungen), Stuttgart 2016; Andreas Meyer, Regieren mit Urkunden im Spätmittelalter. Päpstliche Kanzlei und weltliche Kanzleien im Vergleich, in: Urkunden und ihre Erforschung. Zum Gedenken an Heinrich Appelt, hg. von Werner Maleczek (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung), Wien 2014, S. 71–92, hier S. 83–90 mit zahlreichen Literaturangaben; siehe weiter den Tagungsband Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik, hg. von Gabriel Silagi (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 36), München 1984. – Es werden folgende zusätzliche Abkürzungen verwendet: BUB = Urkundenbuch zur Geschichte der Babenberger in Österreich MDC = Monumenta Historica Ducatus Carinthiae NÖUB = Niederösterreichisches Urkundenbuch StUB = Urkundenbuch des Herzogthums Steiermark bzw. Urkundenbuch der Steiermark und seiner Regenten SUB = Salzburger Urkundenbuch U HdL = Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Herzogs von Sachsen und Bayern, ed. Karl Jordan, MGH Laienfürsten- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 1 (1949). 2 Siehe zu diesem Begriff und den Voraussetzungen, die gegeben sein sollten, um von einer landesfürstlichen „Urkundenkanzlei“ sprechen zu können, etwa Heinrich Fichtenau, Das Urkundenwesen in Österreich vom 8. bis zum frühen 13. Jahrhundert (MIÖG-Ergänzungsband 23), Wien/Köln/Graz 1971, S. 216: „Heute neigt man dazu, ... milde zu sein und 1
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behandelt hat und sich deshalb eine neuerliche Beschäftigung mit dem Thema kaum zu lohnen scheint. Im Zuge der Edition eines territorialen Urkundenbuchs (Niederösterreichisches Urkundenbuch)3 ergaben sich aber doch einige Beobachtungen, die den Kenntnisstand4 über die auch für die Verwaltungsgeschichte so wichtigen Anfänge in den Herzogtümern Österreich und Steiermark ergänzen und zum Teil revidieren können. Dies führte zum Entschluss, dieses Thema noch einmal aufzugreifen und umfassender zu untersuchen. Im daraus entstandenen vorliegenden Aufsatz sollen zunächst diese Beobachtungen vorgestellt und diskutiert (Abschnitt A: Babenberger/Österreich; B: Otakare/Steiermark), anschließend, um Vergleichsmaterial zu gewinnen, die Entwicklungen in den benachbarten Herzogtümern skizziert und abschließend auf Basis der gewonnenen Ergebnisse allgemeine Schlussfolgerungen gezogen werden. Im Vordergrund steht dabei die Frage, wie und unter welchen Voraussetzungen sich die Übergänge von Empfänger- zu Ausstellerausfertigungen vollzogen haben und schließlich eigene Kanzleien eingerichtet wurden bzw. welche Personen daran beteiligt waren. Ergänzend sollen auch die dahinterstehenden Gründe beleuchtet werden. Über diese hat sich nämlich die diplomatische Forschung bislang noch kaum Gedanken gemacht. Lediglich Oswald Redlich hat in seinem Handbuch knapp auf einen Zusammenhang mit der Entstehung der Landeshoheit hingewiesen. In diesem Zusammenhang wollten die Landesfürsten Redlich zufolge einen Überblick über die finanziellen Mittel erlangen, ließen Urbare anlegen und richteten Kanzleien ein5. Ähnselbst das Wirken eines einzigen Mannes – bei dem also „Kanzleimäßigkeit“ und individuelle Eigenart zusammenfielen – als Kanzleitätigkeit anzuerkennen“; siehe auch Franz Huter, Die Anfänge einer landesfürstlichen Kanzlei in Tirol, in: Südostforschungen 14 (1955) S. 66–84; Nachdr. in: Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte Tirols, hg. von Marjan Cescutti/Josef Riedmann (Schlern-Schriften 300), Innsbruck 1997, S. 138–151, hier S. 142; siehe allgemein Hans-Walter Klewitz, Cancellaria. Ein Beitrag zur Geschichte des geistlichen Hofdienstes, in: DA 1 (1937) S. 44–79. 3 NÖUB 3: 1156–1182, ed. Roman Zehetmayer unter Mitarbeit von Markus Gneiss/ Sonja Lessacher/Günter Marian/Christina Mochty-Weltin/Dagmar Weltin, Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 8/3 (2017). 4 Siehe Oskar von Mitis, Studien zum älteren österreichischen Urkundenwesen (Wien 1912); Othmar Wonisch, Über das Urkundenwesen der Traungauer. Eine diplomatische Untersuchung, in: Zs. des Historischen Vereins für Steiermark 22 (1926) S. 52–149. 5 Oswald Redlich, Die Privaturkunden des Mittelalters (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte IV/3), München/Berlin 1911, S. 154; siehe auch Harold Steinacker, Die Lehre von den nichtköniglichen (Privat-)Urkunden, vornehmlich des deutschen Mittelalters, in: Grundriß der Geschichtswissenschaft I/1, hg. von Aloys Meister, Leipzig/ Berlin 1906, S. 231–266, hier S. 251.
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lich hat Oskar von Mitis im Falle der Babenberger argumentiert, sie hätten nach dem Erwerb der Steiermark Urbare aufzeichnen lassen und das Kanzleipersonal aufgestockt6. Karl Jordan bringt das Auftreten der ersten Notare Heinrichs des Löwen mit der „Zunahme der Geschäfte“ in Verbindung, die sich nach dem Erwerb Bayerns und der Sicherung der Stellung in Sachsen in diesen Jahren ergeben hätten7.
A. Babenberger Die Babenberger haben eine erste Siegelurkunde im Jahre 1115 ausgestellt, die wie auch die Stücke der folgenden Jahrzehnte von einem Empfängernotar angefertigt worden ist8. Eine erste Beteiligung eines Ausstellerschreibers lässt sich 1140, kurz nach der Erlangung der bayerischen Herzogswürde, feststellen, als Leopold IV. einen Tausch zwischen dem Kloster Prüfening und Burggraf Otto von Regensburg mit einer Urkunde bestätigt hat, die zum größten Teil von einem unbekannten Schreiber mundiert worden ist, deren Actum und Datum indes vermutlich der herzogliche Kaplan Robert nachgetragen hat9. Es handelt sich hierbei freilich um eine Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 386. Karl Jordan, Einleitung, in: U HdL S. XV–LIX, hier S. XXIV. 8 NÖUB 2: 1078–1158, ed. Roman Zehetmayer/Dagmar Weltin/Maximilian Weltin unter Mitarbeit von Günter Marian/Christina Mochty-Weltin, Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 8/2 (2013) Nr. 154 (1115 VI 9) bzw. BUB 1: Siegelurkunden der Babenberger bis 1215, ed. Heinrich Fichtenau/Erich Zöllner, Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 3/1 (1950) Nr. 2; die Urkunde wurde verdächtigt von Heinrich Koller, Der Babenberger Markgraf Leopold III. und Baiern, in: Grundwissenschaften und Geschichte. Festschrift für Peter Acht, hg. von Peter Herde/Waldemar Schlögl (Münchener Historische Studien/Abteilung Geschichtliche Hilfswissenschaften 15), München 1976, S. 86–94, hier S. 86–91; für die Echtheit aber Roman Zehetmayer, Diplomatische Untersuchungen zum zweiten Band des Niederösterreichischen Urkundenbuchs, in: NÖLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 15 (2012) S. 59–116, hier S. 99; siehe auch Ders., Zu den Anfängen des Urkundenwesens der Herzöge von Bayern und Kärnten und der Markgrafen von Österreich und Steier, in: AfD 57 (2011) S. 123–146, hier S. 131; siehe zum Schreiber Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 113; zu den folgenden Urkunden und deren Schreibern siehe ebd. S. 246 f., 288 f.; Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 132 f. (mit weiterer Literatur). 9 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 13 (1140 VII 9/X 23); siehe Hans Hirsch, Die Urkundenfälschungen des Klosters Prüfening, in: MIÖG 29 (1908) S. 1–63, hier S. 4; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 292 f.; Heinrich Fichtenau, Wolfger von Prüfening, in: MÖIG 51 (1937) S. 313–358, hier S. 331 f. Der in der nachgetragenen Datum-per-manum-Formel genannte Robert wurde entweder für einen Regensburger Subdiakon oder für einen Klosterneuburger Kanoniker gehalten; Heide Dienst, Regionalgeschichte und Gesellschaft im 6 7
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Roman Zehetmayer
Ausnahme, lassen sich in den folgenden zwei Jahrzehnten doch wieder alleine Empfängerausfertigungen nachweisen10. Dies änderte sich im Wesentlichen auch nach der Umwandlung Österreichs in ein Herzogtum 1156 nicht, obwohl Herzog Heinrich damals Personen bei der Hand hatte, die auf einem sprachlich höheren Niveau Briefe verfassen konnten11. Da es in diesen zum Teil um delikate Inhalte ging, wird es sich um Schreiber mit einer gewissen Vertrauensstellung gehandelt haben. Möglich wäre etwa, dass sich der Herzog dazu eines seiner Hofkapläne bediente, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nur vereinzelt, seit 1161 aber in größerer Zahl belegt sind12. Vielleicht aber hat Heinrich dabei auch bereits auf Mönche des 1155 von ihm gegründeten Wiener Schottenklosters zurückgegriffen, wie dies ab den späten 1150er Jahren zuweilen bei Urkundenanfertigungen der Fall gewesen ist. Auffällig ist nämlich, dass die Großbuchstaben einer 1159 ausgestellten Herzogsurkunde für das Kloster Kastl13, einer Urkunde für die Wiener Schotten aus dem Jahre 116114 und einer für Klosterneuburg aus dem Jahre 116215 einige markantere Ähnlichkeiten aufweisen16. Es handelt sich zwar
Hochmittelalter am Beispiel Österreichs (MIÖG-Ergänzungsband 27), Wien/Köln 1990, S. 170; siehe auch Roman Zehetmayer, Die Babenberger als Herzöge von Bayern (1139– 1156), in: Zs. für bayerische LG 77 (2014) S. 183–219, hier S. 219. 10 Siehe Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 294, 305–321. 11 BUB 4/1: Ergänzende Quellen 976–1194, ed. Heinrich Fichtenau/Heide Dienst, Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 3/4/1 (1968) Nr. 802 (1156/57); und Die Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts, ed. Helmut Plechl unter Mitwirkung von Werner Bergmann, MGH Briefe d. dt. Kaiserzeit 8 (2002) Nr. 266; NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 157 (1158/60). Oskar von Mitis wollte einen gemeinsamen Verfasser der Briefe ausmachen, doch sind die Diktatübereinstimmungen zu wenig markant und nicht aussagekräftig genug; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 311 f. mit Anm. 5. 12 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 97 (1158), Nr. 213 (1157), Nr. 62 (1161): de ordine capellano rum: Machwardo preposito de Niumburch, R pberto preposito de Munstivr, Peregrino de v Zvetil, Herrando de Draschirchen, Heinrico de Polan, Diedrico de Mistelbach, Philippo, ma gistro Petro; siehe zu den Kaplänen der Babenberger Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 9) S. 169–271; Peter Classen, Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich und Bayern, in: MIÖG 67 (1959) S. 249–277, hier S. 264 f.; Heinrich Fichtenau, Ein französischer Frühscholastiker in Wien, in: Jb für Landeskunde von Niederösterreich NF 29 (1944/48) S. 118–130. 13 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 2515 (1159 III 29, Wien) bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 28. 14 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 62 (1161, Wien) bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 29. 15 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 151 (1162, Wien) bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 33. 16 Siehe das Q als Initiale am Beginn der Kontextschrift, die Doppellinien bei einigen Großbuchstaben oder die Gestaltung des D bei Data.
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um unterschiedliche Schreiber17, doch könnte bei aller Vorsicht eine gemeinsame Schultradition vorliegen, zumal sich einige Merkmale bei einem 1170/82 nachweisbaren Schottenmönch wiederfinden18. Bemerkenswert am Klosterneuburger Stück ist die Anfangsinitiale in Form eines Vogels, die so oder auch nur ähnlich bei keinem heimischen Schreiber nachweisbar ist und, worauf bereits Mitis hingewiesen hat, auf einen Iren aus dem Schottenstift als Schreiber weist19. In der Urkunde für Kastl wird Wien als Windopolis bezeichnet und in der Schottenurkunde von 1161 fälschlich mit dem in der Vita Severini genannten Ort Favianis gleichgesetzt20, was im Zusammenhang mit dem damaligen Ausbau Wiens zu einer Residenz durch die Babenberger und einer entsprechenden Aufwertung zu sehen ist. Diese Formulierungen gehen jedenfalls auf Einflüsse der Ausstellerseite zurück21. Dass Schottenmönche wahrscheinlich zumindest zwei der drei bekannten Urkunden, in denen Wien aufgewertet werden sollte, Dass, wie Mitis angedeutet hat, die Urkunden für die Schotten und Klosterneuburg von einem Schreiber herrühren, dürfte nicht zutreffen; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 260; dazu Roman Zehetmayer, Diplomatische Untersuchungen zum dritten Band des Niederösterreichischen Urkundenbuchs (1156–1182), in: NÖLA. Mitteilungen aus dem Niederösterreichischen Landesarchiv 17 (2016) S. 28–75, hier S. 30. 18 Siehe zu ihm ausführlich unten S. 185. – Abbildungen von diesen und von den meisten anderen zitierten Urkunden finden sich auf www.monasterium.net. 19 Da in der Arenga der Klosterneuburger Urkunde die Verbindung der Babenberger mit Klosterneuburg auffallend betont wird, dürfte zumindest hier das Diktat von einem Chorherrn beeinflusst worden sein; NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 151 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 33: Om nibus quidem ęcclesiis in ducatu nostro constitutis debitores sumus, ut eis defensionis gratiam vigilanter et fructuose inpendere curemus, sed principalem protectionem et specialem patrocinii providentiam debemus Niwenburgensi ecclesię, ubi requiescunt in Christo carissimi parentes nostri. Optantes ergo per gratiam Dei cum eisdem parentibus nostris optinere requiem sempiter nam diligentissime satagere volumus, ut locus sepulturę ipsorum perpetua pace gaudeat, relli gione polleat, laudibus Dei iugiter mancipetur. Hintergrund war möglicherweise die von Klosterneuburg als Konkurrenz empfundene Gründung des Schottenklosters, das Herzog Heinrich zu seiner Grablege erkoren hatte und die nachlassende Förderung Klosterneuburgs durch die landesfürstliche Familie; siehe Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 9) S. 33, 71. 20 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 62 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 29: in predio nostro in territo rio videlicet Fauie que a modernis Wienna nuncupatur; siehe auch NÖUB 3 Nr. 161 (1169) bzw. BUB 1 Nr. 37: Actum est ab incarnatione Domini anno MoCoLXVIIII., indictione II., regnante Friderico imperatore anno regni eius XVIII., imperii vero XV., in civitate nostra Fauianis que alio nomine dicitur Wienna; feliciter amen. Siehe dazu allgemein etwa Peter Csendes, „Des rîches houptstat in Osterrîch“, in: Jb für Landeskunde von Niederösterreich NF 53 (1987) S. 47–58, hier S. 49; Ders., Regensburg und Wien. Babenbergerresidenzen des 12. Jahrhunderts, in: Jb des Vereins für die Geschichte der Stadt Wien 47/48 (1991/92) S. 163–172, hier S. 170. 21 Siehe dazu Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 313; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 240. Heinrich Fichtenau hat diese Formulierungen ebd. als herrschaftliche „Propaganda“ Heinrichs bezeichnet, wodurch „die Residenz des Herzogpaares … ähnlich 17
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mundiert haben, war vielleicht kein Zufall22. Solche Eingriffe des herzoglichen Umfelds in Formulierungen und die vermutliche Heranziehung von Mönchen aus dem Schottenstift bei der Niederschrift blieben zunächst aber Ausnahmen, denn etwa zwei Drittel der etwa 20 in den 1160er und 1170er Jahren ausgestellten Herzogsurkunden wurden weiterhin alleine von der Empfängerseite angefertigt, wobei allerdings nicht in allen Fällen eine sichere Zuordnung möglich ist23. Es gibt freilich einen historiographischen Hinweis, der nichtsdestotrotz auf Einflussnahmen von herzogsnahen Personen auf den Urkundeninhalt auch in diesen Jahren schließen lässt. So stellte 1177 der neue Herzog Leopold V. eine Urkunde für die Zisterze Heiligenkreuz aus24, die einen Wald geschenkt bekam und dafür dem bis dahin mit der Waldaufsicht beauftragten landesfürstlichen Ministerialen Wichard von Arnstein Güter zu Vösendorf überließ. Dazu finden sich Erläuterungen in der 1679 verfassten Chronik „Abbatia Sanctae Crucis“ des Haushistorikers Georg Strobl25, der schreibt, dass zunächst gar keine Entschädigung für Wichard vorgesehen war, dieser aber – es handelte sich bei ihm um eine einflussreiche Person am herzoglichen Hof (cum esset senex non parvæ authoritatis inter primos de curia) – mit Hilfe anderer die Ausstellung der ursprüngli chen Urkunde solange hinauszögern konnte, bis ihm das Kloster zwei Hufen und einen Weingarten überlassen hat. Wichard erwirkte schließlich die Niederschrift einer Herzogsurkunde (privilegium ducis conscribi cura vit) mit einer entsprechenden ihn begünstigenden Formulierung. Herzog Leopold war damals angeblich noch jung (cum adhuc in puerili ætate con stitutus) und hat nach Strobl deswegen Wichard gewähren lassen. Nachdem Leopold aber erwachsen geworden war und den Waldbesitz vergrößern wollte, erfuhr er von der Bestimmung der vorherigen Urkunde wie Regensburg in die Antike zurück[reichte]“; präzisierend und ergänzend Csendes, Regensburg (wie Anm. 20) S. 170. 22 Unklar bleibt freilich, weshalb die Gleichsetzung Wiens mit Favianis ausgerechnet in den beiden Urkunden der Jahre 1161 und 1169, sonst aber nirgends vorkommt. Zu überlegen wäre deshalb, ob tatsächlich der Herzog persönlich oder nicht eher eine Person aus seinem Umfeld dahinterstand, die bei den beiden Urkundenausstellungen anwesend war. Nicht auszuschließen ist, dass die nur kopial überlieferte dritte Urkunde mit einer Aufwertung Wiens ebenfalls von einem Schottenmönch geschrieben worden ist; NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 161 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 37. 23 Siehe Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) passim. 24 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 183 (1177) bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 51. 25 Siehe zu ihm Alkuin Schachenmayr, Die ungedruckten Werke von P. Georg Strobl aus Heiligenkreuz, in: Unsere Heimat. Zeitschrift für Landeskunde von Niederösterreich 84 (2014) S. 97–109.
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zugunsten Wichards, wurde deswegen wütend und ließ nach einer gerichtlichen Entscheidung bei Anwesenheit Ottos von Lengbach und Hadmars von Kuenring das ältere Stück vernichten und ein neues ausstellen26. Bevor daraus Schlüsse auf die Urkundenpraxis gezogen werden können, ist zunächst nach der Plausibilität der Nachricht zu fragen, ist diese doch alleine in einer barocken Chronik überliefert. Erhöht wird die Glaub würdigkeit aber dadurch, dass Strobl nachweislich aus verschollenen Libri privilegiorum geschöpft hat, von denen einer in den Jahren 1246/47 und ein zweiter 1251/52 entstanden ist27. Deren Inhalt ist zwar nur ansatzweise zu bestimmen28, einige wörtliche Zitate lassen aber den Schluss zu, dass sich im 1246/47 verfassten Kodex neben Urkunden auch ausführliche erzählerische Passagen zur Stiftsgeschichte befunden haben29. Strobl könnte demnach seine Nachricht über Wichard von Arnstein aus diesem Kodex geschöpft haben. Dazu kommt, dass bereits Wichards Vater Ulrich in Ur Druck: Hermann Watzl, Aus zwei verschollenen Privilegienbüchern der Cisterce Heiligenkreuz von 1246 und 1251, in: Ders., ... in loco, qui nunc ad Sanctam Crucem vocatur ... (Quellen und Abhandlungen zur Geschichte des Stiftes Heiligenkreuz), Heiligenkreuz 1987, S. 3–125, hier Nr. 28: Leopoldus (virtuosus) dux cum adhuc in puerili ætate constitutus unâcum fratre suo (duce de Medelich) Henrico tam pro ipsorum salute quam pro patris et matris cæterorumque parentum suorum quietâ mente quandam partem silvæ nobis adiacentis donare decrevisset, Wichardus ministerialis ducis, ad quem custodia silvæ pertinebat, quo niam sibi damnum aliquod hoc dono accrescere prævidebat, tam per se quam per alios ani mum principis ab operis effectu tamdiu retardabat, donec eum conventio nostra duobus man sis in Vasendorff dicta locatis et vinea una ad consensum inclinavit. Flexus itaque muneribus, cum esset senex non parvæ authoritatis inter primos de curia, privilegium ducis conscribi cu ravit, in quo nobis sylvam á duce in eleemosynam oblatam, sibi vero præfatos mansos et vi neam pro damno, quod ei in eleemosyna ducis accesserat, collatos posteris insinuare curabat. At postquam præfatus dux virile robur induit, de eadem sylva propriæ deliberationis benevo lentiâ plus nobis conferre decrevit. Qui cum quantitatem silvæ, quam prius nobis donaverat, ex privilegio perquireret, simul etiam mansos eosdem cum vinea Wichardo pro recompensa tione sui damni collatos invenit tunc vehementer indignans iurisdictionis sententia quæsita invenit, nec illum eleemosynam vendere nec nos comparare debere. Itaque privilegium illud in præsentia Ottonis de Lengenbach et Hadmari de Chúnringen dirupit, mansos ecclesiæ re stituit sylvamque, sicut deliberaverat, donavit et tam eam, quam nunc donavit, et illam, quam ante donârat, novo privilegio confirmavit; siehe bereits Roman Zehetmayer, Urkunde und Adel. Ein Beitrag zur Geschichte der Schriftlichkeit im Südosten des Reiches vom 11. bis zum frühen 14. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 53), Wien/München 2010, S. 116; Katharina Kaska, Ein neugefundenes Traditionscodexfragment aus Stift Heiligenkreuz, in: MIÖG 121 (2013), S. 416– 427, hier S. 422 f. 27 Watzl, Privilegienbücher (wie Anm. 26) S. 6–12; NÖUB 2 (wie Anm. 8) S. 732 f. 28 NÖUB 2 (wie Anm. 8) S. 732. 29 Watzl, Privilegienbücher (wie Anm. 26) S. 11; NÖUB 2 (wie Anm. 8) S. 732; Zehetmayer, Untersuchungen 2 (wie Anm. 8) S. 82–84. 26
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kunden als Waldhüter bezeichnet wird30 und die als herzogliche Begleiter angeführten Otto von Lengbach und Hadmar (II.) von Kuenring damals tatsächlich die wichtigsten Ratgeber Leopolds gewesen sind31. Die Angaben sind so präzise, dass sie kaum frei erfunden sein können. Demnach hat sich Herzog Leopold 1177 in die Urkundenanfertigung nicht eingemengt. Dass der Grund dafür im jugendlichen Alter gelegen ist, ist aber eine „Schutzbehauptung“ des Heiligenkreuzer Mönches, war der Herzog damals doch schon mindestens 20 Jahre alt32. Der am Hof sehr einflussreiche Ministeriale Wichard von Arnstein hatte also freie Hand und konnte zunächst die Ausfertigung der ursprünglich vorgesehenen Urkunde verzögern und schließlich die Anfertigung einer ihn begünsti genden neuen erwirken33. Es gab demnach bedeutende Adelige am Hof, die zumindest phasenweise Einfluss auf die Ausstellung und den Inhalt landesfürstlicher Urkunden nehmen konnten34. Mangels weiterer Nach richten kann über die Häufigkeit solcher Eingriffe von Adeligen nichts weiter gesagt werden. Zwar handelt es sich hier um einen Sonderfall, weil ein Adeliger von einer Schenkung des Herzogs selbst stark betroffen war, was sich sonst so kaum feststellen lässt. Aber die nur zufällig überlieferte Stelle lässt es doch als möglich erscheinen, dass die Einflussmöglichkeiten Adeliger oder anderer Personen aus dem Ausstellerumfeld auf die Urkun Siehe NÖUB 2 (wie Anm. 8) Nr. 2314. Siehe die Belege in NÖUB 3 (wie Anm. 3) S. 350, 672. 32 Siehe BUB 4 (wie Anm. 11) Nr. 849. Vielleicht war Leopold nach der Schenkung an Heiligenkreuz nicht im Lande, sondern beim Kaiser in Italien, um mit dem Herzogtum investiert zu werden; siehe ebd. Es gibt indes auch Hinweise, dass Leopold in der Frühzeit seiner Regierung nicht immer durchsetzungsfähig war. Als er 1178 Olmütz belagerte, ist nämlich sein Heer angespornt durch das Handeln zweier Jugendlicher absque consilio et sine ordine zum Angriff losgestürmt. Schließlich wurde der österreichische Angriff consilio me liorum eingestellt; siehe Continuatio Claustroneoburgensis III, ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9 (1851), S. 632. 33 Bei der Gelegenheit sind vom selben Schreiber zwei weitgehend identische Stücke ausgestellt worden; siehe dazu Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 379, dem freilich die Nachricht bei Strobl nicht bekannt war. Die ebd. geäußerte Vermutung, dass die Abweichungen zwischen den beiden Versionen auf ein Konzept schließen lassen, sind nicht zwingend, könnte der Schreiber doch eine Version von der anderen abgeschrieben und dabei einige Veränderungen vorgenommen haben. Dass es sich beim Schreiber um einen Heiligenkreuzer Konventualen handelt (Mitis, Urkundenwesen 288; BUB 1 [wie Anm. 8] Nr. 51 Vorbemerkung), ist nicht völlig gesichert. 34 Das herzogliche Siegel muss eine am Hof bzw. in der Umgebung des Herzogs weilende Person verwahrt haben, die aber vor der Besiegelung mit dem Herzog keine Rücksprache gehalten, sondern auf Anweisung Wichards hin die Urkunde besiegelt hat. Auch hat das Kloster diese Vorgehensweise ohne Kontaktaufnahme mit Leopold hingenommen. 30 31
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dentexte grundsätzlich größer als vermutet waren. Dazu kommt die Anwesenheit Ottos von Lengbach und Hadmars von Kuenring bei der Urkundenvernichtung. Bei ihnen handelt es sich nämlich um jene Adelige, die damals fast ständig an der Seite Leopolds anzutreffen waren und wichtige Ratgeber gewesen sein müssen35. Dies wäre ein Hinweis, dass sie auch bei Urkundenausstellungen beigezogen worden sind. Wenige Jahre nach der Episode über die Einflussnahme Wichards von Arnstein lässt sich der Beginn einer neuen Entwicklungstufe im babenbergischen Urkundenwesen feststellen, wurde doch in den Jahren 1181/82 ein Schreiber aus der Umgebung des Herzogs erstmals mehrfach eingesetzt. Aufmerksam haben auf diesen Schreiber bereits Mitis und vor allem Fichtenau gemacht, die auch erkannt haben, dass es sich bei ihm um einen Mönch des Wiener Schottenklosters handelt36, der gemäß den beiden Diplomatikern die Urkunden aber lediglich mundiert habe37. Das Diktat gehe indes auf eine 1180 bis 1192 feststellbare andere Person zurück, die nach Mitis „mit der Ausfertigung der herzoglichen Urkunden ständig beschäftigt war“ und die so genannte „Wiener Diktatgruppe“ prägte38. Dieser Notar wäre demnach der erste fassbare Angehörige einer Kanzlei gewesen. Eine Diktatanalyse der vom Schottenschreiber mundierten Urkunden ergibt, dass alle seine Datierungen mit Acta sunt autem hęc beginnen und seine drei 1181/82 konzipierten Stücke jeweils mit regnante domino nostro glorioso imperatore Friderico fortsetzen. Dies ist doch markant39 und spricht dafür, dass der Schreiber die Urkunden auch selbst verfasst hat40. Bei seiner im Jahre Siehe Anm. 31. Der Schreiber hat bereits 1170 eine Babenberger-Urkunde für sein Kloster mundiert, was aber zunächst eine singuläre Angelegenheit geblieben ist; siehe Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 380, der dem Schreiber allerdings nur zwei Urkunden zugewiesen hat; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 240; Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 31–36. Bei den einzelnen Urkunden handelt es sich um NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 65 (1170), Nr. 67 (1181), Nr. 2517 (1181), Nr. 156 (1182) bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 38, Nr. 58, 59, 62. 37 Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 380, 382; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 240. 38 Siehe vor allem Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 382 (Zitat), 384, 393–408 (zur „Wiener Gruppe“). 39 Das nochmalige Vorkommen der charakteristischen Datierung in einer BabenbergerUrkunde 1196, also nach einer 15jährigen Unterbrechung, hat nichts mit unserem Notar zu tun; BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 94 (1196). 40 Nicht ganz auszuschließen, aber nicht sehr wahrscheinlich wäre noch, dass der Schreiber dreimal mit demselben Diktator zusammengearbeitet hat. 35 36
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1181 für Metten mundierten Urkunde hat der Notar einige Elemente (Invocatio/Intitulatio und die Gliederung der Zeugenliste) aus der wie erwähnt von einem anderen Schottenmönch stammenden Gründungsurkunde seines Klosters aus dem Jahre 116141, die Corroboratio zum Teil einer nur kopial überlieferten Babenberger-Urkunde für das Passauer Ägidienhospital aus dem Jahre 1180 entnommen42. Diese Urkunde dürfte allerdings nicht auch von ihm herrühren, da die für den Notar typische Datierung fehlt. Woher der Schottenmönch die Kenntnis der Corroboratio bezogen hat, bleibt unklar. Vielleicht war er bei der in Wien vorgenommenen Niederschrift zugegen und hat sich die Formulierung eingeprägt. Nicht auszuschließen ist auch die Verwendung schriftlicher Aufzeichnungen, wenngleich nähere Anhaltspunkte dafür fehlen. Bei den von ihm geschriebenen Urkunden für sein eigenes Kloster (1181) und für Klosterneuburg (1182) hat er zum Teil auf das Repertoire einer bereits 1170 von ihm mundierten Urkunde und seiner Urkunde für Metten zurückgegriffen, wenngleich ihm 1182 bei der Abfassung eine ältere Babenberger-Urkunde für Klosterneuburg als Vorlage übergeben worden ist, deren Formulierungen er aber nur zum Teil übernommen hat43. Untersucht man auch die weiteren Urkunden, die Oskar von Mitis dieser Diktatgruppe bzw. dem dahinterstehenden Verfasser zugerechnet hat, so zeigt sich, dass die Übereinstimmungen insgesamt gesehen wenig markant und einige Formulierungen auch in der Passauer Urkundenkanzlei verbreitet gewesen sind44. Lediglich die expressis verbis vorgenommene Siehe oben S. 180. NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 203 (1180): Ne quis ergo columpniosa factione hoc nostre libertatis factum infringere conetur aut postmodum aliquo ingenio infirmare presumat, hanc nostre concessionis paginam et sigilli nostri impressione munimus et adhibicione testium cor roboramus; ebd. Nr. 2517 (1181): [...], ut si quisquam successorum prefati fidelis nostri illud suę liberalitatis et delegationis factum conetur infringere vel aliquo ingenio postmodum presumat infirmare, [...] sigilli nostri impressione munimus et testium adhibicione corroboramus [ ... ]. Siehe auch die Tafel bei Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 399. 43 Siehe dazu mit den Details Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 31–36. 44 Ausführlich Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 35 f. Weitgehendere Übereinstimmungen im Diktat ergeben sich noch zwischen den 1169 und 1179 für Admont ausgestellten Vogteiurkunden (NÖUB 3 [wie Anm. 3] Nr. 161 [1169], Nr. 163 [1179] bzw. BUB 1 [wie Anm. 8] Nr. 37, Nr. 56) und einer Babenberger-Urkunde für Biburg (BUB 1 Nr. 64 [1185]; siehe Mitis, Urkundenwesen [wie Anm. 4] S. 406). Doch geht das Diktat der Urkunden für Admont auf eine Vorurkunde des Salzburger Erzbischofs und nicht auf die Babenberger zurück; siehe Helmut Mezler-Andelberg, Landesfürst und Klöster in Steiermark bis zum 13. Jahrhundert. Ein Überblick, in: Festschrift für Julius Franz Schütz, hg. von Berthold Sutter, Graz/Köln 1954, S. 437–449, hier S. 439 Note 15; NÖUB 3 Nr. 161 Note * mit weiteren Angaben. Die Gleichklänge könnten auch den personell engen Verknüpfungen Admonts und Biburgs geschuldet sein. 41 42
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Gliederung der Zeugenliste in Edle und Ministerialen ist charakteristisch und findet sich tatsächlich häufiger. Dies aber genügt wohl nicht, um eine Diktatgruppe postulieren zu können oder anzunehmen, dass die Formulierungen auf eine einzige Person zurückgehen. Die Unterteilung der Zeugen in Edle und Ministerialen auch expressis verbis könnte allmählich zu einem Usus geworden sein, dessen sich mehrere, aber nicht alle Verfasser von Herzogsurkunden bedienten. Vielleicht standen auch wichtige Edelfreie aus dem herzoglichen Umfeld dahinter, die auf eine deutliche Unterscheidung von den Ministerialen drängten. Wie auch immer, beim vorgestellten Schottenmönch handelt es sich jedenfalls um die erste Person, die als mehrfach eingesetzter Ausstellernotar der Babenberger nachweisbar ist. Diese Funktion wurde einem irischen Mönch übertragen, nicht aber einem der zahlreichen Hofkapläne45, ohne dass die Gründe dafür zu erkennen sind. Es gibt allerdings Hinweise, dass die mit Pfarren ausgestatteten Hofkapläne damals immer wieder länger in den ihnen anvertrauten Sprengeln weilten und dort ihren pfarrlichen Agenden nachgegangen sind46. Vielleicht griff der Herzog deshalb zuweilen auf den in Wien stets verfügbaren Schottenmönch zurück. Tatsächlich hat dieser nur in Wien ausgestellte Urkunden niedergeschrieben, andernorts angefertigte Stücke stammen von anderen Händen. Der Notar ist demnach nicht mit dem Herzog und dessen Gefolge mitgereist. Der Schreiber war imstande, feierliche Siegelurkunden mit allem Dekor und mit einer an Herrscherurkunden der Zeit erinnernde Elongata und eine stilisierte Urkundenminuskel mit ausfahrenden Ober- und Unterlängen, Zitterschäften, Schaftumwickelungen und anderen Verzierungen zu konzipieren. Es lässt sich demnach ein sichtlicher Wille zu einer feierlichen Gestaltung erkennen, was wohl vom Herzog und dessen Umfeld gewollt oder zumindest gerne gesehen wurde, diente dies doch der Herrschaftsrepräsentation. Bislang kaum beachtet wurde, dass Leopold V. um 1180 nicht nur den Schottenmönch, sondern eine weitere Person aus seinem Umfeld wieder Siehe S. 180. Nicht alle als Kapläne bezeichnete Personen wurden mit Pfarren ausgestattet, auch Pröpste (etwa des Stiftes Klosterneuburg; siehe Anm. 12) führten diesen Titel, wobei es sich in diesen Fällen vielleicht nur um eine Art „Ehrentitel“ handelte; siehe zu den Kaplänen Dienst, Regionalgeschichte (wie Anm. 9) S. 170 f.; Herwig Wolfram, Zisterziensergründung und Ministerialität am Beispiel Zwettls, in: Kuenringer-Forschungen, hg. von Maximilian Weltin (Jb für Landeskunde von Niederösterreich NF 46/47), Wien 1980/81, S. 1–39, hier S. 7; NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 13 (1171), Nr. 213 (1157). 45 46
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holt zum Niederschreiben von Urkunden herangezogen hat. Zuzuweisen sind dieser allerdings lediglich eine in die Jahre 1177/81 zu datierende Mautbefreiung für Clairvaux und eine Urkunde für das Stift Wilhering aus dem Jahre 118847. Bei der Mautbefreiung handelt es sich um ein kurzes Stück in nüchterner Kontextschrift, die in der Wilhering-Urkunde noch flüchtiger ausgefallen ist. Die Formulierung über die Mautbefreiung weist Gleichklänge mit der erwähnten Urkunde für das Passauer Ägidienspital aus dem Jahre 1180 auf48, die Corroboratio der Wilhering-Urkunde ähnelt der Urkunde des Schottennotars für Metten aus dem Jahre 118149. Die seltenen „Einsätze“ unseres Schreibers lassen offen, ob er sich längerfristig im Umfeld Leopolds V. aufgehalten hat und wie er Kenntnis der Formulierungen erlangen konnte, doch dürfte er mit den anderen Notaren in Verbindung gestanden sein bzw. Kenntnis der ausgehenden Urkunden gehabt haben. Dieser Schreiber hat im Unterschied zum „Schottennotar“ auch Wien verlassen, wurde die Urkunde aus dem Jahre 1188 doch in Passau ausgestellt. Dies spricht dagegen, auch in diesem Notar einen Schottenmönch sehen zu wollen. Bei ihm zeigt sich deutlich ein Trend, Urkunden des Herzogs nüchtern und geschäftsmäßig zu gestalten, die damals auch bereits die Form von mandatsmäßigen Schreiben annehmen konnten50. Insgesamt gesehen gibt es in den 1180er Jahren zwar Tendenzen, den Einfluss der Ausstellerseite auf die Urkundenanfertigung zu erhöhen, sys tematisch und einheitlich wurde aber nicht vorgegangen. Es gab sichtlich keine Person am Herzogshof, die hier steuernd gewirkt hätte. Der Anteil
47 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 254 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 50; ebd. 69 (1188, Passau); Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 366 f., 383 f., 391, geht auf die entsprechenden Urkunden zwar ein und macht sich Gedanken über das Diktat, erkennt die Hand aber nicht. Die Bearbeiter von BUB 1 machen darauf aufmerksam, dass sich die Hände der Urkunden nahestehen; BUB 1 (wie Anm. 8) Vorbemerkungen zu Nr. 50; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 240, äußert sich dazu nicht. – Für eine Gleichsetzung der Hände sprechen die signifikanten Übereinstimmungen bei den geschwungenen Schäften, die aber zuweilen auch gerade ausgefallen sind und einige Einzelformen, wie die g, a, tironisches et oder die Majuskel-N. Zwar finden sich in der Urkunde aus dem Jahre 1188 zum Teil ein anderes Kürzungszeichen und abweichende Majuskel-C, doch dürfte dies weniger ins Gewicht fallen. Insgesamt gesehen ist eine Schreiberidentifikation jedenfalls sehr wahrscheinlich; siehe Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 74 f. 48 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 203 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 57; siehe Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 383, 404 f. 49 Siehe S. 186; fehlt bei Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 399. 50 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 255 bzw. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 59; siehe auch Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 241 f.
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der Empfängerausfertigungen liegt weiterhin bei über der Hälfte der Babenberger-Urkunden51. Der nächste Hinweis auf einen Schreiber aus dem herzoglichen Umfeld findet sich im Jahr 1193 in einer Urkunde Leopolds V. für das Kloster Seitenstetten52. Hier hat eine vom Hauptschreiber zu unterscheidende Hand auf der Plica vermerkt: Ego Vlricus silgillavi [!] ex mandato domini Liv poldi ducis Austrie Styrieque presentem hanc paginam presente Hartungo camerario. Ein solcher Besiegelungsvermerk findet sich sonst in Babenberger-Urkunden nicht und es stellt sich die Frage, weshalb er hier angebracht wurde. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Besiegelung nicht im Zuge der Handlung, sondern erst später vorgenommen wurde53 und Ulrich versichern wollte, dies nicht eigenmächtig, sondern auf Befehl des Herzogs durchgeführt zu haben. Darauf weist auch, dass Ulrich mit dem Kämmerer Hartung einen Zeugen anführt, was nicht notwendig gewesen wäre, wenn die Besiegelung schon bei der Handlung erfolgt wäre. Anzunehmen ist, dass Ulrich vor der Besiegelung den Urkundeninhalt noch einmal kontrolliert hat, war er es doch, der ihn beglaubigt und ihm letztlich Rechtskraft verliehen hat54.
Freilich ist nicht in allen Fällen eine eindeutige Zuordnung möglich. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 87 (1193, Enns). 53 Einen Hinweis darauf, dass der Herzog nicht immer sein Siegel bei sich hatte, bieten etwa zwei aufgrund des Aufbruchs Herzog Leopolds nach Jerusalem unbesiegelt gebliebene Garstener Urkunden von Ende 1181/Anfang 1182; siehe NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 76, Nr. 81; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 371; Urkundenbuch der Steiermark und seiner Regenten 1: Von den Anfängen bis 1192, ed. Friedrich Hausmann (permalink: http:// gams.uni-graz.at/collection:stub) Nr. GA 26 Vorbemerkung. 54 Unsere Überlegungen wären aber obsolet, falls Heide Dienst mit ihrer Behauptung Recht hätte, dass die Urkunde gefälscht sei; Heide Dienst, Bemerkungen zur spätbabenbergischen und ottokarischen Kanzlei in Österreich und Steier (1198–1278), in: Landesherrliche Kanzleien (wie Anm. 1) S. 273–295, hier S. 282 (Die hier angekündigte Studie ist bis dato nicht erschienen). Die beiden Hände der Urkunde sind allerdings zeitgenössisch, die Annahme, dass die Urkunde erst in Kenntnis einer Bestätigungsurkunde aus dem Jahre 1204 angefertigt worden sein kann, trifft nicht zu. Vor allem hätte ein Fälscher wohl kaum einen anderen Schreiber gebeten, den Besiegelungsvermerk anzubringen. Die Urkunde von 1193 und dieser Vermerk können demnach als echt gelten. Heinrich Koller hat im Zuge seiner umfassenden Studien zum Seitenstettener Urkundenwesen die Urkunde nicht beanstandet; siehe Heinrich Koller, Die Gründungsurkunden für Seitenstetten. Zugleich ein Beitrag zu den Anfängen des Herzogtums Österreich, in: AfD 16 (1970) S. 51–141; auch Benedikt Wagner, Die Babenberger-Urkunden im Stift Seitenstetten und ihre lokalhistorische Bedeutung, in: Österreichs Wiege. Der Amstettner Raum, Amstetten/Waidhofen a. d. Ybbs 1976, S. 121–152, hier S. 139–141, hat keine Bedenken erkennen lassen. 51 52
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Bislang wurde vorausgesetzt, dass Ulrich mit einem ab 1196 genannten gleichnamigen babenbergischen Notar identisch ist55. Da es sich aber um einen Allerweltsnamen handelt, lässt sich die Frage einer Gleichsetzung alleine über einen Schriftvergleich klären56. Notar Ulrich nennt sich 1196 in zwei Urkunden57 und ein drittes Mal 1197 in einer Datum-per-manumFormel58. Alle drei Stücke stammen von einer Hand und weisen ein einheitliches charakteristisches Diktat auf, so dass Ulrich als Schreiber und Verfasser anzunehmen ist59. Ist aber diese Hand mit der des Besiegelungsvermerks identisch? Oskar Mitis hat dies vorausgesetzt60, Heinrich Fichtenau ließ wegen der Kürze des Textes auf der Urkunde von 1193 die Frage offen61. Gegen eine Gleichsetzung spricht indes, dass Notar Ulrich seinen Namen stets mit Ů beginnt62, in der Besiegelungsformel aber nur ein einfaches U ohne überschriebenes o zu finden ist63. Beim Notar Ulrich und beim Siegelanbringer Ulrich handelt es sich deshalb eher um zwei unterschiedliche Personen. 55 Siehe etwa Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 386 f.; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 241. 56 Die Formulierung des Siegelvermerks legt nahe, dass dieser von Ulrich selbst angebracht worden ist. 57 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 96 (1196, Heiligenkreuz), Nr. 98 (1196, Tulln). 58 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 100 (1197, Sollenau). 59 Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 381, 387, 397, 400; Heinrich Fichtenau, Die Kanzlei der letzten Babenberger, in: MIÖG 56 (1948) S. 239–286, überarbeiteter Nachdr. in: Ders., Beiträge zur Mediävistik 2: Urkundenforschung, Stuttgart 1977, S. 212–257, hier S. 231. Die Hand und das Diktat finden sich noch einmal in einer Urkunde für das Stift Ardagger aus dem Jahre 1196, in der sich Notar Ulrich aber nicht nennt; BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 92 (1196, Groß-Enzersdorf); siehe Mitis, Urkundenwesen S. 386. 60 Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 386. 61 Fichtenau, Kanzlei (wie Anm. 59) S. 231. 62 Unklar bleibt die Lesung in BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 100, da die Urkunde so beschädigt ist, dass der Name Ulrichs kaum noch gelesen werden kann. Doch dürfte auch hier der Anfangsbuchstabe mit überschriebenem o zu lesen sein; so jedenfalls auch in Urkundenbuch des Landes ob der Enns 2, Wien 1856, Nr. 314, dessen Editoren auf zuverlässige Autopsien von Jodok Stülz zurückgreifen konnten. 63 Es gibt zwar auch einige Übereinstimmungen zwischen dem Vermerk und der Hand des Notars bei Einzelformen, die aber wenig ins Gewicht fallen; siehe etwa die V-Form in BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 92 oder Nr. 100; das M und die die geschwungene Oberlängenform in Nr. 100. – Nicht herangezogen werden konnte eine Urkunde Ulrichs als Passauer Bischof, die im Archivio arcivescovile in Salerno aufbewahrt wird und angeblich eine eigenhändige Unterfertigung Ulrichs enthält; siehe Die Regesten der Bischöfe von Passau 2: 1206–1254, bearb. von Egon Boshof, Regesten zur bayerischen Geschichte (1999), Nr. 1477; siehe Paul Zinsmaier, Nachträge zum Urkundenwesen der Bischöfe von Passau im 13. Jahrhundert, in: MIÖG 94 (1986) S. 13–23, hier S. 16 f.
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Ulrich hat wie gesehen 1196/97 drei Urkunden geschrieben und diktiert, in den folgenden Jahren allerdings war er nur noch als Verfasser tätig64. Seine Mitwirkung an der Urkundenanfertigung ist vor allem durch seine bis 1204 vorliegenden Nennungen in zahlreichen Datum-per-manusFormeln verbürgt65, in denen Ulrich zuweilen auch angeführt wird, wenn er die entsprechende Urkunde weder mundiert noch diktiert hat66. In solchen Fällen hat er alleine die Verantwortung für den Inhalt der Urkunde übernommen67. In einigen von Ulrich verfassten Stücken fehlt die Formel allerdings68. Sein Diktat lässt sich bis 1215 verfolgen, dann setzte Herzog Leopold VI. ihn als Bischof von Passau durch69. Mit Ulrich ist zum ersten Mal – abgesehen vom singulär 1140 genannten Robert70 – ein babenbergischer Kaplan als Notar nachweisbar. Bald nach seinem „Dienstbeginn“ lassen sich fast schlagartig eine personelle Aufstockung der Kapelle und eine größere Zahl an Kaplänen in Notarsfunktion feststellen71, wobei Ulrich augenscheinlich bald zu einem „Kanzleileiter“ avanciert ist72. Er stand insgesamt beinahe 20 Jahre im Dienste der österreichischen Herzöge, die er fast ständig begleitet haben muss. Dies alles weist darauf hin, Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 384 f., 393, 395–398, 400 f., 403, 405 f. Dienst, Bemerkungen (wie Anm. 54) S. 283. 66 Etwa BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 130 (1202), Nr. 173 (1210). 67 Siehe zur Bedeutung der Datum-per-manum-Formel etwa Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1, Berlin 31958, S. 608; Redlich, Privaturkunden (wie Anm. 5) S. 138–141; zuletzt Reinhard Härtel, Notarielle und kirchliche Urkunden im frühen und hohen Mittelalter (Historische Hilfswissenschaften), Wien/München 2011, S. 132, 258 f.; Mitis hat vermutet, dass die Formel die Übergabe des Konzepts an den Schreiber meint; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 392. Da aber wie gesehen Ulrich einige Stücke auch selbst geschrieben und diktiert hat, ist dies wenig wahrscheinlich, hätte sich in diesem Fall Ulrich das Konzept doch selbst übergeben. Die Formel dürfte eher mit der Übergabe des Stücks an den Empfänger zu tun haben. Da es aber grundsätzlich rechtlich nicht besonders wichtig ist, wer die Urkunde dem Empfänger übergeben hat, und dazu auch keine Persönlichkeit wie Ulrich notwendig gewesen wäre, dürfte die Übergabe gleichbedeutend mit der Letztverantwortung für den Inhalt gewesen sein. Der Übergeber wird deshalb als letzter noch einmal den Inhalt überprüft und für in Ordnung befunden haben. 68 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 109 (1198?), Nr. 126 (1202), Nr. 134 (1203) etc. 69 Regesten der Bischöfe von Passau 2 (wie Anm. 63) Nr. 1331. 70 Siehe S. 179. 71 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 127 (1202), Nr. 130 (1202), Nrr. 136, 137 (1203), Nr. 138 (1203), Nr. 141 (1203), Nr. 171 (1210), Nr. 185 (1212), Nr. 180 (1211); Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 381, 388 f.; Fichtenau, Kanzlei (wie Anm. 59) S. 214 Note 7, 232 f., 235 f.; Michael Mitterauer, Magister Heinricus phisicus. Protonotar Herzog Leopolds VI., in: Jb des Stiftes Klosterneuburg NF 3 (1963) S. 49–61, hier S. 50. 72 1214 wird Ulrich gelegentlich Protonotar genannt; Fichtenau, Kanzlei (wie Anm. 59) S. 230. 64 65
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dass Ulrich eine wichtige Vertrauensstellung bei den Babenbergern genossen und am Hof eine wichtige Stellung eingenommen hat73. Ab nun lässt sich eine kontinuierlich besetzte Kanzlei der Babenberger feststellen. Das heißt nicht, dass es fortan keine Empfängerausfertigung mehr gegeben hätte. So gibt es bis etwa 1230 immer wieder Jahre, in denen diese sogar überwiegen, dazwischen finden sich aber auch Jahre mit mehr Ausstelleranfertigungen, zuweilen ist das Zahlenverhältnis ausgeglichen74. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Empfängerausfertigungen bei weitem überwiegen und sich nur in einem Fall die Beteiligung eines babenbergischen Kaplans an der Urkundenniederschrift belegen lässt. In den 1160er und 1170er Jahren dürften einzelne Urkunden von Mönchen des den Babenbergern nahestehenden Wiener Schottenstifts geschrieben worden sein, auch einzelne Formulierungen gehen nun auf die Ausstellerseite zurück und dienten der Herrschaftspropaganda. Eine bislang für das babenbergische Urkundenwesen nicht herangezogene historiographische Nachricht bietet einen Hinweis, dass damals die Einflussmöglichkeiten wichtiger Persönlichkeiten am Hof auf die Urkundentexte vielleicht größer als vermutet waren. 1181/82 schrieb und verfasste ein Schottenmönch mehrere BabenbergerUrkunden, einen Kanzleiangehörigen, der in den 1180er Jahren zahlreiche Texte konzipiert hat, bzw. eine so genannte Wiener Diktatgruppe dürfte es entgegen der bisherigen Forschungsmeinung indes nicht gegeben haben. Auch wenn sich ein zweiter Ausstellerschreiber feststellen lässt, überwogen damals immer noch die Anfertigungen durch die Empfänger. Erst 1196 ist die „Einrichtung“ einer Kanzlei zu belegen, die freilich ungemein rasch personell aufgestockt wurde, wobei dem Notar Ulrich eine herausragende Rolle zugekommen sein dürfte.
Siehe zu seinen Einkünften und Aufgaben vor 1215 und zu seiner Biographie Fichtenau, Kanzlei (wie Anm. 59) S. 230 f. 74 Zum Verhältnis von Kanzlei- und Empfängerausfertigungen ab 1198 siehe Dienst, Bemerkungen (wie Anm. 54) S. 279. 73
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B. Otakare Die erste Siegelurkunde eines steirischen Markgrafen lässt sich nur grob in die 1130er Jahre datieren75, als die Witwe Markgraf Leopolds I., Sophie, die Regierungsgeschäfte für ihren minderjährigen Sohn Otakar III. geführt hat76. Die Urkunde wurde vermutlich auf Initiative des Stifts Rein ausgestellt und von einem dortigen Konventualen niedergeschrieben77. Auch bei den folgenden Markgrafenurkunden lässt sich zumeist Empfängeranfertigung feststellen78. Um 1160 ist es unter Markgraf Otakar III. zu einer markanteren Zunahme an Urkundenausstellungen gekommen, wobei auch in dieser Phase die meisten Stücke den Empfängern zugewiesen werden können79. So hat StUB 1: 798–1192, ed. Joseph von Zahn (1875) Nr. 151; siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 77; Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 137; zum Siegel des minderjährigen Otakar Alfred Anthony von Siegenfeld, Das Landeswappen der Steiermark (Forschungen zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Steiermark 3), Graz 1900, S. 139 Taf. 5 Abb. 9; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 288 f. Otakar verwendete dieses Typar noch einmal bei der Mitbesiegelung einer Urkunde des Salzburger Erzbischofs Konrad für das Stift Rein aus dem Jahre 1138; SUB 2: bis 1200, ed. Willibald Hauthaler/Franz Martin (1916), Nr. 183. Franz Martin und Heinrich Appelt haben diese Urkunde als eine im 12. Jahrhundert hergestellte Fälschung entlarvt; ebd. Vorbemerkung; Heinrich Appelt, Die Gründungsurkunden des Klosters Reun, Festschrift zur Feier des 200-jährigen Bestandes des Haus-, Hof- und Staatsarchivs 1, hg. von Leo Santifaller (Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs-Ergänzungsband 2), Wien 1949, S. 237–246, hier S. 238. Da das Siegel Otakars aber echt ist, muss vermutlich 1138 eine später vernichtete Urkunde angefertigt worden sein. 76 Siehe zur Regentschaft Sophies etwa Bettina Elpers, Regieren, Erziehen, Bewahren. Mütterliche Regentschaften im Hochmittelalter (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 166), Frankfurt/M. 2003, S. 58–78; NÖUB 2 (wie Anm. 8) S. 69 f. 77 Siehe Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 137. 78 Siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 70 f., 78–81, 89 f.; Zehetmayer, Untersuchungen 2 (wie Anm. 8) S. 107–111; Ders., Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 64 f.; Franz Martin, Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Salzburg von 1106–1246. Vorbemerkungen zum Salzburger Urkundenbuch, in: MIÖG-Ergänzungsband 9, Innsbruck 1915, S. 559–765, hier S. 583 Anm. 4, 647 mit Note 327, 648 Note 200; Appelt, Gründungsurkunden (wie Anm. 75) S. 241, 245 f. 79 StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 234; zur Datierung Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 84–86; Hans Pirchegger in: Ders./Otto Dungern, Urkundenbuch des Herzogtumes Steiermark. Ergänzungsheft zu den Bänden 1 bis 3 (Veröffentlichung der Historischen Landeskommission für Steiermark 33), Graz 1949, S. 58 zu Nr. 491. Die Nennungen Adalberos von Dunkelstein und Leutolds von Waldstein würden den zeitlichen Ansatz Wonischs stützen. Siehe weiter StUB 1 Nr. 491 (1165); SUB 2 (wie Anm. 75) Nr. 365 (1161); dazu Wonisch, Urkundenwesen S. 84–87, 90 f.; Heinrich Appelt, Das Diplom Friedrich Barbarossas für St. Lambrecht vom 3. März 1170, in: Siedlung, Wirtschaft und Kultur im Ostalpenraum. Festschrift zum 70. Geburtstag von Fritz Popelka, hg. von Fritz Posch (Veröffentlichungen 75
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der Landesfürst 1160 einen Tausch zwischen dem Stift Seckau und einem fidelis Reginward mit einer Urkunde bestätigt80, deren Diktat wohl einem Seckauer Chorherrn (Sigle SA) zugewiesen werden kann81, der auch 1166 eine von Markgräfin Kunigunde – die nach dem Tode Otakars III. Ende 1164 für dessen unmündigen gleichnamigen Sohn die Vormundschaft übernommen hatte82 – für Seckau ausgestellte Urkunde mundiert hat83. In der Arenga wird die Mark als provincia nostre ditionis, die unter dem Schutz des verstorbenen Ehemannes und des Sohnes stünde84, bezeichnet, eine markante Formulierung, die vielleicht auch der prekären Situation der Vormundschaft geschuldet war und auf Einflussnahme Kunigundes bzw. ihres Umfelds auf das Diktat weist. Vom Notar SA stammt weiter eine mit „1160“ datierte Urkunde Markgraf Otakars III. für das Spital am Semmering85. Da darin aber der erst 1163 geborene Sohn des Markgrafen erwähnt wird und eine Formulierung sogar den Tod Otakars III. voraussetzt86, kann das Datum nicht stimmen bzw. die Urkunde nicht echt sein. Wörtliche Übereinstimmungen mit einem Diplom Kaiser Friedrichs I. für das Spital vom 15. Oktober 116687, einige des Steiermärkischen Landesarchives 2), Graz 1960, S. 235–244, hier S. 236, 240; SUB 2 Nr. 363 (1162); StUB 1 Nr. 479 (1163); MDC 3: Die Kärntner Geschichtsquellen 811–1202, ed. August von Jaksch (1904), Nr. 1082 (1164); NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 33 (1164); siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 69, 71, 83, 109–111, 114; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 374 f.; Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 66 f. Als Fälschung erwiesen wurde StUB 1 Nr. 485 (1165); siehe dazu Friedrich Hausmann, Die „Gründungsurkunde“ und weitere Urkunden für die Ausstattung der Kartause Seitz. Eine wissenschaftsgeschichtliche und kritische Untersuchung, in: AfD 53 (2007) S. 137–173, hier S. 156. 80 StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 404 (1160). Die Urkunde ist nur kopial überliefert. 81 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 97 f. In der vorliegenden Urkunde fehlt allerdings die für SA charakteristische Gebetsformel und eine Invocatio; siehe dazu Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 70 f. 82 Siehe dazu etwa Tobias Küss, Die älteren Diepoldinger als Markgrafen in Bayern (1077–1204). Adlige Herrschaftsbildung im Hochmittelalter (Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft 8), München 2013, S. 261–263; Elpers, Regieren (wie Anm. 76) S. 103. 83 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 56 (1166); Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 94– 99, 142–144, 146; Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 69. 84 Debiti nostri ius videtur exigere materno affectu consulendo et auxiliando his subvenire, quos constat in provincia nostre ditionis sub tutela defensionis mariti et filii nostri vixisse et in reliquum velle vivere. 85 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 35; StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 406; siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 107. 86 In extremis quoque suis marchio Otakarius villam Harde dictam ad hospitalem tradi mandavit. 87 D F.I.518 (1166).
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Kürzungen und markante Verschreibungen von Eigennamen weisen die Markgrafenurkunde als dessen Vorlage aus, die demnach davor entstanden sein muss und auf 1165/66 datiert werden kann. Aus einer Urkunde des Salzburger Erzbischofs aus dem Jahre 1161 wiederum geht hervor88, dass Otakar III. bei der Spitalsgründung 1160 tatsächlich eine Urkunde ausgestellt hat, die aber 1165/66 bei der Anfertigung der Fälschung vermutlich vernichtet worden ist89. Dieses Spurium geht auf eine Initiative der Spitalsgeistlichen zurück, die nach dem Tode des Gründers auch die seit 1160 geschenkten Güter urkundlich gesichert sehen wollten. Ist es aber denkbar, dass sich die Spitalsgeistlichen an das gar nicht beteiligte Stift Seckau um einen Schreiber gewandt haben? Sehr wahrscheinlich scheint dies nicht zu sein, da dann ja Seckau von der Fälschungsabsicht erfahren hätte. Auch hätte der Fälscher in diesem Fall wohl nicht eine nachträgliche Zustimmung des erst 1163 geborenen Sohnes und den Hinweis auf den inzwischen erfolgten Tod Otakars III. eingefügt. Dies spricht eher dafür, dass die markgräfliche Familie in die (feststellende) Fälschung involviert war und sich das Spital mit dem Wunsch, die Urkunde dem Ist-Zustand des Jahres 1165/66 anzupassen, mit der Markgräfin in Verbindung gesetzt hat, die vermutlich auch den Schreiber (SA) für die Neuausstellung besorgt hat. Das Spurium hat auch wegen der Arenga die Aufmerksamkeit der Forschung erregt, wird hier doch die Größe und Würde Otakars III. übermäßig betont, die bei ihm ausgeprägter seien als bei seinen Vorfahren90. Auch wird das Herrschaftsgebiet als terra nostra bezeichnet und der Pluralis maiestatis verwendet91, was als Hinweis auf ein bestehendes „Konzept“ SUB 2 (wie Anm. 75) Nr. 354 (1161). Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 107–109; Heinrich Appelt, Die Anfänge des Spitals am Semmering, in: Zs des Historischen Vereins für Steiermark 43 (1952) S. 3–13, hier S. 7 f. 90 NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 35: Quoniam magnificentia copiosior et dignitas amplior nobis quam parentibus nostris Dei gratia nullis nostris meritis exigentibus data patenter cer nitur, dignum et iustum est, ut éadem debitis gratiarum actionibus et obsequiis diligentius impensis amplius a nobis honoretur. Ab ipsa enim est vita forma dignitas et fama nostra ac propterea ad illam quasi ad fontem omnium bonorum referenda sunt universa, ut eorundem, quorum donatrix est, munerum sit et remuneratrix. 91 Etwa Fritz Posch, Besiedelung und Entstehung des Landes Steiermark, in: Das Werden der Steiermark. Die Zeit der Traungauer, hg. von Gerhard Pferschy (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchives 10), Graz 1980, S. 23–62, hier S. 46; Heinz Dopsch, Von der Mark an der Mur zum „Stireland“. Die Steiermark unter Otakaren und Babenbergern, in: Ders./Karl Brunner/Maximilian Weltin, Die Länder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmittelalter (Österreichische Geschichte 1122–1278), Wien 1999, S. 270– 307, hier S. 294. 88 89
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gesehen wurde, die Landesherrschaft durchzusetzen92. Dabei wurde aber nicht beachtet, dass die vorliegende Urkunde wie gesagt erst nach dem Tod Otakars III. verfasst worden ist93. Es wäre zwar möglich, dass diese Formulierungen auch bereits im verlorenen Original von 1160 gestanden sind, sie könnten aber auch erst von Personen aus dem Umfeld Kunigundes konzipiert worden sein, um deren Regentschaft prestigemäßig zu erhöhen, was auf einer Linie mit ihrer erwähnten Seckauer Urkunde liegen würde. Ziemlich sicher handelt es sich bei diesen markanten Formulierungen um Einflussnahme der Ausstellerseite. Othmar Wonisch wollte in SA abgesehen von weiteren landesfürstlichen Urkunden für Seckau auch den Schreiber bzw. Verfasser der von Otakar IV. ausgestellten Urkunde für das Stift Vorau aus dem Jahre 1185, der Kleinen Georgenberger Handfeste 1186, von Teilen der Großen Georgenberger Handfeste und von zwei späteren landesfürstlichen Urkunden für das Stift Traunkirchen sehen94 und bezeichnete den Chorherrn deshalb als ersten Angehörigen einer landesfürstlichen Kanzlei95. Weil in einer auf 1173 datierten kopial überlieferten Fälschung auf Otakar für Seckau mit dem Diktat des SA96 als Schreiber ein Notar Bernhard angegeben wird und einige diesen Namen enthaltende Schreibernennungen in Seckauer Kodizes der Hand des SA zugesprochen wurden, hat Wonisch den Notar SA mit dem Seckauer Schreiber Bernhard und diesen mit dem gleichnamigen späteren Vorauer Propst (1285–1202) gleichgesetzt97. Ein neuerlicher Schrift- und Diktatvergleich legt freilich nahe, dass SA abgesehen von der Fälschung für das Spital auf dem Semmering keine weitere Herzogsurkunde verfasst hat, die nicht für das Stift Seckau bestimmt Dopsch, Mark (wie Anm. 91) S. 294–296. Dopsch, Mark (wie Anm. 91) S. 294. Er spricht ebd. von einem einwandfreien Origi-
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nal. Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 113, 127–129, 134. Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 97–108, 113, 141 f., 144: „Ihm wird 1186 die wichtigste Rolle in der Ausfertigung der Georgenberger Handfeste zugewiesen. ... Diese vielseitige Beschäftigung läßt gewiß den Schluß zu, daß SA mehr war, als ein bloßer Gelegenheitsschreiber“, S. 146 spricht er von einer wirklichen Kanzleikraft; weitgehend zustimmend Pius Fank, Die Vorauer Handschrift. Ihre Entstehung und ihr Schreiber, Graz 1967; siehe auch Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 216. 96 StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 550 (1173): Hanc kartam scripsit Bernhardus notarius. Die hier zu findende Invocatio ist freilich untypisch für SA. Auch muss der Schreiber Bernhard nicht zwangsläufig mit dem Urkundenverfasser identisch sein. 97 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 142 f.; Fank, Vorauer Handschrift (wie Anm. 95) S. 43 f.; etwas abweichende Schlüsse aus dem Befund zieht Herbert Klein, Besprechung Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4), in: MÖIG 43 (1929) S. 474–476. 94 95
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war98. Überdies ist die Gleichsetzung des SA mit dem Schreiber der Seckauer Handschriften namens Bernhard aus paläographischen Gründen problematisch99. Dass SA aber nichtsdestotrotz Bernhard geheißen hat, bleibt aufgrund der Schreiberangabe des Jahres 1173 zumindest möglich. Dass SA/Bernhard wie erwähnt 1166 von Markgräfin Kunigunde als Schreiber einer feststellenden Fälschung herangezogen worden ist, wäre ein Hinweis auf eine Vertrauensstellung. Dennoch muss insgesamt gesehen die Bedeutung des Notars SA/Bernhard für das Urkundenwesen der Otakare weitaus geringer eingeschätzt werden, als dies bei Wonisch der Fall war. Er kann weder als Begründer noch als Angehöriger der landesfürstlichen Kanzlei angesehen werden. Dass dennoch engere Beziehungen von Seckauer Konventualen mit den Markgrafen bestanden haben, zeigt ein nur in einem Nekrolog belegter Adelbertus diaconus et canonicus Seccoviensis, der als cappelanus marchio nis bezeichnet wird100. Er dürfte vor 1180 verstorben sein, so dass eine Gleichsetzung mit dem noch 1182 feststellbaren SA nicht möglich ist101. Kapläne der Otakare lassen sich übrigens überhaupt erst seit damals nachweisen102.
Siehe Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) 71–73 mit den Belegen und der älteren Literatur; siehe zu den Urkunden für das Stift Traunkirchen Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. Tr 1 (1174) Vorbemerkung, Nr. Tr 2 Vorbemerkung. 99 So ist die Seckauer Handschrift Universitätsbibliothek Graz, Sondersammlung Hs 835 mit einem Schreibervermerk Bernhards, der von Wonisch als wichtigster Beleg für die Gleichsetzung angesehen wurde (Wonisch, Urkundenwesen [wie Anm. 4] S. 142), wohl nicht von SA geschrieben worden; siehe ebd. die Tafel III Abb. 3; Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 73 f.; Zweifel an der Gleichsetzung mit der Hand des Vorauer Propstes Bernhard bereits bei Hans Zotter, Schreibtätigkeit, Buchimport und hochmittelalterlicher Bücherbestand im südlichen Österreich, in: Schriftkultur zwischen Donau und Adria bis zum 13. Jahrhundert, hg. von Reinhard Härtel et al. (Schriftenreihe der Akademie Friesach 8), Klagenfurt 2008, S. 49–60, hier S. 58. Die Hand der Seckauer Bibel Universitätsbibliothek Graz, Sondersammlung Hs 65 wurde zuletzt nicht mehr Bernhard, sondern einem aus Heiligenkreuz stammenden Schreiber zugeschrieben; Alois Haidinger/Franz Lackner, Die Bibliothek und das Skriptorium des Stiftes Heiligenkreuz unter Abt Gottschalk (1134/1147) (Codices manuscripti und impressi. Zeitschrift für Buchgeschichte Supplementum 11), Purkersdorf 2015, S. 33 und Abb. 108 f. Auch der Besitzereintrag der Handschrift Stiftsbibliothek Vorau Hs 195, fol. 240r (siehe die Abb. bei Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) Taf. III Abb. 4) kann nicht mit der Hand von SA gleichgesetzt werden. 100 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 141 f. 101 Siehe auch Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 142. 102 Siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 141 f. und die Korrekturen bei Zehetmayer, Urkunde (wie Anm. 26) S. 50 f. 98
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Seit 1172 stellte Markgraf Otakar IV. eigenständig Urkunden aus103, wobei seine frühen Stücke durchwegs als Empfängeranfertigungen anzusehen sind104. Auffälligerweise aber sind mehrere dieser Urkunden auf der Rückseite besiegelt, was vielleicht kein Zufall war und auf dafür zuständige Personen aus dem herzoglichen Umfeld zurückgeht105. Diese könnten auch darauf geachtet haben, dass nach der Umwandlung der Steiermark in ein Herzogtum im Jahre 1180 in den Intitulationen Otakars IV. konsequent, und zwar auch bei Empfängerausfertigungen, Devotionsformeln beigefügt wurden106. Dazu passt, dass seit 1180 auch in der Siegelumschrift ein Dei gratia zu finden ist107. Nach 1180 häufen sich überdies Nennungen von Hofkaplänen108. Einer von ihnen, Heinrich, wird 1183 in der Datum-per-manum-Formel einer kopial überlieferten Urkunde Herzog Otakars für das Kloster Millstatt angeführt109. Er dürfte öfters an der Urkundenanfertigung beteiligt gewesen sein, denn das hier zu findende Diktat kommt auch in einer original erhaltenen Herzogsurkunde für die Kartause Gairach (Jurklošter) vor110. Die Kontextschrift dieses Stücks rührt wohl, wie einige Schreibweisen in der Zeugenliste vermuten lassen, von einem aus romanischen Gegenden
StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 546 (1172), Nr. 632 (1173), Nr. 622 (1172/79); NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 45 (1172). 104 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 84, 87–94, 99 f.; Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. GA 18, Nr. GA 16 Vorbemerkung, Nr. KRE 5 (1179) Vorbemerkung; Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 56–58, 67 f., 74; Appelt, Diplom Friedrich Barbarossas (wie Anm. 79) S. 236. 105 Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. GA 15 Vorbemerkung; StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 546 (1172); NÖUB 3 (wie Anm. 3) Nr. 42 (1179). 106 StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 619 (1182), Nr. 649 (1186); Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. SEI 4; dazu Ders., „Gründungsurkunde“ (wie Anm. 79) S. 147 f., 151 f. 107 Anthony von Siegenfeld, Landeswappen (wie Anm. 75) S. 143 f.; dazu Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 93. 108 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 141. 109 MDC 3 (wie Anm. 79) Nr. 1296 (1183); Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. MI 3: Datum est autem hoc privilegium per manum Hainrici tunc temporis capellani apud Villa cum. Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 216 Anm. 85, überlegt, ob Heinrich nicht Kaplan des Salzburger Erzbischofs gewesen sein könnte, doch gibt es dafür keinen Anhaltspunkt. Siegfried Haider, Das bischöfliche Kapellanat 1. Von den Anfängen bis in das 13. Jahrhundert (MIÖG-Ergänzungsband 25), Wien/Köln/Graz 1977, S. 222 f., setzt keinen der Salzburger Kapläne namens Heinrich mit dem 1183 genannten gleich. 110 StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 653; Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. GAI 2, Nr. MI 3 Vorbemerkung; siehe Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 124 f. mit einem Diktatvergleich. 103
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stammenden Notar her111, Elongata und Korrekturen stammen aber von einer anderen Hand. Auf den Verfasser der Urkunden für Millstatt und Gairach geht auch ein Privileg Otakars für die oberdeutschen Kaufleute aus dem Jahr 1191 zurück112. Die hier zu findende Hand lässt sich nun auch bei der Elongata und den Korrekturen der Gairach-Urkunde feststellen, was auf Kaplan Heinrich als Schreiber schließen lässt, wie bereits Wonisch angenommen hat113. Dieselbe Hand findet sich vermutlich weiter in einem Brief des Herzogs an das Spital am Pyhrn114 und unter Umständen in einer Otakar-Urkunde für Millstatt aus dem Jahre 1189115. Falls dies zutrifft, dann wäre Kaplan Heinrich zwischen 1183 und 1191 an der Anfertigung von vier Urkunden und einem Brief beteiligt gewesen und der einzige namentlich bekannte Notar der Otakare, der Angehöriger der Kapelle gewesen ist116. Da bei vielen der in den 1180er und frühen 1190er Jahren ausgestellten Herzogsurkunden die Schreiber oder Verfasser nicht zuzuordnen sind und in einigen Fällen zudem die Echtheitsfrage unklar ist117, sind für diesen Zeitraum keine zielführenden Aussagen über das Verhältnis von Aussteller- und Empfängerausfertigungen möglich.
Siehe die Zeugenliste: Orteliebus de Fiscach, …, Corradus plebanus de Marchburch, Marcowardus plebanus de Radechsbuch, Errandus de Wildonia, Detemarus de Butenhů, ..., Corradus de Furstvelt, Otto et frater suus de Veivsterz, Cotscalcus de Stagno, Alahardus de Sancto Petro, (H)lltegrimus de Grscarn; siehe bereits Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 125. 112 Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. EN 1 (1191) mit Vorbemerkung; Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 124 f. 113 Siehe die Schriftbeispiele bei Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) Tafel III und die Ausführungen ebd. S. 125; Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. EN 1, Nr. GAI 2 mit den Vorbemerkungen. 114 Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. SpP 1 (1190); Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 125. Völlig gesichert ist die Gleichsetzung nicht, verwendet der Schreiber hier doch einige abweichende Formen. Eine der beiden g-Formen, die Schreibweise Styrye oder per-Kürzungen sprechen aber für eine Gleichsetzung. 115 MDC 3 (wie Anm. 79) Nr. 1356 (1189); Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53) Nr. MI 4 mit Vorbemerkung; Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 125 f. Für eine Gleichsetzung spricht auch hier die Gestaltung der g. 116 Othmar Wonisch hat noch angenommen, dass Heinrich von den Babenbergern als Notar übernommen worden ist, hat dafür aber keine Zustimmung erfahren; Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 145 f.; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 389 Anm. 2; Klein, Besprechung Wonisch (wie Anm. 97) S. 476; Fichtenau, Kanzlei (wie Anm. 59) S. 235. 117 Siehe vor allem Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) passim; die Kommentare bei Hausmann, StUB 1 (wie Anm. 53). 111
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Weder Kaplan Heinrich noch SA/Bernhard118 hatte Anteil an der Herstellung der beiden Georgenberger Handfesten119. Wen aber hat der Herzog dann mit der Ausfertigung dieser beiden für die Verfassung des Landes so bedeutenden Urkunden beauftragt? Vorauszuschicken ist, dass wohl bereits kurz nach der Herzogserhebung 1180 bei Herzog Otakar IV. jene unheilbare Krankheit zutage getreten ist, die ihn veranlasst hat, eine Nachfolgeregelung zu treffen. Zwar kristallisierten sich bald die Babenberger als Erben heraus120, zur vertraglichen Vereinbarung sollte es aber erst im August 1186 bei einer großen Zusammenkunft auf dem Georgenberg bei Enns kommen. In der damals ausgestellten Urkunde (Große Georgenberger Handfeste) wurde Herzog Leopold V. als Erbe Otakars IV. designiert und wurden einige Rechte der Ministerialen und Geistlichen schriftlich fixiert121. Diplomatisch haben sich vor allem Othmar Wonisch und Heinrich Appelt mit der Urkunde beschäftigt122 und dabei herausgearbeitet, dass der von einer Kanzleihand A geschriebene Text an mehreren Stellen ergänzt worden ist123. So habe Kanzleischreiber A mitten im Kon Siehe S. 196. BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 65 und Nr. 66 (1186). 120 Siehe Karl Spreitzhofer, Georgenberger Handfeste. Entstehung und Folgen der ers ten Verfassungsurkunde der Steiermark (Styriaca, Neue Reihe 3), Graz/Wien/Köln 1986, S. 31 f. 121 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 65. Den Ministerialen ging es in erster Linie um privat- und prozessrechtliche Punkte, das Verhältnis zum Landesfürsten wurde vor allem durch die Möglichkeit geregelt, sich im Falle einer tyrannischen Herrschaft direkt an den Herrscher wenden zu dürfen; siehe Dopsch, Mark (wie Anm. 91) S. 298–306; Folker Reichert, Landesherrschaft, Adel und Vogtei. Zur Vorgeschichte des spätmittelalterlichen Ständestaates im Herzogtum Österreich (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 23), Köln/Wien 1985, S. 374; Maximilian Weltin, Die „Georgenberger Handfeste“ und ihr Stellenwert in der Geschichte der Länder ob und unter der Enns, in: 800 Jahre Georgenberger Handfeste. Lebensformen im Mittelalter (Mitteilungen des Musealvereins Lauriacum NF 24), Linz 1986, Nachdr. in: Ders., Das Land und sein Recht. Ausgewählte Beiträge zur Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, hg. von Folker Reichert/Winfried Stelzer (MIÖGErgänzungsband 49), Wien/München 2006, S. 324–337, hier S. 332 f. 122 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 127–130; Heinrich Appelt, Zur diplomatischen Kritik der Georgenberger Handfeste, in: MIÖG 58 (1950) S. 97–112; Nachdr. in: Ders., Kaisertum, Königtum, Landesherrschaft. Gesammelte Studien zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, hg. von Othmar Hageneder/Herwig Weigl (MIÖG-Ergänzungsband 28), Wien/Köln/Graz 1988, S. 238–254; eine ältere diplomatische Untersuchung stammt von Arnold Luschin, Die steirischen Landhandfesten. Ein kritischer Beitrag zur Geschichte des ständischen Wesens in Steiermark, in: Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen 9 (1872) S. 119–207, worauf hier aber nicht mehr eingegangen werden muss. 123 Das Diktat stammt nach Wonisch von SA; Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 129 f. 118 119
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text an zwei Stellen jeweils zwei Zeilen (Z. 9/10, 13/14) ausgelassen, die ein anderer Schreiber (B), den Wonisch mit SA gleichgesetzt hat124, ausgefüllt hat. Dieser zweite Schreiber habe nach Appelt und Wonisch zudem nach der Besiegelung, aber noch vor dem Tode Friedrich Barbarossas, einen Nachtrag über Vorrechte der herzoglichen Kapläne und über das Recht der Ministerialen, auf eigenem Besitz Kirchen zu errichten und Pfarren zu beschenken, am Textende hinzugefügt125. Weiter seien einige Zeugen bereits im Zuge der Niederschrift auf dem Georgenberg wieder radiert worden126. Karl Spreitzhofer schloss sich dem in einer umfassenden Analyse an und hat dabei neuerlich Schreiber B mit SA gleichgesetzt127. Siehe S. 196. Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 244, lässt die Frage der Gleichsetzung der Hand mit der des SA offen. 125 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 134; Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 239 f. 126 Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 245, 247, 250. Appelt hat sich weiter mit Nachträgen des 13. Jahrhunderts auseinandergesetzt, worauf hier aber nicht näher einzugehen ist; siehe dazu auch John Eldevik, Eine unbekannte Abschrift der Georgenberger Handfeste im Reiner Musterbuch, cvp. 507, in: MIÖG 110 (2002) S. 263–280. 127 Spreitzhofer, Handfeste (wie Anm. 120). Er weist ebd. S. 73 f., 80 außerdem darauf hin, dass das von Leopold verwendete Siegel (Typ 19) sonst erst 1188 nachweisbar ist, überlegt, ob nicht dieser, wie vielleicht auch Otakar, die Besiegelung erst einige Jahre nach der Zusammenkunft auf dem Georgenberg vorgenommen hat, und bringt als weiteres Argument für eine spätere Besiegelung die Größe der Plica. Falls dies zutrifft, hätte aber auch Otakar die Urkunde erst später besiegeln müssen; zustimmend Othmar Hageneder, Rezension Spreitzhofer, Handfeste (wie Anm. 127), in: Zs des historischen Vereins für Steiermark 78 (1987) S. 310–313, hier S. 311. Im Nachdruck seines Aufsatzes geht Appelt auf einige Beobachtungen Spreitzhofers kritisch ein, meldet hierzu aber keinen Widerspruch an; Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 254. Falls tatsächlich beide Herzöge den Vertrag 1186 nicht besiegelt hätten, hätte es sicherlich weitere Zusammenkünfte und eine größere Abschlussversammlung zur Fixierung der Einigung geben müssen, worüber aber in den Annalen nichts berichtet wird. In den Zwettler Annalen heißt es noch dazu ausdrücklich, dass es im Jahre 1186 zur Einigung zwischen Otakar und Leopold gekommen ist; Continuatio Zwetlensis II, ed. Wilhelm Wattenbach, MGH SS 9 (1851) S. 543 ad 1186. Wahrscheinlicher scheint daher, dass zunächst nur der Aussteller, Otakar, die Urkunde besiegelt und Leopold, der sein Siegel vielleicht nicht dabei hatte, dies später nachgeholt hat. Nicht auszuschließen wäre auch, dass Leopold damals zwei Typare parallel verwendet hat; siehe zu den damals verwendeten Siegeln Leopolds BUB 3: Die Siegel der Babenberger, ed. Oskar von Mitis/Franz Gall, Publikationen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 3/3 (1954), Nr. 18b, Nr. 19. Auch eine Heiligenkreuzer Urkunde vom 18. März 1187 und eine Zwettler Urkunde vom 6. März 1188 (BUB 1 [wie Anm. 8] Nrr. 68, 70) weisen das spätere Siegeltypar Nr. 19 auf, obwohl sonst immer noch Nr. 18b in Gebrauch war. Es müssten demnach auch diese beiden Urkunden später besiegelt worden sein (so auch BUB 3 Nr. 19 Kommentar); BUB 1 Nr. 68 liegt in zweifacher Ausfertigung mit derselben Datierung vor, wobei eine Fassung das Siegel Nr. 18b, die andere die Nr. 19 aufweist, so dass diese Version tatsächlich später besiegelt worden sein könnte (so auch BUB 1 Nr. 68 Vorbemerkung; siehe auch Mitis, Urkundenwesen [wie Anm. 4] S. 369, 378). 124
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Sieht man sich das Zustandekommen der Großen Georgenberger Hand feste noch einmal an, so besteht aufgrund der Beobachtung Appelts über die wieder getilgten Zeugen kein Zweifel daran, dass der Text bereits vor den eigentlichen Verhandlungen auf dem Georgenberg niedergeschrieben worden sein muss128. Dies kann aber erst knapp vor Gesprächsbeginn geschehen sein, weil der Großteil der Teilnehmer und sogar das Tagesdatum der Urkundenausstellung schon bekannt waren. Otakar konnte auf den Georgenberg einen bereits weitgehend fertigen Text mitnehmen. Nur wenige Punkte oder auch nur Formulierungen waren unklar geblieben, was bereits bei der Niederschrift deutlich geworden sein muss, weshalb ein Freiraum von jeweils zwei Zeilen gelassen worden ist (Z. 9/10 über Personalunion und gegen Untervogteien und Z. 13/14 mit Bestimmung über Besitzklagen). Otakar und sein Umfeld gingen vor Beginn der Georgenberger Versammlung jedenfalls nicht davon aus, dass auf dem Georgenberg noch einmal umfassend verhandelt werden würde. Da der Rest des Textes unbeanstandet geblieben ist, muss es schon früher ausführliche Gespräche mit den betroffenen Babenbergern, den Geistlichen und Ministerialen des Landes gegeben haben129. Herzog Otakar hat mit der Niederschrift des Haupttextes den im Urkundenschreiben unerfahrenen Schreiber A beauftragt130. Ein charakteris tisches Kürzungszeichen131 und vielleicht auch einzelne Formulierungen lassen es als wahrscheinlich erachten, dass Schreiber A Urkunden des erwähnten Seckauer Chorherrn SA/Bernhard gekannt hat, der wohl nicht selbst für das Diktat verantwortlich zeichnet132. Bei der Zusammenkunft Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 245. Siehe dazu auch Spreitzhofer, Handfeste (wie Anm. 120) S. 31 f.; Roman Zehetmayer, Zu den steirischen Landtaidingen und zur rechtlichen Stellung der Salzburger Ministerialen im Land Steier bis etwa 1300, in: Zs des historischen Vereins für Steiermark 94 (2003) S. 83–122, hier S. 96. 130 Appelt, Kritik (wie Anm. 122) S. 246: „A ist also keineswegs ein in der Urkundenminuskel seiner Zeit bewanderter Kanzleischreiber des Landesfürsten, sondern wohl in erster Linie in Buchschrift geübt“. 131 Gemeint ist ein Kürzungszeichen in Schleifenform, das beim Notar SA vorkommt und doch sehr charakteristisch ist. 132 Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 129 f., wollte noch mehr Übereinstimmungen im Diktat erkennen und dieses gänzlich SA zuweisen, wofür es aber zu wenige Anhaltspunkte gibt. Schwer zu entscheiden ist, ob der zweite Schreiber (B) bereits bei der Niederschrift zugegen gewesen ist. Dies trifft vermutlich dann zu, wenn man die Elongata seiner Hand zuweisen will, was sich trotz markanter Ähnlichkeiten mit der Elongata der wohl von ihm mundierten Urkunde StUB 1 (wie Anm. 75) Nr. 642 (1185) nicht entscheiden lässt; Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 113, wollte diese Hand noch SA zuordnen; siehe dazu Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 72. 128 129
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auf dem Georgenberg wurde zunächst festgestellt, dass mehrere angekündigte Zeugen nicht gekommen waren, die aus dem Text wieder gestrichen wurden. Dann wurde über die noch offenen Formulierungen gesprochen und vermutlich Schreiber B – Schreiber A war von Otakar offensichtlich nicht hinzugezogen worden – hat das Ergebnis in die frei gelassenen Zeilen 9/10 und 13/14133 eingefügt. Er hat wie erwähnt einige Zeit später nach der Zeugenliste einen Nachtrag über das Recht Kirchen zu bestiften und über Ehrenvorrechte der Hofkapläne vorgenommen134. Die so genannte Kleine Georgenberger Handfeste ist vermutlich ganz von Schreiber B mundiert worden, der aufgrund einiger Ähnlichkeiten bei Einzelformen wohl ebenso Urkunden des SA gekannt hat, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mit ihm identisch ist135. Diese Urkunde weist zwar ebenso den Georgenberg als Ausstellungsort und 1186 als Datierung auf, wurde aber vielleicht erst einige Jahre später niedergeschrieben136. Es sei wiederholt, dass Herzog Otakar weder seinen zeitlich parallel tätigen Notar und Kaplan Heinrich noch vermutlich SA/Bernhard zur Niederschrift dieser so wichtigen Urkunden herangezogen hat. Schreiber A lässt sich nur hier nachweisen und kann deshalb nicht der Kanzlei zugerechnet werden, muss aber Urkunden des Seckauer Chorherrn SA/Bernhard gekannt haben. Auch Schreiber B dürfte mit Urkunden des SA vertraut gewesen sein. Dass beide Schreiber Urkunden und unter Umständen auch die Person SA gekannt haben, war vielleicht kein Zufall137. Schreiber B hat vermutlich eine Herzogsurkunde des Jahres 1185 für das Stift Vorau Siehe die Kürzungszeichen über coram (Z. 13) und archiepiscopi (in der Datierung). Die vermutete Gleichsetzung ergibt sich etwa aus den f mit einem Fähnchen an der Oberlänge. – Dass Schreiber B damals bereits diesen Nachtrag vorgenommen hat, ist nicht ganz gesichert; siehe Spreitzhofer, Handfeste (wie Anm. 120) S. 73. 135 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 66; siehe dazu Zehetmayer, Untersuchungen 3 (wie Anm. 17) S. 72. Gegen eine Gleichsetzung der Hände spricht vor allem, dass SA in seinen bis 1182 nachweisbaren Urkunden stets eine Urkundenkursive von hoher Qualität schreibt, die Schrift der Vorauer Urkunde des Jahres 1185 und der Kleinen Georgenberger Handfeste aber deutlich nüchterner ausgefallen ist. Hier ist der Gesamteindruck ein ganz anderer. Auch gibt es einige Abweichungen bei Einzelformen. 136 Siehe Spreitzhofer, Handfeste (wie Anm. 120) S. 74. Er argumentiert mit dem gesichert erst ab 1188 feststellbaren Siegelstempel Leopolds (siehe Anm. 127) und dass dessen Siegel hier an der rechten Seite hängt (bei der Großen Georgenberger Handfeste ist es umgekehrt). Eine Besiegelung der Kleinen Georgenberger Handfeste bereits 1186 wäre nur plausibel, wenn Leopold den Siegeltypus 19 (siehe Anm. 127) damals bereits parallel verwendet hätte. 137 Möglich wäre, dass SA weiter eine Vertrauensstellung innehatte und vor der Abfassung der Handfesten konsultiert worden ist. 133 134
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mundiert138, die Ergänzungen bei den Verhandlungen auf dem Georgenberg vorgenommen und vielleicht erst 1188/90 die Kleine Georgenberger Handfeste sowie einen Nachtrag auf der Großen Georgenberger Hand feste geschrieben. Dies weist auf eine längerfristige Tätigkeit an der Seite des Herzogs und auf eine besondere Vertrauensstellung hin139. Als Zwischenfazit des Kapitels sei festgehalten, dass sich bei den otakarischen Urkunden zunächst ausschließlich Empfängerausfertigungen nachweisen lassen. Erst in den 1160er Jahren lassen einzelne Formulierungen vermuten, dass sie auf das Umfeld der Markgrafen zurückgehen. 1165/66 dürfte Markgräfin Kunigunde in eine Urkundenfälschung des Spitals auf dem Semmering involviert gewesen sein und als Schreiber einen Seckauer Mönch (SA/Bernhard) vermittelt haben, dem in weiterer Folge indes wesentlich weniger Bedeutung für das otakarische Urkundenwesen als von der Forschung bislang angenommen zugekommen und der keinesfalls Angehöriger einer Kanzlei gewesen ist. Erst 1183 ist mit Kaplan Heinrich ein solcher zu fassen, der bis 1191 an der Anfertigung von vier Urkunden und einem Brief beteiligt gewesen ist. Dass Otakar IV. auch noch andere Schreiber zur Verfügung standen, zeigt eine diplomatische Untersuchung der Georgenberger Handfesten, deren etappenweise Niederschrift und Ergänzungen tiefere Einblicke in die damalige Urkundenpraxis vermitteln. Zumindest einer der beiden daran beteiligten Notare muss beim Herzog längerfristig eine Vertrauensstellung innegehabt haben.
C. Vergleich und Schlussfolgerungen Vor dem Versuch ein Resümee aus den Einzelbeobachtungen zu ziehen, sollen zur Steigerung der Aussagekraft noch kurz die von der Forschung gewonnenen Erkenntnisse über die „Einrichtung“ von Urkundenkanzleien in den Österreich und der Steiermark benachbarten Herzogtümern vorgestellt werden. Wie Anm. 94. Schreiber B könnte durchaus dem Stift Vorau angehört haben. Die beiden Chorherrenstifte Seckau und Vorau waren personell eng verbunden, was die Kenntnis von Urkunden des SA erklären würde. 139 Nicht auszuschließen ist, dass Schreiber B oder auch Schreiber A nicht doch Kapläne Herzog Otakars gewesen sind. – Dass Hofkaplänen damals eine einflussreiche Stellung zugekommen ist, zeigt ihre Fähigkeit, in die Georgenberger Handfeste noch ihren Ehrenvorrang bei Tisch hineinreklamieren zu können. Dies wiederum macht deutlich, dass Hof kapläne über die Textgestaltung informiert waren und eingreifen konnten. 138
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Eine erste Siegelurkunde eines Herzogs aus der Familie der Welfen für einen nordalpinen Empfänger wurde 1125 von Heinrich dem Schwarzen für das Stift Ranshofen ausgestellt140. Mundiert wurde die Urkunde von einem Notar Bernhard, der wegen der für Empfänger eher unüblichen Schreibernennung wohl dem Umfeld des Herzogs zuzurechnen ist141. Das Stück blieb aber isoliert und hat keine kontinuierliche Urkundentätigkeit der Welfen ausgelöst142. Eine solche setzte erst unter Heinrich dem Löwen ein, der 1142 noch als Kind Herzog von Sachsen wurde und bereits 1143 zwei Urkunden des Abts von Homburg mit seinem Siegel bestätigte143. Schwer zu sagen ist, von wem die Initiative dafür ausgegangen ist144. Da Siegelurkunden sächsischer Herzöge damals nicht üblich waren, bleibt es fraglich, ob der Empfänger an Heinrich mit der Bitte um die Anbringung Aus 1200 Jahren. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv zeigt seine Schätze, hg. von Albrecht Liess, München 1979, Nr. 26; siehe Hans Rall, Die Urkunden der Herzoge von Bayern und Pfalzgrafen bei Rhein als verfassungsgeschichtliche Aussage, in: Siegfried Hofmann, Urkundenwesen, Kanzlei und Regierungssystem der Herzoge von Bayern von 1180 bzw. 1214 bis 1255 bzw. 1294 (Münchener Historische Studien 3), Kallmünz 1967, S. 1–18, hier S. 10 f.; Walther Kienast, Der Herzogstitel in Frankreich und Deutschland (9. bis 12. Jahrhundert). Mit Listen der ältesten deutschen Herzogsurkunden, München/Wien 1968, S. 353; Joachim Wild, Vom Handzeichen zur Unterschrift. Zur Entwicklung der Unterfertigung im Herzogtum Bayern, in: Zs. für bayerische LG 63 (2000) S. 1–21, hier S. 3–5; Alfred Gawlik, Zu Monogrammen in laienfürstlichen Urkunden, in: De litteris, manuscriptis, inscriptionibus … Festschrift zum 65. Geburtstag von Walter Koch, hg. von Theo Kölzer et al., Wien/Köln/Weimar 2007, S. 39–56, hier S. 49 f.; Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 135–137. – Von Welf V. ist eine gemeinsam mit seiner Frau Mathilde von Tuszien ausgestellte, vermutlich besiegelte, aber nur kopial überlieferte Urkunde für die Bürger von Mantua aus dem Jahre 1090 überliefert, aber keine Siegelurkunde für einen nordalpinen Empfänger; Die Urkunden und Briefe der Markgräfin Mathilde von Tuszien, ed. Elke Goez/Werner Goez, MGH Laienfürsten- und Dynastenurkunden der Kaiserzeit 2 (1998) Nr. 43 (1090) mit Vorbemerkung zur Frage der Besiegelung. 141 Siehe Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 135. 142 Vom Nachfolger Heinrich dem Stolzen ist lediglich eine Siegelurkunde für ein bayerisches Kloster überliefert; Monumenta Boica 15, München 1787, S. 369–371 Nr. 1; der Schlusssatz korrekt in D Lo.III. 71 Vorbemerkung; siehe hier auch zur Frage der Datierung. Die Niederschrift hat vielleicht ein Notar aus dem Umfeld des Herrschers besorgt, finden sich doch stilistische Gleichklänge; siehe ebd.; siehe zum Notar Wolfgang Petke, Kanzlei, Kapelle und königliche Kurie unter Lothar III. (1125–1137) (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, Beihefte zu J. f. Böhmer, Regesta Imperii 5), Wien/Köln/ Weimar 1985, S. 69–71; Hans-Ulrich Ziegler, Das Urkundenwesen der Bischöfe von Bamberg von 1007 bis 1139 2, in: AfD 28 (1982) S. 58–189, hier S. 59–74. 143 UU HdL Nr. 4 (1143), 5 (1143/44); siehe ebd. Einleitung S. XXI f. 144 Im Schlusssatz heißt es: Huic enim tam digno talium prevaricatorum elogio benignissi mus dux testimonio consentit, qui sue maiestatis formam ad huius carte veritatem ... hic adi ungi precepit. 140
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eines Siegels herangetreten ist. Vielleicht wollten eher die 1143 belegten consiliarii Heinrichs145 dessen Stellung durch die Vornahme einer herrscherlichen Handlung wie einer Besiegelung stärken. Dazu würde passen, dass Heinrich im folgenden Jahr bereits eine Siegelurkunde selbst ausgestellt hat146. Der erste Teil dieser Urkunde wurde von einem Notar Gerold mundiert und wohl auch verfasst147, bei dem es sich um einen herzoglichen Kaplan und engen Vertrauten handelt148. Die folgenden Siegelurkunden Heinrichs haben allerdings durchwegs die Empfänger hergestellt149. Die nächsten von einem eigenen Notar angefertigten Urkunden Heinrichs lassen sich erst wieder nach dem Erwerb des Herzogtums Bayern nachweisen. Der erste in dieser Phase feststellbare herzogliche Notar,
Helmold presbyter Bozoviensis, Cronica Slavorum I c. 56, ed. Bernhard Schmeidler, MGH SS rer. Germ. in us. schol. (1937) S. 111 Z. 3 f.; siehe etwa Ernst Schubert, Geschichte Niedersachsens vom 9. bis zum ausgehenden 15. Jahrhundert, in: Geschichte Niedersachsens II/1, hg. von Dems. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 36), Hannover 1997, S. 3–906, hier S. 398 f. 146 U HdL Nr. 6 (1144); siehe zur Urkunde Gustav Luntowski, Die Bursfelder Urkundenfälschungen des 12. Jahrhunderts, in: AfD 5/6 (1959/69) S. 154–181, hier S. 163–169. 147 U HdL Nr. 6 Vorbemerkung; siehe Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXII–XXIV; Karl Jordan, Studien zur Klosterpolitik Heinrichs des Löwen, in: AUF 17 (1942) S. 1–31, hier S. 3–5; Luntowski, Bursfelder Urkundenfälschungen (wie Anm. 146) S. 164–166. 148 Helmold (wie Anm. 145) I c. 56 S. 149; siehe zu Gerold Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXIII; Volker Scior, Das Eigene und das Fremde. Identität und Fremdheit in den Chroniken Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck (Orbis mediaevalis. Vorstellungswelten des Mittelalters 4), Berlin 2002, S. 161 Anm. 116; Joachim Ehlers, Die Anfänge des Klosters Riddagshausen und der Zisterzienserorden, in: Braunschweigisches Jb 67 (1986) S. 59–89, Nachdr. in: Ders., Ausgewählte Aufsätze, hg. von Martin Kintzinger/Bernd Schneidmüller (Berliner Historische Studien 21), Berlin 1996, S. 489–520, hier S. 515 f.; Martin Kintzinger, Das Bildungswesen in der Stadt Braunschweig im hohen und späten Mittelalter. Verfassungs- und institutionengeschichtliche Studien zu Schulpolitik und Bildungsförderung (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 32), Köln/ Wien 1990, S. 40 f., 45 f. – Über den Grund für die Niederschrift von U HdL 6 durch einen eigenen Notar kann freilich nur spekuliert werden. Vielleicht aber wollte das Umfeld Heinrichs in dieser Phase der Minderjährigkeit und zum Zeitpunkt, als um das Stader Erbe gerungen wurde (siehe etwa Gerd Althoff, Heinrich der Löwe und das Stader Erbe. Zum Problem der Beurteilung des „Annalista Saxo“, in: DA 41 [1985], S. 66–100, hier S. 66–72), demonstrativ eine herrscherliche Handlung vor den zahlreichen Zeugen setzen. Dazu kommt, dass dieser Notar (Gerold) nur einen Teil der Urkunde geschrieben und ein anderer Teil von einem Notar des in die Sache ebenfalls involvierten Erzbischofs von Mainz mundiert worden ist. Vielleicht wollte Heinrich da nicht nachstehen (auch bei den Grafen von Tirol lässt sich ein erster Notar während der Minderjährigkeit Alberts III. feststellen; Huter, Anfänge [wie Anm. 2] S. 144). 149 UU HdL Nr. 7 (1146), Nr. 8 (1147), Nr. 9 (1147), Nr. 10 (1147), Nr. 12 (1148) etc. 145
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Heinrich, war Kaplan und engerer Wegbegleiter des Herzogs150. Notar Heinrichs Beteiligung an der Urkundenherstellung lässt sich zunächst nur 1157, dann erst wieder nach einer über zehnjährigen Pause 1168 und 1171 feststellen151. Bereits 1158 findet sich ein weiterer Notar, Hartwig, der bis 1171 in insgesamt 13 Urkunden nachweisbar ist152. Arnold von Lübeck zählt Hartwig zu den familiares des Herzogs und bezeichnet ihn als nota rius in curia ipsius153. Auch Hartwig war Angehöriger der Kapelle154. Nur selten haben in dieser Phase die Empfänger Urkunden angefertigt155. 1162/63 entstand ein Konflikt zwischen dem Bischof von Oldenburg und den nordelbischen Holsten, die sich weigerten Zehent zu zahlen. Schließlich kam unter dem Einfluss des Herzogs eine Einigung zustande, wobei die Holsten nach Helmold von Bosau verlangten, die Übereinkunft mit einer Urkunde zu fixieren. Als aber die herzoglichen Notare gemäß den Gewohnheiten des Hofes von den Holsten eine Mark Gold verlangten, war dies diesen zu viel und es kam kein Vertrag zustande. Offenbar waren Kanzleitaxen üblich, und die Urkundenanfertigung war bereits eine lukrative Einnahmequelle geworden156. Einblicke in die Urkundenpraxis 150 UU HdL Nr. 33 (1156) mit Vorbemerkung, Nr. 37 (1157): Heinricus scriptor recognovit; siehe Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXIV f. 151 UU HdL Nr. 78 (1168), Nr. 89 (1171); siehe Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXVI. 152 UU HdL Nr. 41 (1158) verunechtet, siehe ebd. die Vorbemerkung, Nr. 75 (1167?): Har duicus cartularius noster regognovit; UU HdL Nr. 81 (1169), Nr. 82 (1170), Nr. 88 (1171), Nr. 107 (1176): magister Hartwycus magister cartularii; dazu Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXVIII–XXX; siehe auch Martin Kintzinger, Herrschaft und Bildung. Gelehrte Kleriker am Hof Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Herrschaft und Repräsentation der Welfen 1125–1235. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995 2, hg. von Jochen Luckhardt/Franz Niehoff, München 1995, S. 199–203, hier S. 202; zu Hartwigs Stil ausführlich bereits Fritz Hasenritter, Beiträge zum Urkunden- und Kanzleiwesen Heinrichs des Löwen (Greifswalder Abhandlungen zur Geschichte des Mittelalters), Greifswald 1936, S. 90–96. 153 Arnoldus Lubencensis, Chronica Slavorum, L. III c. 13, ed. Johann Martin Lappenberg, MGH SS rer. Germ. in us. schol. (1869) S. 99; siehe Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXVIII. 154 Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXVIII. 155 U HdL Nr. 69 (1164), Nr. 81 (1169), Nr. 82 (1170). 156 Helmold (wie Anm. 145) I c. 92 S. 181 Z. 21: Et ne succedentium forte pontificum inno vatas paterentur angarias, rogaverunt hoc ducis atque pontificis sigillo firmari. Cumque no tarii iuxta morem curie marcam requirerent auri, gens indocta resiliit, et negocium mansit imperfectum; siehe bereits Bresslau, Urkundenlehre 1 (wie Anm. 67) S. 603 Anm. 1; Hasenritter, Beiträge (wie Anm. 152) S. 163; Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXXIX; Ernst Schubert, Der Hof Heinrichs des Löwen, in: Heinrich der Löwe und seine Zeit (wie Anm. 152) S. 190–199, hier S. 196. Die Hintergründe bleiben etwas undurchsichtig, doch scheint eine Mark Gold für die Ausstellung der Besiegelung doch recht hoch zu sein (siehe
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Heinrichs bietet auch die Beilegung eines Streits zwischen dem Stift Reichersberg und einem Adeligen vor dem herzoglichen Gericht157. Dabei forderte der Herzog den Propst von Reichersberg auf, nach dem Mittagessen wieder zu kommen und eine Urkunde vorzulegen, die dann von einem herzoglichen Kaplan verlesen worden ist158. Unter den Wittelsbachern als Herzögen Bayerns finden sich erste Notare in den Jahren 1209 und 1213159. Seit 1209 lassen sich auch erste Hände nachweisen, die dem Aussteller zuzuweisen sind. In diesen Jahren überwiegen sogar Ausstellerausfertigungen, was angesichts der erstaunlich geringen Zahl an bayerischen Herzogsurkunden freilich keine besondere Aussagekraft hat. Mit dem Anstieg der Urkundenproduktion nimmt der Anteil der Empfängerausfertigungen zu, wobei Kanzleihände bis etwa 1260 immerhin zwischen einem Drittel und der Hälfte der Stücke mundiert haben dürften. Danach dominieren Ausstellerausfertigungen deutlich160. Zu den Herzögen von Kärnten sei angemerkt, dass diese zwar bereits 1103 eine erste, in weiterer Folge aber nur in großen zeitlichen Abständen Siegelurkunden ausgestellt haben, bei denen es sich durchwegs um Empfängeranfertigungen handelt161. Im Jahre 1200 ließ Herzog Ulrich II. eine Urkunde von einem Mönch der Zisterze Viktring mundieren, ohne dass auch Jordan, Einleitung S. XXXIX). Es wäre demnach möglich, dass die herzogliche Seite bewusst provozieren und den Abschluss des Vertrags torpedieren wollte. Dafür würde auch sprechen, dass es augenscheinlich keine Kompromissvorschläge der Notare gab und sie nicht bereit waren, die Taxen zu senken, was bei einigem guten Willen sicherlich möglich gewesen wäre, zumal so immerhin ein langer Streit hätte beendet werden können. Vielleicht ging es dem Herzog hier um das Markieren einer harten Haltung, um seine Autorität und seinen Willen zur Schau zu stellen. 157 Siehe zu diesem Streit allgemein Peter Classen, Der Prozeß um Münsteuer (1154–76) und die Regalienlehre Gerhochs von Reichersberg, in: ZRG Germ. Abt. 77 (1960) S. 324–345. 158 U HdL Nr. 106 (1176): Qui [der Herzog] statim ut surrexit a prandio, in auribus om nium legi fecit privilegium, sed quia capellanus suus, cui ad legendum oblatum erat, inpedi cius legebat ob ignorantiam prediorum, que ibi ex nomine designabantur, decanus tunc eius dem cenobii Wicmannus iussus legit aperte et distincte ad intelligendum; siehe Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXVII; Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 34 f.; Reinhard Härtel, Schrift und Gericht, in: Schriftkultur (wie Anm. 99), S. 363–397, hier S. 372. 159 Die Regesten der Herzöge von Bayern. Die Zeit der Herzöge Otto I. und Ludwig I., bearb. von Gabriele Schlütter-Schindler (2013) Nr. L I 164 (1209 I), vielleicht unecht, Nr. L I 211 (1213); Hofmann, Urkundenwesen (wie Anm. 140) S. 27, 144. 160 Hofmann, Urkundenwesen (wie Anm. 140) S. 46–49, 55, 143, Schautafel 15 über den Anstieg der Urkundenproduktion. 161 Walter Höflechner, Zum Urkundenwesen der Herzöge von Kärnten bis 1269, in: Carinthia I 159 (1969) S. 59–127, hier S. 63 f.; Zehetmayer, Anfänge (wie Anm. 8) S. 127– 130.
