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German Pages 429 [443] Year 1913
ARCHIV FÜR
ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DBS TON BEIL, BEIL o. AUTENEIETH, J. F. MECKEL. JOH. MÜLLEß, REICHERT u. Dü BOIS • REYMOND
HBBADBOBQBBBNBN
ABCHIVBS.
HERAUSGEGEBEN VON
Db- WILHELM W A L D E Y E R , P B 0 F B 8 8 0 R DBB ANATOMIE AN DBB UNIVBBSITlT BKBLIN, UND
De. MAX R U B N E R , P R 0 P E 8 S 0 B DBB PHYSIOLOGIE AK BEB DNIVRH8ITÄT BBBLIN.
JAHR & AUG- 1912. SUPPLEMENT-BAND zns
ANATOMISCHEN ABTEILUNG.
LEIPZIG, VERLAG VON V E I T & COMP.
1913
A R C H I V FÜR
ANATOMIE UND
ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. ANATOMISCHE ABTEILUNG DES
ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, ZUGLEICH
FORTSETZUNG
DEE
ZEITSCHRIFT FÜR ANATOMIE UND ENTWICKLUNGSGESCHICHTE. UNTER
MITWIRKUNG
TON
P R O F . R . F 1 C K I S I N N S B R U C K , P R O F A . F K O R I K P IM T Ö B I W O B N , P B O » , C . H A S S E M B B B Ü L A C P R O F . V . H E N S E N IM K I K L , P R O F . J . K O L L M A N N RA B A S E L , P R O F . G . R E T Z I U S IM STOCKHOLM, PROF. J . R U C K E R T IN M Ü N C H E N , PROF. G R A F VON S P E E IN K I E L , P R O F . L . S T I E D A IM K Ö Ä I G S B B M . P R O F H . V I R C H O W IN BEBLIM
HERAUSGEGEBEN VON
DR. WILHELM WALDEYER, PROFESSOR D E S ANATOMIE AN DEB UNIVERSITÄT
BERLIN.
JAHRGANG 1912. SUPPLEMEXT-BAND. MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT.
LEIPZIG, VERLAG
VON V E I T
1913
& COMP.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
DIE REICHERT SCHE THEORIE (HAMMER-, AMBOSS- UND KIEFERFRAGE).
VON
E. G A U P P , KÖNIGSBERG
I. P ß .
M I T 140 F I G U R E N .
Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt, Naturgeheimnis werde nachgestammelt. Goethe.
ROBERT WIEDERSHEIM IN DANKBARKEIT UND TREUER FREUNDSCHAFT
DER VERFASSER.
Inhalt. Seite
Einleitung E r s t e r A b s c h n i t t . Das Problem. Allgemeine Begründung der R e i c h e r t schen Theorie aus dem Verhalten des Knorpelschädels und der Entwicklung der Knochen an ihm Stellung der Aufgabe F. 7. Verhalten der mandibularen Skeletteile bei den Nichtsäugern S. 8. Verhalten der mandibularen Skeletteile bei den Säugern; anfängliche Übereinstimmung mit dem bei den Nichtsäugern S. 15. Ausbildung der Unterschiede S. 18. Beurteilung der Befunde, Gründe für die Gegnerschaft gegen das gewonnene Ergebnis S. 19. Zur Literatur S. 21. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Die Homologie des Incus mit dem Quadratum und die des Hauptteiles des Hammers mit dem Articulare 1. Die Entwicklung des Incus und dos Hauptteiles des Malleus, Übereinstimmung mit der des Quadratums und des Articulare a) Ort der Entstehung S. 23. b) Erste Anlage S. 23. c) Verknorpelung S. 25. d) Spätere Entwicklungsvorgänge S. 26. 2. Die geringe Größe von Hammer und Amboß 3. Die Lage von Hammer und Amboß zueinander 4. Die spezielle Form von Hammer und Amboß 5. Zusammenfassung des zweiten Abschnittes D r i t t e r A b s c h n i t t . Der Processus anterior (Folii) des Hammers der Säuger und sein Homologon, das Goniale, bei den Nichtsäugern 1. Allgemeine Kennzeichnung des vorderen Hammerfortsatzes der Säuger und des Goniale der Nichtsäuger. Zur Nomenklatur 2. Besonderes Verhalten des Goniale bei den einzelnen Gruppen der Tetrapoden a) Amphibien S. 43. b) Sauropsiden S. 44. c) Säuger S. 59. 3. Zusammenfassung des dritten Abschnittes V i e r t e r A b s c h n i t t . Das Os tvmpanicum der Säuger und seine Homologie. Frühere Anschauungen S. 72. Anschauung von v a n K a m p e n , Begründung derselben S. 74. Zusammenfassung des vierten Abschnittes
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INHALT. Seite
F ü n f t e r A b s c h n i t t . Der Unterkiefer der Tetrapoden 79 1. Allgemeiner Aufbau des Unterkiefers 79 2. Besonderes Verhalten des Unterkiefers bei den einzelnen Gruppen der Tetrapoden. . . . 81 a) Amphibien 81 1. Allgemeiner Aufbau des Amphibien-Unterkiefers 81 2. Besonderes Verhalten des Amphibien-Unterkiefers 84 a. Urodela S. 84. ß. Anura S. 87. y. Apoda S. 88. S. 225. Spezielles Verhalten der Chorda tympani zum Unterkiefer S. 229. 1. Amphibien S. 229. 2. Sauropsiden S. 231. 3. Säuger S. 233. c) Zusammenfassung des über die Chorda tympani Gesagten . . . . 237 Achter Abschnitt.
Das Kiefergelenk der Säuger
1. Einleitung 2. Tatsachen aus der Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Kiefergelenkes der Säuger, die für die Beurteilung seiner Entstehung und ursprünglichen Natur von Bedeutung sind. Schlußfolgerungen daraus a) Zusammensetzung und Lage des Säugeb-Kiefergelenkes b) Die verschiedenen Formen der Mandibularverbindung bei den Säugern und ihre wichtigsten Bau-Eigentümlichkeiten 1. Syndesmosis squamoso-dentalis S. 244. 2. Ungeteiltes Kiefer gelenk S. 244. 3. Geteiltes Kiefergelenk S. 247. c) Entwicklung des Kiefergelenkes der Säuger d) Form der Gelenkflächen des Kiefergelenkes. Funktionelles . . . e) Auffassung des Kiefergelenkes der Säuger. Aneinanderreihung der verschiedenen Zustände desselben f) Zur Literatur. Diskussion entgegenstehender Ansichten 3. Ursprüngliche Lage des Kiefergelenkes der Säuger zu dem QuadratoArticulargelenk der NichtSäuger 4. Wie konnte das Dentale zu einer Verbindung mit dem Squamosum vor dem Quadrato-Articulargelenk gelangen ? 5. Zusammenfassung des achten Abschnittes Neunter Abschnitt. Säuger
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Die phylogenetische Entstehung des Kiefergelenkes der 278
1. Einleitung: Unterscheidung der durch den Vergleich erlangten Ergebnisse und der hypothetischen Verknüpfung derselben; Aufgaben der Hypothese; hypothetische Ausgangsformen 278 2. Die Abgliederung des Dentale von der hinteren Unterkieferhälfte . . 280 Bedeutung der Muskeln bei diesem Vorgang: Ablösung und Ersatz des M. depressor mandibulae durch die Muskeln des Mundhöhlenbodens S. 280. Abgliederung der vorderen Unterkieferhälfte von der hinteren S. 281. 3. Die Angliederung des Dentale an das Squamosum 282 Möglichkeit der Bildung eines Angliederungs-Gelenkes (einer Nearthrose) S. 283. Hypothese über die bei der Entstehung des SäugerKiefergelenkes anzunehmenden Vorgänge S. 283. Bestätigung der Hypothese durch das jetzige Verhalten des Kiefergelenkes, selbst beim Menschen S. 285. Mögliche Bedeutung mancher Bänder in der Umgebung des Säuger-Kiefergelenkes S. 287.
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INHALT. Seite
4. Mutmaßlicher Gang der Ausbildung der Säuger-Zustände 288 5. Die Zustände bei den Theriodonten sind nur bedingt als Ausgang für die bei den Säugern brauchbar 289 6. Zusammenfassung des neunten Abschnittes 292 Z e h n t e r A b s c h n i t t . Paukenhöhle und Trommelfell 1. Bisherige Äußerungen über die Nixsht-Homologie der Trommelfellbildungen bei Anuren, Sauropsiden und Säugern 2. Weitere Zeugnisse für die Verschiedenheit der Trommelfellbildungen bei Anuren, SauropsMen und Säugern. Die daraus sich ergebenden Schlußfolgerungen 3. Zusammenfassung des zehnten Abschnittes E l f t e r A b s c h n i t t . Die hauptsächlichsten Anschauungen, die der R e i c h e r t schen Theorie gegenübergestellt werden 1. Einleitung 2. Die Anschauungen von D r ü n e r und F u c h s a) Grundlagen der D r ü n e r - F u c h s s c h e n Vorstellungen b) Topographie des Hammer-Amboß-Gelenkes sowie des Kiefergelenkes zur ersten Schlundtasche c) Die Entwicklung des Malleus, Incus sowie der Komponenten des Kiefergelenkes nach D r ü n e r und F u c h s , und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen Allgemeine Vorbemerkungen über „Blastem "-Anlagen von Skelettteilen und ihre Bedeutung für vergleichend-morphologische Erwägungen S. 311. Spezielle Angaben und Anschauungen von D r ü n e r und F u c h s S. 317. 1. Feststellung der Hauptpunkte 2. Hammer und Amboß Einheitlichkeit und Fortsatzlosigkeit der Hammer-Amboß-Anlage S. 319. Primäre Selbständigkeit der Hammer-Amboß-Anlage S. 321. Die Herleitung der Hauptteile von Hammer und Amboß aus Teilstücken des Quadratums der Nichtsäuger, nach D r ü n e r und F u c h s S. 326. Das Manubrium mallei S. 328. Das Crus longum incudis S. 331. 3. Das Kiefergelenk und seine Komponenten a. Die angeblich primordiale Herkunft der Komponenten des Säuger-Kiefergelenkes und ihre Begründung durch D r ü n e r und F u c h s ß. Die von D r ü n e r und F u c h s beschriebenen Blastem-Anlagen der Kiefergelenks-Komponenten. Zurückweisung ihrer Deutung y. Die Knorpelbildung im Gelenkteil des Squamosums und im Unterkiefer der Säuger. Sekundärer Charakter derselben. Unmöglichkeit, die Knorpel als Komponenten des primären Kiefergelenkes zu. deuten Bestimmung der Aufgabe S. 342. Tatsächliche Befunde S. 343. Mögliche Auffassungen der Befunde S. 343. 1. Begründung der sekundären Natur der Knorpel S. 344. Historisches. Dar-
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INHALT.