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das Stück mit dem Stift unmittelbar zu tun hat162. 1211 findet sich unter dem tatkräftigen Herzog Bernhard II. schließlich mit dem vermutlich aus dem romanischen Raum stammenden Magister Poncius ein erster herzoglicher Notar, der der Kapelle angehörte und auch als medicus bezeichnet wird. In weiterer Folge lassen sich kontinuierlich Kapläne als Notare der Kärntner Herzöge feststellen163. In Böhmen werden seit der Mitte des 12. Jahrhunderts in einigen Datum-per-manum-Formeln der Propst von Vyšehrad als Kanzler und zuweilen auch ein subcancellarius angeführt, wenn auch die Urkunden durchwegs von Notaren der Empfängerseite herrühren dürften164. Zuweilen wurden aber auch bei den Přemysliden Mönche nahestehender Klöster als Schreiber für an Dritte gehende Urkunden herangezogen165. * Ein Resümee aus diesen Einzelbeobachtungen zu ziehen, fällt nicht leicht, weisen der Übergang von Empfänger- zu Ausstelleranfertigungen und die „Einrichtungen“ eigener Kanzleien in den einzelnen Herzogtümern doch einige Unterschiede auf. Solche finden sich etwa in der zeitlichen Entwicklung. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lassen sich nämlich lediglich bei den Welfen und Babenbergern erste Ausstelleranfertigungen nachweisen. Freilich blieben diese Ausnahmen und fallen in der Gesamtentwicklung nicht besonders ins Gewicht. Im dritten Viertel des Säkulums sind Kanzleiausfertigungen alleine bei Heinrich dem Löwen in einer größeren Dichte und Regelmäßigkeit zu finden, bei den Otakaren und Babenbergern damals nur ansatzweise und erst seit den 1180er Jahren öfters zu beobachten, bei letzteren setzen sie sich in der zweiten Hälfte der MDC 3 (wie Anm. 79) Nr. 1491 (1200 IV 2); August Jaksch, Die Kanzlei der Kärntner Herzoge, in: Monumenta historica ducatus Carinthiae. Geschichtliche Denkmäler des Herzogthumes Kärnten 4/2, ed. Ders. (1906), S. XI–XXI, hier S. XI; Höflechner, Urkundenwesen (wie Anm. 161) S. 65. Allerdings kam die Urkunde in das Archiv Viktrings. 163 Jaksch, Kanzlei (wie Anm. 162) S. XII–XIV; Höflechner, Urkundenwesen (wie Anm. 161) S. 68–79; Fichtenau, Urkundenwesen (wie Anm. 2) S. 195–197. 164 Siehe etwa Marie Bláhová, Die Herrscherurkunden in den böhmischen Ländern in der Zeit der přemyslidischen Fürsten (bis zum Ende des 12. Jahrhunderts). Formular–Stilistik– Funktion, in: Urkunden und ihre Erforschung (wie Anm. 1) S. 207–225, hier S. 214 f., 220, 223. 165 Jan Bistřický, Übersicht über das Urkundenwesen der böhmischen Herrscher bis zum Jahre 1197, in: Typologie der Königsurkunde. Kolloquium der Commission Internationale de Diplomatique in Olmütz, hg. von Dems. (Acta Colloquium Olomucensis), Olomouc 1998, S. 227–248, hier S. 228 f. 162
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1190er Jahre weitgehend durch. Bei den Spanheimern und Wittelsbachern sind Ausstellernotare erst im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts festzustellen. Die entscheidende Phase waren demnach grosso modo die Jahrzehnte um 1200. In den einzelnen Herzogtümern ist selten eine kontinuierlich verlaufende Entwicklung, sondern sind Phasen mit einer deutlichen Beschleunigung zu beobachten. So hat Heinrich der Löwe unmittelbar nach seiner Herzogsernennung eine Urkunde von einem eigenen Notar mundieren lassen, dann folgte aber eine Pause von über einem Jahrzehnt ohne Ausstelleranfertigungen, die anschließend aber fast schlagartig in großer Dichte einsetzen. In Österreich wurden von etwa 1180 bis in die Mitte der 1190er Jahre nur sporadisch Personen aus dem herzoglichen Umfeld zur Urkundenherstellung herangezogen, ab 1196 plötzlich aber sehr häufig. Diese schlagartigen Zunahmen dürften auf steuernde Eingriffe zurückgehen, wobei in Österreich vermutlich Notar Ulrich eine Rolle gespielt hat, auf den nicht nur die deutliche Steigerung der Ausstellerausfertigungen, sondern auch die personelle Aufstockung der Kanzlei zurückgehen dürfte. In der Steiermark wurde ein Kaplan 1183 – und damit früher noch als in Österreich – als Notar eingesetzt. Dieser Kaplan wirkte zwar über mehrere Jahre immer wieder an der Anfertigung der Urkunden mit, an zahlreichen Stücken war er offenbar aber auch nicht beteiligt166. Im Falle Österreichs und der Steiermark wurde der Übergang von Empfänger- zu Austellerausfertigungen etwas detaillierter untersucht. Gemeinsam ist beiden Marken bzw. Herzogtümern, dass seit etwa 1160 der Aussteller bzw. sein Umfeld auf einzelne Formulierungen Einfluss genommen hat, um das Prestige der Landesfürsten zu heben. Offenbar wurden Urkunden seit damals als Mittel der Herrschaftsrepräsentation bzw. Kommunikation gesehen. Denn dass in dieser Phase die Landesfürsten allgemein ihre Stellung zu stärken versuchten, war bestimmt kein zeitlicher Zufall. Die Babenberger, aber auch die Otakare – bei diesen allerdings in einem weitaus schwächeren Ausmaß als bislang angenommen – zogen seit etwa 1160 Mönche bzw. Chorherren nahestehender Stifte als Schreiber heran, obwohl sich im Falle der Herzöge von Österreich zeitgleich eine größere Zahl an Hofkaplänen feststellen lässt. Dass wie bislang angenommen zwischen 1180 und 1192 eine Person zahlreiche Babenbergerur Siehe zu den Entwicklungen in Kärnten und bei den Wittelsbachern oben S. 208 und die Aufstellung bei Jaksch, Kanzlei (wie Anm. 162) S. XII sowie Hofmann, Urkunden wesen (wie Anm. 140) S. 46–49, 55, 143, Schautafel 15 über den Anstieg der Urkunden produktion. 166
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kunden verfasst hat und damit als erster Kanzleiangehöriger angesehen werden kann, trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu. Es gab damals aber zwei Personen im herzoglichen Umfeld, eine der beiden war Mönch des Wiener Schottenklosters, die mehr als einmal zur Urkundenniederschrift herangezogen worden sind. Der Schottenmönch hat zum Teil ein eigenes Diktat entwickelt, einige Formulierungen aber auch älteren Herzogsurkunden entnommen, wie dies auch beim anderen Notar der Fall war. Möglicherweise waren sie bei der Ausstellung dieser Urkunden zugegen und haben sich einzelne Wendungen eingeprägt; unter Umständen gab es auch schriftliche Behelfe. Darüber hinaus dürfte es weitere Personen gegeben haben, die bei manchen Passagen auf eine einheitliche Formulierung geachtet haben. Bei den Otakaren wurde in den 1180er Jahren ein erster Kaplan als Notar eingesetzt, bei den Babenbergern ist dies erst seit 1196 nachweisbar. Seit damals griffen die österreichischen Herzöge nur noch auf Angehörige der Kapelle zurück. Heinrich der Löwe dagegen hat im Unterschied dazu von Anfang an alleine Kapläne als Notare eingesetzt. Im Zuge der Untersuchung konnten auch Einblicke in die Urkundenpraxis gewonnen werden. Bereits länger bekannt ist eine Schilderung bei Helmold von Bosau über Kanzleitaxen, die Notare Heinrichs des Löwen vom Empfänger verlangten. Weniger beachtet worden ist dagegen eine Nachricht bei einem Heiligenkreuzer Historiographen, wonach am Babenbergerhof ein bedeutender Adeliger den Text einer auszustellenden Urkunde in seinem Sinne ändern konnte, ohne dass der Herzog dies bemerkte. Dies legt den Schluss nahe, dass Adelige möglicherweise öfter als vermutet Einfluss auf das herzogliche Urkundenwesen genommen haben. Weitere Anhaltspunkte zur Urkundenpraxis und über die Vorgänge bei wichtigen Verhandlungen ergab eine diplomatische Analyse der Georgenberger Handfeste. Dabei überrascht, dass Herzog Otakar zur Niederschrift nicht seinen sonst damals immer wieder als Notar eingesetzten Kaplan, sondern vermutlich Chorherren aus Vorau oder Seckau herangezogen hat, die sonst nicht bzw. nur selten als Urkundenschreiber nachweisbar sind. Da bei Gesprächen im Vorfeld nicht alle Fragen über die zukünftigen Rechte der steirischen Geistlichen und Ministerialen restlos geklärt werden konnten, waren in der vorgefertigten Urkunde einige Zeilen unbeschrieben geblieben, die erst im Zuge der Schlussverhandlungen befüllt worden sind. Was aber waren die Gründe für den Übergang von Empfänger- zu Ausstellerausfertigungen und für die „Einrichtung“ von Urkundenkanzleien? Wie gesehen lassen sich Kanzleiausfertigungen Heinrichs des Löwen in
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größerer Dichte seit 1157 nachweisen, was Karl Jordan mit der „Zunahme der Geschäfte“ in Verbindung bringt, die sich nach dem Erwerb Bayerns und der Sicherung der Stellung in Sachsen in diesen Jahren ergeben hätten167. Freilich hat der Herzog auch in diesen Jahren nur eine sehr überschaubare Zahl an Urkunden ausgestellt, so dass die „Einrichtung“ einer Kanzlei kaum so zu erklären sein dürfte. Der zeitliche Zusammenhang mit dem Gewinn Bayerns dürfte aber dennoch kein Zufall sein. Möglich wäre deshalb, dass sich der Herzog jetzt verstärkt von den anderen Fürsten abheben und Friedrich Barbarossa nicht nachstehen wollte, indem er eine Kanzlei einrichtete und Notare heranzog, die für einen größeren Personenkreis sichtbar Einfluss auf die Urkundenherstellung nahmen. In der Steiermark lässt sich ein etwas häufiger eingesetzter Ausstellernotar seit 1183 nachweisen, dessen Tätigkeit, wie bereits Othmar Wonisch vermutet hat, mit der Erhebung der Steiermark zum Herzogtum zu tun haben könnte168. Wonisch nahm freilich noch an, dass der Schreiber einem bereits aktiven Kanzleinotar (SA/Bernhard) „die Last abnehmen“ sollte169. Doch kann in SA/Bernhard keine Kanzleikraft gesehen werden und nahm damals auch der Urkundenausstoß nicht markant zu. Vielleicht aber wollte der 1180 zum Herzog erhobene Otakar IV. nun vor allem aus Pres tigegründen auf einen eigenen Notar zurückgreifen. Aus der Analyse der Georgenberger Handfesten ergab sich ein weiterer Notar, der in der zweiten Hälfte der 1180er Jahre eine wichtigere Rolle an der Seite des Herzogs gespielt haben muss. In Österreich lässt sich wie erwähnt um 1180 ein Schottenmönch als Verfasser von vier und eine weitere Person von zwei Herzogsurkunden nachweisen. Vielleicht sollte auch in diesem Fall das Niederschreiben der Urkunden durch Personen aus dem herzoglichen Umfeld die Stellung des Landesfürsten betonen, vielleicht wollte dieser so für eine gewisse Einheitlichkeit im Layout der Herzogsurkunden sorgen und damit den herrscherlichen Anspruch optisch untermauern. Oskar Mitis hat wie erwähnt angenommen, dass bereits in den 1180er Jahren eine Person einen guten Teil der Babenberger-Urkunden verfasst hat, was aber nicht zutreffen dürfte. Zur „Einrichtung“ einer Kanzlei ist es erst Mitte der 1190er Jahre mit Notar Ulrich gekommen170. Mitis hat dessen Tätigkeitsbeginn als entscheidende Aufwertung der babenbergischen Kanzlei unmittelbar nach dem Erwerb der Steiermark durch Herzog Leo Jordan, Einleitung (wie Anm. 7) S. XXIV. Wonisch, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 144. 169 Ebd. 170 Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 386. 167 168
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pold V. im Jahre 1192 gesehen. Dass Ulrich bereits unter Leopold tätig war, ist allerdings unsicher, fällt doch ein Beleg des Jahres 1193 dafür vermutlich aus und lässt sich der erste Nachweis erst für 1196 erbringen. Erst seit damals sind auch Ausstellerausfertigungen in größerer Dichte festzustellen, weshalb ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Gewinn der Steiermark nicht zwingend erscheint. Für die „Einrichtung“ einer Kanzlei spielte auch hier keine Zunahme an Urkundenausstellungen eine Rolle, lässt sich doch eine solche damals kaum feststellen171. Nicht von der Hand zu weisen aber ist ein von Mitis angenommener Zusammenhang mit der Abfassung erster Urbare, die vielleicht noch unter Herzog Leopold V. angelegt worden sind172. Es wäre jedenfalls denkbar, dass die Herzöge nun den Stab an schriftkundigen Amtmännern vergrößern mussten, die den Überblick über die Rechts- und Besitzverhältnisse behalten sollten. Wie erwähnt gibt es aber keinen Beleg für die „Einrichtung“ einer Kanzlei noch unter Leopold V., weshalb der Zusammenhang mit der Abfassung der ersten Urbare vage bleibt. Vielleicht aber spielte auch die steigende Rolle der Babenberger in der Reichspolitik eine Rolle. Die Herzöge waren nach dem Gewinn der Steiermark endgültig in die Spitzenriege der Reichsfürsten aufgestiegen und wollten dies vielleicht mit der „Einrichtung“ einer eigenen Kanzlei unterstreichen. Ein Zusammenhang zwischen der ersten Nennung von Kanzleinotaren um 1210 und der Anlage des ältesten Urbars wurde auch bei den Wittelsbachern vermutet173. Doch bleibt dies höchst fraglich, ist dieses doch erst nach 1231 entstanden174. Die ersten Kanzleinotare bei den Herzögen von Kärnten sind offenbar einmal mehr nicht mit einer Steigerung des Urkundenausstoßes in Zusammenhang zu bringen. Vielleicht aber wollte Herzog Bernhard seinen forcierten Anspruch auf eine landesfürstliche Stellung auch durch eine solche Maßnahme zum Ausdruck bringen. Die durchschnittliche Zahl an ausgestellten Urkunden von etwa fünf pro Jahr hätte auch kaum die damals erfolgte abrupte Aufstockung des „Kanzleipersonals“ gerechtfertigt. 172 Die landesfürstlichen Urbare Nieder- und Oberösterreichs aus dem 13. und 14. Jahrhundert, ed. Alfons Dopsch, Österreichische Urbare I/1 (1910), S. LV (hier als Vermutung; umfassende Urbare lassen sich erst seit Leopold VI. nachweisen); Mitis, Urkundenwesen (wie Anm. 4) S. 386; siehe weiter Maximilian Weltin, Landesfürst und Adel. Österreichs Werden, in: Länder und das Reich (wie Anm. 91) S. 218–261, Nachdr. in: Ders. Land (wie Anm. 121) S. 509–564, hier S. 549. – Es gibt allerdings keine Anhaltspunkte, wie umfangreich die damals angefertigten Besitzaufzeichnungen gewesen sind. 173 Hofmann, Urkundenwesen (wie Anm. 140) S. 27. 174 Ingrid Heeg-Engelhart, Das älteste bayerische Herzogsurbar. Analyse und Edition, QE NF 37 (1990), S. 128*. 171
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Die Gründe für die „Einrichtung“ von Urkundenkanzleien auf einen Nenner zu bringen, ist insgesamt gesehen kaum möglich. Zu erkennen aber ist, dass dies nur bedingt mit einer Zunahme an Urkundenausstellungen zu tun hat. Abgesehen vielleicht von den Babenbergern stand offenbar auch kaum eine „Zunahme der Geschäfte“ dahinter. In fast allen Fällen scheinen indes eine Aufwertung der Stellung bzw. Prestigegründe als Grund eine gewisse Rolle gespielt zu haben. Zu überlegen wäre weiter, ob bei dieser Entwicklung nicht auch die allgemeine Verrechtlichung vieler Lebensbereiche und der Wandel im Rechtsdenken von Bedeutung waren175, die im Zuge der beginnenden Rezeption des gelehrten Rechts seit dem Ende des 12. Jahrhunderts zu beobachten sind176. Vielleicht führte die damit einhergehende vermehrte Achtsamkeit und Vorsicht gegenüber rechtlichen Formulierungen dazu, dass eigene Leute – wie die aufkommenden Datum-per-manum-Formeln nahelegen – die Texte vor der Besiegelung vermehrt kontrollieren sollten und schließlich dazu übergingen, die Texte selbst zu formulieren. Ein zusätzlicher Hinweis auf diese Entwicklung wäre etwa ein 1213 im Umfeld der Babenberger genannter decretista177. Wie im Falle Heinrichs des Löwen gesehen, könnten auch bereits fiskalische Gründe mitgespielt haben. Welche Gründe letztlich für die „Einrichtung“ von Urkundenkanzleien der Herzöge entscheidend waren, ist schwer zu entscheiden. Vermutlich aber spielten Prestigegründe dabei eine deutlich größere Rolle als bislang angenommen, konnten die Fürsten doch so und durch die vor einem größeren Personenkreis vorgenommene Anfertigung der Urkunden ihren Rang öffentlichkeitswirksam demonstrieren. Dazu kam, dass immer mehr
Siehe etwa Hagen Keller, Schriftgebrauch und Symbolhandeln in der öffentlichen Kommunikation. Aspekte des gesellschaftlich-kulturellen Wandels vom 5. bis zum 13. Jahrhundert, in: FmSt 37 (2003) S. 1–24; Ders., Die Entfaltung der mittelalterlichen Schriftkultur im europäischen Kontext. Schriftgebrauch und Kommunikationsverhalten im gesellschaftlich-kulturellen Wandel vom 5. bis 13. Jahrhundert, in: Schriftkultur (wie Anm. 99) S. 15–45. 176 Siehe etwa Othmar Hageneder, Lehensvogtei und Defensorenamt in den babenbergischen Herzogsurkunden, in: Babenberger-Forschungen, hg. von Maximilian Weltin (Jb für Landeskunde von Niederösterreich NF 42), Wien 1976, S. 70–94, hier S. 89–94. 177 BUB 1 (wie Anm. 8) Nr. 184 (1212): magister Albertus, Nr. 185 (1212): Albertus decre tista; siehe Othmar Hageneder, Die geistliche Gerichtsbarkeit in Ober- und Niederösterreich. Von den Anfängen bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 10), Linz 1967, S. 296 Anm. 23; Winfried Stelzer, Gelehrtes Recht in Österreich. Von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert (MIÖG-Ergänzungsband 26), Wien/Köln/Graz 1982, S. 148. 175
Auf dem Weg zur Fürstenkanzlei
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weltliche und geistliche Fürsten178 eigene Kanzleien einrichteten und die Standesgenossen nicht nachstehen wollten oder konnten. Bald hat wohl vor allem bei der Aufstockung des Personals auch die Zunahme an pragmatischer Schriftlichkeit eine Rolle gespielt, nicht zuletzt aber das Erfordernis der rechtlichen Absicherung durch eigene Leute infolge der zunehmenden Verrechtlichung.
Abstract The basic question of this article is how and based on which pre-conditions the margraves and dukes of Austria and Styria, but also of Bavaria, began to employ their own permanent scribes. In the first half of the 12th century, only the dukes of Bavaria occasionally asked members of their entourage to write down their charters. In most cases the recipients provided the scribes. In Austria and Styria, the margraves and dukes began to add some phrases to their charters in the 1160s, in order to gain in prestige, at a time when they wanted to strengthen their positions as territorial princes. During these years, the Austrian dukes sometimes asked monks of the Viennese “Schotten”-monastery to write down their charters; a monk and an unknown person were the first to do this repeatedly around 1180. But there was no single individual who alone was responsible for the wording of the ducal charters and the phrasing was not as standardised at that time as has often been thought. The Babenbergs did not employ a permanent scribe until 1196, but then the number of scribes increased very quickly and a chancery was established. A notice in a chronicle points out that maybe important nobles were able to influence the making of ducal charters.
178 Siehe etwa Martin, Urkundenwesen (wie Anm. 78); Lothar Gross, Das Urkundenwesen der Bischöfe von Passau im 12. und 13. Jahrhundert, in: MIÖG Ergänzungsband 8 (1911) S. 505–673; Jan Bistřický, Das Urkundenwesen der Olmützer Bischöfe des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Die Diplomatik der Bischofsurkunde vor 1250, hg. von Christoph Haidacher/Werner Köfler, Innsbruck 1995, S. 131–138; August Jaksch, Die Gurker Kanzlei und die aus ihr hervorgegangenen Urkunden, in: MDC 1, ed. Ders. (1896), S. XVII– XXIII; Johann Paul Ruf, Studien zum Urkundenwesen der Bischöfe von Freising im 12. und 13. Jahrhundert, Diss., München 1914; Stephan Acht, Urkundenwesen und Kanzlei der Bischöfe von Regensburg vom Ende des 10. bis zur ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Traditionsurkunde und Siegelurkunde bis zur Entstehung einer bischöflichen Kanzlei, Diss. München 1998.
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It was supposed that the Styria margraves employed an Augustinian canon as their permanent scribe of charters since the 1160s, but this has not been proved to have been the case. It was not until 1183 that a person of the entourage of the Otakare wrote several charters. A diplomatic analysis of the so-called Georgenberger Handfeste (1186) showed that this important charter was written in different phases and by different scribes. One of them must have had a special position of trust with the duke. The main reason why the dukes of Austria, Styria and Bavaria began to employ permanent scribes to write down their charters may not only have been the increase in administrative duties nor the rising number of documents being produced, but mostly the wish to add to their prestige and to demonstrate their strong positions as princes of the Holy Roman Empire. Another reason may have been the increasing influence of Roman law.
Die päpstlichen Siegel des Hoch- und Spätmittelalters zwischen Beharrung und Wandel. Innovationen, Modifikationen, Fälschungen von OTFRIED KRAFFT
Entwicklungssprünge und schleichender Wandel in der äußeren Gestalt der päpstlichen Siegel des hohen und späten Mittelalters sind nur selten zusammenfassend betrachtet worden. Mit der Herausbildung des lange gebräuchlichen Bildes unter Paschalis II. endet das Interesse zumeist, und die Handbücher oder zusammenfassenden Darstellungen handeln die Praxis der folgenden Jahrhunderte relativ knapp ab1. Allein Papst Paul II. (1464–1471) hat besonderes Augenmerk gefunden2, da sich unter ihm das Siegelbild radikal, aber scheinbar folgenlos änderte. Allerdings stand dieser zeitweilige Wechsel bei Paul II. keineswegs völlig isoliert in der Entwicklung da. Schon einige seiner Vorgänger hatten das Bild abgeändert, ebenso wie dies auch seine Nachfolger taten, die schließ Man vgl. etwa Andreas Meyer, Die päpstliche Kanzlei im Mittelalter – ein Versuch, in: AfD 61 (2015) S. 291–342, hier S. 303; Andrea Stieldorf, Siegelkunde. Basiswissen (Hahnsche Historische Hilfswissenschaften 2), Hannover 2004, S. 64; Thomas Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit, Stuttgart 22000, S. 55 (mit Hinweisen auf einige Modifikationen); Erich Kittel, Siegel (Bibliothek für Kunst- und Antiquitätenfreunde 11), Braunschweig 1970, S. 386 f.; Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien, Bd. 2/2, bearb. von Hans-Walter Klewitz, Berlin 21958, S. 610–612; Wilhelm Ewald, Siegelkunde (Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte: Hilfswissenschaften und Altertümer), München 1914, S. 214 f.; Arthur Giry, Manuel de diplomatique, Paris 1894, S. 679 f., S. 696 f. 2 Vgl. unten Anm. 114 f., sowie Bresslau/Klewitz, Handbuch (wie Anm. 1) S. 611 f.; Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) S. 55; Dens., Das Eindringen humanistischer Schriftformen in die Urkunden und Akten der päpstlichen Kurie im 15. Jahrhundert, in: AfD 19 (1973) S. 287–418, hier S. 305; Dens., L’introduzione della scrittura umanistica nei documenti e negli atti della Curia pontificia del secolo XV (Littera Antiqua 12), Città del Vaticano 2005, S. 14 f. 1
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lich sogar das Material ihrer Bullen variierten. Der Gebrauch der Halbbulle (bulla dimidia, defectiva)3 war davon abhängig gleichfalls Änderungen unterworfen und zeitweise obsolet4. Diesen weitgehend unbeachteten Entwicklungen der Bleibullen soll der vorliegende Beitrag gelten. Forschungen, die einen pontifikatsübergreifenden und doch nicht allzu generalisierenden Überblick geben, scheinen zu fehlen. Die wertvollsten Hilfsmittel liegen dagegen seit über 100 Jahren vor, insbesondere der große Katalog der Medaillensammlung des Vatikan5, wozu die Aufstellungen aus den Archiven von Paris6 und Marseille7 kommen, während der Siegelkatalog des British Museum in London materialreich, aber unkritisch ist8. Hinzu kommen kleinere Listen sowie stichprobenhaft herangezogene Beispiele aus Archiven 3 Carl Gerold Fürst, „Statim ordinetur episcopus“. Die Papsturkunden „sub bulla dimidia“, Innozenz III. und der Beginn der päpstlichen Gewalt, in: Ex Aequo et Bono. Willibald M. Plöchl zum 70. Geburtstag, hg. von Peter Leisching/Franz Pototschnig/Richard Potz (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 10), Innsbruck 1977, S. 45–65, hier S. 60, 64, setzte den Beginn des Brauchs vor 1179 an. 4 Vor allem zu Bonifaz VIII. gibt es Aussagen, dass er zwischen Wahl und Krönung (1294/95) die Halbbulle absichtlich nicht nutzte, vgl. Paul Maria Baumgarten, Aus Kanzlei und Kammer. Erörterungen zur kurialen Hof- und Verwaltungsgeschichte im XIII., XIV. und XV. Jahrhundert. Bullatores, Taxatores, Domorum Cursores, Freiburg i. Br. 1907, S. 167 f.; Peter Herde, Bonifaz VIII., 1 (Päpste und Papsttum 43, 1), Stuttgart 2015, S. 236 Anm. 115. Clemens V. führte 1305 ebenfalls vor der Krönung keine Halbbulle, sondern erst sein früheres Siegel und dann vollständige Bullen in mehreren Versionen; vgl. Bernard Barbiche, Litterae ante coronationem. Note sur quelques actes pontificaux originaux conservés aux Archives nationales de Paris, in: Palaeographica, diplomatica et archivistica. Studi in onore di Giulio Battelli, Bd. 2 (Storia e letteratura. Raccolta di studi e testi 140), Rom 1979, S. 263–275, hier S. 272–274 (Nachdr. in: Ders., Bulla, legatus, nuntius. Études de diplomatique et de diplomatie pontificales (XIIIe–XVIIe siècle) [Mémoires et documents de l’École des Chartes 85], Paris 2007, S. 125–137); Paul Maria Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei. Untersuchungen über die päpstlichen Tabellionen und die Vizekanzler der Heiligen Römischen Kirche im XIII., XIV. und XV. Jahrhundert, Köln 1908, S. 88 f., sowie unten Anm. 180. 5 Camillo Serafini, Le monete e le bolle plumbee pontificie del medagliere vaticano, 1 (Collezioni archeologiche, artistiche e numismatiche dei palazzi apostolici 3), Mailand 1910. Auf diese Beschreibungen rekurriert auch der Katalog der Papstsiegel im vatikanischen Archiv, vgl. Pietro Sella, I sigilli dell’Archivio Vaticano 1 (Inventari dell’Archivio Segreto Vaticano), Città del Vaticano 1937, S. 4–21. 6 Louis Douët d’Arcq, Collection de sceaux (Archives de l’Empire, Inventaires et documents) I, 2, Paris 1867. 7 Louis Blancard, Iconographie de sceaux et bulles conservés dans la partie antérieure à 1790 des Archives départementales des Bouches-du-Rhône, Marseille/Paris 1860. 8 Catalogue of Seals in the Department of Manuscripts in the British Museum, bearb. von Walter de Gray Birch, 6, London 1900. Er gab eine recht präzise beschreibende Katalogisierung, die aber völlig kritiklos erfolgte: So finden sich ebd. S. 257–261, von Johannes VIII. bis zu Gregor VII. zahlreiche Belegstücke des erst unter Paschalis II. auftretenden Typus der Bleibullen. Auch einige Falsifikate sind hier unbemerkt verzeichnet worden, vgl. Anm. 65,
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oder aus der stetig anschwellenden Fülle der Digitalisate, in denen die Siegel jedoch nicht immer brauchbar abgebildet sind.
1. Stabilisierung der Form bis 1124 Meist gelten die päpstlichen Bleibullen als äußerst stabil in ihrem Bild, seitdem sie, so die einhellige Meinung, unter Paschalis II. (1099–1118) ihr typisches Aussehen erlangt hatten. Dies gelte sowohl für die Namens- als auch für die Apostelseite. Schon Gregor VII. hatte Petrus und Paulus als Halbfiguren auf seiner Bulle abgebildet9, Urban II. setzte stattdessen ähnlich wie in seiner Rota die beiden Namen der Apostel auf das Siegel, getrennt durch ein Kreuz10. Die letztlich erfolgreiche Version des Siegels übernahm auf der Apostelseite sowohl die Bilder als auch das Kreuz in einer neuen Kombination. Sie trat zuerst unter Paschalis II. auf, denn auf einer seiner Bullen war so wie schon bei Urban II. auf der einen Seite der Papstname in Nominativ samt abgekürztem Titel und Ordinalzahl in Zeilen angeordnet zu lesen, auf der anderen Seite fanden sich die Köpfe der Apostel Paulus und Petrus in tropfenförmigen Perlkreisen und getrennt durch ein Kreuz unter der einzeiligen Beschriftung SPA SPE für Sanctus Paulus, Sanctus Petrus11. 101. Mitunter ungenau ist der Katalog von Araceli Guglieri Navarro, Catálogo de sellos de la sección de sigilografía del Archivo Histórico Nacional 2, Madrid 1974. 9 Ingo Herklotz, Zur Ikonographie der Papstsiegel im 11. und 12. Jahrhundert, in: Für irdischen Ruhm und himmlischen Lohn. Stifter und Auftraggeber in der mittelalterlichen Kunst, hg. von Hans-Rudolf Meier/Carola Jäggi/Philippe Büttner, Berlin 1995, S. 116– 130, hier S. 118; Ders., Bildpropaganda und monumentale Selbstdarstellung des Papsttums, in: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts, hg. von Ernst-Dieter Hehl/Ingrid Heike Ringel/Hubertus Seibert (Mittelalter-Forschungen 6), Stuttgart 2002, S. 273–292, hier S. 275 f.; Frenz, Papsturkunden (wie Anm. 1) S. 55; Manfred Groten, Die gesichtslose Macht. Die Papstbullen des 11. Jahrhunderts als Amtszeichen, in: Päpstliche Herrschaft im Mittelalter. Funktionsweisen – Strategien – Darstellungsformen, hg. von Stefan Weinfurter (Mittelalter-Forschungen 38), Ostfildern 2012, S. 199–220, hier S. 218; Irmgard Fees, Rota und Siegel der Päpste in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, in: Zwischen Rom und Santiago. Festschrift Klaus Herbers zum 65. Geb., hg. von Claudia Alraum u. a., Bochum 2016, S. 285–298, hier S. 288; Dies., Zur Bedeutung des Siegels an den frühen Papsturkunden, in: Urkunden und ihre Erforschung. Zum Gedenken an Heinrich Appelt, hg. von Werner Maleczek (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 62), Wien 2014, S. 53–69, hier S. 67. 10 Groten, Macht (wie Anm. 9) S. 218 f.; Herklotz, Zur Ikonographie (wie Anm. 9) S. 119. 11 Vgl. dazu Herklotz, Zur Ikonographie (wie Anm. 9) S. 119; Fees, Zur Bedeutung (wie Anm. 9) S. 67; die Reihenfolge der Apostel erklären Toni Diederich, Rechts und links im
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Damit formte sich bald nach der Namensseite die lange übliche Apos telseite der Bleibulle aus, doch diese Variante setzte sich keineswegs sofort durch. Zumindest 1103 ist eine weitere Fassung belegt, die die Apostelköpfe mit Halsansatz ohne Heiligenscheine oder Einfassungen unter der erwähnten Beschriftung zeigt12. Aber auch diese variierte, denn über Jahre gebrauchte Paschalis eine Version der Apostelseite, bei der Paulus mit SPAV beschriftet war13. Zugleich erschienen dann beide Heiligen im Brustbild mit Nimben, und Petrus hielt ein Stabkreuz (Abb. 1). Diese Version des Siegels verschwand wohl bis 1113, aber nicht endgültig. Das Siegelbild, das für die weitere Entwicklung prägend wurde, war demgegenüber eine Vereinfachung. Das galt nicht nur für die kürzere Beschriftung der Apostelseite, sondern auch für die Bilder der beiden Heiligen. Während in einer Fassung Petrus das Kreuz gehalten hatte, wurde es nun zwischen Paulus und Petrus, von denen nur die Köpfe beibehalten wurden14, positioniert, ähnlich wie schon bei Urban II. Aus den Nimben Siegel, in: Herold-Jahrbuch NF 18 (2013) S. 7–42, hier S. 25–28; Fees, Rota und Siegel (Anm. 9) S. 291. Das Problem wurde bereits seit dem Mittelalter von Theologen diskutiert; vgl. eingehend G. H. M. Posthumus Meyjes, Iconografie en Primaat, in: Archief voor Nederlandsche Kerkgeschiedenis 49 (1968) S. 4–36; Jörg Bölling, Die zwei Körper des Apostel fürsten. Der heilige Petrus im Rom des Reformpapsttums, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 106 (2011) S. 155–192, hier S. 182 f. 12 Abb. bei Alain de Boüard, Manuel de diplomatique française et pontificale. Diplomatique générale, Album, Paris 1929, Taf. XLI/1. 13 Beschrieben bei Julius von Pflugk-Harttung, Die Bullen der Päpste bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, Gotha 1901, S. 262, als Siegel 2 dieses Papstes. Abb. gibt Ders., Specimina selecta chartarum pontificum Romanorum 3, Stuttgart 1887, Taf. 133 Nr. 5a (JL 6188, 1108 Jan. 7), Nr. 6a (JL 6291, 1111 Apr. 15). Hinzu kommen die Beispiele aus dem Marburger Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden (LBA), darunter JL 5988 (1104 Nov. 7, Abb.: LBA 1502/E471B), JL 6433 (1102/1104; Germ. Pont. 1 S. 60 Nr. 1, Abb.: LBA 1503/D1019 sowie LBA 8377), JL 6191 (1108 März 4; Germ. Pont. 3 S. 263 Nr. 44; Abb.: LBA 1504), JL 6233 (1109 Apr. 14, Germ. Pont. 3 S. 294 Nr. 1; Abb.: LBA 2269), JL 6246 (1109 Nov. 28, Abb.: LBA 10842/E5270). Hinzu kommt JL 6292 (1111 Apr. 15, Abb.: www.arcinsys.hessen.de unter Staatsarchiv Marburg, Bestand Urk. 56 Nr. 7), man vgl. auch Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) Taf. 35 Nr. 17/18, und für JL 6191, 6292 die Abb. in Irmgard Fees/Francesco Roberg, Papsturkunden des 12. Jahrhunderts: Feierliche Privilegien (Digitale Urkundenbilder aus dem Marburger Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden 2/III), Leipzig 2010, Taf. 2, 4; Diederich, Rechts (wie Anm. 11) S. 27 Abb. 10. Die detaillierte Studie von Wilhelm Diekamp, Zum päpstlichen Urkundenwesen des XI., XII. und XIII. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 3 (1882) S. 565–627, hier S. 613, erwähnt diese Form des gekürzten Apostelnamens nicht, aber Ilse-Maria MichaëlSchweder, Die Schrift auf den päpstlichen Siegeln des Mittelalters, Graz/Wien/Leipzig 1926 (Veröffentlichungen des Historischen Seminars der Universität Graz 3), Taf. II/Va/2, führt diese Ligatur auf. 14 Fees, Zur Bedeutung (wie Anm. 9) S. 67.
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der Brustbilder dürften die eher mandelförmigen Perlkreise um die Häupter der Apostel abgeleitet sein. Auf der Namensseite einiger Bullen Pas chalis’ II. fand sich außerdem ein Kreuz vor dem P15, eine Eigenart, die erst spät wieder, mit Eugen IV. (1431), aufleben sollte.
Abb. 1: Paschalis II., 1108, Bulle mit Büsten der Apostel
Die einfachere Version der Apostelseite Paschalis’ II. wurde unter Gelasius II. (1118–19)16 und Calixt II. (1119–24) übernommen. Aber auch diejenige, die die Büsten der beiden Heiligen und die längere Beschriftung für Paulus zeigte, trat von 1121 bis April 1124 noch einmal bei Calixt II. auf17 (Abb. 2). Offenbar waren unter ihm zwei Apostelstempel parallel in Ge Pflugk-Harttung, Bullen (wie Anm. 13) S. 286. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 26, Taf. H/1. 17 Pflugk-Harttung, Specimina 3 (wie Anm. 13) Taf. 134 Nr. 2/4; dazu Ders., Bullen (wie Anm. 13) S. 286 (Typ I). Eines der bei ihm genannten Stücke läßt das geschilderte Aussehen gut erkennen, nämlich das einfache Privileg Calixts II. für Beuerberg, JL 6898; Germ. Pont. 1 S. 381 Nr. 1 (1121 März 30, Abb.: LBA 8385, mit eigenartiger Befestigung der Hanfschnur, die hier durch ein Loch im Siegel gezogen ist). Zu diesem Siegeltyp vgl. weiterhin 15 16
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brauch. Die einfachere Variante setzte sich nun für lange Zeit durch, ohne dass man weiß, warum. Der Zeitpunkt, an dem der Apostelstempel stabilisiert wurde, fiel also in die genannten Jahre 1121/24. Für den kurzzeitigen Gegenpapst Gregor (VIII.) sind keine Belege aufzufinden18, insofern ist es unbekannt, ob er sich noch an anderen Vorbildern orientiert hatte. Nach einer kurzen dynamischen Phase war jedenfalls eine dauerhafte Festigung des äußeren Bildes eingetreten, und das Ende der Varianz hatte offensichtlich auch damit zu tun, dass sich die Bleisiegel an der Wende zum 12. Jahrhundert funktional zum Beglaubigungsmittel gewandelt hatten19, was wiederum einem stabileren Aussehen förderlich gewesen sein dürfte.
Abb. 2: Calixt II., 1121, Bulle mit Büsten der Apostel
Ulysse Robert, Bullaire du pape Calixte II 1119–1124. Essai de Restitution, Paris 1891, S. LIII, mit Belegen bis 1124 (JL 7152); er fehlt bei Serafini, Monete (wie Anm. 5). 18 Es existiert aber eine Originalurkunde, vgl. Septem bullae ineditae ad ecclesiam sancti Marcelli Romae spectantes, 1084-1166, hg. von I. M. Albarelli, in: Monumenta Ordinis Servorum Sanctae Mariae, hg. von Augustinus Morini/Peregrinus Soulier, Bd. 2/2, Brüssel 1899, S. 190–211, hier S. 119 f. Nr. 3 (1118 März 19). Sie ist ohne die Bulle überliefert, die noch ein Vidimus von 1252 ansprach, vgl. ebd. S. 210 Nr. 8. Vgl. auch das Regest: Ital. Pont. 1 S. 76 Nr. 19, und dazu Carl Erdmann, Mauritius Burdinus (Gregor VIII.), in: QFIAB 19 (1927) S. 205–261, hier S. 239 f. 19 Fees, Zur Bedeutung (wie Anm. 9) S. 67–69; Groten, Macht (wie Anm. 9) S. 220.
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An der hergebrachten Auflösung der Kürzungen SPA SPE ist im Übrigen festzuhalten, obgleich es andere Interpretationen gibt. Dabei fügt sich eine der Lesungen (rückwärts „EPS APS“ für episcopus, apostolus)20 in ein buchstabenexegetisches Deutungsmuster ein. Doch nicht nur daran sind erhebliche methodische Zweifel angebracht21, sondern auch der schlichte Quellenbefund steht dem entgegen, wie schon die Schreibweise SPAV der Bulle mit den Apostelbüsten unter Paschalis II. und Calixt II. zeigt.
2. Neue Variationen seit 1271 Erst im ausgehenden 12. Jahrhundert sind unter Urban III. bis zu Cöles tin III. erstmals Buchstabenformen der gotischen Majuskel22 zu beobachten, die unter Innocenz III. noch einmal zurückgedrängt wurden23. Erst mit Gregor X. (1271/72–1276) trat die gotische Majuskel wiederum auf, zugleich ist ein Ansatz zur Modifikation der Beschriftung zu notieren. Der Ordinalzahl wurde unter ihm das tironische -us hinzugefügt (X9)24, womit wohl erstmals die Endung im Schriftbild der Bulle erschien. Auch 20 Tom Graber, Ein Spurium auf Papst Gregor X. für das Zisterzienserinnenkloster zu Leipzig (1274 Juni 22), in: Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland, hg. von Dems. (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 12), Leipzig 2005, S. 89–126, S. 109 f. Unvertretbar scheint die Lesung „Sigillum Pauli, Sigillum Petri“ bei Hiram Kümper, Materialwissenschaft Mediävistik. Eine Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Paderborn 2014, S. 122. 21 Vgl. hierzu Otfried Krafft, Der monogrammatische Schlußgruß (Benevalete). Über methodische Probleme, historisch-diplomatische Erkenntnis zu gewinnen, in: Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters. Äußere Merkmale – Konservierung – Restaurierung, hg. von Irmgard Fees/Andreas Hedwig/Francesco Roberg, Leipzig 2011, S. 209–247. 22 Kritisch betrachtet wird dieser Terminus von Toni Diederich, Siegeldatierung nach der Schrift – Möglichkeiten und Grenzen, in: Herold-Jahrbuch NF 20 (2015) S. 33–72, hier S. 56 f., S. 64 f. 23 Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) S. 26, ebd. Taf. 2d; unzialisierte E blieben im 13. Jahrhundert durchgehend in Gebrauch, vgl. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 27–30, mit Taf. H/12, I/1–9. 24 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 20 mit Taf. I/10; Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) Taf. 3; Natalis De Wailly, Élements de Paléographie 2, Paris 1838, S. 375 mit Taf. U/6; Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 265 Nr. 16, Taf. 60 Nr. 14; Karl-Heinz Debus, Gesamtverzeichnis der Siegel im Gatterer-Apparat 1–2 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 116), Koblenz 2013, hier 2, S. 13 Nr. 82. Zu Gregors X. Bleibullen vgl. auch Wilhelm Diekamp, Zum päpstlichen Urkundenwesen von Alexander IV. bis Johann XXII. (1254–1334), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 4 (1883) S. 497–539, hier S. 533 f.; Graber, Spurium (wie Anm. 20) S. 111 Anm. 77, mit Abb. 2; sowie unten Anm. 54. Eine us-Kürzung am Ende der Ordinal-
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Innocenz V. (1276) hatte eine solche Kürzung im Siegel25, aber dies setzte sich danach nicht fort. Die zuvor bemerkbare Verwendung mehrerer Namensstempel endete mit Gregor X. zunächst26. Die Beschriftung der Namensseite zeigte unter Martin IV. (1281–1285) und ebenso bei Honorius IV. (1285–1287) und Nikolaus IV. (1288–1292) deutliche Zierelemente27, nämlich geschwungene und eingerollte Sporen an den Enden der Buchstaben. Diese Entwicklung orientierte sich wohl an der damals stark verzierten Schrift am Beginn der Seidenschnurbriefe, gerade beim Ausstellernamen, welchem die Namensseite der Bullen funktional entsprach. Seit Cölestin V. (1294) fiel die Schreibweise auf den Bullen aber wieder nüchterner aus28, und das galt auch für seine Nachfolger. Andere Variationen fanden sich allein bei den Punkten, die die Ordinalzahl der Päpste einfassten, außerdem änderte Papst Clemens V., der sich nie der Halbbulle bediente, nach seiner Wahl 1305 relativ rasch sein Siegel29.
3. Zierrat und Heraldisierung seit 1335 In der avignonesischen Zeit des Papsttums sind weitere Wandlungen zu notieren: Bei Benedikt XII. (1334/5–1342) sieht man erstmals am Beginn des Papstnamens einen Zusatz. Es handelt sich um zwei kleine Rosetten, die hier übereinander angeordnet sind30. Eine weitere, einzelne Rosette folgt dem Papstnamen. Der Nachfolger, Clemens VI. (1342–1352), überzahl findet man schon bei der Bleibulle von JL 4316 (von 1049), doch ist sie später gefälscht und angehängt worden, vgl. RI III/5/2 Nr. 558. 25 Douët d’Arcq, Collection (wie Anm. 6) S. 419 Nr. 6053 (1276); Blancard, Icono graphie (wie Anm. 7) S. 265 Nr. 17, Taf. 60 Nr. 15 (1276). 26 Die Papsturkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden 1: 1104-1303, hg. von Tom Graber (Codex diplomaticus Saxoniae, 3. Hauptteil, 1), Hannover 2009, S. 344. 27 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 30 f. mit Taf. K/1–3; Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 266 f. mit Taf. 61 Nr. 2–4; für Martin IV. vgl. auch Friedrich Philippi, Siegel (Urkunden und Siegel in Nachbildungen für den akademischen Gebrauch, Heft 4), Leipzig/ Berlin 1914, Taf. VIII/8; für Honorius IV. De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/7, für Nikolaus IV. Friedrich Beck/Eckart Henning, Die archivalischen Quellen. Mit einer Einführung in die Historischen Hilfswissenschaften, Köln/Wien/Weimar 52012, Abb. 116. Die Buchstaben gibt Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) Taf. 3, einzeln mit Beispielen der genannten Päpste wieder. 28 Giulio Battelli, Acta Pontificum (Exempla scripturarum 3), Rom 21965, Taf. 19; Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 31, mit Taf. K/4. 29 Vgl. dazu Anm. 180. 30 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 69 Nr. 13, Taf. K/9.
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nahm diese Figuren, die etwas vergrößert wurden31. Es finden sich fünf davon, je eine über und unter dem Text, vor der ersten Zeile und vor und hinter der letzten Zeile: Damit wurden die freien Flächen gefüllt. Obwohl es sich um eine Übernahme vom Vorgänger handelte, hatten diese Elemente bei Clemens VI. eine neue Bedeutung. Im Wappen führte dieser Papst ebenfalls sechs Rosen32, und so war das zuvor eingeführte Trennzeichen bei ihm auch ein heraldisches Symbol, das hier erstmals in den päpstlichen Siegeln zu notieren ist. Schon Matthias von Neuenburg bemerkte dazu, diese Neuerung sei contra morem antecessorum geschehen33. In der Tat ist die Rezeption solcher Elemente schon von daher auffällig, weil päpstliche Wappen erst einige Jahrzehnte lang, wohl für Urban IV. und sicher erst bei Bonifaz VIII., belegt sind34. Zugleich erinnert die Verwendung der Beizeichen an die Umschriften von Münzen, doch weichen sie darin unter Benedikt XII. und Clemens VI. ab35. Jedenfalls begann in den päpstlichen Bleisiegeln 1342 eine neue Phase, die sich durch erste Schritte zu einer heraldischen Verzierung hin auszeichnete, die die Botschaft der Bullen durch einen persönlichen Bezug auf den Siegelführer erweiterten. Bei Innocenz VI. (1352–1362) fanden sich auf der Namensseite zwei Sterne mit sechs Strahlen36, doch mit dem Wappen gab es bei diesem Papst keine Ähnlichkeit37. So handelte es sich wieder um Trennzeichen, die auch weiterhin erschienen und je nach Amtsinhaber variierten. Bei Urban V. (1362–1370) waren diese Gebilde winzig, und Serafini wollte darin Lö Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 71 Nr. 9, Taf. K/10; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/10. Juan Francisco Blanco García, Las bulas papales del M.A.N., in: Boletín del Museo Arqueológico Nacional (Madrid) 3 (1985) S. 157-167, hier S. 160 Nr. 18, nennt dafür nur zwei Rosetten. 32 Laut Noël Valois, La France et le grand schisme d’occident, 1, Paris 1896, S. 109; Ders., La rôle de Charles V au début du Grand Schisme (8 avril–16 novembre 1378), in: Annuaire-Bulletin de la société de l’histoire de France 24 (1887) S. 225–255, hier S. 237, waren die Rosen dem Wappen entlehnt, ihm folgten Bresslau/Klewitz, Handbuch (wie Anm. 1) S. 611. Zu Clemens’ Wappen vgl. Donald Lindsay Galbreath, Papal Heraldry, London 21972, S. 77 f. 33 Hic papa cum arma progeniei sue haberent quinque rosas, contra morem antecessorum totidem rosas poni fecit in bulla, vgl. Adolf Hofmeister, Die Chronik des Mathias von Neuenburg. Chronica Mathiae de Nuwenburg, MGH Script. rer. Germ. N.S., 4, 1940, S. 188, S. 390. 34 Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 73, 76. 35 Dort finden sich Kreuze und unter Clemens VI. noch gekreuzte Schlüssel oder Sterne, vgl. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 69–71. 36 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 72 Nr. 5; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 160 Nr. 19, S. 166 (Abb.). 37 Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 78. 31
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wenköpfe erkennen38. Gregor XI. (1370/71–1378) verwendete wieder kleine Rosen39: Da er sie, so wie sein Onkel Clemens VI., im Wappen führte, bildeten auch sie wieder eine heraldische Anspielung auf der Namensseite seiner Bullen40.
4. Ein heraldischer Schub 1378 Zu einem deutlichen Sprung in der Entwicklung der Bullen kam es erst 1378 mit dem Ausbruch des großen abendländischen Schismas. Beide konkurrierenden Päpste, Urban VI. und Clemens (VII.), erweiterten die Namensseite ihrer Bullen um heraldische Details. Statt der vorigen Trennzeichen, die die einzelnen Zeilen des Papstnamens, des Titels und die römische Zahl begleiteten, sind bei dem häufiger belegten Siegel Urbans VI. (1378–1389) vier kleine Adlerköpfe zu sehen41. Unter den drei Schriftzeilen finden sich zwei kleine Adler. Mit Sicherheit war dies eine Anspielung auf das Familienwappen der Prignano42. Wann genau diese in der Literatur oft beschriebene Bulle a ufkam43, wurde bislang nicht festgestellt, ja nicht einmal als Problem begriffen.
Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 75 Nr. 44, S. XC. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 79 Nr. 80, mit Taf. L/3; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 15 Nr. 98 f.; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 160 Nr. 21; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/10. 40 Valois, France (wie Anm. 32) S. 108; zum Wappen vgl. Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 78 f. 41 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 88 Nr. 10; Catalogue (wie Anm. 8) S. 287 Nr. 21889; Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) Taf. 35 Abb. 7/8; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/11; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 385 Abb. 233/h; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 160 Nr. 22. 42 Vgl. Karl Primbs, Mittheilungen über Papstbullen mit heraldischen Andeutungen, in: Archivalische Zeitschrift NF 5 (1894) S. 102–108, hier S. 102; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 387; zu Urbans Wappen vgl. Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 79. 43 Zu verzeichnen sind für die Zwei-Adler-Bulle etwa Belegstücke für Florenz vom 29. Juli 1378 und vom 16. Sept. (Florenz, Archivio di Stato, Diplomatico, Riformagioni atti pubblici, Nr. 00066643 bzw. 00066763; verfügbar unter www.archiviodistato.firenze.it/ pergasfi/index.php?op=fetch&type=pergamena&id=1717859 bzw. 1717866, Zugriff vom 25.9.2017); sowie solche vom 12. Sept. 1378 für Fulda (Staatsarchiv Marburg, Urk. 75 Nr. 544) und vom 16. Sept. 1378 für Eberbach (Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Best. 22 Nr. U 1158; für die Kontrolle dieses Stückes danke ich Oliver Teufer). 38 39
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Urban wurden nämlich für die Wochen nach seiner Wahl am 9. April die Worte non habeo bullam neque sigillum44 zugeschrieben. Was sie meinen und ob man überhaupt mit ihnen argumentieren kann, ist unsicher. Das gilt gleichfalls für die in der Literatur vertretene Auffassung45, dass der Papst sich um den 25. Juli 1378 einen oder beide Bullenstempel neu anfertigen ließ: Eine entsprechende Quellenstelle mag auch anders zu deuten sein46. Vom Mai und Juni dieses Jahres gibt es durchaus Belegstücke für besiegelte Urkunden Urbans VI., und kopial überlieferten Stücken47 aus dieser Zeit fehlt jeder Hinweis auf Besonderheiten bei der Beglaubigung. Bemerkenswert scheint ein Befund, der bisher nicht notiert wurde: Einige der frühen Bleibullen Urbans haben eine abweichende Namensseite im Vergleich zu seinen späteren Exemplaren, denn unter der letzten Textzeile findet sich hier lediglich ein Adler48 (Abb. 3). Dagegen hat die erwähnte und 44 Dies entstammt dem Bericht des Conradus Henrici von Wesel in: Acta Urbani VI. et Bonifatii IX. pontificum Romanorum 1, hg. von Camillus Krofta (Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia 5), Prag 1903, S. 11, vgl. dazu Baumgarten, Von der apos tolischen Kanzlei (wie Anm. 4) S. 109; Patrick Zutshi, Continuity and Discontinuity in the Chanceries of Urban VI and Clement VII, in: Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, hg. von Harald Müller/Brigitte Hotz (Papsttum im mittelalterlichen Europa 1), Wien/Köln/Weimar 2012, S. 285–313, hier S. 288. 45 Conradus Henrici, ed. Krofta, Acta (wie Anm. 44) S. 12, schrieb super qua publicacione fecit idem Bartholomeus [Urban VI.] fieri litteras sub bulla sua, quam fecerat de novo et circa festum sancti Jacobi. Die Aussage bezieht sich auf eine Urkunde vom 26. Juli 1378 für Karl IV. und Wenzel, ebd. S. 30 Nr. 26. Da der Bullenstempel sich gegenüber dem vom Mai und Juni als unverändert erweist, muss quam sich auf publicacione beziehen oder fehlerhaft auf litteras. 46 Als Hinweis auf die Neuanfertigung der Bulle interpretierten dies Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei (wie Anm. 4) S. 110; Daniel Williman, Schism within the Curia: The twin Papal Elections of 1378, in: The Journal of Ecclesiastical History 59 (2008) S. 29– 47, hier S. 46 f.; Zutshi, Urban VI (wie Anm. 44) S. 288. 47 Krofta, Acta (wie Anm. 44) S. 19 Nr. 2, Kommentar, verzeichnete zwei vidimierte Stücke Urbans VI. vom 30. April (veris bullis plumbeis [...] bullatas) und, ebd. S. 21 Nr. 4, Anm. 2, S. 22 Nr. 5, zwei vom 11. Mai 1378 (veris bullis plumbeis pendentibus more Romane curie bul latas). Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei (wie Anm. 4) S. 110, schilderte hingegen einen Papst, der sich erst nach Wochen der Indolenz zu einer Kanzleitätigkeit aufraffte. 48 Zu nennen ist Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 109 Nr. 578 (1378 Juni 5), verzeichnet in: Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rheinlande aus dem Vaticanischen Archiv, bearb. von Heinrich Sauerland, 6 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 23, 6), Bonn 1912, S. 2 Nr. 3, und in: Schedario Baumgarten. Descrizione diplomatica di Bolle e Brevi originali da Innocenzo III a Pio IX., hg. von Sergio Pagano, 3–4, Città del Vaticano 1983–1986, hier 3 Nr. 6408. Hinzu kommen Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kloster Fürstenzell Nr. 355 (1378 Mai 22, Abb. unter http://monasterium. net/mom/DE-BayHStA/KUFuerstenzell/355/charter); Stadtarchiv Stralsund, Städtische Urkunde Nr. 488 (1378 Mai 7; Siegel weniger gut erhalten), letzteres verzeichnet bei Tilmann Schmidt (Bearb.), Die Originale der Papsturkunden in Norddeutschland (Bremen,
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über lange Jahre gebrauchte Version unten zwei Vögel (Abb. 4). Die Adlerköpfe in den Zeilen sind jeweils anders verteilt. Auch die Apostelseite der Bulle unterscheidet sich, bei gut erhaltenen Stücken (als Rückseite zur EinAdler-Variante) ist ein Punkt im unteren Kreuzwinkel rechts zu sehen49 (Abb. 4). Diese Variante scheint die ältere zu sein, jedenfalls begegnet sie – soweit derzeit feststeht – nur im ersten Halbjahr 1378.
Abb. 3: Urban VI., 1378, Ein-Adler-Bulle
Abb. 4: Urban VI., 1378, Zwei-Adler-Bulle
Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) 1199–1415 (Index actorum Romanorum pontificum 7), Città del Vaticano 2003, S. 137 Nr. 246. 49 Da er auf Bullen des Vorgängerpapstes fehlt, scheint er eine Art internes Unterscheidungsmerkmal gewesen zu sein. Schon im 13. Jahrhundert war die (aktuelle) Zahl der Punkte der Perlkreise auf der Apostelseite festgelegt, vgl. Léopold Delisle, Mémoire sur les actes d’Innocent III, in: Bibliothèque de l‘Ecole des Chartes 19 (1859) S. 1–79, hier S. 48, und unten Anm. 54.
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Eigenartigerweise hängt an Urkunden Urbans vom 11. Mai50 und vom 13. Mai 1378 die Bulle mit zwei Adlern51, während an einer fast gleichzeitig datierten Urkunde für Stralsund vom 7. Mai die erwähnte Version mit nur einem Adler hängt. Da es wegen offensichtlicher Rückdatierungen nicht sicher ist, welches Stück de facto früher bulliert wurde, ist kaum auf einen parallelen oder sukzessiven Gebrauch des Stempels zu schließen. Eines scheint jedenfalls gesichert: Lange Phasen ohne Bullenstempel dürfte der umstrittene Prignano-Papst nicht gehabt haben. Zugleich dürfte auf seiner Seite der Wunsch nach einer unterscheidbaren Kennzeichnung der Bullen bestanden haben. Dies mag doch für einen Entzug eines dieser Stempel aus seiner Verfügungsgewalt sprechen. Durch die Modifikationen der heraldischen Zeichen, aber auch den weggefallenen Punkt am Kreuz sollte vielleicht schon im Sommer 1378 ein Missbrauch des Siegels ausgeschlossen werden. Allerdings scheint die Geschichte vom Verlust des Typars seines Vorgängers, den Urban VI. erlitten haben soll, sehr zweifelhaft. Ob er jemals Gregors Apostelstempel genutzt hat, ist bisher nicht geklärt, und dies erscheint wegen der abweichenden Belege auch nicht sehr wahrscheinlich. Dass der Kämmerer Pierre de Cros diese Hälfte des Stempels mitnahm52, wird bei einem genauen Blick auf die Bullen Clemens’ (VII.) (1378–1394), also des konkurrierenden Papstes in diesem Schisma, fraglich: Dem Kreuz der Apostelseite fehlt hier ein – bei Gregor XI. und Urban VI. sichtbarer – darüber schwebender Punkt, und die Kreuzarme laufen deutlicher spatelförmig zu als bei den anderen genannten Päpsten. Clemens’ Bullenstempel war also eine Neuanfertigung, obwohl sich die Apostelseiten beider Schis 50 Mandat Urbans an den Erzbischof von Canterbury und den Bischof von Lincoln, nun in Kew, National Archives SC7/34/24; Regest bei Patrick N. R. Zutshi, Original Papal Letters in England, 1305–1415 (Index actorum Romanorum pontificum 5), Città del Vaticano 1990, S. 177 Nr. 345 (1378 Mai 11); für diese Urkunde nahm bereits Theodor Graf, Papst Urban VI. Untersuchungen über die römische Kurie während seines Pontifikates (1378– 1389), Kapitel I–III nebst Namenverzeichnis der Kurialen, Berlin 1916, S. 8 Anm. 4, eine nachträgliche Datierung an, da auf der Plica Dietrich von Niem erstmals als Schreiber belegt ist: Die Urkunde dürfte wegen Dietrichs Karrieredaten frühestens Ende September 1378 entstanden sein. 51 Ablass Urbans für die Augustiner von Landskron (Mähren); nun in Brno/Brünn, Moravský zemský archiv, Augustiniáni Olomouc 112 (Abb. unter http://monasterium.net/ mom/CZ-MZA/E03/112/charter), Druck im: Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae. Urkunden-Sammlung zur Geschichte Mährens, hg. von Vincenz Brandl, 11, Brünn 1885, S. 101 Nr. 112. 52 So Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 161; Williman, Schism (wie Anm. 46) S. 47.
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mapäpste und ihres Vorgängers bis in viele Details gleichen53. Selbst in der Zahl der Punkte in den Perlkreisen der Apostelseite ist, soweit erkennbar, zwischen Clemens (VII.) und Urban VI. kein Unterschied zu sehen. Anscheinend war diese damals praktizierte – und unten näher zu erörternde – Normierung, die auch in kirchenrechtlichen Schriften wiedergegeben wurde und deren genaue Kenntnis uns nur so bewahrt blieb54, kanzleiintern verankert, sei es nun schriftlich oder mündlich. Anders als Urban nutzte Clemens die Halbbulle zwischen Wahl und Krönung. In Datierungen vom 22. September und 8. Oktober 1378 verwies er darauf, quod bulla non exprimens nomen nostrum presentibus est appensa55, und zeitgleich schrieb er, die Urkunde sei sub bulla capitibus apostolorum Petri et Pauli consignata56. Demonstrativ wurde das übliche Vorgehen während einer Sedisvakanz eingehalten, um auch so die Nichtigkeit der wenige Monate zuvor erfolgten Wahl Urbans VI. zu unterstreichen. Clemens hatte ebenfalls heraldische Anspielungen in seinem Siegel, die schwieriger zu deuten sind. So verwendete er seit dem Krönungstag eine 53 Eine Übereinstimmung zwischen Clemens (VII.) und Gregor XI. sah dagegen Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 95 Nr. 19. 54 Es handelt sich um Martin von Troppaus ‚Margarita decreti et decretalium‘, vgl. etwa Bibliothèque nationale de France, Ms. lat. 4133, fol. 88va (verfügbar über www.gallica.fr), oder Clm 14341, o. Pag. (abzurufen unter www.digitale-sammlungen.de), s.v. ‚Falsarii‘, wo die Anzahl der Punkte für den äußeren Perlkreis (Apostelseite 73, Namensseite 75), die inneren Einfassungen (Paulus 24, Petrus 25) und das Kopf- und Barthaar des Petrus (25 bzw. 28) angegeben werden; die Stelle zitierte Delisle, Mémoire (wie Anm. 49) S. 48 Anm. 1; die Beschreibung ordnete Diekamp, Zum Urkundenwesen (wie Anm. 24) S. 534, Gregor X. zu und gab eine Emendation des Martin-Textes; vgl. auch Graber, Spurium (wie Anm. 20) S. 112 Anm. 77. Auch Konrad de Mure erwähnte Punkte als Schutz gegen Fälschungen, vgl.: Die Summa de arte prosandi des Konrad von Mure, hg. von Walter Kronbichler (Geist und Werk der Zeiten 17), Zürich 1968, S. 167. Schon Innocenz III. berichtete 1210 aus einem Eheprozess, ein Prokurator habe an der Bleibulle gezweifelt, quia punctus deerat; vgl.: Die Register Innocenz’ III., Bd. 13, bearb. von Andrea Sommerlechner/Herwig Weigl u. a. (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom, II. Abt., 1. Reihe, 13), Wien 2015, S. 90, Nr. 54. 55 Dum in minoribus (Fondi, 1378 Sept. 22), gedruckt bei Armand Jamme, Réseaux, stratégies de communication et Storytelling au début du Grand Schisme d’Occident, in: Müller/Hotz (Hgg.), Gegenpäpste (wie Anm. 44) S. 261–284, S. 281 f., der auf die erhaltene Halbbulle hinweist; exakt derselben Formulierung bediente sich Clemens am 8. Okt. 1378 in einer Urkunde für Schönthal, vgl. Staatsarchiv Ludwigsburg B 503 I U 87 (zwecks Kassation ist hier die Plica samt Bulle entfernt); Abb.: www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=2-526056-3 (Zugriff vom 17.9.2017). 56 Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 173 (1378 Sept. 24); Zutshi, Urban VI (wie Anm. 44) S. 288 mit Anm. 17.
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Namensseite, die mit drei Lilien verziert war57. Sie stehen hier vor dem Papstnamen und am Anfang und Ende der Zeile mit Papsttitel und Ordinalzahl58. Das Familienwappen zeigt dagegen keine Lilien59, und die Annahme, sie seien als heraldische Anspielung auf des Papstes Abkunft von König Ludwig VII. von Frankreich zu verstehen60, erscheint berechtigt. Ob diese „bulle de plomb fleurdelisée“ aber derart deutliche politische Implikationen als Zeichen des Bündnisses mit Frankreich besaß, wie die ältere Literatur annahm61, ist kaum zu sichern: So waren die Lilien zwar heraldische Symbole, aber zugleich auch dekorative Trennzeichen, genau wie in den hierfür zu benennenden Vorbildern. Durch das gespiegelte N in seinem Namen orientierte sich Clemens (VII.) jedenfalls an der Bulle seines gleichnamigen Vorgängers, der bereits Rosen verwendet hatte. Zugleich ist eine bildliche Reaktion auf die Adlerbullen Urbans VI. anzunehmen. Von den belegbaren und vermuteten Intentionen der Aussteller dürfte sich die Außenwirkung solcher Bullen bei den Empfängern unterschieden haben. Wie dort der Gegensatz von Adler und Lilie wahrgenommen wurde, fragt sich doch, weil beide als Zeichen für zwei wichtige Reiche und für die wichtigsten Stützen der widerstreitenden Obödienzen im Schisma verstanden werden konnten.
5. Variationen der Form seit 1389 Bonifaz IX. (1389–1404) setzte in der römischen Obödienz den Ansatz Urbans VI. zur Heraldisierung der Bulle nicht fort, sondern er verwendete lediglich – kaum zufällig so wie sein gleichnamiger Vorgänger – etwas mo Valois, France (wie Anm. 32) S. 108–110. Catalogue (wie Anm. 8) S. 288 Nr. 21903; Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 95 Nr. 19, mit Taf. L/8; sowie Javier Serra Estelles, Los Registros de Súplicas y Letras Pontificias de Clemente VII de Aviñón (1378–1394) (Publicaciones del Instituto Español de Historia Eclesiástica, Monografias 29), Rom 1988, S. 28. 59 Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 42, 79; Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. XC; hinzu kommen die kurialen Belege des Wappens bei Roger Ch. Logoz, Clément VII (Robert de Genève). Sa chancellerie et le clergé romand au début du grand schisme (1378–1394) (Mémoires et documents, publiés par la société d’histoire de la Suisse romande, 3e sér., 10), Lausanne 1974, Abb. 2/3; Serra Estelles, Registros (wie Anm. 58) S. 62. 60 Valois, France (wie Anm. 32) S. 109. 61 Valois, France (wie Anm. 32) S. 110; Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance bis zur Wahl Pius’ II.: Martin V. Eugen IV. Nikolaus V. Kalixtus III. (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 1), Freiburg/Rom 121955, S. 140. 57 58
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difizierte Trennzeichen, nämlich drei Punkte übereinander62. Bei Innocenz VII. erschien wiederum ein sechsstrahliger Stern über dem Namen63, außerdem stand darunter ein Stern. Einerseits dürfte es sich um eine Adaption aus der Bulle des namensgleichen Vorgängers Innocenz’ VI. handeln, andererseits findet sich bei Innocenz VII. im Wappen ein Schweifstern64. Da diese Ähnlichkeit aber nur entfernt ist, ist wohl nicht von einer heraldischen Anspielung auszugehen. Wichtiger war offenbar auch bei ihm die Orientierung an der vorschismatischen Zeit, sie erschien offenbar der Legitimationsverbesserung dienlich. Für den letzten Papst der römischen Obödienz, Gregor XII. (1406– 1415), ist ein radikal abgeändertes Siegel durch ein Beispiel aus der British Library belegt65. Die Schriftart (seit Eugen IV.), Schreibung des Titels (seit Pius II.), die bildliche Gestaltung (seit Sixtus IV.) und Zeilenzahl (seit Alexander VI.) verweisen auf das ausgehende 15. Jahrhundert oder die Zeit danach: Exakt dieselbe Rückseite ist seit 1550 unter Julius III. nachzuweisen66. Dass unter Gregor XII. eine neue Epoche der päpstlichen Bleibullen einsetzte67, ist also falsch. Vielmehr wurde ein Exemplar nach dem späteren Typus fingiert. Auf Gregors echten Bullen fand eine andere Änderung der Namensseite statt, die das Bild nicht durchgreifend veränderte, aber ebenfalls neuartig war: Oberhalb der Silbe GRE wurde das freie Feld mit einem Auge gefüllt, das unten Wimpern besaß68. Vor der ersten und letzten Zeile fand sich dazu je ein Auge ohne Wimpern. Heraldische Anspielungen scheinen dies nicht zu sein, denn Gregors Wappen sah anders aus69. Offenbar hatte der Papst, der anfangs sein Kardinalssiegel70 und dann die Halbbulle ver 62 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 92 Nr. 63; Catalogue (wie Anm. 8) S. 288 Nr. 21907; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 16 Nr. 100; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 160 Nr. 23. 63 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 93 Nr. 5; Catalogue (wie Anm. 8) S. 289 Nr. 21911. 64 Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 81. 65 Catalogue (wie Anm. 8) S. 289 f. Nr. 21917 (für 1406/09), Abb. ebd. Taf. VII. 66 Catalogue (wie Anm. 8) Taf. VIII; Serafini, Monete (wie Anm. 5) Taf. N/4. 67 So Catalogue (wie Anm. 8) S. 290: „the whole type marks an epoch in the series of Papal Bullae”; ebenso Walter de Gray Birch, Seals, London 1907, S. 282. 68 Erwähnt bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 93 Nr. 7–9; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/12; weitere derartige Beispiele finden sich etwa an Gregors Urkunden, Staatsarchiv Marburg, Urk. 27 Nr. 631, 633, 634 (1408 Aug. 2, 1409 Feb. 23, 1409 Sept. 17). 69 Zu dem Wappen vgl. Galbreath, Heraldry (wie Anm. 32) S. 81 f.; Ähnlichkeiten damit schloss schon Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42) S. 107, aus. 70 Dieter Girgensohn, Kirche, Politik und adelige Regierung in der Republik Venedig zu Beginn des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte
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wendete71, sich in den Wochen zwischen Wahl und Krönung für diese Augen als distinktive Zeichen entschieden. Ob sie gleichsam als Symbole der Offenheit zu verstehen waren, ist freilich nicht zu belegen, selbst wenn der Begriff in ähnlichem Zusammenhang erschien72. Bei seinem Gegenspieler in Avignon, Benedikt (XIII.) (1394–1417/23), für den anfangs die Bulla dimidia nachzuweisen ist73, erschien ein Kreuz in der ersten Zeile vor dem Anfang des Namens, während unter der Schrift wohl ein weiteres Kreuz stand74. Dem Papst stellte sich ohnehin das Problem, dass er seine Bulle von 1398 bis 1403 nicht zur Verfügung hatte75. Benedikt ließ in dieser Zeit durch einen Kardinal siegeln76 oder benutzte ein Sekretsiegel in Rotwachs, das die Apostelköpfe und sein Wappen zeigte77, sich also den heraldisierten Bullen der Vorgänger annäherte. Es ist recht eigenartig, aber wohl 118), Göttingen 1996, 1, S. 130; Germano Gualdo, Litterae ante coronationem agli inizi del ’400. Innocenzo VII e Gregorio XII, in: Ders., Diplomatica pontificia e umanesimo curiale. Con altri saggi sull’Archivio Vaticano tra medioevo ed età moderna. A cura di Rita Cosma (Italia Sacra 79), Rom 2005, S. 99–147, hier S. 110 f. 71 Gualdo, Litterae (wie Anm. 70) S. 111 f.; Dieter Girgensohn, Kardinal Antonio Caetani und Gregor XII. in den Jahren 1406–1408: Vom Papstmacher zum Papstgegner, in: QFIAB 64 (1984) S. 116–226, hier S. 156 Anm. 187; außerdem Johannes Vincke, Acta concilii Pisani, in: Römische Quartalschrift 46 (1938) S. 81–331, hier S. 230–232; Schedario Baumgarten 4 (wie Anm. 48) Nr. 7023. 72 Vgl. etwa Gustav Sommerfeldt, Johann Falkenbergs Stellung zur Papstfrage in der Zeit vor dem Pisaner Konzil (1408), in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 31 (1910) S. 426–436, hier S. 432, zu Gregor XII., erat namque princeps, cuius vitam omnium mortalium oculi [...] considerabant. 73 Sie hängt an seiner Wahlanzeige für den Herzog der Bretagne (1394 Okt. 1), Nantes, Archives départementales Loire-Atlantique, Trésor des chartes, E 43–4, aufzurufen unter: archives.loire-atlantique.fr/jcms/chercher/archives-numerisees/actes-et-deliberations/tresordes-chartes-des-ducs-de-bretagne/tresor-des-chartes-fr-t1_6166, unter: Relations avec la chancellerie pontificale, Rapports politiques et généraux (Zugriff vom 3.10.2017). 74 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 96 Nr. 7, mit Taf. L/9; Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 280 Nr. 2, Taf. 61 Nr. 13 (1405 Apr. 23). 75 Vgl.: Martin de Alpartils Chronica Actitatorum temporibus domini Benedicti XIII., hg. von Franz Ehrle (Quellen und Forschungen aus dem Gebiete der Geschichte 12), Paderborn 1906, hier S. 40, 44 (Entzug der Bulle durch den Kardinal Jean de Brogny, 1398 März 10), S. 142 (Rückgabe, 1404 Apr. 1). 76 Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 151; Ders., Von der apostolischen Kanzlei (wie Anm. 4) S. 128 f., sowie Schedario Baumgarten (wie Anm. 48) Nr. 6750–6753. 77 Es trug die Beschriftung +: S: Secretvm: Benedicti: PP: XIII.; belegt ist es für 1402 Okt. 5 bei Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 279 f. Nr. 1, Taf. 64 Nr. 3, mit der Siegelankündigung (ebd. S. 280, Anm. 1): Quia, post subtractionem bulle nostre papalis nobis factam in arcta oppressione, decenti bulla ipsa juxta morem Romane curie non utimur, hanc paginam apostolorum annulo impendenti iussimus communiri, cui, ac si sub bulla nostra plumbea bullata fuisset, plenam fidem volumus adhiberi.
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Zeichen seiner bedrängten Position, dass Benedikt keinen Ersatz für die entwendeten Bullenstempel beschaffen oder das vorige Exemplar verrufen ließ. In der Spätphase des Schismas waren seine Möglichkeiten offenbar sehr beschränkt, aber Benedikt XIII. legitimierte sich immerhin auch im Sekretsiegel durch beide Apostel. Darauf wies er in einer Corroboratio hin, und sie zeigte zugleich, dass es sich um eine Substitution der Bleibulle handelte. Dies war eine Besonderheit, denn solche Sekretsiegel sind auch von Clemens (VII.) bekannt, aber er kündigte sie nicht derart an78.
6. Brüche und Rückgriffe seit 1409 Die Päpste der Pisaner Obödienz, Alexander V. (1409–1410) und Johannes (XXIII.) (1410–1415), verwendeten eher konventionelle Siegel79, aber sie wichen doch in den Einzelheiten von den älteren Beispielen ab. Dies galt insbesondere für die seit 1260 überwiegend unveränderte Zahl der auf der Apostelseite verwendeten Punkte80. Johannes (XXIII.) musste zudem entgegen dem vorigen Brauch das Kürzel PP in die zweite Zeile ziehen, um seine Ordinalzahl unterzubringen, was unter seinem Vorgänger Johannes XXII. noch ohne solche Änderungen gelungen war. Mit dem Jahr 1409 und dem Ende der anderen Obödienzen bei der Lösung des großen abendländischen Schismas setzte jedenfalls eine neue Epoche der Bullengestaltung ein, die sich allmählich und eher ungewollt von der älteren Form löste. Auch das Konstanzer Konzil verwendete eine Bulle, die als eine Art Vakanzsiegel die Apostelköpfe zeigte81, auf der anderen Seite aber gekreuzte Schlüssel führte. Die Kirchenversammlung hatte sich dafür beide Bullenstempel neu schneiden lassen82. Bei papstnahen Institutionen war ein sol Vgl. hierzu Pierre Gasnault, Trois lettres secrètes de Clément VII. (Robert de Genève) et une supplique originale signée par ce pape, in: Palaeographica (wie Anm. 4) S. 337–351, hier S. 343–347. 79 Für Johannes XXIII. vgl. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 99 Nr. 3; für ihn und Alexander V. vgl. Catalogue (wie Anm. 8) S. 290 Nr. 21917, 21919. Der Hinweis auf ein päpstliches Wappen auf der Bulle, den einige Quellen angesichts der Zerstörung des Stempels gaben, ist ohnehin anzuzweifeln, vgl. Hans Schneider, Die Siegel des Konstanzer Konzils, in: Annuarium Historiae Conciliorum 10 (1978) S. 310–345, hier S. 322. 80 Vgl. unten Anm. 181. Bei Alexander wurden zudem erste Kapitalisformen in der Beschriftung notiert, vgl. Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 366; Dens., L’introduzione (wie Anm. 2) S. 72. 81 Schneider, Siegel (wie Anm. 79) S. 338, 342 f. 82 Der Apostelstempel war nicht derjenige Johannes’ XXIII., obwohl das Konzil ihn erhalten und womöglich bewahrt hatte, vgl. Schneider, ebd. S. 333–335, sowie unten Anm. 182. 78
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ches Aussehen schon länger üblich. Aus avignonesischer Zeit oder sogar von davor stammt ein eigenes doppelseitiges Bleisiegel für die Grafschaft Venaissin. Es besaß einen größeren Durchmesser als die üblichen Bullen, und es hatte auf der einen Seite den heiligen Petrus als Büste, auf der anderen die gekreuzten Schlüssel83. Ähnlich sah das Bleisiegel des päpstlichen Offizialats in Avignon aus, das gleichfalls die Schlüssel und auf der anderen Seite die Tiara zeigte84. Der parallele Gebrauch dieser Bullen lag in den getrennten Verwaltungen begründet, und sie waren unabhängig vom jeweiligen Papst verwendbar. Unmittelbare Wechselwirkungen zur Gestaltung der normalen päpstlichen Bullen sind anfangs noch nicht zu vermerken. Wenn die gekreuzten Schlüssel beim Siegel des Konstanzer Konzils wiederkehrten85, stellte das vielleicht eine Adaption aus solchen Vorbildern dar, da es ebenfalls als kirchliche Institution päpstliche Funktionen wahrnahm. Mit der Wahl Martins V. (1417–1431) endeten die Nachweise für die Verwendung der Konzilsbulle. Aus ihr übernahm Martin die Apostelseite nicht, obwohl er die Halbbulle verwendete86. So dürfte die Gravur seiner beiden Stempel von einem Meister im Bodenseegebiet stammen. Ihr Aussehen war vergleichsweise konservativ87, und doch wurde die ältere Ge Auf der Petrusseite lautete die Umschrift + sigillum domini pape, auf der Schlüsselseite + in Venaysini, vgl. Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 276 Nr. 1, Taf. 44 Nr. 4 (Beispiel von 1335); ebenso ist diese Bulle Clemens VI. zugeordnet bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 71 Nr. 13, ebd. Taf. K/11. Bei De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/9, wird sie um 1305 datiert; vgl. dazu ebd. S. 403 f. Nr. CXX. Douët d’Arcq, Collection (wie Anm. 6) S. 449 Nr. 6253, setzte sie nicht genauer an als im 14. Jahrhundert, während Ders., Envoi des plusieurs estampages d’une bulle de plomb, in: Revue des sociétés savantes de la France et de l’étranger 5. sér, 4 (1872/2) S. 522 f., ihren Gebrauch seit 1274 oder 1309 für möglich hielt. 84 Auf der Tiaraseite + bulla cvrie dni nri pape, auf der Schlüsselseite + dиi civitat aviиioиis. An einer Urkunde von 1378 Juni 19 nachgewiesen ist das Stück bei Blancard, Iconographie (wie Anm. 7) S. 295 Nr. 1, Taf. 44 Nr. 2; vgl. auch: Catalogue des plombs de l’antiquité, du moyen age et des temps modernes conservés au département des médailles et antiques de la Bibliothèque Nationale, hg. von Michel Rostovtsew/Maurice Prou, Paris 1900 Nachdr. Florenz 1977, S. 314 f. Nr. 994. Das Siegel ist Gregor X. zugeordnet bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 80 Nr. 82, mit Taf. L/2, während Douët d’Arcq, Collection (wie Anm. 6) S. 449 Nr. 6251 f., spätere Belegstücke hat (1449, 1518). 85 Vgl. dazu Schneider, Siegel (wie Anm. 79) S. 333, zu möglichen Vorbildern auf Münzen und zur Deutung ebd. S. 335–338. 86 Hans Schneider, Die Halbbulle Felix’ V. Zur Imitation kurialen Kanzleibrauchs in der Basler Konzilskanzlei, in: Annuarium Historiae Conciliorum 17 (1985) S. 457–463, hier S. 460 mit Anm. 22. 87 Abb. bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 106 Nr. 92, Taf. L/11; Catalogue (wie Anm. 8) S. 291 Nr. 21921; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 16 Nr. 102 f.; Guglieri Navarro, Catálogo (wie Anm. 8), Taf. 1; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/11. 83
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stalt bei der Zahl der Punkte auf der Apostelseite nicht wieder erreicht88. Auch an die in Avignon und danach vorgenommenen Innovationen auf der Namensseite wurde nicht angeknüpft.
7. Humanistische Erneuerung seit 1431 Mit Eugen IV. (1431–1447) begann sich 1431 die Namensseite der Bulle in zweierlei Hinsicht zu verändern: Über dem Papstnamen trat nun erstmals seit Paschalis II. und Benedikt (XIII.) ein Kreuz auf, und der Text wurde aufgrund humanistischen Einflusses ganz in Kapitalis geschrieben89. Die Änderungen gingen wohl auf den Goldschmied Antonio Mathei Ghini aus Florenz zurück, dem für die Anfertigung eines Bullenstempels und des Fischerrings, aber auch für deren Wartung, genau 100 Gulden ausgezahlt wurden90. Das Sekretsiegel am Ring wurde für Eugen im Aussehen völlig neu gestaltet91, was über die Änderung der Bulle noch hinausging. Dieselbe Summe bekam auch Andrea Vecchio, ein römischer Goldschmied, 1447 beim Pontifikatsbeginn Nikolaus’ V. für die Herstellung mediae bullae, also der Namensseite, angewiesen92. Die 100 Kammergul-
Vgl. zu den Abweichungen Anm. 183. Zur Bewertung vgl. Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 304, 365 f.; Abb. für Eugen IV. bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 111 Nr. 55; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 16 Nr. 104 f.; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 166 Nr. 25; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/13; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/12. 90 Eugène Müntz, Les arts à la cour des papes. Nouvelles recherches sur les pontificats de Martin V, d’Eugène IV, de Nicolas V, de Calixte III, de Pie II et de Paul II, in: École française de Rome: Mélanges d’archéologie et d’histoire 5 (1885) S. 321–337, hier S. 330 (1431 Okt. 2/24), wobei nur 10 Gulden pro factura et scultura [!] dictae stampae bzw. pro factura stam pae bullae plumbeae angewiesen wurden, der Rest entfiel auf dessen Wartung. Vgl. auch Emil von Ottenthal, Kunsthistorische Notizen aus den päpstlichen Registern, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 5 (1884) S. 440–444, hier S. 443 Nr. 4; Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 149. 91 Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 304; Ders., L’introduzione (wie Anm. 2) S. 14. 92 Eugène Müntz, Les arts à la cour des papes. Nouvelles recherches sur les pontificats de Martin V, d’Eugène IV, de Nicolas V, de Calixte III, de Pie II et de Paul II, in: École française de Rome: Mélanges d’archéologie et d’histoire 9 (1889) S. 134–173, hier S. 150 (1447 Apr. 7, Kürzungen und Ergänzungen wie dort): Provido viro Andreae Vecchio aurifici de Urbe, ex r(egione) Pontis, florenos auri de camera centum sine retentione pro confectione et fabrica tione mediae bullae Smi. D. N. Nicolai papae V. Abb. der Bullen für Nikolaus V. geben vgl. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 115 Nr. 49; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 17 Nr. 106 f. 88 89
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den waren bereits unter Gregor XI.93 und Bonifaz IX.94 für die Anfertigung der Stempel vorgekommen und sie blieben als Fixbetrag bis mindes tens 1503 üblich. Damit entlohnte man recht unterschiedliche Arbeiten, da das Bullierungswerkzeug, der Fischerring, ein oder zwei Stempel und die Instandhaltung eingeschlossen sein konnten. Für Felix V., der gegen Eugen IV. erhoben wurde, wurde wieder der Gebrauch der Halbbulle festgestellt95, anscheinend aus denselben Gründen wie bei Clemens (VII.). Bei Felix V. war die Namensseite konservativer gestaltet, da die gotische Majuskel hier noch einmal auftrat96. Bei seinen beiden bekannten Typen, einem frühen, der vergleichsweise ungewöhnlich war97, und einem graphisch ausgewogenen späteren, findet sich über und nach bzw. unter der Schrift je ein Kleeblatt- oder Wiederkreuz98. Das Haus Savoyen führte zwar ein einfaches Kreuz im Wappen, dessen Form aber von dem, das auf den Bullen zu sehen ist, abwich. Eine eindeutige Identifikation des Kreuzes auf dem Siegel als heraldisches Zeichen ist also kaum möglich, vielleicht aber war die Doppeldeutigkeit bewusst gesucht99. Nach der Abdankung verzichtete Felix ausdrücklich auf den Fischerring, doch auch die Bleibulle benutzte er nicht mehr100.
Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 148 (13[71] Juli 22), pro factura ac repara tione cugnorum bulle. 94 Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) ebd. (1390 März 1), pro manufactura bulle. 95 Schneider, Halbbulle (wie Anm. 86) S. 460; Elisa Mongiano, La cancelleria di un antipapa. Il bollario di Felice V (Amadeo VIII di Savoia), (Biblioteca storica subalpina 204), Turin 1988, S. 61, ebd. S. 204 Nr. 1. 96 Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) S. 26; Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 304. 97 Der dreizeilige Typus von 1440 hat anders als alle Vorgängerbullen eine Ordinalzahl in ausgeschriebener Form, vgl. zu ihm Schneider, Halbbulle (wie Anm. 86) S. 463, Abb. 1 Nr. 3, mit der Beschriftung: + | :FELIX: | :PP: QVIN | TVS +. 98 Ein zweizeiliger Typus mit römischer Zahl ist nachgewiesen im Schedario Baumgarten 4 (wie Anm. 48) Nr. 7439 (1441 Febr. 4), Nr. 7442, Nr. 7448, und bei Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) Taf. 4 (von 1441 März 13); Catalogue (wie Anm. 8) S. 293 Nr. 21938 (von 1445), Abb. ebd. Taf. VIII, mit Beschriftung: + | :FELIX: | :PP:V: | +; ferner Mongiano, Cancelleria (wie Anm. 95) S. 61. 99 Seine Wappen waren für Felix V. durchaus bedeutender Bestandteil der Repräsentation, vgl. Ursula Giessmann, Der letzte Gegenpapst: Felix V. Studien zu Herrschaftspraxis und Legitimationsstrategien (1434–1451) (Papsttum im mittelalterlichen Europa 3), Köln/Weimar/Wien 2014, S. 156, 161 f. 100 Auf ersteres verweist Giessmann, Gegenpapst (wie Anm. 99) S. 356; letzteres geht aus den Siegelankündigungen, ebd. Anm. 1395, hervor. 93
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Für Calixt III. (1455–1458) findet sich im Katalog der Siegel des British Museum (nun in der British Library) wiederum ein Belegstück101, das ebenfalls radikal mit der Tradition der Bleibullen zu brechen scheint: Auf einer Seite sieht man den von der Mitra bedeckten Kopf des Papstes im Profil mit der Beschriftung Calistus Papa Tertius, auf der anderen Seite die üblichen Apostelköpfe dieser Zeit: Der überstehende Randwulst fällt hier auf, während die Porträtseite relativ verwaschen aussieht. Für Calixt III. ist eine Medaille des Andrea Guaccialotti mit genau diesem Bild belegt102, deren Rückseite sein Wappen mit der Umschrift Alfonsus Borgia Gloria Ispanie trägt103. Laut Beschreibung hat die fragliche Bulle aus London Reste von blauen Seidenfäden104, was für Papsturkunden eine recht ungewöhnliche Farbwahl wäre. Offenbar handelte es sich dabei um ein Produkt, das aus einem Abschlag oder eher Abguss der Medaille und einer Bulle erzeugt wurde. Der beibehaltene große Unterschied im Durchmesser der Medaille (42 mm)105 und der normalen Bleibulle (ca. 32 mm)106 spricht für sich. Da dieses Beispiel als Innovation in der Literatur erwähnt wird107, muss betont werden, dass es gefälscht ist. Die übrigen Bullen dieses Papstes haben das damals sonst übliche Aussehen108: Für Calixt III. ist belegt, dass zwischen Wahl und Krönung (8./20. April 1455) wieder der Catalogue (wie Anm. 8) S. 295 Nr. 21946, Abb. ebd. Taf. VIII. George Francis Hill, The Roman Medallists of the Renaissance to the Time of Leo X (Papers of the British School at Rome 9/2 (1919) S. 16–66, Taf. 2/1; vgl. dazu ebd. S. 19; Ders./Graham Pollard, Renaissance Medals from the Samuel H. Kress Collection at the National Gallery of Art, London 1967, S. 41 Nr. 208, vgl. dazu auch Markus Wesche, Herrscherbild und Türkenkreuzzug: Über das Aufkommen päpstlicher Medaillen und Ereignismünzen im 15. Jahrhundert, in: Enea Silvio Piccolomini nördlich der Alpen, hg. von Franz Fuchs (Pirckheimer-Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 22, 2007), Wiesbaden 2008, S. 121–141, hier S. 131; Avigdor W. G. Posèq, On the Orientation of Heads on Renaissance Medals, in: Notes in the History of Art 24/3 (2005) S. 21–27, hier S. 25. 103 Hill, Medallists (wie Anm. 102) Taf. 2/3; Ders., A Corpus of Italian Medals of the Renaissance before Cellini 1–2, London 1930, hier 1, S. 193 Nr. 747; Edoardo Martinori, Annali della Zecca di Roma, Nicolò V, Calisto III, Pio II, Rom 1918, S. 32. 104 Catalogue (wie Anm. 8) S. 295 Nr. 21946: „Leaden, patinated in parts: indistinct. Ori ginally app. to a document by a strand of blue silk.” 105 Hill/Pollard, Renaissance Medals (wie Anm. 102) S. 41 Nr. 208. 106 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 118 Nr. 45–47, in Verbindung mit ebd. S. 106 Nr. 92. 107 Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) S. 215; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 387; zuletzt in NN, Eine Bleibulle als Programm: Das Siegel Papst Pauls II., unter www.landesarchiv-bw. de/web/56433 (Zugriff 5.5.2017). Dagegen vgl. bereits Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 359 Anm.1; Dens., L’introduzione (wie Anm. 2) S. 66 Anm. 258. 108 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 118 Nr. 45. 101 102
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einschlägig erfahrene Andrea Vecchio aus Rom tätig wurde. Man wies ihm die Summe von 100 Gulden für die Anfertigung der halben Bleibulle, sprich der Namensseite, an109. Pius II. (1458–1464) übernahm von Calixt III. den Apostelstempel, der seit Eugen IV. oder Martin V. in Benutzung war. Seine Namensseite zeigte erstmals den Titel in ausgeschriebener Form110, was vielleicht durch die Kürze des Papstnamens bedingt war. Außerdem vermied man so einen zweizeiligen Text auf dem Siegel, der vorher nur bei Felix V. vorgekommen war. Die Anfertigung des Stempels einer halben Bulle, mediae bullae, ist gleichfalls in den Rechnungen vermerkt: 100 Gulden wurden dafür den Goldschmieden Simon und Andrea Vezerii von Florenz gezahlt111. Ihre Arbeit ist nicht erhalten, denn eine im British Museum aufbewahrte Prägezange Pius’ II. dürfte gefälscht sein112.
8. Der Neuansatz von 1464 Paul II. (1464–1471) nutzte anfangs die Halbbulle, für die er den üblichen Apostelstempel von seinem Vorgänger übernahm113. Mit der Krönung wurde sein Siegel dann durchgreifend verändert, und zwar auf beiden Seiten114. Das Bildhafte wurde gegenüber der Schrift gestärkt, und durch die Quellenauszüge bei Eugène Müntz, Les arts à la cour des papes pendant le XVe et le XVIe siècle, 1–3 (Bibliothèque des écoles françaises d’Athènes et de Rome 4, 9, 28), Paris 1878–1882, Nachdr. Hildesheim 1983, hier 1, S. 207, als Andrea Cola Vecchio (1455 Apr. 14); Martinori, Annali (wie Anm. 103) S. 33. 110 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 124 Nr. 90; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/13. 111 Müntz, Les arts (1878/82) (wie Anm. 109) S. 313 (1458 Sept. 20). 112 Vgl. unten Anm. 122. 113 Ein Beispiel der Halbbulle findet sich in Nantes, Archives départementales Loire-Atlantique, Trésor des chartes (wie Anm. 73), E 44–17 (1464 Sept. 11). Vgl. weiter Thomas Frenz, Die Kanzlei der Päpste der Hochrenaissance (1471–1527) (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom 63), Tübingen 1986, S. 64 Anm. 31 (zitiert ein Belegstück aus Köln); Robert Weiss, La bolla plumbea di Paolo II, in: Numismatica NS 2 (1961) S. 129–135, S. 129; vgl. auch: Le Vite di Paolo II di Gaspare da Verona e Michele Canensi, hg. von Giuseppe Zippel (RIS2 3, 16), Città di Castello 1904–1911, S. 112, Anm. 4 (Beleg aus Florenz, 1464 Sept. 11). 114 Vgl. dazu Weiss, Bolla (wie Anm. 113) passim; Massimo Miglio, Vidi thiaram Pauli papae secundi, in: Bulletino dell’Istituto storico italiano per il medio evo e Archivio Muratoriano 81 (1969) S. 273–296, hier S. 276 f.; Benoît Jordan, La bulle du Pape Paul II (1464– 1471), in: Revue française d’héraldique et de sigillographie 65 (1995) S. 168–169 (mit Abb.); Claudia Märtl, Amtsautorität und Individualisierung der päpstlichen Repräsentation der 109
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Darstellung des thronenden Papstes mit der Tiara wurde der monarchische Charakter des Amtes betont115. Seine Begleitung durch zwei Kardinäle und den sieben in gebeugter Haltung vortretenden Bittstellern zeigte die Kurie als Ensemble, das sich auf den Papst zentrierte. Die dargestellte Szene dürfte sich nicht auf ein konkretes Ereignis beziehen116, da aber einige der Bittsteller Bärte tragen, scheinen Personen aus dem Osten abgebildet zu sein117. All das zeigte die eine, von Paul II. geleitete Gesamtkirche als weltliche und geistliche Institution: Passend dazu findet sich diese Änderung auf der personalisierten Namensseite. Beim pontifikatsübergreifenden Kontinuum, den Aposteln, wurde die Darstellung ebenfalls durchgreifend verändert, denn auch sie thronten nun und hielten einen Schlüssel bzw. ein Schwert in der Hand. Beschriftet waren sie mit •SPAV | •SPET. Auch damit wurde die doppelte Gewalt des Papsttums viel differenzierter herausgestellt als in den älteren Siegeln, die Herleitung der Stellung des Siegelführers von den Aposteln war noch augenscheinlicher geworden, weil man seine Person erstmals in Ausübung des Amtes sah. Der visuelle Bezug auf den Papst war nicht mehr heraldisch verschlüsselt: Erstmals erblickte man hier den Urheber auch in einer Papsturkunde. Ob dieses veränderte Aussehen von den Bullen der venezianischen Dogen abhing118, ist trotz der Herkunft Pauls II. aus Venedig sehr fraglich119. Wahrscheinlicher ist – ungeachtet der Distanz zum Vorgängerpapst – der Einfluss der humanistischen Medaillengestaltung, die unter Frührenaissance, in: Mitteilungen des Sonderforschungsbereichs 573, 2 (2007) S. 33–42, hier S. 38; dazu auch Ulrich Hussong, Die Bleibulle an der Duderstädter Papsturkunde von 1470, in: Die Goldene Mark 38 (1987) S. 10–16 (mit Abb. S. 12 f.); Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 305; Ders., L’introduzione (wie Anm. 2) S. 14 f.; Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) S. 215 mit Taf. 36 Nr. 15 f.; Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42) S. 109; Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. XC, Beispiele ebd. S. 138 Nr. 172; Catalogue (wie Anm. 8) S. 295 f. Nr. 21954, 21956; Rostovtsew/Prou, Catalogue (wie Anm. 84) S. 311 Nr. 978; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/14; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 385 Abb. 233/l; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/14. 115 Märtl, Amtsautorität (wie Anm. 114) S. 38; zur Tiara vgl. Massimo Miglio, Storiografia pontificia del quattrocento (Il mondo medievale 2), Bologna 1985, S. 127–132. 116 Hill, Medallists (wie Anm. 102) S. 30, sah hier einen möglichen Bezug auf den Empfang des Despoten Thomas Palaiologos samt Familie beim Papst; vgl. auch: Palazzo Venezia, Paolo II e le fabbriche di S. Marco, Roma 1980, S. 26. Dies ist aus grundsätzlichen Erwägungen und auch deshalb auszuschließen, da die Bulle bereits vorher in Gebrauch war, vgl. Weiss, Bolla (wie Anm. 113) S. 130; Miglio, Storiografia (wie Anm. 115) S. 126; Ders., Vidi (wie Anm. 114) S. 277; Hussong, Bleibulle (wie Anm. 114) S. 14. 117 Weiss, Bolla (wie Anm. 113) S. 130. 118 Giulio Battelli, Bolla, in: Enciclopedia Cattolica 2 (1949) Sp. 1778–1781, hier 1779. 119 Miglio, Storiografia (wie Anm. 115) S. 126 Anm. 11.
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Pius II. erst ihren Aufschwung genommen hatte120. Von der fraglichen Bulle Pauls II. wurden jedenfalls Medaillenabschläge aus Bronze angefertigt121, und sogar gefälschte Siegelstempel sind hierfür belegt122. Wegen der Technik ihrer Herstellung hat man die Typare dieser Bulle einem Goldschmied zugewiesen, und verschiedene Urheber wurden dafür vermutet, darunter Emiliano Orfini123. In Italien und Deutschland nahmen die Zeitgenossen den radikalen Schnitt in der Siegelgestaltung Pauls II. wahr124. Mit den gleichzeitigen Medaillen stand die neue Bulle sicherlich in Zusammenhang, da es gleich drei Beispiele von diesem Papst mit ähnlichem Bildprogramm gab125. Selbst an seinem Grab befanden sich medaillonartige Reliefs, darunter eines, das Paul II. in der Audientia publica zeigte, und zwar genau so wie auf den Medaillen und recht ähnlich wie im Siegelbild126. Auch hier fand der Transfer der Medaille ins Monumentale statt127. All diese Innovationen stellten besondere Bezüge zur Person des Papstes her. 120 Wesche, Herrscherbild (wie Anm. 102) S. 125–133; zu den Medaillen Pauls vgl. vor allem Roberto Weiss, Un umanista veneziano. Papa Paolo II (Civiltà veneziana, saggi 4), Venezia/Roma 1958, hier S. 49–67. 121 Hill, Medallists (wie Anm. 102) S. 30; Ders., Corpus 1 (wie Anm. 103), S. 202 Nr. 777, ebd. 2, Taf. 129; Rostovtsew/Prou, Catalogue (wie Anm. 84) S. 311 f.; Weiss, Umanista (wie Anm. 120) S. 66, der die Verteilung dieser Medaille durch den Papst für möglich hält. 122 Es handelt sich um ein zangenartiges Exemplar im British Museum mit zwei Bronzestempeln, das verzeichnet ist unter: www.britishmuseum.org/research/collection_online/ search.aspx (Zugriff vom 25.9.2017), unter der Objektnummer 1856,0417.4 (mit Abb., ohne Hinweise auf die zweifelhafte Echtheit); vgl. zur Einordnung Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) S. 118 f. Anm. 3; Achim Thomas Hack, Die zwei Körper des Papstes ... und die beiden Seiten seines Siegels, in: Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung, hg. von Gabriela Signori, Darmstadt 2007, S. 53–63, hier S. 56. Ebenfalls falsch ist eine im British Museum (Objektnummer 1893,0618.52, Abb. wie zuvor) aufbewahrte, eiserne Prägezange für Pius II., da sie im Siegelbild beider Seiten starke Abweichungen hat. 123 Vgl. dazu Weiss, Bolla (wie Anm. 113) S. 130, der die Bulle Pauls II. Orfini zuweist; vgl. zu diesem weiter Anm. 128 f. 124 Quellenstellen gibt Weiss, Bolla (wie Anm. 113) S. 132; vgl. auch Ludwig von Pastor, Geschichte der Päpste im Zeitalter der Renaissance von der Thronbesteigung Pius’ II. bis zum Tode Sixtus’ IV. (Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters 2), Freiburg/ Rom131955, S. 757 f. Nr. 63, sowie unten Anm. 128 f. 125 Sie alle zeigten dieselbe Szene mit den Unterschriften Audientia publica, Sacer Senatus und Consistorium publicum, vgl. Hill, Corpus 1 (wie Anm. 103) Nr. 761bis, 765 f., vgl. dazu Märtl, Amtsautorität (wie Anm. 114) S. 38. 126 Zum Grab vgl. Palazzo Venezia (wie Anm. 116) S. 33–36 Nr. 12; Wendy J. Reardon, The Deaths of the Popes. Comprehensive Accounts, including Funerals, Burial Places and Epitaphs, Jefferson 2010, S. 162, und zum Konnex Weiss, Umanista (wie Anm. 120) S. 60 f., 76. 127 Vgl. dazu Weiss, Umanista (wie Anm. 120) S. 69–81; Wesche, Herrscherbild (wie Anm. 102) S. 128.
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Pauls Vita des Michele Canensi lobte die Neuerung der Bulle, novo et magnificentiori plumbationis genere usus est, [...] fuit multo artificioris digniorisque operis ac sculpturae128. Ein Deutscher, Matthias Döring (†1469), nannte die Neuschöpfung hingegen contra morem solitum129; er charakterisierte sie mithin ebenso wie schon Mathias von Neuenburg den heraldischen Vorstoß Clemens’ VI. Beides dürfte die kritische Sicht der Peripherie spiegeln, die erneuerte Siegelbilder als unpassend für Päpste ansahen. Bei Vidimierungen ihrer Urkunden hieß es standardisiert more Romane curie bullata – und das bedeutete, gerade das unveränderte Aussehen gemäß kurialem Brauch verbürgte die Legitimität der Urkunden130. Das war offenbar weitaus wichtiger als jede Wendung zu einer neuen Bildpropaganda durch Anpassung an die Fortschritte in Kunst und Technik. Der vielbeschworene Empfängereinfluss konnte sich anscheinend durch Erwartungen auswirken, wie sich bald im Siegel zeigte.
9. Gemäßigter Neuanfang seit 1471 Unter Sixtus IV. (1471–1484) wurde wohl aus den genannten Erwägungen heraus das frühere Gesamtbild der Bulle wiederhergestellt, als ihm die Goldschmiede Petrus von Siena und Hieronymus von Sutri beide Stempel neu anfertigten131. Einige neue Elemente aus den Siegeln der Vorgänger blieben dennoch bestehen. So erschien wieder das Kreuz vor dem Papst
Le vite, ed. Zippel (wie Anm. 113) S. 112. Vgl. seine Fortsetzung des Dietrich Engelhus: Hic plumbum papale contra morem soli tum Romane curie mutavit; vgl. Adolf Friedrich Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis 4/1, Berlin 1862, S. 234 (Interpunktion geändert). Das rezipierte Paulus Lang, Chronicon Citizense, in: Germanicorum Scriptorum, que rerum a Germanis per multas aetates gestarunt Historias vel Annales posteris reliquerunt, hg. von Ioannes Pistorius/ Burcardus Gotthelffius Struvius, 1, Regensburg 31726, S. 1116–1291, hier S. 1249: Hic papale plumbum contra morem mutavit. 130 Ausnahmen waren selten, aber nötig, wenn sich das Siegelbild mittlerweile verändert hatte, vgl. RI III/5/2 Nr. 358 (1047, nach Jan. 5) S. 29: dort wird der Kommentar einer Abschrift von 1413 zitiert, die Bulle eines Privilegs Clemens’ II. sei non more aliarum apostoli carum bullarum gestaltet. 131 Müntz, Les arts (1878/82) (wie Anm. 109) S. 246, 1471 Okt. 24: Honorabilibus viris ma gistris Petro de Senis et Hieronymi de Sutrio sociis aurifabris infrascriptas pecuniarum summas [...]: Primo pro factura stamparum novarum plumbi flor. centum. Wieder wurden 100 Gulden gezahlt, obwohl nun anders als zuvor beide Seiten neu angefertigt wurden. Vgl. auch Edoardo Martinori, Annali della Zecca di Roma, Sisto IV, Innocenzo VIII, Roma 1918, S. 31. 128 129
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namen132, und der Titel wurde wie schon bei Pius II. ausgeschrieben. Die Apostelköpfe wurden nun ebenfalls modernisiert und deutlich detaillierter gestaltet. Die Beschriftung SPA | SPE blieb, wie schon bei Paul II., vertikal ausgerichtet133. Der neue Stempel blieb bis unter Alexander VI. in Gebrauch134. Die Bullen dieser Zeit hatten bei den Ein- und Austrittsstellen der Schnüre halbkreisförmige Einkerbungen, die von den Apostelnamen oft nur PA | PE erkennen ließen, auch SPA | PE wurde bisweilen geprägt135. Diese Unvollkommenheit, zu der ein deutlich tiefer als das A ausgerichtetes E kam, wurde über drei Pontifikate lang nicht ausgeglichen, offenbar war sie durch die Konstruktion des Prägeinstruments bedingt. Bei Innocenz VIII. (1484–1492) hatte die Namensseite wieder die ältere Form der Titelkürzung PP136, wahrscheinlich bedingt durch die Länge der Beschriftung. Die Goldschmiede Emiliano Orfini und Nardo Corbolini stellten diesen Stempel für die üblichen 100 Gulden her137. Bei Alexander VI. (1492–1503) waren für die Namensseite wohl nacheinander zwei Stempel in Gebrauch. Name, Titel (einmal PP, dann PAPA) und Ordinalzahl verteilten sich einmal auf die üblichen drei und danach erstmals auf vier Zeilen138, wobei das Anfangskreuz (über den Textzeilen) beibehalten wurde139. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 147 Nr. 127; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/15; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 17 Nr. 113. 133 Catalogue (wie Anm. 8) S. 297 Nr. 21961; bei Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 147 Nr. 127 mit Taf. M/5. Vgl. dazu Bresslau/Klewitz, Handbuch (wie Anm. 1) S. 611. 134 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 153, S. 158, Taf. M/6–7; Catalogue (wie Anm. 8) S. 297 f. 135 Sixtus’ IV. Urkunden für Hersfeld zeigen diverse Varianten, vgl. Staatsarchiv Marburg, Urk. 56 Nr. 1154 (SPA|SPE, 1482 März 18, verzeichnet zu 1481), Nr. 1168 (iPA|SPE, 1484 März 21), Nr. 1169 (SPA|PE, 1484 März 31). Ähnliches gilt für die Urkunden Alexanders VI. für Hersfeld und Fulda (ebd. Urk. 56 Nr. 2367; Urk. 75 Nr. 1284 f., alle PA | PE), oder die Beispiele von Sixtus IV. und Innocenz VIII. im Gatterer-Apparat, bei Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 17 Nr. 114, S. 18 Nr. 116. 136 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 183 Nr. 77. 137 Vgl. Edoardo Martinori, Annali della Zecca di Roma, Sisto IV, Innocenzo VIII, Rom 1918, S. 61 (1484 Okt. 12): Miliano et Nardo aurificibus Florenos auri centum de Camera pro factura stampe plumbi bullarum apostolicarum, ut est moris. Der erstgenannte war damals in der päpstlichen Münze tätig, vgl. Martinori, ebd. S. 53. Vgl. ferner Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. XC, Anm. 6; Weiss, Bolla (wie Anm. 113) S. 130. 138 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 158 Nr. 67 f.; Paul Maria Baumgarten, Bullenstempel, in: Römische Quartalschrift 28, 2 (1914) S. 48*–60*, hier S. 49*. Den vierzeiligen Typ erwähnte auch Catalogue (wie Anm. 8) S. 298 Nr. 21971; Abb. bei Ludwig Schmitz-Kallenberg, Practica Cancellariae Apostolicae saeculi XV. exeuntis, Münster 1904, Taf. IVb (1497), für den dreizeiligen vgl. Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 161 Nr. 34, S. 166 (Abb.). 139 Das gilt für die vier- und auch für die dreizeilige Version, vgl. zu letzterer Staatsarchiv Marburg, Urk. 56 Nr. 2367 (1494), während Serafini, ebd. Nr. 68, zum Kreuz ein Fragezeichen gesetzt hatte. 132
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10. Durchbruch der Wappen seit 1503 Unter Pius III., der im Oktober 1503 für wenige Tage im Amt war, kam es zu einigen sehr folgenreichen Neuerungen auf beiden Seiten der Bulle. Der Name stand unter dem Kreuz, die nächsten beiden Zeilen endeten mit einer Rosette, und auch hier wurde PAPA ausgeschrieben. Auf der Apos telseite stand die Beschriftung wieder vertikal, doch unter dem Stab des (hier griechischen) Kreuzes war der nach unten geöffnete Halbkreis weggefallen. Stattdessen fand sich dort ein Element aus dem Wappen der Piccolomini, nämlich der Halbmond, der unter den Kreuzstab gesetzt wurde140. Die Herstellung dieser Stempel nahm Pier Maria Serbaldi da Pescia, genannt Tagliacarne, vor141. Er war Medailleur, was das deutlich aufgewertete Aussehen erklären dürfte, und offenbar ist ihm die Wiederbelebung der heraldischen Elemente auf der Papstbulle zuzuschreiben, die etwa 100 Jahre lang geruht hatten. Wenn die Zerstörung der Namensseite und der Gebrauch der Halbbulle noch bei Agostino Patrizi Piccolomini im frühen 16. Jahrhundert erwähnt wurden142, so war das offenbar ein Relikt älterer Gebräuche und Zeremonialtexte143, von denen sich die Praxis zwischenzeitlich entfernt hatte144. Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 159 Nr. 2, Taf. M/8; ohne Erwähnung dieser Änderung sind Catalogue (wie Anm. 8) S. 298 f. Nr. 21976; Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42). 141 Dies belegt eine Zahlung über 100 Gulden an Pier Maria, die am 27. Mai 1504 angewiesen und am 11. April 1505 ausgeführt wurde; dies geschah pro manifatura et regalibus sibi obvenientibus in confecisse stampam plumbeam pro litteris apostolicis et bullis [...] Pii pape III. [...]; vgl. Edoardi Martinori, Annali della Zecca di Roma, Alessandro VI, Pio III, Giulio III, Rom 1918, S. 33, S. 75. Zu Serbaldi vgl. auch Hill, Medallists (wie Anm. 102) S. 48 Anm. 2. 142 Agostino Patrizi, in: L’œuvre de Patrizi Piccolomini ou cérémonial papal de la première Renaissance 1, hg. von Marc Dykmans (Studi e testi 293), Città del Vaticano 1980, S. 52 § 58: Et hoc tempore [sc. ante coronationem] bulla plumbea literarum suarum ab una tantum parte imprimetur, ubi sunt capita apostolorum; ab alia autem ubi litere sui nominis imprimi solent, nihil esset. Beim Tod des Papstes handele der Vizekanzler, ebd. S. 237 § 706, indem er partem illam in qua litere cum nomine pontificis inscripte sunt publice [...] frangit, et ad si gnandum dum omnino ineptas reddit. Dykmans, ebd. S. 162*, geht von der praktischen Umsetzung aus. 143 Zu denken ist dabei an François de Conzié, in: Le céremonial papal de la fin du Moyen Âge à la renaissance, hg. von Marc Dykmans, 3 (Bibliothèque de l’institut historique belge de Rome 26), Brüssel/Rom 1983, S. 264 f. Nr. 8–11, der beschrieb, wie die Namensseite zerstört werden sollte, während cugnum vero continens imagines apostolorum Petri et Pauli re manebit omnino integrum et illesum; vgl. dazu Agostino Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes. Eine Theologie der Hinfälligkeit, München 1997, S. 122. 144 Die Literatur geht allerdings davon aus, dass Patrizis Bemerkung der damaligen Praxis entspricht, vgl. Bernhard Schimmelpfennig, Die Krönung des Papstes im Mittelalter darge 140
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Der Zeremonienmeister Johannes Burckardus hielt noch für 1484 die Zerstörung des Namensstempels fest145, während er das für den Tod Alexanders VI. 1503 nicht so eindeutig beschrieb146. Danach ist jedenfalls eindeutig belegt, dass Pius III. im September 1503 beide Stempel erneuern ließ. Ebenso galt das für Julius II. (1503–1513). Nach dem sehr kurzen Pontifikat seines Vorgängers mussten Anfang Dezember beide Stempel neu angefertigt werden, denn eine Bulla dimidia mit dem Halbmond der Piccolomini konnte der Nachfolger schwerlich führen. Die Bulle Julius’ II. enthielt noch einige heraldische Anspielungen mehr als die seines Vorgängers, und zwar auf beiden Seiten147. Unter dem Kreuz der Apostelseite, dessen Stab wegfiel, fanden sich nun Zweige mit Eicheln, mithin ein Element aus dem Wappen der della Rovere. Die Beschriftung SPA | SPE verlief weiterhin senkrecht. Auch die Namensseite trug Eicheln vor und nach einigen der vier Zeilen, das Kreuz darüber fehlte nun. Erstmals war diese Seite von einem Ring umgeben, um den außen der Perlkreis lief. Es scheint zwei Varianten dieses Stempels gegeben zu haben, die sich leicht unterschieden148. Wiederum fanden sich unter deutschen Empfängern spöttische Stimmen, da Conradus Mutianus Rufus den heraldischen Schmuck der Bulle zweideutig auch als Genitalien – man darf annehmen, des Papstes – beschrieb: Observavi tres glandes sub minutula cruce149. Ähnlich gestaltet waren auch die Siegel des Nachfolgers, des MediciPapstes Leo X. (1513–1521). Er führte zwei unterschiedliche Bullen, die stellt am Beispiel der Krönung Pius’ II. (3. 9. 1458), in: QFIAB 54 (1974) S. 192–270, hier S. 252; Hack, Körper (wie Anm. 122) S. 58; Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 173 f. 145 Bei Sixtus IV. war Angabe des Burckardus eindeutig: et, ex more, stampam pro bullan dis litteris apostolicis, nomen pontificis defuncti continentem, fregit; vgl. Johannis Burckardi Liber Notarum ab anno MCCCCLXXXIII ad annum MDVI, hg. von Enrico Celani, 1–2 (RIS2 32/1/1–2), Città di Castello [1906–1940], hier 1, S. 14. 146 Er schrieb ruptum fuit [...] plumbum Alexandri pape VI [...], vgl. Liber notarum (wie Anm. 145) S. 354. Hack, Körper (wie Anm. 122) S. 58, bezieht das nur auf die Zerstörung des Namensstempels. 147 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 176 Nr. 211; Catalogue (wie Anm. 8) S. 299 Nr. 21978; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/15; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/16; vgl. auch Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42) S. 103; Blanco García, Bulas (wie Anm. 31) S. 161 f. Nr. 35. 148 Catalogue (wie Anm. 8) S. 299 f. Nr. 21982, notierte ein Exemplar, bei dem auf der Namensseite eine der Eicheln eine andere Stellung hat (wohl der bei Serafini, ebd. Taf. M/9, abgebildete Typ). 149 Brief 89 (1505/08), in: Der Briefwechsel des Conradus Mutianus Rufus 1, hg. von Karl Gillert (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete 18, 1), Halle 1890, S. 129.
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bislang nicht zeitlich voneinander abgegrenzt wurden150. Den Namen und die Ordinalzahl des Papstes umgeben hier fünf dicke Punkte, die seinen Wappenfiguren (Kugeln) in Form und Zahl gleichkommen. Obwohl zwei Namensstempel belegt sind, haben beide dieses Detail. Unter dem Kreuz auf der Apostelseite war bei Leo X. überdies das komplette Wappenbild des Papstes zu sehen, aber wie zuvor ohne den Schild. Der nächste Papst, Hadrian VI. (1522–1523), befand sich zum Zeitpunkt seiner Wahl in Spanien, er siegelte auf seinem über Monate dauernden Weg nach Rom nur mit dem Fischerring151. So kurz dieser Pontifikat war, so sind doch zwei unterschiedliche Bleibullen Hadrians belegt. Sie unterscheiden sich in der Qualität der Gestaltung. Ob die jeweilige Nutzung mit qualitativen Unterschieden von Inhalten oder Empfängern zusammenhing, ist bisher ungeklärt. Nur eine Fassung zeigte die Neuerungen der vorausgehenden Zeit152. Die Namensseite dieses zweiten Typs war schon deshalb ungewöhnlich, weil die Schrift unter einem Kreuz im Quadrat angeordnet war. Diesem ausgewogenen Bild entsprach die Apostelseite. In den Winkeln des nach oben gewanderten Kreuzes stand die modifizierte Beschriftung S P S P, darunter fand sich erstmals auf einer Bleibulle eines Papstes dessen vollständiger Wappenschild. Der zweite Schub der Heraldisierung, der mit Pius III. 1503 begonnen hatte, vollendete sich damit vorerst, wenn auch nur in einer der beiden Bullen Hadrians.
11. Goldbullen seit 1523 Die mit dem Wappen versehene Bulle Hadrians VI. hing unter anderem an der Urkunde vom 31. Mai 1523 über die Heiligsprechung des Benno von 150 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 195 Nr. 217 (erste Form), ebd. Nr. 220 (zweite Form); vgl. dazu Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42) S. 104. Nicht nach Siegeltyp differenziert sind die Abb. bei Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) Taf. 35 Abb. 11/12; Philippi, Siegel (wie Anm. 27) Taf. VIII/17; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 385 Abb. 233/i; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/17; de Boüard, Manuel (wie Anm. 12) Taf. XLI/3; Piotr Oliński, Bulle Papieskie (Skarby archiwum w Toruniu), Toruń 1999, Taf. 151 Germano Gualdo, Da Vitória a Roma. Le litterae ante coronationem di papa Adriano VI (gennaio-agosto 1522), in: Diplomatica (wie Anm. 70) S. 149–185, hier S. 158–160. 152 Die schlichte Version gibt Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 202 Nr. 76 mit Taf. M/11, und ebd. Nr. 77 mit Taf. M/12 die Fassung mit dem Wappen, letztere auch bei Otfried Krafft, Benno von Meißen, Antoninus von Florenz und die anderen im Wettstreit um die Kanonisation, in: Ein Schatz nicht von Gold. Benno von Meißen: Sachsens erster Heiliger, hg. von Claudia Kunde/André Thieme, Petersberg 2017, S. 220–227, hier S. 223, Abb. 3.
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Meißen153. Als dieses wertvolle Stück nach Sachsen gelangt war, ließ Bischof Johann von Meißen es am 7. September vidimieren: Bei der Beschreibung der Vorlage hieß es, sie sei bulla aurea [...] bullata154. Heute ist nur ein Bleisiegel zu sehen, an dem sich geringe gelbliche Farbspuren finden. Aus diesem Grunde und wegen der Beschreibung ist es gut möglich, dass Hadrians Bulle vergoldet oder mit entsprechender Farbe überzogen war. Es handelt sich um ein Unikat, das bald gewisse Parallelen bei einer weiteren Kanonisationsurkunde finden sollte. Goldüberzüge auf päpstlichen Bleisiegeln notiert die Literatur im Übrigen zwar, aber erst für Pius IV. (1559–1565)155. Hadrians Nachfolger Clemens VII. (1523–1534) stellte sich in die Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger und ließ die Apostelseite seiner Bleibulle mit dem Wappenschild der Medici versehen156. Auch die Beschriftung änderte sich, da über jedem Apostelkopf im Perlkreis .S. stand, die Kreuzarme aber mit PA | PE beschriftet waren. Clemens VII. führte gleichzeitig wieder mehrere Stempel für die Prägung der Bleibullen 157. Möglicherweise überstieg die Zahl der ausgestellten Urkunden die Kapazität, die mit einem Bullenstempel zu bewältigen war. Jedenfalls wurde unter diesem Papst in einem Kanzleihandbuch bemerkt, vorn auf der Bulle fänden sich die Apostelköpfe und auf der anderen (!) Seite das Wappen, während vom Namen keine Rede ist158. Offenbar reflektierte die Bemerkung die Etablierung der heraldischen Elemente im Siegelbild.
153 Vgl. dazu Krafft, Benno (wie Anm. 152) S. 223 f.; Ders., Bulle Excelsus Dominus Papst Hadrians VI. über die Kanonisation Bennos, in: Kunde/Thieme (Hgg.), Schatz (wie Anm. 152) S. 333 f. 154 Johann Christian Lünig, Dritte und letzte Continuation Spicilegii Ecclesiastici des Teutschen Reichs-Archivs, Leipzig 1721, Anhang zu denen Hoch-Stiftern, S. 43–49 Nr. 64, hier S. 43, vgl. dazu Krafft, Bulle Excelsus (wie Anm. 153) S. 334; Ders., Vidimus der Kanonisationsbulle Hadrians VI. als gedrucktes Urkundenplakat, in: Kunde/Thieme (Hgg.), Schatz (wie Anm. 152) S. 334 f., hier S. 334. 155 Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) S. 149 f. mit Anm. 6. 156 Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 221 Nr. 214, mit Taf. N/1; Primbs, Mittheilungen (wie Anm. 42) S. 104; Kittel, Siegel (wie Anm. 1) S. 385 Abb. 233/k; De Wailly, Éléments (wie Anm. 24) S. 375 mit Taf. U/18; Schedario Baumgarten 4 (wie Anm. 48) Nr. 7762; Debus, Gesamtverzeichnis (wie Anm. 24) S. 18 Nr. 119 f. 157 Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 158, Anm. 2, erwähnt für Clemens VII. einen Apostelstempel für 1523 bis 1528, und einen anderen, der seit 1525 in Gebrauch war. 158 ‚Ordo expeditionis quaruncumque bullarum’, hg. von Johannes Haller, Die Ausfertigung der Provisionen. Ein Beitrag zur Diplomatik der Papsturkunden des 14. und 15. Jahrhunderts, in: QFIAB 2 (1899) S. 1–40, hier S. 37 § 26, appenditur plumbum, cui impressa sunt capita Sanctorum Petri et Pauli ab uno et ab altero arma pontificis.
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Abb. 5: Clemens VII., 1523, Goldbulle mit Einfassung
Echte Goldbullen sind bei Clemens VII. ebenfalls in mehreren Formen nachzuweisen. Die Kanonisation des Antoninus von Florenz wurde von Hadrian VI. vollzogen, eine Bulle darüber aber erst unter Clemens nachträglich unter dem Datum des 26. November 1523 ausgestellt. Die im Museo di S. Marco in Florenz überlieferte Ausfertigung liegt in Form eines Libells vor159, daran hängt noch die Bulle aus massivem Gold160 (Abb. 5). Sie zeigt ein von den üblichen Bleibullen deutlich abweichendes Bild: Auf der Namensseite fehlt der Perlkreis, und der Text ist anders aufgeteilt als sonst. Auf der Apostelseite sind Petrus und Paulus in detailgenauen Brustbildern zu sehen. Beide blicken, so wie die Köpfe von Verstorbenen auf einigen Medaillen der Renaissance161, nach links und halten einen Schlüssel bzw. ein Schwert in der Rechten. Die Beschriftung lautet unten S.PA S.PE, doch im Halbkreis um den oberen Teil verläuft die Umschrift Gloriosi principes terrae, die aus der Liturgie der beiden Apostel stammt. Die Namensseite fällt dadurch auf, 159 Originalausfertigung in Florenz, Museo di San Marco, Inv. San Marco e Cenacoli N. 502, von dem bereits seit 1485 tätigen Schreiber Dominicus de Comitibus; vgl. zu seiner Person Frenz, Kanzlei (wie Anm. 113) S. 316 Nr. 589, und zu Urkunde und Goldbulle Krafft, Benno (wie Anm. 152) S. 224 f. mit Abb. 7. 160 Erwähnt bei Sally J. Cornelison, Art and the Relic Cult of St. Antoninus in Renaissance Florence, Farnham/Burlington 2012, S. 28, die indessen das Exemplar von San Marco als Kopie und die Goldbulle als Medaillon ansieht. Die, ebd. S. 44, Anm. 133 (Auslassungen wie dort), zitierte Beschreibung des Stückes beschreibt indes die Bulla Canonizationis ligata ad modum libri in membranis scripta calamo et miniata ... et sigillo aureo cum duabus ca tenulis argenteis ligato [...]. Es folgt die Beschreibung des Metallsiegels, das dort irrig Hadrian VI. zugewiesen wird. Vgl. zu weiteren Erwähnungen unten Anm. 165. 161 Posèq, On the Orientation (wie Anm. 102) S. 25 f., sieht bei Darstellungen mit dieser Blickrichtung die Schau vom Jenseits auf die Lebenden impliziert.
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dass die harmonische Anordnung des Textblocks durch die letzte Stelle der Ordinalzahl VII durchbrochen wird162. Vielleicht wurde bei der Anfertigung zunächst davon ausgegangen, Clemens sei der sechste Papst dieses Namens: Der nicht gänzlich ausgeglichene Fehler lag nahe, weil von den Päpsten in Avignon zwei Clemens (V./VI.) eingerechnet wurden, ein weiterer aber dabei ausfiel. Jedenfalls dürfte angesichts dieser Unklarheiten der Stempel für die Goldbulle in den ersten Tagen des Pontifikats entstanden sein. Dieses Siegel hängt nicht nur mit einer rotgelben, durch Löcher in den Seiten gezogenen Seidenschnur dem Libell an, sondern auch mit einer Silberkette, was wohl durch ihr Gewicht zu erklären ist. Die Goldbulle wurde dafür in einen silbernen Ring gefasst. Verbunden war sie so mit dem roten Einband der buchförmigen Kanonisationsbulle, der prächtig mit Niello-Medaillons verziert war. Eines davon zeigt den Promotor des Verfahrens, Roberto Ubaldini, vor Clemens VII., der zwischen zwei Kardinälen mit einer Schriftrolle in der Hand gezeigt wird163. Diese Umhüllung knüpfte an eine eher junge Tradition an, für wichtige Papsturkunden wertvolle Behältnisse zu stiften164. Die ungewöhnlich prunkvolle Ausstattung der Kanonisationsbulle über Antoninus war von Anfang an so vorgesehen, wie die Abrechnungen über sie zeigen165. Die Empfänger bestimmten in diesem Fall offenbar die Details mit, weswegen florentinischer Einfluss sich hier bemerkbar machen konnte. Dies bemerkte bereits Catalogue (wie Anm. 8) S. 302. Die Umschrift † Clem. VII P. M., F. Robertus identifiziert die Protagonisten, vgl. Cornelison, Art (wie Anm. 160) S. 29, Abb. 1.5. 164 In Florenz gab es dafür Vorbilder: Schon einige der berühmten Konsistorialbullen über die Kirchenunionen von 1439/44 wurden in einer Kassette aufbewahrt, die außen mit Intarsien verziert war und innen die Wappen des Papstes Eugen IV. und des wichtigsten Förderers, Kardinal Giulio Cesarini, trug; vgl. dazu Carlo Milanesi, Osservazioni intorno agli esemplari del decreto d’unione della chiesa Greca con la Latina, in: Giornale storico degli archivi Toscani 1 (1857) S. 196–225, hier S. 204, und zum Hintergrund Otfried Krafft, Illuminierte Unionsbullen. Burgund, das Konzil von Florenz und die Urkunden Letentur celi und Cantate domino von 1439 und 1442, in: Visualisierte Kommunikation im Mittelalter – Legitimation und Repräsentation, hg. von Steffen Arndt/Andreas Hedwig (Schriften des hessischen Staatsarchivs Marburg 23), Marburg 2010, S. 111–135, hier S. 113 f.; Ders., Illustrationen in Papsturkunden des ausgehenden Mittelalters, in: DA 67 (2011) S. 51–98, hier S. 61–63; Sebastian Kolditz, Johannes VIII. Palaiologos und das Konzil von Ferrara-Florenz (1438/39). Das byzantinische Kaisertum im Dialog mit dem Westen (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 60), 2 Bde., Stuttgart 2013/14. 165 Ubaldini, der Prokurator aus San Marco in Florenz, erwähnte 40 Dukaten Kosten für die gratis taxierte Urkunde, nämlich für Beschreibstoff, Schreiberarbeit, Goldsiegel und weiteres (per scrittura, carte e sigilli [!] aureo et altre spese), vgl. Stefano Orlandi, La canonizzazione di S. Antonino, in: Memorie domenicane 81 (1964) S. 91–105, S. 131–162, hier S. 161. Auch ein weiterer Dominikaner hielt fest, der Konvent von San Marco in Florenz 162 163
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Abb. 6: Clemens VII., 1524, Goldbulle
Selbst ohne diese Verbindung gab es bei Clemens VII. einen weiteren Fall, in dem er diese ungewöhnliche Bulle verwendete. Am 5. März 1524 urkundete er für König Heinrich VIII. von England und bestätigte ihm den bei Leo X. erlangten Titel Defensor fidei166. Das Stück ist äußerlich als Littera cum filo canapis gestaltet, dennoch war es mit der Goldbulle am Seidenbündel versehen167 (Abb. 6). Sie entspricht beiderseits exakt derjenigen, die an der Kanonisationsbulle des Antoninus hängt168, doch fehlen die silberne Einfassung und die Befestigungsketten des Stückes aus Florenz. Für besitze das ‚Buch’ der Kanonisationsbulle mit dem verzierten Einband samt den Medaillons und con sigillo d’oro, für das man 48 oder 50 Gulden bezahlt habe, vgl. ebd. S. 158 f. 166 Decet nos dono (1524 März 5), heute Kew, National Archives SC 7/14/1–3, Druck: Foedera, conventiones, literae et cujuscunque generis acta publica 14, hg. von Thomas Rymer, London 21728, S. 13 f. mit Taf. der Bulle; Letters and Papers, Foreign and Domestic of the reign of Henry VIII, preserved in the Public Record Office, the British Museum and elsewhere in England, bearb. von J. S. Brewer, 4/1, London 1870, S. 61 Nr. 148. Vgl. dazu Anton Eitel, Ueber Blei- und Goldbullen im Mittelalter. Ihre Herleitung und ihre erste Verbreitung, Freiburg 1912, S. 11, 88 f. 167 Die Ausfertigung in Kew (vgl. Anm. zuvor) ist kaum verziert, ihr Siegel und die dicke rotgelbe Schnur liegen separat bei. Erhalten ist auch ein Abguss der Bulle, vgl. dazu Catalogue (wie Anm. 8) S. 301 f. Nr. 21994, mit Taf. VIII; Ders., Seals (wie Anm. 67) S. 283. Die Abbildung wurde übernommen bei Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) Taf. 36 Nr. 17/18. Die Ausfertigung stammte vom Schreiber Andreas de Castillo, der schon die Kanonisationsbulle zu Benno von Meißen geschrieben hatte; vgl. zu ihm Frenz, Kanzlei (wie Anm. 113) S. 279 Nr. 138. 168 Anhand des englischen Beispiels wurde dieses ungewöhnliche Siegel dem berühmten Goldschmied Benvenuto Cellini zugeschrieben, vgl. Catalogue (wie Anm. 8) S. 302; H. C. Maxwell Lyte, Catalogue of Manuscripts and other Objects in the Museum of the Public Record Office, London21904, S. 90. Das ist schon daher zweifelhaft, weil Cellini erst 1529 in Rom ankam, vgl. Edoardo Martinori, Annali della Zecca di Roma, Clemente VII, Rom 1917, S. 149.
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diese beiden speziellen Exemplare aus den Jahren 1523/24 war ein und derselbe Stempel in Gebrauch, der sich deutlich vom Aussehen der Bleibullen abhob, aber diese Praxis änderte sich später wieder. Von Clemens VII. ist noch eine weitere Goldbulle bekannt, die einem Stück für Karl V. vom 1. März 1530 anhängt169. Sie unterscheidet sich in Aussehen und Herstellung deutlich von den früheren Exemplaren dieses Papstes und ist wieder den üblichen Bleibullen angenähert. Die Seidenschnüre sind hier teilweise vergoldet. Zwischen den sich einander anschauenden Häuptern der Apostel findet sich im Zwickel unten das Wappen der Medici, mittig das übliche Kreuz und darüber im Zwickel die Beschriftung SPA SPE. Sie verläuft hier allerdings bogenförmig, und ihre zweite Hälfte ist gespiegelt. Da hier eine neue Variante der Goldbulle erschien, waren die zuvor genutzten Stempel vielleicht im Sacco di Roma verlorengegangen170. Die Verwendung an einer Urkunde für einen extraordinären Anlass wurde aber fortgesetzt und entsprach dem früheren Usus. Das ursprünglich wohl vergoldete Beispiel an der Kanonisationsbulle Bennos und die drei Stücke Clemens’ VII. belegen erstmals die Umsetzung einer in der Theorie längst formulierten Option, die praxisnahe Stimmen hingegen ausgeschlossen hatten. Noch im frühen 12. Jahrhundert hielt Gregor von Catino fest, eine Papstbulle non auri, vel pretiosioris metalli insignita habetur, sed tantummodo plumbi. Dies schien passend, sicut plumbum magni ponderis est, ita apostolica auctoritas [...] gravis et fixa, stabilisque et constans semper est habenda [...]171. Als Praktiker schrieb Heinrich von Würzburg um 1265, Non auro non argento sacra bulla refulget/Insignit cartas plumbea forma sacras172. Das waren deutliche Vgl. dazu Pietro Sella, Le bolle d’oro dell’Archivio Vaticano, Città del Vaticano 1934, S. 57 f. Nr. 26 und Taf. 10; außerdem in: Lux in Arcana. The Vatican Secret Archives reveals itself, o.O. 2012, S. 68 f. (Gewicht 90 gr.); Die Goldsiegelsammlung aus dem Geheimarchiv des Vatikans, o.O. [1991] Nr. 26; Serafini, Monete (wie Anm. 5) S. 221 Nr. 216 (Gewicht 98 gr.) mit Taf. N/2; ebd. S. XCI; Battelli, Acta (wie Anm. 28) Taf. 33. Das Stück wird nicht selten erwähnt, etwa bei Ludwig Schmitz-Kallenberg, Die Lehre von den Papsturkunden, in: Grundriß der Geschichtswissenschaft, hg. von Aloys Meister, Bd. 1, Abt. 2, Leipzig/Berlin 21913, S. 56–116, hier S. 115; Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 210; Ders., Die Entwicklung der neuzeitlichen Bullenschrift, in: Römische Quartalschrift 23, 2 (1909) S. 16–34, hier S. 28; Bresslau/Klewitz, Handbuch (wie Anm. 1) S. 567 Anm. 5. 170 Ewald, Siegelkunde (wie Anm. 1) S. 175, S. 215, sah die ältere Goldbulle Clemens’ VII. als geprägt und die jüngere als gegossen und zisiliert an. 171 Gregorius Catinensis, Historiae Farfenses c. 26, hg. von L. C. Bethmann, MGH SS 11 (1854) S. 574. 172 Carmen de statu Romane ecclesie’, bei Hermann Grauert, Magister Heinrich der Poet in Würzburg und die römische Kurie (Abh. München 27/1–2), München 1912, S. 104, 169
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Aussagen, die einen exklusiven Gebrauch des Bleisiegels durch die Päpste betonten. In der von der Forschung weit öfter beachteten Brieflehre des Konrad von Mure (1275) wurde indessen vermerkt: Tamen papa famosis indulgentiis vel statutis auream bullam quandoque appendit173. Ob das zu seiner Zeit überhaupt vorkam, scheint fraglich, denn diese Praxis wurde in der reichen Überlieferung vor 1523 bisher nie beobachtet; allein ein Rechnungseintrag aus avignonesischer Zeit (1357) wurde so gedeutet174. Schon 1339 hielt es der Protokollant bei der Sichtung der päpstlichen Unterlagen in Assisi zwar für möglich, dass Martin IV. eine Urkunde für Rom mit Gold bulliert habe: Geschehen war das aber nicht175. An eine singuläre oder eine gar kontinuierliche Ausstellung solcher Stücke mag man also mangels Belegen bis zum Beweis des Gegenteils kaum denken176. Das punktuelle Abgehen vom Bleisiegel unter Clemens VII. und die anzunehmende Vorstufe unter Hadrian VI. standen vielmehr in einer Linie mit der Erneuerung der päpstlichen Siegel in der Renaissance, die unter Pius III. noch einmal einen deutlichen Sprung unternommen hatte. *
V. 985 f.: Dies war die Antwort auf die Bemerkung, ebd. V. 980, Conveniens tanto aurea est bulla Patri! Aurea si non est, argento clara refulget [...]. 173 Vgl. Konrad von Mure, ed. Kronbichler (wie Anm. 54) S. 167, und dazu Eitel, Bleiund Goldbullen (wie Anm. 166) S. 87. 174 Gold wurde laut einem Rechnungseintrag ad opus litterarum angekauft; Baumgarten, Aus Kanzlei (wie Anm. 4) S. 208, sah dahinter die Nutzung für Goldbullen. 175 Vgl. Heinrich Denifle, Die päpstlichen Registerbände des 13. Jahrhunderts und das Inventar derselben vom Jahr 1339, in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886) S. 1–105, hier S. 99: Item una littera bone memorie Martini pape iiij. bulla aurea bullata super electione Senatoris Urbis. Ebd. Anm. 3 ist die Ausfertigung mit einer Bleibulle nachgewiesen. Vgl. Schedario Baumgarten (wie Anm. 48) Nr. 3990 (Potthast 21744). 176 Die unter Eugen IV. für die Unionsurkunden mit den Griechen genannten Goldbullen wurden zwar von der päpstlichen Kasse abgerechnet, aber die Angaben bezogen sich auf die Siegel des byzantinischen Kaisers. Vgl. Müntz, Les arts (1878/82) (wie Anm. 109) S. 60, mit der Zahlungsanweisung an den Goldschmied Bernardo Gutii von Florenz über 14 Gulden 25 solidi pro quatuor plumbis auri appositis in quatuor decretis unionis Grecorum mittendis ad nonnullos mundi principes; Ders., Les arts (1885) (wie Anm. 90) S. 331, gibt eine weitere Auszahlung an Cosimo und Lorenzo de’ Medici pro certis bullis aureis quibus fuerunt bul lata decreta unionis und für weitere Posten wieder. Vgl. auch Adolf Gottlob, Aus den Rechnungsbüchern Eugens IV. zur Geschichte des Florentinums, in: HJb 14 (1893) S. 39–66, hier S. 66.
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Ein Durchgang durch neue Ressourcen und alte Sammelwerke ergibt folgenden Befund: Die Feststellung der Handbücher zur Unveränderlichkeit der päpstlichen Bleisiegel seit dem frühen 12. Jahrhundert hat allem Anschein nach dazu beigetragen, dass die lange nur zaghaften, später aber doch sehr wesentlichen Modifikationen ihres Aussehens weitgehend unbeachtet blieben. Ein Gebrauch unterschiedlicher Siegelstempel ist bis zu Clemens IV. öfter zu beobachten, wie zuletzt Graber betont hat177. Dass sich dies später fortsetzte, blieb Spezialistenwissen, wie bei Clemens V., oder unerkannt, wie bei Urban VI. oder Felix V. Ebenso galt das für die kleineren Modifikationen beider Seiten der Bullen, ob nun das in zwei Phasen zu beobachtende Eindringen dekorativer Trennzeichen und heraldischer Elemente, die Erneuerung der Aposteldarstellung oder die Varianzen im Text. Die zunehmende Häufigkeit solcher Abänderungen des herkömmlichen Bildes seit der avignonesischen Zeit gehörte sicherlich zu den Voraussetzungen, aufgrund derer zeitweilig und schließlich dauernd erneuerte Formen der Bulle erschienen. All diese Schritte waren für sich genommen kleinteilig, weil die siegelführenden Päpste stark an das traditionelle Aussehen gebunden waren. Das galt nicht nur, weil, wie die Schriftquellen erkennen lassen, die Empfänger das altbekannte Erscheinungsbild der Bulle wünschten. Noch immer dürften sich bei der Gestaltung der Details mündlich oder schriftlich tradierte Vorschriften ausgewirkt haben. Nicht anders ist zu erklären, dass der Befund auf den Apostelseiten der Siegel beider Päpste von 1378 bei der Anzahl der Punkte exakt dem entsprach, was Martin von Troppau ein Jahrhundert zuvor dafür als Norm notiert hatte178. Die starke Uniformität im Aussehen der übrigen Bullen erklärt sich offenbar auch dadurch. Seit etwa Anfang 1260 und bis zum Ende des großen Schismas hielt man sich daran, abgesehen von nur wenigen und erklärbaren Ausnahmen179. Zu nennen sind nämlich nur der anfangs ohne Hilfe der in Italien verbliebenen Bullatoren siegelnde Clemens V. und der Gegenpapst Nikolaus (V.) (1328–30)180, der ebenfalls nicht an den Usus der Übersicht bei Graber, Papsturkunden (wie Anm. 26) S. 339–344. Bei den Namensseiten traf Martins Beobachtung allein auf Gregor X. zu, vgl. dazu Anm. 54. 179 Für den Beginn und die Zeit bis Johannes XXII. einschließlich gibt Diekamp, Zum Urkundenwesen (wie Anm. 24) S. 530–535, die Zahlen; vgl. zudem Graber, Papsturkunden (wie Anm. 26), S. 337–339. Für die folgende Zeit beruht der Befund auf eigenen Stichproben. 180 Abweichungen zu notieren sind für Clemens V., insbesondere in dessen erstem Siegel (Außenring 70 Punkte), das er zwischen dem 20. August und dem 19. September 1305 nutzte, vgl. zu dessen Gebrauch Barbiche, Litterae (wie Anm. 4) S. 273 mit Abb. Die Differenz, die auch den Durchmesser betraf, dürfte erklären, warum diese erste Bulle nach An 177 178
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kurialen Bürokratie anknüpfen konnte. Ansonsten blieb die Praxis bis 1409 stabil, und erst die Päpste der Pisaner Obödienz181, das Konstanzer Konzil182 und Martin V.183 mitsamt all seinen Nachfolgern wichen dann dauernd darin ab. Die frühesten Änderungen im Siegelbild betrafen nur die Namensseite und berührten schon von daher die nach Kanzleibrauch gleichartig gehaltenen Punktezahlen auf der Apostelseite nicht. In einer ersten Phase, die in der avignonesischen Zeit des Papsttums einsetzte und bis ins Schisma reichte, fanden sich auf der Namensseite zunehmend Beizeichen, die anfangs nicht unbedingt den Wappen der Siegler entstammten. Heraldische Entlehnungen blieben selten, kamen aber durchaus vor und wurden gerade bei den Adlersiegeln Urbans VI. prominent herausgestellt. Die Aussteller seit Clemens VI. brachten mit diesen Zusätzen etwas zum Ausdruck, das über den Gehalt der bisherigen, allein auf das Amt bezogenen Bullen hinausging: Sie verwiesen mit den heraldischen Übernahmen oder auch mit den speziellen Beizeichen auf sich selbst, also auf die dahinterstehende Person, die eigentlich ja nicht einmal auf der Namensseite hervortrat, weil dort nur ein angenommener Amtsnamen erschien. All diese Ansätze endeten vorerst mit der Lösung des Schismas auf dem Konstanzer Konzil. Nicht zufällig versuchten die folgenden Päpste, durch die konservative Gestaltung ihrer Bleibullen an die Zeiten vor 1378 anzuknüpfen, womit eine weitere Phase der Siegelentwicklung einsetzte, die nur kleinteilige Neuerungen auf der Namensseite zuließ. Nach dem kunft der Bullatoren aus Italien ersetzt wurde, die wohl den alten Apostelstempel mitführten, vgl. Baumgarten, Von der apostolischen Kanzlei (wie Anm. 4) S. 89. Bei Nikolaus (V.) weicht der Befund stark ab; vgl. dazu die Abb. bei Michaël-Schweder, Schrift (wie Anm. 13) Taf. IV (Kreis um Paulus 25, um Paulus 24 Punkte, Bart 30, Kopfhaar ca. 27, Außenring nicht zählbar). 181 Für Alexander V. vgl. die Zahlen bei Enno Bünz/Tom Graber, Die Gründungsdokumente der Universität Leipzig (1409). Edition – Übersetzung – Kommentar (Spurensuche 3), Dresden 2010, S. 114 Anm. 2, S. 123 Abb. 34 (Außen ca. 75, um die Apostel je 27, Petri Bart 28, Kopfhaar 24 Punkte). Für Johannes XXIII. zählt man um die Apostel 21 Punkte, beim Bart 28, auf dem Kopf 24 oder 25 Punkte, vgl. die Abb. oben in Anm. 79; aber noch der römische Papst Gregor XII. hatte sich an die Zahlen gehalten, die Martin von Troppau genannt hatte (vgl. etwa Staatsarchiv Marburg, Urk. 27 Nr. 634, 1409 Sept. 17, Außenring nicht zählbar). 182 Dort umgeben die Apostel je 21 Punkte, Petri Bart hat 33 und sein Kopfhaar 28; vgl. die Abb. bei Schneider, Siegel (wie Anm. 79). 183 Um Paulus zählt man 23, um Petrus 22 Punkte in der Einfassung, sein Bart hat 31 und das Kopfhaar 25 Punkte; vgl. Staatsarchiv Darmstadt, B 6 Nr. 17, 1418 Jan. 21, und Staats archiv Marburg, Urk. 56 Nr. 832, 1421 Aug. 8, mit guten Abb. in www.arcinsys.hessen.de (Außenringe nicht zählbar).
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Schisma und in Zeiten konziliarer Machtansprüche schien die beste Legitimation offenbar durch das hergebrachte Bild gewährleistet, ähnlich wie der Einfluss der Bullen namensgleicher Vorgänger schon länger bestand. Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts waren solche zeitweiligen Beharrungsgründe wieder entfallen. Das spektakulär erneuerte Siegel Pauls II. blieb die Ausnahme, doch gab es andere, länger wirksame Modifikationen: So wurde von Eugen IV. bis zu Pius III., außer bei Paul II., über den Namen das Kreuz gestellt, und die Schreibung der Apostelnamen und des Papsttitels wandelte sich. Nur zögerlich wurde die Dreizahl der Zeilen auf Namensseite abgewandelt, denn zwei- oder vierzeilige Varianten, wie bei Felix V. oder Alexander VI., blieben die Ausnahme. Auch das Abbild der Apostel war seit Sixtus IV. moderner als zuvor. Heraldische Elemente drangen seit Pius III. erneut in die Bullen ein und kamen seit dem doppelten Papstwechsel 1503 schrittweise zum Durchbruch. Die Apostelseite verlor damit ihren rein institutionellen Charakter und war daher nicht mehr pontifikatsübergreifend (oder für eine Bulla dimidia) verwendbar. Die auf den klar unterschiedenen Seiten der Bullen bisher gegebene Trennung der beiden Sphären, der dauerhaft auf die Apostel gegründeten Institution184 und der sterblichen Person des Amtsinhabers, verschwamm damit, ähnlich wie das schon bei der umgestalteten Namensseite Pauls II., die zugleich die Institution und die Person des Papstes in Aktion zeigte, angelegt war. Der überzeitliche und der persönliche Aspekt des Amtes oder die beiden Körper des Papstes185 wurden damit im Bleisiegel nicht mehr getrennt, sondern miteinander unauflöslich verwoben. Gerade bei den beiderseits mit heraldischen Versatzstücken versehenen Bullen Julius’ II. und Leos X. war dies deutlich. Im Hintergrund stand wohl keine Änderung der politisch-theologischen Grundlagen des Papsttums, eher handelte es sich um eine Konsequenz daraus, dass die Anfertigung der Siegel von Handwerkern auf Künstler überging. Statt deutschen, florentinischen oder römischen Goldschmieden wurden nun Medailleure, also Vertreter einer in der Renaissance aufblühenden Kunst, Innocenz III. hatte diesen Bezug betont: in persona eorum [sc. Petrus und Paulus] omana ecclesia auctoritatem super ecclesias universas accepit – unde et bulla nostra [...] R capitum ipsorum charactere presignatur. Vgl.: Die Register Innocenz’ III., 1, bearb. von Othmar Hageneder/Anton Haidacher (Publikationen der Abteilung für Historische Studien des österreichischen Kulturinstituts in Rom, 2. Abt., 1. Reihe, 1), Graz/Köln 1964, S. 334 Nr. 235 (1198 Mai 19); dazu Fürst, Statim (wie Anm. 3) S. 63. 185 Vgl. dazu Paravicini Bagliani, Leib (wie Anm. 143) S. 78; Hack, Körper (wie Anm. 122) S. 53. 184
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damit betraut: Sie versuchten durch neue schöpferische Ansätze, die Diskrepanz zwischen dem überkommenen Bild der Bullen und den neuen Ideen der Renaissance samt ihrer gesteigerten Kunstfertigkeit zu überbrücken. In der Praxis berücksichtigten sie vor allem ihre päpstlichen Auftraggeber im Spiegel der Wappen stärker. Daher kam es dort durch schrittweise Individualisierung zur Umdeutung des Verhältnisses von Person und Institution, was bei der Bulle als Massenprodukt besonders bemerkenswert ist. Die Gründe für die Neuschöpfungen wurden von den Zeitgenossen durchaus wahrgenommen, aber gegen das papstnah formulierte Lob für die Überwindung der rückständigen Formen durch Paul II. stand die Meinung der Urkundenempfänger in Europa: Sie erwarteten, wie die Schriftquellen zeigen, das hergebrachte Beglaubigungsmittel gemäß dem üblichen Brauch. Die Wiedererkennung und darin impliziert, die relative Unveränderlichkeit der Bullen war vielleicht auch deshalb gewünscht, weil sie bisweilen eine Zweitnutzung als Amulett oder Grabbeigabe erfuhren186. Auch für die lange mit Neuerungen zögerlichen Siegelführer galt es, den legitimatorischen Vorsprung, den das althergebrachte, wohl auch faszinierend archaische Bild mit sich brachte187, zu wahren und nicht contra morem, wie Kritiker unisono formulierten, abzuändern. Selbst die Entlohnung für die Anfertigung des oder später der neuen Bullenstempel erfolgte, ut moris est, mit einem festen Betrag. Wegen der stark hemmenden konservativen Grundströmung haben die hier beschriebenen Modifikationen des Bildes umso größere Aufmerksamkeit verdient. Neue visuelle Strategien traten ganz überwiegend nur an Details hervor, abgesehen von wenigen Neuansätzen, deren Ausnahmecharakter umso höher zu bewerten ist. Ebenso gilt das für eine weitere Stufe der Entwicklung, nämlich den seit 1523 zu beobachtenden Gebrauch der Goldbulle mitsamt der möglichen Vergoldung eines Bleisiegels. Vorsicht ist hingegen bei den extraordinären Einzelstücken renommierter Siegelsammlungen geboten, gerade wenn sie nicht an oder mit den Ausfertigungen überliefert sind. Darunter ist mit Fälschungen zu rechnen, wie sich bei Gregor XII. und Calixt III. oder auch bei den angeblichen Siegelstempeln Pauls II. zeigt. Für die spektakuläre erste Goldbulle Clemens’ VII. 186 Vgl. Lukas Clemens, Zeugen des Verlustes. Päpstliche Bullen im archäologischen Kontext, in: Kurie und Region. Festschrift für Brigide Schwarz zum 65. Geburtstag, hg. von Brigitte Flug/Michael Matheus/Andreas Rehberg (Geschichtliche Landeskunde 59), Stuttgart 2005, S. 341–357, hier S. 347. 187 Frenz, Eindringen (wie Anm. 2) S. 367; Ders., L’introduzione (wie Anm. 2) S. 74.
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hat sich hingegen ein weiteres Exemplar finden lassen, und weitere Neufunde dieser Art sind für das frühe 16. Jahrhundert kaum auszuschließen. So sollte den päpstlichen Bullen auch aus Zeiten urkundlicher Massenproduktion größeres Augenmerk geschenkt werden, um sie überhaupt erst mit ihren Varianten und Innovationen oder als Fälschungen erfassen und deuten zu können.
Abstract This paper examines the changes of the papal bullae between around 1100 and 1530. Pope Paschal II (1099–1118) was the first to use a leaden bulla showing all the elements that were to become common in the period before 1464. However, Paschal II and his successor Calixtus II still used another dies for a more elaborate seal until 1124. After that time, the bullae remained almost unchanged, but the lettering of the popes’ names was increasingly modernised, especially in the decade after 1281. A first example showing heraldic patterns appeared when Pope Clement VI (1342) had his name framed by little roses that resemble his coat of arms. Urban VI (1378) even had two different bullae showing heraldic eagles imported from his coat of arms, whereas his opponent Clement (VII.) used a fleurde-lys pattern, probably hinting at his French royal ancestry. Later, seals became more sober, only Gregory XII had little eyes placed around his name. For a time after the Great Schism a rather traditional bulla was used but then some details were modernised. In 1464 Paul II radically changed the whole seal, but his successors returned to the old pattern in a new style. Obviously, Renaissance medallists reintroduced the papal arms in the bullae in 1503, but on the apostels’ side. For Hadrian VI, there are first clues for a gilded leaden seal and his successor Clement VII used two different types of golden bullae. In addition to this, the paper identifies some counterfeit examples, and written sources regarding the bullae, like critical views on the innovations or texts on their making, are examined as well. All attempts to introduce new patterns into the bullae were constrained or at least perceptibly decelerated by the recipients, who preferred the tra ditional appearance. Thus, the development of papal seals as a means for legitimation was controlled by the external expectations of the outward world.
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Abbildungsnachweise Abb. 1: JL 6191, Abb. Marburg, Lichtbildarchiv älterer Originalurkunden bis 1250, E 482 Abb. 2: JL 6898, Abb. ebd. E 3914 Abb. 3: Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 109 Nr. 578 Abb. 4: Staatsarchiv Marburg, Urk. 75 Nr. 544 Abb. 5: Florenz, Museo di San Marco, Inv. San Marco e Cenacoli N. 502. Abb. 6: Kew, National Archives, SC 7/14/1–3, reproduced with permission, Copyright. Für die Genehmigung zum Abdruck ist den genannten Institutionen sehr zu danken, für Bereitstellung der Stücke aus dem Marburger Lichtbildarchiv bin ich Dr. Hendrik Baumbach und Achim Weisbrod verbunden.
Libellus in fabula? Anmerkungen zu einer Formelsammlung des 14. Jahrhunderts von MICHELE SPADACCINI
In der Bayerischen Staatsbibliothek zu München befindet sich eine Handschrift vom Ende des 13. bzw. Anfang des 14. Jahrhunderts, die aus Italien stammt und zunächst dort beheimatet war. Wie verschiedene Einträge zeigen, befand sich diese Handschrift seit dem 16. Jahrhundert in Süddeutschland, und zwar entweder im Zisterzienserkloster Kaisheim oder im Jesuitenkolleg zu Neuburg an der Donau. Die Handschrift gelangte dann in die Staatliche Bibliothek Neuburg und später, im Jahr 1909, wurde sie an die heutige Bayerische Staatsbibliothek abgegeben, wo sie sich jetzt unter der Signatur Clm 28193 befindet1. Die Handschrift enthält verschiedene juristische Abhandlungen und Texte, darunter die Summa super rubricis Decretalium des Gottfried von Trani, den Liber de dispensationibus von Johannes de Deo, Übersichten über den ersten und zweiten Teil des Decretum Gratiani, Novellen zu der 1231 publizierten Fassung der Konstitutionen von Melfi Friedrichs II. sowie ein Mandat über den Gebrauch amtlich vorgeschriebener Maße und Gewichte, also über das Die Bemerkung „Ains de constitutionibus“ auf fol. 2r und der Zusatz „Ja, du basts (!) nit gwest“ von derselben deutschen Hand der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigen, dass die Handschrift sich spätestens seit dem 16. Jahrhundert in Süddeutschland befand. Vgl. zur Beschreibung der Handschrift Hermann Hauke, Katalog der lateinischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München: Clm 28111–28254 (Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Monacensis; T. 4, Ps. 7), Wiesbaden 1986, S. 130–133; Alois Schütz, Eine unbekannte Quelle zur Gesetzgebung Kaiser Friedrichs II. im Königreich Sizilien, in: DA 30 (1974) S. 25–55; Horst Enzensberger, Bausteine zur Quellenkunde der Abruzzen im Mittelalter, in: Contributi per una storia dell‘Abruzzo adriatico nel medioevo, hg. von Roberto Paciocco/Luigi Pellegrini (Studi e fonti di storia medioevale, moderna e contemporanea 1), Chieti 1992, S. 145–151. 1
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Eichwesen, für dessen Überwachung der jeweilige Justitiar in seinem Amtsbezirk zuständig war, sowie die Extravagante Cum ecclesiarum conventua lium über die Verwaltung der Güter vakanter Kirchen2. Dazu überliefert die Handschrift auch ein Rubrikenverzeichnis über eine verlorene Handschrift der Konstitutionen von Melfi, die eine ältere Überlieferung ohne Novellen enthalten haben muss3. In einer paläographischen Analyse dieser Handschrift haben Alois Schütz und Horst Enzensberger versucht, ihre chronologische Entwicklung und ihre Aufbewahrungsorte in den verschiedensten Jahrhunderten zu rekonstruieren4. Betrachten wir nun die Handschrift im Detail. Das ursprüngliche Korpus der Handschrift bestand aus: – fol. 2r–126r „Summa super rubricis decretalium“ des Gottfried von Trani5, – fol. 134r–142r „Liber de dispensationibus et formandis sententiis“ des Johannes de Deo6. Darüber hinaus finden wir zwei weitere spätere Zusätze, die wichtige Informationen zu den Aufbewahrungsorten der Handschrift liefern: – fol. 126v–129r eine Übersicht über den ersten und zweiten Teil des Decretum Gratiani mit einer kurzen Einleitung, – fol. 130r–131r: eine Formelsammlung, die von einer weiteren Hand des 14. Jahrhunderts mit der Überschrift „Forma faciendi libellos procura torios“ versehen wurde7. Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 146. Schütz, Eine unbekannte Quelle (wie Anm. 1) S. 26; Michele Spadaccini, Der erste Glossator des Liber augustalis Friedrichs II., in: DA 70 (2014) S. 489–519; Ders., Libri, libelli e procuratori: analisi di un codice giuridico, Torino 2016, S. 10–15. 4 Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 146. 5 Über Gottfried von Trani und die Summa vgl. Martin Bertram, Goffredo da Trani, in: Dizionario Biografico degli Italiani 58 (2001) S. 545–549; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3), S. 19–23; Agostino Paravicini Bagliani, Cardinali di Curia e “familiae” cardinalizie dal 1227–1254 (Italia Sacra 18), Padova 1972, S. 273–278; Peter Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen im 13. Jahrhundert (Münchener historische Studien. Abt. geschichtl. Hilfswissenschaften 1) Kallmünz 1967, S. 17–18. 6 Über Johannes de Deo vgl. Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 23–26; Martin Bertram, Der Liber quaestionum des Johannes de Deo (1248), in: Die Kunst der Disputation. Probleme der Rechtsauslegung und Rechtsanwendung im 13. und 14. Jahrhundert, hg. von Manlio Bellomo, München 1997, S. 87; vgl. ferner António Dominguês de Sousa Costa, Un mestre português em Bolonha no século XIII, João de Deus, Braga 1957, S. 51–148. 7 Forma faciendi libellos procuratorios, incipit: coram vobis et cetera proponit talis procura tor pennensis capituli (…) explicit: conci(piatur) li(bellus) probatur extra de procuratoribus c(a pitulum) tue fraternitatis: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 28193, fol. 130r–131r. 2 3
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Beide Einträge weisen Tinten- und Duktusgleichheit auf, weswegen wir mit Sicherheit behaupten können, dass fol. 126v–129r zum gleichen Zeitpunkt wie fol. 130r–131r beschrieben wurden8. Da in der Formelsammlung häufig auf das Domkapitel und den Bischof von Penne Bezug genommen wird, kann als sicher gelten, dass sich die Handschrift Anfang des 14. Jahrhunderts in Penne befand9. Auf fol. 131v–132v hat eine weitere italienische Hand verschiedene Konstitutionen Kaiser Friedrichs II. für das Königreich Sizilien aus dem Jahr 1231 eingetragen10. Der Grund dafür, dass fol. 129r frei geblieben ist, könnte darin gelegen haben, dass man beabsichtigte, dort die fehlende Übersicht über den dritten Teil des Decretum Gratiani nachzutragen; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 5 f. 9 Penne ist ein Ort in der italienischen Provinz Pescara, Abruzzen. Einen weiteren Beweis, dass die Handschrift sich in Penne befand, liefert das Vorsatzblatt, das offenbar nicht von Anfang an zu den 12 Lagen gehörte. Die drei noch lesbaren Seiten enthalten ein Verzeichnis der Titel des Liber extra und verschiedene Notizen juristischer wie nichtjuristischer Natur. Auf dem Vorsatzblatt befindet sich ein Bericht über die 1279 von den genannten Mitgliedern des Domkapitels Penne eingegangene Verpflichtung, in den nächsten fünf Jahren keinen Bewerber als Kanoniker aufzunehmen oder Expektanzen auf Kanonikate zu erteilen, bis das Kapitel wieder nur 16 Mitglieder hat. Dieser Bericht hat die Form einer notitia und trägt als genaues Datum 1279 IV 30. Ein weiterer Eintrag, diesmal von der Hand eines öffentlichen italienischen Notars, befindet sich auf f. 142r des Clm. 28193: Ego notarius B. in anno domini mill(esim)o CCC°XXVI, X° indictionis predicte terre Guardie iudex, [...] Guardie iudicis humana sorte sublati. Das ist die zur Formel verkürzte Abschrift eines Notariatsinstruments vom 2. April 1318, die von einem anderen italienischen Notar auf fol. 129v eingetragen wurde. Die Urkunde wurde auf Befehl des Kämmerers von Guardiagrele (also Guar die Iudex) und im Auftrag eines Mitbürgers, eines gewissen Gualterius, und seiner Schwester M. ausgestellt, und enthält Zeugenaussagen, die die Geschwister für einen Streit mit dem Bischof von Limoges benötigten, der die Erbschaft ihres Bruders, der ohne Testament im dortigen Bistum verstorben war, beschlagnahmt hatte. Weitere Notizen auf den fol. 32v, 33r, 53v, 144v stammen von derselben Hand. Anhand dieser Notizen und Abschriften können wir behaupten, dass sich die Handschrift Clm. 28193 zwischen dem Ende des 13. und Anfang des 14. Jahrhunderts in Guardiagrele oder in einer Stadt in deren Nähe befand, zum Beispiel in Penne, das circa 60 Kilometer entfernt von Guardiagrele liegt und von wo die Formel auf den fol. 130r–131r mit Sicherheit stammt. Vgl. ferner Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 149; Schütz, Eine unbekannte Quelle (wie Anm. 1) S. 30–31. Siehe Abb. 1. 10 Diese Texte können frühestens 1324 geschrieben worden sein, also erst nach der Niederschrift der Formelsammlung auf fol. 130r–131r; die schon zitierte Notariatsunterschrift auf fol. 142r mit dem Datum 1328 stammt noch aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und kann nur gleichzeitig oder später als die Konstitution auf fol. 142 eingetragen worden sein: Die logische Folge hiervon ist, dass die Abschriften dieser Gesetze zwischen 1324 und der Mitte des 14. Jahrhunderts in Penne oder in Guardiagrele angefertigt wurden (siehe Abb. 1). Das weitere Schicksal des Kodex ist unbekannt. Vgl. Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 148 und Schütz, Eine unbekannte Quelle (wie Anm. 1) S. 27 f. sowie dazu Wolfgang Stürner, Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien (MGH, Const., 2 Supplementum), Hannover 1996, S. 23–25. Spadaccini, Der erste Glossator (wie Anm. 3) S. 569–575; Ders., Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 7–9. 8
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Abb. 1: Karte der Abruzzen, © Michele Spadaccini (2012)
Die Formelsammlung ist der einzige Teil des Manuskriptes, der noch nicht hinreichend untersucht wurde und nicht von ungefähr bezeichnete Horst Enzensberger in den achtziger Jahren das Studium dieses Manuskripts als ein „Desiderat der Forschung für die Geschichte der Abruzzen“11. Tatsächlich enthält dieses Manuskript mehr als nur einen Ausschnitt aus der Geschichte der Diözese von Penne: Es stellt eine echte Formelsammlung des 14. Jahrhunderts dar, die höchst wahrscheinlich von einem Prokurator der römischen Kurie erstellt und benutzt wurde. Obwohl eine Hand des 14. Jahrhunderts die Überschrift „Forma fa ciendi libellos procu(ratorios)“ hinzugefügt hat, behauptet Alois Schütz, dass die Überschrift deshalb nicht richtig sei, „weil nur ein Teil der Einträge auf Urkunden beruht, die von Prokuratoren verfasst und vorgelegt worden waren“12. In der Tat wird der Prokurator nur in den ersten fünf Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 151. Schütz, Eine unbekannte Quelle (wie Anm. 1) S. 26–27 und Anm. 11.
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Formeln ausdrücklich erwähnt, was den deutschen Historiker zu der Einschätzung veranlasste, der Titel „Forma faciendi libellos procuratorios“ sei irreführend. Dies hat Schütz auch annehmen lassen, dass die Formel sammlung heterogen ist und thematisch nur die ersten Formeln Prokuratoren betreffen13. Diese Hypothese lässt sich indes leicht in Frage stellen: Der erste zu vertiefende Aspekt betrifft die Bedeutung des Titels: ein „Klaglibell-Repertorium für Prokuratoren“, d. h. Formelsammlung zur Erstellung von Klaglibellen. Um die Meinung von Schütz zu widerlegen, muss man jedoch juristische Werke des 13. Jahrhunderts mitberücksichtigen, die den Begriff des Klaglibells klären sowie die Rolle des Prokurators bei dessen formaler Ausarbeitung beleuchten. Das Referenzwerk hierfür ist eines der wichtigsten und am weitesten verbreiteten jener Epoche: das Speculum iudiciale des Guilelmus Durantis. Darin ist zu lesen: Libellus est brevis membrana, actoris petitionem, et eius causam et actionem complectens. Vel sic: Libellus est scriptura agentis quae stionem continens, et futuram actionem depromens14. Die Bezeichnung Libellus rührt von dessen geringem Umfang her: dicitur autem libellus a libro est enim diminutive dictum propter sui brevitatem sicut et codicillus a codice diminutive est15. Für den Autor des Speculum müssen die Petitionen Ebd. Im Clm. 28193 befinden sich auch andere Anmerkungen, die die Prokuratoren betreffen: z. B. auf fol. 32v nota, quod, si quis citatur, ut compareat per se vel per procurato rem sufficientem, cogitur mittere procuratorem, licet ipse comparere non posset, und auf fol. 33r pone ergo in istrumento procurationis ad defendendum, alias, si adversarius vellet reconvenire, oporteret procuratori satisdare de defendendo. Es ist kein Zufall, da “fra la seconda metà del XII e la fine del XIII secolo, in coincidenza con la prepotente comparsa di una precoce produzione, e corposa e strutturata, di ‘ordines iudiciarii’ (...) il tema della rappresentanza processuale comincia ad assumere dignità di argomento autonomo sul quale ciascun trattatista è chiamato ad esprimere la propria posizione”: vgl. Beatrice Pasciuta, Per una storia della rappresentanza processuale. L’azione alieno nomine nella dottrina civilistica e canonistica fra XII e XIII secolo, in: Quaderni Fiorentini 38 (2008) S. 149–186, hier S. 152. Zu geistlichen Richtern bzw. der bischöflichen Gerichtsbarkeit vgl. auch Ingeborg Buchholz-Johanek, Geistliche Richter und geistliches Gericht im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt, Regensburg 1988; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 77–81. 14 Guilelmus Durantis, Speculum iudiciale, illustratum et repurgatum a Giovanni Andrea et Baldo degli Ubaldi, partic. 4, De libellorum conceptione § 1, Basileae 1574 (Nachdr., Aalen 1975: Bd. 2, S. 57). Vgl. Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 7 und Peter Herde, Audientia litterarum contradictarum. Untersuchungen über die päpstlichen Justizbriefe und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 31–32), Tübingen 1970, Bd. 1, S. 35. 15 Durantis, Speculum, IV, partic. 4, De libellorum conceptione § 1 (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 57. Die Glossen zum Text des Guilelmus Durantis von Johannes Andreae bieten weitere Informationen zur äußeren Gestalt des Klaglibells, hoc est charta, vel pergamenum de membris animalis excuriatum: ebd.; vgl. auch Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 74. 13
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also festen Schemata folgen, die praktischen und stilistischen Erfordernissen geschuldet sind.16 Diese Darstellungsform soll zusammenfassend und ausführlich zugleich sein. Im Text muss angegeben sein: quis, quid, coram quo, quo iure petatur et a quo recte compositus quisque libellus habet17. Es ist außerdem zu beachten, dass für die korrekte Zusammenstellung eines Klaglibells nicht nur verschiedene Formen, sondern auch unterschiedliche Terminologien existieren, die von den örtlichen Gewohnheiten der Gerichte abhängen, vor denen die Petitionen verhandelt werden. Um die Erstellung von Klaglibellen zu vereinfachen, gibt unser Jurist Empfehlungen, welcher mos vor der Römischen Kurie, vor dem auditor generalis palatii domini Papae oder vor einfachen bischöflichen Gerichten zu befolgen ist18. Durch den Vergleich der von Guilelmus Durantis überlieferten Formeln mit dem Clm. 28193 wird die in beiden Werken identische Struktur des typischen Klaglibells sichtbar19. Durantis, Speculum, IV, partic. 4, De libellorum conceptione § 12, Nr. 1–5: (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 68. Vgl. auch Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 81. 17 Dazu Knut Wolfgang Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht, Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Abteilung Rechtswissenschaft), Heidelberg at al. 2012, S. 88 und Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 75. 18 Guilelmus Durantis bietet unterschiedliche Libelle mit den notwendigen Komponenten der Klagenschrift an. Das erste Beispiel im Speculum lautet: Forma libelli: coram vobis domino P. iudice, vel potestate, vel rectore, vel seneschallo talis loci conqueror, vel propono ego H. de Titio, vel contra Titium, qui mihi tenetur in X quia equum sibi vendidi talis pili, sub anno Domini millesimo duecentesimo LXXX. die nono, exeunte ianuario, sedente, vel praesidente Clemente papa IIII, vel tali imperatore, seu rege: quae decem mihi solvere inde bite contradicit: quare peto ipsum mihi condemnari, et per vos compelli ad solvenda praedicta X, et congedum fore sententialiter condemnari; Durantis, Speculum, IV, partic. 1, De libellorum conceptione, § 3 (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 57–58. Dieses stilistische Schema erinnert an die Struktur der prokuratorischen Formelsammlung in Clm. 28193; vgl. auch Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 75–76. 19 Guilelmus Durantis ist nicht der einzige Jurist, der die Textgattung des Klaglibells untersucht hat. Seit dem 12. Jahrhundert wächst das Interesse an der Erstellung von Klaglibellen beträchtlich: Joannes Bassianus beispielsweise schreibt zwei Werke, die der Abfassung von Klaglibellen gewidmet sind, nämlich den Arbor actionum und die Summa quicumque vult (Mitte des 12 Jh.). Pillius de Medicina verfasste den Libellus disputatorius; der Autor, der diese neue literarische Strömung schließlich adelt, ist jedoch Roffredus Beneventanus, und zwar dank zweier Werke, die Klaglibelle des Zivilrechts und des kanonischen Rechts zum Gegenstand haben: Roffredus Beneventanus, Libelli iuris civilis, Libelli iuris canonici, Quaestiones Sabbatinae, in: Corpus glossatorum juris civilis, Bd. 6, hg. von Mario Viora, Torino 1968. Als Referenzbibliographie vgl. Ennio Cortese, Il diritto nella storia medievale, Bd. 2: Il basso Medioevo, Roma 1995, S. 128–129 (besonders S. 119–128). Mit Blick auf die Libelli de iure canonico vgl. Peter Herde, Audientia (wie Anm. 14), Bd. 1, S. 35; Ingrid Baumgärtner, Was 16
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Die Formelsammlung enthält 51 nach inhaltlichen Gesichtspunkten angeordnete Stücke. Diese betreffen folgende Gegenstände: 1–3 Bischofswahlen 4 u. 5 Einkünfte der Mensa episcopalis 6–28 Eheprozesse 29 u. 30 Kirchenrenten 32–38 Patronatsrecht 39 Kassation einer Wahl 40 Wiedereinsetzung als Pfarrer 41–44 Begräbnisrecht 45–48 Kanonikate 49 u. 50 Vorwurf der Simonie 51 Eheprozess Alle Formeln mit Ausnahme der Nr. 51 sind in der 3. Person Singular abgefasst20. Die ersten Formeln, nämlich die in Bezug auf Bischofswahlen und Einkünfte der Mensa episcopalis, sind zweifellos prokuratorischer Natur. In der ersten und dritten Wahlformel stellt der Prokurator des Domkapitels den an den Papst gerichteten Antrag, die Wahl des Magister G. zum Bischof zu bestätigen, die im ersten Fall durch drei bevollmächtigte Kleriker – tres de collegio fide digni –, im dritten Fall als Inspirationswahl – per inspirationem Spiritus Sancti – erfolgt war. In der zweiten Wahlformel wird der Antrag gestellt, die Wahl eines Magister S. zu bestätigen, die durch die maior et sanior pars erfolgt war. Der Zeitraum zwischen Wahl und Ernennung war im 14. Jahrhundert nicht überall gleich: Die Gründe sind teils in lokalen Gegebenheiten zu suchen, teils spielt auch eine Rolle, mit welchem Nachdruck entweder die Zustimmung oder
muss ein Legist vom Kirchenrecht wissen? Roffredus Beneventanus und seine Libelli de iure canonico, in: Proceedings of the Seventh International Congress of Medieval Canon Law. Cambridge, 23–27 July 1984 (Monumenta Iuris Canonici C/VIII), hg. von Peter Linehan, Città del Vaticano 1988, S. 223; Manlio Bellomo, Intorno a Roffredo Beneventano: professore a Roma?, in: Scuole, diritto e società nel Mezzogiorno medievale d’Italia (Studi e ricerche dei Uaderni catanesi, 8), hg. von Manlio Bellomo, Catania 1985, Bd. 1, S. 135–181; vgl. auch Anhang. 20 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 29193, fol. 131r(b). Vgl. ähnliche Klaglibelle in Roffredus, Libelli iuris canonici, De crimine adulterii (wie Anm. 19) S. 350; Guilelmus Durantis, IV, partic. 4 De adulteriis et strupro, n° 1–9 (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 492; vgl. Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3), S. 182–183, 245.
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aber die Intervention des Papstes eingefordert wurde21. Gewöhnlich ist einer der ersten Schritte vor der Ausfertigung der päpstlichen Dokumente die petitio an die römische Kurie, die mündlich oder schriftlich erfolgen konnte22. Diese Prozedur stellt die sogenannte Actio iuris dar, also die Erklärung einer oder mehrerer Personen mit dem Ziel, eine schriftliche Bestätigung der rechtskräftigen Entscheidung zu erhalten. Sie enthalten z. B. das Gesuch des Domkapitels, vertreten durch den Prokurator, nach Billigung der Bischofswahl23. Zum besseren Verständnis werden die Transkription der ersten drei Formeln der Handschrift aufgeführt: Coram vobis et cetera, proponit talis procurator Pennensis capituli, | quod ecclesia Pennensi vacante vocatis omnibus, qui voluerunt, potuer unt et debuerunt | conmode interesse, ac convenientibus ipsis in ecclesia cathedrali fuerunt | electi24 de ipso capitulo tres de collegio fidedigni, | in quos ab omnibus fuit | collata potestas, ut deberent viduate ecclesie pro videre vice omnium, qui | de magistro G. viro provido licterato et hone Vgl. Jean Gaudemet, Dalla elezione alla nomina dei vescovi, in: Concilium 7 (1980), S. 31–41; Andreas Meyer, Bischofswahl und päpstliche Provision nach dem Wiener Konkordat, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87 (1992) S. 125–130; Mykhaylo Tkhorovskyy, Procedura per la nomina dei vescovi: evoluzione dal Codice del 1917 al Codice del 1983 (Tesi Gregoriana. Serie diritto canonico 67), Roma 2004. 22 Die Petitio “poteva essere fatta oralmente, oppure inviata per iscritto tramite un personaggio influente”: Fernando De Lasala/Paulius Rabikauskas, Il documento medievale e moderno. Panorama storico della Diplomatica generale e pontificia, Roma 2003, S. 95. Vgl. auch Anm. 24; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 73–77. Harry Bresslau, Manuale di diplomatica per la Germania e l’Italia, Übersetzung von Anna Maria Voci-Roth, sotto gli auspici della Associazione Italiana dei Paleografi e Diplomatisti, Roma 1998 (Pubblicazioni degli Archivi di Stato. Sussidi 10) S. 279, 679–704. Vgl. auch Harald Müller, Päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit in der Normandie (12. und frühes 13. Jahr hundert), Bd. 1: Untersuchung (Studien und Dokumente zur Gallia Pontificia 4,1), Bonn 1997, S. 48 Anm. 4, S. 82 f. 23 Die Phase nach der Billigung der Supplik ist die Ausfertigung des Dokuments. Abhängig von der organisatorischen Komplexität der ausstellenden Kanzlei variieren die Ausstellungsmodalitäten: “lì dove l’organizzazione è ridotta, uno stesso scrittore provvede alla stesura della minuta – brutta copia –, nonché alla sua trascrizione in bella copia (‘ingrossatio’). Negli uffici più grandi, però, i compiti erano divisi; i dictatores – i minutanti – erano i responsabili della prima stesura del testo. La trascrizione invece era eseguita dagli ‘scriptores’, i quali ingrossavano i testo – la bella copia”: De Lasala/Rabikauskas, Il documento medievale e moderno (wie Anm. 22) S. 96. Vgl. auch Alessandro Pratesi, Genesi e Forme del documento medievale, Roma 1979, S. 37–41. Bresslau, Manuale di diplomatica (wie Anm. 22) S. 253–258, 679–704. 24 Verbessert aus clerici. 21
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sto ac legitimo matri|monio nato ipsi ecclesie vice omnium providerunt et elegerunt ipsum in episcopum | ecclesie memorate. Quare petit electio nem ipsam canonice factam | auctoritate apostolica confirmari. | Coram vobis et cetera, proponit procurator Penn(ensis) capituli, quod, | cum ipsa ecclesia pasto|re vacante vocatis omnibus in ecclesia cathedrali, qui voluerunt et debu|erunt et potuerunt conmode interesse, | assump serunt tres de collegio fidedignos | filios tales, qui secreto et singulatim25 examinaverunt vota canonicorum, et | ea habita et redacta in scriptis mox publicaverunt in communi, et collatione | facta inventum est ma iorem partem et saniorem in magistrum S. consensisse, | quem tales de mandato omnium et vice ipsorum in episcopum elegerunt ecclesie supra dicte. | Quare petit et cetera. | Coram vobis et cetera, proponit procurator et cetera, quod, cum eccle sia Pennensis pastore vacaret et ca|pitulum ipsius ecclesie per inspiratio nem sancti Spiritus magistrum G. in episcopum ipsius | ecclesie elegerunt. Quare petit et cetera, § quod ita sunt concipiendi libelli secundum varie|tatem istarum formarum; dicit constitutio in extra de electione et electi potestate c. quia propter di|versas et quod talis petitio sit facienda simile, quod confirmetur electus, dicit decre|talis Alexandri in extra e(odem) t(itulo) c(apitulum) postquam.26 |
Verbessert aus Sigilatim. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 29193, fol. 130r(a). Vgl. Abbildung 2.
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Diese drei Beispiele geben das Domkapitel von Penne als Urheber des juristischen Vorgangs zu erkennen, in dem es darum geht, einen Prokurator zu engagieren, der die Billigung der Wahl der neuen Bischöfe durch die apostolische Autorität (auctoritate apostolica) an der Kurie beantragt und betreut27. Sofort fallen einige Besonderheiten der transkribierten Formeln auf: Die Eingangsformel coram vobis et cetera stellt eine Kurzfassung dar, die die normalen stereotypisierten Formeln ersetzt; in diesem Fall ähnelt sie einer einleitenden Salutatio des Prokurators gegenüber der „Apostolischen Autorität“, die höchstwahrscheinlich den genauen Auftrag des Prokurators einführt28. Der Schlussteil der zweiten Formel – quare petit et cetera – Vgl. ferner Herde, Beiträge zum päpstlichen Kanzlei- und Urkundenwesen (wie Anm. 5) S. 128 f.; Ders., Giurisdizione delegata pontificia e lettere di giustizia, in: La diplomatica dei documenti giudiziari (dai placiti agli acta – secc. XII–XV). Atti del X° congresso internazionale Bologna, 12–15 settembre 2001, hg. von Giovanna Nicolaj, Città del Vaticano 2004, S. 27; Ders., Audientia 2 (wie Anm. 14) S. 5–15. Vgl. auch Winfried Stelzer, Beiträge zur Geschichte der Kurienprokuratoren im 13. Jahrhundert, in: Archivium historiae pontificiae 8 (1970) S. 113 f.; Ders., Gelehrtes Recht in Österreich. Von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert, MIÖG, Erg. Bd. 26 (1982) S. 145–165; Jane Eleanor Sayers, Papal Judges Delegate in the Province of Canterbury 1198–1254. A Study in Ecclesiastical Jurisdiction and Administration, Oxford 1971; Thomas Frenz, Papsturkunden des Mittelalters und der Neuzeit (Historische Grundwissenschaften in Einzeldarstellungen 2), Stuttgart 1986, S. 96, 114, 122, 136–139. Dazu auch Andreas Sohn, Deutsche Prokuratoren an der römischen Kurie in der Frührenaissance (1431–1474) (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 8), Köln 1997, S. 61–120; Barbara Bombi, Il registro di Andrea Sapiti, procuratore alla curia avignonese (Ricerche dell‘Istituto Storico Germanico di Roma 1), Roma 2007; Dies., Legittimazione e tempo. Gli archivi dei procuratori di curia all’inizio del XIV secolo, in: Paradoxien der Legitimation: Ergebnisse einer deutsch-italienisch-französischen Villa Vigoni-Konferenz, hg. von Cécile Caby/Gert Melville et al., Firenze 2010, S. 295–306; Ute Pfeiffer, Untersuchungen zu den Anfängen der päpstlichen Delegationsgerichtsbarkeit im 13. Jahrhundert. Edition und diplomatisch-kanonistische Auswertung zweier Vorläufersammlungen der Vulgataredaktion des Formularium audientie litterarum contradictarum, Città del Vaticano 2011; Nörr, Romanisch-kanonisches Prozessrecht (wie Anm. 17) S. 28–32; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3), S. 77–84. Vgl. auch Harald Müller, Generalisierung, dichte Beschreibung, kontras tierende Einzelstudien? Stand und Perspektiven der Erforschung delegierter Gerichtsbarkeit des Papstes im Hochmittelalter, in: Rom und die Regionen. Studien zur Homogenisierung der lateinischen Kirche, hg. von Jochen Johrendt/Harald Müller, Berlin [u. a.] 2012, S. 145–156; Ders., Im Dienst der Zentralisierung? Zu Struktur und Praxis päpstlich delegierter Gerichtsbarkeit, in: Die Ordnung der Kommunikation und die Kommunikation der Ordnungen 2, hg. von Cristina Andenna/Klaus Herbers et al., Stuttgart 2013, S. 133–144. 28 Der Prokurator präsentierte in der Kurie sein Mandat, das sogenannte procuratorium. Dieses konnte ad impetrandum (mit dem Ziel, ein Dokument zu erhalten), ad agendum (mit dem Ziel, einen Prozess einzuleiten) oder ad impetrandum et ad agendum sein. Vgl. De Lasala/Rabikauskas, Il documento medievale e moderno (wie Anm. 22) S. 212. “Il ‘procu 27
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stellt hingegen die Kurzfassung des juristischen Vorgangs dar, der ausführlich nur in der ersten Formel ausgedrückt wird: quare petit electionem ipsam canonice factam auctoritate apostolica confirmari. Nach der ersten Klausel coram vobis et cetera wird der im Auftrag des Kathedralkapitels von Penne handelnde Prokurator eingeführt. Dieser ersucht die Kurie in der ersten Formel um die Billigung der Wahl des Magister G. zum Bischof, in der zweiten um die Billigung der Wahl des Magister S.29. Die Konjunktion quod verbindet nach dem Ablativus absolutus, der über die Vakanz des Bischofsstuhls informiert, den ersten Teil der Formel – coram vobis et cetera, proponit talis procurator Pennensis capituli – mit einer kurzen Erklärung der Modalitäten der Bischofswahl30. In der rator’, a differenza dell’avvocato, non è però un semplice consulente giuridico; egli è invece un sostituto della parte in causa, che tramite una procura del cliente, ufficializzata attraverso un mandato (‘procuratorium‘) rilasciato dal cliente, in cui devono essere indicate le condizioni e i termini della delega ricevuta, agisce in prima persona durante l’iter processuale necessario ad ottenere un determinato rescritto“: Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 78–79. Vgl. auch Durantis, Speculum, I, partic. 3, De procuratore (wie Anm. 14), Bd. 1, S. 202. Pasciuta, Per una storia (wie Anm. 13) S. 157 f., 163–170; Sohn, Deutsche Prokuratoren (wie Anm. 27) S. 62–64, 71; Antonio Padoa Schioppa, Sul principio della rappresentanza diretta, in: Proceedings of the Fourth International Congress of Medieval Canon Law (Toronto, 21–25 August 1972), hg. von Stephan Kuttner, Città del Vaticano 1976, S. 120. 29 Es ist überaus schwierig zu entscheiden, ob die abgekürzten Namen nur Platzhalter sind oder tatsächlich existierenden Personen entsprechen. In den Bischofslisten von Penne befindet sich jedenfalls kein Bischof S.; dies hilft deswegen auch nicht bei der Datierung der Sammlung. Mit dem Magister G. könnte hier der päpstliche Subdiakon und scriptor litte rarum apostolicarum Guglielmus de Sancto Victore gemeint sein, der 1321 nach der Doppelwahl in Penne zurücktrat, aber 1324 als Nachfolger des Benediktiners Raimund wieder auftrat. Wenn wir annehmen, dass die Formelsammlung auf einem tatsächlichen Wahlvorgang basiert, kann die Sammlung nicht vor 1324 verfasst worden sein. Vgl. Enzensberger, Bausteine (wie Anm. 1) S. 148 sowie Brigide Schwarz, Die Organisation kurialer Schreiberkollegien von ihrer Entstehung bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, Tübingen 1972, S. 60–63; Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 69 Anm. 10. 30 Zur Entwicklung der Bischofswahl vgl. Klaus Ganzer, Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts, in: ZRGKA 58 (1972) S. 166–197; Bernhard Schimmelpfennig, Das Prinzip der „sanior pars“ bei Bischofswahlen im Mittelalter, in: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie 16 (1980) S. 473–477; vgl. Peter Herde, Die Entwicklung der Papstwahl im 13. Jahrhundert. Praxis und kanonistische Grundlagen, in: Ders., Gesammelte Abhandlungen und Aufsätze, Bd. 2,1, Stuttgart 2002, S. 153–180; Tkhorovskyy, Procedura per la nomina (wie Anm. 21) S. 31; Péter Erdö, I criteri per la designazione dei vescovi nel decreto di Graziano, in: Il processo di designazione dei vescovi. Storia, legislazione, prassi. Atti del X Symposium canonistico-romanistico 24–28 Aprile 1995, hg. von Domingo J. Andrés Gutierrez, Città del Vaticano 1996; Ders., Kirchenrecht im mittelalterlichen Ungarn. Gesammelte Studien, Berlin 2005; Spadaccini, Libri libelli e procuratori (wie Anm 3) S. 89–192.
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ersten Formel wird eine Wahl per scrutinium, in der zweiten eine Wahl per compromissum gemäß dem in den Liber extra übernommenen Canon 24 des 4. Laterankonzils vorgestellt31. In der dritten Formel, die die Inspirationswahl des Bischofs enthält, scheint ein interessantes Charakteristikum auf: Diese Form der Bischofswahl wird durch zwei Dekretalen gestützt. Man beachte die Funktion von quod, das drei verschiedene erklärende Sätze einleitet: Der erste erläutert die Wahlmodalität per inspirationem sancti spiritus; der zweite, eingeleitet durch ein Paragraphenzeichen, verlangt, dass der vorliegende Fall laut der Dekretale c. quia propter, de elec tione et electi potestate zu behandeln ist32. Das letzte quod leitet einen Nebensatz ein, in dem die Billigung der Wahl des Magister G. gemäß der Dekretale c. postquam des Liber extra erbeten wird33. Nach der Wendung quare petit et cetera wird also anders als in den vorhergehenden Formeln mittels der Dekretalen der Präzedenzfall der Inspirationswahl eingeführt. Diese Änderung in der Struktur ist der Einführung dieses neuen Aspekts zur Stützung des Antrags geschuldet. Diese Schemata, die sich auch in den anderen Formeln des Clm 28193 finden, stellen ein interessantes Beispiel für prokuratorische Formeln dar; sie kehren sowohl im Speculum des Guilelmus Durantis als auch in den berühmten Libelli iuris canonici des Roffredus Beneventanus wieder (siehe Anhang)34.
Quia propter electionum formas diversas quas quidam invenire conantur et multa impe dimenta proveniunt et magna pericula imminent ecclesiis viduatis statuimus ut cum electio fuerit celebranda præsentibus omnibus qui debent et volunt et possunt commode interesse assumantur tres de collegio fide digni qui secreto et singulatim voces cunctorum diligenter exquirant et in scriptis redacta mox publicent in communi nullo prorsus appellationis obsta culo interiecto ut is collatione adhibita eligatur in quem omnes vel maior vel sanior pars capi tuli consentit: Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 2: Konzilien des Mittelalters, hg. von Josef Wohlmuth, Paderborn u. a. 2000, S. 246. Vgl. auch X. 1, 6, 42. 32 Diese Dekretale sieht vor, dass per aliquam de tribus formis hic contentis, scilicet scruti nii, compromissi et inspirationis, procedi debet ad electionem in ecclesiis cathedralibus; aliter electio celebrata non valet, et contra facientes privandi sunt ea vice potestate eligendi. (…) Interdicit procuratorem in electionis negotio constitui, nisi concurrant hic contenta usque ad §. Electiones. (…) Praecipit electiones solenniter publicari, et clandestinas reprobari; X. 1, 4, 42. 33 X. 1, 6, 3. 34 Auch im Werk des Roffredus werden Formeln vorgestellt, die denen des Guilelmus Durantis und des Clm. 28193 ähnlich sind, oder aber Verzeichnisse, die der korrekten Formulierung von Klaglibellen dienen, die für die Verwendung auch vor der Kurie gedacht sind, vgl. Roffredus, Libelli iuris canonici (wie Anm. 19) S. 333. Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 72–84. 31
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Eine gesonderte Betrachtung verdienen die Eheprozesse35, wie Peter Herde hervorhebt: „Ehesachen wurden seit jeher zu den Causae spirituales gerechnet und damit vom geistlichen Gericht beansprucht. Seit dem vierten Laterankonzil fielen sie zudem in die ausschließliche Kompetenz des Diözesanbischofs; alle Delegationsreskripte in diesen Angelegenheiten mussten also [...] an ihn gerichtet werden. Die Reskripte befassen sich nur mit Fällen von geringer Bedeutung“36. Die Formeln zum Eherecht des Clm 28193, die zum größten Teil Fragen der Eheaufhebung behandeln, stehen alle in der 3. Person Singular. Nur die Formel Nr. 51 ist in der 1. Person Singular (ego) abgefasst. Hieraus ist ein anderer Typ des Klaglibells ablesbar; hier spricht direkt der Kläger: Coram vobis et cetera, ego talis accuso talem uxorem meam, que conm|i sit adulterium cum tali. Unde peto ab illius cohabitatione discendere | et per vos a thori separari. Quod sic conci(piatur) li(bellus) probatur extra de procuratoribus c(apitulum) tuae | fraternitatis37. Ebenso wie die bischöflichen prokuratorischen Formeln weisen auch die Formeln zum Eherecht eine ähnliche Struktur auf: Am Anfang einer Petition steht die Formel „coram vobis et cetera“; die Schlussformel der Petitionen ist anders als im Fall der Formeln zu Bischofswahlen in zwei Teile untergliedert. Im ersten Teil, eingeleitet durch petit, wird der Rechtsgegenstand genannt (Trennung, Scheidung). Im zweiten Teil, der mit dem ersten durch die Konjunktion quod verbunden ist, werden die Dekretalen, also Präzedenzfälle mit Blick auf den jeweiligen Gegenstand zitiert. In den Formeln wird niemals das jeweils angerufene zuständige Gericht ausdrücklich genannt; nur in zehn Formeln ist zwischen dem ersten Teil (eingeleitet durch petit) und dem zweiten Teil (eingeleitet durch quod) die Wendung per vos
In der Formelsammlung des Clm. 28193 fällt vor allem die hohe Zahl von Ehestreitigkeitsprozessen auf (23); die im Formular vorkommenden Petitionen thematisieren häufig Ehehindernisse, darunter Impotenz und Geisteskrankheiten oder die Feststellung des Verwandtschaftsgrades. Im Einzelnen geht es in zehn Fällen um die Aufhebung der Ehe, in sechs um ein divortium quoad thorum et mutuam servitutem, in vier um eine unverzügliche Scheidung und in einem Fall um ein possessorium. Vgl. Jean Gaudemet, L’interprétation du principe d’indissolubilité du mariage chrétien au cours du premier millénaire, Strasbourg 1980; Giugliano Marchetto, Il divorzio imperfetto. I giuristi medievali e la separazione dei coniugi (Quaderni dell’Istituto storico italogermanico in Trento), Bologna 2008. 36 Herde, Audientia (wie Anm. 14) S. 356 f. 37 München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 29193, fol. 131r(b), Formel 51; vgl. X 1, 38, 5, siehe auch Anm. 18. 35
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iudicio ecclesiae o.ä. eingefügt. Gerade diese Wendung legt nahe, dass das angerufene Gericht das bischöfliche Gericht ist. Aus der Formel 2738: Coram vobis et cetera, proponit T. contra B. et S. coniuges dicens, quod questio | matrimonialis inter ipsos in iudicio tractaretur et prohibitum eis fuisset | per episcopum, ut lite pendente cum alio matrimonium non con traheret, ipsa de facto | cum tali contraxit: quare petit dictus T. per vos iudicio ecclesie predictum | matrimonium irritari. Quod sic conci(piatur) li(bellus) p(robatur) per dec. extra de sponsa duorum c. tua39 T. klagt auf Annullierung der Ehe von B. mit S.: Diese wurde trotz des Verbots des Bischofs und vor dem Abschluss des Scheidungsverfahrens eines der Ehegatten geschlossen. Die Leitlinien zur Formulierung eines Klaglibells werden oftmals von den Juristen der Zeit veranschaulicht: Jene sehen die Bezeichnung des zuständigen Gerichts vor, dann die Namen des Klägers und des Angeklagten sowie eine ausdrückliche expositio mit Informationen über die jeweilige Zuwiderhandlung (oder auch eine kurze Erzählung der Ereignisse, die zu dem Prozess führen), zuletzt die eigentliche Petition auf der Basis des kanonischen Rechts40. Sowohl Roffredus Beneventanus als auch Guilelmus Durantis bieten zahlreiche nach verschiedenen Ehehindernissen untergliederte Formelsammlungen, auf deren Basis Klaglibelle anzufertigen sind41. Diese dienen dem Zweck, eine korrekte Vorlage eines Klaglibells zu liefern. Im Abschnitt zu den Bischofswahlen haben wir gezeigt, dass die Ausarbeitung einer solchen Klageschrift juris tische Kompetenz voraussetzt. Es ist also plausibel, dass jeder Kläger einen Experten in iure hinzuziehen konnte, entweder um die Klaglibelle vorzubereiten (in der 1. Person Singular), oder um den kompletten bürokratischen Weg zur Erlangung des gewünschten Reskripts zu beschreiten42. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 29193, fol. 130v(a). Verbessert aus tuam. Vgl. X 4,4,4 und Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 184–185. 40 Vgl. Cecilia Cristellon, La carità e l’eros. Il matrimonio, la Chiesa, i suoi giudici nella Venezia del Rinascimento (1420–1545), Bologna 2010, S. 57; Richard H. Helmholz, Marriage Litigation in Medieval England, Cambridge 1975, S. 121. 41 Durantis, Speculum, IV, partic. 4 (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 438–480; Roffredus, Libelli iuris canonici (wie Anm. 19) S. 332–431. Vgl. auch Marchetto, Il divorzio imperfetto (wie Anm. 35) S. 289; zu den Formeln in Eheangelegenheiten im Clm. 28193 vgl. Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 110–212. 42 Der Rückgriff auf professionelle Juristen bedeutete hohe Kosten. Dennoch vereinfachte und beschleunigte dies den komplexen bürokratischen Weg, der sich hinter den Prozesspro 38 39
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Nach dem auf der Grundlage der Beispiele aus Clm 28193 Gesagten scheinen mithin zwei Schlussfolgerungen mit Blick auf diese Formelsammlung möglich: Erstens stellt diese in Gänze eine prokuratorische Formel sammlung dar. Zweitens ist sie ein Repertorium für juristische Fälle, welches der Prokurator als stilistische und juristische Richtlinie verwendet, wobei er die abgekürzten Formelteile bei der „Vorbereitung“ auf die Präsentation des jeweiligen Falles gegenüber der Römische Kurie oder dem geistlichen Gericht wieder auflöst. Dadurch kommt dem Liber formula rium in gleicher Weise wie den Repertorien Guilelmus Durantis und Roffredus Beneventanus eine Schlüsselfunktion in der Ausarbeitung von Klaglibellen im 13. und 14. Jahrhundert zu. Bis heute ist die Textgattung des Klaglibells wenig erforscht: Werke wie die des Guilelmus Durantis und des Roffredus Beneventanus harren noch einer systematischen Analyse und einer kritischen Edition. Nur diese könnten mehr Licht in die Anfangsphasen des römisch-kanonischen Prozessrechts mittels der Formulierung des Klaglibells bringen.
zeduren verbirgt. Zur Figur des Prokurators vgl. ferner Spadaccini, Libri, libelli e procuratori (wie Anm. 3) S. 72–109.
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Abb. 2: München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 28193, fol. 130r.
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Anhang: Klaglibellen im Vergleich43
Bischofswahl
Clm. 28193 Forma faciendi libellos procuratorios
Guilelmus Durantis Speculum iudiciale
Roffredus Beneventanus Libelli iuris canonici
Coram vobis et cetera,
Coram vobis reverendo patre domino H. dei gratia Hosiensi et Vellecren. episcopo, partibus a domino papa auditore concesso, propono ego P. procurator, seu Syndicus talis electi: vel, si capitulum prosequatur, quod magis idoneum est, ne electus de ambitione notetur, ut C. de epis. et cle. si quenquam j. q. vj. sicut. is dicat, procurator talis capituli, seu maioris et sanioris partis eius, quo talis ecclesia solatio pastoris destituta, canonici eiusdem ecclesiae volentes de pastore viduate ecclesiae providere, vocatis omnibus,
Coram vobis et c.
proponit procurator
Penn(ensis) capituli, quod, cum ipsa ecclesia pastore vacante vocatis omnibus in ecclesia cathedrali, qui voluerunt et debuerunt et potuerunt conmode interesse, assumpserunt tres de collegio fidedignos filios tales,
qui voluerunt, debuerunt et potuerunt commode interesse, et eis convenientibus in ecclesia cathedrali, assumpti fuerunt res de collegio fide digni, videlicet talis et talis,
proponit L. procurator
ecclesie Ratboma (gensis), quod cum ipsa ecclesia pastore vocare vacatis omnibus absentibus et presentibus in ecclesia cattedrali qui debuerunt, voluerunt et potuerunt conmode interesse assumptis tribus de collegio fide dignis, videlicet talibus
Die Klaglibellen von Guilelmus und Roffredus folgen hier den anastatischen Editionen: Roffredus, Libelli iuris canonici (wie Anm. 19) und Durantis, Speculum iudiciale (wie Anm. 14). 43
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Michele Spadaccini Clm. 28193 Forma faciendi libellos procuratorios
Guilelmus Durantis Speculum iudiciale
Roffredus Beneventanus Libelli iuris canonici
qui secreto et singulatim a examinaverunt vota canonicorum, et ea habita et redacta in scriptis mox publicaverunt in communi, et collatione facta inventum est maiorem partem et saniorem in magistrum S. consensisse, quem tales de mandato omnium et vice ipsorum in episcopum elegerunt ecclesie supradicte:
quod secreto et sigillatim examinaverunt vota canonicorum habita, et in scriptis fideliter redegerunt, et dredacta mox in communi publicaverunt: demum collatione habita diligenti, inventum est maiorem partem et saniorem totius capituli in magistrum T. consensisse: quem talis de mandato omnium, seu maioris partis et saniorus et vice eorum in archiepiscopum elegit ipsius ecclesiae, et pastorem: et in communi electionem huiusmodi publicavit: cui electioni M. licet indebite, se opponit: quare peto nomine praefati capituli dicta electionem per vos adversario perpetuum silentium imponi45
qui secreto et sigillatim examinaverunt vota cunctorum canonicorum et redacta in scriptis mox publicaverunt in communi et collatione habita inventum est maiorem partem et saniorem in magistrum S. consensisse, quem tales de mandato omnium et vice ipsorum in archiepiscopum elegit ipsius ecclesiae:
quare petit et cetera44
quare petit et cetera predictam electionem a vobis pater sancte factam canonice con firmari46
München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 28193, fol. 130r, Formel 2. Durantis, Speculum iudiciale (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 90. 46 Roffredus, Libelli iuris canonici (wie Anm. 19), S. 333. 44 45
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Eheprozess (Lite pendente)
Clm. 28193 Forma faciendi libellos procuratorios
Guilielmus Duranti Speculum iudiciale
Roffredus Beneventanus Libelli iuris canonici
Coram vobis et cetera, proponit T. contra B. et S. coniuges dicens, quod questio matrimonialis inter ipsos in iudicio tractaretur et prohibitum eis fuisset per episcopum, ut lite pendente cum alio matrimonium non contraheret, ipsa de facto cum tali contraxit:
Coram, et c. propono contra P.
quare petit dictus T. per vos iudicio ecclesie predictum matrimonium irritari. Quod sic conci(piatur) li(bellus) p(robatur) per dec. extra de sponsa duorum c. tua47
quare peto matriomonium husiumodi per vos irritari,
Coram vobis et c. Proponit Titia contra Seium, quod cum questio matrimonialis inter ipsam eet dictum seium penderet et prohibitum sibi esset per episcopum ut lite pendente matrimonium cum alia non contrahere ipse de facto cum Berta matrimonium contraxit: quare petit per vos predictum matrimonium irritari.
quod cum questio matrimonialis inter me et eum penderet prohibitum qui sibi foret per episcopum, ne lite huiusmodi pendente matrimonium cum alia contrahere attentaret, ipse tamen de facto matrimonium cum Berta contraxit:
ut in praef. c. tua48
Quod sic recte concipiatur libellus probatur per decre. tua extra de sponsa duorum49
München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm. 29193, fol. 130v(a), Formel 27. Durantis, Speculum iudiciale (wie Anm. 14), Bd. 2, S. 458 – n° 2. 49 Roffredus, Libelli iuris canonici (wie Anm. 19), S. 333. 47 48
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Abstract Clm. 28193 is the signature under which a manuscript containing judical papers and texts from 14th century Italy can be found in the Bayerische Staatsbibliothek, München (Bavarian State Library in Munich). The ma nuscript contains a collection of formulas for procurators entitled “Forma faciendi libellos procuratorios” (a repertory for procurators about the creation of libel-writs). This essay compares the collection with other judicial works from the 13th/14th century, which contain similar formulas. By giving examples concerning episcopal elections and marriage trials, this article demonstrates that the schemes of the collection resemble procuratory formulas in works such as the “Speculum” by Guilelmus Durantis and the “Libelli iuris canonici” by Roffredus Beneventanus. It therefore concludes that the collection is for procurators, to be used as a judical guideline for preparing the libel, a category of texts still little studied, but whose exploration could add to our knowledge of the beginnings of Roman canon law trials.
Neuerungen im Kanzleiwesen zur Zeit Kaiser Ludwigs IV. (1314–1347) Der Beginn der Registerführung im Reich, in Oberbayern sowie den Marken Brandenburg und Meißen von DORIS BULACH
Im 14. Jahrhundert konsolidierten sich im Reich, aber auch in seinen Fürs tentümern, die landesherrlichen Verwaltungen, wobei mit dem Ausbau der Finanzverwaltung derjenige der Kanzleien einherging1. Die Kanzlei war der zentrale Ort der landesherrschaftlichen Schriftlichkeit, sie bildete die Grundlage für eine organisierte Herrschaft2. Als das schriftliche Gedächtnis von Herrschaftsträgern konnte sie dafür sorgen, dass die landesherrliche Politik auch über längere Zeiträume hinweg nachvollziehbar wurde, und sie fungierte als Schnittstelle der Beziehungen zwischen Herrscher und Land. Ihre Leistungsfähigkeit kann in gewisser Weise auch als Gradmesser für den herrschaftlichen Durchsetzungswillen bei der Erfassung des Landes dienen. Eine funktionierende Kanzlei setzte Professionalität und Bildung voraus, was dazu führte, dass vor allem die Vorsteher der Kanzlei, die Protonotare, oft weitreichende Aufgaben übernahmen. Der Ausbau der Kanzleien erfolgte zumindest im Reich, in Oberbayern sowie in den Marken Brandenburg und Meißen annähernd parallel, was von der bisherigen Forschung aber nur am Rande thematisiert wurde3. So Hermann Bier, Das Urkundenwesen und die Kanzlei der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach 1323–75, Berlin 1907, S. 8. 2 Das Folgende nach Jan Winkelmann, Die Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts. Markgräfliche Herrschaft zwischen räumlicher „Ferne“ und politischer „Krise“ (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 5), Berlin 2011, S. 133 f. 3 Einen Forschungsüberblick bietet Julia Hörmann, Das Registerwesen unter Markgraf Ludwig von Brandenburg in Tirol und Bayern in den Jahren 1342 bis 1352, Diss. phil. Mschr., Innsbruck 1998, S. 30–34. Für die Zusendung ihres Manuskriptes als .pdf-Datei danke ich herzlich Julia Hörmann-Thurn und Taxis. Nach dieser Datei wird im Folgenden zitiert. 1
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Doris Bulach
gibt es bisher vor allem Untersuchungen zur Registerführung des Reiches oder einzelner Regionen, bei welchen am Rande auf parallele Entwicklungen hingewiesen wird4. Ein Vergleich verschiedener Kanzleien unter dem Gesichtspunkt ihrer wechselseitigen Einflüsse steht hingegen bisher noch aus. Daher sollen im Folgenden – als eine Art Werkstattbericht aus der Arbeit für die Regesten Ludwigs des Bayern5 – die Kanzleien des Reiches, Oberbayerns, Brandenburgs und Meißens ins Visier genommen werden, ausgehend von der Frage, wie es in diesen Kanzleien zu Neuerungen im Kanzleiwesen kam. Der Fokus wird dabei nicht auf die Entwicklung der Kanzleien, ihres Personals und ihren Tätigkeiten gerichtet, sondern auf die vergleichende Untersuchung der jeweiligen Registerführung. Unter Regis tern werden dabei sowohl solche Verzeichnisse verstanden, in denen ausgehende Urkunden festgehalten wurden, als auch solche, die eingehende Urkunden erfassten6. Denn gerade diese planvollen Aufzeichnungen geben Aufschluss über die Organisation und Wirksamkeit einer landesherrlichen Kanzlei und Verwaltung7. Die in der Kanzlei geführten Regis ter waren ein wichtiges Hilfsmittel der mittelalterlichen Regierungstech 4 Zu den Wechselwirkungen von Reichskanzlei, brandenburgischer und tirolischer Kanzlei vgl. Richard Heuberger, Das Urkunden- und Kanzleiwesen der Grafen von Tirol, Herzoge von Kärnten, aus dem Hause Görz, in: MIÖG Ergänzungsband 9 (1915), S. 50– 177, 265–394 hier v.a. S. 326–329; Helmut Bansa, Studien zur Kanzlei Kaiser Ludwigs des Bayern vom Tag der Wahl bis zur Rückkehr aus Italien (1314–1329) (Münchener historische Studien. Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften 5), München 1968, S. 301; Ders., Die Register der Kanzlei Ludwigs des Bayern 1–2 (Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte, NF 24/1–2), München 1971–1974, hier 1, S. 115*f.; Peter Moser, Das Kanzleipersonal Kaiser Ludwigs des Bayern in den Jahren 1330–1347 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 37), München 1985, S. 274–276; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) u. a. S. 34–47. Untersuchungen zur Reichskanzlei u. a. Friedrich Philippi, Zur Geschichte der Reichskanzlei unter den letzten Staufern Friedrich II., Heinrich (VII.) und Konrad IV., Münster 1885; Gerhard Seeliger, Die Registerführung am deutschen Königshof bis 1493, in: MIÖG Ergänzungsband 3 (1894), S. 223–364; vgl. zu landesherrlichen Kanzleien den Sammelband: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik 1–2 (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 35/1–2), München 1984. 5 Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347). Heft 11: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken Berlins, Brandenburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Sachsens, Sachsen-Anhalts, Thüringens, bearb. von Doris Bulach (RI VII 11), Köln/Weimar/Wien 2018. 6 Zur Definition und Terminologie vgl. ausführlich Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) v.a. S. 62 f. mit weiterer Literatur. 7 Seeliger, Registerführung (wie Anm. 4) S. 233; Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 22.