X I H
Stellung von S e h äff er. Einwände von F u c h s . Standpunkt von G e g e n b a u r S. 344. Weitere Begründung: Befunde bei Echidna; Knorpelbildung in anderen Deckknochen, auch bei Nichtsäugern; Ergebnisse von K o l l e r S. 349. Beurteilung dieser Funde durch F u c h s S. 354. Knorpelbildung im Bindegewebe überhaupt S. 355. Allgemeines Ergebnis S. 357. Unbrauchbarkeit des histogenetischen Prinzipes für die morphologische Betrachtung der Knochen S. 358. Kriterien für die Erkennung „sekundärer" Knorpel S. 359. Bedingungen für die Entstehung von Knorpel überhaupt, Ansichten von Kassowitz, Roux, S c h a f f e r , H a n a u u. a. S. 360. Stellungnahme v. E b n e r s S. 361. 2. Unmöglichkeit, die akzessorischen Knorpel als Gelenkstück des M e c k e l s c h e n Knorpels und als Quadratum zu deuten; morphologische Erwägungen S. 361. ö. Die Hypothese von D r ü n e r und F u c h s in ihrer Gesamtheit 367 E. Ergebnis der Prüfung der D r ü n e r - F u s c h s s e h e n Hypothese 378 3. 4. 5. 6. 7. 8.
Die Die Die Die Die Die
Ansieht Ansicht Ansicht Ansicht Ansicht Ansicht
Schlußbetrachtungen Nachträgliche Zusätze Literaturverzeichnis .
von von von von von von
P a r k e r , K i n g s l e y und R u d d i c k Emery . . ". Jaekel G a d o w und die bisherige von B r o o m Rabl W. K. G r e g o r y
382 382 382 383 383 384 386 396 397
Die Reichertsche Theorie (Hammer-, Amboß- und Kieferfrage). Von E . Gaupp in Königsberg i. Pp.
(Aus dem vergleichend-anatomischen Institut zu Freiburg i. B.)
Einleitung. In einem ausführlichen Aufsatz in den Ergebnissen der Anatomie und Entwicklungsgeschichte für 1898, in dem ich eine zusammenfassende Darstellung des damaligen Standes der Lehre vom schalleitenden Apparat der Wirbeltiere gab, erklärte ich die unter dem Namen R e i c h e r t s c h e T h e o r i e bekannte Lehre, oder doch den Teil derselben, nach dem Hammer und Amboß der Säuger auf frühere Komponenten des Kieferapparates zurückgeführt werden, und demnach das Kiefergelenk der Säuger als Neubildung betrachtet wird, als unanfechtbar und als eine der gesichertsten Tatsachen der Wirbeltier-Morphologie. Diese Überzeugung war das Ergebnis einer kritischen Durcharbeitung des gesamten damals vorliegenden Tatsachenmaterials, das in der Hauptsache noch sich auf die embryonale Entwicklung der umstrittenen Skeletteile beschränkte, während aus der Anatomie der Weichteile nur der M. tensor tympani und der Verlauf der Chorda tympani als wertvolle, die R e i c h e r t s c h e Lehre stützende Kriterien herangezogen werden konnten. Außer dieser Bestätigung des alten Kernsatzes der Reichertschen Lehre ergab sich dabei auch ein neuer Gesichtspunkt: die Vorstellung, daß der schallleitende Apparat der Säuger gar nicht ohne weiteres an den der rezenten Reptilien angeschlossen werden könne, ebensowenig wie etwa dieser an den der Amphibien, speziell der Anuren, sondern, daß diese drei Einrichtungen sich selbständig, von bisher noch unbekannten primitiven Zuständen aus entwickelt haben, so daß auch die verschiedenen Trommelfellbildungen, die sich bei den genannten drei Archiv f. A. u. Ph. 1912. Anat. Abtlg. Suppl.
1
2
E. Gaupp:
Gruppen (Anuren, rezente Reptilien, Säuger) finden, nicht als homolog zu betrachten sind. Die erwähnte Beschränkung aller früheren Erörterungen über die Reichertsche Lehre auf die Betrachtung von Hammer, Amboß, Unterkiefer und einige wenige Weichteile mußte bei näherer Überlegung als eine recht schwere Unterlassungssünde erscheinen. Gehörknöchelchen und Kiefer waren zu sehr losgelöst aus dem Zusammenhang mit dem Gesamtschädel und mit den Weichteilen, und der Versuch, die von der Reichertschen Lehre geforderten Umwandlungen, die sich doch an lebenden Formen und nicht an bloßen Schädeln abgespielt haben müssen, sich einmal klar zu machen, war überhaupt bisher noch nicht unternommen worden. Und doch mußte es möglich sein, auch ganz abgesehen von den Befunden der Hammer- und Amboß-Ontogenese, in der gesamten Anatomie der von dem Problem berührten Skelett- und der benachbarten Weichteile Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder den Irrtum der Reichertschen Lehre zu finden, wie es andererseits nicht berechtigt erscheinen konnte, dem Problem der Entstehung des sekundären Kiefergelenkes bei den Säugern — das mit Vorliebe als unmöglich und als die Achillesferse der ganzen Reichertschen Lehre bezeichnet wurde — noch länger wie einem Noli me tangere aus dem Wege zu gehen. Von diesen Erwägungen aus unternahm ich in den folgenden Jahren Untersuchungen, die jene Lücke ausfüllen sollten; einen ersten Bericht über ihre Ergebnisse erstattete ich auf dem I. Internationalen AnatomenKongreß in Genf (1905). Ich konnte dort eine Anzahl früher nicht beachteter Punkte aus der Anatomie des Muskel- und Nervensystems anführen, die für die Richtigkeit der Reichertschen Lehre sprachen und so die tatsächliche Grundlage derselben in sehr erwünschter Weise verbreiterten; es konnte ferner der zum Processus anterior des Hammers werdende Deckknochen in seiner vergleichend-anatomischen Bedeutung genauer bestimmt, eine bestimmte Auffassung von der morphologischen Bedeutung des Kiefergelenkes der Säuger, seiner ursprünglichen Natur, dem Wesen und der Entstehung des Discus articularis in ihm begründet, und endlich auch der Weg angedeutet werden, auf dem es wohl möglich wäre, zu einem Verständnis der phylogenetischen Ausbildung des Gelenkes zu gelangen. Auch von anderer Seite ist seit Anfang dieses Jahrhunderts in der gleichen Richtung im Sinne einer Vertiefung der Reichertschen Auffassung vielfach gearbeitet worden. Versluys, anfangs (1898) derselben ablehnend oder zum mindesten sehr skeptisch gegenüberstehend,
D I E REICHERTSC HE T H E O R I E (HAMMER-, AMBOSS- U. KIEFEKFRAGE).