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nik, und das Vorhandensein einer regelmäßigen Registerführung kann als ein sicheres Kriterium dafür gelten, dass sich eine Kanzlei zu einer funktionsfähigen Verwaltungsinstitution entwickelt hatte8. Der erste Kaiser des Spätmittelalters, in dessen Reichskanzlei nachweislich Verzeichnisse seiner ausgehenden Urkunden angefertigt wurden, war Kaiser Heinrich VII. aus dem Hause Luxemburg9. Zwar sind diese Verzeichnisse selbst nicht mehr erhalten, aber in verschiedenen Urkunden finden sich Verweise auf Abschriften in königlichen Registern10. Zudem wurde in Heinrichs Kanzlei seit 1311 ein Teil der ausgehenden Urkunden mit einem R versehen, was darauf hindeutet, dass sie registriert, also in ein Register aufgenommen wurden11. Diese Kennzeichnung der Urkunden geschah durch seinen Schreiber Johann Certamen, den der Wittelsbacher Ludwig IV. gleich nach seiner Königskrönung in die eigenen Dienste übernahm12. Auf zahlreichen die ludovizianische Kanzlei verlassende Urkunden trat nun die gleiche Registratasigle auf13. Mit der Registratasigle versehen waren dabei überwiegend Urkunden (geschrieben von unterschiedlichen Händen), die Veräußerungen von Einkünften, Rechten oder Besitzungen des Reiches betrafen14. Ein Register, in dem die Urkunden 8 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 23; Heinrich Koller, Registerführung und Kanzleireform im 15. Jahrhundert, in: Acta Universitatis Carolinae. Philosophica et historica 3/4 (1971), S. 161–177, hier S. 163; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 27 f. 9 Kaiser Friedrich II. führte in Sizilien verschiedene Register, für das Reich sind solche jedoch nicht nachgewiesen, ebensowenig bei seinen Nachfolgern, vgl. Philippi, Reichskanzlei (wie Anm. 4) Sp. 30–34; Seeliger, Registerführung (wie Anm. 4) S. 230; s.a. Siegmund Herzberg-Fränkel, Geschichte der deutschen Reichskanzlei 1246–1308 1: Die Organisation der Reichskanzlei, in: MIÖG Ergänzungsband 1 (1885), S. 254–297, hier S. 291–297; Josef Hartmann, Urkunden, in: Die archivalischen Quellen mit einer Einführung in die historischen Hilfswissenschaften, hg. von Friedrich Beck/Eckart Henning, Köln 21994, S. 21–50, hier S. 32 und Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 27–29 mit einem kurzen Überblick zur päpstlichen Registerführung sowie derjenigen weiterer europäischer Herrscher. 10 Seeliger, Registerführung (wie Anm. 4) S. 231 f. 11 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 20*. 12 Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 115 f. 13 Zuerst auf Ludwigsurkunden von 1314 November 25 (MGH Const. 5, ed. Jakob Schwalm, Hannover 1909–1913, S. 129 f. Nr. 130 und Nr. 132) und von 1314 November 26 (Johann Friedrich Böhmer, Regesta imperii inde ab anno MCCCXIIII usque ad annum MCCCXLVII. Die Urkunden Kaiser Ludwigs des Baiern, König Friedrich des Schönen und König Johanns von Böhmen nebst einer Auswahl der Briefe und Bullen der Päbste und anderer Urkunden welche für die Geschichte Deutschlands von 1314 bis 1347 vorzüglich wichtig sind, Frankfurt 1839–1865, S. 269 Nr. 2601); vgl. dazu Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 20*. 14 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 21*–25*.
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verzeichnet wurden, ist jedoch ebensowenig überliefert wie bei Heinrich VII. Ausgehend von der Annahme, dass alle noch überlieferten Urkunden mit dieser Sigle registriert und alle nicht mit der Sigle versehenen Urkunden nicht registriert wurden, stellte Helmut Bansa fest, dass vermutlich rund die Hälfte der ludovizianischen Urkunden in der Zeit vom 25. November 1314 bis zum 28. Februar 1315 in ein Register Eingang fanden15. Mit der Rückkehr Ludwigs aus dem Rheinland nach Bayern im Mai 1315 verschwindet die Sigle von den erhaltenen Urkunden, und damit wurde vermutlich auch die Registrierung eingestellt 16, obwohl Johann Certamen bis 1319 weiterhin Urkunden für Ludwig schrieb17. Als eine mögliche Erklärung für die Aufgabe der Registrierung der ausgehenden Königsurkunden kommt in erster Linie die unsichere Situation im Reich in Betracht, die nach der Doppelwahl Ludwigs IV. und seines Cousins Friedrich des Schönen entstanden war und zu kriegerischen Auseinandersetzung führte18. So ist es sicherlich kein Zufall, dass mit dem Sieg über den Gegenkönig Friedrich im Jahr 1322 auch die Registerführung in der Reichskanzlei wieder aufgenommen wurde, nun durch einen Schreiber namens Bertold, der seit 1317 in der Reichskanzlei tätig war19. Dieses noch erhaltene Register, als älteres Reichsregister bekannt20, das vom 22. November 1322 bis zum Beginn des Italienzuges im Januar 1327 überwiegend von Bertold geführt wurde und daher eng mit seiner Person verbunden ist, war in drei Teile gegliedert: Eine Rubrik hielt Reichssachen fest, eine weitere „Erste Bitten“ und eine dritte Rubrik Urkunden, die das Herzogtum Bayern betrafen21. In allen drei Registerteilen wurden die Urkunden nur selten vollständig abgeschrieben. Meist wurden nur Regesten verfasst, der Urkundentext verkürzt wiedergegeben; in einigen Fällen entstanden Einträge sogar direkt nach der Rechtshandlung: Dabei folgte der Handlung
Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 300; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 19*f., 27*. Zuletzt auf Urkunden von 1315 Mai 17 (Böhmer, RI [wie Anm. 13] S. 7 Nr. 104; Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347). Heft 7: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken Ober- und Niederbayerns, bearb. von Michael Menzel [RI VII 7], Köln/Weimar/Wien 2003, S. 18 Nr. 36); vgl. Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 20*. 17 Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 115–121, Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 21*, 27*. 18 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 21*f. 19 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 30*. 20 Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA) München, Staatsverwaltung 3520; zur Handschriftenbeschreibung Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 30*f. 21 Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 300 f.; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 37*–46*. 15 16
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eine Verzeichnung im Register, erst anschließend die Urkundenausstellung, die aber teilweise wohl auch unterblieb22. Das Werk Bertolds war aber eventuell nicht das einzige königliche Register. Darauf deutet eine Urkunde vom 27. Februar 1324 hin, die nicht in Bertolds Register überliefert ist. Auf ihr findet sich direkt vor der Datierungszeile die für Ludwigsurkunden außergewöhnliche Bemerkung, dass die vorliegende Urkunde wortgetreu in das registrum nostrum, also ein königliches Register, eingetragen worden sei23. Möglicherweise versah man die in dieses verlorene Register eingetragenen Urkunden dann sporadisch auch wieder mit der Registrasigle. Zumindest auf einer zweifach ausgefertigten Urkunde vom 8. April 1323, die ebenfalls nicht im erhaltenen Register verzeichnet ist, findet sie sich wieder24. Auf den noch im Original überlieferten Urkunden, die sich zusätzlich in Bertolds Register finden lassen, ist sie dagegen nirgends vorhanden. Auf dem Italienzug selbst knüpfte die Kanzlei offenbar wieder stärker an die Tradition des ersten verlorenen Registers von 1314/15 an. So weisen seit dem Sommer 1327 wieder zahlreiche Urkunden eine Registratasigle auf25, wenn auch deutlich unregelmäßiger als in der Anfangszeit der ludovizianischen Herrschaft. Ein dazugehöriges Register ist nicht erhalten. Ein weiteres Register der Reichskanzlei, das sogenannte jüngere Reichsregister, ist nur in Fragmenten erhalten26. Darin wurden Urkunden, die Reichsbelange betrafen, im gesamten Wortlaut oder in Auszügen verzeichnet27. Die Einträge, von mehreren Händen angelegt und sämtliche Inhaltsgruppen betreffend, umfassen die Zeit vom 20. Mai 1330 bis zum Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 301; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 30*–65*. MGH Const. 5 (wie Anm. 13) S. 678 f. Nr. 860: Prestentes quoque registro nostro ad habendam predictorum memoriam de verbo ad verbum fecimus annotari; vgl. Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 301. 24 Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314–1347). Heft 4: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken des Elsasses (Départements Haut- und Bas-Rhin), bearb. von Johannes Wetzel (RI VII 4), Köln/Weimar/Wien 1998, S. 17 Nr. 24. Das ist nach bisherigem Kenntnisstand aber die einzige Registratasigle aus der Laufzeit des Bertoldschen Registers. 25 Zuerst auf Ludwigsurkunden von 1327 Juli 4 (Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern [1314–1347]. Heft 9: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken der Oberpfalz und Tschechiens, bearb. von Doris Bulach [RI VII 9], Wien/Köln/Weimar 2012, hier S. 139 Nr. 251) und von 1327 Juli 7 bzw. Juli 15 (MGH Const. 6/1, ed. Jakob Schwalm, Hannover 1914–1927, S. 225 f. Nr. 314 f.); vgl. Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 301; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 81*f. 26 BayHStA München, Kurbayern Äußeres Archiv 1158 (KLS Nachtrag 1); vgl. Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 83*; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 37 mit Anm. 172. 27 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 83*. 22 23
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1. Juni 1331, mit Nachträgen aus den Jahren 1332 und 133528. Gleichzeitig wurden wieder auslaufende Urkunden mit der Registratasigle R gekennzeichnet, wobei sich diese Urkunden nicht immer im jüngeren Reichsregis ter wiederfinden29. Umgekehrt wurden aber auch nicht alle im Reichsre gister verzeichneten Originalurkunden mit der Registratasigle versehen30. Unter welchen Gesichtspunkten die Kennzeichnung von ludovizianischen Urkunden also mit einer Registratasigle erfolgte, wird hier ebenso wenig deutlich wie in den Jahren zuvor. Vielleicht wurde parallel und auch noch nach 1335 (dem Jahr, in dem die Nachträge im jüngeren Reichsregister enden) ein weiteres, nicht mehr erhaltenes Register geführt, worauf auch die Registratasiglen auf Urkunden nach 1331 und bis 1337 deuten31. Nach 1337 verschwindet die Registratasigle offenbar ganz bei Urkunden der ludovizianischen Kanzlei32. An welchen Vorbildern orientierten sich nun aber Bertold und die Schreiber bei der Anlage der beiden noch erhaltenen Reichsregister? Waren es die von Johann Certamen angelegten Register Heinrichs VII. und die der ersten Regierungsjahre Ludwigs, worauf zumindest die Wiederaufnahme der Registratasigle deutet? Oder lassen sich hier eigenständige Entwicklungen fassen? Die Antwort auf diese Fragen muss offenbleiben, da keine weiteren Register dieser Zeit erhalten sind. Allerdings gibt es eine weitere, ebenfalls naheliegende Vermutung: So setzte im Umfeld Oberbayerns und damit König Ludwigs IV. der umfassende Ausbau einer landesherrlichen Kanzlei sehr früh und differenziert ein, nämlich in Tirol33. Hier ist ein erstes Register für die Jahre 1308–1315 belegt, es folgten weitere für die Jahre bis 133534. Diese Register verzeichnen – mit ver Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 86*f., 105*, 107*. Beispielsweise Ludwigsurkunden von 1330 März 28 (Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern [1314–1347]. Heft 2: Die Urkunden aus den Archiven und Bibliotheken Badens, bearb. von Johannes Wetzel [RI VII 2], Köln/Weimar/Wien 1994, S. 31 Nr. 76), 1330 Juni 14 (MGH Const. 6/1 [wie Anm. 25] S. 668 f. Nr. 789) oder von 1334 Mai 21 (MGH Const. 6/2, ed. Wolfgang Eggert, Hannover 2003, S. 398 Nr. 566). 30 Beispielsweise Ludwigsurkunden von 1332 Juni 1 (Bansa, Register 2 [wie Anm. 4] S. 508 f. Nr. 623) oder von 1332 Dezember 11 (ebd. S. 483–485 Nr. 612). 31 So beispielsweise Ludwigsurkunden von 1334 Mai 21 (Böhmer, RI [wie Anm. 13] S. 322 Nr. 3008) und von 1337 Juli 7 (ebd. S. 114 Nr. 1841); vgl. dazu Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 112*–114*. 32 Dies lässt ein Blick in die Gesamterfassung aller Urkunden Ludwigs IV. in der Arbeitsstelle der Regesta Imperii vermuten. 33 Ausführlich dazu Heuberger, Kanzleiwesen (wie Anm. 4) S. 115–177; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 36–39. 34 Heuberger, Kanzleiwesen (wie Anm. 4) S. 269. 28 29
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einzelten Ausnahmen – auslaufende Urkunden, wobei die Einträge offenbar vor allem Konzepte für die Urkundenausstellung selbst waren, aber auch Aktnotizen darstellten, und meist chronologisch von verschiedenen Händen erfolgten35. Ähnlichkeiten im Aufbau und auch bei den Eintragungen lassen sich zu den Tiroler Registern sowohl beim älteren als auch beim jüngeren Reichsregister trotz einiger Unterschiede feststellen36. Die Gelegenheit für einen Austausch Bertolds mit tirolischen Kanzleimitarbeitern war gerade im November 1322 gegeben, als Bertold mit dem älteren Reichsregister und dem oberbayerischen Register in Augsburg begann. So trafen sich genau zu diesem Zeitpunkt und in dieser Stadt Graf Heinrich (Johann) von Tirol und Kaiser Ludwig IV. und damit mit Sicherheit auch Kanzleimitarbeiter beider Herrscher37. Auch für die Zeit des Beginns des jüngeren Reichsregisters (1330) sind wieder persönliche Kontakte zwischen Reichskanzlei und tirolischer Kanzlei wahrscheinlich; so hielt sich Ludwig 1327 und 1330 in Tirol auf38. Ein Zusammentreffen des tirolischen Kanzleipersonals mit demjenigen des Reiches ist damit zu vermuten39. Wie sahen nun die Verhältnisse bezüglich der Registerführung im Herzogtum Oberbayern, dem Stammland des Wittelsbachers Ludwig IV., aus? Eine Kanzlei der Herzöge von Bayern ist seit 1209 nachweisbar, eine Festigung erfolgte unter Ludwig II. (1253–1294), dem Vater des Kaisers, eine Registratur auslaufender Urkunden fand jedoch offenbar noch nicht statt40. Nach dem Tod Herzog Ludwigs II. von Oberbayern regierten seine Söhne Rudolf I. und der spätere König Ludwig teils gemeinsam, teils
Heuberger, Kanzleiwesen (wie Anm. 4) S. 274–309; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 38. 36 Während Heuberger, Kanzleiwesen (wie Anm. 4) S. 327–329, nur einen tirolischen Einfluss auf das jüngere Reichsregister annimmt, da das ältere hinter die Entwicklungen der Tiroler Register zurückgefallen scheint, sieht Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 38 Anm. 176 Ähnlichkeiten zu den tirolischen Registern sowohl beim älteren als auch beim jüngeren Reichsregister in Aufbau und Anlage (bezüglich Abständen, fehlenden Überschriften, dem Wechsel von Urkundenabschriften und Notizen). 37 Ausführlicher dazu Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 286 Anm. 16, S. 301; Ders., Regis ter 1 (wie Anm. 4) S. 28*; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 38 f. 38 Gleichzeitige Abschrift vom Konzept im Register des Herzogs Heinrich im Tiroler Landesarchiv (TLA) Innsbruck, Hs. 106 fol. 5r sowie Eintrag im jüngeren Reichsregister im BayHStA München, Kurbayern Äußeres Archiv 1158 (KLS Nachtrag 1) pag. 7 Nr. 20; Bansa, Register 2 (wie Anm. 4) S. 314 Nr. 500. 39 Heuberger, Kanzleiwesen (wie Anm. 4) S. 328 f. 40 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 40 f. 35
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getrennt, was sich auch in einer teils aufgeteilten, seit 1313 wieder gemeinsam geführten Kanzlei niederschlug41. Nachdem Ludwig IV. zum König gewählt worden war, begründete er eine eigene Kanzlei unter Rückgriff auf einen einzigen Schreiber aus der vorigen Reichskanzlei, Johann Certamen, sowie auf mindestens vier Schreiber aus seiner herzoglichen Kanzlei42. Diese Kanzlei scheint Reichsbelange und Belange des Herzogtum Oberbayerns nun gemeinsam bearbeitet zu haben43. Der Schreiber Bertold, auf den das ältere Reichsregister zurückgeht, begann – wie oben schon angesprochen – die Belange der beiden Herrschaftsbereiche zumindest auf der Ebene der Registerführung zu trennen: So legte er neben dem Reichsregister 1322 ein weiteres an, in dem er ausgehende Urkunden des Herzogtums Oberbayern versammelte und dieses Verzeichnis als Registrata Bawarie bezeichnete. Beide Register führte er mit eigener Hand bis Anfang Januar 132744. Dieses bayerische Register aus der Reichskanzlei stellt somit zugleich das älteste überlieferte Register für Oberbayern dar45. Zu dem für eine längerfristige Nutzung angelegten bayerischen Register Bertolds kam ein weiteres, das jedoch offenbar nur temporäre Bedeutung hatte und wohl in der Oberpfalz angefertigt wurde46. Obwohl es sich dabei weder um ein Ein- noch Auslaufregister im eigentlichen Sinne handelt, soll es hier kurz erwähnt werden, da es interessante Einblicke in die Registrierungstätigkeit der Kanzlei von Urkunden und ihrer Nutzung gibt. Das sogenannte Oberpfälzer Register steht mit der Landesteilung des 41 Alfons Sprinkart, Kanzlei, Rat und Urkundenwesen der Pfalzgrafen bei Rhein und Herzöge in Bayern 1294 bis 1314 (1317). Forschungen zum Regierungssystem Rudolfs I. und Ludwigs IV. (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 4), Köln/ Wien 1986, S. 46 f., 111. 42 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 109*. 43 So die Vermutung von Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 42. 44 Älteres Reichsregister im BayHStA München, Staatsverwaltung 3520 fol. 77v (Beginn der bayerischen Abteilung); vgl. dazu Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) u. a. S. 38*–42*, 11, 99. 45 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 41*; Alois Schütz, Zu den Anfängen der Akten und Registerführung am bayerischen Herzogshof, in: Landesherrliche Kanzleien 1 (wie Anm. 4) S. 127–137, hier S. 135. Auch die Einträge in diesem Bayern betreffenden Register hatten wie beim älteren Reichsregister häufig Besitzungen, Einkünfte oder Rechte des Herzogtums zum Inhalt, daneben kommen jedoch auch weitere Betreffe vor; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 65*–76*. – Zu einem Verzeichnis von drei Urkunden im 13. Jahrhundert durch die niederbayerische Kanzlei vgl. Hans Rall, Die Kanzlei der Wittelsbacher im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien 1 (wie Anm. 4) S. 109–126, hier S. 116. 46 Staatsarchiv Amberg, Regierung Amberg 1716. – Zu Anfertigung, Beschreibung und Inhalt der Handschrift: Wilhelm Erben, Ein Oberpfälzisches Register aus der Zeit Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1908, S. 13–19, 67.
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Herzogtums Oberbayern zwischen dem nunmehrigen Kaiser Ludwig und seinem Neffen Pfalzgraf Rudolf II. bei Rhein im Jahr 1329 in Zusammenhang47. In dieses umfangreiche Verzeichnis wurden diejenigen herzoglichbayerischen Verpfändungen und Belehnungen aufgenommen, die in den an die wittelsbachischen Pfalzgrafen übertragenen Gebieten nördlich der Donau lagen48. Der Reinschrift dieses Registers, das nach Empfängern geordnet war und diese in einer Überschrift namentlich erwähnt, ging wahrscheinlich eine Vorlage voraus, deren Schreiber(n) jedoch nicht die aus der Kanzlei auslaufenden Urkunden, sondern die bereits in der Verwahrung der Empfänger befindlichen Originalausfertigungen zur Verzeichnung vorlagen. Die Schreiber suchten also die Empfänger von Ludwigsur kunden auf, um diese erneut unter einem aktuellen Gesichtspunkt in Augenschein zu nehmen und zu erfassen. Damit einher ging eine genaue Siegelbeschreibung, es wurden seit Ausstellung der Urkunde erfolgte Veränderungen festgehalten und Vermerke über den Zustand einzelner Urkunden getätigt, die ja weiterhin bei den Empfängern lagen: Urkunden wurden so beispielsweise als littera perforata per vermes („von Würmern durchlöchert“) beschrieben oder mit „Rasur vorhanden“ (Privilegium habet rasuram) gekennzeichnet49. Das hier für einen Teil Oberbayerns geführte Register scheint in enger Beziehung zu einem seit 1326 entstandenen Urbar für das Vitztumamt Lengenfeld, dem heutigen Burglengenfeld, zu stehen. Auch die Bemerkungen im Urbar verweisen darauf, dass die bei den Empfängern aufbewahrten Urkunden herangezogen wurden (z. B. der Zusatz privilegium habet). Dies könnte darauf hindeuten, dass das Oberpfälzische Register die Reinschrift der für die Urbaraufnahme angefertigten Kopien sein könnte50. Zumindest bei der Konzeption und Anlage des Oberpfälzer Registers war ein Schreiber der Reichskanzlei, Johannes Sachs, beteiligt, der hier die Registerführung, die er vom Herrscherhof kannte, auf die lokalen Anforderungen und unter einer gezielten Fragestellung (der Landesteilung) übertragen haben könnte51. In der Markgrafschaft Brandenburg hatte König Ludwig IV. nach dem Aussterben der Askanier 1319 lange gezögert, bevor er dort 1323 seinen gleichnamigen, achtjährigen Sohn unter der Vormundschaft seines Rates Erben, Oberpfälzisches Register (wie Anm. 46) S. 44 f. RI VII 9 (wie Anm. 25) S. XII. 49 Erben, Oberpfälzisches Register (wie Anm. 46) S. 39–41; RI VII 9 (wie Anm. 25) S. 25 Nr. 40 und S. 65 Nr. 112. 50 Erben, Oberpfälzisches Register (wie Anm. 46) S. 67, 70. 51 Erben, Oberpfälzisches Register (wie Anm. 46) S. 67–69. 47 48
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Berthold VII. von Henneberg-Schleusingen als Markgrafen einsetzte52. Mit einer auf 1324 datierten, aber wohl erst einige Jahre später ausgestellten Urkunde belehnte Ludwig seinen Sohn offiziell mit der Mark53. Die weiteren Entwicklungen in diesem Reichslehen scheinen jedoch nicht nach den Vorstellungen des Kaisers verlaufen zu sein. Gegen den Willen seines Vaters hatte sich Markgraf Ludwig im Frühsommer des Jahres 1329 unter dem Einfluss der Grafen von Lindow selbst für mündig erklärt54, was sofort seinen Vater auf den Plan rief. Er beorderte seinen Sohn zurück aus der Mark, ein Befehl, dem Markgraf Ludwig offensichtlich Folge leis tete, denn seit Mai 1330 ist er durchgängig bis zum Mai 1333 am kaiserlichen Hof bezeugt55. Frühestens im Juni 1333 kehrte er, nun tatsächlich mündig, in sein Herrschaftsgebiet zurück56. Einig ist sich die Forschung darin, dass mit dieser Rückkehr in die Mark ein Umbruch im brandenburgischen Kanzleiwesen erfolgte57. Erst jetzt wurde eine gut organisierte landesherrliche Kanzlei etabliert, die unter den Askaniern gefehlt hatte. Das Schreibpersonal Markgraf Ludwigs stammte nach seiner Rückkehr anscheinend überwiegend aus dem mittel- und oberdeutschen Raum58. So lässt sich die Herkunft des Kanzleileiters seit 1333, Eberwin von Rotha, auf eine hennebergische Ministerialenfamilie zurückführen, und zumindest ein Teil des markgräflichen Hofpersonals hatte wahrscheinlich bay RI VII 11 (wie Anm. 5) S. XV, S. 55 f. Nr. 92, S. 70 f. Nr. 117 und S. 88 Nr. 144 sowie Michael Menzel, Die Wittelsbacher Hausmachterweiterungen in Brandenburg, Tirol und Holland, in: DA 61 (2005), S. 103–159, hier S. 110 f.; Ders., Europas bayerische Jahre. Eine Skizze zum Nordosten und -westen des Reiches im 14. und 15. Jahrhundert, in: Ludwig der Bayer (1314–1347). Reich und Herrschaft im Wandel, hg. von Hubertus Seibert, Regensburg 2014, S. 237–262, hier S. 241 f. 53 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 63 f. Nr. 107, S. 106–108 Nr. 171 und Johannes Schultze, Die Mark Brandenburg 2, Berlin 1961, 32004, S. 24–50; Menzel, Hausmachterweiterungen (wie Anm. 52) S. 108 f.; Menzel, Skizze (wie Anm. 52) S. 240–242. 54 Schultze, Brandenburg 2 (wie Anm. 53) S. 47. 55 Hermann Bier, Märkische Siegel. 1. Abt.: Die Siegel der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg, Teil 2: Die Siegel der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach 1323–1373 und Tafeln mit Übersicht (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin 6), Berlin 1933, S. 22, 170–173. 56 Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 139, 173. 57 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 7 f.; Schultze, Brandenburg 2 (wie Anm. 53) S. 57. 58 Schultze, Brandenburg 2 (wie Anm. 53) S. 57; Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 27 mit Anm. 14 auf S. 140 f. Der 2. Teil der Dissertation von Hermann Bier, der auch ein Kapitel zum Personal der wittelsbachischen Kanzlei vorsah, bleibt trotz intensiver Recherche weiterhin verschollen. Gedruckt wurde nur die Einleitung und das erste Kapitel; vgl. Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 4. 52
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erische Wurzeln59. Erst jetzt entstanden für Brandenburg Auslauf- und Einlaufregister, die seit 1336 überwiegend von einer Hand angelegt und bis zum Ende der wittelsbachischen Herrschaft 1373 regelmäßig geführt wurden60. Das erste überlieferte brandenburgische Register, auf hochformatig geschnittenem Pergament geschrieben, enthält Urkunden, die die markgräfliche Kanzlei verließen, und wurde im Jahr 1336 angelegt61. Es verzeichnet seit dem Jahr 1333 ausgestellte Urkunden und ist geografisch (nach brandenburgischen Vogteien und ihren Einkünften oder Gütern) geordnet – ein Novum gegenüber den Registern der Reichskanzlei, Tirols oder Oberbayerns. Zusätzlich erhielten die Einträge teils mit roter Tinte hervorgehobene Überschriften und Initialen. Ebenso strukturiert und mit Überschriften und Initialen in roter Tinte versehen war ein zweites, 1344 angelegtes Auslaufregister62. Die die Kanzlei verlassenden Urkunden wurden bei beiden Registern fortlaufend von verschiedenen Händen auf gesonderten Bögen, geordnet nach Vogteien, registriert63. Die abschriftlichen Eintragungen der für die Markgrafen ausgestellten Urkunden in gleichzeitig zu den Auslaufregistern angelegten Einlaufregis tern wurden in getrennten Büchern vorgenommen, waren ebenfalls mit Überschriften und Initialen in roter Tinte versehen, erfolgten aber immer wieder in Schüben und von einer Hand. Das älteste markgräfliche Einlaufregister64, wie das Auslaufregister ebenfalls im Jahr 1336 angelegt, wurde allerdings nicht von irgendeinem Schreiber geführt, sondern von einem ehemaligen Schreiber der Reichskanzlei (mit der Sigle H 35/K 2), der zahl Joseph Würdinger, Oberbayerische Ritter im Dienste der wittelsbachischen Markgrafen von Brandenburg, in: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 34 (1874/75), S. 327–334; Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 27 mit Anm. 14 auf S. 140 f.; Winkelmann, Brandenburg (wie Anm. 2) S. 136. 60 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 20. 61 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 1 (Teil 2 fol. 88r–119v) (online verfügbar über die Internet seite des GStA) und Nr. 2 (am 2.3.2018 noch nicht online verfügbar über die Internetseite des Archivs) sowie Universitätsbibliothek Leipzig, Rep. II. 128 und Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) u. a. S. 29 f., 33 f., 57 f. 62 GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 3 (Teil 3 fol. 67r– 80r) (online verfügbar über die Internetseite des GStA) und Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 58. 63 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 28 f. 64 GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 1 (Teil 1 fol. 1r– 86v) (online verfügbar über die Internetseite des GStA) und Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 57. 59
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reiche ludovizianische Urkunden ausgestellt und den Kaiser sogar nach Italien begleitet hatte65. Offenbar war er dann in die markgräfliche Kanzlei gewechselt, wo er bis 1339 auch Urkunden für den Markgrafen schrieb66. Ein zweites Einlaufregister, gleichfalls von nur einer Hand angelegt, entstand wie sein Pendant für die auslaufenden Urkunden im Jahr 134467. Während das ältere Einlaufregister von 1336 noch keine inhaltliche Unterscheidung der Urkunden vornahm, zeigt das seit 1344 geführte eine inhaltliche Gliederung: So entstand eine Sammlung der von Kaiser Ludwig ausgestellten Urkunden und früherer Könige68, eine zweite ausschließlich mit norddeutschen Fürsten als Aussteller unter dem Titel „HolsteinSchwerin“69. Vermutlich stellen diese beiden Einlaufregister nur den Rest einer Gruppe von nach Ausstellern geordneten Registern dar70. Neben diesen erhalten gebliebenen Aus- und Einlaufregistern sind weitere Fragmente von seit 1348 angelegten Registern im Original erhalten, während weitere, jüngere Register, 1362 bis 1378 angelegt, nur mehr abschriftlich aus der Kanzlei Karls IV. überliefert sind71. Interessant ist ein weiteres Phänomen, das offenbar mit diesen Registern in Verbindung zu stehen scheint, das hier aber nur kurz angesprochen werden kann. So finden sich auf einigen im Original bekannten Urkunden Kaiser Ludwigs IV. im Bestand der Markgrafen von Brandenburg Vermerke, die offenbar vom selben Schreiber stammen wie der Urkundentext. Vier Urkunden (deren Schreiber jedoch überwiegend bisher nicht untersucht wurden) weisen dabei copietur-Vermerke auf der Rückseite auf72, auf einer dieser Urkunden ist der Vermerk copiata zusätzlich auf der Vorder-
Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 141; Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 117*f. mit Anm. 5; Ders., Studien (wie Anm. 4) S. 181–183; Moser, Kanzleipersonal (wie Anm. 4) S. 11 f. 66 Bansa, Register 1 (wie Anm. 4) S. 119* mit Anm. 12; Moser, Kanzleipersonal (wie Anm. 4) S. 11. 67 GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 3 (Teil 1 fol. 3r– 29v) und Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 3ad (online verfügbar über die Internet seite des GStA). 68 GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 3 (Teil 1 fol. 3r– 29v). 69 GStA PK, Berlin, I. HA, Rep. 78a Kurmärkische Lehenskanzlei Nr. 3ad und Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 31 f., 58. 70 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 32. 71 Vgl. dazu im Einzelnen Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 35 f., 38–43, 58 f. 72 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 63 f. Nr. 107, S. 101 f. Nr. 166, S. 109 f. Nr. 173, S. 132 f. Nr. 205; vgl. dazu Kaiserurkunden in Abbildungen, hg. von Heinrich von Sybel/Theodor von Sickel, Textband, Berlin 1891, S. 308. 65
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seite zu erkennen73. Ein solcher Vermerk findet sich noch auf einer weiteren Urkunde wieder74. Auffällig ist, dass diese insgesamt fünf Urkunden der Jahre 1324 bis 1329 auch in zwei der drei zeitnah angelegten markgräflichen Register verzeichnet sind75. Hier scheint ein enger Zusammenhang zwischen der Reichskanzlei und der markgräflichen Kanzlei bestanden zu haben, wie auch immer dieser ausgesehen haben mag. Durch die Heirat Markgraf Ludwigs von Brandenburg mit Margarethe von Tirol-Görz im Jahr 1342 und der damit einhergehenden Orientierung des Markgrafen auf die Herrschaft in Tirol änderte sich auch seine Kanzleiführung. So wurde in seinen ersten Tiroler Regierungsjahren eine gemeinsame brandenburgisch-tirolische Hofkanzlei etabliert, die Ludwig auf seinen Reisen begleitete. Dieser Kanzlei gehörten aber weiterhin Notare aus der brandenburgischen Zeit an, und auch der Protonotar (Eberwin von Rotha) blieb derselbe, so dass eine hohe Kontinuität hinsichtlich des Personals gewahrt wurde76. Dieses Personal bekam nach dem Tod Ludwigs IV. im Jahr 1347 weitere Verstärkung: So wechselten mehrere ehemals kaiserliche Notare nun in den Dienst Markgraf Ludwigs von Brandenburg-Tirol77. Eine Registerführung, die unter Ludwigs luxemburgischen Vorgänger Graf Johann (Heinrich) von Tirol unterbrochen worden war bzw. nur unregelmäßig stattfand78, setzte in Tirol unmittelbar nach der Herrschaftsübernahme durch den Wittelsbacher 1342 wieder ein und wurde bis zum März 1343 beibehalten, als Ludwig für ein Jahr nach Brandenburg zurückkehrte79. Dieses erste tirolische Register unter wittelsbachischer Federführung, in dem auslaufende Urkunden Ludwigs teils in Kurzform, teils abschriftlich festgehalten wurden, ist wohl von drei brandenburgischen und einem tirolischen Schreiber der markgräflichen Hofkanzlei verfasst worden80. Der Band weist ein quadratisches Format auf, dem ein zweispaltiger RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 101 f. Nr. 166. RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 106–108 Nr. 171. 75 Vgl. dazu die in Anm. 72–74 genannten Regesten. 76 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 44, 315–320, v.a. S. 326 f., wobei die namentlich bekannten Schreiber bisher nicht den Händen den von dieser Kanzlei erstellten Regis tern zugeordnet werden konnten, ebd. S. 327. 77 Vgl. dazu Moser, Kanzleipersonal (wie Anm. 4) S. 275 f., Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 328–334. 78 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 39. 79 Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 179 f.; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 81. 80 Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Wien, Codex Rot 55/1; vgl. Hörmann, Regis terwesen (wie Anm. 3) S. 77–82, 283, 309, 326. 73 74
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Index vorausgeht, die Urkunden wurden chronologisch eingetragen und nicht mit Überschriften versehen. Obwohl also der Anteil der brandenburgischen Schreiber überwog, knüpfte dieses erste Register in Tirol wohl vor allem an die älteren tirolischen Register der Zeit von 1308–1335 und nicht an die brandenburgische Tradition an, wie Format, Index, Gliederung und das Fehlen von Überschriften zeigen81. Im Frühjahr 1343 machte sich Markgraf Ludwig von Tirol aus wieder auf die Reise nach Brandenburg82. Erst ab April 1344 ist er wieder in Tirol nachweisbar83. Auffällig ist, dass die oben genannten brandenburgischen Ein- und Auslaufregister aus dem Jahr 1344 stammen, dem Jahr also, in dem Markgraf Ludwig nach seiner Absenz in Tirol wieder in Brandenburg weilte. Anders als das kurz zuvor entstandene tirolische Register von 1343 sind die brandenburgischen Register von 1344 wieder ganz der dortigen Tradition verpflichtet, mit hochformatig geschnittenen Bögen und Überschriften, geordnet nach Vogteien. Um hier aber Ähnlichkeiten oder Unterschiede auch bei den Schreibern festzustellen, müssten die brandenburgischen und tirolischen Register verglichen werden84, was bisher nicht erfolgt ist und auch an dieser Stelle nicht geleistet werden kann85. Ein weiteres tirolisches Register mit Notizen und Abschriften von Urkunden Markgraf Ludwigs, das wohl zeitnah geführt wurde und dessen Einträge Tiroler Belange der Jahre 1343–1347 betreffen, ist erstmals systematisch untergliedert in landesfürstliche Ämter und Gerichte, in die die jeweiligen Urkundeninhalte fielen86. Es wurde fortlaufend von zahlreichen Schreibern bestückt, worunter sich zumindest eine Hand auch einer bekannten Person zuordnen lässt: dem mit der Sigle K 29 bezeichneten Schreiber aus der Kanzlei Ludwigs IV., der nach dem Tod des Kaisers ganz
Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 351. Gleichzeitig entstand auf dieser Reise im März und April 1343 in Ludwigs Kanzlei in Oberbayern ein weiteres Register mit Notizen, die auf in Bayern ausgestellten Urkunden basieren: Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Codex Blau 126 und Hörmann, Register wesen (wie Anm. 3) S. 94–102, 309. 83 Bier, Siegel (wie Anm. 55) S. 179 f. 84 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 54, 59 betrachtet die brandenburgische Überlieferung zwar ebenfalls, konzentriert sich dann aber entsprechend ihrer Fragestellung bei der Beschreibung der Handschriften auf die tirolischen und bayerischen Register. 85 Die brandenburgischen Register sind online einsehbar über die Internetseite des GStA Berlin: https://www.gsta.spk-berlin.de/digitalisierte_archivalien_1612.html (letzter Zugriff 2.3.2018). 86 HHStA Wien, Codex Blau 127 und Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 103– 121, 311. 81 82
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in die Dienste Markgraf Ludwigs von Brandenburg wechselte87. Ein vermutlich mit der Rückkehr Ludwigs nach Tirol 1344 begonnenes Auslaufregister mit vornehmlich Abschriften von Urkunden und wenigen Notizen, das die tirolischen Belange nun ebenfalls systematisch nach Ämtern und Gerichten gliederte88, umfasst vor allem die Jahre 1344 und 134689. Beide Register zeigen, dass sich die Registerführung nach der Rückkehr Markgraf Ludwigs nach Tirol im Jahr 1344 änderte: Die Bände weisen nun ein Hochformat auf, wurden nach Ämtern und Gerichten gegliedert, mit Kopfregesten und Initialen bzw. hervorgehobenen Überschriften, teils in roter Tinte, versehen90. Während ein Einfluss von bayerischen Registertraditionen hier nicht in Frage kommt (das aus der Reichskanzlei überlieferte bayerische Register ähnelt in Format, Gliederung und einem beigefügten Index eher der älteren tirolischen Tradition), wurde durch Julia Hörmann wegen der in diesen Registern plötzlich auftauchenden Kopfregesten und der nun zusätzlich eingesetzten roten Tinte eine Vorbildwirkung der brandenburgischen auf die tirolischen Register für möglich gehalten91. Aber auch die nun neu eingeführte systematische Einteilung nach Ämtern und Gerichten scheint auf die parallel in Vogteien gegliederten brandenburgischen Register zurückgeführt werden zu können. Ein weiteres Register, das Notizen zu Urkunden mit überwiegend tirolischen Belangen enthält und wiederum in die sie betreffenden Ämter und Gerichte untergliedert ist, wurde wahrscheinlich ebenfalls 1346 begonnen, auch wenn es Urkunden aus den Jahren 1344–1348 umfasst92. K 29, der ehemalige kaiserliche Schreiber, war auch an diesem Register beteiligt: zumindest eine Überschrift und die Texte zweier beigebundener Blätter stammen von seiner Hand93.
Moser, Kanzleipersonal (wie Anm. 4) S. 139; Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 110, 331 f. 88 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 130. 89 TLA Innsbruck, Codex Nr. 20 und Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 122–136. 90 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 350 f. 91 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 350. 92 TLA Innsbruck, Codex Nr. 129 und Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 136– 157, hier S. 141, sowie S. 310. Ein weiteres Register Markgraf Ludwigs, das nur auf Urkunden basierende Notizen enthält, entstand wohl erst 1346, umfasst Urkunden des Markgrafen der Jahre 1344–1346 mit tirolischen Ausstellungsorten und wurde nach Urkundeninhalten bzw. Empfänger untergliedert; HHStA Wien, Codex Rot 55/2 und Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 86–93, 310 f. 93 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 332. Die Register für Bayern, die seit Oktober 1347 ebenfalls unter Beteiligung von ehemaligen Schreibern der Reichskanzlei, darunter 87
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Wie mühsam das Geschäft eines Registrators sein konnte, zeigt eine persönliche Note ebendieses Schreibers. So fielen K 29 als Federprobe, die er an mehreren Stellen an den oberen Rändern eines bayerisch-tirolischen Registers der Jahre 1348–135094 machte, offenbar nur Worte des Jammers ein: Einem Ach folgte zehn Blätter weiter ein Ach ich, aber zumindest auch ein bisschen hoffnungsvoller ein Ach suzzer trost95. 1348 wurden neben der weiterhin bestehenden Hofkanzlei gesonderte lokale Kanzleien für Brandenburg und Tirol (seit 1349 gemeinsam mit Oberbayern) eingerichtet96. Erst als Markgraf Ludwig 1351 die Mark Brandenburg an seinen jüngeren Halbbruder Ludwig den Römer abgetreten hatte, wurde die „Zentrale“ der nunmehr nur noch bayerisch-tirolischen Kanzlei in München etabliert, parallel zu einer eigenen brandenburgischen Kanzlei, die die brandenburgischen Register weiterführte97. Nicht nur zwischen Brandenburg und Tirol sowie seit 1347 zusätzlich zu Oberbayern – Ländern also, die zeitweise durch einen gemeinsamen Herrscher und eine gemeinsame Kanzlei verbunden waren – lassen sich Wechselwirkungen bei der Führung von Registern erkennen. Vermutet werden können solche Einflüsse auch in Bezug auf Dänemark. Zwischen Dänemark und dem Reich bestanden unter Kaiser Ludwig IV. enge Verbindungen. So bildeten die Beziehungen zu den Wittelsbachern einen Grundpfeiler der dänischen Politik zu Lebzeiten Ludwigs IV.98. Ausgangspunkt dafür war sicherlich die Heiratsverbindung zwischen beiden Häusern, nämlich zwischen dem Sohn des Kaisers, Markgraf Ludwig von Brandenburg, und der Tochter König Christophs II., Margarethe, im Jahr 132399. Margarethes Bruder, der spätere König Waldemar IV., wurde sehr K 29, geführt wurden, sollen hier unbeachtet bleiben, da sie nach dem Tod des Kaisers entstanden sind; vgl. dazu Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 162–279. 94 BayHStA München, Kurbayern Äußeres Archiv Nr. 4841 dazu Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 199–216. 95 Moser, Kanzleipersonal (wie Anm. 4) S. 140. 96 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 44–46. 97 Julia Hörmann, Das Spezialkanzleibuch Ludwigs von Brandenburg HHStA Codex blau 128, in: MIÖG 105 (1997), S. 74–103, hier S. 54, 76. 98 Sven Tägil, Valdemar Atterdag och Europa (Bibliotheca historica Lundensis 9), Lund 1962, S. 9; Niels Bracke, Die Regierung Waldemars IV. Eine Untersuchung zum Wandel von Herrschaftsstrukturen im spätmittelalterlichen Dänemark (Kieler Werkstücke. Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 21), Frankfurt/M. u. a. 1999, S. 27. 99 MGH Const. 5 (wie Anm. 13) S. 592–594 Nr. 758 und Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 27; Benjamin Lassiwe, Drei Adlige im Norden. Zum Aufenthalt von Friedrich von Lochen, Gebhard von Bortfeld und Hasso von Wedel am Hof des dänischen Königs Waldemars IV., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 56 (2005), S. 47–88, hier S. 48 f., 51.
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wahrscheinlich von 1326 bis 1335 am kaiserlichen Hof erzogen, anschließend hielt er sich vermutlich am brandenburgischen Hof auf100. Mit Hilfe Ludwigs IV. wurde er 1340 zum dänischen König gewählt101. Die Leitung der königlich-dänischen Kanzlei übertrug Waldemar gleich zu Beginn seiner Herrschaft an den Johanniter Gebhard von Bortfeld, einen Vertrauten Markgraf Ludwigs von Brandenburg102, dem Gebhard als Rat gedient hatte und der diplomatisch für ihn tätig gewesen war103. Als Kanzleileiter König Waldemars erscheint er von Mai 1341 bis Februar 1344, wobei er sich schon seit 1340 überwiegend in Dänemark aufhielt104. Markgraf Ludwig stellte seinem Schwager anfangs noch weitere Räte zur Verfügung: So wurden die Ämter des dänischen Truchsessen und des Marschalls ebenfalls mit Beratern des Markgrafen besetzt105. Als Truchsess wurde 1341 Hasso von Wedel ernannt, der dem märkischen Adel angehörte und vermutlich ebenfalls bis 1343 immer wieder am dänischen Hof weilte106. Das Amt des Marschalls hatte von 1341 bis 1342 der Schwabe Friedrich von Lochen inne, auch er war einer der Räte Markgraf Ludwigs, der bis 1343 am dänischen Hof weilte107. 1343 war er wieder nach Brandenburg zurückgekehrt, war dem dänischen König aber weiterhin eng verbunden108 und wechselte 1347 in die brandenburgisch-tirolische Kanzlei109. Diese Unterstützung ließ der dänische König nicht unerwidert: Sein militärisches Eingreifen in
Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 28 f. und ausführlich Lassiwe, Adelige (wie Anm. 99) S. 53 f. 101 Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 30 f.; Lassiwe, Adelige (wie Anm. 99) S. 54 f. 102 Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 92; zur Person Christian Gahlbeck, Lagow (Lagów) oder Sonnenburg (Slonsk): zur Frage der Residenzbildung in der Ballei Brandenburg der Johanniter von 1317 bis 1527, in: Regionalität und Transfergeschichte: RitterordenKommenden der Templer und Johanniter im nordöstlichen Deutschland und in Polen seit dem Mittelalter, hg. von Dems./Heinz-Dieter Heimann/Dirk Schumann (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 9/Schriften der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg N.F. 4), Berlin 2014, S. 271–337, hier S. 304– 308. 103 Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 92. 104 Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 91; Lassiwe, Adelige (wie Anm. 99) u. a. S. 57–59; Gahlbeck, Lagow (wie Anm. 102) S. 306 f. 105 Tägil, Valdemar (wie Anm. 98) S. 104; Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 62. 106 Tägil, Valdemar (wie Anm. 98) S. 104; Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 49; Lassiwe, Adelige (wie Anm. 99) u. a. S. 59 f., 69–71. 107 Würdinger, Ritter (wie Anm. 59) S. 374–416; Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 55; Lassiwe, Adelige (wie Anm. 99) u. a. S. 60–62, 64–70. 108 Tägil, Valdemar (wie Anm. 98) S. 104; Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 55. 109 Hörmann, Registerwesen (wie Anm. 3) S. 13, 45, 198. 100
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der Mark 1349 führte dort im Kampf gegen den sogenannten „falschen Woldemar“ zu einer Wende110. König Waldemar von Dänemark führte auf seinen Reisen, so berichtet ein Rostocker Gesandter 1355, immer ein papierenes Buch mit Abschriften von zahlreichen Briefen mit sich, die sein Notar bei Bedarf vorzeigte (fecit rex Dacie quendam librum papireum, per notarium suum adferri, in quo copie multe litterarum apertarum continebantur…)111. Möglicherweise, so darf vorsichtig spekuliert werden, handelte es sich auch hier um eine Art Register der königlichen Kanzlei; heute ist allerdings kein Regis ter dieser Zeit mehr erhalten, sondern erst für das 15. und den Anfang des 16. Jahrhunderts112. Angesichts des in den oberen Positionen aus der markgräflich-brandenburgischen Kanzlei stammenden Personals der dänischen Kanzlei und der engen Kontakte König Waldemars IV. zum Reich und zu Brandenburg kann aber immerhin vermutet werden, dass sich dies auf die Praxis der Registerführung ausgewirkt hat. Bei den Markgrafen von Meißen, die seit Mitte des 13. Jahrhunderts gleichzeitig Landgrafen von Thüringen waren, lässt sich eine eigene Kanzlei seit 1235 nachweisen, 1266 wird ein Protonotar genannt, 1280 ist ein Archiv belegt113. Zu den Wettinern als Markgrafen von Meißen und Landgrafen von Thüringen baute König Ludwig Beziehungen auf, sobald es ihm nach dem Sieg bei Mühldorf über den Gegenkönig Friedrich den Schönen 1322 möglich war. Im Januar 1323 vereinbarte er die Vermählung zwischen seiner ältesten, damals zehnjährigen Tochter Mechthild und dem dreizehnjährigen Markgrafensohn Friedrich II.114, der seit 1329 selbständig regierte115. Zusätzliche familiäre Bande wurden vor 1327 geknüpft, indem König Ludwig die Erbverbrüderung zwischen seinem Sohn Mark Tägil, Valdemar (wie Anm. 98) S. 166–176, 180; Bracke, Regierung (wie Anm. 98) S. 36 f. Zum „falschen Woldemar“ zuletzt Siegfried Griesa, Die Mark Brandenburg im 14. Jahrhundert zur Zeit des falschen Woldemars, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 57 (2006), S. 32–49. 111 Diplomatarium Danicum 3/4, ed. Carl Andreas Christensen/Herluf Nielsen, København 1966, S. 216 f. Nr. 271. 112 William Christensen, Dansk Statsforvaltning i det 15. Århundrede, København 1903, S. 138–140; Johan Carlie, Studium über die mittelniederdeutsche Urkundensprache der dänischen Königskanzlei von 1330–1430. Nebst einer Übersicht über die Kanzleiverhältnisse, Lund 1925, S. 14. 113 Karlheinz Blaschke, Urkundenwesen und Kanzlei der Wettiner bis 1485, in: Landesherrliche Kanzleien 1 (wie Anm. 4) S. 193–202, hier S. 194; Jörg Rogge, Die Wettiner. Aufstieg einer Dynastie im Mittelalter, Ostfildern 2005, S. 76. 114 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 28 f. Nr. 50. 115 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. XVI und S. 28 f. Nr. 50. 110
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graf Ludwig und seinem Schwiegersohn Markgraf Friedrich II. von Meißen auf den Weg brachte116, die er 1334 auf sich selbst und seine Kinder sowie diejenigen von Friedrich ausdehnte117. Im Mai 1330 kündigte Ludwig einen Reichstag in Eisenach an118, in dessen unmittelbarer Nähe sich eine der Hauptburgen seines Schwiegersohns Friedrich, die Wartburg, befand. Da dieser Reichstag jedoch nicht zustande kam, reiste Markgraf Friedrich, anstatt den Kaiser in seiner Heimat empfangen zu können, Ende des Jahres 1330 nach München. Vermutlich in Vorbereitung dieses Treffens entstand in der wettinischen Kanzlei ein offenbar nur temporär genutztes Verzeichnis, das aber doch Rückschlüsse auf die Registrierungstätigkeit der markgräflichen Kanzlei zulässt und daher kurz beschrieben werden soll. Dieses Verzeichnis umfasst eine Pergamentseite und listet in Regestenform Urkunden auf, die König Ludwig der Bayer 1323 bis 1329 für Markgraf Friedrich von Meißen ausgestellt hatte119. Das Verzeichnis dieser Ludwigsurkunden, die weder inhaltlich noch chronologisch gegliedert scheinen, wurde möglicherweise angelegt, um die Zusammenkunft in München vorzubereiten, eventuell auch dazu, die entsprechenden Urkunden für dieses Treffen aus einem vorhandenen Archiv herauszusuchen120. Die Reise Markgraf Friedrichs an den kaiserlichen Hof erstreckte sich über insgesamt drei Monate von Oktober bis Dezember 1330121. Aus diesem Zeitraum sind weder Urkunden des Kaisers für Friedrich überliefert noch Urkunden des Markgrafen für seinen Schwiegervater122, so dass über diese Reise nur die erhalten gebliebenen
116 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 89–90 Nr. 146–148 und damit in Zusammenhang stehend S. 119 f. Nr. 191. 117 RI VII 11 (wie Anm. 5) S. 200 f. Nr. 318, S. 232 Nr. 377. 118 Ludwigsurkunde von 1330 Mai 17 (MGH Const. 6/1 [wie Anm. 25] S. 640 Nr. 753). 119 Es wurde wohl von einem Schreiber namens Konrad, der eine Pfründe als Pfarrer in Lobeda besaß, verfasst, der auch weitere Urkunden für Friedrich schrieb; Woldemar Lippert, Das älteste Urkundenverzeichnis des thüringisch-meißnischen Archivs 1330, in: Beiträge zur thüringischen und sächsischen Geschichte. Festschrift für Otto Dobenecker zum siebzigsten Geburtstag, hg. v. Alexander Cartellieri, Jena 1929, S. 91–110, hier S. 90 f., 101 f. 120 Lippert, Urkundenverzeichnis (wie Anm. 119) S. 107–110. 121 Woldemar Lippert, Studien über die wettinische Kanzlei und ihre ältesten Register im 14. Jahrhundert (erster Teil), in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 24 (1903), S. 1–42, hier S. 12 f.; Ders., Urkundenverzeichnis (wie Anm. 119) S. 108. Zu den möglichen Gründen der Reise vgl. Ders., Zur Geschichte Kaiser Ludwigs des Baiern, in: MIÖG 13 (1892), S. 587–618, hier S. 598 Anm. 1. 122 Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 598 Anm. 1.
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meißnischen Hofhaltungsrechnungen Auskunft geben123. Am kaiserlichen Hof traf Friedrich nicht nur auf seinen Schwiegervater, sondern auch auf seinen Schwager, den aus Brandenburg zurückbeorderten Markgrafen Ludwig124. Die beiden kannten sich bereits lange: So war Friedrich als Jugendlicher nachweislich als Zeuge bei der Eheschließung Ludwigs mit der Tochter des dänischen Königs im Juli 1323 in Dänemark anwesend125. Laut der Hofhaltungsrechnungen verbrachten die beiden Schwäger den Abend des 2. November 1330 in Ludwigs Herberge bei der Münchener Ratsfamilie Püttrich, wo sie, so die Rechnung, gemeinsam „gallischen Wein“ tranken126. Die Kosten für den Wein hielt ebenso wie die anderen Ausgaben der Reise Friedrichs Notar Johann von Eisenberg, der ihn begleitete, in den Hofhaltungsrechnungen fest127. Die drei Monate im Süden verbrachte Friedrich II. – und mit ihm sicherlich auch sein Notar – im engsten Umfeld des Kaisers in München und Umgebung, in Augsburg und auf dem Weg nach und in Innsbruck128. In dieser Zeit wird Johann von Eisenberg vermutlich ebenfalls mit der Reichskanzlei und der tirolischen Kanzlei sowie seinen dortigen Kollegen in Kontakt gekommen sein. In der meißnischen Kanzlei machte Johann anschließend an seine Reise in den Süden regelrecht Karriere: So stieg er in den Jahren 1333 bis 1340 zum Proto notar auf, also zum obersten Schreiber, und blieb wohl bis zum Jahr 1342 in dieser Position129. Möglicherweise inspiriert durch das, was Johann bei seinen Kontakten in Bayern und Tirol kennengelernt hatte, entstand wohl 123 Orig. im Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden 10001 Ältere Urkunden Nr. 2537 und Abschrift für den Codex Diplomaticus Saxoniae. ebd. 10710 CDS Nr. 98; vgl. dazu Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 598. 124 Bier, Urkundenwesen (wie Anm. 1) S. 170. 125 Ehevertrag zwischen Markgraf Ludwig von Brandenburg und Margarethe von Dänemark: Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten 2/2, ed. Adolph Friedrich Riedel, Berlin 1845, S. 3–5 Nr. 602. 126 In sero comedit dominus Brandenburgensis cum domino et biberunt Gallicum vinum, LX trinkil pro XV sol. D. (Orig. im Sächsischen Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden 10001 Ältere Urkunden Nr. 2537 fol. 1v und Abschrift für den Codex Diplomaticus Saxoniae. ebd., 10710 CDS Nr. 98 fol. 7r; vgl. Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 601 mit Anm. 1. 127 Karl Robert Wenck, Johann von Eisenberg, Kanzler Friedrichs des Ernsthaften, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 21 (1900), S. 214–223, hier S. 216 f. 128 Lippert, Urkundenverzeichnis (wie Anm. 119) S. 108 f.; Ders., Geschichte (wie Anm. 121) S. 599–601. 129 Wenck, Johann (wie Anm. 127) S. 218–221, 223; Heinrich B. Meyer, Hof- und Zentralverwaltung der Wettiner in der Zeit einheitlicher Herrschaft über die meißnisch-thüringischen Lande 1248–1379 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 9, Heft 3), Leipzig 1902, S. 97; Manfred Kobuch, Die Anfänge des meißnisch-thüringischen Archivs, in: Beiträge zur
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unter ihm das erste Register der meißnischen Kanzlei, das zwar nicht mehr erhalten ist, aber in Registern und Urkunden aus der Zeit nach 1348 als das „alte Register“ (antiquo registro) erwähnt wird130. Über die Struktur sowie die Einträge in dieses Register erfährt man allerdings nichts. Der meißnischen Kanzlei mit Johann von Eisenberg gehörte seit 1332 auch Konrad von Kirchberg/Wallhausen an, der 1348 das Amt des Protonotars übernahm131. Unter ihm (und teils durch ihn selbst) wurde die meißnische Kanzlei weiter geordnet, und Mitte des 14. Jahrhunderts setzte „mit einem Schlag“ die Führung verschiedener heute noch überlieferter Registerbände ein132. Neben einem Lehenregister133 sind vor allem die beiden Hauptregister der Kanzlei interessant, die nach Gültigkeitsdauer der eingetragenen Urkunden getrennt geführt wurden. Das eine beinhaltete ausgehende, aber auch eingehende Urkunden mit unbegrenzter Dauer (register perpetuum) wie Lehnbriefe, Käufe oder Privilegienbestätigungen, das andere solche mit begrenzter Dauer (registrum temporale), darunter unter anderem Verpfändungen oder Anweisungen auf Einkünfte134. Auch in der Markgrafschaft Meißen wird deutlich, dass die Registerführung hier auf lokale Bedürfnisse zugeschnitten wurde, denn für eine solche Gliederung und Zusammenführung von Eingangs- und Ausgangsregister ist in den anderen hier behandelten Kanzleien kein Vorbild vorhanden. Sieht man sich nun umgekehrt einige eingegangene Urkunden aus den Beständen des ehemaligen meißnischen Archivs an, fallen Vermerke auf, die offenbar durch die dortige Kanzlei erfolgten und möglicherweise mit einer Registerführung in Verbindung stehen. So finden sich auf drei Urkunden Kaiser Ludwigs IV. aus der Zeit von 1329–1336 und auf zahlreichen Urkunden König Johanns von Böhmen aus der Zeit von 1331–1344 ein dem Buchstaben R ähnelndes Zeichen, möglicherweise eine RegistraArchivwissenschaft und Geschichtsforschung, hg. v. Reiner Gross/Manfred Kobuch, Weimar 1977, S. 101–132, hier S. 114 mit dem weiteren Lebensweg und Aufstieg Johanns. 130 Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 8–11. 131 Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 14 f., 22 und zur Person v.a. S. 13–29. Konrad Pruze erscheint seit 1337 als Notar und von 1342 bis 1347 als Protonatar, wohl 1347 Mai 9 zum letzten Mal in diesem Amt, so Meyer, Hof- und Zentralverwaltung (wie Anm. 129) S. 97; Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 14. Wie Johann von Eisenberg wurde nach dessen Tod auch Konrad von Wallhausen Bischof in Meißen Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 22. – Zu den Protonotaren und Notaren – teils ungenau – auch Otto Posse, Die Lehre von den Privaturkunden, Leipzig 1887, S. 179–181 und S. 233 f. 132 Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 2–7, 25 f. 133 Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden, 10004 Kopiale, Nr. 24. 134 Ebd., 10004 Kopiale, Nr. 25 und 26; vgl. Lippert, Studien (wie Anm. 121) S. 3; Blaschke, Urkundenwesen (wie Anm. 113) S. 196.
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tasigle. Vielleicht wurden so Urkunden gekennzeichnet, die in dem genannten ältesten, nicht mehr erhaltenen markgräflichen Register verzeichnet wurden135. Auf mehreren Urkunden Kaiser Ludwigs, aber auch seines Sohnes, finden sich zudem weitere Rückvermerke, die wahrscheinlich ebenfalls auf die wettinische Kanzlei zurückgehen: zum einen der Vermerk Ber. auf dem linken Rand der Plica bei 17 Urkunden Ludwigs IV. der Zeit von 1323 bis 1347136 und bei solchen Markgraf Ludwigs von Brandenburg bis zum Jahr 1348137. Zudem wurde der Vermerk Kulo bzw. Kulo R. auf der Rückseite bzw. auf dem rechten Rand der Plica bei acht ludovizianischen Urkunden der Zeit von 1323 bis 1344 angebracht138 und ebenfalls auf solchen seines Sohnes aus dem Jahr 1347139. Schreiber aus der meißnischen Kanzlei, auf die diese Abkürzungen hindeuten könnten, sind für diese Zeit zumindest nicht bekannt140. Um über diese Vermerke, die auf die Führung eines Einlaufregisters deuten, Aufschluss zu erhalten, müssten jedoch in größerem Umfang als hier möglich Urkunden im Hauptstaatsarchiv Dresden, aber auch in anderen Archiven mit Beständen aus und von Meißen daraufhin geprüft werden. * Ausgangspunkt für meine Vermutung, dass gegenseitigen Einflüssen verschiedener Kanzleien für die Durchsetzung von Neuerungen im Registerwesen große Bedeutung zukam, waren die auffallend parallel verlaufenden Entwicklungen im Reich, in Oberbayern und der Mark Brandenburg. Diese Vermutung kann durch die Einbeziehung der Mark Meißen in die Untersuchung der Registerproduktion und durch Seitenblicke nach Tirol und Dänemark erhärtet werden. Zwischen all diesen Herrschaften bestan-
Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 608 f. Anm. 1. Vgl. RI VII 11 (wie Anm. 5) S. XXVIII mit Nachweisen der Ludwigsurkunden. Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 608 f. legt sich nicht fest, was die Kanzlei betrifft, während Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 30 Anm. 130, die Kanzlei Kaiser Ludwigs ausschließt. 137 Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 609 f. mit Anm. 2 und 3. 138 Vgl. RI VII 11 (wie Anm. 5) S. XXVIII mit Nachweisen der Ludwigsurkunden; vgl. dazu Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 30 Anm. 130, nach dem der Vermerk nicht in der ludovizianischen Kanzlei entstand; Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 610 legt sich dagegen nicht fest. 139 Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 610 Anm. 1. 140 Vgl. Lippert, Geschichte (wie Anm. 121) S. 609, um den kaiserlichen Schreiber Bertold handelte es sich hier nicht, so Bansa, Studien (wie Anm. 4) S. 30 Anm. 130. 135 136
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den, wie gezeigt wurde, enge verwandtschaftliche und/oder persönliche Verbindungen. Der älteste Nachweis für die Registerführung im Reich, das wurde deutlich, stammt aus der Kanzlei König Heinrichs VII. Die Register selbst sind zwar nicht mehr erhalten; da sie jedoch in Urkunden erwähnt werden und da Urkunden mit einer Registratasigle gekennzeichnet sind, steht eine Registerführung außer Zweifel. Eine solche Kennzeichnung mit Registratasiglen übernahm die Kanzlei seines Nachfolgers, Ludwigs IV. bis zum Jahr 1315, wobei die Kontinuität zwischen den beiden Kanzleien durch den Schreiber Johannes Certamen hergestellt wurde. Danach brach die Registerführung wahrscheinlich ab und wurde erst wieder nach der Stabilisierung der ludovizianischen Herrschaft nach 1322 aufgenommen, wobei nun tatsächlich regelmäßig geführte Register ausgewählter Urkunden überliefert sind. Parallel zum älteren Reichsregister führte Bertold, ein Schreiber der Reichskanzlei, auch für Oberbayern, dessen Herzog König Ludwig IV. gleichzeitig war, ein eigenes Register. Die Reichskanzlei zeichnete also verantwortlich für die Einführung des Registerwesens in Oberbayern. Aus dieser Zeit der gemeinsamen Registerführung im Reich und in Oberbayern stammt zudem das 1329 entstandene sogenannte Ober pfälzer Register. Seit 1336 begann die Kanzlei Markgraf Ludwigs von Brandenburg, der 1333 volljährig geworden vom kaiserlichen Hof in die Mark zurückgekehrt war, mit dem Führen von Registern. Da in der markgräflichen Kanzlei auch bayerisches Personal beschäftigt war, ist hier ein Einfluss aus der Tradition der Reichskanzlei kaum von der Hand zu weisen. Das ebenfalls 1336 angelegte Einlaufregister der markgräflichen Kanzlei stammt zudem nachweislich von einem Schreiber der Reichskanzlei (H 35/K 2). Neu in der markgräflichen Kanzlei war die Ordnung der ausgehenden Urkunden nach den Vogteien, die sie betrafen. Eine solche Ordnung findet sich weder bei den bayerischen Pendants noch in der Reichskanzlei. Die Regis terführung wurde hier also an die brandenburgischen Bedürfnisse angepasst. Mit der Herrschaftsübernahme Markgraf Ludwigs von Brandenburg in Tirol 1342 vereinigten sich wittelsbachische Registertraditionen mit derjenigen des Alpenlandes: Unter Ludwig knüpfte die brandenburgisch-tirolische Kanzlei anfangs zwar wieder an die ältere, vor seiner Herrschaftsübernahme unterbrochene Tradition der Tiroler Registerführung an, modifizierte sie seit 1343 aber nachweislich dahingehend, dass brandenburgische Gewohnheiten, darunter die Hervorhebung der Einträge durch
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Überschriften und eine geografische Ordnung, in die Registerführung auslaufender Urkunden integriert wurden. Aber nicht nur zwischen dem Reich, Bayern und Tirol lassen sich verwandtschaftliche Beziehungen und damit verbunden sowohl Übernahmen von Kanzleipersonal als auch gegenseitige Beeinflussung im Führen von Registern feststellen. Für Dänemark ließ sich dies ebenfalls nachweisen. Zu Beginn der Königsherrschaft Waldemars IV. von Dänemark im Jahr 1340 stellte ihm sein Schwager Markgraf Ludwig von Brandenburg einige seiner treuesten Räte zur Verfügung, darunter Gebhard von Bortfeld, der die Leitung der dänischen Kanzlei übernahm. Register dieser Zeit sind nicht überliefert, aber der Bericht über ein vom König mitgeführtes Buch mit Urkundenabschriften deutet zumindest darauf hin, dass solche angelegt worden waren. In der wettinischen Kanzlei des kaiserlichen Schwiegersohns Friedrich II. sind keine Schreiber der Reichskanzlei nachgewiesen. Die namentlich bekannten Schreiber stammten überwiegend aus dem Herrschaftsgebiet des Mark- und Landgrafen. Dennoch konnten auch hier Kontakte der markgräflich-meißnischen mit der Kanzlei des Reiches wahrscheinlich gemacht werden: So trug der spätere Protonotar Johann von Eisenberg sicherlich nicht nur die bei einem Besuch Friedrichs in Bayern ausgegebenen Summen in seine bis heute erhaltenen Hofrechnungen ein, sondern tauschte sich – so kann vermutet werden – während seines dreimonatigen Aufenthalts in unmittelbarer Nähe der Reichskanzlei auch mit den dortigen Kollegen aus. So scheint es kein Zufall zu sein, dass unter Johann von Eisenberg und seinem Nachfolger bald nach der Rückkehr aus Bayern eine Registerführung – angepasst an lokale Bedürfnisse – einsetzte. Bei der Untersuchung der Kanzleien der insgesamt sechs Herrschaftsgebiete und ihrer Registerproduktion werden enge personale Beziehungen zwischen allen Beteiligten erkennbar, die sowohl auf der herrschaftlichen Ebene wie auf derjenigen der Kanzleien bestanden. Auch wenn es schwierig bleibt, im Einzelnen nachzuweisen, wer wen und auf welche Weise beeinflusste, wird deutlich, dass es sich bei den Neuerungen im Kanzleiwesen dieser Herrschaften nicht um voneinander unabhängige Entwicklungen handelt, sondern dass sie in engem Austausch untereinander stattfanden. Interessant wäre es nun, weitere Herrschaften zu untersuchen und in die hier präsentierten Ergebnisse einzubeziehen.
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Abstract During the 14th century, the financial administration in the Holy Roman Empire, as well as in its principalities, underwent a process of consolidation, particularly as far as the development of the chanceries and their ability to organise written documentation was concerned. At least in the Empire, in Upper Bavaria, and in the Margraviates of Brandenburg and Meissen, similar developments occurred at more or less the same time. Until now it has only rarely been discussed in historical writing if the parallel spread of innovation in those chanceries was independent or connected. Therefore, this essay analyses this process during the reign of Emperor Ludwig IV. and his contemporaries Margrave Ludwig of Brandenburg and Margrave Friedrich II. of Meissen. It focusses on the introduction of registries for issued and received documents in their archives and shows that it went hand in hand with the mobility of scriveners and contacts between them.
Die Urkunden und die Kanzlei des Herzogs Johann von Görlitz (1370–1396)* von TOMÁŠ VELIČKA und MLADA HOLÁ
Johann von Görlitz war der jüngste Sohn Karls IV., der das Erwachsenenalter erreicht hat. Im Unterschied zu seinen beiden Brüdern waren seine Ambitionen von Anfang an bescheidener. Sein Vater hatte für ihn den östlichen Teil der Mark Brandenburg, die östlich der Oder liegende sogenannte Neumark, ausgegliedert1, ferner den Ostteil der Niederlausitz sowie ein in der Oberlausitz neu konstituiertes Herzogtum, das nach seinem Zentrum die Bezeichnung Herzogtum Görlitz erhielt. Somit wurde Görlitz zum Sitz des jungen Herzogs königlicher Abstammung und war damit eigentlich zum ersten und zum letzten Mal Hauptresidenz eines eigenen Fürsten. Johann unterhielt in Görlitz einen Hof, dessen Mitglieder ihn in gewissem Maße auf seinen Reisen begleiteten. Unter Johanns Hofleuten finden wir einige böhmische Adelige (Anselm von Ronov, Beneš von Dubá), aber auch Angehörige der Oberlausitzer Aristokratie, ja sogar einige Prälaten. Sehr dezidiert hat Johann von Görlitz an der Wende vom Frühling zum Sommer 1394 in die böhmische Geschichte eingegriffen, als er sich hinter seinen Bruder Wenzel stellte, der damals vom sogenannten Herrenbund (Panská jednota) gefangen genommen worden war. Diese Unterstützung war letztendlich erfolgreich. Wenzel ernannte seinen Bruder zum Richter am Reichshofgericht, wodurch sich Johanns Aktivität auch ins Heilige Die vorliegende Studie (das Kapitel von Mlada Holá) ist im Rahmen des Projektes der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag FF UK Progres 3 – Centrum pro studium středověku [Progres 3 – Zentrum für das Studium des Mittelalters] entstanden. 1 Der Kurfürstentitel (mit dem der Besitz der Markgrafschaft Brandenburg verbunden war) ist jedoch Johanns Bruder Sigmund zugefallen. *
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Römische Reich ausbreitete. Der Herzog von Görlitz starb völlig unerwartet im nicht vollendeten 25. Lebensjahr am 1. März 1396 im Kloster Neuzelle in der Niederlausitz. Die Ursache seines plötzlichen Todes bleibt bis heute unklar. Im Zusammenhang mit dem steigenden Interesse an Johann von Görlitz in den letzten Jahren2 möchten wir in dieser Studie3 die Kanzlei des Herzogs4 und die von ihr produzierten Schriftstücke vorstellen. Im Folgenden soll zunächst die Quellenbasis präsentiert werden, von der unsere Arbeit ausgeht. Danach sollen die von Johann ausgestellten Dokumente unter Berücksichtigung der Typologie der Schriftstücke sowie der äußeren und vor allem der inneren Merkmale vorgestellt werden. Im abschließenden
Die grundlegende (und bislang unübertroffene) Studie auf Deutsch ist noch immer Richard Gelbe, Herzog Johann von Görlitz, in: Neues Lausitzisches Magazin 59 (1882) S. 1–201. In den letzten Jahren erschienen einige weitere Arbeiten: Lenka Bobková, Budyšínsko a Zhořelecko, součást České koruny v letech 1319–1396, in: Mediaevalia Historica Bohemica 5 (1998) S. 67–90; Milena Bravermanová, Pohřební oděv Jana Zhořeleckého z královské hrobky v katedrále sv. Víta na Pražském hradě, in: Archeologia historica 31 (2006) S. 403–412; Marius Winzeler, Görlitz als Residenzstadt des Herzogs Johann von Görlitz (1377–1396) – eine Spurensuche, in: Rezidence a správní sídla v zemích České koruny (= Korunní země v dějinách českého státu 3), hg. von Lenka Bobková/Jana Konvičná (Opera Facultatis philosophicae Universitatis Carolinae Pragensis 4), Praha 2007, S. 415– 433; Siegfried Hoche, Herzogtum Görlitz (1377–1396), ebd. S. 403–413; Lenka Bobková, Zhořelecký dvůr a rezidence vévody Jana, in: Dvory a rezidence ve středověku II. Skladba a kultura dvorské společnosti, hg. von Dana Dvořáčková-Malá/Jan Zelenka (Mediaevalia historica Bohemica, Supplementum 2), S. 197–214. Zu nennen sind ferner mehrere in Historie – otázky – problémy 7/1 (2015) erschienene Beiträge: Mlada Holá, Návštěvy slezských knížat v rezidenci Jana Zhořeleckého, S. 23–31; Jana Hubková, Jan Zhořelecký, zhořelecké vévodství a poslední Lucemburkové v příležitostných zhořeleckých tiscích 17. století, S. 46– 61; Jan Zdichynec, Druhý život Jana Zhořeleckého? Obraz vévody a jeho vévodství v historiografii 16. až 19. století, S. 62–75; Lenka Bobková, Zhořelecké vévodství v koncepci lucemburské České koruny, S. 9–22. Siehe ferner Eva Doležalová, Über mögliche Zusammenhänge zwischen den Pogromen in Prag und in Görlitz im Jahr 1389, in: „Avigdor, Benesch, Gitl“. Juden in Böhmen, Mähren und Schlesien im Mittelalter, hg. von Helmut Teufel/Pavel Kocman/Milan Repa, Essen 2016, S. 187–200; Dies., Duchovní rádci Jana Zhořeleckého, in: Dvůr a církev v českých zemích ve středověku, hg. von Dana DvořáčkováMalá, Praha 2017, S. 101–110. Neulich wurde die erste moderne Biographie Johanns von Görlitz präsentiert: Lenka Bobková/Tomáš Velička (in Zusammenarbeit mit Mlada Holá und Jan Zdichynec), Jan Zhořelecký. Třetí syn Karla IV., Praha 2016. 3 Diese Studie ist eine überarbeitete und ins Deutsche übertragene Fassung des entsprechenden Kapitels in: Bobková/Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 124–161. 4 Der einzige, der sich bislang intensiver mit Johanns Kanzlei befasst hat, war Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) besonders S. 30–44, aber vereinzelt auch an anderen Stellen. Zum Teil ebenfalls Bobková, Zhořelecký dvůr (wie Anm. 2). 2
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Teil werden wir die Struktur der herzoglichen Kanzlei und die darin arbeitenden Personen untersuchen5. Die Erforschung der Kanzleiprodukte jener Zeit stößt auf mehrere methodologische Probleme. Bei der Analyse der erwähnten Schriftstücke können jene diplomatischen Methoden, die anhand von Dokumenten des Früh- und Hochmittelalters entwickelt wurden, nicht in vollem Umfang angewandt werden. Die veränderten Bedingungen ergeben sich aus der wachsenden Menge von überlieferten Quellen6, die infolge zunehmender Schriftlichkeit sowohl auf Seiten der Aussteller als auch der Empfänger erweitert wird7. Man kann einerseits nicht mehr detailliert die Entwicklung ausgewählter äußerer Merkmale der Urkunden verfolgen, ander erseits ist es nun möglich, das Personal der Kanzlei anhand der neu aufkommenden Kanzleivermerke zu rekonstruieren. Die Erforschung der Geschichte einer Kanzlei wird somit eng mit der Verwaltungsgeschichte verknüpft8. Der Bearbeitungsstand der Fürstenkanzleien des Spätmittel alters in Mitteleuropa ist zwar unterschiedlich, dennoch bietet er für die Untersuchung der Kanzlei Johanns von Görlitz eine grundlegende Vergleichsbasis. Johanns Kanzlei war nicht groß und ist somit nicht mit den
Bei den einzelnen Urkunden Johanns wird auf die Regesten verwiesen, die in der neues ten Monographie in tschechischer sowie in deutscher Fassung erschienen sind: Tomáš Velička/Lenka Bobková, Katalog písemností vydaných Janem Zhořeleckým, in: Bobková/ Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 280–306 sowie Dies., Katalog der durch Johann von Görlitz ausgestellten Schriftstücke, ebd., S. 307–334. 6 Ivan Hlaváček, Das Problem der Masse. Das Spätmittelalter, in: AfD 52 (2006) S. 371– 394. 7 Hans Patze, Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert 1, hg. von Dems. (Vorträge und Forschungen 13), Stuttgart 1970, S. 9–64. 8 Vgl. die Rezension von Jiří Spěváček zu Ivan Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen des böhmischen und römischen Königs Wenzel (IV.) 1376–1419. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Diplomatik (MGH Schriften 23), Stuttgart 1970, in: Československý časopis historický 18 (1970) S. 466–471, sowie die darauf folgende Diskussion Ivan Hlaváček, K otázce diplomatické práce v pozdním středověku, in: Československý časopis historický 19 (1971) S. 574–582; Jiří Spěváček, K metodice diplomatické analýzy pozdně středověkých listin, ebd. S. 734–742. Vgl. ferner die methodologischen Überlegungen von Theo Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen, in: Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, hg. von Toni Diederich/Joachim Oepen, Köln/ Weimar/Wien 2005, S. 7–34; Christian Lackner, Möglichkeiten und Perspektiven diplomatischer Forschung. Zum Privileg Herzog Albrechts III. für die Universität Wien vom Jahre 1384 (Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der historisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 4), Wien/Köln/Weimar 2013, S. 53–61. 5
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Kanzleien der römischen Könige (und Kaiser) des Spätmittelalters9 oder mit der polnischen königlichen Kanzlei10 zu vergleichen. Ein gewisser Abstand besteht auch zu einigen Kanzleien größerer Reichsterritorien11 sowie den Kanzleien der mährischen Sekundogenitur des Hauses Luxemburg12, die jedoch zumindest grob gesehen mit Johanns Kanzlei vergleichbar sind. Besonders aussagekräftig für einen Vergleich mit der Kanzlei Johanns von Görlitz sind die Kanzleien der schlesischen Herzöge, wo jedoch für das 14. Jahrhundert nur wenige diesbezügliche Arbeiten zur Verfügung ste-
Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8); Peter Moraw, Räte und Kanzlei, in: Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1978, S. 285–292; Ders., Grundzüge der Kanzleigeschichte Kaiser Karls IV. (1346–1378), in: ZHF 12 (1985) S. 11–42; Ders., Kanzlei und Kanzleipersonal König Ruprechts, in: AfD 15 (1969) S. 428–531. Jüngst wurden einige Urkunden, die Jost von Mähren als römischer König ausgestellt hat, besprochen in Dennis Majewski, Das Urkunden- und Kanzleiwesen König Jobsts (1410/11), in: AfD 62 (2016) S. 275–308. 10 Eustachy Nowicki, Studia nad kancelarią Kazimierza Jagiellończyka, Lwów 1912; Irena Sułkowska-Kurasiowa, Polska kancelaria królewska w latach 1447–1506, Wrocław 1967; Dies., Dokumenty królewskie i ich funkcja w państwie polskim za Andegawenów i pierwszych Jagiellonów 1370–1444, Warszawa 1977; Jadwiga Krzyżaniakowa, Kancelaria królewska Władysława Jagiełły. Studium z dziejów kultury politycznej Polski w XV wieku, 2 Bde., Poznań 1972–1977. 11 Die Kanzleien der österreichischen Habsburger werden thematisiert von Christian Lackner, Hof und Herrschaft. Rat, Kanzlei und Regierung der österreichischen Herzöge (1365–1406) (MIÖG Ergänzungsband 41), Wien/München 2002, S. 218–332, der an die folgende Studie zu einem älteren Zeitabschnitt anknüpft: Winfried Stelzer, Zur Kanzlei der Herzöge von Österreich aus dem Hause Habsburg (1282–1365), in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter. Referate zum VI. Internationalen Kongreß für Diplomatik, 2 Bde. (Münchener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 35), München 1984, hier 1, S. 297–313. Im Zusammenhang mit der Kanzlei der bayerischen Wittelsbacher kann zur folgenden Studie gegriffen werden: Hans Rall, Die Kanzlei der Wittelsbacher im Spätmittelalter, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter 1, S. 109–126. Den wettinischen Markgrafen von Meißen widmen sich: Karlheinz Blaschke, Kanzleiwesen und Territorialstaatsbildung im wettinischen Herrschaftsbereich bis 1485, in: AfD 30 (1984) S. 282–302 (nahezu identisch unter dem Titel: Urkundenwesen und Kanzlei der Wettiner bis 1485, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter 1, S. 193–202); Brigitte Streich, Zwischen Reiseherrschaft und Residenzbildung. Der wettinische Hof im späten Mittelalter (Mitteldeutsche Forschungen 101), Köln/Wien 1990. 12 Tomáš Baletka, Dvůr, rezidence a kancelář moravského markraběte Jošta (1375–1411), in: Sborník archivních prací 46/2 (1996) S. 259–536; Ivan Hlaváček, Abriß der Geschichte der mährisch-markgräflichen Kanzlei der luxemburgischen Sekundogenitur, in: Landesherrliche Kanzleien im Spätmittelalter 1 (wie Anm. 11), S. 337–350. 9
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hen13, sowie die schriftliche Produktion einiger Aussteller im norddeutschen Raum14.
I. Die Urkunden Johanns von Görlitz 15 Insgesamt sind 106 Dokumente überliefert, in deren Intitulatio Johann als Aussteller bzw. Mitaussteller genannt wird16. Diese Schriftstücke lagern sehr verstreut und befinden sich in Archiven und Bibliotheken in Deutsch Vgl. Iwona Pietrzyk, Kancelaria i dokument Przemyślidów opawskich w XIV i początkach XV wieku, Katowice 2008; Barbara Trelińska, Kancelaria i dokument książąt cieszyńskich 1290–1573, Warszawa 1983. Der neueste Forschungsstand wird zusammengefasst von Tomasz Jurek, Zarys dyplomatyki śląskiej w późnym średniowieczu, in: Dyplomatyka staropolska, hg. von Dems., Warszawa 2014, S. 498–508. Geographisch und auch von der Größe her standen Johann von Görlitz die niederschlesischen Fürsten am nächsten; hier ist jedoch bislang keine einzige fürstliche Kanzlei komplett bearbeitet worden. Man kann aber auf Teilstudien zurückgreifen: Dariusz Bednarek, Kancelarie i personel kancelaryjny Bolesława księcia legnickiego, in: Acta Universitatis Wratislaviensis Nr. 1471 (Historia XVI), Wrocław 1993, S. 83–89. Verhältnismäßig am besten erforscht ist die Kanzlei der Herzöge von Schweidnitz-Jauer: Tomasz Jurek, Formuła komisyjna w czternastowiecznej kancelarii świdnickiej, in: Studia źródłoznawcze 43 (2005) S. 1–18; Ders., Fragmenty zaginionej księgi sądu dworskiego w Świdnicy z lat 1372–1404, in: Roczniki historyczne 65 (1999) S. 105–123; Landbuch księstw świdnickiego i jaworskiego, 3 Bde., hg. von Tomasz Jurek (Poznańskie Towarzystwo przyjacioł nauk. Wydawnictwa źródłowe Komisji historycznej 27, 28, 30), Poznań 2000–2006 (vgl. auch die Einführungen der einzelnen Bände); Dagmara Adamska-Heś, Personel kancelaryjny księżnej Agnieszki Świdnicko-Jaworskiej w latach 1368–1392, in: Śląski kwartalnik historyczny Sobótka 55 (2000) S. 433-442. Zudem steht eine Arbeit über die Breslauer Hauptmannschaftskanzlei zur Verfügung, vgl. Mlada Holá, Vratislavská hejtmanská kancelář za vlády Jana Lucemburského a Karla IV. (Sborník archivních prací 61,2 – Supplementum), Praha 2011. Dieser Forschungsstand steht in scharfem Kontrast zur Bearbeitung der Kanzleien der schlesischen Herzöge des 13. Jahrhunderts, wo zahlreiche Studien zur Verfügung stehen, wobei die meisten jedoch das Jahr 1300 nicht überschreiten. Am weitesten reicht Rościsław Żerelik, Dokumenty i kancelarie książąt głogowskich w latach 1250–1331, Wrocław 1988. 14 Dirk Alvermann, Domstift, Hofkapelle und Kanzlei. Das Urkundenwesen der Herzöge von Pommern-Stettin von der Mitte des 13. zur Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Baltische Studien NF 85 (1999) S. 19–38; Agnieszka Gut, Zarys dyplomatyki zachodniopomorskiej w średniowieczu, in: Dyplomatyka staropolska (wie Anm. 13) S. 509–517; Hermann Bier, Das Urkundenwesen und die Kanzlei der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach 1323–75, Berlin 1907; Karl-Heinz Ahrens, Residenz und Herrschaft. Studien zu Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im späten Mittelalter (Europäische Hochschulschriften. Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 427), Frankfurt am Main 1990. 15 Dieses Kapitel wurde von Tomáš Velička verfasst. 16 Ein weiteres Schriftstück ist gefälscht. 13
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land, Polen, der Tschechischen Republik, aber auch in Österreich und Belgien. Ihre zeitliche Verteilung über die einzelnen Jahre schwankt jedoch sehr stark. Auf Johanns Schriftstücke stoßen wir mit einer gewissen Regelmäßigkeit nach 1384, als er volljährig wurde. Die meisten stammen aus den Jahren 1388, 1389, 1394 und 1395. Die hohe Anzahl der 1388 ausgestellten Dokumente liegt vor allem in der mehrfachen Ausfertigung von Mandaten für die Brandenburger Stände begründet17. Im Jahre 1394 haben zu der hohen Anzahl jene Schriftstücke beigetragen, die mit den militärischen Aktivitäten zur Befreiung Wenzels IV. verbunden waren18, der damals vom rebellierenden böhmischen Adel gefangen genommen worden war, sowie Dokumente, die Johann nach seiner Ernennung zum Reichshofrichter in Ausübung dieses Amtes ausstellte19. Die letztgenannte Tat sache führte auch zu einem höheren Aufkommen seiner Urkunden im darauffolgenden Jahr 139520. Diagramm 1: Verteilung der von Johann von Görlitz ausgestellten Urkunden
Es ist selbstverständlich, dass wir heute nur einen Bruchteil der Produktion von Johanns Kanzlei vor uns haben. Wie groß der überlieferte Anteil eigent Katalog (wie Anm. 5) Nr. 19–23. Die Ausfertigung erfolgte im Kontext der Überlassung des Großteils von Brandenburg an die Markgrafen Jost und Prokop von Mähren durch Sigmund. 18 Ebd., Nr. 68–74. 19 Ebd., Nr. 86–89. 20 Ebd., Nr. 91, 92, 102. 17
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lich ist, lässt sich nur mutmaßen. Die Tatsache, dass selbst für das im Vergleich überlieferungsreichste Jahr 1394 im Schnitt nur zwei Urkunden pro Monat vorliegen, zeugt davon, dass die Anzahl der ursprünglich ausgestellten Urkunden deutlich höher gewesen sein muss. Dies bezeugen auch zahlreiche Erwähnungen in den Görlitzer Stadtrechnungen21 sowie die päpstliche Bulle, die eine Antwort auf eine nicht überlieferte Supplik Johanns war22. Die Empfänger von Johanns Urkunden, Mandaten und Missiven stammten am häufigsten aus der Oberlausitz (36 %) – in den allermeisten Fällen handelte es sich um die Stadt Görlitz. An zweiter Stelle stehen Brandenburger Empfänger (21 %), dahinter jene, die aus verschiedenen Reichsterritorien stammten (21 %) – das betrifft besonders die Urkunden, die Johann während seines Wirkens am Reichshofgericht für Reichsstädte ausstellte. Erst danach rangieren Empfänger aus der Niederlausitz (15 %). Einige Stücke erhielten auch Empfänger aus Böhmen (7 %), was leicht zu erklären ist, da Johann dort zwar nicht herrschte, sich aber andererseits häufig in Böhmen aufhielt23. Was die soziale Herkunft der Empfänger anbelangt, handelte es sich am häufigsten um Städte und Bürger (52 %). An zweiter Stelle stand der Adel (30 %). Relativ wenige Schriftstücke waren an Geistliche adressiert (8 %). Alle Stände treten als Empfänger von einigen Schriftstücken des Herzogs auf, die nach Brandenburg gerichtet waren (6 %). Die wenigsten Urkunden entfallen auf übrige Reichsfürsten (6 %), also auf Johanns Bruder Sigmund24, die Herzöge von Pommern (zusammen mit dem Camminer Bischof)25, Wilhelm I. von Meißen26, Albrecht III. von Habsburg27, den Pfalzgrafen Stephan28 und den Hochmeister des Deutschen Ordens29.
21 Codex diplomaticus Lusatiae superioris III: Die ältesten Görlitzer Ratsrechnungen bis 1419, ed. Richard Jecht, Görlitz 1905–1910 (im Folgenden CDLS III), S. 96 Z. 9, S. 137 Z. 16, S. 146 Z. 16 und öfter. 22 Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia V/1-2: Acta Urbani VI. et Bonifatii IX. 1378–1404, ed. Camillus Krofta, Pragae 1903 (im Folgenden MVB), hier 1, S. 456 f., Nr. 832. 23 Johann hat mehr als 60 % seines Erwachsenenalters in Böhmen verbracht. Näheres dazu bei Velička, Itinerář, in: Bobková/Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 162–181. 24 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 18. 25 Ebd., Nr. 55. 26 Ebd., Nr. 66. 27 Ebd., Nr. 78. 28 Ebd., Nr. 94. 29 Ebd., Nr. 39.
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I. a. Typologie Die diplomatischen Quellen des Mittelalters zeichnen sich durch keinerlei strikte Aufteilung der einzelnen Urkundenarten aus. Die Grenzen zwischen ihnen sind oft undeutlich, so dass eine allzu strikte Festlegung von Typen nicht sinnvoll ist. Obwohl es notwendig ist, die Produktion einer Kanzlei zu systematisieren, da ihre Schriftstücke in der Tat unterschiedliche Formen und Inhalte hatten, muss jede Typologie Unschärfen in Rechnung stellen30. Als erste Kategorie kann man Urkunden, also Privilegien, bezeichnen. Sie sind ausschließlich auf Pergament geschrieben und durch ein angehängtes Siegel beglaubigt. Sie enthalten das vollständigste Urkundenformular, also Intitulatio, Promulgatio, manchmal auch eine Arenga, aber regelmäßig Narratio, Dispositio, Corroboratio, bisweilen auch eine Sanctio, stets eine Datierung und in einigen Fällen auch eine Zeugenreihe. In der Corroboratio wird immer das Anhängen des Siegels angekündigt. In diese Kategorie gehört die große Mehrheit von Johanns überlieferten Dokumenten, obwohl das ursprüngliche Verhältnis sicherlich anders war, da es nicht notwendig war, Schriftstücke mit begrenzter zeitlicher Gültigkeit aufzubewahren. Die zweite Kategorie umfasst Mandate, also offene Briefe31. Es handelt sich dabei um keine absolut eindeutige Kategorie, einige Schriftstücke befinden sich im Grenzbereich zur dritten Gruppe, in der sich Sendbriefe (Missive) befinden. Das erste unterscheidende Merkmal gegenüber der ersten Kategorie ist das Urkundenformular, das konsequent die imperative Form ausweist, eine Inscriptio enthält (diese erscheint in den Privilegien nicht) und dessen Dispositio üblicherweise mit den Worten wir embieten anfängt. Ein weiteres Merkmal ist die Form der Besiegelung, die hier (wenn auch nicht immer) durch aufgedrückte Siegel geschah. Hiermit hängt dann auch der Beschreibstoff zusammen, häufig (aber nicht immer) war es Papier. Die Schriftstücke dieser Kategorie weisen allerdings nicht immer alle genannten Merkmale zugleich auf. Zwischen der ersten und der zweiten Kategorie stehen die Mandate für die Brandenburger Stände, in denen Johann im Juni 1388 befahl, den mährischen Markgrafen Jost und Prokop zu huldigen, nachdem Sigmund, Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 48–56, wo auch die älteren Typologisierungsversuche zusammengefasst sind. Jüngst Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 219–223. 31 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 19–23, 25, 39, 47, 63, 77. 30
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König von Ungarn, einen Großteil von Brandenburg an sie verpfändet hatte32. Das Formular weist jedoch in Richtung der Mandate. Allerdings wurden diese Urkunden auf Pergament geschrieben und hatten ein angehängtes Siegel. Alle übrigen Schriftstücke, die wir dieser Kategorie zugewiesen haben, wurden durch ein aufgedrücktes Siegel beglaubigt. Leider ist neben den erwähnten Aufforderungen zur Huldigung nur noch ein einziges Originalschriftstück dieser Art überliefert. Wir können es aber nicht als Mandat bezeichnen, da es nichts anordnet und zudem an einen Reichsfürsten adressiert ist – es handelt sich um ein Versprechen gegenüber dem Salzburger Erzbischof33. Dieses Schriftstück könnten wir als offenen Brief bezeichnen. Es ist auf Papier geschrieben und mit einem aufgedrückten Siegel versehen. Auch die Quittung für die Görlitzer aus dem Jahre 1393 hat die Form eines offenen Briefes34, ebenfalls mit aufgedrücktem Siegel, die höchstwahrscheinlich auf Papier geschrieben war. Intitulatio sowie Datierung dieser Stücke entsprechen denen der Privilegien. Hauptmerkmal der dritten Kategorie Sendbriefe (Missive) ist der Beschreibstoff, die mit ihm verbundene Form der Aushändigung (in verschlossener Form) sowie der spezifische Charakter des Formulars: Promulgatio, Corroboratio und Ausstellungsjahr fehlen. Ihre nähere Analyse wird dadurch erschwert, dass sich von den neun Missiven Johanns von Görlitz35 nur zwei Originale36 erhalten haben. Die Intitulatio war wahrscheinlich in einem selbständigen Block über dem Haupttext platziert. Eine Ausnahme bildet das Original eines Missivs aus dem Jahr 1394, dieses ist jedoch in mehrerlei Hinsicht einzigartig, da es für eine hierarchisch gleichgestellte Person – den Erzbischof von Salzburg – bestimmt war37; hier befindet sich die Intitulatio links unter dem Text38. Die Missive unterscheiden sich inhaltlich eigentlich kaum von den Mandaten: neben der Korrespondenz, die aber in dem untersuchten Material nur mit einem Exemplar vertreten ist39, ord Ebd., Nr. 19–23. Ebd., Nr. 25. 34 Ebd., Nr. 63. 35 Ebd., Nr. 3, 24, 44, 50, 60, 72, 73, 75, 78. 36 Ebd., Nr. 24, 72. 37 Ebd., Nr. 72. 38 Dies ist eines der Merkmale, durch die sich jene Missive, die für hierarchisch höherbzw. gleichgestellte Personen bestimmt waren, von jenen Sendbriefen unterschieden, die an Untertanen gerichtet waren. Vgl. Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 221–223. 39 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 72. Dies steht im Einklang mit den allgemeinen Trends der Zeit, vgl. Julian Holzapfl, Kanzleikorrespondenz des späten Mittelalters in Bayern (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 159), München 2008, S. 82. 32 33
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nen sie üblicherweise etwas an. Da die meisten Mandate und Missive lediglich als Abschriften überliefert sind, ist die Einteilung in diese oder jene Kategorie manchmal schwierig. Eine eindeutige Unterscheidung wird durch das Vorkommen bzw. das Fehlen der Corroboratio ermöglicht; hinsichtlich der Form der einzelnen Teile des Formulars hingegen stehen die Dokumente einander oft sehr nahe. Direkt auf der Grenzlinie zwischen Missiv und Mandat befindet sich ein Schriftstück vom Mai 139340, das lediglich als Abschrift überliefert ist und für die Stadt Sommerfeld/Lubsko und Bernhard von Zedlitz bestimmt war, in dem der Herzog die Einhaltung des Geleitrechts gebot. Die Intitulatio beginnt mit dem Wort wir, was ansonsten in Missiven ungewöhnlich ist; andererseits fehlen hier aber Corroboratio und Promulgatio, weshalb das Dokument eher zu den Missiven gehört. Hierzu steht aber wiederum die Jahresangabe in der Datierung im Widerspruch. I. b. Äußere Merkmale Als Beschreibstoff überwog in Johanns Kanzlei Pergament; nur selten kommt Papier vor. Nur sechs Stücke auf Papier haben sich im Original erhalten41, also weniger als 10 % der überlieferten Dokumente42. In Johanns Kanzlei wurde ausschließlich mitteleuropäisches Pergament verwendet, das von beiden Seiten bearbeitet war. Sowohl das Papier als auch das Pergament wurden, wie damals in Europa üblich43, entlang der längeren Seite beschrieben. Die Länge der Seite ist meistens nicht viel größer als die Breite, nur selten ist ihr Verhältnis größer als 2:144. Eine Linierung, ein Nachweis sorgfältiger Vorbereitung der Mundierung, findet sich bei keinem von Johanns Schriftstücken45. Die Schrift von Johanns Dokumenten ist zwischen der diplomatischen gotischen Kursive und Bastarda anzusiedeln, steht aber der Kursivschrift näher46. Hinsichtlich des kalligraphischen Schriftbildes entspricht die Katalog (wie Anm. 5) Nr. 60. Ebd., Nr. 24, 25, 67, 72, 76, 89. 42 Diesem Wert begegnen wir auch im Zusammenhang mit den Schriftstücken der habsburgischen Herzöge jener Zeit, vgl. Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 224. 43 Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 60. 44 Es gibt nur wenige Ausnahmen, vgl. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 64, 70. 45 In einigen Urkunden Wenzels IV. finden wir Linierung vor, vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 60–61. 46 Zur spätgotischen Schrift der Urkunden in den Ländern der böhmischen Krone vgl. Hana Pátková, Česká středověká paleografie, Praha 2008, S. 133–134; Hlaváček, Das Ur 40 41
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Schrift von Johanns Privilegien, Mandaten und Missiven dem damaligen mitteleuropäischen Standard, bei einem Vergleich mit den Privilegien Wenzels IV. kann man sich jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass die Schrift von Johanns Privilegien flüchtiger ist. Die Schrift der Mandate und Missive scheint nicht deutlich kursiver als jene der Urkunden zu sein. Das einzige graphische Element, das wir bei Johanns Privilegien feststellen können, ist die Verzierung des ersten Buchstabens der Intitulatio – in der Regel des Buchstabens W, wenn die Intitulatio, wie üblich, mit dem Pronomen Wir beginnt. Eine außergewöhnlich elaborierte Initiale enthält Johanns lateinische Urkunde vom März 1389 zur Stiftung eines Altars im Prager Veitsdom47.
Abb. 1: Johanns Altarstiftung im Prager Veitsdom, 25 III 1389
kunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 61–71; zur Kanzlei der römischen Könige vgl. Alfred Hessel, Die Schrift der Reichskanzlei seit dem Interregnum und die Entstehung der Fraktur, in: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-Hist. Klasse 2 (1936/39) S. 43–59. 47 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 36; Archiv Pražského hradu, Archiv pražské metropolitní kapituly, Sign. 452–XVII/28. Der Buchstabe „I“ ist hier seitlich bis zur 10. Zeile gestreckt.
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Bei den Urkunden fehlt nie eine Plica, an der ein Pergamentstreifen, der das Siegel trägt, angehängt ist. Ihr umgebogener Teil endet knapp unter dem Text oder überdeckt die letzte Textzeile48. In einigen Urkunden erscheinen vor der Intitulatio und rechts unten hinter dem letzten Wort graphische Zeichen (sog. distinctio finitiva), auf die wir auch in Dokumenten von Johanns Bruder Wenzel IV. oder der österreichischen Habsburger stoßen49. I. c. Das Urkundenformular Die Intitulatio50 beginnt in den meisten Schriftstücken Johanns mit dem Pronomen Wir. Ohne Angabe dieses Pronomens sind vor allem die lateinischen Schriftstücke51 sowie auch die meisten Mandate und alle Missive52. Danach folgt die eigentliche Titulatur, die ab 1376 die Form Markgraf zu Brandenburg (markgrave zu Brandenburg) hat. In einer Urkunde aus dem Jahr 1376 erscheint zudem das Prädikat „von Böhmen“53, was sich später nicht mehr wiederholt. Zwischen dem Jahr 1377 und Juni 1388 ist die Intitulatio nicht stabil. Sie enthält zumeist die Titel Herzog zu Görlitz und Markgraf zu Lausitz (herczog zu Gorlicz und markgraf zu Lusicz; dux Gorlicensis et marchio Lusaciae), stets in dieser Reihenfolge, manchmal kommt auch Markgraf zur Neumark (markgraf zu Newe marke) hinzu. Einmalig ist Johanns Titulatur in den Urkunden für die luxemburgischen Empfänger aus der Zeit seines Aufenthalts im Herzogtum Luxemburg im Sommer 1386, wo er sich als Herzog zu Luxemburg und zu Görlitz und Markgraf zu Lausitz tituliert (herczog zu Luccemburg und zu Gorlicz und markgraue zu Lusicz; duc de Luxembourg et de Görlitz mar
48 Dies war auch bei den Urkunden Wenzels IV. der Fall, siehe Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 73 f. 49 Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 65; Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 227. 50 Vgl. dazu Herwig Wolfram, Intitulatio I–III (MIÖG Ergänzungsband 21, 24, 29), Graz/Wien/Köln 1967–1988; Jiří Spěváček, Der Name, seine Tradition und die Herrscherintitulationen in den machtpolitischen Aspirationen Karls IV., in: Folia diplomatica 2 (1976) S. 129–148; Wolfgang Eggert, Bemerkungen zur Intitulatio in den Urkunden Karls IV., in: Kaiser, Reich und Region. Studien und Texte aus der Arbeit an den Constitutiones des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte der Monumenta Germaniae Historica, hg. von Michael Lindner/Eckhart Müller-Mertens/Olaf Rader/Mathias Lawo, Berlin 1997, S. 295–311. 51 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 16, 18, 31, 36, 75. 52 Siehe oben. 53 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 2.