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gelangte durch eine genauere Analyse des schallleitenden Apparates der Sauropsiden (1903) zu der Erkenntnis der großen Unterschiede zwischen diesem und dem der Säuger und damit zur Aufgabe seiner früheren Einwände gegen die R e i c h e r t sehe Vorstellung; in einer eingehenden Behandlung der Frage nach der Abstammung der Säuger stellte F ü r b r i n g e r (1904) auch die verschiedenen Anschauungen über die Gehörknöchelchen- und Kieferfrage zusammen und wog sie kritisch ab, — mit dem zu erwarten gewesenen und auch durch neue Gesichtspunkte gestützten Ergebnis, daß die R e i c h e r t sehe Auffassung der Dinge allein die morphologischen Tatsachen in befriedigender Weise untereinander in Einklang bringt; v a n K a m p e n erörterte (1904, 1905) die Frage nach der Bedeutung des Tympanicum und kam zu dem, die R e i c h e r t sche Lehre um ein sehr wesentliches Moment bereichernden Schluß, daß der genannte Knochen auf einen früheren Unterkiefer-Deckknochen zurückgeführt werden müsse; K j e l l b e r g behandelte (1904) die Entwicklung und den Bau des Säuger-Kiefergelenkes und sprach zum ersten Male eine Anschauung aus, zu deren Grundgedanken, daß der Discus articularis dieses Gelenkes in Zusammenhang mit dem M. pterygoideus externus entstanden sei, auch ich unabhängig von ihm gekommen war (— in der speziellen Fassung weichen wir allerdings voneinander ab —); L u b o s c h (1906, 1907) bereicherte in mehreren inhaltreichen Arbeiten unsere Kenntnis von dem Kiefergelenk der Säuger, seinen verschiedenen Ausbildungsformen und seiner Funktion in wertvollster Weise und stützte und vertiefte dadurch die auch von mir vertretene Auffassung, daß der Discus articularis ein Teil des Bindegewebsüberzuges auf dem Condylus mandibulae sei, der in Zusammenhang mit dem M. pterygoideus externus von dem Condylus losgelöst wurde; B e n d e r (1907) studierte die Schleimhautnerven des Facialis, Glossopharyngeus und Vagus mit Rücksicht auf die Frage nach der Homologie der Paukenhöhlenbildungen und kam auch von dieser Seite aus zu einer Bestätigung der Reichertschen Lehre; E. Cords (1909) endlich lehrte die Verschiedenheiten der Paukenhöhlenentwicklung bei den Reptilien gegenüber der bei den Säugern, die von H a r n m a r (1902) genau studiert worden war, kennen und machte dadurch die von mir vertretene Anschauung von der selbständigen Entstehung der Trommelfellbildungen bei Reptilien und Säugern wahrscheinlicher. Ist so in den letzten 13 Jahren seit dem eingangs erwähnten Referat von verschiedenen Seiten an der festeren Fundamentierung und dem weiteren Ausbau der Reichertschen Theorie gearbeitet worden, so hat sicli auf der anderen Seite auch aufs neue eine Opposition gegen l*
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E . GAUPP;
dieselbe erhoben, und zwar in Drüner, Fuchs und von Bardeleben. D r ü n e r und F u c h s gründen ihren Widerspruch hauptsächlich auf die Untersuchung frühester Embryonalstadien von der Maus (Drüner) und dem Kaninchen (Fuchs), Bardeleben den semigen auf die Betrachtung ausgebildeter Säuger- und Menschenunterkiefer, aus der er die Überzeugung schöpft, daß der Säugerunterkiefer dem ganzen Unterkiefer der Reptilien und nicht bloß, wie die Reichertsche Theorie annimmt, einem Teil desselben entspricht. Die große Bestimmtheit, mit der diese Opposition auftritt, und mit der namentlich Fuchs die Reichertsche Lehre als ein ganz mangelhaft begründetes Phantasiegebäude erklärt, das über kurz oder lang in sich zusammenfallen müsse, ließ es wünschenswert erscheinen, den ganzen Tatsachen-Komplex, der für das zur Entscheidung stehende Problem Wichtigkeit besitzt — soweit derselbe schon genügend durchgearbeitet ist — einmal eingehend und ausführlich darzustellen. Denn es handelt sich bei der Frage nach der Bedeutung von Hammer, Amboß und Kiefergelenk der Säuger nicht um einfache Homologiefragen untergeordneter Bedeutung, sondern um ein grundlegendes Problem, das für die Morphologie der Säuger von der allergrößten Wichtigkeit ist, und ohne dessen einwandfreie Lösung die Frage nach der Abstammung und den Verwandtschaftsbeziehungen der Säuger überhaupt nicht ernstlich beantwortet werden kann. Dieser Überzeugung verdankt die vorliegende Abhandlung ihre Entstehung. Sie schließt sich an meinen Aufsatz von 1899 an, der die historische Entwicklung der Frage bis zu dem genannten Jahre behandelte und den ganzen schallleitenden Apparat bei allen Wirbeltierklassen berücksichtigte. Im Gegensatz dazu stelle ich hier den schallleitenden und Kieferapparat der Säuger in den Vordergrund, und werde auch von dem schallleitenden Apparat das konservative Element, den Stapes, im wesentlichen als gegeben hinnehmen und die Frage nach seiner Herkunft und Bedeutung nur kurz berühren. Die übrigen Bestandteile des schallleitenden Apparates aber (Hammer, Amboß, Tympanicum, Paukenhöhle und Trommelfell) sowie Unterkiefer und Kiefergelenk sind eingehend behandelt, unter besonderer Mitberücksichtigung der Teile des Muskel- und Nervensystemes, die zu ihnen Beziehungen besitzen. Das G e f ä ß s y s t e m mußte leider auch hier aus der Betrachtung ausscheiden: eine Durcharbeitung desselben mit Rücksicht auf seine Zeugniskraft in Sachen der R e i c h e r t schen Lehre steht bisher noch aus und bleibt somit der Zukunft überlassen. Dagegen ergab die Frage nach der Stellung von Hammer und Amboß zu der Extracolumella der Reptilien die Notwendigkeit, auch
D I E REICHERTSCHE THEORIE (HAMMER-, AMBOSS- U. KIEFERFRAGE).
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diese letztere genauer zu berücksichtigen (in dem Kapitel über die Chorda tympani). Ein besonderer Abschnitt ist der Frage nach der mutmaßlichen Entstehung des Kiefergelenkes der Säuger gewidmet, ein anderer der Besprechung der Einwände und Hypothesen, die der R e i c h e r t sehen Auffassung zurzeit noch entgegenstehen, namentlich der Anschauungen, die F u c h s im Anschluß an D r ü n e r vertritt. Eine vorläufige Zusammenstellung der Tatsachen, die für die Beurteilung der R e i c h e r t sehen Theorie vom Standpunkt der neueren Forschungsergebnisse aus in Betracht kommen, gab ich in einem Vortrag auf dem 16. Internationalen medizinischen Kongreß in Budapest (1909), und dort setzte ich auch schon an die Stelle des alten kurzen Satzes: „Hammer und Amboß der Säuger sind Articulare und Quadratum der NichtSäuger" eine erweiterte Formel, die ich kürzlich (1911) in dem zweiten von drei Beiträgen zur Kenntnis des Unterkiefers der Wirbeltiere 1 dahin faßte, „daß der Unterkiefer der Säuger nur dem vorderen zahntragenden Abschnitt des Reptilienunterkiefers entspricht, während der hintere Abschnitt des letzteren mitsamt dem Quadratum aus dem Kieferapparat ausgeschaltet, und, zum Teil in seine Komponenten aufgelöst, in den ausschließlichen Dienst des Gehörorganes übergegangen ist". In diesen drei Beiträgen ist außerdem bereits eine Anzahl der Punkte, die im nachfolgenden zur Erörterung kommen, selbständig behandelt: der Processus anterior des Hammers und sein Homologon bei den Nichtsäugern, die Zusammensetzung des Unterkiefers bei den Wirbeltieren, die Morphologie und mutmaßliche phylogenetische Entstehung des Säuger-Kiefergelenkes. Da die Erörterung dieser Punkte aber auch hier nicht fehlen darf, so sind jene Darstellungen auch in die vorliegende Abhandlung mit aufgenommen, stellenweise ergänzt und weiter ausgeführt, und vor allem unter Fortlassung bei weitem der meisten polemischen Abschnitte, in denen ich meine Auffassung gegen die zahlreichen Angriffe und die vielfach durchaus unrichtige Wiedergabe in den Arbeiten von F u c h s verteidigen mußte. Mit freundlicher Genehmigung, der Verlagsbuchhandlung G. F i s c h e r in Jena ist hier auch eine Anzahl der Abbildungen aus jenen Arbeiten mit aufgenommen. Der Forscher, unter dessen Namen die Lehre von der Auffassung des Hammers und Amboßes als ehemaliger Teile des Kieferapparates berühmt geworden ist, C.B. R e i c h e r t , wurde gerade vor 100 Jahren 1
Anatomischer
Anzeiger.
Bd. X X X I X .
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E.