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quis de Lusace)54. Ab Juni 1388 stabilisiert sich die Intitulatio in der Form Markgraf zu Brandenburg und Lausitz und Herzog zu Görlitz (markgraf zu Brandeburg und Lusicz und herczog zu Gorlicz; marchio Brandenbur gensis und Lusatiae et dux Gorlicensis; markrabye brambursky, luznyczky, wewoda gorliczky). Anhand der Veränderung der Titulatur können wir einen interessanten Wandel in der Hierarchie von Johanns Titeln verfolgen. Während in den ersten Jahren seiner Herrschaft die Würde des Herzogs von Görlitz an vorderster Stelle steht und die Würde des Markgrafen mit Bezug zur Niederlausitz bzw. zur Neumark dahinter rangiert, erscheint nach dem Juni 1388 der Görlitzer Herzogstitel erst am Ende der Intitulatio. Ein Spezifikum stellen Schriftstücke dar, die Johann als Hofrichter des Reichshofgerichtes ausstellte, in denen auch die Titulatur entsprechend angepasst wurde55. Die Titelführung auf Johanns Siegeln wird noch zu behandeln sein, an dieser Stelle kann aber bereits gesagt werden, dass sie in keinem der Abschnitte seiner Herrschaftszeit mit der offiziellen, in den Urkunden verwendeten Titulatur identisch war. Ab 1377 verfügte Johann über einen Siegelstempel, der lediglich seine Würde als Markgraf von Brandenburg und Herzogs von Görlitz aufführt56. Der Vorname des Herzogs variiert: am häufigsten ist Johannes und Johanns, relativ selten die Variante Hans57. Bis auf eine einzige Ausnahme kommt die Namenform Hans in Johanns Knabenalter vor – zum letzten Mal erscheint sie 1387, was zu der Annahme führt, dass es sich um eine kindliche Form des Namens handeln könnte, die in der Zeit des Erwachsenwerdens durch die offiziellere Form Johann bzw. Johannes ersetzt wurde. Diese Überlegung bleibt, auch wenn sie durchaus stichhaltig ist, jedoch eine bloße Hypothese. Die Promulgatio gehört zu jenen Teilen des Formulars, die in Johanns Kanzlei relativ stabil waren58. In den allermeisten Fällen lautet sie beken nen und tun kunt offentlich mit diesem brieffe allen, den die in sehen oder horen lesen (mit leichten Variationen, bei denen, abgesehen von orthogra Ebd., Nr. 13, 105. Johanns (...) marggrave czu Brandenburg, czu Lusicz und herczoge czu Gorlicz, (...) Wenczlaws romischen kunigs (...) und kunigs czu Behem, (...) hofrichter. 56 Siehe hierzu unten S. 341. 57 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 6–14, 79. 58 Eine Promulgatio kommt allerdings nicht, wie oben erwähnt, in Missiven und zumeist auch nicht in den Mandaten vor. 54 55
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phischen Abweichungen, tun kunt ausgelassen wird)59. Die verkürzte Fassung der Promulgatio bekennen offentlich mit disem briue erscheint in den Söldnerverträgen, die Johann mit verschiedenen Personen im Sommer 1394 schloss, als er Soldaten gegen die böhmische Opposition anwarb, die seinen Bruder, den König Wenzel, in Gefangenschaft hielt. Diese Variante der Promulgatio erscheint ferner in einigen Görlitzer Privilegien aus dem Jahr 138460 und auch später61. Eine kurze Promulgatio finden wir in der Urkunde für einen brandenburgischen Empfänger aus dem Jahre 1393, wo lediglich bekennen openbar steht62. In den lateinischen Stücken kommt die Form notum facimus tenore presencium universis vor63. Eine Arenga64 finden wir in Johanns Urkunden nur selten – lediglich in fünf Fällen: zwei Urkunden waren für Görlitz65, zwei für Landsberg an der Warthe/Gorzów Wielkopolski66 und eine für Guben bestimmt67. Sie sind inhaltlich verwandt. In allen wird eine der Pflichten eines Fürsten thematisiert, nämlich die Pflege des Wohlergehens der Untertanen. Die Arengen in den Urkunden für Landsberg sind textverwandt. Übereinstimmungen gibt es aber auch bei den beiden Görlitzer Arengen, obwohl sie nicht so markant wie im Falle von Landsberg sind. Einen gewissen Bezug zu den erwähnten Privilegien hat auch die Arenga der Urkunde für Guben. In den Mandaten und Missiven kommt nie eine Arenga vor. In den Arengen der beiden Urkunden für Landsberg/Gorzów erscheint der Titel des Markgrafen zu Brandenburg, dem von seinen Vorgängern, den Markgrafen von Brandenburg, die Einhaltung aller bisherigen Anordnun Diese Form der Promulgatio kam auch in der Kanzlei Wenzels IV. am häufigsten vor, vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 109; dies gilt ebenfalls für die Schriftstücke der Troppauer und Teschener Herzöge, vgl. Pietrzyk, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 68; Trelińska, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 113–114. 60 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 6–8. 61 Ebd., Nr. 42, 45. 62 Ebd., Nr. 64. 63 Diese Form der Promulgatio kam auch am häufigsten in den lateinischen Schriftstücken Wenzels IV. vor, vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 109. 64 Zu Arengen steht zahlreiche Literatur zur Verfügung. Grundlegend bleibt bis heute: Heinrich Fichtenau, Arenga. Spätantike und Mittelalter im Spiegel von Urkundenformeln (MIÖG Ergänzungsband 18), Graz/Köln 1957; das neueste Werk, in dem auch die sämtliche ältere Literatur zusammengefasst wird, ist: Sébastien Barret/Benoît Grévin, Regalis excellentia: les préambules des actes des rois de France au XIVe siècle (1300–1380) (Mémoires et documents de l‘École des Chartes 98), Paris 2014. 65 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 83, 99. 66 Ebd., Nr. 32, 49. 67 Ebd., Nr. 54. 59
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gen anvertraut worden sei. Das Hauptanliegen des Markgrafen solle die Pflege des Wohlergehens von landen, stedten und manne sein, also aller vollberechtigter Stände der Markgrafschaft, das er mit Hilfe Gottes mehren solle68. Beide erwähnten Urkunden für Landsberg/Gorzów sicherten der Stadt wirtschaftliche Privilegien zu, die für die Empfänger sehr wichtig waren und auch von Johanns Nachfolgern wiederholt bestätigt wurden. Die Arengen sind, wie gesagt, auch Bestandteil von zwei Urkunden für Görlitz, die erst zum Ende von Johanns Regierungszeit (1395) ausgestellt wurden: Die erste betrifft die Regulierung des Tuchschneidens, die zweite die Erlaubnis, die ehemalige Synagoge zu einer Kapelle umzuwandeln. In beiden wird der Gedanke der von Gott anvertrauten Herrschaft thematisiert, die der Fürst zugunsten seiner Untertanen ausüben muss. Er soll die Verbesserung ihrer Verhältnisse anstreben; auch hier fehlt nicht der Hinweis auf die Autorität Gottes, wobei das Ausüben dieses Auftrags als Dienst an Gott empfunden wird69. Ähnliche Gedanken werden schließlich auch in der Urkunde für Guben mitgeteilt, die Johann 1392 ausstellte und die, ebenso wie die Görlitzer Urkunden, das Tuchschneiden betraf. Dieses Motiv erscheint auch in der eigentlichen Arenga, der zufolge der Fürst das Aufrechterhalten und die Herbeiführung des Friedens zwischen den Bürgern und den Handwerkern anstreben soll70. Ebd., Nr. 32: Das wir vor uns, unsere erben und nachkomlinge markgraffen zu Bran denburgk volborthen und wollen sten und vest halten alle hernach geschriebene stugk, arti kell, punckt und gnade etc. Wan wir nun unter mannifalter sorgen, die uns in unser eigen sachen von unser lande wegen anliegendt sein, billichen betrachten, wir mit hulffe des all mechtigen gottes unsern landen, stedten und manne geholffen, das ihn firede zuwachsze zu besserungk und ihn gemach kommen. Ebd., Nr. 49: Das wir fur uns, unsere erben und nach komelinge markrafn zu Brandenburg voborten und wollen stete und veste halten alle hier nach geschriebene stucke und gnade. Woran wir löblichn czu allen zeiten betrachten unsere lande und stedte besserunge. 69 Ebd., Nr. 83: Als wir billihen under andern infrin sachen, die uns anlegende sein, betrachten und arbeyten, sallen wir unsir lande uns stete nucze und fromen und allewege doran sein, das sy so redlichen geordnet und geschicket werden, das sylich bessern muegen. Ebd., Nr. 99: Wann wir under andern sorgen und betrachtunge, do mitte wir bekommert sein, von angeborner gute billichen betrachten und bedenken sollen und wollen und furder lichen beholfen sein unser lande und lewte frome und nucze zu werben und sunderlichen in sulchen sachen do mitte gots dinsste gemeret würde. 70 Ebd., Nr. 54: Wen wir unter andern sorgfältigen unsern sachen wohl erkennen oder merken, das wir billich in unsern eignen landen oder städten, die uns der allmechtige gott von sonderlichen seinen gnaden eingegeben und unterthan, gemeinen nutz und ordnung unter bürgern und handwercken durch ewiges frieden und eintrechtigkeit willen vor allen dingen zuvor allwege bedenken, betrachten und schiken sollen. 68
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Insgesamt erscheinen Arengen in weniger als 5 % aller überlieferter Schriftstücke, was auch dadurch beeinflusst ist, dass das Ende des 14. Jahrhunderts bereits eine Zeit ist, in der Arengen aus den Formularen mitteleuropäischer Urkunden langsam verschwinden. Einen ungefähr vergleichbaren Anteil hatten sie auch in den Urkunden der Kanzlei Wenzels IV.71 Hier handelt es sich aber durchweg um Arengen lateinischer Urkunden. Arengen kommen generell deutlich häufiger in lateinischen Schriftstücken vor als in jenen, die in Volkssprachen verfasst waren. Angesichts dieser Tatsache ist die Häufigkeit des Vorkommens von Arengen in Johanns Urkunden nicht unbedeutend72. Thematisch sind sie den Majestätsarengen zuzurechnen, in denen Herrscher- bzw. Fürstentugenden hervorgehoben werden. In Johanns Urkunden stoßen wir hingegen nicht auf religiöse Arengen oder auf den sog. Typus memoria-oblivio, in dem auf die Unbeständigkeit der menschlichen Erinnerung und auf die Notwendigkeit, Rechtsgeschäfte schriftlich festzuhalten, hingewiesen wird73. Der Teil des Urkundenformulars, der als Narratio bezeichnet wird, war natürlich stets durch den konkreten rechtlichen Inhalt der beurkundeten Tatsache geprägt, weshalb er durchweg wenig standardisiert ist74. Die Narratio beginnt häufig mit der Schilderung des Vortretens des Petenten vor den Herzog (das vor uns kommen ist/sind) bzw. der Feststellung der Verdienste des Empfängers (wir haben angesehen). Interessanterweise wird nie über das Vorlegen von Bittschriften gesprochen, sondern stets von einem mündlich vorgetragenen Anliegen. Es reicht nicht, hier lediglich auf die große Formelhaftigkeit dieser Urkundenteile im Spätmittelalter hinzuweisen, die oft nicht den tatsächlichen Verlauf der Beurkundung enthüllen, sondern zu einem formalisierten Bestandteil des Urkundenformulars geworden waren. Es stimmt zwar, dass ihre Vereinheitlichung Ende des 14. Jahrhunderts weit fortgeschritten war, trotzdem ist der Wortlaut der Narrationes aufschlussreich75. Tomáš Velička, Die Arengen königlicher Urkunden in Böhmen 1310–1419: Das Beispiel der für Städte ausgestellten Urkunden, in: Urkundenformeln im Kontext. Formen der Schriftkultur im Ostmitteleuropa des Mittelalters (13.–14. Jahrhundert), hg. von Sébastien Rossignol/Anna Adamska (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 65), Köln/Weimar/Wien 2016, S. 61–93. 72 Alle Urkunden Johanns mit einer Arenga waren nämlich auf Deutsch verfasst. 73 Solche Arengen waren in jener Zeit beispielsweise in der Kanzlei der Fürsten von Teschen völlig geläufig, vgl. Trelińska, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 109–111. 74 Dies gilt auch für die Dispositio. 75 Dieses Thema wurde von mir anhand der Urkundenbestätigungen untersucht, vgl. Tomáš Velička, Zeměpanské konfirmační listiny pro česká a slezská města do roku 1420, in: Historia Slavorum occidentis 7/2 (2014) S. 194–214. 71
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Die Narratio kann bei der Unterscheidung zwischen schriftlichen und mündlichen Gesuchen einen guten Dienst erweisen. Es ist kennzeichnend, dass man in der weniger entwickelten Kanzlei Johanns in dieser Hinsicht „primitiver“ vorging, als in der großen Kanzlei seines Bruders Wenzel IV.76 Die Dispositio stellt den eigentlichen juristisch-materiellen Kern des Schriftstücks dar. Sie war mehr als die übrigen Formularteile von dem beurkundeten Sachverhalt und vom Typus des Rechtsgeschäfts geprägt. In mancherlei Hinsicht können wir auch hier den Einfluss der königlichböhmischen Kanzlei verzeichnen. Neben der Verdoppelung von zentralen Verben in der Dispositio, die jedoch nicht ausschließlich in der Kanzlei Wenzels IV. vorkam, finden wir hier auch die Verdoppelung des Tempus Verbi, die ebenfalls für Schriftstücke Wenzels IV. typisch war77. Es handelt sich konkret um die Verwendung von Dispositionsverben erst im Perfekt und danach im Präsens: So lautete beispielsweise die Dispositio in Bestätigungsurkunden wir haben bestetiget und befestet, bestetigen und befesten mit kraft dicz briefes ..., während es in Belehnungsurkunden heißt: wir haben [...] gunst und willn genediclich geben und verlihen, geben und leyen. Ihren Ursprung in der königlich-böhmischen Kanzlei hat auch die häufig verwendete Wendung des haben wir angesehen [...] mit wohlbe dachtem mute und rechter wissen, oft ergänzt durch die Erwähnung, dass dies auf Empfehlung des getreuen Rates geschehen sei, obwohl auch diese Wendung zweifelsohne zu den stereotypen Formeln gehörte78. Die Gestalt der Dispositio von Johanns Bestätigungsurkunden kopierte nicht die damaligen modernen Trends der europäischen Diplomatik79. Während im Spätmittelalter sogenannte Konfirmationen im Insert (also mit der Ausschreibung des vollständigen Wortlauts der bestätigten Urkunde) zu überwiegen beginnen80, was bereits von den Zeitgenossen als
Dort überwog bereits das Vorlegen von schriftlichen Petitionen. Velička, Zeměpanské (wie Anm. 75) passim. 78 Im Falle von Johann wissen wir übrigens nicht einmal, ob solch ein Kollegium an seinem Hof existierte. 79 Zu den Bestätigungsurkunden vgl. Dirk Hewig, Kaiserliche Bestätigungen von Stadtund Landrechten, Augsburg 1969; Lenka Martínková, Zeměpanské konfirmační a konsensní listiny z lucemburské doby pro moravské příjemce, Brno 2003; Velička, Zeměpanské konfirmační listiny (wie Anm. 75) passim. 80 Hewig, Kaiserliche Bestätigungen (wie Anm. 79) S. 34. 76 77
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transparenter angesehen wurde81, sind alle entsprechenden Urkunden Johanns ohne Insert82. Eine Sanctio erscheint in Johanns Schriftstücken ab und zu, häufiger jedoch als Mandatsanktion, also als eine Art Zusatz zur Dispositio, in dem die betroffenen Personen (in der Regel die herzoglichen Beamten) angewiesen werden, ihre Bestimmungen einzuhalten83. Normalerweise wird in einer Sanctio keine Geldstrafe angedroht, eher der Verlust der herzoglichen Gunst bzw. des Eigentums oder des Lebens. Diese extreme Strafe erscheint in zwei vom Formular her verwandten Urkunden für Görlitz vom 20. Oktober 139484. Die Corroboratio führt die Art(en) der Beglaubigung des Schriftstücks auf. Dies war in allen untersuchten Fällen das herzogliche Siegel (daneben wurden als Mittel der Beglaubigung auch Zeugenreihen aufgelistet, worauf noch einzugehen ist). Die Corroboratio hat in Johanns Schriftstücken eine weitgehend stabile Form: mit urkunde dicz brives versigelt mit unse rem anhangenden (furstlichen) insigel, wobei die Wortfolge schwankt und manchmal noch weitere Wörter hinzugefügt werden85. In dieser Form wurde die Corroboratio natürlich nur dann formuliert, wenn das Siegel tatsächlich angehängt wurde. Bei Schriftstücken, auf die das Siegel aufgedrückt wurde, also Mandaten (wenn auch nicht durchgehend), steht anstatt des Verbs anhangen das Verb abdrucken. In einigen Fällen, in denen das Siegel angehängt wurde, wählte der Verfasser der Urkunde etwas andere Worte: Bei den Mandaten, in denen Johann die einzelnen Vertreter der Brandenburger Stände aufforderte, dem Markgrafen von Mähren zu huldigen, lautet die Corroboratio beispielsweise des zu urkunde haben wir unser insigel lassen anhengen an diesen brif. In den lateinischen Schriftstücken hat sich diese Formel nicht klar verfestigt, Johann verwendete aber Latein nur selten. Die Corroboratio fehlt in den Sendbriefen Heinz Mohnhaupt, Confirmatio privilegiorum, in: Das Privileg im europäischen Vergleich 2, hg. von Dems./Barbara Dölemeyer (Ius commune. Sonderheft 125), Frankfurt am Main 1999, S. 45–63, hier S. 48. 82 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 2, 4, 26, 37, 56, 57. 83 Zur Sanctio vgl. Dieter Rübsamen, Buße und Strafe. Zu den Pönformeln spätmittelalterlicher Königsurkunden, besonders unter Friedrich III., in: Ex ipsis rerum documentis. Beiträge zur Mediävistik. Festschrift für Harald Zimmermann zum 65. Geburtstag, hg. von Klaus Herbers/Hans-Henning Kortüm/Carlo Servatius, Sigmaringen 1991, S. 117–133. 84 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 82, 83: der sal uns und dem vurgenante Karle verfallen sein mit leibe und mit gute. 85 Dies war auch die häufigste Form der Corroboratio in den Schriftstücken Wenzels IV., vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 121. 81
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(Missiven), was im Einklang mit der allgemeinen Charakteristik dieser diplomatischen Kategorie steht86. Die Zeugenreihen, die es ermöglichen, zum gegebenen Zeitpunkt die Zusammensetzung des Hofes von Johann von Görlitz zu rekonstruieren, verdienen besondere Aufmerksamkeit87. Sie kommen insgesamt in acht Urkunden Johanns vor88. Auch die Adressaten dieser Stücke sind nicht uninteressant. Meistens handelt es sich nämlich um Empfänger in Brandenburg oder in der Niederlausitz89, einmal um Wilhelm von Meißen. In dieser Urkunde wird nur ein Zeuge genannt; in ihr versprach Johann, die Schulden des Markgrafen von Meißen zu begleichen, falls er, Johann, König von Böhmen werden sollte. Die Urkunde wurde während Wenzels Erkrankung im Dezember 1393 ausgestellt und die Beurkundung von Johanns engem Vertrauten Johann von Kittlitz, dem Bischof von Meißen, bezeugt90. Was die Hierarchie der Zeugen anbelangt, so ist das Verhältnis zwischen den geistlichen und weltlichen Personen nicht ganz eindeutig. Johann von Kittlitz – sei es nun als Bischof von Lebus oder als Bischof von Meißen – steht stets an erster Stelle. Dietrich von Winningen, Abt in Neuzelle, steht hingegen in der Urkunde vom 1. Oktober 1391, die für das brandenburgische Landsberg an der Warthe/Gorzów ausgestellt wurde, erst an dritter Stelle – hinter Beneš dem Älteren von Dubá (Hofmeister) und dessen Sohn Beneš dem Jüngeren91. Eine vorrangige Stellung in den Zeugenreihen von Johanns Urkunden nahm dessen Hofmeister Beneš (der Ältere) von Dubá ein – er wich von dieser Stelle nur dann, wenn zusammen mit ihm auch der hochrangige Prälat Johann von Kittlitz als Zeuge auftrat. Auf weiteren Positionen standen üblicherweise Inhaber von Hofämtern, aber auch hier kam es manchmal zu Ausnahmen. Bemerkenswert ist, dass in Johanns Urkunde für Landsberg an der Warthe/Gorzów vom 1. Oktober 1391 der Vogt der Neumark Arnold von der Ost an letzter Stelle der Zeugenreihe steht92. 86 Zdeněk Kristen, Listy posélací a jejich registra v královské kanceláři české až do Bílé Hory, in: Časopis Archivní školy 5 (1927) S. 1–109, hier S. 3. 87 Bobková, Dvůr, in: Bobková/Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 114–123. 88 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 4, 12, 27, 32, 49, 62, 66, 97. Solch ein geringes Aufkommen steht wiederum im Einklang mit den damaligen mitteleuropäischen diplomatischen Trends, vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 122–123. In einigen schlesischen Kanzleien waren zu jener Zeit Zeugenreihen noch gängig, vgl. Pietrzyk, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 80; Trelińska, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 122; Tomasz Jurek, Formuła komisyjna w czternastowiecznej kancelarii świdnickiej, in: Studia źródłoznawcze 43 (2005) S. 1–18, hier S. 7. 89 Es handelte sich um zwei Empfänger: die Stadt Guben und Otto von Kittlitz; vgl. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 4 und 97. 90 Ebd., Nr. 66. 91 Ebd., Nr. 49. 92 Ebd.
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Die Datierungsformel wird üblicherweise mit dem Wort Geben bzw. Gegeben angeführt, in den lateinischen Stücken steht Datum. Danach folgt das Jahr und der Tag, manchmal in umgekehrter Reihenfolge. Bestandteil der Datierungsformel ist natürlich auch der Ausstellungsort. Diese Angabe fehlt nur bei drei Schriftstücken des untersuchten Korpus93, von denen zwei aus einem Formelbuch stammen94. Bei den Ausstellungsorten steht Prag mit Abstand an erster Stelle; überraschend sind die relativ wenigen Belege für Görlitz – Schriftstücke, die für Görlitz bestimmt waren, entstanden zumeist woanders. Eine hohe Zahl schlägt auch für das oberungarische Schintau/Šintava zu Buche, hier handelte es sich jedoch um das einmalige Ausstellen von Mandaten für die Brandenburger Stände vom 4. Juni 138895. Relativ viele Dokumente sind ebenfalls in der brandenburgischen Stadt Landsberg an der Warthe/Gorzów entstanden, die eine Art zentrale Beurkundungsstelle für Empfänger in der Neumark war. Diagramm 2: Ausstellungsorte von Johanns Urkunden
Ebd., Nr. 75, 97, 106. Als viertes Schriftstück könnte man Johanns französische Urkunde (ebd., Nr. 104) ansehen, die jedoch ursprünglich zweifellos über eine Datierung verfügte. Ihr Text ist heute nur ein Torso und der ganze zweite Teil des Dokuments, überliefert im Kopialbuch, ist unleserlich. 94 Ebd., Nr. 75, 106. 95 Ebd., Nr. 19–23. 93
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Was die Angabe des Ausstellungsdatums anbelangt, wurde nahezu in allen Fällen der christliche Festkalender verwendet. Eine fortlaufende Datierung nach Monatstagen kommt nur sehr selten vor96. Nicht alle Dokumente Johanns enthielten eine komplette Datierung. Bei zwei Schriftstücken, die in Formelbüchern überliefert sind, fehlt diese Formel völlig und ihre zeitliche Einordnung ist daher schwierig. Bei den Missiven wird in der Regel das Jahr der Ausstellung nicht angegeben, was im Einklang mit dem damaligen Usus der königlich-böhmischen Kanzlei steht97. Keinerlei Zeitangaben hat Johanns Missiv für Eger/Cheb, in dem nur das einleitende datum Prage steht. Dieser Umstand lässt sich aber durch die Überlieferung des Missivs im Kopialbuch aus der Zeit Wenzels IV. erklären, zu der Verkürzung der Datierung kam es also erst im Zuge der Abschrift98. Hinsichtlich der Datierung ist die allerletzte Urkunde, die Johann von Görlitz ausstellte, besonders interessant. Das Problem besteht darin, dass sie auf den 2. März 1396 datiert ist, also einen Tag nach dem Tod des Ausstellers99. Alle Merkmale dieser Urkunde deuten aber darauf hin, dass sie tatsächlich in Johanns Kanzlei entstanden ist. Ausstellungsort der Urkunde ist Guben, wobei aber Johann einen Tag zuvor in Neuzelle gestorben war. Die Rechtshandlung fand offenbar einige Tage zuvor in der Stadt Guben statt, die Johann vor seiner Reise nach Neuzelle besuchte. Die Richtung des Weges aus Böhmen (von wo er kam) gen Norden würde übrigens für einen Halt in Guben sprechen, da Neuzelle ungefähr 20 km nördlich der Stadt liegt. Ein wichtiger Bestandteil von Johanns Urkunden sind Kanzleivermerke100. Diese ermöglichen es, die personelle Zusammensetzung der Kanzlei zu analysieren101, und verraten zumindest ein wenig über die Entstehung der Schriftstücke. Schon im Voraus muss gesagt werden, dass ihre Form aus der königlich-böhmischen Kanzlei übernommen wurde, wo sie sich als integraler Bestandteil von Urkunden in den 50er Jahren des 14. Jahrhunderts unter Kanzler Johann von Neumarkt (Jan ze Středy) eta Ebd., Nr. 13, 14, 16, 41. Kristen, Listy (wie Anm. 86) S. 3; Tomáš Velička, Neznámé písemnosti českých panovníků a církevních představitelů doby předhusitské pro Louny, in: Archivní časopis 65 (2015) S. 226–248. 98 Katalog (wie Anm. 5), Nr. 73. 99 Ebd., Nr. 104. 100 Vgl. dazu Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 2/1, Leipzig ²1915, S. 99–104; Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 65–69, 445 ff. 101 Dazu weiter unten im zweiten Teil des Beitrags. 96 97
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bliert haben. In der Herrschaftszeit Wenzels IV. gehörten sie bereits zum festen Kanzleiusus. Kanzleivermerke kamen in jener Zeit auch in anderen Kanzleien vor, aber die von Johann von Görlitz verwendete Form weist zweifellos auf böhmische Vorbilder. Es existierten zwei Arten von Kanzleivermerken. Erstens handelt es sich um den Mandats- (oder Relations-)Konzeptvermerk, der auf den rechten Teil des Umbugs geschrieben wurde. Er wurde nicht ausschließlich auf Privilegien geschrieben, sondern erscheint auch in Mandaten102 und Missiven103. Dieser Typ von Kanzleivermerken kommt bei 40 Schriftstücken Johanns vor, die sowohl im Original als auch in Abschriften überliefert sind. Um ihre Häufigkeit und Verwendungsfrequenz auswerten können, können lediglich die Originale berücksichtigt werden104, da die Schreiber der Abschriften Kanzleivermerke häufig übersahen bzw. nicht kopierten. Insgesamt erscheinen sie ungefähr bei einem Drittel der Originaldokumente. Die Tatsache, dass sie auf vielen Originalen fehlen, ist jedoch nicht überraschend; derselbe Befund wurde von Tomáš Baletka für die Urkunden aus der Kanzlei Josts von Mähren konstatiert105. Eine Gruppe von Schriftstücken, in denen keine Vermerke vorkommen, bilden beispielsweise Mandate für die Brandenburger Stände vom 4. Juni 1388 und fast alle Dokumente für brandenburgische Empfänger. Im ersten Teil des Mandats- bzw. Relationsvermerks finden wir die Person vor, die für die Erledigung der beurkundeten Angelegenheit verantwortlich war. Es überrascht nicht, dass es in der kleinen Kanzlei des Herzogs meistens Johann selbst war. Er erscheint in der Form ad mandatum domini ducis, de mandato domini ducis (marchionis) oder Per dominum ducem. Vom Relationsteil des Vermerks sprechen wir dann, wenn im einführenden Teil jemand anders als der Herzog auftritt (in der Form ad rela cionem). Dieser Fall ist relativ selten belegt. Der entsprechende Relator war in den Zeiten vor Johanns Volljährigkeit sein Hofmeister Beneš von Dubá106. Im Jahr 1393 begegnen als Relatoren von Urkunden Johanns Schenk Günther von Haugwitz107 und auch Kaspar (von Donin)108. In den Katalog (wie Anm. 5) Nr. 3, 77. Ebd., Nr. 72. Hier natürlich nicht auf der Plica, sondern an gleicher Stelle rechts unter dem Block des Haupttextes. 104 Im untersuchten Korpus handelt es sich um 61 Stücke. 105 Baletka, Dvůr (wie Anm. 12) S. 369. 106 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 5, 8, 9, 11, 12. 107 Ebd., Nr. 61. 108 Ebd., Nr. 64. 102 103
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Jahren 1388 und 1394 trat in dieser Funktion der Vogt Anselm von Ronov109 und zum Ende von Johanns Herrschaft Otto von Kittlitz auf110. Nahezu alle diese Fälle stammen aus dem Zeitabschnitt bis 1386, danach von der Wende 1393/1394 und dem Jahresende 1395111. Einen spezifischen Fall stellt der Schiedsspruch für luxemburgische Empfänger dar, wo im Rela tionsvermerk eine nicht näher identifizierte Person erscheint112. Das ist insofern erklärbar, als Johann das Schriftstück im fernen Luxemburg ausgestellt hat, wohin er 1386 im Auftrag Wenzels IV. reiste. Bei den übrigen erwähnten Relatoren kann man vielleicht einen Bezug zu den jeweiligen Urkundenempfängern voraussetzen. Neben dem Relator erscheint in diesem Teil des Kanzleivermerks ge legentlich auch eine andere Person. In der Rolle eines Referenten war es 1384 Anselm von Ronov (Anselmo referente)113 ebenso wie in der Urkunde vom August 1391 für Landsberg an der Warthe/Gorzów (presente domino Anselmo de Ronaw)114. Anselm von Ronov trat somit zweimal bei der Entstehung des Schriftstücks als dritte Person auf, die im Mandatsbzw. Relationskonzeptvermerk vorkommt. Was sich konkret hinter der Bezeichnung verbirgt, können wir leider nicht feststellen. Offenbar handelte es sich um eine andere Funktion als jene, die bereits der Herzog als Relator und der im Konzeptteil des Vermerks genannte Kanzleimitarbeiter ausübten. Es ist möglich, dass Anselm in die betreffende Angelegenheit stärker involviert war, Details entgehen uns aber leider.
Ebd., Nr. 24, 67. Ebd., Nr. 101. 111 Eine Ausnahme ist lediglich Johanns Missiv vom November 1388, wo im Relationsvermerk Anselm von Ronov vorkommt (Ebd., Nr. 24). 112 Ebd., Nr. 13. 113 Ebd., Nr. 5. 114 Ebd., Nr. 58. 109 110
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Abb. 2: Mandat-Konzeptvermerk, 2 II 1389
Der auf den rechten Teil der Plica geschriebene Vermerk hatte auch einen zweiten Teil, den Konzeptteil. Dieser bezeichnete den Kanzleibeamten, der mit der Beurkundung der Angelegenheit beauftragt worden ist, was nicht unbedingt bedeuten muss, dass er auch die Reinschrift angefertigt hat, obwohl für kleine Kanzleien, so wie es die Kanzlei Johanns war, diese Tatsache nicht auszuschließen ist. In einigen Fällen kann man sogar mit Sicherheit belegen, dass er es nicht war. Ein Beleg hierfür sind zwei Privilegien Johanns für die Stadt Görlitz, die in Raudnitz/Roudnice nad Labem am 21. September 1395 ausgestellt wurden115. Beide sind zufällig im Original erhalten. In beiden wird im Konzeptvermerk Wolfram von Škvorec erwähnt, aber die beiden Urkunden wurden von unterschiedlichen Händen geschrieben. Die Personen, die im Konzeptteil der Kanzleivermerke vorkommen, werden wir weiter unten im Zusammenhang mit der personellen Zusammensetzung der Kanzlei besprechen. Neben dem Mandats- bzw. Relationskonzeptvermerk finden wir auf Johanns Urkunden auch einen Registervermerk auf der Rückseite. Das kommt in dem untersuchten Material viel seltener vor als die erstgenannte Ebd., Nr. 99, 100.
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Art von Vermerken: konkret lediglich in acht Fällen, die relativ gleichmäßig im gesamten Zeitraum von Johanns Herrschaft verteilt sind116. Dieser Vermerk hat die Form des Majuskelbuchstabens R. mit angedeutetem Kürzel und Namen des Kanzleimitarbeiters – des Registrators.
Abb. 3: Registrationsvermerk, 2 II 1389
Eine Ausnahme bilden zwei Urkunden, die im November 1393 in der Neumark ausgestellt worden sind und lediglich das Majuskel-R. enthalten117. Die Registervermerke weisen zweifellos auf die Eintragung des Urkundentextes im Register hin, obwohl wir nicht imstande sind zu erklären, warum sie auf dem Großteil der Originale nicht vorkommen. Wahrscheinlich ist dies der inkonsequenten Erfassung auf der Rückseite der Schriftstücke geschuldet. Eine Eintragung ins Register müssen wir auch bei jenen Urkunden voraussetzen, die keinen Registervermerk enthalten. Vergleichbar inkonsequent waren auch die Einträge in den Regis tern der österreichischen Habsburger118. Dies gilt auch für die Urkunden Josts von Mähren, auf denen Registervermerke noch seltener vorkommen, aber dennoch mit der Führung von Registern in seiner Kanzlei gerechnet wird119. In Johanns und Josts Fall sind heute keine Register überliefert; die erwähnten Dorsualvermerke sind somit fast das einzige Relikt120 der Ebd., Nr. 12, 17, 30, 33, 41, 64, 65, 101. Ebd., Nr. 64, 65. In dieser Form erscheint aber manchmal der Registervermerk in den Produkten der böhmischen Königskanzlei der Zeit Wenzels IV., vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 66. 118 Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 269. 119 Baletka, Dvůr (wie Anm. 12) S. 370. 120 Ein weiteres Relikt sind die Aufzeichnungen über die Registratoren in den Görlitzer Stadtrechnungen. Siehe unten. 116 117
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Registrierungstätigkeit in ihren Kanzleien121. Registerführung ist in jener Zeit jedoch auch in vielen benachbarten Gebieten in vergleichbaren Kanzleien belegt122. Anzumerken bleibt noch, dass Johanns Urkunden weder eine Invocatio noch eine Apprecatio enthielten; besonders die letztgenannte Formel schwand im Spätmittelalter ohnehin allmählich. I. d. Die Kanzleimäßigkeit von Johanns Urkunden Aus der oben erwähnten Analyse geht hervor, dass, obwohl das Urkundenformular von Johanns Schriftstücken nicht vollkommen stabil war, dennoch gewisse Kennzeichen der sogenannten Kanzleimäßigkeit aus gemacht werden können. Die äußeren Urkundenmerkmale fallen hier weniger ins Gewicht, da wir nicht imstande sind, die Schreiber von Johanns Urkunden genau zu erfassen, weil die Anzahl der Originale nicht so hoch ist, als dass man eine detaillierte Analyse durchführen könnte. Wichtig sind somit in dieser Hinsicht die inneren Merkmale, also das Urkundenformular. Ein sehr ungewöhnliches Formular verrät Johanns Urkunde vom 5. November 1393, die im brandenburgischen Soldin/Myślibórz in der Neumark ausgestellt wurde. Es handelte sich darin um die Verpfändung eines der brandenburgischen Güter des Herzogs123. In der Urkunde zeigt sich ein nicht kanzleigemäßer Wortlaut der Promulgatio124 und der Cor roboratio125, aber auch die Intitulatio ist ungewöhnlich126. Zudem macht die niederdeutsche Mundart, die in Johanns Urkunden sonst nicht vorkommt, stutzig127. In all seinen übrigen Dokumenten erscheint nämlich standardisiertes „Kanzleideutsch“, wie man es aus den Urkunden Wen Auch aus der Hofkanzlei der Zeit Wenzels IV. ist nur ein Bruchteil der Register überliefert. Es stehen nur spätere Auszüge zur Verfügung, vgl. Codex Přemyslaeus. Regesty z výpisů z dvorských register Václava IV. z doby kolem a po roku 1400 = Regesten aus den Auszügen von den Hofkanzleiregistern Wenzels IV. aus der Zeit um und nach 1400, hg. von Ivan Hlaváček (Archiv český 39), Praha 2013. 122 Gut, Zarys (wie Anm. 14) S. 512; Jurek, Zarys (wie Anm. 13) S. 502; Blaschke, Kanzleiwesen (wie Anm. 11) S. 291. 123 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 64. 124 ... bekennen openbar. 125 Tu tuge hebbe wy unse ingesegel an dyssen bryff lathen hengen. 126 Wy Johann van gots gnaden … 127 Die Sprache ist dieselbe wie in der Urkunde des Vogtes der Neumark Arnold von der Osten vom 5. April 1392 (Deutschordenszentralarchiv Wien, Urkunden, Nr. 2563; zugänglich unter www.monasterium.net [eingesehen am 17.02. 2017]). 121
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zels IV. kennt, geprägt vor allem durch die mitteldeutsche und bairische Mundart128. Niederdeutsch bildet in Johanns Kanzlei eine absolute Ausnahme und betrifft ausschließlich das erwähnte Schriftstück. Es ist also klar, dass Johann die Dienste eines der örtlichen Schreiber in Anspruch genommen hat, wovon auch der Wortlaut des Relationskonzeptvermerks zeugt, in dem ein gewisser Caspar vorkommt (wahrscheinlich handelt es sich um Caspar von Donin, der an Johanns Hof anwesend war)129; auch der Konzeptteil des Vermerks entspricht nicht dem Standard. Schließlich wirkt auch die Schrift fremd.
Abb. 4: Johanns Verpfändung von Hermenstorp (Neumark), 5 XI 1393
Der Kanzleivermerk ist wahrscheinlich von einer anderen Hand geschrieben als der Urkundentext, was sonst nicht vorkommt. Die Urkunde wurde somit von jemandem außerhalb Johanns Kanzlei mundiert und geschrieben. Im Falle von Soldin/Myślibórz kommt die Stadtkanzlei in 128 Helene Bindewald, Die Sprache der Reichskanzlei zur Zeit König Wenzels. Ein Beitrag zur Geschichte des Frühneuhochdeutschen, Halle 1928 (Nachdr. Hildesheim/Zürich/New York 1985). 129 Caspar war Empfänger einer Urkunde Johanns, die eine Woche später ausgestellt wurde.
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Frage, aber auch ein Kanoniker des örtlichen Kollegiatstifts130 bzw. ein Mönch des örtlichen Dominikanerklosters, wo vielleicht Johann während seines Aufenthalts weilte131. Im Kontext dieser nicht kanzleimäßigen Urkunde ist ein weiteres Schriftstück wichtig, das Johann in derselben Stadt eine Woche später ausstellte132, das jedoch in seiner Kanzlei entstanden zu sein scheint. In diesem Zusammenhang bietet sich die Hypothese an, dass Johann auf seinem Weg in die Neumark im Herbst 1393 zunächst nicht von seiner Kanzlei begleitet wurde, sondern dass sie ihn erst nach einigen Tagen einholte und dass sich ihr Personal erst dann der Urkundenausstellung widmen konnte. Ein untypisches Formular weist auch Johanns Versprechen an Wilhelm von Meißen vom Dezember 1393 auf, also einen Monat nach Ausstellung der erwähnten brandenburgischen Stücke, in dem wahrscheinlich Einflüsse des Empfängers zu beobachten sind133. Einen spezifischen Charakter haben Urkunden, die Johann von Görlitz als Hofrichter des Reichshofgerichts ausstellte134. An ihrer Entstehung waren zwar zum Teil Johanns Kanzleibeamte beteiligt, aber wir finden hier auch Wenzels Hofleute und dessen Kanzleipersonal135. Die Gestalt dieser Schriftstücke folgte den Traditionen des Reichshofgerichts, mit dessen Siegel (also nicht durch Johanns eigenes Typar) die Schriftstücke beglaubigt wurden. Diese Dokumente sind von ihrem Inhalt her spezifisch. Es handelte sich um Gerichtsentscheide, wie sie Johann vor seiner Bestellung nicht ausgestellt hat. Es ist also schwierig, deren Formular mit dem Formular der von Johanns Kanzlei ausgestellten Urkunden zu vergleichen136. 130 Edward Rymar, Kolegiata w Myśliborzu i skład jej kapituły (XIII–XVI w.), in: Nadwarciański rocznik historiczno-archiwalny 13 (2006) S. 9–46. 131 Thomas Berger/Klaus-Bernward Springer/Katja Hillebrand, Soldin (Myslibórz), Dominikaner, in: Brandenburgisches Klosterbuch, hg. von Heinz-Dieter Heimann/Klaus Neitmann/Winfried Schich (Brandenburgische historische Studien 14), Berlin 2007, hier 2, S. 1111–1119. 132 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 65. 133 Ebd., Nr. 66. 134 Ebd., Nr. 86–89, 91–92, 102–103. 135 Es existierten auch enge personelle Verbindungen zwischen der Hofgerichtskanzlei und der Kanzlei des böhmischen Königs, vgl. Friedrich Battenberg, Die Hofgerichtsbriefe Karls IV. von Luxemburg. Vorstudien zu einer kanzlei- und personengeschichtlichen Beurteilung, in: AfD 40 (1994) S. 123–169, hier S. 125. 136 Hans Wohlgemuth, Das Urkundenwesen des deutschen königlichen Hofgerichtes 1273 bis 1378. Eine kanzleigeschichtliche Studie (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 1), Köln/Wien 1973; Friedrich Battenberg, Die Hofgerichtssiegel der deutschen Kaiser und Könige 1225–1451. Mit einer Liste der Hofgerichtsur-
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Den Charakter eines Schiedsspruchs hat auch das Schriftstück, bei dem Johann nur einer von zwei Mitausstellern ist. Es handelte sich um einen Streit zwischen Peter von Schellendorf und Wenzel von Colditz137. In diesem Fall lässt sich wiederum schwer entscheiden, ob das Schriftstück in Johanns Kanzlei entstanden ist, obwohl die Nennung von Johanns Kanzler Wolfram von Škvorec im Kanzleivermerk dafür spricht und auch der Charakter des Dokuments diese Möglichkeit zulassen würde138. Aus der Sicht des Diplomatikers ist besonders Johanns Urkunde vom 1. August 1395 interessant, in der Johann dem Bündnis des böhmischen Adels und des Markgrafen Jost von Mähren beitrat139. Aufmerksamkeit erweckt in erster Linie die Sprache der Urkunde. Es ist die einzige auf Tschechisch verfasste Urkunde Johanns140. Die Verwendung der tschechischen Sprache141 kann in diesem Fall dadurch erklärt werden, dass die Beitrittsurkunden der weiteren Bündnismitglieder ausschließlich tschechisch geschrieben waren142. Das Schriftstück ist aber sicherlich kein Produkt der Kanzlei Johanns von Görlitz, da wir darin eine für seine Kanzlei sehr untypische Schrift vorfinden.
kunden (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 6), Köln/ Wien 1979. Zur Reichsgerichtsbarkeit jetzt auch Bernhard Diestelkamp, Vom einstufigen Gericht zur obersten Rechtsmittelinstanz. Die deutsche Königsgerichtsbarkeit und die Verdichtung der Reichsverfassung im Spätmittelalter (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 64), Köln/Weimar/Wien 2014. 137 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 95. 138 Es bestehen gewisse Übereinstimmungen mit der Schreiberhand der Urkunde für Görlitz vom 21. September 1395 (ebd., Nr. 99). 139 Ebd., Nr. 98. 140 Siehe weiter unten. 141 Im Übrigen kam Tschechisch als Urkundensprache in der Kanzlei Josts von Mähren im Zusammenhang mit denselben Ereignissen der Jahre 1394 und 1395 stärker auf, vgl. Hlaváček, Abriß (wie Anm. 12) S. 344. 142 Státní oblastní archiv Třeboň, Historica, Sign. 59, 61.
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Abb. 5: Einzige tschechische Urkunde Johanns von Görlitz, 1 VIII 1395
Wir identifizieren sie als jene Schreiberhand, die am 15. Juli 1395 neben Johanns Beitrittsurkunde auch die Beitrittsurkunde des Markgrafen Jost, des Bischofs von Litomyšl und von elf weiteren Herren geschrieben hat143. Die Spur führt wahrscheinlich in die Kanzlei des Markgrafen Jost, was auch der Vergleich mit der Schrift einiger seiner Urkunden aus jener Zeit nahelegt144. I. e. Die Urkundensprachen Das Sprachenprofil von Johanns Urkunden ist ausgesprochen vielfältig. Seine Kanzlei fertigte die Dokumente nahezu ausschließlich auf Deutsch aus, nur neun waren auf Latein konzipiert145 und nur vereinzelt kommt Státní oblastní archiv Třeboň, Historica, Sign. 61. Moravský zemský archiv Brno, Benediktini Rajhrad (1045–1908), Sign. 418; Státní oblastní archiv Třeboň, Historica, Sign. 76; zugänglich unter www.monasterium.net [eingesehen am 17.02.2017]. 145 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 16, 18, 29, 31, 36, 56, 73, 75, 106. 143 144
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Tschechisch146 und Französisch147 vor. Das tschechische Schriftstück und der Kontext seiner Entstehung wurden bereits behandelt. Hinzuzufügen ist noch, dass im vorhussitischen Böhmen der böhmische und mährische Adel Träger des Tschechischen als Sprache von amtlichen Schriftstücken war, die interne Kommunikation im Bündnis des Adels lief also kennzeichnenderweise auf Tschechisch148. Johann selbst weilte aber oft an Wenzels Hof unter vielen böhmischen Adeligen, die untereinander zweifellos auf Tschechisch kommunizierten, daher müssen wir voraussetzen, dass auch Johann in dieser Sprache versiert war, obwohl mit Hinblick auf die Empfänger von Johanns Urkunden in seiner Kanzlei die deutsche Sprache dominierte149. Ob der Herzog auch die französische Sprache beherrschte, wissen wir leider nicht. Für luxemburgische Empfänger urkundete er sowohl auf Französisch150 als auch in Latein151. Von den neun auf Latein verfassten Stücken sind drei in einem Formelbuch überliefert, daher fehlen bei ihnen grundlegende chronologische Informationen, aber auch Informationen über den Empfänger. Somit sind wir nicht imstande, diese Urkunden in einen entsprechenden Kontext ein-
Ebd., Nr. 98. Ebd., Nr. 105. 148 Ivan Hlaváček, Dreisprachigkeit im Bereich der Böhmischen Krone: Zum Phänomen der Sprachenbenutzung im böhmischen diplomatischen Material bis zur hussitischen Revolution, in: The Development of Literate Mentalities in East Central Europe, hg. von Anna Adamska/Marco Mostert (Utrecht Studies in Medieval Literacy 9), Turnhout 2004, S. 289– 310; Věra Uhlířová, Zur Problematik der tschechisch verfaßten Urkunden, in: AfD 11/12 (1965/66) S. 468–544; Věra Beránková, Česky psané listiny z církevního prostředí před r. 1526. (Přehled dokumentů), in: Traditio et cultus: Miscellanea historica Bohemica. Miloslao Vlk, archiepiscopo Pragensi ab eius collegis amicisque ad annum sexagesimum dedicata, hg. von Zdeňka Hledíková, Praha 1993, S. 91–108; Veronika Scheirichová, Styl nejstarších českých listin, in: Časopis Matice moravské 119 (2000) S. 355–366. 149 Wenzels Urkunde für den Herrenbund (Panská jednota) aus dem Jahre 1394 wurde bislang für die älteste tschechischsprachige Urkunde gehalten, vgl. Ivan Hlaváček, Jazyk v česko-moravských městských kancelářích v době předhusitské (vybrané příklady), in: Sborník archivních prací 63 (2013), Nr. 2, S. 235–302, hier S. 268. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass man die Entstehung von Wenzels ältestem tschechischen Schriftstück noch einige Jahre früher ansetzen muss (nämlich zu Ende der 1380er Jahre), vgl. Velička, Neznámé písemnosti (wie Anm. 97) S. 234–236; neuerdings siehe auch Ivan Hlaváček, Moravský landfríd z roku 1412. Poznámky diplomaticko-chronologické, in: Alis volat propriis. Sborník příspěvků k životnímu jubileu Ludmily Sulitkové, hg. von Hana Jordánková, Brno/Ústí nad Labem/Opava 2016, S. 99–110. 150 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 105. 151 Ebd., Nr. 106. Bei diesem Schriftstück, überliefert in einer Formelsammlung, ist nicht ganz gewiss, ob es in der Tat für einen luxemburgischen Empfänger bestimmt war. 146 147
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zubetten152. Auch die Kommunikation zwischen den Luxemburgern verlief manchmal auf Latein. Gerade in dieser Sprache stimmte Johann im Jahr 1388 der Verpfändung Brandenburgs (ohne Neumark) an die Markgrafen Jost und Prokop von Mähren zu153. Weitere vier lateinische Schriftstücke waren für kirchliche Empfänger bestimmt: für die brandenburgischen Zisterzienserklöster Retz154 und Himmelstädt155 sowie für das Prager Domkapitel zu Sankt Veit156. Kirchliche Institutionen sind unter den Empfängern von Johanns Urkunden nicht allzu häufig, aber es wäre falsch anzunehmen, dass alle an sie gerichteten Stücke lateinisch geschrieben waren. Beispielsweise urkundete Johann für das brandenburgische Kloster Marienwalde auf Deutsch157 und mit dem Salzburger Erzbischof korrespondierte Johann ausschließlich auf Deutsch158. Aus der Gruppe von Johanns lateinischen Schriftstücken ragt ein Mandat heraus, das er im Sommer 1394 inmitten der Bestrebungen, seinen Bruder Wenzel aus der Gefangenschaft zu befreien, an die Stadt Eger/ Cheb adressiert hat159. Die Abfassung auf Latein verwundert hier vor allem deshalb, weil die Stadt Eger/Cheb in jener Zeit ihre Amtsgeschäfte (als eine der wenigen böhmischen Königsstädte) auf Deutsch erledigte und ebenso deutsche Schriftstücke empfing – einschließlich solcher, die von böhmischen Königen ausgestellt wurden. Die letzte lateinische Urkunde vor Johanns Mandat aus dem Jahr 1394 erhielt die Stadt Eger/Cheb im Jahr 1355. Es handelt sich um eine von Karl IV. ausgestellte feierliche Bestätigung ihrer Privilegien.160 Bis weit ins 15. Jahrhundert hinein stellten die böhmischen Könige ihre Urkunden für die Stadt ausschließlich auf Deutsch aus161. Für die Tatsache, dass Johanns Mandat auf Latein abgefasst war, kommen drei Gründe in Betracht: Unkenntnis des böhmischen Mi Ebd., Nr. 16, 75, 106. Ebd., Nr. 18. 154 Ebd., Nr. 29. 155 Ebd., Nr. 31, 56. 156 Ebd., Nr. 36. 157 Ebd., Nr. 28. 158 Ebd., Nr. 25, 71, 72. 159 Ebd., Nr. 73. 160 Codex iuris municipalis regni Bohemiae II, ed. Jaromír Čelakovský, Praha 1895 (im Weiteren nur CIM), S. 513, Nr. 350. 161 Vgl. CIM II (wie Anm. 160) und CIM III, ed. Jaromír Čelakovský/Gustav Friedrich, Praha 1948, anhand der Register und der Übersicht der Urkunden in der Einleitung. Aber auch in der nachhussitischen Zeit finden wir nur wenige lateinische Dokumente vor, vgl. Tomáš Velička, Jazyk v písemné komunikaci královských měst českého severozápadu ve středověku, in: Porta Bohemica 7 (2015) S. 57–109. 152 153
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lieus und Ignoranz gegenüber den „ungeschriebenen“ Regeln hinsichtlich der Sprache, in der Schriftstücke für Eger/Cheb üblicherweise abgefasst waren. Oder die Umstände waren dermaßen turbulent, dass man diese Gegebenheiten nicht berücksichtigen konnte und in erster Linie schnell expedieren musste. In Frage kommt auch die Entstehung des Schriftstücks außerhalb von Johanns Kanzlei, mit Gewissheit können wir dies aber nicht behaupten. Da nur wenige lateinische Dokumente Johanns überliefert sind, stößt der Formularvergleich hier schnell an Grenzen. Schließlich müssen wir auch die Möglichkeit berücksichtigen, dass es sich eventuell um ein Schriftstück handelte, das für mehrere Empfänger bestimmt war. Die überwiegende Mehrheit von Johanns Urkunden, Mandaten und Missiven war auf Deutsch geschrieben. Seine Kanzlei knüpfte vorwiegend an den sprachlichen Usus der jeweiligen Empfänger an und berücksichtigte dabei die Art des an sie adressierten Schriftstücks. Dies kann am Beispiel von zwei Städten, die relativ viele Urkunden Johanns erhalten haben, dargestellt werden: Görlitz und Landsberg an der Warthe/Gorzów. Herrscherliche Dokumente für Görlitz waren bis in die fünfziger Jahre des 14. Jahrhunderts hinein ausschließlich auf Lateinisch verfasst. Deutsch taucht erstmals in einem Schriftstück Karls IV. aus dem Jahr 1355 auf, in dem er anordnete, dass die von den Soldaten des Sechsstädtebunds vernichteten Gehöfte nicht ohne sein Wissen erneuert werden sollen162. Danach kehrt in Karls Urkunden für diese Stadt wieder die lateinische Sprache zurück163. Ende der fünfziger Jahre kommunizierte also Karl mit Görlitz noch stets in Latein. Deutsch erscheint erneut im Jahre 1357164, dann folgt wieder Latein165, aber Deutsch setzt sich definitiv 1364 durch. Ab diesem Jahr sind alle Schriftstücke des Landesherrn, die für die Stadt bestimmt waren, auf Deutsch geschrieben. Dies haben sowohl Johann von Görlitz als auch Wenzel IV. respektiert. Zu einer Wende in der Sprachwahl der landesherrlichen Urkunden kommt es also im Falle von Görlitz zu einer ähnlichen Zeit wie im Falle von Breslau/Wrocław – dort lässt sich dieselbe Veränderung nur etwas später, nämlich an der Wende zu den
Ratsarchiv Görlitz, Urkunden, Sign. 61/41. Ebd., Sign. 62/42, 68,69/44, 70,71/45 etc. 164 Ebd., Sign. 78/51. 165 Ebd., Sign. 85/58. 162 163
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1370er Jahren beobachten166. Ab dieser Zeit kam auch in den Urkunden für böhmische Königsstädte die deutsche Sprache stärker zur Geltung167. Bei Urkunden für die brandenburgische Stadt Landsberg an der Warthe/ Gorzów änderte sich die Sprache in den Schriftstücken der einzelnen Landesherren zur selben Zeit wie im Falle von Görlitz. Bis zum Ende der 1350er Jahre urkundeten die brandenburgischen Markgrafen aus dem Hause Wittelsbach für diese Stadt ausschließlich in Latein168. Deutsch wurde hier erstmals 1357 von Ludwig dem Römer in einem Dokument verwendet, in dem er im unweit gelegenen Lorenzdorf/Wawrów das Gericht verpfändete169. Um 1360 kehrt jedoch Latein wieder in die Urkunden für Landsberg/Gorzów zurück170. Als jedoch Karl IV. im Jahre 1363 die Stadtrechte bestätigte, tat er dies auf Deutsch171. Diese Sprache wurde auch in den späteren Rechtsgeschäften der Wittelsbacher im Zusammenhang mit dieser Stadt verwendet172, und dies gilt auch für die Urkunde Wenzels IV. aus dem Jahr 1373173. Dieser Trend – das allmähliche Ersetzen des Lateinischen durch Deutsch als Urkundensprache – steht im Einklang mit allgemeinen Tendenzen im zeitgenössischen Urkundenwesen der Region. Einen ähnlichen Wandel verzeichnen wir zu jener Zeit auch im Meißener Raum174. I. f. Die Siegel Das Siegel war in Johanns Kanzlei, ebenso wie im ganzen damaligen Mitteleuropa, das primäre Beglaubigungsmittel175. Sekundär übten auch Zeugen eine Beglaubigungsfunktion aus, worauf bereits oben eingegangen wurde. Tomáš Velička, Od latiny k němčině. Slezská města jako vydavatel i příjemce německých a latinských písemností ve 14. století, in: Historie – otázky – problémy 7/1 (2015) S. 116–117. 167 Velička, Jazyk (wie Anm. 161) S. 61. 168 Archiwum Państwowe Gorzów Wielkopolski, Akta miasta Gorzowa Wielkopolskiego, Sign. 19, 20, 22, 24, 26, 29, 30. 169 Ebd., Sign. 28. 170 Ebd., Sign. 34, 38. 171 Ebd., Sign. 41. 172 Ebd., Sign. 42–46. 173 Ebd., Sign. 47. 174 Blaschke, Kanzleiwesen (wie Anm. 11) S. 291. 175 Wilhelm Ewald, Siegelkunde, München/Berlin 1914; Erich Kittel, Siegel, München 1970; Andrea Stieldorf, Siegelkunde. Basiswissen (Hahnsche historische Hilfswissenschaften 2), Hannover 2004; Tomáš Krejčík, Pečeť v kultuře středověku, Ostrava 1998; Karel Maráz, Sfragistika. Studijní texty pro posluchače pomocných věd historických a archivnictví, Brno 2014. 166
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Johanns Siegel wurden entweder an die betreffenden Schriftstücke angehängt oder aufgedrückt. Aufgedrückt wurde das Siegel auf die Vorderseite des Schriftstücks oder auf die Dorsualseite. Bei aufgedrückten Siegeln war der Beschreibstoff immer Papier. Wenn sich das Siegel unter dem Text befand, bezeichnen wir das Schriftstück als Mandat bzw. als offenen Brief176. Manchmal war das Siegel mit einer Papierdecke versehen, über die erst dann der Siegelstempel abgedruckt wurde177. An den Privilegien Johanns von Görlitz, aber auch an einigen Mandaten, befand sich ein angehängtes Siegel, und zwar immer – bis auf eine Ausnahme – an einem Pergamentstreifen. Diese Ausnahme war (formal gesehen) Johanns allererste Urkunde, die er am 28. Mai 1374 zusammen mit seinen Brüdern für die brandenburgischen Stände ausstellte178. Sein Siegel ist, ebenso wie jene seiner Mitaussteller, an rot-weißen Seidenfäden angehängt179. Johanns Siegel waren durch eine Siegelschüssel aus farblosem Wachs geschützt. Eine Ausnahme bildet wiederum das erwähnte Stück aus dem Jahr 1374, das hinsichtlich der Anbringung des Siegels und des Fehlens einer Wachsschüssel dem Usus der königlich-böhmischen Kanzlei folgte, deren Produkt sie auch war. Dort war diese Art des Anhängens von Siegeln besonders bedeutenden und feierlichen Urkunden vorbehalten, besonders solchen, die in Latein geschrieben waren180. Dass diese Form des Anhängens hier bei einem deutschen Schriftstück Verwendung fand, illustriert die Bedeutung, die Wenzel und vor allem sein Vater Karl dieser Urkunde zugemessen haben. Johann von Görlitz verwendete während seines Lebens zwei Siegeltypare. Beide sind von ihrer Art her Wappensiegel, bei denen das dominierende Element des Siegelbilds das Wappen des Inhabers war. Dieser Siegeltypus ist besonders für die Sphragistik des Adels kennzeichnend181, erscheint aber im Spätmittelalter auch bei königlichen Siegeln immer häufiger182. Dies gilt auch für die Länder der Böhmischen Krone. Ein ähnliches Schema sehen wir ebenfalls beim Sekretsiegel des Markgrafen und Königs Karl IV.183 und beim Siegel der Hauptmannschaften Breslau/ Siehe weiter oben. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 63, 68, 72, 77, 78. 178 Ebd., Nr. 1. Wobei es sich zweifellos um ein Produkt von Karls kaiserlicher Kanzlei handelte, da Johann damals vier Jahre alt war. 179 Diese Farben überwiegen in Wenzels Urkunden vor seiner Krönung zum römischen König im Jahre 1376, vgl. Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 84. 180 Ebd., S. 84. 181 Maráz, Sfragistika (wie Anm. 175) S. 110. 182 Dasselbe gilt für Siegel kirchlicher Institutionen. 183 Otto Posse, Die Siegel der Deutschen Kaiser und Könige 2, Dresden 1910, Tafel 1, Nr. 2, 4. 176 177
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Wrocław184 und Schweidnitz-Jauer185. Johann hatte weder ein Reiter- noch ein Majestätssiegel186. Sein erstes Typar verwendete er bis zur Jahreswende 1376/1377, als er Herzog von Görlitz wurde, womit zweifellos auch der Austausch des Siegels zusammenhing. Das erste Typar ist nur in zwei Fällen überliefert: erstmals bei der bereits erwähnten Urkunde aus dem Jahr 1374, das zweite Mal, als Johann damit die Urkunde seines Vaters vom 1. Mai 1376 mitsiegelte, in der die Bedingungen von Johanns Vermählung mit Euphemia, der Tochter des mecklenburgischen Herzogs Magnus, niedergelegt wurden187. Das Rundsiegel hat einen Durchmesser von 45 mm; die Umschrift lautet: „+ Secretum Johannis dei gracia marchionis brandenburg[ensis]“. Das Siegelbild zeigt einen viergeteilten Schild, in dessen erstem und viertem Feld sich ein doppeltgeschwänzter, heraldisch nach rechts aufsteigender Löwe befindet, im zweiten und dritten Feld ein Adler, dessen Kopf ebenfalls heraldisch nach rechts gedreht ist. Der Schild ist rundherum durch eine elfbögige Rosette eingerahmt, die sich an die Linie schmiegt, welche die Umschrift vom Siegelbild trennt. Im Siegelbild ist somit die Herkunft des jungen Prinzen aus dem Königreich Böhmen durch das böhmische Wappen mit seinem damaligen einzigen Titel (Markgraf von Brandenburg) in der Umschrift verbunden.
Abb. 6: Abdruck des ersten Siegeltypars Johanns von Görlitz, 28 V 1374 Holá, Vratislavská (wie Anm. 13) S. 106–108. Posse, Siegel 2 (wie Anm. 183), Tafel 8, Nr. 8. 186 Im Unterschied zu seinem Cousin Jost von Mähren, wobei auch dieser sein Reitersiegel nur relativ selten verwendete und häufiger zu seinem Wappensiegel griff, vgl. Maráz, Sfragistika (wie Anm. 175) S. 91; Mojmír Švábenský, Soupis pečetí moravských markrabat a markraběnek, in: Brněnský archivní věstník (1960) S. 9–26, hier S. 18–20. 187 Landeshauptarchiv Schwerin, 1.1–12 Verträge mit dem Reich, deutschen Territorien, Städten und (Ritter-) Orden, Sign. Brandenburg-Preußen 70a. 184 185
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An der Jahreswende 1376/77 ließ Karl IV. für seinen jüngsten Sohn Johann ein zweites Typar anfertigen, mit dem dann der Herzog bis zu seinem Tod all seine Schriftstücke besiegelte. Der erste Abdruck dieses Siegels befindet sich auf der Bestätigungsurkunde, die Johann am 27. Januar 1377 in Prag für die Stadt Görlitz ausstellte, die ihm gehuldigt hatte, nachdem er kurz zuvor durch seinen Vater zum Herzog von Görlitz ernannt worden war188. Die Gestalt des Siegels ähnelt stark dem ersten Siegel. Das Siegelbild weicht von dem oben beschriebenen in keinerlei Hinsicht ab. Anders ist es um Umschrift und Größe bestellt. Die Umschrift lautet: „* Joh[ann]es dei gr[ati]a marchio brandenburgen[sis] et dux gorlicen[sis]“; der Durchmesser des Siegels beträgt 60 mm.
Abb. 7: Abdruck des zweiten Siegeltypars Johanns von Görlitz, 20 V 1390
Neben der Würde des Markgrafen von Brandenburg erscheint hier also neu der Titel des Herzogs von Görlitz. Johanns Titelführung ist im Siegelbild, in der Siegelumschrift, in der Intitulatio seiner Schriftstücke und in den Kanzleivermerken jeweils anders gestaltet. Wie bereits weiter oben ausgeführt, war die Titelführung unter Johann in den Siegelumschriften und in den Intitulationes der Urkunden zu keiner Zeit identisch. Der Titel des Herzogs von Görlitz und des Markgrafen der Lausitz schlägt sich im Siegelbild überhaupt nicht nieder, wo wir lediglich heraldische Verweise auf das Königreich Böhmen und die Markgrafschaft Brandenburg finden. Das Siegelbild und die Umschrift veränderten sich auch nicht dann, als Johann in den Jahren 1381 bis 1388 nicht im Besitz der brandenburgischen Neumark war. Im Mandatsteil der Kanzleivermerke, die sich auf einigen Schriftstücken Johanns befinden, wird er in der Regel als dux, also Herzog [von Görlitz] bezeichnet. Als Katalog (wie Anm. 5) Nr. 2.
188
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marchio erscheint er darin nur selten, manchmal sogar ohne Bezug zum Urkundenempfänger (also unabhängig davon, ob der Empfänger aus Brandenburg oder der Niederlausitz stammte)189. Auf dieselbe Art und Weise (Johann dux Gorlicensis) wird Johann von Görlitz auch in den Relationsvermerken der Urkunden Wenzels IV. bezeichnet190. Im Lichte der Kanzleivermerke erscheint also Johann von Görlitz in erster Linie als Herzog – dieser Titel befand sich zudem in der Umschrift seines Siegels, wurde darauf jedoch nicht heraldisch als solcher präsent. Ein Wappen des Herzogs von Görlitz hat aber existiert – bis heute können wir es als Bestandteil der Wappengalerie auf dem Altstädter Brückenturm der Karlsbrücke in Prag sehen. Gebildet war es aus einem geteilten Schild, in dessen oberen Teil sich der böhmische Löwe befindet und im unteren Teil eine Mauer mit drei Zinnen (der untere Teil stellt das Wappen der Oberlausitz dar)191. Es ist also möglich, dass der böhmische Löwe im ers ten und vierten Feld des Schildes in Johanns Siegel auch das Herzogtum Görlitz repräsentierte, denn die Ausführung jener Variante, wie wir sie am Altstädter Brückenturm in Prag finden, wäre angesichts der geringen Größe des Siegels in diesen Feldern technisch kompliziert gewesen192. In der Corroboratio bezeichnet Johann sein Siegel als unser insigel oder unser furstliches insigel. Es erscheinen keine Gegensiegel.
Ebd., Nr. 36 (hier führt er den Herzog- und Markgrafentitel), 37, 45, 56. Codex diplomaticus Saxoniae regiae 2/2. Urkundenbuch des Hochstifts Meissen 2, ed. Ernst Gotthelf Gersdorf, Leipzig 1865, S. 258 f., Nr. 728; CIM II (wie Anm. 160), S. 853, Nr. 663; Quellen- und Urkundenbuch des Bezirkes Teplitz-Schönau bis 1500, ed. August Müller (Städte- und Urkundenbücher aus Böhmen 7), Prag 1929, S. 210, Nr. 422; Archiv český I, ed. František Palacký, Praha 1840 (im Weiteren nur AČ), S. 56–58, Nr. 5 (hier Ad relationem D. Ducis Johannis); Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel 2: 1388–1397, ed. Julius von Weizsäcker, Gotha 1874, S. 237 f., Nr. 121; Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae 12, ed. Vinzenz Brandl, Brünn 1890, S. 267 f., Nr. 288. 191 Karolina Adamová, K heraldické výzdobě Staroměstské mostecké věže – právně historický pohled, in: Pražský sborník historický 15 (1982) S. 44–62, hier S. 45; Jiří Louda, Znaky na Staroměstské mostecké věži, in: Umění 33 (1985) S. 357–359; neulich Jiří Kuthan/ Jan Royt, Karel IV. Císař a český král – vizionář a zakladatel, Praha 2016, S. 153–165. 192 Den bescheidenen Umfang von Johanns Kanzlei illustriert nicht nur die Art der Siegel (Wappensiegel), sondern auch der Umstand, dass sie kleiner sind als die Siegel seiner beiden Brüder und seiner mährischen Cousins. Dies gilt freilich nur für Majestäts- bzw. Reitersiegel, nicht für die Wappensiegel, die jedoch als Sekrete verwendet wurden. Viz Švábenský, Soupis pečetí (wie Anm. 186), S. 14–23. Wappensiegel waren auch bei den damaligen schlesischen Herzögen verbreitet, die häufig kleine Typare mit einem Durchmesser von ungefähr 40 mm verwendeten, vgl. Marian Gumowski, Handbuch der polnischen Siegelkunde, Graz 1966, S. 52–62. 189 190
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Johann tritt nicht sehr häufig als Mitsiegler auf. Der älteste Fall von 1374 wurde bereits besprochen. Ferner erscheint er nur noch zweimal als Mitsiegler, und zwar in Urkunden seines Bruders Wenzel. Beide Schriftstücke stammen aus dem kurzen Zeitabschnitt zwischen März und Mai 1395. Am 30. März 1395 besiegelte Johann von Görlitz Wenzels Verfügung, in der er seinem Cousin, dem Markgrafen Jost von Mähren, verspricht, die von den böhmischen Königen mit den Markgrafen von Mähren geschlossenen Allianzverträge und -pflichten einzuhalten, und sämtliche Abmachungen, die dazu im Widerspruch stehen, für ungültig erklärt193. Zusammen mit Johann von Görlitz haben weitere 14 Repräsentanten Böhmens und des Reiches diesen Vertrag besiegelt. Johann tritt hier an vorderer Stelle auf – vor Pfalzgraf Stefan bei Rhein, vor Wilhelm von Meißen oder dem Erzbischof von Magdeburg, auch vor den schlesischen Fürsten oder dem böhmischen Adel. Herzog Johann war zugleich Relator der Urkunde. Als einziger Mitsiegler erscheint Johann in einer Urkunde Wenzels vom 30. Mai 1395; zugleich fungierte er hier als Relator. Es handelt sich um ein Dokument, das für den Herrenbund (Panská jednota) bestimmt war, worin Wenzel gezwungen wurde, ein Jahr nach seiner Gefangenschaft die Forderungen der Adelsopposition zu akzeptieren194. Urkunden, die Johann von Görlitz als Reichshofrichter ausstellte, tragen das Siegel dieses Gerichts und nicht Johanns eigenes Siegel195. I. g. Fälschungen Die detaillierte Analyse des Urkundenfonds eines bestimmten Empfängers, die Untersuchung der inneren und äußeren Merkmale, die Kontextualisierung der Stücke mit dem Itinerar des Ausstellers und der Verwaltung des betreffenden Territorium machen es möglich, eventuelle Fälschungen zu erkennen196. Eine zweifelsfreie Fälschung unter den Národní archiv, Archiv České koruny, Sign. 1306. Ebd., Sign. 1310; AČ I (wie Anm. 190) S. 56 ff., Nr. 5. 195 Urkundenregesten zur Tätigkeit des Deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451 XIII: Die Zeit Wenzels 1393–1396, bearb. von Ute Rödel, S. XXI–XXVI. 196 Jindřich Šebánek/Alexander Húš č ava/Zdeněk Fiala et al., Československá diplomatika do roku 1848, Praha 1965, S. 24–26; Tomasz Jurek, Wprowadzienie do dyplomatyki, in: Dyplomatyka staropolska (wie Anm. 13) S. 46–47. Beiseite lassen müssen wir hier natürlich die Problematik der Kanzleifälschungen. Der bekannteste Fall wird in diesem Zusammenhang mit Kaspar Schlick verbunden, dem leitenden Vertreter der Kanzlei Sigmunds von Luxemburg, Albrechts von Habsburg sowie Friedrichs III. Vgl. neulich Petr Elbel/Andreas Zajic, Die zwei Körper des Kanzlers? Die „reale“ und die „virtuelle“ Kar 193 194
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Schriftstücken Johanns von Görlitz ist das Dokument angeblich aus dem Jahr 1392, das Johann zusammen mit dem Prager Erzbischof Wolfram von Škvorec und Hynek von Dubá, dem Obersten Richter des Königreichs Böhmen, ausgestellt haben soll. Alle drei Personen sollen dem Wortlaut dieses Schriftstücks zufolge während Wenzels Abwesenheit zu Landes verwesern ernannt worden sein. Das Schriftstück betrifft einen Streit zwischen Budweis/České Budějovice und der Familie der Rosenberger, zu deren Gunsten das ganze Dokument formuliert war197. Es ist in einer Abschrift aus dem 17. Jahrhundert überliefert, hängt aber mit den berühmten Fälschungen Ulrichs von Rosenberg zusammen, mit deren Hilfe er Mitte des 15. Jahrhunderts die vorrangige Stellung seines Geschlechts festigen sowie einige wirtschaftliche Vorteile für sich sichern wollte198. Auf die Tatsache, dass es sich um ein Spurium handelt, weisen mehrere Ungereimtheiten hin199. Die Intitulatio Wolframs von Škvorec entspricht nicht der Realität – er wird hier als Prager Erzbischof angeführt, obwohl er dieses Amt erst ab 1396 innehatte. Hynek von Dubá wurde ebenfalls erst 1396 Oberster Hofrichter200. Seltsam ist auch die Datierung, die folgendermaßen lautet: Dán jest w Praze na Hradě w svatého Václava, ty suchý dny o letnicích. Léta od narození syna božího tisíc třístého a devadesátého druhého. [Gegeben zu Prag auf der Burg zum Heiligen Wenzel, im Pfingstquatember. Im Jahre eintausend dreihundert zweiundneunzig nach der Geburt des Gottessohns]. Diese ungewöhnliche Datierung ließe sich vielleicht dadurch erklären, dass man den „Heiligen Wenzel“ auf die Ortsangabe beziehen, also in dem Sinne interpretieren könnte, dass der Akt in Prag auf der Burg beim Heiligen Wenzel, also in der Wenzelskapelle stattfand, aber auch dies ist sehr unsicher. Wenn wir nämlich akzeptieren, dass es sich um eine Zeitangabe handelt, macht die Datierung keinen Sinn, denn der Tag des Heiligen Wenzels fiel auf den 28. September, während der Pfingstquariere Kaspar Schlicks unter König und Kaiser Sigismund – Epilegomena zu einem alten Forschungsthema, in: Mediaevalia historica Bohemica 15/2 (2012) S. 47–143; 16/1 (2013) S. 55– 212; 16/2 (2013) S. 73–157. 197 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 107. 198 František Mareš, Padělané diplomy Rožmberské, in: Český časopis historický 6 (1895) S. 371–384; Karel Maráz, K problematice padělání pečetí na sklonku středověku. Sfragistický příspěvek k falzům Oldřicha II. z Rožmberka, in: Sborník archivních prací 48/1 (1998) S. 49–103. 199 Mareš, Padělané diplomy (wie Anm. 198) S. 380–381. 200 Jiří Spěváček, Václav IV. 1361 – 1419. K předpokladům husitské revoluce, Praha 1986, S. 703.
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tember in jenem Jahr am 5., 7. und 8. Juni war. Und schließlich steht auch das Itinerar Wenzels IV. im Widerspruch zur Angabe der Urkunde, dass er ins Reich gereist sei, denn der König weilte das ganze Jahr 1392 über in Böhmen201.
II. Die personelle Zusammensetzung der Kanzlei 202 Die ältesten im Namen Johanns von Görlitz ausgestellten Urkunden stammen aus der Kanzlei seines Vaters Karl IV. und danach aus der Kanzlei seines Bruders Wenzel IV. Wenzel wurde übrigens wiederholt von Boten des Görlitzer Stadtrats sowie vom Stadtrat selbst aufgesucht203. In den Rechnungen der Stadt Görlitz können wir von Zeit zu Zeit konkrete Beträge finden, die für Privilegien ausgegeben wurden, die vom böhmischen Herrscher erteilt worden waren. So haben die Görlitzer beispielsweise 1378 in Prag für das Ausstellen eines Privilegs eine Gebühr in Höhe von 50 Schilling und weitere vier Schilling an den königlichen Registrator gezahlt204. Ein Jahr später machten sie sich wegen der Ausstellung einer Bestätigungsurkunde zu Wenzel IV. nach Beroun auf205. Belegt sind übrigens auch ihre Kontakte zur Kaiserinwitwe Elisabeth von Pommern, die in jener Zeit ebenfalls in die Angelegenheiten von Görlitz eingriff, wovon die überlieferten Dokumente aus den Jahren 1377 und 1379 zeugen206. Die Stadträte von Görlitz versäumten es auch nicht, Kontakte mit dem Prager
Hlaváček, Das Urkunden- und Kanzleiwesen (wie Anm. 8) S. 418. Dieses Kapitel wurde von Mlada Holá verfasst. 203 Zu den Beziehungen zwischen Görlitz und Wenzel IV. zusammenfassend Ivan Hlaváček, König Wenzel IV. und Görlitz. Beziehungen zwischen Zentral- und Lokalgewalt im Spiegel der Verwaltungsgeschichte des ausgehenden 14. Jahrhunderts, in: Ders., Höfe – Residenzen – Itinerare, hg. von Mlada Holá/Martina Jeránková/Klára Woitschová, Praha 2011, S. 43–56 (ursprünglich erschienen in: Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, hg. von Reiner Gross/Manfred Kobuch, Weimar 1977, S. 379–396). 204 CDLS III (wie Anm. 21) S. 37 Zeile 24. Für den Text des Privilegs vgl. Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 150 f., Nr. 6. Eine weitere Gebühr für die Ausfertigung der Urkunde wird im September 1378 angeführt; CDLS III, S. 39, Zeile 24. 205 CDLS III (wie Anm. 21) S. 50 Zeile 2. Mit falscher Datierung Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 152, Nr. 7. 206 Urkunden zur Geschichte des Herzogs Johann von Görlitz, in: Neues Lausitzisches Magazin 35 (1859) S. 405 f., 407 f. Auslagen für Boten zur Elisabeth von Pommern und für ihre Bewirtung CDLS III (wie Anm. 21) anhand des Registers sowie in: Bobková/Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 37 f. und passim. 201 202
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Erzbischof und dem späteren Kardinal Johann Očko von Vlašim207 sowie mit seinem Nachfolger an der Spitze der Erzdiözese Johann von Jenstein208 zu unterhalten. Die sich wandelnde Position Johanns von Görlitz in der Verwaltung seines Landes können wir im Zusammenhang mit seinen längeren Aufenthalten im Görlitzer Land ab ca. 1380 erahnen. Die überlieferten Quellen ermöglichen es uns aber leider nicht, dieser Frage detailliert nachzugehen209. Einziger indirekter Indikator ist die Tatsache, dass nach 1382 die Görlitzer Ratsherren ihre Boten regelmäßig direkt zu Johann sandten, wenn dieser außerhalb seines Herzogtums weilte. Zugleich wandten sie sich aber mit ihren Anliegen auch an Johanns Hofmeister Beneš von Dubá, mit dem sie wiederholt bestimmte Fragen behandelten, ohne darüber gleichzeitig den Herzog zu informieren210. Seine Aufgabe an Johanns Hof wird durch den bereits erwähnten Briefwechsel mit den Ratsherren belegt sowie durch dessen Aufenthalte in Görlitz in Zeiten, als der junge Herzog am Hofe seines Bruders Wenzel weilte211. Ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutung des Beneš von Dubá ist auch das wiederholte Anführen seines Namens in den Relationskonzeptvermerken der herzoglichen Urkunden. Die Anweisung für den Hofmeister vom 24. Januar 1383 ist übrigens das älteste bekannte Schriftstück Johanns von Görlitz, das in seiner eigenen Kanzlei entstand. Zugleich wird darin explizit angeführt, dass an Beneš gleichzeitig eine Urkunde mit angehängtem Siegel zugestellt wurde, die ihm bei seinem Auftrag, von den Lehnsleuten und Städten des Herzogtums ein Aufgebot für den Feldzug gegen die Biebersteiner anzufor Vgl. beispielsweise CDLS III (wie Anm. 21) S. 23 Zeile 31, und ferner ebenda anhand des Registers. 208 Den Rechnungen zufolge haben ihm die Görlitzer beispielsweise im April 1381 Bier geschickt: CDLS III (wie Anm. 21) S. 77. 209 So wurden beispielsweise noch im April 1381 die Privilegien der Stadt Görlitz von Wenzel IV. bestätigt, Franz Martin Pelzel, Lebensgeschichte des Römischen und Böhmischen Königs Wenceslaus 1, Prag 1788, S. 105. 210 Zum Beispiel reiste der Görlitzer Stadtschreiber im Oktober 1382 zu Johann und zu Beneš nach Prag und nach Pürglitz/Křivoklát (CDLS III, wie Anm. 21, S. 89 f. Zeile 52), einen Monat später reiste er zunächst zum Hofmeister nach Leobschütz/Głubczyce und danach versus Pragam ad dominum nostrum (ebd., S. 93 – hier steht auch ein Bericht von seiner weiteren Reise zum Herzog nach Prag im Dezember). Einige weitere Aufzeichnungen in den Rechnungen führen zwar bloß Johann an, aber im Februar 1383 haben die Görlitzer Stadträte erneut Kontakt zu Beneš von Dubá aufgenommen (ebd., S. 95), mit dem sie dann wiederholt selbständig kommunizierten (ebd., S. 96). 211 Beispielsweise ebd., S. 97, 98. 207
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dern, helfen sollte212. Ebenso wie in weiteren Urkunden des Herzogs tritt in dem genannten Dokument der Prager und Olmützer Kanoniker Wolfram von Škvorec als Schreiber auf, der – angesichts seiner späteren Karriere – das bekannteste Mitglied der Kanzlei Johanns von Görlitz ist. Wolfram stammte aus einer Prager Bürgerfamilie213. Nach dem Studium an der Prager Universität bildete er sich in Bologna weiter und nach seiner Rückkehr ins Königreich Böhmen im Jahre 1379 bekam er die oben erwähnten ertragreichen Pfründen im Prager und Olmützer Domkapitel214. Es war aber nicht nur die hervorragende Bildung, die dazu beitrug, dass Wolfram von Škvorec einen Posten in der herzoglichen Kanzlei bekam. Im Hintergrund können wir die Fürsprache seines mächtigen Onkels Johannes von Jenstein erahnen, der nach Johann Očko von Vlašim dritter Prager Erzbischof wurde. Es kann vorausgesetzt werden, dass er bereits erste Kontakte mit dem jüngsten Sohn Karls IV. knüpfte, als der junge Johann nach Görlitz zog – in jener Zeit war nämlich Johann von Jenstein Bischof von Meißen (1375–1379). Die Tatsache, dass er den schriftlichen Kontakt mit dem jungen Herzog auch dann aufrechterhielt, als er an die Spitze der Prager Erzdiözese trat, bestätigt ein Briefkonzept, das wir in Jensteins Formelbuch finden. Es enthält zwar keine Datierung, ist aber unter die Schriftstücke vom Anfang der 1380er Jahre aufgenommen worden215. Wolfram von Škvorec ist in den ersten Jahren der Görlitzer Herzogskanzlei ihr einziger belegter Beamter. Da sich Johann von Görlitz zu jener Zeit vor allem am Hofe seines Bruders aufhielt, kam Wolfram erst Anfang des Jahres 1386 nach Görlitz, als er den Herzog bei dessen Rückkehr aus Brandenburg begleitete. Bis dahin erwähnen die Görlitzer Rechnungen weder seinen Posten noch seine Anwesenheit in der Stadt. Im Die Anweisung ist nicht datiert, stammt aber aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Jahr 1383, vgl. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 3. 213 Vgl. vor allem Jaroslav Mezník, Praha před husitskou revolucí, Praha 1990, S. 17–22, und passim. 214 Größere Aufmerksamkeit wurde ihm bislang nur von Václav Bartůněk gewidmet; zu seiner Bildung und zu seiner Tätigkeit in der Kanzlei Johanns von Görlitz vgl. Václav Bartůněk, Olbram ze Škvorce, synovec Jenštejnův, in: Duchovní pastýř 11 (1961) S. 5 f.; kurz auch Zdeňka Hledíková, Olbram von Skvorec († 1402). 1396–1402 Erzbischof von Prag, in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448. Ein biographisches Lexikon, hg. von Erwin Gatz, Berlin 2001, S. 592–593. 215 Beiträge zur Geschichte der hussitischen Bewegung I. Der Codex epistolaris des Erzbischofs von Prag Johann von Jenzenstein, ed. Johann Loserth, in: Archiv für österreichische Geschichte 55 (1877), S. 265–400, hier S. 335, Nr. 31. 212
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s elben Jahr reiste er in Begleitung des sechzehnjährigen Johann zusammen mit bedeutenden Beamten seines Hofes (dem Hofmeister Beneš von Dubá, dem Marschall Anselm von Ronov und dem Kämmerer Ješek von Budweis) nach Luxemburg, da Wenzel IV. dort seinen jüngeren Bruder zum Statthalter ernannt hatte216. Auch in den weiteren Jahren wurde Johann häufig von Wolfram von Škvorec begleitet – sowohl bei seinen Aufenthalten im Königreich Böhmen als auch im Herzogtum Görlitz oder anderswo. Die Tatsache, dass Wolfram zu den vorrangigen Personen an Johanns Hof gehörte und dass man durch seine Vermittlung Fürsprache beim Landesherrn erreichen konnte, wurde von den Görlitzer Stadträten gebührend geschätzt. Sie versäumten es nicht, ihm entsprechend Ehre zu erweisen, wenn er in ihre Stadt kam, wie zum Beispiel im Jahre 1388, als er gemeinsam mit dem Schreiber Konrad Grunberg, einem weiteren belegten Kanzleibeamten217, den Herzog begleitete, oder mehrmals im Jahre 1390218. Neben dem üblichen Bier bzw. Wein ließen die Ratsherren beispielsweise im Frühjahr 1391, als Kanzler Wolfram zusammen mit Johann von Görlitz nach Wilsnack reiste, auch Hechte und Biberschwänze kaufen; zudem erhielt Wolfram von ihnen auch Märzenbier (1/2 fudermerczen)219. Die Görlitzer Stadträte unterhielten Kontakte mit dem Kanzler auch dann, wenn er in Prag weilte. Bereits im April 1391 schickten sie ihm in die Hauptstadt des Königreichs Böhmen Gewürzwein220 und im September schenkte ihm der Bürgermeister zusammen mit weiteren Beauftragten 216 Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 163 f., Nr. 20 (als Zeugen der Urkunde werden ferner Otto von Bergow und Beneš der Jüngere von Dubá genannt); S. 164, Nr. 21. Detailliert auch Bobková, Zhořelecký dvůr (wie Anm. 2). 217 CDLS III (wie Anm. 21) S. 118 Zeile 10. Zu Grunberg siehe unten. 218 Ebd., S. 148, 150 (für Brennholz), 156, 161. Es ist fraglich, ob Wolfram im selben Jahr vom Herzog als Canczlere, vnss gegenwertige diener nach Schweidnitz geschickt worden ist mit dem Auftrag, dort Dokumente aus Rom auszulösen, an denen besonders Johanns Frau interessiert war. Die Görlitzer sollten ihm Begleitung und vor allem Geldmittel zur Verfügung stellen, Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 195, Nr. 56. Die Abschrift des Befehls enthält nur das Tagesdatum. Es würde zeitlich entsprechen, dass sich Ende des Jahres 1390 zunächst der Görlitzer Stadtschreiber aufmachte, der sich zuvor in Prag aufhielt, und zwar nach Schweidnitz zur Herzogin Agnes, dem dortigen Hauptmann Beneš von Choustník und zum Stadtrat; danach brach noch ein Sonderbote auf (CDLS III, wie Anm. 21, S. 173 f. Zeile 29). Die Betonung des Interesses der Frau Johanns von Görlitz an der Auslösung der päpstlichen Schriftstücke könnte im Zusammenhang mit der Geburt der Tochter Elisabeth gestanden haben. 219 CDLS III (wie Anm. 21) S. 180. Märzenbier verlangte der Kanzler explizit auch im März 1395; ebd., S. 246. 220 Ebd., S. 182.
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16 Ellen blauen Tuchs für seinen Wagen. Einen Monat später übergab ein Bote Wolfram noch einmal dieselbe Menge Tuchs221. Hinzu kommt die Bewirtung, als Johann und sein Hof im November jenes Jahres auf seiner Reise in die Niederlausitz nach Görlitz kamen, und dies geschah auch bei der Rückreise222. Am Ende des Jahres reisten schließlich der Görlitzer Stadtschreiber und der Marschall Anselm von Ronov nach Prag und nach Bettlern/Žebrák. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt erwirkten sie am 24. Dezember 1391 eine Urkunde, in der sich der Herzog verpflichtete, seine Schulden bei der Stadt in Höhe von 2.100 Schock Groschen zu begleichen223. Der Kanzler erhielt für das Ausstellen des Dokuments 40 Schilling, der Schreiber Konrad ein Viertel dieses Betrags224. In den Rechnungen finden wir auch noch später vereinzelt Zahlungen an den Kanzler für einige weitere Privilegien, die im Interesse von Görlitz ausgestellt wurden225. Die Görlitzer stabilisierten auch in den folgenden Jahren die guten Beziehungen zum Kanzler. So überreichten beispielsweise der Bürgermeister und der Stadtschreiber 1393 in Prag ein Fass Bier, damit er uns desto gene diger were226. Die festgehaltenen Ausgaben sind für uns unter anderem als Beleg dafür von Bedeutung, dass Wolfram von Škvorec zu den ständigen Mitgliedern von Johanns Hof gehörte – er reiste beispielsweise mit ihm im Sommer 1392 in die Neumark227, Ende des folgenden Jahres nach Ungarn228, im April 1394 nach Luckau usw.229 Den ständigen Aufenthalt des Kanzlers in der Nähe des Herzogs bestätigen auch die Kanzleivermerke auf den Urkunden, in denen sein Name angeführt wird; dem entspricht auch das Ergebnis der paläographischen Analyse der überlieferten Originale230.
Ebd., S. 192. Ebd., S. 196 f. Ähnlich wurde ihm erneut im Jahre 1393 Stoff geschenkt. 223 Urkunden zur Geschichte des Herzogs Johann von Görlitz (wie Anm. 206) S. 417 f.; Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 179 f., Nr. 39; Katalog (wie Anm. 5) Nr. 51. 224 CDLS III (wie Anm. 21) S. 199 Zeile 2. 225 Ebd., S. 136, 176, 226 (es wurde wiederum das erwähnte Verhältnis der Entlohnungen eingehalten – der Kanzler erhielt 4 Schilling, Konrad 1 Schilling), 240. 226 Ebd., S. 236. 227 Ebd., S. 210, 214. 228 Ebd., S. 226; Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 183, Nr. 43. Neben der Zahlung für die Urkunden erhielt Wolfram 20 Ellen schwarzen Stoffes für einen Wagen. 229 CDLS III (wie Anm. 21) S. 240, Anm. 1; Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 185 f., Nr. 46. 230 Vgl. beispielsweise den Editionsanhang bei Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) passim. 221 222
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Für Wolfram war die aktive Zeit am Hof des Görlitzer Herzogs auch in seiner weiteren Karriere hilfreich, obwohl wir dabei nicht seine Familienbeziehungen zum Prager Erzbischof vergessen sollten, von denen sie sicherlich auch geprägt war. Bereits 1389 wird der Kanzler zugleich als Propst von St. Apollinaris in Prag betitelt231. Nachdem Wolframs Onkel Johann von Jenstein resigniert hatte, wurde Wolfram am 31. Januar 1396 vom Papst zum neuen Prager Erzbischof ernannt. Zugleich gab Wolfram natürlich all seine obengenannten Pfründen auf232 und war nicht mehr in der Kanzlei Johanns von Görlitz tätig. Bis November 1388 war Wolfram von Škvorec der einzige Beamte, der in Johanns Urkunden erschien233. Erst danach, wahrscheinlich als die Anzahl der ausgestellten Schriftstücke im Zusammenhang mit dem längeren Aufenthalt des Herzogs in Görlitz und auf seinem Weg nach Brandenburg stieg, ist die Beteiligung von Konrad Grunberg (oder vielleicht Grünberg) an der Ausstellung der Dokumente belegt234. Zunächst wird er als Notar (notarius) bezeichnet, nach 1391 als Protonotar oder obirster schriber235. Archiv Pražského hradu, Archiv pražské metropolitní kapituly, Sign. 452–XVII/28; Libri erectionum archidiocesis Pragensis IV: (1390–1397), ed. Clemens Borový, Pragae 1883, S. 370, Nr. 516; Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 171–173, Nr. 30. Laut Theodor Schelz, Drei Urkunden zur Geschichte des Herzog Johann von Görlitz im Archive der Stadt Sommerfeld, in: Neues Lausitzisches Magazin 21 (1844) S. 57 f., soll Wolfram noch einen Monat später die Titulatur „Prager und Olmützer Kanoniker“ verwendet haben. Als Propst von St. Apollinaris wird Wolfram ferner bezeichnet in: Libri erectionum IV, S. 412 f., Nr. 575; Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 192 f, Nr. 53. 232 Es ist interessant, dass auch Wenzel von Jenstein Propst von St. Apollinaris wurde, Soudní akta konsistoře pražské III: 1392–1393, 1396–1398, ed. Ferdinand Tadra, Pragae 1896, S. 215. 233 Siehe Katalog (wie Anm. 5). Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 164, Nr. 20 führt zwar als Registrator einer von Johanns Urkunden vom Sommer 1386, als der Herzog mit seinem Hof in Westeuropa weilte, Racko von Votice an (Ratzko de Ottitz), aber auf der Abschrift des Dokuments, auf die Gelbe verweist, ist dieser nicht angeführt (Ratsarchiv Görlitz, Urkunden, Sign. 129/92; Katalog [wie Anm. 5] Nr. 12). 234 Er wird explizit auf der Urkunde vom 2. Februar 1389 angeführt, Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 170 f., Nr. 29. Vgl. auch CDLS III (wie Anm. 21) S. 157, Anm. 6 und 7 (zum Mai 1390). Die Görlitzer Stadtherren verpflichteten Konrad, so wie sie es mit dem Kanzler taten, nach und nach durch verschiedene Aufmerksamkeiten, obwohl dies wohl nicht so häufig wie bei Wolfram von Škvorec passierte (oder Konrad wurde nicht namentlich genannt, sondern die entsprechenden Kosten wurden unter die Ehrung von familie tocius curie aufgenommen). Vgl. ebd., S. 118 (26 Ellen Görlitzer Tuch), 248 (im Mai 1395 bezahlten die Görlitzer erst in seinem Interesse einen Boten nach Soldin; beim Aufenthalt des Schreibers in ihrer Stadt bewirteten sie ihn mit Wein und Bier und bezahlten zudem für dessen Begleitung nach Priebus), 251. Zu seinen Beziehungen zu Görlitz weiter unten. 235 Beispielsweise CDLS III (wie Anm. 21) S. 182 Zeile 1–5, S. 199 Zeile 1. 231
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Über Konrads Herkunft stehen uns nur sehr wenige Informationen zur Verfügung. Sicher ist nur, dass es sich um einen Geistlichen handelte. In der Zeit seiner Tätigkeit in Johanns Kanzlei wurde er vom Herzog als Kanoniker in Soldin/Myślibórz, einer bedeutenden Stadt in der brandenburgischen Neumark, präsentiert236. Johanns Fürsprache hatte höchstwahrscheinlich auch Einfluss darauf, dass Grunberg zum Altaristen in der Prager Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn ernannt wurde237. Als dann Johann von Görlitz 1394 beim Papst zugunsten Konrads, der als Sekretär bezeichnet wurde, für eine Anwartschaft auf ein Meißener Kanonikat plädierte, wird bereits seine Anwartschaft auf eine Pfründe an St. Viktor vor Mainz erwähnt238. Das letztgenannte Benefizium hat er mit größter Wahrscheinlichkeit erhalten, denn vier Jahre später wird Grunberg als Kleriker der Erzdiözese Mainz angeführt. Damals betraute auch die päpstliche Kurie Konrad erneut mit der Verwaltung der Altäre in der St.-Peter-undPaul-Kirche auf der Prager Hochburg/Vyšehrad und bestätigte sein Kanonikat in Soldin/Myślibórz, das ihm Herzog Johann verschafft hatte239. Über die Arbeitsorganisation in der Kanzlei des Herzogs haben wir nur wenige Informationen. Den Ausstellervermerken auf den Urkunden zufolge scheint es, dass an der Ausfertigung vor allem Wolfram von Škvorec und später auch der Schreiber Konrad beteiligt waren (zumeist Vermerke auf Dokumenten, deren Schreiber er zugleich war)240. Wenn es sich um ein Privileg handelte, an dessen Ausstellung die Stadträte von Görlitz interessiert waren, erhielt er von ihnen für seine Arbeit Geld. Daneben griffen die Ratsherren relativ häufig auf seine Dienste beim Verfassen von Missiven zurück241. Aus den Rechnungen der Stadt geht hervor, dass der Notar Die Präsentierung durch Johann wird explizit bei dem Streit aus dem Jahre 1398 erwähnt, MVB V/1 (wie Anm. 22) S. 697 f., Nr. 1283. Die Tatsache, dass ihm eine Pfründe im Kapitel in Soldin/Myślibórz erteilt werden sollte, wird bereits vier Jahre zuvor in einer Supplik des Herzogs angeführt, ebd., S. 456 f., Nr. 832; vgl. ebenfalls Rymar, Kolegiata (wie Anm. 130) S. 36 (er bezieht jedoch auch die Angaben, die Friedrich von Donin betreffen, ungenau auf Konrad). 237 Soudní akta III (wie Anm. 232) S. 133 f., Nr. 115. 238 MVB V/1 (wie Anm. 22) S. 456, Nr. 832. 239 Ebd., S. 697 f., Nr. 1283. 240 Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 170 f., Nr. 29; Urkunden zur Geschichte des Herzogs Johann von Görlitz (wie Anm. 206) S. 416; Katalog (wie Anm. 5) Nr. 46. 241 CDLS III (wie Anm. 21) S. 182 Zeile 5 (Konrad erhielt 8 Groschen: um mancher hande sendebryffe 8 gr.), S. 130 Zeile 4, S. 136 Zeile 6, S. 150 Zeile 6 (die Missiven sind nicht direkt angegeben, aber aus dem Kontext geht hervor, dass es sich um sie handelt), S. 171 Zeile 27, S. 176 Zeile 11. Zu den Gebühren für Privilegien siehe oben und ebd., S. 130, 157 (gezahlt wurde ebenfalls scolari suo [also Konrads] 4 gr. pro cera), 199. 236
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Grunberg für die Registerführung sorgte. Die Rechnungen sind somit der einzige explizite Beleg für die Existenz eines Registerbuchs in der Kanzlei des Herzogs242, dessen Führung aber auch die Registervermerke auf der Dorsualseite von Johanns Urkunden bestätigen. Dabei ist auf der Urkunde vom Februar 1388 gerade Konrad als Registrator angeführt243. Im Zusammenhang mit der oben erwähnten Veränderung von Konrads Titulatur nach 1391 zum Obersten Schreiber darf angenommen werden, dass sich allmählich an der Erledigung des Beurkundungsgeschäfts ein weiterer Beamter beteiligte. Sein Name wird jedoch in den Quellen nicht genannt, nur zum Jahr 1393 wird ein gewisser Matthias, Schreiber der Kammer des Herzogs von Görlitz, erwähnt244. Vielleicht handelt es sich um dieselbe Person, die in den Görlitzer Rechnungen zwei Jahre zuvor als Kaplan des Kanzlers Wolfram245 und im Jahre 1395 als Johanns Kaplan erwähnt wird246. Gerade diese Geistlichen – aus dem Umkreis des künftigen Prager Erzbischofs (neben dem erwähnten Matthias ist zum Jahr 1393 noch Kaplan Moritz belegt)247 oder direkt am Hof von Herzog Johann (bekannt von ihnen ist Peter, genannt der Preuße, und Friedrich von Donin, der aus einer bedeutenden Adelsfamilie stammte)248, oder auch weitere Personen (beispielsweise der Bischof von Lebus) – haben sich vielleicht bei Bedarf an der Tätigkeit der Kanzlei beteiligen können. Dies belegt deutlich das Beispiel von Wenzel Knoblauch (auch Knobloch, Cnobloach), Propst in Meißen (ab 1379)249 und Kanoniker zu St. Veit in Prag (1382–1422), der in jener 242 Ebd., S. 182 (Gebühr für die Eintragung in unsirs hern register). Die Stadt bezahlte ihn ferner für die Ausfertigung von Briefen (siehe vorherige Anmerkung). 243 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 17. Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 167 f., Nr. 25. Er wird erneut als Registrator angeführt, beispielsweise ebd., S. 170 f., Nr. 29; S. 174 f., Nr. 32. 244 Soudní akta III (wie Anm. 232) S. 135, Nr. 117. 245 CDLS III (wie Anm. 21) S. 182 Zeile 27. Ein gewisser Matthias wird als Wolframs Kaplan auch im Mai 1393 erwähnt, ein weiterer war Moritz/Mořic (Mařík); Soudní akta III (wie Anm. 232) S. 133 f., Nr. 115. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um Mauricius Petri de Sowinka, einen Kleriker der Prager Erzdiözese, für den Herzog Johann 1394 Fürsprache einlegte und der in den Jahren 1394 bis 1395 Priester in Hrádek bei Altbunzlau/Stará Boleslav war, wobei er gerade durch Wolfram von Škvorec präsentiert wurde; Libri quinti confirmationum ad beneficia ecclesiastica per archidioecesin Pragensem, ed. Franciscus Antonius Tingl, Pragae 1865, S. 192, 216. 246 CDLS III (wie Anm. 21) S. 243 Zeile 28–29: her Mathis unsirs hern kapelan nahm 1395 an der Tagung des Sechsstädtebunds teil. 247 Soudní akta III (wie Anm. 232) S. 134, Nr. 115. 248 Der Kaplan Peter, genannt der Preuße, ist zum Jahr 1393 belegt (ebd., S. 149, Nr. 179), ein Jahr später Friedrich von Donin (MVB V/1, wie Anm. 22, S. 456, Nr. 832). 249 Antonín Podlaha, Series praepositorum, decanorum, archidiaconorum aliorumque praelatorum et canonicorum S. metropolitanae ecclesiae Pragensis a primordiis usque ad
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Zeit (ab 1392) Schatzmeister des Prager Erzbischofs war, der im März 1393 ebenso wie Johannes von Pomuk aufgrund eines Befehls von König Wenzel IV. im Zusammenhang mit einem heftigen Streit zwischen dem Herrscher und dem Erzbischof Johann von Jenstein gefangen genommen wurde. Wenzel Knoblauch erscheint als Schreiber einiger Schriftstücke Johanns, die im Oktober 1394 in Luckau ausgestellt wurden250. Knapp ein Jahr später hielt er sich in Görlitz auf, wo auch der Herzog sowie der Meißener Bischof Johann von Kittlitz weilten251. Schließlich war er auch Schreiber der letzten bekannten Urkunde Johanns von Anfang März 1396252. Ansonsten hielt er sich aber vor allem in Prag auf, wo er wiederholt belegt ist, unter anderem bei verschiedenen Gerichtsprozessen am erzbischöflichen Hof253. Die Tätigkeit von weiteren Schreibern, deren Namen anonym bleiben, bestätigt auch die paläographische Analyse der überlieferten Schriftstücke. Zudem zeugen hiervon Schwankungen in der formellen Gestaltung der Dokumente, unter anderem das Fehlen von Kanzleivermerken bei einigen Urkunden254. Die Einbindung von mehreren Personen in die Kanzleiarbeit ist auch bei Johanns Reise in die Neumark an der Jahreswende 1388/1389 offensichtlich. Auf einem der Dokumente ist im Registervermerk ein gewisser M. de W. angeführt, der vielleicht mit dem Kleriker der Diözese Meißen Martin Pauli de Weissenburg identisch ist, für den Johann von Görlitz im Jahre 1394 beim Papst plädierte255. Weiteres Kanzleipersonal erscheint nur einmalig in den überlieferten Urkunden Johanns. Im Jahre 1394 ist im Konzeptteil des Vermerks ein gewisser Simon belegt, von dem wir aber ansonsten nichts Näheres wissen256. Ein Jahr später war ein Schreiber Johannes als Registrator der Kanzlei Johanns von Görlitz tätig257. Die Dokumente, die Johann von Görlitz ab 1394 als Reichsrichter ausstellte, wurden vom Schreiber des Reichshofgerichts Johannes Kirchen praesentia tempora 1, Praha 1912, S. 54, Nr. 427. Zu seinem weiteren Schicksal detailliert Hana Pátková, Středověká bratrstva v katedrále sv. Víta v Praze, in: Sborník archivních prací 47 (1997), S. 3–73, hier S. 18 f. 250 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 81–84. 251 CDLS III (wie Anm. 21) S. 256. 252 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 104. 253 Soudní akta III (wie Anm. 232) anhand des Registers. 254 Siehe oben. 255 Vgl. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 30. Für die Supplik vgl. MVB V/1 (wie Anm. 22) S. 457, Nr. 832, und für ihre Analyse vgl. Bobková, Jan Zhořelecký, in: Bobková/Velička, Jan Zhořelecký (wie Anm. 2) S. 86–87. 256 Katalog (wie Anm. 5) Nr. 77. 257 Auf der Urkunde, die von Wolfram von Škvorec am 7. Oktober 1395 in Prag ausgestellt wurde, steht der Vermerk R. Johannes; vgl. Katalog (wie Anm. 5) Nr. 101.
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(oder von Kirchen) geschrieben, der dieses Amt bereits früher innehatte258 und auch nach dem Tod des Herzogs von Görlitz im Amt blieb259. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass er sich auch während der längeren Aufenthalte Johanns im Königreich Böhmen an der Ausstellung einiger Urkunden beteiligt hat, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem Reichshofgericht standen. Obwohl unsere Kenntnisse der herzoglichen Kanzlei nicht umfangreich sind und wir nur einige wenige Mitarbeiter mit Namen kennen, weisen die analysierten Quellen auf enge Kontakte zum Königreich Böhmen hin. Die Stadtrechnungen von Görlitz decken zudem auch die Kommunikationsstrategien auf, die die dortigen Ratsherren im Kontakt mit dem Landesherrn, der häufig außerhalb ihrer Stadt und außerhalb ihres Landes weilte, nutzten. Man kann daraus auch viele Details zum Alltag der Kanzlei herauslesen, sei es nun das Itinerar der hochrangigen Beamten oder ihre Belohnungen in Geld oder in Naturalien.
III. Resümee Die Kanzlei Johanns von Görlitz gehört zu den relativ kleinen landesherrlichen Kanzleien im Heiligen Römischen Reich bzw. in den Ländern der böhmischen Krone. Der geringe Umfang und die beschränkte Produktion führen dazu, eher über eine Gruppe von Personen an Johanns Hof, die neben weiteren Aufgaben auch für das Niederschreiben von Rechtsgeschäften des Herzogs Johann sorgten, sprechen zu wollen, als über eine entwickelte Verwaltung vom Typus der Kanzlei des römischen Königs. Die eigentliche Schreibertätigkeit wurde besonders von der Aktivität ihres führenden Vertreters, Wolfram von Škvorec, überragt, wovon vor allem die Stadtrechnungen von Görlitz Zeugnis ablegen.
Gelbe, Herzog (wie Anm. 2) S. 193 f., Nr. 54. Friedrich Battenberg, Gerichtsschreiberamt und Kanzlei am Reichshofgericht 1235– 1451 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 2), Köln/ Wien 1974, S. 241. Vgl. auch Theodor Lindner, Das Urkundenwesen Karls IV. und seiner Nachfolger (1346–1437), Stuttgart 1882, S. 35; Erich Forstreiter, Die deutsche Reichskanzlei und deren Nebenkanzleien unter Kaiser Sigismund von Luxemburg. Das Kanzleipersonal und dessen Organisation. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Reichskanzlei im späten Mittelalter, Diss. Mschr. Wien 1924, S. 25–28, 106–112; Bindewald, Die Sprache (wie Anm. 128) S. 13. Vgl. auch Urkundenregesten XIII (wie Anm. 195) anhand des Registers. 258 259
Die Urkunden und die Kanzlei des Herzogs Johann von Görlitz
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Die überlieferten Schriftstücke erlauben es, von einem Jahresdurchschnitt an ausgestellten Schriftstücken zwischen acht und neun Stück zu sprechen. Das ist deutlich weniger als beispielsweise die Anzahl in der Kanzlei der wettinischen Markgrafen von Meißen in jener Zeit, wo der Jahresdurchschnitt (in den Jahren 1381–1396) bei ungefähr 67 Schrift stücken lag260, oder in der Kanzlei der österreichischen Habsburger, wo im Zeitraum 1365–1406 ungefähr 75–85 Dokumente jährlich entstanden261. Auf einem ähnlichen Niveau bewegte sich auch die Aktivität der Kanzlei der rheinischen Pfalzgrafen262. Eine größere Produktion weist aber beispielsweise auch die Kanzlei des schlesischen Herzogs Ludwig I. von Brieg († 1398) aus, wo wir in einigen Abschnitten seiner Herrschaft mit bis zu 40 Schriftstücken jährlich rechnen263. Im Zusammenhang mit diesen Vergleichen muss jedoch noch auf einen wichtigen Umstand hingewiesen werden: Es handelt sich vorwiegend um Kanzleien, aus denen zugleich Register überliefert sind, was die Überlieferungschance deutlich erhöht, da man ansonsten nur auf die Archivpflege beim Empfänger angewiesen ist. Das Funktionieren der Kanzlei Johanns von Görlitz ist der des mährischen Markgrafen Jost von Mähren ähnlich, in der man von einem Jahresaufkommen von ca. 17 Stücken ausgeht264. Andererseits haben aber beispielsweise die Kanzleien der Herzöge von Troppau/Opava oder Teschen/ Těšín/Cieszyn nur knapp ein Schriftstück pro Jahr ausgestellt265. Es sei wiederum betont, dass es sich hier um ein Bild handelt, das überlieferungsbedingt verzerrt und zudem deutlich durch den territorialen Umfang der politischen Einheit geprägt ist. Das Ausmaß der Deperdita kann ohne detaillierte Untersuchung nicht seriös eingeschätzt werden266, ob Blaschke, Kanzleiwesen (wie Anm. 11) S. 293. Lackner, Hof (wie Anm. 11) S. 14. 262 Christoph von Brandenstein, Urkundenwesen und Kanzlei, Rat und Regierungs system des Pfälzer Kurfürsten Ludwigs III. (1410–1436) (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 71), Göttingen 1983, S. 17. 263 Robert Rössler, Urkunden Herzog Ludwigs I. von Brieg, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 6 (1864), S. 1–96; 11 (1872), S. 429–462, 264 Baletka, Dvůr (wie Anm. 12) S. 363 265 Pietrzyk, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 14; Trelińska, Kancelaria (wie Anm. 13) S. 78. 266 Vgl. Eberhard Holtz, Überlieferungs- und Verlustquoten spätmittelterlicher Herrscherurkunden, in: Turbata per aequora mundi. Dankesgabe an Eckhart Müller-Mertens, hg. von Olaf B. Rader/Mathias Lawo (MGH Studien und Texte 29), Hannover 2001, S. 67–80, hier S. 73. Eberhard Holtz untersuchte die Produktion der Kanzlei Karls IV. im Lichte des überlieferten Bruchteils der Register seiner Kanzlei aus den Jahren 1360/61. Durch einen Vergleich mit der Überlieferung auf Seiten der Empfänger, auf die wir ansons ten im Falle der Absenz von Registern ausschließlich angewiesen wären, kam er zu dem 260 261
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gleich gerade die Stadtrechnungen von Görlitz hierfür eine solide Quellenbasis bieten. Dass in Johanns Kanzlei Register geführt wurden, ist nachweisbar. Die Frage ist aber, inwiefern sie verwendet wurden. Ein ähnliches Problem wurde auch in der Kanzlei des mährischen Markgrafen Jost festgestellt, wo die geringe Stabilität des Urkundenformulars eher von einer beschränkten Verwendung der Register zeugt. Ähnliches gilt auch für Johann von Görlitz. Wahrscheinlich reisten die mit der Beurkundung betrauten Personen nicht überall mit Johanns Hof mit; eine Reihe von Schriftstücken – besonders jene, die in Brandenburg und der Niederlausitz entstanden sind – weisen kleine oder auch größere Unregelmäßigkeiten auf. Manchmal griff Johann von Görlitz auch auf ad hoc angeheuerte Schreibern zurück oder auf Personen, die mit dem Urkundenempfänger in Verbindung standen. Auf diese Art und Weise gingen aber in jener Zeit außerhalb ihrer Hauptresidenz auch die Wettiner vor267. Die schriftlichen Produkte von Johanns Kanzlei können ihre enge Bindung an das böhmische Milieu nicht leugnen. In diese Richtung weisen, wie bereits oben angedeutet, nicht nur die Form der Kanzleivermerke, sondern auch einige kleinere Wendungen im Urkundenformular. Obwohl sich an Johanns Hof Personen aus Böhmen, der Ober- und Niederlausitz und aus Schlesien befanden, stammte das Personal, das mit dem Konzipieren und Schreiben der herzoglichen Dokumente befasst war, zumeist aus Böhmen. Es ist aber verständlich, dass die Kanzleiordnungen vom böhmischen Vorbild ausgingen, wobei das von Johann beherrschte Territorium sehr disparat war und die einzelnen Regionen nie zuvor einen eigenen Landesherrn hatten, was besonders für das Görlitzer Land gilt. Johann von Görlitz war nur ein kurzes Leben gegönnt. Sein Hof samt Kanzleibeamten hat knapp 14 Jahre lang existiert (ab der Volljährigkeit Schluss, dass aus den übrigen Herrschaftsjahren Karls, für die keine Register zur Verfügung stehen, bloß ungefähr ein Drittel der ursprünglich ausgestellten Schriftstücke überliefert ist. Interessant sind auch die unterschiedlichen Proportionen bei den einzelnen Empfängergruppen, wobei die größten Überlieferungschancen jene Schriftstücke hatten, die an Städte oder an kirchliche Institutionen gerichtet waren. Am schlechtesten sieht es bei jenen Urkunden aus, die für Privatpersonen nichtadeliger Herkunft bestimmt waren, aber auch jene Dokumente, die an höhere weltliche Repräsentanten des Reichs adressiert waren, schneiden nicht viel besser ab. Wenn wir diese Überlieferungsproportionen in groben Zügen auch für die Kanzlei Johanns von Görlitz annehmen (obwohl es sich hier um einen rein hypothetischen Vergleich handelt), steigt die durchschnittliche Anzahl der ursprünglich ausgestellten Urkunden auf ungefähr 25 Stück pro Jahr. 267 Blaschke, Kanzleiwesen (wie Anm. 11) S. 296.