GAUPP:
(am 25. Dezember 1811) geboren, und nahezu 75 Jahre sind seit dem Erscheinen der betreffenden Arbeiten verflossen. Daß es gerade Reichert beschieden war, diese „Theorie" mit seinem Namen zu verbinden, mag vielleicht manchem als eine nicht völlig berechtigte Laune des Schicksals erscheinen. Sie ist durchaus nicht zum ersten Male und selbständig von ihm aufgestellt worden; wie ich in meinem Referate in den „Ergebnissen" für 1898 ausgeführt habe, gingen den R e i c h e r t schen Arbeiten die von R a t h k e , Meckel, C. G. Carus, Huschke u. a. voran, und speziell hat C. G. Carus bereits die Homologie des Incus mit dem Quadratum, und J. Fr. Meckel die des Hammers mit dem Articulare ausgesprochen. Sie ist eben, wie so viele große Errungenschaften, das Kind ihrer Zeit, einer ganzen Epoche. Und eine große Errungenschaft, eine glänzende Frucht jener für die vergleichende Anatomie und Entwickelungsgeschichte so reichen Epoche muß sie genannt werden; speziell für das Verständnis des Organismus der Säugetiere und seiner Stellung zu anderen besitzt sie eine Bedeutung, die, das darf ruhig gesagt werden, noch lange nicht erschöpft ist, und die erst voll zutage treten kann, wenn auch die paläontologischen Funde in ihrem Lichte werden betrachtet werden. Diese Bedeutung rechtfertigt auch eine Behandlung des Gegenstandes in der Breite und Ausführlichkeit, wie er sie hier gefunden hat. Mit besonderem Danke empfinde ich es, daß diese ausführliche Darstellung in dem gleichen Archiv erscheinen kann, in dem die Reichertsche Arbeit seinerzeit veröffentlicht wurde (— die Dissertatio de embryonum arcubus sie dictis branchialibus ist nur ein Vorläufer —), in dem gleichen Archiv aber auch, in dem sie in den letzten Jahren zu wiederholten Malen eine Behandlung erfahren hat, die ihr meines Erachtens nach, keiner Richtung hin gerecht wird. Es war ursprünglich lediglich meine Absicht, meinem im Jahre 1905 auf der I. Internationalen Anatomenversammlung in Genf gehaltenen Vortrag bald einige ergänzende Bemerkungen nachzusenden, um manches von dem dort Gesagten etwas ausführlicher darzustellen, als es in dem Vortrag bei den bedrängten Zeitverhältnissen möglich war, dazu auf gewisse Fragen einzugehen, die sich im Anschluß an die mitgeteilten Tatsachen ergeben mußten, und einzelne in Betracht kommende Angaben und Meinungen anderer Autoren zu berücksichtigen. Von der Veröffentlichung des hierfür bestimmten und schon so gut wie fertigen Aufsatzes nahm ich jedoch Abstand infolge des Erscheinens der ersten der Fuchsschen Arbeiten (1905), in der im Anschluß an D r ü n e r s Untersuchungen nicht mehr und nicht weniger zu beweisen versucht wurde, als daß die Grundlagen der R e i c h e r t sehen Theorie haltlos seien, und daß im Gegenteil die ontogenetischen Vorgänge die Anerkennung einer Homologie der Kiefergelenkbildungen bei allen Wirbeltieren einschließlich
D I E REICIIERTSCHE T H E O R I E (HAMMER-, AMBOSS- U. KIEFERFRAGE).
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der Säuger nahe legten. Diese Darstellung ließ es wünschenswert erscheinen, eine kritische Betrachtung der vorgebrachten Beweisgründe dem beabsichtigten Aufsatz einzufügen, ein Vorhaben, dessen sofortige Ausführung durch mancherlei andere Arbeiten verhindert wurde. Schon im nächsten Jahre, 1906, erschien dann die zweite umfangreiche Arbeit von F u c h s , in der F u c h s auf dem einmal betretenen Wege weiter fortschreitend zu immer kühneren Schlüssen gelangte, von denen einer — bezüglich der dreifachen Zusammensetzung des Säuger-Squamosmus aus Squamosum, Quadratojugale, Quadratum — dann noch 1907 eine spezielle Bearbeitung erfuhr. Da zugleich die ausgesprochenen Behauptungen immer bestimmter wurden, und die R e i c h e r t sehe Theorie schließlich lediglich als ein luftiges Phantasiegebilde hingestellt wurde, das über kurz oder lang zugrunde gehen müsse, so erschien es wünschenswert, den g a n z e n Tatsachenkomplex, der von jener Theorie berührt wird und somit für ihre Bewertung von Wichtigkeit ist, ausführlich und im Zusammenhang darzustellen. Durch eine abermalige sehr umfangreiche Abhandlung von F u c h s vom Jahre 1909, die wesentlich dadurch ausgezeichnet ist, daß F u c h s in ihr einen Ton der Polemik anschlägt, wie er im allgemeinen wohl sonst nicht üblich ist, und bei ungenügender Kenntnisnahme der Arbeiten und Ansichten anderer sich die heftigsten persönlichen Angriffe gegen die gestattet, die nicht auf seinem Standpunkt stehen, erfuhr die endliche Fertigstellung des vorliegenden Aufsatzes, dessen Ausarbeitung sich somit über eine ganze Reihe von Jahren erstreckt, eine weitere Verzögerung.
Erster
Abschnitt.
Das Problem. Allgemeine Begründung der Reichertschen Theorie aus dem Verhalten des Knorpelschädels und der Entwicklung der Knochen an Ihm. Das Problem, das wir hier behandeln wollen, sollte ich eigentlich als b e k a n n t voraussetzen k ö n n e n , indessen h a l t e ich es doch f ü r wünschenswert, es zum A n f a n g noch einmal in kurzen Strichen zu skizzieren, einmal weil durch eine solche gelegentliche Rekapitulation des gesamten Tatbestandes u n d der Streitfragen a m besten verhindert wird, daß die Polemik sich an irgend einem P u n k t e festbeißt u n d die großen Gesichtspunkte aus dem Auge verliert, v o r allem aber, u m von vornherein der Vorstellung zu begegnen, als verlange die „ R e i c h e r t sche Theorie" Annahmen, die weit über menschliches Fassungsvermögen herausgehen, eine Verzichtleistung des überlegenden Verstandes zugunsten einer ausschweifenden Phantasie. So aber könnte es nach der F u c h s s c h e n Darstellung beinahe scheinen. D a ß ich im nachfolgenden die Dinge gleich so schildere, wie sie sich im L a u f e der J a h r e durch vereinte Arbeit zahlreicher Forscher gestaltet haben, ist wohl selbstverständlich.
D I E REICIIERTSCHE T H E O R I E (HAMMER-, AMBOSS- U. KIEFERFRAGE).
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der Säuger nahe legten. Diese Darstellung ließ es wünschenswert erscheinen, eine kritische Betrachtung der vorgebrachten Beweisgründe dem beabsichtigten Aufsatz einzufügen, ein Vorhaben, dessen sofortige Ausführung durch mancherlei andere Arbeiten verhindert wurde. Schon im nächsten Jahre, 1906, erschien dann die zweite umfangreiche Arbeit von F u c h s , in der F u c h s auf dem einmal betretenen Wege weiter fortschreitend zu immer kühneren Schlüssen gelangte, von denen einer — bezüglich der dreifachen Zusammensetzung des Säuger-Squamosmus aus Squamosum, Quadratojugale, Quadratum — dann noch 1907 eine spezielle Bearbeitung erfuhr. Da zugleich die ausgesprochenen Behauptungen immer bestimmter wurden, und die R e i c h e r t sehe Theorie schließlich lediglich als ein luftiges Phantasiegebilde hingestellt wurde, das über kurz oder lang zugrunde gehen müsse, so erschien es wünschenswert, den g a n z e n Tatsachenkomplex, der von jener Theorie berührt wird und somit für ihre Bewertung von Wichtigkeit ist, ausführlich und im Zusammenhang darzustellen. Durch eine abermalige sehr umfangreiche Abhandlung von F u c h s vom Jahre 1909, die wesentlich dadurch ausgezeichnet ist, daß F u c h s in ihr einen Ton der Polemik anschlägt, wie er im allgemeinen wohl sonst nicht üblich ist, und bei ungenügender Kenntnisnahme der Arbeiten und Ansichten anderer sich die heftigsten persönlichen Angriffe gegen die gestattet, die nicht auf seinem Standpunkt stehen, erfuhr die endliche Fertigstellung des vorliegenden Aufsatzes, dessen Ausarbeitung sich somit über eine ganze Reihe von Jahren erstreckt, eine weitere Verzögerung.
Erster
Abschnitt.
Das Problem. Allgemeine Begründung der Reichertschen Theorie aus dem Verhalten des Knorpelschädels und der Entwicklung der Knochen an Ihm. Das Problem, das wir hier behandeln wollen, sollte ich eigentlich als b e k a n n t voraussetzen k ö n n e n , indessen h a l t e ich es doch f ü r wünschenswert, es zum A n f a n g noch einmal in kurzen Strichen zu skizzieren, einmal weil durch eine solche gelegentliche Rekapitulation des gesamten Tatbestandes u n d der Streitfragen a m besten verhindert wird, daß die Polemik sich an irgend einem P u n k t e festbeißt u n d die großen Gesichtspunkte aus dem Auge verliert, v o r allem aber, u m von vornherein der Vorstellung zu begegnen, als verlange die „ R e i c h e r t sche Theorie" Annahmen, die weit über menschliches Fassungsvermögen herausgehen, eine Verzichtleistung des überlegenden Verstandes zugunsten einer ausschweifenden Phantasie. So aber könnte es nach der F u c h s s c h e n Darstellung beinahe scheinen. D a ß ich im nachfolgenden die Dinge gleich so schildere, wie sie sich im L a u f e der J a h r e durch vereinte Arbeit zahlreicher Forscher gestaltet haben, ist wohl selbstverständlich.
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Die dem Problem zunächst zugrunde liegenden Tatsachen finden wir im Knorpelstadium des Schädels. Hier zeigt sich bei allen Wirbeltieren von den Selachiern bis zu den Vögeln inklusive (Figg. 1—5) übereinstimmend im Gebiete des Kieferbogens jeder Seite ein Knorpelstab, der p r i m o r d i a l e U n t e r k i e f e r , vorn mit dem der anderen Seite in verschiedenerweise zusammenstoßend, hinten (proximal) vermittelst eines verdickten Gelenkendes an einem besonderen knorpligen Skelettstück, dem P a l a t o q u a d r a t u m artikulierend, über dies Gelenk hinaus aber noch häufig in einen kürzeren Processus retroarticularis
Palatoquadrat., Pars quadrata Articul. quadratu ni mandibular^
Mandibula primordialis fCart. Meckelii)
Fig. 1. Neurales Cranium und Kieferbogen von Heptanchus.