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Johanns). In jener Zeit hinterließ er mit den Urkunden Zeugnisse, die als wichtigste Quelle zur Rekonstruktion seines Lebensschicksals dienen. In seiner Kanzlei vermischten sich traditionelle und moderne Elemente, wie auch in den benachbarten Territorien, was wir in dieser Studie aufzuzeigen versuchten.
Abstract The presented paper is concerned with the documents and office of John of Görlitz (1370–1396), the youngest son of Emperor Charles IV, to whom his father designated a rather strange territory in the northern part of the Lands of the Bohemian Crown (the eastern part of Upper Lusatia – i.e. the newly established Duchy of Görlitz, the eastern part of Lower Lusatia and the most northerly part of Brandenburg – the so-called New Mark), in which he ruled as a liegeman of the King of Bohemia, Wenceslas IV. John‘s office was constituted after the year 1382. In total, we have m anaged to trace 106 documents issued by John, which are now scattered in various archives of Central Europe. This paper focusses on the typology of the documents issued by him, the external and internal features of the documents (the form template, the language) and of documents that emerged outside his office. Both seals that he used during his life as well as a false document are processed in detail. In the second part of the paper, we are concerned with the composition of his office, which was headed by Olbram of Škvorec, the future archbishop of Prague. John‘s office was a relatively small office with regards to its documental production as well as the number of staff. In its operation, we can clearly see the influence of the chancery of the kings of Bohemia (in particular the form templates and the arrangement of the office notes). Its practice was also affected by certain modern elements of the late medieval office (management of the registers).
Abbildungsnachweise Abb. 1: Johanns Altarstiftung im Prager Veitsdom, 25 III 1389 (APH, AMK, sign. 452-XVII/28) Abb. 2: Mandat-Konzeptvermerk, 2 II 1389 (RA Görlitz, Urkunden, sign. 135) Abb. 3: Registrationsvermerk, 2 II 1389 (RA Görlitz, Urkunden, sign. 135)
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Abb. 4: Johanns Verpfändung von Hermenstorp (Neumark), 5 XI 1393 (DOZA Wien, Urkunden, sign. 2583) Abb. 5: Einzige tschechische Urkunde Johanns von Görlitz, 1 VIII 1395 (SOA Třeboň, Historica, sign. 62) Abb. 6: Abdruck des ersten Siegeltypars Johanns von Görlitz, 28 V 1374 (GStPK Berlin-Dahlem, VII. HA, Mark als Reichsstand, Nr. 28) Abb. 7: Abdruck des zweiten Siegeltypars Johanns von Görlitz, 20 V 1390 (RA Görlitz, Urkunden, sign. 140/100)
Die Fürstenerhebung Graf Hessos zu Leiningen 1452 Ein Graf zwischen König und Kurfürst1 von STEFAN G. HOLZ
Rang war in der mittelalterlichen Gesellschaft zugleich ein integrierender wie auch distinguierender Faktor2. Man konnte nur dann zu einer Gruppe gehören, wenn einem der gleiche Rang zugesprochen wurde oder der eigene Ranganspruch auf Akzeptanz stieß. In gleicher Weise grenzten sich soziale Gruppen oder Individuen von all jenen ab, die nicht den gleichen Rang besaßen. In einer Gesellschaft, die so stark stratifiziert und von Rangdenken durchzogen war wie die mittelalterliche, war das Streben nach Rangerhöhung handlungsleitend. Dies gilt in ganz besonderem Maße für die Gruppe der Grafen, die im Spätmittelalter versuchte, den Anschluss an die sich immer stärker absetzenden Fürsten zu halten. In diesem Zusammenhang bilden Fürstenerhebungen einen der wichtigsten Themenkomplexe der spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte3. Die Folgende Archiv- und Bibliotheksiglen werden verwendet: FLA = Fürstlich Leiningisches Archiv, GHA = Geheimes Hausarchiv, GLA = Generallandesarchiv, HHStA = Haus-, Hof- und Staatsarchiv, HStA = Hauptstaatsarchiv, OeStA = Österreichisches Staatsarchiv, StA = Staatsarchiv, UB = Universitätsbibliothek. Bedanken möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der konsultierten Archive für die Bereitstellung der Archivalien. Die Literaturangaben in den Fußnoten wurden auf ein Minimum beschränkt. Ein besonderer Dank geht an Prof. Dr. Konrad Krimm (Karlsruhe) und Dr. Thorsten Huthwelker (Heidelberg) für die kritische Lektüre des Texts. 2 Zur Definition des Ranges als handlungsleitendes Motiv der mittelalterlichen Gesellschaft vgl. beispielhaft Jörg Peltzer, Introduction, in: Princely Rank in Late Medieval Europe. Trodden Paths and Promising Avenues, hg. von Dems./Thorsten Huthwelker/ Maximilian Wemhöner (Rank. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 1), Ostfildern 2011, S. 11–26. 3 Die Fürstenerhebungen standen vor allem in den Forschungsdiskussionen um den so genannten jüngeren Reichsfürstenstand im Mittelpunkt, vgl. beispielhaft Benjamin Arnold, 1
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Erforschung ihrer jeweiligen Entstehungskontexte lässt wichtige Rückschlüsse auf die politisch-soziale Ordnung des spätmittelalterlichen Reichs sowie die Handlungsfelder von König und Hochadel zu. Ziel des Aufsatzes ist es, am Beispiel eines Mitglieds des gräflichen Hochadels und dessen Verflechtung in die Regional- wie Reichspolitik die Rolle nicht-fürstlicher Reichsglieder im politisch-sozialen Herrschafts gefüge des Heiligen Römischen Reichs am Ende des Mittelalters herauszustellen. Denn obwohl sich die Historiographie lange auf König und Fürsten fokussierte, waren es nicht allein sie, die auf das politische Geschehen des spätmittelalterlichen Reichs einwirkten. Auch die so genannten kleinen und mindermächtigen Glieder des Reichs wussten, zwischen König und Fürsten zu taktieren und im Konzert der ranghöheren Positionen des Reichs ihre Handlungsspielräume zu finden. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht eine bisher unbekannte Fürsten erhebung Graf Hessos zu Leiningen (1435–1467)4 durch Kaiser Friedrich III. Princes and Territories in Medieval Germany, Cambridge 1991, bes. S. 34–39; Julius von Ficker, Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung zunächst im XII. und XIII. Jahrhunderte 1, Innsbruck 1861, 2/1–3, hg. von Paul Puntschart, Innsbruck 1911–1923, hier bes. 1, S. 94–99; Theodor Mayer, Fürsten und Staat. Studien zur Verfassungsgeschichte des deutschen Mittelalters, Weimar 1950, S. 239–243; Steffen Schlinker, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfürstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 18), Köln 1999, bes. S. 53–194; Fritz Schönherr, Die Lehre vom Reichsfürstenstande des Mittelalters, Leipzig 1914, S. 85–124. 4 Hesso von Leiningen war als zweiter Sohn des Grafen Friedrich VIII. († 1437) und der Margarethe, Tochter Markgrafen Hessos von Baden-Hachberg († 1410), für eine geistliche Laufbahn bestimmt. Er war Kanoniker am Mainzer Domstift. Als Kanoniker immatrikulierte er sich, gemeinsam mit seinem älteren Bruder Friedrich IX., 1423 an der Universität Heidelberg, vgl. Die Matrikel der Universität Heidelberg, ed. Gustav Toepke, 1, Heidelberg 1884, S. 158: Hesmannus de Lyningen, canonicus Maguntinus. Nach der Rückkehr seines Vaters vom lothringischen Feldzug Kurfürst Ludwigs IV. übernahm Hesso zusammen mit Friedrich IX. ab 1435 die Regierung. Bis zum Beginn der 1440er Jahre beurkundeten die beiden Brüder noch gemeinsam. Spätestens nach dem Tod Friedrichs IX. (1448), vermutlich aber bereits einige Jahre zuvor, übte Hesso die Alleinherrschaft über Leiningen-Dagsburg aus. Zu Hesso von Leiningen vgl. Eduard Brinckmeier, Genealogische Geschichte des uradeligen, reichsgräflichen und reichsfürstlichen, standesherrlichen, erlauchten Hauses Leiningen und Leiningen-Westerburg 1, Braunschweig 1890, S. 142–151; Heinrich Conrad, Leiningen. Geschichte eines Grafenhauses, Grünstadt 2000, S. 225–312 (basiert weitgehend auf den Studien des 19. Jhs. Der Autor wertet darüber hinaus ein Lehnsbuch Hessos aus); Joachim Kemper, Klos terreformen im Bistum Worms im späten Mittelalter (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 115), Mainz 2006, passim (im Wesentlichen zu den Kloster reformen Hessos); Johann Georg Lehmann, Urkundliche Geschichte des gräflichen Hauses Leiningen-Hartenburg und Westerburg (Urkundliche Geschichte der Burgen und Bergschlösser in den ehemaligen Gauen, Grafschaften und Herrschaften der bayerischen Pfalz. Ein Beitrag zur gründlichen Vaterlandskunde 3), Kaiserslautern 1860, S. 91–96.
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(1440/52−1493) aus dem Jahr 1452. An ihr können nicht nur die Verflechtung des Kaisers mit dem regionalen Hochadel, sondern in ganz besonderem Maße auch die Handlungsspielräume eines Grafen auf Regional- und Reichsebene nachgezeichnet werden. Es kann überdies gezeigt werden, dass der nicht-fürstliche Hochadel in höchstem Maße von König und Fürsten abhängig war, jedoch auch, dass er in der Verfolgung eigener, individueller Interessen König und Fürsten für sich nutzbar machen konnte. Nach einer Einführung in die Historiographie der Grafen von Leiningen sowie dem Forschungsproblem der leiningischen Landgrafschaft im 14. und 15. Jahrhundert werden die Umstände der Fürstenerhebung von 1452 auf Reichs- und Regionalebene erörtert. Daran schließt sich die diplomatische Analyse der Erhebungsurkunde von 1452 an, bevor im vierten und fünften Teil die Folgen der Erhebung für Graf Hesso selbst sowie sein soziales Umfeld im Fokus stehen. Die Analyse der Wirkung der Fürstenerhebung gilt in erster Linie der Fremd- und Eigenwahrnehmung, dem Siegelwesen sowie den Verbindungen Graf Hessos zu König und Fürsten5. Abgeschlossen wird die Untersuchung mit einer Einordnung der Ergebnisse in den größeren reichsgeschichtlichen Kontext sowie einer Edition der Fürstenerhebungsurkunde.
I. Die Grafen und Landgrafen von Leiningen (14.–15. Jahrhundert) Graf Hesso zu Leiningen kam unter den Leininger Grafen des 15. Jahrhunderts erhöhte Aufmerksamkeit zu. Dies liegt in erster Linie an der guten Überlieferung – Amtsbücher, Briefe und Urkunden sind erhalten, die in Verbindung zu bringen sind mit seinem kinderlosen Tod 1467 und den daran anschließenden, bis 1508 andauernden Streitigkeiten zwischen der älteren gräflichen Linie Leiningen-Hardenburg, den neuen Grafen von Leiningen-Westerburg und den Pfalzgrafen bei Rhein um das Erbe6. Methodisch wird das Auswertungsbündel Jörg Peltzers zugrunde gelegt, vgl. Jörg Peltzer, Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert (Rank. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 2), Ostfildern 2013. 6 Zum Streit um das Erbe Hessos nach dessen Tod 1467 vgl. Henry J. Cohn, The Government of the Rhine Palatinate in the Fifteenth Century, London/Oxford 1965, S. 52 f.; Paul-Joachim Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440–1493). Hof, Regierung und Politik (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 17, 1–3), Köln/Weimar/Wien 1997, 2, S. 1228–1234; Meinrad Schaab, Geschichte der Kurpfalz 1, Stuttgart 1988, S. 181 f.; 5
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Ein zweiter Grund für das gesteigerte Interesse der modernen Historiographie an Graf Hesso lag an der Annahme einer neuen landgräflichen Titulatur. Diese neue Titulatur erfuhr in der Erforschung der Grafen seit dem 16. Jahrhundert erhöhte Aufmerksamkeit. Zuletzt brachte sie Ingo Toussaint in direkte Verbindung zur bereits Anfang des 14. Jahrhunderts erwähnten Landgrafschaft Leiningen7. Graf Hesso zu Leiningen-Dagsburg, so Toussaint, habe auf eine alte Tradition der Grafen von Leiningen zurückgegriffen, um sich im Rangstreit mit der zweiten leiningischen Linie, den Grafen von Leiningen-Hardenburg, einen innerfamiliären Rangvorteil zu verschaffen. Dafür habe er nicht nur auf einen alten, seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts nicht mehr verwendeten Titel zurückgegriffen, sondern diesen neuen Titel und seinen Vorrang von König Friedrich III. in einer Privilegierungsurkunde im Jahr 1444 bestätigen lassen. Die Ausfertigung dieser Privilegierungsurkunde ist nicht mehr erhalten, sondern lediglich Abschriften8. Was hat es mit der Landgrafschaft Leiningen des 14. Jahrhunderts und der Privilegierung von 1444 auf sich? Die Landgrafschaft Leiningen ist, neben ihrer Neuschöpfung im 15. Jahrhundert unter Hesso von Leiningen, lediglich in den Jahren 1317/18 greifbar. Die Erwähnung stammt aus einem heute nur noch in frühneuzeitlicher Abschrift vorliegenden Schiedsspruch des Jahres 1317, der im Zuge der Teilung der Grafschaft in die Linien Leiningen-Dagsburg und Leiningen-Hardenburg aufgesetzt
Karl-Heinz Spiess, Hegemonie und Repräsentation. Die Kurpfalz im späten Mittelalter, in: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?, hg. von Jörg Peltzer/Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter/Alfried Wieczorek, Regensburg 2013, S. 365–394, hier S. 384. Im Zusammenhang mit den Lehnsstreitigkeiten sind zahlreiche Lehnsurkunden sowie Lehnsbücher überliefert, die Thomas Zotz hinsichtlich der spätmittelalterlichen Grundherrschaft ausgewertet hat, vgl. Thomas Zotz, Zur Grundherrschaft der Grafen von Leiningen. Güterbesitz, bäuerliche Dienste und Marktbeziehungen im 15. Jahrhundert, in: Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hg. von Hans Patze (Vorträge und Forschungen 27, 1–2), Sigmaringen 1983, 2, S. 177–228. 7 Vgl. Ingo Toussaint, Die Grafen von Leiningen. Studien zur leinigischen Genealogie und Territorialgeschichte bis zur Teilung 1317/18, Sigmaringen 1982, S. 75–92, 202 f. Zur Landgrafschaft Leiningen vgl. außerdem Wilhelm Franck, Die Landgrafschaften des heiligen römischen Reiches. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung nach urkundlichem Material, Braunschweig 1873; Meinrad Schaab, Landgrafschaft und Grafschaft im Südwesten des deutschen Sprachgebiets, in: ZGO 132 (1984) S. 31–55; Hans Werle, Die Landgrafschaften im Speyergau, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 59 (1961) S. 71–75. 8 Die älteste kopiale Ausstellerüberlieferung findet sich in den Reichsregistern Friedrichs III., vgl. OeStA/HHStA Wien, Reichsregister, Reg. O., fol. 192v: Graf Hessen von Lynyngen freiheit. Zur kopialen Überlieferung der Empfängerseite vgl. Anm. 61.
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wurde9. Die Forschung argumentierte, dass es seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert eine allodiale Grafschaft Leiningen gegeben habe, der eine vom Reich herrührende, jedoch von der Pfalzgrafschaft bei Rhein als Afterlehen an die Grafen von Leiningen vergebene Landgrafschaft Leiningen gegenüberstand, die in Verbindung mit den drei Landgerichten der Grafschaft stünde10. Die Privilegierungsurkunde König Friedrichs III. für Graf Hesso von 1444, mehr als einhundert Jahre nach der Teilung von 1317/18, greift dieselbe auf, indem sie festhält, dass die Landgrafschaft seit alters her in den Händen der Vorfahren Graf Hessos zu Leiningen-Dagsburg lag und es daher nur einen einzigen Landgrafen von Leiningen geben könne11. Vermutlich wurden dem Kanzleischreiber Friedrichs III. die Teilungsurkunden der Jahre 1317/18 vorgelegt. Diese sollten beweisen, dass Graf Hesso aus der Dagsburger Linie die Landgrafschaft Leiningen hielt, während seine Vettern aus der Hardenburgischen Linie lediglich Grafen von Leiningen waren. Die Teilung zwischen den Grafen von Leiningen-Dagsburg und Leiningen-Hardenburg zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde von 9 Vgl. Kurtze doch gründliche Deduction und Demonstration [...], Marburg [ca. 1740], Nr. 2 S. 73 f. (1317): IN GOttes Nahmen Amen. Ich Hugo von Monnßheim, und ich Johann von Willenstein und ich Eberhart von Randeck/Ritter sprechen und bekennen ofentlich an diesem Briefe. [...] Darum sprechen wir daß das Graue Friederich die Landgraueschafft und Landgericht und daß dazu gehrt/[...] Ob nuhe jemans spreche das ander Graueschafften getheilt sein. So sprechen wir daß dagegen, daß der Graueschafft keine kein Lantgericht hat und kein Lantgericht nit in ist. Und auch je und je um dieß Lantgraueschafft und diß Lant gericht alts herkommen ist/das sie nit getheilt worden und je und je bey dem Eltesten plieben seint. 10 Diese lehnsrechtliche Verbindung zwischen Leiningen-Pfalz-Reich sollte bei der Fürs tenerhebung 1452 eine zentrale Rolle einnehmen. Vgl. zur Lehnsbindung der Grafen von Leiningen zur Kurpfalz Karl-Heinz Spiess, Lehnsrecht, Lehnspolitik und Lehnsver waltung der Pfalzgrafen bei Rhein im Spätmittelalter (Geschichtliche Landeskunde 18), Wiesbaden 1978, S. 224–226; Toussaint, Grafen (wie Anm. 7) S. 75–92. Vgl. dazu neben den Formulierungen im Schiedsspruch von 1317 sowie der Teilung von 1318 auch die Formulierungen im pfälzischen Lehnsbuch von 1401: Das älteste Lehnsbuch der Pfalzgrafen bei Rhein vom Jahr 1401. Edition und Erläuterungen, hg. von Karl-Heinz Spiess (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A, Quellen 30), Stuttgart 1981, S. 16. 11 Vgl. Spicilegium seculare des Teutschen Reichs-Archivs [...], ed. Johann Christian Lünig (Das teutsche Reichs-Archiv 22), 1, Leipzig 1719, Nr. 29 S. 395 (1444): der Wohlge bohrne Hesse, Graf zu Leiningen unser und des Reichs lieber Getre er, alß Wir unterweist seind, von dem Edelsten Stamme, der die Landgraffschafft zu Leiningen geerbet, und beses sen habent und Er dieselb Landgraffschafft noch inne hat, und besitzet, kommen und geboh ren ist, und auch ein sonder Unterscheid ist, zwischen den Landtgrauen und Grauen von Leiningen.
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Graf Hesso von Leiningen demnach gezielt dazu genutzt, sich selbst und seine Linie von seinen Vettern abzugrenzen und seinen Rang innerfamiliär zu erhöhen. Über die genauen Entstehungsumstände der Privilegierungsurkunde von 1444 kann nur wenig gesagt werden. Die Forschung brachte zur Deutung der Urkunde von 1444 in erster Linie die Hochzeit Hessos mit Elisabeth (1406–1468), Tochter Herzog Ernsts von Bayern-München (1373–1438), im Jahr 1440 in Anschlag12. Nach ihrer ersten Ehe mit Herzog Adolf von Jülich-Berg († 1437) wurde sie mit einer Mitgift in Höhe von 32.000 fl. dem Leininger Grafen vermählt13. Nicht nur in der Höhe der Mitgift, sondern auch bezogen auf den Rang der Gattin bewegte sich Hesso damit als zu diesem Zeitpunkt einziger Vertreter des gräflichen Hauses Leiningen auf fürstlichem Niveau14. Blickt man überdies auf die letzten zwei Generationen der Grafen von Leiningen und deren Konnubium zurück, wird deutlich, dass die Dagsburger Linie (Hesso) insgesamt drei Ehen mit fürstlichen Gattinnen aufzuweisen hatten, während die Hardenburger Linie nur mit einer einzigen aufwarten konnte15. Der auch in der Urkunde von 1444 betonte Rangunterschied zwischen den beiden 12 Zur Ehe vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 149 f.; KarlHeinz Spiess, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 22015, S. 61. Zur Deutung der Ehe als Hauptgrund für die Privilegierung von 1444 vgl. Franck, Landgrafschaften (wie Anm. 7) S. 144; Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 4) S. 94 (setzt die Hochzeit fälschlicherweise nach der Privilegierung von 1444 an). 13 Der Ehevertrag ist kopial überliefert im GLA Karlsruhe, 67/1911, fol. 242r–245r (1440). Die erste Ehe Elisabeths mit Herzog Adolf von Jülich-Berg († 1437) zog für Hesso in Bezug auf Geldforderungen Herzog Gerhards von Jülich-Berg († 1475) längere Verhandlungen nach sich, bei denen Erzbischof Dietrich von Köln († 1463) als Vermittler fungierte, vgl. GHA München, Korrespondenz-Akten, Nr. 588. Die Mitgift der Mutter Hessos, Margaretha Markgräfin von Hachberg, betrug 200 Mark Gold, vgl. GLA Karlsruhe, 46/1566 (1405). Für die Ehe Emichs V. mit Beatrix Markgräfin von Baden sind 8.000 fl. Mitgift auszumachen, vgl. FLA Amorbach, Urkunden (1409 Juli 2). Hessos Konnubium erfüllte somit fürstliche Ansprüche, während die übrigen Ehen der Grafen von Leiningen zwar am oberen Rand der Grafen, jedoch keineswegs bei den Fürsten zu verorten sind. 14 Vgl. Spiess, Familie (wie Anm. 12) S. 344 f. 15 Im Folgenden werden nur jene Personen aus dem Haus Leiningen-Dagsburg aufgezählt, die fürstlich heirateten: Friedrich († 1376/78) ∞ Marie de Blois, verw. Herzogin von Lothringen; Friedrich VII. († 1397) ∞ Jolantha Markgräfin von Jülich; Friedrich VIII. († um 1434) ∞ Margarethe Markgräfin von Hachberg; im Gegenzug dazu die Grafen von Leiningen-Hardenburg und ihre fürstliche Ehe: Emich VI. († 1452) ∞ Beatrix Markgräfin von Baden; Töchter der Grafen von Leiningen heirateten nachweislich nie fürstlich, vgl. Toussaint, Grafen (wie Anm. 7) S. 250 f. Karl-Heinz Spieß fand heraus, dass die Grafen von Leiningen im 15. Jahrhundert oftmals versuchten fürstlich zu heiraten, dies jedoch meistens scheiterte, vgl. Spiess, Familie (wie Anm. 12) passim.
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Leininger Grafenlinien war nicht nur ein beanspruchter, sondern ein in der sozialen Realität messbarer. Ob nun die Ehe Hessos Auslöser für die Privilegierung durch Friedrich III. war, bleibt hypothetisch. Deutlich wird jedoch, dass sich Hesso einen innerfamiliären Rangunterschied von der obersten weltlichen Autorität, dem römisch-deutschen König, rechtlich garantieren lassen wollte. In der älteren Forschung wird die Urkunde von 1444 als Fürstenerhebung charakterisiert16. Ein typisches Merkmal für Fürstenerhebungsurkunden ist die auch für Graf Hesso verwendete, auf das Reich Bezug nehmende Arenga17. Im Unterschied zu den gängigen Fürstenerhebungen weist diese Arenga jedoch nicht die typischen Metaphern auf18. In der Narratio gibt die Urkunde als Gründe für die Erhebung lediglich den Dienst am Reich an19. Alle anderen Fürstenerhebungsurkunden des Spätmittelalters nennen mehrere Gründe für die jeweilige Erhebung, wie beispielsweise die edle und hohe Abstammung, die fürstlichen Tugenden oder den bereits vor der Erhebung vorhandenen quasi-fürstlichen Rang20. Im Fall des Leininger Grafen finden sich keine dieser distinguierenden Merkmale. Hinzu tritt die sehr eigenwillige Erhebungsformulierung. Während in anderen Fällen der Kaiser bezüglich der neuen Fürstentümer die Formulierungen fecimus et facimus, creamus et creavimus21 oder erexi
Vgl. beispielhaft Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 4) S. 93. Vgl. Spicilegium 1 (wie Anm. 11) Nr. 29 S. 395 (1444): Wiewohl wir von angebohrner K niglicher Mildigkeit allzeit geneigt seynd, aller unser und des Reichs Getreuen Bestes zu betrachten, so seyn Wir doch insonderheit mehr willig der Ehr, Wrde frzunehmen und zu frden, der Eltere und sy je und je, an dem Heyligen Reiche trefflich herkommen, und in dem Reich groß und wrdig geacht seind. 18 Zu den unterschiedlichen Metaphern und ihrer Verwendung bei Fürstenerhebungen vgl. Peltzer, Rang (wie Anm. 5) S. 82–91. 19 Vgl. Spicilegium 1 (wie Anm. 11) Nr. 29 S. 395 (1444): deß ehegenannten Hessen Vorlter, auch sein getre, und willig Dienste, die Sie unsern Vorfahren am Reiche, auch Er Unß, und dem Reiche williglich erzeigt habent, und hinfhro zuthun sich willig erbetet. 20 So heißt es beispielsweise bei der Erhebung Wilhelms von Jülich zum Markgrafen (1328–1361) 1336: ex multis suis progenitoribus et cognatis de regali stirpe et principum sang wine processerit et sit ortus sowie quem propter genealogie sue [nobilitatem] und grata se ruicia et accepta per eum nobis et imperio prestita et que adhuc prestare poterit in futurum: UB für die Geschichte des Niederrheins oder des Erzstifts Cöln, der Fürstenthümer Jülich und Berg, Geldern, Meurs, Cleve und Mark, und der Reichsstifte Elten, Essen und Werden. Aus den Quellen in dem Königlichen Provinzial-Archiv zu Düsseldorf und in den Kirchenund Stadt-Archiven der Provinz, ed. Theodor Joseph Lacomblet, Düsseldorf 1840–1858, hier 3 Nr. 307 S. 249 (1336). 21 Ebd. (Jülich, 1336). 16 17
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mus et decoravimus22 benutzt, wird im Falle Hessos dieselb alt Landgraff schafft zu Leiningen, wiederum erhaben, und erneert; Erheben[t] und verneern[t]23. Es handelt sich demnach nicht um eine Erhebung und Neukreation durch den König, sondern um eine Erneuerung und Bestätigung eines bereits bestehenden Zustands. Diese Deutung wird durch einen letzten Aspekt bestätigt. Die Pönformel fällt mit einer Höhe von 20 Mark Gold im Vergleich zu anderen Fürstenerhebungen äußerst gering aus24. Im Regelfall lag die bei Zuwiderhandlung zu zahlende Pön bei den spätmittelalterlichen Fürstenerhebungen bei 1.000 Mark Gold25. Besonders die geringe Höhe der Pön lenkt den Blick auf eine andere Privilegierungsurkunde Friedrichs III. Die Sanctio einer Urkunde für die Grafen von Henneberg-Römhild aus dem Jahr 1474 hat nicht nur einen ähnlich lautenden Inhalt, sondern nennt auch dieselbe Pön in Höhe von 20 Mark Gold26. Auch im Fall der Grafen von Henneberg-Römhild handelt es sich nicht um eine Fürstenerhebung, sondern um eine Bestätigung vorhandener, quasi-fürstlicher Privilegien. So wurde den Grafen von HennebergRömhild, wie zuvor den Grafen von Henneberg-Schleusingen 1310, der Rang einer gefürsteten Grafschaft bestätigt. Bei den Grafen von Henneberg-Römhild handelte es sich wie bei den Leininger Grafen ebenfalls um einen innerfamiliären Rangkonflikt. Die Grafen von Henneberg-Römhild wollten eine Bestätigung über ihre Ranggleichheit in Bezug auf die gefürsteten Grafen von Henneberg-Schleusingen erwirken27. Graf Hesso von UB Niederrhein 4 (wie Anm. 20) Nr. 102 S. 113 (Kleve, 1417). Spicilegium 1 (wie Anm. 11) Nr. 29 S. 395 (1444). 24 Vgl. ebd. Nr. 29, S. 396 (1444). 25 Vgl. Lucca 1327 (MGH Const. 6,1, ed. Jakob Schwalm, Hannover 1914–1927, Nr. 362, S. 269–271), Luxemburg 1354 (MGH Const. 11, ed. Wolfgang D. Fritz, Weimar 1978–1992, Nr. 96 S. 62–65), Berg 1380 (UB Niederrhein [wie Anm. 20] 3 Nr. 848 S. 744), Kleve 1417 (ebd. 4 Nr. 102 S. 114), Holstein 1474 (UB zur Geschichte des Landes Dithmarschen, ed. Andreas Ludwig Jacob Michelsen, Hamburg 1834, Nr. 37 S. 69) und Württemberg 1495 (Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag von Worms 1495, bearb. von Heinz Angermeier [RTA Mittlere Reihe 5,1,2], Göttingen 1981, Nr. 1168 S. 919). Eine Ausnahme bildet Cilli 1436. Dort wurde die Pön ebenfalls mit nur 200 Mark Gold angesetzt (Ausgewählte Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch-österreichischen Erblande im Mittelalter, ed. Alfons Dopsch/Ernst Freiherr von Schwind, Innsbruck 1895, Nr. 180 S. 347). 26 Vgl. Diplomataria et scriptores historiae Germanicae medii aevi. Cum sigillis aeri incisis, ed. Georg Christoph Kreysig/Christian Schöttgen, Altenburg 1753–1760, hier 2, S. 603 (1474). 27 Vgl. Johannes Mötsch, Henneberg, Grafen von, in: Historisches Lexikon Bayerns (http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Henneberg, Grafen von; zuletzt abgerufen am: 15.07.2017). 22 23
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Leiningen wurde vom König also 1444 nicht zum Fürsten gemacht, ihm wurde ein innerfamiliärer Rangvorteil verschafft. Untersucht man die Auswirkungen der Privilegierung von 1444, stößt man früh auf einige Ungereimtheiten. Ein Blick auf die Intitulationes der Urkunden und Briefe Graf Hessos zwischen der Privilegierung 1444 und der späteren Fürstenerhebung 1452 fällt uneindeutig aus. Die meisten Titulaturen werden unverändert fortgeführt. Wie bereits vor 1444 lautete die Intitulatio in Briefen und Urkunden bis 1452 Wir Hesse grave zu Lynin gen28. Auch an den Leininger Grafen gerichtete Briefe und Urkunden adressieren Hesso als Grafen und nicht als Landgrafen29. Dies verwundert Vgl. dazu folgende Urkunden und Briefe FLA Amorbach, Urkunden (1435 Juli 3); StA Darmstadt, A 2/s.n. (1435); GLA Karlsruhe, 47/201, Bl. 17 (1426), 20f. (1429), 23 (1429), 25 (1431), 27 (1432), 29 (1433), 31 (1433), 35 (1435) (Regesten in: Regesten der Markgrafen von Baden und Hachberg 1050−1515, bearb. von Richard Fester/Heinrich Witte/Albert Krieger, Innsbruck 1900–1915, 1 Nr. 4176 S. 472, Nr. 4191 S. 474, Nr. 4202 S. 475, ebd. 3 Nr. 5141 S. 15, Nr. 5153 S. 16, Nr. 5259 S. 29, Nr. 5375 S. 45, Nr. 5494 S. 59; StA Ludwigsburg, B 189 I, U 67 (1443); LA Speyer, C 25/31 (1443); D 11/35 (1439). Ergänzt wurde die Titel nur dann, wenn Hesso als pfalzgräflicher Hofmeister fungierte, vgl. GLA Karlsruhe, 21/517 (1447): Wir Hesse grave zu Lyningen, des durchluchtigen, hochgebornen fursten und herren, hern Ludwigs pfalczgrave by Rine, des heiligen romschen richs erczdruchsessen und herczogen in Beyern, unsers gnedigen lieben herren hoffmeister; StA Ludwigsburg, B 189 I, U 67 (1443), 273 (1445): Wir Hesse grave zu Lyningen, unsers gnedigen herren herczog Lud wigs des pfalczgraven hofmeister. 29 Folgende Inscriptiones finden sich seit der ersten an ihn gerichteten Urkunde 1429 bis ins Jahr 1457: 1. Hesse grave zu Lyningen: GLA Karlsruhe, 47/201, Bl. 22 (1429) (Regest in: Regesten der Markgrafen 1 [wie Anm. 28] Nr. 4194 S. 474); FLA Amorbach, Urkunden (1452 Juni 25), (1455 März 14); LA Speyer, C 38/919 fol. 59v (1457), F9/48 (1447); HStA Stuttgart, A 502, U 1115 (1448), B 37a*, fol. 2v (1451); HStA Wiesbaden, 339/948, fol. 237r (1434); UB der Stadt Kaiserslautern 3, ed. Martin Dolch/Michael Münch (Schriftenreihe des Stadtarchivs 6), Otterbach/Kaiserslautern 2001, Nr. 47 S. 93 f.; Mosbacher UB. Stadt und Stift im Mittelalter, ed. Konrad Krimm (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg), Elztal-Dallau 1986, Nr. 412 S. 281. – 2. Wolge bornen herren, graf Hessen von Leynyngen: GLA Karlsruhe, 37/3649 (1457). – 3. Den edeln und wolgebornen unsern lieben neven und getruwen Hessen graven zu Lyningen: LA Speyer, C 28/85, fol. 3r: (1441). – 4. Nobilis et generosi domicelli Hessonis comitis de Linin gen: Universitätsbibliothek Heidelberg, Urk. Lehmann, U 379. – 5. Der edel grave Hesse, grave zu Lyningen: StA Speyer, C 25/48 (1440); GLA Karlsruhe, 21/3487 (1435), 47/201, Bl. 22 (1429), 24 (1429), 27 (1431), 29 (1432), 31 (1433), 33 (1434), 34 (1435) (Regesten in: Regesten der Markgrafen 1 [wie Anm. 28] Nr. 4194 S. 474, Nr. 4215 S. 477, ebd. 3 Nr. 5153 S. 16, Nr. 5259 S. 29, Nr. 5375 S. 45, Nr. 5396 S. 48, Nr. 5492 S. 59); LA Speyer, C 28/78, fol. 3v–4r (1444). – 6. Der edel unser oheim und lieben getruwen Hesse grave zu Lyningen, unser hoffmeister: StA Darmstadt, A 3/111/523 (1443); Franz Joseph Mone, Beiträge zur elsässischen Geschichte in ihrem Verhältnis zum rechten Rheinufer. Vom 9. bis 15. Jahrhundert, in: ZGO 6 (1855) S. 421–440, hier Nr. 12 S. 433. Einzige Ausnahme bildet die Urkunde Graf Johanns von Sulz in seiner Funktion als Hofrichter des königlichen Hofgerichts zu 28
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auf den ersten Blick, da die königliche Privilegierung von 1444 Graf Hesso gestattete, sich Landgraf zu Leiningen zu nennen30. Dieser erste Negativbefund für die Verwendung der landgräflichen Titulatur wird allerdings durch insgesamt neun Urkunden und Briefe relativiert, die in den 1440er Jahren die landgräfliche Titulatur aufgreifen31. Bei den Urkunden handelt es sich ausschließlich um Lehnsurkunden Graf Hessos. Daraus könnte geschlossen werden, dass der Leininger nach außen hin seine gräfliche Titu latur beibehielt und lediglich für interne Herrschaftsangelegenheiten die neue innerfamiliär-distinguierende landgräfliche Titulatur anwandte – er den neuen Rang demnach erst einmal nach Innen erproben wollte.32 Diese Deutung wirft jedoch gleich mehrere Probleme auf. Graf Hesso verwendete die landgräfliche Titulatur nicht für alle Urkunden und Briefe, die sein Territorium, seine Lehen oder innerfamiliäre Angelegenheiten betraRottweil aus dem Jahr 1445. Im Vidimus der Privilegierungsurkunde von 1444 wird Hesso als wohlgeborner Hessen landgrafen zu Leyningen bezeichnet: HStA Wiesbaden, 339/948, fol. 238r–239r (1445, Abschrift: 17. Jh., Regest in: Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440– 1493). Heft 5: Die Urkunden und Briefe aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, bearb. von Ronald Neumann (RI XIII 5), Köln/Weimar/Wien 1988, Nr. 65 S. 70 f.). 30 Vgl. Spicilegium 1 (wie Anm. 11) Nr. 1 S. 395 (1444): daß sich auch der genannt Graf Hesse und all seine Erben, die dieselben Landgrafschafft innhaben, frbaß Landgrafen zu Leiningen schreiben und nennen. 31 Vgl. FLA Amorbach, Urkunden (1446 Juni 19; 1447 Januar 25); GLA Karlsruhe, 67/1903, fol. 105–106r (1444), 107r–v (s.d., vermutlich 1444), 108v (1446), 109r (1446), 117r– 119v (1449), 134v–135v (1449). 32 Falls dies der Fall gewesen ist, war der Versuch nicht erfolgreich, da die Titulatur nach wenigen Jahren wieder fallengelassen wurde. Die Titulaturen Hessos führten bereits im 18. Jahrhundert zu einigen Spekulationen, vgl. HStA Wiesbaden, 339/959, fol. 116v–117r (Leiningischer Dignitäts- und Sukkzesionsstreit, 1759): § 7. Es ist sehr merkwürdig, daß Landgraff Hesso mit dieser Neu erlangten Titulatur sosehr variierte. Gleich nach erhaltenem Diplomate anno 1444 schriebe er sich: Wir Hesse lantgrave zu Liningen. Allsin in diesen und folgenden Jahr nante er sich bald Graf, bald Landgraff. In den folgenden biß auf das Jahr 1458 schreibet er nur allezeit Graff zu Leiningen. Von diesem Jahr aber hat er sich wieder der Landgräflichen Titulatur biß ins Jahr 1460 bedienet, damahls Dei gratia oder Von Gottes Gnaden erstlich bey gesetzt und damit biß an seyn Ende Continuiert (vide: Leiningisches altes Mann-buch). Hierumb ist zu sehen, daß man damit ohne projudiz nach belieben den Titel eingerichtet und das gräffliche axioma so hoch als das Landgräffliche gehalten. – Auch in der Forschung führten diese verstreuten Urkunden zu der Annahme, Hesso habe ab 1444 eine landgräfliche Titulatur geführt, vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 145; Conrad, Leiningen (wie Anm. 4) S. 258; Franck, Landgrafschaften (wie Anm. 7) S. 145 (der Autor nahm fälschlicherweise an, Hesso habe ab 1444 eine nachgestellte landgräfliche Titulatur geführt, die keine rangsteigernde Bedeutung gehabt habe); Kemper, Klosterreformen (wie Anm. 4) S. 278 (auch Kemper führt die landgräfliche Titulatur auf 1444 zurück, ist bei der Formulierung jedoch wesentlich vorsichtiger als die ältere Forschung); Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 4) S. 70.
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fen33. Darüber hinaus war die landgräfliche Titulatur, anders als seine gräfliche, keineswegs einheitlich34. Schließlich wecken die Überlieferungsumstände der acht Urkunden Zweifel an der Echtheit. Sechs von ihnen sind in einem nach Hessos Tod 1467 angelegten Lehnsbuch der pfälzischen Kanzlei kopial überliefert35. Auch bei der siebten, außerhalb des Lehnsbuchs überlieferten Urkunde handelt es sich nicht um eine Ausfertigung, sondern eine vidimierte Abschrift des späten 15. Jahrhunderts36. Die achte überlieferte Lehnsurkunde von 1446 ist nicht in der typischen gotischen Urkundenkursive aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, sondern in einer Kanzleibastarda des ausgehenden 15. beziehungsweise frühen 16. Jahrhunderts verfasst. Bei diesem Stück handelt es sich demnach um eine spätere Fälschung, die vermutlich in direkter Verbindung zum bis 1508 andauernden Lehensstreit zwischen den Grafen von Leiningen-Hardenburg, Leiningen-Westerburg sowie der Pfalzgrafschaft steht37. Gerade diese Streitigkeiten nach Hessos Tod 1467 um dessen Erbe könnten nachträgliche Interpolationen sowie Veränderungen der Intitulationes in Lehnsan So sind beispielsweise nur 6 der 25 für die Jahre 1444–1449 im Lehnsbuch überlieferten Lehnsurkunden Hessos mit einer landgräflichen Titulatur versehen, vgl. GLA Karlsruhe, 67/1903, passim. 34 Vgl. ebd. fol. 105v (1444): Wir Hesse lantgrave zu Lyningen; fol. 109r (1446): Wir Hesse grave zu Lyningen und lantgrave. 35 GLA Karlsruhe, 67/1903 (Lehenbuch Hessen Grafen zue Leiningen de anno 1435 bisz 1467, welches zusambt den lehen bald hernach ahn Churpfaltz kommen; insgesamt 203 fol.). Die Lehnsurkunden wurden weitgehen chronologisch eingetragen. Allerdings finden sich immer wieder anachronistische Nachtragungen. Ein Muster ist bei den eingetragenen sechs landgräflichen Urkunden nicht zu erkennen. 36 Vgl. FLA Amorbach, Urkunden (1444 Januar 25). 37 Das Stück ist überliefert in: FLA Amorbach, Urkunden (1446 Juni 19). Für die Hilfe bei der Datierung der Schrift danke ich recht herzlich Gabriel Mayer (Heidelberg). Neben der Schrift, die auf einen ungeübten Schreiber schließen lässt, fallen drei weitere Ungereimtheiten ins Auge: Erstens ist die Intitulatio die einzige aller überlieferten Urkunden, die die gräfliche Titulatur der landgräflichen voranstellt: Wir Hesse grave zu Leiningen und landt grave et cetera. Zweitens weicht die Corroboratio nicht von sonstigen Wappensiegelurkunden Hessos ab, obwohl an dieser Urkunde das Reitersiegel Hessos angebracht wurde: Haben wir, grave Hesse obgenandt, unser ingesiegill an diesenn brieff thun henckenn; vgl. zur Corrobaratio des Reitersiegels unten (III. Die Fürstenerhebungsurkunde). Und drittens bezieht sich der ebenfalls um 1500 eingetragene Dorsualvermerk der Urkunde nicht auf Landgraf Hesso, sondern lediglich auf Graf Hesso: Grave Hesso, das dorffe Monsheim den von Wachenheim halb zu lehen geliehen. Ob die Urkunde interpoliert, das heißt eine von Hesso aus den 1460er Jahren stammende Urkunde neu beschrieben wurde, oder komplett neu aufgesetzt wurde, lässt sich nicht mehr einwandfrei entscheiden. Das vorhandene Reitersiegel spricht zwar eher für eine Interpolation, jedoch könnte das Siegeltypar von den Urkundenfälschern auch nach Hessos Tod weiterverwendet worden sein. 33
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gelegenheiten bewirkt haben. Die pfalzgräfliche Kanzlei könnte jene Lehen für sich in Anspruch genommen haben, die mit einer als Afterlehen von der Pfalz herrührenden Landgrafschaft verbunden waren. Da die Lehen Graf Hessos zum größten Teil an die Kurpfalz und an die Grafen von Leiningen-Westerburg übergingen, könnte der interpolierte landgräfliche Titel als Legitimation für den kurpfälzischen Anspruch auf die Lehen verwendet worden sein, da die Kurpfalz Lehnsherr der (Land)Grafschaft war38. Die Problematik der Titulatur Graf Hessos zu Leiningen zwischen der Privilegierung 1444 und seiner Fürstenerhebung 1452 zeigt deutlich, dass es sich bei der Urkunde von 1444, entgegen der Deutung einiger Forscher, definitiv nicht um eine Fürstenerhebung handelte. Hesso setzte den vom König zugesprochenen landgräflichen Rang in seinen eigenen Urkunden nicht um. Der Leininger Graf wurde auch von anderen Hochadligen nicht als Landgraf wahrgenommen. Dies änderte sich erst mit der Fürsten erhebung 1452.
II. Der Kontext der Fürstenerhebung von 1452 Die Rangerhöhung, die von der Reichskanzlei durch das Erneuern einer bereits bestehenden nicht-fürstlichen Landgrafschaft umgesetzt wurde, war Hesso jedoch nicht genug. Es sollte nicht bei einer bloßen Bestätigung von innerfamiliären Vorrechten bleiben. Alle Grafen strebten nach dem Fürstenrang; dies war auch beim Leininger Grafen nicht anders39. Eine Möglichkeit, dem fürstlichen Rang näher zu kommen, war der Dienst für den König40. So stand auch Hesso zu Leiningen in Diensten Friedrichs III. Vor 1452 diente er dem Habsburger in dessen Kammergericht als vorsit-
Weiter gestützt wird diese Theorie durch eine Lehnsurkunde Graf Emichs von Leiningen-Hardenburg († 1495) an Siegfried von Löwenstein aus dem Jahr 1471, in der er sich den Titel Landgraf zu Leiningen aneignete. Durch die Aneignung des landgräflichen Titels könnte Emich versucht haben, sich als legitimen Nachfolger Hessos auszugeben und so die kurpfälzischen Ansprüche zu unterminieren, vgl. FLA Amorbach, Urkunden (1471 November 12). 39 Vgl. paradigmatisch Ernst Schubert, Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35), München 22006, S. 10 f. 40 Vgl. Peltzer, Rang (wie Anm. 5) S. 53–77 (allgemein sowie für die Pfalzgrafen bei Rhein). 38
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zender Richter sowie beisitzender Rat41. Überdies kam ihm zu Beginn der 1440er Jahre die wichtige Rolle als Schiedsrichter in verschiedenen Streitigkeiten zwischen Adligen und Reichsstädten sowie in innerstädtischen Konflikten zu42. Neben diesen Diensten war ein weiteres Merkmal hochadlig-fürstlichen Rangs die Anwesenheit auf Reichstagen43. Graf Hesso ist vor 1452 auf den großen Reichsversammlungen von Frankfurt (1442), Aachen (1442), Nürnberg (1444) und Bamberg (1450) nachweisbar44. Seinen engen Kontakt zum habsburgischen König verdeutlicht in besonderem Maße die Beteiligung am Romzug 145245. Hesso war unter den mitreisenden Hochadligen auf dem Krönungszug Friedrichs III. nach Rom aus Sicht der Zeitgenossen einer der wichtigsten. Dieser hohe Rang geht aus den verschiedenen Teilnehmerlisten hervor. Nach den Bischöfen und Herzögen wird der Leininger Graf in der Spitzengruppe der Fürsten geführt46. Zudem 41 Vgl. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Heft 4: Die Urkunden und Briefe aus dem Stadtarchiv Frankfurt am Main, bearb. von Paul-Joachim Heinig (RI XIII 4), Köln/ Weimar/Wien 1986, Nr. 84 (1444), 90 (1445), 92 (1445), 98 (1446) 137–138. (1448), 142–143 (1448) S. 107 f., 111 f., 115 f., 133–135; Die Urkunden des Archivs der Reichsstadt Schwäbisch Hall 2, ed. Friedrich Pietsch (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 22), Stuttgart 1972, Nr. 1973 S. 193 f. (1442). 42 Vgl. 1. Schiedsspruch zwischen Pfalzgraf Otto I., Markgraf Otto von Baden und Graf Friedrich von Veldenz 1440: GHA München, Mannheimer Urkunden, Abschiede und Verträge, Nr. 27. – 2. Schiedsspruch zwischen der Reichsstadt Heilbronn und den Herren von Neipperg 1443: StA Ludwigsburg, B 189 I, U 67. – 3. Schiedsspruch zwischen den Burgmännern zu Friedberg sowie dem Rat und der Stadt Friedberg 1443/44: StA Darmstadt, A 3/111/523, 111/530. – 4. Schiedsspruch zwischen Martin Goler und der Reichsstadt Heilbronn 1445: StA Ludwigsburg, B 189 I, U 273. – 5. Schiedsspruch zwischen Markgraf Jakob von Baden und Graf Stephan von Sponheim 1447: GLA 21/517. 43 Vgl. Peltzer, Rang (wie Anm. 5) S. 78–103 (allgemein sowie für die Pfalzgrafen bei Rhein). 44 Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Zweite Abteilung 1441–1442, bearb. von Hermann Herre/Ludwig Quidde (RTA Ältere Reihe 16), Göttingen 21957, Nr. 203 S. 378 (Frankfurt 1442); Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 147 (Aachen 1442); RI XIII 4 (wie Anm. 42), Nr. 84 S. 107 f. (Nürnberg 1444); StA Ludwigsburg B 474 S, U 23 (Bamberg 1450); Regesten der Markgrafen 3 (wie Anm. 28) Nr. 7135 S. 256 (Bamberg 1450). 45 Zur Beteiligung Hessos am Romzug Friedrichs III. vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 149; Christine Reinle, Ulrich Riederer (ca. 1406–1462). Gelehrter Rat im Dienste Kaiser Friedrichs III. (Mannheimer Historische Forschungen 2), Mannheim 1993, S. 281 f. Zum Romzug Friedrichs III. allgemein vgl. Joseph Chmel, Geschichte Kaiser Friedrichs IV. und seines Sohnes Maximilian I. 2, Hamburg 1843, S. 670–726. 46 Vgl. Ein anonymer Romzugsbericht von 1452 (Ps-Enenkel) mit den zugehörigen Personenlisten (Teilnehmerlisten, Ritterschlagslisten, Römische Einzugsordnung), ed. Achim Thomas Hack (Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur, Beiheft 7), Stuttgart 2007, S. 128, 133, 137.
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wurde er aus Dank für seine Teilnahme am Romzug auf der Tiberbrücke zum Ritter des Heiligen Grabs geschlagen47. Doch sind Königsnähe und Romzug ausreichende Gründe, einen Grafen zum Fürsten zu erheben? Die Antwort auf diese Frage muss negativ ausfallen. Es war nicht allein der Königsdienst, nicht allein die Teilnahme an Reichsversammlungen und nicht allein die Romreise, die Hesso die Rangerhöhung einbringen sollte. Die lokale Bedeutung Graf Hessos zu Leiningen und allen voran seine enge Bindung an die Pfalzgrafen bei Rhein machten den Leininger Grafen für den Kaiser politisch interessant. Bereits unter Pfalzgraf Ludwig III. (1410–1436) war Hesso kurfürstlicher Rat48. Unter dessen Nachfolger Ludwig IV. (1436–1449) sollte er neben seiner Ratsfunktion zum Hofmeister und damit zum wichtigsten (zeremoniellen) Funktionsträger des Fürsten aufsteigen49. Schließlich übte der Leininger unter Pfalzgraf Friedrich I. (1449/52–1476) mit dem Marschallamt eines der wichtigen vier Hofämter aus; daneben blieb seine Stellung als pfalzgräflicher Rat erhalten50. Überdies wurde Hesso häufig, wie bereits vor 1452, vom Pfalzgrafen zum Schiedsmann in Streitigkeiten zwischen kleineren Adligen, Städten und Fürsten berufen51. Besonders die Vgl. dazu auch Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 147. Vgl. Christoph von Brandenstein, Urkundenwesen und Kanzlei, Rat und Regierungssystem des Pfälzer Kurfürsten Ludwig III. (1410–1436) (Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 71), Göttingen 1983, S. 227. 49 Vgl. StA Ludwigsburg, B 189 I, U 67 (1443); StA Darmstadt, A 3/111/523 (1444); GLA Karlsruhe, 21/517 (1447); Ellen Widder, Karriere im Windschatten. Zur Biographie Erzbischof Ruprechts von Köln (1427–1478), in: Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande, hg. von Ders./Mark Mersiowsky/Peter Johanek (Studien zur Regionalgeschichte 5), Bielefeld 1995, S. 29–72, hier S. 43. Seit 1448 war Hesso definitiv nicht mehr Hofmeister, da mit Konrad von Rosenberg ein neuer Hofmeister genannt wird, vgl. Isenburger Urkunden. Regesten zu Urkundenbeständen und Kopiaren der fürstlichen Archive in Birstein und Büdingen, 947–1500, bearb. von Friedrich Battenberg (Repertorien des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt 7), Darmstadt 1976, 2 Nr. 1799 S. 474 f. 50 Vgl. beispielsweise Ausgewählte Urkunden zur Territorialgeschichte der Kurpfalz 1156–1505, ed. Rüdiger Lenz/Meinrad Schaab (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe A, Quellen 41), Stuttgart 1998, Nr. 117 S. 237–240 (1455). Zusätzlich zu seiner Dienstbeziehung zu den Pfalzgrafen bei Rhein war Hesso Kammerherr des Speyerer Bischofs Matthias Ramung (1417–1478), vgl. GLA Karlsruhe, 67/300, fol. 11v (1466): Uff Mittwoch nach Sant Vitus tag, anno domini millesimo quadringentesimo sexagesimo sexto, zu Coln in meister Jorgen Heszlers, canoneck des dumstifts doselbst, husz, hat der obgenante lantgrave Hesse das camermeister ampte und andere lehen [...] von uns bischoff Mathis entpfangen. 51 Vgl. für die 1450er und 60er Jahre: 1. Schiedsspruch zwischen Pfalzgraf Friedrich I. und Markgraf Karl von Baden († 1475) 1455: Regesten der Markgrafen 4 (wie Anm. 28) Nr. 7950 S. 35. – 2. Schiedsspruch zwischen Dekan und Domkapitel zu Worms auf der einen und Rat 47 48
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Hofämter belegen, dass Graf Hesso zu Leiningen in der Mitte des 15. Jahrhunderts einer der einflussreichsten Männer am kurpfälzischen Hof in Heidelberg war. Diese Nähe des Grafen zum pfälzischen Kurfürsten und sein Einfluss an dessen Hof machten Hesso überaus interessant für den König. An dieser Stelle soll noch einmal Peter Moraw in Erinnerung gerufen werden, nach dem Regional- und Reichsebene nicht voneinander getrennt betrachtet werden dürfen52. Graf Hesso war ein Bindeglied zwischen kurpfälzischem und kaiserlichem Hof. Für die Pfalzgrafen bei Rhein konnte er beim Kaiser vorsprechen, für den römisch-deutschen König und späteren Kaiser Friedrich III. war er Mittler zum pfalzgräflichen Hof und der Gruppe der kurfürstlichen Funktionsträger. Diese Scharnierstellung Hessos wurde ab 1449 zunehmend bedeutend. In diesem Jahr verstarb Pfalzgraf Ludwig IV. Fürstentode führten häufig zu Konflikten, sowohl innerhalb eines Territoriums als auch außerhalb, wenn die Großen des Reiches glaubten, Ansprüche auf das Erbe anmelden zu können. Dies wog im Falle Ludwigs IV. umso schwerer, da er mit Philipp (1448–1508) zwar einen männlichen Erben hinterließ, dieser sich jedoch noch im Säuglingsalter befand. Die Regierungsgeschäfte wurden von Ludwigs IV. Bruder, Friedrich I., als Administrator übernommen. Dieser Übergangszustand währte jedoch nur zwei Jahre. Im September 1451 setzte die pfalzgräfliche Kanzlei eine Urkunde auf, die die Arrogation Philipps
und Stadt Worms auf der anderen Seite 1457: StA Darmstadt, A 2/255/1499. – 3. Schiedsspruch zwischen Graf Emich von Leiningen und Orthen [?] aus Lautern 1458: LA Speyer, C 25/40. – 4. Schiedsspruch zwischen Erzbischof Dieter von Mainz und Pfalzgraf Friedrich I. 1460: Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 122 S. 257–261. – 5. Schiedsspruch zwischen Pfalzgraf Friedrich I. und Graf Ulrich V. von Württemberg (1442–1480) 1462: Christian Friedrich Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtenberg unter der Regierung der Graven 3, Tübingen 21777, Beylagen Nr. 7 S. 6 f. – 6. Schiedsspruch zwischen Bischof Johannes II. von Speyer und Pfalzgraf Friedrich I. 1462: UB zur Geschichte der Bischöfe von Speyer 2, ed. Franz Xaver Remling, Mainz 1853, Nr. 168–169 S. 313–319. – 7. Schiedsspruch zwischen Graf Johann von Nassau und Johanna von Loon, Gräfin von Nassau 1465/66: HStA Wiesbaden, 170 II/1. – 8. Schiedsspruch zwischen Erzbischof Adolf von Mainz und Pfalzgraf Friedrich I. 1466: Urkunden zur Geschichte des Kurfürsten Friedrichs des Ersten von der Pfalz, ed. Christoph Jacob Kremer, Frankfurt am Main 1765, Nr. 124 S. 354–358. 52 Zur Verwobenheit der beiden Ebenen vgl. paradigmatisch Peter Moraw, Landesgeschichte und Reichsgeschehen im 14. Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 3 (1977) S. 175–191; Peter Moraw/Volker Press, Probleme der Sozial- und Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit, in: ZHF 2 (1975) S. 95–108.
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durch dessen Onkel Friedrich I. proklamierte53. Die Arrogation, die die Annahme Philipps durch Friedrich I. an Kindes statt zur Folge hatte und damit Friedrichs Alleinherrschaft in der Kurpfalz festigen sollte, wurde schließlich im Januar 1452 vollzogen54. Rechtsgelehrte der Universität Heidelberg halfen beim Aufsetzen dieses auf römisches Recht zurückgreifenden juristischen Coups. Friedrich I. wurde durch die Arrogation zum herrschenden Kurfürsten. Dafür entsagte er einer offiziellen Ehe mit legitimen Nachkommen. Pfalzgraf Philipp und seine Nachkommen sollten nach Friedrichs I. Tod zum neuen Landesherrn werden. Obwohl Papst Nikolaus V. (1447–1455) die Arrogation am 8. Januar 1452 offiziell bestätigte, stand Kaiser Friedrich III. derselben nicht nur kritisch gegenüber, er akzeptierte sie schlichtweg nicht55. Er sah die Kurpfalz nach der Machtergreifung Friedrichs I. als vakant an und sprach über den Pfalzgrafen schließlich die Reichsacht aus56. In diesem Konflikt zwischen Kaiser Friedrich III. und Kurfürst Friedrich I. spielte Hesso eine Schlüsselrolle. Er war bereits am ersten Entwurf der Arrogation 1451, überdies wohl Vgl. GLA Karlsruhe, 43/230 (1451). Damit verbunden sind zwei weitere Urkunden Bischof Reinhard von Worms († 1482) und Margarethes von Savoyen († 1479), ediert in: Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 113–114 S. 229–231 (1451). 54 Vgl. Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 116 S. 234–237 (1452). 55 Vgl. Urkunden Friedrichs des Ersten (wie Anm. 51) Nr. 13 S. 41–43. Auch die Fürsten akzeptierten die Arrogation Friedrichs I., vgl. Helmut Weigl, Kaiser, Kurfürst und Jurist. Friedrich III., Erzbischof Jakob von Trier und Dr. Johannes von Lysura im Vorspiel zum Regensburger Reichstag vom April 1454, in: Aus Reichstagen des 15. und 16. Jahrhunderts. Festgabe, dargebracht der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zur Feier ihres hundertjährigen Bestehens von den Herausgebern der deutschen Reichstagsakten (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 5), Göttingen 1958, S. 80–115, hier S. 108–110. 56 Zum Konflikt zwischen Kaiser und Kurfürst um die Arrogation und ihre Folgen vgl. Cohn, Government (wie Anm. 6) S. 27–36; Franz Fuchs, Antikaiserliche Gedichte im Umfeld Kurfürst Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz, in: König, Fürsten und Reich im 15. Jahrhundert, hg. von Dems./Paul-Joachim Heinig/Jörg Schwarz (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters 29), Köln 2009, S. 307–317; Ders., Friedrich der Siegreiche. „Der Marc Aurel des Mittelalters“?, in: Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte? (wie Anm. 6) S. 191–205, hier S. 196, 198–203; KarlFriedrich Krieger, Der Prozeß gegen Pfalzgraf Friedrich den Siegreichen auf dem Augsburger Reichstag vom Jahre 1474, in: ZHF 12 (1985) S. 257–286; Ders., Eine bisher unbekannte Quelle zum Prozeß Kaiser Friedrichs III. gegen den Pfalzgrafen Friedrich den Siegreichen (1474), in: Mannheimer Geschichtsblätter N.F. 4 (1997) S. 67–81; Volker Rödel, Friedrichs des Siegreichen Stellung im Reich, in: Friedrich der Siegreiche (1425–1476). Beiträge zur Erforschung eines spätmittelalterlichen Landesfürsten, hg. von Franz Fuchs/Pirmin Spiess (Abhandlungen zur Geschichte der Pfalz 17), Neustadt an der Weinstraße 2016, S. 49–72; Schaab, Geschichte 1 (wie Anm. 6) S. 174–183. 53
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auch an den innerhöfischen Beratungen und Verhandlungen während der Jahre 1451/52 beteiligt. Für den Kurfürsten war Hesso ein mit dem kaiserlichen Hof in Verbindung stehender Hochadliger, für den Kaiser stellte der eng mit dem kurpfälzischen Hof verbundene und in territorialer Hinsicht gut ausgestattete Graf ein Gegengewicht gegen die Machtbestrebungen Kurfürst Friedrichs I. dar. Um Graf Hesso zu Leiningen auf die kaiserliche Seite ziehen und somit einen starken regionalen Gegenpol gegen die Kurpfalz bilden zu können, beschlossen Friedrich III. und seine Berater, Hesso auf dem Romzug im Januar 1452 zum Fürsten zu erheben57. Denn aus königlicher Sicht verfolgten Fürstenerhebungen immer ein politisches Ziel – die Bindung eines Großen an den König58.
III. Die Fürstenerhebungsurkunde von 1452 Die Fürstenerhebungsurkunde Graf Hessos zu Leiningen ist unikal im Reichsregisterband P Kaiser Friedrichs III. im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien auf fol. 56r–57r überliefert. Die ersten 91 Folia des Reichsregisters wurden von einer Hand noch während des Aufenthalts in Rom aufgezeichnet59. Ob die Urkunde tatsächlich ausgefertigt wurde, lässt sich weder endgültig verifizieren noch falsifizieren. Für eine Ausfertigung sprechen der Relationskonzeptvermerk am Ende des Urkundentexts sowie ein fehlender Kanzellierungsvermerk im Reichsregister60. Dagegen spricht in erster Linie das Nichtvorhandensein der Urkundenausfertigung 57 Dass es sich bei der Entscheidung, Hesso zum Reichsfürsten zu machen, nicht um eine rein individuelle Entscheidung des Kaisers handelte, belegt ein Vermerk im Reichsregister, der auf eine mögliche Beratungsfunktion eines weiteren Leininger Grafen am königlichen Hof hindeutet, vgl. OeStA/HHStA Wien, Reg. P., fol. 57r: Consulta S. Bei der Namens kürzung S. könnte es sich um Graf Schaffried von Leiningen handeln, der ebenfalls häufig am königlichen Hof als Rat tätig war und zudem, da aus der Hardenburger Linie stammend, in den Konflikten mit Pfalzgraf Friedrich I. auf kaiserlicher Seite stand, vgl. zu Schaffried Heinig, Kaiser 1 (wie Anm. 6) S. 417–423. 58 Vgl. Schlinker, Fürstenamt (wie Anm. 3) S. 217. 59 Vgl. Gerhard Seeliger, Die Registerführung am deutschen Königshof bis 1493, in: MIÖG. Ergänzungsbd. 3 (1890/94) S. 223–364: Das Reichsregisterbuch Cod. P Kaiser Friedrichs III. enthält auf den ersten der insgesamt 276 fol. einige Leerseiten, die für ein Register und eine Nummerierung der einzelnen Urkunden vorbereitet waren, was jedoch keine Umsetzung erfuhr. Es wurde im Zuge der Kaiserkrönung Friedrichs III. in Rom angelegt. Die erste Urkunde stammt vom 1452 März 19, die letzte aus 1456 Mai. 60 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 57r: Ad mandatum proprium de imperatoris Ulricus Welczly.
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im Empfängerarchiv. Zwar gingen große Teile des leiningischen Archivs beim Stadtbrand von Dürkheim im Jahr 1794 verloren, doch verzeichnen weder die im 16. Jahrhundert erstellten Kopialbücher der Königs- und Kaiserurkunden noch die 1598 verfasste leiningische Chronik des Lucas Caroli, die sich im Wesentlichen auf urkundliches Material stützt, die Urkunde von 145261. Dass die Urkunde bereits den Zeitgenossen des 15. Jahrhunderts unbekannt war, beweist der Umstand, dass sie in den Auseinandersetzungen nach Hessos Tod 1467 keine Erwähnung fand. Ein weiteres Indiz gegen eine Ausfertigung bietet die Privilegierungsurkunde von 1444. Von ihr wurden bereits ab dem 15. Jahrhundert mehrere Abschriften angefertigt62. Bei einer wichtigen Urkunde wie der Fürstenerhebungs urkunde von 1452 wären zeitnahe Kopien zu erwarten. Trotz aller Gegenargumente muss jedoch angenommen werden, nicht zuletzt aufgrund der Veränderung in den Intitulationes Hessos nach 145263, dass die Urkunde ausgestellt und die Fürstenerhebung vollzogen wurde. Allerdings brachte Hesso seine Fürstenerhebung nicht unmittelbar während der spannungsreichen Situation 1452 zwischen Kaiser und Kurfürst von der Pfalz zur Geltung, sondern wartete einige Jahre ab, um seinen Fürstenrang schließlich umzusetzen. Warum die Urkunde nicht anderweitig überliefert wurde, bleibt offen. Die diplomatische Analyse der Urkunde und die Interpretation des Inhalts erlauben neben der Einordnung der Fürstenerhebung in den Kontext der spätmittelalterlichen Erhebungen wichtige Rückschlüsse auf die Folgen Weder die im 16. Jahrhunderts angefertigten Kopialbücher der Königs- und Kaiserurkunden (FLA Amorbach, 4/35/15, 4/35/16, 4/35/19) noch die älteste leiningensche Chronik von 1598 (FLA Amorbach, 4/40/5) wissen von der Existenz dieser Urkunde. Zum Stadtbrand und dessen Auswirkungen auf das leiningische Archiv vgl. Richard Krebs, Archivgeschichte des Hauses Leiningen, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 22 (1898) S. 1–46. 62 Zu den zahlreichen Abschriften der Privilegierungsurkunde von 1444 vgl. beispielsweise die Überlieferung im leiningisch-westerburgischen Archiv im HStA Wiesbaden: RI XIII 5 (wie Anm. 32) Nr. 65 S. 70 f. (1444). Die Privilegierungsurkunde selbst ist außer in Wiesbaden im Westerburgischen Archiv überdies in den Kopialbüchern der Grafen von Leiningen im FLA Amorbach in Form eines Vidimus des Hofrichters Graf Johann von Sulz des königlichen Hofgerichts zu Rottweil aus dem Jahr 1445 überliefert, vgl. FLA Amorbach, 4/35/15 (Chartularii quo Imperatorum ac Regum Germaniae continentur diplomata. Pars I), fol. 31v–35r: Geben uns mit des hoffgerichts zu Rotweil anhangenden insigel. Besigelt des negsten dornstags nach Sant Viti unnd Martini der heyligen Martirern tag, nach Cristi geburt vierzehenhundert unnd fünnf und vierzig jar.; ebenfalls überliefert in: 4/35/19 (Kayßerlich privilegien unnd freiheits briefe von 1298 bis 1594), fol. 47r–52r; 4/35/16 (Catalogus derer Leinigischen privilegorum undt regalien), fol. 22r–24v). 63 Siehe dazu unten: IV. Die Folgen der Fürstenerhebung von 1452. 61
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des Jahres 1452. Auf das Protokoll mit Invocatio64 und kaiserlicher Intitulatio65 folgt im Kontext eine lange, auf den Kaiser und das Reich Bezug nehmende Arenga66. In ihr werden die Fürsten des Reichs metaphorisch als leuchtende Umrandung und Strahlen der kaiserlichen Krone bezeichnet. Die Erhöhung der Anzahl der Fürsten trage nicht nur zur Vermehrung ihres eigenen Ruhms und ihrer eigenen Ehre bei, sondern auch zur Vermehrung der Ehre und Würde des Kaisers und des Reichs. Eine Promulgatio fehlt gänzlich. Die Inscriptio ist, wie bei königlichen Diplomen üblich, in die Narratio integriert67. Die Grußformel selbst adressiert Hesso bereits als Landgraf und Fürst68. Gemeinsam mit der Titulatur als Landgraf zeigt die fürstliche Anrede, dass Hesso schon einen fürstlichen Rang behauptete, den der Kaiser nun mittels Erhebungsurkunde rechtlich und für alle nachlesbar bestätigt. Es wird demnach kein gänzlich neuer Zustand geschaffen, sondern ein alter, bereits 1444 teilweise bestätigter Zustand erfährt durch die Erhebungsurkunde eine rechtliche Ausweitung durch die Fürstenerhebung. Vor den rechtlichen Bestimmungen der Dispositio erfolgte die eingehende Begründung der Fürstenerhebung in der Narratio69. Im Unterschied zur Privilegierung 1444 wurden 1452 außer dem Dienst für König und Reich der Zug nach Rom zur Kaiserkrönung, die edle Herkunft Hessos und seiner Vorfahren, die Größe und Beschaffenheit seiner Herrschaft sowie die Redlichkeit, Tugend, Weisheit und Vernunft seiner Person als Gründe für die Erhebung vorgebracht. Ein weiterer einschneidender Unterschied zwischen 1444 und 1452 findet sich in der Beschlussfindung der Fürstenerhebung. So entschied 1452 laut Narratio nicht der Kaiser eigen 64 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 56r: In dem namen der heiligen und ungetailten drivaltikeit Gotes selickeit amen. 65 Vgl. ebd.: Wir Friderich von Gotes gnaden romischer keiser et cetera bekennen et cetera cum titulo maiori. 66 Vgl. unten: VII. Edition. 67 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 56r: hochgeboren Hessen lanntgraffen zu Lynin gen, unsers lieben oheims und fursten. Zur Bezeichnung Oheim beziehungsweise Vetter, die eine direkte Verbindung zum Kaiser über eine irgendwie geartete verwandtschaftliche Beziehung (consanguinitas) herstellt, vgl. beispielhaft Martin Maurer, Die Erhebung Württembergs zum Herzogtum im Jahre 1495, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 58 (1999) S. 11–45, hier S. 35; Roger Sablonier, Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels um 1300, Zürich 22000, S. 151. 68 Dies ist bei Fürstenerhebungen der Regelfall, vgl. Lucca 1327 (MGH Const. 6,1 [wie Anm. 25] Nr. 362 S. 269: illustri Kastrucio de Altelminellis duci Lucano), Luxemburg 1354 (MGH Const. 11 [wie Anm. 25] Nr. 96 S. 63: illustri Wenceslao duci Lucemburgensi), Kleve 1417 (UB Niederrhein [wie Anm. 20] 4 Nr. 102 S. 112: illustri Adolfo duci Clivensi). 69 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P., fol. 56r, siehe unten: VII. Edition.
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mächtig, wie dies noch 1444 der Fall war, sondern gemeinsam mit den Großen des Reichs in einer Konsensentscheidung, Hesso zu einem Reichsfürsten zu machen70. Diese Konsensentscheidung war elementar, da nur die Großen des Reichs gemeinsam mit dem Kaiser einen Hochadligen in den Rang eines Fürsten erheben konnten71. Wer sich dieser Entscheidung des Königs, der Fürsten und des Reichs, Graf Hesso zu einem gefürsteten Landgrafen zu erheben, nicht beugen würde, müsse, so legt die Sanctio in der Pönformel fest, mit einer Strafe in Höhe von 1.000 Mark Gold rechnen72. Nicht nur in der Höhe der Pön stimmt die Erhebungsurkunde mit den meisten anderen Fürstenerhebungsurkunden des Spätmittelalters überein, sondern auch die ausführliche Arenga, die Erhebungsgründe in der Narratio sowie die Corroboratio73, die die Besiegelung der Urkunde mit einer Goldenen Bulle ankündigt, sind formale Gemeinsamkeiten spätmittelalterlicher Fürstenerhebungsurkunden74. Mit der Dispositio und damit dem rechtserheblichen Teil der Erhebungsurkunde kommt man zum zentralen Problem. Im Rechtsteil der Urkunde erhebt Kaiser Friedrich III. Landgraf Hesso gemeinsam mit seinen Landen und seiner Herrschaft zu einer gefürsteten Landgrafschaft und verleiht und bestätigt ihm und seinen Nachkommen alle einem Fürsten zustehenden Lehen, Regalien und Privilegien75. Mit der Verleihung und Bestätigung der Rechte und Privilegien wurde zugunsten Hessos in einer zweiten, nach der Erhebungsurkunde im Reichsregister P notierten Privilegierung die Herrschaft Landstuhl zu einer Grafschaft
Vgl. ebd.: darumb mit wolbedachtem mute, gutem rate unsrer und des reichs fursten, grafen, edeln und getrewen auch angesehen. Diese Passage zeigt überdies noch einmal deutlich, dass es sich 1444 nicht um eine Fürstenerhebung handelte. 71 Eine solche Konsensentscheidung findet sich beispielsweise bei der Erhebung Kleves 1417, vgl. UB Niederrhein 4 (wie Anm. 20) Nr. 102 S. 113: attentius regie considerationis intuitu limpidius intuentes, animo deliberato, sano etiam venerabilium archiepiscoporum, episcoporum ac nonullorum illustrium nostri et imperii sacri electorum et aliorum principum, comitum, baronum, procerum et nobilium, nostrorum fidelium dilectorum accedente consilio. 72 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 57r (siehe unten: VII. Edition). 73 Vgl. ebd: mit urkunde diss brifs, versigelt mit unserr keiserlichen maiestat guldin bullen. 74 Zuletzt enthält die Datierungsformel das Jahr und als direkte Bezugsreferenz Letare als kirchlichen Festtag sowie das Regierungsjahr des Königs (Reich) und Kaisers (Kaisertum). Vgl. unten: VII. Edition 75 Die Dispositio enthält lange standardisierte Klauseln, die die Bestandteile einer Herrschaft charakterisieren. Diese werden in der Transkription ausgeklammert, da sie zum Standardrepertoire der Urkundenformeln gehören. Vgl. zur Dispositio OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 56r–v (siehe unten: VII. Edition). 70
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erhöht76. Dies war nötig, um den Prozess der Fürstung abzuschließen. Ein Reichsfürst musste seinerseits über Reichslehen verfügen, die er an andere Hochadlige vergeben konnte. Die Fürstenerhebung, nach der rechts geschichtlichen Forschung, wurde erst durch eine Auflassung von Eigenbesitz von Seiten des zu Erhebenden an den Kaiser und einer Rückverleihung desselben durch den Kaiser wirksam77. Dies war allerdings nicht ohne weiteres möglich, da die (Land)Grafschaft Leiningen seit dem 13. Jahrhundert als zur Pfalzgrafschaft gehörendes Lehen weder direkt in der Hand des Leiningers noch in der des Königs lag. Hierin liegt nun auch die zentrale Problematik der Fürstenerhebung. Graf Hesso hielt die Grafschaft/Landgrafschaft Leiningen nicht direkt vom Kaiser, sondern vom Kurfürsten Friedrich I. Mit dem Ausgreifen des Kaisers auf sein ehemaliges, jedoch verlorengegangenes Reichslehen beschnitt er den Pfalzgrafen direkt in seinen lehnsherrlichen Rechten. Dass dies bewusst intendiert war, belegt die Dispositio der Erhebungsurkunde. In ihr wird festgeschrieben, dass die neue Landgrafschaft Leiningen als Fürstentum nicht nur ungeteilt weitergegeben werden sollte, sondern auch von keinem anderen Lehnsherrn außer dem König als Lehnsherrn gehalten werden dürfte. Das pfalzgräflich-leiningische Lehnsverhältnis wäre damit durchbrochen worden. Landgraf Hesso und seine Nachfahren hätten sich wiederum dem Kaiser als ihrem Lehnsherrn auf ewig verpflichtet78. Die Fürstenerhebung hätte für Hesso demnach bedeutet, sich im Konflikt zwischen Kaiser Friedrich III. und Kurfürst Friedrich I. gänzlich auf die Seite des Habsburgers zu stellen. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen. Die Rangerhöhung auf Reichsebene hätte einen kompletten Positionsverlust auf regionaler Ebene, mithin am Heidelberger Hof, bedeutet. Graf Hesso bedurfte der Gunst des Kurfürsten und seiner Stellung am Heidelberger Hof zu sehr, als dass er sie durch eine Fürstenerhebung hätte aufs Spiel setzen können. Die Fürstenerhebung zeigt im Falle Hessos zu Leiningen darüber hinaus zweierlei. Zum einen, dass das Streben nach Rangerhöhung in der mit 76 Vgl. ebd. fol. 57v–58r: Die herrschaft Manstul [sic] mit allen iren leuten, manschefften et cetera hienach begriffen zu einer graffschaft erhebt und gemacht und die lanntgrave Hessen von Lyningen mitsampt den wappen hernach gemelten verlihen. Zur Erhebung der Herrschaft Landstuhl sowie einer Edition der Erhebungsurkunde siehe Stefan G. Holz, Die Erhebung der Herrschaft Landstuhl zur Grafschaft 1452 im Kontext des Regional- und Reichsgeschehens, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 114 (2016) S. 53–64. In diesem Aufsatz plädierte ich noch für die Nichtausstellung der beiden Urkunden. Diese Deutung erscheint mir aktuell jedoch nicht mehr korrekt zu sein. 77 Vgl. Schlinker, Fürstenamt (wie Anm. 3) S. 217–224. 78 Vgl. OeStA/HHStA Wien, Cod. P, fol. 56v (siehe unten: VII. Edition).
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telalterlichen Adelsgesellschaft eine der zentralen Triebfedern war, die von königlicher Seite genutzt werden konnte, um eigene politische Interessen durchzusetzen. Zum anderen aber auch, dass das Streben nach Ranger höhung nicht um jeden Preis umgesetzt wurde. Hesso zu Leiningen wog gezielt ab, welche Konsequenzen eine Erhebung in den Reichs fürstenstand für ihn hatte. Er kam wohl zu dem Schluss, dass er sie anstrebte, jedoch nicht direkt umsetzen konnte. Darum vergingen fünf Jahre, bis Hesso seine Fürstenerhebung von 1452 schließlich zur Geltung brachte.
IV. Die Folgen der Fürstenerhebung von 1452 Möchte man die Folgen betrachten, die die Fürstenerhebung Hessos zu Leiningen nach sich zog, so lohnt ein erneuter Blick auf die Eigen- und Fremdwahrnehmung. In den ersten Jahren nach 1452 nannte sich Hesso weiterhin wie bereits zuvor: Wir grave Hesse zu Lyningen79. Erst fünf Jahre nach dem Romzug Kaiser Friedrichs III. und der Arrogation Kurfürst Friedrichs I., 1457, treten nachhaltige Veränderungen in der Titulatur auf. Für zwei Jahre begann Hesso von Leiningen neben seinem gräflichen Titel zusätzlich eine landgräfliche Titulatur zu führen: Wir Hesse lant grave zu Lyningen und grave zu Tagsburg et cetera80. Nicht nur, dass er erstmals den landgräflichen Titel verwendete, sondern er begann auch damit, seine übrigen Herrschaften in einer entsprechenden Titulatur zu repräsentieren. Zwei Jahre später, 1459, folgte der letzte Schritt in der Anpassung des Titels, die bis zu seinem Tode 1467 Bestand haben sollte. In lateinischen Urkunden nannte sich Hesso von nun an: Dei gratia Hesse lantgravio in Lyningen, comes in Dagsburg81. In deutschsprachigen Urkunden verwendete er folgende Intitulatio: Wir Hesse von Gots gnaden
Vgl. beispielsweise FLA Amorbach, Urkunden (1453 Januar 17); GLA Karlsruhe, 46/760 (1455); LA Speyer, D 11/456 (1456); Nova Subsidia Diplomatica Ad Selecta Iuris Ecclesiastici Germaniae Et Historiarum Capita Elucidanda 9, ed. Stephan Alexander Würdtwein, Heidelberg 1787, Nr. 124 (1455) S. 196. Im Jahr 1457 begann Hesso, seine gräfliche Titulatur um ein et cetera zu ergänzen, vgl. GLA Karlsruhe, 37/3908 (1457). 80 Vgl. StA Darmstadt, A 2/255/1499 (1457); FLA Amorbach, Urkunden (1458 Dezember 1); GLA Karlsruhe, 67/1903, fol. 261r–264r (1457), 258v–259r (1458); StA Ludwigsburg, B 189 I, U 96 (1458); LA Speyer C 25/40 (1458). 81 GLA Karlsruhe, 67/1903, fol. 267 (1459). 79
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lantgrave zu Lyningen et cetera82. Diese schrittweise Veränderung der Eigendarstellung in Briefen und Urkunden kulminierte schließlich in den 1460er Jahren in einem Reitersiegel (Abb. 2)83. Siegel stellten in doppelter Weise Rangansprüche dar. Zum einen emblematisch über ihr Bildprogramm, zum anderen textuell über ihre Umschrift84. Für Hesso zu Leiningen sind insgesamt drei Siegel überliefert. Neben dem fragmentarisch erhaltenen Sekretsiegel, das hauptsächlich für die Besiegelung von Briefen verwendet wurde, ist ein Wappensiegel (Abb. 1) auf uns gekommen, das über die gesamte Herrschaftszeit des Grafen Verwendung fand. Das runde, 34 mm im Durchmesser große Wachssiegel, das mit einer von Hesso bis 1457 genutzten Urkunden titulatur verwandten Umschrift S(IGILLUM) HESSE GRAVE ZU LININGE(N)85 versehen ist, unterschied sich nicht wesentlich von den Siegeln der anderen Grafen von Leiningen in der Mitte des 15. Jahrhunderts. Das Bildprogramm des Siegels zeigt einen nach links schräggestellten Schild mit drei Adlern (2:1), der von einem Spangenhelm mit Linden zweig geziert wird 86. Der einzige Unterschied zwischen Hessos Wappensiegel und jenen der anderen Grafen von Leiningen ist die Verwendung der Titulatur zu Liningen für Hesso und von Liningen für die anderen Mitglieder der gräflichen Familie87. Dieser geringe Unterschied kommunizierte erneut einen innerfamiliären Rangunterschied88. Die einzige Veränderung in Bezug auf das Wappensiegel wurde durch die Privile Ebd. fol. 278 (1460). Auch folgende längere Titulatur: Wir Hesse von Gots gnaden lant grave zu Lyningen und grave zu Tagsperg; vgl. Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 122 S. 257–261 (1460); FLA Amorbach, Urkunden (1466 Dezember 17); LA Speyer, C 19/280 (1465); HStA Wiesbaden, 339/948, fol. 240v (1465); UB Speyer 2 (wie Anm. 51) Nr. 168 f. (1462). 83 Das Reitersiegel wurde als Zeichnung bereits von Lehmann im 19. Jahrhundert abgedruckt, vgl. Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 4) Tafel Nr. 6. Das Reitersiegel ist lediglich zweimal überliefert: Fragmentarisch an einer Urkunde aus dem Jahr 1466, vgl. FLA Amorbach, Urkunden (1466 Dezember 17), sowie in einem unbeschädigten Zustand an der als Fälschung beziehungsweise Rückdatierung entlarvten Urkunde aus dem Jahr 1446, vgl. ebd. (1446 Juni 19); vgl. dazu auch Anm. 37. 84 Vgl. Peltzer, Rang (wie Anm. 5) S. 237–252. 85 FLA Amorbach, Urkunden (1438 August 13). 86 Vgl. zur Beschreibung des Siegelbildes Gesamtverzeichnis der Siegel im GattererApparat, hg. von Karl Heinz Debus (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 116,1–2), Koblenz 2013, 1, S. 72. 87 Vgl. ebd. 1, S. 71 f.; FLA Amorbach, Urkunden (1458 August 13) Graf Emichs VII., Graf Schaffrieds und Graf Hessos von Leiningen mit drei Siegeln. 88 Die Größe wurde nicht variiert. Auch die Vettern Hessos aus der Hardenberger Linie führten ähnlich große Siegel. 82
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gierung 1444 hervorgerufen. Nach ihr war es Hesso gestattet, für seine Siegel rotes anstatt naturfarbenes Siegelwachs zu verwenden89. Dass die Verwendung von rotem Siegelwachs, außer ihrer optischen Wirkung, jedoch keine realen Auswirkungen auf den Rang einer Person hatte, belegt der Umstand, dass das rote Siegelwachs nach 1444 im Wappensiegel nicht systematisch zur Anwendung kam. Auf die bildliche Gestaltung und Umschrift der Sekret- und Wappensiegel hatten demnach weder die Privilegierung von 1444 noch die Fürstenerhebung von 1452 Auswirkungen. Man hielt an den alten Siegeln fest und fertigte kein neues Siegeltypar an. Anders verhält es sich mit dem Reitersiegel. Es hatte durch sein Bildprogramm und seine Größe eine starke Wirkung auf den Betrachter und demnach eine herausgehobene Bedeutung für den Rang des Siegelführers. Das Reitersiegel kam mit Sicherheit erst in den 1460er Jahren zur Anwendung. Dies kann nicht nur aus den fehlenden Corroborationes vor 1460 geschlossen werden, sondern auch aus der Aufnahme der Dei Gratia-Formel in die Intitulatio ab 1459, die auch im Reitersiegel aufgegriffen wurde90. Mit einem Durchmesser von 76 mm war das Reitersiegel schon allein aufgrund seiner Größe Zeichen eines neuen Ranganspruchs. Das Siegelbild zeigt einen Ritter in Rüstung mit wehendem Umhang, der in seiner rechten Hand ein Schwert in die Höhe reckt und in seiner Linken den zum Betrachter gewendeten Wappenschild der Grafen von Leiningen hält91. Vgl. Spicilegium 1 (wie Anm. 11) Nr. 29 S. 395 (1444): auch alle ihre Briefe mit rothem Waches versiegeln mgen. 90 Vgl. die Corroboratio des Wappensiegels FLA Amorbach, Urkunden (1435 Juli 3): Des zu urkunde han wir graff Hess unser ingesziegel hencken an diesen brieff; ebd. (1453 Januar 17): Des zu urkunde so haben wir unser ingesiegel an diesen brieff thun hencken. Vgl. dagegen die erst in den 1460er Jahren bei ausgefertigten Urkunden nachweisbare Corroboratio des Reitersiegels ebd. (1466 Dezember 17): Des zu urkunde so han wir lantgrave Hesse, ob genant, unser lantgraveschafft ingesiegel an diesen brieff thun hencken. Die ältere Forschung behauptete fälschlich, dass das Reitersiegel bereits nach der Privilegierung 1444 verwendet wurde. Sie stützte sich dabei wohl vor allem auf die Urkundenfälschung des Jahres 1446, vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 145; Conrad, Leiningen (wie Anm. 4) S. 258; Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 4) S. 94. Ein Blick in das kurpfälzische Lehnsbuch unter den Lehen Graf Hessos verrät, dass bei den für die 1440er Jahre eingetragenen Urkunden zwei mit landgräflicher Corroboratio zu finden sind, vgl. GLA Karlsruhe, 67/1903, fol. 107r–v (s.d., vermutlich 1444), fol. 108v (1446). 91 Das Schwert ersetzte in den frühen Reitersiegeln bereits recht früh die Fahnenlanze. Noch für das beginnende 14. Jahrhundert kann anhand der Lehnsfahne als Symbol des Reichslehens in den Reitersiegeln zwischen Fürsten und nicht-fürstlichen Adligen unterschieden werden, Mitte des 14. Jahrhunderts ändert sich dies, sodass spätestens seit dem 15. Jahrhundert anhand dieser Attribute nicht mehr auf einen fürstlichen bzw. nicht-fürstlichen Statusgeschlossen werden kann. Der Hochadel definierte sich nicht mehr allein durch 89
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Der Reiter sitzt auf einem nach links galoppierenden, von einer wehenden Schabracke bedeckten Pferd. Der Helm des Ritters trägt den aus der Helmzier des Wappensiegels bekannten Lindenzweig. Sowohl der Helm als auch der Kopf und die Läufe des Pferdes ragen in die den fürstlichen Ranganspruch in Worte fassende Siegelumschrift VON GOTTES GENA DEN HESSE LANTGRAFE ZU LININGEN hinein. Dass das Reitersiegel Hessos eindeutig fürstlichen Rang kommunizieren sollte, wird an zwei Punkten deutlich. Zum einen in dem Umstand, dass Hesso überhaupt ein Reitersiegel führte. Die Zahl der hochadligen Familien, die ein Reitersiegel führte, nahm im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts kontinuierlich ab und konzentrierte sich auf eine kleine hochadlig-fürstliche Gruppe. Zwar führten auch im 15. Jahrhundert nicht-fürstliche Hochadelige Reitersiegel, doch sind dieselben der obersten Gruppe gräflicher beziehungsweise nicht-fürstlicher Hochadliger zuzuordnen. Ein zweiter Grund wiegt für den kommunizierten Fürstenrang jedoch noch schwerer – die Dei GratiaFormel. Christian Lackner konnte für den habsburgisch-österreichischen Herrschaftsraum im 15. Jahrhundert nachweisen, dass zwar nicht-fürstliche Personen Reitersiegel führten, unter diesen jedoch allein die Fürsten die Gottesgnadenformel in ihren Siegelumschriften verwendeten92. So veranschaulicht nicht nur der ab 1457/59 verwendete neue landgräfliche Titel in den Urkunden, sondern vor allem das Führen eines Reitersiegels mit Dei Gratia-Formel, dass Hesso fürstlichen Rang für sich in Anspruch nahm und diesen nach außen hin kommunizierte. Viel mehr als die Eigenwahrnehmung war die Fremdwahrnehmung Spiegel des Rangs. Wie wurde (Land)Graf Hesso zu Leiningen von seinen ein Lehen, sondern betonte dahingehend das Rittertum als Definitionsmerkmal, vgl. dazu Brigitte Bedos-Rezak, The social implications of the art of chivalry. The sigillographic evidence (France 1050–1250), in: Dies., Form and order in medieval France. Studies in social and quantitative sigillography (Variorum Collected studies series 424), Aldershot/Brookfield 1993, S. 1–31, hier S. 15; Peltzer, Rang (wie Anm. 5) S. 238, Anm. 54; Wilfried Schöntag, Das Reitersiegel als Rechtssymbol und Darstellung ritterlichen Selbstverständnisses. Fahnenlanze, Banner und Schwert auf Reitersiegeln des 12. und 13. Jahrhunderts vor allem südwestdeutscher Adelsfamilien, in: Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie. Festschrift für Hansmartin Schwarzmaier zum fünfundsechzigsten Geburtstag, hg. von Konrad Krimm/Herwig John (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg), Sigmaringen 1997, S. 79–124. 92 Vgl. Christian Lackner, Dei gratia comes. Zum Gebrauch der Gottesgnadenformel bei den Grafen von Görz, von Ortenburg und von Cilli und den Burggrafen von Maidburg, in: Päpste, Privilegien, Provinzen. Beiträge zur Kirchen-, Rechts- und Landesgeschichte. Festschrift für Werner Maleczek zum 65. Geburtstag, hg. von Johannes Giessauf (MIÖG Ergänzungsbd. 55), München/Wien 2010, S. 213–228, hier S. 227 f.
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Zeitgenossen wahrgenommen? Von der ersten Nennung Hessos in einer Urkunde Markgraf Bernhards von Baden 1429 bis ins Jahr 1457 wurde er durchgängig als edler/wohlgeborener Graf von Leiningen angesprochene93. Ab 1457 kam es zu Veränderungen. So wurde der Leininger zunehmend als Landgraf zu Leiningen tituliert, wie er dies selbst ab 1457 in seinen Urkunden und Briefen tat94. Die Eigentitulatur wurde demnach auch von anderen Hochadligen und ihren Kanzleien anerkannt und in das Formular der Urkunden und Briefe aufgenommen. Die erneuten Veränderungen in der Eigentitulatur ab 1459 durch die Einführung der Dei GratiaFormel, und damit eines fürstlichen beziehungsweise fürstengleichen Ranganspruchs, fanden auch in an Hesso adressierten Schreiben ihren Niederschlag. Das Attribut wohlgeboren, das für einen nichtfürstlichen Rang stand, wurde in den 1460er Jahren zunehmend durch die Formel hochgeboren ersetzt95. Zwar ist die Anrede hochgeboren nicht mit dem Fürstenrang gleichzusetzen, doch wurde sie lediglich für ranghohe Grafen, wie den Grafen von Württemberg, gefürstete Grafen, wie den Grafen
93 Siehe oben Anm. 29. Dazu folgende Amtsbezeichnungen 1. Der edel unser oheim und lieben getruwen Hesse grave zu Lyningen, unser hoffmeister: StA Darmstadt, A 3, Nr. 111/523 (1443); Mone, Beiträge (wie Anm. 29) Nr. 12 S. 433. – 2. Und diese hernachge schrieben rathe sind uff hute in den sachen by unß gewest mit nahmen die edeln Hesse graffe z Leiningen: LA Speyer, C 28/78, fol. 3v–4r (1444). 94 Folgende Inscriptiones adressieren Hesso noch als Grafen: FLA Amorbach, Urkunden (1461 Juli 17); GLA Karlsruhe, 37/3649 (1457); LA Speyer, C 28/Nr. 85, fol. 4v (1457), C 28/88, fol. 1v (1461); C 38/919, fol. 59r (1457). Folgende Urkunden adressieren Hesso als Landgrafen (alle mit * gekennzeichneten Urkunden weisen zusätzlich zur landgräflichen Titulatur die Anrede „wohlgeboren“ auf): FLA Amorbach, Urkunden (1458 Dezember 1), (1461 Juli 23)*, (1463 Juli 6)*, (1464 März 8)*, (1465 Januar 13)*, LHA Koblenz, 48/5396 (1464)*, LA Speyer, F 7/1600 (1457), C 28/85, fol. 4r (1457)*, HStA Stuttgart, A 602/4607 (1462); HStA Wiesbaden, 170 II/s.n. (1465), 170/1574 (1460); Gründliche Refutation des großen Westerburgischen so genannten besser gegründeten Gegen-Berichts, s.l. [um 1729], Nr. E, S. 9 f. (1467)*; UB Speyer 2 (wie Anm. 82) Nr. 171* S. 322; Geschichte des Herzog thums Würtenberg 3 (wie Anm. 51) Beilage Nr. 7 S. 7 f. (1462)*; Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 121 (1459) S. 254–257, Nr. 132 (1467)* S. 286 f. 95 Vgl. alle Urkunden mit der Formel hochgebohren (Urkunden, die Hesso als Fürsten titulieren, sind mit * gekennzeichnet): FLA Amorbach, Urkunden, (1458 November 30), (1467 April 7)*, (1467 Juli 11)*; GLA Karlsruhe, 67/1903, fol. 162r–v (s.d., vermutlich 1464)*, 163r (s.d., vermutlich 1464)*; LHA Koblenz, 48/5401 (1464); LA Speyer, A 1, U 187 (1467)*, C 2/41 (1460); HStA Wiesbaden, 170 II/1 (1466), 340/492a, fol. 5v (1464)*; UB Niederrhein 4 (wie Anm. 20) Nr. 328 S. 408 (1464)*. Heinrich Christian Senkenberg behauptete fälschlich, dass Hesso niemals mit dem Zusatz hochgeboren angesprochen worden sei, vgl. Johann Christian Senckenberg, Meditationum de universo iure et historia volumen, Gießen 1740, S. 619.
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von Henneberg, sowie durchgängig für Fürsten verwendet96. Eine Rangsteigerung, die über den einfachen Grafenrang hinausging, ist demnach deutlich erkennbar. Dies findet seinen Widerhall in einigen wenigen Urkunden, in denen Hesso als Fürst angesprochen wurde. Auffallend ist hierbei der Umstand, dass diese Fremdwahrnehmung, die über die direkte Anrede als Fürst oder die Verwendung der Ansprache hochgeboren gedeutet werden kann, nicht nur von Dienstleuten, Untertanen oder Vasallen erfolgte, sondern auch durch ranghohe Grafen und Fürsten wie Graf Emich VIII. von Leiningen97, Graf Bernhard zu Sayn-Wittgenstein98, Graf Johann II. zu Nassau (1442–1472)99 und Erzbischof Ruprecht von Köln (1427–1480)100 sowie Kaiser Friedrich III. selbst101. Der von Hesso bean 96 Vom Kaiser werden die Grafen von Württemberg in der Regel weder mit der Anrede hochgeboren noch als Fürsten angesprochen, vgl. beispielhaft Geschichte des Herzogthums Würtenberg 3 (wie Anm. 51), Beilagen Nr. 16 S. 20 (1462) der wolgebornn Ulrich grafe zu Wirtemberg. Von anderen, vor allem Nichtfürsten, werden die Grafen von Württemberg teilweise mit der Anrede hochgeboren, meist jedoch ohne Fürstentitel adressiert, vgl. beispielhaft ebd. Nr. 37 S. 57: des hochgebornnen herren Eberharts graven zu Wirttemberg. Die gefürsteten Grafen von Henneberg-Schleusingen erhalten sowohl die Anrede mit dem Attribut hochgeboren als auch häufig die Ansprache als Fürsten, vgl. beispielhaft Diplomatische Geschichte des Gräflichen Hauses Henneberg, hg. von Johann Adolph Schultes, Leipzig 1788/91, 2 (Urkundenbuch), Nr. 169 S. 211 (1415): den hochgebornen frsten und herrn Wilhelmen und herrn Heinrichen graven und herrn zu Hennenbergk, Nr. 194 S. 256 (1444): des hochgebornen unsers lieben Ohmen graven Wilhelms, Nr. 212 S. 282 (1464): den hochge bornen frsten und herrn herrn Wilhelmen graven und herrn zu Hennenberg. 97 Vgl. FLA Amorbach, Urkunden, (1467 April 7), (1467 Juli 11). 98 Vgl. ebd., 340/492a, fol. 5v (1464): dem hochgeborn fursten und heren herrn Hessen lantgraven zo Lyningen myne gnedigeen lieben heren. 99 Vgl. HStA Wiesbaden, 170 II/1 (1466): den hogeborn mynen gnedigen herrn lantgraven Hessen van Lyningen. 100 Vgl. UB Niederrhein 4 (wie Anm. 20) Nr. 328 S. 408 (1464): den hochgeboeren fursten und herren Hessen lantgraven zo Lyningen und graven zo Dagsburg. 101 Vgl. LHA Koblenz, 48/5401 (1464): den hochgebornnen wirdigen strengen [...] hern Hessen lantgraven zo Lyningen und graven zo Dagspurg. Gleiche Titulatur auch bei Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Heft 23: Die Urkunden und Briefe aus dem Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Bestand A 602: Württembergische Regesten, bearb. von Paul-Joachim Heinig (RI XIII 23), Köln/Weimar/Wien 2007, Nr. 218 (1461) S. 190 f., Nr. 270 (1462) S. 204, Nr. 398 (1462) S. 240; Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Heft 17: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken der Stadt Speyer, bearb. von Joachim Kemper (RI XIII 17), Köln/Weimar/Wien 2002, Nr. 140–141 S. 109. Auf der anderen Seite gibt es einige Urkunden nach 1457, in denen die Kanzlei Friedrichs III. Hesso nicht als Landgrafen, sondern Grafen adressiert. Dies ist in erster Linie auf Kopial- bzw. Sekundärüberlieferung zurückzuführen, bei denen die Titel nicht richtig angegeben wurden, vgl. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Heft 3: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Kassel (vornehmlich aus dem Hessischen Staatsarchiv Marburg/L.), bearb. von Paul-Joachim Hei-
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spruchte fürstliche oder zumindest gefürstete Rang wurde in den 1460er Jahren von den Großen des Reiches anerkannt102. Eigen- und Fremdwahrnehmung deckten sich. Die schrittweise Anpassung der Titelführung fand ihre Resonanz in der schrittweisen Anpassung der Fremdwahrnehmung: Der fürstliche Rang des Leininger Landgrafen stieß auf Akzeptanz. Diese Fremdwahrnehmung blieb auch über Hessos Tod 1467 hinaus bestehen. Er sollte als einziger Vertreter seines Hauses als Landgraf in die Geschichte eingehen. Allerdings blieb ihm der fürstliche Rang, der ihm von seinen hochadligen Zeitgenossen zugesprochen wurde, bis heute von Historikern verwehrt.
V. Das Abwarten und die neue Umgebung (1452/57–1467) Wie lässt sich die Fürstenerhebung 1452, die bis 1457 nicht angepasste Titulatur sowie schließlich die ab 1457 schrittweise veränderte Eigen- und Fremdwahrnehmung erklären? Auf den ersten Blick passen diese Beobachtungen nur schwer zusammen103. Um eine Erklärung für diese Entwicklungen zu finden, muss erneut ein Blick auf das direkte Umfeld (Land)Graf Hessos geworfen werden. Der Leininger stand besonders nach der Fürstenerhebung 1452 im Spannungsfeld zwischen Kaiser und Kurfürst. Im Zuge der Arrogation Philipps durch Friedrich I. spitzte sich der Konflikt zwischen Friedrich III., dem pfälzischen Fürsten sowie den Großen des Südwestens ab der zweiten Hälfte der 1450er Jahre zu, bis es schließlich zu mehreren militärischen Auseinandersetzungen kam. Da sich Hesso gegen die direkte Anwendung des Fürstentitels entschied, könnte nig (RI XIII 3), Köln/Weimar/Wien 1983, Nr. 92 (1465) S. 75; Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440–1493). Heft 8: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven der Regierungsbezirke Darmstadt und Gießen, bearb. von Dieter Rübsamen (RI XIII 8), Köln/Weimar/ Wien 1993, Nr. 209 (1465) S. 162. 102 So wurde Hesso im Lehnsbuch des Speyrer Bischofs Mathias Ramung nach den Pfalzgrafen bei Rhein sowie dem Markgrafen von Baden an erster Stelle vor allen anderen Grafen geführt, vgl. GLA Karlsruhe, 67/300, fol. 11v (1466). 103 Bereits Ende des 16. Jahrhunderts hatte der speyrische Notar und leiningische Chronist Schwierigkeiten, den genauen Zusammenhang zu erkennen, weswegen er in seiner Chronik folgende Erklärung fand; vgl. FLA Amorbach, 4/40/5, fol. 7r (1598): Es hat auch Heß graff zu Liningen, der erst dieses nahmens, sich durch seine tugenten alss erhohet, er in anno 1460 bei der römischen kaiserlich mayestät und den reichs standen so viel erlangt, er sich ein land grafen und von Gottes gnaden geschrieben. In summa: Diese grafen haben sich in der zeit sich so hoch und löblich gehaltten, das sie bei kaisern, königen, dem ganzen römische reich genad, huld und solche ehr gehabt.