fortgesetzt. Das Palatoquadratum zeigt mannigfache Verschiedenheiten in bezug auf Ausdehnung, Größe, Form und Verbindung mit dem neuralen Schädel. Das Bemerkenswerteste von diesen hier nicht im einzelnen zu besprechenden Verschiedenheiten ist die in der Reihe der terrestrischen Wirbeltiere zu beobachtende Reduktion seiner Pars palatina, die bei Selachiern als massiger Teil den oberen Mundrand stützt und Zähne trägt^ bei den übrigen Fischen durch Ausbildung eines neuen (maxillaren) Kieferrandes mehr in die Tiefe der Mundhöhle verlagert wird, bei Tetrapoden an Ausdehnung und Bedeutung immer mehr verliert. Ihr gegenüber repräsentiert die Pars quadrata, d. h. der große hintere Hauptabschnitt des Palatoquadratums,
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den konservativeren Teil: die Aufgabe, den primordialen Unterkiefer in Gelenkverbindung zu tragen, schützt ihn vor dem Zugrundegehen. Die Verbindungen des Palatoquadratums mit dem neuralen Schädel zeigen auch manche Verschiedenheiten. Sehen wir ab von den
„hyostylen" Fischformen (den meisten Selachiern, den Ganoiden und Teleostiern), bei denen die hauptsächlichste Verbindung zwischen Neurocranium und Palatoquadratum durch die Hyomandibula vermittelt wird, und beschränken uns nur auf „autostyle" Formen, d. h. solche, bei denen das Palatoquadratum ausschließlich selbst und un-
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vermittelt sich mit dem neuralen Primordialschädel verbindet, so treffen wir auch bei diesen manche Unterschiede, teils bezüglich der Zahl und des Ortes der Verbindungen (in der Otical-, Orbitotemporal-,
bei stark ausgedehnter Pars palatina sogar auch in der Ethmoidalregion), teils bezüglich des Charakters derselben (kontinuierlich oder diskontinuierlich). Fast durchgehends bei allen autostylen Formen aber (Notidaniden, Dipnoern, Amphibien, Amnio ten) legt sich die Pars
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quadrata des Palatoquadratums mit ihrem dorsalen Ende gegen die Ohrkapsel, und zwar im allgemeinen im Gebiet des Vorsprunges, der bc a o Js 5a >2 S 'S a -g g* ^
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durch den Wulst des lateralen Bogenganges bewirkt wird. Von Ausnahmen ist die bemerkenswerteste die sekundäre Verlagerung der Palatoquadratverbindung vom neuralen Primordialschädel auf einen Deckknochen bei Schlangen.
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Das S c h i c k s a l der geschilderten Teile anlangend, ist das Wichtigste, daß sie, von den Selachiern bis zu den Vögeln, am Aufbau des d e f i n i t i v e n Kieferapparates einen wesentlichen Anteil nehmen. Diesen können sie gewinnen in ziemlich derselben Form, die sie auf dem Zustand des Primordialcraniums besitzen. Vor allem ist das natürlich der Fall bei den Selachiern, deren Schädel ja niemals über das Stadium des Primordialcraniums hinaus kommt; aber auch bei anderen Formen, Dipnoern, Acipenser, bleiben das Palatoquadratum und der primordiale Unterkiefer in knorpeligem Zustand zeitlebens erhalten, ja selbst beim Frosch ist das zum größten Teil noch der Fall. Das zwischen den beiden knorpeligen Skelettstücken bestehende Kiefergelenk kann als A r t i c u l a t i o q u a d r a t o m a n d i b u l a r i s bezeichnet werden. Dagegen erliegen bei vielen anderen Formen das Palatoquadratum wie der primordiale Unterkiefer mehr oder minder weit gehenden Zerstörungen durch Ersatzknochen, die an ihre Stelle treten. Aus der „Verknöcherung" der Pars quadrata des Palatoquadratums geht das Os q u a d r a t u m hervor, aus der Ossifikation des Gelenkteiles des primordialen Unterkiefers das Os a r t i c u l a r e . Alsdann kann das Kiefergelenk als eine A r t i c u l a t i o q u a d r a t o a r t i c u l a r i s bezeichnet werden. Der übrige primordiale Unterkiefer kann in knorpligem Zustand erhalten bleiben, oder spurlos zugrunde gehen oder partiell ebenfalls durch Knochen ersetzt werden. Walten hierin Verschiedenheiten, so besteht dafür in einem anderen Verhalten volle prinzipielle Übereinstimmung: bei allen über den Selachiern stehenden Formen treten in der Umgebung des primordialen Unterkiefers D e c k k n o c h e n auf, die die Hauptmasse des definitiven Unterkiefers bilden. Ihre Zahl ist verschieden; der konstanteste ist das meist Zähne tragende D e n t a l e , das am lateralen Umfang des primordialen Unterkiefers entsteht. So wird der definitive Unterkiefer ein aus mehreren Komponenten verschiedener Natur und Herkunft zusammengesetztes Gebilde: sein Gelenkteil, schon im Primordialcranium vorgebildet, bleibt entweder knorplig oder wird durch das den Knorpel ersetzende Articulare dargestellt, seine anderen Teile sind — zum mindesten der Hauptsache nach — Deckknochen. (Das Dentale okkupiert häufig einen Teil des vorderen Endes des primordialen Unterkiefers.) Jedenfalls ist er keine Einheit, sondern ein Komplex verschiedener Gebilde. Als Kiefergelenk aber fungiert bei allen Formen von den Selachiern bis zu den Vögeln inklusive das Gelenk zwischen dem Palatoquadratum und dem primordialen Unterkiefer, die A r t i c u l a t i o q u a d r a t o m a n d i b u l a r i s , die durch Verknöcherung ihrer Komponenten zu einer A r t i c u l a t i o quadrato-articularis
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wird. Ihre Bezeichnung als p r i m ä r e s K i e f e r g e l e n k drückt aus, daß sie das e r s t e Kiefergelenk ist, dem wir in der Wirbeltierreihe begegnen.
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Vergleichen wir hiermit die Zustände bei den S ä u g e r n (Figg. 6, 7), so finden wir zunächst auf dem Knorpelstadium des Schädels, das wir ja auch vorhin zugrunde legten, die weitestgehenden Übereinstimmungen
Tectum posterius
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Lam. supra capsularis
Caps. >>i ica. Quadratur« (Incus)
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