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man meinen, dass seine Beziehung zum Kaiser darunter litt; dem war jedoch bei Weitem nicht so. Auch in den 1450er Jahren stand der Leininger in Diensten des Kaisers104. Er war weiterhin auf wichtigen Reichsversammlungen sowie mindestens zweimal persönlich am Hof des Kaisers105. Gleichzeitig gehörte Hesso zu den engsten Vertrauten des Pfalzgrafen. Er wurde in wichtigen Urkunden als Zeuge genannt oder fungierte als Mitsiegler106. Dieser gekonnte Spagat zwischen den beiden Konfliktparteien war jedoch nicht auf Hesso beschränkt. Ein Blick auf das Haus Baden in den 1450er und 60er Jahren zeigt ähnliche Muster107. Auch die Markgrafen schafften es, zwischen Kaiser und Kurfürst gekonnt zu rangieren. Diese Flexibilität und das bewusste Changieren garantierten die Umsetzung der persönlichen Interessen der „kleinen“ Fürsten und Hochadeligen sowie ihrer Familien. Auch (Land)Graf Hesso scheint dieses Changieren beherrscht zu haben. Es garantierte ihm seine Stellung, sowohl am Hof des Kurfürsten als auch in Diensten des Kaisers. Die schrittweise Durchsetzung seines neuen Rangs ab 1457 muss aufs Engste mit den zeitgenössischen politisch-militärischen Auseinandersetzungen verbunden gewesen sein. Nachdem Hesso sich 1457 dazu entschieden hatte, seinen landgräflichen Rang durch die Anpassung seiner Intitulatio umzusetzen, war der 1459 ausbrechende Fürstenkrieg (1459–1463) das erste einschneidende Konfliktfeld, in welchem sich Kaiser und Kurfürst gegenüberstanden. Noch im selben Jahr begann Hesso, in der Anwendung der Dei Gratia-Formel einen fürstlichen Rang zu beanspruchen. Diesen behielt er auch im Zuge der Mainzer Stiftsfehde (1461/62) bei. Landgraf Hesso nutzte in den turbulenten Jahren 1457–63 seine wichtige Stellung am kurpfälzischen Hof dafür, seine Fürstenerhebung fünf Jahre nach der Urkundenausstellung doch noch zur Geltung zu bringen. Kurfürst Fried 104 Vgl. beispielsweise Kommissionsvorsitz im Namen des Kaisers RI XIII 17 (wie Anm. 101) Nr. 140–141 S. 109 (1462). 105 Zu den Reichsversammlungen: Wiener Neustadt 1455 (ergibt sich daraus, dass Hesso sich bereits 1454 am kaiserlichen Hof aufhielt, vgl. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440– 1493). Heft 7: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken des Regierungsbezirks Köln, bearb. von Thomas R. Kraus (RI XIII 7), Graz/Köln/Wien 1990, Nr. 122 S. 109). 106 So beispielsweise im Vertrag von Eger 1459 zwischen Kurfürst Friedrich I. und König Georg von Böhmen (1458–1471), vgl. Ausgewählte Urkunden (wie Anm. 50) Nr. 121 S. 254–257 (1459). 107 Vgl. Konrad Krimm, Baden und Habsburg um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Fürstlicher Dienst und Reichsgewalt im späten Mittelalter (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Reihe B, Forschungen 89), Stuttgart 1976.
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rich I. bedurfte bedeutender Verbündeter und Vertrauter, um in den Konflikten sowohl politisch als auch militärisch bestehen zu können. Auch wenn die Jahre 1457–63 in Bezug auf das Verhältnis Friedrichs I. und Hessos zu Leiningen nicht en détail aufgeschlüsselt werden können, scheint es Hesso aufgrund seiner Treue zum Kurfürsten geschafft zu haben, seinem neuen fürstlichen Ranganspruch Akzeptanz zu verleihen. Nichtsdestoweniger mied Hesso zu Beginn der 1460er Jahre das Spannungsfeld zunehmend. Zum einen ist er in den 1460er Jahren weder am kaiserlichen Hof noch auf Reichsversammlungen nachweisbar – der direkte Kontakt zu Friedrich III. wurde möglicherweise zurückgefahren, weil sich Hesso mehr und mehr selbst einen fürstlichen Rang zusprach, gleichzeitig jedoch auf Seiten des Pfalzgrafen stand. Zum anderen verließ Hesso den Heidelberger Hof. Nach der Wahl Ruprechts von der Pfalz zum Erzbischof von Köln 1463 zog Hesso mit ihm von Heidelberg nach Köln. Dieser Orts- und Hofwechsel wurde bewusst vollzogen. Hesso stand in den Konflikten um Kurfürst Friedrich I. zwar weitgehend auf Seiten des Wittelsbachers, doch scheint die Möglichkeit, die angespannte Situation durch einen Hofwechsel lösen zu können, Hesso dazu veranlasst zu haben, mit Ruprecht nach Köln zu ziehen. Die neue Umgebung bot dem Leininger überdies die Möglichkeit, seinen fürstlichen Ranganspruch in einer neuen Umgebung verwirklicht zu sehen. Der Ortswechsel brachte in der Tat die erhöhte Akzeptanz seines neuen Rangs108. Die Mehrheit jener Großen des Reichs, die Hessos fürstlichen Rang nun auch in ihren Urkunden und Schreiben akzeptierten, stammt aus der Zeit nach 1463109. Der Hofwechsel von Heidelberg nach Köln sowie der Rückzug von der direkten Reichsebene – Reichsversammlungen und kaiserlicher Hof – bedeuteten daneben keineswegs das Ende seiner wichtigen Amtsfunktionen für die Wittelsbacher oder den Kaiser. Am kurkölnischen Hof war Hesso Hofmeister und Landrichter110. Für den rheinischen Pfalzgrafen blieb 108 Eigentlich sollte man eine gewisse Spannung zwischen Hessos fürstlichen Ranganspruch und seinem Fürstendienst erwarten. Dies scheint jedoch nicht der Fall gewesen zu sein. Hesso befand sich zum einen auf der untersten Stufe der Reichsfürsten, zum anderen war der Fürs tendienst zu wichtig, um ihn aufzugeben, gerade als Tor zu neuen sozialen Verbindungen. 109 Siehe oben. 110 Vgl. beispielsweise LHA Koblenz, 48/5396 (1464). Spätestens seit 1466 war Hesso nicht mehr Hofmeister, da das Amt von da an in den Händen Götz‘ von Allenzheim lag, vgl. Nachlese in den Reichs-Geschichten. Bestehend in einer neuen Sammlung von ungedruckten Reichs-Tags- und ins besondere von Reichs-Städtischen-Collegial-Handlungen unter der Regierung Kaiser Friederichs III., hg. von Gustav Georg König von Königsthal, Frankfurt am Main 1759, 2 S. 5.
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Hesso weiterhin einer der wertvollsten Berater111. Außerdem fungierte er als Schiedsrichter in mehreren Streitigkeiten zwischen Friedrich I. auf der einen und Graf Ulrich V. von Württemberg (1413–1480), Bischof Johannes II. von Speyer († 1467) sowie Erzbischof Dieter von Mainz (1412– 1482) auf der anderen Seite112. Auch für den Kaiser stand Hesso in den 1460er Jahren weiterhin in Diensten, unter anderem im Hofgericht sowie bei der Vergabe von Reichslehen113. Warum Hesso seinen neuen fürstlichen Rang nicht bei den Reichsversammlungen der 1460er Jahre zur Geltung zu bringen versuchte, bleibt offen. Möglicherweise wollte er gezielt eine Parteinahme zwischen der pfalzgräflichen und kaiserlichen Seite vermeiden, die durch sein Auftreten bei Reichsversammlungen hätte unumgänglich werden können. Die Durchsetzung seines fürstlichen Ranganspruchs, die in direkter Verbindung mit den Konflikten zwischen Kaiser und Kurfürst stand, hätte auf den Reichsversammlungen zu Unstimmigkeiten führen können, die wiederum sein Bestreben, fürstlichen Rang zugesprochen zu bekommen, hätte gefährden können.
VI. Fazit Landgraf Hesso zu Leiningen bietet ein Paradebeispiel für das Studium der politisch-sozialen Ordnung des Reichs in der Mitte des 15. Jahrhunderts. In seiner Person spiegeln sich die enge Verflochtenheit zwischen Reichsund Regionalebene sowie die Bedeutung des Ranges in der spätmittelalterlichen Gesellschaft wider. Reichspolitik konnte nicht ohne Regionalpolitik betrieben werden. Für die Umsetzung kaiserlicher Interessen war der regionale Hochadel unabdingbar. Dies konstituierte sich in erster Linie über die Netzwerke der Hochadligen sowie in ihrer Stellung an fürstlichen Höfen. Hesso zu Leiningen war durch seine herausgehobene Position am kurpfälzischen Hof ein wichtiger Bündnispartner des Kaisers in den Auseinandersetzungen um die Arrogation des minderjährigen Philipps durch Kurfürst Friedrich I. 1451/52. Die Politik Hessos verdeutlicht auch, dass es dem (gräflichen) Hochadel immer darum ging, Fürstenrang zu erlangen. Dieses Rangstreben des nichtfürstlichen Hochadels konnte von Seiten des 111 Dies belegt beispielsweise seine Mitbesiegelung der Anerkennungsurkunde Kurfürst Philipps bezüglich der Arrogation Friedrichs I., vgl. Brinckmeier, Genealogische Geschichte 1 (wie Anm. 4) S. 149. 112 Siehe oben Anm. 51. 113 Siehe oben Anm. 104.
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Kaisers genutzt werden. Fürstenerhebungen stellten die beste Möglichkeit dar, nichtfürstliche Reichsglieder für ihre Dienste zu belohnen und sie gleichzeitig für die kaiserliche Agenda zu vereinnahmen. Genau eine solche Fürstenerhebung versuchte Kaiser Friedrich III. 1452 zu nutzen, um mit Graf Hesso zu Leiningen einen bedeutenden, regionalen Hochadligen im Konflikt mit dem pfälzischen Kurfürsten auf seine Seite zu ziehen. Das Abwarten Hessos zwischen der Fürstenerhebung im Jahr 1452 und der schrittweisen Umsetzung seines fürstlichen Rangs zwischen 1457 und 1463 sowie schließlich der Umgebungswechsel ab 1463 zeigen zweierlei: Zum einen, dass sich der regionale Hochadel im Spiel der Fürsten und des Kaisers taktisch zu platzieren hatte. Die jeweilige politische Situation musste ausgelotet werden, um die eigene Position sowie den eigenen Rang bestmöglich umsetzen zu können. (Land)Graf Hesso zu Leiningen beherrschte wie andere Hochadlige des Reiches dieses Changieren zwischen Fürsten und Kaiser. Dennoch führte sein fürstlicher Ranganspruch zu Spannungen, die Hesso nach 1463 bewusst mied, indem er mit Erzbischof Ruprecht nach Köln zog. In dieser neuen Umgebung konnte Hesso seinen fürstlichen Ranganspruch voll umsetzen – ferner fand er Anerkennung bei den Großen des Reichs. Dass sich das Abwarten und Taktieren Hessos am Ende auszahlte, lag an der Bedeutung des gräflichen Hochadels für Fürsten und König, die wichtiger hochadliger Verbündeter für ihre unterschiedlichen Konfliktfelder bedurften.
VII. Edition Kaiser Friedrich III. erhebt Landgraf Hesso zu Leiningen zu einem gefürs teten Landgrafen und die Landgrafschaft Leiningen zu einer gefürsteten Landgrafschaft. Der Kaiser verleiht Landgraf Hesso und seinen Erben die gefürstete Landgrafschaft Leiningen als vom Reich herrührendes Lehen mit allen damit verbundenen Diensten und Pflichten.114 1452 März 20, Rom Folgende Transkriptionsrichtlinien wurden der Edition zugrunde gelegt: Buchstabengetreue Wiedergabe der Vorlage. I und j werden konsonantisch, u und v vokalisch transkribiert. Kürzungen werden stillschweigend aufgelöst. Durchgehende Kleinschreibung, außer bei Eigennamen und am Satzanfang. Satzzeichen und Worttrennung nach modernen Grundsätzen. Das Kopfregest wurde nach den Richtlinien der staatlichen Archive Bayerns erstellt, siehe: Joachim Kemper, Neue Richtlinien der staatlichen Archive Bayerns für die Erstellung von Urkundenregesten, in: AZ 91 (2009) S. 209–219.
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Kop. (zeitgleich), dt., Pap., OeStA/HHStA Wien, Reichskanzlei: Reichs registerbücher Kaiser Friedrichs III., Cod. P, fol. 56r–57r; Überschrift (fol. 56r, mittig über dem Urkundentext): Lanntgrave Hessen von Lyningen, sein erben und nachkomen erhcht und gefrst. Im auch sein lannt und herrschaft zu einer gefursten lanntgrafschaft zu Lyningen gemacht et cetera; Relationskonzeptvermerk (fol. 57r, links unterhalb des Urkunden textes): Consculta S.115; Mandatsvermerk (fol. 57r, rechts unterhalb des Ur kundentextes): Ad mandatum proprium de imperatoris Ulricus Wlczly116. [56r]d In dem namen der heiligen und ungetailten drivaltikeit Gotes slickeit amen. Wir Friderich von Gotes gnaden romischer keiser et cetera bekennen et cetera cum titulo maiori. Wann sich die keiserliche hochwirdikeit, der wir von unausprechlicher gtiger gotes gnstikeit vorgesaczt sein, und von der in diser zeit aller irer und des reichs undertanen gewalt, adel und ambt recht als die schein von der sonnen urspruncklich geflossen sind und fliessen, beispil zu nemen an dem himelischen obristen keiser, der in menige seiner erwelten gevallen hat, sunderlich und billich frwet, so ir keiserlich crone mit vil erleůchten fursten, edler und getrewen, zierlich umbestellet und umgeben ist und sy auch redlich gewisset hat, so die zale irr erlechten fursten, edlen und getrewen gemeret ist, daz dann ir lobe und ere grszlicher geweittet und erkannt wirdet, das wir auch mer und mer hoffen, vollenbracht zu werden, so wir unser und des reichs hochgebornen edlen und getrewn, und nmlich die wir nun versucht und an den werchen erkannt haben, erhhen, wirdigen und eren und mit unsern sunderlichen keiserlichen gnaden gndiclich grsser machen. Wan wir des hochgeboren Hessen lanntgraffen zu Lyningen, unsers lieben oheims und fursten vordern und er, unsern vorfarn am reich und uns mit gehorsamen getrewen und nuczen dinsten so williclich und manigvalticlich allcziit geeret und gedient haben und auch sy und er dem reich und uns so berait und dinstpare allcziit gefunden sind. Und sunderlich als der obgenant Hesse yecz und mit nachfolge mit uns ber berg gen Rome zu der emphahung 115 Bei der Namenskürzung S. könnte es sich um Graf Schaffried von Leiningen handeln, der zu dieser Zeit in Diensten Kaiser Friedrichs III. stand und als naher Verwandter Hessos dessen Fürstenerhebung vermittelt haben könnte, vgl. dazu Anm. 57. 116 Bei Ulricus Wlczly handelt es sich um den Augsburger Domherren Ulrich Welzli von Göppingen, der ab 1442 königlicher Kanzleischreiber (nicht Protonotar) und durch den Nachweis im Reichsregister Cod. P ab 1452 bis zu seinem Tode 1464 Vizekanzler beziehungsweise Kanzler in der kaiserlichen Kanzlei war, siehe: Harry Bresslau, Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien 1, Berlin 31958, S. 538. d In der rechten Marginalie, oberhalb der ersten Zeile der Urkunde, von zwei späteren Händen: Hessen. Leiningen.
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unsrer keiserlichen krone so williclich, fleiszlich und getreulich gedienet hat, daz wir das billich mit sunderlichen, unsern keiserlichen gnaden bedennken und des denselben Hessen geniessen lassen sullen, zu sein erben und nachkomen hher ze machen und von romischer keiserlicher macht gnediclich zu erlechten, zu wirdigen und zu erheben. Darumb mit wolbedachtem mute, gutem rate unsrer und des reichs fursten, grafen, edeln und getrewen auch angesehen, desselben Hessen voraltern und seinen edelen ursprungk und hhe gebrdt, auch die trefflich grosse, breyde und weyt seiner herrschafft und lannde und darczu solich manigfeltige redlicheit, vernunfft, tugende und weiszheit damit er gecziret ist, haben wir auf hwt datum diss briefs, von sunderlichen, unsern keiserlichen gnaden demselben Hessen, seinen erben und nachkomen, bede man und frawen geslchte, erlechtiget, gewirdiget, gefrstet, erhhet und zu rechten fursten und furstinn, lanntgrafen und lanntgrafinn zu Lyningen in Gotes namen erhebt und gemacht, erlechten, wirdigen, erhhen, erheben und machen mit rechter wissen und von romischer keiserlicher macht volkomenlich in crafft disz briefs. Wir haben auch des egenanten Hessen lanntgrafen zu Lyningen, seine lannde und herrschafft mit allen und ieglichen iren lwten, steten, slossen, merkten, drffern, felden, bergen, teleren, buschen, wlden, begaiden, wiltpnnen, wassern, wasserlwffen, mlen, tichen, [56v] vischerien, lanntgerichten stettgerichten, dorffgerichten, hubgerichten und anderen gerichten, lehen, lehenschefften, lehenmannen, edln, rittern und knechten, gemeinem volk, zllen, gelaitten und jarmerkchten und wochenmerckten und sunst mit allen anderen iren zugehrungen, wie die genant sind und wie man die nennen mag, sy seyen ob under under der erden, als dann die alle und ir jeglichs in denselben, seinen lannden und herrschefften gelegen und begriffen sind, zu einer rechten gefursten lanntgrafschafft zu Veningene gemacht und erhaben, machen und erheben, in crafft disz brifs und von romischer keiserlicher macht volkomenlich. Und haben auch demselben Hessen solich gefrst lanntgraffschafft mit allen iren eeren, wirden, adel, rechten, gnaden, privilegien und freiheiten geraicht und gegeben, daz er und sein obgemelten erben und nachkomen sich der eren halten und gebrauchen sullen und mugen gleich andern unsern gefursten lanntgrafen im den reiche. So sullen auch und wir wollen, daz der vorgenant lanntgraf Hesse, sein erben und nachkomen vorgemelt, ire regalia und lehen, so sy von uns und dem heiligen reich haben, mit gewndlichen, aufgereckten banieren, fanen und zie Eindeutige Verwechslung beziehungsweise Schreibfehler.
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rungen, soofft und dick sich das gebren wirdet, von uns und dem reiche und unsern nachkomen am reich, kaisern und konigen, erkennen, ephahen und darauf geloben und sweren, gleich als dann andern unsern und des reichs fursten gwondlich ist ze tun. Als uns auch der jeczgenant Hesse als ein lanntgrafe zu Lyningen daruff gewondlich eide und glbde getan hat, uns und dem reiche getrew, gehorsam und gewertig zu sein, zu dienn und zu tun, als ein getrewr furst und lanntgrave seinem rechten herren, einem romischen keiser, von seiner regalia und lehen wegen phlichtig ist zu tun an gevrde. Und daz er auch allen und jeglichen in solichen seinen lannden dem reichen als dem armen, dem armen als dem reichen fride und gerechtikeit sol schaffen, bestellen und mit den werken getreulich widerfaren lassen, nach seiner gewissen und vermgen auch an gevrde. Hierumb meinen, seczen und wellen wir von derselben unsrer romischen keiserlichen gewalt, daz der benant Hesse lanntgraf zu Lyningen und nach im all sein erben und nachkomen, als vorgemelt ist, frbaszmer ewiclich des heiligen romischen reichs gefursten lantgrafen zu Lyningen sein, heissen und von allermniclich also genennet und als des heiligen reichs gefrst lanntgraven und lanntgrfinn geeret und gehalten werden. Und darczu auch alle und jegliche freiheit, gnad, recht, ere und wirdikeit, wie die seinn und sich ander geboren gefrst lanntgrafen des heilign reichs in und awszwendig gerichts und sunst von recht oder gewonheit haben und gebrauchen auch haben und der an allen ennden gebrauchen und geniessen sullen und mgen, an allermeniclichs irrung und widersprechen, doch unschedlich hierinne uns und dem heiligen romischen reiche und unsern nachkomen, romischen keiseren und konigen, an unsrer manschafft und dinsten und sunst einem jeglichem an seinen rechten. Und wir gebieten auch darumb, von der vorgenanten unsrer keiserlichen macht, allen und jeglichen unsern und des heiligen reichs fursten, grafen, edlen, undertanen und getrewn, in welichem statt, wirden, adel oder wesen die seinn, ernstlich und vesticlich [57r] mit disem brief, daz sy den vorgenanten, unsern lieben oheim und fursten, Hessen lanntgrafen zu Lyningen, sein erben und nachkomen, an den vorberurten unsern keiserlichen erhhung, fur selicher eeren und wirden, der lanntgraffschafft zu Lyningen, als vorgemelt ist, nit hinderen oder irren, in dhein weys, sunder sy also als unser und des heiligen reichs gefursten lanntgrafen und lanntgrfinn zu Lyningen, wie vorgemelt ist, haben und halten, alsz lieb einem jeglichen sei zu vermeiden unser und des reichs swer ungnad, und die pene tawsent mark ltiges goldes, die ein jeglicher, der hiewider tte, alsofft unde dick das beschee, verfallen sein sol, halb in unser und des reichs camer und die ander halbe dem egenanten lanntgra-
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fen unablszlich zu beczalen. Auch haben wir demszelben Hessen lanntgrafen zu Lyningen und seinen vorgemelten erben und nachkomen die besunder gnade getan und des gefriet, das wir oder unser nachkomen, romischer keiser und konig, an dem reiche, sy mit iren regalien und lehen, wie sy die von uns und dem heiligen reich haben und gewont seinn, gemeniclich oder sunderlich, gancz oder geteilt nymermer an kein ander hanndt oder ennde, in dhein weis wennden oder komen, sunder sy damit ewiclichen bei uns und dem heiligen reiche bleiben lassen und behalten sullen. Wir ordnen, seczen und wollen auch, nach des obgenanten lanntgraf Hessen abgang, sein eltister und nachster erb, und nach desselben abganng ye der eltest und nechst erib, solich ir regalia und lehen von uns als einem romischen keiser und nach uns unsern nachkomen, romischen keisern und konigen, ewiclich emphahen, und uns und unsern nachkomen, romischen keiseen und kunigen, an dem reiche darumb verpunden sein, wie vorgeschrieben stet. Derselb auch der solich regalia und lehen zu yeden zeiten von uns und unsern nachkomen an dem reich, romischen keisern und konigen, nach der jeczgemelten ordnung emphahet, sol die allein innehaben, besiczen und der geniessen, ane allen eintrage der andern seiner erben und sust allermniclichs. Mit urkunde diss brifs, versigelt mit unserr keiserlichen maiestat guldin bullen. Geben zu Rome, nach Crist geburt vierczehenhundert und darnach im zwaiundfunfczigisten jar, an montag nach dem suntag als man in der heiligen chirchen singet letare in der vasten, unsers reichs imf im zwelfften und des keiserthumbs im ersten jare.
Abb. 1: Wappensiegel Graf Hessos zu Leiningen (an: FLA Amorbach, Urkunden [1453 Januar 17], Foto: Stefan G. Holz).
Erstes im ist vom Schreiber gestrichen worden.
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Abb. 2: Reitersiegel Landgraf Hessos zu Leiningen (an: FLA Amorbach, Urkunden [1446 Juni 19], sic: Fälschung/Interpolation; das Reitersiegel wurde erst ab den 1460er Jahren verwendet, Foto: Stefan G. Holz).
IX. Abstract During his coronation expedition to Rome in 1452, Emperor Frederick III (1440–1493) elevated Hesso, count of Leiningen-Dagsburg († 1467), to the rank of a princely landgrave. This article brings to light a hitherto unknown princely elevation charter of 1452. The newly discovered charter demonstrates the importance not only of the counts of Leiningen for southwestern German regional history, but also, more broadly, of regional higher nobility in imperial politics. Through recreating the context of the elevation and its consequences, the article uses a range of sources, including charters, letters, and seals, to show how members of the higher nobility in the fifteenth century were able to manoeuvre themselves among the major powers of the Empire – the king and the princes.
Die Rotunda in der Epigraphik von WALTER KOCH
Lässt man die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften Revue passieren, so ist die phasenweise enge Beziehung zu geschriebenen Schriften offenkundig1. Es sind in romanischer Zeit vielfach die Auszeichnungsschriften in Codices, die den Gotisierungsprozess von der auslaufenden karolingischen Kapitalis in Richtung Gotischer Majuskel mehr oder weniger deutlich vorantrieben2, wobei vielfach gemalten Inschriften, die in der Sehr herzlich danke ich Herrn Kollegen Dr. Franz-A. Bornschlegel (Historisches Seminar der Universität München, Abt. Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde) nicht nur für die Überlassung von Bildmaterial, darunter ihm zur Verfügung stehende Fotos von Prof. Dr. Albert Dietl (Regensburg) und Frau Dr. Renate Kohn (Wien), sondern auch für zielführende Gespräche. Unterstützung verdanke ich auch Frau Dr. Chris tine Steininger (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Projekt für die Herausgabe der Deutschen Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit). 2 Siehe Walter Koch, Auf dem Weg zur Gotischen Majuskel. Anmerkungen zur epigraphischen Schrift in romanischer Zeit, in: Inschrift und Material, Inschrift und Buchschrift. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Ingolstadt 1997, hg. von Walter Koch/Christine Steininger (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Abhandlungen N. F. 117), München 1999, S. 237–240, vor allem S. 239 f., vgl. auch Ders., Inschriftenpaläographie des abendländischen Mittelalters und der früheren Neuzeit. Frühund Hochmittelalter, Wien/München 2007, S. 158 ff. – Es mag zweifellos reizvoll sein, Auszeichnungsschriften in den Codices und auf Steindenkmälern in der älteren Zeit miteinander unmittelbar zu vergleichen – unter der Voraussetzung, dass jeweils genügend geeignete Beispiele beider Spezies an Ort und Stelle vorliegen. Einen solchen Versuch unternahm zuletzt auf dem 18. Kolloquium des Comité International de Paléographie Latine in St. Gallen (11.– 14. September 2013) Frau Marina Bernasconi Reusser (Fribourg): „Handschriften und Inschriften des 11/12. Jahrhundert aus dem Kloster Allerheiligen in Schaffhausen“, München 2015, S. 339–356. Man findet in der Regel allerdings nur die richtungweisende Übernahme von graphischen Tendenzen und nicht unmittelbare Nachahmungen von herausstechenden Elementen in bestimmten Codices. – Besonders offenkundig ist jedoch die Nähe von Auszeichnungsschriften bzw. Zierseiten zu gehauenen Inschriften im Frühmittelalter und im früheren Hochmittelalter im Bereich jener Schriften gewesen, die früher als „Natio 1
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Regel Steininschriften im Entwicklungsablauf deutlich voranlagen, eine Brückenfunktion zukam. Mag hierbei also die Buchschrift mit ihrem Zierbereich als Stilisierungselement vielfach eine maßgebliche Rolle gespielt haben, so sind in anderen Fällen Buch- und Schreibschriften, also zeitgenössische Minuskelschriften, direkt in den epigraphischen Bereich eingedrungen und wurden den epigraphischen Erfordernissen angepasst. Es war dies zunächst die Gotische Minuskel, eine Umsetzung der schreibschriftlichen Textualis3 bzw. Textura, die als epigraphische Schrift unterschiedlichen Niveaus das Spätmittelalter in Mittel- und Westeuropa maßgeblich bestimmte und darüber hinaus noch im 16. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte, daneben die Rotunda4 in Mittel- und vor allem in Oberitalien mit Ausstrahlung nach Südfrankreich und vor allem Spanien („Letra formada“)5, weiters die Humanistische Minuskel (Minuskelantiqua) und nach dem Vorbild von spätmittelalterlichen Bastardschriften und der Druckfraktur die Fraktur als epigraphische Schrift, wobei nalschriften“ bezeichnet wurden, also im fränkischen vorkarolingischen, im insularen und im iberischen Bereich. Siehe zu epigraphischen Denkmälern im Schreibstil von Luxeuil Walter Koch, Auszeichnungsschrift und Epigraphik. Zu zwei Westschweizer Inschriften der Zeit um 700 (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl., Sitzungsberichte, Jg. 1994, Heft 6), München 1994, S. 18 ff. Zu den beiden anderen Bereichen siehe zusammenfassend Ders., Inschriftenpaläographie (wie Anm. 2) S. 88–101, 134–144. 3 Siehe zuletzt Albert Derolez, The Palaeography of Gothic Manuscript Books from the Twelfth to the Early Sixteenth Century, Cambridge 2003, S. 72–101. Er spezifizierte der grundsätzlichen Terminologie seines Lehrers Gerard Isaac Lieftinck folgend dessen Terminus „Textualis (libraria)“ mit „Northern Textualis“, wobei der alte, schon zeitgenössische Begriff „Textura“ als höchste Form dieses Schrifttyps bei Lieftinck und Derolez als „Textualis formata“ bezeichnet wird. 4 Die Rotunda ist nach Lieftinck wie die Textura eine „Textualis formata“, von Delorez spezifiziert zu „Southern (oder Italian) Textualis formata (oder Textualis libraria) (Rotunda)“. Die sehr kompakt und besonders eng geschriebene Rotunda der Bologneser Universitätsschriften mit zahlreichen Buchstabenverbindungen bezeichnet Derolez mit „Southern Textualis Libraria (Littera Bononiensis)“. Siehe etwa Derolez, Palaeography (wie Anm. 3) Abb. 56. Abbildungsmaterial zur „Southern Textualis and Semitextualis“, zur geschriebenen Rotunda in Italien, Südfrankreich und Spanien mit mancherlei Modifikationen siehe bei Derolez Abb. 47–76. – Im Corpus Inscriptionum medii aevi Liguriae (CIMAL) wird die Rotunda als „Gotica epigrafica minuscola rotonda“ bezeichnet, was nicht mit „Gotica epigrafica rotonda“ zu verwechselt ist, was in diesem epigraphischen Corpuswerk eine etwas breitere Ausführung der Gotischen Majuskel bedeutet. Als „Rotunda“ wird bei zeitgenössischen deutschen und holländischen Schreibmeistern eine Textura ohne Schaftbrechung bezeichnet. Diese hat nichts mit der Schrift, um die es hier geht, zu tun. 5 Die Rotunda in Spanien ist nicht zu verwechseln mit der spanischen „Redonda de libros“. Diese ist eine aus einer stilisierten Urkundenschrift des 13. Jahrhunderts abgeleitete Buchschrift des 14. Jahrhunderts. Vgl. etwa Garcia Villada, Paleografia española. Album, Madrid 1923, Taf 96–98.
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beide letzteren zusammen mit der in der Renaissance zunächst in Italien und schließlich europaweit nach dem Vorbild der antiken Monumentalschrift in der Renaissance wieder aufgegriffenen Kapitalis schließlich – und dies letztlich in unterschiedlicher Qualität – den epigraphischen Pluralismus der Neuzeit ausmachten. Im Buchbereich ist die Rotunda das „nationalitalienische“ Gegenstück zur nördlichen und westlichen Textura. Als Textualis formata ist sie bei voller Ausprägung ebenfalls eine hochrangige gotische Buchschrift. Auch ihre Wurzeln reichen weit zurück, ins zwölfte Jahrhundert auf jeden Fall. Im Gotisierungsprozess der hochmittelalterlichen karolingischen Minuskelschrift geht sie jedoch einen modifizierten, vielfach anderen Weg. Während wir im nördlichen Bereich jene Streckung der Formen, die beginnende Gitterhaftigkeit, die Brechungen sowie die Organisation der Schäfte auf der Grundlinie zunehmend sehen, was regional unterschiedlich, zumindest im vorgerückten 12. Jahrhundert über die sogenannte “frühgotische Minuskel“ Bernhard Bischoffs6 zu den gotischen Buchschriften (Textuales) und schließlich zur Textura (Abb. 1) führte7, mied die Schrift in Italien jenen Zug zum Krassen, Unausgewogenen und Bizarren8. Die Rotunda (Abb. 2) ist durch breitere Formen – vielfach in ein Quadrat einschreibbar – gekennzeichnet9. Die Brechungen der Bögen sind stark gemildert, das bedeutet, dass wir es mit größeren Brechungswinkeln zu tun haben10, so dass die Brechungen gegenüber den runden und breiten 6 Siehe Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters (Grundlagen der Germanistik 24), Berlin 42009, S. 174, der auch schon auf ein Erstauftreten solcher Elemente im 11. Jahrhundert verweist. 7 Verschiedene Ausprägungen, vornehmlich der Schäfte (einfache Brechungen, doppelte Brechungen, Quadrangeln, auf der Zeile abgeschnitten [textus praecisus, sine pedibus]), führen zu verschiedenen Stilen sowie zu mancherlei verschiedenen Bezeichnungen auf den Musterblättern der spätmittelalterlichen Schreibmeister. Siehe etwa Bischoff, Paläographie (wie Anm. 6) S. 173 f. Unter den Schreibmeistern siehe etwa das Musterblatt des Johann von Hagen (1. H. des 15. Jahrhundert.) (František Muzika, Die schöne Schrift in der Entwicklung des lateinischen Alphabets, Hanau 1965, Taf. LXXXI), vor allem die Schriftproben des Augsburger Benediktiners Leonhard Wagner: Carl Wehmer (Hg.), Leonhard Wagner, Proba centum scripturarum, Faksimile-Ausgabe, Leipzig 1963. 8 Vgl. etwa zuletzt Derolez, Palaeography (wie Anm. 3) S. 103–111 (Textualis in Italy). Siehe weiters Bischoff, Paläographie (wie Anm. 6) S. 177 f., Hans Foerster/Thomas Frenz, Abriss der lateinischen Paläographie, Stuttgart 32004, S. 237–240, Otto Mazal, Pa läographie und Paläotypie. Zur Geschichte der Schrift im Zeitalter der Inkunabeln, Stuttgart 1984, S. 13–15, und Muzika, Die schöne Schrift (wie Anm. 7) S. 397–399. 9 Siehe das Alphabet der schreibschriftlichen Rotunda etwa bei Muzika, Die schöne Schrift (wie Anm. 7) Abb. 226. 10 Siehe dies etwa bei der Brechung des oberen Bogenteils des c.
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Formen im optischen Bild nicht dominieren. Die Rotunda ist insgesamt eine fette Schreibweise, d. h. Betonung der vertikalen Striche in Verbindung mit der Tendenz zum Breiten und Runden, in voller Ausprägung auch eine eng gesetzte Schrift. Der Ober- und Unterlängenbereich ist – und das gilt ganz besonders für die littera Bononiensis – nur wenig ausgeprägt. Bogen-r11 wird vornehmlich nach Buchstaben mit Bögen – b, h, p, o, unziales d – regelmäßig verwendet, ebenso tironisches et statt der Ligatur. An Einzelbuchstaben ist das doppelstöckige a mit kleinem, in diesem Fall spitz gebrochenem unteren Bogen mit aufragendem Hals, der nicht selten mit einem nach unten gebogenen Haarstrich den Buchstaben schließt, markant. Das unziale d hat einen nahezu waagrechten Anstrich, der kaum aus dem Oberlängenbereich ansetzt. Der Buchstabenkörper des g erscheint vielfach trapezförmig. Der Buchstabe c mit Sedille steht häufig für z. Die Rotunda hat naturgemäß keine Bogenverbindungen im Stile der Textura, ist aber im allgemeinen reich an Ligaturen, Buchstabenberührungen und Buchstabenverschmelzungen bei einander zugewandten Bögen, was bei voller Ausprägung des engen Schriftbildes die Lesung zuweilen nicht gerade erleichtert. Die Schrift geht allmählich im früheren 12. Jahrhundert von der Toskana aus und bestimmt zunächst die italienischen Riesenbibeln. Die sich im 13. Jahrhundert voll entwickelnde Schrift erreichte ihren Höhepunkt im 14. Jahrhundert und bestimmte die gehobene Buchschrift in Mittel- und Oberitalien, lebte jedoch darüber hinaus – geradezu kanonisiert – in liturgischen und vor allem iuridischen Texten weiter, für die sie noch lange bestimmend war12. War die Rolle der Rotunda als Buchschrift letztlich doch regional begrenzt, so erlebte sie als Druckschrift eine große Verbreitung und Beliebt-
Zur Terminologie siehe Deutsche Inschriften. Terminologie zur Schriftbeschreibung, erarbeitet von den Mitarbeitern der Inschriftenkommissionen der Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, Wiesbaden 1999, S. 60. 12 Die Rotunda ist ein Kind gotischen Schreibens, ein eigenständiges Kind. Es geht m. E. demnach nicht an, sie unter die humanistischen Minuskelinschriften einzureihen (so Rudolf M. Kloos, Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Darmstadt 21992, S. 143–145), mag sie auch vornehmlich im 15. Jahrhundert in den Inschriften auftreten und im Gegensatz zu den Textura-Schriften mit deren überreichen Brechungen und deren gitterförmigem Charakter stehen. Der Ausdruck ist auch nicht anstelle von Gotico-Antiqua zu gebrauchen und mit Rotunda jene ersten „Reinigungsschriften“ des 14. Jahrhunderts des Petrarca zu bezeichnen. Eine andere Frage ist, ob nicht in jenem Übergangsbereich „Rotunda-Elemente“ enthalten sind. 11
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heit in weiten Teilen Europas, vor allem auch im deutschen Bereich13. Der älteste bekannte Druck in Italien überhaupt weist die Rotunda auf und stammte von einem unbekannten Drucker, der ihn in Norditalien kurz nach 1462 schuf. Von etwa 1800 italienischen Druckschriften bis 1500 haben rund 1100 gotische Schriften, im wesentlichen Rotunden, als Basis. Leichter als bei der Textura konnten beim Rotunda-Alphabet Lettern ebenso in wesentlich kleineren Dimensionen geschnitten werden14. Mag auch gegen 1500 sich die Antiqua zunehmend durchzusetzen begonnen haben, so behielt die Rotunda nichtsdestoweniger über die Inkunabelzeit hinaus ihre Geltung – mit Monopolcharakter für bestimmte Literatur zweige. Texte der antiken Autoren und der Humanisten wurden nun in der Regel in Antiqua gedruckt, juridische und feierliche liturgische Texte weiterhin in Rotunda15. So bedeutsam und weit verbreitet die Rotunda europaweit als Druckschrift gewesen ist, so spielte sie, soweit das bisher erfasste Material eine Aussage erlaubt, im epigraphischen Bereich – ein entscheidender Unterschied zur Textura (Gotische Minuskel) – nur eine völlig untergeordnete Rolle. Dies gilt selbst für Italien, wo an Zahl des Vorkommens sogar die Gotische Minuskel, die dort nie so recht heimisch geworden war und in manchen Regionen ebenfalls eine völlig nebensächliche Rolle spielte, die Rotunda deutlich übertrifft. Mag eine dichtere Erfassung der spätmittel alterlichen Inschriften noch da oder dort das eine oder andere Beispiel hinzufügen, so wird dies an ihrer peripheren Rolle, selbst in ihrem ureigensten Raum, in Mittel- und vor allem Oberitalien, kaum viel ändern. Der Grund wird wohl darin zu suchen sein, dass im 14. Jahrhundert und vielfach bis tief ins 15. Jahrhundert hinein, stellenweise bis weit in dessen zweite Hälfte, die Majuskelschrift, d. h. die Gotische Majuskel, das Geschehen bestimmte. Daneben und vor allem danach begannen sich im 15. Jahrhundert humanistische Kreise wieder der Kapitalis zuzuwenden, Siehe Muzika, Die schöne Schrift (wie Anm. 7) S. 399–413, vor allem 399–403, und Mazal, Paläographie und Paläotypie (wie Anm. 8) S. 64-138, vor allem 64 f. und 68–70. 14 Siehe etwa das Schriftprobenblatt des Erhard Ratdoldt, das er – mit Rotunden in zehn verschiedenen Größen – nach seiner Rückkehr aus Venedig, wo er von 1476-1486 gearbeitet hatte, 1486 in Augsburg herstellte (Muzika, Die schöne Schrift [wie Anm. 7] Abb. 227). Venedig war in Italien ein besonderes Zentrum des Rotunda-Druckes und wesentlich für die Verbreitung als Druckschrift nicht nur in Italien, sondern vor allem auch außerhalb Italiens. So nannte man nördlich der Alpen die Rotunda auch Litterae Venetae. 15 Siehe das Bildmaterial zur Druckrotunda bei Mazal, Paläographie und Paläotypie (wie Anm. 8) Abb. 56–80, und Muzika, Die schöne Schrift (wie Anm. 7) Schrift Abb. LXXX– LXXXII. 13
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mag es auch regional unterschiedlich lang gedauert haben, bis die nach den antiken Kriterien gereinigte Renaissancekapitalis auf Inschriften Verwendung fand. Schriftkreationen dazwischen, Schreibweisen „zwischen“ Mittelalter und Neuzeit brachten mancherlei Versuche. Ihnen gemeinsam war, das zeitgenössische gotische Schreiben zurückzudrängen bzw. allmählich aufzugeben16. Unter diesen Gegebenheiten war einfach kaum ein Spielraum für die Rotunda als epigraphische Schrift. Auch scheint die thematische Bindung dieser Schreibweise wenig „inschriftenfreundlich“ gewesen zu sein. Einiges Material zur epigraphischen Rotunda oder zu Inskriptionen, die man – trotz mancherlei Fremdelementen – zumindest unter die Rotunda einordnen kann, liegen – systematisch erfasst – in den ersten drei Bänden des Corpus Inscriptionum Medii aevi Liguriae (CIMAL)17, hauptsächlich aus Genua, vor, weiters finden sich Spezimina vornehmlich aus dem lombardischen Bereich. Sie stammen aus dem 15. Jahrhundert, im Wesentlichen aus den dreißiger Jahren sowie aus der Spätzeit des Jahrhunderts. An die Spitze sei ein Beispiel gestellt, das sich heute im Museum des Castello Visconteo zu Pavia befindet. Carlo Varaldo bemerkte hierzu18, dass sich dort ein epigraphisches Denkmal befinde, dessen Schrift sich hierbei direkt von der schreibschriftlichen Rotunda ableite, zitiert aber hierzu – offensichtlich irrtümlich – nicht das richtige Objekt19. Richtig müsste es heißen: Marmortafel vom Ponte Coperto über den Ticino (1. Hälfte des 15. Jahrhunderts)20. Der Text singt das Lob der Stadt Pavia (Abb. 3). Den Versen sind – in jeder zweiten Zeile – am linken Rand stark vergrößerte Initialen in Gotischen Majuskeln mit gemäßigten Schwellungen vorangestellt. Der jeweils folgende Text bietet alle Merkmale einer, allerdings eher Siehe Walter Koch, Das 15. Jahrhundert in der Epigraphik. Die Schriften „zwischen“ Mittelalter und Neuzeit in Italien und nördlich der Alpen, in: Libri, documenti, epigrafi medievali: possibilità di studi comparativi. Atti del Convegno Internazionale di studio dell’Associazione Italiana dei Paleografi e Diplomatisti, Bari (2–5 ottobre 2000), hg. von Francesco Magistrale/Corinna Drago/Paolo Fioretti, Spoleto 2002, S. 587–606. 17 Siehe CIMAL 1 Nr. 21, 2 Nr. 265 und 3 Nr. 144, 189, 205, 208. 18 Carlo Varaldo, L’epigrafia medievale in Liguria tra XII e XV secolo, in: Epigraphik 1988. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik. Graz, 10.–14. Mai 1988. Referate und Round-Table-Gespräche hg. von Walter Koch (Denkschriften der Österr. Akademie d. Wissensch., Phil.-hist. Kl. 213 = Veröffentlichungen der Kommission für die Herausgabe der Inschriften des Deutschen Mittelalters 2), Wien 1990, S. 240. 19 Er gibt das Grabmal eines Ardengo Folperti an, in: Adriano Peroni, Pavia. Musei civici del castello visconteo, Bologna 1975, S. 115f. (Abb. 532/534). Die Schrift auf diesem Denkmal ist jedoch keine Rotunda, sondern eine Gotische Majuskel. 20 Peroni, Pavia S. 131 (Abb. 600). 16
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etwas zart ausgeführten Rotunda, deren Formen jedoch voll dem typischen Alphabet der Schrift entsprechen. Das betrifft die einzelnen Buchstaben, die – wie auch sonst im epigraphischen Bereich – freilich etwas lockerer gesetzt sind als häufig in geschriebenen Texten. Nichtsdestoweniger weist der Text auch hier Formen mit Buchstabenberührungen bzw. Bogenverschmelzungen auf, und zwar bei pe und po. Der minimale Oberund Unterlängenbereich ist gegeben. Ein schönes Beispiel der Rotunda ist auch die Grabinschrift des Francesco Filippi im Palazzo Pavese-Del Carretto-Pozzobonelli zu Savona aus dem Jahre 1437 (Abb. 4)21. Der Text, der voll dem ligurischen Grabformular folgt, weist jene fette Schreibweise der breiten, besonders runden Formen auf, wie dies dem Charakter der ausgeprägten Rotunda voll entspricht. Die Buchstaben sind nicht so eng gesetzt wie in geschriebenen Texten, wie dies wohl Steinmetzarbeiten eher entspricht. So ist auch das Bogen-r nicht unmittelbar an einen Bogen angelehnt. Nichtsdestoweniger weist der Text einige Buchstabenberührungen auf (de, do, od, he) sowie eine Verschmelzung von Bogen und Schaft bei pp. Der Buchstabe f und langes s sind wie die Schäfte von m und n auf der Grundlinie gleich organisiert (gleich horizontal abgeschnitten oder minimal geneigt). Ansonsten sind die Ober- und Unterlängen in Proportion zum Mittellängenbereich ein wenig größer, wie dies sehr oft bei epigraphischen Rotunda-Texten der Fall ist. Einige gekonnt ausgeführte Spezimina finden sich in Mailand, vornehmlich in der Basilika Sant’ Ambrogio und im Castello Sforzesco. In ersterer sei verwiesen auf das Grab des edlen Herrn Lanfranchus aus der prosapia de Becaria, in dem sein Erstgeborener, der Jüngling Zaninus, bestattet wurde, der am 28. Juni 1439 verstorben war (Abb. 5)22. Die Inschrift, die voll dem Alphabet der Rotunda – einschließlich einiger Bogenverschmelzungen – folgt, ist mit hervorstechenden eingestreuten Initialen versehen23. Im Castello Sforzesco sehen wir eine beträchtlich beschädigte Siehe CIMAL 1 Nr. 21. Siehe Notizie appartenenti alla storia della sua patria, raccolte da Giuseppe Robolini, Bd. 5/1, Pavia 1834, S. 228 Anm. 2. 23 Siehe im Atrium von Sant‘Ambrogio eine weitere Grabinschrift in Rotunda von gleich hoher Qualität (Abb. 6), die Platte des Ubertus Decembrius, der u. a. beim Gegenpapst Alexander V. († 1410) Schreiber und Sekretär war. Auf den lateinischen Text, den er selbst verfasste, folgen einige Zeilen in griechischer Sprache. Datiert ist die Tafel mit Freitag, den 25. April 1427. Siehe Filippo Maria Buonamici, De claris pontificiarum epistolarum scriptoribus, Rom 1780, S. 134 f. – Im Dom zu Mailand ist der steinerne Sarkophag des Erzbischofs Johannes Visconti (1450–1453) mit vielzeiligen Gedichten, die ein Sabrius de Zantoreis, legum doctor, aus Parma verfasste, in reiner Rotunda geschrieben. 21 22
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Grabplatte mit Umschrift in Rotunda, von der freilich nur mehr Reste erhalten sind24. Die Platte nennt einen herzoglichen Kämmerer (Abb. 7): … Petr(us) ducal(is) cam(er)a(r)i(us) fili(us) (con)da(m) p(re)d(i)c(t)i do(min)i Iacobi …. Die Schrift weist verhältnismäßig deutlich ausgeprägte Oberlängen aus. Dafür ist nicht zuletzt die Form des halbunzialen d maßgeblich. Während das für die Rotunda so charakteristische unziale d mit dem nahezu waagrechten Anstrich fast nur an Wortanfängen verwendet wurde, findet sich die halbunziale Form generell überwiegend im Wortinneren. Dies ist die Folge der Raumverhältnisse. Im Wortinneren ist für den oft beträchtlich langen Anstrich der unzialen Form kaum Platz. Die unziale Form geht Buchstabenberührungen bzw. -verschmelzungen nur mit Bögen eines Folgebuchstaben ein, die halbunziale Form dagegen mit dem davorstehenden25. In Castiglione Olona in der Provinz Varese, nordwestlich von Mailand, weist das Grabmal des 1443 verstorbenen Kardinals Branda Castiglione26 in der Collegiata ein Grabgedicht auf (Abb. 9), das aus zwei Rubriken mit je elf Versen besteht, wobei jede Zeile mit Zierinitiale beginnt. Mehr als es bei den meisten epigraphischen Beispielen der Fall ist, sind wie in geschriebenen Texten die Ober- und Unterlängen besonders klein. Was jedoch in diesem Schriftbild besonders auffällt, ist, dass das Bogen-r sich nicht nur an Formen mit Bögen „anlehnt“, sondern nach den verschiedensten Buchstaben in reichem Maße gesetzt wird, ja sogar am Wortbeginn vorkommt. Was den Gesamteindruck ein wenig verfremdet, ist, dass der Mittellängenbereich einen gestreckten und engen Eindruck macht und Buchstaben wie i – sieht man von den zarten i-Strichen ab –, m, n und u, wenn sie nebeneinanderstehen, sich so gut wie nicht unterscheiden und einen gitterförmigen Eindruck hinterlassen. Letzteres trifft nicht zu für die reiche Beschriftung des Tympanonfeldes des 1428 hergestellten Portals, ebenfalls in der Collegiata in Castiglione Olona (Abb. 10). Diese Rotunda entspricht im Gesamteindruck wesentlich mehr dem gewohnten Bild dieser Schrift. Dies gilt auch für ein Inschriftenfragment mit Namens Eine gleichartige, ebenfalls schwer beschädigte Grabplatte findet sich auch in der Mailänder Kirche San Eustorgio. 25 Ebenfalls im Castello Sforzesco befindet sich eine Tafel mit Inschrift in einer Rotunda von hoher Qualität, die der 1379 erfolgten Konstruktion einer Kapelle in der Kirche Santa Maria in Beltrade gedenkt (Abb. 8). 26 Zu seinem persönlichen Umfeld, seinem von ihm besonders geförderten Neffen, dem Kardinal Giovanni di Castiglione (†1460), siehe zuletzt Jessica Nowak, Ein Kardinal im Zeitalter der Renaissance. Die Karriere des Giovanni di Castiglione (ca. 1413–1460) (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 59), Tübingen 2011, vor allem S. 4 f. 24
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nennung der Gonzaga von 1433 im Palazzo Ducale von Mantua, also im äußersten südöstlichen Winkel des Lombardischen (Abb. 11). In der ungemein diszipliniert gearbeiteten, allerdings verhältnismäßig locker gesetzten voluminösen Rotunda fällt, soweit das Fragment eine generelle Aussage zulässt, die ausschließliche Verwendung des Majuskel-G, der eingerollten unzialen Form, nicht nur als Anfangsbuchstabe von Eigen namen, sondern auch im Wortinneren auf, wobei die Form dem Mittel längenbereich angepasst ist27. Im schweizerischen Ascona, südlich von Locarno, nahe der italienischen Grenze, ist eine 20zeilige Freskeninschrift in Rotunda in der Kirche S. Maria della Misericordia erhalten (Abb. 12). Sie gibt Daten zur Geschichte der Kirche an – von der Grundsteinlegung 1399 über die Kirchweihe 1442 bis zur Weihe verschiedener Altäre u. a. Der verhältnismäßig eng geschriebene Text weist die charakteristischen Merkmale des Schriftstils auf. Ein vorzügliches Beispiel einer voll ausgeprägten Rotunda findet sich im Veneto, und zwar in der Kirche S. Corona (Cappella Thiene) zu Vicenza im Komplex mit dem Grabmal des Marco Thiene (Anfang 15. Jh.) (Abb. 13). Die Tafel unter dem Steinsarkophag enthält eine sechszeilige Inschrift, deren Zeilen mit Initialen in Gotischer Majuskel einsetzen. Ebenfalls in Vicenza, und zwar im Museo Civico befindet sich eine fragmentarische Inschrift, eine Stifterinschrift, die aus der Kirche S. Pietro stammt (Abb. 14). Es liegt hierbei der seltene Fall einer erhaben gehauenen Rotunda vor. Sie nennt das Jahr 1427 und repräsentiert den Schriftstil in höchster Qualität. Nach den vorgeführten Beispielen zu schließen, verbindet sich die Rotunda meist mit einer weitgehend kalligraphischen Ausführung. Dies bedeutet freilich nicht, dass dies ausschließlich so gewesen ist. Es liegen auch rüde, die Regelmäßigkeit entbehrende Schriftbeispiele vor, die aber immerhin genügend Merkmale der Rotunda erkennen lassen, so dass sie in diesen Schriftstil einzuordnen sind28. Rotundaformen verbinden sich nicht selten mit aus anderen Alphabeten eingestreuten Formen. Dies trifft etwa für die Bauinschrift von 1431 im Kreuzgang der Kirche S. Matteo in Genua zu (CIMAL 3 Nr. 144) (Abb. 16). Im gegebenen Fall ist das unziale M mit geschlossener erster Schlinge für die Zahl 1000 in der Datierung zur Anwendung gekommen, ansonsten bestimmt das unziale E, dessen Diese unziale Form mit ihrem breiten runden Charakter fügt sich ausgezeichnet in das Bild dieser „mächtigen“ Rotunda ein. 28 Vgl. exemplarisch etwa CIMAL 2 Nr. 265 aus dem Jahre 1489 im Museo di San Agostino zu Genua, stammend aus dem Kreuzgang von San Domenico (Abb. 15). Die Inschrift gedenkt der Errichtung der Kapelle des Hl. Sebastian. 27
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„Schlussstrich“ den Buchstaben de facto allerdings meist nicht schließt, ganz wesentlich die Textzeile, die ansonsten aber die besonders ins Auge springenden Merkmale der Rotunda enthält. Aber auch die Aufnahme des einen oder anderen Elements der Rotunda in in anderer Schrift geschriebene Texte, vornehmlich in Gotischer Minuskel (Textura), ist feststellbar. So gibt etwa das ligurische Corpuswerk zu CIMAL 3 Nr. 148, einer Inschrift ebenfalls im Kreuzgang von S. Matteo von 1456, „Gotica epigrafica minuscola quadrata“, also Gotische Minuskel in unserer Terminologie, als Schrifttyp an. (Abb. 17). Dies ist zunächst auch zutreffend. Bei näherem Hinsehen findet sich aber auch das eine oder andere Element aus dem Bereich der Rotunda. Dies gilt vornehmlich für a, das ausschließlich den typischen kleinen, spitz gebrochenen Bogen aufweist. Wir sehen aber auch eingestreut das kreisrunde unziale d mit dem fast horizontalen Anstrich, dass gleich breite con-Zeichen sowie den Verzicht auf die gotische Bogenbrechung bei p im Wort prior. Verwendung fand auch mehrmals das in der Rotunda beliebte dreierförmige, in die Unterlänge reichende Schluss-m. Hinzuweisen wäre auch auf den trapezförmigen Körper des g sowie generell auf die kleinen Ober- und Unterlängen. Ähnlich verhält sich die Situation bei der Grabinschrift des Rechtsgelehrten Rasini Baldassare von 1468 in der Universität Pavia (Abb. 18). Auch hier ist zunächst die Gotische Minuskel entscheidend. Wir finden aber auch hier jenes typische a. Zu verweisen ist auch auf das jegliche gotische Brechung vermeidende runde Schluss-s, weiters pe im Wort peritus, eher eine Bogenverschmelzung als eine typische Bogenverbindung29. Ein Beispiel anderer Art: Zwischen den Beinen des Markuslöwen auf einer Tafel am Rathaus in Muggia findet sich in einer Inschrift von 1444 die Rotunda in Verbindung mit Formen und mit ganzen Worten in Großbuchstaben, wobei wir breites A mit übergroßem Kopfbalken und gebrochenem Mittelbalken, eingerolltes G, R, S, T und V sehen. Offen bleibt, ob man breites D mit waagrechtem Anstrich im vorliegenden Fall eher der Unziale oder der Rotunda zurechnen soll. Groß- wie Kleinbuchstaben sind unter Verzicht von Ober- und Unterlängen in ein einheitliches Schriftband eingefügt. – Wenn ein Zusammenspiel der Rotunda mit anderen Schriftstilen gegeben ist, handelt es sich vornehmlich um die – in diesen Fällen in der Regel dominierende – Gotische Minuskel. Dies ist etwa bei gemalten Bildunterschriften in Padua, Sant‘Antonio, in der Capella del beato Luca Belludi, der Fall. Es gibt aber auch Fälle, etwa in Südtirol, wo nördliche und südliche Einflüsse sich begegnen. So finden sich etwa im Brixener Domkreuzgang Inschriften, deren Gotische Minuskel dadurch verfremdet anmutet, dass an manchen Stellen, wo Brechungen und vertikale Linien zu erwarten wären, manch Neigung zur Rundung gegeben ist, ohne dass charakteris tische Formen der Rotunda voll ausgeprägt vorliegen (Abb. 19). Gotische Minuskeln mit Rundungen bei manchen Brechungen von Schäften könnten auch im Vorfeld zur Ausbildung der epigraphischen Gotico-Antiqua stehen. Zu dieser Schrift in ihrer Entstehung und 29
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Was nun den außeritalienischen Bereich betrifft, also zunächst Südfrankreich und Spanien, Gebiete, in die die Rotunda als Schreibschrift im Buche ausstrahlte, so ist nach derzeitiger Kenntnis des Materials mangels entsprechender Sammlungen dem Berichterstatter eine Aussage über die annähernde Quantität ihres Eindringens in den inschriftlichen Bereich zurzeit nicht möglich. Zumindest Einflüsse von Rotundaformen sehen wir in gemalten Schriften von etwa 1352 im Papstpalast zu Avignon in der Salle de la Grande Audience. Dargestellt sind Propheten mit geöffneten Schriftrollen. Diese Texte wird man jedoch kaum für die Epigraphik reklamieren können. Immerhin sollten sie auf weichem Material Geschriebenes mitteilen, während die Tituli mit den Namen der dargestellten Propheten in Gotischer Majuskel gemalt sind (Abb. 20). Ein von der Rotunda bestimmtes Beispiel in der Kathedrale von Ciudad Rodrigo in der Provinz Salamanca in älterer kastilischer Sprache soll zumindest stellvertretend für Spanien stehen (Abb. 21)30. Der deutsche Bereich war kein Gebiet, in dem die Buchrotunda Fuß gefasst hatte. Ein, wie es scheint, singuläres Beispiel für einen voll als Rotunda anzusprechenden inschriftlichen Text befindet sich im Depot des Domes von Freising, wovon sich jetzt ein Abguss im Kreuzgang befindet, erhaben geschnitzt auf einer kleinen aus Eichenholz hergestellten Grab tafel für den Domherren Leonhard Friesinger31. Die Inschrift trägt das Datum 1437, so dass die europaweit verbreitete Druckrotunda als Vorbild noch nicht in Frage kommt. So wird man wohl – so Ramona Epp (verehel. Baltolu) – italienische Handschriften in Rotunda, die ihren Weg nach Freising gefunden haben könnten, ins Auge fassen müssen. Immerhin wissen wir von der regen Reisetätigkeit damals in das frühhumanistische Italien und den engen Beziehungen zwischen Nord und Süd in gebildeten Kreisen.
in voller Ausprägung, vornehmlich im Passauer Raum, siehe Ramona Epp, Eine epigraphische Minuskel zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Gotico-Antiqua in den Inschriften, in: Archiv für Diplomatik 47/48 (2001/2), S. 167-221, hier vor allem S. 168–171. 30 Für die Übersetzung des Textes danke ich Herrn Dr. Klaus Höflinger (Bayerische Akademie der Wissenschaften, Projekt für die Herausgabe der Urkunden Kaiser Friedrichs II.). 31 Die Deutschen Inschriften 69, Münchener Reihe 12: Die Inschriften der Stadt Freising, gesammelt und bearbeitet von Ingo Seufert auf der Grundlage von Vorarbeiten von Sabine Ryue unter redaktioneller Mitarbeit von Ramona Epp/Christine Steininger, mit Beiträgen von Sigmund Benker/Franz-Albrecht Bornschlegel/Ramona Epp, Wiesbaden 2010, S. 92 Nr. 81, Abb. 30. – Zur Beschreibung der einzelnen Schriftformen im Detail siehe Ramona Epp S. CVIII f.
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Das Vorkommen der Rotunda in der Inkunabelzeit in Italien (siehe oben S. 401) wirft die Frage auf, ob auf späte epigraphische Beispiele nicht auch die Druckrotunda Einfluss ausgeübt hat. Die Frage ist sicher nicht einfach zu beantworten, da die Druckrotunda die Charakteristika der handschriftlichen Ausprägung weitestgehend übernahm32. Doch fällt – mit aller Vorsicht – etwa in einer Inschrift von 1475 auf einer Marmortafel im Palazzo San Giorgio zu Genua in der Sala del Capitano del popolo33 (Abb. 22) zunächst einmal die Anordnung des Textes, der einem Druckbild nahekommt, auf. Wir sehen weiters, dass offensichtlich – in einer Zeit, in der parallel das Minuskelschreiben schon immer mehr an Boden gewonnen hatte – Bogenverschmelzungen stark zurückgedrängt sind. Wesentlich scheint mir auch ein Vergleich mit den Großbuchstaben in den Drucken zu sein34. Die epigraphische Rotunda ist offensichtlich vornehmlich im 15. Jahrhundert angesiedelt gewesen. Mag auch insgesamt das Material der vorstehenden Ausführungen noch nicht hinreichend repräsentativ sein, so sind sie doch ein Beitrag zur epigraphischen Vielfalt im 15. Jahrhundert35 und als Anregung gedacht, sich weiterhin mit dieser Thematik zu befassen.
Abb. 1: Bibeltext, Niederlande (1467) Abb. 2: Dante, Divina commedia, Italien, 2. Viertel d. 14. (Utrecht, Universitätsbibliothek, Jh. (Florenz, Bibl. Riccardiana, Ms. 1005, fol. 170r) Ms. 31 II, fol. 269rb) Siehe Mazal, Paläographie und Paläotypie (wie Anm. 8) S. 65. Siehe CIMAL 3 Nr. 205, vgl. ebendort auch Nr. 208 (zu 1485). 34 Vgl. etwa eine italienische Druckrotunda aus Venedig des Wendolin von Speyer von 1472 (siehe Mazal, Paläographie und Paläotypie [wie Anm. 8] Abb. 57, siehe Abb. 23). 35 Vgl. etwa in Anm. 16. 32 33
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Abb. 3: Pavia, Mamortafel vom Ponte Coperto über den Ticino (1. Hälfte 15. Jh.)
Abb. 4: Savona, Grabinschrift des Francesco Filippi (1437) im Palazzo Pavese-Del Carretto-Pozzobonelli
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Abb. 5: Mailand, S. Ambrogio, Grabdenkmal der Familie Beccaria
Abb. 6: Mailand, S. Ambrogio, Grabinschrift des Ubertus Decembrius
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Abb. 7: Mailand, Castello Sforzesco, Grabinschrift eines Kämmerers Petrus
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Abb. 8: Mailand, Castello Sforzesco, Gedenkinschrift (Ausschnitt)
Abb. 9: Castiglione Olona, Collegiata, Grabinschrift des Kardinals Branda Castiglione
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Abb. 10: Castiglione Olona, Collegiata, Portalinschrift (Ausschnitt)
Abb. 11: Mantua, Palazzo Ducale, Inschriftenfragment
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Abb. 12: Ascona bei Locarno, S. Maria della Misericordia, Freskeninschrift
Abb. 13: Vicenza, S. Corona (Capella Tiene)
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Abb. 14: Vicenza, Museo Civico, Stifterinschrift (1427)
Abb. 15: Genua, Museo die S. Agostino, Gedenkinschrift (1489)
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Abb. 16: Genua, Kirche S. Matteo (Kreuzgang), Gedenkinschrift
Abb. 17: Genua, Kirche S. Matteo (Kreuzgang), Gedenkinschrift
Abb. 18: Pavia, Universität, ehem. S. Tommaso, Grabinschrift des Rasini Baldassare
Abb. 19: Brixen Kreuzgang, Fresken
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Abb. 20: Avignon, Papstpalast, Salle de la Grande Audience, Fresken (Ausschnitt)
Abb. 21: Ciudad Rodrigo, Kathedrale, Seelengerätstiftung
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Abb. 22: Gedenkinschrift an Domenico Pastine
Abb. 23: Robertus Caracciolus, Sermones quadragesimales de poenitentia (Österreichische Nationalbibliothek, Ink. 5. F. 6, Bl. 3r)
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Abstract In palaeography, Rotunda is the southern counterpart to northern and estern Textura. In the form of Textualis Formata, it is also a high-ranking w script in manuscripts. Beginning in the 12th century and further developing in the 13th, it reached its peak during the 14th century and influenced writing in Spain and southern France. In print, it was used in liturgical and legal texts and in this field survived into modern times, whereas the works of antique and humanistic authors were printed in Antiqua. To the best of our knowledge, Rotunda only played a subsidiary part in the area of epigraphy and was largely localised in Upper and Middle Italy. Therefore, examples from these regions written in or containing elements of Rotunda are presented in this article. In addition, it has to be mentioned that Rotunda never gained a strong foothold in either manuscripts or inscriptions in German-speaking regions.
Abbildungsnachweise: Abb. 1, 2: Derolez, Palaeography Abb. 40 bzw. 54 Abb. 3: Peroni, Pavia S. 131 Abb. 600 Abb. 4: CIMAL 1 Nr. 21. Abb. 5–10: Photo Albert Dietl (Regensburg) Abb. 11: Photo Renate Kohn (Wien) Abb. 13, 19, 21: Photo Franz-A. Bornschlegel (München) Abb. 15: CIMAL 2 Nr. 265 Abb. 16: CIMAL 3 Nr. 144 Abb. 17: CIMAL 3 Nr. 148 Abb. 12, 14, 18, 20: Photothek des Epigraphischen Forschungs- und Dokumentationszentrums des Historischen Seminars, Abt. Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde der Universität München Abb. 22: CIMAL 3 Nr. 205 Abb. 23: Mazal, Paläographie und Paläotypie (wie Anm. 8) Abb. 57
Die Gotische Minuskel nördlich der Alpen und ihre Rezeption im Süden* von FRANZ-ALBRECHT BORNSCHLEGEL
Unter den mittelalterlichen Schriften nördlich der Alpen erweist sich die Gotische Minuskel als die langlebigste und am häufigsten überlieferte des epigraphischen Mediums. Liegen für ihre Frühzeit im 13. und frühen 14. Jahrhundert meist nur isolierte und oftmals zweifelhafte Belege vor, so bestimmt sie in der fortgeschrittenen zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bereits vielerorts die Inschriftenlandschaft des Nordens, häufig bis weit hinein in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Zeitlicher Beginn und auch zeitliches Ende dieser Schrift sind allerdings großen regionalen Unterschieden ausgesetzt. In der Regel findet die Gotische Minuskel erst in der vollendet ausgebildeten Form der buchschriftlichen Textura Eingang in die Epigraphik, was zumindest für die Monumentalinschriften ab dem 14. Jahrhundert nahezu ausschließlich zuzutreffen scheint. Nur punktuell erschlossen und inschriftenpaläographisch kaum untersucht sind Objekte mit in schreibschriftlicher Technik eingeritzten oder aufgemalten Minuskelinschriften des Mittelalters, die ein breites Schriftspektrum aufweisen und auch frühere Entwicklungsstadien der epigraphischen Gotischen Mi nuskel dokumentieren können1. Der langsame Umformungsprozess von Der überarbeitete und aktualisierte Beitrag geht zurück auf einen Vortrag des Verfassers auf der von Flavia De Rubeis, Nicoletta Giovè und Stefano Riccioni (Universität Ca’ Foscari, Venedig) ausgerichteten Fachtagung „Epigrafia medievale: scritture, spazi e committenti (Venezia, 21–22 marzo 2013)“. 1 Vgl. Die Inschriften der Stadt Braunschweig bis 1528, bearb. von Andrea Boockmann auf Grund einer von 1945–1986 vorgenommenen Materialsammlung des Herrn Oberstudiendirektors i. R. Dr. Dietrich Mack, Braunschweig (Die Deutschen Inschriften 35, Göttinger Reihe 5), Wiesbaden 1993, Nr. 22 (Tragaltar, Tinte auf hölzerner Rahmung, 12. Jh.?), Nr. 23 (Wandmalerei, 2. V. 13. Jh.); Die Inschriften des Doms zu Halberstadt, gesammelt und bearb. von Hans Fuhrmann unter Nutzung der Vorarbeiten von Karin Iffert und *
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der späten karolingischen Minuskel des Hochmittelalters bis zur ausgereiften Gotischen Minuskel in Form der Textura, den die Buchschrift des Nordens genommen hatte2, kann in den Inschriften insofern nicht oder nur unzureichend nachvollzogen werden. Die ersten Entwicklungsstufen der Gotischen Minuskel, von den einfachen Brechungen der Schäfte bis zu den doppelten Brechungen in Form von Quadrangeln, aber auch die Umbildung des doppelstöckigen a von der offenen zur geschlossenen Form, sind nur für die Buchschriften kontinuierlich zu bezeugen (Abb. 1a–c). Die Inschriften adaptieren die Gotische Minuskel des Buchbereichs, die erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts ihre vollendete Form erreichte3, meist mit großer zeitlicher Verzögerung. Die Gotische Minuskel der Epigraphik des Nordens ist im Allgemeinen von der uniformen Buchstabengestaltung und den systematischen doppelten Brechungen der Schäfte und Bögen geprägt, jene Merkmale, die die gotische Buchminuskel (Textura) der späten Phase kennzeichnet4. Innerhalb der Kleinbuchstaben sind neue und entwicklungsrelevante Formen auch über einen langen Zeitraum hinweg in den Inschriften kaum zu erPeter Ramm (Die Deutschen Inschriften 75, Leipziger Reihe 3), Wiesbaden 2009, Nr. 37 Abb. 52 (Tabernakel, gemalte Schrift auf Spruchband, 1. V. 14. Jh.?); Die Inschriften der Stadt Essen, gesammelt und bearb. von Sonja Hermann (Die Deutschen Inschriften 81, Düsseldorfer Reihe 7) Wiesbaden 2011, S. XXXV f. Nr. 51, 52 (bleierne Altarsepulchren, Ende 13.–Anfang 14. Jh.), Nr. 55 (Wachstafeln, Ende 13.–Anfang 14. Jh.). – Inwieweit die in weiche Materialien (Wachs oder Blei) geritzten Schriften noch der von Rudolf M. Kloos formulierten und allgemein anerkannten Definition einer Inschrift („... die von Kräften und Methoden hergestellt sind, die nicht dem Schreibschul- und Kanzleibetrieb angehören“) entsprechen und nicht bereits dem Forschungsgebiet der Paläographie zuzurechnen sind, ist umstritten und oft an den Einzelfall gebunden; siehe Rudolf M. Kloos, Einführung in die Epigraphik des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Darmstadt 21992, S. 2. 2 Zur Entwicklung der gotischen Buchminuskel siehe insbesondere Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters (Grundlagen der Germanistik 24). 4. Aufl. (mit einer Auswahlbibliographie 1986–2008 von Walter Koch), Berlin 2009, S. 171–183, Kapitel „Gotische Textura (Textualis)“. 3 Ebd. S. 176. 4 Nicht in das strenge Schema der Textura fügen sich allerdings die Hochwasserinschrift aus Hannoversch Münden von 1342, die mit ihren breit spationierten Buchstaben und einfachen Schaftbrechungen noch an ein früheres Stadium der gotischen Buchminuskel erinnert (vgl. Die Inschriften des Landkreises Göttingen, gesammelt und bearb. von Sabine Wehking [Die Deutschen Inschriften 66, Göttinger Reihe 12], Wiesbaden 2006, Nr. 9 Abb. 8) und die in die Gotische Majuskel eingestreuten Buchstaben der Gotischen Minuskel auf dem Scheibenkreuzstein von Dassel aus dem Jahre 1325 (vgl. Die Inschriften des Landkreises Northeim, bearb. von Jörg Lampe/Christine Wulf [Die Deutschen Inschriften 96, Göttinger Reihe 17], Wiesbaden 2016, Nr. 15 Abb. 129, 130), die im Bereich der Monumental inschriften aber eher die Ausnahmen markieren.
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kennen5, einzig das Bogen-r wird neu in das Alphabet integriert (Abb. 2)6. Von den Grundformen wesentlich abweichende Varianten sind selten und beschränken sich meist auf wenige Buchstaben. Dazu zählt das a, dessen zweistöckige, mit linkem durchgehendem Schaft geschlossene Form (kastenförmiges a) öfters im bayerischen Raum verwendet wird7. Auch von dem Buchstaben s liegen – wie in den paläographischen Vorbildern – zwei unterschiedliche Ausprägungen vor8. Der Buchstabe z unterliegt besonders stark individuellen Ausgestaltungen. Die Spielarten einer örtlich ausgeprägten Gotischen Minuskel mag eine Graphik mit den Alphabeten der Kleinbuchstaben der Gotischen Minuskel von den Inschriften der ehemaligen bayerischen Herzogsstadt Landshut verdeutlichen (Abb. 3). Sie bekundet kleine Varianten ein und desselben Buchstabentyps. Diese Abweichungen vom Standard lassen sich in vorliegendem Fall weit weniger mit zeitlichen Entwicklungsphasen als mit den Vorlieben und Eigenarten bestimmter Werkstätten erklären. Generell muss für die inschriftenpaläographische Einordnung der Gotischen Mi Hier gilt weitgehend noch die Feststellung von Rudolf Kloos; vgl. Die Inschriften der Stadt und des Landkreises München, gesammelt und bearb. von Rudolf M. Kloos (Die Deutschen Inschriften 5, Münchener Reihe 1), Stuttgart 1958, XXIV. 6 Zur Definition des Bogen-r siehe: Deutsche Inschriften. Terminologie zur Schriftbeschreibung, erarbeitet von den Mitarbeitern der Inschriftenkommissionen der Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, Wiesbaden 1999, S. 60. – Im paläographischen Metier gehört das verselbständigte Bogen-r erst zum Bild der vollendeten Gotischen Minuskel (Bischoff, Paläographie [wie Anm. 2] S. 176), in der Epigraphik Bayerns taucht es außerhalb der Stadt und des Landkreises Passau nur selten vor der Mitte des 15. Jahrhunderts auf; vgl. Die Inschriften der Stadt Passau bis zum Stadtbrand von 1662, red. von Christine Steininger unter Mitarbeit von Franz-Albrecht Bornschlegel/Egon Boshof/Armin Eich/Josef Engelberger/ Ramona Epp/Werner Hechberger/Friedrich Ulf Roehrer-Ertl auf Grund von Vorarbeiten von Klaus Ulrich Högg (Die Deutschen Inschriften 67, Münchener Reihe 10), Wiesbaden 2006, Nr. 129 (1437) und Die Inschriften des Landkreises Passau bis 1650, 1: Die ehemaligen Bezirksämter Passau und Wegscheid, gesammelt und bearb. von Ramona Epp (Die Deutschen Inschriften 80, Münchener Reihe 14), Wiesbaden 2011, Nr. 13 (1425) und Nr. 19 (vor 1433). 7 Äußerst zahlreich findet sich das kastenförmige a vor allem in der Werkstatt der Bildhauerfamilie Rottaler; vgl. Volker Liedke, Die Baumeister-und Bildhauerfamilie Rottaler (1480–1533) (Ars Bavarica 5/6), München 1976, u. a. Abb. 53, 60, 65, 67, 68, 123. Etliche Belege dieser Form dokumentiert Ramona Epp für die Stadt Freising; siehe Ramona Epp, Gotische Minuskel, in: Die Inschriften der Stadt Freising, gesammelt und bearb. von Ingo Seufert auf der Grundlage von Vorarbeiten von Sabine Ryue unter redaktioneller Mitarbeit von Ramona Epp/Christine Steininger. Mit Beiträgen von Sigmund Benker, FranzAlbrecht Bornschlegel und Ramona Epp (Die Deutschen Inschriften 69, Münchener Reihe 12), Wiesbaden 2010, CIV (Beierlein) und CV (Rottaler). 8 Das Schaft-s und das runde s treten von Anbeginn der Gotischen Minuskel in der Epigraphik nebeneinander auf. 5
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nuskel mit ihren täuschend ähnlichen, oftmals gleichförmigen Buchstaben mit besonderer Akribie auf die kleinen und kleinsten Details dieser Schrift geachtet werden. Nur dann bietet sich auch die Möglichkeit, Meister, Werkstätten oder „Schulen“ herauszuarbeiten. Die Analyse der Großbuchstaben der Gotischen Minuskel kann hierbei eine entscheidende Hilfe bei der inschriftenpaläographischen Einordnung leisten. Die Versalien sind nur selten der strengen, stereotypen Gestaltungsweise der Kleinbuchstaben der Gotischen Minuskel unterworfen und bieten in ihren vielfältigen Ausprägungen weit bessere Anhaltspunkte für eine zeitliche Schrifteinstufung. Harald Drös veranschaulicht in seinen Alphabetzeichnungen im Inschriftenband zum „Landkreis Göppingen“ die zahlreichen Facetten der Großbuchstaben der Gotischen Minuskel dieser Region (Abb. 4)9. Die in chronologischer Reihenfolge angeführten Versalien der Graphik geben den ungefähren zeitlichen Ablauf der für die Großbuchstaben verwendeten Schriftarten des Bearbeitungsgebiets wieder, der auch für die meisten anderen Schriftregionen üblich ist: Er beginnt mit Großbuchstaben der Gotischen Majuskel oder vergrößerten Buchstaben der Gotischen Minuskel. Später dominieren die Versalien der Buchbastarden, die ab dem späteren 15. Jahrhunderts mit Großbuchstaben zunächst aus den Schriften der Frühhumanistischen Kapitalis, dann denen der RenaissanceKapitalis und Fraktur bereichert werden. Diese sind meist frei umgesetzt und allem Anschein nach nur selten an Schriftvorlagen gebunden10. Den Versalien im epigraphischen Bereich generell widmet sich der Beitrag von Renate Kohn im Fachtagungsband „Epigraphik 2000“11. Dabei 9 Die Inschriften des Landkreises Göppingen, gesammelt und bearb. von Harald Drös (Die Deutschen Inschriften 41, Heidelberger Reihe 12), Wiesbaden 1996, XLIX. 10 Von den sporadischen epigraphischen Untersuchungen zu Werkstattschriften (und Schriftvorlagen) aus der Zeit der Gotischen Minuskel siehe insbes. Peter Zahn, Beiträge zur Epigraphik des sechzehnten Jahrhunderts. Die Fraktur auf den Metallinschriften der Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg (Münchener Historische Studien, Abteilung Geschichtl. Hilfswissenschaften 2), Kallmünz 1966, passim; Franz-Albrecht Bornschlegel, Die Inschriften Loy Herings und seiner Werkstatt, in: pinxit – sculpsit – fecit. Kunst historische Studien. Festschrift Bruno Bushart, hg. Bärbel Hamacher/Christl Karnehm, München 1994, S. 39–50, insbes. S. 50 Taf. 2; Ramona Epp, Eine epigraphische Minuskel zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Gotico-Antiqua in den Inschriften, in: Archiv für Diplomatik 47/48 (2001/02) S. 167–221, passim. 11 Renate Kohn, Versuch einer Typologie der Versalien in frühneuzeitlichen Minuskelinschriften, in: Epigraphik 2000. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik. Klosterneuburg, 9.–12. Oktober 2000, hg. von Gertrud Mras/Renate Kohn (Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 335 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 9), Wien 2006, S. 65–88.
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erfolgt erstmals eine grundlegende Analyse der aus den Buchbastarden entlehnten Versalien, in deren strukturellen Aufbau Entwicklungstendenzen nachgezeichnet werden können. Die heute nach wie vor maßgebliche Literatur zur Gotischen Minuskel in den Inschriften des deutschen Sprachraumes bildet die „Einführung in die Epigraphik ...“ von Rudolf M. Kloos aus dem Jahre 1980, deren inhaltlicher Kern auch in der Neuauflage von 1992 unverändert blieb12. Kloos informiert zunächst über die paläographischen Voraussetzungen für die Entstehung der epigraphischen Schrift, ehe er einen ersten Versuch einer größeren überregionalen Gesamtschau der Gotischen Minuskel für die Epigraphik wagt. Es werden die frühesten Belege dieser Schriftart im 14. Jahrhundert genannt, die, von einer Ausnahme abgesehen, ausschließlich den deutschen Raum betreffen13. Eine Orientierungshilfe für grobe zeitliche Einordnungen der Gotischen Minuskel mögen die kurzen Stellungnahmen zu den Groß- und Kleinbuchstaben der Schrift leisten14. Die Darstellung von Kloos bietet etliche Anregungen und Fragestellungen für nachfolgende Untersuchungen zur epigraphischen Schrift der Gotischen Minuskel15. Eingehend mit der Rezeption der Gotischen Minuskel in den Inschriften Mittel- und Nordeuropas beschäftigt sich der Beitrag der Lüneburger Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik „Schrift und Sprache in Bau- und Künstlerinschriften“ von Renate Neumüllers-Klauser16. Ihrer Materialsammlung zu den frühesten Belegen der Gotischen Minuskel bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts gehen ausgiebige Recherchen in der nationalen wie internationalen Fachliteratur voraus, mit deren Hilfe sie die Gotische Minuskel im epigraphischen Bereich über Kloos hinaus bis ins 13. Jahrhundert zurückzuverfolgen vermag (Abb. 5a). Rudolf M. Kloos, Einführung (wie Anm. 1) S. 134–138. Ebd. S. 136. 14 Ebd. S. 137. 15 Das Interesse gilt insbesondere stilbildenden Meistern, die oftmals auch die epigraphische Entwicklung prägten, den Zusammenhängen von bestimmten Schriftstilen mit zeit gleichen Stilentwicklungen sowie schriftkundlichen Vergleichen, vor allem mit den aus der gängigen epigraphischen Entwicklung oftmals ausscherenden Glockeninschriften; ebd. S. 136–138. 16 Renate Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache in Bau- und Künstlerinschriften, in: Deutsche Inschriften. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Lüneburg 1984. Vorträge und Berichte, hg. von Karl Stackmann (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Göttinger Akademie der Wissenschaften, 3. Folge 151), Göttingen 1986, S. 62–81, hier S. 62–73. 12 13
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Sowohl Kloos als auch Neumüllers-Klauser setzen noch in den 1980er Jahren den frühesten inschriftlichen Beleg der Gotischen Minuskel für den deutschen Sprachraum mit „1320“ an. Beide zitieren die Inschrift auf dem bedeutenden Grabmal des 1320 verstorbenen Mainzer Erzbischofs, Peter von Aspelt, im Dom zu Mainz (Abb. 6)17. Aufgrund seiner ikonographisch außergewöhnlichen Darstellung zieht das Grabmal stets das Interesse der historischen wie kunsthistorischen Literatur auf sich. In zentraler Position und an Größe optisch hervorgehoben, zeigt es den von den drei Königen Johann von Luxemburg, Heinrich VII. und Ludwig dem Bayern flankierten Mainzer Erzbischof, der den beiden späteren Kaisern – zu seiner unmittelbaren Rechten Heinrich VII., und zu seiner Linken Ludwig dem Bayern – die Krone auf das Haupt setzt. Die figürliche Darstellung verdeutlicht die führende Stellung des Mainzer Erzbischofs bei der Königswahl, eine politische Botschaft, die auch in der umlaufenden Inschrift zum Ausdruck kommt. Das Grabmal des Peter von Aspelt steht in einer Reihe von drei Grabmälern Mainzer Erzbischöfe, die die Krönung thematisieren. Verena Kessel stützt sich auf zeitlich fixierbare historische Indizien in der Darstellung18, nennt stilistische wie historische Gründe für eine spätere zeitliche Einordnung der Grabmäler der aufeinander folgenden Bischöfe Peter von Aspelt und Matthias von Bucheck († 1328) und sieht in Erzbischof Balduin von Luxemburg den Auftraggeber19. Sie ordnet die Grabmäler in die „mittleren 1330er Jahre“20, eine Datierung, die auch bei der kunsthistorischen und 17 Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) S. 63 und Kloos, Einführung (wie Anm. 1) S. 136, die sich auf die Edition des Mainzer Inschriftenbandes berufen; siehe Die Inschriften der Stadt Mainz von frühmittelalterlicher Zeit bis 1650, gesammelt und bearb. von Fritz V. Arens auf Grund der Vorarbeiten von Konrad F. Bauer (Die Deutschen Inschriften 2, Heidelberger Reihe 2) Stuttgart 1958, Nr. 33. 18 Verena Kessel, Memorialfunktionen Mainzer Erzbischofsgrabmäler von 1249 bis 1434, in: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 34 (1994) S. 13–39, hier S. 18, beruft sich dabei auf Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993, S. 171 Anm. 2, der angesichts der von Ludwig dem Bayern getragenen Bügelkrone, die ihm erst nach der Kaiserkrönung 1328 zustand, eine Datierung des Aspelt-Grabmals gemäß dem Todesjahr 1320 für ausgeschlossen hält. 19 Kessel, Memorialfunktionen (wie Anm. 18) S. 16–18 und dies., Sepulkralpolitik. Die Krönungsgrabsteine im Mainzer Dom und die Auseinandersetzung um die Führungspolitik im Reich, in: Der Mainzer Kurfürst als Reichskanzler. Funktionen, Aktivitäten, Ansprüche und Bedeutung des zweiten Mannes im alten Reich, hg. von Peter C. Hartmann (Geschichtliche Landeskunde 45), Stuttgart 1997, S. 9–34, hier S. 19. 20 Kessel, Sepulkralpolitik (wie Anm. 19) S. 18 f.; hierbei nimmt sie eine Korrektur ihrer in Ders., Memorialfunktionen (wie Anm. 18) S. 16–18, getroffenen Datierung des AspeltGrabmals „um 1340–50“ vor (ebd. S. 18 Anm. 41).
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epigraphischen Forschung weitgehend Akzeptanz findet21. Nachdem zwei weitere frühe Mainzer Inschriften in Gotischer Minuskel – das Fragment eines Grabsteins von 1324 und ein um 1330 stilkundlich eingeordnetes Wandgemälde22 – unsichere Datierungen aufweisen23, muss der Beginn der Gotischen Minuskel in Deutschland wahrscheinlich nicht mehr in Mainz oder unter mainzischem Einfluss24, sondern vermutlich in einer anderen Region gesucht werden. Seit der Untersuchung von Renate Neumüllers-Klauser entstanden im Rahmen des Editionsvorhabens „Die Deutschen Inschriften“ der Inschriftenkommissionen der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Österreichischen Akademie der Wissenschaft mittlerweile über 70 neue Inschriftenbände, aus denen weitere Erkenntnisse zur Gotischen Minuskel für die jeweiligen Bearbeitungsgebiete wie auch für den gesamten deutschen Sprachraum zu gewinnen sind25. In einer tabellarischen Übersicht sollen die meist noch spärlichen Belege der Gotischen Minuskel vor dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts aller bislang erschienenen Bände des Unternehmens dokumentiert werden (Abb. 7)26: die „grau“ markierten Felder kennzeichnen dabei größere Da Siehe u. a. die Publikationen aus jüngster Zeit: Verbündet – verfeindet – verschwägert. Bayern und Österreich, hg. von Wolfgang Jahn/Evamaria Brockhoff, Augsburg 2012, S. 185 Nr. 118 (Matthias Weniger); Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser! Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2014, hg. von Peter Wolf u. a. (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 63), Augsburg 2014, S. 126 Nr. 2.1, „um 1335“ (Matthias Weniger); Die Inschriften des Mainzer Doms und des Dom- und Diözesanmuseums von 800 bis 1350, auf der Grundlage der Vorarbeiten von Rüdiger Fuchs/Britta Hedtke bearbeitet von Susanne Kern (Mainzer Inschriften 1), Wiesbaden 2010, S. 39–45 Nr. 7, „1335–1340“ sowie DIO 1: Mainz 2011 SN1, Nr. 39, „ca. 1335–1338“ (http://www.inschriften.net/zeige/ suchergebnis/treffer/nr/dio001-sn1-0039.html#content) (aufgerufen am 08.12.2017). 22 Arens/Bauer, DI 2 (Mainz, Stadt) (wie Anm. 17) Nr. 706, 718. 23 Kloos, Einführung (wie Anm. 1) S. 136. 24 Ebd. 25 Die Deutschen Inschriften, hg. von den Akademien der Wissenschaften in Berlin, Düsseldorf, Göttingen, Heidelberg, Leipzig, Mainz, München und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, 1942 ff. (derzeit erschienen: Bände 1–52, 54–91, 93, 95, 96, 100, 102 – Stand: 31.12.2017) [zitiert: DI]. 26 DI 1 (Main-/Taubergrund) Nr. 452 (1361); DI 2 (Mainz, Stadt) Nr. 33 (1318>1330er), Nr. 37 (1328>1330er), Nr. 705+ (1323?), Nr. 706+ (1324?), Nr. 718 (um 1330?), Nr. 41 (1357), Nr. 452 (1360), Nr. 43 (1362); DI 7 (Naumburg, Stadt) Nr. 178 (1375); DI 8 (Mosbach/Buchen/Miltenberg) Nr. 659 (1344); DI 9 (Naumburg, Landkreis) Nr. 355 (1356); DI 14 (Fritzlar, Stadt) Nr. 13 (1340), Nr. 14, 15 (ca.1340), Nr. 16 (1348), Nr. 22, 23 (1351); DI 16 (Mannheim/Sinsheim) Nr. 18 (1356); DI 19 (Göttingen, Stadt) Nr. 5 (1342), Nr. 9 (1360/70); DI 20 (Karlsruhe) Nr. 9 (1366), Nr. 11 (ca.1370); DI 21 (Kärnten 1) Nr. 15 (n.1300), Nr. 19 (1349), Nr. 25 (ca.1370); DI 26 (Osnabrück, Stadt) Nr. 20 (1366), Nr. 21–25 (2. H. 14. Jh.); DI 28 21
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tierungsspannen einer Inschrift (z. B. „1. H. 14. Jh.“), die „schraffierten“ Felder kursive und schreibschriftliche Minuskelinschriften, die „punktierten“ Felder zweifelhafte Datierungen, während alle anderen Erstbelege der Gotischen Minuskel in dunkler Farbe hervorgehoben sind. Bei den nicht in der Tabelle aufgeführten Inschriftenbänden liegen die frühesten Beispiele der Gotischen Minuskel erst aus dem letzten Viertel des 14. Jahr-
(Hameln, Stadt) Nr. 6+ (1372); DI 31 (Aachen, Dom) Nr. 32, 33 (Anf. 13. Jh.), Nr. 38 (ca. 1350), Nr. 43 (n.1370), Nr. 44 (1373), Nr. 46–49 (3. V. 14. Jh.); DI 32 (Aachen, Stadt) Nr. 17 (1360–82); DI 34 (Bad Kreuznach) Nr. 30 (ca.1330/40?), Nr. 34 (1346?), Nr. 44 (n.1360), Nr. 50 (1363?), Nr. 52 (1365); DI 35 (Braunschweig, Stadt) Nr. 22 (12. Jh.?), Nr. 23 (2. V. 13. Jh.), Nr. 29 (14. Jh.), Nr. 42 (M. 14. Jh.), Nr. 46 (n.1358), Nr. 48 (n.1367), Nr. 49 (1368), Nr. 52 (1372), Nr. 53+ (1373), Nr. 54 (1375); DI 36 (Hannover, Stadt) Nr. 4 (1340 ff.), Nr. 6+ (1350); DI 38 (Bergstraße) Nr. 29 (1355–60?), Nr. 30 (1361), Nr. 32 (1369); DI 40 (Regensburg, Stadt 1) Nr. 56 (1356), Nr. 64 (1360–70), Nr. 65 (1371); DI 41 (Göppingen, Landkreis) Nr. 5 (2. H. 13. Jh.?); DI 43 (Rheingau-Taunus-Kreis) Nr. 56 (1341), Nr. 66 (1346), Nr. 78 (1351), Nr. 79 (1352), Nr. 80 (n.1352?), Nr. 81–84 (1353), Nr. 91 (1360), Nr. 95, 97 (1364), Nr. 101 (1369), Nr. 106+ (1373), Nr. 109 (1375); DI 45 (Goslar, Stadt) Nr. 20 (1314?); DI 46 (Minden, Stadt) Nr. 26 (1. H. 14. Jh.); DI 48 (Wiener Neustadt, Stadt) Nr. 6 (1317?>später); DI 50 (Bonn, Stadt) Nr. 33–34+ (um1330), Nr. 35 (1369), Nr. 59 (14.–15. Jh.); DI 51 (Wiesbaden, Stadt) Nr. 21+ (n.1332?, 1361), Nr. 22+ (1370); DI 54 (Mergentheim) Nr. 23+ (1371); DI 55 (Rügen) Nr. 9 (1356–58), Nr. 10, 11 (1368), Nr. 12 (1369); DI 57 (Pforzheim, Stadt) Nr. 20 (1371?); DI 58 (Hildesheim, Stadt) Nr. 47 (E. 14.–15. Jh.), Nr. 91+ (1350), Nr. 97+ (1363?); DI 60 (Rhein-Hunsrück-Kreis) Nr. 40 (1351), Nr. 41 (M. 14. Jh.), Nr. 47+ (1374), Nr. 48+ (3. V. 14. Jh.); DI 61 (Helmstedt, Stadt) Nr. 11 (1361 oder später); DI 63 (Odenwaldkreis) Nr. 23 (1370), Nr. 24 (1375); DI 65 (Kärnten 2) Nr. 42 (1337), Nr. 45 (ca.1340), Nr. 58 (1363); DI 66 (Göttingen, Landkreis) Nr. 9 (1342); DI 67 (Passau, Stadt) Nr. 42 (1349), Nr. 48 (1354), Nr. 75 (1373); DI 69 (Freising, Stadt) Nr. 41, 42+ (1374); DI 70 (Trier, Stadt 1) Nr. 213 (M. 14. Jh.?), Nr. 224+ (1367); DI 72 (Niederösterreich 3) Nr. 28 (1370); DI 74 (Regensburg, Stadt 2, Dom 1) Nr. 35 (ca.1370), Nr. 69 (ca.1350); DI 75 (Halberstadt, Dom) Nr. 21, (13./1. H. 14. Jh.), Nr. 37 (1. V. 14. Jh.?), Nr. 44–47 (1362); DI 76 (Lüneburg, Klöster) Nr. 8/81 (um1335), Nr. 15 (2. V. 14. Jh.), Nr. 18 (2. D. 14. Jh.), Nr. 19 (3. V. 14. Jh.); DI 77 (Greifswald, Stadt) Nr. 80+ (1332?>2. H. 14. Jh.), Nr. 38A (1356), Nr. 39, 40+ (n.1356), Nr. 41 (um1357), Nr. 42+ (1350–57), Nr. 43A (1358), Nr. 44 A,B, Nr. 45A (1360), Nr. 46A (1361), Nr. 47A (1366), Nr. 48+ (1367), Nr. 49A, 50A, 51, 52A (1368), Nr. 53 (1369), Nr. 54A (1370?), Nr. 55A (1375), Nr. 56 (3. V. 14. Jh.); DI 81 (Essen, Stadt) Nr. 51, 55 (E. 13.–A. 14. Jh.); DI 82 (Tirol 1) Nr. 10 (1374?); DI 83 (Holzminden, Landkreis) Nr. 7+ (3. V. 14. Jh.); DI 86 (Halberstadt, Stadt) Nr. 13+ (1346), Nr. 14 (nach 1372); DI 87 (Werra-Meißner-Kreis) Nr. 1/I (1369), Nr. 3 (2. H. 14.–M. 15. Jh.); DI 91 (Hersfeld–Rotenburg, Landkreis) Nr. 34 (1356–ca.1360), Nr. 37 (1370), Nr. 39 (1372), Nr. 45 (1371?/2. H. 14. Jh.); DI 93 (Schwäbisch Hall, Landkreis 1) Nr. 11+ (2. H. 14. Jh.?); DI 96 (Northeim, Landkreis) Nr. 15 (1325), Nr. 24, 28–39 (2. H. 14. Jh.); DI 100 (Lüneburg, Stadt) Nr. 12 (1360?), Nr. 15 (1371 oder später); DI 102 (Stralsund, Stadt) Nr. 1 (1318), Nr. 3 (1329), Nr. 7+ (1350?), Nr. 10 (2. V. 14. Jh.), Nr. 16 (1. H. 14. Jh.), Nr. 19 (M. 14. Jh.), Nr. 21 (1353), Nr. 22+ (1355), Nr. 23 (1357), Nr. 24A (1361), Nr. 25A (1367), Nr. 26 (1372), Nr. 27A (1374), Nr. 28A (1374?), Nr. 29+ (3. V. 14. Jh.), Nr. 39, 40 (2. H. 14. Jh.).
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hunderts27 oder gar erst im 15. Jahrhundert vor28. Bis in jüngste Zeit ließen sich der monumentalen Minuskel der Grabmäler der beiden Mainzer Erzbischöfe Peter und Matthias, die aus vorgenannten, plausiblen Gründen etwa zwei Jahrzehnte später datiert werden muss, gleichartige Belege nur ab den 1340er Jahren aus den Bänden des deutschen Inschriftenunternehmens zur Seite stellen. Abgesehen von drei Gemäldeinschriften aus dem Kloster Wienhausen29 sowie aus Metnitz und Gurk in Kärnten30 lag für das Medium Stein bislang kein sicher datiertes Beispiel der Gotischen Minuskel aus der Zeit vor 1340 vor. Mit der Edition der Inschriften der Stadt Stralsund aus dem Jahre 2016 fanden nun auch weit ältere steinerne Inschriften in Gotischer Minuskel Eingang in die Bände des deutschen Inschriftenunternehmens31. In der wissenschaftlichen Einschätzung hinsichtlich des Aufkommens und der Verbreitung der inschriftlichen Goti-
DI 5 (München) Nr. 11 (1381); DI 6 (Naumburg, Dom) Nr. 18 (1391); DI 10 (Nieder österreich I) Nr. 459 (1394); DI 12 (Heidelberg) Nr. 57 (1379); DI 15 (Rothenburg, Stadt) Nr. 29 (1389); DI 17 (Haßberge) Nr. 11 (nach 1390); DI 22 (Enzkreis) Nr. 33 (1377); DI 23 (Oppenheim, Stadt) Nr. 43 (1397); DI 25 (Ludwigsburg) Nr. 36+ (1392); DI 27 (Würzburg, Stadt 1) Nr. 99 (1378); DI 29 (Worms, Stadt) Nr. 173a+ (1390?); DI 30 (Calw) Nr. 42 (1378); DI 33 (Jena, Stadt) Nr. 5 (1382); DI 37 (Rems-Murr-Kreis) Nr. 16 (ca. 1380/90); DI 44 (Günzburg) Nr. 5 (1395); DI 47 (Böblingen) Nr. 38 (nach 1388); DI 49 (Darmstadt) Nr. 11 (1376); DI 52 (Zeitz, Stadt) Nr. 16 (1394); DI 59 (Lemgo, Stadt) Nr. 2 (nach 1387); DI 62 (Weißenfels) Nr. 23 (2. H. 14. Jh.); DI 73 (Hohenlohekreis) Nr. 23 (1392); DI 78 (BadenBaden) Nr. 43+ (1387); DI 79 (Rhein-Hunsrück-Kreis) Nr. 16 (1396); DI 80 (Passau, Lkr. 1) Nr. 9 (1384); DI 83 (Holzminden) Nr. 10 (2. H. 14. Jh. oder 15. Jh.); DI 84 (WeilheimSchongau) Nr. 19 (1382); DI 85 (Halle, Stadt) Nr. 13, 14 (1388); DI 88 (Hildesheim, Lkr.) Nr. 12 (4. V. 14. Jh.); DI 89 (Düsseldorf, Stadt) Nr. 24 (4. V. 14. Jh.). 28 DI 3 (Burgenland) Nr. 46 (1. H. 15. Jh.); DI 4 (Wimpfen, Stadt) Nr. 40 (1417); DI 11 (Merseburg, Stadt) Nr. 20 (1446); DI 13 (Nürnberg, Friedhöfe 1) Nr. 4 (ca. 1446); DI 18 (Bamberg, Lkr.) Nr. 41 (1403?); DI 24 (Lüneburg, Klöster) Nr. 15 (1412); DI 39 (Jena, Lkr.) Nr. 29 (1411); DI 42 (Einbeck, Stadt) Nr. 8 (1417); DI 64 (Querfurt) Nr. 30 (ca. 1435). 29 Die Inschriften der Lüneburger Klöster Ebstorf, Isenhagen, Lüne, Medingen, Walsrode, Wienhausen, gesammelt und bearb. von Sabine Wehking (Die Deutschen Inschriften 76, Göttinger Reihe 13), Wiesbaden 2009, Nr. 8 (um 1335). 30 Die Inschriften des Bundeslandes Kärnten, Teil 2: Die Inschriften des Politischen Bezirks St. Veit an der Glan, gesammelt und bearb. von Friedrich Wilhelm Leitner (Die Deutschen Inschriften 65, Wiener Reihe 2,2), Wiesbaden 2008, Nr. 42 (1337) und Nr. 45 (um 1340). 31 Die Inschriften der Stadt Stralsund, gesammelt und bearb. von Christine Magin (Die Deutschen Inschriften 102, Göttinger Reihe 18), Wiesbaden 2016, mit zwei gleichartigen, aber stark beschädigten Inschriftentafeln in Gotischer Minuskel, die jeweils auf die Bau beginne des Langhauses von 1318 (Nr. 1) und des Turmes von 1329 (Nr. 3) der Kirche St. Nikolai verweisen. 27
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schen Minuskel im deutschen Sprachraum scheint damit eine Trendwende in der epigraphischen Forschung eingeläutet worden zu sein32. Unsere Vorstellung vom Bild der epigraphischen Landschaft des deutsch sprachigen Raums ist maßgeblich geprägt von den bereits zahlreich vorliegenden und zuverlässig bearbeiteten Bänden des deutschen Inschriftenunternehmens. Dass das interakademische Unternehmen „Die Deutschen Inschriften“ mit ihren bislang etwa 44.000 edierten Inschriften trotz intensivster Publikationstätigkeit von einer flächendeckenden Aufarbeitung der deutschen Inschriften allerdings noch weit entfernt ist, verdeutlicht eine Karte der beiden Länder Deutschland und Österreich (Abb. 8). Die schwarzen Markierungen auf der Karte kennzeichnen sämtliche Inschriftenorte und -regionen, die bereits in der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ ediert sind. Insofern ist bei der Suche nach weiteren frühesten inschriftlichen Belegbeispielen der Gotischen Minuskel über das deutsche Inschriftencorpus hinaus auch die jüngere epigraphische Forschungsliteratur zu konsultieren33. Zwei Publikationen aus den Jahren 1999 und 2000 fassen dabei die Inschriften der Hansestadt Lübeck ins Auge. Klaus Krüger spricht in seinem „Corpus der mittelalterlichen Grabdenkmäler ...“ von einem Einsatz der Gotischen Minuskel in der Stadt Lübeck „bereits zu Beginn des 14. Jahrhunderts“34. Als frühe Belege der Gotischen Minuskel führt er Siehe Die Inschriften des Landkreises Hersfeld-Rotenburg, gesammelt und bearb. von Sebastian Scholz/Rüdiger Fuchs (Die Deutschen Inschriften 91, Mainzer Reihe 14), Wiesbaden 2015, XLIII Anm. 119 sowie Die Inschriften des Werra-Meißner-Kreises I: Altkreis Witzenhausen, gesammelt und bearb. von Edgar Siedschlag unter Mitarbeit von Rüdiger Fuchs (Die Deutschen Inschriften 87, Mainzer Reihe 13), Wiesbaden 2017, LXIII Anm. 120, mit gleichlautendem Verweis: „Jüngere Beobachtungen, dass sich die Minuskel entgegen früheren Annahmen in den Städten der Ostseeküste und in ihrem weiteren Hinterland früh und schon ab der Mitte des 14. Jahrhunderts mit einer gewissen Dominanz durchsetzt, vgl. andeutungsweise DI 77 (Greifswald) 42“. 33 Hilfestellungen bieten hierbei die epigraphischen Literaturberichte (Walter Koch unter Mitarbeit von Franz-A. Bornschlegel/Albert Dietl/Maria Glaser, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik 1985–1991 [MGH Hilfsmittel 14], München 1994; Walter Koch/Maria Glaser/Franz-Albrecht Bornschlegel, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik 1992–1997 [MGH Hilfsmittel 19], Hannover 2000; Walter Koch/Franz-Albrecht Bornschlegel, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik 1998–2002 [MGH Hilfsmittel 14], Hannover 2005) sowie die epigraphische Literaturdatenbank „epigraphica europea“ des Epigraphischen Forschungsund Dokumentationszentrums der Abteilung Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde der LMU München (http://epigraphik.gwi.uni-muenchen.de/). 34 Klaus Krüger, Corpus der mittelalterlichen Grabdenkmäler in Lübeck, Schleswig, Holstein und Lauenburg (1100–1600) (Kieler Historische Studien 40), Stuttgart 1999, S. 100. 32
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Grabplatten von „nach 1316“35, „bald nach 1317“36, 132537, 132838, 133239 und 133740 an. Leider findet sich von den beiden ersten, stark abgetretenen Grabplatten keine Abbildung in seinem Corpus. Diese Serie an Grabinschriften in Gotischer Minuskel sowie die Tatsache, dass die Gotische Minuskel bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts „die einzige gebräuchliche Buchstabentype in den Grabinschriften des Lübecker Doms“ darstellt41, erweist Lübeck neben Stralsund als ein weiteres frühes Zentrum dieser Schriftart im Norden Deutschlands42. Adolf Clasen kann den frühen Grabinschriften in Gotischer Minuskel noch eine Lübecker Bauinschrift hinzufügen. Diese Bauinschrift in schlichter Gotischer Minuskel, die mit Ausnahme der Initiale am Textanfang gänzlich ohne Versalien auskommt, bietet in metrischer Form die Jahreszahl 1335 (Abb. 9)43. Clasen vermerkt, dass hier zum ersten Mal im nördlichen Deutschland in einer „offiziellen Inschrift“ die Gotische Minuskel zum Einsatz kommt44. Die Ausführung der Gotischen Minuskel in erhaben gesetzten Buchstaben ist in der Epigraphik des deutschen Ostseeraumes ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Es lässt sich sowohl in den Bauinschriften als auch in den Grabmälern nachweisen. Dass der deutsche Ostseeraum und insbesondere die Stadt Lübeck für die frühe Verbreitung der Gotischen Minuskel verstärkt in das Blickfeld der Inschriftenpaläographie zu rücken ist, soll durch ein weiteres Beispiel aus dieser Region belegt werden. Die Grabplatte aus Bad Doberan für den 1338 verstorbenen Lübecker Bürger Peter Wise zeigt nach dem Dehio Ebd. S. 106 und S. 801 f. LÜKA3 (Grabplatte einer Elisabeth † 1316). – Gemäß Krüger handelt sich bei der abgetretenen Inschrift, die nur mehr aus einer älteren Lesung hervorgeht, „um das möglichweise früheste Auftreten der Gotischen Minuskel im Untersuchungsgebiet“ (ebd. S. 106 Anm. 52). 36 Ebd. S. 100 und S. 531 f. LÜDO18 (Grabplatte der Adelheid Hattorp und des Johann Heydebu †1308 bzw. 1317). 37 Ebd. S. 106 und S. 802 f. LÜKA4 (Grabplatte des Johannes [Smethusen?] †1325). 38 Ebd. S. 100 und S. 528 f. LÜDO15 (N.N. †1314 und N.N. † 1328 auf der neu beschrifteter Grabplatte des Hans vam See, 1644). 39 Ebd. S. 106 und S. 493 LÜMU4 (Grabplatte der Katharina Strobuk † 1332). 40 Ebd. S. 106 und S. 804 f. LÜKA7 (Grabplatte des Bischofs Jakob von Ösel † 1337). 41 Ebd. S. 101. 42 Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) S. 67, nannte noch als frühestes Lübecker Beispiel der Gotischen Minuskel die metallene Grabplatte des Bischofs Heinrich Bockholt † 1341. – Vgl. auch Krüger, Corpus (wie Anm. 34) S. 101 Anm. 21 und S. 549–551 LÜDO41. 43 Adolf Clasen, Steinerne Urkunden. Drei Lübecker Bauinschriften des Mittelalters, in: Der Wagen. Ein Lübeckisches Jahrbuch 2000, S. 138–152, hier S. 141–143, Abb. 2. 44 Ebd. S. 142. 35
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Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler die „wohl früheste Verwendung dieses Schrifttyps in Mecklenburg“ (Abb. 10)45. Christine Magin kann sogar noch frühere Belege in dieser Region, auf dem Grabmal des Bischofs Rudolf von Stettin (+1262/vor 1314) und zwei Tonfliesen (um 1329), sämtliche aus Bad Doberan, erbringen46. Die Karte von Renate Neumüllers-Klauser muss also für den Beginn der Gotischen Minuskel im deutschen Raum in einigen wenigen, aber wesentlichen, Punkten korrigiert werden (Abb. 5b). Die Präferenz zugunsten der Stadt Mainz und des Mainzer Erzbistums in der frühen Rezeption der neuen Schrift ist jedenfalls nicht mehr gegeben. Die Erstausbildung der Gotischen Minuskel in Form der strengen Textura ist dennoch nicht für den deutschen Sprachbereich zu reklamieren. So verweist eine Gotische Minuskel von 1316 auf einer Grabplatte in das Norwegische Trondheim (Abb. 11a, b), die aber für den hohen Norden ein isoliertes Beispiel bleibt. Ob die Inschrift in Gotischer Minuskel auch wirklich aus dem Jahr 1316 stammt, wird von Martin Syrett in einer ausführlichen inschriftenpaläographischen Stellungnahme erörtert und schließlich als offene Frage in den Raum gestellt47. Ein früheres Auftreten der Gotischen Minuskel vor dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts ist ansonsten nur in den Inschriften Nordfrankreichs und Belgiens überliefert, die auch für die Paläographie als Ursprungsländer der Gotischen Minuskel gelten48. Die Belege der Gotischen Minuskel aus Frankreich, die uns die Kartenskizze von Renate Neumüllers-Klauser aus der Zeit vor 1300 bietet (Abb. 5a), sind in den Nachzeichnungen der Grabmäler aus der Sammlung Gaignières über 45 Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Mecklenburg-Vorpommern, bearb. von Hans-Christian Feldmann mit Beiträgen von Gerd Baier/Dietlinde Brugmann/Antje Heling/Barbara Rimpel, München/Berlin 2000, S. 35. – Möglicherweise wurde die Grabplatte des Lübecker Bürgers auch in Lübeck in Auftrag gegeben. 46 DI 102 (Stadt Stralsund) (wie Anm. 31) S. 37 Anm. 95. – Siehe auch Christine Magin, Zwischen Kloster und Welt: Die mittelalterlichen Grabplatten des Klosters Doberan, Vortrag Bad Doberan 2.08.2017 (Text: www.muenster-doberan.de/uploads/media/MaginGrabplatten-Text.pdf – Abbildungen: http://www.muenster-doberan.de/index.php?id=274, aufgerufen am 11.12.2017). 47 Martin Syrett, The Roman-alphabet inscriptions of medieval Trondheim (Senter for middelalderstudier, Skrifter 13) Trondheim 2002, S. 360–370 Nr. 99, Fig. 99.I–XI; vgl. auch die Besprechung von Rüdiger Fuchs, in: Walter Koch/Franz-Albrecht Bornschlegel, Literaturbericht zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Epigraphik (1998–2002) (MGH, Hilfsmittel 22) Hannover 2005, S. 108 f. 48 Bischoff, Paläographie (wie Anm. 2) S. 171, vermag dort in den Buchschriften die ers ten Ansätze eines gotischen Schriftstils bis ins 11. Jahrhundert zurückzuverfolgen.
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liefert. Jean Adhémar hat sie in den 1970er Jahren publiziert49. Das früheste, von Neumüllers-Klauser angeführte Beispiel datiert in das Jahr 126150. Die figürliche Doppelgrabplatte eines Ehepaars in der ehemaligen Zis terzienserabtei Ourscamp gibt in ihrer Umschrift in französischer Sprache eine Minuskelschrift wieder, die aber nur in ihrem rechten Teil – in der Grabinschrift des Ehemanns Oudart Havard († 1261) – einigermaßen den gitterförmigen Charakter und die Brechungen einer Gotischen Minuskel imitiert (Abb. 12)51. Im selben Schriftduktus hält die „Collection Gaignières“ eine weitere Minuskelschrift auf der Grabplatte des 1222 verstorbenen Erzbischofs von Sens, Pierre de Corbeil, fest (Abb. 13)52. Wie in der Grabinschrift von 1261 weisen die Buchstaben der Nachzeichnung zwar die für die Gotische Minuskel typischen eckigen Formungen, aber auch ungebrochenes und unter die Grundlinie führendes Schaft-s und f auf. Dieses Beispiel mochte aber weder Neumüllers-Klauser noch dem „Corpus des inscriptions de la France médiévale“ als früher Beleg für die Gotische Minuskel dienen53. Selbst für Frankreich, dem „Ursprungsland“ der Gotischen Minuskel, erscheint das Datum 1222 zu früh für die monumentale Umsetzung jener Schrift im epigraphischen Medium. In wie weit sind die Nachzeichnungen in der Sammlung Gagniéres aber überhaupt für die Beurteilung der Entstehung der Gotischen Minuskel verwertbar? Einem glücklichen Zufall verdanken wir, dass eine Gotische Minuskel der frühesten Zeit vor 1200 nicht nur in der „Collection Gaignières“ (Abb. 14a), sondern auch in einem Foto des Inschriftenoriginals überliefert ist54. Sie befindet sich auf der Grabplatte der Agnès de Saint-Amand, in der die umlaufende Grabinschrift das Sterbejahr 1296 nennt, das nach Jean Adhémar, Les Tombeaux de la Collection Gaignière. Dessins d’archéologie du XVIIe siècle I–III, in: Gazette des Beaux-Artes 84 (1974) S. 1–192 (I), 88 (1976) S. 1–128 (II) und 90 (1977) S. 1–76 (III). 50 Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) S. 64. 51 Adhémar, Collection Gaignière (wie Anm. 49) I S. 57 Nr. 279. 52 Ebd. I, S. 28 Nr. 106. 53 Die verloren gegangene Inschrift wird von Neumüllers-Klauser nicht erwähnt und die Edition des französischen Inschriftenunternehmens bezieht keine Stellung zu ihrer Schriftform. Siehe: Yonne, textes établis et présentés par Robert Favreau/Jean Michaud avec la collaboration de Bernadette Mora/Giuseppe de Spirito (Corpus des inscriptions de la France médiévale 21), Paris 2000, S. 151 f. Nr. 136. 54 Adhémar, Collection Gaignière (wie Anm. 49) I S. 90 Nr. 476 sowie NeumüllersKlauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) Abb. 3 (aus: William F. Creeny, Illustrations of Incised Slabs on the Continent of Europe from Rubbings and Tracings, London 1891, Abb. 28). 49
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heutiger Zeitrechnung aber das Jahr 1297 ergibt (Abb. 14b)55. Die Grabplatte stammt aus der Abtei Bonport und wurde im 19. Jahrhundert in das Musée des Antiquités in Rouen überführt, wo sie heute allerdings nicht mehr aufzufinden ist. Ein Vergleich der Abschrift mit dem Foto des Originals zeigt zwar, dass die abschriftliche Überlieferung die Inschrift wortgetreu und zeilengerecht wiedergibt, die Minuskelbuchstaben aber stark vereinfacht, bisweilen verfremdet und zudem die Schreibweise der Versalien gänzlich vernachlässigt. Bei dieser Gotischen Minuskel, die erst 2002 im Band 22 des „Corpus des inscriptions de la France médiévale“ editiert wurde, handelt es sich um den ersten mir bekannten Beleg der Gotischen Minuskel in Frankreich, der glaubwürdig bezeugt ist56. Wenden wir uns nun der Gotischen Minuskel nach 1350 zu. Nach regional unterschiedlicher Einführung und ungleich schneller Durchsetzung ist die Gotische Minuskel vornehmlich in der Zeit von 1375 bis 1400 schon vielerorts im deutschen Sprachraum Allgemeingut57. Bis weit in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts wird sie meist noch deutlich von der Gotischen Majuskel beherrscht, erreicht im Zeitraum von 1350 bis 1400 aber mancherorts bereits über 50 Prozent Anteil am Inschriftenwesen58. Die außerordentlich hohen Bestände an Gotischer Minuskel auf Rügen (über 70 %)59, in den Städten Greifswald (über 80 %) sowie Stralsund (über 90 %)60 und im Dom zu Lübeck (100 %)61 weisen auf die hohe Akzeptanz der Schrift im Ostsee-
55 Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) S. 64–66, mit Datierung „1296“; Calvados, Eure, Mache, Orne, Seine-Maritime, textes établis et présentés par Robert Favreau/Jean Michaud (†) (Corpus des inscriptions de la France médiévale 22) Paris 2002, S. 338 f. Nr. 263, mit Datierung „1297“ [zitiert: CIMF 22]. 56 CIFM 22 (wie Anm. 55) S. 338 f. 57 Im Rahmen seines Beitrags zur epigraphischen Fachtagung in Lüneburg 1984 nahm Walter Koch u. a. eine statistische Auswertung der Schriftarten vor, dem zu diesem Zeitpunkt 24 Bände des deutschen Inschriftenwerks zu Grunde lagen; siehe Walter Koch, 50 Jahre Deutsches Inschriftenwerk (1934–1984). Das Unternehmen der Akademien und die epigraphische Forschung, in: Deutsche Inschriften. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Lüneburg 1984. Vorträge und Berichte, hg. von Karl Stackmann (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Göttinger Akademie der Wissenschaften, 3. Folge 151) Göttingen 1986, S. 15–45, hier S. 30–33. 58 Gemäß Koch, Deutsches Inschriftenwerk (wie Anm. 57) S. 31, überwiegt in den Münchner und Naumburger Inschriften bereits zwischen 1350 und 1400 die Gotische Minuskel, in Göttingen ist das Verhältnis ausgewogen. 59 Vgl. DI 55 (Rügen). 60 Vgl. DI 77 (Greifswald, Stadt); DI 102 (Stralsund, Stadt) (wie Anm. 31). 61 Krüger, Corpus (wie Anm. 34) S. 101.
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raum. Im 15. Jahrhundert erweist sich die Gotische Minuskel vor allem als d i e Schrift nördlich der Alpen. In dieser Zeit dominiert sie in sämtlichen Inschriftenregionen, oftmals mit bis zu 100 Prozent. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts liegt der Anteil der Gotischen Minuskel meist noch deutlich über 50 Prozent62. Die höchsten prozentualen Anteile liegen zwischen 80 und 90 Prozent, die häufig in bayerischen Regionen nachgewiesen werden können63. In Mainz, Göttingen und Karlsruhe ist das Verhältnis der Gotischen Minuskel zur neu eingeführten Renaissance-Kapitalis fast ausgeglichen64, im Landkreis Bad Kreuznach wie auch im RheingauTaunus-Kreis liegt die Marke bereits bei über 50 Prozent65. In der Renaissancestadt Augsburg verliert die Gotische Minuskel schon im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts ihre führende Stellung66. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts ist durch das r apide Absinken der Gotischen Minuskel gekennzeichnet, regional allerdings sehr unterschiedlich. Die Werte liegen zwischen „Null“ und knapp 30 Prozent67. Eine deutliche Ausnahme bilden die Nürnberger Friedhöfe, die zwischen 1550 und 1580 noch über 68 Prozent der Inschriften der Gotischen Minuskel aufweisen68. Nur sporadisch finden sich Beispiele der Gotischen Minuskel im frühen 17. Jahrhundert69. Der internationalen Ausrichtung der epigraphischen Fachtagung in Venedig geschuldet sei noch ein kurzer Blick über die Alpen nach Italien gestattet. Inwieweit spielt die Gotische Minuskel überhaupt in Italien eine Rolle? Wie nicht anders zu erwarten, konzentrieren sich die Inschriftenstandorte der Gotischen Minuskel vornehmlich auf den Norden Italiens. Die Koch, Deutsches Inschriftenwerk (wie Anm. 57) S. 32. Walter Koch, ebd., verweist hierbei auf die Inschriftenbände München (DI 5), Nürnberg (DI 13) und Haßberge (DI 17). 64 Ebd. 65 Franz-Albrecht Bornschlegel, Die Kapitalis der Renaissance in Augsburg (Diss. Mschr.) München 1994, S. 103. 66 Ebd. und Ders., Druckschriften und epigraphische Schriften auf der Schwelle zum Frühdruck am Fallbeispiel Augsburg, in: Inschrift und Material. Inschrift und Buchschrift. Fachtagung für mittelalterliche und neuzeitliche Epigraphik, Ingolstadt 1997, hg. von Walter Koch/Christine Steininger (Bayerische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Abhandlungen N. F. 117), München 1999, S. 213–224, hier S. 214 Anm. 5. 67 Koch, Deutsches Inschriftenwerk (wie Anm. 57) S. 32. 68 Ebd. 69 Ebd. – Mehrfache Belege für die Gotische Minuskel im 17. Jahrhundert finden sich wiederum gehäuft in Regionen des oberbayerischen und schwäbischen Raums, vgl. DI 44 (Günzburg) Nr. 138 (1602), Nr. 140 (1604), Nr. 147 (1613), Nr. 158 (1619), Nr. 162 (um 1620), Nr. 167 (1622), Nr. 179 (1633), Nr. 182 (1. H. 17. Jh.) sowie DI 84 (Weilheim-Schongau) Nr. 246 und 247 (1611), Nr. 252 (1613), Nr. 257 (1615). 62 63
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Nähe zu den transalpinen Inschriftenlandschaften, verbunden mit einem regen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch, mag dafür verantwortlich sein. In Südtirol ist die Gotische Minuskel sowohl hinsichtlich ihrer flächendeckenden Verbreitung als auch ihrer hohen Überlieferungsrate allerorts präsent. Berücksichtigt man die politische Konstellation des späten Mittelalters, so ist dies auch nicht verwunderlich. Doch wie sieht es mit der prozentualen Verteilung der Gotischen Minuskel in anderen cis alpinen Orten und Regionen aus? Anhand der Edition des „Corpus Inscriptionum Medii Aevi Liguriae“ soll dies für die bislang erschienenen Bände für die Provinz Ligurien statistisch verdeutlicht werden: Die zur Auswertung vorliegenden vier Bände des „Corpus Liguriae“ betreffen die Städte Savona, Genua und Albenga70. Für den Zeitraum von 1300 bis 1500 wollen wir die Anzahl der Belege der verwendeten Schriftarten miteinander vergleichen (Abb. 15a, b). Gegenüber den Inschriften nördlich der Alpen lässt sich eine gänzlich andere Verteilung der Schriftarten erkennen71. So wird in Ligurien die Gotische Majuskel bis weit in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein verwendet und die humanis tischen Kapitalisschriften treten bereits seit den 1430er Jahren auf. Für die Gotische Minuskel, aber auch für die südlich der Alpen beheimatete Rotunda, bleibt so gut wie kein Spielraum zur Entfaltung. Die verschwindend geringen Belege der Gotischen Minuskel zeigen, dass sie in der Epigraphik Liguriens keine große Rolle spielte. Das früheste Auftreten der Gotischen Minuskel ist für das Jahr 1390 dokumentiert, in einem Beispiel aus dem „Centro storico“ in Genua72. Savona, Vado, Quiliano, a cura di Carlo Varaldo, Prefazione di Gabriella Airaldi (Corpus Inscriptionum Medii Aevi Liguriae 1 = Collana storica di fonti e studi 27) Genova 1978; Genova, Museo di S. Agostino, a cura di Sandra Origone/Carlo Varaldo (Corpus Inscriptionum Medii Aevi Liguriae 2 = Collana storica di fonti e studi 37), Genova 1983; Genova, Centro storico, a cura di Augusta Silva (Corpus Inscriptionum Medii Aevi Liguriae 3 = Collana storica di fonti e studi 50), Genova 1987; Albenga: Alassio, Ceriale, Cisano sul Neva, Ortovero, Villanova d’Albenga, a cura di Bruno Schivo (Corpus Inscriptionum Medii Aevi Liguriae 4 = Collana storico-archeologica della Liguria occidentale 29), Bordi ghera 2000 [zitiert: CIMAL]. 71 Siehe dazu auch Walter Koch, Das 15. Jahrhundert in der Epigraphik. Die Schriften „zwischen“ Mittelalter und Neuzeit in Italien und nördlich der Alpen, in: Libri, documenti, epigrafi medievali: possibilità di studi comparativi. Atti del Convegno internazionale dell’Associazione italiana dei Paleografi e Diplomatisti Bari (2–5 ottobre 2000), hg. von Francesco Magistrale/Corinna Drago/Paolo Fioretti (Studi e Ricerche 2), Spoleto 2002, S. 587–606, hier S. 594 f. 72 CIMAL 3 (Genova, Centro Storico) (wie Anm. 70) Nr. 141. 70
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In vielen oberitalienischen Städten kann die Gotische Minuskel zwar nachgewiesen werden, doch scheint sie selbst im 14. Jahrhundert nie eine führende Stellung in der epigraphischen Schriftlandschaft Oberitaliens eingenommen zu haben. Doch ist dies nur ein Zwischenergebnis eines punktuell ausgewerteten Inschriftenmaterials. In Mittelitalien ist der Nachweis der Gotischen Minuskel jedoch zweifelsohne schwerer zu erbringen. Für die Stadt Rom bietet das „Corpus der mittelalterlichen Grabmäler in Rom und Latium“ eine solide Grundlage für die Auswertung der Grabmäler nach ihren Schriftarten73. Die Überlieferung von ausschließlich vier Grabmälern in Gotischer Minuskel in Rom macht deutlich, dass diese Schrift dort keine große Akzeptanz gefunden hat74. Alle diese Grabmäler in Gotischer Minuskel sind für Personen aus dem Ausland angefertigt. Die vorliegende Grabplatte von 1450 aus dem Petersdom gedenkt einer auf der Pilgerfahrt verstorbenen Frau mit ihrem Kind (Abb. 16). Die Inschrift in französischer Sprache lässt auf das Herkunftsland der nicht näher identifizierbaren Verstorbenen schließen. Die Gotische Minuskel in ihren breiten, weit spationierten Buchstaben offenbart Probleme bei der technischen Umsetzung der Schrift. Die Ausführung ist offensichtlich auf einen einheimischen, mit der Schrift der Gotischen Minuskel wenig erfahrenen Steinmetz zurückzuführen75. Für den Süden Italiens sind wir noch viel weniger über das Auftreten der Gotischen Minuskel informiert. In Neapel allerdings scheint der französische Einfluss unter der Herrschaft der Anjou sich auch in der Ausformung der Schrift bemerkbar gemacht zu haben. Im Grabmal des Antonius de Penna von 1410–12 verwendet der neapolitanische Bildhauer Andrea Baboccio eine Gotische Minuskel mit deutlich gitterförmigem Charakter
Die mittelalterlichen Grabmäler in Rom und Latium vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, 1: Die Grabplatten und Tafeln, redigiert von Jörg Garms/Roswitha Juffinger/Bryan Ward-Perkins (Publikationen des Österreichischen Kulturinstituts in Rom 2/5/1), Rom/ Wien 1981; Die mittelalterlichen Grabmäler in Rom und Latium vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, 2: Die Monumentalgräber, bearb. von Jörg Garms/Andrea Sommerlechner/Werner Telesko (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturinstitut in Rom, II/5/2), Wien 1994 [zitiert: Gräbercorpus]. 74 Gräbercorpus (wie Anm. 73) 1: Abb. 118 (LXXVII,1), Abb. 193 (LI,20), Abb. 220 (LXXXIV), Abb. 221 (X,4). – Zur Gotischen Minuskel in Rom siehe Walter Koch, Zur Epigraphik der Stadt Rom im späten Mittelalter, in: ebd. S. 25–40, hier S. 32. 75 Gräbercorpus (wie Anm. 73) 1: LI,20, Abb. 193. 73
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und starken Brechungen (Abb. 17)76. In Duktus und Einzelform zeigt sie die deutliche Nähe zur Gotischen Minuskel nördlich der Alpen. Als letztes Beispiel für die cisalpine Gotische Minuskel soll uns ein Beispiel aus Venedig dienen. Es handelt sich um das Grabmal des Seligen Pacifico in der Frari-Kirche (Abb. 18). Das Grabmal ist durch die Inschrift in das Jahr 1437 datiert. Die gemalte Inschrift in Gotischer Minuskel lässt in einigen Aspekten markante Unterschiede zur Gotischen Minuskel des Nordens erkennen. Auffällig ist die freiere Umsetzung der Oberlängen. Besonders ins Auge stechen jedoch die Unterlängen von Schaft-s und f, die nun nicht mehr die quadrangelförmigen Brechungen auf der Grundlinie aufweisen. Hier ist bereits an wenigen Einzelformen eine Auflockerung des strengen Schriftstils des Nordens sichtbar, die auch etliche der cisalpinen Schriften der Gotischen Minuskel auszeichnet. Der Übergang zur Rotunda, einer typisch oberitalienischen Minuskelschrift, die jedoch kaum zahlreicher überliefert ist, mag bisweilen fließend sein. Sie stellt das Thema eines anderen Beitrags dieses Bandes dar77.
Nicolas Bock, Die Kunst am Hofe der Anjou-Durazzo. Der Bildhauer Antonio aboccio (1351–ca. 1423) (Italienische Forschungen des Kunsthistorischen Institutes in B Florenz, I Mandorli 1), Berlin 2001, hier S. 187–189 (Kapitel: „Die Inschriften in gotischer Minuskel“). 77 Siehe den Beitrag von Walter Koch, Die Rotunda in der Epigraphik, S. 397–419. 76
Abb. 1a: Buchschrift (Hieronymus, Psalmenkommentar), Gotische Minuskel, Bamberg, Kloster Michelsberg, 1186.
Abb. 1c: Buchschrift, Gotische Minuskel (Textualis), Flämisch (Maastricht?), ca. 1300.
Abb. 1b: Buchschrift, Gotische Minuskel (Textualis Gothica formata), Bayern, 1282 (München, Bayer. Staatsbibl., Cod. Lat. 13029).
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Abb. 2: Grundformen des Alphabets der Gotischen Minuskel in der Epigraphik nördlich der Alpen.
Abb. 3: Alphabet der Gotischen Minuskel der Inschriften der Stadt Landshut.
Abb. 4: Die Versalien der Gotischen Minuskel in den Inschriften des Landkreises Göppingen (in chronologischer Reihenfolge).
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Abb. 5a: Verbreitung der Gotischen Minuskel bis ca. Mitte des 14. Jh. (Kartenskizze Neumüllers, 1986).
Abb. 5b: Verbreitung der Gotischen Minuskel bis ca. Mitte des 14. Jh. (Kartenskizze Neumüllers, 1986 – revidiert).
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Abb. 6: Grabmal des Mainzer Erzbischofs Peter von Aspelt † 1320/um 1335–1340.
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Abb. 7: Die Gotische Minuskel vor 1375 in den Bänden des deutschen Inschriftenwerks.
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Abb. 8: Bearbeitete Gebiete des deutschen Inschriftenwerks in Deutschland und Österreich.
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Abb. 9: Lübeck, Katharinenkirche, Bauinschrift 1335.
Abb. 10: Bad Doberan, Grabplatte des Lübecker Bürgers Peter Wise † 1338.
Abb. 11a, b: Trondheim (N), Dom, Grabplatte des Steinmetzen Matthias von Köln († 1316).
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Abb. 12: Doppelgrabplatte des Ehepaars Oudart Havard † 1261 und der Richilde Durboise † 1259 (ehem. Abtei Ourscamp).
Abb. 13: Grabplatte des Pierre de Corbeil, Erzbischofs von Sens † 1222 (ehem. Kathedrale von Sens).
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Abb. 14a, b: Grabplatte der Agnès de Saint-Amand † 1297 (ehem. Abtei Ourscamp).
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Abb. 15a: Verteilung der Inschriften von 1300–1500 im Corpus Liguriae, Bd. 1–4.
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Abb. 15b: Verteilung der Inschriften von 1300–01500 im Corpus Liguriae, Bd. 1–4.
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Abb. 16: Grabplatte einer Catherine † 1450 mit Sohn, Rom, St. Peter.
Abb. 17: Grabmal des Antonius de Penna, um 1410/20, Neapel, S. Chiara.
Abb. 18: Grabmal des Seligen Pacifico, 1437, Venedig, Frari-Kirche.
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Abstract In the field of epigraphy, Gothic minuscule is the most widely preserved script north of the Alps from the end of the 14th century to the mid-16th century. In epigraphic key literature, the inscription of the tomb of Peter von Aspelt, Archbishop of Mainz, († 1320), was for a long time considered to be the earliest evidence of Gothic minuscule in Germany. However, the oldest examples dating to the second decade of the 14th century and the earliest dissemination of Gothic minuscule in Germany are located in the German Baltic region and especially Bad Doberan and the Hanseatic city of Lübeck. In today’s Italy, Gothic minuscule never takes a leading position in the inscriptional landscape, with the exception of South Tyrol. While Gothic minuscule is extant in numerous inscriptions in northern Italy, it is far less common in central Italy. We know very little about the emergence of Gothic minuscule in the south of Italy. In Angevin-ruled Naples, however, French influence seems to have passed into epigraphic writing. Here the Gothic minuscule can be proved as well, with strong breaks of the letters similar to those in the inscriptions of France.
Abbildungsnachweise: Abb. 1a: Anton Chroust, Monumenta Paleographica, München 1902– 1906, Bd. I,3 Taf. XXI,10 Abb. 1b: Joachim Kirchner, Scriptura Gothica libraria, München-Wien 1966, Taf. 16. Abb. 1c: Michelle P. Brown, A Guide to Western Historical Scripts from Antiquity to 1600, London 1990, Plate 30. Abb. 2, 3, 8: Zeichnung Franz-Albrecht Bornschlegel. Abb. 4: DI 41 (Göppingen, Lkr.) (wie Anm. 9) XLIX mit Beschriftung Franz-Albrecht Bornschlegel. Abb. 5a, b, 14b: Neumüllers-Klauser, Schrift und Sprache (wie Anm. 16) S. 65 Karte 4 (5b mit Beschriftung Franz-Albrecht Bornschlegel) und Abb. 3. Abb. 6: Kern, Inschriften (wie Anm. 21) S. 41. Abb. 7, 15a, b: Tabelle Franz-Albrecht Bornschlegel. Abb. 9: Foto Franz-Albrecht Bornschlegel. Abb. 10: Foto Albert Dietl, München.
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Abb. 11a, b: Syrett, Roman-alphabet inscriptions (wie Anm. 47) Fig. 99.I und 99.II. Abb. 12, 13, 14a: Adhémar, Collection Gaignière (wie Anm. 49) I Nr. 279, I Nr. 106, I Nr. 476. Abb. 16: Gräbercorpus 1 (wie Anm. 73) Abb. 193. Abb. 17: Bock, Kunst am Hofe (wie Anm. 76) Abb. 105. Abb. 18: Fotothek Epigraphisches Forschungs- und Dokumentationszentrum, LMU München (Ingo Seufert).
Collectio Diplomatica Hungarica Online-Datenbank mittelalterlicher Schriftquellen aus Ungarn von DIÁNA DIERA
Jedes Archiv ist bemüht, sein Archivmaterial fachgerecht aufzubewahren, zu beschützen und gleichzeitig zu Zwecken wissenschaftlicher oder privater Forschungen (wie Ahnenforschung) Zugriff auf das Material zu gewährleisten. Die schnelle Verbreitung der modernen Technik veränderte binnen kurzer Zeit nicht nur den Alltag, sondern auch grundsätzlich die Arbeits- und Forschungsgewohnheiten und schuf eine Forscherhaltung mit neuen Ansprüchen. Die Archive als Träger des gedruckten Kulturguts mussten sich weltweit den neuen Erwartungen stellen und sich an das digitale Zeitalter anpassen. In Zeiten der Massendigitalisierung ist der Prozess mittlerweile europaweit zu einer alltäglichen Praxis geworden. In den Anfangszeiten spielten jedoch die großen Staats- und Landesbibliotheken eine bahnbrechende Rolle, weil sie nicht zuletzt über die nötigen finanziellen Ressourcen, geeignete Technik (Scangeräte für unterschiedliche Materialarten und Größen) und geschultes Personal verfügten. Das ungarische Nationalarchiv schloss sich 2007 dem weltweiten Trend an und startete sein eigenes Massendigitalisierungsprogramm. Das Projekt erstrebte die einmalige Digitalisierung des gesamten mittelalterlichen Archivguts in höchstmöglicher Qualität. Mit dem Projekt setzte sich das ungarische Nationalarchiv zwei wichtige Ziele. Durch die Massendigitalisierung erlangte man einen verstärkten Schutz der Bestände, weil die Archivalien über die physische Aufbewahrung hinaus nunmehr auch in digitaler Form gesichert sind. Ebenso kann man so die Archivalien im Einklang mit den Forschererwartungen ortsund zeitunabhängig bereitstellen.
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Neben dem Digitalisierungsprozess wurde zeitgleich eine digitale Datenbank, die Collectio Diplomatica Hungarica entwickelt, um den Forschern ein umfangreiches Arbeitsmittel in die Hand zu legen. Archivare, Fachkundige der IT-Branche und Historiker, die schließlich die wichtigste Benutzergruppe der Datenbank bilden, stehen seit Mitte der 90er Jahre im ständigen Austausch. Das komplette Sammelgut der Mittelalter-Sammlung steht seit 2010 online und gebührenfrei zur Verfügung1. In der digitalen Datenbank ist jedes Schriftstück der Sammlung mitsamt der Digitalisate zu finden. Die Datenbank ermöglicht eine einfache Recherche in Sekundenschnelle und die Sichtung der qualitativ hochwertigen Digitalisate, die mithilfe von Tools zu lesen sind2. Vorliegender Beitrag bietet einerseits eine Einführung in das Suchsystem der Collectio Diplomatica Hungarica in deutscher Sprache3. Andererseits wird untersucht, welche Vorhaben seit der Online-Präsenz der Datenbank in den vergangenen acht Jahren realisiert werden konnten4 und welche noch zu realisieren sind. Abschließend werden einige Aufgaben und Vorschläge zu Zwecken der Steigerung der Nutzungseffizienz formuliert. Es wird insbesondere auf Aspekte der Benutzungsmöglichkeiten und Nutzungsgrenzen für Nutzer ohne ungarische Sprachkenntnissen hingewiesen5. Startseite der Collectio Diplomatica Hungarica: http://archives.hungaricana.hu/en/ charters/search/. – Das Manuskript des vorliegenden Beitrags wurde Ende März 2018 abgeschlossen. Die in dem Text beschriebenen Phänomene sowie die Suchmöglichkeiten betreffenden Beschreibungen und Vorschläge reflektieren die damaligen Zustände. Die gezeigten Suchbeispiele geben ebenfalls den damaligen Stand an Information und Erscheinungsbild der Datensätze wider. 2 Es gilt zu bemerken, dass die Digitalisate in der Datenbank entweder als Schwarz-Weiß oder als farbige Abbildungen einzusehen sind, was sich auf die speziellen Entstehungsumstände der beiden Teilsammlungen der Mittelalter-Sammlung zurückführen lässt. Dieses Phänomen wird im vorliegenden Beitrag umfassend erläutert. 3 Es liegt ein Beitrag von Csaba T. Reisz vor, der einen zusammenfassenden Einblick in die durch die ständig fortschreitenden technischen Möglichkeiten bewerkstelligte Entwicklungsgeschichte der digitalen Datenbank bietet. Eine systematische Erläuterung des Such systems sowie der Nutzungsmöglichkeiten werden in dem Beitrag nicht thematisiert. Siehe dazu: Csaba T. Reisz, Collectio Diplomatica Hungarica. Mittelalterliche Urkunden aus Ungarn online, in: Digitale Urkundenpräsentationen, hg. von Joachim Kemper/Georg Vogeler, Norderstedt 2011, S. 35–40. Der Beitrag ist online zugänglich: http://kups.ub.uni-koeln. de/4532/ (letzter Abruf: 15. März 2018). 4 Dabei dient der Beitrag von György Rácz aus dem Jahre 2010 als Grundlage. Siehe dazu: György Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica. The online portal of the National Archives of Hungary on medieval charters, in: AfD 56 (2010) S. 423–444. 5 Besondere Aktualität verleiht der Reflexion die aktuell andauernde Entwicklung einer neuen Version der Datenbank im Hinblick auf Inhalt und visuelles Erscheinungsbild. Die 1
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Die Mittelalter-Sammlung des Ungarischen Nationalarchivs Entstehung der Sammlung Die Datenbank entstand aus der Mittelalter-Sammlung des Ungarischen Nationalarchivs und beide gehören in jeder Hinsicht eng zusammen. Während der Erstellung der digitalen Datenbank übernahm man nicht nur die Daten unverändert, sondern die Datenstruktur und die archivalische Praxis bildeten die Grundlage für die Datenbank. Somit gilt die Mittelalter-Sammlung als ,Mutter der Collectio Diplomatica Hungarica‘. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Entstehung, dem Aufbau sowie den Aspekten der damaligen Datenerschließung für den Nutzer unerlässlich. Die Mittelalter-Sammlung des ungarischen Nationalarchivs setzt sich aus zwei Teilsammlungen zusammen: dem Diplomatischen Archiv (ung. Diplomatikai Levéltár) und der Diplomatischen Fotosammlung (ung. Diplomatikai Fényképgyűjtemény). Sie wird im Fachjargon der ungarischen Geschichtswissenschaft auch als ‚Sammlung vor Mohács‘ bezeichnet, was darauf hindeutet, dass die Sammlung alle Schriftstücke aus dem Mittelalter vom Beginn der Schriftlichkeit bis 1526 enthält. In der Tradition der ungarischen Geschichtsschreibung markiert die Schlacht bei Mohács am 29. August 15266 eine wesentliche Periodengrenze. Unter der habsburgischen Herrschaft ab dem 16. Jahrhundert bewahrten die königlichen Regierungs- und Verwaltungsbehörden unabhängig von ihrem Sitz (Pressburg, Ofen, Wien) selbstständig ihr eigenes Schriftgut auf. Der ungarische Landtag strebte an, dass die wichtigsten Dokumente, die die Rechte des Landes sowie der Stände bezeugen, sicher und zentral aufbewahrt werden sollten7. Dieses Ziel bekam nach der Verdränerneuerte Collectio Diplomatica Hungarica soll nach den Plänen auf dem diesjährigen ICARUS-Treffen im Sommer offiziell vorgestellt werden. 6 In der Schlacht gegen die Osmanen fand neben dem größten Teil der kirchlichen und weltlichen Elite des Königreichs auch König Ludwig II. (1516–1526) bei Mohács (heute: Ungarn) den Tod. Durch die verlorene Schlacht ging die mittelalterliche ungarische Großmacht unter. Das Land wurde zuerst in zwei (1526), später in drei Teile (1541) geteilt. Seit 1526 stand ein Teil, das königliche Ungarn, unter habsburgischer Herrschaft. Zur Geschichte Ungarns sowie zur Periodisierung der ungarischen Geschichte siehe: Pál. Engel, The realm of St. Stephen. A history of Medieval Hungary 895–1526, London 2001.; A history of Hungary, hg. von Ervin Pamlényi, London 1975.; Magyarország története 10 kötetben [Geschichte Ungarns in zehn Bänden], hg. von Zsigmond P. Pach, Budapest 1980. 7 János Lakos, A Magyar Országos Levéltár [Das ungarische Staatsarchiv], Budapest 1996, S. 11.; Beiträge zum Thema in Französisch und Deutsch: Gyözö Ember, Les archives et l’historiographie en Hongrie, Budapest 1955.; Ders., Les archives nationales ont deux
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gung der Osmanen im 17. Jahrhundert neue Impulse, was letztendlich die Gründung des alten Staatsarchivs zur Folge hatte. Laut eines 1723 verabschiedeten Gesetzes sollten alle öffentlichen, das Land betreffenden Urkunden (publica regni acta) im Archiv des Landes (universale archivum regni) zusammengeführt werden. Das Archiv wurde 1756 in Pressburg eröffnet und bereits 1784–1785 nach Ofen verlagert. Heute ist das ungarische Nationalarchiv im Burgviertel beherbergt8. Im 19. Jahrhundert entstand das Bedürfnis nach einem neuartigen Archiv, das nun der wissenschaftlichen Geschichtsforschung dienen sollte. 1874, kurz nach dem ungarisch-österreichischen Ausgleich (1867), entstand das neue ungarische Staatsarchiv, in dem die Archive der ehemaligen Regierungsbehörden, die Archive der ungarischen und siebenbürgischen Kanzleien sowie das Archiv des Siebenbürger Guberniums mit den Beständen des alten Staatsarchivs zusammengeführt wurden9. Das Archivgut des neuen Staatsarchivs erreichte im Jahr der Gründung (1874) ca. 10.000 laufende Meter. 1903 umfasst es bereits 15.000 laufende Meter10. Der erste Hauptarchivar des neuen ungarischen Staatsarchivs war der Jurist, Archivar und Historiker Gyula Pauler (1841–1903). Er leitete die Institution fast 30 Jahre lang (1874–1903) und legte dabei die Grundlagen für die heutige Struktur des Nationalarchivs. Unter seiner Führung entstand auch die Mittelalter-Sammlung. Am Anfang seiner Dienstzeit unternahm Pauler eine Dienstreise und bereiste etliche westeuropäische Großstädte (München, Berlin, Dresden, Brüssel, Den Haag, Paris, Wien)11, um sich ein Bild von der Struktur der Archive zu machen. Im 19. Jahrhundert hatte sich das Provenienzprinzip als Grundlage der Bestandsbildung noch nicht allgemein durchgesetzt, obwohl bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts mehrere europäische Archive nach diesem Prinzip archivierten. Pauler orientierte sich hingegen in Anbetracht der speziellen ungarischen Überlieferungslage an einem Konzept nach Pertinenzkriterien und befürwortete das Zusammenführen jedes vor 1526 entstandenen Schriftstückes. Die Überlieferungssituation Ungarns unterschied sich von cents ans, Budapest 1956.; Ders., Zweihundert Jahre Ungarisches Staatsarchiv, Budapest 2 1956.; Iván Borsa, Die Lage des ungarischen Archivwesens nach 1945, Budapest 1956. 8 Lakos, Országos Levéltár (wie Anm. 7) S. 11–15. 9 Lakos, Országos Levéltár (wie Anm. 7) S. 19. 10 Lakos, Országos Levéltár (wie Anm. 7) S. 20 f. 11 József Szinnyei, Magyar írók élete és munkái [Leben und Werk ungarischer Autoren], Budapest 1891–1914. Online abrufbar unter http://mek.oszk.hu/03600/03630/html/p/ p19285.htm (letzter Abruf: 11.03.2018).
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der Überlieferungssituation der westeuropäischen Länder deutlich. Einerseits betrug die Menge des Archivmaterials in Ungarn nur einen Bruchteil der westeuropäischen Überlieferung12. Andererseits ermöglichte eben die überschaubare Quellenmenge, die gesamte mittelalterliche Geschichte eines selbstständigen Staates, der sich vom Karpatenbecken bis zur Adriaküste erstreckte und als führende politische Großmacht der mitteleuropäischen Region galt, zu untersuchen. Aus dieser Überlegung heraus entwarf Pauler sein Konzept, das Schriftgut des Mittelalters in einer eigenen Sammlung aufzubewahren und damit eine leichte Nutzung zu bewerkstelligen. Bei der Umsetzung des Konzepts entnahm man sämtliche mittelalterliche Dokumente den originalen Beständen und fügte diese in der Mittelalter-Sammlung zusammen13. Die Dokumente und die während der Erschließungsarbeit entstandenen Hilfsmittel (z. B. Transkriptionen, Kopien etc.) wurden Stück für Stück in einzelne Kuverts gelegt und mit laufenden Nummern (den sog. DL-Nummern) versehen. Die Umstrukturierung wurde im Jahre 1882 vollendet, womit der Kern des heutigen Diplomatischen Archivs entstand. Die älteste im Original erhalten gebliebene Urkunde der Sammlung ist die Königsurkunde von Koloman aus dem Jahre 1109, die auch einen auf Griechisch geschriebenen Urkundentext des ersten ungarischen Königs, Stephans des Heiligen, aus dem 11. Jahrhundert überliefert14. Die Sprache der Urkunden ist überwiegend Latein, dennoch enthält die Sammlung etliche nicht lateinische Schriftquellen in Deutsch (zweitwichtigste Schriftsprache des Königreichs im Spätmittelalter), in slawischen Sprachen, in Hebräisch und es finden sich in den Anfangszeiten einige griechische Ur Zum Vergleich: das erhalten gebliebene Schriftgut des ungarischen Königreichs entspricht ungefähr der mittelalterlichen Überlieferung eines deutschen Herzogtums oder einer französischen Grafschaft. Siehe dazu: Elemér Mályusz, 1526 előtti okleveleink forrásértéke [Quellenwert unserer Urkunden vor 1526], Történelmi Szemle 10 (1967) S. 417. 13 Zu den Entstehungsumständen und Charakteristika der Mittelalter-Sammlung siehe Iván Borsa, A Magyar Országos Levéltár Diplomatikai Levéltára [Das Diplomatische Archiv des Ungarischen Nationalarchivs], in: Levéltári Közlemények 40 (1969) S. 289–323.; Ders., A Magyar Országos Levéltár Mohács előtti gyűjteményei 1882–1982. [Die Sammlungen des Ungarischen Nationalarchivs aus der Zeit vor Mohács 1882–1982.], in: Levéltári Közlemények 53 (1982) S. 3–19.; György. Rácz, Középkori források a genealógiai kutatásban [Mittelalterliche Quellen in der genealogischen Forschung], in: A történelem segédtudományai I. Genealógia 1, hg. von István K. Tarsoly/Eleonóra Kovács/Attila Pandula/ Gábor Vitek, Budapest 2012, S. 123–143.; Reisz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 3) S. 35–36.; Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 424–426. 14 Signatur: 11; online abrufbar: https://archives.hungaricana.hu/hu/charters/view/ 260/?pg=27&bbox=-849%2C-7820%2C7580%2C-106 (letzter Abruf: 22.03.2018). 12
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kundentexte. Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Diplomatische Archiv unter anderem durch Nachlässe, käufliche Erwerbungen usw. immer größer. Heute umfasst es etwa 108.000 Dokumente15. Die Entstehung der Diplomatischen Fotosammlung hat einen geschichtlichen Hintergrund16: Infolge des Friedensvertrags von Trianon (1920) verlor das historische Ungarn zwei Drittel seines Gesamtgebietes, das unter den Nachfolgestaaten der österreich-ungarischen Monarchie aufgeteilt wurde. Die Sezession löste in Ungarn weitreichende politischdiplomatische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme aus. Auch für das Archivwesen brachte es grundsätzliche Veränderungen mit sich und die Archivare wurden mit einer bis dahin beispiellosen Situation konfrontiert: Plötzlich befand sich ein großer Teil des jahrhundertelang aufbewahrten und verwalteten Archivguts im Ausland. Um die Erforschung der mittelalterlichen Geschichte Ungarns zu erleichtern, startete das Staatsarchiv 1935 ein groß angelegtes Projekt mit dem Ziel, vom gesamten staatlichen und kirchlichen Archivmaterial in Ungarn sowie außerhalb der neuen Staatsgrenzen Mikrofilme für das Staatsarchiv anzufertigen. Die Sammelarbeit und Beschaffung der Mikrofilme dauerte jahrzehntelang und konnte erst 1978 abgeschlossen werden. Die Zahl der erschlossenen Stücke lag bei über 86.00017. Durch die Vergrößerung der Mikrofilmabzüge und ihre Eingliederung durch laufende Nummern (die sogenannten DF-Nummern) in die Mittelalter-Sammlung, entstand in den 80er Jahren die Diplomatische Fotosammlung. Die Schriftstücke beider Teilsammlungen sind „über Verweiszettel erschlossen, die chronologisch und nach Ausstellern geordnet sind. Sie wurden von den im Volltext oder in Transsumpten überlieferten Urkunden ebenso angefertigt wie von den in Protokollen, Kartularen, Kopial- oder Formularbüchern erhalten gebliebenen Texten. Die Zahl der zu den 200.000 Dokumenten nach diesen Richtlinien angefertigten Verweiszettel erreicht annähernd 300.000“18.
Rácz, Középkori források (wie Anm. 13) S. 133. Zur Entstehung der Diplomatischen Fotosammlung: Iván Borsa, Die Fotosammlungen von Dokumenten zur ungarischen Geschichte bis 1526 im Nationalarchiv Budapest, in: Fotografische Sammlungen mittelalterlicher Urkunden in Europa, hg. von Peter Rück, Sigmaringen 1989, S. 95–107. 17 Borsa, Fotosammlung (wie Anm. 16) S. 95. 18 Borsa, Fotosammlung (wie Anm. 16) S. 95. 15 16
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Die digitale Datenbank19 Die digitale Datenbank des Nationalarchivs ist unter den Archivinformationssystemen auch im internationalen Vergleich beachtenswert. Sie beinhaltet mehr als 300.000 Archiveinheiten und umfasst beinahe das gesamte überlieferte Quellenmaterial des mittelalterlichen Ungarns. Dank der Hungarica-Sammeltätigkeit der ungarischen Archive stehen auch Schriftquellen aus ausländischen Archiven (vor allem aus Archiven der benachbarten Länder) zur Verfügung. Dieses Schriftgut ist einerseits die wichtigste Quellenbasis bei der Erforschung der Geschichte des mittelalterlichen Ungarn. Andererseits bewahrt es unschätzbare geschichtliche Daten zur Geschichte der heutigen Nachbarländer Ungarns (Rumänien, Serbien, Österreich, Slowakei, Ukraine, Kroatien und Slowenien) auf20. Das Informationssystem des Nationalarchivs ist neben Historikern gleichermaßen für Sprachwissenschaftler, Archäologen, Ethnographen und Kunstgeschichtler aufgrund seiner Daten mit interdisziplinärem Charakter von Interesse. Das System beschreibt und ordnet die wichtigsten Informationen zu den einzelnen Dokumenten. Darüber hinaus ist das System dazu fähig, neben den Daten auch die Digitalisate der Dokumente abzuspeichern und abzurufen. Die Datenbank vereint in sich also die traditionellen Findmittel, die Faksimile-Ausgaben sowie u. U. die Quellenausgaben. Die Datenbank ermöglicht damit im Vergleich zu den traditionellen Suchmethoden und Suchmöglichkeiten eine unvergleichbar schnellere und genaue Recherche und beschleunigt damit die Effizienz der geschichtlichen Forschungen enorm. Die digitale Datenbank als Findbuch: Metadaten In den vergangenen anderthalb Jahrhunderten vermehrten die Archivare nicht nur den Bestand der zwei Teilsammlungen, sondern versuchten diese mithilfe eines Verweiszettelsystems zu erschließen. Zum größten Teil wurden die heute in der Collectio Diplomatica Hungarica vorhandenen Informationen während der digitalen Datenverarbeitung aus diesem Verweiszettelsystem übernommen. Die Unterschiede an Verlässlichkeit und Umfang bei der Erstellung der Verweiszettel erfordern heute eine ständige Verbesserungs- und Ergän Folgendes Kapitel orientiert sich im Aufbau an Rácz, Középkori források (wie Anm. 13). 20 Durch die enge und zum Teil gemeinsame geschichtliche Entwicklung bedingt, enthält die Datenbank auch Quellen zu Bosniens Geschichte. 19
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zungsarbeit21. Die Daten der Zettel mussten damals aus zeitlichen und finanziellen Gründen ohne Kontrolle in die digitale Datenbank übernommen werden. Man wollte schließlich die Online-Nutzung zur Erleichterung der nationalen und internationalen Forschung ohne Verzug gewährleisten. Im Laufe der Jahre entstand eine gute Zusammenarbeit zwischen Archiv und Forschern, die entdeckte Fehler melden, welche dann vom Archiv in der Datenbank und in den internen Verzeichnissen korrigiert werden. Die Datenbank selbst wird auch immer erneuert und erweitert, um den Benutzern ein noch zuverlässigeres, anwendungsfreundlicheres und mehrfach vernetztes Instrument in die Hand zu legen22. Die sechs in der Datenbank vorzufindenden Grunddaten sind23: a) Signatur des Nationalarchivs24 b) Ausstellungsdatum c) Aussteller25 Die Fehlerpalette reicht von den Fehllesungen bei Namen oder Ausstellungsorten über die Fehlauflösungen des Datums bis hin zur fehlerhaften Übertragung oder zum einfachen Tippfehler. 22 Vgl. dazu György Rácz, A Magyar Országos Levéltárban őrzött 1526 előtti levéltári anyag épülő adatbázisa: beszámoló és javaslat [Die entstehende Datenbank des Archivguts vor 1526 in dem Ungarischen Staatsarchiv: Ein Bericht und Vorschläge], in: Tanulmányok Borsa Iván tiszteletére [Beiräge zu Ehren von Iván Borsa], hg. von Enikö Csukovits, Budapest 1998, S. 181–196. und Ders., A középkori Magyarország forrásainak adatbázisa (DL–DF 4.2.) [Datenbank des Archivmaterials des mittelalterlichen Ungarns], CD-ROM, Budapest 2000. 23 Eine ausführliche Erläuterung zu den Suchfeldern (DL/DF Nummer, Datum, Aussteller, Überlieferungsform, alte Signatur, Besiegelung, Regest, Bemerkung, Sprache, Transkript, Dokumenttyp, Ausstellungsort, Veröffentlichung, Alternative Datierung, Sachregister, Namenregister) findet sich in Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 440–444. Im vorliegenden Beitrag werden lediglich ergänzende Bemerkungen gemacht. 24 Die sogenannte DL- oder DF-Nummer. Vor dem digitalen Zeitalter benutzte man zur Unterscheidung der Bestände des Diplomatischen Archivs und der Diplomatischen Fotosammlung ein spezielles Signatursystem. Dokumente des Diplomatischen Archivs wurden mit der Buchstabenkombination DL, die der Diplomatischen Fotosammlung mit der Buchstabenkombination DF ausgestattet. Vorteil des Systems war, dass man gleich erkannte, aus welcher Teilsammlung das gesuchte Dokument auszuheben ist. In der digitalen Datenbank ist eine solche Unterscheidung nicht mehr nötig, deshalb führte man lediglich ein Suchfeld für die Signatur ein, wo man nur noch die Nummer der gesuchten Quelle einzugeben braucht. 25 Während der Entschließungsarbeit erstrebte man eine Standardisierung der Personenund Ortsnamen nach ungarischer Orthographie (z. B. Innocentius = Ince, Karolus = Károly, Ludovicus = Lajos, Vienna = Bécs, Ödenburg = Sopron etc.). Im Fall der Papst-, Königsund Privaturkunden, wo der Aussteller eine in der Historiographie bekannte natürliche Person ist, sowie bei Urkunden, deren Aussteller eine juristische Person ist (z. B. glaubwürdige Orte, Zünfte, Städte etc.), kann man von einer weitgehend durchgeführten Vereinheitlichung 21
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d) alte Signatur26 e) Überlieferungsform f) die Art der Besiegelung bei den Originalen. Mit diesen Suchkriterien kann man in der Datenbank einfach und effektiv recherchieren, denn die aufgezählten Metadaten bis auf die Art der Besiegelung (lediglich bei Originalen) wurden zu jedem Urkundentext erfasst27. Die digitale Datenbank als Regestensamlung: Regesten Nach der Aufstellung des Diplomatischen Archivs begann die Arbeit der Quellenerschließung, indem zu jeder Urkunde aller Überlieferungsformen Verweiszettel erstellt wurden. Parallel dazu fing man an, die Quellen mit ungarischsprachigen Regesten zu versehen. Die im Laufe der Archiv-
ausgehen. Im Gegensatz dazu stellen insbesondere die volkssprachigen Privaturkunden des Spätmittelalters eine problematische Quellengruppe dar. Zum einen kann der gleiche Name aufgrund der unterschiedlichen Entzifferung in verschiedenen Variationen (Elisabeth, Elspeth, Elzbet = Erzsébet; Hanns, Hans, Johann, Johannes = János) auftreten. Zum anderen werden die Personen- und Ortsnamen mal auf Ungarisch, mal in der Urkundensprache wiedergegeben. Daraus folgt, dass es beispielweise bei den spätmittelalterlichen deutschsprachigen Urkunden nicht selten vorkommt, dass dieselbe Person unter mehreren Namensvarianten und sogar in verschiedenen Sprachen zu finden ist (z. B. 239595 Aussteller: Harschar Wilhelm vöröskői várnagy; 241629: Aussteller: Harschar Vilmos bibersburgi várgróf; 242485 Aussteller: Zemeni Friedrich biberbsburgi várnagy; 242293 Friedrich von Zem pyberspürchi Burggraf. Sämtliche Beispiele wurden buchstabengetreu aus der Datenbank übernommen. Zur Markierung: Die Namen sind fett markiert, die aus Ortsnamen abgeleiteten Adjektive sind kursiv, die Titulaturen sind unterstrichen.). Der Aussteller wird in der Regel mit ins Ungarische übersetzter Titulatur (z. B.: király = König, császár = Kaiser, pápa = Papst, várnagy, várgróf = Burggraf, Burgvogt, nádor = Palatin, vajda = Woiwode, polgár = Bürger etc.) aufgeführt. Die bereits erwähnte Quellengruppe der volkssprachigen Privaturkunden zeigen hier wiederum Inkonsequenzen auf: Wie man es an den vorigen Beispielen sieht, wird die Titulatur in manchen Fällen in unterschiedlichen Sprachen und/oder mit unterschiedlichen Begriffen wiedergegeben. Bei einer Recherche nach Aussteller gelten diese Phänomene zu beachten. 26 Mithilfe der alten Signatur kann man Rückschlüsse auf die Provenienz und auf die heutige Aufbewahrungsinstitution schließen. Dieses Suchfeld erweist sich auch dann als nützlich, wenn man auf ein Dokument in der älteren Fachliteratur unter einer veralteten Signatur stößt. 27 Eine erweiterte Suche nach weiteren Kriterien ist nur bedingt möglich (u. a. Regest, Bemerkungen, Sprache, Dokumenttyp, Sachregister, Namenregister, alternative Datierung). Da diese Daten nicht konsequent und flächendeckend erschlossen wurden, muss man mit einer ungenauen Trefferquote rechnen. Siehe dazu Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 428–431. Die Recherche nach Empfänger ist zurzeit nicht möglich, denn diese Information gehörte nicht zum Merkmalkatalog des Verweiszettelsystems.
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geschichte geschriebenen Regesten weisen je nach Verwendungszweck große Variabilität an Umfang und Ausführlichkeit auf. Lipót Óváry (1833–1919), Paulers enger Mitarbeiter und dessen Nachfolger an der Spitze des Staatsarchivs (1904–1908), war der Erste in der Reihe von vielen, die die akribische Arbeit des Regestierens auf sich nahmen. Óváry regestierte in großem Maße bis zu seiner Ernennung zum Archivdirektor. Bis dahin schaffte er es, zu jeder Urkunde des damaligen Bestandes bis zum Jahr 1500 (DL 1 bis DL 39000) ein Regest zu schreiben. Seine einoder zweizeiligen Regesten wurden nach Ausstellern und innerhalb der Aussteller chronologisch sortiert. In den 70er Jahren wurden die ÓváryRegesten in dreißig Bänden eingebunden. Das einzige Exemplar stand als Hilfsmittel zu Forschungszwecken im Lesesaal des Archivs zur Verfügung. In den Bänden konnte man dort nach Austellern sortiert recherchieren28. Nachkriegsmangel und Stabilisierungskrise, die auf beide Weltkriege folgten, hemmten die Fortsetzung der Arbeit stark. Erst ab Ende der 1940er bis Anfang der 1950er Jahre wurden wieder in großem Maße Regesten, sogenannte Kopfregesten erstellt, die meistens in einem Satz nur die allerwichtigsten Informationen (v.a. Sachbetreff, Namen, Orte) mitteilten. Die Arbeit des Regestierens wurde ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre weitergeführt29. Zu dieser Zeit wurden die Regesten immer ausführlicher und enthielten wesentlich mehr Informationen als die vorherigen Regesttypen. Aufgrund der fehlenden Richtlinien wurde die Regestenerstellung allmählich zu einem subjektiven Arbeitsprozess. 1963 führte man neue einheitliche Richtlinien zur Regestenerstellung ein, die das Minimum an obligatorischen Informationen und das Maximum an Umfang festlegten30. Viele Regesten wurden mit wissenschaftlichem Anspruch zum Zwecke von Quellenausgaben oder Publikationen geschrieben. Vor allem Familienarchive der Mittelalter-Sammlung wurden auf diese Weise regestiert. Auf die Veröffentlichung musste man jedoch bis in die 1980er Jahre warten, weil die Publikation der Urkundensammlungen von Adelsfamilien Rácz, Középkori források (wie Anm. 13) S. 134–135 sowie Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 427. 29 Während der Kämpfe von 1956 wurde das Gebäude des Staatsarchivs mehrmals getroffen. Die weitaus schlimmere Katastrophe ereignete sich im November: Am 6. November brach ein großer Brand aus, der tagelang aufgrund der heftigen Gefechte um das Burgviertel und der verhängten Ausgangssperre nicht effektiv bekämpft werden konnte. Infolge des Brandes verbrannten mehr als 8.700 laufende Meter Archivmaterial. Das mittelalterliche Archivgut blieb weitgehend von Brandschäden verschont. 30 Rácz, Középkori források (wie Anm. 13) S. 135 sowie Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 428. 28
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damals aus kulturpolitischem Gesichtspunkt nicht erwünscht war. Diese Regesten wurden in der Regel auch nicht von Archivaren, sondern von Forschern erstellt. Die zu den Protokollen des Abtsdorfer Konvents erstellten Regesten sind beispielsweise sehr ausführlich und zitieren oft lateinische Ausdrücke oder sogar ganze Sätze31. Die Regesten, ob ausführlich oder kurz, konnten bis zur Aufstellung der digitalen Datenbank nur im Lesesaal des Archivs gesichtet werden. In der zweiten Phase des Digitalisierungsprojekts des Archivs wurden auch die auf Papier geführten Regesten vollständig eingescannt und die Reges tentexte in die Datenbank integriert32. In einer älteren Version waren die mit Schreibmaschine geschriebenen Regestentexte als Images zugänglich. Heute sind sie nur noch gelegentlich anzutreffen, denn die Regestentexte wurden inzwischen in das Feld „Regest“ übertragen33. Die digitale Datenbank als Siegel-Informationsquelle: Siegelbeschreibungskarteien Ungefähr zu 1.400 originalen Urkunden des Diplomatischen Archivs wurden auch die Daten der Siegelbeschreibungskarteikarten in die Datenbank aufgenommen. Am Anfang der 60er Jahre begann man von den erhalten gebliebenen Siegelabdrücken aus Gründen des Bestandschutzes Silikon-Gummi Abgüsse zu machen34. Aus diesem Anlass wurden die Siegelbeschreibungskarteikarten angefertigt. Da damals keine umfassenden sphragistischen und heraldischen Forschungen durchgeführt wurden, ist bei der Übernahme der Daten der Siegelbeschreibungskarteikarten Vorsicht geboten. Die Daten dienen vor allem zur Orientierung und sollten nicht ohne Kontrolle für Forschungszwecke übernommen werden.
Rácz, Középkori források (wie Anm. 13) S. 135 sowie Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 428. 32 Die Óváry-Regesten, die noch per Hand geschrieben worden waren, wurden nach allgemeinem Konsens nicht mehr nachträglich abgetippt, sondern gleich mit einem Buch scanner eingescannt. Der Grund dafür war, dass die maschinelle Datenübertragung aller Regesten der 30 Bände enormen Zeit- und Arbeitsaufwand erfordert hätte, was sich das Archiv aus Kapazitätsgründen nicht leisten konnte. 33 Ab und zu findet man noch wenige Datensätze, bei denen die entweder mit Schreibmaschine oder Hand geschriebene Regestentexte nicht in das Feld „Regest“ übertragen wurden, sondern nach wie vor als Image abzurufen sind (z. B.: 74473, 74475, 74478, 287823; letzter Abruf: 11.03.2018). 34 Rácz, Középkori források (wie Anm. 13) S. 137. 31
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Die digitale Datenbank als „Faksimile-Sammlung“: Digitalisate Um die vorausgegangenen Darlegungen zusammenzufassen: Zwischen 2007 und 2010 fand das erste abgeschlossene Digitalisierungsprojekt in der Geschichte des Nationalarchivs statt, in dessen Rahmen die komplette dokumentarische Überlieferung aus dem Mittelalter eingescannt wurde. Neben den Schriftzeugnissen wurden auch die auf Papier geführten Hilfsmittel (Regesten und Siegelbeschreibungskarteikarten) digitalisiert. Die Digitalisierung wurde in beiden Teilsammlungen der Mittelalter-Sammlung (im Diplomatischen Archiv und in der Diplomatischen Fotosammlung) durchgeführt. Das Projekt wurde finanziell überwiegend von dem Nationalen Kulturfond und dem Ministerium für Unterricht und Kultur getragen. Bei jedem Schriftzeugnis digitalisierte man die Rectos und die Versos und legte dabei nach internationalem Digitalisierungsstandard die Signatur sowie eine Farbkarte mit Lineal zur Orientierung dazu35. Die Transkriptionen, Kopien, Notizzettel etc., die während der Erschließungsarbeit zu einzelnen Urkunden geschriebenen wurden, digitalisierte man ebenfalls und integrierte in die Datenbank. Von den in unterschiedlichem Zustand erhalten gebliebenen Siegelabdrücken wurden mehrere Aufnahmen mit einer hochauflösenden Digitalkamera gemacht. Die Suchmaske Bereits auf den ersten Blick vermittelt die Informationsseite der Datenbank durch Textinformation und Bild einen Gesamteindruck über die gesuchte Quelle. Das Schriftdokument wird durch die wichtigsten Metadaten (Signatur, Datum, Austeller, alte Signatur, Überlieferungsform, gegebenenfalls Regest und Siegel) beschrieben, erscheint aber gleichzeitig durch eine Miniaturansicht auch in optischer Form.
Die Aufnahmen wurden in 300 dpi tiff Format bei 24bit Farbtiefe gemacht.
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Abbildung 1: Screenshot von 15371 (Informationsseite)
Die Bedienung des Programmes erfolgt in der Regel durch die Maus36. Durch das Anklicken des Miniaturimages gelangt man zu der Seite der Digitalisate. Auf der linken Bildschirmseite werden alle zur jeweiligen Quelle gehörenden Digitalisate nummeriert in Miniaturansicht angezeigt. Parallel dazu erscheint das erste Digitalisat auf der rechten Bildschirmseite.
Abbildung 2: Screenshot von 15371 (Digitalisat) Früher hat man das Programm auch mit Tastenkombinationen bedienen können, die heute fast komplett durch die Maus abgelöst sind. Vgl. dazu Rácz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 4) S. 440. 36
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Bei den Images kann man über die Möglichkeit des Vergrößerns und Verkleinerns hinaus je nach Wunsch und Notwendigkeit Helligkeit und Kontrast beliebig einstellen. Dies erweist sich vor allem bei Urkunden, die durch Verblassen, Wasserschäden oder Verschmutzung nur noch schwer lesbar sind, als sinnvolle und hilfreiche Einstellungsmöglichkeit. Durch die Neueinstellung der Seitenränder mit der Maus, indem man den linken Seitenrand weiter nach links zieht, kann man die Miniaturen verschwinden lassen, um das Bild der Urkunde an die Bildschirmbreite anzupassen. Gewöhnlich können die Digitalisate auch im und gegen den Uhrzeigersinn gedreht werden. Das Tool in Form eines kleinen Haus-Piktogramms stellt per Mausklick den originalen Zustand bezüglich Größe, Kontrast und/oder Helligkeit wieder her37. Sollte man nach einer Recherche auf der Trefferseite mehr als einen Datensatz unter der gleichen Signatur aufgelistet bekommen, handelt es sich um mehrere Urkundentexte, die ihrerseits Teil einer physischen archivalischen Einheit sind (z. B.: Originale mit Insert(en), Amtsbücher, Akten). In diesen Fällen entsprechen die aufgelisteten Datensätze der Zahl der erschlossenen Urkundentexte. Über die Gesamtzahl der gefundenen Urkundentexte gibt die Trefferzahl oben links (Englisch: hit(s), Ungarisch: találat) Auskunft. Auf der Trefferseite erscheinen alle Datensätze mit Miniaturansichten und einigen Metadaten wie Signatur, Datum, Überlieferungsform und Aussteller.
Abbildung 3: Screenshot von 16045 (Trefferseite, Original und Insert)
In der früheren Version stand eine zusätzliche Hilfsfunktion zur Verfügung, die besonders bei großformatigen Urkunden von Nutzen war. Anhand eines Quadrats mit zwei Hilfslinien in der Miniaturansicht, dessen Größe in direktem Verhältnis zum Hineinzoomen immer kleiner wurde, wusste man immer genau, wo man sich gerade im Text befindet.
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Durch das Anklicken der Metadaten-Zeile oder der Miniaturansicht gelangt man zu der Informationsseite. Hier findet man die vorher beschriebenen sechs Metadaten, gegebenenfalls auch andere Informationen (Bemerkungen, Auskunft über die Urkundensprache, Regest, Scanseite des entsprechenden Óvary-Regestes etc.) Die Navigation zwischen den Urkundentexten (Datensätzen) erfolgt durch die previous-Button (Ungarisch: előző) und next-Button (következő). Die Buttons befinden sich über der Miniaturansicht. Zwischen den beiden Buttons kann man die Gesamtzahl der gefundenen Urkundentexte sowie die Nummer des aktuell eingesehenen Datensatzes38 ablesen. Durch Betätigen des full-list-Buttons (Ungarisch: teljes lista) oben rechts kehrt man zu der Trefferseite zurück.
Abbildung 4: Screenshot von 16045 (Informationsseite – Insert)
Abbildung 5: Screenshot von 16045 (Informationsseite – Original) In diesem Beispiel hat man den ersten von zwei Datensätzen vor sich.
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Es besteht bei jedem Dokument die Möglichkeit, die Metadaten und eine Miniaturansicht abzuspeichern oder auszudrucken. Der Button befindet sich auf der Informationsseite (Englisch: print metadata, Ungarisch: Metaadatok nyomtatása). Hier gilt darauf hinzuweisen, dass sich immer nur die Miniaturansicht speichern und ausdrucken lässt, die auf der Trefferseite erscheint. Bei dem Digitalisierungsprozess hat man neben den Schriftquellen sämtliche beigelegten Hilfsmittel (Kopien, Transkriptionen, Übersichtzettel etc.) miteingescannt. Auf der Trefferseite wird immer die zuerst digitalisierte Seite angezeigt, auch wenn sie nicht immer die Schriftquelle abbildet39. Ein Blick in die Vergangenheit In seinem 2010 in der AfD publizierten Beitrag formulierte György Rácz zwei grundlegende Aufgaben für die Zukunft bezüglich der Weiterentwicklung der Collectio Diplomatica Hungarica: „In consequence, the new conception of database construction is based on two pillars. One of them is that besides continuous data maintenance, we have digitalized the existent and hardly used paper-based finding aids, data sources of the database and images of diplomas, and we have added the images to metadata with links. On the other hand, we have established the dual-layer PDF database of source publications before continuing the constructions of the full-text database. As a result, two individual databases will be built: the archival one and the one containing source publications, but they are related to each other at the same time. After creating the concordance of publications and original diplomas, data of releases are added steadily to the field “publication”. This establishes a connection between the two databases which can only be used separately for the time being. We will be able to connect the compliant points of the two databases on the basis of the reference numbers later on”40. Die Zukunft der Online-Präsentierung archivalischer Quellen, Hilfsund Findmittel sowie Editionen lag also in der Erstellung mehrerer Datenbanken, die es durch Verlinkung anhand der DL/DF-Nummer miteinander zu verbinden galt. Einige Beispiele: 11, 43652, 70870, 72246, 74475, 74478, 101560, 287823 (letzter Abruf: 11.03.2018). 40 Rácz, Collectio Diplomatica Hungaricana (wie Anm. 4) S. 434–439.; vgl. dazu Reisz, Collectio Diplomatica Hungarica (wie Anm. 3) S. 38–39. 39
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Man hatte den Weg bestimmt, dennoch entwickelte sich die Collectio Diplomatica Hungaricana in den vergangenen Jahren aus der Perspektive des Nutzers inhaltlich nur wenig. Abgesehen von einigen funktionalen und visuellen Änderungen der Suchmaske, gingen die Verknüpfung, die Ergänzung der Datensätze mit neuen Informationen und die Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten aufgrund fehlender finanzieller und personeller Ressourcen nur langsam voran. Dies heißt trotzdem nicht, dass in den vergangenen Jahren ein absoluter Stillstand geherrscht habe. Im Gegenteil: Etliche wichtige Projekte und Aufgaben wurden hinter den Kulissen abgeschlossen, deren Früchte bald auch für die Nutzer sichtbar werden. Das Nationalarchiv nahm zwischen 2010 und 2015 in Kooperation mit dem ICARUS-Konsortium an dem ENArC-Projekt teil. Im Rahmen des Projekts digitalisierte man die mittelalterlichen Bestände der ungarischen staatlichen Archive, das mittelalterliche Archivgut mehrerer kirchlicher Archive (Benediktinerkloster in Pannonhalma, Erzbistum Veszprém, Bistum Győr, Bistum Szombathely) sowie in anderen ungarischen Sammlungen aufbewahrte mittelalterliche Quellen (Universitätsbibliothek und Archiv der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest, Handschriftenabteilung der Széchényi-Nationalbibliothek)41. Angelegt wurde eine Wappenbrief-Datenbank42, in der sämtliche in dem Nationalarchiv aufbewahrten Wappenbriefe mitsamt Beschreibung und Digitalisat zu finden sind. Man hat auch mit der Erschließung, Digitalisierung und Aufnahme der Wappenbriefe aus Beständen anderer staatlichen Archive begonnen43. Das ENArC-Projekt ermöglichte ebenfalls die Digitalisierung des Familienarchivs Erdődy, das sich in dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv befindet. Dieses Familienarchiv ist von besonderer Wichtigkeit, denn sie beinhaltet annähernd 2.180 mittelalterliche Urkunden mit rund 3.000 Urkundentexten. Momentan kann man die Digitalisate nur vor Ort in dem internen System des Nationalarchivs einsehen44, d. h. in der Daten-
41 György Rácz, Beszámoló az ENArC projektről [‚Bericht über das ENArC Projekt], in: Levéltári Közlemények 87 (2016) S. 300. Es muss hier darauf hingewiesen werden, dass man sich an diesem Ort auf die Aufzählung der für die mittelalterliche Überlieferung relevanten Projektergebnisse beschränkt. Die die Neuzeit betreffenden Ergebnisse bleiben hier unerwähnt. 42 http://adatbazisokonline.hu/adatbazis/cimereslevel-adatbazis 43 Rácz, Beszámoló (wie Anm. 41) S. 300. 44 Rácz, Beszámoló (wie Anm. 41) S. 301.
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bank sind lediglich die Digitalisate der vergrößerten schwarz-weißen Mikrofilmabzüge aufzurufen. Die Digitalisierung der kompletten Mittelalter-Überlieferung aus Transsylvanien hätte im Rahmen des ENArC-Projekts ebenfalls stattfinden können. Man führte darüber mit dem Rumänischen Nationalarchiv mehrere Verhandlungen. Zuletzt entschied sich das rumänische Nationalarchiv dafür, die Digitalisierung der Bestände der rumänischen Archive mithilfe der Zuschüsse des EWR und Norwegens unter Mitwirkung der Bukares ter Universität durchzuführen. Als zeitliche Periodengrenze wurde das Jahr 1600 angesetzt45. In den letzten Jahren nahm man einige strukturelle Änderungen bezüglich der Collectio Diplomatica Hungarica vor. Zum einen wurde zu der Mittelalter-Datenbank eine mit weiteren Datenbanken des Nationalarchivs kompatible Web-Benutzeroberfläche entwickelt46. Zum anderen erfuhr die alte Benutzeroberfläche der Collectio Diplomatica Hungarica eine visuelle Erneuerung und wurde mit dem Portal der ungarischen öffentlichen Sammlungen zusammengeführt47. Außerdem entwickelte man ein Programm zwecks der Datenpflege, das in ständiger Interaktion mit der öffentlichen Version steht, d. h. das Programm ist zur täglichen Verwaltung der Datenänderungen fähig48. Auch etliche Datensätze wurden mit den Publikationsdaten verlinkt, womit man die Verbindung zwischen den publizierten Urkunden und dem Archiv-Informationssystem schaffte49.
45 Im Rahmen einer Tagung am 30. Mai 2016 ist die rumänische digitale Datenbank (www. arhivamediavala.ro) in dem Ungarischen Nationalarchiv feierlich vorgestellt worden. Laut des Presseberichtes der Konferenz enthielt die Datenbank im Mai 2016 ca. 3.500 Dokumente, was etwa 10 % der Überlieferung entspricht. Vgl. dazu das PDF-Dokument „Sajtóanyag az erdélyi oklevelekhez“ [Pressebericht zu den Urkunden aus Transsylvanien] auf der Homepage des Ungarischen Nationalarchivs unter: http://mnl.gov.hu/mnl/ol/hirek/ muhelybeszelgetes_a_bukaresti_tudomanyegyetemmel?theme=mnl. Trotz mehrerer Versuche glückte es über Wochen hinweg nicht, die Internetseite der Datenbank (www.arhivamediavala.ro, http://arhivelenationale.ro/site/en/research/) online aufzurufen (letzter Versuch: 23. 03. 2018). 46 http://adatbazisokonline.hu/adatbazis/dldf (letzter Abruf: 23.03.2018). 47 http://archives.hungaricana.hu/hu/charters/ (letzter Abruf: 23.03.2018). Das Portal sucht das gesamte digitalisierte Kulturerbe Ungarns, geschichtliche Quellen, Kulturschätze, Publikationen, Editionen u.v.m. virtuell zu vereinen und zu präsentieren. Vgl. dazu https:// hungaricana.hu/en/ (letzter Abruf: 23.03.2018). 48 Rácz, Beszámoló (wie Anm. 41) S. 301–302. 49 Rácz, Beszámoló (wie Anm. 41) S. 302.
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Ein Blick in die Zukunft: Das unausgeschöpfte Potenzial der Datenbank Die Online-Präsenz der Collectio Diplomatica Hungarica, die eine immer intensivere nationale und internationale Aufmerksamkeit genießt50, zwingt das Nationalarchiv sowohl zur inhaltlichen als auch zur visuellen Entwicklung. Die folgenden Vorschläge und Empfehlungen spiegeln die Bedürfnisse der Forscher wider. Sie wurden mit dem unterstützenden Ziel zusammengestellt, den Entwicklern der Datenbank einige Impulse zu geben.
1. Indexierung Zurzeit ist eine zuverlässige Recherche nach den sechs Grunddaten möglich. Es wäre vonnöten, die Recherchemöglichkeiten mit weiteren Merkmalen zu erweitern und eine spezifische Recherche (nach Sprache, Dokumenttyp, Ausstellungsort, Beschreibstoff etc.) zu ermöglichen. Zur Erleichterung solcher Recherchen müssen die in der Datenbank eigentlich bereits vorhandenen Suchmerkmale systematisch und flächendeckend ergänzt werden. Angesichts des Aufschwungs der Erforschung nicht lateinischer Quellen wäre das Merkmal Sprache von großer Wichtigkeit. Auch das Merkmal Dokumenttyp sowie ausführliche Orts- uns Namensverzeichnisse, die die orthographische Vielfalt der Eigennamen berücksichtigen, könnten den Zeit- und Arbeitsaufwand des Quellensammelns reduzieren und gleichermaßen die Effizienz der Recherche steigern. Wie man gesehen hat, wären diese Verzeichnisse angesichts der entzifferungstechnischen und orthographischen Schwierigkeiten im Fall der spätmittelalterlichen volkssprachlichen Privaturkunden von besonderer Wichtigkeit. Ebenfalls ist überlegenswert die Ergänzung der Datensätze mit dem Merkmal Empfänger, um diese Daten in der Datenbank überhaupt recherchierbar zu machen und damit den Weg für die empfängerorientierten Forschungsrichtungen zu öffnen. Laut eines internen Berichts des Nationalarchivs (2015) werden 55 % der Recherchen in Ungarn gestartet, 45 % werden aus folgenden Ländern registriert: der Slowakei, Rumänien, Kroatien, Serbien, Österreich, Tschechien, Deutschland, den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich. Im Jahre 2017 suchten 85.000 Nutzer die Datenbank auf, was einer Steigerung um 25 % im Vergleich zum Vorjahr entspricht. 2017 wurden mehr als zweieinhalb Millionen Recherchen gestartet, ein Nutzer brauchte dazu im Durchschnitt 6–7 Minuten. Damit gehört die Collectio Diplomatica Hungarica zu den meist genutzten Datenbanken des Nationalarchivs. Für die freundliche Mitteilung der oben angeführten Informationen bedanke ich mich herzlich bei Dr. György Rácz, dem stellvertretenden Generaldirektor des Nationalarchivs. 50
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2. Mehrsprachige Suchmaske, mehrsprachige Datensätze Die Collectio Diplomatica Hungarica verfügt über ein großes internationales Publikum, deshalb gehört die Unterstützung der ausländischen Forscher zu den wichtigsten Aufgaben. Obwohl eine englischsprachige Suchmaske schon seit Jahren zur Verfügung steht, kann sich die Datenbank erst dann wirklich benutzerfreundlich erweisen, wenn man die Datensätze auch in Englisch lesen kann. Die englischsprachigen Daten wären über die Metadaten hinaus besonders bei Regesten und Bemerkungen erforderlich. Auch wenn es zweifellos mit enormem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden ist, muss dieses Desiderat behoben werden. Zum einen würde man damit einen internationalen Trend verfolgen, zum zweiten würde die Bekanntheit und die Auslastung der Datenbank steigen, zum dritten könnte man dadurch die wissenschaftliche Verarbeitung und Publizierung der ungarischen mittelalterlichen Schriftquellen vorantreiben.
3. Verknüpfung I. Das Suchfeld „Publikation“ (auf Englisch: publication, auf Ungarisch: kiadási adatok) ist bereits Teil der Suchmerkmale. Durch das systematische Ausfüllen des Suchfeldes und die Verlinkung mit Quelleneditionen, die in beachtlicher Zahl digitalisiert zur Verfügung stehen51, wäre die Möglichkeit gegeben, sämtliche zur Verfügung stehenden Informationen zu einer bestimmten Urkunde miteinander zu verknüpfen und unmittelbar aus dem Hungarica-System zugänglich zu machen.
4. Verknüpfung II. Sämtliche Quellen des Diplomatischen Archivs sind als farbige Digitalisate in der Collectio Diplomatica Hungarica zu sichten. Anders ist es im Fall der Diplomatischen Fotosammlung, die überwiegend Schwarz-WeißAbbildungen enthält. Dies kann in manchen Fällen die Beschäftigung mit der Quelle erschweren: Die Qualität der Aufnahmen lässt sich in nicht Vgl. dazu https://library.hungaricana.hu/en/collection/kozepkori_magyar_okmanytarak/ und https://library.hungaricana.hu/hu/collection/mltk_mol_sorozatok_nagysorozatok_ forraskiadvanyok/
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wenigen Fällen zu wünschen übrig. Die Auflösung der Aufnahmen ist oft mangelhaft, bei großformatigen Dokumenten musste man mehrere Teilfotos verfertigen, was das Lesen der Urkunde immens behindert. Oft kann man anhand der Fotos nicht einmal sehen, ob die Hängesiegel erhalten geblieben sind, denn dieser Teil der Urkunde wurde überhaupt nicht fotografiert. Deshalb ist es notwendig, die Datensätze der Diplomatischen Fotosammlung mit farbigen Digitalisaten der heutigen Aufbewahrungsinstitutionen oder Archivportale zu verknüpfen. Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit ist die des Nationalarchivs und des Vereins ICARUS. Das Nationalarchiv stellte die Daten des Diplomatischen Archivs zur Hochladung auf monasterium.net zur Verfügung. Zu den Digitalisaten, die im System der Collectio Diplomatica Hungarica angezeigt werden gelangt man über einen Link. Es ist überlegenswert, wenn nicht sogar wünschenswert, den Zugriff auf die Digitalisate auf monasterium.net aus der Collectio Diplomatica Hungarica zu ermöglichen.
5. Integrierung der Ergebnisse des ENArC-Projekts in die Datenbank Die Digitalisierung des Quellenmaterials der staatlichen, kirchlichen und anderen ungarischen Archive sowie einige Bestände ausländischer Archive wurde im Rahmen des ENArC-Projekts erfolgreich abgeschlossen. In vielen Fällen erfolgte bereits die Ersetzung der schwarz-weißen Fotos der Diplomatischen Fotosammlung durch farbige Abbildungen (Komitatsarchiv Győr-Moson-Sopron, Komitatsarchiv Veszprém, Komitatsarchiv Vas, Komitatsarchiv Zala, Archiv des Erzbistums Veszprém, Archiv des Bistums Győr). Das Hochladen der Digitalisate muss fortgesetzt werden und in absehbarer Zeit erfolgen.
6. Trefferliste In der Datenbank kann man die Trefferliste aktuell lediglich nach Chronologie ordnen. Es wäre die Ermöglichung der Sortierung nach weiteren Kriterien angebracht (wie Aussteller, Überlieferungsform etc.).
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Abstract Between 2007 and 2010, the first large-scale digitization project of the National Archives of Hungary took place, in which the entire medieval collection was scanned in high resolution. These scans have been freely available on the National Archives website since 2010. In addition to digitization, a database has been established which has since been continuously worked on and refined by archivists, Hungarian and international researchers and IT professionals in order to ensure that the database complies with state-of-the-art technical standards and to improve the accuracy and expansion of data records. The first part of this article deals with the development and construction of a digital data bank, while in the second part it provides insight into the practical use of the data bank. In the final part of the study, the focus is on the future potential of the data bank and on the problems which have yet to be solved.
Das „Netzwerk Historische Grundwissenschaften“ – Impulsgeber für die Peer Group? von TOBIAS P. JANSEN
„There is nothing like first-hand evidence“, bemerkte einst Sherlock Holmes gegenüber seinem Freund Dr. Watson1. Dieses Diktum Arthur Conan Doyles hat sich in den vergangenen Jahren als Omen für die Disziplinen der Historischen Grundwissenschaften erwiesen, sodass sich das „Netzwerk Historische Grundwissenschaften“ (NHG) dieses geflügelte Wort auf die Fahnen geschrieben hat. Im Folgenden soll das NHG in aller Kürze vorgestellt werden. Die Publikation im Rahmen des „Archivs für Diplomatik“ soll hierbei gezielt als Mehrwert gegenüber dem Onlineauftritt des Netzwerks sowie als Bündelung und Fortführung seiner verstreut publizierten Positionen verstanden werden2. Angestrebt wird mit dieser Publikationsform einerseits die erstmalige analoge Verstetigung des NHG und seiner Standpunkte sowie andererseits die konzentrierte Präsentation seiner bisherigen Aktivitäten. Hieran schließen sich einige inhaltliche Fragen an, die in der vorgestellten Form auf der diesjährigen Tagung „Notum sit – Die Historischen Grundwissenschaften präsentieren sich (neu!)“3 von den Mitgliedern des Netzwerks diskutiert sowie auch auf Basis dieser Ergebnisse in folgen Arthur C. Doyle, A Study in Scarlet, London 2006, Kap. 4, S. 41. https://www.ahigw.de/nachwuchsnetzwerk/, zuletzt aufgerufen am 15.05.2018. 3 Doktorandenworkshop am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München, 15. u. 16. Februar 2018. Zwei bereits erschienene Tagungsberichte besprechen die thematischen Vorträge der Tagung: Eric Müller, Tagungsbericht „Notum sit – Die Historischen Grundwissenschaften präsentieren sich (neu!)“ (Jahrestagung des Netzwerks Historische Grundwissenschaften), 15./16. Februar 2018, LMU München, in: Hypotheses, https://mittelalter.hypotheses.org/12485, zuletzt aufgerufen am 15.05.2018; Tobias P. Jansen, Tagungsbericht: Notum sit – Die Historischen Grundwissenschaften präsentieren sich 1 2
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den Veranstaltungen weiterentwickelt wurden. Sie sollen somit als Beitrag des NHG zum folgend thematisierten fachinternen Diskurs präsentiert werden und die aktuelle Positionierung des Netzwerks innerhalb dieses Austauschs verdeutlichen. * Der spürbare Bedeutungsverlust der Historischen Grundwissenschaften, welcher sich unter anderem durch den Vorwurf des selbstzentrierten Wissenschaftsbetriebs im Elfenbeinturm seit den 1990er Jahren angebahnt hatte, fand seinen selbst attestierten Kulminationspunkt im Jahr 2015 und wurde seitdem in verschiedenen Medien diskutiert4. Infolgedessen wurde die Erkenntnis in die Öffentlichkeit getragen, dass die Historischen Grundwissenschaften als grundlegende Fähigkeit zur Erschließung und Bewertung schriftlichen und materiellen Kulturerbes unerlässlich und damit wieder verstärkt zu fördern seien. Naturgemäß fand die hier nur kurz geschilderte Diskussion auch Anklang beim ‚Gegenstand‘ der Debatte, sodass ebenfalls im Epochenjahr 2015 auf Münchener Initiative hin eine Doktorandentagung5 die Formierung des „Netzwerks Historische Grundwissenschaften“ bewirken konnte. Vielversprechender Diskussionsgegenstand waren und sind die Zukunftsperspektiven der eigenen Disziplinen. Allerdings stand zunächst vor allem eine Bestandsaufnahme des Faches in (neu!), 15.02.2018–16.02.2018 München, in: H-Soz-Kult, 23.03.2018, www.hsozkult.de/ conferencereport/id/tagungsberichte-7627, zuletzt aufgerufen am 15.05.2018. 4 Die maßgeblichen Beiträge: Eva Schlotheuber/Frank Bösch, Quellenkritik im digitalen Zeitalter. Die Historischen Grundwissenschaften als zentrale Kompetenz der Geschichtswissenschaft und benachbarter Fächer, in: www.historikerverband.de/verband/ stellungnahmen/quellenkritik.html, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. Diskussionsforum: Historische Grundwissenschaften und die digitale Herausforderung, in: H-Soz-Kult, 15.11.2015, www.hsozkult.de/text/id/texte-2890, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. Zur Krise am Beispiel der Diplomatik zuvor im Jahr 2005 Theo Kölzer, Diplomatik und Urkundenpublikationen, in: Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, hg. von Toni Diederich/Joachim Oepen, Köln u. a. 2005, S. 7–34, hier bes. S. 8–10 u. 27. Vgl. aus archivischer Sicht bspw.: Claudia Kauerz, Verwaltung – Kultur – Wissenschaft. Facetten der Archive. 50. Rheinischer Archivtag in Siegburg, http://www.afz.lvr.de/ media/archive_im_rheinland/fortbildungen/rheinischer_archivtag/Bericht_50__RAT.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. Mitglieder des Netzwerks nahmen am Archivtag teil. Zu vorherigen Appellen: Kölzer, Diplomatik, S. 10 u. 33. 5 „Quo vadis? Neues aus den Historischen Grundwissenschaften“ am Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München, 18. u. 19. März 2015. Bericht zur Doktorandentagung, http://www.hgw.geschichte.uni-muenchen.de/doktorandentagung, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018.
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Hinblick auf die universitäre Lehre, laufende Promotions- und Forschungsprojekte sowie bestehende Netzwerke im Fokus, welche ein starkes, gar wachsendes Interesse der jüngeren Generation historisch Forschender an den Historischen Grundwissenschaften attestierte. Der Austausch wurde in den folgenden Jahren vor allem auf den Jahrestagungen des Netzwerks 2016 in Köln, 2017 in Bonn und zuletzt 2018 in München weitergeführt6. Die kontinuierliche Arbeit des NHG7, welches mittlerweile mehr als 50, aus unterschiedlichen Disziplinen des deutschsprachigen Raums stammende Mitglieder umfasst, konnte zur Sichtbarkeit des Faches beitragen sowie die fachinterne Vernetzung befördern. Der hervorzuhebende Charakter des Netzwerks besteht dabei einerseits aus seinen äußerst flachen Strukturen. Andererseits birgt der wissenschaftliche Austausch im Rahmen der nicht-professoralen Ebene unter Masterstudierenden und DoktorandInnen vielfältige Gesprächsmöglichkeiten, welche durch die kollegiale Atmosphäre untereinander ergänzt werden. Unter anderem durch die gegenseitige Vorstellung und Diskussion eigener laufender Forschungsprojekte ist beabsichtigt, sich der Potentiale der Fächervielfalt innerhalb der Historischen Grundwissenschaften zu versichern, indem eine bessere Verflechtung der Projekte und der fachinterne Austausch über die einzelnen Teildisziplinen hinweg ermöglicht werden. Weiterhin konnte eine gewisse Verbindung mit dem professoralen Verbund der „AG Historische Grundwissenschaften“ (AHiG) erreicht werden. Sie äußert sich derzeit hauptsächlich im als digitale Doppelhaushälften gemeinsam betriebenen Internetauftritt8. Auf diesem bietet das NHG neben einem Blog, der Auskunft über Aktivitäten des Netzwerks gibt und grundwissenschaftliche Projekte vorstellt, einen Veranstaltungskalender, welcher der Ankündigung von Tagungen, Sommerschulen, grundwissenschaftlichen Vorträgen etc. dient. In einem internen Bereich und über einen E-Mail-Verteiler können beispielsweise das organisatorische Vorgehen diskutiert, Materialien bereitgestellt oder Publikationsanfragen bearbeitet werden. Vgl. Anm. 3 sowie: „Vade mecum! Nächste Schritte in den Historischen Grundwissenschaften“ am Historischen Institut der Universität zu Köln, 8. u. 9. April 2016; „Secreta et Mysteria – Neues aus den Historischen Grundwissenschaften“ am Institut für Geschichtswissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 23. bis 25. März 2017. 7 Stand: März 2018. Ein Überblick über die Mitglieder sowie die durch diese vertretenen Forschungsfelder sowie Promotionsprojekte sind einzusehen unter https://www.ahigw.de/ nachwuchsnetzwerk/mitglieder/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. 8 https://www.ahigw.de, zuletzt aufgerufen am 15.05.2018. 6
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Die zahlreichen, als Reaktion auf das verminderte Lehrangebot initiierten Sommerschulen, welche sehr konzentriert grundwissenschaftliche Disziplinen vorzustellen und ihre Anwendung zu vermitteln suchen, sind sehr zu begrüßen, ersetzen allerdings nicht die grundständige universitäre Lehre. Daher hat sich das NHG als weiteren Punkt ihre Sichtbarmachung zum Ziel erklärt. Grundlegendes Werkzeug hierfür ist das ebenfalls auf dem Internetauftritt angebotene „Kommentierte Vorlesungsverzeichnis in Auswahl der Historischen Grundwissenschaften in Deutschland, Österreich und der Schweiz“. Das seit Sommer 2016 semesterweise herausgegebene Verzeichnis bietet eine Auswahl der in dieser Fächergruppe angebotenen Veranstaltungen. Neben der Erhöhung der Sichtbarkeit solcher Angebote für Studierende und junge Forscher, die sich in der Fächergruppe weiterbilden wollen, ist hierbei das Ziel, eine Basis für eine Bestandsaufnahme im Rahmen der laufenden Diskussionen zur Verfasstheit des Faches zu bieten sowie Angehörigen des universitären Mittelbaus den Austausch über die Praxis der Lehre und die eigenen Lehrerfahrungen zu ermöglichen. Mittlerweile sind regelmäßig zwischen 20 und 30 Institutionen mit ihren Lehrangeboten, Sommerschulen oder Exkursionen vertreten. Nichts desto weniger ist die Redaktion des Verzeichnisses sowie auch des Blogs und weiterer Angebote auf externe Zusendungen angewiesen, die nicht ausschließlich durch das Netzwerk zusammengestellt werden können. Ferner entsendet das NHG Mitglieder zu einer Vielzahl wissenschaftlicher Veranstaltungen verschiedener Formate, um sich und seine Aktivitäten bekannter zu machen, und beteiligt sich an den fortdauernden Diskussionen um die Weiterentwicklung des Fachs. Neben der Präsentation des Netzwerks auf Tagungen oder Workshops konnte im Rahmen einer Podiumsdiskussion der Sektion „Grundwissenschaften in der digitalen Welt“ auf dem 51. Deutschen Historikertag 2016 in Hamburg das Positionspapier des Netzwerks einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden9. Darüber hinaus wurde zuletzt aus den Reihen des Netzwerks auf der 5. Tagung „Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“ eine Podiumsdiskussion, welche sich mit den Aspekten „Abgrenzung oder Ent-
9 Jakob Frohmann, Das Netzwerk auf dem Historikertag, https://www.ahigw. de/2016/09/29/das-netzwerk-auf-dem-historikertag/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018.
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grenzung? Zum Spannungsverhältnis zwischen Historischen Hilfswissenschaften und Digital Humanities“ beschäftigte, erfolgreich durchgeführt10. Die hier vorgestellte kleine Auswahl der Aktivitäten sowie die Profilierung des NHG sind ohne das ehrenamtliche Engagement seiner Mitglieder nicht vorzustellen. Mithin werden die thematisierten Diskussionen sowie der Austausch der Mitglieder des NHG eine Fortsetzung im März 2019 an der Bergischen Universität Wuppertal finden. * Daneben hat sich allerdings auch ein auf vielerlei Kanälen vorgenommener, sich rasch weiterentwickelnder grundsätzlicher Diskurs innerhalb des NHG gebildet. Es sei deshalb auf eine Auswahl der Fragen, welche durch das NHG in den vergangenen Jahren, aber auch ganz aktuell auf der angesprochenen Münchener Tagung diskutiert werden und wurden, hingewiesen11: 1. Zunächst wurde vonseiten des NHG ein Statement zur von Karoline Döring angestoßenen Diskussion um den unzulänglichen Begriff des so genannten wissenschaftlichen Nachwuchses beziehungsweise der Frage, zu welchem Zeitpunkt man als wissenschaftlich erwachsen gilt, lanciert. Die Suche nach einem alternativen Begriff gestaltete sich schwierig und wurde zudem als nicht zielführend empfunden. Vielmehr solle mehr Wert auf strukturelle Veränderungen etwa hinsichtlich der Analogie zwischen Studium und Ausbildung in Bezug auf Bachelor/Geselle und Master/Meister gelegt werden12. 2. Zu fragen ist aber auch, wer sich selbst überhaupt als GrundwissenschaftlerIn respektive grundwissenschaftlich Forschender versteht. Eine Antwort hierauf hängt eng zusammen mit der eigentümlichen Verfasstheit des Faches. So ist in der weiteren Entwicklung der grundwissenschaftlichen Gemeinschaft vor allen Dingen eine Abkehr von der wissenschaftshistorisch begründeten, vorrangigen Anwendung der Historischen 5. Tagung „Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“ an der Universität zu Köln mit dem Thema „Kritik der Digitalen Vernunft“, 26. Februar bis 2. März 2018. Panel 3A Historische Grundwissenschaften „Abgrenzung oder Entgrenzung? Zum Spannungsverhältnis zwischen Historischen Hilfswissenschaften und Digital Humanities“. 11 Vgl. Stefanie Menke/Lena Vosding, Positionen des Netzwerks Historische Grundwissenschaften, in: Frohmann, Historikertag (wie Anm. 9). 12 Karoline Döring, Wollen wir wirklich BeStI(e)n sein? Ein Plädoyer an und gegen „den wissenschaftlichen Nachwuchs“, https://mittelalter.hypotheses.org/9774#comment-31657, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. Den Beitrag für das NHG verfasste Jakob Frohmann. 10
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Grundwissenschaften auf die Epoche des Mittelalters anzustreben, eine Zentriertheit, die auch in den momentan im NHG respektive der AHiG vertretenen Teildisziplinen festzustellen ist. Eine Öffnung sollte gerade trotz des Umstands, dass sich vor allem das Früh- und Hochmittelalter als das Forschungsfeld präsentiert, an welchem die Historischen Grundwissenschaften in ihrer heutigen Form entwickelt wurden, vorgenommen werden. Deshalb muss es das erklärte Ziel sein, die Historischen Grundwissenschaften etwa durch die Etablierung einer besseren internen Vernetzung stärker sowohl für weitere zeitliche Epochen und geographische Schwerpunkte als auch benachbarte Disziplinen zu erschließen und sichtbar zu machen. Momentan sticht die große Zentriertheit auf das europäische Mittelalter ins Auge. Durch die Miteinbeziehung einer Vielzahl verwandter Disziplinen sowie die dadurch erhöhte Wirkmächtigkeit des Faches ergäbe sich weiterhin die Frage, ob es sich bei den Historischen Grundwissenschaften dann überhaupt noch um ein so genanntes kleines Fach handelt13. In Konsequenz dessen müsste auch die Selbstdefinition als Grundwissenschaftler einer erheblichen Erweiterung des fachlichen Spektrums unterliegen. 3. Einen weiteren, kontrovers erörterten Angelpunkt bildet das Verhältnis der Historischen Grundwissenschaften zu den Digital Humanities14, welches mehr und mehr als Kommunikation auf Augenhöhe wahrgenommen wird. Torsten Hiltmann betonte in diesem Zusammenhang, dass die Digitalisierung die Historischen Grundwissenschaften durch die massenhafte und schnelle Zugänglichmachung von Forschungsobjekten in eine ähnliche Lage befördere, in der sie sich schon einmal im 19. Jahrhundert befunden hätten15. Durch die unumgängliche Grundlagenforschung an diesen Materialien – man denke etwa an die nicht einmal im Ansatz erschlossene Masse schriftlicher Dokumente des Spätmittelalters16 – kann erst der Grundstock für ihre weitere Erforschung und die Auswertung für Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Kleine Fächer – große Potenziale, https://www.bmbf.de/de/kleine-faecher-grosse-potentiale-3261.html, zuletzt aufgerufen am 14.03.2018. 14 Vgl. Anm. 10. 15 Die Aussage wurde auf der Tagung „Kritik der Digitalen Vernunft“ getroffen. Vgl. Anm. 10. 16 Zumal Rudolf Schieffer auch dem Früh- und Hochmittelalter auf europäischer Basis immer noch weite Fehlstellen attestierte: Rudolf Schieffer, Zur derzeitigen Lage der Diplo matik, in: Diplomatische Forschungen in Mitteldeutschland (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 12), hg. von Tom Graber, Leipzig 2005, S. 11–27, hier S. 13–17. Zum spätmittelalterlichen Textbestand ebd., S. 23 f. 13
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allgemeinhistorische Betrachtungen gebildet werden. Das Vorhandensein von Digitalisaten stellt seinerseits wiederum nicht den End-, sondern vielmehr den Ausgangspunkt für tiefergehende digitale Analysen dar. Weiterhin ist diesbezüglich zu beachten, dass die inzwischen vorhandenen Digitalisate (höchst unterschiedlicher Qualität) je nach Fragestellung nicht den Blick auf und die Arbeit am Original ersetzen können. Der oft bemühte Grundsatz „Jeder kann kochen!“ ist für die Historischen Grundwissenschaften also nicht zutreffend, eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung besonders auch in digitalen Methoden unerlässlich17. Eine durch die Historischen Grundwissenschaften leistbare Aufgabe wäre es in diesem Zusammenhang etwa, vorhandenes Handbuchwissen der einzelnen grundwissenschaftlichen Disziplinen um digitale Methoden zu erweitern und dieses im Folgenden auch – wiederum in Rückkoppelung an die Verbesserung der Lehre – nicht nur gedruckt, sondern auch digital anzubieten und in der Lehre zu verankern. 4. Auch wenn in den vergangenen Jahren eine vermeintliche Kehrtwende im Abwärtstrend des Faches geschafft zu sein scheint18, so ist infolge von erfolgreichen Neubesetzungen oder Neueinrichtungen von Professuren auch weiterhin auf eine langfristige Stärkung des universitären Mittelbaus hinzuwirken, auf den nach wie vor ein Großteil der zu leistenden Lehre der Historischen Grundwissenschaften oder der Betreuung wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten entfällt. Ebenso ist über die Einrichtung alternativ zur Professur stehender, langfristiger beruflicher Alternativen nachzudenken, die sich als gleichwertige Partner aus dem nicht-professoralen Forscherfeld etablieren können. 5. Es ist jedoch auch herauszustellen, dass diese und weitere Aufgaben neben den zahlreichen eigenen Verpflichtungen der professoralen wie nicht-professoralen Wissenschaftsgemeinschaft nur bedingt zu leisten sind. Daher ist abschließend erneut ausdrücklich auf das bisherige Fehlen eines wie auch immer gearteten Dachverbandes der Historischen Grundwissenschaften im deutschen Sprachraum hinzuweisen, ein für eine solch ehrwürdige und betagte Disziplin erstaunlicher Zustand19. Durch die Gründung eines solchen Interessenverbundes ließen sich die Möglichkeiten zur Schaffung einer breiten Öffentlichkeit und besseren Vernetztheit Ähnlich Kölzer, Diplomatik (wie Anm. 4) S. 31. So jüngst konstatiert auf der Tagung „Stand und Perspektiven der Historischen Grundwissenschaften in Deutschland“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 16. u. 17. Februar 2018. 19 Zuvor schon bei Kölzer, Diplomatik (wie Anm. 4) S. 18. 17 18
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potenzieren und das Profil einer so vielfältigen Disziplin wie der Historischen Grundwissenschaften schärfen und weiterentwickeln. Eine europäisch anzustrebende Ausrichtung eines Dachverbandes auf die in deutscher Wissenschaftstradition stehenden Gebiete ist dabei als unbedingt fördernswert einzustufen. * Ein zentrales Ziel des NHG ist es also, durch seine weiter auszubauenden Strukturen stärker als Schwarmintelligenz zu agieren und somit das Potential der natürlichen Interdisziplinarität der Historischen Grund wissenschaften zur Weiterentwicklung des Faches nutzbar zu machen. Das Netzwerk freut sich deshalb stets sehr über neuen Zuwachs, da sein Erfolg vom Interesse seiner Mitglieder, ihrer Vernetzung untereinander und immer auch einem gehörigen Maß Eigeninitiative und Enthusiasmus abhängt.
Anschriften der Autoren Dr. Franz-Albrecht Bornschlegel Historisches Seminar der LMU München Abt. Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München [email protected] Dr. Doris Bulach Historisches Seminar der LMU München Abt. Historische Grundwissenschaften und Historische Medienkunde Geschwister-Scholl-Platz 1 80539 München [email protected] Ass.-Prof. Mag. Dr. Christoph Egger Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universität Wien Universitätsring 1 A-1010 Wien [email protected] Diána Diera [email protected] Doc. PhDr. Mlada Holá, Ph.D. Katedra PVH a archivního studia / Lehrstuhl für historische Hilfswissenschaften und Archivistik Filozofická fakulta UK / Philosophische Fakultät Karlsuniversität Prag Nám. J. Palacha 2 CZ-116 38 Praha 1 [email protected] Stefan Holz Universität Heidelberg Historisches Seminar / SFB 933 Materiale Textkulturen Grabengasse 3–5 69117 Heidelberg [email protected]
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Prof. Dr. Hubert Houben Università del Salento Dipartimento di Storia, Società e Studi sull’uomo Viale San Nicola 73100 Lecce (Italien) [email protected] Tobias P. Jansen Endenicher Allee 10 53115 Bonn [email protected] Prof. em. Dr. Walter Koch Luisenstraße 41 80333 München [email protected] Prof. em. Dr. Theo Kölzer Birkenweg 17 35444 Biebertal [email protected] PD Dr. Otfried Krafft Institut für Mittelalterliche Geschichte der Philipps-Universität Marburg 35032 Marburg [email protected] Prof. Dr. Stefan Petersen Monumenta Germaniae Historica Ludwigstraße 16 80539 München [email protected] Dr. Beate Schilling Rottmannstr. 18 80333 München [email protected] Dr. Michele Spadaccini Oertlinweg 3 81543 München [email protected]
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Mgr. Tomáš Velička, Ph.D. Filozofická fakulta Univerzity J. E. Purkyně Ústí nad Labem / Philosophische Fakultät, J. E. Purkyně-Universität Ústí nad Laben Katedra historie, oddělení pomocných věd historických / Historisches Institut, Abteilung der Historischen Hilfswissenschaften Pasteurova 13 CZ-400 96 Ústí nad Labem [email protected] PD Dr. Roman Zehetmayer Niederösterreichisches Landesarchiv Kulturbezirk 4 A-3109 Sankt Pölten [email protected]